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German Pages 328 Year 1980
Die DDR in der Übergangsperiode
Die DDR in der Ubergangsperiode Studien zur Vorgeschichte und Geschichte der DDR 1945 bis 1961
Herausgegeben von R O L F B A D S T Ü B N E R und H E I N Z H E I T Z E R
AKADEMIE-VERLAG 1979
• BERLIN
Erschienen im Akademie-Verlag, DDR - 108 Berlin, Leipziger Str. 3 - 4 Lektor: Dr. Joachim Trotz © Akademie-Verlag Berlin 1979 Lizenznummer: 202 • 100/67/79 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen • 5478 Umschlag: Rolf Kunze Bestellnummer: 7535707 (6523) • LSV 0275 Printed in GDR DDR 19,50 M
Inhalt
Vorwort GÜNTER
IX BENSER
Der einheitliche revolutionäre Prozeß in der Strategie und Taktik von KPD und SED (1945-1961) 1. Revolutionärer Prozeß und Politik der marxistisch-leninistischen Partei als Problem für den Historiker 2. Die Leninsche Revolutionstheorie als Grundlage der Strategie und Taktik der KPD 3. Der Aufruf des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945 und die sozialistische Perspektive des Kampfes 4. Programm-Minimum und Programm-Maximum der SED 5. Das Konzept der Hinüberleitung der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in die sozialistische Revolution 6. Die Orientierung auf die Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens 7. Kurs auf den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse 8. Der einheitliche revolutionäre Prozeß im marxistisch-leninistischen Geschichtsbild der DDR Anmerkungen HEINZ
1 1 3 6 9 11 14 18 20 23
HEITZER
Zur Dialektik von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR
26
1. Gegenstand und Problemstellung 2. Die Formierung der Kräfte für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung . . 3. Die Gründung der SED und die Weiterführung des revolutionären Prozesses . . . 4. Die Gründung der DDR und der Beginn des planmäßigen Aufbaus des Sozialismus 5. Für den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse Anmerkungen
26 30 34 39 45 50
ROLF
BADSTÜBNER
Antifaschistisch-demokratische Umwälzung - Übergangsperiode - sozialistische Revolution. Theoretisch-methodologische Probleme der Bestimmung des Wesens und des historischen Platzes der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung
54
1. Problemstellung und Positionen 2. Wesen und Spezifik der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung
54 63
V
3. Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung als Etappe der Übergangsperiods vom Kapitalismus zum Sozialismus Anmerkungen MARGOT
HEGEMANN
Zum Prozeß der Verankerung der DDR in der sozialistischen Staatengemeinschaft . . Anmerkungen GOTTFRIED
1. 2. 3. 4.
Theoretisch-methodologische Fragen Zu den Anfängen der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung Die führende Rolle der SED in der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung . . . . Zum historischen Platz der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung im revolutionären Prozeß 5. Zur gesellschaftlichen Relevanz der Wettbewerbe 6. Zur Bedeutung der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung für die Entwicklung der Arbeiterklasse 7. Anwendung sowjetischer Erfahrungen Anmerkungen
111
116 116 117 119 121 123 124 128 130
BARTHEL
Probleme und Ergebnisse der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus. Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik als Triebkraft zur Erhöhung der Produktion und zur Steigerung der Arbeitsproduktivität 1. Zum Begriff und zur Methodologie der Erforschung der Sozialpolitik 2. Die Sozialpolitik als Bestandteil und Triebkraft der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung 3. Die Sozialpolitik in der sozialistischen Etappe des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus 4. Zusammenfassung Anmerkungen JOCHEN
85
DITTRICH
Zur Geschichte der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in der DDR während der Übergangsperiode
HORST
69 78
134 134 136 140 145 146
CERNY
Vom antifaschistisch-demokratischen Block zum sozialistischen Mehrparteiensystem. Eine Studie zur Genesis der politischen Organisation der Gesellschaft im Gründungsjahr der DDR (Oktober 1949 bis Oktober 1950)
159
1. Staatsgründung, Block und Klassenkampf 2. Politische Organisation und Mehrparteiensystem 3. Die Konsolidierung des Blocks 4. Die kleinbürgerlich-demokratischen Parteien 5. Der Wahlsieg der Nationalen Front Anmerkungen
161 165 172 176 181 183
PETER
HÜBNER
Zu den Auswirkungen des Auf- und Ausbaus von Industriekapazitäten in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus auf die soziale Struktur der Arbeiterklasse in der DDR
VI
196
1. Problemstellung 2. Industrielle Umstrukturierung und Arbeitskräftebewegung 3. Probleme der industriellen Zweigstruktur der Arbeiterklasse Anmerkungen GERHARD
196 199 209 216
KEIDERLING
Friedenspolitik an der Seite der Sowjetunion. Der Beitrag der DDR zum Kampf um die Sicherung des Friedens in Europa in den Jahren 1955-1961
223
1. Das Schlüsseljahr 1955 2. Der Kampf um Abrüstung und Sicherung des Friedens 3. Um friedliche Koexistenz im Verhältnis zwischen DDR und BRD 4. Erfolgreiche Bilanz Anmerkungen
225 228 234 241 243
KARL
GREESE
Zum Aufbau der Landesverteidigung der DDR (1955/56 bis 1961)
248
1. Arbeiterklasse und sozialistische Landesverteidigung 1955/56 2. Schaffung der Streitkräfte und sozialistische Wehrerziehung 3. Zur führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei 4. Kader und Masseninitiative beim bewaffneten Schutz 5. Landesverteidigung der DDR und ihre Bewährung zu Beginn der sechziger Jahre Anmerkungen
248 252 255 259 262 267
THERESE
HÖRNIGK
Entwicklungslinien der sozialistischen Kulturrevolution am Ende der Übergangsperiode
269
1. Die neue Kulturkonzeption im historischen Prozeß - Vorgeschichte und Programmatik 2. Die erste Bitterfelder Konferenz - Programm und Umfeld 3. Neue kulturpolitische Organisationsweisen 4. Die Bewegung schreibender Arbeiter - Praxis und Programmatik 5. Programm kontra Praxis? Anmerkungen
271 276 278 282 284 289
SIEGFRIED
PROKOP
Zur Rolle der Erfahrungen der UdSSR und anderer sozialistischer Länder für die erfolgreiche Bewältigung von Grundprozessen während der Endphase der Übergangsperiode in der DDR
293
1. Anmerkungen
311
Autoren Verzeichnis
317
VII
Vorwort
Die Erforschung und Darstellung der Geschichte der DDR führten insbesondere seit dem VIII. Parteitag der SED zu bemerkenswerten Ergebnissen. Den gegenwärtig erreichten Erkenntnisstand verkörpern vor allem die 1978 erschienene „Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß" und die entsprechenden Abschnitte der 1979 vorliegenden zweiten, überarbeiteten und erweiterten Auflage des Grundrisses „Klassenkampf - Tradition - Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR". Der Studienband will dazu beitragen, das vornehmlich in diesen beiden Publikationen entwickelte marxistisch-leninistische Geschichtsbild zu verbreiten, es theoretisch zu begründen, in ausgewählten thematischen Schwerpunkten umfassender darzustellen und durch neue Forschungsergebnisse auszubauen. Anliegen der Autoren ist es auch, einige noch offene oder umstrittene Probleme klären zu helfen. Die Autoren kommen aus verschiedenen Einrichtungen: dem Institut für MarxismusLeninismus beim ZK der SED, dem Zentralinstitut für Geschichte und dem Zentralinstitut für Literaturgeschichte der AdW der DDR, dem Militärhistorischen Institut Potsdam, der Sektion Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin und der Sektion Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig. Sie untersuchen - zum großen Teil auf der Grundlage neuerschlossenen Materials und ausgehend vom aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion — Probleme und Entwicklungslinien der Übergangsperiode( vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR. Das war jene Zeit, in der die kapitalistische Formation beseitigt und die Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsformation geschaffen wurden. Obwohl darüber schon viele Veröffentlichungen vorliegen, ist diese Thematik unvermindert von großer politischer und wissenschaftlicher Relevanz. Dies will der vorliegende Band verdeutlichen. Vollständigkeit wurde nicht angestrebt. Bedauerlich bleibt dennoch, daß Probleme der Staatsentwicklung, der sozialistischen Nationalisierung und der Agrarumwälzung sowie Auswirkungen des vom Imperialismus geführten kalten Krieges nicht in ursprünglich vorgesehenem Maße ihren Niederschlag finden konnten. Die Herausgeber waren um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen vorrangig theoretisch-methodologisch orientierten und vorrangig empirisch angelegten Beiträgen bemüht - dies soll die weite Fächerung der in unserer Republik betriebenen Forschungen zur Geschichte der DDR widerspiegeln. Mit dem Ziel, einen weiterführenden Forschungsbeitrag zu leisten und die damit verbundenen Ergebnisse zur Diskussion zu stellen, erfolgt die Vorlage dieses Bandes im 30. Jahr der DDR. IX
Der Dank der Herausgeber gilt allen Autoren. Er gilt in besonderem Maße Dr. Peter Hübner für dessen Arbeit als Wissenschaftlicher Sekretär des Bandes, ebenfalls Ellen Fischer sowie Nikola Knoth, die viel Mühe und Arbeit auf die redaktionell-technische Fertigstellung der Beiträge verwandten. Für gute Zusammenarbeit ist dem Akademie-Verlag und vor allem dem Lektor Dr. Trotz zu danken. Berlin, im Dezember 1978 Prot. Dr. habil. Rott Badstübner Prot. Dr. Heinz Heitzer
GÜNTER BENSER
Der einheitliche revolutionäre Prozeß in der Strategie und Taktik von KPD und SED (1945-1961)
1.
Revolutionärer Prozeß und Politik der marxistisch-leninistischen Partei als Problem für den Historiker
Wenn wir heute, von der Warte der entwickelten sozialistischen Gesellschaft aus, Rückschau halten auf die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in unserem Lande, so treten deren Konturen immer schärfer zutage. Je weiter die gesellschaftliche Entwicklung voranschreitet, je mehr Vergleiche mit anderen Ländern möglich werden, je umfangreicher das erschlossene historische Material wird, desto gründlicher läßt sich die Frage nach dem Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen beantworten, desto deutlicher heben sich Kontinuitätslinien und qualitative Sprünge ab. Damit vertieft sich die Einsicht in den gesetzmäßigen historischen Prozeß, an dem die Wirksamkeit gesellschaftlicher Kräfte letztlich zu messen ist. Vor allem in den letzten fünf Jahren hat sich das dialektische Verständnis für den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in unserem Lande vertieft. Seinen begrifflichen Ausdruck fand dies in der Formulierung vom „einheitlichen revolutionären Prozeß".1 Historisch ausgedeutet und begründet wurde diese Sicht insbesondere in den Kollektivarbeiten „Klassenkampf - Tradition - Sozialismus" und „Geschichte der SED. Abriß", die sich dabei auf die in Fachzeitschriften und auf wissenschaftlichen Tagungen geführten Diskussionen stützen konnten. Die Frage, die sich dem Historiker in diesem Zusammenhang stellt, lautet: In welchem Verhältnis stehen diese mit historischem Abstand gewonnenen Einsichten und die unmittelbar zur Führung des revolutionären Prozesses erarbeitete und vervollkommnete Strategie und Taktik der marxistisch-leninistischen Partei zueinander? Inwieweit waren KPD und SED auf einen solchen einheitlichen revolutionären Prozeß orientiert? Was den Inhalt des einheitlichen revolutionären Prozesses - bezogen auf die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in unserem Lande - ausmacht, hat Erich Honecker prägnant wie folgt zusammengefaßt: „Zum Beginn des einheitlichen revolutionären Prozesses im Jahre 1945 stellten wir nicht die sozialistische Revolution als Tagesaufgabe, sondern richteten den Hauptstoß der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung gegen Monopolkapital und Großgrundbesitz. Als ihre wichtigste Aufgabe sah es unsere Partei an, die Arbeiterklasse zur Führung in allen gesellschaftlichen Bereichen zu befähigen und ein breites Bündnis mit den Bauern, der Intelligenz und den städtischen Mittelschichten herzustellen. Diese enge Verbindung zu den Volksmassen ermöglichte den Übergang zur sozialistischen Revolution . . . Mit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik vollzog sich für alle sichtbar die Hinwendung zum Aufbau des Sozialismus. Anfang der sechziger Jahre wurde bei uns die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus abgeschlossen. 1
Wir hatten die Grundlagen des Sozialismus geschaffen. In Industrie und Landwirtschaft hatten die sozialistischen Produktionsverhältnisse gesiegt. Ein stabiler sozialistischer Staat war entstanden, die Diktatur des Proletariats wurde im breiten Bündnis mit den anderen Werktätigen erfolgreich ausgeübt." 2 Hier ist Wesentliches ausgesagt nicht nur über Zeitdauer und Wesenszüge der Übergangsperiode in unserem Lande, sondern auch über die Politik der marxistisch-leninistischen Vorhut der Arbeiterklasse, die diese historischen Prozesse geführt und geleitet hat. Hier ist zugleich ablesbar, daß sich das Attribut „einheitlich" vor allem auf die Kontinuität und Komplexität dieses Prozesses, auf dessen stetige Höherentwicklung bezieht, was qualitative Entwicklungsstufen und damit auch Veränderungen im Charakter dieses Prozesses notwendig bedingt. Einheitlich ist der revolutionäre Prozeß auf dem Territorium der DDR, bezogen auf die Gesellschaftsformation, d. h., er hat im ganzen die Ablösung des Kapitalismus und die Errichtung des Sozialismus zum Inhalt. Er ist insgesamt Ausdruck des Grundzuges unserer Epoche, der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Dieser Prozeß ist auch einheitlich hinsichtlich der Klassenkräfte, die ihn leiten und tragen. Er führt nicht zu gravierenden Verlagerungen und Umgruppierungen, sondern zur immer umfassenderen Ausprägung einer Konstellation, die von Anfang an gegeben ist: führende Rolle der Arbeiterklasse, geleitet von deren revolutionärer Partei, Bündnis mit den werktätigen Bauern, der Intelligenz, den städtischen Mittelschichten. Natürlich werden dabei die Bündnisbeziehungen wesentlich durch die allmähliche Herausbildung der dem Sozialismus eigenen Klassenstruktur variiert. Einheitlich ist dieser revolutionäre Prozeß auch in seiner grundsätzlichen internationalen Verknüpfung. Er ist von Beginn an Bestandteil der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus. Er ist eingebunden in die Herausbildung eines aus mehreren Staaten bestehenden sozialistischen Weltsystems. Von hier aus ergibt sich auch die für den Gesamtprozeß charakteristische enge und in mancherlei Hinsicht spezifische Verknüpfung von sozialem und nationalem Kampf. Wollen wir den sozialen und politischen Charakter dieses einheitlichen revolutionären Prozesses kennzeichnen, so kommen wir nicht umhin, auf dessen Etappen zu verweisen, denn der Charakter dieses Prozesses läßt sich nicht auf einen einfachen Hauptnenner bringen, ohne ihn dabei unzulässig zu vereinfachen bzw. zu verabsolutieren. Wenn aber mit derartiger Gewichtigkeit von Etappen die Rede ist, so muß es zwischen diesen Unterschiede geben, und zwar Unterschiede qualitativer Natur. Wo liegen solche Unterschiede zwischen der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung und der sozialistischen Revolution? 1. im Charakter der Macht, die geschaffen bzw. die als Hauptinstrument der Umgestaltung der Gesellschaft wirksam wird; 2. in der Funktion, die das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln hat, im Grad seiner Einwirkung auf den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß, insbesondere über die Planwirtschaft; 3. in den zentralen Zielen der Entwicklung der Produktivkräfte ; 4. in der Zielsetzung des der sozialen Frage untergeordneten nationalen Kampfes; 5. in der Reife des subjektiven Faktors, in der Bewußtheit und Organisiertheit der Arbeiterklasse und der übrigen Werktätigen; 6. in den strategischen Zielstellungen und Losungen der revolutionären Partei der Arbeiterklasse und davon abgeleitet im Inhalt der politisch-ideologischen und geistigkulturellen Aktivität der revolutionären Kräfte. Überwiegen in der ersten Etappe antiimperialistisch-demokratische Aufgaben und
2
Inhalte, so sind in der zweiten die sozialistischen bestimmend. Doch ist das nicht absolut zu verstehen, weil dieser Prozeß nicht nur durch eine Verbindung, sondern auch durch eine Überlagerung des Kampfes um Demokratie und des Kampfes um den Sozialismus gekennzeichnet ist. Der vorliegende Beitrag stellt sich die Aufgabe zu untersuchen, inwieweit die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse auf eben einen solchen einheitlichen revolutionären Prozeß orientiert gewesen ist. Der Autor gelangt zu dem Ergebnis, daß der Politik von KPD und SED die Vorstellung eines sich über die antifaschistisch-demokratische Umwälzung zur sozialistischen Revolution entwickelnden gesellschaftlichen Prozesses zugrunde lag, auch dort, wo dies mit anderen Begriffen reflektiert wurde oder sich die strategisch-taktische Konzeption und die Losungen der Partei zunächst auf begrenztere Zielstellungen beschränkten. Dies widerlegt Behauptungen bürgerlicher und rechtssozialdemokratischer Historiker, die immer wieder versuchen, die Marxisten-Leninisten politischer Unaufrichtigkeit, zumindest aber des Pragmatismus zu beschuldigen, wenn diese gemäß den realen historischen Bedingungen das Verhältnis von Gegenwartsaufaufgaben und Fernziel dialektisch bestimmen. 3
2.
Die Leninsche Revolutionstheorie als Grundlage der Strategie und Taktik der KPD
Die Analyse zeitgenössischer Dokumente, auf die sich dieser Beitrag stützt, kann nur dann zu richtigen Ergebnissen führen, wenn sie von den Grunderkenntnissen und Grundüberzeugungen ausgeht, die das Herangehen der deutschen Kommunisten an die Bedingungen, Ziele und Wege der Revolution generell bestimmten. Die Entstellungen, Fehleinschätzungen und Trugschlüsse, die das antikommunistische Geschichtsbild gerade bei der Beurteilung der Politik der KPD im Jahre 1945 aufweist, hängen nicht zuletzt damit zusammen, daß die Wirksamkeit der Grundlehren des Marxismus-Leninismus, vor allem der marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie, negiert oder unterschätzt wird. Es ist aber unerläßlich, die konkret formulierte Strategie und Taktik der KPD mit jenen grundsätzlichen theoretischen Auffassungen in Verbindung zu bringen, auf denen sie - ausgesprochen oder unausgesprochen - immer fußte. Betrachten wir die programmatischen Aussagen der Kommunistischen Partei Deutschlands, so sind wir zweifelsfrei berechtigt zu sagen, daß sich die 1945 aus der Illegalität tretende marxistisch-leninistische Vorhut der deutschen Arbeiterklasse die Grundideen der Leninschen Revolutionstheorie angeeignet und daß sich ihre Führung gründlich mit den auf diesem theoretischen Fundament gewonnenen Erfahrungen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und der sozialistischen Umgestaltung in der Sowjetunion vertraut gemacht hatte. Dabei waren der Erfahrungsaustausch, wie er auf den Kongressen und in den Führungsorganen der Kommunistischen Internationale gepflegt wurde, sowie die sich darauf stützenden Beschlüsse von größtem Wert. Das hervorzuheben ist wichtig. Denn eine wissenschaftliche Analyse zeitgenössischer Äußerungen der Partei muß die jeweiligen Losungen und das Hervorheben der nächsten Aufgaben und Ziele der Partei zu deren Gesamtverständnis des revolutionären Weltprozesses und der allgemeinen Erfordernisse des revolutionären Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus in den einzelnen Ländern in Beziehung setzen. An welche wesentlichen Einsichten und Erkenntnisse ist hier gedacht? 1. Die KPD war vertraut mit der Leninschen Imperialismustheorie und der sich darauf stützenden Analyse des Faschismus. Das war eine wesentliche Voraussetzung, 3
um die Ursachen der Katastrophe aufzudecken, in die Monopolbourgeoisie und Junkertum das deutsche Volk gestürzt hatten, um die Schuldigen anzuprangern und einen Weg zur Liquidierung der Wurzeln von Faschismus und Militarismus zu weisen. 2. Die KPD ließ sich vom Charakter der Epoche, der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, leiten und war sich der welthistorischen Bedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution bewußt. Sie war sich darüber im klaren, daß eine dauerhafte und endgültige Lösung aller sozialen und nationalen Probleme nur im Sozialismus möglich ist. Dies verband sich mit der durch nichts zu erschütternden Einsicht, daß die Sowjetunion für alle wahrhaften Revolutionäre das orientierende Beispiel gegeben hatte, daß den grundlegenden Erfahrungen der KPdSU allgemeingültige Bedeutung zukam. Daraus ergab sich auch die Erkenntnis, daß eine revolutionäre Umwälzung in Deutschland in der sozialistischen Sowjetunion ihren zuverlässigsten Verbündeten besaß. 3. Mit den Lehren von Karl Marx und Friedrich Engels und deren Weiterentwicklung durch W. I. Lenin war in den Reihen der KPD die Überzeugung fest verwurzelt, daß die Kardinalfrage jeder Revolution die Frage der Macht ist, daß die Errichtung der sozialistischen Gesellschaft die politische Herrschaft der Arbeiterklasse, die Diktatur des Proletariats, zur Bedingung hat. Aber auch der Erfolg jeder der sozialistischen Revolution in Deutschland unmittelbar vorausgehenden revolutionären Umwälzung entschied sich mit der Verwirklichimg der Hegemonie der Arbeiterklasse und einem grundlegenden Wandel der Machtverhältnisse zugunsten der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten. 4. Politik und Praxis der KPD zeugten davon, daß sie sich über die Rolle der marxistisch-leninistischen Partei für die revolutionäre Erneuerung der Gesellschaft im klaren war. Ohne eine solche mit der wissenschaftlichen Theorie ausgerüstete, disziplinierte, kampfgestählte Vorhut kann die Arbeiterklasse ihre historische Mission nicht erfüllen. Dabei verstand sich die KPD nicht als die Organisation einer Elite, sondern als revolutionäre Massenpartei, als führende Kraft der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen. 5. Die KPD sah die Hauptkraft einer revolutionären Erneuerung in der Arbeiterklasse und betrachtete deren einheitliches Handeln als Erfordernis für den Erfolg des Kampfes. Deshalb rang sie um die Überwindung der durch Imperialismus und Opportunismus verursachten Spaltung der Arbeiterklasse, für die Herstellung der Aktionseinheit mit der Perspektive der politisch-organisatorischen Einheit der Arbeiterklasse repräsentiert durch die revolutionäre Einheitspartei, durch einheitliche freie Gewerkschaften und einheitliche demokratische Massenorganisationen. 6. Um über die imperialistische Bourgeoisie und die Großgrundbesitzer zu siegen, muß die revolutionäre Partei des Proletariats die Mehrheit für sich gewinnen, nicht nur die Mehrheit der Arbeiterklasse, sondern die Mehrheit aller Ausgebeuteten und Unterdrückten. Auch diese Leninsche Erkenntnis gehörte zu den Grundprinzipien der KPD. An der auf diese Leninsche These gestützten Erarbeitung der Volksfrontpolitik durch die Kommunistische Internationale hatte die KPD unmittelbar teilgenommen. Ihre eigene Konzeption blieb von diesen Ideen durchdrungen, deren tiefste Wurzel die schon von Marx und Engels formulierte Überzeugung war, daß die Arbeiterklasse sich nicht von Ausbeutung und Unterdrückung befreien kann, ohne zugleich die ganze Gesellschaft von diesen Übeln der Klassenherrschaft zu befreien. Die KPD war sich der Vorrangigkeit des Bündnisses zwischen Arbeiterklasse und werktätiger Bauernschaft bewußt und erkannte zugleich die Notwendigkeit sowie die Möglichkeit eines breiten Bündnisses aller antifaschistisch-demokratischen Kräfte.
4
7. J e größer der Erfahrungsschatz der revolutionären Arbeiterbewegung wurde auch eingedenk der Erfahrungen der von der Reaktion niedergeschlagenen und von opportunistischen Kräften verratenen Revolutionen und revolutionären Erhebungen desto stärker war das Herankommen an die sozialistische Revolution, das Hinüberleiten des revolutionären Kampfes um demokratische Verhältnisse in die sozialistische Revolution, zu einer erstrangigen Frage geworden. Die von Marx und Engels prinzipiell beantwortete, von Lenin gründlich ausgearbeitete und von den Bolschewiki in der Praxis gemeisterte Dialektik des Kampfes um Demokratie und Sozialismus wurde zum Angelpunkt für die Bestimmung der Perspektiven des antifaschistischen Kampfes. Die richtige Wahl der nächsten Schritte und des strategischen Etappenziels unter Beachtung der Gesetzmäßigkeiten der Epoche und des sozialistischen Ziels der revolutionären Arbeiterbewegung erwies sich als eine der dringlichsten und zugleich kompliziertesten Aufgaben der programmatischen Tätigkeit der Marxisten-Leninisten. Auch hier stand die KPD auf der Höhe der marxistisch-leninistischen Theorie und handelte in Kenntnis der internationalen Erfahrungen, unter Beachtung erster Schlußfolgerungen, die sich aus den noch vor Beendigung des zweiten Weltkrieges einsetzenden volksdemokratischen Revolutionen ergaben. 8. Vor allem das erfolgreiche sowjetische Beispiel hatte gelehrt, den revolutionären Prozeß als Einheit politischer, ökonomischer und geistig-kultureller Umwälzungen zu verstehen. Nur die revolutionären Veränderungen in ihrer Gesamtheit, die Stabilisierung der sozialistischen Macht, die Entstehung sozialistischer Produktionsverhältnisse und die Erfolge der sozialistischen Kulturrevolution können die Frage „Wer - wen?" endgültig zugunsten der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten entscheiden. Die KPD war sich bewußt, daß folglich auch die Einleitung des revolutionären Prozesses, daß auch die revolutionäre Überwindung der faschistischen und imperialistischen Herrschaft komplexen Charakter besaß, daß der revolutionäre Prozeß in seiner antiimperialistisch-demokratischen Etappe zu tiefgreifenden Veränderungen der politischen, sozialökonomischen und geistig-kulturellen Verhältnisse führen mußte. 9. Die KPD stand unerschütterlich auf dem Boden des proletarischen Internationalismus, als dessen wichtigstes Kriterium sie die Anerkennung der Pionierleistungen der KPdSU in der internationalen Arbeiterbewegung und der Rolle der Sowjetunion als Bastion des internationalen Sozialismus und des Menschheitsfortschritts betrachtete. Sie erfaßte gründlich den historischen Zusammenhang zwischen der Befreiertat der Sowjetunion und der neuen Etappe des revolutionären Weltprozesses und verstand die in Deutschland auf der Tagesordnung stehende revolutionäre Umwälzung als Teil der aus dem internationalen Kampf gegen den Faschismus erwachsenden neuen revolutionären Welle. Das war der Schlüssel, um klar zu bestimmen, wo eine Revolution auf deutschem Boden in der internationalen Arena ihre Freunde und wo sie ihre Feinde hatte. Diese Grundprinzipien, die sich sicher ausbauen und auch anders systematisieren ließen, bildeten das theoretisch-politische Rüstzeug für die Erarbeitung der Strategie und Taktik des revolutionären Prozesses in unserem Lande. Das heißt nicht, die KPD habe für alle Situationen und Aufgaben von vornherein fertige Lösungen parat gehabt, die Erarbeitung der Strategie und Taktik der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung und der sozialistischen Revolution durch die SED sei eine einfache Sache gewesen. Aber die Partei konnte auf der Suche nach solchen Lösungen von gesicherten theoretischen Positionen und von einem großen Erfahrungsschatz der internationalen Arbeiterbewegung ausgehen. In den Aufrufen und Beschlüssen finden wir diese in der Regel angewendet, nicht aber ausgeführt. Wer z. B. verfolgt, wie sich KPD und SED immer
5
wieder mit den Lehren des Sieges der Oktoberrevolution und mit den Ursachen der Niederlage in der Novemberrevolution beschäftigt haben, der wird wiederholt auf derartige Grundprinzipien - in diese oder jene Form gekleidet - stoßen. 4 Diese prinzipiellen Einsichten finden sich - zumindest in ihrem substantiellen Gehalt - in den Grundsätzen und Zielen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands 5 und sind natürlich nicht binnen weniger Wochen aus dem Nichts heraus erarbeitet, sondern von Kommunisten und klassenbewußten Sozialdemokraten im Ergebnis eines jahrelangen Erkenntnisprozesses in das erste Programmdokument der SED eingebracht worden.
3.
Der Aufruf des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945 und die sozialistische Perspektive des Kampfes
Für die erste Etappe des einheitlichen revolutionären Prozesses in unserem Lande gab die KPD mit dem Aufruf ihres Zentralkomitees vom 11. Juni 1945 eine Orientierung, die ihre Bewährungsprobe in der Praxis überzeugend bestand. Das in diesem Dokument formulierte strategische Etappenziel und die daraus abgeleiteten Aufgaben waren der Inhalt des Kampfes der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre. Ohne Übertreibung kann gesagt werden: Die politischen, sozialökonomischen und geistig-kulturellen Grundlagen, auf denen die Deutsche Demokratische Republik gegründet wurde - das war der verwirklichte Aufruf des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945. ' Über Inhalt und Wirksamkeit dieses für die Geschichte der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung so bedeutsamen Dokuments ist in der marxistisch-leninistischen Literatur wiederholt Wesentliches gesagt worden, wenngleich es nicht immer hinreichend in den gesamten Werdegang der programmatischen Entwicklung der marxistisch-leninistischen Partei eingeordnet wurde. Die bürgerliche und rechtssozialdemokratische Historiographie hat Inhalt und Text dieses Dokuments wiederholt benutzt, um der KPD entweder einen politischen Kurswandel zu unterstellen oder ihr eine zwielichtige, unaufrichtige Taktik vorzuwerfen. Soweit es sich dabei nicht um direkte Entstellungen und Verfälschungen handelt, zeugt diese Betrachtungsweise von Mißdeutungen, die Ausdruck antikommunistischer Voreingenommenheit sind. Das Dokument des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945 trägt nicht nur den Titel „Aufruf"; es war auch in Inhalt und Form ein Aufruf. Mit ihm wandte sich die KPD an das schaffende Volk in Stadt und Land, an Männer und Frauen, an die deutsche Jugend. Dabei verfolgte sie im wesentlichen drei Anliegen: Sie gab eine Analyse der Situation, wobei sie an die eigenen Erlebnisse und Erfahrungen der Werktätigen anknüpfte. Sie stellte klar, wer die Schuld für die katastrophale Lage der Bevölkerung trug. Dabei prangerte sie nicht nur die faschistischen Machthaber, sondern auch deren Hintermänner, die Monopolkapitalisten und Großgrundbesitzer, an. Mit der Forderung nach „Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk"6 formulierte sie das strategische Etappenziel. Sie betonte, daß dieses Ziel nur in Freundschaft mit der Sowjetunion erreichbar sei. Mit dem im Aufruf enthaltenen Zehn-Punkte-Aktionsprogramm schuf sie eine Plattform für die Aktionseinheit der Arbeiterklasse und das Zusammenwirken aller Antifaschisten.
6
Wenn antikommunistische Ideologen der KPD vorwarfen und vorwerfen, daß sich die Partei in diesem Aufruf nicht expressis verbis zum sozialistischen Ziel und zum Weg zum Sozialismus geäußert hat, so negiert ein solcher Vorwurf eben Charakter und Funktion dieses Aufrufs. Natürlich ist es unerläßlich, daß Kommunisten in ihrem Parteiprogramm ihre sozialistischen' Zielvorstellungen bestimmen. Doch ein solches Parteiprogramm - wie es ja auch nur ein Parteitag hätte beschließen können - war der Aufruf nicht Es ist aber absolut irrig anzunehmen, die KPD habe sich generell über ihr sozialistisches Ziel ausgeschwiegen oder dieses gar verleugnet. In den Resolutionen der Brüsseler und der Berner Parteikonferenz der KPD war ausgesprochen, daß Ringen um Volksfront und Kampf um eine neue demokratische Republik nicht Verzicht auf das sozialistische Ziel bedeuten, daß vielmehr erst der Sozialismus dem ganzen Volk Freiheit und wachsenden Wohlstand sichern wird. In der Vorbereitungsphase des Aufrufs des ZK der KPD hatte Wilhelm Pieck am 28. Januar 1945 die Notwendigkeit eines Aktionsprogramms begründet. Dieses müßte »klar und gemeinverständlich die politische Linie der Bewegung aufzeigen: was ausgerottet, vernichtet werden muß, was Neues, Gesundes an seine Stelle treten soll, was praktisch geschehen soll, um den Interessen des werktätigen Volkes zu dienen, wie die Wirtschaft gestaltet [werden soll), die kulturellen Einrichtungen. Das wird noch kein sozialistisches Programm sein, aber es muß den Weg dazu ebnen*.7 Und am 10. März 1945 verwies er auf die .weitere künftige Entwicklung, in der die Bahn für den Sozialismus freigemacht werden muß".8 Entsprechend hieß es in einer Direktive des Politbüros der KPD: »Unser Ziel ist und bleibt der Sozialismus, aber wir wissen, daß in der heutigen Lage die Voraussetzungen dazu nicht gegeben sind. Der Weg dahin führt über die nunmehr möglich gewordene breite Entfaltving der Demokratie. Das ist keine formelle, bürgerliche Demokratie alter Art, aber auch keine Sowjetdemokratie. Es wird eine Demokratie neuen Typus sein, die alle Möglichkeiten einer wirklichen Volksherrschaft in sich schließt."9 Diesen Standpunkt hat die KPD auch in der Öffentlichkeit bekundet. So erklärte Wilhelm Pieck auf der Zentralen Kulturtagung der KPD im Februar 1946: »Wir wollen durch diese Arbeit den Weg frei machen für eine sozialistische Gesellschaftsordnung, die keine Ausbeutung und keine Knechtschaft kennt, sondern in der das Glück und der Wohlstand und die Kultur unseres Volkes zur höchsten Entfaltung gebracht werden."10 Wer sich mit der Gesamtpolitik der KPD in dem Jahr von der Befreiung bis zum Vereinigungsparteitag beschäftigt, wird unschwer erkennen, daß die Dialektik des Kampfes um Demokratie und Sozialismus von der Partei gründlich überlegt wurde und daß die KPD auch die sozialistische Perspektive der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung propagierte. Insbesondere verwies sie auf das Beispiel der Sowjetunion und auf die allgemeingültigen Lehren ihres Weges. Wenn die KPD vorrangig die Notwendigkeit einer antifaschistisch-demokratischen Umwälzung begründete, so war dies eng mit der weiteren Ausarbeitung des Weges zum Sozialismus verbunden. Davon zeugen die Reden und Aufsätze von Mitgliedern des Sekretariats des Zentralkomitees der KPD und anderen führenden Funktionären, 11 insbesondere aber die Reichskonferenz der KPD vom März 1946,12 die propagandistische und agitatorische Arbeit der KPD13, die generelle Verbreitung des Marxismus-Leninismus, vor allem der bedeutendsten Werke der Klassiker des Marxismus-Leninismus,14 die Beschlüsse der beiden Sechzigerkonferenzen15 und die Tätigkeit der Studienkom2
Übergangsperiode
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mission zur Vorbereitung von Grundsätzen und Zielen und des Parteistatuts der SED 16 wie die gemeinsam von KPD und SPD herausgegebene theoretische Monatsschrift »Einheit*.17 Dabei war es unerläßlich, nachdrücklich klarzustellen, weshalb nach der Befreiung vom Faschismus nicht unmittelbar zum Sozialismus übergegangen werden konnte und weshalb sozialistische Losungen unangebracht waren. Auch im lichte der historischen Erfahrungen und der geschichtswissenschaftlichen Forschung dreier Jahrzehnte erweist sich die zeitgenössische Argumentation18 als stichhaltig. Auch angesichts der bewunderungswürdigen Aktivität der fortgeschrittensten Kräfte durfte nicht übersehen werden, daß Mitte 1945 zwischen den im ganzen günstigen objektiven Bedingungen und der Organisiertheit sowie Bewußtheit der Arbeiterklasse und der übrigen Werktätigen ein ernster Widerspruch bestand, der nur durch die Formierung der revolutionären Kräfte im Ringen um konsequente demokratische Veränderungen gelöst werden konnte.19 Es galt, entsprechend der Leninschen Forderung, „die Aufgaben der demokratischen Umwälzung vor dem ganzen Volke so breit, so kühn und mit soviel Initiative wie nur möglich (zu) stellen".20 Nur eine solche Orientierung ermöglichte die folgerichtige Höherentwicklung des antifaschistischen Kampfes und war die beste Vorbereitung auf den Kampf um den Sozialismus. Auch die sich aus der imperialistischen Besetzung weiter Teile Deutschlands und der noch ausstehenden Regelung der deutschen Frage nach dem Kriege ergebende komplizierte Situation wie auch das furchtbare materielle und geistige Erbe der faschistischen Diktatur und des Krieges sprachen gegen einen sofortigen Übergang zur sozialistischen Revolution. KPD und SED haben die 1945 in Gang gekommene revolutionäre Umwälzung nicht als einen auf die sowjetische Besatzungszone begrenzten Prozeß betrachtet. Ihr Kampf um eine einheitliche demokratische deutsche Republik war von dem Bestreben diktiert, in ganz Deutschland antifaschistisch-demokratische Verhältnisse zu schaffen und von diesem Boden aus den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus im Rahmen der gesamten damaligen deutschen Nation zu vollziehen. Dieser Kampf stimmte mit den Bestrebungen zahlreicher Werktätiger in den Westzonen überein, die sich nach dem zweiten Weltkrieg für die Aufhebung der großkapitalistischen Macht- und Besitzverhältnisse einsetzten. Doch zu Recht konzentrierten sich KPD und SED auf die gesellschaftlichen Veränderungen in der sowjetischen Besatzungszone; denn eine einheitliche demokratische deutsche Republik als günstigstes Kampffeld, um den Sozialismus auf deutschem Boden zu verwirklichen, war um so eher zu erreichen, je umfassender und stabiler die revolutionären Errungenschaften der Arbeiter, der Bauern, der Intelligenz und der anderen Werktätigen in der sowjetischen Besatzungszone waren. Die aus dieser Zielstellung - und sie wurde ja verfolgt, solange auch nur eine Chance ihrer Verwirklichung bestand - erwachsende dialektische Verknüpfung von sozialem und nationalem Kampf kann im folgenden nicht weiter verfolgt werden. Sie hat sicher Tempo und Fristen, Taktik und Losungen, Teilerfolge und Hemmnisse des revolutionären Prozesses maßgeblich beeinflußt und erfordert deshalb auch ein differenziertes Herangehen an die Untersuchung von Programmatik und historischem Resultat. Aber sie hat nicht die dem revolutionären Prozeß zugrunde liegenden allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten aufgehoben - und diese vor allem hatte die Politik und Strategie der marxistisch-leninistischen Partei widerzuspiegeln, zu nutzen und durchzusetzen.
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4.
Programm-Minimum und Programm-Maximum der SED
Mit dem Ringen um die Vereinigung von KPD und SPD zu einer einheitlichen revolutionären Partei der Arbeiterklasse gewann naturgemäß die Klärung programmatischer, strategischer, taktischer und organisatorischer Fragen an Gewicht; schließlich galt es, die Vereinigung auf der Grundlage eines Programmdokuments und eines Statuts zu vollziehen, die auf den Prinzipien des Marxismus-Leninismus beruhten und von Kommunisten wie von Sozialdemokraten gebilligt wurden. 21 Als die gemeinsame Konferenz des Zentralkomitees der KPD und des Zentralausschusses der SPD mit den Bezirksvertretern beider Parteien im Dezember 1945 wichtige Schritte zur Vorbereitung einer sozialistischen Einheitspartei beschloß, legte sie auch den Hauptinhalt der Grundsätze und Ziele dieser Einheitspartei fest: „Grundsätzlich soll im Programm dieser Partei im Minimum die Vollendung der demokratischen Erneuerung Deutschlands im Sinne des Aufbaus einer antifaschistisch-demokratischen, parlamentarischen Republik mit gesetzlich gesicherten, weitgehenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechten der Arbeiter und Werktätigen festgelegt werden; im Maximum soll das Programm die Verwirklichung des Sozialismus auf dem Wege der Ausübung der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse im Sinne der Lehren des konsequenten Marxismus sein, wie sie im .Kommunistischen Manifest', im Eisenacher Programm der deutschen Sozialdemokratie und in der Kritik von Marx und Engels zum Gothaer Programm festgelegt sind."22 Schon die Formulierung eines Programm-Minimums und eines Programm-Maximums unterstreicht die Orientierung auf zwei Etappen des revolutionären Prozesses. Über deren Verknüpfung hieß es: »Die restlose Zerschlagung des alten staatlichen Machtapparates und die konsequente Weitertreibung der demokratischen Erneuerung Deutschlands kann auch besondere und neue Formen des Übergangs zur politischen Herrschaft der Arbeiterklasse und zum Sozialismus schaffen."23 In den auf dem I. Parteitag der SED angenommenen Grundsätzen und Zielen finden wir diese Gedanken in den Abschnitten „I. Gegenwartsforderungen" und »II. Der Kampf um den Sozialismus" ausgeführt. Wie in der „Geschichte der SED" herausgearbeitet ist, enthielt dieses Dokument eine wissenschaftliche Bestimmung des Wesens des Sozialismus entsprechend „den allgemeingültigen Lehren des Marxismus-Leninismus über die sozialistische Revolution und den sozialistischen Aufbau, die in der Sowjetunion bereits ihre praktische Bestätigung gefunden hatten und nun auch in den volksdemokratischen Revolutionen mit Erfolg angewandt wurden".24 Zugleich unterstrichen die in den Grundsätzen und Zielen enthaltenen Aussagen über den Weg zum Sozialismus die Vorstellung von einem sich über die antifaschistischdemokratische Umwälzung zur sozialistischen Revolution entwickelnden Prozeß. Dabei war die SED »auf die Anwendung unterschiedlicher Kampfformen zur Weiterführung der Revolution eingestellt".25 Sie erstrebte eine friedliche Entwicklung des revolutionären Prozesses, erklärte aber auch ihre Entschlossenheit, konterrevolutionären Attakken mit der revolutionären Gewalt der Arbeiterklasse zu begegnen. Das sozialistische Ziel und den Weg zum Sozialismus hatte Wilhelm Pieck auf der Reichskonferenz der KPD ausführlich erläutert und dabei verdeutlicht, daß es sich bei der als „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus" bezeichneten Konzeption um die schöpferische Anwendung der Leninschen Revolutionstheorie handelte, vor allem um die Dialektik vom Kampf um Demokratie und Sozialismus und damit um die Orientierung auf einen sich höher entwickelnden, schließlich sozialistischen Charakter annehmenden revolutionären Prozeß.26 Im Einklang hiermit stellt die „Geschichte der 2»
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SED. Abriß" fest, daß diese Formulierung geprägt worden war, „um die Notwendigkeit der schöpferischen Anwendung des Marxismus-Leninismus auf die konkreten historischen und nationalen Bedingungen in Deutschland zu kennzeichnen".27 Deutlich wird dies von späteren Versuchen einer nationalistisch-opportunistischen Interpretation dieser Linie abgehoben, die allerdings durch den Begriff „besonderer deutscher Weg" begünstigt worden war. Dieses dialektische Herangehen an den Zusammenhang von antifaschistisch-demokratischer Umwälzung und sozialistischer Perspektive des Kampfes stützte sich vor allem auf die Einschätzung des günstigen neuen internationalen Kräfteverhältnisses sowie auf den Charakter und die Potenzen einer konsequenten antiimperialistisch-demokratischen Umgestaltung der Gesellschaft, vor allem auf die dabei wirksam werdende Hegemonie der Arbeiterklasse. Als die SED programmatisch ihr sozialistisches Ziel verkündete, warnte sie zugleich davor, falsche Schlüsse für die Tagespolitik zu ziehen. Die Partei betonte die relative Eigenständigkeit und die längere Dauer der anstehenden antiimperialistisch-demokratischen Aufgaben. Das war angesichts der Verknüpfung der revolutionären Ziele mit dem patriotischen Volkskampf um Einheit und gerechten Frieden in besonderem Maße geboten. Dies war auch notwendig, um sich von den Phrasen rechter sozialdemokratischer Führer vom «Sozialismus als Tagesaufgabe" abzugrenzen. 28 Auch hieran verdient erinnert zu werden. Nichtsdestoweniger standen jedoch die Errungenschaften der antiimperialistischdemokratischen Umwälzung und die Politik, die derartige revolutionäre Veränderungen ermöglichte, in Bezug zum gesamten revolutionären Prozeß und zu dessen sozialistischer Perspektive.29 Denn im Zuge der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung entstanden bedeutsame Ansatzpunkte, die eine spätere sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft begünstigten. Die 1945 eingeleitete demokratische Bodenreform z. B. „trug den Charakter einer antiimperialistisch-demokratischen Agrarrevolution unter Führung der Arbeiterklasse. Mit ihr entstanden gesellschaftliches Eigentum auf dem Lande und neue Formen der gegenseitigen Hilfe der Bauern, die eine spätere sozialistische Lösung der Agrarfrage erleichterten." Die volkseigenen Güter „bildeten einen wichtigen Ausgangspunkt für die spätere Schaffung sozialistischer Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft".30 Ähnliches gilt für die Ergebnisse des Volksentscheides zur Enteignung der Naziaktivisten und Kriegsverbrecher. Die volkseigenen Betriebe bildeten „die entscheidende ökonomische Basis, um die Hegemonie der Arbeiterklasse zu festigen, die demokratischen Rechte des Volkes zu verwirklichen und die Produktivkräfte im Interesse der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen planmäßig zu entfalten. Mit dem volkseigenen Sektor war im bedeutendsten Bereich der Wirtschaft gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln und damit das wichtigste Element der sozialistischen Produktionsverhältnisse entstanden." 31 Auch im geistig-kulturellen Überbau zeigte sich diese dialektische Durchdringung des Kampfes um Demokratie und Sozialismus. Die sich insgesamt mit antifaschistischdemokratischem Inhalt vollziehende Erneuerung des geistig-kulturellen Lebens war mit einer intensiven Propagierung des Marxismus-Leninismus verbunden und damit auch mit der des sozialistischen Ziels und des Weges zum Sozialismus, des realen Sozialismus in der Sowjetunion und der Erfolge der volksdemokratischen Revolutionen. Die im Zentrum der geistig-kulturellen Umwälzung stehende demokratische Schulreform bildete eine antifaschistisch-demokratische Maßnahme. Zugleich waren mit ihr erste Schritte verbunden, „das Bildungsideal der Arbeiterklasse in die Tat umzusetzen".32 10
All das hatte zur Voraussetzung, daß sich Organe einer neuen Macht herausbildeten, einer Macht vom Typ der revolutionär-demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern, die Lenin als eine Keimform der Diktatur des Proletariats verstand.33
5.
Das Konzept der Hinüberleitung der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in die sozialistische Revolution
Es war charakteristisch für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung - wie wohl überhaupt für jede revolutionär-demokratische Entwicklung unserer Epoche - daß sie an einem Punkt anlangte, wo ihre Errungenschaften durch das Vorwärtsschreiten zum Sozialismus endgültig gesichert und vervollkommnet werden mußten, wenn nicht eine restaurative Gegenbewegung einsetzen sollte. Denn die politischen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse, die durch sie hervorgebracht wurden, trugen Übergangscharakter und konnten deshalb nicht von Dauer sein. Anders ausgedrückt: Jetzt mußte sich erweisen, ob die rückblickend vom Historiker analysierte und konstatierte Kontinuität des revolutionären Prozesses in der gesellschaftlichen Praxis durchgesetzt und gesichert werden konnte, oder ob die revolutionäre Umwälzung auf ihrer ersten Stufe steckenblieb. Zu diesem Zeitpunkt war die gleichgelagerte Fragestellung in den volksdemokratischen Ländern - im Ergebnis heftiger Klassenauseinandersetzungen - positiv beantwortet worden: Die Revolutionen waren in ihre sozialistische Etappe eingetreten. In unserem Lande war diese Entscheidung das Ergebnis eines länger währenden Ringens, das in der Gründung der DDR kulminierte, mit der die gesellschaftliche Bewegung in die Bahnen des Sozialismus gelenkt wurde. Konfrontiert mit dieser Entscheidungssituation war die SED jedoch bereits seit Mitte 1948, wobei die scharfen Formen des kalten Krieges und die Folgen der imperialistischen Politik der Zerreißung Deutschlands die politische Lage und die erforderlichen politischen Schlußfolgerungen wesentlich beeinflußten. „In der sowjetischen Besatzungszone vollzogen sich gesellschaftliche Prozesse von Übergangscharakter, in denen sich bereits Neues entwickelte und Altes noch fortbestand. Die Lage war 1948 dadurch gekennzeichnet, daß die Widersprüche schroff zutage traten und die Klassenauseinandersetzung sich verschärfte. Dabei ging es um die Alternative: entweder allseitige Festigung der antifaschistisch-demokratischen Verhältnisse und planmäßige Weiterführung der revolutionären Umwälzung auf dem Wege zum Sozialismus oder Preisgabe der antiimperialistisch-demokratischen Errungenschaften und Restauration der kapitalistischen Ausbeuterordnung. Um diese Grundfrage, die letztlich eine Frage der Macht war, wurde gekämpft."34 Wie sehr sich die Führung der SED dieser Probleme bewußt war, läßt sich an zeitgenössischen Äußerungen ablesen. Wilhelm Pieck forderte auf der 10. Tagung des Parteivorstandes der SED im Mai 1948, dafür zu sorgen, „daß nicht nur das wirtschaftliche Leben in Richtung des Sozialismus entwickelt, sondern auch der Einfluß der demokratischen Kräfte unter der Führung der Sozialistischen Einheitspartei bedeutend gesteigert und verstärkt wird".35 Und Franz Dahlem nannte „das, was wir jetzt inmitten aller Schwierigkeiten unternommen haben, die Realität des demokratischen Weges zum Sozialismus".36 Otto Grotewohl erklärte auf dem Kongreß junger Arbeiter der volkseigenen Betriebe vom 10./11. April 1948 in Zeitz: „Wir Deutschen müssen uns in diesen Auseinandersetzungen zwischen den beiden großen Lagern der Welt, zwischen Kapita11
lismus und Sozialismus, entscheiden."37 Er lieft keinen Zweifel offen, wie diese Entscheidung auszufallen hatte. Auch Anton Ackermann machte die historische Entscheidungssituation bewußt, wenn er betonte, daß der Sozialismus zwar nicht unmittelbar auf der Tagesordnung stehe, daß es aber kein Zurück zum Kapitalismus gebe.38 Die grundsätzlichen Schlußfolgerungen, zu denen die SED aus der Analyse der Situation im Jahre 1948 gelangte, fanden ihren Niederschlag in bedeutsamen Beschlüssen, von denen für unsere Thematik der Entschließung des Parteivorstandes „Die Novemberrevolution und ihre Lehren für die deutsche Arbeiterbewegung" besondere Bedeutung zukommt. In ihr wurde eine Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone vorgenommen und erklärt: „Der Klasseninhalt der staatlichen Organe wurde damit in der sowjetischen Besatzungszone grundlegend geändert. Der damit beschrittene Weg ist kein besonderer deutscher Weg zum Sozialismus, der ein friedliches Hineinwachsen in den Sozialismus möglich machen könnte . . . Unser Weg zum Sozialismus ist ein revolutionärer Weg, der die Möglichkeit erschließt, über die Vollendung der demokratischen Erneuerung hinauszugehen und die politische Herrschaft der Arbeiterklasse als Voraussetzung für den Sozialismus zu errichten."39 Gewissermaßen in Erläuterung hierzu schrieb Fred Oelßner: „Heute besteht unsere Aufgabe noch darin, die Vollendung der demokratischen Erneuerung voranzutreiben. Aber das enthebt uns nicht der Pflicht, die Massen beharrlich auf die sozialistische Revolution vorzubereiten, die auf die Vollendung der demokratischen Erneuerung folgen wird."40 Eine eingehendere Analyse der Strategie und Taktik der SED läßt erkennen, daß diese im zweiten Halbjahr 1948 fortschreitende Erkenntnisstufen durchläuft. Fragen des Tempos des revolutionären Prozesses, die Dialektik von sozialem und nationalem Kampf, der Vergleich mit den volksdemokratischen Revolutionen, die bereits zur Herausbildung der Diktatur des Proletariats geführt hatten, und weitere Fragen spielten dabei eine wesentliche Rolle. Dieses Ringen um die Vervollkommnung von Strategie und Taktik, das mit der 1. Parteikonferenz der SED vom Januar 1949 einen vorläufigen Abschluß fand, unterstreicht ein weiteres Mal, daß die Leninsche Revolutionstheorie den Schlüssel zur Lösung der anstehenden Probleme lieferte und daß die SED immer vom Zusammenhang des Kampfes um Demokratie und Sozialismus und von der Vorstellung eines kontinuierlichen revolutionären Prozesses ausging, der mit dem Übergang zum Sozialismus eine neue Qualität annehmen mußte. Dabei galt es, sowohl den realen Inhalt der gesellschaftlichen Prozesse und dessen Tendenzen zu beachten als auch den Grad der Organisiertheit und Bewußtheit der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen, die Erfordernisse der Bündnispolitik und die Notwendigkeit der Entwicklung einer breiten patriotischen Bewegung gegen die imperialistische Politik der Zerreißung Deutschlands. Alle diese Erfordernisse berücksichtigend, erklärte die SED auf ihrer 1. Parteikonferenz: »Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands steht vor der großen historischen Aufgabe, den demokratischen Neuaufbau in der Ostzone zu festigen und von dieser Basis aus den Kampf für die demokratische Einheit Deutschlands, für den Frieden und für die fortschrittliche Entwicklung zu verstärken."41 In der Praxis verlangt das, insbesondere jene revolutionären Errungenschaften auszubauen, die bereits Elemente des Sozialismus verkörperten. Solche Elemente des Sozialismus waren die revolutionär-demokratischen Machtorgane, die Hegemonie der Arbeiterklasse, das Bündnis der Arbeiterklasse mit den werktätigen Bauern und den anderen Werktätigen, der volkseigene Sektor der Wirtschaft, die Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung sowie die Erneuerung des Kultur- und Geisteslebens. In ihnen kam
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die Einheit des revolutionären Prozesses in besonderem Maße zum Ausdruck, denn ihre Weiter- und Höherentwicklung erschloß die Möglichkeit des schrittweisen Obergangs zum Sozialismus, zu einer neuen Qualität der gesellschaftlichen Entwicklung ohne Brüche. Die Errichtung der Diktatur des Proletariats als unerläßliche Voraussetzung für den Aufbau des Sozialismus war nur denkbar in scharfem Klassenkampf. Aber es war nicht notwendig, die nach der Befreiung vom Faschismus entstandene Staatsorganisation zu stürzen und den Staatsapparat zu zerschlagen. Die sozialistische Arbeiter-und-BauernMacht konnte sich vielmehr bilden und formieren, indem sich der proletarische Charakter der staatlichen Machtorgane immer vollkommener ausprägte, denn der Staat als Machtinstrument von Ausbeuterklassen war bereits zerschlagen. Somit konnte sich die antifaschistisch-demokratische Umwälzung in dem Maße zur sozialistischen Revolution weiterentwickeln, „wie die Arbeiterklasse unter Führung der revolutionären Vorhut ihre Hegemonie verwirklicht, wie sie entscheidende Machtpositionen erobert und dabei das Bündnis mit den anderen werktätigen Klassen und Schichten schmiedet und ausbaut".42 Im Ringen um die Lösung der Grundfrage jeder Revolution, im Kampf um die Entscheidung der Machtfrage, war die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik das herausragende Ereignis. Dabei reduziert sich die Republikgründung nicht auf den konstituierenden Staatsakt vom 7. Oktober 1949, sondern sie ist als eine von den werktätigen Massen getragene und von der SED geführte breite Bewegung zu verstehen.43 Diese war unmittelbar verbunden mit dem Aufbau und Ausbau einer sozialistischen Arbeiter-und-Bauer-Macht, einer Staatsmacht vom Typ der Diktatur des Proletariats. Es entspricht dem dialektischen Verständnis des einheitlichen revolutionären Prozesses, wenn wir den fließenden Charakter auch dieser gesellschaftlichen Prozesse hervorheben. „Die sozialistischen Elemente auf politischem, ökonomischem und geistig-kulturellem Gebiet erstarkten und bestimmten mehr und mehr die gesellschaftliche Entwicklung."44 Die „Geschichte der SED. Abriß" würdigt deshalb die Errichtung des Arbeiterund-Bauern-Staates als den „Beginn der sozialistischen Etappe des einheitlichen revolutionären Prozesses",45 versteht aber auch die Formierung dieser Macht als einen Prozeß. Er fand mit den Volkswahlen vom Oktober 1950 im wesentlichen seinen Abschluß.46 Das Schlüsselproblem und die unabdingbare Voraussetzung für das Hinüberleiten der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in die sozialistische Revolution war die Vorbereitung der revolutionären Partei der Arbeiterklasse auf ihre wachsende Verantwortung und ihre höheren Aufgaben, war die beschleunigte Entwicklung der SED auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus.47 Hierin liegt die entscheidende Ursache für die vor allem durch die 11., 12. und 13. Tagung des Parteivorstandes der SED intensivierten organisationspolitischen Prozesse und nicht in der von antikommunistischen Historikern unterstellten Anpassung der SED an das Modell einer „stalinistischen Kaderpartei" oder wie immer sie dies nennen. Dem objektiven Charakter der historischen Prozesse entsprechend, wurde es notwendig, der Gesamtheit der Arbeiterklasse und den anderen Werktätigen die neuen, weitergreifenden Aufgaben bewußt zu machen. „In ihren Dokumenten charakterisierte die Partei bis zur 2. Parteikonferenz im Jahre 1952 die zu bewältigenden Aufgaben noch nicht direkt als sozialistische. Mit ihrer Politik und ideologischen Arbeit verfolgte sie das Ziel, die Masse der Werktätigen allmählich anhand ihrer eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen davon zu überzeugen, daß es galt, den revolutionären Umwälzungsprozeß konsequent weiterzuführen."48 13
Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß die SED das Reifen des subjektiven Faktors, die politisch-ideologische Einstellung der Werktätigen auf die sozialistische Etappe des revolutionären Prozesses, dem Selbstlauf überlassen hätte. „Es ist die Aufgabe der Sozialistischen Einheitspartei", hatte Walter Ulbricht im November 1948 geschrieben, „die Erkenntnis von den Gesetzen des Klassenkampfes, von den gesellschaftlichen Zusammenhängen und das Bewußtsein von der Notwendigkeit der weiteren Entwicklung des demokratischen Kampfes mit dem Ziel des Sozialismus in die Arbeiterklasse und Werktätigen hineinzutragen."49 Und in der 1948 verfaßten Arbeit „Dreißig Jahre später" war von Otto Grotewohl betont worden: „Die Grundlage bleibt die Arbeit in den Massen, das Hineintragen des Verständnisses für den Sozialismus und für unsere auf den Ausbau des Sozialismus tendierenden Maßnahmen in unser Volk, es für unsere Sache zu begeistern und es selbst zum ausführenden Organ dieser Aufgaben und Politik zu machen."50 Deshalb griff die SED in ihrer Agitation und Propaganda wichtige Probleme auf, deren Klärung für die Errichtung der sozialistischen Arbeiter-und-Bauern-Macht und für den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus dringlich war. Sie erläuterte den Werktätigen die Notwendigkeit des engen Bündnisses mit der Sowjetunion und die Zugehörigkeit der sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR zu dem um die UdSSR gescharten sozialistischen Lager. Sie entfaltete das Massenstudium der Geschichte der KPdSU und vermittelte so allgemeingültige Erfahrungen der sowjetischen Bruderpartei im Kampf um den Sozialismus. Sie propagierte wesentliche Erfahrungen des revolutionären Prozesses in den volksdemokratischen Ländern. Sie hob die Rolle der Arbeiterklasse als führende Kraft der Gesellschaft und die Verantwortung der marxistisch-leninistischen Partei, den Klassencharakter der Machtfrage, die Bedeutung der revolutionären Errungenschaften der Werktätigen und den unüberbrückbaren Gegensatz zu den monopolkapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen in den Westzonen bzw. der BRD hervor. Demnach wurden also auch unter der zentralen Losung der allseitigen Festigung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung wichtige inhaltliche Fragen des heranreifenden und beginnenden sozialistischen Aufbaues an die Werktätigen herangetragen.
6.
Die Orientierung auf die Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die gesellschaftlichen Prozesse in der DDR schon sozialistischen Charakter angenommen hatten, als die 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 ihren Beschluß über den planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der DDR faßte. So war dieser Beschluß auch formuliert, denn in ihm heißt es: „Die politischen und die ökonomischen Bedingungen sowie das Bewußtsein der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Werktätigen sind soweit entwickelt, daß der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe in der Deutschen Demokratischen Republik geworden ist."51 Hier ist also von einem Entwicklungsstand die Rede, der bereits gesellschaftliche Realität geworden war. Nach Gründung der DDR hatte der III. Parteitag der SED eine Politik erarbeitet, die auf die Schaffung wichtiger Grundlagen des Sozialismus orientierte. Das war insbesondere im Beschluß über den Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR für die Jahre 1951-1955 zum Ausdruck gekommen. „Die 14
Errichtung der Arbeiter-und-Bauern-Macht und die Inangriffnahme des ersten Fünfjahrplans zeugten davon, dag in der DDR eine neue geschichtliche Etappe begonnen hatte: der Aufbau der Grundlagen des Sozialismus."52 Die Bedeutung der 2. Parteikonferenz besteht demnach darin, dag sie im Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus in unserem Lande einen wichtigen Einschnitt markiert, weil mit ihr der planmäßige Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in allen Bereichen der Gesellschaft begann.53 Die von ihr entwickelte Generallinie und deren Vervollkommnung durch den IV. Parteitag, die 3. Parteikonferenz und wichtige Tagungen des Zentralkomitees der SED setzten die Strategie des einheitlichen revolutionären Prozesses fort, indem sie, anknüpfend an W. I. Lenin und die Erfahrungen der KPdSU, einen umfassenden Plan des sozialistischen Aufbaus in unserem Lande entwarfen, neue Schlußfolgerungen aus der Entwicklung des Kampfes in nationalem und internationalem Maßstab zogen und die bei der Errichtung der Grundlagen des Sozialismus gesammelten Erfahrungen verallgemeinerten sowie dem Voranschreiten des revolutionären Prozesses nutzbar machten. Einheitlicher revolutionärer Prozeß - das war nunmehr nicht nur die Frage nach der Perspektive der revolutionären Umwälzung, das war die Einheit von Erreichtem, Gegenwärtigem und Zukünftigem. Dieser Prozeß hatte bereits zu gesellschaftlichen Ergebnissen und Errungenschaften geführt, die es auszubauen, weiterzuentwickeln, aber auch den Massen bewußt zu machen galt. Vor allem erforderte die Sicherimg der Kontinuität des revolutionären Prozesses nun die Verwirklichung des Leninschen Plans des sozialistischen Aufbaus in allen Bereichen der Gesellschaft. Im einheitlichen revolutionären Prozeß trat als wichtiges Erfordernis dessen Komplexität noch stärker hervor. Die gesellschaftliche Vorwärtsbewegung mußte zunehmend als geplanter und bewußter Prozeß realisiert werden. Das stellte höhere Ansprüche sowohl an die marxistisch-leninistische Partei und die sozialistische Staatsmacht wie auch an die bewußte und organisierte Teilnahme der werktätigen Massen am sozialistischen Aufbau. Die Kontinuität des einheitlichen revolutionären Prozesses machte es zugleich notwendig, dessen Errungenschaften zu verteidigen und den weiteren Aufbau des Sozialismus sicher zu schützen. Denn noch war die Frage „Wer - wen?" nicht endgültig entschieden. Von der internationalen Reaktion, vor allem von imperialistischen und militaristischen Kräften in der BRD, gingen massive Versuche aus, die Arbeiter-undBauern-Macht in der DDR zu stürzen und Territorium sowie Bevölkerung der DDR einem imperialistischen deutschen Staat einzuverleiben. Und noch waren auch innere Quellen einer restaurativen Entwicklung vorhanden; noch existierte privatkapitalistisches Eigentum an Produktionsmitteln; noch herrschte in wichtigen Bereichen, insbesondere in der Landwirtschaft, die einfache Warenproduktion vor; noch existierte Klassenantagonismus; noch hatten dem Sozialismus feindliche Stimmungen und Haltungen ihren Nährboden in den sozialökonomischen Verhältnissen. Die SED stand vor der Aufgabe, eine Strategie und Taktik zu erarbeiten und zu verwirklichen, die diesen und weiteren Erfordernissen des sozialistischen Aufbaus Rechnung trug. Dies war gewiß nicht einfacher, als die Frage nach dem Herankommen an die sozialistische Revolution zu beantworten oder die generellen Perspektiven der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung zu bestimmen, zumal der Leninsche Plan des sozialistischen Aufbaus an der Nahtstelle der beiden Gesellschaftssysteme, bei einer offenen Grenze und unter komplizierten ökonomischen Startbedingungen sowie anderen Erschwernissen verwirklicht werden mußte. Die SED war sich bewußt, daß sich der Charakter der gesellschaftlichen Prozesse in dem Maße veränderte, wie die Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus zu den bestimmenden 15
wurden. Dabei sollte nicht vergessen werden, daß diese Gesetzmäßigkeiten damals in geringerem Maße erforscht waren, als das heute der Fall ist. Die 25. Tagung des Zentralkomitees der SED, die im Oktober 1955 die Mitte der fünfziger Jahre eingetretene neue Situation und die daraus erwachsenden Anforderungen umfassend analysiert, stellte in ihrer Entschließung fest: „Das Neue besteht darin, daß die politische, ökonomische und kulturelle Entwicklung nicht mehr wie unter dem Kapitalismus spontan erfolgt, sondern daß die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, bewußt die ökonomischen Gesetze, die objektiven Charakter haben, ausnutzt, ihre Wirksamkeit fördert und die gesamte gesellschaftliche Entwicklung lenkt."54 Das Zentralkomitee schlußfolgerte deshalb, daß die politische, ideologische und organisatorische Arbeit, die Überzeugung der Massen, der Hebel zur Lösung aller Aufgaben ist. Um für diesen Entwicklungsabschnitt die Strategie und Taktik der SED zur Weiterführung des revolutionären Prozesses zu charakterisieren, wäre es notwendig nachzuweisen, wie die SED die allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus schöpferisch auf die Bedingungen unseres Landes anzuwenden verstand. Doch dies kann und soll nicht Gegenstand dieses Beitrages sein. Festzuhalten bleibt, daß die SED diese Aufgabe gemeistert hat. Sie hat sich auch in komplizierten Situationen - denken wir an die Jahre 1953, 1956, 1960/ 1961 - von ihrer richtigen Generallinie des sozialistischen Aufbaus nicht abbringen lassen, nicht durch Angriffe des imperialistischen Gegners und nicht unter dem Druck revisionistischer Kräfte. Die Arbeiterklasse und die mit ihr verbündeten Werktätigen konnten in allen Situationen bestehen, weil an ihrer Spitze eine marxistisch-leninistische Partei stand, die sich der zentralen Bedeutung der politischen Macht immer bewußt war und stets gemäß der Erkenntnis handelte: „Die Macht ist das allererste. Ohne die Macht hätte die Arbeiterklasse mit ihren Verbündeten die entscheidenden Produktionsmittel nicht in Volkseigentum überführen, hätte sie die Grundlagen des Sozialismus nicht schaffen können."55 Besonders verwiesen sei auch auf die marxistisch-leninistische Bündnispolitik der SED. Gerade sie trug wesentlich zum kontinuierlichen Verlauf des revolutionären Prozesses bei, indem sie alle werktätigen Klassen und Schichten in die Errichtung des Sozialismus einbezog und auch kleinen und mittleren Unternehmern einen gangbaren Weg zu einer neuen Existenz unter sozialistischen Bedingungen wies, indem sie es allen antifaschistisch-demokratischen Parteien und Massenorganisationen ermöglichte, den sozialistischen Aufbau zu bejahen und an ihm teilzunehmen.56 Zugleich verlangte die Sicherung und Fortführung des einheitlichen revolutionären Prozesses, dessen internationalen und historischen Platz näher zu bestimmen und Schlußfolgerungen für das weitere Vorwärtsschreiten abzuleiten. Was die internationale Seite betrifft, so entstanden Mitte der fünfziger Jahre neue Bedingungen für den revolutionären Prozeß in der DDR. Als „einschneidende historische Zäsur in der nationalen Frage"57 erwies sich die Eingliederung der BRD in die NATO. An der Grenze zwischen Sozialismus und Imperialismus in Europa war die Sicherung des Friedens zur Hauptfrage geworden. Die SED stellte ihre Politik auf den Boden der neuen Tatsachen. Sie ließ sich davon leiten, daß sich die DDR nur als Bestandteil des sozialistischen Weltsystems, an der Seite der durch den Warschauer Vertrag verbündeten Staaten erfolgreich entwickeln und ihre sozialistische Revolution zum Siege führen konnte. Deshalb betonte die SED: „Die Deutsche Demokratische Republik ist die Verkörperung des gesellschaftlichen Fortschritts, ein Glied im Weltsystem des Sozialismus."58 Und in einer Grußadresse an das Zentralkomitee der KPdSU erklärte 16
sie: „Wir sind uns dabei dessen bewußt, daß die Deutsche Demokratische Republik als der am weitesten nach Westen vorgeschobene Posten des sozialistischen Lagers eine besonders große Verantwortung für die Erhaltung des Friedens und den Sieg des Sozialismus trägt."59 Dies war verbunden mit einem tieferen Eindringen in das Problem Allgemeines Besonderes-Einzelnes beim sozialistischen Aufbau in unserem Lande. Wichtige Orientierungen hierzu gab in Auswertung des XX. Parteitages der KPdSU insbesondere die 28. Tagung des Zentralkomitees der SED im Juli 1956.60 Sie leistete eine wichtige Arbeit, um auch spezifische Merkmale des revolutionären Prozesses in unserem Lande klarzustellen. Vor allem verwies sie auf die durch die imperialistische Politik der Zerreißung Deutschlands bedingte Verknüpfung von sozialer und nationaler Frage, auf die durch einen hohen Grad der Industrialisierung und des staatsmonopolistischen Kapitalismus mit entsprechenden Klassenstrukturen gekennzeichnete Ausgangssituation, auf die durch die Zerstörung der einheitlichen Volkswirtschaft entstandenen Disproportionen, auf besondere Erfordernisse der Bündnispolitik und auf die hohe Verantwortung der DDR für die Sicherung des Friedens im Zentrum Europas. Insgesamt rückte nun die historische Dimension des revolutionären Prozesses stärker in den Vordergrund. Dies war notwendig, um den Werktätigen dessen Errungenschaften bewußt zu machen. Es war andererseits eine unerläßliche Voraussetzung, um die Wege und Methoden zur Lösung aller wesentlichen Aufgaben der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus abzustecken und die jeweils nächsten Schritte exakt zu bestimmen. Die SED war auf ihren Parteitagen und Parteikonferenzen wie in den Beschlüssen mit weitreichenden Aufgabenstellungen immer von einer Analyse des zurückgelegten Weges ausgegangen. Z. B. hatte der III. Parteitag der SED die historischen Errungenschaften der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung eingeschätzt und den geschichtlichen Platz der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik gewürdigt. 61 Die 2. Parteikonferenz leitete ihre Aufgabenstellung aus einer Rückschau auf das beim Übergang von der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung zur sozialistischen Revolution Erreichte ab.62 In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre vollzog sich jedoch diese geschichtliche Rückschau auf neuer Stufe, denn nun lagen bereits in großem Umfange historische Ergebnisse und Erfahrungen vor, die sich auf die Einleitung des einheitlichen revolutionären Prozesses, auf die Erfahrungen der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung, auf deren Hinüberleitung in die sozialistische Revolution und auf wesentliche Resultate der Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR bezogen. Die 3. Parteikonferenz der SED im Frühjahr 1956 und der 10. Jahrestag der Gründung der SED boten Anlaß, den bisherigen revolutionären Prozeß in seiner Gesamtheit zu überschauen. Es wurde jene umfassende historische Bilanz vorbereitet, die der V. Parteitag der SED dann im Juli 1958 zog.63 Auf die in seiner Entschließung getroffenen Verallgemeinerungen stützen sich die gewichtigen Aussagen, die zum 10. Jahrestag der Gründung der DDR getroffen wurden. 64 Wertvolle Impulse erhielt dadurch die marxistisch-leninistische Geschichtsschreibung, die sich nun intensiver mit dem revolutionären Prozeß in der DDR zu beschäftigen begann. In ihren Beschlüssen bewies die SED dialektisches Verständnis des revolutionären Prozesses und seiner Etappen, wobei die „Entwicklung der Arbeiter-und-Bauern-Macht, die eine Form der Diktatur des Proletariats ist,"65 als wichtigstes Merkmal und Kriterium für das Hinüberwachsen der Revolution in die sozialistische Etappe erfaßt wurde. Als jene gesellschaftliche Kraft, die den einheitlichen revolutionären Prozeß zu sichern vermochte, wurde die einheitlich handelnde Arbeiterklasse gewürdigt. „Die Hegemonie 17
der Arbeiterklasse, erreicht durch die Aktionseinheit und die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien, war die Garantie für den konsequenten Charakter der Umwälzung; in ihr lag der Keim des Hinüberwachsens in die sozialistische Revolution."66
7.
Kurs auf den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse
Die bedeutenden Fortschritte im Kampf um die Errichtung der Grundlagen des Sozialismus, die im Verlaufe eines knappen Jahrzehnts erzielt wurden, ermöglichten es der SED, mit ihrem V. Parteitag im Juli 1958 die Partei in eine neue große Offensive zu führen. Sie war durch die vorausgegangenen Tagungen des Zentralkomitees, insbesondere die 30., 33. und 35. Tagung, vorbereitet worden. Der V. Parteitag „beriet über den vom Zentralkomitee vorgeschlagenen Kurs, während der nächsten Jahre die sozialistischen Produktionsverhältnisse in der DDR zum Siege zu führen und die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus im wesentlichen abzuschließen".67 In der Entschließung dieses Parteitages hieß es: „Die Grundaufgabe in der Deutschen Demokratischen Republik war die Schaffung eines wahrhaften Friedensstaates durch die Beseitigung des Imperialismus mit der Wurzel und ist jetzt die Entwicklung der sozialistischen Demokratie und der Aufbau des Sozialismus, der Sieg der sozialistischen Gesellschaftsordnung."68 Diese Orientierung, die später als Kampf um den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse präziser bestimmt wurde, war ein umfassendes Konzept. Sie bezog sich nicht nur - wie mitunter vereinfacht angenommen wird - auf die Überwindung der einzelbäuerlichen Produktion in der Landwirtschaft und die Vollendung der sozialistischen Umgestaltung des Dorfes. In Weiterführung des einheitlichen revolutionären Prozesses nahm die SED darauf Kurs, die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in einem befristeten Zeitraum durch die Mobilisierung edler Kräfte im wesentlichen abzuschließen.69 Das verlangte neue Anstrengungen in allen Bereichen der Gesellschaft. Die SED stellte die Aufgabe, die materiell-technische Basis des Sozialismus zu erweitem und zu vervollkommnen und begründete in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit der sozialistischen Rekonstruktion der Industrie. Sie forderte die rationelle Organisation der Produktion auf der Basis eines hohen Standes von Wissenschaft und Technik und unter ständiger Nutzung der schöpferischen Initiative der Werktätigen. Das war natürlich eine langfristige Aufgabe, die über den Abschluß der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus hinausreichte. Ihre Lösung wurde überdies durch den Wirtschaftskrieg, den der Imperialismus gegen die DDR führte, sehr kompliziert.70 Für ihre Erfüllung standen zunächst auch erst begrenzte ökonomische Ressourcen zur Verfügung. Die SED löste eine breite Bewegung aus und führte diese im Frühjahr 1960 zum vollen Erfolg, um die sozialistische Umgestaltung auf dem Lande abzuschließen. Es handelte sich darum, jenen Widerspruch zu lösen, der damals den gesellschaftlichen Fortschritt am meisten hemmte - den Widerspruch zwischen den vorherrschenden sozialistischen Produktionsverhältnissen und der einzelbäuerlichen Wirtschaft. In diesem noch relativ starken Sektor der einfachen Warenwirtschaft lagen Quellen für eine Restauration kapitalistischer Verhältnisse und sozialökonomische Wurzeln bürgerlicher Ideologie. Der bäuerliche Kleinbetrieb war mit den modernen Produktivkräften in Widerspruch geraten, die in seinem Rahmen nicht mehr effektiv genutzt werden konnten. Er vermochte die wachsenden Bedüfnisse der Bevölkerung an Nahrungsmitteln und der Industrie an Rohstoffen nicht zu decken. Er konnte die notwendige Moderni18
sierung der Landwirtschaft nicht gewährleisten. Dies erforderte, nunmehr alle Bauern für den Eintritt in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften zu gewinnen. Damit wurde „die Frage .Wer — wen?' endgültig zugunsten der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten entschieden".71 Das sozialistische Eigentum in seinen zwei Formen - dem staatlich-sozialistischen und dem genossenschaftlich-sozialistischen - war zur Grundlage der gesamten Volkswirtschaft geworden. „Die Diktatur des Proletariats erhielt ein im wesentlichen einheitliches sozialökonomisches Fundament."72 Jetzt kam auch die bereits vor dem V. Parteitag von der SED eingeleitete Politik zur Einbeziehung der Handwerker, der kleinen und mittleren Unternehmer, der Händler und Gewerbetreibenden in den sozialistischen Aufbau immer mehr zum Tragen. Die Bildung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks, die Beteiligung des sozialistischen Staates an Betrieben und Unternehmen, der Abschluß von Kommissionsverträgen mit Einzelhändlern verband diese Schichten enger mit dem sozialistischen Aufbau und erwies sich als geeigneter Weg zur Erhöhung der Produktivität und Effektivität in diesen Bereichen der Wirtschaft. Die SED orientierte auf einen neuen Aufschwung des kulturellen Lebens, auf die immer umfassendere Ausprägung der sozialistischen Merkmale in Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kunst. Die verstärkte Verbreitung des Marxismus-Leninismus, die weitergehenden Schritte zur Durchsetzung des Bildungsideals der Arbeiterklasse und zur Verbesserung der Volksbildung, das Eintreten für eine volksverbundene Kirnst, deren vornehmster Gegenstand die sozialistische Wirklichkeit und deren Helden die Erbauer des Sozialismus sind, die Entfaltung des Volkskunstschaffens - all dies zeugte von den Fortschritten der sozialistischen Revolution auf dem Gebiet der Ideologie und Kultur. 73 Auch in diesem Abschnitt der gesellschaftlichen Entwicklung unterstrich die SED die Verantwortung des Arbeiter-und-Bauern-Staates als Hauptinstrument des sozialistischen Aufbaus. „Unsere Arbeiter-und-Bauern-Macht ist die sozialistische Demokratie, das heißt die Demokratie für die Millionenmassen des Volkes",74 hieß es in der Entschließung des V. Parteitages. In der populären Losung „Plane mit - arbeite mit regiere mit" fand dies seinen sinnfälligen Ausdruck. Auch in dieser Phase des sozialistischen Aufbaus wuchsen die Anforderungen, um den zuverlässigen Schutz der Arbeiter-und-Bauern-Macht gegen alle äußeren und inneren Feinde zu gewährleisten. An der Schwelle der sechziger Jahre sollte sich die Wahrheit der Leninschen Worte erneut erweisen, daß eine Revolution nur dann etwas wert ist, wenn sie sich zu verteidigen versteht. 75 Das Ringen um den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse erforderte die Festigung der brüderlichen Beziehungen zur Sowjetunion und zu den anderen sozialistischen Staaten. Es reiften die Bedingungen dafür heran, nicht nur das politische Zusammenwirken der Länder der sozialistischen Gemeinschaft zu intensivieren, sondern auch dafür, den Erfordernissen der internationalen Arbeitsteilung in der Ökonomie der sozialistischen Länder besser zu entsprechen. Wie die SED eine klare Konzeption für die Einleitung des revolutionären Prozesses, für das Hinüberleiten der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in die sozialistische Revolution, eine schöpferische Generallinie für die Errichtimg der Grundlagen des Sozialismus entwickelt hatte, so gab sie auch eine komplexe Orientierung auf das Zuendeführen der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in unserem Lande, auf den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse. Der V. Parteitag verdeutlichte, daß die SED dies zugleich aus ihrer internationalistischen Verantwortung ableitete und als Beitrag der Arbeiterklasse und der anderen 19
Werktätigen der DDR in der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus betrachtete. Deshalb erklärte sie es zur ökonomischen Hauptaufgabe, „die Volkswirtschaft innerhalb weniger Jahre so zu entwickeln, daß die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung gegenüber der kapitalistischen Herrschaft umfassend bewiesen wird". 76 Wenn dabei dem Überbieten im Pro-Kopf-Verbrauch ein überbetonter Rang beigemessen wurde und die Fristen, in denen sich entsprechende Aufgaben lösen ließen, zu optimistisch veranschlagt wurden, so ändert dies nichts an der Richtigkeit der damit verbundenen grundsätzlichen Erwägungen. Denn insgesamt war diese „ökonomische Hauptaufgabe darauf gerichtet, die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und aller anderen Werktätigen der DDR systematisch zu verbessern, die Arbeiter-und-Bauern-Macht allseitig zu stärken, das sozialistische Weltsystem festigen zu helfen und der aggressiven Politik imperialistischer Kreise in der BRD und anderen kapitalistischen Staaten entgegenzuwirken". 77 Diese Politik des V. Parteitages schuf günstige Bedingungen, unter denen sich die Arbeiterklasse und die anderen Werktätigen enger mit der SED verbanden und unter denen die weit in die Zukunft weisende Bewegung der Brigaden der sozialistischen Arbeit und der sozialistischen Arbeitsgemeinschaft entstand. Die Errungenschaften des sozialistischen Aufbaus in ihrer Gesamtheit, die durch die Maßnahmen vom 13. August 1961 zuverlässig geschützt wurden, zeugten davon, daß die auf dem I. Parteitag der SED beschlossenen „Grundsätze und Ziele der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" erfüllt waren. Der Übergang zum Sozialismus als der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation war auf dem von der SED vorgezeichneten Weg erfolgreich vollzogen worden. Es waren alle Voraussetzungen gegeben, um das Erreichte zu stabilisieren, den Sozialismus auf seinen eigenen gesellschaftlichen Grundlagen auszugestalten, seine Vorzüge zum Wohle der Werktätigen zu nutzen und die nun objektiv heranreifenden Aufgaben der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft schrittweise auszuarbeiten und zu verwirklichen. 78
8.
Der einheitliche revolutionäre Prozeß im marxistisch-leninistischen Geschichtsbild der DDR
Wenn die marxistisch-leninistische Geschichtsschreibung der DDR die in den Jahren 1945 bis 1961 vollzogenen gesellschaftlichen Veränderungen als einen einheitlichen revolutionären Prozeß versteht und dessen erste Etappe als antifaschistisch-demokratische Umwälzung, dessen zweite als sozialistische Revolution charakterisiert, 79 so befindet sie sich in weitgehender Übereinstimmung mit dem zeitgenössischen Verständnis der diesen Prozeß führenden marxistisch-leninistischen Partei der Arbeiterklasse. Natürlich haben auf dieses Verständnis jeweils konkrete historische und politische Bedingungen des Kampfes mit eingewirkt, bzw. sind bestimmte Wesenszüge dieses revolutionären Prozesses zu verschiedenen Zeiten begrifflich unterschiedlich reflektiert worden. Es sei darauf verwiesen, daß z. B. beim Übergang von den vierziger zu den fünfziger Jahren die enge Verknüpfung des Kampfes um den Sozialismus mit dem patriotischen Volkskampf gegen die imperialistische Politik der Zerreißung Deutschlands das Verständnis des revolutionären Prozesses auf dem Territorium der DDR beeinflußt hat. Längere Zeit wurde die antifaschistisch-demokratische Umwälzung etwas vereinfacht als Zuendeführen der bürgerlich-demokratischen Revolution verstanden. Oder erinnern wir uns, daß in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre das Bewußtmachen des inter-
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nationalen Platzes und der Allgemeingültigkeit der Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus oft mit der Charakterisierung der DDR als volksdemokratischer Staat oder volksdemokratischer Ordnung verbunden war - eine Problematik, der wir heute mit dem Begriff der Wesensgleichheit der revolutionären Prozesse besser gerecht werden. Wieder anders liegen die Dinge bei der Mitte der sechziger Jahre zu stark betonten Eigenständigkeit der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung und der durch sie hervorgebrachten antifaschistisch-demokratischen Ordnung. Auch im Erfassen des dialektischen Verhältnisses von Allgemeinem Besonderem-Einzelnem lassen sich Nuancierungen ablesen, wobei zu beachten ist, daß die die Forschung betreffenden Grundlagen für eine vergleichende Revolutionsbetrachtung im wesentlichen erst im letzten Jahrzehnt erarbeitet worden sind. Dies alles sind aber letztlich Variationen eines grundsätzlich richtigen Verständnisses der Erfordernisse, des Charakters und der Ergebnisse des revolutionären Umwälzungsprozesses auf allen Stufen seiner Entfaltung. Die Dominanten der Strategie und Taktik der SED sind auch die Konstanten im marxistisch-leninistischen Geschichtsbild der DDR. Seit sich die Geschichtsschreibung der DDR diesem Gegenstand widmet, herrscht stets Übereinstimmung darin, daß die revolutionäre Erneuerung unserer Gesellschaft nach 1945 die größte Revolution in der Geschichte des deutschen Volkes ist, nicht nur weil dies die erste wirkliche erfolgreiche Revolution war, sondern vor allem, weil sie den Klassenantagonismus beseitigt hat. Es war und ist der gemeinsame Standpunkt, daß sich die revolutionäre Umwälzung als Verwirklichung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten unter den spezifischen Bedingungen unseres Landes vollzog und daß diese Spezifik vor allem in der Reife der sozialökonomischen Entwicklung, in der Verbindung von nationalem und sozialem Kampf unter Beachtung der Ergebnisse des zweiten Weltkrieges und in dem vergleichsweise geringeren eigenen Beitrag bei der Überwindung der faschistischen Gewaltherrschaft zu suchen ist. Alle Wertungen gingen und gehen davon aus, daß die von ihrer revolutionären Partei geführte Arbeiterklasse von Anfang an die Haupttriebkraft im revolutionären Prozeß war, daß die Einheit der Arbeiterklasse, die wachsende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei und die von ihr verwirklichte Bündnispolitik ausschlaggebend für dessen Erfolg waren. Jede Gesamtbeurteilung wie auch die Einschätzungen wichtiger Einzelfragen werteten und werten die Machtfrage als Kernfrage der Revolution, die Staatsmacht als Hauptinstrument der Arbeiterklasse bei der Überwindung aller Überreste des Imperialismus und bei der Errichtung der sozialistischen Gesellschaft. Der Charakter der Staatsmacht war und ist ein entscheidendes Kriterium für die Bewertung der Reife und der Qualität des revolutionären Prozesses. Der Strategie und Taktik der SED wie der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung lag und liegt die Einsicht zugrunde, daß auch und gerade unter den komplizierten Bedingungen in Deutschland der sozialen Frage gegenüber der nationalen Frage das Primat zukommt, daß die Lösung der gesellschaftlichen Widersprüche durch den Übergang zum Sozialismus die organische Verbindung der patriotischen Verantwortung mit den internationalen Interessen der Werktätigen bedeutete. Zum Verständnis des revolutionären Prozesses gehörte und gehört das Erfassen der für unsere Epoche typischen engen Verknüpfung des Kampfes um Demokratie und Sozialismus. Es berücksichtigt, daß der einheitliche revolutionäre Prozeß mit einer antifaschistisch-demokratischen, antiimperialistisch-demokratischen Etappe beginnen mußte und begonnen hat, daß er an der Schwelle der fünfziger Jahre in seine sozia21
listische Etappe eintrat wobei von Anfang an klar war, daß eine endgültige und dauerhafte Lösung der sozialen und nationalen Probleme erst mit dem Sozialismus möglich wird. Es hat nie Zweifel gegeben, dafj die Befreiung durch die Sowjetunion und das enge Bündnis mit ihr und den anderen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft eine wesentliche Voraussetzung für den Sieg der Revolution war. Dies führte zu dem sich vertiefenden Verständnis für die internationale Einordnung des eigenen geschichtlichen Weges, zum tieferen Eindringen in die Wechselwirkung von revolutionärem Weltprozeß und revolutionärer Umwälzung im eigenen Lande. So war es auch folgerichtig, den revolutionären Prozeß in seinen beiden Etappen der Obergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in unserem Lande zuzurechnen.80 Denn er ist auch schon in seiner antifaschistisch-demokratischen Etappe Teil der neuen Stufe des revolutionären Weltprozesses, Teil der Herausbildung eines aus mehreren Staaten bestehenden sozialistischen Weltsystems. Er gehört insgesamt zu jener neuen Welle von Revolutionen, mit denen die durch die Große Sozialistische Oktoberrevolution eingeleitete revolutionäre Erneuerung der Welt ihre Fortsetzung fand. In ihm zeigen sich deutlich die Grundzüge unserer Epoche, der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. , Dies hebt keineswegs die zentrale Stellung der Lösung der Machtfrage, der Errichtung der Diktatur des Proletariats, für die Schaffung der sozialistischen Gesellschaft auf. Nur ist damit die Herausbildung der Diktatur des Proletariats, die in unserem Lande in einem stufenweisen Prozeß über die revolutionär-demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern erfolgte, in diese Übergangsperiode einbezogen. Denn im politischen wie im ökonomischen und auch im geistig-kulturellen Bereich handelt es sich seit 1945 um gesellschaftliche Entwicklungen, die nicht mehr die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Gesellschaftsformation zum Ausdruck bringen, die vielmehr den Rahmen des kapitalistischen Systems zu sprengen beginnen. Verlauf und Errungenschaften der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung zeugen davon, daß die gesellschaftliche Initiative bereits an die neue Klasse, an die Arbeiterklasse, übergegangen war, die von den Kommandohöhen im staatlichen, wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Leben Besitz ergriff. So bildeten sich noch vor Errichtung der JDiktatur des Proletariats Elemente des Sozialismus in unserem Lande heraus, und zwar in den politischen Verhältnissen, insbesondere in den Machtstrukturen und Bündnisbeziehungen, in den Eigentumsverhältnissen und im geistig-kulturellen Überbau. Diese Zuordnung zur Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus wie der Begriff des einheitlichen revolutionären Prozesses überhaupt dürfen nicht zum Negieren der Unterschiede beider Etappen oder zum Nivellieren qualitativer Entwicklungsstufen führen. Der Erfolg der Politik der SED ist, wie wir gesehen haben, nicht zuletzt dem richtigen Erkennen des jeweiligen historischen Standortes, der treffenden Bestimmung der Gegenwartsaufgaben - abgeleitet aus der gesellschaftlichen Gesamtbewegung - zu danken. So gesehen bedeutet einheitlicher revolutionärer Prozeß nicht mehr und nicht weniger als Einordnen der gesamten revolutionären Umwälzung nach der Befreiung vom Faschismus in die von der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution eingeleitete Epoche des Übergangs der Menschheit vom Kapitalismus zum Sozialismus, Hervorheben ihrer mit qualitativen Übergängen verbundenen aufsteigenden Linie, Verständnis für ihre gleichbleibenden Triebkräfte, Orientierung am großen, aus der historischen Mission der Arbeiterklasse abgeleiteten Ziel.
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Anmerkungen 1 Vgl. z. B. 25 Jahre Deutsche Demokratische Republik - ein Vierteljahrhundert Kampf f ü r Frieden, Demokratie und Sozialismus. Thesen, Aufruf, Berlin 1974, S. 12. 2 Hortecket, Erich, Die Aufgaben der Partei bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des IX. Parteitages der SED. Aus dem Referat des Generalsekretärs des ZK der SED auf der Beratung mit den 1. Sekretären der Kreisleitungen. Mit Beiträgen zu dieser Rede aus dem „Neuen Deutschland", Berlin 1978, S. 7 f. Vgl. auch derselbe, DDR fest auf dem Wege des Sozialismus. In: Reden und Aufsätze, Bd. 3, Berlin 1976, S. 422; derselbe. Auf sicherem Kurs. Zum 30. Jahrestag der Gründling der SED. In: ebenda, Bd. 4, Berlin 1977, S. 291; derselbe. Unsere Partei wurde ihrer Verantwortung stets gerecht. In: ebenda, S. 344. 3 Erneut zeigte sich dies in den Reaktionen auf das Erscheinen der »Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß." Vgl. z. B. Neuhäußer-Wespy, Ulrich, Geschichte der SED. Anmerkungen zur Parteigeschichtsschreibung in der DDR. In :Igw, Informationen zur Wissenschaftsentwicklung und -politik in der DDR. Hg. vom Institut f ü r Wirtschaft und Wissenschaft an der Universität Erlangen/Nürnberg, 1978, Nr. 5. Das gleiche gilt auch f ü r viele Äußerungen von Rundfunkstationen der BRD. 4 Vgl. hierzu die Skizze der Entwicklung der Parteigeschichtsschreibung, in: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegimg, Bd. 1, Berlin 1966, S. 25 ff. Vgl. auch Bensei, Günter, Keine Wiederholung der Fehler von 1918! Wie KPD und SED im Kampf um die Errichtung der Arbeiter-und-Bauern-Macht die Lehren der Novemberrevolution nutzten. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung (im folgenden: BzG), 1978, H. 6, S. 835 ff. 5 Vgl. Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß, Berlin 1978, S. 119 f. 6 Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Reihe III, Bd. 1, Berlin 1959, S. 18. 7 IML, ZPA. NL 36-421. 8 Ebenda. 9 Zit. nach Ulbricht, Walter, Zur Geschichte der neuesten Zeit, Bd. I, 1. Halbbd., Berlin 1955, S. 48. 10 Um die Erneuerung der deutschen Kultur. Erste Zentrale Kulturtagung der Kommunistischen Partei Deutschlands vom 3. bis 5. Februar in Berlin (Stenographische Niederschrift), Berlin 1946, S. 12. Vgl. auch Reden Wilhelm Piecks vom 11. und 12. Dezember 1945, IML, ZPA, NL 36-25. 11 Vgl. insbesondere die Arbeiten von Ackermann, Anton, Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus? In: Einheit Berlin, 1946, H. 1; derselbe, Fragen und Antworten, Berlin o. J.; derselbe. An die lernende und suchende deutsche Jugend, Berlin/ Leipzig, o. J. 12 Vgl. Pieck, Wilhelm, Reden und Aufsätze, Auswahlbd., Berlin 1948, S. 117 ff. 13 Dies zeigt sich z. B. in den Aktivitäten zum 28. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und zum 27. Jahrestag der deutschen Novemberrevolution. Vgl. Krusch, Hans-Joachim, Oktoberjubiläum in unserem Lande im Jahre der Befreiung vom Faschismus. In: BzG, 1977, H. 5, S. 862 ff. 14 Vgl. Dlubek, Rolt/Steinke, Monika, Zur Rolle des theoretischen Erbes von Marx und Engels im Ringen um die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. In: BzG, 1971, H. 6, S. 883ff.; Uhlmann, Maria, Zur Herausgabe und Verbreitung von Lenin-Arbeiten in deutscher Sprache nach der Zerschlagung des Faschismus bis zur Gründung der SED. In: BzG, 1976, H. 2, S. 332 ff. 15 Vgl. Dokumente und Materialien, a. a. O. S. 351 ff., 517 f. 16 IML, ZPA, I 2/2/20, NL 36-636. 17 Einheit, 1946, H. 1 u. 2. 18 Vgl. z. B. Matern, Hermann, Die Bedeutung des Aufrufs der KPD vom 11. Juni 1945. In: Matern, Hermann, Im Kampf für Frieden, Demokratie und Sozialismus. Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. I, Berlin 1963, S. 105 ff.; Ulbricht, Waltet, Neue Aufgaben der 3
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freien Gewerkschaften. In: Ulbricht, W., Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsätzen, Bd. II, Berlin 1963, S. 462f.; derselbe. Die erste Phase des wirtschaftlichen Aufbaus. In: ebenda, S. 518 f. 19 Vgl. Geschichte der SED, a .a. O., S. 76, 86; siehe auch den Beitrag von Heinz Heitzer in diesem Band, S. 26 ff. 20 Lenin, W. 1., Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution. In: Werke, Bd. 9, Berlin 1973, S. 102. 21 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 108 ff. 22 Dokumente und Materialien, a. a. O., S. 351 f. 23 Ebenda, S. 352. 24 Geschichte der SED, a. a. O., S. 120. 25 Ebenda. 26 Vgl. Pieck, W., Reden und Aufsätze, Auswahlbd., a. a. O., S. 117 ff. 27 Geschichte der SED, a. a. O., S. 185. 28 Vgl. z. B. die Rede Walter Ulbrichts auf der 2. Tagung des Parteivorstandes der SED. In: Ulbricht, W., Zur Geschichte der deutschen Arbeiteibewegung, Bd. III: 1946-1950, Zusatzbd., Berlin 1971, S. 36 ff. 29 Vgl. den Beitrag von Rolf Badstübner in diesem Band, S. 54 ff. 30 Geschichte der SED, a. a. O., S. 103 f. 31 Ebenda, S. 138. 32 Ebenda, S. 106. 33 Vgl. Lenin, W. I., Briefe über die Taktik. In: Werke, Bd. 24, Berlin 1974, S. 34. 34 Geschichte der SED, a. a. O., S. 176. 35 IML, ZPA, 2/1/40. 36 Ebenda. 37 Grotewohl, Otto, Im Kampf um die einige deutsche demokratische Republik, Bd. I, Berlin 1954, S. 179. 38 Vgl. Ackermann, A„ Arbeiterklasse und Kultur. Kampf um die deutsche Demokratie, Weimar 1948, S. 7. Theoretisch vorbereitet waren diese Überlegungen nicht zuletzt durch die Beschäftigung der SED mit den in den volksdemokratischen Revolutionen gesammelten Erfahrungen. Vgl. Dietrich, Gerd, Zur Rolle der volksdemokratischen Länder und der Erfahrungen der Bruderparteien in der politisch-ideologischen Arbeit der SED 1947-1949. Phil. Diss., Berlin 1978. 39 Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (im folgenden: Dokumente der SED), Bd. II, Berlin 1951, S. 122. 40 Neues Deutschland, Ausgabe B, 1. 10. 1948. 41 Dokumente der SED, a. a. O., S. 199. 42 Honecker, E., Auf sicherem Kurs. In: Honecker, E., Reden und Aufsätze, Bd. 4, Berlin 1977, S. 293. 43 Vgl. Benser, Günter¡Heitzer, Heinz, Die Gründimg der DDR - Ergebnis einer erfolgreichen Volksbewegung. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (im folgenden: ZfG), 1978, H. 3, S. 209 ff. 44 Geschichte der SED, a. a. O., S. 217. 45 Ebenda, S. 221. 46 Vgl. ebenda, S. 245. 47 Vgl. ebenda, S. 176 ff.; siehe auch den Beitrag von Heinz Heitzer in diesem Band, S. 26 ff. 48 Geschichte der SED, a. a. O., S. 247 f. 49 Ulbricht, W., Die SED vor der Parteikonferenz. In: Ulbricht, Walter, Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsätzen, Bd. III: 1946-1950, Berlin 1963, S. 315. 50 Grotewohl, O., Dreißig Jahre später. Die Novemberrevolution und die Lehren der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin 1951, S. 116 f. 51 Dokumente der SED, Bd. IV, Berlin 1954, S. 73. 52 Geschichte der SED, a. a. O., S. 246.
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53 Vgl. ebenda, S. 280. 54 Dokumente der SED, Bd. V, Berlin 1956, S. 502 f. 55 IX. Parteitag der SED, 18.-22. 5. 1976, Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den IX. Parteitag der SED. Berichterstatter: Genosse Erich Honecker, Berlin 1976, S. 110. 56 Vgl. dazu den Beitrag von Jochen Cern^ in diesem Band. 57 Geschichte der SED, a. a. O., S. 323. 58 Dokumente der SED, Bd. VI, Berlin 1958, S. 102. 59 Ebenda, S. 109. 60 Vgl. ebenda, S. 113 f. 61 Vgl. ebenda, Bd. III, Berlin 1952, S. 94 ff. 62 Vgl. ebenda, Bd. IV, a. a. O., S. 72 f. 63 Vgl. ebenda, Bd. VII, Berlin 1961, S. 240 ff. 64 Vgl. Thesen des Politbüros des ZK zum zehnten Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik; Ulbricht, W., Des deutschen Volkes Weg und Ziel. In: Einheit, 1959, H. 9. 65 Dokumente der SED, Bd. VII, a. a. O., S. 243. 66 Ebenda, S. 241. 67 Geschichte der SED, a. a. O., S. 378. 68 Dokumente der SED, VII, a. a. O., S. 245. 69 Vgl. den Beitrag von Siegfried Prokop in diesem Band. 70 Teller, Hans, Der kalte Krieg gegen die DDR. Von seinen Anfängen bis 1961, Berlin 1979. 71 Geschichte der SED, a. a. O., S. 403. 72 Ebenda. 73 Vgl. die Beiträge von Siegfried Prokop und Therese Hörnigk in diesem Band. 74 Dokumente der SED, Bd. VII, a. a. O., S. 251. 75 Vgl. den Beitrag von Karl Greese in diesem Band. 76 Dokumente der SED, Bd. VII, a. a. O., S. 259. 77 Geschichte der SED, a. a. O., S. 380. 78 Vgl. ebenda, S. 438 ff., 549 ff., 655 ff. 79 Vgl. Benser, G.. Der revolutionäre Umwälzungsprozefj auf dem Territorium der DDR und seine historische Darstellung. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Erich Weinert", Magdeburg, 1976, H. 6. Hier ist die wichtigste in den letzten Jahren in der DDR erschienene Literatur zur Wertung des revolutionären Prozesses aufgeführt. Siehe auch den Beitrag von Rolf Badstübner in diesem Band. 80 Vgl. Klassenkampf - Tradition - Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik, Grundriß, Berlin 1974, S. 527 f.; Geschichte der SED, a. a. O., S. 106.
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HEINZ HEITZER
Zur Dialektik von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR
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Gegenstand und Problemstellung
Gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten setzen sich immer nur in Wechselwirkung von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor durch. Der subjektive Faktor ist umso wirksamer, je enger er mit den objektiven Bedingungen verbunden ist, je umfassender und effektiver diese genutzt werden.1 Ohne die Einheit und Wechselwirkung von subjektivem Faktor und objektiven Bedingungen ist kein revolutionärer Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, ist kein Aufbau des Sozialismus möglich. Aus diesen Gründen zählt die Dialektik von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor zu den zentralen Problemen der marxistisch-leninistischen Theorie und Politik. Die Kategorie objektive Bedingungen ist außerordentlich umfassend und komplex. Sie umfaßt das gesellschaftliche Leben, von dem die Menschen, Klassen, Parteien usw. ausgehen, in seiner ganzen Breite, die inneren ebenso wie die zwischenstaatlichen Beziehungen, wobei die Basisverhältnisse, die einem bestimmten Stand der Produktivkräfte entsprechen, die bestimmenden sind. »Dieser Kategorie sind folglich die ökonomischen, sozialen, politischen und ideologischen Verhältnisse und Bedingungen auf der jeweiligen konkreten Etappe der historischen Entwicklung zuzuordnen."2 Der Begriff subjektiver Faktor wird in der marxistisch-leninistischen Literatur in der Regel mit der gesellschaftsverändernden Aktivität des historischen Subjekts, vor allem mit der sozialen Revolution in Verbindung gebracht („subjektiver Faktor der Revolution"3). Er ist nicht identisch mit dem Begriff der Volksmassen, da deren Bewegung ihre objektive und subjektive Seite hat.4 Der Begriff subjektiver Faktor beinhaltet „einen bestimmten Reifegrad des Bewußtseins und der Organisiertheit des Subjekts". 5 Als subjektiver Faktor werden in der Regel die sozialen Kräfte bezeichnet, „die in den verschiedenen Epochen das Subjekt, die treibende soziale Kraft der historischen Umwälzungen sind".6 Der subjektive Faktor in der Geschichte - so Glesermann - „ist die bewußte Tätigkeit der Menschen, der Klassen und Parteien, die die Geschichte gestalten, ist ihre Organisiertheit, ihr Wille und ihre Energie, die für die Lösung der historischen Aufgaben notwendig sind".7 Im Sozialismus erlangt der subjektive Faktor eine qualitativ neue Bedeutung gegenüber allen vorangegangenen Gesellschaftsformationen. Dies resultiert aus dem Charakter der ökonomischen Entwicklung, aus der politischen Ordnung und aus dem sozialökonomischen Wesen des Sozialismus. Der IV. Philosophiekongreß der DDR im Jahre 1974 und der VI. Historikerkongreß im Jahre 1977 haben unter verschiedensten Aspekten deutlich gemacht, daß der subjektive Faktor im Sozialismus eine wesentlich größere Rolle spielt als in der bisherigen Menschheitsgeschichte und daß diese Rolle mit der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft gesetzmäßig an-
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wächst. 8 Zugleich wurde hervorgehoben, daß sich die Rolle des subjektiven Faktors nicht im Gegensatz und zu Lasten der objektiven Bedingungen erhöht, deren Bedeutung keineswegs geringer wird, sondern lediglich im Vergleich zur Rolle des subjektiven Faktors in der Vergangenheit. Kurt Hager stellte fest: „Charakteristisch für die gegenwärtige Etappe unserer Entwicklung ist, dag sowohl ein zunehmendes Gewicht der objektiven Bedingungen als auch des subjektiven Faktors zu verzeichnen ist." 9 Ebenso wie das qualitativ Neue im Wirken des subjektiven Faktors gegenüber der Ausbeutergesellschaft müssen auch die Unterschiede zwischen der Übergangsperiode und dem reifen Sozialismus beachtet werden. In der Übergangsperiode befindet sich der Sozialismus noch in seinem Geburtsstadium. Es bestehen noch antagonistische Widersprüche, und der Klassenkampf ist noch eine entscheidende Triebkraft der Entwicklung. Das Element der Spontaneität spielt noch eine gewichtige Rolle. Die Entwicklung des subjektiven Faktors vollzieht sich deshalb in der Übergangsperiode widerspruchsvoll, ungleichmäßig und kompliziert. Eis beginnt erst jener Prozeß, in dem die Massen allseitig zum Subjekt der Geschichte werden. Zum subjektiven Faktor im Sozialismus, hier die Übergangsperiode einbegriffen, gehören folgende wesentliche Strukturelemente: 1. die Führung der Massen durch die marxistisch-leninistische Partei; 2. das revolutionäre Bewußtsein der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten, ihr Wille, ihre Energie, ihre intellektuellen und psychisch-moralischen Qualitäten, ihre Bereitschaft zur Lösung der herangereiften Aufgaben; 3. die Organisiertheit der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen. Der Kern, das wichtigste Element des subjektiven Faktors, ist die Führung der werktätigen Massen durch die marxistisch-leninistische Partei. Diese bedeutende und ständig wachsende Rolle der Partei widerspiegelt die grundlegende Veränderung im Wechselverhältnis von Spontanem und Bewußtem (nicht, um das erneut zu betonen: von Objektivem und Subjektivem!), die für den Sozialismus charakteristisch ist. „In antagonistischen Formationen überwiegt in der Gesellschaft insgesamt das Spontane gegenüber dem Bewußten . . . Im Sozialismus und erst recht im Kommunismus dominiert in der Gesellschaft das Bewußte gegenüber dem Spontanen und bestimmt dessen Charakter grundlegend." 10 Wenngleich das Spontane in der Übergangsperiode noch eine größere Rolle spielt als im reifen Sozialismus, ändert sich bereits jetzt das Wechselverhältnis von Spontanem und Bewußtem grundlegend. Die neue, ausbeutungsfreie Gesellschaftsordnung entwikkelt sich nicht im Schöße der alten, sondern kann erst nach der Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse und deren Verbündete planmäßig und bewußt geschaffen werden. Dieser spezifische, historisch völlig neuartige und einmalige Übergang von einer überlebten Gesellschaftsformation zur neuen aber ist prinzipiell bei Überwiegen des Spontanen nicht möglich. Ihn erfolgreich zu vollziehen, erfordert vielmehr, sofern die objektiven Bedingungen gegeben sind: — die Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten dieses Prozesses, die Kenntnis und Beachtung der wesentlichen Zusammenhänge, also einen hohen Grad der Bewußtheit; — das einheitliche Handeln der sozialen Hauptkraft dieses Prozesses, der Arbeiterklasse, ihre zielgerichtete, organisierte Aktion, also einen hohen Grad der Organisiertheit der Klasse; — die aktive Teilnahme der Massen, also eine breite und ständig anwachsende Massenbasis der Revolution. „Wo es sich um eine vollständige Umgestaltung der gesellschaftlichen Organisation handelt", schrieb Friedrich Engels, „da müssen die Massen
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selbst mit dabei sein, selbst schon begriffen haben, worum es sich handelt, für was sie mit Leib und Leben eintreten."11 All dies aber kann bei Vorhandensein der notwendigen objektiven Bedingungen nur gewährleistet werden durch die wissenschaftlich begründete Politik und die führende Rolle der revolutionären Partei der Arbeiterklasse. Selbst Teil der Klasse, ihr fortgeschrittenster Teil, verkörpert sie die historisch höchste Form der Bewußtheit und Organisiertheit. Sie vertritt die Gegenwarts- und Zukunftsinteressen der Arbeiterklasse und des gesamten werktätigen Volkes und weist dem Kampf der Massen Richtung und Ziel. Die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse bildet sowohl im Kampf um die Macht als auch beim Aufbau der neuen Gesellschaft den Kern, das wichtigste Element des subjektiven Faktors. Dabei vollzieht sich im Prozeß der Zerstörung des Alten und des Aufbaus des Neuen ein wesentlicher Wandel im Inhalt des Wirkens der Partei: Aus der Oppositionspartei wird die regierende, Wirtschaft, Staat und Gesellschaft leitende Partei. Das aber bedeutet, daß sich die Partei selbst weiterentwickeln muß, um den sich ändernden Aufgaben bei der Verwirklichung der historischen Mission der Arbeiterklasse gerecht werden zu können. Von dieser Weiterentwicklung, die dem neuen Inhalt der Arbeiterbewegung entspricht, hängt der Reifegrad des subjektiven Faktors insgesamt in hohem Maße ab. Es ist daher nicht erstaunlich, daß Kristallisationspunkt aller bürgerlichen Verfälschungen der Dialektik von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor die Parteifrage ist.12 Besteht die fatalistische Hauptvariante dieser Verfälschungen darin, die Notwendigkeit der Existenz und Rolle der marxistisch-leninistischen Partei einfach zu leugnen, da angeblich objektive Prozesse automatisch eine „neue Gesellschaft" hervorbringen würden, so verfälschen die Verfechter der voluntaristischen Hauptvariante die Rolle der Partei im subjektivistischen Sinne, indem der Partei willkürliches Handeln unterstellt und jede Gesetzmäßigkeit, jede Wechselbeziehung von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor geleugnet werden. Gemeinsam ist beiden Varianten der Hauptstoß gegen die Partei, speziell die Negierung der Beziehtingen von Partei, Klasse und Masse. Auch in erkenntnistheoretischer Hinsicht sind beide Varianten auf einen gemeinsamen Nenner zurückzuführen. Sie wurzeln in einer metaphysischen Betrachtungsweise, in dem Unvermögen, die Dialektik von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor zu begreifen. Eine Seite des geschichtlichen Prozesses wird jeweils verabsolutiert, und es wird negiert, daß sich die gesellschaftliche Entwicklung in der Einheit und Wechselwirkung von Objektivem und Subjektivem vollzieht, wobei die objektiven, in erster Linie die ökonomischen Verhältnisse letztlich bestimmend sind. Im besten Falle wird ein funktionales Nebeneinander der einzelnen Seiten des Geschichtsprozesses konzediert. Auffällig ist, daß die fatalistische Variante hauptsächlich in bürgerlichen Darstellungen über die entwickelte sozialistische Gesellschaft in der DDR anzutreffen ist, während die Dialektik von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor in der Übergangsperiode vor allem im Sinne der voluntaristischen Variante verfälscht wird. 13 Bürgerliche Historiker und Politologen sehen zwar formal einen Unterschied zwischen der Übergangsperiode und dem reifen Sozialismus. Als Kriterium dient ihnen aber nicht das jeweilige Entwicklungsstadium der neuen Gesellschaftsformation, sondern ein angeblich völlig unterschiedlicher Stellenwert des Subjektiven. So behauptet H. Weber: .Bis 1961 bestimmten ideologische Normen und programmatische Zielsetzungen vorrangig die Politik: Umgestaltung der Herrschaftsstrukturen und der Gesellschaft nach den Prinzipien des «Marxismus-Leninismus' in der konkreten Ausformimg des sowjeti28
sehen Modells. 1961 war dieser Prozeß im wesentlichen abgeschlossen. Seither wirkt die veränderte gesellschaftliche und politische Wirklichkeit . . . stärker auf die Politik ein. Die .Sachzwänge' bewirken Veränderungen der Politik und selbst der Ideologie."14 Lassen wir die zum Repertoire des gegenwärtigen Antikommunismus gehörenden Spekulationen über die „Sachzwänge der modernen Industriegesellschaft" hier beiseite - wesentlich für unseren Zusammenhang ist, daß die Entwicklung der DDR in der Übergangsperiode im Zeichen eines äußerst primitiven Subjektivismus und Voluntarismus entstellt und verfälscht wird. Weber und anderen Autoren 15 zufolge hätten Ideen (im Sinne von Dogmen, Vorurteilen, eines falschen Bewußtseins) sowie die Macht und Gewaltanwendung einer von diesen Ideen inspirierten Minderheit den Obergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR „bewirkt". Im Grunde entspricht dies einer schon uralten subjektivistischen Verfälschung der revolutionären Arbeiterbewegung, wie sie in der „klassischen Formel" von H. de Man zum Ausdruck kam: „Die Geschichte der sozialistischen Bewegung ist die Geschichte einer sich verwirklichenden Idee." 16 Kein Marxist bestreitet natürlich die große Rolle von Ideen oder des historischen Subjekts in der Geschichte. Im Gegensatz zu jedweder bürgerlicher Auffassung führt er diese aber auf ihre materiellen Grundlagen zurück, stellt er diejenigen Fragen und versucht sie zu beantworten, denen bürgerliche Ideologen immer aus dem Wege gehen, nämlich: Wie war es möglich, daß sich eine bestimmte Politik und Ideologie durchsetzen konnten? Wie ist folglich ihr Realitätsgehalt einzuschätzen? Wer waren die Kräfte, die gesellschaftliche Umwälzungen bewirkten? Unter dem Einfluß welcher Faktoren erlangten diese Kräfte jene Reife, die notwendig war, um grundlegende gesellschaftliche Veränderungen durchzusetzen? Es geht also um die Dialektik von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor, ein Thema, das für bürgerliche Ideologen immer ein Buch mit sieben Siegeln bleiben wird. In dieser Studie soll, gestützt auf Ergebnisse der Geschichtswissenschaften der DDR, vor allem untersucht werden, wie, unter welchen Einflüssen und mit welchen Ergebnissen sich der subjektive Faktor in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR entwickelte. (Es geht also nicht vorrangig um seine Rolle in der Übergangsperiode.) Dabei wird davon ausgegangen, daß sich der subjektive Faktor vor allem unter dem Einfluß a) der objektiven Bedingungen, b) der Praxis, c) der Erziehung im weitesten Sinne entwickelt.17 Es wird des weiteren davon ausgegangen, daß die Grenzen zwischen Subjektivem und Objektivem relativ sind. Mit Ausnahme der ökonomischen und sozialen Verhältnisse, die unter allen Umständen objektiv sind, kann Subjektives in einem bestimmten Zusammenhang zum Objektiven werden und umgekehrt. Infolge des begrenzten Raumes muß sich die Darstellung auf markante Zäsuren in der Geschichte der DDR und auf bestimmte Aspekte der Dialektik von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor konzentrieren. Diese Studie stellt einen Versuch dar, theoretisch-philosophische Fragestellungen und Erkenntnisse für die Erforschung und Darstellung der Geschichte der DDR nutzbar zu machen. Sie will damit zu weiteren Überlegungen, besonders im Hinblick auf das Gewicht der einzelnen Seiten des Geschichtsprozesses, und zu empirischen Untersuchungen anregen. Der Studie lagen die Thesen des Verfassers zum VI. Historikerkongreß der DDR „Partei, Arbeiterklasse, Massenaktivität in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR" 18 zugrunde. Bei der Fertigstellung konnten die inzwischen erschienene „Geschichte der SED. Abriß" ausgewertet und Hinweise, die in der Diskussion zu den Thesen geäußert wurden, berücksichtigt werden.
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2.
Die Formierung der Kräfte für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung
Grundlegende objektive Bedingungen für die Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus - der Grad der ökonomischen Entwicklung, die Zuspitzung des Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen - reiften in Deutschland bereits seit der Jahrhundertwende heran. Dies war gleichbedeutend mit der materiellen Vorbereitung des Sozialismus. Im Jahre 1945 traten zu diesen sozialökonomischen Bedingungen weitere objektive Bedingungen hinzu, die den Kampf der deutschen Arbeiterklasse determinierten.19 An erster Stelle muß die grundlegend veränderte internationale Kräftekonstellation genannt werden, die insbesondere durch den gewaltigen Machtzuwachs der Sowjetunion, durch eine neue Welle von Revolutionen und durch die Schwächung des Imperialismus als Gesamtsystem gekennzeichnet war. Dank des neuen internationalen Kräfteverhältnisses konnte sich die revolutionäre Umwälzung speziell in den europäischen Ländern, die den Weg des Sozialismus beschritten, im allgemeinen rascher und unter günstigeren Bedingungen vollziehen als nach 1917.20 In potenzierter Weise war jene Situation eingetreten, auf die W. I. Lenin im Jahre 1921 die Kommunisten des Kaukasus aufmerksam gemacht hatte, als diese vor der Aufgabe standen, zum Sozialismus überzugehen: „Wir (Sowjetrußland - H. H.) hatten die erste Bresche in den Weltkapitalismus zu schlagen . . . Sie, Kommunisten des Kaukasus, brauchen keine Bresche mehr zu schlagen. Sie müssen es verstehen, das Neue mit größerer Vorsicht und Systematik, unter Ausnutzung der iür sie günstigen internationalen Situation . . . zu schaffen."21 Die grundlegend veränderte internationale Situation verflocht sich besonders in jenen Ländern, die von der Sowjetarmee befreit wurden, aufs engste mit den jeweiligen inneren Bedingungen.22 Das galt vor allem für jene Gebiete des ehemaligen Deutschen Reiches, in denen die Sowjetunion als sozialistische Besatzungsmacht die oberste Regierungsgewalt ausübte. Die gemeinsamen Beschlüsse der Antihitlerkoalition mit aller Konsequenz erfüllend, zerschlug die Sowjetarmee die enscheidenden Bestandteile des imperialistischen Machtapparats: die Armee, die Polizei, die zentrale Staatsbürokratie. Obwohl dies nicht gleichbedeutend war mit der Vernichtung des imperialistischen Machtapparats in seiner Gesamtheit und in seinen vielfältigen Verästelungen, nahm sie damit der deutschen Arbeiterklasse praktisch die schwerste Aufgabe ab, die diese im Kampf um die Macht zu lösen hatte. Dies erleichterte es wesentlich, die Revolution zu beginnen.23 Die sowjetische Besatzungsmacht garantierte den Schutz vor einer militärischen imperialistischen Intervention. Sie unterband jede faschistische Betätigung. Sie hinderte reaktionäre bürgerliche Kräfte, sich in Unternehmerverbänden zu organisieren und sich der einflußreichsten Massenmedien zu bemächtigen. Angesichts ihrer Anwesenheit war jeder Versuch einer bewaffneten Konterrevolution von vornherein aussichtslos. Dies bewirkte wiederum, daß größere Chancen bestanden, den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus auf relativ friedlichem Wege zu vollziehen. Die Sowjetunion schuf durch die konsequente Verwirklichung der Beschlüsse der Antihitlerkoalition und durch ihre internationalistische Haltung gegenüber dem deutschen Volk für die Arbeiterklasse und deren Verbündete bis dahin beispiellose Möglichkeiten, sich zu organisieren, ihre Kräfte zu entfalten und auf alle gesellschaftlichen Prozesse zunehmenden Einfluß auszuüben. Sie bahnte neuen Beziehungen der deutschen Antifaschisten zu anderen Völkern den Weg und half ihnen, die internationale Isolierung zu durchbrechen, in die der Faschismus das deutsche Volk getrieben hatte. 30
Von größter Bedeutung war, daß die Arbeiterklasse in bisher nicht gekanntem Ausmaß ihre wissenschaftliche Weltanschauung verbreiten und daß sich eine wachsende Zahl von Arbeitern und anderen Werktätigen in der unmittelbaren Zusammenarbeit mit den Repräsentanten der sozialistischen Besatzungsmacht den Marxismus-Leninismus und die Erfahrungen der KPdSU aneignen konnte. So trugen Anwesenheit und Wirken der Sowjetunion als sozialistische Besatzungsmacht wesentlich dazu bei, die Entwicklung des subjektiven Faktors der revolutionären Umwälzung zu beschleunigen. Dies war deshalb von so gravierender Bedeutung, weil, wie in jedem anderen Land, so auch in Deutschland, die Entwicklung des subjektiven Faktors die entscheidende innere Voraussetzung bildete, um die durch die Zerschlagung des Faschismus gebotene einmalige Chance zu nutzen und den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus einzuleiten. Von der Reife des subjektiven Faktors hing letztendlich ab, ob und wie die günstigen Bedingungen f ü r eine revolutionäre Umwälzung genutzt wurden. Eine solche Schlußfolgerung wird erhärtet, wenn man sich die Spezifik der revolutionären Krise nach der totalen militärischen Niederlage des faschistischen deutschen Imperialismus vergegenwärtigt. Trotz beträchtlicher Unterschiede zu anderen Ländern dürfte die Schlußfolgerung berechtigt sein, daß zu diesem Zeitpunkt Züge, Merkmale einer revolutionären Krise — die zu den objektiven Bedingungen einer Revolution gehört - vorhanden waren. 24 Der deutsche Imperialismus befand sich in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Er war nicht mehr in der Lage, mit den Mitteln und Methoden der offenen terroristischen Diktatur zu regieren und seine Macht ohne äußere Hilfe zu erhalten. Durch den imperialistischen Krieg hatten sich Hunger, Not und Elend der werktätigen Massen weit über das gewohnte Maß hinaus verschärft. Indessen befand sich das „Denken vieler Werktätiger, insbesondere der Verbündeten der Arbeiterklasse, . . . noch nicht in Einklang mit ihrer objektiven Klassenlage und ihren Lebensinteressen. Zwischen den objektiven Bedingungen für eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft und der politischen Reife und Organisiertheit der Volksmassen bestand ein ernster Widerspruch." 25 Doch wäre es vereinfacht, aus diesen Tatsachen die Schlußfolgerung abzuleiten, wie dies zuweilen in der Geschichtsliteratur der DDR geschieht, 26 daß 1945 die objektiven Bedingungen f ü r eine revolutionäre Umwälzung generell vorhanden, die subjektiven Voraussetzungen hingegen gefehlt hätten. Beides trifft in dieser Absolutheit nicht zu. Einmal entwickelte sich die revolutionäre Krise höchst widerspruchsvoll, waren ihre Merkmale ungleichmäßig ausgereift. Im Unterschied zu Bulgarien, Jugoslawien, Polen und anderen Ländern, in denen eine starke, tief im Volk verwurzelte antifaschistische Befreiungsbewegung unmittelbar in die volksdemokratische Revolution hinüberwuchs, 27 was mit einer bedeutenden Erhöhung der Aktivität der Massen verbunden war, konnten sich die deutschen Kommunisten und anderen Antifaschisten in ihrem aufopferungsvollen Kampf gegen die faschistische Diktatur nicht auf eine breite, das ganze Land umfassende Volksbewegung stützen, die imstande gewesen wäre, wesentlich zum Sturz des Faschismus beizutragen. Das aber hatte zur Folge, daß eine wichtige objektive Bedingung einer revolutionären Umwälzung, die bedeutende Erhöhung der Aktivität der Massen, anfangs nur in Ansätzen vorhanden war. Diese Ansätze waren zweifellos gewichtiger, als früher oft angenommen (über die Leistungen der „Aktivisten der ersten Stunde" förderte die Geschichtsliteratur der DDR gerade in den letzten Jahren viele neue Tatsachen zutage!), 28 sie dürfen aber die unterschiedliche Ausgangsposition gegenüber den volksdemokratischen Ländern nicht vergessen machen. „Erst nach der Befreiung durch die Rote Armee konnten sich die Kräfte der 31
Revolution formieren. All das wirkte sich auch auf die Reife des subjektiven Faktors in der sowjetischen Besatzungszone aus."29 Aus dem Widerspruch zwischen objektiven Bedingungen und dem Grad des Bewußtseins und der Organisiertheit der Massen darf indessen auch nicht abgeleitet werden, dag der subjektive Faktor generell unentwickelt war. Eine solche globale Einschätzung ließe insbesondere die revolutionäre Vorhut der deutschen Arbeiterklasse außer acht. „Obwohl die KPD einen sehr hohen Blutzoll hatte entrichten müssen und dadurch zahlenmäßig erheblich geschwächt worden war, verfügte die deutsche Arbeiterklasse am Ende des zweiten Weltkrieges über eine bewährte Partei mit großen Erfahrungen und kämpfgestählten Kadern, mit einem wissenschaftlichen Programm zur Beseitigung der Grundlagen des Imperialismus und zur Errichtung der Arbeiter-und-Bauern-Macht."30 Das unterschied die Situation ebenfalls grundlegend von der am Ende des ersten Weltkrieges. Mit ihrem Aufruf vom 11. Juni 1945 wies die KPD allen antifaschistisch-demokratischen Kräften Ziel und Weg zur Beseitigung der Herrschaft des deutschen Imperialismus. Sie orientierte auf eine antifaschistisch-demokratische Umwälzung als notwendiger Etappe auf dem Wege zum Sozialismus. Diese Politik entsprach den Gesetzmäßigkeiten der Epoche, der veränderten internationalen Situation und den spezifischen Bedingungen in Deutschland. Die KPD berücksichtigte den Reifegrad sowohl der objektiven Bedingungen als auch der subjektiven Voraussetzungen für die notwendige revolutionäre Umwälzung. Sie nahm die z. T. noch unausgereiften Bedingungen und Voraussetzungen für eine revolutionäre Umwälzung aber nicht als statisch hin, sondern sah diese in ihrer Dynamik. Insbesondere ging sie davon aus, daß in der gegebenen Situation alles davon abhing, „daß die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse ihre Reihen rasch festigte, daß die Spaltung der Arbeiterbewegung überwunden und die Arbeiterklasse befähigt wurde, sich zur führenden Kraft der gesellschaftlichen Entwicklung zu erheben".31 In der „Geschichte der SED. Abriß" wird im einzelnen gezeigt, welche objektiven Bedingungen die KPD in Rechnung stellte, als sie sich dafür einsetzte, die Kräfte für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung zu formieren: das neue internationale Kräfteverhältnis, die Anwesenheit der Sowjetarmee, aber auch das proimperialistische Besatzungsregime der Westmächte, die tiefe Krise des deutschen Imperialismus ebenso wie die schwere materielle und geistige Hinterlassenschaft der militärisch besiegten Ausbeuterklassen, die zahlenmäßige Stärke der Arbeiterklasse, ihren hohen Konzentrationsgrad, ihre berufliche Qualifikation, ihre Kampftraditionen und politischen Erfahrungen, die objektiv antiimperialistischen Interessen der werktätigen Bauernschaft, die der Arbeiterklasse am nächsten stand, sowie der Intelligenz, der Handwerker und selbst kleiner und mittlerer Kapitalisten, die ungeachtet der widerspruchsvollen Haltung und Stellung dieser Schichten Möglichkeiten boten, sie als Verbündete zu gewinnen. Gleichzeitig wird in der „Geschichte der SED" nachgewiesen, wie sich in der praktischen revolutionären Aktion und durch die politisch-ideologische und geistig-kulturelle Erziehungsarbeit der Kommunisten, klassenbewußten Sozialdemokraten und anderen Antifaschisten, die auf vielfältige Weise von der sowjetischen Besatzungsmacht unterstützt wurden, der subjektive Faktor entwickelte. Praktische revolutionäre Aktion, das bedeutete unter den damaligen Bedingungen nicht nur Säuberung der Betriebe und Verwaltungen von Kriegsverbrechern und aktiven Nazis, Aufbau neuer Staatsorgane, Formierung einer demokratischen Polizei, Schulreform und Bodenreform, sondern auch - selbst wenn dies den meisten Beteiligten nicht bewußt war - Kampf gegen den 32
Hunger, Beseitigung der Trümmer und das Wiederingangsetzen der Produktion, das bedeutete nicht nur Kampf um die Aktionseinheit und für die Zusammenarbeit aller Blockparteien, sondern auch Aufbau freier Gewerkschaften, von Organisationen der Jugendlichen, der Frauen und der Kulturschaffenden. Nicht all diesen Aktionen war freilich von vornherein ein revolutionärer Inhalt eigen. Daß in der sowjetischen Besatzungszone auch solche zunächst scheinbar klassenindifferenten Handlungen wie der Kampf gegen Hunger, Not und Elend in der Konsequenz revolutionären, gesellschaftsverändernden Charakter annahmen,32 lag vor allem daran, daß es Kommunisten und klassenbewußte Sozialdemokraten verstanden, alle Massenaktionen auf ein Ziel zu lenken: die Beseitigung der Machtgrundlagen des Imperialismus, die Schaffung demokratischer Verhältnisse, die den Weg zum Sozialismus öffneten. Daraus ergibt sich u. E. eine Schlußfolgerung hinsichtlich der Spezifik der revolutionären Situation nach der militärischen Niederlage des faschistischen deutschen Imperialismus: Die Existenz und die wissenschaftlich begründete Politik einer kampferfahrenen revolutionären Vorhut waren von entscheidender Bedeutung für das volle Ausreifen der revolutionären Situation, insbesondere für die Erhöhung der Aktivität der Massen. Zwar ist es prinzipiell unmöglich, willkürlich eine sprunghafte Erhöhung der Aktivität der Massen herbeizuführen, wie „ultralinke" Ideologen behaupten, doch kann der subjektive Faktor, insbesondere die revolutionäre Arbeiterpartei, wesentlich zum Ausreifen einer revolutionären Situation beitragen. „Konsequente Aktionen von Revolutionären können . . . den Impuls für die beschleunigte Entwicklung einer revolutionären Situation geben, wenn sich in dem betreffenden Lande genügend Zündstoff angesammelt hat und die entsprechenden objektiven Bedingungen vorhanden sind."33 Die Formierung der Kräfte für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung auf dem Territorium der späteren DDR ist ein Beweis für die Richtigkeit dieser Feststellung. Die Formierung der Kräfte - dies ist eine weitere Schlußfolgerung - war unmittelbar mit der Inangriffnahme der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung verbunden. Es gab hier kein Nach- oder Nebeneinander, sondern eine ständige Wechselbeziehung. Das wirkte sich stimulierend sowohl auf das volle Ausreifen der revolutionären Situation als auch auf die Entwicklung des subjektiven Faktors aus.34 Anders ausgedrückt: Die revolutionäre Praxis, die eigene revolutionäre Erfahrung der Massen, wirkte gleichsam als Katalysator, der die Entwicklung der objektiven Bedingungen und der subjektiven Voraussetzungen für die revolutionäre Umwälzung vorantrieb. Die KPD bzw. die SED beachtete diese Wechselbeziehung, indem sie alle Schritte und Maßnahmen so konzipierte und leitete, daß diese der größtmöglichen Entfaltung der Aktivität und zugleich der größtmöglichen Erhöhung der Bewußtheit und Organisiertheit der Massen dienten. Die Bodenreform, die Enteignung der Monopole und andere grundlegende Maßnahmen der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung wurden in revolutionären Massenaktionen durchgeführt, die Hunderttausende von Werktätigen erfaßten und deren Bewußtsein reifen ließen. Der Kampf um die Einheit der Arbeiterbewegung wurde dank dem Wirken der Kommunisten und klassenbewußten Sozialdemokraten zur Massenbewegung, zur Sache der Arbeiterklasse und zahlreicher anderer Werktätiger, wobei sich der Kampf um die vereinigte Arbeiterpartei mit dem um die einheitliche revolutionäre Gewerkschaftsorganisation eng verflocht. Die Partei knüpfte an die unmittelbaren Interessen der Werktätigen an - das allgemeine Interesse an ein Leben ohne Krieg und faschistischen Terror, ohne Hunger, Not und Elend, das Interesse der werktätigen Bauern an Grund und Boden usw. - , sie berücksichtigte Erfahrungen aus den Klassenkämpfen in den Jahren der Weimarer Republik, die bei 33
einem Teil der Werktätigen noch lebendig waren - wie die Form des Volksentscheids, die Tätigkeit der Betriebsräte, aber auch genossenschaftliche Formen in Handel und Gewerbe - , und lenkte die entsprechenden Bestrebungen in eine antiimperialistischdemokratische Richtung. Die Partei förderte Organisationsformen, die den Werktätigen bzw. bestimmten Kreisen der Bevölkerung verständlich waren und die dazu beitrugen, deren demokratische Aktivität zu stimulieren — wie die Jugendausschüsse und Frauenausschüsse oder die kommunalen Beiräte und Beratenden Versammlungen. Sie wirkte darauf hin, daß zum richtigen Zeitpunkt höhere Organisationsformen entstanden, die geeignet waren, immer mehr Werktätige unmittelbar in die revolutionäre Umwälzung einzubeziehen - wie die Freie Deutsche Jugend, den Demokratischen Frauenbund Deutschlands oder die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe. Die Entwicklung der Jugend- und der Frauenbewegung machte besonders deutlich, dafj unter Führung der Arbeiterklasse breite Bevölkerungskreise in das aktive politische Leben einbezogen wurden, die im besonderen Maße vom Faschismus vergiftet bzw. jahrzehntelang von politischer Betätigung ferngehalten worden waren. Die Aktivierung der Jugendlichen und der Frauen für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung zeugte von der zunehmenden Verbreiterung des subjektiven Faktors. Die erfolgreiche Inangriffnahme der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung bestätigte, daß die KPD bzw. die SED die objektiven Bedingungen und den Reifegrad des subjektiven Faktors richtig eingeschätzt hatten. Es war möglich geworden, in relativ kurzer Zeit eine „Armee für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung", noch nicht aber für die sozialistische Revolution zu formieren. Wäre die Vorhut der Arbeiterklasse lediglich oder in erster Linie vom Grad der sozialökonomischen Entwicklung oder von der tiefen Krise des imperialistischen Herrschaftssystems ausgegangen, dann hätte nur die unmittelbare Kursnahme auf den Sozialismus die Schlußfolgerung sein können. Die Berücksichtigung aller wesentlichen Bedingungen und Voraussetzungen, vor allem des Bewußtseinsstandes, der Aktivität und der Organisiertheit der Werktätigen, geboten jedoch zwingend eine Strategie und Politik der antiimperialistischen Umwälzung als notwendiger Etappe auf dem Wege zum Sozialismus.
3.
Die Gründung der SED und die Weiterführung des revolutionären Prozesses
Die Gründung der SED war der entscheidende Schritt bei der Entwicklung des subjektiven Faktors der revolutionären Umwälzung. Alle Untersuchungen über den subjektiven Faktor, die sich auf die DDR beziehen, müssen deshalb hier ihren Konzentrationspunkt finden. Die unheilvolle Spaltung der deutscher? Arbeiterbewegung wurde in der sowjetischen Besatzungszone überwunden, ihre Einheit auf revolutionärer Grundlage hergestellt, dem Opportunismus eine entscheidende Niederlage zugefügt. Die „Grundsätze und Ziele" der SED, die der Vereinigungsparteitag beschloß, waren ein wissenschaftliches Programm für den weiteren Kampf um die Verwirklichung der historischen Mission der Arbeiterklasse. Sie gingen von Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus aus, die in der Sowjetunion ihre praktische Bestätigung gefunden hatten und in den Volksdemokratien mit Erfolg angewandt wurden. „Gerade dadurch, daß die Vereinigung auf der Grundlage eines solchen Programms erfolgte", erklärte Erich Honecker, „wurde die systematische Weiterentwicklung der SED als einer revolutionären Kampfpartei des Proletariats gesichert, die sich in jeder Etappe ihrer Entwicklung von den Lehren von Marx, Engels und Lenin leiten ließ!"35 34
Die Gründling der SED ermöglichte es, die Hegemonie der Arbeiterklasse vollends zu verwirklichen. Durch die systematische Festigung ihrer Reihen, insbesondere die zielstrebige Durchsetzung des Marxismus-Leninismus, erlangte die einheitliche revolutionäre Partei der Arbeiterklasse, der Kern des subjektiven Faktors, die politischideologische Reife, die Stärke und den Masseneinfluß, die für die erfolgreiche Weiterführung und Vollendung der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung notwendig waren. Dies kam bereits in der ersten großen Bewährungsprobe der SED zum Ausdruck, in der unter ihrer Führung vollzogenen Enteignung der Betriebe von Nazi- und' Kriegsverbrechern im Sommer 1946. Von besonderer Bedeutung für die weitere Entwicklung des subjektiven Faktors, insbesondere der SED selbst, war, daß die Kommunisten die Orientierung auf die Sowjetunion und die KPdSU, die Tradition der Kampfgemeinschaft von KPD und KPdSU in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands einbrachten. Von ihnen gingen die stärksten Impulse aus, alle Parteimitglieder und darüber hinaus alle Werktätigen im Geiste der Freundschaft mit der Sowjetunion zu erziehen, den anfangs tiefverwurzelten Antisowjetismus - eines der schwierigsten ideologischen Hemmnisse für die Entwicklung des subjektiven Faktors - zu überwinden. Anknüpfend an die Traditionen der Kampfgemeinschaft von KPD und KPdSU, entwickelten sich seit 1947/48 die organisierte Zusammenarbeit und der Erfahrungsaustausch zwischen SED und KPdSU,36 denen bald erste Kontakte zu anderen Bruderparteien folgten. Die Kampfgemeinschaft mit der KPdSU war von größtem Wert für die Weitere Ausarbeitung und Verwirklichimg der Politik und für die politisch-ideologische Entwicklung der SED. Sie trug auch wesentlich dazu bei, daß sich Verbindungen zwischen den Gewerkschaften, Jugendverbänden und anderen Massenorganisationen sowie erste Kontakte zwischen Arbeitern beider Länder entwickelten. Die Kampfgemeinschaft mit der KPdSU und die Aneignung und schöpferische Anwendung ihrer Erfahrungen beschleunigten somit den Reifeprozeß des subjektiven Faktors wesentlich. Nach der Lösung wesentlicher Aufgaben der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung sah sich die SED mit veränderten objektiven Bedingungen konfrontiert, die die Entwicklung des subjektiven Faktors nachhaltig beeinflußten. Auf neuer Stufe war ein Widerspruch zwischen den objektiven Bedingungen und dem subjektiven Faktor der revolutionären Umwälzung entstanden, der durch die Entwicklung des subjektiven Faktors überwunden werden mußte. Die beschleunigte Entwicklung der SED auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus wurde deshalb zum entscheidenden Kettenglied für die Weiterführung des revolutionären Prozesses. Es waren neue antifaschistisch-demokratische Staatsorgane geschaffen worden, in denen die Arbeiterklasse den entscheidenden Einfluß ausübte, Organe vom Typ der revolutionär-demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern unter Beteiligung anderer Schichten der Bevölkerung. Damit entstand eine prinzipiell neue Bedingung für die Entwicklung des subjektiven Faktors, die nach der Errichtung der Arbeiter-undBauern-Macht voll wirksam wurde: Zum Unterschied von imperialistischen Verhältnissen vollzog sich die Entwicklung des subjektiven Faktors der revolutionären Umwälzung nicht im Gegensatz zu und im unversöhnlichen Klassenkampf mit der Staatsmacht, sondern in Wechselwirkung mit und aktiv gefördert von dieser. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die Machtfrage unter den Bedingungen der revolutionär-demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern noch nicht vollständig gelöst war. Die neuen Machtverhältnisse wiesen noch Momente der Instabilität auf, der Einfluß reaktionärer bürgerlicher Kräfte war in Teilen des Staatsapparates und in anderen Bereichen noch beträchtlich. Die Existenz neuer Staatsorgane wirkte sich in
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dem Maße stimulierend auf die Entwicklung des subjektiven Faktors aus, wie es gelang, die Positionen der Arbeiterklasse auszubauen und eine wachsende Zahl von Werktätigen in die staatliche Tätigkeit einzubeziehen. Andererseits stellte dies neue Anforderungen an den subjektiven Faktor. Die Positionen der Arbeiterklasse mußten ausgebaut, die fachliche und politische Qualifikation der Mitarbeiter des Staatsapparates systematisch erhöht und ein neues Verhältnis der Werktätigen zur Staatsmacht herbeigeführt werden. Erneut bestätigte sich die Richtigkeit der Feststellung Lenins: „Der Staat, der jahrhundertelang ein Organ zur Unterjochung und Ausplünderung des Volkes war, hat uns als Erbe den größten Haß und das Mißtrauen der Massen gegen alles Staatliche hinterlassen. Das zu überwinden ist eine sehr schwierige Aufgabe, der nur die Sowjetmacht gewachsen ist, die aber auch von ihr längere Zeit und gewaltige Beharrlichkeit fordert."37 Eine weitere qualitativ neue objektive Bedingung war der volkseigene Sektor in der Industrie. Er bildete gemeinsam mit den SAG-Betrieben „die entscheidende ökonomische Basis, um die Hegemonie der Arbeiterklasse zu festigen, die demokratischen Rechte des Volkes zu verwirklichen und die Produktivkräfte im Interesse der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen planmäßig zu entfalten".33 Ebensowenig darf jedoch übersehen werden, daß die Festigimg des volkseigenen Sektors große Anstrengungen erforderte, daß der kapitalistische Sektor stark war und unter den kleinen Warenproduzenten Tendenzen einer neuen kapitalistischen Klassendifferenzierung wirkten. Hinzu kamen die schweren materiellen Lebensbedingungen der Werktätigen mit ihren Auswirkungen auf die Arbeitsproduktivität, die Arbeitsmoral und -disziplin. Der volkseigene Sektor in der Industrie wirkte sich in dem Maße stimulierend auf die Entwicklung des subjektiven Faktors aus, wie es gelang, seine Überlegenheit gegenüber dem kapitalistischen Sektor zu beweisen, die neuen Produktionsverhältnisse der gegenseitigen Hilfe und kameradschaftlichen Zusammenarbeit zu festigen und die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen Schritt um Schritt zu verbessern. Dies wiederum stellte, ebenso wie die Existenz der neuen Staatsmacht, neue Anforderungen an den subjektiven Faktor, besonders an die marxistisch-leninistische Partei. Die für den volkseigenen Sektor in der Industrie charakteristische Dialektik von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor kam besonders in der Entwicklung der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung zum Ausdruck. Diese den neuen Inhalt der Arbeiterbewegung widerspiegelnde Form der Massenaktivität war durch das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln objektiv determiniert und nur auf dieser Grundlage möglich. Nicht zufällig wurden die ersten Wettbewerbe in SAG-Betrieben durchgeführt, der damals entwickeltsten Form des gesellschaftlichen Eigentums mit dem höchsten Konzentrationsgrad, an deren Spitze erfahrene sozialistische Wirtschaftsfachleute standen. Die praktische Erfahrung der Arbeiter, daß sich größere Arbeitsleistung auch persönlich lohnt, war ein wesentliches Motiv für das Ausbreiten der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung. Gleichzeitig verkörperte diese Bewegung den subjektiven Faktor in der Einheit aller seiner Hauptelemente wie kaum eine Bewegung vorher: die Führung durch die marxistisch-leninistische Partei, die Organisiertheit der Arbeiterklasse, das revolutionäre Bewußtsein der fortgeschrittensten Arbeiter, ihre intellektuellen und moralischen Qualitäten, ihren Willen und ihre Bereitschaft zur Lösung der herangereiften Aufgaben. Und schließlich machte die Aktivistenbewegung deutlich, daß der subjektive Faktor überaus nachhaltig auf die Entwicklung der objektiven Bedingungen, speziell der ökonomischen und sozialen Verhältnisse, einzuwirken vermag. Seine Rolle war schlechthin entscheidend, als es galt, den „Teufelskreis" Hunger - niedrige Arbeitsproduktivität - Hunger zu durchbrechen.
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Objektive Bedingungen einer antiimperialistisch-demokratischen Umwälzung, Merkmale einer revolutionären Situation, waren anfangs auch in den deutschen Westzonen vorhanden bzw. reiften dort heran. Sowohl ihr Ausreifen als auch die Formierung des subjektiven Faktors wurden jedoch vor allem durch das dem Wesen nach konterrevolutionäre Wirken der imperialistischen Besatzungsmächte unterbunden.39 Diese verwehrten nicht nur der Arbeiterklasse und deren Verbündeten die Möglichkeit, ihre Kräfte frei zu entfalten und trugen maßgeblich dazu bei, daß die zentrale Frage bei der Entwicklung des subjektiven Faktors, die rasche Erhöhung der Organisiertheit und Bewußtheit der Arbeiterklasse, die Überwindung ihrer Spaltung, die Herstellung ihrer Einheit auf revolutionärer Grundlage, ungelöst blieb, sondern sie ermöglichten es im Gegenteil der bis dahin herrschenden Klasse, sich neu zu formieren, die akute Krise ihrer Macht zu überwinden, ihre Politik und ihre Herrschaftsmethoden den veränderten Bedingungen anzupassen. Vor allem sorgten die imperialistischen Besatzungsmächte im engen Zusammenwirken mit der deutschen Monopolbourgeoisie und rechtsopportunistischen Führern dafür, daß die Erhöhung der Massenaktivität - die unbestreitbar auch in den Klassenkämpfen der ersten Nachkriegsjahre in den Westzonen zu konstatieren war! - niemals in die praktische Durchführung grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen umschlug, sondern in Bahnen gelenkt wurde, die die alten Macht- und Eigentumsverhältnisse nicht unmittelbar gefährdeten. Dadurch gestalteten sich die Bedingungen für die Entwicklung des subjektiven Faktors völlig entgegengesetzt zu denen in der sowjetischen Besatzungszone. Es fehlte der Stimulus grundlegend veränderter objektiver Bedingungen und der Praxis der revolutionären Umwälzung. Die Entwicklung des subjektiven Faktors mußte sich im Gegensatz zur Staatsmacht vollziehen, die alles tat, um die Westzonen gegen die fortschrittliche Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone abzuschirmen. Dies waren wesentliche Ursachen dafür, daß die Entwicklung des subjektiven Faktors in den Westzonen bald weit hinter der in der sowjetischen Besatzungszone zurückblieb. Die Frage, ob es eine reale Alternative zur tatsächlichen Entwicklung in den Westzonen gegeben hat, findet auch das zunehmende Interesse jüngerer Historiker der BRD, die der offiziellen Geschichtsschreibung kritisch gegenüberstehen, aber nicht den historischen Materialismus anerkennen/'0 Sie förderten wertvolles Material über die antifaschistische Bewegung im Frühjahr und Sommer 1945 in Hauptzentren der westlichen Besatzungszonen zutage, die bestätigen, daß es auch in den Westzonen breite und vielfältige Aktivitäten insbesondere der Arbeiterklasse für eine antifaschistischdemokratische Erneuerung gegeben hat. Die Verfasser sehen jedoch den entscheidenden Ansatzpunkt für eine progressive Entwicklung in einer sog. Basisdemokratie, die vor allem in den Antifa-Ausschüssen zum Ausdruck gekommen sei, und kritisieren die KPD, weil diese in den Antifa-Ausschüssen eine organisatorische Übergangsform zur Mobilisierung der Massen, nicht aber den Hebel zur revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft sah. G. Benser stellt hierzu richtig fest: »Wenn man nicht dem Bernsteinschen Motto huldigt, daß die Bewegung alles, das Ziel nichts ist, dann muß man gerade anhand der Arbeiterinitiative 1945 in den westlichen Besatzungszonen zu dem Schluß gelangen, daß ohne Führung durch eine marxistisch-leninistische Partei eine solch relativ breite und aktive Bewegung sowohl an ihren mächtigen Gegnern als auch an ihrer organisatorischen Zersplitterung und politisch-ideologischen Unausgereiftheit scheitern mußte . . . Wenn die KPD statt dessen die Aktionseinheit von KPD und SPD und schließlich deren Vereinigung, einen einheitlichen freien Gewerkschaftsbund" und andere demokratische Organisations- und Bündnisformen „als den geeigneten Weg ansah, so hat ihr - wie die gegensätzliche Entwicklung der DDR und der BRD be37
zeugt - die Geschichte recht gegeben."41 Einmal mehr erweist sich der Versuch, die elementare Massenaktivität zu verabsolutieren und die Notwendigkeit bewußten und organisierten Handelns zu bestreiten, als ein Irrweg. Und erneut wird deutlich, dag der Kristallisationspunkt aller Auseinandersetzungen um die Dialektik von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor die Parteifrage ist. Infolge der restaurativen Entwicklung in den Westzonen, die unmittelbar mit dem kalten Krieg des Imperialismus verbunden war, sah sich die SED mit der Tatsache konfrontiert, »dag die Eigenständigkeit der inneren Entwicklung der westlichen Besatzungszonen einerseits und der sowjetischen Besatzungszone andererseits immer größer wurde. Und mit der Eigenständigkeit wuchs die Gegensätzlichkeit" 42 Die SED nahm jedoch diese objektive Tendenz, die später als Prozeß der Abgrenzung bezeichnet wurde, nicht als unvermeidlich und unumkehrbar hin. Noch mehrere Jahre schätzte sie die Bedingungen in den Westzonen bzw. in der BRD so ein, daß reale, wenngleich in der Tendenz schwindende Möglichkeiten für eine antiimperialistische Alternative bestanden. Um diese Möglichkeiten zur Wirklichkeit werden zu lassen, hielt sie sowohl den Ausbau der neuen objektiven Bedingungen, d. h. der antifaschistisch-demokratischen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone, als auch die Entwicklung des subjektiven Faktors für erforderlich. Von ihr gingen deshalb viele Initiativen aus im Kampf für die Aktionseinheit mit den Arbeitern in den Westzonen und für den Zusammenschluß der patriotischen Kräfte in allen Besatzungszonen. Während größere Erfolge in den Westzonen versagt blieben, bewährte sich die organisatorische Form, in deren Rahmen der Kampf um einen einheitlichen demokratischen deutschen Staat bis zum Herbst 1949 hauptsächlich geführt wurde, die Volkskongreßbewegung für Einheit und gerechten Frieden, in der sowjetischen Besatzungszone als politische Form des breiten Bündnisses der Arbeiterklasse mit den werktätigen Bauern, der Intelligenz, den Handwerkern und Gewerbetreibenden bis zu Teilen des kleinen und mittleren Bürgertums. Dank der Führung durch die einheitlich handelnde Arbeiterklasse förderte die Volkskongreßbewegung — ebenso wie der Block der Parteien und Massenorganisationen die Mobilisierung der Verbündeten der Arbeiterklasse für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung und später für den Übergang zur sozialistischen Revolution. Sie zeugte von der zunehmenden Verbreiterung des subjektiven Faktors der revolutionären Umwälzung. Das gleiche trifft zu auf die Bildung der kleinbürgerlich-demokratischen Parteien DBD und NDPD im Jahre 1948, die - im Unterschied zu CDU und LDPD bereits auf dem Boden grundlegend veränderter objektiver Bedingungen, d. h. der neugeschaffenen gesellschaftlichen Verhältnisse, entstanden und von Anfang an die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei anerkannten. Die Verbreiterung des subjektiven Faktors war die dominierende Tendenz bei der Weiterführung der revolutionären Umwälzung. Auch in diesem Sinne ist es berechtigt, von einem einheitlichen und kontinuierlichen revolutionären Prozeß zu sprechen.43 Doch darf diese Verbreiterung nicht in einem mechanischen, undialektischen Sinne verstanden werden. Die politischen, ökonomischen und ideologischen Machtpositionen, über die reaktionäre bürgerliche Kräfte noch verfügten, der kalte Krieg des Imperialismus, die materielle und geistige Hinterlassenschaft der jahrzehntelangen imperialistischen Herrschaft und andere Momente wirkten der Entwicklung des subjektiven Faktors entgegen, gestalteten diese widerspruchsvoll und kompliziert. Die Entwicklung des subjektiven Faktors war von langwierigen und heftigen Auseinandersetzungen mit reaktionären Kräften begleitet, die vergeblich das Fortschreiten des revolutionären Prozesses aufzuhalten suchten. Diese im politischen, ökonomischen und ideologischen 38
Bereich geführten Auseinandersetzungen waren ein Ausdruck des Klassenkampfes für und wider die antifaschistisch-demokratische Umwälzung als notwendiger Etappe auf dem Wege zum Sozialismus.
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Die Gründung der DDR und der Beginn des planmäßigen Aufbaus des Sozialismus
.Die Errichtimg der Arbeiter-und Bauern-Macht und die Inangriffnahme des ersten Fünfjahrplans zeugten davon, daß in der DDR eine neue geschichtliche Etappe begonnen hatte: der Aufbau der Grundlagen des Sozialismus."44 Der Begriff „Beginn" der sozialistischen Etappe (oder synonym: der sozialistischen Revolution oder des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus) ist nicht so zu verstehen, als habe von einem Tag zum anderen die neue Entwicklungsetappe eingesetzt. Es handelt sich vielmehr um ein fließendes Hinüberwachsen. Dies ist bedingt durch den Übergangscharakter der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung, der wiederum bestimmt war durch die äußerst enge Verflechtung des Kampfes um (antiimperialistische) Demokratie und des Kampfes um Sozialismus. Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung entwickelte sich objektiv in dem Maße zur sozialistischen Revolution weiter, wie die Arbeiterklasse unter Führung ihrer revolutionären Partei ihre Hegemonie verwirklichte, wie sie ihre Machtpositionen ausbaute und dabei das Bündnis mit den anderen Klassen und Schichten festigte. Die SED entsprach in ihrer Politik dieser Dialektik, indem sie in schöpferischer Anwendung der Leninschen Revolutionstheorie die antifaschistisch-demokratische Umwälzung bewußt mit dem Kampf um den Sozialismus verband. „Unter ständiger Berücksichtigung des Erreichten und bei genauer Analyse des Bewußtseinsstandes der Massen", erklärte Erich Honecker, »leitete unsere Partei Schritt für Schritt die erste Etappe der Revolution in die zweite hinüber."45 Die Entwicklung des subjektiven Faktors für die Aufgaben der sozialistischen Revolution begann demzufolge bereits in und mit der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung. Dabei stellen nach der Gründung der SED die 1948 und Anfang 1949 vom Parteivorstand bzw. von der 1. Parteikonferenz der SED beschlossenen Maßnahmen zweifellos den wichtigsten Einschnitt dar. Zu diesem Zeitpunkt, als die wesentlichen Aufgaben der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung gelöst waren, „ging es um die Alternative: Entweder allseitige Festigung der antifaschistisch-demokratischen Verhältnisse und planmäßige Weiterführung der revolutionären Umwälzung auf dem Wege zum Sozialismus oder Preisgabe der antiimperialistisch-demokratischen Errungenschaften und Restauration der kapitalistischen Ausbeuterordnung." 46 Dienten vor allem der Zweijahrplan 1949/50 und die Festigung der neuen Staatsorgane dem Ausbau der objektiven Bedingungen für die Weiterführung der revolutionären Umwälzung, so entsprachen dem im Hinblick auf den Reifeprozeß des subjektiven Faktors vor allem die beschleunigte Entwicklung der SED auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus, aber auch die Entfaltung der Aktivistenbewegung, die Erhöhimg der Rolle der Gewerkschaften, die Förderung von Wissenschaft und Kultur sowie die Intensivierung der Blockarbeit und die Entwicklung der Volkskongreßbewegung. Damit zeichnete sich zugleich die unmittelbare Formierung der Kräfte für die sozialistische Revolution ab. Erneut wurde der auf neuer Stufe herangereifte Widerspruch zwischen objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor vor allem durch das Wirken der marxistisch-leninistischen Partei überwunden, war es also die den veränderten objektiven Bedingungen entsprechende Entwicklung des subjektiven Faktors, die letztlich den Ausschlag gab. 4
Übergangsperiode
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daß im Ringen um die 1948/49 gegebene Alternative die Entscheidung zugunsten der sozialistischen Perspektive fiel. Welche objektiven Bedingungen waren charakteristisch für den Übergang zum planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der DDR? Die entscheidende objektive Bedingung war die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, die als sozialistischer Staat entstand, der die Funktionen der Diktatur des Proletariats auszuüben begann. Damit verfügte die Arbeiterklasse unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei über das Hauptinstrument beim Aufbau des Sozialismus: zur Durchführung der sozialistischen Umgestaltungen auf politischem, wirtschaftlichem und geistig-kulturellem Gebiet, zum Schutz und zur Verteidigung der revolutionären Errungenschaften und zur Unterdrückung des Widerstandes der gestürzten Ausbeuterklassen, zur Festigung der Freundschaftsbeziehungen mit der UdSSR und den anderen Staaten des sozialistischen Weltsystems.47 Resultat des geschichtsgestaltenden Handelns der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten, wirkte der sozialistische Staat zugleich in mannigfacher Weise auf die weitere Erhöhung der Bewußtheit und Organisiertheit der Massen, ihrer intellektuellen und moralischen Qualitäten ein: durch das Einbeziehen einer wachsenden Zahl von Arbeitern und anderen Werktätigen in die unmittelbare staatliche Tätigkeit, durch die sozialistische Wirtschaftsplanung und die damit verbundene Einführung sozialistischer Formen und Methoden der Arbeitsorganisation, durch die Förderung der Aktivistenund Wettbewerbsbewegung, durch die Lösung wichtiger Aufgaben der sozialistischen Kulturrevolution. Mit der Errichtung und Festigung der Diktatur des Proletariats wurde der für imperialistische Verhältnisse charakteristische antagonistische Gegensatz zwischen Staatsmacht und subjektivem Faktor der revolutionären Umwälzung endgültig überwunden. Beide entwickelten sich in enger, untrennbarer Wechselbeziehung, die auf der prinzipiellen Interessenübereinstimmung beruht und vor allem durch die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei gewährleistet wird. Das schloß die Möglichkeit von Widersprüchen zwischen Staat und Massen nicht aus. Auch weiterhin waren, wie Lenin vorausgesagt hatte, große Anstrengungen erforderlich, die Einsicht in das qualitativ neue Verhältnis zwischen Staat und Volk im Bewußtsein der überwiegenden Mehrheit der Werktätigen durchzusetzen. Der sozialistische Sektor der Volkswirtschaft, einschließlich der SAG-Betriebe, hatte 1950 nicht nur in der Industrie, sondern auch in der gesamten Volkswirtschaft das Übergewicht. Er erzeugte etwa 60 Prozent des gesellschaftlichen Gesamtprodukts. 48 Der sozialistische Sektor erstreckte sich mit dem Ausbau der MAS, der Schaffung des staatlichen Großhandels und der Erweiterung des staatlichen und genossenschaftlichen Einzelhandels nunmehr auf alle wesentlichen Wirtschaftszweige. Dies bedeutete eine wesentliche Stärkung der materiellen Grundlage für die Entwicklung des subjektiven Faktors, eine Tatsache, die in der historischen Literatur nicht immer genügend beachtet wird. Dem hohen Industrialisierungsgrad der DDR und der Stärke des sozialistischen Sektors entsprachen das bedeutende Gewicht der Arbeiterklasse in der Klassenstruktur und ihre Konzentration in der sozialistischen Großindustrie. Die Arbeiterklasse war im Verlaufe der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung stark angewachsen. Ihre Zahl erhöhte sich von 3 Mill. Ende 1945 auf 4,126 Mill. im Jahre 1950.49 Ihr Gewicht in der Klassenstruktur war bei der Inangriffnahme der sozialistischen Revolution in der DDR weitaus größer als - mit Ausnahme der CSR - in den anderen Ländern, die zur gleichen Zeit den Weg des Sozialismus beschritten. G. Dittrich betont zu Recht, daß dies zu den günstigen Bedingungen des sozialistischen Aufbaus in der DDR gehörte. 40
.Der hohe Anteil der Arbeiterklasse an der Bevölkerung der DDR bedeutete . . ., daß die Partei und die sozialistische Staatsmacht die Möglichkeit hatten, die überwiegende Mehrheit der Werktätigen als organisierte Kraft in den sozialistischen Aufbau einzubeziehen - eine Aufgabe, die unter den Bedingungen des Überwiegens von Vertretern der zersplitterten kleinen Warenproduktion in der Klassen- und Sozialstruktur bedeutend schwerer zu meistern war."50 Im Klassenkampf wirkte dies „als ein den Reifeprozeß des subjektiven Faktors fördernder Umstand".51 Dittrich wirft die u. E. zu bejahende Frage auf, inwieweit dieser Umstand bestimmte Unterschiede im Reifegrad des subjektiven Faktors - verglichen mit den volksdemokratischen Ländern die durch das Fehlen einer breiten bewaffneten antifaschistischen Widerstandsbewegung bedingt waren, im Verlaufe der Übergangsperiode auszugleichen vermochte. Diese in ihrem Gewicht oft unterschätzten günstigen inneren Bedingungen für den sozialistischen Aufbau wurden jedoch in ihrer Wirksamkeit z. T. eingeschränkt durch die schwerwiegenden Disproportionen in der Volkswirtschaft der DDR und die im Vergleich zu anderen sozialistischen Ländern größeren Einwirkungsmöglichkeiten des Imperialismus. Deshalb waren große Anstrengungen erforderlich, um eine moderne, leistungsfähige sozialistische Volkswirtschaft aufzubauen, auf ihrer Grundlage die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen kontinuierlich zu verbessern und so die Vorzüge des Sozialismus in der unmittelbaren Konfrontation mit dem Imperialismus zur Geltung zu bringen. Eine wesentliche objektive Bedingung bei der Inangriffnahme der sozialistischen Umgestaltung in der DDR waren die auf dem sozialistischen Internationalismus beruhenden Beziehungen zur UdSSR und zu anderen sozialistischen Staaten. Von besonderer Bedeutung erwies sich die Mitgliedschaft der DDR im RGW. Die Abwehr des imperialistischen Wirtschaftskrieges und die allmähliche Überwindung der Disproportionen in der Industrie der DDR waren nur durch den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zur UdSSR und den anderen RGW-Staaten möglich. Die Errichtung und Festigung der sozialistischen Staatsmacht, die Dominanz des sozialistischen Sektors in der Volkswirtschaft und das bedeutende Gewicht der Arbeiterklasse in der Klassenstruktur sowie die Verankerung der DDR im sozialistischen Weltsystem waren die entscheidenden objektiven Bedingungen für den Übergang zur sozialistischen Revolution und zum sozialistischen Aufbau. Diese Bedingungen konnten aber wiederum nur in dem Maße genutzt werden, wie es gelang, den subjektiven Faktor zu entwickeln, ihn zur Lösung der herangereiften neuen Aufgaben zu befähigen. Dem entsprachen die Beschlüsse des III. Parteitages der SED im Juli 1950, die in ihrer Gesamtheit die strategische Konzeption der Partei für die neue Entwicklungsetappe verkörperten. Sie waren darauf gerichtet, sowohl die neuen objektiven Bedingungen planmäßig zu festigen und auszubauen (Entwurf für den ersten Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR), als auch den zu ihrer effektivsten Nutzung erforderlichen Reifegrad des subjektiven Faktors zu gewährleisten. Der III. Parteitag bezeichnete ausdrücklich die weitere Erhöhung der Aktivität der Arbeiterklasse als „die wichtigste Voraussetzung" für alle zukünftigen Erfolge.52 Er faßte grundlegende Beschlüsse über die weitere Entwicklung der SED als marxistisch-leninistische Partei nach dem Vorbild der KPdSU und die Verwirklichung ihrer Führungsrolle auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens. Er beschloß Maßnahmen zur Durchführung wesentlicher Aufgaben der sozialistischen Kulturrevolution sowie zur Festigung des Bündnisses der Arbeiterklasse mit den werktätigen Bauern, der Intelligenz und den anderen Werktätigen. In der „Geschichte der SED" wird nachgewiesen, wie, unter welchen Einflüssen sich 4*
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der subjektive Faktor entwickelte, so daß die 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 feststellen konnte: „Die politischen und die ökonomischen Bedingungen sowie das Bewußtsein der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen sind soweit entwickelt, daß der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe in der Deutschen Demokratischen Republik geworden ist." 53 Hier seien besonders folgende Momente hervorgehoben: Als wichtigstes Kettenglied in der Entwicklung des subjektiven Faktors erwies sich erneut die Entwicklung der SED selbst, die Festigung der politisch-ideologischen Einheit und Geschlossenheit ihrer Reihen, die umfassende Durchsetzimg des MarxismusLeninismus in der Partei, die Befähigung der Mitglieder, ihn in der Praxis anzuwenden, die Verwirklichung der Führungsrolle der SED auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens. Der Reifeprozeß des subjektiven Faktors wurde wesentlich dadurch gefördert, daß nach der Gründung der DDR das Bündnis zwischen SED und KPdSU zur Kampfgemeinschaft zweier regierender marxistisch-leninistischer Parteien wurde, auf deren Grundlage sich stabile und dauerhafte staatliche, außenpolitische, wirtschaftliche, wissenschaftlich-technische, kulturelle und später auch militärische Beziehungen zwischen DDR und UdSSR entwickelten. 54 Die beginnende Zusammenarbeit zwischen Aktivisten und Neuerern beider Länder und der Austausch von Arbeiterdelegationen machten deutlich, daß den Beziehungen zwischen den marxistisch-leninistischen Parteien und den sozialistischen Staaten die Tendenz eigen war, sich zu Beziehungen zwischen den Völkern auszuweiten. 55 Eine entscheidende ideologische Voraussetzung, um diese Tendenz durchzusetzen, bestand darin, daß dank der beharrlichen politisch-ideologischen Arbeit der SED die Freundschaft mit der Sowjetunion das Denken und Handeln einer wachsenden Zahl von Arbeitern und anderen Werktätigen bestimmte. Die erhöhte Aktivität der Arbeiterklasse kam besonders in der Entwicklung der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung zum Ausdruck, die zur sozialistischen Massenbewegung wurde,- des weiteren in den Aktionen zum Schutz und zur Verteidigung der revolutionären Errungenschaften, in der Bewegung des Lernens, zur Aneignung des Marxismus-Leninismus, der Erfahrungen der Sowjetunion und der kulturellen Leistungen der Vergangenheit, aber auch in den großen Anstrengungen zur beruflichen Qualifikation. Ein wichtiger Gradmesser für die wachsende Bewußtheit und Organisiertheit der Arbeiterklasse bei der Inangriffnahme der sozialistischen Revolution war die weitere Entwicklung der Gewerkschaften als Schulen des Sozialismus (III. FDGB-Kongreß 1950). Auch in den Bündnisbeziehungen gab es gewichtige neue Momente. Es entstand die Nationale Front, die zur umfassendsten Form des Bündnisses der Arbeiterklasse mit anderen Klassen und Schichten bis zu Teilen des Bürgertums wurde. Das Bündnis der Blockparteien konnte wesentlich gefestigt werden. Im Ergebnis z. T. langwieriger Auseinandersetzungen erkannten alle mit der SED verbündeten Parteien die Hegemonie der Arbeiterklasse und ihrer Partei an. Unter ihren Mitgliedern und Anhängern begann sich mehr und mehr die Erkenntnis durchzusetzen, daß die allseitige Stärkung der DDR auch ihren Lebensinteressen entspricht. Doch die Entwicklung des subjektiven Faktors vollzog sich auch weiterhin ungleichmäßig. Während sich der Grad der Bewußtheit und Organisiertheit der fortgeschrittensten Arbeiter und Jugendlichen in den Anfangsjahren des sozialistischen Aufbaus verhältnismäßig rasch erhöhte, nahm die Gewinnung der Bündnispartner der Arbeiterklasse für die konsequente Weiterführung der revolutionären Umwälzung längere Zeit in Anspruch. Dies war ebenfalls auf bestimmte objektive Bedingungen, genauer: auf deren klassenbedingte Reflektion, zurückzuführen. L. Hoyer, der die von progressiven
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LDPD-Politikern Ende der vierziger/Anfang der fünfziger Jahre vertretenen Auffassungen, .die Revolution zu beenden", untersuchte, stellte richtig fest, daß solche Auffassungen die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse „vom Standpunkt der MittelSchichten, der Kleinbesitzer an Produktionsmitteln" widerspiegelten. «Das Bestehende, so wie es war, sollte bewahrt, konserviert werden, kam es doch dem Antimonopolismus der kleinbürgerlichen Schichten und ihrem Streben nach privatem Besitz an Produktionsmitteln gleichermaßen entgegen."56 Den subjektiven Faktor weiterzuentwickeln und insbesondere die Verbündeten der Arbeiterklasse für den Sozialismus zu gewinnen, war deshalb nicht anders möglich als durch die weitere progressive Veränderung der objektiven Bedingungen, durch die eigenen praktischen Erfahrungen der Bündnispartner und die politisch-ideologische Überzeugungsarbeit „Die SED berücksichtigte bei allen notwendigen Schritten zur revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft stets die objektiven und subjektiven Entwicklungsbedingungen der DDR, besonders den Bewußtseinsstand der Werktätigen, aber auch die Erfordernisse des Klassenkampfes gegen den Imperialismus und für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf antiimperialistisch-demokratischer Grundlage."57 Sowohl die objektiven Bedingungen und die Erfordernisse des Kampfes gegen den Imperialismus als auch der Reifegrad des subjektiven Faktors, besonders im Hinblick auf die Verbündeten der Arbeiterklasse, veranlagten die SED, bis zu ihrer 2. Parteikonferenz im Jahre 1952 die zu bewältigenden Aufgaben noch nicht direkt als sozialistische zu charakterisieren. „Mit ihrer Politik und ideologischen Arbeit verfolgte sie das Ziel, die Masse der Werktätigen allmählich anhand ihrer eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen davon zu überzeugen, daß es galt, den revolutionären Umwälzungsprozeß konsequent weiterzuführen." 58 Zugleich wurden die objektiven Bedingungen des sozialistischen Aufbaus weiter ausgebaut (Festigung des sozialistischen Sektors in der Industrie sowie Ausbau der MAS, Stärkung der sozialistischen Staatsmacht besonders durch die 1952 eingeleiteten Maßnahmen, Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion und zu anderen Staaten des RGW). Erst nachdem alle notwendigen objektiven Bedingungen und subjektiven Voraussetzungen gegeben waren, beschloß die SED auf ihrer 2. Parteikonferenz den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus „auf breiter Front",59 in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Die ungleichmäßige Entwicklung des subjektiven Faktors war für die weitere Errichtung der Grundlagen des Sozialismus ebenfalls charakteristisch. Das traf auch auf die einzelnen Gruppen der Arbeiterklasse zu. So steht außer Zweifel, daß sich der Grad der Bewußtheit und Organisiertheit der Arbeiterklasse am langsamsten bei jenem nicht geringen Teil der Arbeiterklasse erhöhte, der in privatkapitalistischen Betrieben beschäftigt war. 60 Die Verschärfung des Klassenkampfes, aber auch Entscheidungen, die sich als fehlerhaft erwiesen, weil sie die objektiven Bedingungen und den subjektiven Faktor ungenügend berücksichtigten - so im Frühjahr 1953 - , führten zeitweilig zu Rückschlägen, „. . . hatten zur Folge, daß sich das Verhältnis der Partei zu den werktätigen Massen lockerte".61 Auf die gesamte Übergangsperiode bezogen, waren es vor allem folgende Momente, die die Entwicklung des subjektiven Faktors erschwerten und diese ungleichmäßig, widerspruchsvoll und kompliziert gestalteten. Erstens die Existenz der Sektoren des Kapitalismus und der kleinen Warenproduktion. Sie bildeten die materielle Grundlage für die Reproduktion bzw. das Neuentstehen kapitalistischer Eigentums- und Produktionsverhältnisse, konservierten oder reaktivierten überholte Ansichten und Verhaltensweisen und wirkten so der Erhöhung der Organisiertheit und Bewußtheit der Werktätigen entgegen. 43
Da sich, zweitens, der Sozialismus noch in seinem Entstehungsstadium befand, waren überholte Verhaltensweisen, Sitten und Vorstellungen noch tief verwurzelt und könnten leicht aktiviert werden. Situationen zugespitzten Klassenkampfes und auch besonderer materieller Schwierigkeiten, beispielsweise das Auftreten größerer Versörgungsprobleme, hatten deshalb oft zur Folge, daß sich die ungleichmäßige Entwicklung des subjektiven Faktors verstärkte, daß für Teile der kleinbürgerlichen Schichten, aber auch der Arbeiterklasse bereits errungene Positionen wieder fragwürdig wurden. Beides waren Momente, die in unterschiedlichem Grade auch auf andere Länder in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus zutreffen. Besonderheiten der DDR waren vor allem der relativ starke kapitalistische Sektor und die ideologischen Nachwirkungen der imperialistisch-faschistischen Vergangenheit. Andere Momente ergaben sich unmittelbar aus den spezifischen Bedingungen der DDR: Drittens die Folgen des Krieges und der Spaltung Deutschlands durch den Imperialismus. Die Beseitigung der schweren Kriegsschäden und der außerordentlichen volkswirtschaftlichen Disproportionen, aber auch die Pflicht zur Wiedergutmachung, erforderten die Anspannung aller Kräfte. Sie ließen es nicht zu, die Lebensbedingungen der Werktätigen so rasch zu verbessern, wie das wünschenswert gewesen wäre. Das erschwerte insbesondere die Herausbildung einer neuen Einstellung zur Arbeit. Viertens der Einfluß des Imperialismus, der den kalten Krieg mit besonderer Schärfe gegen die antifaschistisch-demokratische Ordnung bzw. die DDR führte. Dabei nutzte er die Existenz Westberlins als „Frontstadt" des kalten Krieges und die offene Grenze zwischen der DDR und Westberlin ebenso rücksichtslos für seine Zwecke aus wie die lange Zeit bestehende Abhängigkeit der Wirtschaft der DDR von der der BRD sowie verwandtschaftliche und persönliche Beziehungen. Die konterrevolutionäre Einflußnahme des Imperialismus wirkte verschärfend auf die der Übergangsperiode eigenen Widersprüche. Sie erschwerte die Entwicklung des Bewußtseins der Menschen, wie dies insbesondere im illegalen Verlassen der DDR zum Ausdruck kam. Eine wesentliche Besonderheit der DDR, verglichen mit den meisten Volksdemokratien, bestand darin, daß infolge der Spaltungspolitik des Imperialismus dem nationalen antiimperialistischen Kampf — in der Form des Kampfes für einen einheitlichen demokratischen deutschen Staat - während der Übergangsperiode außerordentliche Bedeutung zukam (in den meisten Volksdemokratien war das vorher, in den Jahren des antifaschistischen Befreiungskampfes der Fall gewesen). Das bedeutete, daß sich der Klassenkampf in der Übergangsperiode in hohem Maße unmittelbar gegen den USA-Imperialismus und den wiedererstandenen Imperialismus in der BRD richtete, die auch den gestürzten Ausbeuterklassen in der DDR und ihren Parteigängern starken Rückhalt gaben. Diese Besonderheit wirkte sich vielgestaltig auf die Entwicklung des subjektiven Faktors aus. Zweifellos förderte der nationale Kampf den Zusammenschluß aller demokratischen Kräfte in der DDR, half den Verbündeten der Arbeiterklasse, sich durch ihre eigenen Erfahrungen vom Einfluß der Bourgeoisie zu lösen. Für große Teile der kleinbürgerlichen Schichten, aber auch für viele Arbeiter war das Eintreten für nationale Ziele ein wichtiges und unter den damaligen Bedingungen notwendiges Stadium, um zu sozialistischen Positionen zu gelangen. Diese den subjektiven Faktor stimulierende Wirkung hatte der nationale Kampf aber nicht automatisch, sondern vor allem unter dem politischen und ideologischen Einfluß der Arbeiterklasse und ihrer Partei, die dem nationalen Kampf Weg und Ziel wiesen. Nicht zuletzt deshalb, weil sich die SED auch als aktivste, konsequenteste und führende Kraft im nationalen Kampf bewährte, er44
warb sie sich Ansehen und Vertrauen bei einer wachsenden Zahl von Arbeitern und anderen Werktätigen. Zuweilen wird die Frage gestellt, ob vom nationalen Kampf nicht auch hemmende Wirkungen auf die Entwicklung des subjektiven Faktors ausgingen, ob nicht beispielsweise die stark nationale Motivierung für die Notwendigkeit der Gründung der DDR oder des planmäßigen Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus die Herausbildung und Festigung des sozialistischen Bewußtseins der Werktätigen verzögert hätten. Diese Frage ist nicht von der Hand zu weisen. So macht L. Hoyer darauf aufmerksam, daß es für die kleinbürgerlichen Demokraten in der LDPD kompliziert war, „den sozialen Inhalt der nationalen Frage zu erfassen. Sie unterstützten den Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Partei um die Verwirklichung des strategischen Ziels »einheitliche demokratische Republik', aber der allgemeindemokratische Charakter dieses Kampfes verwehrte es ihnen in gewisser Weise, in das Wesen des sich gleichzeitig auf dem Gebiet der DDR vollziehenden revolutionären Umwälzungsprozesses einzudringen."62 Dies traf sicher nicht nur auf Mitglieder der LDPD, sondern auch auf zahlreiche andere Werktätige zu. Es scheint, daß hemmende Einflüsse des nationalen Kampfes auf die Entwicklung des subjektiven Faktors der revolutionären Umwälzung in dem Maße tendenziell zunahmen, wie der Prozeß der Abgrenzung zwischen DDR und BRD voranschritt und die eine Zeitlang noch bestehenden Möglichkeiten einer antiimperialistisch-demokratischen Entwicklung der BRD dahinschwanden. Die Konsequenz konnte letztlich nur darin bestehen, eine bewußte Politik der Abgrenzung durchzuführen, die den veränderten Bedingungen voll entsprach.
5.
Für den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse
Die Herausbildung sozialistischer Produktionsverhältnisse setzte — in Gestalt von Keim- und Übergangsformen - bereits mit der Schaffung des volkseigenen Sektors in der Industrie ein. „Mit dem volkseigenen Sektor war im bedeutendsten Bereich der Wirtschaft gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln und damit das wichtigste Element der sozialistischen Produktionsverhältnisse entstanden."63 Auch im weiteren Verlauf der Übergangsperiode war die volle Durchsetzung, Erweiterung und Festigung der sozialistischen Produktionsverhältnisse in der volkseigenen Industrie der wichtigste Teilprozeß im Kampf um den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse in der DDR, eine Tatsache, die nicht immer gebührend beachtet wird. Mit der Bildung der ersten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften sowie von Produktionsgenossenschaften des Handwerks im Jahre 1952 begann die entscheidende Etappe bei der sozialistischen Umgestaltung des Sektors der kleinen Warenproduktion. Grundlage dafür war der Leninsche Genossenschaftsplan, den die SED schöpferisch auf die Bedingungen der DDR anwandte. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre reiften in der DDR sowohl die objektiven Bedingungen als auch die subjektiven Voraussetzungen heran, die sozialistischen Produktionsverhältnisse in allen Bereichen der Volkswirtschaft durchzusetzen und damit die Übergangsperiode im wesentlichen abzuschließen. Die 3. Parteikonferenz der SED im Jahre 1956 entwickelte die Grundzüge der strategischen Konzeption für den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse. Sie stützte sich dabei auf bereits vorliegende eigene Erfahrungen, auf die wegweisenden Erkenntnisse des XX. Parteitages der KPdSU und auf Erfahrungen anderer regierender kommunistischer Parteien. Diese Konzeption, die durch die nachfolgenden ZK-Tagungen und vor allem durch den 45
V. Parteitag der SED im Jahre 1958 konkretisiert und vervollkommnet wurde, sah vor, eine leistungsfähige, arbeitsteilig verflochtene sozialistische Volkswirtschaft der DDR zu schaffen und in allen Bereichen der Wirtschaft sozialistische Produktionsverhältnisse durchzusetzen - bei weiterer Steigerung der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion. Dies bedeutete: Gewinnung edler Bauern, einschließlich der Großbauern, für die LPG, aber auch Bildung weiterer PGH, allmähliche sozialistische Umgestaltung des kapitalistischen Sektors in der Industrie durch Aufnahme staatlicher Beteiligung an Privatbetrieben sowie die Form des Kommissionshandels bei Einzelhändlern und Gastwirten. Sozialistische Produktionsverhältnisse sollten also in kontinuierlicher Weiterführung des revolutionären Prozesses durchgesetzt werden, ohne die entschädigungslose Enteignimg kapitalistischer Kräfte, unter Beibehaltung des breiten Bündnisses, unter Anwendung z. T. neuer Formen und Methoden. Die Ausarbeitung und Realisierung einer solchen Konzeption war eine bedeutende theoretische und praktische Leistung. Sie war aber - was in der historischen Literatur zuweilen unterbewertet wurde64 - auch nur möglich angesichts bestimmter objektiver Bedingungen, die von der marxistisch-leninistischen Partei real eingeschätzt und voll genutzt wurden. Unter den äußeren Bedingungen sind an erster Stelle das weiter zugunsten des Sozialismus veränderte internationale Kräfteverhältnis und der Grad der Verankerung der DDR im sozialistischen Weltsystem zu nennen. Insbesondere die Mitgliedschaft der DDR im Warschauer Vertrag und der Staatsvertrag DDR-UdSSR vom September 1955 dokumentierten, daß die Entwicklung der DDR von der des sozialistischen Weltsystems nicht mehr zu trennen war. Dies verstärkte erheblich die bereits in der Anfangsphase der Übergangsperiode gegebenen Möglichkeiten, die sozialistische Umgestaltung auf relativ friedlichem Wege durchzuführen und dabei auch neue Formen und Methoden anzuwenden. Als eine sehr nachdrückliche Demonstration des zugunsten des Sozialismus veränderten internationalen Kräfteverhältnisses, die auf die Bewußtseinsentwicklung großen Einfluß ausübte, erwies sich der Start des ersten künstlichen Erdtrabanten, des Sputnik, durch die Sowjetunion im Oktober 1957. Die grundlegenden inneren Bedingungen für die kontinuierliche Weiterführung des revolutionären Prozesses mit dem Ziel, die Übergangsperiode im wesentlichen abzuschließen, waren vor allem durch die Erfüllung des ersten Fünfjahrplanes geschaffen worden. Das sozialistische Eigentum überwog in Industrie, Bauwesen, Verkehr und Handel und übte den bestimmenden Einfluß auf die gesellschaftliche Entwicklung aus. Der sozialistische Sektor, besonders in der Industrie, war soweit erstarkt, daß auch die materiellen Voraussetzungen gegeben waren für die vollständige Durchsetzung sozialistischer Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft, für die staatliche Beteiligung an Privatbetrieben, für die Bereitstellung der umfangreichen Mittel, die zur Lösung wesentlicher Aufgaben der sozialistischen Kulturrevolution erforderlich waren. Die größere Wirtschaftskraft der DDR, verglichen mit dem Beginn der sozialistischen Revolution, ermöglichte auch die zunehmende Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen der Werktätigen - in dieser Hinsicht wurden 1958 und 1959 die seit dem Beginn der fünfziger Jahre größten Fortschritte erzielt! —,65 was wiederum deren Aktivität stimulierte. Die Entwicklung der sozialistischen Industrie bildete die entscheidende ökonomische Grundlage für das Wachstum der Arbeiterklasse.66 Die Arbeiterklasse wuchs nicht nur quantitativ, sondern es erhöhte sich auch der Grad ihrer Bewußtheit und Organisiertheit. Sie hatte sich als soziale Hauptkraft der sozialistischen Revolution, als machtausübende und zugleich produzierende Klasse bewährt. Sie erwies sich imstande, in zu46
nehmendem Maße aktiven und unmittelbaren Einfluß auf die sozialistische Umgestaltung der anderen Sektoren der Volkswirtschaft zu nehmen.67 Eine wichtige objektive Veränderung war, daß sich unter der Intelligenz der Anteil der neuen, aus den Reihen der Arbeiterklasse und der werktätigen Bauernschaft hervorgegangenen Kräfte wesentlich erhöht hatte. So war von den annähernd 200 000 Hochund Fachschulkadern, die 1955 in der Volkswirtschaft arbeiteten, über die Hälfte in der DDR ausgebildet worden.68 Die sozialistische Intelligenz spielte eine zunehmende Rolle bei der Leitung und Planung der Volkswirtschaft, bei der Entwicklung von Wissenschaft und Technik und bei der Durchführung der sozialistischen Kulturrevolution. Die Herausbildung einer neuen sozialistischen Intelligenz war neben der Schaffung der notwendigen institutionellen und organisatorischen Voraussetzungen eine objektive Bedingung dafür, daß die Arbeiterklasse unter Führung der SED ihre bestimmende Rolle im geistig-kulturellen Leben durchsetzen und daß der Marxismus-Leninismus zur herrschenden Weltanschauung in der DDR werden konnte. Schließlich ist hinzuweisen auf die in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre auf Initiative der SED durchgeführten Maßnahmen zur Festigung der sozialistischen Staatsmacht und zur Entwicklung der sozialistischen Demokratie. Damit entstanden, wie S. Prokop in seiner Dissertation (B) überzeugend nachweist, wesentliche politische Bedingungen für die Durchsetzung sozialistischer Produktionsverhältnisse.69 Für die den veränderten Bedingungen entsprechende Entwicklung des subjektiven Faktors sind vor allem folgende Momente charakteristisch: Die SED erwies sich als fähig, Staat und Wirtschaft planmäßig zu leiten und die Arbeiter-und-Bauern-Macht gegen alle Anschläge zu verteidigen. Sie machte sich in breitem Umfange den Marxismus-Leninismus und die Erfahrungen der KPdSU zu eigen und wandte diese schöpferisch auf die Bedingungen der DDR an. Eine entscheidende subjektive Voraussetzung dafür, nicht nur die überwiegende Mehrheit der Arbeiterklasse für die allseitige Stärkung der DDR zu mobilisieren, sondern auch die Verbündeten der Arbeiterklasse für den Sozialismus zu gewinnen, war die Klärung der sozialistischen Perspektive der DDR nach der Abwehr der massiven imperialistischen Vorstöße in den Jahren 1956/57.70 Die enge Kampfgemeinschaft von SED und KPdSU förderte die Entwicklung des subjektiven Faktors wesentlich. Das Neue bestand darin, daß seit 1957 regelmäßig gemeinsame Beratungen zwischen den Partei- und Staatsführungen beider Länder stattfanden. »Zum Hauptinhalt der Kampfgemeinschaft wurde für die SED die immer konkretere und differenziertere Aneignung der Erfahrungen der KPdSU, ihre Anwendung bei der Schaffimg der Grundlagen des Sozialismus unter den spezifischen Bedingungen der DDR, die Organisierung der Zusammenarbeit beider Staaten auf allen Gebieten und die Entwicklung eines engen Freundschaftsbundes zwischen den Völkern der DDR und der UdSSR."71 Gradmesser für die Entwicklung des subjektiven Faktors waren in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre die Herausbildung der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit, die eng mit dem Wirken der Gewerkschaften verknüpft war, die Entwicklung der Nationalen Front als umfassender sozialistischer Volksbewegung und der FDJ als sozialistischer Jugendverband sowie die Rolle der kleinbürgerlich-demokratischen Parteien, die in zunehmendem Maße mit selbständigen, konstruktiven Vorschlägen zur sozialistischen Umgestaltung hervortraten und einen wichtigen Beitrag dazu leisteten, die kleinbürgerlichen Bevölkerungsschichten für den Sozialismus zu gewinnen. Für die Entwicklung des subjektiven Faktors war die sozialistische Kulturrevolution in der Endphase der Übergangsperiode von gravierender Bedeutimg. Der V. Par47
teitag der SED beschlog deshalb ein umfassendes Programm für die konsequente Weiterführung der sozialistischen Revolution auf dem Gebiet der Ideologie und Kultur. Die SED ging von der Erkenntnis aus: „Je höher die sozialistische Bewußtheit aller Werktätigen, desto rascher das Tempo der sozialistischen Entwicklung und desto größer die Erfolge in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur."72 Unter dem Einfluß der veränderten objektiven Bedingungen, der eigenen Erfahrungen und der politisch-ideologischen Überzeugungsarbeit durch die SED, die sozialistische Staatsmacht und die Nationale Front setzte sich in einem von Rückschlägen nicht freien Klärungsprozeß bei einer wachsenden Zahl von Bauern, aber auch Handwerkern, Einzelhändlern, Gewerbetreibenden und Unternehmern die Erkenntnis durch, daß dem Sozialismus die Zukunft gehört und daß auch sie im Sozialismus eine Perspektive als sozialistische Werktätige haben. Damit entstanden bei diesen Klassen und Schichten die subjektiven Voraussetzungen, die notwendig waren, um die sozialistischen Produktionsverhältnisse in allen Bereichen der Volkswirtschaft zum Siege zu führen. Die Durchsetzung sozialistischer Produktionsverhältnisse in der DDR machte augenfällig, daß sich im Verlaufe der Übergangsperiode und in Wechselwirkung mit der Lösung ihrer Hauptaufgaben der subjektive Faktor verbreiterte. Es bestätigte sich erneut die Voraussage Lenins, daß „erst mit dem Sozialismus die rasche, wirkliche, wahrhafte Vorwärtsbewegung der Massen auf allen Gebieten des öffentlichen und persönlichen Lebens, zunächst unter Teilnahme der Mehrheit der Bevölkerung, und später der gesamten Bevölkerung, einsetzen wird".73 Gleichzeitig wurde deutlich, daß der Klassenkampf in der DDR mehr und mehr aufhörte, innere Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung zu sein, daß sich vielmehr auf der Grundlage der sozialistischen Produktionsverhältnisse neue Triebkräfte herausbildeten. Doch wäre es falsch, daraus die Schlußfolgerung abzuleiten, daß der Klassenkampf in diesem Entwicklungsstadium keine Rolle mehr gespielt hätte. Die Klassenauseinandersetzung mit dem Imperialismus wurde weiterhin in sehr scharfen Formen geführt; das gilt auch für den Klassenkampf auf ideologischem Gebiet und — in eingeschränkter Form allerdings - für die inneren Bedingungen der DDR. Solange die Hauptaufgaben der Übergangsperiode nicht völlig gelöst waren, gab es noch antagonistische Gegensätze zwischen den sozialistischen und kapitalistischen Kräften in der DDR, war der Klassenkampf unvermeidlich. Auch in den Betrieben mit staatlicher Beteiligung, die eine Übergangsform zum sozialistischen Betrieb darstellten, „waren die aus dem kapitalistischen Privateigentum an Produktionsmitteln resultierenden Widersprüche noch nicht völlig überwunden. Der Klassenkampf setzte sich in veränderten Formen fort." 74 Erst mit dem Aufkauf dieser Betriebe sowie der noch bestehenden kapitalistischen Betriebe durch den sozialistischen Staat und deren Umwandlung in Volkseigentum im Jahre 1972 waren die kapitalistischen Überreste endgültig beseitigt. Das veränderte internationale Kräfteverhältnis und die politische und ökonomische Stärke der sozialistischen Kräfte in der DDR bildeten jedoch die objektive Bedingung, die Reife des subjektiven Faktors die subjektive Voraussetzung dafür, daß der Klassenkampf keine scharfen, zugespitzten Formen annahm, daß die Lösung der noch bestehenden Widersprüche der Übergangsperiode vielmehr in einer Art und Weise erfolgen konnte, die auch ehemaligen Angehörigen der Kapitalistenklasse in Stadt und Land eine Perspektive als sozialistische Werktätige bot. Auch in der Endphase der Übergangsperiode vollzog sich die Verbreiterung des subjektiven Faktors widerspruchsvoll. Es gab Zeiten verstärkter politischer Schwankungen in einigen Kreisen der Bevölkerung, so 1956/57 besonders bei Teilen der Intelligenz, 1960/61 in kleinbürgerlichen Bevölkerungskreisen, oder auch Zeiten partieller 48
Stagnation, z. B. 1956/57 bei der Gewinnung der werktätigen Bauern für die LPG. Die allgemeinen Ursachen für diese widerspruchsvolle Entwicklung bestanden darin, daß sich der Druck des Imperialismus mit den noch ungelösten bzw. nicht völlig gelösten wirtschaftlichen und sozialen Problemen der Übergangsperiode verflocht. Da trotz großer Fortschritte die Wirtschaftskraft der DDR noch begrenzt war und sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen des RGW erst zu entwickeln begann, führte der weiterhin mit außerordentlicher Schärfe geführte kalte Krieg des Imperialismus wiederholt zu schweren Belastungen für die Volkswirtschaft der DDR. Das erschwerte die kontinuierliche Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen der Werktätigen, was sich wiederum hemmend auf die Entfaltung ihrer Aktivität auswirkte. Doch auch in der Endphase der Übergangsperiode, die von einer Zuspitzung der Auseinandersetzung mit dem Imperialismus gekennzeichnet war, gelang es diesem nicht, einen Keil zwischen Partei, Arbeiterklasse und Volk zu treiben. Die Mehrheit der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen stand fest zur Arbeiter-und-BauernMacht. Im Kampf gegen die Folgen des vom Imperialismus geführten kalten Krieges vollbrachte die Arbeiterklasse unter Führung der SED hervorragende Leistungen, entwickelte sie neue Formen der Massenaktivität zur Stärkung der DDR wie die Bewegung zur Störfreimachung der sozialistischen Volkswirtschaft und das Produktionsaufgebot. Es waren auch in der überwiegenden Mehrheit Arbeiter, die am 13. August 1961 in den Reihen der Nationalen Volksarmee, der Organe des Ministeriums des Innern und der Kampfgruppen standen und die durch ihren Einsatz wesentlich dazu beitrugen, den bedrohten Frieden zu retten und günstigere Bedingungen für den weiteren sozialistischen Aufbau in der DDR zu schaffen. So bewährte sich die Arbeiterklasse unter Führung der SED erneut als disziplinierteste, bewußteste und organisierteste Klasse, als Hauptkraft der sozialistischen Revolution. Die Unterstützung, die die Sowjetunion und die anderen Staaten des Warschauer Vertrages der DDR im Kampf gegen die imperialistische Aggressionspolitik zuteil werden ließen, insbesondere das koordinierte Zusammenwirken mit den in der DDR stationierten sowjetischen Truppen bei den Sicherungsmaßnahmen im August 1961, machten zugleich vor aller Welt deutlich, daß die DDR ein fester, untrennbarer Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft war und daß ihre sozialistische Entwicklung von der Sowjetunion vor allen imperialistischen Anschlägen geschützt wurde. Erneut bestätigte sich, daß das Bündnis mit der Sowjetunion die Grundbedingung für den erfolgreichen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR bildete. Die bei der Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR bis Anfang der sechziger Jahre erzielten Ergebnisse bekräftigten die Erkenntnis, daß die Führung durch die marxistisch-leninistische Partei der Kern, das wichtigste Element des subjektiven Faktors der revolutionären Umwälzung ist. Die Hauptaufgaben der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus konnten erfolgreich gelöst werden, weil die SED in ihrer Politik stets von der Einheit und Wechselwirkung von objektiven Bedingungen und subjektivem Faktor ausging und stets darum rang, den subjektiven Faktor eng mit den objektiven Bedingungen zu verbinden, um diese so umfassend und effektiv wie möglich nutzen zu können. Es bewährte sich das Grundprinzip marxistischleninistischen Handelns, einerseits nur solche Aufgaben zu stellen, deren Lösungsbedingungen herangereift sind, andererseits den subjektiven Faktor so zu entwickeln, daß er imstande ist, den jeweils neuen Anforderungen gerecht zu werden.
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Anmerkungen 1 Cagin, B. A., Der subjektive Faktor. Struktur und Gesetzmäßigkeiten, 2., unver. Aufl., Berlin 1974, S. 59. 2 Ebenda, S. 46. 3 Autorenkollektiv unter Ltg. v. Konstantinov, F. W., Grundlagen der marxistisch-leninistischen Philosophie, Berlin 1972, S. 427. 4 Cagin, Der subjektive Faktor, a. a. O., S. 29. 5 Grundlagen des historischen Materialismus, Berlin 1976, S. 268. 6 Ebenda, S. 273. 7 Glesermann, G. I., Der historische Materialismus und die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft, Berlin 1973, S. 47. 8 Objektive Gesetze und bewußtes Handeln im Sozialismus, Berlin 1975, S. 50 ff.; Roßmann, Gerhard, Zur wachsenden Rolle des subjektiven Faktors bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung (im folgenden: BzG), 1978, H. 2, S. 165 ff.; siehe auch die Thesen von Heinz Heitzer und Karl Reißig zum VI. Historikerkongreß. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (im folgenden: ZfG), 1977, H. 10, S. 1239 ff. und 1257 ff., sowie die Berichte in: ebenda, 1978, H. 4 und H. 6, S. 336 f£„ 533 ff. 9 Hager, Kurt, Der IX. Parteitag der SED und die Gesellschaftswissenschaften, Berlin 1977, S. 13. 10 Cagin, Der subjektive Faktor, a. a. O., S. 36. 11 Engels, Friedrich, Einleitung zu Karl Marx' »Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850 (1895)". In: Marx, Karl/Engels, Friedrich, Werke, Bd. 22, Berlin 1972, S. 523. 12 Hahn, Erich, Materialistische Dialektik und Klassenbewußtsein, Berlin 1974, S. 68. 13 Vgl. Heitzer, Heinz, Das Bild von der DDR. In: Unbewältigte Vergangenheit. Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der BRD. Autorenkollektiv unter Ltg. v. Gerhard Lozek, 3., neu bearb. u. erw. Aufl., Berlin 1977, S. 381 ff.; Badstübner, Rolt, Restaurationsapologie und Fortschrittsverteufelung. Das entspannungsfeindliche bürgerliche Nachkriegsgeschichtsbild in der BRD. Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie, hg. v. Manfred Buhr, H. 87, Berlin 1978, S. 59 ff. 14 Webet, Hermann, DDR. Grundriß der Geschichte 1945-1976, Hannover 1976, S. 9. 15 Siehe auch DDR-Handbuch. Wissenschaftl. Ltg. Peter Christian Ludz unter Mitw. v. Johannes Kuppe. Hg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Köln 1975, S. 362 ff. 16 de Man, Henry, Die sozialistische Idee, Jena 1933, S. 304. 17 Cagin, Der subjektive Faktor, a. a. O., S. 72. 18 Vgl. Anm. 8. 19 G. Benser wies in einer Rezension zu Recht darauf hin, „daß die objektiven und subjektiven Bedingungen des Kampfes der deutschen Arbeiterbewegung im Frühjahr und Sommer 1945 eine in der modernen Geschichte selten anzutreffende Vielfalt aufwiesen*. In: ZfG, 1978, H. 1, S. 75. Von dieser Vielfalt muß jedoch hier abstrahiert werden. 20 Vgl. Seeber, Eva, Die Errichtung europäischer volksdemokratischer Staaten und die Veränderungen im internationalen Kräfteverhältnis 1944/45. In: ZfG, 1974, H. 9, S. 969 ff. mit weiteren Literaturangaben. 21 Lenin, W. 1., An die Genossen Kommunisten Aserbaidshans, Georgiens, Armeniens, Dagestans und der Bergrepublik. In: Werke, Bd. 32, Berlin 1972, S. 328f. (Hervorhebung: H. H.). 22 Vgl. Die Befreiungsmission der Sowjetstreitkräfte im zweiten Weltkrieg, unter der Redaktion und mit einem Vorwort von A. A. Gretschko, Berlin 1973. Siehe auch Seeber, E., Die volksdemokratischen Staaten Mittel- und Südosteuropas in der internationalen Klassenauseinandersetzung zwischen Imperialismus und Sozialismus (1944-1947). In: Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas (im folgenden: JfGsL), Bd. 16/2, Berlin 1972, S. 39ff.; Badstübner, R., Historische Probleme der volksdemokratischen
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Revolution. In: Jahrbuch für Geschichte (im folgenden: JfG), Bd. 12, Berlin 1974, S. 51 ff.; Benser, Günter, Die Befreiung Europas vom Faschismus durch die Sowjetunion und der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus auf dem Territorium der DDR. In: ZfG, 1975, H. 4, S. 357 ff. 23 Lenin hatte wiederholt darauf hingewiesen, daß es «in einem so hochentwickelten Land wie Deutschland, in einem Land mit einer so ausgezeichnet organisierten Bourgeoisie" schwerer sein werde als in Rußland, die Revolution zu beginnen. Vgl. Lenin, W. I., Referat auf der Moskauer Gouvernementskonferenz der Betriebskomitees, 23. Juli 1918. In: Werke, Bd. 27, Berlin 1974, S. 549. Deshalb war es für den Beginn der revolutionären Umwälzung so außerordentlich bedeutsam, daß durch die militärische Niederlage der politische Machtmechanismus der imperialistischen deutschen Bourgeoisie weitgehend lahmgelegt war. 24 Zum Problem der revolutionären Krise vgl. Heitzer, H., Allgemeines und Besonderes der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR. In: JfG, Bd. 11, Berlin 1974, S. 31 f.; Badstübner. R., Historische Probleme der volksdemokratischen Revolution. In: ebenda, Bd. 12, Berlin 1974, S. 76 ff.; Kirste, Peter, Zu einigen Problemen der Entwicklung der objektiven Bedingungen und des subjektiven Faktors bei der Einleitung der antifaschistischen, antiimperialistisch-demokratischen Umwälzung auf dem Gebiet der DDR. In: Historiker-Gesellschaft der DDR, Wissenschaftliche Mitteilungen, 1976, H. 1; Benser, Günter, Der revolutionäre Umwälzungsprozeß auf dem Territorium der DDR und seine historische Darstellung. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule »Erich Weinert", Magdeburg, 1976, H. 6, S. 617 f.; Bensing, Manfred, Die Formierung der Arbeiterklasse zum Hegemon der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in der Sowjetischen Besatzungszone 1945/46 als Zäsur in der Geschichte der Arbeiterklasse. In: JfG, Bd. 17, Berlin 1977, S. 382 ff. 25 Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß, Berlin 1978, S. 86. 26 So Manfred Wille in seiner ungedruckten Dissertation B: Studien zur Zusammenarbeit der von der KPD geführten deutschen Antifaschisten mit der sowjetischen Besatzungsmacht in der Provinz Sachsen (April bis Dezember 1945), Berlin 1977, S. 26, 201. 27 Kalbe, Emstgert, Antifaschistischer Widerstand und volksdemokratische Revolution in Südosteuropa, Berlin 1974. 28 Wille, Studien zur Zusammenarbeit . . . , & . a. O.; Bensing, Die Formierung der Arbeiterklasse . . ., a. a. O., mit weiteren Literaturangaben. 29 Geschichte der SED, a. a. O., S. 179. 30 Ebenda, S. 70. 31 Ebenda, S. 76. 32 Wille hat auf die vielfach unterschätzte Bedeutung des Kampfes gegen Hunger, Not und Elend sehr nachdrücklich aufmerksam gemacht. Er kommt zu dem Schluß, daß »die Ernährungs- und Versorgungsfrage . . . nach der Zerschlagung der faschistischen Diktatur zu einem entscheidenden Feld der Klassenauseinandersetzung" wurde. Vgl. Wille, Studien zur Zusammenarbeit.. ., a. a. O., S. 114. 33 Grundlagen der marxistisch-leninistischen Philosophie, a. a. O., S. 424. 34 Bensing argumentiert ähnlich. Er schreibt: »Man kann diesen Tatbestand auch so charakterisieren, daß sich die volle Ausprägung der revolutionären Situation im Ringen um die Formierung der Arbeiterklasse zum Hegemon der antifaschistisch-demokratischen Umwälzimg vollzogen hat. Dieser Prozeß verschmolz unmittelbar mit solchen Massenbewegungen wie der demokratischen Bodenreform, der Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher sowie der Massenbewegung der Gewerkschaften zur Wiederingangsetzung und politischen Säuberung der Betriebe." Vgl. Bensing, Der Formierungsprozeß . . ., a. a. O., S. 383. 35 Honecker, Erich, Auf sicherem Kurs. Zum 30. Jahrestag der Gründung der SED. In: Reden und Aufsätze, Bd. 4, Berlin 1977, S. 295 36 Roßmann, G., Die brüderlichen Beziehungen zur Partei und zum Lande Lenins —
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Grundlage unseres Weges zum Sozialismus. In: BzG, 1975, H. 2, S. 218 ff.; Heitzer, H., Hauptetappen der Kampfgemeinschaft von SED und KPdSU. In: ZfG, 1976, H. 9, S. 979 f. 37 Lenin, W. I., Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht. In: Werke, Bd. 27, a. a. O., S. 244. 38 Geschichte der SED, a. a. O., S. 138. 39 Badstübner, Historische Probleme . . ., a. a. O., S. 67 ff. 40 Vgl. Arbeiterinitiative 1945. Antifaschistische Ausschüsse und Reorganisation der Arbeiterbewegung in Deutschland. Hg. v. Lutz Niethammer/Ulrich Borsdorf/Peter Brandt, Wuppertal 1976; Zwischen Befreiung und Besatzung. Analysen des US-Geheimdienstes über Personen und Strukturen deutscher Politik 1945. Hg. v. Ulrich Borsdorf/Lutz Niethammer, Wuppertal 1976. 41 Benset, G., Rezension zu o. g. Arbeiten. In: ZfG, 1978, H. 1, S. 76f., derselbe, AntifaAusschüsse - Staatsorgane - Parteiorganisation. In: ebenda, 1978, H. 9, S. 785 ff. 42 Badstübner, R., Zum Problem des einheitlichen revolutionären Prozesses auf dem Gebiet der DDR. In: ZfG, 1973, H. 11, S. 1328. 43 »Dieser Prozeß ist auch einheitlich hinsichtlich der Klassenkräfte, die ihn führen und tragen. Es gibt hier keine gravierenden Verlagerungen und Umgruppierungen, sondern die immer umfassendere Ausprägung einer Konstellation, die von Anfang an gegeben ist: führende Rolle der Arbeiterklasse, geleitet von ihrer revolutionären Partei, Bündnis mit der werktätigen Bauernschaft, der Intelligenz, den städtischen Mittelschichten." Vgl. Benser, G., Zur Dialektik des revolutionären Umwälzungsprozesses auf dem Territorium der DDR. In: ZfG, 1974, H. 5, S. 526. 44 45 46 47
Geschichte der SED, a. a. O., S. 246. Honecker, Erich, Auf sicherem Kurs, a. a. 0., S. 297. Geschichte der SED, a. a. O., S. 176. Vgl. Schöneburg, Karl-Heinz, Staat und Recht in der Geschichte der DDR, Berlin 1973, S. 126 ff. 48 Klassenkampf-Tradition-Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR. Grundriß, Berlin 1974, S. 596. 49 Dittrich, Gottfried, Das quantitative Wachstum der Arbeiterklasse der DDR und die Veränderungen in ihrer sozialen und Zweigstruktur während der sozialistischen Revolution 1949 bis 1961/62. Diss. B, Leipzig 1977, S. 156. 50 Ebenda, S. 192. 51 Ebenda, S. 193. 52 Pieck, Wilhelm, Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der Partei. In: Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. I, Berlin 1951, S. 58. 53 Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. IV, Berlin 1954, S. 73. 54 Roßmann, Die brüderlichen Beziehungen . . ., a. a. O., S. 222. 55 Heitzer, Hauptetappen der Kampfgemeinschaft . . ., a. a. O., S. 981-983. 56 Hoyer, Lutz, Revolution - Kleinbürgertum - Ideologie. Zur Ideologiegeschichte der LDPD in den Jahren 1945-1952, Berlin 1978, S. 143 f. 57 Geschichte der SED, a. a. O., S. 271. 58 Ebenda, S. 248. 59 Ebenda, S. 274. 60 Behrendt, Albert, Probleme der Arbeit des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes beim Übergang zum planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der DDR. In: JfG, Bd. 11, a. a. O., S. 249 ff. 61 Geschichte der SED, a. a. O., S. 293. 62 Hoyer, Revolution - Kleinbürgertum . . ., a. a. O., S. 80. 63 Geschichte der SED, a. a. O., S. 138. 64 Vgl. Gemeinsam zum Sozialismus. Zur Geschichte der Bündnispolitik der SED, Berlin 1969, S. 209 ff.
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65 Klassenkampf - Tradition - Sozialismus, a. a. O., S. 665. Siehe auch den Beitrag von Horst Barthel in diesem Band. 66 Vgl. den Beitrag von Peter Hübner in diesem Band. 67 Einen wesentlichen Aspekt untersucht Helmut Griebenow in seinem Beitrag »Die Einwirkung der Arbeiterklasse auf die Herausbildung der Klasse der Genossenschaftsbauern in der DDR*. I n : JfG, Bd. 11, a. a. O., S. 213ff. 68 Gemeinsam zum Sozialismus, a. a. O., S. 249. 69 Prokop, Siegtiied, Entwicklungslinien und Probleme der Geschichte der DDR in der Endphase der Übergangsperiode und beim beginnenden Aufbau des entwickelten Sozialismus, Diss. B, Berlin 1978, Kap. I.; s. auch den Beitrag des Verfassers in diesem Band. 70 Gemeinsam zum Sozialismus, a. a. O., S. 221. „Die Klärung der sozialistischen Perspektive erwies sich . . . als ein Kernproblem der Bündnispolitik. Von ihr hing in hohem Mafje die Teilnahme der Verbündeten am sozialistischen Aufbau und das Tempo ab, in dem die Aufgaben der Obergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus bewältigt werden konnten." 71 Rofymann, Die brüderlichen Beziehungen . . ., a. a. O., S. 223. 72 Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 2, Berlin 1959, S. 1388. 73 Lenin, W. I., Staat und Revolution. In: Werke, Bd. 25, Berlin 1972, S. 486. 74 Klassenkampf-Tradition-Sozialismus, a. a. O., S. 668.
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ROLF
BADSTÜBNER
Antifaschistisch-demokratische Umwälzung — Übergangsperiode — sozialistische Revolution. Theoretisch-methodologische Probleme der Bestimmung des Wesens und des historischen Platzes der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung
1.
Problemstellung und Positionen
Diejenigen gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse und grundlegenden Umgestaltungen des wirtschaftlichen, politisch-staatlichen und geistig-kulturellen Lebens des deutschen Volkes, die mit seiner Befreiung vom Faschismus 1945 eingeleitet und in der sowjetischen Besatzungszone unter Hegemonie der Arbeiterklasse vollzogen wurden, wurden von Anfang an als antifaschistisch-demokratische Umwälzung charakterisiert. Der Begriff antifaschistisch-demokratische Umwälzung ist aus der Aufgabenstellung, wie sie in der Geschichte des deutschen Volkes 1945 auf der Tagesordnung stand, abgeleitet. Er verallgemeinert die konkret-historischen Erscheinungsformen des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse - mit ihrer marxistisch-leninistischen Partei an der Spitze - und ihrer Verbündeten und bringt auch die Spezifik der von diesen Kräften in der sowjetischen Besatzungszone vollzogenen Umgestaltungen zum Ausdruck. Dieser Begriff spiegelt also zunächst den historischen Prozeß in seiner konkret-historischen Erscheinungsform wider. Um Wesen und historischen Platz der antifaschistisch-demokratischen Umwälzimg zu bestimmen, ist es notwendig, die formationsgenetische Funktion dieser Umwälzung im Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus und ihr Verhältnis zur politischen und sozialen Revolution, mit der sich dieser Übergang vollzog, aufzudekken.1 Dabei sind eine Reihe methodologischer Aspekte besonders zu berücksichtigen, und es ist notwendig, von eindeutig umrissenen Begriffsinhalten auszugehen. Bei der Bestimmung der formationsgenetischen Funktion der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung muß zunächst berücksichtigt werden, daß die ökonomische Gesellschaftsformation nicht als solche und damit „rein" existiert, sondern als weltgeschichtliches Entwicklungsstadium2 das Allgemeine zum Ausdruck bringt, das im Besonderen und Einzelnen jeweils regional- bzw. landesgeschichtlich-konkreter Entwicklungs- und Strukturformen existiert.3 In diesen konkret-historischen Entwicklungs- und Strukturformen existieren neben bzw. im Zusammenhang mit der jeweils herrschenden ökonomischen Gesellschaftsformation Reste vorangegangener Formationen und entstehen Elemente der neuen Formation. Die soziale Revolution4, in und mittels derer der Übergang zu einer höheren Formation vollzogen wird, ist deshalb eine Einheit vielschichtiger sozialer und politischer revolutionärer Umwälzungen. Hinzu kommt, daß die ökonomische Gesellschaftsformation nicht Subjekt, sondern Prädikat der Geschichte ist,5 d. h., daß die Gesetzmäßigkeit der Abfolge nicht direkt und unmittelbar, sondern in den konkrethistorischen Gemeinschaften vermittelt wirkt. Daraus folgt, daß auch die soziale Revolution des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus nicht als solche existiert.
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sondern die Summe und das Ergebnis des Zusammenwirkens unterschiedlicher, konkret-historischer sozialökonomischer, politischer und ideologischer revolutionärer Entwicklungen und Bewegungen ist. Der gesetzmäßige Übergang zu einer höheren Gesellschaftsformation vollzieht sich in einer „Epoche sozialer Revolution".6 Für die soziale Revolution des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus als weltgeschichtliche Kategorie wird deshalb auch der Begriff revolutionärer Weltprozeß gebraucht. Dieser wurde in der Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien vom November 1960 folgendermaßen charakterisiert: „Unsere Epoche, deren Hauptinhalt der durch die Große Sozialistische Oktoberrevolution eingeleitete Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus ist, ist die Epoche des Kampfes der beiden entgegengesetzten Gesellschaftssysteme, die Epoche der sozialistischen Revolutionen und der nationalen Befreiungsrevolutionen, die Epoche des Zusammenbruchs des Imperialismus und der Liquidierung des Kolonialsystems, die Epoche des Übergangs immer neuer Völker auf den Weg des Sozialismus, die Epoche des Triumphes des Sozialismus und Kommunismus im Weltmaßstab."7 Der Breite des revolutionären Weltprozesses trugen die kommunistischen und Arbeiterparteien auch in der Formulierung ihrer Kampflosungen auf der Moskauer Beratung 1969 Rechnung: „Völker der sozialistischen Länder, Proletarier, demokratische Kräfte in den Ländern des Kapitals, beireite wie unterdrückte Völker - vereinigt euch im gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus, für Frieden, nationale Unabhängigkeit, sozialen Fortschritt, Demokratie und Sozialismus !"8 Daraus ergeben sich einige wesentliche methodologische Schlußfolgerungen hinsichtlich unserer Problemstellung. Die Herausarbeitung des Hauptinhaltes der Epoche bedeutet nicht, daß der historische Prozeß vereinfacht und eingeengt wird - etwa nur auf den Kampf der im Mittelpunkt unserer Epoche stehenden Arbeiterklasse um den Sozialismus. Der revolutionäre Weltprozeß, als dessen Grundtendenz sich der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus vollzieht, reduziert sich nicht auf die sozialistische Revolution. Er ist breiter und umfaßt ebenfalls eine Vielzahl antiimperialistisch-revolutionärer Bewegungen, die sich sowohl nacheinander als auch nebeneinander entwikkeln. Die sozialistische Revolution ist die höchste, entscheidende Stufe des revolutionären Weltprozesses. Andererseits tritt in der bestimmenden Entwicklungstendenz der Epoche, in der Gesetzmäßigkeit des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, das entscheidende, übergreifende Moment hervor, dem alle anderen Bewegungen zu- und untergeordnet sind. In dieser Gesetzmäßigkeit vereinigen sich die Entwicklung des sozialistischen Weltsystems, der Kampf der internationalen Arbeiterklasse und demokratischer Kräfte, die nationalen Befreiungsrevolutionen zu einem im Hauptinhalt letztlich einheitlichen revolutionären Prozeß. Die Wirksamkeit des Gesetzes der Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus bzw. des Grundgesetzes unserer Epoche zeigt sich darin, daß in allen revolutionären Bewegungen unserer Epoche mehr oder weniger ausgeprägt die Tendenz wirksam ist, direkt oder über Vermittlungsglieder in epochenkongruente revolutionäre Bewegungen, d. h. in die sozialistische Revolution hinüberzuwachsen. Das ist natürlich in ganz besonderem Maße dort der Fall, wo die materiellen Voraussetzungen für die Errichtung des Sozialismus gegeben sind und der subjektive Faktor entwickelt ist. Für den revolutionären Weltprozeß den Begriff sozialistische Weltrevolution verwendend, schreibt der sowjetische Gesellschaftswissenschaftler J. Krassin: „Der Gang der sozialistischen Weltrevolution wird dadurch kompliziert, daß sie sich durch ein 5
Übergangsperiode
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bizarres Mosaik mannigfaltiger sozialökonomischer, politischer und kulturell-ideologischer Verhältnisse durchringen muß. Im Weltmaßstab kommt es gleichsam zu einer Aufeinanderschichtung verschiedenartiger revolutionärer Strömungen. Die soziale Revolution des Proletariats setzt sich nicht allein aus eigentlich sozialistischen Revolutionen zusammen, sondern aus zahlreichen nationalen Befreiungsbewegungen und demokratischen Strömungen, die nicht unmittelbar sozialistische Ziele verfolgen." 9 In diesem Sinne war die antifaschistisch-demokratische Umwälzung zweifellos ein Bestandteil der sozialen Revolution des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Folgt daraus, daß sie ein Bestandteil der sozialistischen Revolution war? Wenn die sozialistische Revolution in einem weiten Sinne mit der sozialen Revolution des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus identifiziert würde, müßte diese Frage zweifellos bejaht werden. Ist aber eine solche Identifizierung möglich? Im Unterschied zur Kategorie der sozialen Revolution bringt der Begriff der sozialistischen Revolution u. E. die entscheidenden konkret-historischen, gesellschaftlichpolitischen Umwandlungsprozesse zum Ausdruck, wie sie sich in den Ländern bzw. konkret-historisch gewachsenen Entwicklungs- und Strukturformen vollziehen. Die in der Moskauer Erklärung 1957 erstmals zusammenhängend formulierten allgemeinen Gesetzmäßigeiten der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus 10 sind Verallgemeinerungen konkret-historischer Bewegungsformen. Das bedeutet, diese Gesetzmäßigkeiten wirken direkt und unmittelbar in allen Ländern, die zum Sozialismus übergehen. 11 Sie sind in diesem Sinne allgemein. Gegenüber der Kategorie der sozialen Revolution verkörpern sie aber das konkret-historisch Besondere als Erscheinungsform des weltgeschichtlich Allgemeinen. Es erscheint uns aus diesem Grunde problematisch, den Begriff sozialistische Revolution als Synonym für die soziale Revolution des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus anzuwenden, wie es E. Engelberg tut, wenn er definiert: „Im zweiten (sozial-weiten) Sinne umfaßt die ,sozialistische Revolution' den gesamten Prozeß des Formationswechsels vom Kapitalismus zum Sozialismus mit allen Zwischenstufen und Übergangsetappen, also mit allen ,kombinierten Typen', die Altes und Neues zeitweilig vereinigen." 12 Ausgehend von der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und dem Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in der Sowjetunion, wird allgemein zwischen einem engeren Begriff der sozialistischen Revolution als politische Revolution zur Errichtung der Diktatur des Proletariats und der sozialistischen Revolution, die den Umwälzungsprozeß des Formationswechsels beinhaltet, unterschieden. Wesentlich für beide Begriffe - und ihre Korrelation zum Ausdruck bringend - ist die grundlegende Beziehung zwischen sozialistischer Revolution und Diktatur des Proletariats. Wird der Begriff sozialistische Revolution jedoch als Synonym für die soziale Revolution des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus angewendet - also nochmals ausgeweitet dann wären alle verschiedenen Bestandteile des weltrevolutionären Prozesses, d. h. auch nationaldemokratische Revolutionen und antiimperialistisch-demokratische Umwälzungen, die den Weg zum Sozialismus öffnen bzw. den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus einleiten, zugleich Bestandteile der sozialistischen Revolution. Diese selbst würde aber ihren spezifischen Inhalt verlieren, ihre zentrale historische Bedeutung würde verwischt, insbesondere auch der untrennbare Zusammenhang zwischen sozialistischer Revolution und der Diktatur des Proletariats in dieser oder jener Form. l : i Unseres Erachtens ist es notwendig, beim Begriff der sozialistischen Revolution (auch im weiten Sinne) von dem Inhalt auszugehen, wie er 1957 in der Moskauer Erklärung definiert und danach weiter präzisiert worden ist.1'' Dem Anliegen, den Gesamtprozeß des Formationswechsels im Weltmaßstab wie
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landesgeschichtlich „auf den Begriff" zu bringen, kann m. E. nur mit dem Begriff der sozialen Revolution des Proletariats bzw. des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus entsprochen werden, wenn dieser weiter als die sozialistische Revolution gefaßt wird. Während der Begriff „soziale Revolution" es ohne weiteres ermöglicht, unterr schiedliche politische und soziale Bewegungen einer Epoche als Bestandteil des Formationswechsels zusammenzufassen, ohne deren Spezifik aufzuheben, ist das aus den genannten Gründen mit dem Begriff „sozialistische Revolution" nicht möglich. Von diesen Erwägungen ausgehend, handelt es sich bei unserem Anliegen vor allem darum, Wesen, Charakter, historischen Platz und Funktion der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in ihrem formationsgenetischen Bezug zur Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus und in ihrem Bezug zur sozialistischen Revolution in der DDR zu bestimmen. Dabei ist der Vergleich mit analogen historischen Prozessen unerläßlich. Historische und theoretisch-methodologische Probleme der revolutionären Prozesse, die in wechselseitiger Verflechtung aus dem antifaschistischen, nationalen Befreiungskampf herauswuchsen bzw. mit der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus durch die Sowjetunion und ihre Verbündeten ihren Ausgang nahmen, finden seit Jahren in der Arbeit der Historiker der Länder der sozialistischen Staatengemeinschaft zunehmende Beachtung. 15 Die Zahl empirischer Untersuchungen zu Einzelfragen nahm beträchtlich zu, ebenso die der Analysen theoretisch-methodologischer Probleme des revolutionären Prozesses. Die die revolutionären Prozesse in den einzelnen Ländern vergleichende, typologisierende Betrachtungsweise erzielte im letzten Jahrzehnt erhebliche Fortschritte. 16 Das trifft teilweise auch auf Fragen der Methodologie der Revolutionsforschung und des Revolutionsvergleichs zu. 17 Einen besonderen Platz in den theoretisch-methodologischen Analysen und Diskussionen nahm und nimmt die Problematik des Beginns und der ersten Etappe des revolutionären Prozesses ein, wo es in allen Ländern der europäischen Volksdemokratien und Deutschlands bzw. Ostdeutschlands vorrangig um die Lösung antifaschistischer, antiimperialistisch-demokratischer Aufgaben ging. Die Fortschritte in der empirischen Erforschung der revolutionären Prozesse in den einzelnen Ländern, verbunden mit der Methode des historischen Vergleichs, erbrachten eine vertiefte Sicht der Dialektik von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem. Die schon früher formulierte These von der Wesensgleichheit dieser revolutionären Prozesse wurde auf einer höheren Stufe der historischen Erkenntnis bestätigt und präzisiert. Die Aufarbeitung des revolutionären Prozesses in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone von der Warte seines Ergebnisses her, die es ermöglicht, seinen realen Inhalt und Verlauf vertieft einzuschätzen, führte auch hinsichtlich der antifaschistischdemokratischen Umwälzung zu der Erkenntnis, daß sie - bei Beachtung einer Reihe von Unterschieden - doch als wesensgleich mit den entsprechenden revolutionären Umwälzungen in den Ländern der europäischen Volksdemokratien einzuschätzen sei.18 Der entscheidende revolutionstheoretische Erkenntnisfortschritt, der bei der Beschäftigung mit diesen revolutionären Prozessen erzielt wurde, besteht u. E. im Herausarbeiten und Betonen der Verflechtung demokratischer und sozialistischer Aufgaben und Maßnahmen sowie in der Zu- und Einordnung der einzelnen Etappen in einen einheitlichen Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus in dieser oder jener Form. Die darin zum Ausdruck kommende Tendenz der Annäherung an dem Inhalt nach übereinstimmende Grundpositionen führte allerdings noch nicht zu einer übereinstimmenden Sicht revolutionstheoretischer Wertungen und zur Verwendung übereinstimmender Begriffe. 19 So treten revolutionstheoretisch drei Standpunkte hervor 20 : 57
1. Die volksdemokratische Revolution als Synonym für den revolutionären Prozeß des etappenweisen Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus von seinem Beginn bis zur Errichtung der Grundlagen des Sozialismus. Die volksdemokratische Revolution ist damit begrifflicher Ausdruck der Einheitlichkeit dieses revolutionären Prozesses, in dem sich eine demokratische und eine sozialistische Etappe unterscheiden lassen. Auch wenn die Diktatur des Proletariats unmittelbar errichtet wird - wie in Bulgarien, Jugoslawien, Albanien - , stand zunächst die Lösung antifaschistischer, antiimperialistisch-demokratischer Etappenaufgaben im Vordergrund. 2. Unterscheidung zwischen volksdemokratischer und sozialistischer Revolution. Der antifaschistisch-demokratischen oder volksdemokratischen Etappe oder Revolution wird eine stärkere eigenständige Bedeutung zugemessen, die Veränderung des Charakters des revolutionären Prozesses beim Übergang zur sozialistischen Etappe oder Revolution wird stärker akzentuiert, und gleichzeitig wird die historische Rolle der sozialistischen Revolution betont. Die Verflechtung der Etappen bzw. die Einheitlichkeit des revolutionären Prozesses werden mit Termini wie »einheitlicher revolutionärer Prozeß", Volksrevolution, die zwei Revolutionen umfaßt (Rumänien), oder einfach mit dem Begriff »die Revolution", die zwei Etappen beinhaltet, herausgearbeitet bzw. umschrieben. 3. Der gesamte revolutionäre Prozeß wird als Prozeß der Entfaltung und Entwicklung der sozialistischen Revolution als soziale Revolution gefaßt, bzw. die volksdemokratische Revolution wird als besonderer historischer Typ der sozialistischen Revolution definiert. Die antifaschistisch-demokratische Etappe erscheint als besondere Etappe der sich entfaltenden sozialistischen Revolution bzw. der volksdemokratischen Revolution als sozialistische Revolution. Zwischen den ersten beiden Positionen gibt es zweifellos mehr Gemeinsames als Trennendes - und es gibt auch Überschneidungen. Es soll hier eingangs kein Urteil gefällt werden, ob sich die eine Auffassung gegenüber den anderen mehr durchsetzt, was kaum eindeutig zu beurteilen ist.21 Nicht unerheblich ist die Frage, welche Auffassungen in den einzelnen volksdemokratischen Ländern und in der DDR zur Charakterisierung ihrer eigenen revolutionären Prozesse vorherrschend sind, bzw. ob es solche vorherrschenden Auffassungen gibt. Hinsichtlich der CSSR dürfte eine derartige vorherrschende Auffassung zweifellos in der Differenzierung zwischen nationaler und demokratischer Revolution sowie sozialistischer Revolution als den zwei Etappen eines einheitlichen revolutionären Prozesses bestehen.22 In der ungarischen Historiographie scheint ebenfalls der differenzierende Gebrauch der Termini „demokratische" oder „volksdemokratische Revolution" und „sozialistische Revolution" üblich zu sein23 und in Rumänien der zwischen „bürgerlichdemokratischer Revolution" und „sozialistischer Revolution".24 In Bulgarien wird eindeutig die Auffassung vertreten, daß es sich um eine volksdemokratische Revolution handelte, die sich den Aufgaben nach in mehreren Etappen entwickelte, aber von Anfang an sozialistischen Charakter trug. 25 Dort besteht somit eine terminologische Identität zwischen volksdemokratischer und sozialistischer Revolution - und damit eine Verbindung von der unter Punkt eins ausgewiesenen Position mit der dritten. In der polnischen Geschichtswissenschaft scheint sich, mit Modifikationen und Differenzierungen, eine ähnliche Tendenz herauszubilden.26 In der Geschichtswissenschaft der DDR sind in den letzten Jahren intensive Diskussionen über den Charakter und den historischen Platz der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung geführt worden, wie diese unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei im Zeitraum von 1945 bis 1948/49 in der so58
wjetischen Besatzungszone vollzogen wurde. 27 Die wichtigsten Ergebnisse dieser Diskussion können etwa wie folgt zusammengefaßt werden: - Die Konzeption von einer selbständigen und von der sozialistischen Revolution sich mehr oder weniger stark abhebenden antifaschistisch-demokratischen Revolution wurde überwunden. - Es wurde herausgearbeitet, daß die antifaschistisch-demokratische Umwälzung die sozialistische Revolution nicht nur vorbereitet sondern sich eng mit ihr verflicht und eine Etappe des einheitlichen revolutionären Prozesses des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus bildet; demzufolge stellen die antifaschistisch-demokratischen Verhältnisse eine besondere Form von Übergangsverhältnissen dar, in denen sich bereits charakterbestimmende Elemente des Sozialismus entwickeln und hervortreten. - Das erfolgreiche Voranschreiten des einheitlichen revolutionären Prozesses war untrennbar verbunden mit dem Element der Bewußtheit, vor allem verkörpert in der Führungsrolle der marxistisch-leninistischen Partei der Arbeiterklasse und in der Staatsmacht der revolutionär-demokratischen Diktatur. Der Strategie und Politik von KPD bzw. SED lag die Konzeption zugrunde, die antifaschistisch-demokratischen Aufgaben als Bestandteil des Kampfes um den Sozialismus zu bewältigen und diese in Richtung auf den Sozialismus zu lösen.28 - Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung stand - wie die gleichartigen revolutionären Prozesse in den volksdemokratischen Ländern Europas - in untrennbarer Verbindung mit der Befreiungsmission der Sowjetarmee und konnte nicht zuletzt auf Grund dieser günstigen äußeren Bedingungen erfolgreich vollzogen sowie kontinuierlich zur sozialistischen Revolution weitergeführt werden. Das enge Zusammenwirken mit der Sowjetunion und den volksdemokratischen Ländern war die entscheidende äußere Bedingung für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung und die sozialistische Revolution in der DDR. Die DDR entstand und entwickelte sich als Bestandteil des sozialistischen Weltsystems.29 In Verbindung mit diesen Leitlinien hat im marxistisch-leninistischen Geschichtsbild der DDR die Auffassung ihren Niederschlag gefunden, daß mit und durch die antifaschistisch-demokratische Umwälzung in der sowjetischen Besatzungszone die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus eingeleitet wurde. 30 Diese theoretisch-konzeptionellen Positionen wurden in der »Geschichte der SED. Abriß" in einer Reihe von Punkten weiter vertieft. Das betrifft vor allem die präzise Bestimmung des Charakters der SED bei deren Gründung und deren Formierung als marxistisch-leninistische Kampfpartei, die vertiefte Behandlung der Dialektik der antifaschistisch-demokratischen und der sozialistischen Etappe und der dem Übergangscharakter besser Rechnung tragende Gebrauch des Begriffs „antifaschistisch-demokratische Verhältnisse", die Herausarbeitung der spezifischen Züge der antifaschistischdemokratischen Umwälzung bzw. des revolutionären Prozesses in der sowjetischen Besatziingszone und der DDR als Erscheinungsform allgemeiner Gesetzmäßigkeiten. „Bei den gesellschaftlichen Umwälzungen sowohl in den volksdemokratischen Ländern als auch in der sowjetischen Besatzungszone verflochten sich der Kampf um Demokratie und der Kampf um Sozialismus auf das engste miteinander. Es ergab sich ein mit antifaschistischer und antiimperialistischer Stoßrichtung beginnender, sich ständig höher entwickelnder einheitlicher revolutionärer Prozeß."31 Im Zuge und als Ergebnis der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung entstanden und entwickelten sich Elemente des Sozialismus, vor allem mit den revolutionär-demokratischen Machtorganen, der Hegemonie der Arbeiterklasse und der führen-
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den Rolle der SED, im Bündnis der Arbeiterklasse mit den werktätigen Bauern und anderen Schichten, mit dem volkseigenen Sektor in der Wirtschaft, der Aktivistenund Wettbewerbsbewegung und bei der Erneuerung des Kultur- und Geisteslebens. „Die Wirtschaft der sowjetischen Besatzungszone trug Übergangscharakter. Hier wirkten noch ökonomische Gesetze der alten, historisch überlebten kapitalistischen Formation und bereits ökonomische Gesetze der neuen, sozialistischen Gesellschaftsordnung."32 Mit dem Abrifj der Geschichte der SED wird insgesamt revolutionstheoretisch diejenige Konzeption bekräftigt und vertieft, die - einerseits die Einheitlichkeit des revolutionären Prozesses im Sinne eines komplexen politischen und sozialen Prozesses des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus herausarbeitet, - zum anderen Rolle und Bedeutung der sozialistischen Revolution auch begrifflich hervorhebt und gleichzeitig Wert auf eine differenzierte Wertung der Etappen des revolutionären Prozesses legt. Das entspricht weitestgehend der eingangs unter Punkt zwei charakterisierten Position. Es liegt auf der Hand, dag - wenn die revolutionären Prozesse in den Ländern der europäischen Volksdemokratien und auf dem Gebiet der DDR wesensgleich verliefen die historische Wertung und deren Methodologie von korrelativer Bedeutung sind. Revolutionstheoretische Lösungen sind nicht aus der Sicht eines Landes, sondern nur aus der Gesamterfahrung aller dieser Länder möglich - aber auch nicht unter Ausklammerung der Erfahrungen einzelner Länder. Wir sind also der Meinung, dag sich die Problematik „volksdemokratische Revolution" keinesfalls aus der Sicht der DDRGeschichte bewältigen lägt, dag aber auch die Problematik des revolutionären Prozesses auf dem Gebiet der DDR wichtige revolutionstheoretische Erkenntnisse enthält, die in die internationale Diskussion einzubringen sind. Es geht hierbei vor allem um die Problematik des Verhältnisses des Kampfes um Demokratie und um Sozialismus, um dessen Verflechtung, um das Herankommen an und das Hinüberwachsen in die sozialistische Revolution. Es geht um die Bestimmung der Spezifik, des Wesens und des historischen Platzes der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung. Das Festhalten am Begriff der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung erfolgt nicht nur deswegen, weil dieser Begriff eingebürgert ist (obwohl diese Tatsache unter dem Aspekt der Wirksamkeit des Geschichtsbildes auch von Bedeutung ist), sondern weil ihm philosophische, revolutionstheoretische und auch geschichtsmethodologische Erwägungen zugrunde liegen. Unseres Erachtens widerspiegeln die Begriffe antifaschistisch-demokratische Umwälzung und sozialistische Revolution, wenn diese als Etappen eines einheiüichen revolutionären Prozesses des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus charakterisiert und dargestellt werden, am besten den realen historischen Prozeg und stellen auch die optimale Bewältigung der revolutionstheoretischen Problematik dar. Wir halten eine Zusammenfassung dieses revolutionären Prozesses, wie er sich in der sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR vollzog, unter einen revolutionstheoretischen Oberbegriff für nicht notwendig und auch nicht möglich. 33 Ein methodologischer Vorzug des Begriffs antifaschistisch-demokratische Umwälzung besteht gerade darin, dag er den historischen Prozeg in seiner Konkretheit widerspiegelt und damit die Plastizität des Geschichtsbildes erhöhen hilft. Der Begriff antifaschistisch-demokratische Umwälzung hilft zugleich deutlich zu machen, dag es sich dabei um historische Prozesse handelt, die sich unmittelbar aus der deutschen Geschichte und der in ihr enthaltenen Widerspruchsdialektik ergaben, auf neuer Stufe weiter60
geführt wurden und zur entscheidenden Wende in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und des deutschen Volkes führten. Dabei wird natürlich nicht übersehen, daß sich aus dieser konkrethistorischen Art und Weise der Widerspiegelung schwierige methodologische Probleme ergeben. Die Schwierigkeit besteht besonders darin, Begriffe wie antifaschistisch-demokratische Umwälzung, aber auch volksdemokratische Revolution mit solchen Grundkategorien des Marxismus-Leninismus bzw. des historischen Materialismus wie „soziale Revolution", „sozialistische Revolution" im weiten und engen Sinne, „Übergangsepoche" und „Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus" in Verbindung zu bringen. Ein methodologisches Grundproblem ist es in diesem Zusammenhang, ob die revolutionären Prozesse im Geschichtsbild mehr mit Bezug auf deren konkret-historische Erscheinungsform auf einen Begriff zu bringen sind oder von derem Wesen her, d. h. mit Bezug auf die Kategorie Gesellschaftsformation und deren Abfolge. Zum Beispiel: Wenn der Begriff „volksdemokratische Revolution" als Synonym für den gesamten Prozeß des etappenweisen Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus angewandt wird, 34 so entspricht man damit in starkem Maße dem konkret-historischen Verlauf, insbesondere der Einheitlichkeit dieses Prozesses. Andererseits liegt der Nachteil darin, daß das Wesentliche und Entscheidende dieses Prozesses, d. h. die sozialistische Revolution, begrifflich nicht hervorgehoben wird und daß die sozialistische Revolution als sozialistische Etappe der volksdemokratischen Revolution sich begrifflich wie ein Unterbegriff zu einem Obergriff verhält. Wenn demgegenüber die volksdemokratische Revolution als historische Form der sozialistischen Revolution definiert wird, 35 ergibt sich daraus das Dilemma der Einordnung der ersten Etappe oder der Etappen des revolutionären Prozesses in eine sozialistische Revolution. Dann ginge in einer Reihe von Fällen die Bindung der sozialistischen Revolution an die Errichtung der Diktatur des Proletariats verloren, und auch die Etappenspezifik des revolutionären Prozesses würde eingeebnet. Das Problem, um das es vorrangig geht, besteht in folgendem: Ist aus der Tatsache, daß antifaschistisch-demokratische Umwälzung und volksdemokratische Revolution (in engerem Sinne gebraucht) den Weg zur sozialistischen Revolution öffneten und sich mit dieser zu einem einheitlichen revolutionären Prozeß verflochten, die Schlußfolgerung zu ziehen, daß es sich dabei um Anfangsetappen der sozialistischen Revolution (in einem weiteren Sinne begriffen) handelte? R. Barthel schreibt hierzu, daß Lenin nach seiner Ansicht „die sozialistische Revolution als einen sich entwickelnden Prozeß betrachtete, der mit konsequent demokratischen Veränderungen beginnt und schrittweise zur sozialistischen Umgestaltung weiterführt, wobei demokratische und sozialistische Wandlungen zeitweilig parallel laufen können, aber in ihrem Endzweck alle dem Übergang zu einer neuen Formation dienen und diesem Ziel untergeordnet sind. Aus einer solchen Sicht würden sich auch Vorbereitungsetappen in den Gesamtprozeß des Formationswechsels einfügen". 36 Derselbe Autor stellt an anderer Stelle fest, daß aus dieser Sicht die Übergangsperiode „Teil der sozialistischen Revolution im weiteren Sinne" sei.37 Wenn auch dem Anliegen R. Bartheis zugestimmt werden kann, das Wesen von revolutionären Prozessen durch deren Zuordnung zu Epocheninhalt und Formationswechsel herauszuarbeiten, so wird jedoch u. E. von ihm eine bestimmte historische Variante verabsolutiert, und es wird eine Reihe revolutionärer Prozesse, die sich nach dem zweiten Weltkrieg vollzogen haben, ungenügend berücksichtigt. Natürlich ist es unbestritten, daß die sozialistische Revolution, wo immer sie sich vollzieht, auch in dieser oder jener Form demokratische Aufgaben löst. Die Große 61
Sozialistische Oktoberrevolution z. B. war eine sozialistische Revolution als politische Revolution, sie zeitigte die Errichtung der Diktatur des Proletariats und stellte die Aufgabe, die sozialistische Revolution als sozial-ökonomische Revolution durchzuführen bzw. leitete diese ein, löste jedoch als „Nebenprodukt" zunächst erst einmal Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution. In den volksdemokratischen Ländern wie auch in der sowjetischen Besatzungszone hingegen wurden die antifaschistischen, antiimperialistisch-demokratischen Aufgaben nicht als Nebenprodukt mit gelöst, ihre Lösung bildete vielmehr den Hauptinhalt einer ganzen Etappe des revolutionären Prozesses. Das ist ein gravierender Unterschied, der unbedingt berücksichtigt werden muß. Dieser revolutionäre Prozeß nahm erst dort und dann sozialistischen Charakter an, wo und wann die Diktatur des Proletariats errichtet wurde bzw. der Staat der Volksdemokratie diese Funktion auszuüben begann. Das geschah in einigen Ländern in fließendem Übergang, in der CSR im Februar 1948 und im Osten Deutschlands mit der Gründung der DDR. Damit wurde der Übergang zur sozialistischen Etappe des einheitlichen revolutionären Prozesses markiert. Das entscheidende Kriterium dafür, ob es sich bei solchen Bewegungen wie dem antifaschistisch-demokratischen Kampf und seinen Ergebnissen um eine Anfangsetappe der sozialistischen Revolution oder um eine ihr vorgelagerte, den Weg zu ihr öffnende Etappe handelte, besteht offensichtlich letztlich in dem Grad der Machteroberung durch die Arbeiterklasse und - damit verbunden - dem Reifegrad des subjektiven Faktors. 38 In Deutschland bzw. der sowjetischen Besatzungszone waren beim Übergang vom Krieg zum Frieden keine Voraussetzungen dafür vorhanden, vom Faschismus direkt zur Diktatur des Proletariats überzugehen oder den Kampf um deren Errichtung unmittelbar zu führen. Die Hauptaufgabe bestand vielmehr darin, den subjektiven Faktor für antifaschistisch-demokratische Umwälzungen zu formieren, 39 den Kampf um den Beginn einer antifaschistisch-demokratischen Umwälzung, um die Errichtung der Hegemonie der Arbeiterklasse auf der Stufe der revolutionär-demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern zu führen und alle Kräfte auf diese Aufgabe zu konzentrieren. Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung war eine ebenso komplizierte wie langfristig zu lösende revolutionäre Aufgabe. Letzteres um so mehr, wenn das auf die Errichtung eines deutschen demokratischen Staates gerichtete Ziel dieses Kampfes mit in die Betrachtung einbezogen wird. Daher ist es notwendig, die antifaschistisch-demokratische Umwälzung - von ihrem Wesen her und in formationsgenetischer Sicht - als Etappe der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus einzuordnen, sie revolutionstheoretisch mit der sozialistischen Revolution in enge Verbindung zu bringen, sie aber zugleich in ihrer qualitativen Spezifik von dieser abzuheben. Eine derartige Auffassung wird auch vom Verhältnis Strategie/Politik von KPD und SED und revolutionärem Prozeß gestützt. In den marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften besteht Übereinstimmung in der Erkenntnis, daß sich der Formationswechsel vom Kapitalismus zum Sozialismus nicht spontan vollzieht und vollziehen kann, sondern daß er des entscheidenden Einflusses des Elementes der Bewußtheit bedarf, verkörpert vor allem durch die marxistisch-leninistische Partei der Arbeiterklasse. Die neue Qualität des Geschichtsprozesses, die mit dem Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus Gestalt annimmt, ist ja - in theoretischer Abstraktion - vor allem eine „neue Stufe des Verhältnisses von Gesetz und Handeln . . .".40 Insoweit eine marxistisch-leninistische Partei ihrer objektiv bedingten Führungsrolle gerecht wird - und das Kriterium dürfte der erfolgreich verlaufende revolutionäre Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus sein - müssen sich notwen62
digerweise Beziehungen der weitgehenden (natürlich nicht völligen) Übereinstimmung zwischen ihrer Strategie und Politik und dem realen historischen Prozeß ergeben. Wenn KPD und SED zunächst als Bestandteil der Konzeption eines einheitlichen revolutionären Prozesses eine Strategie und Politik des antifaschistisch-demokratischen Kampfes und antifaschistisch-demokratischer Umwälzungen befolgten bzw. betrieben, dann konnte diese Politik nur deshalb erfolgreich sein, zu derartig politisch tiefgreifenden, radikalen und historisch gründlichen Massenaktionen führen, weil es eben eine solche grundsätzliche Übereinstimmung zwischen dem Prozeß, dessen objektiven und subjektiven Triebkräften und der Politik von KPD und SED gab.41 Damit hing wiederum die tiefe Verwurzelung der Politik von KPD und SED in der Arbeiterklasse und bei ihren Verbündeten, ihre Volksverbundenheit zusammen, die sie nach wie vor auszeichnet. Beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus ist die Führung durch die marxistisch-leninistische Partei nicht nur schlechthin die wichtigste objektive Gesetzmäßigkeit, sondern Strategie und Politik einer solchen Partei sind auch die entscheidenden Vermittlungsglieder zwischen objektivem Entwicklungsgesetz und seinem im Klassenkampf und Handeln der Volksmassen wurzelnden Wirkungsmechanismus. Wenn aus der These, daß dem Wesen nach mit der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus eingeleitet wurde, geschlußfolgert wird, daß jene Bestandteil der sozialistischen Revolution sei, ergibt sich wiederum daraus der gravierende Schluß, daß die Übergangsperiode spontan begonnen hat, da dann Strategie und Politik von KPD und SED den realen Prozeß mit falschem Bewußtsein widergespiegelt hätten. Die (weitgehende) Übereinstimmung zwischen Strategie und Politik von KPD und SED und revolutionärem Prozeß erlangt auch im Hinblick auf gegnerische Verfälschungen unseres Geschichtsbildes Bedeutung: Gilt doch nach wie vor im Zusammenhang mit der „Sowjetisierungsthese" die Behauptung, daß die antifaschistisch-demokratische Strategie und Politik von KPD und SED, insbesondere auch deren Bündnispolitik, nur eine Frage der Taktik im schlechten Sinne gewesen sei, sozusagen der Tarnschleier, hinter dem die Errichtung der „kommunistischen Diktatur' und die „kommunistische" Umwandlung der Gesellschaft erfolgt seien.42
2.
Wesen und Spezifik der antifaschistischdemokratischen Umwälzung
Bei den antifaschistischen, antiimperialistisch-demokratischen Bewegungen handelt es sich um nichtsozialistische revolutionäre Strömungen, die jedoch ein integrierender Bestandteil der sozialen Revolution des Proletariats sind und in einer besonders engen Wechselbeziehung zur sozialistischen Revolution stehen. Ihre objektiven Wurzeln liegen in Entwicklungstendenzen des monopolistischen bzw. staatsmonopolistischen Kapitalismus, in der Verbindung der „Reaktion auf der ganzen Linie" mit monopolistischen Extraprofiten. Fragen des Opportunismus in der Arbeiterbewegung, der Demokratie, der sozialen Sicherheit und des Friedens stellen sich erneut bzw. auf neue, zugespitzte Weise. Das zeigt sich am deutlichsten seit den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts in den entstehenden faschistischen Regimes, im zweiten Weltkrieg usw. Damit entstand eine neuartige Widerspruchsdialektik, die wesentlichen Einfluß auf gesellschaftspolitische Prozesse und damit auf den Kampf der Arbeiterklasse um die Erringung der politischen Macht bzw. hinsichtlich des Herankommens an die sozialistische Revolution ausgeübt hat und ausübt. 63
Der antifaschistische, antimonopolistisch-demokratische Kampf folgt keinen besonderen sozialökonomischen, vom Grundwiderspruch des Kapitalismus abgehobenen Gesetzmäßigkeiten. Die mit Existenz- und Wirkungsweise des Imperialismus aufbrechenden Widersprüche sind vielmehr konkrete Erscheinungsformen dieses Grundwiderspruchs.43 Allerdings tritt diese Beziehung nicht offen zutage, sie wirkt vermittelt und wird verschleiert, und es besteht keine Kongruenz zwischen dem Grundwiderspruch des Kapitalismus und dem Widerspruch zwischen Faschismus bzw. Monopolen und Volk. Die Negation von Demokratie, Frieden und sozialer Sicherheit durch den Imperialismus in dieser oder jener Form produziert mehr oder weniger intensiv in den davon betroffenen Klassen und Schichten die Negation der Negation, d. h. sie bringt die Tendenz antiimperialistisch-demokratischer Bestrebungen und Bewegungen in dieser oder jener Form hervor. Ihr Charakteristikum ist, dag sich in ihnen unterschiedliche Klasseninteressen und Triebkräfte, unterschiedliche politische Vorstellungen und Weltanschauungen in der Negation des Imperialismus bzw. bestimmter imperialistischer Erscheinungsformen vereinen. Diese Widersprüche und die daraus resultierenden demokratischen Bewegungen neuen Typs beinhalteten eine objektiv bedingte neuartige Verbindung des Kampfes um Demokratie und um Sozialismus - auch und gerade in den Ländern, in denen die bürgerlich-demokratische Revolution bereits ganz oder zum großen Teil vollzogen worden war und die materiellen Voraussetzungen für den Übergang zum Sozialismus vollständig ausgebildet waren. W. I. Lenin hat sich mit dieser Problematik bereits 1920 ausführlich beschäftigt und auf eine sich daraus ergebende Konsequenz hingewiesen, indem er feststellte, daß es, wie die Erfahrungen zeigten, die Arbeiterklasse in Westeuropa schwerer hätte, die sozialistische Revolution zu beginnen bzw. an sie heranzukommen, als das russische Proletariat es gehabt habe — allerdings voraussichtlich auch leichter, sie fortzusetzen. 44 Es bedurfte aber noch weiterer Erfahrungen des Kampfes der KPD und anderer kommunistischer Parteien, bis die Erkenntnis von der Möglichkeit einer antiimperialistisch-demokratischen Etappe 45 des Kampfes auch in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern gewonnen werden konnte. Die entscheidenden strategischen Schlußfolgerungen wurden im Kampf gegen den Faschismus vom VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale 1935 gezogen 46 - von der KPD und anderen kommunistischen Parteien dann schöpferisch auf die Kampfbedingungen in ihren Ländern angewandt. Bei der gegebenen Zusammensetzung und dem Entwicklungsstand der potentiellen subjektiven Triebkräfte des historischen Prozesses war es nicht möglich bzw. politisch nicht richtig, die Negation des faschistischen Imperialismus zugleich mit antikapitalistischer, sozialistischer Aufgabenstellung zu verbinden. Es kam vielmehr darauf an, diejenigen Aufgaben und Ziele in den Vordergrund zu rücken, für die eine breite Klassen- und Parteienkoalition gebildet und die zur Triebkraft des revolutionären Prozesses entwickelt werden konnte. Denn auch für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung galt Lenins Feststellung, daß man mit „der Avantgarde allein" 47 nicht siegen kann und daß sich breite Massen nur über ihre eigenen Interessen und politischen Erfahrungen zur revolutionären Triebkraft entwickeln können. Und das waren 1945 in Deutschland die Erfahrungen mit Faschismus und Militarismus sowie - auch - mit dem Versagen der Weimarer Republik und der politischen Kräfte, die sie getragen hatten. Es ging darum, die antifaschistisch-demokratischen Aufgaben in ihrer Spezifik als Grundlage für die Aktionseinheit der Arbeiterklasse und als politische Plattform für eine breite antifaschistisch-demokratische Einheitsfront in den Mittelpunkt des politischen
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Kampfes zu rücken - wie es dann auch mit dem Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 geschah. 48 „Zum Beginn des einheitlichen revolutionären Prozesses im Jahre 1945", betonte der Generalsekretär des ZK der SED, Erich Honecker, rückblickend, „stellten wir nicht die sozialistische Revolution als Tagesaufgabe, sondern richteten den Hauptstoß der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung gegen Monopolkapital und Großgrundbesitz. Als ihre wichtigste Aufgabe sah es unsere Partei an, die Arbeiterklasse zur Führung in allen gesellschaftlichen Bereichen zu befähigen und ein breites Bündnis mit den Bauern, der Intelligenz und den städtischen Mittelschichten herzustellen." 49 Nicht nur für die Bündnispartner der Arbeiterklasse, sondern auch f ü r die Arbeiterklasse selbst, 50 für deren Entwicklung und Revolutionierung auf der Grundlage der Aktionseinheit erwiesen sich die antifaschistisch-demokratische Aufgabenstellung und der gemeinsame Kampf f ü r ihre Lösung als einzig richtige und erfolgversprechende Politik. Zwischen Kommunisten, klassenbewußten Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern gab es weitgehende Übereinstimmung über den Inhalt der antifaschistisch-demokratischen Umgestaltungen, insbesondere darüber, daß hierbei vor allem das Monopolkapital als Grundlage und Nutznießer der faschistischen Diktatur beseitigt werden müsse und die Betriebe in die Hände des Volkes zu überführen seien. 51 Zunächst aber gingen nur die marxistisch-leninistischen Kader der KPD konsequent vom revolutionären Charakter der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung, von deren sozialistischer Perspektive und von der entscheidenden Frage, der Frage der Macht aus. In der Frage der sozialistischen Revolution und des Sozialismus bestanden in der Arbeiterklasse große Unklarheiten respektive Meinungsverschiedenheiten. Es ging also darum, nicht die sozialistische Revolution, sondern die antifaschistischdemokratische Umwälzung zu beginnen und in Verbindung mit dem Kampf um diese Aufgabe die Hegemonie der Arbeiterklasse zu verwirklichen. 52 Dabei erwies es sich vergleichsweise als Vorteil des revolutionären Prozesses auf dem Gebiet der späteren DDR, die Revolution mit rd. 4 Millionen Arbeitern und Arbeiterinnen, die mehr als 50 Prozent aller Werktätigen ausmachten, durchführen zu können. 53 Das darin zum Ausdruck kommende gesellschaftliche Kräfteverhältnis beeinflußte auch nicht unwesentlich die Dialektik von Klassenkampf und Bündnis. 54 Die potentiellen Bündnispartner der Arbeiterklasse befanden sich in einer komplizierten Entscheidimgssituation. Ihre aus der Negation des faschistischen Imperialismus entspringenden antifaschistisch-demokratischen Bestrebungen führten sie zur revolutionären Arbeiterbewegung hin, deren sozialistische Zielvorstellungen sie jedoch ablehnten. Sie konnten und wollten deshalb zunächst nur ein Bündnis für die Bewältigung der auch im eigenen Interesse als notwendig empfundenen antifaschistisch-demokratischen Aufgaben eingehen. Dabei wollten sie soviel wie möglich Einfluß auf die Lösung dieser Aufgaben ausüben. Das heißt, sie widerstrebten allzu weit gehenden Umgestaltungen, betrachteten zumeist die antifaschistisch-demokratischen Veränderungen unter dem Aspekt einer zu reformierenden bürgerlichen Gesellschafts- und Staatsordnung und waren nicht bereit, einen Führungsanspruch der Arbeiterklasse anzuerkennen. Insgesamt gesehen trugen der Antifaschismus und der Demokratismus der Bündnispartner der Arbeiterklasse spontanen Charakter, sie reflektierten weder ihre eigene Situation noch den Charakter und den historischen Platz der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung, an der sie teilnahmen, richtig. Es bestand eine grundsätzliche Nichtübereinstimmung zwischen ihrer politischen Praxis und ihrer politischen Ideologie. Diese Feststellung bezieht sich auf diejenigen Klassenkräfte und Politiker, denen
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es mit der Lösung antifaschistisch-demokratischer Aufgaben und deshalb mit dem Bündnis mit der Arbeiterklasse ernst war, nicht jedoch auf die reaktionären Kräfte in CDU und LDPD, die sich nur antifaschistisch-demokratisch tarnten und in Wirklichkeit zielstrebig auf die Blockierung und Sabotage der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung sowie die Restaurierung des staatsmonopolistischen Kapitalismus hinarbeiteten. Die Dialektik der historischen Situation bestand darin, daß Bauern, Handwerker und Gewerbetreibende sowie Angehörige der bürgerlichen Intelligenz ihre antifaschistisch-demokratischen Lebensinteressen - nur an der Seite der Arbeiterklasse - nur unter Zurückdrängung ihres Interesses an einer bürgerlich-kapitalistischen Staats- und Gesellschaftsordnung wahrnehmen konnten. Mit dem Fortschreiten des revolutionären Prozesses und in Wechselwirkung mit den Veränderungen in der Lage und im Bewußtsein der Bündnispartner reproduzierte sich dieser Widerspruch immer wieder von neuem. KPD und SED berücksichtigten die damit verbundene Dialektik von Klassenkampf und Bündnis, stützten sich dabei auf die gemeinsamen antifaschistisch-demokratischen Interessen von Arbeiterklasse und verbündeten Klassen und Schichten und stärkten vor allem die Bündnisbeziehungen mit den werktätigen Schichten in den Reihen der Bündnispartner bzw. orientierten auf die aus deren objektiver Lage erwachsende Interessengemeinsamkeit. Darin bestand das progressive Element in den Reihen der Bündnispartner bei der konsequenten Durch- und Weiterführimg der antifaschistischdemokratischen Umwälzung und deren schließlicher Hinüberleitung in die sozialistische Revolution. Die Dialektik von Klassenkampf und Bündnis bzw. die sich entwickelnde Widerspruchsdialektik erforderten eine stufenweise Entwicklung der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung. KPD und SED orientierten auf einen etappenweisen Prozeß, in dem von der Überwindung der Erscheinungsformen des Faschismus zur Beseitigung seiner Klassengrundlagen fortgeschritten wurde, d. h., in dem die antifaschistisch-demokratische Stoßrichtung immer stärker gegen den Monopolkapitalismus und damit gegen das kapitalistische System überhaupt gelenkt wurde. Entscheidend war dabei von Anfang an die Frage der Macht. Bei Hervorheben der Bedeutung der Widerspruchsdialektik, die der antifaschistisch-demokratischen Aufgabenstellung zugrunde lag, und deren relativer Eigenständigkeit gilt es jedoch zugleich zu betonen, daß es sich bei der antifaschistischdemokratischen Umwälzung nicht um eine eigenständige, aus sozialökonomischen Gesetzmäßigkeiten entspringende Revolution handeln konnte. Diese Umwälzung hatte sozialökonomisch — aus der Sicht des Formationswechsels vom Kapitalismus zum Sozialismus - keine von der sozialistischen Revolution völlig abgetrennten Aufgaben zu lösen. Es ging vielmehr um die Lösung von spezifischen, relativ eigenständigen sozialen und politischen Widersprüchen, die nicht losgelöst vom Grundwiderspruch des Kapitalismus existierten. Deshalb konnten die antifaschistischen, antiimperialistisch-demokratischen Umwälzungen auch nicht losgelöst vom revolutionären Kampf der Arbeiterklasse und von deren historischer Mission bewältigt werden. Die antifaschistisch-demokratischen Aufgaben und deren Lösung bestimmten nicht an sich den Charakter des jeweiligen revolutionären Prozesses, sondern nur in Verbindung mit der Frage der Macht. Wenn es der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Vorhut in Jugoslawien, Bulgarien und Albanien - gemäß der Einschätzung der kommunistischen Parteien dieser Länder - gelang, im antifaschistischen Befreiungskampf die anerkannte Führung der Nation zu erlangen und im Ergebnis der Befreiungsrevolu66
tion faktisch die Diktatur des Proletariats zu errichten, erfolgte die Lösung antifaschistisch-demokratischer Aufgaben objektiv in den ersten Etappen einer sich entfaltenden sozialistischen Revolution. Auf dem Gebiet der DDR und der CSR, den beiden' Industrieländern, sowie in anderen volksdemokratischen Ländern entwickelte sich die Hegemonie der Arbeiterklasse auf der Stufe der revolutionär-demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern. Daraus ergab sich, daß die Lösung der antifaschistisch-demokratischen Aufgaben in einer spezifischen Etappe eines revolutionären Prozesses erfolgte, die sich mit dem Kampf um Sozialismus verflocht und die in die sozialistische Revolution hinüberwuchs.55 Die „antifaschistisch-demokratische Umwälzung" entwickelte sich in dem Maße zur sozialistischen Revolution weiter, „wie die Arbeiterklasse unter Führung der revolutionären Vorhut ihre Hegemonie verwirklicht, wie sie entscheidende Machtpositionen erobert und dabei das Bündnis mit den anderen werktätigen Klassen und Schichten schmiedet und ausbaut".56 An dieser Stelle sei auf den bürgerlichen Revolutionszyklus verwiesen, durch dessen vertiefte Erforschung es vor allem in den letzten Jahren gelungen ist, die revolutionären Bewegungen stärker zu differenzieren. Ohne direkte Parallelen ziehen zu wollen und den qualitativen Unterschied des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus zu übersehen, haben die vergleichenden Forschungen über den bürgerlichen Revolutionszyklus den Nachweis erbracht, wie notwendig die Verbindung des formationsgenetischen Aspektes mit dem revolutions-theoretischen und der konkret-historischen Analyse revolutionärer Prozesse ist.57 Verallgemeinernd kann festgestellt werden, „daß die grundlegenden geschichtlichen Umwälzungen, die zum Untergang einer anachronistisch gewordenen und zur Entstehung einer neuen Gesellschaftsformation führen, zumindest seit der Überlebtheit des Feudalismus durch einen politischen Prozeß realisiert werden, der in sich mehrere unterschiedliche Etappen und Aufgabenstellungen zur Machtergreifung und schließlichen Herrschaft der revolutionären Klasse enthält".58 Bei der revolutionstheoretischen Wertung der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung könnte angesichts der Tatsache, daß diese nur vier Jahre dauerte (die analoge Etappe in den volksdemokratischen Ländern war noch kürzer), geschlußfolgert werden, daß doch vieles dafür spräche, sie lediglich als unmittelbaren Prolog der sozialistischen Revolution zu behandeln. Bei Überlegungen hinsichtlich des Zeitmaßes der antifaschistisch-demokratischen Etappe ist es notwendig, eine Reihe besonderer Bedingungen, wie die unterstützende Wirksamkeit einer sozialistischen Besatzungsmacht und den stadialen Aspekt, zu berücksichtigen. Zum Unterschied von einer Situation, bei der bereits bis zur Bildimg einer Volksfront und der Ausübung staatlicher Macht durch die Arbeiterklasse und dem Beginn antiimperialistisch-demokratischer gesellschaftlicher Umwälzungen mehrere Entwicklungsetappen antiimperialistisch-demokratischer Bewegungefi vorangegangen sein können, nahm die antifaschistisch-demokratische Umwälzung ihren Ausgang mit der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus durch die Sowjetunion und deren Verbündete sowie die durch die Sowjetarmee vollzogene weitgehende Zerschlagung des faschistischen Unterdrückungs- und Staatsapparates. Im Zuge der Befreiung, d. h. innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes, veränderten sich nicht nur sprunghaft die Entwicklungs- und Kampfbedingungen der revolutionären Arbeiterbewegung in der sowjetischen Besatzungszone, sondern auch das politische Kräfteverhältnis der Klassen, die politischen Machtverhältnisse. Der antifaschistisch-demokratische Kampf ging unmittelbar in die Schaffung neuer antifaschistisch-demokratischer Staatsorgane
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und den Beginn tiefgreifender Umwälzungen gesellschaftlicher Verhältnisse und Strukturen über.59 Tiefgreifende antifaschistisch-demokratische Umwälzungen konnten unmittelbar in Angriff genommen und schrittweise vollzogen werden - mit zunehmender, breiter Massenbasis und hoher Dynamik. Die antifaschistisch-demokratischen Aufgaben konnten so in relativ kurzer Zeit, im wesentlichen bis zum Frühjahr 1948, gelöst werden. Zweifellos hätte, wäre die Abspaltung der Westzonen durch den Imperialismus verhindert worden, die Dimension der antifaschistisch-demokratischen Aufgaben im Prozeß der Schaffung eines deutschen demokratischen Staates auf dem gesamten deutschen Territorium bedeutend zugenommen, der Kampf um deren Lösung hätte sich kompliziert, und die Dauer dieses Kampfes hätte sich wahrscheinlich beträchtlich verlängert.en Bei diesem historischen Typus des revolutionären Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus haben wir es mit dem Phänomen zu tun, daß sich der revolutionäre Prozeß der Übergangsperiode nicht nur in einzelne Etappen gliedert, sondern vor allem in zwei voneinander unterschiedene und gleichzeitig miteinander verflochtene Stadien. Die sozialistische Revolution beginnt hier nicht mit einem grundlegenden Machtwechsel, d. h. dem Übergang der Macht von der Bourgeoisie zur Arbeiterklasse, sondern mit einer qualitativ neuen Stufe des Ausbaus der staatlichen Macht, in der die Arbeiterklasse bereits wesentlichen Einfluß ausübt, zur Diktatur des Proletariats. Bei dieser „Aufspaltung" handelt es sich zwar um keine allgemeine Gesetzmäßigkeit, aber doch um eine in objektiven Bedingungen wurzelnde Tendenz. Bekanntlich formulieren viele kommunistische Parteien der Gegenwart das strategische Ziel der Errichtung einer antimonopolistischen Demokratie und schlußfolgern daraus, daß sich die antimonopolistisch-demokratische Etappe mit der sozialistischen Etappe zu zwei Stadien eines einheitlichen revolutionären Prozesses des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus verbinden wird.61 Die antimonopolistisch-demokratische Etappe des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus kann dabei einen bedeutend größeren Zeitraum umfassen, als dies bei der antifaschistisch-demokratischen Etappe im Osten Deutschlands der Fall gewesen ist. Das unterstreicht die theoretische und praktische Bedeutung der damit verbundenen strategischen und politischen Probleme. Der sowjetische Gesellschaftswissenschaftler W. Sagladin stellt in diesem Zusammenhang fest: „Eines der Probleme, die rege Diskussionen auslösten, ist die Frage nach den Etappen des Übergangs zum Sozialismus. Sind es zwei Etappen - die demokratische, antimonopolistische und danach die sozialistische - oder nur eine Etappe, die Etappe des Übergangs zum Sozialismus, in deren Verlauf sowohl die demokratischen als auch die sozialistischen Aufgaben gelöst werden? Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach, aber - und das ist offenbar das Wichtigste - sie ist immer historisch konkret . . . Während beispielsweise der Widerspruch ,Arbeit - Kapital' mit der sozialistischen Revolution gelöst wird, setzt die Lösung des Widerspruchs ,Monopole - Volk' demokratische Umgestaltungen voraus, d. h„ das monopolistische Eigentum muß abgeschafft und in Staatseigentum umgewandelt werden. Gleichzeitig muß eine Machtstruktur errichtet werden, bei der nur eines unbedingt notwendig ist: alles zu unternehmen, damit das Monopolkapital nicht wieder ans Ruder kommt. Wie bereits festgestellt, lösen die verschiedenen Formationen der revolutionären Kräfte, darunter auch die kommunistischen Parteien, die Frage unterschiedlich, ob sich der revolutionäre Prozeß in ihren Ländern in zwei Etappen weiterentwickeln oder ob es eine kontinuierliche Vorwärtsentwicklung sein wird, bei der sich in einem bestimmten Augenblick ein revolutionärer Sprung zu einer neuen Qualität vollzieht. Doch un68
abhängig davon, wie der revolutionäre Prozeß verlaufen wird, ist es offensichtlich wichtig, im jeweiligen Augenblick den Charakter der sich entwickelnden Ereignisse und ihr Klassenwesen genau zu definieren. Hielte man antimonopolistische Umgestaltungen für eine sozialistische Umwälzung, dann würde damit dem Kampf für den wahren Sozialismus — d. h. für eine Gesellschaft frei von Privateigentum und Ausbeutung, für eine Gesellschaft der sozialen Gerechtigkeit - großer Schaden erwachsen." 62
3.
Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung als Etappe der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus
Der Zusammenhang zwischen antifaschistisch-demokratischer Umwälzung und der Ablösung der kapitalistischen Formation ergab sich daraus, daß alle Maßnahmen zur Beseitigung von Faschismus und Militarismus mit ihren gesellschaftlichen Grundlagen und Wurzeln zugleich Schritte auf dem Wege der Ablösung der kapitalistischen Formation und der Aufhebung der bürgerlich-kapitalistischen Ordnung waren, wenn sie konsequent durchgeführt wurden. So begriffen, d. h. mit allen ihren Konsequenzen, waren die antifaschistisch-demokratischen Aufgaben an sich revolutionär; denn sie waren untrennbar mit der Ablösung einer herrschenden Klasse durch eine andere verbunden und schlössen grundlegende wirtschaftliche, gesellschaftlich-politische und geistig-kulturelle Umgestaltungen ein. Die Geschichte hat bewiesen, daß die antifaschistisch-demokratischen Aufgaben nur unter der Hegemonie der Arbeiterklasse und mittels revolutionärer Massenaktionen bewältigt werden konnten. Auch in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands erwies sich die Schaffung revolutionärer Machtorgane, auf die die Arbeiterklasse wesentlichen und weiter zunehmenden Einfluß ausübte, als die entscheidende Bedingung des revolutionären Prozesses.163 Der Form nach unterschied sich die Entwicklung der Staatsfrage in der sowjetischen Besatzungszone von der entsprechenden Entwicklung in den europäischen Volksdemokratien, im Wesen der Sache bestand jedoch weitgehende Übereinstimmung.64 Eine Besonderheit der Entwicklung der Staatsfrage in der sowjetischen Besatzungszone 65 bestand darin, daß die oberste Regierungsgewalt bis zur Gründung der DDR bei der SMAD lag. Die SMAD übertrug den deutschen Landes- und Provinzialregierungen jedoch bereits im Oktober 1945 Gesetzes- und Verordnungsbefugnisse. Die Befehle der SMAD wurden mit den Repräsentanten, der deutschen Verwaltungen beraten und beruhten oft - wie z. B. der Befehl Nr. 234 fiö - auf deutschen Entwürfen. Die Mitarbeiter der SMA vermittelten wichtige Erfahrungen, unterstützten die deutschen Verwaltungsorgane und beschränkten sich immer stärker auf die Wahrnehmung von Kontrollbefugnissen. „Analysiert man die Befehle und Entscheidungen der SMA, wird sichtbar, daß alle wesentlichen sozialökonomischen Veränderungen in der Zeit nach 1945 als Entscheidungen deutscher Organe ergingen." 6. Und es kann zusammenfassend festgestellt werden, daß „die von der SMA wahrgenommene oberste Regierungsgewalt in der sich herausbildenden antifaschistisch-demokratischen Staatsordnung kein Fremdkörper" 68 war. „Die Ausübung dieser Souveränitätsrechte befand sich niemals in einem Gegensatz zu der sich entfaltenden Volkssouveränität, sie war vielmehr unter den spezifischen Entwicklungsbedingungen nach 1945 deren notwendige Voraussetzung." 69 Wesentlich war
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der sichere Schutz, den die SMAD bzw. die Sowjetarmee dem revolutionären Prozeß gegenüber imperialistischen Interventionen und Aggressionen unmittelbar gewährte. Die sozialistische Sowjetunion war somit zugleich Besatzungsmacht und Verbündeter der deutschen Arbeiterklasse, der antifaschistisch-demokratischen Kräfte des deutschen Volkes. Der Bruderbund zwischen KPD bzw. SED und KPdSU70 bewährte sich auch unter diesen Bedingungen. Er stellte die Grundlage dafür dar, daß - unter Zurückdrängung des Antisowjetismus - zwischen dem Volk der DDR und dem der Sowjetunion unzerstörbare Beziehungen der Freundschaft und Zusammenarbeit entstanden, die die internationale Grundbedingung für den erfolgreichen Verlauf des revolutionären Prozesses in der DDR gebildet haben und weiterhin bilden. Die Verflechtung von antifaschistisch-demokratischer Umwälzung und sozialistischer Revolution hatte somit eine ebenso wichtige äußere, internationale Komponente.71 Die antifaschistischdemokratische Umwälzung war untrennbar mit der Existenz und Wirksamkeit der sozialistischen Sowjetunion verbunden und entwickelte sich zu einem integrierenden Bestandteil derjenigen revolutionären Prozesse, als deren Ergebnis das sozialistische Weltsystem entstand. Der Aufbau der revolutionär-demokratischen Machtorgane in der sowjetischen Besatzungszone verblieb zunächst in den Grenzen der Länder. Die bereits im Sommer 1945 gebildeten Deutschen Zentralverwaltungen fungierten als beratende Organe der SMAD und hatten gegenüber den Länderregierungen keine Weisungsbefugnisse. Erst mit der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) wurde im Sommer 1947 ein zentralstaatliches Machtorgan geschaffen, das eine unmittelbare Vorstufe der Organe bzw. ein Element der Diktatur des Proletariats war.72 Die Einführung der längerfristigen Wirtschaftsplanung erfolgte in der sowjetischen Besatzungszone etwa ein bis zwei Jahre später als in den Ländern der europäischen Volksdemokratien.73 In der sowjetischen Besatzungszone existierten nach der Liquidierung der Wehrmacht keine deutschen Armeeeinheiten mehr. Die demokratische Polizei und die Grenzpolizei sowie später die Kasernierte Volkspolizei wurden völlig neu geschaffen. Ihren Charakter prägten Kader der revolutionären Arbeiterbewegung.74 Die Aufgabe, den faschistischen Staatsapparat restlos zu zerschlagen, die Verwaltungen gründlich zu entnazifizieren, einen neuen, antifaschistisch-demokratischen Staatsapparat aufzubauen, wurde unter dem bestimmenden Einfluß der Arbeiterklasse und deren revolutionärer Vorhut gelöst und konnte nur auf diese Weise bewältigt werden. Nur die Arbeiterklasse verfügte über eine klare Konzeption sowie über zahlreiche Kader, die sich im antifaschistischen Kampf bewährt hatten. Es war deshalb keineswegs zufällig, wenn die Arbeiterklasse den entscheidenden Einfluß auf die Bildung neuer antifaschistisch-demokratischer Verwaltungen erlangte. Daraus wiederum ergab sich der Charakter der entstehenden Machtorgane als Organe der revolutionär-demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern. Die restlose Zerschlagung der faschistischen Staatsmaschinerie und die Entnazifizierung der traditionellen bürgerlichen Staatsbürokratie führten somit in der Konsequenz zur Beseitigung des bürgerlichen Staatsapparates, zur Veränderung der Machtverhältnisse zugunsten der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten. Mit dem Verlust der Staatsmacht hatte die Bourgeoisie eine entscheidende Schlacht und ihr politisches Herrschaftsinstrument verloren. Die Errichtung der revolutionär-demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern im Kampf um antifaschistisch-demokratische Umwälzungen markierte den Beginn der Ablösung der ökonomischen Gesellschaftsformation des Kapitalismus. Diese Ablösung wurde in der Wechselwirkung von politischen, sozialökonomischen und ideologischen Prozessen
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-weitergeführt. Die revolutionären Machtorgane, die Schritt für Schritt weiter ausgebaut wurden und deren Klassencharakter sich weiter in Richtung Diktatur des Proletariats entwickelte, erwiesen sich als entscheidende Hebel des revolutionären Prozesses und prägten den Charakter der revolutionären Umwälzung und ihrer Ergebnisse. Mit der Säuberung der Leitungen der Betriebe von Kriegsverbrechern und aktiven Faschisten sowie der Übertragung von Leitungsaufgaben in die Verantwortung von klassenbewußten Arbeitern und bewährten Antifaschisten wurden in der Wirtschaftsleitung notwendige antifaschistisch-demokratische Konsequenzen gezogen und zugleich wesentliche Schritte auf dem Wege der Arbeiterkontrolle und zur Vorbereitimg von Kadern für die Leitung einer volkseigenen Industrie getan. Die demokratische Bodenreform 75 ,, die, von der KPD konzipiert, unter Führung der Arbeiterklasse als revolutionäre Massenaktion vollzogen wurde, entsprach der Notwendigkeit, den Großgrundbesitz als Hort des Militarismus und der politischen Reaktion zu beseitigen und berücksichtigte die Forderungen des jahrhundertelangen Kampfes der Bauern um Land. Die Form der Aufteilung des Landes an Einzelbauern entsprach den damals gegebe-, nen konkret-historischen Bedingungen - nicht zuletzt aber auch der Notwendigkeit, hunderttausende Umsiedler mit Land zu versorgen. Die Bodenreform trug den „Charakter einer antiimperialistisch-demokratischen Agrarrevolution unter Führung der Arbeiterklasse". 76 Daraus ergab sich, daß die demokratische Bodenreform noch nicht die Lösung der Agrarfrage bedeutete, wie sie in unserem Jahrhundert auf der Tagesordnung steht. Der unmittelbare Übergang zur genossenschaftlichen landwirtschaftlichen Großproduktion war jedoch aus objektiven Gründen und aus der Denk- und Verhaltensweise der Mehrheit der Bauern und Landarbeiter, wie sie 1945 vorherrschte, nicht möglich. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich - wie z. B. heute in Portugal unter anderen Bedingungen die antiimperialistisch-demokratische Aggrarrevolution bereits stärker mit einer genossenschaftlichen Form landwirtschaftlicher Großproduktion verbinden kann. Zwischen Bodenreform und der späteren sozialistischen Lösung der Agrarfrage bestand jedoch kein Gegensatz, sondern jene bereitete die spätere Lösung ebenfalls mit vor. 1. Mit der demokratischen Bodenreform wurde das Bündnis zwischen Arbeiterklas.se und Bauernschaft, vor allem mit der werktätigen Bauernschaft, auf eine feste Grundlage gestellt, d. h. das für die sozialistische Revolution entscheidende Klassenbündnis geschmiedet und die Hegemonie der Arbeiterklasse gestärkt. 2. Die Beseitigung des privaten Großgrundbesitzes einerseits, das Entstehen neuer privater Kleinwirtschaften der Bauern in großem Umfang andererseits bedeuteten eine wesentliche Schwächung des Kapitalismus auf dem Lande. Einer erneuten kapitalistischen Differenzierung wurde durch entsprechende Gesetze vorgebeugt. Der Kampf um die demokratische Bodenreform und deren Ergebnisse stärkten ökonomisch und politisch die antifaschistisch-demokratischen Verhältnisse als Verhältnisse des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Die revolutionär-demokratischen Machtorgane auf dem Lande wurden gefestigt. Mittel- und Kleinbauern erlangten zunehmenden Einfluß im Dorfe. KPD bzw. SED konnten ihre Organisationen und Positionen auf dem Lande qualitativ ausbauen. In den Neubauerndörfern erlangte die SED bei den Gemeindewahlen 1946 in der Regel Stimmenanteile, die weit über dem sonstigen Durchschnitt lagen. 77 3. Ein Drittel des Bodenfonds gelangte in die Hände staatlicher, kommunaler und gesellschaftlicher Organe. Im Ergebnis dessen entstanden etwa 500 volkseigene Güter. 6
Übergangsperiode
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Mit den Maschinenausleihstationen wurden feste Stützpunkte der Arbeiterklasse auf dem Lande errichtet. Mit den Ausschüssen für gegenseitige Bauernhilfe, in denen die werktätigen Bauern wachsenden Einfluß erlangten, entwickelte sich auch der Genossenschaftsgedanke. Die Arbeiterklasse leistete den Bauern in erhöhtem Maße technische Unterstützung und Hilfe. Für die Neubauern wurde ein Hilfsprogramm realisiert und mit der Schulreform ein wichtiger Schritt zur Überwindung der kulturellen Rückständigkeit des Dorfes getan. Die demokratische Bodenreform trug somit - auf Grund der richtungweisenden Rolle der KPD - den antiimperialistisch-demokratischen Erfordernissen, wie sie auch im Potsdamer Abkommen formuliert waren, Rechnung. Sie war zugleich ein integrierender Bestandteil des revolutionären Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus und bahnte den Weg zur späteren sozialistischen Lösung der Agrarfrage. Die demokratische Bodenreform reichte somit in ihrer gesellschaftlichen Funktion und ihrem historischen Platz weit über die Spezifik ihrer antifaschistisch-demokratischen Aufgabenstellung hinaus. Bei der Beseitigung der kapitalistischen Konzerne, Trusts, Großbanken und Kartelle als wirtschaftlicher Grundlage des deutschen Militarismus und Faschismus bzw. imperialistischer deutscher Aggressions- und Reaktionspolitik sowie der Enteignung der großkapitalistischen Nazi- und Kriegsverbrecher 78 war die Verflechtung von antifaschistisch-demokratischer Umwälzung und sozialistischer Revolution noch enger als bei der Bodenreform. Die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher und die Überführung ihrer Betriebe in Volkseigentum wurden auch in Ostdeutschland im Klassenkampf, in einer breiten revolutionär-demokratischen Bewegung vollzogen. Es gelang trotz zeitweiliger Zuspitzung der gesellschaftspolitischen Widersprüche - , das breite Klassen- und Parteibündnis beizubehalten und zu festigen. Die Enteignung der Naziund Kriegsverbrecher sowie die Überführung ihrer Betriebe in Volkseigentum unter den Bedingungen der staatlich institutionalisierten Hegemonie der Arbeiterklasse bedeuteten die Zerschlagung der Monopole und die Beseitigung des Monopolkapitalismus. Damit hörte der Kapitalismus auf, als geschlossenes, umfassendes gesellschaftspolitisches System zu existieren. Die Wirtschaft bestand nunmehr aus drei Sektoren: dem volkseigenen, dem kapitalistischen und demjenigen der kleinen Warenproduktion, wie dies typisch ist für die Wirtschaft der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus. Die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher wurde mit antifaschistisch-demokratischer Motivation, als antifaschistisch-demokratische Maßnahme durchgeführt. Ihrem sozialökonomischen Bezug nach jedoch entsprach sie im wesentlichen den Aufgaben der sozialistischen Nationalisierung. 79 Bezogen auf die Struktur bedeutete sie die Eroberung der Kommandohöhen der Wirtschaft durch die Arbeiterklasse, die ökonomische Fundierung der Hegemonie derselben, nicht zuletzt auch durch die mit der Schaffung des Volkseigentums verbundene Möglichkeit und Notwendigkeit der langfristigen Wirtschaftsplanung und zentralen Wirtschaftsleitung; in ihrem politischen Bezug beinhaltete sie die Festigung und den Ausbau dieser Hegemonie. „Mit dem volkseigenen Sektor war im bedeutendsten Bereich der Wirtschaft gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln und damit das wichtigste Element der sozialistischen Produktionsverhältnisse entstanden." 80 Die volkseigenen Betriebe besaßen 1948 an der industriellen Bruttoproduktion einen Anteil von ca. 40 Prozent. 200 Industriebetriebe mit einem Anteil von 22 Prozent waren zu Reparationszwecken in SAG-Betriebe umgewandelt worden. Auf Grund dessen brauchten sie nicht demontiert zu werden. Außerdem befanden sich die Bodenschätze, das Post- und Fernmeldewesen, die Eisenbahn und große Teile des Transportwesens
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in den Händen des Volkes. 1948 wurde begonnen, Teile des Großhandels zu verstaatlichen. Von dieser Maßnahme abgesehen, kamen alle Enteignungen in der Wirtschaft der sowjetischen Besatzungszone im Zuge der Bestrafung und Enteignung der Naziund Kriegsverbrecher zur Durchführung. Das war zweifellos gegenüber den volksdemokratischen Ländern Polen und CSR sowie Bulgarien, Ungarn und Rumänien eine Besonderheit, wo nach Konfiszierungen in dieser oder jener Form Enteignungen nach bestimmten Betriebsgrößen durchgeführt wurden — zum Teil gegen Entschädigung. 81 Andererseits hatte das zur Folge, daß der Anteil des volkseigenen Sektors an der industriellen Bruttoproduktion in diesen Ländern z. T. beträchtlich über demjenigen in der sowjetischen Besatzungszone lag, d. h., daß in der DDR noch lange Zeit ein relativ umfangreicher privatkapitalistischer Sektor existierte. In der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung auf geistig-kulturellem und ideologischem Gebiet trat ebenfalls die Verflechtung zwischen den Aufgaben der demokratischen Umwälzung und denen der sozialistischen Revolution deutlich zutage. 82 Angesichts des geistig-moralischen Verfalls, den der Faschismus hinterlassen hatte, sowie der zum Teil tief verwurzelten Bewußtseinsformen des Chauvinismus, verbunden mit rassistischem Elitedenken, des preußischen Militarismus, insbesondere auch des Antikommunismus und Antisowjetismus, waren die Aufgaben der geistig-kulturellen Umwälzung, Erziehung und Aufklärung ebenso dringlich wie schwierig zu bewältigen. „Ein antifaschistisch-demokratisches Bewußtsein war bei den Volksmassen herauszubilden, das durch die humanistischen und progressiven Traditionen des deutschen Volkes und durch eine konsequent antiimperialistische Haltung geprägt sein mußte." 83 Diese antifaschistisch-demokratische Zielstellung der geistig-kulturellen Umwälzung beinhaltete eine Vielfalt von weltanschaulichen und künstlerischen Positionen und ermöglichte ein breites Bündnis. Zugleich erfolgte die Verbreitung der Weltanschauung der Arbeiterklasse und ihrer Kultur - gestützt auf die von der Arbeiterklasse erkämpften Machtpositionen - auf qualitativ höherer historischer Stufe. Werke der Klassiker des Marxismus-Leninismus, Schriften führender Funktionäre der deutschen und internationalen Arbeiterbewegimg, marxistischer Gesellschaftswissenschaftler und Schriftsteller - insbesondere auch sowjetischer Provenienz - wurden in großem, wachsendem Umfang und mit zunehmender Wirksamkeit verbreitet. Von KPD und SED gingen auch in bezug auf die geistig-kulturelle Umwälzung die richtungweisenden Initiativen und die entscheidenden Impulse aus, wobei beide stets die Verflechtung des antifaschistisch-demokratischen Kampfes mit dem Kampf für den Sozialismus berücksichtigten. Diese Verflechtung zeigte sich auch bei der wichtigsten Aufgabe auf geistig-kulturellem Gebiet: bei der demokratischen Schulreform. Mit ihr verband sich das Ziel, zu gewährleisten, daß die Jugend im Geiste der Ideen des Friedens, des Humanismus, der Demokratie und des sozialen Fortschritts erzogen wird, mit der Brechimg des bürgerlichen Bildungsprivilegs und dem Beginn der Verwirklichung der Bildungsideale der Arbeiterklasse. „Die KPD setzte sich dafür ein, die Barriere niederzureißen, die in der kapitalistischen Gesellschaft das Volk von den Schöpfungen der Kultur und der Wissenschaft ferngehalten hatte." 84 Es entstanden entscheidende Grundlagen, um vor allem aus der Arbeiterklasse und der werktätigen Bauernschaft eine neue sozialistische Intelligenz heranzubilden. Die Vorstudienanstalten bzw. Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten ermöglichten begabten Arbeitern und Bauern den Zugang zum Hochschulstudium. Aus der Arbeiterklasse qualifizierten sich in großem Umfang Kader für die Leitung von Staat und Wirtschaft, für Justiz und Volksbildung, f ü r die Volkspolizei. Mit der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung insgesamt und somit auch auf 6*
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geistig-kulturellem Gebiet begannen sich sozialistische Denk- und Verhaltensweisen zu entwickeln. Sie zeigten sich besonders deutlich in der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung. Insofern beinhaltete die antifaschistisch-demokratische Umwälzung auch einen tiefgreifenden Prozeß geistig-kultureller Wandlungen, die den Übergangsprozeß vom Kapitalismus zum Sozialismus reflektierten und aktivierten. In diesem Umwälzungsprozeß entstanden und entwickelten sich Elemente der sozialistischen Kulturrevolution. 83 Bilanzieren wir diesen antifaschistisch-demokratischen Umwälzungsprozeß in seinem Formationsbezug, so gelangen wir zu der Schlußfolgerung, daß es sich nicht um einen Bestandteil der sozialistischen Revolution, wohl aber um eine spezifische Etappe der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus handelte. Hier und dort werden gegen diese Zuordnung zur Übergangsperiode mit Hinweis auf Aussagen der Klassiker des Marxismus-Leninismus Bedenken angemeldet. Marx schrieb in der Kritik des Gothaer Programms: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats."36 Und Lenin bekräftigte in „Staat und Revolution": „Der Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus muß natürlich eine ungeheure Fülle und Mannigfaltigkeit der politischen Formen hervorbringen, aber das Wesentliche wird dabei unbedingt das eine sein: die Diktatur des Proletariats."87 Ausgehend von diesen und anderen Feststellungen der Klassiker und von den Erfahrungen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, war und ist es z. T. noch üblich zu schlußfolgern, daß die Übergangsperiode unter allen Umständen mit der Errichtung der Diktatur des Proletariats beginnen muß. Diese Schlußfolgerung ist jedoch nicht zwingend. In der zitierten Aussage von Karl Marx ist bei genauerem Hinsehen ein zweifacher Ansatz enthalten. Im ersten Satz wird die allgemeine formationsgenetische Feststellung getroffen, daß zwischen beiden Formationen eine Periode der revolutionären Wandlung von der einen in die andere liegt. Dem folgt - aus der Sicht der revolutionstheoretisch wichtigsten Frage, der Frage von Macht und Staat - die Feststellung, daß jener formationsgenetischen oder sozialökonomisch bedingten Umwandlungsperiode eine politische Übergangsperiode entspricht, die im Prinzip nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats. Auch bei Lenins Aussage handelt es sich um den letztgenannten Aspekt. Beide Aussagen werden im Zusammenhang mit der Untersuchung der Staatsfrage getroffen. Sie konzentrieren sich auf den grundsätzlichen Sachverhalt, gemäß den vorliegenden Erfahrungen, und erörtern nicht die Problematik möglicher historisch-konkreter Modifikationen und Übergangsformen. Darum geht es aber gerade bei der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung und der volksdemokratischen Revolution. Dabei scheint es uns methodologisch wichtig, ebenfalls zwischen dem sozialökonomischen, formationsgenetischen und dem politisch-staatlichen Aspekt der Übergangsperiode zu differenzieren, ohne deren Wechselbeziehungen aus dem Auge zu verlieren. Formationsgenetisch dürfte es unbestritten sein, daß die Übergangsperiode dort und dann beginnt, wo der Prozeß der Ablösung der kapitalistischen Formation als herrschender Formation und der Herausbildung sozialistischer Produktionsverhältnisse seinen Anfang nimmt, d. h. dort, wo sich sozialökonomische Übergangsverhältnisse herausbilden. Die Tatsache, daß das in einigen Ländern bereits im Prozeß der Herausbildung der Diktatur des Proletariats, im Zuge und im Ergebnis antiimperialistisch-demokratischer Umwälzungen geschah, war eine historisch neuartige Problematik, die sich 74
Vinter den nach dem zweiten Weltkrieg entstandenen neuen Bedingungen des revolutionären Prozesses entwickelte. Mit der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung vollzog sich ein Machtwechsel zugunsten der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten, und zwar in Form der revolutionär-demokratischen Diktatur des Proletariats. Es entstanden sozialökonomische Übergangsverhältnisse, wie sie für ein bestimmtes Stadium der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus charakteristisch sind. Diese antifaschistisch-demokratischen Verhältnisse können zweifellos nicht mehr dem Kapitalismus zugeordnet werden. Die Konsequenz wäre, will man sie nicht zur Übergangsperiode rechnen, eine gesonderte Zwischenstufe zwischen Kapitalismus und Übergangsperiode anzunehmen, eine relativ eigenständige Ordnung. Das würde jedoch praktisch bedeuten, die illusionäre Auffassung von einer gemischten Gesellschaft, zusammengesetzt aus Elementen von Kapitalismus und Sozialismus, als angeblich möglichen Dauerzustand für real zu halten. U. E. ergibt sich aus dem Wesen der Lehre der Klassiker von der Übergangsperiode nicht, dag diese unter allen Umständen und in jedem Fall erst mit der Errichtung der Diktatur des Proletariats beginnen könne. Wenn die Hegemonie des Proletariats staatlich institutionalisiert wird und sich die Diktatur des Proletariats allmählich herausbildet, wie das in den meisten volksdemokratischen Ländern und in der sowjetischen Besatzungszone der Fall war, wird mit tiefgreifenden antiimperialistisch-demokratischen Umwälzungen der Kapitalismus als ökonomische Gesellschaftsformation abgelöst und damit objektiv die Übergangsperiode eingeleitet. Zweifellos ist das gegenüber der klassischen Form der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution eine Besonderheit. M i t der bewußt gewählten Formulierung, daß die Übergangsperiode eingeleitet wurde, wird dem Wesen der marxistisch-leninistischen Lehre von der Übergangsperiode u. E. jedoch voll entsprochen, nämlich, daß auch in diesem Fall das Wesentliche an der Übergangsperiode die Diktatur des Proletariats ist und bleibt. Die Übergangsperiode kann vor der Errichtung oder der vollen Ausprägung der Diktatur des Proletariats eingeleitet werden - die Lösung ihrer entscheidenden Aufgaben, der komplexe planmäßige Aufbau der Grundlagen des Sozialismus, bedarf jedoch unbedingt der Errichtung der Diktatur des Proletariats. 88 Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung war kein Bestandteil der sozialistischen Revolution, aber sie verflocht sich mit dieser, bildete eine spezifische Etappe des einheitlichen revolutionären Prozesses des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus als Hauptinhalt der Entstehung und Entwicklung der DDR. Mit der Durchsetzung der Hegemonie des Proletariats - begriffen in ihrer dialektischen Einheit von Machtausübung und Bündnis - beginnt ein revolutionärer Prozeß, der einheitlich ist vor allem hinsichtlich - der objektiven Triebkraft des revolutionären Prozesses, die aus dem Grundwiderspruch des Kapitalismus entspringt, der stufenweise, ausgehend von abgeleiteten Widersprüchen, aufgehoben wird - der subjektiven Triebkraft und ihrer Struktur, deren Hauptkraft die Arbeiterklasse als Mittelpunkt einer bestimmten, sich differenzierenden, aber nicht grundlegend verändernden Klassengruppierung ist - des zunächst ausschlaggebenden Einflusses der Arbeiterklasse und ihrer marxistischleninistischen Partei, der schließlichen Erringung der Führungsrolle und ihrer ständigen Erhöhung - der kontinuierlichen Entwicklung der Arbeiterklasse vom Proletariat zur sozialistischen Klasse und der Partei der Arbeiterklasse als marxistisch-leninistische Kampfpartei 75
- der allmählichen Errichtung und Ausübung der Diktatur des Proletariats, damit verbunden der Durchsetzung des Marxismus-Leninismus als zunächst einflußreichster und schließlich herrschender Weltanschauung - der allmählichen Durchsetzung sozialistischer Produktionsverhältnisse in einem aufsteigenden Prozeß - beginnend mit der Schaffung des volkseigenen Sektors und der Einführung der Wirtschaftsplanung - der Durchsetzung der sozialistischen Kulturrevolution, beginnend mit ihren ersten Elementen in der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung - der sich immer mehr vertiefenden Verbundenheit mit der Sowjetunion bis hin zum unzerstörbaren sozialistischen Bruderbund und der Verbundenheit vor allem mit den sozialistischen Nachbarländern - der Entstehung und Entwicklung der DDR als Bestandteil der Entstehung und Entwicklung des sozialistischen Weltsystems, insbesondere der sozialistischen Staatengemeinschaft. Das Problem der Einheitlichkeit des revolutionären Prozesses besteht im Kern darin, daß mit den antifaschistisch-demokratischen Umwälzungen der Übergang von der kapitalistischen zur sozialistischen Gesellschaftsformation eingeleitet und bis zu der Entwicklungsstufe weitergeführt wurde, wo mit der Errichtung der Diktatur des Proletariats der revolutionäre Prozeß sozialistischen Charakter annahm. Zweifellos wurde der historische Platz der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung endgültig erst vom weiteren Verlauf der Geschichte und vom Ergebnis des revolutionären Prozesses bestimmt. Zur Zeit der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung war bekanntlich noch nicht entschieden, ob die Schaffung eines deutschen demokratischen Staates auf dem gesamten deutschen Territorium oder nur auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone gelingen würde. Es war jedoch eine Eigenart der deutschen Nachkriegsentwicklung, daß - trotz der lange währenden Ausrichtung der Politik der SED auf das ganze deutsche Territorium - der Entwicklungsprozeß in der sowjetischen Besatzungszone nach seinen eigenen, ihm immanenten Gesetzmäßigkeiten auf dem Wege vom Kapitalismus zum Sozialismus voranschritt. Die auf ganz Deutschland zielende demokratische Orientierung übte ihren Einfluß auf Tempo, Taktik und Methoden aus, aber die SED ließ sich von der Politik der Spaltung und der vollendeten restaurativen Tatsachen, die der Imperialismus betrieb, nicht davon abhalten, die in Ostdeutschland notwendigen Schritte nach vorn in entsprechender Art und Weise zu tun. Die restaurative Spaltungspolitik des Imperialismus, die im Zuge des kalten Krieges forciert wurde, grenzte die antifaschistisch-demokratische Umwälzung auf die sowjetische Besatzungszone ein. Dadurch entstanden Erschwernisse für den revolutionären Prozeß - vor allem im weiteren Verlauf die aus den mit der Spaltung verbundenen Problemen und Disproportionen erwuchsen. Andererseits erfolgte auch in Reaktion auf die imperialistische Politik des kalten Krieges und der Spaltung Deutschlands die notwendige beschleunigte Eingliederung der sowjetischen Besatzungszone in das Weltlager des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus. Dadurch entstanden insgesamt - trotz der Auswirkungen der imperialistischen Politik - für die Hinüberleitung der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in die sozialistische Revolution günstige Bedingungen.89 Wenn wir die antifaschistisch-demokratische Umwälzung unter Berücksichtigung ihrer Spezifik und ihres gesellschaftlichen Struktur- und Entwicklungszusammenhangs bilanzieren, so können wir als wichtigste Erkenntnisse zusammenfassen: 76
1. Bei der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung handelte es sich um den Prozeß und das Ergebnis revolutionärer Massenbewegungen und tiefgreifender Reformen, die unter Hegemonie der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei vollzogen wurden. 2. Für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung war - wie für die volksdemo kratischen Revolutionen - die Befreiungsmission der Sowjetarmee eine konstitutive Bedingung. Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung entwickelte sich als Teil des revolutionären Weltprozesses und als Bestandteil des entstehenden sozialistischen Weltsystems. Das war der internationale Aspekt der Verflechtung des Kampfes um Demokratie und um Sozialismus in der antifaschistisch-demokratischen Umwälzimg. 3. Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung entsprang einer spezifischen Widerspruchsdialektik zwischen Faschismus und Militarismus und den Interessen des deutschen Volkes, die aus dem Grundwiderspruch des Kapitalismus abgeleitet, aber nicht mit ihm kongruent war. Daher verflochten sich die antifaschistisch-demokratischen Aufgaben als Teil der Gesamtumwälzung und in ihrer Spezifik mit dem Kampf um den Sozialismus. Im Ergebnis der antifaschistischen Umwälzung entstanden Elemente des Sozialismus und wurde das Tor zur sozialistischen Revolution aufgestoßen. 4. Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung bildete keinen Bestandteil der sozialistischen Revolution, sie leitete jedoch den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus ein bzw. bildete eine spezifische Etappe der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus; die antifaschistisch-demokratischen Verhältnisse können in ihrer Gesamtheit nicht mehr der kapitalistischen Formation, aber auch noch nicht der Phase des Sozialismus zugeordnet werden. Es handelte sich um Verhältnisse von Übergangscharakter in der Anfangsetappe der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus auf dem Gebiet der DDR. 5. Im Besonderen und Einzelnen der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung kommt das Wirken historischer Gesetzmäßigkeiten der Verbindimg des Kampfes um Demokratie und Sozialismus beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus zum Ausdruck. Aufgabe dieses Beitrages war es, diese konzeptionellen Positionen und Thesen theoretisch-methodologisch - in Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen - zu begründen und damit gleichzeitig auch zu weiteren Überlegungen und wissenschaftlichen Diskussionen anzuregen. Sicher konnten dabei nicht alle wichtigen Aspekte angeschnitten werden. Eine Reihe von Problemen bedarf weiterer intensiver Bearbeitung. Dabei ist es u. E. notwendig, vor allem auf der Grundlage neuer empirisch gewonnener Erkenntnisse und der vergleichenden Typologie theoretisch-methodologische Schlußfolgerungen zu ziehen. Ein zentrales Problem scheint uns zu sein, noch tiefer die neue Qualität des historischen Prozesses, vor allem im Verhältnis von Gesetz und Handeln, zu erforschen und besser darzustellen.90
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Anmerkungen 1 Siehe Rüttler, Woligang, Zur Frage der methodologischen Kriterien historischer Formationsbestimmung. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (im folgenden: ZfG), 1974, H. 10, S. 1029 ff.; derselbe, Oktoberrevolution und Revolutionsgeschichte. Zu den Kriterien einer historischen Typologie der Revolutionen der Neuzeit. In: ZfG, 1977, H. 12, S. 1405 ff. 2 Siehe ebenda, S. 1048; Shukow, l„ Einige Fragen der Theorie der ökonomischen Gesellschaftsformation. In: Sowjetwissenschaft, Berlin, 1974, H. 2, S. 150 ff.; Semjonow, I. I., Zur Diskussion über die ökonomische Gesellschaftsformation als historisches Entwicklungsstadium. In: ebenda, S. 161 ff. 3 Siehe Grundlagen des historischen Materialismus, hg. vom Institut für Gesellschaftswissenschaften, Berlin 1976, S. 321 ff.; Stiehler, Cottiried, Gesellschaft und Geschichte. Zu den Grundlagen der sozialen Entwicklung, Berlin 1974, S. 195 ff. 4 Siehe Philosophisches Wörterbuch, 7. Aufl., Berlin 1970, S. 950. 5 Stiehler, G., Gesellschaft und Geschichte, a. a. O., S. 197. 6 Marx, Karl, Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort. In: Marx, Karl/Engels, Friedrich, Werke, Bd. 13, Berlin 1974, S. 9. 7 Erklärung der Beratimg von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien. November 1960, Berlin 1961, S. 10. 8 Internationale Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau 1969. Berlin 1969, S. 55. 9 Krassin, ]., Die Dialektik des revolutionären Prozesses, APN-Verlag, Moskau 1973, S. 23. 10 Siehe Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder, die vom 14. bis 16. November 1957 in Moskau stattfand. In: Einheit, Berlin 1957, H. 12, S. 1473 f. 11 Siehe hierzu bes. Sarodow, K. /., Der Leninismus und aktuelle Probleme des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, Berlin 1974; Topornin, B. N., Das politische System des Sozialismus, Berlin 1974 (eine vergleichende Untersuchung der Hauptetappen der Entwicklung des politischen Systems des Sozialismus). Die historische Konkretheit unterscheidet den Begriff der sozialistischen Revolution vom Begriff der bürgerlichen Revolution, der „eine Kategorie allgemeinster Natur, eine auf hochgradiger Abstraktion beruhende logisch-historische Ordnungsgröfje" darstellt. (Kossok, Manfred, Vergleichende Revolutionsgeschichte der Neuzeit: Forschungsprobleme und Kontroversen. In: ZfG, 1978, H. 1, S. 9). Bürgerliche Revolutionen gibt es weder „als solche" noch „an sich". Überdies wäre vom Begrifflichen her das Pendant zur bürgerlichen Revolution nicht die sozialistische Revolution, sondern die proletarische Revolution, was oft übersehen wird. 12 Engelberg, Ernst, Zur Aktualität und Geschichte des Formationsproblems. In: Formationstheorie und Geschichte. Studien zur historischen Untersuchung von Gesellschaftsformationen im Werk von Marx, Engels und Lenin. Hg. v. Ernst Engelberg und Wolfgang Küttler, Berlin 1978, S. 16 f. 13 Das Aufj erachtlassen dieses Zusammenhangs, die Auffassung z. B„ dafj „die Volksdemokratie der Weg zum Sozialismus ohne die Diktatur des Proletariats sei", hatte schwerwiegende Folgen. Nemes, Dezsö, Aus den Lehren des Klassenkampfes um die Macht in Ungarn. In: Probleme des Friedens und des Sozialismus, Berlin 1976, H. 9, S. 1189. 14 Auf das Problem der Perspektive der sozialistischen Revolution in der DDR kann in diesem Zusammenhang nur hingewiesen werden. Siehe dazu Honecker, Erich, Die Aufgaben der Partei bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des IX. Parteitags der SED. Aus dem Referat des Generalsekretärs des ZK der SED auf der Beratung mit den I. Sekretären der Kreisleitungen, Berlin 1978, S. 7 ff.; Einheit, Berlin 1978, H. 7/8, S. 676. 15 Siehe die wertvolle Übersicht über die wichtigsten Arbeiten und über inhaltliche Probleme: Autorenkollektiv. Der revolutionäre Umwälzungsprozefj in Mittel- und Südost-
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europa nach dem zweiten Weltkrieg. Zu neuen Diskussionen über Inhalt und Form des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. In: ZfG, 1977, H. 5, S. 517ff. 16 Siehe vor allem Kalbe, Einstgert, Antifaschistischer Widerstand und volksdemokratische Revolution in Südosteuropa. Das Hinüberwachsen des Widerstandskampfes gegen den Faschismus in die Volksrevolution (1941-1944/45). Ein revolutionsgeschichtlicher Vergleich, Berlin 1974; Seeber, Eva, Die volksdemokratische Revolution in Mittel- und Südosteuropa als kontinuierlicher revolutionärer Prozeß und ihr Einfluß auf die Herausbildung des sozialistischen Weltsystems. In: Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas (im folgenden: JfGsL), Bd. 18/1, Berlin 1974, S. 21 ff.; Heitzer, Heinz, Allgemeines und Besonderes der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR. In: Jahrbuch für Geschichte (im folgenden: JfG), Bd. 11, Berlin 1974, S. 7 ff.; Velikij Oktjabr' i revoljucii 40-ach godov stranach Zentral'noj i Jugo-Vostocno; evropy, Autorenkollektiv unter Ltg. v. A. J. Manusevic, Moskva 1977; Der Rote Oktober und der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus. Hg. v. Ernstgert Kalbe im Auftrag der Karl-Marx-Universität Leipzig, Leipzig 1977; Kalbe, E„ Die Bedeutung des Sieges der UdSSR über den Faschismus für die Durchführung der volksdemokratischen Revolution und die Herausbildung der sozialistischen Gemeinschaft. In: JfGsL, Bd. 20/1, Berlin 1978, S. 13ff.; Manusevic, A. /., Der große Oktober und die Revolutionen der 40er Jahre in den Ländern Zentral- und Südosteuropas. In: JfG, Bd. 14, Berlin 1977, S. 135 ff. ; Anders, Maria/Fuchs, Gerhard. Die Errichtung der politischen Macht der Arbeiterklasse in der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und in den volksdemokratischen Revolutionen Europas. Ein revolutionsgeschichtlicher Vergleich. In: ZfG, 1978, H. 12, S. 1059 ff. 17 Bes. hervorzuheben Kalbe, E„ Methodologische Probleme des Revolutionsvergleichs von Oktoberrevolution und volksdemokratischer Revolution. In: Wissenschaftliche Mitteilungen der Historiker-Gesellschaft der DDR, 1977, H. II, S. 91 ff. 18 Siehe hierzu vor allem Heitzer, Allgemeines und Besonderes . . ., a. a. O. 19 Zur Genesis des Begriffs volksdemokratische Revolution und seiner Entwicklung siehe Kalbe, Antifaschistischer Widerstand . . ., a. a. O., S. 229 ff. 20 Mit etwas anderer Akzentuierung bereits von A. J . Manusevic umrissen, in: Sovetskaja Istoriceskaja Enciklopedija, Bd. 9, Moskau 1966, S. 936-940. 21 In diesem Punkt kann dem Autorenkollektiv des unter Anm. 15 genannten Aufsatzes nicht gefolgt werden, wenn es meint, daß. die unter Punkt eins charakterisierte Auffassung sich immer mehr durchsetze (S. 518). Der Verfasser ist der Meinung, eine solche Tendenz ließe sich eher in bezug auf die zweite Auffassung feststellen. Siehe z. B. die Differenzierung zwischen volksdemokratischer und sozialistischer Revolution anläßlich des 30. Jahrestages des Sieges über den Faschismus (Probleme des Friedens und des Sozialismus, 1975, H. 1, und bei Sazodow, a. a. O., S. 186.) 22 Der revolutionäre Umwälzungsprozeß a. O., S. 528ff.; siehe auch: Das Vermächtnis des siegreichen Februar. Beschluß des ZK der KPTsch zum 30. Jahrestag des Sieges über die Reaktion. In: Horizont, Berlin, 1978, H. 2, Beilage. 23 Der revolutionäre Umwälzungsprozeß . . ., a. a. O., S. 526 ff. 24 Siehe ebenda, S. 530. 25 Siehe ebenda, S. 525 ff. 26 Siehe ebenda, S. 523 f. 27 Einige der wichtigsten Arbeiten, die hierzu in den siebziger Jahren erschienen sind, in der Reihenfolge ihres Erscheinens: Heitzer, H„ Neue Probleme der Erforschung der Geschichte der DDR. In: ZfG, 1972, H. 8, S. 954ff.; Falk, Waltraud, Der Beginn des planmäßigen Aufbaus des Sozialismus in der DDR - Bestandteil des revolutionären Weltprozesses. Probleme der Wertung der historischen Umwälzungen in der DDR. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung (im folgenden: BzG), 1972, H. 6, S. 956ff.; Stöckigt, Rolf, Probleme des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus und der historische Platz der Gründung der DDR. In: BzG, 1973, H. 3, S. 415 ff.; Badstübner, Rolf, Zum Problem des einheitlichen revolutionären Prozesses auf dem Gebiet der DDR. In:
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ZfG, 1973, H. 11, S. 1325ff.; Benset, Günter, Zur Dialektik des revolutionären Umwälzungsprozesses auf dem Territorium der DDR. In: ZfG, 1974, H. 5, S. 522ff.; Heitzer, Allgemeines und Besonderes der Übergangsperiode . . ., a. a. O.; derselbe, Probleme 4er Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR. In: Wissenschaftliche Beiträge für den Geschichtslehrer, Berlin 1974, Nr. 10; Badstübner, R., Historische Probleme der volksdemokratischen Revolution. In: JfG, Bd. 12, Berlin 1974, S. 7 ff.; Benser, G., Die Befreiung Europas vom Faschismus durch die Sowjetunion und der Beginn des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus auf dem Territorium der DDR. In: ZfG, 1975, H. 4, S. 357ff.; Badstübner, R„ Probleme des revolutionären Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus auf dem Gebiet der DDR. In: Wissenschaftliche Mitteilungen der Historiker-Gesellschaft der DDR, 1976, H. I, S. 3ff.; Benser, G. Der revolutionäre Umwälzungsprozeß auf dem Territorium der DDR und seine historische Darstellung. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Erich Weinert", Magdeburg, 1976, H. 6.
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Die Ergebnisse dieser Diskussion finden ihren Niederschlag in solchen grundlegenden Werken wie: Klassenkampf - Tradition - Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Grundriß, Berlin 1974; DDR. Werden und Wachsen. Zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1974; Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß, Berlin 1978. Siehe den Beitrag von Günter Benser in diesem Band. Siehe Benser, Günter/Roßmann, Gerhard, Die Gründung der DDR - Bestandteil der Herausbildung des sozialistischen Weltsystems. In: BzG, 1974, Sonderh., S. 3ff.; Hegemann, Margot/Möschner, Günter, Die DDR als Wirtschaftspartner der sozialistischen Staaten in den ersten Jahren des RGW. In: JfG, Bd. 12, a. a. O., S. 245ff. Siehe auch den Beitrag von Margot Hegemann in diesem Band. Geschichte der SED, a. a. O., S. 106. Ebenda, S. 178 f. Ebenda, S. 177. So wird von einigen Historikern der DDR vorgeschlagen, den Begriff der volksdemokratischen Revolution, gebraucht als Synonym f ü r den einheitlichen revolutionären Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, auch auf die sowjetische Besatzungszone und die DDR anzuwenden. Wir sind zum einen der Meinung, daß dadurch in einem Umfang von den Besonderheiten der Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone abstrahiert würde, wie es für ein Geschichtsbild nicht zulässig wäre, es zum anderen auch keine Vorteile ergäbe, den Begriff der volksdemokratischen Revolution mit seinem noch immer umstrittenen Begriffsinhalt nachträglich bei uns einzuführen. Siehe die Definition von E. Kalbe, in: Die Bedeutung des Sieges der UdSSR . . a. a. O., S. 35. Es sei an dieser Stelle betont, daß es seitens des Verfassers des hier vorliegenden Beitrages in den inhaltlichen Fragen der Charakterisierung des revolutionären Prozesses und der dabei anzuwendenden Methodologie mit den Positionen von E. Kalbe, E. Seeber u. a. weitgehende Übereinstimmung gibt - mit Ausnahme der Definition der volksdemokratischen Revolution und den damit verbundenen Konsequenzen. Siehe Jegorow, W. N., Friedliche Koexistenz und revolutionärer Prozeß, Berlin 1972, S. 147 ff. Barthel, Rolf, Lenins Theorie der sozialistischen Revolution und die Spezifik des Formationswechsels vom Kapitalismus zum Kommunismus. In: Formationstheorie und Geschichte, a. a. O., S. 561. Ebenda, S. 573. Siehe auch hinsichtlich der Volksdemokratien: Anders/Fuchst, Die Errichtung der politischen Macht a. a. O., S. 1063 ff. Siehe den Beitrag von Heinz Heitzer in diesem Band. Betthausen, Peter ¡Rüttler, Woligatig, Subjektiver Faktor und Basis-Überbau-Dialektik. In: ebenda, S. 345.
41 Siehe speziell dazu den Beitrag von Günter Benser in diesem Band. 42 Siehe dazu Badstübner, R., Restaurationsapologie und Fortschrittsverteufelung. Das entspannungsfeindliche bürgerliche Nachkriegsgeschichtsbild in der BRD. (Reihe: Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie, H. 87), hg. v. Manfred Buhr u. a. Berlin 1978, S. 59 ff. 43 Hinsichtlich des sich daraus ergebenden formationsgenetischen Ansatzes hat R. Barthel recht, aber eben nicht in seinen revolutionstheoretischen Schlußfolgerungen. 44 Lenin, W. /., Der „linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus. In: Werke, Bd. 31, Berlin 1972, S. 49 f. 45 Jahn, Gisela/Köpstein, Horät/Lewin, Erwin, Zum Wechselverhältnis von demokratischen und sozialistischen Forderungen im Kampf der Kommunistischen Internationale gegen Imperialismus und Faschismus. In: Studien zur Geschichte der Kommunistischen Internationale, Berlin 1974, S. 51 ff. 46 Siehe Geschichte der SED, a. a. O., S. 58 ff. 47 Lenin, W. I., a. a. O., S. 80. 48 Siehe Geschichte der SED, a. a. O., S. 76 ff. 49 Honecket, Die Aufgaben der Partei bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des IX. Parteitages der SED, a. a. O., S. 7 f. 50 Zu den Auswirkungen von Faschismus und Krieg auf die Arbeiterklasse siehe Dittrich, Gottfried, Das quantitative Wachstum der Arbeiterklasse der DDR und die Veränderungen in ihrer sozialen und Zweigstruktur während der sozialistischen Revolution 1949 bis 1961/62, Diss. B, Leipzig 1977, S. 141 ff.; Barthel, Horst, Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen der DDR. Zur Wirtschaftsentwicklung auf dem Gebiet der DDR 1945 bis 1949/50. (Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, hg. v. J. Kuczynski und H. Mottek, Bd. 14), Berlin 1979, S. 51 ff.; Engelbetger, Wolfgang, Polit-ökonomische Probleme der Entwicklung der sowjetischen Besatzungszone in der Zeit von 1945-1947, Diss. A., Freiberg 1971, S. 51 ff. 51 Siehe Geschichte der SED, a. a. O., S. 100. 52 Siehe dazu auch Bensing, Manfred, Die Formierung der Arbeiterklasse zum Hegemon der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in der sowjetischen Besatzungszone als Zäsur in der Geschichte der Arbeiterklasse. In: JfG, Bd. 17, Berlin 1977, S. 365 ff. 53 Siehe Bensing, M„ Die Entwicklung der Arbeiterklasse der DDR beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus als Gegenstand historischer Forschung. In: JfG, Bd. 11, Berlin 1974, S. 158. 54 Dazu liegt eine Reihe grundlegender Untersuchungen vor. Hervorgehoben seien: Gemeinsam zum Sozialismus. Zur Geschichte der Bündnispolitik, Autorenkollektiv, Berlin 1969; Gambke, Heinz/Hümmler, Heinz/Stöckigt, Roll, Im Bündnis auf bewährtem Wege, Berlin 1972; Krause, Manfred, Zur Geschichte der Blockpolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in den Jahren 1945 bis 1955. Diss. B, Berlin 1978. Agsten, Rudolf¡Bogisch, Manfred, Bürgertum am Wendepunkt Die Herausbildung der antifaschistisch-demokratischen und antiimperialistischen Grundhaltung bei den Mitgliedern der LDPD 1945/46, Berlin 1970; dieselben, LDPD auf dem Wege in die DDR. Zur Geschichte der LDPD in den Jahren 1946-1949, Berlin 1974; Hoyer, Lutz, RevolutionKleinbürgertum-Ideologie. Zur Ideologiegeschichte der LDPD in den Jahren 1945 bis 1952, Berlin 1978; Zwanzig Jahre NDPD, Berlin 1969; Wirth, Günter, Zur Politik der Christlich-Demokratischen Union 1945-1950 (Hefte aus Burgscheidungen, Nr. 24), (Berlin 1959); Gudenschwager, Wolfgang/Kostka, Guntram, Kulturpolitik zwischen Gestern und Morgen. Zur Geschichte der CDU 1945 bis 1952 (Beiträge zur Geschichte, hg. vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU), o. O. 1977; Krubke, Erwin, Wirtschaftspolitik zwischen Gestern und Morgen. Die Stellungnahme der CDU zur Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR in Gestalt des Zweijahrplanes 1949/50 und des ersten Fünfjahrplanes 1951/1955. (CDUD - Beiträge zur Geschichte, hg. vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU), o. O. 1977. 55 Es müssen hier der Prozeßcharakter dieses Übergangs bzw. die Verflechtung der antifaschistisch-demokratischen und der sozialistischen Etappe betont werden. Im Grunde
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waren die wesentlichen Aufgaben der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung Mitte 1948 gelöst, und die Elemente des Sozialismus traten immer stärker hervor. Die entscheidende Zäsur für den Beginn der sozialistischen Etappe bildete die Gründung der DDR und die damit verbundene Errichtung der Diktatur des Proletariats. Die dem Wesen nach sozialistischen Aufgaben wurden jedoch in den Dokumenten der SED bis zur 2. Parteikonferenz 1952 „noch nicht direkt als sozialistische" (Geschichte der SED, a. a. O., S. 247) charakterisiert. Letzteres war eine Besonderheit des einheitlichen revolutionären Prozesses in der DDR. Hinsichtlich der Volksdemokratien hebt E. Seeber hervor: „Auf keinen Fall aber begann m. E. der Übergang von demokratischen zu sozialistischen Aufgaben in der volksdemokratischen Revolution erst zu dem Zeitpunkt, als die Diktatur des Proletariats voll durchgesetzt war." (Seeher, Die volksdemokratische Revolution. . a. a. O., S. 54). Man kann also feststellen: Die antifaschistisch-demokratische Aufgabenstellung begründet weder notwendigerweise eine spezifische revolutionäre Etappe, noch determiniert sie an sich deren Anfang und Ende! 56 Honecker, E., Auf sicherem Kurs, in: Einheit, Berlin, 1976, H. 4, S. 408. 57 Siehe Studien zur vergleichenden Revolutionsgeschichte 1500-1917. Hg. v. Manfred Kossok, Berlin 1974; Kossok, Manfred, Vergleichende Revolutionsgeschichte der Neuzeit..., a. a. O. 58 Grundlagen des historischen Materialismus, a. a. O., S. 271. (Hervorhebung - R. B.) 59 Siehe Benser, G„ Antifa-Ausschüsse - Staatsorgane - Parteiorganisation. Überlegungen zu Ausmaß, Rolle und Grenzen der antifaschistischen Bewegung am Ende des zweiten Weltkrieges. In: ZfG, 1978, H. 9, S. 785ff. 60 Siehe zu dieser Problematik und den damit verbundenen Besonderheiten der Entwicklung der sowjetischen Besatzungszone gegenüber den volksdemokratischen Ländern Badstübner, Historische Probleme der volksdemokratischen Revolution, a. a. O., S. 61 ff. In diesem Artikel ist der Verfasser noch von der von Kalbe gegebenen Definition der volksdemokratischen Revolution ausgegangen. 61 Siehe hinsichtlich der DKP Gerns', Wilhelm/Steigerwald, Robert, Für eine sozialistische Bundesrepublik, Frankfurt/Main 1977 (Bezug zur antifaschistisch-demokratischen Umwälzung auf Seite 44). 62 Sagladin, W., Die historische Mission der Arbeiterklasse und die Arbeiterbewegung der Gegenwart (I). In: Horizont, Berlin, 1978, H. 38, Beilage, S. 4. (Hervorhebung R. B.). Siehe auch die Herausarbeitung der Unterschiede zwischen antifaschistisch-demokritischer Umwälzung und sozialistischer Revolution im Beitrag von Günter Benser in diesem Band. 63 Siehe dazu vor allem Schöneburg, Karl-Heinz, Staat und Recht in der Geschichte der DDR, Berlin 1973; Fiedler, Helene, SED und Staatsmacht. Zur staatspolitischen Konzeption und Tätigkeit der SED 1946-1948, Berlin 1974; Zur Geschichte der Rechtspflege der DDR 1946-1949, Autorenkollektiv unter Ltg. v. Hilde Benjamin, Berlin 1976; Revolutionärer Prozeß und Staatsentwicklung, Autorenkollektiv unter Ltg. v. K. H. Schöneburg (Staats- und rechtstheoretische Studien des Instituts für Theorie des Staates und des Rechts der AdW der DDR, Nr. 2), Berlin 1976; Wehner, Helfried/Gräte, Karl-Heinz, Die Befreiung unseres Volkes vom Faschismus und der Beginn der antifaschistischdemokratischen Umwälzung. Dargestellt am Beispiel des Landes Sachsen. In: Sächsisches Heimatblatt, Dresden, 1975; Anders, M./Fuchs, G., Die Errichtung der politischen Macht der Arbeiterklasse in der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und in den volksdemokratischen Ländern Europas. In: ZfG, 1978, H. 12, S. 1059ff. - Grundsätzlich zu der mit dieser Flage mitunter verbundenen Problematik des Inhalts der Befreiungsmission der UdSSR siehe Kalbe, Die Bedeutung des Sieges der UdSSR . . ., a. a. O., S. 16 ff. 64 Zum Vergleich mit der Entwicklung in den volksdemokratischen Ländern siehe Kalbe, Antifaschistischer Widerstand . . ., a. a. O., S. 194 ff., Heitzer, Allgemeines und Besonderes . . ., a. a. O., S. 24ff.; Seeber, Die volksdemokratische Revolution . . ., a. a. O., S. 35ff.; Schöneburg, Karl-Heinz/Künzel, Werner, Allgemeines, Besonderes und Einzelnes in der Entstehung volksdemokratischer sozialistisch« Staaten in Europa. I n : Revo-
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lutionärer Prozeß und Staatsentwicklung, a. a. O., S. 9 ff.; Golebiowski, J. W., Revolution und Volksmacht in den europäischen Ländern 1944-1948. Allgemeine Gesetzmäßigkeiten und spezifische Merkmale. In: BzG, 1975, H. 6, S. 976 ff. In diesem Zusammenhang muß von den Besonderheiten abstrahiert werden, die aus der zeitweiligen Besetzung eines Teils der sowjetischen Besatzungszone durch anglo-amerikanische Truppen resultierten. Siehe Wille, Manfred, Studien zur Zusammenarbeit der von der KPD geführten deutschen Antifaschisten mit der sowjetischen Besatzungsmacht in der Provinz Sachsen (April bis Dezember 1945), Diss. B., Berlin 1977, S. 54 ff. (mit weiteren Literaturhinweisen). Siehe Füchtel, Heidrun, Der II. Parteitag der SED. Der Befehl Nr. 234 der SMAD vom Oktober 1947, seine Vorbereitung und Ausführung sowie sein Platz in der Geschichte der antifaschistisch-demokratischen, antiimperialistischen Umwälzung in der sowjetischen Besatzungszone. Die Zusammenarbeit der deutschen demokratischen Kräfte mit der SMAD. Diss. A, Berlin 1976, S. 41 ff. Schöneburg¡Künzel, Allgemeines, Besonderes und Einzelnes . . ., a. a. O., S. 13. Ebenda, S. 14. Ebenda. Siehe hierzu (mit weiteren Literaturangaben) Roßmann, Gerhard, Die brüderlichen Beziehungen zur Partei im Lande Lenins - Grundlage unseres Weges zum Sozialismus. I n : BzG, 1975, H. 2, S. 210; Heitzer, H., Hauptetappen der Kampfgemeinschaft von SED und KPdSU. In: ZfG, 1976, H. 9, S. 973ff.; Vol)ke, Heinz, Über die Entwicklung der Beziehungen der SED zur internationalen Arbeiterbewegung in den ersten Jahren nach der Gründung der Partei. In: BzG, 1972, H. 2, S. 222ff.; Die Entwicklung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR. Referate und Diskussionsbeiträge. XXII. Tagung der Kommission der Historiker der DDR und der UdSSR 4./5. Juni 1974 in Berlin, Berlin 1977. (Siehe auch Anm. 29). Dieser Aspekt, der u. E. bisher in unserer Geschichtsschreibung noch nicht genügend Beachtung gefunden hat, kann hier nicht weiter ausgeführt werden. Siehe dazu den Beitrag von Margot Hegemann in diesem Band. Weissleder, Wollgang, Deutsche Wirtschaftskommission: Kontinuierliche Vorbereitung der zentralen staatlichen Macht der Arbeiterklasse. I n : Revolutionärer Prozeß und Staatsentstehimg, a. a. O., S. 131 ff. Siehe Roesler, Jörg, Allgemeines und Besonderes bei der Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft der DDR (1945-1950), in: JfG, Bd. 12, Berlin 1974, S. 293. Siehe Röder, Reinhold, Die Entwicklung der Deutschen Volkspolizei und ihr Kampf zur Sicherung der antifaschistisch-demokratischen und der sozialistischen Revolution. In: Die Volkspolizei, Berlin 1969, H. 7, Beilage, S. 2 ff. Zur umfangreichen marxistischen Literatur der DDR, die darüber bereits bis Ende der sechziger Jahre erschienen war, vgl. den Forschungsbericht von Benser, Günter, in: ZfG, 1970, Sonderbd., S. 590 ff. Einige Forschungsarbeiten und Artikel jüngeren Datums: Kuntsche, Siegfried, Die ,Gemeinwirtschaft' der Neubauern. Probleme der Auflösung des Gutsbetriebes und des Aufbaus der Neubauernwirtschaften bei der demokratischen Bodenreform in Mecklenburg, Phil. Diss., Rostock 1970; Gottwald, Hans, Die Entmachtung der Großgrundbesitzer und Naziaktivisten und die Herausbildimg neuer Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft während der ersten Etappe der demokratischen Bodenreform im Herbst 1945 auf dem Territorium des heutigen Bezirks Erfurt, Diss. A„ Halle 1974; Kiesler, Bruno, Bodenreform - Grundlage der sozialistischen Entwicklung auf dem Lande. In: Einheit, 1975, H. 9, S. 1003ff.; Bündnis der Arbeiter und Bauern. Dokumente und Materialien zum 30. Jahrestag der Bodenreform, Berlin 1975.
76 Geschichte der SED, a. a. O., S. 103. 77 Siehe Müller, Christa, Probleme der Führungstätigkeit der KPD und der SED auf dem Lande im Kampf um Veränderungen im Denken und Handeln der werktätigen Bauern während der antifaschistisch-demokratischen Umwälzimg und des Übergangs zur sozialistischen Revolution. Diss. A„ Berlin 1978, S. 87 ff.
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78 Grundlegend dazu bereits 1959 Doetnberg, Stelan, Die Geburt eines neuen Deutschland. Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung und die Entstehung der DDR, Berlin 1959, S. 234 ff. Weitere Literatur siehe Forschungsbericht von G. Benser, a. a. O. 79 Siehe Heitzer, Allgemeines und Besonderes . ... a. a. O., S. 38. 80 Geschichte der SED, a. a. O., S. 138. 81 Seeber, Die volksdemokratische Revolution . . . . a. a. O., S. 50 f. Die Entstehung des sozialistischen Weltwirtschaftssystems (Die sozialistische Weltwirtschaft in vier Bänden, Bd. 1). Hg vom Institut für die Wirtschaft des sozialistischen Weltsystems der AdW der UdSSR, Berlin 1967, S. 123 ff. 82 Auf diesem Gebiet gibt es noch beträchtliche Forschungslücken. Siehe die Forschungsberichte von Bensei, a. a. O.; Mundoii, Forschungen zur Schul- und Exziehungsgeschichte, a. a. O., S. 210 ff.; Straube/Fläschendränger, Forschungen zur Geschichte der Universitäten, Hochschulen und Akademien der DDR, a. a. O., S. 187 ff. Hervorgehoben seien auch Rossow, Gerd, Die Kulturpolitik der SED von 1945 bis zur Gegenwart. In: Sozialistische Kulturrevolution. Hg. vom Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Berlin 1977, S. 104ff.; Bock. Helmut/Kintscher, Harald, Antiimperialistische Demokratie und Kulturentwicklung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945/46. In: Jahrbuch für Volkskunde und Kulturgeschichte, Berlin 1975, S. 10ff.; Günther, Karl-Heinz/Uhlig, Gottiried, Geschichte der Schule in der Deutschen Demokratischen Republik 1945 bis 1968, Berlin 1970; Zukunft von Anfang an. Der Weg unserer sozialistischen Schule. Autorenkollektiv unter Ltg. v. K.-H. Günther, Berlin 1970; Geschichte der Literatur der Deutschen Demokratischen Republik. Autorenkollektiv unter Ltg. v. Horst Haase u. a., Berlin 1976, 5. 31-185; Schulmeister, KarlHeinz, Zur Entstehung und Gründung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Berlin 1965; derselbe. Auf dem Wege zu einer neuen Kultur. Der Kulturbung in den Jahren 1945-1949, Berlin 1977. 83 Geschichte der SED, a. a. O., S. 104. 84 Ebenda, S. 106. 85 Siehe dazu den konzeptionellen Ansatz von Helmut Hanke, in: Sozialistische Kulturrevolution, a. a. O., S. 5 ff. 86 Marx, Karl, Kritik des Gothaer Programms. In: Marx, Karl/Engels, Friedrich: Werke, Bd. 19, Berlin 1976, S. 28. 87 Lenin, W. I., Staat und Revolution. In: Werke. Bd. 25, Berlin 1972, S. 425. 88 Siehe auch Heitzer, Probleme der Übergangsperiode . . ., a. a. O., S. 6 ff. 89 Siehe Geschichte der SED, a. a. O., S. 171 ff. 90 Siehe Hörz, Horst, Über die Struktur von Entwicklungsgesetzen. In: Gesetzmäßigkeit der sozialen Entwicklung (Grundfragen der marxistisch-leninistischen Philosophie), Berlin 1975, S. 27 ff. Siehe auch Bartsch, G.jCrüger, H./Zak, Chr., Geschichte als gesetzmäßiger Prozeß (Grundfragen der marxistisch-leninistischen Philosophie), Berlin 1976; Pripisnow, W. I., Der Wirkungsmechanismus gesellschaftlicher Gesetze im Spiegel der modernen Gesellschaftswissenschaft. In: Die Gesetzmäßigkeit der sozialen Entwicklung, a. a. O., S. 53 ff.
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MARGOT
HEGEMANN
Zum Prozeß der Verankerung der D D R in der sozialistischen Staatengemeinschaft
Das enge, internationalistische Bündnis zwischen der UdSSR und den anderen sozialistischen Staaten Europas gehört zu den bedeutendsten Errungenschaften der internationalen Arbeiterbewegung. Es steht an der Spitze jener Faktoren, die das Kräfteverhältnis zwischen Sozialismus und Imperialismus in Europa zugunsten der Kräfte des Friedens und des gesellschaftlichen Fortschritts verändert haben und weiter verändern werden. Auf dieses Staatenbündnis und seine Politik gründen die Völker ihre Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden. Die brüderliche Verbundenheit zwischen den Staaten und Völkern der sozialistischen Gemeinschaft ist nicht von selbst entstanden, ist ihnen nicht von der Geschichte geschenkt worden. Vielmehr hat sie sich im gemeinsamen Kampf um Frieden und gesellschaftlichen Fortschritt herausgebildet. Insbesondere sind die engen Freundschaftsbande zwischen den Völkern der sozialistischen Staatengemeinschaft das Ergebnis zielstrebiger, langjähriger Bemühungen der Kommunisten der beteiligten Länder. Auch die Verankerung der DDR in der sozialistischen Staatengemeinschaft erfolgte nicht im Selbstlauf und nicht in einem einmaligen Akt, sondern vielmehr in einem langfristigen, von den kommunistischen und Arbeiterparteien der betreffenden Länder sorgsam gesteuerten Prozeß, in dessen Verlauf schrittweise die objektiven und subjektiven Bedingungen für die Herstellung internationalistischer Beziehungen zwischen der DDR einerseits und der Sowjetunion und den anderen Ländern der sozialistischen Gemeinschaft andererseits geschaffen wurden. Dieser Prozeß der Integrierung der DDR in das multilaterale Staatenbündnis verlief unter ständiger Klassenauseinandersetzung mit dem Imperialismus, der größte Anstrengungen unternahm, um den Sozialismus von den Grenzen Westeuropas fernzuhalten bzw. zurückzudrängen. Auf Grund aller dieser Gegebenheiten charakterisierte der Generalsekretät des ZK der KPdSU, L. I. Breshnew, die Beziehungen der allseitigen Zusammenarbeit und brüderlichen Freundschaft, die sich zwischen der DDR und der UdSSR herausgebildet haben, „als eine der größten Errungenschaften der Nachkriegsperiode" und „als einen hervorragenden Beweis dafür, daß gerade die sozialistische Ordnung imstande ist, einen echten Bruderbund der Völker zu schaffen". 1 Im Unterschied zur DDR traten einige der Länder der späteren Staatengemeinschaft bereits als Verbündete in die Nachkriegsperiode ein. Der gemeinsame Kampf gegen Hitlerdeutschland und das übereinstimmende Interesse am Aufbau einer gesicherten Friedensordnung in Europa hatten die Tschechoslowakei, Jugoslawien und Polen an die Seite der Sowjetunion geführt und die Basis für die gegen Ende des Krieges unterzeichneten Freundschafts- und Beistandsverträge geschaffen. 2 Mit der Errichtung der
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Volksmacht und der Durchsetzung tiefgreifender gesellschaftlicher Umwälzungen in diesen Ländern wurden deren Beziehungen zur Sowjetunion immer fester und parallel zur Durchsetzung sozialistischer Macht- und Produktionsverhältnisse mehr und mehr von den Elementen des proletarischen Internationalismus durchdrungen. Wenige Jahre später bahnten sich auch zwischen den anderen Ländern Mittel- und Südosteuropas, die den Weg der Volksdemokratie eingeschlagen hatten, und der Sowjetunion Beziehungen der Freundschaft und schließlich des sozialistischen Internationalismus an. In den Jahren 1947 bis 1949 schlössen Bulgarien, Ungarn und Rumänien, teilweise auch Albanien, Freundschafts- und Beistandsverträge mit der UdSSR, Jugoslawien, Polen und der Tschechoslowakei sowie untereinander ab, so daß die Länder Ost-, Mittel- und Südosteuropas erstmalig in der Geschichte durch vertraglich sanktionierte Freundschaftsbeziehungen sowie gleichgelagerte außen- und innenpolitische Grundinteressen miteinander verbunden waren.3 Sowohl im eigenen politischen Verständnis als auch in den Augen der imperialistischen Gegner dieser Entwicklung hatten sich damit der Kern und die territoriale Basis des weltweiten Lagers des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus herausgebildet. A. A. Shdanow, der Leiter der sowjetischen Delegation auf der Informationsberatung von Vertretern einiger kommunistischer Parteien, die im September 1947 im polnischen Szklarska Por^ba stattfand, definierte „die UdSSR und die Länder der neuen Demokratie" als „die Grundlage dieses Lagers", das sich „auf die Arbeiterbewegung und auf die demokratische Bewegung in allen Ländern, auf die brüderlichen kommunistischen Parteien . . auf die Kämpfer der nationalen Befreiungsbewegung in den kolonialen und den abhängigen Ländern sowie auf die Hilfe aller fortschrittlichen demokratischen Kräfte" stützte.4 Die damalige sowjetische Besatzungszone Deutschlands wurde auf dieser Beratung noch nicht ausdrücklich zum Lager des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus gezählt; sie fand im Referat A. A. Shdanows keine Erwähnung. Das hatte mancherlei Ursachen, die vor allem mit der Europa- und Deutschlandpolitik der UdSSR und den Beschlüssen der Antihitlerkoalition zusammenhingen. Daraus ergab sich nach Beendigung des zweiten Weltkrieges als überaus wichtige Aufgabe aller freiheitliebenden Völker, „einen dauerhaften, demokratischen Frieden zu gewährleisten, der den Sieg über den Faschismus verankert".5 Das schloß die Zielstellung von einem alle Besatzungszonen umfassenden demokratischen deutschen Staat ein, in dem die Möglichkeiten für das Wiederaufleben von Faschismus, Militarismus, Aggressivität und Revanchismus beseitigt wären. Die besten Kräfte des deutschen Volkes müßten die Macht haben, Garantien für eine demokratische Innen- und eine friedliche Außenpolitik zu geben, denn „die Aufgabe, eine deutsche Aggression zu verhüten, kann nicht restlos erfüllt werden, wenn nicht der deutsche Militarismus und Nazismus vernichtet und das öffentliche Leben und die Staatsordnung Deutschlands auf breiter und demokratischer Grundlage von Grund auf umgestaltet werden, was eine Garantie für die Gestaltung Deutschlands zu einem friedliebenden Staat sein wird . . .".6 Für diese Konzeption, deren Grundzüge dank der Initiative der Sowjetunion im Februar 1945 in Jalta als gemeinsame Ziele der drei alliierten Mächte formuliert wurden,7 traten die Sowjetregierung und die KPdSU wie auch die kommunistischen und Arbeiterparteien der volksdemokratischen und anderer Länder unbeirrt ein. Sie hielten auch dann noch daran fest, als die Tagung des Außenministerrates in Moskau im März/April 1947 deutlich erkennen ließ, daß „die USA, England und Frankreich bereit sind, nicht nur die Demokratisierung und Entmilitarisierung Deutschlands zu sabotieren, sondern sogar Deutschland als einheitlichen Staat zu liquidieren, zu spalten und die
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Frage des Friedens separat zu lösen".8 Da die Haltung der Westmächte von dem Bestreben diktiert war, das imperialistische System und ihren eigenen Einfluß wenigstens im westlichen Teil Deutschlands zu konservieren, war der Kampf um die Bildung eines einheitlichen, friedlichen, entmilitarisierten, demokratischen Deutschlands zugleich ein Kampf gegen Imperialismus und Reaktion. Das Bestreben des von der Sowjetunion geführten antiimperialistischen Friedenslagers stimmte mit dem Lebensinteresse breitester Kreise des deutschen Volkes überein. Tatsächlich erfuhr auch die Politik des Lagers des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus nicht nur seitens der werktätigen Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone Zustimmung und Unterstützung, sondern darüber hinaus auch seitens der antifaschistischen und demokratischen Teile der Bevölkerung in den Westzonen. Nicht zuletzt darauf gründete sich die Hoffnung der Nachbarvölker Deutschlands, daß die in Jalta und Potsdam von den Alliierten festgelegte Deutschlandpolitik trotz des Abrückens der Westmächte doch noch realisiert werden könnte. Von diesem Standpunkt aus, den auch die in Szklarska Por^ba versammelten kommunistischen Parteien einnahmen, ergab sich keine Veranlassung, die in ihrer demokratischen Entwicklung schon weiter fortgeschrittene sowjetische Besatzungszone den Westzonen gegenüberzustellen. Vielmehr entsprach es der sowjetischen Deutschlandpolitik, die Bemühungen und Erfolge der hier wirkenden Arbeiterpartei und ihrer Verbündeten in die Bestrebungen der antifaschistisch-demokratischen Kräfte des deutschen Volkes in allen Besatzungszonen einzuordnen. Zugleich darf nicht vergessen werden, daß zum Zeitpunkt der Konferenz von Szklarska Porgba nur reichlich zwei Jahre seit Ende des zweiten Weltkrieges vergangen waren. Dem sowjetischen Volk sowie den anderen Völkern, die unter der deutschen Aggression so schwer gelitten hatten, standen die Schrecken des Krieges in ihrer ganzen Grausamkeit noch vor Augen. Die tiefen psychischen und physischen Wunden, die der deutsche Faschismus geschlagen hatte, waren noch nicht verheilt, die materiellen Verluste noch nicht überwunden. Alle kommunistischen Parteien, die aufs engste mit den Werktätigen ihrer Länder verbunden waren, teilten und respektierten die Gefühle und Stimmungen der Völker, obwohl sie stets zwischen dem deutschen Imperialismus und der deutschen Arbeiterklasse, zwischen dem verbrecherischen Hitlerfaschismus und dem deutschen Volk zu unterscheiden wußten. Im Namen der KPdSU hatte J. W. Stalin schon im Februar 1942, als das Sowjetvolk in einem Ringen auf Leben und Tod gegen die deutschen Eindringlinge kämpfte, das berühmt gewordene Wort geprägt, dag „die Hitlerclique mit dem deutschen Volk" nicht gleichzusetzen sei und daß die Stärke der Roten Armee unter anderem darin bestehe, „daß sie keinen Rassenhaß gegen andere Völker, auch nicht gegen das deutsche Volk hegt und hegen kann".9 Auch die polnischen Kommunisten rangen „selbst unter den schwierigsten Bedingungen um eine marxistische Erklärung für die Ursachen des Faschismus" und traten „einer unterschiedslosen Verurteilung des deutschen Volkes entgegen", wie aus der PPR-Zeitung „Tribuna Wolnosci" vom 1. August 1944 hervorging. 10 Klement Gottwald erinnerte 1952 rückblickend daran, daß „unser Volk jahrelang den tapferen Kampf der deutschen Antifaschisten gegen die Hitlerverbrecher verfolgt und unterstützt (hat). Die Namen des heldenhaften Führers der deutschen Arbeiterklasse, Ernst Thälmann, und seines treuen Mitkämpfers, Wilhelm Pieck, haben unsere Werktätigen immer daran erinnert, daß es noch ein anderes Deutschland gibt, das am Ende siegen muß."11 Diese und viele andere Zeugnisse der klassenmäßigen Einschätzung des deutschen Volkes durch die kommunistischen Parteien der von Hitlerdeutschland Überfallenen 7
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und ausgeraubten Länder vermochten natürlich nicht allein die berechtigten Zweifel der leidgeprüften Bevölkerung hinsichtlich einer tiefgehenden Umerziehung des deutschen Volkes zu beseitigen. Dazu mußten erst in Deutschland selbst grundlegende Tatsachen geschaffen werden, die die Nachbarvölker überzeugen konnten, dag hier der Faschismus mit der Wurzel ausgerottet und ein echter Wandel in Politik und Ideologie angebahnt wurde. Daher verfolgten die sowjetischen Presseorgane und die der revolutionären Kräfte in den volksdemokratischen Ländern mit groger Aufmerksamkeit die unterschiedliche politische Entwicklung in den deutschen Besatzungszonen. Sie informierten ständig über die Bemühungen der antifaschistischen Kräfte in der sowjetischen Besatzungszone um eine konsequente Abrechnung mit dem Faschismus, um demokratische Umgestaltungen auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens und um den ideologischen Wandel in der Bevölkerung. Auf dem II. Parteitag der SED im September 1947 wies der Vertreter der SMAD, Oberst S. I. Tulpanow, darauf hin, dag „nicht nur die Sowjetische Militärverwaltung in Deutschland . . . mit grögter Spannung die Entwicklung, die Schwierigkeiten und die Erfolge der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (verfolgt), sondern, da jetzt in unserer sowjetischen Presse der Kampf zwischen Demokratie und Reaktion in Deutschland ausführlich behandelt wird, das ganze Volk der Sowjetunion". 12 Auch die polnische Parteipresse widmete dem Klassenkampf in den deutschen Besatzimgszonen groge Aufmerksamkeit und gab dazu treffende Kommentare. 13 Die Haltung der kommunistischen Parteien der Sowjetunion und ihrer Verbündeten gegenüber den progressiven Kräften in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands kam sehr deutlich auf dem II. Parteitag der SED, der kurz vor der Konferenz von Szklarska Por^ba im September 1947 stattfand, zum Ausdruck. Die KPdSU hatte eine Gastdelegation unter Leitung des ZK-Sekretärs M. A. Suslow entsandt. Weiterhin waren Mitglieder der Zentralkomitees der KP Jugoslawiens, der Bulgarischen Arbeiterpartei (Kommunisten) und der Ungarischen KP anwesend. Während der bulgarische und der ungarische Vertreter ausführlich über den Klassenkampf in ihren Heimatländern berichteten, 14 waren die Ansprache bzw. die Grugadresse der jugoslawischen und der sowjetischen Delegation kurz gehalten. In ihnen wurde an die Notwendigkeit „der völligen Ausrottung der Reste des Faschismus" und an die „Qualen und Vernichtungen . . ., die die Hitlerfaschisten Jugoslawien angetan haben", erinnert; zugleich war aber auch von der Leistung der SED bei „der Schaffung der Einheit der Arbeiterklasse Deutschlands und in der Zusammenfassung der fortschrittlichen Kräfte des deutschen Volkes" bzw. von der Überzeugung die Rede, „dag die SED die historische Aufgabe der Demokratisierung und Einigung des deutschen Volkes . . . erfüllen wird". 15 Ähnliche Gedanken enthielten die Grugadressen, die die Polnische Arbeiterpartei (PPR), die KP der Tschechoslowakei, die Polnische Sozialistische Partei (PPS) und die Sozialdemokratische Partei Rumäniens gesandt hatten, ohne gleichzeitig Vertreter zu dem Parteitag zu delegieren. 16 Die PPR lieg in ihrem Schreiben die ernste Mahnung anklingen, dag sich „die polnische Arbeiterklasse der ungeheuren Opfer, die das polnische Volk im Kampf um die Befreiung vom Joch des deutschen Imperialismus gebracht hat, immer bewugt bleibt". 17 Zugleich gab sie ihrem Vertrauen in die deutsche Bruderpartei Ausdruck, indem sie dieser versicherte: „Wir glauben, dag allein die SED, die die fortschrittlichsten Teile des deutschen Volkes vereint und die unter der Führung solcher Leute steht, die in der Zeit der hitlerschen Diktatur treu zum Banner der Freiheit gestanden haben, dem deutschen Volk den richtigen Weg zeigt, der zur Errichtung des Vertrauens der Völker Europas führt." 18 Die Delegierten des II. Parteitages waren tief ergriffen von den Botschaften der
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ßruderparteien. Klaus Zweiling, ein kampferprobter Revolutionär und Wissenschaftler, sah in ihrer Anteilnahme den Beweis, daß „der Ring der Isolierung . . . gesprengt" ist, daß die „deutschen fortschrittlichen Sozialisten nicht mehr allein" stehen. Er würdigte besonders die Tatsache, daß die Abgesandten jener Völker, „die Hitlerdeutschland in den Staub trat und lange Jahre des Krieges hindurch furchtbar quälte . . . uns die Hände entgegengestreckt haben" und betrachtete das als Mahnung, „welch tiefe und große Verantwortung uns damit zufällt". Er rief die Mitglieder der SED auf, alles zu tun, „daß diese neuen internationalen Beziehungen, die sich hier vor unseren Augen anzubahnen beginnen, nie wieder zerbrochen werden. Wir müssen uns bewußt sein: Mit diesem Brudergruß wird die Vergangenheit nicht ausgelöscht. Wir können sie löschen nur in einem zähen, unermüdlichen Kampf gegen die die Beziehungen der Völker vergiftenden Kräfte . . ." 19 Es war von ausschlaggebender Bedeutung, daß das deutsche Volk in der sowjetischen Besatzungszone begonnen hatte, dem Potsdamer Abkommen entsprechend „sein Leben auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage von neuem wiederaufzubauen", so daß es die Hoffnung hegen durfte, „zu gegebener Zeit seinen Platz unter den freien und friedlichen Völkern der Welt einzunehmen". 20 Deshalb bildeten die Vertrauensbekundungen der kommunistischen Parteien aus den ehemals unterjochten Ländern auf dem II. Parteitag der SED nicht nur einen Kredit auf deren künftige Leistung, sondern auch bereits eine Anerkennung dafür, daß ein Teil des deutschen Volkes unter Führung der SED bereits auf dem Wege war, die imperialistische Vergangenheit zu bewältigen. Vor allem waren durch die Umgestaltung der sozial-ökonomischen und der Machtverhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone Bedingungen geschaffen worden, die den Aufbau neuer, friedlicher und gutnachbarlicher Beziehungen zu anderen Völkern ermöglichten. Die KPdSU hatte dieser Entwicklung schon vor dem II. Parteitag der SED unter anderem dadurch Rechnung getragen, daß sie eine Delegation des Parteivorstandes der SED zu einem Meinungsaustausch einlud. Vom 30. Januar bis 7. Februar 1947 weilten Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Max Fechner, Walter Ulbricht und Fred Oelßner in der Sowjetunion, wo sie Unterredungen mit J. W. Stalin, M. A. Suslow und anderen Mitgliedern des Politbüros des ZK der KPdSU (B) hatten. 21 Während des II. Parteitages der SED führten die Gastgeber - vertreten durch Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Franz Dahlem und andere Genossen - ebenfalls wichtige Gespräche mit der von M. A. Suslow geleiteten sowjetischen Delegation sowie mit den Abgesandten anderer kommunistischer Parteien, wobei Erfahrungen ausgetauscht und die schrittweise Entwicklung eines Delegationsaustausches vereinbart wurden. 22 Die beginnende Zusammenarbeit zwischen der KPdSU und den kommunistischen und Arbeiterparteien der volksdemokratischen Länder einerseits und der SED andererseits vollzog sich vor dem Hintergrund einer zugespitzten internationalen Situation. Schon 1946 waren Politiker der imperialistischen Staaten mit Auffassungen an die Öffentlichkeit getreten, die eine Abkehr von den Prinzipien der Antihitlerkoalition bedeuteten. 23 Sie gewannen in den herrschenden Kreisen der USA, Englands und Frankreichs immer mehr Einfluß, was in solch feindseligen Akten wie der Einstellung der UNNRA-Hilfe für Polen und die Sowjetunion, 24 der Verweigerung von Reparationsleistungen aus den westlichen Besatzungszonen Deutschlands 25 und der Leugnung der Rechtmäßigkeit und Endgültigkeit der Oder-Neiße-Grenze zum Ausdruck kam. 26 Im März 1947 verkündete USA-Präsident H. S. Truman die nach ihm benannte Doktrin der amerikanischen Politik, deren Ziel darin bestand, das kapitalistische System, das in vielen Ländern erschüttert worden war, zu stabilisieren, den Vormarsch des Sozialismus in Europa und Asien durch konterrevolutionäre Aktionen aufzuhalten und die Vormachtstellung des 7*
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USA-Monopolkapitals in der Welt auszubauen. Bei der Realisierung dieser Absichten war dem verbliebenen Potential des deutschen Imperialismus die Rolle einer Speerspitze zugedacht. Aus diesem Grunde wurden Schritt für Schritt die Wiederherstellung der ökonomischen und politischen Macht des deutschen Imperialismus und in Verbindung damit die Zerreißung Deutschlands und die Bildung eines imperialistischen Separatstaates auf dem Boden West- und Süddeutschlands betrieben. Diese Politik der Westmächte vereitelte die Verwirklichung der zahlreichen Vorschläge der Sowjetunion zur Bildung einer antifaschistischen deutschen Regierung und zum Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland. Dadurch blieben nicht nur so zentrale Fragen offen wie die nach der Herstellung eines einheitlichen, demokratischen, antiimperialistischen deutschen Staates; ungeklärt blieben auch viele davon abgeleitete Probleme, wie die Aufstellung eines Reparationsplanes zur Sicherung der im Potsdamer Abkommen zugunsten der Sowjetunion und Polens festgelegten Wiedergutmachung27 sowie die Reparationsansprüche Bulgariens und Rumäniens.28 Die überaus große Kompliziertheit der internationalen Lage und die Gefahren für den Frieden, die durch die imperialistische Politik heraufbeschworen wurden, beschleunigten den Prozeß der Herausbildung neuer Formen des Zusammenwirkens der kommunistischen und Arbeiterparteien im internationalen Maßstab; sie wurden auf der neuen Stufe des revolutionären Weltprozesses und infolge des Anwachsens der kommunistischen Weltbewegung notwendig. Diesem Ziel, sich enger untereinander und insbesondere mit der KPdSU zusammenzuschließen, diente die auf Initiative der Polnischen Arbeiterpartei Ende September 1947 einberufene Konferenz von Szklarska Por^ba, auf der die teilnehmenden neun Bruderparteien die Feststellung trafen, daß der „Erfahrungsaustausch und die freiwillige Koordinierung der Aktionen der einzelnen Parteien . . . besonders akut geworden" sind, da sich „die internationale Lage kompliziert hat und die Isolierung der kommunistischen Parteien für die Arbeiterklasse schädlich werden kann".29 Die Konferenz beschloß, aus Vertretern dieser neun Parteien ein kommunistisches Informationsbüro zu schaffen, dem die Aufgabe übertragen wurde, „den Erfahrungsaustausch und nötigenfalls die Koordinierung der Tätigkeit der kommunistischen Parteien auf der Grundlage des gegenseitigen Einvernehmens zu organisieren".30 Die Konferenz von Szklarska Por^ba wirkte sich stimulierend auf die engere Gestaltung der Beziehungen zwischen der SED und den Bruderparteien aus. Das hing nicht zuletzt mit der Aufgabe zusammen, die die kommunistischen Parteien auf ihrer Informationsberatung formuliert hatten, nämlich sich „an die Spitze des Widerstandes gegen die Pläne der imperialistischen Aggression und Expansion (zu) stellen, . . . sich zusammenzuschließen, ihre Anstrengungen auf der Grundlage einer gemeinsamen antiimperialistischen Plattform (zu) vereinigen und alle demokratischen und patriotischen Kräfte um sich (zu) sammeln".31 Die Abwehr der expansiven imperialistischen Politik machte die Mobilisierung aller friedliebenden Kräfte erforderlich. Aus dieser Erkenntnis zogen die kommunistischen Parteien, die die Führung in den Ländern Mittel- und Südosteuropas ausübten, Schlußfolgerungen für ihre Bündnispolitik hinsichtlich der Festigung der nationalen Fronten in ihren Ländern. Sie berücksichtigten zugleich die Möglichkeiten, die antiimperialistische Kampffront auch international auszudehnen und zu stärken. Dabei erlangte das beträchtliche antiimperialistische Kampfpotential, das in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands herangewachsen war, zunehmende Bedeutung, zumal die imperialistischen Großmächte gerade Deutschland zum Hauptfeld der Klassenauseinandersetzung mit dem Sozialismus machten und nicht davor zurückschreckten, die reaktio-
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nären und militaristischen Kräfte in den von ihnen besetzten Zonen Deutschlands zu reaktivieren, um sie gegen die fortschrittlichen Kräfte des deutschen Volkes und unter revanchistischen Parolen auch gegen die revolutionäre Entwicklung in den östlichen Nachbarländern einzusetzen. Dieser restaurative Vorgang wird von der Geschichtsschreibung der BRD bis heute geleugnet, bemäntelt oder verschleiert, ohne dag die von der marxistischen Historiographie dazu angeführten Tatsachen und Zusammenhänge widerlegt werden konnten.32 Bei den politisch aufgeschlossenen Teilen der Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone, die unter Führung der SED aktiv an der Errichtung und Festigung der antifaschistisch-demokratischen Verhältnisse teilnahmen, setzte sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dag eine friedliche Entwicklung und ein wirtschaftlicher Aufstieg nur in Handlungseinheit mit der Sowjetunion und deren Verbündeten gesichert werden konnten. Dieser Überzeugung verlieh Otto Grotewohl Ausdruck, als er auf dem II. Parteitag betonte, dag „Sowjetrugland aus seiner inneren sozialistischen Struktur ein Friedensstaat und ein Friedenshort in der Welt ist" und dag davon abzuleiten sei, „welches Verhältnis das deutsche Volk in seiner Augenpolitik und in seiner Wirtschaftspolitik grundsätzlich zu Rugland einzunehmen hat".33 Wenige Wochen später bekräftigte Walter Ulbricht diesen Gedanken der augenpolitischen Orientierung auf das Lager des Friedens und des Sozialismus, indem er daran erinnerte, dag „die Völker der Sowjetunion stets die nationalen Interessen des deutschen Volkes unterstützt" haben und demzufolge das deutsche Volk gut beraten sei, wenn es „sich durch keine Antisowjethetze, durch keine Hetze gegen das demokratische Polen und die anderen Staaten Ost- und Südosteuropas von seinem Wege abbringen lägt".34 Die Mahnung, dem Antikommunismus und der Völkerhetze kein Gehör zu schenken, war durchaus aktuell, denn auch in der Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone wirkte die Ideologie des Faschismus noch so weit nach, dag sie vielerlei Anknüpfungsmöglichkeiten für neu belebte und besonders für verdeckte nationalistische sowie revanchistische Konzeptionen bot. So war es nicht ausgeschlossen, dag die demagogische Propaganda der SPD unter Kurt Schumacher Eingang in die sowjetische Besatzungszone fand. Die SPD erklärte zwar den Grundsatz, „mit allen Völkern in Frieden und Freundschaft zu leben", „zum diskussionslosen Gegenstand eines künftigen Deutschlands", vertrat aber gleichzeitig die damit nicht zu vereinbarende revanchistische Auffassung, „dag die Oder-Neige-Linie niemals völkerrechtliches Faktum und somit endgültig zur östlichen Grenze Deutschlands werden dürfe". 35 Das Verhältnis der SPD zur Sowjetunion war von ausgeprägtem Antikommunismus und Antisowjetismus bestimmt.36 Aber selbst innerhalb der sowjetischen Besatzungszone agierten politische Kräfte wie etwa Jacob Kaiser in der CDU, der „von eindeutig antisowjetischen, konterrevolutionären und revanchistischen Positionen ausging".37 Ähnliche Auffassungen vertraten die reaktionären Kräfte in der LDPD.38 Mit der Zuspitzimg der Meinungsverschiedenheiten zwischen den Hauptmächten der Antihitlerkoalition beschleunigte sich der Prozeg der Polarisierung der Klassenkräfte in den einzelnen Ländern und auch im Weltmagstab. Die Haltung zur Sowjetunion wurde zum Kriterium für den Standort im Kampf um Frieden und Demokratie. Das galt in besonderem Mage auch für die progressiven Kräfte in Deutschland, die den restaurativen und separatistischen Aktivitäten von imperialistischer Seite nur begegnen konnten, wenn sie sich auf die Sowjetunion und die volksdemokratischen Länder stützten. In politischer wie in wirtschaftlicher Hinsicht wurde das Zusammenwirken mit dem sich herausbildenden sozialistischen Weltsystem die entscheidende äugere Voraussetzung für die erfolgreiche Weiterführung der revolutionären Umgestaltungen 91
in der sowjetischen Besatzungszone und des Kampfes um die antiimperialistische Einheit des deutschen Volkes. Um diesen Bedingungen Rechnung zu tragen, bemühte sich der Parteivorstand der SED im Frühjahr 1948 um die Intensivierung der Kontakte mit den Parteiführungen der KPdSU- und der kommunistischen und Arbeiterparteien der volksdemokratischen Länder. Im März 1948 trafen die Vorsitzenden der SED, Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl, mit Mitgliedern des Politbüros des Zentralkomitees der KPdSU in Moskau zusammen. „Angesichts der drohenden Spaltung Deutschlands und Berlins durch den Imperialismus berieten sie über den gemeinsamen Kampf gegen diese friedensgefährdende Politik und erörterten Maßnahmen, um die antifaschistisch-demokratischen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone ökonomisch zu stärken. Auch informierten sich die Vorsitzenden der SED über die ideologische Arbeit und die Schulungstätigkeit der KPdSU."39 Letzteres fand seinen Niederschlag im Beschlug des Zentralsekretariats der SED zum Studium der Erfahrungen und der Geschichte der KPdSU vom 20. September 1948.40 Wichtige Ergebnisse erbrachte auch die Reise einer Delegation der SED im Juni 1948 in mehrere volksdemokratische Länder. Der Delegation gehörten Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und Grete Fuchs-Keilson an. 41 Sie besuchte vom 12. bis 14. Juni Ungarn, wo sie auf Einladung der dortigen KP am Parteitag teilnahm. Auf diesem vereinigten sich die KP Ungarns und die SP Ungarns zur Partei der Ungarischen Werktätigen. Am 15. und 16. Juni hielt sich die SED-Delegation in Bukarest auf. In den Gesprächen mit Mitgliedern der rumänischen Regierung seien positive Ergebnisse erzielt worden, und es bestehe Aussicht auf eine Erweiterung der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern, teilten Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl auf einer Pressekonferenz in der rumänischen Hauptstadt mit. Dabei nutzten sie die Gelegenheit, die rumänischen Pressevertreter ausführlich „über die politische und ökonomische Situation in Deutschland" zu informieren, d. h. über die imperialistischen Bestrebungen, unter angloamerikanischen Vorherrschaft einen Separatstaat im Westen Deutschlands zu gründen, und über die Konsequenzen, die sich daraus für das deutsche Volk ergaben. 42 In Sofia, das die Delegation am 17. und 18. Juni 1948 besuchte, traf Wilhelm Pieck zu einer herzlichen Unterredung mit Georgi Dimitroff zusammen, dessen enger Kampfgefährte er in den Jahren ihrer gemeinsamen Tätigkeit im Rahmen der Kommunistischen Internationale gewesen war und mit dem er auch nach 1945 im Briefwechsel stand.43 Georgi Dimitroff unterbreitete eine Reihe von Vorschlägen über die Erweiterung der Beziehungen zwischen der Bulgarischen Kommunistischen Partei und der SED sowie zwischen der VR Bulgarien und der sowjetischen Besatzungszone. Sein überragendes politisches Format bestätigte der kampferprobte Funktionär der bulgarischen und der internationalen Arbeiterbewegung durch die Forderung, die sowjetische Besatzungszone „wie ein neues Deutschland und nicht wie einen Überrest des alten faschistischen Deutschlands" zu behandeln. „Es muß eine andere, ganz neue Beziehung geschaffen werden gegenüber diesem neuen Deutschland. Das Mißtrauen muß aufhören, das einige Völker gegenüber dem deutschen Volk während des Krieges hatten, das begründet wurde durch Hitler und seinen Faschismus und das, was im westlichen Teil Deutschlands besteht."44 Die Reise der Parteidelegation führte von Sofia nach Oesterreich, das damals noch auf der Grundlage eines Vier-Mächte-Besatzungsstatuts verwaltet wurde. Anschließend besuchten die SED-Vorsitzenden Prag, das sich gerade zu der für den 27. Juni anberaumten Festversammlung der KPTsch und der tschechoslowakischen Sozialdemokraten rüstete, auf der dann die Vereinigung der beiden tschechoslowakischen Arbeiterparteien auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus vollzogen wurde. 92
Wilhelm Pieck schätzte die Ergebnisse der Reise nach der am 22. Juni 1948 erfolgten Rückkehr der Delegation auf einer Pressekonferenz sehr positiv ein. „Die volksdemokratischen Regierungen sehen in der demokratischen Entwicklung der Ostzone die Voraussetzung f ü r die Verbesserung der gegenseitigen wirtschaftlichen Beziehungen", sagte er und wies auf das große Verständnis hin, das er f ü r die ökonomischen Belange der deutschen Bevölkerung in der sowjetischen Besatzungszone gefunden hatte/' 5 In einer internen Auswertung vor dem Parteivorstand der SED unterstrich er die Bedeutung, die die erzielten Vereinbarungen gerade hinsichtlich „der Zerreißung Deutschlands durch die alliierten Westmächte und der Abschnürung Deutschlands vom Weltmarkt" hatten, und fügte hinzu, „daß wir die Resultate nur erreichen konnten, weil wir das volle Vertrauen der Parteiführungen dieser Länder hatten". 46 In der Tat hatten sich die antifaschistischen Kräfte der sowjetischen Besatzungszone und besonders die SED in der Sowjetunion und in den volksdemokratischen Ländern bereits einen Fundus an Vertrauen erworben. Das zeigte sich unter anderem darin, daß die Regierung d e r UdSSR immer mehr Leitungsfunktionen in die Hände deutscher Organe legte. Nachdem im Laufe des Jahres 1947 die Länderregierungen und -Parlamente der sowjetischen Besatzungszone bereits die Ausarbeitung der Produktionspläne übernommen hatten und die Zentralverwaltungen f ü r Industrie, Brennstoff und Energie, Transport, Handel und Versorgung, Land- und Forstwirtschaft koordinierende Funktionen ausübten, w u r d e am 4. Juni 1947 die Deutsche Wirtschaftskommission gebildet. 47 Ihre Zusammensetzung und ihre Vollmachten wurden mit dem Befehl Nr. 32 der SMAD vom 12. Februar 1948 umfassend geregelt. 48 Nach der separaten Währungsreform in den Westzonen erfolgte in der sowjetischen Besatzungszone die Bildung der Deutschen Notenbank als zentrales Bankinstitut mit dem Recht der Geldzeichenausgabe und anderen Aufgaben der Finanzpolitik. Diese Schritte waren geeignet, die revolutionäre Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone voranzubringen und zu festigen. Zugleich befand sich die Ausstattung deutscher Selbstverwaltungsgremien mit weittragenden politischen Rechten und Pflichten in Übereinstimmung mit der Deutschlandpolitik der Sowjetunion, die von Beginn an darauf ausgerichtet gewesen war, die Verantwortung f ü r die deutschen Angelegenheiten Schritt um Schritt demokratischen deutschen Organen zu übertragen. Die grundsätzliche Haltung der Sowjetunion zielte nach wie vor auf die Errichtung eines antiimperialistischen deutschen Staates ab. Sie war bestimmt vom „Wesen dieses Problems, das faktisch in der Sicherung des Friedens und der Gewährleistung der Sicherheit in Europa und nicht nur in Europa lag*. 49 Diese Position wurde auch durch das Kommunique der ersten gemeinsamen Außenministertagung der Sowjetunion und der volksdemokratischen Staaten Europas vom 24. Juni 1948 bekräftigt, 5 0 in dem „ein Programm f ü r die Fragen Deutschlands . . ., das den Interessen aller Völker entspricht und tatsächlich dem Frieden, der Demokratie und dem Sozialismus dient", 51 entwickelt wurde. Bei den Beratungen des Kominformbüros im Juni 1948 sowie im November 1949 52 und bei der Gründung des Rates f ü r Gegenseitige Wirtschaftshilfe im J a n u a r 1949 53 war keine deutsche Delegation zugegen. Zugleich aber, und das entsprach ebenso dem politischen Programm der UdSSR und ihrer Verbündeten, erhielten die progressiven Kräfte der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands in jeder Hinsicht politische und ökonomische Unterstützung seitens der Sowjetunion und der Volksdemokratien. Sehr intensiv entwickelte sich z. B. der Warenaustausch zwischen der sowjetischen Besatzungszone und den Ländern Ost- und Südosteuropas. Im zweiten Halbjahr 1948 wurden mit Ungarn, der Tschechoslowakei, Bulgarien und Rumänien Handelsabkom93
men getroffen. Auf die UdSSR entfielen 1948 bereits 40 Prozent des Warenumsatzes der sowjetischen Besatzungszone.54 Polen, das am 2. Februar 1946 als erster Staat mit deutschen Organen der sowjetischen Besatzungszone eine Handelsvereinbarung abgeschlossen hatte,55 steigerte den Warenumsatz mit der DDR 1947 auf 22 Mill. Dollar sowie 1948 auf 100 Mill. Dollar und erreichte damit die Höhe des deutsch-polnischen Warenaustausches von 1938.56 Am 3. März 1949 veröffentlichte „Neues Deutschland" eine Mitteilung über die Entwicklung der Außenhandelsbeziehungen im Jahre 1948. Darin wurde - im Vergleich zum Vorjahr - eine Steigerung des Austauschvolumens um 32,5 Prozent angegeben und berichtet, welche großen Mengen von Guß- und Walzeisen, Steinkohle und Koks, Schwefelkies, Mineraldünger und Lebensmitteln die UdSSR, Polen und die Tschechoslowakei in die sowjetische Besatzungszone geliefert hatten. 57 Im Verlauf des Jahres 1949 dehnten sich die Handelsbeziehungen der sowjetischen Besatzungszone mit der UdSSR und den Volksdemokratien weiter aus, wobei die Sowjetunion, Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn ihr erstmalig auch Warenkredite zur Verfügung stellten.58 Daß der Aufschwung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der sowjetischen Besatzungszone und ihren östlichen Nachbarländern den imperialistischen Plänen zuwiderlief, zeigen einige Reaktionen. Im März 1949 berichtete der US-amerikanische Botschafter in Warschau, Gallman, an seine vorgesetzte Behörde in Washington mehrfach über den steigenden Warenaustausch zwischen der sowjetischen Besatzungszone und Polen. Er verknüpfte damit eine Reihe von Spekulationen, so z. B., daß „über die enge Integration der zwei Volkswirtschaften der Boden für den Anschluß der künftigen ostdeutschen Regierung an den RGW vorbereitet" werden sollte59 und daß „die polnisch-tschechoslowakischen Industriepläne die sowjetische Zone mit erfassen".60 Zugleich gab Gallman zu, daß die „sowjetische Reaktion auf die Konter-Blockade" darin bestehen mußte, „den engeren Zusammenschluß der Volkswirtschaften Polens, der sowjetischen Besatzungszone und der Tschechoslowakei zu beschleunigen".61 In der Tat bemühte sich die Sowjetregierung, die Auswirkungen der imperialistischen Wirtschaftspolitik auf die Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone zu mildern, indem sie die Austauschbeziehungen zwischen dieser und den volksdemokratischen Ländern förderte. Die sowjetische Hilfe und die Solidarität, die die anderen Arbeiter-und-Bauern-Staaten den antiimperialistischen Kräften in der sowjetischen Besatzimgszone auf ökonomischem Gebiet erwiesen, trugen wesentlich dazu bei, daß der erste Versuch eines Wirtschaftsplanes in der sowjetischen Besatzungszone trotz der zahlreichen Störmanöver von westlicher Seite zum Erfolg geführt werden konnte. Parallel zu den ökonomischen Beziehungen erfuhren auch die politischen Verbindungen zwischen den Repräsentanten der sowjetischen Besatzungszone und den Führungsgremien der Sowjetunion und der Volksdemokratien eine weitere Belebimg. Erstmalig reiste im Oktober 1948 eine Delegation der SED, der Walter Ulbricht, Joseph Orlopp, Bruno Leuschner und Willi Stoph angehörten, in das neue Polen. Sie wurde von Ministerpräsident Jözef Cyrankiewicz, der zugleich Vorsitzender der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) war, empfangen. Bei dieser Begegnung kamen neben ökonomischen Anliegen der Gäste auch Fragen der künftigen Gestaltung der gegenseitigen Beziehungen zur Sprache, wobei die Gäste versicherten, daß sie die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als Voraussetzung für ein neues, freundschaftliches Verhältnis zum polnischen Volk betrachteten. 62 Natürlich konnte bei dieser ersten direkten Kontaktaufnahme der tiefe Graben nicht zugeschüttet werden, den die verhängnisvolle preußisch-deutsche Polenfeindlichkeit zwischen dem polnischen und dem deutschen Volk ausgehoben hatte, aber der Besuch der SED-Delegation stellte einen wichtigen Schritt 94
auf dem Wege zur Gesundung der Beziehungen dar. Kurze Zeit später, im Dezember 1948, nahm eine SED-Delegation am Vereinigungsparteitag von PPR und PPS zur Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei (PZPR) teil.63 In der Gewißheit, daß die zahlreichen ihrer Lösung harrenden Probleme der sowjetischen Besatzungszone nur mit Hilfe der Sowjetunion bewältigt werden konnten, war die SED bestrebt, besonders die Beziehungen zur UdSSR und zum Sowjetvolk zu intensivieren. Auf diesem Wege folgten ihr mehr und mehr auch die anderen Parteien der sowjetischen Besatzungszone. So bekannte sich der LDPD-Politiker Hermann Kastner, der im November 1948 den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Oktoberrevolution in Moskau beigewohnt hatte, nach seiner Rückkehr eindeutig zur deutsch-sowjetischen Freundschaft. Nicht zuletzt sein Auftreten bewog den 3. Parteitag der LDPD, „die Möglichkeit des gesteigerten Austauschs mit dem Osten" ausdrücklich zu begrüßen und damit die außenpolitische Orientierung der SED zu bestätigen.64 Das Bekenntnis zur Freundschaft mit der Sowjetunion gehörte von Anfang an zu den politischen Grundsätzen der 1948 neugegründeten kleinbürgerlich-demokratischen Parteien DBD und NDPD. 1948 konnten die Beziehungen der SED mit der KPdSU weiter vertieft werden. So begab sich im Dezember 1948 eine Gruppe führender Persönlichkeiten der SED Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Fred Oelßner und Walter Ulbricht - zu einem längeren Aufenthalt in die Sowjetunion, um dort grundlegende Fragen der internationalen Lage sowie der Politik der SED zur Weiterentwicklung der antifaschistisch-demokratischen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone zu erörtern. 65 Im April/Mai 1949 hielt sich Wilhelm Pieck erneut in der Sowjetunion auf: vorwiegend um sich dort einer Kur zu unterziehen, zugleich aber auch, um mit Vertretern der KPdSU und anderer Bruderparteien Meinungen und Erfahrungen auszutauschen. Dabei kam es auch zu den letzten Begegnungen mit Georgi Dimitroff, der sich ebenfalls nach Borowicha bei Moskau zur Behandlung begeben hatte, seiner schweren Erkrankung jedoch am 2. Juli 1949 erlag.66 Anfang September 1949 nahm Wilhelm Pieck auch persönlichen Kontakt mit dem Vorsitzenden der PZPR, Boleslaw Bierut, auf, um die Bemühungen um ein neues, freundschaftliches Verhältnis zum polnischen Volk fortzusetzen.67 Angesichts der schrittweisen Realisierung der imperialistischen Restaurations- und Spalterpläne - die Einführung der separaten Währung in den Westzonen, deren Einbeziehung in das amerikanische European Recovery Program, die Unterbrechimg des Warenaustausches mit der sowjetischen Besatzungszone, die Schaffimg des sog. Parlamentarischen Rates, die Spaltung Berlins und die Ausgestaltung Westberlins zur „Frontstadt" des kalten Krieges, die faktische Liquidierung des Alliierten Kontrollrates, die Schaffung eines Grundgesetzes für den geplanten westdeutschen Separatstaat usw. trafen die verantwortlichen politischen Kräfte der sowjetischen Besatzungszone Vorbereitungen, um als einzig mögliche Antwort auf die Bildung eines westdeutschen Separatstaates die Gründung eines deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates vornehmen zu können. Eine der wichtigsten Aufgaben dabei bestand darin, die Grundlagen der künftigen Außenpolitik zu erarbeiten und sich hierzu der Zustimmung aller Verbündeten der Arbeiterklasse zu versichern. Die SED, deren Standpunkt in dieser Frage klar und bekannt war, schlug dem Block der demokratischen Parteien vor, in die außenpolitischen Grundsätze des künftigen fortschrittlichen deutschen Staates sowohl das enge Zusammenwirken mit der Sowjetunion und den Volksdemokratien auf ökonomischem Gebiet als auch die positive Stellung zur Sowjetunion als der führenden Macht im Kampf um die Verteidigung des Friedens aufzunehmen. Wilhelm Pieck führte im Zu95
sammenhang mit der Ausarbeitung von Grundsätzen des antifaschistisch-demokratischen Blocks gerade auch zu diesem Komplex im Juni/Juli 1949 zahlreiche Gespräche mit führenden Vertretern der CDU und der LDPD 68 und half ihnen, sich mit den in diesen Parteien auftretenden konservativen und reaktionären Auffassungen auseinanderzusetzen. 69 Auf der 8. Tagung des Deutschen Volksrates am 22. Juli 1949 bezeichnete er es als Aufgabe der zu schaffenden Nationalen Front, mit dafür zu sorgen, „daß sich die Völker der vom Imperialismus bedrohten Länder eng um die sozialistische Sowjetunion scharen". 70 Dank dieser ideologischen Überzeugungsarbeit der SED-Politiker stimmten im August 1949 alle Parteien des Demokratischen Blocks einer Grundsatzerklärung zu, in der es ohne Verklausulierung hieß: „Der Demokratische Block bekennt sich zur Freundschaft mit der Sowjetunion, den Volksdemokratien und allen anderen friedliebenden Völkern." 71 In der Entschließung des Parteivorstandes der SED „Die Nationale Front des demokratischen Deutschlands und die SED" vom 4. Oktober 1949 wurde dieses klare Bekenntnis wiederholt: „Das Leben und die Zukunft des deutschen Volkes erfordern die enge und unverbrüchliche Freundschaft des deutschen Volkes mit der Sowjetunion und den Ländern der Volksdemokratien." 72 Schließlich bezeichnete auch Otto Grotewohl in seiner Regierungserklärung „die Freundschaft mit der Sowjetunion, den Volksdemokratien und allen anderen friedliebenden Völkern" als „Grundlage der Außenpolitik der Regierung", nachdem er bereits vorher betont hatte, daß „die Wiedergewinnung des Vertrauens und die Herbeiführung eines auf gegenseitiger Achtung beruhenden Verhältnisses zu allen Völkern . . . mehr denn je die Unterbindung jeder Völkerverhetzung (erfordern)". 73 Ebenso wandte er sich gegen diejenigen, die die OderNeiße-Grenze anzufechten versuchten, denn diese Grenze „ist für uns eine Friedensgrenze, die ein freundschaftliches Verhältnis mit dem polnischen Volk ermöglicht". 74 In der Sowjetunion und den Volksdemokratien wurden die außenpolitischen Grundsätze des am 7. Oktober 1949 gegründeten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates sehr aufmerksam und mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Eine Reaktion darauf war die rasche diplomatische Anerkennung der DDR. Nachdem die Regierung der UdSSR am 15. Oktober 1949 als erste den Beschluß gefaßt hatte, diplomatische Missionen mit der Provisorischen Regierung der DDR auszutauschen, 75 folgten ihr bis zum 2. Dezember 1949 die Regierungen der VR Bulgarien, der VR Polen, der Tschechoslowakischen Republik, der Ungarischen VR, der Rumänischen VR, der VR China, der Koreanischen VDR und der VR Albanien. 76 Die Stellungnahmen, die von den führenden Persönlichkeiten dieser Staaten im Zusammenhang mit der Gründung der DDR abgegeben wurden, drückten übereinstimmend die großen Erwartungen aus, die an die Existenz eines friedliebenden, demokratischen deutschen Staates geknüpft wurden. In dem berühmt gewordenen Telegramm J. W. Stalins wurde die Gründung der DDR bekanntlich mit der Gewährleistung des Friedens in Europa in Zusammenhang gebracht. 77 Boleslaw Bierut erklärte auf dem 3. Plenum des ZK der PZPR im November 1949, daß mit der Errichtung der DDR erstmalig „seit vielen Jahrhunderten die Grundbedingungen für die Sicherheit Polens vom Westen her und für die Sicherung eines beständigen Friedens in ganz Europa geschaffen" worden seien, und er verpflichtete die Mitglieder der PZPR, „den werktätigen Massen die große Bedeutung der Entstehung der DDR als eines geschichtlichen Umschwungs in den deutsch-polnischen Beziehungen" aufzuzeigen. 78 In ähnlichem Sinne äußerte sich Klement Gottwald, als er den ersten Botschafter der DDR in Prag begrüßte: „Das tschechoslowakische Volk . . . hat erkannt, daß die Gründimg der DDR nicht nur einen Meilenstein in der Geschichte Deutschlands bedeutet, sondern auch ein
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Ereignis von historischer Bedeutung für die Entwicklung in Europa und für die künftigen Beziehungen zwischen unseren Nationen ist." 79 In einem Glückwunschtelegramm an Wilhelm Pieck versicherte auch C. I. Parhon, Vorsitzender des Präsidiums der rumänischen Großen Nationalversammlung, daß das rumänische Volk „mit Vertrauen den Kampf der demokratischen Kräfte Ihres Landes mit der Arbeiterklasse an der Spitze gegen den faschistischen und militaristischen Geist, der Europa in so blutige Kriege gestürzt hat, verfolgt, . . . möge das demokratische Deutschland ein mächtiger Pfeiler im Lager des Friedens werden". 80 Wie die Grundsatzerklärungen der DDR-Politiker und die Stellungnahmen der führenden Persönlichkeiten der Sowjetunion und der volksdemokratischen Staaten zeigten, waren mit der Gründung der DDR von beiden Seiten prinzipiell die Weichen für deren Einbeziehung in die sozialistische Staatengemeinschaft gestellt. Das spürten auch die Gegner dieser Entwicklung, und sie versuchten, dagegen das schon von Marx und Engels apostrophierte „Gespenst des Kommunismus", das in Europa umgeht, neu zu beleben. Unter dem Eindruck, den Stalins Einschätzimg von der Gründung der DDR als einem Wendepunkt in der Geschichte Europas hervorgerufen hatte, riet der damalige Geschäftsträger der USA-Vertretung in Moskau, Barbour, seiner Regierung, „alle Anstrengungen zu unternehmen, um den Völkern Polens, der Tschechoslowakei, Frankreichs und anderen Opfern der Nazi-Aggression die Folgen deutlich zu machen, die ein von der Kombination kommunistisches Deutschland und Sowjetunion beherrschtes Europa, wie es aus Stalins Brief hervorgeht, haben würde". 81 Bis zur Gegenwart knüpfen imperialistische Politiker und Politologen an die natürliche Tatsache, daß die DDR von ihrem ersten Tag an in den Reihen der verbündeten sozialistischen Staaten freundschaftlich begrüßt wurde und daß die DDR selbst von Anfang an den engsten Kontakt mit dieser Staatengruppe anstrebte, abwegige Spekulationen. So wird behauptet, die Sowjetunion habe sich mit der Gründung der DDR eine Verteidigungsstellung im Vorfeld, „ein militärisch und politisch vorteilhaftes Glacis gegenüber dem Westen" 82 schaffen wollen. Es ist überhaupt eine Lieblingsidee gewisser Autoren imperialistischer Provenienz, das berechtigte Sicherheitsbedürfnis der UdSSR dem Prinzip des proletarischen Internationalismus als einem Grundzug der sowjetischen Außenpolitik gegenüberzustellen. 83 Aus dem Unverständnis für den untrennbaren Zusammenhang von Frieden und Sozialismus, von erfolgreichem sozialistischem Aufbau und günstigen äußeren Bedingungen - der für alle sozialistischen Staaten eine gemeinsame Interessenlage schafft - resultieren die seltsamsten Vorstellungen. Sie reichen von der Übertragung von Krämerpraktiken auf die Politik („natürlich hat die Sowjetunion die Möglichkeit, die DDR auch jenseits der eigentlichen Sicherheitspolitik als Handelsobjekt für eine Ausweitung ihres Einflusses nach Westeuropa anzubieten" oder „Hofft der Kreml nicht doch, die BRD schließlich mit der Verlockung einer Preisgabe der DDR ,finnlandisieren' zu können?" 84 ) bis zu Spekulationen über die völkerrechtliche Stellung der DDR („Es fragt sich jedoch, ob auf die DDR, die unter der Vier-Mächte-Verantwortung - UdSSR - steht, der allgemeine Grundsatz des sozialistischen Internationalismus zur Anwendung kommen kann." 85 ). Mit dieser Art Konstruktionen konnte bereits 1949 kein Keil zwischen die DDR und die sozialistischen Länder getrieben werden, von der Gegenwart ganz zu schweigen. Das heißt jedoch nicht, daß mit der Gründung der DDR alle Probleme gelöst waren, die ihr Verhältnis zu den Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft betrafen; der Prozeß der Verankerung der DDR in diesem Freundschaftsbund war bei weitem noch nicht abgeschlossen. Einerseits bedurfte es noch der gesamtgesellschaftlichen Weiterentwicklung der DDR in Richtung auf den Sozialismus unter Einschluß angespann-
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tester politischer und ideologischer Arbeit, andererseits war noch eine Reihe von Fragen zu klären, die mit dem Status der DDR, mit dem Potsdamer Abkommen und mit der politischen Situation in Europa zusammenhing. Obwohl die imperialistischen Großmächte das Potsdamer Abkommen schon hundertfach gebrochen und der Alliierte Kontrollrat für Deutschland im Herbst 1948 seine Tätigkeit eingestellt hatten, hielt die Sowjetregierung nach wie vor strikt an den Grundsätzen der Potsdamer Vereinbarungen fest, betrachtete sie sich doch als Sachwalterin der Interessen der friedliebenden Völker, die den Geist der Abmachungen der Antihitlerkoalition bestimmt hatten. Wenn sie der neugegründeten DDR sofort ihre Anerkennung aussprach, so deshalb, weil in diesem Staat alle Voraussetzungen gegeben waren, die eine Politik im Sinne dieser Grundsätze erwarten ließen. Eingedenk der großen Verantwortung, die die Regierung der UdSSR für das Schicksal des Sowjetvolkes und der anderen Völker Europas in tiezug auf die Erhaltung des Friedens trug, konnte sie die Funktionen und Befugnisse, die der Sowjetunion als Besatzungsmacht auf einem Teilgebiet des ehemaligen Deutschen Reiches auferlegt worden waren, nicht ohne weiteres völlig aufgeben bzw. auf die neugebildete DDR übertragen. Sie entschied sich daher zunächst dafür, eine Abgrenzung der Aufgaben, die in die Kompetenz der DDR übergingen, von jenen, die bei der Besatzungsmacht verblieben, vorzunehmen und gleichzeitig eine freundschaftliche Kooperation zwischen den Behörden der DDR und den in der DDR stationierten sowjetischen Truppen zu befürworten. Am 10. Oktober 1949 gab der Oberste Chef der SMAD, Armeegeneral W. I. Tschuikow, den Beschluß der Sowjetregierung bekannt, der Provisorischen Regierung der DDR die Verwaltungsfunktionen zu übergeben, die bis zu dieser Zeit der Sowjetischen Militärverwaltung zugestanden hatten.86 Ebenso gingen wenige Wochen später die bis dahin von der sowjetischen Militärkommandantur der Stadt Berlin ausgeübten Verwaltungsfunktionen an den Magistrat von Groß-Berlin und die Verwaltungsfunktionen der Sowjetischen Militärverwaltungen in den Ländern der DDR an die einzelnen Landesregierungen über.87 In diesem Zusammenhang erhielt auch das Ministerium für Finanzen der DDR die Verfügungsgewalt über alle Konten in ausländischer Währung, die bis dahin der Verwaltung der SMAD unterstanden hatten.88 Die SMAD stellte ihre Tätigkeit ein. Zur Kontrolle der Durchführung der Potsdamer Beschlüsse und anderer Viermächtevereinbarungen, die Deutschland als Ganzes betrafen, wurde die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland (SKK) gebildet. Wie der Vorsitzende der SKK, W. I. Tschuikow, am 11. November 1949 vor der Volkskammer erklärte, stützte sich die SKK auf die Versicherung der Provisorischen Regierung der DDR, ihre Tätigkeit auf der Grundlage der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz durchzuführen und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen. Unter dieser Voraussetzimg beschränkte sich die Aufgabe der SKK darauf, die Einhaltung dieser Zusicherung zu überwachen wobei sie sich auch das Recht vorbehielt, von den Regierungsorganen der DDR die notwendigen Informationen einzuholen - sowie die Beziehungen zu den Vertretern der westlichen Besatzungsbehörden aufrechtzuerhalten. Die Regierung der DDR konnte ihre Tätigkeit „auf der Grundlage der Verfassung in Freiheit ausüben"; auch die auswärtigen Beziehungen und der Außenhandel fielen in ihre Kompetenz.89 Das Anliegen, das die Sowjetregierung mit der Einrichtung einer Kontrollkommission verfolgte, deckte sich völlig mit den Bestrebungen des deutschen Arbeiter-undBauern-Staates. Ministerpräsident Otto Grotewohl bezeichnete es gegenüber W. I. Tschuikow als „eine Selbstverständlichkeit, daß wir die Bestimmungen des Potsdamer 98
Abkommens und der anderen gemeinsamen Viermächtebestimmungen über Deutschland imbedingt einhalten und daß wir edle Kräfte an die Erfüllung unserer Wiedergutmachungspflicht setzen, um die schwere Schuld abzutragen, die das deutsche Volk auf sich geladen hat".90 Bei dieser Grundeinstellung der DDR-Regierimg und angesichts der guten Erfahrungen, die seit Jahren bei der Zusammenarbeit deutscher Antifaschisten mit den sowjetischen Besatzungsbehörden gesammelt worden waren, ließ sich voraussagen, „daß die Regierung der Sowjetunion sich bei der Durchführung der Kontrollaufgaben von einem Geist der Großzügigkeit leiten lassen wird . . . Wenn wir das uns entgegengebrachte Vertrauen rechtfertigen", sagte Otto Grotewohl, „so wird sich darin glaube ich nicht zu irren — diese Kontrolle in freundschaftlichem Geist und in elastischen Formen vollziehen."91 In dem Maße, wie sich die DDR durch ihre konsequente Friedenspolitik die Achtung und Anerkennung der fortschrittlichen Menschheit errang und wie es die internationalen Verhältnisse gestatteten, reduzierte die Sowjetunion die der DDR auferlegten Verpflichtungen und Kontrollen und überließ ihr zugleich Schritt für Schritt alle jene Aufgaben, die in den Hoheitsbereich eines souveränen Staates fallen.92 Die positive Einstellung, die die KPdSU und die Sowjetregierung der DDR gegenüber von Anfang an demonstrierten, wurde vollauf auch von den kommunistischen und Arbeiterparteien der volksdemokratischen Staaten geteilt. Doch nicht alle Schichten der Bevölkerung dieser Länder stimmten darin mit den Kommunisten überein. Besonders in Polen, wo „die dramatischen Kriegserlebnisse . . . noch überaus lebendig" waren, gewannen „Gefühle der Abneigung oder auch der Feindseligkeit gegenüber allen Deutschen . . . manchmal die Oberhand über ein realistisches politisches Denken".93 Demgegenüber erläuterte die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei beharrlich die Bedeutung der DDR für die Wahrung des Friedens in Europa, wobei der Aspekt, daß sie potentiell die Basis für ein antiimperialistisches Gesamtdeutschland bilden könnte, zunächst im Vordergrund stand. Ein auf antiimperialistischer Grundlage geschaffener demokratischer deutscher Staat „wird Revanche, Aggression, Revisionismus ein Ende machen, die unter der anglo-amerikanischen Protektion in Westdeutschland herangezüchtet werden", erklärte Boleslaw Bierut auf dem 3. Plenum des Zentralkomitees der PZPR im November 1949. 94 Ähnlich argumentierten die rumänischen Kommunisten. „Die DDR", so schrieb die führende rumänische Zeitung „Scinteia", „die in der Ostzone Deutschlands ihre territoriale Basis hat, muß die Hauptrolle im Kampf um die Einheit Deutschlands spielen."95 Die Partei- und Staatsführung der DDR ging bei der Konzipierung ihrer Politik ebenfalls davon aus, daß zwischen der Lösung der nationalen Aufgabe im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts und der Verankerung der DDR im sozialistischen Weltlager ein unlösbarer Zusammenhang bestand. Ohne die politische und ökonomische Unterstützung durch die Sowjetunion und die volksdemokratischen Länder konnte sie ihrer Funktion als Basis und Kraftzentrum des antiimperialistischen Kampfes in ganz Deutschland nicht gerecht werden. Umgekehrt lag die Zurückdrängung der reaktionären revanchistischen und spalterischen Kräfte in der BRD im Interesse der Fortsetzung des revolutionären Weltprozesses. Diese Dialektik veranlaßte die DDR, neue Initiativen zur Festigung ihrer Verbindungen mit den Staaten des sozialistischen Lagers zu ergreifen. Insbesondere war ihr daran gelegen, jene offenen Probleme zu klären, die die Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen zu den Nachbarländern erschweren konnten. Der erste Schritt, den die DDR-Regierung in dieser Richtung ging, betraf die OderNeiße-Grenze, deren rückhaltlose, eindeutige Anerkennung durch die DDR die uner-
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läßliche Voraussetzung für die Gewinnung des Vertrauens des polnischen Volkes zu einem deutschen Staat war. Da die Hetze gegen die Oder-Neiße-Grenze eine besonders gefährliche Rolle im Repertoire der revanchistischen Kräfte des imperialistischen Lagers spielte, bedeutete die juristische Fixierung dieser Grenze durch die beiden benachbarten Staaten zugleich eine Festigung des Friedens in Mitteleuropa, denn „die Hetze um die Oder-Neiße-Grenze gehört in das Programm des kalten Krieges. Man hetzt so lange, bis man glaubt, eines Tages an dieser Frage die Kriegsbrandfackel zu entzünden", warnte der Ministerpräsident der DDR. 96 Am 5. und 6. Juni 1950 berieten Delegationen der Provisorischen Regierung der DDR und der Regierung Volkspolens in Warschau über die Markierung der gemeinsamen Grenze ihrer Staaten, über Fragen des Grenzübergangs und der Schiffahrt auf Oder und Neiße. 97 Sie verabschiedeten eine „Deklaration über die Markierung der festgelegten und bestehenden deutsch-polnischen Staatsgrenze an der Oder und der Lausitzer Neiße", die das Fundament für die sich entwickelnden gutnachbarlichen, freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten bildete. 98 Das in diesem Dokument vorgesehene Abkommen über den genauen Grenzverlauf unterzeichneten die Ministerpräsidenten und die Außenminister beider Staaten vier Wochen später in der an der Lausitzer Neiße gelegenen Grenzstadt Zgorzelec. 99 Die Markierungsarbeiten durch die beauftragte gemischte Kommission wurden im Januar 1951 abgeschlossen. 100 Durch die Besiegelung der Oder-Neiße-Grenze als Friedensgrenze erlitten die revanchistischen und kriegstreiberischen Kräfte eine Niederlage. Sie reagierten entsprechend hysterisch auf diesen Akt. Im Bundestag der BRD, wo die Nachricht vom Abkommen von Zgorzelec „wie eine Bombe einschlug", nahmen die Fraktionen der bürgerlichen Parteien und der SPD gegen die Stimmen der KPD-Abgeordneten eine Erklärung an, in der von einer „Preisgabe von Land und Leuten" sowie von einer „Politik des Verzichts" die Rede war. 101 Überaus bedeutungsvoll hingegen war dieser Akt für die DDR im Hinblick auf deren Verankerung in der sozialistischen Staatengemeinschaft. Die Bestrebungen und Hoffnungen imperialistischer Kreise, die DDR und Volkspolen wegen der Oder-Neiße-Grenze entzweien und die DDR dadurch überhaupt von den sozialistischen Staaten isolieren zu können, erwiesen sich als illusorisch. Die DDR rückte durch die Abkommen mit Polen noch näher an das von der Sowjetunion geführte Lager des Friedens und des Sozialismus heran. Den gleichen Effekt hatten die Verhandlungen einer Regierungsdelegation der DDR mit der tschechoslowakischen Regierung, die im Juni 1950 in Prag stattfanden. Auch hier ging es zunächst darum, das bilaterale Verhältnis zu klären, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen, denn „jahrhundertelang hat der preußische Militarismus und Imperialismus die Haßpropaganda gegen das tschechische und das slowakische Volk betrieben, die zur barbarischsten, grausamsten Politik des Hitlerfaschismus führte, der sich zum Ziel gesetzt hatte, die slawische Rasse auszurotten". 102 Die dadurch schwer belasteten Beziehungen zwischen dem deutschen Volk und den Völkern der Tschechoslowakei konnten nur gesunden, wenn sich die DDR von diesem Ungeist und von den revanchistischen Forderungen, die von den reaktionären Kreisen in der BRD erhoben wurden, ganz entschieden distanzierte. Unmißverständlich wurde deshalb in einer von den Regierungsvertretern der DDR und der Tschechoslowakischen Republik unterzeichneten Erklärung zum Ausdruck gebracht, „daß es zwischen ihren beiden Staaten keine strittigen und offenen Fragen gibt. Unsere beiden Staaten haben keine Gebiets- oder Grenzansprüche, und ihre Regierungen betonen ausdrücklich, daß die durchgeführte Umsiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakischen Republik un100
abänderlich, gerecht und endgültig ist." 103 Damit war auch zu dem volksdemokratischen Nachbarland im Süden der DDR eine Brücke geschlagen worden, über die der Weg zur freundschaftlichen Zusammenarbeit führte. Daß die Klärung des Verhältnisses zwischen der DDR und der CSR darüber hinaus Bedeutung für die Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus in Europa hatte, zeigte sich in negativer Weise an der Reaktion der bürgerlichen Parteien und der Sozialdemokratie in der BRD, die das Prager Abkommen als „einen weiteren Schlag" gegen ihre Position einschätzten und es, ohne dafür zuständig zu sein, f ü r nichtig erklärten. 104 Positiv artikulierte Klement Gottwald sofort nach Abschluß der Prager Beratungen die Bedeutung der erreichten Verständigung. In einem Schreiben an den Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, wies er darauf hin, daß das „neue Kapitel unserer Beziehungen . . . nicht nur eine historische Wende im Verhältnis zwischen den Völkern unserer Länder darstellt, sondern gleichzeitig auch eine erhebliche Stärkung des Weltfriedenslagers ist, das von unserem besten Freund und unserem Befreier, der Sowjetunion, geführt wird". 103 Dieser Gedanke, mit der Vertiefung der Beziehungen zu den volksdemokratischen Ländern zugleich die Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft der friedliebenden sozialistischen Staaten zu festigen, war auch ein wesentliches Motiv für weitere außenpolitische Aktivitäten der DDR. Nacheinander führten Regierungsdelegationen der DDR im Juni 1950 in Budapest mit der ungarischen, im September 1950 in Bukarest mit der rumänischen und im gleichen Monat in Sofia mit der bulgarischen Regierung Verhandlungen. In deren Ergebnis wurde jeweils eine Gemeinsame Erklärung über Freundschaft und Zusammenarbeit unterzeichnet. 106 Diese Deklarationen enthielten direkt oder indirekt die Feststellung, daß im Verhältnis dieser drei Staaten zur DDR keine strittigen oder ungelösten Fragen bestanden. In den Gemeinsamen Erklärungen der Ungarischen Volksrepublik und der Volksrepublik Bulgarien mit der DDR war außerdem von dem Entschluß die Rede, die gegenseitigen Beziehungen im Zeichen des gemeinsamen Kampfes f ü r Frieden und Demokratie „auf neue freundschaftliche Grundlagen zu stellen", während in der Gemeinsamen Erklärung der DDR und der Rumänischen Volksrepublik davon gesprochen wurde, „die freundschaftlichen Beziehungen und die friedliche Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zu festigen". In dieser oder jener Form brachten die Erklärungen den Willen der beteiligten Regierungen zum Ausdruck, mit allen Kräften die Friedenspolitik der Sowjetunion zu unterstützen und das von ihr geführte Friedenslager zu stärken. Aus dem Inhalt der Erklärungen von Budapest, Bukarest und Sofia ging ebenso wie aus den Vereinbarungen von Warschau und Prag hervor, daß die DDR und die Volksdemokratien die gleichen politischen Grundziele verfolgten, daß sie sich zur engen Verbundenheit untereinander und mit der Sowjetunion bekannten und eine klare Frontstellung gegenüber den aggressiven Machenschaften des Imperialismus einnahmen. Diese grundsätzliche Übereinstimmung verlieh den völkerrechtlichen Vereinbarungen, die zwischen der DDR und den volksdemokratischen Staaten Mittel- und Südosteuropas im Laufe des Jahres 1950 getroffen wurden, ein Gewicht, das dem von Bündnisverträgen nahekam. Die Bedeutung der Übereinkünfte war umso größer, als diese inhaltlich wesentlichen Teilen der Verträge glichen, die Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien mit der UdSSR und untereinander abgeschlossen hatten. Dennoch bestand weiterhin ein gradueller Unterschied zwischen dem Verhältnis, das die DDR mit den Ländern der sozialistischen Gemeinschaft verband, und dem, das die Sowjetunion und die Volksdemokratien untereinander hergestellt hatten. Am deut-
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iichsten trat dieser Unterschied auf dem Gebiet der militärischen Verteidigung in Erscheinung. Während die UdSSR und die volksdemokratischen Länder sich im Falle imperialistischer Aggressionen gegenseitig bewaffneten Beistand zugesichert hatten, war die DDR noch nicht in der Lage, eine entsprechende Verpflichtung einzugehen. Obwohl auf dem III. Parteitag der SED eine Auseinandersetzimg mit pazifistischen Auffassungen erfolgte und klargestellt wurde, daß es im Falle einer Aggression die Pflicht der Werktätigen der DDR ist, gegen die Aggressoren zu kämpfen und die Sowjetarmee bei der Herbeiführung des Friedens zu unterstützen, 107 blieb die Tatsache bestehen, daß die DDR über keine Armee verfügte und auch noch nicht das Recht hatte, eine solche aufzubauen. Gerade im Oktober 1950 wies die Sowjetregierung den von den USA erhobenen Vorwurf zurück, daß die Volkspolizei der DDR den Charakter einer Armee trage und stellte richtig: „Die Organisierung und Ausrüstung der Volkspolizei steht in Übereinstimmung mit der Direktive des Kontrollrates für Deutschland vom 6. November 1945 . . . Die Volkspolizei der DDR schützt und verteidigt die demokratische Ordnung und Gesetzlichkeit, die in Übereinstimmung mit den von der Potsdamer Konferenz angenommenen Beschlüssen errichtet wurde."108 Das Fehlen einer Armee sowie anderer Attribute souveräner Staaten, das sich aus der spezifischen Situation der DDR ergab, erlaubte es zu dieser Zeit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten noch nicht, gleichartige Bündnisverträge mit der DDR abzuschließen, wie sie zwischen ihnen bestanden. Sie waren jedoch bereit und interessiert, die Kontakte und Beziehungen zur DDR auf politischem, ökonomischem und kulturellem Gebiet weitgehend auszubauen. So wurden während des Aufenthaltes der DDR-Regierungsdelegation im Juni 1950 in Warschau ein Abkommen über den Waren- und Zahlungsverkehr und ein „Kreditabkommen, das eine bedeutende Hilfe für die Wirtschaft der DDR darstellt",109 unterzeichnet und die Vorbereitungen für ein langfristiges Warenabkommen getroffen. Gleichzeitig vereinbarte die VR Polen auch Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit und über den kulturellen Austausch mit der DDR.110 Zu ganz ähnlichen Ergebnissen führten die Beratungen der DDR-Delegation in Prag. Auch hier wurden ein Abkommen über wis senschaftlich-technische Zusammenarbeit, Protokolle über kulturelle Zusammenarbeit und über den nichtkommerziellen Zahlungsverkehr sowie ein Abkommen über die Gewährung eines kurzfristigen Kredits an die DDR unterzeichnet.111 Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, über kulturellen Austausch und über die Finanzierung nichtkommerzieller Ausgaben traf die DDR im Jahre 1950 auch mit der Ungarischen VR, mit der Rumänischen VR und mit der VR Bulgarien.112 Die weitgehende Gleichartigkeit der Übereinkünfte, die die DDR im Verlaufe weniger Monate mit fünf sozialistischen Staaten erzielte, deutete darauf hin, daß es hierbei nicht nur um die Regelung bilateraler Beziehungen, sondern zugleich auch um die Anwendung multilateral ausgearbeiteter Konzeptionen ging. So hing der Abschluß der genannten Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit ohne Zweifel damit zusammen, daß der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe auf seiner II. Tagung im August 1949 in Sofia beschlossen hatte, den Mitgliedsländern die vertragliche Vereinbarung der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit untereinander zu empfehlen. Den Regierungen der RGW-Länder schien es angemessen, in ihre wissenschaftlich-technische Kooperation auch die DDR einzubeziehen, obwohl diese zum Zeitpunkt des Abschlusses der Abkommen noch nicht Mitglied des RGW war. Diese Handlungsweise läßt darauf schließen, daß die DDR ungeachtet ihrer Besonderheiten als de facto der sozialistischen Staatengemeinschaft zugehörig empfunden wurde. Die internationalistische Haltung, die die UdSSR und die volksdemokratischen 102
Staaten der DDR gegenüber einnahmen, ermutigte die SED, auch die Frage der Aufnahme der DDR in den RGW aufzuwerfen. Auf dem III. Parteitag der SED im Juli 1950 bezeichnete Walter Ulbricht es als »wünschenswert, daß die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik an die Regierungen, die dem Rat für gegenseitige wirtschaftliche Hilfe angehören, herantritt mit der Bitte, auch unsere Regierung in den Rat aufzunehmen".113 Entsprechend dieser Anregung richtete der Ministerpräsident der DDR am 26. August 1950 ein Schreiben an die Regierung der UdSSR, in dem er diese bat, die Aufnahme der DDR in den RGW zu befürworten.114 Am 9. September des gleichen Jahres teilte das Augenministerium der Sowjetunion der Moskauer Vertretung der DDR mit, dag die Sowjetregierung die Bitte der Provisorischen Regierung der DDR über die Aufnahme in den RGW unterstütze und ihren Vertreter im Rat angewiesen habe, diese Frage auf der nächsten Sitzung des Rates zur Diskussion zu stellen.115 Kurze Zeit später, am 29. September 1950, erhielt die DDR-Regierung vom Sekretariat des RGW die Mitteilung, dag alle Mitgliedstaaten der Aufnahme der DDR in die gemeinsame Wirtschaftsorganisation zugestimmt hatten.116 Die Aufnahme der DDR in den RGW war für beide Seiten eine zwar folgerichtige, aber doch nicht ganz einfache Entscheidung. Für die DDR war sie insofern folgerichtig, als ihre Augen- und Augenwirtschaftspolitik von Anfang an auf die Länder des Friedenslagers ausgerichtet gewesen war. Ihre im Aufbau befindliche Planwirtschaft bedurfte unbedingt der Partnerschaft anderer planmägig gelenkter Volkswirtschaften. Insbesondere mugte der in Aussicht genommene Fünfjahrplan augenwirtschaftlich abgesichert werden, das heigt, die DDR benötigte sowohl zur kontinuierlichen Befriedigung ihres Rohstoffbedarfs als auch zur Gewährleistung des Absatzes ihrer Exportgüter langfristige, zuverlässige Abmachungen. Eine solche Versicherung war umso dringlicher, als die Wirtschaftsverbindungen mit den Westzonen bzw. mit der BRD sich seit 1948 in hohem Mage als unzuverlässig erwiesen hatten.117 Zugleich mugte eine Zunahme der imperialistischen Störaktionen befürchtet werden, da die BRD vollständig in das Fahrwasser der NATO geraten war. Unterstützt von den imperialistischen Grogmächten, verschärften die herrschenden Kreise der BRD ihren revanchistischen und aggressiven Kurs und betrieben den Aufbau einer entsprechenden Armee. Schon 1950 wurde im Zusammenhang mit dem Schuman-Plan über die Teilnahme der BRD an der westeuropäischen Montanunion verhandelt, und im April 1951 wurde dieser verhängnisvolle Schritt tatsächlich vollzogen.118 Um der zunehmenden Integrierung der BRD in das imperialistische Bündnissystem Rechnung zu tragen, mugte die DDR Magnahmen zur Sicherung ihres weitgehenden Aufbauplanes - der die gleichzeitige bedeutende Erweiterung ihres Produktionspotentials und eine beträchtliche Erhöhung des Lebensstandards ihrer Bevölkerung vorsah119 - ergreifen. Nichts lag näher, als in diesem Zusammenhang an eine Festigung der Beziehungen zu den RGW-Staaten zu denken, denn bereits in der relativ kurzen Zeit ihrer Wirksamkeit hatten sich die Wirtschaftsbeziehungen zur UdSSR und den volksdemokratischen Ländern als lebenswichtiger, unentbehrlicher Faktor der DDRVolkswirtschaft erwiesen. • Die Überlegungen, die die führenden Kräfte der DDR im Zusammenhang mit dem RGW-Beitritt unter den gegebenen Bedingungen anzustellen hatten, betrafen deshalb nicht nur die ökonomische, sondern auch die politisch-ideologische Sphäre. Es war damit zu rechnen, dag dieser Schritt westlich von Elbe und Werra dazu ausgenutzt werden würde, der DDR eine Abkehr von ihrem Streben nach antiimperialistischer Einheit Deutschlands zu unterstellen und die Schuld an der Zerreißung Deutschlands auf sie abzuwälzen. Indessen verhielten sich die Dinge genau umgekehrt: Wenn es Übergangsperiode
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angesichts der Einbeziehung der BRD in das imperialistische Blocksystem überhaupt eine Chance für den Kampf um einen einheitlichen antiimperialistischen deutschen Staat gab, dann nur über den Weg einer Stärkung des deutschen Arbeiter-und-BauernStaates mit Hilfe jener Regierungen, die, wie die sowjetische, unbeirrt an den antifaschistisch-demokratischen Prinzipien und Abmachungen von Potsdam festhielten. Diesen Gesichtspunkt brachte Otto Grotewohl in seinem Schreiben an die Regierimg der UdSSR zum Ausdruck, indem er betonte, daß die Teilnahme der DDR am RGW »der Schaffung eines einigen, demokratischen und friedlichen Deutschland dienen und eine wertvolle Stütze für den Kampf der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands . . . " werden würde. 120 Vom Standpunkt der RGW-Gründungsländer aus bedeutete die Einbeziehung der DDR in die multilateral organisierte gegenseitige Hilfe ebenfalls einen folgerichtigen Schritt, hatten sie doch durch die Herstellung bilateraler ökonomischer Beziehungen beträchtlichen Umfangs zur DDR eine wichtige Voraussetzung dafür geschaffen. Da die DDR auf Grund ihrer Wirtschaftsstruktur potentiell in der Lage war, den großen Bedarf der sozialistischen Länder an Industrieanlagen, elektrotechnischen, feinmechanischen und optischen Geräten decken zu helfen, bestand an ihrer Aufnahme in den RGW auch ein ökonomisches Interesse. Dabei war allerdings zu bedenken, daß die Volkswirtschaft der DDR infolge ihrer Entstehung auf einem Teilgebiet des früheren imperialistischen Deutschlands noch kein einheitliches Ganzes darstellte, daß ihre offene Grenze dem Klassengegner bedenkliche Manövrierfähigkeit verschaffte, daß sie unter Disproportionen litt und teilweise von der Wirtschaft der BRD abhängig war, daß sie noch erheblichen Reparationsverpflichtungen nachzukommen und einen großen Rohstoffbedarf hatte, das heißt, daß die Zugehörigkeit der DDR zum RGW für dessen Mitgliedsländer durchaus nicht nur ökonomische Vorteile, sondern auch eine Fülle komplizierter Probleme mit sich brachte. Daher besteht Grund zu der Annahme, daß die Entscheidung für den Antrag der DDR stärker politisch als ökonomisch motiviert war. Vom Standpunkt des proletarischen Internationalismus aus war es undenkbar, die hart, aber erfolgreich ringende deutsche Bruderpartei und den ersten deutschen Staat der Arbeiter und Bauern nicht zu unterstützen, diese nicht in die zur gegenseitigen Hilfe geschaffene gemeinsame Organisation einzubeziehen. Vom politischen und wirtschaftlichen Erfolg der DDR hing nicht nur ihr eigenes Gedeihen ab, sondern in bedeutendem Maße auch die Erhaltung des Friedens in Europa und die Bewahrung der von den sozialistischen Kräften errungenen Positionen. Es war klar, daß das von imperialistischer Seite konzipierte „Zurückrollen" des Sozialismus bei der DDR beginnen sollte. Der beste Schutz gegen diese Machenschaften war dadurch zu erreichen, daß die DDR fest in der zusammengeschlossenen Gemeinschaft der Sowjetunion und ihrer Verbündeten verankert wurde. Insofern war die Aufnahme der DDR in den RGW nicht nur ein Akt der Klassensolidarität ihr gegenüber, sondern auch und nicht zuletzt ein Schlag gegen die aggressiven Absichten des Imperialismus, eine im Interesse aller Beteiligten liegende Maßnahme zur Festigung des Friedens und des Sozialismus. Von derartigen grundsätzlichen Erwägungen ausgehend, luden die Regierungen der RGW-Länder die DDR auch erstmalig ein, an einer gemeinsamen Außenministerkonferenz teilzunehmen. Auf dieser Beratung, die am 20. und 21. Oktober 1950 in Prag stattfand, nahmen die Außenminister Albaniens, Bulgariens, Ungarns, der DDR, Polens, Rumäniens, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei zu den Beschlüssen Stellung, die von einer Außenministerkonferenz Frankreichs, Großbritanniens und der USA in New York kurze Zeit zuvor gefaßt worden waren. Die Prager Erklärung forderte angesichts der Bedrohung des Friedens durch die Aufrüstung der BRD die Westmächte 104
auf, zu einer gemeinsamen Politik mit der UdSSR im Geiste der Antihitlerkoalition zurückzukehren, für die ungehinderte Entwicklung einer deutschen Friedenswirtschaft Sorge zu tragen und zur Vorbereitung eines Friedensvertrages einen gesamtdeutschen Konstituierenden Rat auf paritätischer Grundlage zu bilden.121 Es war das erste Mal nach dem zweiten Weltkrieg, daß eine deutsche Vertretung als Gleiche unter Gleichen an einem internationalen Verhandlungstisch Platz nehmen konnte. Damit demonstrierte die Prager Außenministerkonferenz, daß gerade die Länder, die am schwersten unter der imperialistischen deutschen Raub- und Vernichtungspolitik gelitten hatten, den friedliebenden deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat in Ehren in ihrer Mitte aufgenommen hatten. Das bedeutete eine internationale Aufwertung und einen Prestigegewinn für die DDR, und deren Regierung sprach den Initiatoren des Treffens ihren Dank für die „große Hilfe" wie dafür aus, daß sie „an der Prager Konferenz gleichberechtigt teilnehmen konnte".122 Mit der Aufnahme der DDR in den RGW und ihrer Teilnahme an der Prager Außenministerkonferenz hatte der Prozeß ihrer Verankerimg in der sozialistischen Staatengemeinschaft eine neue Qualität erlangt. Davon zeugten auch die zunehmenden Kontakte zwischen den führenden Politikern der DDR und denen der befreundeten Staaten. So unternahm der Präsident der DDR, Wilhelm Pieck, im Dezember 1950 einen Staatsbesuch in Warschau und im Oktober 1951 einen Freundschaftsbesuch in Prag, die im April 1951 vom Präsidenten der Republik Polen, Boleslaw Bierut, bzw. im März 1952 vom Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik, Klement Gottwald, erwidert wurden. 123 Zu eindrucksvollen Demonstrationen der Verbundenheit zwischen der DDR und der UdSSR gestalteten sich der Besuch des sowjetischen Staatsoberhauptes N. M. Schwernik am 7. Oktober 1952 in Berlin sowie die Teilnahme einer Delegation der SED am XIX. Parteitag der KPdSU.124 Auch die Ungarische Volksrepublik entsandte im Oktober 1952 eine Regierungsdelegation zu einem Staatsbesuch in die DDR und bekundete damit ihre engen Beziehungen zu ihr. 125 Trotz der erreichten prinzipiellen Übereinstimmung und freundschaftlichen Verbundenheit warf natürlich die konkrete Gestaltung der Beziehungen zwischen der DDR und ihren sozialistischen Partnerländern nicht selten komplizierte Fragen auf. So bedurfte es zum Beispiel aus den verschiedensten Gründen verhältnismäßig langer Verhandlungen, ehe es zum Abschluß der ersten langfristigen Außenhandelsabkommen kam. Infolgedessen wurden diese für das erste Jahr des Fünfjahrplanzeitraums nicht mehr wirksam, sondern erst für die Jahre 1952 bis 1955. Dennoch spielten diese zwischen dem 27. September 1951 und dem 7. März 1952 getroffenen Handelsabkommen mit der UdSSR, der VR Polen, der CSR, der Rumänischen VR, der VR Albanien und der Ungarischen VR für die Entwicklung der DDR-Volkswirtschaft eine eminent wichtige Rolle, zumal sie sowohl durch Jahresprotokolle präzisiert als auch bei auftretenden Schwierigkeiten durch Zusatz- und Kreditabkommen ergänzt wurden.126 Die Beziehungen zwischen der DDR und den anderen RGW-Ländern vertieften sich zu Beginn der fünfziger Jahre in dem Maße, wie sich die noch bestehenden Unterschiede zwischen ihnen in bezug auf die politisch-ideologische und die sozialökonomische Entwicklung verringerten. Ein entscheidender Schritt auf diesem Wege war der Beschluß der 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952, in allen Bereichen der Gesellschaft planmäßig die Grundlagen des Sozialismus zu schaffen.127 Zwar war der Aufbau des Sozialismus faktisch bereits mit der Staatsgründung der DDR und mit dem ersten Fünfjahrplan begonnen worden, doch gab es noch Bereiche der Gesellschaft, die an dieser Entwicklung nicht teilhatten. Im Unterschied zu den volksdemokratischen Ländern erzeugten in der DDR im Jahre 1950 kapitalistische Unternehmen und kleine 8*
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Warenproduzenten noch fast die Hälfte (44,7 Prozent) des gesellschaftlichen Gesamtprodukts; in der Landwirtschaft, im Bauwesen und sogar in der Industrie verfügte der Kapitalismus noch über beträchtliche Positionen.128 Auch hatte sich ein Teil der bäuerlichen und städtischen Mittelschichten noch nicht für die sozialistische Perspektive entschieden. Das alles machte die staatliche Planung und Leitung besonders kompliziert und verursachte auch eine gewisse Unsicherheit bei der Zusammenarbeit der DDR mit den anderen RGW-Ländem. Die Entscheidung der 2. Parteikonferenz, herangereifte Fragen des sozialistischen Aufbaus nicht länger offenzuhalten und damit allen Spekulationen des Imperialismus und der inneren konterrevolutionären Kräfte auf eine Wiederherstellung der kapitalistischen Verhältnisse und auf eine Absonderung der DDR vom sozialistischen Weltsystem den Boden zu entziehen, stimulierte die Verbundenheit zwischen der DDR und den befreundeten Ländern. Mancherlei Ausnahmeregelungen, die im Laufe der multilateralen Zusammenarbeit für die DDR notwendigerweise getroffen worden waren, wurden jetzt überflüssig. Vor allem glich sich die konkrete Aufgabenstellung der DDR stärker an die der Partnerländer an. So ergaben sich z. B. aus der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft, die in den volksdemokratischen Ländern bereits nach der zweiten Konferenz des Kominformbüros von 1948 in Angriff genommen worden war, veränderte Aufgaben für den Landmaschinen- und Traktorenbau, für die Düngemittelindustrie und für das Bauwesen. Die Beschlüsse der 2. Parteikonferenz führten zu einer Erweiterung und Vertiefung der sozialistischen Produktionsverhältnisse in der DDR und damit zu einer verstärkten Angleichung ihrer sozialökonomischen Basis an die der befreundeten Länder. Dieser Vorgang war Ausdruck des Wirkens der Gesetzmäßigkeit der Annäherung der Völker und Staaten unter sozialistischen Verhältnissen und schuf zugleich günstige Bedingungen für deren bewußte Anwendung. Dank der zielstrebigen Politik aller beteiligten kommunistischen und Arbeiterparteien war die DDR in den ersten Jahren ihres Bestehens politisch, ideologisch und ökonomisch sukzessive in das sozialistische Weltsystem hineingewachsen. Bestimmte Phasenverschiebungen bei der sozialistischen Revolution gegenüber den volksdemokratischen Ländern waren ausgeglichen worden, wodurch viele Bedingungen, die die Zusammenarbeit anfangs erschwert hatten, wegfielen. In einem Punkt nahm die DDR jedoch innerhalb der sozialistischen Staatengemeinschaft noch weiterhin eine Sonderstellung ein, und zwar in bezug auf ihren staatsrechtlichen Status. In Übereinstimmung mit dem beharrlichen Kampf der Sowjetunion und der DDR um die Schaffung eines gesamtdeutschen Staates, von dem keine erneute Bedrohung der Nachbarländer ausgehen könnte - eine Position, die der amerikanische Außenminister Dean Acheson schon im Frühjahr 1949 verächtlich als „zurück zu Potsdam"129 und als „völlig steril"130 bezeichnet hatte - , waren bei der Gründung der DDR 1949 auch juristische Voraussetzungen geschaffen worden, die die Lösung der deutschen Frage im antiimperialistischen und friedenssichernden Sinne begünstigten. Inzwischen jedoch waren von den Westmächten im Verein mit den reaktionären Kräften der Bundesrepublik schwerwiegende Entscheidungen getroffen worden. Anstatt auf die zahlreichen Vorschläge der UdSSR und der DDR zur Herstellung der deutschen Einheit auf antiimperialistisch-demokratischer Grundlage und zum Abschluß eines Friedensvertrages einzugehen, hatten sie die Remilitarisierung der BRD legalisiert, den Generalvertrag und das EVG-Abkommen im März 1953 in Kraft gesetzt und die Restauration der revanchistischen und reaktionären Kräfte umfassend gefördert. 131 Angesichts dieser Tatsache ergab sich die Notwendigkeit, die politische Macht der Arbeiterklasse in der DDR und die internationale Stellung ihres Staates entscheidend 106
zu stärken. Von diesem Erfordernis ausgehend, beschlog der Ministerrat der UdSSR im Mai 1953, die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland aufzulösen, den Oberkommandierenden der sowjetischen Truppen von der Ausübimg der Kontrollfunktionen in der DDR zu entbinden und statt dessen das Amt eines .Hohen Kommissars der UdSSR in Deutschland" zu schaffen. Die Überwachungsfunktion des Hohen Kommissars war darauf beschränkt, die Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus dem Potsdamer Abkommen ergaben, durch die staatlichen Organe der DDR zu kontrollieren.132 Damit nahmen die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der DDR eine neue Qualität an, was auch dadurch unterstrichen wurde, dag beide Staaten im August 1953 ihre Vertretungen in Berlin bzw. in Moskau in den Rang von Botschaften erhoben und Botschafter austauschten.133 Im Oktober und November des gleichen Jahres wurden auch zwischen der DDR einerseits und Polen, der Tschechoslowakei, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und weiteren sozialistischen Ländern andererseits Vereinbarungen unterzeichnet, die die Umwandlung der bestehenden diplomatischen Missionen in Botschaften festlegten.134 Mit diesem Schritt trugen die Länder der sozialistischen Staatengemeinschaft der Position Rechnung, die die DDR in ihrer Mitte bereits eingenommen hatte; zugleich bewirkten diese Magnahmen eine Erhöhung des internationalen Ansehens der DDR. Grofje moralisch-politische Anerkennung erfuhr die DDR auch durch die Art und Weise, wie die Sowjetunion ihr gegenüber die Wiedergutmachungsfragen regelte. In dem Bestreben, gemeinsam mit den Westmächten einen detaillierten Plan über die Reparationsleistungen aus den deutschen Besatzungszonen festzulegen, hatte die Sowjetregierung in Vorbereitung der Moskauer Aufjenministerkonferenz von 1947 unter anderem einen Vorschlag über die Modalitäten der Reparationszahlungen durch die sowjetische Besatzungszone ausgearbeitet.135 Sie ging dabei nicht von der ermittelten Schadenssumme in Höhe von 679 Mrd. Rubel (berechnet nach Vorkriegspreisen)136 aus, sondern legte eine Wiedergutmachungssumme von zehn Mrd. Dollar zugrunde. Da sich die USA-Regierung sowohl auf der Moskauer als auch auf der Pariser Augenministerkonferenz von 1949 weigerte, die sowjetischen Ansprüche anzuerkennen,137 mugte die Sowjetregierung eine diesbezügliche Auflage für die sowjetische Besatzungszone bzw. die DDR mit deren Vertretern vereinbaren. Danach hatte die DDR im Jahre 1948 für Reparationen und Besatzungskosten insgesamt 15 Prozent (die tatsächliche Leistung betrug 14,6 Prozent) des Wertes ihrer industriellen Bruttoproduktion zu entrichten; im Jahre 1949 waren es entsprechend der gestiegenen Industrieproduktion noch 12,4 Prozent des berechneten Wertes, und für 1950 wurden 6,3 Prozent des Wertes der Industrieproduktion als Reparationen veranschlagt.138 Fast die Hälfte dieser Leistungen erbrachten die SAG-Betriebe.139 Zwar war es der Sowjetunion aus politischen und ökonomischen Gründen nicht möglich, der DDR die gleiche Behandlung angedeihen zu lassen wie Ungarn und Rumänien, deren verbleibende Reparationsverpflichtungen schon im Juni 1948 zur Hälfte gestrichen wurden,140 doch kam sie auch der DDR von Anfang an in der Weise entgegen, dag sie keine Rohstoffe und Konsumgüter ä conto Reparationen in Anspruch nahm.141 Auf Ersuchen der DDR-Regierung und nach Übereinkommen mit der polnischen Regierung setzte die Sowjetregierung per 1. Januar 1951 die verbleibenden Reparationsverpflichtungen um die Hälfte herab und stimmte einer endgültigen Zahlungsdauer von 15 Jahren zu.142 Zwei Jahre später übereignete sie der DDR 66 SAG-Betriebe, 143 gutgeleitete und zum grögten Teil neu ausgerüstete Grogbetriebe, die einen beträchtlichen Umfang der industriellen Bruttoproduktion der DDR erbrachten. Zur 107
anteiligen Begleichung der in diesen Betrieben von sowjetischer Seite vorgenommenen Investitionen verpflichtete sich die DDR, eine Summe von 430 Mill. Mark zu zahlen, die jedoch schon nach einem Jahr erlassen wurde. Schließlich überführte die Sowjetregierung ab 1. Januar 1954 unentgeltlich auch die letzten 33 SAG-Betriebe in das Eigentum der DDR. Zum gleichen Zeitpunkt befreite sie die DDR von der Zahlung der restlichen Reparationen in Höhe von 2 537 Mill. Dollar.144 Insgesamt nahm also die UdSSR von den ursprünglich vorgesehenen zehn Mrd. Dollar Reparationsleistungen nur 4 292 Mill. Dollar in Anspruch. Großzügig und hilfsbereit reagierten die Sowjetregierung sowie die Regierungen der volksdemokratischen Länder auch, als die DDR 1953 in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war.145 Nachdem die obersten Repräsentanten des Sowjetstaates vom 20. bis 22. August 1953 mit einer Regierungsdelegation der DDR unter Leitung von Otto Grotewohl Verhandlungen geführt hatten, erklärten sie sich nicht nur zum Erlaß der Reparationen und aller Nachkriegsschulden bereit, sondern auch zur Senkung der Besatzungskosten, zur Gewährung eines Kredits in Höhe von 485 Mill. Rubel und zu zusätzlichen Warenlieferungen.146 Die VR Polen begrüßte die sowjetischen Maßnahmen und verzichtete ihrerseits ebenfalls auf die Zahlung von Reparationen, »um damit einen weiteren Beitrag zur Lösung der deutschen Frage im Geiste der Demokratie und des Friedens, in Übereinstimmung mit den Interessen des polnischen Volkes und aller friedliebenden Völker zu leisten".147 Die Solidarität, die die Sowjetunion, Polen und andere sozialistische Länder der DDR erwiesen, zeugte davon, daß der deutsche Arbeiter-und-Bauern-Staat als zu ihnen gehörig, als Teil des sozialistischen Lagers betrachtet wurde. Die Aversion gegen Deutsche - in den vergangenen Jahrhunderten insbesondere durch die Politik reaktionärer deutscher Staaten gegenüber den Völkern Osteuropas bei diesen erzeugt und zu Beginn der neuen Beziehungen noch ein belastendes Moment darstellend - spielte dank der Überzeugungsarbeit der kommunistischen und Arbeiterparteien keine erhebliche Rolle mehr. Immer stärker entwickelten sich zwischen den Völkern der Sowjetunion und denen der Volksdemokratien sowie der Bevölkerung der DDR Beziehungen der Solidarität, der Freundschaft und Zusammenarbeit. Das zeigte sich nicht zuletzt darin, daß die Länder der sozialistischen Gemeinschaft jede Gelegenheit nutzten, um die „brutale Diskriminierung zu brandmarken", der die DDR seitens der imperialistischen Staaten ausgesetzt war. „Zu jener Zeit, da die internationalen Beziehungen vollständig vom Geist des kalten Krieges beherrscht wurden und die Politik der Stärke Triumphe feierte, schien die von Polen ähnlich wie die von den anderen sozialistischen Ländern demonstrierte Hartnäckigkeit im Kampf um die internationale Anerkennung der DDR uneffektiv zu sein", heißt es dazu in einer Betrachtung zur polnischen Außenpolitik, aber „die späteren Jahre sollten . . . vollauf die Richtigkeit des von den sozialistischen Ländern gegenüber der DDR eingenommenen Standpunktes bestätigen."148 Im Jahr 1954 unternahmen die Sowjetunion und andere sozialistische Staaten Schritte, die erneut deren freundschaftliche Verbundenheit mit der DDR zum Ausdruck brachten. Nachdem im Januar 1954 die Verwaltung für sowjetisches Eigentum in Deutschland und die Verwaltung für Reparationen der UdSSR in Deutschland ihre Tätigkeit eingestellt hatten,149 hob die Sowjetunion im März 1954 „die Überwachung der Tätigkeit der staatlichen Organe der DDR, die bisher vom Hohen Kommissar der UdSSR in Deutschland wahrgenommen wurde", generell auf und nahm „mit der Deutschen Demokratischen Republik die gleichen Beziehungen auf wie mit anderen souveränen Staaten".150 Mit dieser als Souveränitätserklärung bekannt gewordenen Entscheidung der Sowjetregierung erhielt die DDR das Recht, ihre inneren und äußeren Angelegenheiten ein108
schließlich der Frage der Beziehungen zur Bundesrepublik nach eigenem Ermessen zu gestalten. Von dieser Veränderung des völkerrechtlichen Status der DDR machte der Hohe Kommissar der UdSSR, W. S. Semjonow, den Chefs der westlichen Militärmissionen >n Berlin Mitteilung, so daß auch die imperialistischen Großmächte davon Kenntnis nehmen mußten, „daß man sich künftig in allen Fragen, die die DDR betreffen, an die entsprechenden Behörden der DDR zu wenden hat".151 Mit der Souveränitätserklärung wurden alle Befehle und Anordnungen hinfällig, die von der SMAD und der SKKD in den Jahren 1945 bis 1953 zu Fragen erlassen worden waren, die das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben der DDR betrafen. 152 Die eigene Verantwortlichkeit der Staatsorgane der DDR für die Entwicklung der Wirtschaft, für den Schutz der Grenzen, für die Pflege der auswärtigen Beziehungen usw. erhöhte sich. Hinsichtlich der Außenpolitik nutzte die DDR die gesteigerten Rechte in erster Linie dazu, ihre Stellung im Rahmen der sozialistischen Staatengemeinschaft zu festigen. Sie erweiterte ihre Handelsbeziehungen, ihre wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit und ihren kulturellen Austausch mit den sozialistischen Ländern, beteiligte sich an den Solidaritätsaktionen für die Koreanische Demokratische Volksrepublik und belebte und intensivierte ihre Mitarbeit im Rahmen des RGW. Als die sozialistischen Staaten sich infolge der Pariser Abkommen der NATO-Mächte mit der BRD, die als „eine weitere und besonders gefährliche Etappe in der Vorbereitung eines neuen Krieges in Europa" betrachtet werden mußten,153 gezwungen sahen, über wirksamere Maßnahmen zum Schutze des Friedens zu beraten, wurde die DDR als gleichberechtigter Partner einbezogen. Auf der Ersten Konferenz Europäischer Länder zur Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit in Europa, die vom 29. November bis 2. Dezember 1954 in Moskau stattfand, erklärte Otto Grotewohl namens der DDR die Bereitschaft, in Beantwortung der Militarisierung Westdeutschlands nationale Streitkräfte zu schaffen und an gemeinsamen Maßnahmen zur Sicherung des Friedens in Europa teilzunehmen.154 Die entstandene Lage veranlaßte die sozialistischen Staaten, den formal noch existierenden Kriegszustand mit Deutschland zu beendigen und damit auch in dieser Hinsicht in ihren Beziehungen zur DDR Klarheit zu schaffen. Zwischen Januar und April 1955 gaben die UdSSR, die Tschechoslowakische Republik, die VR Polen, die Rumänische VR, die VR Bulgarien, die Ungarische VR, die VR Albanien und die VR China Erklärungen über die Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland ab.155 Nach der Ratifizierung der Pariser Verträge kamen die UdSSR und weitere sieben sozialistische Länder, darunter die DDR, überein, sich zum Schutze des Friedens in einem mehrseitigen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zusammenzuschließen.156 Damit war die DDR nunmehr auch durch einen multilateralen Vertrag mit den Bruderländern verbunden. Der damalige Ministerpräsident der Tschechoslowakischen Republik, Viliäm Siroky, unterstrich die Bedeutung dieses Ereignisses durch eine herzliche Begrüßung der DDR als „unseren neuen Verbündeten". „Mit der Deutschen Demokratischen Republik ist unser Land schon mehrere Jahre lang durch enge Freundschaft verbunden, die unablässig erstarkt und sich erweitert. Diese unsere brüderlichen Beziehungen erhalten nun die ausdrucksvolle Form eines Vertrages", fügte er hinzu.157 Der am 14. Mai 1955 abgeschlossene Warschauer Vertrag gewährleistete auch den Schutz der DDR durch das militärische Potential der verbündeten Länder, dessen Kern die Sowjetarmee darstellt. Er garantierte ihre Unantastbarkeit und Souveränität. Obgleich die Teilnahme der DDR an der Aufstellung von Streitkräften unter einem Vereinten Kommando erst später bestätigt wurde, sah der Vertrag keinerlei Einschränkung 109
der Beistandsverpflichtung der teilnehmenden Staaten im Falle eines Angriffs auf die DDR vor. Gleichermaßen war sie auch von Anfang an am Politischen Beratenden Ausschuß des Warschauer Vertrages beteiligt. Die Mitgliedschaft der DDR im Warschauer Vertrag verlegte den revanchistischen Kräften der BRD endgültig den Weg zu einer »innerdeutschen Polizeiaktion", durch die sie die DDR gewaltsam an die imperialistische Bundesrepublik angliedern wollten. Bis in die Gegenwart hinein suchen die Anhänger dieser Politik nach einem Ausweg aus der entstandenen Lage. Zu diesem Zweck betreiben sie eine sehr willkürliche »Exegese" des Textes des Warschauer Vertrages und gelangen dabei z. B. zu dem Schluß, daß das multilaterale Verteidigungsbündnis für die DDR kein „Schutzverhältnis, sondern die Verlagerung bzw. den Abbau von Bindungen zur Sowjetunion" gebracht habe.158 Demgegenüber ist im Vertragstext (Artikel 4) eindeutig festgelegt, daß im Falle eines bewaffneten Überfalls „auf einen oder mehrere Teilnehmerstaaten . . . jeder Teilnehmerstaat. . . dem Staat oder den Staaten, die einem solchen Überfall ausgesetzt sind, sofortigen Beistand individuell und in Verbindung mit den anderen Teilnehmerstaaten des Vertrages . . . erweist".159 In dem Dokument gibt es keinerlei Hinweis darauf, daß die DDR aus diesem gegenseitigen Schutzverhältnis ausgenommen sei. Ebensowenig ist daraus ein Abbau von Bindungen der DDR zur Sowjetunion zu ersehen. Bekanntlich wurde „zum Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte, die aus den von den Staaten, die den Vertrag unterschrieben haben, zugeteilten Streitkräften bestehen", ein Marschall der Sowjetunion ernannt und als Sitz des Stabes der Vereinten Streitkräfte Moskau gewählt.160 Gleich haltlos sind andere Konstruktionen, die von BRD-Autoren hinsichtlich einer angeblich fehlenden Gleichberechtigung der Staaten des Warschauer Vertrages oder in bezug auf angebliche Abweichungen des russischen Vertragstextes vom deutschen vorgenommen werden. 161 Den Höhepunkt der Entwicklung der DDR zu einem Partner der sozialistischen Staaten mit gleichen Rechten und Pflichten stellte der Vertrag über die Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR vom 20. September 1955 dar, der auf der Grundlage der Prinzipien der völligen Gleichberechtigung, der gegenseitigen Achtung der Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten abgeschlossen wurde.162 In seinem Ergebnis wurden das Amt des Hohen Kommissars der UdSSR in Deutschland abgeschafft und alle Direktiven und Befehle für das Gebiet der DDR außer Kraft gesetzt, die in den Jahren 1945 bis 1948 vom Alliierten Kontrollrat erlassen worden waren. 163 Dieser Vertrag leitete „einen neuen Abschnitt in der Entwicklung unserer Republik und ihrer Stellung in der Welt ein", unterstrich Wilhelm Pieck, der die DDR-Delegation bei den Vertragsverhandlungen geführt hatte.164 In einem zweiseitigen völkerrechtlichen Vertrag gleichberechtigter Partner, dem ersten Freundschaftsvertrag der DDR, verpflichteten sich beide Seiten, ihre Beziehungen auszubauen und sich jede Hilfe beim sozialistischen Aufbau zu erweisen. Die in der Souveränitätserklärung von 1954 noch aufrechterhaltenen Einschränkungen - die in der Existenz des Hohen Kommissars ihren Ausruck gefunden hatten — waren jetzt beseitigt. Die auf dem Gebiet der DDR stationierten sowjetischen Truppen verloren endgültig ihren Charakter als Besatzungsmacht; ihr weiterer Verbleib wurde notwendig, weil durch die Einbeziehung der BRD in den aggressiven NATO-Block eine Situation geschaffen worden war, die dem revanchistischen Drängen der alten Generale und der imperialistischen Reaktion neuen Spielraum gewährte und damit den Frieden in Europa bedrohte. Die Schutzfunktion der auf dem Territorium der DDR verbleiben110
den sowjetischen Streitkräfte wurde in dem am 12. März 1957 zwischen der DDR und der UdSSR abgeschlossenen Truppenstationierungsvertrag ausführlich definiert und begründet.165 Das gleiche Abkommen bekräftigte auch nochmals das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren und gesellschaftspolitischen Angelegenheiten des Gastlandes. Die Bewachung und die Kontrolle der Grenzen der DDR wurden durch den Vertrag von 1955 voll der Staatsmacht der DDR übertragen. Sie übernahm damit das Recht, aber auch die Pflicht, wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Bevölkerung zu ergreifen. Weder der Vertragstext noch das in seinem Ergebnis errichtete System der Landesverteidigung der DDR geben Anlaß zu der von Politologen der BRD aufgestellten Behauptung, daß „die Sicherheit (der DDR - M. H.) weiterhin in die ausschließliche Zuständigkeit der UdSSR fällt".166 Eine derartige Auffassung kann nur der Absicht entspringen, zwischen der DDR, die „mit der Hypothek der deutschen Frage und der sowjetischen Sicherheitspolitik gegenüber dem Westen belastet" sei,167 und ihren Verbündeten zu differenzieren und schließlich die DDR von der sozialistischen Gemeinschaft abzutrennen. Mit der Ratifizierung des Vertrages über die Beziehungen zwischen der UdSSR und der DDR erwarb letztere uneingeschränkt alle Attribute eines souveränen Staates. Sie war somit ihren Verbündeten von nun an in jeder Beziehung gleichgestellt. In einem mehrjährigen Prozeß hatte die DDR unter zielstrebiger Führung der SED und bei ständiger Förderung durch die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Staaten den Weg von der Besatzungszone zu einem anerkannten souveränen Staat zurückgelegt. Dieser Prozeß war untrennbar mit einem zweiten verbunden und dialektisch verflochten: der Verankerung der DDR in der sozialistischen Staatengemeinschaft. Im gleichen Jahr, als sie ihre volle Souveränität erlangte, wurde sie Mitglied des multilateralen Freundschafts- und Beistandsvertrages. Das war kein Zufall, denn die grundlegenden nationalen Interessen der DDR konnten von Anfang an nur durch deren feste Verbindung zu den sozialistischen Ländern, in erster Linie zur Sowjetunion, wahrgenommen werden. Allein diese Orientierung gewährleistete die Erhaltung und den Ausbau der sozialistischen Errungenschaften in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Zugleich bedeutete die Integration der DDR in die sozialistische Staatengemeinschaft einen Sieg des Weltsozialismus, einen Sieg über verhängnisvolle Traditionen und nationalistische Ideologien, einen Triumph der Prinzipien des proletarischen Internationalismus. Anmerkungen 1 Breshnew, L. 1., Rede bei der Überreichung des Leninordens an den Ersten Sekretär des ZK der SED, Erich Honecker, am 13. Mai 1973. In: Unser Kurs: Frieden und Sozialismus, Moskau 1974, S. 24. 2 Handbuch der Verträge 1871-1964, hg. v. Helmuth Stoecker unter Mitarb. v. Adolf Rüger, Berlin 1968, S. 332 f., 348 f., 349 f. 3 Ebenda, S. 442f., 444, 446f.; Hähner, Brigitte, Die ersten Freundschafts- und Beistandsverträge zwischen der UdSSR und den Volksdemokratien. In: Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas (im folgenden: JfGsL), Bd. 22/1, Berlin 1978, S. 175 ff. 4 SManow, A. A., Über die internationale Lage, Berlin 1951, S. 13. 5 Ebenda, S. 9. 6 Entwurf der Delegation der UdSSR auf der Moskauer Außenministerkonferenz für einen Vertrag über die Entmilitarisierung Deutschlands, vorgelegt am 14. April 1947. In: Freundschaft DDR-UdSSR. Dokumente und Materialien, Berlin 1965, S. 57. 7 Kommunique über die Konferenz der Regierungschefs der drei allnerten Mächte -
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Sowjetunion, Vereinigte Staaten von Amerika und Großbritannien - auf der Krim. In: Teheran, Jalta, Potsdam. Dokumentensammlung, Moskau 1978, S. 201. 8 Shdanow, Über die internationale Lage, a. a. O., S. 13. 9 Stalin, Josei, Über den Großen Vaterländischen Krieg, Moskau 1946, S. 49 f. 10 Seeber, E., Zum Kampf der Arbeiterparteien um ein neues Verhältnis zwischen den Völkern Polens und der DDR im Spiegel der Presse der Polnischen Arbeiterpartei 1945 bis 1950. In: Jahrbuch für Geschichte (im folgenden: JfG), Bd. 12, Berlin 1974, S. 211. 11 Gottwald, Klement, Ausgewählte Reden und Schriften 1925-1952, Berlin 1974, S. 570 f. 12 Protokoll der Verhandlungen des II. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1947, S. 15. 13 Seeber, £., Verhältnis Polen-DDR . ... a. a. O., S. 207 f.; dieselbe. Zu den Beziehungen zwischen der DDR und den europäischen volksdemokratischen Staaten bis 1950. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (im folgenden: ZfG), 1973, H. 2, S. 149ff.; dieselbe, Zum Kampf Volkspolens um die Durchsetzung der Beschlüsse von Potsdam und die Herstellung einer stabilen Friedensordnung in Europa 1945-1949. I n : JfGsL, Bd. 13/1, Berlin 1969, S. 92 ff. 14 Protokoll der Verhandlungen des II. Parteitages der SED, a. a. O., S. 33 ff., 190 ff. 15 Ebenda, S. 294, 39 f. 16 Ebenda, S. 232 f., 58, 233 f., 553. 17 Ebenda, S. 232. 18 Ebenda, S. 233. 19 Ebenda, S. 375 ff. 20 Potsdamer Abkommen, Teil III, Deutschland. In: Handbuch der Verträge, a. a. O., S. 380. 21 Vo/j&e, HeinzINitzsche, Gerhaid, Wilhelm Pieck, Biographischer Abriß, Berlin 1975, S. 305. 22 Ebenda, S. 306; Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß (im folgenden: Geschichte der SED), Berlin 1978, S. 163. 23 Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, Teil 2, 1945-1970, Berlin 1971, S. 173 ff. 24 Seeber, E., Die erste UN-Organisation UNNRA und ihr Platz in der Außenpolitik der USA gegenüber der UdSSR 1943 bis 1946. In: Die USA und Europa 1917-1945, hg. v. Fritz Klein u. a„ Berlin 1975, S. 253. 25 Molotow, W. M„ Fragen der Außenpolitik. Reden und Erklärungen April 1945 - Juni 1948, Moskau 1949, S. 480 ff. 26 Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Bd. 1, Berlin 1957, S. 12. 27 Ebenda; Potsdamer Abkommen, Teil IV. Reparationen aus Deutschland. In: Handbuch der Verträge, a. a. O., S. 384 f. 28 Da Bulgarien und Rumänien von September bzw. August 1944 bis zum Ende des Krieges an der Seite der Alliierten am Kampf gegen Hitlerdeutschland teilgenommen und dabei große Opfer an Menschen und Material erlitten hatten, erhoben sie Anspruch auf Reparationen, der bei den Friedensverhandlungen mit Deutschland berücksichtigt werden sollte. Vgl. Dimitroti, Georgi, Ausgewählte Werke, Bd. 2, Sofia 1967, S. 401; Romania liberä (Bukarest), 20. März 1947; Lache, ßtefan/Jutui, Gheorghe, Romania si conferin^a de pace de la Paris din 1946, Cluj-Napoca 1978, S. 294. 29 Für Frieden und Volksdemokratie. Bericht über die Tätigkeit einiger kommunistischer Parteien auf der Konferenz in Polen Ende September 1947, Berlin o. J. (1948), S. 9. 30 Ebenda. 31 Ebenda, S. 8. 32 Badstübner, Roll, Restaurationsapologie und Fortschrittsverteufelung. Das entspannungsfeindliche bürgerliche Nachkriegsgeschichtsbild in der BRD. Reihe zur Kritik der bürgerlichen Ideologie, H. 87, hg. v. Manfred Buhr. Berlin 1978, S. 23, 112 ff. 33 Protokoll der Verhandlungen des II. Parteitages der SED, a. a. O., S. 488. 34 Ulbricht, Walter, Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 3, Berlin 1953, S. 189 ff.
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35 Maier-Harloft, Otmar, Die Entwicklung einer ostpolitischen Konzeption in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von 1945-1961, Diss. rer soc., Darmstadt 1975, S. 19. 36 Geschichte der SED, a. a. O., S. 90. 37 Badstübper, Restaurationsapologie, a. a. O., S. 118. 38 Agsten, Rudolt/Bogisch, Mantred, LDPD auf dem Weg in die DDR. Zur Geschichte der LDPD in den Jahren 1946-1949, 2. Aufl., Berlin 1977, S. 237 ff. 39 Geschichte der SED, a. a. O., S. 176. 40 Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 2, Berlin 1950, S. 119 f. 41 Heitzer, Heinz, Der Freundschaftsbund zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Bulgarien - Verwirklichung des Vermächtnisses von Georgi Dimitroff. In: Georgi Dimitroff - Kampf und Vermächtnis, Berlin 1972, S. 122. 42 Romänia liberä, 20. 6. 1948. 43 Voßke/Nitzsche, Wilhelm Pieck, a. a. O., S. 306 f. •44 Zit. nach Heitzer, Der Freundschaftsbund . . ., a. a. O., S. 123. 45 Ebenda, S. 124. 46 Zit. nach Voßke/Nitzsche, Wilhelm Pieck, a. a. O., S. 308. 47 Geschichte der SED, a. a. O., S. 151. 48 Freundschaft DDR-UdSSR, Dokumente und Materialien, Berlin 1965, S. 27 f. 49 Belezkij, W. N., Die Politik der Sowjetunion in den deutschen Angelegenheiten in der Nachkriegszeit (1945-1976), Berlin 1977, S. 7 f. 50 Das Warschauer Kommunique vom 24. Juni 1948. In: Dokumentation der Zeit, Berlin, 1949, H. 2, S. 75 ff. 51 Molotow, Fragen der Außenpolitik, a. a. O., S. 659. 52 Kommunique über die Beratung des Informationsbüros kommunistischer Parteien, die in der zweiten Junihälfte 1948 in Rumänien stattfand. In: Probleme externe (Bukarest), 1948, H. 3, S. 2 f f . ; Beratung des Informationsbüros kommunistischer Parteien, abgehalten in Ungarn während der zweiten Novemberhälfte 1949, Berlin 1951, S. 3 ff. 53 Kommunique über die Gründung des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe. In: Handbuch der Verträge, a. a. O., S. 469. 54 Hegemann, Margot/Möschner, Günter, Die DDR als Wirtschaftspartner der sozialistischen Staaten in den ersten Jahren des RGW. In: JfG., Bd. 12, Berlin 1974, S. 246f. 55 DDR-VRP, Bündnis und Zusammenarbeit, Berlin/Warszawa 1974, S. 75. 56 Seeber, Verhältnis Polen-DDR, a. a. O., S. 223 f. 57 Freundschaft DDR-UdSSR, a. a. O., S. 91 f. 58 Hegemann/Möschner, Die DDR als Wirtschaftspartner . . ., a. a. O., S. 247. 59 Foreign Relations of the United States (im folgenden: FRUS), 1949, Bd. 3, Washington 1976, S. 513. 60 Ebenda, S. 509. 61 Ebenda, S. 508. 62 Ulbricht, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung . . ., a. a. O., S. 368. 63 Geschichte der SED, a. a. O., S. 188. 64 Agsten/Bogisch, LDPD, a. a. O., S. 295 f. 65 Geschichte der SED, a. a. O., S. 188. 66 Heitzer, Der Freundschaftsbund . . ., a. a. O., S. 128. 67 Seeber, Verhältnis Polen-DDR, a. a. O., S. 240. 68 Voßke/Nitzsche, Wilhelm Pieck, a. a. O., S. 320. 69 Agsten/Bogisch, LDPD, a. a. O., S. 326 f. 70 Pieck, Wilhelm, Reden und Aufsätze, Bd. 3, Berlin 1954, S. 623. 71 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 6, Berlin 1966, S. 526. 72 Ebenda, S. 546 f. 73 Grotewohl, Otto, Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik, Bd. 1, Berlin 1959, S. 497 f. 74 Ebenda, S. 457.
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75 Beziehungen DDR-UdSSR 1949-1955, Dokumentensammlung, 1. Halbbd., Berlin 1975. 76 Hönisch, Werner, Außenpolitik und internationale Beziehungen der DDR, Bd. 1: 1949 bis 1955, Berlin 1972, S. 48 f. 77 Beziehungen DDR-UdSSR, a. a. O., S. 129. 78 Bierut, Boleslaw, Die Aufgaben der Paitei im Kampf um die revolutionäre Wachsamkeit angesichts der jetzigen Situation, Berlin 1950, S. 7. 79 Gottwald, Ausgewählte Reden ...,a.. a. O., S. 555. 80 Sdnteia (Bukarest), 13. 10. 1949. 81 FRUS 1949, Bd. 3, S. 536. 82 Schulz, Eberhaid, Die Bedeutung der DDR für die Westpolitik osteuropäischer Staaten. In: Die Rolle der DDR in Osteuropa, hg. v. Gert Leptin, Berlin(-West) 1974, S. 58. 83 Vgl. Unbewältigte Vergangenheit. Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der BRD, hg. v. Gerhard Lozek u. a., 3., neu bearb. u. erw. Aufl., Berlin 1977, S. 419. 84 Schulz, Die Bedeutung der DDR . . ., a. a. O., S. 64 ff. 85 Uschakow, Alexander, Die Sonderstellung der DDR im osteuropäischen Bündnissystem. I n : Die Rolle der DDR in Osteuropa, a. a. O., S. 52. 86 Beziehungen DDR-UdSSR, a. a. O., S. 100. 87 Ebenda, S. 146. 88 Ebenda, S. 151. 89 Ebenda, S. 142 f. 90 Ebenda, S. 144. 91 Ebenda. 92 Ebenda, S. 171, 177, 237, 347, 422 f. 93 Ratipwski, Wieczyslaw F., Die Außenpolitik der VR Polen, Warszawa 1975, S. 95. 94 Bierut, Die Aufgaben der Partei. . ., a. a. O., S. 7. 95 Scinteia, 16. 10. 1949. 96 Grotewohl, Im Kampf . . . , Bd. 2, Berlin 1954, S. 153. 97 Ulbricht, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung . . . , & . a. O., S. 688. 98 Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik (im folgenden: Dokumente zur Außenpolitik der DDR), Bd. I, Berlin 1954, S. 332. 99 Handbuch der Verträge, a. a. O., S. 509 f. 100 Hönisch, Außenpolitik a. a. O., S. 93, 300. 101 Maier-Harlofi, Ostpolitische Konzeption der SPD, a. a. O., S. 123. 102 Ulbricht, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, a. a. O., S. 690. 103 Handbuch der Verträge, a. a. O., S. 507 f. 104 Maier-Harloft, Ostpolitische Konzeption der SPD, a. a. O., S. 124. 105 Gottwald, Ausgewählte Reden . . ., a. a. O., S. 558. 106 Dokumente zur Außenpolitik der DDR, Bd. I, a. a. O., S. 429 f., 451 ff., 462 ff. 107 Geschichte der SED, a. a. O., S. 239. 108 Beziehungen DDR-UdSSR, Bd. 1, a. a. O., S. 247. 109 Ulbricht, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung a. O., S. 688. 110 Hönisch, Außenpolitik . . ., a. a. O., S. 95. 111 Ebenda, S. 97. 112 Dokumente zur Außenpolitik der DDR, Bd. IV, Berlin 1957, S. 378 ff., 419 ff., 459 ff. 113 Ulbricht, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung . . . , & . a. O., S. 727. 114 Beziehungen DDR-UdSSR, Bd. 1, a. a. O., S. 231 f. 115 Ebenda, S. 235. 116 Ebenda, S. 241 f.; Dokumente zur Außenpolitik der DDR, Bd. I, a. a. O., S. 168f. 117 Dokumentation der Zeit 1949, H. 1, S. 17; H. 2, S. 60. 118 Geschichte der SED, a. a. O., S. 261 ff. 119 Roesler, Jörg, Die Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, Berlin 1978, S. 16 f. 120 Beziehungen DDR-UdSSR, Bd. 1, a. a. O., S. 234. 121 Ebenda, S. 248 ff.
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122 Dokumentation der Zeit, 1950, H. 10, S. 399. 123 VoQMeimtzsche, Wilhelm Pieck, a. a. O., S. 352 ff. 124 XIX. Parteitag der KPdSU. In: Neue Welt 1952, H. 22, S. 2934. 125 Hämsch, Außenpolitik a. O., S. 353. 126 Ebenda, S. 113 ff., 171 f., 186 ff., 350. 127 Geschichte der SED, a. a. O., S. 271 ff. 128 Roesler, Sozialistische Planwirtschaft, a. a. O., S. 7. 129 FRUS, 1949, Bd. 3, S. 917. 130 Morgan, Roger, Washington und Bonn. Deutsch-amerikanische Beziehungen seit dem Zweiten Weltkrieg, München 1975, S. 40. 131 Geschichte der SED, a. a. O., S. 289 f. 132 Beziehungen DDR-UdSSR, 1. Halbbd., a. a. O., S. 433. 133 Ebenda, S. 467. 134 Dokumente zur Außenpolitik der DDR, Bd. I, a. a. O., S. 326, 370, 422, 446, 457, 468, 478, 482. 135 Molotow, Fragen der Außenpolitik, a. a. O., S. 480 ff. 136 Die Verbrechen der Hitlerfaschisten in der Sowjetunion. In: Dokumentation der Zeit, 1953, H. 54, S. 3100 ff. 137 FRUS, 1949, Bd. 3, S. 899 ff. 138 Ulbricht, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung a. O., S. 389 f. 139 Beziehungen DDR-UdSSR, 1. Halbbd., a. a. O., S. 165. 140 Hegemann, Margot, Die Anfänge der multilateralen Zusammenarbeit der europäischen sozialistischen Staaten. In: JfGsL, Bd. 16/2, Berlin 1972, S. 96. 141 Ulbricht, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung . . . , a. a. O., S. 735. 142 Beziehungen DDR-UdSSR, 1. Halbbd., a. a. O., S. 187 f. 143 Ebenda, S. 354 ff. 144 Ebenda, S. 462 ff. 145 Geschichte der SED, a. a. O., S. 291 ff. 146 Hönisch, Außenpolitik . . . , a. a. O., S. 190 ff. 147 Erklärung der Regierung der VR Polen zur deutschen Frage v. 24. August 1953. In: Dokumentation der Zeit, 1953, H. 54, S. 3049. 148 Rakowski, Außenpolitik der VR Polen . .., a. a. O., S. 96 f. 149 Beziehungen DDR-UdSSR, 2. Halbbd., Berlin 1975, S. 632. 150 Ebenda, S. 639 f. 151 Ebenda, S. 661. 152 Ebenda, S. 677, 704. 153 Dokumente zum Warschauer Vertrag 1954-1961, Berlin 1962, S. 10. 154 Ebenda, S. 14 ff. 155 Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR, Bd. II, Berlin 1955, S. 412, 444, 428, 456, 461, 450, 477. 156 Dokumente zum Warschauer Vertrag, a. a. O., S. 49 ff., siehe auch den Beitrag von Karl Greese in diesem Band. 157 Ebenda, S. 43 f. 158 Uschakow, Die Sonderstellung der DDR . . ., a. a. O., S. 40. 159 Die Organisation des Warschauer Vertrages 1955-1975. Dokumente und Materialien, Berlin 1975, S. 16 f. 160 Ebenda, S. 20. 161 Uschakow, Die Sonderstellung der DDR . . ., a. a. O., S. 41. 162 Beziehungen DDR-UdSSR, 2. Halbbd., a. a. O., S. 992 ff. 163 Ebenda, S. 1001. 164 Ebenda, S. 1004. 165 Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR, Bd. V, Berlin 1958, S. 677 ff. * 166 Uschakow, Die Sonderstellung der DDR . ... a. a. O., S. 42. 167 Ebenda, S. 43 f.
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GOTTFRIED DITTRICH
Zur Geschichte der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in der DDR während der Übergangsperiode
1.
Theoretisch-methodologische Fragen
Das Programm der SED charakterisiert den sozialistischen Wettbewerb als den «umfassendsten Ausdruck des Schöpfertums der Werktätigen bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft", als eine Verkörperung der führenden Rolle der Arbeiterklasse, deren weitere Entwicklung sich vor allem auf diesem Felde vollzieht, wobei sich „immer stärker Schöpfertum, Initiative, Kollektivität, Drang nach Bildung, gesellschaftliches Verantwortungsbewußtsein, gegenseitige Hilfe und kulturelle Lebensweise" ausprägen. 1 Diese Wertung schärft zugleich den Blick für die Geschichte der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in früheren Perioden, in denen sich die schöpferische Initiative der Werktätigen auf die Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR konzentrierte und Wesenzüge des sozialistischen Wettbewerbs entstanden, die von unverminderter Gültigkeit sind. Nach dem IX. Parteitag der SED steht vor den Historikern die Forderung, „das Reifen und die Leistungen der Arbeiterklasse und aller Werktätigen im Alltag des Sozialismus zu verdeutlichen, auf denen alle Fortschritte unserer Gesellschaft beruhen. Dieses Schöpfertum . . . immer besser widerzuspiegeln" ist „entscheidend für die Anziehungs- und Überzeugungskraft des geschichtlichen Bildes der sozialistischen Ordnung". 2 Die Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung zählt zu den gründlichsten, aber nicht durchgängig und in ihrer ganzen Breite erforschten Seiten jenes neuen Inhalts, den die Arbeiterbewegung bei der Eroberung der Hegemonie und der Errichtung der politischen Macht der Arbeiterklasse gewann. 3 Ihre Erforschung nahm einen spürbaren Aufschwung in der ersten Hälfte der sechziger Jahre, als es bei der Vorbereitung der „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" notwendig wurde, diesen neuen Inhalt umfassend herauszuarbeiten, der in der Veränderung des Verhältnisses zur Arbeit besonders klar und überzeugend zutage trat.4 Darstellungen unterschiedlicher Art, besonders die verdienstvolle „Kleine Geschichte einer großen Bewegung", umrissen den bisherigen Verlauf der Bewegung und bemühten sich, deren gesellschaftliche Bedeutung tiefer zu erfassen, besonders auch ihre Einengung auf die ökonomische Wirkung zu überwinden. 5 Als sich die Geschichtsschreibung in dem vom VIII. Parteitag der SED eröffneten Abschnitt der Geschichte der DDR u. a. verstärkt der Dialektik von Nationalem und Internationalem zuwandte, trat die Frage nach der Anwendung von Arbeitserfahrungen der sowjetischen Arbeiterklasse deutlicher hervor. 6 Das Bild von der Geschichte der DDR und ihres Bruderbundes mit der UdSSR wurde um neue Fakten bereichert und machte insbesondere das ganze Ausmag der sowjetischen Hilfe für unser Land besser sichtbar. Dieser Stand fand seinen Niederschlag in dem Werk „Klassenkampf — Tradition - Sozialismus" (Grundriß).
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Die »Geschichte der SED. Abriß" hat die wichtigsten Etappen der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung organischer und deutlicher in bestimmende Zusammenhänge der Geschichte der DDR und der SED hineingestellt. Vor allem wird nachdrücklicher als in vorangegangenen Gesamtdarstellungen die Rolle dieser Bewegung bei der Durchsetzung und Entfaltung der sozialistischen Produktionsverhältnisse sowie für das Wachstum der Arbeiterklasse gewürdigt. Wesentlich dafür ist, daß der Abriß im Grundsätzlichen die Initiierung und Führung der hauptsächlichen Etappen der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung durch die SED herausarbeitet und somit den Aufbau des Sozialismus auch im Hinblick auf diesen Aspekt prononcierter als bewußt geführten Prozeß verdeutlicht. Von den neuen Veröffentlichungen zur Geschichte der DDR weist insbesondere die Monographie J. Roeslers wichtige Zusammenhänge zwischen der ökonomischen Politik der SED und des sozialistischen Staates, der Wirtschaftsgeschichte und dem Verlauf der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung nach. 7 Dieser Fortschritt der Geschichtsschreibung über die DDR auf der einen Seite, die neuen Anforderungen an sie auf der anderen verlangen u. E. eine Bilanz der Historiographie der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung während der Übergangsperiode, die theoretisch-methodologische und methodische Probleme erörtern muß, um die weitere historische Forschung anzuregen. Das Folgende versteht sich naturgemäß als Diskussionsbeitrag und erhebt nicht den Anspruch, eine abgerundete Forschungskonzeption vorzutragen. Es beabsichtigt vor allem, erstens durch eine zielstrebige und allseitige Erschließung der Geschichte der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung dazu beizutragen, die Komplexität unseres Bildes von der Geschichte der DDR weiter auszuprägen; zweitens die geschichtsgestaltende Wirksamkeit der Werktätigen durch ihre täglichen Produktionsleistungen, die sie unter den Bedingungen der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse und der voranschreitenden Liquidierung der kapitalistischen Ausbeutung vollbrachten, stärker ins Blickfeld zu rücken ; drittens zur Analyse der Dynamik des Wachstums der Arbeiterklasse der DDR während jener Zeit beizutragen, da sie ihre neue soziale Natur als führende Klasse der sozialistischen Gesellschaft erwarb. Der gegenwärtige Forschungsstand und der verfügbare Raum erfordern eine exemplarische Behandlung der aufzuwerfenden Probleme.
2.
Zu den Anfängen der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung
Auf einen kritischen Einwand hin, 8 der sich auf die Anfänge der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung bezog, konnten anhand von gedruckten Quellen und von Darstellungen unterschiedlicher Art für die Jahre 1945/46 neben freiwilligen, unbezahlten Arbeits- und Aufbaueinsätzen und Sonderschichten auch Wettbewerbe zwischen Betrieben, Schächten und Städten, innerbetriebliche Wettbewerbe, ferner Jugendstoßbrigaden und ein betriebliches Vorschlagswesen nachgewiesen werden. 9 Diese Formen schöpferischer Initiative entsprachen den politischen und ökonomischen Aufgaben sowie dem Grade der Bewußtheit und Organisiertheit der Arbeiterklasse auf dem Gebiet der DDR in den ersten Nachkriegsjahren. Aus ihnen formierten die SED und der FDGB - besonders in Verwirklichung des Befehls Nr. 234 der SMAD („Aktivisten für 234") - eine Bewegung, 10 die ein Jahr später mit der Tat Adolf Henneckes eine höhere Stufe erreichte. 11 Die frühen, vereinzelten und unreifen Keime dieser Bewegung vor 1947/48 zu be117
achten ist deshalb wichtig, weil sie eng mit der Durchsetzung der Hegemonie der Arbeiterklasse sowie mit dem Prozeß des Ausreifens der revolutionären Situation im Osten Deutschlands verbunden sind. Sie waren Erscheinungsform und Resultat des Kampfes eines Vortrupps klassenbewußter Arbeiter um die Produktionskontrolle durch die Arbeiterklasse bereits während der Wiederingangsetzung der Wirtschaft, d. h. eines revolutionären Vorgangs, der schon vor der Enteignung der Betriebe der Nazi- und Kriegsverbrecher die tatsächliche Vergesellschaftung12 einleitete. „Im Grunde genommen läuft", wie Lenin 1917 schrieb, «die ganze Frage der (Produktions— G. D.) Kontrolle darauf hinaus, wer wen kontrolliert, d. h. welche Klasse die kontrollierende und welche die kontrollierte ist" 1 3 Die Erringung der Produktionskontrolle durch die Arbeiterklasse war ein Bestandteil der Entmachtung der Bourgeoisie. Die KPD hatte dieser Aufgabe - einer Seite des Zusammenhangs zwischen dem Kampf um Demokratie und um Sozialismus - bei der Befreiung Deutschlands vom Faschismus große Aufmerksamkeit geschenkt.14 Wichtige Formen des Kampfes um die Produktionskontrolle in den ersten Nachkriegsmonaten waren die Bildung und das Ringen der Betriebsräte um das volle Mitbestimmungsrecht, die nicht selten anzutreffende Funktion der Betriebsräte, der »Dreier-" oder „Fünferköpfe" als faktische Betriebsleitung, die Säuberung der Betriebe von belasteten Nazis, die Auflösung von Konzernverbindungen, die Besetzung maßgeblicher Positionen durch die Gewerkschaften in den Industrie- und Handelskammern, die Organisierung verschiedenartiger Maßnahmen zur Ingangsetzung der Produktion. Ihre Durchsetzung war während der Vorbereitung des Gründungskongresses des FDGB ein Gegenstand scharfer Auseinandersetzungen zwischen den revolutionären und den reformistischen Kräften innerhalb der Aktionsgemeinschaft von KPD und SPD.15 Von dem errungenen Fortschritt zeugen der Bericht des Landesvorstandes Sachsen an den 1. Kongreß des FDGB, daß in diesem Lande in allen Industriebetrieben das Mitbestimmungsrecht der Belegschaften durchgesetzt sei, und die Annahme des Entwurfs für ein Betriebsrätegesetz durch den Kongreß, das das volle Mitbestimmungsrecht beinhaltete.16 In diesem Ringen um die Hegemonie der Arbeiterklasse in der Industrie erwarben deren bewußteste Vertreter ein neues Verhältnis zur Arbeit, deren Erscheinungsformen als Indikatoren der neuen gesellschaftlichen Position der Klasse sowie dem Anwachsen ihrer Bewußtheit dienen. Diesen Zusammenhang erfaßt die „Geschichte der SED" durch den Hinweis darauf, daß die Werktätigen im Herbst 1945 begannen, „die Wirtschaft der Verfügungsgewalt der Kriegsverbrecher und Nazis zu entreißen . . . Gewerkschaften und Betriebsräte organisierten die Arbeiterkontrolle."17 Bei der Darstellung der Vorbereitung des sächsischen Volksentscheides heißt es, daß unter Leitung der Parteiorganisation in zahlreichen Betrieben „die Rechte der Gewerkschaften auf Mitbestimmung und Produktionskontrolle durchgesetzt wurden".18 Doch die 1945/46 bereits vorhandenen Keime einer neuen Einstellung zur Arbeit finden keine Beachtung, was auch eine gewisse Disproportioniertheit der weiteren Darstellung bewirkt: Während der Abriß darüber informiert, daß sich Anfang 1947 die erste Delegation des Parteivorstandes der SED in der UdSSR u. a. mit den Erfahrungen der KPdSU bei der Führung des sozialistischen Wettbewerbs befaßte, erwähnt er die Forderungen der SED zur Durchführung von Wettbewerben erst anläßlich des II. Parteitages, wobei rückschauend die von der Partei gemeinsam mit dem FDGB und der FDJ gewonnenen Erfahrungen aus Wettbewerbsaktionen genannt sind.19 Die Wettbewerbsproblematik selbst wird erst nach dem Befehl Nr. 234 dargestellt. Der Begriff „Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung" wird erstmalig bei der Behandlung der bis 1948 entstandenen Elemente des Sozialismus gebraucht, so daß er hier im Unterschied zu den anderen Elementen des 118
Sozialismus noch kaum motiviert ist.20 Die stärkere Berücksichtigung der Anfänge dieser Bewegung in den ersten Nachkriegsjahren würde gestatten, den Prozeß der Durchsetzung der Hegemonie der von der KPD/SED geführten Arbeiterklasse differenzierter zu erfassen.21 3.
Die führende Rolle der SED in der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung
Eine wichtige Aufgabe besteht darin, die Führung der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung durch die SED - direkt oder vermittels anderer Organe der Diktatur des Proletariats - sowie die Bereicherung der entsprechenden Politik der Partei durch die Erfahrungen der Massen gründlicher zu erforschen und umfassender darzustellen. Die bisherigen Publikationen erläutern in der Regel die objektiv für die Entwicklung der schöpferischen Initiative bestehenden Aufgaben und lassen dann den jeweiligen Initiator meist recht unvermittelt auf den Plan treten. Zum Beispiel heißt es in »DDR - Werden und Wachsen" nach einer Beschreibung der Anfänge der Aktivistenbewegung, daß ein entscheidender Umschwung in der Arbeitsproduktivität nur möglich war, »wenn die Partei, ihre Mitglieder beispielgebend vorangingen". Und unmittelbar anschließend: »Am 13. Oktober 1948 förderte der Bergmann Adolf Hennecke . . . 24,4 m3 Steinkohle . . . SED und FDGB unterstützten, förderten und popularisierten von Anfang an diese Initiativen."22 Daß Hennecke Parteimitglied war, ist nur daraus ersichtlich, daß aus seiner Rede auf der 1. Parteikonferenz zitiert wird. Doch hat bereits vor längerer Zeit A. Voigtländer »das Zusammenfließen von Initiative des Kumpels Hennecke und der Leitung und Organisation durch die Partei" beschrieben und ausführlich aus dem Bericht Otto Buchwitz' an die 14. Tagung des Parteivorstandes der SED darüber zitiert, wie der Landesvorstand Sachsen und die Betriebsgruppe der SED im damaligen Schacht »Gottes Segen" diese bahnbrechende Tat vorbereiteten.23 Auf ähnliche Art wird die Initiative Frida Hockaufs vom 29. September 1953 dargestellt. So schreibt H. Schwarzbach in einer biographischen Skizze, F. Hockauf habe ihre Verpflichtung »dem Ruf der Partei folgend" übernommen.24 Aber gerade den konkrethistorischen Zusammenhang zwischen der Initiative einzelner und der Politik der SED gilt es zu erforschen und darzustellen. »Bekanntlich entsteht die sozialistische Gesellschaft nicht spontan, nicht im Selbstlauf", betonte G. Roßmann ein wichtiges theoretisch-methodologisches Erfordernis der Geschichtsschreibung über die DDR und die SED. „Sie ist vielmehr das Werk der von der Partei geführten Volksmassen, ihres zielstrebigen, bewußten Handelns."25 Das Aufdecken des Zusammenhanges zwischen einer Initiative, die geschichtswirksam wird, und der auf sie abzielenden Politik der SED dient der Klärung der Grundtatsache, daß sich die kommunistische Gesellschaftsformation im Unterschied zu den vorausgegangenen „planmäßig auf wissenschaftlicher Grundlage und bei voller Entfaltung der Initiative und Schöpferkraft aller Menschen unter der führenden und lenkenden Kraft der marxistisch-leninistischen Partei" herausbildet; wobei letztere „der bewußten und planmäßigen Tätigkeit der Werktätigen Richtung und Ziel" gibt.26 Der Abriß „Geschichte der SED" stellt die führende, darunter auch die organisierende Rolle der Partei, der Gewerkschaften, der FDJ u. a. Organisationen bei der Entfaltung der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung deutlicher als frühere Darstellungen heraus, darunter auch die Tätigkeit der Organisationen und die Vorbildrolle der Mitglieder der Partei, kann jedoch naturgemäß nicht dem Einzelfall nachgehen. U. E. sind weder die Bedeutung historischer Wettbewerbsinitiativen und Aktivisten9
Übergangsperiode
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taten noch die Führungstätigkeit der SED ausreichend zu würdigen, wenn die organisierende Rolle der Partei, gesellschaftlicher Organisationen und staatlicher Organe beim Auslösen neuer Impulse für die Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung keine Berücksichtigung findet. Dies soll am Beispiel der Verpflichtung Frida Hockaufs demonstriert werden. Diese Verpflichtung unter dem Motto „So, wie wir heute arbeiten, wird morgen unser Leben sein" war notwendiger Bestandteil der Politik der SED zur Verwirklichung des damals so bezeichneten „neuen Kurses" und wurde deshalb vom FDGB bewußt initiiert. Die Beschlüsse der 16. Tagung des Z K der SED (17.-19. September 1953) auswertend, appellierte das Präsidium des Bundesvorstandes des FDGB am 21. September an die Belegschaften der sozialistischen Betriebe, „im IV. Quartal den innerbetrieblichen Wettbewerb noch breiter zu organisieren und durch Übernahme neuer persönlicher Produktionsverpflichtungen sich aktiver an seiner Durchführung zu beteiligen". 27 Der Bundesvorstand legte, der Orientierung des Z K der SED folgend, als Schwerpunktzentren des Wettbewerbs die Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie, die Lebensmittel- sowie die Konsumgüter produzierende Metallindustrie fest. Der „neue Kurs" stellte insbesondere auch der Textilindustrie anspruchsvolle Aufgaben - z. B. beschlog das Z K der SED auf der 15. Tagung, der Bevölkerung im zweiten Halbjahr 1953 170 Prozent Baumwoll- und 115 Prozent Natur- und Kunstseidengewebe mehr als im ersten Halbjahr zur Verfügung zu stellen.28 Bei der Wettbewerbsführung konzentrierte sich der Bundesvorstand des FDGB auf den größten Webereibetrieb der DDR, den VEB Mechanische Weberei Zittau, dessen Planauflage um eine Mill. Meter Stoff erhöht worden war, um hier unter der Losung „Dem Volke mehr, bessere und billigere Textilien" ein Beispiel zu schaffen.29 Dieser Betrieb war auch ein politischer Schwerpunkt, der auf der 15. ZK-Tagung wiederholt wegen der Schwäche seiner Parteiorganisation kritisch genannt wurde. (Auf einer Belegschaftsversammlung hatte sich kein einziger Genosse gegen Angriffe auf die OderNeiße-Friedensgrenze gewandt; die Parteileitung bestand zu 80 Prozent aus Angestellten und nur zu 20 Prozent aus Arbeitern. 30 Frida Hockauf wurde im Prozeß der Festigung der Betriebsparteiorganisation im September in deren Leitung gewählt. Die damals 50jährige Genossin, die einer traditionsreichen Arbeiterfamilie entstammte, seit den zwanziger Jahren gewerkschaftlich organisiert und seit 1946 Mitglied der SED war, genoß fachlich und politisch die Achtung ihrer Kollegen und Genossen. Als sie von dem Vorhaben der Gewerkschaft erfuhr, ein Beispiel für den Wettbewerb in ihrem Betrieb zu schaffen, erklärte sie sich bereit, auf einer Tagung des Gewerkschaftsaktivs die Werktätigen zu persönlichen, abrechen- und vergleichbaren sowie steigerungsfähigen Verpflichtungen aufzurufen.31 Die von ihr geprägte Losung wurde während des ersten Fünfjahrplans zu einer der populärsten. Solchen konkret-historischen Zusammenhängen aus der Entstehungsgeschichte bedeutender Initiativen nachzugehen, gehört u. E. zu den aktuellen Aufgaben der Forschung. In den letzten Jahren ist, einem Erfordernis der weiteren Gestaltung des entwickelten Sozialismus gemäß, in der Geschichtswissenschaft der DDR das Thema „Volksmassen und historischer Fortschritt" in den Vordergrund gerückt. Es schließt auch ein, zu untersuchen, wie die SED unter den Bedingungen bewußter Geschichtsgestaltung im Werden und Wachsen der DDR die Volksmassen, vor allem die Arbeiterklasse, dazu befähigte, den historischen Prozeß durchzusetzen.32
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4.
Zum historischen Platz der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung im revolutionären Prozeß
Fruchtbar für die weitere Ausprägung der Komplexität des Bildes von der Geschichte der DDR sowie für die gründlichere Darstellung der wissenschaftlichen Leitung des gesellschaftlichen Fortschritts durch die Arbeiterklasse und ihre Partei wäre es auch, wenn den bestehenden Beziehungen zwischen der Wirtschaftspolitik der Arbeiter-undBauern-Macht und dem Verlauf der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung mehr Augenmerk geschenkt würde. Von ihnen aus wird der Blick auf nationalgeschichtlich bedeutsame Fragen gelenkt, was wiederum am Beispiel der von Frida Hockauf ausgelösten Bewegung gezeigt werden soll. Bereits 1963 verwies W. Horn auf den inneren Zusammenhang zwischen den Veränderungen in der ökonomischen Politik der SED durch den „neuen Kurs" und der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung: „So wie in den ersten Jahren (des Fünfjahrplans 1951-1955 - G. D.) die Arbeiter des Bergbaus und der Metallurgie bei der Entfaltung des sozialistischen Wettbewerbs vorangegangen waren, so gingen jetzt die Arbeiter der Leichtindustrie voran."33 Später wurde dieser Bezug nicht konsequent weiterverfolgt, und die Aufsplitterung der - sich bei aller Formenvielfalt doch in ihrer Einheit höherentwickelnden - Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung im Zeitraum des ersten Fünfjahrplans in der „Kleinen Geschichte einer großen Bewegung" war eher dazu angetan, ihn zu verdecken, als ihn hervorzuheben. So sind in H. Müller/K. Reißigs Skizze der Wirtschaftspolitik der SED34 generell die Bezüge zwischen den wirtschaftsund strukturpolitischen Orientierungen der Partei auf bestimmte Industriezweige einerseits, dem Entstehen neuer Wettbewerbsinitiativen in denselben andererseits nicht erkennbar. Nur vereinzelt wurde auf sie (und auf etwaige Unterschiede im Vergleich zur Geschichte der sowjetischen Wettbewerbsbewegung) verwiesen.35 Nahezu durchgängig hat diese Wechselbeziehungen J. Roesler behandelt: die Geburt der Hennecke-Bewegung im Steinkohlenbergbau als einem Zweig, „dessen Wachstum für die Entwicklung der Industrie von geradezu lebenswichtiger Bedeutung war"; die Tatsache, daß sich 1950/51 die Wettbewerbe in der Regel „auf die Erfüllung und Übererfüllung der Produktionskennziffern für Engpaßmaterialien" orientierten und daß 1953 infolge der beschleunigten Entwicklung der Konsumgüterproduktion „auch in den Betrieben der Leichtindustrie . . . mehr als bisher Wettbewerbe" wie der von F. Hockauf ausgelöste stattfanden. Das begründet die zusammenfassende Wertung Roeslers, daß es während des Fünfjahrplans 1951-1955 „immer besser (gelang), die Initiative der Werktätigen mit den wirtschaftspolitischen Zielstellungen zu verbinden".36 Hier klingt die wissenschaftliche und die politisch-ideologische Bedeutung an, die der Nachweis besitzt, daß die SED und die anderen Organe der Diktatur des Proletariats sich bei der Entfaltung und Förderung der schöpferischen Initiative der Arbeiterklasse vorrangig den Werktätigen jener Zweige zuwandten, denen aus der Sicht der Generallinie des sozialistischen Aufbaus bzw. der Wirtschaftspolitik objektiv eine besonders wesentliche Rolle zukam. Dieser Nachweis erhärtet überzeugend den wissenschaftlichen Charakter der Leitung der gesellschaftlichen Entwicklung durch die Diktatur des Proletariats, zeigt die Reife der Führungskunst der SED und läßt zugleich jene gesamtgesellschaftliche Rolle klarer hervortreten, die wichtige Initiativen der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung spielten, indem sie den historischen Prozeß in seiner Gesamtheit beeinflußten. Die Verpflichtungsbewegung nach dem Beispiel F. Hockaufs spielte nach der Niederlage des konterrevolutionären Putschversuchs vom 17. Juni 1953 nicht nur bei der 9*
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Hebung der Lebenslage der Werktätigen eine wichtige Rolle, sondern auch bei der Festigung der Diktatur des Proletariats in der DDR. Sie trug dazu bei, die gestörten Beziehungen zwischen der Partei und der Arbeiterklasse, das gelockerte Verhältnis zwischen ihnen,37 zu festigen, das unter anderem durch die Verschlechterung der Lebenslage der Werktätigen seit dem Frühjahr 1953 verursacht worden war. Um „wirklich die ganze Klasse, . . . wirklich die breiten Massen der Werktätigen" auf eine Position zu führen, von der aus sie die Vorhut unterstützen, sind nach Lenin Agitation und Propaganda allein zu wenig - dazu „bedarf es der eigenen politischen Erfahrung dieser Massen. Das ist das grundlegende Gesetz aller großen Revolutionen".38 Die im Gefolge von F. Hockaufs individueller und abrechenbarer Verpflichtung entstehende, durch Ch. Steinbach und P. Simon weitergeführte Bewegung vermittelte den Werktätigen auf längere Sicht die persönliche politische Erfahrung, daß sie morgen so leben werden, wie sie es heute erarbeiten. Die von der SED beschlossene und von den Werktätigen durch erhöhte schöpferische Aktivität erarbeitete Produktionssteigerung bei Konsumgütern und Lebensmitteln ermöglichte es, ergänzt durch die Wirtschaftshilfe der UdSSR und anderer sozialistischer Länder, die Ziele des Fünfjahrplans zur Hebung der Lebenslage bereits Ende 1953 zu erreichen und im folgenden Jahr weitere sozialpolitische Verbesserungen wirksam werden zu lassen. Das stärkte die Gewißheit, daß die Arbeiter-und-Bauern-Macht mit Tatkraft und Erfolg die Klasseneinschließlich der Tagesinteressen der Arbeiterklasse vertrat. Im Rahmen dieses allgemeinen Zusammenhangs waren für die Festigung der Diktatur des Proletariats vor allem drei Aspekte bedeutsam: Erstens die in der Literatur wiederholt unterstrichene Rolle der Verpflichtungen F. Hockaufs und ihrer Nacheiferer beim Überwinden von Stimmungen des Unglaubens und Abwartens unter den Werktätigen. Otto Grotewohl hob dies in seiner Rede vor der Volkskammer bereits am 2. Oktober, wenige Tage nach dem Aufruf F. Hockaufs, hervor, als er sich mit der Meinung auseinandersetzte, die Verbesserung der Lebenslage sei allein von der Regierung abhängig. „Was wir besitzen wollen, müssen wir erarbeiten. Darauf kommt es jetzt an . . ., und darum ist es wichtig, sich das anzusehen, was gegenwärtig in unseren Betrieben vorgeht." Er würdigte die Verpflichtung der Zittauer Weberin als einen „gegenüber dem Ganzen des Volkes . . . heroische(n) Beschluß'.39 Zweitens wuchs während der Verbreitung dieser Bewegung die Rolle des FDGB. Die Gewerkschaft hatte nicht nur F. Hockaufs Verpflichtung vorbereitet, sondern organisierte auf deren Grundlage in den folgenden Wochen und Monaten auch eine breite Bewegung. Der Vorsitzende des Bundesvorstandes, Herbert Warnke, begrüßte in einem am 3. Oktober 1953 in der „Tribüne" veröffentlichten Brief die beispielhafte Verpflichtung Frida Hockaufs. Sie sei „bedeutungsvoll, weil sie, wie wir hoffen, in allen . . . Industriezweigen (der Leichtindustrie - G. D.) eine Bewegung für die vermehrte Herstellung von Bedarfsgütern hoher Qualität auslöst. Das hängt in erster Linie davon ab, wie die verschiedenen Gewerkschaften Deine Initiative unterstützen." Zugleich beauftragte das Sekretariat des Bundesvorstandes die Industriegewerkschaften Textil-Bekleidung-Leder, Nahrung und Genuß, Chemie und Metall, den innerbetrieblichen Wettbewerb auf die Produktionssteigerung bei Konsumgütern entsprechend dem Zittauer Beispiel zu orientieren.40 Die bei der Organisierung dieser Bewegung spürbar zunehmende Aktivität der Massenorganisation der Arbeiterklasse festigte die Beziehungen zwischen der Vorhut und der Klasse. Drittens vermittelte die von F. Hockauf initiierte Bewegung, der erste bedeutendere Wettbewerb in der Leichtindustrie, namentlich solchen großen Gruppen von Werk122
tätigen persönliche politische Erfahrungen der sozialistischen Revolution, die infolge ihrer objektiven Lage im Wachstumsprozeß zur sozialistischen Arbeiterklasse hinter den Zweiggruppen in der Grundstoff- und in der metallverarbeitenden Industrie noch zurückstanden. In der Leicht- und Lebensmittelindustrie arbeiteten etwa zwei Fünftel aller Arbeiter und Angestellten der Industrie, etwa ein Drittel von ihnen in Privatbetrieben. Der Konzentrationsgrad der Arbeiterklasse lag in der Leichtindustrie um ungefähr ein Drittel unter demjenigen der gesamten Industrie.41 Damit war u. a. ein niedrigerer Grad der politischen Organisiertheit und Bewußtheit, der unmittelbaren Teilnahme an der Machtausübung, der Durchsetzung des neuen Verhältnisses zur Arbeit in diesen Zweiggruppen der Arbeiterklasse verbunden. Ihre Einbeziehung in die Bewegung nach dem Beispiel F. Hockaufs hatte die Gewinnung weiterer Teile der Klasse für die Politik der SED zum politischen Resultat. So diente diese Bewegung nicht nur der Erfüllung des Fünfjahrplanes 1951-1955, sondern half, nach der Niederwerfung der Konterrevolution die politische Macht der Arbeiterklasse zu festigen. — Die Berücksichtigung derartiger Wirkungen und Zusammenhänge verdeutlicht die Beziehungen, die zwischen der Geschichte der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung, der Wirtschafts- und Sozialgeschichte und der politischen, insbesondere der Parteigeschichte bestehen. Sie zeigt genauer, wie die SED ihre führende Rolle beim Aufbau der Grundlagen des Sozialismus ausübte und ausgestaltete.
5.
Zur gesellschaftlichen Relevanz der Wettbewerbe
Um die gesellschaftliche Relevanz der schöpferischen Masseninitiative überzeugend darzustellen, ist der konkrete Nachweis der ökonomischen Effektivität der Wettbewerbsformen und -methoden wichtig. Die Literatur enthält vielfach Aussagen über die Ergebnisse einzelner Initiativen in begrenzten Zeiträumen. Darüber hinaus müßten auch die volkswirtschaftlichen Resultate und die Effektivität bedeutsamer Wettbewerbsmethoden im Vergleich untereinander zielstrebiger untersucht werden. Das folgende Beispiel soll einige der diesbezüglichen Möglichkeiten demonstrieren: Das ZK der SED analysierte im November 1954 auf seiner 21. Tagung die Verwirklichung der Beschlüsse des IV. Parteitages, vor allem in der Wirtschaft, und legte Maßnahmen zur Erfüllung des Fünfjahrplans fest, wobei es qualitative Kennziffern der Wirtschaftsführung in den Vordergrund rückte. Dabei vermerkte Walter Ulbricht kritisch, daß „die bisherigen Methoden des Wettbewerbs . . . mehr den Charakter von Selbstverpflichtungen" tragen, während der „wirkliche Wettbewerb" darin bestehe, „daß von Mann zu Mann, von Brigade zu Brigade, von Abteilung zu Abteilung der Wettbewerb um die Erfüllung bestimmter Aufgaben der Produktion" geführt werden müsse.42 Nunmehr kam es darauf an, über das Niveau der Verpflichtungsbewegung hinausgehend, das Element des gegenseitigen Wetteiferns in der Wettbewerbsbewegung zu verstärken. Die Beschlüsse des Plenums verliehen der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung neue Impulse. Sie war 1955, im letzten und erfolgreichsten Jahr des ersten Fünfjahrplans, vor allem durch das Ringen um eine höhere Rentabilität der volkseigenen Betriebe gekennzeichnet.43 Dieser Aufschwung beruhte, wie aus der folgenden Analyse44 ersichtlich, unter anderem auf der zunehmenden Anwendung der effektivsten und der Zurückdrängung weniger effektiver Verpflichtungsformen. Im Sommer 1954 hatten die Berliner Glühlampenwerker zu Ehren der Volks wählen am 17. Oktober 1954 zu einem Produktionsaufgebot aufgerufen, um Planrückstände zu überwinden. Dem Aufgebot schlössen sich 123
bis zur Wahl mehr als eine halbe Mill. Werktätige mit individuellen und kollektiven Verpflichtungen an. Die Verpflichtungsbewegung wurde bis Jahresende weitergeführt mit dem Ziel, den Plan für 1954 vorfristig zu erfüllen. In der IG Metall - der größten Gewerkschaft, die fast zwei Fünftel aller Arbeiter und Angestellten der Industrie vereinigte - gingen bis zum 15. Dezember 1954 mehr als 582 000 Werktätige Einzel- und Kollektivverpflichtungen zu Produktionsleistungen und gesellschaftspolitischen Aktivitäten ein. Am 9. November waren 1,8 Prozent, am 18. November 6,8 Prozent und am 15. Dezember 28,4 Prozent dieser Verpflichtungen erfüllt. Zwischen dem ersten und dem letzten Termin nahm der Erfüllungsstand der Verpflichtungen erheblich schneller zu als die Zahl der Teilnehmer an der Bewegung - um fast das 16fache gegenüber rund einem Fünftel. Tabelle 1: Struktur der Verpflichtungen und ihres Erfüllungsstandes am 15. Dezember 1954 (in o/o)45 Verpflichtungen insges.
übernommene 100 erfüllte 28,4 ( = 1 0 0 )
davon ProduktionsEinzel-,
Kollektivv.
gesellschaftspolit.. Einzel-, Kollektivv.
8,3 37,8
56,4 25,4
24,4 29,2
10,9 31,6
Das Verhältnis zwischen der Art der übernommenen Verpflichtungen und dem Grad ihrer Erfüllung (vgl. Tab.) zeigt: Fast zwei Drittel aller übernommenen waren Produktions-, mehr als zwei Drittel waren kollektive Verpflichtungen. Der Anteil der Produktionseinzelverpflichtungen - nach dem Vorbild F. Hockaufs, Ch. Steinbachs, P. Simons war am geringsten, jedoch der Grad ihrer Erfüllung am höchsten - sie stellten offenkundig die effektivste Form der Verpflichtung dar. Kollektive Produktionsverpflichtungen waren zwar am meisten verbreitet, wurden jedoch am wenigsten erfüllt und erwiesen sich somit als die am wenigsten effektive Form. Wie andere Angaben zeigen, wuchs im Jahre 1954 gerade die Anzahl der individuellen Produktionsverpflichtungen in 14 Einzelgewerkschaften stieg sie von etwa 100 000 im II. Quartal auf ungefähr 230000 im IV. Quartal 1954.46 Dies deutet auf ein zielstrebiges Bemühen um die Anwendung effektiver Verpflichtungsformen hin. Auch angesichts der begrenzten Aussagefähigkeit derartiger Standanalysen dürfte es methodologisch wichtig und methodisch möglich sein, die Frage der Effektivität bestimmter Wettbewerbsformen und -initiativen stärker zu beachten und so den Beitrag der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung zum wirtschaftlichen Aufschwung der DDR überzeugender darzustellen.
6.
Zur Bedeutung der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung für die Entwicklung der Arbeiterklasse
Von Hause aus hat die Historiographie der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung wichtige Seiten der Geschichte der Arbeiterklasse zum Gegenstand - für den Zeitraum der Übergangsperiode hauptsächlich Grundzüge der Herausbildung ihrer neuen sozialen Natur als herrschende und zugleich produzierende Klasse.47 Sie könnte ihren Beitrag zur „Biographie" der führenden Kraft unserer Gesellschaft erhöhen: durch gezieltere 124
Aussagen zur Entwicklung der politischen Aktivität und Organisiertheit, der Veränderung der Struktur der Arbeiterklasse u. a. Die repräsentativen Darstellungen zur Geschichte der DDR sagen wenig darüber aus, daß die verdienstvollsten Aktivisten und Wettbewerbsinitiatoren in ihrer Person und in ihrem Wirken die Machtausübung der Arbeiterklasse verkörpern - z. B. A. Hennecke, L. Ermisch, B. Kiesler, J. Wenig als Mitglieder des ZK der SED; A. Hennecke und F. Hockauf als Abgeordnete der Volkskammer; G. Christoph und L. Ermisch als Mitglieder des Staatsrates der DDR. Vielfältig nachzuweisen, daß in die höchsten Gremien der Partei und des Staates jene erprobten Vertreter der Arbeiterklasse gewählt wurden, die durch ihre Arbeitstaten die Geschichte der DDR gestalteten, ist auch deshalb wichtig, weil eine Stoßrichtung der ideologischen Diversion gegen den realen Sozialismus versucht, den proletarischen Klassencharakter des sozialistischen Staates umzufälschen und an die Stelle der Diktatur des Proletariats die Herrschaft einer „neuen Oberschicht", einer „Parteielite" oder ähnliches zu setzen. Die führende Rolle der Mitglieder und der Betriebsparteiorganisationen der SED bei der Geburt und Entfaltung neuer Initiativen der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung ist noch kaum untersucht — das Herangehen des Abrisses „Geschichte der SED" an dieses Problem ist u. E. eine deutliche Aufforderung, dieser Frage intensiver nachzugehen. Bisher sind keine zusammenfassenden Angaben über den Parteianteil unter den Aktivisten bzw. über den Anteil der letzteren an den Betriebsparteiorganisationen der SED publiziert. Doch besitzen auch Einzelergebnisse eine gewisse Aussagekraft: Anfang 1949 gehörten etwa 30 Prozent aller Aktivisten der Neptunwerft Stralsund der SED an, zu Jahresende in der Maxhütte Unterwellenborn rund 69 Prozent. Anfang 1950 waren im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld von 238 Aktivisten 106 Parteimitglieder, d. h. etwa 45 Prozent, und im gleichen Jahr befanden sich unter den 1500 Mitgliedern der BPO des Stahl- und Walzwerkes Riesa 430 Aktivisten, d. h. rund 29 Prozent.48 Am III. Parteitag der SED nahmen 424 Aktivisten teil: Das waren fast ein Fünftel aller Delegierten, und Wilhelm Pieck würdigte es im Schlußwort, daß sie wie in ihrer Arbeit - „auch bei der Ausarbeitung der richtigen Politik der Partei ihren Mann stehen".49 Die Geschichte der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung ist eng mit der Formierung der neuen sozialen Struktur der Arbeiterklasse während der Übergangsperiode, mit der Konzentration aller ihrer Angehörigen in der einheitlichen sozialistischen Ökonomik30 verflochten. Nur die von der Ausbeutung befreiten, in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben tätigen Teile der herrschenden Klasse konnten im Ergebnis einer vielseitigen und langwierigen Überzeugungs- und Erziehungsarbeit der SED, des FDGB und anderer gesellschaftlicher Organisationen sowie staatlicher Organe und anhand ihrer eigenen Erfahrungen allmählich zu der Erkenntnis gelangen, daß sie selbst die Hausherren ihrer Betriebe sind und so bewußt ein neues Verhältnis zu ihrer Arbeit gewinnen. Sowjetische Wissenschaftler sehen den Unterschied zwischen dem Proletariat des Kapitalismus und der Arbeiterklasse im Sozialismus darin, daß letztere einige Klassenmerkmale des Proletariats verloren, andere bewahrt, verstärkt und mit neuem Inhalt erfüllt und weitere Merkmale neu ausgeprägt habe. Der grundlegende Unterschied liege darin, daß die Arbeiterklasse zum Besitzer der Produktionsmittel des Fundaments ihrer Arbeit - geworden ist.51 Die quantitative und qualitative Entfaltung ihrer Arbeitsaktivität dient somit als ein Indikator des bei der Herausbildung der neuen sozialen Natur der Arbeiterklasse erreichten Standes. Das Tempo dieses Prozesses betreffend, ist an die Feststellung Lenins zu erinnern, daß die Schaffung einer neuen Arbeitsdisziplin „eine Aufgabe von vielen Jahren und Jahrzehnten" ist. 52 125
In der DDR blieben während der Übergangsperiode faktisch jene Gruppen der Arbeiterklasse außerhalb der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung, die in der nichtsozialistischen Wirtschaft tätig waren. Das beeinträchtigte die Herausbildung der neuen sozialen Natur der Arbeiterklasse in diesen Gruppen. Beim Übergang zur sozialistischen Revolution versuchten bürgerliche Politiker, auch in privaten Betrieben die Organisierung einer Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung zu erreichen.53 Herbert Warnke antwortete ihnen prinzipiell in der Diskussion der Provisorischen Volkskammer über den Volkswirtschaftsplan für das Jahr 1950: Die Produktivität zu steigern sei „die Aufgabe des jeweiligen Besitzers des Betriebes . . . Das ist in den VEB das Volk, und gerade deswegen geht dort von den Massenorganisationen der Arbeiterklasse die Initiative der Belegschaften zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität aus. In der privaten Wirtschaft aber wird es Sache der oft erwähnten Unternehmerinitiative sein . . . Es wird dabei die Aufgabe der BGL sein, durch das Mitbestimmungsrecht die Rechte der Arbeiter zu wahren."54 Erst gegen Ende der Übergangsperiode fanden Wettbewerbe auch in der nichtsozialistischen Wirtschaft statt, als diese bereits fest in die Planung und Leitung der Volkswirtschaft der DDR einbezogen worden war. In den Betrieben mit staatlicher Beteiligung, einer Form der Heranführung an sozialistische Produktionsverhältnisse, wurden erstmals 1957, zu Ehren der Volkswahlen und des 40. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, Wettbewerbe durchgeführt. In der Industrie beteiligte sich in diesem Bereich 1963 bereits die Hälfte aller Arbeiter und Angestellten an ihnen55 - ein beredtes Zeugnis der Entfaltung des neuen Verhältnisses zur Arbeit in der gesamten Arbeiterklasse am Ende der Übergangsperiode. Die Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung ergriff auch im sozialistischen Sektor, wie bereits angedeutet, nicht alle Zweiggruppen der Arbeiterklasse gleichmäßig. Bei ihrer Förderung konzentrierten sich die Partei und die Arbeiter-und-Bauern-Macht vor allem auf jene Gruppen, deren Industriezweige in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der DDR eine Schlüsselstellung innehatten. So spielten in der Geschichte der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung wie in der Geschichte der Arbeiterklasse der DDR deren Zweigruppen in den verschiedenen Perioden eine unterschiedliche Rolle. Für die Periode des Kampfes um den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse in der DDR von 1958 bis 1961/62 bezeichnet M. Bensing die überwiegend in Großbetrieben konzentrierten 56 Chemiearbeiter als „wachstumsbestimmende Gruppe der Arbeiterklasse. Von ihr gingen alle wesentlichen Initiativen im Wettbewerb, auf wissenschaftlich-technischem Gebiet sowie im bildungs- und kulturpolitischen Bereich aus."57 In dieser Zweiggruppe entstand die Bewegung „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben". Ende 1963 kämpften im Bereich der IG Chemie bereits 73 Prozent der Arbeiter und Angestellten, d. h. ein überdurchschnittlich hoher Anteil, um den Staatstitel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit".58 Im Chemiegebiet fanden 1959 die erste Bitterfelder Konferenz (anläßlich eines Literatur-Preisausschreibens zum Chemieprogramm, unter der Losung „Greif zur Feder, Kumpel, die sozialistische Nationalliteratur braucht dich!", und unter direkter Führung des Politbüros des ZK der SED59) sowie in Halle die ersten Arbeiterfestspiele statt. Hier entstand im Frühjahr 1959 im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld auch die erste Betriebsakademie der DDR - eine Einrichtung von außerordentlich großer Bedeutung für die Hebung des Qualifikationsniveaus der Arbeiterklasse am Anfang der sechziger Jahre. 60 Daß die neuen Impulse für das Wachstum der Arbeiterklasse im Ringen um den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse gerade von den Chemiearbeitern ausgin126
gen, war objektiv in hohem Maße durch die Rolle der chemischen Industrie in der ökonomischen Entwicklung der DDR und durch die ihr entsprechende Politik der SED zur »Chemisierung der Volkswirtschaft" begründet, die der beginnenden Meisterimg der wissenschaftlich-technischen Revolution, der Hebung des Lebensstandards sowie der Förderung der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung und Kooperation diente.61 Auch hatte den bisherigen qualitativen Wachstumsprozeß der Chemiearbeiter die Tatsache geprägt, daß in der Chemieindustrie die Produktion vor allem durch die sozialistische Rekonstruktion der Betriebe erhöht worden war. Die 1959 von den Chemiearbeitern für das Wachstum der gesamten Klasse ausgehenden Impulse bezeugten jedoch zugleich auch die Verwirklichung jener Politik zur Höherentwicklung der Arbeiterklasse im Kampf um den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse, die der V. Parteitag der SED im Sommer 1958 beraten und beschlossen hatte. Der Kurs des Parteitages auf den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse beinhaltete nicht nur deren Durchsetzung in allen Bereichen, sondern auch die Vervollkommnung und weitere Entfaltung der bereits vorhandenen. Wie der Parteitag unterstrich, verlangte dies „die Befreiung von den Gewohnheiten und Traditionen der alten, kapitalistischen Ordnung, . . . die Überwindung des Egoismus, des Einzelgängertums, der Gleichgültigkeit, . . . des unkollegialen Verhaltens; . . . Freude an der Arbeit, die Bildung eines festen Kollektivs von Klassengenossen, die durch gemeinsame Interessen vereint sind."62 Zu diesen Aufgaben führte der Erste Sekretär des ZK der SED, Walter Ulbricht, auf dem Parteitag aus: „Wir können heute mit Recht sagen, daß es schon Hunderttausende von Bestarbeitern und Aktivisten sind, die sich wie Sozialisten zueinander verhalten, die ein sozialistisches Verhältnis zu ihrer Arbeit gewonnen haben und die daraus die Kraft zu großen vorbildlichen Leistungen in der Produktion schöpfen. Es ist aber völlig klar, daß wir . . . sprunghaft vorwärtskommen werden, wenn es uns gelingt, die Zahl dieser wahrhaft sozialistischen Werktätigen zu vervielfachen. Um dies zu erreichen, ist es erforderlich, daß wir uns bemühen, den Stolz und die Selbstachtung der Bestarbeiter zu formen, daß wir sie als eine der wichtigsten gesellschaftlichen Kräfte unserer sozialistischen Ordnung hervorheben."63 Die ein halbes Jahr nach dem V. Parteitag von der Jugendbrigade „Nikolaj Mamaj" im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld ausgelöste Bewegung der sozialistischen Brigaden trug diesen Erfordernissen Rechnung. Sie erwies sich als geeignet, im Ringen um den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse die Zahl der „wahrhaft sozialistischen Werktätigen" zu vervielfachen. Mit ihr entstand eine weit in die Zukunft reichende, „den sozialistischen Produktionsverhältnissen gemäße und von der Arbeiterklasse hervorgebrachte Form der gemeinsamen bewußten Tätigkeit" zur Gestaltung des entwickelten Sozialismus.64 Die Erforschung der Rolle einzelner Zweiggruppen während bestimmter Abschnitte der Geschichte der Arbeiterklasse bzw. der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung der DDR gestattet es, tiefer in die Wechselbeziehungen zwischen den objektiven Bedingungen und Erfordernissen des sozialistischen Aufbaus und dem Reifen des subjektiven Faktors einzudringen. Sie hilft, genauer zu zeigen, wie die Arbeiterklasse als bestimmendes Subjekt der Geschichte in unserer Epoche zur Wahrnehmung ihrer historischen Mission befähigt wird.
127
7.
Anwendung sowjetischer Erfahrungen
Erich Honecker hat hervorgehoben, daß es in der Geschichte unseres sozialistischen Wettbewerbs keine einzige bedeutende Initiative gibt, der nicht in der einen oder anderen Weise sowjetische Erfahrungen und Anregungen zugrunde liegen.65 Diesen Zusammenhang hat die Geschichtsschreibung stets berücksichtigt, jedoch hat sie ihn seit Beginn der siebziger Jahre intensiver untersucht. Wenn eine Gesamtdarstellung auch noch aussteht, so vermitteln doch Arbeiten von Gräfe/Kirsch, Sacher u. a. einen Überblick zu wichtigen Aspekten.66 Um Niveau und Wirksamkeit der entsprechenden Forschungen zu heben, gilt es - zugespitzt formuliert - , von der notwendigen und noch längst nicht abgeschlossenen Materialsammlung und Beschreibung konkreter Zusammenhänge zu einer gezielteren historischen Einordnung und theoretischen Verallgemeinerung voranzuschreiten. Dabei sind u. a. folgende Aspekte zu beachten: Erstens. Der wahrhaft internationalistische Charakter der Anwendung von Arbeitserfahrungen der Arbeiterklasse der UdSSR in der DDR. Bisher ist die Übernahme sowjetischer Erfahrungen überzeugend als eine Form konkreter Hilfe der UdSSR für den Aufbau des Sozialismus in unserem Lande nachgewiesen und gewürdigt worden. Doch diese Wertung ist nicht erschöpfend. Die Anwendimg sowjetischer Arbeitserfahrungen in der DDR ist zugleich eine Aktion im gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse beider sozialistischer Staaten gegen den internationalen Imperialismus, für das (vor allem ökonomische) Erstarken des Weltsozialismus, eine gemeinsame Kampfaktion an der Hauptfront des revolutionären Weltprozesses.67 Dies deutet sich bereits in der Entstehungs- und Vorgeschichte unserer Aktivistenund Wettbewerbsbewegung an. A. Hennecke antwortete A. Stachanow auf dessen Bemerkung, daß es im Ruhrgebiet keine Hennecke-Bewegung geben könne, weil die Gruben nicht den Werktätigen gehören: „Die gegenseitige Solidarität wird die Freundschaft der deutschen Arbeiterklasse mit den Völkern der Sowjetunion vertiefen . . . Möge der Arbeiterklasse Westdeutschlands aus unserem Beispiel die Kraft erwachsen, die zur Verwirklichung unserer gemeinsamen Ziele erforderlich ist."68 Plastisch tritt dieser Wesenszug - die Übernahme sowjetischer Erfahrungen als gemeinsame Aktion im internationalen Klassenkampf — in den „internationalen revolutionären Wettbewerben"69 zutage, die die RGI 1929/30 zwischen Belegschaften sowjetischer Betriebe und den Betriebszellen kommunistischer Parteien bzw. der RGO in kapitalistischen Ländern organisierte. Das waren Versuche, Erfahrungen der Massenwettbewerbe sowjetischer Werktätiger bei der Industrialisierung ihres Landes schöpferisch für den politischen und sozialen Kampf der revolutionären Arbeiterbewegung im Kapitalismus zu erschließen, die Ernst Thälmann nachdrücklich unterstützte.70 Während die sowjetischen Belegschaften sich zu Produktionsleistungen mit dem Ziel verpflichteten, den 1. Fünfjahrplan in vier Jahren zu erfüllen, bezogen sich die - inhaltlich naturgemäß andersgearteten - Wettbewerbsverpflichtungen der kommunistischen Betriebszellen darauf, ihren Einfluß unter der Belegschaft zu erhöhen, den Gedanken der Freundschaft zur Sowjetunion sowie die Bereitschaft zu deren Verteidigung gegen die imperialistische Aggressionspolitik zu wecken u. a. Die Übernahme sowjetischer Arbeitserfahrungen in der DDR auch unter dem Aspekt des gemeinsamen Handelns verschiedener Abteilungen der internationalen Arbeiterklasse im weltweiten Klassenkampf zu untersuchen, ermöglicht es, die objektive Gemeinsamkeit ihrer Klasseninteressen in der gegenwärtigen Epoche, die Grundlage ihres Kampfes um die Verwirklichung der welthistorischen Mission des Proletariats, deutlicher herauszuarbeiten. 128
Zweitens. Der schöpferische Charakter der Anwendung sowjetischer Arbeitserfahrungen in der DDR. In diesem Zusammenhang dürfte es zweckmäßig sein, zwischen historischen Erfahrungen, die sich die sowjetische Arbeiterklasse in vergangenen Perioden erschloß, und aktuellen Erfahrungen zu unterscheiden, die die Arbeiterklasse der DDR unmittelbar nach oder während deren Erprobung in der Sowjetunion übernahm. Prototyp der ersten sind die Stachanow- und Hennecke-Bewegung, der zweiten die Bewegung der Brigaden für ein kommunistisches bzw. sozialistisches Verhältnis zur Arbeit. Entstand die Stachanow-Bewegung in der Rekonstruktionsperiode gegen Ende des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus in der UdSSR, so initiierte die SED die Tat A. Henneckes noch vor dem Abschlug der Wiederherstellungsperiode, während der beginnenden Hinüberleitung der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in die sozialistische Revolution. 71 Diese frühzeitige, erfolgreiche Übernahme einer geschichtlich erprobten Erfahrung der sowjetischen Arbeiterklasse wurde u. a. durch objektive Gegebenheiten wie eine hohe berufliche Qualifikation, Diszipliniertheit und Organisiertheit der Arbeiterklasse auf dem Gebiet der DDR ermöglicht, die im Unterschied zur sowjetischen den Sozialismus in einem industriell hoch entwickelten Land zu errichten begann. Nicht minder wichtig war jedoch die Tatsache, daß sie ihn auf der 1944/45 erreichten höheren Stufe des revolutionären Weltprozesses aufbaute und dabei auf jene bereits bewährte Erfahrung zurückgreifen konnte, die die sowjetische Arbeiterklasse während eines fast zwei Jahrzehnte dauernden Suchens erworben hatte. Die frühzeitige Geburt der Hennecke-Bewegung - viele hielten 1948 die Zeit noch nicht für reif, eine „deutsche Stachanow-Bewegung" zu initiieren 72 - ist selbst ein Ausdruck des schöpferischen Charakters der Anwendung der entsprechenden sowjetischen Erfahrung in der DDR. Ähnlich verhält es sich mit der Bewegung der sozialistischen Brigaden. Ihr Vorbild, die um den Titel „Brigade der kommunistischen Arbeit" ringenden sowjetischen Arbeitskollektive, entstand im Oktober 1958 während der Vorbereitung des XXI. Parteitages der KPdSU, der den endgültigen Sieg des Sozialismus in der UdSSR konstatierte und die Schaffung der materiell-technischen Basis des Kommunismus auf die Tagesordnung setzte. In ihrer Geburtsstätte, dem Eisenbahndepot Moskau-Sortirovocnaja, stellte der Übergang vom Dampflok- zum Diesellok-Betrieb die Reparaturbrigaden vor höhere Arbeitsanforderungen, denen sie durch ihre Initiative besser gerecht werden wollten. 73 - Die Jugendbrigade „Nikolaj Mamaj" veröffentlichte ihren analogen Aufruf bereits ein Vierteljahr später als eine Verpflichtung zum 10. Jahrestag der DDR, die dem Beschluß des V. Parteitages der SED zur Herbeiführung des Sieges der sozialistischen Produktionsverhältnisse entsprach. Auch an das Elektrochemische Kombinat Bitterfeld stellte das Chemieprogramm bedeutend höhere Anforderungen, deren Meisterung diese Verpflichtung dienen sollte. Bei unterschiedlicher sozialpolitischer Funktion der Bewegungen in der UdSSR und der DDR - Beitrag zur Schaffung der Grundlagen des Kommunismus bzw. zum Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse bestand doch weitgehende Übereinstimmung in ihren konkreten Verpflichtungen. Sie halfen, wirkungsvoller wesensgleiche sozialistische Merkmale der führenden Klasse beider Staaten auszuprägen. Das Aufdecken dieses schöpferischen Charakters der Übernahme und Anwendung sowjetischer Arbeitserfahrungen in der DDR hilft, Aspekte der allgemeinen Gültigkeit der Erfahrungen der KPdSU beim sozialistischen und kommunistischen Aufbau differenzierter, konkreter und damit überzeugender darzustellen. Drittens. Die Zuordnung geschichtlicher Grundtypen der schöpferischen Masseninitia129
tive zu den Reifestufen der kommunistischen Gesellschaftsformation. Nach V. G. Smol'kov entstehen „in jedem Entwicklungsstadium der (sozialistischen - G. D.) Gesellschaft . . . charakteristische Formen des Wettbewerbs" - in der Übergangsperiode die subbotniki und die Stoßarbeiter- (=Aktivisten-) bewegung, beim Aufbau des entwickelten Sozialismus die Stachanow-Bewegung und beim kommunistischen Aufbau die Kollektive der kommunistischen Arbeit.74 Zweifellos bestehen zwischen den Reifestufen des Kommunismus und dem Inhalt bzw. Niveau der schöpferischen Initiative Zusammenhänge. Sie liegen jedoch offenkundig auf anderen Ebenen als der von Smol'kov gewählten. Ihre Bestimmung setzt die historisch-vergleichende Analyse der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung der sozialistischen Länder voraus, die noch aussteht. Smol'kov läßt zumindest zwei Umstände außer acht: zum einen das Voranschreiten des weltweiten Übergangs zum Sozialismus, das die äußeren Bedingungen des sozialistischen Aufbaus verbessert; zum anderen die sich daraus ergebende Möglichkeit des Zurückgreifens auf historisch bewährte Erfahrungen insbesondere der sowjetischen Arbeiterklasse als des Pioniers im Neuland des sozialistischen und kommunistischen Aufbaus, ihrer planvollen und schöpferischen Anwendung durch die kommunistischen Parteien. Beides bewirkte eine „Phasenverschiebung" im Entfaltungsprozeß der schöpferischen Initiative mit dem Ergebnis, daß erprobte, wiederholbare Grundtypen der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in den anderen sozialistischen Ländern bereits auf früheren Reifestufen der kommunistischen Formation anwendbar und wirksamer waren als in der UdSSR. Diese Überlegungen sollen zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung darüber anregen, wie die Historiker der von Werner Lamberz formulierten Aufgabe gerecht werden können, „besser und genauer die Erbauer des Sozialismus bei uns" zu zeigen, „Leute, die zäh und entschlossen eine revolutionäre Idee verfolgten und so vollbrachten, was kurz zuvor von fast jedermann auf der Welt für unmöglich gehalten wurde".75
Anmerkungen 1 XX. Parteitag der SED. Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1976, S. 35, 37 f. 2 Diehl, Emst, Aufgaben der Geschichtswissenschaften der DDR nach dem IX. Parteitag der SED. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (im folgenden: ZfG), Berlin 1977, H. 3, S. 269. 3 Vgl. Geschichte der SED. Abriß, Berlin 1978, S. 88, 161. In der UdSSR gehört die Geschichte des sozialistischen Wettbewerbs ebenfalls zu den am gründlichsten untersuchten Aspekten der Geschichte der Arbeiterklasse. Vgl. Rogacevskaja, L. S., Socialisticeskoe sorevnovanie v SSSR. Istoriceskie ocerki, 1917-1970, Moskva 1977, S. 15. 4 Als den zur Zeit der Tat Henneckes sichtbarsten Ausdruck des neuen Inhalts der Arbeiterbewegung wertet Heinz Heitzer die Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung. Vgl. Heitzer, Heinz, Partei, Arbeiterklasse, Massenaktivität in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR. In: ZfG, 1977, H. 10, S. 1239 ff. 5 Falk, Waltraud (unter Mitarb. v. Horst Barthel), Kleine Geschichte einer großen Bewegung. Zur Geschichte der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in der Industrie der DDR, Berlin 1966; Dittrich, Gottfried, Über Wesen und Entwicklung des sozialistischen Wettbewerbs in der DDR. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig (im folgenden: WZ, KMU Leipzig), Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, 1966, H. 1, S. 105 ff. 6 Voigtländer, Annelies, Die Tat Henneckes und die Anbahnung enger Beziehungen zwischen der Arbeiterklasse der UdSSR und der DDR. In: Beiträge zur Geschichte der
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Arbeiterbewegung (im folgenden: BzG), Berlin 1971, H. 4, S. 620 ff.; Keller, Dietmar. Lebendige Demokratie. Der Übergang von der antifaschistischen zur sozialistischen Demokratie in der volkseigenen Industrie der DDR 1948 bis 1952, Berlin 1971; Beiträge von Mehls, Hartmut; Wille, Manfred; Dittrich, Gottfried; Barthel, Horst. I n : Die Entwicklung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR, Berlin 1977. Ein Aspekt war bereits eingangs der sechziger Jahre zusammenfassend dargestellt worden - Sacher, H„ Erfolgreiche Zusammenarbeit deutscher und sowjetischer Neuerer. Die geschichtliche Entwicklung der Zusammenarbeit der Neuerer der DDR und der UdSSR im Kampf um die Steigerung der Arbeitsproduktivität auf dem Gebiet der Industrie, Berlin 1964. 7 Roesler, Jörg, Die Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, Berlin 1978. 8 Vgl. Behrendt, Albert u. a„ Neue Forschungen über die Geschichte der DDR. I n : Jahrbuch für Geschichte (im folgenden: JfG), Bd. 4, Berlin 1969, S. 345. 9 Vgl. Dittrich, G./Neuhaus. F./Wolff, S., Ansätze in der Veränderung des Charakters der Arbeiterklasse in den ersten Etappen der antifaschistisch-demokratischen Revolution. In: WZ, KMU Leipzig, 1969, H. 4, S. 545 ff. 10 VgL Stein, H./Dittrich, G„ Zur Hilfe der SMAD bei der Entwicklung der Wirtschaftsleitung. I n : Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas (im folgenden: JfGsL), Bd. 20/1, Berlin 1976, S. 203 ff. 11 Geschichte der SED, a. a. O., S. 192. 12 Vgl. Lenin, W. I., Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht. I n : Werke, Bd. 27, Berlin 1974, S. 231, 325 f. 13 Derselbe, Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll. In: ebenda, Bd. 25, Berlin 1972, S. 352. 14 Vgl. »Richtlinien für die Tätigkeit der lokalen Volksausschüsse auf dem Gebiet der Wirtschaft" vom 18. Februar 1945. In: Laschitza, Horst, Kämpferische Demokratie gegen Fitschismus. Die programmatische Vorbereitung auf die antifaschistisch-demokratische Umwälzung in Deutschland durch die Parteiführung der KPD, Berlin 1976, S. 229 ff. 15 Vgl. Bensing, M.jDittrich, G., Die Entstehung der SED und die Formierung der Arbeiterklasse zum Hegemon der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung 1945/46. In: Partei - Tradition - Wissenschaft, Berlin 1976, S. 32 ff. 16 Vgl. Protokoll der I. Allgemeinen Delegiertenkonferenz des FDGB für das sowjetisch besetzte deutsche Gebiet, Berlin 1946, S. 5 9 f . ; Keller, Lebendige Demokratie, a. a. O., S. 30 f. 17 Geschichte der SED, a. a. O., S. 99. 18 Ebenda, S. 135. 19 Vgl. ebenda, S. 151, 161. 20 Vgl. ebenda, S. 178. 21 In der sowjetischen Geschichtsschreibung entstand erst in den letzten Jahrzehnten Klarheit darüber, dafj die Anfänge des sozialistischen Wettbewerbs bereits in den ersten Monaten der Sowjetmacht liegen. Vgl. Dittrich, G., Die sowjetische Historiographie der Geschichte der Arbeiterklasse der UdSSR in der Obergangsperiode 1917 bis 1937. In: JfG, Bd. 17, Berlin 1977, S. 302 f. 22 DDR - Werden und Wachsen. Zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1974, S. 134 f. 23 Vgl. Voigtländer, Die Tat Henneckes a. a. O., S. 623. 24 Schwarzbach, H.. So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben! Fiida Hockauf. In: BzG, 1977, H. 6, S. 1037. 25 Rofymann, Gerhard, Zur wachsenden Rolle des subjektiven Faktors bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR. I n : BzG, 1978, H. 2, S. 170. 26 IX. Parteitag der SED. Programm der Sozialistischen Einheitspaitei Deutschlands, a. a. O., S. 75, 66. 27 Neues Deutschland, Ausgabe B, 26. 9. 1953.
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28 Vgl. Der neue Kurs und die Aufgaben der Partei. 15. Tagung des ZK der SED, Berlin 1953, S. 51. 29 Vgl. Pößneck, Ehrentried, Der sozialistische Wettbewerb im „Jahr der großen Initiative", Diss. A, KMU Leipzig 1974, S. 80 ff., 244 f. 30 Vgl. Der neue Kurs . . . , a. a. O., S. 86, 88. 31 Vgl. Pößneck, Der sozialistische Wettbewerb . . ., a. a. O., S. 79 f. 32 Vgl. Heitzer, Partei, Arbeiterklasse, Massenaktivität. . ., a. a. O., S. 1239 ff. 33 Horn, Werner, Die Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in der Industrie der DDR (1951-1955), Berlin 1963, S. 233. Die sowjetischen Historiker haben sich in den letzten Jahren stärker »der Frage nach der Abhängigkeit der Formen und Richtungen des Wettbewerbs vom Gesamtzustand der Wirtschaft und vom kulturell-technischen Niveau der Arbeiterklasse" zugewandt und untersuchen zielstrebiger die Wettbewerbsbewegung in ihrer Einheit mit der industriellen Entwicklung - Rogacevskaja, L. S., Socialisticeskoe sorevnovanie, a. a. O., S. 16. 34 Müller, Hans/Reinig, Karl, Wirtschaftswunder DDR. Ein Beitrag zur Geschichte der ökonomischen Politik der SED, Berlin 1968. 35 Für die Franik- und die planmäßige Rationalisatoren- und Erfinderbewegimg vgl. Dittrich, G„ Die II. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Übergang zu höheren Formen der WirtschaftsJeitung und des Wettbewerbs im Jahre 1952. In: JfG, Bd. 9, Berlin 1973, S. 456, 458 f. 36 Roesler, Die Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft a. O., S. 87, 86. 37 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 292 f. 38 Lenin, W. I., Der „linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus. In: Werke, Bd. 31, Berlin 1972, S. 80. 39 Grotewohl, Otto, Im Kampf um die einige deutsche demokratische Republik, Bd. 3, Berlin 1954, S. 572. 40 Vgl. Pößneck, Der sozialistische Wettbewerb . . . , a. a. O., S. 84. 41 Vgl. Dittrich, G„ Das quantitative Wachstum der Arbeiterklasse der DDR und die Veränderungen in ihrer sozialen und Zweigstruktur während der sozialistischen Revolution 1949 bis 1961/62, Diss. B, KMU Leipzig 1977, S. 352 a, 372, 327. 42 Ulbricht, Walter, Fragen der politischen Ökonomie in der DDR. Aus dem Referat auf der 21. Tagung des ZK der SED, Berlin 1954, S. 10. 43 Vgl. Klassenkampf - Tradition - Sozialismus, a. a. O., S. 631. 44 Sie stützt sich im Hinblick auf das Produktionsaufgebot auf Falk/Barthel, Kleine Geschichte einer großen Bewegung . . ., a. a. O., S. 113, auf das Zahlenmaterial über die Verpflichtungsbewegung in der IG Metall, auf Pößneck, Der sozialistische Wettbewerb . . ., a. a. O., S. 136 f., 254. 45 Berechnet nach Pößneck, Der sozialistische Wettbewerb . . . . a. a. O., S. 136 f., 254. 46 Vgl. ebenda, S. 260. 47 Vgl. Senjavski, S. L./Telpuchovski. W. B„ Die Arbeiterklasse der UdSSR, Berlin 1974, S. 13 ff.; Dittrich, Die sowjetische Historiographie a. O., S. 276 ff.; Bensing, M., Die Entwicklung der Arbeiterklasse der DDR beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus als Gegenstand historischer Forschung. In: JfG, Bd. 11, Berlin 1974, S. 142ff., 165ff. 48 Vgl. Dittrich, Das quantitative Wachstum der Albeiterklasse der DDR . . ., a. a. O., S. 261. 49 Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 20. bis 24. Juli 1950 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin, Bd. 2, Berlin 1950, S. 140, 218. 50 Vgl. Dittrich, G., Quantitatives Wachstum und Strukturveränderungen der Arbeiterklasse der DDR als planmäßig gestaltete Prozesse (Ende der 40er bis Anfang der 60er Jahre). In: BzG, 1976, H. 2, S. 252 f. 51 Vgl. Senjavski/Telpuchovski, Die Arbeiterklasse der UdSSR a. O., S. 23; Vorozejkin, I. E„ Ocerk istoriografii rabocego klassa SSSR, Moskva 1975, S. 108 f., 113. 52 Lenin, W. 1., Von der Zerstörung einer Ordnung zur Schaffung einer neuen. In: Werke, Bd. 30, Berlin 1972, S. 511.
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53 Vgl. Das Programm des demokratischen Neuaufbaus der Wirtschaft. Reden auf der 2. Tagung des Deutschen Volkskongresses, Berlin 1948, S. 36; Der Volkswirtschaftsplan 1950, Berlin (1950), S. 87. 54 Ebenda, S. 92. 55 Vgl. Roth, Heidi, Die Gruppe der Arbeiterklasse in den Industriebetrieben mit staatlicher Beteiligung. Ihre Formierung, Entwicklung und Rolle in den Jahren 1956 bis 1967, Diss. A, KMU Leipzig 1974, S. 60, 181. 56 1962 übertraf der Konzentrationsgrad der Chemiearbeiter denjenigen aller Industriearbeiter um fast 40 % . Vgl. Dittrich, Das quantitative Wachstum der Arbeiterklasse der DDR . . ., a. a. O., S. 373. 57 Bensing, M., Grundzüge des Wachstums der Arbeiterklasse der DDR in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus. Thesen zur Promotion B, KMU Leipzig 1974, S. 46 f. 58 Vgl. Dittrich, G„ Das quantitative Wachstum der Arbeiterklasse der DDR . ... a. a. O., S. 306. 59 Cotsche, Otto, Ein großer Schritt wird vorbereitet, in: DDR-Reportagen. Eine Anthologie, Leipzig (1969), S. 237 ff. 60 Vgl. Riedel, Adelheid, Die Förderung und Qualifizierung der Frauen in der sozialistischen Industrie der DDR und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Arbeiterklasse (1958 bis 1965), Diss. A, KMU Leipzig 1977, S. 37 ff. 61 Vgl. Müller ¡Reifjig, Wirtschaftswunder DDR . ... a. a. O., S. 286 ff. 62 Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 2, Berlin 1958, S. 1360. 63 Ebenda, Bd. 1, Berlin 1958, S. 111. 64 Geschichte der SED, a. a. O., S. 386 f. 65 Vgl. Neues Deutschland, Ausgabe B, 25. 10. 1973. 66 Gräte, K. H./Kirsch, C„ Die Hilfe der sowjetischen Gewerkschaften für die Wettbewerbsund Neuererbewegung in der DDR 1949-1961. In: ZfG, 1976, H. 12, S. 1382 ff., sowie Anm. 6. 67 L. I. Breshnew verwies in anderem Zusammenhang auf dieses Problem: „Gerade mit den Händen, dem Hirn und der Energie der Arbeiterklasse sowie aller Werktätigen der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Länder ist das mächtige Wirtschafts- und Verteidigungspotential des Sozialismus geschaffen worden, das bei der Festigung des Friedens und im Kampf um den sozialen Fortschritt der Menschheit eine erstrangige Rolle spielt." Breshnew, L. /., Auf dem Wege Lenins, Bd. 3, Berlin 1973, S. 525. 68 Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Dokumente aus den Jahren 1945 bis 1949, Bd. 1, Berlin 1968, S. 276. 69 Vgl. Dittrich, G., Zur schöpferischen Anwendung von Erfahrungen der sowjetischen Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung. In: Die Entwicklung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen dei DDR und der UdSSR, a. a. O., S. 158 ff. 70 Vgl. ebenda, S. 163 ff. 71 Vgl. ebenda. 72 Vgl. Dittrich, G. Die SED und die Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in den Jahren 1948-1950. In: JfG, Bd. 6, Berlin 1972, S. 354 f. 73 Vgl. Rabocij klass SSSR 1951-1965, Moskva 1969, S. 329 ff. 74 Smolkow, W. G„ Wettbewerb und Kommunismus, Berlin 1973, S. 119 f. 75 Die weiteren Aufgaben der politischen Massenarbeit der Partei, Berlin 1977, S. 43 f.
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HORST
BARTHEL
Probleme und Ergebnisse der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus. Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik als Triebkraft zur Erhöhung der Produktion und zur Steigerung der Arbeitsproduktivität l.
Zum Begriff und zur Methodologie der Erforschung der Sozialpolitik
Auf dem XXIV. Parteitag der KPdSU, dem VIII. Parteitag der SED und auf Parteitagen anderer Bruderparteien sozialistischer Staaten wurde zu Beginn der siebziger Jahre eine im Wesen gleiche Grundauffassung von der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und dem weiteren kommunistischen Aufbau erarbeitet Ausgehend von den grundlegenden Hinweisen der Klassiker des Marxismus-Leninismus und der Verallgemeinerung der bisherigen Erfahrungen des Aufbaus der neuen Gesellschaft, wurden in diesem Zusammenhang große Fortschritte in der Bestimmung des Inhalts der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik und des Verhältnisses von Wirtschafts- und Sozialpolitik erzielt. »Mit großem Nachdruck verdeutlichte der Parteitag den Sinn des Sozialismus und arbeitete damit das wichtigste Anliegen der Partei heraus. Er wies darauf hin, daß die Wirtschaftstätigkeit kein Selbstzweck ist, sondern den werktätigen Menschen dienen muß. Im Mittelpunkt der gesamten Tätigkeit der SED und des Staates, so unterstrich er, stehen die Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Werktätigen und die Formung sozialistischer Persönlichkeiten."1 Dieser Grundposition entsprechen die in der marxistisch-leninistischen Literatur der letzten Jahre ausgearbeiteten Wesensbestimmungen der Sozialpolitik beim Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Obgleich es im einzelnen keine inhaltlich gleiche Definition gibt, ist all diesen Wesensbestimmungen eigen, dafj die Sozialpolitik des sozialistischen Staates die Gesamtheit aller Maßnahmen beinhaltet, die der Herausbildung und Entwicklung der sozialistischen Lebensweise2 sowie der Persönlichkeitsentwicklung3 dienen. Eine umfassende Bestimmung wird in folgendem gegeben : „Die Gesamtheit der Mittel und Methoden, die der Sozialpolitik des sozialistischen Staates zugrunde liegen, dient der praktischen Verwirklichung solcher Prinzipien des Sozialismus, wie des Rechtes auf und der Pflicht zur Arbeit, der Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Erhöhung des Lebensniveaus der Bevölkerung, das auf der Verteilung nach Arbeitsleistung und auf Basis der gesellschaftlichen Fonds beruht, der Sozialfürsorge usw. In der Sozialpolitik des sozialistischen Staates ist berücksichtigt, daß das Lebensniveau der gesamten Bevölkerung sich gesetzmäßig erhöht und ihre sozialen Bedürfnisse ständig steigen. Die Forderungen, die alle Schichten der Bevölkerung an optimale Lebens- und Arbeitsbedingungen stellen, verändern sich und werden größer. Gegenwärtig sind sie höher als früher, und diese Entwicklung setzt sich ständig fort. Eine Gesellschaft, die sich das Ziel gestellt hat, die gerechteste Gesellschaftsordnung auf der Erde zu errichten, muß die vielfältigen sozialen Bedürfnisse der Menschen sorgfältig und allseitig berücksichtigen, alle Möglichkeiten zu ihrer Befriedigung nutzen und die gesellschaftliche Entwicklung so leiten, daß das Prinzip der 134
sozialen Gerechtigkeit möglichst umfassend realisiert und die soziale Gleichheit der Menschen auf allen Gebieten des Lebens hergestellt wird. Dabei muß sie die Schwierigkeiten überwinden, die sich aus der Begrenztheit der materiellen Ressourcen der Gesellschaft, aus den noch vorhandenen Unterschieden in den Arbeits- und Lebensbedingungen der einzelnen Bürger ergeben usw. Die kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Staaten richten die Bemühungen der Gesellschaft auf die erfolgreiche Lösung der dabei auftretenden Widersprüche und Probleme. Die Sozialpolitik dient in der sozialistischen Gesellschaft dazu, die sozialistische Lebensweise herauszubilden und zu gestalten, einen neuen Menschen zu prägen, der allmählich zum Kommunismus schreitet.'"5 Diese Bestimmung geht auf Hinweise der Klassiker des Marxismus-Leninismus zurück 5 und entspricht dem ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus. Der Zusammenhang von Wirtschafts- und Sozialpolitik drückt sich darin aus, daß die Sozialpolitik der richtungweisende Faktor ist, der in einem sozialistischen Staat die Kriterien für die Wirtschaftspolitik maßgeblich bestimmt. 6 Zwischen der sozialen Lage der Werktätigen und der vollen Entfaltung ihrer schöpferischen Möglichkeiten besteht ein enger Zusammenhang, auf den bereits die Klassiker des Marxismus-Leninismus verwiesen haben. Marx betonte, dafj die volle Entwicklung des Individuums selbst wieder zurückwirkt auf die Produktivkraft der Arbeit. Damit wird die große Bedeutung der Sozialpolitik auch als Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung, zur Steigerung der Produktion und zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität grundsätzlich hervorgehoben. Die Erfahrungen der kommunistischen und Arbeiterparteien belegen dies besonders in der Formulierung der Aufgaben bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Die marxistisch-leninistische Sozialpolitik unterscheidet sich grundsätzlich vom Inhalt und von der Zielstellung der Sozialpolitik des kapitalistischen und imperialistischen Staates, sie ist ihrem Klasseninhalt nach der imperialistischen Sozialpolitik entgegengesetzt. Die bürgerliche Sozialpolitik 7 wird vom imperialistischen Staat dazu benutzt, die sozialen Probleme im Interesse der herrschenden Klasse zu „lösen". Maßnahmen der Sozialversicherung und des Rentenrechts 8 nehmen dabei den dominierenden Platz ein. „Um ihre Grundpositionen zu erhalten und zu sichern, versucht die Bourgeoisie eine Sozialpolitik zu betreiben, die darauf gerichtet ist, die sozialen Spannungen in der Gesellschaft zu vermindern und mit Hilfe des Sozialreformismus deren unvermeidlichen Untergang hinauszuschieben."9 Den Klasseninhalt der bürgerlichen Sozialpolitik zu entlarven und den entgegengesetzten Klasseninhalt der Sozialpolitik der revolutionären Arbeiterbewegung herauszuarbeiten ist eine wichtige Aufgabe der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften in der ideologischen Auseinandersetzung. 10 Die marxistisch-leninistische Sozialpolitik wurzelt in den Traditionen der revolutionären Arbeiterbewegung, und die Sozialpolitik der revolutionären Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Ländern stellt einen wichtigen Faktor des revolutionären Weltprozesses dar. Die marxistischleninistische Sozialpolitik ist ein wichtiges Instrument, die breiten Massen zum Kampf um Frieden, Demokratie, sozialen Fortschritt und Sozialismus zu mobilisieren. Die marxistisch-leninistische Sozialpolitik durchläuft in Abhängigkeit vom Charakter der Produktionsverhältnisse, von dem Stand und der Entwicklung der Produktivkräfte sowie von den bestehenden Klassen- und Herrschaftsverhältnissen mehrere Stufen ihrer historischen Entwicklung, in der sich sowohl Gemeinsames als auch Unterschiedliches in der Zielstellung und in den Wirkungsbedingungen manifestiert. Sozialpolitik ist stets „. . . Bestandteil der einheitlichen Politik d^r Arbeiterklasse unter Führung der 10
Ubergangsperiode
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marxistisch-leninistischen Partei" 11 und damit Bestandteil der Gesamtpolitik. Die Gesamtheit der Politik enthält spezielle sozialpolitische Aspekte. 12 Ausgehend von diesen Grundpositionen und der sich daraus ergebenden Methodologie bei der Behandlung der Geschichte der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik, werden im vorliegenden Beitrag einige ausgewählte Probleme und Prozesse, ausschließlich auf den Zeitraum der Übergangsperiode in der DDR bezogen, dargestellt. 13
2.
Die Sozialpolitik als Bestandteil und Triebkraft der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung
Die Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus ermöglichte in unserem Lande einen antifaschistischen, antiimperialistischen und demokratischen Neubeginn, mit dem zugleich der revolutionäre Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus eingeleitet wurde. Ausgangspunkt dafür war der historische Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 an das schaffende Volk in Stadt und Land. Der Kampf um die Verwirklichung dieses Aufrufes führte unter der Hegemonie der Arbeiterklasse zu einer neuen Qualität politischer und sozialökonomischer Verhältnisse und damit auch zu einer neuen Qualität der Sozialpolitik im engeren wie weiteren Sinne. Mit den Forderungen des Aufrufes konnte auch der Sozialpolitik eine Richtung gegeben werden, in der sich Aufgaben im Kampf um Frieden, Demokratie und sozialen Fortschritt widerspiegelten. Der Neubeginn in unserem Lande war angesichts der ökonomischen Ausgangsbedindungen14 auch unter sozialpolitischem Aspekt ein schwerer Anfang. Besonderes Gewicht legte deshalb die KPD auf die Formulierung der dringendsten unmittelbaren Aufgaben. Unter sozialpolitischem Aspekt waren speziell hervorgehoben: vollständige Liquidierung der Überreste des Hitlerregimes, Kampf gegen Hunger, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit, allseitige Unterstützung der Verwaltungsorgane bei der Normalisierung des Lebens; Wiederaufbau der zerstörten Schulen, Wohn- und Arbeitsstätten, restlose Einbringung der Ernte und gerechte Verteilung der Lebensmittel und Verbrauchsgegenstände, energischer Kampf gegen Spekulation; Herstellung der demokratischen Rechte und Freiheiten des Volkes; Schutz der Werktätigen vor Unternehmerwillkür und unbotmäßiger Ausbeutung, freie Wahlen der Betriebsvertretungen, tarifliche Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen; Enteignung des gesamten Vermögens der Nazibonzen und Kriegsverbrecher und dessen Übergabe in die Hände des Volkes. 15 Es ging um die Durchsetzung objektiv vorhandener grundlegender antifaschistisch-demokratischer Lebensinteressen des werktätigen Volkes und zugleich um die Sicherung elementarer Lebensinteressen, oft auch um die Sicherung der nackten Existenz. Eine der grundlegenden Aufgaben der Aktivisten der ersten Stunde und der entstehenden demokratischen Verwaltungsorgane war es, allen Arbeitsfähigen, vor allem den Umsiedlern, Frauen und Jugendlichen sowie den heimkehrenden Kriegsgefangenen, aber auch den Kriegsversehrten Arbeit und Brot zu geben. 16 Die praktische Sozialpolitik in unserem Lande grenzte sich bereits im Jahre 1945 grundsätzlich von der bürgerlichen Sozialpolitik ab: Es wurden keine Almosen gegeben wie in den westlichen Besatzungszonen, wo zwar soziale Unterstützung gezahlt wurde, aber damit auch viele arbeitsfähige Menschen vom Arbeitsprozeß ausgeschlossen blieben. Das Gegenteil war der Fall. Es wurde angestrebt, jeden Bürger in die Lage zu versetzen, nach seinen Möglichkeiten selbst zur Sicherung seiner Existenz beizutragen und damit zugleich am gesellschaftlichen Aufbau teilzuhaben. Die Sozialpolitik war von vornherein nicht darauf ausgerichtet, nur materielle Hilfe zu geben, sondern sie diente zugleich auch der Persönlichkeitsentwicklung. 17
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Das Anknüpfen an die unmittelbaren Lebensinteressen der Werktätigen unter weitestgehender Ausschaltung von Profitinteressen, ja selbst Rentabilitätsgesichtspunkten 1 8 in den ersten Nachkriegsmonaten, trug zur Erhöhung des Organisationsgrades der Arbeiterklasse und zur Stärkung des subjektiven Faktors bei. Es war ein wichtiges Element, viele Menschen aus Lethargie und Verzweiflung herauszureißen und für den demokratischen Neuaufbau, für die Ingangsetzung der Produktion und die Normalisierung der Wirtschaft zu mobilisieren. 19 Die neuen staatlichen Organe hatten sich nicht zuletzt in der Lösung sozialpolitischer Aufgaben zu bewähren, und von diesem Ergebnis hingen nicht unwesentlich das Ansehen und die Wirkungskraft der demokratischen Verwaltungsorgane ab. 2 0 Der Zeitraum von 1946 bis 1948 war durch weitere programmatische Zielstellungen und praktische Schritte auf sozialpolitischem Gebiet gekennzeichnet, die vor allem durch Veränderungen in den Eigentumsverhältnissen an den Produktionsmitteln und den sich weiter entwickelnden Herrschafts- und Klassenbeziehungen determiniert waren. In den wirtschaftspolitischen Richtlinien der KPD vom 3. März 1946 wurde davon ausgegangen, daß sich der weitere wirtschaftliche Neuaufbau im Rahmen einer Wirtschaftsplanung vollziehen müsse. Von wesentlicher Bedeutung war darüber hinaus die Orientierung auf eine leistungsbezogene Verteilungspolitik. 21 Hinsichtlich der Durchsetzung des Leistungsprinzips waren durch die Lohnstoppregelungen noch enge Grenzen gesetzt. Die relativ starke Differenzierung in der Einteilung der Lebensmittelkarten nach der Schwere der Arbeit und der Dringlichkeit bestimmter Arbeiten sicherte aber nicht nur ein Interesse an der Arbeit überhaupt, da die Arbeitslosigkeit noch nicht beseitigt werden konnte, sondern auch an der Leistung. Mit hohen Lebensmittelkartensätzen verbundene Arbeitsplätze waren besonders begehrt. Die in den „Grundsätzen und Zielen" der SED getroffene Unterscheidung zwischen Zukunfts- und Gegenwartsaufgaben umfaßte auch die sozialpolitischen Aspekte des ersten Parteiprogramms der SED. 2 2 Es wird darin hervorgehoben, daß die endgültige Lösung der grundlegenden sozialpolitischen Forderungen der Arbeiterklasse erst im Sozialismus möglich sei. 23 Die Gegenwartsforderungen der Partei enthielten sozialpolitische Aufgaben, die weitgehend auch Zielstellung der revolutiorfären Arbeiterbewegung im Kapitalismus sind, jedoch in ihrer endgültigen Konsequenz erst beim Aufbau der Grundlagen des Sozialismus und bei der weiteren Gestaltung der entwikkelten sozialistischen Gesellschaft gelöst werden können. Eingebettet in die politischen Grundaufgaben beinhalteten die Punkte 6 bis 10 der Gegenwartsforderungen in den Grundsätzen und Zielen der SED eine geschlossene sozialpolitische Programmatik, die durch weitere Forderungen ergänzt wurde. Der Kampf um deren Verwirklichung stand im Zusammenhang mit der von der SED gegebenen Orientierung, „die Gegenwartsbestrebungen der Arbeiterklasse in die Richtung des Kampfes um den Sozialismus zu lenken". 24 Die weitere sozialpolitische Tätigkeit der SED war durch eine enge Wechselwirkung in der Fortführung der programmatischen Arbeit und der schrittweisen Verwirklichung bereits formulierter Aufgaben gekennzeichnet. 25 Die SED unterstützte mit der gesamten Kraft der Partei die sozialpolitischen Forderungen der Gewerkschaften 26 und des Jugendverbandes. 2 7 Sie übernahm in der Weiterführung des revolutionären Prozesses auch die Initiative im Kampf um die Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung. Von besonderer Bedeutung waren dabei der Wahlaufruf der SED zu den Gemeindewahlen vom 17. Juni 1946 2 8 , das Programm der SED zu den Gemeindewahlen 29 , die kommunalpolitischen Richtlinien vom 17. Juni 1946 3 0 und die sozialpolitischen Richtlinien der SED vom 10*
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30. Dezember 1946.31 Letztere enthielten die Zusammenfassung des bis Ende 1946 erreichten Standes in der Programmatik der Sozialpolitik der SED. Das herausragende Ergebnis war, daß nunmehr das Recht auf Arbeit und auf gleiche Bezahlung, unabhängig von Alter und Geschlecht, für die gleiche Leistung fest umrissen formuliert worden war. Die Sozialpolitik der SED grenzte sich eindeutig von der bürgerlichen Sozialpolitik ab. Die stärkere Ausrichtung der Sozialpolitik auf den volkseigenen Sektor erfolgte im Jahre 1947 durch die Beschlüsse des II. FDGB-Kongresses und des II. Parteitages der SED sowie durch den Befehl Nr. 234 der SMAD. Dieser Prozeß ging mit der beginnenden Verlagerung des Schwergewichts der Parteiarbeit auf die Betriebsgruppen einher. .Die politischen und ökonomischen Grundlagen für die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse waren geschaffen. Nun hing ihre Stärkung vor allem davon ab, die Produktion rasch zu steigern und die Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Das wurde zum wichtigsten Kettenglied. Die Lösung dieser Aufgabe entschied mit darüber, wie und in welchem Tempo die Wirtschaft entwickelt, die Lebenslage des werktätigen Volkes verbessert, Hunger und Not für immer überwunden und der gesellschaftliche Fortschritt durchgesetzt werden konnte."32 Mit der Losung: „Mehr produzieren, gerechter verteilen, besser leben!" orientierte der II. Parteitag der SED auf die Steigerung der Produktion als unabdingbare Voraussetzung für die Verbesserung der Lebenslage der Werktätigen. Sowohl in der Steigerung der Produktion als auch in der Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung waren im Jahre 1947 keine wesentlichen Fortschritte gegenüber 1946 erzielt worden. Infolge außergewöhnlicher Wetterverhältnisse kam es 1946/47 zum Teil zu einer Verschlechterung der ökonomischen Situation, obgleich die Sowjetunion durch erhebliche Reduzierung der Wiedergutmachungsverpflichtungen die Folgen des Krieges wesentlich milderte.33 Von entscheidender praktischer Bedeutung zur Verwirklichung der vom II. Parteitag der SED formulierten Zielstellung war der Befehl 234 der SMAD vom 9. Oktober 1947.34 Er enthielt ein umfangreiches sozialpolitisches Programm, dessen Verwirklichung direkt von der Steigerung der Arbeitsproduktivität abhängig gemacht wurde. Schrittweise konnte auf direktem wie indirektem Wege das von Lenin entwickelte Prinzip der kollektiven und persönlichen materiellen Interessiertheit verwirklicht werden. 35 Unter der Losung: „Mehr produzieren, gerechter verteilen, besser leben!" entwikkelte sich im fortschrittlichen Kern der Arbeiterklasse eine neue Einstellung zur Arbeit, die in der Herausbildung der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung im Herbst 1947/ Frühjahr 1948 ihren sichtbaren Ausdruck fand. 36 Die in den volkseigenen Betrieben durchgeführten sozialpolitischen Maßnahmen und die Sozialeinrichtungen einschließlich der Verbesserung der Leistungen der Sozialversicherung sowie der sozialen Leistungen des FDGB halfen, den Blick der Werktätigen auf das entstehende Neue zu lenken, und führten in starkem Maße zur Erhöhung der Aktivität der Massen. Bewußtseinsbildend wirkte auch der mehr und mehr erfolgreiche Kampf der staatlichen Organe - in Verbindung mit der SMAD - zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit und zur Einbeziehung der Umsiedler, der Frauen und der Jugendlichen in das Berufsleben. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität durch die ersten Aktivisten war in hohem Maße durch politische Einsicht motiviert und schloß die Perspektive einer künftigen Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen ein. In der Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (Abriß) wird eingeschätzt: „Eine wachsende Zahl von Aktivisten ließ sich von ihrem Klassenbewußtsein und den davon geprägten mo138
raiischen Motiven leiten. Zugleich trug auch die Anwendung des Leistungsprinzips dazu bei, die Aktivistenbewegung zu verbreitern. Moralische und materielle Triebkräfte bewirkten, daß sich die neue Einstellung zur Arbeit weiter herausbildete." 37 Ungeachtet dessen konnte zu diesem Zeitpunkt der entscheidende Durchbruch in der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung noch nicht erzielt werden. Es gab eine Vielzahl politisch-ideologischer, ökonomischer und arbeitsorganisatorischer Probleme, die sich hemmend auswirkte. Selbst die Stimulierung, die vom Befehl Nr. 234 ausging, reichte für eine tiefgreifende, die Massen der Werktätigen erfassende Wandlung im Kampf um die Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht aus. 38 Obgleich die Ausgabe eines warmen, markenfreien Mittagessens für Werktätige ausgewählter Betriebe der volkseigenen Wirtschaft sowie der gleichgestellten Betriebe eine starke mobilisierende Wirkung, insbesondere bei der Verringerung der Fehlschichten hatte, waren der Verteilung von Sachprämien und Naturalleistungen enge Grenzen gesetzt. Der Ausgabe von Sachprämien lag eine gewisse Zufälligkeit zugrunde. 39 Als unmittelbarer Faktor zur Steigerung der Arbeitsproduktivität wurden zwar Fortschritte in der Durchsetzung des Leistungslohnes erzielt, der Gesamtprozeß in der Verwirklichung des Leistungsprinzips vollzog sich jedoch unter komplizierten politisch-ideologischen und ökonomischen Bedingungen nur langsam. 40 Die über den Lohn vermittelte Stimulierungsmöglichkeit war stark durch die Realisierungsbedingungen eingeschränkt. Der Schwarze Markt spielte noch eine bedeutende Rolle. Bis zum Herbst 1948 hatten sich die einzelnen Seiten der sozialpolitischen Maßnahmen unterschiedlich entwickelt. Es war zur Herausbildung eines zeitweiligen Widerspruchs zwischen dem erreichten hohen Stand verwirklichter politischer und sozialer Grundrechte und den objektiven Möglichkeiten in der Verbesserung der immittelbaren materiellen Lebensbedingungen der Werktätigen gekommen. Während die politischen Freiheiten und sozialen Grundrechte weit den Stand übertrafen, der im kapitalistischen Deutschland erreichbar war, blieb der Lebensstandard noch weit hinter dem Vorkriegsniveau zurück. Die wesentliche Ursache für das Zurückbleiben in der Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen gegenüber den erreichten rechtlichen Verbesserungen waren die Auswirkungen und Folgen des Krieges, die nur langsam überwunden werden konnten. 41 Das Zurückbleiben des unmittelbaren Lebensstandards hinter dem Vorkriegsniveau schränkte die Wirkung der sozialpolitischen Maßnahmen als Triebkraft zur Steigerung der Produktion erheblich ein. Mit dem Zwei jahrplan und dem damit verbundenen Übergang zur volkswirtschaftlichen Gesamtplanung erhöhte sich die Planmäßigkeit in der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebenslage der Werktätigen. 42 Im Rahmen der Vorbereitung auf den Zweijahrplan und der Erfüllung und Übererfüllung seiner Ziele konnte die materielle Lebenslage der Bevölkerung in den Jahren 1949 und 1950 gegenüber 1948 erheblich verbessert werden. 43 Die Hennecke-Bewegung als auslösendes Moment in der Weiterentwicklung der Arbeitsinitiative war eine Voraussetzung zur Erfüllung und Übererfüllung des Zweijahrplanes. Die Leistung einer Rekordschicht war zunächst mehr oder weniger Beispiel, Aufruf, Herausforderung und politisches Bekenntnis und somit primär vom besonderen Reifegrad des Bewußtseins einzelner Arbeiterpersönlichkeiten getragen. In der Folgezeit jedoch wurde der von den Hennecke-Schichten ausgelöste Umschwung zu einer allgemeinen Normerfüllung auch wesentlich durch die erheblichen Verbesserungen der Lebenslage der Werktätigen stimuliert, die im Prozeß und Ergebnis der Übererfüllung des Zweijahrplanes möglich wurden. Dabei spielte die Einrichtung der HO-Läden eine entscheidende Rolle. Sie übte durch umfangreiche Preissenkungen 44 eine mobilisierende 139
Rolle ziir Leistungssteigerung aus und trug wesentlich dazu bei, den Schwarzen Markt zu überwinden. 45 In der Versorgung mit rationierten Waren wurden erhebliche Verbesserungen erzielt. 46 Dennoch konnte zum Zeitpunkt des Hinüberwachsens der demokratischen Etappe des einheitlichen revolutionären Prozesses in die sozialistische der Widerspruch zwischen der unterschiedlichen Entwicklung der erreichten demokratischen und sozialen Grundrechte der Werktätigen und der Entwicklung des Lebensstandards nicht voll überwunden werden. Der Lebensstandard war gegenüber dem Vcrkriegsniveau noch stark zurückgeblieben. 47
3.
Die Sozialpolitik in der sozialistischen Etappe des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus
Die Gründung der DDR markiert den Beginn der sozialistischen Etappe des einheitlichen revolutionären Prozesses. 48 Die DDR entstand als Arbeiter-und-Bauern-Macht und damit als ein Staat des sozialen Fortschritts und der sozialen Sicherheit. Bereits in der demokratischen Etappe des revolutionären Umwälzungsprozesses waren wesentliche Ergebnisse auf sozialpolitischem Gebiet erreicht worden. 49 1. Das Recht auf Arbeit und gleiche Bezahlung, unabhängig vom Alter und Geschlecht, war verwirklicht worden. Die Arbeitslosigkeit war im wesentlichen beseitigt. Damit waren entscheidende Forderungen auf sozialpolitischem Gebiet verwirklicht, die dem Wesen nach Forderungen des antiimperialistischen Kampfes sind. 2. Das sozialistische Prinzip der Verteilung nach der Arbeitsleistung war in entscheidenden Bereichen der Volkswirtschaft zum bestimmenden Verteilungsprinzip geworden. 3. Auf sozialpolitischem Gebiet waren die Forderungen im wesentlichen verwirklicht, die in dem mehr als hundert Jahre währenden Kampf der revolutionären Arbeiterbewegung erhoben worden waren. Das betraf vor allem sozialpolitische Maßnahmen auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes, der Sozialversicherung und der sozialpolitischen Leistungen des FDGB, wie z. B. den FDGB-Feriendienst. Damit waren bereits erste Elemente des Sozialismus auf sozialpolitischem Gebiet verwirklicht. Nach der Gründung der DDR konnte somit an die bereits erzielten sozialpolitischen Errungenschaften angeknüpft werden. Zugleich erfolgten die weitere Herausbildung der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik und deren Durchsetzung als sozialistische Staatspolitik in einer höheren Entwicklungsphase. Das entscheidende Dokument, auf dessen Grundlage die Arbeiterklasse unter Führung ihrer Partei nach der Gründung der DDR die Diktatur des Proletariats auszuüben begann, war die Verfassung der DDR, in der die grundlegenden politischen und sozialökonomischen Veränderungen fest verankert waren. 50 Damit wurde es möglich, durch weitere Gesetze der Regierung der DDR 5 1 auch auf sozialpolitischem Gebiet „wichtige Grundsätze der Verfassung auf dem Wege des sozialistischen Aufbaus mit Leben zu erfüllen". 52 Von entscheidender Bedeutung war dabei das Gesetz der Arbeit. Es ging vom Zusammenhang zwischen der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der weiteren Verbesserung der materiellen und kulturellen Lage der Bevölkerung aus. Zugleich wurde im Arbeitsgesetzbuch eine nach Eigentumsformen differenzierte Arbeitsgesetzgebung praktiziert. Die Rechte der Werktätigen in den volkseigenen Betrieben wurden mit der Verpflichtung zur Erfüllung der Pläne und zur Steigerung der Arbeitsproduktivität verbunden. Damit erzielte man eine gegenüber dem Befehl 234 höhere Form der arbeits140
rechtlichen Verpflichtungen zur Erhöhung der Produktionsleistung. Neben den bereits verfassungsrechtlich garantierten sozialen Grundrechten wurden mit dem Arbeitsgesetzbuch staatlichen Organen, z. B. dem Ministerium für Handel und Versorgung, Auflagen zur besonderen Förderung sozialer Gruppen erteilt (z. B. Bergarbeiterversorgung). 53 Der auf dem III. Parteitag der SED beschlossene Entwurf des ersten Fünfjahrplanes zur Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR für die Jahre 1951-1955 sah umfangreiche Magnahmen zur Steigerung der Produktion in Industrie und Landwirtschaft, zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität und zur Überwindung der ökonomischen Spaltungsdisproportionen vor. Damit wurden zugleich weitere Aufgaben auf sozialpolitischem Gebiet gestellt. „Alle diese anspruchsvollen Aufgaben waren auf das Ziel gerichtet, die materielle Lage der Werktätigen weiter grundlegend zu verbessern. Der Vorkriegslebensstandard sollte erreicht und überschritten werden." 54 Im weiteren Verlauf der Übergangsperiode mußte nunmehr von zwei Hauptrichtungen der Gestaltung der Sozialpolitik ausgegangen werden: 1. Ausbau und Vervollständigung sowie schrittweise Durchsetzung der sozialistischen Sozialpolitik entsprechend der Weiterentwicklung der Eigentums-, Klassen- und Machtverhältnisse. 2. Weitere Vervollkommnung des Zusammenhangs von Wirtschafts- und Sozialpolitik zur planmäßigen Ausnutzung des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus entsprechend der Spezifik der Übergangsperiode. Das schloß die noch bestehenden Wirkungen kapitalistischer Elemente im Innern und die Verschärfung des Klassenkampfes und der Auseinandersetzung mit der imperialistischen BRD bei noch offener Grenze ein. 55 Beide Aufgaben konnten nur schrittweise und schwerpunktmäßig verwirklicht werden. Sie erforderten außerordentlich große Anstrengungen im politisch-ideologischen und ökonomischen Ringen der Werktätigen unseres Landes unter der Führung ihrer Partei. Verwirklicht wurden sie auf zwei Wegen: einmal durch die Verbesserung der allgemeinen Lebenslage aller oder der Mehrzahl der Werktätigen und zum anderen durch zielgerichtete und schwerpunktorientierte Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenslage ausgewählter sozialer Gruppen. Die gezielte Politik zur besonderen Förderung einzelner sozialer Gruppen innerhalb der Arbeiterklasse war eine besonders typische Erscheinung zu Beginn der sozialistischen Revolution. Sie diente der Lösung von Aufgaben der sozialistischen Revolution in ihrer Anfangsphase. Dazu einige Beispiele: Die SED und die Gewerkschaften orientierten zu Beginn der fünfziger Jahre vor allem auf eine stärkere Lohnerhöhung in den Zweigen der Wirtschaft, die für die Überwindung der Disproportionen zwischen der Grundstoffindustrie und der verarbeitenden Industrie besonders wichtig waren. Sie stellten die Stimulierung der quantitativen Erhöhung der Produktion, die Steigerung der Arbeitsproduktivität durch „mehr und schneller" eindeutig in den Vordergrund. Die zu diesem Zeitpunkt entstandenen Formen der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung spiegelten dies deutlich wider. Auch der Direktorfonds diente der bewußten Stimulierung der Steigerung der Arbeitsproduktivität. Selbst soziale und kulturelle Maßnahmen, die in der Regel nicht direkt von der Arbeitsleistung abhängig sind, dienten dieser Zielstellung. Der III. Parteitag der SED und weitere Beschlüsse der SED orientierten auf eine schwerpunktmäßige Überarbeitung der Tarifverträge und auf eine differenzierte Durchsetzung der im Gesetz der Arbeit fixierten sozialpolitischen Maßnahmen. Damit waren auch für die sozialen Leistungen in den einzelnen Zweigen und Betrieben des volkseigenen Sektors je nach der Höhe der zur Verfügung stehenden
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Mittel unterschiedliche Voraussetzungen gegeben. Das unterstützte die besonders schnelle Entwicklung der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung zu Beginn der fünfziger Jahre, führte aber in der Folgezeit auch zu Widersprüchen und zu einer Fluktuation von Arbeitskräften. 56 Zur Vervollkommnung der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik zu Beginn der fünfziger Jahre trugen die unter Führung der SED von den Gewerkschaften organisierten Abschlüsse von Betriebskollektivverträgen bei. Im Jahre 1951 wurden etwa 5 000 Betriebskollektivverträge (BKV) in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben abgeschlossen. 57 In gemeinsamen Diskussionen vorbereitet, verpflichteten sich die Betriebsleitung und die Belegschaft zur Erfüllung der im BKV vertraglich festgelegten Vereinbarungen - die Betriebsleitungen zu sozialpolitischen betrieblichen Leistungen und zu Maßnahmen der Verbesserung der Leitung, Planung und Organisation der Arbeit sowie zur weiteren Durchsetzimg des Leistungsprinzips; die Belegschaften zur Erfüllung bzw. Übererfüllung der Pläne, zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur Senkung der Kosten. Bei der Durchsetzung der Sozialpolitik, vor allem im volkseigenen Sektor, waren damit weitere Fortschritte erzielt worden. Der Leistungslohn und arbeitsorganisatorische Maßnahmen mit sozialistischem Charakter wurden zu bestimmenden Prinzipien der Wirtschaftsführung. Mit dem erfolgreichen Beginn des ersten Fünfjahrplanes setzte sich die Aktivistenund Wettbewerbsbewegung als sozialistische Massenbewegung durch. 58 An dieser erfolgreichen Entwicklung zur Steigerung der Arbeitsproduktivität besaß auch die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen für die Mehrzahl der Werktätigen einen entscheidenden Anteil. Die Sozialpolitik erwies sich als immer wirksamere Triebkraft zur Stimulierung von Massenaktivitäten. Die Verbesserung der Ernährungslage sowie die Befriedigung der dringendsten Bedürfnisse der Bevölkerung an Wohnung, Kleidung und sonstigen Erzeugnissen des täglichen Bedarfs - auch bei zum Teil noch geringer Qualität - standen weiterhin im Vordergrund der gemeinsamen Anstrengungen der Partei der Arbeiterklasse, des FDGB und der Regierung der DDR. Der Hunger war beseitigt, und von 1950 bis Mitte 1952 konnte eine besonders spürbare Verbesserung in der Versorgung der Bevölkerung verzeichnet werden. 50 Hohe Planerfüllungen hatten dazu beträchtlich beigetragen. Die Herabsetzung der Wiedergutmachungsverpflichtungen durch die Regierung der UdSSR setzte erhebliche Mittel frei, die zur Verbesserung der Lebenslage der Werktätigen genutzt werden konnten. 60 Als nach der 2. Parteikonferenz der SED Maßnahmen zur schnelleren Entwicklung der materiell-technischen Basis des Sozialismus beschlossen wurden und größere Anstrengungen zur Sicherheit der DDR notwendig waren, 61 konnte das rasche Tempo in der Verbesserung des Lebensstandards nicht fortgesetzt werden. Es kam zu einer zeitweiligen Stagnation und zum Teil zu Verschlechterungen einiger den Lebensstandard beeinflussender Positionen. Administrative Maßnahmen zur Normenerhöhung führten zur Unzufriedenheit bei Teilen der Werktätigen. 62 Die Feinde des Sozialismus nutzten u. a. auch diese Situation zur Vorbereitung des konterrevolutionären Putsches gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht. Umfangreiche Maßnahmen wurden beschlossen, um die Versorgung zu verbessern. Diese Bemühungen erhielten erneut die brüderliche Hilfe und Unterstützung der Regierung der UdSSR. 63 Von großer Bedeutung waren dabei die Verordnung des Ministerrates über die weitere Verbesserung der Arbeitsund Lebensbedingungen vom Dezember 1953 64 und die Verordnung über die Sozialversicherung. 65 In zunehmendem Maße spiegelte sich in den grundsätzlichen Dokumenten der SED eine direkte Bezugnahme auf die Durchsetzung der ökonomischen Ge-
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setze des Sozialismus, besonders des ökonomischen Grundgesetzes und des Gesetzes der Verteilung nach der Leistung, wider. 66 Die von der SED, der Regierung der DDR und dem FDGB getroffenen Maßnahmen lösten Mitte der fünfziger Jahre solche Masseninitiativen wie die zur Produktion zusätzlicher Konsumgüter nach dem Beispiel von Frida Hockauf und das Wilhelm-Pieck-Aufgebot aus. Der auf dem V. Parteitag der SED beschlossene Kurs zum Abschluß der Übergangsperiode bestimmte in den Jahren von 1958 bis 1961 die qualitative Weiterentwicklung und quantitative Ausdehnung der sozialpolitischen Maßnahmen, die auf den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse gerichtet waren. 67 Der bedeutendste Schritt auf sozialpolitischem Gebiet am Ende der Übergangsperiode war das im November 1960 zur Diskussion gestellte und im April 1961 verabschiedete Gesetz der Arbeit 68 , in welchem die führende Rolle der Arbeiterklasse und der Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse zum Ausdruck kommen. 69 Die sozialpolitischen Maßnahmen waren in ihrer Gesamtheit Ausdruck der gewachsenen Wirtschaftskraft der DDR. Im Jahre 1958 wurde die Rationierung für die restlichen Nahrungsmittel abgeschafft und damit ein einheitliches Preissystem geschaffen. Die HO-Preise für Nahrungsmittel wurden erheblich gesenkt. Im Zusammenhang mit weiteren sozialpolitischen Maßnahmen entstand jedoch eine starke Belastung des Staatshaushaltes, ohne daß eine direkte Steigerung der Arbeitsproduktivität stimuliert wurde. 70 Da einige Preise auch erhöht werden mußten, erfolgte ein gezielter Ausgleich der Mehraufwendungen bestimmter sozialer Gruppen durch den Staatshaushalt. Die neue Preisstruktur führte zu erheblichen Veränderungen in der Bedürfnisstruktur der Bevölkerung. Das Ernährungsproblem wurde auf einer höheren Stufe gelöst. Der Verbrauch hochwertiger Nahrungsmittel stieg an, und die Zusammensetzung der Ernährung veränderte sich. Der Verbrauch vegetarischer Grundnahrungsmittel sank ab, und der Verbrauch tierischer und pflanzlicher Fette sowie der Eiweißstoffe erhöhte sich. Insgesamt stieg der Nahrungsmittel- und Genußmittelverbrauch. Es begann sich bereits ziemlich schnell die Tendenz einer Überernährung abzuzeichnen. Durch das Ansteigen des Nahrungsmittelverbrauches und der damit verbundenen Zunahme der Subventionen durch den Staatshaushalt war im wesentlichen die in der DDR so außerordentlich stimulierend wirkende Politik der Preissenkungen der fünfziger Jahre in größeren Relationen ausgeschöpft. 71 Mit dem Ansteigen des Verbrauches von Lebensmitteln und dem damit erreichten Sättigungsgrad verlagerte sich das Schwergewicht für die Bedürfnisbefriedigung auf Industriewaren, besonders auf langlebige Konsumgüter, die der Wohnkultur, der Erleichterung der Arbeit im Haushalt, der Verkürzung des Weges zur Arbeit, der Erholung und der direkten Befriedigung kultureller Bedürfnisse dienten. Die breitere Durchsetzung sozialpolitischer Maßnahmen gegen Ende der fünfziger Jahre, die im wesentlichen nur indirekt eine Leistungssteigerung erbrachte, mußte durch schwerpunktmäßig durchgeführte lohnpolitische und soziale Verbesserungen ergänzt werden, die direkt an die Leistungssteigerung geknüpft waren. Die Lohnpolitik wies daher zwei Tendenzen auf. Einmal führten die durch Beschlüsse des Politbüros der SED ausgelösten Regelungen zu einer weiteren schwerpunktorientierten Erhöhung der Löhne in den durch das Energieprogramm und das Chemieprogramm besonders geförderten Industriezweigen. Darüber hinaus war es notwendig geworden, das Leistungsprinzip in der gesamten Volkswirtschaft durchzusetzen. Das bedeutete, auch die Löhne und Gehälter in den Industriezweigen aufzustocken und dort Lohndisproportionen abzubauen, die noch als Rudimente des kapitalistischen Lohngefüges angesehen werden können. In dieser Richtung wurden Fortschritte erzielt, 72 das Problem jedoch 143
nicht gelöst. 73 Gleichzeitig war es erforderlich, Löhne und Gehälter in den privatkapitalistischen Betrieben anzuheben und jene Berufsgruppen leistungsgerechter zu entlohnen, in denen Betriebe mit staatlicher Beteiligung oder privatkapitalistische Betriebe einen relativ hohen Anteil hatten. Das führte zu einer beachtlichen quantitativen Ausdehnung des Leistungsprinzips. Aus der Orientierung auf den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse ergab sich objektiv die Aufgabe, die marxistisch-leninistische Sozialpolitik in den noch gegenüber dem volkseigenen Sektor bzw. entscheidenden sozialistischen Industriezentren zurückgebliebenen Wirtschaftseinheiten und Territorialstrukturen durchzusetzen. Auch dies konnte nur schwerpunktmäßig erfolgen. Der Wohnungs- und Sozialbau gewann weiter an Bedeutung. 74 Neue Möglichkeiten in der Durchsetzung der Sozialpolitik ergaben sich mit der weiteren Entwicklung der Eigentumsverhältnisse durch das genossenschaftliche Eigentum in der Landwirtschaft und im Handwerk. Sozialpolitische Maßnahmen, besonders zur Entwicklung der Arbeitsbedingungen im Bereich des nichtvolkseigenen Sektors der Industrie, wurden durch den Abschluß von betrieblichen Vereinbarungen in den Betrieben mit staatlicher Beteiligung sowie in privaten Betrieben möglich. Mit der Lösung umfangreicher sozialpolitischer Aufgaben im weiteren Verlauf der Übergangsperiode konnte die Wirkungssphäre der Sozialpolitik durch verbesserten Arbeits- und Gesundheitsschutz, die kulturelle und soziale Betreuung am Arbeitsplatz und im Wohngebiet, die soziale Unterstützung in der Qualifizierung besonders für Frauen mit Kindern und nicht zuletzt durch die Verkürzung der Arbeitszeit sowie die Erhöhung und Verbesserung des Urlaubs und seiner Gestaltung schrittweise und nach Schwerpunkten erweitert werden. All diese Maßnahmen zeigten deutlich die sozialistische Perspektive. Die Ende der fünfziger Jahre erreichten sozialpolitischen Fortschritte und Verbesserungen in der materiellen und kulturellen Lage der Werktätigen waren eine wirksame Triebkraft nicht nur in der Unterstützung der quantitativen Entwicklung der Masseninitiative zur Steigerung der Arbeitsproduktivität, sondern auch in der qualitativen Zielrichtung der Bewegung „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben!" Auf der materiellen Grundlage sozialpolitischer Erfolge entstand jene für den reifen Sozialismus charakteristische Form des Wettbewerbs, in dem sich wesentliche Bestandteile der sozialistischen Lebensweise herauszubilden begannen. 75 Die Erhöhung des Lebensniveaus im Sozialismus darf nicht auf den Bereich der ökonomischen Verhältnisse reduziert werden und innerhalb der ökonomischen Verhältnisse keinesfalls allein auf die Konsumtion der Bevölkerung. 76 Dennoch haben die Distributions-, Zirkulations- und Konsumtionsverhältnisse zunehmenden Einfluß als Stimulierungsfaktor zur Steigerung der Arbeitsproduktivität. Die Höhe und Verteilung des Nationaleinkommens spielen eine entscheidende Rolle als materielle Basis für die Wirksamkeit sozialpolitischer Maßnahmen. Sie können deshalb zwar nicht ausschließlich, aber dennoch als wichtige, quantifizierbare Kriterien für eine erfolgreiche Sozialpolitik gesehen werden. Im Zeitraum von 1950 bis 1960 stieg der Index des produzierten Nationaleinkommens auf das 2,6fache, und das im Inland verwendete Nationaleinkommen erhöhte sich auf das 2,8fache, 77 wobei das im Inland verwendete Nationaleinkommen pro Kopf der Bevölkerung sogar auf das 3fache anstieg. 78 In den fünfziger Jahren war - selbst unter Berücksichtigung der zu überwindenden Spaltungsdisproportionen - die jährliche Akkumulationsrate bei zunehmender Tendenz sehr niedrig und demzufolge die jährliche Konsumtionsrate bei abnehmender Tendenz sehr hoch. Die jährliche Rate der gesellschaftlichen Konsumtion blieb ziemlich konstant. 79 Der hohe Anteil des Nationaleinkommens zur Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebenslage der Bevöl144
kerung widerlegt die in der bürgerlichen Literatur der BRD vertretene Auffassung, daß in der DDR die Überwindung der Disproportionen und das rasche Wirtschaftswachstum nur „unter rigorosem Konsumverzicht erzwungen" worden seien. 80 Lediglich der bürgerliche Sozialwissenschaftler Mitzscherling, der sich der Mühe unterzog, die statistischen Quellen zu analysieren, konstatiert schließlich - nicht zuletzt aus der Untersuchung der Verteilung des Nationaleinkommens in unserem Lande — eine erfolgreiche Sozialpolitik. 81 Thude beweist anhand des Vergleiches in der Verteilung des Nationaleinkommens zwischen der DDR und der BRD die Überlegenheit der Sozialpolitik der DDR während der fünfziger Jahre. 8 2 Die positive Entwicklung der Sozialpolitik, die im einzelnen unterschiedlich verlief, zeigt sich vor allem in der ständigen Erhöhung des Arbeitseinkommens, 83 in einer Senkung der Einzelhandelspreise, 84 der Erhöhung des Reallohnes, 85 des Einzelhandelsumsatzes 86 und der direkten Sozialleistungen. 87 Setzen wir das im Inland verwendete Nationaleinkommen 1950 gleich 100, so ergibt sich bis 1955 eine Steigerung auf 184 Prozent, während von 1955 (gleich 100) bis 1960 nur eine Steigerung auf 153 Prozent zu verzeichnen ist. 88 Dieses schnellere Entwicklungstempo von 1950 bis 1955 läßt sich auch an den bestimmenden Faktoren für die Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung nachweisen. 89 Dem abnehmenden Entwicklungstempo 1955 bis 1960 im Vergleich zu 1950 bis 1955 stand jedoch ein gewachsenes Volumen an im Inland verfügbarem Nationaleinkommen von rd. 250 Mrd. Mark im Zeitraum von 1956 bis 1960 im Vergleich zu rd. 175 Mrd. Mark im Zeitraum von 1951 bis 1955 gegenüber. 90 Es gibt dabei im Entwicklungstempo des im Inland verfügbaren Nationaleinkommens für die Konsumtion besonders herausragende Jahre. So wiesen die Jahre 1951 und 1952 wie auch die Jahre 1958 und 1959 in der jährlichen Zunahme des im Inland verfügbaren Nationaleinkommens besonders hohe Zuwachsraten auf. Die vielfach vertretene Ansicht, daß die Jahre 1958/59 die für die Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebenslage bis dahin erfolgreichsten gewesen seien, läßt sich gegenüber den Jahren 1951 und 1952 an der jährlichen relativen und absoluten Zunahme an im Inland verfügbarem Nationaleinkommen für die Konsumtion nicht nachweisen. 91
4.
Zusammenfassung
Die marxistisch-leninistische Sozialpolitik hatte in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus einen festen Platz in der Gesamtpolitik von SED und Regierung der DDR. Erfahrungen unseres Landes und die der Bruderländer zeigen, 92 daß der Aufbau der Grundlagen des Sozialismus günstiger verläuft, wenn es gelingt, durch sozialökonomische Maßnahmen die Masseninitiative besonders zu stimulieren und die Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebenslage der Werktätigen als Triebkraft zur Erhöhung der Produktion und zur Steigerung der Arbeitsproduktivität zu nutzen. 93 Wenn es in der DDR und auch in anderen sozialistischen Ländern in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus nicht immer gelang, die gestellten sozialpolitischen Ziele zu erfüllen, und wenn es notwendig war, die sozialpolitischen Zielstellungen in besonderem Maße nach Schwerpunkten gegliedert zu verwirklichen, so ist dies in der Regel aus der konkreten historischen Situation, primär aus der Zuspitzung des Klassenkampfes, zu erklären. 94 Für die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR gilt gleichermaßen folgende Einschätzung: „Allerdings wäre die Bewertung der zurückliegenden Entwicklungsperioden der sozia145
listischen Wirtschaft unvollständig und falsch, wenn nicht ein weiteres Mal hervorgehoben würde, dag das sozialistische Wirtschaftssystem auch unter diesen wirtschaftlich ungünstigen Bedingungen seine Fähigkeit bewies, in ungekanntem Ausmaß den Wohlstand ausnahmslos aller sozialer Schichten der Bevölkerung von Grund auf zu steigern . . ." 95 Die bisherigen Erfahrungen beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus zeigen, daß es auch in einem ehemals hochindustrialisierten Land möglich und notwendig ist, bereits in der Übergangsperiode die Lebenslage aller Werktätigen zu verbessern. 96 Im weiteren Verlauf des revolutionären Prozesses erlangt die Sozialpolitik eine wachsende Bedeutung, zumal sich das Schwergewicht der internationalen Klassenauseinandersetzung immer mehr auf das Gebiet der Ökonomie verlagert und die soziale Effektivität geradezu zum Kriterium dieser Auseinandersetzung geworden ist. 97 Sozialpolitik verwirklicht sich aber auch im Sozialismus nicht im Selbstlauf, sie erfordert eine ständige aktive Politik 98 unter der Führung der Partei der Arbeiterklasse, und sie erfordert die zunehmende Initiative der Werktätigen zur Erfüllung und Übererfüllung der Pläne, zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und Erhöhung der Effektivität.
Anmerkungen 1 Geschichte der SED. Abriß, Berlin 1978, S. 557. 2 Vgl. dazu Autorenkollektiv, Marxistisch-leninistische Sozialpolitik. Hg. von der Gewerkschaftshochschule „Fritz Heckert" beim Bundesvorstand des FDGB, Berlin o. J., S. 15. Hier wird die Sozialpolitik definiert als „die Gesamtheit der Aktivitäten, Maßnahmen, Mittel und Methoden, über die die Herausbildung der sozialistischen Lebensweise und die verschiedenen Seiten des materiellen und kulturellen Lebensniveaus sowie die Bevölkerungsentwicklung geleitet und gestaltet wird". 3 Vgl. Cholay, Henryk, Einheit von ökonomischem und sozialem Fortschritt im Sozialismus. In: Probleme des Friedens und des Sozialismus, Berlin 1978, H. 8, S. 1055. „Sozialpolitik ist Hebung des Wohlstandes der Werktätigen wie auch Herausbildung der sozialistischen Lebensweise und Umgestaltung der Sozialstruktur der Gesellschaft, d. h. Vervollkommnung der Beziehungen sowohl zwischen den Klassen und gesellschaftlichen Gruppen als auch zwischen der Gesellschaft als Ganzes und dem Individuum. Oberstes Ziel der Sozialpolitik ist die Verwirklichung der programmatischen Aufgabe des Sozialismus und Kommunismus: Herausbildung der allseitig entwickelten Persönlichkeit auf der Grundlage der neuen sozialen Gleichheit." 4 Autorenkollektiv, Sozialismus und Wohlstand des Volkes, Berlin 1977, S. 157. 5 Marx, Karl, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1974, S. 599. 6 Vgl. dazu Sozialismus und Wohlstand . . ., a. a. O., S. 14. 7 Die bürgerliche Sozialpolitik wird im allgemeinen als Hilfe für Schwache und Sicherheit gegen die Wechselfälle des Lebens bezeichnet. Vgl. dazu bes. van der Borght, der als Autorität in der Theorie der bürgerlichen Sozialpolitik gilt. In: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 9. Bd., Stuttgart, Tübingen, Göttingen 1956, S. 533. Vgl. weiter Thude, Günther, Soziale Sicherheit. Sozialpolitik in beiden deutschen Staaten, Berlin 1965, S. 15; Tietze, Gerhard, Grundsatzfragen der Sozialpolitik. Lehrmaterial für das Fernstudium: Grundsatzfragen der Sozialpolitik, Berlin 1965, S. l f . ; Marxistisch-leninistische Sozialpolitik . . ., a. a. O., S. 34 ff. 8 Es ist geradezu bezeichnend, daß die bürgerliche Sozialgeschichtsschreibung der BRD auch bei der Darstellung der Sozialpolitik in der DDR von solchen einseitigen Prämissen ausgeht. So reduziert Leenen seine Untersuchungen zur Sozialpolitik in der DDR ausschließlich auf das Rentenrecht und nimmt aus dieser engen Sicht Wertungen vor. Vgl. Leenen, Wolf-Rainer, Sozialpolitik in der DDR (2). Ziele und Maßnahmen. In: Deutschland-Archiv, Köln 1975, H. 8, S. 512 ff. 146
9 Sozialismus und Wohlstand . . ., a. a. O., S. 157. 10 Vgl. dazu Delitz, Peter, Zu einigen Problemen und Aufgaben der marxistisch-leninistischen Analyse der imperialistischen Sozialpolitik. Diskussionsbeitrag. In: Aufgaben und Probleme der Sozialpolitik und Demographie in der DDR. 11. Tagung des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der DDR am 29. Oktober 1974. Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1977, H. 18, S. 151. 11 Marxistisch-leninistische Sozialpolitik . . ., a. a. O., S. 14 f. 12 Tietze betont, „dafj es immer nur eine einheitliche politische Entscheidung gibt, die in sich verschiedene politische Aspekte beinhaltet", und er fährt fort, „da§ bei jeder politischen Entscheidung . . . auch der damit verbundene sozialpolitische Aspekt eindeutig fixiert sein . . muß. Tietze, Gerhaid, Zur Bestimmimg des spezifischen sozialpolitischen Aspekts. Diskussionsbeitrag. In: Aufgaben und Probleme . . ., a. a. O., S. 154. Siehe auch Benjamin, Hilde, Geoig Benjamin. Eine Biographie, Leipzig 1977. 13 Ein globaler Überblick wird in der Monographie Marxistisch-leninistische Sozialpolitik . . ., a. a. O., S. 44 ff., gegeben. In der revolutionären Arbeiterbewegung der kapitalistischen Länder ist der Kampf um soziale Rechte und sozialpolitische Forderungen Bestandteil des Gesamtkampfes für Frieden, Menschenrechte, sozialen Fortschritt und Sozialismus. Dabei ist eine deutliche Abgrenzung zur Sozialfürsorge nicht möglich. Im Kampf der KPD zur Unterstützung besonderer hilfsbedürftiger Menschen in der Weimarer Republik finden wir ebenso wichtige Elemente sozialer Fürsorge wie in der Politik der SED und der Regierung der DDR. Diese Seite ist jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Vgl. zur. Sozialfürsorge: Die Sozialfürsorge in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1962. Die gesetzliche Grundlage f ü r die Sozialfürsorge wurde durch die Verordnung vom 22. April 1947 für die sowjetische Besatzungszone geschaffen. Die Sozialfürsorge . . ., a. a. O., S. 18. 14 Geschichte der SED, a. a. O., S. 77 f. An speziellen Untersuchungen vgl. Kirste, Peter, Zur Ausarbeitung der wirtschaftspolitischen Konzeption der KPD 1944 und 1945. Die ersten Schritte der Arbeiterklasse zur Verwirklichung der Wirtschaftspolitik der KPD bei der Einleitung der antifaschistischen, antiimperialistischen Umwälzung vom Mai bis Dezember 1945. Diss. A, Berlin 1975; Barthel, Horst, Der schwere Anfang. Aspekte der Wirtschaftspolitik der Partei der Arbeiterklasse zur Überwindung der Kriegsfolgen auf dem Gebiet der DDR von 1945 bis 1949/50. In: Jahrbuch für Geschichte (im folgenden: JfG), Bd. 16, Berlin 1977, S. 253 ff.; derselbe. Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen der DDR. Zur Wirtschaftsentwicklung auf dem Gebiet der DDR 1945-1949/50. (Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, hg. v. Jürgen Kuczynski und Hans Mottek, Bd. 14), Berlin 1979. 15 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 81. 16 Zur Lösung der Arbeitsbeschaffung unmittelbar nach Kriegsende vgl. Warnke, Hans, Vom Neubeginn des demokratischen Aufbaus in Mecklenburg-Vorpommern. In: Befreiung und Neubeginn, Berlin 1966, S. 103. 17 Eine wichtige Aufgabe hatten dabei auch die im Sommer 1945 entstandenen Frauen- und Jugendausschüsse. Neben materieller Hilfe und Unterstützung galt auch die Sorge der Jugend- und Frauenausschüsse der Eingliederung der Frauen und Jugendlichen in den demokratischen Neuaufbau. Vgl. Klassenkampf - Tradition - Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Deokratischen Republik. Grundriß (im folgenden: Klassenkampf - Tradition - Sozialismus), Berlin 1974, S. 504 f. 18 Barthel, Horst, Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen der DDR. Zur Wirtschaftsentwicklung auf dem Gebiet der DDR 1945-1949/50. Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte. Hg. v. Jürgen Kuczynski und Hans Mottek, Bd. 14, Berlin 1978 S. 109
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19 DDR. Werden und Wachsen. Zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1974, S. 54 f. 20 Vgl. dazu auch Fiedler, Helene, SED und Staatsmacht. Zur staatspolitischen Konzeption und Tätigkeit der SED 1946-1948, Berlin 1974, S. 18, 25; Müller, Hans/Reißig, Karl, Wirtschaftswunder DDR. Ein Beitrag zur Geschichte der ökonomischen Politik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1968, S. 21; Wille, Manfred, Studien zur Zusammenarbeit der von der KPD geführten deutschen Antifaschisten mit der sowjetischen Besatzungsmacht in der Provinz Sachsen (April bis Dezember 1945), Diss. B., Berlin 1977; Schöneburg, Karl-Heinz, Staat und Recht in der Geschichte der DDR, Berlin 1973. 21 Unter sozialpolitischem Aspekt gesehen, wurden die Forderungen des Aufrufes der KPD vom 11. Juni 1945 präzisiert und konkretisiert. Vgl. Richtlinien der Kommunistischen Partei Deutschlands zur Wirtschaftspolitik. 3. März 1946. In: Zur ökonomischen Politik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1958, S. 24 ff. 22 Bereits im Wohnungsbauprogramm der KPD vom 3. März 1946 wurde realistisch eingeschätzt, dal} die Überwindung der Kriegsfolgen in der Wohnungssituation eine Aufgabe von Jahrzehnten sei, und die Gegenwartsforderungen waren auf die Erreichung eines bescheidenen Wohnungsstandards durch die Beseitigung der größten Schäden, auf die Versorgung der Umsiedler sowie auf das Bauprogramm im Rahmen der demokratischen Bodenreform ausgerichtet. Vgl. Das Wohnungsbauprogramm der KPD vom 3. März 1946. In: Zur ökonomischen Politik . . ., a a. O., S. 47. 23 „Das Ziel der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands ist die Befreiung von jeder Ausbeutung und Unterdrückung, von Wirtschaftskrisen, Armut, Arbeitslosigkeit und imperialistischer Kriegsdrohung. Dieses Ziel, die Lösung der nationalen und sozialen Lebensfragen unseres Volkes, kann nur durch den Sozialismus erreicht werden." Vgl. Grundsätze und Ziele der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. In: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. I, Berlin 1951, S. 8. 24 Ebenda, S. 206. Punkt 10 der Grundrechte und Ziele enthielt Forderungen wie Achtstundentag, Arbeitsschutz, besonders f ü r Frauen und Jugendliche, Neufestlegungen der Sozialversicherung und der Sozialfürsorge sowie unmittelbare Aufgaben für die Umsiedler und heimkehrenden Kriegsgefangenen. Hinsichtlich der materiellen Lebenslage mußte die SED den realen Bedingungen Rechnimg tragen, mußte sie die Gegenwartsforderungen auf Arbeitsbeschaffung (noch nicht Recht auf Arbeit) für alle Werktätigen und auf die Sicherung des notwendigsten Bedarfs an Nahrung, Wohnung, Heizimg und Bekleidung beschränken. 25 Die Gegenwartsaufgaben der SED enthielten zum Teil Zielstellungen, die in der sowjetischen Besatzungszone zu diesem Zeitpunkt bereits durch Befehle der Besatzungsmacht geltendes Recht geworden waren. Zum Zeitpunkt der Gründung der SED waren bereits erlassen: Befehl Nr. 150 vom Dezember 1945 zum Schutze der Arbeitskraft, der vorsah, in den Provinzen und Ländern der sowjetischen Besatzungszone sowie auf Kreisebene Arbeitsschutzabteilungen zu bilden; Befehl Nr. 180 vom Dezember 1945, der eine einheitliche Lohnpolitik für Arbeiter und Angestellte festlegte; Befehl Nr. 147 vom Februar 1946 - Urlaubsgewährung für Arbeiter und Angestellte; Befehl Nr. 46 vom Februar 1946, der das Recht auf den Achtstundentag manifestierte. Vgl. Marxistischleninistische Sozialpolitik . . ., a. a. O., S. 48. 26 Vgl. dazu Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. I, Berlin 1952, S. 39. 27 Ebenda, S. 47. 28 In diesem Wahlaufruf wird von der SED formuliert, daß es nur durch die »Weckung und Pflege einer neuen Arbeitsmoral" möglich sei, die Lebenslage der Bevölkerung zu verbessern. Vgl. ebenda, S. 50. 29 Das Programm der SED zu den Gemeindewahlen stand unter der Losung „Durch das
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Volk - mit dem Volk - f ü r das Volk". Vgl. ebenda, S. 54. Erstmalig grenzte sich die SED in einem Dokument von der bürgerlichen Sozialpolitik ab. »Nicht mehr Almosen, sondern weitgehende Sorge der Gesellschaft um den Menschen im Rahmen der durch den verbrecherischen Hitlerkrieg beschränkten Möglichkeiten ist notwendig." Vgl. Programm zu den Gemeindewahlen. In: ebenda, S. 58, 66 ff. Die Festlegungen in der kommunalpolitischen Richtlinie waren eine Grundlage für die späteren Verfassungsdiskussionen. Vgl. dazu auch Fiedler, Helene, SED und Staatsmacht . . ., a. a. O., S. 71 f. In der kommunalpolitischen Richtlinie wurde das Recht auf Arbeit und auf gleiche Bezahlung tinabhängig von Alter und Geschlecht fixiert. Am 17. August 1946 wurde von der SMAD der Befehl Nr. 253 erlassen, der das gleiche Recht auf Bezahlung, unabhängig von Alter und Geschlecht, festlegte. Damit waren in der sowjetischen Besatzungszone bereits im Jahre 1946 die Grundrechte festgelegt bzw. Forderungen verwirklicht, die im Jahre 1948 in der UN-Deklaration über Menschenrechte proklamiert wurden und die gegenwärtig in einer Reihe kapitalistischer Länder weder Verfassungsrecht, geschweige denn Wirtschaftspraxis sind. Dokumente der SED, Bd. I, a. a. O., S. 139 ff. Vom FDGB wurde eine intensive sozialpolitische Arbeit geleistet, die sich vor allem auf ein fortschrittliches Arbeitsrecht und den Auf- und Ausbau einer einheitlichen Sozialversicherung konzentrierte. Zusammengefaßt waren diese Forderungen im Beschluß des 2. FDGB-Kongresses. In: Protokoll des 2. Kongresses des FDGB. Hg. vom Bundesvorstand des FDGB, o. O. 1947, S. 221 ff. Geschichte der SED, a. a. O., S. 164. Vgl. dazu ebenda, S. 148 f.; Barthel, Horst, Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen . . ., a. a. O., S. 104. Der Abschluß der Demontagen und die Neufestsetzung der Reparationslieferungen ermöglichten eine bessere Versorgung der Bevölkerung mit Waren, die aus einheimischen Rohstoffen hergestellt wurden. Zum Befehl Nr. 234 gibt es eine umfangreiche Literatur. Vgl. dazu bes. Geschichte der SED, a. a. O., S. 164 ff.; Füchsel, Heidrun, Der II. Parteitag der SED. Der Befehl Nr. 234 der SMAD vom 9. Oktober 1947, seine Vorbereitung und Durchführung sowie sein Platz in der Geschichte der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in der sowjetischen Besatzungszone. Die Zusammenarbeit der deutschen demokratischen Kräfte mit der SMAD. Phil. Diss. A, Berlin 1976. Die Überwindung von Tendenzen der Gleichmacherei erwies sich als ein komplizierter und langwieriger Prozeß, der sowohl gegen rückständige Ansichten vieler Leiter als auch in der direkten Auseinandersetzung mit dem Klassengegner geführt werden mußte. Gegenwärtig zeigt sich in der ultralinken Literatur ein verstärktes Interesse an dieser Thematik. Wagner richtet massive Angriffe gegen die DDR und verfälscht dabei die Lehre Lenins in eklatanter Weise. Siehe Wagner, Uwe, Vom Kollektiv zur Konkurrenz. Partei und Massenbewegung in der DDR, Berlin (West) 1974; derselbe, SED, Massenlinie und kapitalistische Restauration in der DDR, Berlin (West) 1974. Zur Auseinandersetzung mit Wagner vgl. Hartmann, Horst, Die Strategie der 1. Parteikonferenz der SED. Die Entwicklung der Masseninitiative der Werktätigen zur Verwirklichung der Wirtschaftspolitik der SED (Januar bis Herbst 1949). Phil. Diss. A, Berlin 1978, bes. S. 61 ff. Zur Auseinandersetzung mit ultralinken Ökonomen der USA vgl. Koslova, K„ Linke Strömungen in der radikalen politischen Ökonomie der USA. In: Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, Berlin 1978, H. 7, S. 731 ff. Geschichte der SED, a. a. O., S. 189 ff. Ebenda, S. 192. Zu den durch den Befehl Nr. 234 gewährten Lebensmittelzuteilungen vgl. auch Barthel, Horst, Die wiitschaftlichen Ausgangsbedingungen . . ., a. a. O. Die Rahmensätze für das warme Mittagessen waren nach Industriezweigen bzw. nach der Schwere der Arbeit unterschiedlich. In zwei Kategorien gestaffelt, existierten folgende Zuteilungen:
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tägl. Ration (in Gramm) Gruppe A Gruppe B
tägl. Ration (in Gramm) Gruppe A Gruppe B
Brot Nährmittel
100 50
100 30
Kartoffeln Gemüse
wöchentlich: Fleisch
100
-
Fett
200 150
150 100
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Vgl. Die Wirtschaft, Berlin 1947, H. 12, S. 412. Die Versorgung mit Textilien und Schuhen war sowohl - in direkter Abhängigkeit vom Befehl Nr. 234 - als Betriebzuteilung als auch in der Verteilung über die kommunale Versorgung in den einzelnen Gebieten der sowjetischen Besatzungszone sehr unterschiedlich. So erhielten im Oktober 1947 von befragten Haushalten im Länderdurchschnitt 57,6% eine Zuteilung an Textilien oder Schuhen, darunter in Sachsen 80 % und in Berlin 42 %. Vgl. Die Arbeit, Berlin 1948, H. 5, S. 143 ff. Auch im Jahre 1948 war es noch weit verbreitet, Neuerervorschläge mit Sachprämien auszuzeichnen, wobei verteilt werden mußte, was gerade vorhanden war. Matthes weist anhand von Untersuchungen aus der UdSSR vor der NÖP-Periode die stark eingeengte Wirkung der vorwiegend an die Naturalform gebundenen Leistungsvergütungen nach. Vgl. Matthes, Harry, Das Leistungsprinzip als Grundlage der Entlohnung in der volkseigenen Wirtschaft, Berlin 1954, S. 19. Im Bergbau brachte die Durchsetzung des Leistungslohnes gegenüber dem Tarifzeitlohn einen wesentlichen Effekt in der Stimulierung zur Steigerung der Arbeitsproduktivität, da dort günstige Voraussetzungen für eine exakte Bemessung bestanden und der Arbeiter im wesentlichen die Leistung bestimmen konnte. In vielen Industriezweigen war es indes - auch wegen fehlender Materialien und Zulieferteile - sehr schwer, das Leistungsprinzip durchzusetzen. So hatten z. B. Werktätige der Filmfabrik Wolfen im Juli 1948 bereits durch den Leistungslohn 126 % des Tariflohnes erreicht; im August sank er wieder auf 114 % ab, weil Material fehlte, obgleich die Ausfallzeiten nach dem Durchschnitt bezahlt wurden. Vgl. Die Wirtschaft, Berlin 1948, H. 15, S. 47. Insgesamt konnte in den Jahren bis einschließlich 1948 zwar eine Lohnsteigerung erzielt werden, da jedoch die Preisstabilität nicht voll einzuhalten war, kam es zu einem Ansteigen des Lebenshaltungskostenindexes. Vgl. Der deutsche Zweijahrplan. In: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. II, Berlin 1951, S. 39. Barthel, Horst, Der schwere Anfang . . ., a. a. O., S. 275 ff. Der Zweijahrplan sah folgende Kontrollziffern vor: »Die Produktion soll im Jahre 1950 81 v. H. im Vergleich zu 1936 betragen oder 35 v. H. mehr als 1947. Die Arbeitsproduktivität soll 1950 um 30 v. H. höher sein als 1947. Die Gesamtlohnsumme soll 15 v. H. höher sein als 1947." Vgl. Der deutsche Zweijahrplan für 1949/50, Berlin o. J„ S. 24. Zusammengefaßte Übersicht sozialpolitischer Leistungen: A. Entwicklung des Arbeitseinkommens und des Einzelhandelsumsatzes 1948 Wöchentliches Arbeitseinkommen (in Mark) bei stark sinkenden Preisen 47,74 Einzelhandelsumsatz (in Mrd. Mark) 9,30
(1948 bis 1950) 1949 1950 52,74 13,82
B. Sozialeinrichtungen, die vorwiegend in volkseigenen Betrieben stationiert (1948 bis 1950) 1949 1948 1950 227 301 486 Kindertagesstätten 3555 6477 6980 Werkküchen 647 883 1218 Nähstuben 949 497 1183 Schuhreparaturwerkstätten 281 478 553 Polikliniken und Ambulatorien, 71 24 36 darunter Betriebspolikliniken
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58,04 17,26 waren
C. Entwicklung des FDGB-Feriendienstes (1948 bis 1950) Vergabe von Ferienreisen durch den FDGB (1000 Reisen) Zuschüsse des FDGB zu den Ferienreisen (in 1000 M)
1948 100 1000
D. Wohnungsbau
1949 210 3200
1949 29825
Neugebaute und ausgebaute Wohnungen
1950 305 6500
1950 30 992
E. Lebensmittelversorgung 1949 und 1950 (Angaben berechnet auf Dezember des angegebenen Jahres nach Gramm pro Person) Warenart
Fleisch, Wurst, Fleischwaren Butter, Fett, Öl, Margarine Milch (in 1)
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46
47
48 49
11
1949 rationierte Waren
HO-Einkäufe
1027 589
78 34
3,7
0,0
1950 rationierte Waren* 1503 924 4,5
HO-Einkäufe* 276 154 0,1
* (Die angegebenen Mengen sind die unter Zugrundelegung eines Haushaltseinkommens von 250 bis 375 M getätigten HO-Einkäufe.) Die Übersicht stützt sich im wesentlichen auf veröffentlichte und nicht veröffentlichte Materialien der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik. Vom November 1948 bis zum März 1950 erfolgte bei Industriewaren eine Senkimg der HO-Preise um 3 0 , 3 % und bei wichtigen Lebensmitteln bis zu 80 und sogar 9 0 % . Vgl. dazu Horn, Weinet, Die Bündnispolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands gegenüber den kleinen und mittleren Einzelhändlern (1946-1963). I n : Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, Sprach- und gesellschaftswissenschaftliche Reihe, 1966, Nr. 18, S. 119. Die illegalen Einkünfte aus dem Schwarzen Markt und aus Schwarzarbeit betrugen 1950 noch etwa 1 Mrd. Mark gegenüber etwa 5 Mrd. M im Jahre 1948. Archiv der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, Nr. 566, Paket Nr. 7. Die vorfristige Erfüllung des Zweijahrplanes schuf die Voraussetzungen für die weitere Erhöhung der Fett- und Fleischrationen (Gesetzblatt der DDR, Nr. 93 vom 23. August 1950, S. 843) und der Punktkarte für Textilien und Schuhwaren (Gesetzblatt der DDR, Nr. 135 vom 2. Dezember 1950, S. 1173). Schrittweise wurde die Rationierung bei einer Reihe von Lebensmitteln aufgehoben. Rationiert waren zu diesem Zeitpunkt noch Fleisch, Fisch, Eier, Milch, Fett, Zucker und daraus hergestellte Waren (Gesetzblatt der DDR, Nr. 146 vom 28. Dezember 1950, S. 1227 ff.). Der Lebenshaltungskostenindex war 1950 im Vergleich zu 1936 auf 268,8 % angestiegen und der Reallohnindex auf 73,1 % abgesunken. Bei wichtigen Nahrungsmitteln, wie Fleisch und Fett, war der Verbrauch nur etwa halb so hoch wie in der Vorkriegszeit. Die Versorgung mit Gebrauchsgegenständen des täglichen Bedarfs blieb noch sehr gering. Vgl. Bazthel, Horst, Der schwere Anfang . . ., a. a. O., S. 275. Geschichte der SED, a. a. O., S. 221. Tschernenko formuliert für die antiimperialistische Etappe folgende Hauptaufgaben, in denen sich wesentliche sozialistische Forderungen manifestieren: »Sicherung eines entscheidenden Einflusses der revolutionären Demokratie, die die Interessen der Arbeiterklasse und aller Werktätigen zum Ausdruck bringt, auf die Entwicklung der Gesellschaft; Untergrabung des ökonomischen Fundaments des Monopolkapitalismus durch eine demokratische Nationalisierung der Monopole; Unterdrückimg des Widerstandes Übergangsperiode
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der monopolistischen Reaktion; Verbesserungen der Lebensbedingungen des Volkes durch Änderung der Steuerpolitik und Einkommensumverteilung zugunsten der Werktätigen; Schaffung von Bedingungen für die Erziehung der Massen und f ü r ihre Organisierung auf die sozialistischen Umgestaltungen." Tschernenko, S. N„ Probleme des Herankommens und des Übergangs zur sozialistischen Revolution. In: Sowjetwissenschaft, a. a. O., 1977, H. 1, S. 10. Die in der DDR und den meisten volksdemokratischen Ländern erreichten Ergebnisse gingen zum Teil über diese Aufgaben hinaus. »Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik verankerte die Ereignisse der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung. Die revolutionären Errungenschaften, die sich die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten unter Führung der SED mit solidarischer Hilfe der Sowjetunion seit der Befreiung vom Faschismus erkämpft hatten, wurden Verfassungsgrundsätze: die Ausübung der Staatsgewalt durch die Arbeiterklasse im Bündnis mit den werktätigen Bauern und anderen Werktätigen, die Entmachtung des Monopolkapitals und des Großgrundbesitzes und das Bestehen des volkseigenen Sektors der Wirtschaft, die hervorragende gesellschaftliche Rolle der Gewerkschaften als größte Klassenorganisation der Werktätigen, das Recht auf Arbeit und auf Bildung, die Gleichberechtigung der Frauen, der Jugend und der sorbischen nationalen Minderheit." Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 220. Die Verfassung der DDR legte besonders in den Artikeln 15 bis 18 die sozialen Grundrechte fest sowie in den Artikeln 30 bis 39 weitere soziale Rechte ausgewählter Gruppen (Mutterschutz; Jugendschutz usw.). Als weitere Grundrechte wurden das Recht auf Arbeit, Bildung und Erholung, das Recht auf Freizeit und Urlaub, soziale Grundrechte zur gesundheitlichen Betreuung sowie Mitbestimmungsrechte der Werktätigen bei der Leitung und Planung festgelegt. Vgl. Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin o. J„ S. 13 ff., 17 ff. Es waren dies das Gesetz zum Schutze der Arbeitskraft der in der Landwirtschaft Beschäftigten vom 12. Dezember 1949; das Gesetz über die Teilnahme der Jugend am Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik und die Förderung der Jugend in Schule und Beruf, bei Sport und Erholung vom 8. Februar 1950; das Gesetz der Arbeit zur Förderung und Pflege der Arbeitskräfte, zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur weiteren Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiter und Angestellten vom 19. April 1950; das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27. September 1950. Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 233. Gesetz der Arbeit zur Förderung und Pflege der Arbeitskräfte, zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur weiteren Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiter und Angestellten vom 19. April 1950. In: Gesetzblatt der DDR, Nr. 43, Berlin 1950. Geschichte der SED, a. a. O., S. 241. Die konterrevolutionären Angriffe der BRD richteten sich nicht nur im Handelskrieg darauf, der DDR die Lösung sozialpolitischer Aufgaben zu erschweren, sondern zielten auch darauf, im »roll back" die in der DDR erreichten sozialpolitischen Errungenschaften abzuschaffen. Teller weist dies aus den Tätigkeitsberichten des Bonner Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung nach. Vgl. Teller, Hans, Institutionen des kalten Krieges gegen die DDR. Zur Geschichte des „Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen" 1949 bis 1965. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (im folgenden: ZfG), 1977, H. 8, S. 900. Die Mitte der fünfziger Jahre durchgeführten Lohnregulierungen, die zum Abbau von Ortsklassen führten, waren auf eine Verminderung der Fluktuation gerichtet. Vgl. Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1977, Berlin 1957, S. 151. Vgl. Klassenkampf - Tradition - Sozialismus, a. a. O., S. 601. Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 272. Entwicklung ausgewählter Kennziffern für die Versorgung der Bevölkerung von 1950 bis Mitte 1952 (in Prozent):
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Einzelhandelsumsatz* darunter HO-Waren Einzelhandelsumsatz nach Warenhauptgruppen**: -
Nahrungsmittel Genußmittel Schuhe Textilien und Bekleidung sonstige Gebrauchsgüter
1950 100 100
1952 (II. Quart.) 162.4 280,7
100 100 100 100 100
187,7 149.0 188,7 159.1 132,4
* 1950 = 100 ** I. Quart. 1950 = 100 (Nach Statistische Praxis, Berlin 1952, H. 10, Karteiblatt) 60 Geschichte der SED, a. a. O., S. 229. 61 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 283. 62 »Die Preise für einige Lebensmittel, die Fahrpreise der Eisenbahn - einschließlich der Tarife für den Berufsverkehr - wurden erhöht . . .* Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 293. Die damit verbundene Problematik verallgemeinert Vahltuch wie folgt: »Hat sich für die gesamte Gesellschaft und damit für die einzelnen sozialen Gruppen eine bestimmte gesellschaftliche Norm der Befriedigung eines Bedürfnisses herausgebildet, so darf in der Regel diese Norm nicht mehr unterschritten werden." Vahltuch, K. H „ Entwicklungsproportionen und Befriedigungen der Bedürfnisse, Berlin 1972. Zit. nach Aufgaben und Probleme . . ., a. a. O., S. 22. 63 Es wurden Maßnahmen festgelegt, um die Produktion der Konsumgüterindustrie rasch zu steigern. Die UdSSR unterstützte die Verbesserung der Lebenslage der Werktätigen in der DDR durch die Streichung der noch zu zahlenden Wiedergutmachungsleistungen, durch die Senkung der Zahlungsverpflichtungen für die anwesenden sowjetischen Truppen und durch die Gewährung eines Kredites, der mit zusätzlichen Lieferungen von Lebensmitteln und Rohstoffen verbunden war. Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 300. 64 Verordnung über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und der Rechte der Gewerkschaften. Gesetzblatt der DDR, Nr. 129, Berlin 1953. 65 Verordnung über die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten. In: Gesetzblatt der DDR I, Nr. 77, Berlin 1956. Mit dieser Verordnung wurde dem FDGB die gesamte politische, organisatorische und finanzielle Leitung der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten übertragen. 66 Dies gilt insbesondere für alle grundlegenden Dokumente der SED und des FDGB, vor allem Mittel der fünfziger Jahre. Erste Ansätze finden wir jedoch bereits zu Beginn des 1. Fünfjahrplanes, vor allem in bezug auf das Gesetz der Verteilung nach der Arbeitsleistung. Vgl. dazu bes. Zur Frage der Kollektivverträge. Kommunique der Sitzung des Sekretariats des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 9. April 1951. In: Zur ökonomischen Politik . . ., a. a. O., S. 105; Dokumente der SED, Bd. III, Berlin 1952, S. 450 f.; Über den Abschluß von Betriebskollektivverträgen für das Jahr 1952. Referat des Kollegen Otto Lehmann, Mitglied des Sekretariats des Bundesvorstandes des FDGB auf der außerordentlichen Sitzung des FDGB-Bundesvorstandes am 9. Mai 1952, o. O. u. o. J. 67 Auf die auf dem V. Parteitag der SED - gleich anderen sozialistischen Ländern - beschlossene ökonomische Hauptaufgabe, vgl. dazu Geschichte der SED, a. a. O., S. 379, kann unter sozialökonomischem Aspekt nicht näher eingegangen werden, ohne den gewählten Zeitabschnitt der Übergangsperiode zu überschreiten. Hierzu sind umfangreiche und spezielle Forschungsarbeiten notwendig, um gesicherte Einschätzungen zu vermitteln. 68 Gesetzbuch der Arbeit der Deutschen Demokratischen Republik (vom 12. April 1961); Gesetzblatt der DDR I, Nr. 5, Berlin 1961. 69 Marxistisch-leninistische Sozialpolitik . . ., a. a. O., S. 61. n*
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70 Durch die Abschaffung der Rationierung, weitere Preissenkungen für Industriewaren, einen differenzierten Ausgleich zur Minderung der Auswirkungen der Preisneufestsetzungen nach sozialen Gesichtspunkten, Rentenerhöhungen, Einführung eines Kindergeldes und Lohnerhöhungen, besonders in den unteren Einkommensgruppen, erhöhte sich die Kaufkraft der Bevölkerung allein von Mai 1958 bis zum Jahresende nach der herkömmlichen Verbrauchsstruktur um ca. 1,7 Mrd. Mark. Vgl. dazu Die Volkswirtschaft der DDR, Berlin 1960, S. 259; Geschichte der deutschen Arbeiterbewegimg, Chronik, Teil III, Berlin 1967, S. 598. Die nach der Abschaffung der Rationierung durchgeführten Preissenkungen hatten nicht die Kaufkrafterhöhung zum Ziel, sondern dienten der Schaffung günstigerer Preisrelationen. Diese sozialpolitischen Maßnahmen gingen einher mit ersten Schritten zurVerkürzung der Arbeitszeit, zur Verbesserimg der Urlaubsgestaltung, zur Förderung des Sports und des Wohnungsbaues, besonders durch staatliche Zuschüsse zum Eigenheimbau und zur Errichtung von AWG-Bauten. All dies führte zu einer starken Belastung des Staatshaushaltes, die z. T. durch eine weitere Festlegung von Verbrauchsabgaben für Genußmittel, neue technische Konsumgüter eines gehobenen Bedarfs und für neue Textilien, besonders aus synthetischen Fasern, gemindert werden mußte. Insgesamt stieg damit der Verbrauch von Nahrungsmitteln erneut stark an, und auch der Bedarf an Industriewaren erhöhte sich, konnte jedoch nicht voll befriedigt werden. Dies führte zu einer Erhöhung der Sparquote, die nicht durch das Rücklage- und Sicherheitsbedürfnis für das Alter motiviert war. 71 Da sich jedoch die staatlichen Subventionen nach der Kostenentwicklung und die für neue Konsumgüter darüber hinaus in Abhängigkeit von Weltmarktpreisen erhöhten, waren weiterhin neben den Subventionen Akzisen und Verbraucherabgaben erforderlich. Diese Regulierungen des Staatshaushaltes erwiesen sich zur Sicherung sozialpolitischer Maßnahmen als notwendig. Für die Bevölkerung waren sie aber oft in ihrer sozialpolitischen Funktion nicht sichtbar. 72 Lohnerhöhungen erfolgten in den Jahren 1958 bis 1960 vor allem in den unteren Einkommensgruppen der Post und des Verkehrswesens, im Gesundheitswesen und im kulturellen Bereich, in der Leichtindustrie und im Bereich des Handels und des Gaststättenwesens - jedoch entsprechend dem Energieprogramm auch weiterhin in der Energiewirtschaft und in der chemischen Industrie. 73 Nach Bernard bestanden am Ende der Übergangsperiode u. a. noch folgende Mängel im Lohnsystem: 1. eine zu starke Differenzierung zwischen den untersten und den höchsten Einkommensguppen, insbesondere ein zu geringer Mindestlohn; 2. eine zu schwache Differenzierung zwischen qualifizierten und unqualifizierten Arbeitskräften und 3. zu große Unterschiede in der Bezahlung gleicher Qualiiikation in den verschiedenen Zweigen und Bereichen der Volkswirtschaft. Vgl. Bernard, Joset, Sozialpolitische Probleme der perspektivischen Entwicklung des Lebensstandards. In: Die Konsumtion im Reproduktionsprozeß. Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg, 1967, H. 14, (D7), S. 391. 74 Der Wohnungsbau war zu Beginn der fünfziger Jahre vorwiegend auf den bevorzugten Wiederaufbau der Hauptstadt und einiger anderer vom Krieg stark zerstörter Städte konzentriert und konnte darüber hinaus nur den dringendsten Wohnraumbedarf einiger für den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus erforderlichen Schwerpunktvorhaben des 1. Fünfjahrplanes befriedigen. Gegen Ende der Übergangsperiode konnten die Ziele etwas weiter gesteckt werden. Sozialbauten waren zu Beginn der Übergangsperiode vornehmlich in volkseigenen Großbetrieben für die vorwiegende Nutzung durch die Belegschaft dieser Gebiete eingerichtet worden. Nunmehr entstanden Sozialbauten, Kindergärten, Krippen, Waschanstalten, Verkaufseinrichtungen und andere Dienstleistungsbetriebe sowie Kulturzentren stärker als kommunale Einrichtungen in den Territorien, vorwiegend in den Städten, in ersten Anfängen auch bereits in ausgewählten Dörfern. 75 Vgl. dazu Geschichte der SED, a. a. O., S. 386.
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76 Sozialismus und Wohlstand des Volkes . . ., a. a. O., S. 86. Investitionen zur Errichtung neuer und moderner Arbeitsplätze und zur Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen im Verlauf der sozialistischen Umgestaltung in allen Bereichen der Volkswirtschaft, z. B. in zurückgebliebenen Territorien, zur Verbesserung der Infrastruktur und zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität, die eine Verkürzung der Arbeitszeit ermöglichen, dienen ebenfalls gleich den Konsumtionsfonds der Durchsetzung sozialpolitischer Maßnahmen. 77 Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1973. Hg. von der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, Berlin 1973, S. 41. 78 Ebenda, S. 17. 79 Verteilung des Nationaleinkommens 1950, 1955, 1960 und 1970. Nationaleinkommen des jeweiligen Jahres = 100 (in Prozent) Jahr
Akkumulation
Konsumtion insgesamt
darunter indiv.
1950 1955 1960 1970
8,5 9,5 18,1 24,0
91,5 90,5 81,9 76,0
82,9 81,3 73,7 66,8
gesell.
8,6 8,9 9,2 9,2
kulturelle u. soziale Betreuimg 2,5 2,9 2,8 2,8
Vgl. ebenda, S. 42. Hier wird die im Unterschied zu den sechziger und siebziger Jahren in den fünfziger Jahren vergleichsweise niedrige Akkumulationsrate deutlich. Diese Tabelle zeigt den geringen Anteil der Akkumulation an der Verteilung des Nationaleinkommens, der bis zur Mitte der fünfziger Jahre noch unter zehn % lag. In der historischen Literatur unseres Landes, die völlig zu Recht die großen Aufbauleistungen würdigt, wird oft der Eindruck erweckt, daß dabei riesige Summen investiert wurden. Die notwendige Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung erlaubte in unserem Lande in den fünfziger Jahren nur eine niedrige Zuwachsrate. Roesler weist ebenfalls darauf hin, „. . . daß mit der Konzentration der Investitionen auf wenige Zweige und Betriebe der einzig mögliche Weg beschritten wurde, die Prodüktionsziele der sozialistischen Industrialisierung mit der Lebenslage der Bevölkerung in Übereinstimmung zu bringen". Vgl. Roesier, Jörg, Die Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR. Aufgaben, Methoden und Ergebnisse der Wirtschaftsplanung der zentralgeleiteten volkseigenen Industrie während der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus. Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, hg. v. Jürgen Kuczynski und Hans Mottek, Bd. 11, Berlin 1978, S. 19. 80 So schreibt z. B. Leptin - bei Anerkennung des Wirtschaftswachstums in der DDR - von einem „zwei Jahrzehnte staatlich erzwungenen Konsumverzicht". Vgl. Leptin, Gett, Die deutsche Wirtschaft nach 1945. Ein Ost-West-Vergleich, Opladen 1971, S. 69. Sontheimer/ Bleek behaupten, dafj die Überwindung der Disproportionen „allerdings durch einen rigorosen Verzicht auf die Befriedigung der Konsumtion der Bürger erkauft wurde [n] Vgl. Sontheimer, KurtjBleek, Wilhelm, Die DDR. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Hamburg 1972, S. 195 f. 81 Mitzscherling stellt fest, daß entsprechend der in der DDR bestehenden sozialpolitischen Konzeption die Sozialpolitik als erfolgreich angesehen werden kann. Er stützt sich dabei auf Berechnungen des Nationaleinkommens nach bürgerlicher Methode und muß eingestehen, daß sowohl im Vergleich der Verteilung des Nationaleinkommens als auch der ausgewiesenen Nettoinvestitionen in der BRD ein wesentlich größerer Anteil „wachstumsorientiert" verwandt wurde als in der DDR. Vgl. Mitzscherling, Peter, Soziale Sicherung in der DDR. Ziele, Methoden und Erfolge mitteldeutscher Sozialpolitik. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Sonderh. Nr. 81, Berlin(West) 1968, S. 69 f. Die in der bürgerlichen Ideologie weitverbreitete Ansicht, daß Kapitalismus konsumorientiert sei und
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Sozialismus wachstumsorientiert, wird in dieser Ausschließlichkeit ad absurdum geführt. Für die Beurteilung erfolgreicher Sozialpolitik zwischen kapitalistischen und sozialistischen Staaten reicht indes, wie bereits dargestellt, eine statistische Analyse allein nicht aus, sie ist aber dennoch nicht ohne Bedeutung. Thude stellt neben der Gesamtheit der Konsumtion in der Verteilung des Nationaleinkommens an weiteren Positionen die Überlegenheit der Sozialpolitik gegenüber der BRD und anderen kapitalistischen Staaten unter Beweis. So entwickelten sich die Aufgaben des Staates für gesundheitliche und kulturelle Betreuung in der DDR von 411 Mark je Kopf der Bevölkerung im Jahre 1951 auf 1098 Mark im Jahre 1960; in der BRD hingegen im gleichen Zeitraum von 269 Mark auf 702 Mark. Vgl. Thude, Soziale Sicherheit . . ., a. a. O., S. 117. Das durchschnittliche monatliche Arbeitseinkommen der vollbeschäftigten Arbeiter und Angestellten der volkseigenen Wirtschaft betrug im Jahre 1950 311 M und im Jahre 1960 555 M. Vgl. Statistisches Jahrbuch der DDR 1973, a. a. O., S. 19. Der Index der Einzelhandelsverkaufspreise, Leistimgspreise und Tarife nach der Ausgabenstruktur des Jahres 1968 sank, 1960 = 100 gesetzt, von 1950 bis 1960 von 189,8 auf 100. Vgl. ebenda, S. 33. Von 1950 bis 1955 stieg der Reallohnindex, 1950 = 100 gesetzt, auf 225%. Vgl. Statistisches Jahrbuch der DDR 1956, a. a. O., S. 99.
Von 1955 bis 1959 stieg der Reallohnindex, 1955 = 100 gesetzt, auf 135%. (Berechnet nach Statistisches Jahrbuch der DDR 1960, Berlin 1960, S. 228.) Dies ist jedoch ein Jahr weniger! Dennoch wird die Verringerung des Entwicklungstempos deutlich. Dabei muß berücksichtigt werden, daß im Jahre 1960 ebenfalls nur eine geringe Preis- und Lohndynamik zu verzeichnen war. 86 Der Einzelhandelsumsatz, 1950 = 100 gesetzt, erhöhte sich bis 1960 bei Nahrungs- und Genußmitteln auf 236,2% und bei Industriewaren auf 298,6%. Vgl. Statistisches Jahrbuch der DDR 1973, a. a. O., S. 32. 87 Zusammengefaßte Tabelle sozialer Leistungen oder sozialer Erscheinungen 1950 und 1960
Leistimgsart Ausgaben des Staatshaushaltes für soziale und kulturelle Zwecke pro Kopf der Bevölkerung (in Mark)* Neu- u. ausgebaute Wohnungen Plätze in Kinderkrippen und Dauerheimen insgesamt, darunter je 1000 Kinder unter drei Jahren Plätze in Ferienheimen des FDGB Betriebspolikliniken Ausgaben der Sozialversicherung an Renten (in Mrd.) Spareinlagen je Kopf der Bevölkerung (in Mark) * 1951 ** 1949
1950
1960
232 30 992
450 80489
8542
104711
12 45751 36
128 95217 89
1,7** 69
4,4 1018
(Zusammengestellt vorwiegend nach Statistischen Jahrbüchern verschiedener Jahrgänge) 88 Statistisches Jahrbuch der DDR 1973, a. a. O., S. 41. 89 Entwicklungstempo ausgewählter Kennziffern 1950 bis 1955 und 1955 bis 1960
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Erreichter Stand 1960 (in Prozent) Index des Einzelhandelsumsatzes Arbeitseinkommen Senkung der Einzelhandelspreise (auf Prozent) 1955 bzw. 1960 = 100 Reallohnindex
1950 = 100
1955 = 100 .
173 140*
142 129
57 225
91 143
* In der Abrechnung des 1. Fünfjahrplanes wird eine Erhöhung des durchschnittlichen Arbeitseinkommens (1950 = 100) von 146,5% angegeben. Vgl. Jahrbuch der DDR 1956, Berlin 1956, S. 148. Für den Einzelhandelsumsatz wird für 1955 ein Index von 183% ausgewiesen. Vgl. ebenda. Obiger Berechnung liegen jedoch die Werte zugrunde, die für den gesamten Zeitraum vergleichbar sind. (Berechnet nach Statistischen Jahrbüchern verschiedener Jahrgänge) 90 Berechnet nach Schälet, Klaus, Produktionsdynamik und individuelle Konsumtion in der DDR in den Jahren 1950 bis 1965. In: Konsumtion im Reproduktionsprozeß . . ., a. a. O., S. 68 91 Zunahme des im Inland verfügbaren Nationaleinkommens gegenüber dem Vorjahr (in Mill. Mark) Jahr
1951 1952 1954 1956 1958 1959 1961 1962
Nationaleinkommen insgesamt
darunter Konsumtion insgesamt individuelle
gesellschaftliche
5068 5350 2534 2816 7039 5068 2535 2252
4210 4484 3655 727 3840 4117 2548 177
199 166 879 125 486 254 315 248
4011 4318 2821 701 3416 3800 2235 351
Vgl. ebenda, S. 46, 88, 117, 122, 127. Die Berechnungen wurden aus Umrechnungen von Anteilprozenten vorgenommen und enthalten Ungenauigkeiten. So ergibt die Summe der individuellen und der gesellschaftlichen Konsumtion nicht genau den Wert der Konsumtion insgesamt. Für eine volkswirtschaftliche Aussage, wie sie hier getroffen wurde, reichen die von Schäfer ermittelten Werte jedoch völlig aus. 92 Es gibt in der Übergangsperiode in den einzelnen Bruderländern deutliche Unterschiede in der Wirkung der Sozialpolitik. „So war in den ersten Etappen des Sozialismus in den meisten Bruderländern der ungenügende Entwicklungsstand der Produktivkräfte das Haupthindernis des gesamten gesellschaftlichen Fortschritts. Deshalb mußte dem beschleunigten Wachstum der Wirtschaft besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden und mußten dafür bewußte Einschränkungen auf anderen Gebieten vorgenommen werden." VgL Schmeral, J, B., Einige methodologische Fragen der Strategie der gesellschaftlichen Entwicklung im Sozialismus. In: Sowjetwissenschaft, 1977, H. 9, S. 907. 93 Diesen Zusammenhang verallgemeinert Schmeral folgendermaßen: „Ein übermäßiges Zurückbleiben in einzelnen Bereichen kann, selbst wenn diese in den betreffenden Etappen nicht zu den Hauptbereichen zählen, die Realisierimg des gesamten Zielsystems erschweren." Vgl. ebenda, S. 906.
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94 Vgl. dazu auch Sozialismus und Wohlstand . ... a. a. O., S. 109. 95 Ebenda. 96 In der Erklärung der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau 1957 wurden die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des sozialistischen Aufbaus verallgemeinert. Eine dieser Gesetzmäßigkeiten besteht darin, daß die Politik der Partei bei der Durchführung der proletarischen Revolution auf die Hebung des Lebensstandards gerichtet ist. Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 366 f. Vgl. dazu auch R. Barthel: »Die Tages- und die Zukunftsinteressen haben grundlegende Gemeinsamkeiten. Sie lassen sich verallgemeinernd in dem Ziel zusammenfassen, die Lebens-, Arbeits- und Entwicklungsbedingungen für die Arbeiter und Angestellten und letztlich für alle Werktätigen ständig zu verbessern." Siehe Barthel, Rolf, Zur Spontaneität in der Geschichte. I n : Evolution und Revolution in der Weltgeschichte. Hg. v. Horst Bartel u. a., Bd. I, Berlin 1976, S. 272. 97 Diesen Erfordernissen muß bereits in der Übergangsperiode Rechnung getragen werden. Der Generalsekretär des ZK der SED, Erich Honecker, hob in seiner Rede zur Eröffnung des Parteilehrjahres 1977/78 in Dresden hervor: „Was die Frage anbetrifft, welches Gesellschaftssystem effektiver ist, so ist dieser Beweis längst erbracht. Wir brauchen nur zu fragen, was ist effektiver - das System des Monopolkapitals, das Millionen und aber Millionen als Arbeitslose auf die Straße wirft und damit die Haupttriebkraft, den arbeitenden Menschen, millionenfach ausschaltet, oder das System des Sozialismus, in dem alle Arbeit und Brot haben und jeder werktätige Mensch seine Fähigkeiten und Talente, seine Persönlichkeit voll entfalten kann?" Vgl. Honecker, Erich, Die sozialistische Revolution und ihre Perspektiven. Vorträge zum Parteilehrjähr der SED, Berlin 1977, S. 16. Zur Rolle der Sozialpolitik im Wettbewerb der beiden Systeme unter dem Aspekt der friedlichen Koexistenz vgl. auch Kudrov, W., Der ökonomische Wettbewerb zwischen Sozialismus und Kapitalismus. In: Sowjetwissenschaft, 1977, H. 4, S. 349 ff. 98 Keck verweist auf die Notwendigkeit einer aktiven Sozialpolitik. Vgl. Keck, Alired, Die soziale Determiniertheit des Effektivitätsmaßes im Sozialismus. Diskussionsbeitrag. In: Aufgaben und Probleme . . a . a. O., S. 151.
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JOCHEN C E R N Y
Vom antifaschistisch-demokratischen Block zum sozialistischen Mehrparteiensystem Eine Studie zur Genesis der politischen Organisation der Gesellschaft im Gründungsjahr der DDR (Oktober 1949 bis Oktober 1950) Nachdem am 7. und 12. Oktober 1949 die Provisorische Volkskammer konstituiert, die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft gesetzt und die Provisorische Regierung gebildet worden war, „wurde der Aufbau der zentralen Organe der Staatsmacht zum wichtigsten Kettenglied der Politik der SED. Dem Wesen nach ging es darum, die sozialistische Arbeiter-und-Bauern-Macht vollständig herauszubilden".1 Nicht nur das Gesetz, welches dem durch die Befreiung vom Faschismus eingeleiteten revolutionären Prozeß innewohnte und je länger, desto stärker hervortrat, sondern auch die Logik des Klassenkampfes auf der immer noch gegebenen nationalen sowie auf internationaler Ebene geboten, daß die Republik den Charakter einer Diktatur des Proletariats annahm und sich der sozialistischen Staatengemeinschaft anschloß, die unter Führung der Sowjetunion entstand. Anders konnten weder stabile Machtverhältnisse geschaffen noch die Wirtschaftskraft des Landes wiederhergestellt und gesteigert werden. So wenig das seinerzeit eine weitergehende Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse erforderlich machte, so notwendig war eine rasche Umgestaltung der politischen Organisation der Gesellschaft mit dem Ziel, die Führungskraft der Arbeiterklasse zu entfalten und das schöpferische Potential des ganzen Volkes freizusetzen. Die SED, ihre Massen- und Bündnispolitik, die Staatskunst der Männer um Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl standen vor ihrer bis dahin größten Bewährungsprobe. Die vorliegende Studie konzentriert sich auf die nichtkommunistischen Parteien, auf deren Haltung in dieser Situation, auf deren Rolle in der politischen Organisation der Gesellschaft. Die Politik der SED im vollen Umfange ihrer Führungsrolle darzustellen, d. h., ebenso ihre Festigung als marxistisch-leninistische Kampfpartei der Arbeiterklasse wie auch ihre Massen- und Bündnispolitik zu erfassen, war hier weder möglich noch notwendig. Der Bündnis- und Blockpolitik der SED gilt seit rund 15 Jahren die besondere Aufmerksamkeit der Historiker. 1963 hielten sie die erste diesem Gegenstand gewidmete Konferenz ab.2 Die Ergebnisse der seinerzeit aufgenommenen intensiven Forschungen fanden 1969 ihre erste Zusammenfassung. 3 In den siebziger Jahren kam es zur genaueren Untersuchung einzelner Phasen der Geschichte der SED, und es begann die umfassende Erforschung der Geschichte mehrerer anderer Parteien und Massenorganisationen sowie der Nationalen Front.4 Auf breiter Quellen- und Literaturgrundlage konnten die Verfasser der „Geschichte der SED, Abriß" eine in das neukonzipierte Gesamtbild der Parteigeschichte eingeordnete differenzierte Darstellung der massen- und bündnispolitischen Anstrengungen und Leistungen der SED geben. Wahl und Eingrenzung des Themas der vorliegenden Studie werden auch von der Diskussion beeinflußt, in der sich die kommunistischen und Arbeiterparteien Europas 159
über die bündnispolitischen Möglichkeiten und Erfordernisse der antimonopolistischdemokratischen und - in der Perspektive - sozialistischen Revolution verständigen. Im Dokument der Konferenz, die sie am 29. und 30. Juni 1976 in Berlin abhielten, bekundeten diese Parteien „erneut ihre Bereitschaft, ihren Beitrag zur gleichberechtigten Zusammenarbeit mit allen demokratischen Kräften und besonders mit den sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien im Kampf für Frieden, Demokratie und den Fortschritt der Gesellschaft zu leisten". Gleichzeitig bekräftigten die Parteien, „daß sie jegliche Politik und Weltanschauung ablehnen, die ihrem Wesen nach eine Unterordnung der Arbeiterklasse unter das kapitalistische System bedeuten". 5 Mit Bezug auf die Breite des angestrebten Bündnisses sprachen die Vertreter einiger Parteien von politischer und ideologischer Pluralität. 6 In jenem Parteienbündnis, welches nach der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus entstanden war, gab es zweifellos eine Vielfalt von politischen Kräften, von Ideologien und Programmen. Es dürfte im internationalen Erfahrungs- und Meinungsaustausch interessieren, welche Entwicklung jenes Bündnis im Übergang von der antifaschistisch-demokratischen zur sozialistischen Etappe der Revolution nahm. Die politische und ideologische Vielfalt, die 1949/50 erhalten blieb, wobei sich - was die nichtproletarischen demokratischen Kräfte anbelangte - das Spektrum von rechts nach links verschob, bezeichnet der Verfasser jedoch nicht als Pluralismus. Seines Erachtens läßt sich der Sinn, den dieses Wort bekommen hat, nicht mehr umkehren. Es bildet quasi das Pendant zum Schlagwort vom Totalitarismus, entspringt ein und derselben antikommunistischen Doktrin und enthält die Aufforderung, proletarische Klassenpolitik den Spielregeln der bourgeoisen Demokratie zu unterwerfen. In diesem Kontext steht es auch bei den bürgerlichen Politologen in der BRD. Deren Suche nach Ansatzpunkten für eine auf längere Fristen berechnete Konterrevolution in der DDR läßt die mit der SED verbündeten Parteien nicht aus. 7 Für die Gegenwart wird ihnen jede „politische Autonomie" abgesprochen und nur eine - in manchen Arbeiten weiter aufgefächerte - „Transmissionsfunktion" zuerkannt. Ihre Bindung an den Block begründe eine „starre Konfiguration" der politischen Kräfte, in der „die Frequenz des Machtwechsels und damit die Chance einer Umgruppierung der Parteien gleich Null" sei. 8 Unter den erörterten Varianten der Entwicklung, die jene Parteien in Zukunft nehmen könnten, ist allerdings auch die einer „Regeneration unter Bedingungen, wie sie etwa zwischen Januar und August 1968 in der Tschechoslowakei existierten bzw. angelegt waren". In den nichtkommunistischen Parteien gebe es „vielleicht . . . ein politisches und personelles Potential, das sich bietende Möglichkeiten zu nutzen bereit und in der Lage ist".9 Dem politologischen Theorem von der Transmissionsfunktion jener Parteien (wie auch der Massenorganisationen) ließe sich allenfalls zugute halten, daß es sein Stichwort aus der marxistischen Literatur einer Zeit bezieht, in der Lenins Metapher oft als Schema betrachtet worden war. Dieses Schema wird nun ad absurdum geführt. Doch hat das seinen methodologischen und politischen Sinn: Der Arbeiterpartei wird eine durch und durch bürgerliche Auffassung vom Verhältnis zwischen ihren Führern und der Masse des Volkes unterschoben. In der bürgerlichen Historiographie über die DDR bildet die Parteiengeschichte der Jahre 1948 bis 1952 eines jener Gebiete, die am stärksten von den alten Klischees einer „Sowjetisierung Mitteldeutschlands" bzw. „Stalinisierung der DDR" geprägt sind. 10 Gerade in jenen Jahren vollzog sich, nach Hermann Weber, die vollständige „Disziplinierung von CDU und LDP", in deren Ergebnis beide Parteien „ihre .bürgerliche' Vergangenheit über Bord geworfen" und die ihnen von der SED zugedachte „Transmissionsfunktion" übernommen haben. 11 Weder werden die Gegenstände jener 160
Auseinandersetzungen untersucht, welche seinerzeit im Demokratischen Block stattfanden, noch wird die Gruppierung der politischen Kräfte ermittelt und auf soziale Interessen zurückgeführt. Die objektiven Gesetze und die ihnen folgenden Prozesse in der Basis der Gesellschaft bleiben außer Betracht. Auf diese Weise sinnentleert, erscheint die politische Geschichte der DDR als purer Machtkampf der SED-Führung. Weitgehend aus den Memoiren der „Opfer" jenes Kampfes sowie aus Berichten obskurer Untersuchungsausschüsse gespeist, nimmt die Darstellung kolportagehafte Züge an. Bei Karl-Wilhelm Fricke wird die Geschichte von „Staatsgründung und Opposition" 12 vollends zum Politkrimi.
1.
Staatsgründung, Block und Klassenkampf
Als der Parteivorstand der SED am 4. Oktober 1949 die Initiative zur Gründung der Deutschen Demokratischen Republik ergriff, wandte er sich an die anderen Parteien und an die Massenorganisationen und bekundete damit die Bereitschaft der SED, auch in der neuen Etappe des Kampfes für den Frieden, die demokratische Wiedervereinigung Deutschlands und den Sozialismus am Bündnis mit bürgerlich- und kleinbürgerlich-demokratischen Kräften festzuhalten. 13 In den vom zentralen Ausschuß des Demokratischen Blocks am 19. August 1949 vereinbarten politischen und organisatorischen Grundsätzen gab es dafür eine solide Basis.14 Die Verpflichtung, gemeinsam „für die Stärkung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung . . . und für die Festigung der demokratischen Reformen" zu kämpfen, 15 reflektierte das praktische Ergebnis der Klassenkämpfe von 1948/49 sowie den Erfahrungs- und Erkenntnisgewinn der Verbündeten. 16 Die Zustimmung von CDU und LDPD zeigte an, daß sich in diesen ursprünglich bürgerlich-demokratischen Parteien die Situation entscheidend zugunsten progressiver Kräfte verändert und daß die Reaktion in den Führungsgremien erheblich an Einfluß verloren hatte. 17 Zusammen mit dem Verfassungsentwurf, der unter Teilnahme aller Parteien 1948/49 im Deutschen Volksrat erarbeitet worden war, 18 und dem programmatischen Beschluß des Parteivorstandes der SED vom 4. Oktober 1949 19 bildeten die Blockgrundsätze vom 19. August 1949 die politische Plattform für die Staatsgründung. Das ermöglichte es allen Kräften, welche die antifaschistisch-demokratischen Verhältnisse mitgestaltet hatten, auch bei der Schaffung der Deutschen Demokratischen Republik mitzuwirken. Ja, es erlegte ihnen die Verpflichtung dazu auf, wollten sie anders nicht die Ergebnisse ihrer eigenen Arbeit verleugnen oder gar zerstören, wie dem Inhalt nach Johannes Dieckmann in der Sitzung des Zentralvorstandes der LDPD am 6. Oktober erklärte. 20 Auch bürgerliche Demokraten, die zu einer weiteren „Stärkung der antifaschistischdemokratischen Ordnung" in dem Sinne, den die 1. Parteikonferenz der SED im Januar 1949 dieser Aufgabe gegeben hatte, 21 nicht bereit waren, sahen nach der westdeutschen Separatstaatsbildung keine Alternative dazu, daß die sowjetische Besatzungszone, „um ihrer Selbstbehauptung willen", wie Eugen Schiffer damals schrieb, „die greifbare Körperlichkeit eines Staatsgebildes" annahm. 22 In weiten Kreisen des Bürgertums hatte die Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland wie ein Schock gewirkt. Sei es, weil sie sich im Stich gelassen fühlten, sei es aus tiefer Enttäuschung und elementarer Empörung über die Preisgabe der Einheit des Vaterlandes - bei vielen Angehörigen bürgerlicher Schichten wuchs die Bereitschaft zu politischer Neuorientierung. Manche Illusion über die Politik der Westmächte sowie der bürgerlichen Parteien in der BRD begann nüchternerer Betrachtung 161
zu weichen. Es fand wachsende Aufmerksamkeit und weckte Hoffnung, daß die Sowjetunion unablässig f ü r Einheit und gerechten Frieden eintrat und die Volkskongreßbewegung auch unterstützte, als diese sich anschickte, das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes in der Gründung eines souveränen Staates zu realisieren. 23 Wenn vielen bürgerlichen Demokraten die positive Entscheidung in den ersten Oktobertagen dennoch schwerfiel, dann zunächst deswegen, weil sich f ü r sie die Frage nach der Notwendigkeit der Staatsgründung unlösbar mit der Frage nach dem Modus verband: Von Rechts wegen mußte die Konstituante gewählt werden. 24 Dieses Demokratieverständnis suchten reaktionäre Kreise für erpresserische Manöver zu nutzen. Sie traten dem Vorschlag der SED, die Wahlen um ein Jahr zu verschieben, um so entschiedener entgegen, als sie Wahlergebnisse erhofften, welche die SED aus ihrer Führungsstellung verdrängen würden. Dabei gingen sie auch von der im Mai 1949 abgehaltenen Wahl der Delegierten zum III. Deutschen Volkskongreß aus. Seinerzeit lag der Anteil der Nein-Stimmen in einer Reihe von Orten mit großer CDU- und LDPD-Wählerschaft, in denen die Parteivorstände noch von reaktionären Kräften beherrscht wurden, erheblich über dem Durchschnitt, der annähernd 34 Prozent betrug. 25 Verschiebung der Wahlen, wenn überhaupt, dann nur um den Preis erheblicher personalpolitischer und anderer Zugeständnisse der SED - das war der Standpunkt mehrerer einflußreicher CDU- und LDPD-Politiker. 26 In der entscheidenden Sitzung des zentralen Blockausschusses und des Präsidiums des Deutschen Volksrats am 5. Oktober wurden die Vertreter der SED und des FDGB von den Vorsitzenden der DBD und der NDPD energisch unterstützt. Was nützt es, fragte Ernst Goldenbaum, wenn wir fortwährend über die Nein-Sager diskutieren? „Wir müssen den Ja-Sagem das Wort geben, damit . . . wir einen Schritt weiterkommen." Es gelte, den Zweijahrplan durchzuführen, höhere Erträge in der Landwirtschaft zu erzielen und dadurch die Lebenslage der Bevölkerung zu verbessern. „Dann werden wir auch die Gesamtaufgabe, die wir uns gestellt haben, leichter erfüllen, daß wir das ganze deutsche Volk für diese Regierung gewinnen . . ."27 Lothar Bolz erklärte, wie dem Sinne nach bereits am 5., so in aller Prägnanz am 7. Oktober, bei der Konstituierung der Provisorischen Volkskammer: Der Regierung, die schnellstens zu bilden sei, müsse die Möglichkeit eingeräumt werden, „nicht nur ihr Programm aufzustellen und zu verkünden, sondern unserem deutschen Volke ihre Fähigkeit zu beweisen, dieses Programm auch zu erfüllen. Dann mag das deutsche Volk in freien demokratischen Wahlen seinen Spruch über die Regierung und ihre Taten fällen. Wir wollen keine Demokratie der leeren Versprechungen! Wir wollen eine Demokratie der erprobten Leistungen!" Zu den Leistungen der Regierung „mit allen Kräften beizutragen, ist unsere erste nationale Pflicht". 28 Daß die in CDU und LDPD maßgebenden Politiker in die Verschiebung der Wahlen einwilligten, hatte bei vielen ähnlich prinzipielle, bei anderen taktische Beweggründe. 29 Die CDU hatte in Otto Nuschke seit 1948 einen Vorsitzenden, der wie kaum ein anderer Politiker die Tradition antimilitaristisch und antifaschistisch geprägter bürgerlich-demokratischer Gesinnung und Haltung verkörperte. In der Provisorischen Regierung der DDR hatte er das Amt eines Stellvertretenden Ministerpräsidenten übernommen. „Wir haben in der ganzen Erkenntnis unserer großen Verantwortung uns eingereiht in die Regierung der Arbeit", erklärte er während des CDU-Parteitages, der turnusgemäß am 12. und 13. November 1949 stattfand. „Die Jahrestagung hat zu entscheiden, ob dieser Schritt richtig war. Damit ist ihr die gleiche Verantwortung aufgebürdet, die wir in tage- und nächtelangen Verhandlungen getragen haben." 30 Bei der Begründung dieses Schrittes führte Otto Nuschke unter anderem folgendes aus: 162
„Indem sich die Westalliierten ihren Potsdamer Verpflichtungen entzogen" und „den westdeutschen Sonderstaat diktierten, erhielt die Sowjetunion die Freiheit des Handelns zurück. Sie hat sie benutzt, um eine staatsrechtliche Lösung in diesem Raum zuzulassen, die wir in ihrem ganzen geschichtlichen Ausmaß, in ihren weiten Perspektiven nicht nur für die zukünftige deutsche Entwicklung, sondern für eine Neuformung eines großen Teiles der Welt erkennen müssen." Primär aus diesen Zusammenhängen heraus verstand und bejahte Otto Nuschke es auch, „daß die Sozialistische Einheitspartei in der Spitze dieser Regierung stark vertreten ist". Er machte die Delegierten auf die engen Verbindungen zwischen der SED und den kommunistischen Parteien aufmerksam, welche die Sowjetunion sowie die Staaten Ost- und Südosteuropas führten, und konstatierte: „Aus dieser Verbundenheit erwachsen uns im Geburtsstadium der Deutschen Demokratischen Republik wertvolle Vorteile." An die Parteimitglieder gewandt, welche die Regierungsbeteiligung von einer Umverteilung politischer Posten zum Nachteil der Arbeiterpartei abhängig machen wollten, fuhr Otto Nuschke fort: „Es wäre töricht, den Ablauf eines weltgeschichtlichen Prozesses vom Standpunkt der Parteirivalität und vom Gesichtspunkt des augenblicklichen Parteinutzens aus zu betrachten."31 Stimmten gegen die dem Parteitag vorliegende Entschließimg, in der sich die CDU zur DDR bekannte und treue Mitarbeit zusicherte, auch nur zwei Delegierte, so hatten doch in der Diskussion mehrere Redner hinreichend deutlich gemacht, welche Hoffnungen reaktionäre Kreise mit ihrer Zustimmung verbanden: „Jetzt", da die Verfassung wirksam wird, „muß die Zeit der Rechts- und Verfassungsbrüche durch die Organe der Verwaltimg und die Zeit der Diktaturgelüste aller Art vorüber sein."32 In diesem demagogisch vorgetragenen Angriff gegen die Führungsstellung der Arbeiterklasse und ihrer Partei in Gesellschaft und Staat äußerte sich die Hoffnung großer Teile des Bürgertums, den revolutionären Prozeß durch den Staat auffangen und mehr oder minder weit rückgängig machen zu können, wobei neben der Erwartung einer bürgerlich-parlamentarischen Ausgestaltung des Staates die Vorstellung bestimmend war, man habe es nach Erlangung der Souveränität nicht mehr mit der Besatzungsmacht, sondern nur noch mit der SED zu tun. Die Revolution aufzuhalten, das galt in weiten Kreisen auch als Voraussetzung für die rasche Wiedervereinigung Deutschlands. So hatte das CDU-Zentralorgan „Neue Zeit" in einem Leitartikel (26. Oktober 1949) die Forderung erhoben, die Regierung habe „darzulegen, daß sie nicht beabsichtigt, die Ostzone durch Bildung eines sogenannten volksdemokratischen Staates abzusondern". Selbst von jenen CDU- und LDPD-Politikern, die keine Revision der antifaschistischdemokratischen Reformen wünschten, wollten viele, daß die gesellschaftliche Umgestaltung nunmehr zum Abschluß käme, und zwar gerade durch ihre staatliche Institutionalisierung und Legalisierung.33 In einem Leitartikel für das LDPD-Zentralorgan „Der Morgen" (27. November 1949) nannte ein Abgeordneter als wichtigste Aufgaben der Provisorischen Volkskammer die Ausarbeitung des Wahlgesetzes sowie der Gesetze über Volksbegehren und Volksentscheid und die Wiederherstellung der Bürgerrechte („so schnell wie möglich . . ., wenn auch mit den zeitlich noch gebotenen Einschränkungen"). Im übrigen empfahl er ihr „möglichst große Zurückhaltung". Wahrscheinlich werde sich die 1950 zu wählende Volkskammer von der provisorischen „nicht unwesentlich unterscheiden". Ihr stellvertretender Charakter nötige die Provisorische Volkskammer, „alle wichtigen, an die Struktur von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur greifenden Fragen zurückzustellen". An die Staatsgründung knüpfte sich die Erwartung einer zweiten Republik, die von
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den Mängeln der ersten befreit, blockpolitisch reformiert und sozial geläutert sein sollte, in der die Arbeiterklasse die Stellung haben würde, die ihr als zahlenmäßig größter und für das Wirtschaftsleben wichtigster Klasse zukam, in der aber nicht zuletzt „Kleinbürgerliches und Mittelständisches" ihren festen Platz hätten und . -für immer' zu konservieren" wären. 34 Hier begegneten sich kleinbürgerlich-reformistische Zielvorstellungen mit den auch vom loyalen Teil des mittleren Bürgertums getragenen Bestrebungen, die antifaschistisch-demokratische Ordnung auf einem „status quo ante 1949" zu konsolidieren. Doch konnte das auch die „Auffangstellung" vor einem Frontalangriff auf diese Ordnung sein. 35 Kapitalistische Klassenkräfte waren noch stark genug, um unter der Losung einer „Gleichberechtigung" in Staat und Wirtschaft 36 weitergesteckte konterrevolutionäre Ziele zu verfolgen. Mit ihrer Stellungnahme gegen „volksdemokratische Absonderung", für außenpolitische „Neutralität" kamen sie den annexionistischen Bestrebungen der herrschenden Kreise der BRD weit entgegen. Ihr beträchtliches wirtschaftliches Potential, die wichtigen Positionen, die sie in CDU und LDPD und dank dieser Tarnung auch noch in Volksvertretungen und Verwaltungen besaßen, ihr Einfluß in den Mittelschichten sowie auf Teile der Arbeiterschaft und nicht zuletzt die Rückendeckung, die sie von der BRD her erhielten, machten die restaurativ eingestellten kapitalistischen Kräfte in der DDR zum gefährlichen Gegner. 37 Weit verbreitete nationalistische und antikommunistische Ressentiments vermittelten den Einfluß der vom Westen her infiltrierten Ideologie auf die Einstellung vieler Menschen zu den Ergebnissen und Perspektiven der Revolution, die sich im Osten vollzogen hatte, machten sie mißtrauisch gegenüber den von der SED verfolgten Absichten und empfänglich für die Demagogie reaktionärer Politiker. Jedem, der die in Deutschland 1948/49 entstandenen Verhältnisse nicht von einem gefestigten politischen Standpunkt aus beurteilte, mußten diese verworren erscheinen. Bedrückend die Ungewißheit, wie sie wieder geordnet werden konnten und wer das tun sollte. Dabei wurden jedem Entscheidungen abverlangt. Selbst wer nur nach Anpassung strebte, stand vor der Frage: an wen? Allzu ungleich waren Land und Leute, natürliche Ressourcen und industrielle Potenzen auf die zwei Staaten verteilt, zu massiv auch der politischideologische und ökonomische Druck, der vom Westen ausging, als daß man erwarten konnte, die DDR würde sich behaupten. Ohnehin galt der Antagonismus zwischen den einerseits in der DDR, andererseits in der BRD staatlich organisierten Klassenkräften vielen als ein — durch die Besatzungsmächte herbeigeführter - Bruderzwist. Naturgemäß fand eine Politik Anklang, die Versöhnung versprach und Deutschland einen Platz zwischen den Fronten zuwies. 38 Abermals wurde die Gefahr akut, daß eine politische Neuformierung reaktionärer Kräfte und, durch diese angeführt, eine Sammlung beträchtlicher Teile des mittleren und kleinen Bürgertums stattfanden. 39 Damit hätte die Arbeiterklasse Vorteile eingebüßt, die für die Kontinuität des revolutionären Prozesses und die Führung des Volkes von entscheidender Bedeutung waren. 40 So wenig die Rechtmäßigkeit der Regierung vom Prozentsatz der für die eine oder andere Partei abgegebenen Stimmen abhing, so sehr war die Arbeiter-und-Bauern-Macht praktisch-politisch von der Unterstützung der Mehrheit des Volkes abhängig. 41 Deshalb kam es - im Gesamtzusammenhang verschärften Kampfes zwischen der Vorhut der Arbeiterklasse und der mit ihr am engsten verbündeten Gruppen einerseits und den äußeren und inneren Kräften der K o n t e r revolution andererseits - zum heftigen Ringen um die Führung der in großen Teilen unentschlossenen, schwankenden kleinbürgerlichen Schichten. 42 Die Blockarbeit geriet noch einmal in eine Phase, in der sich Tendenzen zur Festigimg der von der SED in-
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spirierten Zusammenarbeit mit Tendenzen zur Wiederbelebung der Koalitionspolitik bürgerlichen Stils und zur Aufkündigung des Bündnisses kreuzten. 43 Die Verschärfung des Klassenkampfes beschleunigte jene politisch-ideologischen Prozesse, in denen die Mitglieder der DBD und NDPD sowie die am weitesten fortgeschrittenen christlichen Demokraten und Liberaldemokraten dahin gelangten, daß sie die Führung von Staat und Gesellschaft durch die SED anerkannten und unterstützten. In den Blockausschüssen traten die Repräsentanten der DBD und NDPD Seite an Seite mit denen der SED und des FDGB gegen alle Bestrebungen auf, die Zusammenarbeit in Volkskammer und Regierung nicht nach den Grundsätzen des Demokratischen Blocks, sondern nach bürgerlich-parlamentarischen Normen zu organisieren und auf die Revision von Entscheidungen auszurichten, die von der Deutschen Wirtschaftskommission und den Landesregierungen bei der fortschreitenden Neugestaltung des Staats- und Wirtschaftslebens 1948/49 getroffen worden waren. 44 Gleichzeitig setzten sich DBD und NDPD sowohl publizistisch als auch in Forderungen und Vorschlägen ihrer Volkskammerfraktionen couragiert dafür ein, daß ihnen nahestehende Kreise der Bevölkerimg größere Möglichkeiten der politischen Mitwirkung sowie der Teilnahme am Neuaufbau der Volkswirtschaft erhielten. Und wie sich zeigte, konnten auch und gerade im Arbeiter-und-Bauern-Staat wohlverstandene Interessen der Mittelschichten in konstruktiver Mitarbeit zur Geltung gebracht werden. 45 Indessen versetzte die mit der Staatsgründung entstandene Situation viele vordem progressiv engagierte Mitglieder von CDU und LDPD in echte Orientierungsschwierigkeiten. Ihre Haltung entsprach „mehr subjektiven Empfindungen als klaren . . . Alternativen". Weil sie meinten, die Staatsgründung vergrößere den Spielraum für bürgerlich-demokratische Politik und weil sie der Alternative ausweichen wollten, entweder dem von der SED gewiesenen Weg zu folgen oder restaurativen Interessen der „bourgeoisen Restklasse" dienstbar zu werden, waren sie zunächst außerstande, gegen reaktionäre Konzeptionen und Praktiken entschieden Front zu machen, offensiv vorzugehen und organisatorische Konsequenzen zu ziehen. Besonders prekär wurde die Situation in der CDU, wo bestimmte Spitzenpolitiker und einzelne Verbände unter direkten „politischen Einwirkungen" der Adenauer-Partei handelten 46 und dabei die Schützenhilfe maßgeblicher kirchlicher Kreise erhielten. 47 Es gab keine gründliche, die gesamte Mitgliedschaft erfassende Verständigung über den Parteitagsbeschluß vom 13. November 1949 und die praktischen Erfordernisse seiner Ausführung. 48 Nach wie vor konnten prominente Politiker in Parteiveranstaltungen, aber auch in der Öffentlichkeit eine Politik vertreten, die den Blockgrundsätzen sowie dem Regierungsprogramm in entscheidenden Punkten zuwiderlief; und sie fanden dabei Rückhalt in zahlreichen Orts- und Kreisvorständen.
2.
Politische Organisation und Mehrparteiensystem
Obgleich die Verbündeten der Arbeiterklasse an einem revolutionären Prozeß teilhatten, der keineswegs erst in seiner Perspektive, sondern den objektiv bestimmenden Momenten nach bereits 1949/50 sozialistischen Charakter annahm, sahen sie sich seinerzeit noch nicht vor die Aufgabe gestellt, ihre Einstellung und Haltung gegenüber (oder gar: in) der sozialistischen Gesellschaftsordnung zu bestimmen. Eine solche Aufgabe hätte sie auch überfordert. 49 Die SED trug dem Rechnung. Sie vermied es, Losungen aufzustellen und Maßnahmen zu ergreifen, welche die Zusammenarbeit der Parteien unnötig erschweren mußten. Ihrem strategischen Verständnis nach hätte der
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revolutionäre Prozeß Dimensionen, die ihn außerordentlich kompliziert und langwierig werden ließen. Unter den eingangs der fünfziger Jahre gegebenen „Bedingungen sah die SED Möglichkeiten, daß die Arbeiterklasse und die anderen demokratischen Kräfte in der BRD im langwierigen Klassenkampf eine antiimperialistische Entwicklung einleiten könnten, die den Weg für einen einheitlichen demokratischen deutschen Staat ebnen würde".50 Diese nationale Zielsetzung begründete Einvernehmen und Zusammenhalt in Demokratischem Block und Nationaler Front. Die Verflechtung von Friedenskampf, Wiedervereinigungsstreben und Ringen um Festigung und Stärkung der DDR - objektiv determiniert, doch keineswegs leicht zu realisieren verlieh leninistischen Grundsätzen der Massen- und Bündnispolitik imperative Kraft: Die „Masse der Werktätigen" war „allmählich anhand ihrer eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen davon zu überzeugen, daß es galt, den revolutionären Umwälzungsprozeß konsequent weiterzuführen". 51 Die Umwälzung der sozialökonomischen und materiell-technischen Basis der Gesellschaft wurde hauptsächlich durch den planmäßigen Neuaufbau und Ausbau der 1946 in Volkseigentum überführten Großindustrie bewirkt, ohne daß die Staatsgründung hier einen spürbaren Einschnitt machte. In der Auseinandersetzung um den Zweijahrplan hatten die SED und die progressiven Kräfte in den verbündeten Parteien 1948 eine weittragende Entscheidung herbeigeführt. Wie sich in der parlamentarischen Arbeit am Volkswirtschaftsplan 1950 zeigte, waren restaurative Kräfte, obwohl sie im Januar noch erheblichen Einfluß in CDU und LDPD besaßen, nicht mehr imstande, die Parteien von jener Entscheidung abzubringen.52 In ähnlicher Weise hatte die Ausarbeitung der Verfassung bereits 1948/49 zur weitgehenden Einnigung über lange Zeit strittige staatsrechtliche Prinzipien geführt - im Sinne eines demokratisch-zentralistischen Staatsaufbaus und der durch keine Gewaltenteilung eingeschränkten Kompetenz der obersten Volksvertretung. Wenngleich viele staatsrechtliche Probleme erst im Oktober 1949 praktisch wirksam wurden und in der parlamentarischen und Regierungstätigkeit der folgenden Wochen politische Brisanz bekamen, gab es in den Prinzipien wie in der Praxis des Blocks hinreichende Voraussetzungen für die Verständigung. 53 Was schließlich die auswärtigen Beziehungen anging, wurde den Parteien nicht mehr abverlangt als die Verteidigimg der am 19. August 1949 vereinbarten Grundsätze gegen Kräfte, welche die Republik von ihren natürlichen Verbündeten isolieren wollten und verstärkte gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze opponierten. Im einzelnen betrachtet, gab es für die Parteien keine Frage grundsätzlicher Art, die sie nicht schon längere Zeit vor der Staatsgründung diskutiert und vom antiimperialistisch-demokratischen Standort aus positiv beantwortet hätten. Im ganzen genommen wiesen die Fragen jedoch eine neue Qualität auf. Worum es bei der Staatsgründung letztlich ging, das vermochten die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Demokraten zwar noch nicht in seinem klassenmäßig sozialen Gehalt, wohl aber in politischen Erscheinungsformen mehr oder minder sicher zu erfassen. Konnten und wollten sie akzeptieren, daß die Führungsstellung der Arbeiterklasse und ihrer Partei zum konstituierenden Element der Staatsordnung wurde? Objektivierend gefragt: Inwieweit konnten bürgerliche und kleinbürgerliche Demokraten am Aufbau und Ausbau eines Staates beteiligt werden, der seinem Klassencharakter wie seinen Funktionen nach zur Diktatur des Proletariats wurde? Und: Waren jene Persönlichkeiten und Gruppen, die Bereitschaft zur Mitarbeit zeigten, dazu imstande, ganze Parteien in die Mitarbeit hineinzuführen? Mußten sich die Parteien nicht grundlegend wandeln, in ihrem Charakter, ihrer gesellschaftlichen Funktion, auch in ihrem Selbstverständnis, um für die sozialistische Etappe der Revolution bündnisfähig zu werden? Schließlich: Ließen sich im 166
Ergebnis derartiger Prozesse, nichtkommunistische Parteien, lieg sich womöglich der Demokratische Block als Ganzes fest und dauerhaft in das politische System des Sozialismus integrieren? In dieser letzten Konsequenz gestellt, war das eine Frage, die nur die Geschichte beantworten konnte. Zunächst handelte es sich um die bündnis- und blockpolitischen Möglichkeiten und Erfordernisse der Errichtung und Festigung der Staatsmacht. Soweit die erste Frage an die SED ging, blieb es bei der positiven Antwort, die der Parteivorstand am 4. Oktober 1949 gegeben hatte. Das verstand sich keineswegs von selbst. Es gab in der SED auch Auffassungen und (auf regionaler wie lokaler Ebene) Bestrebungen mit der Tendenz, die Blockausschüsse durch die Ausschüsse der Volkskongreßbewegung bzw. der Nationalen Front abzulösen. Die Parteiführung hat derartige Auffassungen und Bestrebungen immer wieder scharf zurückgewiesen und als Äußerungen von Sektierertum qualifiziert. Es war aber nicht zu verkennen, daß sie auch objektive Schwierigkeiten reflektieren: Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit illoyalen Partnern, Schwierigkeiten, wenn Orts- und Kreisvorstände der einen oder anderen Partei resignierten, und Schwierigkeiten in der Funktionsbestimmung und Kompetenzabgrenzung zwischen den Ausschüssen des Blocks, denen der Nationalen Front und den Staatsorganen. 54 Tatsächlich bot die Zusammenarbeit mit nichtkommunistischen Parteien keineswegs die einzige Möglichkeit, das politische Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und den anderen Klassen und Schichten des Volkes auf gesellschaftlicher (nicht-staatlicher) Ebene zu organisieren. 50 Wie die sowjetische Erfahrung zeigte, war die kommunistische Partei auch allein imstande, das zu tun und die nichtproletarischen Schichten für den sozialistischen Aufbau zu mobilisieren, indem sie dem Staat in Gestalt des Rätesystems eine außerordentlich breite Basis gab, bei Wahlen im Block mit den Parteilosen auftrat, sich auf die Gewerkschaften und den Jugendverband stützte, die Genossenschaften politisierte und in einem großen Spektrum Vereinigungen und Gremien für die gesellschaftlich-politische Betätigung der Bürger schuf. 56 Allerdings hatte sich die KPR nach der Errichtung der Sowjetmacht zunächst um die Koalition mit kleinbürgerlich-demokratischen Parteien bemüht, und es lag nicht an den Kommunisten, wenn diese Koalition nur kurzen Bestand hatte. 57 In Ungarn und Rumänien war die Errichtung und Ausgestaltung der Diktatur des Proletariats damit verbunden, daß die nichtkommunistischen Parteien gänzlich in der Volksfront aufgingen, ihre Selbstauflösung beschlossen oder ihre Tätigkeit formlos beendeten (abgesehen jetzt von den konterrevolutionären Gruppierungen, die verboten wurden). 58 Ähnlich verlief die Entwicklung in Bulgarien, wo jedoch das traditionsreiche Bündnis zwischen der Arbeiterpartei (K) und dem Bauernbund fortbestand und in ein stabiles sozialistisches Zweiparteiensystem überging. In Polen und der Tschechoslowakei erfuhr das Parteiensystem weitgehende Veränderungen. Einige Parteien wurden aufgelöst, andere weitgehend neuformiert. Während das Klassenbündnis - „das Bündnis der Arbeiterklasse mit der Hauptmasse der Bauernschaft und anderen Schichten der Werktätigen" - nach allen damaligen Erkenntnissen ein Gesetz der sozialistischen Revolution war, 59 stellte das Parteienbündnis augenscheinlich nur eine von mehreren Möglichkeiten dar, das Klassenbündnis politisch zu realisieren, und es gab 1949/50 noch keine Erfahrungen, die es gestattet hätten, einigermaßen sichere Prognosen für die Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit des Parteienbündnisses zu geben. Der bolschewistischen Bündnispolitik gegenüber den linken Sozialrevolutionären maß die sowjetische Historiographie der vierziger Jahre keinerlei prinzipielle Bedeutung zu.60 Bei der Untersuchung der Volksdemokratie, die in ihrer Entwicklung ab 1947/48 als niedere Stufe des sozialistischen Staates betrachtet 12
Übergangsperiode
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wurde, kamen die Gesellschaftswissenschaftler zunächst nicht über die Anerkennung der Tatsache hinaus, dieses Regime sei „auch bei Vorhandensein mehrerer Parteien in der Lage . . ., die Funktionen der Diktatur des Proletariats auszuüben". 61 In den kommunistischen Parteien war die Auffassung weit verbreitet, beim Mehrparteiensystem handele es sich um ein Rudiment der ersten Etappe, welches im weiteren Verlauf der Revolution verschwinden würde. Es gab sowohl Versuche, diesen Prozeß administrativ zu beschleunigen, als auch liquidatorische Tendenzen in den nichtkommunistischen Parteien selbst. 62 Für die SED hatte die Blockpolitik einen außerordentlich hohen Stellenwert. Der Block war das lang erstrebte, zu Beginn der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung herbeigeführte und in ihrem Verlauf unter Mühen gefestigte „politische Bündnis in Aktion". In ihrem Verständnis der Gesetzmäßigkeiten und Besonderheiten des revolutionären Prozesses erfaßte die SED auch die weiterreichenden Erfordernisse und Möglichkeiten der Bündnis- und Blockpolitik. 63 Sie betrachtete die „Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte im demokratischen Block und in der Nationalen Front" nicht als eine beliebige politische Variante, sondern als die wichtigste politische Voraussetzung für die Sicherung des Friedens und die Wiedergeburt Deutschlands auf demokratischer Grundlage", wie es im Neujahrsaufruf des Parteivorstandes vom 30. Dezember 1949 hieß. Das ging nicht etwa an den akuten Problemen der Zusammenarbeit vorbei. Vielmehr wurde unter Hinweis auf „provokatorische Wahlprognosen" zur Verteidigung und Festigung der Einheit aller demokratischen Kräfte aufgerufen. 6 4 Das von der SED erstrebte Bündnis größtmöglicher Breite 60 hatte zur Bedingung: die Ausprägung der Führung durch die Arbeiterklasse (nicht im verbalen Anspruch, der verbal anerkannt werden mußte, sondern in der Wirklichkeit des revolutionären Prozesses) ;die Verhinderung einer parteipolitischen Neuformierung reaktionärer kapitalistischer Kräfte; 6 6 eine „höhere ideologische Klarheit und Festigkeit, größere politische Aktivität und Elastizität und straffere organisatorische Festigkeit" der SED - also deren weitere rasche Entwicklung als marxistisch-leninistische Kampfpartei; 6 7 den Ausbau der Staatsmacht und deren Einsatz als Hauptinstrument auch der Bündnispolitik. 68 Beim Aufbau des neuen Staates sicherte die SED, daß dieser sich in der personalpolitischen Zusammensetzung seiner Organe, in deren Arbeitsstil sowie im Inhalt der legislativen und exekutiven Wirksamkeit als staatliche Organisation des von der Arbeiterklasse geführten Klassenbündnisses entwickelte. Für die politische Organisation der Gesellschaft bildete der Staat gleichsam das Gerüst, und die Nationale Front wurde zum breiten Fundament, dem der Block der Parteien und Massenorganisationen Stabilität verlieh. Von der Arbeiterklasse geschaffen und wirksam vor allem bei der Organisierung der herrschenden Klasse selbst, war diese politische Organisation integrierend für alle Klassen und Schichten. Die SED bediente sich ihrer staatlichen Positionen, um eine rasche Verbesserung der Lebenslage des werktätigen Volkes herbeizuführen, „um die nichtproletarischen werktätigen Massen auf die Seite des Proletariats zu ziehen" und um sie, wie Lenin 1919 gefordert hatte, der Bourgeoisie „abzugewinnen". 69 Die Kulturverordnung vom 16. März 1950 bot Künstlern, Wissenschaftlern, Technikern und Lehrern weitreichende materielle Sicherstellung. Das Gesetz vom 9. August 1950 enthielt eine klare Abgrenzung zwischen kapitalistischen Unternehmen und Handwerksbetrieben, garantierte den Handwerkern eine umfassende Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen und führte - kombiniert mit den im September eingeleiteten finanzpolitischen Maßnahmen - dazu, daß der Modus der Besteuerung verbessert sowie die Tarife herabgesetzt wurden. Das Gesetz vom 8. September 1950 gewährte den Klein- und Mittel168
bauern einen fünfzigprozentigen Schuldenerlag für Bankkredite sowie neue grogzügige Kredithilfe für die Instandsetzung bzw. den Wiederaufbau ihrer Wohn- und Wirtschaftsgebäude. 70 Die materiellen Voraussetzungen für diese Gesetze schuf die Arbeiterklasse durch die Realisierung und Überbietung der im Zweijahrplan für 1949 und 1950 fixierten Ziele. Wie Hermann Matern anläßlich des 25. Jahrestages des Demokratischen Blocks sagte, hat sie „die Befriedigung eigener Klassenbedürfnisse oft zurückgestellt" und „Entbehrungen auf sich genommen", um „die demokratische und sozialistische Entwicklung" der Verbündeten „mit großen Mitteln zu fördern". 71 Geführt von ihrer Partei rang die Arbeiterklasse um die Festigung ihrer Führungsstellung und damit des Bündnisses auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Weder anerkannte die SED den von anderen Parteien erhobenen Anspruch, Parteien des ganzen Volkes zu sein, noch billigte sie ihnen irgendein Monopol zur Interessenvertretung bestimmter Schichten zu, noch bediente sie sich dieser Parteien als „Transmissionsriemen". In direkter Beziehung zum schaffenden Volk in allen seinen Schichten betätigte und bewährte sich die Arbeiterpartei als führende Kraft in Staat und Gesellschaft. Auf dem höheren Niveau der mit der Staatsgründung verbundenen bündnispolitischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten entwickelte sich die Volkskongreßbewegung zur Nationalen Front, wobei die Festigung der Führungsrolle der Arbeiterklasse mit einer Steigerung des Engagements nichtproletarischer demokratischer Kräfte sowie mit einer erheblichen Verbreiterung des Masseneinflusses einherging. 72 Die Nationale Front verhalf größeren Teilen des Bürgertums zum Anschluß an die Volksbewegung. Auch frühere aktive Mitglieder der NSDAP, ehemalige Beamte und Berufssoldaten, deren politische Betätigung bis zum 9. November 1949 starken Beschränkungen unterlag, erhielten zum ersten Mal weitgehende Möglichkeiten demokratischer Mitarbeit. Die beim Aufbau der DDR zu lösenden Aufgaben fanden sich im Programm vom 15. Februar 1950 gleichsam auf den größten gemeinsamen Nenner gebracht: den des nationalen Interesses. „National" bezog sich auf das erstrebte einheitliche, antifaschistischdemokratisch verfaßte Deutschland. Die DDR wurde als staatliche Basis im Kampf um die Einheit betrachtet, und die Festigung des Staates galt daher als nationales Anliegen. 73 Dieses Programm wie auch die sozusagen offene Form, in der sich die Nationale Front entwickelte (über ihre Ausschüsse und Sekretariate hinaus gab es keine organisatorischen Bindungen), und nicht zuletzt die praktische Ausrichtung ihrer Aktivität (am deutlichsten in dem 1951/52 beginnenden Nationalen Aufbauwerk) ermöglichten es der Front, auch in jenem großen Teil des werktätigen Volkes wirksam zu werden, der sich der Bindung an Parteien und Massenorganisationen entzog und noch keinen festen politisch-ideologischen Standort gefunden hatte.7'' Für die Entwicklung der Parteien und Massenorganisationen war die Formierung der Nationalen Front von weittragender Bedeutung. Sie wurde mehr und mehr zum wichtigsten Feld breiter Zusammenarbeit, erweiterte den Aktionsradius jeder Organisation, verstärkte dabei die Verantwortung für die blocktreue Haltung der in die Ausschüsse der Front entsandten Mitglieder und bewirkte, daß sich die Parteipolitik mehr und mehr an jenen nationalen und Staatsinteressen orientierte, die im Programm vom 15. Februar 1950 zum Ausdruck kamen. Bündnispolitische Relevanz erlangte auch die organisierte Friedensbewegung. 75 Nachdem sich im Mai 1949 in Berlin das Deutsche Komitee der Kämpfer für den Frieden konstituiert hatte, löste der Stockholmer Appell zur Ächtung der Atombombe (März 1950) eine Massenbewegung aus, die zur Bildung tausender neuer Betriebs-, Orts- und Hausfriedenskomitees führte. In der von den Komitees organisierten Unterschriftensammlung fand der Appell die Unterstützung der meisten Bürger (neun von zehn 12'
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Bürgern der Republik unterschrieben ihn). Reduzierte sich die geforderte Parteinahme hier auch auf das eine existentielle Problem, so durchstieß die Agitation doch vielfach die Barrieren des Nationalismus und Antisowjetismus. Nach Ausbruch des Koreakrieges (Juni 1950) half die Friedensbewegung ungezählten Menschen, deren Engagement aus einer apolitisch-humanistischen Einstellung erwuchs und bei vielen von christlicher Ethik geprägt war, die Kriegsgefahr klarer in ihrer gesellschaftlichen Kausalität zu erfassen, sich vom politisch sterilen Pazifismus zu lösen und in die Friedensfront einzureihen, die in der Sowjetunion ihre stärkste Bastion hatte.76 Für das gesamte politische System erlangten die Massenorganisationen wachsende Bedeutung, vor allem FDGB und VdgB, die primär Klassenorganisationen waren, denen eine entscheidende Rolle bei der Formierung der beiden Hauptklassen und ihres Bündnisses zukam,77 sowie DFD und FDJ. Frauenbund und Jugendverband wurden nach der Staatsgründung zu Millionenverbänden mit - wie das Deutschlandtreffen der Jugend im Mai 1950 besonders deutlich zeigte - beträchtlichem Einfluß auch auf die Haltung Nichtorganisierter.78 Der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, die zum Zeitpunkt ihrer Gründung vornehmlich aus Zirkeln von Geistesschaffenden bestanden, entwickelten sich 1949/50 zu weit verzweigten, vielseitig wirksamen Massenorganisationen.79 Die Gesellschaft nahm auf ihrem 2. Kongreß im Juli 1949 den verpflichtenden Namen „Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft" an und rang darum, daß diese Freundschaft für die Einstellung der Mehrzahl aller Bürger bestimmend wurde. Alle Massenorganisationen80 waren überparteilich. In allen überwog die Zahl der Parteilosen, während die parteipolitisch Gebundenen in ihrer Mehrheit der SED angehörten. Die Kommunisten nahmen mit ihrer Zielstrebigkeit, Organisiertheit und Aktivität auch bestimmenden Einfluß auf die Führung und die praktische Arbeit. 81 Die meisten Massenorganisationen hatten Vorläufer in der Arbeiterbewegung der zwanziger Jahre, fanden aber ihren wichtigsten Ansatzpunkt in der antifaschistischen Volksfront und bezogen sich auch auf demokratische Traditionen der besten Teile des deutschen Bürgertums. Abgesehen von FDGB und VdgB rekrutierten sich die Massenorganisationen aus allen sozialen Schichten und Berufsgruppen. 82 Nirgendwo sonst gab es auf gesellschaftlich-politischer Ebene ein derartig direktes, weitgehend organisiertes, kontinuierliches und intensives Zusammenwirken von Kommunisten, bürgerlichen und kleinbürgerlichen Demokraten und Personen, die zunächst politisch indifferent, wenngleich aufgeschlossen waren. Die leitenden Gremien dieser Vereinigungen und Bünde bekannten sich vorbehaltslos zu der Republik, an deren Entstehen sie großen Anteil hatten, und sahen ihre Aufgabe nunmehr darin, das Staatsbewußtsein ihrer Mitglieder auszubilden und sie für die politische Mitarbeit zu gewinnen. Zehntausende von Männern, Frauen und Jugendlichen — zumeist aus der Arbeiterklasse, aber auch aus Mittelschichten - empfingen hier entscheidende Impulse für ihre politische Aktivität sowie die Qualifikation und das Mandat für den Einsatz in verschiedenartigen gesellschaftlichen Gremien und staatlichen Institutionen. Das galt in gesteigertem Maße von der FDJ, die sich voll und ganz mit der Arbeiter-und-Bauern-Macht identifizierte, die SED als ihre „Lehrmeisterin" und sich selbst als deren Helferin betrachtete. Ihr Vorsitzender, Erich Honecker, konnte von ihr sagen, daß sie beim Aufbau der Republik sowie bei der „Verteidigung des Friedens in der ersten Reihe steht".83 Hatte sich die politisch-ideologische Arbeit in den Vorjahren weitestgehend an dringlichen Tagesfragen orientiert, so begannen mehrere Massenorganisationen 1950 mit der systematischen Schulung ihrer Mitglieder im Sinne des wissenschaftlichen 170
Sozialismus. 84 Dabei waren und blieben sie offen f ü r Anhänger jeder humanistischen Weltanschauung. Auch der FDGB, dessen 3. Kongreß im August und September 1950 ein Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als Weltanschauung der Arbeiterklasse ablegte, 85 veränderte damit nicht die Voraussetzungen der Mitgliedschaft, nahm dieses Bekenntnis vielmehr als Richtschnur seiner ideologischen Arbeit. Die markanten Veränderungen in diesem Bereich des gesellschaftlichen Lebens, hauptsächlich die Verstärkung des Parteieinflusses in den Massenorganisationen und deren mehr oder minder prononcierte Anerkennung der SED als führender Partei, die sprunghafte Ausdehnung des Einflusses vor allem der SED, des FDGB und der FDJ in der Arbeiterklasse und über sie hinaus, die Mobilisierung großer Teile des werktätigen Volkes für den Aufbau der neuen Staats- und Gesellschaftsordnung, das waren wichtige Merkmale für die Herausbildung der Diktatur des Proletariats. Um die vollständige Eingliederung der Massenorganisationen in das politische System - sowohl durch Gewährleistung ihrer parlamentarischen Repräsentanz als auch durch ihre Aufnahme in den Demokratischen Block86 - hatte es 1948/49 langwierige Auseinandersetzungen gegeben. Herkömmliche Vorstellungen von den Parteien als den einzigen politischen Willensbildnern und von den anderen gesellschaftlichen Organisationen als politisch neutralen, ideologisch indifferenten Vertretungen spezifischer sozialer und kultureller Interessen standen im Gegensatz zu den neuen gesellschaftlichen Erfordernissen und einem adäquaten Demokratieverständnis. 87 Ähnelte der Block ursprünglich einer Parteikoalition traditioneller Ausformung, war er zunächst ausschließlich antifaschistisch-demokratischen Grundsätzen und Zielen verpflichtet, so erhielt er durch die Einbeziehung von FDGB, FDJ und DFD, durch den Charakterwandel von CDU und LDPD und durch seine Einbettung in die Nationale Front mehr und mehr sozialistische Prägung. Die Massenorganisationen führten dem Block die Kraft hunderttausender Werktätiger zu, festigten die Verbindungen zwischen Staat und Bürgern und halfen, dabei ein hohes Maß an bündnispolitischer Geschlossenheit zu erreichen. Indem der Block alle restaurativen Bestrebungen überwand und mit wachsendem Erfolg die Rechte und Verpflichtungen wahrnahm, die ihm daraus erwuchsen, daß er mit der Staatsgründung zur Regierungskoalition geworden war, entwickelte er sich zur Aktionsgemeinschaft zwischen der SED und den nichtproletarischen demokratischen Kräften beim Aufbau des Sozialismus. Die Kontinuität des revolutionären Prozesses brachte es mit sich, daß die politische Organisation der sozialistischen Gesellschaft bereits in ihrem Entstehen offen war für alle Staatsbürger, auch für Großbauern und Fabrikanten - und zwar die Organisation als Ganzes wie auch die meisten ihrer Bestandteile. 88 Es gab hier keinen gesonderten „Bündnis-Sektor", auch keine „Reservation" für bürgerlich-demokratische Kräfte. Deren Qualifikation zu gleichberechtigter Mitwirkung wurde lediglich von ihrer Bereitschaft und Fähigkeit bestimmt, demokratisches Verantwortungsbewußtsein über bürgerlichen Klassenegoismus zu stellen. Ihre Mitwirkung war keine Conditio sine qua non für die Entwicklung der politischen Organisation der Gesellschaft sowie der sozialistischen Demokratie. Eben weil sich weder die eine noch die andere auf das Mehrparteiensystem reduzierte, 89 befand sich die SED nie in Abhängigkeit von der Loyalität anderer Parteien. Mitarbeit oder Verweigerung - das war 1949/50 keine existentielle Frage mehr, noch aber eine Frage der Stabilität der Arbeiter-und-Bauern-Macht und in sogar wachsendem Maße eine der Qualität: In welchen Dimensionen und mit welchem Tempo konnte die politische Organisation der Gesellschaft ihre integrierende Kraft entfalten und Bürger aller Schichten, Berufs- und Interessengruppen sowie Glaubensgemeinschaften beim Auf171
bau der neuen Staats- und Gesellschaftsordnung vereinen? Wie rasch, in welchem Grade und mit welchem Ertrag konnte das schöpferische Potential des Volkes erschlossen werden? Die SED verhehlte nicht, daß sie die Partnerschaft der anderen Parteien auch und gerade im neuen Entwicklungsabschnitt suchte und brauchte. Eines der ersten Zeugnisse dafür ist die an den 1. Parteitag der NDPD (Juni 1949) gerichtete Grußansprache Otto Grotewohls, in der er sich über „das Problem der früheren Nationalsozialisten" äußerte und erklärte: „Wahrscheinlich ist ihre Partei bei der gegenwärtigen Konstellation der politischen Parteien in unserer Zone am berufensten, gerade dieses Problem zu lösen." 90 In seiner Rede auf dem 5. Parteitag der CDU (September 1950) bekundete Otto Grotewohl das starke Interesse der Regierung und seiner Partei daran, daß die CDU die Neuorientierung kirchlicher Kreise förderte. 91 Hier wurde offenkundig, was in manchen Sphären das Leben großer Teile des Volkes betraf: Für NDPD wie DBD, LDPD wie CDU gab es auch beim Übergang zum Sozialismus Einflußbereiche und politisch-ideologische Wirkungsmöglichkeiten, die die SED im gleichen Maße weder hatte noch, ihrer Natur nach, haben konnte. 92 Gerade in dieser Zeit des Umbruchs brauchten große Teile des Volkes, die von alteingewurzelten Wert- und Ordnungsvorstellungen her den Zugang zur neuen politischen Wirklichkeit suchten, die Orientierungshilfe der kleinbürgerlichen Demokraten. Wäre es jenen Handwerkern und Gewerbetreibenden, Bauern und Geistesschaffenden, die den Sozialismus auf sich zukommen sahen, ohne ihn sogleich in seiner Notwendigkeit zu begreifen, nur darum gegangen, sich anzupassen, sich unterzuordnen das wäre auch möglich gewesen in politischer Passivität. Doch vielen von ihnen hatten die Erlebnisse von Naziherrschaft, Krieg und Befreiung, die Emanzipation von Junkern und Monopolen, die gesamte antifaschistisch-demokratische Umwälzung zu einem politischen Engagement verholfen, welches verstärkt zur Mitwirkung drängte, als die Republik entstand. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte gab es einen Staat, mit dem sich alle Bürger identifizieren durften, ohne dabei einem Fehlverständnis ihrer sozialen und nationalen Interessen zu erliegen. Aus staatsbürgerlicher Loyalität kamen nun Impulse zur Ausbildung demokratischer Haltungen. Das erlegte allen Parteien große Verantwortung auf. Das Bewußtsein dieser ihrer Verantwortung für Hunderttausende von Mitgliedern und Anhängern ihrer Parteien bestimmte denn auch in wachsendem Maße die Position bürgerlich- und kleinbürgerlich-demokratischer Politiker. 93 In der Praxis der Zusammenarbeit in Volkskammer und Regierung sahen sie ihre Entscheidung für die DDR bestätigt. Auf höherer Stufe setzte sich der tiefgreifende Lern- und Wandlungsprozeß fort, der mit der Gründung des antifaschistisch-demokratischen Parteienblocks begonnen hatte.
3.
Die Konsolidierung des Blocks
Die mit der Ausgestaltung der Republik verbundenen, in wichtigen Aspekten strittigen Probleme wurden weitgehend in einer gründlichen, zeitweise auch heftigen Aussprache geklärt, die der zentrale Ausschuß des Demokratischen Blocks am 2. November 1949 begann und am 30. November in sechseinhalbstündiger Sitzung zu Ende führte. 9,5 Das über die einzelnen Ergebnisse hinaus für die Festigung des Blocks entscheidende Resultat bestand in der engeren „Kopplung der Regierungsarbeit mit den politischen Parteien", wie seinerzeit Otto Grotewohl diesen Grundsatz umschrieb. 95 Die Parteien waren gehalten, ihre Positionen im Zusammenwirken von Vorständen,
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Volkskammerfraktionen und' Regierungsmitgliedern zu fixieren und sich dabei am gemeinsamen Beschluß vom 19. August 1949 sowie am vereinbarten Regierungsprogramm zu orientieren. 96 Die von der Provisorischen Volkskammer am 7. Dezember 1949 beschlossene Geschäftsordnung entsprach dem Vorsatz, wie Helmut Lehmann zur Begründung ausführte, die Vorlagen und die Art ihrer Behandlung sollten in der Regel auf Übereinkünften aller Fraktionen beruhen, „so daß Auseinandersetzungen ernsterer Art vermieden werden und nur in den Fällen, wo Meinungsverschiedenheiten unüberbrückbar sind, eine Mehrheitsentscheidung erfolgt". 97 Das Konsensusprinzip des Demokratischen Blocks - seine Beschlüsse wurden „nicht durch Mehrheitsabstimmungen, sondern durch Einmütigkeit herbeigeführt" 98 - wurde auch für die Zusammenarbeit der Parteien auf staatlicher Ebene maßgebend. Die Parteien verstanden dieses Prinzip mehr und mehr als Verpflichtung, die im Block erzielten Übereinkünfte in den eigenen Reihen zur Geltung zu bringen und in diesem Sinne die Verantwortung für das öffentliche Auftreten ihrer Mitglieder zu übernehmen. Nachhaltiger noch als jede verbale Kritik an Illoyalität oder Inkonsequenz wirkte die Regierungspraxis mit ihren unabweisbaren Forderungen darauf hin, daß sich die progressiven Kräfte in CDU und LDPD formierten und offensiv gegen die innerparteiliche Reaktion vorzugehen begannen. So wirkte der Block auch nach der Staatsgründung „aktivierend, wie ein Katalysator . . ., der den Wandlungsprozeß, dem die bürgerlich-demokratischen Parteien unterlagen, zwar nicht hervorbrachte, doch aber ganz entschieden zu beschleunigen vermochte". 99 Unterstützt vom antikommunistischen Sperrfeuer des Rias und anderer gleichgerichteter Medien, leisteten die reaktionären Kräfte in zahlreichen Parteiinstitutionen erbitterten Widerstand und setzten die Obstruktionspolitik in einer ganzen Reihe von Blockausschüssen fort. Vielerorts hatten fortschrittlich eingestellte christliche Demokraten und Liberaldemokraten zunächst die Mehrheit der Mitglieder gegen sich. Manche wurden mundtot gemacht, manche resignierten. Im Landtag von Sachsen-Anhalt bildete sich vorübergehend eine „Fraktion der Mitte". Ihr gehörten sechs Abgeordnete an, die, wie es in ihrer Erklärung hieß, „konsequent auf dem Boden der Nationalen Front" standen und ihre Parteien verlassen hatten. 100 Am 6. Januar 1950 hielt der 2. Parteivorsitzende und sächsische Landesvorsitzende der CDU, Hugo Hickmann, in einer gemeinsamen Tagung des Landesvorstandes und der Landtagsfraktion eine Rede, in der er ein reaktionäres Programm entwickelte, dessen Hauptpunkte die Erweiterung des „Lebensraums" der kapitalistischen Wirtschaft und die Überwindung des politischen „Notstandes", nämlich der Führungsstellung der SED, waren. 101 Jene Teile der Rede, in denen Hickmann vor der „Gefahr einer Gleichschaltung" der Parteien gewarnt und „Blockpolitik auf der Grundlage der Gleichberechtigung" gefordert hatte, referierte das CDU-Zentralorgan „Neue Zeit" am 13. Januar unter dem Titel „Alles für Einheit und Frieden! Forderungen und Grundlinien der CDU-Arbeit 1950". Am 14. Januar veröffentlichte das „Neue Deutschland" einen aus der Feder Walter Ulbrichts stammenden Kommentar, der den Titel folgendermaßen richtigstellte: „Professor Hickmanns Absage an die Grundsätze des antifaschistisch-demokratischen Blocks".102 Die nächste Ausgabe (15. Januar) brachte im Rahmen einer Auswertung der 24. Tagung des Parteivorstandes der SED (10. und 11. Januar 1950) - die prinzipielle Erklärung: „Es wird auch in Zukunft bei uns kein Einparteiensystem geben . . . Wir anerkennen, daß es unterschiedliche Interessen in verschiedenen Schichten der Bevölkerung gibt, verschiedene Traditionen, Weltanschauungen usw. . . . Niemand erwartet also, daß Vertreter anderer Parteien ihre eigenen Ziele aufgeben. Nur von einem Ziel muß abgegangen werden, nämlich von dem Bestre-
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ben, schrittweise die Demokratie abzubauen, die alten Machtpositionen wiederherzustellen." Doch zwei Tage später wiederholte Hickmann seine Angriffe gegen die SED vor tausend Zuhörern im Rathaussaal von Leipzig-Markleeberg. Die „Neue Zeit" (18. Januar) überschrieb ihren Bericht: „Ehrliche Blockpolitik". Da die CDU immer noch nicht die Kraft aufbrachte, sich von ihrem 2. Vorsitzenden zu distanzieren, mobilisierten SED, FDGB und FDJ die Arbeiterklasse. In einer wachsenden Zahl von Resolutionen forderten Belegschaften volkseigener Betriebe und bald auch Betriebsgruppen der CDU, daß Hickmann sein Abgeordnetenmandat niederlege und vom Parteivorsitz zurücktrete. Am 23. Januar kam es zu Demonstrationen in der Dresdner Tiergartenstraße. Delegationen begaben sich in das Haus des CDU-Landesvorstandes und verliehen ihren Forderungen Nachdruck. Eine Woche lang, vom 24. bis zum 31. Januar, brachte das „Neue Deutschland" in jeder Ausgabe Spitzenmeldungen und Schlagzeilen wie: „Bevölkerung fordert nach wie vor Rücktritt", „Neue Ausfälle von CDU-Reaktionären", „CDU soll Trennungsstrich ziehen . . . Hunderte von Entschließungen", „Demonstrationen in Schwerin, Mecklenburgs Werktätige protestieren gegen aufbaufeindliche Haltung des Wirtschaftsministers Witte", „Klarheit über die Adenauer in der CDU", „Hickmanns Freunde treten ins Freie, Herr Fascher sabotiert"... Der Hickmann-Konflikt wurde zum Kulminationspunkt der Auseinandersetzung nicht nur in der sächsischen CDU,103 sondern im gesamten Block. Das lag nicht zuletzt an der Persönlichkeit von Hugo Hickmann. Weder hatte er sich mit den Faschisten eingelassen wie Witte, noch war er Konzernagent wie Herwegen, noch an gesetzwidrigen Machenschaften beteiligt wie Rohner. Die Integrität des Theologie-Professors war unbestritten, seine Autorität groß. Vor 1933 Mitglied der DVP und Landtagsabgeordneter dieser großbürgerlichen Partei, hatte Hickmann 1945, fast siebzig Jahre alt, in Dresden die Führung der christlichen Demokraten übernommen und - nicht selten zögernd, mitunter widerstrebend - bei der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung mitgewirkt. Mit ihrem Abschluß war die Grenze erreicht, die er weder überschreiten konnte noch wollte. Im Ringen um Richtung und Führung der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung machte er sich zum Wortführer der restaurativ eingestellten Kreise des Bürgertums. Das gab den Demonstrationen der Dresdner Arbeiterschaft ihre staatspolitische Dimension.104 Hugo Hickmann trat von seinen Amtern zurück. Dem schlössen sich weitere Mitglieder des Landesvorstandes an, unter ihnen Gerhard Rohner, Vorsitzender der Volkskammerfraktion und sächsischer Finanzminister, Walter Bergmann, Landesschatzmeister, Carl Ruland, Oberlandesgerichtspräsident und Kreisvorsitzender in Leipzig. Der dezimierte Landesvorstand unter dem kommissarischen Vorsitz von Otto Freitag stellte sich auf den Boden der Erklärung des Politischen Ausschusses vom 28. Januar, 105 wandte sich mit einem entsprechenden Aufruf an den Landesverband und leitete eine Überprüfung der politischen Haltung der Parteifunktionäre in die Wege. Zwar konnte er sich, wie die aus Kreisverbänden und Ortsgruppen in wachsender Zahl eingehenden Erklärungen besagten, auf die Mehrheit der Mitgliedschaft stützen, doch viele Kreisvorstände, so die von Auerbach, Bautzen, Chemnitz, Dresden-Land, Flöha, Freiberg, Kamenz und Zittau, solidarisierten sich mit Hickmann. Nach zahlreichen Ausschlüssen und Austritten waren in nahezu der Hälfte aller Kreisverbände die Führungsposten vakant. Der Landesverband befand sich in einer ernsten Krise.106 Am 1. Februar fand die planmäßige Sitzung des zentralen Blockausschusses statt, in der Berichte über die Bildung der Nationalen Front entgegenzunehmen waren. Der LDPD-Vorsitzende, der die Beratung leitete, veranlaßte eine Ergänzung der Tagesordnung. Hermann Kastner wandte sich gegen alle Bestrebungen, die Zusammenarbeit 174
der Parteien zu hintertreiben, verwies auf den Beschluß seiner Partei vom 25. Januar 107 und erklärte, es müßte die Bemühungen des Zentralvorstandes erschweren, würde die Kontroverse in die Öffentlichkeit getragen. 108 Otto Nuschke äußerte sich ähnlich. Zugleich verurteilte er Extreme der Auseinandersetzung und wies die Angriffe auf Erich Fascher zurück.109 Walter Ulbricht bekundete sein Verständnis für die komplizierte Situation, in der sich CDU und LDPD befänden. „Wir wissen, daß in der CDU vielleicht die Hälfte der Mitglieder nicht alle Fragen bis zu Ende gedacht hat . . . Wir lassen ihnen Zeit daß sie diese Menschen überzeugen." Es dürfte aber nicht gestattet werden, daß „in den Parteien Kräfte organisiert auftreten", welche dies verhindern. Nach Auffassung der SED hätte die öffentliche Auseinandersetzung „dazu beigetragen, den Block und die Zusammenarbeit zu festigen". Es bestünde allerdings die Gefahr, daß die Polemik gegen Hickmann „zu Überspitzungen" führte. Die Parteien sollten gemeinschaftlich Versammlungen ihrer Funktionäre abhalten, damit man „alle Fragen der Arbeit bespricht und sich auf diese Weise näherkommt".110 - Das wurde dann auch beschlossen. Von Januar bis April fanden in dichter Folge die Einwohnerversammlungen zur Wahl der Ausschüsse der Nationalen Front, die von den Blockausschüssen einberufenen Konferenzen wie auch Zusammenkünfte progressiv engagierter Mitglieder einzelner nichtkommunistischer Parteien statt. Zudem wurden zahlreiche Friedenskomitees gebildet und Vorbereitungen auf die Unterschriftensammlung für den Stockholmer Appell getroffen. Organisatoren und Agitatoren, zumeist Mitglieder von SED, FDGB und FDJ, arbeiten bis zur physischen Erschöpfung. Die Diskussio aller akuten Probleme, offen, prinzipiell und unnachgiebig geführt, beschleunigte die Formierung der progressiven sowie die Isolierung der reaktionären Kräfte in CDU und LDPD und brachte den breiten Zusammenschluß auf der vom Nationalrat am 15. Februar geschaffenen Plattform. 111 Reaktionäre Kreise in evangelischen Kirchenleitungen versuchten, einen neuen Konflikt zu provozieren, indem sie am 23. April Kanzelabkündigungen verlesen ließen, in denen eine „Gewissensnot" beklagt wurde, die mit der Agitation für die Nationale Front zugenommen habe. Hatten sie zunächst Pfarrer und andere Amtsträger unter Druck gesetzt, die im Begriff standen, Ausschüssen der Nationalen Front beizutreten,112 so nahmen jene Kreise jetzt direkten Einfluß auf die politische Willensbildung großer Teile des Volkes. Die CDU erhob sogleich „entschiedenen Einspruch gegen die Politisierung der Kirchen" und wandte sich „mit Ernst und Nachdruck gegen den Versuch, die Nationale Front des demokratischen Deutschland von den Kanzeln herab zu diskreditieren". Indem Kirchen die Gläubigen in solcher Weise in Konflikte brächten, machten „sie sich selber des Gewissensdruckes schuldig, dessen sie den Staat beschuldigen".113 Die feindselige Haltung der von Bischof Otto Dibelius repräsentierten, im Rat der EKD maßgebenden Kreise steigerte die Spannungen zwischen Staat und Kirche und erschwerte es den kirchlich gebundenen Bürgern, ein loyales Verhältnis zur Republik zu finden. Doch setzte die Regierung die Kirche nicht mit Dibelius gleich und ließ sich nicht zum Kirchenkampf herausfordern. 114 Die ausgewogene staatliche Reaktion und in hohem Maße auch die Klarheit und Entschiedenheit, in der die CDU zur Position der Kirchen in der DDR Stellung nahm, halfen den Gläubigen, sich in wachsender Zahl aus der politischen Bevormundung durch Dibelius und dessen Gefolgsleute zu befreien und ihren Platz in Friedensbewegung und Nationaler Front einzunehmen.115 Der Demokratische Block hatte bereits am 28. März kundgetan: Die Parteien und Massenorganisationen werden auch in der Kampagne für die Oktoberwahl „einmütig . . . über ihre gemeinsame Arbeit Rechenschaft ablegen" und „entschlossen für die Weiterführung ihres gemeinsamen großen Werkes eintreten".116 Am 16. Mai konnte er die 175
Aufstellung gemeinsamer Kandidatenlisten beschließen. 117 In einer Situation zustande gekommen, die in weiten Kreisen der Mitgliedschaft aller Parteien als außerordentliche galt, erlangte diese Entscheidung doch prinzipielle Bedeutung, weil sie faktisch sowohl die Führungsstellung der SED als auch die parteipolitische Selbständigkeit der nichtproletarischen demokratischen Kräfte fixierte.118 Otto Grotewohl tat Gerüchte als „Unsinn" ab, die SED beabsichtigte, nach den Wahlen bestimmte „Kreise des Bürgertums aus dem politischen Geschehen auszuschalten". Er berief sich auf die Folgerichtigkeit und Geschlossenheit in der Politik der vorangegangenen fünf Jahre und erklärte: Es „wäre eine politische Torheit ohnegleichen", die im Parteienblock gegebene „Plattform ohne einen .triftigen Grund zu zerschlagen". Die gemeinsamen Kandidatenlisten brächten „nicht das Ende . . . sondern eine Fortsetzung und — ich möchte sogar sagen eine Vertiefung der Zusammenarbeit". 119
4.
Die kleinbürgerlich-demokratischen Parteien
Die Demokratische Bauernpartei Deutschlands hatte sich am 19. April 1948 konstituiert und bis zu ihrem I. Parteitag am 2. und 3. Juli 1949 politisch konsolidiert. 120 Die Parteigründung reflektierte die Veränderungen, welche die Revolution in der sozialpolitischen Physiognomie der Bauernschaft bewirkte. Die Bodenreform hatte nicht nur den Großgrundbesitz liquidiert und die Position „alteingesessener" Klein- und Mittelbauern erheblich gestärkt, sondern auch zahlreiche Arbeiter (Landarbeiter, aber auch umgesiedelte Industriearbeiter) zu Bauern gemacht und eine Neubauernschaft hervorgebracht, die zum zuverlässigsten Verbündeten der Arbeiterklasse wurde. In den Gründerkreisen der DBD wirkten neben vielen bis dahin parteilosen Aktivisten der VdgB auch Männer, die, wie der Parteivorsitzende Ernst Goldenbaum, von Beruf Landwirt, und dessen Stellvertreter Paul Scholz, ehemaliger Landarbeiter, in der Vergangenheit der KPD oder ihr nahestehenden Organisationen angehört hatten. Die DBD erzog ihre Mitglieder und beinflußte einen wachsenden Teil der werktätigen Landbevölkerung im Geiste des Bündnisses mit der Arbeiterklasse und der Anerkennung der führenden Rolle ihrer marxistisch-leninistischen Partei. In einem längerwährenden konfliktreichen Prozeß wurden die Nachwirkungen überwunden, die Chauvinismus, Rassismus und Antisowjetismus in Teilen der Mitgliedschaft hatten, und Bestrebungen zunichte gemacht, einzelne Ortsgruppen von den Parteigrundsätzen abzubringen, um im weiteren die ganze Bauernpartei in eine der Arbeiterpartei entgegengesetzte Standesorganisation zu verwandeln. 121 Im engen Zusammenwirken mit den Ortsgruppen der SED und den in der VdgB organisierten demokratischen Kräften gingen die DBD-Ortsgruppen gegen die reaktionären Kräfte vor, die im Raiffeisenverband und den alten Genossenschaften ihre stärksten Stellungen hatten, und sicherten den bestimmenden Einfluß der werktätigen Bauernschaft im Dorfe. Die DBD erklärte es zu einer der wichtigsten bäuerlichen Bündnisverpflichtungen, im Zweijahrplan die Friedenshektarerträge zu erreichen. Maßgeblich war die Partei an der Ausarbeitung der Dorfwirtschaftspläne beteiligt, und sie hatte die Initiative bei vielen Massenaktionen gegenseitiger Hilfe zur Steigerung der Produktion. 122 Im Januar 1950 sprach sich der Parteivorstand für die Bildung von Ausschüssen der Nationalen Front in jedem Dorfe aus, und im Februar verpflichtete er alle Mitglieder zur Mitarbeit. 123 Als Partei, die im letztem Stadium der antiimperialistisch-demokratischen Umwälzung entstanden war und die ihre soziale Basis in der werktätigen Bauernschaft hatte, dem wichtigsten Verbündeten der Arbeiterklasse auch für die sozialistische Revolution, ent176
wickelte die DBD Charakterzüge, für die es in der deutschen Parteiengeschichte außerhalb der Arbeiterbewegung kein Beispiel gab: Sie orientierte sich programmatisch und praktisch an den von der Arbeiterklasse geprägten und durch die SED artikulierten Interessen des gesamten werktätigen Volkes. Sie organisierte die Mitwirkung ihrer Mitglieder und Anhänger beim Aufbau der neuen Staats- und Gesellschaftsordnung und erkannte in der auf Höherentwicklung der Landwirtschaft sowie der politischen und kulturellen Verhältnisse im Dorfe konzentrierten politisch-ideologischen Wirksamkeit ihren spezifischen gesellschaftlichen Auftrag. In diesem Sinne verband sie Mitgliederwerbung und parteiorganisatorische Tätigkeit mit systematischer Schulung und Erziehung. Das gesamte Parteileben gestaltete sie nach den Grundsätzen des demokratischen Zentralismus. 124 In Entwicklung und Wirksamkeit der DBD zeigten sich am frühesten und klarsten die weitreichenden Möglichkeiten, die es für die Zusammenarbeit der SED mit nichtkommunistischen Parteien beim Aufbau des Sozialismus gab. Die National-Demokratische Partei Deutschlands, die sich im Ergebnis des Beschlusses der Landesgründungsausschüsse vom 25. Mai 1948 auf Zonenebene organisiert und ihre Gründungsperiode mit dem 1. Parteitag (23. bis 25. Juni 1949) abgeschlossen hatte, 125 war in sozialer Basis und politischem Charakter eine „kleinbürgerlich-demokratische Partei auf der Grundlage der entwickelten antifaschistisch-demokratischen Ordnung". 126 Sie wandte sich insbesondere an ehemalige Mitglieder der NSDAP und Berufssoldaten. In ihrem politisch-ideologischen Profil wurde sie von Persönlichkeiten geprägt, die, wie Heinrich Homann, Vincenz Müller und Otto Rühle, aus der vom NKFD geführten Bewegung Freies Deutschland kamen. Die aufrichtige Bereitschaft, weitgehende Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, vornehmlich bei der Bestimmung des Verhältnisses zur Arbeiterbewegung und zur Sowjetunion, das starke Nationalgefühl, welches zur Triebfeder kompromißlosen Kampfes gegen die Spalter Deutschlands wurde, und ein ausgeprägter Pragmatismus, der alle bürgerlich-liberalen und parlamentarischen Doktrinen den Erfordernissen des „nationalen Notstandes" unterordnete, befähigten die Nationaldemokraten zu entschiedenem Einsatz für den neuen Staat und gegen dessen Feinde. 127 Ihre Devise hieß: „Wer der Deutschen Demokratischen Republik die Treue hält, hält ganz Deutschland die Treue." 128 Bei der Darstellung der Perspektiven von Staat und Gesellschaft reflektierten maßgebende Politiker anfänglich aber auch jene kleinbürgerlich-demokratischen Illusionen, welche im Umkreis der Partei weit verbreitet waren und dann noch fortwirkten, als sich die NDPD, wie schon ihr 2. Parteitag im Juni 1950 erkennen ließ, allmählich von ihnen frei machte. Die NDPD verstand sich als nationale Partei par excellence und attackierte sowohl die LDPD als auch die SED, weil diese über Klassen- und Standesschranken nicht hinwegkämen. 129 Doch führte die Polemik, die nicht zuletzt dem Bestreben entsprang, sich den „alten" Parteien gegenüber zu profilieren, zum Angebot konstruktiven Wettstreits: „Lassen Sie jede unserer Parteien an sich selbst die Forderung stellen, in den Reihen unserer Nationalen Front die beste zu sein. Und lassen Sie uns alle zusammen über die Erfüllung dieses Versprechens wachen. Wir jedenfalls haben es gegeben . . ."130 Der 2. Parteitag verpflichtete die Mitglieder unmittelbar auf die Grundsätze und Beschlüsse des Demokratischen Blocks sowie der Nationalen Front und erklärte die Ausführung dieser Beschlüsse zum Kriterium guter Parteiarbeit. 131 Der Parteivorstand verband dies mit der Aufforderung, die Ausschüsse der Front möchten sich am Regierungsprogramm sowie am Volkswirtschaftsplan orientieren und „lebendige, unserem Volke Nutzen bringende Arbeit leisten". 132 Bei dieser „Einreihung" in die Nationale Front 133 war die NDPD den anderen in städtischen Mittelschichten verwurzelten Parteien voraus. 177
Die richtige Parteinahme im Kampf um die Entscheidung aller akuten innen- wie außenpolitischen Fragen 134 führte die NDPD immer näher an die SED heran. Auf dem 2. Parteitag erklärte Vincenz Müller, es habe „ein wesentlicher Teil des vor einem Jahr noch so Komplizierten bereits seine Lösung gefunden", 1 3 5 und Lothar Bolz bezeichnete es als Kernfrage f ü r Demokratischen Block und Nationale Front, daß die Arbeiterklasse „den ihr nach Zahl und Gewicht zukommenden Platz erhält". 136 Auch in der Einstellung zur UdSSR vollzog sich ein tiefgreifender Wandel, der von der Aufforderung der Gründungsmonate, mit „nackten Tatsachen" zu rechnen und keinesfalls die alten, folgenschweren „Rechenfehler" zu wiederholen, 137 über die richtige Bestimmung der wichtigsten Ziele und systemimmanenten Merkmale der sowjetischen Außen- und insbesondere Deutschlandpolitik 1 3 8 bis zur Erkenntnis der Notwendigkeit führte, sich in aller Konsequenz um die Herbeiführung vertrauensvoller, gutnachbarlicher, ja freundschaftlicher Beziehungen zur Sowjetunion und den Volksdemokratien zu bemühen. 139 Die positive Antwort auf die „Kernfragen" nationaler und demokratischer Politik der nach dem Vertrauensverhältnis zur Arbeiterschaft und der nach dem Vertrauensverhältnis zur Sowjetunion — erlangte f ü r die NDPD programmatische Bedeutung. 140 Von. Mitgliedern, die sich zu dieser positiven Antwort nicht verstanden, trennte sie sich. 141 In der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands bemühten sich insbesondere Johannes Dieckmann und Hans Loch, die vom 3. (Eisenacher) Parteitag im Februar 1949 als stellvertretende Partei Vorsitzende gewählt worden waren, frühzeitig darum, dag die Partei politisch-ideologische Konsequenzen aus der tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzung zog. 142 Sie warnten vor der Gefahr, daß die Liberaldemokraten, wie Dieckmann es umschrieb, „nicht mit der Hingabe" aus neuen Erfahrungen „zu lernen suchen, wie das kennzeichnend für die anderen ist". 143 Die Vorfälle im brandenburgischen Landtag (19. und 20. Dezember 1949) und der Fall Moog (Januar 1950) veranlagten Loch dazu, in aller H ä r t e zu erklären: Wenn die Partei zum Unterschlupf für Staatsfeinde werde, habe sie „keine Existenzberechtigung mehr" und sei nur noch wert, „zerschlagen zu werden". 144 Die Verschärfung des Klassenkampfes nötigte den Zentralvorstand zu Entscheidungen, die im Parteileben noch nicht gänzlich herangereift waren. Am 25. Januar 1950 wandte e r sich an die Mitgliedschaft mit einem klaren Bekenntnis zur antifaschistisch-demokratischen Ordnung und zu ihrer staatlichen Ausgestaltung in der DDR, mit der energischen Absage an diejenigen, welche „hinter verschlossenen Türen" entgegengesetzte Positionen vertraten, und mit der Aufforderung, „sich einwandfrei f ü r die bisherige Politik der Partei und deren Fortsetzung zu erklären". 1 4 J Allen Parteimitgliedern wurde ein entsprechender Revers zur Unterzeichnung vorgelegt. 146 Um die innerparteiliche Situation gründlich zu verbessern, 1 4 7 übernahmen die Landesvorstände in der Folgezeit die direkte Anleitung der Kreisvorstände, und es wurden Stellung und Aufgaben der hauptamtlichen Mitarbeiter, insbesondere der Kreissekretäre »als entscheidende Kraft bei der Sammlung der fortschrittlichen Kräfte", neu bestimmt. 148 Die politisch-organisatorischen und personalpolitischen Maßnahmen des Zentralvorstandes schufen wichtige Voraussetzungen dafür, daß die f ü r eine Partei solch ausgeprägt bürgerlich-liberaler Tradition äußerst komplizierte, alle Grundeinheiten und Vorstände erfassende Auseinandersetzung um die Oktoberwahlen einen positiven Ausgang nahm. 149 M e h r und mehr setzte sich die Auffassung durch, mit dem Wahlprogramm und den Kandidatenlisten der Nationalen Front sei ein guter und - in Anbetracht der akuten Gefahren f ü r den Frieden und die Einheit der Nation - lebenswichtiger Kompromiß 178
gefunden worden. Am 15. Oktober 1950, so erklärte Johannes Dieckmann, „sagen auch Millionen marxistischer Arbeiter mit ihrer Stimmabgabe erstmalig ein Ja zur Existenzberechtigung und Notwendigkeit der LDP und ihres Eisenacher Programms".150 Die Partei entschied sich unter „Zurückstellung von Bedenken, die in normalen und gesicherten Zeiten ihre Berechtigung haben".151 Diese Entscheidung wurde von Politikern mitgetragen, die, wie der Parteivorsitzende Karl Hamann und der Vorsitzende der Volkskammerfraktion, Ralph Liebler, ein im ganzen eher konservatives Konzept verfolgten und im Mai zunächst noch versucht hatten, die Zustimmung der LDPD von bestimmten wirtschaftspolitischen Zugeständnissen der SED abhängig zu machen.152 Vorerst vermochten nur wenige Liberaldemokraten die Frage, vor der sie standen, und die Antwort, die sie im Mai und Oktober 1950 faktisch gaben, vollständig in den Kontext einzuordnen, den der revolutionäre Prozeß diktierte. Hans Loch tat das, als er sich und seine Parteifreunde im thüringischen Landesvorstand fragte, ob denn die LDPD überhaupt dazu imstande wäre, die gesellschaftspolitischen Aufgaben zu bewältigen, vor die sie der Sieg in einer Wahl alten Stils stellen würde. Für Hans Loch war klar, daß gesellschaftspolitischer Fortschritt nicht ohne oder gar gegen die SED zu erreichen war, und er näherte sich bereits der Erkenntnis, daß Fortschritt die Führung durch die Arbeiterpartei zur Bedingung hatte.153 In der Christlich-Demokratischen Union formierten sich die progressiven Kräfte in einem längerwährenden Prozeß, der im April 1950 von der Konferenz fortschrittlicher junger CDU-Mitglieder außerordentlich starke Impulse erhielt und im Mai in der Frauenkonferenz der CDU, in der Tagung von Mitarbeitern der Nationalen Front, die der CDU angehörten, sowie in einer Tagung von VVN-Mitgliedern weitergeführt und vertieft wurde.154 Die am 22. April in Leipzig zusammentretenden annähernd 400 jungen CDU-Funktionäre hörten Referate vom Generalsekretär der CDU und Mitglied des FDJ-Zentralrates, Gerald Gotting, sowie vom Vorsitzenden der FDJ, Erich Honekker, und erklärten nach zweitägiger Aussprache, daß sie „die Einrichtungen der Republik festigen und schützen" und „alle Kraft für die Erfüllung und Übererfüllung unserer Volkswirtschaftspläne" sowie für den Sieg der Nationalen Front in den Oktoberwahlen einsetzen wollten.155 Die junge Generation der CDU, deren politische Haltung bereits weitgehend von den Erfahrungen der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung und vom direkten Zusammenwirken mit Kommunisten geprägt wurde - Männer wie Gerald Gotting, Günther Grewe, Magnus Dedek, Gerhard Fischer, Hermann Kalb, Friedrich Kind, Hans-Jürgen Rösner, Rudolph Schulze und Heinrich Toeplitz - , rückte in wichtige Parteiämter ein und erlangte wachsenden Einfluß auf die Parteiarbeit. 156 Im sächsischen Landesverband, dessen Vorsitz im September Magnus Dedek übertragen wurde, entstanden viele „Initiativkomitees zur Unterstützung der Kreisvorstände", die sich hauptsächlich aus der jungen Mitgliedschaft rekrutierten und intensive Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit in den Ortsgruppen leisteten.157 Der Inhalt dieser Arbeit wurde, wie in Sachsen, so in den anderen Landesverbänden, weitgehend von den Beschlüssen bestimmt, die der Demokratische Block im März und Mai gefaßt hatte. Es ging im wachsenden Maße um die Gewinnung von Parteimitgliedern für die Mitarbeit in der Nationalen Front sowie um die Kandidatenauswahl für die Oktoberwahlen. Die von den fortschrittlichen Funktionären und Mitgliedern erarbeitete und vertretene politische Orientierung wurde in den Kreisdelegiertenkonferenzen und Landesparteitagen durchgesetzt und in einem großen Parteiaufgebot zur Stärkung der Nationalen Front und zur Vorbereitung des 5. Parteitages (September 1950) „in der Breite der Partei zum Siege geführt". 158 179
Während die restaurativ eingestellten Kräfte aus den meisten staatlichen und Parteifunktionen, die sie im Oktober 1949 noch innegehabt hatten, verdrängt wurden und damit ihren Einfluß in CDU und LDPD großenteils einbüßten, gelang es den progressiven Politikern, die die Parteiarbeit auf allen Ebenen weitgehend bestimmten, jene Teile der Mitgliedschaft sowie der Anhängerschaft, die im Vorjahr noch unentschieden waren, 1950 mehrheitlich für die Unterstützung der Arbeiter-und-Bauern-Macht zu gewinnen. Wie von Anfang an die DBD und in wachsender Konsequenz die NDPD, so anerkannten nunmehr auch CDU und LDPD die „besondere Rolle" der Arbeiterklasse und ihrer Partei. 109 Für die meisten Mitglieder dieser Parteien war das noch eine Frage von „Zahl und Gewicht". Doch rückten Zusammenhänge mit den Tendenzen und Erfordernissen des gesellschaftlichen Fortschritts mehr und mehr in ihr Blickfeld. Eine ganze Reihe von Haus aus bürgerlicher Demokraten stand im Begriff, die Klassenschranken ihrer gesellschaftspolitischen Auffassungen zu überwinden. Fortgeschrittene Liberaldemokraten begannen sich von der Vorstellung zu lösen, Freiheit und Fortschritt entsprängen hauptsächlich dem Privateigentum, und näherten sich dem Standpunkt, die Volkswirtschaft könne und solle ihre Grundlage im Volkseigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln haben. 160 Die Abkehr von der Interessenvertretung restaurativ eingestellter bürgerlicher Kreise und die Hinwendung zu der von der Arbeiterklasse geprägten Staats- und Wirtschaftsordnung vergrößerten die Möglichkeiten und verstärkten das Bestreben, bei der Teilnahme am Aufbau dieser Ordnung wohlverstandene Interessen von Handwerkern, Kaufleuten, Privatindustriellen und anderen Gruppen des kleinen und mittleren Bürgertums zur Geltung zu bringen. 11 ' 1 Zwangsläufig wuchs auch noch der Spielraum für Illusionen vom dauerhaften Ausgleich der sozialen Gegensätze. Doch gestaltete sich das Kräfteverhältnis so, daß derartige Versuche zur Vermittlung von Kapitalismus und Sozialismus die Mehrzahl der Politiker, die sie unternahmen, nicht mehr vom Sozialismus weg, sondern zu ihm hinführten. 102 In der CDU, deren Programmatik in vorangegangenen Jahren sowohl von kleinbürgerlichen Sozialismus-Vorstellungen als auch von der sozialen Demagogie restaurativ eingestellter Politiker geprägt worden war, gelangten Männer wie Reinhold Lobedanz bereits zu der Erkenntnis, in Wirklichkeit könne es nur einen Sozialismus geben, den, der auf der Vergesellschaftung der Produktionsmittel beruhe. 163 Die Entwicklung der vormals bürgerlichen Parteien wurde nunmehr von kleinbürgerlich-demokratischen Kräften bestimmt und stand im Zeichen fortschreitender Demokratisierung des Parteilebens. Der Charakterwandel ging auf die Auseinandersetzung von 1948/49 zurück, empfing aber starke Impulse aus der Gründung und dem Aufbau des neuen Staates. Merkmale waren: die mit wachsender Konsequenz betriebene Ausrichtung der Parteipolitik an den im Regierungsprogramm sowie im Programm der Nationalen Front fixierten Interessen des Volkes; die Überwindung formaler, parlamentaristisch genormter und die Ausbildung realer, an konkreten politischen Erfordernissen orientierter Demokratievorstellungen; die intensivere Wechselwirkung zwischen Parteiführung, Vorständen auf mittlerer wie unterer Ebene und Mitgliedschaft; die allmähliche Verdrängung der „Honoratioren" durch Aktivisten des Neuaufbaus und Organisatoren der Nationalen Front; die Ausrichtung der Parteiarbeit immer weniger auf lobbyistische Einflußnahme und proporzgerechte Postenvergabe, immer mehr auf echten gemeinen Nutzen. 164 Was diese Parteien mehr und mehr aus dem Bereich bürgerlichen Parteienwesens heraushob, entfremdete sie keineswegs bürgerlich-demokratischer Tradition, setzte sie vielmehr in den Stand, allgemein-demokratischen Forderungen zum Durchbruch zu verhelfen, die in Programmen bürgerlicher Parteien längst zur Phrase geworden waren. 165 Die Neuorientierung nahm dem Handeln der Parteien
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einiges von dem Spontanen, welches für nichtmarxistische Parteien mehr oder minder charakteristisch ist. Sie verlieh der Parteiführung zu einem guten Teil bewußte Züge und ließ so etwas wie eine Parteilinie entstehen, welche die politische Haltung sowohl der Vorstände als auch der Mitglieder vorzeichnete. Das führte auch zu wachsenden Ansprüchen an die Mitglieder, brachte Erziehungs- und Bildungsaufgaben mit sich und hatte zur Folge, daß sich im Parteileben allmählich Normen des demokratischen Zentralismus durchsetzten. 166
5.
Der Wahlsieg der Nationalen Front
Im Bericht an den III. Parteitag der SED, der am 20. Juli 1950 zusammentrat, 167 konstatierte der Parteivorstand: Die Staatsbildung „hat ein gewaltiges Ansteigen der politischen Aktivität der gesamten Bevölkerung mit sich gebracht, insbesondere aber der Arbeiterklasse, die in unserer Gesellschaft die entscheidende Rolle spielt". Wilhelm Pieck, der den Bericht gab, verwies auf die Entwicklung der Staatsorgane, auf die Formierung der Nationalen Front und die Entfaltung der Friedensbewegung, auf die Wirksamkeit der Massenorganisationen (wobei er dem von der FDJ im Mai veranstalteten Deutschlandtreffen von rund 700 000 Jugendlichen in der Hauptstadt besondere Anerkennung zollte) sowie auf die Festigung und Erweiterung des Demokratischen Blocks, „der eine leitende Rolle in unserem gesamten Aufbau spielt". 168 Die „Entlarvung und Zerschlagung der Reaktion", die den Block „zu sprengen" versucht hatte, bezeichnete Wilhelm Pieck als „die wichtigste Bedingung für unseren gesamten . . . Aufbau". Sie ermöglichte es der CDU und LDPD, „ihre innere Krise (zu) überwinden und ihre politische Linie (zu) festigen". 169 Aus den Erfahrungen dieses ersten Jahres zog die SED den Schluß, „daß die Politik des Blocks und der Nationalen Front die richtigste Methode beim Aufbau der Republik ist".170 Die Nationale Front hielt am 25. und 26. August 1950 ihren I. Nationalkongreß ab, der OttoNuschkes Referat über die gemeinsamen Kandidatenlisten für die zum 15. Oktober anberaumten Wahlen der Volksvertretungen entgegennahm und das Wahlprogramm verabschiedete. In der vom Kongreß eröffneten Wahlkampagne wurden die Ausschüsse und Aufklärungsgruppen der Nationalen Front in aller Breite wirksam. In sechs Wochen angespannter Arbeit machten die Wahlhelfer ihre Mitbürger mit den Kandidaten bekannt, erläuterten sie das Wahlprogramm, halfen bei der Abfassung von Wähleraufträgen, sorgten für Sichtwerbung und bewachten Aufklärungs- und Wahllokale. 171 Von den mehr als 300 000 ständigen Helfern kamen ungefähr 180 000 aus den Reihen der SED, 25 000 von der LDPD, 18 500 von der CDU, 10 000 von der NDPD und 6 500 von der DBD. 172 Hervorragende Bedeutung hatte das Engagement jener „alten Demokraten", die aus intimer Kenntnis des bürgerlichen Parteilebens der Weimarer Zeit heraus vor der Stimmzettel-Demokratie warnten, die vielen Bürgern immer noch beispielhaft schien, und an die verhängnisvollen Fehlentscheidungen von 1932/33 erinnerten. „Mit der Formaldemokratie ist einst Hitler hochgekommen", sagte Otto Nuschke, 173 und Johannes Dieckmann legte dar, worum es den Wählern am 15. Oktober gehen mußte: „. . . um weit mehr, als um Parteien oder um eine Regierung; es geht um die Deutsche Demokratische Republik". 174 Der Wahlkampf wurde zur großen Bewährungsprobe. In hohem Maße war es der politisch-moralischen Integrität, Standhaftigkeit und Überzeugungskraft zu verdanken, welche die meisten Funktionäre der kleinbürgerlich-demokratischen Parteien an den Tag legten, wenn es der Nationalen Front gelang, die Einflüsse der Antisowjethetze, die
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nationalistischen Ressentiments, die in den Mittelschichten verbreiteten Zweifel und Vorbehalte, die sich am 15. und 16. Mai 1949 in mehr als vier Millionen Gegenstimmen geäußert hatten, weiter zurückzudrängen und teilweise auch schon zu überwinden. Der Zweijahrplan und das Gesetzgebungswerk der Provisorischen Volkskammer bewirktenim Grade ihrer Realisierung - einen „Umschwung in der Massenstimmung", wie Anton Ackermann während der 2. Tagung des Zentralkomitees der SED (August 1950) feststellte. Das Leben verbesserte sich augenscheinlich, so daß die Aufbauerfolge allgemein anerkannt wurden. Der Fünfjahrplanentwurf des III. Parteitages bewährte sich als „schärfste Waffe im Wahlkampf". Die Autorität der SED, der Nationalen Front sowie der Regierung wuchs.175 Die konterrevolutionären Kräfte, weitgehend in den Untergrund gedrängt, aber von der BRD und Westberlin her unterstützt und gesteuert, legten es darauf an, die Situation, in der die Wahlvorbereitung vonstatten ging, zu destabilisieren, die Bürger zu verunsichern und zur Stimmenthaltung, womöglich zur Ablehnung des Wahlvorschlages zu bringen. Gerüchte von Preiserhöhungen und Enteignungen kursierten. Hetzschriften kamen in Umlauf. Mitglieder nichtkommunistischer Parteien wurden aufgefordert, ihre Kandidatur abzulehnen oder niederzulegen. Kommunisten erhielten Drohbriefe und wurden tätlich angegriffen. Kaum ein Kreis, in dem es nicht zur Zerstörung von Schaukästen, Anschlägen auf Büros oder Brandstiftung in volkseigenen Betrieben kam. Es gab Verletzte und Tote.176 Wahlkampf und Wahlsieg der Nationalen Front - das waren keine Floskeln. Wie das Wahlergebnis vom 15. Oktober 1950 auswies,177 hatten die unter Führung der SED im Demokratischen Block und in der Nationalen Front handelnden Kräfte das bei der Konstituierung der Provisorischen Volkskammer und der Provisorischen Regierung fixierte Ziel erreicht. Über jene „starke Mehrheit" hinaus, welche der Staatsführung von Anfang an gefolgt war und sie unterstützt hatte (mehr oder minder bereitwillig, in halbherziger Zustimmung oder durch entschlossene Tat), konnten im Verlaufe der folgenden zwölf Monate „die breitesten Massen der Bevölkerung" von der Richtigkeit des am 7. Oktober 1949 eingeschlagenen Weges überzeugt und für die „aktive Unterstützung" der Regierung gewonnen werden.178 Während der 3. Tagung des Zentralkomitees der SED (Oktober 1950) bezeichnete Walter Ulbricht den Wahlausgang als eine Bestätigung dafür, daß die Gründung der DDR ein geschichtlicher Wendepunkt gewesen sei. „Die Aufgabe im ersten Abschnitt der Entwicklung nach dem Sturz des Hitlerfaschismus wurde gelöst."179 Mit der Herausbildung der Arbeiter-und-BauernMacht und ihrer Verankerung in einer festen politischen Mehrheit 180 waren Grundbedingungen für den Aufbau des Sozialismus entstanden.181 Die nichtkommunistischen Parteien hatten dazu in hohem Maße beigetragen. Das war eine Leistung von historischem Rang. In der Rückschau, an die Festversammlung zum 30. Jahrestag der Gründung der LDPD gewandt würdigte Albert Norden den Mut, die Entscheidungskraft und das Verantwortungsbewußtsein, mit denen bürgerliche und kleinbürgerliche Demokraten „traditionelle Grenzen des politischen Verständnisses und der politischen Mitarbeit" überschritten und, in Treue zur Republik, allen Anfeindungen und Verleumdungen, den Korruptionsversuchen wie den Drohungen widerstanden hatten.182 Die Festigung der SED als marxistisch-leninistische Kampfpartei der Arbeiterklasse,183 deren Anerkennung als führende Partei durch alle gesellschaftlichen Organisationen, die Ausprägung neuer Qualitäten in der Wirksamkeit mehrerer dieser Verbände, insbesondere des FDGB und der FDJ, die Konsolidierung des Demokratischen Blocks, die Formierung einer breiten Nationalen Front, die vollständige Herausbildung der Arbeiter-und-Bauern-Macht: Alle diese vielfältig miteinander verflochtenen Prozesse 182
hatten zum gemeinsamen Ergebnis, dafj die politische Organisation der Gesellschaft 1950 feste Konturen bekam, auch spezifische Formen annahm und die wichtigsten Impulse empfing für ihre Ausbildung als Organisation sozialistischen Charakters.
Anmerkungen 1 Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß, Berlin 1978, S. 225. 2 Vgl. Dokumentation der Zeit Informations-Archiv, Berlin, Sonderheft zur Vorbereitung des 15. Jahrestages der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik: Probleme der Bündnispolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. 3 Gemeinsam zum Sozialismus. Zur Geschichte der Bündnispolitik der SED, Berlin 1969. 4 Aus der stattlichen Reihe von Aufsätzen und Monographien seien hier nur genannt: Leonhardt. Roll, Die Politik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands für die Weiterentwicklung des Bündnisses mit den anderen Parteien des Demokratischen Blocks beim Beginn des sozialistischen Aufbaus in der Deutschen Demokratischen Republik (Oktober 1949 bis Juni 1952). Phil. Diss., Berlin 1976. Für den Zeitraum von Oktober 1949 bis Frühjahr 1950 wurde der Extrakt publiziert in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Berlin (im folgenden: ZfG), 1978, H. 6, S. 483ff. Krause, Manfred, Zur Geschichte der Blockpolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in den Jahren 1945 bis 1955. Diss. B, Berlin 1978. 5 Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas - Berlin, 29. und 30. Juni 1976. Dokumente und Reden, Berlin 1976, S. 26. 6 Vgl. ebenda, S. 125, 228. 7 Siehe Unbewältigte Vergangenheit. Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der BRD, Herausgeberkollektiv unter Ltg. v. Gerhard Lozek, 3., neu bearb. u. erw. Aufl., Berlin 1977, S. 381 f. 8 DDR. Das politische, wirtschaftliche und soziale System, 2., Überarb. Aufl., München (1974), S. 217, 221 f. 9 Külbach, RoderichjWeber, Helmut, Parteien im Blocksystem der DDR. Funktion und Aufbau der LDPD und der NDPD, Köln (1969), S. 86 f., vgl. auch S. 34 f. 10 Siehe Unbewältigte Vergangenheit, a. a. O., S. 384. Vgl. Weber, Hermann, DDR. Grundriß der Geschichte 1945-1976 (Hannover 1976), S. 34. 11 Ebenda, S. 49. 12 Deutschland-Archiv, Köln, 1974, H. 9, S. 946 ff. 13 Siehe Geschichte der SED, a. a. O., S. 213 ff. Vgl. Stöckigt, Rolf, Zur Politik der SED bei der Festigung des Blocks der antifaschistisch-demokratischen Parteien (1948 bis zur Gründung der DDR). In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung (im folgenden: BzG), Berlin 1974, Sonderheft, S. 133 ff. 14 Siehe Geschichte der SED, a. a. O., S. 211. Leonhardt charakterisiert diesen Beschluß des zentralen Blockausschusses treffend als „wichtige Vorentscheidung über den Fortbestand und die Höherentwicklung des Parteienbündnisses". Leonhardt, Roll, Die Politik der SED . . ., a. a. O., S. 44. 15 Grundsätze des antifaschistisch-demokratischen Blocks in der sowjetischen Besatzungszone (Demokratischer Block). In: Zwanzig Jahre Demokratischer Block. Annotierte Spezialbibliographie, Zeittafel, Dokumentensammlung. Ausgearb. v. Richard Mand/Lore Krüger (Aktuelle Beiträge zur Staats- und Rechtswissenschaft aus den sozialistischen Ländern, H. 12), Potsdam-Babelsberg 1965, S. 87. 16 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 176 ff., 195 f.; vgl. ferner die detaillierte Darstellung der Entstehungsgeschichte der Grundsätze vom 19. August 1949 durch Schulz, Herbert, Der Kampf der Arbeiterklasse um die Gründung und Stärkung des Blocks der antifaschistisch-demokratischen Parteien (1945-1949). Phil. Diss., Berlin 1965, S. 206 ff. Eine Zusammenfassung der bei der Ausarbeitung und Durchsetzung der Bündnis- und Block13
Übergangsperiode
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Politik der SED bis zur Staatsgründung erreichten Ergebnisse gibt Leonhardt, Die Politik der SED a. O., S. 40 ff. 17 Vgl. Thesen zur Geschichte der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDUD Beiträge zur Geschichte, hg. vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU), o. O., 1970, S. 24; Thesen zur Geschichte der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (Schriften der LDPD, hg. vom Sekretariat des Zentralvorstandes der LDPD, H. 1), Berlin o. J., S. 45. 18 Vgl. Schöneburg, Karl-Heinz, Staat und Recht in der Geschichte der DDR, Berlin 1973, S. 105 ff., 130 ff. 19 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 213 f., sowie Oelfiner, Fred, Ein neuer Abschnitt im Befreiungskampf der deutschen Nation. In: Einheit, Berlin 1949, H. 11, S. 961 ff. 20 Siehe Agsten, Rudoll/Bogisch, Manfred, LDPD auf dem Weg in die DDR. Zur Geschichte der LDPD in den Jahren 1946-1949, Berlin 1974, S. 333. 21 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 197 f. 22 Der Morgen, Berlin, 16. 10. 1949. 23 Siehe Eisermann, Horst, Die städtischen Mittelschichten in der revolutionären Umwälzung von 1945 bis 1949/50, die Entwicklung ihrer Struktur und ihrer Stellung in der Gesellschaft, insbesondere zur Arbeiterklasse, dargestellt am Beispiel des ehemaligen Landes Sachsen-Anhalt. Phil. Diss., Leipzig 1973, S. 315 f. 24 Siehe Agsten/Bogisch, LDPD auf dem Weg . . ., a. a. O., S. 332ff.; Krubke, Erwin, Wirtschaftspolitik zwischen Gestern und Morgen. Die Stellungnahme der CDU zur Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR in Gestalt des Zweijahrplans 1949/1950 und des ersten Fünfjahrplans 1951/1955 (CDUD - Beiträge zur Geschichte, hg. vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU), o. O., 1977, S. 100 f. 25 Vgl. Sacher, Siegfried, Die Entwicklung der Blockpolitik in Sachsen in der Zeit der Festigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht in der Deutschen Demokratischen Republik (1949 bis 1950). Phil. Diss., Leipzig 1963, S. 155 ff. 26 Vgl. Stöckigt, Zur Politik der SED a. a. O., S. 134 ff. 27 Archiv der Verbindungsbüros des Demokratischen Blocks beim Sekretariat des Nationalrats der Nationalen Front, Akte Nr. 9, Stenographisches Protokoll der 21. Sitzung des Präsidiums des Deutschen Volksrates, Bl. 35 f. 28 Bolz, Lothar, Es geht um Deutschland. Reden, 2. Aufl., Berlin 1955, S. 110. 29 August Bach, damals Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses des thüringischen Landesvorstandes der CDU und Abgeordneter in der Provisorischen Volkskammer, erfaßte außerordentlich klar: »Der revolutionäre Elan, der das politische Leben der Länder der ehemaligen Ostzone seit Jahren durchpulste und in ihnen zu einer völlig neuen Struktur des politischen Lebens führte, war auch in der Geburtsstunde der Deutschen Demokratischen Republik der starke Faktor letzter Entscheidungen." Zeitungsartikel vom 22. 10. 1949. In: Bach, August, Aus Reden und Aufsätzen 1946-1966. Hg. vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU, Berlin 1977, S. 20. Doch gab es, ähnlich wie in der LDPD, in der CDU viele Mitglieder, die zwar in der Staatsgründung den „einzig gangbaren" Weg sahen, ihn jedoch gerade wegen der Verschiebung der Wahlen „mit großer Besorgnis" verfolgten. Siehe Thiel, Victor, Christen Thüringens in der Bewährung. Aus der Geschichte des Landesverbandes Thüringen der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDUD - Beiträge zur Geschichte, hg. vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU), o. O. 1970, S. 43 f. Siehe auch Schaper. Alwin, Jahre der Entscheidung. Erinnerungen an die Entwicklung des Landesverbandes Sachsen-Anhalt der CDU (1945 bis 1952). (CDUD - Beiträge zur Geschichte, hg. vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU), o. O. 1969, S. 66.; vgl. Eisermann, Die städtischen Mittelschichten . . ., a. a. O., S. 374. 30 Nuschke, Otto, Reden und Aufsätze 1919-1950, Berlin o. J., S. 185 f. 31 Ebenda, S. 180 f. 32 Bewährung und Verantwortung f ü r Deutschland. Reden und Beschlüsse der 4. Jahrestagimg der CDU am 12. und 13. November 1949 in Leipzig, (Berlin) o. J., S. 31 f. Siehe auch S. 34 f., 87 ff. Vgl. Börner, Rolf, Für die Souveränität des werktätigen Volkes. Die
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Mitwirkung der CDU bei der Ausarbeitung der Länderverfassungen und der Verfassung der DDR (1946-1949). (CDUD - Beiträge zur Geschichte, hg. vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU) o. O. 1975, S. 79 ff. 33 Siehe Agsten/Bogisch, Die LDPD auf dem Weg . . ., a. a. O., S. 335 ff. 34 Ebenda, S. 339; vgl. Hoyer, Lutz, Revolution - Kleinbürgertum - Ideologie. Zur Ideologiegeschichte der LDPD in den Jahren 1945-1952, (Berlin 1978), S. 143 ff. 35 Der neuen liberaldemokratischen Parteigeschichtsschreibung kommt das Verdienst zu, die wesentlichen Unterschiede zwischen reaktionären, »konservativen" und kleinbürgerlich-reformistischen Positionen herausgearbeitet und nachgewiesen zu haben, daß jene gesellschaftspolitischen Konzepte, die oft unter »Dritter Weg" subsumiert werden, auch der politisch-ideologischen Annäherung an den Sozialismus dienen konnten. Vgl. ebenda, S. 82 ff., 147. In den Schriften zur Geschichte der CDU findet sich keine derartig weitgehende Differenzierung. Börner unterscheidet für den Zeitraum bis 1949 drei Richtungen: eine »reaktionär-konservative", eine „bürgerlich-demokratische" und eine »revolutionär-demokratische", wobei er die Übergänge von der zweiten zur dritten nicht näher in Betracht zieht. Börner, Für die Souveränität des werktätigen Volkes . . ., a. a. O., S. 85. Eine entsprechende Analyse würde höchstwahrscheinlich ergeben, daß die Ausarbeitung des Standpunktes progressiver christlicher Demokraten (etwa in den Thesen des christlichen Realismus) ebenfalls mit den für das demokratische Kleinbürgertum charakteristischen Bemühungen verbunden war, einen »Ausgleich" zwischen Kapital und Arbeit herbeizuführen und den Klassengegensatz zu »überwinden". Vergleichbare Auffassungen spielten auch in der NDPD bis zum 2. Parteitag (Juni 1950) eine große Rolle. Es kann also versucht werden, im Anschluß an Überlegungen von Agsten, Bogisch und Hoyer eine umfassendere Bestimmung der Positionen vorzunehmen, die für die politische Auseinandersetzung im Herbst 1949 bedeutsam waren: 1. die »kompromißlos" konterrevolutionäre, im Grunde genommen antidemokratische Position von bourgeoisen Kreisen, die sich voll und ganz auf die Westmächte und die BRD orientierten; 2. die restaurative Position jener Repräsentanten des mittleren und kleinen Bürgertums, welche, im ganzen am Weimarer Vorbild orientiert, bestimmte antifaschistisch-demokratische Reformen anerkannten, beibehalten wollten und auch zur Fortsetzung einer Zusammenarbeit im Block bereit waren, dabei jedoch für sich die Führung beanspruchten; 3. die „Mittelstellung" jener bürgerlichen und kleinbürgerlichen Demokraten, welche die sozialökonomische und politische Konstellation von 1948/49 sichern und verewigen wollten und damit die Zielvorstellung von gesellschaftlicher Harmonie und Gleichberechtigung aller Teile des Volkes verbanden; 4. die revolutionär-demokratische Position der in der werktätigen Bauernschaft sowie in fortschrittlichen Teilen des städtischen Kleinbürgertums verwurzelten Kräfte, die in entschiedener Frontstellung gegen die imperialistische Spaltungs- und Kriegspolitik sowie gegen kapitalistisch-restaurative Bestrebungen die Stärkung der DDR mit allen seinerzeit absehbaren politischen und sozialökonomischen Konsequenzen bejahten, unterstützten und dabei unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei handelten. Der revolutionäre Prozeß ließ kein längeres Verharren auf der einen oder anderen „Zwischenposition" zu. Im Grunde genommen waren das nur Momente des Übergangs - entweder auf konterrevolutionäre oder auf revolutionär-demokratische Positionen. Das ganze Schema hat auch nur deshalb einen Sinn, weil es Unterschiede und Übergänge erkennen hilft, die in der historischen Wirklichkeit mannigfaltiger waren und hier überraschend abrupt, dort unmerklich langsam zutage traten. 36 „Personalpolitik der Gleichberechtigung" und „Gleichberechtigung der VEB und der Privatbetriebe" waren Zwischenüberschriften, mit denen die Redaktion der „Neuen Zeit" (13. 10. 1949) entsprechende Aussagen in der Stellungnahme des Fraktionsvorsitzenden Gerhard Rohner in der Volkskammerdebatte zur Regierungserklärung akzentuierte. Wie populär die Parole von der „Gleichberechtigung" war, geht aus dem hervor, was Eisermann, Die städtischen Mittelschichten . ... a. a. O., S. 310 f., über die im September und Oktober 1949 durch lokale und regionale Volksausschüsse organisierten Versammlungen von Handwerkern, Gewerbetreibenden und Industriellen schreibt. 13»
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37 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 227 ff.; Schultze, Renate, Der verschärfte Klassenkampf auf wirtschaftspolitischem Gebiet in der DDR unmittelbar nach ihrer Gründung. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Berlin 1977, Teil II, S. 45 ff. 38 Vgl. die Darstellung der Position des 2. Vorsitzenden der CDU, Hugo Hickmann, durch Sacher, Die Entwicklung der Blockpolitik . . ., a. a. O., S. 77. 39 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 179. 40 Die sozialökonomische und politische Differenzierung in den bürgerlichen Schichten war für die Führung des Volkes durch die Arbeiterklasse kaum von geringerer Bedeutung als die politisch-ideologische und -organisatorische Geschlossenheit der Arbeiterpartei sowie der Gewerkschaft. Vgl. Gemeinsam zum Sozialismus, a. a. O., S. 128 f., 152 ff. Die nochmalige Versteifung des Widerstandes gegen die Permanenz der Revolution sowie die Neuansätze der Formierung bürgerlicher Kräfte auf einer konterrevolutionären Plattform nötigten die SED zu äußerster Wachsamkeit Vgl. Leonhardt, Die Politik der SED . . ., a. a. O., S. 80 f. 41 Vgl. Krassin, J., Lenin und das Problem der Mehrheit in der sozialistischen Revolution. In: Sowjetwissenschaft - Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge (im folgenden: GWB), 1977, H. 10, S. 1041 ff. 42 Siehe Eisermann, Die städtischen Mittelschichten . . ., a. a. O., S. 315 f.; Schmidt, Günter, Die Entwicklung der Nationalen Front des demokratischen Deutschland von einer Bewegung konsequent antiimperialistisch-demokratischen Charakters zu einer sozialistischen Volksbewegung (1950 bis 1955). Phil. Diss., Leipzig 1976, S. 12 ff. 43 Siehe Sacher, Die Entwicklung der Blockpolitik . . ., a. a. O., S. 54 ff., 91 ff.; vgl. Gemeinsam zum Sozialismus, a. a. O., S. 97 ff. 44 Siehe Archiv des Verbindungsbüros, a. a. O., Stenographisches Protokoll der Sitzung des zentralen Ausschusses des Demokratischen Blocks am 2. November 1949, Bl. 22 f., 25 f., 36 f., und am 30. November, Bl. 65 ff. 45 Vgl. Demokratie der erprobten Leistungen. Die Fraktion der National-Demokratischen Partei Deutschlands in der Provisorischen Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1951. Im gegebenen Zusammenhang interessieren insbesondere die Erklärungen der NDPD-Fraktion zum „Gesetz über den Erlaß von Sühnemaßnahmen und die Gewährung staatsbürgerlicher Rechte für ehemalige Mitglieder der Nazipartei und Offiziere der faschistischen Wehrmacht" vom 9. November 1949 (S. 49 f.), zum »Gesetz zur Förderung des Handwerks" vom 9. August 1950 (S. 156 f.), zum .Gesetz über die Steuer des Handwerks" vom 6. September 1950 (S. 175 f.) sowie zum »Gesetz über die weitere Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler" vom 8. September 1950 (S. 189). Für entsprechende Regelungen hatte sich die NDPD seit ihrer Gründung eingesetzt, und in die Gesetzesvorlagen waren viele Forderungen und Empfehlungen der NDPD eingegangen. 46 Fischer, Gerhard, Die prinzipiellen Auseinandersetzungen über die ideologische Position der CDU zwischen dem 5. und 6. Parteitag (1950-1952) und die Rolle der »Neuen Zeit" als Zentralorgan der Partei. (CDUD - Beiträge zur Geschichte, hg. vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU) o. O., 1967, S. 12. 47 Vgl. den Brief des evangelischen Bischofs von Berlin, Otto Dibelius, an den Staatspräsidenten vom 13. Oktober 1949. In: Hat die Kirche geschwiegen? Das öffentliche Wort der evangelischen Kirche aus den Jahren 1945-64, hg. v. Günter Heidtmann, 3., stark erw. Aufl., Berlin(West) (1964), S. 70 f. 48 Siehe Kistner, Hans, Die politisch-ideologische Auseinandersetzung in der CDU (19481950) und ihre Widerspiegelung im Zentralorgan der Partei „Neue Zeit". (CDUD - Beiträge zur Geschichte, hg. vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU) o. O. u. J., S. 36. 49 Vgl. Hoyer, Revolution . . ., a. a. O., S. 145. 50 Geschichte der SED, a. a. O., S. 240. In der Sitzung des zentralen Blockausschusses am 30. November 1949 (Stenographisches Protokoll im Archiv des Verbindungsbüros, a. a. O.) gab es einen bezeichnenden Wortwechsel. Bei einem Besuch in Dresden war Otto Grotewohl mit LDPD-Plakaten konfrontiert worden, auf denen Hermann Kastners Worte 186
standen: „Es wird in Deutschland niemals den Kommunismus geben!" Grotewohl wies den LDPD-Vorsitzenden auf den provokatorischen Charakter einer solchen Sichtwerbung hin (Bl. 41 f.). Kastner erklärte, ohne auf Grotewohls Anliegen einzugehen, die Verfassung der DDR sei keine kommunistische. „Sonst hätten wir nicht über die Verfassung mit entschieden und ihr zugestimmt." Und: „. . . das einige Deutschland kann kein kommunistisches Deutschland sein und werden . . . " (Bl. 60 c). Dazu äußerte sich niemand. Jeder wußte, daß die Wiedervereinigung ein neues Kräfteverhältnis herbeiführen würde, und jede Seite verband damit andere Erwartungen. 51 Geschichte der SED, a. a. O., S. 247 f. Vgl. Lenin, W. /., Vorwort zur Publikation der Rede „Über den Volksbetrug mit den Losungen Freiheit und Gleichheit" (Juni 1919). In: Werke, Bd. 29, Berlin 1976, S. 369 f.; derselbe, Die Wahlen zur Konstituierenden Versammlung und die Diktatur des Proletariats (Dezember 1919). In: Werke, Bd. 30, Berlin 1974, S. 264; derselbe. Der „linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus (April/Mai 1920). In: Werke, Bd. 31, Berlin 1972, S. 79 f. 52 Vgl. Krübke, Wirtschaftspolitik . ... a. a. O., S. 51 ff., 105; Dirksen, Ulrich, Liberaldemokraten zwischen sozialem Fortschritt und Reaktion. Die LDPD im Kampf um die Entstehung und Festigung des Volkseigentums 1946-1949. (Schriften der LDPD, hg. vom Sekretariat des Zentralvorstandes der LDPD, H. 17), (Berlin) o. ]., S. 128 ff., 137 ff., 150. 53 Vgl. Börner, Für die Souveränität . . ., a. a. O., S. 63ff.; Hoyer, Revolution . . ., a. a. O., S. 176. 54 Vgl. Schulz, Der Kampf der Partei a. O., S. 216; Leonhardt, Die Politik der SED . . ., a. a. O., S. 177. 55 Vgl. Großer, Günther, Sozialistische Revolution und Parteiensystem. In: Studien zur marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie, Leipzig 1967, S. 37 ff.; Topornin, Boris Nikolajeivitsch, Das politische System des Sozialismus, Berlin 1974, S. 175 ff. 56 Siehe ebenda, S. 150 ff. Vgl. Verfassung (Grundgesetz) der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, angenommen auf der siebenten Außerordentlichen Tagung des Obersten Sowjets der UdSSR der neunten Legislaturperiode am 7. Oktober 1977, Berlin 1978, S. 9 ff. 57 Siehe Gussew, K„ Zur politischen Linie der Bolschewiki gegenüber den kleinbürgerlichen Parteien. In: GWB, 1977, H. 5, S. 466 ff. Vgl. Petersdori, JuttafRoSenield, Günter, Gesellschaftliche Kräfte in der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Neue Forschungsergebnisse der sowjetischen Historiographie. In: ZfG, 1977, H. 11, S. 1334 ff. 58 Die USAP beurteilt ihre damalige Haltung kritisch: Nach der Errichtung der Diktatur des Proletariats gelangte sie allmählich zu dem „falsche(n) Standpunkt, wonach die Ungarische Nationale Front der Unabhängigkeit eine zeitweilige Organisation sei, die nicht die Aufgabe habe, Grundlage für den Zusammenschluß der Koalitionsparteien zu sein, die vielmehr die allmähliche Liquidierung dieser Parteien, d. h. der Front selbst, fördern sollte". Es kam zu einer „Schwächung der Tätigkeit" dieser Front sowie der ihr angehörenden demokratischen Parteien mit dem Ergebnis, „daß viele soziale Schichten die politischen Kanäle zu verlieren begannen, die sie mit der Arbeiterklasse . . . verbanden". Voss, Henrik, Aus den Erfahrungen der USAP bei der Verwirklichung der Politik der Klassenbündnisse. In: Probleme des Friedens und des Sozialismus (im folgenden: PFS), 1977, H. 12, S. 1625. Vgl. Sdgväri, Agnes, Voraussetzungen und Besonderheiten der revolutionären Umwälzung in Ungarn 1945-1949. In: Jahrbuch für die Geschichte der sozialistischen Länder Europas, Bd. 21/1, Berlin 1977, S. 60 f., 79. 59 Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder, die vom 14. bis 16. November 1957 in Moskau stattfand, Berlin 1958, S. 14. 60 Vgl. Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki). Kurzer Lehrgang, Berlin o. J., S. 285. 61 Sobolew, A., Die Volksdemokratie als Form der politischen Organisation der Gesellschaft. In: Die Länder der Volksdemokratie, hg. vom Amt für Information der DDR, 22. November 1951. Beilage Nr. 47, S. 204. 62 Siehe Sevcova, L. F., Spjuzniceskie partii v politiceskoj sisteme socializma. I n : Rabocij
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klass i sovremennyj mir, Moskva, 1978, H. 1, S. 80. Der Unterschied zwischen der antifaschistisch-demokratischen und der volksdemokratischen Ordnung wurde seinerzeit nicht zuletzt im Parteiensystem gesehen und weitgehend vom nationalen Kampf her erklärt. Vgl. Hager, Kurt, Antifaschistisch-demokratische Ordnung. Über den Charakter der gesellschaftlichen Zustände der Ostzone. In: Einheit, 1949, H. 4, S. 301 f.; Horn, Werner, Diktatur des Proletariats und Mehrpartenensystem. In: Theorie und Praxis. Wiss. Beiträge der Parteihochschule „Karl Marx" beim ZK der SED, Berlin 1967, H. 6, S. 109. Siehe Geschichte der SED, a. a. O., S. 230, 247. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. II, Berlin 1950, S. 387 f. Siehe Stöckigt, Rolf, Leninismus - schöpferische Bündnispolitik - sozialistische Demokratie. In: BzG, 1969, Sonderheft: Protokoll der Zentralen wissenschaftlichen Konferenz „Der Kampf des werktätigen Volkes unter Führung der SED für den Sieg der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung und der sozialistischen Revolution in der DDR" (Berlin, 10./11. September 1968), S. 56. Vgl. Gemeinsam zum Sozialismus . . ., a. a. O., S. 128 f. Der Parteivorstandsbeschluß vom 4. Oktober 1949 hatte verlangt: „Das gesamte öffentliche, wirtschaftliche und politische Leben der Ostzone muß ein überzeugendes Beispiel für die Möglichkeit der breiten Vereinigung aller deutschen Patrioten im Kampf um ein einheitliches Deutschland sein." Dokumente der SED . . ., a. a. O., S. 344. Die Blockarbeit war auf Überwindung der Meinungsverschiedenheiten in den Grundfragen der Staatspolitik ausgerichtet, auf Einigimg, nötigenfalls durch Kompromisse, selbst wenn darum, wie das in der parlamentarischen und Blockpraxis 1949 häufig geschah, Entscheidungen zu vertagen waren. Eine Opposition war daher nur außerhalb des Blocks und im Gegensatz zu diesem denkbar. Sie wäre, wie es das Beispiel einzelner Oppositioneller zeigte, aller politischen Logik nach früher oder später zur imperialistischen Agentur in der DDR geworden, Dokumente der SED . . ., a. a. O., S. 353. Orlando Millas äußert sich in PFS, 1977, H. 2, 5. 194 f., prägnant über die „Dialektik von Mehrparteiensystem und einheitlicher, straffer Führung". Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 223 ff. Lenin, W. I., Die Wahlen a. O., S. 252. Die konkreteste Gesamtdarstellung der Festigimg des Bündnisses der Arbeiterklasse mit der werktätigen Bauernschaft und den anderen Schichten des werktätigen Volkes sowie der Gestaltung der Beziehungen zu den kapitalistischen Unternehmern in der Zeit nach der Staatsgründung ist nach wie vor: Gemeinsam zum Sozialismus . . ., a. a. O., S. 133 ff. Alles für die allseitige Stärkung der Deutschen Demokratischen Republik - für unsere brüderliche, vorwärtsschreitende sozialistische Gemeinschaft. Festsitzung des Demokratischen Blocks anläßlich des 25. Jahrestages seiner Gründung in Berlin. Hg. vom Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland, o. O. u. J., S. 9. Siehe Geschichte der SED, a. a. O., S. 211, 232.; vgl. Leonhardt, Die Politik der SED . . ., a. a. O., S. 51 ff. Vgl. das Manifest der 9. Tagung des Deutschen Volksrates vom 7. Oktober 1949 sowie das von der 2. Tagung des Nationalrats am 15. Februar 1950 verkündete Programm der Nationalen Front. I n : Programmatische Dokumente der Nationalen Front des demokratischen Deutschland, hg. u. eingel. v. Helmut Neef, Berlin 1967, S. 94 ff., 102 ff. Siehe Schmidt, Die Entwicklung der Nationalen Front . . ., a. a. O., S. 7 ff., 15 ff., 46 ff. Siehe das Referat von Otto Grotewohl in: Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 20. bis 24. Juli 1950 in der WernerSeelenbinder-Halle zu Berlin. 1.-3. Verhandlungstag, Berlin 1951 (im folgenden: Protokoll des III. Parteitages der SED, Bd. 1), S. 201 f. Vgl. Schmidt, Die Entwicklung der Nationalen Front. . ., a. a. O., S. 68. Vgl. Erzwingt den Frieden. Bericht über die 9. (erweiterte) Plenartagung des Deutschen Komitees der Kämpfer für den Frieden am 15. September 1950 in Berlin, o. O. u. J., S. 88 ff. Die bündnispolitische Funktion des FDGB ergab sich hauptsächlich aus der zentralen Stellung, die er als Massenorganisation der führenden Klasse im politischen System der
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Gesellschaft innehatte. Mit der Mehrzahl der Angestellten erfaßte der Gewerkschaftsbund auch viele Angehörige der Intelligenz. Die VdgB war die demokratische Massenorganisation der Bauern, in der die auf das feste Bündnis mit der Arbeiterklasse orientierten Kräfte der werktätigen Bauernschaft den bestimmenden Einfluß ausübten. Die vom Hauptausschuß der Zentralvereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe und vom Beirat des; Zentralverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften Deutschlands am 20. November 1950 beschlossene Vereinigung beider Organisationen zur VdgB (BHG) brachte den seinerzeit entscheidenden Fortschritt bei der Demokratisierung der genossenschaftlichen Einrichtungen, bei der Zurückdrängung kapitalistischer Kräfte in der Landwirtschaft sowie bei der Festigung des Klassenbündnisses. Siehe Von der demokratischen Bodenreform zum sozialistischen Dorf, Berlin 1965, S. 59 ff., 79 ff. Die Mitgliederzahl des DFD hat sich von 1947 bis 1950 Jahr für Jahr etwa verdoppelt. Von Ende 1949 bis Ende 1950 wuchs der Bund von 506 406 auf 1 021 038 Mitglieder. Das ist ein beeindruckendes Zeugnis dafür, in welchem Tempo der revolutionäre Prozeß die Frauen emanzipierte und gerade in einer entscheidenden Phase politisch aktivierte. 1952 stabilisierte sich der Mitgliederstand bei 1 335 624. Siehe Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1955. Hg. von der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, Berlin 1956, S. 85. Vgl. Arendt, Hans-Jürgen/Kirchner, Jürgen/Müller, Joachim/Schotte. Ernst/Scholze, Siegfried, 30 Jahre Demokratischer Frauenbund Deutschlands - 30 Jahre Kampf für Frieden, Demokratie und Sozialismus. In: BzG, 1977, H. 2, S. 185 ff. Die FDJ hatte im Mai 1950 1 333 309 Mitglieder (ohne die Jungen Pioniere). Der Kulturbund nahm 1949 die Vereinigung der Natur- und Heimatfreunde in ihren verschiedenen Sparten sowie die Fotografen, Philatelisten und andere Interessengruppen in sich auf. Am Jahresende bestand die Mitgliedschaft (152 530) zu jeweils einem Viertel aus Geistesschaffenden und Angestellten, zu je annähernd einem Zehntel aus Arbeitern und Gewerbetreibenden (Handwerker hier eingeschlossen), im übrigen aus Angehörigen anderer Schichten sowie aus Bürgern, die nicht berufstätig waren. Siehe Statistisches Jahrbuch der DDR 1955, a. a. O., S. 85. Die Profilierung des Bundes als »kulturpolitische Bündnisorganisation der Arbeiterklasse" für die Geistesschaffenden sowie die vom II. Bundeskongreß im November 1949 fixierten neuen Aufgaben behandelt: Schulmeister, Karl-Heinz, Auf dem Wege zu einer neuen Kultur. Der Kulturbund in den Jahren 19451949, Berlin 1977, S. 188 ff., 328 ff. Im Hinblick auf die Gesellschaft vgl. Petersdori, Jutta, Die Rolle der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft bei der Entwicklung und Festigimg der freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen DDR und UdSSR (1947 bis 1955). Phil. Diss., Berlin 1973. Die Betrachtung wird auf Vereinigungen beschränkt, die sich - ohne die den Parteien eigene politisch-organisatorische Geschlossenheit und programmatische Ausrichtung vorrangig politisch-ideologische Aufgaben stellten, über einzelne soziale, Berufs- und Interessengruppen hinaus in breiteren Schichten des Volkes wirksam wurden und dabei mit relativ klar abgrenzbaren Funktionen in die (entstehende) politische Organisation der sozialistischen Gesellschaft hineinwuchsen. Diese Definition schließt zwei Vereinigungen aus, die seinerzeit Abgeordnete in der Volkskammer hatten und insoweit der politischen Organisation zugerechnet werden könnten: die VVN, die nur bis 1953 bestand, und den Verband Deutscher Konsumgenossenschaften. Die Genossenschaftsverbände sowie die Berufsvereinigungen und Kammern (für Industrie, Handel und Handwerk) wären bei einer Untersuchung der politischen Beziehungen der Arbeiterklasse, ihrer Partei und ihres Staates zu den einzelnen sozialen Schichten zweifellos zu berücksichtigen. Sie bilden sozusagen die Peripherie der politischen Organisation der Gesellschaft, können aber m. E. nicht als deren integrierende Bestandteile betrachtet werden. Vgl. jedoch Topornin, Das politische System . . ., a. a. O., S. 150, 157 f. Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 198, 201. Die Mitgliedschaft der FDJ war im März 1949 zu 11,4 % in der SED, zu 0,7 % in der LDPD, zu 0,5 % in der CDU und zu 0,06 % in den beiden 1948 neugegründeten Parteien organisiert. Siehe Rimkeit, Konstantin, Zu einigen Problemen der Jugendpolitik der SED (1946-49). Phil. Diss., Berlin 1966, S. 203. 189
Im Januar 1950 gehörten von den 566 772 Mitgliedern der VdgB 166 611 der SED, 20 779 der CDU, 17 953 der LDPD, 12 558 der DBD und 712 der NDPD an. Siehe Stöckigt, Rott, Der Kampf der KPD um die demokratische Bodenreform Mai 1945 bis April 1946, Berlin 1964, S. 278. 82 Eine Zusammenfassung und Komplettierung der in Quellen und Darstellungen verstreuten statistischen Angaben zur sozialen und parteipolitischen Zusammensetzung der Massenorganisationen und zur Mitgliederbewegung würde genauere Aufschlüsse geben und (bei Berücksichtigung der „Mehrfachmitgliederschaft", die damals üblich wurde) auch Ausgangsdaten liefern, von denen her der „Wirkungsradius" dieses Teils der politischen Organisation der Gesellschaft ziemlich genau zu berechnen sein dürfte. 83 Protokoll des III. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 182, 283. Vgl. Parson. Walter, Zur Entwicklung der FDJ in den Jahren 1949/1950. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, 1974, H. 2, S. 174 ff.; derselbe. Zur Rolle der FDJ während der sozialistischen Revolution in der DDR. Ebenda, 1975, H. 2, S. 145 ff. 84 Siehe Voßke, Heinz, Der Kampf der SED um die Durchsetzung des Marxismus-Leninismus als die herrschende Ideologie in der DDR (Ende 1949 bis Anfang 1952). In: Jahrbuch für Geschichte, Bd. 11, Berlin 1974, S. 106 ff. 85 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 250. 86 In den zentralen Ausschuß des Demokratischen Blocks wurden aufgenommen: der FDGB am 5. August 1948, die FDJ am 6. Juli 1950, der DFD am 13. Juni 1952. In der Provisorischen Volkskammer sowie in der Volkskammer der 1. Wahlperiode waren mit eigenen Fraktionen bzw. in Aibeitsgemeinschaften neben den Parteien folgende Organisationen vertreten: FDGB, FDJ, DFD, Kulturbund, WN, VdgB, Verband der Konsumgenossenschaften. 87 Vgl. Sacher, Die Entwicklung der Blockpolitik a. a. O., S. 37,141 ff., 266. 88 Vgl. Topornin, Das politische System . . ., a. a. O., S. 23, 60. 89 Vor mehreren Jahren leitete Stöckigt daraus Einwände gegen die Verwendung des Begriffs Mehrparteiensystem ab. Siehe BzG, 1969, Sonderh.: Protokoll . . ., a. a. O., S. 58. Zu jener Zeit war es noch üblich, von der »Arbeiter-und-Bauern-Macht in Form des Mehrparteiensystems" zu sprechen. Die genauere Bestimmung des Mehrparteiensystems als (wesentliches) Element der politischen Organisation der Gesellschaft in der DDR macht jenen Begriff m. E. durchaus brauchbar. 90 Der Erste Parteitag der National-Demokratischen Partei Deutschlands, Halle, 23., 24. und 25. Juni 1949. Stenografische Niederschrift, Berlin 1951, S. 59 f. 91 Siehe Christen, kämpft für den Frieden! Gesamtbericht über die 5. Jahrestagung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands vom 15. bis 17. September 1950 in Berlin, (Berlin) o. J., S. 30 f. 92 Eine sowohl den sozialökonomischen und politischen als auch den ideologischen Bereich umfassende, verallgemeinernde Darstellung der Grundlagen für die Wirksamkeit nichtkommunistischer Parteien beim Aufbau des Sozialismus gibt Großer, in: Im Bündnis vereint. Beiträge zur Theorie und Praxis der Bündnispolitik, hg. vom Sekretariat des Zentralvorstandes der LDPD, Berlin o. J., S. 75 ff. 93 Vgl. Agsten, Rudolt, Hans Loch. Bemerkungen und Thesen zu seiner politischen Biographie. In: Hans Loch. Beiträge zu seiner politischen Biographie 1945-1960. Aus dem Protokoll des Kolloquiums des Wissenschaftlichen Rates der Zentralen Parteischule der LDPD »Dr. Wilhelm Külz" und der Kommission zur Erforschung der Geschichte der LDPD am 16. November 1973 (Schriften der LDPD, hg. vom Sekretariat des Zentralvorstandes der LDPD, H. 12), (Berlin) o. J„ S. 23. 94 Siehe Schöneburg, Karl-Heinz u. a.. Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Bd. 2: 1949-1955, Berlin 1968, S. 46 f. Vgl. Westphal, Hannelore, Zur Geschichte des Demokratischen Blocks nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (1949/50). In: Unsere Zeit. Beiträge zur Geschichte nach 1945, Berlin 1962, H. 4, S. 398 ff. 95 Archiv des Verbindungsbüros, a. a. O., Protokoll vom 2. November 1949, Bl. 32. 96 Siehe ebenda, Protokoll vom 30. November 1949, Bl. 34 f., 46, 55, 119. 190
97 Zit. nach Schöneburg, Vom Werden unseres Staates . . ., a. a. O., S. 61. 98 Zwanzig Jahre Demokratischer Block . ... a. a. O., S. 89. 99 Schulz, Der Kampf der Partei . . ., a. a. O., S. 172. Diese Charakteristik bezieht sich in der Dissertation auf 1948, kann aber ohne weiteres auch auf die folgenden Jahre bezogen werden. 100 Zit. nach Eisermann, Die städtischen Mittelschichten . . ., a. a. O., S. 374. 101 Siehe Zillig, Hans, In der Mitarbeit gewachsen und gereift. Zur Geschichte des Landesverbandes Sachsen der CDU (1945 bis 1952). (CDUD - Beiträge zur Geschichte, hg. vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU), o. O. 1975, S. 73 f. 102 Ulbricht, Walter, Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsätzen, Bd. III: 1946-1950, Zusatzbd., Berlin 1971, S. 754. 103 Vgl. die Darstellung der Vorgeschichte und Zuspitzung des Konflikts bei Sacher, Die Entwicklung der Blockpolitik . . ., a. a. O., S. 68 ff., 169 ff., 190 ff., 26Z Vgl. auch Seydewitz, Max, Es hat sich gelohnt zu leben. Lebenserinnerungen eines alten Arbeiterfunktionärs (2), Berlin 1978. Hier kommt, S. 263 ff., insbesondere der Fall Rohner zur Darstellung. 104 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 230 f. 105 Vgl. Dokumente der CDU, Berlin (1956), S. 48. 106 Siehe Zillig, In der Mitarbeit gewachsen . . ., a. a. O., S. 75 f. Anders als in Sachsen kam es in Mecklenburg zu einer frühzeitigen Formierung der progressiven Kräfte. Der innerparteiliche Klärungsprozefj hatte, als ihn der politische Ausschuß am 28. Januar forderte, in dem von Reinhold Lobedanz geführten Landesverband bereits begonnen und wurde von großen Teilen der Mitgliedschaft getragen. Siehe Von der Erkenntnis zur T a t Zur Geschichte des Landesverbandes Mecklenburg der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands von der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik bis zur Bildung der Bezirke (1949 bis 1952). (CDUD - Beiträge zur Geschichte, hg. vom Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU), o. O. 1975, S. 15 f., 19 f. 107 Vgl. LDPD in der Übergangsperiode 1945-1961. Dokumente, gesammelt von Bogisch, Manired, Teil I. (Schriften der LDPD, hg. vom Sekretariat des Zentralvorstandes der LDPD, H. 16/1), (Berlin 1976), S. 126 f. 108 Siehe Archiv des Verbindungsbüros, a. a. O., Akte Nr. 10, Stenographisches Protokoll vom 1. Februar 1950, Bl. 56 f. 109 Siehe ebenda, Bl. 61 f., 67, 70 a. 110 Ebenda, Bl. 89/90, 96. 111 Vgl. Eisermann, Die städtischen Mittelschichten . . ., a. a. O., S. 375 ff.; Sachet, Die Entwicklung der Blockpolitik . . ., a. a. O., S. 161, 188 ff., 193 ff. 112 Vgl. Die Zeichen der Zeit. Evangelische Monatsschrift für Mitarbeiter der Kirche, Berlin 1950, H. 4/5, S. 170 f. 113 Erklärung des Politischen Ausschusses des Hauptvorstandes der CDU vom 26. April 1950. In: Auf dem Wege zur gemeinsamen humanistischen Verantwortung. Eine Sammlung kirchenpolitischer Dokumente 1945 bis 1966 unter Berücksichtigung von Dokumenten aus dem Zeitraum 1933 bis 1945, Berlin (1967), S. 206. 114 Vgl. die Ausführungen von Otto Grotewohl über das Verhältnis zwischen Kirche und Staat. In: Protokoll des III. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 214 f. 115 Siehe Schmidt, Die Entwicklung der Nationalen Front . . ., a. a. O., S. 70 ff. Vgl. Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben, a. a. O., S. 216 ff. 116 Zwanzig Jahre Demokratischer Block . . . , a. a. O., S. 96. 117 Siehe ebenda, S. 99. Vgl. Krause, Zur Geschichte der Blockpolitik der SED . ... a. a. O., S. 219 ff. 118 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 245. 119 Archiv des Verbindungsbüros, a. a. O., Akte Nr. 10, Stenographisches Protokoll der Sitzung des zentralen Ausschusses des Demokratischen Blocks am 16. Mai 1950, Bl. 11. 120 Siehe 20 Jahre Demokratische Bauernpartei Deutschlands. Hg. vom Präsidium des Parteivorstandes der DBD, o. O. u. J„ S. 23, 38.
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121 Siehe Mecklenburg, Einst, Das Wirken der DBD für den Sieg der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung und der sozialistischen Revolution in der DDR. In: BzG, 1969, Sonderheft: Protokoll . . a. a. O., S. 59 f. 122 Siehe 20 Jahre DBD, a. a. O., S. 46, 158f.; vgl. Der Pflüger. Zeitschrift für Funktionäre der DBD, Berlin 1950, H. 4, S. 5 f. 123 Vgl. ebenda, H. 1, S. 4 ff.; H. 2, S. 3 f. 124 Vgl. 25 Jahre Demokratische Bauernpartei Deutschlands. Hg. vom Parteivorstand der DBD, Berlin 1973; 25 Jahre DDR. Der Beitrag der DBD als engster Bündnispartner und Kampfgefährte der Arbeiterklasse und ihrer Partei bei der Gründung und Entwicklung der DDR. Kolloquium der DBD aus Anlaß des 25. Jahrestages der Gründung der DDR an der Zentralen Bildungsstätte der DBD in Borkheide am 16. September 1974, o. O. u. J. 125 Siehe Zwanzig Jahre National-Demokratische Partei Deutschlands. Hg. vom Hauptausschuß der NDPD, (Berlin 1969), S. 21, 38. 126 Ebenda, S. 29. 127 Vgl. Bolz, Es geht um Deutschland . . ., a. a. O., S. 120, 166 f. 128 Ebenda, S. 206. 129 Die Partei war 1948 mit dem Anspruch angetreten, „das Nationale zum entscheidenden Gesichtspunkt aller Politik zu machen und so alle Verschiedenheiten von Stand, Religion und Weltanschauung zu überwinden", wobei sie allerdings den Ausschluß aller „Feinde des Volkes" von der politischen Willensbildung sowie „aller Drohnen aus dem Wirtschaftsleben" zur Bedingung erklärte. (Bolz, Es geht um Deutschland . . a. a. O., S. 10 f.) Auch auf dem 1. Parteitag im Juni 1949 präsentierte der Parteivorsitzende die NDPD als „nationale Partei . . ., die weder eine bürgerliche noch eine Arbeiterpartei sein durfte", und bekräftigte, sie sei berufen, das „Bündnis aller schaffenden Deutschen zu begründen" (S. 65). Von dieser Position aus griff er die beiden bürgerlichen Parteien an, die er für im Grunde genommen geschichtlich überholt hielt. (Siehe S. 61 ff.; vgl auch die Rede auf dem 2. Parteitag, wo Bolz die gleiche Auffassung vertrat, S. 194 f.) Die SED kritisierte er im konkreten, weil sie mittelständische Interessen vernachlässige, aber auch wegen ihres Führungsanspruchs (S. 70 ff.). Das Entstehen der Nationalen Front erklärte er zur Bestätigung der „historische(n) Notwendigkeit unserer Partei" sowie der „Richtigkeit unserer Politik" (S. 61). Vgl. Zylla, Udo, Die National-Demokratische Partei Deutschlands und der sozialistische Internationalismus. - Eine Darstellung von Quellen, Bedingungen und Besonderheiten der Hinwendung von Verbündeten der Arbeiterklasse und ihrer Partei zum sozialistischen Internationalismus. Phil. Diss., Leipzig 1972, S. 30. 130 131 132 133 134
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Bolz. Es geht um Deutschland . . ., a. a. O., S. 78 f. Siehe ebenda, S. 198 f. Ebenda, S. 122. Ebenda, S. 61. Obschon die Nationaldemokraten in erheblich geringerem Maße als die meisten Mitglieder der LDPD und CDU in parlamentarischen Traditionen befangen waren, hatten die Auseinandersetzungen der Jahre 1948/49, in denen die NDPD den „alten" Parteien gegenüber ihre Daseinsberechtigung nachweisen, ihr politisches Profil ausbilden und ihren Platz im Demokratischen Block erkämpfen mußte, doch ein starkes Interesse an der Bestätigung des eigenen Anspruchs durch den Wähler hervorgebracht. So wenig repräsentativ die vom 1. Parteitag ausgewerteten Ergebnisse der kommunalen Nachwahlen in Hetzdorf-Herrndorf und Hoppenrade waren, die Erfolge der NDPD verdienten Beachtung. Auch ohne Zweckoptimismus ließ sich aus der gesamten politischen Konstellation auf die Wahrscheinlichkeit einer weitergehenden Stimmenumverteilung zugunsten der NDPD schließen. Vgl. Der Erste Parteitag der NDPD . . ., a. a. O., S. 40, 46 f., 99 f. So stand diese Partei zwar nicht bei der Entscheidung über den Wahltermin, wohl aber bei der über den Wahlmodus vor einer Bewährungsprobe. Daß die NDPD dabei keinen Parteiegoismus aufkommen ließ und auch die „Kompromißformel" zurückwies: Gemeinsames Wahlprogramm - getrennte Kandidatenlisten, stellte ihr das
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Zeugnis politischer Reife aus. Vgl. Bolz, Es geht um Deutschland . . a. a. O., S. 205. Den Blockbeschluß vom 16. Mai 1950 vertrat der Parteivorstand vier Wochen später dem 2. Parteitag gegenüber mit der Bekundigung: „Wir ganz besonders" haben uns für ihn eingesetzt, und mit der Erklärung: „Es geht darum, die Entscheidung vom Oktober des Vorjahres in diesem Oktober unanfechtbar für alle Zukunft . . . zu machen." Ebenda, S. 199, 203. Vgl. Zylla, Die National-Demokratische Partei Deutschlands ..., a. a. O., S. 163. Der Zweite Parteitag der National-Demokratischen Partei Deutschlands, Leipzig, 15., 16. und 17. Juni 1950. Stenographische Niederschrift, Berlin 1951, S. 244. Bolz, Es geht um Deutschland . ... a. a. O., S. 187. Ebenda, S. 21. Siehe ebenda, S. 53 ff. Siehe ebenda, S. 188 ff. Vgl. die Rede auf dem 1. Parteitag, wo die Frage nach der Oder-Neiße-Grenze bereits in aller Klarheit beantwortet worden war. Ebenda, S. 89 ff. Vgl. auch Zylla, Die National-Demokratische Partei Deutschlands . . a. a. O., S. 102 ff. Vom 3. Parteitag (Juni 1951) wurde sie programmatisch festgeschrieben. Siehe Bolz, Es geht um Deutschland . . ., a. a. O., S. 326 f. Vgl. ebenda, S. 197. Siehe Hans Loch. Beiträge . . ., a. a. O., S. 47ff., 94ff.; Johannes Dieckmann. Beiträge zu seiner politischen Biographie 1945-1969. Aus dem Protokoll des Kolloquiums der Kommission zur Erforschung der Parteigeschichte der LDPD und des Wissenschaftlichen Rates der Zentralen Parteischule „Dr. Wilhelm Külz" der LDPD anläßlich des 80. Geburtstages Johannes Dieckmanns am 16. Februar 1973. (Schriften der LDPD, hg. vom Sekretariat des Zentralvoi standes der LDPD, H. 11), (Berlin) o. J., S. 67 ff. Vgl. die Darstellung der Diskussion über den „neugewordenen Liberalismus" bei Hoyer, Revolution . .., a. a. O., S. 180 ff. Zit. nach Johannes Dieckmann. Beiträge . . ., a. a. O., S. 71. Zit. nach Hans Loch. Beiträge . . ., a. a. O., S. 60. LDPD in der Übergangsperiode . ... a. a. O., S. 127. Siehe Zilling, Edeltraud, Der Prozeß des Charakterwandels der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands in den Jahren 1949 bis 1955. Phil. Diss., Halle 1977, S. 207 f. Vgl. Thesen zur Geschichte der LDPD . . ., a. a. O., S. 45. Siehe Bogisch, Manfred, Zu einigen Entwicklungsproblemen der LDPD 1950/51. In: Die LDPD und die Bündnispolitik der Arbeiterklasse und ihrer Partei. Protokollband des wissenschaftlichen Kolloquiums des Politischen Ausschusses des Zentralvorstandes der LDPD am 4. Februar 1970 in Vorbereitung des 100. Geburtstages W. I. Lenins und des 25. Jahrestages der Gründung der LDPD. Hg. vom Zentralvorstand der LDPD, Berlin 1970, S. 245. Das Zitat entstammt dem Protokoll einer Sitzung des Landesvorstandes Sachsen-Anhalt vom 30. Mai 1950. Im einzelnen nennt Bogisch (ebenda, S. 245 f.) die ausschlaggebenden Argumente. Auf die Bedeutung der Mitarbeit in der Nationalen Front für die Formierung der fortschrittlichen Kräfte weist (S. 108) Herbert Ott hin. Vgl. auch Hoyer, Revolution . . a. a. O., S. 177 f. Zit. nach Zilling, Der Prozeß des Charakterwandels . . ., a. a. O., S. 77. Erklärung des Hauptausschusses der LDPD aus Anlaß des 5. Jahrestages der Gründung der Partei, Juli 1950. In: LDPD in der Übergangsperiode . . ., a. a. O., Teil II (Schriften der LDPD, Heft 16/2), S. 9. Vgl. Hans Loch. Beiträge . . ., a. a. O., S. 62. Siehe ebenda, S. 63. Siehe Thesen zur Geschichte der CDU . ... a. a. O., S. 28. Zit. nach Fischer, Gerhard, Durchbruch zur Mitarbeit in der FDJ. In: Erlebnisse und Erfahrungen christlicher Demokraten aus drei Jahrzehnten, Berlin o. J., S. 132. Vgl. Dokumente der CDU, a. a. O., S. 51 f. Siehe Thesen zur Geschichte der CDU . ... a. a. O., S. 28. Siehe Zillig, In der Mitarbeit gewachsen . ... a. a. O., S. 93. 193
158 Thesen zur Geschichte der CDU, a. a. O., S. 28. Vgl. Fischer, Die prinzipiellen Auseinandersetzungen . . a. a. O., S. 5, 19; Krübke, Wirtschaftspolitik . . a. a. O., S. 113 ff. 159 Vgl. Ktubke, Wirtschaftspolitik . ... a. a. O., S. 110; Hoyer, Revolution . ... a. a. O., S. 148. 160 Siehe Thesen zur Geschichte der LDPD, a. a. O., S. 51; Hoyer, Revolution . . ., a. a. O., S. 149 ff. 161 Vgl. Dirksen, Liberaldemokraten . . ., a. a. O., S. 152 ff.; Krübke, Wirtschaftspolitik . . ., a. a. O., S. 111 ff. 162 Vgl. Hoyer, Revolution . . ., a. a. O., S. 146 ff., 162 ff. 163 Siehe Von der Erkenntnis zur Tat . ... a. a. O., S. 21. Vgl. Krübke, Wirtschaftspolitik..., а. a. O., S. 106 f., 115 f. 164 Auf eine objektivierende Funktionsbestimmung für die nichtkommunistischen Parteien, wie sie verallgemeinernd Großer gibt, kann hier verzichtet werden. Siehe: Im Bündnis vereint, a. a. O., S. 83 ff. Heinz Heitzer wies darauf hin, daß sie den .eigentlichen Durchbruch zur Erkenntnis ihrer Aufgaben und ihres Platzes beim sozialistischen Aufbau" erst in der Mitte der fünfziger Jahre erzielten, und machte auf den Zusammenhang aufmerksam, den dies mit der Entwicklung der Nationalen Front zur sozialistischen Volksbewegung hatte. Die LDPD und die Bündnispolitik der Arbeiterklasse . . ., a. a. O., S. 234. 165 Vgl. Hoyer, Revolution a. a. O., S. 189 f., 216 ff., 254. 166 Vgl. Schoper, Jahre der Entscheidung . ... a. a. O., S. 77 ff.; Zilling, Der Prozeß des Charakterwandels . . ., a. a. O., S. 126. Die oben skizzierten Prozesse, insbesondere die Auseinandersetzungen von 1950, beeinflußten natürlich auch die Mitgliederbewegung in CDU und LDPD. Die Austritte und Ausschlüsse wurden durch Neuaufnahmen nur teilweise kompensiert. Die Mitgliederzahl der LDPD sank von Dezember 1948 bis Januar 1951 von 197 090 auf 162 912 (siehe ebenda, S. 27). Die CDU, der im Oktober 1949 etwa 240000 Bürger angehörten, hat den in den folgenden Monaten eintretenden Mitgliederverlust während des 5. Parteitages nicht beziffert. Die soziale Zusammensetzung veränderte sich nur unerheblich. In der LDPD verringerte sich der Anteil an Arbeitern im 0. g. Zeitraum von 14,1 auf 13,3 % und der an Handwerkern und Gewerbetreibenden von 12,4 auf 8,6%, während der Anteil der Angestellten von 28,6 auf 30,9%, der an Bauern von 11,9 auf 13,4% und der Anteil der selbständigen Kaufleute von 2,2 auf б,2% stieg (siehe ebenda, vgl. S. 29 ff.). In der CDU stieg vom 1. Oktober 1949 bis zum 1. August 1950 der Arbeiteranteil von 16,8 auf 17,7%, während der Bauernanteil von 15,8 auf 14,6% zurückging. Der Anteil der Angestellten sowie der selbständigen Handwerker und Kaufleute blieb ziemlich konstant bei rd. 26 bzw. 12% (siehe Christen, kämpft für den Frieden! Gesamtbericht . ... a. a. O., S. 411). 167 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 237 ff. Eine umfassendere Auswertung der bündnisund blockpolitischen Aussagen des Parteitages nimmt Leonhardt vor, wobei er auch darlegt, in welchen Punkten die Konzeption der SED präzisiert wurde. Siehe Leonhaidt, Die Politik der SED . . ., a. a. O., S. 100 ff., 114 ff. 168 Protokoll des III. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 54. Die Einbeziehung aller dieser Faktoren in die Einschätzung ist charakteristisch. Vgl. auch das Referat von Otto Grotewohl, ebenda, S. 230. 169 Ebenda, S. 55 f. Wie der Kontext erkennen läßt und die Entschließung (Bd. 2, S. 247 f.) direkt aussagt, betrachtete die SED den Kampf gegen „organisierte reaktionäre Gruppen" in den beiden Parteien nicht als abgeschlossen. 170 Ebenda, Bd. 1, S. 64. 171 Siehe Schmidt, Die Entwicklung der Nationalen Front . ... a. a. O., S. 89 ff., 103 ff., 119 ff. 172 Siehe Leonhardt, Die Politik der SED . . ., a. a. O., S. 119. 173 Nuschke, Reden und Aufsätze, a. a. O., S. 216. 174 Zit. nach Johannes Dieckmann. Beiträge . . ., a. a. O., S. 77. 175 Ackermann, Anton, Um jede Stimme ringen! Auszug aus dem Referat des Genossen 194
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Anton Ackermann auf der Sitzung des ZK der SED vom 24. August 1950. In: Neues Deutschland (B), 5. 9. 1950. Vgl. Eisermann, Die städtischen Mittelschichten . ... a. a. O., S. 338 ff., 352 ff., 382 f.; Abtaham, Horst, Die Bündnispolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands mit den Handwerkern, Gewerbetreibenden sowie den kleinen und mittleren Unternehmern in der Zeit des Übergangs von der antifaschistisch-demokratischen zur sozialistischen Revolution (Juni 1948 bis Juli 1952). Phil. Diss., Berlin 1966, S. 82 ff. Siehe Leonhardt, Die Politik der SED . . a. a. O., S. 131 f. Siehe Statistisches Jahrbuch der DDR 1955, a. a. O., S. 87. Achermann, Um jede Stimme ringen . .., a. a. O. Die Lehren der Wahlen, der Kampf gegen die Militarisierung, die Bedeutung des Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates. Aus der Rede des Generalsekretärs des ZK der SED, Walter Ulbricht, auf der Tagung des ZK am 26. und 27. Oktober 1950. In: Neues Deutschland (B), 29.10.1950. Hier kommt ein Begriff zur Anwendung, den Volodia Teitelboim wie folgt definiert: Die politische Mehrheit bringt »eindeutiger als die arithmetische (oder mechanische) Mehrheit die Existenz eines repräsentativen sozialen Blocks des größten Teils der Bevölkerung" zum Ausdruck und ist „eine aktive Mehrheit . . ., die nicht nur kontinuierlich wirkt . . ., sondern auch begreift, daß die Errungenschaften mit allen Mitteln verteidigt werden müssen". Teitelboim, Gedanken zu den 1000 Tagen der Regierung der Unidad Populär. In: PFS, 1977, H. 1, S. 48. Siehe Geschichte der SED, a. a. O., S. 245 f. Vgl. Heitzer, Heinz, Grundprobleme des Übergangs von der antifaschistisch-demokratischen Ordnung zur sozialistischen Revolution in der DDR 1949/50. In: ZfG, 1968, H. 6, S. 721 ff. Dreißig Jahre LDPD. Reden und Grußadressen. (Schriften der LDPD, hg. vom Sekretariat des Zentralvorstandes der LDPD, H. 13), (Berlin) o. J., S. 38. Vgl. Johannes Dieckmann. Beiträge . . ., a. a. O., S. 125. Siehe Geschichte der SED, a. a. O., S. 243.
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PETER
HÜBNER
Zu den Auswirkungen des Auf- und Ausbaus von Industriekapazitäten in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus auf die soziale Struktur der Arbeiterklasse in der D D R
1.
Problemstellung
Emporgewachsen mit der großen Industrie stand die Arbeiterklasse seit der industriellen Revolution stets in einer besonderen Beziehung zur Entwicklung der Produktivkräfte, insbesondere zur „Maschinerie". 1 Industrielle Ballungsgebiete waren Geburtsstätten des modernen Proletariats; sie wurden bald zu Hochburgen der Arbeiterbewegung. F. Engels deckte bereits in seiner frühen Arbeit „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" wesentliche Zusammenhänge dieses Prozesses auf.2 Und vier Jahre später formulierten er und K. Marx im „Manifest der kommunistischen Partei" mit aller Konsequenz den originären und unlösbaren Zusammenhang von industrieller Produktion, Arbeiterklasse und historischer Mission des Proletariats.3 Von diesem Ausgangspunkt her leitet sich die für die Geschichte der Arbeiterklasse überaus wichtige Frage ab, wie sich das Verhältnis zwischen der Klasse und der Industrie in der Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus wandelte, welche Rolle die Industrie bei der Formierung der Arbeiterklasse im revolutionären Prozeß spielte. Der Problemkomplex ist genaugenommen zweigeteilt. Einerseits geht es darum, was die Arbeiterklasse unter den Bedingungen der Diktatur des Proletariats mit der vorhandenen „Maschinerie" anzufangen versteht, wie sie sie planmäßig zur materiell-technischen Basis des Sozialismus entwickelt. Andererseits geht es um die Rückwirkung industrieller Prozesse auf die Arbeiterklasse. Denn der ursprüngliche Zusammenhang, daß die Klasse mit der Industrie ihren historischen Siegeszug antrat, ist ja nicht aufgehoben. Auch in und nach der Übergangsperiode bildet die Industrie die entscheidende materielle Existenz- und Wachstumsbedingung der Arbeiterklasse. Diesem zweiten Aspekt des Problemkomplexes versucht der folgende Beitrag nachzugehen. Die Fragestellung spielte in der geschichtswissenschaftlichen Literatur der DDR bisher nur eine untergeordnete Rolle. Freilich hatte das eine gewisse Berechtigung, weil es bei der Ausarbeitung des marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes zunächst primär darum ging, die Arbeiterklasse in ihrer historischen Subjekt-Funktion zu erfassen. Was die Auswirkungen von Industrialisierungsmaßnahmen betrifft, so erscheint die Arbeiterklasse nur vermittels als Subjekt, während der Objekt-Bezug in den Vordergrund tritt. Hinsichtlich der Forschung handelt es sich hier um einen Ansatz, der der Komplexität der Klassenentwicklung entspricht und der so durchaus seine Funktion in der Geschichtsschreibung über die Arbeiterklasse zu erfüllen hat.4 In dieser Richtung existieren in der historischen Literatur über die Arbeiterklasse der DDR verschiedene Untersuchungen.5 Auch die Wirtschaftsgeschichte hat sich dem Gegenstand genähert. 6 Dennoch vermitteln diese Arbeiten noch kein geschlossenes Bild. Das Beziehungsgefüge zwischen Arbeiterklasse und Industrie erfüllt hier oft mehr
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den Zweck des Beispiels, der Erläuterung, als den eines relativ selbständigen Forschungsgegenstandes.7 Der aktuelle Forschungsstand wird m. E. durch die im Jahre 1977 von G. Dittrich vorgelegte Dissertation B und die durch ein Autorenkollektiv der Parteihochschule „Karl Marx" beim ZK der SED unter Leitung von W. Schneider erarbeitete Darstellung repräsentiert. Die sowjetische historische Forschung hat seit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution einen breiten Material- und Theoriefundus zur Geschichte der Arbeiterklasse angereichert. 8 Ein weitgefächertes Themenspektrum weist den Komplex Arbeiterklasse und sozialistische Industrialisierung als einen Forschungsschwerpunkt aus.9 Das ist für die Forschungen zur Geschichte der Arbeiterklasse vor allem im Hinblick auf den historischen Vergleich, auf den Nachweis und die Analyse von Gesetzmäßigkeiten und nicht zuletzt auf die Methodologie von großer Bedeutung. Gerade die ausgefeilte Methodologie und das nachweisbar gut praktikable Methodeninstrumentarium zur Erschließung statistischer Primärquellen 10 spielen eine kaum zu überschätzende Rolle. Die Möglichkeiten, die in der Erschließung entsprechender theoretisch-methodologischer Ergebnisse der sowjetischen Geschichtswissenschaft liegen, hat erst in jüngster Zeit G. Dittrich überzeugend nachgewiesen. 11 In der bürgerlichen und reformistischen Geschichtsschreibung über die DDR erfährt die Arbeiterklasse der Übergangsperiode insgesamt nur wenig Aufmerksamkeit. Unter dem Vorzeichen der Industriegesellschaftskonzeption und der Sowjetisierungsthese erscheint sie als machtloses Objekt, wobei die Autoren keine Gelegenheit auslassen, einen Widerspruch zwischen der Arbeiterklasse und ihrer Partei zu postulieren. 12 Zum unmittelbaren Gegenstand liegen nur einige ältere Arbeiten aus den fünfziger und sechziger Jahren vor, die aber nicht von einem historischen Forschungsansatz ausgehen. 13 Neuere Untersuchungen, die den Gegenstand zumindest tangieren, entstanden im Rahmen der etablierten DDR-Forschung vor allem aus soziologischer Fragestellung heraus. 14 Die Industrialisierungsproblematik an sich erfährt in der bürgerlichen und reformistischen Geschichtsschreibung über die DDR eine unterschiedliche Wertung. So reicht die Skala von absolut negativer Einschätzung bis zur Anerkennung der Motive, die für den vorrangigen Ausbau der Schwer- und Grundstoffindustrie der DDR sprachen. 15 Auffallende Einhelligkeit dagegen zeigt sich in jenen Einschätzungen, die die Rolle der Arbeiterklasse im Industrialisierungsprozeß betreffen. Geradezu symptomatisch hierfür ist J . K. Hoenschs Versuch in einer der neueren Publikationen zu diesem Themenkreis nachweisen zu wollen, daß der Industrialisierungsprozeß in den sozialistischen Ländern Europas nach 1945 trotz einer Erhöhung der volkswirtschaftlichen Effizienz über eine passive Bevölkerung hinweggerollt sei, die die Vorgänge «keinesfalls . . . verstanden und emotionell verarbeitet" hätte. 16 Hoensch führt eine auf die europäischen sozialistischen Länder bezogene Argumentation fort, wie sie z. B. auch in Arbeiten von P. Ch. Ludz und H. Weber speziell über die DDR geführt wurde. 17 Danach habe es in allen Ländern, die nach 1945 in Europa den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus vollzogen, eine „stalinistische" Industrialisierung gegeben. Derart umschreiben die genannten Autoren den schwerpunktmäßigen und volkswirtschaftlich wohlbegründeten Ausbau der Grundstoff- und Schwerindustrie. 18 In der Konsequenz — so Hoensch - habe diese Form der Industrialisierung, „dem Gebot Stalins folgend" und die Nationalisierung der Industrie ergänzend, die Indoktrinierung der Bevölkerung zum Ziel gehabt. 19 Damit sei letztlich ein gravierender historischer Kontinuitätsbruch herbeigeführt worden, der das Gesellschaftsgefüge 197
auf eine Weise gelockert hätte, „daß die KP der einzige Mittelpunkt des sozialen Zusammenhalts wurde".20 Hoenschs Bestreben, die Industrialisierungsproblematik in die .Sowjetisierungs'-Hypothese einzubauen, zeitigt das Ergebnis, daß die Arbeiterklasse völlig ins Abseits der Darstellung gerät. Als schwer arbeitende, leidende, politisch wirkungslose Ansammlung von Individuen rückt sie Hoensch in einen gleichfalls konstruierten Widerspruch zur marxistisch-leninistischen Partei und zum sozialistischen Staat. Ein Geschichtsbild, wie dieser Verfasser es vermittelt, bietet keinen Raum für die Fragestellung nach der Rolle der Arbeiterklasse in der Übergangsperiode oder auch nach ihren Klasseninteressen im Industrialisierungsprozeß. Die wirklichen sozialen, ökonomischen und politischen Folgen vonlndustrialisierungsmaßnahmen erscheinen in Hoenschs Arbeit Vinter antisowjetischem Vorzeichen karikaturistisch verzerrt. Daß dabei die Arbeiterklasse als historisches Subjekt ignoriert wird, muß wohl als Conditio sine qua non gelten. In der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR wurden zum erstenmal in der Geschichte des deutschen Volkes Industrie und industrielle Arbeit im objektiven Interesse der Millionen unmittelbaren Produzenten entwickelt. Industriearbeit, frei von Ausbeutung, ist aber bereits als Forschungsgegenstand mit dem auf Restaurationsapologie abgestimmten bürgerlichen Geschichtsbild in der BRD unvereinbar. Die Behauptung, die durch die SED ausgearbeitete Industrialisierungskonzeption sei eine vermeidbare Belastung für die Bevölkerung der DDR gewesen, dient einem doppelten Ziel. Zum einen sollen die wesentlich ungünstigeren Ausgangsbedingungen der DDR gegenüber der BRD und die Auswirkungen des imperialistischen Wirtschaftskrieges verschleiert werden; zum anderen erlangt diese Geschichtsklitterung angesichts der Abwälzung von Krisenlasten auf die Werktätigen der kapitalistischen Länder auch eine aktuell-ideologische Funktion. Die zum Themenkreis Arbeiterklasse und Industrialisierung in der imperialistischen Geschichtsschreibung der BRD vorhandenen Erörterungen und Aussagen basieren weitgehend auf der Industriegesellschaftstheorie, verbunden mit mehr oder minder modifizierten Elementen der „Totalitarismus'-Doktrin. Der Forschungsgegenstand Arbeiterklasse wird unter dem Einfluß gruppen- und konflikttheoretischer Auffassungen weitestgehend eliminiert. Jüngere BRD-Publikationen tendieren dahin, das alte „Sowjetisierungs'-Schema durch die Version der „Revolution von oben", die durch eine kleine kommunistische Minderheit gegen den Willen der Bevölkerung durchgeführt worden sei, »weiterzuentwickeln".21 Den realen Prozeß der Klassenentwicklung vermag die bürgerliche Historiographie und DDR-Forschung auch damit nicht zu erklären. Das für den hier behandelten Fragenkreis notwendige Quellenfundament kann als ausreichend gelten. In überwiegendem Maße läßt sich die Aussage auf statistische Quellen gründen. Das gilt für die fünfziger Jahre mehr als für die Zeit von 1945 bis 1949. Unvermeidbare Lücken, insbesondere was die Untersuchung der Produktionsarbeiterschaft angeht, waren auch durch Archivmaterial nicht zu schließen. Ein nicht unwesentlicher Teil der Arbeiterklasse, so z. B. die Arbeiter der Wismut-Betriebe, konnte statistisch nicht erfaßt werden.22 Der Genauigkeitsgrad der Angaben reicht jedoch aus, um die wesentlichen durch die Industrie induzierten Tendenzen in der Entwicklung der Arbeiterklasse sichtbar zu machen. Bezogen auf die einzelnen Industriezweige, dürften weitere archivalische Forschungen unumgänglich sein, um das Bild zu komplettieren, um verschiedene Einzelheiten im qualitativen und quantitativen Wachstum der Arbeiterklasse genauer zu erklären. 198
Die für den gesamten Untersuchungszeitraum vorliegenden Dokumente und Materialien der SED verdeutlichen, daß die Entwicklung der Arbeiterklasse objektiv bedingt war, daß diese objektive Bedingtheit aber in zunehmendem Maße durch die wachsende Rolle des subjektiven Faktors beeinflußt wurde.23 Das zu betonen ist außerordentlich wichtig, um Auswirkungen der Industrialisierung auf die Arbeiterklasse nicht in undialektischer Weise als blinde „Sachzwänge" mißzuverstehen. Die Erweiterung industrieller Kapazitäten vollzog sich unter den Bedingungen der Diktatur des Proletariats, unter Führung durch die marxistisch-leninistische Partei im Interesse der Arbeiterklasse. Die Übergangsperiode resultierte aus objektiven Voraussetzungen, die sozialökonomische, politische und ideologische Faktoren in einer differenzierten Einheit beinhalteten. Sie war damit alles andere als »Erfindung" und willkürliche Konstruktion der Kommunisten.24 Die Arbeiterklasse veränderte sich in diesem Zeitraum qualitativ und quantitativ, weil sich sozialökonomische und politische Bedingungen wandelten. Im Kern dieser Veränderungen stand zweifellos die Herausbildung der neuen Subjektfunktion der Arbeiterklasse. In die Reihe damit verbundener Faktoren gehörte der Industrialisierungsprozeß der fünfziger Jahre, der im Gegensatz zur kapitalistischen Industrialisierung erstmals in der Geschichte des deutschen Volkes durch die Klasseninteressen der Arbeiter bestimmt wurde. „In der revolutionären Epoche erhöht sich die Bedeutung des bewußten Faktors nicht nur, sondern dieser Faktor selbst wird zu einem notwendigen Element der Realisierung der herangereiften Aufgabe der sozialen Umgestaltung. Die soziale Notwendigkeit der neuen Ordnung realisiert sich nur auf dem Wege des bewußten Kampfes der fortschrittlichen Kräfte für diese Ordnung."25 Als konzeptionell außerordentlich wertvoll erweist sich in diesem Zusammenhang die Behandlung der Subjekt-Objekt-Dialektik in der „Geschichte der SED. Abriß". Eindeutig weisen die Autoren auf die Einbettung des Industrialisierungsprozesses in den Kontext historischer Voraussetzungen und der sozialistischen Umgestaltung der Volkswirtschaft hin.26 Industrielles Wachstum wird hier in seinen organischen geschichtlichen Zusammenhängen als wichtiger Entwicklungsstrang des revolutionären Prozesses nach 1945 deutlich gemacht. 2.
Industrielle Umstrukturierung und Arbeitskräftebewegung
Für den konkreten Verlauf des Industrialisierungsprozesses und seiner Auswirkungen auf die Arbeiterklasse waren - im engeren Sinne - zwei Voraussetzungen ausschlaggebend. Hier handelte es sich um die ökonomischen Ausgangsbedingungen27 und um die Entstehung des Volkseigentums.28 Sie bildeten gewissermaßen die entscheidenden Konturen jenes Rahmens objektiver Voraussetzungen, in dem sich die Arbeiterklasse unter Führung der SED zur produzierenden und zugleich machtausübenden Klasse formierte. Der Forschungsstand zu diesem Problemkreis erlaubt im Hinblick auf die in diesem Beitrag behandelten Fragestellungen den Verzicht auf vorbereitende Exkurse.29 Drei Etappen des Auf- und Ausbaus industrieller Kapazitäten in der Übergangsperiode lassen sich für die DDR feststellen. Die erste (1945-1948) nimmt auf Grund der Nachkriegsbedingungen eine besondere Stellung ein. Für soziale Strukturveränderungen der Arbeiterklasse wurde sie durch die Schaffung des Volkseigentums und der SAG relevant. Territorial bemerkenswerte Industrialisierungsmaßnahmen ergaben sich in dieser Zeit für den Raum des Erzgebirges (Uranerzbergbau) und den Küstenbezirk (Schiffbau).30 Beides ist in ursächlichem Zusammenhang mit Wiedergutmachungsleistungen der sowjetischen Besatzungszone an die UdSSR zu sehen. 14
Übergangsperiode
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Die zweite Etappe umfaßt die Zeiträume des Zwei- und des ersten Fünfjahrplanes der DDR. Hier ging es vor allem um eine Minderung der volkswirtschaftlichen Disproportionen. Investitionsschwerpunkte lagen auf dem Gebiet der Metallurgie, der Energieerzeugung, des Bergbaus und der chemischen Industrie. 31 Für die Entwicklung der Arbeiterklasse hatte das entscheidende Konsequenzen; grundlegende Prozesse sozialer und politischer Wandlungen innerhalb der Klasse prägten sich in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre aus bzw. vertieften sich. Die dritte Etappe war vor allem durch die kontinuierliche Fortsetzung der auf die Grundstoffindustrie gerichteten Investitionen gekennzeichnet.32 Dieser Zeitabschnitt umfaßte im wesentlichen das letzte Jahrfünft der Übergangsperiode. Damit verband sich die Entwicklung traditioneller Industriezentren ebenso wie die Bildung neuer industrieller Standorte. Vornehmlich letzteres hatte für den Abbau des Süd-Nord Industriegefälles der DDR große Bedeutung.33 Andererseits verloren die vorhandenen industriellen Ballungsgebiete - wie noch gezeigt werden wird - keinesfalls an Gewicht. In ihnen war und blieb die Arbeiterklasse der DDR vorrangig konzentriert. Die erste und zweite der hier genannten Etappen partiell überlagernd und verbindend vollzog sich Ende der vierziger/Anfang der fünfziger Jahre der Übergang von der Wiederherstellungsperiode zur sozialistischen Rekonstruktion der Volkswirtschaft. Charakteristisch hierfür wurde neben der Rekonstruktion bereits bestehender der Aufbau neuer Betriebe und Industriezweige.34 Damit setzte sich eine Entwicklung durch, die in dieser allgemeinen Form zugleich für die anderen sozialistischen Länder typisch war. Auch die sozialen Konsequenzen für die Arbeiterklasse wiesen übereinstimmende Merkmale auf. So wuchs z. B. in den Jahren der Rekonstruktion der Volkswirtschaft in der UdSSR die Zahl der Arbeiter rasch an. Die Arbeiterklasse erhöhte ihren Einfluß in früher ökonomisch zurückgebliebenen Gebieten. Dabei spielten die Arbeiter der Schwerindustrie, besonders die des Maschinenbaus und der metallverarbeitenden Industrie, die wichtigste Rolle. Eine weitere hervorzuhebende Folge dieser Entwicklung war die Konzentration der Arbeiterklasse.35 Die 1945 übernommene Standortverteilung der Produktion zeichnete sich durch die großen Ballungsgebiete Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin aus. Schwächer konzentriert war die Industrie im Thüringer Raum sowie im südlichen Brandenburg. Den Abschluß gegenüber dem vorrangig agrarischen Norden bildete ein Streifen industrieller Standorte zwischen Eberswalde im Osten über Berlin bis Burg-Wittenberge im Westen. Eine relativ bedeutende Industriekonzentration wies das Küstengebiet auf.36 Zwischen den industriellen Standorten und der Bevölkerungsdichte war im Gefolge des zweiten Weltkrieges eine deutliche Disproportion entstanden. Diese Anomalie, die nicht ohne Bedeutung für den Industrialisierungsprozeß und für die Entwicklung der Arbeiterklasse blieb, resultierte wesentlich aus dem hohen Umsiedleranteil von ca. 24 Prozent37 an der Gesamtbevölkerung zu Beginn der fünfziger Jahre. In ihrer absoluten Mehrheit wurden die Umsiedler zwar in den sächsischen und anhaltischen Ballungszentren aufgenommen; 38 im Verhältnis zur Stammbevölkerung lag jedoch Mecklenburg mit 43,3 Prozent Umsiedlern zum Zeitpunkt der Volkszählung 1946 weit an der Spitze.39 Diese Situation verdient gebührende Berücksichtigung, denn sie modifizierte die Bewegung der Arbeitskräfte in den drei Nordbezirken der DDR erheblich. Im Zusammenhang mit dem Aufbau der Werftindustrie konnte der spätere Bezirk Rostock den 1946 erreichten Stand der Bevölkerung weitgehend wahren, d. h., der größte Teil zugewanderter Arbeitskräfte blieb im Küstengebiet. Die Bezirke Neubran200
denburg und Schwerin verloren dagegen von 1946 bis 1950 ca. 55 000 Einwohner.40 Diese Entwicklung setzte sich bis Ende der fünfziger Jahre fort: Die Binnenwanderungsbilanz des Bezirkes Rostock blieb positiv, die der Bezirke Schwerin und Neubrandenburg dagegen negativ. 41 Im Hinblick darauf liegt der Schluß nahe, daß im Verlauf der Übergangsperiode eine Abwanderung von Arbeitskräften in Richtung Süden erfolgte. Hierauf wird an anderer Stelle dieses Beitrages zurückzukommen sein. Sicher ist, dag Industrie, ob existent oder erst entstehend, Bevölkerung und Arbeitskräfte heranzog. Die Tendenz der Arbeiterklasse zur Siedlungskonzentration wurde so stimuliert. Verfolgt man die Wanderungsquoten der einzelnen Bezirke über einen längeren Zeitraum, so wird deutlich, dag die Bezirke Frankfurt, Potsdam und Cottbus den höchsten Zuwachs erreichten. In ihnen lagen wichtige Investitionsschwerpunkte. Am Beispiel des EKO hat J. Cerny u. a. recht detailliert auf das Problem der Zuwanderung Bezug genommen.42 Bevor auf Einzelfragen eingegangen werden kann, soll an dieser Stelle in groben Umrissen die Haupttendenz der Bevölkerungsbewegung während der Übergangsperiode skizziert werden, denn sie war engstens mit territorialen Veränderungen des Anteils der Arbeiterklasse verbunden. Unmittelbar nach Ende des zweiten Weltkrieges bildete sich besonders im Nordteil der sowjetischen Besatzungszone durch die Zuwanderung von Umsiedlern eine Bevölkerungskonzentration, die in den folgenden Jahren z. T. wieder abnahm. Die hieraus resultierende Bevölkerungsbewegung verebbte erst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre und erreichte 1961/62 eine Tendenzwende.43 Im allgemeinen ging die Wanderungsbewegung der Bevölkerung im Verlaufe der fünfziger Jahre zurück; wo sie massiv auftrat, waren Auf- und Ausbauten von Industriekapazitäten das auslösende Moment bzw. bewirkte die Reduzierung des Bergbaus im Erzgebirge Abwanderung.44 Generell zeigte sich eine quantitative Ausgleichstendenz der Bevölkerung; die Verteilung nach Stadt- und Landbevölkerung erwies sich als sehr konstant. Kriegsbedingte Verschiebungen wurden bis Mitte der fünfziger Jahre weitgehend ausgeglichen, so dag 1961 das Verhältnis Stadt-/Landbevölkerung 72 :28 betrug. Das entsprach nahezu exakt den Werten von 1939. Bevölkerungsverluste konzentrierten sich auf die Grogstädte auger Berlin, Gewinne auf die Klein- und Mittelstädte. 45 Diese relative Konstanz, die auch für die territorialen Konzentrationen der Arbeiterklasse gültig war, darf aber nicht über eine beachtliche Arbeitskräftebewegung im Gefolge von Industrialisierungsmagnahmen hinwegtäuschen. Zum anderen zeigte es sich jedoch, dag die vorhandene Industrie- und Siedlungsstruktur der DDR der primäre Faktor für die Arbeitskräftebewegung blieb. Wesentliche Impulse für soziale und quantitative Veränderungen innerhalb der Arbeiterklasse gingen während der Übergangsperiode von der Grundstoffindustrie aus. Lebensnotwendig für die Wirtschaft der DDR war der Aufbau einer eigenen metallurgischen Basis. Gab es zum Zeitpunkt des II. Parteitages der SED 1947 durch offene Reparationsprobleme noch Unklarheiten hinsichtlich einiger Aspekte des wirtschaftlichen Neuaufbaus,46 so standen doch neben dem Ernährungsproblem die Beschaffung von Eisen und Stahl sowie die Versorgung mit Kohle an erster Stelle wirtschaftlicher Aktivitäten.47 Damit war bereits eine industrielle Wachstumsrichtung vorgezeichnet, die sich aus dem sehr ungünstigen Verhältnis zwischen Grundstoff- und Verarbeitungsindustrie ergab. Mit Produktionsanteilen von ca. zwei Prozent bei Steinkohle, 1,3 Prozent bei Roheisen und knapp sieben Prozent bei Rohstahl48 am Produktionsvolumen des Deutschen Reiches von 1938 erwies sich die sowjetische Besatzungszone gegenüber 14»
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den Westzonen als außerordentlich benachteiligt. Die Situation charakterisierend, wurde der Zweijahrplan unter die Losung gestellt »Aus Stahl wird Brot". 49 Auger dem Eisenhüttenwerk Thale hatten jedoch die insgesamt geringen metallurgischen Kapazitäten hohe Kriegs- und Demontageverluste erlitten. Schwerpunkte des Neuaufbaus nach 1945 waren deshalb50: Maxhütte Unterwellenborn Stahl- und Walzwerk Riesa Ferrolegierungswerk Lippendorf Stahl- und Walzwerk Gröditz Kupfer- und Blechwalzwerk Ilsenburg
Blechwalzwerk Olbernau Walzwerk Finow Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf Walzwerk Kirchmöser (Neubau)
Als größtes Vorhaben des Zweijahrplanes nahm das Stahl- und Walzwerk Brandenburg am 20. Juli 1950 den Betrieb auf. Alle diese Werke befanden sich in Regionen mit einer ortsansässigen Industriearbeiterschaft. Wie das Beispiel der Maxhütte zeigt, spielten die Stammarbeiter bei der Wiederaufnahme der Produktion eine hervorragende Rolle.51 Bei einem in den vierziger Jahren relativ reichlich vorhandenen Arbeitskräftereservoir52 wurden durch die Produktionsaufnahme der genannten Betriebe keine nennenswerten territorialen Bewegungen der Arbeiterklasse ausgelöst. Im Grunde genommen handelte es sich um die Reaktivierung vorhandener Industrie- und Arbeitskräftekapazitäten, aber auch um die Integration bisher nicht zur Arbeiterklasse gehörender Personen. Differenzierter zeigte sich die Situation gegen Ende der vierziger Jahre im Kohlenbergbau. Steinkohle wurde in den Schächten des Zwickau-Oelsnitzer Reviers sowie des Döhlener Reviers gefördert. Hier kam es, bedingt durch die geologische Situation, kaum zu einer Erweiterung. Einen recht starken Anstieg erfuhr bereits in dieser Zeit die Braunkohlenförderung in den Revieren um Leipzig und Halle sowie Spreetal, desgleichen die Kaliproduktion im Südharz-, Unstrut-, Staßfurter und Werra-Revier.53 Als Schlüsselindustrie wurde der Bergbau zu einem wichtigen Integrationsbereich für neue Arbeitskräfte. Um die Kohleproduktion zu steigern, erteilten die zuständigen sowjetischen Besatzungsorgane entsprechende Befehle. So wurde u. a. veranlaßt, durch den Einsatz von Arbeitsuchenden, Heimkehrern, Arbeitern aus anderen Industriezweigen und der Landwirtschaft „in erster Linie, und zwar voll und ganz, den Bedarf der Betriebe der Kohlenindustrie an Arbeitern zu befriedigen".54 An diese Entwicklung knüpfen sich einige Fragen, die die Integration von Arbeitskräften im weiteren Sinne berühren. Für den Bergbau dürfte ohne Zweifel unter diesem Aspekt das Kontrollratsgesetz Nr. 3 relevant gewesen sein. Nach diesem Gesetz erfolgten in der zweiten Jahreshälfte 1947 und 1948 Zwangseinweisungen ehemaliger aktiver Nazis in die materielle Produktion.55 Ein großer Teil derartiger Zwangseinweisungen wurde im Bergbau vorgenommen. Bis Anfang 1948 waren es ca. 520 000 ehemalige NSDAP-Mitglieder, die im Zuge der Entnazifizierung aus Behörden, Ämtern, anderen Institutionen und Betrieben entfernt wurden.56 Es bleibt jedoch ungewiß, wie viele Angehörige dieses Personenkreises eine Arbeit in der Produktion, sei es im Bergbau, sei es in anderen Industriezweigen, aufnahmen. Auch über die Dauer ihres Einsatzes liegen keine hinreichend repräsentativen Angaben vor. G. Dittrich schätzt den Anteil dieser Gruppierung ehemaliger aktiver Nazis in der Arbeiterklasse „nicht erheblich unter 5 %". 57 Im Hinblick auf die Eingliederung der Umsiedler und der zurückkehrenden Kriegsgefangenen müßte dieser Anteil m. E. jedoch höher veranschlagt werden. Kaum genauere Angaben lassen sich über andere personelle Zuströme zur Arbeiter-
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klasse machen. G. Dittrich vertritt unter Hinweis auf die Ergebnisse der faschistischen Agrarpolitik und auf die Folgen der totalen Mobilmachung von 1943 die Auffassung, daß der kleinbürgerliche Zustrom für eine gewisse Zeit zur wesentlichen Reproduktionsquelle der Arbeiterklasse geworden sei.58 Tatsächlich hatten die Auswirkungen der sogenannten „Auskämmaktionen" der Faschisten auch nach 1945 ihre Problematik für die Arbeiterklasse nicht verloren. G. Dittrichs an anderer Stelle getroffene Feststellung aber, daß der Zustrom aus kleinbürgerlich-bäuerlichen und bürgerlichen Kreisen zu Ende der vierziger Jahre nicht erheblich für das quantitative Wachstum der Arbeiterklasse ins Gewicht gefallen sei,59 wird durch eine Analyse der Belegschaftszusammensetzung neuentstehender Industriebetriebe zumindest relativiert. Im Zusammenhang mit industriellen Standortproblemen wird hierauf noch eingegangen. Dittrichs These wird m. E. insbesondere der sozialen Integration der Umsiedler nicht gerecht. Mit 4,3 Mill. Umsiedlern im Gebiet der DDR nahm diese Aufgabe eine schwerwiegende volkswirtschaftliche und politische Dimension an.60 1,5 Mill. Umsiedler konnten bis zum Beginn der fünfziger Jahre eine Arbeit aufnehmen.61 Wenn man davon ausgeht, daß ca. 90 000 Umsiedler mit ihren Familien Neubauernstellen erhielten und etwa 150 000 in der öffentlichen Verwaltung tätig wurden, so bleibt eine bedeutende Gruppierung von Umsiedlern, die nach Lage der Dinge mit größter Wahrscheinlichkeit eine Arbeit in der Industrie aufnahm. Etwa 450 000 jugendliche Umsiedler befanden sich an der Schwelle der fünfziger Jahre in einem Lehrverhältnis oder standen als Arbeiter im Produktionsprozeß. Der zu dieser Problematik äußerst unzureichende Forschungsstand verbietet zwar weitergehende Verallgemeinerungen zum Reproduktionsprozeß der Arbeiterklasse, aber bestimmte Hinweise sprechen dafür, daß die Integration ehemaliger Umsiedler in die Reihen der Industriearbeiter eine beachtenswerte Rolle spielte. So trat die SED bereits 1947 dafür ein, Umsiedler berufs- und qualifikationsgerecht in der Produktion einzusetzen.62 Die Quellen legen die Einschätzung nahe, daß der Zustrom von Umsiedlern zur Arbeiterklasse durch einen relativ hohen Anteil von Menschen kleinbürgerlicher oder bäuerlicher Herkunft charakterisiert war, der seinerseits aus der vorherrschenden Sozialstruktur der Umsiedlungsgebiete resultierte. Hier sei angemerkt, daß der Integrationsprozeß von Umsiedlern in die Arbeiterklasse sehr oft über die Zwischenstation Landwirtschaft erfolgte. Dittrich läßt die Frage offen, in welchem quantitativen Verhältnis diese klassenfremden Zuströme zur Eigenreproduktion der Arbeiterklasse standen. Und tatsächlich lassen die Quellen nur ungenaue Schätzungen zu, die in ihrer Unscharfe bis zu einem gewissen Grade die soziale Entwurzelung vieler Menschen tun das Jahr 1945 widerspiegeln. Für das Gebiet der sowjetischen Besatzungszone kann angenommen werden, daß gegen Ende der vierziger Jahre etwa 20 bis 25 Prozent der Angehörigen der Arbeiterklasse aus nichtproletarischen Klassen und Schichten stammten und diese im wesentlichen zwischen 1942/43 und 1947/48 integriert wurden. Besonders in den Bergbaubetrieben bildete sich so eine hohe Konzentration von Produktionsarbeitern heraus, die ehemals anderen Klassen und Schichten angehört hatten und über keine angemessene Ausbildung verfügten. Der oben erwähnte SMADBefehl beinhaltete konkrete Maßnahmen zur Qualifizierung und sozialen Integration der neuen Arbeitskräfte.63 Damit wurde auch eine Veränderung im Typ der Reproduktion der Arbeiterklasse eingeleitet. Vorliegende Untersuchungen beweisen, daß sich zu Ende der Wiederher203
stellungsperiode der Volkswirtschaft die Arbeiterklasse mehr und mehr aus sich selbst heraus reproduzierte, wobei Frauen und Jugendliche die höchsten Zuwachsraten verzeichneten.64 Insgesamt unzureichend, um ein genaueres Bild zu vermitteln, machen die vorhandenen Angaben doch sichtbar, da§ die Integration klassenfremder Personen in die Arbeiterklasse durchaus keine Randerscheinung war. Die soziale und politische Dimension dieses Prozesses erfordert nicht zuletzt im Hinblick auf die Entwicklung der Klassen und Schichten in der DDR detaillierte Forschungen über die Zweiggruppen der Arbeiterklasse, so vor allem in der Grundstoffindustrie. Eine besondere Rolle bei der Neuformierung der Arbeiterklasse in den vierziger Jahren spielte der von der SAG-Wismut betriebene Uranerzbergbau. Die Aufnahme der Uranförderung in der sowjetischen Besatzungszone stand im Kontext der sich verschärfenden internationalen Klassenauseinandersetzung. In erster Linie ging es darum, das US-amerikanische Kernwaffenmonopol zu brechen und die Sowjetunion auch waffentechnisch zum wirksamen Schutz des eigenen Landes und der sich formierenden sozialistischen Staatengemeinschaft zu befähigen. Der Aufbau eines sowjetischen nuklearen Verteidigungspotentials stellte in diesem Zusammenhang einen wirksamen Faktor zur Erhaltung des Friedens dar. Werktätige der sowjetischen Besatzungszone leisteten dazu in den Wismut-Betrieben einen unmittelbaren Beitrag. Die Bergbautätigkeit vor allem in den Gebieten um Johanngeorgenstadt und Schneeberg führte offensichtlich zur bedeutendsten Arbeitskräftebewegung während der Übergangsperiode. Statistisch ist das nicht genau zu belegen. W. Krause gibt für April 1952 ca. 550 000 Beschäftigte in 25 SAG-Betrieben an. Etwa die Hälfte von ihnen war bei der SAG-Wismut tätig.65 Indirekt ist aus den Beschäftigungsdaten von 1952 für Johanngeorgenstadt und Schneeberg bei extrem niedrigem Frauenanteil in der Industrie auf einen Beschäftigungsanteil von 25-30 Prozent (bezogen auf die Einwohner) im Uranerzbergbau zu schließen.66 Die explosionsartige Arbeitskräftezunahme in diesem Raum ging mit Einschränkung des Bergbaus Mitte der fünfziger Jahre in einen starken Rückgang über. Eine gewisse Ergänzung stellte die Aufnahme des Uranerzbergbaus um Ronneburg (Bezirk Gera) aar. 67 Hinsichtlich der Quellen ist die Entwicklung des in diesem Bergbauzweig tätigen Teiles der Arbeiterklasse noch nicht umfassend erschlossen. Hier liegen bedeutende Möglichkeiten regionalgeschichtlicher Untersuchungen. Sie erscheinen um so wichtiger, als gerade aus dem SAG-Bereich starke qualitative Wirkungen auf die Klassenentwicklung ausgingen.68 Sicher ist, dafj der Rückgang des Uranerzbergbaus im Erzgebirge zu einem beachtlichen Bevölkerungsverlust im Bezirk Karl-Marx-Stadt führte. Von 1953 bis 1959 betrug hier das Wanderungsdefizit 89 000 Personen.69 Jedoch stieg die Zahl der insgesamt Beschäftigten im gleichen Zeitraum um ca. 57 000; die Zahl der Arbeiter und Angestellten erhöhte sich um 71 000. 7 ° Drei Tendenzen überlagerten sich dabei: 1. die Abwanderung der in der Bevölkerungszahl erfaßten Uranbergarbeiter; 2. die Schaffung neuer Arbeitsplätze, vor allem im Maschinenbau, die 3. zum absoluten und relativen Anwachsen der Arbeiterklasse in dem traditionsreichen Industriebezirk führte. Der Uranerzbergbau nahm für die Entwicklung der Arbeiterklasse in der DDR eine Sonderstellung ein. Nach allem, was aus den Quellen hervorgeht, führte die in hohem Tempo betriebene und zeitlich befristete Lagerstättenausbeutung über etwa zehn Jahre zu Arbeitskräftekonzentrationen, wie sie in ihrer Art für die Industrie der DDR nicht typisch waren. Damit verband sich die Einbeziehung von Menschen in den Arbeitspro204
zeß, die, wie oben erwähnt, zuvor nicht zur Arbeiterklasse gehört hatten. Hierin dürfte die wichtigste Auswirkung für die Klassenentwicklung zu sehen sein. Wie vom Uranerzbergbau gingen auch vom Schiffbau schon Ende der vierziger Jahre spürbare Impulse für die Neuformierung der Arbeiterklasse aus. Die durch Überalterung und Kriegsschäden stark in Mitleidenschaft gezogenen Werften an der Ostseeküste nahmen nach 1948 als SAG-Betriebe einen stürmischen Aufschwung. 1945 befanden sich noch etwa 3 000 Werftarbeiter vor allem in den Städten Rostock, Wismar und Stralsund.71 Bis Mitte der fünfziger Jahre erhöhte sich die Belegschaft der NeptunWerft auf 6 000, die der Warnow-Werft auf 7 500, die der Matthias-Thesen-Werft auf 8 000 und die der Volkswerft Stralsund auf 5 000 Beschäftigte.72 Diese Entwicklung bewirkte die Verstärkung der Arbeiterklasse im Norden der DDR und die schnellere Eingliederung der in Mecklenburg befindlichen Umsiedler. Bei einer seit 1946 leicht zurückgegangenen Wohnbewölkerung von ca. 845000 Personen erreichte die Arbeiterklasse im August 1950 in dieser Region einen Anteil von etwa 64 Prozent der Beschäftigten.73 Der Schiffbau bildete einen Eckpfeiler ihrer ökonomischen und sozialen Struktur. Bemerkenswert wirkten sich die Werftindustrie und ihre Zulieferbetriebe auf die Anhebung des Qualifikationsniveaus der Arbeiterklasse aus. Nach einer im November 1950 erfolgten Zählung bildete die Arbeiterklasse in metallverarbeitenden Betrieben Mecklenburgs die soziale Hauptkraft in der Nordregion der DDR. In den 57 erfaßten Betrieben waren 11 140 Facharbeiter, 3 071 Angelernte und 1 125 Hilfsarbeiter tätig.74 Damit lag das Qualifikationsniveau dieses Teiles der Arbeiterklasse weit über dem Durchschnitt. Zusammenfassend lägt sich für die 2. Hälfte der vierziger Jahre sagen: Wachstumsimpulse für die Arbeiterklasse gingen in den Südbezirken der DDR primär vom Uranerzbergbau und vom Kohlebergbau aus. Im Norden spielte die Werftindustrie eine ähnliche Rolle. Der III. Parteitag der SED leitete durch seine Beschlüsse für die längerfristige Volkswirtschaftsplanung,75 die sowohl konkrete Industrialisierungsvorhaben wie auch schon relativ exakte Kennziffern der Arbeitskräftebewegung fixierten, eine qualitativ neue Stufe in der sozialen Entwicklung der Arbeiterklasse ein. Die Planung wurde zu einem wichtigen Element sozialer Stabilität und Kontinuität. Bestimmend für die Strukturveränderungen der Arbeiterklasse in den folgenden Jahren sollte die weit überproportionale Ausweitung der Industriezweige Feinmechanik und Optik, Metallurgie und Maschinenbau werden. Mit ¿ehr hohen Wachstumsraten folgten Textilindustrie, Elektrotechnik und Bergbau.76 Zwei Entwicklungslinien wurden hier sichtbar: Zum einen sollten stark entwickelte Industriezweige unter Nutzung vorhandener Kapazitäten ausgebaut werden; zum anderen galt es, Metallurgie und Bergbau unter Einsatz großer ökonomischer Potenzen vorrangig zu Eckpfeilern des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus zu machen. Nur so konnten die schwerwiegenden Disproportionen zwischen Grundstoff- und Verarbeitungsindustrie verringert werden. Die SED zog daraus die Schlußfolgerung, dag das Wachstum der Arbeiterklasse im quantitativer und qualitativer Hinsicht größter Aufmerksamkeit bedürfe. Die 1950 vom III. Parteitag gegebene Orientierung betonte drei Punkte: 1. starkes quantitatives Wachstum der Arbeiterklasse in der Industrie; 2. Erhöhung des Anteils der Facharbeiter, Techniker und Ingenieure; 3. zunehmende Einbeziehung von Frauen in den Produktionsprozeß.77 Die damit abgesteckte Entwicklungsrichtung wurde zwei Jahre später von der 2. Parteikonferenz der SED noch einmal verdeutlicht.78 Im Beschluß „Zur gegenwärtigen Lage und zu den Aufgaben im Kampf für Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus" 205
lenkte die Partei die Aufmerksamkeit besonders auf die Notwendigkeit, die Leistungsfähigkeit der Hüttenindustrie, des Bergbaus, des Schwermaschinenbaus und der Energiewirtschaft zu erhöhen.79 Mehrere Beschlüsse zur Verbesserung der Lage der Arbeiter, zu ihrer Qualifizierung usw. ergänzten die Zielstellungen des Fünfjahrplanes.80 Die erfolgreiche Realisierung dieses Fünfjahrplanes bewirkte weitgehende Veränderungen in den industriellen Proportionen wie in der Struktur der Arbeiterklasse18:
Tabelle 1 Anteil der Abteilung I und der Abteilung II am gesellschaftlichen Gesamtprodukt der Deutschen Demokratischen Republik 1950-1958 (Gesellschaftliches Gesamtprodukt =
Abt. I Abt. II
100)
1950
1951
1952
1953
1954
1955
1956
1957
1958
43 57
45 55
47 53
48 52
46 54
47 53
50 50
50 50
52 48
Eine wesentliche Konsequenz dieser Proportionsveränderungen bestand in einer beachtlichen Wanderungsbewegung der Arbeitskräfte. Diese Bewegung ergab sich aus dem Arbeitskräfteüberschuß industrieferner Gebiete und dem Arbeitskräftemangel vor allem des Bergbaus, der Werften und der metallurgischen Industrie.82 Selbstverständlich läßt sich eine scharfe Trennung zwischen normaler Fluktuation und zielgerichteter Wanderung in die Industrialisierungsgebiete nicht vornehmen. Das Gesamtbild erhält zudem eine gewisse Unscharfe durch den Bevölkerungsabbau der Nordbezirke, der aus der schon erwähnten Abwanderung von Umsiedlern in die Südbezirke resultierte.83 Während der ersten 5-Jahrplanperiode wurde vor allem die Grundstoffindustrie, und hier wiederum Bergbau und Metallurgie, für die Arbeitskräftebewegung relevant. Zwei Zentren der metallurgischen Industrie entstanden in diesem Zeitraum neu: das Eisenhüttenkombinat Ost und die Eisenwerke West. Die Stahl- und Walzwerke Hennigsdorf, Riesa und Brandenburg sowie das Edelstahlwerk Freital wurden erweitert.84 Kapazitätsausweitungen erfuhr die Buntmetallurgie im Mansfeld-Kombinat.85 Lediglich einer dieser Betriebe, das EKO, löste eine starke Zuwanderung von Arbeitskräften aus. Mitte 1952 befanden sich 13 000 Arbeiter und Angestellte auf dem Baugelände.86 J . Cerny verweist auf die sehr heterogene Herkunft der sich formierenden Stammbelegschaft dieses Betriebes, wobei jedoch neben einer großen Gruppierung von Industriearbeitern ehemalige Angehörige der Zwischenschichten einen erheblichen Anteil hatten.87 Eine Folge dieser Entwicklung bestand in der Notwendigkeit der sozialen Integration Tausender Menschen in die Arbeiterklasse der neuentstehenden Industrieregion am Ufer der Oder.88 In den Eisenwerken West zeigte sich ein ähnliches Erscheinungsbild: Nach Angaben von K. Riemer sollen etwa 70 Prozent der Werktätigen des Niederschachtofenwerkes zuvor als Handwerker oder als Landarbeiter tätig gewesen sein.89 Es erscheint möglich, daß ein derartig hoher Anteil nicht aus der Arbeiterklasse stammender Personen an einer sich ebenfalls neu herausbildenden Betriebsbelegschaft dadurch begünstigt wurde, daß die im Industriegebiet Halle-Magdeburg ortsansässige Industriearbeiterschaft faktisch keine Arbeitskraftreserve darstellte. Eine andere Frage betrifft den regionalen Effekt der Industrialisierungsmaßnahmen. Und hier unterschieden sich Eisenhüttenstadt und Calbe sehr deutlich voneinander.
206
Während Eisenhüttenstadt eine Neugründung war, die bis Ende 1955 zu einer Wohnstadt mit 15 200 Einwohnern heranwuchs, erweiterte sich die Bevölkerung Calbes nur von 14 802 (August 1950) auf 16 396 (Dezember 1955). 90 Das EKO bildete die Basis für eine neue Industrieregion; die Eisenwerke West entstanden in einer Industrieregion. Durch das EKO schuf sich die Arbeiterklasse ein neues Zentrum ihrer sozialen, politischen und ökonomischen Führungsrolle; in Calbe erhöhte sie ihren regionalen Einfluß. Ein gemeinsames Charakteristikum für beide Werke wie überhaupt für Neubauten im Bereich der Grundstoffindustrie war eine demographische Wirkung; in Eisenhüttenstadt und Calbe stieg im Gegensatz zur allgemeinen Tendenz die Zahl der männlichen Bevölkerung.91 Diese Erscheinung verdeutlicht, daß männliche Arbeitskräfte das Gros der Zuwandernden bildeten. Insgesamt gesehen gingen vom EKO weit gewichtigere regionale Wirkungen aus als von den Eisenwerken West. Eisenhüttenstadt entwickelte sich zu einem überaus bedeutenden Einzugsgebiet für Arbeitskräfte, das besonders die Bezirke Frankfurt und Cottbus erfaßte.92 Dieses relativ industriearme Gebiet erfuhr so, vermittelt durch das Kombinat, eine tiefgreifende Veränderung der Wirtschaftsstruktur. Ende der fünfziger Jahre konzentrierte die metallurgische Industrie 14,9 Prozent der Arbeitskräfte und 26,8 Prozent der Bruttoproduktion des Bezirkes Frankfurt auf sich.93 Substantiell bildeten sich so die mit diesen Industrialisierungsmaßnahmen im Zusammenhang stehenden Gruppierungen der Arbeiterklasse während der ersten Fünfjahrplan-Periode heraus. In den folgenden Jahren ging die Zahl der in der Metallurgie Beschäftigten in den Bezirken Frankfurt und Magdeburg sogar leicht zurück, während sie im Rahmen der gesamten Volkswirtschaft von 1956 bis 1960 um ca. 20 000 auf 102 980 anwuchs.94 Das relativiert natürlich das sozialökonomische Potential der neuen Industriestandorte. Ihre Bedeutung darf im Hinblick auf die Entwicklung der Arbeiterklasse nicht überschätzt werden, denn ein Vergleich beider Bezirke mit der metallurgischen Industrie in einem Ballungszentrum wie dem Bezirk Halle sseigt folgendes Bild. Tabelle 2 Arbeiter u. Angestellte
Frankfurt Magdeburg Halle
195295
195696
I96097
3700 3800 32200
7300 5149 23337
7100 4600 38500
Angaben gerundet Auch im exponierten Fall der Metallurgie zeigt sich, daß die bereits bestehenden Industriezentren der DDR in der Übergangsperiode den weitaus größten Teil der Arbeiterklasse auf sich konzentrierten. Die Spezifik der Klassenentwicklung in den traditionellen industriellen Ballungsgebieten bedarf jedoch weiterer Untersuchungen, die über die Thematik dieses Beitrages hinausführen. Die Standortwahl neuer Industriebetriebe war überdies weniger an sozialstrukturellen Gesichtspunkten, sondern vielmehr an Rohstofflagerstätten und Verkehrswegen orientiert. Im Falle des EKO spielten auch politische Erwägungen eine Rolle, die insbesondere der Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und der VR Polen galten. Der Verteilung dieser Standorte wurde in den ersten Jahren der Volkswirtschaftsplanung nur in zweiter Linie Gewicht beigemessen.98 Auch am Ende der Übergangsperiode waren Ballung und Streuung der Industriestandorte der DDR noch weitgehend durch alte Betriebe bestimmt.99 207
Folgende Angaben machen vor allem das gegen Ende der Übergangsperiode noch relativ stark ausgeprägte industrielle Süd-Nord-Gefälle sichtbar: Tabelle 3 Ausgewählte Kennziffern zur Charakterisierung der industriellen Entwicklung in den nördlichen und südlichen Bezirken der DDR im Jahre i960 100 : Bezirke
Prozentualer Anteil an DDR (DDR = 100) Gebiet Bevölkerung industrielle Bruttoprod.
Industriebeschäftigte
Nördliche Gruppe (Rostock, Schwerin, Neubrandenburg, Frankfurt, Potsdam1, Magdeburg1)
40,5
19,4
9,3
7,1
Südliche Gruppe (Leipzig, Halle, Dresden, Karl-Marx-Stadt)
24,5
43,6
54,3
56,5
1
nur nördliche Teile der Bezirke Potsdam und Magdeburg, umrissen durch die südliche Grenze der Kreise Klötze, Gardelegen, Tangerhütte, Havelberg, Rathenow, Nauen, dazu Zerbst
Im Verlaufe der Übergangsperiode wirkte sich jedoch die Industrialisierungskonzeption der SED dahingehend aus, dafj neue Zentren der Arbeiterklasse in früher industriell wenig entwickelten Gebieten entstanden, von denen wiederum starke Impulse für die sozialistische Umgestaltung ausgingen. 101 Diese Tendenz und die andererseits nicht nachlassende Relevanz traditioneller Industriegebiete bildeten gemeinsam eine wesentliche objektive Bedingung für die Entwicklung der Arbeiterklasse in der DDR. Insofern erfährt der sachlich richtige Hinweis auf die Differenzierungen in der Arbeitsproduktivität und den Lebensbedingungen zwischen Nord- und Südbezirken bei O. Rühle eine zu statische Bewertung.102 Die Tendenz zum Ausgleich des industriellen Entwicklungsniveaus beinhaltete auch eine Tendenz zur Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen in den verschiedenen Regionen und zwischen den werktätigen Klassen und Schichten.103 Es gilt jedoch, auch idealtypischen Vorstellungen zu widersprechen. Die Überwindung der schwerwiegenden industriellen Disproportionen in der Übergangsperiode war nicht identisch mit regionaler Nivellierung. Der extensive Industrialisierungstyp entsprach primär der Forderung nach Verringerung historisch überkommener bzw. von Spaltungsdisproportionen.104 Und gerade vor diesem Hintergrund wird die ausschlaggebende Rolle traditioneller Industriereviere deutlich. Sie und die in ihnen konzentrierte Arbeiterklasse bildeten letztlich die Hauptquellen für die hier knapp umrissenen Ausgleichstendenzen zwischen vorrangig industriell oder agrarisch strukturierten Gebieten. Auf einige der damit im Zusammenhang stehenden Veränderungen der Arbeiterklasse und ihrer territorialen Verteilung wird im folgenden eingegangen.
208
3.
Probleme der industriellen Zweigstruktur der Arbeiterklasse
In der Wiederherstellungs- und der darauffolgenden Rekonstruktionsperiode der Volkswirtschaft spielte der Bergbau in den Südbezirken der DDR eine zentrale Rolle. Gemessen an seiner ökonomischen Bedeutung erlangte er aber - abgesehen vom Uranerzbergbau - für die quantitative Entwicklung der Arbeiterklasse relativ geringe Wirkung. Andererseits gingen vom Bergbau wiederholt außerordentlich wichtige Impulse für den qualitativen Reifeprozeß der Klasse aus, so besonders im Rahmen der Aktivistenund Wettbewerbsbewegung. Die Zahl der im Bergbau Beschäftigten stieg von 168 000 im Jahre 1950 auf 208 500 im Jahre 1954 an, pendelte eine Zeitlang in diesem Bereich, wuchs bis 1958 auf einen Spitzenwert von 216600 und sank dann bis 1961 auf 189400 ab.105 Nachdem die Werbung von Arbeitskräften für den Bergbau bis zum Abschluß des 1. Fünfjahrplanes beachtliche Erfolge zu verzeichnen hatte,108 ging die Zahl der Arbeitsplätze und damit die der Arbeiter in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zurück. Wie die metallurgische Industrie erforderte insbesondere der Untertagebergbau eine rasche und umfassende Qualifizierung der Arbeiter. Neben der territorialen Ausweitung ist von hier ein weiterer wichtiger Impuls der Klassenentwicklung ausgegangen. Die Lohnerhebung vom November 1950, die nur einen Teil der Arbeiterklasse und der Betriebe erfaßte, zeigte z. B. für den sächsischen Untertagebergbau folgendes Verhältnis: 10 903 Facharbeiter, 133 Angelernte und 2 443 Hilfsarbeiter. Im Braunkohlenbergbau wurde eine weniger günstige Relation festgestellt: 2 557 Facharbeiter, 2 041 Angelernte und 1 491 Hilfsarbeiter.107 Bis 1955 erfuhr der gesamte Steinkohlen-, Braunkohlen-, Eisenerz-, Kupfer- und Kali-Bergbau gegenüber dem Vorkriegsstand eine starke Steigerung.108 Der Abbau erfolgte jedoch in vorhandenen Revieren mit ortsansässigen Arbeitern. Zum Ausgangspunkt einer spürbaren Verlagerung des Bergbaus wurde am 31. August 1955 der erste Spatenstich zum Kombinat Schwarze Pumpe, für das die Tagebaue Burghammer, Welzow, Stradow und Nochten aufgeschlossen werden mußten. Nachstehender Überblick zeigt die Folgen für die Arbeitskräftekonzentration: Tabelle 4 Arbeiter und Angestellte im Bergbau (Angaben gerundet):
Halle Leipzig Cottbus Karl-Marx-Stadt
1952109
1956110
I960 111
52300 33000 32500 28000
66200 23100 40300 30200
48500 25500 47700 26200
Die traditionellen Reviere produzierten in der Regel bis zur Erschöpfung der Lagerstätten. Von zunehmender Bedeutung für die Entwicklung der Arbeiterklasse wurde aber das Kombinat Schwarze Pumpe - Hauptobjekt des 2. Fünfjahrplanes das nach 1955 zum Industrialisierungsschwerpunkt des Bezirkes Cottbus heranwuchs. Neben dem Bergbau und der metallurgischen Industrie bildete der Maschinenbau ein weiteres wichtiges Investitionsgebiet. Hier nahmen die Bezirke Karl-Marx-Stadt, Leipzig, Dresden, Halle und Magdeburg gegenüber anderen Teilen der DDR deutliche Spitzenstellungen ein. Die Zentren des Maschinenbaus stimmten auch geographisch 209
mit den Zentren der Arbeiterklasse überein. Im Zeitraum 1950 und 1955 entstanden durch Neu- und Ausbau wichtige Industriekapazitäten, von denen die bedeutendsten waren: Schwermaschinenbau „Heinrich Rau", Wildau; LEW „Hans Beimler", Hennigsdorf; Bergmann-Borsig, Berlin; Maschinenfabrik Görlitz; Dampfkesselbau Hohenthurm; Werkzeugmaschinenfabrik „Union", Gera; Kranbau Eberswalde; Waggonbau Gotha; Stahlbau Brandenburg; Stahlbau Leipzig; V E B „Modul" Karl-Marx-Stadt; „FritzHeckert-Werk" Karl-Marx-Stadt; Großdrehmaschinenbau „8. Mai" Karl-Marx-Stadt; Großdrehmaschinenbau „7. Oktober" Berlin; Werkzeugmaschinenbau Aschersleben; Förder- und Anlagenbau Kothen und Nordhausen; Dieselmotorenwerk Rostock. 1 1 2 Die Zahl der Beschäftigten stieg in diesem Industriezweig von 443 100 im Jahre 1950 auf 572 900 im Jahre 1955, wobei dieser Zuwachs ausschließlich volkseigene Betriebe betraf. 1 1 3 Nicht zu übersehen ist dabei, daß die genannten Betriebe in bereits vorhandenen Industriestandorten aufgebaut bzw. erweitert wurden. Dadurch erhöhte sich die Konzentration der Arbeiterklasse in den Industrieregionen der DDR. Ein Vergleich zwischen den beiden Agrarbezirken Schwerin und Neubrandenburg einerseits und den beiden Industriebezirken Leipzig und Karl-Marx-Stadt andererseits zeigt für die Jahre 1952 bis 1955 ein differenziertes Anwachsen der Beschäftigungszahlen 1 1 4 : Tabelle 5
Zunahme der Beschäftigten insges. darunter Zunahme der Arbeiter u. Angest. in der Industrie (ohne Bau)
Schwerin/ Neubrandenburg
Leipzig/ Karl-Marx-Stadt
49300
123300
5900
60200
Die Nordbezirke (im Bezirk Rostock nahm die Arbeiterklasse in der Industrie sogar ab) wiesen also gegenüber den alten Industriegebieten ein deutlich langsameres Wachstum im Kern der Arbeiterklasse, bei der Industriearbeiterschaft, auf. Diese bis Mitte der fünfziger Jahre deutlich ausgeprägte Tendenz zwingt zu der Schlußfolgerung, daß die historisch bedingte Standortverteilung der Industrie ausschlaggebend war für die territoriale Konzentration, Verteilung und Bewegung der Arbeitskräfte in der DDR. 1 1 5 Die Bilanz der Binnenwanderung während der fünfziger Jahre berechtigt darüber hinaus zu der Annahme, daß die Bezirke Schwerin und Neubrandenburg Arbeitskräfte nach dem Süden abgaben, insbesondere in den Industrialisierungsraum Frankfurt/Cottbus sowie an die Bezirke Potsdam, Gera, Leipzig und an die Hauptstadt Berlin. 1 1 6 Insgesamt stand die industrielle Entwicklung bis zum Abschluß des 1. Fünfjahrplanes unter dem Vorzeichen des Ausgleichs ökonomischer Disproportionen, was besonders durch eine starke Erweiterung der Bergbau-, der metallurgischen und der Maschinenbau-Kapazitäten angestrebt wurde. 117 Von den 1955 erreichten Positionen ausgehend, orientierte die SED auf ihrer 3. Parteikonferenz 1956 die Wirtschaftspolitik der D D R an dem Haupterfordernis, Grundstoffindustrie und Chemie rasch zu entwickeln. 118 Zudem galt es, einen nach 1953 eingetretenen Tempoverlust im Bereich der Schwerindustrie aufzuholen. 119 Diese Industrialisierungskonzeption fand 1957 ihre Ergänzung im Kohle- und Energieprogramm sowie 1958 im Chemie
210
Programm der DDR.120 Durch die Betonung der sozialistischen Rekonstruktion 121 war eine industrielle Wachstumsrichtung vorgezeichnet, die für die Entwicklung der Arbeiterklasse zwei grundsätzliche Folgen zeitigte: 1. Die territoriale Arbeitskräftebewegung wurde eingeschränkt. Das entsprach auch der allmählichen Erschöpfung der Arbeitskraftreserven. 2. An die Arbeiter vornehmlich der Industrie wurden zunehmend höhere Qualifikationsforderungen gestellt. Auch in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zeigte es sich, dag industrielle Neuinvestitionen mit einem Folgebedarf an Arbeitskräften vor allem in den Ballungsgebieten erfolgten. 1956 wurden 48,5 Prozent und 1960 56,5 Prozent der Investitionen in die Industrie und ins Bauwesen geleitet.122 Eindeutiger Schwerpunkt war 1956/57 der Bereich des Ministeriums für Kohle und Energie mit 21 bzw. 26 Prozent der Gesamtinvestitionen.123 In der Folgezeit verlagerte sich entsprechend dem Chemieprogramm der Investitionsschwerpunkt auf die chemische Industrie des Bezirkes Halle. Mit dem Bau des Erdölverarbeitungswerkes Schwedt und des Kunstfaserkombinates Wilhelm-Pieck-Stadt Guben wurde begonnen.124 In jener Zeit entstanden neue Konzentrationen der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Aufbau des Kombinats Schwarze Pumpe und der Erweiterung der chemischen Industrie im Raum Piesteritz/Coswig. Eine nennenswerte Arbeitskräftebewegung erfolgte jedoch nur in Richtung des Cottbuser Braunkohlenreviers. Die in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung kaum zu überschätzenden Lausitzer Kraftwerke auf Braunkohlenbasis hatten auf die Zuwanderung von Arbeitskräften nur einen geringen Einfluß. Sie allein bildeten wegen der relativ geringen Zahl der hier Beschäftigten keine Kristallisationspunkte für das Entstehen von Ballungszentren der Industrie und der Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse in den Schwermaschinenbaubetrieben zeigte in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre eine geringe Wachstumstendenz, die sich auf die Bezirke Halle, Magdeburg und Karl-Marx-Stadt konzentrierte. 125 Im allgemeinen Maschinenbau fand die Tatsache, daß vorhandene Industriestandorte die Arbeitskräfte in besonderem Maße anzogen, ihre Bestätigung in den Bezirken Frankfurt und Potsdam, die hier die höchste Zuwachsrate aufwiesen, und in den Bezirken Dresden, Leipzig, Karl-MarxStadt, Magdeburg und Erfurt. 126 Überblickt man zusammenfassend die Problematik der Bedingtheit von Industrie und Arbeiterklasse anhand der Industrialisierungsschwerpunkte der Übergangsperiode, so zeigt sich, daß in jener Zeit das Gebiet der Bezirke Cottbus und Frankfurt industriell weiter erschlossen wurde und hier regional außerordentlich gewichtige Zentren der Arbeiterklasse entstanden. Die Nordbezirke erfuhren mit Ausnahme der Küstenstädte noch keine vergleichbare Entwicklung. Im Gegenteil, sie stellten ein Arbeitskräftereservoir für die Industriegebiete dar. Die alten Industriestandorte wahrten ihre Bedeutung bzw. bauten diese aus. Sie blieben die Zentren der Arbeiterklasse in der DDR. Nach einer im Februar 1958 im Landkreis Leipzig vorgenommenen Probezählung waren 64,6 Prozent aller erwerbstätigen Personen Arbeiter. Zählt man die zur Arbeiterklasse gehörigen Angestellten hinzu, so ergibt sich für die ähnlich strukturierten Industriegebiete der DDR ein Anteil der Arbeiterklasse von über 85 Prozent an der Gesamtheit der Beschäftigten.127 Die Industrialisierung war während der Übergangsperiode mit einer Verstärkung der Arbeiterklasse besonders in den Klein- und Mittelstädten verbunden, was auf eine entsprechende Urbanisierungstendenz hindeutet.128 Über einen längeren Zeitraum lassen sich mehrere Typen der Industrialisierung und 211
der damit verbundenen Klassenentwicklung fixieren.129 So repräsentieren z. B. die Kreise Aue und Schwarzenberg einen zeitlich begrenzten extensiven Industrialisierungstyp. Dort stieg die Bevölkerungszahl bis in die ersten fünfziger Jahre hinein rasch an, ging mit der Abnahme des Bergbaus aber wieder stark zurück. Dank dem Aufbau von. Nachfolgeindustrien blieben die Zahlen der Wohnbevölkerung, der Arbeiter und Angestellten aber über dem Ausgangspunkt. Extensive, aber zeitlich unbegrenzte Industrialisierungsmaßnahmen lassen sich u. a. für die Kreise Eisenhüttenstadt, Schwedt, Cottbus und Senftenberg nachweisen. Dort kam es im Verlaufe der fünfziger Jahre zu einem hohen Bevölkerungswachstum mit Herausbildung von stärkeren Gruppierungen der Arbeiterklasse. Ein intensiver Industrialisierungstyp war beispielsweise in den Städten Berlin, KarlMarx-Stadt und Brandenburg vorherrschend. Dort blieben die Einwohnerzahlen nahezu über den ganzen Untersuchungszeitraum hinweg konstant, wobei sich der Anteil der Arbeiterklasse erhöhte. Als eine Kombination des ohnehin nicht in reiner Form auftretenden extensiven und intensiven Industrialisierungstyps läßt sich die Entwicklung in Rostock begreifen, die mit raschem Bevölkerungswachstum und zunehmender Konzentration der Arbeiterklasse einherging. Obgleich die hier vorgenommene Typisierung nur als grobes Raster zur Orientierung dienen kann, sollte doch darauf verwiesen werden, daß die Kapazitätserweiterung der bestehenden Industrie die territoriale und soziale Struktur der Arbeiterklasse wesentlich stärker beeinflußt hat als der extensive Typ. Letzterer besaß in der Obergangsperiode unbestreitbare Fernwirkungen und teilweise regional außerordentliches sozialökonomisches Gewicht. Direkt wurde jedoch nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Arbeiterklasse von ihm beeinflußt. Überdies verlangten auch die negative Bevölkerungsbilanz der DDR und der hohe Beschäftigungsgrad schon in der Übergangsperiode eine starke Betonung der sozialistischen Rekonstruktion und Rationalisierung. Dennoch spielte der extensive Ausbau solcher Industriezweige wie der Chemie und des Braunkohlebergbaus auch in den letzten Jahren der Übergangsperiode eine volkswirtschaftlich entscheidende Rolle. Entsprechend der volkswirtschaftlichen Zielsetzung, die industriellen Disproportionen zu verringern, vollzog sich die quantitative Entwicklung der Arbeiterklasse in der Übergangsperiode zweigspezifisch differenziert. Seit Mitte der fünfziger Jahre wurde diese Differenzierung in zunehmendem Maße durch die Verringerung der Arbeitskräftereserven überlagert. Eine wichtige Folge davon war, daß sich die überregionale Arbeitskräftebewegung ebenfalls verminderte. In der Konsequenz hieß das, die Ausweitung industrieller Kapazitäten stärker als bisher auf Gebiete zu richten, deren Arbeitskräftereservoir noch nicht in so hohem Maße in die Industriearbeit einbezogen worden war. Das galt z. B. für die Nordbezirke der DDR, die Lausitz und das Eichsfeld. Die damit verbundene Entwicklung geht jedoch über den hier zugrunde gelegten Untersuchungszeitraum hinaus. Während die metallurgische Industrie in den fünfziger Jahren einen allmählichen Arbeitskräftezuwachs verzeichnete, 130 wies der Bergbau seit 1959 eine rückläufige Tendenz auf. Ein Vergleich zeigt, daß die Einschränkung der Bergbautätigkeit im Revier Halle/Leipzig vorrangig durch die Abwanderung von Produktionsarbeitern gekennzeichnet war, denn die Gesamtzahl der Arbeiter und Angestellten stieg in dieser Phase noch an. 131 Bereits Mitte der fünfziger Jahre erhielten die Betriebe der Schwerindustrie z. B. die Anweisung, bei Freistellung von Arbeitskräften die normale Fluktuation zu 212
nutzen, aus der Landwirtschaft stammende Arbeitskräfte bevorzugt für die Landwirtschaft freizustellen und ansonsten innerbetrieblichen Umsetzungen den Vorrang zu geben.132 Dieser Verfahrensweise kann eine gewisse Allgemeingültigkeit für die Industriebetriebe der DDR zugesprochen werden. Sie war auf eine Verringerung der Fluktuation gerichtet und förderte eine Stabilisierung der Betriebskollektive auch in neuen Betrieben. Der Verlauf der Arbeitskräftebewegung von Mitte der fünfziger Jahre bis zum Abschlug der Übergangsperiode bestätigte die Richtigkeit solcher Bemühungen. Die Fluktuation nahm spürbar ab, blieb aber unter den angelernten Arbeitskräften noch relativ hoch.133 Die Einbeziehung von Frauen in den Produktionsprozeß war der wesentliche quantitative Wachstumsfaktor der Arbeiterklasse. Es muß allerdings festgestellt werden, daß Frauen vorrangig in bereits bestehenden Betrieben eingesetzt wurden. Ihr Anteil in den unteren Lohngruppen blieb unverhältnismäßig hoch,134 obgleich in den einzelnen Industriezweigen große Anstrengungen zur Frauenqualifizierung unternommen wurden. 135 Noch Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre lag der Anteil weiblicher Teilnehmer an Facharbeiter- und Lehrabschlußprüfungen weit unter der natürlichen Relation.136 Gerade die Frauenarbeit in den unteren Lohngruppen bedürfte im Hinblick auf den Industrialisierungsprozeß noch einer gründlichen Untersuchung. Zusammenfassend lassen sich mehrere Schwerpunkte in der Entwicklung der Arbeiterklasse während der Übergangsperiode fixieren, die aus dem Industrialisierungsprozeß resultieren bzw. unmittelbar mit diesem zusammenhängen: Im Zusammenhang mit dem Auf- und Ausbau neuer Industriekapazitäten wirkten sich der Bergbau, die metallurgische Industrie, der Schiffs- und Maschinenbau sowie die chemische Industrie in besonderem Maße auf die soziale Umstrukturierung der Arbeiterklasse aus. Diese Umstrukturierung erfolgt im wesentlichen auf drei Ebenen: a) territorial: Alte Industriestandorte wahrten bzw. erhöhten ihre Rolle als soziale, ökonomische, politische, ideologische und kulturelle Zentren der Arbeiterklasse. Durch den Neubau von Industriewerken oder durch Bergbautätigkeit wuchsen Anteil und Einfluß der Arbeiterklasse besonders in den Bezirken Cottbus und Frankfurt. An der Ostseeküste konzentrierte sich die Arbeiterklasse vorrangig in Rostock, Stralsund, Warnemünde und Wismar. Die neuen Industriezentren erlangten durch Zuwanderer und Arbeitspendler starke regionale, teils auch überregionale Bedeutung. b) qualitativ: Die Industrie trug entscheidend zur Verbesserung der Qualifikationsstruktur der Arbeiterklasse bei. Von 1952 bis 1961 ging der Anteil der ungelernten Produktionsarbeiter in der Industrie von 13,5 auf 7,3 Prozent zurück, der der Angelernten sank von 41,2 auf 40,5 Prozent und der der Facharbeiter erhöhte sich von 45,3 auf 52,2 Prozent.137 Eine zahlenmäßig besonders gewichtige Facharbeitergruppierung hatte sich im Bergbau und in der metallverarbeitenden Industrie, hier vor allem im Schwermaschinenbau herausgebildet.138 Entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung der DDR und für die Struktur der Arbeiterklasse wurden die beträchtlichen Ausweitungen der Grundstoffindustrie und der metallverarbeitenden Industrie einerseits sowie der anteilmäßigen Reduzierung der Leichtindustrie und der Nahrungs- und Genußmittelindustrie andererseits. In den Grundzügen folgten die Arbeitskräfteströme dieser Entwicklung. Dabei erhöhte sich die Konzentration der Arbeiterklasse in Großbetrieben mit über 1 000 Be213
schäftigten mit weitem Vorsprung am stärksten in der Energie- und Brennstoffindustrie sowie in der metallurgischen Industrie. 139 c) quantitativ: Vom Beginn der Übergangsperiode wuchs die Arbeiterklasse in der Industrie nach anfänglichen Schwankungen bis zum Ende der 1. Fünfjahrplanperiode. 1955/56 zeigte das Wachstum eine leicht rückläufige Tendenz. Dem folgte ein erneutes Anwachsen bis 1959 und anschließend bis 1963 eine Stagnationsphase. Ab 1963 ist wieder ein leichter Aufschwung zu erkennen.140 Damit wuchs die Arbeiterklasse in der Industrie während der Übergangsperiode schneller als in allen anderen Bereichen der materiellen Produktion. 141 Tabelle 6 Arbeiter und Angestellte in der Industrie (ohne Bau)142: 1950 Industrie insges.: 2154602 1955 „ „ : 2770044 1961 „ „ : 2799177
Sozialist. Industrie: 1575509 . „ : 2270789 „ „ : 2302720
Das heißt, daß der Kern der Arbeiterklasse, die Industriearbeiterschaft sozialistischer Betriebe, in den fünfziger Jahren rascher erstarkte als die Arbeiterklasse insgesamt, die von ca. 5,3 Mill. im Jahre 1950 auf 6,3 Mill. anwuchs.143 Ausschlaggebend dafür war der Auf- und Ausbau neuer Industriekapazitäten. Zur wichtigsten Quelle des quantitativen Wachstums der Arbeiterklasse wurde vom Beginn der fünfziger Jahre an die Arbeitsaufnahme durch bisher nicht berufstätige Frauen. Ihr Anteil an den Arbeitern und Angestellten (ohne Bau) in der Industrie erhöhte sich wie folgt 144 : Tabelle 7 1950 Industrie insges.: 34,4 Prozent 1955 „ „ : 38,8 „ 1961 „ „ : 40,4 .
Die Berufsstruktur der Arbeiterklasse wurde durch den Rückgang in Berufen der Textilindustrie und der Landwirtschaft gekennzeichnet.145 Eine deutliche Zunahme dagegen war bei Berufen der Elektrotechnik und des Maschinenbaus festzustellen.146 Es ist hier nicht der Raum, die Entwicklung der Arbeiterklasse in der DDR detailliert mit adäquaten Erscheinungen in den europäischen sozialistischen Ländern zu vergleichen. So bedürften schon die z. T. sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen nach dem zweiten Weltkrieg einer ausführlichen Behandlung. Wesentlich für die Industrialisierungsproblematik war der vorrangige Ausbau der Schwerindustrie während der Übergangsperiode.147 Tendenziell unterschied sich die DDR hierin nicht von den volksdemokratischen Ländern.148 Besonders in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre lag die Metallurgie mit der höchsten Wachstumsrate an der Spitze der Industriebereiche. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wurde sie im Wachstumstempo durch den Maschinen- und Fahrzeugbau übertroffen: 214
Tabelle 8 Index der industriellen Bruttoproduktion (1950 = lOO)149:
Industrie insges. Energie- und Brennstoffindustrie Chemische Industrie Metallurgie Baumaterialienindustrie Maschinen- und Fahrzeugbau Elektrotechnik/'Elektronik/Gerätebau
1949
1955
1958
1961
79 94 83 75 83 74 77
190 137 190 246 177 209 228
242 163 245 313 246 278 341
312 177 312 374 323 396 489
Wie in den anderen sozialistischen Ländern führte diese Entwicklung auch in der DDR zu einem zahlenmäßigen Anwachsen der Arbeiterklasse in der Schwerindustrie. Als Besonderheiten hebt G. Dittrich jedoch hervor, daß die Arbeiterklasse der DDR, bedingt durch den absoluten Bevölkerungsrückgang, nur relativ langsam wuchs und daß der Anteil der in der Grundstoffindustrie tätigen Zweiggruppe, bedingt durch die Rohstoffarmut des Landes, gering blieb. 1 5 0 Dem ist mit der Einschränkung zuzustimmen, daß der Vergleich des quantitativen Wachstums der Arbeiterklasse außerordentlich stark vom Industrialisierungsgrad und dem Anteil der Industriearbeiter an der Bevölkerung beeinflußt wurde. Es ist zudem nicht einzusehen, daß die sozialistische Rekonstruktion der Volkswirtschaft zwangsläufig mit einer Zunahme der Arbeiterklasse in der Industrie verbunden sein müßte. Im Gegenteil, im Verlaufe der Übergangsperiode verlor der Aspekt des quantitativen Wachstums besonders in den industriellen Ballungsgebieten zugunsten der qualitativen Faktoren der Klassenentwicklung an Gewicht. Eine gravierende Besonderheit, resultierte in der D D R aus der negativen demographischen Situation, ohne die bestimmte Merkmale der klasseninneren Veränderungen nicht zu verstehen sind. 151 Zeigt der Vergleich zwischen den industriellen Ausgangsbedingungen und der Durchführung von Industrialisierungsmaßnahmen in den sozialistischen Ländern durchaus Besonderheiten, so kommt das Allgemeine vor allem in den sozialen Konsequenzen für die Arbeiterklasse zum Tragen. Der vorrangige Ausbau der volkseigenen Großindustrie diente der Schaffung einer Wirtschaftsstruktur, wie sie der materiell-technischen Basis des Sozialismus entsprach. Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Investitionskonzentration auf die Schwerindustrie bestand in der Notwendigkeit des militärischen Schutzes der Revolution. 152 Dadurch vollzog sich die industrielle Entwicklung während der Übergangsperiode im objektiven Interesse der Arbeiterklasse. Es entstanden Wirtschaftsproportionen, die zum Fundament für stabiles Wachstum und soziale Sicherheit wurden, die es der Arbeiterklasse aber auch erlaubten, ein ausreichendes Verteidigungspotential zu schaffen. Die ökonomischen Ausgangspositionen der DDR wurden durch ein relativ hohes industrielles Niveau und durch außerordentlich schwerwiegende Disproportionen charakterisiert, die zudem durch die Auswirkungen des imperialistischen Wirtschaftskrieges verschärft worden sind. Von diesen Bedingungen her sind die wesentlichen quantitativen Wachstumsprozesse der Arbeiterklasse zu bestimmen. Über den Zeitraum der Übergangsperiode hinweg wuchs die Arbeiterklasse besonders stark in den Zweiggruppen Elektrotechnische Industrie, Maschinenbau, Chemische Indu15
Übergangsperiode
215
strie, Fahrzeugbau und Feinmechanisch-optische Industrie (in dieser Reihenfolge). Den stärksten anteilmäßigen Rückgang wies demgegenüber der Bergbau auf. 153 Mit dieser Entwicklung verband sich eine Tendenz zur Konzentration und zur engeren Verbindung der Arbeiterklasse mit modernen Produktionsmitteln. Angesichts des hohen Anteils manueller Arbeiten (im März 1959 waren ca. 41 Prozent der Produktionsarbeiter in der zentralgeleiteten volkseigenen Industrie noch vorrangig mit nichtmechanisierten Arbeiten beschäftigt) 154 barg diese Tendenz große Möglichkeiten qualitativer Veränderungen in der Arbeiterklasse. Dem wurde nicht zuletzt auch durch die Bewegung „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben" Rechnung getragen. Im Verlaufe der Wiederherstellung und Rekonstruktion der Volkswirtschaft in der DDR konnte der Lebensstandard der Arbeiter und Angestellten planmäßig verbessert werden. 155 Der Industrialisierungsprozeß bildete eine wichtige Grundlage für die Schaffung günstigerer Existenz- und Entwicklungsbedingungen der Arbeiterklasse.
Anmerkungen 1 Hierzu besonders Marx, Kail, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. In: Marx-Engels-Werke (im folgenden: MEW), Bd. 23, Berlin 1977, S. 441 ff. 2 Siehe Engels, Friedrich, Die Lage der arbeitenden Klasse in England. In: MEW, Bd. 2, Berlin 1976, S. 250. 3 Marx, Karl/Engels, Friedrich, Manifest der kommunistischen Partei. In: MEW, Bd. 4, Berlin 1977, S. 474. 4 Vgl. Diehl, Ernst, Aufgaben der Geschichtswissenschaft der DDR nach dem IX. Parteitag der SED. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (im folgenden: ZfG) 1977, H. 3, S. 271; zur Bedeutung des sozialhistorischen Forschungsansatzes siehe ebenda, S. 272; zur grundsätzlichen Forschungsorientierung: Zentraler Forschungsplan der marxistischleninistischen Gesellschaftswissenschaften der DDR 1976-1980. In: Einheit 1975, H. 9, S. 1048. 5 Hier sind unter methodischem wie auch materialmäßigem Aspekt u. a. zu nennen: Bensing, Manfred, Die Entwicklung der Arbeiterklasse der DDR beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus als Gegenstand historischer Forschung. In: Jahrbuch für Geschichte (im folgenden: JfG, Bd. 11, Berlin 1974; Heilhecker, Elly, Die Arbeiterklasse der DDR an der Schwelle der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Probleme ihres Wachstums in den Jahren 1961/62. In: JfG, Bd. 6, Berlin 1972; Dittrich, Gottiried, Die bewußte, planmäßige Gestaltung einiger Prozesse der sozialistischen Entwicklung der Arbeiterklasse in der DDR (1948/49-1955). In: JfG, Bd. 11, a. a. O., derselbe. Das quantitative Wachstum der Arbeiterklasse der DDR und die Veränderungen in ihrer sozialen und Zweigstruktur während der sozialistischen Revolution 1949 bis 1961/62. Eine Untersuchung auf der Grundlage theoretisch-methodologischer Ergebnisse der sowjetischen Historiographie zur Geschichte der Arbeiteiklasse, Phil. Diss. B, Leipzig 1977 (Ms); derselbe. Quantitatives Wachstum und Strukturveränderungen der Arbeiterklasse der DDR als planmäßig gestaltete Prozesse (Ende der vierziger bis Anfang dei sechziger Jahre). In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, (im folgenden: BzG), Berlin, 1976, H. 2, S. 240ff.; Hübner, Peter, Soziale und politische Veränderungen in der Albeiterklasse der DDR von 1949 bis 1955, Phil. Diss. A, Leipzig 1972 (Ms.); Horn, Werner, Die Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in der Industrie der DDR (1951 bis 1955), Berlin 1963; derselbe. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands - der Vortrupp der Arbeiteiklasse und des werktätigen Volkes der Deutschen Demokratischen Republik. In: Die wachsende Rolle der Arbeiterklasse in den sozialistischen Ländern, Berlin 1974; Krause, Werner, Die Entstehung des Volkseigentums in der Industrie der DDR, Berlin 1958; Lungwitz, Kurt, Über die Klassenstruktur in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin o. J. (1961); Autorenkollektiv der Parteihochschule „Karl Marx" beim ZK der SED, Zur Entwicklung der Klassen und Schichten in der DDR, Berlin 1977.
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6 Zum neuesten Forschungsstand vgl. Barthel, Horst, Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen der DDR. Zur Wirtschaftsentwicklung auf dem Gebiet der DDR 1945-1949/50, Berlin 1979; eine ältere materialreiche Überblicksdarstellung geben Müller, Hans/Reinig, Karl, Wirtschaftswunder DDR. Ein Beitrag zur Geschichte der ökonomischen Politik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1968. 7 Hervorzuheben sind die intensiven Forschungsarbeiten zu dieser Thematik in der UdSSR und in der VR Polen. Vgl. Vorosejkin, I. E„ Ocerk istoriografii raboiego klassa SSSR, Moskva 1975; Zarnowski, Janusz, Wege und Erfolge der polnischen Historiographie 1945 bis 1975. I n : ZfG, 1977, H. 8. S. 958ff. 8 Zu den methodologisch bemerkenswerten sowjetischen Monographien der letzten Jahre zählen z. B.: Drobisev, V. Z./Sokolov, A. K./Uitinov, V. A„ Rabocij klass sovetskoj Rossii v pervyj, god proletarskoj diktatury (opyt strukturnoge analiza po materialam professional'noj perepisi 1918 g.), Moskva 1975; Senjavskij, S. L.jTel'puchovskij, V. B., Rabocij klass SSSR (1938-1965 gg.), Moskva 1971; Mikul'skij, K. I., Klassovaja struktura obscestva v stranach socializma, Moskva 1976. 9 Das kommt besonders in Untersuchungen zum Ausdruck, die der Erweiterung der Klassengrundlage des revolutionären Prozesses durch die sozialistische Industrialisierung gewidmet sind. Vgl. Cel'bras, V. G., Zu einigen Fragen der sozialen Entwicklung der Arbeiterklasse der sozialistischen Länder. I n : BzG, 1974, H. 2, S. 182. 10 Zur Methodik der Erschließung statistischer Massenquellen vgl. insbesondere Drobisev, V. Z., u. a., a. a. O.; siehe auch Zwahr, Hartmut, Zur Konstituierung des Proletariats als Klasse, Berlin 1978. 11 Vgl. Dittrich, Gotttried, Das quantitative Wachstum der Arbeiterklasse . . ., a. a. O., S. 218. 12 Eine der jüngsten Arbeiten mit dieser Stoßrichtung: Ludz, Peter Ch., Die DDR zwischen Ost und West. Politische Analysen 1961 bis 1976, München 1977, bes. S. 78. 13 Hier sind in erster Linie zu nennen: Böttcher, Bodo, Industrielle Strukturwandlungen im sowjetisch besetzten Gebiet Deutschlands, Berlin-(West) 1956; Cleitze, Brutto, Die Wirtschaftsstruktur der Sowjetzone und ihre gegenwärtigen sozial- und wirtschaftsrechtlichen Tendenzen, Bonn 1951; Leptin, Gert, Die deutsche Wirtschaft nach 1945. Ein Ost-West-Vergleich, Opladen 1971, 2., unver. Aufl.; derselbe, Veränderungen in der Branchen- und Regionalstruktur der deutschen Industrie zwischen 1936 und 1962 (Versuch einer statistischen Zusammenfassung der Entwicklung in Mittel- und Westdeutschland), Berlin-(West) 1965; Rexin, Manfred, Veränderungen der Berufs- und Beschäftigtenstruktur in der DDR. I n : Studien und Materialien zur Soziologie in der DDR, hg. v. Peter Ch. Ludz, Köln-Opladen (1964); Storbeck, Dietrich, Arbeitskraft und Beschäftigung in Mitteldeutschland. Eine Untersuchung über die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials und der Beschäftigung von 1950 bis 1965, Köln-Opladen 1961. 14 So erschienen in den vergangenen Jahren in der Zeitschrift „Deutschland-Archiv" mehrere Beiträge zu Teilaspekten der sozialökonomischen Entwicklung in der DDR, wobei der sog. Systemvergleich als Ausgangspunkt dient. 15 Vgl. Leptin, Gert, Veränderungen in der Branchen- und Regionalstruktur der deutschen Industrie . . ., a. a. O., S. 13, 16 ff.; mit zugespitzt antisowjetischer Tendenz: Böttcher, Bodo, Industrielle Strukturwandlungen im sowjetisch besetzten Gebiet Deutschlands, Berlin-(West) 1956, bes. S. 66. Weber, Hermann, DDR - Grundriß der Geschichte 1945-1976, (Hannover 1976), S. 30, 54 f. 16 Vgl. Hoensch, Jörg K., Sowjetische Osteuropa-Politik 1945-1975, Düsseldorf, Kronberg/Ts. 1977, S. 473. 17 Vgl. Ludz, Peter Ch., Politische Ziele der SED und gesellschaftlicher Wandel in der DDR. Ein Rückblick. In: Deutschland-Archiv, Köln 1974, H. 12, S. 1264f.; derselbe. Die DDR zwischen Ost und West. Politische Analysen 1961 bis 1976, München 1977, S. 54; Weber, Hermann, 25 Jahre DDR - Kontinuität und Wandel. I n : Deutschland-Archiv, Köln 1976, H. 10, S. 1031; derselbe, DDR. Grundriß . . ., a. a. O., S. 8 ff. 18 Vgl. Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß (im folgenden: Geschichte der SED), Berlin 1978, S. 246. 15»
2X7
19 Vgl. Hoensch, Jörg K„ Sowjetische Osteuropa-Politik, a. a. O., S. 61 f. 20 Vgl. ebenda, S. 62. 21 Vgl. Unbewältigte Vergangenheit. Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der BRD, hg. v. Gerhard Lozek u. a„ 3., neu bearb. u. erw. Aufl., Berlin 1977, S. 361, 385, 387. Das Postulat einer „Revolution von oben" spielt in der bürgerlichen Historiographie und DDR-Forschung offensichtlich im Zusammenhang mit Bemühungen eine stärkere Rolle, die Arbeiterklasse der DDR als politisch und sozial ohnmächtig auszugeben und dabei die revisionistische These von der »neuen Klasse" zu kolportieren. So z. B. bei Voigt, Dieter, Kaderarbeit in der DDR. In: Deutschland-Archiv, Köln 1972, H. 2, S. 174, 185; Henning, Friedrich Wilhelm, Das industrialisierte Deutschland 1914 bis 1972, Paderborn (1974), S. 286; Fink, Hans-Jürgen, 30 Jahre FDGB. In: Deutschland-Archiv, Köln 1975, H. 7, S. 685 f.; Weber, Hermann, DDR. Grundriß . . ., a. a. O., S. 52 f. 22 Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik (im folgenden: StJB DDR), 1956, Berlin 1956, S. 147. 23 Vgl. Dittrich, Gottiried, Quantitatives Wachstum und Strukturveränderungen der Arbeiterklasse . . ., a. a. O., S. 257. 24 Vgl. u. a. Weher, Hermann, DDR, Grundriß der Geschichte a. O., S. 53f.; Ludz, Peter Ch., Die DDR zwischen Ost und West, a. a. O., S. 54. 25 Schischkin, A. F., Geschichte und Moral (Determinismus und moralische Wertung in der Geschichte). In: Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, 1978, H. 9, S. 899. 26 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 180 f., 246, 299. 27 Zu dieser Thematik ist die Arbeit Horst Bartheis von großem Interesse: Barthel, Horst, Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen . . ., a. a. O., 28 Vgl. Mussler, Werner, Die volkseigenen Betriebe. Entstehung - Organisation - Aufgaben, Berlin 1948; Krause, Werner, Die Entstehung . . ., a. a. O. 29 Weiterer Untersuchungen bedarf m. E. die Frage nach den konkreten sozialökonomischen Ausgangsbedingungen der Arbeiterklasse, so u. a. nach ihrer Lebenslage, nach Organisiertheit und Bewußtheit, nach dem Qualifikationsniveau, nach sozialen Folgewirkungen der faschistischen Diktatur usw. 30 Am Beginn dieses Prozesses standen die Abteufung der ersten Schächte der SAG Wismut und die Produktionsaufnahme der Neptunwerft im Jahre 1946. 31 Vgl. Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1956, Berlin 1956, S. 165. 32 Im Beschluß der 30. Tagung des ZK der SED »Zu den nächsten ökonomischen Aufgaben" wurde auf die entscheidende Bedeutung der Kohle- und Energiebasis Bezug genommen. Vgl. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. IV, Berlin 1958, S. 192. 33 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 301. 34 Vgl. ebenda, S. 252. 35 Vgl. Veduscaja rol rabocego klassa v rekonstrukzii promyslennosti SSSR, Moskva 1973, S. 74 f. 36 Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1959, Berlin 1959, S. 128. 37 Vgl. Grotewohl, Otto, Die deutsch-polnische Freundschaft hilft den Frieden in Europa sichern! Rede auf der 2. Jahresversammlung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft f ü r Frieden und gute Nachbarschaft am 31. März 1951, (Berlin 1951), S. 15. 38 Vgl. Barthel, Horst, Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen . . ., a. a. O., S. 55 f. 39 Vgl. Hanke, Erich. Im Strom der Zeit, (Berlin 1976), S. 58. 40 Vgl. StJB DDR 1958, Berlin 1958, S. 8. 41 Vgl. StJB DDR 1959, Berlin 1959, S. 36. 42 Vgl. Cerny, Jochen, Der Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost 1950/51, Phil. Diss. A, Jena 1970, S. 77, 100 f., 106. 43 Vgl. StJB DDR 1963, Berlin 1963, S. 4; StJB DDR 1962, Berlin 1962, S. 18; StJB DDR 1958, Berlin 1958, S. 8; StJB DDR 1955, Berlin 1956, S. 9. 44 Bezeichnend hierfür die statistischen Grundwerte für Johanngeorgenstadt:
218
Einwohner:
45 46 47 48
49
1946- 6 500 1953 - 40 000 (ca.) 1956-15 688 1950 - 32 870 1955 - 21 480 1964 - 10 851 Nach 1946 waren in 19 Schächten bis zu 115 000 Menschen tätig. 80 000 davon kamen aus bis zu 40 km entfernten Orten und Wohnlagern zur Arbeit. Vgl. Sieber, Siegfried, Um Aue, Schwarzenberg und Johanngeorgenstadt, Berlin 1972, S. 177, 179. Vgl. StJB DDR 1962, Berlin 1962, S. 28. Protokoll der Verhandlungen des II. Parteitages der SED, Berlin (1947), S. 306 f. Ebenda, S. 88. Vgl. Rau, Heinrich, Zu einigen Fragen der volkswirtschaftlichen Rolle und Bedeutung unseres Außenhandels. In: Einheit, 1957, H. 2, S. 170f.; siehe auch Haük, Roland, Zur Ökonomie der Übergangsperiode in der Deutschen Demokratischen Republik. Die Herausbildung sozialistischer Produktionsverhältnisse, Berlin 1962, S. 49. Vgl. Industrie und Technik in der Deutschen Demokratischen Republik 1945-1955. Beiträge zur Entwicklung des Bergbaus, der Metallurgie und des Maschinenbaus, Berlin 1960, S. 92.
50 Ebenda, S. 90 ff. 51 Siehe u. a. Neues Deutschland, Ausgabe B, 15. 5. 1949, S. 1, u. 31. 5. 1949, S. 7; Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 6, Berlin 1966, S. 198. 52 Vgl. dazu die Zahl der Arbeitsuchenden. In: StJB DDR 1956, Berlin 1956, S. 182. 53 Vgl. Industrie und Technik a. a. O., S. 29 ff. 54 So forderte der SMAD-Befehl Nr. 323 vom 20. 11. 1946, im 4. Quartal 1946 750 und im Jahre 1947 2 750 Arbeiter ins Zwickau-Oelsnitzer Revier zu entsenden. Vgl. ZStA G-104, 190, unpag. 55 Vgl. Die Arbeit, Berlin 1949, H. 3, S. 114. 56 Vgl. Schöneburg, Karl-Heinz u. a„ Vom Werden unseres Staates - Eine Chronik, Bd. I, Berlin 1966, S. 224 f. 57 Vgl. Dittrich, Gottfried, Das quantitative Wachstum . . . , & . a. O., S. 170. 58 Vgl. ebenda. 59 Dittrich, Gottfried, Quantitatives Wachstum und Strukturveränderungen . ... a. a. O., S. 246. 60 Vgl. Polen, Deutschland und die Oder-Neiße-Grenze, hg. v. R. Goguel, Berlin (1959), S. 563. 61 Zu diesen und folgenden Angaben vgl. Grotewohl, Otto, Die deutsch-polnische Feundschaft . . ., a. a. O., S. 15. 62 Vgl. Merker, Paul, Die nächsten Schritte zur Lösung des Umsiedlerproblems, hg. vom Zentralsekretariat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin o. J„ S. 15. Die bürgerliche Historiographie, die ohnehin auch in der Umsiedlerfrage bemüht ist, das Schuldkonto des deutschen Imperialismus zu verschleiern bzw. von ihm abzulenken, geht so weit, der SED die soziale Integration der Umsiedler in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR als Mittel zur „Sowjetisierung" anzulasten. Eine solche durch bornierten Antikommunismus geprägte Interpretation findet sich z. B. bei Jolles, Hiddo, Köln, Berlin-(West), (1965), S. 143 f. 63 Vgl. ZStA G-104, 190 unpag. 64 Vgl. ZStA G-104, 148, unpag.. 65 Vgl. Krause, Werner, Die Entstehung des Volkseigentums . . ., a. a. O., S. 103. 66 Vgl. ZStA E-l, 6736, Bl. 90. 67 Exakt lassen sich auch hier die Auswirkungen auf die Konzentration der Arbeiterklasse nicht feststellen. Lediglich das Wachstum der Bevölkerung in Ronneburg um nahezu 4 000 Personen zwischen 1950 und 1955 sowie ein überproportionales Anwachsen des männlichen Bevölkerungsteiles im Landkreis Gera deuten auf einen für die Grundstoffindustrie charakteristischen Industrialisierungseffekt hin. Vgl. StJB DDR 1955, a. a. O., S. 12, 18; StJB DDR 1962, a. a. O., S. 28. 68 Vgl. Graf, Rudolf, Die ökonomische Hilfe der Sowjetunion beim sozialistischen Aufbau unseres Landes. In: Deutsche Außenpolitik, Sonderheft „50 Jahre deutsch-sowjetische
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Beziehungen 1917-1967", 1967, S. 116 ff.; Krause. Werner, Die Entstehung . ... a. a. O., S. 103. Berechnet nach StJB DDR 1959, Berlin 1959, S. 36. Berechnet nach StJB DDR 1958, Berlin 1958, S. 194f.; StJB DDR 1963, Berlin 1963, S. 26. Vgl. Industrie und Technik . . ., a. a. O., S. 288. Vgl. Krause, Werner, Die Entstehung . . . , & . a. O., S. 103; siehe auch Grotewohl, Otto, Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik. Reden und Aufsätze, Bd. 4, Berlin 1959, S. 589. Berechnet nach StJB DDR 1956, Berlin 1956, S. 154 f.; StJB DDR 1962, Berlin 1962, S. 18 f. Vgl. ZStA E-l, 161, Bl. 541-563. Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 241. Vgl. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 3. Berlin 1952, S. 133. Vgl. ebenda, S. 151. Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 277. Vgl. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. IV, Berlin 1954, S. 74. Siehe die Beschlüsse des Politbüros des ZK der SED vom 8. 8. 1950, vom 29. 4. 1952 und vom 24. 6. 1952. In: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 3, a. a. O., S. 192f.; Bd. 4, a. a. O., S. 37f., 62. Pieplow, Rolt, Die Entwicklung der Abteilungen I und II in der Deutschen Demokratischen Republik, Teil 1: Theoretische Grundfragen und historische Entwicklung, Berlin (1960) ( = Volkswirtschaftsplanung, Heft 2), S. 81; vgl. auch Belousov, R. A., Razvitie tjasolnoj promyslennosti v Germanskoj Demokraticeskoj Respublike, Moskva 1958, S. 23. Vgl. Grotewohl, Otto, Begründung des Gesetzes „Zur Förderung und Pflege der Arbeitskräfte, zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur weiteren Verbesserung der materiellen und kulturellen Lage der Arbeiter und Angestellten". In: Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik. Reden und Aufsätze, Bd. 2, Berlin 1959, S. 37. Die Tatsache, da§ in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre eine deutliche Wanderungsbewegung der Bevölkerung nach Sachsen und Brandenburg zu verzeichnen war, dürfte z. T. mit dem industriellen Wieder- oder Neuaufbau verbunden gewesen sein. Alle anderen Länder der DDR verzeichneten einen Bevölkerungsrückgang. Vgl. Industrie und Technik . . ., a. a. O., S. 96 f. Vgl. Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1956, Berlin 1956, S. 171. Vgl. Cerny, Jochen, a. a. O., S. 99. Vgl. ebenda, S. 106. Vgl. ebenda, S. 106, 113 f., 249, 350. Vgl. Riemer, Kurt, Die Technologie der Niederschachtofenwerke und die Bedeutung der Eisenwerke West für die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik, Lektion, gehalten an der Parteihochschule „Karl Marx" beim ZK der SED, als Ms. gedr., Berlin 1955, S. 14. Vgl. StJB DDR 1955, Berlin 1955, S. 11, 16. Vgl. ebenda, S. 11. Vgl. Mohs, Gerhard, Die Industrie im Bezirk Frankfurt (Oder). Entwicklung und Standortverteilung in Vergangenheit und Gegenwart, Berlin 1962, Anhang, Karte 9. Vgl. ebenda, S. 74. Siehe StJB DDR 1956, Berlin 1956, S. 218; StJB DDR 1960/61, Berlin 1961, S. 270. Vgl. ZStA E-l, 6480, Bl. 18. Vgl. StJB DDR 1956, Berlin 1956, S. 218. Vgl. StJB DDR 1960/61, Berlin 1961, S. 270. Vgl. Schmidt-Renner, G., Räumliche Verteilung der Produktivkräfte, Berlin 1953, S. 65. Vgl. Mohs, Gerhard, a. a. O., S. 45. Rühle, Otto, Die Problematik der Beseitigung der wesentlichen Unterschiede zwischen Stadt und Land im Programm der KPdSU und einige Schlußfolgerungen für die Generalperspektive der DDR. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, 1962, Nr. 1/2, S. 130.
101 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 251; Dittrich, Gottiried, Das quantitative Wachstum . . a. a. O., S. 218. 102 Vgl. Rühle, Otto, Die Problematik . . ., a. a. O., S. 130. 103 Vgl. Kauimann, Mantred, Struktur des Arbeitseinkommens in der DDR, Jena 1976 ( = Wissenschaftliche Beiträge der Friedrich-Schiller-Universität Jena, 1976), bes. S. 120. 104 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 237 f., 246, 251 f., 277; Heitzet, Heinz, Allgemeines und Besonderes der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR. I n : JfG, Bd. 11, Berlin 1974, S. 41; Dittrich, Gottfried, Das quantitative Wachstum . . ., a. a. O., S. 196 f. 105 Vgl. StJB DDR 1955, a. a. O., S. 126; StJB DDR 1958, a. a. O., S. 278; StJB DDR 1959, Berlin 1959, S. 321; StJB DDR 1962, Berlin 1962, S. 322. 106 Die Werbung von Arbeitskräften für den Bergbau wurde durch ein ganzes System sozialer Vergünstigungen unterstützt. Hierdurch konnten auch zahlreiche Berufsfremde für die Arbeit im Bergbau gewonnen werden. Eine negative Folge war jedoch die starke Fluktuation. Im Zwickau-Oelsnitzer Revier gab es z. B. 1951 bei 2 000 Neueinstellungen 1 700 Abgänge. Vgl. ZStA E-l, 2665, Bl. 195. 107 Vgl. ZStA E-l, 161, Bl. 610-632. 108 Vgl. Industrie und Technik . . ., a. a. O., S. 77. 109 Vgl. ZStA E-l, 6480, Bl. 18. 110 Vgl. StJB DDR 1956, a. a. O., S. 216. 111 Vgl. StjB DDR 1960/61, Berlin 1961, S. 270. 112 Vgl. Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1956, a. a. O., S. 172; Industrie und Technik . . ., a. a. O., S. 136, 191. 113 Vgl. StJB DDR 1955, a. a. O., S. 128. 114 Berechnet nach ebenda, S. 113. 115 Vgl. Statistische Praxis 1974, H. 2, Beilage, S. 3. 116 Vgl. StJB DDR 1959, a. a. O., S. 36. 117 Vgl. Protokoll der Verhandlungen des IV. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 1, Berlin 1954, S. 68 f.; Protokoll der Verhandlungen der 3. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1956, S. 31. 118 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 334. 119 Protokoll der Verhandlungen der 3. Parteikonferenz a. O., S. 32, 60. 120 Das im März 1957 vom Ministerrat beschlossene Kohle- und Energieprogramm diente der Konzentration der Investitionen auf den Energie- und Brennstoffsektor. Die Chemiekonferenz des ZK der SED beschloß im November 1958 das Chemieprogramm, dessen Schwerpunkte z. T. in industriell weniger entwickelten Gebieten angesetzt wurden (so z. B. der Bau des Erdölverarbeitungswerkes Schwedt und des Chemiefaserwerkes Guben). Hier entstanden neue Ballungszentren der Arbeiterklasse. 121 Vgl. Protokoll des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1959, S. 957 f. 122 Vgl. StJB DDR 1960/61, Berlin 1961, S. 251. 123 Vgl. Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1958, Berlin 1958, S. 115; Protokoll des VI. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 1, Berlin 1963, S. 142. 124 Vgl. Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1960, Berlin (1960), S. 142. 125 Vgl. StJB DDR 1956, Berlin 1956, S. 222; StJB DDR 1960/61, Berlin 1961, S. 272. 126 Siehe ebenda. 127 Lungwitz, Kurt, Über die Klassenstruktur in der Deutschen Demokratischen Republik, a. a. O., S. 63. 128 Vgl. StJB DDR 1962, Berlin 1962, S. 25. 129 Die folgenden Überlegungen stützen sich auf: Bevölkerungsstatistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1975, o. O., o. J., S. 6-17. 130 Der Arbeitskräftebedarf des Industriezweiges konnte u. a. durch Rationalisierungsmafj-
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nahmen und dai auffolgende Umsetzungen von Arbeitskräften verringert werden. Vgl. ZStA BH II, 681, Bl. 285. 131 Vgl. StJB DDR 1958, a. a. O., S. 278; StJB DDR 1959, a. a. O., S. 317, 321; StJB DDR 1962, a. a. O., S. 322. 132 Vgl. ZStA G-104, 486 unpag.. 133 Vgl. z. B. Statistische Praxis, 1956, H. 11, S. 175. 134 Vgl. Statistische Praxis, Berlin 1956, H. 5, S. 56; Sachse, Ekkehard, Automatisierung und Arbeitskraft, Berlin 1959, S. 124. 135 So in der VVB Braunkohle Leipzig, Sitz Borna; vgl. ZStA G-104, 406 unpag. 136 Vgl. StJB DDR 1960/61, Berlin 1961, S. 124 f. 137 Vgl. Knauer, A„ Probleme des neuen Charakters der Arbeit. In; Wirtschaftswissenschaft, 1962, H. 7, S. 981; für die Jahre 1952-1956 siehe auch Neues Deutschland (Ausgabe B), 30. 7. 1957, S. 3. 138 Vgl. ZStA E-l, 161, Bl. 564-632; Handke, Horst/Müller, Hans-Heinrich/Thümmler, Heinzpeter, Strukturprobleme der Arbeiterklasse (Bericht vom Internationalen Kolloquium über die Struktur der Arbeiterklasse und deren Wandlungen in der Geschichte, Berlin 22./23. 10. 1963). In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte IV/1964, Berlin 1964, S. 151. 139 Siehe dazu den statistischen Vergleich, in: Statistische Praxis, 1974, H. 2, Beilage, S. 2. 140 Vgl. Statistische Praxis, 1972, H. 4, 1. Umschlagseite. 141 Vgl. Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1960, Berlin 1960, S. 141. 142 Vgl. StJB DDR 1955, a. a. O., S. 111; StJB DDR 1962, a. a. O., S. 243. 143 Vgl. StJB DDR 1955, a. a. O., S. 111; StJB DDR 1962, a. a. O., S. 169. 144 Vgl. StJB DDR 1955, a. a. O., S. 118; StJB DDR 1962, a. a. O., S. 175. 145 Vgl. StJB DDR 1956, a. a. O., S. 162 ff.; StJB DDR 1958, a. a. O., S. 207 ff. 146 Vgl. Albrecht, K., Die Auswirkungen des technischen Fortschritts auf die Art der Tätigkeit der Produktionsarbeiter in der Industrie. In: Statistische Praxis, 1962, H. 8, S. 199 ff. 147 Vgl. Poljakow, ]. A„ Einige Probleme der Geschichte der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus. In: Sowjetwissenschaft, Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, 1978, H. 7, S. 695. 148 Vgl. Pieploto, Roll, Die Entwicklung der Abteilungen I und II, a. a. O., S. 81. 149 Vgl. StJB DDR 1977, Berlin 1977, S. 17. 150 Vgl. Dittrich, Gottfried, Das quantitative Wachstum . . a. a. O., S. 194, 329. 151 Eine prinzipielle Erörterung der demographischen Problematik findet sich bei Bejlina, E. E., Kurs po intensifikacija proizvodstva i vozrastnaja struktura rabocego klassa. In: Istoria SSSR, 1977, 4, S. 78. 152 Vgl. Roesler, Jörg, Die Entwicklung der Perspektivplanung der DDR in der Übergangsperiode. I n : JfG, Bd. 14, Berlin 1976, S. 309. 153 Vgl. Dittrich, Gottfried, Das quantitative Wachstum . . ., a. a. O., S. 327. 154 Vgl. Neumann, K., Das Entwicklungstempo im Siebenjahrplan wird entscheidend durch den technischen Fortschritt in der Industrie bestimmt. In: Statistische Praxis, Berlin, 1959, H. 10, S. 184. 155 Vgl. den Beitrag von Horst Barthel in diesem Band.
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GERHARD
KEIDERLING
Friedenspolitik an der Seite der Sowjetunion Der Beitrag der DDR zum Kampf um die Sicherung des Friedens in Europa in den Jahren 1955—1961
Die Errichtung und Ausgestaltung der sozialistischen Arbeiter-und-Bauern-Macht in der DDR schloß auch die Aufgabe ein, die Organe für auswärtige Beziehungen zu schaffen, um das außenpolitische Programm der Regierung zu verwirklichen, die äußere Funktion der Diktatur des Proletariats wahrzunehmen.1 An der Spitze des außenpolitischen Programms standen zwei grundlegende Aufgaben, die miteinander aufs engste verflochten waren: die Entwicklung und Festigung brüderlicher Beziehungen zur UdSSR, der stärksten und erfahrensten Macht der sozialistischen Gemeinschaft, und zu allen anderen sozialistischen Staaten sowie der Kampf um die Erhaltung und Festigung des Friedens. 2 I nihrer dialektischen Einheit bestätigte sich stets aufs neue die Erkenntnis Lenins, daß der Sozialismus nicht vom Frieden zu trennen ist. Ohne Krieg kann die Arbeiterklasse mit ihren Verbündeten alle Segnungen des Friedens zum Aufbau der sozialistischen Gesellschaft nutzen. Die Politik der friedlichen Koexistenz von Staaten gegensätzlicher Gesellschaftsordnung entspricht somit voll und ganz dem Wesen des Sozialismus und dient seiner Festigung. Die strategische Konzeption der SED für die sozialistische Revolution schloß daher auch die Aufgaben ein, die sich aus der Stellung der DDR im revolutionären Weltprozeß ergaben. Als der am weitesten nach Westen vorgeschobenen und unmittelbar mit dem Imperialismus konfrontierten Bastion des Weltsozialismus ruhte auf der DDR eine besondere Verantwortung. Indem die Arbeiterklasse unter Führung ihrer revolutionären Avantgarde ihre historische Mission im nationalen Rahmen erfüllte, trug sie zugleich zur Stärkung der sozialistischen Staatengemeinschaft als der größten Errungenschaft der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung seit 1917 bei und kam ihrer internationalistischen Verpflichtung nach. Diese außenpolitische Aufgabenstellung mußte angesichts einiger schwieriger Bedingungen gelöst werden. Sie ergaben sich besonders aus der Politik des kalten Krieges, mit der der Imperialismus auf das veränderte Kräfteverhältnis in der Welt reagierte. Merkmale dieser aggressiven und konterrevolutionären Politik waren der Abbau von Handels-, Wirtschafts- und anderen Beziehungen zu den sozialistischen Ländern, die wachsende Spannung in den internationalen Beziehungen, die Bildung militärischer Kriegspakte und Stützpunktsysteme, das Wettrüsten und die fortschreitende Konzentration der Kräfte und Mittel für den bewaffneten Kampf gegen den Sozialismus. Die Imperialisten beschlossen, vor allem der jungen DDR „an die Gurgel zu gehen". Nach Auffassung eines damals führenden Theoretikers des kalten Krieges, James Burnham, sollte an diesem Frontabschnitt die Generaloffensive des Westens zum „roll back" des Kommunismus gestartet werden. Von allen sozialistischen Staaten Osteuropas
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sei die DDR, so spekulierte Burnham, „das am wenigsten gesicherte Gebiet" und „der am leichtesten und vollständigsten mit dem Westen in Verbindung" stehende Teil; es bestünden günstige Aussichten, „durch Zusammenwirken mehrerer Aktionen die Kommunisten zum Rückzug aus Ostdeutschland zu veranlassen".3 Auf außenpolitischem Terrain betrieben die drei imperialistischen Westmächte, unterstützt und angespornt durch die BRD-Regierung, von Anfang an einen aggressiven Kurs der Nichtanerkennung der DDR und verhängten gegen sie eine diplomatische und ökonomische Blockade. Mit Methoden des Boykotts und der Diskriminierung, des Drucks und der Erpressung versuchten sie, „die völkerrechtliche Anerkennung der DDR zu verhindern, um Bedingungen für eine als »innerdeutsche Polizeiaktion' getarnte Aggression gegen die DDR zu schaffen".4 Gleichzeitig verschärften die aggressiven Kreise der NATO-Mächte und der BRD unter Ausnutzung der offenen Grenzen den kalten Krieg, die Wirtschaftsdiversion, Spionage und psychologische Kriegführung, um durch konterrevolutionäre Aktionen im Innern die Arbeiter-und-Bauern-Macht zu stürzen. Unter diesen Bedingungen wurden in den ersten Jahren nach 1949 die Möglichkeiten außenpolitischer Aktivität der DDR gegenüber der kapitalistischen Staatenwelt und in den internationalen Organisationen erheblich eingeengt. Jeder Erfolg mußte in harter Auseinandersetzung mit den aggressiven imperialistischen Kräften errungen werden. Die Grundlage jeden Erfolges war das unerschütterliche Bündnis mit der UdSSR als der Hauptkraft des Weltsozialismus. Alle imperialistischen Prophetien über einen baldigen Zusammenbruch der Arbeiter-und-Bauern-Macht in der DDR zerbrachen ebenso wie der konterrevolutionäre Putschversuch von 1953 an diesem Bündnis. Die Freundschaft und die enge Zusammenarbeit mit der Sowjetunion verliehen der DDR die Kraft, allen wütenden Attacken des Gegners zu widerstehen und zugleich in zunehmendem Maße durch aktive Beiträge zur gemeinsamen Friedenspolitik der sozialistischen Staatengemeinschaft beizutragen. Je enger dieses Bündnis wurde und je mehr die Errichtung der Grundlagen des Sozialismus im Lande voranschritt, um so fester wurden auch die internationalen Positionen der DDR, um so größer wurde ihr außenpolitisches Aktionsfeld. Dieser Entwicklung lag die gesetzmäßige Tendenz der unablässigen Stärkung des sozialistischen Weltsystems als des bestimmenden Faktors bei der Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses zugrunde. Das gab der Friedenspolitik der DDR internationalen Rückhalt, Effektivität und Konsistenz. Bis Mitte der fünfziger Jahre hatte die DDR im festen Bündnis mit der Sowjetunion auch auf außenpolitischem Gebiet erste beachtliche Erfolge errungen. Die bürgerliche Geschichtsschreibung und Politologie sucht dies zu negieren, indem sie die Außenpolitik der DDR in jener Zeit mit Stillschweigen übergeht bzw. in antikommunistische Schemata zwängt. Wenn Werner'Hänisch 1972 konstatierte, daß dieses Thema „für die bürgerlichen Historiker und Politologen ganz im Sinne der aggressiven Alleinvertretungsanmaßung der BRD offenbar nicht existierte",5 so hat sich das Bild auch danach nicht wesentlich geändert. Generell wird von Historikern wie „DDR-ologen" der BRD behauptet, daß die DDR nach ihrer Gründung nicht „außenpolitikfähig" gewesen sei. Während z. B. Andreas Hillgruber verkündet, die DDR hätte bereits zu jener Zeit im Vergleich zur BRD „in einem hoffnungslosen Hintertreffen"6 gelegen, will Hermann Weber ihr als „Satellit der Sowjetunion . . . nur begrenzte außenpolitische Bedeutung" konzedieren.7 In die gleiche Kerbe schlägt der Schweizer Politologe Curt Gasteyger mit seiner antisowjetischen These, daß die DDR „durch ihre einseitige Ausrichtung auf die Sowjetunion an außenpolitischer Profillosigkeit" leide.8 Die Absichten sind leicht zu durchschauen: Während die historische Komponente dahin geht, das Scheitern der Ost- und Deutschlandpolitik Adenauers in den fünfziger Jahren zu kaschieren, ist es 224
die unveränderte politische Intention der Imperialisten, die DDR mit allen Mitteln aus der sozialistischen Staatengemeinschaft herauszulösen. Natürlich bringt sich die vorherrschende Historiographie der BRD mit ihren willkürlichen Interpretationen und Theoremen schließlich selbst in arge Bedrängnis, wenn es gilt, die Korrelation von „Kontinuität und Wandel" in der BRD-Außenpolitik auf dem Hintergrund der „weltpolitischen Defensive", in die der BRD-Imperialismus nach 1955 geriet, zu bestimmen.9 „Das wachsende Eigengewicht der DDR" auf der internationalen Bühne, das Waldemar Besson als ein „wahres Kreuz" der BRD-Ostpolitik bezeichnete,10 war kein „Phänomen" des ausklingenden Jahres 1955, sondern eine gewachsene Frucht erfolgreichen sozialistischen Aufbaus an der Seite der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten.
1.
Das Schlüsseljahr 1955
Das Jahr 1955 markiert in der europäischen Nachkriegsentwicklung einen tiefen Einschnitt. Damals schloß ein Kapitel Nachkriegsgeschichte insofern ab, als sich bis zu diesem Zeitpunkt die im Ergebnis des zweiten Weltkrieges herausgebildete politische Struktur Europas fest verwurzelt hatte. Die durch den Sieg der Sowjetunion über den Faschismus im zweiten Weltkrieg eingeleiteten revolutionären Prozesse erreichten eine neue Stufe. In Europa hatte der Sozialismus in den Volksdemokratien und der DDR feste Wurzeln geschlagen. Die Diktatur des Proletariats war in dieser oder jener Form errichtet, entscheidende Grundlagen des Sozialismus waren geschaffen; es existierte ein System bilateraler Verträge über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand. Die Bestrebungen der sozialistischen Staaten Europas um eine Koordinierung ihrer Kräfte zur Gestaltung des sozialistischen Aufbaus und zur gemeinsamen Abwehr aller konterrevolutionären Angriffe kulminierten im Abschluß des „Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der Volksrepublik Albanien, der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik, der Deutschen Demokratischen Republik, der Volksrepublik Polen, der Rumänischen Volksrepublik, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Tschechoslowakischen Republik" (Warschauer Vertrag) vom 14. Mai 1955.11 Der Warschauer Vertrag war keine einfache Wiederholung der bilateralen Freundschafts- und Beistandsverträge vom Ende der vierziger Jahre. Er bedeutete eine höhere Stufe in der Entwicklung der Zusammenarbeit dieser Länder auf allen Gebieten. Die Staaten der sozialistischen Gemeinschaft in Europa konstituierten sich zu einem festen politischen und militärischen Bündnis; es entstand die erste sozialistische Militärkoalition der Geschichte.12 Damit erreichte das Bündnis der sozialistischen Staaten in Europa seine bis dahin höchste Entwicklungsstufe. Der Sozialismus repräsentierte sich als entscheidendes antiimperialistisches Bollwerk, als Triebkraft des revolutionären Weltprozesses und als sicherster Garant des Weltfriedens in unserer Epoche. Die Teilnahme der DDR am Warschauer Vertrag schlug ein neues Kapitel in ihrer Stellung innerhalb des sozialistischen Weltsystems auf. „Indem die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Staaten der Beteiligung der DDR am Warschauer Vertrag zustimmten, bekräftigten sie, daß die DDR ein fester, unverrückbarer Bestandteil des sozialistischen Weltsystems ist."13 Damit wurde allen imperialistischen Spekulationen, die DDR aus dem sozialistischen Weltsystem herausbrechen zu können, eine entschiedene Abfuhr erteilt. Die grundlegenden Veränderungen des Kräfteverhältnisses, die sich in Mitteleuropa zugunsten des Sozialismus vollzogen hatten, fanden auch ihre Widerspiegelung im „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und 225
der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken", der am 20. September 1955 zwischen den Regierungen beider Staaten in Moskau abgeschlossen wurde. 14 Dieser Staatsvertrag verankerte die uneingeschränkte Souveränität der DDR. Er hatte eine dreifache Bedeutung: 1. ermöglichte er es der DDR, »nunmehr auch ihren Rechten und Pflichten als Mitglied des Warschauer Vertrages und den militärischen Erfordernissen des Kampfes um den Frieden und die Verteidigung des Sozialismus nachzukommen" 15 ; 2. übertrug er der DDR die Freiheit, ihre inneren und äußeren Angelegenheiten, einschließlich der Beziehungen zur BRD, selbst zu entscheiden, was den Beginn einer neuen Etappe im Verhältnis der sozialistischen DDR zur imperialistischen BRD implizierte; 3. erhöhte er das internationale Ansehen der DDR und schuf mit der völkerrechtlichen Bekräftigung der uneingeschränkten Souveränität der DDR neue, erweiterte Möglichkeiten zur aktiven Teilnahme an der internationalen Friedenssicherung. Das Jahr 1955 zeitigte auch neue Entwicklungen im imperialistischen System. Die Beendigung des Koreakrieges im Juli 1953 und der Kampfhandlungen in Indochina im Sommer 1954 waren zwei schwere Niederlagen für die Weltherrschaftspläne des USAImperialismus und seiner Verbündeten, die dieser durch eine forcierte Aufrüstung der NATO in der europäischen Region auszubalancieren suchte. Die seit 1950 offen betriebene Politik der Remilitarisierung der BRD trat mit dem Abschluß der Pariser Verträge am 5. Mai 1955 in eine den Frieden aufs äußerste bedrohende Phase ein. Die Pariser Verträge 16 führten zur Eingliederung der BRD in die NATO und zu deren Aufrüstung im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU). Dadurch begünstigt, erhielten auch die langjährigen Bestrebungen zur Schaffung eines von den USA geförderten westeuropäischen Wirtschaftsblocks neuen Auftrieb. 17 Es vertiefte sich die vom Imperialismus herbeigeführte Spaltung Europas in zwei Blöcke. Die Pariser Verträge markierten in einer bestimmten Weise einen Umschlag im gesamten damaligen System der internationalen Beziehungen. Obgleich die imperialistische Politik der Stärke schwere Niederlagen erlitten hatte, obgleich mit dem Erstarken des Weltsozialismus reale Voraussetzungen dafür entstanden, vom kalten Krieg zu einer Gesundung der internationalen Atmosphäre überzugehen, obgleich die Sowjetunion vorgeschlagen hatte, auf einer gesamteuropäischen Konferenz gemeinsam die Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa zu erörtern, beharrten die USA und deren Verbündete auf ihrer illusionären Politik der „Zurückwerfung des Kommunismus". Sie weigerten sich strikt, mit den sozialistischen Ländern in der Frage der Friedenssicherung zusammenzuarbeiten. Damit manövrierten sie sich selbst in eine Situation, die ihren außenpolitischen Spielraum in zunehmendem Maße einengte. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre geriet die Außenpolitik der führenden NATOStaaten mehr und mehr in eine Sackgasse, in eine welthistorische Defensive. Ihre internationalen Positionen wurden von Jahr zu Jahr schwächer, obwohl die NATO-Kriegsmaschinerie auf immer höheren Touren lief. Der Schlüssel für das Verständnis dieses Paradoxons lag in der unablässigen Stärkung des Wirtschafts- und Verteidigungspotentials der Länder der sozialistischen Gemeinschaft, die dem Kräfteverhältnis in der Welt immer mehr ihren Stempel aufdrückte. Im Jahre 1955 war die grundlegende Bewegungsrichtung des Kräfteverhältnisses zwischen den beiden Systemen schon deutlich sichtbar. Zunächst aber bedeuteten der Beitritt der BRD zur NATO, die Aufstellung der aggressiven Bundeswehr und die Forcierung des Revanchismus durch die Adenauerregierung eine Verstärkung der internationalen Spannungen, eine ernsthafte Bedrohung des Friedens. Die Analyse der neuen Kräftekonstellation, der Wirkungsfaktoren und des Entwicklungstrends in den internationalen Beziehungen bildete in der untrennbaren Einheit mit 226
neuen, wirkungsvollen Friedensinitiativen einen Schwerpunkt der außenpolitischen Tätigkeit der Sowjetunion in den Jahren 1955/56. Daran nahmen die anderen sozialistischen Staaten im Rahmen des Warschauer Vertrages sowie auf bilateraler Ebene aktiven Anteil. Die Bestimmung des neuen Verhältnisses zwischen den Klassenkräften in der Weltarena erfolgte umfassend auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 und in den Dokumenten der Moskauer Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien vom November 1957. Gestützt auf eine gründliche Analyse und wissenschaftliche Verallgemeinerung der neuesten sozialen Erscheinungen in der Welt, gelangte der XX. Parteitag der KPdSU zu der Schlußfolgerung, daß unter den gegebenen Verhältnissen die reale Möglichkeit besteht, einen Weltkrieg zu verhüten. Er entwickelte das Leninsche Prinzip der friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung in konkreter Anwendung auf die neue Lage weiter und orientierte auf den friedlichen ökonomischen Wettbewerb zwischen den beiden Systemen.18 Das kühne Herangehen der KPdSU und der Sowjetregierung an prinzipielle Fragen der internationalen Beziehungen eröffnete ungeahnte perspektivische Möglichkeiten des Friedenskampfes und verlieh der außenpolitischen Tätigkeit der sozialistischen Gemeinschaft neue Impulse. Die UdSSR unternahm 1955/56 mehrere bedeutsame Schritte zur Festigung des Friedens, insbesondere zur Minderung der Spannungen in Europa. Ihre Außenpolitik war außerordentlich dynamisch und ideenreich. Gewisse Verhärtungen, wie sie zu jener Zeit aufgetreten waren, als die Westmächte massive Angriffe gegen den Sozialismus vorgetragen hatten, wurden überwunden. Von der Warte der weiteren Gestaltung der internationalen Beziehungen aus gesehen, war die Einschätzung der nationalen und sozialen Befreiungsbewegung der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas besonders beachtenswert. Die Konferenz von 29 Staaten Asiens und Afrikas im April 1955 in Bandung (Indonesien) offenbarte, daß die Befreiungsbewegung dieser Völker zu einem wichtigen antiimperialistischen Faktor in der Welt herangereift war. Die Formulierung von zehn Prinzipien der friedlichen Koexistenz und das Bekenntnis zu einer positiven Neutralität („Politik der Nichtpaktgebundenheit") wiesen die Möglichkeit, „eine weite ,Zone des Friedens' (zu schaffen), die sowohl sozialistische als auch nichtsozialistische friedliche Staaten Europas und Asiens einschließt".19 Die Reisen sowjetischer Staatsmänner nach Indien, Burma und Afghanistan Ende 1955 dienten diesem Ziel. Sie waren zugleich der Auftakt für ein aktives Auftreten anderer sozialistischer Staaten in dieser Region. Im Herbst 1955 besuchte auch eine Regierungsdelegation der DDR unter Leitung des Stellvertreters des Vorsitzenden des Ministerrates, Heinrich Rau, Indien und Ägypten sowie im März 1956 die arabischen Länder. Mit fast allen damals existierenden Staaten in Asien und Afrika wurden Wirtschaftsabkommen geschlossen.20 Diese Erfolge stärkten das internationale Ansehen der DDR und schlugen erste Breschen in den imperialistischen Blockadering. In Europa griff die sowjetische Außenpolitik mit Entschlossenheit jene komplizierten und strittigen Probleme auf, die in den Nachkriegsjahren ungelöst geblieben waren: die Österreich-Frage, die deutsche Frage, das Problem der europäischen Sicherheit, die Abrüstung und die Entwicklung multilateraler Kontakte zwischen Ost und West. Der Abschluß des österreichischen Staats Vertrages im Mai 1955 - ein Erfolg der sowjetischen Diplomatie - gab ein Beispiel für die Minderung der Spannungen und für die Lösung anderer strittiger Fragen in Mitteleuropa. Ein weiteres Land blieb außerhalb der Militärblöcke, und die Anzahl der ungeregelten Nachkriegsprobleme verringerte sich.21 Auf Betreiben der Sowjetunion kam es erstmals nach der Potsdamer Konferenz von 1945 wieder zu einer Begegnung der Regierungschefs der UdSSR, der USA, Großbritan227
niens und Frankreichs: Sie fand vom 18. bis 23. Juli 1955 in Genf statt. Auf der Tagesordnung standen die Frage der europäischen Sicherheit, die deutsche Frage, das Abrüstungsproblem und die Frage der Entwicklung von Kontakten zwischen Ost und West. 22 Das Gipfeltreffen erbrachte keine konkreten Vereinbarungen über die behandelten Themen, trotzdem trug es zu einer zeitlich begrenzten Verbesserung der internationalen Lage bei. Die Konferenz endete mit einer gemeinsamen Direktive der Regierungschefs, die die vier Außenminister beauftragte, auf einem Treffen im Herbst des gleichen Jahres die Vorschläge zur europäischen Sicherheit zu prüfen, unter Mitwirkung des UNO-Unterausschusses f ü r Abrüstungsfragen ein annehmbares System der Abrüstung auszuarbeiten und Magnahmen zur Verbesserung der internationalen Beziehungen sowie des Kontaktes untereinander zu beraten. 23 Die Sowjetregierung und mit ihr die sozialistischen Staaten und alle friedliebenden Kräfte in der Welt betrachteten das Gipfeltreffen als „den Auftakt zu einer wichtigen Wende, . . . um dem ,kalten Krieg' ein Ende zu setzen, um die Spannung in den internationalen Beziehungen zu beseitigen und einen dauerhaften Frieden in der ganzen Welt zu gewährleisten". 24 Doch die Genfer Außenministerkonferenz vom 27. Oktober bis 16. November 1955 erfüllte diese Erwartungen nicht. Mit einem mageren Schlußkommunique, das weitere Erörterungen über diplomatische Kanäle empfahl, wurde der kurzlebige „Geist von Genf" zu Grabe getragen. 25 Das Verhalten der Westmächte machte deutlich, daß sie nicht bereit waren, von der „Politik der Stärke" abzugehen, auf ihre aggressiven Absichten zu verzichten und das Prinzip der friedlichen Koexistenz anzuerkennen. Dennoch war das Jahr 1955 in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Die herausragenden weltpolitischen Ereignisse dieses Jahres erwiesen sich als Indikatoren von qualitativen Verschiebungen, die im internationalen Kräfteverhältnis vor sich gingen. In der Weltarena zeigten sich die antiimperialistischen Hauptkräfte der Gegenwart: der Weltsozialismus, die internationale Arbeiterklasse und die nationale Befreiungsbewegung; zunehmend unterstützten diese sich gegenseitig durch gemeinsames Handeln im Kampf um die Herstellung eines dauerhaften Friedens. Der hier zu betrachtende Zeitraum von 1955 bis 1961 war bereits von der veränderten strategischen Situation zugunsten des sozialistischen Weltsystems geprägt. Doch die imperialistische Politik des kalten Krieges zeigte ein beträchtliches Beharrungsvermögen, so daß diese Jahre weiterhin von Spannungen, Konfrontationen, Krisensituationen und militärischen Aggressionen erfüllt blieben. Der USA-Imperialismus und die NATO konzentrierten ihre konterrevolutionären Aktivitäten weiterhin auf Europa, was die Stabilisierung der Lage auf dem Kontinent sehr erschwerte. Die größten Gefahren gingen vom BRD-Imperialismus aus, der an die NATO-Mitgliedschaft die Hoffnungen knüpfte, die Ergebnisse des zweiten Weltkrieges in absehbarer Zeit revidieren und die in Europa entstandenen Grenzen ändern zu können. Die BRD verwandelte sich in ein Aufmarschgelände der NATO und in einen gefährlichen Aggressionsherd. Daher wurde die Sicherung des Friedens zu einer politischen Kardinalfrage in Europa.
2.
Der Kampf um Abrüstung und Sicherung des Friedens
In den fünfziger Jahren wurde das Abrüstungsproblem angesichts der Kernwaffenentwicklung und des imperialistischen Wettrüstens besonders akut. Die Entwicklung der Wasserstoffbombe, 26 einer Waffe von noch größerer Zerstörungskraft, als es die Atombombe war, sowie die Schaffung eines eigenen atomaren Potentials durch die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs 27 stellten neue Bedrohungsfaktoren dar. Auf der NATO-Ratstagung im Dezember 1954 in Paris wurde die Ausrüstung der NATO228
Streitkräfte in Westeuropa mit taktischen Kernwaffen erwogen. Die neue strategische Doktrin des „New Look", die die Eisenhower-Administration einführte, sah überraschende Kernwaffenschläge gegen militärische und ökonomische Zentren der sozialistischen Staatengemeinschaft vor. Sie zeigte unmißverständlich, daß sich die herrschenden Kreise der USA im Verein mit ihren NATO-Verbündeten direkt mit der Vorbereitung eines Atomkrieges in Europa befaßten. Die UdSSR und die anderen sozialistischen Bruderländer verstärkten ihre Anstrengungen, um die atomaren Kriegspläne der NATO zu durchkreuzen. Die Mitgliedsländer des Warschauer Vertrages ließen sich von der im Artikel 2 des Vertrages enthaltenen Bestimmung leiten, „in Vereinbarung mit anderen Staaten, die eine diesbezügliche Zusammenarbeit wünschen, wirksame Maßnahmen zur allgemeinen Abrüstimg und zum Verbot von Atom-, Wasserstoff- und andferen Massenvernichtungswaffen zu ergreifen". 28 In ihren Vorschlägen war die Abrüstungsfrage aufs engste mit dem Gedanken der kollektiven Sicherheit in Europa verbunden. Im Jahre 1955 unternahm die Sowjetregierung in Übereinstimmung mit ihren Verbündeten zwei bedeutsame Initiativen. Am 10. Mai 1955 unterbreitete sie den Westmächten weitreichende Vorschläge zur Rüstungsbeschränkung, zum Atomwaffenverbot und zur Beseitigung der Kriegsgefahr. 29 Der britische Abrüstungsexperte Noel-Baker nannte diese Dokumente einen Wendepunkt in der Geschichte der Nachkriegsverhandlungen zur Abrüstungsfrage. 30 Der Genfer Gipfelkonferenz im Juli 1955 legte die UdSSR drei Grundsatzdokumente vor: den Entwurf für einen Gesamteuropäischen Vertrag über die kollektive Sicherheit, den Entwurf für einen Vertrag zwischen den Staatengruppierungen in Europa und einen Vorschlag über die Einschränkung der Rüstungen und das Verbot der Atomwaffen. 31 Diese Vorschläge waren in der gegebenen Kräftekonstellation keineswegs utopische Projekte; sie knüpften an den Stand der Sicherheitsdebatte auf der Berliner Außenministerkonferenz von 195432 an, berücksichtigten in der Frage der Abrüstungskontrolle die Wünsche der Westmächte und regten - in Anbetracht des Umstandes, daß die westliche Seite nicht bereit war, den NATO-Pakt sofort aufzulösen - die Schaffung eines Sicherheitssystems in zwei Etappen an. Die Westmächte lehnten in Genf die sowjetischen Angebote rundweg ab und beschränkten sich in ihren Vorstellungen auf die Kontrolle und Inspektion der vorhandenen Rüstungen und Streitkräfte. 33 Auch auf der Genfer Außenministerkonferenz vom Herbst 1955 verhinderten die Westmächte einen Fortschritt in der Sicherheits- und Abrüstungsfrage, indem sie vor allem auf dem Junktim mit einer vorangegangenen Lösung der deutschen Frage im Sinne der Adenauerschen „Wiedervereinigungspolitik" beharrten. 34 Ungeachtet des unmittelbaren Schicksals, das den sowjetischen Vorschlägen auf den Genfer Konferenzen von 1955 widerfuhr, blieben diese in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert und zukunftsweisend. Zum einen bedeuteten sie, daß der 1952 eingetretene Stillstand in den Abrüstungsverhandlungen zwischen Ost und West überwunden wurde. 33 Zum anderen zeigte sich auf dem Hintergrund des Abschlusses des Warschauer Vertrages eine neue Qualität in den Sicherheits- und Abrüstungsbemühungen der UdSSR. Während sie bisher den Kampf an dieser für den Weltfrieden so außerordentlich bedeutsamen Front im wesentlichen allein geführt hatte, traten ihr nunmehr die anderen sozialistischen Staaten unmittelbar und mit weiteren Ideen zur Seite. Zum dritten kam in den sowjetischen Vorschlägen die sich wandelnde weltpolitische Lage zum Ausdruck. Die Sowjetunion meisterte erfolgreich die Aufgaben der wissenschaftlich-technischen Revolution auf dem Gebiet des Militärwesens. 36 Ihre dominierende Position auf dem Sektor der Kernwaffenträgermittel versetzte den selbstherrlichen
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Suprematie-Ansprüchen des USA-Imperialismus einen vernichtenden Schlag (sog. Sputnik-Schock) und schützte zuverlässig das sozialistische Weltsystem vor Aggressionen. Das Scheitern der „roll back"-Strategie wurde offenkundig. Zum erstenmal in ihrer Geschichte waren die USA angesichts der sowjetischen Raketenerfolge selbst tödlich verwundbar geworden, verminderte sich ihr auf allen Kontinenten angesiedeltes Kriegsbasensystem in seinem strategischen Wert außerordentlich. Fieberhaft suchten die NATO-Mächte nach neuen militärstrategischen Rezepten zur Durchsetzung ihrer antisozialistischen Politik. In dieser Situation gewannen die sowjetischen Abrüstungsvorschläge eine neue Dimension. Ohne das Hauptziel aus dem Auge zu verlieren, erhöhte sich der Wert von schrittweise realisierbaren Lösungen und heranführenden Maßnahmen. Die UdSSR ging davon aus, daß derartig praktikable Teilvorschläge wie Truppenreduzierung, Rüstungskontrolle, Gewaltverzicht und rüstungsbegrenzte Zonen als mögliche, relativ selbständige Elemente zur Gewährleistung von Frieden und Sicherheit am ehesten eine Vorstufe zu einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem bilden könnten. Insofern stellten ihre Vorschläge von 1955/56, die in der internationalen Öffentlichkeit großen Widerhall fanden, Plattform und Wegweiser für die Aktivitäten der Warschauer Vertragsstaaten auf diesem Gebiet bis weit in die sechziger Jahre hinein dar. Die Sowjetunion erhärtete ihre Erklärungen durch zahlreiche Aktionen, die die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten beweisen und die von den Westmächten als Voraussetzung genannte „Vertrauensatmosphäre" schaffen sollten. So gab die Sowjetunion im Mai 1955 den seit 1945 besetzt gehaltenen Flottenstützpunkt Port Arthur (Lüshun) an die VR China und im September 1955 den Stützpunkt Porkkala-Udd an Finnland zurück. Am 27. März 1956 unterbreitete sie dem Unterausschuß der UNO-Abrüstungskommission ein Paket von Abrüstungsvorschlägen, die von der Reduzierung der konventionellen Rüstungen und Streitkräfte, der Kürzung der Militäretats um 15 Prozent, der Einstellung der Atomwaffentests bis zur Bildung einer Zone der Begrenzung und Inspektion der Rüstungen in Mitteleuropa reichten.37 Gleichzeitig verringerte die Sowjetunion im August 1955 und im Mai 1956 die Gesamtzahl ihrer Streitkräfte um insgesamt 1,84 Mill. Mann, davon allein um über 50 000 Soldaten der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD).38 Auf Empfehlung des Politischen Beratenden Ausschusses des Warschauer Vertrages reduzierten die anderen Mitgliedsstaaten ebenfalls die Truppenstärken. 39 Auch die DDR leistete hierbei einen eigenen Beitrag, der in der internationalen Öffentlichkeit besonders aufmerksam registriert wurde, weil zur gleichen Zeit der NATO-Staat BRD mit aller Gewalt zur Aufrüstung drängte. Ausgehend von der Prager Gemeinsamen Deklaration der Warschauer Vertragsstaaten über die Sicherung des Friedens vom 27./28. Januar 1956,40 unterbreitete die DDR der BRD den Vorschlag, sich gemeinsam für einen Vertrag der kollektiven Sicherheit in Europa und für den Abzug ausländischer Truppen von deutschem Boden einzusetzen, sich jeder Anwendung von Gewalt gegeneinander zu enthalten, die Atomwaffen zu ächten und beiderseitig auf die Herstellung von Atomwaffen zu verzichten. 41 Im Juni 1956 beschloß der Ministerrat der DDR, die Stärke der Anfang 1956 zum militärischen Schutz des sozialistischen Aufbaus geschaffenen Nationalen Volksarmee (NVA) von 120000 auf 90000 Mann zu verringern. 42 Dieser konstruktive, an der sowjetischen Friedenspolitik orientierte Kurs, in dem Worte und Taten eine Einheit bildeten, trug zum internationalen Ansehen der DDR als aktiver Friedensfaktor bei. Nach dem Scheitern seiner konterrevolutionären Umsturzpläne in den sozialistischen Ländern im Herbst 1956 setzte der Imperialismus verstärkt auf die Karte der atomaren Aufrüstung der NATO-Verbände Westeuropas.43 Die Staaten des Warschauer Vertrages 230
ergriffen neue Initiativen, um die aggressiven Ziele der NATO zu entlarven und breite Volksmassen zum aktiven Friedenskampf zu mobilisieren. Dabei wirkten die europäischen sozialistischen Staaten immer enger zusammen und unterstützten einmütig die sowjetische Außenpolitik. Als dank der beharrlichen Bemühungen der UdSSR der Unterausschuß der UNOAbrüstungskommission vom 18. März bis 6. September 1957 seine Arbeit in London wiederaufnahm, legte der sowjetische Delegierte V. A. Sorin bereits am ersten Verhandlungstag neue, weitreichende Vorschläge vor.44 Bemerkenswert war darin die Forderung nach Schaffung einer Zone der beschränkten und kontrollierten Rüstung in Europa, die das Gebiet der DDR, der BRD und anderer benachbarter Staaten umfassen, frei von Atom- und Wasserstoffwaffen sein und durch eine gemeinsame Inspektion der Streitkräfte und der Rüstungen der am Abkommen beteiligten Staaten kontrolliert werden sollte. Derartige regionale Lösungen hatten die sozialistischen Staaten seit 1955 wiederholt angeregt. Nunmehr aber gelang es ihnen, diese Idee zum Inhalt einer starken, breiteste Bevölkerungskreise in ganz Europa erfassenden Massenbewegung gegen den Atomtod zu machen. Dies war sowohl Ausdruck der akuten Gefahr, die die Atomaufrüstung der NATO den Völkern brachte, als auch der Konstruktivität und Realität des Vorschlages selbst. Der Gedanke, daß an der Nahtstelle der beiden Militärblöcke inmitten Europas der Frieden am besten dadurch erhalten werden könne, wenn beide Seiten militärisch auseinanderrücken, war allgemein verständlich und fand viele Mitstreiter. Aber auch für die imperialistischen Regierungen war der Vorschlag durchaus annehmbar, weil er das Kräfteverhältnis beider Seiten im betroffenen Raum im Grunde nicht antastete. Da sich die Westmächte anderen Teilen des sowjetischen Abrüstungsplanes widersetzten, war die Idee der atomwaffenfreien Zone durchaus geeignet, über den toten Punkt der Londoner Abrüstungsverhandlungen hinwegzukommen. Zu den ersten Staaten, die den sowjetischen Vorschlag begrüßten, gehörte die DDR. Die programmatische Regierungserklärung, die Ministerpräsident Otto Grotewohl am 26. Juli 1957 vor der Volkskammer abgab, verband den Gedanken der atomwaffenfreien Zone als allgemeinen Beitrag zur europäischen Friedenssicherung mit dem spezifischen Anliegen der Normalisierung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD und zur Regelung aller darin eingeschlossenen Fragen.45 Auf Grund der Obstruktionspolitik der Westmächte vertagte sich der Unterausschuß der UNO-Abrüstungskommission am 6. September 1957, ohne ein einziges Problem gelöst zu haben. Die USA verschärften von neuem das Wettrüsten. Auf der NATO-Ratstagung vom Dezember 1957 nötigten sie ihren Verbündeten den Beschluß auf, erstens dem Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte Europa die Verfügungsgewalt über Mittelstreckenraketen einzuräumen und zweitens in Westeuropa Depots mit Atomsprengköpfen unter USA-Verschluß anzulegen, die im „Ernstfall" der NATO zur Verfügung stehen sollten.46 Mit Ausnahme von Norwegen und Dänemark beugten sich alle andere NATO-Staaten diesem Diktat. Eifrigster Befürworter des Plans MC-70 47 war die BRD-Regierung. In dieser gefahrvollen Situation ergriff am 2. Oktober 1957 der polnische Außenminister Adam Rapacki vor der XII. Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York die Initiative zu einer regionalen Lösung der Atomwaffenfrage. Er teilte dem Weltforum mit: „Im Interesse der Sicherheit Polens und einer Entspannung in Europa und nach Konsultation der anderen Partner des Warschauer Vertrages erklärt die Regierung der Volksrepublik Polen: Falls die beiden deutschen Staaten übereinkommen, ein Verbot der Herstellung und Lagerung von Kernwaffen auf ihren Territorien in Kraft zu setzen, ist die Volksrepublik Polen bereit, ein solches Verbot gleichzeitig auch in ihrem Gebiet einzuführen."48 Der Außenminister der CSR brachte sofort vor dem 16
Übergangsperiode
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tJNO-Plenum die gleiche Bereitschaft seiner Regierung zum Ausdruck. Am 5. Oktober 1957 stimmte der Außenminister der DDR, Dr. Lothar Bolz, dem Vorschlag vorbehaltlos zu.49 Auch die Regierungen Ungarns, Rumäniens und Jugoslawiens befürworteten den Plan. In einem Memorandum vom 14. Februar 1958 legte die polnische Regierung ihre präzisierten Vorstellungen von einer atomwaffenfreien Zone auf den Territorien Polens, der CSR, der DDR und der BRD ausführlich dar. 50 Am 19. Februar 1958 forderte die UdSSR die drei westlichen Atommächte - die USA, Großbritannien und Frankreich auf, die Schaffung einer solchen Zone nach Kräften zu fördern und gemeinsam die feierliche Verpflichtung zur Garantie ihres Status zu übernehmen. 51 Von allen Abrüstungsplänen jener Jahre fand der Rapackiplan die größte Resonanz,er brachte die Weltöffentlichkeit in Bewegung und zwang die Regierungen der NATOStaaten zu einer Stellungnahme. Sein Hauptvorzug lag im realistischen Herangehen an die bestehenden politisch-militärischen Strukturen in Europa. Außerdem wurde er zu einem Zeitpunkt vorgelegt, da in Westeuropa die Volksbewegung „Kampf dem Atomtod" ihre größte Entfaltung erreichte. Der Rapackiplan war Gegenstand zahlloser nationaler und internationaler Konferenzen, Symposien sowie anderer Begegnungen und wurde selbst in der großbürgerlichen Presse westlicher Länder eingehend debattiert. Die kommunistischen und Arbeiterparteien Europas bezogen ihn im Sinne des Moskauer Friedensmanifests vom November 1957 in ihre antiimperialistische Strategie und Taktik ein. Schließlich lag die große Resonanz des Rapackiplanes im bürgerlichen Lager auch darin begründet, daß er den in Westeuropa - vor allem in Großbritannien und Frankreich - viel diskutierten Gedanken eines „Disengagements", eines „Auseinanderrückens der Blöcke" in Europa berücksichtigte.52 Die Motive derartiger „Disengagement"Vorschläge, als deren Ausgangspunkt allgemein der Eden-Plan von 1954/55 galt, waren unterschiedlicher Natur. Einerseits zogen sie das Sicherheitsbedürfnis der Völker und die Popularität der sozialistischen Friedenspolitik in Betracht, andererseits waren sie eine Reaktion auf die veränderte militärstrategische Konstellation und die Krise der NATO-Doktrin. Drittens lag dem „Disengagement", d. h. einer einseitigen militärischen Entblößung von Staaten des Warschauer Vertrages bis an die Westgrenze der UdSSR, die Spekulation zugrunde, sich über eine längere Frist hinweg günstigere Chancen für eine Zersetzung und Beseitigung des Sozialismus in der DDR und in Osteuropa zu verschaffen. 53 Die DDR schaltete sich aktiv in den Kampf um die Verwirklichung des Rapackiplanes ein und vertiefte besonders die außenpolitische Zusammenarbeit mit ihren sozialistischen Nachbarn, die sich durch den Atomkriegskurs des BRD-Imperialismus genauso herausgefordert fühlten. Die Außenminister der CSR, der DDR und der VR Polen stimmten auf einer gemeinsamen Konferenz vom 10. bis 12. April 1958 in Prag ihr weiteres Vorgehen ab.54 Auf dem Boden dieser Kampfgemeinschaft entwickelten die DDR und Polen eine weitere Initiative, die in der Folge eine zunehmend selbständige Funktion innerhalb des Gesamtkonzepts der Warschauer Vertragsorganisation für die europäische Sicherheit erlangte. Bereits während der Verhandlungen zwischen den Partei- und Regierungsdelegationen der VR Polen und der DDR vom 20. Juni 1957 in Berlin wurde Übereinstimmung darüber erzielt, „daß im Interesse einer friedlichen Entwicklung europäischer Völker die Ostsee ein Meer des Friedens sein muß".55 Da die Kriegsvorbereitungen des BRD-Imperialismus mit der Wiedererrichtung der Kriegsmarine, dem Ausbau von Marinestützpunkten und NATO-Flottenmanövern auch den Ostseeraum erfaßten, hielt es die Regierung der DDR in einer offiziellen Erklärung vom 2. September 1957 für geboten, „daß alle Ostseestaaten ihre Bereitschaft erklären. 232
über den Abschluß bilateraler oder multilateraler Vereinbarungen zu verhandeln, um die wirtschaftlichen, Verkehrs- und kulturellen Beziehungen zwischen den Ostseestaaten auszubauen und gegenseitige Verpflichtungen zum Nichtangriff zu übernehmen". 56 In diesem Sinne lud die DDR vom 5. bis 12. Juli 1958 zur ersten internationalen Ostseewoche in den Bezirk Rostock ein. Angesichts der Tatsache, daß es in diesem Raum neben drei sozialistischen Anrainern (UdSSR, Polen, DDR) und zwei nichtpaktgebundenen Staaten (Finnland und Schweden) zwei NATO-Länder (Norwegen, Dänemark) gab, di.e sich dem Atomrüstungsplan MC-70 der NATO widersetzten und den Rapackiplan befürworteten, war die Forderung »Die Ostsee muß ein Meer des Friedens sein!" durchaus realisierbar. Gleichzeitig wandte sich die Regierung der DDR mehrfach mit dem Vorschlag an die BRD-Regierung, in beiden Staaten eine Volksbefragung darüber durchzuführen, ob sie einer atomwaffenfreien Zone angehören sollten oder nicht. 57 Die politisch verantwortlichen Kräfte der DDR nahmen somit alle Möglichkeiten wahr, um in entscheidender Stunde die Atomaufrüstung der BRD zu verhindern und den Weg zur Normalisierung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD, einem Kernpunkt der europäischen Sicherheit, zu öffnen. Doch die BRD-Regierung ignorierte die Vorschläge und peitschte am 25. März 1958 im Bundestag einen Beschluß über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr durch. 58 Eine weitere Verschärfung der Lage zeichnete sich ab. Am 24. Mai 1958 unterbreitete der Politische Beratende Ausschuß des Warschauer Vertrages, der in Moskau tagte, neue Vorschläge für Abrüstung und militärische Entspannung in Europa. 59 An vorderster Stelle wurde der Abschluß eines Nichtangriffspaktes zwischen den Staaten des Warschauer Vertrages und der NATO genannt; aber auch zweiseitige Vertragsabschlüsse wurden als wünschenswert angesehen. 60 Daneben widmeten die sozialistischen Staaten auch solchen Elementen eines Minimalprogramms zur Abrüstung Aufmerksamkeit wie der Einstellung der Kernwaffenversuche und der provokatorischen Flüge von US-Bombern mit Kernwaffen in Richtung auf die sowjetische Grenze, der Frage der Luftinspektionen zur Verhütung eines plötzlichen Überfalls, der Truppenreduzierung, dem Verbot der Benutzung des Kosmos für militärische Zwecke, der Auflösung militärischer Stützpunkte. Diese Anfangsschritte, dieses Minimum vorbeugender Maßnahmen, um unter den entstandenen Bedingungen den Frieden zu festigen, waren eingebunden in den Entwurf für einen „Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit der europäischen Staaten", den die UdSSR am 15. Juli 1958 vorlegte. 61 Seine Notwendigkeit begründete die Sowjetunion damit, daß alle europäischen Staaten sowie die USA „Anstrengungen unternehmen müßten, um auf regionaler Grundlage gesamteuropäische Beschlüsse auszuarbeiten, die bereits in der gegenwärtigen Etappe durchführbar sind und die sich für alle Regierungen als annehmbar erweisen können". 62 Auch diesmal erhärteten die sozialistischen Staaten ihre Worte durch Taten. Ihre Streitkräfte wurden 1958 um 419000 Mann reduziert: Dies bedeutete eine Herabsetzung seit 1955 um insgesamt 2 477 000 Mann. 6 3 Am 31. März 1958 beschloß die UdSSR die einseitige Einstellung ihrer Versuche mit Atom- und Wasserstoffbomben. 64 Wie bisher lehnten die Westmächte aber auch diesmal konkrete Pläne und praktische Schritte zur Abrüstung und Friedenssicherung ab. Der vom Imperialismus entfachte kalte Krieg hatte inzwischen dazu geführt, daß immer mehr moderne Massenvernichtungswaffen angehäuft und entsprechende Trägermittel mit größter Reichweite entwickelt worden waren. Dadurch wurde der Weltfrieden ernsthaft bedroht. Die Sowjetunion entschloß sich daher, nach neuen Wegen zur Lösung der immer unaufschiebbarer werdenden Probleme zu suchen. Auf der XIV. Tagung der UNO-Vollversammlung unterbreitete sie am 18. September 1959 den Vorschlag, ein internationales Ab16»
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kommen über die allgemeine und vollständige Abrüstung aller Staaten abzuschließen.65 Damit wurde eine neue Etappe im Kampf für die Beseitigung der Kriegsgefahr eröffnet, deren Perspektiven weit in die sechziger und siebziger Jahre hineinreichten. Mit ihren Friedensinitiativen übten die UdSSR und die anderen Staaten des Warschauer Vertrages auf die Entwicklung der politischen Lage in Europa großen Einfluß aus. Ihre Forderungen nach Abrüstung, Entspannung und Frieden erfaßten Millionen Menschen aus allen Bevölkerungsschichten. Getragen von der Arbeiterklasse und tatkräftig unterstützt durch die kommunistischen Parteien, entfaltete sich in Westeuropa die bis dahin größte antimilitaristische Volksbewegung nach dem zweiten Weltkrieg, die Bewegung „Kampf dem Atomtod". Die Kraft, die vom Ringen der sozialistischen Staaten und aller Friedenskräfte um die Minderung der internationalen Spannungen ausstrahlte, zwang die imperialistischen Regierungen immer wieder an den Verhandlungstisch, engte den Spielraum für ihre aggressiven Manöver weiter ein und durchkreuzte ihre Aufrüstungspläne. Der größte Gewinn des hartnäckigen Kampfes der sozialistischen Staatengemeinschaft um Abrüstung und Entspannung in dieser Periode lag darin, daß es dem Imperialismus zu keinem Zeitpunkt gelang, seine Kriegspläne zu realisieren. Die Zerschlagung der Konterrevolution in den Volksrepubliken Polen und Ungarn im Herbst 1956 und die erfolgreiche Unterbindung der aggressiven Handlungen der Imperialisten in den Jahren 1956/57 im Nahen Osten machten die Veränderungen im Kräfteverhältnis auf dem internationalen Schauplatz deutlich sichtbar. Dank diesen günstigen äußeren Bedingungen wurde der Aufbau des Sozialismus in den Staaten der sozialistischen Gemeinschaft unter Führung der marxistisch-leninistischen Parteien kontinuierlich weitergeführt. An der Seite der Sowjetunion und in der Gemeinschaft der Warschauer Vertragsstaaten nahm die DDR am Kampf für die Abrüstung und die Sicherung des Friedens in Europa aktiv teil. Sie unterstützte die sowjetischen Initiativen und trat mit eigenen Vorschlägen auf. Die Spezifik ihrer außenpolitischen Aktivität auf diesem Gebiet bestand darin, daß sie in direkter Konfrontation mit dem als antisozialistische Speerspitze der NATO handelnden BRD-Imperialismus stand und der von ihm ausgehenden Aggressionsgefahr unter den Bedingungen einer offenen Grenze zum imperialistischen System entgegenwirken mußte. Die konkreten Vorschläge der DDR berücksichtigten den jeweiligen Stand der Remilitarisierung in der BRD.66 Folglich waren sie vielfach direkt an die Arbeiterklasse und alle Werktätigen sowie deren Parteien und politische Organisationen in der BRD gerichtet, um diese in ihrem antiimperialistischen und antimilitaristischen Kampf zu unterstützen. Die SED und die Regierung der DDR führten diese Klassenauseinandersetzung damals unter der Losung „Bändigung und Zurückdrängung des westdeutschen Militarismus". 3.
Um friedliche Koexistenz im Verhältnis zwischen DDR und B R D
Der V. Parteitag der SED vom Juli 1958 bekräftigte nach gründlicher Analyse der Lage die Feststellung, daß die Sicherung des Friedens zur zentralen Frage im Verhältnis zwischen DDR und BRD geworden war. Um - wie der Parteitag beschloß - die sozialistischen Produktionsverhältnisse in der DDR in absehbarer Zeit zum Siege zu führen und damit die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus im wesentlichen abzuschließen, waren die Erhaltung des Friedens und eine Minderung der internationalen Spannungen eine wichtige Voraussetzung. Andererseits trug der Abschluß der
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Ubergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR dazu bei, das internationale Kräfteverhältnis weiter zugunsten des Sozialismus zu verändern. Unter Zugrundelegung des Wechselverhältnisses zwischen Frieden und Sozialismus, zwischen Sieg und Konsolidierung des Sozialismus im Innern des Landes sowie als Weltsystem und der Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses galt es die Aufgaben für den vollständigen Aufbau der Grundlagen des Sozialismus aufs engste mit den außenpolitischen Erfordernissen zu verbinden. Die internationale Klassenauseinandersetzung beeinflußte daher Tempo und Formen des sozialistischen Aufbaus in starkem Maße. Das zeigte sich deutlich in der vom V. Parteitag der SED getroffenen Formulierung der ökonomischen Hauptaufgabe, 67 aber auch in zahlreichen sozialistischen Wettbewerben und Masseninitiativen, die unter derartigen Losungen geführt wurden wie „Schlagt die Militaristen mit Taten in der sozialistischen Produktion" oder „Je stärker die DDR, desto stärker der Frieden in Deutschland". Die Umwandlung der BRD in einen NATO-Staat und der Übergang zur atomaren Aufrüstung der aggressiven Bundeswehr zeigten an, daß die Hauptgefahr für den Frieden in Mitteleuropa lag. Unverhüllt verkündeten die herrschenden Kreise in der BRD als Ziel ihrer „Deutschlandpolitik" die Liquidierung der sozialistischen Ordnung in der DDR und die gewaltsame Revision der Ergebnisse des zweiten Weltkrieges. Um dem abenteuerlichen Treiben der militaristischen und revanchistischen Kräfte in der BRD ein Ende zu setzen, war der Abschluß eines deutschen Friedensvertrages nach Auffassung der sozialistischen Staaten ein geeigneter Weg. Die Friedensregelung, die die imperialistischen Westmächte bislang hintertrieben hatten, bot die Möglichkeit, den im Ergebnis des zweiten Weltkrieges entstandenen politisch-territorialen Status quo in Europa für alle Seiten verbindlich zu fixieren. Dazu gehörten in erster Linie die Anerkennung der Existenz zweier unabhängiger, souveräner deutscher Staaten mit verschiedenen Staats- und Gesellschaftsordnungen, die Anerkennung des politischen Sonderstatus Westberlins, die Anerkennung und Respektierung aller in Europa bestehenden Grenzen sowie die Ausmerzimg des deutschen Militarismus und Revanchismus entsprechend den Grundbestimmungen des Potsdamer Abkommens. Die Realisierung dieser Forderungen wäre ein wichtiger Schritt zu einer vertraglichen Gewährleistung des europäischen Friedens, der Sicherheit und Zusammenarbeit gewesen. Anfang 1958 schlug die Sowjetregierung der Regierung der USA vor, auf einem Gipfeltreffen auch die Frage des Abschlusses eines deutschen Friedensvertrages zu erörtern und dazu die Regierungen der DDR und der BRD einzuladen. 68 Die im Warschauer Vertrag vereinten Staaten teilten auf der Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses vom 24. Mai 1958 vollauf den sowjetischen Standpunkt, „daß die Gipfelkonferenz den Teil der deutschen Frage erörtern soll, für dessen Lösung die Verantwortung bei den vier Mächten liegt, und zwar die Frage eines Friedensvertrages mit Deutschland". 69 Nachdem der V. Parteitag der SED Grundsätze für einen derartigen Vertrag vorgeschlagen hatte, ergriff die Regierung der DDR erneut die Initiative. In Noten an die Regierungen der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs vom 4. September 1958 schlug sie vor, daß die vier Mächte eine Kommission bilden und Beratungen über die Vorbereitung eines Friedensvertrages beginnen sollten. 70 So begann eine neue, umfassende Friedensoffensive der sozialistischen Staatengemeinschaft. Was die deutsche Frage betraf, so ließen sich die SED und die Regierung der DDR von dem grundlegenden inhaltlichen Wandel dieses Problems leiten, der sich mit dem Jahre 1955 endgültig vollzogen hatte. Die Eingliederung der BRD in die NATO war eine „einschneidende historische Zäsur in der nationalen Frage". Sie „zerstörte die nach 1949 noch vorhandene Möglichkeit, daß sich die deutsche Nation in einem ein235
heitlichen Staat auf einer neuen gesellschaftlichen Grundlage weiterentwickeln konnte. Während sich in der DDR die sozialistische Nation herauszubilden begann, bestand in der BRD die in antagonistische Klassen zerrissene kapitalistische Nation fort." 71 Zwangsläufig beschleunigte sich der objektive Prozeß der Abgrenzung zwischen den beiden zu völlig gegensätzlichen sozialen Systemen gehörenden Staaten. Alles deutete darauf hin, daß die beiden Staaten in ihrer gesellschaftspolitischen Divergenz für eine historisch lange Periode nebeneinander bestehen würden. Grundlegende Schlußfolgerungen aus der veränderten Lage hatte die 25. Tagung des Zentralkomitees der SED vom Oktober 1955 gezogen. 72 Sie stellte fest, daß im Mittelpunkt des Verhältnisses der DDR zur BRD die Sicherung des Friedens stand, und orientierte prinzipiell auf den Weg der Annäherung und Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen von sozialistischer DDR und imperialistischer BRD, für die generell die allgemeingültigen Normen des Völkerrechts und somit auch die Prinzipien der Politik der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung gültig sind. Der Plan der Bildung eines Staatenbundes (Konföderation) zwischen der DDR und der BRD, wie ihn erstmals die 30. Tagung des Zentralkomitees der SED vom Januar/Februar 1957 entwickelte und Ministerpräsident Otto Grotewohl in einer Regierungserklärung vom 27. Juli 1957 der BRD-Regierung offiziell übermittelte, 73 war somit eine programmatisch-politische Schlußfolgerung aus der Existenz zweier völlig selbständiger deutscher Staaten für einen längeren historischen Zeitraum. Der Konföderationsplan stellte eine schöpferische Anwendung der Leninschen Lehre von der friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung dar. Auf der Basis eines völkerrechtlichen Vertrages zwischen zwei Völkerrechtssubjekten beinhaltete er solche Grundprinzipien wie Parität, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen, Gewaltverzicht und Austragen des unvermeidlichen Klassenkampfes als friedlicher Wettbewerb zwischen beiden Systemen. Beginnend mit Abmachungen über die Durchführung einer gemeinsamen Politik in solchen Fragen wie Verbot der Lagerung und Herstellung von Atomwaffen, Ausscheiden beider Staaten aus den jeweiligen Militärblöcken, wirtschaftliche Zusammenarbeit usw. sollte später die Zusammenarbeit auf weitere Gebiete ausgedehnt werden. Auf diese Weise hätte die Realisierung des Planes, die antiimperialistische Veränderungen in der BRD voraussetzte, den dringlichen Forderungen nach Beseitigung der Kriegsgefahr in Europa und Schaffung einer kontrollierten atomwaffenfreien Zone voll entsprochen. Darüber hinaus bot die Konföderation einen möglichen Weg für die Wiederherstellung eines einheitlichen, friedlichen deutschen Staates auf antiimperialistischer Grundlage, falls zuvor die Arbeiterklasse und deren Verbündete in der BRD durch machtvolle Klassenkämpfe die Herrschaft der Monopolbourgeoisie überwunden haben sollten. Die politische Führung der DDR hatte zu keiner Zeit Illusionen über eine derartige Perspektive, sondern analysierte nüchtern die Lage. Andererseits konnte und wollte sie damals aber nicht die Möglichkeit völlig außer Betracht lassen, „daß im Gefolge von antiimperialistischen Umgestaltungen in der BRD auf längere Sicht Bedingungen für irgendeine Form der Vereinigung der beiden Staaten, für die Herstellung eines einheitlichen, demokratischen, antiimperialistischen deutschen Staates entstehen konnten". 74 Diese allerdings äußerst geringen Möglichkeiten wurden durch die realen geschichtlichen Bedingungen, die die weitere Klassenauseinandersetzung innerhalb der BRD sowie zwischen Sozialismus und Imperialismus schuf, zunichte gemacht. In der damaligen Konstellation war aber auch eine Konföderation ohne eine abschließende Vereinigung beider Partner denkbar, denn deren Funktion als ein Instrument zur
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Sicherung des Friedens und zur Entwicklung normaler Beziehungen auf der Grundlage der Prinzipien der friedlichen Koexistenz war ihr bestimmender Wesenszug. Im Bericht an den V. Parteitag der SED wurde daher festgestellt: „Der Kampf um die Konföderation wurde zur Hauptlosung der Partei im Ringen um Verständigung und Annäherung der beiden deutschen Staaten."75 Die Idee der Konföderation beeinflußte in starkem Maße den Kampf der friedliebenden, demokratischen Kräfte in der BRD und verflocht sich engstens mit dem Rapackiplan sowie den Forderungen der Bewegung „Kampf dem Atomtod". Die BRD-Regierung lehnte den DDR-Vorschlag jedoch kategorisch ab, obgleich sie selbst anfangs in dieser Frage in der Hauptstadt der DDR vorgefühlt hatte.76 Einer der damals maßgebenden Völkerrechtler der BRD, Wilhelm Grewe, nannte offen den Grund: Eine Konföderation böte „der Bundesrepublik keine ernsthafte Chance, die Sowjetzone (gemeint ist die DDR - d. Vf.) allmählich zu assimilieren".77 Am 29. Juli 1957, zwei Tage nach Veröffentlichung des Konföderationsvorschlages der, DDR, unterzeichnete die Adenauerregierung gemeinsam mit den Botschaftern der drei Westmächte die „Berliner Erklärung zur Wiedervereinigung", in der die Bonner Alleinvertretungsanmaßung und die Forderung nach einem in die NATO integrierten „wiedervereinigten Deutschland" bekräftigt wurden.78 Auf Betreiben der herrschenden Kreise der BRD wurde eine gleichlautende Erklärung in das Kommunique des NATO-Rates vom Dezember 1957 aufgenommen,79 wodurch faktisch die gesamte Millitärallianz auf die Bonner Aggressionspolitik gegenüber den sozialistischen Staaten verpflichtet wurde. Auch aus diesem Grunde war es notwendig, endlich einen Schlußstrich unter den zweiten Weltkrieg zu ziehen und eine deutsche Friedensregelung herbeizuführen. Auf die Initiative der DDR vom September 1958 antwortete allein die Sowjetunion. Am 10. Januar 1959 unterbreitete sie den drei Westmächten, den anderen Staaten, die mit ihren Streitkräften am Krieg gegen Hitlerdeutschland teilgenommen hatten, und den zwei deutschen Staaten den Entwurf eines deutschen Friedensvertrages.80 Zuvor hatte die Sowjetregierung nach Konsultationen mit der Regierung der DDR im November 1958 die Frage nach der Normalisierung der Lage in Westberlin aufgeworfen. Die Imperialisten hatten die inmitten der DDR gelegene Stadt in ein Zentrum der Spionage, der Diversion und der Subversion, in eine „Frontstadt des kalten Krieges" verwandelt. Der BRD-Imperialismus, der rechtswidrige Ansprüche auf Westberlin anmeldete, spekulierte darauf, an diesem neuralgischen Punkt den Status quo in Europa in Bewegung bringen zu können. Westberlin glich daher der glimmenden Lunte am Pulverfaß der NATO. In Noten an die drei Westmächte, die DDR und die BRD vom 27. November 1958 schlug die Sowjetunion vor, alle von Westberlin ausgehenden antisozialistischen Wühltätigkeiten sofort einzustellen, das dortige anachronistische Besatzungsregime aufzuheben und unter Berücksichtigung seiner besonderen politischen Lage Westberlin den Status einer Freien Stadt zu geben.8* Die sowjetischen Friedensvorschläge wurden auf einer Konferenz der Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages vom April 1959 einmütig gebilligt und unterstützt.82 Mit dem Entwurf eines Friedensvertrages sowie den Vorschlägen zur Umwandlung Westberlins in eine neutrale, entmilitarisierte Freie Stadt und zur Bildung einer deutschen Konföderation verfügte die sozialistische Staatengemeinschaft über ein konstruktives Programm für die Regelung der deutschen Probleme im Interesse der Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit in Europa wie auch im Interesse einer friedlichen Zukunft der Bevölkerung der DDR, der BRD und Westberlins. Diese Vorschläge berücksichtigten die tatsächliche Lage und die berechtigten Interessen aller Beteiligten. So ging der sowjetische Friedensvertrags-
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entwurf von den politischen Realitäten in Europa aus, von der Existenz zweier deutscher Staaten mit gegensätzlicher Gesellschaftsordnung und einer besonderen politischen Einheit Westberlin sowie von der Unverletzbarkeit der bestehenden Grenzen. Sein Hauptanliegen waren die Sicherung des Friedens, die Verständigung und Annäherung beider deutscher Staaten und die Durchsetzung einer Politik der friedlichen Koexistenz zwischen ihnen. Das verlieh dem sowjetischen Entwurf eine zentrale Rolle im Friedenskampf der sozialistischen Staaten am Ende der fünfziger Jahre. Obgleich die UdSSR von vornherein klargestellt hatte, daß ihre Vorschläge nicht als endgültig und unveränderlich zu betrachten seien, wurde sie von den imperialistischen Regierungen und Massenmedien beschuldigt, sie steuere auf einen „Diktatfrieden" hin, stelle in der Westberlinfrage ein „Ultimatum" und würde dadurch eine „neue weltpolitische Krise" heraufbeschwören. Die aggressivsten NATO-Kreise schürten an der Jahreswende 1958/59 eine Kriegspsychose. Die Sowjetregierung richtete eine deutliche Warnung an die Kriegstreiber: „Im Falle eines Überfalls auf die DDR würde den Aggressoren von den vereinigten Kräften der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages die gebührende Abfuhr erteilt werden. Die Sicherheit der DDR wird zuverlässig geschützt werden." 83 Erst im Frühjahr 1959 ebbte die Welle der Kriegspsychose ab. Die Verhandlungsidee gewann jetzt auch im westlichen Lager trotz aller Widerstände, die besonders von der Adenauerregierung ausgingen, an Boden, und es wurde eine Übereinkunft erzielt, auf einer Außenministerkonferenz der vier Mächte unter Beteiligung von Delegationen der DDR und der BRD den aufgeworfenen Fragenkomplex zu behandeln. Auf der Genfer Aufjenministerkonferenz (11. Mai - 20. Juni und 13. Juli — 5. August 1959) traten die beiden Klassenlinien in der deutschen Frage offen zutage. Während sich die UdSSR und die DDR f ü r den Abschluß eines Friedensvertrages und die friedliche Regelung der Westberlinfrage einsetzten und neue Vorschläge dazu unterbreiteten, wichen die Westmächte einer Beratung dieser Themen aus und wollten die Vorbereitung eines Friedensvertrages auf unbestimmte Zeit verschieben. Diesem Anliegen diente auch der von ihnen vorgelegte „Paket-Plan", der die verschiedenartigsten Probleme der europäischen Sicherheit, der Abrüstung und der deutschen Frage zu einem unentwirrbaren Knäuel verknotete, um ein Übereinkommen zu verhindern. Er verfolgte das Ziel, die Einflußsphäre der NATO auf das in drei Stufen „wiedervereinigte Deutschland" auszudehnen. Da die UdSSR und die DDR diesen konterrevolutionären Plan als Verhandlungsgrundlage nicht akzeptieren konnten, bekundeten die Westmächte ihr unverhülltes Desinteresse an einer weiteren Diskussion der deutschen Friedensregelung. In der zweiten Konferenzphase konzentrierten sich die Verhandlungen auf die Erörterung der Westberlinfrage. Die Westmächte lehnten unverändert die sowjetischen Vorschläge zur Umwandlung Westberlins in eine entmilitarisierte Freie Stadt ab; jedoch mußten sie zustimmen, daß die Lage in Westberlin anomal und die Stadt selbst kein Bestandteil der BRD sei. Auch einer von der UdSSR angeregten Zwischenlösung für Westberlin, die bestimmten westlichen Wünschen entgegenkam, erteilten die drei Westmächte schließlich eine Absage. Nach neuneinhalbwöchiger Dauer endete die Genfer Konferenz ohne jede konkrete Vereinbarung über den Friedensvertrag und die Westberlinfrage. Dennoch war sie ein Erfolg der Friedensoffensive der sozialistischen Staaten, ein Sieg des Prinzips der Verhandlungen über die Prinzipien des kalten Krieges, ein Ausdruck des sich ständig verändernden Kräfteverhältnisses zugunsten des Sozialismus. Zum erstenmal nahmen an einer derartigen Konferenz Vertreter der DDR und der BRD gleichberechtigt teil; dies war ein Ausdruck der realen Lage und bedeutete 238
zudem die de-facto-Anerkennung der DDR seitens der imperialistischen Westmächte. Überhaupt offenbarte Genf Anzeichen einer gewandelten Einstellung in den Regierungskreisen der Westmächte, die angesichts des Fiaskos der „roll back"-Strategie zu einem Sich-Abfinden mit dem Status quo in Mitteleuropa tendierten. Allerdings waren diese Kreise damals noch längst nicht bereit, aus dieser Situation die nötigen Konsequenzen zu ziehen und vor allem die haltlose Politik der Nichtanerkennung der DDR aufzugeben. 84 Bereits im Vorfeld der Genfer Konferenz hatten sich gewisse Entfremdungsprozesse zwischen den Westmächten und der BRD angedeutet, indem erstere sich nicht mehr bedingungslos an den abenteuerlichen Kurs des BRD-Imperialismus auf eine gewaltsame Veränderung des Status quo binden wollten. Dies sollte für die Friedenspolitik der Staaten des Warschauer Vertrages zu Beginn der sechziger Jahre noch praktische Bedeutung hinsichtlich der Ausnutzung derartiger imperialistischer Widersprüche erlangen. Zunächst aber kam es erneut zu einer Verschärfung der politischen Lage in Europa. Ein für den Mai 1960 in Paris geplantes Gipfeltreffen der Regierungschefs der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs wurde durch eine gezielte Provokation des Pentagons, die Entsendung eines U-2-Spionageflugzeuges über die Sowjetunion, torpediert. Danach nahm der kalte Krieg schnell wieder schärfere Formen an. Beschleunigt wurde die aggressive Bundeswehr zur Hauptstoßkraft der NATO in Europa ausgebaut; entlang der Staatsgrenze der DDR, die ja zugleich die westliche Grenzlinie der sozialistischen Staatengemeinschaft darstellt, fanden zahlreiche Manöver statt, in deren Rahmen Blitzkriegsstrategien erprobt wurden. 85 Der BRD-Imperialismus trug die ideologische Diversion, seine Spionagetätigkeit und den Wirtschaftskrieg gegen die DDR vor allem unter Ausnutzung der offenen Grenze über Westberlin vor. Im Herbst 1960 kündigte die BRD die bestehenden Handelsvereinbarungen mit der DDR auf. Unverhüllt bekannten sich die herrschenden Kreise in Bonn zur gewaltsamen „Befreiung" der DDR. Während sich so die politische Situation zuspitzte, veränderte sich rasch auch die Klassenkräftesituation in der BRD. Die antimilitaristische Volksbewegung „Kampf dem Atomtod" war schon 1958 mit Hilfe rechter SPD-Führer abgewürgt worden. Durch die volle Herausbildung eines straff organisierten staatsmonopolistischen Herrschaftssystems Ende der fünfziger Jahre verfügte der BRDImperialismus über neue Möglichkeiten, um mit Hilfe des Opportunismus die Arbeiterklasse und breiteste werktätige Schichten in sein System zu integrieren. Auf dem Godesberger Parteitag im November 1959 sowie in der außenpolitischen Debatte des Bundestages vom 30. Juni 1960 vollzogen die rechten SPD-Führer den offenen Übergang auf die Positionen der aggressiven Kräfte des Monopolkapitals. Diese Entwicklung beeinflußte nachhaltig die weitere Gestaltung des Verhältnisses zwischen der DDR und der BRD. 86 Angesichts der sprunghaften Zunahme der Aggressivität des BRD-Imperialismus überprüfte die Partei- und Staatsführung der DDR ihre Politik gegenüber der BRD. Offenkundig hatten sich die Bedingungen für den Abschluß eines Friedensvertrages und für die Bildung einer Konföderation extrem verschlechtert. Die SED orientierte daher auf die Ausarbeitung und Durchsetzung eines Minimalprogramms, um wenigstens einen Bruchteil an Maßnahmen zur Sicherung des Friedens und zur Entwicklung normaler Beziehungen zwischen der DDR und der BRD zu vereinbaren. Diese Politik begann mit dem als „Deutschlandplan des Volkes" bekannt gewordenen Offenen Brief des Zentralkomitees der SED an die Arbeiterschaft der BRD. 87 In Auswertung der Moskauer Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien vom November 1960, die eine tiefgründige Analyse der internationalen Lage vorge239
nommen und das Leninsche Prinzip der friedlichen Koexistenz und des ökonomischen Wettbewerbs zwischen beiden Systemen als Generallinie der Außenpolitik der sozialistischen Länder hervorgehoben hatte, zog die 11. Tagung des Zentralkomitees der SED vom Dezember 1960 wichtige Schlußfolgerungen. Sie stellte fest: „Die Politik der friedlichen Koexistenz muß in Deutschland ihre Anwendung finden durch Herbeiführung einer Entspannung und Herstellung normaler friedlicher Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten." 88 Erstmals formulierte damit die SED in einem programmatischen Dokument ausdrücklich die Anwendbarkeit der Normen friedlicher Koexistenz auf das Verhältnis zwischen der DDR und der BRD. In Anbetracht der damaligen komplizierten politischen Lage schlug die SED „eine Lösung der kühlen Vernunft vor, eine Lösung, die die Entscheidung über die Gesellschaftsordnung nicht zur Voraussetzung für die friedliche Lösung der deutschen Frage macht. Wir schlagen also einen nationalen Kompromiß zur Erhaltung des Friedens und zur Bildung einer deutschen Konföderation vor, damit nicht ein weiteres Auseinanderleben der beiden deutschen Staaten erfolgt, sondern ihre Annäherung." 89 Konkret regte die SED an, zwischen der DDR und der BRD „einen sogenannten Gottesfrieden", „eine Vereinbarung über die Erhaltung des Friedens für zunächst zehn Jahre", zu schließen. 90 Das Leitmotiv der Friedenserhaltung diktierte auch den „Deutschen Friedensplan", den die Volkskammer der DDR am 6. Juli 1961 beschloß. 91 Der Gedanke eines Minimalprogramms der friedlichen Koexistenz wurde darin weiter ausgebaut in Gestalt eines „Abkommens des guten Willens", das reduzierte Vorschläge zur Herbeiführung einer Entspannung in den Beziehungen zwischen der DDR und der BRD enthielt. Dazu gehörten: Verzicht auf atomare Bewaffnung, Rüstungsstopp, Abkommen über die Stärke der Streitkräfte, Einstellung der Kriegs- und Revanchepropaganda, Eintreten für einen Nichtangriffspakt zwischen der NATO und den Staaten des Warschauer Vertrages, Schaffung einer kernwaffenfreien Zone in Mitteleuropa, Erweiterung des Handels sowie der kulturellen und sportlichen Beziehungen, Erleichterungen des Reiseverkehrs. Mit diesem Minimalprogramm wies die SED die Richtung des Kampfes auf längere Sicht. Weitere Marksteine auf diesem Weg waren vornehmlich die 14. Tagung des Zentralkomitees der SED vom November 1961, das Nationale Dokument vom Sommer 1962 und der VI. Parteitag der SED vom Januar 1963. Die herrschenden Kreise der BRD wiesen die Verständigungsangebote der DDR nicht nur schroff zurück, sie gingen im Sommer 1961 sogar zu unmittelbaren Kriegsvorbereitungen gegen die DDR über. 92 Im Mittelpunkt ihrer strategischen Vorstellungen stand eine mit dem Bonner Alleinvertretungsanspruch getarnte und von außen her geführte „Polizeiaktion" gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht, für deren Gelingen die Bundeswehrführung als Hauptvoraussetzung die politisch-militärische Isolierung der DDR vom Warschauer Vertragssystem ansah. In dieser Richtung sollte die NATO durch ihre „Garantie-Erklärungen" für Westberlin und durch die Androhung eines weltweiten thermonuklearen Krieges agieren. In gleichem Sinne erklärte der BRD-Verteidigungsminister Franz Josef Strauß im Juli 1961 während einer USA-Reise, der zweite Weltkrieg sei noch nicht zu Ende und man müsse sich für eine „BerlinKrise" im kommenden Herbst wappnen. 93 Das alles beschwor die akute Gefahr eines Krieges im Herzen Europas herauf. Obgleich die Aggressionspolitik des Imperialismus der DDR große ökonomische und demographische Verluste zufügte, waren die Grundpositionen der Arbeiter-undBauern-Macht so konsolidiert und die Stellung der DDR in der sozialistischen Gemeinschaft so gefestigt, daß auch dieser dritte massive konterrevolutionäre Angriff binnen eines Jahrzehnts erfolgreich zurückgeschlagen werden konnte. In Überein-
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Stimmung mit den Regierungen der Staaten des Warschauer Vertrages übernahmen am 13. August 1961 die bewaffneten Kräfte der DDR im engen Zusammenwirken mit den in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräften den militärischen Schutz der Staatsgrenzen gegenüber der BRD und Westberlin und kamen so den Aggressionsplänen des BRD-Imperialismus zuvor. „Ihm wurde endgültig der Weg versperrrt, seinen Herrschaftsbereich nach Osten auszudehnen. Die Sicherungsmaßnahmen vom 13. August 1961 bedeuteten für den deutschen Imperialismus die schwerste Niederlage seit der Gründung der DDR." 9 4 Der Friede in Europa war gerettet worden. Die gewandelte strategische Lage nach dem 13. August 1961 eröffnete neue Möglichkeiten für die Durchsetzung der Politik der friedlichen Koexistenz in Europa, für die völkerrechtliche Verankerung der Ergebnisse des zweiten Weltkrieges. Eine neue Etappe des Kampfes um europäische Sicherheit begann.
4.
Erfolgreiche Bilanz
Das internationale Leben Europas in den Jahren 1955 bis 1961 verlief überaus kompliziert und vielgestaltig. Die Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus nahm scharfe Formen an. Obwohl längst zum Scheitern verurteilt, hielt der Imperialismus am kalten Krieg und an der Strategie des „roll back" fest. Ende der fünfziger Jahre verlor er aber gewichtige Positionen in den internationalen Beziehungen, die er sich nach dem zweiten Weltkrieg zunächst noch hatte erhalten können. Der Beginn der dritten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus zeichnete sich ab. Es war dies zugleich eine tiefe Krise der außenpolitischen und militärischen Strategie des Imperialismus. Führende Kreise der USA mußten eingestehen, daß ihr Land die Hegemonie in den internationalen Angelegenheiten verloren hatte. Der Mitte der fünfziger Jahre erkennbare Prozeß allmählicher quantitativer Veränderungen im internationalen Kräfteverhältnis schlug zu Beginn der sechziger Jahre in eine neue Qualität um. Der Weltsozialismus trat in eine neue Entwicklungsetappe ein. In der Sowjetunion hatte der Sozialismus vollständig und endgültig gesiegt; unter Führung der KPdSU begann der allmähliche Übergang zum kommunistischen Aufbau. In der Mehrzahl der anderen sozialistischen Staaten ging zur gleichen Zeit die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus erfolgreich ihrem Abschluß entgegen. Die dynamische Entwicklung des Weltsozialismus, die sich festigende Einheit und Geschlossenheit der Staaten des Warschauer Vertrages und deren wachsende militärische Verteidigungskraft beeinflußten immer wirksamer die Gestaltung der internationalen Beziehungen. Sie verliehen der nach 1955 einsetzenden Friedensoffensive der sozialistischen Staatengemeinschaft Kraft und Ausdauer. An der Seite der Sowjetunion und in der Gemeinschaft der Warschauer Vertragsstaaten trug die DDR mit dazu bei, die wiederholten Angriffe des Imperialismus auf den Sozialismus und auf den Status quo in Europa abzuwehren und den Frieden zu sichern. Damit wurden trotz aller Widrigkeiten des kalten Krieges, denen sich die DDR in besonderem Maße ausgesetzt sah, insgesamt günstige äußere Bedingungen geschaffen, die es der Arbeiterklasse und ihren Verbündeten unter Führung der SED ermöglichten, die Grundaufgaben der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR erfolgreich zu bewältigen. Diese historischen Leistungen waren nur möglich gewesen dank der Hilfe und Unterstützung der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten, dank der festen Zugehörigkeit zur sozialistischen Staatengemeinschaft. Wie im innenpolitischen Bereich so zeigte sich auch auf außenpolitischem Ge-
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biet, daß das Bündnis mit der UdSSR und allen anderen sozialistischen Ländern eine Lebensnotwendigkeit ersten Ranges darstellt. Im gemeinsamen Kampf gegen die imperialistischen Politik des kalten Krieges festigten sich die internationalen Positionen der DDR, weitete sich deren außenpolitisches Aktionsfeld und wuchs deren Ansehen als ein Friedensfaktor in Europa. Aus dem reichhaltigen Erfahrungsschatz der Sowjetunion im Friedenskampf schöpfend, trug die DDR eigens dazu bei, das Kräfteverhältnis grundlegend zugunsten des Sozialismus zu verändern. Somit wurde der Kampf für einen maximalen Zeitgewinn im Wettbewerb des Sozialismus mit dem Imperialismus zu einem Kampf für ein Maximum ein Friedenstaten. Dem Imperialismus der BRD gelang es nicht, die sozialistische Arbeiter-und-Bauern-Macht zu beseitigen und die kapitalistische Ausbeuterordnung wiederherzustellen. Nachdem alle Verhandlungs- und Verständigungsvorschläge der DDR von den herrschenden Kreisen der BRD strikt abgelehnt worden waren, die rechten SPD-Führer vollständig auf die Positionen des Imperialismus übergegangen waren und die fortschrittlichen Kräfte in der BRD sich als zu schwach für die Herbeiführung einer grundlegenden politischen Wende in ihrem Lande erwiesen hatten, mußten aus der veränderten Lage nach dem 13. August 1961 die Schlußfolgerungen gezogen werden. Da die Divergenz der Staats- und Gesellschaftsordnungen beider Staaten immer größer wurde, mußten frühere Zielvorstellungen hinsichtlich ihrer Vereinigung aufgegeben werden, denn es existierten dafür keinerlei Bedingungen mehr. Dies vollzog sich in einem längeren Erkenntnisprozeß. Aus dem bisherigen Verlauf des Klassenkampfes im nationalen wie internationalen Maßstab und aus dem eindeutigen historischen Tatbestand der Existenz eines sozialistischen und eines imperialistischen Staates auf deutschem Boden schlußfolgerte die Partei- und Staatsführung der DDR, daß es keinen anderen Weg zur Sicherung des Friedens und zur Normalisierung der politischen Lage in Europa geben konnte als die Herstellung normaler Beziehungen der friedlichen Koexistenz zwischen der DDR und der BRD. Im Abriß „Geschichte der SED" wird festgestellt: „Allein die seit Mitte der fünfziger Jahre erarbeitete Konzeption der SED und die von ihr praktizierte Politik, zwischen der DDR und der BRD sowie mit Westberlin Beziehungen auf der Grundlage der Prinzipien der friedlichen Koexistenz von Staaten gegensätzlicher Gesellschaftsordnung herzustellen, erwiesen sich als geschichtlich realisierbar." 95 Die Anpassungsprozesse des Imperialismus an die neuen, vom sozialistischen Weltsystem diktierten Gegebenheiten in der Klassenauseinandersetzung zeichneten sich vorerst nur als eine Tendenz ab; generell dominierten in jener Zeit innerhalb des westlichen Lagers die aggressiven Kräfte. Das bedingte einen ausgeprägt konjunkturellen Verlauf in den internationalen Beziehungen, ein Auf und Ab des Kampfes, in dem kurze Phasen zeitweiliger Milderung der Spannungen („Geist von Genf", „Geist von Camp David") mit Phasen verschärfter Aggressionspolitik (Herbst 1956, 1960/61) wechselten. Unter diesen Bedingungen waren an die Friedenspolitik der sozialistischen Staaten hohe Anforderungen hinsichtlich ihrer Elastizität, Konstruktivität und revolutionären Beharrlichkeit gestellt. Obgleich keine Aussicht bestand, die Idee der kollektiven Sicherheit für Europa in kurzer Frist zu verwirklichen, führte die sozialistische Diplomatie diesen Kampf mit revolutionärem Elan und Konsequenz. Denn zu dem aufgezeigten Weg der Entspannung und der friedlichen Koexistenz konnte und kann es keine Alternative geben. Erfolgreich bemühte sie sich, die Idee des Friedens und der Sicherheit in den Volksmassen der kapitalistischen Länder zu verankern und diese in die breite Front des antiimperialistischen Kampfes einzubeziehen. Die außenpoliti-
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sehe Tätigkeit der Warschauer Vertragsstaaten, insbesondere der Sowjetunion, setzte den aggressiven Handlungen der imperialistischen Mächte Schranken. Kühn entwarf die sozialistische Diplomatie das Bild eines friedlichen Zusammenlebens der Völker Europas und einer Welt ohne Waffen. Im Rückblick stellt sich die Frage, was von den mannigfaltigen Vorschlägen zur Friedenssicherung nur von kurzlebiger, weil zeitbedingter Natur und was von Bestand war. In einigen Fragen, so bei der deutschen Friedensregelung, in der Konföderationsidee und in der deutschen Frage überhaupt, hat die Geschichte inzwischen ihr Urteil gesprochen. Prinzipiell sind zwei Antworten zu geben: Erstens blieben diese Vorschläge, Pläne und Initiativen, auch wenn ihnen kein durchschlagender Erfolg beschieden war, nicht wirkungslos; zweitens entwickelte die sozialistische Diplomatie ideenreich ein breites, von den Realitäten abgeleitetes Instrumentarium, das über den Tageswert hinaus eine strategische Bedeutung besitzt. Denn die Prozesse, die damals unter aktiver Mitwirkung der DDR angebahnt wurden, sollten erst in den späten sechziger, vor allem aber in den siebziger Jahren ihre Früchte und Ergebnisse zeitigen. Dies alles machte die Jahre 1955 bis 1961 zu einem wichtigen Glied des Kampfes um Frieden und Sicherheit in Europa, der 1945 in Potsdam begonnen hatte und 1975 in Helsinki seinen bisherigen Höhepunkt erreicht hat.
Anmerkungen 1 Vgl. Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß (im folgenden: Geschichte der SED), Berlin 1978, S. 223 ff. 2 Zu Grundfragen der Außenpolitik der DDR im Zeitraum 1949-1961 vgl. Geschichte der Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik, Abriß, Berlin 1968; Klassenkampf Tradition - Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Grundriß, Berlin 1974; DDR - Werden und Wachsen. Zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1974; Außenpolitik der DDR - für Sozialismus und Frieden, hg. vom Institut für Internationale Beziehungen an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR, Berlin 1974. Besonders hervorzuheben ist die tieflotende Monographie von Hänisch, Werner, Außenpolitik und internationale Beziehungen der DDR, Bd. 1, 1949 bis 1955, Berlin 1972. 3 Burnham, James, Die Strategie des Kalten Krieges, Stuttgart 1950, S. 289. 4 Geschichte der SED, a. a. O., S. 227. 5 Hänisch, Außenpolitik und internationale Beziehungen der DDR, a. a. O., S. 12. 6 Hillgruber, Andreas, Deutsche Geschichte 1945-1972. Die »deutsche Frage" in der Weltpolitik, Frankfurt/M./Berlin(-West)/Wien 1974, S. 51. 7 Weber, Hermann, DDR. Grundriß der Geschichte 1945-1976, Hannover 1976, S. 57. Ähnlich auch Grosser, Altred, Geschichte Deutschlands seit 1945. Eine Bilanz, München 1974, S. 411 ff.; demgegenüber ergeht sich Freund, Michael, Deutsche Geschichte. Fortgeführt von Thilo Vogelsang, Bd. 6: 1939 bis zur Gegenwart, München 1978, S. 165 ff., in primitivsten antikommunistischen Ausfällen. 8 Gasteyger, Curt, Die beiden deutschen Staaten in der Weltpolitik, München 1976, S. 41. 9 Vgl. Besson, Waldemar, Die Außenpolitik der Bundesrepublik. Erfahrungen und Maßstäbe, Frankfurt/M./Berlin(-West)/Wien 1973; Löwenthal, Richard, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, Stuttgart 1974. 10 Besson, Die Außenpolitik der Bundesrepublik . . ., a. a. O., S. 183. 11 Wortlaut in: Die Organisation des Warschauer Vertrages 1955-1975. Dokumente und Materialien, hg. vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Berlin 1975, S. 15 ff. - Albanien nimmt z. Zt. an der Tätigkeit der Organisation des Warschauer Vertrages nicht teil; es gab 1968 seinen Austritt aus der Organisation bekannt. 12 Zur Geschichte und Bedeutung des Warschauer Vertrages vgl. Von der Moskauer Konfe-
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renz europäischer Länder bis zum Warschauer Vertrag. Dokumente von welthistorischer Bedeutung, Berlin 1955; Latzo, A., Die Warschauer Vertragsorganisation auf Friedenswacht, Berlin 1975; Stemel, Ernst, Das Verteidigungsbündnis der Staaten des Warschauer Vertrages. Zu seiner Funktion bei der Erhaltung des Friedens in Europa, in: Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas, Bd. 18/1, Berlin 1974, S. 85 ff. Geschichte der SED, a. a. O., S. 330. Vgl. Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Bd. III, Berlin 1956, S. 244 ff. Geschichte der SED, a. a. O., S. 331. Wortlaut in: Brandweiner, Heinrich, Die Pariser Verträge, Berlin 1956. Im Gefolge der Außenministerkonferenz der sechs westeuropäischen Montan-UnionStaaten am 1./2. 6. 1955 in Messina kam es im März 1957 zum Abschluß der Römischen Verträge über die Bildung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM). Unter Führung Großbritanniens schlössen sich im November 1959 sieben weitere west- und nordeuropäische Staaten zu einer Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) zusammen. Die Bildung von zwei rivalisierenden Wirtschaftsblöcken war Ausdruck der sich vertiefenden Widersprüche innerhalb des imperialistischen Paktsystems. Vgl. Dankert, Jochen/Ersil, Wilhelm/Werner, KarlHeinz, Politik in Westeuropa. Integrationsprozesse vom Ende des zweiten Weltkrieges bis zur Gegenwart, Berlin 1975. Vgl. Richtlinien des XX. Parteitages der KPdSU für den sechsten Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der UdSSR in den Jahren 1956 bis 1960. Referat v. Gen. N. A. Bulganin. Anhang: Entschließung des XX. Parteitages der KPdSU zum Rechenschaftsbericht des ZK der KPdSU, Berlin 1956, S. 94 ff. Ebenda, S. 96. Vgl. Dokumente zur Außenpolitik der DDR, Bd. III, a. a. O., S. 620 ff.; Bd. IV, a. a. O., S. 279ff.; Hönisch, Außenpolitik und internationale Beziehungen der DDR, a. a. O., S. 270 f. Vgl. Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, 1945 bis 1976, Redaktion: A. A. Gromyko, B. N. Ponomarev, Berlin 1978, S. 266 ff. Zum Konferenzverlauf vgl. Die Sowjetunion auf der Genfer Konferenz, 18. Juli bis 23. Juli 1955. Erklärungen, Kommuniques, Berichte, Berlin 1955; Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, a. a. O., S. 269 ff.; vgl. auch Laboor, Ernst, Die Außenpolitik der Sowjetunion im Kampf um die kollektive Sicherung des Friedens in Europa 1954/55, Diss. B, Berlin 1977. Vgl. Die Sowjetunion auf der Genfer Konferenz . . ., a. a. O., S. 33 ff. Ebenda, S. 85. Vgl. Geschichte der sowjetischen Außenpolitik . ... a. a. O., S. 275 ff. Am 1. 1. 1952 führten die USA ihre erste thermonukleare Testexplosion auf dem Eniwetok-Atoll im Pazifik durch. Die UdSSR egalisierte diesen „Vorsprung" durch die Erprobung von zwei H- (Wasserstoff-) Bomben am 12. und 23. 8. 1953. Damit zerrannen die Hoffnungen des Pentagon, den Verlust ihres einstigen Atombombenmonopols wettmachen zu können, schon nach einem Dreivierteljahr. Für die weitere Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses war dieses Ereignis von fundamentaler Bedeutung. Großbritannien zündete seine erste Atombombe im Herbst 1952 in der australischen Wüste und seine erste Wasserstoffbombe im Mai 1957 über den Weihnachtsinseln. Frankreich brachte seine erste Atombombe im Oktober 1960 und eine Wasserstoffbombe 1968 zur Explosion. Die Organisation des Warschauer Vertrages . . ., a. a. O., S. 16. Wortlaut in: Neue Zeit, Moskau, 1955, Nr. 20, Beilage. Siehe femer: Der Kampf der Sowjetunion für Abrüstung in den Jahren 1946 bis 1960, mit einer Ergänzung für die deutsche Ausgabe bis 1962. Gesamtredaktion: W. A. Sorin, (Berlin) 1963, S. 213ff.; Geschichte der sowjetischen Außenpolitik . . ., a. a. O., S. 297 ff.
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30 Vgl. Noel-Bäker, Philip, The Arms Race, London 1958, S. 20 f. 31 Vgl. Die Sowjetunion auf der Genfer Konferenz, a. a. O., S. 18-26. 32 Vgl. dazu Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Bd. I, Berlin 1957, S. 474ff.; Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, a. a. O., S. 236ff.; Läboor, Ernst, Auf dem Wege nach Helsinki 1954-1975. Die Berliner Außenministerkonferenz 1954 Beginn des Kampfes der Sowjetunion um die Gesamteuropäische Konferenz f ü r Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Berlin 1977, S. 62 ff.; derselbe. Für Frieden und Sicherheit. Zu Vorgeschichte, Verlauf und Wirkung der Berliner Außenministerkonferenz vom 25. Januar bis 18. Februar 1954. In: Jahrbuch für Geschichte (im folgenden: JfG), Bd. 12, Berlin 1974, S. 81 ff. 33 Der von USA-Präsident Eisenhower vorgelegte Plan unbegrenzter Luftinspektionen über der UdSSR und Osteuropa sowie einigen Teilen Nordamerikas („open sky") trug eher den Spionageabsichten der CIA Rechnung, nicht aber den Sicherheitsinteressen der betroffenen Völker. Vgl. Eisenhower, Dwight D., Die Jahre im Weißen Haus 1953-1956, Düsseldorf/Wien 1964, S. 567ff.; derselbe, Wagnis für den Frieden 1956 bis 1961, Düsseldorf/Wien 1966, S. 379ff.; Dei Kampf der Sowjetunion für Abrüstung . . ., a. a. O., S. 219 ff. 34 Vgl. ebenda, S. 227f.; Geschichte der sowjetischen Außenpolitik . . ., a. a. O., S. 275ff. 35 Vgl. ebenda, S. 135. 36 Nachdem die UdSSR 1949 das Atombomben- und 1953 das Wasserstoffbombenmonopol der USA gebrochen hatte, übernahm sie auf dem so überaus wichtigen Gebiet moderner Trägermittel die Führung. Mit der Erprobung der ersten interkontinentalen ballistischen Raketen im August 1957 und dem Start des Sputniks, des ersten künstlichen Erdtrabanten, am 4. 10. 1957 nahm die UdSSR im Raketenbau den ersten Platz in der Welt ein. Es begannen die massenweise Einführung von Raketenwaffen in allen Teilstreitkräften der Sowjetarmee sowie die Umrüstung auf andere modernste Waffensysteme. Vgl. T Scher ednitschenko, M., Grundzüge der Entwicklung der sowjetischen Kriegskunst nach dem zweiten Weltkrieg. In: Zeitschrift für Militärgeschichte, Berlin, 1971, H. 1, S. 389 ff. 37 Vgl. Der Kampf der Sowjetunion für Abrüstung . . ., a. a. O., S. 233 ff. 38 Vgl. ebenda, S. 239 f. 39 Vgl. ebenda, S. 244. 40 Vgl. Die Organisation des Warschauer Vertrages . . ., a. a. O., S. 22 ff. 41 Vgl. Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR, Bd. III, a. a. O., S. 437. 42 Vgl. Neues Deutschland, Ausgabe B, 1. 7. 1956. 43 Zur Klassenkampfsituation 1956/57 siehe Geschichte der SED, a. a. O., S. 350 ff. 44 Vgl. Der Kampf der Sowjetunion für Abrüstung . . ., a. a. O., S. 248 ff. 45 Vgl. Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR, Bd. V., Berlin 1958, S. 120 ff. 46 Vgl. Kommunique der NATO-Ratstagung. In: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Bonn, Nr. 237 v. 21. 12. 1957, S. 2190. 47 Das NATO-Dokument MC-70 vom Frühjahr 1958 sah vor, binnen fünf Jahren eine aus 30 Divisionen bestehende, mit Atomwaffen ausgerüstete Streitmacht in Mitteleuropa unter USA-Kontrolle zu schaffen. Parallel dazu entstand der nach dem damaligen NATOOberbefehlshaber General Norstad benannte Plan für die Einrichtung von fünf USARaketenstützpunkten in drei Zonen, nämlich Westeuropa (Benelux, BRD und Nordfrankreich), Alpenmassiv und Balkanregion (Griechenland, Türkei). Vgl. NATO - CENTOSEATO - OAS. Imperialistische Paktsysteme, Berlin 1964, S. 87 ff. 48 Zit. in: Atomwaffenfreie Zone in Europa (Kleine Dokumentensammlung, hg. v. Karl Bittel), Berlin 1958, S. 43. 49 Vgl. ebenda, S. 44 ff. 50 Vgl. Neues Deutschland, Ausgabe B, 18. 2. 1958; Atomwaffenfreie Zone, S. 96 ff.; Zur Bedeutung des Rapackiplans vgl. auch Rakowski, MieczySlaw, Die Außenpolitik der VR Polen. Skizzen aus der Geschichte dreier Jahrzehnte, Warszawa 1975, S. 131 ff. 51 Dokumente zur Außenpolitik der UdSSR 1958, Berlin 1960, S. 113 ff. 52 Den besten Überblick über die Vielzahl der Disengagement-Pläne bieten Hinterhofi, 245
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Eugène, Disengagement, London 1959; Planck, Charles, Sicherheit in Europa. Die Vorschläge für Rüstungsbeschränkung und Abrüstung 1955-1965, München 1965. Der ehem. Direktor des Planungsstabes des USA-Außenministeriums, George F. Kennan, legte in den „Reith lectures" der BBC im November 1957 einen Plan zur „Räumung Ostdeutschlands, Polens und Ungarns durch die Russen" vor, der die sowjetischen Truppen „hinter die Pripjetsümpfe" zurückbringen sollte. Vgl. Kennan, George F., Memoiren 1950-1963, Frankfurt/Main 1973, S. 236ff., bes. 263f.; derselbe, Rußland, der Westen und die Atomwaffe. The Reith Lectures, Frankfurt/M. 1958. Vgl. Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR, Bd. VI, Berlin 1959, S. 165 ff. Vgl. ebenda. Bd. V, a. a. O., S. 421. Vgl. ebenda, S. 142. Vgl. Neues Deutschland, Ausgabe B, 23.1.1958. - Das ZK der SED wandte sich im Dezember 1957 und im Mai 1958 mit dem Vorschlag an die SPD, durch gemeinsame Aktionen f ü r die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone einzutreten. Vgl. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Bd. VI, Berlin 1958, S. 364 ff.; ebenda, Bd. VII, Berlin 1961, S. 212 ff. Vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode, 18. Sitzung, Bonn, 25. März 1958, S. 1169. Vgl. Dokumente zur Außenpolitik der DDR, a. a. O., Bd. VI, S. 168 ff.; Die Organisation des Warschauer Vertrages, a. a. O., S. 31 ff. So wandte sich die UdSSR am 20. Mai 1958 mit dem Vorschlag eines Nichtangriffspaktes an Italien, während die DDR 1959/60 wiederholt der BRD einen derartigen Vorschlag unterbreitete. Vgl. Dokumente zur Außenpolitik der UdSSR 1958, a. a. O., S. 348 ff. Ebenda, S. 346. Vgl. ebenda, S. 59, 269, 276. Vgl. ebenda, S. 176 ff. Vgl. Der Kampf der Sowjetunion f ü r Abrüstung . . ., a. a. O., S. 308 ff.; Geschichte der sowjetischen Außenpolitik . . ., a. a. O., S. 448 ff. Vgl. Geschichte der Außenpolitik der DDR . . ., a. a. O., S. 251. Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 379 f. Siehe auch den Beitrag von Günter Benser in diesem Band. Vgl. Dokumente zur Außenpolitik der UdSSR 1958 . ... a. a. O., S. 121. Die Organisation des Warschauer Vertrages a. O., S. 42. Vgl. Dokumente zur Außenpolitik der DDR, Bd. VI, a. a. O., S. 76 ff. Geschichte der SED, a. a. O., S. 323. Vgl. ebenda, S. 332 ff. Vgl. Ulbricht, Walter, Grundfragen der Politik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Referat auf der 30. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands am 30. Januar 1957, Berlin 1957, S. 61 ff. ; Dokumente zur Außenpolitik der DÛR, Bd. V, a. a. O., S. 120 ff. Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 335. Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 10. bis 16. Juli 1958 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin, Berlin 1959, Bd. 2, S. 1434. Im Herbst 1958 informierte die DDR-Regierung offiziell darüber, daß es Gespräche über eine Konföderation und andere interessierende Fragen am 11. 6. 1955 und am 20. 10. 1956 in Berlin sowie am 13. 3. 1957 in Bonn zwischen dem Bundesjustizminister Dr. Schäffer und den DDR-Beauftragten Vincenz Müller sowie Prof. Dr. Otto Rühle gegeben hatte. Sie wurden von der Adenauerregierung abgebrochen, „als sie merkte, daß wir f ü r die Konföderation sind". Vgl. Ulbricht, Walter, Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsätzen, Bd. VII, Berlin 1964, S. 628 f. Grewe, Wilhelm G., Deutsche Außenpolitik in der Nachkriegszeit, Stuttgart 1960, S. 268.
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78 Vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Bonn, Nr. 137, 30. 7. 1957, S. 1301 f. 79 Vgl. ebenda, Nr. 237, 21. Dezember 1957, S. 2190. SO Vgl. Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Bd. II, Berlin 1963, S. 754 ff. 81 Vgl. ebenda, S. 663 ff. 82 Vgl. Die Organisation des Warschauer Vertrags . ... a. a. O., S. 53 ff. S3 Dokumente zur Auf3enpolitik der UdSSR 1958 a. a. O., S. 492 f. 84 Vgl. Keiderling, Gerhard, Die stumpfe Waffe der Nichtanerkennung. In: JfG, Bd. 12, Berlin 1974, S. 313 ff. 85 Vgl. den Beitrag von Karl Greese in diesem Bd. 86 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 407 f. 87 Vgl. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Bd. VIII, Berlin 1962, S. 103 ff. 88 Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien, November 1960. Referat Walter Ulbrichts und Entschließung der 11. Tagung des ZK der SED, 15.-17. Dezember 1960, Berlin 1961, S. 111. 89 Ebenda, S. 131. 90 Ebenda, S. 114. 91 Vgl. Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR, Bd. IX, Berlin 1962, S. 104 ff. 92 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 407 ff. 93 Vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Bonn, Nr. 136, 26. 7. 1961, S. 1325; ebenda, Nr. 145, 8. 8. 1961, S. 1407 ff. 94 Geschichte der SED, a. a. O., S. 418. 95 Ebenda, S. 444.
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Übergangsperiode
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KARL GREESE
Zum Aufbau der Landesverteidigung der DDR (1955/56 bis 1961)
1.
Arbeiterklasse und sozialistische Landesverteidigung 1955/56
Mit dem Eintritt der DDR in die neue Etappe der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus Mitte der fünfziger Jahre stellte die SED den Arbeitern, Bauern und anderen Werktätigen die Aufgabe, für die Verteidigung der Errungenschaften der sozialistischen Revolution einen größeren Beitrag zu leisten. Das bedeutete den Aufbau der Landesverteidigung mit modernen Streitkräften, ihrem wichtigsten Bestandteil. Es galt für den auf der 25. Tagung des ZK der SED vom Oktober 1955 ausgearbeiteten und auf der 3. Parteikonferenz vom März 1956 weiterentwickelten Kurs, in der DDR die Aufgaben der Übergangsperiode in den nächsten Jahren im wesentlichen zu erfüllen, friedliche äußere Bedingungen zu sichern. Damit wurde begonnen, die mit der 2. Parteikonferenz der SED im Juni 1952 gegebene prinzipielle und langfristige Orientierung, den bewaffneten Schutz der DDR zu gewährleisten, in ihrer ganzen Breite zu verwirklichen. Die Militärpolitik der SED berücksichtigte, daß der Imperialismus seine aggressive Politik verschärfte, seine Aktivitäten noch mehr nach Europa verlagerte und durch die Einbeziehung der BRD in die NATO seinen Kriegspakt unmittelbar an die Grenzen des sozialistischen Lagers in Mitteleuropa vorgeschoben hatte. Durch einschneidende Veränderungen des militärischen Kräfteverhältnisses im Herzen des Kontinents sollten Voraussetzungen geschaffen werden, in absehbarer Frist - das forderten die aggressivsten Kräfte als Nahziel - die DDR zu annektieren und Gebiete weiterer sozialistischer Länder für den Imperialismus zurückzugewinnen. Die Militärpolitik der SED ging davon aus, daß die UdSSR und die anderen sozialistischen Länder Europas gezwungen waren, ihre Verteidigungsanstrengungen zu vereinen, um der gegen den Sozialismus gerichteten Politik des „roll back" unüberwindliche Schranken zu setzen. Mit dem Beitritt der DDR zum Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand am 14. Mai 1955 und dem Vertrag über die Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR vom 20. September 1955 wurde die uneingeschränkte Souveränität des sozialistischen deutschen Staates völkerrechtlich verankert. Im Einklang damit übernahm die DDR auch die volle Verantwortung f ü r die bewaffnete Verteidigung gegen eine Aggression von außen, für die militärische Sicherung des Territoriums, der Grenzen, der Küstengewässer und des Luftraums. Der DDR war es damit möglich, nunmehr „den militärischen Erfordernissen des Kampfes um den Frieden und die Verteidigung des Sozialismus nachzukommen". 1 Zugleich wurde im Staatsvertrag festgelegt, daß im Interesse des Schutzes der DDR und der gesamten sozialistischen Gemeinschaft sowjetische Truppen in Erfüllung internationalistischer Aufgaben auf dem Territorium der DDR verbleiben. Warschauer Vertrag und Staatsvertrag dokumentierten, daß entsprechend der Le-
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ninschen Lehre von der sozialistischen Vaterlandsverteidigung militärischer Schutz und nationale Landesverteidigung der DDR nur an der Seite der UdSSR und ihrer Streitkräfte, nur in der Gemeinschaft der verbündeten sozialistischen Länder und ihrer Armeen gewährleistet werden konnten. „Heute ruht die friedliche Zukunft und die Sicherheit der Deutschen Demokratischen Republik im starken Schutz des Friedenslagers der Warschauer Vertragsländer", 2 hob Ministerpräsident O. Grotewohl auf der 3. Parteikonferenz der SED hervor. Aber gerade eine hohe Wirksamkeit des Bündnisses an der gemeinsamen Westgrenze des sozialistischen Lagers verlangte die Einbeziehung der DDR in die gemeinsamen militärischen Anstrengungen. Der Aufbau der Landesverteidigung erhöhte die Verantwortung der Arbeiterklasse der DDR. Unter Führung der SED mußte sie sich befähigen, allseitig die führende Rolle bei der Organisierung des militärischen Schutzes des Arbeiter-und-Bauern-Staates zu gewährleisten, ihren bestimmenden Einfluß bei der Schaffung bzw. Entwicklung der militärischen Kräfte und Organe durchzusetzen. Der marxistisch-leninistischen Partei kam es insbesondere darauf an, Bewußtsein und Organisiertheit der Arbeiterklasse im militärischen Bereich zu stärken, denn sie war in der DDR „der Träger und die Kraft jeglicher Verteidigungsmaßnahmen". 3 Dabei galt es nun auch durch die Schritte zum Aufbau der Landesverteidigung immer breitere Schichten der Werktätigen in den Kampf um die Stärkung der DDR, um die Festigung der Staatsmacht als Hauptinstrument der Arbeiterklasse beim Aufbau der neuen Gesellschaft einzubeziehen, in diesem Sinne Initiative und Schöpfertum zu wecken und zu entfalten. Die Arbeiterklasse der DDR hatte in kürzester Frist neuartige Aufgaben zu lösen. Von Anfang an mußte die bewaffnete Verteidigung des Landes im Einklang mit den Erfordernissen der sozialistischen Koalition gestaltet werden. In den Mittelpunkt der Anstrengungen stellte die SED die Schaffung der Nationalen Volksarmee (NVA) als Armee der kollektiven Verteidigungsorganisation. Abgestimmt mit dieser zentralen militärpolitischen Aufgabe, war es notwendig, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes weitere Konsequenzen zu ziehen. Das Politbüro des ZK traf Entscheidungen für die Entwicklung der Grenzpolizei zur Grenztruppe, für die Übernahme größerer Schutz- und Sicherungsaufgaben durch die Bereitschaftspolizei, zur Stärkung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, für die materielle Sicherstellung der Schutz- und Verteidigungsmaßnahmen durch die Volkswirtschaft. Hohe Wirksamkeit der Wehrerziehung der Arbeiterklasse und aller Bürger, vor allem der vormilitärischen Erziehung und Ausbildung der Jugend, betrachtete die SED als ein Schlüsselproblem für den erfolgreichen Aufbau der Landesverteidigung. Die SED konnte auf den reichen Erfahrungsschatz der KPdSU und der kommunistischen und Arbeiterparteien der volksdemokratischen Staaten bei der Organisierung der bewaffneten Verteidigung des Landes zurückgreifen. Umfassende Erkenntnisse gab es über die Grundsätze und Merkmale der Landesverteidigung des sozialistischen Staates. Stets hatte sich in der Klassenauseinandersetzung mit dem Imperialismus gezeigt: Die Führung der Landesverteidigung durch die marxistisch-leninistische Partei ist „fundamentales, allgemeingültiges Prinzip der Militärpolitik der herrschenden Arbeiterklasse in unserer Epoche". 4 Bis Mitte der fünfziger Jahre hatte die SED auch wichtige eigene Erfahrungen beim Schutz und bei der Sicherung der Errungenschaften sammeln können, die für den Aufbau einer Landesverteidigung bedeutsam waren. Von großer Tragweite erwies sich dabei die Tatsache, daß die bis dahin erreichten Ergebnisse bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus wichtige ökonomische, sozialpolitische und ideologische Voraussetzungen für die Schaffung der Landesverteidigung hatten entstehen las17*
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sen. Die Arbeiterklasse war unter Führung ihrer revolutionären Partei als Erbauer der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung gewachsen. Vor der Volkskammer am 18. Januar 1956 hob der Vertreter des FDGB bei der Erörterung des Gesetzentwurfes zur Schaffung der NVA hervor: „Die Arbeiter unserer Republik, die schon längst dabei sind, zu lernen, wie man Staat und Wirtschaft leitet, werden auch lernen, die Waffentechnik zu meistern, um ihren Staat zu schützen." 5 Aufschlußreich waren in den zurückliegenden Jahren die Erfahrungen der SED in der Entwicklung der Bereitschaft der Arbeiterklasse, den Schutz pnd die Sicherung des Errungenen zu ihrer eigenen Sache zu machen. Es hatte sich als überaus wirkungsvoll erwiesen, dag die Parteiorganisationen in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre eingehend ideologische Fragen der bewaffneten Verteidigung erörterten. Auf Beschluß des IV. Parteitages der SED vom März/April 1954 zählte es nach dem neuen Statut zu den Grundaufgaben der Partei, „die Werktätigen zur allseitigen aktiven Verteidigung der Heimat, des Staates der Arbeiter und Bauern, gegen alle aggressiven Aktionen ihrer Feinde" 6 zu erziehen und zu organisieren. In der massenpolitischen Arbeit wurde insbesondere der Zusammenhang zwischen den Verteidigungsanstrengungen der DDR, der Stärkung der Grundlagen der staatlichen Ordnung und der Erhaltung des Friedens hervorgehoben. Die SED hatte eigene Erfahrungen sammeln können, die ideologische Arbeit stets eng mit zielgerichteter organisatorischer Tätigkeit zur Entwicklung der Verteidigungsfähigkeit zu verbinden. Sie folgte der Erkenntnis W. I. Lenins: Nur „unter der Voraussetzung einer vorzüglichen Organisation kann sich unsere moralische Kraft in eine materielle verwandeln". 7 Die Mobilisierung der Jugendlichen zur Erfüllung der von der FDJ übernommenen Patenschaft über die bewaffneten Kräfte, die Bewegung der jungen Bürger zur Vorbereitung auf den bewaffneten Schutz in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) und die Aktivitäten der Arbeiter beim Aufbau der Kampfgruppen als unmittelbare Wehrorganisation ihrer Klasse - 1953 im Kampf gegen die Konterrevolution entstanden - vermittelten eine Fülle von Erfahrungen und Erkenntnissen. Der SED standen auch die umfangreichen Erfahrungen bei der Entwicklung der Kräfte der Volkspolizei zur Verfügung, vor allem seit 1952 beim Aufbau der Kasernierten Volkspolizei (KVP) als stärkstes bewaffnetes Instrument der Diktatur des Proletariats zur Zerschlagung bewaffneter Provokationen im Lande und als Kaderreservoir für zu bildende Streitkräfte sowie bei der Stärkung der Grenzpolizei im Kampf um eine wirksame Grenzsicherung. Von erstrangiger Bedeutung waren die Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der KPdSU, den staatlichen Organen der UdSSR, insbesondere mit ihren Streitkräften. Dazu zählte das enge Zusammenwirken von Stäben und Truppen der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) mit bewaffneten Kräften der DDR bei der gemeinsamen Sicherung der Staatsgrenzen der DDR und bei der Zerschlagung konterrevolutionärer Aktionen im Juni 1953 ebenso wie die Tätigkeit sowjetischer Offiziere als Berater in der KVP. Dazu zählte aber auch die Bewegung unter den Angehörigen der KVP und der Grenzpolizei, entsprechend der Orientierung der SED sowjetische Erfahrungen bei der Organisierung des Dienstes und bei der Beherrschung der Waffen anzuwenden; dazu zählten die Aktivitäten in der GST, der sowjetischen Bruderorganisation nachzueifern, und das Streben der FDJler, die Patenschaft über die bewaffneten Kräfte nach dem Vorbild des Komsomol zu verwirklichen. All das hatte entscheidend geholfen, die erforderlichen Schritte für den Schutz und die Sicherheit der DDR effektiv in Angriff zu nehmen. Ein großer Vorzug bestand darin, daß dies unter relativ friedlichen Bedingungen erfolgen konnte, denn die
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UdSSR und ihre Streitkräfte gewährleisteten den Schutz der DDR und ihres sozialistischen Aufbaus vor einer imperialistischen Aggression. „Seitdem wir Vertreter der herrschenden Klasse geworden sind, die den Sozialismus zu organisieren begonnen hat, fordern wir von allen eine ernste Einstellung zur Verteidigung des Landes." 3 Dieser Forderung Lenins hatte die SED entsprochen. Bis Mitte der fünfziger Jahre hatte die DDR unter Führung der Partei im Prozeß der Errichtung von Grundlagen des Sozialismus mit dem Aufbau von Schutz- und Sicherheitsorganen und mit zielgerichteter Wehrerziehung zugleich auch wichtige Voraussetzungen für die Landesverteidigung schaffen können. Partei, Arbeiterklasse und breite Schichten der übrigen Werktätigen waren vorbereitet, größere Aufgaben in Angriff zu nehmen. Die Erfahrungen besagten, daß der imperialistische Klassengegner gerade im Zusammenhang mit den Fragen des Schutzes und der Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften konzentrierte Anstrengungen unternimmt, die Politik der SED zu diskreditieren, die Beziehungen zwischen Partei, Arbeiterklasse und den anderen Teilen der Bevölkerung zu stören. Der Aufbau der Landesverteidigung der DDR erfolgte unter komplizierten ideologischen Bedingungen. Trotz aller Erfolge in der wehrerzieherischen Arbeit wirkten ein Jahrzehnt nach dem Ende des zweiten Weltkrieges „in breiten Schichten pazifistische Auffassungen noch stark nach. Zahlreichen Bürgern fiel es auch schwer, den grundsätzlichen Unterschied zwischen der Schaffung einer Volksarmee der DDR und dem Aufbau der aggressiven Bundeswehr zu verstehen. Außerdem unterschätzten sie die Kriegsgefahr, die im Gefolge der imperialistischen Strategie des ,roll back' wuchs". 9 Der Gegner suchte das zu nutzen, falsche Anschauungen zu konservieren, Vorbehalte, ja Ablehnung unter der Bevölkerung gegen die Militärpolitik der Partei zu erzeugen. Insbesondere mit der am 26. September 1955 erfolgten Ergänzung der Verfassung der DDR durch die Aufnahme der Rechte und Pflichten zur Verteidigung der DDR und dem Gesetz über die Schaffung der Nationalen Volksarmee sowie des Ministeriums für Nationale Verteidigung vom 18. Januar leitete die SED eine umfassende ideologische Offensive ein. Sie war darauf gerichtet, der Arbeiterklasse und den Werktätigen die neuen militärpolitischen Erfordernisse bewußtzumachen. Die Versammlungen der Arbeiter und Angestellten in den volkseigenen Betrieben der Industrie und Landwirtschaft, der Werktätigen in Städten und Gemeinden, die 1 600 dort angenommenen Willenserklärungen, die 1 700 Telegramme und Fernschreiben an die Volkskammer vor ihrer Tagung am 18. Januar 1956 und nicht zuletzt die traditionelle Kampfdemonstration im Januar in Berlin zu Ehren von K. Liebknecht und R. Luxemburg unter der Losung „Gewehre in Arbeiterhand!" zeugten davon, daß sich das Wehrbewußtsein der Werktätigen entwickelte und die Entscheidung für den Aufbau der Streitkräfte von einer breiten, durch die SED geführten Volksbewegung getragen wurde. Ein Schwerpunkt der wehrerzieherischen Tätigkeit bestand darin, fest im Bewußtsein der Werktätigen zu verankern, daß mit der DDR erstmals auf deutschem Boden ein verteidigungswürdiger Staat entstanden war, dessen Errungenschaften durch den Kriegskurs der NATO bedroht waren. „Was wir zu verteidigen und zu gewährleisten haben", betonte O. Grotewohl auf der 3. Parteikonferenz der SED, „das sind alle Erfolge unserer schweren und harten Aufbauarbeit, das ist die friedliche Zukunft unseres Volkes und das glückliche Leben unserer Jugend, die mit ganzem Herzen erfassen muß, daß es im wahrsten Sinne des Wortes um ihre eigene Sache"10 geht. Unter aktiver Mitarbeit der mit der SED verbündeten politischen Parteien und der Massenorganisationen der Werktätigen wuchs in allen Klassen und Schichten das Bewußtsein, daß sie in der DDR ihr wahres Vaterland gefunden hatten, dessen Errungenschaften sie 251
auch durch den Aufbau einer Landesverteidigung vor imperialistischer Bedrohung schützen mußten. So bildete sich unter Führung der SED das bestimmende Grundmotiv jedes Verteidigungswillens im Sozialismus heraus, das persönliche Interesse am Schutz des gemeinsam Geschaffenen und an der Erhaltung des Friedens. Die Mitglieder der SED leisteten eine intensive massenpolitische Arbeit, um im Zusammenhang mit dem forcierten Aufbau der Bundeswehr der BRD im NATO-Kriegsbündnis das aggressive Wesen imperialistischer Militärpolitik und ihrer Streitkräfte zu enthüllen. Sie setzten sich mit Auffassungen auseinander, die den Klasseninhalt der Militärfrage negierten, und begründeten den völlig neuen Charakter sozialistischer Militärpolitik und Armeen. Sie machten in der Arbeiterklasse und in der Bevölkerung stärker bewußt, daß die in Aufstellung befindliche Armee sowie die übrigen bewaffneten Kräfte der DDR ebenso wie in den anderen sozialistischen Staaten Machtinstrumente der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten sind. Diese dienten dem Frieden und dem gesellschaftlichen Fortschritt, wirkten im Sinne der historischen Mission der Arbeiterklasse und stimmten mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Potsdamer Abkommens überein. Im Volk der DDR wuchs die Erkenntnis: Die Streitkräfte werden geschaffen, nachdem die Wurzeln des Imperialismus „beseitigt wurden und das Volk von der Herrschaft des deutschen Monopolkapitals und der Junker befreit wurde. Aufgabe der bewaffneten Kräfte ist es, die Heimat und die sozialistischen Errungenschaften des Volkes zu schützen." 11 Im Sinne der Beschlüsse der 3. Parteikonferenz arbeiteten die Mitglieder der SED unermüdlich daran, den Werktätigen und im besonderen der Jugend klarzumachen, „daß hier eine neue Armee entsteht, frei von aggressiven Zielen, und daß der Dienst in der Nationalen Volksarmee Ehrendienst am deutschen Volk und für unseren Staat der Arbeiter und Bauern ist". 12 In der politischen Argumentation erlangte der Nachweis des nationalen Charakters der NVA und ihrer patriotischen Mission große Bedeutung. Es war unerläßlich, die Kontinuität der Militärpolitik der Arbeiterklasse, die in Vergangenheit und Gegenwart mit dem Blute ihrer Besten die Interessen der Nation vertreten hatte, verständlich zu machen und dabei zugleich die Breite ihres nationalen militärpolitischen Bündnisses herauszuarbeiten. „Vorbild für die Angehörigen der Nationalen Volksarmee sind die großen Patrioten der deutschen Geschichte, die um Freiheit, Unabhängigkeit und Einigkeit unseres Volkes kämpften, und die unvergeßlichen Führer der deutschen Arbeiterklasse, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Ernst Thälmann und alle anderen proletarischen Kämpfer, die ihr Leben für die Befreiung des werktätigen Volkes vom kapitalistischen Joch gaben.* 13 Aus diesen Worten von W. Stoph, erstem Minister für Nationale Verteidigung, auf der 3. Parteikonferenz geht hervor, daß Militärpolitik und bewaffnete Kräfte im Interesse der Nation nur verstanden werden können als Kampf f ü r die Sicherung des gesellschaftlichen Fortschritts, als antiimperialistischer Klassenkampf, als Bestandteil des Ringens um die Verteidigung des Friedens. Der Aufbau der Landesverteidigung diente dem Schutz und der Sicherheit des an der Seite der verbündeten Länder vorwärtsschreitenden und erstarkenden sozialistischen deutschen Staates.
2.
Schaffung der Streitkräfte und sozialistische Wehrerziehung
Die Erklärung des Nationalrates der Nationalen Front vom November 1955 „Alle Kraft für die Stärkung der Deutschen Demokratischen Republik!" und die Stellungnahmen der Fraktionen der mit der SED verbündeten Parteien vor der Volkskammer am
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18. Januar 1956 zeugten davon, daß die Vertreter aller Klassen und Schichten des Volkes der DDR den zutiefst nationalen Charakter der künftigen NVA und der Landesverteidigung begrüßten, die aggressiven Machenschaften der imperialistischen Bourgeoisie verurteilten und in diesem Sinne an der wehrerzieherischen Arbeit teilnahmen. In der Entwicklung des Wehrbewußtseins traten die Mitglieder der SED gegen Argumente auf, der Schutz der DDR könnte auch weiter der Sowjetunion und ihren Streitkräften allein überlassen bleiben. Die SED begründete die untrennbare Einheit von Patriotismus und Internationalismus auf militärischem Gebiet und die Verpflichtung der Bürger der DDR, als deutsche Patrioten angemessen zum gemeinsamen militärischen Schutz beizutragen. Die Freundschaft und Waffenbrüderschaft der Streitkräfte der DDR mit der Sowjetarmee und den anderen verbündeten Armeen würde ein Garant für die Erfüllung der Mission der NVA und der Landesverteidigung der DDR sein. Die massenpolitische Arbeit unter den Werktätigen zur Entwicklung ihrer Verteidigungsbereitschaft rückte mehr in den Mittelpunkt der Parteiarbeit. Gestützt auf die Beschlüsse des ZK der SED, verstärkten sich die wehrerzieherischen Aktivitäten der Massenorganisationen. Mobilisierend wirkte der Beschluß des Politbüros des ZK der SED vom 24. Januar 1956 „Der Jugend unser Herz und unsere Hilfe". Er orientierte die Parteiorganisationen und vor allem auch die Mitglieder der SED in den Massen Organisationen, die Funktionäre in Staat und Wirtschaft darauf, ihre Arbeit mit der Jugend - nicht zuletzt die Erziehung zur Verteidigungsbereitschaft - allseitig zu entwickeln. Parteiorganisationen der SED in den Betrieben und Einrichtungen, Organisationen des FDGB, der FDJ sowie der GST begannen, sich mit den Konsequenzen für ihre Arbeit auseinanderzusetzen. Die Mitglieder der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse traten mit Vorträgen und Foren zu aktuellen militärpolitischen Fragen auf. Zeitungen und Rundfunk erwuchs die Aufgabe, alle Schichten der Bevölkerung über die Erfordernisse der Landesverteidigung zu informieren. Große Aufmerksamkeit schenkte die Führung der SED der Herausgabe der Wochenzeitung „Volksarmee" ab 1956 als Organ für die gesamte Bevölkerung. 1957 erschien erstmals die „Armeerundschau", ein Soldaten-Magazin, das sich bald großer Beliebtheit bei Jugendlichen erfreute. Die Breite der sozialistischen Wehrerziehung zeugte davon, daß die SED von Anfang an „den bewaffneten Schutz der DDR als Sache der ganzen Arbeiterklasse, aller Werktätigen"14 bewußtmachte und organisierte. Dies bot die Gewähr, die Verteidigungsfähigkeit des Landes in kurzer Frist auf den im Rahmen des Bündnisses erforderlichen Stand zu bringen. Die SED betrachtete in jener Zeit die Bereitschaft der jungen Bürger — vor allem der Arbeiterjugend - , sich freiwillig für den Dienst in der NVA zu entscheiden, als gesellschaftliches Kriterium für alle Fortschritte in der sozialistischen Wehrerziehung. Auf Empfehlung des Politbüros des ZK der SED hatte die Regierung der DDR beschlossen, die NVA nach dem Prinzip der Freiwilligkeit mit Mannschafts- und Unteroffizierskadern aufzufüllen. In den sozialistischen Großbetrieben, dem Schwerpunkt der Werbung, begannen die staatlichen Leiter, die Leitungen der Betriebs-Parteiorganisationen und die Funktionäre der Massenorganisationen eine aktive ideologische und organisatorische Arbeit zur Gewinnung von Freiwilligen. Sie setzten sich mit Auffassungen von Jugendlichen auseinander, sie würden den besten Beitrag zur Stärkung der DDR in der Produktion leisten, und auch mit Wirtschaftsfunktionären, die derartige Ansichten aus betriebsegoistischen Gründen begünstigten. Bald unterstützten auch Offiziere der ersten Einheiten und Truppenteile diese Überzeugungsarbeit. Im Ergebnis zielgerichteter wehrerzieherischer Arbeit löste der fortgeschrittenste Teil der Arbeiterjugend, 253
an der Spitze die Mitglieder der SED und der FDJ, eine beeindruckende Verpflichtungsbewegung aus, die alle Klassen und Schichten der Bevölkerung erfaßte. „Klassenbewußte junge Arbeiter und fortschrittliche Söhne von Genossenschafts- und werktätigen Einzelbauern, von Angehörigen der Intelligenz und anderen Werktätigen traten in die Armee ein." 15 Viele Mitglieder der FDJ folgten dem Aufruf des Zentralrates vom 4. Februar 1956, den Jugendlichen beim Schutz des Sozialismus voranzugehen. Nicht zuletzt entschlossen sich Angehörige der GST zum Eintritt in die NVA. Die Anwendung des Freiwilligenprinzips trug so zur klassenmäßigen Stärkung der NVA bei. Auf Initiative der SED entwickelte sich auch in der KVP eine breite Bewegung unter den Unteroffizieren und Mannschaften, die Einheiten der NVA zu stärken. Die Vorkenntnisse dieser jungen Bürger waren von besonderer Bedeutung für den fristgemäßen Aufbau der Streitkräfte. Viele KVP-Angehörige, deren Dienstzeit ablief, verpflichteten sich, mindestens noch ein Jahr in der NVA zu dienen. Tausende bewarben sich im Februar/März 1956 um Aufnahme in die SED und FDJ. Darin zeigte sich, daß den Verpflichtungen zum Dienst in der NVA Klassenbewußtsein und echte Verteidigungsbereitschaft zugrunde lagen. Oberster Grundsatz für die Bewältigung der komplizierten Aufgaben beim Aufbau der Landesverteidigung und dabei besonders bei der Schaffung der Streitkräfte war die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei. Das war die alles entscheidende Voraussetzung, damit der Wille der Bürger der DDR innerhalb und außerhalb der bewaffneten Kräfte nach zuverlässigem Schutz der Heimat verwirklicht werden konnte. Das Zentralkomitee der SED und sein Politbüro leiteten diesen Prozeß, in dem sich die staatsgestaltende Kraft der Arbeiterklasse auf neue Art bewähren mußte, und faßten zu allen Aufgaben der Entwicklung der Verteidigungskraft des Landes detaillierte Beschlüsse. Die Parteiführung sorgte „für die Ausarbeitung der Militärpolitik der SED und deren Umsetzung in den Befehlen und Direktiven der Vorgesetzten sowie in den Beschlüssen der Parteiorganisationen"16, vor allem in den Schutz- und Sicherheitsorganen der DDR. Der Minister für Nationale Verteidigung, Generaloberst W. Stoph, war selbst Mitglied des Politbüros. Die Sicherheitskommission des ZK — ihr Sekretär war E. Honecker, Kandidat und seit 1958 Mitglied des Politbüros des ZK - gewährleistete, daß alle Grundfragen der Schaffung der Landesverteidigung komplex und miteinander abgestimmt beraten und entschieden wurden. Im Mittelpunkt der Anstrengungen standen dabei die Streitkräfte. Bei allen Entscheidungen ging das Politbüro des ZK der SED von den Erfahrungen und dem Vorbild der Sowjetunion aus, weil hier unter Führung der KPdSU die Leninschen Ideen von der Militärorganisation der Arbeiterklasse erfolgreich angewandt und weiterentwickelt worden waren. Durch ein solches Herangehen „brauchte bei der Schaffung der Nationalen Volksarmee - was solche Fragen wie den Charakter der Armee, ihre Struktur, Führung, Bewaffnung, Ausbildung und politische und militärische Erziehung anbetrifft - kein Neuland betreten zu werden, und es waren dazu auch keine Experimente nötig". 17 Das bedeutete in dieser Situation weitestgehend übereinstimmende Entwicklung mit den Erfordernissen kollektiver Verteidigung und nicht zuletzt Zeitgewinn beim Aufbau der Landesverteidigung der DDR. Besondere Aufmerksamkeit schenkte die Partei dem Einsatz der leitenden Kader und der Schaffung eines der Arbeiterklasse und ihrer Staatsmacht treu ergebenen Offizierskorps. Große Bedeutung wurde dabei der Bildung der Führungsorgane, insbesondere des Ministeriums für Nationale Verteidigung, der Kommandos der Militärbezirke sowie der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung und der Seestreitkräfte, beigemessen. „Die
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Kommandostellen wurden langjährigen erfahrenen Funktionären der SED übertragen, die sich in den Klassenkämpfen gegen Imperialismus, Faschismus und Militarismus bewährt und hervorragenden Anteil am Aufbau der bewaffneten Kräfte der DDR, der Deutschen Volkspolizei und der Kasernierten Volkspolizei, hatten." 18 Die 3. Parteikonferenz der SED hatte für die Auswahl und den Einsatz der Offiziere auf die konsequente Anwendung des Klassenprinzips orientiert. Es entsprach dem politischen Charakter der NVA als Armee der Arbeiter-und-Bauern-Macht, wenn Mitte 1956 etwa 81,5 Prozent der Offiziere ihrer sozialen Herkunft nach aus der Arbeiterklasse stammten und 3,1 Prozent aus der werktätigen Bauernschaft. Etwa 86 Prozent waren Mitglieder oder Kandidaten der SED. Wenn 18,8 Prozent vor ihrem Eintritt in die bewaffneten Kräfte als Angestellte gearbeitet hatten, dann waren das junge Bürger, die sich in den Organen des Staates und der Wirtschaft, als Funktionäre in der SED und in den Massenorganisationen bei der sozialistischen Umgestaltung bewährt hatten. Im jungen Offizierskorps der NVA widerspiegelten sich die starken Positionen der Arbeiterklasse. Diese Ergebnisse waren möglich, weil die Partei und die Regierung der DDR sich auf das Kaderreservoir der KVP stützen konnten.
3.
Zur führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei
Die SED sicherte ihre führende Rolle bei der Aufstellung der Truppenteile und Stäbe sowie ihren ständigen Einfluß auf alle Fragen des militärischen Dienstes und Lebens durch die Bildung von Politorganen und Parteiorganisationen. Über die Politische Verwaltung des Ministeriums für Nationale Verteidigung, die Politabteilungen der Militärbezirke, Teilstreitkräfte und Verbände lenkte das ZK der SED die politische Arbeit. Den Kommandeuren als Einzelleitern war besondere Verantwortung für die Verwirklichung der Beschlüsse der SED übertragen. Entsprechend den Ergebnissen der 1. Delegiertenkonferenz der Parteiorganisationen im Bereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung vom Februar 1956 richtete sich die Parteiarbeit auf die Erläuterung der mit dem Aufbau der Landesverteidigung anstehenden ideologischen Grundfragen, vor allem auf die Klärung der nationalen und internationalistischen Verantwortung der NVA. Sie richtete sich auf Schwerpunktaufgaben bei der Verwirklichung der Aufstellungsbefehle sowie der politischen und militärischen Erziehung und Ausbildung, auf die Erhöhung der Kampfkraft der Parteiorganisationen. Nahezu jeder 2. Unteroffizier und jeder 10. Soldat waren Mitglied der SED. Mobilisiert durch die Grundorganisationen der SED, entfalteten die Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere wachsende Aktivität, damit die Einheiten fristgemäß aufgestellt, Waffen und Ausrüstung optimal gemeistert wurden. Die Partei gab die Aktionslosung „Von der Sowjetarmee lernen, heißt siegen lernen!" aus. Sie ließ sich davon leiten, daß Erfahrungen und Praxis der sowjetischen Streitkräfte von allgemeingültiger Bedeutung waren und in dem Maße noch an Gewicht gewannen, wie auch die anderen Länder zum kollektiven Schutz des Sozialismus beitragen und gemeinsam das moderne Militärwesen handhaben mußten. Die SED folgte damit dem Beispiel auch der anderen Bruderparteien in den volksdemokratischen Staaten. Diese hatten Jahre zuvor unter ähnlichen Losungen die Umwandlung ihrer militärischen Kräfte in Armeen sozialistischen Charakters vorangetrieben. Für die NVA ging es nun darum, nach dem Vorbild der Sowjetarmee im Grundsätzlichen von Anfang an eine moderne sozialistische Armee der Vereinten Streitkräfte aufzubauen und recht schnell ein vollwertiger Partner der verbündeten Armeen zu werden. Von der Sowjetarmee zu lernen, das wurde in der NVA die erste große Massenbewe255
gung. Die konsequente internationalistische Erziehung durch alle Führungskräfte, die vielfältigen Kontakte mit Stäben und Truppen der GSSD und die Arbeit der sowjetischen Berater gaben dafür ständig neue Impulse. Die Offiziere studierten die neuesten taktischen Grundsätze des modernen Gefechts und die Organisierung einer wirklichkeitsnahen Ausbildung. Die Unteroffiziere und Spezialisten eigneten sich vor allem Erfahrungen über die Meisterung, Wartung und Pflege sowie über den Einsatz moderner Waffensysteme an, und die Soldaten nutzten die Ratschläge der sowjetischen Kampfgefährten, um die Waffen des Einzelkämpfers zu beherrschen und gute Schießergebnisse zu erreichen. Die ersten gemeinsamen Ausbildungsmaßnahmen - Übungen mit Truppen und Stäben der GSSD sowie mit Verbänden der Baltischen Flotte machten deutlich, dag der Aufbau der NVA planmäßig voranschritt und den Erfordernissen der Vereinten Streitkräfte entsprach. So formierte sich unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei, getragen von der Initiative der Arbeiterklasse, die sozialistische Armee der Arbeiter-und-BauernMacht. Aber auch die anderen Kräfte und Bereiche der im Aufbau befindlichen Landesverteidigung der DDR machten deutliche Fortschritte, die neuen Aufgaben zu bewältigen. Im Frühjahr 1957 wurden alle Kräfte der inneren Ordnung und Sicherheit - die KVP war im Dezember 1956 aufgelöst worden - der einheitlichen Führung durch das Ministerium des Innern unterstellt. Auf der Grundlage von Entscheidungen der SED entstanden 1957 neue Führungsorgane. Dazu zählten das Kommando der Bereitschaftspolizei sowie das Kommando der Deutschen Grenzpolizei. Zugleich hob die SED hervor, daß die Fragen der Verteidigung der DDR „eine Angelegenheit aller Führungsorgane" des Landes seien; sie verlangte, daß sowohl im Partei- als auch im Staatsapparat „die allgemeinen Grundsätze und wissenschaftlichen Prinzipien über die Fragen der Landesverteidigung beherrscht werden". 19 Die Angehörigen der Bereitschaftspolizei unternahmen große Anstrengungen bei der Ausbildung für Ordnungs-, Sicherungs- und Kampfeinsätze auf dem Territorium der DDR. Mit Einsatzbereitschaft lösten sie die ihnen gestellte Aufgabe zur Anleitung und Ausbildung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse. Die Grenzpolizisten entfalteten beträchtliche Initiativen, um der ihnen seit Ende 1955 übertragenen Verantwortung für die alleinige Bewachung und Kontrolle der Staatsgrenzen der DDR einschließlich des Außenrings von Westberlin entsprechen zu können. Sie lösten schrittweise die Aufgaben der unmittelbaren militärischen Grenzsicherung. Die Angehörigen der Kampfgruppen setzten sich vorbildlich dafür ein, ihre Hundertschaften zu stabilen Kampfkollektiven zu entwickeln und ihre Einsatzbereitschaft zum Schutz der Betriebe und Einrichtungen zu erhöhen. Von vornherein wurde aber darauf orientiert, daß die Ausbildung den wirksamsten Einsatz unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse gewährleistete und eine Zersplitterung der Kräfte im Falle eines möglichen Einsatzes vermieden wurde. Das war der Weg, auf dem sich die Kampfgruppen zu wirksamen Instrumenten der Landesverteidigung entwickeln konnten. Die Funktionäre und Mitglieder der GST gestalteten ihre Arbeit vor allem unter dem Aspekt, den Aufbau der NVA zu unterstützen. Das bedeutete, ihre Mitglieder in zunehmendem Maße mit guten vormilitärischen Kenntnissen auszurüsten. Gestützt auf die Beschlüsse des I. Kongresses der GST im Oktober 1956, wurden differenzierter Erfordernisse einer modernen Landesverteidigung zugrunde gelegt. Dies betraf die einzelnen Sportarten, die Entwicklung der technischen Disziplinen und die wehrsportliche Massenarbeit. Beharrlich wurde daran gearbeitet, die besten Mitglieder f ü r den freiwilligen Eintritt in die NVA zu gewinnen.
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Die SED mußte nicht zuletzt Entscheidungen für die materiell-technische Sicherstellung der Landesverteidigung treffen. Sie stellte dabei in Rechnung, daß die technische Ausrüstung der modernen Armee der Gegenwart viel größer als in früheren Zeiten war, daß immer mehr Industriezweige an der Produktion der Militärtechnik beteiligt waren. Die internationalistische Militärpolitik in den Ländern des Warschauer Vertrages machte es möglich, in sinnvoller sozialistischer Arbeitsteilung effektive Lösungen zu finden. Die SED und die Regierung der DDR waren sich mit den Bruderparteien und -Staaten des Bündnisses einig, daß alle großen Waffensysteme von der Verteidigungsindustrie der UdSSR zur Verfügung gestellt werden. Wie alle anderen verbündeten Staaten produziert auch die DDR Ausrüstungen und bestimmte Waffenarten. Dementsprechend wurden Betriebe geschaffen, genutzt und erweitert, die Uniformen, Ausrüstungen, Sprengstoffe und Munition, Handfeuerwaffen, Versorgungsgüter und nicht zuletzt LKWs und PKWs herstellten. Für Reparaturen und Instandsetzungen wurden Kapazitäten geschaffen. Die dort Beschäftigten entwickelten Initiative und hohe Produktivität und entsprachen damit dem Vertrauen, das die 3. Parteikonferenz der SED ausgesprochen hatte.20 Im Zuge der wehrerzieherischen Tätigkeit vor allem in den sozialistischen Großbetrieben verstanden zudem viele Arbeiter, daß sie durch ihre Leistungen auch die finanziellen Mittel bereitstellen halfen, die die DDR zum Aufbau ihrer Landesverteidigung benötigte. Als im Oktober 1956 in Ungarn die Konterrevolution ihr Haupt erhob, verstärkten die aggressivsten Kräfte des Imperialismus ihre Aktivitäten auch gegen die DDR. Sie entfachten eine zügellose Hetze, um die Verbindung der SED mit den Massen zu stören, die Autorität der staatlichen Organe zu untergraben, die bewaffneten Kräfte zu schwächen. Die Geheimdienste der USA und der BRD sowie ihre Agenten in der DDR hatten den Auftrag, schwankende Elemente aufzuwiegeln, Unruhen zu inszenieren, bewaffnete Zwischenfälle zu provozieren. Führende Kreise der NATO spekulierten darauf, auf diesem Wege schließlich Vorwände für ein Eingreifen mit militärischen Mitteln zu erhalten. In dieser Situation sicherten die Kampfgruppen zuverlässig ihre Betriebe. In Berlin marschierten sie dort auf, wo Agenten Provokationen auslösen wollten. Die Volkspolizei führte in ununterbrochenem Einsatz Sicherungsaufgaben durch, während die Schutz- und Sicherheitsorgane verhinderten, daß konterrevolutionäre Banden in die DDR eindrangen. Die NVA-Angehörigen bekundeten durch zahlreiche Willenserklärungen und hohe Einsatzbereitschaft ihr unerschütterliches Vertrauen zur Partei der Arbeiterklasse und zur Regierung der DDR. Sie waren entschlossen, die Arbeiter-und-Bauern-Macht nötigenfalls unter Einsatz des Lebens zu verteidigen. Alle Versuche, die SED zu verleumden, Unglauben an ihre Militärpolitik zu erzeugen, die Sowjetarmee zu diskretiditieren, schlugen fehl. Die Armeeangehörigen scharten sich noch enger um die revolutionäre Kampfpartei. Allein von Oktober bis Dezember 1956 baten 1 282 von ihnen um Aufnahme als Kandidat oder Mitglied der SED. Tausende traten der FDJ bei. Andere verpflichteten sich zu einer längeren Dienstzeit. Breit entfaltete sich die Solidaritätsbewegung zur Unterstützung der gegen die Konterrevolution kämpfenden Arbeiter und Soldaten Ungarns. Die SED fand erneut die Erfahrung bestätigt, daß hohe Organisiertheit und Einsatzbereitschaft der bewaffneten Kräfte und Organe untrennbar mit zielgerichteter, intensiver bewußtseinsbildender Arbeit verbunden sind. Die politisch-ideologische Tätigkeit der Kommandeure, Politorgane und Parteiorganisationen der SED richtete sich vor allem auf solche Grundfragen: Quelle der Stärke der bewaffneten Kräfte ist die Führung durch die marxistisch-leninistische Partei, die tiefe Verwurzelung in der Arbeiter257
klasse und im gesamten Volk der DDR. Der entscheidende Garant für die erfolgreiche Verteidigung des Sozialismus ist die Festigung des sozialistischen Bruderbundes, insbesondere die Freundschaft mit der UdSSR und ihren Streitkräften. Die konzentrierten Anstrengungen der SED seit ihrer 30. Tagung am 30. Januar/ 1. Februar 1957, die Überzeugung von der sozialistischen Perspektive der DDR, von der Gesetzmäßigkeit des Sieges des Sozialismus zu vertiefen, führten auch zum besseren Verstehen der Militärpolitik der SED und der Erfordernisse der Landesverteidigung. Der „Schutz der Errungenschaften des Sozialismus gegen die Anschläge äußerer und innerer Feinde" 21 wurde von immer mehr Werktätigen als allgemeingültige Gesetzmäßigkeit des sozialistischen Aufbaus verstanden, wie dies von der Moskauer Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien sozialistischer Länder im November 1957 erklärt worden war. Der weitere Aufbau der Landesverteidigung der DDR war ein wichtiger Bestandteil der vom V. Parteitag der SED im Juni 1958 geforderten Stärkung der Arbeiter-undBauern-Macht im Kampf um den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse. Die höheren Anforderungen an die erzieherische und organisatorische Funktion des sozialistischen Staates setzten auch im Bereich des bewaffneten Schutzes die Festigung der Positionen der Arbeiterklasse und ihres revolutionären Vortrupps auf die Tagesordnung. Dies ergab sich allgemein aus der wachsenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei beim weiteren sozialistischen Aufbau. Dies ergab sich aber zugleich aus einer Reihe spezifisch militärischer Aufgaben, aus den komplizierter und umfangreicher werdenden Fragen des Aufbaus der Streitkräfte als Armee der sozialistischen Koalition, aus der weiteren Gestaltung der Landesverteidigung im Bündnis mit der Sowjetunion und den anderen Bruderländern. Sehr bedeutsam war in diesem Zusammenhang der Beschluß des Politischen Beratenden Ausschusses der Staaten des Warschauer Vertrages vom 24. Mai 1958 in bezug auf die Armee der DDR. Mit erfolgter Aufstellung waren die Verbände der NVA jeweils sofort dem Vereinten Kommando unterstellt worden. Nun bestätigte das hohe Gremium die Einbeziehung von Truppen der NVA in die Vereinten Streitkräfte. Diese Entscheidung war eine Anerkennung der durch die NVA seit ihrer Gründung erreichten Fortschritte, war ein Beweis des Vertrauens zur jüngsten Armee der Verteidigungskoaiition, bedeutete aber zugleich auch hohe Verpflichtung. Der V. Parteitag der SED hatte deshalb die Forderung erhoben, „daß die Land-, Luft- und Seestreitkräfte der Deutschen Demokratischen Republik die Beherrschung der Waffen- und Kampftechnik erhöhen und die Waffenbrüderschaft zwischen der Nationalen Volksarmee und der ruhmreichen Sowjetarmee sowie den Armeen der Staaten des sozialistischen Lagers weiter festigen". 22 Das bedeutete, noch stärker von den Gesamtinteressen der Vereinten Streitkräfte auszugehen. Und diese geboten, zukünftig allgemeinen Erfordernissen aus den vor sich gehenden Veränderungen im Militärwesen und damit modernen Kampfhandlungen Rechnung zu tragen. Aber auch hinsichtlich der Entwicklung aller anderen für den bewaffneten Schutz der DDR verantwortlichen Kräfte, Organe und Bereiche ergaben sich weitreichende Konsequenzen. Dazu zählten die Befähigung der Kampfgruppen, über die Objektverteidigung hinaus stärker im Rahmen territorialer Verteidigung handeln zu können, ebenso wie der beginnende Aufbau des Luftschutzes als erstes Element einer Zivilverteidigung. Die Zielstrebigkeit, mit der die SED Ende der fünfziger Jahre ihre Rolle beim Aufbau einer modernen Landesverteidigung wahrnahm, wird durch zahlreiche Beschlüsse des Zentralkomitees und seines Politbüros deutlich. Die SED beachtete dabei stets die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Praxis der KPdSU. In einer Stellungnahme 258
zum Oktoberplenum des ZK der KPdSU im Jahre 1957 wurde verallgemeinernd für die DDR festgestellt: „Die Stärke der mit den modernsten Waffen und technischen Mitteln ausgerüsteten Armee des sozialistischen Staates liegt in der konsequenten Durchführung der Beschlüsse der Partei, der unlösbaren Verbundenheit mit dem werktätigen Volk." 23 Dieser Linie und den bisherigen eigenen Erfahrungen folgend, faßte das Politbüro des ZK der SED am 14. Januar 1958 den bedeutsamen Beschluß „Über die Rolle der Partei in der Nationalen Volksarmee". Die Angehörigen der NVA sahen in diesem Beschluß das wichtigste „Führungsdokument für den weiteren Aufbau der Armee in der Periode des Kampfes um den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse". 24 Zugleich ging sein Grundanliegen über die Armee hinaus, war richtungweisend für die Tätigkeit der Parteiorganisationen in den bewaffneten Kräften, die dem Ministerium des Innern unterstanden, sowie in anderen Organen der Landesverteidigung. Für die Bezirks- und Kreisleitungen der SED war er Veranlassimg, sich gründlicher mit der Entwicklung der Parteiarbeit in den auf ihrem Territorium stationierten bewaffneten Kräften zu befassen. Das ZK der SED bestätigte entsprechend •den neuen Anforderungen gefaßte Bestimmungen und Instruktionen bzw. Richtlinien für die Arbeit der Politorgane, Partei- und FDJ-Organisationen in der NVA und anderen bewaffneten Kräften. Briefe des Zentralkomitees an die Parteiorganisationen bestimmter bewaffneter Organe waren auf die Lösung spezieller Aufgaben der bewaffneten Verteidigung gerichtet.
4.
Kader und Masseninitiative beim bewaffneten Schutz
Die Aufgabe des V. Parteitages der SED, „eng mit der Arbeiterklasse und den Massen verbundene Funktionäre" heranzubilden, „die über ein hohes sozialistisches Bewußtsein und großes fachliches Können verfügen", 25 galt uneingeschränkt für die Landesverteidigung. Für die Streitkräfte bedeutete das, in wesentlich größerem Maße Militärfachleute insbesondere für leitende Dienststellungen auszubilden. Die Gründung der Militärakademie „Friedrich Engels" im Januar 1959 zeugte von der Konsequenz, mit der die Arbeiterklasse der DDR aus ihren Reihen verstärkt Militärspezialisten entwickelte. Auch die Möglichkeit, daß Offiziere der NVA sowjetische Militärakademien besuchen konnten, begünstigte die Heranbildung eines Kerns hochqualifizierter Kommandeure und Politoffiziere. Große Aufmerksamkeit galt der Ausbildung der militärischen Kader der Streitkräfte an den dafür geschaffenen Einrichtungen, der Politoffiziersschule und den Offiziersschulen der Waffengattungen der Teilstreitkräfte. Durch das Präsidium des Ministerrates der DDR erhielten die Offiziersschulen der NVA im November 1958 den Status von militärischen Fachschulen. Das stand im Einklang mit der Entwicklung des gesamten sozialistischen Bildungswesens in der DDR. Neben der Ausbildung des Offiziersnachwuchses lösten diese Lehr- und Bildungsstätten auch große Aufgaben zur Qualifizierung von Truppenoffizieren für die von ihnen ausgeübten Dienststellungen. Bis Ende 1960 hatten etwa 30 Prozent aller Offiziere solche Kurzlehrgänge zumeist von der Dauer eines Jahres absolviert. Die Offiziersschulen machten beträchtliche Fortschritte, die Kader entsprechend den neuesten Erkenntnissen des Militärwesens und den wachsenden Anforderungen des Truppendienstes aus- und weiterzubilden. Zugleich wurden zusätzliche Qualifizierungsmöglichkeiten erschlossen. 1959 lernten elf Prozent aller Offiziere an allgemeinbildenden Abendschulen mit dem Ziel der mittleren Reife, und acht Prozent hatten an zivilen Lehr- und Bildungsstätten ein
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Fernstudium aufgenommen. Sich zu qualifizieren, das wurde von den Armeekadern dem Rufe der Partei folgend — als Sache der Klassenehre betrachtet. Ein Grundanliegen der SED bestand darin, daß die Kader lernten, als Einzelleiter ihre Befugnisse für alle Fragen der Kampfkraft ihrer Einheiten auf der Grundlage der Parteibeschlüsse auszuüben, um so ihrer Verantwortung für die Durchsetzung der Militärpolitik der SED gerecht werden zu können. Sie vervollkommneten ihre Fähigkeit, die Einheit von politischer und militärischer bzw. fachlicher Erziehung und Bildung zu verwirklichen. Die leitenden Kader und überhaupt alle Offiziere setzten sich mit der Forderung auseinander, in der täglichen Arbeit mit den ihnen Unterstellten ihre Vorgesetztenpflicht in allererster Linie als politische Funktionäre, als Parteimitglieder mit der besonderen Verpflichtung zu verwirklichen, sozialistische Soldatenund Kämpferpersönlichkeiten sowie Kampfkollektive zu formen. Jeglicher Tendenz des „Nurfachmanntums" war der Kampf angesagt. Damit trat die SED auch Versuchen des Gegners entgegen, den klassenmäßigen Auftrag des sozialistischen Offiziers in Frage zu stellen und ihm - auf die sprunghaft wachsenden fachlichen bzw. technischen Anforderungen spekulierend - einen Weg als „unpolitischen Technokraten" vorzuzeichnen. Erzogen durch die Partei, verstanden es die Kommandeure und Leiter immer besser, sich bei der Durchsetzung ihrer Befehle und Anordnungen auf die Aktivität der Parteiorganisationen zu stützen und als Parteimitglieder hohe Anforderungen an sich selbst zu stellen. Im Grundsätzlichen galten derartige Forderungen für alle Kommandeure und Offiziere, für alle Leiter und Funktionäre in den verschiedensten Bereichen der Landesverteidigung. Feste Parteiverbundenheit, politisches Herangehen an die Aufgaben, hohe Sachkenntnis und persönliches Vorbild waren die Voraussetzung, die komplizierter werdende Führung der Einheiten in Ausbildung und Einsatz zu bewältigen. In diesem Sinne leistete die Partei bei der Entwicklung der Kader in den bewaffneten Kräften auf den Schulen, auf Lehrgängen und Kursen sowie in der täglichen Anleitung eine umfangreiche Arbeit. Auf der Eröffnungsvorlesung eines Lehrgangs der Kampfgruppenkommandeure im April 1959 hob E. Honecker hervor: Unter den modernen Bedingungen „gewinnen die Autorität des Kommandeurs, seine Kenntnisse, Erfahrungen, die Fähigkeit, zu führen, Befehle zu erteilen und ihre genaue Durchführimg zu erreichen, besonders große Bedeutimg". 26 Nach den Beschlüssen der SED ging es auch in den Kräften der Landesverteidigung darum, die Rolle der Grundorganisationen zu heben, für die Parteiarbeit die Erhöhung der Kampfkraft sowie der Einsatz- und Gefechtsbereitschaft der Einheiten zum Maßstab zu nehmen. Wie es in den Bestimmungen für die Arbeit der Politorgane der NVA vom Juni 1958 hieß, war das Wirken der Parteiorganisationen auf die „Erfüllung der in den Beschlüssen der Partei und Regierung und in den Befehlen gestellten Aufgaben, die von den Truppen zu lösen sind", 27 zu richten. Eine derartige Orientierimg fand ihren Niederschlag in der Tätigkeit der SED-Grundorganisationen in allen bewaffneten Organen des Landes. Die Parteiorganisationen in den Bereitschaften, Truppenteilen, Grenzbrigaden und Schulen berieten nun häufiger das in der Ausbildung Erreichte, setzten sich mit den Ursachen für Hemmnisse auseinander, erzogen die Mitglieder und Kandidaten, bei der Ausführung der Befehle beispielhaft voranzugehen. Gute Erfolge in der Entwicklung der Kampfgruppen stellten sich dort ein, wo die Betriebs-Parteiorganisationen und ihre Leitungen sich ständig um die Erfüllung der Ausbildungsprogramme bemühten. Durch die Aufnahme neuer Mitglieder und Kandidaten, durch die Gewinnung der besten Soldaten, Volkspolizisten und Kämpfer für die SED sollte erreicht werden, den
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Einfluß der Partei vor allem in den einzelnen Einheiten zu gewährleisten und zu stärken. Mehr als 4000 Armeeangehörige und 2900 Grenzpolizisten stellten allein in Vorbereitung auf den V. Parteitag den Antrag, Kandidat der SED zu werden. Dadurch war es in der NVA möglich, in den Bataillonen Parteiorganisationen mit den Rechten einer Grundorganisation zu bilden und in immer mehr Kompanien und Zügen Parteigruppen. In den Grenzkompanien, die den Hauptanteil an der unmittelbaren Grenzsicherung hatten, konnten Grundorganisationen der SED geschaffen werden. Eine sol 1 che Stärkung der Partei in diesen und in den anderen bewaffneten Organen trug dazu bei, die ideologische Arbeit zu entfalten, die Aktivität der Mitglieder und Kandidaten zu entwickeln und vor allem eine massenwirksame Arbeit mit den parteilosen Soldaten, Volkspolizisten und Kämpfern zur Lösung der den Einheiten gestellten Aufgaben zu leisten. Die politisch-ideologische Geschlossenheit der Einheiten wuchs und damit auch die schöpferische Aktivität ihrer Angehörigen. Die SED ging davon aus, daß die vom V. Parteitag erhobene Forderung zur breiten Entfaltung der Masseninitiative der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen auch für den Bereich der Landesverteidigung Richtschnur war. Mobilisiert durch die Parteiorganisationen, nahm erstmals die Mehrheit der Armeeangehörigen am sozialistischen Wettbewerb teil. Insbesondere Mitglieder der FDJ folgten dem Ruf der SED und vollbrachten vorbildliche Taten in der Bestenbewegung, der Bewegung der Rationalisatoren und Erfinder und in ersten direkten Wettstreiten, den spezifischen Hauptformen des sozialistischen Wettbewerbs in der Armee. Darüber hinaus griffen sie - angeregt durch das ZK der SED und den Zentralrat der FDJ - vielfältige Initiativen der Werktätigen auf und wandten diese auf die besonderen Erfordernisse der Streitkräfte an. Dazu gehörten die Kompaßbewegung, die Bewegung der FDJ-Kontrollposten gegen Vereinfachungen in der Ausbildung, die Lernbewegung zur Qualifizierung für eine zweite Funktion, Aktivitäten zur Verbesserung der Ausbildungsbasen, die Teilnahme an der „Messe der Meister von Morgen", die Bewegung zur Bildung von Kollektiven junger Sozialisten. Zugleich rückte die Bestenbewegung immer stärker in den Mittelpunkt der Masseninitiative. Dabei wertete die NVA unmittelbar sowjetische Erfahrungen aus, die in der Bestenkonferenz der Sowjetarmee und Flotte vom März 1957 zusammengefaßt wurden. Im Kampf um den Titel „Beste Gruppe", „beste Besatzung", „Beste Bedienung" usw. formten sich die sozialistischen Soldatenkollektive. Einen ähnlichen Aufschwung des Massenwettbewerbs gab es nach dem V. Parteitag der SED auch in den anderen bewaffneten Kräften, in den Kampfgruppen und in der GST. Er richtete sich auf die Meisterung der Technik und auf hohe Ausbildungsergebnisse. Die Grenzpolizisten wetteiferten bei der Verbesserung der Grenzsicherung. Auf Anregung der SED erklärte die FDJ das Anlegen eines spurensicheren Kontrollstreifens an der Staatsgrenze zur BRD zum Jugendobjekt. Die Angehörigen der Kampfgruppen kämpften um die Auszeichnung mit der Wanderfahne ihrer SEDKreis- und -Bezirksleitung und entwickelten ihre Fähigkeit, Aufgaben im Orts- und Kreisgebiet übernehmen zu können. Die GST-Einheiten führten den Wettbewerb um das Mehrkampfleistungsabzeichen, bauten in freiwilligen Arbeitseinsätzen ihre Ausbildungsstätten aus, entsandten ihre besten Mitglieder in die NVA. In allen Wehrsportarten wurde die planmäßige Vorbereitung auf den Dienst in der NVA das Kernstück der Arbeit. In dem Grußschreiben des ZK der SED an den II. Kongreß der GST im Juni 1960 erklärte die Parteiführung, daß es nicht zuletzt das Verdienst der GST ist, „wenn die jungen Genossen der Land-, Luft- und Seestreitkräfte in sehr kurzer Zeit gute Soldaten werden". 28 Damals wie heute behaupten Ideologen des Imperialismus, daß die jungen Bürger
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sich einer ihnen „fremden Macht und Ideenwelt" gegenübersehen, wenn die Partei von ihnen Aktivität beim bewaffneten Schutz erwartet. Das ist einer der zahlreichen Versuche, im militärischen Bereich zwischen der SED und den Werktätigen einen Widerspruch zu konstruieren. Doch das ist - wie so oft - auch hier Wunschdenken. Die Einsatzbereitschaft, Tatkraft und Masseninitiative der Soldaten, Volkspolizisten, Kämpfer, GST-Kameraden Ende der fünfziger Jahre beweisen, daß diese sich mit der Verteidigung der Errungenschaften der herrschenden Arbeiterklasse identifizierten und die Militärpolitik der marxistisch-leninistischen Vorhut beim Aufbau der Landesverteidigung aktiv unterstützten.
5.
Landesverteidigung der DDR und ihre Bewährung zu Beginn der sechziger Jahre
Unter Führung der SED wurde zielstrebig daran gearbeitet, die objektive Interesseneinheit von Volk, Armee und den anderen bewaffneten Organen bewußtzumachen und beim Aufbau der Landesverteidigung zu nutzen. Verbindungen von Truppenteilen vor allem mit sozialistischen Betrieben wirkten sich günstig aus. In größerem Umfang wurden Freundschaftsverträge abgeschlossen. Sie veranlagten dienstliche Leiter, Leitungen der Partei- und Massenorganisationen, die Einheiten insbesondere bei der Werbung von Freiwilligen zu unterstützen. Andererseits halfen letztere, Schwerpunktaufgaben ihrer Patenbetriebe zu lösen oder Schwierigkeiten bei der Planerfüllung zu überwinden. Sehr wirksam für die Verbindung mit der Arbeiterklasse und dem sozialistischen Aufbau war die Wahl von Angehörigen der bewaffneten Kräfte in die Kreis- und Bezirksleitungen der SED sowie in die örtlichen und regionalen Organe der Staatsmacht. Wie in Potsdam fanden gemeinsame Beratungen von Mitgliedern der Büros der Bezirksleitungen, von Sekretären der Kreisleitungen, Vertretern von Verbänden und Truppenteilen der NVA, von Einheiten der Grenzpolizei, Bereitschaftspolizei, Funktionären des FDGB, der FDJ, der GST und der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse statt, um das Entstehen vielfältiger Verbindungen der Bevölkerung zu den Schutz- und Sicherheitsorganen zu fördern. Große Aufmerksamkeit schenkten die leitenden Parteiorgane den Kampfgruppen. Sie sorgten dafür, daß die Arbeit mit den Kampfgruppen zu einem festen Bestandteil der Parteiarbeit in den Betrieben wurde. Sekretäre der Kreisleitungen ließen sich laufend über den Stand der Ausbildung berichten und nahmen zuweilen selbst an der Ausbildung teil. Die bewaffneten Kräfte entwickelten auch ihre Verbindungen zur werktätigen Bauernschaft, insbesondere zu den Genossenschaftsbauern. Durch zahlreiche Einsätze wirkten sie an der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft mit. Ende August 1960 arbeiteten Angehörige der NVA 2287470 Stunden auf den Feldern bei der Bergung der ersten „sozialistischen Ernte". Die Haltung der Verteidiger des Sozialismus half das Bündnis der Arbeiter und Bauern beim Aufbau der Landesverteidigung der DDR stärken. Die Bildung von Kampfgruppen in den MTS-Bereichen ermöglichte die Einbeziehung der Genossenschaftsbauern in Schutz- und Sicherungsmaßnahmen. Immer mehr Werktätige insbesondere aus den Landgemeinden begannen, aktiv als Grenzpolizeihelfer mitzuarbeiten. Der Aufbau bzw. die weitere Entwicklung der Organe der Landesverteidigung der DDR schritten unter Führung der SED erfolgreich voran. Zugleich zeigte sich, daß die umfangreichen Schutz- und Sicherungsmaßnahmen immer enger mit den Erfordernis262
sen und Möglichkeiten der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung abgestimmt werden mußten, wobei die wachsenden Potenzen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung gegen Ende der Übergangsperiode für eine hohe Verteidigungskraft eingesetzt werden konnten. Ein staatsrechtlicher Schritt dazu war die Annahme des Gesetzes der Volkskammer über die Bildung des Nationalen Verteidigungsrates (NVR) der DDR im Februar 1960 als des „Organ (s) für eine einheitliche Lösung aller Verteidigungs- und Sicherheitsmaßnahmen". 29 Der NVR unter Vorsitz des Ersten Sekretärs des ZK der SED, Walter Ulbricht, und mit dem Mitglied des Politbüros, Erich Honecker, als Sekretär lenkte und koordinierte in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen staatlichen Organen die wichtigsten Maßnahmen zur weiteren Entwicklung der Verteidigungskraft der DDR. Der NVR war für seine Tätigkeit dem Präsidium der Volkskammer gegenüber verantwortlich. Wie bisher wurden alle wichtigen Entscheidungen zu Fragen der Verteidigung und Sicherheit des Landes durch Beschlüsse des Politbüros des ZK vorbereitet. Zugleich wirkte die Partei ständig darauf hin, die Rolle der obersten Volksvertretung der DDR beim Aufbau der Landesverteidigung zu stärken. Auf Initiative der SED-Fraktion beschloß die Volkskammer die Bildung eines Ständigen Ausschusses für Nationale Verteidigung, der sich am 9. März 1960 konstituierte. Schaffung und Zusammensetzung des Ausschusses widerspiegelten die aktive Mitwirkung der mit der SED verbündeten Parteien bei der Gestaltung der Landesverteidigung. Erfolgreich entwickelte sich das Zusammenwirken von Kräften der Landesverteidigung. Die Einheiten der Grenzpolizei erfuhren die systematische Hilfe und Unterstützung durch Stäbe und Truppen der NVA bei ihrem Bemühen um militärische Sicherung der Grenze und bei der Entwicklung zur Grenztruppe. Angehörige der Bereitschaftspolizei halfen den Kommandeuren der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die mit der Bildung von Bataillonen verbundenen Aufgaben zu meistern. Bei taktischen Übungen von Truppen der NVA erfolgte erstmals auch das Zusammenwirken mit Kräften der Grenzpolizei. Einheiten der Grenzpolizei übten gemeinsam mit anderen Schutz- und Sicherheitsorganen sowie mit Kampfgruppen das Lösen von Grenzsicherungsaufgaben. Enger wurde das Zusammenwirken der Kräfte der territorialen Verteidigung in den Kreisen und Bezirken. Auch die neugebildeten Stäbe der Einsatzkräfte des Luftschutzes wurden in die Übungen einbezogen. Hierbei konnten auch weitere Erfahrungen mit einer abgestimmten und differenzierten wehrerzieherischen Arbeit unter der Bevölkerung gewonnen werden. Bestimmend für den tatsächlich erreichten Stand beim Aufbau der Landesverteidigung der DDR war die Kampfkraft der NVA. Die Leistungen der Werktätigen in der Volkswirtschaft und die solidarische internationalistische Hilfe der UdSSR ermöglichten die verstärkte Ausrüstung der Truppenteile und Verbände mit moderner sowjetischer Kampftechnik. In den Landstreitkräften erhöhten sich durch die Zuführung von mittleren Panzern und Schützenpanzerwagen, von selbstfahrender Pak und wirkungsvoller Truppenilak die Feuerkraft und die Beweglichkeit. Die Schützen konnten vollständig mit automatischen Waffen versehen werden. Die Jagdfliegerkräfte der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung beherrschten den Einsatz von Strahljagdflugzeugen und begannen neueste Überschallabfangjagdflugzeuge zu meistern. Die Funktechnischen Truppen erhielten moderne Funkmeßstationen, und erste Truppenteile wurden auf die Übernahme von Flak-Raketen-Komplexen vorbereitet. Es wurde begonnen, zur wirksamen Bekämpfung schnellfliegender Luftziele die erforderlichen Waffengattungen, Spezialtruppen und Dienste in Verbänden zusammenzufassen. Bei den 18
Übergangsperiode
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Seestreitkräften wurden selbständige Küstenschutzschiff- und Torpedoschnellboot-Formationen geschaffen, die jetzt gemeinsam die Stoßkräfte bildeten. Die Kommandeure und Führungsorgane aller Teilstreitkräfte erzielten deutliche Fortschritte, die Truppen in komplizierten Lagen zu führen. Und die Soldatenkollektive beherrschten zunehmend den wirkungsvollsten Einsatz der modernen Kampftechnik unter den Bedingungen und Belastungen des modernen Gefechts. Entscheidende Führungsdokumente waren dabei die seit November 1959 jährlich vom Politbüro des ZK der SED beschlossenen „Grundsätze der politischen und militärischen Arbeit der NVA". Diese orientierten darauf, die von der sowjetischen Militärwissenschaft abgeleiteten Schlußfolgerungen aus den Veränderungen im Militärwesen im Interesse der Stärkung der Vereinten Streitkräfte und zur Durchsetzung der Empfehlungen des Vereinten Kommandos konsequent in die Tat umzusetzen. Das hatte große Auswirkungen auf die Befähigung zum Zusammenwirken insbesondere mit den sowjetischen Streitkräften. Aufschluß darüber gab die gemeinsame Mai-Übung im Jahre 1961. Unter Leitung von Marschall der Sowjetunion A. A. Gretschko, Oberkommandierender der Vereinten Streitkräfte, wirkten erstmals alle größeren Stäbe der NVA mit den höchsten Stäben der GSSD zusammen. Die Führungsorgane und Truppen der NVA zeigten sich imstande, Aufgaben taktischer Verbände aller Teilstreitkräfte in größeren Gruppierungen unter wirklichkeitsnahen Bedingungen zu lösen. Im Hinblick auf diese Übung schätzte die SED später ein, daß die NVA in der Lage ist, „Seite an Seite mit den sozialistischen Bruderarmeen, insbesondere der ruhmreichen Sowjetarmee, alle ihr im Rahmen des Warschauer Vertrages übertragenen Aufgaben beim Schutze der Grenzen des sozialistischen Lagers zuverlässig zu erfüllen". 30 Das war für die Funktionsfähigkeit und Wirksamkeit der gesamten Landesverteidigung der DDR von ausschlaggebender Bedeutung. Ein Kriterium für die in fünf Jahren beim Aufbau der Landesverteidigung der DDR erreichten Ergebnisse bildete die Bewährung in der gemeinsamen politischen Aktion der Staaten des Warschauer Vertrages bei der militärischen Sicherung der Staatsgrenze zu Westberlin, der bis dahin einzigen „offenen Stelle" der sozialistischen Staatengemeinschaft gegenüber dem Imperialismus in Europa. Die Politik der unmittelbaren Einbeziehung dieser Stadt in die BRD, ihr Ausbau als NATO-Brückenkopf, als Basis für zahlreiche aggressive Handlungen gegen die DDR und andere sozialistische Länder brachten den Kontinent an den Rand des Krieges. Die Arbeiterund-Bauern-Macht bewies in dieser Situation die Fähigkeit, ihre bewaffneten Kräfte erfolgreich zur Verteidigung des bedrohten Friedens einzusetzen. „Die umfangreichen, komplexen und sehr detaillierten Planungen sowie organisatorischen Vorbereitungen erfolgten unter unmittelbarer Führung des Zentralkomitees unserer Partei, durch Generale und Offiziere der NVA - unter hervorragender Mitarbeit von Genossen aus anderen Ministerien." 31 Alle grundlegenden Befehle waren mit der GSSD abgestimmt; mit Beginn des Einsatzes wurde ein gemeinsames Führungsorgan gebildet. Nach Eintreffen in den Einsatzräumen tauschten die benachbarten Verbände der NVA und der GSSD Verbindungsoffiziere aus und organisierten das Zusammenwirken mit den unmittelbar an der Grenze handelnden Kräften des Ministeriums des Innern. Neben Truppenteilen der NVA waren Einheiten der Grenz- und der Bereitschaftspolizei sowie andere Polizeikräfte und Kampfgruppen zu den Sicherungsmaßnahmen eingesetzt. Die Hauptkräfte der NVA standen in Alarmbereitschaft, um an der Seite der sowjetischen Waffenbrüder mögliche militärische Gegenaktionen der Imperialisten zu vereiteln. Der Gegner hatte ständig die These vertreten, die NVA und die
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anderen Kräfte der Landesverteidigung der D D R seien keiner Belastungsprobe gewachsen. Zugleich unternahm er den Versuch, deren Kampfkaft mittels massierter ideologischer Diversion zu untergraben. Doch mit dem 13. August wurde deutlich, daß die Feinde der D D R auch in dieser Hinsicht das Kräfteverhältnis falsch eingeschätzt hatten. Die Kampflosung eines NVA-Bataillons „Soldaten entscheiden durch Taten! Die Ultras kommen nicht durch!" und die dabei gezeigten Leistungen waren charakteristisch für die Bewußtheit und für die Fähigkeit der Angehörigen der Schutzund Sicherheitsorgane sowie der Kampfgruppen. Unterstützt von den in der D D R stationierten sowjetischen Truppen, „erfüllten alle bewaffneten Organe im engen Zusammenwirken ihren Kampfauftrag". 3 2 Die Feinde des Sozialismus hatten gehofft, die komplizierten Probleme der DDR am Ausgang der Übergangsperiode nutzen zu können, um einen Keil zwischen Partei, Arbeiterklasse und bewaffnete Kräfte zu treiben. Doch unter Führung der SED erwies sich die Hauptkraft der sozialistischen Revolution - die Arbeiterklasse - auf der Höhe ihrer historischen Aufgaben. „Es waren in der überwiegenden Mehrheit Arbeiter, die am 13. August 1961 in den Reihen der Nationalen Volksarmee, der Organe des Ministeriums des Innern und der Kampfgruppen standen und durch ihren Einsatz wesentlich dazu beitrugen, den bedrohten Frieden zu retten und günstigere Bedingungen für den sozialistischen Aufbau in der D D R zu schaffen." 33 Auch die Haltung der Arbeiter in den Betrieben zeigte, daß sie die Militärpolitik der SED in ihrer übergroßen Mehrheit aktiv verwirklichen halfen — an ihrer Seite standen breite Schichten der anderen Werktätigen. Zehntausende Bereitschaftserklärungen von Jugendlichen bereits in den Augustwochen für den Dienst in der NVA, die Bewegung der Werktätigen, nach dem Beispiel der bewaffneten Kräfte Taten höchster Einsatzbereitschaft zu vollbringen, das überwältigende Votum bei der Volkswahl im September 1961 waren Bekenntnisse zur Verteidigung der Errungenschaften des Volkes der DDR. Es bestätigte sich die Richtigkeit der Politik der SED, die seit Mitte der fünfziger Jahre den Kurs auf den Abschluß der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der D D R konsequent mit dem Aufbau der Landesverteidigung verbunden hatte. Es trug seine Früchte, daß die SED die Arbeiterklasse und alle Werktätigen der DDR seit Schaffung des deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates vorausschauend mit der Leninschen Lehre von der Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes vertraut gemacht und das Verständnis für die Notwendigkeit einer modernen Landesverteidigung als Bestandteil des sozialistischen Aufbaus geweckt hatte. Sie enthüllte ständig den besonders aggressiven Charakter des deutschen Imperialismus und entwickelte das Bewußtsein der Arbeiterklasse, daß sie- im Bündnis mit dem ersten sozialistischen Land der Welt und den anderen Ländern der Verteidigungskoalition erstmals die Kraft zu entfalten vermag, gegenüber ihrem Todfeind auch auf militärischem Gebiet erfolgreich zu bestehen. Sie vertiefte bei den Werktätigen die Erkenntnis, daß Sozialismus und Frieden eine Einheit bilden. Unter Führung der SED hatte sich die Arbeiterklasse erneut als bewußteste, organisierteste und disziplinierteste Klasse des Volkes der DDR, als Hauptkraft bei der militärischen Verteidigung der Revolution bewährt. Gestützt auf die reichen Erfahrungen der KPdSU und der UdSSR sowie der anderen Bruderparteien und -Staaten des Bündnisses, besaß die SED eine wissenschaftliche Konzeption für den Aufbau der Landesverteidigung, die mit der Initiative der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen Schritt für Schritt, aber mit hohem Tempo realisiert wurde. Obwohl der imperialistische Gegner sein ganzes ideologisches Arsenal zur Verwirrung der Massen ins Feld führte, wuchs dank der umfassenden wehrerzieherischen Arbeit der SED sowie 18»
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der konsequenten Einbeziehung der Erbauer der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung in die Bewegung zu ihrem Schutze und zu ihrer Verteidigung die Autorität der marxistisch-leninistischen Partei, erstarkte die Einheit von Partei, Arbeiterklasse, Volk und den bewaffneten Kräften. In der letzten Etappe der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus schuf die DDR unter Führung der SED eine funktionsfähige sozialistische Landesverteidigung. Lenins Feststellung, daß insbesondere die reguläre Armee »Merkmal der gefestigten Macht jeder Klasse, darunter auch des Proletariats ist",34 fand so auch in der DDR ihre Bestätigung. Die Schaffung nationaler Streitkräfte sowie die weitere Profilierung und Entwicklung der anderen f ü r den Schutz der DDR unerläßlichen Kräfte, Organe und Bereiche waren fester Bestandteil der in diesem Zeitraum gesetzmäßig auf der Tagesordnung stehenden Stärkung der zentralen Machtorgane. Für die Ideologen der Bourgeoisie ist die Diktatur des Proletariats schlechthin und ausschließlich Gewalt. Auch die aktive Mitwirkung Hunderttausender Bürger an den Verteidigungsmaßnahmen des Landes widerlegt diese Verfälschung und unterstreicht zugleich, daß die Diktatur des Proletariats vor allem und im wesentlichen breiteste sozialistische Demokratie ist. Andererseits zeigt der Aufbau der Landesverteidigung der DDR, daß sich die Gewaltfunktion in diesem reifen Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung in entscheidendem Maße gegen die aggressiven Bestrebungen der imperialistischen Bourgeoisie - also nach außen - richtet. Die Arbeiterklasse und ihre marxistisch-leninistische Partei erwiesen sich dabei auch als die Organisatoren der militärischen Beziehungen zur UdSSR und ihren Streitkräften, zu den anderen sozialistischen Staaten und ihren Armeen. Die sich in der letzten Etappe der Übergangsperiode entwickelnde Kampfgemeinschaft mit der Sowjetarmee - insbesondere mit der GSSD - und anderen Organen der Landesverteidigung der UdSSR entfaltete Triebkräfte für die Bewältigung der komplizierten Aufgaben des Aufbaus der NVA und der gesamten Landesverteidigung im Rahmen des Bündnisses. Die dabei wirksam werdende brüderliche Hilfe und Unterstützung der sowjetischen Klassen- und Waffenbrüder war eine entscheidende Garantie dafür, daß die Verteidigungskraft der DDR bis zum Beginn der sechziger Jahre die erforderliche Qualität erreichte, daß die Machenschaften des Imperialismus durchkreuzt wurden und wichtige äußere Voraussetzungen für den weiteren erfolgreichen sozialistischen Aufbau entstanden. An der Geschichte der DDR erweist sich überzeugend, daß auch auf deutschem Boden trotz eines ganzen Komplexes besonderer Bedingungen durch die richtungweisende, mobilisierende und organisierende Tätigkeit der marxistisch-leninistischen Partei, durch die Kraft der revolutionären Arbeiterklasse im Bündnis mit den breiten werktätigen Massen des Volkes dem Schutz der demokratischen und sozialistischen Errungenschaften als einer Gesetzmäßigkeit der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus uneingeschränkt Rechnung getragen wurde. Ob durch die Sicherheits- und Schutzorgane in den ersten Jahren des jungen Arbeiter-und-Bauern-Staates oder ab Mitte der fünfziger Jahre schließlich durch eine sozialistische Landesverteidigung mit modernen Koalitionsstreitkräften als Hauptbestandteil, stets wirkten diese bewaffneten Kräfte im Sinne des Allgemeingültigen, der sozialistischen Revolution: zum Schutz des Sozialismus, zur Sicherung des Friedens und zum Kampf um friedliche Koexistenz. Alle Wesenszüge bewaffneter Machtorgane der herrschenden Arbeiterklasse bildeten sich von Anfang an heraus. Der Aufbau der Landesverteidigung in einem bereits fortgeschrittenen Stadium der gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklung trug dazu
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bei, daß sich die sozialpolitischen, organisatorischen sowie Erziehungs- und Ausbildungsprinzipien sozialistischer Streitkräfte, der Militärorganisation der Arbeiterklasse zur Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes, schnell formten und ausprägten. Alle Taten und Leistungen bei der bewaffneten Sicherung des revolutionären Weges bis zum erfolgreichen Abschluß der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus auf dem Territorium der DDR bilden heute ein wichtiges Glied in der Kontinuitälslinie der fortschrittlichen militärischen Traditionen des deutschen Volkes, gehören zum Fonds neuer, sozialistischer militärischer Traditionen der DDR, ihrer Streitkräfte und der anderen bewaffneten Organe.
Anmerkungen 1 Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß, Berlin 1978, S. 331 (im folgenden: Geschichte der SED). 2 Protokoll der Verhandlungen der 3. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 2, Berlin 1956, S. 682. 3 Honecker, Erich, Zuverlässiger Schutz des Sozialismus, Berlin 1977, S..12. 4 Hoftmann, Heinz, Schutz des Sozialismus ist Sicherung des Friedens. In: Einheit, Berlin, 1977, H. 10/11, S. 1182. 5 Neues Deutschland, (B), Berlin, 20. 1. 1956, S. 3. 6 Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. In: Protokoll der Verhandlungen des IV. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 2, Berlin 1954, S. 1117. 7 Lenin, W. I., Werke, Bd. 8, Berlin 1975, S. 133. 8 Derselbe, Werke, Bd. 27, Berlin 1974, S. 324. 9 DDR - Werden und Wachsen, Zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1974, S. 292. 10 Protokoll der Verhandlungen der 3. Parteikonferenz . . ., a. a. O., S. 682. 11 Beschluß der 25. Tagung des ZK der SED vom 27. Oktober 1955. In: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. V, Berlin 1956, S. 471. 12 Protokoll der Verhandlungen der 3. Parteikonferenz . . ., a. a. O., S. 791. 13 Ebenda, S. 792. 14 Geschichte der SED, a. a. O., S. 341. 15 Ebenda, S. 340. 16 Hoftmann, Heinz, Der IX. Parteitag der SED über den zuverlässigen Schutz der sozialistischen Arbeiter-und-Bauern-Macht und des Friedens, Berlin 1977, S. 23. 17 Honecker, Erich, Das Rad der Geschichte läßt sich in Deutschland nicht mehr zurückdrehen - Zur Militärpolitik der SED beim Aufbau und bei der Entwicklung der NVA. In: Zeitschrift für Militärgeschichte, Berlin, 1966, H. 1, S. 17. 18 Geschichte der SED, a. a. O., S. 340. 19 Honecker, E„ Zuverlässiger Schutz . . ., a. a. O., S. 16. 20 Protokoll der Verhandlungen der 3. Parteikonferenz . . ., a. a. O., S. 791 f. 21 Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder, die vom 14. bis 16. November 1957 in Moskau stattfand, Berlin 1958, S. 14. 22 Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1959, S. 66. 23 Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. VI, Berlin 1958, S. 341. 24 Werner, Waldemar, Zur führenden Rolle der SED beim Aufbau und bei der Entwicklung der Nationalen Volksarmee. In: Zeitschrift für Militärgeschichte, Berlin, 1969, H. 4, S. 399. 25 Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages . . . , & . a. O., S. 61. 267
26 Honecker, E., Zuverlässiger Schutz . . a. a. O., S. 41. 27 Bestimmungen für die Arbeit der Politorgane der Nationalen Volksarmee der DDR, o. O., 1958, S. 32. 28 Grußschreiben des ZK der SED an den II. Kongreß der GST. In: Dokumente des II. Kongresses der GST, Halle 1960, S. 85. 29 Protokoll der Verhandlungen des VI. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Dokumente, Bd. IV, Berlin 1963, S. 79. 30 Ebenda, S. 79 f. 31 Hofimann, Heinz, Sozialistische Landesverteidigung. Aus Reden und Aufsätzen 1963 bis Februar 1970, Teil II, Berlin 1971, S. 876. 32 Geschichte der SED, a. a. O., S. 417. 33 Heitzer, Heinz, Partei, Arbeiterklasse, Massenaktivität in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Berlin, 1977, H. 10, S. 1255 f.; siehe auch den Beitrag von Heinz Heitzer in diesem Band. 34 Lenin, W. I., Werke, Bd. 29, Berlin 1973, S. 280.
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THERESE
HÖRNIGK
Entwicklungslinien der sozialistischen Kulturrevolution am Ende der Übergangsperiode
Seit dem VIII. Parteitag der SED sind viele Fragen der Kulturrevolution differenzierter und intensiver als in den Jahren zuvor diskutiert worden. Als besonders konstruktiv hat sich jene wissenschaftliche Methode der Erforschung kultureller Prozesse er- • wiesen, die von der Einheit politischer, ökonomischer und kultureller Aufgabenstellung ausgeht. Denn: „Die Entwicklung der sozialistischen Kultur ist ein vielseitiger Prozeß, der eng mit anderen wichtigen gesellschaftlichen Vorgängen, wie dem wissenschaftlichtechnischen Fortschritt, der Veränderung des Charakters der Arbeit, der Entwicklung der sozialen Klassen und Schichten, der Verminderung der Unterschiede zwischen industrieller und landwirtschaftlicher Arbeit, zwischen geistiger und körperlicher Tätigkeit und anderem mehr, verbunden ist."1 Von diesem Zusammenhang ausgehend, wird im folgenden versucht, den historischen Stellenwert kultureller Prozesse, speziell der Literatur und Kunst, in der Etappe der sozialistischen Kulturrevolution am Ende der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR zu bestimmen. Ausgangspunkt für diese Etappe der sozialistischen Kulturrevolution waren die Beschlüsse des V. Parteitages der SED 1958. Am Ende der Übergangsperiode vollzogen sich in der DDR kulturelle Prozesse, wie sie sich wesensgleich in der Sowjetunion schon zu Beginn der dreißiger Jahre und in den meisten volksdemokratischen Ländern Anfang der fünfziger Jahre durchgesetzt hatten. Die Spezifik der kulturrevolutionären Prozesse in der DDR hatte sich in starkem Maße daraus ergeben, daß der Aufbau der Grundlagen des Sozialismus zu Beginn der fünfziger Jahre „mit dem Kampf um die demokratische Wiedervereinigung Deutschlands und den übergreifenden Aufgabenstellungen verknüpft" war. 2 Nun, in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, waren der Aufbau der Grundlagen des Sozialismus, aber auch der Prozeß der Abgrenzung zwischen der BRD und der DDR fortgeschritten und die Verankerung in die sozialistische Staatengemeinschaft vollzogen, so daß die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Kulturrevolution stärker zur Wirkung gebracht werden konnten. Als Grundaufgabe für den Abschluß der Übergangsperiode konnte formuliert werden, „die sozialistische Kultur zur herrschenden zu machen und die Einheit von Ökonomie und Kultur in Theorie und Praxis durchzusetzen".3 Um dieses Ziel in kürzester Zeit zu realisieren, wurde eine Vielzahl kultureller Aktivitäten mobilisiert, von denen die erste Bitterfeider Konferenz von 1959 hier untersucht werden soll. 269
Mit Hilfe der literaturgeschichtlichen Betrachtungsweise sollen jene gesamtgesellschaftlichen Prozesse wie auch künstlerischen Veränderungen überprüft werden, die sich vor allem mit dem seit der ersten Bitterfelder Konferenz 1959 eingeschlagenen „Bitterfelder Weg" verbinden, der, innerhalb seiner historischen Entwicklungsbedingungen beurteilt und vom heutigen Stand gewertet, ein „unverzichtbarer Bestandteil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit und unserer Kunstwirklichkeit" 4 geblieben ist. Das zunehmende Nachdenken über die schon fast dreißigjährige eigene Geschichte hat auch methodische Konsequenzen. Das Verhältnis von Kontinuität und Veränderung in den kulturellen Prozessen ist genauer zu bestimmen. Mit der gewachsenen Stärke des sozialistischen Lagers und der größer werdenden Ausstrahlung des Sozialismus verstärken sich zugleich die Reaktionen bürgerlicher Ideologen, und es gewinnen gerade gesellschaftliche Umbruchphasen besondere Relevanz auch für die bürgerliche Literaturgeschichtsschreibung. So der Bitterfelder Weg. Welche Aktualität die ideologische Auseinandersetzung mit einer sozialismusspezifischen kulturpolitischen und künstlerischen Konzeptionsbildung besitzt, zeigt ein Blick auf jüngere bürgerliche Publikationen, die dem Gegenstand „Bitterfelder Weg" in den letzten Jahren besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben. Insgesamt ist zu beobach-ten, dag das Thema „Übergangsperiode in der DDR" eine allgemein größere ideologische Anziehungskraft gewinnt und nicht zuletzt unter dem Aspekt nichtkapitalistischer Alternativentwicklung des eigenen Landes analysiert und befragt wird. Interessant und aufschlugreich ist es deshalb zu sehen, wie sehr das mit dem Bitterfelder Weg verbundene Grundanliegen sozialistischer Kulturrevolution von bürgerlichen Literaturwissenschaftlern unterschiedlichster Provenienz - auf der Basis verschiedenartigster Sozialismusvorstellungen - abgewertet, verworfen, fehlinterpretiert oder auch mit dem Bemühen um eine objektive Betrachtung in seiner Leistung akzeptiert wird. Im Zusammentreffen konservativer und pseudoliberaler Verfälschungen mit Arbeiten, die von Erkenntnisinteresse oder positivem Engagement zeugen (auch wo dies auf falscher Voraussetzung beruht), offenbart sich die innere Disparatheit bürgerlicher Positionsbildung zu Problemen des realen Sozialismus. Dabei unterscheiden sich erstere durch das Weiterschleppen überkommener Pauschalurteile und das Desinteresse am historischen Material auch im wissenschaftlichen Niveau von letzteren. Eine besonders reaktionäre Variante von „gesamtdeutscher" Literaturkonzeption sieht z. B. den Bitterfelder Weg, der in seinem Wesen der Politik des „Großen Sprungs" entspräche, 5 als eine „Chinoiserie" an. Andere betrachten die Kulturkonzeption hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt einer erzwungenen Durchsetzung des sozialistischen Realismus in der Kunst, der nach wie vor als die Erfindung „kunstfremder Funktionäre" ausgegeben wird. 6 Häufig werden literarische und gesellschaftliche Entwicklung sorgfältig voneinander getrennt, und - unverhohlen mit dem Vokabular des kalten Krieges hantierend - wird der Bitterfelder Weg schlechtweg als die „Propagierung des Banausentums" 7 abgetan. Weitaus differenzierter, wenn auch nicht weniger strittig, befassen sich linke Kritiker unterschiedlichster politischer Standorte mit dem Bitterfelder Weg, wenn sie ihn als Variante eines auf revolutionäre Veränderungen zielenden Wirkungskonzepts für die Übergangsperiode akzeptieren, ihn aber am Ende werten als den „verspäteten Versuch der SED, die kulturellen Interessen der Arbeiter einzudämmen, bevor diese sich selbst organisierten". 8 Die sogenannten Ultralinken sehen im Bitterfelder Weg die eigentliche sozialistische Lösung. Sie rücken ihn in unmittelbare Nähe zur chinesischen Kulturrevolution und geben damit den rechtsreaktionären Verdikten auf ihre Weise recht. 9 In ihrer Version ist die Verabschiedung vom Bitterfelder Weg als Kulturmodell der sozialistischen Gesellschaft am Ende der Übergangsperiode das Ende prole270
tarischer Kulturpolitik überhaupt. 10 Dazwischen liegen Versuche, die sich zunächst scheinbar sachlich der Problemstellung nähern und darauf aus sind, das, was sich „Bitterfelder Weg nennt", als ein komplexes Programm auf dem Gebiet der Kulturpolitik zu werten, „dessen Auswirkungen sich keineswegs auf das Kulturpolitische beschränken sollten", 11 sondern das als „Etablierung der sozialistischen Gesellschaft" einer kulturrevolutionären Bewegung die Funktion gibt. 12 Hier stellt sich der Bitterfelder Weg als kulturpolitisches Experiment dar, das allerdings über „rein äußerliche administrative Maßnahmen und Appelle" 13 nicht hinausgelangt sei. Wenige Untersuchungen urteilen sachlich: „Die Bitterfelder Bewegung, von den westdeutschen Kritikern mit jener fatalen Mischung aus Mitleid und Spott betrachtet, die vergiftet, anstatt zu informieren, ist in ihrer Substanz ein Ausdruck des Willens, Arbeiter, Arbeitswelt und Literatur in eine möglichst intensive Symbiose zu bringen." 14 Wenn wir uns heute wieder den Mühen unserer eigenen Ebenen zuwenden, so geschieht das im Kontext einer streitbaren, offenen und öffentlichen gesellschaftlichen Selbstverständigung um eben jene Probleme der Verbindung von Literatur, Kultur und sozialistischer Lebenspraxis, auf die der Bitterfelder Weg als erstes Lösungsangebot reagierte. Der Beitrag beschränkt sich bewußt auf die Untersuchung einer Seite des Bitterfelder Weges. Unter literaturhistorischem Aspekt wird das Verhältnis von Kulturprogrammatik, neuen kulturpolitischen Organisationsweisen sowie kultureller wie künstlerischer Praxis der entstehenden sozialistischen Gesellschaft am Ende der Übergangsperiode verfolgt. Das heißt, Theorie und Praxis des Bitterfelder Weges werden als historisch fixierbare Stufe der Etappe der sozialistischen Kulturrevolution beschrieben, wie sie als Versuch einer umfassenden Strategie in der Zusammenführung ökonomischer, politischer und kultureller Prozesse funktioniert hat. Zur Diskussion aber steht vor allem, in welcher Weise das auf dem V. Parteitag initiierte Kulturkonzept neue Literaturverhältnisse über die Vermittlung von politischen, kulturellen, ästhetischen und ökonomischen Faktoren konstituieren konnte. Hier kann der Weg der Entwicklung einer sozialistischen Nationalliteratur bestimmt werden an einem Punkt, wo zum ersten Mal in unserer historischen Entwicklung weltanschauliche Bewußtheit und soziale Aktionsfähigkeit über eine sozialistische Volkskultur als Massenkultur angestrebt bzw. in der Praxis erprobt werden konnten. Und schließlich geht es um die veränderte Funktion der Künste als Instrumente kultureller Massenarbeit und tun deren Integration in den kulturellen Alltag, die unter der Losung „Die Kunst dem ganzen Volke" angestrebt worden war. Erst von einem solchen komplexen Ansatz aus ist der Anteil speziell auch der Literatur bei der revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft zu bestimmen.
1.
Die neue Kulturkonzeption im historischen Prozeß — Vorgeschichte und Programmatik
Im Umkreis des V. Parteitages 1958 sind die Jahre 1957 bis 1959 mit einer Reihe wichtiger ökonomischer und sozialer Maßnahmen auch zu einer Zeit bedeutender Kulturkonferenzen geworden. Kaum jemals zuvor sind in der DDR so viele zentrale Beratungen zu künstlerischen und kulturellen Fragen durchgeführt worden wie in dieser Etappe, in der beschlossen wurde, „die sozialistischen Produktionsverhältnisse in der DDR zum Siege zu führen und die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus im wesentlichen abzuschließen". 15 Den Auftakt bildete die Volkskunstkonferenz des FDGB im März 1957. Es folgte 271
die Volkskunstkonferenz des Nationalrates der Nationalen Front und des Ministeriums für Kultur im Juni desselben Jahres. Unter der Losung „Kunst hilft Kohle" fand ebenfalls im Juni eine Tagung des Bezirksvorstandes der Gewerkschaft Kunst in Halle statt, die durch eine gezielte Aktion in der Presse eine außerordentlich mobilisierende Wirkung erhalten sollte. Im Juni veranstaltete auch der Kulturbund in Berlin und in Leipzig Aussprachen von Wissenschaftlern und Künstlern mit Vertretern der Parteiund Staatsführung. Diese Diskussionen waren der Beginn einer in der Presse breitangelegten Auseinandersetzung über ideologische Probleme, besonders auch über Fragen der sozialistischen Ethik. Die vom Ministerium für Kultur und vom Schriftstellerverband im Oktober 1957 durchgeführte Konferenz zur Widerspiegelung des zweiten Weltkrieges in der Literatur führte die nach dem IV. Schriftstellerkongreß von 1956 eingeleiteten Diskussionen um offene Probleme des literarischen Schaffens weiter, indem die Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit als Thema der Gegenwartsliteratur hervorgehoben und damit deren Gegenstandsbereich erweitert wurde.16 Zwei Tagungen des Zentralkomitees der SED, die 30. Tagung vom 30. Januar bis 1. Februar 1957 und die 33. Tagung vom 16. bis 19. Oktober 1957, behandelten Grundfragen der politischen und ideologischen Entwicklung unter den Bedingungen des sozialistischen Aufbaus. Herausragende Bedeutung für die weiterführenden Fragen aber hatte die Kulturkonferenz der SED im Oktober 1957 in Berlin, deren Thesen Für eine sozialistische deutsche Literatur die wichtigsten Leitlinien für den weiter zu beschreitenden Weg im 2. Fünfjahrplan auf kulturellem und künstlerischem Gebiet vorzeichneten. Die ideologische Offensive der Partei der Arbeiterklasse zielte dahin, Kunst und Kultur in die Lebenspraxis der werdenden sozialistischen Gesellschaft zu integrieren, die kulturelle Massenarbeit zu einer schöpferischen Form des Umgangs mit den eigenen sozialen Erfahrungen zu entwickeln und von der Literatur und den Künsten einen konstruktiven Beitrag zur Herausbildung der sozialistischen Denk- und Lebensweise zu erwarten. Eine solche Integrierung der geistig-kulturellen in die materiellen und ideologischen Lebensprozesse sollte zugleich dazu dienen, die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung in ihrer Gesamtheit gegenüber der bürgerlichen deutlich zu machen. Diese Überlegenheit war nicht allein weltanschaulich unter Hinweis auf eine ferne Perspektive zu begründen. Eine sozialistische Kultur war ein integrierender Bestandteil der komplexen Umgestaltung aller Lebensbereiche, und in der aktiven Beteiligung der Massen verbanden sich Weg und Ziel der Kulturrevolution miteinander. Die Zusammenführung der geistig-kulturellen mit den materiellen und politischen Potenzen der sozialistischen Umwälzung wurde somit zur wichtigsten Aufgabe für den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse unter den besonders komplizierten Bedingungen des internationalen Klassenkampfes zu Ende der fünfziger Jahre. Unter der Losung „Unsere Kultur, eine scharfe Waffe für den Sozialismus" formulierte Alfred Kurella deshalb auf dieser Kulturkonferenz nachdrücklich die Begründung für die Notwendigkeit umfassender kultureller Umstrukturierungen, wenn er die geistig-kulturelle Situation folgendermaßen analysierte: „Unmittelbaren Anlaß zur Einberufung der Konferenz gaben die Kritiken an einigen Erscheinungen unseres Kulturlebens, die auf der 32. Tagung vorgetragen wurden. Allzu viele Dinge gehen ihren alten Trott oder tanzen gar zu unbekümmert aus der Reihe. Unkritisch übernommene bürgerliche, ja dekadente-Kunstauffassungen und -praktiken beeinflussen noch unser Kulturschaffen, und spießbürgerliche Gewohnheiten und Vorurteile belasten vielfach das Kulturbedürfnis der werktätigen Massen, wo doch beide, Werktätige und Kultur272
schaffende, längst als arbeitende Menschen und Staatsbürger mitten im sozialistischen Aufbau stehen und in entscheidenden Fragen sozialistisch handeln, fühlen und denken. In einem Satz: .Unsere Kulturpraxis ist also nicht auf der Höhe dessen, was wir in Wirtschaft und Politik bereits erreicht haben.' " 1 7 Kritisiert wurden vor allem die unzureichende Gestaltung und Aufnahme von Gegenwartsthemen und eine immer noch existierende Autonomiekonzeption in der Literatur, wie sie auf dem IV. Schriftstellerkongreß von einigen Schriftstellern mit Nachdruck vertreten worden war. 18 Öffentlich polemisiert wurde gegen eine Vorstellung vom Künstler als Kulturbringer. Die insbesondere am Beginn der Übergangsperiode häufig vertretene Auffassung von der Kulturrevolution als einer vornehmlich »geistigen Revolution" 19 , die Bildungs- und Erziehungsaufgaben zu lösen habe, hatte Künstler und Schriftsteller zunächst in die Rolle von Aufklärern und Erziehern versetzt. Durch den sich stetig verändernden Charakter der gesellschaftlichen Arbeit unter den neuen Produktionsverhältnissen mußten sich — mit den daraus entstehenden neuen Bedürfnissen der Massen - auch der Funktionsraum der Kunst, die Stellung und Wirkung ästhetischer Ansätze der Schriftsteller ändern, für die nun, konsequenter als je zuvor, die Betonung des Klassencharakters einer sozialistischen Kunst in der Konfrontation mit vielschichtigen bürgerlichen Revisionsversuchen eine neue Wertigkeit erhielt. Die traditionell in Deutschland weitverbreitete Vorstellung vom Dichter als Wegweiser, Lehrer oder Prophet war jetzt vor allem unter dem Aspekt neuer gemeinsamer Wirklichkeitsbeziehungen von Künstlern und. Werktätigen zu korrigieren. Da sich ein solcher Prozeß nicht spontan vollzog, waren konkrete Vorschläge und materielle Garantien für die Schriftsteller schon auf dem V. Parteitag formuliert worden: „Die Leitungen unserer volkseigenen Betriebe sollen durch Freundschaftsverträge und Studienaufträge . . . den Künstlern helfen, sich schneller in der künstlerischen Praxis unseres Lebens zur Kunst des sozialistischen Realismus zu entwickeln."20 Und auch die Aufgabenstellung für die Literatur wurde klar umrissen: „Die Dialektik der Entwicklung erkennen, das Neue fördern, an der Bewußtseinsentwicklung der Menschen mitwirken, das ist jetzt eine der wichtigsten Aufgaben der Genossen Schriftsteller." 21 Kritisiert wurde eine feststellbare Chronistenhaltung unter den Berufsschriftstellern, die energisch aufgefordert wurden, Stellung zu nehmen, Partei zu ergreifen und mit zu handeln. Dabei ging es durchaus nicht nur um die Darstellung des Produktionsbereiches, wie bürgerliche Literaturhistoriker, die Problematik vereinfachend, behaupten. Vielmehr wurde zuerst einmal eine Selbstveränderung des Künstlers angestrebt, der aktiv am Aufbau der sozialistischen Gesellschaft beteiligt ist. In dem Maße, wie davon ausgegangen werden konnte, daß der reale Sozialismus zunehmend von breiten Schichten des Volkes mit seinen Vorzügen und Widersprüchen erfahren und angenommen worden war, konnte sich der Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Partei um den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse stärker auch auf objektiv notwendig gewordene Umstrukturierungen und eine Neuorganisation des Überbaubereiches konzentrieren, in deren Folge sich eine Reihe subjektiv neuer Entwicklungsbedingungen für die Funktionsweisen einer sozialistischen Kunst schon ab Mitte der fünfziger Jahre ergeben hatten. Die These, daß zum endgültigen Sieg sozialistischer Produktionsverhältnisse eine neue sozialistische Kultur für das ganze Volk geschaffen werden muß, war durch die Praxis des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion und einigen volksdemokratischen Ländern bestätigt worden. In der Deklaration der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder, die 1957 im Ergebnis der Moskauer Beratung verfaßt worden war, fand sich die theoretische Verallgemeinerung der Erfahrungen des kultu273
rellen Aufbaus in den sozialistischen Ländern. Erstmalig in einem politischen Dokument der internationalen Arbeiterbewegung wurden hier die „sozialistische Revolution auf dem Gebiet der Ideologie und Kultur und die Herausbildung einer der Arbeiterklasse und der Sache des Sozialismus ergebenen zahlreichen Intelligenz" 22 als eine allgemeingültige, objektive Gesetzmäßigkeit des sozialistischen Aufbaus formuliert. Qualitativ neue Entwicklungsmomente im weltrevolutionären Prozeß und die damit verbundene Stellung der DDR als ein Vorposten des Weltsozialismus in Europa bestimmten nach deren Eintritt in den Warschauer Pakt ihren Platz in der sozialistischen Staatengemeinschaft. Angesichts der Friedensoffensive des XX. Parteitages der KPdSU und bei gleichzeitiger Verschärfung des internationalen Klassenkampfes wurde der Sieg sozialistischer Produktionsverhältnisse in der DDR dadurch immer mehr auch zu einer internationalistischen Verpflichtung. Schon die 3. Parteikonferenz im März 1956 hatte eine Orientierung gegeben auf „die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte durch die Erhöhung der Arbeitsproduktivität auf dem Wege der Meisterung der fortschrittlichen Technik und Ökonomie der Produktion, verbunden mit der Erziehung der Menschen zum sozialistischen Bewußtsein". 23 Aus dieser Einheit von ökonomischer und ideologischer Qualifizierung leitete sich auch die Erarbeitung eines neuen Kulturkonzepts ab, innerhalb dessen die Wirkungsstrategien von Kunst und Literatur neu abzustecken waren. Die Bilanz des bisherigen literarischen Schaffens war auf der 3. Parteikonferenz noch durchgehend positiv ausgefallen. So wurde schon hier eingeschätzt, was später in Bitterfeld eine der erst zu realisierenden Hauptaufgaben war, daß sich immer mehr Künstler „auf die Höhe der Aufgaben" beim Aufbau des Sozialismus erheben. Der IV. Schriftstellerkongreß, der ebenfalls 1956 stattgefunden hatte, wurde anderen Künsten als Beispiel empfohlen. Um so gravierender stellte sich der Einschnitt dar, der sich in der Folgezeit auf Grund der sich verschärfenden ideologischen Auseinandersetzungen mit bürgerlichen und revisionistischen Positionen, aber auch schon mit innersozialistischen Widersprüchen auftat. Die Auswertung des XX. Parteitages, Auseinandersetzungen mit Erscheinungen des Personenkults — vom Gegner mit offenen Diversionsversuchen begleitet - machten in der DDR, ebenso wie in anderen sozialistischen Ländern, allerdings qualitativ sehr unterschiedliche Widersprüche auch auf geistig-kulturellem Gebiet transparent. In Anbetracht der konterrevolutionären Ereignisse in den Volksrepubliken Ungarn und Polen war deutlich geworden, daß die Gefahr konterrevolutionärer Umkehrung sozialistischer Verhältnisse in dieser Phase der Übergangsperiode noch immer nicht endgültig gebannt war. Auf dem V. Parteitag der SED wurde festgestellt, daß es sowohl in der Ideologie als auch in der Kultur zeitweise zu einer rückläufigen Entwicklung gekommen war und daß die Trennung zwischen Kunst und Leben, Künstler und Volk noch nicht als überwunden anzusehen sei. Der Einfluß bürgerlicher Positionsbildungen, aber auch revisionistische Auffassungen zu Grundfragen der Politik 24 wurden als die Hauptursachen bezeichnet, auf die eine im öffentlichen Leben spürbar gewordene Stagnation auch der sozialistischen kulturellen Entwicklung zurückzuführen sei.20 Es war offensichtlich geworden, daß in einem Prozeß sozialistischer Erziehung die materielle und die geistige Kultur zusammengeführt werden mußten. Die schon zu Beginn der fünfziger Jahre konstatierbare Kluft zwischen Kunst und Leben als Relikt bürgerlicher Verhältnisse hatte sich im Zusammenhang mit den konkreten Klassenkampfbedingungen ab Mitte der fünfziger Jahre eher verstärkt, war also noch keineswegs überwunden. Besonders einschneidend hatte sich die Tatsache ausgewirkt, daß die steigenden kulturellen Bedürfnisse breiter Bevölkerungsschichten aus eigener Kraft nicht gedeckt wer274
den konnten und daß das kulturelle Konsumbedürfnis vieler Menschen weitgehend durch die bürgerliche Unterhaltungsindustrie mit befriedigt wurde. Gleichzeitig wurden alte Bedürfnisse neu reproduziert und nach diesem Muster auch wieder neue geweckt. In einer Analyse zu ideologischen Fragestellungen nach 1956 hatte Alfred Kurella betont, dag die Angriffspunkte bürgerlicher Ideologie besonders im kulturellen Alltag Wirksamkeit gefunden hätten, weil die Vorgänge des öffentlichen und privaten Lebens bisher zu sehr dem Selbstlauf überlassen worden wären. Die Schlußfolgerung aus dieser Situationsanalyse war die später auf der Bitterfelder Konferenz geforderte Entwicklung einer eigenen Unterhaltungskultur, der sog. heiteren Muse als Ausdruck sozialistischen Lebensgefühls. In diesen kulturpolitischen Fragestellungen war im Grunde schon das, was in den Begriff des Bitterfelder Weges gekleidet wurde, seit Mitte der fünfziger Jahre vorbereitet worden. Bei allen Überlegungen und Magnahmen zur Entfaltung einer kulturellen Massenarbeit war jedoch der letzte Schritt noch nicht getan: die klassenmäßige Bestimmung des Inhalts einer sozialistischen Volkskultur, die jetzt als Kultur der Arbeiterklasse in ihrer Einheit von geistigen und materiellen Faktoren formuliert wurde. Die führende Rolle der Arbeiterklasse auf diesem Gebiet zu verwirklichen hieß eben auch, die Arbeiter selbst in ihre kulturschöpferische Rolle einzusetzen und entsprechende Organisationsformen im Alltag zu schaffen. Dabei mußte von der Tatsache ausgegangen werden, daß sich das Bewußtsein in der Bevölkerung der DDR differenziert entwickelte und daß große Anstrengungen zu unternehmen waren, überholte Denk- und Verhaltensweisen zu überwinden und kulturelle Interessen neu zu wecken. Auch für »die Leitungen von Partei, Staat und Gewerkschaft (war) die Verantwortung für die Entwicklung auf dem kulturellen Gebiet insgesamt noch nicht zu einem wichtigen und selbstverständlichen Bestandteil ihrer Tätigkeit geworden*.26 Im Vorfeld der Bitterfelder Konferenz wurden nun Probleme einer sozialistischen Grundeinstellung zur Arbeit, zum Staat und zur Gesellschaft auf der Basis eigener Praxiserfahrungen in den Mittelpunkt der Kulturpolitik gerückt. Weitreichende ökonomische und soziale Maßnahmen waren Voraussetzung und Bedingung für die Realisierung einer neuen Etappe der sozialistischen Kulturrevolution. Mit der Erhöhung der führenden Rolle der Arbeiterklasse in der Leitung von Staat und Wirtschaft, dem weiteren Aufbau der sozialistischen Industrie bei Verstärkung der Zusammenarbeit im RGW, der begonnenen und zügig durchgesetzten sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft, also der generell beschleunigten Entwicklung sozialistischer Produktionsverhältnisse, konnte der allgemeine Lebensstandard in den Jahren 1957 bis 1959 sichtbar angehoben werden. Bei gleichbleibendem Lohn wurde die Arbeitszeit 1957 auf 45 Stunden herabgesetzt. Die letzten Lebensmittelkarten konnten im Mai 1958 abgeschafft werden.27 Begleitet wurden diese ökonomischen Erfolge von grundlegenden Entscheidungen zur weiteren Entwicklung der Wissenschaften und zur Erhöhung des allgemeinen Bildungsniveaus. Mit der Einführung der polytechnischen Bildung und Erziehung am 1. September 1958 war ein weiterer wichtiger Schritt zur Verwirklichung der Beschlüsse des V. Parteitages der SED getan worden. Im Rahmen der angestrebten zehnklassigen Oberschulbildung für alle Schüler wurden nun die Voraussetzungen geschaffen, durch die Verbindung von Unterricht und Erziehung mit der Produktion in Industrie und Landwirtschaft das Verständnis für die Rolle des Arbeitsprozesses und die historisch gesellschaftliche Bedeutung der Arbeiterklasse zu erhöhen. Im Januar 1959 kam es zur Verabschiedung der Thesen über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der DDR, die die Aufgabe stellten, „die Schule in qualitativer Hinsicht zur sozialistischen Schule umzuwandeln".28 275
2.
Die erste Bitterfelder Konferenz — Programm und Umfeld
Als sich am 29. April 1959 im Kulturpalast des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld nahezu 300 schreibende Arbeiter, 150 Berufsschriftsteller, Vertreter der Führung der SED und der Regierung, der Hochschulen und Universitäten, der Presse, der Verlage, der Akademie der Künste, des Schriftstellerverbandes und nicht zuletzt der Gewerkschaften zu einer ursprünglich als Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlages geplanten Konferenz trafen, waren weder Zeitpunkt noch Ort ein Zufall. Beides ergab sich als direkte Folge und als Ergebnis eines politischen, ökonomischen und ideologischen Prozesse, in dem sich seit Mitte der fünfziger Jahre die Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus umfassender durchgesetzt hatten. Bitterfeld, der Tagungsort, war das erste Industriezentrum, in dem Kollektive der sozialistischen Arbeit neue Methoden nach dem Vorbild der sowjetischen Brigaden der kommunistischen Arbeit aufgenommen hatten. Hier, von Bitterfeld aus, waren in Auswertung der Beschlüsse des V. Parteitages die ersten Aufrufe zum sozialistischen Wettbewerb ergangen. Unter der Losung „Wir werden auf sozialistische Weise arbeiten, lernen und leben" war die Jugendbrigade „Nikolai Mamai" im Januar 1959 an die Öffentlichkeit getreten und hatte damit den Auftakt zu einer breiten Massenbewegung gegeben. Schon am 7. Oktober 1959 erhielten 103 Kollektive den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit", und gegen Ende des Jahres kämpften bereits annähernd 700 000 Werktätige der DDR in fast 60 000 Kollektiven um diese Auszeichnung.29 Was lag also näher, als dieses Ballungsgebiet erfolgreich funktionierender sozialistischer Organisation der Arbeit nun - ein Jahr nach den für die Kultur so entscheidenden Beschlüssen des V. Parteitages - zum Ausgangspunkt neuer qualitativer Ansätze und Orientierungshilfen für den Fortgang der sozialistischen Kulturrevolution zu machen. Zwei Losungen bestimmten Verlauf und Ausgang der Konferenz. Der ehemalige Wismutkumpel und Schriftsteller Werner Bräunig hatte den Teilnehmern der Konferenz die Losung „Greif zur Feder, Kumpel! - Die sozialistische Nationalliteratur braucht dich!" 30 vorgetragen. Ein zweiter Appell erging an alle Kunstschaffenden, aus ihren Ateliers und Arbeitsräumen, aus den „Künstlerkonventikeln" heraus an die Basis der Produktion zu gehen, um den Sozialismus an seinen Quellen zu studieren. Kollektiv sollte beraten werden, wie sich Künstler und Schriftsteller enger mit den Problemen der sozialistischen Produktion vertraut machen können. Die dem Referat folgende Diskussion - 18 Redner, darunter fünf Arbeiter, meldeten sich zu Wort - hatte vornehmlich zum Inhalt, wie es künftig zu erreichen sei, „daß die Schriftsteller, die Künstler und die Wissenschaftler nicht als seltene Ausflügler in die Betriebe, MaschinenTraktoren-Stationen und Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gehen, sondern daß sie sich dort wie zu Hause fühlen, daß sie ihr Leben und ihre Interessen mit denen des Volkes verbinden". 31 Alfred Kurella hatte als damaliger Leiter der Kommission für Fragen der Kultur beim Politbüro des ZK der SED den Auftrag für das einführende Referat erhalten, dem eine umfassende Ausarbeitung der Kulturabteilung des ZK der SED zugrunde lag. Fast beiläufig schien der Ausgangspunkt seiner Rede mit Begriffen, Bildern und Denkkategorien an ökonomische Prozesse angelehnt. Es war die Rede von „maximalem Zeitgewinn", von „Siebenmeilenstiefeln", von „Weltniveau" und vom „Kompaß". 32 Diese Begriffe seien der adäquate Ausdruck neuer inhaltlicher und zeitlicher Maßstäbe auch für die anstehenden gesellschaftlichen Aufgabenstellungen. Zunächst nur einen „klei-
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nen, den aktivsten Teil unserer Arbeiterschaft und die Gruppen der zentralen Planer bewegend", wären sie nun aber „mehr und mehr zu Denkformen unserer gesamten Bevölkerung" 33 geworden und wirkten auch auf die anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ein. Dagegen kritisierte Kurella eine zum Teil noch unklare Stellungnahme von Künstlern zu den Aufgaben und Problemen am Ende der Übergangsperiode, zur Diktatur des Proletariats und zur führenden Rolle der Arbeiterklasse. Er forderte die Schriftsteller auf, sich weltanschaulich konsequenter mit „dem fortschrittlichsten Denken" zu verbinden und sich dorthin zu begeben, wo „das Leben seinen stärksten Pulsschlag" hat 34 : Kunstfortschritt und Gesellschaftsfortschritt setzte er in ein direktes Abhängigkeitsverhältnis zu dem postulierten Widerspruch zwischen realer Sozialismusentwicklung und gleichzeitig feststellbarer literarisch-künstlerischer Stagnation ja teilweiser Regression. Politisch konkreter Ausdruck der von Kurella vorgezeichneten Perspektive war die Übertragung der „ökonomischen Hauptaufgabe" auch auf den ideologischen Bereich. Die ökonomische Hauptaufgabe, so hieß es im Beschluß des V. Parteitages, „besteht darin, die Volkswirtschaft innerhalb weniger Jahre so zu entwickeln, daß die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung gegenüber der kapitalistischen Herrschaft umfassend bewiesen wird". 33 Die Begründung für diesen Beschluß lag in der historischen Tatsache, daß „die sozialistische Ordnung trotz großer Schwierigkeiten und vieler Probleme in der DDR wie auch in anderen sozialistischen Ländern auf entscheidenden Gebieten bereits die historische Überlegenheit über den Kapitalismus praktisch bewiesen hatte". 36 Jetzt, am Ende der Übergangsperiode, handelte es sich vorrangig darum, diese Überlegenheit auszubauen und auf weiteren Gebieten zu erreichen. Eine der Bedingungen zur Lösung dieser grundsätzlichen Aufgabe war die zielstrebige Entwicklung der gesellschaftlichen Beziehungen und des sozialistischen Bewußtseins aller Bürger. Diese Schlüsselfrage für den Sieg des Sozialismus aufgreifend, traf die Bitterfelder Konferenz die Feststellung, daß es auf der Grundlage der formulierten Aufgaben zu einem bisher nicht gekannten massenhaften Aufschwung der Arbeitsinitiative, ja zur Veränderung der Bewußtseinslage innerhalb der Arbeiterklasse gekommen sei und daß damit eine „echte Wandlung . . . begonnen" 37 habe - eine Wandlung, die sich besonders in den Zentren der industriellen Produktion, dort, wo sich die realen Umwälzungen am deutlichsten vollzogen hätten, zeige. Ausdruck dafür sei auch, so führte Alfred Kurella aus, daß sich die Beziehung von persönlicher Verantwortung der Werktätigen für das Ganze, wie sie sich vor allem im sozialistischen Wettbewerb um den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit" realisierte und von hier aus auch auf das kulturelle Leben ausstrahlte, zugleich auf andere Bereiche übertrage. Alle Schriftsteller, die sich zu Wort meldeten, 38 bekannten sich zu den neuen ideologischen Anforderungen und Erwartungen, die an die Literatur gerichtet waren, wiesen aber auch deutlich auf noch bestehende ideologische und organisatorische Probleme der bisherigen Praxis bei der Verwirklichung kulturpolitischer Beschlüsse des V. Parteitages hin. Gegen eine Tendenz, die Schriftsteller „wie Vertreter für jedes ideologische Bedürfnis" anzusehen, die man über den Schriftstellerverband „wie aus einem Versandhaus" 39 herbeizitiert, wandte sich energisch Erwin Strittmatter als Vorsitzender des Verbandes. Die Autoren dürften nicht weiterhin von verschiedenen Institutionen wie eine Art „Festonkel" für alle anfallenden aktuellen Bedürfnisse ausgewählt werden. Bisher waren etwa 20 Schriftsteller dem Aufruf des V. Parteitages „Künstler in die Betriebe" gefolgt. Ideologische Schwierigkeiten und Hemmnisse verschiedenster Art hatten bewältigt werden müssen, und nicht wenige Diskussionen über die Effek277
ti vi tat derartiger Unternehmungen waren innerhalb des Verbandes geführt worden. Max Zimmering, Direktor des Instituts für Literatur „Johannes R. Becher", verwies in seinem Diskussionsbeitrag auf eine Reihe hemmender Faktoren bei der praktischen Durchsetzung der Kulturkonzeption des V. Parteitages. Er polemisierte gegen eine formale und am Ende unproduktive Arbeit von Schriftstellern in den Betrieben. So waren fast alle Absolventen des Instituts unmittelbar der Aufforderung der SED gefolgt und in die Betriebe gegangen. Dort bot man ihnen zuerst einmal an, z. B. als Archivare zu arbeiten. Max Zimmering schlug vor, daß dieser oder jener Betrieb doch Planstellen für Schriftsteller einrichten solle, wo der Schriftsteller dann mit dem Lohn eines Facharbeiters „dem Parteisekretär oder dem BGL-Vorsitzenden drei Tage zur Verfügung* stehen würde, um die „anderen drei Tage für die Auswertung der Lebenserfahrung, die er im Betrieb sammelt", verwenden zu können/' 0 In dem Teil der Diskussionsbeiträge, die von meist schon künstlerisch tätigen Arbeitern oder Kulturfunktionären gehalten wurden, überwogen Erfahrungsberichte über bereits funktionierende Verbindungen von Kunst und Produktion. Von der Konferenz wurden vor allem Hinweise erwartet, wie man weiterhin im Betrieb kulturpolitisch arbeiten könne, „um noch größere Produktionstaten zu vollbringen". 41 Der Literatur wurde ein breites Spektrum von Funktionen übertragen: z. B., wie sie auf die Freizeitgestaltung der Arbeiter intensiver Einfluß nehmen müßte, um die ständig einwirkende bürgerliche Ideologie auf die Denk- und Lebensweise breiter Schichten effektiver als bisher bekämpfen zu können. Das Spektrum der an die Literatur gestellten Erwartungen reichte im Grunde von direkter Lebenshilfe über Probleme der Unterhaltung bis zum Beistand bei der Ausräumung von ideologischen Unklarheiten in Tagesfragen. Das Buch stand im Mittelpunkt als hauptsächlichstes Kommunikations- und quasi „Lebensmittel". Literatur und Kunst sollten einen weit größeren Einfluß, als das bisher der Fall gewesen war, auf die Erziehung und Bildung, „auf die Vertiefung des sozialistischen Bewußtseins und auf die Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten" 42 «ausüben.
3.
Neue kulturpolitische Organisationsweisen
Eine unmittelbare Wirkung der Vorschläge und Beschlüsse, die auf der ersten Bitterfelder Konferenz gemacht worden waren, zeigte sich zunächst weniger in der künstlerischen Produktion selbst, dem immittelbar erwarteten literarischen Reagieren und Einwirken auf die sozialen Prozesse, als vielmehr in der grundsätzlichen Umgestaltung des gesamten literarischen Lebens, in der Neuorganisation der Beziehungen zwischen Produktion, Rezeption und Distribution künstlerischer Erzeugnisse. Hier haben sich nach der Bitterfelder Konferenz die einschneidendsten Veränderungen vollzogen. Erste praktische Maßnahmen waren unter dem Aspekt der Abgrenzung von der bürgerlichen Kulturindustrie schon seit 1957 eingeleitet worden. Durch die Organisation eines neuen Systems der Literaturpropaganda und des Literaturvertriebes wurden hier erste Ansätze für ein breiteres literarisches Kommuiiikationsfeld geschaffen. Stärker als bisher wurde die Programmgestaltung des Rundfunks beeinflußt, und die Veranstaltungen der Deutschen Konzert- und Gastspieldirektion sahen sich einer intensiveren gesellschaftlichen Kontrolle unterstellt. Alle schon vorhandenen Formen der kulturellen und künstlerischen Massenarbeit wurden nach der Kulturkonferenz von 1957 — konsequent aber erst mit der ersten Bitterfelder Konferenz - enger an die tägliche ideologische und politische Arbeit der SED gebunden. Man suchte und realisierte
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neue soziale und territoriale Strukturen kultureller Einrichtungen. Zur Neuorganisation der Produktions-, Vermittlungs- und Rezeptionsbedingungen, zur Unterstützung sozialistischer Funktions- und Wirkungsweisen von Literatur und Kunst, zur Förderung der Bewegung schreibender Arbeiter wurde nach der Bitterfelder Konferenz mit der Umstrukturierung des gesamten literarischen Produktions- und Verteilungsapparates begonnen. Literaturfördernde und -verbreitende Institutionen erhielten weitaus mehr Unterstützung als zuvor. Die verschiedensten Kulturkommissionen, bis hinunter zu den Kreisebenen, nahmen ihre Arbeit auf. Materielle und ideelle Förderungsmaßnahmen unterschiedlicher Art wurden eingeleitet, um alle vorhandenen Reserven zu mobilisieren. Im November 1959 kam es erstmals zur Verleihung des Kunstpreises der DDR. Den ebenfalls 1959 zum ersten Mal vergebenen Literaturpreis des FDGB erhielten Arbeiterschriftsteller wie Hans Marchwitza, Otto Gotsche, Regina Hastedt, Hasso Grabner, Jochen Koeppen und Jupp Müller. Im Jahre 1960 wurde der Preis neben Nachwuchsschriftstellern erstmalig auch schreibenden Arbeitern verliehen. Die Preisträger waren Hans Jürgen Steinmann, Benno Voelkner, Günter Görlich, Günter Glante, Eva Damm, Rolan^l Eisenmenger, Werner Barth und Günter Schabowski. Eine wichtige organisatorische Rolle hatte die Gewerkschaft übernommen, indem sie sich intensiver als bisher in die kulturellen Massenprozesse einschaltete. So wurde der FDGB Träger vieler wichtiger Veranstaltungen der kulturellen Massenarbeit, wie z. B. der ab 1959 stattfindenden Arbeiterfestspiele. Die Statistiken des Verlagswesens, des Buchhandels und der Bibliotheken wiesen seit Ende 1957 ein sprunghaftes Ansteigen aller Kennziffern aus. Das Buch ist wieder zu „einem wichtigen Faktor der Massenbildung" geworden, schlußfolgerte Alfred Kurella in seinem Bitterfelder Referat. Eine Analyse der am meisten gelesenen Literatur ergab allerdings, daß nur wenige der „fortschrittlichen Bücher sozialistischen Inhalts eine unmittelbare Beziehung zu den großen geistigen, moralischen, ideologischen Vorgängen besitzen, die sich gegenwärtig in unserer Gesellschaft abspielen".43 Das bedeutete konkret: Zugunsten von Gegenwartsthemen im weiteren Sinne, wie antifaschistischer Widerstand, zweiter Weltkrieg, Befreiung und erste Nachkriegsperiode, wurden Bücher mit den „eigentlichen Gegenwartsproblemen . . .", wie die Kämpfe an den Schwerpunkten des sozialistischen Aufbaus, in der Großindustrie, bei der Lösung des Chemieprogramms, der LPG, bisher nur von einem kleinen Kreis von Autoren, vorwiegend sehr jungen Nachwuchsschriftstellern, behandelt. 44 Zu den am meisten gelesenen Büchern der Jahre 1957 bis 1959 gehörten folgende Titel, bei denen sich die Auflagenhöhe offenbar auf die tatsächlichen Leserzahlen stützte: Nackt unter Wölfen von Bruno Apitz, Arzt aui drei Kontinenten von Allan Gordon, Die Leute von Karvenbruch und Die Bauern von Karvenbruch von Benno Voelkner, Roheisen von Hans Marchwitza, Frühlingsstürme von Owetschkin, Die weiße Birke von Bubbenow, Tag im Nebel von Annemarie Reinhard, Der Ketzer von Naumburg und Der Sohn der Hexe von Rosemarie Schuder. Diese Bücher rangierten mit einer Gesamtauflage von 40 000 bis zu einer Mill. Exemplaren an der Spitze des Leserinteresses. Weiterhin verzeichneten die Verlage eine wachsende Nachfrage nach klassischen Werken. Scholochows Der stille Don, John Reeds Zehn Tage, die die Welt erschütterten oder Andersen Nexös Ditte Menschenkind gehörten in hohen Nachauflagen schon zum Repertoire auf der Liste der am meisten verbreiteten Bücher. Diese von der Quantität her beeindruckenden Zahlen sagen jedoch wenig über die tatsächlich vorhandenen Schwierigkeiten aus, die bei der Überwindung kleinbürgerlicher Bedürfnisse zu bewältigen waren. Transparent waren diese Probleme besonders seit Mitte der fünfziger Jahre im Verlags- und Bibliothekswesen geworden. Zu Beginn 19
Übergangsperiode
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des Jahres 1959 gab es die kritische Einschätzung: „Bei der Diskussion um unsere neue Literatur, bei der öffentlichen Wertung des Erschienenen, bei der Ermittlung dessen, was das Publikum lesen will oder lesen sollte, bei der Auseinandersetzung mit den Autoren, damit sie die benötigte neue Literatur schreiben - bei alledem tritt die Arbeit der Verlage meist nur wenig ins Blickfeld der Aufmerksamkeit." 45 Welches waren die Hintergründe für diese Kritik? Die in der Öffentlichkeit häufig betonten »objektiven" Schwierigkeiten, wie mangelhafte Papierversorgung, die ungenügende Anzahl der bisher eingereichten Manuskripte neuer sozialistischer Literatur und Rentabilitäts-Überlegungen, verdeckten oft noch vorhandene Vorbehalte gegenüber einer sozialistischen Aufgabenstellung seitens der Verlage. Es war eine Tatsache, daß sich die auf dem V. Parteitag erarbeiteten Leitsätze über die allgemeine sozialistische Bewußtseinsbildung und speziell über die festgelegten Aufgaben der Verlage aus den verschiedensten Gründen in der Praxis bisher nur zögernd durchgesetzt hatten. Schon die Kulturkonferenz von 1957 hatte für das Verlagswesen Maßnahmen zur sozialistischen Produktion und Planung vorgeschlagen und die Verlage darauf vororientiert, sich entschiedener dem Leben der Werktätigen, den Problemen des sozialistischen Aufbaus und der nationalen Frage zuzuwenden. Wie notwendig es war, die thematische Planung und Auswahl der Titel grundsätzlicher als bisher unter dem Aspekt des gesellschaftlichen Nutzens für den Aufbau des Sozialismus zu stellen, verdeutlichen einige Produktionszahlen der Verlage. Bücher, die sich mit Gegenwartsthemen befaßten - wobei Gegenwartsthematik die Aufnahme von Stoffen aus der Zeit nach 1945 im weitesten Sinne bedeutete - , hatten in den zurückliegenden Jahren einen außerordentlich geringen Anteil an der Gesamtproduktion der Verlage besessen. Das heißt: Vom Jahre 1952, in dem Themen aus dem sozialistischen Alltag noch 29 Prozent der Produktion ausmachten, sanken die Zahlen kontinuierlich bis 1956 auf 19 Prozent; 1957 gab es keine bezifferten Angaben, und 1958 war mit 16 Prozent ein Tiefpunkt allerdings gemessen an einer absolut bedeutend gestiegenen Produktion gegenüber 1952 - erreicht worden. 1959 nun wurde die Einschätzung getroffen, daß „inzwischen jene Flucht der Autoren in eine unverbindliche" Thematik oder in die „Historie (oder gar ihr Schweigen, das sie als ,schöpferische Krise' deklarierten) und auch das Ausweichen der Verlage vor unseren Problemen bei gleichzeitiger Verbreitung von Werken der bürgerlichen Dekadenz im wesentlichen überwunden" sei.415 Daß es sich bei der sicher berechtigten Kritik am Verlagswesen dennoch nicht allein um Unvermögen oder schlechthin revisionistische Einflüsse gehandelt hatte, zeigten einige Maßnahmen nach 1956, die schrittweise eine neue sozialistische Verlagspolitik vorbereiten halfen. Das am 11. Februar 1958 von der Volkskammer beschlossene Gesetz zur Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates ergab zugleich für alle Verlagsleitungen notwendige strukturelle Veränderungen. Für die ideologische und kulturpolitische Leitung wurde im Ministerium für Kultur eine Abteilung Literatur und Buchwesen geschaffen, deren wesentliche Aufgaben in der Verordnung über die Entwicklung fortschrittlicher Literatur vom 16. August 1951 enthalten waren. Zur ökonomischen Leitung und Sicherung der Funktionsfähigkeit der volkseigenen Verlage wurde eine Vereinigung volkseigener Verlage gebildet und diese dem Ministerium für Kultur unterstellt. Erich Wendt, der verdienstvolle proletarischrevolutionäre und sozialistische Verleger, wurde zum Stellvertreter des Ministers für Kultur berufen und nahm in dieser Funktion bedeutenden Einfluß auf die weitere sozialistische Entwicklung des Verlagswesens. 1958 kam es auch zu einem Beschluß über die Verbesserung der Arbeit der literaturverbreitenden Institutionen, der erstmalig eine einheitliche Anleitung auf allen Gebieten der Literaturentwicklung und Literatur-
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Verbreitung gewährleistete. Damit sollten vordringlich kulturpolitisch gelenkte Proportionen in der Herausgabe der bewußtseinsbildenden Literatur, einschließlich einer exakt geplanten Nachauflagenpolitik, gesichert werden. Die Gründung von 25 Literaturarbeitsgemeinschaften auf allen wichtigen Literaturgebieten garantierte außerdem ein straffes organisiertes System zentraler Leitung und Planung, das dazu beitragen konnte, die gesamte Editionspolitik noch stärker als bisher auf die gesellschaftlichen Erfordernisse und Bedürfnisse einzustellen. Zudem wurde im Zeitraum von 1956 bis 1958 eine Reihe neuer Verlage gegründet, unter anderem der VEB Enzyklopädie in Leipzig, das Unternehmen Seven Seas Publishers zur Verbreitung englischsprachiger Literatur und der Domowina Verlag für die sorbische nationale Minderheit. Neue Anforderungen an das Verlagswesen hatten sich auch aus dem Aufbau der zehnklassigen polytechnischen Oberschule ergeben. Die vom Ministerrat am 30. Juni 1960 beschlossenen „Grundsätze zur weiteren Entwicklung des Systems der Berufsausbildung in der DDR" erforderten von den Fachverlagen, besonders vom Verlag Volk und Wissen, in kürzester Zeit viele neue, den künftigen gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung tragende Lehrbücher und Lehrmaterialien herauszugeben. Ein Widerspruch bestand zwischen den Bedürfnissen und Forderungen der Werktätigen und den bisher tonangebenden Mitteln der kulturellen Befriedigung. Neu eingeführte Formen des Bildungswesens, wie die Dorfakademien, wurden als Wege erprobt, die kulturrevolutionären Prozesse zu beschleunigen. Die Forderung, das Buch zum wirklichen „Lebensmittel" zu machen und dementsprechend neue Publikationsformen zu finden und zu entwickeln, fand breiten Widerhall. Operative Formen, wie Erstveröffentlichungen in Zeitschriften nach sowjetischem Muster, mehr öffentliche Lesungen und Diskussionen, wurden von vielen Gremien vorgeschlagen. Besonderes Augenmerk wurde der Förderung von Kinder- und Jugendliteratur geschenkt, denn sie war bisher noch ein Stiefkind der Verlagsproduktion. Das allgemeinbildende Bibliothekswesen, also die öffentlichen Bibliotheken, das sich mit seinem Bestand und seinen Methoden der Literaturerschließung und -Vermittlung an die breiten Massen, an Kinder und Jugendliche - eigene Kinderbibliotheken wurden 1959 eingerichtet — ebenso wie an Erwachsene wandte, konnte nach eigener Einschätzung zu Beginn des Jahres 1959 „die Versorgung der Bevölkerung mit Literatur" noch nicht in dem Umfange sichern, „wie es zur Entwicklung des lesenden Arbeiters, zur Vollendung der Kulturrevolution auf dem Lande nötig wäre".47 Interessant bleibt dennoch, in welchem Maße Literatur bereits zu einem Bestandteil des Alltags geworden war. Im Jahre 1958 hatte sich die Zahl der Bibliotheken gegenüber den Anfängen von 1947 (nach der Säuberung der Bestände von faschistischer und militaristischer Literatur) nahezu vervierfacht. Zwei Mill. Leser mit einer Jahresausleihe von 42,9 Mill. Bänden bedeuteten nicht nur einen quantitativen Zuwachs - hinter diesen Zahlen verbargen sich grundlegende strukturelle Veränderungen. Im Jahre 1959 verfügten rund 97 Prozent aller Gemeinden in der DDR über allgemeine und öffentliche Bibliothekseinrichtungen. 4456 allgemeinbildende Bibliotheken wurden in den Betrieben von der Gewerkschaft geleitet.48 Oftmals gingen von dort die ersten Initiativen zu Literaturdiskussionen und zur Erprobung neuer Formen der Literaturpropaganda aus. Das gesamte Feld öffentlich ausgetragener Kunst- und Literaturdiskussionen hat sich nach der ersten Bitterfelder Konferenz erweitert. Gegen eine vorhandene Tendenz von „Scheindiskussionen" und für eine Gleichberechtigung von Wissenschaft und Kunst setzten sich Schriftsteller und Gesellschaftswissenschaftler ein.49 Anregungen zur Ausarbeitung einer Theorie der Wirkungsforschung wurden zum Gegenstand von Debatten.50 Einen zentralen Punkt des wissenschaftlichen Meinungsstreits bildete das 19*
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Problem des offenen Schlusses in der Gegenwartsepik als legitimer Möglichkeit einer leseraktivierenden Literatur. Gefordert wurde eine genauere Beachtung der differenzierten Leserbedürfnisse, und öffentlich polemisiert wurde gegen eine Tendenz von tolerierender Selbstzufriedenheit der Literaturkritik, wenn sie die bloße Einbeziehung des Produktionsbereiches als einen Erfolg des Bitterfelder Weges feierte.51 Gerade diese häufig verabsolutierte Orientierung des künstlerischen Schaffens auf die unmittelbarste Gegenwartsthematik als Schwerpunkt für die Weiterentwicklung der sozialistischen deutschen Nationalliteratur erwies sich längerfristig als Verengung und Vereinseitigen, die der Lösung neuer und weitergesteckter Aufgaben nicht mehr gerecht werden konnten.
4.
Die Bewegung schreibender Arbeiter — Praxis und Programmatik
Der Beschlug zur besonderen Förderung der Bewegung schreibender Arbeiter stand auf der Bitterfelder Konferenz im Mittelpunkt der Beratungen. Mit ihm war die Absicht verbunden, unmittelbaren Einfluß auf ein zu erhöhendes Kulturniveau der Arbeiterklasse zu gewinnen. Er orientierte darauf, die bestehende Bewegung der lesenden Arbeiter weiterzuentwickeln und sie durch die schreibenden Arbeiter zu ergänzen. Rasche Erfolge konnten anfangs besonders in großen Industriebetrieben verbucht werden. Bereits existierende Zirkel traten nun erstmals an eine größere Öffentlichkeit. Die gesellschaftlichen Organisationen und Einrichtungen, wie der FDGB, der Kulturbund, die Bezirkskabinette, Klubhäuser, Schulen und Universitäten sowie die Verlage, begannen sich nach der ersten Bitterfelder Konferenz unverzüglich als Träger dieser Bewegung zu engagieren, unterstützten die Arbeit der Zirkel finanziell und organisatorisch und strebten eine qualitativ hochstehende Anleitung der Zirkelarbeit an.52 Unterschiedlichste Funktionsvorstellungen und Wirkungsstrategien existierten in der allgemeinen gesellschaftlichen Verständigung über die Bewegung schreibender Arbeiter nebeneinander. Nach Auffassung Otto Gotsches bildeten die schreibenden Arbeiter den Grundstock für eine zukünftige sozialistische Nationalliteratur. Bereits zwei Jahre nach der ersten Bitterfelder Konferenz sah er in dieser Bewegung die neue Schriftstellergeneration heranwachsen.53 Gegenüber der Idee von einer notwendigen Erneuerung der Literatur durch die Permanenz der Bewegung schreibender Arbeiter äußerten sich viele Schriftsteller dahingehend, daß sie die Arbeitsergebnisse und literarischen Beiträge der Bewegung hauptsächlich als authentisches Wirklichkeitsmaterial und Rohstoff für schriftstellerisch zu verarbeitende Themen ansahen.55 Eine gesellschaftliche Hauptaufgabe der Bewegung wurde besonders in der Presse hervorgehoben. Betont wurde dort deren politisch orientierter Charakter, der darin bestünde, „den sozialistischen Menschen mit zu erziehen"55 und „durch die Kraft des künstlerischen Wortes den sozialistischen Menschen formen zu helfen".56 So vielschichtig die gesellschaftlichen Funktionsvorstellungen von der Bewegung schreibender Arbeiter waren, so unterschiedlich waren auch ihre sozialen Wirkungsmöglichkeiten. Die so traditionsreiche Bewegung schreibender Arbeiter hatte mit der ersten Bitterfelder Konferenz eine entscheidende Erneuerung und Erweiterung ihres Wirkungsradius erfahren. Zurückgegriffen werden konnte auf die Erfahrungen der Arbeiterkorrespondentenbewegung und die Arbeiter-Feuilleton-Korrespondenz nach dem sowjetischen Vorbild der zwanziger Jahre. Schwierigkeiten bei dem in die Praxis umzusetzenden Programm traten aber auf, wenn versucht wurde, die überlieferten 282
Muster und Funktionsweisen einer frühen proletarischen Literatur einfach auf das Ende der Übergangsperiode transponieren zu wollen. Viele der publizistischen Aktivitäten und praktischen Initiativen hinsichtlich des Umgangs mit dem proletarisch-revolutionären Erbe waren an bestimmte Schwerpunkte gebunden.37 Es wurden vorrangig solche Erfahrungen mobilisiert, „in denen sich das historisch gewachsene Bündnis von Partei und Künstlern manifestierte, sowie solche, die von der Integration der künstlerischen Arbeit in die Parteiarbeit, also der Durchsetzung des Leninschen Prinzips der Parteiliteratur, zeugten".58 Die veränderten Kampfbedingungen erforderten neue Formen und Methoden. Vereinfachende Vorstellungen von anzustrebenden Wirkungsweisen einer proletarischen Literatur führten folgerichtig zu Diskussionen, in denen der Befürchtung Ausdruck gegeben wurde, daß nun wieder Proletkulttendenzen Vorschub geleistet werden könnte. Richtig war, daß mit der gerechtfertigten Annahme eines die materiellen Werte schaffenden Arbeiters, der unter sozialistischen Produktionsverhältnissen auch eine neue Gedanken- und Gefühlswelt entwickeln würde, häufig überspannte Erwartungen an die Literatur gestellt wurden. Oftmals auch wurde die Losimg „Greif zur Feder, Kumpel!" als reine Kampagne der SED aufgefaßt und rückhaltlos unterstützt, ohne daß nach inhaltlichen Konsequenzen gefragt worden wäre. So wird die Reaktion von Arbeitern eines großen Industriebetriebes folgendermaßen beschrieben: „Ihr wollt schreibende Arbeiter haben. Hier sind wir! Fördert uns, sagt, was wir schreiben sollen und wo wir es veröffentlichen können."59 Schließlich aber konnte es nicht darum gehen, „Stoßarbeiter der Literatur"60 aus künstlerisch interessierten Arbeitern zu machen, und es konnte - auf Grund der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse - keine „Literarisierung der Lebensverhältnisse, welche der sonst unlösbaren Antinomien Herr wird"61, mehr zur Diskussion stehen. Gegen solcherart einseitige Auslegungen und Funktionsvorstellungen wandten sich 1961 auf dem V. Schriftstellerkongreß Kulturpolitiker und Schriftsteller. Alfred Kurella hatte, sich auch auf seine schon auf der Kulturkonferenz von 1960 gemachten Äußerungen berufend, dafür plädiert, das Hauptaugenmerk auf die Entwicklung einer sozialistischen Literatur in aller Vielfalt und Differenziertheit zu lenken. Anna Seghers interpretierte die eigentliche Produktivität dieser kulturpolitischen Orientierung vor allem als Hilfe zur Selbstverständigung der Arbeiter über ihre eigenen Arbeits- und Lebensbedingungen, denn „sich ihrer . . . bewußt (zu) werden und zugleich sie darstellend", könnten sie „anderen gründlich bewußt"62 gemacht werden. In der Alltagspraxis hatte die Bewegung schreibender Arbeiter - neben grundsätzlich richtigen und produktiven Ansätzen - jedoch häufig den Charakter von Stoßaktionen angenommen. Zirkel wurden oft übereilt gebildet, um schneller der kulturpolitischen Orientierung entsprechen zu können. Sie endeten dann oft in einem „rein statistischen Zustand", wie Erwin Strittmatter dies beschrieb.63 Leistung und Grenze der Konzeption wurden sichtbar. Unter der Losung „Erstürmt die Höhen der Kultur" waren viele Arbeiter zum ersten Mal künstlerisch tätig geworden. Die damit verfolgte kulturpolitische Absicht war es, ein traditionelles Bildungsprivileg auch auf künstlerischem Gebiet mit brechen zu helfen oder wenigstens sich dessen bewußt zu werden. Vor allem die Literatur sollte die Aura des Exklusiven für die breiten Massen verlieren, und ihre Mittel sollten zu diesem Zweck überschaubar gemacht werden. Hervorzuheben ist auch, daß Kunst und Literatur hauptsächlich über die Bewegung schreibender Arbeiter - zunächst „von oben" und zögernd eingeführt - seit der ersten Bitterfelder Konferenz zu einem festen Bestandteil des sozialistischen Wettbewerbs in den Brigaden geworden sind, wodurch viele Werktätige angeregt wurden, sich selbst 283
künstlerisch-schöpferisch zu erproben. Damit eng zusammenhängend, existierte das überall geförderte Bemühen, das allgemeine ästhetische Urteilsvermögen zu erweitern. Hinzu kommt, daß die kulturelle Betätigung einer großen, zunehmenden Zahl Werktätiger nicht nur zu einem tieferen Verstehen der Kunst, sondern auch zu anspruchsvolleren kulturellen Bedürfnissen führte. Die Kunst war seit Bitterfeld zu einem öffentlichen Anliegen geworden. Wenn aber aus diesem revolutionären Ansatzpunkt sofort die Gleichstellung von „professioneller" Kunst und dem volkskünstlerischen Schaffen als Ziel gestellt wurde, mußten die Ansprüche die Möglichkeiten übersteigen, zumal die Aneignung künstlerischer Fähigkeiten oftmals abstrakt über das methodologische Vorbild des klassischhumanistischen Erbes gesetzt wurde. Natürlich konnte das Erbe verschiedenste Funktionsfelder abdecken. Die führende Rolle der Arbeiterklasse bei der Herausbildung einer sozialistischen Nation war nicht ohne ein neu anzueignendes Nationalbewußtsein zu erreichen. Zudem war mit dem Bezugspunkt „klassisches Erbe" ein wesentlicher Faktor im antiimperialistischen Kampf gegeben - nicht zuletzt, um ein entstehendes neues Nationalgefühl zu stärken. Als ästhetisches Konzept schien es geeignet, auf eine „große" Literatur im Sinne Bechers zu orientieren, auf eine Literatur, die Weltanschauung und Geschichte gleichzeitig transportieren konnte. Als gemeinsamer Anknüpfungspunkt für die Verwirklichung humanistischer Ideale und Ideen war es f ü r eine Bündniskonzeption mit den Mittelschichten und Intellektuellen ein wesentlicher Bezugspunkt. Außerdem war die Wirksamkeit einer breit rezipierten klassisch-humanistischen Literatur auf breiteste Publikumsschichten garantiert, weil sie vor allem auf ein schon vorhandenes Rezeptionsverhalten traf. Komplikationen brachten allerdings die Ausschließlichkeit und die ständig propagierte Vorbildhaftigkeit der Anwendung immer dann, wenn das Erbe zum Maß für die Darstellung neuer Inhalte eingesetzt wurde. Von heute aus betrachtet, kann die Bedeutung der Bewegung schreibender Arbeiter nicht allein an ihren am Ende der Übergangsperiode veröffentlichten literarischen Arbeiten gemessen werden. Ein Urteil, das nur von der Fülle ästhetisch unbewältigter Produkte, von der häufig anzutreffenden Tendenz der Illustrierung von politischen Leitsätzen und Losungen ausgeht, muß ebenso einseitig ausfallen wie eine Wertung, welche allein die generelle Breite der Bewegung, deren kulturpolitischen Nutzen und propagandistisch effektvollen Wirkungsaspekt ins Feld führt. Zu beachten sind vielmehr der tatsächliche soziale Wirkungsraum der Bewegung und ihre literarischen Beiträge, die sich einordnen in die Bemühungen um die Herausbildung einer sozialistischen deutschen Kultur und Lebensweise.
5.
Programm kontra Praxis?
Hanns Eislers Resümee im Jahre 1962, drei Jahre nach der ersten Bitterfelder Konferenz, war: „Der ,Bitterfelder Weg' hat mit allem was er gesagt hat - und ich bin nicht mit allem einverstanden — immerhin etwas gemacht. Er hat die Kultur in unserer jungen Republik zuerst einmal klassenmäßig gesetzt. Das heißt, er hat die Arbeiterklasse neu eingesetzt in Kunstempfänger und auch Kunstproduzenten. Das zweite ist etwas fraglich. Aber die ganze Konzeption ist eine völlig richtige. Man kann nicht im Sozialismus leben und vom Sozialismus in der Kultur schwätzen, ohne etwas Praktisches zu machen. Der ,Bitterfelder Weg' ist mit seinen Schwächen ein Weg, ein Beginn, der - sagen wir - passabel ist." 64
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Eisler benannte in dieser kurzen Zusammenfassung Stärke und Schwäche eines Programms, dessen Ausgangspunkt in seiner Einheit von Ökonomie, Kultur und Ideologie konsequent auf eine gesamtgesellschaftliche Aufgabenstellung orientiert hat und Kultur und Kunst in diesen Prozeß einzureihen versuchte. Eine historische Aufgaben^ Stellung. Einer von heute aus vorgenommenen Wertung und Würdigung der Ziele, Leistungen und Probleme, die sich mit und nach der ersten Bitterfelder Konferenz in der kulturpolitischen Praxis herauskristallisiert hatten, sind mehrere Sachverhalte zugrunde zu legen. Der Bitterfelder Weg diente der marxistisch-leninistischen Partei als kulturpolitisches Konzept in einer politisch genau fixierten Klassenkampfsituation der DDR in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre: Als Teil eines umfassenden strategischen Gesamtkonzepts mit der bestimmenden Aufgabenstellung, den Aufbau sozialistischer Produktionsverhältnisse entschieden zu beschleunigen und die Übergangsperiode abzuschließen und zu überschreiten, ergaben sich für die kulturelle Entwicklung langfristig und strategisch veränderte Orientierungspunkte. Dabei wurden - ähnlich wie in der Ökonomie - „die Planziffern von sieben mal sieben Jahren" auf die Kulturpolitik übertragen. Diese Tatsache verweist zugleich auch auf ein anderes wichtiges Moment des Bitterfelder Programms: eine erwartete direkte ideologische Einflußnahme auf die Massen über die Kunst und besonders über die Literatur. Die Aufforderung an die Schriftsteller, sich intensiver mit den Problemen des sozialistischen Alltags auseinanderzusetzen und auf diese Weise gemeinsam mit den schreibenden Arbeitern die sozialistischen Produktions- und Lebensverhältnisse zu fördern, beweist eine derartige Annahme unmittelbarer Wirkungsmöglichkeit von Literatur auf das gesellschaftliche Bewußtsein. Aus diesen Funktionsaspekten langfristig strategischer und tagespolitischer Aufgaben ergab sich in der Praxis des Bitterfelder Programms eine Reihe von Widersprüchen. Auf der ersten Bitterfelder Konferenz waren die meisten Forderungen und viele Vorschläge ein Ausdruck lange offener Problemstellungen, deren Lösung erst zu diesem Zeitpunkt angestrebt werden konnte. Die SED hatte schon seit 1949 die Kunst in den notwendigen Prozeß geistiger und ideologischer Umformung eines Massenbewußtseins integriert. Dabei war von Anfang an betont worden, daß eine der Grundvoraussetzungen für die Wirksamkeit der Kunst die aufzuhebende Trennung von Kunst und Leben ist, daß der Künstler sich eine solide Kenntnis der „Entwicklung des wirklichen Lebens"65 aneignen müsse. Das wesentliche Ziel des Bitterfelder Programms bestand darin, die durch die kapitalistische Gesellschaft überlieferte Trennung zwischen Kunst und Leben, Künstler und Volk auf der Grundlage sozialistischer Produktionsverhältnisse zu überwinden. Die Leninsche Zielstellung, daß die „Kunst zum Volke und das Volk zur Kunst" kommen muß, war eine Leitidee. Jetzt, am Ende der Übergangsperiode, konnte erstmals auf die Realisierung einer umfassenden sozialistischen Kulturkonzeption orientiert werden. Man ging nicht mehr einseitig von einer notwendig zu vollziehenden Sozialisierung der Künste aus, sondern strebte eine Veränderung der gesamten Lebensweise des Volkes an, deren Träger die Arbeiterklasse als politisch führende Klasse, aber auch als Produzent der materiellen Werte und der sozialen Verkehrsformen der sozialistischen Gesellschaft sein sollte. Das konnte erst'zu einem Zeitpunkt geschehen, als die Arbeiterklasse in ihrer Mehrheit bewußt am Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung teilnahm, die materielle Produktion zu leiten gelernt hatte und die hier erworbene Eigentümerhaltung auch als kulturellen Besitzanspruch artikulieren konnte. Das war, aus historischer Sicht betrachtet, in einem relativ kurzen Zeitraum geschehen, denn: „Aus dem Arbeiter, der im kapitalistischen Deutschland nur ein Objekt der reaktionären Kulturpolitik der herrschen-
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den Klasse war, dem mit geringen Ausnahmen die kulturellen Güter der Nation bis vor kaum anderthalb Jahrzehnten verschlossen waren, die Schätze der Weltliteratur vorenthalten wurden, wird immer mehr ein Mensch, der schöpferisch an der Weiterentwicklung unseres gesamten kulturellen Lebens Anteil nimmt."66 In dieser Bestimmung des Proletariats als Träger und Gestalter, als Motor der sozialen Entwicklung wurde mit der Bitterfelder Konzeption eine veränderte Wirkungsstrategie von Kunst und Kultur begründet, und es konnten neue inhaltliche Aufgaben formuliert werden. Kunst und Kultirr wurden direkt aufgefordert, mitzuhelfen, die Arbeiterklasse auch im breiten Bewußtsein zum Subjekt der Geschichte zu machen. Und speziell der Literatur war aufgetragen, mit ihren spezifischen, persönlichkeitsbildenden Mitteln der Arbeiterklasse zu helfen und sie zu befähigen, den historischen Prozeß einer gesamtgesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung auf höherer Stufe mit zu bestimmen. Im Grunde handelte es sich darum, die Vorherrschaft sozialistischer Ideen im gesamten Raum geistiger Kultur aufzurichten und zu sichern - für alle Gebiete der Wissenschaften, für alle „Grundlagen höherer Bildung, in Moralauffassungen und -prinzipien, in den Künsten, im allgemeinen ,Kulturbewußtsein', schließlich für Konzeptionsbildungen in Bereichen materieller Kultur . . .*67 Die erzieherische Funktion sozialistischer Literatur wurde damit in eine bisher nicht erreichte Nähe zu den Produktionsverhältnissen gerückt, und die künstlerische Produktion sah sich mit neuen Aufgabenbereichen in den gesamten Prozeß kultureller Entwicklung integriert. Das heißt, die Produktion begann, in neuer Weise „als Selbstverwirklichung des Menschen" Gegenstand der Kunst zu werden, „statt Milieu oder Hintergrund für ,Ewig-Menschliches' "®8 zu sein. Durch die Bitterfelder Konferenz wurde auch sinnbildlich mit der Tradition gebrochen, daß ein kleiner Kreis von Schriftstellern und Künstlern die kulturellen Belange der Gesellschaft beriet. Jetzt trafen sich Künstler mit Vertretern gesellschaftlicher Organe sowie mit Vertretern der Arbeiterklasse, um in gemeinsamer Beratung den heranwachsenden neuen Bedürfnissen der Arbeiterklasse besser gerecht werden zu können. Dabei wurde die Literatur nicht nur in ihrem Reflex auf sich vollziehende Veränderungen angesprochen, sondern auch aufgerufen, sich als einen unmittelbaren Faktor, als gesellschaftlichen Produzenten zu begreifen. Die literarische Wirkungsstrategie wurde erweitert bis hin zur Einflußnahme auf das Zusammenleben der Menschen. Die Literatur war aufgefordert, aktiv mitzuhelfen, neue sozialistische Verhaltensweisen zu manifestieren, denn es mußte immer noch damit gerechnet werden, daß das Bewußtsein breiter Massen von traditionellem Denken beeinflußt war. Die Notwendigkeit, alle einzubeziehen, schloß auch ein, breite Massen weiterhin erzieherisch zu beeinflussen. Die didaktische Komponente blieb neben neuen Elementen des Wirklichkeitsaufschlusses durchaus erhalten, denn permanentes Initiieren eines vollständig zu vollziehenden Lernprozessen zielte ab auf Verhaltensveränderung beim Leser oder Rezipienten von Kunst allgemein. Besonders der Literatur wurde auf der ersten Bitterfelder Konferenz eine hohe gesellschaftliche Verantwortung übertragen: „Die ideologische Umwandlung wird schneller gehen, wenn uns die Schriftsteller, die Künstler dabei helfen, und sie wird langsamer gehen, wenn sie uns nicht helfen."69 Aus dieser Erwartungshaltung gegenüber der Kunst resultierte in gewisser Weise auch eine Überschätzung ihrer tatsächlichen Wirkungsmöglichkeiten, wenn z. B. einem einfachen Ursache-Wirkung-Mechanismus zufolge angenommen wurde, daß sich die Hebung des kulturellen Niveaus direkt auf die Produktion auswirken würde, auf deren schnelleres Wachstum und auf 286
die Qualität ihrer Erzeugnisse.70 Dieses Moment, das der Bitterfelder Konzeption auch innewohnte und das in utilitaristischer Weise die Kunst vordringlich nach ihrem Nutzen bei der Lösung bestimmter täglicher ökonomischer Aufgaben befragte, geriet schon zu Beginn der sechziger Jahre zunehmend ins Kreuzfeuer von Diskussionen.71 Ausgangspunkt war die im Schlußwort der Konfeirenz formulierte Erwartung: „.. .indem der Schriftsteller das Neue in der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft künstlerisch gestaltet, begeistert er die Menschen für die Erfüllung hoher Aufgaben. Er bringt ihnen das Neue zu Bewußtsein und trägt zu größeren Leistungen und gleichzeitig zur Beschleunigung der Entwicklung bei." 72 Dieser Vergleich von künstlerischer Tätigkeit und materieller Produktion drückt in seiner Forderung jenes UnmittelbarkeitsVerhältnis aus, das in der kulturellen und vor ailem auch in der literarischen Praxis eine Reihe von Widersprüchen aufbrechen ließ. Einmal dort, wo teilweise versucht wurde, die Veränderung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse über Ideologie, über Literatur und Kunst zu transportieren - solange sie nicht in der materiellen Produktion zu verwirklichen war. Aus dieser Erwartungshaltung resultierten auch gewisse Tendenzen, die Literatur zu überfrachten. Sicherlich kann man in Auswertung dieser Sachverhalte nicht im nachhinein den Bitterfelder Weg zu einer »rein literarischen Bewegung" stilisieren.73 Dagegen sprechen die seither in Angriff genommenen und teilweise rigorosen praktischen Umwandlungen der gesamten kulturellen Verhältnisse bis hin zur Veränderung der Lebensweise. Dennoch ist es richtig festzustellen, daß Konzept und kultureller Alltag zuweilen getrennt wurden durch ein in Reden und Äußerungen zu sehr hervorgehobenes literarisches Element in der Annahme, Literatur sei am leichtesten zu rezipieren und auch zu produzieren gegenüber den anderen künstlerischen Gebieten, wie der Musik zum Beispiel, von der Hanns Eisler sagte, daß das „Belehren in der Musik leider nicht so einfach (ist) wie in der Literatur".74 Die Beiträge der Schriftstellerin Regina Hastedt und des Bergarbeiters Sepp Zach wurden als die Orientierungspunkte für viele anstehende Probleme hervorgehoben: „Sie haben gezeigt, wie sich der Schriftsteller in der neuen sozialistischen Epoche entwickelt, . . . im Kampf um die Lösung der neuen Probleme . . . im Betrieb, . . . im Kampf um die Lösung der Produktionsaufgaben."75 Regina Hastedts Bericht über ihren Weg zum Arbeiter Sepp Zach, mit dessen Hilfe sie begann, ihre eigene Arbeit mit seinen Augen zu sehen, weil sie auch seine Arbeit im Schacht aus eigenem Erleben besser zu verstehen gelernt habe, war als Produktionsbericht über einen entstehenden Roman angelegt gewesen und von der Beratung als „der Weg des Schriftstellers der neuen Zeit"76 angenommen worden. Sepp Zach bestätigte, daß sich die Arbeiter durch die Hilfe der Schriftstellerin mehr Klarheit über den zurückgelegten Weg verschafft hätten. Der Hintergrund dieser überhöhten Auffassung von der Existenz eines gesellschaftlichen Mechanismus, der die Arbeiter immer enger mit der Literatur verbindet und die Schriftsteller immer mehr mit der Produktionsarbeit vertraut macht, wurde hier besonders deutlich. Auf die Aufhebung der Trennung von Kunst und Leben zielend, wurde dieses Anliegen hier verabsolutiert, weil die mögliche und wahrnehmbare Funktion der Literatur als Mittler, ihre Wirkungspotenz als Verbindungsglied zwischen Basis und Überbau überbewertet und später zunehmend vereinseitigt wurde. Schon in Vorbereitung der Bitterfelder Konferenz war in vielen Reden und Artikeln sichtbar geworden, daß es beim damals erreichten Stand des sozialistischen Aufbaus um mehr gehen mußte als darum, die Schriftsteller an die materielle Produktion und die Arbei287
ter an die schriftstellerische Produktion heranzuführen. Ziel der koordinierten Aktionen war es vielmehr, die Kultur aus einer gewissen Exklusivität herauszuführen, in der historisch vor allem die Bedürfnisse einer privilegierten Klasse befriedigt worden waren. Hermann Kant konnte erst mit dem Abstand von über zehn Jahren, auf dem VII. Schriftstellerkongreg, und nicht zuletzt mit einem deutlichen Seitenblick auf die harte Wirklichkeit des Bitterfelder Weges dieses „Problem erster Ordnung", nämlich die Verbindung der Literatur mit den Lebensinteressen und den literarischen Bedürfnissen der Arbeiterklasse, in neuer Weise qualifizieren. In Richtimg auf den Austausch von Erfahrungen und beiderseitigen Angeboten sowie gegen noch vorhandene hemmende Nachwirkungen wandte er sich gegen Vereinfachungen: „So können sich die Beziehungen zwischen Arbeiterklasse und Schriftsteller nicht in Äugerungen von Wohlwollen hin und Ergebenheit her ausdrücken; diese Beziehungen müssen auf dem gegenseitigen Einverständnis beruhen, dag beide unterschiedliche Teile eines gemeinsamen Ganzen sind, dag beide sich selber und einander Leistungen abverlangen, dag jeder des anderen bedarf und der Sozialismus auch so intakt ist wie das Verhältnis zwischen Literatur und Arbeiterklasse oder Arbeiterklasse und Literatur."77 Die wirklich produktiven und längerwirkenden Ansätze der Bitterfelder Beratungen aber lagen vielmehr dort, wo man gemeinsam beriet, welche neuen Formen und Methoden gefunden werden mugten, um das kulturelle Leben für breite Massen zu beleben. Gesucht wurde nach Wegen, wie man den in der Arbeiterklasse noch vorherrschenden passiven Kunstgenug aktivieren und am effektivsten die eigene künstlerische Betätigung organisieren könnte. Hier wurden erstmals Fragen aufgeworfen, die das allgemein erst zögernd sich durchsetzende gesellschaftliche Verständnis eines weiter als bisher gefagten Kulturbegriffs berührten. Wenn nach der ersten Bitterfelder Konferenz mehr die künstlerische als die Gesamtheit der Kulturpolitik ins Zentrum von Diskussionen geriet, so lag das nicht zuletzt an der Doppelfunktion, die Kunst und Kultur in der sozialistischen Gesellschaft der Übergangsperiode in der DDR auszuüben hatten. So war vordringlich die Literatur unter den konkreten Klassenkampfbedingungen an zwei Funktionsweisen gebunden, die sich aus den mit dem revolutionären Prozeg in der DDR verbundenen Aufgaben und aus denjenigen ergaben, die mit den damaligen Zielstellungen im Kampf gegen den Imperialismus der BRD zusammenhingen. Es wurde eine Zielstellung formuliert, in der die Literatur die Funktion zugewiesen bekam, das „Gesicht des guten Deutschen mitprägen zu helfen".78 „Selbstverständlich brauchen wir dieses Tempo der ideologisch-kulturellen Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik nicht etwa nur, um das Leben der Werktätigen schöner zu gestalten und deshalb, weil der Sozialismus nicht anders zum Sieg geführt werden kann, sondern auch, weil wir auf allen Gebieten der Kultur die absolute Überlegenheit gegenüber Westdeutschland in den nächsten Jahren unter Beweis stellen müssen. Das gilt für alle Zweige der Kunst."79 Grundsätzlich war die Ausarbeitung des Bitterfelder Programms insofern ein revolutionärer Vorgang, als er die Kultur aus dem traditionellen Verständnis ihrer geistigseelischen Bereiche herausgelöst und in die materielle gesellschaftliche Produktion integriert hat. Gleichzeitig wurde die vorgenommene Akzentuierung sozialistischer Aufgaben als Voraussetzung für neu zu schaffende Funktionsräume und Wirkungsweisen der Literatur aus einem seit 1956 formulierten Konzept einer sozialistischen Nationalliteratur begründet. Der internationale Aspekt sozialistischer Kulturrevolution wurde dabei zeitweise vernachlässigt. 288
Seit dem VIII. Parteitag der SED sind viele Fragen einer veränderten Literaturfunktion angesichts der sich schnell wandelnden gesellschaftlichen Zusammenhänge differenzierter diskutiert worden. Dennoch sind die meisten dieser Fragen nicht gänzlich abzeichneten. Es erwies sich als notwendig, bestimmte Konzeptionen - so auch Bezug abgeleitet denn nach 1971 sind Entwicklungen erweitert und aktiviert worden, die sich schon mit Beginn der sechziger Jahre, dem Ende der Übergangsperiode, deutlich abzeichneten. Es erwies sich als notwendig, bestimmte Konzeptionen - so auch die des Bitterfelder Weges - an der sich verändernden Praxis zu überprüfen und, wo nötig, auch die politische und wissenschaftliche Terminologie zu verändern. Ein „maßvollerer Gebrauch* des Begriffs „Bitterfelder Weg" hat nichts mit einer „Verabschiedung von der Sache zu tun".80 Um das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft für den entwickelten Sozialismus zu bestimmen, reicht es nicht mehr aus, dies vordringlich unter dem Gesichtspunkt ihrer aus dem Kapitalismus überlieferten Trennung von Kunst und Leben und deren Überwindung zu tun. Heute geht es um die Gesetzmäßigkeiten und Erfahrungen unserer eigenen geschichtlichen Entwicklung und speziell um die Rolle der Künste als Moment der Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebensprozesses im Sozialismus. Im Grunde hat sich seitdem ein neuer Typ vom sozialistischen Schriftsteller in der DDR herausgebildet, der die Literatur der sozialistischen Gesellschaft in neuer Weise repräsentiert. Seit Beginn der sechziger Jahre sind Bücher, deren Stoffe die sozialistische Wirklichkeit zum Inhalt haben, bestimmend in unserer Literatur. Zugleich hat sich das allgemeine Rezeptionsverhalten gewandelt. Kaum mehr umstritten ist heute, daß Literatur nicht unbedingt und unmittelbar an einen bestimmten Gegenstand, wie „Arbeit", „Arbeiterpersönlichkeit" oder schlechthin „Leben", gebunden ist, sondern allgemeiner an die Fähigkeit, „soziale Erfahrungen zu organisieren".81 Kaum mehr wird allein eine identifikatorische Aktivität des Lesers erwartet. Vielmehr bestimmt das Angebot zur Partnerschaft und zur Diskussion mit dem mündigen Leser die Art des Schreibens. „Was darin an Bitterfelder Forderung bleibt, ist die Richtung auf die Arbeiterklasse."82 Anmerkungen 1 Hager, Kurt, Die entwickelte sozialistische Gesellschaft. Aufgaben der Gesellschaftswissenschaften nach dem VIII. Parteitag der SED, Berlin 1971, S. 49. 2 Vgl. Prokop, Siegfried, Entwicklungslinien und Probleme der Geschichte der DDR in der Endphase der Übergangsperiode und beim beginnenden Aufbau des entwickelten Sozialismus (1957-1963), Diss. B, Berlin 1978, S. 234. 3 Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß, Berlin 1978, S. 399. 4 Kant, Hermann, Unsere Worte wirken in der Klassenauseinandersetzung. Rede auf dem VII. Schriftstellerkongreß, Protokoll, Berlin und Weimar 1973, S. 41. 5 Sander, Hans-Dietrich, Geschichte der Schönen Literatur in der DDR. Ein Grundriß, Freiburg 1972, S. 181. 6 Blumensaht, Heinz/Uebach, Christel, Einführung in die Literaturgeschichte der DDR, Stuttgart 1975, S. 63 ff. 7 Nohara, Erik, Diskussion um das Kulturverständnis. In: Deutschland-Archiv Köln, 1975, Heft 1, S. 73. 8 Zipes, Jack, Bertolt Brecht oder Friedrich Wolf? Zur Tradition des Dramas in der DDR. In: Literatur und Literaturtheorie in der DDR. Hg. v. Peter Uwe Hohendahl und Patricia Herminghouse, Frankfurt/Main 1976, S. 209. 9 Autorenkollektiv sozialistischer Literaturwissenschaftler Westberlin: Zum Verhältnis von
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Ökonomie, Politik und Literatur im Klassenkampf, Berlin(West) 1971, S. 200 ff. 10 Greiner, Bernhard, Die Literatur der Arbeitswelt in der DDR, Heidelberg 1974, S. 16. 11 Schönauer, Franz, DDR auf dem Bitterfelder Weg. In: Neue Deutsche Hefte. Hg. v. Joachim Günther, 109,1,1960, S. 92. 12 Trommler, Frank, DDR-Erzählung und Bitterfelder Weg. In: Basis-Jahrbuch f ü r deutsche Gegenwartsliteratur, 1972, H. 3, S. 61 ff. 13 Franke, Konrad, Die Literatur der DDR, München 1974, S. 106 ff. 14 Brettschneidet, Werner, Zwischen literarischer Autonomie und Staatsdienst, 2., verb. u. erg. Ausgabe, Berlin(West), 1972, S. 63. 15 Geschichte der SED, a. a. O., S. 378. 16 Vgl. Hörnigk, Therese, Thema Krieg und Faschismus in der DDR-Literatur. In: Weimarer Beiträge, 1978, H. 5. 17 Kurella, Alired, in: Neues Deutschland, Ausgabe B, 23. 10. 1957, S. 4. •18 Vor allem Stefan Heym hatte auf dem Kongreß dafür plädiert. 19 Selbmann, Fritz, Reden und Tagebuchblätter, 1933-1947, Dresden 1947, S. 63. 20 Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der SED, Bd. 2, Berlin 1953, S. 1359. 21 Ebenda. 22 Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder, die vom 14. bis 16. November 1957 in Moskau stattfand, Berlin 1958, S. 14. 23 Protokoll der Verhandlungen der III. Parteikonferenz der SED, Berlin 1956, S. 60 f. 24 Über die innerparteiliche revisionistische Tätigkeit gibt ausführlich Auskunft: Klassenkampf - Tradition - Sozialismus, a. a. O., S. 649 f. 25 Später wurden die Ursachen für das kulturpolitische „Zurückbleiben" nicht mehr auf die revisionistischen Einflüsse allein zurückgeführt, auch der Personenkult um Stalin wurde genannt. Vgl. Kultur in unserer Zeit. Zur Theorie und Praxis der sozialistischen Kulturrevolution in der DDR. Kollektivarbeit unter Ltg. v. Prof. Horst Keßler und Dr. Fred Staufenbiel, Berlin 1965, S. 112. In der Geschichte der SED wird verallgemeinernd festgestellt, da ß auf geistig-kulturellem Gebiet „der ideologische Klärangsprozeß sehr kompliziert und differenziert verlief". Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 372. 26 Schierz, Heinz, Neue Kunst - Neue Wege, Erfahrungen bildender Künstler nach Bitterfeld, Berlin 1967, S. 139. Die Lösung der Aufgabe, in der DDR in absehbarer Zeit den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus zu vollenden, hing eng mit der Notwendigkeit der Entfaltung eines sozialistischen Bewußtseins bei breiten Massen zusammen. Die Schwierigkeiten hatten sich nicht allein bei den nichtproletarischen Schichten offenbart, sondern in der Arbeiterklasse selbst, die auf Grund der historischen Bedingungen verschiedenartigste Strukturveränderungen erfahren hatte. Solche Faktoren wie der Abgang geschulter Kader in den Partei- und Staatsapparat, das Eindringen nichtproletarischer Elemente in die Arbeiterklasse und damit die Reproduktion kleinbürgerlichen Bewußtseins werden in den zeitgenössischen Diskussionen häufig genannt. 27 Siehe auch den Beitrag von Horst Barthel in diesem Band. 28 Klein, Helmut, Polytechnische Bildung und Erziehimg in der DDR, Reinbek 1964, S. 48. 29 Siehe auch den Beitrag von Gottfried Dittrich in diesem Band. 30 Unter diesem Titel sind auch die Konferenzmaterialien veröffentlicht worden. Der Aufruf erinnert an Wladimir Majakowskis „Sendschreiben an die proletarischen Dichter" aus dem Jahre 1926, in dem es heißt: „Unsere Aufgabe: Poesie aus dem Boden zu stampfen ist gigantisch. Frisch angesetzt das Schreibgerät." Zit. nach: Situation 66. Zwanzig Jahre Mitteldeutscher Verlag Halle (Saale). Verlag für deutsche Literatur, Halle 1966. S. 5. 31 Kurella, Altred, Vom neuen Lebensstil. Referat. In: Greif zur Feder, Kumpel. Protokoll der Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlages Halle (Saale), Halle 1959, S. 8. 32 Ebenda, S. 8. 33 Ebenda, S. 9. 34 Ebenda, S. 17. 290
35 Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 2, Berlin 1959, S. 1357. 36 Geschichte der SED, a. a. O., S. 379. 37 Kurella, Alired, a. a. O., S. 10. 38 Es sprachen Bräunig, Grabner, Strittmatter, Hastedt, Marchwitza, Bredel, Zimmering. 39 Strittmattet, Erwin, in: Greif zur Feder, Kumpel, a. a. O., S. 50. 40 Zimmering, Max, in: ebenda, S. 93. 41 Busch, Hans, in: ebenda, S. 23. 42 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 398. 43 Kurella, Altred, a. a. O., S. 11. 44 Ebenda. 45 Kaiser, Helmut, Was versprechen unsere Verlage für 1959. In: Neue Deutsche Literatur (im folgenden: NDL) (1959), H. 1, S. 117. 46 Ebenda, S. 118. 47 Schwarz, Lisgreth, Wie sieht unser allgemeinbildendes Bibliothekswesen aus? In: NDL (1959), H. 6, S. 148. 48 Ebenda. 49 Joho, Woltgang, In eigener Sache oder was für eine Literatur wir brauchen. I n : NDL (1962), H. 8, S. 3. 50 In: Aktuelle Aufgaben der Germanistik nach dem XXII. Parteitag der KPdSU und dem 14. Plenum des ZK der SED. In: Weimarer Beiträge, (1962), S. 248. 51 Koch, Hans, Der Schreibende Arbeiter und der Schriftsteller. In: NDL (1959), H. 12, S. 10. Vgl. auch Wolt, Christa, Beitrag auf der Konferenz junger Schriftsteller in Halle. In: NDL (1962), H. 8, S. 134. 52 Es dauerte einige Zeit, bis alle zuständigen Organe und Leitungen einen umfassenden Überblick über die von ihnen zu verantwortenden Zirkel erhielten. Die Analyse über die Bewegung schreibender Arbeiter im Bezirk Karl-Marx-Stadt, angefertigt zur Vorbereitung der ersten Republikkonferenz schreibender Arbeiter 1963, vermittelt eine in ihren Angaben repräsentative Aussage über die Zusammensetzung, die Zahl und die Arbeitsweise der Zirkel. So existierten im Bezirk Karl-Marx-Stadt zu Beginn der sechziger Jahre 33 Zirkel, von denen zwei schon vor 1959 bestanden hatten. Unmittelbar nach der ersten Bitterfelder Konferenz waren sieben Zirkel ins Leben gerufen worden. Im Jahre 1961 entstanden dann 21 neue Zirkel schreibender Arbeiter. Insgesamt hatten sich 340 Mitglieder eingetragen. Davon waren 117 Arbeiter, 150 Angestellte, vier Bauern, 64 Hausfrauen und der Rest Schüler, Studenten und Rentner. 18 Schriftsteller bzw. Nachwuchsautoren betreuten die Zirkelarbeit künstlerisch. 53 Cotsche, Otto, Ich schreibe . . . Arbeiter greifen zur Feder. Vorwort, Bd. 1, Berlin und Halle 1960, S. 66. 54 Strittmatter, Erwin, Brief an Nyota Thun vom 12. 11. 1959. 55 Handbuch für schreibende Arbeiter. Hg. v. Ursula Steinhaufen, Dieter Faulseit, Jürgen Bonk, Berlin 1969, S. 99. 56 Geisthardt, Hans Jürgen, Was soll der schreibende Arbeiter gestalten? In: Neues Deutschland, Ausgabe B, Berlin, 22. 10. 1960, Beilage Kunst und Literatur. 57 Vgl. Klatt, Gudrun, Proletarisch-revolutionäres Erbe — revolutionäre Praxis. In: Problemfeld DDR-Literatur, Berlin 1979. Ein besonderes Interesse fand z. B. die Agitprop-Tradition. Gleichzeitig nahm die operative Lyrik und Prosa der zwanziger Jahre einen großen Raum ein. Dabei konzentrierte sich das Interesse vorrangig auf die „Probleme der Darstellung der kämpfenden Arbeiterklasse und der Möglichkeiten von Literatur, in die politischen Auseinandersetzungen einzugreifen". 58 Ebenda. 59 Zit. nach Radetz, Walter, Über Zirkel schreibender Arbeiter. In: Junge Kunst, 1960, H. 1, S. 68. 60 Der Begriff „Stoßarbeiter in die Literatur" wurde von Sergej Tretjakow Ende der zwan-
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ziger Jahre geprägt Gemeint war eine Initiative zur Herstellung eines neuen Verhältnisses zwischen Schriftsteller und Leser, indem das Berufsbild des Schreibenden sich ändere. „Er müsse seine Beziehungen zum sozialistischen Aufbau aus der verbreiteten Kontemplativität herausführen in die Operati vität." Vgl. Mierau, Fritz, Erfindung und Korrektur. Tretjakows Ästhetik der Operativität, Berlin 1976, S. 23. Den gleichen Begriff verwandte Alfred Kurella auf dem V. Schriftstellerkongrefj 1961, wo er davor warnte, die Fehler, die in der Sowjetunion in den frühen Jahren in dieser Hinsicht begangen worden waren, zu wiederholen. Benjamin, Walter, Schriften, Bd. 1, Frankfurt/Main 1955, S. 384. Seghers, Anna, Die Tiefe und Breite in der Literatur. Deutscher Schriftstellerkongrefj, Berlin 1961, S. 49. Strittmatter, Erwin, a. a. O., S. 117. Eisler, Hanns, Gespräche mit Hans Bunge. Fragen Sie mehr über Brecht. Übertr. u. erl. v. Hans Bunge, Leipzig 1975, S. 316. Zit. nach Für eine sozialistische deutsche Kultur. Hg. v. Marianne Lange, Bd. 2, Berlin 1960, S. 319. Ulbricht, Walter, Fragen der Entwicklung der sozialistischen Literatur und Kultur. I n : Greif zur Feder, Kumpel, a. a. O., S. 95. Koch, Hans, Kulturpolitik in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1976, S. 24. Müller, Heiner, Sechs Punkte zur Oper. In: Theater der Zeit, 1970, H. 3, S. 18. Ulbricht, Walter, Fragen der Entwicklung . . . , & . a. O., S. 101. Eine solche Konzeption gipfelte zum Beispiel 1959 in der Meinung, daß durch die kulturellen Initiativen der Kubaschen „Störtebeker"-Massenspiele auf Rügen die Ernteerträge im Bezirk Rostock erheblich gesteigert werden konnten. Schriftsteller wie Paul Wiens, Harald Hauser, Franz Fühmann und auch der Kulturtheoretiker Hans Koch sprachen sich in verschiedensten Beiträgen der Fachzeitschriften (NDL und Weimarer Beiträge der Jahrgänge 1962 und 1963) gegen die genannten Tendenzen aus. Ulbricht, Walter, Fragen der Entwicklung . . . , a. a. O., S. 9. Wie es die Meinung des Autorenkollektivs sozialistischer Literaturwissenschaftler Westberlins ist. Hanns Eisler hat 1962 diese Funktionssetzung der Kunst als eine »Zurücknahme" bezeichnet in dem Sinne, „daß die Kunst in bestimmten Phasen des Klassenkampfes eine praktizistische Funktion annehmen muß, indem sie ganz unmittelbaren gesellschaftlichen Bedürfnissen untergeordnet wird. Wir brauchen Kartoffeln, also - eine Kartoffel-Kantate. Wir brauchen bestimmte Produktionssteigerungen, also - Komponisten und Dichter, schreibt Lieder, Gesänge und Kantaten, um unsere Produktion zu steigern!" Eisler, Hanns, Fragen Sie mehr über Brecht. Gespräche mit Hans Bunge, Leipzig 1975, S. 238. Ulbricht, Walter, Fragen der Entwicklung . . ., a. a. O., S. 100 ff. Ebenda. Protokoll des VII. Schriftstellerkongiesses, Berlin 1973, S. 41. Wagner, Siegfried, Auf dem Bitterfelder Weg weiter voran. In: Einheit, 1963, H. 2, S. 74. Ulbricht, Walter, Fragen der Entwicklung . . ., a. a. O., S. 102. Hager, Kurt, Die entwickelte sozialistische Gesellschaft, a. a. O., S. 49. Schlenstedt, Dieter, Wortmeldung. Gedanken nach der Lektüre der regarde sur la prose actuelle de la RDA, 1976, unveröff. Ms., S. 19. Ebenda.
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SIEGFRIED PROKOP
Zur Rolle der Erfahrungen der UdSSR und anderer sozialistischer Länder für die erfolgreiche Bewältigung von Grundprozessen während der Endphase der Übergangsperiode in der DDR
In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre prägten sich in der UdSSR und in den anderen RGW-Ländern die Vorzüge der neuen gesellschaftlichen Ordnung weiter aus. Während in der Sowjetunion der vollständige und endgültige Sieg des Sozialismus heranreifte, wurde in den meisten anderen Ländern cfie Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus abgeschlossen, bzw. stand der Abschluß unmittelbar bevor. In dieser Etappe leiteten die RGW-Länder solche qualitativ neuen Maßnahmen wie die multilateralen Plankoordinierungen ein. Der Ausbau der sozialistischen Militärkoalition, die 1955 in Warschau gegründet worden war, verstärkte das Verteidigungspotential des Sozialismus und führte zur Vertiefung der Zusammenarbeit auf allen Gebieten. Kraftvoll und dynamisch vollzog sich mit der UdSSR als Kern die Formierung der im RGW und im Warschauer Vertrag verbundenen sozialistischen Länder als einer internationalen Gemeinschaft neuen Typs. Diese und andere Faktoren bewirkten die weitere Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses zugunsten des Sozialismus. Die Moskauer Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien von 1957 unterstrich, daß der Hauptinhalt der Epoche im weltweiten Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus besteht, der von der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution eingeleitet wurde. Die Kampferfahrungen der KPdSU und der anderen Bruderparteien verallgemeinernd, wurden erstmals die allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus geschlossen formuliert.1 Zugleich wurde die Notwendigkeit der schöpferischen Anwendung dieser Gesetzmäßigkeiten betont: „Die kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder müssen strikt am Prinzip der Verbindung der allgemeingültigen Wahrheit des MarxismusLeninismus mit der konkreten Praxis der Revolution und des sozialistischen Aufbaus in ihren Ländern festhalten, müssen die allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus schöpferisch auf die konkreten Verhältnisse in ihren Ländern anwenden, voneinander lernen und ihre Erfahrungen austauschen."2 Für die politischen Entscheidungen der kommunistischen Parteien erhielt damit auch die Beachtung von revolutionären Stimmungen und revolutionären Erfahrungen ein größeres Gewicht. Die Geschichte lehrte, daß vor allem kleinbürgerliche Kräfte dazu neigten, revolutionäre Stimmungen als „Neuheit" oder „Seltenheit" zu empfinden und solche Stimmungen politischen Entscheidungen zugrunde zu legen. Selbstverständlich stellten revolutionäre Stimmungen der Massen in jeder Revolution ein wichtiges Element dar. Aber, so schrieb Lenin, „schwere, blutige Erfahrungen" zeigten, „daß die
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revolutionäre Taktik auf revolutionärer Stimmung allein nicht aufgebaut werden kann".3 In zahllosen Klassenkämpfen hatte sich gezeigt, daß die Strategie und Taktik der Partei der Arbeiterklasse nur dann mit Erfolg durchgesetzt werden konnte, wenn diese auf einer nüchternen, streng objektiven Einschätzung der inneren und äußeren Lage des betreffenden Landes sowie „auf der Berücksichtigung der von den revolutionären Bewegungen gesammelten Erfahrungen" aufbaute.4 Der bulgarische Historiker V. Hadzinikolov definiert die Kategorie Erfahrung wie folgt: „Die Erfahrung ist . . . eine Gesamtheit von Wechselwirkungen zwischen dem gesellschaftlichen Subjekt und der objektiven Wirklichkeit und gleichzeitig damit auch ein Ergebnis dieser Wechselwirkungen. Die Erfahrung umfaßt ein genaues System von bewußter und geprüfter Information über die Wirklichkeit, aber auch alle möglichen Methoden, Verfahren, Formen und Mittel, um darauf zu reagieren, um sie zum Nutzen des Menschen zu verändern und umzugestalten. In diesem Sinne ist die Erfahrung unmittelbar mit der gesellschaftlich-historischen Praxis der Menschen verbunden."5 Davon ausgehend scheint es geraten, den in der Literatur mitunter verwischten Unterschied dieser Kategorie zur Kategorie der Zusammenarbeit, die sich zwischen den Bruderländern und -parteien vollzieht, zu betonen, wobei natürlich die vielfältigsten Wechselbeziehungen zwischen beiden nicht aus dem Auge verloren werden dürfen. Die UdSSR, die als erstes Land den Weg zum Sozialismus bahnte und den Aufbau des Kommunismus begann, verfügt über die umfassendsten und erfolgreichsten Erfahrungen. Die KPdSU erwarb ihre Erfahrungen nicht leicht. Sie mußte als erste Partei einen unbekannten und unerforschten Weg in soziales und historisches Neuland beschreiten. Dabei galt es, alle Formen des heimtückischen und äußerst hartnäckigen Widerstandes der alten Welt des Kapitalismus zu überwinden. Die KPdSU verteidigte den Leninschen Plan des sozialistischen Aufbaus im scharfen Kampf gegen die Trotzkisten, rechten Opportunisten, Chauvinisten und Nationalisten. Die SED ließ sich bei der Auswertung des reichen Erfahrungsschatzes des ersten sozialistischen Landes der Welt und seiner Vorhut, der KPdSU, nie von „Augenblickserwägungen" oder von »spezifischen Situationen" leiten.6 „Indem die SED bei ihrer Strategie und Taktik von den allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus ausging, indem sie stets die Erfahrungen der Sowjetunion und der anderen Bruderländer berücksichtigte", hob Erich Honecker hervor, „vermochte sie, erfolgreich voranzuschreiten.*7 Dabei ging die SED stets von der Dialektik von Allgemeinem und Besonderem aus. Nur durch die konsequente Beachtung des Spezifischen ließen sich die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten durchsetzen. Indem die SED es verstand, die allgemeingültigen Lehren des Roten Oktober schöpferisch auf die konkreten Bedingungen der DDR anzuwenden, „leistete sie ihren Beitrag zur Schatzkammer des Marxismus-Leninismus".8 Bürgerliche Historiker, rechte und „linke" Revisionisten waren und sind bemüht „nachzuweisen", daß die Erfahrungen der UdSSR beim sozialistischen und kommunistischen Aufbau national bzw. historisch begrenzt seien und entwickelten Industrieländern wie der DDR nicht als Muster und als Beispiel dienen können. Auf diese Weise wird versucht, das Wirken der allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten in Abrede zu stellen.9 Dabei wird die historische Tatsache geleugnet, daß kein Land, das den Aufbau des Sozialismus mit Erfolg verwirklichte, dies ohne Nutzung des Erfahrungsschatzes der KPdSU hätte erreichen können. Derartige Angriffe verleihen den Erfahrungen der KPdSU in jeder Etappe eine ständige theoretische und praktische Aktualität. 294
Die wachsende Bedeutung des Bruderbundes DDR/UdSSR führte in den letzten Jahren dazu, daß sich marxistisch-leninistische Historiker verstärkt diesen Fragen und Problemen zuwandten. Stand anfangs die Untersuchung von Grundfragen der ersten Nachkriegsjahre im Vordergrund,10 so wurden in letzter Zeit auch jüngere Perioden und spezifische Probleme in die Forschung einbezogen.11 Die Fortschritte bei der Erforschung der Geschichte der SED führten dazu, dag nunmehr konzeptionelle Grundlinien der Anwendung sowjetischer Erfahrungen in der DDR bis in die Gegenwart ausgearbeitet sind.12 Ein besonderes Gewicht kommt in diesem Zusammenhang dem Abriß der Geschichte der SED zu, weil in diesem Werk die bisherigen Forschungsergebnisse verarbeitet wurden und die schöpferische Anwendung der Erfahrungen der KPdSU durch die SED eine durchgängige Leitlinie darstellt. Bei den weiteren Forschungen gewinnen die Vertiefung der theoretisch-methodologischen Fragen und die weitere Aufarbeitung von nicht veröffentlichtem Quellenmaterial an Bedeutung. Die vorliegende Studie konzentriert sich auf die Rolle der Erfahrungen der UdSSR und anderer sozialistischer Länder bei der erfolgreichen Bewältigung von Grundprozessen in der Endphase der Übergangsperiode in der DDR. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Verstärkung der führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei und der Vervollkommnung der Staatsmacht als Hauptinstrument des sozialistischen Aufbaus. Ferner geht es um Aspekte der Durchsetzung und des Reifens sozialistischer Produktionsverhältnisse in Industrie und Landwirtschaft sowie tun die Inangriffnahme und teilweise Lösung von Grundfragen der sozialistischen Kulturrevolution. Am Beginn der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wurde die Kampfgemeinschaft von SED und KPdSU vor eine Bewährungsprobe gestellt. Die großen Fortschritte des sozialistischen Weltsystems und der sich formierenden sozialistischen Staatengemeinschaft beantwortete der Imperialismus mit massiven konterrevolutionären Vorstößen. Auch im Innern sozialistischer Länder traten Kräfte auf, die eine „angeblich sozialistische Ordnung ohne die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei, ohne sozialistische Staatsmacht und zentrale Planwirtschaft" forderten.13 Moderner Revisionismus und andere Formen der bürgerlichen Ideologie trafen sich auf der gemeinsamen Grundlage des Antikommunismus und Antisowjetismus. Es zeugt von der Weitsicht und Prinzipienfestigkeit der SED, daß sie in der zugespitzten und komplizierten Klassenauseinandersetzung zu Beginn der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zielstrebig eine neue Etappe der Nutzung sowjetischer Erfahrungen einleitete. Der im September 1955 abgeschlossene Staatsvertrag zwischen der DDR und der UdSSR, der die Souveränität der DDR staats- und völkerrechtlich bekräftigte, hatte dafür günstige Voraussetzungen geschaffen. Der Vertrag trug zur „Festigung des Bündnisses und der Zusammenarbeit beider Parteien und Staaten sowie zur Vereinigung ihrer Anstrengungen für die Festigung des Friedens und der Sicherheit in Europa bei". 14 Das unverbrüchliche Bündnis mit der KPdSU erwies sich als entscheidende Bedingung dafür, daß die „konterrevolutionären, friedensgefährdenden Absichten des Imperialismus zunichte gemacht wurden".15 Zur wichtigsten Erfahrung, die durch die Leninsche Revolutionstheorie und die KPdSU vermittelt wurde, zählte die Erkenntnis des gesetzmäßigen Wachstums der führenden Rolle der Partei der Arbeiterklasse im Verlaufe des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus. In den ersten Jahren nach Errichtung der Sowjetmacht hatten sich Revisionisten dafür eingesetzt, daß die Partei nach der Lösung der Machtfrage 20
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eine Kraft neben den Gewerkschaften und den Kultur- und Bildungsorganisationen werden sollte, was den Verzicht auf die führende Rolle der Partei bedeutet hätte.16 Diese Auffassung wurde von Lenin entschieden zurückgewiesen17, da die Lösung der Aufgaben der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus die Erhöhung der leitenden und richtungweisenden Rolle der Partei der Arbeiterklasse erforderte. Auf der 25. Tagung des Zentralkomitees im Oktober 1955, die die Ausarbeitung der Strategie und Taktik für die Endphase der Übergangsperiode einleitete, begründete die SED die Notwendigkeit des Wachsens der führenden Rolle der Partei damit, daß „die politische, ökonomische und kulturelle Entwicklung nicht mehr spontan erfolgt, sondern daß . . . die SED bewußt die ökonomischen Gesetze . . . ausnutzt, ihre Wirksamkeit fördert und die gesamte gesellschaftliche Entwicklung lenkt".18 Dies galt es allen Bürgern zu erläutern. In dem Bericht der Delegation der SED zum Studium der Parteipraxis der KPdSU sei, so wurde auf der 25. Tagung betont, „die ganze Weisheit über die Verbesserung der Parteiarbeit enthalten".19 Erreicht werden mußte, daß sich die Parteileitungen in den Bezirken, Kreisen und in den Grundorganisationen voll für die Führung in ihrem Tätigkeitsbereich verantwortlich fühlten und es besser lernten, sich auf die Hauptaufgaben zu konzentrieren. Bei der weiteren Konzipierung der Strategie der SED für die Endphase der Übergangsperiode durch die 3. Parteikonferenz im März 1956 konnten der politische und der theoretische Gehalt der Beschlüsse des XX. Parteitages der KPdSU berücksichtigt werden. Die Auswertung der Erfahrungen der KPdSU durch die SED kam vor allem in der Stellungnahme des Politbüros „Zur Diskussion über den XX. Parteitag der KPdSU und die 3. Parteikonferenz der SED" zum Ausdruck. Die Parteiorganisationen wurden aufgefordert, die richtigen Schlußfolgerungen aus der Überwindung des Personenkults um J. W. Stalin in der UdSSR zu ziehen und sich noch gründlicher „mit den historischen Leistungen des Sowjetvolkes seit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und den Siegen des Sozialismus seit dem Ende des zweiten Weltkrieges vertraut" zu machen.20 Das richtige Erfassen der Rolle der Volksmassen, der Partei und einzelner Persönlichkeiten sollte dazu beitragen, die Arbeiter-und-Bauern-Macht in der DDR weiter zu festigen und den Frieden zu sichern. Vor allem die 30. Tagung des ZK der SED (im Jan./Febr. 1957) lenkte die Aufmerksamkeit auf ein intensives Studium der Erfahrungen der KPdSU im Interesse der Lösung der Aufgaben bis zum Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse. Die SED betonte, „daß der Sieg des Sozialismus in der DDR gesetzmäßig ist und dem Charakter der Epoche, dem weltweiten Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus entspricht".21 Sie bekräftigte, daß sie sich von den allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten des sozialistischen Aufbaus leiten läßt und daß sich die DDR im festen Bündnis mit der UdSSR und den anderen sozialistischen Staaten entwickelt. Otto Grotewohl kritisierte, daß zeitweilig „die Erfahrungen der Sowjetunion nicht in genügendem Maße studiert und angewandt" würden.22 In der neuen Etappe könnten große Vorteile für die eigene Arbeit nur dann erzielt werden, wenn mehr als bisher auf sowjetische Erfahrungen zurückgegriffen würde. Im August 1957 weilte erstmalig eine sowjetische Partei- und Regierungsdelegation zu einem offiziellen Besuch in der DDR. Dieser Besuch markierte einen Höhepunkt in der Entwicklung der Freundschaft zwischen der DDR und der UdSSR.23 Das Neue bestand darin, daß von nun an regelmäßig gemeinsame Beratungen zwischen den Partei und Staatsführungen beider Länder stattfanden. Diese Beratungen führten zu einer immer konkreteren und differenzierteren Auswertung der Erfahrungen der KPdSU und ihrer Anwendung bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus unter den spezifischen Bedingungen der DDR. 296
Die Vorbereitung des 40. Jahrestages der Gro5en Sozialistischen Oktoberrevolution wurde von der SED zu der bis dahin umfassendsten Aktion gestaltet, die historischen Leistungen der KPdSU zu propagieren. Die Wirksamkeit dieser Propaganda wurde durch den Start des sowjetischen Sputniks am 4. Oktober 1957, der die gesamte Weltöffentlichkeit in seinen Bann zog, sichtbar stimuliert. Der Kampf um die Verbesserung der Führungstätigkeit und die vollständige Durchsetzung des Leninschen Arbeitsstils in der Partei war im Dezember 1957 Gegenstand einer Konferenz zur Verbesserung der Arbeitsweise der Partei. Die Ergebnisse der Diskussion mündeten ein in die „Richtlinie für die Verbesserung des Arbeitsstils der Partei" und den Beschluß über die „Vereinfachung des Parteiaufbaus in Betrieben, Verwaltungen, Institutionen usw.", die von der 35. Tagung des ZK im Februar 1958 verabschiedet wurden. 24 Mit der Orientierung auf eine stärkere Verantwortung der Bezirks- und Kreisleitungen für die Durchführung der Beschlüsse der Partei in ihrem Verantwortungsbereich, die Durchführung von Leistungsvergleichen zwischen Parteiorganisationen und die stärkere Einbeziehung ehrenamtlicher Kräfte wandte die SED schöpferisch Erkenntnisse an, die sie im Erfahrungsaustausch mit der KPdSU gewonnen hatte. Die Partei der Arbeiterklasse wappnete sich für die Vollendung der Übergangsperiode, indem sie systematisch ihre Führungsrolle ausbaute. Das Politbüro des ZK der SED faßte im März 1958 den Beschluß über die Aufgaben der Parteipropaganda bei der sozialistischen Erziehung der Volksmassen. Der Beschluß orientierte u. a. auf folgende Schwerpunkte: 1. Das Studium der Kämpfe der KPdSU im Grundkurs der Parteischulung und durch die Genossen mit umfassenden Kenntnissen des Marxismus-Leninismus. 2. Die Vertiefung der Überzeugung von der Siegesgewißheit des Sozialismus bei der ganzen Jugend anhand der Erfolge der UdSSR auf den Gebieten der Wissenschaft und Technik. 3. Die Erziehung zum proletarischen Internationalismus, vor allem zur Freundschaft mit der Sowjetunion. 4. Die Herausgabe von Schriften über den sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion und in anderen sozialistischen Ländern.25 Der V. Parteitag der SED, der im Juli 1958 in Berlin tagte, beendete den von der 25. Tagung eingeleiteten Prozeß der Erarbeitung der Strategie für den Abschluß der Übergangsperiode. Als Schwerpunkte hierfür kennzeichnete der Parteitag die weitere Festigung der Grundlagen des Sozialismus in der Industrie, die Durchsetzung sozialistischer Produktionsverhältnisse in der gesamten Volkswirtschaft, vor allem in der Ländwirtschaft und die teilweise Lösung grundsätzlicher Aufgaben der sozialistischen Kulturrevolution. Erneut wurde auf die Notwendigkeit der Aneignung der Erfahrungen der KPdSU orientiert: „Es ist notwendig, systematisch die Erfahrungen der Sowjetunion und der volksdemokratischen Länder auszuwerten . . ," 26 Im September 1958 weilte eine Delegation leitender Parteifunktionäre der KPdSU zum Studium der Parteiarbeit der SED in Bezirken, Kreisen und Betrieben der DDR. Beim Erfahrungsaustausch vermittelten die Vertreter der KPdSU der SED wertvolle Anregungen hinsichtlich der politischen Arbeit mit der Intelligenz, der Verbesserung der Produktionspropaganda und der Verbreitung der besten Erfahrungen der Neuerer am Arbeitsplatz sowie für die Schaffung von Agitationskollektiven zur Verbesserung des politischen Gesprächs der Parteimitglieder mit den parteilosen Werktätigen. 27 Das Erscheinen des sowjetischen Lehrbuches „Grundlagen des Marxismus-Leninismus" in der DDR trug dazu bei, sowjetische Erfahrungen in breitem Umfang zu pro20'
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pagieren. Die Parteihochschule beim ZK der SED gab im Januar 1960 mit einer Konferenz den Auftakt zum Studium des Werkes. Dieses Lehrbuch und die ebenfalls im Jahre 1960 herausgegebene „Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion" erlaubten es, umfassender als dies mit dem bis dahin vorliegenden »Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU (B)" möglich gewesen war, sowjetische Erfahrungen in verallgemeinerter Form zu studieren. Ende April/Anfang Mai 1961 weilte eine Delegation des ZK der SED zum Studium der Parteiarbeit der KPdSU in der UdSSR. Im Mittelpunkt des Gedankenaustausches stand die bessere Vorbereitung der Dokumente und Beschlüsse unter breiter Einbeziehung von Spezialisten und von Werktätigen noch vor der Beschlußfassung. Weiterhin ging es um die Arbeit mit Nomenklaturkadern und die Qualifizierung der hauptamtlichen Parteikader. Die SED erhielt Anregungen zum Einsatz von Komplexbrigaden und für die Anwendung der Methode der Leistungsvergleiche.28 Im'Zusammenhang mit den erhöhten Anforderungen an die Leitungstätigkeit machte die SED jeder Fachabteilung des ZK der SED das Studium und die Auswertung der wichtigsten zutreffenden Materialien, Fachzeitschriften und anderen Publikationen der Länder des sozialistischen Lagers zur Pflicht.29 Die genannten Maßnahmen verdeutlichen, daß das Studium der Erfahrungen der KPdSU und anderer Bruderparteien eine entscheidende Komponente der wachsenden Rolle der SED im Kampf um den Sieg sozialistischer Produktionsverhältnisse in der DDR darstellte. Es bestätigte sich, daß das weitere Wachstum der führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Kampfpartei „die einzige Gewähr für den Sieg des Sozialismus und den Weg zum Sieg" darstellte. 30 Gestützt auf die Erfahrungen der KPdSU, hatte die SED auf ihrer 25. Tagung ausführlich zur Rolle der sozialistischen Staatsmacht bei der weiteren Lösung der Aufgaben der Übergangsperiode Stellung genommen. Die 25. Tagung charakterisierte detailliert „das Wesen und die historische Rolle der Deutschen Demokratischen Republik als Staat der Arbeiter und Bauern, als Vaterland des werktätigen Volkes sowie die grundlegenden Probleme des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus und des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus in der DDR".31 Die Aufgabe der sozialistischen Staatsmacht bestand darin, „die konterrevolutionären Kräfte zu unterdrücken, das Bündnis der Arbeiterklasse mit den werktätigen Bauern . . . zu festigen, die werktätigen Massen endgültig vom Einfluß der westlichen Bourgeoisie loszulösen und die ganze Masse der Bevölkerung für den Aufbau der neuen sozialistischen Gesellschaft zu gewinnen".32 Die 3. Parteikonferenz schätzte ein, daß mit dem Abschluß des ersten und dem Übergang zum zweiten Fünfjahrplan ein neues Stadium der Entwicklung der Arbeiterund-Bauern-Macht begonnen hatte. Die konzeptionellen Leitlinien, die auf der 25. Tagung zur Vervollkommnung der Staatsmacht entwickelt worden waren, wurden durch die 3. Parteikonferenz konkretisiert. Die Parteikonferenz unterbreitete „unter Auswertung der reichen Erfahrungen der Sowjetunion und unter Berücksichtigung unserer eigenen Erfahrungen" detaillierte Grundsätze für die weitere Ausgestaltung der Staatsmacht.33 Vor allem die Auswertung des XX. Parteitages der KPdSU hatte den Blick dafür geschärft, daß die sozialistische Staatsmacht für die Lösung der Aufgaben des Abschlusses der Übergangsperiode weiter ausgebaut, ihre Struktur und Arbeitsweise vervollkommnet werden mußten. Dabei spielten auch die Erfahrungen der Übergangsperiode unmittelbar nach dem Roten Oktober eine Rolle. Auf dem I. Gesamtrussischen Kongreß der Volkswirtschaftsräte hatte Lenin auf die Langfristigkeit des Prozesses der 298
Ausgestaltung der sozialistischen Staatsmacht hingewiesen. Dabei betonte er auch die großen Schwierigkeiten, vor denen die Sowjets standen/ als es darum ging, „jeden einzelnen Menschen auf den geeigneten Platz zu stellen".34 Aus Mangel an historischen Erfahrungen mußten damals von vornherein „eine Menge Experimente, viele Schritte, zahllose Umarbeitungen" eingeplant werden.35 In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre stand die SED in der vergleichsweise günstigen Situation, daß sie auf über ein Jahrzehnt eigener Erfahrungen und auf über viele Jahrzehnte Erfahrungen der KPdSU zurückgreifen konnte, um die neuen Entwicklungsprobleme der Staatsmacht zu lösen. Mit dem Beschluß des ZK der KPdSU „Über die Verbesserung der Tätigkeit der Sowjets der Deputierten der Werktätigen und die Stärkung ihrer Verbindung zu den Massen" vom 22. Januar 1957 wurde der Anstoß für die Erhöhung der Rolle des Sowjetstaates im Prozeß der Vollendung des Aufbaus der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der UdSSR gegeben. Es ging hier vor allem um die Entwicklung der sozialistischen Demokratie, um die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit der staatlichen Organe und um die Erhöhung der Rolle der örtlichen Sowjets.36 Vergleicht man die Prozesse in der UdSSR mit entsprechenden Maßnahmen zur Entwicklung des Staatsapparates in der DDR und anderen sozialistischen Ländern Europas, so zeigt sich eine Reihe wesentlicher Ähnlichkeiten. Die SED und andere regierende kommunistische Parteien warteten nicht erst darauf, bis ihre Länder die höhere Reifestufe der UdSSR erreicht hatten. Sie verbanden vielmehr unter Berücksichtigung der nationalen Spezifik die abschließende Etappe der Übergangsperiode mit analogen Maßnahmen der weiteren Ausgestaltung der Staatsmacht. Diese nahezu synchrone Anwendung von Erfahrungen der KPdSU war angesichts der Fortschritte im Formierungsprozeß der sozialistischen Staatengemeinschaft und der Dynamik der Entwicklung der Produktivkräfte im Ergebnis der einsetzenden Arbeitsteilung im RGW möglich und notwendig geworden. Nicht nur in der UdSSR, sondern auch in den anderen, vor allem den europäischen sozialistischen Ländern mußte die mit den Anfängen der wissenschaftlich-technischen Revolution notwendig heranreifende Zentralisierung von Entscheidungen von einer neuen Stufe der Stimulierung der Masseninitiative und von der Weiterentwicklung der sozialistischen Demokratie begleitet werden. In der DDR wurden 1957 mit dem Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht und 1958 mit dem Gesetz über die Vereinfachung und Vervollkommnung der Tätigkeit des Staatsapparates den örtlichen Volksvertretungen größere Rechte als bisher eingeräumt. Es kam zu einer festeren Verbindung mit den Werktätigen in den Produktionsstätten. Die Präambel des zuletzt genannten Gesetzes betonte die Notwendigkeit der Stärkung der Arbeiter-und-Bauern-Macht in der DDR „als Glied der Gemeinschaft der sozialistischen Staaten".37 Im Prozeß der Verwirklichung des Gesetzes über die örtlichen Organe der Staatsmacht orientierte die SED auch darauf, Erfahrungen der KPC auszuwerten. Eine große Rolle im Erfahrungsaustausch von SED und KPC spielte die Frage der Folgen der Automatisierung.38 Bei der Verwirklichung des Gesetzes über die Vereinfachung und Vervollkommnung der Tätigkeit der Staatsorgane wurden ungarische Erfahrungen berücksichtigt. Ein entsprechender Erfahrungsaustausch von Partei- und Staatsfunktionären fand vom 17. bis 24. Juni 1958 in der DDR statt.39 Zu den Schwerpunkten dieser Beratung zählte die Frage, wie die Werktätigen besser in die Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle der Wirtschaftsführung einbezogen werden können. Auf der 35. Tagung lenkte das ZK der SED die Aufmerksamkeit auf die Notwendig-
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keit der Vervollkommnung der Planung und Leitung der Volkswirtschaft. Auch auf diesem Gebiet wurden entscheidende Antworten auf herangereifte Fragen bereits in der UdSSR gegeben. 40 Im Jahre 1957 hatten in der UdSSR Planungsorgane erste Berichtsbilanzen und volkswirtschaftliche Wertbilanzen für das Jahr 1955 erarbeitet und damit erneut begonnen, die Methode der volkswirtschaftlichen Verflechtungsbilanzierung anzuwenden. Damit wurden weitreichende Anstöße für Veränderungen in der Volkswirtschaftsplanung gegeben. Die Ergebnisse der Diskussionen und Experimente mündeten Anfang der sechziger Jahre in den meisten sozialistischen Ländern in Wirtschaftsreformen ein. Die DDR stellte von 1960 bis 1963 die ersten Berichtsbilanzen und volkswirtschaftlichen Wertbilanzen für den Zeitraum 1958 bis 1962 auf. 41 Mit dem Gesetz über die Auflösung der Länderkammer entstand im Dezember 1958 auch in der DDR hinsichtlich des höchsten Vertretungsorgans der Staatsmacht die Einkammernstruktur, die in den meisten sozialistischen Ländern vorherrschte: die Volksversammlung in Bulgarien, die Staatsversammlung in Ungarn, die Volkskammer in der DDR, der Sejm in Polen, die Große Nationalversammlung in Rumänien, die Nationalversammlung in der Tschechoslowakei. 42 Im November 1959 wurde zwischen der DDR und der UdSSR der regelmäßige Erfahrungsaustausch auf die Bezirks- bzw. Republiks- und Gebietsebene ausgeweitet. Damit entstanden Bedingungen für eine noch differenziertere Aneignung von Erfahrungen. Dies war von Bedeutung für die Durchsetzung der komplex-territorialen Planung, die eine bessere Verbindung zwischen zentraler und örtlicher Planung vor allem in Verbindung mit der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts erlaubte. Der Erfahrungsaustausch auf Bezirksebene vermittelte im Hinblick auf die Fragen der führungsmäßigen Umsetzung staatlicher Entscheidungen viele Anregungen. Bei dem zwischen dem Berliner Magistrat und dem Moskauer Stadtsowjet im April 1960 in Moskau durchgeführten Erfahrungsaustausch standen auf der Tagesordnung: 1. Aufbau und Arbeitsweise des Moskauer Stadtsowjets; 2. die Leitung der Wirtschaft; 3. die Rolle der Stadtbezirke; 4. die Dienstleistungen; 5. die Versorgung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen; 6. die Perspektive des Städtebaus. 43 Die Übermittlung der Erfahrungen sowjetischer Staatsorgane unterstützte vor allem das Ringen um die Erhöhung der Rolle der örtlichen Organe der Staatsmacht in der DDR, die zeitweilig ein schwaches Kettenglied im System des gesamten Staatsapparates darstellten. Bei dem Erfahrungsaustausch übernahm die SED auch den Leistungsvergleich, zu dem die Werktätigen Leningrads die Werktätigen Moskaus aufgerufen hatten, als Anregung für einen Leistungsvergleich zwischen den Bezirken der DDR- 44 Diese Leistungsvergleiche stärkten die sozialistischen Produktionsverhältnisse, indem sie dazu beitrugen, die Zurückgebliebenen an das Niveau der Fortgeschrittenen heranzuführen. Die Bildung des Staatsrates am 12. September 1960 zählte ebenfalls zu jenen Gesetzgebungsakten, bei denen Erfahrungen des staatlichen Aufbaus der UdSSR und anderer sozialistischer Länder berücksichtigt wurden. 45 Im Juli 1961 verabschiedete die Volkskammer der DDR Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise der Kreistage und Gemeindevertretungen. Die praktisch«: Durchsetzung dieser Ordnungen trug maßgeblich zur Hebung der Rolle der örtlichen Volksvertretungen bei der Lösung der Aufgaben des politischen, wirtschaftlichen und
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kulturellen Lebens in ihrem Verantwortungsbereich bei. Im Prozeß der Erarbeitung dieser Ordnungen wurden die sowjetischen Rayonordnungen ausgewertet. Nützliche Anregungen ergaben sich dabei vor allem hinsichtlich des Verhältnisses der örtlichen Staatsorgane zu den zentral geleiteten Betrieben. Als sich 1960/61 die DDR mit dem verschärften Wirtschaftskrieg und den beschleunigten Aggressionsvorbereitungen durch den Imperialismus der BRD konfrontiert sah, erwiesen sich die regelmäßige Beratung mit den Partei- und Staatsführungen der UdSSR und anderen Bruderländern sowie deren Unterstützung als lebenswichtig für die Sicherung der staatlichen Integrität der DDR/' 6 Mit den Maßnahmen vom 13. August 1961, einer gemeinsamen politischen Aktion der Staaten des Warschauer Vertrages, wurden kollektive Erfahrungen des Kampfes gegen den Imperialismus im Interesse der Rettung des Friedens in Europa wirksam. Damit fand zugleich eine Besonderheit der DDR ihr Ende, die darin bestanden hatte, als einziges sozialistisches Land eine teilweise offene Grenze zum Imperialismus zu haben. Die Beendigung dieses Zustandes wirkte sich auch deshalb günstig für die Stärkung der sozialistischen Gemeinschaft aus, weil die Sicherung dieser Grenze identisch war mit der Sicherung eines großen Teils der Westgrenze des sozialistischen Lagers in Europa. Die Verteidigungsgesetzgebung der DDR Anfang der sechziger Jahre führte zu einer weiteren Angleichung der Nationalen Volksarmee an den Stand der Armeen der sozialistischen Militärkoalition. 47 Diese Angleichung äußerte sich im Übergang vom Freiwilligkeitsprinzip zum Wehrpflichtprinzip bei der Auffüllung der NVA, der Einführung der 18-Monate-Ausbildung und vergleichbarer Ausbildungsprogramme. Durch die Übermittlung der Kampferfahrungen der Sowjetarmee war es der NVA als jüngster Armee des Warschauer Vertrages in vergleichsweise kurzer Zeit möglich, sich zu einer den Anforderungen voll entsprechenden modernen sozialistischen Armee zu entwickeln. Für die Vervollkommnung der sozialistischen Industrie spielten die Produktions- und Wettbewerbserfahrungen sowie die Übermittlung technischen Wissens eine große Rolle. Die DDR stand zwar nicht vor der Aufgabe, ein Industrieland werden zu müssen wie die UdSSR in der Übergangsperiode, aber auch in der Industrie der DDR mußten vielfältige Veränderungen vorgenommen werden. Durch Neubau und sozialistische Rekonstruktion galt es, die aus der Spaltung des Landes herrührenden Disproportionen und das kapitalistische Erbe der Zersplitterung zu überwinden. Die Industrie der DDR mußte zu einem relativ einheitlichen, arbeitsteilig verflochtenen Komplex als Kern der sozialistischen Volkswirtschaft entwickelt werden. Diese Aufgabenstellung barg Probleme, die denen der sozialistischen Industrialisierung in der UdSSR sowie der Entwicklung der sowjetischen Industrie in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre glichen. Beide Länder mußten Anfänge der wissenschaftlich-technischen Revolution meistern. In Abstimmung mit der UdSSR nahm die DDR im Jahre 1957 Kurs auf die Überwindung der Disproportion zwischen dem enorm wachsenden Energiebedarf und der Energieerzeugimg. Das Kohle- und Energieprogramm vom März 1957 hatte gerade dadurch strategische Bedeutung für die Realisierung der im zweiten Fünfjahrplan fixierten Ziele des Aufbaus der sozialistischen Industrie. Dabei wurde deutlich, daß es nicht nur um die Schaffung neuer Produktionskapazitäten gehen konnte, sondern auch um die Erschließung vorhandener Reserven. Die Größe dieser Reserven wurde auf der 30. Tagung des ZK der SED anhand folgender Vergleiche veranschaulicht. Während in der DDR durch die hohe Reparaturquote 16 Prozent der gesamten Kraftwerkskapazität ständig ausfielen, lag die entsprechende Quote in der UdSSR bei ca. 4 Prozent.48 301
Durch den Ausbau der Reparaturbasis, der im Vergleich zum Neubau von Kraftwerkskapazitäten weniger kostspielig war, konnten also Reserven in einer relevanten Größenordung erschlossen werden. Beim Aufbau des Kombinats „Schwarze Pumpe" spielte die technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit (TWZ) zwischen der UdSSR und der DDR eine beträchtliche Rolle. Der Erfahrungsaustausch zwischen Spezialisten beider Länder führte zur Neuentwicklung eines 420 t/h-Kessels und zur Ausarbeitung einer neuen Montagetechnologie. wodurch sich Einsparungen in Höhe von 48 Mill. DM ergaben.49 Der Fortschritt auf dem Gebiet der TWZ seit 1958 bestand darin, daß es nunmehr nicht allein wie bisher um bereits abgeschlossene Arbeiten und Projekte ging, die in den Austausch einbezogen wurden, sondern mehr und mehr auch um Vorhaben, die sich noch im Stadium der Entwicklung befanden. In zahlenmäßiger Hinsicht scheint neben der massenhaften Anwendung sowjetischer Neuerermethoden der Austausch technischer Erfahrungen zwischen der UdSSR und der DDR im Rahmen der TWZ schon damals im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Bereichen den größten Umfang gehabt zu haben. Von den Anfängen der TWZ zwischen der DDR und der UdSSR im Jahre 1951 wurden bis 1958 ca. 2 500 gegenseitige Aufträge erfüllt. Davon lagen mehr als 20 Prozent ( = 624) im Jahre 1958. Das bedeutete eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 36 Prozent (1957 = 458). 50 Das Austauschverhältnis lag etwa bei 1 : 1. Der Austausch von technischem Wissen verlief nicht problemlos. Während die sowjetische Seite schneller die Beschlüsse realisierte, die die Übergabe technischer Unterlagen vorsahen, entsandte die DDR-Seite zügiger ihre Delegationen zum Studium technischer Verfahren in die Industrie der UdSSR. In der sozialistischen Industrie der DDR enstanden in der Endphase der Übergangsperiode neue Wettbewerbsformen, die sich als Reifeelemente sozialistischer gesellschaftlicher Beziehungen erwiesen. Auch auf diesem Gebiet kamen entscheidende Impulse aus der UdSSR. Im Wettbewerb zu Ehren des V. Parteitages der SED entstand die Christoph-WehnerMethode, die eine Anwendung der Erfahrungen Nikolai Mamais und seiner Brigade im sowjetischen Steinkohlebergbau auf die Bedingungen der DDR bedeutete. Durch die Aufschlüsselung der Pläne auf jeden Tag und jeden Arbeitsplatz war es möglich, im Wettbewerb abrechenbare Ziele zu stellen und konkrete Verpflichtungen einzugehen. Der sozialistische Wettbewerb erreichte einen Stand, der es erlaubte, mit dem Entstehen der Bewegung sozialistischer Brigaden im Januar 1959 zu jener oben skizzierten Qualität zu gelangen. In der Literatur wird zu Recht auf die Rolle der Beratungen zwischen den ersten Brigaden der kommunistischen Arbeit der UdSSR und den ersten sozialistischen Brigaden der DDR in Magdeburg (1959) und Suhl (1960) hingewiesen.51 Noch nicht im erforderlichen Maße ist die Rolle der sowjetischen Erfahrungen für den immittelbaren Entstehungsprözeß dieser Brigaden untersucht. Ein glücklicher Zufall wollte es, daß eine Delegation des Zentralrates der FDJ die Entstehung der kommunistischen Brigadebewegung in der UdSSR gewissermaßen als Augenzeuge miterlebte. Sie brachte in einem sehr detaillierten Material, das dann auch als Manuskriptdruck erschien, diese Erfahrungen in die DDR mit, wo es u. a. vom Bundesvorstand des FDGB ausgewertet wurde.52 Ein weiterer Aspekt verdient im Zusammenhang mit der Entstehung der sozialistischen Brigadebewegung Beachtung. In den Betrieben der DDR existierten im Jahre 1959 ca. 1500 Zirkel zum Studium der „Presse der Sowjetunion".53 Die Debatten, die diese Zirkel über die Artikel zur kommunistischen Brigadebewegung in der UdSSR in den Betrieben der DDR führten.
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halfen den Boden für das Entstehen der sozialistischen Brigadebewegung zu bereiten. Von Herbert Warnke ist bekannt daß er das Studium bestimmter Ausgaben der „Presse der Sowjetunion" im Zusammenhang mit der Entwicklung der sozialistischen Brigadebewegung für alle Sekretäre des FDGB-Bundesvorstandes zur Pflicht machte.54 Wie aus den Quellen ersichtlich ist, standen den leitenden Organen der SED und des FDGB darüber hinaus auch andere Analysen zu Entwicklungstendenzen und Problemen der kommunistischen Brigadebewegung in der UdSSR zur Verfügung. In einer dieser Analysen wurde betont, daß der neuen Bewegung und ihren Teilnehmern „mit allen Kräften geholfen werden (muß), die eingegangenen Verpflichtungen erfolgreich zu erfüllen und das Wort zur Tat werden zu lassen"55, da die neue Bewegung anderenfalls drohe, wie eine Kampagne zu versanden. Bereits 1959 orientierte der FDGB-Bundesvorstand auf die Notwendigkeit der Auswertung der Erfahrungen der sozialistischen Brigadebewegung in der CSR. Dabei interessierte vor allfem die Spezifik der Brigadebewegung in einigen Industriezweigen und im Bauwesen.56 Eine Studiendelegation des FDGB weilte im Juni 1960 in Moskau zum Erfahrungsaustausch mit sowjetischen Neuerern und mit Mitgliedern der Brigaden der kommunistischen Arbeit. Dieser Erfahrungsaustausch vermittelte Anregungen dafür, die Qualifizierung in den Großbetrieben der DDR planmäßiger zu gestalten und besser mit den jeweiligen Rekonstruktionsplänen abzustimmen. Als Ergänzung zur SeifertMethode wurde nach diesem Erfahrungsaustausch die Mitrofanov-Methode in Betrieben der DDR erprobt. Diese Methode der Gruppentechnologie war bis Mitte der sechziger Jahre ein wichtiges Mittel der Standardisierung und Spezialisierung. Sie erwies sich als eine besonders ergiebige Methode der Zeit- und Arbeitskräfteeinsparung.57 Im Februar 1961 nahmen die sowjetischen Neuerer S. P. Mitrofanov und A. A. Matalin an der „Mitrofanov'-Konferenz in Jena teil. Damals arbeiteten erst etwa ein Dutzend Betriebe nach der Gruppentechnologie. Dennoch war bereits ein Nutzen von 3,6 Mill. Mark erzielt worden.58 Der Nutzen, der sich aus den zahlreichen persönlichen Begegnungen von Arbeitern der DDR und der UdSSR ergab, ist quantitativ kaum meßbar. Ganz offensichtlich aber ist, daß durch diese Begegnungen das sozialistische und internationalistische Bewußtsein der Arbeiter der DDR gestärkt wurde. Der Erfahrungsaustausch trug dazu bei, daß die Arbeiterklasse der DDR ihrer führenden Rolle gerecht werden und die sozialistischen Produktionsverhältnisse zum Siege führen konnte. Im Kampf um den Abschluß der Übergangsperiode besaß die Vollendung der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft einen hohen Stellenwert. Zu dem Gesamtkomplex von Erfahrungen, die die SED dabei berücksichtigen konnte, zählten vor allem die Grundprinzipien des Leninschen Genossenschaftsplanes: 1. Die Notwendigkeit der umfassenden Hilfe des sozialistischen Staates für die Bauernschaft beim Übergang zur sozialistischen Produktionsweise. 2. Die schrittweise Entwicklung der genossenschaftlichen Produktionsformen und der Übergang von einfachen zu höheren Formen der genossenschaftlichen Arbeit. 3. Die Sicherung der materiellen Interessiertheit der Genossenschaften und ihrer Mitglieder. 4. Die Leitung der genossenschaftlichen Arbeit durch die Genossenschaftsbauern selbst auf der Grundlage der Entfaltung der genossenschaftlichen Demokratie. 5. Die Gewährleistung des Prinzips der Freiwilligkeit beim Übergang zur genossenschaftlichen Arbeit.59 303
Es gehörte zu den grundsätzlichen Erfahrungen der KPdSU, daß der Abschluß der sozialistischen Umwälzung auf dem Lande zu den schwierigsten und kompliziertesten Aufgaben der Übergangsperiode zählt und die erfolgreiche Lösung dieser Aufgabe wesentlich den Zeitpunkt des Sieges des Sozialismus mitbestimmt. Der Größe dieser Aufgabe versuchten die Länder der sich formierenden sozialistischen Staatengemeinschaft dadurch zu entsprechen, daß sie bereits im Jahre 1956 im Rahmen des RGW die Spezialisierung des Landmaschinenbaues einleiteten. Die ersten noch unvollkommenen Spezialisierungsabsprachen hatten das Ziel, den Landmaschinenbau ohne größere Investitionen zu steigern. Dabei wurden auch erste kritische Vergleiche der technischen Parameter der Landtechnik durchgeführt, die die Modernisierimg der Produktion beschleunigten. Beispielsweise wurde in einer Expertise bemängelt, daß der in der CSR hergestellte Traktor „Setor" (damals) ein überhöhtes Eigengewicht und einen zu hohen Kraftstoffverbrauch aufwies. Der in der DDR produzierte Radschlepper RS-14/30 zeigte dagegen nicht die erforderlichen Zugeigenschaften. 60 Auf der Konferenz über die erweiterte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Landwirtschaft vom 2 2 . - 2 7 . April 1957 wurde der multilaterale Erfahrungsaustausch fortgesetzt. Teilnehmer dieser Konferenz waren die Volksrepublik Bulgarien, die CSR, die DDR und die UdSSR. Weitere Spezialisierungsabsprachen erlaubten die Vorbereitung langfristiger Lieferverträge bis 1970. 61 Ende der fünfziger Jahre verschärfte sich in der Landwirtschaft der meisten sozialistischen Länder ein Widerspruch. Auf ein und demselben Boden hatten sich „zwei sozialistische Großbetriebe herausgebildet, von denen der eine über die Anschaffung der landwirtschaftlichen Maschinen und auch über deren Einsatz verfügte, während in dem anderen . . . die Planung der landwirtschaftlichen Produktion, der Einsatz der Arbeitskräfte vorgenommen wurde". 62 Die UdSSR gab den entscheidenden Anstoß zur Lösung dieses Widerspruchs. Das ZK der KPdSU unterbreitete im Februar 1958 auf seiner Tagung den Vorschlag, die MTS in Reparatur-Technische Stationen (RTS) umzuwandeln und die landwirtschaftlichen Maschinen und Geräte an die Kolchosen zu verkaufen. Im Jahre 1959 folgte die DDR, ebenso wie andere sozialistische Länder, diesem Beispiel. In der DDR blieben jedoch die Maschinen anfangs noch staatliches Eigentum. Die Übergabe der Maschinen an die LPG erfolgte auf der Basis von Leihverträgen gegen festgesetzte Gebühren. Die Unterschiede in der Handhabung der Übergabe der Technik ergaben sich aus der unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungsstufe beider Länder. Während in der UdSSR der Sozialismus vollständig und endgültig gesiegt hatte, war die DDR dabei, die Aufgaben der Endphase der Übergangsperiode zu lösen. Die Form der Leihverträge erlaubte es der sozialistischen Staatsmacht, besser auf die Festigung der Genossenschaften Einfluß zu nehmen. In der DDR bedurfte die Arbeiterklasse noch ihrer ländlichen Stützpunkte. 63 Große Bedeutung für die sozialistischen Länder Europas hatte der Umstand, daß sie sich bei der Entwicklung der Genossenschaftsbewegung auf die Erfahrungen stützen konnten, die die Sowjetunion mit dem Kolchosrecht gesammelt hatte. In diesen Ländern waren im Prinzip die gleichen rechtlichen Aufgaben und Probleme zu lösen, die die Sowjetunion bereits gelöst hatte. Alle Länder der sozialistischen Gemeinschaft übernahmen nach sowjetischem Vorbild die Methode der rechtlichen Regelung der Beziehungen in den landwirtschaftlichen Genossenschaften durch Musterstatuten. Diese Methode brachte am besten „die Verbindung von zentraler staatlicher Leitung des gesellschaftlichen Umwälzungsprozesses auf dem Lande mit der Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft als eigene frei-
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willige Entscheidung der Bauern unter voller Entfaltung der sozialistischen Demokratie zum Ausdruck". 64 Es zeigte sich, daß auf dieser Grundlage das Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und den werktätigen Bauern am effektivsten entwickelt werden konnte. In den Musterstatuten für landwirtschaftliche Genossenschaften der europäischen Länder der sozialistischen Gemeinschaft wurden die gleichen Problemkreise geregelt wie im Musterstatut des landwirtschaftlichen Arteis von 1935. Auch der Aufbau der Statuten stimmte im Wesen überein. Die gemeinsame hauptsächliche Besonderheit im Vergleich zur Sowjetunion bestand darin, daß die Genossenschaftsbewegung „unter den Bedingungen des Vorhandenseins des bäuerlichen Privateigentums am Boden" verwirklicht wurde. 65 Dieses Recht wurde auch nach dem Sieg sozialistischer Produktionsverhältnisse auf dem Lande beibehalten. Natürlich wurden einzelne Fragen im Genossenschaftsrecht der sozialistischen Länder unterschiedlich geregelt. Dazu zählten z. B. die unterschiedliche Bemessung der Altersgrenze für den Eintritt in die Genossenschaften sowie ein unterschiedlicher Modus für die Beendigung der Mitgliedschaft. 66 Die Erfahrungen der KPdSU und anderer Bruderparteien besagen übereinstimmend, daß es sehr schwierig war, die Mittelbauern, die besonders fest mit der individuellen Wirtschaftsweise verbunden waren, von den Vorteilen der sozialistischen Produktionsweise zu überzeugen. Auch deshalb kam der schöpferischen Anwendung des Leninschen Genossenschaftsplanes unter Berücksichtigung der nationalen Spezifik jedes Landes eine große Bedeutung zu. Nach der Oktoberrevolution entwickelten sich in Sowjetrußland und in der Sowjetunion drei Hauptarten von Produktionsgenossenschaften: die landwirtschaftlichen Kommunen, die Genossenschaften zur gemeinsamen Bodenbearbeitung und die landwirtschaftlichen Arteis. Als fortschrittlichste und zweckmäßigste Organisationsform der bäuerlichen Kollektivwirtschaft setzte sich das landwirtschaftliche Artel durch, das seit 1933 die einzige kcllektivwirtschaftliche Betriebsform in der UdSSR ist. 67 Konnte in Bulgarien die Vergenossenschaftlichung mit einer Form, den landwirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaften, vollzogen werden, 6 ' so überwogen in den meisten sozialistischen Ländern mehrere Typen der landwirtschaftlichen Genossenschaften. In der Tschechoslowakei wurden je nach dem Grad der Vergesellschaftung der Produktionsmittel vier Typen der Einheitlichen Landwirtschaftlichen Genossenschaften (ELG) unterschieden. 03 In Ungarn wurden die landwirtschaftlichen Genossenschaften in einer niederen und einer höheren Form ausgestaltet. 70 In Rumänien entstanden anfangs Genossenschaften zur gemeinsamen Bodenbearbeitung. Zugleich kam es zur Bildung von Genossenschaften mit höheren Formen der Vergesellschaftung der Hauptproduktionsmittel, die später eine dominierende Stellung erhielten. 71 Auch in anderen sozialistischen Ländern Europas und Asiens gab es verschiedene Formen von Produktionsgenossenschaften in der Landwirtschaft. 72 Mit der Erarbeitung und Anwendung verschiedener Typen landwirtschaftlicher Genossenschaften verwirklichten die Bruderparteien jenen Gedanken „des Leninschen Genossenschaftsplanes, der den stufenweisen Übergang zur sozialistischen Produktion anregte, der in den Ländern mit stark traditionsgebundener Bauernschaft von Bedeutung ist". 73 Die Möglichkeit, die kollektive Arbeit zunächst nur auf die Feldbestellung zu konzentrieren, bot den Bauern in den niederen Genossenschaftstypen die Möglichkeit, sich
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schrittweise und allmählich von den Vorzügen der sozialistischen Wirtschaftsweise zu überzeugen. Es wurde bei ihnen die Bereitschaft gefördert, später auch andere Bereiche ihrer Wirtschaft in die genossenschaftliche Wirtschaftsweise einzubeziehen. Die Erfahrungen der Mehrheit der sozialistischen Länder besagen, daß die Genossenschaftsbewegung für ihre volle Entfaltung eine bestimmte Zeit benötigt; der statistische Durchschnitt weist ca. ein Jahrzehnt aus. Dort wo der Prozeßcharakter der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft nicht hinreichend berücksichtigt wurde, traten schwere Rückschläge ein. Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, daß in der VR China die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft in dem kurzen Zeitraum von drei bis vier Jahren durchgeführt wurde. Infolge ungenügender Berücksichtigung der objektiven Bedingungen und des subjektiven Faktors auf dem Lande kam es nach Vollendung der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft zur spontanen Auflösung von 20000 Genossenschaften.7'* Bedingt durch die unterschiedlichen historischen Traditionen, entwickelten sich in den sozialistischen Ländern unterschiedliche Proportionen zwischen den staatlichen und den genossenschaftlichen Betrieben der sozialistischen Landwirtschaft. Während die UdSSR, Kuba, Rumänien, Polen und die CSR über einen verhältnismäßig großen Anteil der staatlichen Betriebe am gesamten sozialistischen Sektor verfügten, gehörten analog dazu die DDR, die DRV, China und Albanien zu jener Ländergruppe mit einem verhältnismäßig kleinen Anteil der staatlichen Betriebe am gesamten sozialistischen Sektor. In der marxistischen Geschichtsliteratur wird im allgemeinen der Unterschied in der Stellung zu den Großbauern in der DDR im Vergleich zur Sowjetunion betont.75 Dies geschieht größtenteils zu Recht. Die Sowjetunion mußte unter den komplizierten Bedingungen der imperialistischen Umkreisung eine Politik der Liquidierung des Kulakentums durchführen. Die Kulaken leisteten offenen terroristischen Widerstand gegen die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft. Allein im Jahre 1928 verübten sie 1027 Terrorakte und ermordeten 140 Aktivisten der Kolchosbewegung.76 In der DDR (und ähnlich in anderen sozialistischen Ländern77) konnten auf Grund des veränderten internationalen Kräfteverhältnisses und des vergleichsweise günstigeren innenpolitischen Kräfteverhältnisses ab 1954 Großbauern, die loyal zur DDR standen und die die Aufnahmebedingungen zu erfüllen bereit waren, LPG-Mitglieder werden. Es reicht jedoch nicht aus, lediglich diesen Unterschied zu betonen. Die KPdSU gewährte nämlich ab März 1930 unter bestimmten Bedingungen auch Kulaken die Möglichkeit des Eintritts in die Kollektivwirtschaften. Derartige Ausnahmen waren dann gegeben, wenn der Sowjetmacht treu ergebene Rote Partisanen, Rotarmisten, Angehörige der Roten Flotte und Dorfschullehrer sich für Familienmitglieder verbürgten.78 Schließlich ist zu vermerken, daß nur ein Teil der Großbauern in der DDR den sozialistischen Weg wählte. Neben denen, die die DDR unter Ausnutzung der offenen Grenze verließen, gab es auch solche, die sich der Festigung der sozialistischen Produktionsverhältnisse auf dem Lande entgegenstellten. Dabei kam es neben Brandstiftungen, Viehvergiftungen auch vereinzelt zu terroristischen Anschlägen. Als zu Beginn der sechziger Jahre in den meisten RGW-Ländern die sozialistische Umgestaltung vollendet wurde, stieg das Bedürfnis nach kollektiver Verallgemeinerung der Erfahrungen. Auf der I. Internationalen Konferenz des Wirtschaftsfluges der sozialistischen Länder in Berlin vom 2.-3. Februar 1960 wurde der multilaterale Erfahrungsaustausch auf ein äußerst perspektivreiches und modernes Gebiet der Agrartechnik ausgedehnt. 306
Vor allem die sowjetische Delegation konnte, fugend auf langjährigen Erfahrungen beim Einsatz von Agrarflugzeugen, anschaulich die Vorzüge des Wirtschaftsfluges herausarbeiten: die vielseitige Anwendbarkeit, die Chance der Einsparung von Arbeitskräften und die beträchtliche Produktivitätssteigerung. Zur gleichen Zeit fand in Moskau eine Konferenz der kommunistischen und Arbeiter-: Parteien sozialistischer Länder Buropas über die Entwicklung und die Perspektiven der Landwirtschaft statt. Auf dieser Konferenz legte jede der teilnehmenden Parteien ihre Erfahrungen bei der sozialistischen Umgestaltung dar. Zusammenfassende Beschlüsse oder ein gemeinsames verallgemeinerndes Dokument wurden nicht verabschiedet. Wenn man sich allerdings vergegenwärtigt, daß dieser Erfahrungsaustausch praktisch am Vorabend der Vollendung der sozialistischen Umgestaltung auf dem Lande stattfand (auch andere sozialistische Länder standen unmittelbar davor), wird man den großen Wert dieser Beratung ermessen können. Die 8. Tagung des ZK der SED, die vom 30. März bis 2. April 1960 stattfand, nahm dazu folgende Einschätzung vor: »Wir betrachten diese Beratung als den Beginn des Avistausches der fortgeschrittensten Erfahrungen der Staatsgüter und Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. So wie wir in unseren Ländern zwischen den Betrieben und Kreisen Vergleiche durchführen, so ist der Vergleich über die landwirtschaftlichen Erträge und den höchsten ökonomischen Nutzeffekt zwischen den landwirtschaftlichen Betrieben unserer Länder notwendig."79 Die SED studierte im Prozeß der Vollendung der sozialistischen Umgestaltung auch auf bilateraler Ebene Erfahrungen von Bruderparteien. Von besonderem Interesse waren dabei die Erfahrungen der Tschechoslowakei als eines Landes mit vergleichbarem Entwicklungsstand und ähnlich gelagerten Problemen. Eine Expertendelegation der DDR studierte im Februar 1960 die Erfahrungen der KPC bei der Neugestaltung der Beziehungen zwischen Industrie und genossenschaftlicher Landwirtschaft, die zu dieser Zeit in der Tschechoslowakei bereits 80 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche einnahm. Die dabei gesammelten Erfahrungen trugen dazu bei, die Frage zu beantworten, wie in der DDR die Vorzüge der sozialistischen Produktionsweise auf dem Lande nach Vollendung der sozialistischen Umgestaltung weiter ausgeprägt werden konnten.80 Nach dem Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse auf dem Lande entwikkelten sich in breiterem Umfang Direktkontakte zwischen LPG der DDR und Kolchosen der UdSSR sowie Genossenschaften der CSSR und der Ungarischen VR.81 Diese internationalen Kontakte auf Genossenschaftsebene förderten die Verankerung des Internationalismus im Denken der sich formierenden Klasse der Genossenschaftsbauern und vermittelten Produktionserfahrungen. In der DDR bestätigten sich vollauf die Allgemeingültigkeit des Leninschen Genossenschaftsplanes und die große Bedeutung der agrarpolitischen Erfahrungen der KPdSU. Der SED gelang der Nachweis, daß es auch in einem bereits in der Zeit des Kapitalismus hochindustrialisierten Land mit einer alten einzelbäuerlichen Tradition möglich war, die Bauern auf den Weg der sozialistischen Wirtschaftsweise zu führen. In der Endphase der Übergangsperiode bestätigte sich erneut die Richtigkeit der von Lenin ausgearbeiteten Theorie der sozialistischen Revolution auf dem Gebiet der Ideologie und Kultur sowie der historischen Erfahrungen der KPdSU. Die Grundsätze dieser Revolution82 lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Der Aufschwung der Volksbildung und die Verwirklichung der polytechnischen Bildung. 307
2. Die Aneignung der Kulturschätze der Vergangenheit. 3. Die Entwicklung einer Kultur der in der sozialistischen Gesellschaftsordnung lebenden Völker, die ihrer Form nach national, ihrem Inhalt nach sozialistisch ist. 4. Die Weiterentwicklung der Wissenschaft und ihre Umwandlung in ein höchst bedeutsames Instrument zur Errichtung der kommunistischen Gesellschaft. 5. Die Heranbildung einer der Arbeiterklasse, der werktätigen Bauernschaft und der Sache des Sozialismus ergebenen Volksintelligenz. 6. Die Verbreitung der wissenschaftlichen sozialistischen Ideologie und die Organisation des gesamten geistigen Lebens des Volkes entsprechend ihren Grundsätzen. 83 Sozialistische Kultur konnte nur tinter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei in einem systematisch geleiteten Prozeß entstehen, der „fest mit dem Gesamtprozeß des sozialistischen Aufbaus verbunden (war) und in dem zugleich die der Kulturentwicklung im Sozialismus zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten systematisch zur Wirkung gebracht" wurden.84 Die „DDRologen" haben auch die Kulturpolitik der SED in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zu einem Gegenstand vielfältiger Spekulationen und Verfälschungen gemacht. Dies trifft vor allem auf jene Phase der Kulturrevolution zu, die die Bezeichnung „Bitterfelder Weg" erhielt. Zweifellos wird die nationale Spezifik der DDR maßlos übertrieben, wenn beim „Bitterfelder Weg" von einer DDR-„eigenen literarischen Konzeption" gesprochen wird. 85 Der „Bitterfelder Weg" stellte einen Teilbereich der sozialistischen Kulturrevolution in der DDR dar und war in gewissem Maße Ausdruck des national Spezifischen. Aber ebenso unbestreitbar ist die Anknüpfung an die Tradition der Arbeiter-Feuilleton-Korrespondenten nach dem sowjetischen Vorbild der zwanziger Jahre. 8 6 Zur Besonderheit der DDR zählte dabei, daß sie an diese Tradition nicht Ende der vierziger/'Anfang der fünfziger Jahre - wie die meisten volksdemokratischen Länder anknüpfte, sondern Ende der fünfziger Jahre. Diese Spezifik ergab sich aus der anfänglichen Verknüpfung des Kampfes um den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in der DDR mit dem Kampf um die demokratische Wiedervereinigung Deutschlands und den übergreifenden Aufgabenstellungen, die der Kultur Anfang der fünfziger Jahre in diesem Konzept zugewiesen wurden.S7 In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre war der Prozeß der Abgrenzung zwischen der DDR und der BRD so weit fortgeschritten, und die Verankerung der DDR in der sozialistischen Staatengemeinschaft hatte eine qualitativ neue Stufe erreicht, so daß auch in der DDR an die genannten bewährten Traditionen angeknüpft werden konnte und mußte. Die vom V. Parteitag der SED und von der Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlages erarbeitete Orientierung des künstlerischen Schaffens auf unmittelbare Gegenwartsthematik stellte damals das Hauptkettenglied der Vorwärtsentwicklung der Nationalkultur der DDR dar. Auf die Dauer bedeutete jedoch diese Schwerpunktbildung eine Tendenz zur Verengung und Vereinzelung, die der Lösung neuer, höherer und wesentlich weiter gesteckter Aufgaben und Ziele nicht mehr gerecht werden konnte. Die Erfahrungen der Schriftsteller der DDR waren noch relativ gering, um die neuen sozialen Gegebenheiten der Endphase der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus literarisch gestalten zu können. Der Wert sowjetischer Kunst und Literatur bestand gerade auch darin, daß sie den höchsten Stand dieser Erfahrungen repräsentierten. Insbesondere Werke der sowjetischen Prosaliteratur wie Granins „Bahnbrecher", Owetschkins „Frühlingsstürme" und Koshewnikows „Darf ich vorstellen, Balujew" vermittelten dem Leser der DDR „ein eindrucksvolles Bild vom Neuen
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im gesellschaftlichen Leben und förderten die Weiterentwicklung sozialistischer Denkund Verhaltensweisen". 88 In den meisten sozialistischen Ländern stellte die Einführung der obligatorischen polytechnischen Bildung den Kernpunkt der sozialistischen Umgestaltung der Schule dar. Eine große Rolle spielten dabei die Erkenntnisse der Sowjetunion, die erste Erfahrungen mit dem polytechnischen Unterricht in den schweren Jahren unmittelbar nach der Oktoberrevolution gesammelt hatte und die die polytechnische Bildung als Bestandteil der Schule der entwickelten sozialistischen Gesellschaft obligatorisch einführte. Die sowjetischen Erfahrungen fanden in den Thesen des ZK der KPdSU und des Ministerrates der UdSSR im Jahre 1958 und in dem Gesetz über die Verbindung der Schule mit dem Leben sowie über die weitere Entwicklung des Volksbildungswesens in der UdSSR vom Dezember 1958 ihren Niederschlag. 1958/59 standen der Obergang zum obligatorischen polytechnischen Unterricht und die allseitige Verbindung der Schule mit dem Leben der sozialistischen Gesellschaft auch in der DDR, in Bulgarien, in der CSSR und anderen sozialistischen Ländern im Mittelpunkt der Schulentwicklung. 83 Auch auf dem Gebiet der sozialistischen Kulturrevolution existierten Formen einer kollektiven Verallgemeinerung der Erfahrungen. Dies kam vor allem im Zusammenhang, mit den Internationalen Polytechnischen Seminaren 1960 in Moskau und 1962 in Halle zum Ausdruck. Besonders aufschlußreich waren hier die Beiträge sowjetischer Pädagogen, die sich auf Erfahrungen jahrzehntelanger sozialistischer Schulpolitik, eine Vielzahl großangelegter Schulversuche und eine umfangreiche praktische wie theoretische Arbeit stützen konnten. In der Unterrichtsmethodik der DDR hinterließen diese Erfahrungen sichtbare Spuren. In den naturwissenschaftlichen Methodik-Zeitschriften der DDR (Biologie, Physik und Chemie) erschienen von 1949 bis 1962 158 Beiträge, die die Auswertung der Erfahrungen der sowjetischen Pädagogen zum Inhalt hatten. Der Start des ersten Sputniks gab den Anstoß zur Einführung des selbständigen Unterrichtsfaches Astronomie (ab 1959). 90 Im September 1961 weilte eine Studiendelegation der KPC in der DDR. Sie beschäftigte sich u. a. mit den Erfahrungen der DDR bei der Einführung der Ganztagserziehung. 91 Bei der sozialistischen Umgestaltung des Hochschulwesens und der Formierung einer sozialistischen Intelligenz mußten die Bruderparteien streng die unterschiedlichen historischen Traditionen und nationalen Eigenarten beachten. Während in Polen und Ungarn die alte, bürgerliche Intelligenz in ihrer Mehrheit kirchlich fest gebunden war, stand sie in Bulgarien auf Grund der Verbreitung des atheistischen Denkens der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse aufgeschlossen gegenüber. In der DDR bestand die entsprechende Spezifik darin, daß die alte Intelligenz in der Zeit des Kapitalismus relativ fest mit den herrschenden imperialistischen Kreisen verbunden war und unter den Bedingungen der offenen Grenze zumeist große Schwierigkeiten hatte, noch vorhandene Beziehungen zu den Kräften der Vergangenheit abzubrechen. Die bürgerliche Ideologie wirkte unter diesen Bedingungen relativ stark nach. Die SED mußte dieser Frage große Aufmerksamkeit schenken und viel Kraft aufwenden, um die Vertreter der alten Intelligenz für den Sozialismus zu gewinnen. Unter dem Einfluß des vom Imperialismus geführten kalten Krieges und begünstigt durch die offene Grenze, verließen Angehörige der Intelligenz, die sich von überholten Auffassungen und Ansichten nicht zu lösen vermochten, die DDR. Diese Erscheinung betraf in vergleichbarer Größenordnung kein anderes sozialistisches Land. Das war ein
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wesentlicher Grund dafür, daß die DDR zu Beginn der sechziger Jahre, obwohl sie einen der vordersten Plätze in der Anzahl der Studenten pro Kopf der Bevölkerung einnahm, in der Versorgung der Volkswirtschaft mit Spezialisten hinter der UdSSR, der CSSR, der VRB und der UVR zum Teil beträchtlich zurückblieb.92 Im Zusammenhang mit der sozialistischen Umgestaltung der Wissenschaft muß der Anteil solch bekannter Persönlichkeiten der Intelligenz, die nach 1945 über ein Jährzehnt in der UdSSR auf dem Gebiet der Kernforschung gearbeitet hatten, wie z. B. Max Steenbeck, Peter A. Thiessen und Manfred von Ardeime, hervorgehoben werden. Sie haben in zweifacher Hinsicht positiv auf den Prozeß der Verschmelzung von alter und neuer Intelligenz zur sozialistischen Intelligenz eingewirkt: 1. durch die entschiedene Bejahung der großen Rolle der Sowjetwissenschaft für die DDR; 2. durch die Bejahung der Planbarkeit der Wissenschaft und ihren Beitrag, Methoden der Planung in solchen großen Institutionen und Gremien wie dem Forschungsrat und der Akademie der Wissenschaften auch durchzusetzen. Diese Persönlichkeiten verkörperten selbst in hohem Grade sowjetische Erfahrungen. Dies trifft auch für die Kader der ersten Absolventenjahrgänge von sowjetischen Hochschulen zu, die in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zur Verfügung standen.93 An dieser Stelle ist auch die Bildung der gemeinsamen Historikerkommission D D R UdSSR zu erwähnen. Die in den Jahren 1957 und 1959 von ihr veranstalteten Konferenzen zur Weltbedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und über die Ursachen und den Charakter des zweiten Weltkrieges stellten wichtige Schritte im Formierungsprozeß der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften der DDR dar. Nach der Moskauer Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien im Jahre 1960 gab das Ministerium für Kultur periodisch erscheinende „INFORMATIONEN aus den Erfahrungen der sozialistischen Bruderländer" heraus. Damit erhielten die leitenden Organe der Partei, des Staatsapparates und der Massenorganisationen wertvolle Anregungen. Zusammenfassend kann hierzu festgestellt werden, daß die DDR ebenso wie andere RGW-Länder Ende der fünfziger Jahre und zu Beginn der sechziger Jahre wichtige Aufgaben der Kulturrevolution auch deshalb unter ungleich günstigeren Bedingungen zu lösen vermochte als die UdSSR Ende der dreißiger Jahre, weil die Erfahrungen des kulturellen Aufbaus in der UdSSR bereits berücksichtigt werden konnten. In der DDR wurde der Beweis erbracht, daß die von Lenin entwickelte Theorie der sozialistischen Kulturrevolution auch für entwickelte Industrieländer mit einer alten und ausgeprägten bürgerlichen Kulturtradition gültig ist. Die Arbeiterklasse der DDR konnte unter Führung der SED die Aufgaben der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der vergleichsweise kurzen Zeit von etwa eineinhalb Jahrzehnten im wesentlichen lösen. Bedeutsam war, daß die DDR diese hohe Dynamik trotz einiger komplizierter objektiver Bedingungen (Spaltung des Landes, militant-aggressive Politik des Imperialismus gegen die DDR, akute Rohstoffknappheit u. a.) erreichte. Diese historische Leistung war vor allem auf Grund der schöpferischen Anwendung der Erfahrungen der UdSSR und der fortschreitenden Verankerung in der sozialistischen Staatengemeinschaft möglich. Die SED wandte in der Endphase der Übergangsperiode schöpferisch die Leninsche 310
Revolutionstheorie und auch jene Erfahrungen der KPdSU an, die diese beim Abschluß der Übergangsperiode in der UdSSR gesammelt hatte. Von besonderer Bedeutung war in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dafj die Vollendung der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft eine sehr komplizierte Aufgabe darstellte - eine Aufgabe, die die Mobilisierung des Kräftepotentials der gesamten Gesellschaft unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei erforderte. Die SED wertete auch Erfahrungen aus, die die KPdSU beim Aufbau des entwickelten Sozialismus erworben hatte. Bei dieser Gruppe von Erfahrungen wurden besonders hohe Anforderungen an die schöpferische Anwendung gestellt, da die Gefahr des „Überspringens von Etappen" bestand. Die Möglichkeit der synchronen Übernahme von Erfahrungen erforderte besondere Umsicht und Aufmerksamkeit, weil hier die historische Bewährung auch in der UdSSR noch ausstand. Der Partei gelang es jedoch, auch derartige Erfahrungen in den Dienst der Festigung der sozialistischen Produktionsverhältnisse zu stellen und damit günstige Voraussetzungen für den Übergang zum Aufbau des entwickelten Sozialismus in der DDR zu schaffen. Die SED stützte sich auch auf Erfahrungen der Bruderparteien, die mit zeitlichem Vorlauf oder parallel die Aufgabe des Abschlusses der Übergangsperiode lösten. Wesentlich stärker als zu Beginn der Übergangsperiode konnte die SED in deren Endphase durch Vermittlung eigener Erfahrungen zur Stärkung der sich formierenden sozialistischen Staatengemeinschaft beitragen. Hinsichtlich der Formen des Erfahrungsaustausches kann zusammenfassend festgestellt werden, da5 sich in bestimmten Schwerpunktbereichen das Bedürfnis nach kollektiver Verallgemeinerung der Erfahrungen unter Zugrundelegung der Allgemeingültigkeit der Erfahrungen der KPdSU immer stärker bemerkbar machte und teilweise auch durchsetzte. Allerdings dominierten insgesamt noch die bilateralen Formen der Erfahrungsübermittlung. Objektive Basis der sich ankündigenden Tendenz zur kollektiven Verallgemeinerung der Erfahrungen stellte die zunehmend synchrone Gesamtentwicklung der Mehrheit der sozialistischen Länder Europas dar.
Anmerkungen 1 Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder, die vom 14.-16. November 1957 in Moskau stattfand. In: Dokumentation der Zeit, Berlin 1958, H. 157, S. 18. 2 Vgl. ebenda. 3 Lenin, W. I., Der „linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus. In: Werke, Bd. 31, Berlin 1972, S. 49. 4 Ebenda. 5 Hadzinikolov, V., Wesen und Bedeutung der sowjetischen Erfahrungen beim Aufbau des Sozialismus und Kommunismus. Referat auf der Konferenz der Historikerkommission der DDR und der Volksrepublik Bulgarien. 21./22. Oktober 1976, Schloß Molsdorf (Ms., S. 3). 6 Roßmann, Gerhard, Die brüderlichen Beziehungen zur Partei und zum Lande Lenins Grundlage unseres Weges zum Sozialismus. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung (im folgenden: BzG), 1975, H. 2, S. 213. 7 Honecker, Erich, Reden und Aufsätze, Bd. 4, Berlin 1977, S. 299. 8 Heitzer, Heinz, Schöpferische Anwendung der allgemeingültigen Lehren der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution in der DDR. In: Einheit, Berlin 1977, H. 9, S. 1096. 9 Vgl. Voigt, Gerd, Die Oktoberrevolution in der Historiographie der BRD. Kontinuitäten und neue Tendenzen. In: Wissenschaftliche Mitteilungen der Historikergesellschaft der DDR, Berlin 1977, H. 2, S. 63 ff. 21
Übergangsperiode
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10 Vgl. Chvostov, W. M./Zapanow, W. I., Die Zusammenarbeit von KPdSU und SED Proletarischer Internationalismus in Aktion. In: BzG, 1971, H. 4, S. 531 ff.; Diehl, Emst, Als die Grundmauern des Bundes von KPdSU und SED enstanden. In: ebenda, H. 5, S. 707 ff.; Voßke, Heinz, Über die Entwicklung der Beziehungen der SED zur internationalen Arbeiterbewegung in den ersten Jahren nach der Gründung der Partei. In: ebenda, 1972, H. 2, S. 222 ff.; Benser, Günter, Zur Hilfe der KPdSU für die Entwicklung der SED zu einer Partei neuen Typus. In: Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas (im folgenden: JfGsL), Bd. 18/1, Berlin 1974, S. 9 ff. 11 Vgl. Kanzig, Helga/Rolfs, Klaus, Zum Studium der Erfahrungen des sozialistischen Aufbaus in der UdSSR durch die SED in den ersten Jahren der Herausbildung der sozialistischen Produktionsweise in der DDR. In: BzG, 1975, H. 2, S. 306 ff; Roßmann, G., Die neue Etappe der bürgerlichen Kampfgemeinschaft von KPdSU und SED seit Beginn der siebziger Jahre. I n : BzG, 1976, H. 5, S. 188; Gräfe, Karl-Heinz/Kirsch, Günter, Die Hilfe der sowjetischen Gewerkschaften für die Wettbewerbsbewegung der DDR. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (im folgenden: ZfG), 1976, H. 12, S. 1382 ff; Dittrich, Gottfried, Zur schöpferischen Anwendung von Erfahrungen der sowjetischen Aktivistenund Wettbewerbsbewegung. In: Die Entwicklung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR, Berlin 1977, S. 157 ff.; Griep, Günter, Zur Anwendung sowjetischer Erfahrungen bei der Entfaltung der Masseninitiative der Arbeiterklasse der DDR 1949-1955. In: Der Rote Oktober und der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, Leipzig 1977, S. 336 ff.; Mrosek, Bernd, Die neue Qualität bei der schöpferischen Anwendung sowjetischer Produktionserfahrungen in der DDR und der Übergang zum multilateralen Erfahrungsaustausch (1961-1965). In: ebenda, S. 387 ff.; Fiedler, Helene/ Möschner, Gerhard, Die Anwendung von Erfahrungen der KPdSU in der Politik der SED für die Errichtung und Festigung des Arbeiter-und-Bauern-Staates. In: BzG, 1978, H. 2. 12 Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß, Berlin 1978; Bartel, Horst/Heitzer, Heinz, Die Anwendung grundlegender Erfahrungen der Sowjetunion in der DDR. In: ZfG, 1974, H. 9, S. 917 ff.; Heitzer, Heinz, Hauptetappen der Kampfgemeinschaft von SED und KPdSU. In: ZfG, 1976, H. 9, S. 970ff.; derselbe. Schöpferische Anwendung der allgemeingültigen Lehren der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution in der DDR. In: Einheit, 1977, H. 9, S. 1094 ff.; Roßmann, Gerhard, Die brüderlichen Beziehungen . . ., a. a. O. 13 Klassenkampf - Tradition - Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Grundriß, Berlin 1974, S. 647. 14 Roßmann, Die brüderlichen Beziehungen . . ., a. a. O., S. 223. 15 Geschichte der SED, a. a. O., S. 359. 16 Fedossejew, P. N„ Die führende Rolle der KPdSU beim Aufbau des Kommunismus. In: Die wachsende Rolle der kommunistischen und Arbeiterparteien im revolutionären Prozeß des Aufbaus des Sozialismus und Kommunismus. Internationale wissenschaftliche Konferenz, Berlin, 16.-18. Juni 1970, Berlin 1970, S. 77. 17 Lenin, W. I., Schlußwort zum Bericht des ZK der KPdSU (B), 9. März 1921. In: Werke, Bd. 32, Berlin 1972, S. 192 ff. 18 Ulbricht, Walter, Die Rolle der Deutschen Demokratischen Republik im Kampf um ein friedliches und glückliches Leben des deutschen Volkes. 25. Tagung des ZK der SED, Berlin 1955, S. 70. 19 Ebenda. Ausführlich vgl. Roßmann, Die brüderlichen Beziehungen . ... a. a. O., S. 224. 20 Zu Fragen des XX. Parteitages der KPdSU, Berlin 1956, S. 30. 21 Geschichte der SED, a. a. O., S. 360. 22 Vgl. Unsere ökonomischen Probleme und die Verbesserung der Wirtschaftsführung. 30. Tagung des ZK der SED, Berlin 1957, S. 36. 23 Vgl. Geschichte der SED, a. a. O., S. 365. 24 Vgl. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. VII, Berlin 1961, S. 97 ff.
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25 Ebenda, S. 142 f. 26 Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 1, Berlin 1959, S. 177. 27 IML, ZPA, IV 2/5/167. 28 IML, ZPA, IV 2/5/165. 29 IML, ZPA, IV 2/906/25. 30 Lenin, W. I., Über ein Kampfabkommen für den Aufstand. In: Werke, Bd. 8, Berlin 1972, S. 147. 31 Geschichte der SED, a. a. O., S. 334. 32 Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. V, Berlin 1956, S. 467. 33 Protokoll der Verhandlungen der 3. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1956, S. 699. 34 Lenin, W. 1., Rede auf dem I. Gesamtrussischen Kongreß der Volkswirtschaftsräte, 26. Mai 1918. In: Werke, Bd. 27, Berlin 1974, S. 407. 35 Ebenda. 36 Vgl. Berchin, I. B., Geschichte der UdSSR 1917-1970, Berlin 1971, S. 622 f. 37 Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, T. I, Nr. 12, Berlin, den 20. Februar 1958, S. 118. 38 Vgl. Über die ökonomischen und sozialen Auswirkungen und Bedingungen der Automatisierung im Kapitalismus und Sozialismus. Überarbeitetes Protokoll der gemeinsamen Propagandistenkonferenz der Abteilung Agitation und Propaganda der Zentralkomitees der KPC und der SED in Berlin vom 26.-28. Oktober 1957 (Berlin 1957). 39 Vgl. Prokop, Siegfried, Entwicklungslinien und Probleme der Geschichte der DDR in der Endphase der Übergangsperiode (1957-1963), Diss. B„ Berlin 1978, S. 18. 40 Ausführlich vgl. Roesler, Jörg, Die Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, Berlin 1978, S. 150 ff. 41 ZStA, E - 4, Nr. 10 591. 42 Im Jahre 1968 wurde in der CSSR im Zusammenhang mit der Umbildung in eine Föderation die Einkammernstruktur der Nationalversammlung in eine Zweikammernstruktur der Bundesversammlung umgewandelt. Die Bundesversammlung besteht aus einer Volkskammer und einer Kammer der Völker, die beide vollständig gleichberechtigt sind. Vgl. Gosudarstvo i demokratija v period postroenija razvitogo socialisma, Moskva 1974, S. 175. 43 IML, ZPA, IV 2/13/281. 44 IML, ZPA, IV 2/5/35. 45 Ausführlich vgl. Iljinskij, I. P./Strasun, B. V., Germanskaja Demokraticeskaja Respublika (gosudarstvenny stroj), Moskva 1961, S. 37. 46 Geschichte det SED, a. a. O., S. 415 ff. 47 Vgl. Zarozdenije narodnych armij stran-ucastnic Varsavskogo Dogovora 1941-1949 gg., Moskva 1975, S. 19 u. 336 ff. 48 Vgl. Unsere ökonomischen Probleme . . ., a. a. O., S. 13. 49 ZStA, E - 1, Nr. 25 738. 50 Loginov, A. V., Die Entwicklung der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit zwischen der DDR und der UdSSR 1958-1960. Berlin 1976, Dipl.-Arb. Humboldt-Universität, Sektion Geschichte (Ms.), S. 37. 51 Vgl. Rofjmann, Die brüderlichen Beziehungen . . ., a. a. O., S. 225. 52 ZA - FDGB, FDGB-Buvo, Nr. 1318. 53 Sacher, H„ Erfolgreiche Zusammenarbeit deutscher und sowjetischer Neuerer, Berlin 1964, S. 91 f. 54 ZA - FDGB, Abt. Kultur, 36/84/6320. 55 ZA - FDGB, FDGB-Buvo, Nr. 1319. 56 Ebenda. 57 Vgl. Winkler, ]., Grundzüge der Kulturarbeit des FDGB 1958 bis 1960. Dipl.-Arb. Humboldt-Universität, Berlin 1977 (Ms.), S. 56. 21*
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58 Gräte, Karl-Heinzj Kirsch, Günter, Die Hilfe der sowjetischen Gewerkschaften . ... a. a. O., S. 1392. 59 Vgl. Wissenschaftlicher Kommunismus. Lehrbuch, Berlin 1972, S. 254. 60 ZStA, C, Nr. 1190. 61 Vgl. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik, Teil III, Berlin 1967, S. 541. 62 Tiedtke, K., Zu einigen Erfahrungen der KPdSU bei der Entwicklung der sowjetischen Landwirtschaft (1953 bis 1960). Berlin 1960, S. 27. 63 Pankratz, G., Der Weg der MTS. (Berlin) 1960, S. 170. 64 Krauss, E., Grundzüge des LPG-Rechts in einigen sozialistischen Ländern Europas. In: Neue Justiz, Berlin 1975, S. 549. 65 Socialisticeskije preobrazovanija v sel'skom chosjajstve evropejskich stran narodnoj demokratii, Moskva 1963, S. 26. 66 Krauss, Grundzüge . . . , a. a. O., S. 550. 67 Sozialistisches Weltwirtschaftssystem in vier Bänden, Bd. 1: Die Entstehung des sozialistischen Weltwirtschaftssystems, Berlin 1967, S. 194 f. 68 Schlopov, V., Das bulgarische Dorf auf dem Wege zum Sozialismus. Sofia 1972, S. 5 f. 69 Mar'rina, V. V., Murasko, G. P„ Put' cechoslovackogo krest' janstva k socialismu (1948 bis 1960), Moskva 1972, S. 327. 70 Istorija Vengrii, T. III, Moskva 1972, S. 740 f. 71 Istorija Rumynii 1918-1970, Moskva 1971, S. 551 f. 72 Sozialistisches Weltwirtschaftssystem . . ., a. a. O., S. 195. 73 Herferth, Wilhelm, Die Genossenschaftsbewegung nach der 33. Tagung des ZK der SED im Oktober 1957. In: ZfG, Berlin 1966, H. 2, S. 215. 74 Vgl. Müller, R. R., Materialien zur Kollektivierung der Landwirtschaft in der Volksrepublik China. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, 1967, H. 3, S. 420 ff. 75 Vgl. Griebenow, Helmut/Meyer, Kurt, Die Einbeziehung der Großbauern in die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft der DDR. In: Jahrbuch für Geschichte (im folgenden: JfG), Bd. 6, Berlin 1972, S. 373. 76 Berchin, I. B„ Geschichte der UdSSR, a. a. O., S. 327 ff. 77 Vgl. Narodnaja Respublika Bolgarija, Moskva 1974, S. 18. 78 Vgl. Oelßner, Fred, Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 1955, S. 45. 79 Ulbricht, Walter, Der Kampf der sozialistischen Staaten für einen Überfluß an landwirtschaftlichen Produkten und die Erhöhung der Marktproduktion der LPG in der DDR, Berlin 1960, S. 32. 80 IML, ZPA, IV 2/7/201. 81 Ausführlicher vgl. Prokop, Siegtried, Entwicklungslinien und Probleme der Geschichte der DDR . . ., a. a. O., S. 195, 209. 82 In der marxistisch-leninistischen Literatur wird zwischen einem Kulturbegriff im engeren und weiteren Sinne unterschieden. Im Unterschied zu Hans Koch, der den Kulturbegriff sehr weit faßt (vgl. Die geistige Kultur der sozialistischen Gesellschaft, Berlin 1976, S. 7 ff., und Kulturpolitik in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1976), wird hier im Intet esse der konkreten Darstellung historischer Prozesse der engere Kulturbegriff zugrunde gelegt. 83 Vgl. Wissenschaftlicher Kommunismus . . ., a. a. O., S. 500. 84 Lange, M., Die Allgemeingültigkeit von Lenins Programm der sozialistischen Kulturrevolution, Berlin 1970, S. 6 f. 85 Vgl. Greiner, B., Von der Allegorie zur Idylle. Die Literatur der Arbeitswelt der DDR, Heidelberg (1974), S. 108. 86 Vgl. den Beitrag von Therese Hörnigk im vorliegenden Band. 87 Vgl. Programmerklärung des Ministeriums für Kultur über den Aufbau der Volkskultur in der Deutschen Demokratischen Republik, o. O. (1954).
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88 Vgl. Stellung und Bedeutung der Sowjetliteratur in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR, (Berlin 1974), S. 23. 89 Günther. Karl-HeinzjUhlig, Gottfried, (unter Mitarbeit v. Christine Lost), Geschichte der Schule in der Deutschen Demokratischen Republik 1945-1971, Berlin 1974, S. 143. 90 Vgl. Tobies, R., Die Hilfe der Sowjetunion bei der Entwicklung des naturwissenschaftlichen Unterrichts auf dem Gebiet der DDR (1945-1971). I n : Zwischen Wörlitz und Mosigkau. Schriftenreihe zur Geschichte der Stadt Dessau und Umgebung, Dessau 1975, H. 12, S. 47 f. 91 IML, ZPA, IV 2/906/28. 92 Vgl. Mikul'skij, K. I., Klassovaja struktura obscestva v stranach socialisma, Moskva 1976, S. 99. 93 Ausführlicher vgl. Schützler, Horst, Zur freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Universitäten und Hochschulen der DDR und der UdSSR. I n : Verbündete in der Forschung. Traditionen der deutsch-sowjetischen Wissenschaftsbeziehungen und die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und der Akademie der Wissenschaften der DDR. Berlin 1976, S. 169.
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Autorenverzeichnis
Prof. Dr., stellvertretender Abteilungsleiter, Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED HEITZER, H E I N Z , Prof. Dr., stellvertretender Direktor, Zentralinstitut für Geschichte der AdW der DDR BADSTÜBNER, R O L F , Prof. Dr. habil., Bereichsleiter, Zentralinstitut für Geschichte der AdW der D D R H E G E M A N N , M A R G O T , Dr., wissenschaftliche Arbeitsleiterin, Zentralinstitut für Geschichte der AdW der DDR D I T T R I C H , GOTTFRIED, Dr. sc., Dozent, Leiter des Lehrstuhls Geschichte der DDR, Karl-MarxUniversität Leipzig, Sektion Geschichte B A R T H E L , H O R S T , Dr. habil., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Zentralinstitut für Geschichte der AdW der DDR C E R N Y , J O C H E N , Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Zentralinstitut für Geschichte der AdW der DDR H Ü B N E R , PETER, Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Zentralinstiut für Geschichte der AdW der DDR K E I D E R U N G , GERHARD, Dr., Abteilungsleiter, Zentralinstitut für Geschichte der AdW der DDR G R E E S E , K A R L , Dr. sc., Dozent, Hauptmann d. Res., Militärgeschichtliches Institut der DDR, Potsdam H Ö R N I C K , THERESE, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin, Zentralinstitut für Literaturgeschichte der AdW der DDR P R O K O P , SIEGFRIED, Dr. sc., Dozent, Leiter des Lehrbeieichs Geschichte der DDR, HumboldtUniversität zu Berlin, Sektion Geschichte BENSEE, GÜNTER,