Sowjetische Präsenz im kulturellen Leben der SBZ und frühen DDR 1945–1953 9783050047478, 9783050030890


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German Pages 438 [440] Year 1998

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Einleitung: Sowjetisches Modell und nationale Prägung
2 Rahmenbedingungen
2.1 Zum politischen Kontext
2.1.1 Von der Kooperation zur Konfrontation zwischen den Verbündeten
2.1.2 Pläne für das besiegte Deutschland
2.1.3 Der Ausbruch des Kalten Krieges
2.1.4 Konsequenzen für Deutschland
2.2 Der kulturpolitische Hintergrund in der Sowjetunion 1945 bis 195
2.2.1 Die Situation bis 1946
2.2.2 Der Fall Sostschenko
2.2.3 Die Folgen der Parteierlasse von1946/48
2.2.4 Zur Person Alexander Fadejews
2.2.5 Vom Kampf gegen den „wurzellosen Kosmopolitismus“ bis zur Entlarvung der „Theorie der Konfliktlosigkeit“
3 Der Kalte Krieg als entscheidender Faktor des literarischen Lebens
3.1 Zum Ausbruch der Ost-West-Kontroverse auf dem I. Deutschen Schriftstellerkongreß im Oktober 1947
3.1.1 Vor- und Umfeld des Kongresses
3.1.2 Zum Kongreßverlauf
3.1.3 Pressereaktionen
3.1.4 Nachspiel
3.2 Der Wroclawer Kongreß (1948) und die Friedensbewegung: Stalinisierung mittels Friedenskampf
3.2.1 Intentionen und Erwartungen
3.2.2 Zum Ablauf des Kongresses
3.2.3 Dimensionen des Kongresses
3.2.4 Die Ausweitung der Friedensbewegung zur internationalen Kampagne
3.2.5 Konsequenzen für das literarische Leben in der DDR
4 Sowjetisches Modell und öffentliches Leben in der SBZ/DDR
4.1 Die Angleichung an die Sowjetunion in Politik und Gesellschaft
4.1.1 Exkurs: Befund – Antisowjetismus
4.2 Übernahme des sowjetischen Wirtschaftsmodells
4.2.1 Einführung der Planwirtschaft
4.2.2 Eine Kraft von unten: Die Betriebsräte
4.2.3 Auf Anordnung von oben: Aktivistenbewegung und sozialistischer Wettbewerb
4.2.4 Zur Übernahme sowjetischer Verfahren in der Landwirtschaf
4.2.5 Exkurs: Von Gremjatschi Log nach Katzgraben. Zur Wirkung und Aneignung der sowjetischen Produktionsliteratur
5 Kulturtransfer und Eigendynamik der literaturpolitischen Entwicklung
5.1 Einleitung: Zeitverschiebungen
5.2 Außensteuerung: Zum Wirken der sowjetischen Kulturoffiziere
5.2.1 Zur Stellung der Kulturoffiziere innerhalb der SMAD
5.2.2 Wiederbelebung des deutschen Kulturbetriebs durch sowjetische Kulturoffiziere
5.2.3 Zu den Abberufungen
5.2.4 Kulturoffiziere: Zwei Porträts
5.2.5 Der Einfluß Moskaus: Die Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (WOKS)
5.2.6 Das Haus der Kultur der Sowjetunion
5.3 Internalisierung: Zur Ausübung stalinistischer Kulturpolitik durch die SED
5.3.1 Aufbau einer Kulturverwaltung
5.3.2 Selbstverständnis und Funktion des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“
5.3.3 Schriftsteller und Parteipresse. Ein Exempel zum Thema SED und Intellektuelle
5.3.4 Ideologische Schulung und ,Schulungsideologie
5.3.5 Erteilung des „sozialen Auftrags“
5.3.6 Die Formalismuskampagne von 1951
5.3.7 Der 17. Juni und die Intellektuellen
6 Institutionengeschichte: Das Beispiel der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft
6.1 Die DSF als Ergänzung zum Kulturbund: Aufgabenverteilung
6.2 Die Leitung der DSF
6.2.1 Die Führungsspitze der DSF in den ersten Jahren
6.2.2 Jürgen Kuczynski und Hans Mark als Opfer der antisemitischen Kampagne
6.2.3 Die Neubesetzung des Präsidiums und Sekretariats
6.3 Zur Gründungsgeschichte der DSF
6.3.1 Gruppierungen im Vorfeld
6.3.2 SMAD und SED als Initiatoren
6.3.3 ,Pioniere’ der „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion“
6.4 Organisationsstruktur und Mitgliederzahlen
6.4.1 Zum Aufbau in den einzelnen Landesgesellschaften
6.4.2 Die Kulturhäuser der DSF
6.4.3 Die Namensänderung 1949
6.4.4 Die Umgestaltung zur Massenorganisation
6.4.5 Zur Organisationsstruktur und Kaderfrage
6.4.6 Das Verhältnis von SED und DSF
6.5 Programmatik und Konzeptwandel
6.5.1 Das Operieren mit einem doppelten Kulturbegriff
6.5.2 Die Freundschaft zur Sowjetunion als Bekenntnis
6.6 DSF und WOKS
6.7 Publikationsorgane: Fallstudie „Friedenspost“
7 Gegenseitige Wahrnehmung
7.1 Belehrung, Bekehrung, Beglaubigung. Reisen deutscher Schriftsteller in die Sowjetunion (1948/1953)
7.1.1 Die Delegation von 1948
7.1.2 Schriftstellerbegegnung 1953
7.2 Rezeptionsvorgänge
7.2.1 Sowjetische Literatur in der SBZ und frühen DDR
7.2.2 Die Literatur der SBZ/DDR auf dem Prüfstand der sowjetischen Literaturkritik
7.3 Die Situation der sowjetischen Besatzung und die deutsche Nachkriegswirklichkeit im Roman
7.3.1 Aus der Sicht des Überlegenen: Sowjetische Gegenwartsliteratur über die Nachkriegszeit
7.3.2 Zwischen freiwilliger Hommage, fälligem Tribut und kritischer Korrektur: Die deutsche Sicht der Besatzungsära im Roman
8 Schlußbemerkungen
9 Editorische Notiz
10 Verzeichnis der Abkürzungen
11 Interviews und schriftliche Befragungen
12 Eingesehene Archive
13 Literaturverzeichnis
13.1 Dokumente und Quellen
13.2 Memoiren und literarische Werke
13.3 Darstellungen
14 Personenregister
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Sowjetische Präsenz im kulturellen Leben der SBZ und frühen DDR 1945–1953
 9783050047478, 9783050030890

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Anne Hartmann Wolfram Eggeling Sowjetische Präsenz im kulturellen Leben der SBZ und frühen DDR 1945-1953

edition bildung und Wissenschaft band 7 herausgegeben von Manfred Heinemann

In Zusammenarbeit mit dem Lotman-Institut für russische und sowjetische Kultur und dem Institut für Deutschlandforschung der Ruhr-Universität Bochum Veröffentlichung des Zentrums für Zeitgeschichte von Bildung und Wissenschaft der Universität Hannover

Anne Hartmann Wolfram Eggeling

Sowjetische Präsenz im kulturellen Leben der SBZ und frühen DDR 1945 -1953

Akademie Verlag

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Einbandgestaltung unter Verwendung eines Plakats von I. M. Toidze: „Unter dem Banner Lenins, unter der Führerschaft Stalins, vorwärts zum Sieg des Kommunismus!" (Moskau/Leningrad 1949)

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hartmann, Anne / Eggeling, Wolfram: Sowjetische Präsenz im kulturellen Leben der SBZ und frühen DDR 1945-1953. / Anne Hartmann/Wolfram Eggeling. - 1. Aufl. - Berlin : Akad. Verl., 1998 (Edition Bildung und Wissenschaft; 7) ISBN 3-05-003089-5

1. Auflage 1998 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 1998 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der R. Oldenbouig-Gruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Satz: Universität Hannover, Forschungsstelle EDV Druckvorbereitung: Druckreif Medientechnik GmbH, Langenhagen Druck: Hahn-Druckerei GmbH & Co., Hannover Bindung: Druckhaus „Th. Müntzer" GmbH, Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

XI

1

Einleitung: Sowjetisches Modell und nationale Prägung

1

2

Rahmenbedingungen

9

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5

Zum politischen Kontext Von der Kooperation zur Konfrontation zwischen den Verbündeten Pläne für das besiegte Deutschland Der Ausbruch des Kalten Krieges Konsequenzen für Deutschland Der kulturpolitische Hintergrund in der Sowjetunion 1945 bis 1953 Die Situation bis 1946 Der Fall Sostschenko Die Folgen der Parteierlasse von 1946/48 Zur Person Alexander Fadejews Vom Kampf gegen den „wurzellosen Kosmopolitismus" bis zur Entlarvung der „Theorie der Konfliktlosigkeit"

9 10 12 14 17 23 23 25 28 29

Der Kalte Krieg als entscheidender Faktor des literarischen Lebens Zum Ausbruch der Ost-West-Kontroverse auf dem I. Deutschen Schriftstellerkongreß im Oktober 1947 Vor-und Umfeld des Kongresses Streit der Konzeptionen in der Planungsphase Propagandistische Scharmützel Das .Verbot' des Kulturbunds Exkurs: Der Kalte Krieg als „reaktive Mechanik" Zum Kongreßverlauf Die Reden der deutschen Teilnehmer Streitfälle und Provokationen Die Mitglieder der sowjetischen Delegation und ihre Ausführungen Pressereaktionen Nachspiel Der Wrodawer Kongreß (1948) und die Friedensbewegung: Stalinisierung mittels Friedenskampf

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3 3.1 3.1.1

3.1.2

3.1.3 3.1.4 3.2

31

35 36 36 39 41 46 48 49 51 53 58 61 63

VI

3.2.1 3.2.2

3.2.3 3.2.4

3.2.5 4 4.1 4.1.1

4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3

4.2.4 4.2.5

5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2

5.2.3 5.2.4

Inhaltsverzeichnis

Intentionen und Erwartungen Zum Ablauf des Kongresses Profil der Delegationen Der Eklat: Die Fadejew-Rede Sowjetische Initiativen der .Abfederung* Britische und amerikanische Gegenreden Dimensionen des Kongresses Die Ausweitung der Friedensbewegung zur internationalen Kampagne Die Krux der Friedensbewegung: Stalins Führungsanspruch Eine Gegenoffensive: Der Kongreß für kulturelle Freiheit. Mit einem Exkurs: Der Prozeß Krawtschenko gegen „Lettres françaises" Errichtung der sowjetischen Friedensfront Zur Übernahme der Friedenskampagne in der DDR Konsequenzen für das literarische Leben in der DDR

63 66 66 68 70 72 74 79 79 82 86 87 92

Sowjetisches Modell und öffentliches Leben in der SBZ/DDR 95 Die Angleichung an die Sowjetunion in Politik und Gesellschaft 95 Exkurs: Befund - Antisowjetismus 101 Objektive und subjektive Ursachen der sowjetfeindlichen Stimmung 101 Die „Klärung" des Verhältnisses zur Sowjetunion 1948/49 107 „Über ,die Russen' und über uns" - eine Kampagne 108 Übernahme des sowjetischen Wirtschaftsmodells 111 Einführung der Planwirtschaft 111 Eine Kraft von unten: Die Betriebsräte 112 Auf Anordnung von oben: Aktivistenbewegung und sozialistischer Wettbewerb . . 1 1 4 Der Aufbau eines Helden der Arbeit 114 Das Vorbild: Stachanow und die sowjetische Aktivistenbewegung 116 Ausbau und Auswirkungen der Aktivistenbewegung in der SBZ 121 Zur Übernahme sowjetischer Verfahren in der Landwirtschaft 129 Exkurs: Von Gremjatschi Log nach Katzgraben. Zur Wirkung und Aneignung der sowjetischen Produktionsliteratur 132 Romane des industriellen Aufbaus: Fjodor Gladkow - Eduard Claudius 133 Kolchosliteratur: Michail Scholochow - Erwin Strittmatter 138 Kulturtransfer und Eigendynamik der literaturpolitischen Entwicklung Einleitung: Zeitverschiebungen Außensteuerung: Zum Wirken der sowjetischen Kulturoffiziere Zur Stellung der Kulturoffiziere innerhalb der SMAD Wiederbelebung des deutschen Kulturbetriebs durch sowjetische Kulturoffiziere Werben um das Bürgertum „Züge einer neuen Kunst"; Kampfansage gegen den Formalismus Zu den Abberufungen Kulturoffiziere: Zwei Porträts

145 145 147 147 148 152 157 162 165

Inhaltsverzeichnis

5.2.5

5.2.6 5.3 5.3.1 5.3.2

5.3.3

5.3.4 5.3.5 5.3.6

5.3.7

6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4

VII

Sergej Tjulpanow Alexander Dymschitz Der Einfluß Moskaus: Die Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (WOKS) Zum Profil der WOKS SMAD und WOKS. Zum Alltag der Kulturoffiziere Das Haus der Kultur der Sowjetunion Intemalisierung: Zur Ausübung stalinistischer Kulturpolitik durch die SED . . . . Aufbau einer Kulturverwaltung Zum Kaderprinzip und zur Zensurpraxis Selbstverständnis und Funktion des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" Gratwanderung: Zwischen Überparteilichkeit und Abhängigkeit Kulturverein oder politische Vereinigung? Schriftsteller und Parteipresse. Ein Exempel zum Thema SED und Intellektuelle Das .offene Gespräch' Die ungehörten Appelle Die Durchsetzung der „Presse neuen Typus" Ideologische Schulung und .Schulungsideologie' Erteilung des „sozialen Auftrags" Die Formalismuskampagne von 1951 Auswirkungen auf das kulturelle Klima Exkurs: Institutionalisierung des sozialistischen Realismus Der 17. Juni und die Intellektuellen Stalins Thesen zur Sprachwissenschaft als .Strohhalm' für die Intellektuellen . . . „Warum diskutieren wir nicht darüber?" Kritische Stimmen im Umfeld des 17. Juni

165 167

225

Institutionengeschichte: Das Beispiel der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft Die DSF als Ergänzung zum Kulturbund: Aufgabenverteilung Die Leitung der DSF Die Führungsspitze der DSF in den ersten Jahren Jürgen Kuczynski und Hans Mark als Opfer der antisemitischen Kampagne . . . . Die Neubesetzung des Präsidiums und Sekretariats Zur Gründungsgeschichte der DSF Gruppierungen im Vorfeld SMAD und SED als Initiatoren .Pioniere' der „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion" Organisationsstruktur und Mitgliederzahlen Zum Aufbau in den einzelnen Landesgesellschaften Die Kulturhäuser der DSF Die Namensänderung 1949 Die Umgestaltung zur Massenorganisation

231 231 232 232 234 236 237 237 238 240 241 241 242 243 244

174 174 176 181 185 185 186 188 188 193 196 198 203 206 208 213 216 219 221 223 223

VIII

Inhaltsverzeichnis

6.4.5 6.4.6 6.5 6.5.1 6.5.2 6.6 6.7

Zur Organisationsstruktur und Kaderfrage Das Verhältnis von SED und DSF Programmatik und Konzeptwandel Das Operieren mit einem doppelten Kulturbegriff Die Freundschaft zur Sowjetunion als Bekenntnis DSF und WOKS Publikationsorgane: Fallstudie „Friedenspost"

7 7.1

Gegenseitige Wahrnehmung 273 Belehrung, Bekehrung, Beglaubigung. Reisen deutscher Schriftsteller in die Sowjetunion (1948/1953) 273 Die Delegation von 1948 274 Zum Profil der Auslandskommission 274 Zum Delegationsprofil 276 Reiseberichte 278 Die Literaturdiskussion 284 Schriftstellerbegegnung 1953 289 Zu den Teilnehmern 290 Die Gesprächsrunden 292 Rezeptionsvorgänge 299 Sowjetische Literatur in der SBZ und frühen DDR 299 Literarische Kanonbildung 305 Literaturbegriff und Funktionszuweisungen 309 Transferhemmnisse 314 Die Literatur der SBZ/DDR auf dem Prüfstand der sowjetischen Literaturkritik . . 315 Ausmaß und Intensität der Beobachtung 316 Bewertungen von Autoren und Werken: Becher, Brecht, Kellermann, Seghers, Kuba, Wolf, Claudius 316 Mechanismen und ,Hebel' der sowjetischen Literaturkritik 327 Die Situation der sowjetischen Besatzung und die deutsche Nachkriegswirklichkeit im Roman 329 Aus der Sicht des Überlegenen: Sowjetische Gegenwartsliteratur über die Nachkriegszeit 329 Einleitende Überlegungen 329 Alltag an der Demarkationslinie. Die Besatzungsmächte zwischen Kooperation und prinzipieller Abgrenzung: Gebrüder Tur/Lew Schejnin „Oberst Kusmin" . . . 332 Die Aufrechten. Deutsche Kommunisten in der amerikanischen Zone: Alexander Dymschitz, Jenseits der Elbe" 335 Verlorener Sohn. Vom Stahlschmelzen „auf sowjetisch" und dessen Unterwanderung: Anatoli Sofronow „Anders kann man nicht leben" 337 Erste Begegnungen. Der „Marsch auf Berlin" und die Vorgänge im Hinterland: Emmanuil Kasakewitsch „Frühling an der Oder" 340 Der Stadtkommandant. Vorbild beim Aufbau und Opfer SMAD-interner Mechanismen: Emmanuil Kasakewitsch „Das Haus am Platz" 344

7.1.1

7.1.2

7.2 7.2.1

7.2.2

7.3 7.3.1

250 254 256 256 258 259 262

Inhaltsverzeichnis

Der Roman im Roman. Planmäßige Entwicklung und genormter Bewußtseinswandel in Wirtschaft und Kultur: Wadim Sobko „Irgendwo in Deutschland" . . . Kleinbürger unter der Lupe. Von der Gefahr der Orientierungslosigkeit und wie man ihr entrinnt: Wladimir Pomeranzew „Die Tochter des Antiquars" 7.3.2 Zwischen freiwilliger Hommage, fälligem Tribut und kritischer Korrektur: Die deutsche Sicht der Besatzungsära im Roman Perspektive der Gemeinsamkeit. Die Chronik einer gelingenden Wandlung: Willi Bredel „Ein neues Kapitel" Die erste Begegnung. Exponierung symbolträchtiger Handlungen. Otto Gotsche „Tiefe Furchen" Das Verhalten des einzelnen. Spiegelung der weltpolitischen Situation in der Familiensaga: Ludwig Turek „Familie Nagelschwert" Annäherung im Entwicklungsroman. Die Reifung des jungen Helden: Erik Neutsch „Am Ruß" Das Bekenntnis zur unliebsamen Wahrheit. Aufarbeitung der Vergangenheit in der Lebensrückschau: Werner Heiduczek „Tod am Meer" „latente balancen sich zusammenbrauender konflikte". Der pikarische Held durchstreift die Nachkriegsszenerie: Erwin Strittmatter „Der Wundertäter III" . . . Besatzungsvakuum. Das utopische Moment einer Geschichte, wie sie hätte sein können: Stefan Heym „Schwarzenberg"

IX

350 354 361 362 366 367 369 371 372 377

8

Schlußbemerkungen

381

9

Editorische Notiz

385

10

Verzeichnis der Abkürzungen

387

11

Interviews und schriftliche Befragungen

391

12

Eingesehene Archive

393

13

Literaturverzeichnis

395

13.1 13.2 13.3

Dokumente und Quellen Memoiren und literarische Werke Darstellungen

395 396 400

14

Personenregister

419

Vorwort

Die Entstehung dieses Buches ist mit dem Umbruch, der sich im vergangenen Jahrzehnt in Osteuropa vollzog, aufs engste verbunden. Die ersten konzeptionellen Entwürfe fallen noch in eine Zeit, als die Stagnation in der Sowjetunion, aber auch der DDR keineswegs die Erschließung neuer Quellen in größerem Umfang verhieß. Dennoch waren Prof. Dr. Karl Eimermacher (Slavistik) und Prof. Dr. Paul Gerhard Klussmann (Germanistik), Ruhr-Universität Bochum, als sie den Antrag auf Förderung des Projekts „Sowjetkultur und literarisches Leben in der DDR. Geschichte und Strukturen eines Spannungsverhältnisses" bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft stellten, von der Möglichkeit des Erkenntnisgewinns gerade unter neuartigem interdisziplinärem Blickwinkel überzeugt. Unverhofft ergab sich dann die Chance zu umfangreicher Akteneinsicht, als sich allmählich die Archive in Osteuropa, zunächst in der Sowjetunion und schließlich auch in der ehemaligen DDR, öffneten. In Moskau gehörten wir im Frühsommer 1989 mit zu den ersten ,Westlern', die Einsicht in Archivmaterialien zur kulturellen Außenpolitik der Sowjetunion in der Nachkriegszeit nehmen konnten. Archivreisen dieser Art waren damals (und das hat sich seither nur graduell, jedoch nicht grundsätzlich geändert) Expeditionen ins Unbekannte; nicht nur, was bislang unerschlossene Dokumente betraf, sondern vor allem auch hinsichtlich der Unwägbarkeiten und Hindernisse auf dem Weg zu diesen Archivalien. Eine Arbeitszusage seitens der sowjetischen Archive bedeutete keineswegs den problemlosen Zugang zu Findbüchern und Dokumenten. Daß und wie sich die Türen und Aktenschränke dann meist doch öffneten, gehört jenseits aller wissenschaftlichen Ergebnisse zu den eindrucksvollen Erfahrungen dieser Reisen. Auch die ersten Besuche von Archiven in der DDR 1989/90 hatten ,Pioniercharakter'. Mehrfach gab man uns zudem zu verstehen, daß wir im Grunde nicht befugt seien, mit unseren Forschungen DDR-eigenes Terrain zu betreten. Erst allmählich normalisierten sich die wissenschaftlichen Kontakte und die Arbeitsmöglichkeiten in den Archiven, die zum Teil während längerer Phasen der Umstrukturierung geschlossen waren. Mit jedem weiteren Bestand, der zugänglich wurde, ergaben sich auch neue Perspektiven, die die einzelnen Etappen unserer Arbeit bestimmten. Ohne das nie nachlassende Engagement von Paul Gerhard Klussmann und Karl Eimermacher, ihre Kompetenz in der Sache und ihre vielfältige Hilfe hätten die ,dürren' Entwürfe der Anfangszeit niemals Gestalt annehmen können. Ihnen danken wir an erster Stelle. Herzlich danken möchten wir auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die das Forschungsprojekt über mehrere Jahre hinweg großzügig, bis an die Grenzen des ihr Möglichen gefördert hat; vor allem Dr. Manfred Briegel, der das Vorhaben von Beginn an unterstützt und mit Ermutigung begleitet hat. Ohne sie einzeln nennen zu können, gilt unser Dank ferner den vielen Archiv- und Bibliotheksmitarbeitern, die von München bis Moskau bei der Beschaffung und Bereitstellung von Büchern

xn

Vorwort

und Dokumenten behilflich waren und durch deren persönlichen Einsatz es nicht selten gelang, bürokratische Hürden zu überwinden. Die Gespräche mit den im Anhang genannten Zeitzeugen aus der Sowjetunion und der DDR erschlossen uns nicht nur die damalige kulturpolitische Atmosphäre und die Beweggründe der Akteure, sondern bedeuteten auch - gerade in der Anfangsphase unserer Arbeit - Wegweisung und Ermunterung. Außer ihren Hinweisen waren uns Anregungen, Informationen und kritische Einwände von Freunden und Kollegen aus dem Osten wie dem Westen wichtig. Unter denen, die selbstlos Anteil genommen haben, seien Charlotte Wasser, Ursula Heukenkamp, Fritz Mierau, Lutz Winckler, David Pike, Jean Mortier und Carsten Gansei besonders genannt. Von großer Hilfe waren uns Iris Bäcker, Luise Iwan und Ralph Wenzel bei der Literaturbeschaffung, bibliographischen und redaktionellen Arbeiten und bei der datentechnischen Aufbereitung des Textes. Sabine Peters richtete das Manuskript mit großer Sorgfalt für den Druck ein. Für die Aufnahme unserer Untersuchung in die Reihe „edition bildung und Wissenschaft" gilt Prof. Dr. Manfred Heinemann unser herzlicher Dank. Daß sie den Weg zu den Lesern findet, verdanken wir nicht zuletzt dem von der DFG gewährten Druckkostenzuschuß. Am Ende und doch mit Vorrang danken wir unseren Familien, die die Belastungen einer solchen Arbeit geduldig und verständnisvoll mit getragen haben.

Anne Hartmann und Wolfram Eggeling, Bochum im September 1997

1

Einleitung: Sowjetisches Modell und nationale Prägung1

Die enge Orientierung der SBZ und frühen DDR am Vorbild der Sowjetunion ist unbestritten, sei sie als „Sowjetisierung" geschmäht oder als „Freundschaftsbund" gelobt. Die These vom sowjetischen Einfluß auf das literarische Leben in der DDR wurde entsprechend häufig reproduziert; im Detail belegen läßt sie sich jedoch erst seit der Öffnung bedeutender Archive in Moskau und Ostberlin. Gerade die doppelte Sicht auf kulturpolitische Prozesse in der Sowjetunion wie in der SBZ/DDR erhellt die Mechanismen von Transfer und Rezeption, Maßnahmen und ihrer Umsetzung, verordneten Mustern und gegenläufigen Impulsen, Oktroi und bereitwilliger Anpassung. Mit dem Begriff „sowjetische Präsenz" soll das Gesamt dieser Vermittlungsmodalitäten beschrieben werden, die von der unmittelbaren Steuerung bis zur (in)direkten Vorbildwirkung reichten. Es handelt sich eben nicht, wie die Rede vom .sowjetischen Einfluß' oder gar der ,Sowjetisierung' beinhaltet, um einen bloßen Transfer vom Geber zum Nehmer, sondern um einen zweiseitigen Prozeß, bei dem die Deutschen bei aller Abhängigkeit einen durchaus eigenständigen Part spielten. Was die sowjetische Parteiführung, die wichtigsten Repräsentanten der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), aber auch führende Kräfte der SED in Deutschland zu etablieren suchten, läßt sich mit dem Begriff „sowjetisches Modell" am besten erfassen. Darunter wird eine die Bereiche Politik, Ideologie, Ökonomie, Gesellschaft und Kultur umfassende Formation verstanden, die sich unter stalinistischen Vorzeichen in der Sowjetunion seit den 20er Jahren ausbildete und bis in die fünfziger Jahre hinein weitgehend homogen war. Dieses sowjetische Modell ist mit seiner Genese und Existenz unmittelbar an das Bedürfnis nach Machtergreifung und -ausübung gebunden; mit diesem Anspruch wurden nach Kriegsende die osteuropäischen Nachbarländer und die SBZ konfrontiert, zum Teil verfolgten hier die kommunistischen Parteien aber auch ähnliche Intentionen. Zu dem sowjetischen Modell der 20er bis 50er Jahre gehören Merkmale wie: Einparteienherrschaft, absoluter Wahrheitsanspruch der Ideologie, umfassende Kontrolle aller Gesellschaftsbereiche (Zensur), das Prinzip des „demokratischen Zentralismus", Planwirtschaft. Das sowjetische Kulturmodell ist Bestandteil dieses gesamten Gefüges und kein isolierter Bereich. Denn mit „Kultur" sind nicht nur die künstlerischen Werke oder etwa die Methode des sozialistischen Realismus gemeint, sondern auch deren Abhängigkeit von der Politik und die Vernetzung mit der Ideologie in ihrer Funktion, das Verhältnis zur 1 Grundlegend dazu: Eimermacher, Zur Frage der Rekonstruktion, S. 334—341. Zum Methodischen vgl. weiter: Borcke/Simon, Neue Wege der Sowjetunion-Forschung, S. 11-64; Gransow, Konzeptionelle Wandlungen, bes. S. 182-187; Mommsen-Reindl, Interpretationsmodelle, S. 16-26. Zur DDR als Thema der Zeitgeschichte nach ihrer staatlichen Auflösung vgl. Die DDR als Geschichte.

2

Einleitung

Welt und zur gesellschaftlichen Wirklichkeit zu klären und verbindlich zu bestimmen. Dazu gehören natürlich auch die Institutionen, von der Zensurbehörde bis zum Schriftstellerverband, die diese Vorgaben durchsetzen und als .Transmissionsriemen' zwischen Partei, Intellektuellen und Gesellschaft fungieren sollten. Bei aller Homogenität war das sowjetische Modell durchaus nicht statisch. Anstöße zur Transformation konnten ,von oben' erfolgen, d.h. von der Parteiebene, etwa als Stalin selbst 1950 mit seiner Schrift „Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft" bisher geltende Dogmen wie die vom „Klassencharakter der Sprache" außer Kraft setzte; sie wurden aber auch ,von unten', von literarischen oder künstlerischen Werken bzw. von der Literatur- oder Kunstkritik, gegeben, z. B. als 1952/53 die sich ausfächernde Literaturkritik gegen die „Lackierung der Wirklichkeit" ästhetische Wertvorstellungen der Wahrhaftigkeit ins Zentrum rückte. Auch für solche Vorgänge waren bestimmte politische Konstellationen ausschlaggebend. Während politische, ökonomische oder kulturelle Modelle im Regelfall aufgrund ihrer Attraktivität rezipiert, aufgenommen und umgesetzt werden, ergab sich mit der Besatzung in Deutschland eine grundsätzlich andere Situation. Schlagartig sah sich die Bevölkerung nach dem Einmarsch der Roten Armee mit dem sowjetischen Modell in seiner stalinistischen Prägung konfrontiert, das im Hause des Siegers seit langem etabliert war. Überraschend war dann, daß zunächst gezielt kein Modelltransfer betrieben wurde. Diese Phase der Ungleichzeitigkeit wurde durch die forcierte Angleichung (1948 bis 1950/51) und die vertiefende Verankerung wesentlicher Teile des sowjetischen Modells in der Lebenswelt der DDR (ab 1951/52) abgelöst. Spannungen waren dadurch vorgegeben, daß das fremde Modell beim Transfer bzw. der Übernahme auf die Beharrungskräfte nationaler Traditionen stieß. Dies führte etwa auf dem Produktionssektor, aber auch im Bereich der Literatur und Kunst zu teilweise schroffen Zusammenstößen. In den politisch-ideologisch relevanten Kernbereichen wurde versucht, das sowjetisch-stalinistische Modell in toto autoritativ zu installieren, ohne daß man dies jeweils klar zu erkennen gab; auf nebensächlichen Terrains konnte es als Handlungsrahmen eingeführt werden, der im Sinne der landeseigenen Bedürfnisse und Bedingungen auszufüllen und zu verändern war; lediglich „Nischen" (z. B. Brauchtum, Laienspielgruppen, Philatelisten) wußten sich bisweilen erfolgreich gegen das Modell abzuschirmen. Die führenden, gut geschulten und in der Mehrzahl Sowjetunion-erfahrenen Politiker der SED verfügten über eine breitere Kenntnis des sowjetischen Modells als die mittleren und unteren Kader oder gar der Bevölkerungsdurchschnitt, so daß auf den verschiedenen Ebenen durchaus unterschiedliche Modellvorstellungen bestanden. In einem langwierigen Prozeß wurden - in Augen der SED - fehlerhafte oder unzureichende Ansichten ,überwunden'. Im Jahr 1953 kam es zu einer erneuten Zeitverschiebung zwischen der sowjetischen und der deutschen Situation, weil hier der Dogmatismus der SED durchaus querlief zu Öffnungstendenzen in der UdSSR. Für die Intellektuellen in der DDR war diese Gemengelage von politischen Einflüssen und Abgrenzungen von vitalem Interesse. Von daher ist die Konzentration auf die ersten acht Nachkriegsjahre für die Untersuchung der sowjetischen Präsenz im kulturellen Leben der DDR am ertragreichsten, und zwar ganz abgesehen von den direkten sowjetischen Interventionen in den deutschen Kulturbetrieb, die die Besatzungssituation mit sich brachte: Damals war die sowjetische Präsenz (in all ihren Facetten) umfassend; in jener Zeit wurden Strukturen angelegt und Weichenstellungen vorgenommen, die die gesamte Existenz der DDR geprägt haben. Die Geschichte der DDR ist gerade jetzt, von

3

Einleitung

ihrem Ende her, nur nachvollziehbar, wenn man die Vor- und Frühgeschichte mit ihren maßgeblichen Optionen, Diskussionen und strukturbestimmenden Entscheidungen rekonstruiert. ***

Daß sich Untersuchungen über die Nachkriegszeit in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands derzeit einer gewissen Konjunktur erfreuen, ist daher durchaus berechtigt. Die seit 1989 mögliche umfassende Akteneinsicht gestattet nicht nur eine Erhärtung früherer Vermutungen, sondern die Dokumente erlauben bisweilen Einblick in unbekannte Zusammenhänge oder erfordern gar eine Korrektur bisheriger Geschichtsschreibung der Kulturpolitik. Für die Autoren aus der früheren DDR entfallen die bis Ende der 80er Jahre obligaten ideologischen Rücksichtnahmen. Mit dem von Martin Broszat und Hermann Weber edierten „SBZ-Handbuch" liegt seit 1990 ein gründliches Nachschlagewerk über „Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 bis 1949" vor. Spezialuntersuchungen zu bestimmten Daten, wie dem 17. Juni 1953, und über einzelne Aspekte der Nachkriegspolitik, etwa das Parteienwesen, die Reparationsleistungen, die Praktiken der SED und das Überwachungssystem der Staatssicherheit haben den Kenntnisstand über Konstellationen und Vorgänge in der Gründungs- und Frühphase der DDR erheblich verbreitert, vor allem auch Desinformationen durchschaubar gemacht. Zum Verhältnis von Politik und Kultur in den Jahren 1945-1949 legten DavidPike, Jens Wehner und Gerd Dietrich umfängliche Untersuchungen vor. Pike konzentriert sich in seinem Buch „The Politics of Culture in Soviet-Occupied Germany, 1945-1949" (1992) vor allem auf die rhetorischen Strategien, die den (Pike zufolge) von vornherein angelegten Stalinisierungsprozeß vorbereiteten, begleiteten oder verbrämten. Wehner arbeitet in seinem Buch „Kulturpolitik und Volksfront. Ein Beitrag zur Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945-1949" (1992) vor allem den Zusammenhang zwischen den Vorplanungen während des Exils und den Nachkriegskonzepten heraus. Dietrich stellt die kulturpolitische Strategie der KPD/SED und ihren Einfluß auf die kulturellen Prozesse in den Mittelpunkt seiner 1993 vorgelegten Analyse „Politik und Kultur in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) 1945-1949". Auch wurde inzwischen eine Reihe von Analysen über kulturpolitisch und kulturell zentrale Institutionen der Nachkriegszeit publiziert. Zur Geschichte der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) legte zunächst Jens Gieseke eine materialreiche Magisterarbeit „Von der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion zur Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft in der SBZ/DDR 1947-1949" (Hannover 1989) vor. Lothar Dralle veröffentlichte 1993 eine vor allem auf dem Aktenbestand des DSF-Archivs basierende Analyse „Von der Sowjetunion lernen,... Zur Geschichte der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft". Von den Verfassern der vorliegenden Untersuchung wurde - auch unter Auswertung von russischen Quellen - 1993 eine Studie über „Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Zum Aufbau einer Institution in der SBZ/DDR zwischen deutschen Politikzwängen und sowjetischer Steuerung" publiziert. Ursula Heukenkamp wies 1990 in zwei Beiträgen „Geistige Auseinandersetzung. Das Konzept der demokratischen Erneuerung der Kultur im Spiegel der Zeitschrift .Sonntag' (1946-1948)" (Weimarer Beiträge 4/1990) und „Ein Erbe für die Friedenswissenschaft. Das Konzept der

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kulturellen Erneuerung in der SBZ (1945-1949)" (in: Unerwünschte Erfahrung) auf die Spezifik des Kulturbund-Konzepts in den ersten Nachkriegsjahren hin. Eine Spezialuntersuchung von Verena Blaum „Kunst und Politik im SONNTAG 1946-1958. Eine historische Inhaltsanalyse zum deutschen Journalismus der Nachkriegsjahre" (1992) bestätigt diesen Befund. Magdalena Heider zeichnet in ihrer Monographie „Politik - Kultur - Kulturbund" die „Gründungs- und Frühgeschichte des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands 1945-1954 in der SBZ/DDR" (1993) nach. Zahlreiche Zeitschriftenbeiträge ergänzen die einschlägige Forschungsliteratur. Gut dokumentiert sind inzwischen verschiedene (kultur)politisch relevante Diskussionen: Zum Fall „Rudolf Herrnstadt" gab seine Tochter Nadja Stulz-Herrnstadt 1990 „Das Herrnstadt-Dokument. Das Politbüro der SED und die Geschichte des 17. Juni 1953" heraus. Das Verhältnis „SED und Intellektuelle in der DDR der fünfziger Jahre" erhellen die 1990 von Magdalena Heider und Kerstin Thons edierten „Kulturbundprotokolle". Über die Rituale der stalinistischen Kritik und Selbstkritik informieren der von Reinhard Müller 1991 edierte Band „Die Säuberung. Moskau 1936: Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung" und das von Viktor Knoll und Lothar Kölm 1993 edierte „Protokoll einer Abrechnung": „Der Fall Berija. Das Plenum des ZK der KPdSU Juli 1953". „Der gespaltene Dichter Johannes R. Becher" wird in Gedichten, Briefen und Dokumenten aus den Jahren 1945-1958 greifbar, die Carsten Gansei 1991 vorlegte. Aufschluß über das Verhalten der kulturellen Prominenz geben auch Memoiren, etwa Walter Jankas Autobiographie „Spuren eines Lebens" (1991) und Hans Mayers „Der Turm von Babel. Erinnerung an eine Deutsche Demokratische Republik" (1991). Die genannten Veröffentlichungen mit dokumentarischem oder autobiographischem Charakter bieten für unser Thema unterstützendes Material ebenso wie die Literatur zur Berliner Szenerie 2 mit ihrer rekonstruierend/ erinnernden Darstellung der „Anfänge", der Lebenssituation unter verschiedenen Besatzungsmächten, der Wiederaufnahme des Kulturbetriebs, der Neuformierung kultureller Institutionen, persönlicher Demarchen, Konflikte und Intrigen. Die in der Nachkriegszeit ausgeprägten Verhaltensmuster bestimmten die Stellung und Stellungnahmen der Künstler und Schriftsteller gegenüber Partei und Staat bis in die Gegenwart. Die Untersuchung des sowjetischen Faktors innerhalb der kulturellen Entwicklung der DDR gewinnt dadurch zusätzliche Brisanz (im Blick auf die gesamte DDR-Geschichte), zumal in der Sowjetunion alle Spielarten des „verführten Denkens" vorgeprägt waren. Außerdem ist die ,Stalinisierung' nur dann nachzuvollziehen, wenn man sie nicht als rein deutsche Entwicklung betrachtet, sondern ihre vielfältige Abhängigkeit von sowjetischen Interessen, Weisungen und Vorbildfunktionen aufarbeitet. Aber gerade dieser Aspekt ist auch in der aktuellen Zeitgeschichtsforschung kaum berücksichtigt. Die für die Nachkriegsgesellschaft zentrale Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Modell ist bisher nicht aufgearbeitet 3 . In der Sowjetunion/GUS fehlen nach wie vor Untersuchungen zum kulturpolitischen Handeln der SMAD, die eine kritische Bewertung dieses Zeitraums einschließen würden. Zwar waren in früheren Jahrzehnten die Literatur, Kultur und Kulturpolitik der SBZ/DDR und der Kulturaustausch mit der UdSSR regelmäßig Gegenstand sowjetischer Abhandlungen, dies jedoch unter 2

Borgelt, Das war der Frühling von Berlin; Andreas-Friedrich, Schauplatz Berlin; Reichstrümmerstadt; Eine Kulturmetropole wird geteilt; Kuby, Die Russen in Berlin; Reinhardt, Zeitungen und Zeiten; Zone 5. Kunst in der Viersektorenstadt; und zuletzt: Schivelbusch, Vor dem Vorhang.

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dem Primat der Ideologie. Hier wird, wie in älteren einschlägigen Publikationen der DDR 4 und in bilateralen Sammelbänden 5 unter den Stichworten „sozialistischer Internationalismus", „brüderliche Hilfe" oder „freundschaftliche Zusammenarbeit" ein abstrakt-harmonisches Geschichtsbild entworfen, aus dem Konflikte, Widersprüche, Machtmechanismen fast völlig ausgeblendet sind. 6 Seit den politisch-gesellschaftlichen Umbrüchen in Deutschland und Rußland konnte sich dieses Thema noch nicht wieder Bahn brechen, wie etwa „Das Jahrbuch für deutsche Geschichte" (Ezegodnik germanskoj istorii) und die Bibliographie „Sowjetische Forschungen (1917 bis 1991) zur Geschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen von den Anfängen bis 1949" (1993) ausweisen. Bezeichnenderweise stammt der neueste einschlägige Titel, eine Untersuchung von A. P. Nikitin über die „Tätigkeit der sowjetischen Militäradministration bei der Demokratisierung der Hochschulbildung in Ostdeutschland 1945-1949" (Dejatel'nost' sovetskoj voennoj administracii po demokratizacii vyssego obrazovanija v Vostocnoj Germanii 1945-1949 gg), aus dem Jahr 1986. Andere Publikationen haben eher die Besatzungspolitik in ihrer Gesamtheit im Blick, sparen jedoch eine Neuinterpretation der Kulturpolitik aus, wie etwa eine Untersuchung von S.T. Viskov und V.D. Kul'bakin über „Die Alliierten und die .deutsche Frage' 1945-1949" (Sojuzniki i „germanskij vopros" 1945-1949, Moskau 1990). Allerdings stellt die in internationaler Kooperation von Bernd Bonwetsch, Gennadij Bordjugow und Norman Naimark herausgegebene Dokumentation „SMAD. Die Propaganda- (Informations-) Verwaltung und S. I. Tjulpanow. 1945-1949" (SVAG. Upravlenie propagandy/ informacii/i S. I. Tjul'panov. 1945-1949, Moskau 1994) wichtiges Quellenmaterial zu sowjetischen Entscheidungswegen und Steuerungsvorgängen in der SBZ bereit. Sonst hat es den Anschein, daß das Forschungspotential in der GUS vor allem durch die kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte gebunden ist. Es sind inzwischen wichtige Untersuchungen zur Formierung zentraler Sektoren des sowjetisch-stalinistischen Modells im Kulturbereich vorgelegt worden, wie A.V. Bljums Arbeit (1994) über die Herausbildung der Zensurinstanzen „Hinter den Kulissen des .Ministeriums für Wahrheit'. Die geheime Geschichte der sowjetischen Zensur 1917-1929" (Za kulisami „Ministerstva pravdy". Tajnaja istorija sovetskoj cenzury 1917-1929) und D.L. Babicenkos ebenfalls 1994 erschienene Dokumentation und Analyse „,Die literarische Front'. Die Geschichte der politischen Zensur 1932-1946" („Literaturnyj front". Istorija politiceskoj cenzury 1932-1946) und „Schriftsteller und Zensoren" (Pisateli i cenzory). Durch die Auswertung bisher unzugänglichen Archivmaterials wird die Überwindung 3

Unter den seit Redaktionsschluß (Frühjahr 1995) erschienenen Arbeiten sind vor allem Norman M. Naimarks Studie „The Russians in Germany. A History of the Soviet Zone of Occupation, 1945-1949" (1995), dt. „Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945-1949" (1997) und Stefan Creuzbergers Untersuchung über „Die sowjetische Besatzungsmacht und das politische System der SBZ" (1996) hervorzuheben, die beide russische wie westliche Quellen aufarbeiten. Auf den Kulturbereich geht jedoch nur Naimark, und dies großflächig, ein. 4 Vgl. z. B. Zwei Jahrzehnte deutsch-sowjetische Beziehungen; Heller/Krause, Kulturelle Zusammenarbeit; Die Große Sozialistische Oktoberrevolution; Mit der Sowjetunion Sieger der Geschichte; Deutsch-sowjetische Freundschaft; Kampfgemeinschaft SED - KPdSU; R. Richter, Kultur im Bündnis. 5 Vgl. Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland/Za antifasistskuju demokraticeskuju Germaniju; Beziehungen DDR-UdSSR 1949-1955; SSSR GDR. 30 let otnosenij. 6 Scerbina, Kul'turnaja revoljucija; Cicon', Istoriceskoe znacenie opyta KPSS; Chideseli, Opyt KPSS i SEPG; Aleksandrova, Edinstvo ekonomi£eskoj i kul'turnoj politiki; Dimitrov, Kul'tumoe sotrudniiestvo.

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früher sakrosankter offizieller Standpunkte vollzogen. So kommt es zu im Detail nachgewiesenen Neueinschätzungen historischer und literarischer Prozesse, wie sie etwa auch ein 1989 erschienener Sammelband „Den Stalinkult überdenken" (Osmyslit' kul't Stahna) und eine Analyse von Evgenij Dobrenko „Metapher der Macht. Die Literatur der Stalinära in historischer Sicht" (Metafora Vlasti. Literatura stalinskoj epochi v istoriceskom osvescenii, München 1993) belegen. Doch ist dieser revidierende Blick auf die Geschichte vorläufig ,selbstbezogen', - durchaus schuldzuweisend, abrechnend - auf das eigene Land konzentriert. Untersuchungen mit einem doppelten, deutsch-russischen Ansatz gibt es nach wie vor nicht. Gerade eine solche interdisziplinäre Sichtweise, die die sonst gängige Zentrierung auf entweder die rein deutsche oder aber auf die sowjetische Seite überwindet, gestattet es aber, literaturpolitische Prozesse und Konstellationen nicht nur unter dem Aspekt der Einflußnahme, sondern auch unter dem Aspekt der Parallelität oder Zeitverschiebung bzw. im Hinblick auf eine Eigendynamik der deutschen Entwicklung zu erfassen. Erst auf dem Hintergrund der jeweiligen sowjetischen Gegebenheiten läßt sich der Stellenwert von Maßnahmen und Kampagnen in Deutschland ermessen und damit auch der Grad an Übereinstimmung oder Abweichung. Unsere Arbeit in den Archiven konzentrierte sich zunächst auf die - schon 1989 recht gut zugänglichen - sowjetischen Archive, deren Quellenbestand im Westen nach wie vor kaum ausgewertet ist. Es handelt sich vor allem um das Zentrale Staatsarchiv der Oktoberrevolution CGAOR, Moskau (heute: Staatsarchiv der Russischen Föderation GARF), und das Zentrale Staatsarchiv für Kunst und Literatur CGALI, Moskau (heute: Russisches Staatsarchiv für Literatur und Kunst RGALI). Das Archiv der Sowjetischen Militäradministration stand leider nicht zur Verfügung, da es nach wie vor für westliche Benutzer gesperrt ist. Das RGALI enthält neben den Nachlässen zahlreicher sowjetischer Schriftsteller das Archiv der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands, in dem Protokolle interner Sitzungen sowie die Materialien sämtlicher (Länder-)Abteilungen dokumentiert sind. In bezug auf die SBZ/DDR sind dies vor allem die regelmäßigen Pläne und Berichte des Deutschlandreferenten, Briefwechsel mit deutschen Schriftstellern und dem Deutschen Schriftstellerverband sowie Protokolle von Gesprächen mit deutschen Schriftstellerdelegationen bzw. einzeln reisenden Autoren. Das GARF beherbergt Dokumente zahlreicher sowjetischer Institutionen, wie z.B. der Außenabteilungen des Hochschulministeriums und des Dachverbandes der Gewerkschaften, des Komitees zur Verteidigung des Friedens, des Sowjetischen Nachrichtenbüros und der Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (WOKS), deren Archiv sich als äußerst ertragreich erwiesen hat. In ihm ist der gesamte Briefwechsel mit der SMAD, ihrem Nachfolger, der Sowjetischen Kontrollkommission (SKK), dem WOKS-Bevollmächtigten in Berlin, der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF), Hochschulen und anderen Institutionen in der DDR sowie mit Einzelpersonen aufbewahrt. Die Archive der DDR, die - bis auf einen Teil der Literaturarchive der Akademie der Künste zu Beginn unseres Projekts nicht zugänglich waren, konnten erst seit Beginn der 90er Jahre ausgewertet werden. Besonders reichhaltiges Material enthalten: Das Archiv der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, das Zentrale Parteiarchiv der SED, das Kulturbund-Archiv (heute alle zusammengefaßt in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, SAPMO) und das Archiv des Schriftstellerverbandes in Berlin. An westlichen Archiven erwiesen sich als ergiebig: das Landesarchiv Berlin - Abteilung Zeitgeschichte - mit seiner Dokumentation zur Berliner Nachkriegsgeschichte; das Ullstein-Archiv

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Berlin, das eine umfangreiche Sammlung an Zeitschriften- und Zeitungsausschnitten enthält; die Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn mit ihrem Bestand „Ostbüro der SPD"; das Bundesarchiv Koblenz und das Institut für Politik und Zeitgeschichte in München, in die der Aktenbestand des Office of Military Government for Germany, US (OMGUS) eingegangen ist; die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg mit dem Nachlaß Alfred Kantorowicz. Interviews mit Zeitzeugen erbrachten ergänzende Informationen. Befragt wurden von uns noch lebende Kulturoffiziere und Mitarbeiter damaliger sowjetischer Dienststellen: Hilde Angarowa, Grigori Bergelson, Ilja Fradkin, Arseni Gulyga, Jewgenija Kazewa, Tamara Motyljowa, Wadim Tschubinski und Michail Woslenski gaben uns bereitwillig Auskunft. Gespräche mit deutschen Zeitzeugen, wie Hans Borgelt, Heinrich Graf von Einsiedel, Ingrid Kantorowicz, Jürgen Kuczynski, Erich Loest, Nadeshda Ludwig, Hans Mark, Hans Mayer und Ralf Schröder ergänzten diesen Versuch, durch „oral history" die Atmosphäre der damaligen Zeit und das damals Gewußte und Wahrgenommene zu erschließen. 7 ***

Während die Vorgänge der Nachkriegszeit durch die persönlichen Erlebnisberichte Farbe erhielten, gaben die Archivdokumente, gerade aufgrund der doppelten, sowjetischen und deutschen Überlieferung, zumindest ausschnitthaft einen Blick hinter die Kulissen frei. Auf gerade diesen Blick kam es uns an. Denn das Interesse dieser Arbeit richtet sich auf die Strukturen und Mechanismen, die mit der Einführung eines fremden, des sowjetischen Modells in die deutsche Nachkriegsrealität verbunden waren. Maßgebliche Bedingung für den Modelltransfer war das Faktum der sowjetischen Besatzung im östlichen Teil Deutschlands; die Konkurrenz - gerade in Berlin mit den westlichen Alliierten und ihrem politischen und kulturpolitischen Handeln gehörte damit aber auch zu den entscheidenden Voraussetzungen - und Hemmnissen. Die Frustration der Niederlage, zugefügt durch einen Gegner, dessen sonstige Überlegenheit von der deutschen Bevölkerung nicht anerkannt wurde, blockierte das später bis zum Überdruß apostrophierte „Lernen von der Sowjetunion". Unser Anliegen ist nicht, die kulturellen Ereignisse und kulturpolitischen Dekrete der Nachkriegszeit zu rekapitulieren, sondern zielt darauf, die Wirkungsweise eines Modells zu rekonstruieren: Wie wurde es - trotz der skizzierten schlechten Vorbedingungen - eingeführt, propagiert und durchgesetzt? War die Außensteuerung durch die SMAD oder die Internalisierung seitens der SED bei der Modellübernahme maßgeblich oder wie griffen beide ineinander? In welchen Bereichen konnte das fremde Muster zum tatsächlichen Vorbild avancieren? Während die kulturpolitischen Debatten in den beiden unmittelbaren Nachkriegsjahren noch sehr freizügig geführt wurden, zeigen die Archivdokumente, wie sich später die Kluft zwischen den internen Verlautbarungen (gleichsam auf der Ebene der Eingeweihten) und dem in der Öffentlichkeit Vorgebrachten immer mehr vertiefte. Nun umfaßt die Wirkungsweise des sowjetischen Modells zahlreiche Felder und ist in sich so komplex, daß sie schwerlich, will man nicht bei Pauschalurteilen stehenbleiben, zur Gänze erschlossen werden kann. Exemplarische Analysen sollen die Strukturen eines Phänomens bloßlegen, das zwar in seinen Erscheinungsformen heterogen, in seinen bedingenden Faktoren jedoch erstaunlich homogen ist. Das Buchmanuskript ist so angelegt, daß Überblicksdarstellungen den 7

Vgl. das Verzeichnis der Interviews und schriftlichen Befragungen im Anhang.

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Horizont für „Feineinstellungen" bilden, durch die exemplarisch bestimmte Vorgänge und Erscheinungen detailliert in den Blick genommen werden. Als „Rahmenbedingungen" werden zunächst entscheidende Fakten rekapituliert, die auf politischem Sektor das Bedingungsgefüge der Spannungen zwischen der Sowjetunion und den Westmächten ausmachen; sie stellen ebenso wie die damaligen innersowjetischen kulturpolitischen Prozesse (Phänomene künstlerischer, ideologischer und institutioneller Art als Faktoren des Modells), den „Hintergrund" dar, auf den sich nahezu alle wichtigen kulturellen Entwicklungen dieser Jahre beziehen. Der Ausbruch des Kalten Krieges 1947/48 führte zu deutschlandpolitischen Festlegungen und beeinflußte damit direkt das Verhalten der Besatzungsmacht und der SED. Die Auswirkungen auf den Kulturbereich waren unmittelbar spürbar. Der I. Deutsche Schriftstellerkongreß im Oktober 1947 und der Wrodawer Kongreß im August 1948 lassen erkennen, wie daraufhin kulturelle Veranstaltungen im Sinne der Polarisierung und Frontenbildung beeinflußt und umfunktioniert wurden. Der allmähliche Transfer sowjetischer Richtlinien und Vorgaben in die SBZ läßt sich dann in allen Bereichen verfolgen: In der Politik mit der Transformation der SED zur stalinistischen Kaderpartei und der Sicherung ihres Hegemonieanspruchs. In der Ökonomie mit der Übernahme der Planwirtschaft unter zentraler Lenkung und der Einführung von Aktivistenbewegung und sozialistischem Wettbewerb. In der Kultur mit dem Aufbau eines Lenkungs- und Verwaltungsapparats nach sowjetischem Muster und der Ausgabe verbindlicher Richtlinien für Kunst und Literatur. Die Geschichte kultureller Institutionen wie des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und besonders der 1947 gegründeten Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, die seit 1949 unter dem Namen Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) zur Massenorganisation ausgebaut wurde, belegt das Vorgehen bei der Gestaltung zentraler Vermittlungseinrichtungen des sowjetisch-deutschen Kulturkontakts. Mit der Rekonstruktion der gegenseitigen Wahrnehmung (von Ausschnitten der jeweils anderen Literatur und Wirklichkeit bzw. der Besatzungssituation) wird gleichsam eine Ebene des Kommentars zu der allgemeinen politischen Geschichte, zur Institutionengeschichte und zur Kulturpolitik eingezogen. Sie ergänzt die Dokumente, Verlautbarungen und Diskussionen der verschiedenen Sektoren, auf denen ein Transfer des sowjetischen Modells erfolgte, um den Einblick in die psychologische Wirkung dieses Vorgangs. Auf dieser Ebene wird erst eine Antwort auf die Frage nach Erfolg oder Scheitern des mit solchem Nachdruck propagierten sowjetischen Modells in Deutschland zu finden sein.

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2.1

Zum politischen Kontext

Der Kalte Krieg stellt die entscheidende politische Konstellation der Nachkriegszeit dar. Das Geschehen in Deutschland nach 1945 war mit der Genese und Ausprägung der Blockbildung auf das engste verknüpft. Nur in diesem Kontext ist die in der SBZ und frühen DDR schrittweise vollzogene Angleichung an das sowjetische Modell verständlich und gewinnt sie ihre Kontur. Auch für die Analyse des Transferbereichs Kultur ist die Rekapitulation der entscheidenden Fakten und Faktoren des Kalten Krieges Vorbedingung, denn die politische Entwicklung legte auch die Ausrichtung des kulturellen Sektors und die Formen der sowjetischen Einwirkung fest. Die folgenden Ausführungen zum Verhältnis der Alliierten während des II. Weltkrieges und nach Kriegsende können natürlich nur skizzenhaft sein. Sie suchen nicht zwischen der „traditionellen" These vom sowjetischen Expansionismus und der „revisionistischen" These vom ökonomischen Imperialismus der USA als Urheber des Kalten Krieges zu entscheiden.1 Sie stellen aber in Rechnung, daß auf beiden Seiten, in den USA wie in der Sowjetunion, eine Fülle von Mißverständnissen und Fehlinterpretationen zum Tragen kam, die die Eskalation des Kalten Krieges wesentlich beeinflußte.2

1 Dazu ausführlich: Loth, Die Teilung der Welt, S. 13ff. 2 Im Anschluß an Loth, Die Teilung der Welt. Loth selbst ist mit seiner neuesten Untersuchung „Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte" von dieser relativierenden Sichtweise abgerückt und legt zugunsten Stalins eindeutig fest: „Stalin wollte keine DDR. Er wollte weder einen Separatstaat auf dem Boden der sowjetischen Besatzungszone noch überhaupt einen sozialistischen Staat in Deutschland. Statt dessen strebte er eine parlamentarische Demokratie für ganz Deutschland an, die dem Faschismus die gesellschaftlichen Grundlagen entzog und der Sowjetunion den Zugang zu den Ressourcen des Ruhrgebiets eröffnete. Erreicht werden sollte sie in gemeinsamer Verantwortung der Siegermächte." (S. 10) Loths Quelle, die sicherlich der Gegenüberlieferung aus sowjetischen Archiven bedürfte, sind im wesentlichen Wilhelm Piecks Aufzeichnungen von Gesprächen mit Stalin, der SMAD und der Sowjetischen Kontrollkommission (SKK). - Vgl. Pieck, Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik.

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2.1.1 Von der Kooperation zur Konfrontation zwischen den Verbündeten Das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und den USA war seit der Oktoberrevolution ambivalent 3 und schwankte in der gegenseitigen Wahrnehmung zwischen Bewunderung und Befürchtungen. Erst 1933 erkannten die USA die Sowjetregierung diplomatisch an, nachdem mit Franklin D. Roosevelt ein Befürworter sowjetisch-amerikanischer Freundschaft die Präsidentschaft angetreten hatte. Obwohl in den Folgejahren unter den Rußlandexperten der USA die Skepsis gegenüber der Sowjetunion und der Komintern spürbar zunahm, formulierte Roosevelt im Februar 1940 die Überzeugung, daß die Sowjetdiktatur nicht grundsätzlich auf Expansion angelegt sei; durch Befriedigung ihrer berechtigten Sicherheitsinteressen könne sie zum Verzicht darauf bewegt werden, kommunistische Bewegungen in anderen Ländern zu unterstützen.4 In Abkehr von dem Isolationismus der Zwischenkriegszeit sah Roosevelts „Grand Design"5 eine Weltfriedensordnung mit vier Polizisten - den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Rußland und China - vor, die die Bewahrung des Friedens überwachen sollten. Der Universalismus beruhte nicht nur auf politischen Voraussetzungen, der Vision der „Einen Welt" in Freiheit und Gleichheit, sondern auch auf ökonomischen Prämissen, nämlich dem liberalistischen Konzept einer Öffnung der Weltmärkte und der Beseitigung von Zoll- und Handelsschranken. Die Sowjetunion sollte in dieses Konzept, auch durch die Teilnahme am Weltwährungsfonds und an der Weltbank, einbezogen werden. Daß gerade dieser Wirtschaftsfeldzug aus sowjetischer Perspektive als „imperialistische Bedrohung" wirken mußte, geriet nicht in den Blick. Die Basis des Kriegsbündnisses zwischen der Sowjetunion und den USA bildete der gemeinsame Wille, die deutsche Kriegsmaschinerie mitsamt ihrem Potential vollständig zu vernichten. Dieses Fundament wurde allerdings schon frühzeitig dadurch erschüttert, daß die für 1942 in Aussicht gestellte Errichtung einer Zweiten Front in Europa sich bis 1944 verzögerte.6 Die 10 Millionen Tonnen an Materiallieferung, die Roosevelt den Sowjets zwischen 1941 und Juni 1944 ohne irgendwelche Auflagen zukommen ließ, waren demgegenüber in sowjetischen Augen kein hinreichender Beweis für den amerikanischen good will.7 Die Angst vor einem Separatfrieden - der Sowjetunion mit Deutschland8 bzw. der Westmächte mit Deutschland - schürte das Mißtrauen, vor allem Stalins. 9 Erst im September 1943 suchte er wieder die Verständigung mit den Westmächten. Auf dem ersten Treffen der „Großen Drei", Roosevelts, Stalins und Churchills, Ende November 1943 in Teheran schien sich die Hoffnung auf eine Einigung zu erfüllen: Stalin wurde bedeutet, daß ihm der Erwerb der 1939-1941 erbeuteten Territorien, also vor allem Ostpolens und der baltischen Staaten, nicht streitig gemacht würde. Auch wurde ihm der Verzicht auf Errichtung eines Cordon sanitaire in der von Churchill gewünschten Form einer DonauraumFöderation zugesichert. Stalin seinerseits bot die Mitwirkung in den Vereinten Nationen und die 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. Backer, Die deutschen Jahre des Generals Clay, S. 45-48. Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 44f. Zu Roosevelts Position ausführlich: Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 42-63. Vgl. Bäcker, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 74ff. Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 77. Vgl. Fischer, Sowjetische Deutschlandpolitik, S. 33-45. Die Kapitulationsverhandlungen in der Schweiz zwischen der deutschen Italien-Armee und amerikanischen wie britischen Vertretern ohne Einbeziehung der Sowjets steuerten später weitere Verdachtsmomente bei. - Vgl. Benz, Potsdam 1945, S. 81; von Butlar, Ziele und Zielkonflikte, S. 16-25.

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Übernahme einer Polizistenrolle an. Auch stünde für ihn nicht auf der Tagesordnung, anderen Ländern ein kommunistisches Regime aufzuzwingen. Doch schon auf der Konferenz von Jaita im Februar 1945 kam zum Tragen, daß sich die Ausgangsbedingungen grundlegend geändert hatten. Mit der gewandelten Machtlage durch die sich abzeichnende Niederlage Deutschlands entfielen für die Sowjetunion beim Ausbau ihres Imperiums vorher notwendige Rücksichtnahmen, wie vor allem das Beispiel Polens belegt. Durch die Ermordung von Tausenden polnischer Offiziere bei Katyn und dem untätigen Zusehen von sieben sowjetischen Divisionen beim Verbluten des Warschauer Aufstands brachte Stalin die Alliierten gegen sich auf. Brüskierend wirkte auch die Ausschaltung der polnischen Exilregierung in London und die Gründung des sowjetisch gelenkten Lubliner Komitees im Juli 1944, das sich zur Provisorischen Regierung erklärte. Großbritannien kehrte zur balance of power-Politik zurück, und Churchill verfolgte seit 1944 das Ziel, Schutzwälle gegen die befürchtete sowjetische Expansion zu errichten. In diesen Zusammenhang gehört die im Oktober 1944 skizzierte Aufteilung von Einflußsphären in Ost- und Südosteuropa zwischen Churchill und Stalin, aber auch der Versuch, Italien als nichtkommunistischen Staat zu kräftigen und Frankreich wieder zur Großmacht erstarken zu lassen. Roosevelt kündigte zwar nicht die Kooperation mit der Sowjetunion auf, doch formulierte er die Notwendigkeit, „Stalin nach Möglichkeit an der totalen Sowjetisierung Ost- und Südosteuropas zu hindern". 10 Die schriftlich fixierten Ergebnisse von Jaita versprachen indes eine erneute Annäherung. Stalin akzeptierte einen Kompromißvorschlag für Polen, der die Bildung einer neuen Regierung mit Vertretern des Lubliner Komitees, der Londoner Exilregierung und nicht-kommunistischer Polen sowie die Abhaltung freier Wahlen vorsah. Auch stimmte er Roosevelts an die Atlantik-Charta von 1941 anschließenden „Deklaration über das befreite Europa" zu, die das „Recht aller Völker" hervorhob, „diejenige Form der Regierung zu wählen, unter welcher sie leben wollen".11 Die getroffenen Vereinbarungen ließen vor allem die Amerikaner erneut auf einen dauerhaften Frieden hoffen. Doch stellte sich heraus, daß die Zugeständnisse Stalins in bezug auf die europäischen Länder nur verbaler Art waren. Schließlich war die Sowjetunion bereits mit Entschiedenheit tätig, um in Osteuropa die Weichen in die gewünschte Richtung zu stellen.12 Die Autorität der nichtkommunistischen Mitglieder in der polnischen Regierung, um nur diesen Anlaß zu wachsender Verbitterung bei den Westmächten anzuführen, war von Anfang an geschwächt. Das Versprechen freier Wahlen wurde nie eingelöst. Sicherlich unterschätzten die Amerikaner das Sicherheitsbedürfnis Stalins, der sowjetfreundlich mit sowjethörig gleichsetzte,13 vor allem jedoch erkannten sie nicht die Unvereinbarkeit des Konzepts der einen Welt und des propagierten Selbstbestimmungsrechts aller Völker mit diesem Sicherheitsstreben.14 Den Sowjets ihrerseits war unverständlich, warum die Sicherung ihrer Machtsphäre auf den Westen bedrohlich wirkte. 15 Ihr territoriales Konzept orientierte sich offenbar an den Grenzen und Kategorien des zaristischen Imperialismus und sah nicht die Unterwerfung ganz Europas vor. 10 11 12 13 14 15

Grami, Die Alliierten, S. 47. Zit. nach: Grami, Die Alliierten, S. 48. Vgl. Die Sowjetisierung Ost-Mitteleuropas; Hoensch, Sowjetische Osteuropa-Politik, S. 11^3. Vgl. Giaml, Die Allierten, S. 80. Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 90f. Vgl. Grami, Die Alliierten, S. 80.

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Das sowjetische Vorgehen im Einflußbereich der Roten Armee mußte die Position der verständigungsbereiten Amerikaner schwächen. Westliche Experten wie der Diplomat George F. Kennan konnten sich in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen, die der Sowjetunion einen uferlosen Expansionsdrang zuschrieben. 16 Im Gegenzug verdächtigte die UdSSR die USA, mit ihren universalistischen Konzepten nur dem Kapitalismus zum globalen Sieg verhelfen zu wollen.

2.1.2 Pläne für das besiegte Deutschland Die Verhandlungen über Deutschland zwischen den Alliierten waren direkt von dem komplexen Bedingungsgefüge der jeweiligen Innen- wie Außenpolitik und der Beziehungen untereinander bestimmt. Zwar hatten die Großmächte bereits während des Krieges Prognosen und Strategien entwickelt: sie bezogen sich jedoch eher auf die künftige Vermeidung bereits erlebter Krisen (der Bedrohung des jungen Sowjetstaates, der Weltwirtschaftskrise, der nationalsozialistischen Aggression) als daß sie der neuartigen Situation galten.17 Auf daß die deutsche Angriffslüsternheit ein für allemal gebannt werde, favorisierten sowohl Stalin als auch Roosevelt in der ersten Kriegszeit und auch in Teheran 1943 Pläne zur Aufteilung Deutschlands und zur völligen Ausschaltung der deutschen Industrie.18 Stalin schlug in Jalta vor, 80% aller deutschen Industriebetriebe zu demontieren. Ein vom amerikanischen Finanzminister Henry Morgenthau 1944 vorgelegtes Memorandum visierte sogar die Vernichtung der gesamten industriellen Kapazität und die Rückwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat an. Demgegenüber hatte das State Department 1943 einen Deutschlandplan entwickelt, der ein „Minimum an Bitterkeit" für die Deutschen propagierte, erträglichen Lebensstandard und die Förderung demokratischer Strukturen forderte. 19 Präsident Roosevelt, persönlich durchaus einem harten Frieden zuneigend, hatte zwar erst Morgenthaus Plan gebilligt, sah sich jedoch schon kurz darauf gezwungen, von ihm abzurükken. Er entschied sich für eine Politik der Vertagung aller wichtigen deutschlandpolitischen Entschlüsse bis zu einer endgültigen Friedensregelung.20 Auf einer Konferenz der Außenminister in Moskau, Oktober 1943, wurde die European Advisory Commission (EAC) gegründet, die die Modalitäten der alliierten Herrschaft in Deutschland festlegen sollte. Sie steckte die Besatzungszonen ab und schuf eine Organiationsstruktur. Vorgesehen war, daß die Oberkommandierenden der alliierten Streitkräfte jeweils in ihrer Zone die höchste Machtbefugnis innehaben sollten, alle Angelegenheiten, die Deutschland als Ganzes betrafen, hingegen im Alliierten Kontrollrat beraten werden sollten.21 Dieses Konzept wurde in Jalta gebilligt, wo auf britischen Druck hin auch Frankreich, das man stärken wollte, eine Besatzungszone und ein Platz im Kontrollrat eingeräumt wurde. Das Treffen von Jalta sollte ein Abrücken von den Zerstückelungsplänen signalisieren, und zwar bei allen Alliierten. Die Höhe der von der Sowjetunion gewünschten Reparationsleistungen 16 Vgl. Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 67f. 17 Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 27. 18 Vgl. zu den Teilungsplänen im einzelnen: Backer, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 23-32. 19 Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 30. 20 Zu Roosevelts „policy of postponement" vgl. Eschenburg, Deutschland, S. 38ff.; Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 57f. u. S. 105ff.

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Deutschlands - 20 Milliarden Dollar (davon die Hälfte für die UdSSR) wurden in Jalta von den Amerikanern als Verhandlungsgrundlage akzeptiert - sprach aus der Sicht der UdSSR gegen eine Parzellierung.22 London wollte ein wirtschaftlich fähiges verkleinertes Deutschland als Faktor des Gleichgewichts bewahren. Labilität könne Deutschland in die Arme der Sowjetunion treiben. Die in Jalta beschlossene Kapitulationsurkunde ließ sowohl die Möglichkeit einer Aufteilung als auch einer bloßen Dezentralisierung Deutschlands offen. Die Bearbeitung der entscheidenden Fragen wurde vertagt. Die sowjetische Deutschlandpolitik war - wohl hauptsächlich aus taktischen Gründen - zögerlich und reaktiv, und bot, zumindest bis 1947, ein widersprüchliches Bild.23 Man wartete das amerikanische Vorgehen ab, das seinerseits uneinheitlich und von der Einschätzung der Sowjets abhängig war. In den USA wurde im Mai 1945 die vom Finanzministerium favorisierte Direktive JCS 1067 in Kraft gesetzt, die vorsah, Deutschland nicht als befreite, sondern als besiegte Nation zu betrachten, die Industrie weitgehend zu eliminieren und das Land mit langfristiger Kontrolle des deutschen Kriegspotentials zu entmilitarisieren.24 Ferner war geplant, die Armee von politischen Aufgaben freizuhalten und der Besatzungsbehörde keine Verantwortung für das Wirtschaftsleben aufzuladen.25 Andererseits akzeptierte Roosevelt die vom State Department vorgeschlagene Politik milder Reparationen, die auf eine künftige Integration der Deutschen und ihrer Wirtschaft hinauslief.26 Die Erfahrungen nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich im amerikanischen Bewußtsein so eingeprägt, daß die amerikanischen Steuerzahler selbst auf dem Umweg über Hilfeleistungen die deutschen Reparationen finanziert hätten. Diese historische Perzeption 27 wurde bestimmend für die Verhandlungen mit den Sowjets, denen dringend an Reparationen (auch aus der laufenden Produktion) zum Wiederaufbau ihres zerstörten Landes gelegen sein mußte.

21 Vgl. zur Organisationsstruktur im einzelnen: Benz, Potsdam 1945, S. 37 u. S. 70ff. 22 Andere mutmaßliche Gründe erörtert: Fischer, Sowjetische Deutschlandpolitik, S. 131-136. 23 Vgl. Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 207ff., 262; von Butlar, Ziele und Zielkonflikte, S. 58-75. Mit seiner Rede in Paris im Juli 1946 habe Molotow das sowjetische Schweigen in der Deutschlandfrage gebrochen (ebd. S. 72). Auf die mit Hilfe deutscher Kräfte (Nationalkomitee „Freies Deutschland", Arbeitskommission der KPD) schon während des Krieges begonnene sowjetische Deutschlandplanung geht Fischer ausführlich ein. - Fischer, Sowjetische Deutschlandpolitik, S. 53 bis 59; 83-119. 24 Die in der Direktive festgelegten „Grundlegenden Ziele der Militärregierung in Deutschland" sind im Wortlaut wiedergegeben bei Benz, Potsdam 1945, S. 39. Vgl. Backer, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 44ff„ lOlff. 25 Zum Kompetenzstreit zwischen den einzelnen Ministerien um die Zuständigkeit für die Besatzungspolitik vgl. Gimbel, Administrative Konflikte, S. 111-128. 26 Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 88f. Bäcker hebt hervor, daß sich die Befürworter eines starken Deutschland und die Morgenthau-Gruppe in dem Bestreben trafen, die Reparationen aus der laufenden Produktion auf ein Minimum zu kürzen, „die ersteren, um die deutsche Wirtschaft zu unterstützen, die letzteren, um jeden Vorwand zu entkräften, der benutzt werden könnte, bedeutsame Teile der Industrie in Deutschland intakt zu lassen". - Bäcker, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 45f. Zur Bedeutung des Morgenthau-Plans für die Entstehung von zwei deutschen Staaten vgl. Bäcker, Die deutschen Jahre des Generals Clay, S. 51. 27 Dazu ausführlich Backer, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 33f., 49-62, 87.

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Die unterschiedliche Ausgangslage bewirkte, daß sich gerade an den Reparationen der Streit zwischen den Alliierten entzündete. 28 Vor allem die Briten plädierten - neben den Amerikanern - für maßvolle Zahlungsverpflichtungen. Ihr Insistieren auf dem „first Charge principle"29 - vor der Reparationsleistung müsse die Befriedigung des Inlandsbedarfs und die Finanzierung notwendiger Einfuhren stehen - weckte bei den Sowjets den Verdacht auf Schonung des Gegners. Am 19. Juni 1945 nahm in Moskau eine Reparationskommission ihre Arbeit auf, um schon Mitte Juli ihre Beratungen wieder abzubrechen. Das einzige Ergebnis bildete ein Schlüssel zur Verteilung der deutschen Reparationen (Sowjetunion 56%; USA und Großbritannien je 22%).

Schon vor Beginn der Potsdamer Konferenz (16. Juli bis 2. August 1945), auf der die Reparationsfrage erneut zur Erörterung anstand, führten die Sowjets in dem von ihnen okkupierten Teil Deutschlands erhebliche Demontagen durch. Auch hatte Stalin dadurch einen fait accompli geschaffen, daß er Ostdeutschland bis zur Oder und Neiße unter polnische Verwaltung gestellt hatte - Churchill hatte in Teheran diese Grenzverschiebung vorgeschlagen, um Polen für den Verlust Ostpolens zu entschädigen - , doch war in dieser Sache noch kein gemeinsamer Beschluß gefaßt, sondern die Festlegung der Westgrenze ausdrücklich einer Friedenskonferenz vorbehalten worden. 30 Die Verhandlungen in Potsdam blieben über zwei Wochen ergebnislos. Der Öffentlichkeit gegenüber war jedoch ein eklatantes Scheitern nicht vertretbar. So hatte der amerikanische Außenminister Byrnes mit einem Kompromißpaket Erfolg: Die polnische Verwaltung für Ostdeutschland bis zur Oder und Neiße wurde vorbehaltlich eines künftigen Friedensvertrags anerkannt, damit allerdings auch die Vertreibung der Deutschen aus diesem Gebiet, die Stalin mit der Behauptung zu verharmlosen suchte, die meisten Deutschen hätten das Land bereits verlassen. Im Gegenzug akzeptierte Stalin den Vorschlag zur Teilung des Reparationsgebiets. Jede Besatzungsmacht könne in ihrer Zone beliebig verfahren; darüber hinaus wurden der Sowjetunion 10% der Reparationsentnahmen aus den Westzonen ohne Entgelt und 15% im Tausch gegen Waren zugesprochen. Die Teilung Deutschlands als Reparationsgebiet unterminierte de facto den in Potsdam bekräftigten Willen, Deutschland als wirtschaftliche und politische Einheit zu erhalten und dafür durch die Bildung zentraler deutscher Verwaltungen praktisch zu sorgen. 2.1.3 Der Ausbruch des Kalten Krieges Ohne daß man die USA unnötig provozieren wollte, versuchte die Sowjetunion im Zuge ihrer militärischen Erfolge durch die Blockbildung aller „antifaschistischen", „friedliebenden", „demokratischen" Kräfte in den vorgelagerten Staaten den eigenen Herrschaftsbereich auszubauen und zu sichern. Bereits seit der Auflösung der Komintern 1943 galt die Empfehlung, auf Sozialisierungsmaßnahmen und revolutionäres Vokabular zu verzichten und die Durchsetzung des Sowjetsystems nicht zum Programm zu erheben. 31 Die polizeistaatlichen Methoden der Interessensicherung, die die Sowjetunion anwand, die Übergriffe seitens der Roten Armee und die 28

Zur amerikanischen und sowjetischen Position in der Frage der Reparationen vor und während der Potsdamer Konferenz vgl. Backer, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 33-48, 87-99; zur Interessenlage der Alliierten von Jalta bis Potsdam vgl. im einzelnen: Fisch, Reparationen. 29 Vgl. Foschepoth, Konflikte in der Reparationspolitik, S. 179f. 30 Vgl. Graml, Die Alliierten, S. 29, 85, 90. 31 Vgl. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 68.

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Plünderungen riefen indes profundes Mißtrauen bei den westlichen Beobachtern hervor. „Die russischen Pläne zur Errichtung von Satellitenstaaten", erklärte der amerikanische Botschafter Harriman im April 1945, „stellen eine Bedrohung für die Welt und für uns dar. Wenn die Sowjetunion erst einmal die Kontrolle über ihre Nachbarregionen erlangt hat, wird sie versuchen, die nächsten angrenzenden Länder zu durchdringen." 32 Als Harry S. Truman die Nachfolge Roosevelts antrat, der am 12. April 1945 starb, geriet die amerikanische Außenpolitik zunehmend auf einen Konfrontationskurs, der auf der von Harriman skizzierten „Dominotheorie" beruhte. Trumans Politik schwankte zwar zwischen Drohgebärden und versöhnlichen Gesten,33 doch verschlechterten sich die Beziehungen zur Sowjetunion unter seiner Präsidentschaft zusehends. Dazu trug vor allem der abrupte Stop der lend-lease-Lieferungen an die UdSSR bei, der durchaus als wirtschaftlicher Pressionsversuch gedacht war. Ein sowjetisches Kreditgesuch vom Januar 1945 wurde schleppend behandelt: umfangreiche sowjetische Zugeständnisse - Religionsfreiheit, Pressefreiheit, freie Wahlen, Einhaltung der Jalta-Vereinbarungen - seien Vorbedingung für die Gewährung des Kredits. Die Verhandlungen kamen schließlich im Juni 1946 gänzlich zum Erliegen. 34 Auch das Atomwaffenmonopol wurde von den Amerikanern als Druckmittel betrachtet, wenngleich nie offen mit der Bombe gedroht wurde. Außenminister Byrnes ließ sich nicht auf Vorschläge zu einer nuklearen Partnerschaft mit der UdSSR (um auf diesem Weg deren Einlenken in Osteuropa zu bewirken) und eine Intemationalisierung der neuen Waffe ein. 35 Konferenzen der Außenminister in London und Moskau im Herbst und Winter 1945 ließen die Gegensätze auch öffentlich hervortreten. Es wurde erkennbar, daß die Versuche der USA, die osteuropäischen Probleme (durch wirtschaftlichen Druck und die Demonstration des Atomwaffenmonopols) in ihrem Sinne zu lösen, fruchtlos waren und daß sich allenfalls die Möglichkeit eines Kompromisses durch die Aufteilung der Welt in Einflußsphären abzeichnete.36 Truman entschloß sich definitiv zu einer „Politik der .Festigkeit', die auf dem Axiom eines potentiell weltweiten sowjetischen Expansionismus basierte. [...] Roosevelts ,Grand Design' mußte endgültig der .Politik der Eindämmung' weichen." 37 Ab Anfang 1946 wurde die Doktrin der „Eindämmung" (Containment) vor allem von George F. Kennan ausformuliert und später auf den Begriff gebracht. In seinem berühmt gewordenen „langen Telegramm" vom 22. Februar 1946 bewertete er das Mißtrauen und die Aggressivität der Sowjetführung nicht als Ergebnis aktueller Entwicklungen, sondern als systeminhärent. Churchill sprach in einer in Fulton/Missouri gehaltenen Rede am 5. März 1946 von dem „Eisernen Vorhang", der sich in Europa von Stettin bis nach Triest herabgesenkt habe. 38 Östlich der 32 Zit. nach Loth, Die Teilung der Welt, S. 104. 33 Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 108; Graml, Die Alliierten, S. 72; Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 76f. 34 Zu der Geschichte des Pacht-und-Leih-Vertrags und den Darlehensverhandlungen vgl. Backer, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 74-86. 35 Zur amerikanischen Atomwaffenpolitik vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. l l l f . , 141ff. 36 Zu den innenpolitischen Bedingungsfaktoren für die Genese des Kalten Krieges vgl. im einzelnen: Bonwetsch, Kalter Krieg als Innenpolitik, S. 230-249. 37 Loth, Die Teilung der Welt, S. 120. 38 Geprägt hat Churchill den Terminus , . E i s e r n e r Vorhang" schon im Mai 1945. - Vgl. Graml, Die Alliierten, S. 66.

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Elbe wolle die Sowjetunion einen kommunistischen deutschen Staat errichten. Daß der westlich dieses Vorhangs befindliche Teil Europas konsolidiert werden müsse, gehörte nun zu den Grundlagen anglo-amerikanischer Politik. Die Sowjetunion rüstete ihrerseits zum Kalten Krieg auf. In einer Wahlrede vom 9. Februar 1946, also vor Churchills Auftritt, kündigte Stalin eine emeute Mobilisierung des Landes und den forcierten Wiederaufbau der Schwerindustrie an. Angesichts der grundlegenden Antagonismen zwischen dem Kommunismus und der westlichen Welt könne ein neuer militärischer Konflikt nicht ausgeschlossen werden. In den Satellitenstaaten kam es zu Gewaltaktionen der kommunistischen Parteien, die nun die Opposition nicht mehr auf legalem Wege auszuschalten suchten, sondern durch Zwangsmaßnahmen beseitigten. Westeuropa und die Westzonen befanden sich Anfang 1947 am Rand der Verelendung. Die Bekämpfung dieser Krise, die - so fürchtete man - den kommunistischen Bewegungen neuen Auftrieb geben könnte, erschien der Truman-Administration vordringlich. Doch zeigte sich der amerikanische Kongreß zahlungsunwillig und scheiterten alle Versuche, zumindest in den Westzonen den Aufbau zu beschleunigen, am Veto der Franzosen. Truman suchte den Kongreß für seine Eindämmungspolitik auch finanziell zu mobilisieren, indem er am 12. März 1947 - anhand von Ereignissen in Griechenland und der Türkei - das Szenario eines globalen Kampfes zwischen zwei alternativen Lebensformen entwickelte, zwischen freien und unfreien Regierungssystemen. 39 In der so genannten Truman-Doktrin bot der Präsident allen sich in ihrer Freiheit von der Sowjetunion bedroht fühlenden Völkern die Hilfe und Unterstützung der USA an. Um den Zusammenbruch Westeuropas zu verhindern und den französischen Einspruch gegen den Zusammenschluß der Westzonen zu überwinden, wurde vom State Department das Programm einer gemeinsamen Wirtschaftshilfe für die europäischen Länder entwickelt. Das am 5. Juni bewilligte European Recovery Program, das unter dem Namen Marshall-Plan bekannt wurde (Marshall hatte im Januar Byrnes als Außenminister abgelöst) sollte den Westen wirtschaftlich stabilisieren und gegen die sowjetische Propaganda immunisieren; das Hilfsangebot war aber auch an die Sowjetunion und die osteuropäischen Staaten gerichtet. Das Programm weckte in Europa große Hoffnungen auf Einigkeit und Unabhängigkeit; die Chance zeichnete sich ab, daß Europa sich als dritte Kraft zwischen den rivalisierenden Großmächten profilieren könnte. Im Sommer 1947 war die Situation durchaus offen. 40 Die Sowjetunion nahm eine längere Bedenkzeit in Anspruch, und erst die Tatsache, daß die Regierungen der anderen osteuropäischen Länder gewillt waren, auch ohne die Sowjetunion am Marshall-Plan teilzunehmen, ließ die Absage der UdSSR äußerst schroff ausfallen. Die Satellitenstaaten mußten sich ihr anschließen. Im September startete die Sowjetunion ihre Gegenoffensive. ZK-Sekretär Andrej Shdanow entwickelte auf einer Konferenz, an der die Führungsspitzen der kommunistischen Parteien aus neun Ländern teilnahmen, die Theorie vom unversöhnlichen Gegeneinander des imperialistischen und antidemokratischen Lagers einerseits und des antiimperialistischen und demokratischen Lagers andererseits.41 Auf den Marshall-Plan als „Plan zur Versklavung Europas" müßten die kommunistischen Parteien durch rigide Straffung und einheitliche Ausrichtung reagieren. Die Gründung des Kommunistischen Informationsbüros (Kominform) stellte den organisatorischen Rahmen für dieses Aktionsprogramm bereit. Es bedeutete die Abkehr von der Volksfrontstrategie und die offene Übernahme des sowjetischen Modells in allen „Volksdemokratien". Die

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Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 166. Zum Marshall-Plan und der sowjetischen Reaktion vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 174-185.

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Dynamik der bisher in den einzelnen Ländern betriebenen Gesellschaftspolitik beschleunigte den Transformationsprozeß. Nun erhielten alle von der UdSSR kontrollierten Staaten das für die Volksdemokratien „charakteristische Herrschaftsgefüge: die institutionalisierte Hegemonie der zentralistisch vereinigten Arbeiterpartei"42. Der Bruch mit Tito im Juni 1948 verschärfte den Führungsanspruch der Sowjetunion weiter. In mehreren Säuberungswellen wurden in allen osteuropäischen Ländern vermeintliche Gegner verfolgt. Das schonungslose Vorgehen in Osteuropa und die Feindseligkeit der sowjetischen Propaganda schienen die Befürchtungen der westlichen Länder zu bestätigen und ließen diese noch enger zusammenrücken. An der Jahreswende 1947/48 war der Kalte Krieg manifest. 2.1.4 Konsequenzen für Deutschland Die Übertragung der Politik der Eindämmung auf deutschen Boden wirkte sich als Konzentration auf die Westzonen aus. Dennoch überwogen zunächst noch die Versuche, zu einer interalliierten Einigung zu kommen.43 Byrnes schlug im Frühjahr 1946 ein Demilitarisierungsabkommen auf 25 Jahre vor mit der Einsetzung einer Vier-Mächte-Inspektionstruppe nach Abschluß eines Friedensvertrags.44 Und der stellvertretende amerikanische Militärgouverneur in Berlin, General Lucius D. Clay, handelte mit seinem sowjetischen Gegenüber, General Sokolowski, 1946 bis ins Detail einen sowjetischen Kompromißvorschlag aus, der die Lieferung sowjetischer Rohstoffe für die Produktion von Reparationen, die wirtschaftliche Vereinigung aller vier Zonen, die Errichtung einer gesamtdeutschen Verwaltung und ein ausgewogenes Export-Import-Programm vorsah.45 Beide Vereinbarungen kamen nicht zustande. Statt dessen schritt, der Logik der Situation gemäß, die Teilung weiter voran. Gerade Clays Bemühen, die in Potsdam vereinbarte Wirtschaftseinheit Deutschlands herzustellen, um zu einer Sanierung der katastrophalen ökonomischen Verhältnisse und zu einer Verringerung des amerikanischen (Finanz-)Engagements zu gelangen, sollte die Separierung beschleunigen. Clays Erfahrung im Kontrollrat war die einer beständigen französischen Obstruktion. Sie wurde unmittelbar nach der Potsdamer Konferenz, an der die Franzosen zu ihrer Erbitterung nicht teilnehmen durften, von ihnen programmatisch angekündigt. Frankreich war ähnlich wie die Sowjetunion von Krieg und Okkupation unmittelbar betroffen und suchte sich dafür in seinem Besatzungsgebiet zu entschädigen. Das extreme Sicherheitsbedürfnis ließ Frankreich Pläne der Parzellierung Deutschlands (Abtrennung des Saargebiets und Rheinlands) und einer Internationalisierung der Ruhr (ein Vorschlag, mit dem auch die Sowjets aufgrund wirtschaftlicher 41

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Loth zufolge war diese Gegenüberstellung nicht geographisch, sondern politisch gemeint; das Kominform-Programm weise eine „kooperative Grundlinie" auf. - Loth, Stalins ungeliebtes Kind, S. 115. Doch geht aus der Shdanow-Rede unmißverständlich hervor, mit welchen Ländern bzw. Hemisphären die Begriffe „imperialistisch" bzw. „antiimperialistisch" identifiziert wurden. Dies schließt werbende Bemühungen, .fortschrittliche Kräfte' unabhängig von der Staatszugehörigkeit für das .richtige Lager' zu gewinnen, nicht aus. Vgl. Kap. 3.2. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 149. Den sowjetischen Einheitswillen unterstreichen: Viskov/Kul'bakin, Sojuzniki i „germanskij vopros", S. 254 u. 165. Zum Schicksal des Entwaffnungsvertrags vgl. von Butlar, Ziele und Zielkonflikte, S. 67-75. Vgl. Backer, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 139.

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Interessen sympathisierten) entwickeln. Sie führten zum Einspruch gegen alle in Potsdam vereinbarten Versuche, deutsche zentrale Verwaltungsbehörden einzusetzen. Die Sowjets wiederum verweigerten ihre Zustimmung zu einem vereinigten Export-Import-Plan vor Lösung des Reparationsproblems. Um Frankreich zur Aufgabe seines Vetos gegen die Einheit zu veranlassen und das sowjetische Nein zu überwinden, stoppte Clay im Mai 1946 alle Reparationslieferungen aus der amerikanischen Zone bis zur Verabschiedung eines Export-Import-Plans für das gesamte Deutschland und kündigte einen trizonalen Kurs auch an Frankreich vorbei an.46 Die dazu notwendige Verständigung mit der Sowjetunion kam nicht zustande. Das Konzept einer amerikanisch-britischen Bizone, zunächst eine „finanzielle Notmaßnahme" 47 , gewann seit Juli 1946 Kontur; (am 1. Januar 1947 trat der Zusammenschluß in Kraft). 48 Mit seiner Rede in Stuttgart vom 6. September 1946 machte Byrnes „den ersten Zug in einer auf die Westdeutschen beschränkten Werbe- und Integrationspolitik"49, ohne diesen Adressaten eindeutig zu nennen: Den Deutschen wurde die baldige Rückkehr zur Selbstbestimmung und der wirtschaftliche Wiederaufbau versprochen. Auch wenn die sowjetische Deutschlandpolitik nach Möglichkeit alle Einblicke Außenstehender zu verhindern suchte, gilt für die ersten Nachkriegsjahren eine Konkurrenz verschiedener Linien doch als gesichert: 50 Shdanow votierte offenbar für einen deutschen Sonderstaat als sowjetische Einflußsphäre. Dem stand eine pragmatische, auf wirtschaftliche Erwägungen konzentrierte Linie mit den Exponenten Mikojan und Molotow gegenüber und der Kurs Malenkows und Berijas, die zwar für die ökonomische Ausplünderung der SBZ eintraten, aber in gesellschaftspolitischer Hinsicht eine moderate, minimalistische Haltung bezogen, ja eine mögliche Preisgabe des Territoriums einkalkulierten. Alle Gruppierungen hatten ihre Sachwalter innerhalb der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) und unter den deutschen Politikern. Stalin taktierte anscheinend, um ein Maximum an Möglichkeiten offenzuhalten: Von der Vernichtung und Ausbeutung des Reiches (I) über ein Arrangement mit einem einheitlichen, unabhängigen Deutschland (II), der .Sowjetisierung' ganz Deutschlands (III) bis hin zur Teilung Deutschlands und der Sowjetisierung der eigenen Zone (IV).51 Die Unentschiedenheit wirkte sich in der auf deutschem Boden betriebenen Politik als Widersprüchlichkeit aus. Erst mit Beginn des Jahres 1948 kam eindeutig die vierte Alternative zum Zuge, obwohl bereits vorher Elemente des sowjetischen Modells in die SBZ transferiert worden waren.

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Damit war der mühsam ausgehandelte Industrieniveauplan vom März 1946 wieder hinfällig. Zu diesem Plan im einzelnen: Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.271f.; von Butlar, Ziele und Zielkonflikte, S. 98-108. 47 Vgl. Backer, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 137. 48 Zur Bizonengründung und den verschiedenen Umgestaltungen ihrer Organisationsstruktur im einzelnen vgl. Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik, S. 35-118. 49 Graml, Die Alliierten, S. 186. Ausführliche Wiedergabe der Rede bei Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 273ff. Vgl. die abweichende Interpretation der Rede bei Backer, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 137f. und Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik, S. 39f. 50 Zu den unterschiedlichen deutschlandpolitischen Konzeptionen sowjetischer Politiker vgl. die Einschätzungen bei: Meissner, Rußland, S. 59; Osten, Die Deutschlandpolitik, S. 1-15; Balfour/Mair, Four Power Control, S. 44f.; Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 266f.; Ra'anan, International Policy Formation, S. 85-100. 51 Alternativen nach Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 217-269.

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Denn der äußeren Auseinanderentwicklung zwischen den Besatzungszonen entsprach eine innere, gesellschaftspolitische. Die Konzentration auf wirtschaftliche und administrative Effizienz und die Orientierung an den Leitbildern der eigenen Gesellschaft bewirkten im Westen,52 daß Clays Vierpunkteprogramm des Anfangs - Entmilitarisierung, Demokratisierung, Entnazifizierung, Entflechtung der Kartelle - hinter den hochgesteckten Ansprüchen zurückblieb;53 sozialistische Reformbestrebungen wurden unterbunden und überkommene Strukturen restituiert, allerdings auch westliche Verfassungsprinzipien, was revolutionär genug wirkte, eingeführt.54 In der sowjetischen Besatzungszone war die innenpolitische Umwandlung im vergleichbaren Zeitraum sehr viel weiter fortgeschritten:55 Bereits die Bodenreform von 1945 mit der entschädigungslosen Enteignung des agrarischen Großgrundbesitzes, die Industriereform einschließlich der Enteignung und Umwandlung von 200 großen Betrieben in Sowjetische Aktiengesellschaften (SAGs) bis Oktober 1946, von der ein Viertel der Gesamtproduktion betroffen war, sowie die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED im April 1946 und die Gleichschaltung der antikommunistischen Parteien setzten deutliche Zeichen einer Loslösung. Zwar hielten die Sowjets ihre Forderungen nach Reparationen in der in Jalta genannten Höhe, nach Ausdehnung der Demokratisierungsmaßnahmen auch auf die Westzonen und nach einer Vier-Mächte-Kontrolle der Ruhr aufrecht, doch sperrten sie sich gleichzeitig gegen Einblicke und Eingriffe des Alliierten Kontrollrats. Enteignungen, die gewünschte Personalpolitik und die Blockbildung der Parteien ließen sich ohne gemeinsame Behörden leichter durchführen.56 Vor Ort, und das heißt in diesem Fall in Berlin, dem Sitz des Alliierten Kontrollrats, stellten sich die Dinge oft anders dar als auf internationaler Ebene. Clay, dies gilt es als für das Klima in der Stadt bestimmenden Faktor hervorzuheben, hielt lange an der Zusammenarbeit mit den Sowjets fest. 57 Das französische Blockieren aller wichtigen Demarchen im Kontrollrat war für ihn die prägende Erfahrung. Dem sowjetischen Vertreter im Kontrollrat, äußerte Clay Anfang April 1946 gegenüber dem State Department, „kann nicht vorgeworfen werden, die Potsdamer Vereinbarungen zu verletzen". Diese würden im Gegenteil gewissenhaft eingehalten.58 Ebenso lehnte er im August 1946 die Einrichtung von Radio Liberty ab, da sie „nicht dem Geist der Viermächte-Regierung" entspräche.59 Erst im Laufe des Jahres 1947 rückte Clay von dem bisherigen Optimismus einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit den Sowjets ab60 und verkündete Ende Oktober einen neuen amerikanischen Propagandakurs mit antikommunistischer 52 Zu den Unterschieden zwischen den einzelnen Westzonen vgl. Graml, Die Alliierten, S. 124ff.; zu den einzelnen Besatzungskonzeptionen in Abhängigkeit von der jeweiligen Interpretation des Nationalsozialismus vgl. La dénazification par les vainqueurs; Zur französischen Kulturpolitik im besonderen siehe: Französische Kulturpolitik in Deutschland; Zu den Grundmustern der Einstellung bei den Amerikanern vgl. im Detail: Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 92-104. 53 Dazu im einzelnen: Bäcker, Die deutschen Jahre des Generals Clay, S. 75-92. 54 Vgl. Graml, Die Alliierten, S. 127. 55 Vgl. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 37-147; Weber, Geschichte der DDR, S. 47-144; von Butlar, Ziele und Zielkonflikte, S. 108-167. 56 Vgl. Graml, Die Alliierten, S. 117; vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 145. 57 Backer, Die deutschen Jahre des Generals Clay, S. 209f.; Krieger, General Lucius D. Clay, S. lOlff. 58 Zit. nach Loth, Die Teilung der Welt, S. 147. 59 Zit. nach Backer, Die deutschen Jahre des Generals Clay, S. 234. 60 Graml datiert diesen Wechsel der Überzeugung noch später, auf März 1948. - Vgl. Graml, Die Alliierten, S. 203f.

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Stoßrichtung.61 An die Stelle des Kampfes für ein einheitliches Deutschland trat bei Clay das Votieren für die Schaffung eines starken westdeutschen Staates als Bollwerk gegen den Kommunismus. Den Kontext für diesen Umschwung bildete das Scheitern der Außenministerkonferenzen in Moskau März/April 1947 und in London November/Dezember 1947. Bis zu der Moskauer Tagung gab es auf amerikanischer Seite noch keine unwiderruflichen Festlegungen in Richtung Teilung; sie wurde erst auf diesem Treffen bestätigt.62 Gegen einen sowjetischen Kompromißvorschlag (und Clays Votum) entschied sich die amerikanische Regierung für den einmal eingeschlagenen Bizonenkurs.63 Auf der Londoner Tagung wurde gar nicht mehr ernsthaft nach einem Konsens gesucht. Die Konferenz wurde wegen Unvereinbarkeit der Standpunkte auf unbestimmte Zeit vertagt. Stattdessen trafen sich im Februar 1948 die Außenminister der drei Westmächte und der Benelux-Länder in London, um gegen den vehementen Protest der Sowjetunion über die staatliche Organisation der Westzonen zu beraten. Die am 7. Juni veröffentlichten Londoner Empfehlungen enthielten den Auftrag an die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder, bald eine Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Strittige Fragen wie die Internationalisierung der Ruhr oder die Proportionen zwischen Föderalismus und Zentralismus wurden mit Formelkompromissen zugedeckt.64 Nach der Londoner Konferenz der Westmächte brach die Alliierte Verwaltung für Deutschland auseinander: Am 20. März 1948 verließen die sowjetischen Vertreter den Kontrollrat und am 16. Juni 1948 auch die Alliierte Kommandantur in Berlin. Die Ankündigung der Staatenbildung in Westdeutschland und der Beschluß zur separaten Währungsreform, nachdem die westlichen Vorschläge zu einer gemeinsamen Währungsreform im Alliierten Kontrollrat am sowjetischen Widerstand gescheitert waren,65 waren Auslöser der Berlinkrise. Nachdem im März und April kleinere Blockaden vorausgegangen waren, sperrten die Sowjets am 24. Juni alle Landverbindungen zwischen Berlin und den Westzonen und unterbrachen die Strom- und Kohleversorgung. Das Ziel der Sowjets war offenbar, die Westmächte zu einer Revision der Staatenbildung in Westdeutschland zu zwingen66 oder sie zumindest aus Berlin hinauszudrängen67. Tatsächlich ist in Washington im Juli und August aus Furcht vor einem bewaffneten Konflikt und einer dauern61 62

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Vgl. BA Koblenz: OMGUS, ODI7/22-1/10-13. Vgl. Backer, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 150; Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 81, 119f. Zur Münchener Ministerpräsidentenkonferenz im Juni 1947 als deutschem Versuch, der Spaltung entgegenzuwirken, vgl. Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 275ff.; Weber, Geschichte der DDR, S. 148ff. Zu der seither gegebenen Unversöhnlichkeit der beiderseits ideologisierten Positionen vgl. Viskov/Kul'bakin, Sojuzniki i „germanskij vopros", S. 91. Vgl. Backer, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 158-163; Backer, Die deutschen Jahre des Generals Clay, S. 208ff; Loth, Stalins ungeliebtes Kind, S. 83-88. Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 231. Zu dem Londoner Kommunique und den deutschen Reaktionen im einzelnen: Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik, S. 156-175. Zur Debatte um die Währungsreform vgl. Backer, Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, S. 113-127. Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 232ff. So die Interpretation Gramls, Die Alliierten, S. 208. Vermutlich hatten die Sowjets gleichzeitig das Maximalziel (Abgehen von der Weststaatbildung) und das Minimalziel (Räumung Berlins) vor Augen. - Vgl. Bäcker, Die deutschen Jahre des Generals Clay, S. 276.

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den - auch finanziellen - Belastung ernsthaft darüber diskutiert worden, die westdeutsche Staatsgründung zu suspendieren. 68 Der Beschluß der Amerikaner, dennoch die Kraftprobe einzugehen und die Berliner Bevölkerung über eine Luftbrücke zu versorgen, sollte den Formationsprozeß des Westblocks stabilisieren und beschleunigen. Die Sowjets hatten mit ihrer Blockade, die erst im Mai 1949 wieder aufgehoben wurde, den antikommunistischen Konsens im Westen entscheidend gekräftigt und dem Gegner zu einem triumphalen Propagandasieg verholfen. Die Ministerpräsidenten der Länder in den Westzonen, die Anfang Juli noch den Auftrag zur Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung zurückgewiesen hatten, willigten kurze Zeit später ein, allerdings mit dem (von den Militärgouvemeuren akzeptierten) Vorbehalt, ein Grundgesetz statt einer Verfassung auszuarbeiten, um den provisorischen Charakter der Staatsgründung zu akzentuieren. Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verkündet und am 7. September 1949 trat der erste Deutsche Bundestag zusammen. Am 7. Oktober 1949 konstituierte sich die Provisorische Volkskammer der DDR. Vorbereitet war die Gründung durch den im November 194769 einberufenen „Deutschen Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden" und den vom Zweiten Volkskongreß im März 1948 installierten Deutschen Volksrat. 70 Der dritte Volkskongreß trat im Mai 1949 zusammen. Die Volkskongreßbewegung erfüllte eine doppelte Funktion: Sie diente der nationalen Agitation, durch die dem Westen die Schuld an der Spaltung zugeschrieben und der eigene Einheitswillen bekräftigt wurde, schuf aber auch die institutionellen und legitimatorischen Voraussetzungen für die Gründung der DDR. 71 Im Zuge der ideologischen Polarisierung wurde die Ost-West-Auseinandersetzung nicht mehr als machtpolitisches Ringen um Einflußsphären, sondern als existentieller Kampf zwischen gegensätzlichen Gesellschaftsordnungen und Lebensformen begriffen. Beide Seiten erlagen dabei den Hysterie produzierenden Mechanismen einer überdimensionierten Konfliktdarstellung. Unter dem Eindruck des kommunistischen Sieges in China begann im Winter 1949/50 in den USA der „Angriff der Primitiven", wie der damalige Außenminister Acheson ihn nannte. 72 Zur zentralen Figur dieser Bewegung wurde der republikanische Senator Joseph R. McCarthy mit seinem Feldzug gegen „unamerikanische Umtriebe". Unter Außenminister Dulles wurde mit der Formulierung des roll back eine „ideologisch überhitzte und verhärtete Version der ,Containment-Politik'" 73 ausgegeben: die zur Schau gestellte Politik der Stärke beruhte auf einer aggressiven, aber nicht von realer Macht gedeckten Befreiungs-Rhetorik. In seine heiße Phase geriet der Kalte Krieg mit dem Koreakrieg (1950-1953), der zwar in seiner territorialen Ausdehnung begrenzt blieb, aber die Blockbildung, und das heißt auch die Einbeziehung der Bundesrepublik und der DDR in das westliche bzw. östliche Bündnissystem forcierte. 68 69

Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 234f. Die Einberufung des Volkskongresses fand also kurz vor der Londoner Außenministerkonferenz statt, auf die man Einfluß nehmen wollte. - Vgl. Weber, Geschichte der DDR, S. 156; Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, S. 203; Loth, Stalins ungeliebtes Kind, S. 97. 70 Vgl. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 165ff. Im Detail: Bender, Deutschland einig Vaterland? 71 Vgl. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 166f.; Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, S. 204. 72 Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 272. 73 Graml, Die Alliierten, S. 179.

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1952 sollte die westliche Blockkonsolidierung durch die (in der deutschen Öffentlichkeit äußerst kontrovers diskutierte) Wiederbewaffnung Westdeutschlands im Rahmen einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) abgeschlossen werden. Zur Abwendung dieses Projekts intervenierte Stalin mit vier Deutschlandnoten (März, April, Mai und August 1952): sein Konzept für einen Friedensvertrag sah ein wiedervereinigtes, neutrales Deutschland vor, in dem - von paritätisch besetzten Gremien aus beiden deutschen Staaten vorbereitete und von den vier Alliierten beaufsichtigte - freie Wahlen stattfinden sollten. Inwieweit es sich dabei um ein ernsthaftes Angebot handelte und somit eine Chance zur Einheit verpaßt wurde, wird nach wie vor kontrovers diskutiert. 74 Konrad Adenauer erteilte Stalin eine unmißverständliche Absage. Am 26. Mai 1952 wurde der Generalvertrag zur Ablösung des Besatzungsstatuts und am 27. Mai der EVG-Vertrag 75 paraphiert. Am Tag der Unterzeichnung des Generalvertrags riegelte die DDR die bis dahin weitgehend durchlässigen Zonengrenzen ab. Nachdem die Wirkung der sowjetischen Friedensinitiative abgewartet worden war, verkündeten die Delegierten der 2. Parteikonferenz der SED (9.-12. Juli), „daß der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe in der Deutschen Demokratischen Republik geworden ist" 76 . Damit war das längst fällige Bekenntnis zur realen volksdemokratischen Entwicklung abgelegt. 77 Nach der Parteikonferenz wurde der Transformationsprozeß beschleunigt und der „Klassenkampf' verschärft, was zusammen mit einer Versorgungskrise im Winter 1952/53 erhebliche Unzufriedenheit bei der Bevölkerung und eine Fluchtwelle auslöste. Der Tod Stalins am 5. März 1953 führte allerdings dazu, daß die offenbar in der Sowjetunion gerade konzipierte neue Säuberungswelle einer innenpolitisch notwendigen Entspannungsoffensive Platz machen mußte. Obwohl die SED-Führung dazu aufgefordert wurde, die „Überspitzungen" des sozialistischen Aufbaus zu revidieren, 78 beschlossen das Zentralkomitee und der Ministerrat noch im Mai 1953 eine generelle Erhöhung der Arbeitsnormen um durchschnittlich 10%, die bis zum 60. Geburtstag Ulbrichts am 30. Juni gültig sein sollte. Der auf sowjetischen Druck hin am 9. Juni verkündete „Neue Kurs" 79 sah zwar Erleichterungen für die Privatwirtschaft, den Mittelstand, die Bauern und die Intellektuellen vor, doch der Arbeiterschaft wurden keine Konzessionen gemacht. Die Unzufriedenheit brach sich in Demonstrationen und einer Streikbewegung Bahn, die am 17. Juni

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Exemplarisch aus der aktuellen Diskussion; die Angebots-These befürwortet: Loth, Stalins ungeliebtes Kind, S. 175-184; abgelehnt wird sie von: Wettig, Die Stalin-Note, S. 157-167; ders., Die Deutschland-Note, S. 786-805; von der Nicht-Entscheidbarkeit der Frage, auch mit den heutigen Archivkenntnissen, gehen aus: Laufer, Die UdSSR, S. 1201-1204; Scherstjanoj, Zur aktuellen Debatte um die Stalin-Note, S. 181-185.

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Allerdings scheiterte die Realisierung der EVG am Widerstand Frankreichs. An ihre Stelle traten die Westeuropäische Union (WEU) und die NATO. - Vgl. Loth, Die Teilung der Welt, S. 319-334. Protokoll der Verhandlungen der 2. Parteikonferenz, S. 492. - Zur Interpretation der Parteikonferenz s. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 178-185. Die Zustimmung zur Sozialismus-Entscheidung gab Stalin erst kurz vor der Parteikonferenz. - Vgl. Otto, Sowjetische Deutschlandpolitik, S. 950; Scherstjanoj, Die DDR im Frühjahr 1952, S. 355. Zur Situationsanalyse seitens der sowjetischen Partei- und Staatsführung vgl. Stöckigt, Direktiven aus Moskau, S. 81-88.

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Vgl. Scherstjanoj, „Wollen wir den Sozialismus?", S. 658-680.

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gewaltsam niedergeschlagen wurde. 80 Die Junirevolte war gleichzeitig Arbeiteraufstand und revolutionäre Erhebung, bei dem sich Protest nicht nur gegen die wirtschaftliche Verschlechterung, sondern ebenso gegen das politische System Bahn brach. 81 Die sowjetischen Panzer wälzten auch die damals virulente Möglichkeit einer anderen deutschlandpolitischen Entwicklung nieder. 82 Vor allem Berija hatte Pläne für ein „einheitliches" und „friedliches" Deutschland entwickelt, die - so die Vorwürfe bei der .Abrechnung' der Parteispitze mit Berija im Juli 1953 83 - auch die Liquidierung der DDR einkalkuliert hätten. Wladimir Semjonow, mit dem neu installierten Amt eines sowjetischen Hochkommissars in Deutschland betraut, war die Aufgabe zugefallen, den Neuen Kurs (und die Machtenthebung Ulbrichts) in der SED-Führung durchzusetzen, wobei ihn der DDR-Minister für Staatssicherheit Wilhelm Zaisser und der Chefredakteur des „Neuen Deutschland" Rudolf Herrnstadt unterstützten. 84 Ulbrichts Position wurde durch die Ereignisse des 17. Juni wieder gefestigt. Berija wurde am 26. Juni seiner Ämter enthoben und im Dezember hingerichtet; im Juli wurden Zaisser und Herrnstadt wegen „parteifeindlicher Fraktionsbildung" aus dem ZK ausgeschlossen. Der Status quo war wieder hergestellt.

2.2

Der kulturpolitische Hintergrund in der Sowjetunion 1945-1953

2.2.1 Die Situation bis 1946 Unter dem Blickwinkel des Verhältnisses von Kultur und Macht stellt sich die sowjetische Kulturpolitik, am Beispiel der Literaturpolitik, seit der Oktoberrevolution bis zur zweiten Hälfte der 40er Jahre als ein Übergang vom tolerierten, ja erwünschten Nebeneinander verschiedener Gruppierungen und Strömungen in den 20er Jahren bis hin zu einer immer stärkeren institutionellen und ideologischen Vereinnahmung und Vereinheitlichung seit Anfang der 30er Jahre dar. Eine entscheidende Rolle hierbei spielten die Gründung des Schriftstellerverbandes 1934 und die Etablierung des sozialistischen Realismus als verbindliche Schaffensmethode. Die Sammlung aller „patriotischen Kräfte" während des Zweiten Weltkriegs führte zu einer zeitweiligen .Lockerung' der staatlichen Eingriffe, die allerdings im Umfeld der Schlacht von Stalingrad bereits wieder teilweise zurückgenommen wurde. Die letzte Phase des Krieges mit dem absehbaren Sieg über die Hitlertruppen und das erste Nachkriegsjahr standen im Zeichen einer relativen kulturpolitischen Entspannung, die mit einer kurzzeitigen optimistischen Einschätzung der 80

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Vgl. Baring, Der 17. Juni 1953; Hagen, DDR - Juni '53; Mitter/Wolle, Untergang auf Raten, S. 27 bis S. 162; über den aktuellen Forschungsstand unterrichtet: Spittmann, Zum 40. Jahrestag des 17. Juni, S. 635-639. Vgl. Mitter/Wolle, Untergang auf Raten, S. 160. Vor allem bei einer zweiten Streikwelle im Juli „stand hinter den ökonomischen Forderungen" unbestreitbar „das Verlangen nach politischen Veränderungen" (ebd., S. 132); so auch in: Mitter, Die Ereignisse im Juni und Juli 1953, S. 36. Vgl. Bonwetsch, Deutschlandpolitische Alternativen, S. 320-340. Vgl. Lew Besymenski, 1953 - Berija will die DDR beseitigen, in: Die Zeit vom 15.10. 1993; Der Fall Berija. Vgl. Hermstadt, Das Herrnstadt-Dokument; Vgl. auch: Müller-Enbergs, Der Fall Rudolf Herrnstadt.

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weltpolitischen Lage in der sowjetischen Führung einherging. Diese betraf z.B. die Möglichkeiten der friedlichen Koexistenz und einer eventuellen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den USA. 85 Ab Mitte 1946 setzte eine erneute Verhärtung ein, die zugleich ideologisch und machtpolitisch begründet war. Nicht nur die Kulturpolitik (im engeren Sinne), sondern auch Ökonomie und Wissenschaft (vor allem im Bereich der Biologie) waren in die Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Parteifunktionären Georgi Malenkow und Andrej Shdanow und deren jeweiligen Anhängern einbezogen, die seit Ende der 30er Jahre mit wechselnden Begünstigungen und Herabstufungen schwelten. 86 Auch hinsichtlich der Deutschlandpolitik vertraten Shdanow und Malenkow unterschiedliche Positionen,87 die sich letztlich auch in Richtungskämpfen innerhalb der SED niederschlugen. Aufgrund dieses Funktionszusammenhangs wird im folgenden die kulturpolitische Ausgangslage 1945/46 unter dem Gesichtspunkt der Rivalität zwischen Shdanow und Malenkow skizziert, während die weitere Entwicklung speziell der sowjetischen Literaturpolitik bis 1953 großflächiger, jedoch stets im Hinblick auf ihre Relevanz für die Formierung eines sozialistischen Kulturmodells in der SBZ und frühen DDR dargestellt wird. Shdanow, der ebenso wie Malenkow eine steile Parteikarriere aufweisen konnte, leitete während des Krieges die Verteidigung Leningrads, während Malenkow eine einflußreiche Position als Chef der Kaderabteilung des ZK-Sekretariats innehatte. Nach Kriegsende unternahm Shdanow erfolgreich den Versuch, Malenkow bei Stalin zu diskreditieren, indem er ihm vorwarf, die von ihm ausgewählten und geführten Kader hätten sich zu sehr auf die Industrieproduktion konzentriert und infolgedessen im Bereich von Kunst und Literatur das Eindringen „schädlicher liberaler Tendenzen" geduldet. 88 Diese Linie, so die ideologische Begründung für die machtpolitisch motivierte Demarche, könne (erst recht) unter den Nachkriegsbedingungen nicht aufrechterhalten werden. Nach dem militärischen Sieg über Deutschland müsse die Welt nun auch vom Sieg des Sozialismus als politischem System überzeugt werden. Das Volk hatte vermehrt Opfer für den wirtschaftlichen Aufbau zu bringen; die Pflicht der „schöpferischen Intelligenz" war es, durch eine von Optimismus getragene Kunst und Literatur dazu aufzurufen. Resignative Stimmungen und ein Rückzug ins Individuelle infolge der Kriegserlebnisse galten, ebenso wie ein zu ausgeprägt kritischer Gestus, als kontraproduktiv. Damit waren die Abgrenzungskriterien vorgegeben, die die kulturpolitische Situation der kommenden Jahre bestimmen sollten. Ästhetische Fragen wurden zunächst in den Hintergrund gedrängt und die Begrifflichkeit gegenüber .Abweichungen' verschärft. Apolitische Haltung und Neutralität, Dekadenz und Katzbuckelei vor dem Westen waren die neuen, negativ besetzten Schlagwörter.89 Im Zuge der von Stalin gebilligten 85 86

Vgl. Hahn, Postwar Soviet Politics, S. 24f. Fraktions- und Machtkämpfe innerhalb der Partei wurden von Stalin zur Aufrechterhaltung seiner eigenen Macht zumindest teilweise bewußt inszeniert. In dem Augenblick, wo ein Vertreter der einen oder anderen Fraktion sich anschickte, eine zu große Machtfülle auf sich zu konzentrieren, verlor er, zumeist in Kombination mit ideologischen Gründen, seine exponierte Position. - Vgl. Ra'anan, International Policy Formation, S. 5.

87 88

Siehe Kap. 2.1. Hahn, Postwar Soviet Politics, S. 19. Die ideologischen ,Lockerungen' während des Krieges waren jedoch weniger ein Zeichen von Nachlässigkeit als Teil einer bewußten, gewiß von Stalin selber initiierten Politik der nationalen Sammlung zur Verteidigung der Sowjetunion.

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Neufestlegung des literaturpolitischen Kurses verlor Malenkow 1946 kurzzeitig seinen Posten im ZK-Sekretariat. 90 Exemplarisch und unmißverständlich ging die Partei unter Federführung Shdanows gegen die Leningrader Literaturzeitschriften „Leningrad" und „Swesda" und besonders gegen die darin publizierten Werke der Lyrikerin Anna Achmatowa und des Satirikers Michail Sostschenko vor. In einem ZK-Erlaß vom 14. August 1946 wurde die Veröffentlichungspolitik dieser Zeitschriften kritisiert. Achmatowa tat man darin als Vertreterin der „alten", vorrevolutionären „Salonpoesie" ab und beschuldigte sie der „Dekadenz" und des „bürgerlich-aristokratischen Ästhetizismus". In seinem begleitenden Referat schreckte Shdanow auch nicht vor persönlichen Verunglimpfungen zurück („halb Nonne, halb Dirne"). 91 Sostschenko warf man „gewohnheitsmäßige Verhöhnung der sowjetischen Lebensweise und der Sowjetmenschen" vor, ein ,Vergehen', das der planmäßigen positiven Darstellung des sozialistischen Aufbaus nach innen und außen entgegenstand, und prangerte seine „faule und verkommene gesellschaftlich-politische und literarische Physiognomie" an. 92 Kampagnen gegen abweichende Schriftsteller, Künstler und Komponisten waren ein fester Bestandteil sowjetischer Kulturpolitik und damit des „sowjetischen Modells". Sie konnten sich in Details ihrer Durchführung und in den Folgen für die Betroffenen unterscheiden, wiesen insgesamt jedoch eine nahezu standardisierte Funktionsweise auf. Daher wird im folgenden der Fall Sostschenko näher beleuchtet, der auch die Aufmerksamkeit der Schriftsteller in der SBZ erregte. 2.2.2 D e r Fall Sostschenko Bereits 1943 sah sich der 1894 geborene Satiriker aufgrund seiner Erzählung „Vor Sonnenaufgang" heftigen Angriffen ausgesetzt, die in ihrer Diktion durchaus mit der späteren Kampagne von 1946 vergleichbar waren. Auch nachdem diese Angriffe in der Öffentlichkeit zunächst verstummt waren, arbeitete die Parteiführung hinter den Kulissen weiter an der Demontage des Schriftstellers. 93 Nach Kriegsende erhielt Sostschenko indessen, zusammen mit anderen z.T. nicht genehmen Autoren wie Boris Pasternak, einen Orden für besonderen Einsatz bei der Ver89 Zur sowjetischen Kultur- und speziell Literaturpolitik der Nachkriegszeit vgl.: Swayze, Political Control of Literature, S. 28-50; Slonim, Soviet Russian Literature, S. 304—308; Hübner, Literaturpolitik, S. 190-249, bes. S. 226-229. 90 Vgl. Ra'anan, International Policy Formation, S. 22f. Offenbar spielten aber auch Fehler bei der Durchführung der Demontagen in der SBZ, für die Malenkow verantwortlich war, eine Rolle. 91 Shdanow, Über Kunst und Wissenschaft, S. 21 u. S. 118. 92 Ebd., S. 14 u. S. 16. Wenige Tage vor der Annahme des ZK-Beschlusses, am 9. 8. 1946, fand eine Sitzung mit Stalin, Shdanow, Malenkow, weiteren Vertretern des ZK der KPdSU und den Redakteuren der betroffenen Zeitschriften sowie einigen Leningrader Schriftstellern - nicht dabei waren Sostschenko und Achmatowa - statt, auf der die meisten der im Erlaß enthaltenen Anschuldigungen schon vorfoimuliert wurden („Propagierung von Ideenlosigkeit, kleinbürgerlicher Einfluß, Verbeugung vor dem Ausland"). - Vgl. Stenogramma zasedanija Orgbjuro CK VKP(b) po voprosu „O iumalach ,Zvezda' i .Leningrad', RCChlDNI 17/117/1032, zit. nach: „Literatumyj front", S. 197-215. Der Schriftsteller Dmitri Lewonewski, der der Versammlung beiwohnte, hatte zuvor seine eigene Mitschrift veröffentlicht, deren Text an manchen Stellen vom offiziellen Stenogramm abweicht. - Levonevskij, Istorija „Bol'äogo bloknota", S. 190-205. Zu den einzelnen Fassungen des Erlasses bis zu seiner endgültigen Gestalt siehe Babiöenko, Pisateli i cenzory, S. 133-136.

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teidigung des Vaterlandes. Im Juni 1946 wurde er auf Beschluß der Leningrader Parteileitung sogar in die Redaktion von „Swesda" aufgenommen. Aber schon Anfang August unternahm das Parteiorgan „Kultura i shisn", vermutlich im Zusammenhang mit den bereits erwähnten machtpolitischen Vorgängen, einen ersten Angriff auf diese Zeitschrift im allgemeinen und eine darin kurz zuvor veröffentlichte Erzählung Sostschenkos „Die Abenteuer eines Affen" im besonderen. Nur wenig später wurde der genannte Parteierlaß publiziert, in dem auch die Ernennung Sostschenkos zum Redaktionsmitglied als Fehler bezeichnet und ihm ungeachtet seines Ordens „würdeloses Verhalten" während des Krieges vorgeworfen wurde. Das vernichtende Urteil über die Erzählung ergab sich gleichsam folgerichtig aus dieser Einschätzung.94 Was nicht aus dem Erlaß hervorgeht, ist, daß Sostschenko die Erzählung für Kinder geschrieben hatte und sie erstmals Ende 1945 in der Vorschulkinder-Zeitschrift „Mursylka" erschienen war. Danach wurde sie in zwei 1946 veröffentlichte Auswahlbände sowie unter der Rubrik „Kindererzählungen" in einen Band des Verlags der Massenillustrierten „Ogonjok" aufgenommen. Die Publikation in der Literaturzeitschrift „Swesda" erfolgte ohne Wissen des Autors, der sie selber, nach eigenen Aussagen, nie diesem „seriösen publizistischen Organ" angeboten hätte.95 Vielleicht hatte gerade die Veröffentlichung in dieser Zeitschrift, die ja, wie aus dem Erlaß hervorgeht, schon einige Zeit unter besonderer Beobachtung gestanden hatte, das Maß der - nahezu systematisch - gegen Sostschenko gesammelten Anschuldigungen voll gemacht. Nach dessen Meinung hatte Stalin ohnehin eine persönliche Aversion gegen ihn und suchte offenbar nur nach einer Möglichkeit, ihn endgültig bloßzustellen. 96 In der Tat war Sostschenko einer der letzten Überlebenden einer Reihe von Autoren (Ilja Ilf, Jewgeni Petrow, Michail Bulgakow, Michail Kolzow u. a.), die sich in den zwanziger Jahren mit Satiren hervorgetan hatten, einer Gattung, die leicht dem Vorwurf der ausschließlichen Darstellung der „dunklen Seiten" des Lebens ausgesetzt werden konnte. Darüber hinaus war Sostschenko, wie Achmatowa, im Westen sehr bekannt, und seine kritisch-satirischen Schilderungen der sowjetischen Lebenswelt wurden offenbar nicht selten pauschal als Regimekritik begrüßt.97 Besorgt klangen die Anfragen nach dem Schicksal Sostschenkos während der Begegnungen, die 93

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Vgl. Denis Babiöenko, „Povest' prikazano rugat'...". Politiceskaja censura protiv Michaila Zoscenko, in: Sovetskaja kul'tura vom 15. 9. 1990, und Babicenko, Pisateli i cenzory, S. 72-81. Dokumente des ZK der Kommunistischen Partei und des sowjetischen Schriftstellerverbands dazu in „Literaturnyj front", S. 82f„ 89-99, 105-110. Shdanow, Über Kunst und Wissenschaft, S. 117f. Auf der schon genannten Sitzung vom 9. 8. 1946 hatte Shdanow auf seine Weise eine Inhaltsangabe der Erzählung von dem Affen gegeben, „der auf den Schultern und Köpfen der in der Schlange [vor einem Lebensmittelgeschäft] stehenden Menschen herumspringt. Er langweilt sich unter den Menschen und ihrer dummen Ordnung. [...] Die Gesellschaft wird als ungereimt dargestellt. Die Schlußfolgerung des Autors lautet: ,Ich habe ihn wie einen Menschen erzogen.' usw. Folglich stellt der Affe ein Beispiel für den Menschen dar." - Levonevskij, Istorija „Bol'Sogo bloknota", S. 192.

Vgl. Starkov, Michail Zoscenko, S. 233f; Offenbar war die Redaktionsmitgliedschaft Sostschenkos, wie nicht selten bei namhaften Autoren, eher nominell und schloß keine kontinuierliche Redaktionsarbeit ein. So konnte es dann geschehen, daß die Erzählung ,an ihm vorbei' in der Zeitschrift publiziert wurde. Auf der Sitzung vom 9. August wurde ihm unter bewußter Entstellung der Tatsachen vorgeworfen, daß er als neues Mitglied des Redaktionskollegiums seine Erzählung dort selber untergebracht habe. - Levonevskij, Istorija „Bol'sogo bloknota", S. 195. 96 Vgl. Starkov, Michail Zoäcenko, S. 23 lf.

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die erste Schriftstellerdelegation aus der SBZ im April und Mai 1948 in Moskau mit sowjetischen Kollegen hatte. 98 Hier schwangen jedoch möglicherweise persönliche Befürchtungen mit. Kurz nach dem Erlaß wurden Sostschenko und Achmatowa aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Ein Brief Sostschenkos an Stalin vom 26. August 1946, in dem er seine Loyalität gegenüber der Sowjetmacht beteuerte, wurde nicht erwidert." Statt dessen zirkulierte innerhalb des ZK eine Reihe von Schriftstücken, in denen seine gesamte Biographie und sein Weg als Schrifsteller unter negativem Vorzeichen aufgerollt sowie zugetragene kritische Äußerungen Sostschenkos zur Literaturpolitik angeführt wurden mit dem Ziel, ihn endgültig zur Unperson zu erklären. 100 In der Folge hatte er erhebliche Publikationsschwierigkeiten, da kein Verlag und keine Zeitschrift das Wagnis auf sich nehmen konnte, etwas von ihm zu veröffentlichen, ohne sich selber parteiamtlicher Kritik auszusetzen. Auch dieser Mechanismus gehörte zur Funktionsweise einer Kampagne und war damit Bestandteil des sowjetischen Modells in der Kulturpolitik. Sostschenko lebte nun weitgehend von Übersetzungen, die jedoch z.T. ohne Nennung seines Namens verwendet wurden. In der September-Nummer 1947 der Literaturzeitschrift „Nowyj mir" tauchte unverhofft eine Reihe kürzerer Erzählungen unter seinem Namen auf. Es handelt sich dabei um Berichte Leningrader Partisanen, die Sostschenko, wie er in seinem Vorwort schreibt, gehört und aufgezeichnet hatte. 101 Es waren also, abgesehen von der sprachlichen Gestaltung, keine eigenen Produktionen. Etwas anderes war ein Jahr nach den Parteierlassen nicht möglich. Es war unbestreitbar ein Verdienst des damaligen Chefredakteurs von „Nowyj mir" Konstantin Simonow, der zugleich einer der Sekretäre des sowjetischen Schriftstellerverbandes war, überhaupt diese Veröffentlichungsmöglichkeit für ihn ,durchgebracht' zu haben, da sich die meisten Kollegen von ihm abgewandt hatten. Der Kontakt mit einer verfemten Person konnte gefahrlich sein. 102 Zu den wenigen Freunden gehörte auch der Theaterregisseur Nikolai Akimow, der Sostschenko, um ihn von seinen Depressionen zu befreien, mit einem Stück beauftragt hatte (eine Satire über die Konkurrenz zweier amerikanischer Unternehmer). Obgleich das Stück von der Thematik her dem damaligen sowjetischen Zeitgeist entsprach, wurde es nie aufgeführt, 103 was zu jenem Zeit97 98 99 100

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Es gibt zahlreiche Beispiele, daß ein Lob in der Westpresse gegen mißliebige Autoren in Anschlag gebracht wurde. Siehe Kap. 7.1. Starkov, Michail Zoäcenko, S. 234; RCChlDNI 17/125/460, zit. nach: „Literaturnyj front", S. 230ff. So z. B. „Spravka na pisatelja Zoscenko, Michaila Michajlovica" vom 10. 8. 1946 nach Erkenntnissen des Ministeriums für Staatssicherheit der UdSSR, „Streng geheim"; „Sekretarju CK VKP(b) tov. novu A. A. - Spravka o M. M. Zoäöenko" vom 14. 8. 1946; „Zapiska [A. M. Egolina] o M. M. Zosöenko", vor dem 15. 8. 1946. - RCChlDNI 17/125/460, zit. nach: „Literaturnyj front", S. 216ff„ 220f„ 225f. Auch seine adlige Abstammung wurde ihm vorgehalten. ZoSöenko, Nikogda ne zabudem, S. 148-172. Vgl. Starkov, Michail Zoscenko, S. 235. Simonow hatte zunächst Shdanow schriftlich um die Erlaubnis zur Veröffentlichung dieser Erzählungen gebeten und, nachdem dieser die Antwort schuldig geblieben war, bei Stalin persönlich während eines Gespräches mit der Leitung des Schriftstellerverbands darum nachgesucht. Stalin gab sein Plazet. - Vgl. Simonov, Glazami celoveka moego pokolenija, S. 55f. und S. 65. Dieses Beispiel zeigt, daß nicht jeder Einsatz für einen ausgestoßenen Kollegen automatisch negative Konsequenzen nach sich ziehen mußte; es belegt auch die vielfach berichtete Tatsache, daß die Reaktionen des Parteiführers keineswegs immer voraussehbar waren. Starkov, Michail Zoscenko, S. 238f.

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punkt auch gar nicht anders hätte sein können, war es doch etwas ,Eigenes'. 104 Ab 1950 erschienen kürzere satirische Beiträge von Sostschenko in der Zeitschrift „Krokodil"; 1953, erst nach Stalins Tod, wurde er wieder in den Verband aufgenommen, blieb jedoch nach wie vor das Angriffsziel dogmatischer Kräfte. Ein Sammelband mit Erzählungen konnte erst wieder 1956, zwei Jahre vor seinem Tod, publiziert werden. Ein ähnliches Schicksal erlitt Anna Achmatowa, die bis nach dem XX. Parteitag kein Buch mehr veröffentlichen konnte und von Übersetzungen leben mußte. Zwei 1946 gedruckte Auswahlbände wurden eingestampft. 105

2.2.3 Die Folgen der Parteierlasse von 1946/48 In kurzer Folge wurden 1946 zwei weitere ZK-Beschlüsse über das Theaterrepertoire (26. August) und über das Filmschaffen (4. September) gefaßt. Verspätet folgte ein Erlaß zum Musikschaffen (10. Februar 1948). Damit waren mit Ausnahme der bildenden Kunst alle Bereiche des ideologisch sensiblen Kulturschaffens stigmatisiert. Sämtliche Erlasse waren im gleichen Tenor abgefaßt und enthielten schwerwiegende Beschuldigungen gegen die verschiedensten Vertreter der „schöpferischen Intelligenz", die durch Reden und Kommentare Shdanows noch ,vertieft', wurden. 106 Auch so namhafte Komponisten wie Dmitri Schostakowitsch und Sergej Prokofjew blieben nicht verschont und wurden mit dem Vorwurf des volksfremden Formalismus bedacht. Dieser Begriff, der im Gefolge des Musik-Erlasses von 1948 ohne eine exakte Definition im wesentlichen der politischen Disziplinierung von Komponisten, Künstlern und Schriftstellern diente, wurde 1950/51 offiziell in der Kulturpolitik der DDR übernommen. 107 Zur effektiveren Beseitigung der in den Erlassen aufgeführten .Mängel' wurden Umstrukturierungen und Personalwechsel im Schriftstellerverband und in Zeitschriftenredaktionen vorgenommen. Auch dies war ein wiederkehrendes Funktionselement der sowjetischen Kulturpolitik. So erhielt z. B. der Leiter der Abteilung für Propaganda und Agitation des ZK der KPdSU, A. Jegolin, den Posten des Chefredakteurs der gescholtenen Zeitschrift „Swesda", was die unmittelbare Parteikontrolle sichern sollte. Ebenfalls 1946 wurde der Lyriker Nikolai Tichonow als Vorsitzender des Schriftstellerverbandes abgesetzt und Alexander Fadejew zum Generalsekretär ernannt. Als Folge der Erlasse, die - obligatorisch - auf Versammlungen und in der Presse von Kritik und Selbstkritik zahlreicher Schriftsteller begleitet waren, erschienen in der Sowjetunion vermehrt „ideologisch richtige", aber künstlerisch fragwürdige Werke mit stereotypen Figuren und Handlungsmustern, die „Gegenwartsthemen", d.h. dem wirtschaftlichen „Aufschwung" gewidmet oder gemäß der aktuellen Parteipolitik gegen die „Katzbuckelei vor dem Westen" und gegen Amerika gerichtet waren. Die Methode des sozialistischen Realismus, die in den Werken 104 In einem Brief an Sostschenko vom 12. 10. 1948 führt Fadejew eine andere Begründung an, möglicherweise um der Ablehnung einen quasi rationalen Kern zu geben. Einige für die Aufführung verantwortliche Genossen seien der Ansicht, dem Stück fehle es an satirischer Schärfe. Der Feind werde nur als lächerlich dargestellt, das Wesen des Imperialismus nicht entlarvt. Die Zuschauer könnten daher zu einer völlig falschen Einschätzung „dem Bösen gegenüber" gelangen. - Fadeev, Pis'ma, S. 245f. 105 Vgl. das Nachwort von I. Eventov zu Levonevskij, Istorija „Bol'sogo bloknota", S. 202; Kasack, Lexikon der russischen Literatur, S. 17; sowie Eggeling, Die sowjetische Literaturpolitik, S. 73, zu Sostschenko S. 57f., 77, 257 (Anm. 19). 106 Vgl. Shdanow, Über Kunst und Wissenschaft. 107 Vgl. Krenzlin, Das „Formalismus-Plenum", S. 52-62.

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der 30er Jahre noch einen Rest an Dynamik und Variabilität aufweisen konnte, erstarrte nunmehr bei einem Großteil der entstehenden Literatur zum rein illustrativen Schema.108 Die Parteikritik verschonte auch exponierte Persönlichkeiten wie Alexander Fadejew nicht. Nachdem Stalin 1947 eine Verfilmung seines während des Krieges entstandenen und mit einem Stalinpreis prämierten Romans „Die junge Garde" gesehen hatte, zeigte er sich unzufrieden über die mangelnde Berücksichtigung der Partei und des Komsomol bei der Organisierung der im Untergrund agierenden Jugendlichen. An Fadejew erging im Zuge einer entsprechenden Pressekampagne die Aufforderung, den Roman umzuarbeiten, was ihn mehrere Jahre lang in Anspruch nahm. Die neue Variante erschien 1951.109 An dieser Stelle ist ins Gedächtnis zu rufen, daß prägende Figur der sowjetischen Kulturpolitik Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre Stalin selber war mit seinen zuweilen willkürlich erscheinenden, stets jedoch der Logik der Macht gehorchenden Eingriffen.

2.2.4 Zur Person Alexander Fadejews Fadejew, Jahrgang 1901, war eine der schillerndsten Gestalten der sowjetischen Literatur und Literaturkritik. Bevor er Mitte der 20er Jahre mit seinem schon bald danach ins Deutsche übersetzten Roman „Die Neunzehn" schlagartig bekannt wurde, hatte er bereits am Bürgerkrieg teilgenommen und war aktives Parteimitglied. Ende der 20er Jahre zunächst einer der Führer der dogmatischen Russischen Assoziation Proletarischer Schriftsteller (RAPP), war er seit Gründung des Schriftstellerverbandes bis zu Stalins Tod mit hohen Vorstandsfunktionen betraut. So hatte er von 1946 bis 1953 den Posten des Generalsekretärs inne. Darüber hinaus war er von 1939 bis 1956 Mitglied des ZK der KPdSU. Nach den Enthüllungen des XX. Parteitages, auf dem Michail Scholochow ihn als herrschsüchtig bezeichnet und eine Abrechnung mit seiner Rolle unter Stalin vorgenommen hatte, beging er Selbstmord. Auf internationaler Ebene war er eine treibende Kraft der sowjetischen Friedenskampagne und wurde 1950 zum stellvertretenden Generalsekretär des Weltfriedensrates ernannt. Bereits im August 1948 hatte er auf dem Weltkongreß der Intellektuellen zur Verteidigung des Friedens in Wroclaw die ideologische Zweiteilung der Welt durch heftige Angriffe auf die „dekadente" westliche, angeblich dem amerikanischen Imperialismus verschriebene Kultur zementiert.110 Seine zahlreichen (kultur)politischen Funktionen mochten dazu geführt haben, daß er außer seinen beiden Romanen „Die Neunzehn" und „Die junge Garde" nur noch zwei unvollendete Romane und einige Erzählungen hinterlassen hat. Hinzu kam jedoch eine große Zahl literaturkritischer Beiträge. Nach eigenen Aussagen hat er selber unter seinen Verpflichtungen und der 108

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Vgl. Dobrenko, Fundamental'nyj leksikon, S. 237-250. Allerdings gab es auch zu jener Zeit Werke, die nicht völlig in den Kategorien des sozialistischen Realismus aufgingen (z. B. von Viktor Nekrassow, Vera Panowa, Emmanuil Kasakewitsch u. a.). Diese bestätigen jedoch nur das dominierende Schema, dessen markantestes Beispiel Semjon Babajewskis Roman „Der Ritter vom Goldenen Stern" bildete. Zugleich hatten die .Abweichler' eine Art Vorzeigefunktion gegenüber dem Ausland, das bei aller zunehmender Abkapselung nie ganz aus dem Blickwinkel fiel. Vgl. Fadeev, Sobranie socinenij, S. 557-566. Auch andere prominente Autoren und Literaturfunktionäre wurden mit der gleichen Begründung zu einem solchen Schritt gezwungen, wie z.B. Valentin Katajew bei seinem Roman „In den Katakomben von Odessa" und Fjodor Gladkow bei,.Zement". Vgl. Kap. 4.2.5. Vgl. Kap. 3.2.2.

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daraus resultierenden literarischen Abstinenz gelitten. 1 " Fadejew war einer der sicher nicht untypischen Literaturfunktionäre, die (unter Vorbehalt) gewissermaßen Täter und Opfer in einem sind. 112 Als treuer Diener der Partei setzte er - in ungezählten Sitzungen und Versammlungen alle ihre je aktuellen literaturpolitischen Weisungen um und beraubte sich dabei der Möglichkeit zur schöpferischen Arbeit. Auch die Erlasse von 1946 verteidigte er nach innen und nach außen. 113 ,Gezwungen', gegen je abweichende Kollegen vorzugehen, sie zu tadeln oder gar aus dem Verband auszuschließen, erkannte er andererseits oftmals, als Privatmensch, deren literarische Leistung an, und unterstützte sie ideell und materiell, um die von ihm als Funktionär vertretenen Maßnahmen abzufedern. So sorgte er dafür, daß Sostschenko und Achmatowa kurz nach ihrem Ausschluß aus dem Schriftstellerverband zumindest wieder die Dienste des für die sozialen Belange der Schriftsteller zuständigen Litfond in Anspruch nehmen konnten, was immerhin ihre Versorgung mit Lebensmittelkarten sicherte. 114 1948 wies Fadejew den Litfond an, Sostschenko zur Fertigstellung seines (letztlich doch nicht aufgeführten) Theaterstückes 2.000 Rubel auszuzahlen, und bemühte sich, ihm Übersetzungsaufträge zu verschaffen. 115 Die tatsächlichen Opfer, wie Sostschenko oder der ebenfalls zu Lebzeiten stets vom Verdikt der „Abweichung" bedrohte Boris Pasternak, erkannten möglicherweise den Zwiespalt in ihm und bedauerten ihn nach seinem Tode. 116 Diejenigen, die ihn nach Stalins Tod systematisch als Repräsentanten des Regimes, von dem man sich nun offiziell distanzierte, demontierten, waren in der Regel die neuen (und oftmals auch schon die alten) dogmatisch ausgerichteten Literaturfunktionäre. Als aufrichtiger Verehrer Stalins empfand Fadejew gegenüber dessen Nachfolger Chrustschow mit seiner jovialen Art und seinem - so Fadejew - weitaus geringeren Verständnis für Kunst und Literatur keinerlei Sympathie. 117

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Vgl. auch seinen Abschiedsbrief vom 13. 5. 1956, der erst 34 Jahre später veröffentlicht wurde: „Man machte aus mir ein Lastpferd; das ganze Leben trottete ich unter der Last stumpfsinniger, nicht zu rechtfertigender bürokratischer Angelegenheiten, die von jedem beliebigen Menschen hätten ausgeführt werden können." - Izvestija vom 20. 9. 1990. Untypisch war sicher auch seine Alkoholabhängigkeit nicht, wobei es schwierig ist, das Verhältnis von Ursache und Wirkung zu rekonstruieren. So z.B. in einem Artikel: O postanovlenijach Central'nogo Komiteta partii po voprosam literatury i iskusstva, in: Fadeev, Sobranie socinenij, S. 448-460; oder im Gespräch mit Schriftstellern aus der SBZ während deren erster Delegationsreise in die Sowjetunion nach dem Krieg 1948. - Zum Thema „Sozialer Realismus", S. 538. Vgl. das Nachwort von I. Eventov zu Levonevskij, Istorija „Bol'sogo bloknota", S. 204. Brief Fadejews an Sostschenko vom 12. 10. 1948, in: Fadeev, Pis'ma; vgl. auch 2ukov, Fadeev, S. 259f.; Ketlinskaja, ¿ivoj, dejstvujuscij, S. 342. Kritischer resümiert Ehrenburg Fadejews Zwiespalt: „Natürlich wußte Fadejew, daß Babel kein ,Spion', daß Sostschenko kein ,Feind' war, daß Stalins Abneigung gegen Grossman oder Platonow unbegründet war. Aber zugleich wußte er noch etwas anderes: Für viele Millionen von kühnen und selbstvergessenen Menschen ist jedes Wort von Stalin Gesetz." - Ehrenburg, Menschen, Jahre, Leben, Bd. 3, S. 402. ¿ukov, Fadeev, S. 329. Dies geht auch aus dem schon zitierten Abschiedsbrief vom 13.5. 1956 hervor (Izvestija vom 20. 9. 1990).

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2.2.5 Vom Kampf gegen den „wurzellosen Kosmopolitismus" bis zur Entlarvung der „Theorie der Konfliktlosigkeit" Die auch von Teilen der Literaturkritik vermerkte mangelnde ästhetische Qualität vor allem vieler ideologisch einwandfreier' Theaterstücke als Folge der Erlasse von 1946 führte zu einem spürbaren Zuschauerschwund. In (bewußter) Verkennung seiner Ursachen wurde daraufhin im März 1948 die Kürzung von Subventionen bei den Theatern dekretiert; die Theater sollten auf diese Weise dazu angehalten werden, wirtschaftlicher zu arbeiten und den Bedürfnissen des Publikums stärker Rechnung zu tragen, woran sie ja gerade durch die bisherigen Parteivorgaben gehindert worden waren. Dies führte indes dazu, daß nun zwar attraktivere, aber das immer noch gültige Gebot der Gegenwartsbezogenheit mißachtende Stücke, z.T. auch westlicher Provenienz, auf den Spielplan kamen. Das provozierte wiederum eine Gegenreaktion der Partei. Ihre Angriffe auf Theater und Theaterkritik, die solche, mit dem Verdikt „ideenarm" versehenen Stücke zulassen würden, mündeten im Zeichen der sich verschärfenden Ost-West-Konfrontation und der vermehrten Propagierung des sowjetischen (später auch russischen) Patriotismus in eine Kampagne gegen den „wurzellosen Kosmopolitismus", die gleichsam die Verschärfung des „Katzbukkelei"-Vorwurfs bedeutete. Etliche der nun angegriffenen Schriftsteller und Künstler waren jüdischer Herkunft, ihre russischen Pseudonyme wurden systematisch enttarnt. Den Betreffenden wurden Geständnisse abverlangt, daß sie dem sowjetischen Theater durch apolitische Stücke bzw. mangelnde Wachsamkeit hätten schaden wollen. Es erfolgten Ausschlüsse aus Partei und Schriftstellerverband, und es ergingen Anklagen wegen Verschwörung und Gruppenbildung im Untergrund, die im Falle namhafter jüdischer Schriftsteller, die Mitglieder des Jüdischen antifaschistischen Komitees waren, 1952 zur Vollstreckung des Todesurteils führten. In der Literaturwissenschaft wurde jede komparatistische Forschung, jegliches Nachweisen westeuropäischer oder anderer fremdländischer Einflüsse auf die russische Kultur unterbunden. Dies war eine speziell russisch-sowjetische Variante totalitärer Kulturpolitik, die sich einer Übernahme in den Volksdemokratien entzog. Die antisemitische Komponente fand einen unterschiedlichen Grad an Nachahmung, war jedoch selbst in der DDR präsent. 118 Shdanow war bereits im August 1948 verstorben, nachdem er kurz zuvor sämtlicher Parteiämter enthoben worden war. Es ist wohl nur mit der gängigen und auch von ihm praktizierten Verquikkung von Ideologie und Machtpolitik zu erklären, wenn er und seine Anhänger in Philosophie, Landwirtschaft, Biologie und Ökonomie bis etwa Mitte 1947, anders als in der Literaturpolitik, eine weniger dogmatische Linie vertreten hatten. 119 So hatten sie zunächst z. B. das Lehrbuch zur westeuropäischen Philosophie des ZK-Sekretärs und Philosophen Georgi Alexandrow unterstützt, in dem nach Meinung der Gegner eine zu unkritische Haltung zum Gegenstand der Untersuchung eingenommen wurde. Ebenso machten sie damals gegen den Biologen Lyssenko und dessen Ablehnung der westlichen Vererbungslehre Front. 120 Im Zuge wachsender außenpolitischer Spannungen ab 1947, für die Shdanow gleichsam ein Promotor war, gab er auch im Inneren seine .Toleranz' gegenüber westlich orientierten Ansätzen auf dem Gebiet der Philosophie und 118

Vgl. Brandt, Ein Traum, der nicht entführbar ist, S. 190ff. Laut Brandt stand nach der Verhaftung der leitenden jüdischen Kremlärzte an der Jahreswende 1952/53 auch in der DDR die Überprüfung der Kaderunterlagen der jüdischen Parteimitglieder an. Zu den in Vorbereitung befindlichen Schauprozessen vgl. Weber, „Weiße Flecken" in der DDR-Geschichtsschreibung, S. 3-15. 119 Vgl. Hahn, Postwar Soviet Politics, S. 94-113.

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Biologie auf und gelangte damit zu einer kohärenten Hardliner-Position. Stalin ließ ihn jedoch letztlich zugunsten von dessen Rivalen Malenkow fallen. In der Kulturpolitik hielt sich mit Blick auf die von Shdanow wesentlich verantworteten Erlasse der Jahre 1946 und 1948 bis zu Stalins Tod 1953 die Bezeichnung „Shdanow-Ära". Ab 1950 tauchten in den Werkkritiken der Parteiorgane wieder ästhetische Kriterien auf, womit eine Abkehr von den ausschließlich auf die .ideologische Reinheit' ausgerichteten Beurteilungsmaßstäben signalisiert wurde. Man erkannte nun offiziell an, daß der Erziehungsauftrag der Literatur ohne künstlerische Gestaltung nicht eingelöst werden könne. Um Mißverständnissen' vorzubeugen, erging jedoch zugleich die Warnung vor einer Loslösung ästhetischer Kategorien von denen des Inhalts. In Literaturwissenschaft und -kritik wurden nun vermehrt Klagen über die negativen Folgen der Hetzjagd gegen den Komparatismus laut, durch die alle Vergleichsmaßstäbe bei der Beurteilung von Literatur getilgt worden seien.121 Im Frühjahr 1952 distanzierte sich die Partei in einem Leitartikel der „Prawda" „Das Zurückbleiben in der Bühnendichtung überwinden" 122 von der nun so genannten „Theorie der Konfliktlosigkeit". Diese beruhte auf der Annahme einer nunmehr von antagonistischen Widersprüchen freien Gesellschaft, die entsprechend auch in der Literatur keine Konflikte mehr brauchte. Diese Einstellung wurde jetzt mit dem Etikett „Lackierung der Wirklichkeit" versehen. Bekenntnisse der Art, daß man bislang Lebendigkeit und Konflikte aus Bühnenstücken auch deshalb herausgehalten habe, um sie durch die Instanzen zu bringen, spiegeln die Atmosphäre jener Zeit wider. Der „Prawda"-Artikel leitete jedoch keine allgemeine Entspannung in der Literaturpolitik ein. Es wurden sogleich auch die Grenzen gewiesen. So diente der Aufruf, auch negative Typen darzustellen, in erster Linie dazu, Überreste kapitalistischer Denk- und Verhaltensweisen in der eigenen Bevölkerung zu entlarven. Schönfärberische Werke hätten zu einem Abbau von Wachsamkeit geführt. Dem gleichen Ziel der Entlarvung sollte auch die Satire gelten. „Verleumdungen" in der Weise Sostschenkos wurden nach wie vor als indiskutabel betrachtet. Parteilichkeit und Volksverbundenheit sowie der Aufbau des Kommunismus blieben als Orientierungsmaßstäbe für die literarische Produktion unangetastet. Die Erlasse von 1946-48 wurden in ihrer generellen Gültigkeit nicht in Frage gestellt. Die Mißstände in der Literatur der zweiten Hälfte der 40er Jahre lastete man der „schwachen Leitung" des Schriftstellerverbandes an, die bestimmte Fragen des sozialistischen Realismus in Theorie und Praxis mißinterpretiert hätte. Auf dem XIX. Parteitag der KPdSU im Dezember 1952 wurde die seit April stattfindende Diskussion von Malenkow richtungsweisend zusammengefaßt. Dabei ging es besonders um den Begriff des „Typischen", der nicht im Sinne des statistischen Durchschnitts zu interpretieren sei, sondern als etwas, das den Gesetzen des historischen und dialektischen Materialismus entsprechend - den Keim einer 120

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Ob Shdanow deshalb als „gemäßigt" bezeichnet werden kann (vgl. Hahn, Postwar Soviet Politics, bes. S. 19f. und S. 67ff.) ist fraglich. Vielmehr stand vermutlich auch hier die jeweilige machtpolitisch motivierte Opposition zu Malenkow im Vordergrund. Zur Rolle, die Stalins Schrift über die Sprachwissenschaft in diesem Kontext gespielt hat, vgl. Kap. 5.3.7. Pravda vom 7 . 4 . 1952. Diesem Artikel ging ein gleichnamiger in der „Literatumaja gazeta" vom 26. 3. 1952 voraus. Hieran wird erkennbar, wie eine (vorsichtige) Initiative auf der Schriftstellerverbands-Ebene von der Partei aufgegriffen wurde und Weisungscharakter erhielt.

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je neuen Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung in sich trage. Es bleibt festzuhalten, daß bis Stalins Tod im März 1953 begrenzte Paradigmenwechsel ausschließlich von der Partei vorgegeben wurden, wobei Kritik ,von unten' zumeist erst unterdrückt und dann bei gegebenem Anlaß aufgegriffen und in die je .notwendigen' Bahnen gelenkt wurde.123 Der monolithische Charakter der spätstalinistischen Literaturpolitik wurde nach 1953 aufgebrochen: durch die deutliche Tendenz zur Abkehr von festgefahrenen literarischen Schemata; durch eine sich ausfächernde Literaturkritik, die nicht mehr nur Multiplikator von Parteidirektiven war, sondern Impulse zur Kritik an der spätstalinistischen Literatur und zum Entwurf neuer ästhetischer Wertvorstellungen ,von unten' einbrachte; durch die Entstehung eines Dialogs zwischen Lagern, die sich bei einem gewissen Grundkonsens weltanschaulich und in ihren ästhetischen Konzeptionen voneinander unterschieden, antidogmatisch bzw. dogmatisch ausgerichtet waren, und zwischen denen die Leser wählen oder mit denen sie sich jeweils offen solidarisieren konnten; durch eine deutliche Tendenz zur Abkehr vom apodiktischen Charakter einmal erlassener Sanktionen gegenüber Schriftstellern, Literaturkritikern etc., die bei ihren Versuchen, neue Spielräume auszuloten, zu weit gegangen waren. Daß man auch nach Stalins Tod noch „zu weit gehen" konnte, zeugt auf der anderen Seite von der grundsätzlich weiterbestehenden Existenz der Lenkungs- und Kontrollmechanismen von Partei und Schriftstellerverband, die ihrerseits nicht selten durch eine gewisse Kontinuität auf personellem Gebiet gekennzeichnet waren. Auch fehlte es bis in die zweite Hälfte der 50er Jahre hinein nicht an expliziten Gültigkeitsbeteuerungen in bezug auf zentrale Elemente der Shdanowschen Kulturpolitik, vor allem aus dem Munde der dogmatischen Kräfte. Immer wieder hoben sie die „historische Bedeutung" der ZK-Erlasse von 1946 und 1948 hervor. 124 Einige Jahre diente auch noch der XIX. Parteitag vom Dezember 1952 als kulturpolitischer Bezugsrahmen. Eine offizielle Abkehr von Malenkows Thesen über das Typische erfolgte erst 1957, nachdem Malenkow selber als Element einer „parteifeindlichen Gruppe" ausgeschaltet worden war. Die Parteiführung nahm formal häufig eine übergeordnete Position ein, stand zuweilen, wenn es die Staatsraison erforderte, auf der Seite der antidogmatischen Kräfte, unterstützte jedoch im Grundsatz die „orthodoxe" Seite.

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Zu den dargestellten Sachverhalten siehe auch Swayze, Political Control of Literature, S. 54—82; Slonim, Soviet Russian Literature, S. 307-319; Hübner, Literaturpolitik, S. 230f. Vgl. Eggeling, Die sowjetische Literaturpolitik, S. 58. Der auf die Musik bezogene Erlaß wurde 1958 formal aufgehoben, die drei Erlasse zu Literatur, Film und Theater, obgleich de facto schon lange ohne Bedeutung, erst 1988.

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Der Kalte Krieg als entscheidender Faktor des literarischen Lebens

3.1

Zum Ausbruch der Ost-West-Kontroverse auf dem I. Deutschen Schriftstellerkongreß im Oktober 1947

Im Oktober 1947 tagte in Berlin der erste und während der Doppelexistenz von DDR und Bundesrepublik letzte gesamtdeutsche Schriftstellerkongreß. Zwar ist in jüngerer Zeit, also mehrere Jahrzehnte später, das Interesse an dieser Veranstaltung neu erwacht und sind einige Materialien erneut oder erstmals veröffentlicht worden. 1 Doch die seit geraumer Zeit angekündigte Publikation des Protokolls läßt immer noch auf sich warten. Daß man sich mit einer Veröffentlichung der Kongreßmaterialien in der DDR so schwer getan hat, ist auf die politischen Zwistigkeiten zurückzuführen, die während der Tagung zum Eklat führten. Wie sehr hier Aufregung und Tabus nachwirkten, ist noch der knappen Dokumentation von Reinhold und Schlenstedt ablesbar, die in Heft 11/1990 der Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur" erschien. Die Autoren sprechen zwar von der „während der Tagung ausgebrochene[n] Kontroverse" 2 - der amerikanische Journalist Melvin Lasky hatte mit seiner harschen Anklage der restriktiven sowjetischen Kulturpolitik heftigen Protest der sowjetischen Delegation provoziert - , doch dient der in der beigefügten Dokumentation wiedergegebene Ausschnitt aus der umstrittenen Rede gerade nicht dazu, diese Kontroverse sichtbar zu machen. 3 Statt dessen widmen Reinhold und Schlenstedt in ihrer Darstellung einem späteren Artikel Laskys größeren Raum, in dem er die „Lehre des Kongresses [...] nach dem Alphabet der Truman-Doktrin buchstabiert" habe: ,„Der Kampf kann tief in Stalins eigenes Gebiet getragen werden, die Initiative kann den 1

Der erste gesamtdeutsche Schriftstellerkongreß (die Dokumentation ist aus damaligen Zeitungsberichten zusammengestellt); Reinhold/Schlenstedt, Der erste Schriftstellerkongreß, S. 9 - 3 6 . Marianne Weil, Babylon Berlin. Hörfunksendung des WDR III vom 9. 3. 1991. Manuskript. Die noch bis Anfang der 90er Jahre bestehenden Schwierigkeiten, in das Originalprotokoll Einblick zu erhalten, das vor westdeutschen Forschern gleichsam sorgsam verborgen wurde, beschreiben: Schivelbusch, Vor dem Vorhang, S. 285f.; Rehmann, Unterwegs in fremden Träumen, S. 7f. Rehmann, die schließlich doch (wie die Verfasser der vorliegenden Arbeit) die Dokumentation einsehen konnte, läßt die Atmosphäre des Schriftstellerkongresses von 1947 lebendig werden, rekonstruiert Positionen und Argumente, zeichnet Porträts der Protagonisten und verknüpft dieses Erinnerungsbild mit einer Bestandsaufnahme gegenwärtiger Ost-West-Stimmungen, Hoffnungen und Enttäuschungen.

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Reinhold/Schlenstedt, Der erste Schriftstellerkongreß, S. 18. Dies gilt auch für die Dokumentation: Der erste gesamtdeutsche Schriftstellerkongreß.

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Kommunisten entrissen werden.'" Das Risiko, „der ganze Kongreß würde abbrechen", sei einkalkuliert gewesen. 4

3.1.1 Vor- und Umfeld des Kongresses Streit der Konzeptionen in der Planungsphase Es muß als rhetorischer Schachzug anmuten, wenn ausgerechnet Alexander Dymschitz als Leiter der Kulturabteilung der Sowjetischen Militäradministration und de facto Mitorganisator des Kongresses Ende 1947 in einer Rückschau kritisch anmerkte, daß wenig über „,Zunftfragen' der Schriftstellerei", über „literarische Strömungen und Fragen der Form" diskutiert wurde, 5 sondern der Meinungsaustausch über entscheidende ideologische Positionen im Vordergrund stand. Seiner Meinung nach war dies gerade von den deutschen Teilnehmern so gewollt worden, ohne daß eine Beeinflussung von außen stattgefunden hätte. Dymschitz ericlärt dies damit, daß die deutschen Autoren nach den langen Jahren des Exils und der Trennung voneinander Klaiheit über grundlegende, die Literatur prägende weltanschauliche Einstellungen erlangen wollten. Jedoch hatte gerade Dymschitz in seinem Grußwort an den Kongreß die ideologischen Leitlinien der deutschen demokratischen' Literatur durch die Betonung der Gemeinsamkeiten mit der sowjetischen Literatur - für Frieden und Freiheit, gegen Militarismus und Imperialismus - umrissen und moniert, daß die deutsche Literatur noch zu stark retrospektiv sei und „hinter dem rasch strömenden Leben" zurückbleibe, 6 ein Vorwurf, der knapp ein Jahr später von Walter Ulbricht wiederholt7 und damit formal zu einer ,rein deutschen' Richtlinie wurde. Vielleicht war die rückwirkende Kritik am Fehlen ,reiner' Fachdiskussionen eine Antwort auf gleichlautende Unmutsäußerungen einiger Teilnehmer, vornehmlich aus den Westzonen8. Möglicherweise sollten auch deren Bedenken beschwichtigt werden, daß die ausländischen Gäste den Kongreß steuerten. Die Offiziere der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) versuchten hier wie bei 4

Reinhold/Schlenstedt, Der erste Schriftstellerkongreß, S. 23. Der fragliche Lasky-Artikel ist nicht mit genauer Quellenangabe nachgewiesen. Lasky stellt in einem ausführlichen Brief vom 30. 11. 1991 an die Verfasser der vorliegenden Untersuchung in Abrede, jemals an einen Kongreßabbruch gedacht zu haben.

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Alexander Dymschitz, Der erste deutsche Schriftstellerkongreß. Aufzeichnungen eines Gastes, in: Neue Welt 20/1947, zit. nach: Zur Tradition der sozialistischen Literatur, S. 429. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß 1947 - veranstaltet vom Schutzverband deutscher Autoren. Original-Protokoll, Bd. 1. - AdK: ASV 66, S. 11. Siehe auch: „Die Literatur - Seele des Volkes." Rede Oberstleutnant Dymschitz' auf dem Schriftsteller-Kongreß, in: TR vom 5. 10. 1947. Vgl. S. Alterman, Der erste Deutsche Schriftstellerkongreß, in: TR vom 4. 10. 1947 („Warum lebt die deutsche Literatur immer noch in der Vergangenheit [...]?"). Dymschitz vertrat diese Positionen noch deutlicher in einem Artikel zur deutschen Gegenwartsliteratur in der (russischsprachigen) Tageszeitung der SMAD „Sovetskoe slovo" vom 4. 10. 1947 (Zametki o sovremennoj nemeckoj literature). Ohne auf ein deutsches Publikum Rücksicht nehmen zu müssen, sprach er hier davon, daß zur Weiterentwicklung der deutschen Literatur eine „Verstärkung der marxistischen Literaturkritik" wichtig sei.

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Walter Ulbricht, Der Künstler im Zweijahrplan. Diskussionsrede auf der Arbeitstagung der Genossen Schriftsteller und Künstler am 2. September 1948, in: Zur Tradition der sozialistischen Literatur, S. 436-440. Vgl. z. B. Süskind, Der Mann aus dem Westen, S. 9-12.

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anderen kulturellen Ereignissen und kulturpolitischen Vorgängen jeden Anschein der Einmischung und Anweisung zu vermeiden und die von Einigkeitswillen getragene Eigeninitiative der Deutschen hervorzuheben. Als Trägerorganisation des Kongresses trat der Schutzverband Deutscher Autoren (SDA) im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) auf, obwohl eigentlicher Initiator der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands war, 9 und auch die Kulturabteilung der Sowjetischen Militäradministration selbst involviert war. 10 Angesichts der latent bereits schwelenden Auseinandersetzungen um den Kulturbund hätte dessen offizielle Beteiligung indes die Genehmigung der geplanten unabhängigen und überparteilichen Veranstaltung gefährdet. Der Bescheid der Sowjetischen Militäradministration über die offizielle Genehmigung des Kongresses erging denn auch mit dem Vorbehalt, daß der SDA als alleiniger Veranstalter fungiere. 11 „Aus politischen Gründen" 12 mußte der Kulturbund also in den Hintergrund treten, doch war durch die Kulturbundmitglieder Ilse Langner, Alfred Kantorowicz, Kurt Stern, Max Schröder, die der Unterkommission des SDA zur Vorbereitung des Kongresses angehörten, 13 und vor allem durch Günther Weisenborn, der gleichzeitig Leiter der Literaturkommission beim Präsidialrat des Kulturbundes und einer der vier Vorsitzenden des SDA war, die Möglichkeit der Einflußnahme gegeben. Die Idee eines Kongresses war bereits im Oktober 1946 inneihalb des SDA erörtert worden. 14 Ins Auge gefaßt wurde zunächst ein Kongreßtermin im Juli 1947, im Anschluß an die PEN-Club-Tagung in Zürich, deren prominenter Teilnehmer Thomas Mann für die eigene Veranstaltung gewonnen werden sollte. Die Vorbereitungszeit erwies sich jedoch als zu kurz, so daß der Termin auf den 11.-13. September verschoben wurde. 15 In bezug auf die Ziele, die mit dem Kongreß erreicht werden sollten, bestanden vor allem zwischen dem Kulturbundpräsidenten Johannes R. Becher und Werner Schendell, dem Geschäftsführer des SDA, erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Becher betonte die Notwendigkeit kulturpolitischer Klärungen, die auch im Ausland von den deutschen Schriftstellern erwartet würden, während Schendell auf einer „reine[n] Arbeitstagung" zur Behandlung literarischer und berufsständischer Fragen beharrte. 16 Der Widerspruch zwischen diesen Planungsvorstellungen - der Kongreß als kulturelle Kundgebung bzw. als Zusammenkunft zur Berufsvertretung - eskalierte im August 1947 zum Streitfall. Becher war gemäß seiner Konzeption viel an der Anwesenheit prominenter deutscher Autoren (Heinrich und Thomas Mann, Brecht, Döblin, von Unruh 17 ) und namhafter ausländischer 9 10

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Vgl. S. Bock, Literarische Programmbildung, S. 122ff. So Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf, Bd. 1, S. 389: „[... ] alles war das Werk von Dymschitz. Er hatte den Plan entworfen und mit seinen Kollegen von der Kulturabteilung der sowjetischen Militärverwaltung abgesprochen." Protokoll über die Vorstandssitzung des SDA am 11. 8. 1947. - AdK: ASV 036. Protokoll der Sitzung der Unterkommission zur Durchführung des Schriftstellerkongresses vom 23. 6. 1947. - AdK: ASV 1297. Vgl. Protokoll über die Vorstandssitzung des SDA am 20. 6. 1947. AdK: ASV 036. Die Unterkommission wurde am 6. Mai 1947 gegründet und sollte fortan wöchentlich einmal tagen. AdK: ASV 1297. Vgl. Protokoll der Sitzung der Kommission Literatur am 22. 10. 1946. - AdK: ASV 1297. Protokoll der Sitzung der Kommission Literatur am 16. 5. 1947. - AdK: ASV 1297. Vgl. Protokoll über die Vorstandssitzung des SDA am 18. 8. 1947. - AdK: ASV 036.

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Schriftsteller gelegen. Obwohl am 10. April 1947 eine Abstimmung im Vorstand des SDA mit 6:2 Stimmen ergeben hatte, keine „fremdsprachige[n] Ausländer" einzuladen, 18 äußerten Becher, Weisenborn und Kantorowicz im August 1947 in einem Schreiben an den Vorstand, daß sie „größten Wert auf ausländische Beteiligung" legten. 19 Der Brief war in Ahrenshoop verfaßt worden, wo sich die Unterzeichner mit Sergej Tjulpanow, dem Chef der Informationsverwaltung der SMAD, zur Vorbesprechung des Kongresses aufhielten. Zur erfolgreichen Einladung der Ausländer und zur Überwindung der noch bestehenden technischen Schwierigkeiten sei eine Verschiebung des Kongreßtermins auf Oktober unabdingbar. Tjulpanow, so Weisenborn wenig später, habe mitgeteilt, daß eine sowjetische Delegation erst im Oktober kommen könne. Die Verschiebungsabsicht stieß beim SDA auf erheblichen Widerstand. 20 Womöglich als Druckmittel lancierte Becher eine „inoffizielle Mitteilung", „wonach die Verpflegung für einen im September stattfindenden Kongreß nicht gesichert sei". 21 Birkenfeld plädierte daraufhin für eine Verschiebung des Kongresses auf das Frühjahr 1948, während Kantorowicz geltend machte, daß es dringlich sei, die Zusammenkunft vor dem November zu verwirklichen, da mit einer kritischen politischen Lage als Reaktion auf die Londoner Außenministerkonferenz zu rechnen sei und eine Zusammenkunft aller deutschen Schriftsteller nach November damit fraglich werde. 22 Weisenborn äußerte, daß im Oktober prinzipiell auf die Beteiligung von Ausländern keine Rücksicht genommen werden solle, sondern im Anschluß an den Kongreß separate deutsch-ausländische Autorentreffen der Vorbereitung für einen im kommenden Jahr durchzuführenden internationalen Schriftstellerkongreß dienen sollten. 23 Als neuer Tagungstermin wurde der 4.-8. Oktober festgelegt. Nun erst, und das heißt zu einem doch recht späten Zeitpunkt, wurde hektische Betriebsamkeit zur Einwerbung ausländischer Autoren entfaltet: Rudolf Leonhard, damals noch in Paris ansässig, wollte französische Autoren gewinnen; 24 Friedrich Luft sollte in England Autoren mobilisieren; 25 Kantorowicz wollte durch eine französische Journalistin Einladungen für in Frankreich lebende amerikanische Schriftsteller aussprechen und auch an die schwedische und tschechoslowakische Militärmission herantreten; 26 John Steinbeck, Erskine Caldwell und Louis Aragon, die sich zu dem Zeitpunkt in Rußland befanden, sollten durch ein von Oberst Dymschitz weiterbefördertes Telegramm benachrichtigt werden. 27 Diese Demarchen blieben weitgehend ohne Erfolg. Zwar konnten als ausländische Gäste u. a. Herman Ould, Generalsekretär des PEN-Clubs, aus London, der Vorsitzende des englischen PEN-Clubs Wilhelm Unger, Abordnungen aus

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Protokoll über die Vorstandssitzung des SDA am 10.4. 1947. - AdK: ASV 036. AdK: ASV 036. Der Brief ist wie der Antwortbrief des SDA-Vorstands im Protokoll der Sitzung der Unterkommission zur Durchführung des Schriftstellerkongresses am 18. 8. 1947 im Wortlaut wiedergegeben. - AdK: ASV 1297. Vgl. ebd. Protokoll über die Vorstandssitzung des SDA am 25. 8. 1947. - AdK: ASV 036. Bericht Timm vom 27. 8. 1947. - AdK: ASV 1297. Protokoll über die Vorstandssitzung des SDA am 27. 8. 1947. - AdK: ASV 036. Protokoll über die Vorstandssitzung des SDA am 18. 8. 1947. - AdK: ASV 036. Protokoll über die Vorstandssitzung des SDA am 1. 9. 1947. - AdK: ASV 036. Protokoll über die Vorstandssitzung des SDA am 3. 9. 1947. - ADK: ASV 036. Protokoll über die Vorstandssitzung des SDA am 8.9. 1947. - AdK: ASV 036.

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Jugoslawien, der CSSR und der UdSSR gewonnen werden, doch blieben außer der prominenten sowjetischen Delegation die namhaften anvisierten Autoren fern. Die Bestrebung auch hinsichtlich der deutschen Teilnehmer, dem Kongreß durch Autoren von internationalem Ansehen Reputation zu verschaffen, war ebenfalls nur zum Teil erfolgreich. Keiner der auf der oben angeführten ,Wunschliste' verzeichneten Autoren erschien zum Kongreß. Auch Arnold Zweig, in Haifa ansässig, Oskar Maria Graf und Leonhard Frank, seinerzeit in New York lebend, Ernst Wiechert, Werner Bergengruen und zahlreiche andere angeschriebene Schriftsteller konnten nicht als Gäste begrüßt werden. 28 Theodor Plivier, der kurz vorher die SBZ verlassen hatte, sorgte mit einer angeblichen Zusage und folgendem Fernbleiben für Wirbel. 29 Der antifaschistische Konsens bei den Vorbereitungen schlug sich darin nieder, daß Autoren, die auf den „schwarzen und braunen Listen" der Allierten (also nicht nur der Sowjets) standen, wie z. B. Gottfried Benn, außen vor blieben. 30 Die gewichtigste Gruppe unter den Teilnehmern bildeten, was durchaus den Verhältnissen der Remigration entsprach, die sozialistischen Autoren (Johannes R. Becher, Willi Bredel, Anna Seghers, Friedrich Wolf u. a.). Außer ihnen sind als Schriftstellerinnen und Schriftsteller von Renommee vor allem Ricarda Huch und Elisabeth Langgässer hervorzuheben. Propagandistische Scharmützel Eigentlich hätte klar sein müssen, daß eine Verschiebung des Kongreßtermins um nur drei Wochen die Erfolgschancen zur Gewinnung ausländischer Prominenz nicht wesentlich erhöhten, zumal bei den damaligen Reisebedingungen. Offenbar waren bei den eigentlich (politisch) Verantwortlichen andere Motivationen im Spiel. Es ist zu vermuten, daß insbesondere die Parteiführung im Zusammenspiel mit der SMAD die von Shdanow am 22. September einberufene Konferenz kommunistischer Parteiführer und den vom 20.-24. September stattfindenden II. Parteitag der SED abwarten wollte, in dessen Umfeld die Intellektuellen bereits zu einer deutlicheren Stellungnahme gegen die „amerikanischen Kriegstreiber" und für die „friedliebende Sowjetunion" aufgefordert wurden. Auf demselben Parteitag hatte sich Tjulpanow, der als Shdanows Vertreter auf deutschem Boden zu gelten hat, 31 mit scharfen Worten gegen den Westen gewandt. Ziel seines Angriffs waren die „amerikanischen Monopolkapitalisten, die durch ihre Militärverwaltung finanzielle Vorteile erlangen wollen"; die SED forderte er auf, die Reaktion in Deutschland „auszuräuchern" und Westdeutschland von den Kräften des „amerikanischen Monopolkapitalismus" zu befreien. 32 Der Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone General Lucius D. Clay protestierte 28

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Die Einladung von Hans Carossa und Manfred Hausmann war im Vorstand umstritten. - Protokoll über die Vorstandssitzung des SDA am 20. 6. 1947. Vgl. Babylonische Sprachverwirrung. Erster deutscher Schriftstellerkongreß in Berlin, in: Hamburger Allgemeine vom 10. 10. 1947. In dem Artikel wird das Fehlen von Autoren wie Reinhold Schneider, Emst Wiechert, Carossa, Rudolf Alexander Schröder und Hausmann, „die gewiß ein entscheidend klärendes Wort zu sagen gehabt hätten", beklagt. Vgl. Protokoll über die Vorstandssitzung des SDA am 24. 10. 1947. - AdK: ASV 036. Vgl. Warum ich nicht nach Berlin ging. Theodor Plivier über seine Schicksale und Pläne, in: Die Welt vom 25. 10. 1947. Weil, Babylon Berlin, Manuskript, S. 4. Vgl. Kap. 2.1 und 5.2.4.

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umgehend und kritisierte die Äußerungen Tjulpanows als ersten öffentlichen Angriff eines höheren Besatzungsvertreters vor deutschen Zuhörern an einer anderen Besatzungsmacht und damit als Bruch der interalliierten Abmachung, 33 die nicht zuletzt durch das Gebot der Eintracht der Siegermächte gegenüber den Deutschen definiert wurde. Clay bat den Chef der russischen Militärverwaltung, Marschall Sokolowski, um Klarstellung, ob hier eine - entschuldbare - private Entgleisung oder aber eine offizielle Stellungnahme vorläge. 34 Sokolowski bezeichnete die Rede als nicht offiziell, rechtfertigte aber die Darlegungen Tjulpanows. 35 Dieser Zwischenfall war nur ein - allerdings symptomatischer - Bestandteil der politischen und propagandistischen Verhärtung zwischen den USA und der Sowjetunion, die das Jahr 1947 bestimmte (Truman-Doktrin, Marshall-Plan, Kominform-Gründung). Die Presse sprang publizistisch bei. Als Argumentationshilfe im Sinne Tjulpanows war offensichtlich ein Artikel von Dymschitz gedacht, der unmittelbar nach dem Parteitag erschien. Er gab den gewöhnlich von westlicher Seite an die sowjetische Besatzungszone gerichteten Totalitarismus-Vorwurf in bezug auf die Kulturpolitik an die Westzonen und an die USA zurück und führte dafür u. a. die systematische Erschwerung der Verbreitung sowjetischer Kultur im Westen ins Feld. 36 Nicht zufällig kurz vor Beginn des Kongresses erschien in der „Täglichen Rundschau" ein offener Brief sowjetischer Schriftsteller an ihre amerikanischen Kollegen, in dem diese (bereits im Sinne der Zwei-Lager-Theorie Shdanows) aufgerufen werden, der von den USA vermeintlich ausgehenden neuen Gefahr des Faschismus entgegenzutreten; der Abwurf der Atombombe, die Proklamierung des amerikanischen Lebensstils als gleichsam veibindlich für den Rest der Welt, die Intoleranz gegenüber Andersdenkenden werden in dieser Hinsicht interpretiert.37 Unterzeichner waren neben anderen auch die drei sowjetischen Autoren, die am Schriftstellerkongreß teilnahmen, Boris Gorbatow, Valentin Katajew und Wsewolod Wischnewski. Es ist sicher nicht abwegig zu behaupten, daß sich dieser Appell gleichermaßen (indirekt) auch an die deutschen Schriftsteller richtete, sich dem Lager der - so im weitesten Sinne verstandenen - Antifaschisten anzuschließen.38 Die sich hier abzeichnende Gleichsetzung von Antitotalitarismus, Antifaschismus und Antiamerikanismus sollte im Laufe des Kongresses in der Rede des amerikanischen Journalisten Lasky eine Entgegnung und Umkehrung erfahren durch die dort vollzogene Gleichsetzung von Antitotalitarismus und Antikommunismus bzw. Antisowjetismus.

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Berlin. Behauptung von Freiheit und Selbstverwaltung, S. 315. Vgl. IFZ: OMGUS, ODI 5/243-1/28 und 5/243-3/16; 7/22-2/28. General Clay antwortet Oberst Tulpanow, in: Tagesspiegel vom 2. 10. 1947. Vgl. General Clay antwortet. BA Koblenz: OMGUS, ODI 7/22-2/28; Vgl. Sokolowski zur Rede Tulpanows, in: Tagesspiegel vom 21. 10. 1947. Alexander Dymschitz, Totalitäre Kulturpolitik im Westen, in: TR vom 28. 9. 1947. Mit wem geht ihr, amerikanische Meister der Kultur? Offener Brief sowjetischer Schriftsteller, in: TR vom 2. 10. 1947. Vgl. auch Ilja Ehrenburg, Betrachtungen eines Schriftstellers, in: TR vom 5.10. 1947. In einem bilanzierenden Artikel der Zeitung „Sovetskoe slovo" vom 19.10. 1947 heißt es sogar, daß diese Frage „unzweideutig" auch vor jedem deutschen Schriftsteller stand. - B. Grigor'ev, Za mir i demokratiju, protiv reakcii. K itogam pervogo vsegermanskogo s-ezda pisatelej.

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Das ,Verbot' des Kulturbunds Auf kulturellem Gebiet manifestierte sich die Abkühlung des politischen Klimas beispielhaft in der Auseinandersetzung um die Legalität des Kulturbunds, die schon länger schwelte 39 und seit Ende September auf der Tagesordnung der Alliierten Kommandantur stand. 40 Argumentiert wurde juristisch. Der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, der, autorisiert von der Sowjetischen Militäradministration, seit dem 11. Juli 1945 tätig war, wurde im Frühsommer 1947 von den Alliierten aufgefordert, seine Zulassung erneut zu beantragen. Grundlage dieses Verlangens war eine Verordnung der Alliierten Kommandantur vom 23. Januar „Procedure for the Recognition of Organization of a Political Charakter". Während sich die sowjetischen Vertreter (und die Leitung des Kulturbunds) auf den Standpunkt stellten, der Kultuibund arbeite rechtmäßig und ohne daß bisher jemand an seinem Wirken Anstoß genommen hätte, 41 beharrten die Amerikaner, Franzosen und Briten auf der Einreichung eines erneuten Zulassungsantrags. Bei Einrichtung des Viermächtestatus war vereinbart woiden, daß die Anordnungen der Sowjetischen Militäradministration „until special notice" ihre Gültigkeit behalten sollten. 42 Mit dem genannten Befehl sei dieser Fall der „special notice" eingetreten. In einem undatierten, vermutlich im Oktober 1947 gefaßten Beschluß des engeren Landesvorstands Berlin des Kulturbunds wird die genannte Verordnung vom Januar 1947 indes nicht mit der 1945 vereinbarten „special notice" identifiziert: „Nach Einrichtung der Alliierten Kommandantura wurde durch deren Befehl Nr. 1 verfügt, daß alle bisherigen Anordnungen der sowjetischen Kommandantur ihre Gültigkeit behalten, wenn sie nicht durch einen ausdrücklichen neuen Befehl widerrufen würden. Dieser Widerruf ist hinsichtlich des Kultuibundes nicht erfolgt. Die Forderung nach einem neuen Antrag widerspricht also diesem Befehl Nr. I." 4 3 Seit der Aufforderung der westlichen Alliierten an den Kultuibund, den gewünschten Antrag zu stellen, häufen sich die Beschwerden des Kulturbunds über Behinderungen seiner Arbeit vor allem im amerikanischen Sektor Berlins. „So erklärte im Bezirk Kreuzberg das Bürgermeisteramt, es habe von der amerikanischen Militärbehörde Anweisung, keinerlei Veranstaltungen des K.B. mehr zu genehmigen, so lange der K.B. nicht offiziell um seine Zulassung bei der Militärbehörde nachgesucht und diesem Ersuchen stattgegeben worden sei - im Bezirk Zehlendorf gab das Bürgermeisteramt eine ähnliche Erklärung ab." 44 Auf die in einer Pressekonferenz gestellte Frage, ob „die Kulturbund-Arbeit im amerikanischen Sektor Berlins durch die amerikanische Mili39 40 41 42

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Vgl. Schulmeister, Auf dem Wege zu einer neuen Kultur, S. 163f. Vgl. den umfangreichen Aktenbestand des IfZ: OMGUS, ODI, 5/38-1/30, 5/38-1/29, 5/38-1/28. Vgl. z. B. Johannes R. Becher, Kulturbund dient dem Weltfrieden, in: TR vom 31. 10. 1947. Im vollen Wortlaut: „Until special notice, all existing regulations and ordinances issued by the Commander of the Soviet Army Garnison and Military Commandant of the City of Berlin shall remain in force." - Zit. nach: Excerpt from the 22. Meeting of the Commandants of the Allied Kommandatura Berlin Held 7 oct. 47. IfZ: OMGUS, ODI 5/38-1/29. SAPMO: KB-Archiv 221. Tatsächlich hatte der Kulturbund „schon im Vorjahr, im Mai 1946, von sich aus bei der Kommandantura seine Zulassung auf Viermächtebasis beantragt". - Schivelbusch, Vor dem Vorhang, S. 156. In dem Antwortschreiben der amerikanischen Militärverwaltung vom 17. 6. 1946 heißt es: „Obgleich nach Meinung der amerikanischen Behörden eine offizielle Anerkennung des Kulturbunds gegenwärtig nicht erwünscht ist, werden gegen die Tätigkeit des Kulturbunds im amerikanischen Sektor Berlins keine Einwendungen erhoben, vorausgesetzt, dass er sich an dieselben Vorschriften hält wie andere Organisationen ähnlicher Art." - SAPMO: KB-Archiv 528/737,2.

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tärregierung verboten oder eingeschränkt wurde", antwortete Klaus Gysi am 27. Juni allerdings äußerst defensiv und behutsam: „Es kann nicht die Rede davon sein, daß im amerikanischen Sektor unsere Arbeit verboten ist, vielmehr wurde in 2 von den 5 Bezirken des amerikanischen Sektors die Kulturbund-Arbeit durch deutsche Stellen - angeblich auf Anordnung der Amerikaner auf einen kurzen Zeitraum suspendiert, und zwar im Zusammenhang mit der allgemeinen Unsicherheit, die aufgrund der Bestimmungen über die Registrierung sowohl politischer Organisationen als auch unpolitischer Vereine in Berlin eingetreten ist." 45 Offenbar war dem Kulturbund daran gelegen, eine Konfrontation mit den Amerikanern zu vermeiden. Noch im September war die Situation offen. Die Vertreter der Westmächte zeigten sich bei den Debatten im Alliierten Kontrollrat durchaus geneigt, einen entsprechenden Antrag des Kulturbunds positiv zu bescheiden, obwohl vor allem die Amerikaner den Kulturbund als kommunistisch dominiert beargwöhnten und eine weitere Tätigkeit im US-Sektor nicht erwünscht war. Es bestand die Meinung, daß die Sowjetunion den Kulturbund als Transmissionsriemen zur Verwirklichung ihres Ziels der „allgemeinen politischen und ideologischen Beherrschung Deutschlands" ausnutze. Es gehöre mit zur Methode, sich dabei auch nichtkommunistischer Mitglieder zu bedienen. 46 Die Querelen zogen sich hin, und im Zuge der eintretenden Verhärtung blieben nur die Franzosen bei ihrer konzilianten Haltung. Eine Intervention der SPD, die der amerikanischen Militärregierung eine Liste mit Anklagepunkten gegen den Kulturbund einreichte, soll zusätzlich die Situation verschärft haben. 47 Am 8. Oktober, das heißt am letzten Tag des Schriftstellerkongresses, untersagten die Amerikaner dem Kulturbund jede Tätigkeit in ihrem Sektor und forderten ihn erneut auf, den Antrag auf Anerkennung zu stellen; andernfalls gelte er ab dem 1. November als verboten. Der Kulturbund machte in letzter Minute vor Ablauf der gesetzten Frist ein - allerdings mehrdeutiges - Angebot des Einlenkens. Der vom 30. Oktober datierte, vom Vorsitzenden der Stadtleitung Berlin Prof. Heinrich Deiters unterzeichnete Brief wurde über den Magistrat an die Alliierte Kommandantur gerichtet. Er resümiert zunächst die sowjetische Position, um in einem später unter den Alliierten heftig diskutierten Passus weiter auszuführen: „As, however, the other occupation powers have expressed different views as to the legal interpretation of this viewpoint, the Berlin 44

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Brief des Vorsitzenden der Stadtleitung Berlin, Prof. Heinrich Deiters, an Mr. U. Biel, Amerikanische Militärregierung, wiedergegeben in einem nicht adressierten Schreiben vom 9. 10. 1947. - SAPMO: KB-Archiv 528/737,2. Wiedergegeben in einem Schreiben des Kulturbund-Sekretärs Heinz Willmann vom 8. 7. 1947 an Mr. Josselson, Amerikanische Militär-Regierung. - SAPMO: KB-Archiv 528/737,2. Das widerspricht der Behauptung Schulmeisters, daß „auf Veranlassung amerikanischer Verbindungsoffiziere für die Bezirke Schöneberg, Steglitz und Kreuzberg ab Juni beziehungsweise Juli 1947 alle Kulturbundveranstaltungen verboten" worden seien. - Schulmeister, Auf dem Wege zu einer neuen Kultur, S. 164. So Oberst Howley in einem Gespräch mit Ferdinand Friedensburg, von dem letzterer in einem Brief an Bürgermeister Wittgenstein berichtet. Zit. nach: Schrott, Das Scheitern des kulturellen Neubeginns, S. 26. Vgl. SPD-Denunziantentum. Neues Licht auf das Kulturbund-Verbot, in: ND vom 15. 11. 1947; Schulmeister, Auf dem Wege zu einer neuen Kultur, S. 174f. Die SPD als Wahlsiegerin der Magistratswahl von 1946 bot sich seither als „Kristallisationskern einer antikommunistischen Alternative" an, so daß viele Intellektuelle nun auf sie statt den bisher von ihnen als „beste Möglichkeit einer verhältnismäßigen Unabhängigkeit und Überparteilichkeit" favorisierten Kulturbund setzten. - Schivelbusch, Vor dem Vorhang, S. 152.

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Board of the .Kulturbund zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands' do not regard themselves to be in a position to take a definite decision but feel they have to leave this to the Allied Kommandatura. We, therefore, beg to ask the Allied Kommandatura for a definite, and uniform decision, as soon as possible, which would allow us to resume our activities within the area of Greater Berlin as before." 48 Dem Brief ging die schon erwähnte Resolution des engeren Landesvorstands Berlin des Kulturbunds voraus, in dem die sowohl auf Zeitgewinn als auch auf das Abwälzen von Verantwortung ausgerichtete Argumentationslinie festgelegt worden war: „Als rein deutsche Organisation ist der Kulturbund außerstande, von sich aus auf den Ausgleich der Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Besatzungsmächte irgendeinen Einfluß auszuüben. Da er allen Besatzungsmächten loyal gegenübersteht, kann er auch nicht durch die Erfüllung der Forderung einer Besatzungsmacht sich in Gegensatz zu einer anderen stellen."49 Im Archiv des Kulturbunds ist indes noch ein weiterer an die Alliierte Kommandantur über den Magistrat (Bezirksamt Berlin Mitte) gerichteter, nicht unterzeichneter Brief vom 30. Oktober erhalten, der nicht nur die Bitte um eine einheitliche Entscheidung, sondern einen förmlichen Zulassungsantrag formuliert: „Obwohl der Kulturbund bereits am 25. Juni 1945 durch den Chef der Garnison und Militärkommandanten von Berlin für das gesamte Gebiet der Stadt Berlin zugelassen worden ist, wird hiermit hilfsweise noch einmal der Antrag auf Zulassung unseres Bundes für das Gebiet der Stadt Berlin gestellt." 50 Mit diesem Anschreiben hätte der Kulturbund den Anforderungen der amerikanischen Militärbehörden entsprochen. Offenbar handelt es sich aber um einen - nicht realisierten - Briefentwurf. Das Vorhandensein einer russischsprachigen Version dieses Briefes gleichen Datums belegt, daß der Antrag der SMAD vorgelegt und von dieser offensichtlich nicht freigegeben worden ist.51 Die sowjetische Delegation beim Alliierten Kontrollrat blieb bei ihrer Position, daß der Kulturbund durch die SMAD 1945 rechtmäßig autorisiert worden sei und blockierte damit weitere Schritte. Im November 1947 mußte der Kulturbund schließlich seine Tätigkeit im amerikanischen und britischen Sektor einstellen und seine dort gelegenen Geschäftsräume aufgeben. 52

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IfZ: OMGUS, ODI 5/38-1/29. Das Anschreiben von der amtierenden Oberbürgermeisterin Louise Schroeder zur Weiterleitung des Briefes ist auf den 12. November datiert. Daß der Kulturbund angesichts „der unterschiedlichen Rechtsauffassungen unter den Besatzungsmächten" in einem Brief darum gebeten habe, „eine einheitliche Entscheidung zu treffen, die uns die Fortführung unserer bisherigen Tätigkeit ungehindert ermögliche", erläutert Deiters auch in einem Rundschreiben an alle Mitglieder vom 6. 11. 1947. - LAZ Nr. 3701. Vgl. Das rätselhafte Verbot. Erklärung des Präsidialrates des Kulturbundes, in: ND vom 6. 11. 1947.

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SAPMO: KB-Archiv 221. SAPMO: KB-Archiv 528/737,2. Die russische Version ist ausführlicher als die deutsche. Sie enthält (neben dem identischen eisten Teil) noch die Anschrift der KB-Leitung für Groß-Berlin sowie Namen und Beruf der Vorstandsmitglieder. Es wird betont, daß keine dieser Personen Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Organisationen war und daß die Finanzierung ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden erfolge. Als Anlagen sind die von der Alliierten Kommandantur geforderten Personalfragebögen für die Vorstandsmitglieder und die Satzung des Kulturbundes aufgeführt. - SAPMO: KB-Archiv 213.

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Vgl. z. B. die Briefe der britischen Militärbehörde vom 8. und 22. 11. 1947 und die Nachfrage der Landesleitung Berlin des Kulturbunds vom 14. 11. 1947. - SAPMO: KB-Archiv 495. Zu den beharrlichen Versuchen des Kulturbunds noch Ende Oktober 1947, trotz des angedrohten Verbots, in den Bezirken des amerikanischen Sektors weiterzuarbeiten, vgl. SAPMO: KB-Archiv 528/737,2.

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Zahlreiche Wirkungsgruppen des Kulturbundes nahmen zum Vorgehen der westlichen Militärbehörden kritisch Stellung. 53 Nicht selten griffen sie dabei auf eine offensichtlich vom Bundessekretariat verfertigte Standardresolution zurück, die dann nur noch unterschrieben zu werden brauchte. Einzelne Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur wurden gezielt um eine Einschätzung gebeten. All diese Schriftstücke waren in der Regel von „Empörung" und „Bedauern" gekennzeichnet. Betont wurden der überparteiliche Charakter des Kulturbundes und sein unermüdliches Eintreten für die (gesamt)deutsche Kultur. Die formaljuristischen Hintergründe wurden als - rasch zu klärendes - Mißverständnis deklariert. Einige Stellungnahmen gingen in dieser Hinsicht ins Detail, wenn es darin heißt, daß ein erneutes Gesuch um Genehmigung eine „Brüskierung der sowjetischen Behörde" bedeute. Diese habe ja ausdrücklich erklärt, daß ihre 1945 erteilte Genehmigung noch in Kraft sei. Auch die Formulierung aus der Resolution des Berliner Landesvorstands, daß der Kulturbund allen Besatzungsmächten loyal gegenüberstehe und er daher nicht „durch die Erfüllung der Forderung einer Besatzungsmacht sich in Gegensatz zu einer anderen stellen" könne, wird wiederholt aufgegriffen. Deutlicher noch war im Schreiben der Ortsgruppe Jena davon die Rede, daß die sowjetische Besatzungsmacht dem Antrag auf Zulassung zweifellos widersprechen würde, was bedauerlich sei, da der Kulturbund sicher genehmigt würde. Diese Einschätzung kam den tatsächlichen Gegebenheiten wohl am nächsten. Einige Professoren und Universitätsgremien enthielten sich indes bewußt einer eigenen Meinung in dieser Frage, da sie entweder sich über ihre Ortspresse nur „unzulänglich über die Hintergründe informiert" sähen oder es nicht als ihre Aufgabe betrachteten, „sich zu einer politischen Maßnahme einer Besatzungsmacht zu äußern". Die Abstinenz in diesem Fall ist symptomatisch für die Haltung nicht weniger Universitätslehrer gegenüber der politischen und kulturpolitischen Entwicklung in der SBZ insgesamt. Es ist aufschlußreich, daß auch die Sowjets in keiner Phase der Auseinandersetzung den Versuch unternahmen, den Kulturbund als rein kulturelle Institution hinzustellen und auf diese Weise die sich ja nur auf Organisationen politischen Charakters beziehende Antragsprozedur zu unterlaufen. Auch wenn der Kulturbund eine parteipolitische Gebundenheit stets abstritt, wurde sein politischer Charakter nie verleugnet. Im Gegenteil: Auf dem Ersten Bundeskongreß des Kulturbunds im Mai 1947 hatte Becher betont, daß man politische Aufgaben zu erfüllen habe und nicht nur die Künste pflegen dürfe. 54 Solche Äußerungen sowie auch der Auftritt Tjulpanows auf dieser Konferenz wurden natürlich von den Amerikanern aufmerksam zur Kenntnis genommen. 55 Sie verstärkten nur die Besorgnis, die man angesichts der Tatsache hegte, daß Johannes R. Becher und andere an Schlüsselpositionen des Kulturbunds eingesetzte Kräfte Kommunisten waren und in den Jahren des sowjetischen Exils genaue Moskauer Instruktionen erhalten hätten. 56 Daß die Furcht vor kommunistischer Dominanz bei pluralistischer oder bürgerlicher Tarnung nicht grundlos war, bestätigen nachträglich z. B. die Memoiren Alexander Abuschs, der den Kulturbund für die damalige Zeit als „gewissen ideologischen Kulminationspunkt" 57 bezeichnet und

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SAPMO: KB-Archiv 221. Becher, Wir, Volk der Deutschen. Vgl. Supplement to „Germany: Weekly Background Notes No. 155". Cultural Policy in the Soviet Zone of Germany. - BA Koblenz: OMGUS, ODI 7/22-2/28. Zur ,,eigentliche[n] Geburtsstunde des Kulturbundes" in Moskau 1944 vgl. Schulmeister, Becher, S. 712. Abusch, Mit offenem Visier, S. 206.

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festhält: „Das Leitungskollektiv des Kulturbundes war kulturpolitisch intakt." 58 Abusch war Leiter der ideologisch-kulturellen Abteilung des Kulturbunds, die schon Ende 1946 gegründet worden war. Daß unter der breiten Mitgliederschaft des Kulturbunds viel guter Wille für ein breites Bündnis und eine offene Kulturpolitik vorhanden war, bleibt unbestritten. Auch Johannes R. Becher selbst versuchte nach Kräften, die Unabhängigkeit des Kulturbunds zu bewahren und Überparteilichkeit nicht nur als formale Organisationsstruktur, sondern auch als „Denkansatz" aufrechtzuerhalten, 59 ein Bestreben, das allerdings schon im Sommer 1947 mit den Politikzwängen kollidierte. 60 Es ist bemerkenswert genug (und in den in der DDR veröffentlichten Darstellungen des Kulturbunds nie erwähnt worden), daß die „Mitglieder der Leitung des Kulturbundes in Berlin und der Präsident unseres Bundes, Johannes R. Becher" noch im September 1949 bei der SMAD sondierten, ob dort Bereitschaft zu einer erneuten Zulassungsinitiative für die Westsektoren bestünde. In dem Schreiben wird die Meinung geäußert, „man solle den geforderten Antrag stellen und damit einen neuen Beitrag zur Normalisierung in Berlin leisten".61 Dieser Vorstoß läßt ein weiteres Mal vermuten, daß bei der Verweigerung des von den Westalliierten verlangten Antrags im Jahre 1947 die Sowjets die treibende Kraft waren. Diese hatten mit dem Akzeptieren der Bezeichnung „Organisation politischen Charakters" für den Kulturbund der juristischen Argumentation im Grunde nichts entgegenzusetzen. Die Frage ist, warum das provozierte .Verbot' des Kulturbunds in den Westsektoren offenbar im Interesse der sowjetischen Besatzungsmacht lag. 62 Die im Juni 1947 gegründete Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion hatte einen solchen Antrag eingereicht und auch die Bewilligung für alle vier Sektoren erhalten. 63 Die Furcht vor einer Ablehnung kann also nicht das Motiv gewesen sein, zumal man mit einem Anerkennungsantrag die westlichen Alliierten unter Zugzwang gesetzt hätte. Vielleicht hatten Auseinandersetzungen in verschiedenen Wiikungsgruppen des Kulturbunds 64 den Willen befestigt, ihn in der eigenen Einflußsphäre unter gezielter politischer Kontrolle zu halten. Daß in einem Artikel der „Täglichen Rundschau" die Auffassung vertreten wurde, der Kulturbund könne aus dem Verbot gestärkt hervorgehen, würde dies bestätigen. 65 Schon im Verlauf des Jahres 1947 war erkennbar geworden, daß der Kulturbund seine Arbeit auf die sowjetische Besatzungszone konzentrierte. 66 Möglicherweise ist diese Ent58 59 60 61 62 63 64

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Ebd., S. 188. U. Heukenkamp, Ein Erbe für die Friedenswissenschaft, S . l l . Vgl. Kap. 5.3.2. Schreiben Heinz Willmanns an den stellvertretenden sowjetischen Kommandanten von Berlin, Oberst der Garde Jelisarow, vom 29. September 1949. - SAPMO: KB-Archiv 528/737,2. Daß SED und SMAD ein Verbot des Kulturbundes für nützlich hielten, vermutet auch Pike, The Politics of Culture, S. 386. Vgl. IfZ: OMGUS, ODI 5/38-1/29. Uber den Charakter der nach dem Schriftstellerkongreß ausbrechenden Meinungsverschiedenheiten schreibt Pike: „Apparently, there had been something of a revolt against the politicization of the organisation's activities and against efforts to politicize it further still." - Pike, The Politics of Culture, S. 387. General Kotikow empfängt Kulturbund, in: TR vom 18. 12. 1947. Friedensburg notierte, daß Tjulpanow ihm gegenüber geäußert habe, „daß der jetzige Zustand vielleicht gar nicht so schädlich sei. Der Kulturbund entwickele sich ja durchaus erfolgreich, und die Weltöffentlichkeit sei gerade durch diese Angelegenheit über das undemokratische Verhalten der Westmächte aufgeklärt worden." - Zit. nach: Schivelbusch, Vor dem Vorhang, S. 158.

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Scheidung auch im Zusammenhang mit der damals allgemeinen sowjetischen Forderang zu sehen, daß derjenige, der im Ostsektor arbeitete, dort auch seinen Wohnsitz nehmen sollte, 67 denn der Kulturbund war „nach dem Wohnprinzip organisiert".68 In jedem Fall ließ sich die griffige Parole vom „Verbot des Kulturbunds" hervorragend propagandistisch gegen die Amerikaner ausnutzen, um deren .totalitäre' Kunslpolitik anzuprangern. Protestentschließungen69 und Stellungnahmen in der Presse 70 bis hin zu einem ,,Offene[n] Brief von Johannes R. Becher an die UNESCO und den Internationalen Pen-Club" 71 hatten die Funktion, den Kulturbund als Opfer amerikanischer Willkürpraxis hinzustellen. Die Amerikaner ihrerseits leisteten willentlich oder unwillentlich mit ihren Reaktionen der Etablierung fester Feindbilder Vorschub. Exkurs: Der Kalte Krieg als „reaktive Mechanik" Die Streitigkeiten um den Kulturbund sind ein Exempel der „reaktiven Mechanik" 72 des Kalten Krieges. Ähnlich wie in der Politik setzte sich auch im kulturellen Bereich ein Circulus vitiosus „wechselseitiger Fehlwahrnehmungen und Konflikteskalation" 73 in Gang. Während die Rekonstruktion der Übernahme des sowjetischen Modells in der SBZ/DDR den Anteil der Sowjets und der deutschen Kommunisten an dieser Entwicklung in vielfältigen Facetten transparent machen wird, soll zumindest an dieser Stelle mit Nachdruck auch auf die westliche Schuld an der Abkühlung des (kultur)politischen Klimas hingewiesen werden. Mit dem Einschwenken auf einen Konfrontationskurs, manifest etwa in der von Clay im Oktober 1947 festgelegten antisowjetischen Propagandamarschroute, 74 verschob sich das Interesse der Amerikaner, in Deutschland eine neue, demokratische Gesellschaft zu formen, zugunsten der Intention, die Westzonen als Bollwerk gegen den Kommunismus auszubauen. Dieser ideologische Feldzug gegen den Osten fiel

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Heider, Kulturbund, S. 722. Auf den Tatbestand, daß „der überwiegende Teil der Intellektuellen, die im Berliner Kulturbund mitgearbeitet hatten [...], in Westberlin wohnte", weist auch M. Lange hin: Geistige und bündnispolitische Situation, S. 740. Lange sieht darin allerdings einen Grund für das Vorgehen der Amerikaner. Vgl. die undatierte Selbstdarstellung des Kulturbunds durch ihren Generalsekretär Heinz Willmann gegenüber Oberst Leonhard von der amerikanischen Militäradministration. - SAPMO: KB-Archiv 528/737,2. Gegen das Verbot des Kulturbundes im amerikanischen und englischen Sektor Berlins, 26.11. 1947, in: Um die Erneuerung der deutschen Kultur, S. 203; Einmütiges Bekenntnis. Massendemonstration für die Freiheit des demokratischen Kulturbundes, in: ND vom 28. 11. 1947. Vgl. z.B. Zur Stellung des Kulturbundes in Berlin, in: Sonntag vom 2. 11. 1947; Tatsachen gegen Polemik, in: Sonntag v o m 9 . 11. 1947; W. Hr., Ein Axthieb gegen die Demokratie, in: TR vom 12. 11. 1947; Alexander Abusch, Die unliebsame Toleranz, in: TR vom 25.11. 1947. Zu der Pressekampagne und den Reaktionen in den Zeitungen der Westsektoren vgl. ausführlich: Wehner, Kulturpolitik und Volksfront, S. 760-767. In: Aufbau 12/1947, S. 373f. Osteuropa-Handbuch: Sowjetunion, Bd. 1, S. 373. Loth, Die Teilung der Welt, S. 122f. Vgl. Kap. 2.1.4.

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bei den Deutschen auf fruchtbaren Boden. 75 Die Blockade Berlins, eine existenzbedrohende Aggression, verstärkte den Riß bis zur Spaltung. Seither setzte sich etwa der „Tagesspiegel" für eine Boykottierung der Kulturarbeit im Ostteil der Stadt ein. Allerdings hatten die Sowjets vorher verfügt, daß westliche Zeitungen im Ostsektor nur noch über eine Vertriebsgesellschaft verkauft werden dürften, ein Mittel, um den Straßenverkauf zu unterbinden und die Namen der Abonnenten zu erkunden. Die westlichen Alliierten verboten daraufhin dieser „Berliner Zeitungsvertriebsgesellschaft", Händler in den Westteilen mit Ostzeitungen zu beliefern. 76 „Die Sprache des Kampfes wurde immer schärfer. Der ,TagesspiegeP erließ Aufrufe: .Jeder Berliner liest die freiheitliche Presse des Westens! Kein Berliner liest die Zwangspresse des Ostens! Kein Westberliner besucht ein ,Staats-Theater' des Ostens! Kein Westberliner kauft in einem .Freien Laden' oder in einer .Konsumgenossenschaft'! Jeder Pfennig, den ihr dorthin tragt, wird sich in ein neues Mittel der Unterdrückung gegen euch verwandeln! Sie wollten euch aushungern - denkt daran! [•••] Im Sinne unserer Aufforderung zum passiven Widerstand gegen alles, was der kriminelle Stadtsowjet, die SED oder irgendeine ihrer getarnten Organisationen in Berlin einrichten oder kontrollieren, wird der .Tagesspiegel' keine Ankündigungen, Anzeigen und Besprechungen der nicht privaten Theater, Unterhaltungsstätten, Buchproduktionen und so weiter mehr enthalten.'" 77 Was die Bewegung von West nach Ost betrifft, so unterlag z.B. ein so prominenter Vertreter des Kulturlebens wie der Hamburger Verleger Ernst Rowohlt der Observierung aufgrund seiner Kontakte mit Vertretern der Sowjetischen Militäradministration. 78 Rowohlt hatte sowohl an dem Schriftstellerkongreß 1947 als auch am II. Deutschen Schriftstellerkongreß 1950 teilgenommen. Schauspielern, die in sowjetischen Theaterstücken auf Ostberliner Bühnen auftreten wollten, wurde z. T. unter Androhung von Repressalien nahegelegt, davon Abstand zu nehmen. Einen Präzedenzfall dafür bildete Konstantin Simonows Stück „Die russische Frage", das Anfang Mai 1947 am Deutschen Theater aufgeführt wurde. Das Stück als solches rief bereits den Protest der amerikanischen Militärverwaltung hervor. Sie verlangte, daß es aufgrund seines (vermeintlich) antiamerikanischen Inhalts abgesetzt werde, und versuchte, beim Alliierten Kontrollrat ein Verbot wegen „Kritik an einer Besatzungsmacht" zu erwirken. Schauspielern mit Wohnsitz in den Westsektoren wurde mit Ausquartierung gedroht, falls sie in dem Stück aufträten. Eine Schauspielerin bedrohte man gar mit Gefängnis, so daß sie (als einzige) letztlich auf ihre Rolle verzichtet hat. 79 Die Amerikaner, die laut Borgelt „in diesem kalten Kulturkampf sehr viel direkter und auch ungeschickter ans Werk gingen" als die Sowjets, die Einschränkungen und Drohungen oftmals durch ihre deutschen Kader vortragen ließen, verboten etwa den Berliner Philharmonikern, auch im Ostsektor und in der DDR zu gastieren und verwehrten die Übertragung von Rundfunkkonzerten. 80 Doch wer sich „auf die Wahrnehmung kultureller Interessen beschränkte und sich vor der Verletzung der sich immer mehr verschärfenden Bestimmungen gegen den Ost-West-Handel hüte75 76 77 78 79 80

Vgl. Public Opinion, S. 52ff. Borgelt, Das war der Frühling von Berlin, S. 402. Ebd., S. 402f. AdsD: Bestand Ostbüro der SPD, 0284 A I, Nr. 00376. Aus einem Bericht von A. Dymschitz an die WOKS vom 12.5. 1947. - GARF 5283/16/134. Vgl. Borgelt, Das war der Frühling von Berlin, S. 391f.

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te", stieß als Theaterbesucher oder Konzertgast bis zum Herbst 1952 kaum auf Schwierigkeiten. 81 Mit der weitgehenden Erschwerung des Verkehrs zwischen beiden Stadtteilen im Zusammenhang mit der Abriegelung der Zonengrenzen 1952 verschlechterten sich auch die Kulturbeziehungen noch einmal nachhaltig. Anfang 1954 bekräftigte Senator Tiburtius in einem Interview mit der „BZ am Abend", er werde es „nie mehr zulassen, daß Kommunisten bei uns dirigieren." 82 Weiter sprach Tiburtius ein generelles Arbeitsverbot auf Ostberliner Bühnen für Künstler mit Wohnsitz in Westberlin aus. Einladungen könnten nur genehmigt werden, wenn sie von „unverdächtigen Stellen" kämen. Die Künstler seien dann jedoch verpflichtet, auf die Entfernung von politischen Spruchbändern und Friedenslosungen in den Auftrittsstätten zu dringen. Grundsätzlich sollten sie Einladungen der Häuser für Deutsch-Sowjetische Freundschaft ablehnen. 83 Für jede Nichteinhaltung dieser Weisungen würden die Künstler zur Verantwortung gezogen. Auf lange Jahre wurden die offiziellen Kulturkontakte gleichsam eingefroren. 3.1.2 Z u m Kongreßverlauf Es ist nur folgerichtig, daß die sich abzeichnende weltpolitische Polarisierung auch in den Schriftstellerkongreß hineingetragen und mehr oder weniger offen auch von etlichen deutschen Autoren mitvollzogen wurde. Daß dabei zugleich die Einheit der deutschen Literatur und der deutschen Schriftsteller beschworen wurde, ist kein Widerspruch, sollte diese doch gerade urter dem Vorzeichen des Antifaschismus, des Antimilitarismus und damit letztlich des Antiimperialismus verwirklicht werden. Die Veranstaltungen fanden zwar in drei der vier Sektoren statt, doch wurden alle Arbeitsgespräche in den Kammerspielen des Deutschen Theaters durchgeführt, das heißt Tagungsort war eigentlich der sowjetische Sektor Berlins. Dieser Gewichtung entsprach die großzügige materielle Unterstützung durch die Sowjetische Militäradministration84. Auch wenn Vertreter aller Besatzungsmächte und Bürgermeister Friedensburg (CDU) als Vertreter des Magistrats Begrüßungsworte sprachen, zeigten sich deutlich verschiedene „Wärmegrade der Zustimmung" 85 . Außer den Russen hatten nur die Franzosen mit Generalinspekteur Hepp, der verantwortlich war für die Kulturabteilung seiner Militärregierung, einen Mann von Rang geschickt. Eröffnet wurde der Kongreß im Hebbel-Theater mit einer würdigen Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus, auf der die greise Ehrenpräsidentin Ricarda Huch und Günther Weisenbom sprachen. Doch 81 82

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Friedensburg, Berlin, S. 81. BZ am Abend vom 19. 2. 1954; zit. nach: Schrott, Das Scheitern des kulturellen Neubeginns, S. 25. In diesem konkreten Fall ging es um eine Veranstaltung im Sportpalast mit David Oistrach und Franz Konwitschny. Vgl. Schrott, Das Scheitern des kulturellen Neubeginns, S. 25. Der erste Direktor des Hauses der Kultur der Sowjetunion in Berlin, Waleri Poltawzew, berichtet in seinen Memoiren (ohne Einzelheiten) von der Verfolgung einer Schauspielerin, die die Hauptrolle in der im Haus der Kultur der Sowjetunion aufgeführten „Optimistischen Tragödie" von Wsewolod Wischnewski spielte. - SAPMO: ZPA EA 1840. Vgl. Harry Reuß-Löwenstein, Nach dem Schriftstellerkongreß, in: Hamburger Freie Presse vom 18. 10. 1947: „Wir Hamburger waren stark beeindruckt von der großzügigen Organisation des Kongresses und der Förderung durch die Russen." Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf, Bd. 1, S. 387.

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es ging nicht schlechthin um Verständigung, um die große Aussprache, sondern dem Kongreß waren von östlicher Seite genaue Ziele gesetzt. Sigrid Bock brachte sie in einer Darstellung des Kongresses von 1979 auf die Formel: „Die Beiträge der sozialistischen Schriftsteller, vor allem von Abusch, Becher, Bredel, Hermlin, Rudolf Leonhardt [sie!], Seghers, Weinert und Wolf waren darauf abgestimmt, die politisch-ideologische Auseinandersetzung im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um eine neue literarische Programmatik zu führen."86 Insofern war es zugespitzt formuliert - eben doch kein gesamtdeutscher Kongreß, sondern eine Veranstaltung der Initiatoren von der Sowjetischen Militäradministration, dem Kulturbund und dem SDA mit Schwerpunkt, wie die Tagesordnung ausweist, auf den Beiträgen der sozialistischen Autoren. Befremdlich genug, so empfand es W.E. Süskind schon 1947, daß man die Teilnehmer aus den anderen als der sowjetischen Besatzungszone als „Gäste aus dem Westen" apostrophierte.87 Ein Rückblick Tjulpanows auf das bereits erwähnte Vorbereitungstreffen in Ahrenshoop legt in der Tat bloß, daß wenig der Spontaneität und dem aktuellen Gespräch überlassen wurde, sondern der Ablauf Werk exakter Regie war: „Wir setzten uns vor dem Kongreß mit einigen Schriftstellern, die auf dem Kongreß auftreten wollten, in Ahrenshoop zusammen und berieten über unser Vorgehen und unsere Argumente. Johannes R. Becher [...] hatte von den Vorstellungen gewisser amerikanischer Kulturleute erfahren, die es am liebsten gehabt hätten, wenn nach der Devise verfahren worden wäre: Die Russen geben das Essen für den Empfang und wir liefern die Ideologie für den Kongreß. Aber daraus wurde nichts, wir haben das ein bißchen korrigiert und das Verhältnis umgekehrt."88 Die Reden der deutschen Teilnehmer Konfliktmaterial bargen die Reden der deutschen Teilnehmer eigentlich genug: angefangen bei den Differenzen in der Erwartungshaltung an den Kongreß über den Streitpunkt innere - äußere Emigration und die Frage der Rechtmäßigkeit von Gewalt für einen „fortschrittlichen Zweck" bis hin zu Unterschieden in den Auffassungen, welche Literatur zeitgemäß sei. Auch war, was uns im folgenden interessieren wird, der beginnende Ost-West-Gegensatz in einer Reihe von Beiträgen latent oder offen gegenwärtig. Er schlug sich etwa in den unterschiedlichen Funktionsbestimmungen der Nachkriegsliteratur nieder. Die eine Gruppe betonte die Notwendigkeit, .allgemeinmenschliche, Werte zu vermitteln und verwahrte sich gegen vorschnelle, gemeint ist politische Vereinnahmung. So sprach Elisabeth Langgässer angesichts der Pervertierung der deutschen Sprache während der Hitlerzeit davon, daß die Sprache „eine Zeit der Ruhe" brauche, erst dann könne man sehen, welche neue Bestimmung ihr zukommen könne.89 Schärfer und auf Konfrontation angelegt foimulierte der kurz vorher aus der Londoner Emigration heimgekehrte Lyriker Albin Stübs in seinem Aufruf gegen die „Unmenschlichkeit", daß die Autoren keine Vorschriften von „Literaturkonfektionären" brauchten.90 Der Münchener W.E. Süskind, einer der Verfasser des „Wörterbuchs des Unmenschen", beanstandete die Verwechslung des Schrift86 87 88

89 90

S. Bock, Literarische Programmbildung, S. 132. Süskind, Der Mann aus dem Westen, S. 9. Zeit des Neubeginns, S. 58. Zu dieser Vorbereitung mit Tjulpanow in Ahrenshoop vgl. auch Kantorowiez, Deutsches Tagebuch, Bd. 1, S. 365ff. Ende September 1947 notierte Kantorowicz: „Die Funktionäre haben die Sache in die Hand bekommen, so ist mein Interesse daran erloschen" (ebd., S. 375). Reinhold/Schlenstedt, Der erste Schriftstellerkongreß, S. 24. Eine neue Generation nimmt das Wort, S. 8.

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stellers mit einem politischen Publizisten und wollte die Wertvorstellungen, die man „als Mensch" hat, von der literarischen Arbeit abgetrennt wissen.91 Günther Birkenfeld, Mitglied der Literaturkommission des Kulturbundes, ließ sowohl die Autoren, die ,zeitenthobene, Werte schaffen, als auch diejenigen, die auf Aktuelles eingehen, gelten. Damit verwies er auf die zweite, auf dem Kongreß kräftiger zu Wort kommende Position, die vor allem Autoren aus der sowjetischen Besatzungszone, jedoch nicht nur denjenigen aus dem Moskauer Exil, zuzuordnen war. Friedrich Wolf etwa verlangte, „eine klare Entscheidung" zu treffen vor allem bei der Frage, in wessen Händen sich die „Wahrheit" befinden soll, ein Gedanke, den Hans Mayer, zu jener Zeit noch wohnhaft in Frankfurt am Main, unter Rückgriff auf alte Volksfrontparolen noch schärfer formulierte. Man müsse wissen, ob man mit seiner Arbeit „der Barbarei oder dem allgemeinen Fortschritt" diene. 92 Der Kritiker Wolfgang Harich betonte in diesem Sinne, daß die Literatur nicht um jeden Preis oppositionell sein dürfe, sondern nur in bezug auf das Rückständige in einer Gesellschaft. 93 Zudem müßten die Schriftsteller wieder „Wegbereiter und Erkenner" sein (Hans Mayer). Das so vorausgesetzte und offen formulierte operative, gegen die Trennung von Kunst und „tatsächlichem Leben" gerichtete Verständnis von Literatur stand dem in der Hitlerzeit als Ausweg gesehenen Rückzug aus der Öffentlichkeit in die angeblich autonome Sphäre des Privaten entgegen, der nunmehr als politisch rückschrittlich betrachtet wurde. 94 Bei grundsätzlicher Duldung der sogenannten „inneren Emigration", deren scharfe Trennung vom „äußeren Exil" man aufgehoben wissen wollte, ergab sich eine klare Abgrenzung gegenüber allen Positionen der „Innerlichkeit". Daraus erwuchsen auch Konsequenzen hinsichtlich der „Freiheit des Schriftstellers". Freiheit, so formulierte es Anna Seghers, dürfe nicht als anarchische verstanden werden, sondern (mit Kant) als „Einsicht in die Notwendigkeit". Die Hervorhebung des „Dienstes am Volk" als höchste Verwirklichung schriftstellerischer Freiheit war, ebenso wie die polemische Abgrenzung von den westlichen .bürgerlichen' Vorstellungen zu diesem Thema, ein konstitutives Merkmal sozialistischer Literaturpolitik. Und in Seghers' Appell, ein Schriftsteller müsse seinen Mitmenschen die Wirklichkeit unter Berücksichtigung der Bewegung auf die Zukunft bewußt machen, 95 sind deutlich Elemente der Definition des sozialistischen Realismus, wie sie seit 1934 in der Sowjetunion gültig war (Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung), zu erkennen. Es waren wohl weniger diese in „wohlvorbereiteten, aus der Brusttasche gezogenen Manuskripten" vorgetragenen Ansichten, die die Teilnehmer aus den Westzonen zu „nachdenklichen Beobachtern" (Süskind) machten und sie die unterschiedliche geographische Zugehörigkeit als politische Differenz empfinden ließen. Vielmehr trug dazu in besonderem Maße die zwischen den Vertretern der ehemals alliierten und nun zunehmend feindseligen Großmächte ausgetragene Auseinandersetzung bei. Sie ließ das „Begriffspaar Ostzone-Westzone, das uns so absurd 91 92 93 94 95

Süskind, Der Mann aus dem Westen, S . l l . Ltz., Im Brennpunkt deutscher Kulturprobleme. Der zweite Beratungstag des Schriftstellerkongresses, in: TR vom 8. 10. 1947. Eine neue Generation nimmt das Wort, S. 9f.; L., Der Dichter und seine Verantwortung. Weitere Vorträge und Diskussionen auf dem Schriftstellerkongreß, in: TR vom 9 . 1 0 . 1947. So z. B. von dem Hamburger Publizisten Axel Eggebrecht. - Reinhold/Schlenstedt, Der erste Schriftstellerkongreß, S. 26f. Ebd., S. 27.

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geschienen hatte, ein höchst bedrohliches Angesicht" 96 gewinnen. Von daher erhalten die - bisweilen nur beiläufig, in Zwischenbemerkungen vorgetragenen - Warnungen vor Doppelung, Spaltung besonderes Gewicht. Günther Birkenfeld hatte den Eindruck formuliert, daß die deutsche Sprache in zwei Dialekte geteilt sei, einen östlichen und einen westlichen. Um so dringlicher sei es jedoch, das Gespräch fortzusetzen. Aus demselben Grund bleibe er auch Mitglied des Kulturbunds, obwohl er wisse, daß viele dort anderer politischer Überzeugung seien als er. 97 Die empfundenen Gegensätze wurden jedoch in etlichen Beiträgen durch die Hervorhebung gemeinsamer Ziele aufgefangen. So sprach Johannes R. Becher vom Friedens- und Einheitswillen des deutschen Volkes und beschwor die Einheit der deutschen Literatur, die keiner (einseitigen) Ausrichtung oder Lenkung unterliegen solle. 98 Die abschließende Resolution rief zur Aussöhnung zwischen Ost und West auf und betonte die verantwortliche erzieherische Aufgabe der Schriftsteller. Wenn es darin heißt, daß sich erfahrungsgemäß Kultur und Menschenwürde nur in einem „demokratischen Regime, das die Freiheit der Persönlichkeit garantiert", entfalten könne, so zeigten die Debatten indes, daß es gerade solche Begriffe waren, die von den Vertretern aus Ost und West unterschiedlich interpretiert wurden. Die Formulierung der Einigkeit blieb somit äußerlich. Die von den Delegierten der ausländischen Mächte ins Spiel gebraclten Kontroversen verlangten den deutschen Teilnehmern letztlich ein Zugehörigkeitsbekenntnis ab. Streitfälle und Provokationen Potential für den Konflikt, der bereits am zweiten Kongreßtag aufbrach, um am dritten seinen Höhepunkt zu finden, wurde bereits in der Begrüßungsansprache Dymschitz' vorgegeben. Der schon zitierten These vom Tempoverlust der deutschen Literatur stellte Dymschitz den Satz voran: „Der Kampf zwischen dem Neuen und dem Alten, zwischen Demokratie und Reaktion entwickelt sich in Ihrem Lande mit ungewöhnlicher Intensität und die Sprache des Schwertes erstarkt mit jedem Tag." 99 Es ist bemerkenswert, daß beim Abdruck der Rede in der „Täglichen Rundschau" eine signifikante Korrektur vorgenommen wurde. 100 Dort heißt es: „Und die Kräfte des Fortschritts erstarken mit jedem Tage." 101 Offenbar war eine solch klar militante Formulierung dem breiten deutschen Leserpublikum nicht zumutbar. Doch auch der Dramatiker Wsewolod Wischnewski aus der sowjetischen Delegation ritt am zweiten Kongreßtag eine anti-pazifistische Attacke gegen die „schwarze Reaktion" im Westen, die „Barbarei", die „Ideologie des Menschenhasses und des Militarismus", die diesen Teil der Welt zum Kampf rüste lasse. 102 Deutlich an die Adresse Englands und der USA gerichtet waren seine Worte: „Wir sind nicht zu erschrecken, weder mit einer Atombombe, noch mit sonst etwas. Wir wissen, wie darauf zu ant96 97 98 99 100 101 102

Süskind, Der Mann aus dem Westen, S . l l . Weil, Babylon Berlin, S. 26. Reinhold/Schlenstedt, Der erste Schriftstellerkongreß, S. 34; ND vom 8. und 9. 10. 1947; TR vom 8. 10. 1947. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd. 1, S. 11. Darauf aufmerksam macht: Gansei, Wider die „gestockten Widersprüche", S. 130f. Dymschitz, Die Literatur - Seele des Volkes. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd. 1, S. 317f. Vgl. die ebenfalls abgemilderte Berichterstattung im „Neuen Deutschland": Me., Die erste nationale Tagung der deutschen Schriftsteller, in: ND vom 7. 10. 1947.

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Worten ist." 103 Und auch Boris Gorbatow stimmte später, unter Verharmlosung der Atombombengefahr („Der Teufel ist nicht so schrecklich, wie man ihn an die Wand malt" 104 ), in dieses Plädoyer für einen gerechten Krieg' ein. Der so gelagerte sowjetische Atomdiskurs blieb ohne Entgegnung. Eine Gegenstimme besonderer Art erhob Mrs. Brailsford im Anschluß an Wischnewskis Ansprache; sie beeindruckte durch die persönliche Art, mit der sie ihren „Appell an die Menschlichkeit" jenseits von festgefahrener politischer Rhetorik vortrug. 105 Mrs. Brailsford, die aus Deutschland gebürtige Gattin eines englischen Philanthropen - beide unterstützten Gandhis gewaltlosen Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft in Indien - , brachte erst ihr Entsetzen über den Abwurf englischer Bomben auch auf deutsche Arbeiterwohnungen zum Ausdruck, um dann auf das zu sprechen zu kommen, „was mich hier so sehr quält. Ich habe von dem Verschwinden von Studenten aus der Berliner Universität im Frühjahr gehört [...]. Ich bin dermaßen erschüttert und unglücklich darüber, daß so etwas wieder passieren kann in diesem Deutschland." 106 Friedrich Wolf ging in seiner Antwort über die zunehmende Rechtsunsicherheit und die die Bevölkerung ängstigenden Verhaftungen besonders durch den sowjetischen Geheimdienst stillschweigend hinweg, um auf den neu erwachenden Nazismus in Westdeutschland hinzuweisen, gegen den man aufs schärfste vorgehen müsse. 107 Diese bewußt einseitige Interpretation der Verhältnisse ging ohne relativierende Kommentare in die Berichterstattung der „Täglichen Rundschau" ein 108 und wurde damit zumindest in der sowjetischen Zone gleichsam kanonisiert. Doch die starke Unruhe, die beide Redebeiträge im Saal auslösten, beweist, daß das Publikum durchaus von dem Tatbestand informiert war, den Mrs. Brailsford ansprach. Wesentlich folgenreicher noch war die Auseinandersetzung zwischen dem amerikanischen Journalisten Melvin J. Lasky, Berlin-Korrespondent zweier amerikanischer Zeitungen, und dem sowjetischen Schriftsteller Valentin Katajew, sprachen hier doch Vertreter der beiden rivalisierenden Großmächte. Vertreter allerdings unterschiedlichen Renommees. Den drei prominenten sowjetischen Autoren Wischnewski, Gorbatow und Katajew stand kein Steinbeck, Faulkner oder Wilder gegenüber, sondern ein vergleichsweise unbekannter amerikanischer Journalist. Auf diese Ungleichheit ist von östlicher Seite immer wieder vorwurfsvoll verwiesen worden, obwohl sie durch die verspäteten Einladungen offenbar weitgehend selbstverschuldet war. Dem koirespondiert die Erinnerung Melvin J. Laskys, daß Birkenfeld noch in letzter Minute alle Anstrengungen darangesetzt habe, um in Berlin einen gleichwertigen Partner bzw. Kontraherten für die sowjetische Delegation aufzutreiben. 109 Birkenfeld war es dann auch, der Lasky am Vorabend des 7. Oktober ansprach und ihn zu einem Auftritt überredete. 110 103 104

105 106 107 108 109 110

Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd. 1, S. 319. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß. Original-Protokoll, Bd. 2. AdK: ASV 67, S. 713. Siehe auch: Boris Gorbatow, Ich glaube an den Menschen, in: TR vom 14. 10. 1947. Vgl. R. Heukenkamp, „Gesellschaftliche Verantwortung des Wissenschaftlers", S. 279. Die Presse der SBZ tat sich mit diesem Beitrag schwer. - Vgl. Roland Beutner, Mrs. Brailsford weint, in: Einheit 12/1947, S. 1122-1124. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd. 2, S. 354. Ebd., S. 357. Ltz., Im Brennpunkt deutscher Kulturprobleme. Schriftlicher Kommentar Melvin J. Laskys an die Verfasser, 30.11. 1991. Vgl. Rehmann, Unterwegs in fremden Träumen, S. 148.

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Laskys also rasch entworfenen und in der Nacht noch übersetzten Ausführungen über die Freiheit des Schriftstellers vermitteln - mit einigen kritischen Untertönen - ein durchaus positives Bild der Meinungsfreiheit in den USA; ihm hält er die schwierige, von Zensurbedingungen geprägte Situation der sowjetischen Künstler entgegen, die sich stets nach der neuesten Parteidoktrin zu richten hätten und mit ihrem künstlerischen Schaffen ein hohes persönliches Risiko eingingen. Er erklärte sich mit ihnen solidarisch und definierte die Rolle eines Schriftstellers unabhängig vom Gesellschaftssystem als eine per se oppositionelle. 111 Lasky ging indes mit keinem Wort auf die gerade zu jener Zeit in den USA aktuelle Verfolgung von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Kommunisten ein und erwähnte nicht die Verhöre zahlreicher Intellektueller, auch deutscher Emigranten, vor dem „Ausschuß für unamerikanische Aktivitäten", die nicht selten zu - meist kurzfristigen - Haftstrafen oder Entlassungen vom Arbeitsplatz führten. Begleitet wurden diese Vorgänge durch entsprechende Schlagzeilen in der Presse, etwa „Hollywood und Broadway als anti-amerikanische Brutstätten" bzw. als „Brutstätte der Roten". 112 Ebensowenig war in Laskys Rede von Restriktionen bei Buchpublikationen in der amerikanischen Zone die Rede. Lasky konzentrierte sich ganz auf die Zwangsverhältnisse in der Sowjetunion. Immerhin konnte er seinen Vorwurf der Unfreiheit des sowjetischen Künstlers und Intellektuellen begründen. Er belegte ihn anhand von drei Fällen. Von Sostschenko wußte Lasky mitzuteilen, daß der Autor als „giftiger Abschaum" exkommuniziert wurde. Der Regisseur Sergej Eisenstein hätte sich regelmäßig wegen mangelnder Berücksichtigung der ästhetischen Prinzipien der sozialistischen Kunst zu verantworten; die Werke des Philosophen Georgi Alexandrow seien als „sklavische Bewunderung westlichen Denkens" abgetan worden. In der Form waren diese Angriffe (notwendig) polemisch verallgemeinert, inhaltlich weisen sie - und dokumentieren damit den westlichen Informationsstand - im Detail mangelnde Kenntnis der genauen Sachverhalte auf, die im Lichte der Erwiderungen von sowjetischer Seite noch dargestellt werden. Laskys Provokation platzte genau in die Mitte der Tagung. Nach Hans Mayers Erinnerung ist sie gezielt dort eingebaut gewesen und sei planvoll abgelaufen. Plötzlich seien die Scheinwerfer und Mikrophone der westlichen Medien aufgebaut worden. 113 Da Lasky, der erst am Vorabend Angeworbene, jedoch nicht auf der Rednerliste stand und ihm von Birkenfeld, der an jenem Vormittag den Vorsitz innehatte, außerplanmäßig das Wort erteilt wurde, 114 erscheint es unwahrscheinlich, daß Laskys Auftritt von einem solchen Medienspektakel begleitet war. Dies setzte wohl erst nach seinem Auftritt ein. Die Mitglieder der sowjetischen Delegation und ihre Ausführungen Um das Auftreten der sowjetischen Delegierten nachzuvollziehen, müssen, was sowohl in der zeitgenössischen Berichterstattung als auch in späteren Darstellungen übergangen worden ist, Rolle und Funktion der Redner im Gefüge der bereits skizzierten sowjetischen Kulturpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg untersucht werden. 115 Erst auf diesem Hintergrund kann der Stellenwert 111 112 113 114 115

Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd. 2, S. 454ff. Vgl. z. B. Liebling, Hollywood im Verhör, S. 18. Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf, Bd. 1, S. 390. Vgl. Rehmann, Unterwegs in fremden Träumen, S. 148. Vgl. Kap. 2.2.

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ihrer Äußerungen gebührend eingeschätzt werden. 116 Die ins Ausland reisenden sowjetischen Schriftsteller mußten in erster Linie den Vorwürfen der Einschränkung geistiger Freiheit sowohl rationalisierend als auch offensiv - d. h. die Gegenseite dortiger Restriktionen beschuldigend begegnen. Im eigenen Lande befanden sie sich oft genug in einer Doppelrolle als Schriftsteller und Redakteur einerseits und Literaturfunktionär andererseits. 117 Nicht-Funktionäre waren in der Regel von Auslandsreisen, über die jeweils Rechenschaft vor der Auslandskommission des Schriftstellerverbandes abgelegt werden mußte, ausgeschlossen. Boris Gorbatow, der die Begrüßungsworte der sowjetischen Abordnung sprach, hatte seit 1946 den nach außen hin wenig repräsentativen, im Inneren des Apparats jedoch einflußreichen Posten des Sekretärs der Parteigruppe im Vorstand des Schriftstellerverbands inne, von dem aus er potentiell auch Fadejew als Generalsekretär des Verbandes kontrollieren konnte. 118 Er wird von Zeitzeugen als der intelligenteste der drei Gäste aus der UdSSR bezeichnet." 9 Einige kürzere Erzählungen sowie seine Kriegstagebücher waren zu jenem Zeitpunkt bereits in deutscher Sprache erschienen. 1945 hatte er als Soldat in Deutschland gekämpft. Der Dramatiker Wsewolod Wischnewski, dessen Stücke „Die Reiterarmee" und „Optimistische Tragödie" 1947 noch nicht in deutscher Übersetzung vorlagen, war stellvertretender Generalsekretär des sowjetischen Schriftstellerverbandes und zugleich Chefredakteur der Literatuizeitschrift „Snamja". In seiner ersten Funktion war er mitverantwortlich für den Ausschluß Sostschenkos und Achmatowas aus dem Schriftstellerverband (als Folge der Parteierlasse) und nahm sogar aktiv an der Kampagne gegen Sostschenko teil; 120 in seiner zweiten Funktion verhalf er dem Kriegsroman Viktor Nekrassows „In den Schützengräben von Stalingrad" zur Publikation, der die stets argwöhnisch beäugte Tradition der antiheroischen Literatur über den Zweiten Weltkrieg begründete. 121 Wischnewski als Funktionär steuerte auf dem Kongreß auf Konfrontationskurs, als er von der Zweiteilung der Welt in das Lager der Reaktion und das Lager der „Millionen einfacher Menschen, die für den Frieden leben", sprach und die deutschen Autoren aufforderte, sich nach dem Vorbild ihrer sowjetischen Kollegen zum zweiten Lager zu bekennen. 122 Sein Engagement als Schriftsteller schimmerte durch, als er von der Rettung auch deut116

Diese Analyse leistet auch Rehmann (Unterwegs in fremden Träumen, S. 152ff.) nicht. Sie geht zwar der Frage nach, ob Laskys „Schilderungen der Wahrheit entsprechen" (ebd., S. 155) - eine Frage, die sie im Blick auf die McCarthy-Aktivitäten verneint - , untersucht aber nicht den Gehalt der Ausführungen von sowjetischer Seite.

117 118

Vgl. das in Kap. 2.2 angeführte Fallbeispiel Alexander Fadejews. Fadejew gehörte als Parteimitglied automatisch der Parteigruppe des Vorstands an. Offenbar hatten sowohl die Existenz dieses Postens als auch die Besetzung mit Gorbatow sein Mißfallen erregt. Zwischen beiden Autoren bestanden schon in den 20er Jahren gewisse Rivalitäten als führende Persönlichkeiten der (dogmatischen) Allrussischen Assoziation proletarischer Schriftsteller (VAPP) bzw. (ab 1928) der Russischen Assoziation proletarischer Schriftsteller (RAPP). - Vgl. 2ukov, Fadeev, S. 256f.

119 120

Vgl. Gespräch mit Hans Mayer vom 15. 6. 1988. Vgl. Struve, Geschichte der Sowjetliteratur, S. 429, sowie Beiträge Wischnewskis auf Sitzungen, in Interviews und Briefen im Umfeld der Erlasse, veröffentlicht von: Sarnov/ Cukovskaja, Sluöaj Zoscenko, S. 69-86. Vgl. Svirskij, Na lobnom meste, S. 57. Nekrassow erhielt allerdings, von Stalin selbst vorgeschlagen, einen Stalin-Preis 2. Klasse für sein Werk. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd. 1, S. 318.

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scher Bücher in den Leningrader Bibliotheken vor den „faschistischen Bomben" erzählte. 123 Allerdings ist hier auch die offizielle, auf Lenin zurückgehende Theorie von den zwei Kulturen zu erkennen, die besagt, daß in jeder antagonistischen Gesellschaft ein Kampf der sozialistisch-demokratischen mit den konservativ-bürgerlichen Elementen stattfindet. Der Verweis auf gemeinsame Aufgaben und die Notwendigkeit eines geschlossenen Vorgehens läßt sich somit als Versuch einer Stärkung der .fortschrittlichen Kräfte' verstehen. Valentin Katajew war zu jenem Zeitpunkt im deutschsprachigen Raum der bekannteste der drei Delegierten. Seit 1934 im Präsidium des sowjetischen Schriftstellerverbandes, war er damals außerdem stellvertretender Chefredakteur der renommierten Literaturzeitschrift „Nowyj mir". Seine Rede war eine direkte Erwiderung auf Melvin Lasky, der später in einer Bemerkung Gorbatows des Trotzkismus beschuldigt wurde, was aus sowjetischer Sicht per definitionem mit einer feindlichen Einstellung gegenüber der UdSSR gleichgesetzt wurde. Katajew stellte Laskys Anschuldigungen auf seine Weise richtig und wurde dabei später von Gorbatow auf der Zusammenkunft nach dem offiziellen Tagungsende unterstützt. Auch hierbei kam es zu demagogischen Verkürzungen (deren Informationsgehalt näherer Erläuterung bedarf), die aber nicht nur taktisch zu verstehen waren, sondern auch die Überzeugung von der Überlegenheit des sozialistischen Gesellschaftssystems spiegeln. Ebenso wie Lasky richteten sich auch die sowjetischen Autoren nicht allein an den Vertreter der anderen Großmacht, sondern in erster Linie an die deutschen Zuhörer, um sie für ihre Darstellung zu gewinnen. Katajew versuchte Laskys Anklagen abzuwerten, indem er ihren Urheber als gänzlich unbekannt denunzierte. Alles gegen die Sowjetunion Vorgebrachte sei völlig erlogen. „Auch der verstorbene Dr. Goebbels hat sich derselben Mittel bedient in seiner Hetze gegen die Sowjetunion. Womit das endete, dürfte allen bekannt sein." 124 Katajews Replik gipfelte in der Äußerung, er sei froh, endlich einmal einen „leibhaftigen Kriegsbrandstifter" zu Gesicht bekommen zu haben. Es ist bemerkenswert genug, daß die Kriegsrhetorik ausschließlich von den sowjetischen Gästen und keineswegs von Lasky eingebracht wurde. A. Dymschitz übertraf in einem Artikel noch die Herabsetzung Laskys, indem er ihn als „Mensch von abstoßendem Äußeren" schilderte, dessen Rede „die eines der gefährlichsten Subjekte der Gegenwart, eines Anstifters zu einem neuen Krieg" sei. 125 Hier verwendet Dymschitz gleichsam ein Verfahren des sozialistischen Realismus: die auch äußerliche Brandmarkung eines negativen Helden zur Vervollständigung des Feindbildes. Aussagen dieser Art charakterisieren indes eher den Sprecher als den Adressaten. Im Geist des schon zitierten Appells sowjetischer Schriftsteller an ihre amerikanischen Kollegen unterstreicht Katajew im weiteren seine Verehrung gegenüber den großen amerikanischen Autoren und wendet damit die These von den zwei Kulturen innerhalb eines Landes auch auf die USA an. Von den drei in Laskys Rede genannten Einzelschicksalen greift Katajew nur den Fall Sostschenko heraus. Der Schlüsselsatz seiner Erwiderung lautet: „Sostschenko wurde bei uns kritisiert, weil in der Sowjet-Union als einem demokratischen Land und Staat Pressefreiheit herrscht." 126 Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle „Unruhe" im Saal. Daß die Kritik infolge der Parteierlasse einen kampagnenartigen Charakter trug und auch vor Beschimpfungen übelster 123 124 125 126

Ltz., Im Brennpunkt deutscher Kulturprobleme. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd. 2, S. 556. Alexander Dymschitz, Ein Provokateur ohne Maske, in: TR vom 11. 10. 1947. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd. 2, S. 557.

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Art nicht halt machte („die faule und verkommene gesellschaftlich-politische und literarische Physiognomie Sostschenkos" nl ) blieb vor dem internationalen Publikum ausgeblendet. Zur Widerlegung von Laskys Aussagen verweist Katajew auf „einige neue Erzählungen" seines kritisierten Kollegen und alten Freundes, 128 die auf seine Veranlassung hin in „Nowyj mir" erschienen seien. Gorbatow ergänzte später, daß man einen Wiederaufnahmeantrag Sostschenkos in den Schriftstellerverband erwarte. Den Ausschluß („nach langen und ernsten Erwägungen") begründet er (offensiv, aber abgemildert formuliert) mit Sostschenkos „anfechtbarem Verhalten" gegenüber den „schweren Prüfungen des Sowjetvolkes im Kriege". 129 Dymschitz schreibt, daß sich Sostschenko durch die Kritik auch zu einem neuen Stück angeregt fühlte. 130 Wie diese Darlegungen zu bewerten sind, geht aus der kurzen Fallstudie zu Sostschenko hervor. 131 Die prekäre Situation des Ausgeschlossenen, die sich daraus ergebende faktische Unmöglichkeit, etwas Eigenes zu publizieren - bei den von Katajew erwähnten Erzählungen handelte es sich ja lediglich um von Sostschenko „aufgeschriebene", ihm erzählte Partisanengeschichten - , all diese Sachverhalte fanden in den Beiträgen der sowjetischen Kulturträger keine Erwähnung, obgleich sie als hohe Funktionäre die Mechanismen ihrer heimischen Literaturpolitik bis ins Einzelne kannten, wenn auch insgeheim nicht immer billigten. Unabhängig von dem tatsächlichen Anteil Katajews an der Veröffentlichung der Paitisanengeschichten - K. Simonow als damaliger Chefredakteur von „Nowyj mir" schreibt in seinen Memoiren die Initiative und die dazugehörigen Demarchen sich selbst zu 132 - läßt sich an diesem Beispiel noch einmal die Ambivalenz in Rolle und Funktion der sowjetischen Autoren deutlich machen. Erst von einer einflußreichen Position aus war es möglich, gegen die Parteilinie einzelnen Personen zu helfen. Um diese Position zu halten, waren jedoch Zugeständnisse in anderen Bereichen erforderlich, wozu auch eine offensive und Sachverhalte verkürzt wiedergebende Außendarsteflung gehörte. 133 Ebenso kompromißlos wie Katajew im Falle Sostschenkos verteidigte Gorbatow das Vorgehen der Partei in bezug auf die Achmatowa. „Es ist keineswegs so, daß alle literarischen Erscheinungen vorbehaltlos hingenommen werden. Wir setzen uns mit ihnen auseinander und kamen in lebhaften Diskussionen zum Beispiel zur Ablehnung der Achmatowa, deren allzu ästhetische Verse dem Volksempfinden widersprechen." Dies bedeute jedoch nicht ihren „wirtschaftlichen Untergang", sie beziehe weiterhin ihre Pension, „und die scharfe Kritik spürt ihr Magen nicht". 134 An dieser Stelle wird „Heiterkeit" vermerkt, obwohl das Wort „Volksempfinden" ungute Erinnerungen hätte wecken müssen. Was dem Publikum vorenthalten wurde, ist, daß die „Diskussionen" ähnlich wie bei Sostschenko in persönliche Verunglimpfung ausarteten („halb Nonne, halb Dirne") und daß auch Anna Achmatowa einige Jahre zum Schweigen verurteilt 127 128 129 130 131 132 133

134

Shdanow, Über Kunst und Wissenschaft, S. 16. Vgl. Katajews autobiographischen Roman „Meine Diamantenkrone", S. 286ff. Gorbatow antwortete deutschen Schriftstellern, in: TR vom 10.10. 1947. Dymschitz, Ein Provokateur. Vgl. Kap. 2.2. Vgl. ebd. Wie am Beispiel Fadejews (in Kap. 2.2) deutlich gemacht wurde, schützte eine hohe Verbandsfunktion nicht vor Kritik an eigenen Werken. So mußte auch Katajew seinen Kriegsroman „In den Katakomben von Odessa" aus demselben Grunde wie Fadejew, nämlich wegen mangelnder Berücksichtigung der Partei, umarbeiten. Gorbatow antwortete deutschen Schriftstellern.

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war. 135 Infolgedessen mußte auch sie finanzielle Einbußen erleiden, was Gorbatow mit seinem infamen Scherz herunterzuspielen suchte. Geschickt verallgemeinerte er die Kampagne gegen die Lyrikerin, als er unterstrich, daß auch Strömungen wie Existentialismus und Surrealismus dem Volk fern lägen. Der Aufruf Katajews, die deutschen Autoren müßten „Volksschriftsteller im wahrsten Sinne des Wortes, das heißt den breitesten Massen veiständlich werden"136, läßt in diesem Kontext bereits erahnen, was im Falle von Abweichungen zu erwarten sei. Zu Eisenstein nimmt nur Dymschitz in seinem schon zitierten Artikel Stellung, begnügt sich aber - ähnlich pauschal wie Lasky - mit der Feststellung, daß eine Verteidigung überflüssig sei, da der Regisseur „in seinem Lande geachtet und geehrt" werde. Diese Aussage ist ambivalent, da sie offen läßt, von wem Eisenstein geachtet wird. Seit Anfang der 30er Jahre wurde ihm von der Partei rückwirkend der Vorwurf gemacht, daß er sich durch formale Experimente den Weg zu einer „gründlichen Analyse der Epoche" verstellt habe.137 Unter demselben Vorwand wurden 1937 die Dreharbeiten zu dem schon fast fertiggestellten Film „Die Beshin-Wiese" abgebrochen. Mit dem kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs vollendeten, visionären Werk „Alexander Newski" konnte sich Eisenstein schließlich rehabilitieren. Die 1946/47 aktuellen Vorwürfe richteten sich gegen das Bild Iwans des Schrecklichen besonders im zweiten Teil seines gleichnamigen Films, das nicht mehr der damals von Stalin initiierten Neuinterpretation dieser Gestalt entsprach. Der erste Teil des Films war bereits 1945 herausgekommen und mit einem Stalinpreis ausgezeichnet worden. Der zweite Teil konnte erst 1958, zehn Jahre nach Eisensteins Tod, in einer leicht veränderten Fassung gezeigt werden.138 Eisenstein ist also ein Beispiel für das der sowjetischen Kulturpolitik häufig eigene Nebeneinander von Wündigung und Demütigung, ein Vorgang, der in der Kontroverse der Großmächte auf dem Kongreß außen vor bleiben mußte. Die Nennung Georgi Alexandrows in Laskys Aufzählung zeigt, daß er Personen von ganz unterschiedlichem gesellschaftlichem Status auf eine Ebene stellte, möglicherweise in Unkenntnis dieses Sachverhaltes. Alexandrow war bis Juni 1947 Leiter der Propaganda-Abteilung des ZK der KPdSU, hatte also einen höchst einflußreichen Posten inne, was, wie Gorbatow betonte, „nicht ausschloß, daß man sein Buch kritisierte und er gelegentliche Irrtümer einsah".139 Es handelte sich bei dem beanstandeten Werk um ein Lehrbuch zur „Geschichte der westeuropäischen Philosophie", dessen Verfasser man u. a. der Mißachtung der dialektisch-materialistischen Methode bei der Darstellung philosophischer Schulen und Strömungen und der „Beweihräucherung" bürgerlicher Philosophen bezichtigte.140 Außerdem habe er den Einfluß Hegels und anderer westlicher Denker auf die russische Geistesgeschichte überschätzt bzw. die Rolle der russischen Philosophie herabgemindert,141 ein Argument, das bereits auf die Anfang 1949 einsetzende Kampagne gegen den Kosmopolitismus verweist. Der gesamte ideologische Gdialt der Lehrwerkkritik kam bei Gorbatow nicht zur Sprache, ebensowenig wie der Sachverhalt, daß 135 136 137 138 139 140 141

Vgl. Kap. 2.2. L., Der Dichter und seine Verantwortung. So heißt es z. B. in der Großen Sowjetenzyklopädie von 1932. Hier zit. nach: Weise, Sergej M. Eisenstein, S. 99. Vgl. dazu Uhlenbruch, The Annexation of History, S. 266-287. Gorbatow antwortete deutschen Schriftsteilem. Shdanow, Über Kunst und Wissenschaft, S. 80-114, bes. S. 92. Struve, Geschichte der Sowjetliteratur, S. 443. Ausführlicher dazu Hahn, Postwar Soviet Politics, S.68-78.

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Alexandrow eine Figur in dem Machtkampf zwischen Shdanow und Malenkow war, von ersterem zunächst unterstützt, dann öffentlich herabgesetzt wurde. 142 Alexandrow wurde zur gründlichen Umarbeitung seines Lehrbuchs aufgefordert, das 1946 zunächst mit einem Stalin-Preis ausgezeichnet worden war. Zugleich verlor er seinen ZK-Posten und wurde statt dessen zum Direktor des Instituts für Philosophie ernannt. Auch diesen Vorgang verschwieg Gorbatow. Diese Art minimalisierter Antworten läßt sich nicht mehr allein mit den bereits erwähnten ,Sachzwängen' bei der Außendarstellung sowjetischer Kulturpolitik erklären, sondern charakterisiert auch das Verhältnis zu den deutschen Schriftstellerkollegen als das eines Lehrers zu seinen Schülern, denen nicht alle Hintergrundinformationen und Kenntnisse von kultur-, ideologie- und machtpolitischen Zusammenhängen anzuvertrauen sind. 3.1.3

Pressereaktionen

Der Streit war Symptom des ausbrechenden Kalten Krieges. Daß ein Erwachen aus der Illusion alliierter Harmonie bevorstand, war der Mehrzahl der Anwesenden wohl bewußt, wie die fast beschwörende Ermahnung Günter Weisenborns im Namen des Gesamtvorstands verdeutlicht: „Unsere ausländischen Gäste sprechen außerhalb der Tagesordnung und es steht uns nicht zu, an ihren Äußerungen Kritik zu üben." 143 Doch war ob der Vehemenz des Vorgebrachten nicht einfach zur Tagesordnung zurückzukehren. Und gegen diesen Aufruf, sich aus dem Konflikt herauszuhalten, setzte Wolfgang Langhoff als Hausherr der Kammerspiele pathetisch: „Unsere Stunde der Parteilichkeit ist gekommen." Das Presseecho spaltete sich entsprechend auf. Vorher hatten die Zeitschriften Ost- wie Westberlins ausführlich und sachlich über den Kongreß berichtet. Das Zentralorgan der SED „Neues Deutschland" und die Tageszeitung der sowjetischen Besatzungsmacht „Tägliche Rundschau" brachten ausführliche Berichte mit detaillierter Wiedergabe der einzelnen Reden. Die in Potsdam verlegte russischsprachige Tageszeitung für die sowjetische Besatzungsmacht „Sowjetskoje slowo" verwendete für ihre Leser allerdings ungebrochen die Diktion der sowjetischen Literaturpolitik jener Zeit, wenn sie vom Kampf der „überwältigenden Mehrheit der demokratischen Schriftsteller" mit „reaktionären Schriftstellern" sprach, die „unter der Maske des Ästhetizismus, der apolitischen Einstellung und der,reinen' Kunst" aufträten. 144 Die britisch, französisch bzw. amerikanisch lizensierten Zeitungen „Telegraf, „Kurier" und „Tagesspiegel" äußerten zwar Vorbehalte bezüglich der massiven Förderung des Kongresses durch die Sowjets und die Übermacht von Autoren ihrer Einflußsphäre 145 ; auch wurde besorgt die unterschiedliche semantische 142

143

144 145

Es ist unwahrscheinlich, daß Gorbatow von all dem nichts wußte, da die gesamte Diskussion in der Zeitschrift „Voprosy filosofii" (1/1947) publik gemacht worden war. - Vgl. Hahn, Postwar Soviet Politics, S. 74ff. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd. 2, S. 558. Später kommentierte Weisenbom sein Votum: „Als Leiter der Sitzung schlug ich vor, diesen politischen Konflikt den Siegern in der Bel-Etage der Welt zu überlassen. Es sei besser für die Tagung, echte Fachgespräche im deutschen Souterrain fortzusetzen." - Weisenborn, Der gespaltene Horizont, S. 67. Pervyj s-ezd nemeckich pisatelej; Na s-ezde nemeckich pisatelej, in: Sovetskoe slovo vom 7. 10. und 8. 10. 1947. Vgl. E. Montijo, „Verniemandung". Zum „Ersten Deutschen Schriftstellerkongreß", in: Tagesspiegel vom 8. 10. 1947.

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Besetzung zentraler Vokabeln registriert:, Jeder meinte seinen Frieden, seine Freiheit, seine Art der Völkerverständigung, seine Weltordnung." 146 Dennoch war die Berichterstattung zunächst durchaus wohlwollend. Nach dem Eklat griffen „Neues Deutschland" und „Tägliche Rundschau" sofort vehement Lasky an - „Sowjetskoje slowo" hob die Proteste des Publikums hervor - und gaben ausführlich die sowjetischen ,Widerlegungen' der Anschuldigungen des Amerikaners wieder, ohne daß letztere im Wortlaut bekannt gemacht worden wären. Dies unternahm ihrerseits die Westpresse, die Lasky auch Raum für eine Erwiderung der gegen ihn gerichteten Artikel gab. 147 Die sowjetische Seite und die SED-Presse warfen Lasky vor, während des Krieges aufgrund seiner (trotzkistischen) Gesinnung Versuche unternommen zu haben, das amerikanisch-sowjetische Bündnis unter Roosevelt zu boykottieren und nunmehr die antisowjetische Politik Trumans zu unterstützen. 148 Ein die amerikanische Innenpolitik betreffender Punkt sei herausgegriffen. Bei Dymschitz heißt es: „[...] er erwies sich als eine Kreatur der Bande von Ruth Fischer, die ihre beiden Brüder, den Sozialisten Gerhart Eisler und den Komponisten Hanns Eisler, die als deutsche Antifaschisten bekannt waren, den amerikanischen Gefängniswärtern auslieferte." 149 Bereits während der Rede Laskys hatte es einen Zwischenruf „Hanns Eisler" gegeben. 150 Ruth Fischer war 1926 wegen „Linksabweichung" aus der KPD ausgeschlossen worden. Sie hielt sich, ebenso wie ihre Brüder, im amerikanischen Exil auf. Es heißt, daß sie nach dem Krieg aktiv zur Belastung von Gerhart Eisler, einem hohen KPD- und Komintern-Funktionär, als eines „Agenten Moskaus" beigetragen hatte. Als Folge davon wurde auch Hanns Eisler, der sich ausdrücklich nicht von seinem Bruder distanziert hatte, Ende September 1947, also kurz vor dem deutschen Schriftstellerkongreß, von dem besagten „Ausschuß für unamerikanische Aktivitäten" auf seine eigene politische Einstellung hin verhört. 151 Vorgehalten wurden ihm vor allem seine proletarischen Kampflieder. Die ,GesinnungsUberprüfung' von Hanns Eisler wurde in dem kulturpolitischen Schlagabtausch zwischen Ost und West gleichsam als Gegenargument zu Sostschenko u. a. ins Spiel gebracht. Neben die oben erwähnte persönliche Verunglimpfung Laskys trat die politische: durch den Vorwurf politischen Abweichleitums (Trotzkismus) und der .Bandenzugehörigkeit', ein Begriff aus dem kriminellen Milieu. Schon in der zeitgenössischen Rezeption wurde der Konflikt zwischen den beiden Großmächten als die eigentliche Sensation des Kongresses begriffen. Die deutschen Autoren, so ein Artikel im „Kurier", seien unfähig gewesen zum „würdigen Streit". Vor allem die Damen hätten gern,kleine Predigten", reich an unangreifbaren Vokabeln, gehalten. 152 Den rhetorisch geschulten sozialistischen Autoren sei kein Paroli geboten worden. Der östliche Vorwurf einer „allzu abstraktefn] 146 147 148 149

150 151 152

Ebd. Dt., „Lasky und andere", in: Tagesspiegel vom 11. 10. 1947. Z. B.: Rudolf Feistmann, Lasky und andere. Ein Schlußwort, in: ND vom 9. 10. 1947; Dymschitz, Ein Provokateur. Dymschitz, Ein Provokateur. Lasky bemerkt in seinem schriftlichen Kommentar an die Verfasser vom 30. 11. 1991, daß er Ruth Fischer zu diesem Zeitpunkt gar nicht gekannt und erst Jahre später ihre Bekanntschaft gemacht habe. Weil, Babylon Berlin, S. 22. Vgl. Scherbera, Hanns Eisler, S. 94ff.; Wer war Hanns Eisler?, S.121ff. Cro., Wer hindert uns?, in: Kurier vom 8. 10. 1947.

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Fassung der herkömmlichen Begriffe von Menschlichkeit und bürgerlicher Humanitas" war gegenüber den bürgerlichen' Autoren, wie ein Artikel in der „Neuen Zeitung" einräumt, nicht unberechtigt. 153 „Immer gaben ausländische Gäste die Alarmzeichen", so der „Kurier". „Der Gegensatz der großen Mächte zeichnete sich ab. Den Deutschen aber blieb meist nur ein Händeklatschen oder drohendes ,Hört, hört!'." 154 Auch ein Bericht im „Tagesspiegel" verzeichnet, daß der Kongreß „sein reales Leben nicht durch die geistige Auseinandersetzung zwischen deutschen Schriftstellern, sondern durch die politische zwischen den Sprechern der alliierten Mächte" gewann. 155 Wenn hier die Redner aus den USA und der Sowjetunion pauschal zu deren Sprechern erklärt werden, so zeigt dies, daß Laskys Positionen ohne weiteres mit denen der amerikanischen Besatzungsmacht gleichgesetzt wurden. Diese Übereinstimmung bestand jedoch nach Laskys Bekunden nicht: „In the ensuing weeks after the 'scandal' in the Kammeispiele I was often enough told by high U.S. officials that my appearance, even as a private American journalist with no official standing, was ill-advised, ill-considered, ill-timed and boded nothing but future ills for Beriin, for peace, for U.S. policy ... and for me." 156 Peter Coleman bestätigt: „The U.S. authorities, eager to maintain postwar 'Allied harmony', considered expelling Lasky from Berlin."157 Die Schlußberichte in der Presse waren durchaus versöhnlich. In einem Bericht etwa der „Leipziger Volkszeitung" wurden die gemeinsame Forderung „Einheit unseres Kunstwillens, Kampf für den Frieden" und die „Ansatzpunkte einer geistigen Klärung" hervorgehoben.158 Die politischen Querelen fanden keine Erwähnung. Auch ein Artikel im „Start" ging darüber hinweg; die Mängel und Unzulänglichkeiten hätten es nicht vermocht, „das schöne Licht" zu verdunkeln.159 Der Kommentator des „Tagesspiegel" überschrieb seinen Bericht „Versöhnung im Streit" 160 . Schließlich habe man eine Reihe gemeinsam getragener Beschlüsse gefaßt: Die Emigranten seien zu rehabilitieren; Rudolf Leonhards Anregung zur Gründung einer neuen deutschen Akademie wurde einem Koordinationsausschuß übergeben; von Verlegern und dem Schutzverband Deutscher Autoren sollte ein Heine-Preis gestiftet werden. Einmütig war auch das Manifest gegen den Antisemitismus angenommen worden. 161 Und nicht zuletzt Ricarda Huch habe Hoffnung auf ein Fortwirken des Guten erweckt, das auch in der Versammlung lag. Es ist aufschluß153 154 155 156 157 158 159

160 161

Arnold Bauer, Zweierlei Sprache. Zum ersten deutschen Schriftstellerkongreß, in: Die Neue Zeitung vom 10. 10. 1947. Cro., Wer hindert uns? Dt., „Lasky und andere". Schriftlicher Kommentar, 30. 11. 1991. Coleman, The Liberal Conspiracy, S. 4. H.-R., Erster deutscher Schriftstellerkongreß, in: Leipziger Volkszeitung vom 9. 10. 1947. Kurt Heyer, Erster deutscher Schriftsteller-Kongreß, in: Start vom 10. 10. 1947. Das „Neue Deutschland" und die „Tägliche Rundschau" formulierten dagegen scharf die Alternative zwischen „neuen Kriegshetzern" und den „Verteidigern des Friedens". - Vgl. Alexander Abusch, Schriftsteller suchen den gemeinsamen Weg. Schlußbemerkungen zum ersten Deutschen Schriftstellerkongreß, in: ND vom 12. 10. 1947. E. Montijo, in: Tagesspiegel vom 9 .10. 1947. Weisenborn schätzte später die drei gemeinsamen Entschließungen, die „emsig gearbeitete[n] Manifeste" als „Ethik auf Goldbrokat, edel und umständlich", ein. - Weisenborn, Der gespaltene Horizont, S.67.

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reich, daß selbst Hans Mayer als einer der Kongreßredner in seinen Pressebeiträgen die Kontroverse aussparte. Die deutschen Schriftsteller, so Mayer, hätten ihre politischen Möglichkeiten ausgeschöpft: „[...] in ihrem eigenen Bewußtsein fühlten sie sich als Mitarbeiter an einer großen und erfolgreichen nationalen Arbeit der Einigung". 162 Es überwog die Hoffnung auf Verständigung; auch wenn man die Spaltungstendenzen wahrnahm, wollte man sie nicht wahrhaben. Zu bedrohlich zeichnete sich - gerade für die Viermächtestadt Berlin - ein Szenario der Feindschaft, ja eines drohenden neuen Krieges zwischen den ehemals Verbündeten ab. Stillschweigend gingen daher nicht wenige Berichterstatter über die Streitfälle des Kongresses hinweg. Lediglich „Sowjetskoje slowo" betonte die „Mißerfolge" bzw. das „Scheitern der Reaktion" bei dem Versuch, „die deutsche Literatur zu beeinflussen". 163 3.1.4 Nachspiel Gorbatow beklagte zwar in einem Schlußwort den Versuch ,,veischiedene[r] Kräfte", auf die deutschen Schriftsteller einzuwirken, obwohl „die Sache der deutschen Literatur [...] die Sache der deutschen Schriftsteller sei", in die man sich nicht einmischen solle, doch ließ er dann die These von den zwei Lagern, die das Bekenntnis der Zugehörigkeit forderten, folgen: „Es gibt eigentlich doch zwei Lager, ein gewaltiges Lager der Demokratie und ein kleines Lager der Reaktion. [...] Und jeder von uns muß für sich selbst entscheiden, in welchem Lager er steht."164 Noch waren solche Forderungen für die deutschen Zuhörer kein verbindlicher Befehl. Und nur der genaue und geschulte Beobachter konnte erkennen, mit welcher Geschlossenheit und Präzision die sowjetischen Delegierten die neuesten Richtlinien der Politik vertraten. Doch schon bald sollte auch in Deutschland der Kalte Krieg die Hilfestellung der Kultur für den Politikbereich verlangen. Die SED begann unmittelbar nach dem Kongreß mit der organisatorischen Weichenstellung. Bereits am 23. Oktober fand unter Leitung Anton Ackermanns „eine Sitzung führender parteigenössischer Schriftsteller" (neben Abusch, Becher, Harich, Kantorowicz, Renn und Weinert war auch Dymschitz anwesend 165 ) statt. Die Analyse des Schriftstellerkongresses hätte die Notwendigkeit gezeigt, „alle in der Zone ansässigen parteigenössischen Schriftsteller zusammenzufassen, um unseren Einfluß im Schutzverband deutscher Autoren zu stärken. Bei kommenden Kongressen, aber auch in der Arbeit des Vorstandes des Schutzverbandes müssen unsere Genossen stärker und besser vorbereitet in Erscheinung treten als bisher." 166 Im Dezember 1947 162 163

164 165 166

Hans Mayer, Nach der Tagung: Das Gespräch muß weitergehen, in: Für Dich vom 19. 10. 1947; vgl. Mayer, Macht und Ohnmacht des Wortes, S. 179ff. Valentin Kataev o vsegermanskom s-ezde pisatelej, in: Sovetskoe slovo vom 17. 10. 1947, und Grigor'ev, Za mir. Diese Art der Darstellung kann jedoch auch die Funktion gehabt haben, den sowjetischen Besatzungssoldaten die Fortschritte beim „demokratischen Neubeginn" in der sowjetischen Besatzungszone nahezubringen und damit gegebenenfalls negative Einstellungen zu korrigieren. Die gesamte Berichterstattung dieser Zeitung über das kulturelle Leben der sowjetischen Besatzungszone weist in diese Richtung. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd. 2, S. 714. Anwesenheitsliste Schriftsteller-Sitzung 23. 10. 1947. - SAPMO: ZPAIV 2/906/254. Rundschreiben an den Landesverband Berlin und die einzelnen Landesvorstände vom 31. 10. 1947. SAPMO: ZPA IV 2/906/254.

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und im April 1948 folgten daraufhin Tagungen der parteigenössischen Schriftsteller.167 Von Seiten des Parteivorstands, der mit seiner Entschließung vom 7. Februar 1948 „Intellektuelle und Partei" 168 der Forderung nach Klärung des beiderseitigen Verhältnisses aus seiner Sicht nachgekommen war, wurden diese Versammlungen genutzt, um die SED-Schriftsteller stärker der Partei zu verpflichten. Klaus Gysi, exponierter SED-Mann im Kulturbund und Chefredakteur der Zeitschrift „Aufbau", vertrat im April 1948 nachdrücklich diese Linie: „Für einen Blau-Blümchen-Sozialismus ist heute kein Raum mehr. Viele stehen noch neben den klaren Auseinandersetzungen unserer Tage, sie haben noch nicht verstanden, wo die Kernfragen der geistigen Auseinandersetzung liegen. Wir müssen frontal in die ideologischen Probleme stoßen."169 Zugleich klagte er aber, was zu jenem Zeitpunkt gerade noch möglich war, als Gegenleistung, ein größeres Verständnis der Parteistellen gegenüber der schöpferischen Arbeit und eine Verbesserung der Literaturkritik in der Parteipresse ein: „Die Feuilletons unserer Zeitungen dürfen keine Schulungsbriefe sein. Der Funktionärsstil, die Ausdrucksweise unserer Presse isolieren uns vom Volke. Für den deutschen Leser sollte man nicht im Prawda-Stil schreiben."170 Ungeachtet dieses Appells vollzog die Parteiführung indes zielstrebig und vorrangig den Übergang zur Offensive, die sich letztlich im Paradigmenwechsel von Loyalität zu aktivem Engagement, von der Suche nach breitem Konsens zur Zuspitzung und Entscheidungspflicht manifestierte. Eine wesentliche Plattform dieser neuen Orientierung stellte die Friedensprogrammatik dar, deren Hintergründe und Bedingungen im folgenden Kapitel analysiert werden. Die verquere Koexistenz mit dem Schutzverband Deutscher Autoren wurde durch die Gründung des Deutschen Schriftstellerverbandes im Kulturbund praktisch aufgekündigt,171 die im Rahmen des II. Schriftstellerkongresses 1950 erfolgte. Im Juni 1952 konstituierte sich der Schriftstellerverband als Einzelorganisation.172 Zur Erfüllung der kulturpolitischen Aufgaben sei die Herauslösung aus dem Kulturbund unabdingbar gewesen. 173

167 168 169 170

Protokolle in: SAPMO: Z P A I V 2/906/254. Um die Erneuerung der deutschen Kultur, S. 208-213. SAPMO: ZPA IV 2/906/254. Protokoll der Tagung parteigenössischer Schriftsteller am 8. und 9. April. - SAPMO: ZPA IV 2/906/254. Vgl. auch Kap. 5.3.3. - Diese Frage beschäftigte übrigens auch das Sowjetische Informationsbüro, zuständig für die Belieferung sowjetischer Presseorgane im Ausland - in der SBZ z.B. der „Täglichen Rundschau" - und ausländischer Zeitungen. In einer Sitzung vom 17. 5. 1946 wurde die Forderung gestellt, die Form der Zeitungsartikel den jeweiligen Landesgewohnheiten anzupassen („sonst werden sie nicht gelesen") und selbstkritisch festgestellt, daß die „sowjetische Terminologie" noch überwiege. - GARF 8581/1/179.

171

Die Gründung des Schriftstellerverbandes sei „ohne die geringste Fühlungnahme" mit dem alten SDA erfolgt. - Karl Grünberg, Memorandum über den derzeitigen Stand des Schutzverbandes deutscher Autoren und seine Perspektiven, September 1950. - AdK: ASV 037. Vgl. die kritische Einschätzung des SDA (und auch Grünbergs) in zwei Berichten über die Lage im Schutzverband Deutscher Autoren vom 18. u. 20. 6. 1951. - SAPMO: ZPA IV 2/906/271.

172

Vgl. den Aktenbestand „Materialien zur Gründung des Deutschen Schriftstellerverbandes". - AdK: ASV 035. Vgl. Plattform zur Vorbereitung des Schriftstellerkongresses 22.-25. Mai 1952. - AdK: ASV 003.

173

Der Kalte Krieg als entscheidender Faktor des literarischen Lebens

3.2

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Der Wroclawer Kongreß (1948) und die Friedensbewegung: Stalinisierung mittels Friedenskampf

3.2.1 Intentionen und Erwartungen

Der Verlauf des I. Deutschen Schriftstellerkongresses im Oktober 1947 und die Streitigkeiten in seinem Umfeld hatten bloßgelegt, daß die Bündnisstrategie unter antifaschistisch-demokratischem Vorzeichen von der realpolitischen Entwicklung de facto bereits überholt war. Die Programmatik des Zusammenwiikens aller aufbauwilligen Kräfte wurde im Zuge der Zwei-Lager-Theorie Shdanows durch die Forderung abgelöst, Position zu beziehen und sich zum sozialistischen Lager zu bekennen. Es galt nunmehr die Opposition Imperialismus - Kriegshetze Kulturlosigkeit versus Sozialismus - Verteidigung des Friedens und der Kultur. Mit Ablehnung der nunmehr gewünschten politischen Festlegung bei den bürgerlichen Intellektuellen war zu rechnen. Um deren Vorbehalte und Widerstände (auch in den anderen volksdemokratischen Staaten) aufzufangen, mußte der Sowjetunion daran gelegen sein, eine neue, veränderte Basis für das Engagement der Intelligenz zu finden und sie, wenn auch auf Umwegen, in ihre Politik einzubinden. Angesichts der Blockbildung mitsamt der zugehörigen ideologischen und militärischen Aufrüstung und des zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden amerikanischen Monopols bei der Herstellung der Atombombe bot sich für diese Aufgabe der Kampf um den Erhalt des Friedens an. Mit dem Aufruf an Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler, ihre Arbeit in den Dienst des Friedens zu stellen, wurde eine breite Plattform geschaffen, mit der sich auch .zögerliche Intellektuelle' identifizieren konnten. Der Wrodawer Kongreß vom 25.-28. August 1948 vereinigte erstmals Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler vieler, auch kapitalistischer Länder unter diesem Nenner. Die Funktionalisierung des Kongresses für einen ideologisch aufgeladenen „Friedenskampf" erfolgte allerdings, womöglich gegen den Willen seiner Planer, erst während der Veranstaltung und im Anschluß an sie. Offiziell nannte sich die Veranstaltung „Kongreß der Intellektuellen zur Verteidigung des Friedens" und knüpfte mit dieser Namensgebung an die Schriftstellerkongresse von Paris (1935) und Madrid (1937) an: 174 War es damals, so sollte wohl durch die Bezugnahme suggeriert werden, um die Verteidigung der Kultur angesichts der Bedrohung durch den Faschismus gegangen, so stehe nun die Rettung des Friedens vor der Gefährdung durch den,Imperialismus' auf der Tagesordnung. Zwar hatte es schon in der Volksfrontbewegung der 30er Jahre Tendenzen gegeben, alle Spielarten der Literatur, die mit dem 1934 definierten sozialistischen Realismus nicht vereinbar waren, auszugrenzen, doch konnte sich damals auch das Bestreben behaupten, eine Vielzahl an ideologischen und künstlerischen Auffassungen zuzulassen.175 Von daher stellte sich das Anschließen in der Titelgebung an die Pariser Veranstaltung 1948 bereits als unzeitgemäß heraus, denn der Wroclawer Kongreß sollte sich, wie Hans Mayer in seinen Erinnerungen festhält, als 174 175

Diese Traditionslinie betont: Alexander Abusch, Der neue Weltbund des Geistes. Deutsche Vertreter auf dem Weltkongreß in Wroclaw, in: ND vom 21.8. 1948; ders., Mit offenem Visier, S. 239. Vgl. Die Expressionismusdebatte, S. 1 lff.

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das „Große Religionsgespräch" 176 , also die Bekenntnisformulierung von Glaubensvertretern, erweisen. Schon in der damaligen Presseberichterstattung und dann auch in den verschiedenen Memoiren spielt denn auch die eigentliche Kongreßbezeichnung keine Rolle, sondern die Wrodawer Tagung wird - der Logik der Ereignisse entsprechend - in einen Zusammenhang mit der Weltfriedensbewegung gerückt, die durch die Tagungen in Paris und Prag 1949 offiziell ins Leben gerufen wurde. Das Prinzip der damit eingeleiteten Friedensbewegung war, die Intelligenz des östlichen Lagers auf die entsprechende Programmatik einzuschwören und nach Möglichkeit Intellektuelle weltweiter Prominenz zu gewinnen. Tatsächlich konnte man Künstler wie Picasso, Neruda und Aragon für ein Engagement aktivieren. Offiziell abverlangt wurde ihnen lediglich die Zustimmung zum internationalen Friedenskampf, aber diese ließ sich diskret natürlich auch als prosowjetisches Bekenntnis auf dem Sektor der Politik und Kulturpolitik vereinnahmen. Die zahlreichen Tagungen, die veranstaltet wurden, dienten weniger als Austragungsort hitziger Debatten, denn als Foren für die Abgabe von Voten Gleichgesinnter. 1948, in Wroclaw, kristallisierten sich diese Prinzipien erst heraus. Noch verknüpften die verschiedenen Beteiligten höchst unterschiedliche Zielsetzungen mit dem Kongreß. Der Vorschlag für seine Einberufung stammte von dem polnischen Journalisten und damaligen Leiter des polnischen Staatsverlages Jerzy Borejsza, der mit ihm die Hoffnung internationaler Verständigung 177 und der Aufwertung der polnischen Präsenz in den vorher deutschen Ostgebieten verband. 178 Das Zustandekommen des Kongresses als Ergebnis der Planung eines französisch-polnischen Initiativkomitees war also zunächst ein Erfolg für das Renommee Polens. Daß die polnische Presse mit Extraausgaben und Sondernummern reagierte und eine viersprachige Kongreßzeitung herausgeben wurde, unterstreicht den Prestigewert der Veranstaltung für Polen. Daher fürchtete Borejsza nichts so sehr wie ein Scheitern des Vorhabens in letzter Minute aus innen- und außenpolitischen Gründen und hoffte auf eine hochrangige sowjetische Delegation. 179 Zwar schickte die Sowjetunion in der Tat namhafte Abgeordnete nach Wrodaw (u. a. die Schriftsteller Fadejew, Ehrenburg, Scholochow und Leonow, den Filmregisseur Pudowkin, den Komponisten Chrennikow und die Wissenschaftler Bardin, Palladin, Mestschaninow und Tarle), aber deren Auftreten enttäuschte die Erwartungen, gefährdete sogar den gesamten Ablauf des Kongresses. Offenbar hatten sie Instruktionen erhalten, die, wenn nicht auf eine Sprengung der Veranstaltung, so doch auf ihre rigorose Einpassung in den von sowjetischer Seite ab Herbst 1947 propagierten Konfrontationskurs abzielten. 180 Aus dem Protokoll einer Sitzung der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbandes Anfang 1948 geht hervor, daß für Juli desselben Jahres ein internationaler Kongreß von Schriftstellern aus den Volksdemokratien, unter Einbeziehung „fortschrittlicher" Autoren aus kapitalistischen Ländern, in Stalingrad geplant war, also einem ebenso geschichts- und 176 177 178

179

Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf, Bd. 1, S. 402. Vgl. das Gespräch mit Jakub Berman, einem hochrangigen Funktionär der Kommunistischen Partei Polens, in: Toranska, Die da oben, S. 288f. Zu gleicher Zeit fand in Wroclaw eine „Ausstellung der Westgebiete" statt. - Arthur Reiß-Reinfeld, Intellektuelle in Breslau. Weltkongreß der Kulturschaffenden - Polens „Erfolg", in: Die Welt vom 26. 8. 1948. So äußerte er sich in einem Brief an Berman. Gespräch mit Jakub Berman, S. 288f.

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symbolträchtigen Ort wie Wrociaw. 181 Unter Bezugnahme auf die seit 1934/35 bestehende Tradition der Vereinigung fortschrittlicher Schriftsteller stellte man angesichts vermeintlich reaktionärer Tendenzen im internationalen PEN-Club die Notwendigkeit zur Schaffung einer neuen Vereinigung demokratischer und fortschrittlicher Schriftsteller heraus. Die Durchführung eines entsprechenden Kongresses mit der ausdrücklichen Ausrichtung gegen Kriegshetzer sollte beim ZK der KPdSU beantragt werden. Die vorgesehenen Themen waren zumeist enger formuliert als in Wrociaw: Aufgaben der Schriftsteller im Kampf um Frieden und gegen die Kriegshetzer (von einem Vertreter der UdSSR); fortschrittliche Literatur nach dem Krieg, das Wesen des sozialistischen Realismus, „Pressefreiheit" im Westen, „reine Kunst"; Organisatorisches zur Institutionalisierung der neuen Vereinigung. Aus Deutschland sollten Anna Seghers, Johannes R. Becher, Ludwig Renn und Erich Weinert eingeladen werden. Sicherlich hätte die sowjetische Parteiführung diesen Kongreß auch um den Preis einer erzwungenen Absage der Wrodawer Veranstaltung durchgesetzt, wenn sie ihn im Endeffekt gewollt hätte. Dies um so mehr, als zu jener Zeit (in Übereinstimmung mit dem damaligen aktuellen Stand der sowjetischen Literaturpolitik 182 ) der polnische Schriftstellerverband innerhalb der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands heftig wegen „Verbeugung" vor der westlichen, vor allem der französischen „dekadenten" Literatur (namentlich Sartre) kritisiert wurde. 183 Gerügt wurde auch das große polnische Interesse an Vertretern der „reinen Kunst", wie Anna Achmatowa, Marina Zwetajewa, Ossip Mandelstam, Michail Kusmin und Boris Pasternak, also Autoren, die zu jener Zeit in der Sowjetunion auf dem Index standen. Die (.eigentliche') Sowjetliteratur sei hingegen unterrepräsentiert. 184 Ein Dorn im Auge war auch der Einfluß katholischer Schriftsteller und die für unzulässig erachtete Herausgabe religiöser Literatur. Daß dennoch der französisch-polnischen Unternehmung der Vorzug gegeben wurde vor der intern geplanten, lag vermutlich daran, daß Wrociaw zentraler gelegen war (der Kongreß somit stärker nach Westen wirken konnte) und neutraler wirkte. Gerade für viele Gäste aus dem Westen mochte Wrodaw unverfänglicher gewesen sein als das im Machtzentrum des Kommunismus befindliche Stalingrad.

180

Berman gab an, daß diese Instruktionen von Shdanow erteilt worden seien (Gespräch mit Jakub Berman, S. 289). Shdanow war indes schon seit Anfang Juli, also knapp zwei Monate vor seinem Tod, von der politischen Bühne abgetreten, nachdem seine öffentlichen Auftritte mit Beginn des Jahres 1948 immer seltener geworden waren. - Vgl. Hahn, Postwar Soviet Politics, S. 94. Sein Fall war nicht zuletzt Folge von Stalins Bruch mit dem von Shdanow favorisierten Jugoslawien. Die von ihm vertretene, aber wohl von Stalin sanktionierte Zwei-Lager-Theorie (vgl. Loth, Stalins ungeliebtes Kind, S. 109) wurde auch ohne ihn weiter aufrechterhalten. Es ist eher unwahrscheinlich (und sachlich eben auch nicht zwingend), daß Shdanow, bereits in Ungnade gefallen und krank, in einer für die Sowjetunion so wichtigen Angelegenheit der Delegation persönlich Anweisungen erteilt hat. Er starb wenige Tage nach Ende des Wroclawer Kongresses.

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Vgl. RGALI631/14/74. Dort auch zu den folgenden Ausführungen. Vgl. Kap. 2.2. Vgl. RGALI 631/14/74. Dies auch mit Blick auf die Lage in den anderen Volksrepubliken. In den letzten zweieinhalb Jahren, d. h. seit Kriegsende, seien in Bulgarien, Jugoslawien und der Tschechoslowakei jeweils mehr als 200 Werke der sowjetischen Belletristik publiziert worden, in Polen hingegen weniger als 30. - R G A L I 631/14/74. Die zuvor genannten Autoren wurden selbstverständlich nicht mit dem Attribut „sowjetisch" versehen, da ihre Werke nicht den Kriterien des sozialistischen Realismus entsprachen.

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Dennoch sah die sowjetische Seite natürlich nicht davon ab, ihre Interessen durchzusetzen. Von Anfang an versuchte sie den Kongreß auf die sowjetische Politik einzuschwören, was zugleich ein probates Mittel zur Disziplinierung des polnischen Schriftstellerverbands war, der als Mitorganisator fungierte. 185 Die äußeren Bedingungen waren dafür günstig, da Fadejew (nach drei kurzen Begrüßungsansprachen) das erste der vier Grundsatzreferate hielt (vermutlich wurde die Reihenfolge der Beiträge von der Sowjetunion bestimmt) und sogleich im Sinne der ZweiLager-Theorie mit antiwestlichen und speziell antiamerikanischen Ausfällen die beabsichtigte Generallinie vorgab. 186 Borejsza als Generalsekretär des Kongresses wandte sich hilfesuchend an Berman, so dessen Erinnerung, welcher seinerseits bei Molotow intervenierte. Daraufhin seien neue Direktiven aus Moskau geschickt worden. 187

3.2.2 Zum Ablauf des Kongresses Profil der Delegationen Unter den 29 Amerikanern, die nach Wroclaw gereist waren, stellten Kommunisten oder fellow-traveller wie Albert E. Kahn, William Gropper und Joe Davidson die Mehrheit. 188 Beteiligt waren auch John O. Rogge, Colston Warne und andere Aktivisten der Präsidentschaftskampagne für Henry Wallace, der dem Kongreß eine Schallplattenbotschaft mit einem Votum für den Zusammenschluß aller demokratischen Kräfte in den USA und die Rückkehr zur Außenpolitik Roosevelts 189 zukommen ließ. Auch wenn vor allem Bryn J. Hovde sich mit einem kritischen Beitrag während des Kongresses zu Wort meldete, fehlte es der amerikanischen Aborchung doch an dem Prestige, der Geschlossenheit und dem Selbstbewußtsein, die zur Übernahme eines eigenständigen Parts notwendig gewesen wären. 190 Einflußreiche Perönlichkeiten wollten oder konnten (angesichts der Untersuchungsausschüsse McCarthys) die Reise nach Polen nicht antreten. Bei der amerikanischen Abordnung kam wie bei den Delegationen aus den anderen westlichen Ländern zum Tragen, daß hier individuelle und damit unterschiedliche Meinungen geäu185 186

187

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Auf dem Schriftstellerkongreß im Januar 1949, also früher noch als in der DDR, wurde in Polen der sozialistische Realismus für verbindlich erklärt. Vgl. Pike, The Politics of Culture, S. 480: „[...] it was just as much a manifestation of two-camps thinking as cultural Zhdanovism, even if the public discussions largely excluded talk of dissonance and atonality in music." Gespräch mit Jakub Berman, S. 290. Berman gibt an, daß es in der Moskauer Führung Meinungsverschiedenheiten in bezug auf den Kongreß gegeben habe. Molotow vertrat zu jenem Zeitpunkt eine mittlere Linie zwischen den Antipoden Shdanow und Malenkow (der inzwischen dessen Platz eingenommen hatte). - Vgl. Ra'anan, International Policy Formation, S. 130f. Berman war bis 1956 hoher Parteifunktionär und während des Krieges in der Sowjetunion. Seine Kontakte zu Molotow sind somit nicht unwahrscheinlich. Andererseits ist es durchaus möglich, daß er, während des Interviews auf seine harte Linie in jener Zeit angesprochen, zur Verteidigung und Rechtfertigung seine Rolle als Retter des Kongresses überhöht hat. Vgl. Hook, Out of Step, S. 386. Archiv des Komitees zur Verteidigung des Friedens, GARF 9539/1/1. Vgl. Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf, Bd. 1, S. 405: „Merkwürdig glanzlos wirkte die Delegation aus den USA: da saßen Menschen, die zu Hause kaum mehr etwas zu verlieren hatten."

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ßert wurden, während die Vertreter Osteuropas nicht nur den Willen ihrer Völker, sondern auch den ihrer Regierungen repräsentierten. 191 Der deutschen (vom Kulturbund zusammengestellten) Delegation gehörten an: die Schriftsteller Anna Seghers, Friedrich Wolf, Willi Bredel und Hans Marchwitza, Alexander Abusch vom Präsidium des Kulturbunds, der Intendant der Deutschen Staatsoper Emst Legal, der Malerprofessor Ernst Pechstein, der Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski, damals Präsident der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF), der Architekt und Professor an der Technischen Hochschule Hans Scharoun, der im Westen Berlins ansässig war, und als einziger Teilnehmer aus den Westzonen (allerdings stand seine Übersiedlung in die SBZ bereits fest) der Literaturwissenschaftler Hans Mayer. Als zur Delegation gehörige deutsche Journalisten verzeichnet der Protokollband des Kongresses: Wilhelm Girnus, Carl Helfrich, Gerhard Kegel, Max Nierich, Gerhard Pohl und Otto Winzer, d.h. überwiegend hochrangige Funktionäre. 192 Abusch war der politische Leiter der Gruppe. Johannes R. Becher blieb dem Kongreß ostentativ fern; ihm war es, wie es heißt, aus Gründen nationalen Denkens unmöglich, in ein polnisch umgewandeltes Schlesien zu reisen. 193 An prominenten Teilnehmern unter den 500 Delegierten aus 45 Ländern sind u.a. Pablo Picasso, Fernand Léger, der brasilianische Schriftsteller Jorge Amado, Georg Lukâcs, Marcel Prenant, Biologe an der Sorbonne, der französische Philosoph Julien Benda, der Oxforder Historiker A.J.P. Taylor, Max Frisch, Hanns Eisler, Ernst Fischer, Paul Hogarth, Ivo Andric, Salvatore Quasimodo, Paul Eluard und François Bondy zu erwähnen. Große Aufmerksamkeit wurde den Abordnungen aus Indien, China, Ceylon, Indonesien, Madagaskar oder Westafrika zuteil, die die herkömmliche Zentrierung auf Europa und Nordamerika durchbrachen. 194 Die Berichte dieser Delegierten, die „keine politischen Schachspieler" waren, hatten - so Max Frisch - stets „etwas Lebendig-Wirkliches", doch der stürmische Beifall galt nicht ihnen selbst, sondern er kam auf, weil sich die Auftritte als ,,schwere[s] Zeugnis gegen die Amerikaner, die Engländer, übeihaupt die Herren der Welt" vereinnahmen ließen. 195 Ins Präsidium des Kongresses wurden die Nobelpreisträgerin Irène Joliot-Curie, Fadejew, Martin Anderson-Nexö, der italienische Maler Renato Guttuso und Julian Huxley, Generalsekretär der UNESCO, gewählt. Die Teilnehmer mochten noch hochgemut angereist sein, mit der Hoffnung, in Wrodaw tatsächlich die Sache des Friedens und der Verständigung voranzutreiben. Die Begrüßungsworte von 191

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Vgl. Geist der Welt in Breslau. Der Internationale Kongreß der Kulturschaffenden hat begonnen, in: BZ vom 26. 8. 1948; Geistesfront des Friedens. Der Breslauer Weltkongreß. Regierungen hinter Geistesschaffenden, in: BZ vom 25. 8. 1948. Congrès mondial, S. 213. Eine vom Kulturbund herausgegebene „vollständige Namensliste" verzeichnet von den Letztgenannten nur G. Pohl, führt aber auch Bertolt Brecht an. - Die deutsche Delegation, in: BZ vom 24. 8. 1948. Ein weiterer Zeitungsbericht vermerkt: „Eine Reihe Berliner Journalisten ist in Breslau eingetroffen, um am Weltkongreß der Kulturschaffenden teilzunehmen. Sie werden nach der Tagung die Ausstellung der polnischen Westgebiete in Breslau besuchen."- „Deutschland will geeint sein", in: BZ vom 27. 8. 1948. Vgl. Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 249; Mayer, Der Turm von Babel, S. 110. Vgl. Mayer, Der Breslauer Weltkongreß, S. 978. Frisch, Tagebuch 1946-1949, S. 232.

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Jaroslaw Iwaszkiewicz, dem Präsidenten des polnischen Schriftstellerveibandes, von Maurice Bedel, dem Präsidenten der französischen „Société des Gens de Lettres", und dem polnischen Außenminister Zygmunt Modzelewski standen ganz unter diesem Harmonieaspekt. Der Kongreß, als Forum der Sammlung, um heißen und kalten Krieg zu verhindern, geplant, sollte sich indes als Schauplatz der Spaltung erweisen. Den Schock, den Fadejew mit seiner Rede auslöste, haben mehrere der damals Anwesenden in ihren Erinnerungen beschrieben. Der „Redner vom Moskauer Zentralkomitee [machte] alles jäh erfrieren", notiert Hans Mayer. 196 Ernst Fischer 197 und Max Frisch 198 halten den gleichen Eindruck der Unterminierung aller Verständigungsversuche durch den sowjetischen Autor fest. Der Eklat: Die Fadejew-Rede Dieser Eindruck entstand sicher auch dadurch, daß der Generalsekretär des sowjetischen Schriftstellerverbandes nicht nur Shdanows (zwar schon weitgehend bekannte, aber nicht allseits gelittene) Aufspaltungsideologie in die eher friedlich gestimmte und an sachlicher Auseinandersetzung interessierte Versammlung hineintrug, sondern sich auch dessen Diktion der Beleidigung und Herabwürdigung innerer und äußerer Gegner bediente. 199 Fadejew ließ gleich zu Beginn seiner Ausführungen keinen Zweifel daran, wer der eigentliche .Hausherr' des Kongresses sei, wenn er daran erinnerte, daß ohne die Hilfe der Sowjetunion, der „größten Befreiungskraft der Welt", die Länder Europas, gemeint waren hier vor allem die mittel- und osteuropäischen Länder, noch immer unter dem Joch Hitlers stünden. 200 Die Macht, der „Edelmut und die moralische Größe" der Sowjetunion werde von den „einfachen Menschen" als positiv erkannt, beunruhige jedoch die „Herren Imperialisten" unter der Führung der USA. Diese versieht Fadgew entsprechend mit einem Katalog negativer Eigenschaften im Bereich der Außen-, Innen- und Kulturpolitik. Dabei zitiert er in entlarvender Absicht aus US-amerikanischen Medien, in denen z.B. gefordert wird, die USA möge die Rolle einer Weltpolizei übernehmen (als Beweis für Expansionismus), oder in denen laut über die Institutionalisierung des Faschismus in den USA zur Unterdrückung linksradikaler Elemente nachgedacht wird.201 Als Beleg dafür, daß die USA sich bereits auf dem besten Wege dorthin befänden, führt Fadejew die Verfolgung und Verhaftung „fortschrittlicher" Intellektueller an (der seit 1946 bestehende „Ausschuß für unamerikanische Aktivitäten" wird nicht namentlich genannt). Auch für die Verherrlichung der Atombombe findet er Beispiele in Publikationen englischer und amerikanischer Wissenschaftler, darunter Theologen. Bis zu diesem Punkt verwendet Fadejew das Verfahren der einseitigen Anhäufung kritikwürdiger Erscheinungen.

196 197 198 199

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Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf, Bd. 1, S. 406. Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 249. Frisch, Tagebuch 1946-1949, S. 218. Vgl. Kap. 2.2. Shdanow selber war zu diesem Zeitpunkt bereits politisch kaltgestellt. Nach sowjetischen Gepflogenheiten bedeutete dies indes nicht, daß man bei Bedarf nicht auf dessen Positionen und dessen politischen Stil zurückgriff. Congrès mondial, S. 21. Die Rede ist auch in einem Kongreßbericht im Archiv des sowjetischen Komitees zur Verteidigung des Friedens enthalten. - GARF 9539/1/1. Congrès mondial, S. 22.

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Der Bereich persönlicher Verunglimpfung wird erreicht bei der Darstellung der angeblichen Rolle der Intellektuellen, vor allem der Schriftsteller, bei der Umsetzung der so umrissenen amerikanischen Politik.202 Zunächst beklagt er allgemein das Überwiegen von BoulevardLiteratur und Kriminalromanen auf dem amerikanischen und westeuropäischen Buchmarkt („65%"). Diese Literatur mit den von ihr bevorzugten negativen Helden („Zuhälter, Rauschgiftsüchtige") trage wesentlich zur „Vertierung des Menschen" bei,203 im Gegensatz, so muß hinzugedacht werden, zur Sowjetliteratur, in deren Mittelpunkt nach eigener Einschätzung ja der Mensch mit seinen positiven Eigenschaften steht. Auf die potentielle Motivation der Verfasser solcher Literatur anspielend vermerkt Fadejew: „Wenn man sich mit dem Geschreibe eines zeitgenössischen reaktionären Autors bekannt macht, so sieht man auf all diesem widerlichen Schmutz die deutliche Spur des Dollars." Namentlich wendet sich Fadejew dann Eugene O'Neill, Henry Miller, dem „Renegaten" Dos Passos, Jean-Paul Sartre, Thomas S. Eliot zu, also Autoren ganz unterschiedlicher Couleur. Der an sie gerichtete Vorwurf lautet, daß sie (jeder auf seine Weise) als Diener bzw. „Kettenhunde" ihrer Herren versuchten, die Menschen ihrer Fähigkeit, vernünftig zu denken, zu berauben. Gleich ihnen sollten die Volksmassen in „willige Helfer des Kapitalismus" verwandelt werden. Durchgängig verwendet Fadejew zur Herabwürdigung des Gegners den Vergleich mit Tieren oder .Bestien'. So heißt es weiter: Wenn „Schakale auf der Schreibmaschine schreiben könnten", würde etwas wie von Eliot, Miller oder Malraux herauskommen. Betrachtet man diesen Teil der Rede unter rhetorischen Gesichtspunkten, so ließe sich sagen, daß im gleichen Maße, wie in Literatur und Publizistik immer neue positive und euphorische Epitheta zur Charakterisierung Stalins gefunden wurden, der Phantasie sich komplementär immer .schwärzere' Bilder zur Abqualifizierung des politischen und ideologischen Gegners eischlossen. Die Kongreßteilnehmer waren jedoch nicht auf eine redetechnische Analyse von Fadejews Rede eingestimmt, und für Fadejew selber waren die eingesetzten rhetorischen Verfahren Teil seines Konfrontationskurses. Er formulierte damit eine Drohung an die Adresse von noch Schwankenden, die, sollten sie ihre Arbeit in den ,.Dienst des Imperialismus" stellen, vom Veidikt der Sowjetunion getroffen würden. Die eigentlich gehegte Absicht, die nichtkommunistischen, mit der Sowjetunion bislang sympathisierenden linken Intellektuellen endgültig auf deren Seite zu ziehen, ließ sich auf diese Weise jedoch nicht realisieren. Gerade diese Zielgruppe wurde durch Fadejews Worte eher abgeschreckt. Auf Feindbildevozierung und implizite Drohgeste folgte, jedoch ohne in den Köpfen der Zuhörer das zuvor Gesagte zu tilgen, die Nennung positiver Gegenbeispiele wie Romain Rolland, Herbert G. Wells, Louis Aragon, Paul Eluard oder Howard Fast, die sich aktiv dem Lager des Friedens und des Fortschritts verschrieben hätten; dies zur Demonstration der These, daß die Grenzen der beiden Lager als geographische Trennlinien durchaus politisch zu überschreiten seien, und somit als Appell, es diesen Schriftstellern gleichzutun.204 Der letzte Teil von Fadejews Rede war im 202 203

204

Im folgenden vgl. Congrès mondial, S. 23-25; auszugsweise ist die Rede in der „Täglichen Rundschau" wiedergegeben: Kultur, die für den Frieden kämpft, in: TR vom 5.9. 1948. In der DDR wurden diese Bewertungsraster später voll übernommen. So prangerte Abusch 1950 unter dem Gesamtbegriff der „Coca-Kolonisierung" die „Herabdrückung von Qualität und nationaler Kultur auf das Niveau billigen Schundes und minderwertigen Kitsches" an. - Alexander Abusch, Die geistige Coca-Kolonisierung - und der Friede, in: Sonntag 4/1950. Vgl. Congrès mondial, S. 26ff.

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Sinne einer Synthese den Zielen und Errungenschaften der (humanistischen) sowjetischen Kultur als der fortschrittlichsten der Welt gewidmet. Es wurde die immer schon gegenüber ausländischen Kollegen vertretene These vom Dienst am Volk als höchstem Ausdruck künstlerischer Freiheit wiederholt. 205 Diese offensiv nach den Gesetzen von Konfrontation, Propaganda und Kontrapropaganda aufgebaute Rede rief große Enttäuschung im Saal hervor, obwohl nicht jeder sich gleich eingestehen mochte, welche Konsequenzen sie hatte. 206 „Irène Joliot-Curie zitterte vor Entrüstung", notiert Ernst Fischer. 207 Die englische Delegation war entschlossen, sofort abzureisen und konnte nur schwer zum Ausharren bewogen werden. Julian Huxley erwog, seinen Stuhl im Präsidium zu räumen. Es bedurfte der beschwichtigenden Intervention Borejszas, um den Delegierten wieder das Gemeinsame ihres Anliegens vor Augen zu führen. 208 Sowjetische Initiativen der,Abfederung' Zuvor hatte Fadejews Landsmann und Kollege Ilja Ehrenburg durch einen weniger offen propagandistischen und stärker analytischen Ansatz versucht, der Konfrontation die Schärfe zu nehmen. Ob dies das Ergebnis der von Berman erwähnten neuen Direktiven aus Moskau war - zwischen Fadejews und Ehrenburgs Ansprachen lagen etwa 24 Stunden - oder ob Ehrenburg von vornherein eine .mildere' Konzeption hatte, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. 209 Das nicht minder deutliche Feindbild des amerikanischen (Kultur)Imperialismus ergibt sich bei Ehrenburg aus der Untersuchung der Verfahren und Begriffe, die jener zur Verschleierung seiner

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Vgl. ebd., S. 29-31. Vgl. etwa Fadejews Ausführungen auf einer Versammlung der tschechoslowakischen Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit der UdSSR am 5. November 1946. Diese Rede war - vor Proklamation der Zwei-Lager-Theorie - weitaus milder gehalten. Die Gegenüberstellung von russischer bzw. slawischer und westeuropäischer Literatur erfolgte weitgehend anhand von Beispielen aus dem 19. Jh. - RGALI 631/15/788. Vgl. die Kritik an Hans Mayer in Frisch, Tagebuch 1946-1949, S. 218 u. 226. Siehe auch den selbstkritischen Rückblick Mayers. - Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf, Bd. 1, S. 409f. Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 251. Er betonte in einer Erklärung am Nachmittag des zweiten Tages, es sei „kein Hindernis, sondern ein großer Vorteil, daß diese Versammlung es den Vertretern verschiedener Ideologien oder verschiedener Gruppierungen erlaubt, sich hier zu treffen und gemeinsam darüber zu diskutieren, wie Wissenschaft und Kunst für die Sache des Friedens eintreten können. Wenn jemand mich fragen würde, welche .Arithmetik' in diesem Saal vorherrscht in dem Sinne, ob es mehr Kommunisten oder mehr NichtKommunisten gibt, könnte ich nicht darauf antworten. Nicht die Zahlen sind wichtig, sondern wichtig ist zu wissen, wer unter uns für die Zusammenarbeit der Völker, für einen wirklichen, wahren Frieden ist." - Congrès mondial, S. 89. Vgl. Wroctaw gegen die Kriegshetzer. Fortsetzung des Weltkongresses der Kulturschaffenden, in: ND vom 28. 8. 1948. Der Artikel nimmt die vermittelnden Worte Borejszas auf. Congrès mondial, S. 69-76, in Auszügen auch in der „Täglichen Rundschau": Ehrenburg, Friede den Völkern, in: TR vom 19. 9. 1948; vgl. auch: Wer verteidigt die Kultur? Ehrenburg auf dem Weltkongreß. Lebhafte Diskussionen, in: BZ vom 28. 8. 1948. Eigenmächtige Änderungen unter Berücksichtigung der Publikumsreaktionen auf Fadejews Rede hätten von Ehrenburg kaum vorgenommen werden können, da nach den sowjetischen Regelungen Versammlungsreden stets vorformuliert waren und von übergeordneter Stelle gutgeheißen werden mußten. - Vgl. Ehrenburg, Menschen, Jahre, Leben, Bd. 3, S. 367.

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wahren Absichten verwende. Unter dem Signum der „Verteidigung der westlichen (bzw. atlantischen oder europäischen) Kultur" vor der bolschewistischen rüste er zum „Kreuzzug" gegen die Zukunft (vertreten durch das Lager des Fortschritts) und gegen die Kultur der alten europäischen Länder; die Vertreter des Kulturimperialismus suchten die Menschen in den Staaten des Westens mit Hilfe standardisierter Detektivromane etc. zu „betäuben", um sie willfährig für die Vollstrekkung amerikanischer Interessen zu machen. Ehrenburg stellt den Begriff „westliche Kultur" in Frage, indem er die jahrhundertealten Errungenschaften der russischen Kultur und deren fruchtbaren Einfluß auf die westeuropäische anhand zahlreicher Beispiele vor Augen führt. Auch die sowjetische Literatur habe einen Reflex im Schreibverhalten etlicher .fortschrittlicher', nicht sowjetischer Autoren gefunden. Um keine Vergleiche mit den geschilderten amerikanischen Methoden aufkommen zu lassen (und eventuell auch, um mögliche Mißverständnisse im Zusammenhang mit Fadejews Rede auszuräumen), betont Ehrenburg ausdrücklich, daß die sowjetische Literatur niemandem aufgezwungen werde, sondern ihre fruchtbare Wirkung allein von ihrer Existenz ausgehe. 210 Daß die sowjetischen Propaganda-Institutionen, wie die Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (WOKS) oder das Sowjetische Informationsbüro (SIB), durch eine gezielte Verbreitungspolitik zur Erhöhung des „positiven Einflusses" beitrugen, verschwieg Ehrenburg. Dafür zollte er, sicher ernst gemeint, der traditionsreichen europäischen Kultur sowie der „anderen" amerikanischen Literatur Tribut, leugnete aber zugleich die Existenz einer zeitgenössischen bürgerlichen Kultur. In dem Maße, wie das Bürgertum, entsprechend den Gesetzen des historischen Materialismus, seine fortschrittliche Rolle in der Geschichte verloren habe, könne es auch keine Kultur mehr produzieren, sondern nur noch „Barbarei". Nach diesen Vorgaben erinnerte Ehrenburg daran, daß der Kongreß nicht zusammengetreten sei, um bestehende politische Meinungsverschiedenheiten unter den Delegierten hervorzukehren, sondern um einen gemeinsamen Nenner zu finden. 211 Dieser Appell sollte sicher auch dazu dienen, Differenzen, die von seinem Landsmann Fadejew allererst aufgeworfen worden waren, auszugleichen. Daß der gemeinsame Nenner vermittels der Kampagne zur Verteidigung des Friedens und der Kultur letztlich ein vorbehaltloses Akzeptieren der Politik der UdSSR bedeuten sollte, zeichnete sich zwar ab, wurde jedoch mit dieser Deutlichkeit noch nicht ausgesprochen. Eine andere Entschuldigung' für die zuweilen krude sowjetische Diktion fand der Schriftsteller Leonid Leonow auf dem abschließenden Meeting einiger Delegierter mit der Wrodawer Bevölkerung. Er erinnerte an die Massenerschießungen unter der Zivilbevölkerung, einschließlich der Kinder, während des Krieges und konstatierte, daß die Sorge um eine friedliche Zukunft für die Kinder die Sowjetbürger dazu veranlasse, zu diesem Thema „resolut, sehr laut und zuweilen grob" zu sprechen. „Die Ereignisse unseres Jahrhunderts haben uns dazu gezwungen, die Sprache der Politik zu vereinfachen und manchmal die Schönheit des Stils und die Anstandsregeln .intellektuellen Wohlverhaltens' ebenso außer Acht zu lassen, wie die Eleganz der Worte, die übrigens oftmals die Welt der Kleinen schändlich verraten haben." 212 Leonows Bemerkun210 211

212

Ehrenburg beschränkt sich hier auf die Nennung von .Klassikern' wie Majakowski und Eisenstein; vom späteren sozialistischen Realismus und seinen Vertretern ist nicht die Rede. Gerade dieser Absatz fehlt in der Wiedergabe der Rede durch die „Tägliche Rundschau". Das darin enthaltene versöhnliche Element schien dem SMAD-Organ für das deutsche Publikum offenbar nicht opportun. Congrès mondial, S. 192f.

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gen zu den „Anstandsregeln" können als Anspielung auf die Rede des englischen Geschichtsprofessors Alan Taylor verstanden werden, der seine,russischen Freunde" - mit Blick auf Fadejews Ausführungen - zur Kultivierung einer „gewissen intellektuellen Höflichkeit" angehalten hatte. 213 Auch wenn nicht alle Delegierten an dem Meeting teilnahmen, so blieben Leonows Worte, plaziert vor der Abschlußsitzung und der Abstimmung über die Resolution, dennoch nicht ungehört. Britische und amerikanische Gegenreden Dennoch blieben Fadejews antiamerikanische Angriffe nicht ohne direkte Gegenrede. Von britischer Seite intervenierten Huxley und Taylor, von amerikanischer Seite Hovde. 214 Julian Huxley, Professor für Biologie, beklagte, daß ein Teil der Beiträge nicht konstruktiv, sondern destruktiv gewesen sei und Attacken des je anderen Systems nicht zum gegenseitigen Verständnis beitrügen. Im Gegenteil: sie führten zum Krieg und nicht zum Frieden. Konkret gegen Fadejew wandte sich Huxley mit dem Vorwurf, daß dieser die Befreiung Europas allein der Sowjetunion gutgeschrieben habe. 215 Solche Geschichtsverfälschungen wies auch der Oxforder Historiker A.J.P. Taylor zurück. So habe Fadejew zwar die Länder aufgelistet, die Hitler Widerstand geleistet hatten, aber Jugoslawien aus politischen Gründen ausgelassen. Taylor votierte für Toleranz gegenüber der Meinung anderer, für gegenseitigen Respekt und für die Achtung der Geistesfreiheit, in welcher Form auch immer sie sich ausdrücke. Gerade die Intellektuellen müßten dagegen kämpfen, daß durch sprachliche Schreckgespenste (wie .russischer Bolschewismus" - aber genauso auch „amerikanischer Faschismus") die gegenseitige Verständigung blockiert würde. Was er aber auf dem Kongreß beobachte, sei, daß durch solche - vor allem die USA diffamierenden - Etikettierungen statt der Annäherung Spaltung betrieben werde. 216 Der amerikanische Historiker Bryn J. Hovde forderte ebenfalls, sich an das „fair play" zu halten. Wie die beiden Briten unterstrich Hovde, daß Fadejew mit seiner Rede nicht den Frieden, sondern den Krieg ins Auge gefaßt habe. 217 Huxley beklagte in einer allerdings sehr paritätisch abgemessenen Kritik die Restriktionen, denen zur Zeit die sowjetischen Künste ausgesetzt seien, und prangerte die Tendenz in den Naturwissenschaften, besonders der Genetik, an, die „marxistische" als die einzig wahre Wissenschaft der „bürgerlichen" entgegenzustellen. Er scheute sich aber auch nicht, die Schriftstellerverfolgungen und -Verhaftungen in den USA zu 213

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Ebd., S. 93. Hier stellt sich ebenfalls die Frage, ob dieser Einschub von vornherein - in Abschätzung möglicher Reaktionen auf Fadejews Rede - vorgesehen war oder ob er nachträglich mit Billigung einer höheren Instanz eingefügt wurde. Der österreichische kommunistische Publizist Ernst Fischer fühlte sich, wie er später schreibt, zunächst auch zu einem „Frontalangriff auf Fadejew" herausgefordert, sah jedoch als „unbekannter Schriftsteller" letztlich davon ab. - Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 251. Seine Rede handelte statt dessen von den schwankenden Intellektuellen, die durch ihre Entscheidungsträgheit (unfreiwillig) dem Imperialismus dienten. Bei ihnen sei eine besonders intensive Überzeugungsarbeit zu leisten. Congrès mondial, S. 161f. Ebd., S. 92ff. Ebd., S. 155. Taylor hatte formuliert: „Meiner Meinung nach hat der Kongreß bislang nicht dazu beigetragen, die Völker einander anzunähern, dieser Kongreß hat den Haß gepredigt, er war ein Kongreß für den Krieg und nicht für den Frieden." (S. 93.)

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verurteilen und zum Protest gegen die kommerzielle Massenkultur aufzurufen. Hovde ging in seiner Aufzählung von wunden Punkten der Sowjetgesellschaft noch einen Schritt weiter. Er nannte die umfassende Kontrolle der Meinungsäußerung durch die Regierung, die durch die Geheimpolizei verbreitete Rechtsunsicherheit, Arbeitslager für politische Gefangene, die Herrschaft einer einheitlichen Ideologie über die Wissenschaften und Künste, die Reise- und Kontaktbeschränkungen. Wie Huxley übte aber auch er Kritik am eigenen System, indem er sich ausführlich über die Mängel in der amerikanischen Sozialpolitik ausließ. 218 Er kam zu dem Ergebnis, daß beide Länder, die Sowjetunion wie die USA, gegen den Imperialismus nicht immun seien und ihm zu widerstehen hätten. Ein konstruktives Friedensprogramm müsse die Wahrheitssuche des einzelnen, seine persönliche Sicherheit und das Selbstbestimmungsrecht der Völker zur Basis haben. Der sowjetische Publizist David Saslawski, der im Anschluß an Huxley und Hovde sprach, wußte auf die von ihnen konstatierten Restriktionen mit dem Verweis auf die „umfangreichen Diskussionen" in Philosophie, Kunst und Naturwissenschaft als Manifestationen freier Meinungsäußerung zu antworten, an denen Hunderte von Vertretern ihres Faches teilnähmen. 219 Daß diese „Diskussionen" in Kampagnen verfeindeter Gruppen mündeten, die oft nicht nur die berufliche, sondern auch die physische Vernichtung ihrer jeweiligen Anhänger nach sich zogen, blieb unausgesprochen. Darüber hinaus drohte Saslawski die mühsam wiederhergestellte Einheit des Kongresses erneut zu zerstören, indem er den Opponenten Fadejews Goebbelssche Verleumdungsmethoden vorwarf. Fadejew, so scheint es, war an den Gegenreden, und damit am Dialog, nicht interessiert. „Fadejew sitzt ohne Kopfhörer. Wie ich bisher feststellen konnte, versteht er kein Englisch," 220 hielt Max Frisch fest. Zwar wurde auch in der Presse der DDR immer wieder betont, der Kongreß habe den Vorteil geboten, ein - „Forum der Aussprache und Auseinandersetzung zwischen den Intellektuellen verschiedener geistiger Haltung" zu sein, denn das Einberuferkomitee habe „keinen Demonstrationskongreß gewünscht", 221 doch wurden die mißliebigen Stimmen sofort diskreditiert. Laut Alexander Abusch hätten Taylor und „ein Amerikaner" einige erfolglose Störmanöver versucht, „die nur ihren eigenen Mangel an gutem Willen offenbarten". 222 Ein probates Mittel der Presse war hier (wie schon im Falle Laskys), die Kritik zu mißbilligen, sie aber gar nicht zu publizieren („Der Schlußtag [...] stand im Zeichen gewisser Meinungsverschiedenheiten, die von einigen amerikanischen und britischen Delegierten vorgetragen wurden" 223 ) oder aber sie zu verzerren. Der Vorwurf, den Hans Mayer damals der wesdichen Presseberichterstattung machte, sie habe die Zwistigkeiten des Kongresses hochgespielt, um auf angebliche Nachrichten Kommentare 218

219 220 221 222 223

Diese kritischen Anmerkungen wurden indes von sowjetischer Seite offenbar nicht wahrgenommen, obgleich sie mit ihren eigenen Einschätzungen übereinstimmten. Was allein (negativ) zählte, war die Opposition zu Fadejew. Congrès mondial, S. 165. Frisch, Tagebuch 1946-1949, S. 219. Alexander Abusch, Wroclaw wird weiterwirken, in: TR vom 12. 9. 1948. Vgl. auch die Erklärung Jerzy Borejszas auf dem Kongreß. - Congrès mondial, S. 89. Abusch, Wroclaw wird weiterwirken. Verantwortlich vor der Geschichte. Schlußtag und Resolution des Internationalen Kulturkongresses, in: BZ vom 31. 8. 1948.

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mit einer bestimmten Stoßrichtung zu gründen, 224 ließe sich mit Fug und Recht auch gegen die Zeitungen der DDR richten. Die „Berliner Zeitung" etwa behauptete, die „heftigen antisowjetischen Angriffe" Taylors gingen auf eine Anweisung des britischen Außenministeriums zurück. Taylor, so wird ihm vorgehalten, habe versucht, „den Kongreß zu einer Werbung für den Marshall-Plan zu mißbrauchen". 225 Dies ist nun eine mehr als grobe Entstellung der entsprechenden Äußerung Taylors, die lautete: Die aufgeschlossenen Engländer würden bestätigen, daß die Russen menschliche Wesen wie alle anderen seien und nichts anderes wünschten, als ihre Lebensbedingungen zu verbessern und mit dem Rest der Welt in Frieden zu leben. „Wir haben aber ebenso das Recht zu sagen, daß die Amerikaner ihrerseits auch menschliche Wesen wie alle anderen sind, die große Opfer erbracht haben und noch erbringen, um den Völkern der ganzen Welt zu helfen und um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich von der Kriegskatastrophe zu erholen." 226 Mit 337 von 357 Stimmen nahm der Kongreß die Schlußresolution an. Obwohl in die endgültige Formulierung bereits Kompromisse eingeflossen sind, um die Zustimmung der britischen und amerikanischen Delegation zu erhalten, legten sieben amerikanische Delegierte eine Erklärung ab, warum sie ein positives Votum nicht vertreten konnten. 227

3.2.3 Dimensionen des Kongresses Der außenpolitisch von der Sowjetunion seit Ende 1947 vertretenen aggressiven Abgrenzung durch die Deklarierung der Existenz zweier Lager entsprachen innenpolitisch Monopolisierungsprozesse im gesamten Technik-, Wissenschafts- und Ideologiebereich. Das was schon von Boris Gorbatow auf dem I. Deutschen Schriftstellerkongreß im Oktober 1947 im Zusammenhang mit den Maßnahmen gegen Sostschenko und Achmatowa als „lange und ernste Erwägungen" und von Saslawski in Wroclaw, unter Einbeziehung auch der Wissenschaft, als „umfangreiche Diskussionen" bezeichnet worden war, stellte nichts anderes dar als den kampagnenartig geführten Kampf um die Durchsetzung des Geltungs- und Wahrheitsanspruchs einer einzigen Linie. Diese trug Ende der 40er Jahre verstärkt russisch-nationale Züge und ergänzte die sowjetisch begründete Zwei-Lager Theorie. Die polemische Abwehihaltung gegenüber westlichen kulturellen und 224

Mayer, Der Breslauer Weltkongreß, S. 979. Mayer bezieht sich offenbar auf Artikel wie: Ein „Kriegskongreß", in: Telegraf vom 28. 8. 1948; Babylon der Begriffe. Zum Breslauer Kongreß, in: Die Welt vom 31. 8. 1948. Eine recht exakte und nicht tendenziöse Wiedergabe der Zwistigkeiten bietet der Artikel: Fallstricke und Phrasen. Zusammenstöße auf dem Breslauer Intellektuellenkongreß, in: Die Welt vom 28. 8. 1948.

225

Gegen den Chauvinismus. Die deutsche Delegation auf dem Internationalen Kulturkongreß, in: BZ vom 29. 8. 1948. Moderater war die Kritik an Taylor im „Aufbau". - Bilanz von Breslau, S. 736. Hans Mayer kam in seinem Kongreß-Artikel in den „Frankfurter Heften" zu dem Ergebnis, daß es sich angesichts der „sehr scharfen Attacke gegen die heutigen Tendenzen amerikanischer und englischer Außenpolitik" fast zwangsläufig ergab, daß Taylor und Hovde „die Verteidigung ihrer Landsleute übernahmen". - Mayer, Der Breslauer Weltkongreß, S. 977. Demgegenüber stimmte Mayer in seinem Beitrag für den „Sonntag" in die harsche Verurteilung Taylors und Hovdes ein. - Mayer, Tagebuch vom Breslauer Kongreß.

226 227

Congrès mondial, S. 92f. Ebd., S. 207.

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wissenschaftlichen Erscheinungen und Ansätzen sowie die Verfolgung von deren (tatsächlichen oder vermeintlichen) Anhängern im Innern war somit doppelt verankert. 228 Die von Huxley monierte Konfrontation von „marxistischer" Wissenschaft, als der einzig wahren, und „bürgerlicher" Wissenschaft erfuhr gleichsam eine weitere Verengung durch eine besonders strikte Eingrenzung dessen, was überhaupt mit dem Siegel „marxistisch" zu versehen sei. Dieser Vorgang wirkte sich auch auf den Wissenschaftstransfer in die SBZ und die Volksdemokratien aus, wobei für die Propagierung wissenschaftlicher Errungenschaften aus der Sowjetunion das russischnationale Element nur in Form der Verurteilung des „anti-nationalen" Kosmopolitismus eine Rolle spielte. Die Errungenschaften wurden vielmehr, in Abgrenzung von der „bürgerlichen Wissenschaft", auf das Konto der sozialistischen Wissenschaft verbucht, die in der Sowjetunion als erstem sozialistischem Staat der Welt eben am „fortgeschrittensten" sei. Die Kampagnen in der Kulturpolitik, Philosophie, Ökonomie und Biologie, die neben den Vorgängen in der Kulturpolitik die skizzierte Linie exemplifizieren, hatten zunächst in der Tat äußerlich noch die Form von Debatten zwischen Vertretern zweier unterschiedlicher Auffassungen, von denen die eine, weniger dogmatische, westliche Errungenschaften anerkannte und einzubeziehen suchte, die andere, orthodox kommunistisch und national ausgerichtete, sowohl diese Errungenschaften als auch deren Anerkennung in der Sowjetunion bekämpfte. Von Anfang an war die Durchsetzung wissenschaftlicher Positionen von macht- und idedogiepolitischen Erwägungen überlagert, und mit der außenpolitischen Verhärtung ab 1948 gewannen die orthodoxen Kräfte die Oberhand. Der Fall des Philosophen und ZK-Sekretärs Alexandrow wurde bereits dargestellt. 229 Ein historischer Abriß westlicher philosophischer Schulen, der nicht sogleich deren negative Bewertung mitlieferte, wurde als Verrat an der russisch-sowjetischen Philosophie und damit auch am russisch-sowjetischen Patriotismus gebrandmarkt. Von hier bis zu den Anfang 1949 laut werdenden Angriffen gegen den „wurzellosen Kosmopolitismus" 230 war es nur ein kleiner Schritt. Auch in der Ökonomie war es ein wissenschaftliches Werk, das zunächst Debatten, dann, im Zuge der sich entfaltenden Zwei-Lager-Theorie, eine Kampagne gegen den Verfasser mit anschließender Selbstkritik hervorrief. Der Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Weltpolitik, Jewgeni Varga, hatte in einer 1946 erschienenen Arbeit über „Veränderungen in der Ökonomie des Kapitalismus als Ergebnis des Zweiten Weltkriegs" die These aufgestellt, daß, bedingt durch den Krieg, verstärkt planerische Elemente in die kapitalistische Wirtschaft eingeführt worden seien, die eine allmähliche Annäherung, wenn auch nicht Verschmelzung der Systeme signalisierten. 231 Die nach dem Krieg zu verzeichnenden staatlichen Eingriffe würden zugleich zu einer Stärkung der Wirtschaft und zur besseren Überwindung von Krisen führen. Diese Ansicht war 1946, als aus der Sicht der Sowjetunion eine Zusammenarbeit zwischen den USA und der UdSSR noch möglich erschien, opportun, ab Sommer 1947 hingegen schon nicht mehr. Ein krisenfester Kapitalismus mit sozialistischen Zügen wurde von den sich formierenden Gegnern Vargas in das „Reich der Wünsche" verwiesen. Der Kapitalismus hatte weiterhin von den Monopolen kontrolliert zu werden und nicht vom Staat, und an der Krise des Kapitalismus durfte nicht

228 229 230 231

Zu den Auswirkungen auf die sowjetische Literaturpolitik siehe Kap. 2.2. Vgl. Kap. 3.1. Vgl. Kap. 2.2. Varga, Izmenenija v ekonomike kapitalizma, S. 84ff.

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gerüttelt werden. Diese Positionen wurden besonders nachhaltig in einem Ende 1947 publizierten Buch des ZK-Sekretärs für den Bereich Ökonomie, Nikolai Wosnessenski, über die Kriegswirtschaft der UdSSR vertreten, 232 das in der Presse sogleich als das einzig autorisierte Werk zu diesem Thema deklariert wurde. Durch gezielte Umstrukturierung verschiedener Institute hatte Varga seinen Posten bereits im Oktober 1947 verloren, aber erst im März 1949 sagte er sich nach zahlreichen Angriffen endgültig von seinen Thesen los, bekannte seine „revisionistische Orientierung", seine „Fehler kosmopolitischer Art" und seinen Versuch, den Kapitalismus „weißzuwaschen". 233 Die Polarisierung der Wissenschaft war somit Ausdruck der Polarisierung der Welt, Wissenschaft wurde für je aktuelle innen- und außenpolitische Ziele funktionalisiert. Am ausgeprägtesten fand dieser Sachverhalt in der Biologie seinen Niederschlag. Trofim Lyssenko (1898-1976), Sohn eines Bauern, von 1938 bis 1956 und 1961 bis 1962 Präsident der Akademie der Argrarwissenschaften, vertrat in Fortführung der Arbeiten des sowjetischen Biologen Iwan Mitschurin (1855-1935) die These von der Vererbbarkeit (durch Hybridisierung) erworbener Eigenschaften im Gegensatz zur Chromosomentheorie mit ihrer Annahme der Möglichkeit zufälliger Mutationen, die von der .westlichen' Genetik verfochten wurde.234 Von Stalin aufgrund seiner Herkunft als Repräsentant der neuen sowjetischen Intelligenz gedeckt, konnte Lyssenko und seine Anhängerschaft trotz offener Kritik zahlreicher Fachkollegen, darunter waren nicht wenige vom Parteiführer mißtrauisch beäugte „bürgerliche Spezialisten", seine sich später als haltlos erweisenden agrarwissenschaftlichen Experimente durchführen und ideologisch verbrämt als Muster praxisorientierter sozialistischer Forschung propagieren. Zwar wurden im Zuge der Schauprozesse von 1937/38 auch namhafte Vertreter der Genetik als „Feinde und Saboteure", Anhänger Bucharins etc., verfolgt und verurteilt, aber eine Monopolstellung besaß Lyssenko zu jenem Zeitpunkt noch nicht, und zwar nicht zuletzt aufgrund mangelnder Ergebnisse. Erst Mitte 1948 gelang es ihm unter Ausnutzung der weltpolitischen Situation, mit Hilfe unwissenschaftlicher Methoden seine .wissenschaftliche' Position durchsetzen. Auf einer vom 31. Juli bis 7. August dauernden Sitzung der Akademie der Agrarwissenschaften verkündete Lyssenko mit ausdrücklicher Billigung Stalins, wenn nicht auf dessen Initiative hin, 235 die Unversöhnlichkeit der beiden Strömungen in der Biologie, also der bürgerlich-westlichen „WeismannistischMendelistisch-Morganistischen" und der „Mitschurinschen, sowjetischen". Jeder Biologe müsse sich nun entscheiden, welchem Lager er sich zuordnen wolle, müsse sich aber im klaren darüber sein, daß die Anhänger der ersteren Linie nicht nur seine, sondern auch Gegner Stalins und der Partei seien. Trotz der nun folgenden Bekenntnisse zu den Ansichten Lyssenkos und Mitschur232 233

Voznesenskij, Voennaja ekonomika. Vgl. Hahn, Postwar Soviet Politics, S. 92. Die Kampagne gegen Varga flaute nicht aufgrund seiner Bekenntnisse rasch ab. Sein schärfster Gegner, Wosnessenski, ein Anhänger Shdanows, wurde mit anderen hohen Leningrader Parteifunktionären unter Anklage gestellt und 1950 zum Tode verurteilt. Korruption, (vermeintlich) geplante Parteiabspaltung, aber auch die früheren .herzlichen' Kontakte zu Jugoslawien hatten sich hier offenbar zu einem Anschuldigungsgeflecht vereinigt. - Vgl. Hahn, Postwar Soviet Politics, S. 122f.

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Zur Karriere Lyssenkos und ihren machtpolitischen wie ideologischen Implikationen vgl. Krönig/Müller, Anpassung - Widerstand - Verfolgung, S. 208-218. Nach Auskunft Lyssenkos hat Stalin selbst redaktionell in das Manuskript des Vortrags eingegriffen. T. D. Lyssenko, Der große Freund der Wissenschaft, in: Presse der Sowjetunion (Nr. 42) vom 5. 4. 1953.

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ins folgten radikale Säuberungsaktionen. Nicht nur wurden zahllose Wissenschaftler, die sich ungeachtet des Einbruchs von 1937/38 weiterhin mit genetischer Forschung befaßt hatten, entlassen, dieser Wissenschaftszweig insgesamt fiel der „einzig wahren" und auf der Tradition „russischer" Forschungen beruhenden Richtung zum Opfer.236 Als der Transfer wissenschaftlicher Methoden und Ergebnisse aus der UdSSR in die SBZ/DDR verstärkt einsetzte, stand nur noch diese zur Verfügung und wurde in Theorie und Praxis zumindest seitens der SED kritiklos aufgenommen und verbreitet.237 Warum maß man der Abgrenzung von der westlichen Genetik, über den Sachverhalt, daß sie westlich und damit .bürgerlich' war, hinaus, so viel Bedeutung bei? Der Vorwurf an die Adresse der „Morgan-Weismann-Linie" lautete, daß sie durch die Annahme von genetischen Zufällen die Eingriffsmöglichkeiten des Menschen als begrenzt ansähe. Dies stand jedoch im Widerspruch zur sozialistischen Wissenschaft stalinistischer Prägung, die dem Menschen eine unbegrenzte Eingriffskompetenz in die Natur zusprach.238 In der These, Pflanzen könnten durch entsprechende Erziehung Eigenschaften erwerben und diese auch vererben, äußerte sich ein Erziehungs- und Veränderungspathos, das seinen sinnfälligsten Ausdruck in dem Elan fand, mit dem die Umgestaltung der Natur betrieben wurde. Die wissenschaftlich fundierte' Allmacht des Menschen über die Natur als Ausdruck der Überlegenheit des sozialistischen Systems, im Grunde jedoch als Bestandteil totalitären Denkens, war mit der „metaphysisch" verbrämten Ansicht von der Begrenztheit menschlichen Handelns in der „bürgerlichen Wissenschaft" unvereinbar. Lyssenkos Theorie von der Vererbbarkeit anerzogener Eigenschaften bildete zugleich das Fundament für die Idee des neuen (sozialistischen) Menschen. Der als „formal" apostrophierten bürgerlichen Genetik239 wurde dieses Attribut zugewiesen, da sie nur theoretisch-analytische Erklärungsmuster für Naturerscheinungen oder die Entstehung menschlichen Lebens biete, ihr Praxisbezug demzufolge aber gering sei. Dem „Formalismus" in Kunst und Literatur - und hier schließt sich ein Begriffskreis - wurde mangelnde Beachtung des „Inhalts" und damit unzureichende Berücksichtigung der lebensweltlichen Wirksamkeit von Kunst und Literatur vorgeworfen.240 Die politische Bedeutung der Wissenschaftskampagnen bestand, nicht nur innerhalb der Sowjetunion, darin, daß eine wissenschaftliche Entscheidung zugleich eine politische beinhaltete: Für Lyssenko zu sein, bedeutete für die („friedliebende") Sowjetunion zu sein, gegen ihn zu sein, hieß gegen die Sowjetunion und damit für den amerikanischen Imperialismus mit all seinen Implikationen („Kriegshetze" etc.) zu sein. Ein „Formalist" diente dem Imperialismus, da er „dem Volk" keine parteilichen und verständlichen Inhalte anbieten konnte oder wollte. Daher war auch das Bekenntnis zum sozialistischen Realismus, der eben236 237

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Zu den dargestellten Vorgängen vgl. Beyrau, Intelligenz und Dissens, S. 104-113, und Hahn, Postwar Soviet Politics, S. 115ff. An den Universitäten war die Lyssenko-Begeisterung nicht einhellig. Während Jena „zu einem Schwerpunkt von Lyssenkos Biologie in SBZ und DDR" wurde, wurde in Halle „in minutiöser Kleinarbeit nachgewiesen, wie mangelhaft die Methoden Lyssenkos und seiner Gefolgsleute waren, wie unsachgemäß die Befunde interpretiert wurden". - Krönig/Müller, Anpassung - Widerstand - Verfolgung, S. 219 u. 220. Als frühes Beispiel der Aneignung dieses Wissenschaftsverständnisses in der DDR siehe Alfons Kauffeldt, Die mächtige Wissenschaft, in: NG 3/1951, S. 178-184. Kauffeldt demonstriert diese Auffassung auch anhand anderer Forschungsfelder, wie z. B. der Umleitung sibirischer Flüsse nach Süden. Ebd., S. 180.

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so wie Lyssenkos Agrarbiologie für allgemein gültig erklärt wurde, zugleich ein Bekenntnis zur Sowjetunion. 241 Auch in die Diskussionen um die Gefahren bzw. den Nutzen atomarer Energien wurde ab 1947/48 die Polarisierung der Lager hineingetragen, dies im Kontext eines zu jener Zeit stattfindenden Paradigmenwechsels in der wissenschaftsethischen Reflexion insgesamt. Ging es unmittelbar nach dem Krieg darum, „selbstkritisch den Zerfall der Wissenschaftsmoral, die den militärischen Mißbrauch der Wissenschaft möglich gemacht habe", zu artikulieren und die Wissenschaftsmoral „auf dem Wege des Auseinanderrückens von Staat und Wissenschaft" wiederherzustellen 242 - allein in der Erfüllung dieser Postulate wurde eine Friedensgarantie gesehen - , so mischte sich zwei bis drei Jahre später die Unterscheidung zwischen marxistischer und bürgedicher Wissenschaft in diese Überlegungen. Der potentielle Mißbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse wurde von marxistischer Seite als allein der bürgerlichen Gesellschaft inhärent angesehen. Das Desinteresse des „Fachgelehrten" an der Verwendung seiner Forschungsergebnisse arbeite den unlauteren Zielen kapitalistischer Staaten in die Hand. Die immer wieder öffentlich, auch in Wrocäaw, vorgetragenen Appelle an die Intellektuellen, sich/ür den Sozialismus zu entscheiden (und nicht etwa nur gegen die militärische Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu sein), stellten den zweiten, marxistischen ,Lösungsversuch' zur Errichtung eines dauerhaften Friedens dar. Die axiomatisch festgelegte Interessengleichheit von Volk und Partei (bzw. Regierung) und damit auch von Intellektuellen und Volk und Partei schloß per definitionem mit Blick auf das ohnehin nur den Frieden wollende Volk jeglichen Mißbrauch von Wissenschaft zu kriegerischen Zwecken aus. Damit wurde auch der zuvor genannte Lösungsvorschlag der ,abstrakten' Wahrheitssuche zugunsten eines Nützlichkeitsanspruchs verworfen. Wissenschaftliche Ergebnisse wurden daran gemessen, inwieweit sie dem „gesellschaftlichen Fortschritt" dienten. Für den Umgang mit der Atomproblematik bedeutete dies, daß die Nukleargefahr nicht in ihrer universellen Bedeutung, sondern als „Bestandteil des imperialistischen Systems" behandelt wurde. Auch die DDR übernahm diese Argumentationsmuster; von nun an wurden alle wissenschaftsethischen Räsonnements des Westens ausgegrenzt, die sich nicht durch eine radikal systemkritische Haltung gegenüber der Außenpolitik der USA auszeichneten. Westliche Vordenker wie Bertrand Russell, Arnold Toynbee und Lewis Mumford wurden pauschal zu „imperialistischen Ideologen" erklärt. 243 Am Beispiel des Umgangs mit den weltpolitischen Überlegungen Albert Einsteins, die er u. a. auch in seiner Botschaft an den Wrodawer Kongreß dargelegt hatte, wird deutlich, wie die 240

In Wroctaw war die Auseinandersetzung um den Formalismus, obigeich in der Sowjetunion schon betrieben, (zumindest bei den Hauptrednern) kein Thema. In dem im Moskauer Archiv des sowjetischen Komitees zur Verteidigung des Friedens befindlichen zusammenfassenden Kongreßbericht taucht jedoch in der Rede Saslawskis folgender Satz auf: „Tatsächlich hat der Formalismus in der Kunst kein Glück. Jedoch [...] hängt vom Schicksal des Formalismus nicht das Schicksal des Friedens [bzw. der Welt/ sud'ba mira] ab." - GARF 9539/1/1. Dieser im Grunde unorthodoxe Satz in einer ansonsten äußerst dogmatisch gehaltenen Rede (s.o.) fehlt in dem veröffentlichten Protokollband. Wurde er überhaupt ausgesprochen? Hat man ihn weggelassen, da er letztlich der sowjetischen Position (durch einen Landsmann) zuwiderlief? Hatte die Sowjetunion Einfluß auf die Redaktion des Protokollbandes?

241 242 243

Vgl. auch U. Heukenkamp, Ein Erbe für die Friedenswissenschaft, S. 62f. R. Heukenkamp, „Gesellschaftliche Verantwortung des Wissenschaftlers", S. 275. Vgl. ebd., S. 270-276, 284f.

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zuletzt skizzierte Denkart sich zusehends verhärtete, indem differenzierte Betrachtungen ausgeschaltet wurden, solange sie keine eindeutige Befürwortung der sowjetischen Friedensbemühungen und damit der sozialistischen Gesellschaftsordnung enthielten.244 Ausgehend von der offensichtlichen Unfähigkeit der Staaten, die international virulenten Konflikte auf dem Verhandlungswege zu lösen, hatte Einstein angesichts des durch die Atombombe geschaffenen Vernichtungspotentials und der drohenden Möglichkeit ihres Einsatzes die Bildung einer Weltregierung vorgeschlagen. Diese sollte einerseits die ausschließliche Kontrolle über alle, auch die nicht-atomaren Angriffswaffen und deren Herstellung besitzen und andererseits zwischenstaatliche Streitfälle auf dem Verhandlungswege und unter Verwendung juristischer Mittel lösen. Die Folge wäre ein partieller Verlust der außenpolitischen Souveränität der einzelnen Staaten gewesen, der dieser Vision gemäß jedoch der gesamten Menschheit zugute gekommen wäre. Die Rolle der Intellektuellen sah Einstein darin (und stellte die Frage, ob sie stark genug dazu seien), „die Bindungen ihrer eigenen nationalen Erziehung so weit zu überwinden, daß ihre Botschaft die Völker rechtzeitig für eine so radikale Überwindung eingewurzelter nationaler Traditionen bereit zu machen vermag." 245 Diese Überlegungen riefen aus zwei Gründen das Mißfallen der Sowjetunion hervor. Zum einen befürchtete sie, daß die USA eine solche Weltregierung zum Hebel einer Politik der Weltherrschaft machen und damit die Einflußsphäre der UdSSR schmälern könnten, wie sie es in den Augen der UdSSR zu jenem Zeitpunkt bereits mit Hilfe der Vereinten Nationen versuchten.246 Zum anderen sahen sich gerade Ende der 40er Jahre universalistische Konzeptionen dieser Art dem Vorwurf des Kosmopolitismus ausgesetzt. Die von der Sowjetunion dagegen gesetzten Begriffe waren „Patriotismus" und „Internationalismus". Garant des Friedens zu sein, hieß für die Sowjetunion zugleich, Garant der nationalen Souveränität der Völker der Welt zu sein und sich für deren Herausbildung bzw. Erhalt einzusetzen. Eine Billigung des von Einstein vorgesehenen Teilabbaus staatlicher Souveränität hätte im Widerspruch zu dieser Rolle gestanden. Einsteins Botschaft konnte auf dem Wrodawer Kongreß nicht vernommen werden, wobei sicher die Sowjetunion das letzte Wort hatte. Entgegen der Ankündigung Borejszas wurde sie auch nicht im Kongreßband veröffentlicht. 247

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Auf diese Erscheinung wurde bereits im Zusammenhang mit den Reden der US-amerikanischen Delegierten in Wroctaw hingewiesen (s.o.). Albert Einstein, Botschaft an den Weltkongreß der Intellektuellen, in: A.E., Aus meinen späten Jahren, S. 186. „Dr. Einsteins irrtümliche Ansichten" - Ein offener Brief von vier russischen Gelehrten (1947), in: Einstein, Aus meinen späten Jahren, S. 148-156. Formulierungen wie die vom ,,amerikanische[n] Imperium", das imstande sein müsse, „die entscheidende Kontrolle über die Welt auszuüben", (Burnham, Die Strategie des Kalten Krieges, S. 17) mögen dazu angetan gewesen sein, diese Furcht zu schüren. - Vgl. Meyer, „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda", S. 36. R. Heukenkamp, „Gesellschaftliche Verantwortung des Wissenschaftlers", S. 281. Veröffentlicht wurde (mit leicht differierenden Formulierungen) in der DDR-Presse nur ein kurzes Grußwort Einsteins. Vgl. Entscheidung des Geistes. Stimmen auf dem Breslauer Weltfriedenskongreß, in: Sonntag 37/ 1948; Bekenntnis zum Frieden. Botschaften auf dem Weltkongreß der Kulturschaffenden in Wroclaw, in: TR vom 27. 8. 1948.

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3.2.4 Die Ausweitung der Friedensbewegung zur internationalen Kampagne Die Krux der Friedensbewegung: Stalins Führungsanspruch In Wroclaw wurde die Bildung eines internationalen Verbindungskomitees mit Sitz in Paris und die Schaffung eines nationalen Komitees zur Verteidigung des Friedens in jedem Land beschlossen. Die förmliche Konstituierung der Weltfriedensbewegung erfolgte auf dem I. Weltfriedenskongreß, der im April 1949 gleichzeitig in Prag und Paris stattfand. Dort wurde das Ständige Komitee des Weltfriedenskongresses gebildet, das als Vorläufer des Weltfriedensrates gelten kann. Dessen Einsetzung als repräsentatives und beschließendes ständiges Organ der Weltfriedenskonferenz erfolgte 1950 in Warschau auf dem II. Weltfriedenskongreß. 248 In rascher Abfolge wurde eine Vielzahl weiterer Friedenskongresse organisiert (New York, Warschau, Budapest, Rom, Stockholm, Berlin, Wien), wobei die Tagung in Stockholm 1950 mit dem weltweit positiv rezipierten „Stockholmer Appell" zur Ächtung der Atombombe als „Angriffsund Massenvernichtungswaffe" 249 den größten Erfolg hatte. Der Ausbruch des Koreakriegs und der von hohen Politikern und Militärs der USA geforderte Einsatz von Kernwaffen ließ den Aufruf zur Einstellung der Kampfhandlungen internationale Resonanz finden. Nur wenn man sich die damals als akut betrachtete Gefahr eines III. Weltkriegs vor Augen führt, wird es verständlich, warum die Friedensbewegung so viele auch kommunistischer Sympathien unverdächtige Sponsoren und Anhänger fand. Sidney Hook rechnet für den im März 1949 in New York veranstalteten Friedenskongreß nach, daß von den ca. 650 Sponsoren etwa 150 mit Sicherheit nicht zum linken Flügel gehörten. 250 Aus Gründen eines alliierten Kriegsromantizismus, der Erinnerung an die amerikanisch-sowjetische Waffenbrüderschaft oder aufgrund der Überzeugungskraft der Abrüstungsrhetorik unterstützten sie die Veranstaltung. Ilja Ehrenburg nennt als Persönlichkeiten und Organisationen, die dem Kongreß in Paris 1949 wohlwollend gegenüberstanden: Expräsident von Mexico Cárdenas, Elisabeth Königin von Belgien, Heinrich Mann, Matisse, Chagall, Charlie Chaplin, Salacrou; der Genfer Uhrmacher-Verband, Universität von Panama, Bund argentinischer Maler, Vereinigung kleiner Geschäftsleute von Tunis, Norwegischer Hausfrauen-Verband, Liga zum Schutz der Kinder in Syrien u.a. 251 Doch trotz des ehrlichen Engagements zahlreicher Beteiligter, die sich von ihrer Mitarbeit tatsächlich versprachen, der Sache des Friedens zu dienen, handelte es sich bei den auf Wrodaw folgenden Veranstaltungen zunächst - in Abuschs Terminologie - ausschließlich um „Demonstrationskongresse"252. Personen, von denen kritische Äußerungen zu erwarten waren, wurden nicht mehr aufs Podium gelassen, wie Sidney Hooks vergebliche Versuche zeigen, auf die Rednerliste im New Yorker Waldorf Astoria zu gelangen, obwohl die Programmausschreibung ge248 249 250 251 252

DDR-Handbuch, S. 1471. Frédéric Joliot-Curie, Der Stockholmer Appell, in: F. J.-C., Wissenschaft und Verantwortung, S. 118. Hook, Out of Step, S. 388. Coleman nennt als Sponsoren u. a. Einstein, Chaplin, Robeson und Bernstein. - Coleman, The Liberal Conspiracy, S. 5. Ehrenburg, Menschen, Jahre, Leben, Bd. 3, S. 372. Abusch, Wroclaw wird weiterwirken. Ehrenburg notiert, daß man erst auf dem Kongreß in Wien 1952 sowjetkritischen Beiträgen wieder zugehört habe und erstmals viel von friedlicher Koexistenz und kulturellen Kontakten die Rede gewesen sei. - Ehrenburg, Menschen, Jahre, Leben, Bd. 3, S. 547.

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lautet hatte: „We call upon those of no one party but of all parties, on all men of good will, to join with us." 253 Reden, die dennoch mißliebige Ausführungen enthielten, wurden mit Schweigen übergangen oder mit Pfiffen quittiert.254 Die Vertreter Jugoslawiens wurden „auf Beschluß Stalins [...] in den Zeitungen der sozialistischen Länder als .Verräter' bezeichnet".255 In Rom 1949 beriet man bereits über den Ausschluß der Jugoslawen: „Eine Delegation, die die Kriegspolitik der jugoslawischen Regierung stütze, könne nicht Mitglied des Ständigen Ausschusses sein," heißt es bezeichnend in einer Sitzung des Arbeitsausschusses der Deutschen Kämpfer für den Frieden vom 5. Dezember 1949.256 Die Beispiele führen vor Augen, daß sich die Friedensbewegung in unheilvoller Verschränkung mit dem Stalinismus befand. Die gesamte Rhetorik zielte darauf, die USA allein für die Kriegshetze schuldig zu erklären. Die Appelle gingen stets mit Versuchen überein, Andersdenkende zu disziplinieren, abweichende Meinungen zu verunglimpfen und andere Bewertungen zu verwerfen. 257 Das galt auch für diejenigen, die nicht bereit waren, der Unterscheidung zwischen der zu ächtenden Atombombe und einem - .notwendigen', .gerechten' - Krieg zu folgen. Diese Unterscheidung gewann zunehmend an Bedeutung und führte dementsprechend zu einer Ablehnung des Pazifismus. Die Aggressivität der antiwestlichen Auftritte war dazu angetan, in den USA viele Leute zurückzustoßen, sie den Kreisen um McCarthy zuzutreiben und den dortigen Hardlinern den Rücken zu stärken. Selbst den Friedenskämpfern war dieser Zusammenhang (in ihrer spezifischen Wahrnehmung und Formulierung) klar: es bestehe die Gefahr, „daß gerade wegen des Erstarkens der Friedenskräfte Abenteuer der imperialistischen Kriegstreiber vorbereitet würden." 258 Ilja Ehrenburg, der selbst nicht unschuldig war an der Erhöhung der Spannung zwischen den Großmächten 259 und seinen Beitrag zur Diffamierung von nicht kommunismus-konformen Schriftstellern des Westens beigesteuert hatte (indem er etwa Sartre als „einen reißerischen, hyperrationalen Salonmenschen" beschimpfte 260 ) erkannte nach eigenen Angaben durch seine Reisen in den Westen, „wie leicht es ist, die Zahl der Feinde zu veigrößern, der Ton meiner Artikel wurde milder". 261 Im November 1950 sagte er auf einem Kongreß: „Man darf der heranwachsenden Generation keinen Haß auf andere Völker, keine Mißachtung dieser Völker einimpfen. Die Entwick253 254 255 256 257 258 259

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Hook, Out of Step, S. 382. Ehrenburg führt das Beispiel eines Auftritts des Amerikaners John Rogge an. - Ehrenburg, Menschen, Jahre, Leben, Bd. 3, S. 373. Ebd., S. 375. Verkürztes Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschussses im Deutschen Komitee der Kämpfer für den Frieden vom 5. 12. 1949. - SAPMO: ZPA IV 2/906/76. Vgl. R. Heukenkamp, „Gesellschaftliche Verantwortung des Wissenschaftlers", S. 291f. Heukenkamp weist dies anhand des Stockholmer Appells und von Äußerungen Ehrenburgs nach. Verkürztes Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses im Deutschen Komitee der Kämpfer für den Frieden vom 5.12. 1949. - SAPMO: ZPA IV 2/906/76. Vgl. Artikel Ehrenburgs wie „An die Schriftsteller des Westens" (TR vom 9.4. 1950) und „Atombomben sind keine Argumente" (TR vom 28.6.1950). - Vgl. R. Heukenkamp, „Gesellschaftliche Verantwortung des Wissenschaftlers", S. 291f. und die selbstkritischen Äußerungen in Ehrenburgs Memoiren (Menschen, Jahre, lieben, Bd. 3, S. 383, 462ff.). Ehrenburg, Menschen, Jahre, Leben, Bd. 3, S. 462. Ebd., S. 464.

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lung der Kultur der Menschheit ist unmöglich in der Isolation, bei künstlichen Mauern, bei ungerechten Angriffen auf die Kultur und das Leben anderer Völker [...]. Das Klima in der Welt muß unbedingt verändert, das gegenseitige Mißtrauen muß zerstreut werden." 262 Diese Zeilen wurden von den sowjetischen Zeitungen nicht abgedruckt. Erst Mitte der 50er Jahre hatten solche Anschauungen wieder die Chance, zur Veröffentlichung zu gelangen. Der Fall Ehrenburg erhellt die Zwänge, denen die sowjetischen Delegierten ausgesetzt waren: den damaligen Zeitgeist in der Sowjetunion, den Anpassungsdruck, sich zum Sprachrohr der offiziellen Linie zu machen, und die Schwierigkeiten, mit persönlichen Meinungen überhaupt durchzudringen. Auch das Zustoßen zur Friedensbewegung selbst war keineswegs aus eigenem Antrieb erfolgt, sondern von oben angeordnet worden. Ehrenburg beschreibt in seinen Erinnerungen anschaulich, wie ihn der Befehl erreichte, zu dem Pariser Friedenskongreß 1949 zu fahren, zu einem Zeitpunkt, als das Jüdische Antifaschistische Komitee aufgelöst, die Gruppe der jiddisch schreibenden Autoren verhaftet war und man die „antipatriotischen Theaterkritiker" ,entlarvt' hatte. Ehreitmrgs Texte wurden seit Anfang Februar 1949 nicht mehr gedruckt; seine Verhaftung schien kurz bevor zu stehen. Eine Kommandierung ins Ausland unter diesen Umständen war eine Reise mit der Schlinge um den Hals. 263 Auch Schostakowitsch wurde eine solche Reise befohlen (zur New Yorker Tagung 1949), obwohl ihm in dem ZK-Erlaß zu Fragen der Musik kurz zuvor angdastet worden war, er habe mit Prokofjew beabsichtigt, die Musik zu liquidieren. 264 Im Ausland indes hatten Intellektuelle wie Ehrenburg und Schostakowitsch einen ungleich höheren Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad als ihre angepaßten Kontrahenten. So wurden sie, zur Hebung des internationalen Ansehens, vor den Karren der Friedensbewegung gespannt. „Da dachten sie sich die Weltfriedensbewegung aus", heißt es in den Schostakowitsch-Memoiren: „Dazu wurden Leute gebraucht. Und Stalin erinnerte sich an mich. Das war haargenau sein Stil. Er liebte es ungemein, einen Menschen mit dem Tod zu bedrohen und ihn dann nach seiner Pfeife tanzen zu lassen."265 Die westlichen Gesprächspartner, insbesondere die Journalisten, brachten in völliger Unkenntnis dieses Sachverhalts und aus Sensationslüsternheit die prominenten sowjetischen Gäste mit ihren Interviews in größte Schwierigkeiten: „Ich hatte auf törichte Fragen zu antworten, ständig darauf bedacht, nur ja nichts Überflüssiges zu sagen. Auch daraus machten sie eine Sensation. Und ich hatte nur einen Gedanken: Wieviel Zeit zu leben habe ich noch?" 266 Später hatte die Friedensbewegung durchaus auch die Funktion einer Nische für die Intellektuellen der östlichen Hemisphäre: Das fällige gesellschaftliche Engagement ließ sich in einem relativ unverfänglichen Bereich erbringen. Auch Lukäcs etwa äußerte, er habe nach 1945 nur an Friedenskongressen teilgenommen. 267

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Ebd., S. 465. Ebd., S. 363ff. Die DDR-Presse nahm diesen Erlaß offensiv auf (die Maßregelung wird gerechtfertigt und man betont, die getadelten Sowjetkomponisten würden dennoch weiter aufgeführt). - Vgl. Karl Schönewolf, Experiment, Wirrwarr und Klärung, in: Sonntag vom 8. 2. 1948. Zeugenaussage. Die Memoiren des Dmitrij Schostakowitsch, S. 194. Ebd., S. 195f. Vgl. Ehrenburg, Menschen, Jahre, Leben, Bd. 3, S. 368. Lukäcs, Gelebtes Denken, S. 209.

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Eine Gegenoffensive: Der Kongreß für kulturelle Freiheit. Mit einem Exkurs: Der Prozeß Krawtschenko gegen „Lettres françaises" Die Friedensbewegung blieb allerdings nicht ohne westliche Entgegnung. Nach seiner vergeblichen Bemühung, vor der in New York versammelten Gruppe von Friedenskämpfern zu sprechen, organisierte der Philosoph Sidney Hook - er war einst Anhänger des sowjetischen Kommunismus gewesen, um sich nach den Schauprozessen der 30er Jahre definitiv von ihm abzuwenden, 268 - in aller Eile eine Gegendemonstration. Bryn J. Hovde versorgte Hook mit Details über den Wroclawer Kongreß und dessen Vorläuferrolle für die New Yorker Veranstaltung. Hooks Initiative fand u. a. die Unterstützung von Bertrand Russell, T.S. Eliot und Arthur Koestler. Die ins Leben gerufene Gegenbewegung nahm den Namen des 1939 (gegen den Faschismus gegründeten) Komitees für kulturelle Freiheit wieder auf. 269 Diese Offensive einer Gruppierung, zu der auch antikommunistische Linke zählten, inspirierte den französischen Sozialisten DavidRousset dazu, eine Gegenkonferenz zu der Veranstaltung in Paris im April 1949 durchzuführen. Daß sie sich als Fehlschlag erwies, führt Coleman auf die seinerzeitige Randposition der Dissidenten angesichts eines gerade in Frankreich damals noch bestehenden prokommunistischen Konsenses zurück. 270 Innerhalb der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) war nach der Schelte, die sie auf dem Gründungskongreß der Kominform im September 1947 seitens der Sowjetunion und Jugoslawiens bezogen hatte - es ging u.a. um den Verlust der Regierungssitze im Mai 1947 - , ein Konfrontations- und Dogmatisierungskurs eingeschlagen worden, 271 der sich auch in ihren Publikationsmedien niederschlug. So unterschied sich die kommunistische Literatuizeitschrift „Lettres françaises" zu jenem Zeitpunkt in Diktion und Ausrichtung kaum von sowjetischen Organen. In ihrer Ausgabe vom 13. Oktober 1947 veröffentlichte sie eine (mit einem Pseudonym gezeichnete) vernichtende, vor persönlichen Ausfällen nicht zurückschreckende Rezension. Sie galt dem im Frühjahr 1947 in den USA erschienenen Buch des während des Krieges in die USA übergelaufenen ehemaligen sowjetischen Diplomaten Viktor Krawtschenko, in dem dieser mit der Geschichte und Gegenwart der Sowjetunion scharf ins Gericht ging. Krawtschenko zeigte die Zeitschrift wegen Verleumdung an, und im Januar 1949 kam es zum Prozeß. Als Zeugen der Zeitschrift trat eine Reihe namhafter französischer Intellektueller auf. Ihre Aussäen waren geprägt von einem uneingeschränkten Lob der Sowjetunion und der Infragestellung sämtlicher von Krawtschenko genannter Gewaltmaßnahmen der Sowjetregierung gegen die eigene Bevölkerung, wie die sogenannte Entkulakisierung, die unzählige Opfer forderte, oder die Einrichtung von Straflagern, in denen Millionen von Menschen zu Tode gekommen waren. 272 Der Vorfall erscheint in diesem Kontext insofern erwähnenswert, als einige dieser Zeugen Mitglieder der französischen Delegation in Wroclaw waren. Durch ihr Auftreten während des Prozesses wiesen sie sich als Anhänger der von Fadejew in den Kongreß hineingetragenen 268 269 270 271

Zum Lebenslauf Hooks vgl. Coleman, Sidney Hook, S. 104ff. Vgl. Hook, Out of Step, S. 384. Coleman, The Liberal Conspiracy, S. 7. Vgl. Ra'anan, International Policy Formation, S. 107ff. Die KPF kanonisierte sogar die Lehren Lyssenkos (vgl. Boris Nosik, Ftot strannyj Parizskij process, S. 227) und enthob Funktionäre, die dies nicht nachvollzogen, ihres Postens. Betroffen war z. B. der Biologe Marcel Prenant, einer der Delegierten in Wroclaw. - Vgl. Bondy, Berlin Congress for Freedom, S. 245.

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Zwei-Lager-Theorie aus. Um die „Lettres françaises" zu verteidigen, griffen sie auch zu pseudowissenschaftlichen Argumentationen. 273 Der Journalist André Wurmser, der ebenfalls einen Artikel gegen Krawtschenkos Buch verfaßt hatte, wiederholte vor Gericht seine Anschuldigungen und ließ sich zu dem Ausruf hinreißen: „Wer gegen die Sowjetunion aussagt, sagt damit auch gegen Frankreich aus." 274 Beachtenswert ist, daß er und auch andere sich bei ihrem Protest gegen Krawtschenko auf ihre Tätigkeit in der Résistance beriefen und daraus ihre „Pflicht" ableiteten, „Verleumdungen" der Sowjetunion entgegenzutreten. Die Beschwörung des antifaschistischen Geistes sollte offenbar den Konsens für die Angriffe auf Krawtschenko erweitern, die im Zeichen der (eben nicht von allen Intellektuellen nachvollzogenen) Polarisierung der Welt standen; die „Antifaschismus"-Parole übernahm hier also dieselbe bindende, verbindliche, Andersdenkende als profaschistisch bzw. kriegstreiberisch ausgrenzende Funktion, wie sie sonst dem Friedensbekenntnis zukam. In dieser Periode der prokommunistischen Grundstimmung konnte Hannah Arendt keinen französischen Verlag für ihr Buch „Die Wurzeln des Totalitarismus" finden, Boris Souvarine konnte nur mit Mühe seine heute klassische Stalin-Biographie veröffentlichen und der französische Übersetzer von Arthur Koestlers Roman „Sonnenfinsternis" fand es angebracht, erst seinen Namen, dann sogar sein Pseudonym zurückzuziehen.275 Noch war die Stimmung unter den Intellektuellen vielfach von Thomas Manns angeblichem Satz über den Antikommunismus als die „Grundtorheit unseres Jahrhunderts" geprägt. 276 Erst drei 1949 veröffentlichte Bücher, George Orwells „1984", Richard Crossmanns Sammlung von Beiträgen Abtrünniger unter dem Titel „The God that failed" und Arthur M. Schlesingers „The Vital Center" bewirkten zusammen mit den einschneidenden politischen Ereignissen der späten 40er Jahre (,Sowjetisierung', Berliner Blockade, Verurteilung Titos) einen Umschwung auch bei zahlreichen Linken. 277 Den Höhepunkt der Aktivitäten des Komitees für kulturelle Freiheit bildete zweifellos ein Großkongreß in Berlin 25.-30. Juni 1950, dessen Planung Hook und Lasky im Frühsommer 1949 in Angriff genommen hatten. Teilnehmer waren u. a. Eugen Kogon, Luise Rinser, Carlo Schmid, François Bondy, Peter de Mendelssohn, Walter Mehring, Franz Borkenau, Richard Löwenthal, 272

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Zu diesem Prozeß siehe Boris Nosik, Etot strannyj Parizskij process. Das Prozeßprotokoll ist mit Memoiren, Interviews und Kommentaren verwoben. Zur Zeit des Prozesses erschien in der Prawda vom 1. 2. 49 ein Artikel von Konstantin Simonow, damals stellvertretender Generalsekretär des sowjetischen Schriftstellerverbandes, mit Angriffen gegen den „Renegaten" Krawtschenko. Die Zeugen erhielten somit gleichsam Rückendeckung von höchster Instanz. So versuchte Jean Baby, Geschichtsprofessor, mit Verweis auf die Bevölkerungsstatistik und das daraus ablesbare Bevölkerungswachstum die Zahl der vom stalinistischen Regime zu verantwortenden Opfer herunterzuspielen. - Vgl. Nosik, Etot strannyj Parizskij process, S. 59f. Jean Bruhat, ebenfalls Historiker, führte ein literarisches, weitgehend den Gesetzen des sozialistischen Realismus verpflichtetes Werk, Michail Scholochows Roman „Neuland unterm Pflug", an, um Krawtschenkos Darstellung der „Entkulakisierung" zu widerlegen. Ebd. S. 185. Ebd., S. 18. Vgl. Coleman, The Liberal Conspiracy, S. 8. Tatsächlich hatte Thomas Mann 1944 in dem Essay „Schicksal und Aufgabe" geschrieben: „Trotzdem kann ich nicht umhin, in dem Schrecken der bürgerlichen Welt vor dem Wort Kommunismus, diesem Schrecken, von dem der Faschismus so lange gelebt hat, etwas Abergläubisches und Kindisches zu sehen, die Grundtorheit unserer Epoche." - Vgl. Rohrwasser, Der Stalinismus, S. 13. Vgl. Coleman, The Liberal Conspiracy, S. 8.

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Golo Mann, Theodor Plivier, Alfred Weber, Raymond Aron, Jules Romains, James Bumham, James T. Farrell und - als Schlüsselfiguren - Ignazio Silone und Arthur Koestler. 278 Benedetto Croce, John Dewey, Karl Jaspers, Jacques Maritain und Bertrand Russell fungierten als Ehrenpräsidenten. Grußadressen hatten u.a. Eleanor Roosevelt, André Gide, John Dos Passos, Hermann Broch, Upton Sinclair, Julian Huxley und André Malraux geschickt. 279 Die Veranstaltung, die mit einer feierlichen Eröffnungssitzung im Titania-Palast begann (einer der Redner war auch Berlins Oberbürgermeister Ernst Reuter) und in eine Massenkundgebung mit 15.000 Menschen mündete, gewann ihren besonderen Impetus aus der Inseüage der Stadt mitsamt der gerade erst überstandenen Blockade-Erfahrung und aus dem frisch ausgebrochenen Koreakrieg. 280 Der Kongreß leitete eine Periode der „liberalen Offensive" (Coleman) bzw. der „Offensive der Freiheit" (Koestler) ein, die die Intellektuellen dazu mobilisieren wollte, den „Virus der Neutralität" zu bekämpfen, der - so Hook - den Westen gegenüber der kommunistischen Aggression entwaffnet habe. 281 Man versprach sich eine „kraftvolle Demonstration, um die intellektuelle Atmosphäre im Westen zu reinigen." 282 Wortführend in diesem Sinne waren vor allem die ehemaligen Kommunisten, wie Koestler oder Franz Borkenau, die für sich in Anspruch nahmen, „heute in der Demokratie einen ganz besonderen Beitrag zu geben", da gerade sie wüßten, „daß die kommunistische Gefahr eine totale Gefahr ist, vor deren Unerbittlichkeit es kein Ausweichen gibt". 283 Indes war die Berliner Veranstaltung ebensowenig von Einmütigkeit geprägt wie die in Wrodaw zwei Jahre zuvor. Unter dem gemeinsamen Nenner des Antikommunismus gab es auch hier dogmatische und .gemäßigte' Positionen. Differenzen waren vor allem in der Frage der uneingeschränkten Anerkennung der amerikanischen Militärmacht zu verzeichnen; ihre Politik der Stärke widersetze sich der Losung eines „Friedens um jeden Preis". Auch der zentrale Begriff der „Freiheit" war Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten.284 Die kritischen Stimmen kamen zumeist aus Kreisen der Sozialdemokraten, Freidenker und ,heimatlosen Linken', die sich dem Kongreß für kulturelle Freiheit angeschlossen hatten. Möglicherweise war es auf ihren Einfluß zurückzuführen, daß sich die Aktivitäten dieser Institution auch gegen ,rech te' Diktatoren und den McCarthyismus richteten.285 Auf der Berliner Versammlung wurde deutlich, daß bestimmte politische Haltungen, namentlich Pazifismus und Neutralismus, von beiden Lagern, von der

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Zu Koestlers Mitwirkung beim Kongreß für kulturelle Freiheit und seinem Auftritt in Berlin 1950 vgl. außer Hook (Out of Step, S. 443f„) und Coleman (The Liberal Conspiracy, S. lf., 22ff.): Hamilton, Koestler, S. 173-203; Hook, Cold Warrior, S. 12-16. Teilnehmerliste und Verzeichnis der Begrüßungstelegramme in: Der Monat Nr. 22/23 (1950), S. 476ff. Die Reden sind dokumentiert in: Der Monat Nr. 22/23 (1950). Hook, Out of Step, S. 440. A. und C. Koestler, Auf fremden Plätzen, S. 104. So Franz Borkenau im Rahmen der Abschlußdiskussion, in: Der Monat Nr. 22/23 (1950), S. 468. So warnte z. B. Adolf Grimme vor einem neuen „Totalitarismus der Freiheit" (Der Monat Nr. 22/23 [1950], S. 467). Die genannten Differenzen auf dem Kongreß blieben in der kommunistischen Presse ausgespart, die sich in dem bekannten Kampagnen-Vokabular dazu äußerte. - Vgl. A. und C. Koestler, Auf fremden Plätzen, S. 104f. Vgl. die Liste der Aktivitäten des Kongresses für kulturelle Freiheit zwischen 1951 und 1956 bei Hook, Out of Step, S. 458ff.; das amerikanische Komitee für kulturelle Freiheit unterstützte 1954 die Herausgabe einer Untersuchung von James Rorty und Moshe Decter „McCarthy and the Communists".

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sowjetisch gesteuerten Friedensbewegung wie von dem amerikanisch beeinflußten Kongreß für kulturelle Freiheit, als dem jeweiligen Gegner dienend abgelehnt wurden. In der Expansionsphase des Kongresses für kulturelle Freiheit veranstaltete er eine Vielzahl von kleinen und großen internationalen Seminaren und Festivals, wobei es allerdings zu Spannungen zwischen dem Sekretariat in Paris unter Leitung von Nicolas Nabokov und dem 1951 gegründeten Amerikanischen Komitee für kulturelle Freiheit kam. Während es dem Pariser Büro nicht zuletzt darum ging, kulturelle Attraktionen zu schaffen, waren die Amerikaner militanter auf die eigentlich politischen Ziele ausgerichtet. 286 Von außerordentlicher Bedeutung, auch von großer Langzeitwirkung war das Netzwerk an Zeitschriften, das von dem Kongreß errichtet wurde. Schon im Oktober 1948 war die erste Nummer des „Monat" erschienen. Hatten die amerikanischen Militärbehörden nach dem Eklat auf dem I. Deutschen Schriftstellerkongreß erwogen, Lasky aus Berlin auszuweisen, so suchten sie kurze Zeit später seinen Rat, wie auf kulturpolitischem Gebiet den Sowjets zu begegnen sei. Laskys Projekt einer Zeitschrift, die den deutschen Lesern hochrangige Beiträge aus „der freien Welt" nahebringen sollte, war sofort erfolgreich. 287 Nach 1950 erfolgte eine Reihe weiterer Zeitschriftengründungen („Encounter", „Survey", „Preuves", „Tempo Presente", „Cuadernos") aus dem gleichen Geist; nach einiger Zeit waren sie sämtlich finanziell unabhängig. Bereits in der zweiten Hälfte der 50er Jahre hatte der Kongreß für kulturelle Freiheit seinen Höhepunkt überschritten, Mitte der 60er Jahre kam der völlige Einbruch durch die Enthüllung der Finanzierung durch den CIA. Bereits seit 1950 war der Kongreß diskret (meist über Stiftungen wie die Farfield Foundation) vom 1947 konstituierten CIA gesponsored worden; der Mißkredit, den sich der CIA in den 60er Jahren durch seine internationalen Aktionen (besonders in Vietnam) einhandelte, brachte rückwirkend gleichsam auch die ganze bisherige Geschichte des Kongresses für kulturelle Freiheit in Verruf. 288 Errichtung der sowjetischen Friedensfront Mit besonderem Aufwand wurde das sowjetische Komitee zur Verteidigung des Friedens etabliert. Der erste Allunionskongreß des Komitees fand Ende August 1949 statt. Indem namhafte Künstler und Wissenschaftler, zumeist Funktionsträger, an zum Teil führender Stelle zur Teilnahme herangezogen wurden, wurde deutlich, daß auch innerhalb der Sowjetunion der Friedenskampf zu einer Angelegenheit der Kultur bzw. Kulturpolitik gemacht wurde. Man erhoffte sich dadurch eine breitere Beteiligung der Bevölkerung, als sie bei einer exponierten Einbeziehung hoher Parteifunktionäre zustande gekommen wäre. 289 Leiter des Vorbereitungsausschusses und erster Präsident des Komitees war z.B. der Lyriker Nikolai Tichonow, bis 1946 Präsident des Schriftstellerverbandes und danach einer seiner Sekretäre. 290 In dem 81köpfigen Präsidium des Kongresses waren u. a. vertreten: der Präsident der Akademie der Wissenschaften, Sergej Wawilow, Alexander Fadejew als Generalsekretär des Schriftstellerverbandes, sein Stellvertreter

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Vgl. Hook, Out of Step, S. 445ff.; Coleman, The Liberal Conspiracy, S. 159ff. Vgl. Coleman, The Liberal Conspiracy, S. 19. Vgl. ebd., Kap. 14 ; Hook, Out of Step, S. 450ff. Vgl. auch Dr. Naas in seinem Redebeitrag auf der 26. (46.) Tagung des Parteivorstands der SED am 2. und 3. Juni 1950. - SAPMO: ZPA 2/1/80. Vgl. Soäin, Nikolaj Tichonov, S. 248.

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Konstantin Simonow, der ebenfalls häufig zu Auslandsmissionen entsandt wurde, Michail Scholochow, Ilja Ehrenburg, der Vorsitzende des Komponistenverbandes Tichon Chrennikow, aber auch Dmitri Schostakowitsch (trotz seiner Maßregelung im ZK-Erlaß von 1948 wegen „Formalismus")- 291 In diesem Fall bedeutete die Einbeziehung in das Friedenskomitee eher einen Akt der Disziplinierung bzw. die Möglichkeit der „gesellschaftlichen" Rehabilitierung. Die 1.200 Teilnehmer wurden schon im vorhinein exakt festgelegt, über 400 Gäste eingeladen. Allein diese Zahlen weisen den Kongreß als (akklamatorische) Massenveranstaltung aus, auf der Diskussionen schon gar nicht mehr stattfinden konnten. Als gewichtigste Gruppe waren die Gewerkschaften mit 495 Delegierten und der Schriftstellerverband mit 65 Abgeordneten vertreten. Um die Rolle der Sowjetunion als führende Friedensmacht, immer wieder gerechtfertigt mit ihrem Sieg über den Faschismus, demonstrativ hervorzukehren, wurde ein mehrteiliger Film über die Vorbereitung und den Ablauf des Kongresses projektiert. 292 Dies sicher auch mit Blick auf das Ausland, dem man dies schuldig zu sein glaubte. Denn, wie es hieß, auf den Kongressen von Wroclaw und Paris sei „mit besonderer Kraft die Stimme der Sowjetunion ertönt" und von den Delegierten „aller Völker der Erde mit ganzem Herzen" vernommen worden. 293 Diese Selbstlegitimierung ließ die Sowjetunion in den folgenden Jahren mit immer neuen Initiativen z. B. auch zu einem Friedensvertrag und zur deutschen Einheit auftreten und kritische oder zweifelnde Stimmen als Gegner nicht nur der UdSSR, sondern aller „friedliebenden Völker" brandmarken. Zur Übernahme der Friedenskampagne in der DDR Nach der Rückkehr der deutschen Delegation aus Wrociaw zog der Präsidialrat des Kulturbundes „auf seiner Tagung vom 7. September die deutschen Schlußfolgerungen aus diesem internationalen Friedenskongreß und war sich einig, daß über ihn die weiteste Berichterstattung in allen Landesverbänden des Kulturbundes, an den Universitäten und in großen Betrieben organisiert werden soll. [...] Für Deutschland übernahm also der Kulturbund die Aufgabe, eine Bewegung der Intellektuellen aller Zonen zur Verteidigung des Friedens und die Bildung ihres nationalen Komitees vorzubereiten." 294 Doch schon bald sollte die Friedenskampagne aus der alleinigen Kompetenz des Kulturbundes herausgenommen und zur .nationalen Angelegenheit' erklärt werden. Dabei wurde die Friedensprogrammatik sowjetischer Provenienz aufs engste mit der deutschen Frage verknüpft. Die „Volkskongreßbewegung für deutsche Einheit und einen gerechten Frieden" hatte für die Verbindung einer nationalen Agitation mit der Vorbereitung einer Separatstaatbildung unter Protektion der UdSSR bereits die Weichen gestellt. 295 Eine Rede Wilhelm Piecks, die er auf der zweiten Jahrestagung der damals in Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft umbe291 292 293 294

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Sitzung des Vorbereitungskomitees vom 12. 7. 1949. - GARF 9539/2/8. Sitzung des Vorbereitungskomitees vom 5. 8. 1949. - GARF 9539/2/8. So Tichonow auf einer Sitzung des Vorbereitungskomitees vom 5.7. 1949. - GARF 9539/2/7. Abusch, Wroclaw wird weiterwirken. Die Berichterstattungskampagne wurde von der SMAD sorgsam beobachtet. Bereits vorab forderte sie einen Plan an und hob die Bedeutung gerade der Betriebsauftritte hervor. Vgl. eine an Abusch gerichtete Aktennotiz über eine Besprechung mit Major Kusmienko. SAPMO: KB-Archiv 228. Vgl. Kapitel 2.1.4.

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nannten Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion im Juni 1949 hielt, umreißt die Leitlinien der Friedenskonzeption, die in zahllosen Artikeln weiter ausgearbeitet und kommentiert wurde. Ausgangspunkt ist der „eiserne Friedenswillen" der Sowjetunion, die sich für einen „gerechten Friedensvertrag" einsetze, um dem deutschen Volk die „nationale Selbständigkeit und Einheit zu sichern, welche auf „das schwerste" durch die Maßnahmen der westlichen Besatzungsmächte und das Deutschland zerreißende, ja zum Teil zur „amerikanischen Kolonie" machende Besatzungsstatut bedroht sei. 296 Einzig die Freundschaft mit der Sowjetunion wird als Garant für den Frieden interpretiert und die „progressive Politik" der SBZ/DDR als geeignet für eine Lösung der deutschen Frage angesehen. 297 Auf einer Einheitsliste für die Wahlen zum 3. Volkskongreß im Mai 1949 hatte der suggestive Satz gestanden: „Ich bin für die Einheit Deutschlands und für einen gerechten Friedensvertrag." Daran wurde die Stimmabgabe direkt gekoppelt: „Ich stimme darum für die nachstehende Kandidatenliste zum Dritten Deutschen Volkskongreß." 298 Mit der am 4. Oktober 1949 vom Parteivorstand der SED proklamierten „Nationalen Front des demokratischen Deutschland" wurde der Volkskongreßbewegung eine neue Organisationsform an die Seite gestellt. Sie hatte die Basis für die Ostorientierung (Bekenntnis zur UdSSR) und die scharfe Frontstellung gegenüber jeder Westorientierung (als Gegnerschaft zu den USA) noch weiter zu verbreitern. 299 Das Grußtelegramm, das Stalin zur Gründung der DDR im Oktober 1949 schickte, wirkte für den engen Schulterschluß mit der Sowjetunion bekräftigend: „Die Bildung der friedlichen Deutschen Demokratischen Republik ist ein Wendepunkt in der Geschichte Europas. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Existenz eines friedliebenden demokratischen Deutschlands neben dem Bestehen der friedliebenden Sowjetunion die Möglichkeit neuer Kriege in Europa ausschließt, das Blutvergießen in Europa beendet und die Versklavung der europäischen Länder durch die Weltimperialisten unmöglich macht." 300 Dennoch wurde in einer Art rhetorischem Balanceakt weiterhin an der Leitidee der nationalen Einheit festgehalten. Es kam zu zahlreichen Initiativen auf Regierungsebene (Beschlüssen des Ministerrats, Manifesten, Erklärungen, Briefen an die westdeutsche Regierung), die dieselben Maximen und Forderungen wiederholten. 301 Die drohende Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und ihre bevorstehende Einbeziehung in das westliche Bündnis- und Verteidigungssystem führten zu konkreteren Offerten seitens der Sowjetunion und der DDR. In der „Prager Deklaration" (einer Erklärung der Ostblock-Außenminister, die im Oktober 1950 in der tschechischen Hauptstadt zusammengekommen waren), wurde dafür plädiert, „unter Wiederherstellung der Einheit des deutschen Staates" unverzüglich einen Friedensvertrag abzuschließen, die Besatzungstruppen binnen Jahresfrist abzuziehen und einen aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands paritätisch zusammengesetzen Konstituierenden Rat zur Regierungsbildung einzusetzen. 302 Trotz des Scheiterns dieses Vorstoßes wurden die Anstrengungen zur „Rettung der Nation" unter der Parole „Deutsche an einen Tisch" 303 bis 1955

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Vgl. Dokumente der DSF 1949, S. 5-7. Archiv des sowjetischen Komitees zur Verteidigung des Friedens. - GARF 9539/1/2. Bender, Deutschland einig Vaterland?, S. 251. Vgl. ebd., S. 197. Dokumente der DSF 1949, S. 44. Vgl. GARF 9539/1/108 - Informationsmaterial über die Friedensbewegung in der DDR. Vgl. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 176.

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aufrechterhalten, obwohl spätestens die Beschleunigung des Transformationsprozesses in Richtung einer sozialistischen Gesellschaft 1952 das Einheitspathos konterkarierte. Im Mai 1949 konstituierte sich, gemäß den Beschlüssen von Wrociaw zur Bildung nationaler Komitees, in Ost-Berlin ein Deutsches Komitee der Kämpfer für den Frieden.304 Es operierte in enger Zusammenarbeit mit dem Volksrat bzw. der Volkskammer und den Ausschüssen für Einheit und gerechten Frieden. Nach dem Prinzip der möglichst vollständigen Erfassung der Bevölkerung wurden in allen großen Unternehmen Unterkomitees gebildet.305 Eng war auch die Bindung an die SED. Dies führte z.B. dazu, daß während der Unterschriftensammlung für den Stockholmer Appell im Jahre 1950 die Frage auftauchte, ob das Eintreten für Frieden und ein Verbot der Atomwaffen nicht zugleich „indirekt etwa" auch eine Entscheidung „für die Gesamtpolitik der SED" bedeute.306 Gerade der Stockholmer Appell hatte jedoch einen Ausweg aus dem vom SED-Vorstand selbstkritisch vermerkten zu engen Vorgehen geboten, indem er die Friedensfrage „auf eine so breite Basis" stellte, „daß [...] alle Menschen guten Willens [...] für den Frieden eintreten können" bzw. „noch Menschen sich mit in der organisierten Front der Friedenskämpfer einspannen lassen, die eben nur in der Frage des Friedens mit uns einer Meinung sind." Notwendiges Entgegenkommen und gewünschte Einbindung gehen hier einher. Auf Breitenwirkung waren auch schon die bis ins Detail geplanten Aktionen des Komitees der Kämpfer für den Frieden zum Weltfriedenstag am 2. Oktober 1949 angelegt: - kurze Feiern in den Betrieben; für die Ansprachen werde das Sekretariat eine Rededisposition herausgeben; - die neue Zeitschrift der DSF,.Friedenspost" werde erstmals an diesem Tag erscheinen;307 - an den Zonengrenzen sollten Kundgebungen durchgeführt und Grenzfeuer abgebrannt werden; an der tschechischen und polnischen Grenze müsse es zu großen Freundschaftskundgebungen kommen (ein „einwandfreier Ablauf' müßte allerdings gewährleistet sein); - es müsse ein Plakat herausgegeben und das Abzeichen der weißen Taube (Picassos Friedenstaube war seit dem Pariser Kongreß 1949 offizielles Emblem der Friedensbewegung) verbreitet werden; - die Veranstaltungen hätten Beschlüsse zu fassen, die über das Friedenskomitee an den Deutschen Volksrat weiterzuleiten seien; - Losungen und Aufrufe an die Bevölkerung seien zu verabschieden; - der Demokratische Frauenbund Deutschlands wolle ein Plakat als Postkarte drucken und in 100.000 Exemplaren nach Westdeutschland verschicken, an die Frauen in New York solle ein 303 304 305 306

307

Vgl. die Rede Otto Grotewohls „Der Weg zu Einheit und Frieden" vor der Volkskammer am 15. 9. 1951 und die Entschließung der Volkskammer. - GARF 9539/1/108. Es wurde später mehrfach umbenannt: In Deutsches Friedenskomitee (Dez. 1950), Deutscher Friedensrat (Jan. 1953), Friedensrat der DDR (Juni 1963). - Vgl. DDR-Handbuch, S. 481. GARF 9539/1/2 und 9539/1/108. Am Beispiel von Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften aufgezeigt in einem Redebeitrag von Dr. Naas auf der 26. (46.) Tagung des Parteivorstands der SED am 2. und 3. Juni 1950. Von ihm auch die folgenden Zitate. Vgl. Kap. 6.7.

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„Friedensalbum" übermittelt werden; auch der FDGB hält den Veisand von Briefen für „außerordentlich fruchtbar"; - man wolle an die Kirchen herantreten, damit diese im Gottesdienst und durch Glockenläuten auf die Bedeutung des Tages hinwiesen. 308 Die generalstabsmäßige Vorbereitung und die Zielvorstellung einer propagandistischen Durchdringung der gesamten Bevölkerung eihellt auch ein Plan zur Agitationsarbeit im November und Dezember 1950: Durch alle Friedenskomitees seien Versammlungen einzuberufen, um die Vorschläge des sowjetischen Außenministers Wyschinski in der UN und die Beschlüsse der Prager Außenministerkonferenz zu behandeln. Diese Versammlungen seien von den Agitatorengruppen der Partei, den Aufklärungsgruppen der Gewerkschaft und der Nationalen Front durch individuelle Agitation vorzubereiten. Nach genügender Vorarbeit sollten in den Betrieben freiwillige Verpflichtungen zur Leistung von Friedensschichten zu Ehren des 2. Weltfriedenskongresses eingegangen werden. Nach diesem Kongreß sei unter Mithilfe von Presse, Rundfunk, der schriftlichen und Sichtagitation eine große Berichterstattungs- und Aufklärungskampagne durchzuführen. 309 Das ganze Ausmaß des Friedenskampfes wird erst ersichtlich, wenn die Beteiligung der Massenorganisationen mit berücksichtigt wird. Denn diese hatten keineswegs nur zu sekundieren, sondern hatten selbst ihren Apparat zur ideologischen Schulung auf das Friedensthema zu zentrieren. Als Beispiel sei das Vorgehen der DSF genannt: Stalins Telegramm, diese „froheste Botschaft", „die unser Volk in seiner Geschichte von außerhalb seiner Grenzen erreicht hat", wertete der damalige Präsident der DSF, Jürgen Kuczynski, für eine Propagandakampagne aus, durch die „der genialen .Behandlung der deutschen Frage'" seitens des ,,größte[n] lebende[n] Marxismen]" 310 Rechnung getragen wurde. Auf den Beschluß des Deutschen Volksrats, den 1. September zum Friedenstag zu erklären, reagierte der DSF-Vorstand mit einer Resolution, die folgende Selbstveipflichtung enthielt: „Alle Einheiten der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft: Ortsgruppen, Kreissekretariate und Landesverbände werden im Rahmen der Volksausschüsse für Einheit und gerechten Frieden an der Vorbereitung und Durchführung der großen öffentlichen Veranstaltungen aktiv teilnehmen." 311 Für das Jahr 1950 setzte sich die DSF besonders hohe Ziele. In einem „Kampfbeschluß für den Frieden" 312 , den der Vorstand faßte, wurde die Forderung aufgestellt, zwischen dem 5. Mai und dem 22. Juni 1950 50.000 öffentliche Veranstaltungen überall in der DDR mit zehn Millionen Besuchern sowie 20.000 Ausstellungen zur Friedenspolitik der Sowjetunion und zu den „imperialistischen Kriegsplänen" zu organisieren. Die hochgesteckten Erwartungen wurden jedoch nicht ganz erfüllt. Tatsächlich fanden 20.000 Veranstaltungen mit vier Millionen Teilnehmern statt. 313 Proteste richteten sich gegen die Verbote von öffentlichen Friedensversammlungen in Westdeutschland, gegen die dortigen Schritte zur Remilitarisierung und die

308 309 310 311 312 313

Plenarsitzung des Komitees der Kämpfer für den Frieden am 16. 9. 1949. - SAPMO: ZPAIV 2/906/76. SAPMO: ZPA IV 2/5/1. Dokumente der DSF 1949, S. 41. Ebd., S. 33. Vgl. Dokumente der DSF 1950, S. 58f. Vgl. die Entschließung der Zentralen Vorstandssitzung am 19. 6. 1950. - Dokumente der DSF 1950, S. 64.

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geplante Einbindung in die NATO. Friedensforen organisierten ein bis zweimal im Monat Fragestunden für die Bevölkerung, bei denen prominente Vertreter des öffentlichen Lebens auftraten und z.B. den Unterschied zwischen „Militarisierung" und „nationaler Verteidigung" erläuterten. Dabei wurde die Diktion stets unduldsamer und militanter. „Den Frieden bis zum äusserten verteidigen" - unter dieser Parole Stalins, des ,,große[n] Bannerträger[s] des Friedens", stand etwa der Jahresarbeitsplan der Abteilung Kunst beim Zentralvoistand der DSF für das Jahr 1952. Die Anstrengungen müßten vervielfacht werden, „um jeden Einwohner beharrlich zu überzeugen, dass die Vorschläge Stalins und der Sowjetregierung [...] den Interessen aller friedliebenden Völker entsprechen". 314 Gemessen an den Teilnehmerzahlen bei Massenveranstaltungen der Friedensbewegung und an der Zahl der betrieblichen, lokalen, regionalen etc. Komitees zur Verteidigung des Friedens schien die Bewegung äußerst erfolgreich gewesen zu sein. Diese Quantitäten zeugen jedoch eher von einer straffen - zentralen - Organisation, denn von einer damit verbundenen entsprechenden inneren Einstellung der (Mehrheit der) daran Beteiligten. Die größte Wirksamkeit erreichte man durch den eigentlich unpolitischen, emotionalen Appell an die Friedenssehnsucht der Menschen. Auf einer Konferenz der Abteilung Kultur des ZK der SED „über die Erfüllung des Fünfjahrplans auf dem kultur-politischen Gebiet" machte Edith Kuckhoff auf „kleinbürgerliche Kulturfunktionäre" aufmerksam, „die durchaus aufgeschlossen an die Arbeit herangehen und etwas hervorzubringen helfen, was man mit,Neukitsch' bezeichnen möchte. Sie reden vom Frieden, von Einheit, von Frieden auf Erden und machen Verse für Laienspiele und was alles noch. Das reimt sich alles, das schwimmt alles in Gefühlsseligkeit." 315 Die oft abstrakte und zudem militante politische Rhetorik wirkte demgegenüber vielfach abschreckend. Doch die Ursache für mangelndes inneres Engagement wurde der Parteilogik gemäß nicht auf der eigenen Seite, sondern beim ideologischen Gegner gesucht. Resignative, pazifistische oder neutralistische Stimmungen wurden als Folge imperialistischer Infiltration interpretiert. 316 . Nachdem das Grußtelegramm Stalins, so Abusch, in den internationalen Kreisen der Friedensbewegung „sensationell gewirkt und viele Tore geöffnet" hatte, 317 beanspruchte die DDR bald eine führende Rolle innerhalb der Weltfriedensbewegung. Sie übernahm es etwa, in mehrwöchigen Kursen Friedenskämpfer zu schulen. Das deutsche Friedenskomitee gab Referentenmaterial heraus zu Themen wie friedliche Koexistenz von Ländern unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, Kritik an der Außenpolitik der USA, Agitation gegen die Einbeziehung Westdeutschlands in „aggressive militärische Gruppierungen mit dem Ziel eines neuen Krieges", gegen die Atombombe, jedoch für die friedliche Nutzung der Atomenergie. 318 Ein Großteil der Broschüren und Abhandlungen war allerdings vermutlich sowjetischer Provenienz und wurde über die „Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland" (WOKS) in die DDR vermittelt. 314

315 316 317 318

SAPMO: ZPA IV 2/906/148. Aus dieser Erwägung heraus sollte auch der Aufklärungsarbeit in den Wohnungen der Vorrang gegenüber größeren Veranstaltungen gegeben werden, so Wilhelm Koenen auf der 26. (46.) Tagung des Parteivorstands der SED am 2. und 3. Juni 1950. SAPMO: ZPA IV 2/101/172. So Hermann Axen auf der 26. (46.) Tagung des Parteivorstands der SED am 2. und 3. Juni 1950. Sitzung des Arbeitsausschusses im Deutschen Komitee der Kämpfer für den Frieden vom 5. 12. 1949. - SAPMO: ZPA IV 2/906/76. GARF 9539/1/2.

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Daß in der DDR Aktivitäten in einem Umfang entfaltet wurden, der vergleichbar sonst nur in der Sowjetunion festzustellen war, erklärt sich daraus, daß die Friedensbewegung für die DDR sowohl innen- als auch außenpolitisch eine bedeutsame Funktion hatte: außenpolitisch signalisierte sie den Anschluß an das sozialistische Lager, innenpolitisch hatte sie die Aufgabe, die auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre forciert übernommenen Elemente des sowjetischen Modells gleichsam zusätzlich zu verankern. Neben der Einführung der Planwirtschaft bildete die Friedenskampagne einen Kernpunkt bei dem Kulturtransfer unter stalinistischen Vorzeichen, auf dessen einzelne Merkmale noch zurückzukommen sein wird. Was anhand des Verhältnisses von SED zu den Intellektuellen als Übergang von einer Phase relativer Großzügigkeit zu einer Periode der rigiden Kontrolle und verengten Spielräume noch im Detail beschrieben wird, läßt sich anhand des Friedendcampfes ein erstes Mal konkret belegen.

3.2.5 Konsequenzen für das literarische Leben in der DDR Denn unter dem Signum des Einsatzes für den Frieden suchte die Partei, eine enge Anbindung der Intelligenz zu erreichen, auf ideologischem, organisatorischem und künstlerischem Gebiet. Ideologisch wirkte sich das so aus, daß die Unifizierungsprazesse, die in der Sowjetunion im Zusammenhang mit den ZK-Erlassen und den Wissenschaftsdiskussionen stattgefunden hatten, als Aufbau eines Interpretationsmonopols durch die Partei auch die DDR erreichten. Hatte man von den Intellektuellen in den ersten Jahren lediglich Loyalität gegenüber den neuen Verhältnissen gefordert und „Freiheit für Wissenschaft und Kunst" zugesichert, 319 so wurde seit 1948/49 ihre aktive Mitarbeit verlangt. Zwar wurde weiterhin unterstrichen, daß man ohne die geschulten Ingenieure, Techniker, Lehrer, Professoren usw. nicht auskommen könne, doch gleichzeitig bereits die Herausbildung einer neuen demokratischen' Intelligenz forciert und an die alten Kräfte ein politisches Leistungsprofil herangetragen. Der Publizist Wolfgang Harich formulierte in einem Artikel „Intelligenz am Scheidewege" am 1. Januar 1949: „Denn die Arbeiterklasse erwartet von der Intelligenz nicht nur gesinnungslose, politisch neutrale Leistungen, sie will nicht nur qualifizierte Spezialisten, deren Talente und Kenntnisse unentbehrlich sind, sie will politisch bewußte, verantwortungsbereite Verbündete." 320 Rudolf Heukenkamp charakterisierte die Zielsetzung als „Abhängigkeit im Bündnis" für die Intellektuellen, als „ Z u s t a n d , wo der Staat vorentschied, wofür man sich moralisch zu entscheiden" und gesellschaftlich einzusetzen hatte. 321 Organisatorisch wurden alle Schriftsteller (um diesen Bereich der Intelligenz herauszugreifen) von der Friedenskampagne erfaßt. Auch beim Deutschen Schriftstellerverband, der auf seiner Gründungskonferenz den Friedenskampf als seine „Hauptaufgabe" definierte, 322 wurde eine Friedenskommission gebildet, mit Untergruppen in den einzelnen Landesverbänden. Alle Schriftsteller seien zu mobilisieren, heißt es in verschiedenen Direktiven, und zur Mitarbeit an

319 320 321 322

Anton Ackermann, Unsere kulturpolitische Sendung. Rede auf der Ersten Zentralen Kulturtagung der KPD 4. 2. 1946, in: Um die Erneuerung der deutschen Kultur , S. 140. TR vom 1. 1. 1949. Vgl. R. Heukenkamp, „Gesellschaftliche Verantwortung des Wissenschaftlers", S. 289f. R. Heukenkamp, „Gesellschaftliche Verantwortung des Wissenschaftlers", S. 293. Vgl. Resolution (Entwurf) vom 27. 6. 1951. - SAPMO: ZPA IV 2/906/271.

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einer großen Friedensbroschüre anzuregen. 323 Am 28. September 1951 richtete der Schriftstellerverband ein Schreiben an alle Landesverbände: „Wir bitten Euch, planmäßig zu organisieren, dass alle Schriftsteller von Rang und Namen ihre Stimmen erheben im Friedenskampf." Um regelmäßige Berichterstattung wurde gebeten. 324 Tatsächlich verpflichteten sich auch die prominenten Autoren dem ,.Friedenslager" - essayistisch wie literarisch. Von Stephan Hermlin erschien „Der Flug der Taube" (Gedichte 1952) und „Die Sache des Friedens" (Aufsätze und Briefe 1953); von Johannes R. Becher „Wir wollen Frieden" (Essays 1949), „Macht den Frieden stark. Drei Briefe, den Frieden betreffend" (1950), Dona nobis pacem. Gib uns Frieden. Ein Friedensbrevier" (1951) und „Die deutsche Verantwortung für den Frieden" (Rede 1951). Bertolt Brecht publizierte den „Herrnburger Bericht" (1951), Anna Seghers „Friedensgeschichten" (1950) und „Wir bauen den Frieden der Welt" (Ansprachen und Aufsätze 1953). Auch die jüngeren und unbekannteren Autoren wurden systematisch einbezogen: Es wurde ein Dichtelkollektiv „zur Erstellung [!] von vertonbaren Texten für die Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1951" gebildet. 325 Einschlägige Anthologien wurden in großer Zahl produziert: z.B. „Neue Klänge Friedenssänge" (1951), „Freundschaft" (1951), „Freundschaft siegt" (1952) und „Lieder und Gedichte für den Frieden" (1952). Das Friedenslager wirkte künstlerisch vereinheitlichend (das Friedenspathos war ästhetisch bindend) und war politisch verpflichtend - unter der Führung Stalins und damit im Zeichen des Personenkults. Dies war im internationalen Maßstab festzustellen, wo es zu einer fragwürdigen ästhetischen Nivellierung unter Autoren wie Twardowski und Tichonow, Neruda und Aragon kam; 326 es galt aber auch, und hier mit noch verhängnisvolleren Folgen, im nationalen Rahmen. Die Verleihung von Weltfriedenspreisen und nationalen Friedenspreisen327 verstärkte nur den Einheitsdruck. Adolf Endler diagnostizierte einen „unglaublichen Qualitätsschwund in jenen Jahren": Der Aufbruch der frühen DDR-Lyrik mit all seiner Begeisterung mündete in der Sackgasse der Friedensfront. 328 Die Mängel wurden von den damals Verantwortlichen nicht übersehen: „Das Friedensthema wird in sehr vielen Arbeiten behandelt, allerdings oft plakathaft, wenig persönlich ansprechend." 329 Doch wurden diese Schwächen nicht auf die Auftragserteilung mit engen Richtlinien, sondern auf die fehlende Schulung zurückgeführt: „Ungenügende ideologische Klarheit hindert selbst Schriftsteller, die entschieden im Lager des Friedens und der Demokratie stehen, das gesellschaftliche Geschehen so scharf und zusammenhängend edcennen zu können, daß sie, da sie innerlich unsicher sind, in ihren Arbeiten die Losungen der Partei wiederholen, ohne sie literarisch wirklich gestaltet zu haben." 330 In dieser Sichtweise wird ein Fehler erkennbar, der für die DDR-Literatur äußerst folgenreich war: der Irrtum, durch Schulungsmaßnahmen eine vollstän323 324 325 326 327 328 329 330

Vgl. SAPMO: ZPA IV 2/906/271. AdK: ASV 002. Deicke, Über meine Jahre als NDL-Redakteur, S. 331. Endler, Einige Randbemerkungen, S. 323f. Vgl. SAPMO: ZPA IV 2/906/108. Endler, Einige Randbemerkungen, S. 324. Bericht über die ideologische Arbeit des Deutschen Schriftsteller-Verbandes vom 15.6. 1951. SAPMO: ZPA IV 2/906/271. Ebd.

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dige Internalisierung der (jeweils gültigen) politischen Richtlinien und ästhetische Qualität erzielen zu können. Warnungen der Schriftsteller und Künstler, wie sie 1947/48 und nach dem 17. Juni 1953 vorgetragen wurden, daß durch ein solches Vorgehen eine Scheinwirklichkeit an der Realität vorbei konstruiert würde, wurden ignoriert (auch darauf wird zurückzukommen sein). Der Stalinismus ließ eine Orientierung an der Praxis nicht zu, sondern legte die Welt-Anschauung im vorhinein ideologisch fest. Alle Bedenken hinsichtlich einer ästhetischen und ideologischen Nivellierung hinwegschiebend, ging Johannes R. Becher auf dem II. Deutschen Schriftstellerkongreß im Juli 1950 in die Offensive: „Wir zittern nicht davor, daß diese gleiche Sprache, die wir alle sprechen, unsere persönliche Ausdrucksweise beeinträchtigt, solche hauchdünnen Nippesfigürchen sind wir nicht; das Gegenteil ist der Fall, diese gleiche Sprache ist es, die uns als Persönlichkeiten hebt und trägt... Es lebe die gleiche Sprache des Friedens, es lebe der Mann, es lebe er, der, wenn wir in dieser gleichen wortgewaltigen Sprache des Friedens reden, uns allen so nahe ist als ihr Sprachschöpfer, es lebe der Meister, der geniale Autor dieser 800 Millionen-Sprache des Friedens: Stalin!" 331

331

Zit. nach: Jäger, Kultur und Politik, S. 30.

4

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4.1

Die Angleichung an die Sowjetunion in Politik und Gesellschaft

In den Verlautbarungen der ersten Nachkriegszeit achteten die deutschen und sowjetischen Kommunisten zunächst konsequent darauf, den Eindruck einer geplanten oder bevorstehenden ,Sowjetisierung' zu vermeiden. So heißt es im „Aufruf des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands an das deutsche Volk zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands" vom 11. Juni 1945: „Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk." 1 Die zweimalige Hervorhebung der Rücksichtnahme auf den gegenwärtigen Entwicklungsstand unterstreicht allerdings den taktischen Charakter dieser Verlautbarung. Sie folgte den Empfehlungen Dimitroffs von 1944, zunächst „das Sowjetsystem weder zu forcieren noch durchzusetzen". 2 Das schon während des Moskauer Exils von einer Arbeitskommission des Politbüros der KPD entworfene Profil einer neuen politischen Ordnung nach Hitler 3 entsprach ganz den Leitlinien der ,Bruderparteien': Es sah die Errichtung eines „Blocks der kämpferischen Demokratie" und die Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution vor; es wurde die Notwendigkeit freien Handelns eingeräumt und dem Unternehmertum Privatinitiative zugestanden. Der Sozialismus wurde weder als Nahziel noch als mittelfristige Perspektive benannt. 4 Dieses bündnisorientierte, gemäßigte Programm basierte wohl auf der Hoffnung, daß die Anti-Hitler-Koalition auch über das Kriegsende hinaus Fortbestand habe. Um Kooperationsbereitschaft zu signalisieren und die Furcht vor sowjetischer Überfremdung zu bannen, wurde den kommunistischen Parteien Osteuropas, die darin zwischen 1944/45 und 1947/48 alle demselben taktischen Konzept folgten, 1 2 3 4

Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland, S. 60. Zit. nach Staritz, Die Gründung der DDR, S. 68. Vgl. Laschitza, Kämpferische Demokratie. Vgl. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 71f.

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Spielraum für eine je eigene nationale Entwicklung konzediert. 5 Im Oktober 1945 verbreitete Walter Ulbricht erstmals die Version vom „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus", die 1946, als von Anton Ackermann ausgearbeitete Konzeption, 6 eine wesentliche Rolle bei der Gewinnung zögerlicher Sozialdemokraten für die Verschmelzung mit der KPD spielen sollte. Der Gründungsaufruf der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 15. Juni 1945, mit dem die SPD als zweite Partei die im SMAD-Befehl Nr. 2 (10. Juni) enthaltene Erlaubnis zur Gründung von politischen Parteien und Gewerkschaften 7 einlöste, trat programmatisch für eine sozialistische Umgestaltung in Wirtschaft und Gesellschaft ein; der Rhetorik nach war die SPD damit radikaler als die KPD. Noch im selben Monat konstituierte sich in Berlin eine Gruppe um Otto Grotewohl als Zentralausschuß (ZA) der SPD. Am 26. Juni 1945 erfolgte die Gründung der Christlich-Demokratischen Partei Deutschlands (CDU oder CDUD) und am 5. Juli die der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDP oder LDPD). Der scheinbare Pluralismus war jedoch von vornherein dadurch begrenzt, daß die SMAD in dem genannten Befehl Nr. 2 nicht nur Kontroll-, sondern auch Instruktionsbefugnis für sich reklamierte. 8 Dies beinhaltete sowohl Überwachung (von Parteimitgliedern, Treffen, Besprechungen usw.) und die Steuerung über materielle Zuteilung (von Büroräumen, Fahreeugen, Benzin, Lebensmitteln) als auch massive Versuche der Beeinflussung (durch Sanktionen ebenso wie durch attraktive Angebote). 9 Der Aktionsradius der einzelnen Parteien wurde zudem dadurch eingeschränkt, daß schon am 14. Juli 1945 ihr Zusammenschluß zu einem „Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien" 10 erfolgte, in dem alle Entscheidungen einstimmig getroffen werden mußten. Daß eine Opposition gegen den Block chancenlos war, belegt der durch die SMAD erzwungene Rücktritt der CDU-Vorsitzenden Andreas Hermes und Walther Schreiber im Dezember 1945. Die beiden CDU-Politiker hatten sich für Entschädigungszahlungen bei der Enteignung des Großgrundbesitzes ausgesprochen. 11 Daß mit der Einheitsfront ein Instrumentarium gebildet war zur Privilegierung der KPD und zur Verhinderung jeder möglichen Koalition gegen sie, war den anderen Parteien zunächst nicht bewußt. Es herrschte eine antifaschistische Grundhaltung, eine Aufbaubereitschaft über enge Parteigrenzen hinweg und ein Einheitswillen, der die Zersplitterung der Weimarer Republik endgültig zu überwinden trachtete. Aus denselben Beweggründen war auch die Schaffung einer Einheitsgewerkschaft konsensfahig. Bereits am 15. Juni 1945 hatte sich ein vorbereitender Gewerkschaftsausschuß für Groß-Berlin gebildet, aus dem später der FDGB hervorging. Die Sozialdemokraten hatten schon in ihrem Gründungsaufruf die „organisatorische Einheit der Arbeiterklasse" als Hauptziel deklariert. 12 Walter Ulbricht sprach sich allerdings zunächst gegen 5 6 7

8 9 10 11 12

Vgl. ebd., S. 72f. Ackermann, Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus?, S. 22-32. Ursprünglich war für das erste Jahr die Zulassung von politischen Parteien nicht vorgesehen gewesen, da man von einer längeren Besatzungszeit ausging. Anfang Juni wurden die deutschen Kommunisten mit der neuen sowjetischen Linie vertraut gemacht. - Vgl. Weber, Geschichte der DDR, S. 68f. Vgl. Weber, Zum Transformationsprozeß des Parteiensystems, S. 22f. Krisch, German Politics, S. 209f. - Krisch geht vor allem dem Verhalten gegenüber der SPD nach. Dazu im Detail: Suckut, Blockpolitik. Vgl. Suckut, Christlich-Demokratische Union, S. 522f. Zum Prozeß der Vereinigung aus der Sicht eines als Spitzenfunktionär der SPD damals Beteiligten vgl. Gniffke, Jahre mit Ulbricht, S. 93-170.

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eine Vereinigung aus, da sie, verfrüht durchgesetzt, den Keim für eine erneute Spaltung in sich berge. Der ZA der SPD und die KPD-Führung einigten sich jedoch auf ein gemeinsames Aktionsprogramm, die Schaffung eines gemeinsamen Arbeitsausschusses. Im September 1945 änderten KPD und SMAD ihren Kurs, nachdem deutlich geworden war, daß die KPD alleine nicht die erhoffte Anziehungskraft gewinnen würde 13 und die SPD Hegemonieansprüche erhob. 14 Während sich die SPD-Führung zunehmend von der Konzeption einer baldigen Vereinigung distanzierte, indem als erste Stufe die „Schaffung einer einheitlichen Sozialdemokratischen Partei' für Gesamtdeutschland bezeichnet wurde, die dann - auf einer zweiten Stufe - zum „Sprecher für die deutsche Arbeiterklasse" zu profilieren sei, 15 forcierte nun die KPD mit weitreichender Unterstützung seitens der SMAD den Fusionsplan. Die westdeutschen Sozialdemokraten unter Führung Kurt Schumachers verweigerten sich jeder Einheitsdiskussion mit der KPD. Das Hinfälligwerden des Stufenplans und die faktische Trennung zwischen Ost- und West-SPD schwächte die Position des ZA gegenüber dem kommunistischen Einheitswerben. Eine im Dezember 1945 von jeweils dreißig sozialdemokratischen und kommunistischen Funktionären beschickte „Sechziger Konferenz" kam trotz heftiger Kontroversen am ersten Versammlungstag zu einer gemeinsamen Entschließung. In ihr war von der „Erweiterung und Vertiefung der Aktionseinheit" als „Auftakt" zur Verschmelzung von KPD und SPD die Rede. 16 Die SPD versuchte zwar, durch eine Hinhaltetaktik eine Aufschiebung der Fusion zu erreichen, 17 doch konnte sie sich der Verschärfung des Einheitsdrucks - die SMAD operierte mit Vorladungen zu persönlichen Unterredungen, Redeverboten und Verhaftungen - nicht entziehen. Am 21. und 22. April 1946 fand schließlich der Vereinigungsparteitag statt. In den „Grundsätzen und Zielen" waren wesentliche Programm-Elemente beider Parteien enthalten; das Oiganisationsstatut sah die paritätische Besetzung aller Ämter bis hinunter zur Kreisebene vor. Bei der Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten waren die Kommunisten von vornherein dadurch im Vorteil, daß sie ihre entscheidenden Kader bereits vor der Zulassung der Parteien formiert hatten. Im Gefolge der Roten Armee waren noch vor Ende der Kampfhandlungen, im April 1945, aus Moskau Initiativgruppen unter Leitung von Walter Ulbricht, Anton Ackermann und Gustav Sobottka nach Berlin, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern gekommen, mit dem Auftrag, rasch eine Zivilverwaltung aufzubauen und das politische Leben nach den in der UdSSR entwickelten Vorgaben zu strukturieren. 18 Unterstützt wurden sie von Frontbeauftragten des „Nationalkomitees Freies Deutschland" (NKFD). 19 Schon bald kam es zum Konflikt zwischen den fest mit der KPdSU und deren Strategie verbundenen Remigranten und denjenigen Kommunisten, die in der Illegalität oder im KZ überlebt hatten und keineswegs mit dem - als reformistisch verworfenen - Programm der Moskauer Gruppe und deren Führungsanspruch einverstanden waren. Dieser Widerstand wurde, nicht zuletzt durch Mithilfe der SMAD, gebrochen, die Antifa-Komitees, die sich in zahlreichen Städten als provisorische Verwaltung gebildet hatten,

13 14 15 16 17 18 19

Vgl. McCauley, Deutsche Politik, S. 299. Vgl. Weber, Geschichte der SED, S. 8. Zit. nach: Staritz, Die Gründung der DDR, S. 113. Zit. nach: Weber, Geschichte der SED, S. 10. Vgl. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 119; Weber, Geschichte der SED, S. 10. Zur ersten Initiativgruppe mit Spitzenfunktionären um Walter Ulbricht vgl. „Gruppe Ulbricht". Zur Geschichte und Funktion des NKFD vgl. Scheurig, Freies Deutschland.

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wurden aufgelöst. 20 Diejenigen, die sich nicht widerspruchslos dem Führungsanspruch der Remigranten unterordneten, wurden als Sektierer diskreditiert. Gemäß dem von Wolfgang Leonhard kolportierten Grundsatz Ulbrichts „Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben", 21 gingen die führenden Funktionäre unmittelbar nach ihrer Rückkehr daran, wichtige Schlüsselpositionen zu besetzen und Entscheidungen in ihrem Sinne zu forcieren. Allerdings wurde dieses Vorgehen nach außen hin vielfach kaschiert. Bei den im Juli 1945 eingerichteten Landes- bzw. Provinzialveiwaltungen stand nirgends ein Kommunist an der Spitze. Auf dieser Ebene der Repräsentanz waren nur bürgerliche Kräfte vertreten. Alle ersten Vizepräsidenten, die zuständig waren für „innere Angelegenheiten" (und dazu zählten: Polizei, Personalfragen, Entnazifizierung, Bodenreform, Industrieenteignung) gehörten jedoch der KPD an. Bei der Bildung der Deutschen Zentralverwaltungen agierte die SMAD allerdings personalpolitisch offener: Die wichtigsten wurden von Kommunisten geleitet. Auch die Entnazifizierung, neben den wirtschaftlichen Reformen einer der einschneidendsten gesellschaftspolitischen Vorgänge der ersten Jahre, wurde mit zum Ausbau kommunistischer Machtpositionen genutzt. Die Entnazifizierung diente sowohl der „Abrechnung mit Anhängern des Nationalsozialismus" als auch „zur Etablierung einer neuen Einparteienherrschaft", indem sie Mittel war „zur Absetzung unerwünschter, da bürgerlicher' Kräfte". 22 Neben der „politischein] Auslese" 23 war aber auch eine Differenzierung nach der fachlichen Unentbehrlichkeit zu beobachten. 24 Die Entnazifizierung erfolgte in verschiedenen Wellen: In den Anfangsmonaten verlief sie spontan und unsystematisch auf der Grundlage örtlicher Säuberungsregelungen und betraf vor allem prominente Mitglieder der NSDAP. Es folgte eine zweite Phase zwischen Juli 1945 und November/Dezember 1946, in der nun landesspezifische Entnazifizierungsregelungen und Befehle der Besatzungsmacht vorlagen. Nach einem Abflauen im Sommer, Herbst 1946 mit Rücksicht auf die bevorstehenden Gemeinde- und Landtagswahlen wurde die politische Säuberung unter Berufung auf die alliierte Kontrollratsdirektive 24 vor allem im Blick auf die Moskauer Außenministerkonferenz im Frühjahr 1947 fortgeführt. Mitte August 1947 wurde durch SMAD-Befehl der Abschluß der Entnazifizierung eingeleitet. 25 Die Situation stabilisierte sich, ehemalige PG's wurden integriert. 1949 schließlich war es für die SED zweitrangig geworden, ob jemand einmal Nazi gewesen war; als ausschlaggebend wurde nun der jetzige Standpunkt „indem großen nationalen Befreiungskampf des deutschen Volkes" bezeichnet. 26 Im Herbst 1946 fanden erstmals Gemeinde-, Kreis- und Landtagswahlen statt. Trotz der Begünstigung gegenüber den anderen Parteien (die SMAD verweigerte häufig die Registrierung von LDPD- und CDU-Verbänden, benachteiligte sie bei der Papierzuteilung und unterzog sie stren20 21 22 23 24 25 26

Vgl. Creuzberger, Die Liquidierung antifaschistischer Organisationen, S. 1266-1279. Leonhard, Die Revolution entläßt ihre Kinder, S. 317. Welsh, Entnazifizierung, S. 71. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 102. Vgl. Zank, Wirtschaft, S. 49. „So gut wie gar keine Auswirkungen der Entnazifizierung lassen sich schließlich in den SAG ausmachen" (ebd., S. 55). Zu diesen Phasen vgl. Welsh, Revolutionärer Wandel auf Befehl?, S. 18f. TR vom 6. 10. 1949.

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gerer Zensur) brachten sie der SED nicht die erhofften Wahlerfolge. 27 Die SED reagierte mit strengeren bürokratischen Kontrollen und Schulungsverpflichtungen für die Parteimitglieder. Die Parteiorganisation wurde zentralisiert; schrittweise trat ein Zentralkomitee (ZK) an die Stelle des Partei Vorstands. Im Zuge der 1947 aufgelebten Diskussion über die Frage einer Wiederzulassung der SPD wurden führende SPD-Funktionäre diskreditiert. 28 Auf ihrem II. Parteitag im September 1947 kündigte die SED erstmals das Programm einer Umwandlung in eine Partei neuen Typus an. Kurz vor dem Parteitag hatte die SED offensiv die Prinzipien ihrer Bündniskonzeption formuliert: „Im antifaschistisch-demokratischen Block ist die geeinte Arbeiterschaft das entscheidende Kraftzentrum." 29 Dies mußte die Spannungen, die sich innerhalb der Einheitsfront der Parteien schon im Zuge der Wahlen verstärkt hatten, weiter verschärfen. LDPD und CDU wandten sich jetzt offen gegen den Führungsanspruch der SED. Jakob Kaiser definierte seine Partei, die CDU, als „Wellenbrecher des dogmatischen Marxismus und seiner totalitären Tendenzen". 30 Im Zusammenhang mit der Volkskongreßbewegung sah die SMAD im Dezember 1947 die Möglichkeit gegeben, Kaiser und Ernst Lemmer das Vertrauen zu entziehen. Die CDU-Spitze hatte die Mitarbeit an der Volkskongreßbewegung verweigert, da, so Kaiser, SBZ-Parteien nicht als Träger einer nationalen Bewegung fungieren könnten. Zudem sprach sich Kaiser für eine Einbeziehung der SBZ in den Marshall-Plan aus. Mit ihrer Profilierung als Oppositionsparteien wuchsen die Mitgliederzahlen von LDPD und CDU. Um ihren Einfluß wieder zu mindern, drang die SED auf die Einbeziehung der Massenorganisationen in den Block und ihre Gleichstellung mit den Parteien. Als CDU und LDPD ihre Zustimmung verweigerten, forcierten SED und SMAD zur Schwächung der bisherigen Blockparteien die Gründung der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD) und der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NDPD). Mit der Bildung der Nationalen Front, die mit gemeinsamen Kandidatenlisten der Blockparteien operierte, 31 hatte das bisherige Parteiensystem endgültig seine Funktion verloren. Für die Umwandlung der SED in eine Partei neuen Typus erfolgten 1948 die entscheidenden Schritte. Im Mai wurde die Transformation offiziell beschlossen; im Juli solidarisierte sich das ZK mit dem Kommunique der Kominform zur Verurteilung der KP Jugoslawiens. Die intensive Schulung der Mitglieder wurde obligatorisch, die „Geschichte der KPdSU" besonders propagiert. Im gleichen Monat faßte der Parteivorstand den Beschluß „für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen". 32 Die Entschließung des Parteivorstandes vom September 1948 forderte dazu auf, folgende Grundthesen zu akzeptieren: Anerkennung der führenden Rolle der Sowjetunion und der Partei neuen Typus nach Stalinschem Muster als einzig richtigem Parteientyp; Abrücken von der These vom „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus" (Ackermann mußte die mit seinem Namen verbundene Konzeption vom deutschen Sonderweg als „absolut falsch und gefahrlich" 33 widerrufen); Ein27 Zu den Wahlergebnissen im einzelnen vgl. Weber, Geschichte der DDR, S. 138-144. 28 McCauley, Deutsche Politik, S. 302f. 29 Zur Politik unserer Partei. Diskussionsgrundlage zur Vorbereitung des 2. Parteitages, in: Einheit 8/1947, S. 712. 30 Neue Zeit vom 7. 8. 1947. 31 Vgl. Weber, Geschichte der DDR, S. 192. 32 Dokumente der SED, Bd. 2, S. 81f. 33 Anton Ackermann, Über den einzig möglichen Weg zum Sozialismus, in: ND vom 24. 9. 1948.

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sieht in die Notwendigkeit der Verschärfung des Klassenkampfes und innerparteilicher Säuberungen. 34 Es wurden eine Zentrale Parteikontrollkommission (ZPKK) und entsprechende Gremien in allen Kreisen und Ländern gebildet. Sie fungierte als Instrument, mit dem sich Ulbricht aller innerparteilichen Gegner entledigen konnte. Das Prinzip der paritätischen Besetzung der Führungsgremien mit ehemaligen SPD- bzw. KPD-Mitgliedern, in der Praxis bereits 1947 vielfach aufgehoben, wurde zwar erst im Januar 1949 offiziell abgeschafft; 35 doch wurden unter der Losung „Kampf dem Sozialdemokratismus" seit 1948 frühere Sozialdemokraten vielfältigen Repressalien ausgesetzt.36 Zehntausende von ihnen wurden aus der SED ausgeschlossen und Tausende inhaftiert. 37 Die immer wieder verschobene 1. Parteikonferenz der SED fand im Januar 1949 statt. Vorausgegangen war eine Moskaureise der Führungsgremien, während derer die Kongresse der polnischen und bulgarischen Bruderparteien im Dezember ausgewertet wurden. Obwohl nun de facto der Gleichschritt mit den Volksdemokratien beschlossen wurde, distanzierte man sich offiziell von diesem Modell, um die nationale Option aufrechtzuerhalten. Dieser Balanceakt stiftete in den Reihen der Partei nicht wenig Verwiirung. Die Säuberungsaktionen des voraufgehenden Sommers wurden 1949 weitergeführt, unter Mithilfe der „Inspektion des Ministeriums für Staatssicherheit der UdSSR in Deutschland", deren Berater auch dem im Februar 1950 gebildeten Ministerium für Staatssicherheit der DDR zur Seite standen.38 Die Wandlung in eine sowjetkommunistische Partei wurde erst auf dem III. Parteitag im Juli 1950 förmlich zum Abschluß gebracht. Nachdem schon 1949 ein Politbüro die Parteiführung übernommen hatte und Partei- und Staatsfunktionen personell eng miteinander verflochten worden waren, wurde nun der Parteivorstand in ein Zentralkomitee umgewandelt, Ulbricht avancierte zum Generalsekretär. 40 000 Instrukteure trieben die Anpassung der SED an die KPdSU voran. 39 Die Parteiüberprüfungen, die der Beschluß über den Umtausch der Parteimitgliedbücher nach sich zog, betrafen zunächst die Basis (und führten zu 150000 Ausschlüssen), erfaßten dann aber auch die Parteispitze. Wer längere Zeit in westlicher oder jugoslawischer Kriegsgefangenschaft war, durfte keine wichtigen Funktionen mehr bekleiden. Im Rahmen der Schauprozesse, die, beginnend 1949 mit den Anklagen gegen Rajk in Budapest und Kostoff in Sofia, Anfang der 50er Jahre in den Ostblockstaaten inszeniert wurden, richteten sich die Anschuldigungen vor allem gegen Rückkehrer aus dem westlichen Exil, die zudem meist Juden waren. 40 Ihnen wurde u. a. vorgeworfen, während des Zweiten Weltkriegs in der Emigration Kontakte zu Noel H. Field, dem Leiter einer in der Schweiz angesiedelten amerikanischen Hilfsorganisation, unterhalten zu haben. Field wurde der Spionage bezichtigt und war von 1949 bis 1954 in Ungarn inhaftiert. In den Schauprozessen geriet er zur Schlüsselfigur. Die Tatsache, daß etliche, vor allem jüdische SED-Funkionäre die Beziehung zu Field nach 1945 aufrechterhalten hatten, wurde einem Kontakt zum amerikanischen Nachrichtendienst gleichgesetzt und galt damit als Beihilfe zur 34 35 36 37 38 39 40

Otto, Zur stalinistischen Politik der SED, S. 129f. Vgl. Innerparteiliche Maßnahmen. Beschluß des Parteivorstandes vom 24. Januar 1949 und der 1. Parteikonferenz vom 25.-28. Januar 1949, in: Dokumente der SED, Bd. 2, S. 213ff. Vgl. Gniffke, Jahre mit Ulbricht, S. 326-334. Vgl. Weber, Geschichte der DDR, S. 18; Staritz, Die SED und die Opposition, S. 80. Otto, Zur stalinistischen Politik der SED, S. 130. Vgl. Weber, Geschichte der DDR, S. 202. Vgl. Hodos, Schauprozesse; „Ich habe den Tod verdient".

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politischen Zersetzung, Sabotage und Kriegsvorbereitung gegen die Sowjetunion, kurz - als „Unterstützung des Klassenfeindes". 41 Die entsprechenden Parteimitglieder, u. a. Paul Merker, Leo Bauer, Bruno Goldhammer, Willi Kreikemeyer, wurden ausgeschlossen, einige sofort, andere 1952, nach dem Prozeß gegen Slansky in der CSSR, verhaftet. 42 Einigen gelang die Flucht nach Westberlin. Auf der 2. Parteikonferenz 1952 bestätigte die SED die längst verfolgte Transformationsstrategie und die „Verschärfung des Klassenkampfes". Nun wurden die Länder, deren Bedeutung bereits vorher gemindert worden war, zugunsten der Bildung von fünfzehn zentral angeleiteten Verwaltungsbezirken abgewertet. Die seit 1948 bestehende Kasernierte Volkspolizei wurde verstärkt und offiziell legitimiert. Die auf der Parteikonferenz ausgegebene Parole vom ,.Aufbau des Sozialismus" meinte ansonsten in erster Linie den ökonomischen Bereich: die Strukturangleichung der Industrie an das sowjetische Planmodell und die forcierte Einführung sowjetischer Methoden unter der vom ZK der SED ausgegebenen Losung „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen"; die „freiwillige Vorbereitung des Sozialismus auf dem Lande" durch Gründung Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG). Ausgelöst wurde eine schwere wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise; die lohnpolitischen Konflikte im Frühjahr 1953 waren dann nur der Funken, der den Aufstand vom 17. Juni entfachte. 4.1.1 Exkurs: Befund - Antisowjetismus Objektive und subjektive Ursachen der sowjetfeindlichen Stimmung Nach Kriegsende war unter der deutschen Bevölkerung eine antisowjetische Stimmung allgemein verbreitet, für die subjektive und objektive Gründe anzuführen sind. 43 In der ersten Zeit nach Einstellung der Kriegshandlungen war eine Ohne-mich-Haltung dominant, die die Abwendung von der Politik und die Hinwendung zu den existentiellen und persönlichen Problemen bedeutete. Nun war die „Befriedigung von lebensnahen Bedürfnissen - Essen, Wärme, Sicherheit" 44 aus der Sicht der Betroffenen tatsächlich vorrangig. Die katastrophale Ernährungs- und Wohnsituation wirkte sich so aus, daß der Haß auf nazistische Übeltäter in der neuen Leidensgemeinschaft verpuffte und das eigene Schuldkonto über dem den Besatzungs41 42

43

44

Vgl. Hermstadt, Das Herrnstadt-Dokument, S. 205; vgl. Erklärung des ZK und der ZPKK vom 24. August 1950, zit. nach: DDR-Lesebuch, S. 128. Zum Fall Paul Merker, der als Nicht-Jude in der Emigration Verfechter der kommunistisch-jüdischen Solidarität war und sich nach dem Krieg vehement für eine finanzielle Wiedergutmachung an allen überlebenden deutschen Juden eingesetzt hatte - beides wurde gegen ihn verwendet, erst 1956 wurde Merker aus der Haft entlassen - , siehe Herf, Der Geheimprozeß. Auf die Wichtigkeit dieses Komplexes verweist: Gieseke, Von der Gesellschaft, S. 20-33. Der Antisowjetismus stellte die DDR-Historiker vor das Dilemma, daß wohl die aus Vorurteilen und Propagandaeinwirkung gespeisten Ressentiments angesprochen werden konnten, das Vorgehen der Sowjets aber nicht zur Diskussion gestellt werden durfte. Erst in den letzten Jahren der DDR wurden faktische Gründe des Antisowjetismus vorsichtig thematisiert. - Vgl. Schützler, Deutsche sehen die Sowjetunion, S. 17-23. Hurwitz, Demokratie und Antikommunismus, Bd. 1, S. 29f; Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, S. 55f.; Public Opinion, S. 43ff.

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mächten in Rechnung gestellten gleichsam vergessen wurde. 45 In der vergleichenden Wahrnehmung der Besatzungsmächte, die in Berlin besonders bedeutsam wurde, schnitten die Sowjets von Beginn an am schlechtesten ab. Die sowjetischen Sieger sah man auf einer niedrigeren Zivilisationsstufe befindlich, eine Einstellung, die durch den tatsächlichen Vorsprung der Deutschen im Lebensstandard scheinbar objektiv legitimiert wurde. 46 Die Bevölkerung war beim Ost-West-Vergleich selbst dann bereit, den Westmächten, in erster Linie den Amerikanern, einen Bonus einzuräumen, wenn dieser faktisch unberechtigt war. So wies der Sowjetsektor bis 1947 sowohl bei der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern als auch bei der Wiederinbetriebnahme von Produktionsstätten einen erheblichen Vorsprung auf. 47 Doch hatten, wie Harold Hurwitz in seiner vierbändigen Untersuchung über „Demokratie und Antikommunismus in Berlin" als These festhält, „die unterschiedlichen Fähigkeiten der Besatzungsmächte, bei der Lieferung von Waren des täglichen Bedarfs ihren Verpflichtungen zu genügen, einen geringeren Einfluß auf die Entwicklung kollektiver Einstellungen gehabt als die symbolträchtige Qualität von Waren, deren tatsächliche oder auch nur mutmaßliche Beschaffenheit auf ein weitergehendes Leistungsvermögen, das Kulturniveau und - somit auch - die Macht der Fremdherrschaft hinwies". 48 Dennoch gilt es auch den Befund des Antisowjetismus zu differenzieren, denn die Einstellung gerade der Berliner wies - zumindest in den ersten Nachkriegsjahren - durchaus ambivalente Züge auf. Einerseits stieß eine Herrschaft der Sowjets auf eine unterschwellige Ablehnung, die auf tradierten Wertvorstellungen und von der Nazipropaganda aufgebauten Vorurteilen beruhte. Eine Zukunftsperspektive sah man eher auf Seiten der Amerikaner gegeben. Andererseits wurde aber speziell in Berlin der Kommunismus weniger negativ gesehen als in Westdeutschland. Dies ist, so Hurwitz, „nicht nur aus der Notwendigkeit einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit russischen und deutschen Kommunisten zu erklären, sondern auch aus dem Interesse, für sich selbst das Beste aus einer Situation zu machen, in der die Vormacht der russischen Besatzer höchstens einzugrenzen und auszugleichen, nicht aber wegzudenken war". 49 Der bis 1947 aufrechterhaltene Optimismus General Clays bezüglich einer möglichen fruchtbaren Zusammenarbeit mit den Sowjets im Alliierten Kontrollrat 50 beeinflußte sicherlich auch die Berliner Bevölkerung. Selbst die schrecklichen Begleitumstände, unter denen die Rote Armee Bedin erobert hatte, Plünderungen, Vergewaltigungen, Erschießungen, hatten - zunächst - nur begrenzte politische Nachwirkungen. Sie wurden als (verständliche) Rache begriffen. 51 Zwei gegensätzliche Meinungen wurden von Zeitzeugen in bezug auf die Folgen der traumatisierenden Übergriffe seitens der Sowjets aufgestellt. Die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich hielt in einer Tagebucheintragung vom 16. Juni 1945 fest: „Nicht durch den Krieg, sondern durch den Frieden verliert der Eroberer das Spiel". 52 Dagegen setzte Erich Kuby: „Es ist wohl falsch, anzunehmen, die Sowjets hätten erst durch das Verhalten ihrer Soldaten Deutschland verspielt. [...] Sie hatten verspielt, noch ehe sie einen Fuß auf deutsches Gebiet setzten - nicht wegen der Ver45 46 47 48 49 50 51

Vgl. Andreas-Friedrich, Schauplatz Berlin, S. 111, 160f. u. 180. Vgl. Deutscher, Reportagen, S. 137. Vgl. Hurwitz, Demokratie und Antikommunismus, Bd. 1, S. 72 u. S. 76. Ebd., S. 31. Ebd., S. 120. Vgl. Kap. 2.1.4. Vgl. Hurwitz, Demokratie und Antikommunismus, Bd. 1, S. 121.

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brechen, die sie begangen haben, sondern wegen der von Deutschen in der Sowjetunion begangenen Verbrechen." 53 Das hieße, daß die Deutschen in der Fixierung auf persönlich Erlittenes auch einen Modus der Entlastung von politischer Verantwortung fanden, der eine intensivere gesellschaftliche Schulddiskussion eher blockierte. 54 Hurwitz verfolgt einen dritten Interpretationsansatz: Die Bereitschaft zum Arrangement mit der sowjetischen Besatzungsmacht sei in der Regel nicht der Einsicht in die Mitschuld und das eigene Versagen entsprungen, sondern sie sei aus der Notwendigkeit entstanden, „die Schrecken als den Preis aufzufassen, den man als Besiegte zahlen mußte, um sie hinter sich zu lassen". 55 Dieses Arrangement und die Einschränkung der Ressentiments hatten jedoch nur bis 1948 Gültigkeit. Die Berliner Blockade ermöglichte offenen Groll gegen ihre Urheber. Jetzt wurden auch die verdrängten und tabuierten negativen Erinnerungen ins Bewußtsein geholt und verstärkt verbalisiert. 56 Unter den traumatischen Erfahrungen, die auf solche Weise neue Aktualität gewannen, standen die Plünderungen und Vergewaltigungen bei der Besetzung Deutschlands an erster Stelle. Sie lieferten, schlimm genug, auch noch gleichsam eine Bestätigung für die Lehre vom slawischen „Untermenschen". Zwar wurden die sowjetischen Soldaten nach den Übergriffen der ersten Tage rasch kaserniert, ohne daß dadurch allerdings die Mißstände wirkungsvoll unterbunden worden wären. Während die hochgebildeten Kulturoffiziere engen, ja freundschaftlichen Kontakt mit der deutschen Intelligenz pflegten und ihr feinfühliges Engagement hoch gerühmt wurde, bildete die ,normale' Begegnung zwischen Deutschen und den einfachen Besatzungsoldaten auch späterhin die Ausnahme. „Überall sah man in der Stadt die wohlbekannten Uniformen", schreibt Hans Mayer über die Leipziger Szenerie von 1948, „allein sie blieben fremd und hatten es zu bleiben [...]. Die Soldaten der Roten Armee [...] wurden nur in Rudeln durchs deutsche Land geführt wie durch eine Pestzone. Hier konnte jede Berührung, zu schweigen vom vertrauten Umgang, Ansteckung bedeuten, und damit den Tod auf mancherlei Art. Niemand gedachte den robusten Burschen mit den Kindergesichtern etwas Deutsch beizubringen für den Alltagsgebrauch. Es gab keinen solchen Gebrauch. [...] Wir sprachen nicht Russisch, und die Russen in Leipzig lernten nicht Deutsch. Im Gegenteil schien man alles zu tun, so kam es mir vor, sie daran zu hindern. Damals begriff ich zum ersten Mal die Bedeutung des Begriffs ,Herrschaftswissen'. Die führenden Kulturpolitiker der Sowjetischen Militär-Administration sprachen vorzüglich deutsch und kannten sich aus in den komplexen Windungen der deutschen Geschichte und Literatur. Es gab jedoch offenbar nur die Meisterschaft der Leute an der Spitze, und die völlige Ignoranz in den mittleren und unteren Rängen, vom Volk der Soldaten nicht zu reden." 57 Immerhin enthielt die seit dem 1. Mai 1947 in Potsdam herausgegebene russische Tageszeitung „Sowjetskoje Slowo" regelmäßig Beiträge über deutsche Politik und Kultur.

52 Andreas-Friedrich, Schauplatz Berlin, S. 65. Als unabhängiger Beobachter hielt auch Isaac Deutscher in seinen Reportagen über die Lage im Nachkriegsdeutschland den traumatisierenden Effekt der Vergewaltigungen und Plünderungen gerade auch bei der Arbeiterschaft fest. - Deutscher, Reportagen, S. 122ff. 53 Kuby, Die Russen in Berlin, S. 330. 54 Vgl. ebd., S. 326. 55 Hurwitz, Demokratie und Antikommunismus, Bd. 1, S. 126. 56 Vgl. ebd., S. 326. 57 Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf, Bd. 2, S. 13 u. S. 15.

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Gerade bei den einfachen Soldaten ist natürlich auch ein starkes Weiterwirken der sowjetischen Kriegspropaganda in Rechnung zu stellen. Diese Propaganda war jeweils der politischen Linie angeglichen worden. Im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts wurde alle publizistische Feindseligkeit auf die westlichen Länder ausgerichtet und Deutschland - zum Entsetzen der vor Hitler geflohenen deutschen und österreichischen Kommunisten - davon ausgenommen. Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht auf sowjetisches Territorium mußten alle Kräfte für den „Großen Vaterländischen Krieg" mobilisiert werden. Parolen wie die von Konstantin Simonow „Niemand tötet ihn, wenn du ihn nicht tötest" und die sogenannte Ehrenburg-Propaganda (deren Authentizität im übrigen nicht erwiesen ist) sollten kämpferische Instinkte wecken. Auf Flugblättern hieß es etwa: „Zerstampft für immer das faschistische Tier in seiner Höhle. [...] Brecht mit Gewalt den Rassehochmut der germanischen Frauen! Nehmt sie als rechtmäßige Beute! Tötet, ihr tapferen, vorwärtsstürmenden Rotarmisten, tötet!" 58 Die Selbst- und Außendarstellung der Sowjetunion lautete spätestens seit Anfang 1945 anders. G.F. Alexandrow, verantwortlich für Agitprop beim ZK, kritisierte im April denEhrenburg-Artikel „Genug!" aus der Soldatenzeitschrift „Krasnaja swesda" 59 . Er warf ihm vor, daß er unfähig sei, zwischen den für den Krieg verantwortlichen und den anderen, unschuldigen Deutschen zu unterscheiden. Die These von den zwei Deutschland wurde zur offiziellen Leitlinie der sowjetischen Besatzungspolitik, aber man kann sich denken, daß diese neue Wendung nicht in die Köpfe der einfachen Soldaten drang, die jahrelang anders propagandistisch beeinflußt worden waren 60 und am eigenen Leib, in der eigenen Familie oder in den Dörfern und Städten, die beim Vormarsch der Roten Armee durchquert wurden, die von den Deutschen verübten Greueltaten erfahren hatten. Zwar tat die sowjetische Propaganda nach Kriegsende alles, um eine positive Außenwirkung zu erzielen; so stellte man im Berliner Stadtgebiet große Schrifttafeln auf, auf denen z.B. mitgeteilt wurde, daß die Sowjetunion keinen Rassenhaß kenne oder die mit Stalins Ausspruch beschriftet waren: „Die Geschichte lehrt, daß die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat, wird bleiben." 61 Und Marschall Shukow erklärte im Mai 1945 in Berlin: „Wir haben Berlin erstürmt, doch die Seelen der Deutschen werden wir erst erkämpfen müssen. Das wird eine schwere Schlacht sein, und nun verläuft unsere vorderste Linie gerade hier." Aber Shukows optimistische Prognose, die lautete: „Ich möchte glauben, daß uns auch an dieser Front ein glänzender Sieg erwartet", 62 bestätigte sich in der Praxis nicht, selbst wenn die Bemühungen der Militärregierung anerkannt wurden, „das was von Ostdeutschland übrig geblieben ist, wieder in Ordnung zu bringen". 63

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Zur Ehrenburg zugeschriebenen Propaganda und ihrer nicht nachgewiesenen Urheberschaft vgl. Kindler, Die deutsche Übertragung von Ehrenburgs Memoiren, in: Ehrenburg, Menschen, Jahre, Leben , Bd. 1,S. 11. 59 G.F. Aleksandrov, Tovarisö Erenburg uprosCaet!, in: Pravda vom 17.4. 1945; Vgl. Ra'anan, International Policy Formation, S. 86f. 60 Daß der Artikel von Alexandrow nicht die gewünschte Wirkung hatte, betont Ehrenburg in seinen Memoiren. - Ehrenburg, Menschen, Jahre, Leben, Bd. 3., S. 21 lf. In dieselbe Richtung zielen die Beobachtungen Isaac Deutschers. - Deutscher, Reportagen, S. 129ff. 61 Vgl. Adler, Berlin in jenen Tagen, S. 32. 62 Zit. nach: Weiss, Am Morgen nach dem Kriege (1981), S. 40f. 63 Deutscher, Reportagen, S. 131; vgl. ebd., S. 128.

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Zum Negativimage der sowjetischen Besatzungsmacht trug, abgesehen von den Vorkommnissen der ersten Zeit, eine Reihe weiterer Faktoren bei. Schon früh wurde das Rationierungssystem Gegenstand des Unmuts. Nicht nur, daß etwa einem Drittel der Berliner Bevölkerung mit der Lebensmittelkarte V, die der Volksmund „Himmelfahrtskarte" nannte, kaum das Notwendigste zum Überleben zugestanden wurde, erregte die Gemüter, sondern auch, daß die reichhaltigste, die Schwerarbeiterkarte, auch an Funktionäre, Intellektuelle, leitende Persönlichkeiten usw. verteilt wurde. Hinzu kam die Privilegierung dieser Gruppe durch Lebensmittelpakete, die sogenannten „pajoks". Diese, wie der Vorwurf lautete, „Diplomatenverpflegung der neuen Bonzen" sollte sich sogar auf die Einstellung zur SED nachteilig auswirken.64 Ferner empörten die Demontagen die Bevölkerung. Selbst wenn die Notwendigkeit von Reparationsleistungen anerkannt wurde, brachte das willkürliche Vorgehen, die Widersprüchlichkeit in den Befehlen (auf die Anordnung, ein Werk oder eine Industrieanlage aufzubauen, folgte ebenso oft ein Demontagekommando, das das eben Errichtete wieder abriß) und der unsachgemäße Umgang mit den demontierten Gütern, die häufig beschädigt wurden oder verrotteten, die Arbeiter auf. Kurz nach seiner Rückkehr aus den USA notierte Bertolt Brecht am 9. Dezember 1948 in seinem „Arbeitsjournal": „die Übernahme der Produktion durch das Proletariat erfolgt in dem Zeitpunkt (und scheint vielen also zu erfolgen zu dem zweck) der auslieferung der produkte an den sieger. volkseigenen betrieben, die aus maschinentrümmem heterogenster art sich wieder produktionsstätten zusammengebastelt hatten, wurden mehrere male die maschinen wieder als reparaticnen weggenommen." 65 Hinzu kam der Abzug deutscher Facharbeiter in die Sowjetunion. 66 Politische Bedeutung erlangte vor allem die, Aktion Ossawakim", bei der am 22. Oktober 1946 „in einer Blitzaktion Tausende von Fachkräften .angeworben'" 67 wurden. Auch bei der Umwandlung der 200 von der Demontage weniger betroffenen Großbetriebe in Sowjet-Aktiengesellschaften (1947) ließ der Passus „jeder Arbeiter und Angestellte wird an dem Werkplatz beschäftigt, an dem er notwendig ist. Es bleibt der Werkleitung vorbehalten, ob sie ihn im Innen- oder Außendienst einsetzt", Angst vor einer Zwangsversetzung in die Sowjetunion aufkommen. 68 Überhaupt wirkte die zunehmende Rechtsunsicherheit beklemmend: Die Verhaftungen von Angehörigen durch den NKWD, deren Schicksal dann nicht mehr zu klären war, das Spitzelwesen der SED und das neu aufgebaute Justizwesen der DDR, das sich auf in Schnellkursen geschulte, politisch treu ergebene Volksrichter stützte. 69 Die Benachteiligung und Verfolgung von (ehemaligen) SPD-Mitgliedern nach der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED und parallel dazu die massive Unterstützung der deutschen Kommunisten durch die sowjetischen Stellen 70 bestärkten die Vorbehalte gegenüber der sowjetischen Politik. Zum Antisowjetismus trug ferner das ungeklärte Schicksal der deutschen Soldaten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft maßgeblich bei. Verübelt wurde der Sowjetunion, daß bis zur Moskauer Außenminister-Konferenz 1947 nicht einmal eine zuverlässige Zahl der gefangengenommenen Soldaten veröffentlicht wurde. Alle Anfragen gingen ins Leere. Die dann von Molotow 64 65 66 67 68 69 70

Vgl. Hurwitz, Demokratie und Antikommunismus, Bd. 1, S. 30 u. S. 75. Brecht, Arbeitsjournal, Bd. 2, S. 533. Vgl. Albrecht/Heinemannn-Grüder/Wellmann, Die Spezialisten. Zank, Wirtschaft, S. 65. Ebd. Vgl. Fricke, Politik und Justiz, S. 236ff. Vgl. Hurwitz, Demokratie und Antikommunismus, Bd. 4.

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bekanntgegebene Zahl 890532 löste in der deutschen Bevölkerung große Enttäuschung aus. 71 Gut eine Million Kriegsgefangener sei, so Molotow, zwischen Mai 1945 und März 1947 entlassen worden. Da das Oberkommando der Roten Armee aber noch vor der Kapitulation mitgeteilt hatte, 3 180000 deutsche Gefangene in ihrem Gewahrsam zu haben, ergab sich aus diesen Zahlen eine unaufgeklärte Differenz von etwa 1,25 Millionen Gefangenen. 72 Von in den Lagern verstorbenen Kriegsgefangenen war weder in der Verlautbarung Molotows noch in der Publizistik der SED und der Massenorganisationen die Rede, obwohl sich die Zahl der Toten nach westlichen Berechnungen auf 1110000 Soldaten belief. 73 Die DSF, die den Hauptanteil der Gegenpropaganda zu leisten hatte, argumentierte mit einer Kartei, die die Gestapo geheimgehalten habe, um gefallene Soldaten als vennißt zu melden und ihr Schicksal damit den Russen anzulasten. 74 Auf diese Weise sollte den Angehörigen klargemacht werden, daß weiteres Warten sinnlos sei, und die amerikanische Propaganda entkräftet werden, deizufolge es ein Riesenheer an deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion gäbe. 75 Außerdem hatten die heimkehrenden Soldaten zu bezeugen, daß sie in der Kriegsgefangenschaft gut behandelt worden seien. Die Zahlen sprechen allerdings dagegen. Bei der Schlacht von Stalingrad sind 90000 deutsche Soldaten in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten, von denen nur 6000 zurückkehrten. 76 Der Gewinnung von heimgekehrten Kriegsgefangenen, die mit speziellen Broschüren empfangen wurden, 77 für die Mitarbeit bei der DSF wurde besondere Beachtung geschenkt. Viele von ihnen wurden hauptamtlich eingestellt, um als authentische Zeugen und Kenner der Sowjetunion ein positives Bild dieses Landes zu vermitteln. 78 Breitenwirkung versprachen sich SM AD und SED, die damit in die Offensive gingen, von den seit 1949 unter der Regie der DSF veranstalteten Heimkehrerkonferenzen, auf denen entlassene Soldaten Auskunft über gefallene Kameraden und die Zustände in den sowjetischen Kriegsgefangenenlagern gaben. Insgesamt 150 Konferenzen dieser Art und eine zentrale Kundgebung in Berlin wurden durchgeführt. Schon frühzeitig hatte man auch begonnen, Erlebnisberichte aus der Gefangenschaft zu veröffentlichen, um „alle bisherigen Vorurteile" zu beseitigen und „Aufgeschlossenheit und Bereitschaft für eine gerechte und folgerichtige Beurteilung der Dinge" 79 zu erzielen. Einen Rückschlag erlitten all diese Bemühungen dadurch, daß das sowjetische Versprechen, bis Ende 1948 alle Kriegsgefangenen zu entlassen, nicht eingehalten wurde. Dasselbe gilt für eine verlängerte Frist bis Ende 1949. 80 Dies diskreditierte die Sowjetunion in den Augen der Weltöffentlichkeit, so daß die Kriegsgefangenenfrage vor die Vereinten Nationen getragen wurde. Doch erst 1956 wurden die letzten Kriegsgefangenen nach Hause entlassen.

71 Vgl. Andreas-Friedrich, Schauplatz Berlin, S. 180ff. 72 Vgl. Böhme, Die deutschen Kriegsgefangenen, S. 127. 73 Vgl. ebd., S. 151. 74 Vgl. den Aufruf der DSF zum Stalingrad-Tag 1950, in: Dokumente der DSF 1950, S. 19. 75 So Hans Mark, der erste Generalsekretär der DSF, mit dem wir am 7. 9. 1988 ein Gespräch führten. 76 Vgl. Benz, Potsdam 1945, S. 29f. 77 Vgl. Willkommen in der Heimat. 78 Vgl. Freunde für immer, S. 93; Vgl. Ihme-Tuchel, Die SED und die deutschen Kriegsgefangenen, S. 492. 79 Kremer, Die Totgeglaubten, S. 6. 80 Vgl. Böhme, Die deutschen Kriegsgefangenen, S. 128f.

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Die „Klärung" des Verhältnisses zur Sowjetunion 1948/49 Die 11., 12. und 13. Tagung des Parteivorstands der SED 1948 leiteten eine Offensive gegen alle antikommunistischen und antisowjetischen Auffassungen (auch innerhalb der SED) ein, eine Kampagne, die durch die Berliner Blockade besondere Dringlichkeit bekommen hatte. Die Geschichtsschreibung der DDR hob hervor, daß „die allseitige Durchsetzung der Freundschaft mit der Sowjetunion" in dieser Situation „zu einer dringenden nationalen Notwendigkeit" 81 wurde. Dies um so mehr, läßt sich ergänzen, da die Vorgänge des Jahres 1948, wie Hurwitz es erhoben hat, zu einer Entladung des latenten Antisowjetismus geführt hatten. Die „Klärung" des Verhältnisses zur Sowjetunion erfolgte auf mehreren Ebenen: durch eine Säuberung der Partei, durch den massiven Einsatz der „Geschichte der KPdSU (B) - kuizer Lehrgang" zu Schulungszwecken und durch das gezielte Hineingehen in die Bevölkerung. Letzteres gestaltete sich allerdings schwieriger als etwa die enthusiastisch vorgetragenen Erfolgsmeldungen bei der Mitgliederwerbung für die deutsch-sowjetische Freundschaftsgesellschaft es erkennen lassen. Wie nachhaltig die Wirkung des Antisowjetismus war und mit welch immensen Schwierigkeiten Funktionäre bei ihrer Agitationstätigkeit zu kämpfen hatten, geht aus einigen Dokumenten hervor. Gerade bei Betriebsversammlungen kam es zu zahlreichen antisowjetischen Zwischenrufen und zu Versuchen, den Redner durch höhnisches Gelächter mundtot zu machen. 82 Ein Streiflicht darauf wirft auch eine im „Haus der Kultur der Sowjetunion" in Chemnitz getroffene Beobachtung, daß Jugendliche bei Abendveranstaltungen oftmals störten und sich provokativ verhielten. Daher sei abends der Zutritt für Jugendliche unter 15 Jahren verboten worden. 83 Jürgen Kuczynski, der erste Präsident der DSF, berichtet von einer Vortragseinladung 1948 durch die Kulturabteilung des FDGB in Halberstadt. Seine Zusage machte Kuczynski davon abhängig, daß die DSF als Mitveranstalter auftreten solle. Bei der Ankunft in Halberstadt sah Kuczynski zahlreiche Plakate, auf denen aber sowohl die DSF als auch sein Vortragsthema „Der Arbeiter in der Sowjetunion und in der Sowjetwirtschaft" ungenannt blieben. „Wenn die Gesellschaft mit gezeichnet hätte, wurde mir erklärt, wäre nur die Hälfte der Leute gekommen, und wenn man noch verraten hätte, worüber ich spreche, so wäre nur die Hälfte von der Hälfte erschienen." 84 Nadeshda Ludwig berichtete, 85 daß sie ihre propagandistische Tätigkeit auf dem Lande nur unter Begleitschutz durchführen konnte. Inge Pardon schreibt über die Sowjetunionvorträge der FDJ-Delegation von 1947, daß „verhetzte Jugendliche versuchten, mit provokatorischen Fragen von den wichtigen Problemen abzulenken und die Zusammenkünfte zu sprengen". 86 Mit solchen Schuldzuweisungen werden die Probleme indes nur verschleiert, die, wie aus den zitierten Episoden hervorgeht, ein gesamtgesellschaftliches Phänomen darstellten. Bei der Bekämpfung des Antisowjetismus wirkte sich negativ aus, daß zwar weidlich auf der Propaganda der Nazis und der Amerikaner herumgeritten wurde, die realen Ursachen aber kaum angesprochen wurden. 87 81 82 83 84 85 86

W. Schneider, Wie die deutsch-sowjetische Freundschaft die Herzen der Bevölkerung gewann, S. 163. Vgl. Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 150. Vgl. den Bericht des WOKS-Bevollmächtigten Gussew vom 28. 2. 1952. - SAPMO: AGDSF, A 1085. Kuczynski, Beginn einer großen Freundschaftsbewegung, S. 479. Gespräch mit Nadeshda Ludwig vom 5.9. 1988. Pardon, Der Beginn einer großen Freundschaft, S. 59.

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Jedoch war im Herbst 1948 die sowjetfeindliche Stimmung offenbar zu einem solch dringlichen Problem geworden, daß erstmals - und auf lange Zeit letztmals - nicht nur intern deutliche Worte gesprochen wurden. 88 Dem Antisowjetismus wurde auf dem Wege großer öffentlicher Aussprachen ein Ventil auch innerhalb der breiten Bevölkerung geöffnet mit dem Ziel, Zweifel und politisch Strittiges im gewünschten Sinne zu ,klären'. Der Ablauf der Debatte über das Verhältnis zu den Russen läßt exemplarisch das Inszenierungsmuster solcher Offensiven erkennen. Er macht aber auch deutlich, daß dem Bedürfnis der Bevölkerung, die objektiven Gründe für die Schwierigkeiten mit den Sowjets namhaft zu machen, nur kurze Zeit entsprochen wurde, um die Diskussion dann rasch zu kanalisieren. „Über ,die Russen' und über uns" - eine Kampagne Den Ausgangspunkt der Diskussion, die „weitgehend das geistig-kulturelle Leben jener Zeit" 89 bestimmte, bildete ein Artikel „Über ,die Russen' und über uns", der zur Voibereitung der 1. Parteikonferenz der SED am 19. November 1948 im „Neuen Deutschland" erschien und in der „Täglichen Rundschau" nachgedruckt wurde. Verfaßt worden war er von Rudolf Herrnstadt, der aufgrund eines Parteiauftrags Lex Ende als Chefredakteur des „Neuen Deutschland" abgelöst hatte. 90 Anschließend fanden überall in der SBZ Diskussionsabende statt: Die beiden wichtigsten Veranstaltungen, von der DSF im Berliner „Haus der Kultur der Sowjetunion" durchgeführt, sind dokumentiert 91 ; am zweiten Abend nahmen auch Vertreter der Militäradministration aktiv teil. Auch in Westberlin führte die SED Aussprachen zum gleichen Thema durch, die allerdings kurz darauf verboten wurden. Für Herrnstadt, der selbst im Moskauer Exil war und dort als Chefredakteur der Zeitschrift des „Nationalkomitees Freies Deutschland" arbeitete 92 , war die Diskussion des Themas offenbar ein persönliches Anliegen. 93 Dafür spricht der umgangssprachlich formulierte Titel seines Aufsatzes „Über ,die Russen' und über uns", der den sonst üblichen abstrakten Formulierungen entgegensteht. 94 Der Inhalt des Artikels verrät die gründliche Schulung in marxistischer Dialektik. Herrnstadt geht von zwei Prämissen aus: Notwendig sei ein „rückhaltloses Bekenntnis zur Sowjetunion"; auch die Einstellung der SED zur Sowjetunion sei „unzulänglich, - weil unkühn, uneinheitlich und nicht frei vom Einfluß des Gegners". Die eigene falsche Grundeinstellung müsse auf die ungenügende Teilnahme am eigenen Klassenkampf zurückgeführt werden, damit 87 88

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Die Kriegsgefangenenfrage bildete hier eine Ausnahme, da sich die DSF von den Heimkehrerkonferenzen versprach, die Vorwürfe aktiv entkräften zu können. Vgl. auch den Bericht, den Jürgen Kuczynski auf der Halbjahrestagung des Vorstands der DSF im Herbst 1948 gab; er weist aus, wie groß die Sorge um die tatsächliche Durchsetzung der Freundschaftsidee war. - SAPMO: AGDSF, A 3. Unter dem Titel „Aufgaben und Arbeit unserer Gesellschaft in der gegenwärtigen Situation", in: NG 11-12/1948, S. 5-11 u. S. 144-149. W. Schneider, Wie die deutsch-sowjetische Freundschaft die Herzen der Bevölkerung gewann, S. 164. Zum Fall Ende vgl. Kap. 5.3.3 und 6.7. „Über ,die Russen' und über uns". Zur Person Herrnstadts und zu seinem Auftreten in Moskau vgl. Leonhard, Die Revolution entläßt ihre Kinder, S. 253ff. Dies unterstrich Hans Borgelt im Gespräch vom 26.11. 1989; siehe auch Herrnstadts spätere Oppositionsrolle, vgl. Kap. 2.1.4. Vgl. Reinhardt, Zeitungen und Zeiten, S. 127.

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auch auf die Wirkung der antisowjetischen Propaganda. Diese ihrerseits sei ,,direkte[r] Ausfluß der tödlichen Schwäche, in der sich der Imperialismus heute befindet"95. Daß der deutsche und angelsächsische Imperialismus nicht miteinander (wie es dem Interesse Churchills entsprochen hätte), sondern gegeneinander marschiert sind, sei kein vermeidbarer Fehler Hitlers gewesen: „Es war und ist - umgekehrt - ein Bestandteil der Kraft der Sowjetunion, daß ihr Gegner, der Imperialismus, infolge der in ihm wirkenden Widersprüche [...] derartige .Fehler' machen muß, und daß die Sowjetunion dank ihrer fortschrittlichen Ökonomie und Wissenschaft, dank des erreichten Hochstandes der politischen Analyse in der Lage ist, diese Fehler auszunutzen".96 Nach Herrnstadts Auffassung plant der Imperialismus einen neuen Krieg, um den wirtschaftlichen Niedergang zu vermeiden. Dagegen müsse die „große Überlegenheit" der Friedensfront gesteigert werden. Damit ist Herrnstadt wieder zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zurückgekehrt, nämlich zur Notwendigkeit, entschieden gegen antisowjetische Propaganda vorzugehen und auch sowjetfeindliche Elemente aus den Reihen der Partei auszuschließen. Die rhetorische Frage: „Sie verteidigen also alles hinsichtlich der Sowjetunion?" beantwortet er mit großer Absolutheit: ,Jawohl, alles - prinzipiell alles." Denn einen Prozeß könne man nur im Ganzen bejahen oder verneinen.97 Er nimmt auch das Gegenargument auf, daß bei einem anderen Auftreten der Russen im Jahr 1945 die Bevölkerung leichter zu gewinnen gewesen wäre. Dagegen wendet Herrnstadt ein, daß die deutsche Arbeiterschaft nicht gehandelt und damit die Sowjetarmee enttäuscht habe und daß der Krieg eben auch die Menschen verrohe.98 Um aus dem Teufelskreis von mangelndem Klassenbewußtsein und Passivität im Klassenkampf auszubrechen, müßten die Deutschen von der Sowjetunion lernen, „weil die KPdSU wie ein Schneepflug die bestimmende Furche zieht durch den Klassenkampf auf dieser Erde. Der Arbeiter, der das erkannt hat, hält in der Linken die .Geschichte der KPdSU' und in der Rechten - das Gesetz des Handelns."99 Am ersten Diskussionsabend in Berlin unter Leitung von Professor W. Steinitz, dem Vorsitzenden der Berliner Gesellschaft der DSF, nahm Professor P. Steiniger in einem Grundsatzreferat noch einmal die Kernpunkte des Herrnstadt-Artikels auf. Nicht die politischen Interpretationen waren es indes, die auf das Interesse des Publikums stießen, sondern das Eingeständnis, daß das Verhältnis zu den Russen „von unserer deutschen Seite aus im ganzen unglücklich" war, „auch da, wo es sich positiv darstellt".100 Davon Gebrauch zu machen, was bisher unterlassen wurde, „nämlich zu kitzligen Fragen offen, frontal und offensiv Stellung zu nehmen",101 entsprach dem Bedürfnis der Diskutanten.102 Immer wieder kreisen die Fragen um das schwierige Verhältnis zwischen Besatzungsmacht und Bevölkerung und um persönliche schlechte Erfahrungen. Allerdings ist festzuhalten, daß nicht alle Redebeiträge abgedruckt sind, das Wieder95 96 97 98 99 100 101 102

Herrnstadt, „Über ,die Russen' und über uns", in: „Über ,die Russen' und über uns", S. 3. Ebd., S. 4. Vgl. ebd., S. 6. Vgl. ebd., S. 8f. Ebd., S. 12. „Über ,die Russen' und über uns", S. 13. Ebd., S. 20. Welche Fragen die deutsche Zuhörerschaft bewegten, ist auch Protokollen zu entnehmen, die ein SMAD-Referent von Vorträgen und Diskussionen aus den Jahren 1947/48 bewahrte und in einem Aufsatz wiedergab: Malinowski, Aus den Erfahrungen eines Referenten, S. 394—401.

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gegebene offenbar auch zensiert ist; denn die Dokumentation des zweiten Abends beschränkt sich fast ausschließlich auf offiziöse Stellungnahmen, mit einer Diskussion hat der gedruckte Text nichts mehr zu tun. Auch wird - schon am ersten Abend - in den Antworten auf die Fragen nach den mutmaßlichen Gründen für das gestörte Verhältnis zu den Russen von den Parteivertretern nicht mit der gleichen nüchternen Ehrlichkeit vorgegangen, wie in den Diskussionsbeiträgen der Zuhörer. Dort werden - wenn auch vorsichtig und zum Teil als Wiedergabe der Meinung anderer vorgebracht - konkrete Ursachen angesprochen: Die Vergewaltigungen und Plünderungen, vor allem in Berlin, das ungelöste Kriegsgefangenenproblem, das von vielen als ungerecht empfundene Privilegiensystem durch Zuteilung von Lebensmittelpaketen, was einen Fragesteller Brecht zitieren läßt: „In den Herzen soll der gleiche Mut sein, aber in den Schüsseln ist zweierlei Essen". 103 Die Antworten operieren mit Unterstellungen, Verdrehungen der Frage, Auslassungen und der Flucht in die vorgegebene Rhetorik. Einige Erklärungen für Furcht und Mißtrauen werden immerhin angeboten: Die sowjetischen Soldaten seien schließlich nicht auf Vermittlung von Intourist gekommen, sondern als kämpfende Truppen über mehrere tausend Kilometer eigener verbrannter Erde, 104 der Krieg verrohe selbst ein hochstehendes Kulturvolk, das vorher nur saubere Beziehungen zwischen den Geschlechtern gekannt habe, 105 und schließlich wäre die Begegnung ganz anders verlaufen, wenn der deutsche Arbeiter wenigstens zum Schluß noch die Waffe gegen Hitler erhoben hätte. 106 Letztlich bleiben die Antworten im Halbherzigen stecken, weil sie sich vor den wirklich heiklen Punkten immer wieder zurückziehen auf weitschweifige Argumentationen politischer Art gemäß der von Hermstadt vorgegebenen Linie. Damit werden alle Fragen scheinbar „gelöst", aber es läßt sich nicht die Ratlosigkeit angesichts des Tatbestands beseitigen, daß Übergriffe der westalliierten Besatzer offenbar kein nachhaltiges psychologisches Trauma auslösten, 107 während dies beim sowjetischen Einmarsch der Fall war. 108 Am zweiten Abend herrschte dann wieder vollends ein Sicherheitsdenken, das Brisanz gar nicht mehr aufkommen ließ. Die Diskussion in der Provinz 109 zeigt eine ähnliche Ambivalenz zwischen Befreiungswirkung und Befriedungsabsicht. In Dresden etwa wurden weitere belastende Punkte angesprochen wie die Reparationszahlungen oder die Entnahmen aus der laufenden Produktion. Hingegen wurde vor allem in kleineren Orten „zuweilen die Thematik so verschoben, daß ,die Befriedigung der Veranstalter, um gewisse Klippen glücklich herumgesegelt zu sein, im Vordeigrund' stand, oder die ganze Diskussion wurde von vornherein als Mitgliederversammlung oder Studiengruppenabend durchgeführt". 110 Mit der mehrmonatigen Debatte kanalisierte die SED Bedürfnisse der Bevölkerung, die so ihre psychologischen Vorbehalte und konkreten Erfahrungen zur Sprache bringen konnte. Nach den 103 104 105 106 107 108 109 110

„Über ,die Russen' und über uns", S. 28. Vgl. ebd., S. 50. Vgl. ebd., S. 25. Vgl. ebd., S. 14. Vgl. Hurwitz, Demokratie und Antikommunismus, Bd. 1, S. 29 u. S. 106ff. Vgl. ebd., S. 23ff. Sie wurde, soweit sie belegbar ist, von Gieseke (Von der Gesellschaft) aufgearbeitet. Gieseke, Von der Gesellschaft, S. 130.

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Diskussionsabenden in Berlin wurden allein dort 400 neue DSF-Mitglieder gewonnen. 111 Allerdings verspielte man - wie gezeigt - die Chance eines wirklich offenen Gesprächs. Festgelegt wurde die politische Interpretation bestimmter heikler Punkte, wie der Oder-Neiße-Grenze und der Reparationszahlungen, um damit einer .richtigen' Einstellung zur Sowjetunion den Weg zu bahnen. Die Sammlung von Redebeiträgen der beiden Berliner Abende stellt somit ein wichtiges Dokument zu den realen Ressentiments und zur Strategie der Partei dar.

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Übernahme des sowjetischen Wirtschaftsmodells

4.2.1 Einführung der Planwirtschaft Am 30. Oktober 1945 verfügte die SMAD die „Beschlagnahme allen Eigentums des deutschen Staates, der NSDAP und ihrer Organisationen, der Verbündeten des Nazi-Reiches und darüber hinaus aller jener Personen, die von der SMAD durch besondere Listen oder auf eine andere Weise bezeichnet werden." Dieser Enteignungsprozeß betraf praktisch alle Großbetriebe und Konzerne, wobei jedoch ein Teil der Unternehmen in Sowjetische Aktiengesellschaften umgewandelt wurde. Die Entnazifizierung wurde zum Teil auch als Instrument zur Enteignung privaten Besitzes mißbraucht. 112 Durch die im Herbst 1945 durchgeführte Bodenreform wurden sämtliche Güter mit einem Grundbesitz von über 100 ha in Landstücke aufgeteilt und die Parzellen der alten Landbevölkerung und Neusiedlern zugewiesen bzw. in „Volkseigene Güter" umgewandelt. Damit waren strukturelle Entscheidungen getroffen, die lange vor jeder ostentativen Übernahme des sowjetischen Modells die Einführung einer neuen Eigentumsordnung bedeuteten. Die Schwierigkeiten, mit denen die Wirtschaft nach Kriegsende konfrontiert war, waren immens: ein großer Teil des Industriepotentials war zerstört; der verbliebene Teil war durch eine Disproportion zwischen Leicht- und Schwerindustrie gekennzeichnet; es fehlte an Rohstoffen; traditionelle Produktionswege, Zuliefer- und Handelsketten waren durch die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen abgeschnitten, Demontagen und Entnahmen aus der laufenden Produktion warfen die Produktion immer wieder zurück und wirkten demoralisierend.113 Das Arbeitskräftepotential wurde in erheblichem Maße für sowjetische Zwecke beansprucht;114 Zwangseinweisungen wirkten politisch und ökonomisch kontraproduktiv.115 Vielfach wurden selbst von Betrieben Tauschgeschäfte abgewickelt, um durch solche „Kompensationen" Nahrungsmittel und Rohstoffe zu beschaffen. 116 Die Überwindung dieser Improvisationswirtschaft und eine stärkere Ausrichtung an gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeiten sollte durch eine schrittweise 111 112 113 114 115 116

Vgl. W. Schneider, Der Kampf der SED, S. 172. Vgl. Welsh, Entnazifizierung, S. 71. Vgl. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 48-63; 123-125; zum Reparationsaufkommen der DDR und den Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung vgl. Karisch, Allein bezahlt? Zank, Wirtschaft, S. 59ff. Ebd., S. 106. Vgl. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 125.

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Zentralisierung und eine mittelfristige Wirtschaftsplanung erreicht werden; Produktionssteigerung wollte man mit Hilfe von materiellen und ideellen Anreizen erzielen.117 Im Juni 1947 befahl die SMAD die Bildung der „Deutschen Wirtschaftskommission" (DWK), die künftig den Zentralverwaltungen vorgeschaltet war und Verfügungsgewalt eriiielt. Nach einem in Sachsen schon 1946 erprobten Modell wurden bis Anfang 1948 alle Unternehmen einer Branche zu „Vereinigungen Volkseigener Betriebe" (VVB) zusammengefaßt und der DWK unterstellt. 1948 wurde ein Halbjahresplan erstellt, dem ein Zweijahresplan für 1949/50 folgte. Der III. Parteitag der SED im Juli 1950 beschloß den 1. Fünfjahrplan (für die Jahre 1951-1955), mit dem sich die DDR dem Rhythmus in der Sowjetunion und in den anderen Volksdemokratien anglich. Im September trat die DDR dem 1949 gegründeten Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) bei, der die wechselseitige Abstimmung der Wirtschaftspläne ermöglichen sollte und als Antwort auf den Marshall-Plan gedacht war. Mit der Ende 1950 eingerichteten Staatlichen Plankommission (sie löste das Ministerium für Planung, das die Funktion der DWK wahrgenommen hatte, ab) war der Aufbau einer zentralisierten Planungsbürokratie abgeschlossen. Der Anteil der „volkseigenen" - was heißt staatseigenen - Betriebe stieg kontinuierlich, nicht zuletzt durch die Übergabe von SAG-Betrieben an die DDR-Wirtschaft. Die 1952 ausgegebene Parole vom „Aufbau des Sozialismus" bedeutete ökonomisch eine Forcierung der Schwerindustrie und die Kollektivierung der Landwirtschaft. Entgegen allen Versprechungen kam es zu neuen Versorgungsengpässen und Beeinträchtigungen des Lebensstandards.

4.2.2 Eine Kraft von unten: Die Betriebsräte Dem Ausbau der Zentralisierung entsprach ein Abbau an betrieblicher Mitbestimmung. In den nach Kriegsende zum großen Teil herrenlosen Betrieben hatten sich innerhalb der Belegschaften rasch Betriebsräte formiert, die die Leitungsorganisation und Interessenvertretung übernahmen. 118 Mit antifaschistischem Elan besorgten die Betriebsräte die innerbetriebliche Entnazifizierung; sie reaktivierten Produktionsstätten und nahmen soziale Aufgaben wahr. 119 Während die SMAD im Frühsommer 1945 die Auflösung der bestehenden Betriebsräte beabsichtigte und Neubildungen zu verhindern suchte, 120 war die Haltung von Partei und Gewerkschaften gegenüber den Betriebsräten zunächst ambivalent: Trotz eines Aufrufes zur Ablösung der Betriebsräte durch betriebliche Gewerkschaftsleitungen, der am 5. Juli 1945 in der „Deutschen Volkszeitung" veröffentlicht wurde, tolerierte die KPD die Basisbewegung. Ende August 1945 fiel die Entscheidung zugunsten ihres Fortbestehens. Dieser Beschluß stand offenbar im Zusammenhang mit einer neuen Phase sowjetischer Wirtschaftspolitik, niedeigelegt im Befehl Nr. 43 vom 28. August 1945, der die rasche Wiederbelebung der Wirtschaft intendierte.121 Ohne eine Mitwirkung der Betriebsräte, der bisher aktivsten Kräfte des wirtschaftlichen Wiederauf117 118 119 120 121

Vgl. ebd., S. 129. Zu den Betriebsräten im Detail: Suckut, Die Betriebsrätebewegung. Vgl. ebd., S. 184-202. Vgl. ebd., S. 160-164. Vgl. ebd., S. 222f.

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baus und einzigen gesellschaftlichen Organe im ökonomischen Bereich, die bereits unter den Bedingungen der ersten Nachkriegsmonate voll arbeitsfähig waren,122 wäre eine Umsetzung des Befehls kaum möglich gewesen. Bis 1947 konnten sich die Betriebsräte konsolidieren. Aufgrund der auch in den Westzonen regen Tätigkeit von Betriebsräten sah sich der Alliierte Kontrollrat im April 1946 zur Formulierung eines für ganz Deutschland geltenden Betriebsrätegesetzes veranlaßt. Es ging in seinen wesentlichen Bestimmungen nicht über das Betriebsrätegesetz von 1920 hinaus, wobei eine Kompetenzerweiterung für die Belegschaften nicht nur von den Amerikanern veihindert wurde, sondern offenbar auch nicht im Interesse der SMAD lag. 123 Hier waren es in der SBZ die Parteien und Gewerkschaften, die „in der Durchsetzung weitreichender Mitbestimmungsforderungen in der Privatindustrie wie in der öffentlichen Wirtschaft durch die Organisierung von Agitation und Streiks selbst aktiv" waren, 124 ein Vorgang, der die These von der geradlinigen ,Sowjetisierung' zumindest in diesem Bereich außer Kraft setzt.125 Seit dem Sommer 1946 von Gewerkschaften und Betriebsräten durchgesetzte „Betriebsvereinbarungen" sicherten bis zum März 1947 in 14000 Betrieben der SBZ weitreichende Mitspracherechte auch an Planungs- und Leitungsentscheidungen. Doch schon im September 1947 wurde das Ende der Betriebsräte eingeleitet. Das programmatische Bekenntnis der SED zum Marxismus-Leninismus als zukünftiger Arbeitsgrundlage und der Wille zur Umwandlung in eine Partei neuen Typus entzogen der Betriebsrätebewegung, die ihre Legitimation in den Vorstellungen von einem deutschen Sonderweg zum Sozialismus hatte, die Basis. 126 Die SED begann damit, Parteiorganisation, Gewerkschaften und Staatsorgane so umzustrukturieren, daß ihr die alleinige Entscheidungskompetenz in allen relevanten politischen und wirtschaftlichen Fragen zufiel. 127 Schon im Zuge des Zusammenschlusses zu „Vereinigungen Volkseigener Betriebe" hatte die SMAD das Ende aller kollektiven Leitungsformen in den Unternehmen zugunsten des „Einzelleitungsprinzips" verfügt. Mit ihrem Befehl 234 vom 9. Oktober 1947 bereitete die SMAD den Boden für die Übertragung des sowjetischen Lohn- und Aktivistensystems. Der Befehl zielte auf die Straffung der Arbeitsdisziplin, eine Steigerung der Arbeitsproduktivität und die Entfaltung von Eigeninitiative der Werktätigen. Erreicht werden sollte dies durch strengere Überwachung und eine neue Arbeitsordnung, durch die Hierarchisierung der .Tariflöhne gemäß den Planungsschweipunkten und die vermehrte Anwendung von Stück- und Akkordlöhnen sowie durch Leistungsanreize in Naturalform. 128 Während der FDGB den Befehl und die folgenden Verordnungen unterstützte - die bisherige Praxis wurde als „verderbliche und verbrecherische Gleichmacherei" denunziert -, 1 2 9 122 123 124 125 126 127 128 129

Vgl. ebd., S. 335. Vgl. ebd., S. 433ff. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 106. Vgl. ebd., S. 108; Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, S. 131. Suckut, Die Betriebsrätebewegung, S. 492. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 132. Vgl. ebd., S. 132ff.; Suckut, Die Betriebsrätebewegung, S. 492ff.; Zank, Wirtschaft, S. 132. Benda, Neue Aufgaben, S. 29. Dieser Vorwurf war durch eine sowjetische Vorgabe .abgesichert'. Er wurde auch in der Sowjetunion vor der Einführung des progressiven Leistungslohns im Jahre 1935 laut, der die Praxis des „mittleren Lohns" mit eng limitierten Überschreitungsmöglichkeiten ablöste. - Vgl. Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 37 u. 45.

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verwahrten sich die Betriebsräte gegen die Leistungslöhne und die Zusatzversorgung als Zerstörungskräfte der innerbetrieblichen Solidarität. Nun kam der strukturelle Konflikt, der mit der zweigleisigen Interessenvertretung durch Betriebsräte und Gewerkschaften von vornherein angelegt war, zum Ausbruch. Die SED aktivierte nun die Gewerkschaftsarbeit in den Betrieben und baute die Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL) als Alternative zu den Betriebsräten auf. Im Mai 1948 entzog der FDGB den Betriebsräten alle Kompetenzen, „für die die Betriebsgewerkschaftsleitungen zuständig sind", das heißt die gesamte betriebliche Lohn- und Sozialpolitik. 130 Ende 1948 waren die Betriebsräte faktisch aufgelöst, und gegen die Interessen der Arbeiter war folgendes Selbstverständnis für die Gewerkschaften festgesetzt: „die Interpretation gewerkschaftlicher Arbeit als Funktion einer Massenorganisation, die die Richtlinienkompetenz der Partei (der Avantgarde) akzeptierte und ihre wesentliche Aufgabe darin sah, zusammen mit der Planerfüllung die Konsolidierung der SBZ nach dem Vorbild der Volksdemokratien voranzutreiben." 131 Während der FDGB seine Umwandlung von einer Interessenvertretung in ein Transmissionsorgan akzeptierte, ordnete sich die Arbeiterschaft nicht klaglos unter. 1951 kam es zu größeren Differenzen zwischen ihr und dem Staat, weil die empfohlenen Betriebskollektivverträge vor allem die Erfüllung der Produktionsaufgaben intendierten und technisch begründete Arbeitsnormen festsetzten, die den Nominallohn gefährdeten. Aufgrund des Widerstands der Betriebsangehörigen dauerte es oft Monate, bis diese Verträge abgeschlossen werden konnten.132 4.2.3 Auf Anordnung von oben: Aktivistenbewegung und sozialistischer Wettbewerb Der Aufbau eines Helden der Arbeit Um das Leistungsprinzip in den Betrieben mit Hilfe materieller Anreize fest zu verankern, wurde im Zuge des SMAD-Befehls parallel zur Lohnkampagne 1947 auch eine Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung initiiert. Sie stand unter der Losung „Mehr produzieren, richtig verteilen, besser leben!" und sollte nach außen hin an die ,aktivistischen Arbeitstaten' zur Normalisierung des Wirtschaftslebens in der unmittelbaren Nachkriegszeit anknüpfen. 133 Dennoch ließ sich der typisch sowjetische Charakter dieser Bewegung nicht verleugnen, zumal sie anfangs hauptsächlich von den SAG ausging. 134 Das Fehlen von abgesicherten Leistungsnormen machte die Bewertung zum Teil willkürlich, 135 und nicht zu Unrecht befürchteten die Arbeitnehmer auch aus diesem Anlaß Normerhöhungen. Die SED-Führung setzte indes auf die Aktivistenbewegung und versuchte im Herbst 1948, ihr einen neuen Anstoß zu geben. Zwar versuchte die Geschichtswissenschaft der DDR, die Hennecke-Bewegung, „eine jener neuen Traditionen, die unsere sozialistische Gesellschaft hervor130 131 132 133 134 135

Zit. nach Staritz, Die Gründung der DDR, S. 137. Ebd., S. 141. Vgl. Weber, Geschichte der DDR, S. 237; Staritz, Die Gründung der DDR, S. 172f. Dittrich, Die Anfänge der Aktivistenbewegung, S. 21. Ebd., S. 141. Vgl. Suckut, Die Betriebsrätebewegung, S. 501. Zahlen, die von einzelnen bis zu 2500%igen Normerfüllungen in der SBZ schon vor Henneckes Bestleistung sprechen (vgl. Dittrich, Die Anfänge der Aktivistenbewegung, S. 56f.), sind daher mit großem Vorbehalt zu betrachten.

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gebracht hat" 136 , als wenn auch nicht spontane, so doch von breitem schöpferischem Konsens getragene Aktion darzustellen, doch ist nachdrücklich auf den Inszenierungscharakter der ganzen Kampagne hinzuweisen. 137 Systematisch wurde die Suche nach einem geeigneten Vorreiter gestartet. Man legte die Provinz fest (Sachsen), den Industriezweig (Bergbau), klärte, ob ein jüngerer oder älterer Arbeiter, ein SED-Mitglied oder ein Parteiloser besser geeignet sei. 138 Der Leiter der Informationsverwaltung der SM AD, S. Tjulpanow, kümmerte sich selbst um die Initiative; seine Wahl fiel auf Adolf Hennecke, welcher bereits regelmäßig sein Aibeitssoll zu 150 bis 200% erfüllte, als Instrukteur tätig war und die SED-Parteischule in Meerane besucht hatte. 139 Hennecke, aus Westfalen stammend, gelernter Kaufmann, war nur zum Bergbau gekommen, weil sein eigentlicher Berufswunsch, eine kaufmännische Tätigkeit, sich immer wieder zerschlagen hatte. 140 Vor 1933 war Hennecke als Funktionär der kommunistischen Revolutionären Gewerkschaftsopposition tätig gewesen, trat jedoch nach dem Krieg der SPD bei. Über die Präparierung Henneckes für seine Hochleistungsaufgabe berichtete Otto Buchwitz, der damalige Vorsitzende der SED-Landesleitung Sachsen, kurz nach der Tat dem SED-Parteivorstand: „Unser Ziel war, herauszufinden, wie wir eine (breitere) Aktivistenbewegung entwickeln können. Wir haben uns gesagt: dazu brauchen wir einen zentralen Punkt, eine Persönlichkeit; und ich gebe gern zu, wir wurden ein wenig beeinflußt, daß wir so etwas Ähnliches wie einen Stachanow bei uns brauchen. [...] Henneckes Leistungen übertrafen schon immer diejenigen seiner Kollegen. [...] Er ist (von der Parteileitung) dann im Laufe der nächsten Wochen entwickelt worden." 141 Hennecke fuhr seine Sonderschicht am 13. Oktober 1948 zu Ehren des Jahrestages des Befehls Nr. 234 der SMAD über die Steigerung der Arbeitsproduktivität auf der Grundlage des Prinzips der materiellen Interessiertheit. Das beste Arbeitsgerät war an einem besonders abbaugünstigen Flöz konzentriert, Helfer sorgten für einen bevorzugten Abtransport der Kohle. Hennecke übertraf das Soll um 387%. Seine Tat wurde in einem Brief Piecks und Grotewohls als bahnbrechend für den Aufschwung in allen Wirtschaftszweigen belobigt. Sein persönliches Ziel, kaufmännischer Leiter des Schachtes zu werden, erreichte er trotz eines fünfmonatigen einschlägigen Lehrgangs indes nicht. 142 Hennecke wurde prämiert und mit verschiedenen politischen Funktionen betraut. Die Landesorganisation Sachsen der SED beschloß Ende Oktober 1948, Hennecke als

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Dittrich, Die Anfänge der Aktivistenbewegung, S. 7. Ihn betont auch Erwin Strittmatter in seinem Roman „Der Wundertäter" (Bd. 3, S. 55ff.), der die „Erstellung eines Braunkohlenhelden" nach dem Vorbild Henneckes schildert. Vgl. Kap. 7.3.2. Diese Passagen werden von Dittrich (Die Anfänge der Aktivistenbewegung, S. 13f.) heftig kritisiert. Vgl. Leonhard, Die Revolution entläßt ihre Kinder, S. 466f. Die Branche Bergbau wurde sicher auch mit Blick auf den sowjetischen Bestarbeiter, den Häuer Alexej Stachanow, gewählt. Darüber hinaus kam dem Bergbau eine Schlüsselrolle beim Aufbau der gesamten Industrie zu, und gerade in diesem Bereich waren nicht zuletzt aufgrund des Zustroms zahlreicher fachfremder und ungelernter Arbeitskräfte Produktivitätseinbrüche und Disziplinschwierigkeiten zu verzeichnen. - Vgl. Hennecke, Aktivisten zeigen den Weg, S. 3f. Vgl. Dittrich, Die Anfänge der Aktivistenbewegung, S. 71, 75 und Gniffke, Jahre mit Ulbricht, S. 346. Vgl. Jakobs, Adolf Hennecke, S. 219f. SAPMO: Z P A I V 2/1-047, zit. nach: Voigtländer, Die Tat Adolf Henneckes, S. 623. Die Zielvorgabe von 250% lag nicht wesentlich höher als Henneckes durchschnittliche Schichtleistung (vgl. Dittrich, Die Anfänge der Aktivistenbewegung, S. 72). Vgl. Jakobs, Adolf Hennecke, S. 220.

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ersten Delegierten zur 1. Parteikonferenz der SED im Januar 1949 zu entsenden. Im Sommer 1949 wurde er neben Anna Seghers, Willi Bredel und Prof. Johannes Stroux zum Vizepräsidenten der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft gewählt. 143 Außerdem wurde Hennecke nach und nach zum Abteilungsleiter in verschiedenen Ministerien, zum Abgeordneten der Volkskammer, Nationalpreisträger und Mitglied des Zentralkomitees der SED befördert. Der 13. Oktober wurde zum Tag der Aktivisten deklariert. Das Vorbild: Stachanow und die sowjetische Aktivistenbewegung Die Modellierung Henneckes als Arbeitsheld folgte bis in einzelne Details dem Vorbild des sowjetischen Bergmanns Alexej Stachanow (1905-1977), der 1935 das Soll mit 1457% übererfüllt hatte. Die ökonomischen Ausgangssituationen, die den Hinteigrund für ihre jeweiligen Rekordschichten bildeten, weisen in ihrem Erscheinungsbild Ähnlichkeiten auf. Unterschiedlich waren die Ursachen. In der SBZ waren Produktion und Produktivkraft durch Kriegszerstörungen, Demontagen, Reparationsleistungen, fehlende Zulieferungen infolge der Zonenaufteilung zurückgeworfen, während es in der Sowjetunion Anfang der 30er Jahre galt, überhaupt erst die Rückständigkeit im industriellen Aufbau zu überwinden. Zwar waren die Planziele in der UdSSR hochgesteckt, doch standen sie zunächst in einem krassen Mißverhältnis zu den bestehenden personellen und materiellen Bedingungen. Der Bau immer weiterer Großbetriebe der Schwerindustrie band unzählige Arbeitskräfte, die dem eigentlichen Produktionsprozeß in den fertiggestellten Werken dann nicht in hinreichendem Maße zur Verfügung standen. Zudem entwickelten sich einzelne Branchen höchst ungleichmäßig. All dies bewirkte am Ende des ersten Planjahrfünfts 1932 die Nichterfüllung zahlreicher Produktionspläne in der Schwerindustrie und einen Rückgang des Wachstums. Der zweite Fünfjahresplan sah eine Korrektur zuvor begangener Fehler vor. Begonnene Projekte wurden zunächst fertiggestellt und nahmen die Produktion auf; der Qualität der Produkte und der Ausbildung der Arbeiter, die in großer Zahl vom Lande zugewandert kamen und teilweise noch Analphabeten waren, wurde mehr Beachtung geschenkt; die Selbstkosten wurden gesenkt. Die Bruttoproduktion stieg infolgedessen, aber auch aufgrund der ständig wachsenden Zahl von Arbeitskräften und der reichlich vorhandenen Rohstoffe rasch wieder an. 144 Dennoch verlief die Entwicklung nicht störungsfrei. Im Zuge der 1937 sich ausbreitenden staatlichen Gewaltmaßnahmen wurden auf der Suche nach „Sündenböcken" für nach wie vor unzureichende Quantitäten und Qualitäten in der Produktion immer weitere Teile des Managements und der Facharbeiter in den Betrieben erfaßt und verurteilt. Wie nicht anders zu erwarten, kam es in der Folge zu einem erneuten Rückgang der Wachstumsraten bis hin zur realen Abnahme der Produktion in einzelnen Gebieten, d. h. die Strafmaßnahmen erwiesen sich volkswirtschaftlich als kontraproduktiv. 145 Der gesamte Prozeß der forcierten Industrialisierung vollzog sich unter einem starr zentralistischen System von Planungsvorgaben und Arbeitsanweisungen. Gewerkschaftliche Mitbestimmungsrechte, die noch während der Neuen Ökonomischen Politik in Kraft waren, wurden eliminiert, ebenso wie jegliche Art von demokratischer Partizipation an betrieblichen Entschei-

143 Dokumente der DSF 1949, S. 32. 144 Vgl. Lorenz, Sozialgeschichte der Sowjetunion, Bd. 1, S. 226ff. 145 Vgl. ebd., S. 23lf.

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dungsprozessen. 146 All diese Faktoren bilden den Hintergrund, auf dem sich die StachanowBewegung entfaltete. Die zeitweilig hohen Wachstumsraten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß einer der gravierendsten Mängel in der industriellen Entwicklung der 30er Jahre die äußerst niedrige Arbeitsproduktivität in den sowjetischen Betrieben und Bergwerken war. Auch die StachanowBewegung konnte gesamtgesellschaftlich gesehen nur eine geringfügige Steigerung auf diesem Gebiet erzielen. Zahlreiche Faktoren waren für die niedrige Arbeitsproduktivität verantwortlich: So führten eine schlechte Organisation der Arbeitsabläufe, unregelmäßige oder ausbleibende Materiallieferungen, schadhaftes oder ungenügend gepflegtes Werkzeug, aber auch die zum Teil extrem langen Anfahrtswege der Rohstoffe dazu, daß selten mehr als zwei Drittel der täglichen Arbeitszeit tatsächlich für die Produktion aufgewendet wurden. Die Betriebsmittel wurden häufig zu einem noch geringerem Prozentsatz ausgenutzt. Mangelnde Sicherheitsvorkehrungen und dadurch verursachte Arbeitsunfälle, aber auch Krankheiten durch fehlenden Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, schlechte Ernährung und unzureichende medizinische Versorgung verursachten zusätzliche Produktionsausfalle. 147 Zu einem nicht unerheblichen Teil waren die genannten Mißstände Ergebnis mangelhafter oder fehlender Instruktionen, gepaart mit einem häufig niedrigen Ausbildungsstand der Arbeiter, der auch trotz kurzfristiger Schulungsmaßnahmen nur allmählich erhöht werden konnte. Hinzu kamen Disziplinschwierigkeiten, die die Umstellung vom bäuerlichen zum industriellen Leben mit sich brachte. Die Arbeitsnormen mußten somit realistischerweise niedrig angesetzt werden. Entsprechend bescheiden waren auch die Löhne, deren Spielraum staatlicherseits eng begrenzt war. Erst in Folge der ab 1934 praktizierten Aufhebung dieser Begrenzung als Anreiz zur Produktivitätssteigerung kam es zu einzelnen Fällen von Normübererfüllung, die auf einer zunächst heimlich, dann mit Unterstützung der Betriebsparteileitungen offen praktizierten Erhöhung der Arbeits- bzw. Maschinengeschwindigkeit basierten. Der progressive Leistungslohn wurde (unter dieser Bezeichnung) im Oktober 1935 eingeführt. Auch der in einer Zeche des volkswirtschaftlich wichtigen Donezkbeckens tätige Hauer Stachanow lag, wie Hennecke, mit seiner Arbeitsleistung, d. h. mit seiner Ausbeute an Kohle, schon vor seiner spektakulären Tat regelmäßig über der Norm. Warum gerade er der Bewegung den Namen gab, lag offenbar daran, daß „es wohl dem Donecker Gebietskomitee der KP gelang, gegenüber der Moskauer Zentrale seine Initiative erfolgreich darzustellen und maßgebende Sowjetführer von einer weittragenden Bedeutung des Geschehens zu überzeugen". 148 Ideologisch bedeutsam war der Sachverhalt der Personifizierung überdurchschnittlicher Arbeitsleistungen selbst. Die Schaffung und allgegenwärtige Präsentation von Vorbildern (Helden, Märtyrern 149 ) und die Aufforderung, sich an ihnen zu orientieren, diente zwar äußerlich dem Bemühen um eine allge146 Vgl. ebd., S. 236. 147 Vgl. Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 27—40. Siehe auch Lorenz, Sozialgeschichte der Sowjetunion, Bd. 1, S. 229, 239f. 148 Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 68. 149 Hierzu können auch die im zweiten Weltkrieg umgekommenen Komsomolzen-Partisanenkämpfer Soja Kosmodemjanskaja und Alexander Matrossow gerechnet werden. Die ideologische Verzahnung von Arbeits- und Kriegsheldentum spielt u. a. in Boris Ashajews Roman „Fem von Moskau" eine entscheidende Rolle. Die am Bau einer Ölleitung in Sibirien während des Zweiten Weltkriegs beteiligten Arbeiter, Techniker und Ingenieure werden stets an die Kriegs- und Frontbedingungen ihrer Arbeit gemahnt.

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meine Steigerung der Produktivität oder Einsatzbereitschaft. Unausgesprochen stellte die stetige Bewußtmachung des , Abstands' zwischen Vorbild und Masse jedoch eine Legitimationsbasis für deren unbeschränkte, der Herrscherwillkür unterworfene Manipulierbarkeit dar. Anlaß für die Initiative zu einer demonstrativ zu erbringenden Bestleistung war 1935 der Internationale Tag der Jugend am 1. September (auch für Henneckes Rekord wurde dann ja ein besonders markiertes Datum gewählt). Zwar gehörte Stachanow mit 30 Jahren nur noch bedingt zur Jugend, überdies war er parteilos (erst ein Jahr später erfolgte seine Aufnahme in die KPdSU), aber gerade diese Konstellation konnte ein Ansporn für die überwiegend jüngeren Arbeiter und Komsomolzen sein, ihm nachzueifern. Seine Zuverlässigkeit, aber auch seine Freundschaft mit dem Parteiorganisator der Zeche führten dazu, daß dieser ihn für die geplante Bestleistung auswählte. Um zu demonstrieren, daß bei einer überlegteren Organisation der Arbeitsabläufe und der Beseitigung von Stillstandszeiten eine wesentlich eihöhte Leistung möglich sei, sicherte man Stachanow die von ihm selber vorgeschlagenen günstigsten Arbeitsbedigungen zu, die zwar in anderen Bergwerken bereits punktuell eingerichtet worden waren, also nicht neu waren, sich aber bislang nicht durchgesetzt hatten (Verlängerung der Strebe, Arbeitsteilung zwischen Zimmerern und Hauer, einwandfreie Geräte, störungsfreie Druckluftzufuhr für den Abbauhammer, zügiger Abtransport der Kohle). 150 Für einen reibungslosen Ablauf schien eine Nachtschicht am geeignetsten. Nach knapp sechs Stunden hatte Stachanow am Morgen des 31. August 102 Tonnen Kohle abgebaut, was einer Normerfüllung von 1457% entsprach. Die Diskrepanz zu den geforderten 7 Tonnen pro Schicht macht das ganze Ausmaß der schon genannten Mängel bei der Arbeitsorganisation deutlich, gibt aber auch Grund zu der Annahme, daß die Normen das notwendige Maß unterschreitend niedrig angesetzt worden waren. 151 Sie lassen zudem den enormen Aufwand erkennen, der erforderlich gewesen wäre, um die zunächst ,künstlich' geschaffenen Rekordvoraussetzungen Alltag werden zu lassen, wobei nicht selten die Skepsis und der Widerstand der Betriebsleitung überwunden weiden mußten. Unmittelbar nach Schichtende wurde ein offensichtlich bereits vorbereiteter Beschluß des Zechen-Parteikomitees öffentlich verlesen, in dem nicht nur die politische Bedeutung dieser Bestleistung unterstrichen, sondern zugleich eine ganze Reihe sozialer und materieller Vergünstigungen für Stachanow und seine Familie verkündet wurde (von einer Prämie über einen Kuraufenthalt im Süden und zwei ständige Freiplätze in allen Kinovorstellungen sowie Konzerten des Klubs bis zu einer neuen Wohnung samt Mobiliar und einem Pferd zum persönlichen Gebrauch). Diese Belohnungen führten dazu, daß sich zahlreiche Herausforderer fanden, die seine Leistung überbieten wollten. Mit der Verzahnung von Aktivistentat und Inaussichtstellung

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Vgl. Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 61f; Stachanow, Mein Lebensweg, S. 28ff. Dort werden Vorbereitung und Arbeit ausführlich beschrieben. Hennecke folgte also auch hinsichtlich der sorgfältigen Vorbereitung seinem Vorbild. Lediglich die Arbeitsteilung zwischen Hauern und Zimmerern wurde nicht übernommen. Hier hielt sich Hennecke an die im sächsischen Steinkohlebergbau üblichen Regelungen. - Vgl. Dittrich, Die Anfänge der Aktivistenbewegung, S. 77. Die Differenz zu Stachanows Ausbeute ist somit sicher auch auf diesen Sachverhalt zurückzuführen und nicht allein auf die offensichtlich unterschiedlichen Ausgangsnormen.

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Stachanows eigene bisherige Ausbeute lag bei 10 bis 12 Tonnen. Andere Hauer vor ihm hatten vereinzelt unter speziellen Bedingungen immerhin 30 bis 40 Tonnen geschafft. - Vgl. Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 62.

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materieller Anreize vermied man es, bei der Fortführung des Wettbewerbs allein auf das „politische Bewußtsein" der Arbeiter zählen zu müssen. Innerhalb weniger Tage wurde Stachanows Rekord von einigen seiner Kollegen noch übertroffen. Auch Stachanow selber überbot seine eigene Ausgangsleistung noch einige Male. Die Bekanntmachung von Stachanows Erfolg in der Parteipresse sorgte für eine rasche Ausbreitung der Bewegung auf andere Industriezweige. Die Kanonisierung des Begriffs Stachanow-Bewegung erfolgte auf der Ersten Allunionsversammlung der Stachanow-Arbeiter im November 1935. Der Bewegung wurde eine Protesthaltung gegen Routine, Trägheit und technische Stagnation zugeschrieben. 152 Die Gehälter der neuen Bestarbeiter stiegen sprunghaft an, ebenso ihr Erwerb von Konsumgütern. 153 Dieser Wohlstand ließ, in Verbindung mit der politischen Exponiertheit und dem sich herausbildenden engen Kontakt mit der Parteiführung, die StachanowArbeiter als eine eigene „Kaste" erscheinen. 154 Es gab jedoch keine verbindlichen Kriterien zur Verleihung des Titels eines Stachanow-Arbeiters; die erforderlichen Grade der Normerfüllung schwankten in verschiedenen Betrieben - allerdings auch unter Berücksichtigung unterschiedlicher Arbeitsbedingungen - zwischen 100% und 200%. Um nicht hinter der Entwicklung zurückzubleiben und eine höhere Zahl von Bestarbeitern aufweisen zu können, begannen manche Betriebsleiter sogar, die allgemeinen Normen zu senken; Initiativen zur Normerhöhung mit dem Ziel einer Lohnkostensenkung waren im Anfangsstadium der Bewegung nicht durchsetzbar. 155 Eine Verflachung erfuhr die Bewegung dadurch, daß sie auch die Bereiche Kunst, Wissenschaft und Medizin erfaßte. Die Verpflichtung von Theatern, die Zahl der Premieren in einem Monat zu vervielfachen, von Wissenschaftlern, die Zahl ihrer Artikel pro Jahr zu erhöhen, von Zahnärzten, am Tag statt 10 Zähnen 20 bis 30 zu ziehen, 156 zeigte absurde Fehlentwicklungen an. Andere erwiesen sich wirtschaftlich gesehen als wesentlich gravierender. Da die Rückständigkeit der Arbeitsbedingungen nicht in gleichem Maße aufgehoben werden konnte, wie die StachanowBewegung anwuchs, bedurften herausragende Einzelleistungen immer noch einer speziellen Präparierung von Maschinen, Geräten und Räumlichkeiten. 157 Nicht selten gehörte der Einsatz von Hilfskräften bei der Abwicklung des Arbeitsablaufs mit zur .Inszenierung' der Rekorde. All 152 153 154

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Vgl. Siegelbaum, Stakhanovism, S. 82. Diesem Thema mißt Stachanow in seiner Selbstdarstellung eine zentrale Bedeutung bei, wie aus der häufigen Wiederholung hervorgeht. - Vgl. Stachanow, Mein Lebensweg. Vgl. Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 130. Jedoch längst nicht alle Stachanow-Arbeiter waren in der Lage, am offiziell proklamierten „fröhlichen Leben" teilzuhaben. Ihre materiellen Bedingungen verbesserten sich aufgrund fehlender Infrastruktur (z.B. Wohnungsmangel) oder aber durch bewußte Hintertreibung seitens der Betriebsleitungen (Vorenthaltung zustehender Sozialleistungen und Prämien) lange Zeit nicht. - Vgl. Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 373f. So stellte das Organ des Volkskommissariats für Schwerindustrie „Za industrializaciju" nur wenige Wochen nach der Tat die bisher gültigen Normen in Frage. - Vgl. Siegelbaum, Stakhanovism, S. 81. Siehe auch Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 106, lOOf. Anfang Dezember 1935, drei Monate nach der Initialtat, belief sich die Zahl der Stachanowisten in den Betrieben (unter Berücksichtigung der aufgezeigten Unwägbarkeiten) auf 4,5 bis 22%, Mitte 1936 wurden 30 bis 60% gemeldet. - Vgl. Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 75, 105; Siegelbaum, Stakhanovism, S. 158. Vgl. Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 79. Ein extremes Beispiel: Damit die Weberin M. Winogradowa 100 Webstühle in einer Schicht gleichzeitig bedienen konnte, mußte die Produktion in eine andere Fabrikhalle verlegt werden. - Vgl. Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 77.

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dies geschah jedoch auf Kosten der Mehrheit der Belegschaft, die aufgrund fehlender Möglichkeiten von einer Teilnahme letztlich ausgeschlossen blieb und deren zurückbleibende' Produktivität sich stärker auf das Gesamtergebnis eines Betriebes auswirkte als einzelne Rekorde. 158 Darüber hinaus wurde durch die explodierenden Löhne eine Geldmenge in Umlauf gesetzt, die die zur Verfügung stehenden Konsumgüter um ein Vielfaches überstieg (nach wie vor hatte die Schwerindustrie Vorrang vor der Leichtindustrie). Auf diese Weise waren inflationäre Entwicklungen vorprogrammiert. Wirtschaftsexperten in der Parteiführung warnten vor diesen Entwicklungen und forderten eine gesamtökonomisch sinnvolle Kanalisierung der StachanowBewegung. Stalin hatte jedoch anderes im Sinn. Sein explizites Bündnis mit den Bestarbeitern war gegen die vermeintlich rückständige Schicht der Ingenieure und Techniker gerichtet. Die Stachanowisten sollten in die Kampagne gegen Schlendrian und Sabotage und für vermehrte „Wachsamkeit" eingespannt, d. h. weniger realökonomisch als politisch-ideologisch funktionalisiert werden. 159 Diese Ausrichtung konnte sich bis 1937 durchsetzen. Die nicht zuletzt durch den steilen gesellschaftlichen Aufstieg verursachte psychische Labilität vieler - immer noch unzureichend gebildeter - Stachanowisten, ihre Furcht vor dem Verlust ihres Status, und ihre Fixierung auf Stalin, der ihnen das „glückliche Leben" ermöglicht hatte, machten sie zu einer dankbaren Manövriermasse für die Realisierung von Stalins Plänen. Daß die Bewegung dabei in einen „planlosen Selbstlauf ausartete und gesamtwirtschaftlich mehr Schaden als Nutzen brachte, wurde billigend in Kauf genommen. Auf die Beibehaltung ihres Stachanowistentitels und damit ihrer gesellschaftlichen Position bedacht, widersetzten sich die Aktivisten einer Einbindung ihrer Einzelleistungen in ein System der gesamtbetrieblichen Rationalisierung und technologischen Innovation. Sie bestanden statt dessen gegenüber der Betriebsleitung auf der Schaffung von idealen Bedingungen zur Aufstellung neuer persönlicher Bestleistungen, ihre ursprüngliche Vorbildfunktion für alle Arbeiter transformierte sich zu einem Kampf um Platzvorteile, der letztlich gegen die übrigen Arbeiter gerichtet war. Skepsis oder Widerstand von Meistern oder Abteilungsleitern gegenüber ihren Forderungen wurde als Sabotage denunziert. Die Folgen des Selbstlaufes werden von Robert Maier folgendermaßen zusammengefaßt: „Überstunden und Stillstandszeiten nahmen gleichzeitig zu. Der betriebliche Zusammenhang löste sich auf. Die Produktionsfaktoren wurden bis zum Äußersten beansprucht, Maschinen massenhaft zerstört, die menschliche Abeitskraft rücksichtslos angewendet, Rohstoffe in großem Ausmaß vergeudet. Die Zahl der Unfälle schnellte in die Höhe. Die Lohnfonds wurden regelrecht geplündert und die Rechnungsführung der Betriebe gesprengt. Meister, Ingenieure und Techniker wurden in den betrieblichen Konflikten aufgerieben." 160 Eine letztlich doch beschlossene, aber uneinheitlich durchgeführte Normerhöhung (zunächst um durchschnittlich 20 bis 30%, in Einzelfällen darüber, in einem zweiten Schritt um weitere 13 bis 18%, wobei technische Normen und Produktionsnormen unterschieden wurden) orientierte sich 158

Dies merkt auch Stachanow selbstkritisch in seinen Memoiren an. - Vgl. Stachanow, Mein Lebensweg, S. 42, 92ff. Stachanow-Dekaden in den Betrieben sollten hier Abhilfe schaffen, jedoch hatten sie nur geringen Erfolg. Sie dienten aber auch dazu, wenigstens punktuell alle Arbeiter an der Bewegung teilnehmen zu lassen. - Vgl. Siegelbaum, Stakhanovism, S. 105ff.

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Vgl. die Diskussionen auf dem Dezemberplenum der KPdSU 1935. - Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 93-98. Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 423. Vgl. auch Glaeßner, Herrschaft der Kader.

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weitgehend an den Bestleistungen der Stachanowisten, die teilweise aus dem Selbstbewußtsein ihrer Rekorde heraus selbst eine Angleichung gefordert hatten. Die .gewöhnlichen' Arbeiter, deren Arbeitsorganisation sich nicht verbessert, ja zuweilen zur Ermöglichung von Bestleistungen der Aktivisten sich eher verschlechtert hatte, sahen sich oftmals nicht in der Lage, die neuen Normen zu erfüllen. Ihre Realeinkommen sanken, allerdings auch die um ein Vielfaches höheren der Stachanow-Arbeiter; die allgemeine Unzufriedenheit wuchs. Die Schuld wurde jedoch nicht im System gesucht, sondern bei den Vorgesetzten bis hin zur Betriebsleitung. Ihre Denunziation und Verurteilung wurde zu einem Bestandteil der Schauprozesse gegen „Trotzkisten" und „Bucharinisten". Die Stachanowisten dienten als deren Gegenspieler und als positive Helden bei Stalins Säuberungsaktionen. 161 Viele auf diese Weise freigewordene Führungsplätze in den Betrieben wurden nunmehr von ihnen eingenommen. Das brachte jedoch eine Perspektiwerschiebung mit sich. Die neuen Leiter sahen oftmals, aufgrund ihrer Position nun mit realökonomischen Erfordernissen konfrontiert, auch die Schwächen der Stachanow-Bewegung. Damit begann aber auch die Demontage des Stachanowisten als „politische Zentralfigur". 162 Das schloß jedoch individuelle Karrieren vor allem bei den Aktivisten der ersten Stunde nicht aus. Stachanow wurde 1937 zum Abgeordneten des Obersten Sowjets gewählt, zum Mitglied des Rates beim Volkskommissar für Schwerindustrie ernannt und übernahm später den Posten eines Abteilungsleiters für sozialistischen Wettbewerb im Ministerium für Kohleindustrie. Auch seine gesellschaftliche Laufbahn war somit modellbildend für den deutschen Nachfolger. In dem Maße, wie nach Stalins Tod die Bewegung durch ihre enge Bindung an die Führerperson und den Personenkult anstößig geworden war und durch die allgemeine Bezeichnung „kommunistische Einstellung zur Arbeit" ersetzt wurde, verlor auch Stachanow seine einflußreichen Posten. Erst in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, im Zuge der teilweisen Wiederaufwertung des Stalinbildes unter Breshnew, kam es zu einer erneuten (historisierenden) Mythisierung des Stachanowtums, wobei jedoch - zumindest für die .Massen* - sämtliche Schwierigkeiten und Widerstände ausgeblendet wurden. 163

Ausbau und Auswirkungen der Aktivistenbewegung in der SBZ Die strukturelle Ähnlichkeit des,Aufbaus' der Arbeitshelden Hennecke und Stachanow wurde in der Kontaktaufnahme zwischen beiden auf politisch internationaler Ebene bestätigt. Der gesamte Erfahrungshintergrund des sowjetischen Aktivisten, die negativen Erscheinungsformen, die die nach ihm benannte Bewegung zeitweilig angenommen hatte, blieben für die Öffentlichkeit der SBZ sorgsam ausgespart. Im Dezember 1948 und Januar 1949 veröffentlichten das „Neue Deutschland" und die „Tägliche Rundschau" einen Briefwechsel zwischen den beiden Bergleuten. Stachanow beglückwünschte Hennecke zu seiner Tat, die er mit seiner eigenen Leistung gleichsetzte, und sagte der Aktivistenbewegung in Deutschland „eine große Zukunft und glänzende Entwicklungsaussichten" voraus. 164 Hennecke würdigte in seiner Antwort Stachanows Leistung sowie die „großzügige Unterstützung", die den Deutschen durch die sowjetische Besat161

In Stachanows 1937 verfaßten Memoiren nimmt die Entlarvung von Saboteuren einen nicht unerheblichen Platz ein. - Vgl. Stachanow, Mein Lebensweg. 162 Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 424. Siehe auch Siegelbaum, Stakhanovism, S. 292. 163 Vgl. Siegelbaum, Stakhanovism, S. 306f. 164 Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland, S. 722.

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zungsmacht zuteil geworden sei. 165 Am 1. Mai 1949 fand die erste Begegnung zwischen Stachanow und Hennecke in Moskau statt, d. h. die zeitliche Differenz von 13 Jahren zwischen den beiden Pioniertaten wurde gleichsam symbolisch eingeebnet. 166 Die Funktion des Briefwechsels und des Treffens bestand darin, die Aktivistenbewegung durch „Austausch fortschrittlicher Arbeitsmethoden" (Stachanow) zu verbreitem und zu befestigen. Der Begriff „Austausch" verbirgt allerdings, daß es sich in den ersten Jahren um einen weitgehend einseitigen Transfer handelte. Schon im Februar 1949 kam es zu einem organisierten Briefwechsel zwischen den Arbeitern vom Moskauer Hüttenwerk „Hammer und Sichel" und der Belegschaft des Stahl- und Walzwerks Riesa. Solche Kontakte wurden in der Folgezeit institutionalisiert. Bei aller Wertschätzung der Höchstleistung Henneckes durch die offiziellen Stellen war der Widerstand bei den Arbeitern - auch gegenüber Hennecke persönlich - unerwartet groß. „Ich wußte, worauf ich mich eingelassen hatte", erinnert sich Hennecke, „ich wußte, was da auf mich zukommt. Ich wußte, die Arbeiter in der Ostzone würden toben gegen mich. Aber in einer Sache war ich absolut sicher: Meine Kumpel in meinem Schacht, die würden zu mir halten. [...] Und als ich dann ausfuhr, war alles ganz anders. Ich existierte mit einemmal nicht mehr. Meine Kumpel sahen mich nicht. Ich war für sie Luft. [...] Es kamen Briefe, anonyme Briefe, mit Morddrohungen. Der Strick läge schon bereit und ähnliche Naziparolen." 167 Man scheute sogar nicht davor zurück, die Fenster von Henneckes Wohnung einzuwerfen. 168 Von offizieller Seite her wollte man den „Böswilligen", die von einem „neuen Antreibersystem sprachen und davon, daß man Stachanow-Methoden nach Deutschland verpflanzen wolle", mit einer ,,geduldige[n], auf sicheren Argumenten beruhende[n] Aufklärung" entgegentreten, nachdem zuvor die „Zweifler" „durch Tatsachen überzeugt werden" sollten. 169 Begleitet wurde das Unterfangen von einer Plakatwerbung, die bis in die graphische Gestaltung hinein auf sowjetischen Vorbildern beruhte. 170 Es entschlossen sich zwar nach und nach immer mehr Arbeiter dazu, Höchstleistungen nach dem Vorbild Henneckes zu erbringen, um in den Genuß der attraktiven Prämien und Auszeichnungen zu gelangen, doch geriet die Aktivistenbewegung damit rasch, wie zuvor in der UdSSR, auf eine falsche Bahn, zu einer Eskalation der Zahlen: „Ein Kampf der Giganten war ausgebrochen: Gustav Griese vom Kalischacht Solvay-Hall erreichte 850 Prozent. Und in der Schwefelkiesgrube ,Drei Kronen und Ehrt' waren es endlich Alfons Hillebrand und Rudi Zipfel. Jeder erfüllte seine 165 166 167

Ebd., S. 726. Einzelheiten zu der Begegnung finden sich bei Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben, Bd. 2, S. 145f. Jakobs, Adolf Hennecke, S. 212f. Hingegen könnte die Antwort, die Hennecke auf die Frage nach der Einstellung der sowjetischen „Durchschnittsarbeiter" zu Stachanow-Arbeitern gab, gleichsam einem Lehrbuch entstammen: „Der einfache Arbeiter bewundert seinen Stachanow-Kollegen aufrichtig und freut sich über dessen Leistung. Er ist ständig darum bemüht, es ihm gleichzutun, und ist ungeduldig, wenn seine Fortschritte nicht genügend groß sind." - Sagen Sie mal, Hennecke... (Unser Redakteur fragt Hennecke aus), in: NG 7/1949, S. 500. Die Realität sah indes auch hier anders aus. R. Maier zitiert Drohungen, die von sowjetischen „Durchschnittsarbeitern" an Aktivisten gerichtet wurden, wie: „Bald werden wir dir das Grab schaufeln" oder „Eure Grabsteine sind schon bestellt". Zuweilen wurden die Maschinen der Stachanowisten mit Leichentüchern bedeckt. - Maier, Die Stachanov-Bewegung, S. 161.

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Vgl. Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben, Bd. 2, S. 127. Richard Rabenalt, Stachanow und Hennecke, in: NG 7/1949, S. 501. Vgl. Dittrich, Die Anfänge der Aktivistenbewegung, Bildteil zwischen S. 80 u. 81.

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Norm mit 1025 Prozent." 171 Ohne Rücksicht auf Qualität und Absatzmöglichkeiten wurden nach gründlicher, oft tagelanger Vorbereitung und durch den Einsatz der besten Maschinen solche Höchstzahlen erreicht, die gesamtgesellschaftlich von äußerst geringem Nutzen waren. Die Bewegung geriet fast zur Farce, von der Hennecke-Schicht wurde als „Theaterschicht" gesprochen, viele Arbeiter murrten, daß sie keine Sonderschicht fahren dürften und so um den Mehrverdienst gebracht würden. 172 Es stellte sich rasch heraus, daß das Prinzip des progressiven Akkordlohns, das trotz der negativen Erfahrungen in der Sowjetunion eingeführt worden war, zu kostspielig wurde; der Chef der Abteilung für Arbeitskräfte der SMAD, P. Morenow, tadelte die deutschen Wirtschaftsführer, sie hätten den Befehl Nr. 234 falsch verstanden und die Rentabilität vernachlässigt. 173 Die DWK wurde angehalten, „systematisch einmal wöchentlich" über den Entwicklungsverlauf der Aktivistenbewegung „Bericht zu erstatten". 174 Schon im November 1948 wurde diese denn auch umgestellt: Nicht mehr Einzel-, sondern Kollektivleistungen wurden propagiert, man baute das System des sozialistischen Wettbewerbs innerhalb der Betriebe (zwischen Aktivistengruppen und Brigaden) und im Betriebsvergleich aus. 175 Die Probleme bei der Festlegung von Arbeitsnormen und eines darauf gründenden Leistungslohns wurden unter Berücksichtigung noch ungenügender und von Betrieb zu Betrieb unterschiedlicher technischer Voraussetzungen, aber auch mit Blick auf Mißverständnisse' bei der Arbeiterschaft („Akkordschere") während der ersten Arbeitstagung der Hennecke-Aktivisten im November 1948 eingehend diskutiert. 176 In der Folge wurden detaillierte Richtlinien für den Leistungslohn ausgearbeitet und technisch begründete Arbeitsnormen (TAN) zu seiner Grundlage gemacht. Offenbar vollzog sich diese Umstellung nicht ohne Hindernisse, denn noch am 4. Februar 1949 (vermutlich anläßlich einer zum gleichen Zeitpunkt stattfindenden weiteren Konferenz von Bestarbeitern) wurde in einem Artikel des „Sowjetskoje slowo" die Kritik an der falschen Auslegung des Befehls Nr. 234 wiederholt. Verantwortlich dafür gemacht wurden in diesem Beitrag indes die Fachoffiziere und das Parteibüro der SMAD, die „trotz großer Erfahrung der Sowjetunion auf diesem Gebiet" dieser Fehlentwicklung nicht rechtzeitig Einhalt geboten hätten. 177 Mit den „großen Erfahrungen" werden euphemistisch die im eigenen Lande durchlebten Fehlentwicklungen der Stachanow-Bewegung umschrieben. Die .Nachsicht' gegenüber den deutschen Stellen ließ den ideologischen Druck auf die SMAD um so stärker werden. Die Teilnehmer der Aktivisten-Konferenz empfahlen nunmehr, den progressiven Leistungslohn nur

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Jakobs, Adolf Hennecke, S. 217. Neues von der Hennecke-Front. - Sopade Informationsdienst 882, AdsD: Bestand Ostbüro der SPD 0062 B I. Auch in zeitgenössischen SBZ-Publikationen wurde Kritik an unzureichender Information der gesamten Belegschaft über die technischen Vorbereitungen und die Verfahrensweisen einer Hennecke-Schicht geübt. - Vgl. Hundert Tage Hennecke-Bewegung, S. 28f. Vgl. Hennecke-Aktivismus zu teuer. - Sopade Informationsdienst, AdSD: Bestand Ostbüro der SPD 0062 B I. Aus einem Brief von Morenow an die DWK vom 24. 11. 1948, zit. nach: Dittrich, Die Anfänge der Aktivistenbewegung, S. 143. Vgl. Herbert Deeg, Die Hennecke-Aktivistenbewegung, in: Hennecke, Aktivisten zeigen den Weg, S. 29f. In der Sowjetunion wurde das erste Stachanow-Kollektiv nach Auskunft eines daran Beteiligten erst im September 1947 geschaffen. - Vgl. Mit Rossiski von Betrieb zu Betrieb, in: NG 2/1951, S. 112. Vgl. Die Hennecke-Bewegung. Aus eigener Kraft zum besseren Leben, sowie Deeg, Die Hennekke-Aktivistenbewegung, S. 54-64. N. Pisarevskij, V otryve ot proizvodstvennych zadac, in: Sovetskoe slovo vom 4. 2. 1949.

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zur „Überwindung besonderer Engpässe in der Grundstoffindustrie" einzusetzen und ein Prämiensystem für die besten (kollektiven) Betriebsleistungen zu entwickeln.178 Nur wenige Tage nach dem Artikel in „Sowjetskoje Slowo" faßte das Politbüro der SED einen Beschluß zur Entwicklung eines der Wettbewerbsbewegung angemessenen Organisationsapparats und zum entsprechenden Einsatz des gesamten Instrumentariums der politisch-ideologischen Schulung und Massenagitation.179 Können in der die Bestleistungen Stachanows und Henneckes begünstigenden verbesserten Organisation der Arbeitsabläufe bereits Elemente von „Neuerungen" gesehen werden, so wurde dieser Aspekt des Transfers in den kommenden Jahren systematisiert. Mitte 1949 unterzeichnete der FDGB mit der DSF und der DWK einen gemeinsamen Aufruf an die Betriebsgewerkschaftsleitungen, der diese (noch ganz allgemein) aufforderte, „das Studium der Probleme der Sowjetunion in das Programm der betrieblichen Gewerkschaftsarbeit aufzunehmen". 180 Seit 1950 wurde nachdrücklich zum Studium sowjetischer Neuerermethoden aufgerufen. Die sowjetischen „Neuerermethoden" als „verallgemeinerte Arbeitserfahrungen und arbeitsorganisatorische Maßnahmen" sind dabei zu unterscheiden von sowjetischen „Neuerungen" als „konkrete Problemlösungen", die „bei Bedarf von DDR-Betrieben nachgenutzt werden" konnten.181 Waren letztere ein juristisch und technisch verankerter Bestandteil des DDR-Neuererwesens, so fungierten erstere als Elemente des sowjetischen Vorbilds in bezug auf mögliche Einsparungen und Produktionssteigerungen. In der Anfangszeit gab es offenbar Schwierigkeiten, diese beiden Elemente voneinander abzugrenzen. So wurde moniert, daß inneibetriebliche Verbesserungsvorschläge oft nicht daraufhin geprüft würden, ob sie dem „Aktivistenplan" oder dem „Plan der Rationalisatoren und Erfinder" zuzuordnen seien.182 Auch bei der Übernahme sowjetischer Neuerermethoden verfuhr man nach dem in der UdSSR angewandten Prinzip der „personifizierten Leistungen". 183 Als Schrittmacher fungierte hier der Dreher Erich Wirth (Parteimitglied seit 1928), der 1950 im Sachsenwerk Radeberg das Schnellzerspanen nach dem Beispiel Pawel Bykows aus Moskau und Georgi Bortkewitschs aus Leningrad demonstrierte. 184 Wie bei Stachanow und Hennecke kam es auch in diesem Fall zur publizistisch wirksamen Begegnung, als Bykow im Monat der deutsch-sowjetischen Freundschaft 1950 die DDR besuchte und die Neuerer beriet. Die DSF schaltete sich aktiv in die „planmäßige Vermittlung der sowjetischen Neuerermethoden" und die Organisation eines regelmäßigen Erfahrungsaustausches zwischen deutschen und sowjetischen Werktätigen ein,185 in Abstim178 Vgl. Hundert Tage Hennecke-Bewegung, S. 76. 179 Vgl. Beschluß des Politbüros vom 8. Februar 1949. Auswertung der Konferenz der Hennecke-Aktivisten. - SAPMO: ZPAIV 2/5/1. 180 Heerdegen, Das Ringen der fortschrittlichen Kräfte, S. 321. 181 M. Hartmann, Die Neuererbewegung, S. 151 und 148. 182 Vgl. Rudi Rubbel, Planmäßig denken, in: NG 12/1952, S. 898. Unabhängig davon wurden in zeitgenössischen Broschüren, Erfolgsmeldung und Ansporn in einem, sämtliche Verbesserungsvorschläge im Kontext der von ihnen bewirkten Jahreserspamis für den Betrieb präsentiert. - Vgl. Hundert Tage Hennecke-Bewegung, S. 51. 183 M. Hartmann, Die Neuererbewegung, S. 150. 184 Vgl. Dittrich, Die Anfänge der Aktivistenbewegung, S. 163. 185 So beschlossen auf der Arbeitstagung der Betriebsgruppensekretäre am 11. und 12. November 1950. Vgl. Petersdorf, Die Rolle der Gesellschaft, S. 152.

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mung mit anderen Massenorganisationen und Regierungsstellen. 1951 folgte ein Arbeitsabkommen mit dem FDGB über die Propagierung sowjetischer Arbeitsmethoden innerhalb der Betriebsgruppen. Diese Propaganda funktionierte, wo nicht persönlich, z.B. bei Besuchen sowjetischer Aktivisten, über die Seiten der „Friedenspost". Sowjetische Arbeitshelden stellten unantastbare Autoritäten dar, denen sich die Deutschen im Sinne eines Schüler-Lehrer-Verhältnisses unterzuordnen hatten. So verpflichteten sich die Arbeiter der MAS-Motorenwerke Demin, ihre Maschinen künftig in persönliche Pflege nach dem Verfahren Nina Nasarowas zu nehmen. 186 Im Eisenbahn- und Transportwesen wurde die Methode des Neuerers Mamedow zur Beschleunigung des Wagenumlaufs und die Lokpflege-Methode nach Lunin eingeführt. In der Bauindustrie sollte durch das Ziegelschnellbrennverfahren Pawel Duwanow Geld gespart und nach den Erfahrungen des sowjetischen Ingenieurs Tscherednikow die Zementproduktion gesteigert werden. Bei der Arbeitsrationalisierung hatte man sich nach Fjodor Kowaljow zu richten, die Weber sollten von Builow lernen. 187 Sogar das Arbeitsgerät hatte nun sowjetisches zu sein. Bei den Drehern etwa wurde die „Anwendung der Rhyskow-Fase, des Shirow-Bohrers, der Kolessow-Schneide und des Kusowkin-Meißels" propagiert.188 Die Konfrontation mit den verschiedenen sowjetischen Arbeitsmethoden und -geräten sowie den entsprechenden russischen Bezeichnungen stiftete offenbar nicht selten Verwirrung bei den Betriebsangehörigen. So mußten leitende Ingenieure „mit Staunen" feststellen, „wie sehr die einzelnen Begriffe durcheinandergeworfen werden, wie sehr viel Unklarheit über die Technik der Methoden vorhanden ist, und wie oft aus dieser Erkenntnis heraus falsch gearbeitet wird und damit ungenügende Leistungen erzielt werden." 189 Um Abhilfe zu schaffen, sollten die Initiativen der Aktivisten wissenschaftlich begleitet werden, wie es letztlich auch in der UdSSR propagiert wurde. Die geschilderte Desorientierung war indes bei zahlreichen Arbeitern vermutlich auch Bestandteil ihrer Abwehrhaltung. Denn in vollem Ernst präsentierten die Pressemedien den deutschen Arbeitern die gleichsam .übermenschlichen' Fähigkeiten und Leistungen ihrer Kollegen aus der UdSSR. So heißt es über den Schnelldreher Witali Seminski: „Als im Jahre 1950 die Erfüllung seiner Verpflichtungen überprüft wurde, hatte Seminski nicht nur 24 Jahresnormen in 41/2 Jahren erfüllt, sondern noch 56 Erfindungen und Rationalisierungsvorschläge gemacht, die eine Einsparung von 800 000 Rubeln ermöglichten. Seine Erfahrungen behielt er nicht für sich, sondern vermittelte sie den sowjetischen Werktätigen, indem er in vielen Fabriken der Sowjetunion Vorträge hielt, drei Bücher schrieb und 52 Lehrlinge ausbildete." 190 Es versteht sich von selbst, daß Seminski Stalin-Preisträger war. Die Ansprüche an seine deutschen Kollegen mochten nicht ganz so hoch sein. Bezeichnend ist indes, daß der größte Teil der 57 im Oktober 1951 zu „Helden der Arbeit" 186 187

Vgl. Friedenspost 5/1952. Vgl. Freundschaft der Tat, S. 95-165. „Namen-Paare", wie Pawel Bykow - Erich Wirth, Nina Nasarowa - Frieda Hoffmann, sollten als personifizierte Leistungen zu Symbolen der deutsch-sowjetischen Freundschaft werden. - Vgl. M. Hartmann, Die Neuererbewegung, S. 150. Es mag nicht verwundern, daß Mitarbeiter von Abteilungen, die sich in vorbildlicher Weise sowjetische Arbeitsmethoden zu eigen machten, zu 100% Mitglieder der DSF waren. - Vgl. Helden der Arbeit berichten: Herbert Haase, Im Wettbewerb um den Titel „Abteilung der besten Qualität", in: NG 5/1952, S. 340.

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Erinnerungen von Rudolf Bühring. - SAPMO: ZPA EA 1845/1. Helden der Arbeit berichten: Walter Chemnitz, Wissenschaftlich arbeiten!, in: NG 4/1952, S. 289. Vera Wulff/Karl Hemzal, Mit Sowjetfreunden in Weimar und Eisenach, in: NG 1/1952, S. 24.

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ernannten Werktätigen ihre „vorbildlichen Leistungen" durch die Auswertung sowjetischer Erfahrungen erreicht hatte. 191 Deren Umsetzung wurde somit quasi zu einer Bedingung für die Verleihung dieses Titels, wodurch man sich einen zusätzlichen Anreiz zur Internalisierung des Modells versprach. Die Arbeitshelden kamen ab 1951 in zahlreichen Artikeln der „Neuen Gesellschaft" - in einer allerdings vereinheitlichten, höchst offiziellen Diktion - selber zu Wort, um ihre Vorgehensweisen zu erläutern und zu verbreiten. Selbst bei der Verfeinerung des Wettbewerbswesens, etwa der Bewegung „Brigade der ausgezeichneten Qualität", 192 bedurfte es eines sowjetischen Beispiels (des Webers Alexander Tschutkich), das den Anstoß gab für entsprechende Initiativen in der DDR. Die Protagonisten der Aktivistenbewegung wurden, fast könnte man sagen selbstverständlich, mit prominenten Funktionen in der Freundschaftsgesellschaft betraut. Wirth folgte Hennecke in der Funktion eines Vizepräsidenten der DSF auf dem 3. Kongreß der Gesellschaft und leitete später, nach Carl Apel, die beim Zentralvorstand der DSF neu geschaffene Kommission „Sowjetische Technik und Neuerermethoden". 193 Wie eng die Anlehnung an sowjetische Vorgaben war und wie genau geplant eine solche Modellübernahme im Detail vor sich ging, belegt folgendes Beispiel: Innerhalb der DSF zirkulierte 1952 ein internes Papier mit dem Titel: „Wie wird die Gesellschaft die Arbeitsweise des Genossen Koroljow auswerten, um der Bauwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik damit eine wirksame Unterstützung zu geben?" 194 Koroljow hatte seine Arbeitsweise gerade an den Baustellen der Stalin-Allee vorgeführt, die ja zu einem Musterbeispiel sozialistischer Baukunst werden sollte. Ausgehend davon, daß „diese Methode eine völlige Umstellung der bisherigen Arbeitsweise unserer Bauarbeiter bringen wird", wolle sich die Gesellschaft weitestgehend in die Auswertung und Popularisierung der neuen Methode „einschalten". In mögjichst kurzer Zeit solle der größte Teil der deutschen Bauarbeiter von ihr überzeugt werden. Das Vorgehen war beinahe generalstabsmäßig. Funktionäre der DSF, die am „Bau der Freundschaft" gearbeitet hatten, führten in zwei Gruppen die neue Arbeitsweise auf Baustellen der Stalin-Allee vor. Nach Auswertung der Ergebnisse sollten „Instrukteurbrigaden" zur Vorführung der Methode in der gesamten DDR zusammengestellt werden. Beachtenswert ist der Hinweis, daß diese Brigaden nicht nur die fachliche Seite berücksichtigen sollten, sondern „daß durch Diskussionen mit den Bauarbeitern diese überzeugt werden und die Notwendigkeit der Anwendung der neuen Methode als einen wichtigen Beitrag im Kampf um den Frieden durch bessere Planerfüllung anerkennen" sollten. Flankierend zu den beschriebenen Maßnahmen wurde in 2000 Kinos in der Wochenschau „Der Augenzeuge" die Arbeitsweise des sowjetischen Bestarbeiters präsentiert. Dieser Film wurde zusätzlich von der DSF zu einer Diaserie verarbeitet und als Grundlage einer weiteren Bilderserie verwendet, die „als Sichtwerbungsmaterial in allen Unterkünften unserer Bauarbeiter" Verwendung finden sollte. Die Propaganda wurde selbstverständlich in der zentralen und der Länderpresse aufgegriffen. Geplant war zudem eine gesonderte Broschüre über dieses Thema in der „Bibliothek der Aktivisten" mit einer Auflagenhöhe von 85000. Die Kampagne

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Vgl. Sie lernten von der Sowjetunion, in: NG 12/1951, S. 926. Vgl. Sacher, Erfolgreiche Zusammenarbeit, S. 29. Gemeint sind Brigaden, die sich explizit die Steigerung der Produktqualität zum Ziel gesetzt hatten. Vgl. Petersdorf, Die Rolle der Gesellschaft, S. 253. GARF 5283/16/186. Dort auch die folgenden Zitate.

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zur Propagierung der Methode Koroljow hatte also einen multimedialen Cha-akter und war so allumfassend, daß ihr praktisch kein Bauarbeiter entgehen konnte. Was die Überstülpung des sowjetischen Modells bedeutet, wird gerade im Aibeitsbereich faßlich, und man kann sich vorstellen, daß der zumindest passive Widerstand der deutschen Bevölkerung, die ja doch über ausgeprägte und erprobte eigene Arbeitstraditionen verfügte, beträchtlich war. Nicht mehr das Lernen von fortschrittlicher Technik generell, sondern konkret die „Übernahme der sowjetischen Technik", 195 deren Überlegenheit unantastbar war, wurde zur Aufgabe gemacht. Je weiter die Stalinisierung der DDR-Gesellschaft voranschritt, desto unkritischer und stereotyper geriet die Unterwerfung unter die verherrlichten sowjetischen Errungenschaften und Arbeitsleistungen: „Auf allen Gebieten der Produktion haben sich die Neuerer an die Spitze der patriotischen Bewegung zur Steigerung der Aibeitsproduktivität gestellt und Millionen Werktätiger eifern ihnen nach. Die Staatsorgane, die KPdSU und die Gewerkschaften wirken bei der Ausarbeitung der Neuerermethoden und der Entfaltung des sozialistischen Wettbewerbs anleitend und fördernd. Ein gewaltiger nie versiegender Kraftstrom geht von der ruhmreichen Partei der Bolschewiki aus. [...] Die sozialistische Arbeit, eine Sache der Ehre, des Ruhmes und des Heldentums, heiligstes Recht und Ehrenpflicht jedes Sowjetbürgers, wurde der Schlüssel großer Erfolge." 196 Die Realitätsenthobenheit solcher Propaganda, die gleichwohl massive praktische Konsequenzen für die deutsche Arbeiterschaft hatte, war neben der Entfremdung der Partei von großen Teilen der Bevölkerung (etwa auch durch die Abschaffung der Betriebsräte), der politischen Unzufriedenheit und der Normerhöhungspolitik, die auch im Zuge der Einführung des „Neuen Kurses" nicht zurückgenommen wurde, 197 mit ein Auslöser des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953. Ein Bericht der SED-Betriebsorganisation des VEB Elbtalwerks Heidenau an die SED-Kreisleitung Pirna vom 26. und 29. Juni über zwei Agitationseinsätze im Werk 198 macht neben der vehementen Klage über Versorgungsmängel und ökonomische Mißstände nicht zuletzt den Fehlschlag der bisher betriebenen Propaganda als Grund der Unzufriedenheit aus. Generell monierten die Arbeiter in der Diskussion: Eine tatsächliche Verschlechterung der Lebensverhältnisse sei stets als Verbesserung verbrämt worden; die Zeitungen brächten Erfolgs- und Fortschrittsberichte (vor allem im Vergleich mit der Vorkriegszeit), die aber nicht der Erfahrung der Arbeiter entsprächen, die damit für dumm veikauft würden; zwangsweise eingeführte Maßnahmen würden von der Presse als freiwillig übernommene Leistungen dargestellt; bisher vorgebrachte Beschwerden seien immer zurückgewiesen worden; kaum jemand wage noch die freie Meinungsäußerung, denn Parteidisziplin und Parteiauftrag wirkten sich als „Kadavergehorsam" aus; die Geschehnisse des 17. Juni würden „ausschließlich auf das Einwirken bestimmter Elemente der Westmächte zurückgeführt", obwohl die „Hauptursache ist und bleibt die bis aufs höchste gespannte Verbitterung des weitaus größten Teiles der Bevölkerung". Konkret hinsichtlich der Sowjetunion äußerte die Belegschaft: Früher seien deutsche Wertarbeit und deutsche Technik in aller Welt hochgeachtet gewesen. „Heute wird nun dem deutschen Arbeiter tagtäglich u. bei allen 195 196 197 198

Selbmann, Sich auf die sowjetische Technik orientieren, S. 84. Schomburg, Die Arbeitserfahrungen, S. 32f. Vgl. Kap. 2.1.4. Nachlaß Otto Buchwitz. - SAPMO: ZPA NL 95/93. Dort auch die folgenden Zitate.

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möglichen Gelegenheiten entgegengehalten, daß er nun von dem großen Sowjetvolke lernen müsse u. zwar auf allen Gebieten. Diese nachrangige Degradierung geschah oft auf eine Weise, die für den fleißigen und geistig hochstehenden schaffenden deutschen Arbeiter und Intelligenzler beleidigend war. Dies kam sehr oft in Äußerungen zum Ausdruck, die nicht zu einer freundschaftlichen Sphäre zum Sowjetvolke beitrugen, sondern das Gegenteil bewirkten. Es muß deshalb künftig in gegenseitiger Achtung als gleichberechtigte Partner nur von .Erfahrungsaustauschen' gesprochen werden und nicht wie bisher, als ob der deutsche Arbeiter überhaupt nichts wert sei und erst lernen und nochmals lernen müsse. Oft hört man sagen, ,Was die uns beibringen wollen, haben wir bereits vor 20 Jahren gemacht.'" 199 Wenn schon durch solche Agitationspraxis Abneigung gegen den Osten „gezüchtet" werde, so um so mehr, als die Arbeiter den Eindruck hätten, daß ein Großteil der gewaltigen Produktion in Richtung UdSSR abtransportiert würde. „Alles in Kisten und Verpackung in russischer Aufschrift, aber auch alles, selbst das, was unsere Schaffenden so dringend benötigen und entbehren müssen." 200 Als kurz nach den Ereignissen des 17. Juni eine Delegation von 47 Arbeitern aus der Sowjetunion in die DDR kam und zahlreiche Betriebe besichtigte, standen bei den Gesprächen mit ihren deutschen Kollegen weniger Fragen der Übernahme konkreter technischer Errungenschaften' der Sowjetunion im Vordergrund als vielmehr die betriebspolitische Atmosphäre. In der von Stefan Heym verfaßten Broschüre über diese Delegationsreise mischen sich Klagen der deutschen Arbeiter über organisatorische und administrative Mängel mit den Beobachtungen ihrer sowjetischen Kollegen. Wenn es stimmt, daß, wie Heym schreibt, „die sowjetischen Arbeiter [...] so eine Art" hatten, „mit den Menschen zu sprechen, die das Eis auftauen ließ", so kam diesen Gesprächen in erster Linie eine therapeutische Funktion zu. 201 Zwar wird in den Ausführungen der Gäste wiederum das sowjetische Vorbild herausgekehrt, jedoch dieses Mal weniger in arbeitstechnischer als in betriebs- und gesellschaftspolitischer Hinsicht: Es geht um den Lohn und die Qualifizierung, den Betriebskollektivvertrag, das Verhältnis zwischen Werksleitung, Ingenieuren und Arbeitern, die Festsetzung der Normen, die Anerkennung von Neuerungen und die Rolle von Gewerkschaft und Partei im Betrieb. Die uneingeschränkt positiv dargestellten Leistungen der UdSSR auf diesen Gebieten sollten in den deutschen Gesprächspartnern letztlich doch die Hoffnung wecken, daß (als „humanistisch" verstandene) sozialistische Produktionsverhältnisse realisierbar seien. Dabei wurden die Arbeiter der DDR aber stets von ihren sowjetischen Kollegen an ihre eigene Verantwortung gemahnt, Mißstände, z.B. bürokratischer Art, die auch den Gästen nicht verborgen geblieben waren, so lange und so beharrlich anzugehen, bis sie

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Das von dem sowjetischen Schnelldreher Susanow bei einem Besuch in der DDR zur Beschwichtigung vorgebrachte ,Kompliment': „Ich freue mich, daß die deutsche Technik sich so hoffnungsfroh entwickelt und beginnt, wieder einen hervorragenden Platz in der Welt einzunehmen", konnte nur eine gegenteilige Reaktion hervorrufen. - Wulff/Hemzal, Mit Sowjetfreunden, S. 29. Vergleichbares berichtet auch Rudolf Bühring über die von ihm geleistete Parteiarbeit. Immer wieder sei ihm gesagt worden: „Warum denn gute Qualität, für die Taiga sind die Wagen doch immer noch gut genug." - SAPMO: ZPA EA 1845/1. Forschungsreise, S. 7. In seinen späteren Memoiren relativiert Heym diese Formulierung allerdings, wenn er schreibt, „daß es weder den Russen noch dem Schriftsteller S.H. in allen Fällen gelang, bis in das Innerste der Psyche ihrer Gesprächspartner vorzudringen; diese hielten sich zumeist bedeckt und neigten, die Panzer hatten da gewirkt, zu Konzessionen an das Denken ihrer Besucher." - Heym, Nachruf, S. 586.

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beseitigt seien, und sich nicht resignativen Stimmungen hinzugeben. Ob das den Arbeitern in der Sowjetunion stets gelang, ist indes mehr als fraglich. Kritische Nachfragen der Deutschen in dieser Hinsicht blieben aus. Insgesamt waren die Voraussetzungen für den Modelltransfer im Produktionsbereich nicht völlig ungünstig. Die Forcierung der Arbeitskultur stellte nicht nur ein Ideologieprodukt dar, sondern entsprach den Notwendigkeiten der Zeit. Der Elan, das völlig zerstörte Land wieder aufzubauen und die Produktion erneut in Gang zu setzen, ließ die Idee einer veränderten, neuartigen Produktion durchaus aussichtsreich sein. In der Mischung von rationalen und ritualisierten Elementen war sie trotz der verbreiteten antisowjetischen Stimmungslage anfangs sicherlich nicht chancenlos. Daß die sowjetische Arbeitsgesellschaft im Wettkampf der rivalisierenden Großmächte nicht zu gewinnen vermochte, lag an ihrer ökonomischen Ineffizienz, aber auch daran, daß das Versprechen einer wahrhaft neuen Produktion mit Teilhabe und Mitspracherecht der Arbeiterschaft nicht eingelöst wurde.

4.2.4 Zur Übernahme sowjetischer Verfahren in der Landwirtschaft „Noch mehr, noch besser, noch schneller von der Sowjetunion lernen!" 202 - diese Losung wurde ebenfalls für die Landwirtschaft ausgegeben. Auch in diesem Bereich kam es zu einem massiven Import sowjetischer Methoden und Arbeitsformen. Zur Erinnerung: Mit der - allerdings nur zögerlich angenommenen 203 - Bodenreform war die KPD 1945 gerade auch bei den Umsiedlern und bisher landarmen oder landlosen Bauern durchaus erfolgreich auf Stimmenfang gegangen. 204 Doch aufgrund der Parzellierung und des überstürzten Übergangs zur Einzelbewirtschaftung erwiesen sich viele Höfe als nicht existenzfähig, so daß bis 1952 etwa 15 % der Neubauern ihr Land wieder aufgeben mußten. 205 Die schwierigen Existenzbedingungen wurden durch Zwangsabgaben noch verschärft, selbst wenn das Ablieferungssoll für die Neubauern milde gehandhabt wurde. 206 Diese Notlage vieler Bauern wirkte sich „sehr hemmend auf die Arbeit der Partei aus", zumal deren Kreisorganisationen oft genug „administrative Maßnahmen" ergriffen. 207 Ab 1948 wurde mit Vehemenz der Transfer der sowjetischen Biologiediskussion betrieben. 208 Daß gerade die Biologie (neben der Philosophie und Wirtschaftswissenschaft) ein Hauptkampffeld der innersowjetischen Auseinandersetzungen um politische und ideologische Vorherrschaft darstellte, zeitigte direkte Auswirkungen auch für die deutsche Landwirtschaft. Hier ging es nun nicht mehr nur um die Übernahme bestimmter Verfahren, sondern um die Einführung einer autoritativen wissenschaftlichen Schule - unter der bisher im deutschen Sprachgebrauch nicht exi202 203 204 205 206 207 208

Franz Günther, Errungenschaften der sowjetischen Landwirtschaft, in: NG 8/1951, S. 615. Vgl. z. B. die Gesprächsprotokolle in: Schlewe, Dokumentation zur demokratischen Bodenreform. Vgl. Zank, Wirtschaft, S. 152. Die Mitgliederzahlen der KPD waren gerade in den ländlichen Gebieten stark gestiegen. - Siehe auch Staritz, Sozialismus in einem halben Lande, S. 70. Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, S. 277. Zank, Wirtschaft, S. 160. Sitzung des Kreisvorstandes der SED vom 17. April 1947. - Lewandowski/Lamprecht, Chronik der Kreisparteiorganisation. Vgl. Kap. 3.2.3.

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stenten Bezeichnung „Agrobiologie". Die Materialien der Sitzung der Akademie für Agrarwissenschaften im Juli/August 1948, auf der Lyssenko inthronisiert wurde, wurden sämtlich nach Deutschland übersandt und dort veröffentlicht. Der Vortrag Lyssenkos „Über die Lage in der Biologie" erschien auf ausdrücklichen sowjetischen Wunsch als gesonderte Broschüre. 209 Da Stalin den Programmbericht Lyssenkos redigiert und gebilligt hatte, kam danach eine Kritik an diesen Auffassungen einer Opposition gegen Stalin gleich. 210 Wie in der Sowjetunion wurde auch in der DDR die Biologiediskussion zur Abgrenzung gegen den Westen genutzt: „Die formale Genetik ist aufs engste verbunden mit dem metaphysischen Idealismus. Sie entwickelte sich im Kapitalismus, und dieser benutzte die falschen Erkenntnisse der formalen Genetiker, um seine völkerfeindlichen Maßnahmen (zum Beispiel Rassenhetze) wissenschaftlich' zu begründen." Die moderne, auf den Grundlagen des dialektischen und historischen Materialismus aufgebaute Agrobiologie überwinde die Überzeugung von Unabänderlichkeit und Schicksalhaftigkeit, indem sie erreiche, daß Pflanzen günstige Eigenschaften erwerben und auch vererben könnten. 211 Zwar waren die Auswirkungen des „schöpferischen Darwinismus" in der DDR nicht so stark wie in der Sowjetunion und konnte sich die Genetikforschung dort in einigen Nischen halten, doch koppelte sich die DDR wie die anderen Länder des Ostblocks von der sich rasch entwickelnden westlichen Molekularbiologie und -genetik über lange Zeit fast völlig ab. 212 Die Agrarforschung in der DDR wurde nun also ganz auf die Mitschurin/Lyssenko-Schule ausgerichtet, sowjetische Professoren unterrichteten als Gastdozenten. In der Praxis verlangte man von den Bauern, daß sie gemäß der Stadienlehre Lyssenkos das Getreide fortan zu jarowisieren, d. h. es einer (vorgeblich) Resistenz fördernden und Wachstum beschleunigenden KälteschockBehandlung auszusetzen, und ihre Felder nach dem Trawopolnaja-System, einer bestimmten Abfolge von Futterpflanzen- und Getreideanbau zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit, zu bestellen hätten. 213 Die ideologische Funktionalisierung dieses Verfahrens kam auch in der SBZ/ DDR zur Geltung: „Das Trawopolnaja-System entlarvt die völkerfeindliche Theorie von der abnehmenden Bodenfruchtbarkeit und den Grenzen der Ertragssteigerung." 214 „Idealistischer Vorstellungen" wurden auch die Gegner der „Nestpflanzmethode", der (angeblich zahlreiche Vorteile versprechenden) regelmäßigen Aussaat von Kulturpflanzen in Nestform, bezichtigt. 215 209

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Brief Ljudomirskis, des Leiters der zentraleuropäischen Abteilung der Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (WOKS), an den Leiter der Kulturabteilung der SMAD, A. Dymschitz, vom 26. 8. 1948.- GARF 5283/16/136. Iwan Frolow - Ein Gegner der Irrlehren Lyssenkos, S. 44f. Georg Schneider, Mitschurin in unserm Dorf (Vorbemerkung von Kurt Kahnert), in: NG 3/1951, S. 185, 189. In diesen Zusammenhang gehört auch die Überzeugung, die Natur sei nach Wunsch umzugestalten. Populär wurde etwa das Buch: Iljin, Besiegte Natur. Vgl. Erhard Geisslers Vortrag auf dem XIV. Kühlungsborner Kolloquium 26.-31. Juli 1993 zum Thema „Gentechnik zwischen Angst und Hoffnung, ethischen, ideologischen und ökonomischen Zwängen. Anmerkungen zum Umgang mit der Genetik und Gentechnik in der DDR". Dem Verfasser sei herzlich gedankt, daß er uns Einsicht in das Manuskript gewährte. Vgl. auch Geisslers früheren Beitrag: Einige Bemerkungen zum Thema T.D. Lyssenko. Vgl. Freundschaft der Tat, S. 267-272 u. S. 283-291. Das demokratische Dorf, 1. Jg., H. 5, S. 32; zit. nach: Die SBZ von A-Z, S. 170. Bol' saja Sovetskaja Enciklopedija Bd. 11, Moskau 1952, S. 549.

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Zur experimentellen Anwendung der verschiedenen sowjetischen Verfahren wurden in den Dörfern Mitschurin-Zirkel gegründet, die besondere Mitschurin-Felder als „Lehr- und Lernfelder" kultivierten. Für die Propaganda vor Ort ließ sich wiederum die DSF mobilisieren. 216 Seien erst die Ergebnisse der Wissenschaft voll ausgenützt, so hieß es, könnten die (in der unmittelbaren Nachkriegszeit gesunkenen) Ernteerträge im Laufe des ersten Fünfjahrplans um 50 % gesteigert werden. 217 Im übrigen wurden auch beim Obstanbau und bei der Tierhaltung und -aufeucht sowjetische Vorbilder als verbindlich erklärt, so z. B. die Erfahrungen von K. Loschtoschenowa, „Heldin der sozialistischen Arbeit, Melkerin der Stalin-Kollektivwirtschaft im Gebiet von Moskau". 218 Die „Bewegung zur Erreichung höherer Milcherträge" war zunächst als „3 OOO-Liter-Bewegung" konzipiert, erhielt aber als Fernziel die 6218 Liter Milch jährlich gesteckt, die eine Melkerin im Mitschurinkolchos (vermutlich als Einzelleistung) erzielt hatte. 219 Angesichts der realen Produktionsergebnisse von (durchschnittlich) 1730 Liter Milch pro Kuh im Jahre 1948220 schien bereits die zuerst genannte Zielvorstellung mehr von revolutionärem Elan denn von einer realistischen Lageeinschätzung geprägt. Erst 1966 wurde die 3000-Liter-Grenze in der DDR überschritten. 221 Die Vermittlung solcher Methoden wurde in offizieller Sprachregelung als „Freundschaftsbeweis" der Sowjetunion interpretiert. Man räumte jedoch ein, daß „bei uns noch oft ein heißer und harter Streit über das Für und Wider der neuen Lehre entbrennt" und ihre Anwendung zuweilen „schematisch" anstatt „sinngemäß und schöpferisch" erfolge. 222 In diesem Kommentar wird sowohl die Reserviertheit der Landbevölkerung als auch das Gewaltsame der eingeführten Maßnahmen greifbar. Wenn die Fluchtwelle der Jahre 1952/53 in nicht unerheblichem Maß auch die Landbevölkerung betraf, hat dies wohl nicht nur mit der Kollektivierungskampagne und der schlechten Lebensqualität auf dem Lande zu tun, sondern als mutmaßliche Gründe sind wohl auch Abwehrhaltungen gegen oktroyierte Methoden anzuführen, die den Bauern einerseits zutiefst fremd waren und die sich andererseits oft genug als wirtschaftlich unsinnig erwiesen (so blieben u. a. auch die unterschiedlich entwickelten Bodenkulturen in der Sowjetunion und in Deutschland unberücksichtigt 223 ). Denn Anordnungen, wie sie in dem schon erwähnten Bericht aus dem VEB-Elbtalwerk Heidenau nach dem 17. Juni 1953 angeführt werden, liegen offenbar Lyssenkos Lehrmeinungen von der Verkürzung der Vegetationsperiode und dem Ausschalten ungünstiger Witterungsein216

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Ein entsprechender Beschluß wurde auf der Tagung von Vertretern der Zentralleitung, Landesorganisationen und Betriebgruppen der VEBs im November 1950 gefaßt. - Vgl. Petersdorf, Die Rolle der Gesellschaft, S. 155. Zur effektiveren Bewältigung der neuen Aufgaben wurde im Januar 1951 die Sektion Landwirtschaft gegründet. Franz Günther (Nachbemerkung zu „Mitschurin in unserem Dorf"), in: NG 3/1951, S. 192. Freundschaft der Tat, S. 303. F. Günther, Errungenschaften, S. 613. Dies war rund ein Drittel weniger als kurz vor dem Krieg. - Vgl. Kramer, Die Landwirtschaft, S. 36f. und 74ff. Vgl. Merkel, Agrarproduktion, S. 338. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik war 1966 ein Durchschnittsertrag von 3 880 Litem erzielt worden. Freundschaft der Tat, S. 261. Das Widersinnige dieser schematischen Übertragung schildert Ernst Strittmatter in seinem Roman „Der Wundertäter", Bd. 3 - Vgl. Kap. 7.3.2. Die SBZ von A-Z, S. 170.

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flüsse zugrunde: „So hat z.B. ein Bauer erst jetzt eine Anweisung erhalten, sofort 1,5 ha anstehende Gerste umzubrechen und noch Ölfrucht auszusäen entgegen dem im Frühjahr erhaltenen Anbauplan. Für die Bauern unverständlich: Geiste kurz vor der Reife umzubrechen und zu verfüttern und zum anderen verspätete Ölfruchtaussaat, die nach Fachurteil nicht mehr zur Reife kommt." 224 Lyssenko und Stachanow - zwei wirtschafte- und gesellschaftspolitisch exponierte Gestalten, deren Rolle innerhalb der Strategie der KPdSU durchaus vergleichbar war. Hatte doch Lyssenko mit dem Versprechen rascher Ertragssteigerungen seinen Methoden gleichsam einen Stachanowschen Anstrich verliehen, ohne indes vergleichbare Ergebnisse vorzuweisen.225 Ihr praxisorientiertes .Vorpreschen' wies sie als Tatmenschen der neuen sozialistischen Art aus und bot daher die Möglichkeit, sie gegen die Wissenschaftler (Biologen, Genetiker, Ingenieure) „alter Schule" einerseits und gegen bedächtig agierende und deshalb als rückständig bezeichnete Betriebsingenieure oder -leiter andererseits auszuspielen und letztlich deren Liquidierung als politische Gegner Stalins zu rechtfertigen. Bei der Etablierung der auf Stachanow und Lyssenko zurückgehenden produktionstechnischen und landwirtschaftlichen Verfahren in der SBZ/DDR wurden deren ideologische Funktionen wohl mit bedacht, jedoch mit unterschiedlicher Konsequenz und z. T. geringerer Schärfe und Radikalität umgesetzt. 4.2.5 Exkurs: Von Gremjatschi Log nach Katzgraben. Zur Wirkung und Aneignung der sowjetischen Produktionsliteratur Die grundlegenden Umgestaltungsprozesse in Industrie und Landwirtschaft - die Vergesellschaftung der Betriebe und die Bodenreform, der sozialistische Wettbewerb und die Aktivistenbewegung, sämtlich nach sowjetischem Vorbild modelliert, sowie die Übernahme von sowjetischen Arbeits- und Anbaumethoden - prägten nachhaltig den Alltag und die auf die Gegenwart bezogene Literatur. Denn die (neue) Arbeitskultur ging als zwingender Bestandteil der ostdeutschen Nachkriegswirklichkeit in die Literatur ein. Zugleich forderte die SED massiv, dem ,neuen Gegenstand' Genüge zu tun. Dies schloß ein, die Vorbildhaftigkeit des sowjetischen Arbeiters zu würdigen. Sowohl die schöpferische Methode' des sozialistischen Realismus 226 als auch der ,neue Gegenstand' der Arbeitskultur kommen am deutlichsten in der Produktions- und Kolchosliteratur zur Geltung. Gerade bei diesem Genre mußte der Sowjetliteratur eine besondere Schrittmacheirolle zufallen, hatte sie doch auf die Transformation der Lebenswirklichkeit schon früher reagiert und das entsprechende literarische Handwerkszeug bereitgestellt. Anfangs, in den 20er und 30er Jahren, entstand eine vielfach mit revolutionärer Romantik durchsetzte Aufbauliteratur, die zwar für die Erarbeitung des sozialistisch-realistischen Kategoriensystems instrumentalisierbar war, ohne jedoch in ihm aufzugehen. Unter dem Einfluß der sich verhärtenden Literaturpolitik und -kritik erstarrte diese Gattung Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre zum Schema. In der neueren sowjetischen Forschung werden diese beiden Phasen mit den Begriffen „Entwicklung" versus „Stagnation", „Darstellung der lebendigen Wirklichkeit" versus „Illustrierung von Erlassen, die die 224 225 226

Nachlaß Otto Buchwitz. - SAPMO: ZPA NL 95/93. Vgl. Beyrau, Intelligenz und Dissens, S. 104. Vgl. Kap. 5.3.7.

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Wirklichkeit steuern", umrissen. 227 Zunächst wurden in der SBZ die Werke der ersten Phase, allerdings meist in überarbeiteter Fassung, aufgelegt 228 und von den Lesern als „Lehrbücher des Lebens", von den Schriftstellern als Inspirationsquelle betrachtet. Die ersten deutschen Werke dieser Gattung, die das Gewaltige der Umwälzung in der Sowjetunion gleichsam maßstabsgerecht auf die Verhältnisse einer importierten Revolution in Deutschland verkleinern mußten, wurden vom Publikum also bereits auf dem Hintergrund der übersetzten Sowjetliteratur rezipiert. Während nun für die deutschen Autoren nach eigenem Bekunden vor allem die,Sowjetklassiker' als Vorbilder wirkten, wurden die Romane der zweiten Phase in ihrer ,Regelhaftigkeit' von den Parteifunktionären favorisiert. 229 Aus den vorangehend dargestellten Transfermechanismen wird deutlich, daß im Blick auf die Produktionsliteratur sowohl die idealistische Sicht der Arbeiterbewegung in der DDR als emanzipatorische Initiative, wie sie auch in der westdeutschen Forschung nicht selten zu finden war, 230 als auch eine rein innerliterarische Betrachtung hier zu kurz greifen. Romane des industriellen Aufbaus: Fjodor Gladkow - Eduard Claudius 1968 schreibt Eduard Claudius in seinen Erinnerungen, zurückschauend auf die Literaturdiskussionen der Nachkriegszeit: „Und, so fragte sich mancher, waren wir nicht nur Nachahmer sowjetischer Literatur? Die Gesamtproblematik jedes sozialistischen Beginns war, so schien uns, besonders in den sowjetischen Frühwerken gestaltet, in ihnen waren Menschen geschaffen worden, die alles aussagten über Neuanfang, Hoffnung und Glauben. Für uns bestand darin der Reiz der Sowjetliteratur und das, was ihren großen Einfluß ausmachte. Und waren nun die Auseinandersetzungen mit dem Faschismus das Eigentliche in der deutschen Literatur, ihr legitimes Bemühen? Die Neuanfänge, den sozialistischen Beginn zu gestalten, hieß es nicht, nur Nuancen zu gestalten?" 231 Das Zitat erhellt die Faszinationskraft der Ronane aus der sowjetischen Frühzeit, wie die Schwierigkeit, ihnen im Blick auf die deutsche Situation etwas Adäquates an die Seite zu stellen. Sowjetische Vorbilder wurden auf durchaus konträren Wegen für die deutsche Literatur nutzbar gemacht. Bert Brecht und seine Schule interessierten sich für die Verfahren, mit denen Sergej Tretjakow und andere sich der sowjetischen Gegenwart genähert hatten. Tretjakow, der mit Brecht in einem engen Arbeitskontakt stand, notierte anläßlich der Erstveröffentlichung seines Stücks „Gasmasken" 1923: Das Stück sei mittels einer durchgehend agitatorischen Tendenz organisiert. Statt Menschen aus dem Leben zu geben, sollten Standards, Modelle aufgebaut werden, um die reinen Milieukopien endgültig zu überwinden. 232 Ein solches Denken in Entwürfen 227 Dobrenko, Fundamental'nyj leksikon, S. 238ff. 228 Vgl. Kap. 5.2.1. 229 Inwieweit die (unter „kapitalistischen" Bedingungen entstandene) deutsche proletarische Literatur der 20er Jahre als traditionsbildender Faktor einzubeziehen ist, bleibt in diesem Zusammenhang unberücksichtigt. 230 Vgl. Wolff, .Auftraggeber: Arbeiterklasse', S. 247-291. Wolff versucht, „die frühe Gegenwartsliteratur der DDR als Ausdruck kämpferischer Parteinahme für die Arbeiterklasse sichtbar zu machen" (S. 248). 231 Claudius, Ruhelose Jahre, S. 354f. 232 Tret'jakov, Po povodu ,Protivogazov', S. 108.

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und szenischen Modellen, das nicht auf Einfühlung abzielt, sondern auf Diskussionskonzepte, kam Brechts nicht-aristotelischer Dramaturgie sehr entgegen. Er selbst war über mehrere Jahre mit einem Stückprojekt über den Ofenmaurer Hans Garbe befaßt, dem es im Winter 1949/50 gelang, einen Ringofen zu erneuern, ohne daß er stillgelegt werden mußte. Brecht hielt seine Mitarbeiter zu einer akribischen Wirklichkeitserkundung und dem Sammeln von Zeugnissen an. Käthe Rülicke, die er auf Meyerhold und Tretjakow hinwies, veröffentlichte 1952 den Text „Hans Garbe erzählt", der sich an Tretjakows Methode des Bio-Interviews orientiert. 233 Aus Brechts Entwürfen geht hervor, daß ihn vor allem die Konflikte und Widersprüche der Übergangsgesellschaft interessierten und auch die Ereignisse des 17. Juni ofifen einbezogen werden sollten. In seinem Garbe-Stück ist der Antrieb des Helden zur Bestleistung nicht nur uneigennützig, seine Haltung keineswegs makellos. Er ist „als Lernobjekt und nicht als Leitbild konzipiert" 234 . Ähnlich verweigert Heiner Müller in seinem Stück „Der Lohndrücker" (1957), das denselben Stoff aufgreift, die Harmonisierung der aufeinanderprallenden Gegensätze: „Das Stück versucht nicht, den Kampf zwischen Altem und Neuem, den ein Stückschreiber nicht entscheiden kann, als mit dem Sieg des Neuen vor dem letzten Vorhang abgeschlossen darzustellen, es versucht, ihn in das Publikum zu tragen, das ihn entscheidet." 235 Durch die didaktische Pointierung und das kühle, antipsychologische Vorzeigen gelang dem DDR-Theater in der BrechtNachfolge ein höchst eigenständiger Beitrag zum Thema Produktionsliteratur. Für die Prosa hatte dieser Ansatz indes kaum Folgen. Was in den Romanen zum Tragen kam, war die Glättung der frühen sowjetischen Aufbauliteratur im Sinne der stalinistischen Produktionsideologie und ihre weitere ,Verkleinerung' vom Gesellschaftsroman großen Stils zum Betriebsroman. 236 Diese Transformation ist auch der Werkgeschichte von Fjodor Gladkows „Zement" und dem von ihm geprägten Roman „Menschen an unsrer Seite" von Eduard Claudius ablesbar. Gladkows „Zement" erschien 1926 in Buchform und lag schon 1927 in deutscher Übersetzung (besorgt von Olga Halpem) vor. Walter Benjamin, Egon Erwin Kisch, Anna Seghers und Erich Mühsam reagierten unmittelbar mit Rezensionen. Der Roman über den aus dem Bürgerkrieg zurückkehrenden Gleb Tschumalow, der die Fabrik zerstört vorfindet und seine Frau in eine emanzipierte Parteiarbeiterin verwandelt sieht, dieser Roman über die gelingende Wiederinstandsetzung des Werks und das Scheitern im Privaten wurde widersprüchlich diskutiert, seine Bedeutung aber allgemein als herausragend veranschlagt. Später änderte Gladkow jedoch fortwährend an dem Roman, der allein bis zu seinem Tod 1958 36mal erschien. Die deutsche Edition, die 1949 in der Übersetzung von Alfred Edgar Thoss publiziert wurde, basiert auf der sogenannten „Redaktion von 1940", die als russische Version erstmals 1941 publiziert worden war. Der genaue Textvergleich 237 zeigt, daß die Umarbeitung jedes Kapitel, jede Szene, fast jeden Dialog, nahezu alle Figuren betrifft. Sie umfaßt nicht nur sprachliche Glättungen (alle ,Naturalismen', dialektale, volks- und vulgärsprachliche Ausdrücke wurden ausgemerzt; die tastenden Gedanken und die abbrechende, suchende Rede Glebs haben sich zu einem gewandten Sprechen eines politisch reifen Menschenführers verflüssigt), sondern auch grundsätzliche ideologische Korrekturen (klärende Passagen sind eingefügt; den Skeptikern

233 234 235 236 237

Vgl. St. Bock, Literatur Gesellschaft Nation, S. 228ff. Greiner, Von der Allegorie zur Idylle, S. 84. Müller, Der Lohndrücker, S. 116. Zimmermann, Industrieliteratur, S. 95. Zu den Korrekturen Gladkows vgl. Smirnova, Kak sozdavalsja „Cement", S. 140-227.

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und Schädlingen wurden die überzeugenden Argumente entzogen; der Konflikt zwischen den Eheleuten Tschumalow wurde versöhnlich abgemildert). Die Schriftsteller der „Linken Front der Künste", Wladimir Majakowski, Ossip Brik, Tretjakow, standen dem Roman bei seinem Erscheinen ablehnend gegenüber. Die Lektüre sei zu gefällig, zu eingängig, so Majakowski 238 ; Gladkow gelinge nicht die Synthese von Heroismus und Alltag, Proklamation und Protokoll, sondern er verfahre doppelgleisig - dies der Vorwurf Briks, der sich auch massiv gegen die „gräco-sowjetische Stilisierung" wandte: Durch die Heroisierung sei dem Helden die Summe der Taten zugeschrieben worden, die in Wirklichkeit die Arbeitsergebnisse vieler Menschen sind, so daß Gleb-Achill, Gleb-Roland, Gleb-Ilja Muromez entstanden sei und Jeanne d'Arc, aber nicht Dascha Tschumalowa. Unnötig sei auch die Verbindung der Themen „Gleb baut das Werk auf', „Dascha baut ein neues Leben auf'. 2 3 9 „Es ist noch zuviel von Liebe und zuwenig von Zement die Rede", kritisierte auch Anna Seghers 240 , die wie Brik 241 Gladkow den Vorwurf macht, altes „Schreibzeug" zu benutzen. Auch wenn die Kritik Wichtiges erfaßt, verkennt sie doch das Neuartige des Entwurfs. Auch Gladkow wandte sich, ähnlich wie Tretjakow, gegen die Schaffung einer ,roten Klassik', d.h. das Insistieren auf roten Tolstois, sozialistischen Epopöen, und gegen die Forderung nach dem lebendigen Menschen und detaillierten Charakterstudien. Das Neuartige seiner Konstruktion des Erzählens sah er in der „Reihung von rasch wechselnden Szenen" 242 und dem Zusammenprall mächtiger Figuren, die zu Typen stilisiert sind. Widersprüchlich ist bei ihm Folgendes: Sein Entwurf zielte einerseits auf legendäre Erhöhung und Verklärung, andererseits auf künstlerische Synthese, das monumentale Gesellschaftsbild. 243 Daß das Widerständige, das sich aus dem Streit der beiden Verfahren ergibt, nicht ausgeglichen wird, ist positiv. Die inneren Spannungen werden nicht nivelliert, sondern offengehalten. Auch inhaltlich macht dies die Stärke des Romans in seiner ersten Fassung aus: Die Konflikte werden nicht versöhnt, die Grausamkeiten der Bürgelkriegs- und Aufbauperiode nicht beschönigt, Ungerechtigkeiten (auch bei der Parteireinigung) nicht verschwiegen, Schwierigkeiten mit der kommunistischen Industrie- und Verwaltungsbürokratie nicht ausgespart. Zwar ist Gleb Tschumalow tatsächlich der übermächtige Held, der aus eigener Kraft alle Widrigkeiten besiegt, doch wird seine Stärke eben dadurch wirkungsvoll relativiert, daß ihm sein Privatleben nicht gelingt. Und auch die Vorbildlichkeit der „Jeanne d'Arc" Dascha wird dadurch stark eingeschränkt, daß das Opfer, das sie ihrer Parteiaktivität bringen muß, nicht unterschlagen wird: Das Töchterchen Njurka, Daschas gesellschaftlichen Engagements wegen ins Kinderheim gegeben, stirbt dort aus Mangel an mütterlicher Zuwendung. 244

238 239 240 241 242 243 244

Wladimir Majakowski, Warten wir ab, die Poeten zu beschuldigen, in: W.M., Publizistik, S. 152. Brik, Pocemu ponravilsja ,Cement\ S. 30-32. Anna Seghers, Revolutionärer Alltag, in: Frankfurter Zeitung vom 22. 5. 1927. Brik, Za politiku!, S. 23. Gladkov, Moja rabota nad ,Cementom', S. 105. Vgl. Mierau, Polemik und Korrespondenz, S. 66-81. Dort ausführlich zu den konkurrierenden ästhetischen Verfahren Gladkows und Tretjakows. Was bei Gladkow an Konflikten angelegt ist, sollte Heiner Müller in seinem Stück ,dement" 1972 in aller Härte herauspräparieren.

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Gladkows Verfahren der Typisierung, das oftmals auf Metonymie und Synekdoche 245 beruht, gibt nicht sogleich mit der Darstellung des Aussehens einer Person eine Wertung der Persönlichkeit, sondern exponiert ein bezeichnendes Merkmal mit maximaler Kraft zur Konturierung, das dann immer wieder bei der Beschreibung derselben Figur auftaucht, ohne daß daraus gleich zu schließen ist, ob es sich um einen Bösewicht oder einen guten Menschen handelt. Dies ist eine der Verflachungen, die dann im Zuge des dogmatisch gehandhabten sozialistischen Realismus auftraten: Der Schädling ist nun sofort daran zu erkennen, daß er verschlagene Augen oder ein feistes Gesicht hat. Der positive Held schaut mit hellen, klugen Augen in die Welt. Dieser Schematisierung entgeht auch Eduard Claudius nicht. Dem Aktivistenthema näherte er sich in zwei Entwürfen. 1950 veröffentlichte der gelernte Maurer Claudius eine Erzählung über Hans Garbe „Vom schweren Anfang" 246 , die er später unter dem Einfluß von „Zement" zu dem Roman „Menschen an unsrer Seite" (1951) 247 erweiterte, indem er Nebenhandlungen und auch die häusliche Situation des Helden, der nun den Namen Aehre trägt, einbezieht. Die Erzählung zeigt noch eine typisierende Darstellungsweise, die Gladkow deutlich nahekommt. So wird ein Arbeiter durch sein „Gerstenkorn an den entzündeten Lidern" identifiziert', ein Gesicht wird als knittrig bezeichnet, von einem anderen heißt es, es sei „wie von einem Holzschnitzer mit dem Messer gemacht" (S. 330). In der Romanfassung läßt sich aus den angeführten Merkmalen einer Person meist direkt auf ihre moralische Qualität schließen. In „Vom schweren Anfang" wird Garbe zwar stärker als Einzelkämpfer herausgestellt und damit der heldischen Stilisierung Vorschub geleistet; gleichzeitig ist jedoch dort der antibürokratische und auch basisdemokratische Impetus wesentlich kräftiger ausgeprägt. So fordern die Arbeiter auf einer Versammlung der Parteibetriebsgruppe die Absetzung des unfähigen Sekretärs der Betriebsgruppe der SED, während in „Menschen an unsrer Seite" auf einen Brief der Ehefrau Aehres hin schon frühzeitig ein Instrukteur der Landesleitung auftritt, der die Mißstände beseitigt. Überhaupt ist jetzt von der helfenden, führenden Rolle der Partei oftmals die Rede. Auch wird nun das Problem, den Ofen wenn möglich ohne Produktionsausfall zu erneuern, von der Werksleitung zur Diskussion gestellt, während es ursprünglich von Garbe aufgeworfen wurde. Andererseits wird die Figur des Aktivisten im Roman durchaus differenzierter gezeigt als in der Erzählung, und der Darstellung der anderen Arbeiter wird mehr Raum gegeben. Von Gladkow übernimmt Claudius die Episodenstruktur. Aber anders als der sowjetische Roman weist der deutsche Entwurf klare Gegenspieler auf. Während Gleb Tschumalow zwar in Badjin ein mächtiges Gegenüber hat, bleibt dessen Rolle als Vorsitzender des Exekutivkomitees unangetastet, auch wenn er den bürokratischen Weg vertritt und seine Parteiarbeit im Konflikt mit seinem Verhalten als Frauenheld steht. Letztlich bleibt er bis zum Schluß undurchsichtig; der Widerspruch zwischen rätedemokratischem Anspruch und hierarchischem Instanzenweg findet keine Lösung. Hans Aehre hat demgegenüber in dem Parteimitglied und Meister des Betriebes Matschat einen von vornherein als unsympathisch gekennzeichneten Kontrahenten, der offen Sabotage betreibt, Pläne in den Westen verschachert und sich schließlich auch dorthin absetzt. Während die Entfremdung zwischen Dascha und Gleb bis zum Schluß nicht aufgehoben wird, gibt es im Roman von Claudius nach zwischenzeitlichen Irritationen ein familiäres Happy-End.

245 246 247

Vgl. Gladkov, Moja rabota nad .Cementom', S. 99. Seitenzahlen im folgenden direkt im Text. Zugrundegelegt wurde die Ausgabe Berlin 1954.

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Katrin, die Frau Aehres, hatte sich emanzipiert, indem sie ebenfalls in die Partei eintrat und gegen den Widerstand ihres Mannes in seinem Werk eine Arbeit aufnahm. Das Töchterchen wird in einen Kindergarten gegeben, von dessen Qualität und Fürsorge der zunächst völlig negativ eingestellte Vater sich schließlich überzeugen wird. Im Unterschied zu Gladkow fügt Claudius in den Roman eine ausführliche Kunstdiskussion ein. Er versieht Andrytzki, ursprünglich Maler, jetzt Bauzeichner im Werk, der aufgrund einer Intrige Matschats sich veranlaßt fühlt, zu seinen Eltern ins Ruhrgebiet zu fliehen, aber dann nach Ost-Berlin zurückkehrt, mit autobiographischen Zügen (was auch für Aehre zutrifft). Claudius selbst stammt aus dem Ruhrgebiet und hielt sich nach dem Krieg dort kurze Zeit auf. A n d r y t ü s Versuch, eine Traktoristin zu porträtieren, scheitert anfangs, da ihm die „richtige Wahrnehmung" fehlt. Erst mit seiner .Läuterung' gelingt ihm das richtige Sehen und eine den neuen Gegenstand erfassende Kunst. Die Einführung der Figur Andrytzkis belegt Claudius' Bemühen, Bedingungen der Gestaltung des neuen Lebens im Roman mitzureflektieren. Auch ist ihm wohl bewußt, daß die grandiosen Ereignisse der Aufbauperiode, wie sie Gladkow beschreibt, angesichts der verordneten Umwälzungen in der DDR auf einen kleineren Maßstab zu reduzieren sind. Dennoch wird eine ausdrückliche Parallele zwischen der DDR und der Sowjetunion zur Zeit des ersten Fünfjahrplans gezogen: „Meinst du nicht auch, es trifft genau auf uns zu, was Stalin von der russischen Situation sagte während des ersten Fünfjahrplans?" (S. 271) Gemeint ist damit, daß Ingenieure und Techniker der alten Intelligenz zur Mitarbeit zu gewinnen sind. Ferner wird das sowjetische Vorbild stetiger Weiterqualifizierung, die Ablehnung ,,eine[r] anarchistische^] Art der Produktion" (S. 309) und die Übernahme sowjetischer Aibeitspraktiken angemahnt. Doch obwohl dem sowjetischen Vorsprung und besseren know-how ausführlich Tribut gezollt wird, bemängelten die Kulturfunktionäre: „Warum fehlt jede Erwähnung der sowjetischen Stachanow-Bewegung, ohne deren Beispiel und direkte ideologische Wirkung die deutsche Aktivistenbewegung historisch undenkbar ist." 248 Claudius mußte sich sogar gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, Aehre könne nicht als positiver Held und als Vorbild gelten, sein Roman sei ein „parteifeindliches Buch". 249 Aus heutiger Sicht ist dagegen anzumerken, daß Claudius einen der entscheidenden Konflikte der veränderten Produktionsbedingungen wohl angesprochen, aber nicht ausgetragen hat. Zwar wird Aehre für eine frühere Aktivistenleistung als „Arbeiterverräter" und Lohndrücker beschimpft, aber gleichzeitig wird hervorgehoben, daß die höhere Norm für die Arbeiter keine Belastung ist, sondern die Arbeit aufgrund einer verbesserten Methode leichter geworden ist und finanzielle Vorteile mit sich bringt. Die Brisanz von Entlohnung und Prämierung wird entschärft. Gerade der bei Garbe beobachtete Widerspruch zwischen materiell motivierter Aktivistenleistung und dem fehlenden gesellschaftlichen Bewußtsein hatte demgegenüber Brecht gereizt, der seinen Protagonisten als einen zu überwindenden Heldentypus konzipiert hatte. 250 Doch Brecht stellte sein Projekt nicht fertig. Erst Heiner Müller brachte mit seinem Stück „Der Lohndrücker" das Problem von Leistungslohn und Normerhöhung mit aller Entschiedenheit auf die Bühne. Er zeigte, daß zwischen dem Aktivisten und seinen Gegnern keine klare Frontlinie im Sinne von Fortschritt und Reaktion auszumachen ist, sondern diese Linie quer durch jeden einzelnen verläuft. 248 249 250

Abusch, Literatur und Wirklichkeit, S. 325f. Vgl. Claudius, Ruhelose Jahre, S. 375. Zur Rezeption des Romans in der Sowjetunion siehe Kap. 7.2.2. Knopf, Brecht-Handbuch, Bd. 1, S. 374.

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Claudius, der in dem oben angeführten Zitat aus seinen Erinnerungen fragte, ob nicht in den sowjetischen Frühwerken bereits alles ausgesagt sei „über Neuanfang, Hoffnung und Glauben", verpaßte gleichsam den sozialen Konflikt, der sich als Brennpunkt für eine eigenständige Gestaltung in der DDR-Literatur anbot. Als das „Eigentliche in der deutschen Literatur" vermochte er nur die Auseinandersetzung mit dem Faschismus zu sehen, der in seinem Roman ausführlich zur Sprache kommt (Rückblick auf das schlechte frühere Leben, NSDAP-Vergangenheit eines Chemikers, Zuchthaus-Jahre des Werksdirektors, Schicksal von Kriegswitwen, Weiterwirken des Faschismus im Westen). Doch nur einmal, mit der Aussage: „In manchem von uns ist eben ein kleiner Faschist hängengeblieben" (S. 114), blitzt auf, welche Last die Vergangenheit für die Gegenwart auch in der DDR bedeutete. 251 Die Widersprüche der neuen Ordnung werden nicht als systembedingte, strukturelle in den Blick genommen, sondern durch Personalisierung verharmlost. 252 Die Widerstände und Schwierigkeiten sind keine internen, sondern werden durch den Klassenfeind aus dem Westen hereingetragen. Die Übernahme der materiellen Arbeitskultur der UdSSR, die Umbuchung der Bestleistung Stachanows auf das Konto der deutschen Aktivisten prägt zwar den Roman, aber dem neuen, gegenüber „Zement" veränderten Konfliktpotential zeigt sich „Menschen an unsrer Seite" nicht gewachsen.

Kolchosliteratur: Michail Scholochow - Erwin Strittmatter Auf dem Gebiet der Kolchosliteratur wurde Michail Scholochow als vorbildhaft betrachtet. Schon 1946 erschien der erste Teil seines Romans „Neuland unterm Pflug" in der SBZ, etwa gleichzeitig mit den ersten drei Bänden von „Der stille Don". In den folgenden Jahren wurden beide Werke „systematisch neuaufgelegt". 253 Als beispielgebend herausgestellt wurden nicht allein die Romane des sowjetischen Autors, sondern auch seine „voibildliche Lebens- und Schaffensweise" hinsichtlich der „engen Verbindung des Künstlers mit dem Leben". Seine entsprechenden Äußerungen seit Mitte der 50er Jahre wurden kanonisiert. 254 Der Roman „Neuland unterm Pflug", dessen Schauplatz ein Kosakendorf namens Gremjatschi Log während der Kollektivierung Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre ist, zählte als „gültige Bewältigung der Gegenwartsthematik" sowie als „Lehrbuch für unsere werktätigen Bauern und unsere Schriftsteller". 255 Die hohen Auflagenzahlen in der DDR - bis Frühjahr 1964 530000 Exemplare - werden als Beweis dafür angeführt, daß dieses Werk vor allem in den Jahren der „sozialistischen Umgestaltung des Bauernlebens von Millionen als Handbuch in diesem Prozeß regelrecht studiert wurde". 256 Sein Vorbildcharakter ist also auf zwei Ebenen anzusiedeln: für die Schriftsteller

251 252 253 254

255 256

Erst im „Lohndrücker" tritt das Traumatische der Vergangenheit wirklich zu Tage: Der Parteisekretär des Aktivisten war von diesem im KZ denunziert worden. Vgl. Zimmermann, Industrieliteratur, S. 89ff. Warm, Zur Scholochow-Rezeption, S. 264. Noch 40 Jahre nach der Erstausgabe in der SBZ gab es eine 13. Auflage: Scholochow, Neuland unterm Pflug. Warm, Zur Scholochow-Rezeption, S. 264. Hier wird vermutlich auf Scholochows Reden auf dem XX. und XXII. Parteitag der KPdSU 1956 und 1961 Bezug genommen, in denen der Autor sich in diesem Sinne äußerte. Ebd., S. 266. Hier werden frühe Stellungnahmen von Elisabeth Borchardt (ND vom 8.6. 1946) und Otto Gotsche (ND vom 24. 2. 1953) zu dem Roman zitiert. Ebd., S. 268.

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der SBZ und DDR als literarisches Muster, für die Menschen auf dem Lande als Handlungsorientierung. Es lassen sich zwei Wellen in der deutschen Kolchosliteratur ausmachen, die die beiden prägnanten Phasen der Agrarpolitik in der DDR, nämlich die Bodenreform 1946 und die verschärfte Kollektivierung 1958-1960, spiegeln. Einer der ersten einschlägigen Romane war Otto Gotsches „Tiefe Furchen" (1948), in dem die Bodenreform am Beispiel eines Dorfes unter ausführlicher Einbeziehung aller positiven, negativen oder zweifelnden Stimmen geschildert wird. Erwin Strittmatter widmet sich in „Der Ochsenkutscher" (1950) dem Vorkriegsdorf. Die zweite Phase brachte Werke wie Bernhard Seegers „Herbstrauch" (1961), Erwin Strittmatters „Ole Bienkopp" (1963) und Erich Köhlers „Schatzsucher" (1964) hervor. Auch auf der Bühne wurde das neue Dorf zum Thema, so z.B. in Friedrich Wolfs Komödie „Bürgermeister Anna" (1950), Erwin Strittmatters „Katzgraben. Szenen aus dem Bauernleben" (1953) oder Helmut Baierls Lehrstück „Die Feststellung" (1957). Die Frage von literarischem Modell und seiner Verarbeitung soll anhand von Scholochows Roman „Neuland unterm Pflug" (Teil 1) und Strittmatters Stück „Katzgraben" untersucht werden. Steht Eduard Claudius' Roman „Menschen an unsrer Seite" zu seinem Vorbild „Zement" in einem Verhältnis von Glättung und Verkleinerung', zumindest was die erste Fassung von Gladkows Roman betrifft, so läßt sich bei Strittmatter, auch bedingt durch die Wahl der Gattung und der damit verbundenen spezifischen Darstellungsmittel, eher eine ,Schärfung' der Problemstellung beobachten. Die Frage des verkleinerten Maßstabs' spielt aber auch hier eine Rolle. Denn die Umgestaltung auf dem Lande sei in der SBZ, wie vermerkt wurde, weniger „wildbewegt" als in der Sowjetunion gewesen, und habe ein „ausgesprochen friedliches, wenn auch diffiziles Gepräge" getragen. 257 Faszinierend an Scholochow war für die DDR-Autoren jedoch gerade die Kombination von Abenteuer und Realismus, der von ,,phantastische[r] (oder auch: phantasievollerfr]) Härte" sei. 258 Scholochow sei ehrlich bei der Gestaltung von Konflikten, verfalle nicht der Schönfärberei. Parteilichkeit betrachte er „souverän als seinen Gegenständen ästhetisch innewohnend". 259 Strittmatter bewunderte nach eigenem Bekunden an Scholochow dessen Kunst, den Bewußtseinsprozeß eines Menschen nachvollziehbar darzustellen, Revolutionäre nicht als bereits fertige, sondern sie in ihrer Entwicklung zu zeigen, Drehpunkte der Geschichte zu erkennen, sich Zeit beim Erzählen zu lassen und auch die Natur angemessen zu schildern. Nach der Lektüre von „Neuland unterm Pflug" sei ihm klar geworden, was „unsere Revolution" sei: „Die Schwierigkeit des Bohrens im Steinblock des Alten. Die Befriedigung und die Schöpferfreude, wenn Konturen des Neuen sichtbar werden." 260 Es werden in diesen Einschätzungen Kriterien aus dem Umfeld des sozialistischen Realismus genannt, ohne daß dieser Begriff fallen würde. Der erste Teil von Scholochows Roman, um den es hier geht - der zweite Teil erschien erst 1959-, wurde 1932 publiziert, zu einem Zeitpunkt, als die Diskussion um eine der sozialistischen Gesellschaft angemessene literarische Methode bereits im Gang, der sozialistische Realismus jedoch noch nicht proklamiert war. Eine rückwirkende Einbeziehung von Werken der 257 E. Köhler, Über die Scholochow-Resonanz, S. 270f. 258 Neutsch, Begegnung mit Scholochow, S. 619. 259 Ebd., S. 620. 260 Strittmatter, Wie ich Gorki und Scholochow entdeckte, S. 611.

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Sowjetliteratur in das Bezugssystem des sozialistischen Realismus war jedoch beim Prozeß der Kanonisierung durchaus üblich. Umgekehrt haben bestimmte Werke als Muster bei der Herausarbeitung der Kriterien für diese ,Schaffensmethode' gedient. Inwieweit ihr „Neuland unterm Pflug" zuzurechnen ist und (damit auch in dieser Hinsicht Vorbildfunktion einnimmt), soll in geraffter Form anhand von Figurenkonstellation, Handlung und Wertperspektive umrissen werden. 261 Der Grundkonflikt ergibt sich aus dem Gegenüber zweier antagonistischer Gruppen: Die Revolutionäre treiben die Kollektivierung der Landwirtschaft voran und werden dabei von den Konterrevolutionären bekämpft. Auf jeder Seite gibt es exponierte Figuren, die „Organisatoren" (S. 83): Unter den Repräsentanten der Sowjetmacht ist vor allem der Schlosser Dawydow zu nennen, der im Parteiauftrag (als Angehöriger der „fortgeschritteneren" Arbeiterklasse) aus Leningrad in den betreffenden Bezirk gesandt wird. Ihm zur Seite stehen die Funktionäre vor Ort. „Hauptdrahtzieher" bei den „Weißgardisten" ist der ehemalige Rittmeister Polowzew, der einige Kosakenoffiziere um sich geschart hat. Die Anhänger der „Organisatoren", die „Organisierten", rekrutieren sich aus den entsprechenden gesellschaftlichen Klassen: sie sind Armbauern oder Kulaken. Dazwischen stehen die „Unentschiedenen", Vertreter der Mittelbauern, die sich letztendlich in der Mehrzahl zu den Revolutionären bekennen. Bei Scholochow bleibt jedoch eine Figur, der Mittelbauer Ostrownow, Auftragsempfänger Pdowzews einerseits und kenntnisreicher Wirtschaftsleiter der Kolchose andererseits, bis zum Schluß ambivalent, was entsprechend von der Literaturkritik moniert wurde. (S. 86f.) Die Handlungen der jeweiligen Organisatoren lassen sich auf drei Aktionstypen zurückführen, die darauf angelegt sind, eine bestehende Mangelsituation zu beheben (bei den Revolutionären die fehlende Kollektivwirtschaft, bei den Konterrevolutionären die .drohende' Kollektivierung): 1. „Materieller und ideeller Kampf mit dem [jeweiligen] Gegner" (Enteignung und Verbannung der Kulaken, d. h. der Großbauern, bzw. geplanter Aufstand gegen die Sowjetmacht), 2. „ideologisch-organisatorische Tätigkeit zur Festigung und Mobilisierung des eigenen Lagers" (so z. B. wiederholte Überzeugungsarbeit pro bzw. kontra Kollektivierung), 3. „Produktions- und Aufbautätigkeit" einerseits, „Schädlingsverhalten" andererseits (S. 89) beide Handlungsarten vereinigt Ostrownow in sich: als herausragender Landwirt setzt er seinen Ehrgeiz in die Ausarbeitung immer neuer Verbesserungspläne für die Kolchose; als (wenn auch zweifelnder) Anhänger der „Weißen" begeht er einzelne Sabotageakte, die jedoch nicht geahndet werden. Bei jedem dieser Aktionstypen gibt es im Rahmen des Sujets in beiden Gruppen Erfolge und Mißerfolge. Auf Seiten der Revolutionäre weiden die Mißerfolge zumeist auf eine falsche Interpretation der Parteilinie bzw. Abweichungen von ihr zurückgeführt. Der erste Teil endet insofern positiv, als die Kollektivierung im großen und ganzen gelingt; jedoch bleibt die Bedrohung bestehen, da die „Weißgardisten" nicht besiegt sind und deren „Organisator" ins Dorf zurückkehrt. Die Fabel wird durch das „Klassenkampf-Handlungsschema" determiniert (S. 92). Dementsprechend erfolgt die Bewertung der Figuren und ihrer Aktionen vom Klassenstandpunkt, d. h. von „einem einzigen (dominierenden) Standpunkt" aus. 262 Dieser prägt die Ebene des Erzählers 261 262

Die Darstellung orientiert sich dabei an H. Günther, Die Verstaatlichung der Literatur, S. 81-94. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich im folgenden darauf. Ebd., S. 93. Günther zitiert hier Uspenskij, Poetik der Komposition, S. 17.

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und die der positiven Hauptpersonen. Eine zusätzliche Wertungsebene kann in zwei Parteidokumenten aus den Jahren 1929 und 1930 zu Fragen der Neulanderschließung und der Kollektivierung gesehen werden, die in den Roman eingingen und denen Scholochow eine handlungsbestimmende Funktion zugeteilt hat. Vor allem das zweite Dokument nimmt eine Bewertung insofern vor, als einige Maßnahmen bei der Kollektivierung, wie z.B. Unterdrucksetzung der Mittelbauern, Vergesellschaftung auch des Kleinviehs, als „Verzerrung" im Sinne einer „Linksabweichung" deklariert werden. Elemente des Werks, die sich einer eindeutigen Zuordnung zu den später kanonisierten Kriterien des sozialistischen Realismus entziehen, sind die bis zuletzt zwiespältige Gestalt des Mittelbauern Ostrownow, die (weitgehend nicht geradlinig auf den Handlungsfortgang funktionalisierbaren) Naturschilderungen sowie die „naturalistische" Beschreibung des Mordes an der Frau eines den Weißen abtrünnig gewordenen und ebenfalls „hingerichteten" Angehörigen der Dorfarmut aus der Perspektive des Täters Polowzew (der sein Augenmerk vor allem auf den jungen, schönen Körper seines Opfers richtet). (S. 94) Dennoch zählte der Roman in der Sowjetunion jahrzehntelang zu den Klassikern des sozialistischen Realismus. Und nur als solcher konnte er überhaupt in die Bruderländer „exportiert" werden. „Katzgraben" wurde 1951 im Auftrag der FDJ für die Weltjugendfestspiele in Berlin geschrieben, dort jedoch abgelehnt. Brecht interessierte sich für das Stück, und nach intensiver Zusammenarbeit zwischen ihm und Strittmatter, während derer insgesamt sieben Fassungen entstanden, wurde es im Mai 1953 mit großem Erfolg vom Berliner Ensemble uraufgeführt. 263 Der Autor erhielt dafür einen Nationalpreis. Laut Brecht ist es vermutlich das erste Stück, „das den modernen Klassenkampf auf dem Dorf auf die deutsche Bühne bringt". 264 Brechts Interesse mag darin begründet sein, daß er selber kein Gegenwartsstück dieser Art mehr verfassen wollte oder konnte. 265 „Katzgraben" wurde in gewisser Weise sein Gegenwartsstück. Die Handlung des Stückes ist zu einem Zeitpunkt angesiedelt, als die Bodenreform bereits abgeschlossen und die Bildung der LPGs noch nicht in Angriff genommen war. Anhand eines zentralen Streitpunkts, nämlich des Baus einer Straße zwischen Dorf und Stadt, lassen sich dennoch die unterschiedlichen, weitgehend ökonomisch bedingten Interessen der im Vordergrund stehenden gesellschaftlichen Gruppen sowie Handlungsmuster zu ihrer Durchsetzung demonstrieren. 266 Die eine Gruppe wird repräsentiert durch die Alt- und Großbauern, die politisch dem „Alten" zuzuordnen sind, die andere durch die Neubauern, die nach der Bodenreform ein kleineres Stück Land zugeteilt bekommen haben und für das „Neue" stehen. Wie bei Scholochow sind auch in „Katzgraben" die Mittelbauern vertreten. Aufgrund ihrer Herkunft den Altbauern zuzurechnen, jedoch mit weniger Landbesitz ausgestattet, befinden sie sich zunächst auf der Seite der Groß263

Erwin Strittmatter-Leben und Werk, S. 17; Knopf, Brecht-Handbuch, Bd. 1, S. 462f. Offenbar ist das Stück aber nicht von anderen Theatern übernommen worden, was Brecht auf dem IV. Schriftstellerkongreß der DDR 1956 kritisch anmerkte. Erst in der Saison 1957/58 und 1958/59, also nach Brechts Tod, haben sechs weitere DDR-Bühnen mit ebenfalls großem Erfolg weitere Aufführungen gestartet. - Vgl. Theater in der Zeitenwende, Bd. 1, S. 249. 264 Vgl. Schriftsteller der Gegenwart, S. 92. 265 Erwin Strittmatter - Leben und Werk, S. 20; An seinem „Hans Garbe"- Projekt - siehe auch oben im Zusammenhang mit E. Claudius - arbeitete Brecht aber noch bis Ende 1954. Zu den Beweggründen siehe St. Bock, Die Tage des Büsching, 30-37. 266 Folgende Ausgabe wurde zugrunde gelegt: Strittmatter, Katzgraben, in: Die ersten Schritte. Frühe DDR-Dramatik (1985), S. 127-248. Die Seitenzahlen beziehen sich im folgenden darauf.

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bauern, schlagen sich jedoch am Ende zu den Vertretern des Neuen. Von ihrem politischen Bewußtsein her gehören sie zu den „Unentschiedenen", „Schwankenden". Die Namen der herausgehobenen Personen jeder Gruppe symbolisieren deren Status: Großmann, Kleinschmidt, Mittelländer. Diese Art von Typisierung durch sprechende Namen weist auf die Tradition der Commedia dell'arte, aber auch des Agit-Prop-Theaters zurück, auf zwei Gattungen also, die außerhalb der Tradition des sozialistischen Realismus bzw. nur in entfernter Beziehung zu ihr stehen. 267 Die fortschrittlichen Kräfte haben ihren „Organisator" in der Gestalt des Ortsgruppenvorsitzenden der SED, der aber selbst kein Bauer, sondern Bergmann, also ein Vertreter des Proletariats ist, wie Dawydow bei Scholochow somit gleichsam von außen kommt. Auf der Gegenseite fehlt eine entsprechende Figur. Zwar hat Großmann ein dichtes Netz von Abhängigkeiten unter den Einwohnern des Dorfes geschaffen, indem er die aufgrund seiner ökonomischen Potenz möglichen Hilfeleistungen bei den Neu- und Mittelbauern an politische Bedingungen knüpft (z.B. gegen den geplanten, für ihn unvorteilhaften Straßenbau zu stimmen), aber er hegt dabei keine umstürzlerischen Absichten, wie Polowzew bei Scholochow. Als potentieller äußerer Organisator wird zweimal der „Baron" erwähnt, offenbar als Vertreter der in den Westen geflüchteten Großgrundbesitzer. So heißt es z.B. am Ende des Stückes: „Wenn der Baron zurückkommt, ihr, bei dem habt ihr kein Glück, und der Baron, das steht in seinem Brief hier, kommt zurück!" (S. 247) Das positive Ende - der fertiggestellte Straßenbau (strukturell: Aufhebung der Mangelsituation) und damit der Etappensieg der fortschrittlichen Kräfte - wird durch diese Drohung jedoch nicht in Frage gestellt, zumal sie durch die Bäuerin Großmann ausgesprochen wird, die insgesamt weniger als negative denn als komische Figur konzipiert ist. (Bei Scholochow kehrt der Weißgardist Polowzew am Ende tatsächlich zurück, womit angedeutet wird, daß der Kampf nach der erfolgreich durchgeführten Kollektivierung nicht abgeschlossen ist.) Der Altbauer Großmann ist aufgrund seiner Verhaltensweisen und Tätigkeiten, z.B. Umgehung des Anbauplans 268 , als negative Figur zu betrachten. Er wird der Verspottung und Ironisierung ausgesetzt. Letztere trifft jedoch auch die eigentlich das Positive verkörpernden Neubauern. Ein erster Erfolg - Anschaffung eines Ochsen zum Pflügen und dadurch Wegbereitung für die Unabhängigkeit vom Großbauern - wird durch Schwäche und niedrige Arbeitsleistung des entkräfteten Tieres relativiert. Den Neubauern trifft die Schadenfreude des Altbauern. Das anfängliche ,Umkippen' des Neubauern Kleinschmidt - erst für die Straße, dann, nach einem Erpressungsversuch Großmanns, dagegen - widerspricht, worunter er leidet, seinem politischen Selbstbewußtsein. Sein Vorgehen stellt sich jedoch nach späteren ökonomischen Erfolgen als wohlkalkuliert und dem Neuen dienlich heraus: Er erlangt Unabhängigkeit um den Preis eines einmaligen Zugeständnisses und stärkt damit zugleich die Gemeinschaft der Kleinbauern. Die Wahrnehmung des eigenen Vorteils wird nicht in einen Gegensatz zur ,Sache des Fortschritts' gestellt, sondern als Handlungsmotiv ausdrücklich anerkannt. 269 Der unentschiedene'

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Erwin Strittmatter- Leben und Werk, S.18. Hans Jürgen Geerdts (Schriftsteller der Gegenwart, S. 102) spricht von einer ,,originelle[n] Verschmelzung jahrhundertelanger Theatererfahrungen auf der sicheren Grundlage des sozialistischen Realismus". Diese Art „Schädlingsarbeit" (als einer der Aktionstypen) ist - in .verkleinertem Maßstab' - den auf Anweisung der „Weißgardisten" von Ostrownow inszenierten Störfällen in „Neuland unterm Pflug" vergleichbar. Vgl. Profitlich, „Beim Menschen geht der Umbau langsamer", S. 300.

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Mittelländer gelangt indes durch puren, demonstrativ bloßgelegten Opportunismus auf die .richtige Seite'. Erst als er hört, daß immer mehr Dorfbewohner auf einer zweiten Versammlung für die Straße und damit gegen Großmann stimmen wollen, wendet auch er sich von diesem ab. Ein weiterer Verbleib im ,Lager' des an Einfluß verlierenden Großbauern würde sich ökonomisch für ihn nicht mehr auszahlen. Ein Geflecht persönlicher Motive liegt bei Hermann, dem Pflegesohn und .Sprachrohr' des Großbauern, vor. Er gelangt nach einer Kette von Erniedrigungen durch Großmann und aufgrund der Liebe zur Tochter Kleinschmidts zu einem Positionswechsel. Es lassen sich bereits an dieser Stelle einige signifikante Unterschiede zu Scholochows Roman ermitteln. Statt Pathos und Dramatik bei der Personengestaltung wird Ironie eingesetzt, statt .flammender' Prinzipientreue kommt politisches Kalkül zur Geltung. Entsprechend ist auch der Parteivorsitzende Steinen konzipiert. Zwar vertritt er kraft seines Amtes das Neue und Fortschrittliche, jedoch geschieht dies weniger in .mitreißenden' Versammlungsreden, wie bei Dawydow, als in gleichsam .wohldosierten' Gesprächsbeiträgen gegenüber einzelnen Personen: von der Kritik am Zurückweichen vor dem Großbauern in der Frage des Straßenbaus über das Plädoyer für die gegenseitige Bauernhilfe bei der BeschaiFung von Ochsenfutter bis zur - schließlich realisierten - Vision der Traktoren. Das didaktische Element tritt auf zwei Ebenen hervor: auf der Personenebene innerhalb des Stückes sowie mit Blick auf die Zuschauer. 270 Der Parteivorsitzende ist es auch, der in einer Replik den technischen und damit politischen Fortschritt in der Sowjetunion anhand einiger aktueller Beispiele aus Industrie, Energiegewinnung und Landwirtschaft als vorbildhaft anspricht. Vergleicht man die .Bewegungslinie' in „Katzgraben" anhand Steinerts und des Altbauern Großmann, so steht am Beginn eine Niederlage des ersteren, am Ende die des letzteren. Die Frauen sind deutlicher profiliert als bei Scholochow. Es ist z.B. die Tochter des Kleinbauern, Elli, die Steinert vor der Resignation angesichts des ,rückständigen' und nur allmählich sich bewegenden Bewußtseins der Bauernschaft im Dorf bewahrt: „Wo nichts wächst, muß man tiefer graben." (S. 227) Und die Bäuerin Kleinschmidt unterstützt nach anfänglicher Skepsis das Studium ihrer Tochter, obwohl sie damit auf eine Unterstützung bei der Erledigung ihrer häuslichen Pflichten verzichtet. Die Bäuerin Mittelländer schließlich stimmt in der Versammlung, der ihr Mann aus Feigheit fernbleibt, für die Straße (und damit gegen Großmann). In den letzten beiden Fällen mögen jedoch langgehegte Ressentiments gegenüber der durch Reichtum erworbenen Macht des Altbauern eine Rolle spielen, gegen die nun auf verschiedene Weise, auch durch den Erwerb von Bildung, angegangen werden kann. 271 Die anhand von Scholochows Roman aufgezeigten Aktionstypen lassen sich bei Strittmatter zwar als Schema wiedererkennen, jedoch mit schauplatzbedingten inhaltlichen Transformationen. So finden gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den ideologischen Gegnern nicht statt. (Sie kommen hingegen in Werken, die der forcierten LPG-Bildung 1959/60 gewidmet sind, vor.) Der Großbauer wird letztlich durch technischen und politischen Fortschritt und die damit sich verbessernde ökonomische Lage der Neubauern in seine Schranken verwiesen. Der „Sieg 270

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Siehe auch die „Katzgraben-Notate" Brechts (Gesammelte Werke, Bd. 16, S. 818f.). Das fehlende Pathos beim Parteivorsitzenden denkt Brecht im Sinne von Bescheidenheit und Scheu vor Belehrungen weiter. Vgl. Profitlich, „Beim Menschen geht der Umbau langsamer", S. 299.

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des Neuen" vollzieht sich gleichsam in einem Wechselveihältnis von ideologisch- organisatorischer Belehrung durch die Partei und (weitgehend) materiell motivierter Initiative der Dorfbewohner. Das Ergebnis wird zielstrebig angesteuert, die politisch-ideologischen Strukturen und Mechanismen sind in aller Schärfe bloßgelegt und brauchen nicht mehr, wie bei Scholochow, aus dem epischen Umfeld herausgefiltert zu werden. Die auf die klassische Dramentradition verweisende jambische Verssprache läßt sich auf den ersten Blick nur schwer mit der aktuellen Thematik und den Merkmalen des sozialistischen Realismus vereinbaren. Die Begründungen, die Brecht zu diesem Verfahren lieferte, wurden in der DDR-Literaturkritik kanonisiert, die scheinbare Unvereinbarkeit damit aufgehoben. Die Verssprache diene u. a. dazu, bei den Bauern und Arbeitern das „Edle ihrer Ideen" hervorzuheben. Ferner sei die Verssprache „wie ein großes Sieb", das die geäußerten Gedanken einprägsamer mache. 272 Sie schafft Distanz zu dem gezeigten Geschehen und den Protagonisten. Die Vorbildfunktion realisiert sich nicht, wie bei Scholochow, auf der Ebene der Einfühlung, sondern im Nachvollzug des Gedankenspiels. Die zwei Beispiele für die Art, wie sich DDR-Autoren mit der sowjetischen Produktions- und Kolchosliteratur auseinandersetzten, zeigen ein Oszillieren zwischen kritischer Verwertung und Internalisierung. Bei der Gestaltung des neuen Gegenstands wurde der kulturpolitisch gewährte Freiraum durch die sowjetischen Muster abgesteckt, die jeweils am zweckmäßigsten erschienen. So war Anfang der 50er Jahre für die Parteifunktionäre das Modell der 20er und 30er Jahre nicht mehr opportun. Die stalinistische Variante der Produktionsliteratur war der Maßstab, an dem die Nachkriegsliteratur der DDR gemessen wurde: „Hör mal, Claudius, warum schreibst du nicht so, wie die sowjetischen Schriftsteller schreiben. Dort werden ganz andere Themen gezeigt, sozialistische Charaktere. Nimm z.B. das Buch von Ashajew, das kennst du doch, da gibt es hervorragende Helden, aber ihr habt doch keine Ahnung vom sozialistischen Realismus. Ihr sollt über die Menschen schreiben, wie sie sein sollen." 273 Aus solcher postulierten Hörigkeit gegenüber der Sowjetliteratur versuchten sich die DDR-Autoren ironischerweise durch einen Hilferuf an ihre sowjetischen Kollegen zu befreien, deren Autorität dogmatischen Beschränkungen Einhalt gebieten sollte. 274

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Zit. nach: Schriftsteller der Gegenwart, S. 102. Aus den gleichen Erwägungen heraus wollte Brecht auch für sein Garbe-Stück Jamben verwenden. - Vgl. St. Bock, Chronik zu Brechts Garbe/Büsching-Projekt, S. 89. Daß ihm dies der Parteisekretär eines Betriebes im Anschluß an eine Leserkonferenz über „Menschen an unsrer Seite" gesagt habe, berichtet Claudius in einem Gespräch mit der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbandes vom 13. 4. 1954. - RGALI 631/26/1347. Mit dem Buch Ashajews ist der (Produktions-)Roman . f e r n von Moskau" gemeint (1948, dt. 1950), in dem es um den Bau einer Ölleitung in Sibirien geht. Wassili Ashajew erhielt für dieses Werk einen Stalin-Preis 1. Klasse. Vgl. die Unterredungen der DDR-Delegation mit sowjetischen Autoren in Moskau, Mai 1953. RGALI 631/26/1332 bis 1336. Ausführlich dazu siehe Kap. 7.1.2.

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5.1

Einleitung: Zeitverschiebungen

Im Rückblick auf die ersten Nachkriegsjahre stellte Sergej Tjulpanow 1967 folgende These auf: „Wir wußten [...], daß die Zeit, die wir mitgestalten sollten, in der Sowjetunion längst vorüber war, d. h. in Deutschland machte man eine Periode durch, die der Entwicklung der Sowjetunion zu Beginn der zwanziger Jahre ähnlich war: eine Sturm-und-Drang-Periode." 1 Selbst wenn man unterstellt, daß es sich bei diesem Vergleich um ein nachträgliches Konstrukt handelt, kann er doch einige Berechtigung für sich beanspruchen. In der Tat gibt es auffallige Parallelen. Sie betreffen z. B. die Existenz vielfältiger literarischer Gruppierungen und entsprechender künstlerischer Ausdrucksformen; die Suche nach Bündnispartnern aus dem bürgerlichen Lager, die in der Sowjetunion als Mitläufer (Poputtschiki) apostrophiert, in der SBZ unter dem Stichwort des antifaschistischen oder bürgerlichen Humanismus zusammengefaßt wuiden. Noch gab sich die Kulturpolitik jeweils undogmatisch, und es ist kein Zufall, daß Dymschitz später in einem Überblick „Literaturbeziehungen zur Sowjetunion am Neubeginn (1945-1949)" die Voibildrolle des ersten Volkskommissars für das Bildungswesen, Anatoli Lunatscharski, für viele deutsche Nachkriegsautoren hervorhob. 2 Im selben Artikel werden jedoch indirekt auch die Vorbehalte und Verengungen erkennbar, die zur Unifizierung der sowjetischen Literatur in den 30er Jahren und zur stärkeren Gängelung der deutschen Literatur seit 1947/1948 führen sollten. Dymschitz formuliert dies so: „Eine wesentliche Hilfe beim Aufbau und bei der Schaffung einer neuen Kultur in der künftigen DDR stellt die Leninsche Kritik an nihilistischen Auffassungen gegenüber dem klassischen Erbe dar, die u. a. von proletkultistischen und futuristischen Richtungen vertreten worden waren." 3 Lenins Auslassungen hatten zwar zunächst eine vorwiegend steuernde Funktion und gehorchten dem Bündnisprinzip, wurden jedoch nach seinem Tod dazu benutzt, konkurrierende Positionen auszuschalten. 4 Auch Johannes R. Becher, so Dymschitz, habe die Leninschen Prinzipien „in der Polemik mit Anhängern der sogenannten avantgardistischen

1 Tulpanow, Vom schweren Anfang, S. 731. 2 Dymsic, Literaturbeziehungen, S. 63. 3 Ebd., S. 64. 4 Vgl. Eimermacher, Die sowjetische Literaturpolitik, S. 22-33; H. Günther, Die Verstaatlichung der Literatur, S. 3.

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Kunst und Schmähern des klassischen Erbes, deren es damals nicht wenige unter den Kunstschaffenden gab", nutzen können. 5 Die Prämissen und Leitlinien der sowjetischen Kulturarbeit in Deutschland nach dem Kriege lassen sich nicht systematisch fassen. Es gab, wie Tjulpanow schreibt, keine „geschlossene konzeptionelle Vorstellung" für die „sozialistische Besatzungspolitik", doch es existierten verbindliche theoretische Grundsätze, die ein tendenziell einheitliches Handeln aller Organe der SMAD und ihrer Mitarbeiter überhaupt erst ermöglichten. 6 Vorrangiges Ziel war die Vernichtung des Faschismus und die Zerschlagung seiner Grundlagen gemäß den Potsdamer Beschlüssen sowie Kontrolle und Hilfe für die antifaschistisch-demokratische Umgestaltung des Lebens. An alle Fragen des gesellschaftlichen Lebens sollte mit einem eindeutigen Klassenstandpunkt auf der Basis des proletarischen Internationalismus herangegangen werden. Die deutsche Bevölkerung müßte davon überzeugt werden, daß Zusammenbruch und Besatzung nicht Niederlage, sondern Befreiung bedeuteten, eine Auffassung, welcher die These von den „zwei Deutschland" zugrundelag. Auf den Kulturbereich übertragbar war diese Unterscheidung zwischen der „Hitlerclique" und dem „deutschen Volk", indem man Lenins Bestimmung von den in jeder antagonistischen Gesellschaft vorhandenen „zwei Kulturen" anwandte. Daher der sofortige Wille, die „wahren Repräsentanten der deutschen Kultur" 7 zu Wort kommen zu lassen, um jenem .anderen' Deutschland Geltung zu verschaffen. Doch der oben zitierte Vergleich, den Tjulpanow und Dymschitz, durchaus positiv gemeint, zwischen der Sowjetunion der 20er Jahre und der literarischen Szene in Deutschland nach Kriegsende ziehen, läßt sich auf die jeweils folgende Phase der Literaturentwicklung mit ihren administrierenden Eingriffen ausdehnen. Seit 1948 holte man in der SBZ, wiederum zeitlich gerafft, den Prozeß einer Vereinheitlichung und Dogmatisierung des literarischen Lebens nach, wie er in der UdSSR seit den 30er Jahren mit einer kurzen Unterbrechung während des Krieges zu beobachten war. Nun wurde die anfängliche Ungleichzeitigkeit der kulturpolitischen Situation in der SBZ und in der Sowjetunion nach 1945 aufgehoben, das zu jenem Zeitpunkt bestehende sowjetische Modell wurde in seinen zentralen Strukturelanenten übernommen. 8 Die kulturellen Institutionen und Maßnahmen wurden wie die gesellschaftlichen und ökonomischen Einrichtungen der veränderten Linie angepaßt. So baute man die 1947 gegründete Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion seit 1949 unter dem Namen Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft systematisch zu einer Massenorganisation mit politischen Aufgaben aus. Nach sowjetischem Muster entstanden die Staatliche Kommission für Kunstangdegenheiten, das dem Ministerrat unterstellte Amt für Literatur- und Verlagswesen und der Schriftstellerverband. Nationalpreise erster bis dritter Klasse (in Anlehnung an die Stalinpreise) und ein differenziertes Förderungs- und Privilegiensystem für Schriftsteller und Künstler vervollständigen das Bild. Mit der im Vergleich zur Sowjetunion um zwei bis drei Jahre verspätet durchgeführten Formalismuskampagne und der Institutionalisierung des sozialistischen Realismus 1951/52 wurde die Anpassung auch auf dem Gebiet der Literaturpropaganda befestigt. Im Veihältnis zu den Moskauer Institutionen, die für den Kulturkontakt mit Deutschland verantwortlich waren, wirkte sich nun

5 6 7 8

Dymsic, Literaturbeziehungen, S. 64. Vgl. Tjulpanow, Deutschland nach dem Kriege, S. 23-28. Tjulpanow, Fragen, die wir stellten. Vgl. Eimermacher, Zur Frage der Rekonstruktion.

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aus, daß die Strukturen von Berichterstattung und Bewilligung von Beginn an so angelegt waren, daß sie auch Kontrolle und Zensur ermöglichten.

5.2

Außensteuerung: Zum Wirken der sowjetischen Kulturoffiziere

5.2.1 Zur Stellung der Kulturoffiziere innerhalb der S M A D Die im Juni 1945 formell eingerichtete Sowjetische Militäradministration in Deutschland umfaßte die vier Hauptbereiche Demilitarisierung, Zivilverwaltung, Wirtschaft und Politik, denen verschiedene Fachverwaltungen und Abteilungen zugeordnet waren. 9 Die Struktur wurde mehrmals verändert und den jeweiligen Erfordernissen angepaßt. Transparenz nach außen hin war nicht erwünscht, so daß bis heute bei einer Reihe von Fakten und Vorgängen nur gemutmaßt werden kann. Die Aufteilung der Zuständigkeiten war offenbar bewußt uneindeutig, um aufgrund der damit gleichsam unausweichlichen Kompetenzstreitigkeiten ein größtmögliches Maß an gegenseitiger Kontrolle zu erreichen. 10 Zum Bereich Politik, den der Politische Berater beim Oberbefehlshaber der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland verantwortlich leitete, 11 gehörten die Ende Oktober 1945 gegründete Verwaltung für Propaganda und Zensur, 12 die erst Anfang 1947 in Verwaltung für Information umbenannt wurde, die Verwaltung Volksbildung und eine Rechtsabteilung. Der von Sergej Tjulpanow geleiteten Informationsverwaltung, der auf zentraler Ebene 150 Offiziere angehörten, 13 unterstanden die Abteilungen Politische Parteien, Gewerkschaftsarbeit, Zusammenarbeit mit den örtlichen Verwaltungsorganen, Jugendarbeit, Frauenarbeit, Verbindung zu Kirchen, Presse, Information, (Zensur), Rundfunk, Kultur (Literatur, Theater, bildende Kunst und Musik). 14 Ihr oblag die „Kontrolle der inneren politisch-ideologischen Hauptprozesse in der sowjetischen Besatzungszone", dabei unter anderem auch die

9

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Zum Aufbau der SMAD vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 7-69; Strunk, Pressekontrolle; ders., Die Sowjetische Militäradministration, S. 143-176; Norman Nejmark [Naimark], Predislovie, in: SV AG. Upravlenie propagandy, S. 13-16. Dies geht aus zahlreichen internen Stellungnahmen und Rechenschaftsberichten der SMAD hervor, die die Herausgeber Bonwetsch, Bordjugov und Nejmark für den Dokumentenband „SVAG" aus dem Rossijskij Centr Chranenija i Izucenija Dokumentov Novejsej Istorii (RCChlDNI), Moskau, zusammengestellt haben. Für die konkrete Arbeit war dieses Kompetenzgerangel natürlich sehr hinderlich: „Die Unklarheit in den Beziehungen zwischen dem Informationsbüro und der Propagandaverwaltung, welche die Vorherrschaft über das Informationsbüro anstrebt, stört nur die Arbeit." - Zapiska zamestitelja nacal'nika politotdela politsovetnika v German» I. Filippova zamestitelju ministra inostrannych del S. Lozovskomu o perestrojke sovetskoj propagandy v German» (25.5.1946), RCChlDNI 17/127/1090, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 150.

11 12

Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 17. „Die Einrichtung einer Propagandaverwaltung war auf sowjetischer Seite zunächst nicht beabsichtigt. Fragen der Medienkontrolle und Propagandapolitik sollten innerhalb des Stabes des Politischen Beraters von der politischen Abteilung behandelt werden, die seit 1945 Wladimir Semjonow unterstand." Erst im Sommer 1945 wurde der Entschluß zur Schaffung einer Propagandaverwaltung gefaßt. Strunk, Pressekontrolle, S. 64.

13

Handel, Zum internationalistischen Wirken, S. 360.

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„Gesamtleitung und Koordinierung der sowjetischen Kulturpolitik, die Förderung des deutschen kulturellen Lebens und die Verbreitung der sowjetischen Kultur". 15 Die Abteilung für Literatur, Musik und bildende Kunst wurde im November 1945 von Alexander Dymschitz übernommen, der vorher als Inspektor des Pressewesens in Berlin und Mitarbeiter der „Täglichen Rundschau" eingesetzt worden war. Offenbar war die Kulturabteilung zunächst der Verwaltung für Volksbildung zugeordnet und wurde erst 1946 der Informationsverwaltung angeschlossen. 16 Eine grobe Verteilung der Zuständigkeiten zwischen beiden Verwaltungen blieb bestehen: „Während die Kontrollaufgaben auf dem Sektor der Kultur von der Verwaltung für Volksbildung wahrgenommen wurden, lagen die Schwerpunkte der Arbeit der Kulturabteilung auf propagandistischem Gebiet." 17 Gemäß dieser Kompetenzverteilung konnten die Offiziere der Kulturabteilung eine breitere Außenwirkung entfalten, deren positive Effekte nicht von vornherein nach außen hin durch kleinliche Zensurmaßnahmen zunichte gemacht wurden. Die Grenze zwischen Kontaktverbot und notwendiger Zusammenaibeit mit den Deutschen war für die Mitarbeiter der einzelnen SMAD-Abteilungen nicht klar gezogen, so daß sogar Offiziere der Informationsverwaltung den Aufenthalt in Deutschland mit gemischten Gefühlen betrachteten und die - durchaus berechtigte - Furcht hegten, er könne die Karriere, ja den Lebensweg zerstören. Andere, vor allem die Vertreter der Kulturabteilung, pflegten engen, ja freundschaftlichen Kontakt mit der Bevölkerung und suchten insbesondere bei den kommunistischen Intellektuellen auch Rat in bezug auf die deutsche Mentalität und psychologische Disposition der verschiedenen Kreise und Schichten, mit denen sie Umgang hatten. Auch Veröffentlichungen deutscher Autoren, hervorzuheben ist etwa Alexander Abuschs 1946 erschienene Analyse „Der Irrweg einer Nation", 18 wurden zum besseren Verständnis der deutschen Situation und Befindlichkeit von den sowjetischen Kulturoffizieren aufmerksam konsultiert. 5.2.2 Wiederbelebung des deutschen Kulturbetriebs durch die sowjetischen Kulturoffiziere „Der rachsüchtige Sieger versucht, in der Wüste Ostdeutschlands etwas Leben zu organisieren. Für die Intelligenz gibt es bestimmt Anziehungspunkte. Das künstlerische Leben in Berlin und in den Provinzen ist vorwiegend dank russischer Unterstützung neu belebt worden." Diese Einschätzung, die Isaac Deutscher im Oktober 1945 in einer Reportage formulierte, läuft auf folgendes Resümee hinaus: „Was bei der russischen Militärregierung bis jetzt bemerkenswert war, ist vielleicht nicht das Ausmaß, in dem sie russische totalitäre Methoden nach Deutschland verpflanzt hat, sondern der Umfang, in dem sie sich dessen enthalten hat." 19 14 15 16

Die Aufzählung kombiniert Angaben aus den leicht differierenden Aufstellungen bei Foitzik (Sowjetische Militäradministration, S. 53f.) und Strunk (Pressekontrolle, S. 73-82). Handel, Zum internationalistischen Wirken, S. 361. R. Köhler, Die Zusammenarbeit der SED, S. 65; Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 23. Einer anderen Darstellung zufolge fand diese Umstrukturierung erst 1947 statt. - Vgl. Feige, Aspekte der Hochschulpolitik, S. 1169.

17 18 19

Strunk, Pressekontrolle, S. 75. Vgl. Abusch, Aus den ersten Jahren, S. 48. Deutscher, Reportagen, S. 131.

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Als die Instanz, die sowjetische Kulturvermittlung und die Kontrolle des literarischen Lebens in der SBZ betrieb, traten in den ersten Nachkriegsjahren vor allem die Kulturoffiziere der SMAD in Erscheinung. Wer immer mit dem kulturellen Leben der Nachkriegszeit zu tun hatte, äußert sich, ganz in Übereinstimmung mit Deutscher, positiv über das Engagement und Wirken dieser Offiziere. „Deutschlandkenner von solcher Bildung und geistigem Rang besaßen die westlichen Militärregierungen in ihrer ersten Zeit nicht", urteilt Erich Kuby in seiner Studie „Die Russen in Berlin": „Die Amerikaner hatten fast niemand, der hätte sagen können, warum Bayern ein vorwiegend katholisches Land, Sachsen ein vorwiegend evangelisches war, und nur wenige, die gewußt hätten, daß es sich so verhielt." 20 Dieses Urteil ist ein wenig hämisch, denn die Amerikaner hatten sehr wohl in Spezialkursen Leute für solche Nachkriegsaufgaben vorbereitet, 21 aber gerade die Hochqualifizierten strebten nach Kriegsende dann rasch in ihre Zivilberufe. 22 Doch ist Kubys Einschätzung insofern gerechtfertigt, als bei der Ausbildung der Amerikaner ökonomische und verwaltungstechnische Aspekte im Vordergrund standen und kulturelle, ja selbst politische und ideologische Fragen kaum eine Rolle spielten. Die diesbezügliche Überlegenheit der sowjetischen Führungskader wurde denn auch trotz antisowjetischer Vorbehalte durch westliche Beteiligte anerkannt. Allerdings war das Mißverhältnis zwischen den gebildeten höheren sowjetischen Offizieren und den unteren Armeerängen eklatant und zeigte sich dieser Abstand sehr viel krasser als bei den anderen Besatzungsmächten. 23 Den subtilen geschichtlichen und literarischen Kenntnissen der Kulturoffiziere, die gewandten und souveränen Umgang mit den deutschen Intellektuellen pflegten, stand die Ignoranz der unteren Ränge und einfachen Soldaten gegenüber, die vom Kontakt mit der deutschen Sprache und der Bevölkerung ferngehalten wurden. Die Frauen und Männer, die das Kulturleben in der sowjetischen Besatzungszone umsichtig und fördernd wieder aufbauten, waren in der Regel Wissenschaftler, Lehrer oder Journalisten von Beruf. Oberst (später Generalmajor) Sergej Tjulpanow, der Leiter der Informationsverwaltung der SMAD und damit der ranghöchste Kulturoffizier, hatte als Wissenschaftler und Soldat Karriere gemacht. Der 1901 geborene Tjulpanow war sowohl Absolvent der Leningrader Militärakademie als auch der Leningrader Pädagogischen Hochschule. 1936 wurde er zum Wirtschaftswissenschaftler promoviert und lehrte seit Mitte der 50er Jahre als Professor für politische Ökonomie an der Leningrader Universität. Der Leiter der Kulturabteilung Major (später Oberleutnant) Alexander Dymschitz war als Literaturwissenschaftler sowohl auf dem Gebiet der deutschen als auch der russischen Literatur ausgewiesen. Der Germanist Ilja Fradkin, im Range eines Majors erst als Theateroffizier in Dymschitz' Abteilung, dann als Leiter der Kulturabteilung der SMAD in Sachsen-Anhalt tätig, war ein ausgezeichneter Brechtkenner. Der Philosoph Arseni Gulyga, der für das Theater im sowjetischen Sektor von Berlin zuständig war, legte später eine erfolgreiche Hegel-Biographie vor. Alexander Kirsanow, Chefredakteur der von der SMAD herausgegebenen deutschsprachigen Tageszeitung „Tägliche Rundschau", wurde nach seiner 20 21 22 23

Kuby, Die Russen in Berlin, S. 345f. Vgl. Bungenstab, Die Ausbildung der amerikanischen Offiziere, S. 195-212. Ebd., S. 209; Vgl. Benz, Potsdam 1945, S. 75. Sogar unter den 171 Stadt- und Kreiskommandanten gab es einer Aufstellung vom Frühjahr 1948 zufolge nur 11 mit Hochschulbildung, dagegen 52 mit und 108 ohne Mittelschulabschluß. - Vgl. Iz dokladnoj zapiski komissii CK VKP(b) ... o rezul'tatach proverki raboty Upravlenija informacii SVAG (1948), RCChlDNI 17/128/572, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 215.

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Rückkehr Professor der Wirtschaftswissenschaften. Der Kunsthistoriker Grigori Weiss (Wais) 24 , sein enger Mitarbeiter, profilierte sich als Journalist. Sie alle waren bereits während des Krieges zur Propagandaarbeit mit deutschen Kriegsgefangenen herangezogen woiden. Diese antifaschistische Agitation wurde im Rahmen der 7. Abteilung der Politischen Verwaltung vorgenommen, deren Leiter Tjulpanow war. Daher hatte er schon während des Krieges Kontakt zu führenden KPD-Emigranten wie Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck, Erich Weinert, dem Präsidenten des Nationalkomitees Freies Deutschland, und Johannes R. Becher. Die Deutsch-Kenntnisse und die Erfahrung der für die Arbeit mit deutschen Kriegsgefangenen herangezogenen Armeeangehörigen waren dann auch ausschlaggebend für ihre Einsetzung in der SBZ. 25 Der militärische Rang wurde oftmals erst zu diesem Zeitpunkt verliehen oder aber erhöht, um die Position dieser Offiziere innerhalb der Armee-Hierarchie abzusichern. Als sie nach Deutschland kamen, waren sie zumeist noch sehr jung, um die dreißig, und sie gingen mit Elan an ihre Aufgabe. Schon nach kürzester Zeit wurden Theater und Kinosäle wieder eröffnet, die ersten Rundfunksendungen übertragen, Musikkonzerte und Ausstellungen veranstaltet, 26 die Herausgabe von Büchern vorbereitet. Das Kulturgeschehen wurde, vor allem in Berlin, schon sehr rasch durch den Wettstreit mit der Kulturpolitik der westlichen Alliierten geprägt, die Rivalität um die besten künstlerischen Darbietungen. Weitgehende Liberalität prägte die Gestaltung von Spielplänen für Theater, Kinos und Konzerte in der Anfangsphase. Besuche von Kunstereignissen in den Westzonen gehörten in jener Zeit zu den Selbstverständlichkeiten. Die Ambitionen der führenden sowjetischen Kulturoffiziere werden von Hans Borgelt, der als Journalist im Berlin der frühen Nachkriegszeit tätig war und sicherlich ein unveidächtiger Zeuge ist, folgendermaßen charakterisiert: „Dymschitz und sein Vorgesetzter, Oberst Sergej Tulpanow, hatten, bevor ihre Pläne von der späteren politischen Entwicklung durchkreuzt wurden, den Ehrgeiz, aus Berlin - und zwar aus Groß-Berlin - wieder ein Kunstmekka zu machen, den kulturellen Mittelpunkt eines einheitlichen Deutschlands." 27 Dymschitz war es, der Brecht nach Berlin holte, der Arnold Zweig ehrenvoll zum Akademiepräsidenten berief und Theater wie Oper mit hervorragenden Intendanten auszustatten suchte. Schon 1946 resümierte Dymschitz: „Wir wußten, daß der Nazismus die deutsche Kunst zwar mißbrauchen, aber niemals töten konnte. [...] Und gerade weil wir wußten, daß auch innerhalb Deutschlands die deutsche Kunst noch atmete, ließen wir uns von den Trümmern nicht täuschen, sondern gingen daran, gleichsam wie Archäologen diese Kunst wieder auszugraben." 28 Man forschte nach dem Verbleib verschollener Künstler, beschaffte Sonderrationen, kümmerte sich um Räume und Heizmaterial, ermöglichte Auftritte. Man traf Vorkehrungen für den Erhalt und die Restaurierung von Bauten, selbst wenn diese nach sozialistischen Maßstäben geschichtlich negativ befrachtet und vom Faschismus materiell oder ideell usurpiert worden waren, nicht selten zur Verblüffung diensteifriger deutscher Funktionäre und ängstlich angepaßter Bürgermeister, die schnell jene Monumente abreißen bzw. dem Verfall 24 25 26 27 28

Sein eigentlicher Name war G. Weisspapier; er änderte ihn aus Angst vor antisemitischen Ausfällen nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion ab. - Vgl. Reinhardt, Zeitungen und Zeiten, S. 77. Vgl. Vertrauen. Interview mit Ilja Fradkin, S. 18. Diesen Sachverhalt bestätigte auch Grigori Bergelson im Gespräch, Leningrad 9. 7. 1989. Zu den einzelnen Ereignissen und den Daten der Wiederingangsetzung des Kulturbetriebs vgl. Berlin. Kampf um Freiheit und Selbstverwaltung. Borgelt, Das war der Frühling von Berlin, S. 201. Dymschitz, Rückblick und Ausblick.

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überantworten wollten, welche keine untadelige Vergangenheit aufwiesen. „In Erfurt wollten radikale Kräfte ein Haus abreißen, weil es im Stil der Hohenzollern gebaut war. Der Kulturoffizier hat das selbstverständlich nicht erlaubt. Man überlegte auch, ob man Wagner aufführen kann oder nicht. In Weimar wurden verschiedene Möglichkeiten der Interpretation eines Stückes von Wagner probiert und schließlich eine Aufführung vorbereitet. Es war ein Erfolg. Wir gingen davon aus, alle Schätze der deutschen Kultur zu bewahren, und nicht davon, was die Faschisten ausgenutzt und besudelt hatten. Man konnte nicht alles verloren geben, was die Faschisten für sich in Anspruch genommen hatten. Man mußte es reinigen." 29 So problematisch diese Konzeption des Reinigens auch war, vor allem, wenn sie Werte und Begriffe betraf, die man gesäubert von den nazistischen Inhalten wieder frisch etablieren wollte, und so unhistorisch das Vertrauen „auf die Kraft des Ewig-Menschlichen" 30 auch anmutet, so sehr kam doch die großzügige und aufgeschlossene Haltung der Russen dem kulturellen Leben des Anfangs zugute. Alfred Kantorowiczs Zeitschrift „Ost und West", der verzweifelte Versuch eines Brückenschlags zwischen den auseinanderdriftenden Terrains, wurde von den sowjetischen Kulturoffizieren gehalten; gegen den Widerstand der SED, deren Zentralkomitee 1948 gezwungen wurde, einen „bereits gefaßten Beschluß zurückzunehmen - ein unerhörter Vorgang, der meine Hoffnungen, die Russen würden eine liberale, großzügigere, tolerante Kulturpolitik auch gegen den bösen Willen der deutschen Parteifeldwebel durchsetzen, neu belebte". 31 1949, mit Auflösung der SMAD, mußte auch „Ost und West" sein Erscheinen einstellen. Relativ spät erfolgten zahlreiche geschichtliche ,Begradigungen'. Bemerkenswert etwa diese: Am l.Mai 1949 wurde das preußische Neuhardenberg in Marxwalde umbenannt: „Der Junkername soll verschwinden." 32 Zu den beharrlichen Topoi der Erinnerungsliteratur seitens der beteiligten Sowjets gehört die Aussage, daß man habe Rücksicht nehmen müssen auf den Entwicklungsstand der Ideologie in Deutschland. Inwieweit damit der Pluralismus' der ersten Nachkriegsjahre zu weiten Teilen auf taktische Anweisungen zurückzuführen ist oder aber auf tatsächlicher Toleranz und einem maximalen Ausnutzen des den Kulturoffizieren selbst zugestandenen Spielraums beruhte, ist kaum entscheidbar. Die Analyse des Verhaltens und der mutmaßlich .authentischen' Auffassungen der Kulturoffiziere wird dadurch erschwert, daß sie in ein ganzes Geflecht von Abhängigkeiten eingebunden waren, die Strukturen aber nicht transparent gemacht wurden. Im Gegenteil, man versuchte alles, um den Leitungs- und Kontrollcharakter zu verschleiern, auch in bezug auf die Arbeit mit den deutschen Schriftstellern und Künstlern: „Au niveau officiel, les officiers culturels soviétiques évitaient tout ce qui pouvait avoir seulement l'apparence de directives ou donner l'impression d'une démonstration de puissance militaire" 33 . An Stelle von Lenkung und Dirigismus betonte man die „Wechselwirkung des Schöpferischen, das gegenseitige SichBeflügeln erfahrener Kommunisten" 34 und die beratende Funktion 35 . 29 30 31

32 33 34

Tulpanow, Vom schweren Anfang, S. 726. Ebd., S. 730. Kantorowicz, Deutsches Tagebuch, Bd. 1, S. 454. Die russischen Redakteure der „Täglichen Rundschau" protestierten auch gegen die Absetzung der Premiere von Kantorowicz' Stück „Die Verbündeten" (Deutsches Tagebuch, Bd. 2, S. 196ff., bes. S. 210f.). Vgl. Peter Jochen Winters, Marxwalde im Oderbruch. Auf den Spuren preußischer Geschichte in Neuhardenberg, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. 8. 1984. Bernhardt, Le rôle des officiers culturels soviétiques, S. 278. Kretzschmar, „ . . . und mehren mit junger Kraft".

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In jedem Fall hatte der Handlungsrahmen, den Tjulpanow und Dymschitz gewährten und in dem sie selbst agierten, seine Begrenzungen. Er wurde durch Moskauer Vorgaben definiert, die ihrerseits abhängig waren von den sich wandelnden außen- und vor allem deutschlandpolitischen Optionen der UdSSR. Der Schritt von der anfangs demonstrierten Eintracht der Siegermächte zum Kalten Krieg mit seinen Verhärtungen mußte sich unmittelbar auch als Verschärfung der auf deutschem Boden betriebenen Kulturpolitik auswirken. Werben um das Bürgertum Daß es in der SBZ um den Aufbau einer sozialistischen Kultur und Gesellschaft gehen sollte, trat 1945/46 nach außen hin noch nicht in Erscheinung. In der Praxis wurde das Aktionsfeld in der ersten Nachkriegszeit unter antifaschistisch-demokratischen Vorzeichen vor allem durch das bündnispolitisch geleitete Bemühen um herausragende Vertreter der deutschen Kultur und vertrauensbildende Maßnahmen gegenüber der Intelligenz bestimmt. 36 Dazu gehörte auch die Aufwertung des Erbes, 37 die mehrere Funktionen erfüllte. Wenn der Chef der SMA in Thüringen, Generaloberst Tschuikow, am 7. August 1945 mit Soldaten und Offizieren der Sowjetarmee eine Feier am Denkmal Goethes und Schillers in Weimar veranstaltete und an den Gräbern der beiden Dichter Kränze niederlegte, war dies durchaus Programm. 38 Hinsichtlich der Orientierung an dem humanistischen Kulturerbe kam es zu einer dauerhaften ,,große[n] Koalition, die von Lukäcs bis Shdanow reichte". 39 Die langjährige Publikationsreihe „Lesebücher für unsere Zeit" enthielt über Jahre auf dem Vorsatzblatt ein Motto Shdanows von 1934: „Die Bourgeoisie ließ das literarische Erbe zerflattern; wir sind verpflichtet, es sorgfältig zu sammeln, zu studieren und durch kritische Aneignung weiterzuentwikkeln." 40 Schon Lenin hatte als Zukunftsvorstellung formuliert: „Nicht Erfindung einer neuen proletarischen Kultur, sondern Entwicklung der besten Vorbilder, Traditionen und Resultate der existierenden Kultur vom Standpunkt der marxistischen Weltanschauung und der Lebens- und Kampfbedingungen des Proletariats in der Epoche seiner Diktatur." 41 Diese Weichenstellung entsprach durchaus dem mehrheitlich bürgerlich-konservativen Kunstgeschmack der späteren Wortführer. Mit der Ausformung der Volksfrontkonzeption 42 in den 30er Jahren wurden, wesentlich geprägt durch Georg Lukäcs, 43 bündnisstrategische und literaturpolitische Festlegungen im Blick auf die Verwirklichung von Demokratie und Humanismus durch die Rezeption der entsprechenden Traditionslinie getroffen. Die Vorplanungen in Moskau für die Nachkriegszeit sind durch ein Etappen- und Vollzugsdenken gekennzeichnet, dem zufolge das politische Testament der bürgerlich-demokratischen Revolution und das ideelle Vermächtnis des klassischen Humanismus zu erfüllen seien, so daß vor der sozialistischen eine humanistische Kulturrevolu-

35 36 37 38 39 40 41 42 43

Dymschitz in einem Interview. - GARF 5283/16/151. Tjulpanow, Fragen, die wir stellten. Vgl. Scharfschwerdt, Die Klassik-Ideologie; Schlenker, Das „kulturelle Erbe". Pachaly/Rosenfeld/Schützler/Schulze-Wollgast, Die kulturellen Beziehungen, S. 485. Jäger, Kultur und Politik, S. 18. Zit. nach: Jäger, Kultur und Politik, S. 18. Lenin, Werke. Ergänzungsband, S. 211. Vgl. zu Einzelheiten: Wehner, Kulturpolitik und Volksfront, S. 27-67. Staszak, Das Literaturkonzept von Georg Lukäcs, S. 11-16.

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tion zu erfolgen habe. Zeitweilig entwickelte radikalere Planungen wurden zugunsten dieser gemäßigten Linie korrigiert, die mit der abwartenden Deutschlandpolitik der Sowjetunion nach Kriegsende korrelierte. 44 Die theoretisch motivierte Ausrichtung auf den Fundus klassischer und realistischer Traditionen zahlte sich in der Praxis der ersten Nachkriegsjahre als durchaus vorteilhaft aus; sie erwies sich nicht nur als wirksames Mittel zur Gewinnung breiter Schichten der Intelligenz, sondern auch als probates Instrument zur Überwindung von Geschichtsfatalismus und Kultuipessimismus. 45 Die Traditionsausrichtung als Programm und Aufgabe kam den sowjetischen Kulturoffizieren entgegen. Zum einen entsprach sie sowjetischen Standards, zum anderen ist psychologisch gut nachvollziehbar, daß die Kulturoffiziere nach dem (wie es in damaliger Terminologie hieß) .unverlierbaren Erbe' suchten, das ihnen bei ihrer Ausbildung Respekt vor den Kulturleistungen der Deutschen vermittelt und geschmacksbildend gewirkt hatte. Es bot Möglichkeiten der Anknüpfung, die angesichts der von den Deutschen verübten Greuel schwer genug fiel. So wurde die interalliierte Konkurrenz vor allem in Berlin schon bald auch durch den Versuch bestimmt, prominente Künstler, zum Beispiel Wilhelm Furtwängler, Jürgen Fehling, Karl Hofer und Gustaf Gründgens, für den eigenen Sektor zu gewinnen. Politische Bedenken angesichts von Verstrickungen in den Nationalsozialismus wurden bei diesen Versuchen, die Prominenz zu integrieren, recht behende übergangen. 46 Ja oftmals waren es in der Anfangszeit die Amerikaner, die monierten, daß die sowjetischen Kulturoffiziere die berufliche Qualifikation von Künstlern an die erste Stelle setzten und mit zu großer Nachsicht deren politische Vergangenheit behandelten. 47 „Das Hauptinteresse der Russen gilt der Aktivität um jeden Preis," heißt es in einem Bericht der amerikanischen Militärbehörde vom 10. Juli 1945, „so daß sie, außer in den notorischsten Fällen, die Beschäftigung von ehemaligen Nazis tolerieren." 48 Der Fall Furtwängler zeigt anschaulich das gewählte procedere bei dem Werben um die Prominenz. 49 Schon seit September 1945 betrieben, wohl auf Veranlassung der SMAD, Berliner Zeitungen die Rehabilitierung des berühmten Dirigenten. „Hat Furtwängler mit Hitler paktiert?" diese in einem Artikel aufgeworfene Frage wurde glatt verneint. Man ging noch weiter und suchte sein Verhalten im Dritten Reich als mutig hinzustellen. Schließlich ginge es, so PaulRilla, darum, „nicht kompromittierte Männer des öffentlichen Wirkens aus der Nazizeit in ein neues, demokratisches Deutschland hinüberzuretten". Solche Rettungsversuche abweisend kam von amerikanischer Seite die Nachricht, daß Furtwänglers Rückkehr als Dirigent der Berliner Philharmoniker auf Grund der Direktive Nr. 24 des Alliierten Kontrollrates untersagt, sein Name auf die schwarze Liste gesetzt worden sei. Die „Berliner Zeitung" reagierte mit einem offenen Brief an den Dirigenten: „Berlin ruft Wilhelm Furtwängler". Mit einem von den Sowjets bereitgestellten Flugzeug kam Furtwängler tatsächlich am 10. März 1946 nach Berlin, als Privatmann, wie er betonte. Ein angekündigtes Konzert mußte aufgrund der amerikanischen Proteste wieder abgesagt werden. Die Sowjets trugen ihm die Intendanz der Berliner Staatsoper an. Erst im Dezember 44 45 46 47 48 49

Vgl. Jäger, Kultur und Politik, S. 4. Münz-Koenen, Literaturverhältnisse, S. 56. Vgl. Borgelt, Das war der Frühling von Berlin, S. 203. Chamberlin, Kultur auf Trümmern, S. 20f. OMGUS 5/35-3/4. Zit. nach: Chamberlin, Kultur auf Trümmern, S. 20, Anm. 26. Die Darstellung des Falles folgt Borgelt, Das war der Frühling von Berlin, S. 201-219.

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wurde der Entnazifizierungsantrag des Dirigenten nach längeren Beratungen von der Spruchkammer eindeutig positiv beschieden. Doch die Bestätigung des Urteils seitens der Alliierten Kommission erfolgte erst Anfang Mai 1947. Furtwängler kehrte zu den Berliner Philharmonikern, das sowjetische Angebot ausschlagend, zurück. „Die Russen waren sehr traurig dariiber. Und die Amerikaner, die den ,Fall Furtwängler' so lustlos, so unduldsam und auch so unklug auf die leichte Schulter genommen hatten, hatten diesen Erfolg eigentlich nicht veidient." 50 Bisweilen gab Furtwängler auch Gastkonzerte im Ostteil der Stadt. Auch hierbei führte nicht selten der Kalte Krieg die Regie. Kurz vor der Währungsreform hatte sich der Dirigent bereiterklärt, im Haus des Rundfunks zu dirigieren. Knapp vor der Veranstaltung, die Plakate klebten schon, verdoppelte Furtwängler plötzlich seine Gagenforderung. Die östliche Seite zahlte das Honorar - gegen das Murren der streitbaren Antifaschisten in den eigenen Reihen. 51 Schon fast in den Bereich der Legendenbildung fallen die Berichte über die Bemühungen um Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Hans Fallada und Bernhard Kellermann. 52 Um zum Beispiel den greisen Gerhart Hauptmann als Repräsentationsfigur zu gewinnen, machte sich im Sommer 1945 eine aus zwei Personenkraftwagen und einem LKW bestehende Expedition unter Leitung von Grigori Weiss, Redakteur bei der „Täglichen Rundschau", ins polnisch besetzte Agnetendorf auf. 53 Weiss hatte von Shukow eine Sonderorder bekommen: „Dem Schriftsteller Gerhart Hauptmann ist in allem, was er braucht, jegliche Hilfe und Unterstützung zu erweisen. Falls notwendig und möglich, wird seine Umsiedlung an einen neuen Wohnort organisiert." 54 Johannes R. Becher, der Hauptmann als Ehrenpräsidenten des Kulturbunds gewinnen wollte, war der entscheidende Mittelsmann auf deutscher Seite bei diesem Anliegen. Obwohl Becher 1932 über Hauptmann geäußert hatte: „Geblieben ist ein Mann, siebzig Jahre alt, der weiter nicht interessiert. Er ruhe in Frieden, den er mit den herrschenden Mächten geschlossen hat", 55 warb er nun mit Pathos um den greisen Dichter. Dieser versprach, gerührt von der ihm erwiesenen Ehre: „Ich stelle mich zur Verfügung." Die Expedition versorgte Hauptmann noch (u.a. mit 20 Flaschen grusinischem Cognak), bevor sie sich auf den Rückweg machte, ihrerseits mit unveröffentlichten Gedichten und einigen spontan diktierten Texten Hauptmanns („Gerhart Hauptmann an das deutsche Volk" u.a.) im Gepäck; schon am 11. Oktober veröffentlichte die „Tägliche Rundschau" erste Materialien über Bechers Besuch in Agnetendorf und die Gespräche zwischen beiden Dichtern. Mit keinem Wort wurde der Anteil der sowjetischen Kulturoffiziere an der Aktion erwähnt. 56 Bei dieser wie bei anderen, gleich gelagerten Unternehmungen wurde ausschließlich die deutsche Initiative herausgestellt. Die vorgesehene Übersiedlung des Nobelpreisträgers kam nicht mehr zustande. Pomp konnte dann nur noch um den toten Dichterfürsten entfaltet werden, denn er starb, bevor sich der Sonderzug in Marsch gesetzt hatte, der ihn abholen sollte. Es kam zu vier Abschiedsfeiern (in Forst, Berlin, Stralsund und auf Hiddensee), bevor Hauptmann auf der Ostseeinsel beigesetzt 50 51 52 53 54 55 56

Ebd., S. 219. Girnus, Musik, S. 178f. Das folgende nach: Wais, Am Morgen nach dem Kriege (1973); Weiss, Am Morgen nach dem Kriege (1981), S. 115f„ 125ff., 133-190; Reinhardt, Zeitungen und Zeiten, S. 55-70, 77-80. Vgl. Reinhardt, Zeitungen und Zeiten, S. 55ff. Weiss, Am Morgen nach dem Kriege (1981), S. 170. Zit. nach: Weiss, Am Morgen nach dem Kriege (1981), S. 142. Vgl. Bernhardt, Die Bedeutung sowjetischer Kulturoffiziere, S. 44.

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wurde. Daß dem Trauerakt in Stralsund Wilhelm Pieck, Johannes R. Becher und Sergej Tjulpanow beiwohnten, belegt den Rang, den man der Heimbringung beimaß. Bezüglich der politischen Implikationen vermied Tjulpanow jede Konkretheit und flüchtete sich in eine vage Licht-Dunkel-Metaphorik 57 : „Ja, gerade heute, in der Zeit der Überwindung einer tiefsten Krise und zugleich im Moment des entscheidenden Wendepunkts seiner Geschichte, braucht das deutsche Volk Propheten der Humanität und Demokratie, die es aus der Finsternis ins strahlende Licht führen dürfen." Die Vereinnahmung Hauptmanns erfolgte dann geradlinig: Mit seiner Zusage an Becher habe sich der Patriarch der deutschen Literatur „in den Dienst der großen Sache, der demokratischen Wiedergeburt Deutschlands, gestellt". 58 Das werbende und großzügige Vorgehen der sowjetischen Kulturoffiziere war erfolgreich und dies zu recht, wenn man vergleicht, welch untergeordneter Platz den Iitellektuellen und Schriftstellern, besonders den Remigranten, in den Westzonen zugewiesen wurde. 59 Die von den Sowjets umworbene deutsche Kunstprominenz reagierte im Regelfall überrascht und gerührt; sie fühlte sich, zumindest in der Anfangszeit, geehrt durch die Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde. Es liegt auf der Hand, daß diese Suche nach Repräsentanten und die Förderung gerade bürgerlicher Autoren aber auch manchen enttäuschte, zumal sie mit bevorzugter Lebensmittelzuteilung und Extrapaketen („pajok") einherging. 60 Auch auf Kulturkonferenzen der SED wurde von einigen Funktionären das,Ködern' der Intelligenz durch eine „Pajokpolitik" als schädlich kritisiert. Josef Naas, Präsidialratsmitglied im Kulturbund, äußerte im Januar 1947: „Mir stehen manchmal die Haare zu Berge, bis zu welchem Grade das getrieben wird, wie wir im Kulturbund Listen aufstellen, welche Intellektuellen Weihnachtspakete von der SMA bekommen sollen. [...] So etwas spricht sich herum, und mein Gewissen gegenüber den Arbeitergenossen wird immer schlechter, wenn ich sehe, wie wenig für die Arbeiter geschieht." Es gehe nicht an, daß „wir z.B. im Kulturbund jetzt genötigt sind, einen Intellektuellen, der der NSDAP angehört hat, aber einen bekannten Namen hat, nur damit er nicht in die englische Zone geht, ein Bauerngut zu verschaffen, eine Villa am Meer oder sonst etwas zu verschaffen, oder sonst Menschen, für deren literarische Produktion wir nicht das geringste Interesse haben, nur damit die Bücher nicht in anderen Zonen verlegt werden, alle möglichen wirtschaftlichen Vorteile zuschanzen müssen." 61 Die Enttäuschung gerade bei den überzeugten Kommunisten, vor allem denjenigen, die in Deutschland die Nazizeit überlebt hatten, rührte daher, daß sie bei Kriegsende geglaubt hatten, nun würden die Verhältnisse revolutioniert. Hans Lorbeer, Mitbegründer des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, wandte sich im Dezember 1945 enttäuscht an Becher: „Die Herren nehmen ihre Plätze schon ein. Sie werden den Ton angeben, den Ton bestimmen. Ich würde mich nicht wundern, wenn auch die Herren Pohl, Barthel, Binding, von der Vring und ähnliche sich einfänden. Herr Fallada ist ja schon da, [...], Herr Hauptmann und wie sie alle

57 58 59 60 61

Vgl. Jäger, Literatur und Kulturpolitik, S. 37. Sergej I. Tjulpanow, Rede anläßlich des Traueraktes zum Tode Gerhart Hauptmanns, in: S.I.T., Erinnerungen an deutsche Freunde, S. 13. Vgl. Mertz, Und das wurde nicht ihr Staat. Vgl. Barlog, Theater lebenslänglich, S. 53ff. Stenographische Niederschrift (unkorrigiert) über die SED Kulturkonferenz am 28. und 29. Januar 1947 in Berlin. - SAPMO: Z P A I V 2/101/33.

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heißen." 62 Erich Weinert erklärte im Mai 1947 über das nachsichtige Verhalten gegenüber der teils belasteten bürgerlichen Prominenz: „Vielleicht sind wir in gewissen Fällen, wie im Fall Hauptmann, Fallada und ähnlichen, mit dieser Nachsicht weiter gegangen, als sie es verdienten. [...] Wir wollen keine Pharisäer sein, aber wir werden die Grenzen nicht verwischen lassen, die uns von denen trennen, mit denen wir keine Gemeinschaft mehr haben wollen. Sollen sie dankbar sein, wenn ihnen nicht mehr geschieht, als daß ihnen das Recht der Bewährung eingeräumt wird." 63 Auch die jungen, sozialistisch engagierten Autoren fühlten sich brüskiert. Als im Oktober 1947 Katajew, Wischnewski, Gorbatow als sowjetische Delegation am I. Deutschen Schriftstellerkongreß in Berlin teilnahmen, richtete Hermann Werner Kubsch einen Brief an sie, in dem er beredt Klage führte: „Ein weiterer Punkt, der uns Sorgen macht, und der viele junge Genossen bedrückt, obwohl kaum jemand von ihnen den Mut hat, ihn auszusprechen, ist folgender: Die Vertreter der sowjetischen Administration und Kommandanturen unterstützen sowohl ideell als auch materiell in besonders starkem Maße alle bürgerlichen Elemente der Geistesarbeiter, obwohl es ihnen, wie die Praxis zeigt, wenig gedankt wird. Wir verstehen das durchaus und begreifen, daß es notwendig ist, die besten Elemente der bürgerlichen Intellektuellen zu Sympathisierenden der Sowjetunion zu machen, und wir wissen auch zu gut, daß dies am leichtesten ist über den Bauch dieser Herren. Wir verstehen aber nicht, daß solche Hilfe nicht auch unseren jungen, politisch überzeugten Geistesarbeitern gewährt wird, sondern außer den bürgerlichen nur noch unseren führenden Genossen. Das ist insofern gefährlich, als politisch noch nicht ganz gefestigte junge Kräfte dadurch die Auffassung bekommen, daß unsere sowjetischen Freunde nur für berühmte Leute etwas übrig haben und oft mit einer gewissen Verbitterung sich dahingehend äußern, daß sie sagen, es ist viel leichter, von den Russen anerkannt zu werden, wenn man sich nicht mühselig um eine sozialistische Gestaltung bemüht, sondern wenn man veisucht, auf Umwegen über bürgerliche Verlage sich zunächst mit bürgerlicher Kunst einen Namen zu schaffen." 64 Der sieben Seiten lange, eng beschriebene Brief, den Kubsch im Namen der jungen sozialistischen Genossen verfaßte, stellte die Meinung einer Gruppe dar, aber repräsentierte längst nicht die Mehrheit. Diese hatte ein durchaus bürgerliches (bzw. kleinbüigerliches) Weltbild, was Tjulpanow und seine Mitarbeiter richtig erkannten und woran sie mit Geschick anknüpften. Noch wären „Entscheidungsschlachten zwischen marxistischer und bürgerlicher Ideologie" verfrüht und zu riskant gewesen; sie hätten die Kommunisten „unweigerlich ins Abseits geführt". 65 Man veranstaltete Tschaikowski- und Glinka-Abende, ließ russische Lyrik von Puschkin bis Block rezitieren, veranstaltete Vorträge über das russische Geistesleben. Breite Bevölkerungsschichten wurden durch sowjetische Volkskunstensembles erreicht, 66 etwa das Alexandrow-Ensemble, eine Künstlergemeinschaft von Soldaten, die aus Männerchor, Orchester und einer Tanzgruppe bestand. Die Deutschland-Tournee, die am 22. Juli 1948 mit einem Konzert in Dresden begann, begleitete „nicht abreißender stürmischer Beifall". 67

62 63 64 65 66 67

Zit. nach: Härder, Zum Anteil Johannes R. Bechers, S. 730f. Weinert, Kulturarbeit, S. 24. Briefvom 11. 10. 1947. - RGALI631/14/532. Jäger, Kultur und Politik, S. 3. Vgl. Paul, Sendboten der Freundschaft. Rettmann, Botschafter des Friedens, S. 486.

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Vermittlung russischer, aber auch sowjetischer Kultur hatte anfangs vorrangig die Aufgabe, das von der Nazipropaganda entwickelte Klischee von der Kulturlosigkeit der Russen wirkungsvoll zu entkräften. Die Konzentration auf die fraglos akzeptierten .Klassiker' einerseits und eine Kultur der Volkstümlichkeit andererseits entsprach im übrigen auch den ästhetischen Vorstellungen der führenden deutschen Parteipolitiker, die beide Bereiche seit 1950 in der Kampagne gegen den „Formalismus" funktionalisierten. Diese Orientierung wurde später nicht gänzlich fallengelassen, wie die Goethe-Feiern 1949 und das Bach-Jahr 1950 belegen, aber doch durch die offene Kursnahme auf den sozialistischen Realismus und die Angleichung an das stalinistisch geprägte sowjetische Modell überlagert. Sie führte zu einer Verengung der Erbekonzeption und zu ihrer Einordnung in eine nationale (das will besagen „anti-kosmopolitische") Programmatik. „Züge einer neuen Kunst"; Kampfansage gegen den Formalismus Daß in der Sowjetunion die relative kulturpolitische Lockerung während des Krieges durch die berüchtigten ZK-Erlasse seit 1946 bereits wieder jäh beendet worden war, wirkte sich für die Kulturoffiziere als Belastung aus und schränkte ihre Entscheidungsfreiheit in vielfacher Hinsicht ein. Die von Shdanow verfügten Erlasse bedeuteten nicht nur die persönliche Diffamierung von Schriftstellern wie Anna Achmatowa und Michail Sostschenko, sondern auch die Kampfansage gegen jede tatsächlich oder vermeintlich von der Moderne und Avantgarde beeinflußte Kunst, die als formalistisch gebrandmarkt wurde. Diese Erlasse bestimmten sukzessive die von den Kulturoffizieren publizistisch niedergelegten Äußerungen zur Kunst und Kunstpolitik. Schon im August 1946, das heißt zeitgleich mit dem ZK-Eiiaß zu Fragen der Literatur, skizzierte Alexander Dymschitz in einer vierteiligen Artikelserie der „Täglichen Rundschau" die „Züge einer neuen Kunst" 68 . Sein Vorgehen war sowohl offensiv, indem die Notwendigkeit einer Kunst des sozialistischen Realismus vorgestellt wird, als auch abfedernd, durch den Hinweis, daß damit keine „genormte Lehre", „kein Dogma" propagiert würde. Behutsam wird die Herausbildung einer Kunst des sozialistischen Realismus auch für Deutschland gefordert: „Die Erfahrungen des sozialistischen Realismus sind auch für Deutschland wichtig und lehrreich. Der Deutsche steht heute noch völlig im Bann des Zusammenbruchs. Er braucht mehr denn je neben der kritischen eine dem Leben zugewandte positive Kunst. [...] So sollte auch in dieser schweren Zeit das Verhängnis der letzten Jahre nicht nur realistisch gezeichnet werden, sondern den romantischen Blick auf das Künftige, das Kommende, das Wachsende richten." Noch setzte Dymschitz, ohne jegliche Drohgebärde, allein auf die Attraktivität des sozialistischen Realismus. Noch hatten zu diesem Zeitpunkt solche Beiträge keine konkreten Konsequenzen für die deutschen Künstler. Anders verhielt es sich 1948, als Dymschitz, wiederum in der „Täglichen Rundschau", zwei Aufsätze „Warum wir gegen Dekadenz sind" 69 und „Über die formalistische Richtung in der Malerei" 70 veröffentlichte. 71 Der erste, im März 1948 (also kurz nach dem letzten, im Februar veröffentlichten sowjetischen ZK-Erlaß über die Musik) erschienene Beitrag argumentiert ganz 68 TR vom 13. 8., 14. 8., 15. 8. u. 17. 8. 1946. 69 TR vom 21. 3. 1948. 70 TR vom 19. u. 24. 11. 1948. 71 Schon 1947 war es in Organen der SED, z.B. der Zeitschrift „Einheit", zu vereinzelten Angriffen gegen den Formalismus gekommen. - Vgl. Erbe, Die verfemte Moderne, S. 59.

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im Sinne der Zwei-Lager-Theorie Shdanows: 72 „Zwei Welten stehen einander gegenüber: die Welt des aufblühenden Sozialismus und die des verfallenden, unausweichlich zum Tode verurteilten Kapitalismus. Die zwei Welten, diese beiden wirtschaftlichen und sozialen Systeme, drücken auch dem Gebiet des Ideologischen ihren Stempel auf. Von der gleichen Unversöhnlichkeit, mit der sich zum Beispiel der millionenreiche Bankier und der sozialistische Arbeiter gegenüberstehen, ist der Gegensatz zwischen den beiden Typen geistigen Schaffens und künstlerischen Denkens, zwischen bürgerlich-dekadentem .Schöpfertum' und demokratischem Schöpfertum." Was hier als Ost-West-Gegensatz im Zuge der Polarisierung der Welt erscheint, wird im zweiten Beitrag vom November innenpolitisch gewendet und zu einer Absage an die bisherige Bündnispolitik verschärft. Die Verurteilung der Dekadenz geht jetzt mit harschen Angriffen auf das Bürgertum einher: „Die formalistische Richtung in der Kunst ist ein typischer Ausdruck der bürgerlichen Dekadenz, die das künstlerische Schaffen entarten zu lassen droht, die einen direkten Anschlag auf das Wesen der Kunst bedeutet, die die eigenste Natur der Kunst zerstört und ihre Selbstauflösung herbeiführt. Daher ist der Kampf gegen den Formalismus ein Kampf um die Kunst, um die Rettung des künstlerischen Schaffens vordem ihm drohenden Untergange." Dymschitz unterscheidet zwischen denen, „die organisch zur bürgerlichen Dekadenz gehören und deren dekadente Werke das natürliche Ergebnis ihrer reaktionären Weltanschauung sind", und den politisch fortschrittlichen Kräften, die lediglich „in ihrem Schaffen dem Einfluß der Reaktion unterliegen". Diejenigen, die den falschen Weg betreten haben, müßten prinzipieller Kritik unterzogen werden; sie müßten sich endgültig vom bürgerlichen Individualismus und Subjektivismus zugunsten von Realismus und Typisierung verabschieden. Zwar trägt Dymschitz' Artikel den Untertitel „Bemerkungen eines Außenstehenden", doch ist der richtunggebende Charakter des Beitrags nicht zu übersehen. Jetzt wurden auch erstmals Künstler aus den eigenen Reihen namentlich angegriffen. Gegen Karl Hofer etwa, den Direktor der Westberliner Hochschule für Bildende Künste, 73 von 1945 bis 1947 Vizepräsident des Kulturbunds, Mitglied im Präsidialrat der Kammer der Kunstschaffenden und Mitherausgeber der hervorragenden, sowjetisch lizensierten Kunstzeitschrift „bildende kunst" 74 brachte Dymschitz vor: „Die Absage an den Realismus führt zu grenzenloser Verarmung des künstlerischen Schaffens. Davon kann man sich leicht an den Werken eines Meisters überzeugen, wie es unstreitbar Karl Hofer ist. [...] Die Hartnäkkigkeit, mit der dieser Maler die von ihm erfundenen Formen der Wirklichkeitsverfälschung kultiviert, ist ein Beweis dafür, daß in seiner Kunst er dem Leben den Rücken wendet und sich in eine Welt von Phantasien begibt, die, wie jede subjektivistische Phantasie, die Probe des Lebens nicht bestehen." Dies bedeutete ein unmißverständliches Einschwören auf den - nun einzig .richtigen' Weg und eine klare Kampfansage.

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Diese Theorie hatte er schon vorher vertreten. - Vgl. Lüd., Große Form aus neuem Inhalt. Dymschitz und Barski über sozialistische Kultur, in: BZ vom 2. 12. 1947. Zur Position Hofers an der Hochschule vgl. Fischer-Defoy, Die Neugründung der HFBK, S. 138-150. Vgl. weiter zum „Fall Hofer": Dollichon, Kunstpolitik, S. 110-125. Die von Hofer zusammen mit Oskar Neriinger herausgegebene Zeitschrift hatte 1948 eine ganze Reihe von Beiträgen zur modernen Kunst veröffentlicht und in Heft 10 des Jahrgangs 1948 eine Aussprachereihe „Politik und Kunst" über die Funktion der Kunst im gesellschaftlichen Leben eröffnet. - Die einzelnen Beiträge nennt: Dollichon, Kunstpolitik, S. 64f.

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Der Artikel von Dymschitz wurde umgehend durch flankierende Beiträge von deutschen Autoren aufgegriffen und verbreitet. Aber es kamen immerhin auch noch Gegenstimmen zu Wort. Herbert Sandberg, Herausgeber der Zeitschrift „Ulenspiegel", publizierte den Artikel „Der Formalismus und die neue Kunst. Eine Antwort an Alexander Dymschitz". 75 Mit Hinweis auf ihre antizipatorische Kraft verteidigt Sandberg die moderne Kunst, „die immer wieder vom Kleinbürgertum angefeindet wurde, weil sie ihm unbehaglich war". Nicht die ungegenständliche Kunst schlechthin sei als Formalismus zu bezeichnen, sondern „äußerliche, rein unbeseelte und willkürliche Formulierungen". So formuliert Sandberg als Programm: „Und wie in der Wortkunst Brecht, in der Musik Schostakowitsch, so sehen es die sozialistischen Maler als ihre große Aufgabe an, der modernen Kunst einen neuen Inhalt zu geben." Am 17. Dezember 1948 fand in der Humboldt-Universität ein Streitgespräch der Hochschulgruppe des Kulturbunds zum Thema „Formalismus und Realismus in der bildenden Kunst" statt, an dem auch Dymschitz und Sandberg teilnahmen. Das „Neue Deutschland" berichtete über das Streitgespräch, 76 wobei ein Vorspann klarstellt, welche Haltung künftig die Richtlinien der Kunstpolitik bestimmen sollte: „Niemand kann von uns gerechterweise erwarten, daß wir in dieser Auseinandersetzung neutral bleiben. Wir haben in diesem Streit Partei ergriffen auf der Seite der Vertreter des Realismus." 77 Schon am 3. Dezember hatte das Zentralsekretariat der SED in einem Schreiben verfügt, daß über den Dymschitz-Artikel Diskussionen „zu organisieren seien". 78 Anweisungen gleichen Inhalts ergingen an die Kunsthochschulen. Anfang/Mitte Januar veranstaltete die SED erste Diskussionsabende auf der Grundlage der Dymschitz-Artikel. Sie waren aber vor allem in der Provinz nicht sonderlich erfolgreich, da viele - parteilose, .bürgerliche' - Künstler dieser Einladung von seiten der Partei nicht folgten. Ein Bericht über den Diskussionsabend am 14. Januar 1949 in Sondershausen weist als anwesend aus: „4 Zeichenlehrer, 1 Schulleiter, 1 Kritikerin, die Kreissekretärin des Kulturbundes und die SED-Kreissekretärin Abt. Kultur und Erziehung". 79 Das Protokoll spiegelt einerseits die Hilflosigkeit der Anwesenden, auch der Referentin, die etwa als zentralen Punkt aus Dymschitz' Artikel „herausschält": „Dymschitz will einen Naturalismus, besser gesagt Realismus, der mit ideellem Gehalt gefüllt ist. Dieser wird dem gesamten Volke

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TR vom 17. 12. 1948. Vgl. auch die Gegenstimme von Horst Strempel, Gestaltung der Gesetzmäßigkeit, in: TR vom 5. 1. 1949. Formalismus in der Sackgasse, in: N D vom 20. 2. 1949. Der Bericht in der „Täglichen Rundschau" war sehr viel moderater. - Dt., „Das Schlußwort spricht die Praxis", in: TR vom 20. 2. 1949. Die „Tägliche Rundschau" publizierte auch späterhin durchaus kontroverse Ansichten zum Formalismusthema in einem Überblicksartikel: Für fortschrittliche Kunst - gegen Dekadenz. Weitere Diskussionsbeiträge zu dem Aufsatz von Alexander Dymschitz, in: TR vom 2. 12. 1949. Zu dem tendenziösen Bericht konnte Sandberg noch einmal eine Zuschrift veröffentlichen (ND vom 13. 3. 1949), die jedoch ihrerseits, und zwar vom Leiter der Kulturabteilung des ZK der SED, Stefan Heymann, scharf kritisiert wurde (ND vom 27. 3. 1949). - Vgl. Feist, Das Wandbild im Bahnhof Friedrichstraße, S. llOff. Vgl. den Rechenschaftsbericht des SED-Landesvorstands Sachsen vom 22. 2. 1949. - SAPMO: ZPA IV 2/906/173. Anfang Januar bereits regte die Partei an, die Diskussion nicht auf die Malerei und bildende Kunst zu begrenzen, sondern auf „alle Gebiete" der Kunst auszudehnen. - Protokoll über die Sitzung „Kunst und Literaturkritik" am 6. 1. 1949, SAPMO: ZPA IV 2/906/4. SAPMO: ZPA IV 2/906/173. Auch der Bericht über den Diskussionsabend in Meiningen weist aus, daß nur wenige Künstler erschienen waren. Ebd.

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etwas geben." Andererseits verdeutlicht der selbstverständliche Gebrauch von Begriffen wie „gesund" und „entartet", wie wenig die nationalsozialistische Kunstpraxis tatsächlich verarbeitet war. So wird von der Berichterstatterin, dem Mitglied des Kreisvoretands der SED Schwaab, als Modell herausgestellt: „Auch in Deutschland wurde bereits vor längerer Zeit ein Versuch mit dem gesunden Volksurteil gemacht. In Gera veranstaltete Max Wauer eine Ausstellung expressionistischer und formalistischer Kunst, die er von Jugendlichen besuchen ließ. Diese Jugendlichen haben gesund geurteilt und diese Kunst abgelehnt." Angesichts der Unsicherheiten in der Diskussion kam der verständliche Wunsch auf, diese vom Kulturbund weiterführen zu lassen, konnte man hier doch mit der Beteiligung von Spezialisten rechnen. Der Kulturbund („Sektion Bildende Kunst") wurde in der Tat, per Rundschreiben der Landesleitungen, in die Diskussion einbezogen. Jetzt konnten auch die Künstler erreicht werden, was sich sofort auf das Niveau der Veranstaltungen auswirkte. Dabei redete man keineswegs Dymschitz nach dem Munde, sondern es wurden erhebliche Vorbehalte geltend gemacht. 80 Die entscheidenden Kritikpunkte an Dymschitz' Ausführungen lassen sich folgendeimaßen zusammenfassen: 1. Da die Deutschen mehr als ein Jahrzehnt lang von der verfemten modernen Kunstentwicklung abgeschnitten gewesen seien, bedürfte es zunächst des konkreten Anschauungsmaterials für die Urteilsbildung; auch die nun propagierte russisch-sowjetische Malerei müsse zunächst einmal in Form von Wanderausstellungen bekannt gemacht werden. 2. Es wird bezweifelt, „ob in einem Land, wie der Sowjetunion, in dem sich die Hauptkraft der Gesellschaft z.Zt. noch immer auf die Sicherung und den Ausbau des wirtschaftlichen und politischen Lebens konzentrieren muss, auch die Bildende Kunst gleichzeitig schon diejenige Form finden kann, von der man eines Tages sagen könne, sie sei der kongeniale Ausdruck der kommunistischen Wirtschaft gewesen." Das „sogenannte .natürliche' Schöpfungsempfinden" der sowjetischen Arbeiter und Bauern könne in diesem Stadium nicht „als Maß und richtunggebend betrachtet werden"; es sei vielmehr „von einem gewissen Unverständnis oder doch zuwenigstens einer gewissen Unsicherheit gegenüber den Umwälzungen, die sich zugleich mit den wirtschaftlichen und politischen auf künstlerischem Gebiet zu vollziehen pflegen", auszugehen. 81 „Das Volk lebt im Heute und vor allem im Gestern, der Künstler - im Heute und Morgen." 3. „Die Aufstellung eines Kodes .allgemeiner und einheitlicher Prinzipien eines wirklich demokratischen, gesunden, fortschrittlichen künstlerischen Schaffens'" habe sich schon im Dritten Reich als verhängnisvoll erwiesen. 82 4. Dymschitz' Unterscheidung zwischen „Form" und „Inhalt" sei nicht korrekt, da er den Inhalt auf den Gegenstand reduziere. Im Zuge der Auftragserteilung resultiere daraus eine grundsätzliche Unterordnung des „eigenen Künstlerbewußtseins unter das Urteil der Angehörigen oder 80

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Offenheit herrschte vor allem bei den Diskussionen in der Provinz. Sobald prominente Redner der Besatzungsmacht, etwa Dymschitz selbst, teilnahmen, wichen offenbar „die meisten Redner einer konkreten Stellungnahme und Polemik" aus, „sei es aus Indifferenz, sei es aus Mangel an Zivilcourage". Ltz., Potsdamer Kunstdiskussion. Dymschitz-Artikel im Brennpunkt der Auseinandersetzungen, in: TR vom 10. 12. 1948. Sonderbericht über die Formalismusdiskussion der Wirkungsgruppe Rudolstadt des Kulturbunds vom 23. 1. 1949. - SAPMO: ZPA 2/906/173. Bericht über die Formalismus-Diskussion im Arbeitskreis Bildende Kunst im Kulturbund Hildburghausen vom 25. 1. 1949. - SAPMO: ZPA 2/906/173.

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Funktionäre" der Betriebe als der neuen Mäzene. 83 Das Gefühl, „Konjunktur und Programme zu malen", erdrücke jede Produktivität. 84 So kam es aufgrund des „spezifisch deutschen Kunstempfinden[s]" 85 der an den Diskussionen beteiligten Maler nicht nur zu einer klaren Solidarisierung mit den von Dymschitz angegriffenen Künstlern Hofer und Schmidt-Rottluff, sondern auch zu einer entschiedenen Verteidigung der modernen Kunst (insbesondere des Expressionismus), weil „viel zu viel Revolutionäres für eine zukünftige Malerei damit geschaffen worden ist", als daß man auf „diese Ergebnisse und alle die formalen Lehren" verzichten könne. 86 Die von vielen Wirkungsgruppen des Kulturbunds, vermutlich auf ,Anregung' von Parteiseite gefaßten Resolutionen erwiesen sich daher aus der Perspektive der SED als kontraproduktiv, da sie gerade die Kritikpunkte in gebündelter Form vorbrachten. Es kann daher nicht verwundern, daß die parteiinterne Auswertung den Verlauf der Formalismus-Diskussion aufgrund der Dymschitz-Artikel als höchst unbefriedigend einstufte. In einer Hausmitteilung der SED heißt es denn auch 1950: „Die Formalismus-Diskussion auf den Artikel von Dymschitz war abstrakt und ging dadurch an der Klassenkampffrage vorbei. Dadurch endete die Diskussion wie das Horneberger Schießen, d.h. die Position der Formalisten blieb unerschüttert." 87 Hilfesuchend wandten sich denn auch deutsche Organisationen wie die DSF an die WOKS mit der Bitte um Zusendung von Material, das sie „zur Organisation schöpferischer, gegen den Formalismus in der zeitgenössischen deutschen Kunst und Literatur gerichteter Diskussionen" benötige. Um diese Bitte erfüllen zu können, erbat die WOKS ihrerseits Unterlagen, „aus denen die Hauptargumente gegen den Realismus und zur Verteidigung des Formalismus hervorgehen, die bei den deutschen Formalisten in Umlauf sind". 88 Gerade die Disproportion zwischen dem Bewußtsein der deutschen Künstler und den Zielen Dymschitz' läßt den Transfer-Charakter der Formalismus-Debatte deutlich erkennen. Ihn belegt auch eine Aktennotiz des Kulturbunds, der zufolge Frau Alterman, Kulturoffizier, anregte, „möglichst bald in unserer Arbeitskommission .Bildende Kunst' die Zeitschrift gleichen Namens einmal gründlich zu besprechen, bzw. gründlich zu kritisieren (natürlich mit dem Ziel, festzustellen, daß die meisten Beiträge zu sehr formalistisch oder auf die ,lart pour lart' [sie !] abgestellt seien)". 89 Die Zeitschrift mußte im Oktober 1949 ihr Erscheinen einstellen. 90 Die Beteiligung der Kulturoffiziere an der Übertragung der sowjetischen Maßgaben auf diesem Sektor wurde ihnen sicherlich auch von sowjetischer Seite abverlangt. 91 So wurde der Kulturredaktion der „Täglichen Rundschau" bei der halbjährlich in Moskau stattfindenden gründlichen Rezension 83 84 85 86 87

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Sonderbericht über die Formalismusdiskussion der Wirkungsgruppe Rudolstadt des Kulturbunds. Bericht über die Formalismus-Diskussion im Arbeitskreis Bildende Kunst im Kulturbund Hildburghausen. Diskussionsbericht aus Eisenach vom 1. 2. 1949. - SAPMO: ZPA 2/906/173. Entschließung der Sektion Bildende Kunst im Kulturbund (Eisenach). - SAPMO: ZPA 2/906/173. Schreiben Stefan Heymanns an Alexander Abusch vom 25. 5. 1950.-SAPMO: ZPA IV 2/906/23. Vgl. das Schreiben Alfred Beckers an Stefan Heymann vom 12. 3. 1949 mit einer detaillierten Übersicht über die Mängel der Diskussion. GARF 5283/16/157. Aktennotiz über eine Besprechung mit Major Kusmienko. - SAPMO: KB-Archiv 228, S. 70. SAPMO: ZPA IV 2/906/171. Noch 1947 hatte etwa „ein Vertreter der Kulturabteilung der SMA in Schwerin eine Ernst-BarlachEhrung in der Stadt Güstrow angeregt". - Dokumente zur Kulturpolitik in Mecklenburg, S. 41.

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des Blattes 1949 angekreidet (und als persönlicher Vorwurf vonSemjonow wiederholt), daß sie quantitativ und qualitativ die abstrakte Kunst nicht genügend kritisiert habe. 92 Es ist davon auszugehen, daß auch die Ausweitung der Formalismusdiskussion zu einer nun vorwiegend von deutschen Protagonisten beförderten Kampagne zu Beginn der 50er Jahre in engster Fühlungnahme mit sowjetischen Stellen, wenn nicht auf ihre Weisung hin, erfolgte. 93 5.2.3 Zu den A b b e r u f u n g e n Die unter dem Stichwort „wurzelloser Kosmopolitismus" in der Sowjetunion ab 1949 entfachte vehemente antisemitische Kampagne, die um die Wende zu den 50er Jahren zu ihrem Höhepunkt kam, hatte in mehrfacher Hinsicht weittragende Folgen für die sowjetischen Kulturoffiziere in Deutschland: Ein Großteil der führenden Kulturoffiziere war jüdischer oder deutsch-jüdischer Herkunft; im Herbst 1946 stellten sie 180 von 489 Mitarbeitern der Informationsverwaltung. 94 Dies wurde von den übergeordneten Moskauer Dienststellen denn auch mit Mißfallen registriert, die Auswahl der Kader unter „dem Gesichtspunkt ihrer Nationalität" als „besonders unglücklich" bezeichnet; vorgeschoben wurde bei der Beanstandung der Kaderpolitik die deutsche Situation: „Ein solcher Zustand ist in dem von Antisemitismus verseuchten Deutschland eindeutig nicht normal." 95 Zudem waren die Kulturoffiziere aufgrund ihrer Tätigkeit notwendigerweise in engen Westkontakt getreten, was im Falle zahlloser sowjetischer Heimkehrer aus deutscher Kriegsgefangenschaft genügt hatte, um sie in sibirische Lager zu verschicken oder das Todesurteil über sie zu verhängen. Viele dieser hochgebildeten, gegenüber der westlichen Kultur offenen Kulturoffiziere der ersten Stunde wurden bereits 1947/48 wieder abberufen, zu einem Zeitpunkt also, als sich die Ost-West-Konfrontation zuspitzte und auch die Kulturpolitik der SBZ nicht zuletzt durch die Einbindung der Schriftsteller und Künstler in den ökonomischen Aufbau (Halb- und Zweijahrplan) rigidere Formen annahm. Über die verbliebenen Referenten der ersten Generation wurden in damaligen westlichen Presseberichten seit Anfang 1949 immer wieder Meldungen von Verhaftungen und Absetzungen verbreitet. So berichtete der „Telegraf' im Sommer 1949 von der Verhaftung des sowjetischen Kommandanten des Berliner Rundfunks, Major Motenew, da er zu westlich orientiert gewesen sei. 96 Im „Tagesspiegel", der offenbar einen Gewährsmann in den einschlägigen Ostberliner Kreisen hatte, hieß es am 22. Juni 1949: „Seit einigen Wochen werden Ressortleiter der sowjetamtlichen .Täglichen Rundschau' von ihren übergeordneten Dienststellen abberufen. Vier von ihnen sind verhaftet worden. Man nimmt an, daß sie wegen ihrer Kritik an den russischen 92

Gespräch mit Wadim Tschubinski (einem ehemaligen Mitarbeiter der „Täglichen Rundschau") vom 16. 11. 1993. Die Journalisten der „Täglichen Rundschau" hätten nicht unbedingt großzügigere Kunstvorstellungen gehabt, doch sie hätten die modernen Künstler als Opfer des Faschismus wahrgenommen und von daher toleranter reagiert.

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Diese Vermutung äußert auch Krenzlin, Das „Formalismus-Plenum", S. 60. Iz dokladnoj zapiski... A. Zdanovu o rezul'tatach proverki raboty upravlenija propagandy SV AG (11. 10. 1946). - R C C h l D N I 17/117/674, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 191. Iz zapiski zamestitelja nacal'nika Upravlenija kadrov CK VKP (b)... A Kuznecovu o proverke rukovodjaäcich kadrov SVAG, RCChlDNI 17/117/758, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 204f. Tulpanow säubert Berliner Rundfunk, in: Telegraf vom 10.9. 1949.

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Verwaltungsmaßnahmen in der Ostzone oder wegen freundschaftlichen Verkehrs mit den Angestellten des Verlages festgenommen wurden." 97 Über einen der vom „Tagesspiegel" als verhaftet Gemeldeten, den Chef der Provinz- und Korrespondenzabteilung Major Bloch, brachte „Die neue Zeitung" am 15. August 1950 die ergänzende Notiz, daß der wegen antisowjetischer Einstellung zu 25 Jahren Zwangsarbeit Verurteilte Selbstmord begangen habe. Auch Oberst Kirsanow, der Chefredakteur der „Täglichen Rundschau", soll, was im „Tagesspiegel" schon annonciert war, 1950 wegen „schwankender Haltung" abberufen und verhaftet worden sein. 98 Über Major Feldman, den Kontrolloffizier der „National-Zeitung" und des „Nacht-Expreß", kursierten in der Westpresse verschiedene Versionen. Am 6. Januar 1949 war seine mutmaßliche Verhaftung gemeldet worden, einen Tag später publizierte „Der Abend", Feldman habe sich in den Westen abgesetzt. Einen Monat später verbreitete „Der Abend" unter der Überschrift „Verschwunden, verhaftet, befördert" folgende „sensationelle Version": Feldman sei zwar im Dezember 1948 durch Tjulpanow verhaftet worden, wobei ein Autohandel als Vorwand gedient habe, doch sei Feldman Mitte Januar durch das NKWD wieder entlassen worden und fungiere nun, zum Oberst befördert, als persönlicher Berater von Tjulpanows Widersacher Semjonow. 99 Im März 1950 korrigierte der „Kurier": Wie durch Mithäftlinge im KZ Sachsenhausen bekannt geworden wäre, sei Feldman wegen „monopolkapitalistischer Lebensführung" zu 25 Jahren Zwangsaibeit verurteilt worden. 100 Diese Meldungen reichen sicherlich über den Status der Mutmaßung hinaus, doch lassen sie sich bis heute nur in einzelnen Fällen verifizieren. 101 Auch die Erinnerungen von Zeitzeugen, wie die Aufzeichnungen von Rudolf Reinhardt, 102 der selbst Mitarbeiter der „Täglichen Rundschau" war, bestätigen zwar das geheimnisvolle Verschwinden der jüdischen Offiziere, können solche Behauptungen aber nicht im Detail belegen. Selbst heute noch liegen viele dieser Schicksale im Dunkeln. 103 Die von uns 1989/90 mit ehemaligen Kulturoffizieren geführten Gespräche geben ebenfalls nur bedingt Aufschluß. Die Befragten bekräftigten zwar das Faktum der Verhaftungen, wollten oder konnten aber nicht umfassend darüber Auskunft geben. IljaFradkin berichtete, daß er nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion Anfang 1948 Opfer einer Denunziation geworden sei; ihm wurde zu enger Kontakt mit Deutschen nachgesagt. Man habe ihm daraufhin Unannehmlichkeiten bereitet, er sei jedoch „mit einem blauen Auge davongekommen", 104 d. h. weder zu Gefängnisnoch zu Lagerhaft verurteilt worden. Aus eigener Anschauung wußte er von zwei Verhaftungen 97 98 99 100 101

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Veränderungen bei der „Täglichen Rundschau", in: Tagesspiegel vom 22. 6. 1949. Spiegel Nr. 19 vom 11.5. 1950. Die Abberufung bestätigte W. Tschubinski im Gespräch. Der Vorwurf des ZK habe gelautet, die „Tägliche Rundschau" sei „zu überparteilich". Verschwunden, verhaftet, befördert. Sowjetoberst Feldmann im Stabe Botschafter Semjonows, in: Der Abend vom 15. 2. 1949. Zwangsarbeit für Feldmann, in: Kurier vom 4. 3. 1950. Ein aufschlußreiches Dokument ist jetzt zu Feldman veröffentlicht worden, in dem er angeklagt wird, er habe seine Kontrollfunktion beim „Nacht-Expreß" zu Unterschlagungen und Schiebereien mißbraucht. In diesem Zusammenhang wird auch Tjulpanow nicht nur der Mitwisser-, sondern auch der Mittäterschaft beschuldigt. - Iz zapiski V. Abakumova v CK VKP (b) G. Malenkovu o pokazanijach I. Fel'dmana (9. 8. 1949), RCChlDNI 17/118/567, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 232f. Vgl. Reinhardt, Zeitungen und Zeiten, S. 34f. Gespräch mit Hans Borgelt, Berlin 26. 11. 1989. Zum ungeklärten Schicksal zahlreicher Kulturoffiziere vgl. auch: Bernhardt, Die Bedeutung sowjetischer Kulturoffiziere, S. 42. Gespräch, Moskau 27. 5. 1989.

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zu berichten, eine davon bezog sich auf den schon erwähnten Feldman, die andere betraf Major Pereswetow, der russischer (nicht jüdischer) Abstammung war. Er habe sich stets „natürlich" verhalten, ohne Selbstschutz, so daß einige zu freizügige Äußerungen zu seiner Verhaftung geführt hätten. 1956 sei er, wie viele andere, rehabilitiert worden und habe in seine Heimatstadt zurückkehren können. Dagegen schreibt der ehemalige Mitarbeiter der „Täglichen Rundschau" Rudolf Reinhardt in seinem Erinnerungsbuch, daß die in Karlshorst nicht gebilligte Liaison des sowjetischen Redakteurs Pereswetow mit der deutschen Musikkritikerin Ingeburg Kretzschmar 105 der Grund für das Verschwinden des sowjetischen Offiziers gewesen sei. 106 Wadim Tschubinski, ehemals Korrespondent der „Täglichen Rundschau", gibt an, daß 1949 fünf Mitarbeiter der Zeitschrift verhaftet und weitere zwanzig in die Sowjetunion abkommandiert worden seien. 107 Auch der Zeitpunkt der Demobilisierung der Kulturoffiziere nach ihrer Rückkehr war unterschiedlich und könnte zu Spekulationen Anlaß geben. GrigoriBergelson, Leiter der Kulturredaktion bei der „Täglichen Rundschau", sagte aus, daß er unmittelbar nach seiner Rückkehr Anfang 1947 demobilisiert worden sei. 108 Diese Version war auch von Arseni Gulyga zu hören, dessen Einsatz in der SBZ Anfang 1948 endete; allerdings korrigierte er sich später dahingehend, daß er bis 1954 einen Offiziersrang bekleidet und bei einem Militärverlag bzw. einer Militärzeilschrift gearbeitet habe. 109 Es ist davon auszugehen, daß die Verdächtigungen, denen die Kulturoffiziere nach ihrer Rückkehr ausgesetzt waren, „sie in der Regel von den ihnen zustehenden wissenschaftlichen Entwicklungen ausschlössen bzw. diese verzögerten". 110 Die meisten von ihnen, selbst namhafte wie Sergej Tjulpanow und Ilja Fradkin, durften erst Jahrzehnte später wieder ins Ausland reisen. 111 Die zweite Generation von Kulturoffizieren, die Ende der vierziger Jahre auf die freigewordenen Plätze nachrückte, bestand im wesentlichen aus Russen (Mitarbeiter jüdischer Abstammung wurden offenkundig nicht mehr entsandt). Die neuen Posteninhaber zeichneten sich nunmehr weniger durch Weitläufigkeit als durch starre Linientreue aus. 112 Von ihnen hat sich keiner mehr im kulturellen Leben der DDR einen Namen gemacht. 105 Ingeburg Kretzschmar blieb den Kulturoffizieren freundschaftlich verbunden. Vgl. ihre Artikelserie: Fragen an einen alten Freund [A.W. Kirsanow]; „... ein Stück Herz blieb hier!" [S.I. Tjulpanow]; „... und mehren mit junger Kraft." [A.L. Dymschitz]. 106 Reinhardt, Zeitungen und Zeiten, S. 84. 107 Gespräch mit Wadim Tschubinski vom 16. 11. 1993. 108 Gespräch, Leningrad 9. 7. 1989. 109 Gespräch, Moskau 26. 6. 1989. In dieser Zeit erhielt er auch den Auftrag, einen Leitfaden über die DDR für sowjetische Soldaten zu verfassen: Germanskaja Demokraticeskaja Respublika. Materialy dlja politiceskich zanjatij s soldatami i serzantami (Moskau 1953). 110 Bernhardt, Die Bedeutung sowjetischer Kulturoffiziere, S. 43. 111 Ebd., S. 42. Tjulpanow durfte erst 1965 wieder in die DDR fahren; mehrfach hatte er sich vorher beim ZK der KPdSU beschwert, daß er Einladungen mit fadenscheinigen Argumenten stets habe ablehnen müssen. Vgl. seine Briefe und Eingaben vom Juni 1960 und vom 8. Oktober 1963 aus dem Privatarchiv der Familie, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 236-239. 112 Im Bericht eines deutschen Informanten der amerikanischen Militäradministration werden diese sogar mit SS-Offizieren verglichen. - Bericht vom 15. März 1948, BA Koblenz: OMGUS, ODI 7/22-1/ 10-13.

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5.2.4 Kulturoffiziere: Zwei Porträts Selbst die Biographien von Sergej Tjulpanow (1901-1984) und Alexander Dymschitz (1910-1975), der beiden prominentesten Kulturoffiziere, weisen signifikante Bruchstellen auf. Auch bei ihnen waren die Umstände der Rückkehr und die Konsequenzen bislang ungeklärt. Im Falle Dymschitz' läßt sich diese Leerstelle durch sein in Moskau aufgefundenes Demissionierungsschreiben weitgehend auffüllen. Doch zunächst zu Tjulpanow. Sergej Tjulpanow Tjulpanow bekleidete das Amt des Leiters der Informationsverwaltung innerhalb der SMAD, das „funktionsbedingt" direkten Kontakt zur sowjetischen Staats- und Parteiführung einschloß; 113 über weitere Posten bestehen nur Spekulationen. 114 Seine Machtfülle zeigte sich bei verschiedenen Interventionen in deutsche Belange. Er war maßgeblich an der Absetzung der CDU-Vorsitzenden der SBZ Hermes und Schreiber 1945 und deren Nachfolger Lemmer und Kaiser 1947 beteiligt. Tjulpanow war es auch, der die Fusion von SPD und KPD zur SED forcierte. Ob und inwieweit die Berliner Blockade auf sein Betreiben zurückzuführen ist, läßt sich nur vermuten. Es gehörte zum Prinzip der sowjetischen Außen- und Innenpolitik wie auch der SMAD-Organisation, Einblicke Außenstehender wenn möglich zu verhindern, so daß die westliche Forschung in diesen Bereichen - nach wie vor - vielfach auf Spekulationen angewiesen ist. Als gesichert kann wohl gelten, daß Tjulpanow Parteigänger seines Leningrader Landsmannes und Protektors 115 Andrej Shdanow war, der schon 1947 mit äußerst scharfen antiwestlichen Reden hervorgetreten war. Tjulpanow schloß sich ihnen an und veitrat, geschützt durch Marschall Sokolowski, den Obersten Chef der SMAD, in enger Zusammenaibeit mit Ulbricht offenbar Shdanows Votum für einen deutschen Sonderstaat als sowjetische Einnußsphäre. 116 Diese deutschlandpolitische Zielsetzung befand sich allerdings in Konkurrenz mit anderen Konzepten führender sowjetischer Politiker, 117 als deren Repräsentanten in Deutschland der Chef der Innenverwaltung General Serow und der politische Berater der SMAD Wladimir Semjonow galten. Letzterer wurde schon damals von Beobachtern als Gegenspieler Tjulpanows wahrgenom113 114

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Strunk, Pressekontrolle, S. 69. Ob Tjulpanow noch andere Funktionen innehatte, ist aufgrund der Widersprüchlichkeit der Meldungen nicht eindeutig belegbar. - Vgl. Strunk, Die Sowjetische Militäradministration, S. 160. In einem „Special Intelligence Summary" der amerikanischen Militärverwaltung vom 22. November 1947 mit dem Titel „Political Developments in the British, French and Russian Zones" heißt es, daß Tjulpanow im März 1947 zum „Head of the Political Department" aufgerückt sei, ein Posten, den vormals General Bokow bekleidete. - BA Koblenz: OMGUS, ODI3/429-3/9. Es ist auch gemutmaßt worden, daß Tjulpanow Leiter des Parteiaktivs der KPdSU im SMAD-Apparat war, eine offenbar fälschliche Annahme. - Vgl. GARF 7317/8/2; Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 27. Laut G. Ra'anan soll Shdanow Tjulpanow aus Sibirien zurückgeholt haben, wohin Tjulpanow wegen „Abweichungen" eine Zeitlang verbannt worden sein soll. - Vgl. Ra'anan, International Policy Formation, S. 85. Staritz zitiert ein Anfang Mai 1948 von Tjulpanow verfaßtes sechsundzwanzig Seiten umfassendes Memorandum, das für den östlichen Teil des geteilten Deutschlands „eine Entwicklung nach dem Typ der neuen Demokratien" vorsieht. - Vgl. Staritz, Die SED, Stalin, S. 5. Vgl. Kap. 2.1.

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men. 118 Die Presse berichtete über heftige Kontroversen zwischen beiden angesichts der Auftritte Tjulpanows gegen die westlichen Alliierten. Offenbar war Tjulpanows Kompromißlosigjceit intern höchst umstritten: Schon im Herbst 1946 wurden ihm bei einer internen Überprüfung „ernsthafte Fehler", mangelnde Führungseigenschaften und eine Neigung zu Intrigen vorgehalten; 119 Tjulpanow müsse abgelöst werden, lautete die Schlußfolgerung im Dezember. Warum er dennoch seinen Posten behielt, ist nicht nachzuweisen. Es wurde jedoch weiterhin periodisch Kritik an seiner Amtsführung erhoben und die Forderung, ihn abzusetzen, laut: Es fehle ihm, so Vorwürfe vom Frühsommer 1948, an staatsmännischer Flexibilität, politischem Takt und Organisationstalent. 120 .Dunkle Stellen' in seiner Biographie, nämlich die Tatsache, daß seine Eltern 1937 verhaftet und wegen Spionage verurteilt worden waren, Tjulpanow dies aber in seinem Personalbogen unterschlagen hatte, schwächten seine Position zusätzlich. 121 Ein Strick wurde ihm auch aus Angaben des verhafteten Kontrolloffiziers des Nacht-Expreß Feldman gedreht, denen zufolge Tjulpanow Geldgeschenke und Kunstgegenstände angenommen und gar eingefordert hätte. 122 (Allerdings wurde ihm - wie auch Semjonow und Dymschitz - noch im Juni 1948 ein Orden verliehen 123 und erfolgte noch 1949 seine Ernennung zum Generalmajor.) Als Tjulpanow in seiner Rede auf der 1. Parteikonferenz der SED am 25. Januar 1949 die Westmächte erneut scharf angriff, mußte der Berliner Rundfunk seine Direktübertragung nach vier Minuten abbrechen. In der Presse wurde die Rede verschwiegen. Im Oktober 1949 124 oder im März 1950, 125 die Angaben schwanken, 126 wurde Tjulpanow in die Sowjetunion zurückbeordert. Mit der Ablösung Sokolowskis durch Tschuikow im März 1949 hatte er seinen wichtigsten Protektor verloren. Daß ihm nach der Rückkehr Schwierigkeiten bereitet wurden, deutet Jürgen Kuczynski an. Er erwähnt, daß „man ihn nach seiner Heimkehr 1950 aus unserer Republik politisch

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Vgl. Sopade Informationsdienst Nr. 695 vom 10. Februar 1949: Was ist mit Oberst Tulpanow? - AdsD: Bestand Ostbüro der SPD Nr. 0401 und den vertraulichen Informationsbericht über Tjulpanow vom 25. 1. 1949 (ebd).

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Iz dokladnoj zapiski... A. ¿danovu o rezul'tatach proverki raboty Upravlenija propagandy SVAG (11.10.1946), S. 191. Vgl. Iz dokladnoj zapiski komissii CK VKP (b)... o rezul'tatach proverki raboty Upravlenija informacii SVAG (1948), S. 214. Dokladnaja zapiska zamestitelja nacal'nika Glavnogo Politiceskogo Upravlenija VS SSSR S. Satilova G. Malenkovu ob osvobozdenii Tjul'panova ot raboty (17.9. 1949). - RCChlDNI 17/118/567, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 233f. Tjulpanow bemühte sich später um eine Rehabilitierung seiner Eltern. - Vgl. seine Eingabe: V Glavnuju prokuratoru Sovetskogo Sojuza, Archiv der Familie Tjulpanow, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 234f.

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Iz zapiski V. Abakumova v CK VKP (b) G. Malenkovu o pokazanijach I. Fel'dmana. Vgl. Sovetskoe slovo vom 26. 6. 1948. Vgl. Wo steckt Tulpanow?, in: Telegraf vom 5. 10. 1949: Das Sowjetische Nachrichtenbüro habe verbreitet, Tjulpanow sei von seinem Berliner Posten abberufen worden und bereits vor einiger Zeit nach Moskau abgereist. Dem stünden Meldungen entgegen, „nach denen Generalmajor Tulpanow bei den Vorbereitungen zur Bildung einer separaten Ostzonenregierung in Berlin an hervorragender Stelle mitwirkte".

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Vgl. Zeit des Neubeginns, S. 60. Den Beschluß, Tjulpanow abzuberufen, faßte das Sekretariat des ZK der kommunistischen Partei am 18. Oktober 1949; es kann jedoch noch einige Zeit gedauert haben, bis er Deutschland verließ. O. t. Tjul'panove S.I., RCChlDNI 17/118/567, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 234.

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verleumdete und es lange dauerte, bis er die Denunziation widerlegen konnte". 127 Jedenfalls war er zunächst mehrere Jahre an der Marine-Militärakademie in Leningrad tätig 128 und wurde erst 1956 aus der Armee entlassen. Als Prorektor an der Leningrader Shdanow-Universität war sein Arbeitsgebiet u. a. politische Ökonomie der Entwicklungsländer. Die scharfe Kapitalismuskritik setzte er in seinen Veröffentlichungen fort. 129 Bei einem seiner späteren Besuche in der DDR wurde Tjulpanow zum Ehrendoktor der Universität Leipzig ernannt. 130 Hans Mayer erinnert sich an den „überaus subtilefn] Oberstleutnant Tulpanow" 131 , Alfred Kantorowicz beschreibt ihn als „geistig bewegliche[n], aufgeschlossene[n] Organisator, der unabhängige Meinungen nicht übelnahm, auch Widerspruch vertragen konnte", 132 als Mann mit Humor und Charme. Mit persönlichem Wohlwollen habe er Kantorowicz' Zeitschrift „Ost und West" gegen die SED-Funktionäre gestützt. 133 Übereinstimmend wird Tjulpanow in den diversen Erinnerungsberichten Jovialität, eine profunde Bildung und Konzilianz im Umgang mit deutschen Intellektuellen bescheinigt. Wie gehen solche Beurteilungen mit seiner Bewertung als kompromißloser Verfechter einer Umwandlung der SBZ nach sowjetischem Vorbild und als „fanatischer Kommunist" 134 - so die Einschätzung der amerikanischen Militäradministration überein? Der Widerspruch ist weniger gravierend als er scheint. Eine Gewinnung breiter Schichten der Intelligenz mußte ja gerade der inneren Stärkung des eigenen Territoriums dienen, die wiederum Voraussetzung war für die Abgrenzung gegenüber dem Westen. Tjulpanows Vorhaben der Festigung der SBZ als sowjetischer Vorposten schloß die Zusammenarbeit mit Deutschen jeder politischen Couleur ein. (In manchen Bereichen wunden für diese Konsolidierungspolitik sogar Ex-Nazis mobilisiert, von denen man besondere Willfährigkeit erwarten konnte. 135 ) Dabei mußten die politische Kompromißlosigkeit Tjulpanows und sein aufrichtiges Engagement für die Kunst durchaus nicht unvereinbar sein. Alexander Dymschitz Auch das Porträt Alexander Dymschitz' weist Divergenzen zwischen in seinem Fall engen kulturpolitischen Optionen einerseits und der Aufgeschlossenheit für ein lebendiges Kunstleben andererseits auf. Die Würdigungen seiner Persönlichkeit und seines Einsatzes für das literarische 127 128

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Kuczynski, Mein Freund Sergej Iwanowitsch Tulpanow, S. 956. In Erinnerungen aus der DDR kann man lesen, daß mit der Rückkehr nach Leningrad im März 1951 (!) „Tulpanows lange gehegter Wunsch in Erfüllung" ging und er „dann als Professor für Ökonomie an der Universität wirkte". - R. und M. Seydewitz, Unvergessene Jahre, 128. Vgl. seine Publikationen: Osnovnoj ekonomiceskij zakon sovremennogo kapitalizma; Vozniknovenije i razvitie mirovogo rynka; Kolonial'naja sistema imperializma; Krisis mirovogo kapitalizma; (mit D.S. Korenova) GDR - 15 let; (Hrsg.) Velikaja Oktjabr'skaja socialisticeskaja revoljucija; (mit V.L. Sejnis) Aktual'nye problemy politiceskoj ekonomiki sovremennogo kapitalizma. Vgl. Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben, Bd. 2, S. 90f. Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf, Bd. 2, S. 15. Kantorowicz, Deutsches Tagebuch, Bd. 1, S. 282. Ebd., S. 581. Special Intelligence Summary. The Other Zones of Germany. Part II. Political Developments in the British, French and Russian Zones, 22. 11. 1947. - BA Koblenz: OMGUS ODI 3/429-3/9. Vgl. Ra'anan, International Policy Formation, S. 95. Dies bestätigte auch Jürgen Kuczynski im Gespräch, Berlin 5. 9. 1988.

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Leben im Nachkriegsdeutschland sind Legion. Seine Intelligenz und sein überlegenes Wissen werden ebenso gelobt wie seine Tatkraft und Bescheidenheit, sein Verständnis und Fingerspitzengefühl. 136 Gleichzeitig heben die in der DDR veröffentlichten Hommagen immer wieder hervor, daß er „mit seiner Feder einen unversöhnlichen Kampf gegen Dekadenz und amerikanische ,Asphaltliteratur' führte". 137 Alexander Dymschitz, 1910 in der Nähe von Reval geboren, stammte aus wohlhabendem, gebildetem und musischem Elternhaus. Er studierte an der Literaturfakultät des Leningrader Instituts für Kunstgeschichte. 138 1930 begann er, erst als Praktikant, später als Dozent, am Institut für russische Literatur, dem Leningrader Puschkin-Haus der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, zu arbeiten und schloß 1936 seine Dissertation über die „Poesie der bolschewistischen Presse in den Jahren 1890 bis 1917" ab. Schon 1934 wurde Dymschitz Mitglied des Schriftstellerverbandes der UdSSR und übernahm kurz darauf die Leitung der Abteilung Literaturkritik bei der Zeitschrift „Swesda". Er hatte also schon frühzeitig die Grundsteine für eine wissenschaftliche und kulturpolitische Karriere gelegt. Bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs reichte Dymschitz eine Habilitationsschrift über Wladimir Majakowski ein. 139 Das Gutachterverfahren zog sich bis 1943 hin (z. T. wurde die Korrespondenz per Feldpost zugestellt), 140 obwohl die Verteidigung schon 1941 angekündigt war. 141 Schließlich wurde die Arbeit in geheimer Abstimmung abgelehnt, „eine der bittersten Stunden in seiner wissenschaftlichen Laufbahn". 142 Während des Krieges war Dymschitz als politischer Offizier tätig: u. a. war er in der Redaktion der Armeezeitung „Snamja pobedy" beschäftigt und hielt - seine Deutsch- und Deutschlandkenntnisse ausnutzend - 1942-1944 Vorträge vor russischen Soldaten über Themen wie: „Wissen die Deutschen, was an der Front vorgeht?", „Neue Erscheinungen im politisch-moralischen Zustand der deutschen Truppen vor Leningrad", „Das moralisch-politische Antlitz der faschistischen Truppen". 143 Schon in den ersten Kriegswochen veröffentlichte Dymschitz Frontskizzen „Die Erzählungen des Sergeanten Smirnow". Auch verfaßte er 1943 eine von mobilen Laut136

Vgl. Kretzschmar, „... und mehren mit junger Kraft"; Hedda Zinner, zit. in: L. Klutschewskaja, Zeugen zur Person und Sache, in: Freie Welt Nr. 13/1970. 137 TR vom 15. 5. 1955, zit. nach: Dmitri Moldowski/Galina Snimstschikowa/Klaus Ziermann, Alexander Lwowitsch Dymschitz - Ein Lebensbild, in: Alexander Dymschitz. Wissenschaftler, S. 20. 138 Ursprünglich wollte Dymschitz an dem renommierten Leningrader Polytechnischen Institut studieren, bestand auch alle Aufnahmeprüfungen, wurde jedoch nicht angenommen. Als .Nische' für Studierwillige nichtproletarischer Abstammung bot sich dann das Institut für Kunstgeschichte an. - Vgl. die Erinnerungen von Grigori Weiss aus dem Jahre 1977, SAPMO: ZPA EA 1838. Weiss schildert den jungen Dymschitz, den er im Institut kennengelernt hatte, als einen Menschen von beinahe aristokratischem Habitus. Von seiner Mutter, einer Schauspielerin, und seinem Vater, einem Ingenieur, wurde er von Kindheit an geistig gefördert und gefordert, wozu auch eine streng geregelte mehrsprachige Erziehung gehörte. Zu Einzelheiten des Lebenslaufs vgl. auch: Moldowski/Snimstschikowa/Ziermann, Alexander Lwowitsch Dymschitz, S. 7 - 4 9 . 139

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Vgl. seine in der Leningrader Universitätszeitschrift veröffentlichten Thesen: Osnovnye etapy idejno-tvoröeskoj evoljucii V.V. Majakovskogo. - Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/2669. Dymschitz wehrt den Futurismus-Vorwurf ab, indem er Majakowskis künstlerisches Neuerertum hervorhebt. Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/2490. Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/2664. Moldowski/Snimstschikowa/Ziermann, Alexander Lwowitsch Dymschitz, S. 13f. Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/142.

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sprecherwagen einmal wöchentlich in deutscher Sprache zu übertragende Sendereihe aus der Perspektive des deutschen Soldaten Hans Müller, die zur Feindbeeinflussung den Lebensweg dieses verallgemeinerten Typs des deutschen Soldaten von der Mobilisierung über den Fronteinsatz bis hin zur Kampfaufgabe angesichts der übermächtigen russischen Armee nachzeichnete. 144 Im Mai 1945 wurde Dymschitz, damals 35 Jahre alt, als Inspektor für die deutsche Presse nach Deutschland geschickt. Kurze Zeit arbeitete er in Potsdam, übernahm jedoch schon bald die Leitung der KultuiTedaktion der „Täglichen Rundschau" in Berlin und wurde im November 1945 als Leiter der Kulturabteilung innerhalb der Informationsverwaltung der SMAD, die erst allmählich auf- und ausgebaut wurde, eingesetzt. In dieser Funktion absolvierte Dymschitz ein umfangreiches Arbeitsprogramm, das nicht nur die Suche nach Künstlern, die Instandsetzung von Spielstätten, die Wiederbelebung und Neuschaffung von Institutionen, Auftritte in der Öffentlichkeit und Stellungnahmen in der Presse, kurz: Aktivitäten auf deutschem Boden, umfaßte, sondern stets auch auf dem Kontakt und der Auseinandersetzung mit sowjetischen Stellen beruhte. In diesen Jahren bewies Dymschitz vielfach persönlichen Mut, etwa als er das Stück „Der Schatten" seines Leningrader Freundes Jewgeni Schwarz nachdrücklich zur Aufführung empfahl. 145 Gustaf Gründgens, der sich nach Kriegsende zehn Monate in sowjetischer Haft befunden hatte, sich dann aber dem starken Werben der Sowjets durch den Fortgang nach Düsseldorf entzog, 146 inszenierte die „Märchenkomödie für Erwachsene" als seinen Abschied von Berlin in den Kammerspielen des Deutschen Theaters. 147 Die Aufführung fand 1947 statt, während das Stück, in dem sich das Märchenelement der politischen Satire nähert, in der Sowjetunion schon bald nach der Premiere 1940 vom Spielplan abgesetzt worden war. Bereits die Übersetzung des Stücks ins Deutsche fand die Mißbilligung der Kontrolleure des ZK der KPdSU, da es, wie auch einige andere Bühnenwerke, „nicht das tatsächliche Niveau der sowjetischen Kunst widerspiegeln" würde; 148 eine mehrdeutige Formulierung, die letzten Endes das .Zurückbleiben' hinter den Richtwerten' des sozialistischen Realismus meinte. Erst seit 1956 wurden Stücke von Schwarz in der Sowjetunion allmählich wieder gespielt. Andererseits veröffentlichte Dymschitz 1946 und 1948 in der „Täglichen Rundschau" die schon erwähnten Artikelserien zur neuen Kunst und zu Fragen des Formalismus und der Dekadenz, die ganz auf der Linie der sowjetischen Literaturpolitik lagen. Ihr mußte nunmehr öffentlicher Tribut entrichtet werden und der Druck dieser Politik auch nach Deutschland hin verschärfte sich. Allerdings ließen sich Dymschitz' Beiträge noch als - parteilich geführte -Diskussionsbeiträge verstehen im Gegensatz zu den gleichzeitigen Kampagnen in der Sowjetunion. 144 Nachlaß Dymschitz, RGALI2843/1/123. 145 Dymäic, Dobryj öelovek iz Leningrada, S. 43f. Den Einsatz von Ernst Busch und Dymschitz für Gründgens lobte auch H. Ihering in einem Brief an Dymschitz vom 12.2. 1964. - Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/2517. 146 Vgl. Borgelt, Das war der Frühling von Berlin, S. 143-161. 147 Anschließend fand ein Diskussionsabend im Haus der Kultur der Sowjetunion statt. - „Der Schatten" in der Diskussion, in: TR vom 6. 4. 1947. 148 Iz dokladnoj zapiski... A. ¿danovu o resul'tatach proverki raboty Upravlenija propagandy SVAG (11. 10. 1946), S. 190.

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Aus dem Demissionierungsschreiben, das Dymschitz am 19. Januar 1949 an das Sekretariat des Parteibüros der Informationsverwaltung richtete149 und dem gleichzeitigen Bericht an Tjulpanow 1 5 0 geht hervor, daß Dymschitz in einer Resolution des Parteibüros vom 7. Januar vorgeworfen worden war, er habe aus den ZK-Erlassen zu ideologischen Fragen nicht die notwendigen Schlüsse gezogen. Dymschitz hält dagegen: „Ich bekräftige und kann dies durch Fakten belegen, daß ich persönlich wie auch meine Kollegen in der Kulturabteilung durch eine ganze Reihe von Maßnahmen - Dutzende von Vorträgen und Lektionen, Instruktionsversammlungen mit sowjetischen und deutschen Propagandaarbeitern, eine Vielzahl von Aufsätzen, die in progressiven deutschen Kreisen eine lebhafte und positive Resonanz gefunden haben - eine aktive und wirkungsvolle Propaganda für die historischen Beschlüsse entfaltet haben." Seine Tätigkeit als Leiter der Kulturabteilung sei von verschiedensten Kommissionen ohne Beanstandung überprüft worden. Nun aber werde seine ganze Arbeit mit einem Federstrich eliminiert. Abgesehen davon, daß diese Ausführungen die Abhängigkeit von sowjetischen Direktiven und die engmaschige Überprüfung ihrer Durchführung erhellen, machen sie auch deutlich, wie Machtkämpfe hinter den Kulissen ausgefochten wurden, nämlich durch die politische Verunglimpfung des Gegners. Widersacher Dymschitz' waren vor allem die Mitglieder des Parteibüros Kriwopalow und Abramow, der Stellvertreter Tjulpanows. Verfehlungen wurden Dymschitz auch in bezug auf das Haus der Kultur der Sowjetunion vorgeworfen. Dymschitz habe seine Aufsichtspflicht verletzt. Die Vorhaltungen konzentrieren sich vor allem auf einen für einen Übersetzerwettbewerb des Kulturhauses und der „Täglichen Rundschau" zusammengestellten Sammelband „Sowjetische Poesie". Ihm galt die Sitzung des Parteibüros vom 27. Dezember 1948; aber die Resolution, die am 7. Januar 1949 verabschiedet wurde, befaßte sich ausschließlich mit den angeblichen Schwächen der Arbeit von Dymschitz. Dies verdeutlicht, daß die gegen Dymschitz vorgebrachte Kritik nur seine Entmachtung legitimieren sollte. Im Fall der Anthologie (auf sie ist zurückzukommen) legt Dymschitz in seinem vehementen Protestschreiben überzeugend dar, daß nicht ihm, sondern Abramow als dem für das Haus der Kultur der Sowjetunion direkt zuständigen Kulturoffizier die Fehler anzulasten seien. Abramow indes machte gemeinsam mit dem Parteibüro gegen Dymschitz Front. Die Resolution bringt noch weitere Kritikpunkte vor, etwa daß Dymschitz die Arie Lykows aus dem 1. Akt der „Zarenbraut" 151 unzensiert habe singen lassen. Dem hält Dymschitz entgegen, daß Major Kotelnikow für die Aufführung zuständig war und es allein aus Personalgründen nicht möglich sei, dem Kontrolleur jeweils einen weiteren Kontrolleur vorzusetzen. Diese Vorhaltung wie weitere

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Sekretarju partbjuro upravlenija informacii SVAG kapitanu tov. Goncarovu. - Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/2500. Raport Dymsica nafial'niku upravlenija informacii SVA v Germanii pol'kovniku tov. Tjul'panovu, S.I. - Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/2500. Diese Oper Rimski-Korsakows spielt zu Zeiten Iwans IV. (des Schrecklichen). Lykow ist der Bräutigam von Marfa, die sich Iwan als eine von mehreren zur Frau erkoren hat. Marfa wird vor der Hochzeit vergiftet. Ein Opritschnik, der sie ebenfalls liebte, beschuldigt Lykow, den Mord begangen zu haben, worauf Iwan Lykow hart bestraft. Iwan IV. tritt in dieser Oper stets nur kurz als stummer Beobachter auf. Das Dämonische, Schicksalhafte, das seine Aura ausmacht, wird nicht kritisch gebrochen, sondern in seiner Anziehungskraft auf das Volk gezeigt. Lykow ist potentiell der einzige Gegenspieler Iwans, ohne jedoch Hauptperson in der Oper zu sein. Das Bild Iwans IV. hatte indes Ende der 40er Jahre auf Stalins Weisung hin uneingeschränkt positiv zu sein. Vgl. auch Kap. 3.2.3.

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Beanstandungen waren nicht Gegenstand der Sitzung des Parteibüros gewesen, was ein weiteres Mal den auf Dymschitz persönlich abzielenden Charakter der Resolution erhellt. In dieser Atmosphäre der „Hetzjagd und Verleumdung" könne er, so Dymschitz an Tjulpanow, seine Tätigkeit als Leiter der Kulturabteilung nicht länger ausüben. Das gesamte Vorgehen zeige, daß es dem Parteibüro, das ihm schon ein ganzes Jahr lang alle Hilfe verweigert habe, gar nicht an einer Richtigstellung gelegen sei, sondern es die nachweisbaren Fakten verzerre, um ihn, Dymschitz, zu diskreditieren. Dymschitz' Weggang habe eine Lücke „in unser und mein Leben und Wirken" gerissen. 152 Mit diesem Bekenntnis leitete Kuczynski im Mai 1949 die lange Reihe von Danksagungen und Freundschaftsbekundungen für Dymschitz ein. Offiziell wurde verbreitet, daß Dymschitz seine durch den Krieg unterbrochene akademische Laufbahn wieder aufnehmen wollte; 153 die eigentlichen Umstände seines Ausscheidens finden indes nirgends Erwähnung - sie stellten ein von Dymschitz selbst streng gehütetes Tabuthema dar. 154 Sein Nachfolger für die verbleibenden Monate bis zur Auflösung der SMAD wurde Wsewolod Rosanow, Sohn des Schriftstellers Michail Rosanow, der unter dem Pseudonym Nikolai Ognjow u. a. das auch im Ausland vielgelesene „Tagebuch des Schülers Kostja Rjabzew" verfaßt hatte. W. Rosanow war 1945 als Zensor beim Ostberliner Rundfunk eingesetzt worden, wurde 1946 zu einem besonderen politischen Schulungskurs nach Moskau zurückbeordert und übernahm anschließend, bevor er Dymschitz' Nachfolger wurde, die Leitung der sowjetischen Zensur beim Rundfunk. 155 Später war er als Übersetzer deutscher Literatur, vor allem Kinderliteratur, tätig, wofür er 1970 von der Akademie der Künste der DDR mit der Alex-Wedding-Medaille ausgezeichnet wurde. 156 Dymschitz kehrte im März 1949 nach Leningrad zurück, wo er seine Hochschultätigkeit wieder aufnahm und später Leiter des Instituts für Theater, Film und Musik wurde. Sein Wechsel scheint äußerlich zunächst einigermaßen problemlos verlaufen zu sein: Schon im Juli 1949 nahm er etwa an einer Sitzung der Leningrader Abteilung des Schriftstellerverbands teil, die der Diskussion der Zeitschrift „Snamja" galt, und trug dort ein umfangreiches Referat über die literarischen Beiträge in den letzten drei Nummern dieser Zeitschrift vor. 157 Er wurde Leiter der Auslandskommission der Leningrader Schriftstellerorganisation, Mitglied ihres Sekretariats und ihrer Parteileitung, Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Swesda". Damit knüpfte er an seine vor dem Krieg begonnene doppelte - wissenschaftliche und kulturpolitische - Laufbahn an. 152 153 154

GARF 5283/16/151. Vgl. Dymschitz verläßt Berlin, in: BZ vom 4. 3. 1949. Dymschitz vermerkt in einem Aufsatz sogar mit Stolz, daß schon 1948 die Durchführung eines Übersetzerwettbewerbs möglich geworden sei, auf der Grundlage der vom Haus der Kultur der Sowjetunion herausgegebenen Anthologie: A.L. Dymsic, Germano-sovetskie svjazi v poslevoennyj period (1945 bis 1949gg.). - Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/18. Der Artikel erschien auch in deutscher Sprache: Literaturbeziehungen, S. 66. Auch Waleri Poltawzew, der damalige Leiter des Hauses der Kultur der Sowjetunion, äußert sich positiv über Wettbewerb und Anthologie und spricht anerkennend von der großen Hilfe, die Dymschitz den Herausgebern geleistet hat, ohne auch nur den geringsten Hinweis auf das unerfreuliche Nachspiel zu geben. - Vgl. Poltawzew, Haus der offenen Tür, S. 375.

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Vgl. Zensor Rozanow, in: Der Abend vom 5. 3. 1949. Vgl. Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben, Bd. 2, S. 80 u. 89. Vgl. Obsuzdenie zumala „Zvezda", in: Vecernij Leningrad vom 1. 8. 1949. Vorgestellt wird er in dem Zeitungsartikel als „Literaturwissenschaftler", von seiner Tätigkeit als Kulturoffizier ist nicht die Rede.

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Intern stand Dymschitz indes offenbar unter starkem Druck, denn in seinen Literaturkritiken paßte er sich - gegebenenfalls aus Gründen des Selbstschutzes und aus Furcht vor Repressionen 158 - in Tendenz und Diktion rasch der herrschenden antikosmopolitischen Linie an. Gulyga, Fradkin, Bergelson und Kazewa, die von uns befragten Kulturoffiziere, gaben an, daß sie, erschüttert von den Folgen der ZK-Erlasse seit 1946, sich in den 50er Jahren von dem dogmatischen Kurs ihres ehemaligen Vorgesetzten Dymschitz distanziert hätten, was ihre Veröffentlichungen auch belegen. Trotz seiner strikten Parteilichkeit sah sich Dymschitz Anfang der 50er Jahre z. T. heftigen Anfeindungen ausgesetzt, was, ähnlich wie die SMAD-internen Vorgänge um seine Demissionierung, deutlich macht, daß Kulturpolitik nicht selten als Mittel persönlicher Diskreditierung und zur Austragung von Machtkämpfen instrumentalisiert wurde. Man warf Dymschitz und anderen Leningrader Literaturwissenschaftlern und -kritikern vor, die „Notwendigkeit des Kampfes mit den Überbleibseln reaktionärer bürgerlich-nationalistischer und kosmopolitischer Theorien in der Literaturwissenschaft" vernachlässigt zu haben, 159 und bemängelte, daß seine Besprechungen von Theaterstücken „hohen Anforderungen nicht standhalten" würden. 160 Eine Dienstreise Dymschitz' vom Herbst 1952 in die Ukraine wurde angeprangert, da sie kostspielig gewesen sei, aber nicht den gewünschten literarischen Ertrag erbracht habe. 161 Die Zeitungskampagne gegen Dymschitz kulminierte, als dieser 1953 in der Zeitung „Vetscherni Leningrad", noch vor Stalins Tod, den parteiamtlich scharf gerügten Roman Wassili Grossmans „Für die gerechte Sache" verteidigte, einer der wenigen Fälle, in denen er einer dogmatisch ausgerichteten Vorgabe der Kulturpolitik nicht folgte. Die Parteipresse kreidete unter dem Titel „Für Prinzipienfestigkeit und ein hohes Niveau der Literaturkritik" der Zeitung „Vetscherni Leningrad" die Publikation des Dymschitz-Artikels als „ernsten Fehler" an; Dymschitz selbst werden in dem Artikel noch weitere fehlerhafte' Literaturkritiken vorgehalten. 162 Auf einer eigens zu dem von der Parteizeitung vorgegebenen Thema anberaumten Sitzung der Leningrader Literaturkritiker und -Wissenschaftler wurden ihm „politische Blindheit" und „Prinzipienlosigkeit" vorgeworfen. Dymschitz räumte ein, daß seine Bewertung des Grossman-Romans „zutiefst fehlerhaft" gewesen sei, doch verwahrte er sich gegen die Kritik an seinen übrigen Beiträgen und verweigerte sich einer - von ihm erwarteten - öffentlichen Selbstkritik, da er Zeit benötige, um „über die ganze Tiefe seines Fehlers" nachzudenken. 163

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Diese Meinung vertrat Jewgenija Kazewa, nach dem Krieg beim Sowjetischen Nachrichtenbüro in Berlin tätig, in einem Gespräch, Moskau 24. 5. 1989. Dm. Moldovskij, Vaznaja zadaca kritikov i literaturovedov, in: Vecernij Leningrad vom 15. 11. 1951. Teatral'naja recenzija v „Vecemem Leningrade", in: Leningradskaja Pravda vom 13. 8. 1952. Vgl. Leningradskaja Pravda vom 3. 2. 1953. Am 11.7. 1952 richtete die Wochenzeitung des Kulturbunds „Sonntag" eine Anfrage an Dymschitz, ob er für die Sondernummer zum 35. Jahrestag der Oktoberrevolution einen Beitrag schreiben könne, z. B. über seine Begegnungen mit Intellektuellen während seiner Arbeit in Deutschland oder über den Einfluß der Oktoberrevolution auf fortschrittliche Schriftsteller. Um rasche Antwort wurde gebeten. Am 16. 10. 1952, also drei Monate später, wandte sich die WOKS in einem kurzen Schreiben an ihren Deutschland-Bevollmächtigten Gussew mit der Bitte, dem „Sonntag" mitzuteilen, daß Dymschitz wegen „übermäßiger Beschäftigung" die Bitte der Redaktion nicht erfüllen könne. - GARF 5283/16/183. Die indirekte Form der Beantwortung läßt darauf schließen, daß die Bitte des „Sonntag" gar nicht an Dymschitz weitergeleitet worden ist. Za principial'nost' i vysokij uroven' literaturnoj kritiki, in: Leningradskaja Pravda vom 23.2. 1953. Sobranie leningradskich kritikov literaturovedov, in: Veiernij Leningrad vom 13. 4. 1953.

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Seiner akademischen Karriere haben die damaligen Anfeindungen geschadet. Die 1953 zur Prüfung von Dymschitz' Habilitationswürdigkeit von der Abteilung Literatur und Sprache der Akademie der Wissenschaften eingereichten Materialien wurden zwar positiv begutachtet, das Ergebnis Dymschitz aber nicht vorgelegt und das Habilitationsverfahren damals nicht eröffnet. Erst dreizehn Jahre später, 1966, wurde er mit einer kumulativen Arbeit über „Einige Probleme der Entwicklung der deutschen Lyrik und des ästhetischen Denkens in der Mitte des 19. Jahrhunderts" habilitiert. 164 Unabhängig davon bekleidete er indes, vor allem seit seiner Übersiedlung nach Moskau im Jahre 1959, in wachsendem Umfang angesehene Posten (Stellvertretender Chefredakteur der Zeitschriften „Literatura i shisn" und „Oktjabr", Lehrstuhl an der Moskauer Filmhochschule und Mitarbeit in der deutschen Abteilung des Instituts für Weltliteratur der Akademie der Wissenschaften) und übernahm wichtige kulturpolitische Funktionen (Vorstandsmitglied der Moskauer Abteilung des Schriftstellerverbands, Chefredakteur für Filmkunst im Filmkomitee beim Ministerrat der UdSSR). In seinen zahlreichen Artikeln und Büchern bis hin zur letzten Abhandlung „Das Elend der Sowjetologie und des Revisionismus" 165 nahm er eine streng dogmatische Haltung ein: Zwar verwahrte er sich gegen normative theoretische Einengungen und schematische Auffassungen des sozialistischen Realismus (womit er vor allem die - inzwischen allgemein als „Verzerrung" betrachteten - literarischen Erscheinungen Ende der 40er Jahre meinte), verweigerte sich aber gleichzeitig jeglicher thematischer und formaler Grenzerweiterung und lehnte moderne und experimentelle westliche Literatur ebenso ab wie die Rückwendung neuer russischer Literatur zu Mustern der 20er Jahre. Er leistete es sich allerdings, ein umfangreiches und behutsam positives Vorwort zu einem schon seit Ende der 50er Jahre geplanten, aber erst 1973 verwirklichten Band mit Gedichten des 1938 in einem Stalinschen Lager umgekommenen Dichters Ossip Mandelstam zu schreiben, dessen Werke nicht zum Kanon sozialistisch-realistischer Literatur zählten. 166 Sucht man nach Gründen für die langjährige Verzögerung von Dymschitz' Habilitierung, so mag, anders als 1953, in den Folgejahren vorsichtiger kulturpolitischer Öffnung gerade sein - bei 164 Vgl. das positive Gutachten von M. Astachov vom 10. 5. 1966, der auch 1953 das befürwortende Votum abgegeben hatte. - Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/2669. 165 NiSíeta sovetologii i revizionizma. Deutsch: Wandlungen und Verwandlungen des Antikommunismus. Vgl. auch: Kommunisty v avantgarde zasöitnikov Leningrada; Literatura i narod; Iskusstvo prinadlezit narodu; V velikom pochode; Chudozestvennoe mnogoobrazie sovetskoj literatury; Za i protiv; Ideologiceskaja bor'ba v literature; K. Marks i F. Éngel's i nemeckaja literatura; Izbrannye raboty v dvuch tomach. Auch die Studentenbewegung und die Neue Linke in der Bundesrepublik fanden nicht seine Zustimmung. So rechnete er in einer deutschsprachigen Sendung von Radio Moskau am 4. 12. 1973 mit H. Marcuses Buch „Konterrevolution und Aufruhr" ab („linke Phrasen"; „Hypnotisierung der Jugend und der Intelligenz"). - Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/1032. 166 Noch vor der Publikation des Bandes holte die Verlagsredaktion mehrere Gutachten zum Vorwort von Dymschitz ein, die zum Teil kritisch, zum Teil positiv sind. - Vgl. Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/2669. Ein Zugeständnis an den damaligen Zeitgeist (1973) machte Dymschitz dennoch, indem er im Zusammenhang mit Mandelstams letzten Jahren die Begriffe „Verbannung" und „Lager" vermeidet. - Vgl. Dymsic, Poézija Osipa Mandel'ätama, S. 5-54. Auf die inoffizielle Meinung, daß ohne Dymschitz' Vorwort der Gedichtband zu jener Zeit überhaupt nicht hätte erscheinen können, sei hier nicht eingegangen. Sie wirft jedoch ein Licht auf die damalige literaturpolitische Funktion von Vorworten insgesamt.

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aller unbestreitbaren Fachkompetenz - unbeugsamer Dogmatismus in Wissenschaftskreisen Anstoß erregt haben und der Verleihung höchster akademischer Würden hinderlich gewesen sein. 1966 hatte sich das Klima wieder verhärtet 167 , so daß Dymschitz' Position sich nunmehr im Einklang mit der herrschenden Tendenz befand und eventuell noch bestehende Bedenken gegen seine Habilitierung nicht mehr durchsetzungsfähig waren. Was Begegnungen zwischen deutschen und sowjetischen Schriftstellern betraf, plädierte Dymschitz dafür, strenge Maßstäbe bei der Auswahl dafür geeigneter sowjetischer Kollegen anzulegen. Er wollte damit verhindern, daß liberal gesonnene Autoren mit ihrer Kritik an (rigiden) kulturpolitischen Maßnahmen der Sowjetführung ihre Berufsgenossen aus der DDR, vor allem die noch nicht „ideologisch gefestigten", „desorientieren" könnten. Entsprechende Klagen waren während einer Reise in die DDR im Dezember 1963 von ihm gleichgesinnten deutschen Schriftstellern an ihn herangetragen worden, 168 was davon zeugt, daß seine Autorität in der DDR zumindest in den konservativen' Kreisen - ungebrochen war. Dymschitz' Persönlichkeit ist also durchaus schillernd, sein Wirken ambivalent. Auch die Rede, die Anton Hiersche 1976 anläßlich der Umbenennung einer Lenkersdorfer Schule in Alexander-Dymschitz-Schule vortrug, hält diese Zwiespältigkeit fest: „Er machte nie ein Hehl daraus, daß seine Position in bestimmten Fragen ihm nicht nur Anerkennung verschaffte, sondern auch versteckte oder offene Anfeindungen hervorrief. Er amüsierte sich sowohl über die einen, die ihn einen Dogmatiker nannten, als auch über andere, denen er des Revisionismus verdächtig schien. Beide Auffassungen [...] verkennen zwei wesentliche Seiten des Wissenschaftlers Alexander Dymsic [...]: das eine ist in Wahrheit seine Prinzipienfestigkeit, das andere in der Tat seine bewunderswerte Fähigkeit,,heiße' Themen anzusprechen, komplizierte Sachverhalte von ihrem Wesen her zu erfassen." 169 5.2.5 Der Einfluß Moskaus: Die Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (WOKS) Zum Profil der WOKS Die WOKS, die sich 1928 als „freiwillige Vereinigung einer ganzen Reihe von sowjetischen kulturellen Unternehmungen und Organisationen" definierte, 170 stand in Verbindung mit den in den 20er Jahren im Ausland entstehenden Komitees und Organisationen zur Unterstützung der Sowjetunion und organisierte bereits zu jener Zeit den Austausch von Theaterstücken, Filmen, Ausstellungen etc. 171 Während des Zweiten Weltkriegs wurden die kulturellen Beziehungen mit dem Ausland weitgehend, jedoch nicht vollständig unterbrochen. Die WOKS hielt nach wie vor den Kontakt zur amerikanisch-sowjetischen bzw. englisch-sowjetischen Freundschaftsgesellschaft aufrecht, nahm Hilfsgüter für die sowjetische Bevölkerung und Geschenke für die 167 168 169 170 171

Vgl. Eggeling, Die sowjetische Literaturpolitik, S. 204ff. Vgl. Rechenschaftsbericht über die Reise vom 9. bis 21. 12. 1963. - Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/2518. Anton Hiersche, Mein Betreuer oder Noch ein Kapitel über Alexander Dymschitz (Sept. 1976). Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/2684. Allgemeine Union-Gesellschaft, S. 3. Vgl. Gräfe/Kirsch, Die Beziehungen, S. 305.

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Soldaten in Empfang und schickte ihrerseits kulturelle Erzeugnisse der UdSSR ins verbündete Ausland, wie z. B. die während des Krieges entstandene 7. Symphonie von Schostakowitsch. Regelmäßig informierte sie in mehrsprachigen Broschüren über die von den Hitler-Truppen angerichteten Zerstörungen. 172 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die unterbrochenen Auslandskontakte wieder aufgenommen, wobei die neuen Volksdemokratien sowie die SBZ und DDR eine vorrangige Bedeutung erhielten. Der 1945 und 1946 mit den westlichen Ländern wieder in Gang gesetzte Kultur- und Wissenschaftsaustausch, einschließlich gegenseitiger Delegationen, erlitt im Zuge des Kalten Krieges, aber auch aufgrund der sich nach den ZK-Erlassen vom August 1946 veischärfenden innenpolitischen Situation der UdSSR einen erneuten Einbruch, Westkontakte wurden gar kriminalisiert. 173 Initiativen der USA zu gegenseitigen Gastspielen und zu einem Studentenaustausch wurden von der Sowjetunion hinhaltend beantwortet. Die Beziehungen beschränkten sich nunmehr auf den kleinen Kreis der jeweiligen Freundschaftsgesellschaften, wurden jedoch im Zuge des westlichen Antikommunismus oftmals behindert. Ein Kulturabkommen mit der Bundesrepublik wurde erst am 30. Mai 1959 seitens des 1957 gegründeten „Staatskomitees beim Ministerrat der UdSSR für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland" abgeschlossen. Allerdings trat bereits 1954 David Oistrach als erster sowjetischer Künstler mit großem Erfolg in der Bundesrepublik auf. 174 Auch die Ausstellung „30 Jahre Sowjetland" wurde 1947 nicht nur in der SBZ und den Volksdemokratien, sondern u. a. auch in Finnland, Norwegen, Italien und Großbritannien gezeigt. 175 1952 lautete die Zielsetzung der WOKS (in Erweiterung der eingangs zitierten von 1928) dahingehend, „die Sowjetöffentlichkeit mit den kulturellen Errungenschaften des Auslands bekannt zu machen, die Kultur der Völker der UdSSR im Ausland zu popularisieren und somit die Entwicklung und Festigung der Freundschaft und des gegenseitigen Verständnisses zwischen den Völkern der UdSSR und den Völkern anderer Länder zu föidem". 176 Ein Erfolg dieser Politik mag darin gesehen werden, daß die Zahl der nationalen Freundschaftsgesellschaften beständig anwuchs (ebenso wie die jeweiligen Mitgliederzahlen) und sich 1957 bereits auf 47 belief, was innerhalb des sozialistischen Lagers als Zeichen der wachsenden Autorität der UdSSR gewertet wurde. 177 Die infolgedessen auf die WOKS zukommenden erweiterten Aufgaben führten im Februar 1958 zur Gründung der „Union der sowjetischen Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Beziehungen mit dem Ausland" (SSOD) als Dachverband der seit Oktober 1957 in der Sowjetunion entstandenen Einzelgesellschaften. Die Gesellschaft für Sowjetisch-Deutsche Freundschaft wurde im Januar 1958 gegründet mit dem Schriftsteller und Deutschlandkenner Konstantin Fedin als Vorsitzendem. 178 Aufgabe des Dachverbandes war es nach sowjetischer Darstellung auch, die Freundschaftsbewegung innerhalb der Sowjetunion auf eine Massenbasis zu stellen. 179

172 173 174 175 176 177 178 179

Vgl. Materialy k 60-letiju, S. 33. Vgl. Kasack, Kulturelle Außenpolitik, S. 366. Vgl. ebd., S. 373. Vgl. Materialy k 60-letiju, S. 36. GARF 5283/16/186. Vgl. ebd. Vgl. Gräfe/Kirsch, Die Beziehungen, S. 305. Vgl. Materialy k 60-letiju, S. 41 u. 43f.

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Die wichtigsten Funktionen der WOKS bestanden darin, sowjetische Bücher, Broschüren, Vortragsmaterialien, Ausstellungen, Diaserien, Noten und Schallplatten ins Ausland zu liefern, Lektoren für Vorträge zu entsenden, beiderseitige Delegationen zu organisieren und den Briefwechsel mit ausländischen Gesellschaften, Schriftstellern, Wissenschaftlern und anderen Peisonen zu ermöglichen. Ziel war in erster Linie die Propagierung der sowjetischen Kultur im weitesten Sinne sowie der sowjetischen Gesellschafts- und Außenpolitik. An zweiter Stelle standen die Widerlegung antisowjetischer Aussagen und Angriffe nichtkommunistischer Länder und ihrer Organe und die .Entlarvung' gesellschaftlicher Widersprüche und Mißstände in kapitalistischen Ländern. Bei alledem war die WOKS als Teil des kulturpolitischen Apparats in ihren Entscheidungen von der jeweiligen Innen- und Kulturpolitik abhängig, wie die Archivdokumente vielfach belegen. So wurden z. B. Bücher verfemter Autoren, wie es zu jener Zeit z. B. Andrej Platonow, Michail Sostschenko, Anna Achmatowa oder Boris Pasternak waren, nicht versandt; ebenso hielt die WOKS angefragte wissenschaftliche Werke zurück, die nicht mehr dem aktuellen Stand der Ideologie entsprachen. In Zweifelsfällen wandte man sich an die oberste sowjetische Zensurbehörde (GLAVLIT); auch dies ist dokumentiert.. Die WOKS war indes nur eine von mehreren sowjetischen Institutionen, die im und für das Ausland arbeiteten. Vergleichbare Aufgaben nahmen auch das Sowjetische Informationsbüro (SIB), die Auslandsabteilungen des Radiokomitees und der Nachrichtenagentur TASS, das Internationale Buch, die Filmaußenhandelsunion, der Verlag für fremdsprachige Literatur, der internationale Sektor der Akademie der Wissenschaften, die internationale Abteilung des Gewerkschaftsdachverbandes und die Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbandes (AK) wahr. Da die Zuständigkeiten in den Nachkriegsjahren nicht klar abgegrenzt waren, verlief die Arbeit, wie intern beklagt wurde, häufig unkoordiniert und zuweilen auch in offener Konkurrenz zueinander. Beides führte zu einer enormen Verschwendung von Geldern (z.B. bei Mehrfachlieferungen) und verprellte nicht selten ausländische Adressaten und Vertragspartner. 180 Die WOKS war stets bemüht, eine Vorrangstellung einzunehmen und ericlärte z. B. Anfang der 50er Jahre kategorisch: „Außerhalb der WOKS werden Korrespondenzen kultureller und wissenschaftlicher Art nicht geführt." Schriftwechsel beruflicher und fachlicher Art wurden (in einer faktisch kaum durchzuhaltenden Differenzierung) allerdings den entsprechenden Verbänden, z.B. dem Schriftstellerverband, zugestanden, während die WOKS den Austausch im kulturell-ideologischen Bereich für sich in Anspruch nahm. 181 SMAD und WOKS. Zum Alltag der Kulturoffiziere Dymschitz als Leiter der Kulturabteilung koordinierte nicht nur die Aufgaben der sowjetischen Mitarbeiter, sondern über ihn lief auch ein großer Teil der kulturellen Kontakte zwischen 180 Aus Rechenschaftsberichten und Arbeitspapieren der AK und des SIB von 1945 und 1946. - RGALI 631/14/47 bzw. GARF 8581/1/146 und 201. So hatten z. B. zwei dieser Einrichtungen unabhängig voneinander ein und dasselbe Buch eines sowjetischen Autors zwei verschiedenen französischen Verlagen angeboten. 181 Aus einem Papier zur Struktur der WOKS. - SAPMO: AGDSF, A 344. Nahezu grotesk ist der Streit, den die WOKS mit der AK um die Reihenfolge ihrer Nennung als Gratulanten bei einem Glückwunschtelegramm zum 70. Geburtstag des Schriftstellers Bernhard Kellermann Anfang 1949 geführt hat. Das Ergebnis waren gesonderte Telegramme von jeder der beiden Institutionen. - GARF 5283/16/150.

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deutschen und sowjetischen Institutionen. Gerade dieser letzte Aspekt wird häufig außer Acht gelassen, konzentrieren sich doch viele Darstellungen und Erinnerungen von Zeitgenossen eher auf das öffentlichkeitswirksame Auftreten Dymschitz' und anderer Kulturoffiziere bei der schon angesprochenen - Organisation des kulturellen Lebens in der SBZ. Der Umfang ihres Arbeitspensums wird aber gerade bei der administrativen Kleinarbeit hinter den Kulissen sichtbar. Hierin verdeutlicht sich auch ihre Einbindung in bürokratische Strukturen, die gleichsam neben der Ebene KPdSU - SMAD mit ihren allgemeinen politischen und ideologischen Weisungen existierten. Die WOKS mit ihrem skizzierten Aufgabenbereich spielte dabei eine entscheidende Rolle. Man muß sich vergegenwärtigen: Die russische oder gar sowjetische Kultur, um deren Vermittlung es nicht zuletzt auch ging, war in Deutschland praktisch nicht präsent. Texte mußten ausgewählt, übersetzt und geschickt werden, sowjetische Filme mit einem deutschen Kommentar versehen, später synchronisiert werden, es fehlte an Partituren, Noten, nicht zuletzt an Lehrmaterial aller Art. Die Wünsche, die Alexander Dymschitz und seine Mitarbeiter an die WOKS richteten, waren an Qualität orientiert und nicht an einem engstirnigen Kanon. Sie blieben jedoch nicht selten, z. T. ausdrücklich, unerfüllt (worauf noch eingegangen wird), wenn sie im Widerspruch zur je aktuellen Innen- und Kulturpolitik standen. Die regelmäßig, auch ohne spezielle Anforderungen eingehenden Materialsendungen wurden von der Kulturabteilung der SMAD entgegengenommen, auf Vollständigkeit überprüft und an die Adressaten weitergeleitet. Dies waren in der Regel die Häuser der Kultur der Sowjetunion, die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion bzw. Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft sowie Universitäten oder Einzelpersonen. Dymschitz wurde stets dazu angehalten, Rechenschaft über die Verwendung des Materials zu geben; hieibei war er natürlich auch auf Angaben der Empfänger angewiesen, sollte diese aber zusätzlich selber überprüfen. Wie detailliert und damit arbeitsaufwendig dies zu sein hatte, geht aus einem Schreiben der WOKS an Dymschitz vom 26. November 1947 hervor, in dem um Stellungnahmen zur Ausstellung „30 Jahre Land der Sowjets" gebeten wurde, die gerade in Berlin zu sehen war. Verlangt wurden Anmerkungen zur Eröffnung, zur Besucherzahl, zu kritischen oder zustimmenden Besucherreaktionen, um die Effektivität in bezug auf das deutsche Publikum einschätzen zu können. Sogar eine Kopie des Gästebuchs wurde angefordert.182 Ein zweiter Aufgabenbereich bestand in der regelmäßigen und „möglichst vollständigen" Zusammenstellung von Rezensionen zu russischen und sowjetischen Theaterstücken, Filmen, Opern etc. in den deutschsprachigen Zeitungen aller Berliner Sektoren.183 Hierbei wurde Dymschitz häufig von den darauf spezialisierten Fachreferenten sowie von dem Leiter des Hauses der Kultur der Sowjetunion, d.h. von den ihm untergeordneten Kulturoffizieren, unterstützt. Gleichfalls erwartete die WOKS regelmäßige Berichte und Zeitungsausschnitte über das kulturelle Leben der SBZ, vor allem in Hinblick auf die Auswahl der für Deutschland bestimmten Materialien. Umfassend informiert werden wollte die WOKS auch über die Tätigkeit der DSF und über das politisch-ideologische Profil ihrer Vorstandsmitglieder in Form von sogenannten „Charakteristiken". Information und Kontrolle gingen hierbei ineinander über, und der Stellenwert solcher Anfragen wird daraus ersichtlich, daß die WOKS in solchen Fällen Dymschitz häufig um eine 182 GARF 5283/16/134. 183 Entsprechende Anfragen der WOKS z. B. am 3. 12. 1947. - GARF 5283/16/134.

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„beschleunigte Antwort" bat. 184 Der Entwicklung der DSF wurde besondere Beachtung geschenkt; regelmäßige Kontakte zu ihrem Vorstand und häufige (aktive) Anwesenheit auf ihren Versammlungen und Kongressen vermittelten Dymschitz und seinen Kollegen umfassende Kenntnisse über deren Aktivitäten und ihr Personal. Charakteristiken wurden auch über Einzelpersonen verlangt, die sich mit Bitten um Kontaktaufnahme zu sowjetischen Einrichtungen oder um die Zusendung bestimmter Bücher an die SMAD gewandt hatten. Ohne Charakteristik wurden solche Wünsche nicht bearbeitet. 185 Das bedeutete, daß Dymschitz und seine Mitarbeiter entsprechende Erkundigungen einholen mußten. Das Ergebnis sah dann oft so aus, daß bei dem Betreffenden neben seinen Fachkenntnissen die Tatsache hervorgehoben wurde, daß er, wenn nicht gerade Mitglied der SED, doch zumindest „ein Freund der Sowjetunion" sei. Bei namhaften Intellektuellen benutzte Dymschitz von sich aus standardisierte Wendungen, die die Bearbeitung eines Vorgangs garantieren sollten, so z.B. „Der bekannte Schriftsteller, Antifaschist und alte Kommunist Friedrich Wolf..." 1 8 6 Die Kulturabteilung der SMAD nahm umgekehrt auch Briefe, Anfragen, Wünsche, Büchersendungen etc. von deutscher Seite, von Einzelpersonen oder ab 1947 vor allem von der DSF entgegen und sandte sie gebündelt an die Moskauer WOKS-Zentrale weiter, die ihrerseits ggf. die weitere Verteilung vornahm. Meist war es Dymschitz, der die Sendungen mit Begleitbriefen und (in der Regel befürwortenden) Stellungnahmen versah. Auch dies wurde von der WOKS verlangt, bevor sie einen Wunsch erfüllte oder einen Brief weiterleitete. All diese Funktionen mußten beinahe täglich ausgeführt werden, wobei die Anschreiben der WOKS an die SMAD und umgekehrt nicht selten von Ungeduld und Gereiztheit über (vermeintlich) schleppende Bearbeitung gekennzeichnet waren. Nach Auflösung der SMAD im Herbst 1949 übernahm zunächst die Sowjetische Kontrollkommission und ab 1950 ein speziell dafür eingesetzter Bevollmächtigter die skizzierten Aufgaben in vollem Umfang. Ungeachtet dieser bürokratischen Kleinarbeit mußten die Kulturoffiziere, allen voran Dymschitz, Zeit für inhaltliches' Wirken aufbringen. Denn ein breiteres Publikum erreichten sie vor allem durch ihre Vortrags- und publizistische Tätigkeit. Dymschitz veröffentlichte regelmäßig in der deutschsprachigen Presse der SBZ, vor allem in der „Täglichen Rundschau". Er verfaßte Artikel über sowjetische Literatur oder zu aktuellen kulturellen Fragen, z. T. auch unter Pseudonym (A. Deutsch). Zu denselben Themen hielt er auch Vorträge, im Haus der Kultur der Sowjetunion oder an Universitäten, und trug damit zur Verbreitung russischer und sowjetischer Literatur bei. Umgekehrt war er ein guter Kenner der deutschen Gegenwartsliteratur und berichtete darüber z. B. in der russischsprachigen Tageszeitung für die sowjetischen Besatzungssoldaten „Sowjetskoje slowo". Jedoch waren die ihm unterstellten Offiziere nicht weniger aktiv in dieser Hinsicht. Major Patent z. B. leitete die Reihe der „Philosophischen Streitgespräche" im Haus der Kultur der Sowjetunion mit einem Vortrag zu „Marxismus und Idealismus" ein. 187 G. Bergelson publizierte in der „Täglichen Rundschau", deren Kulturressort er leitete, u.a. Beiträge von und über Heine und Tucholsky, zwei Autoren, die unter Hitler verfemt waren, um die deutschen Leser mit dem eigenen Kulturgut bekannt zu machen. 188 Die Fachkenntnisse der Offiziere waren aber auch

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Z.B. mit Schreiben vom 12. 12. 1947 (GARF 5283/16/134) oder 25 .1. 1949 (GARF 5283/16/142). Vgl. z. B. den Brief der WOKS an Dymschitz vom 30. 10. 1947. - GARF 5283/16/135. In einem Begleitschreiben vom 14. 1. 1949. - GARF 5283/16/143. Petersdorf, Die Rolle der Gesellschaft, S.72.

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gefragt, wenn es um die Information der sowjetischen Leserschaft und die Berichterstattung vor sowjetischen Gremien, etwa der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands ging. 189 Man versuchte jedoch nicht nur, den literarischen Prozeß in der SBZ referierend und reflektierend nachzuvollziehen, sondern hoffte auch, ihn direkt stimulierend beeinflussen zu können. Vor allem seitdem, mit Einführung der Planwirtschaft, das schriftstellerische Schaffen unter die Belange der Produktion gestellt wurde, bekamen Preisausschreiben mit einem konkreten Auftrag Konjunktur. Der erste Wettbewerb fand jedoch bereits Ende 1945 statt. Auf Initiative von Dymschitz hatte ihn die „Tägliche Rundschau" am 30. November 1945 mit dem Ziel der „Förderung des literarischen Schaffens der Gegenwart" angekündigt. 190 Die Tatsache, daß der Jury so renommierte Autoren wie Johannes R. Becher, Friedrich Wolf und Bernhard Kellermann angehörten sowie „Dr. A. Dymschitz" (damals noch „Mitglied der Schriftleitung der ,Täglichen Rundschau'") und weitere hochrangige Offiziere der SMAD und TR-Redakteure, belegt den Stellenwert, den man einem solchen Wettbewerb beimaß. 191 Der intensivierten Vermittlung von Kenntnissen über sowjetische Literatur dienten Übersetzerwettbewerbe, die ebenfalls auf Anregung der SMAD zustande kamen. Diese und andere sowjetische Stellen waren ja vor allem beteiligt, wenn es um die Übertragung russischer Texte ging, denn zu ihren Aufgaben gehörte die Auswahl und Genehmigung des zu Übersetzenden. Hierbei, wie auch bei anderen Materialwünschen, Anfragen oder Initiativen, handelten sich die Kulturoffiziere in Karlshorst mit ihrem ambitionierten und weniger den aktuellen Verhärtungen der kulturpolitischen Linie unter Shdanow angepaßten Kurs nicht selten Schwierigkeiten ein. Zwar waren Dymschitz und seine Mitarbeiter stets über den Stand der sowjetischen Kulturpolitik informiert, konnten im Detail aber offenbar nicht alle ihre Auswirkungen auf die SBZ abschätzen bzw. versuchten, sich darüber hinwegzusetzen. Das darin enthaltene Konfliktpotential kam Anfang 1949 an die Oberfläche. Einige Beispiele: Dymschitz forderte im Januar 1949 bei der WOKS Material zur Feier des 150. Geburtstags von Puschkin an, darunter einen Aufsatz mit dem Titel „Puschkin und die deutsche Literatur". Dieser Beitrag wurde ausdrücklich nicht geliefert. 192 Hintergrund war offensichtlich die gerade in jenem Jahr ihren Höhepunkt findende Kampagne gegen den Kosmopolitismus, während derer jegliche Erwähnung äußerer Einflüsse auf die russische Kultur und jegliche komparatistische Forschung untersagt waren. Als für die Goethefeiern im selben Jahr von Dymschitz' Nachfolger Rosanow unter anderem ein Text des sowjetischen GoetheForschers Viktor Shirmunski (eines renommierten jüdischen Wissenschaftlers aus der Formalen Schule) angefordert wurde, lautete der abschlägige Bescheid, daß dieser „nach Meinung des Instituts für Weltliteratur der Akademie der Wissenschaften der UdSSR keine Autorität habe." 193 188 189 190 191 192 193

Gespräch mit Grigori Bergelson in Leningrad am 9. 7. 1989. Vgl. Kap. 7.2.2. 50OOO-Mark-Preisausschreiben der „Täglichen Rundschau", in: TR vom 30. 11. 1945. Vgl. Verkündung der Preisträger. Das Ergebnis des literarischen Wettbewerbs der „Täglichen Rundschau", in: TR vom 4. 8. 1946. Vgl. GARF 5283/16/144 und 142. Brief der WOKS an Rosanow vom 31. 3. 1949. - GARF 5283/16/142.

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Für einen 1947 vom Haus der Kultur der Sowjetunion veranstalteten Übersetzerwettbewerb erbat dessen Leiter, Waleri Poltawzew, von der W O K S die Zusendung von Büchern. Im Antwortschreiben der WOKS wurde die Liste der angefragten Literatur gerügt; sie sei „nicht ganz durchdacht", da Autoren enthalten seien, „die nicht charakteristisch für die moderne Sowjetliteratur sind" und die sich also für den Wettbewerb nicht eigneten. Beanstandet wurde vor allem die Wahl Boris Pasternaks und Andrej Platonows, die in der Stalinära als unerwünscht galten. Unter den von der WOKS geschickten Büchern befanden sich statt dessen Werke von offiziell anerkannten Autoren wie z.B. Nikolai Ostrowski, Konstantin Fedin, Valentin Katajew, Ilja Ehrenburg, Fjodor Gladkow und, eventuell als Alibi, des innerhalb der damaligen sowjetischen Literaturpolitik umstrittenen und wenig später angefeindeten Wassili Grossman.194 Zu einem weitaus größeren, allerdings wie üblich nur internen Eklat kam es im Zusammenhang mit dem 1948 von der „Täglichen Rundschau" und dem Haus der Kultur der Sowjetunion ausgeschriebenen Preis für die besten Übertragungen russischer Erzählungen und Gedichte. Die zu diesem Zweck zusammengestellte Anthologie „Sowjetische Poesie" wurde zu einem Politikum, das, wie erwähnt, die Demissionierung von Dymschitz mit bewirkte. In seinem Demissionierungsschreiben beleuchtet Dymschitz aus seiner Sicht die Querelen. 1. Der Hauptvorwurf lautete, Dymschitz habe die Schwächen der Anthologie zu verantworten. Dagegen macht Dymschitz geltend, daß er nur eine Rezension zur ersten Gruppe von Materialien geschrieben habe und daß Genosse Abramow als stellvertretender Chef der Informationsverwaltung und unmittelbar für die Tätigkeit des Hauses der Kultur der Sowjetunion verantwortlicher Mitarbeiter den Band in fertigem Zustand durchgesehen und ihn zum Druck freigegeben habe. Eine geplante Jury habe nicht einmal getagt. 2. An Abramow sei auch der Vorwurf zu richten, daß die Anthologie nicht mit den leitenden Instanzen in Moskau abgesprochen worden sei - er, Dymschitz, sei zur Zeit der Fertigstellung auf einer längeren Dienstreise in Moskau gewesen. 3. Der entscheidende Anklagepunkt lautete, daß mit der Anthologie ein Buch mit Versen über Tito verbreitet würde und Dymschitz nichts unternommen habe, um die Verbreitung aufzuhalten. Dagegen bringt Dymschitz vor, daß Verkauf und Verteilung des Buches sofort gestoppt worden seien, als die Kominform-Resolution gegen Tito erging. Ihm vorher veröffentlichte Jugoslawien-Texte als Verfehlung vorzuhalten sei unsinnig, da der Bruch mit Tito ja schließlich nicht vorherzusehen war.195 Die Beispiele zeigen, wie engmaschig die Kontrolle seitens der sowjetischen Instanzen war und wie eingeschränkt die Möglichkeiten der SMAD-Offiziere zu eigenverantwortlichem Handeln waren. Dieser Sachverhalt wurde jedoch in der offiziellen Kulturgeschichtsschreibung und der Memoirenliteratur stets ausgeklammert. Statt dessen wurden Eigeninitiative, Spontaneität, Erfindungsgeist etc. hervorgehoben, Eigenschaften, die zweifellos vorhanden waren, sich jedoch nicht immer im beabsichtigten Maße entfalten konnten. Unabhängig von ihren späteren ideologischen Positionen betrachtete man die Kulturoffiziere, vor allem ab den 70er Jahren im romantisierenden Rückblick auf die Frühzeit, auf die ,Goldenen Anfänge', weniger als Exponenten eines Systems, sondern, durchaus in einem bürgerlich individuellen Sinne, als Helfer und Pioniere

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G A R F 5283/16/135.

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Sekretarju partbjuro upravlenija informacii S V A G kapitanu tov. Goncarovu.

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des kulturellen Aufbaus. Westliche Stimmen der Nachkriegszeit wiesen hingegen schon frühzeitig auf einen gravierenden Widerspruch hin: den Gegensatz zwischen dem Glanz des sowjetisch geförderten kulturellen Aufschwungs und dem Schatten, den die Praktiken der Stalinisierung darauf warfen. Und es war bei der „Diskrepanz zwischen Lehre und Praxis, zwischen ,Haus der Kultur der Sowjetunion' und sowjetischer Ortskommandantur nebst NKWD-Keller" 196 wohl vor allem der zweite Faktor, der bei der breiten Bevölkerung das Bild der Besatzungsmacht prägte. Nicht zuletzt daraus resultierte der nachhaltige Antisowjetismus in der DDR, allen Bemühungen der Kulturoffiziere zum Trotz. 5.2.6 Das Haus der Kultur der Sowjetunion Auf einen Beschluß des Ministerrats der UdSSR vom 17. November 1946 hin 197 wurde am 28. Februar 1947, noch vor der Gründung der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, in Berlin das „Zentrale Haus der Kultur der Sowjetunion" eröffnet. Die Vorbereitungen dazu gingen bereits auf den Sommer 1946 zurück, als Dymschitz dem damaligen Leiter der WOKS, Kemenow, mitteilte, daß er eine Mitarbeiterin nach Moskau schicken werde, damit diese mit sowjetischen Institutionen über die Zusicherung von Material für das Kulturhaus verhandeln solle. 198 Für die Eröffnung wurde ein detailliertes Programm ausgearbeitet. Geplant waren zwei repräsentative Ausstellungen „Moskau - Hauptstadt der UdSSR" und „Die Freundschaft der Völker der UdSSR" sowie zwei kleinere Photoausstellungen in den Clubräumen „Die sowjetische Familie" und „Mutter- und Kleinkindschutz", in dieser Kombination gleichsam eine umfassende Gegenüberstellung von Makrokosmos und Mikrokosmos der sowjetischen Gesellschaft. Ferner sollten zwölf Lektoren mit Vorträgen zu den politischen und ökonomischen Grundlagen der Sowjetunion sowie Theater aus der UdSSR zu Gastspielen in die SBZ geschickt werden. Die Bibliothek sollte zur Eröffnung nicht weniger als 5 000 Bände aufweisen. 199 Bücher und Schallplatten, Vortragsmanuskripte und Ausstellungen gingen im folgenden dem Haus der Kultur der Sowjetunion regelmäßig zu. Direktor ab Mai 1947 war Major Poltawzew, der in der Sowjetunion eine Theaterschule absolviert hatte und in der SBZ zunächst für die DEFA zuständig war. 200 Im Oktober 1948, also zu einem Zeitpunkt, wo viele Kulturoffiziere der ersten Stunde ihre Posten verließen bzw. verlassen mußten, 201 wurde er von Major Bondarenko abgelöst. Die Abteilungen des Hauses spiegeln das Spektrum seiner Aktivitäten wider: Vorträge, Bibliothek, Russischkurse, Konzert-Theater, Kino, Ausstellung, Propaganda, Verwaltung und Leitung. Später kam die Abteilung Information und 196 197 198 199

200 201

C.W., Eine verfehlte Mission, in: Der Tag vom 9. 3. 1949. Vgl. Andreas-Friedrich, Schauplatz Berlin, S. 123. Abgedruckt in: Za antifaäistskuju demokratißeskuju Germaniju, S. 298f.; auf deutsch auch in: Um die Erneuerung der deutschen Kultur, S. 173. Vgl. Brief vom 15. 6. 1946. - GARF 5283/16/133. Vgl. GARF 5283/16/133. Eine ähnlich lautende Forderung war bereits in dem Ministerratsbeschluß enthalten, allerdings ohne genaue Bezifferung. - Za antifasistskuju demokratiieskuju Germaniju, S. 298. Leiter des Vorbereitungskomitees für das Haus und erster Direktor laut Ministerratsbeschluß war G. Golikow. Vgl. Kap. 5.2.3.

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Presse hinzu. Für Gäste aus der UdSSR wurden Pensionszimmer eingerichtet. Ein speziell den Künstlern zugedachter Klub, die „Möwe", rundete das Angebot ab. Hier fanden auch die Begegnungen mit sowjetischen Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern statt. 202 Die Personalstruktur des Hauses der Kultur der Sowjetunion reflektiert in gewisser Weise die Strategie der SMAD, sich selbst vor allem im kulturellen Bereich nach außen hin zurückzunehmen, denn die Zahl der deutschen Mitarbeiter lag von Anfang an um ein Vielfaches höher als die der sowjetischen (ca. 200 zu ca. 40). Dies geschah auch mit Blick auf die schon vorgeplante, aber nicht öffentlich vorab diskutierte Übergabe in deutsche Hände. Auch der Mitte 1947 berufene stellvertretende Direktor war ein Deutscher. 203 Ganz bewußt wurde das Prinzip des ,Hauses der offenen Tür' praktiziert, um auch „ideologischen Gegnern" den Zugang zu ermöglichen. Dies hatte nicht zuletzt den Zweck, durch die Propagierung der „Wahrheit über die Sowjetunion" .feindliche Positionen' auf Vortragsveranstaltungen sowjetischer Referenten „auseinanderzunehmen". 204 Die Konzeption des Nebeneinanders verschiedener Veranstaltungsformen zur Abdeckung unterschiedlicher und je aktueller kultureller (im engeren und weiteren Sinne) Aufgaben bestimmte von Beginn an die Programmgestaltung. Als Beispiel sei der März 1948 herausgegriffen. 205 Neben Russischkursen verschiedenen Niveaus und einem Seminar zum Studium der Sowjetliteratur fanden Vorträge u. a. zu folgenden Themen statt: 30 Jahre Kampf der Sowjetunion für Frieden und Sicherheit; die sowjetische Armee — die Armee des Friedens; Sozialismus und Kommunismus; warum es in der Sowjetunion nur eine Partei gibt; die Jugend in der Sowjetunion; die sowjetische darstellende Kunst; die internationale Lage; die Fälscher der Weltgeschichte; die Währungsreform in Deutschland; die Revolution von 1848 und die russische Öffentlichkeit. Die Themen umfassen somit die drei Säulen der ideologischen Intervention: Propaganda (für die sowjetische Außen- und Gesellschaftspolitik), Kontrapropaganda (gegen die Politik der Westmächte bzw. deren Antisowjetismus) und die deutsche Frage. Als Begleitung und Ergänzung zu den Vorträgen waren die Ausstellungen konzipiert, so z.B.: Das Leben und Schaffen Stalins; die sowjetische Frau; das sowjetische Kinderbuch; die sowjetische Karikatur (die zu einem großen Teil auch der Kontrapropaganda gewidmet war). Im Bereich des Films waren sowohl Dokumentär- als auch Spielfilme vorgesehen: „Moskau", „Professor Mamlock" (nach F. Wolf) und „Es blinkt ein einsam Segel" (nach V. Katajew). Als Einzelveranstaltungen fungierten eine Feierstunde zum 100. Jahrestag des Kommunistischen Manifests, ein literarischer Gorki-Abend und ein literarischer Abend unter dem Titel „Mit den Augen der Sowjetmenschen gesehen". Daneben standen Theater- und Konzertaufführungen auf dem Programm. Gerade dieser Veranstaltungsplan zog die Kritik der WOKS auf sich. In einem Brief an Poltawzew vom 30. März 1948 konstatierte sie eine „gewisse Unausgeglichenheit", die sich darin äußere, daß z. B. sonntags nur Filme bzw. leichte Unterhaltung (ein Vaudeville) angeboten würden, an einem anderen Tag jedoch parallel zwei Vorträge zu verschiedenen Themen stattfänden. Ebenso sei es falsch, gleichzeitig sechs bis neun Ausstellungen zu zeigen; mehr als zwei seien nicht empfehlenswert. Mindestens zwei Termine sollten für neue sowjetische Filme reserviert 202 203 204 205

So z.B. mit den drei sowjetischen Delegierten des I. Deutschen Schriftstellerkongresses im Oktober 1947, Gorbatow, Katajew, Wischnewski, im Anschluß an den Kongreß. Vgl. Poltawzew, Haus der offenen Tür, S. 369. Dort auch die Angaben zur Zahl der Mitarbeiter. Vgl. die 1977 verfaßten Erinnerungen von Grigori Patent. - SAPMO: ZPA EA 1843. Aus einem Schreiben von Poltawzew an die Moskauer WOKS-Zentrale vom 30. 1. 1948. - GARF 5283/16/138.

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werden. 206 Die Kritik der WOKS mag insofern berechtigt erscheinen, als der aus dem Programm sichtbar gewordene enzyklopädische Anspruch der Ideologie- und Kulturvermittlung sich nicht jeweils in einem Monat komplett realisieren ließ. Hier bestand die Gefahr der Übersättigung des Publikums. Nach zwei Jahren Tätigkeit überwogen indes die Erfolgsmeldungen. Quantitativ stellt sich das folgendermaßen dar: 474 Vorträge und Aussprachen, anfangs zumeist von Offizieren der SMAD oder in der SBZ weilenden sowjetischen Wissenschaftlern und Künstlern, mit 150000 Zuhörern, dem entspricht eine mittlere Besucherzahl von ca. 316; 207 2 200 Vorführungen sowjetischer Filme mit 320000 Zuschauern, das bedeutet, daß eine mittlere Besucherzahl von ca. 145, also deutlich weniger als bei den Vorträgen, erreicht wurde. Dieses Zahlenverhältnis läßt zum ehen die Frage aufkommen, inwieweit der Besuch der Vorträge ausschließlich auf einem großen Interesse der Deutschen an Informationen über die UdSSR beruhte oder inwieweit hier nicht (auch) eine Besuchs Verpflichtung, z.B. auf Betriebsebene, zum Tragen kam. 208 Zum anderen lassen die Zahlen auch Rückschlüsse auf Thema und ästhetische Qualität der gezeigten Filme zu und spiegeln darüber hinaus den Sachverhalt wider, daß die Filme z.T. noch nicht synchronisiert und somit Russischkenntnisse zu ihrem Verständnis erforderlich waren. Bei den Theateraufführungen stand das Märchenspiel „Die Schneekönigin" von Jewgeni Schwarz mit über 100 Vorstellungen an erster Stelle; rund fünfzigmal wurden jeweils die Bürgerkriegsstücke „Die Bresche" von Boris Lawrenjow, „Optimistische Tragödie" von Wsewolod Wischnewski und „Ljubow Jarowaja" von Konstantin Trenjow gespielt. Hinzu kamen ca. 60 Symphoniekonzerte und zahlreiche Rezitationsabende. Insgesamt wurde die Zahl der Personen, die in den ersten beiden Jahren zu den verschiedensten Anlässen das „Haus der Kultur" besuchten, mit ca. 500000 angegeben. 209 Spezielle Veranstaltungsformen waren die „philosophischen Streitgespräche", wie z.B. über „Diktatur oder Demokratie", über „Materialismus und Idealismus", geleitet von Major Patent, oder über „Realismus und Formalismus" mit Dymschitz. Bei diesen Anlässen war der Saal oft überfüllt, so daß Lautsprecherübertragungen in andere Räume vorgenommen werden mußten. Patent war von der SMAD speziell mit der Durchführung von Vortragsreihen beauftragt worden. Seine Aufgabe betand nach eigener Aussage vor allem darin, den „fortschrittlichen deutschen Kräften" zu

206 207

Vgl. GARF 5283/16/136. Einer der ehemaligen deutschen Mitarbeiter setzt diese Zahlen bereits nach einem Jahr an. - Körbel, Die Bedeutung, S. 137. Poltawzew erinnert sich, daß die Besucherzahl um so größer war, „je offener über die Sowjetunion gesprochen wurde." - SAPMO: ZPA EA 1840. Dort und in dem PoltawzewArtikel „Haus der offenen Tür" (S. 370f.) finden sich auch die genannten Zahlen. Poltawzew beruft sich dabei auf einen Artikel der „Täglichen Rundschau" vom 27. 2. 1949 zum zweiten Jahrestag des „Hauses der Kultur" mit dem Titel „Offenes Fenster zu einer neuen Welt". Zum Programm im einzelnen vgl. auch Körbel, Die Bedeutung.

208

In einem zeitgenössischen Bericht liest sich das folgendermaßen: „Betriebe forderten geschlossene Vortragsveranstaltungen oder baten die Referenten in den Versammlungsraum ihres Werkes." Wolter, Ein Haus in Berlin, S. 619. Diese Zahl ist in den archivierten Erinnerungen Poltawzews genannt. - SAPMO: ZPA EA 1840. Dies entspräche einem Tagesdurchschnitt von etwa 685 Gästen. In den publizierten Erinnerungen ist gar die Rede von 1,5 Millionen (Poltawzew, Haus der offenen Tür, S. 371), was ca. 2 0 5 0 Besucher pro Tag bedeuten würde. Möglicherweise wurden die Besucher der Veranstaltungen und Einrichtungen des „Hauses der Kultur" pro Tag jeweils gesondert gezählt und dann zusammengerechnet, so daß sich auch Doppelzählungen ergäben.

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helfen, indem er ihnen „die Unhaltbarkeit der gesamten bürgerlichen Philosophie" und „nicht nur einzelner Teile daraus" zeigte. 210 Wenn dabei die marxistisch-leninistische Philosophie, die (einzige) „wahrhaft wissenschaftliche Weltanschauung und Denkmethode", den „spekulativen, oft halbscholastischen, unwissenschaftlichen Argumenten ihrer Gegner aus dem Lager der bürgerlichen Ideologie" als „haushoch überlegen" deklariert wurde, 211 so sollte die Intelligenz auch auf diesem Wege unter den Entscheidungsdruck gesetzt werden, der seit Ende 1947 immer deutlicher ausgeübt wurde. Denn letztlich ging es nicht nur um die „Aneignung einer Summe von Kenntnissen", sondern auch um „ihre Umwandlung in unerschütterliche Überzeugung". 212 Im Berliner „Haus der Kultur der Sowjetunion" genoß die DSF besonderes Gastrecht und beteiligte sich häufiger an der Konzeption und Organisation von Veranstaltungen. 213 Zunehmend wurden auch deutsche Referenten in die Programmgestaltung einbezogen. Das Berliner Haus wurde am 1. Juni 1950 in einem feierlichen Akt der Regierung der DDR übergeben. Ein Brief des Armeegenerals Tschuikow mit dem entsprechenden Beschluß sollte einige Tage zuvor, am 24. Mai, in der Presse veröffentlicht werden. Von diesem Zeitpunkt an waren die Medien angehalten, verstärkt über die Aktivitäten des Kulturhauses zu berichten. Die Anstrengung hinter den Kulissen wird besonders augenfällig, wenn es in einem Schreiben der Abteilung Kultur und Erziehung des ZK der SED an Walter Ulbricht heißt: „Es ist zu organisieren, daß Persönlichkeiten, Organisationen (in erster Linie die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft) und einfache Besucher des Hauses der Sowjetkultur in der Presse und im Rundfunk diesen Beschluß begrüßen." 214 Auf Veranlassung der Sowjetischen Kontrollkommission hatte die Regierung der DDR bis einen Tag nach der Veröffentlichung des Tschuikow-Briefes ihrerseits einen Beschluß zur Überstellung des Kulturhauses an die DSF zu fassen. Eine direkte Übergabe des Hauses von der SKK an die DSF war offenbar aus Gründen der Hierarchie nicht möglich. Die Feierlichkeiten im Beisein einer gemischten deutsch-sowjetischen Kommission sollten in der DEFA-Wochenschau „Der Augenzeuge" gezeigt werden; die Rednerliste war vorab festgelegt worden. Nichts war, wie auch bei anderen kulturpolitisch relevanten Großveranstaltungen, dem Zufall überlassen. Die „Spontaneität" war bis ins Kleinste inszeniert. Die Zeit des Improvisierens, wie es in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch von den sowjetischen Kulturoffizieren der ersten Stunde praktiziert worden war, gehörte endgültig der Vergangenheit an. Die Funktionäre der SKK und der deutschen Parteiführung arbeiteten nunmehr Hand in Hand bei der Bürokratisierung des kulturellen Lebens. Waleri Poltawzew hatte triftige Gründe, als er seine 1977 verfaßten Erinnerungen mit den mahnenden Worten schloß: „Und ich denke, daß man auch heute, wenn man über die Sowjetunion 210 211 212 213

214

Erinnerungen von Grigori Patent. - SAPMO: ZPA EA 1843. Patent, Im Kampf um die neue Weltanschauung, S. 362f. Ebd., S. 361. Körbel, Die Bedeutung, S. 138f. Schon die Gründungsversammlung am 30. 6. 1947 fand auf Einladung der SMAD in diesen Räumen statt. - Vgl. Bericht über die Gründungstagung der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion in Berlin, in: Um die Erneuerung der deutschen Kultur, S. 193-194. SAPMO: ZPA IV 2/906/23. Hervorhebung AH/WE. Der Brief trägt den Vermerk „eilt sehr" und ist datiert vom 27. 5. 1950. Hierbei handelt es sich offensichtlich um einen Fehler, da im Brief von bevorstehenden Ereignissen ab dem 24. Mai die Rede ist. Dem Brief sind auch die übrigen Angaben zur Planung der Übergabe entnommen.

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spricht, [...] die Zuhörer weniger mit dem Samowar fesseln und mehr das sagen und zeigen sollte, was im Großen und im Kleinen für das Sowjetland [...] charakteristisch ist."215 Das Haus der DSF in Neubrandenburg wies in einer Broschüre von 1977 als besondere Attraktion gerade die „Stunde am Samowar mit grusinischem Tee" und „die Vortragsreihe ,Wie kocht man in der Sowjetunion?', vorgeführt und kommentiert vom Küchenchef des Hotels ,Vier Tore'", vor. 216 Selbst wenn dies nicht der einzige Veranstaltungstyp war, ist seine Existenz bezeichnend. Um die dekretierte Verewigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft nach außen hin aufrechtzuerhalten, schienen, entgegen den besten Absichten rühriger ehemaliger Kulturoffiziere, unpolitische Veranstaltungen am besten geeignet. „Philosophische Streitgespräche" hätten 1977, wären sie so offen wie 30 Jahre zuvor geführt worden, Animositäten zutage gefördert, die es den Gesetzen des historischen Materialismus gemäß nicht mehr geben durfte. Der Samowar als Symbol für das russische Interieur diente nunmehr als Katalysator latenter antisowjetischer Stimmungen.

5.3

Internalisierung: Zur Ausübung stalinistischer Kulturpolitik durch die SED

5.3.1 Aufbau einer Kulturverwaltung Schritt für Schritt wurden als Selbstverwaltungsinstanzen unter der Hoheit der Sowjetischen Militäradministration deutsche Zentralverwaltungen gebildet. Die Deutsche Verwaltung für Volksbildung (DVV) 217 , die schon im August 1945 unter Leitung Paul Wandels ihre Arbeit aufnahm, bildete das Äquivalent zur Abteilung Volksbildung der SMAD; mit ihren weitreichenden Aktivitäten war jedoch auch die Informationsverwaltung unter S.I. Tjulpanow befaßt. Ein im Herbst 1945 verabschiedeter Strukturplan verzeichnet als Grundorganisation der DVV: das Sekretariat, die Abteilungen Schulwesen, Hochschulen und Wissenschaft, Kulturelle Aufklärung, Allgemeine Kunst und Literatur, Personal, Interne Verwaltung und wirtschaftliche Angelegenheiten, Finanzen und Statistik. Diese Struktur blieb - mit einigen Erweiterungen - im wesentlichen in Kraft, bis die DVV nach Gründung der DDR im Ministerium für Volksbildung der DDR aufging. Volksbildungsämter existierten auch auf der Ebene der Städte, Kreise und Länder, und erst im Zuge des Zentralisierungsschubs von 1947 konnte die DVV ihren Führungsanspruch gegenüber den regionalen Gremien festigen. Unklarheit bezüglich der Kompetenzen bestand auch gegenüber der SMAD und in Berlin zusätzlich gegenüber der am 6. Juni 1945 vom Stadtkommandanten, Generaloberst Bersarin, eingerichteten Kammer der Kunstschaffenden 218 unter der Präsidentschaft des Schauspielers Paul Wegener, die allerdings schon im April 1946 ihre Tätigkeit wieder einstellte. Zunächst war die DVV vor allem „als beratendes und ausführendes 215 216 217 218

SAPMO: ZPA EA 1840. Bezeichnenderweise ging dieser Satz nicht in die publizierte Version ein. Hirsch, Das Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, S. 20. Dazu im Detail: Welsh, Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung, S. 88-135. Vgl. Berlin. Kampf um Freiheit und Selbstverwaltung, S. 77f.; Chamberlin, Kultur auf Trümmern, S. 21ff.; Schivelbusch, Vor dem Vorhang, S. 65-89.

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Organ der SMAD tätig". 219 Doch nahmen ihre Eigenständigkeit und ihre Befugnisse, vor allem seit 1947, kontinuierlich zu. Allerdings erfolgte das kulturpolitische Vordenken (zumindest zeitweise) vor allem in Gremien der SED, etwa in dem - allerdings nur bis Mitte 1948 bestehenden - Zentralen Kulturausschuß der Partei, der sich am 4. Juli 1946 als „beratende Körperschaft" der Partei konstituiert hatte, und in der Abteilung Kultur und Erziehung des Zentralsekretariats der SED, mit deren Aufbau im April 1946 unter Leitung von Anton Ackermann und Otto Meier begonnen worden war. 220 Tätigkeitsschwerpunkte der DVV waren in der Anfangsphase vor allem die Wiederingangsetzung des Schul- und Hochschulbetriebs mitsamt der Erarbeitung neuer Lehrbücher und Unterrichtspläne. Für Presse, Rundfunk und Verlagswesen war die Abteilung für kulturelle Aufklärung verantwortlich. Das Referat für Verlagswesen innerhalb dieser Abteilung überprüfte ab Herbst 1946 auch die Vergabe von Drucklizenzen, wobei sich allerdings die SMAD die endgültige Entscheidung vorbehielt. Ein am 25. Januar 1947 als überparteiliche, nichtbehördliche Zentralinstanz eingerichteter „Kultureller Beirat", den jeweils der 3. Vizepräsident der DVV (anfangs: Erich Weinert) führte, wurde seither in die Praxis der Vergabe und des Entzuges von Lizenzen, der Zensur und der Papierzuteilung für Bücher und Zeitschriften einbezogen, zunächst nur beratend, ab April 1947 mit erweiterter Zuständigkeit. 221 Im August 1951 wurde der Kulturelle Beirat durch das neu geschaffene Amt für Literatur und Verlagswesen ersetzt. Zum Kaderprinzip und zur Zensurpraxis In der unmittelbaren Nachkriegszeit war die Zensurpraxis schwerfällig und langwierig. 222 Die Zuständigkeiten innerhalb der SMAD mußten erst geregelt werden. Zunächst war - in mühsamem Kompetenzgerangel mit den Kriegskommandanturen - die Politische Abteilung der SMAD verantwortlich, im Oktober 1945 ging die Zensur an die neu gegründete InformationsVerwaltung über. 223 „Keine einzige Ausgabe (Buch, Zeitung, Bulletin, Flugblatt)" dürfe ohne Genehmigung erscheinen. 224 Es galt zunächst das Gebot der Vor- und Nachzensur, d.h. es mußten sowohl ein Probedruck als auch die Korrekturabzüge und Pflichtexemplare dem zuständigen Militärkommandanten bzw. ab September 1946 verschiedenen Stellen der SMAD und der DVV übergeben werden. Wie die Zensur im einzelnen gehandhabt wurde, hing jeweils von den Deutschkenntnissen, der Allgemeinbildung und dem politischen Format der zuständigen sowjetischen Zensoren ab. 225 Verstöße gegen die Zensurbestimmungen wurden streng geahndet. So mußte auf Befehl der Russischen Zentralkommandantur das Hebbel-Theater im Mai 1946 eine Buße von RM 500,- entrichten, weil beim Druck des Theater-Spielplans „eine Korrrektur der Russischen

219 220 221 222 223 224 225

Welsh, Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung, S. 232. Vgl. ausführlicher: Dietrich, Politik und Kultur, S. 65ff.; Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 63f. Zum Kulturellen Beirat vgl. im Detail: Pike, The Politics of Culture, S. 356-375. Zur Zensurpraxis im Detail: Wehner, Kulturpolitik und Volksfront, S. 285ff.; Strunk, Pressekontrolle, S. 161ff. Vgl. Otcet o rabote sektora propagandy i cenzury Politiceskogo otdela SVAG s 15 ijulja po 15 oktjabrja 1945 g. - RCChlDNI 17/125/321, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 142. Ebd., S. 138. Daß hier erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Städten und ihren Kommandanturen bestand, betonte Erich Loest im Gespräch (19. 10. 1988).

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Behörde übersehen und bei Drucklegung nicht berücksichtigt worden ist". 226 Dabei handelte es sich im Grunde um eine Beanstandung von marginalem Rang. Der Zensor hatte „sehr unauffällig" das Wort Uraufführung im Programm eingezeichnet (und dies auch noch falschlich, da es sich lediglich um eine Erstaufführung handelte!). Für die Tagespresse wurde die Vorzensur zum 1. Dezember 1946 aufgehoben, für Bücher und Zeitschriften im Frühjahr 1947. Da die Nachzensur weiter in Kraft war, wurde nun die Verantwortung gleichsam den Verlagen und Redaktionen übergeben. Für soziale und politische Literatur, Flugblätter und Plakate der politischen Parteien, der Gewerkschaften und öffentlichen Organisationen und Texte der Bühnenunternehmen hatte auch die Vorzensur weiter Bestand. Im Bereich der wissenschaftlichen und schönen Literatur entfiel die Vorzensur durch die SMAD seit April 1947 für solche Werke, die vom Kulturellen Beirat gebilligt wuiden. 227 „Von Oktober 1947 bis März 1950 prüfte der Kulturelle Beirat insgesamt 12 125 Manuskripte, von denen 8373 genehmigt wurden. Gründe für Ablehnungen bekanntzugeben, hielt man nicht für nötig." 228 Dort wo die Redaktion von zuverlässigen Kommunisten kontrolliert wurde, war schon die sowjetische Vorzensur Formsache. Generell galt, daß Zeitungen und Zeitschriften, die der SED unterstanden oder von Parteimitgliedern kontrolliert wurden, nicht nur bei der Papierkontingentierung bevorteiligt wurden, sondern - im Vergleich etwa zu Publikationen der CDU - auch bei der Zensur. So wurden bisweilen in 14 Tagen 20 Artikel des CDU-Organs „Neue Zeit" zurückgewiesen. 229 Die Zensur wurde bei Shukow wegen einer Amtsenthebung des Chefredakteurs Emil Dovifat vorstellig. Er wurde aus der Redaktion beseitigt. 230 Der Spielraum für die SED-Organe wurde nach der Aufhebung der Vorzensur noch größer. So konnte sich etwa die Auffassung ausbilden, daß für den „Aufbau", die kulturpolitische Monatszeitschrift des Kulturbundes, nie eine Zensur bestanden habe. Diese Behauptung läßt sich sicherlich nicht erhärten, sie konnte aber Verbreitung finden, weil die Zensurpraxis in solchen Fällen äußerst lasch gehandhabt wurde. 231 Alexander Abusch erläutert in seinen Memoiren die praktizierte Vorgehensweise: „Ich sollte mich um den ,Sonntag', der als Wochenzeitung des Kulturbundes unter Leitung des in Westberlin wohnenden linksbürgerlichen Chefredakteurs Dr. Günter Brandt herausgegeben wurde, behutsam kümmern; unter dieser Bedingung sei man bereit, die Zeitung sofort aus der gesetzlich geltenden Zensur der sowjetischen Besatzungsmacht herauszunehmen. Major Dawidowitsch sagte mir außerdem, die Herausgabe der Zeitschrift ,Weltbühne' werde von Maud von Ossietzky und Hans Leonhard vorbereitet; auch sie würde nicht zensiert werden, wenn ich bereit sei, sie politisch zu betreuen." 232 226 227

228 229 230 231 232

LAZNr. 7239. Vgl. Über die Tätigkeit der Verlage und Druckereien. Dort sind die im April 1947 mit Befehl der SMAD in Kraft gesetzten „Richtlinien über die Herausgabe von Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, Broschüren, Plakaten und anderen Drucksachen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands" im Wortlaut wiedergegeben. Dietrich, Politik und Kultur, S. 136. Vgl. Otcet o rabote sektora propagandy i cenzury... s 15 ijulja po 15 oktjabrja, S. 140. Zum Fall Dovifat vgl. ebd; Strunk, Pressekontrolle, S. 194-197. Vgl. Wehner, Kulturpolitik und Volksfront, S. 309. Abusch, Mit offenem Visier, S. 172.

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Hier wird das Kaderprinzip erkennbar, nach dem die sowjetische Besatzungsmacht ihre Stellenpolitik betrieb und ihre Kulturpolitik durchzusetzen suchte. Die russischen Behörden stützten sich von Beginn an in allen Bereichen auf die deutschen Kommunisten, vor allem auf jene, die ihre Emigrationszeit im sowjetischen Exil verbracht hatten. Sie wurden gezielt in Schlüsselpositionen des politisch-ideologischen Bereichs gebracht. Das gilt für den Verwaltungsapparat (etwa die DVV) und kulturelle Institutionen (wie den Kulturbund) ebenso wie für Hochschulen, 233 Verlage, Verbände und Zeitungsredaktionen. Durch das betonte Zurücktreten der SMAD aus der Öffentlichkeit läßt sich heute nur noch schwer ermitteln, wo im einzelnen der sowjetische und der deutsche Anteil bei den Initiativen zur Anbindung an die Sowjetunion lag. Natürlich war die Personaldecke an politisch zuverlässigen und fachlich erfahrenen Genossen anfangs dünn. Daher bemühte man sich einerseits gezielt um neue Kader, die oftmals in ,Crashkursen' ausgebildet wurden. So gab es, um nur den Hochschulbereich zu nennen, 1950/51 Sonderlehrgänge für Slawisten, 234 Germanisten, im Bereich Marxismus-Leninismus und in der politischen und ökonomischen Geographie. Die solcherart mit dem sowjetischen Verständnis der einzelnen Disziplinen vertraut gemachten und ideologisch geschulten jungen Leute wurden dann vielfach, was gesellschaftspolitisch tiefe Gräben aufriß, den erfahrenen „bürgerlichen" Spezialisten vor die Nase gesetzt. Andererseits suchte man durch breit angelegte Schulungsmaßnahmen auch die weitere Bevölkerung zu erreichen und politisch zu überzeugen. Das begann mit der Lektorentätigkeit der SMAD-Offiziere 235 und wuchs sich zu einer - später von der SED getragenen systematischen Erfassung und Durchdringung aller Berufsgruppen, Alters- und Bevölkerungsschichten aus. 236 5.3.2 Selbstverständnis und Funktion des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" Grat Wanderung: Zwischen Überparteilichkeit und Abhängigkeit Nachdem schon in den ersten Junitagen des Jahres 1945 mit einem Gründungskomitee Modalitäten der Schaffung einer Kulturvereinigung beraten worden waren, 237 stellte Johannes R. Becher im Auftrag dieses Kreises am 27. Juni 1945 einen Zulassungsantrag. Die Lizenz, die der 233 234

Vgl. Krönig/Müller, Anpassung - Widerstand - Verfolgung, S. 33-48. Den Sonderlehrgang für Slawisten hat Marie-Luise Bott im Rahmen einer Untersuchung zum Nachkriegsaufbau der Slawistik an der Humboldt-Universität Berlin ausführlich untersucht. Wir danken herzlich für die uns gewährte Einsichtnahme in das Manuskript. Ebenso sind wir Fritz Mierau für die Überlassung seiner Mitschrift der Literaturvorlesungen an der Humboldt-Universität 1955/56 und zahlreicher weiterer Materialien zu großem Dank verpflichtet.

235

Diese setzte in größerem Maßstab erst im Mai 1947 ein. - Vgl. Iz dokladnoj zapiski zamestitelja Glavnonaial'stvujuscego SVAG po politiceskoj rabote general-lejtenanta V. Makarova v CK VKP(b) M. Suslovu o lekcionnoj rabote sovetskich oficerov sredi nemeckogo naselenija, 24. 10. 1947, RCChlDNI 17/128/358, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 207. Natürlich wurden auch alle SMAD-Angehörigen weiterhin einer intensiven Schulung unterzogen. - Vgl. Lekcionnaja propaganda, in: Sovetskoe slovo vom 12. 1. 1949.

236 237

Vgl. Kap. 5.3.4. Vgl. dazu die Aufzeichnungen des späteren Generalsekretärs des Kulturbundes: Willmann, Das sowjetische Volk, S. 460ff.

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Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands von der SMAD erhielt, trägt das Datum vom 25. Juni 1945. 238 Diese gleichsam im vorhinein ausgestellte Bewilligung belegt, daß über Gründung der Organisation und die Zulassung längst vorher entschieden war. Die Idee zur Gründung einer Vereinigung wie dem Kulturbund und auch der Name selbst stammten von Dimitroff und waren auf einer Unterredung in Moskau 1944 mit Becher, Pieck und Ulbricht erörtert worden. 239 Der Kulturbund bildete also das Äquivalent zur Volksfrontstrategie auf kulturellem Gebiet. Die bei der Gründungskundgebung am 4. Juli 1945 gehaltenen Ansprachen, das verabschiedete Manifest und die beschlossenen sieben Leitsätze beschworen die „Erweckung des Gewissens der Nation" und die Verbreitung der Wahrheit; intendiert war ein „nationales Befreiungs- und Aufbauwerk größten Stils auf ideologisch-moralischem Gebiet" 240 . Die Vernichtung der Naziideologie zielte nicht auf kulturelle Revolution; im Grunde sollte „die Wiederherstellung einer nur beschädigten Grundsubstanz" 241 erreicht werden: „Der .Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands' will die große deutsche Kultur, den Stolz unseres Vaterlandes, wieder erwecken und ein neues deutsches Geistesleben begründen." 242 Wie weit die politische Rücksichtnahme auf das Selbstgefühl weiter Teile der Bevölkerung ging, die man nicht verprellen wollte, belegen die sieben Leitsätze. Im Gegensatz zum Manifest, das in deutlicher Sprache vom Versagen der deutschen Intelligenz spricht und diese Erkenntnis als Voraussetzung für die kulturelle Erneuerung bezeichnet, 243 ist in den Leitsätzen die Frage der Schuld suspendiert. In der kollektiven „Wir"-Form ist davon die Rede, daß man „zwölf Jahre lang durch den Nazismus in unserer freien Entwicklung behindert" worden sei. 244 Während im Gründungsantrag 245 die „Wiedergewinnung der Achtung anderer Völker, insbesondere der Völker der Sowjetunion" als Ziel ausgewiesen ist, ist in den Leitsätzen nur noch von der „Wiedergewinnung des Vertrauens und der Achtung der Welt" die Rede. Der Verzicht auf die spezielle Nennung der Sowjetunion ist ein weiterer Beleg für die geübte Vorsicht. Becher vertrat im Kulturbund die Leitidee der nationalen Einheit. Sein Ziel war es, im Sinne des weiten, antifaschistischen Bündniskonzepts, das die KPD und die SMAD (sie nahm von Beginn an regen Anteil an den Aktivitäten des Kulturbunds 246 ) werbend nach Kriegsende vertraten, alle aufbau- und erneuerungswilligen Kräfte mit dem Ziel „einer geistigen Wiedergeburt" zusammenzuschließen. Der Kulturbund wurde zu einer Sammlungsbewegung vor allem der literarisch und künstlerisch interessierten Intelligenz; 247 auch prominente Künstler und Schriftsteller konn-

238 239 240 241 242 243 244 245 246 247

Auf diese Zeitdifferenz weisen hin: Engelbach/Krauss, Der Kulturbund, S. 174f. WB 5/1985, S. 713. Zu den KPD-Planungen während des Exils vgl. Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 29-32. Dort auch zu den Vorläuferorganisationen im Exil (S. 18-28). Aufruf zur Gründung des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands", in: Manifest des Kulturbundes, S. 7 u. 8. Jäger, Literatur und Kulturpolitik, S. 39. Aufruf zur Gründung des „Kulturbundes...", S. 4. Vgl. ebd., S. 5 u. 6. Zit. nach: Um die Erneuerung der deutschen Kultur, S. 68. Abgedruckt in: Becher/Prokop, Johannes R. Becher, S. 202. Vgl. Niekisch, Erinnerungen, Bd. 2, S. 57. Zur Organisationsstruktur, dem Auf- und Ausbau der Landesverbände und Suborganisationen und zu den Mitgliederzahlen vgl. Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 33-59; 193-224.

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ten erreicht werden, die sich einer Mitarbeit in der Gewerkschaft etwa nahezu sämtlich verweigerten. 248 Das Programm des Kulturbundes war vorwiegend auf den schöngeistigen Bereich ausgerichtet. „Er blieb der einzige Verband dieser Art in kommunistisch regierten Ländern". 249 Den Kulturbund so weit wie möglich von sowjetischem Einfluß freizuhalten, war ein Anliegen Bechers. Dabei geriet er mehrfach in Konflikt mit SMAD-Offizieren. Tjulpanow warf ihm im September 1946 beim Rapport in Moskau mangelnde politische Zielstrebigkeit sowie unzureichende Führungsqualität bzw. -bereitschaft bei der ideologischen Ausrichtung der Intellektuellen vor und forderte seine Abberufung vom Amt des Kulturbundpräsidenten: „Becher ist seiner ganzen geistigen Ausrichtung nach kein Marxist; er orientiert sich zwar nicht direkt an England und Amerika, aber an der westeuropäischen Demokratie. Es ist ihm peinlich zuzugeben, daß er Mitglied des ZK der SED ist. Er versucht dies auf alle nur mögliche Weise zu verbergen. Er erlaubt uns sogar niemals, ihn Genosse zu nennen, sondern stets nur - Herr Becher. Er vermeidet ängstlich jede scharfe politische Rede im Kulturbund." 250 Tjulpanows Ärger über Becher ging letztlich aus den insgesamt noch geringen Erfolgen von SED und SMAD bei der Gewinnung von Künstlern und Wissenschaftlern hervor, die von höheren Kontrollinstanzen wiederum der Informationsverwaltung angelastet wurden. 251 Becher selber registrierte das wachsende Mißtrauen der SMAD ihm gegenüber und drohte seinerseits mit Rücktritt. Vor allem zeigte er sich unzufrieden über das taktlose Verhalten der SMAD nicht-kommunistischen, aber loyal eingestellten Intellektuellen gegenüber. Politberater Semjonow, Tjulpanows Gegenspieler, der Becher auf Anweisung Marschall Sokolowskis zu sich bestellte, konnte dessen Sorgen zerstreuen und machte in seinem Bericht über dieses Gespräch deutlich, daß Becher „subjektiv" auf der richtigen Seite stehe und sein Rücktritt zu jenem Zeitpunkt „nicht zweckmäßig" sei. Aber auch er konstatierte bei ihm fehlende Klarsicht in wichtigen politischen Fragen und einen „gewissen Einfluß" bürgerlich denkender Intellektueller. Tägliche Einwirkung auf die Leitung des Kulturbunds sei erforderlich, aber unter Vermeidung „kleinlicher Einmischung". 252 Diese „tägliche Einwirkung" war allein dadurch gegeben, daß sämtliche Veranstaltungen durch die betreffenden Kommandanturen der SMAD genehmigt werden mußten. Das in den Zentren lasch oder nur pro forma, in der Provinz jedoch strikt gehandhabte Zensurverfahren 253 zog sich 248

Vgl. die Klage darüber auf der SED-Kulturkonferenz 1947. - Stenographische Niederschrift (unkorrigiert) über die SED-Kulturkonferenz am 28./29. Januar 1947 in Berlin, SAPMO: ZPA IV 2/101/33.

249 250

Heider, Kulturbund, S. 714. Iz stenogrammy otceta S. Tjul'panova na zasedanii komissii CK VKP(b) po proverke sostojanija raboty Upravlenija propagandy SVAG (16. 9. 1946). - R C C h l D N I 17/128/149, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 173f. Iz dokladnoj zapiski... A. Zdanovu o resul'tatach proverki raboty Upravlenija propagandy SVAG (11. 10. 1946), S. 187. Im Begleitbrief zum Bericht wird auch die Ablösung Tjulpanows gefordert, wodurch dessen Ausfälle bei dem genannten Rapport den Charakter einer Selbstverteidigung erhalten. Soobscenie politiceskogo sovetnika pri Glavnonacal'stvujuscem SVAG V. Semenova o besede s predsedatelem „Kul'turbunda" I. Becherom (16.11.1946). - RCChlDNI 17/128/147, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 69-71. Eine Reibungsfläche bot vor allem auch Bechers nationale Programmatik. Er gab z.B. seiner Rede auf dem 1. Bundeskongreß des Kulturbunds im Mai 1947 den Titel „Wir, Volk der Deutschen". Der Druck dieser Rede (wie auch eines Gedichtbands Bechers) sollte zunächst verhindert werden. - Vgl. Tjulpanow, Erinnerungen an deutsche Freunde, S. 39ff.

251

252

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Zu Zensurmaßnahmen gegenüber dem Kulturbund vgl. auch Niekisch, Erinnerungen, Bd. 2, S. 57-60.

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oft so lange hin, daß nicht genügend Zeit blieb, um die (ebenfalls genehmigungspflichtigen) Plakate und Einladungen rechtzeitig zu versenden. 254 Manchmal wurden Wiikungsgruppen des Kulturbunds zur Rechenschaft gezogen, wo sich bei der Überprüfung ergab, daß ursprünglich ein vielseitiger Themenkatalog vorgelegt worden war, von dem die sowjetische Kommandantur jedoch nur wenige Punkte zugelassen hatte. 255 Nicht selten griffen die sowjetischen Offiziere in kleineren Orten offenbar auch zum Mittel des Befehlens, um die Programme nach Wunsch zu strukturieren. So lautete bezüglich von Musikkonzerten eine Anordnung für den Kulturbund in Stadtroda vom Dezember 1947: „Alle Veranstaltungen sind so zu gestalten, daß in den Programmen auch russische Musik (Orchester, Gesang und Klavier) enthalten sein muß, anderenfalls die Genehmigung versagt wird." Auch konkrete Versammlungen zu bestimmten Themen wurden befohlen. In Stadtroda etwa hatten bis zum 20. Dezember 1947 in allen Wirkungsgruppen Veranstaltungen zum Thema „Die politische Lage, der Lebenslauf Stalins und die Verfassung der UdSSR" stattzufinden, wobei Durchführung und Ergebnis sofort zu melden waren, mitsamt Angabe der Teilnehmerzahl, der Namen der Diskussionsredner und Wiedergabe der Fragen, die gestellt wurden. 256 Diese Vorgänge illustrieren auch den Niveauunterschied zwischen den Offizieren kleiner Kommandanturen und den Verantwortlichen in den Metropolen, die solch kleinliche Anordnungen sicherlich nicht verfügt hätten. 257 Zu den Querelen mit der Zensur kamen jene mit den parteipolitischen Forderungen seitens der SED. Die Unabhängigkeit des Kulturbunds war also von Beginn an nur eine relative. Dennoch: Becher versuchte zumindest, dem Kulturbund, seinem seit August 1945 bestehenden „Aufbau-Verlag", der im September 1945 gegründeten kulturpolitischen Monatsschrift „Aufbau" 258 und seiner seit Juli 1946 erscheinenden Wochenzeitschrift „Sonntag" ein Maximum an Vielstimmigkeit zu erhalten. 259 Ein 1947 vorgelegter Tätigkeitsbericht erklärte programmatisch, allerdings die Realitäten verklärend: „Wir stehen weder im Dienst der einen noch im Dienst der anderen Besatzungsmacht. Wir sind weder ostorientiert noch westorientiert." 260 Ursula Heukenkamp arbeitete anhand des „Sonntag" für die Jahre 1946 bis 1948 ein spezifisches „Kulturbundkonzept" heraus, als dessen Merkmale sie „eine Toleranz der Differenzen" und „eine dialogische Kultur" ausmacht. 261 Eine von Verena Blaum erarbeitete Inhaltsanalyse des „Sonntag" bestätigt diesen Befund. 262 Immer wieder beklagte Becher gegenüber SED und SMAD die praktizierte Mißachtung der Intellektuellen in der DDR und ihre - im Vergleich zu den Westzonen - internationale Isolie-

254 255 256 257 258 259

260

Vgl. ein Schreiben an Heinz Willmann betr. „Veranstaltungsgenehmigungen durch Herrn Oberltnt. Saack" vom 17. 1. 1947. - SAPMO: KB-Archiv 491 EV. Vgl. ein Schreiben an die SMA Thüringen, Weimar, [Juli 1947] über die Wirkungsgruppe Apolda. SAPMO: KB-Archiv 228. Vgl. die Akte Stadtroda vom Dezember 1947. - SAPMO: KB-Archiv 228. Diese widersprachen zudem der bereits erwähnten von Semjonow vorgegebenen Orientierungslinie gegenüber dem Kulturbund. Zum „Aufbau" vgl. Engelbach/Krauss, Der Kulturbund; Wehner, Kulturpolitik und Volksfront, S. 304-319; 463-538. Von daher ist die Charakterisierung des Kulturbunds als „stalinistische Tamorganisation", wie sie in einer Anfang der 50er Jahre publizierten Studie vorgenommen wurde, nicht zu akzeptieren. - Friedrich, Der Kulturbund, S. 73. Willmann, Zwei Jahre Kulturbund, S. 10. In einem internen Papier Willmanns von 1946 heißt es demgegenüber offen: „Eine besonders enge Zusammenarbeit des Kulturbundes mit der SED ist für uns eine Selbstverständlichkeit." - SAPMO: KB-Archiv 530/777.

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rung. 263 Noch bis in die 50er Jahre hinein vertraute Becher auf die Unabhängigkeit seiner Organisation und polemisierte selbstbewußt gegen die Intellektuellen-Feindlichkeit im ZK der SED. Aufschlußreich, weil die Prinzipien der Kaderpolitik decouvrierend, ist Bechers 1952 vorgetragene Kritik an der ,,schädliche[n] Entwicklung", „die darin besteht, daß die Leitung des Kulturbundes in den verschiedenen Ländern nicht mehr der Vorstand und die repräseitativen Intellektuellen sind, sondern die wirkliche Leitung der Sekretär besorgt. Und damit hört die geistige Auseinandersetzung auf." 264 Ulbricht gegenüber äußerte Becher zuversichtlich, der Kulturbund sei stark genug, um „ohne administrative Hilfe seinen Weg zu gehen und eine Diskussion zu führen" 265 . Diese Hoffnung erwies sich als illusorisch, wie die gleichzeitig ablaufenden Politisierungsprozesse belegen. Denn von den leitenden Prinzipien Antifaschismus, Pazifismus, Überparteilichkeit ließ sich vor allem letzteres „schon ab Sommer 1947 nur noch schwer durchhalten". 266 Der Ausbruch des Kalten Krieges im Verlauf des Jahres 1947, der den Kulturbund insofern existentiell betraf, als er seine Tätigkeit in den Westsektoren Berlins im November einstellen mußte, 267 führte zwangsläufig auch zu einer Veränderung der Programmatik. Schulmeister charakterisierte diesen Übergang als „Profilierung des Kulturbundes zu einer Stätte des ideologischen Kampfes für die Durchsetzung der Kulturpolitik der Arbeiterklasse". 268 Bereits Ende 1946 war eine ideologischkulturelle Abteilung unter Leitung Alexander Abuschs gebildet worden. Sie sollte die Forcierung der politischen Kulturbundarbeit gewährleisten, eine Aufgabenstellung, der auch die Beratungen des Präsidialrats zu ideologischen Fragen dienten. 1947 wurde durch die Eröffnung der Sommerakademie in Ahrenshoop und ab 1948 durch Lehrgänge im kukurbund-eigenen Erholungsheim in Bad Saarow die Heranbildung des Funktionärsnachwuchses gezielt in Angriff genommen. 269 Zur Steigerung der geschichtspropagandistischen Aktivität wurden seit 1947 für die Ortsgruppen Schwerpunkte festgelegt. 270 Inhaltlich war der Rahmen durch die Themen (und ihre Interpretation) abgesteckt, die die SED als je vordringlich vorgab. Der Anschein der Überparteilichkeit sollte allerdings gewahrt bleiben; so wurden gemeinsame Veranstaltungen von

261

262 263 264 265

266 267 268 269 270

U. Heukenkamp, Geistige Auseinandersetzung, S. 553. Vgl. auch U. Heukenkamp, Ein Erbe für die Friedenswissenschaft. Zum Kulturbund-Konzept siehe femer: Dietrich, Politik und Kultur, S. 24—26; Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 75-81. Blaum, Kunst und Politik. So z. B. in einem Brief Bechers an Tjulpanow vom 15. 3. 1948. - AdK: Archiv Johannes R. Becher Nr. 8058. Diskussionsrede auf der 8. Tagung des Zentralkomitees der SED, 21.-23. Februar 1952, in: Der gespaltene Dichter, S. 72. Zit. nach: Carsten Gansei, [Einleitung], in: Becher-Dokumente, in: NDL 5/1991, S. 93; Vgl. auch die Zeugnisse in: Der gespaltene Dichter. Von diesem Selbstbewußtsein zeugt auch ein Brief Bechers an den Generalintendanten des Berliner Rundfunks, Kurt Heiss, vom 25. 6. 1952: Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler kämen nicht mehr wie früher persönlich im Rundfunk zu Wort; es wäre an der Zeit, „der Stimme des Kulturbundes wieder Gehör zu verschaffen". - AdK: Archiv Johannes R. Becher Nr. 6940. U. Heukenkamp, Geistige Auseinandersetzung, S. 554. Vgl. Kap. 3.1.1. Schulmeister, Auf dem Wege zu einer neuen Kultur, S. 188. Vgl. W. Düwel, Als Student im Kulturbund, S. 131f.; Hennig, Kulturbund, S. 212f. Vgl. Schulmeister, Auf dem Wege zu einer neuen Kultur, S. 212ff.

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Kulturbund und SED, wie sie mancherorts durchgeführt worden waren, als grundfalsch kritisiert. 271 Kennzeichnendes Symptom der Verhärtung war, im September 1948, der Ausschluß des CDU-Politikers Ferdinand Friedensburgs, eines Mannes von hohem geistigem Rang, wegen angeblich „antisowjetischer Äußerungen" aus dem Präsidialrat des Kulturbunds. Der Ausschluß erfolgte, so Friedensburg gegenüber Becher, „unter Verletzung der in jedem Segelklub üblichen Regeln". 272 Gleichzeitig schwand bei vielen nichtkommunistischen Mitgliedern die Bereitschaft zur weiteren Mitarbeit, da die „Bindung an die sich zunehmend stalinisierende SED" immer offensichtlicher wurde. 273 Dieser Erosionsprozeß bestärkte von innen den von außen ausgeübten Transformationsdruck zu einer nach dem Prinzip des .demokratischen Zentralismus' aufgebauten „Organisation mit tendenziell marxistisch-leninistischem Selbstverständnis und klar abgestecktem Aktionsrahmen". 274 Diesem Druck dauerhaft zu widerstehen, lag sicherlich nicht im Bereich des Möglichen, da keine der großen Organisationen in einem partei- oder staatsneutralen Raum arbeiten konnte. Erschwerend wirkten sich jedoch auch die Status-, Legitimations- und Abgrenzungsprobleme des Kulturbunds aus, nämlich Schwierigkeiten bei der Definition des Adressatenkreises und der zu vermittelnden Kultur. Die Bindung an die SED führte zu Veränderungen im Selbstverständnis und der Funktion: Verstand man sich anfangs „als überparteilicher Sprecher der antinazistischen deutschen Intellektuellen", 275 so nahm man im folgenden den Weg von einem tendenziell offenen Bündniskonzept über die verstärkte Ideologisierung (ab 1947/48) und die Übernahme des sowjetischen Kulturkonzepts 1950/51 bis hin zur 1952 verordneten Mitwirkung am sozialistischen Aufbau. Die Zuweisungen an den Kulturbund entsprangen fortan „weniger langfristigen konzeptionellen Erwägungen, mehr kurzfristigen politischen Notwendigkeiten. Aus dem nationalen Sprecher der Intellektuellen wurde ein quasistaatlicher Kontrolleur." 276 Eingespannt als Transmissionsriemen der Partei war der reale Bewegungsradius gegenüber Partei und Staat eng, doch blieb der interne Diskussionspielraum (sowohl auf der Leitungsebene als auch in den lokalen Gruppierungen), auch aufgrund der heterogenen Zusammensetzung des Bundes, vergleichsweise groß, was seinem Image in der Bevölkerung zugute kam. 277 Kulturverein oder politische Vereinigung? Zu unterscheiden ist zwischen der allgemeinen Programmatik und der praktischen Arbeit sowie zwischen dem Profil des Kulturbunds in Zentren bzw. an der Peripherie. 278 Denn während man sich auf dem Feld der Politik der weltpolitischen Polarisierung kaum entziehen konnte, konnten im geistigen Diskurs Beweglichkeit, Pluralismus und Einheitskonzepte länger erhalten 271 272 273 274 275 276 277 278

Stenographische Niederschrift (unkorrigiert) über die SED-Kulturkonferenz am 28./29. Januar 1947 in Berlin. - SAPMO: ZPA IV 2/101/33. SAPMO: KB-Archiv 72, zit. nach: Schivelbusch, Vor dem Vorhang, S. 163. Wehner, Kulturpolitik und Volksfront, S. 191. Heider, Kulturbund, S. 725. Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 224. Ebd., S. 225. Zum Verhalten im Umfeld des 17. Juni vgl. Kap. 5.3.8. Zur Entwicklung des Kulturbundes in den einzelnen Landesverbänden vgl. Wehner, Kulturpolitik und Volksfront, S. 187-263.

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bleiben. 279 Auch ließ sich in den Großstädten die seit 1947/48 stäiker auf politische und ökonomische Belange zentrierte Ausrichtung einfacher durchsetzen als in ländlichen Regionen. Das politisch-ideologische .Versagen' vieler Ortsgruppen, deren Zusammensetzung oft bunt und deren Bestrebungen vielfältig und widersprüchlich waren, ließ sich vor allem in der Provinz beobachten. Mehrfach löste die Landesleitung bestehende Ortsgruppen auf, um mit „fortschrittlichen Kräften" Neugründungen zu organisieren. 280 In den Dörfern fanden unter dem Signum von Kulturbund-Veranstaltungen auch Tanzvergnügungen und gesellige Abende statt, so daß Willi Bredel im Sommer 1946 mahnte: „Wir dürfen [...] nicht absinken zu einem KdF.-Rummel, unsere Ortsgruppen im Lande dürfen sich nicht mit billigen und seichten Veranstaltungen Genüge tun, sondern sie müssen sich bewußt sein, daß wir eine Kulturorganisation [...] zur demokratischen Umwandlung unseres Volkes sind." 281 „Flucht aus der Wirklichkeit in das Reich der Kunst, Naturschwärmerei und Heimattümelei waren häufig", 2 8 2 so die Wertung Schulmeisters. Bezüglich der Anfänge des Kulturbunds in Mecklenburg-Vorpommern wurde denn auch in einer Festschrift des Kulturbunds bemängelt, daß sich die Ortsgruppen noch „nicht so sehr als das kulturelle Gewissen, sondern als Veranstalter für die verschiedenartigsten Darbietungen" verstünden. 283 Daß „die kulturpolitischen Themen nicht genug berücksichtigt sind", beanstandete die „Landes-Zeitung" vom 25. Januar 1947. Trotz der daraufhin einsetzenden Referentenschulung mit dem Ziel, eine einheitliche kulturpolitische Richtung einzuschlagen, und der Festlegung von Diskussionsthemen für Ausspracheabende 284 mindestens eine kulturpolitische Veranstaltung monatlich war ab 1947 verpflichtend - wurde die weltanschaulich-ideologische Aufgabenstellung offenbar nicht erfüllt. 285 Die Ergebnisse der Landesdelegiertenkonferenz vom 18. und 19. Oktober 1947, auf der in Übereinstimmung mit den zu jener Zeit einsetzenden Entscheidungszwängen eine Ablehnung des „bürgerlichkulissenhaften" Kulturbegriffs und das Bekenntnis zum „politisch-kämpferischen" Kulturbegriff gefordert wurde, 286 fanden, wie beklagt wurde, ebenfalls keine hinreichende Umsetzung. Pastor Kleinschmidt, stellvertretender Vorsitzender des Kulturbunds in Mecklenburg-Vorpommern, monierte noch mehr als ein Jahr später: „Es finden noch häufig Veranstaltungen statt, die auch vor fünf oder zehn Jahren möglich gewesen wären". 287

279 280 281 282 283 284 285

Vgl. Dietrich, Politik und Kultur, S. 97f. Vgl. Schulmeister, Auf dem Wege zu einer neuen Kultur, S. 202f. Willi Bredel, Von den Aufgaben der Intelligenz, in: Demokratische Erneuerung 5/1946, S. 8. Schulmeister, Auf dem Wege zu einer neuen Kultur, S. 203. Zehn Jahre Kulturbund, S. 53. Vgl. Kunze, Die Entwicklung des Deutschen Kulturbundes, S. 9f. Auf der Kulturkonferenz der SED am 28. und 29. Januar 1947 bekräftigte indes Josef Naas, daß gerade in Mecklenburg-Vorpommern der Einfluß der Partei im Kulturbund als vorbildlich zu bezeichnen sei, ganz im Gegensatz zu Berlin, wo dieser Einfluß lediglich im Künstlerklub anzutreffen sei, jedoch nicht darüber hinausreiche. - SAPMO: ZPA IV 2/101/33. Es wird allerdings nicht dargelegt, wie sich dieser Einfluß auswirkt. Immerhin konnte Mecklenburg-Vorpommern 1947 mit dem höchsten Organisationsgrad im Vergleich zur Bevölkerungsdichte aufwarten: 1,1%, im Gegensatz etwa zu Thüringen (0,4%) und Berlin, das mit 0,2% das Schlußlicht bildete. - Tolzien, Organisatorischer Aufbau des Landesverbandes, S. 4—9. Der Einfluß der SED sollte zwar stark, aber nicht offenkundig sein. So wurde auf derselben Kulturkonferenz kritisiert, daß in der Ortsgruppe Erfurt (Thüringen) SED und Kulturbund gemeinsame Veranstaltungen durchführten.

286

Kleinschmidt, Die Landesdelegiertenkonferenz, S. 3ff.

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Doch auch in bezug auf die Städte wurden immer wieder Klagen laut. So beanstandete Bernhard Kellermann, Präsidialratsmitglied des Kulturbunds, in seinem Festvortrag zum ersten Jahrestag der Gründung „Der wahre Sinn des Kulturbunds": „Viele erblicken im Kulturbund in erster Linie den Anreger von Konzerten, Ausstellungen, Vorträgen, Theateraufführungen, kurz, sie sehen in ihm eine Art löblichen Kunstvereins, der sich die Aufgabe gestellt hat, weiten Kreisen des Volkes kulturelle Bestrebungen zu vermitteln." 288 Solche Beanstandungen fielen im Grunde auf die Kulturbundspitze zurück, die es versäumte, eine Diskussion über den Kulturbegriff zu führen und - im Vergleich zu den althergebrachten Mustern - alternative Konzepte des kulturellen Lebens zu entwickeln. So kann es nicht verwundern, wenn der organisatorische Rahmen „Kulturbund" vielfach für die Ziele eines traditionellen Literatur- und Kulturzirkels genutzt wurde. Die Vereinigung wolle „zum wirkenden Erleben echter deutscher Kultur und deutschen Geisteslebens führen", das „heiße Verlangen weitester Kreise nach einem Trunk aus frischem Quell" befriedigen, 289 heißt es bezeichnend in einem Mitteilungsblatt von 1946. Wenn also zahlreiche Ortsgruppen des Kulturbunds versuchten, unter seinem Dach das Vereinsleben von Kulturvereinigungen der Vorkriegszeit auferstehen zu lassen (was nicht nur für die Anfangszeit gilt, sondern sich auch für spätere Jahre noch erheben läßt), zeugt dies nicht nur von dem beharrlichen Weiterwirken herkömmlicher Modelle und von dem großen Bedürfnis nach kultureller Zerstreuung und Betätigung, das anders nicht gesättigt werden konnte, sondern belegt auch inhaltliche Konzeptionsschwächen der Kulturbundarbeit. Der intensiven politischen Diskussion entsprach im Grunde keine Kulturreflektion. Immer wieder wurde von den Funktionären moniert, daß der Kulturbund eine „Absonderung von den breiten Massen" ansteuere, ja geradezu ein Hindernis für das Zusammenfinden von Arbeitern und Intellektuellen darstelle. 290 Diese Klagen verstummten auch nicht nach Gründung der DDR, sondern wurden vielfach neu variiert. Selbst die auf Beschluß der Hochschulgruppenkonferenz in Berlin 1950 durchgeführte Trennung der Hochschulgruppen von den Ortsgruppen, von der man sich eine Aktivierung der Studenten als ideologische Stoßtruppe versprach, brachte nicht den erwünschten Erfolg. An der Greifswalder Universität etwa bildete sich eine Laienspielgruppe, eine Arbeitsgemeinschaft Zeichnen und ein Arbeitskreis junger Autoren innerhalb der Hochschulgruppe des Kulturbunds, aber die erhoffte ideologische Beeinflussung des Lehrkörpers und der Studenten blieb aus, so daß 1957, d.h. nachdem die vom XX. Parteitag der KPdSU 1956 ausgegangenen Neuansätze wieder unterbunden worden waren, führende Funktionäre der Hochschulgruppe abgesetzt und diese wieder mit der Ortsgruppe zusammengeschlossen wurde. 291 Aufschlußreich ist, daß die im Rahmen des Kulturbunds mögliche „innere Emigration bestimmter Bevölkerungskreise" von der SED zwar mißbilligt, 292 aber doch geduldet wurde und man 287 288 289 290

Landes-Zeitung vom 18. 12. 1948. AdK: Archiv Bernhard Kellermann Nr. 63. Bericht über die Arbeit des Kulturbundes im Lande Mecklenburg-Vorpommern, in: Dokumente zur Kulturpolitik in Mecklenburg, S. 24. Aus dem Referat von Erich Glückauf, Sekretär des Landesvorstands Mecklenburg der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, auf dem ersten Landeskulturtag der SED in Schwerin am 19./20. Juni 1948 über die kulturpolitische Arbeit in Mecklenburg, in: Dokumente zur Kulturpolitik in Mecklenburg, S. 57.

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mit dem Kulturbund ein Forum gewährte, um seinen spezifischen musischen, literarischen oder künstlerischen Neigungen nachzugehen. 293 Möglicherweise kam dem Kulturbund hier eine Ventilfunktion zu, die angesichts der damals offenen Grenze in Deutschland zweckmäßig war. 294 Daß die Realität in den einzelnen Ortsgruppen über Jahre hinweg so wenig den Intentionen der Funktionäre entsprach, hat seinen Grund indes nicht allein in individuellem Eskapismus, sondern war auch strukturell bedingt. Denn der Kulturbund hatte nicht nur Künstler, Wissenschaftler und kulturinteressierte Laien als Organisation zu betreuen, sondern er hatte aufgrund einer Verfügung der Deutschen Verwaltung des Inneren 1948 zahlreiche Vereinigungen und Liebhaberzirkel aufzunehmen, von der Goethe-Gesellschaft bis hin zu Foto- und Bastelgruppen. 295 Auch wurden unter dem Dach des Kulturbunds 1950/51 der Verband Bildender Künstler, der Deutsche Schriftstellerverband, und der Verband Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler gegründet, um schon 1952 in die Selbständigkeit entlassen zu werden. 296 Die Ko-Existenz mit den Künstlerverbänden, vor allem aber die verfügte Vereinsübemahme, die wohl die Einbindung dieser Gruppen in einen festen (kontrollierbaren) organisatorischen Rahmen gewährleisten sollte, erwiesen sich als erhebliche Belastung. Daß es zu Interessenskollisionen zwischen den zum Teil eng spezialisierten Liebhaberzirkeln und dem Kulturbund als Promotor einer marxistischen Kulturpolitik kam, kann kaum verwundern. Die Vielfalt der unter dem Dach des - bisweilen als „Alles-Betreuer" apostrophierten - Kulturbunds subsumierten Interessen und Arbeitsfelder, die zu jahrelangem internem Gerangel führten, erschwerte die Selbstdefinition. Er war Sammlungsbecken für die (erst alte, dann neue) Intelligenz, Bildungs- und Kulturinstitution, Veranstaltungsdienst und politischer Propagandist. 297 Die Rolle Bechers im zweiseitigen Kampf gegen Heimattümelei und engstirnige Funktionäre, für eine Politisierung, aber nach wie vor mit gesamtdeutschem, verbindendem Anspruch ist dabei durchaus schillernd.

291

Vgl. Kunze, Die Entwicklung des Deutschen Kulturbundes, S. 30ff. Einen ähnlichen Befund der nachlassenden Aktivitäten im Zusammenhang mit dem sowjetischen Parteitag und damit Defizite der Propaganda erhebt eine Untersuchung übrigens auch für die Hochschulgruppe der DSF. - Vgl. Neuber, Zur Geschichte der Gesellschaft, S. 80. Zur Situation an der Universität Greifswald vgl. auch: Krüger/Rittner, Die Hilfe und Unterstützung der Sowjetunion; Fritze/Herling/Krüger [u.a.], Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung, S. 123-135.

292 293 294

Kunze, Die Entwicklung des Deutschen Kulturbundes, S. 12. Vgl. Walter Ulbricht, Rede zur KPD-Taktik 27. Juni 1945, in: DDR. Dokumente, S. 39. Es wird aber auch verständlich, warum mit der 1947 gegründeten Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion (seit 1949: Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft) eine zweite Organisation aufgebaut wurde, deren anfänglich ebenfalls auf Kunst und Wissenschaft orientierter Charakter bald rigoros politischen und wirtschaftlichen Interessen untergeordnet wurde.

295 296

Vgl. Heider, Kulturbund, S. 714; Blaum, Kunst und Politik, S. 28. Zur Gründung der Künstlerverbände und zu ihrer Ausgliederung aus dem Kulturbund vgl. Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 120-129, 150-165. Vgl. ebd., S. 228.

297

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5.3.3 Schriftsteller und Parteipresse. Ein Exempel zum Thema SED und Intellektuelle. „In der Dialektik von Nahziel und Fernziel steckte von Anfang an jene Doppelbödigkeit und Zweigleisigkeit, die mißtrauisch machte gegenüber den Motiven der proklamierten Toleranz." 298 Dieser westlichen Einschätzung Manfred Jägers steht eine andere Akzente setzende Bewertung des Verhältnisses von Partei und Schriftstellern gegenüber, wie sie in den letzten Wochen der Existenz der DDR formuliert, aber erst nach der Öffnung publiziert werden konnte. Irmfried Hiebel konstatiert eine Entwicklung von anfänglicher Übereinstimmung zu späteren Mißklängen, bemüht sich jedoch bei aller Kritik an der Dogmatisierung ab 1948/49, Verständnis für die Beweggründe der Parteiführung zu finden. Für die Anfangszeit stellt er die These auf: „Kommunistische Politiker und sozialistische Schriftsteller standen in einem partnerschaftlichen Verhältnis, das von keiner Seite durch hegemoniale Ansprüche beeinträchtigt wurde." 299 Der dann erfolgende Wechsel in der Einstellung der Partei zu den Schriftstellern und Künstlern wird, die Position der Parteiführung nachvollziehend, aber nicht im einzelnen billigend, damit begründet, daß die Entwicklungen in der Literatur „nur im Ansatz" der äußerst raschen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Entwicklung in der SBZ zu folgen vermochten, einer Entwicklung, die darauf angelegt war, auf schnellstem Wege „irreversible Fakten und stabile gesellschaftliche Verhältnisse" zu schaffen. Zu diesem Sachverhalt gibt Gerd Dietrich eine ergänzende Einschätzung. Er differenziert die wachsenden Mißklänge zwischen Partei und Schriftstellern dahingehend, daß er noch auf der Konferenz von Kleinmachnow Anfang September 1948 innerhalb der Parteiführung, so bei Ackermann einerseits und Ulbricht andererseits, unterschiedliche Erklärungen für das „ Z u r ü c k bleiben" der Literatur ausmacht. Während ersterer die Gründe dafür „in den objektiven und schwierigen gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen seit 1945 wie auch in den Schwächen der Kulturarbeit der SED sah" und damit den Schriftstellern Verständnis signalisierte, „suchte sie Ulbricht vor allem im subjektiven Verhalten der Schriftsteller und Künstler, die das Neue noch nicht sehen würden", 300 und setzte sich mit seiner Position letztlich durch. Dietrich verfolgt seinen differenzierenden Ansatz auch in umgekehrter Richtung, indem er nicht nur den „Wurzeln demokratischer Hoffnung" nachspürt, sondern auch, schon in den ersten beiden Nachkriegsjahren, „Ursachen autoritärer Entwicklungen" anhand von .konservativen' bzw. dogmatischen Elementen in kulturpolitischen Resolutionen, Manifesten und Verlautbarungen aufzeigt. Eine Kritik daran, ebenso wie an „kulturfremden" oder gar „kulturfeindlichen" Haltungen nachrangiger Funktionäre wurde aber zu jenem Zeitpunkt noch nicht als „zersetzend" angesehen. Dies kann als Beleg für das von Hiebel so benannte, im Detail zu überprüfende partnerschaftliche Verhältnis zumindest zwischen Politikern und Schriftstellern der SED gesehen werden. Für Autoren nichtsozialistischer Provenienz, die aus bündnispolitischen Erwägungen heraus gewonnen werden sollten, galt indes wohl eher das von Jäger konstatierte Mißtrauen gegenüber „den Motiven der proklamierten Toleranz". 298 Jäger, Kultur und Politik, S. 4. 299 Hiebel, Das erste Jahrzehnt, S. 539ff. 300 Dietrich, Literatur und neue Wirklichkeit, S. 56. Vgl. ders., Politik und Kultur, S. 159f. Im folgenden ebd. S. 11,53, 80.

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Aus den zahlreichen Einzelaspekten, die das Verhältnis von Partei und Schriftstellern facettieren, sei im folgenden exemplarisch die Einstellung der „schöpferischen Intelligenz", und zwar in erster Linie der SED-Mitglieder unter ihnen, zum Zentralorgan „Neues Deutschland", speziell zu seinem Feuilleton, herausgegriffen. Denn die damit verbundenen Auseinandersetzungen und Maßnahmen sind in ihrer Entwicklungsdynamik symptomatisch für den gesamten Komplex. Auf etlichen Zusammenkünften von Parteiführung und Intellektuellen, auf Schriftstellertagungen, in Memoranden und Parteibeschlüssen der ersten Nachkriegsjahre stand das Thema Parteipresse im allgemeinen und deren Feuilleton im besonderen im Zentrum der Erörterung. Anhand dieses Materials läßt sich rekonstruieren, wie in der ersten Phase der kulturpolitischen Entwicklung, bis 1947, relativ offene, freimütige Diskussionen - und auch harte Kritik - von der Parteiführung mitgetragen, z. T. selber angeregt wurden. In der zweiten Phase, die mit der Verschärfung der Ost-West-Krise 1947 einsetzte und 1949 mit der Entwicklung der SED zu einer Partei neuen Typus zum Durchbruch gelangte, kam eine sich veihärtende und immer abstraktere Rhetorik zum Zuge, die anstatt lebendiger Diskussionen Weisungen und Beschlüsse freisetzte. Zwar sah die Parteiführung schon früh die Notwendigkeit, eine an Moskauer Vorgaben orientierte kulturpolitische Linie herauszuarbeiten, konnte sie aber, ähnlich wie die SMAD, aufgrund der zunächst offenen Situation Deutschlands nur vorgeben, aber noch nicht durchsetzen. Dies gelang erst ab 1948/49, als diese Linie dominant und mit einem machtpolitischen Anspruch versehen wurde. Das ideologische System und damit auch die Kulturpolitik riegelten sich ab. Das .offene Gespräch' Eine erste Zusammenkunft zwischen Redakteuren des „Neuen Deutschland", den Parteivorsitzenden sowie ZK-Mitgliedern mit Kulturvertretern der SED fand im Rahmen einer „Teestunde" am 20. Dezember 1946 in den Räumen des Zentralorgans statt. Es galt, Wege zu finden, das Feuilleton sowohl für den Massenleser als auch für die Intellektuellen ansprechend zu gestalten. Darüber hinaus ging es auch darum, Wissenschaftler und Schriftsteller als Autoren zu gewinnen. Hierzu mußten zu allererst sowohl Schwächen und Mängel der Kulturberichterstattung als auch organisatorische und materielle Unzulänglichkeiten beim Namen genannt werden. Bereits drei Monate zuvor war in einem von Lex Ende, dem damaligen Chefredakteur, entworfenen, an die SMAD gerichteten Arbeitspapier ein Vorstoß in diese Richtung unternommen worden. Die Zielsetzung war, sechs skizzierte „Hauptschwächen" des Blattes zu beseitigen. 301 Für den Kulturteil wurde der „schon oft erhobene" Vorschlag wiederholt, die Partei möge einen „marxistischen Kulturpolitiker" zur Übernahme der Redaktion benennen. Die Parteiführung hatte das bis zu jenem Zeitpunkt offenbar noch nicht getan, sei es, daß sie dem Kulturteil ihres Zentralorgans keine vorrangige Bedeutung und nur geringen öffentlichen Einfluß zumaß, sei es, daß es ihr an geeigneten Personen mangelte. Grotewohl eröffnete die Erörterung mit der Feststellung, es gehe nicht nur darum, eine Zeitung zu machen, sie müsse auch gelesen werden, und „in dieser Beziehung liegt noch ein grosses Stück Arbeit vor uns". 302 Diese Zielvorstellung wurde mit der Etablierung einer „Presse von neuem Typus" nach sowjetischem Muster einige Jahre später hinfällig, wie anhand der betreffen301 302

„Entwurf zu einem Brief der Vorsitzenden an General B. betr. .Neues Deutschland'". - Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/5. SAPMO: ZPA IV 2/101/31.

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den SED-Resolution aus dem Jahre 1950 zu zeigen sein wird. Die Lektüre wurde Pflicht, Zugeständnisse an die Lesbarkeit wie auch an den Wahrheitsgehalt brauchten nicht mehr gemacht zu werden. Proteste der Intellektuellen über die Berichterstattung der Parteipresse z.B. im Zusammenhang mit den Ereignissen des 17. Juni 1953 blieben folgenlos. 303 In den ersten Nachkriegsjahren indes waren Bemerkungen wie die Grotewohls gleichsam eine Einladung an die Schriftsteller, sich kritisch und konstruktiv zu diesem Thema zu äußern, waren dazu angetan, ihre Einlassungen zu provozieren. Dies hatte jedoch auch den - nicht zu unterschätzenden - Zweck, die Stimmungslage unter den Intellektuellen gegenüber der Partei und ihrer Presse auszuforschen und so zu erkunden, womit die Parteiführung bei der (späteren) Foimulierung ihrer Kulturpolitik ,zu rechnen hatte'. Ähnliches wiederholte sich unmittelbar nach den Ereignissen des 17. Juni 1953. Die Spitzenfunktionäre griffen dabei auf Erfahrungen der KPdSU zurück, die sie sich nicht zuletzt während ihres Exils in der UdSSR aneignen konnten, und brachten mit den entsprechenden ,Diskussionstechniken' (z.B. Simulation von Offenheit) bereits ein wesentliches Element des sowjetischen Modells in die politische Wirklichkeit der SBZ ein. Die genannte Zusammenkunft beim „Neuen Deutschland" 1946 war hochkarätig besetzt. Neben Grotewohl und Pieck waren Vertreter der Abteilungen Kultur und Volksbildung des ZK der SED anwesend sowie u. a. der Theaterkritiker Fritz Erpenbeck, Prof. Jürgen Kuczynski, Dr. Klaus Gysi und Prof. Deiters vom Kulturbund. Gastgeber war Lex Ende. Zwar wurden auch hier Schlagwörter in die Diskussion eingebracht, die in der Resolution von 1950 zur Presse „neuen Typus" eine zentrale Rolle spielen sollten, wie z.B. das „Zurückbleiben" hinter der gesellschaftlichen Entwicklung, aber es geschah dies in Diskussions- und nicht in Dekretform. Obwohl auch hier seitens der Schriftsteller von der Etablierung einer erkennbaren kulturpolitischen Linie im „Neuen Deutschland" die Rede war, bemühte man sich doch, so hatte es den Anschein, in gemeinsamer Erörterung darum. Der sachlichen und fachlichen Fundierung kulturkritischer Beiträge und damit auch der Autorenschaft entsprechender Fachleute wurde dabei eine entscheidende Bedeutung beigemessen gegenüber einem bloß abstrakten Nachvollzug der Parteilinie. Denn „wenn man zum Beispiel im Orchester des Deutschen Theaters über die Musikkritik lacht, weil sie falsch ist [...], so haben wir damit gar nichts erreicht, sondern nur die Autorität der Zeitung geschädigt". 304 Es galt, ein Niveau zu finden, das zwischen „Fachsimpeleien" einerseits und einem „Unterschätzen des Lesers" andererseits lag. Angesichts der tagtäglichen politischen und auf die Gefühle abzielenden Beeinflussung der Zuschauer in Theater und Kino („eine Massenbeeinflussung der Menschen, deren sich keine politische Partei und keine religiöse Gemeinschaft rühmen kann"), wurde der ideologische Wert der Kunst-, Literatur-, Theater- und Musikkritik darin gesehen, „die Massen so zu informieren, dass sie in die Veranstaltungen gehen, die sie nach unserem Wunsch besuchen sollen, dass sie sich über das dort Gebotene die Gedanken machen, die wir wünschen, und wenn wir sogar noch einen Schritt weitergehen [...], dass sie erzogen werden, ganz bestimmte Dinge auch richtig zu fühlen". Dieses Modell einer umfassenden ideologischen Durchdringung der Bevölkerung durch die Presse („ein ungeheuer mühselige[r] grosse[r] Prozess") war zu 303

Bereits auf einer „Tagung parteigenössischer Schriftsteller" am 12.12.1947 in Berlin hatte sich Wolfgang Harich gegen die „Schönfärberei in unserer Presse" gewandt. - SAPMO: ZPA IV 2/906/254. 304 So Fritz Erpenbeck in seinem Eingangsreferat. - SAPMO: ZPA IV 2/101/31. Die folgenden Aussagen stammen ebenfalls daraus.

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jenem Zeitpunkt noch relativ abstrakt, d. h. noch nicht durch konkrete Inhalte gefüllt (wie ab 1948 z.B. durch den Zweijahrplan), und beruhte auf einem antifaschistisch-demokratischen Grundkonsens („Wir" bedeutete nicht nur die Partei bzw. ihre Führung). Man suchte damit einerseits der ebenso umfassenden und z.T. noch weiter wirkenden Ideologisierung unter Hitler wirksam zu begegnen, orientierte sich andererseits aber bereits (wenn auch unausgesprochen) an dem entsprechenden sowjetischen Vorbild. Die Zielvorstellungen selber standen kaum zur Diskussion, vielmehr die Wege dorthin bzw. die Schritte zur Überwindung vorhandener Hindernisse. Richard Weimann, Leiter der Abteilung Kultur und Erziehung beim Zentralsekretariat der SED, präzisierte das Modell der ideologischen Durchdringung. Die zu besuchenden Veranstaltungen sollten selber bereits in erzieherischem Sinne, d. h. durch Einflußnahme auf die Spielpläne der Theater und Kinos und auf die Ausstellungspläne der Museen vorgeformt werden. Aber auch hier wurden noch keine Inhalte vorgegeben. Weimanns Bedauern, daß die „Beziehungen zu unserer Presse" noch nicht so „eng und lebendig sind" und sein daraus resultierender Wunsch, Redaktionsmitglieder regelmäßig an Beratungen und Verhandlungen der Kulturabteilung der SED teilnehmen zu lassen, damit „auch die Redaktionen darüber unterrichtet sind, in welcher Weise und in welchem Geist" sie die angeschnittenen Fragen behandeln müßten, läßt erkennen, daß das Zentralorgan der SED zumindest in Kulturfragen relativ auf sich gestellt war. Die Ermahnungen an die Adresse des „Neuen Deutschland" waren dementsprechend zunächst nicht so sehr offen ideologischer Natur, sie betrafen vielmehr vorrangig die Arbeitsorganisation und die Qualität des dargebotenen Materials, waren damit aber auch indirekt ideologisch auslegbar. Drei Problemkomplexe standen im Zentrum: die „Operativität" der Zeitung, die Qualität der Rezensionen und der „Stil" der Berichterstattung. Der Begriff „Operativität", der Militärsprache entnommen, hielt schon früh Einzug in den Jargon der kommunistischen Parteien, allen voran der KPdSU, und bedeutete dort soviel wie effektives, zentral gesteuertes Handeln. Auf die Medien bezogen sollte das Dargebotene in diesem Sinne von unmittelbar praktischer Wirksamkeit sein, d. h. zum „unverzüglichen Eingriff in sich vollziehende Geschehnisse" aufrufen. 305 So verstandene Operativität könne im Zentralorgan der SED dadurch erreicht werden, daß jeder Artikel, wollte er kein Zufallsprodukt sein, „seine bestimmte Aufgabe zu erfüllen hat und jeder Artikel aus einem bestimmten Grunde an der Stelle steht, an der er an dem bestimmten Tage erscheint". Davon sei die Zeitung noch weit entfernt im Gegensatz zum englisch lizensierten „Telegraf, wie Lex Ende „das in diesem Kreise ganz offen" aussprach. 306 Jede Zeitungsnummer sollte also eine Art didaktischer Einheit bilden. Zu diesem Zweck wollte man überdies auf den Kulturseiten auch je aktuelle politische und wirtschaftliche Probleme „im kulturellen Sinne" behandelt wissen, was bisher noch nicht zufriedenstellend realisiert worden sei.

305

So formulierte es Sergej Tretjakow, der wohl exponierteste Vertreter der „operativen Skizze", während des ersten Fünfjahrplans und der Phase der Kollektivierung (1928 bis 1932) in der Sowjetunion; Tretjakow hatte selber aktiv am Aufbau einer Kolchose teilgenommen. - Vgl. M. Schneider, Die operative Skizze, S. 159. Der bei Tretjakow noch erkennbare Idealismus beim Einsatz seiner literarischen und publizistischen Mittel wich jedoch schon bald einer Ritualisierung der Operativität.

306

In dem genannten Arbeitspapier vom September 1946 wurde der Verweis auf die „angeblich ,so gut gemachten' gegnerischen Zeitungen" als „prinzipienloses Gerede" abgetan.

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Die Debatten um die Qualität von Rezensionen und der im „Neuen Deutschland" abgedruckten schöngeistigen Literatur setzten die deutlichste Kritik frei. 307 Angesprochen wurden sowohl die Lesererwartungen als auch die Sorge um das Ansehen der Zeitung. Kuczynski bemängelte bei den Buchrezensionen das Fehlen so selbstverständlicher Dinge wie einer Inhaltsangabe, einer Interpretation und einer Auskunft über mögliche Wirkungsabsichten des Autors, Angaben also, anhand derer ein Leser feststellen kann, ob dieses Buch für ihn nützlich und ein Erwerb angebracht sei. Statt dessen finde er „nur einige schnoddrige Wertbemerkungen" vor. Die alleinige Betonung eines marxistischen Standpunkts war für Kuczynsksi als Qualitätsmerkmal nicht hinreichend. Gysi zeigte auf, in welchen Fällen das Zentralorgan auf kulturellem Gebiet eingreifen müßte, es aber bisher offenbar versäumt hatte. „Hier wurde der Film .Irgendwo in Berlin' erwähnt und gesagt, dass wir die Arbeiter erst an diesen etwas herben Film gewöhnen müssen. Ich habe diesen Film in der Uraufführung auch gesehen und werde Euch etwas sagen: Die Leute werden uns etwas husten und nicht hineingehen; sie werden sich nicht daran gewöhnen, und wenn die Kritik gut ist, werden sie die nächste nicht mehr lesen. Die Pflicht des ,Neuen Deutschland' wäre es, darüber zu schreiben, wieso man einen Film so nicht machen kann." Zuvor hatte Richard Weimann diesen Film als einen der neuen von der DEFA produzierten „volks- und lebensnahen" Filme gelobt. Die Meinungsdifferenz wurde (noch) nicht machtpolitisch gelöst. 308 Zu dem bereits dargestellten Fall Furtwängler 309 klagte Gysi ebenfalls eine grundsätzliche Stellungnahme des „Neuen Deutschland" ein, denn es sei „weder mit einer freudigen noch mit einer nichtfreudigen Aufnahme getan". Positiv bewertet wurden indes kurze Skizzen über bekannte Klassiker der Weltliteratur, wie z. B. „Fontane, Balzac, Flaubert". Aufschlußreich ist hier, daß zu diesem Zeitpunkt, Ende 1946, der literarische „Impressionist" Flaubert noch gleichberechtigt neben dem „Realisten" Balzac stand. Abfällig äußerte sich Gysi zu den abgedruckten antifaschistisch-demokratischen Kurzgeschichten. Zwar wurde zugestanden, daß die deutsche Literatur im Gegensatz zur englischen oder französischen keine ausgeprägte Tradition in dieser Gattung vorweisen könne, aber dennoch wirkten sie „besonders peinlich, wenn man Gelegenheit hatte, die Kurzgeschichten auf faschistischer Basis zu lesen; die waren nämlich genau so." Wenige Jahre später waren Veigleiche dieser Art tabu. Zweideutig in solch politischer Hinsicht ist auch Kuczynskis Bemerkung, es gehöre „mit zu der grössten Kulturschande in den letzten Jahren, dass wir die deutsche Sprache verloren haben, dass 307 Nur gelegentlich wurde auf das sowjetische Vorbild verwiesen. So schlug einer der Teilnehmer vor, kurze Zitate oder kleine Gedichte deutscher Klassiker besonders unter dem Aspekt ihres Kampfes um „Freiheit und Gerechtigkeit" auf der Kulturseite zu plazieren sowie die Reden der Genossen damit zu „würzen": „Nehmt irgendeine Rede eines unserer russischen Freunde, sei es Stalin, sei es Molotow, und Ihr findet beinahe keine Rede, in der die Genossen nicht ein populäres Argument dadurch erläutern, dass sie eine Figur aus der Literatur nehmen." 308 Einen Monat später, auf der SED-Kulturkonferenz vom 28. und 29. Januar 1947, hatte sich Weimann die Kritik an diesem Film sogar in Ansätzen zu eigen gemacht, wenn er darauf hinwies, daß „die Filme noch ihre Mängel, zum Teil große Mängel haben. Das haben wir auch der DEFA gesagt, und unter uns kann man es sagen." Er ging jedoch nicht so weit, wie Gysi es gefordert hatte, die Mängel auch in der Parteipresse beim Namen zu nennen, sondern bestand darauf, diesen und andere, ähnliche Filme aufgrund ihrer ,,große[n] und starke[n] Tendenz" massiv zu propagieren. - Stenographische Niederschrift über die SED-Kulturkonferenz, SAPMO: ZPA IV 2/101/33. 309 Vgl. Kap. 5.2.2.

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wir kein Gefühl mehr für die Sprache haben", darin schließt er den Stil der Kulturseite des „Neuen Deutschland" ein, deren Artikel oft einen „dahingeschmierten Eindruck" machten. Wenn Kuczynski 1946 von „den letzten Jahren" spricht und einen Bogen zum „Neuen Deutschland" spannt, so wird auch hier, wie bei den Kurzgeschichten, eine Kontinuität kultureller Fehlentwicklungen in zwei einander entgegengesetzten Ideologien nahegelegt. Lex Ende kehrte in seiner Erwiderung die geäußerte Kritik zum Teil gegen die Absender. Es genüge nicht zu sagen: die Kulturseiten sind schlecht, sondern man solle als Intellektueller an ihrer Verbesserung arbeiten, sich für sie verantwortlich fühlen. 310 Die Gründe für die „Separation" zwischen Zentralorgan und Intellektuellen seien nicht nur in der Arbeitsüberlastung der Autoren zu sehen. Konkrete materielle Faktoren spielten eine ebenso große Rolle. Offenbar hatte das „Neue Deutschland" am Honorar gespart, was dazu führte, daß es etliche Schriftsteller und Wissenschaftler als Mitarbeiter verloren hatte. Viele waren zur „Täglichen Rundschau" übergelaufen, deren „magnetische Wirkung" (die offenbar nicht zuletzt durch erheblich höhere Honorare erzielt wurde) 311 dazu führte, daß sie sie als „ihr Organ" betrachteten. In ihrem Bestreben, namhafte deutsche Intellektuelle als Mitarbeiter zu gewinnen, war die SMAD unversehens in Konkurrenz zu ihren engsten Verbündeten getreten. Zur Attraktivität der „Täglichen Rundschau" trug auch bei, daß ihr Feuilleton vor allem in den ersten Jahren schon allein durch die Vorgaben der sowjetischen Mitarbeiter von einem ausgesprochen hohen Niveau war und bis mindestens 1948 einen relativ großen journalistischen Freiraum genoß. 312 So wurde das Blatt denn auch von Menschen gelesen, die zwar nicht SED-nah waren, aber mit der UdSSR sympathisierten. 313 Nicht nur der Vergleich mit dem Organ der SMAD ließ die Anhebung des Feuilleton-Niveaus im „Neuen Deutschland" dringlich erscheinen. Auch die kulturelle Konkurrenzsituation mit den Westmächten - „Berlin ist eine Art Schanghai geworden" (L. Ende) - sowie das Nebeneinander verschiedener Ideologien fordere, wie auf der Redaktionsversammlung resümiert wurde, zu einem qualitativen Mithalten heraus; verlangt sei ein schlagkräftiges Zentralorgan „im harten Kampf mit den uns feindlich gesinnten Kräften, die vor nichts Respekt haben". Zwar schimmert hier bereits die Lexik des Kalten Krieges hindurch, jedoch wurden die Auseinandersetzungen in ihrer Dynamik gesehen und noch nicht als erstarrte ideologische Grabenkämpfe.

310

Dieser Appell war auch schon in dem erwähnten Arbeitspapier vom September 1946 formuliert worden. Auf den Punkt gebracht, hieß es dort: „Der Kulturbund ist sehr schön, aber das Zentralorgan ist auch etwas."

311

Das bestätigte auch Wadim Tschubinski, der bis 1950 als Kulturoffizier der Redaktion der TR angehörte, in einem Gespräch vom 16. 11. 1993. Vgl. Strunk, Pressekontrolle, S. 114. Viele TR-Mitarbeiter konnten sich nach ihrer Rückkehr in die Sowjetunion kaum mehr an den weitaus restriktiveren Arbeitsstil in der dortigen Presse gewöhnen, wie W. Tschubinski berichtete. Zu den Bemühungen der TR um deutsche Schriftsteller siehe auch Kap. 5.2.2.

312

313

Die latente, jedoch nach außen hin wohlverborgene Konkurrenzsituation zwischen SMAD und SED erstreckte sich, nebenbei bemerkt, nicht nur auf die Presse, was sehr wohl auch innerhalb der Partei reflektiert wurde. So äußerte Naas auf der SED-Kulturkonferenz Ende Januar 1947: „In Berlin ist die demokratische Entwicklung im Kunstleben von den russischen Behörden weitgehend auf sich gestellt und verläuft ohne eigentliche aktive Unterstützung durch unsere Genossen und deutsche Kräfte. Ein Mann wie der Major Dymschitz leistet praktisch die Arbeit isoliert und auf sich gestellt. Hier ist eine Lücke in unserer Arbeit, die wir ausfüllen müssen." - SAPMO: ZPA IV 2/101/33.

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Pieck und Grotewohl nahmen Tonfall und Inhalt der zitierten offenen Kritik unwidersprochen hin. (Knapp vier Jahre später, im Juni 1950, wurde Kuczynski auf einer Parteiversammlung nach einer ähnlich zugespitzt formulierten Kritik an dem Verhältnis der Parteiführung zur DeutschSowjetischen Freundschaftsgesellschaft, deren erster Präsident er war, von Grotewohl zurechtgewiesen. 314 ) Möglicherweise richtete die Parteiführung im Kontext der Kritik am „Neuen Deutschland" einen Teil ihrer Aufmerksamkeit auch auf die Person Lex Endes, der schon im April 1946 ein erstes Mal von der Kaderabteilung der SED zu seinem aus Parteisicht umstrittenen Verhalten in der französischen Emigration befragt worden war. 315 An ihn erging die Aufforderung, operativer zu arbeiten, geeignete Mitarbeiter heranzuziehen und ihnen klare Themen zu stellen. Sicher ging es aber zunächst, wie bereits angeführt, auch um die Ermittlung der Stimmung unter den Intellektuellen, deren Manifestationen zu einem späteren Zeitpunkt bei Bedarf gegen diese verwendet werden konnten. Die ungehörten Appelle Diese Zusammenkunft blieb folgenlos, was das Ziel der Qualitätsverbesserung des Parteiblatts anging. Vor allem die SED-Schriftsteller beklagten auf verschiedenen Versammlungen in den folgenden Jahren wiederholt die Unzulänglichkeit des Kulturteils in der Parteipresse und forderten die Anwesenheit von Chefredakteur und Ressortleitern des „Neuen Deutschland". 316 Die Enttäuschung der Autoren war um so größer, als sie die geplanten Maßnahmen der Partei zu einer stärkeren Anbindung der Schriftsteller im Anschluß an den I. Deutschen Schriftstellerkongreß im Oktober 1947 mit der Hoffnung verbunden hatten, daß die Kulturpolitik insgesamt nunmehr einen breiteren Raum in der Partei einnehmen würde und daß die Parteifunktionäre aller Ebenen den Besonderheiten künstlerischer Arbeit jetzt größeres Verständnis entgegenbrächten. 317 Der Mangel an Widerhall führte zu immer drängenderen und auch provokativeren Einlassungen. So wurde wiederholt der Kulturteil westlich lizensierter Zeitungen, wie des „Kurier", als vorbildlich bzw. „ausgezeichnet gepflegt" hervorgehoben. Aber auch die sowjetisch lizensierte „Berliner Zeitung", die, vom Kommando der Sowjetarmee gegründet, Anfang Juni 1945 zunächst von der SMAD übernommen und am 20. Juni dem Magistrat der Stadt Berlin übergeben wurde, stellte man als „Ideal einer modernen Zeitung" dem „Neuen Deutschland" gegenüber. 318 Doch die

314 315 316 317

318

Vgl. Kap. 6.4.6. Vgl. den BriefEndes an die Zentrale Kontrollkommission des ZK der SED vom 23. 8. 1950.-Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/1. Siehe auch Kap. 6.2.2. So z. B. auf der „Tagung parteigenössischer Schriftsteller" am 12. 12. 1947 in Berlin. Vgl. auch Kap. 3.1.4. Daran knüpfte sich auch die Erwartung, daß das Bildungsniveau der Parteifunktionäre angehoben werde. Auf der Tagung parteigenössischer Schriftsteller am 12. 12. 1947 wurden in aller Offenheit Beispiele für die Ignoranz der Funktionäre angefühlt. So sei z.B. in einem Fall als Autor des „Untertan" Thomas Mann angegeben worden. Zur mangelnden Qualifikation der SED-Kulturreferenten siehe auch Dietrich, Politik und Kultur, S. 80. So auf der Folgetagung vom 8. und 9. April 1948 in Berlin. - SAPMO: ZPA IV 2/906/254. Aber auch die BZ hatte zunächst mit nur einem viertelseitigen Kulturteil begonnen, der allerdings anläßlich bestimmter kultureller Ereignisse oder Jahrestage erweitert wurde. Bemt von Kügelgens Aussage als ehemaliger Redakteur der BZ, daß namhafte Schriftsteller und Künstler das Blatt zu ihrem Forum gemacht hätten, ergänzt die auf der Versammlung getroffene Einschätzung. - Von Kügelgen, „Berliner Zeitung", S. 283f.

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Parteiführung ignorierte schlichtweg alle Vorhaltungen. Symptomatisch dafür war, daß auf der Versammlung von SED-Schriftstellern im April 1948 die Argumente der Autoren nicht einmal mehr vollständig angehört wurden. Der Vertreter des Zentralsekretariats habe, wie kritisch angemerkt wurde, die Sitzung verlassen. „Das Zentralsekretariat werde also keinen Bericht über die heutige Tagung und die Meinungsäusserungen der Teilnehmer erhalten." 319 Gerade auf dieser Tagung veranlaßte die Ungeduld der Anwesenden angesichts der Mißachtung ihrer Anliegen diese zu einer noch deutlicheren Sprache, die auch in das „Memorandum zu zwei Entschliessungen der SED-Schriftsteller-Tagung vom 8. u. 9. April 1948 zur Verbesserung des Kulturteils unserer Parteizeitungen" einging. 320 Kritik und Forderungen an die Adresse des Zentralorgans der SED leiteten sich sehr wohl aus den aktuellen politischen Konstellationen ab und orientierten sich durchaus an der Parteidiktion, wenn es z.B. heißt, daß man „frontal in die ideologischen Probleme stoßen" müsse und auch einer „kritischen Auseinandersetzung mit den letzten [kulturpolitischen] Ereignissen in der S.U." nicht ausweichen dürfe. Gysi betonte sogar, daß „aus unserer bisherigen Kritik [...] jetzt eine stärkere Verpflichtung gegenüber der Partei" resultiere und die Weltanschauung der Schriftsteller „scharf profiliert herausgearbeitet" werden müsse. Das änderte jedoch nichts daran, daß das „Neue Deutschland" den Diskutanten in seiner damaligen Form als nicht geeignet erschien, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. „Das Kulturniveau unserer Presse entspricht dem Verhältnis der Partei zu den Fragen der Kultur", hieß es auf der Versammlung. Wenn das „Neue Deutschland" in diesem Zusammenhang als Zeitung für Parteifunktionäre und „politisch geschulte Genossen" kritisiert wurde, so traf diese Einschätzung genau den Status, den die Partei selbst in ihrer Resolution vom Februar 1950 zur Presse eines „neuen Typus" allen Einwänden zum Trotz zementieren sollte. Die SED-Schriftsteller sprachen dem Blatt einen „werbenden Charakter auf den Massenleser, von der Leserin ganz zu schweigen", ab. Es sei „überpolitisiert" und „daher sektiererisch". „Die Bevölkerung macht unseren ,Prawda'-Stil nicht mit und greift zur amerikanischen Presse." 321 Dem (vom Umfang her zu erweiternden) Feuilleton, und zwar nicht einem literarisch-intellektuell ambitionierten, sondern einem in erster Linie unterhaltenden, wurde ein entscheidender Anteil bei der Änderung dieses Zustands zugemessen. Die sozialistischen Schriftsteller sahen ihre Aufgabe darin, es durch verstärkte und regelmäßige Mitarbeit in diesem Sinne zu gestalten. Die Gründe dafür, warum sie „in den letzten drei Jahrgängen" nur vereinzelt zu Wort gekommen waren, wurden „zu 75%" der Chefredaktion und „zu 25%" sich selbst angelastet. Lex Endes 1946 formulierter Appell an das Verantwortungsbewußtsein der Schriftsteller für die Parteipresse wurde damit gleichsam als halbherzig betrachtet, da entsprechende Schritte von seiner Seite ausgeblieben seien. An die Partei selber erging der Vor-

319 320

Als Vertreter des Parteivorstands war allerdings Richard Weimann anwesend. Das Memorandum wurde von Peter Kast, damals Mitglied der Kulturredaktion des „Vorwärts", im Auftrag von Kollegen wie Becher, Gysi, Abusch, Rein, Kubsch u. a. verfaßt. - SAPMO: ZPA IV 2/906/254. Es sollte als Unterlage für eine Besprechung beim Zentralsekretariat dienen. Vgl. die Protokolle der Sitzungen der Schriftstellerkommission vom 2 2 . 4 . und 1. 6. 1948 (ebd). Im folgenden werden Zitate aus dem Memorandum und dem dazugehörigen Versammlungsprotokoll angeführt. Die Entschließungen sind abgedruckt in: Dietrich, Politik und Kultur, S. 309.

321

Bereits auf der Versammlung parteigenössischer Schriftsteller vom 12. 12. 1947 hatte Wolfgang Harich sich gegen die „Schönfärberei in unserer Presse" gewandt. Ob diese Eigenschaft auch zu denen des „Prawda-Stils" gerechnet wurde, geht aus den Protokollen nicht hervor.

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wurf der falsch gelenkten Papierverteilung. Angesichts „der am laufenden Band erscheinenden politischen Propagandabroschüren und Hefte in Massenauflagen", die aufgrund ihres trockenen Stils kaum gelesen würden, könne von einer Papiernot nicht gesprochen werden. Die Schriftsteller warfen der Parteiführung somit indirekt die Hintertreibung einer quantitativen und qualitativen Verbesserung des Kulturteils im „Neuen Deutschland" vor. 322 Beachtenswert ist die Einschätzung der „Täglichen Rundschau" in diesem Kontext. Sie wurde nun „als eine auf deutsche Verhältnisse mechanisch angewandte Kopie der ,Prawda'" beurteilt, und, wie auch schon das „Neue Deutschland", mit dem Attribut „journalistisch-sektiererisch" belegt. In der Tat konnten seit der Zusammenkunft vom Dezember 1946 Veränderungen im Profil der „Täglichen Rundschau" beobachtet werden. Hatte die SMAD anfänglich auf eine Übernahme des sowjetischen Pressemodells offensichtlich bewußt verzichtet, zu erkennen an Aufmachung und Struktur der Zeitung, so begannen ab Herbst 1947, einhergehend mit der Verkündung der Zwei-Lager-Theorie auf der Gründungsversammlung der Kominform und etwa zeitgleich mit ersten Personalwechseln in der Redaktion, „Elemente sowjetischer Zeitungsgestaltung" Eingang in das SMAD-Blatt zu finden. 323 Tendenz und Tonfall der Beiträge wurden rigider, ohne daß jedoch die ,Streitkultur' gänzlich aufgegeben worden wäre, wie das Beispiel der Formalismus-Debatte belegt. 324 Trotz erreichter Millionenauflage rangierte die Zeitung 1948 sicher auch aufgrund des Imagewechsels nicht nur bei den sozialistischen Autoren, sondern bei der gesamten Berliner Bevölkerung am Ende der Beliebtheitsskala. 325 Die Schriftsteller führten auf ihrer Versammlung statt dessen weiterhin provokativ das „stark feuilletonistisch operierende", ebenfalls in Millionenauflage (bis 1947 allerdings nur zweimal pro Woche) erscheinende Blatt der amerikanischen Militärverwaltung „Neue Zeitung" ins Feld und konstatierten „mit Neid", „dass es dort gelang, einen wirklich vorbildlichen repräsentativen bourgeois-internationalen Kulturteil zu schaffen". Das Memorandum läßt kaum Zweifel daran, daß die Vorstellungen über die Zielgruppen des Zentralorgans bei der (intellektuellen) Parteibasis und der Parteispitze stark auseinandergingen. Dieser Sachverhalt war symptomatisch für das Verhältnis von Parteiführung und Intellektuellen insgesamt zu jenem Zeitpunkt. Es verwundert daher auch nicht, daß von dem kritischen Potential der Schriftsteller-Tagung nichts an die Öffentlichkeit drang. 326 Etliche SED-Schriftsteller protestierten im Dezember 1948 heftig gegen einen Artikel im,.Neuen Deutschland", in dem sie gemäß der aktuellen Parteilinie wegen ihres angeblich mangelnden literarischen Eingehens auf die Gebote der Tagespolitik (Zweijahrplan) angegriffen wurden. Der Artikel stärke die „Intellektuellen-Feindlichkeit in der Partei" und stempele „international anerkannte Marxisten zu Klas322

Die Parteiführung selber hatte jedoch in einer Sitzung des Zentralsekretariats vom 20. 10. 1947 vermutlich an die Adresse der SMAD Einspruch gegen eine weitere Beschränkung der Papierzuteilung und damit gegen die Beschränkung des Umfangs und der Auflage der Parteizeitungen in der SBZ erhoben. - SAPMO: Z P A I V 2/21/141.

323 324 325

Vgl. Strunk, Pressekontrolle, S. 121. Vgl. Kap. 5.2.2. Vgl. Strunk, Pressekontrolle, S. 123ff. Bei der Ermittlung der Beliebtheit beruft er sich auf die Untersuchungen von H. Hurwitz. Zu den inhaltlichen Veränderungen gehörte, wie der ehemalige TR-Redakteur Tschubinski in dem Gespräch vom 16. 11. 1993 aussagte, daß nach Gründung der DDR und nach Auflösung der SMAD die TR verstärkt zu einem Organ der Aufklärung über die UdSSR geworden sei.

326

Vgl. Dietrich, Politik und Kultur, S. 116.

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senverrätern". Er zeige „eine bestimmte Linie in der Kulturpolitik des N.D." auf, weil in ihm, wie es ohne nähere Belege weiter heißt, „die fortschrittlichsten Kräfte bei den deutschen Intellektuellen in unqualifizierter Weise angegriffen werden, während in vielen anderen Artikeln formalistische Künstler, die uns fern und feindlich gegenüberstehen, gelobt werden". 327 Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die rhetorisch geschulten Autoren hier von taktischen Übertreibungen, die dem Vokabular der Angriffe auf Links- und Rechtsabweichung entstammen, Gebrauch machten, um die Parteiführung zum Eingehen auf ihre Argumente zu bewegen. Die Durchsetzung der „Presse neuen Typus" Diese verfolgte jedoch unbeirrt ihre eigenen Ziele, wie exemplarisch anhand der „Resolution der Zentralen Konferenz der Parteipresse (Die Entwicklung der Presse der SED zu einer Presse von neuem Typus)" vom Februar 1950 aufgezeigt werden kann. 328 Gerade auf dem Hintergrund der wiederholten Warnungen der Kulturvertreter vor einer Verkümmerung des Kulturteils im Zentralorgan fällt auf, daß in dem zwölfseitigen Schriftstück auf die eindringliche Kritik am Profil des Feuilletons und seiner Sprache sowie auf Anregungen zu seiner Gestaltung mit keinem Wort eingegangen wird. Lediglich auf der letzten Seite wird auf die Existenz einer entsprechenden Redaktionsabteilung hingewiesen, die bezeichnenderweise unter dem Signum „Kultuipo/iW 3 2 9 firmiert. Aus einer nunmehr rein machtpolitisch abgesicherten Position heraus (im Zusammenhang mit der Umwandlung der SED zu einer Kaderpartei „neuen Typus") lenkte die Parteiführung ihre Presse in eben die Fehlentwicklungen hinein, die die Intellektuellen durch ihre jahrelangen, beständigen Interventionen abzuwenden versucht hatten. 330 Inhalt und Stil der Resolution verraten die vollzogene ,Stalinisierung'. Auch die Struktur ist an sowjetischen Vorbildern orientiert: bisherige Errungenschaften, noch vorhandene Mängel (Selbstkritik), geplante Maßnahmen zu deren Überwindung. Die konstatierten Mängel betrafen vor allem die noch ungenügend erfüllte Rolle der Presse als - im Sinne Lenins - „der schärfsten Waffe der Partei". Die Presse habe es bislang nicht hinreichend vermocht, die „Mitgliedschaft und darüber hinaus die breiten Massen für die Durchführung der Politik der Partei zu mobilisieren, wozu gehört, sie theoretisch zu schulen und im praktischen Kampfe zu überzeugen und anzuleiten". Die Erfolge auf dem Gebiet der Propaganda und Agitation seien beträchtlich hinter den großen Erfolgen der Partei auf wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Gebiet zurückgeblieben. Diese abstrakten Formulierungen stehen in einem auffallenden Gegensatz zu den lebhaften und an konkreten Beispielen orientierten gemeinsamen Erörterungen um die Gestaltung

327

„Aktennotiz über die Diskussion zwischen Schriftstellern und Redaktionen des ,Neuen Deutschland' am 15. 12. 48, veranlaßt durch den Artikel des Genossen Böttcher über die Lage bei den fortschrittlichen Schriftstellern". - SAPMO: ZPAIV 2/906/254. Der Artikel von Martin Böttcher trägt den Titel „Dichter im Niemandsland?" und war am 12. 12. 1948 erschienen. Die Veröffentlichung einer Gegendarstellung durch Alexander Abusch konnte durchgesetzt werden. Vgl. auch Dietrich, Literatur und neue Wirklichkeit, S. 56.

328 329 330

SAPMO: ZPA IV 2/5/1. Dort auch die Zitate in den folgenden Absätzen. Hervorhebung AH/WE. Es verwundert daher nicht, wenn vor allem nach Gründung des Schriftstellerverbandes im Kulturbund die Forderung nach Schaffung einer neuen Wochenzeitung für Literatur und Literaturkritik laut wurde, so z. B. in einem undatierten internen Papier zur Situation im Deutschen Schriftstellerverband (DSV) (zweite Hälfte 1950). - SAPMO: ZPA IV 2/906/271.

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der Parteipresse, wie sie in den vorangegangenen Jahren zwischen der Parteispitze und den Schriftstellern geführt worden waren. Wenn in der Resolution kritisch angemerkt wird, daß im Zentralorgan „zu viel deklamiert statt argumentiert" werde, so trifft dies unmittelbar auch auf die Resolution selber zu. In deren Zentrum steht die Sorge um die ideologische Erziehung („Anleitung, Schulung und Kontrolle") der Redakteure, für die neben der zentralen Parteiführung auch die Leitungen der Untergliederungen verantwortlich gemacht werden. Die in diesem Zusammenhang konstatierten Mängel werden in Schlagwörter gefaßt, deren Abstraktheit eine nahezu beliebige Zuordnung zu je mißliebigen journalistischen Hervorbringungen erlaubt: „Ideologische Sorglosigkeit" bei der Abfassung von Artikeln in Verbindung mit „Nur-Journalistentum", was so unterschiedliche Erscheinungen einschloß wie „formale und abstrakte Behandlung der marxistisch-leninistischen Theorie", Praktizismus, Anfälligkeit für bürgerlichen Sensations-Journalismus und für Propaganda des Kosmopolitismus; mangelnde Wachsamkeit „gegenüber dem Eindringen klassen- und parteifeindlicher Elemente in die Reihen unserer Redakteure". Zur Abwendung dieser Mängel wurden neben der Schaffung einer straff zentralisierten Redaktionsstruktur und der Aufstellung von Wochen-, Monats- und Quartalsplänen, die durch die Parteileitungen zu kontrollieren seien, ein allumfassendes System der politisch-ideologischen Schulung innerhalb und außerhalb der Redaktion beschlossen. Angefangen bei den täglichen Redaktionssitzungen, die den Charakter von Schulungen haben sollten, über die Einrichtung von Zirkeln und Seminaren bis zum Besuch von Lehrgängen der Parteischulen (vor allem für die Volkskorrespondenten) und der Parteihochschule sowie einem Studium an einer zu schaffenden Zentralen Presseschule und am Lehrstuhl für Publizistik der Leipziger Universität sollte eine fachliche, in erster Linie aber ideologische Unterweisung der Pressekader sichergestellt werden. Immerhin findet sich uiter den Zirkeln neben dem Studium der „Geschichte der bolschewistischen Presse" auf der Grundlage der Broschüre des sowjetischen Publizisten David Saslawski „30 Jahre Prawda" 3 3 1 auch einer zum Studium der „Methodik, Stilistik der deutschen Sprache, der deutschen und der sowjetischen Literatur". Die weitgehende Übernahme des sowjetischen Pressemodells spiegelt sich auch darin wider, daß vermehrt Artikel aus der „Prawda" „in eingehenden Seminaren aller Redaktionsmitglieder" erörtert werden sollten. Im Gegenzug zu diesem Maßnahmenpaket wurden alle Funktionäre der Partei „verpflichtet, das Organ des Paiteivorstandes,,Neues Deutschland', täglich zu lesen" sowie „die Parteipresse zu verbreiten, ihren Einfluss zu steigern, ihr Ansehen zu verteidigen", aber auch „ständig an der Ausgestaltung und Entwicklung unserer Parteipresse aktiv und kritisch mitzuarbeiten". Gerade dieses war jedoch die Absicht, die namhafte Intellektuelle in den vorangegangenen Jahren mit ihren kritischen Einlassungen beharrlich, aber vergeblich verfolgt hatten. Deklamatorische Resolutionen der zitierten Art konnten im Grunde zu nichts anderem dienen, als solche aufrichtigen, zum Teil spontanen Initiativen zum Erliegen zu bringen. Die „aktive und kritische" Mitarbeit hatte sich nunmehr in Stil und Inhalt dem vorgegebenen Rahmen anzupassen, wurde zu einem Teil des nach sowjetisch-stalinistischem Muster eingerichteten Rituals von Kritik und Selbstkritik. Mißtrauen gegenüber den „Motiven der proklamierten Toleranz", wie es Jäger formulierte, war auf Seiten der SED-Schriftsteller in den hier skizzierten Vorgängen nicht zu finden. Ab 1947 wuchs hingegen das Mißtrauen in der Hinsicht, ob die SED auch wirklich bereit sei, den Beson-

331

Von ihm war bereits im Zusammenhang mit dem Wrodawer Kongreß 1948 die Rede, vgl. Kap. 3.2.2.

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derheiten künstlerischen Schaffens Rechnung zu tragen. Mißtrauen, gepaart mit machtpolitischem Anspruch, hegte andererseits auch die Partei, und zwar gegenüber der proklamierten Loyalität' der SED-Schriftsteller, wie man in Abwandlung von Jägers These sagen könnte. In diesem Sinne ist auch die auf der SED-Kulturkonferenz Anfang 1947 eingebrachte Mahnung zu verstehen, nicht zuerst die Intellektuellen zum Parteieintritt zu bewegen und dann mit ihnen zu „arbeiten", sondern sie erst durch praktische Arbeit ihre Einstellung zur Partei und zum Sozialismus zeigen zu lassen. Dann könne eventuell eine Aufnahme erfolgen. Dies sei der „einzig richtige Weg, um Gefahrenquellen innerhalb der Partei zu verstopfen". 332 Die Schelte der Parteiführung durch die Schriftsteller, die deren Mißtrauen eher noch schürte, wurde jedoch in erster Linie durch enttäuschte Erwartungen an die Partei ausgelöst, was letztere sehr wohl erkannte. Schon Anfang 1947 hieß es auf der SED-Kulturkonferenz, daß „praktisch der Arbeit unserer Partei in den Kreisen unserer Schriftsteller wenig Gegenliebe entgegengebracht wird". 3 3 3 Aber der „Weg [...], um hier Abhilfe zu schaffen", war letztlich rein administrativer Art. Die im März 1947 ins Leben gerufenen Arbeitsgemeinschaften sozialistischer Intellektueller, in denen auch Schriftsteller zusammengefaßt waren und die dazu dienen sollten, „ihnen das marxistische Rüstzeug zur Qualifizierung ihrer Arbeit zu geben und sie rascher mit den Grundlagen unserer Politik vertraut zu machen", wurden drei Jahre später wieder aufgelöst, da sie in vielen Fällen „zu einer gefährlichen Isolierung und zu einer manchmal parteifeindlichen Haltung der Intellektuellen geführt" hätten. 334 Bestehende Ressentiments waren also offensichtlich nicht nur nicht beseitigt, sondern noch vertieft worden. Die Partei wurde nicht mehr als kompetent in Kulturfragen angesehen. Von einem „partnerschaftlichen Verhältnis", konnte zu jenem Zeitpunkt keinesfalls mehr die Rede sein. Aber ob es jemals und ohne „hegemoniale Ansprüche" in den ersten Nachkriegsjahren bestanden hatte, wie Hiebel behauptet, kann nicht bestätigt werden. Das skizzierte Treffen in der Redaktion des „Neuen Deutschland" Ende 1946 läßt erkennen, daß die Partnerschaft bestenfalls einseitig bei den anwesenden Autoren wahrgenommen wurde, indem sie von dem ihnen so präsentierten Angebot der offenen Kritik Gebrauch machten. Der Widerhall von Seiten der Parteiführung blieb aus; sie zog keine Konsequenzen im Blick auf eine Behebung der monierten Schwächen.

5.3.4 Ideologische Schulung und ,Schulungsideologie' Nicht nur bei der Presse, sondern auch auf anderen Gebieten des politischen und kulturellen Lebens wurde seit 1950 verstärkt das Mittel der ideologischen Schulung zur Forcierung des Aufbaus des Sozialismus unter stalinistischem Vorzeichen, zur Lösung nahezu sämtlicher Probleme auf allen Gebieten des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens und, nicht zuletzt, zur Heranbildung neuer Kader eingesetzt. Arbeiter, Wissenschaftler, Schriftsteller sahen sich diesen Methoden ausgesetzt, die sich zu einer eigenläufigen,Schulungsideologie' ausweiteten und auch den Charakter ideologischer Kontrolle (nicht zuletzt als Folge des Mißtrauens der Parteiführung in ihre eigene Basis und im Zuge beginnender Parteisäuberungen) trugen. Bereits im Frühjahr

332 333 334

SAPMO: ZPA IV 2/101/33. Ebd. So heißt es in einer Vorlage an das Sekretariat des Politbüros zur „Auflösung von Arbeitsgruppen sozialistischer Intellektueller" vom 12.4. 1950. - SAPMO: ZPA IV 2/5/1.

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1948 gab es außer der Parteihochschule Karl Marx acht Landesschulen und 120 ständige Kreisschulen. 335 Zwei Jahre später erging die folgende Meldung über die „letzten Jahre", ein unpräziser Begriff, der in einem seltsamen Gegensatz zu den exakten statistischen Angaben steht: „An 147 Betriebsparteischulen haben wir 64753 Parteigenossinnen und -genossen erzogen. An 115 Kreisparteischulen nahmen 171009 Genossen teil, an 6 Landesparteischulen 4160 und an der Parteihochschule Karl Marx 661." 336 Hinzu kamen 2 800 Zirkel speziell zum Studium des „Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU" mit rund 55 000 Teilnehmern sowie Sonderkurse, Wochenendschulen und politische Bildungsabende. Den Absolventen der Schulen und Zirkel wurden je nach Niveau entsprechende Funktionen in der Parteihierarchie zugeteilt bzw. selber Schulungsaufgaben übertragen. 337 Auch beim Schulungsbetrieb griff die Partei auf sowjetische Erfahrungen zurück und entsandte Funktionärsdelegationen nach Moskau zum Studium sowjetischer Schulungseinrichtungen. Fred Oelßner faßte die Ergebnisse der ersten dreiwöchigen Reise dieser Art in einem knapp zehnseitigen Rechenschaftsbericht mit Datum vom 26. Februar 1950 zusammen, etwa zeitgleich mit der Resolution zur Presse neuen Typus. 338 Der Bericht gibt Einblick in Struktur und Aufgaben des „zentralen Schulungs-, Propaganda- und Agitationsapparates" sowie in das straff zentralisierte Parteischulungssystem mit seinen verschiedenen Schul- und Zirkeltypen von der Akademie der Gesellschaftswissenschaften über die Abenduniversität bis zur Politschule für die unteren Parteieinheiten. Er enthält sogar (allerdings rudimentäre) Aussagen zur Unterrichtsmethode. Bei der Darstellung wird stets die Übertragbarkeit auf die Verhältnisse in der DDR im Auge behalten. Als Beispiel für die Verbindung von Agitation und angewandter Schulungsarbeit wird die umfassende Vorbereitung eines ZK-Beschlusses über die Agitationsarbeit im Stalingrader Gebiet angeführt. „Die Arbeit begann damit, dass Mitarbeiter des ZK zunächst alle Aussagen Lenins und Stalins über Agitation, sowie sämtliche Beschlüsse der Partei darüber gründlich durchstudierten. Gleichzeitig wurden einige Gebietskomitees aufgefordert, Berichte über ihre Agitationsarbeit einzusenden. Nachdem diese Berichte durchgearbeitet waren, fuhr eine Brigade von Mitarbeitern des ZK in das Stalingrader Gebiet, um unter Hinzuziehung von örtlichen Funktionären die Agitationsarbeit im Gebiet zu studieren. Das dabei gesammelte Material wurde dann in Moskau gründlich durchgearbeitet. Erst als diese ganze Arbeit vollendet war, wurde ein Entwurf für den Beschluss ausgearbeitet, der an die Mitglieder des Sekretariats gesandt wurde. Diese arbeiteten den Entwurf durch und gaben ihn mit ihren Bemerkungen an den Sektor für Agitation zurück. Erst dann wurde der endgültige Entwurf formuliert, der dem Politbüro zur Beschlussfassung vorgelegt wurde. Es bedarf keiner besonderen Begründung, dass ein mit solch wissenschaftlicher Gründlichkeit ausgearbeiteter Beschluss nicht nur für die Stalingrader Organisation, sondern für die ganze Partei, und nicht nur für ein paar Monate, sondern für eine lange Periode 335 336 337

338

Vgl. Anton Ackermann auf dem Ersten Kulturtag der SED vom 5. bis 7. Mai 1948. - SAPMO: ZPA IV 2/101/88. Fred Oelßner auf der 26. (46.) Tagung des Parteivorstands der SED am 2. und 3. Juni 1950. Auch Kulturbund und DSF haben seit Ende der 40er Jahre ein jeweils eigenes umfassendes Schulungssystem zur Ausbildung von Referenten aufgebaut, wobei das der DSF in seiner hierarischen Gliederung dem der SED vergleichbar war. - Vgl. A. Hartmann/Eggeling, Die Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft, S. lOOf. und Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 220ff. SAPMO: ZPA IV 2/5/1. Dort auch die folgenden Zitate.

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Gültigkeit hat." Aus diesem vollständig zitierten Vorgang geht hervor, daß bei aller Zentralisierung zumindest der Anschein einer gewissen Basisorientierung gewahrt wurde. Aber der Begriff „Gründlichkeit" bedeutete eben auch „Schwerfälligkeit" und Rückversicherung nach allen Seiten. Der geschilderte Vorgang macht deutlich, daß es bei Agitation und Schulung nicht allein und in erster Linie darauf ankam, flexibel auf außen- und weltpolitische Ereignisse zu reagieren, sondern mehr darauf, den Spielregeln und Ritualen eines in sich geschlossenen ideologischen Systems Genüge zu tun, das für „eine lange Periode" einen gleichsam ,ewigen', mit unveränderlichen Merkmalen ausgestatteten Gegner, den Kapitalismus und Imperialismus, vor sich hatte, eine Konstellation, in der sich auch die DDR einzurichten gedachte. Beachtenswert ist, daß bei den Schulungen in der Sowjetunion neben den üblichen polit-ökonomischen Fächern die russische Sprache und Literatur auf dem Lehrplan stand - ein Vorbild für entsprechende Themen auch auf deutscher Seite. Richtungsweisend für die Praxis in der DDR war sicher auch die Feststellung, daß laut Parteistatut jedes Mitglied und jeder Kandidat der KPdSU(B) verpflichtet war, „sein politisches und theoretisches Wissen ständig zu vervollkommnen. [...] Es gibt fast keinen Kommunisten, der nicht in irgendeinem Glied des Schulungssystems lernt", das als „außerordentlich umfassend und tief durchdacht" bezeichnet wurde. Nur 3% aller Mitglieder nähmen nicht an Schulungen teil, und dabei handele sich vornehmlich um „Alte und Kranke". Die in der DDR sich durchsetzende ,Schulungsideologie', die möglichst lückenlose Erfassung der Parteimitglieder auf allen Ebenen der Parteihierarchie und der Sympathisanten, war also, wie man diesen Aussagen entnehmen kann, nicht nur durch das Bestreben einer möglichst raschen Übernahme sowjetischer Strukturen und Erfahrungen begründet, sondern letztlich selber Teil des sowjetischen Modells. „Es ist eine ehrenvolle Aufgabe für uns, die Propagandaarbeit der bolschewistischen Partei sorgfältig zu studieren und daraus für unsere Partei die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen", heißt es zusammenfassend in dem Bericht Oelßners. Die praktische Umsetzung der Reiseergebnisse bestand in der vom Politbüro beschlossenen Reorganisation des Parteischulungswesens unter „weitgehender Ausnutzung der Erfahrungen der KPdSU(B)". Die Aneignung von Erfahrungen der Sowjetunion (auch auf anderen Gebieten, wie z. B. dem der Arbeitskultur) und deren Realisierung im eigenen Lande griffen immer nahtloser ineinander. Es ist indes eine Art zirkulärer Mechanismus, wenn Einrichtungen zur ideologischen Schulung, gedacht zur Beseitigung ideologisch begründeter „Fehler" im praktischen Leben, ihrerseits qualitative Mängel aufwiesen, die wiederum unerwünschte Folgen im Alltag zeitigten. So waren offenbar die Lektoren selber nicht selten zu rasch und unzulänglich ausgebildet worden, was sich dann in der Art und Weise ihrer Präsentation des Schulungsmaterials niederschlug. Wohl nicht zuletzt deswegen ließ trotz der genannten eindrucksvollen Gesamtteilnehmerzahlen die Anwesenheitsmoral bisweilen zu wünschen übrig, 339 was aber auch als Folge einer gewissen Übersättigung zu betrachten ist.

339

Am Beispiel des Ministeriums für Volksbildung wies Ilse Petzold in einem Schreiben an das Politbüro des ZK der SED vom 15.2. 1951 nach, daß angesichts dort vorkommender Fälle von „Unterwürfigkeit, Liebedienerei, Kastengeist" etc. die Mitarbeiter die Diskrepanz zwischen dem, was in den zahlreichen hauseigenen Schulungen erzählt werde, und dem „Geist des Hauses" spürten und versuchten, „sich zu drücken". - SAPMO: Z P A I V 2/905/22.

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Brisant waren die Fälle, in denen Referenten im Zeichen der seit Ende der 40er Jahre proklamierten „revolutionären Wachsamkeit" der „ideologischen Diversion" überführt wurden. Diese konnte nach dem Bruch Titos mit Stalin z. B. in der Verbreitung des „Titoismus" bestehen. Der Ausbilder einer Betriebsparteischule war in diesem Sinne als „Agent Titos entlarvt" worden. 340 „Wachsamkeit" und „Mißtrauen" führten letztlich zu den bekannten Parteisäuberungen, die vor allem ehemalige Sozialdemokraten betrafen. Einigen von ihnen gelang es, sich in den Westen abzusetzen. In der Parteisprache galt es als „Mangel an ideologischer Klärung" - in bezug auf Spitzenfunktionäre wurde offenbar das Wort „Schulung" vermieden - , daß „solche Leute wie Gniffke, Thape und andere nicht nur Mitglieder unserer Partei gewesen seien, sondern sogar die Hoffnung hegen konnten, die Partei im Geiste des alten Sozialdemokratismus zu beeinflussen". 341 Für Schriftsteller wurden besondere Schulungsmaßnahmen eingerichtet. Auch hier lag das Ziel in der Heranbildung neuer „Stoßtrupps", von denen die Parteiführung eine angemessene Behandlung des Gegenwartsthemas erwartete, nachdem die primär (noch) antifaschistisch ausgerichteten Autoren der älteren Generation sie in dieser Hinsicht ,enttäuscht' hatten. 342 Nach Auflösung der Arbeitsgruppen sozialistischer Intellektueller wurden andere Organisationsformen ins Auge gefaßt. Um stärker am „gesamten Leben und an der gesamten Arbeit der Partei" teilzunehmen, sollten die Schriftsteller vermehrt an die einzelnen Betriebsgruppen der SED und die Gewerkschaftsorganisationen angebunden werden. Konkretere Gestalt nahm das Schulungsprogramm, vor allem für den Nachwuchs, mit der Gründung des Schriftsteflerverbands (DSV) im Kulturbund an, in dem die Partei von Anfang an ihre „führende Rolle [...] durchsetzen" wollte. Literarische und ideologische Fragestellungen gingen hier ineinander über, wenn, wie vom DSV-Vorstand insgesamt gefordert, die Klärung ideologischer Fragen „am literarischen Beispiel" zu erfolgen hatte. 343 Vorgesehen waren zwei Typen von Seminaren. Für junge Autoren, die bislang noch wenig produziert hatten und „über deren spezielle Begabung, gesellschaftliches und literarisches Wissen noch wenig Klarheit" bestehe, wurden zwei- bis dreiwöchige Seminare anberaumt. Autoren mit „beachtenswerten Veröffentlichungen" sollten in 10- bis 12-wöchigen Seminaren „gründlich mit allen für das literarische Schaffen nötigen Fragen vertraut gemacht" werden. Die so geschulten Autoren sollten „das Rückgrat der Arbeitsgemeinschaften junger Autoren" bilden. Dabei müßten die Arbeitsgemeinschaften von den Landesverbänden der SED unter ihre Fittiche genommen werden, denn „die jungen Autoren, dürfen nicht unter sich bleiben, da sonst gefährliche Irrwege begangen werden würden". 344 Diese Einschätzung beruhte offenbar auf den Erfahrungen mit den Arbeitsgruppen sozialistischer Intellektueller, denen ebenfalls eine „gefährliche Isolierung" 340 341 342 343

344

Vgl. Oelßners Referat auf der 26. (46.) Tagung des Parteivorstands der SED am 2. und 3. Juni 1950. Ebd. Vgl. Kap. 5.3.5. So hieß es in dem schon zitierten undatierten internen Papier zur Situation im DSV (zweite Hälfte 1950). - SAPMO: ZPA IV 2/906/271. Die weiteren Informationen sind ebenfalls dieser Vorlage entnommen. Die Landesleitung Sachsen der SED machte z.B. in einem Schreiben an die Kulturabteilung des ZK der SED vom 14. 6. 1951 auf die Tendenz der jungen Autoren in Dresden aufmerksam, sich aus dem allgemeinen Arbeitskreis herauszulösen. Mitverantwortlich dafür sei auch die geringe Aktivität der älteren Schriftsteller. - SAPMO: ZPA IV 2/906/271.

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vorgeworfen worden war, da sie sich dem Einfluß der Parteiführung zu entziehen drohten. Letztlich sollten die Schriftsteller ja nicht nur den sozialistischen Aufbau gestalten, sondern auch aktiv an aktuellen politischen Kampagnen, wie den Volkskammerwahlen, dem Friedenskampf etc. teilnehmen, die ihrerseits zu Schulungsthemen gemacht wurden. Damit fiel ihnen eine ähnliche Vorbildrolle zu wie den Partei- und Regierungsfunktionären: dem Volk (nicht nur dem Parteivolk) die Notwendigkeit, aber auch die Erfolge einer umfassenden Schulungspolitik zu demonstrieren. Durch exakte Anweisungen wurde jedoch den Autoren schon früh jegliche Eigeninitiative (und damit letztlich auch die Bereitschaft dazu) genommen, wie bereits auf der Tagung parteigenössischer Schriftsteller im Dezember 1947 ein junger Autor bedauernd feststellte: „Ich muss jede Woche ein Referat halten, das mir die Kreisleitung vorschreibt. Warum darf ich nicht über ein Problem sprechen, zu dem ich weniger Vorbereitung brauche, weil ich mitten darin stehe?" 345 In einem Tätigkeitsbericht des DSV von Anfang 1951 konnte die Durchführung des ersten siebenwöchigen Schriftstellerseminars (vom 30. Oktober bis 19. Dezember 1950) im Erholungsheim des Kulturbunds in Bad Saarow gemeldet werden. Dort fanden bereits seit 1948 Referentenschulungen statt, 346 woran zu erkennen ist, daß auch der Kulturbund dem allgemeinen Schulungsdruck nachgegeben hatte. Im Verlauf des Seminars waren 27 Autoren, die sich größtenteils schon durch Publikationen hervorgetan hatten, „ideologisch und literarisch qualifiziert" worden. 347 Da es sich um die erste Veranstaltung dieser Art handelte, kam in dem Resümee der Aufdeckung von Schwächen und Mängeln eine besondere Bedeutung zu. Benannt wurden ein „ungleiches Niveau der Teilnehmer", „zu wenig praktische literarische Übungen" und eine „ungenügende Lehrgangsleitung". Diese lag „nur" in den Händen eines ,,erfahrene[n] Kulturfunktionär[s]" und nicht in denen eines ,,erfahrene[n] ältere[n] Schriftstellerfs]". Zur Begründung für diesen Tatbestand wurde ausweichend angeführt, daß die namhaften Schriftsteller zu sehr mit „gesellschaftlicher Arbeit" eingedeckt seien. In einem späteren Bericht über die ideologische Arbeit des DSV wurde diese Aussage allerdings dahingehend korrigiert, daß einige „hervorragende Schriftsteller" die Bedeutung des Seminars nicht richtig eingeschätzt und sich nicht zur Mitarbeit zur Verfügung gestellt hätten. Hier fallen die Namen Anna Seghers und Arnold Zweig. 348 Unausgesprochen mag letztlich auch die Verstimmung einiger älterer Autoren über die mangelnde Anerkennung durch die Partei 349 dafür verantwortlich gewesen sein, daß sie nur wenig Interesse an der Ausbildung neuer (parteikonformer) Schriftstellerkader zeigten. Ungeachtet all dessen blieben die Erfolgsmeldungen nicht aus. Ein 25jähriger Absolvent gab zu Protokoll, der Lehrgang habe bewirkt, daß er bei seinem in Arbeit befindlichen Roman „das gesellschaftskritische Moment viel mehr in den Vordergrund stellen" werde. Zudem hätten sich zehn der 345 346 347

348

349

SAPMO: Z P A I V 2/906/254. Vgl. Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 221. SAPMO: ZPA IV 2/906/271. Man beachte die Reihenfolge bei der Benennung der Qualifizierung. Die folgenden Informationen entstammen ebenfalls diesem Dokument und einem weiteren der Schulungsarbeit gewidmeten Papier aus dem gleichen Zeitraum (ebd.). Bericht vom 15.6. 1951. Hier ist auch noch von der Nichteinhaltung des Lehrplans und von fehlenden Absprachen mit den Referenten über die geplanten Themen die Rede, „so daß Verärgerungen und Absagen zu verzeichnen waren". - SAPMO: ZPA IV 2/906/271. Vgl. Kap. 5.3.5.

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Teilnehmer - ganz im Sinne des aktuellen Parteiauftrags - verpflichtet, 1951 für einige Monate „einen Produktionsbetrieb und eine MAS aufzusuchen". 350 Den .Pionieren' des ersten Lehrgangs wurde eine ganz besondere Beachtung geschenkt; der DSV sei verpflichtet, „sich um das weitere Schicksal seiner ,Saarower' zu kümmern, dafür zu soigen, dass ihre Entwicklung weiterhin unterstützt und gepflegt wird". Für zukünftige Seminare wurde die Lektüre eines .vorbildlichen' Literaturkanons verpflichtend gemacht, in dem auch die sowjetische Literatur ihren festen Platz hatte. Daß hier selbstredend nur eine Stilrichtung zur Diskussion stand, geht aus der Anleitung hervor, daß „an den Beispielen der grossen realistischen Gestalter" die eigenen Arbeiten zu überprüfen und eigene ideologische Schwächen zu beseitigen seien. In diesem Kontext sind „ideologische Schwächen" mit einer nicht realistischen Gestaltungsweise zu assoziieren. Das sowjetische Vorbild wurde in Form eines Artikels der „Literatumaja Gaseta" (vom 21. Dezember 1950) herangezogen, in dem die Nachwuchsautoren zum Studium der russischen und sowjetischen Klassiker angehalten werden. Die Schulungsthemen standen stets in einem engen Bezug zur jeweiligen kulturpolitischen Linie der Partei. So enthielt das Programm der Schriftsteller-Arbeitskreise in Sachsen, die neben den jährlich geplanten mehrwöchigen Seminaren als weiteres Schulungsinstrument fungierten, die Themen „Formalismus, Realismus, Objektivismus und Kosmopolitismus", „jeweils in Bezogenheit auf einen literarischen Vorgang" und auch unter Hinzuziehung theoretischer Literatur aus der Sowjetunion. 351 Ab 1951 wurde auch das Studium des Marxismus-Leninismus verbindlich. 352 5.3.5 Erteilung des „sozialen Auftrags" Der „soziale Auftrag" der Künste, in der UdSSR seit Beginn des ersten Fünijahrplans im Jahre 1929 verstärkt als Forderung an die Schriftsteller und bildenden Künstler herangetragen, wurde seit 1947/1948 auch den Kunstschaffenden der SBZ erteilt und war ein wesentlicher Auslöser für die skizzierten Schulungsmaßnahmen. Zahlreiche Versammlungen und Tagungen gingen voraus, auf denen die neue Losung verkündet wurde. So lud auf Vorschlag der SED die Landesleitung Sachsen des Kulturbunds zusammen mit der Landesleitung der Gewerkschaft Kunst und Schrifttum die bildenden Künstler des Landes Sachsen für den 10. Dezember 1947 zu ihrer ersten Konferenz nach Dresden ein. 353 Die Künstler sollten über die anstehenden Gegenwartsaufgaben informiert und mit dem neuen Auftraggeber ins Gespräch gebracht werden. Das Referat über „Gegenwartsfragen der bildenden Kunst" hielt der Landessekretär des Kulturbundes, Karl Kneschke, der bemängelte, daß die bildenden Künstler noch nicht den „Neubauern, seinen neuen 350

SAPMO: ZPA IV/906/271. Aus diesem Tätigkeitsbericht des DSV (Anfang 1951) stammen auch die folgenden Zitate. 351 Aus dem Schreiben der SED-Landesleitung Sachsen an die Kulturabteilung des ZK der SED vom 14. 6. 1951. - SAPMO: ZPA IV 2/906/271. Hier wurde übrigens auch eine Standardklage der sozialistischen Schriftsteller mit der Feststellung wieder aufgegriffen, daß die Zeitungen zu wenig Raum hätten, um literarische Produktionen unterzubringen. 352 Vgl. den „Bericht über die ideologische Arbeit des Deutschen Schriftsteller-Verbandes" vom 15. 6. 1951. - SAPMO: ZPA IV 2/906/271. Hierbei mußte sich die Leitung des DSV in der Anfangszeit eine Rüge der Parteiführung wegen mangelnder Anleitung gefallen lassen. 353 Darstellung der Konferenz nach Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben, Bd. 2, S. 309ff.

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Hof und sein neues Haus, seine neue Kuh und seine erste Ernte" gestaltet hätten. Die von Kneschke skizzierte Vision ordnete die Kunst ganz in einen Zweckzusammenhang mit dem gesellschaftlichen Aufbau ein: „[...] wir brauchen den bildenden Künstler beim Neuaufbau unserer Städte, beim Bau unserer Schulen und Versammlungsräume, unserer Erholungsheime und Krankenhäuser, bei der Einrichtung unserer Arbeitsstätten und Wohnungen. [...] Wir brauchen den Künstler auf allen Gebieten unseres Aufbaus, zur Ausschmückung des Buches, zum Entwurf des Plakates, zur Ausgestaltung unserer Zeitungen." Im Sinne der Überwindung einer individualistisch vereinzelten zugunsten einer kollektiv in Auftrag gegebenen und allgemein zugänglichen Kunst sollte in den folgenden Jahren vor allem das Wandbild eine zentrale Rolle spielen: „Heute brauchen wir das abhängige Wandbild und nicht das auf sich konzentrierte Einzelbild (Rahmenbild)." 354 Besonders die künstlerische Ausgestaltung von Bahnhöfen nach dem Vorbild der sowjetischen Metroausschmüdkung und der mexikanischen muralen Malerei wurde planmäßig in Angriff genommen. 355 Doch im Zusammenhang mit der Februar 1951 angeordneten Übertünchung von Horst Strempels im Oktober 1948 fertiggestelltem Wandbild 356 im Bahnhof Friedrichstraße fiel auch die gesamte Wandbildaktion der Formalismus-Kampagne zum Opfer. Von den 10 Wandbild-Entwürfen, die auf der 2. Deutschen Kunstausstellung im September 1949 in Dresden gezeigt wurden, konnte nicht eines realisiert werden. 357 Am 2. und 3. September 1948 fand in Klein-Machnow eine von der Parteiführung der SED veranstaltete Arbeitstagung mit Schriftstellern, bildenden Künstlern und Musikern statt, die unter dem Motto „Künstler und Schriftsteller im Zweijahrplan" stand. Die auf der Dresdner Konferenz so oft apostrophierten „Gegenwartsaufgaben" wurden nun in einen linearen Zusammenhang mit den Belangen der Produktion gebracht. Fast alle parteiamtlichen Dokumente der Folgezeit konzentrierten sich auf diese Neuorientierung. Neben der auf Shdanows Zwei-Lager-Theorie aufgebauten Friedensbewegung gehörten Aufbau und Planwirtschaft zu den ideologischen Kernbereichen. Die Intellektuellen wurden nicht länger um Loyalität gebeten, sondern sie waren nunmehr zur Entscheidung aufgerufen. Der Kampf zur Durchführung des Plans „gegen reaktionären Widerstand und Sabotage der Feindes des Volkes" sei hart, so Ackermann, „und keiner kann in ihm beiseitestehen. Jeder Schriftsteller und jeder Künstler wird in seiner Arbeit die Durchführung des Zweijahrplans ablehnen oder bejahen, hemmen oder fördern." Die Künstler und Schriftsteller sollten zu „Propagandisten des Planes in den Betrieben, in der Stadt und auf dem Lande werden". 358 Sie müßten die „schöpferische Gestaltung des Lebens der arbeitenden Menschen

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357 358

Bericht über die 3. Tagung der „Landeskommission bildende Kunst" vom 25. Januar 1949. SEDLandesvorstand Sachsen. - SAPMO: ZPA IV 2/906/173. Vgl. Tagung der Schriftsteller und bildenden Künstler am 2. und 3. September 1948 in Klein-Machnow [Protokoll], - SAPMO: ZPA IV 2/906/254. Zu den zunächst euphorischen Berichten in der Presse vgl. Feist, Das Wandbild im Bahnhof Friedrichstraße, S. 105f. Zur Übertünchung und den begleitenden Zeitungsartikeln siehe ebd., S. 112, 124f.; vgl. auch Dollichon, Kunstpolitik, S. 125-131. Dazu im einzelnen: Feist, Das Wandbild im Bahnhof Friedrichstraße, S. 117f. Bekenntnis und Verpflichtung, in: ND vom 5. 9. 1948. Vgl. Tagung der Schriftsteller und bildenden Künstler am 2. und 3. September in Klein-Machnow [Protokoll]. Ausführlich zu dieser Zusammenkunft siehe Dietrich, Politik und Kultur, S. 156-160. Dort ist auch der abschließende Aufruf der Kunstschaffenden (ND vom 7. 9. 1948) abgedruckt (ebd. S. 330f.).

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und ihres Strebens zu einer höheren gesellschaftlichen Ordnung" in den Mittelpunkt stellen, um „Arbeitsfreude und Optimismus bei den Arbeitern in den Betrieben und bei der werktätigen Landbevölkerung zu entwickeln". 359 Zum Vergleich: Die Ende der 20er Jahre einflußreichste literarische Gruppierung, die „Russische Assoziation proletarischer Schriftsteller" (RAPP), deren Politik weitgehend von der Partei unterstützt wurde, hatte die Schriftsteller ebenso dazu aufgerufen, sich zu den Großbaustellen des Landes zu begeben, um von dort aus den „gigantischen Aufbau" des Landes „zu dokumentieren" oder durch leitbildhafte Darstellungen den „Enthusiasmus der Massen" zu fördern. 360 Während des ersten Schriftstellerkongresses der UdSSR im Jahre 1934, auf dem der sozialistische Realismus als verbindlich eingeführt wurde, ließ der ZK-Sekretär Andrej Shdanow Ähnliches verlauten: „Die Haupthelden der literarischen Werke sind in unserem Land die aktiven Eibauer des neuen Lebens: Arbeiter und Arbeiterinnen, Kollektivbauern und Kollektivbäuerinnen, Parteifunktionäre, Wirtschaftler, Ingenieure, Komsomolzen und Pioniere. [...] Unsere Literatur ist erfüllt von Enthusiasmus und Heldentum. Sie ist optimistisch [,..]." 361 Für die prominenten Autoren der älteren Generation, auch die Rückkehrer aus dem Exil, hatte die Neuformulierung des schriftstellerischen Auftrags Ende der 40er Jahre beträchtliche Konsequenzen. Vielfach wurde angemahnt, daß ihr Schreiben unstatthaft rückwärtsgewandt sei und sie dem neuen Gegenstand nicht den fälligen Tribut zollten. 362 „Noch ist der große Auibauroman nicht geschrieben, noch ist das Leben der Neubauern künstlerisch nicht gestaltet," heißt es in der auf der Berliner Arbeitstagung angenommenen Entschließung sozialistischer Künstler und Schriftsteller. „Film und Schauspiel haben diese Themen der Zeit noch nicht endgültig geformt. Noch fehlt die progressive Hilfe einer mitreißenden künstlerischen Propaganda in Graphik, Presse und Malerei, noch die richtunggebende Mitarbeit der Dichter, Komponisten und Schauspieler in der Volkskunst. Alle Intellektuellen müssen den deutschen Wirtschaftsplan als ihre eigene Sache erkennen und seine Erfüllung sichern helfen." 363 Damit waren nicht nur Wünsche vorgetragen, sondern auch versteckte Drohungen ausgesprochen. Im Zuge der 1949/50 in der „Täglichen Rundschau" ausgetragenen Diskussion „Wo steht die Gegenwartsdichtung?" monierte Otto Gotsche, damals persönlicher Referent Ulbrichts: „Die, wie sie glauben, .Berufenen' haben versagt, sie lassen ,abklären', gewinnen .Abstand', memoiren, ja - ich kann das beweisen - sie zensieren andere, die den Versuch wagten. Sie haben den Ruf der fortschrittlichen Kräfte nach der Literatur der Gegenwart nicht nur nicht verstanden, sie haben ihn geflissentlich überhört." Und als Konsequenz, die „einer der führenden Köpfe der Deutschen Demokratischen Republik" [gemeint kann nur Ulbricht sein] zog, wird zitiert: „,Es lohnt sich nicht, noch darüber zu diskutieren, man muß einen anderen Weg gehen: man muß neue Kräfte entwickeln.'" 364 Damit waren Gräben aufgeworfen zwischen den Schriftstellern, die als Rückkehrer aus dem Exil oder als Überlebende des KZ den Blick auf die Vergangenheit als „künstlerische Notwendigkeit" auffaßten - so Herzfelde

359 360 361 362 363 364

Maßnahmen zur Durchführung der kulturellen Aufgaben im Rahmen des Zweijahrplanes, in: Dokumente der SED, Bd. 2, S. 201 u. 206. Eimeimacher, Sowjetische Literaturpolitik, S. 63; vgl. auch H. Günther, Die Verstaatlichung der Literatur, S. 1. Shdanow, Über Kunst und Wissenschaft, S. 8. Vgl. Gustav Leuteritz, Wo steht die Gegenwartsdichtung?, in: TR vom 12. 11. 1949. Ruf an die Künstler und Schriftsteller, in: N D vom 7. 9. 1948. TR vom 23. 12. 1949.

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in der Diskussion - , um der Gegenwart allererst gerecht zu werden, und denjenigen, die eilig den „Tempoverlust" gegenüber dem Aufbau auszugleichen suchten. Wenn dann ein Roman wie Gotsches Versuch über die Bodenreform „Tiefe Furchen" (1949) mit ästhetischen Argumenten abgewertet wurde, statt sein ernsthaftes Bemühen zu honorieren, worauf Gotsche in seinem Beitrag anspielt, schien dies der Kritik an der Rückständigkeit der Literaturveihältnisse in der SBZ/DDR recht zu geben. Die Auseinandersetzung wurde jedoch solcherart auf pro und contra verengt, alle Kritiker zu Gegnern erklärt; eine differenzierte Debatte nicht nur über die Thematik, sondern auch über Darstellungsmodi wurde damit suspendiert. Dabei war selbst im Lager derjenigen, die uneingeschränkt für eine engagierte Gegenwartsliteratur plädierten, die Unsicherheit darüber, wie diese ,neue Kunst' auszusehen habe, groß. Dies zeigt der hinter den Kulissen ausgetragene (hier exemplarisch skizzierte) Streit um Friedrich Wolfs heiteres Zeitstück „Bürgermeister Anna" (1950), der zudem das Primat der Politik und das Eingreifen der Parteielite in literarische Angelegenheiten belegt. In einem Gesuch um Hilfe an Alexander Abusch 365 legt Wolf im Juni 1950 den bisherigen Diskussionsstand um sein Stück über „die neue Rolle der Frau in unserem Staatswesen und den Klassenkampf auf dem Dorf' dar. Grotewohl habe sich anerkennend geäußert und die Presse habe lobend reagiert. Plötzlich sei jedoch im „Neuen Deutschland" ein Artikel erschienen (hinter deren Verfasserin Erna Fleischer Wolf Otto Winzer vermutet), in welchem den Anerkennung zollenden Rezensenten vorgehalten wurde, daß sie das Fehlen von Maschinen-Ausleih-Stationen, die Nichtberücksichtigung der wichtigen Rolle der FdJ usw. nicht bemerkt hätten. Daraufhin fand bei Grotewohl eine Besprechung mit Herrnstadt, dem Chefredakteur des „Neuen Deutschland", und Stefan Heymann, dem Leiter der Kulturabteilung beim ZK der SED, statt, während derer Ackermann beauftragt wurde, einen offiziösen Artikel für das „Neue Deutschland" zu schreiben, der klarstellen sollte, daß ein Stück (und auch die Verfilmung) nicht alle Punkte anschneiden könne und die Zuschauer erst herangeführt werden müßten. Später kam von Ackermann die Auskunft, das „Neue Deutschland" habe es abgelehnt, seinen Artikel zu bringen. Abusch wird nun von Wolf um die in seinen Augen fällige Berichtigung gebeten. 366 Eingriffe namhafter Vertreter der Parteispitze in die literarische Diskussion waren also bisweilen durchaus im Sinne eines MachtWorts erwünscht. Wolf zitiert in seinem Brief die Meinung des Referenten im Ministerium für Volksbildung der Landesregierung Sachsen-Anhalt, May, der das 1946 spielende Stück [1950!] für nicht mehr aufführbar hielt, weil die Fragen der unmittelbaren Nachkriegszeit „,heute keinerlei gesellschaftliche Wahrheiten mehr enthalten'". Solche, wie es heute scheint, abwegigen Auffassungen von Aktualität waren durchaus nicht singulär und hemmten etwa die Verbreitung des Stückes an den Anhalter Bühnen. Es bedurfte zur Koirektur eines Gutachtens der Akademie der Künste an das Volksbildungsministerium Berlin und eines positiven Votums Stefan Heymanns, das in einer Festbeilage zum 250jährigen Jubiläum der Akademie der Wissenschaften abgedruckt wurde. 367

365 Brief Friedrich Wolfs an Alexander Abusch vom 14. 6. 1950. - AdK: Friedrich-Wolf-Archiv, M. 380. 366 Ebd. Wolf erinnert in diesem Zusammenhang Abusch: „Vor zwei Jahren erschien schon einmal im ,Neuen Deutschland' ein Artikel: Zwischen den Fronten, der sich gegen Becher, Anna Seghers und mich wandte, und den Du gleich am nächsten Tage berichtigtest." 367 Brief Friedrich Wolfs an Max Burkhardt vom 11. 4. 1951. - AdK: Friedrich-Wolf-Archiv M. 380. Zur Bewertung von Wolfs Theaterstück in der sowjetischen Literaturkritik siehe Kap. 7.2.2.

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5.3.6 Die Formalismuskampagne von 1951 Ulbricht hatte schon 1948 festgestellt, „daß die übergroße Mehrheit der Kunstschaffenden, die unserer Partei angehören, vom Formalismus beherrscht ist". 368 1950 wurde dann deutlich erkennbar, daß die SED-Führung zur .Übernahme' der Formalismuskampagne, die in der Sowjetunion bereits 1948 ihren Höhepunkt erreicht hatte, gewillt war bzw. von sowjetischer Seite dazu genötigt wurde. 369 In Koordinierung mit der politischen erfolgte auch die kulturpolitische Anpassung an das sowjetische System. Auf dem III. Parteitag der SED im Juli 1950, der die Angleichung an die stalinistische Politik der Sowjetunion deutlich zum Ausdruck brachte, verkündete man, „daß der Aufbau einer fortschrittlichen deutschen Kultur nur im unablässigen Kampfe gegen alle reaktionären Tendenzen auf kulturellem Gebiet, gegen die volksfeindlichen Theorien des Kosmopolitismus, gegen den bürgerlichen Objektivismus und gegen die amerikanische Kulturbarbarei erfolgen kann". Es wurde die kulturpolitische Aufgabe gestellt, „einen radikalen Umschwung auf allen Gebieten des kulturellen Lebens zu erzielen und mit der Lauheit und dem Versöhnlertum unerbittlich Schluß zu machen". 370 Den Ausgangspunkt für die Ausweitung des Kampfes gegen den Foimalismus zur öffentlich geführten Kampagne bildeten mehrere unter dem Namen N. Orlow in der „Täglichen Rundschau" veröffentlichte Zeitungsartikel. Am 19. November 1950 erschien der Orlow-Beitrag „Das Reich der Schatten auf der Bühne", ein Verriß der Aufführung von Glinkas „Ruslan und Ludmilla" durch die Berliner Staatsoper. Ihr wurde vorgeworfen, Glinkas Oper durch eine Inszenierung verunstaltet zu haben, die „den Stempel der Dekadenz und Zersetzung" trage und mit „formalistischen Dekorationen" versehen sei. „Die Leitung der Berliner Staatsoper ist von der Öffentlichkeit bereits mehrfach warnend darauf hingewiesen worden, daß sie ihre Einstellung zum Zuschauer revidieren und mit dem volksfremden Stil ihrer Inszenierungen Schluß machen muß." Ein weiterer Orlow-Artikel „Wege und Irrwege der modernen Kunst" vom 20./21. Januar 1951 weitete die eher punktuelle Kritik zu einer Generalschelte gegenüber den „Verheerungen" aus, die „die lange Herrschaft der Formalisten" in der Kunst, vor allem in der Malerei angerichtet habe. Die Argumentation bedarf nicht der ausführlichen Wiedergabe: Der Kritik an Enlartung und Zersetzung als Ausdrucksformen einer ins Grab steigenden Gesellschaft ist das Loblied einer optimistischen, lebensbejahenden Kunst als Äquvialent aufsteigender Gesellschaftsformationen entgegengesetzt. Daß es sich bei dem Namen Orlow um ein Pseudonym handelt, kann als gesichert gelten. Die Mutmaßungen, wer sich dahinter verbirgt, variieren allerdings: Orlow sei „Chiffre für die am 21. Juni 1950 eingesetzte .Sowjetische Kontrollkommission' (SKK) in Deutschland," 371 so eine These. Ehemalige SMAD-Mitarbeiter bringen, präziser noch, den damaligen Politischen Berater der SKK, W. Semjonow, als Verfasser ins Spiel. 372 Der Name sei das „Sammelpseudonym einer 368 369 370 371

Walter Ulbricht, Der Künstler im Zweijahrplan, in: W.U., Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 3, S. 308. Vgl. Kap. 5.2.2. Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages, S. 265. Reinhardt, Zeitungen und Zeiten, S. 99.

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Gruppe russischer und deutscher linientreuer Kulturpolitiker", lautet eine andere These. 373 „Hinter dem Verfassernamen verbargen sich Prof. Kurt Magritz für die bildende Kunst und Prof. Kurt Liebknecht für die Architektur sowie weitere SED-Autoren," 374 dies eine dritte Vermutung. Magritz, der schon vorher mit äußerst scharfen Attacken gegen avancierte Kunst hervorgetreten war, 375 wird vielfach als (Haupt-)Urheber dieses berüchtigten Orlow-Artikels verdächtigt. 376 Die Kampagne gegen den Formalismus wurde systematisch lanciert und ausgeweitet, wie das Protokoll einer Arbeitstagung der Abteilung Kunst und Literatur im Ministerium für Volksbildung der Landesregierung Mecklenburg mit den Stadt- und Kreisräten am 8. Februar 1951 in aller Deutlichkeit verrät: „Das Jahr 1951 muß ein Jahr der ideologischen Auseinandersetzungen auf allen Gebieten der Kunst und Literatur sein. Die Diskussionen haben bereits begonnen, auf dem Gebiet des Theaters nach Veröffentlichung des Artikels ,Das Reich der Schatten auf der Bühne' und anderen Artikeln. Im Staatstheater ist diese Diskussion eingeleitet, sie wurde dann mit den Künstlern in der Öffentlichkeit fortgesetzt. Hierbei muß es zu einer kritischen Auseinandersetzung kommen. Im Anschluß an die Diskussion in Schwerin soll sie in allen Betrieben des Kreises und vor allem in den Theatern fortgesetzt weiden [...]. Die Diskussion über die Probleme der Musik wird zweifellos auch in diesem Jahre anlaufen." 377 Die Formalismusdiskussion „lief 1951 nicht nur in allen Bereichen „an", ihr kulturpolitisches Argumentationsmodell wurde auf der 5. Tagung des Zentralkomitees der SED im März 1951 auch gleichsam höchstamtlich festgelegt. Die auf dieser Konferenz unter dem Titel „Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Literatur" angenommene Entschließung stellt ,4as programmatische Dokument jener Jahre" 378 dar. Das Dokument hatte zwei Stoßrichtungen: Außenpolitisch zielte es gegen den amerikanischen „Imperialismus"; innenpolitisch intendierte es die Disziplinierung der heimischen Intelligenz. Gerade das Gemenge politischer Kategorien mit - nicht präzisierten - ästhetischen Argumenten verrät diese Absicht. 379 In direkter Ableitung wird der Kosmopolitismus als wichtige Waffe des Imperialismus ausgemacht und der Formalismus wiederum als Hilfsmittel identifiziert, um „das Nationalbewußtsein der Völker zu unterhöhlen und zu zerstören". „Das wichtigste Merkmal des Formalismus besteht" - laut der ZK-Entschließung - „in dem Bestreben, unter dem Vorwand 372 373 374

375 376 377

378 379

So W. Tschubinski im Gespräch vom 16. 11. 1993. Mit dem Namen Orlow gezeichnete Artikel galten auch anderen aktuellen Themen. Borgelt, Das war der Frühling von Berlin, S. 419. Koller, Vertane Chancen, S. 403. Auch Rühle ist der Ansicht: „Die sog. ,Orlow'- Artikel wurden von deutschen Kommunisten wie Prof. Kurt Magritz (Bildende Kunst), Prof. Kurt Liebknecht (Architektur), Prof. E.H. Meyer und Prof. Georg Knepler (Musik) u. a. unter Anleitung sowjetischer Kulturoffiziere verfaßt." - Rühle, Der 17. Juni, S. 173, Anm. 6. Etwa am 6. 4. 1949 in der TR mit der Attacke gegen Strempel „Trümmer weg! Baut auf! Kritik eines Bildes" und am 29. 12. 1950 in der TR mit einem Angriff auf Hofer. „Autor oder Hauptautor des Artikels ist Kurt Magritz." - Feist, Das Wandbild im Bahnhof Friedrichstraße, S. 122. Aus dem Protokoll der Arbeitstagung der Abteilung Kunst und Literatur im Ministerium für Volksbildung der Landesregierung Mecklenburg mit den Stadt- und Kreisräten am 8. Februar 1951 im Schweriner Schloß, in: Dokumente zur Kulturpolitik in Mecklenburg, S. 97. St. Bock, Literatur Gesellschaft Nation, S. 91. Vgl. Krenzlin, Das „Formalismus-Plenum", S. 58f.

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oder auch der irrigen Absicht, etwas .vollkommen Neues' zu entwickeln, den völligen Bruch mit dem klassischen Kulturerbe zu vollziehen. Das führt zur Entwuizelung der nationalen Kultur, zur Zerstörung des Nationalbewußtseins, fördert den Kosmopolitismus und bedeutet damit eine direkte Unterstützung des amerikanischen Imperialismus." 380 Wesentliche Komponenten der Kampagne waren somit die Abgrenzung gegenüber der „amerikanisierten" Kulturentwicklung im Westen sowie die Propagierung eines sich gegen Neuerungen und literarische Experimente wendenden klassik-orientierten Konzepts. Inzwischen hatte jedoch das Beharren auf der humanistisch-klassischen Tradition seinen bündnispolitisch weiten, werbenden Charakter verloren. Seit 1949 war zunehmend die Rolle des Erbes als „Quelle des Nationalbewußtseins" 381 in den Mittelpunkt gerückt worden. Die Gedenktage von Goethe, Schiller, Bach, Beethoven und Händel wurden mit großem Aufwand gefeiert. Aus Strategiepapieren und Arbeitsanweisungen geht hervor, daß die Fortschrittlichkeit der Klassiker zum Zweck ihrer bruchlosen Vereinnahmung und ihre nationale Bedeutung hervorgehoben werden sollten. 382 Mit der Losung „nationale Unabhängigkeit" suchte man den amerikanischen Einfluß auf Westdeutschland zurückzudämmen. Bezeichnend ist die programmatisch „Nationales Bekenntnis zu Bach" überschriebene Stellungnahme des Parteivorstandes der SED zum Bachjahr 1950: „Der ganze Umfang dieser entscheidenden Auseinandersetzungen zwischen den Verfechtern des Kosmopolitismus, dieser reaktionären, imperialistischen Ideologie im Westen Deutschlands, die jede nationale Selbständigkeit unseres Volkes zu untergraben bemüht sind, und den fortschrittlichen Trägern einer neuen deutschen Kultur zeigt sich in der Stellungnahme zum Bach-Jahr [...]. Reaktionäre Kräfte versuchen, auch das Andenken an den großen deutschen Komponisten Bach für ihre spalterischen, antinationalen Zwecke auszunutzen." 383 Ebenso politisch wie die zugrundgelegte Diagnose war auch das daraus abgdeitete Rezept: Eine wahrheitsgetreue, historische, konkrete künstlerische Darstellung sei mit der Aufgabe zu verbinden, „die Menschen im Geiste des Kampfes für ein einheitliches, demokratisches, friedliebendes und unabhängiges Deutschland, für die Erfüllung des Fünfjahrplans, zum Kampf für den Frieden zu erziehen". Da eine Definiton der abgewehrten Muster ebenso uiterblieb wie eine konkrete Bestimmung der neuen Leitlinien, war der Willkür damit Tür und Tor geöffnet. Auswirkungen auf das kulturelle Leben Schon seit Dymschitz' einschlägigen Artikeln in der „Täglichen Rundschau" 1948 war von der Kampfansage gegen den Formalismus die bildende Kunst am stärksten betroffen. Bei Bildern 380 381 382

Der Kampf gegen den Formalismus, S. 152f. Schlenker, Das „kulturelle Erbe", S. 85f. Vgl. z. B. die Arbeitsanweisung des Zentralvorstandes der DSF über Maßnahmen zur Durchführung der Gedenkfeiern zum 125. Todestag Ludwig van Beethovens vom 21. 2. 1952. - Nachlaß Wilhelm Pieck, SAPMO: ZPA NL 36/733. Siehe auch den Vortrag des Musikkritikers und Funktionärs des Komponistenverbands Georgi Chudow, der anläßlich der Feierlichkeiten zum 200. Todestag Bachs in Leipzig sprach. Er vereinnahmte den Thomaskantor für die neue Gesellschaftsordnung, indem er ihm u. a. eine „gesunde plebejische Natur" und eine optimistische Weltanschauung zuschrieb. In bezug auf die oft religiöse Thematik von Bachs Musik konstatierte Chudow schlicht deren „Vermenschlichung". - G A R F 5283/16/162.

383

Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik, S. 134.

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und Plastiken ließ sich der Formalismus-Vorwurf anhand des Vergleichs mit .realistischen' Abbildungen scheinbar am leichtesten erhärten. Als am 17. September 1949 die 2. Deutsche Kunstausstellung in Dresden eröffnet wurde, begann der Eröffnungsredner Rudolf Engel, Vizepräsident der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung, mit einem Verriß der Bilder: der Formalismus überwiege und Darstellungen des Neuen Menschen fehlten. 384 Nach der Zeitschrift „bildende kunst" mußte auf Beschluß des Politbüros der SED im August 1950 auch der von Herbert Sandberg und Günther Weisenborn herausgegebene „Ulenspiegel" sein Erscheinen einstellen. Das erst im Oktober 1948 fertiggestellte Wandbild Horst Strempels im Bahnhof Friedrichstraße mußte, wie schon erwähnt, 1951 übermalt werden. Eine in der Akademie der Künste gezeigte Barlach-Ausstellung wurde am 4. Januar 1952 von Wilhelm Girnus im „Neuen Deutschland" in übler Manier diffamiert. Barlachs Geschöpfe seien eine „graue, passive, verzweifelte, in tierischer Dumpfheit dahinvegetierende Masse". 385 Die Kampagne gegen den Formalismus wurde sukzessive auf alle Künste ausgeweitet. Betroffen, und in der Entschließung des ZK vom März 1951 angesprochen, waren gleichermaßen die Architektur (vor aDem der Bauhaus-Stil), die Musik (vor allem Hanns Eisler und Paul Dessau), die Filmkunst wie die Literatur. Prominentestes Opfer unter den Schriftstellern war Brecht: Seiner „Antigone" sowie seiner Inszenierung des „Urfaust" wurde Formalismus vorgeworfen und gleichzeitig seine Verfremdungskonzeption sowie die Theorie des epischen Theaters attackiert. Das „Verhör des Lukullus" von Brecht/Dessau mußte nach der Uraufführung 1951 umgearbeitet werden. Diese Fälle sind bekannt und gut dokumentiert. Doch betroffen waren nicht nur einzelne, denn die Kampagne wirkte sich, zumal nach Gründung des „Amts für Literatur und Verlagswesen" und der „Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten", auf das gesamte literarische Leben der frühen DDR aus. Die Atmosphäre war nachhaltig vergiftet. Seitdem häufen sich in den privaten Briefen Friedrich Wolfs, Ehm Welks, Erich Weinerts, Willi Bredels, Alfred Kantorowicz' u. a. die Klagen darüber, daß sie nicht mehr rezensiert, gedruckt, berücksichtigt würden. Willi Bredel meinte 1951 über das kulturpolitische Klima bitter, daß nur helfe, sich „gegen Gift immun zu machen, indem man es regelmäßig in kleinen Dosen schluckt. Wir bekommen, denk ich, genug zu kosten. Leider ist manchmal die Dosis so stark, daß man Brechreiz bekommt." 386 Dem volkstümlichen Schriftsteller Ehm Welk machte man Schwierigkeiten wegen seines Buchs über die deutsche Novemberrevolution von 1918/19 „Im Morgennebel". Als das Buch bereits ausgedruckt war, ließ der Verlag von Otto Gotsche

384

Erst mit der 3. Deutschen Kunstausstellung zeigten sich die Funktionäre zufrieden. Der WOKSBevollmächtigte Gussew meldete nach Moskau, die deutsche Kunst befinde sich „auf dem Weg zum Realismus". - Informationen über Ereignisse im kulturellen Leben der DDR, Januar - März 1953, GARF 5283/16/187. Die Anhänger der formalistischen Kunst träten, so Gussew, nun nicht mehr offen auf, sondern verbreiteten in der Presse die Theorie vom Vorrang des Inhalts vor der Form, eine Argumentationsweise, die in der Sowjetunion gern als „umgekehrter Formalismus" bezeichnet würde.

385

Elmar Jansen gibt in dem von ihm herausgegebenen Band „Ernst Barlach. Werk und Wirkung" zwar die Eröffnungsrede der Akademie-Ausstellung von Max Schröder (S. 4 9 3 ^ 9 5 ) und Brechts „Notizen zur Barlach-Ausstellung" (S. 496-501), den Versuch einer Ehrenrettung Barlachs gegenüber Girnus, wieder, druckt jedoch nicht die Attacke von Girnus ab.

386

Brief Willi Bredels an Alfred Kantorowicz vom 17. 7. 1951, in: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg: Nachlaß Alfred Kantorowicz I/B 24.

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(dem Sekretär Ulbrichts) eine „Vorkritik" schreiben, die zu einem Scherbengericht über den Roman führte. 387 Welk notierte resümierend über die „neuen Weggenossen": „[...] sie wurden bis auf den heutigen Tag mißtrauisch, wenn der ehemalige Bauernjunge auf unserem Wege mitunter stehenblieb, um eine Blume zu betrachten, oder wenn er gar sich umwendete, um einem Vogel nachzusehen. Dann legten sie mir auch sofort gern Steine in den Weg oder benutzten die Wegweiser für mich zu Schranken. Und weil ich meine Kunst nicht anwende, um kitschige Piston-Soli zu blasen oder mit dem Holzhammer Xylophon-Konzerte zu verüben, sondern auch in politischen Ansagen die Gesetze der Kunst beachte, darf ich jedem Baccalaurus als Versuchskarnickel für kritische Probearbeiten angeboten werden." 388 Der Bildhauer Gustav Seitz, der wegen seiner Mitgliedschaft an der Ostberliner Akademie der Künste als Hochschullehrer an der (Westberliner) Hochschule für Bildende Künste 1950 als politisch untragbar entlassen worden war, sah sich auch in Ost-Berlin mit Schwierigkeiten konfrontiert. Im Formalismus-Streit nahm er mit Verve die Partei Barlachs und kritisierte „die beabsichtigte Bevormundung eines Dilettanten", gemeint ist Kurt Magritz, der es unternehme, „jegliche Schaffensfreude und Initiative im Kunstleben zu lähmen oder gar abzutöten". 389 Der Philosoph Ernst Bloch stimmte Seitz' „J'accuse" uneingeschränkt zu: „Auf philosophischem Gebiet gibt es Parallelen zu diesem Magritz. [...] Der gleiche freche Dilettantismus (das Wort ist fast zu vornehm), der gleiche mörderische Größenwahn. Sie nehmen Rache am Geist, den sie nicht haben und kennen. Sie verwandeln die Künstler- und Gelehrtenrepublik in einen Polizeistaat [...]." 39 ° Daß es sich hierbei um „keine privaten, sondern symptomatische Fälle" handelt, 391 die zum Verstummen vieler Autoren führten, ist mit Kantorowicz, ebenfalls Leidtragender der rigiden Kulturpolitik, hervorzuheben. Kantorowicz prägte im Zusammenhang mit Stückabsetzungen und Schriftstellerdiffamierungen voll bitterem Sarkasmus den Ausdruck: „Die Kristallnächte der Funktionäre." 392 Exkurs: Institutionalisierung des sozialistischen Realismus Der im Rahmen der Formalismus-Kampagne ausgesprochenen Kritik an der „abstrakt-dekadenten" Kunst des Westens korrespondierte die Forderung nach einer am Vorbild der Sowjetunion ausgerichteten, das klassische Kulturerbe weiterführenden positiven und realistischen Kunst. Vom sozialistischen Realismus war auf der ZK-Tagung vom März 1951 noch kaum die Rede; man sprach allgemein von Realismus, ohne daß jedoch (ähnlich wie im Falle des Formalismus) genau definiert wurde, was darunter zu verstehen sei. Auf den sozialistischen Realismus berief man sich erst seit 1952 verstärkt, als man ein kulturpolitisches und literaturtheoretisches Äquivalent für den auf der 2. Parteikonferenz verkündeten „Aufbau des Sozialismus" suchte. Die Ausarbeitung einer Theorie des sozialistischen Realismus wurde erst spät in Angriff genommen; 393 bis 387 388 389 390 391 392

Brief Agathe Welks an Friedrich Wolf vom 7. 8. 1953, in: AdK: Friedrich-Wolf-Archiv M. 322a. Brief Ehm Welks an Alfred Kantorowicz vom 16. 9. 1954, in: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg: Nachlaß A. Kantorowicz I/W 4. Gustav Seitz, Mehr Sachlichkeit in der Kunstkritik. Ein Beitrag zu den Kunstgesprächen anläßlich der Barlachausstellung. Januar 1952 (MS), in: G.S., Werke und Dokumente, S. 91. Brief Blochs an Seitz vom 11. 1. 1952, in: G.S., Werke und Dokumente, S. 92f. Brief Alfred Kantorowicz' an Bertolt Brecht vom 5. 3. 1952, in: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg: Nachlaß Kantorowicz I/B 18. Kantorowicz, Deutsches Tagebuch, Bd. 2, S. 205.

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in die zweite Hälfte der 50er Jahre hinein war der sozialistische Realismus nichts anderes als eine „Losung" im kulturpolitischen Diskurs. Er wurde in den Reden der führenden Politiker und Kulturfunktionäre festgeschrieben und als Instrument der ideologischen und administrativen Lenkung gehandhabt, ohne daß eine wirkliche Füllung des Begriffs erfolgte. Eigenständige Untersuchungen fehlten fast gänzlich, so daß als Basis nahezu ausschließlich Übersetzungen aus dem Russischen dienten. Eine wichtige Vermittlerrolle spielte dabei die seit 1953 im DSF-Verlag „Kultur und Fortschritt" erscheinende Zeitschrift „Sowjetwissenschaft. Kunst und Literatur". Ihr aktuelles Anliegen bestand darin, „durch entsprechende Auswahl der Materialien" „Klarheit über das Wesen des Formalismus und des Realismus zu schaffen, den reaktionären Inhalt des Formalismus, seine Schändlichkeit zu entlarven" sowie für „einen konsequenten sozialistischen Realismus von höchster künstlerischer Qualität" zu kämpfen. 394 Terminologische Unsicherheiten an der,Basis' wurden dadurch jedoch nicht ausgeschlossen und veranlaßten zu nahezu ängstlichen Nachfragen bei kompetenter sowjetischer Stelle. So bat der Verlag „Kultur und Fortschritt" den sowjetischen Literaturwissenschaftler Mjasnikow um Erläuterung des Begriffs „Realismus des Stils", der in einem gerade für den Druck vorbereiteten Lehrbuch „Russische Literatur" für die neunte Klasse Verwendung finden sollte. Man befürchtete neue Verwirrungen in bezug auf die Abgrenzung von „Stil" und „künstlerischer Methode", nachdem den Schriftstellern gerade in „langwierigen klärenden Gesprächen" beigebracht worden sei, daß der Realismus - sowohl der sozialistische als auch der kritische - eben nicht als Stil, sondern als künstlerische Methode zu betrachten sei. 395 In der Sowjetunion waren die Postulate des sozialistischen Realismus seit dem Ersten Schriftstellerkongreß 1934 befestigt worden. Sie sind mit den Begriffen Parteilichkeit, Volksverbundenheit, revolutionäre Romantik, Widerspiegelung, das Typische, der positive Held zu umreißen. Die Parteilichkeit impliziert das „Prinzip eines durchgängig wertenden Zugangs zur Welt" 396 , der sich aus dem historischen Materialismus im weiteren Sinne und der aktuellen Parteipolitik im engeren Sinne ableitet. Dieses gleichsam übergeordnete Postulat durchdringt alle Textebenen. Volksverbundenheit meint einerseits Einfachheit und Allgemeinverständlichkeit der Schreibweise, andererseits eine unmittelbar am Leben des Volkes, seinem revolutionären Kampf und seiner Teilnahme am sozialistischen Aufbau orientierte Literatur. Vor allem mit Hilfe dieses Begriffes wurden die Kampagnen gegen den „volksfernen Formalismus" geführt. Die revolutionäre Romantik stellt das zukunftsorientierte Element des sozialistischen Realismus dar. Überhöhung der Wirklichkeit und Heroismus sind ihre wesentlichen Merkmale. Das Postulat der Widerspiegelung ist an die „Objektivität" der Darstellung gebunden, wobei diese wiederum das Erkennen historischer Gesetzmäßigkeiten im Sinne der Parteilichkeit voraussetzt, d. h. die Wirklichkeit ist in ihrer „revolutionären Entwicklung" zu sehen und darzustellen. Das Typische wird innerhalb des sozialistischen Realismus gerade nicht als das am häufigsten Vorkommende, Durchschnittliche verstanden, sondern als das aus der Wirklichkeit hervorgehende Neue, Zukunftsweisende. Der positive Held verkörpert gleichsam die übrigen Postulate. Ihm kommt eine Vor-

393 394 395 396

Vgl. Auer, Haben wir eine Literaturtheorie?, S. 111-122. Zum Gesamtzusammenhang s. A. Hartmann, Zur Bedeutung der sowjetischen Literaturtheorie, S. 1164-1179. Aufgaben und Zielsetzung der Zeitschrift „Sowjetwissenschaft, Abt. Kunst und Literatur". - GARF 5283/16/187. Schreiben vom 1. 10. 1952. - GARF 5283/16/186. H. Günther, Die Verstaatlichung der Literatur, S. 20.

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bildfunktion zu, die wesentlich zur Realisierung des erzieherischen Anspruchs der sozialistischen Literatur beitragen soll. Diese hier gerafft dargestellten Kategorien waren in der Sowjetunion, später auch in der DDR, durchaus nicht eindeutig, sondern Gegenstand jahrzehntelanger Diskussionen. 397 Sie betrafen die Sprache, das Konfliktgefüge und die Personengestaltung der literarischen Werke. Doch unter dem Begriff „sozialistischer Realismus" ist nicht nur das normative System der genannten Kategorien zu fassen, sondern auch und vor allem dessen Umwandlung zu einem Bewertungsraster der Literaturkritik, an dem jedes Werk neu gemessen wurde. Dieser Mechanismus der Beurteilung, zu dem Leserkonferenzen, das Ritual von Kritik und Selbstkritik, die Honorierung mit staatlich vergebenen Preisen ebenso wie die Ächtung ,uneinsichtiger' Autoren gehörten, funktionierte auch in der DDR, und zwar - wie in der UdSSR - in Abhängigkeit von literaturpolitischen Direktiven, die wiederum nicht selten auf bestimmten innen- oder außenpolitischen Konstellationen beruhten. 5.3.7 Der 17. Juni und die Intellektuellen Die Formalismus-Diskussion wurde in der DDR zu einem Zeitpunkt lanciert und als Kampagne aufgezogen, als in der Sowjetunion schon anders gedacht und gehandelt wurde. 398 Ähnlich versteckt und für Außenstehende in seiner politischen Tragweite nicht ericennbar, wie mit der sowjetischen Biologiediskussion die Dogmatiker im Lande die wichtigsten Bastionen besetzt hatten, so wurde auch die Einleitung eines neuen, liberaleren' Kurses im Sinne einer partiellen Entdogmatisierung zunächst auf einem Nebenschauplatz verfochten. Ein solches Verfahren kann den charakteristischen Merkmalen totalitärer Systeme zugerechnet werden. Jürgen Rühle faßt dies folgendermaßen zusammen: „Man kann auf lange Sicht eine Kursänderung einleiten, ohne dem Ausland Einblick zu gewähren und die eigene Bevölkerung zu beunruhigen, man kann den schwerfälligen Funktionärsapparat langsam an die neuen Methoden und Gesichtspunkte gewöhnen, ja man kann, wenn sich unerwünschte Ergebnisse zeigen, das ganze Unternehmen wieder abblasen, ohne daß jemand viel davon gemerkt hat." 399 Zu einem solchen Nebenschauplatz wurde 1950 die Sprachwissenschaft.

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In den 50er Jahren wurde sogar zweimal (1954 auf dem 2. und 1959 auf dem 3. Schriftstellerkongreß der UdSSR) in den Statuten des Schriftstellerverbandes die offizielle Definition des sozialistischen Realismus als Reaktion auf vorhergehende „Fehlentwicklungen" bzw. „Mißverständnisse" geändert. Vgl. Eggeling, Die sowjetische Literaturpolitik, S. 67, 124. Zu den Erörterungen im einzelnen siehe z.B. Günther, Die Verstaatlichung der Literatur, S. 18-54 und Peters, Réalisme sans rivages?, S. 291-324. Rückwirkend wurde von sowjetischen DDR-Forschern die Formalismuskampagne in der DDR äußerst kritisch beurteilt. So hieß es z. B.: „Teilweise wurde der Kampf gegen den Formalismus mit undemokratischen Methoden geführt. Einige führende Genossen bezeichneten alles, was ihnen mißfiel, als Formalismus. Dies war einem Aufblühen der Kunst nicht förderlich." - Lebedev, Politika SEPG v oblasti kul'tury, S. 130. Rühle, Der 17. Juni, S. 157.

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Stalins Thesen zur Sprachwissenschaft als .Strohhalm' für die Intellektuellen Nahezu 20 Jahre herrschte bis dahin in der sowjetischen historischen Sprachwissenschaft die Lehre des 1935 verstorbenen N.Ja. Marr und seiner Schüler vor. Diese hatte Anfang der 30er Jahre nach einem längeren Prozeß der Polemik die sogenannte marxistisch-soziologische Richtung verdrängt. 400 Die wissenschaftlich kaum fundierten, ideologisch motivierten Vorwürfe an die Vertreter jener Richtung lauteten, sie würden bei ihren Untersuchungen zur Genese der Sprachen (mit Schwerpunkt auf den indogermanischen) unter dem „Deckmantel" des Marxismus „formalistisch-asoziologisch" und antimaterialistisch vorgehen unter Verwendung „aus dem Westen entliehener soziologisierender Methoden". Marr und seine Anhänger gingen von der Annahme aus, daß sprachliche Entwicklungsprozesse „ausschließlich und unmittelbar sozial ausgelöst werden". 401 Es handelte sich dabei um eine eher mechanische, methodologisch kaum abgesicherte Korrelation von Sprachzuständen mit sozioökonomischen Verhältnissen. Sprache wurde auf diese Weise undifferenziert zur Überbaukategorie erklärt. Wie die Agrarbiologie Lyssenkoscher Prägung war auch der sprachwissenschaftliche Ansatz der „Marristen" teledogisch im Sinne der herrschenden Ideologie determiniert. Konnte Lyssenkos Lehre von der Vererbbarkeit anerzogener Eigenschaften letztlich als „wissenschaftliche" Fundierung der Vision vom „neuen Menschen" geltend gemacht werden, 402 so leitete Marr aus seinem Ansatz im Zuge der Entwicklung zum Sozialismus die zwangsläufige Herausbildung einer Einheitssprache ab, die „ein Hybridationsprodukt aller vorsozialistischen Einzelsprachen sei". 403 Die Marristen beanspruchten für sich, die wahren Repräsentanten der marxistischen Sprachwissenschaft zu sein, und wurden dabei von der Parteispitze gedeckt. Eine Kritik an ihrer Lehre kam, wie später an der Lyssenkos, einer Kritik an der Partei bzw. an Stalin persönlich gleich. Eine Revision ihrer Theoreme konnte nur von höchster Stelle ausgehen bzw. gebilligt werden. Bis dahin wurden die Gegner Marrs, wie Ende der 40er Jahre auch die Gegner des Agrarbiologen, sofern sie offen auftraten, aus ihren Positionen verdrängt und zum Teil physisch liquidiert. Auf einem Symposium anläßlich des 15. Todestags Marrs im Januar 1950 wurde von einigen Teilnehmern vorsichtig Kritik am Stand der sowjetischen Linguistik geübt.404 Bereits dieser Schritt konnte kaum ohne Zustimmung der Partei vollzogen worden sein. Ein „Prawda"-Artikel vom 9. Mai 1950 brachte die anschließenden Debatten an die Öffentlichkeit und rechnete zugleich mit dem Marrismus ab. Die Publikation im Parteiorgan signalisierte unzweideutig, daß die Partei selber die Abkehr von den Marrschen Lehren betrieb. Im Juni 1950 griff Stalin mit seiner Schrift „Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft" zugunsten der Gegner Marrs in die Diskussion ein, was nunmehr eine Welle von Polemiken gegen Marr und das Abschwören seiner Anhänger nach sich zog. Stalins Einlassung war weniger von wissenschaftlichem als von politisch-ideologischem Wert, da sie einige bisher geltende Dogmen in Frage stellte. Sie proklamierte vor allem die Aufhebung der Theorie vom „Klassencharakter der Sprache" und negierte die Zuordnung der Sprache zum Überbau. In Annäherung an Positionen der „bürgerlichen" Sprachwissenschaft konstatierte Stalin nunmehr die weitgehende Unabhängigkeit der Sprache 400 401 402 403 404

Ausführlich dazu: Girke/Jachnow, Sowjetische Soziolinguistik, S. 50-60. Ebd., S. 54. Vgl. Kap. 3.2.3. Girke/Jachnow, Sowjetische Soziolinguistik, S. 58. Vgl. im folgenden ebd., S. 62-67.

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von Gesellschaftsformationen und ihre Resistenz gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen. Diese Aussagen, zum neuen Dogma erhoben, blockierten allerdings in der Folge für einige Jahre fundierte soziolinguistische Forschungen in der UdSSR. Wichtig ist jedoch, daß überhaupt Bewegung in einen erstarrten Forschungszweig geraten war, die zusätzlichen Antrieb durch Stalins Mahnung erhielt, daß Wissenschaft nur im „Kampf der Meinungen" gedeihen könne. 405 Auch in Literatur und Literaturkritik versuchten die undogmatisch gesinnten Kräfte unter Berufung auf diese Mahnung wieder Terrain zu gewinnen und ihren Spielraum zu erweitern, indem sie Stalins auf die Sprache bezogenen Thesen auf die Kunst übertrugen. Sie postulierten, daß die Kunst wie die Sprache keine reine Überbaukategorie sei und damit auch eine gewisse Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Faktoren habe. Dies rief indes die immer noch aktiven orthodoxen Kräfte auf den Plan, die sogleich vor einer Überbetonung ästhetischer Kategorien gegenüber inhaltlichen warnten. Es setzte sich jedoch die Einsicht durch, daß ideologische Reinheit allein dem Erziehungsauftrag der Literatur nicht gerecht würde. Auf dem XIX. Parteitag der KPdSU im Oktober 1952 gab Malenkow durch sein Hauptreferat, das sich auch ausführlich Fragen der Kunst widmete, der bisher geübten Kritik an den Mängeln der sowjetischen Literatur (Stichwort: Schönfärberei und Konfliktlosigkeit) zusätzliche Autorität. 406 Die partielle Entdogmatisierung auf dem Nebenschauplatz der Sprachwissenschaft hatte nunmehr auf die Literaturpolitik übergegriffen. Bemerkenswert ist, daß im gleichen Zuge auch andere Persönlichkeiten des sowjetischen Geisteslebens, die Ende der 40er Jahre kaltgestellt waren, wieder an exponierter Stelle zu Wort kamen. So konnte sich Georgi Alexandrow, dessen Lehrbuch zur „Geschichte der westeuropäischen Philosophie" 1947 scharf kritisiert worden war, 407 seit Beginn der 50er Jahre im Rahmen einer sich an die Sprachwissenschaftsthesen Stalins anschließenden Diskussion über Logik als Interpret des ,Neuen Kurses' profilieren. 408 „Warum diskutieren wir nicht darüber?" - Kritische Stimmen im Umfeld des 17. Juni In der DDR, deren Gesellschaft noch nicht die Spielregeln dieses Diskurses der Normsetzung und -ablösung eingeübt hatte, bestanden offenbar Schwierigkeiten, die durch Stalins Abhandlung über „Marxismus und Sprachwissenschaft" ausgesandten Signale zu entschlüsseln. So wird in einem internen Papier des Schriftstellerverbands von Anfang 1951 unter Berufung auf Stalins Auslassungen die Literatur ausdrücklich als „wesentlicher Teil des kulturellen Überbaus" bezeichnet, was einen der Adressaten zu einer handgeschriebenen Randbemerkung veranlaßte, in der die Gleichsetzung von Literatur und Überbau mit einem Fragezeichen versehen ist. In einem Bericht über die „ideologische Arbeit des Deutschen Schriftsteller-Verbandes" vom 15. Juni 1951 heißt es über eine Arbeitstagung in Weimar, daß dort behauptet worden sei, die Literatur gehöre nicht zum Überbau (das Wort „nicht" ist zweimal unterstrichen). Diese Frage wurde vom Verfasser als grundsätzlich behandlungsbedürftig eingestuft. 409 405 406 407 408 409

Vgl. Swayze, Political Control of Literature, S. 7 Iff. Vgl. Kap. 2.2.5. Vgl. Kap. 3.1.2. Vgl. Rühle, Der 17. Juni, S. 157. Beide Dokumente in: SAPMO: ZPAIV 2/906/271.

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Bei den Kulturfunktionären der DDR, die noch damit befaßt waren, die Shdanowsche Linie im gesamten Kulturleben durchzusetzen, verursachten die wenn auch noch so kleinschrittigen sowjetischen Entdogmatisierungstendenzen nicht nur Verunsicherung, sondern riefen merkliches Unbehagen hervor. Sonst eifrig bemüht um die Aneignung der sowjetischen Erfahrungen, wurden nun kritische sowjetische Beiträge tendenziös gekürzt oder unterschlagen. 410 Allerdings gab es auch Versuche einzelner Journalisten und Redaktionen, Informationen über den neuen sowjetischen Diskussionsstand zu vermitteln. So veröffentlichte die „Tägliche Rundschau" den „Prawda"-Artikel vom 7. April 1952 „Das Zurückbleiben der Bühnendichtung überwinden" am 21. Mai in ihren Spalten. In dem einleitenden Kommentar der Redaktion heißt es: „Während in der DDR der Kampf noch geführt wird, um die Gegenwartsdramatik mit all ihren Anfangsschwächen überhaupt auf die Bühne zu bringen, wird unter den weitaus fortgeschritteneren sowjetischen Verhältnissen ein Kampf auf höherer Ebene geführt." 411 Ob dieser Verweis eine Kritik an der Kulturpolitik der SED impliziert oder lediglich die Vorreiterrolle der Sowjetunion meint, kann nicht eindeutig festgemacht werden. In jedem Fall nahm das „Sprachrohr von Karlshorst" hier wie schon in seinen Anfangsjahren eine relativ fortschrittliche Position im Vergleich zu den SED-Organen ein. 412 Die „Berliner Zeitung" trat besonders engagiert für die neuen sowjetischen Richtlinien als Mittel zur Bekämpfung des Doktrinären im eigenen Land ein und bestätigte damit die ihr schon in der Feuilleton-Diskussion drei bis vier Jahre zuvor von den Schriftstellern zugesprochene Vorbildfunktion. Jürgen Rühle veröffentlichte dort am 21. Oktober 1952 einen Artikel „Mehr schöpferischen Mut zum Realismus", der Malenkows Ausführungen auf dem XIX. Parteitag zu einem Plädoyer für größere ästhetische Freiheit und wider einen normativen Formalismus-Begriff benutzt. Andere Intellektuelle, wie Günter Cwojdrak mit dem Beitrag „Warum diskutieren wir nicht darüber?" 413 , taten es ihm gleich. Der SED ging es jedoch damals vorrangig um das Einholen der sowjetischen Gesamtlinie und nicht um deren aktuelle Korrektur. Umgehend publizierte das „Neue Deutschland" heftige Angriffe gegen Rühle und die „Berliner Zeitung", die die anderen Presseorgane aufzunehmen und fortzuführen hatten. Daß die SED den 1952 journalistisch antizipierten Neuen Kurs 1953 selbst verkünden mußte, gehört zur Ironie der Geschichte. Die Bilderstürmerei der engstirnigen Kulturfunktionäre ließ die Intellektuellen der DDR in Einmütigkeit zusammenrücken. Stärkerer Protest wurde jedoch erst nach dem 17. Juni artikuliert. An dem Aufstand selbst hatten die Schriftsteller und Künstler keinen nennenswerten Anteil; er machte im Gegenteil eher die Isolierung der privilegierten Kunstschaffenden von dem Volk, für das sie schreiben sollten, deutlich. Brecht, der die Zurechtweisung der Bauarbeiter von der Stalinallee durch Kuba, den Sekretär des Schriftstellerverbands, („Da werdet ihr sehr viel und sehr gut mauern und künftig sehr klug handeln müsssen, ehe euch diese Schmach vergessen wird" 414 ) mit dem berühmten Gedicht „Die Lösung" kommentierte, schrieb nach dem 17. Juni: „Die Arbeiter drängte man, die Produktion zu steigern, die Künstler, dies ihnen schmackhaft zu machen. Man gewährte den Künstlern einen hohen Lebensstandard und versprach ihn den Arbeitern." 415

410 411 412 413 414

Vgl. Rühle, Der 17. Juni, S. 159f. Die gegenwärtige Situation der sowjetischen Dramatik, in: TR vom 21.5.1952. Vgl. auch Reinhardt, Zeitungen und Zeiten, S. 51f., S.98ff. Vgl. Cwojdrak, Warum diskutieren wir nicht darüber?, S. 847-850. Kuba, Wie ich mich schäme, in: Vaterland, Muttersprache, S. 120.

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In ihren Verlautbarungen schlössen sich die Intellektuellen bei der Interpretation des Aufstandes mehr oder weniger einhellig der offiziellen Sprachregelung an, obwohl intern durchaus andere Stimmen zu hören waren. Auf einer außerordentlichen Sitzung des Bezirksverbandes Berlin des Schriftstellerverbands am 22. Juni wurden in der Diskussion so „harte Worte gegen die Regierung" geäußert, daß der Protokollant es für angebracht hielt, sie nicht schriftlich festzuhalten. 416 Unmittelbar nach dem Aufstand wurden die Schriftsteller zu einem Sondereinsatz „17. Juni 1953" aufgefordert. Sie sollten Selbstverpflichtungen zu schriftlichen Arbeiten, zu Auftritten auf Schulabschlußfeiern, zu Rundfunkansprachen und Straßenberichten eingehen und sich bereiterklären, in den Betrieben zu agitieren. 417 Aber dieses probate Mittel zur Mobilisierung im gewünschten Sinn funktionierte offenbar nicht wie beabsichtigt. Karl Grünberg etwa legte einen Artikel vor, in dem er einen Arbeiter zitierte, der das Zeitungswesen als „Presse neuen Typhus" titulierte, und folgerte daraus: „Schluß mit der Veralberung durch die Presse" und der „verkrampfte^] Schwarz-Weiß-Malerei", durch die der Arbeiter für dumm verkauft würde. Erwin Strittmatter warnte vor einer Vertagung der Fehleraussprache und einer nur äußerlichen Kritik und Selbstkritik. „Provokateure können nur unzufriedene Arbeiter mit ihren faschistischen Losungen infizieren." Für die Mißstände macht Strittmatter einerseits die Funktionäre verantwortlich, die nur auf „Befehl von oben" agiert und eigenes Durchdenken gemieden hätten, andererseits gibt er aber auch den Intellektuellen Schuld: „Wir ließen zu, daß auch in der Kunst administriert wurde." 418 Insgesamt wurden 59 Arbeiten von 43 Schriftstellern zum 17. Juni vorgelegt, doch nur 24 davon waren bis zum 13. Juli tatsächlich veröffentlicht, 419 Symptom der politischen Eigenständigkeit in den Beiträgen, die nicht den Vorgaben entsprachen. Als Ende Juli die SED-Mitglieder unter den Schriftstellern um Mitwirkung an einer Aktion gegen eine „amerikanische Provokation" gebeten wurden, wiesen die Angesprochenen darauf hin, „daß ihre Arbeitsfreudigkeit darunter gelitten hat, daß nur die Hälfte ihrer Arbeiten zum 17. Juni veröffentlicht wurde." 420 Die Instruktionsfahrt einer Schriftstellergruppe nach Potsdam, Dresden, Leipzig, Halle, Weimar und Gera vom 22.-26. Juni sowie regionale Versammlungen und Vorstandssitzungen des Schriftstellerverbandes bestätigen den auch von Grünberg und Strittmatter erhobenen Befund: Im Auseinanderklaffen von parteiamtlich konstruierter, journalistisch präsentierter Scheinrealität und der Wirklichkeit in den Betrieben sei eine Hauptursache für den Aufstand zu suchen. Übereinstimmend wurde berichtet, daß die Arbeiter Kubas Anwürfe gegen die Bauarbeiter der Stalinallee als „Beleidigung" empfänden. Das „dauernde Belügen der Arbeiterklasse" berge ebenso gefährlichen Sprengstoff wie die nunmehr praktizierte Gleichsetzung 415 416 417 418

Bertolt Brecht, [Zum 17. Juni], in: B.B., Gesammelte Werke, Bd. 20, S. 327. AdK: ASV 004. Ebd. AdK: ASV 65. Strittmatters Einlassung sollte in Form eines Artikels im Juli-Heft der NDL erscheinen, wurde jedoch nicht publiziert. Statt dessen gab das N D mit dem Leitartikel „Nochmals zum Charakter des 17. Juni" (ND vom 9. 7. 1953) eine weitere offizielle Stellungnahme ab. Stefan Heym hatte sich auf der außerordentlichen Sitzung des Bezirksverbandes Berlin des Schriftstellerverbands am 22. Juni ähnlich wie Strittmatter geäußert: „Die Entfremdung, die in der Bevölkerung eingetreten ist, ist auch ein Fehler der Schriftsteller." - AdK: ASV 004.

419 420

AdK: ASV 004. Schreiben an Hermann Axen vom 3. 8. 1953. - SAPMO: ZPA IV 2/906/254.

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der Putschisten mit Faschisten. Der Lyriker Georg Maurer erklärte in Leipzig: „Ich schreibe so lange nicht mehr für die Zeitung, wie sie noch lügt. Ich denke nicht daran, mich mitschuldig zu machen!" 421 Mit im eigentlichen Sinne politischen Analysen des 17. Juni drangen die Intellektuellen jedoch kaum in die Öffentlichkeit vor; 422 die publizierten Beiträge und programmatischen Forderungen konzentrierten sich auf die unhaltbaren Zustände im Kunstbereich. Es erschien eine Reihe von Artikeln, für die wiederum zumeist die „Berliner Zeitung" das Forum darstellte, deren Verfasser sich kritisch mit den Fehlem und Versäumnissen im kulturellen Bereich auseinandersetzten. Man war sich einig in der Verurteilung der „administrativen Unterdrückungsmaßnahmen" und des herrschenden „Geistfs] der Furcht, der Unaufrichtigkeit und der Kriecherei"; 423 man forderte zum Kampf „gegen schädliche Schönfärberei, gegen dogmatische Auswüchse, gegen sektiererische Verengungen" 424 auf. Die deutsche Akademie der Künste verabschiedete am 30. Juni eine Entschließung, in der die Wiederherstellung der Selbstverantwortlichkeit der Schriftsteller, Künstler und Theaterintendanten und ein Mitspracherecht der Akademie bei den Kunstbereich betreffenden Verordnungen und Gesetzen sowie bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, Preisen usw. gefordert wurde. 425 Auf den Einwand der SED, die Akademie habe es versäumt, sich den marxistischen Standpunkt des sozialistischen Realismus zu erarbeiten, reagierte Brecht: „Es war die unglückliche Praxis der Kommissionen, ihre Diktate, arm an Argumenten, ihre unmusischen administrativen Maßnahmen, ihre vulgärmarxistische Sprache, die die Künstler abstießen (auch die marxistischen) und die Akademie hinderten, auf dem Gebiet der Ästhetik eine vorbildliche Position zu beziehen. [...] Es mag für administrative Zwecke und mit Rücksicht auf die Beamten, die für Administration zur Verfügung stehen, einfacher sein, ganz bestimmte Schemata für Kunstwerke aufzustellen. Dann haben die Künstler .lediglich' ihre Gedanken (oder die der Administration?) in die gegebene Form zu bringen, damit alles ,in Ordnung' ist. Aber der Schrei nach Lebendigem ist dann ein Schrei nach Lebendigem für Särge. Die Kunst hat ihre eigenen Ordnungen." 426 Am 8. Juli legte der Präsidialrat des Kulturbunds auf der Basis der genannten Akademie-Entschließung ein 14-Punkte-Programm vor, in dem eine umfassende Liberalisierung und 421

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Instruktionsfahrt einer Schriftstellergruppe 22.-26. 6. 1953. - AdK: ASV 004. Vgl. Protokoll über die Vorstandssitzung des Deutschen Schriftstellerverbandes des Bezirks Erfurt am 24.6. 1953 in Weimar (ebd.); Mitgliederversammlung in Weimar am 25. 6. 1953 (ebd.). Eine wichtige Ausnahme stellen Erich Loests Artikel „Es wurden Bücher verbrannt" und „Elfenbeinturm und rote Fahne" dar. - Vgl. St. Bock, Literatur Gesellschaft Nation, S. 178-183. Wolfgang Harich, Es geht um den Realismus - Die bildenden Künste und die Kunstkommission, in: BZ vom 14. 7. 1953. Vgl. auch Stefan Heym, Das Volk will echten Realismus - Beobachtungen zum literarischen Leben in der DDR, in: BZ vom 29. 7. 1953. Cwojdrak, Schreibt die Wahrheit!, S. 29. Hinter verschlossenen Türen wurden Klagen dieser Art bereits im Mai 1953 von deutschen Schriftstellern ihren sowjetischen Kollegen gegenüber während einer Delegationsreise nach Moskau geäußert (vgl. Kap. 7.1.3), also zu einem Zeitpunkt, als dort Stalins Tod zum Auslöser für vergleichbare Kritik ,von unten' geworden war. Erklärung der Deutschen Akademie der Künste, in: N D vom 12. 7. 1953. Bertolt Brecht, Kulturpolitik und Akademie der Künste, in: N D vom 12. 8. 1953. Vgl. auch Brechts Gedichte „Das Amt für Literatur" und „Nicht feststellbare Fehler der Kunstkommission" (Gesammelte Werke, Bd. 10, S. 1007f.); die beiden Gedichte erschienen im Juli in der BZ, dann auch im Augustheft der NDL.

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Demokratisierung des Kulturlebens verlangt wurde, 427 das aber offensichtlich die Vielfalt der intern geäußerten Kritik - auch an der offiziellen Darstellung der Vorgänge vom 17. Juni - nur unvollständig widerspiegelte. 428 Diese 14 Punkte wurden zwar in den Unteigliederungen durchaus kontrovers beurteilt, sie lösten aber offenbar bei zahlreichen Intellektuellen die Annahme aus, „der Kulturbund werde den Charakter einer oppositionellen Organisation gegen die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik annehmen. Nach Ausbleiben der von ihnen erwarteten Entwicklung erklärten diese Mitglieder ihren Austritt." 429 Insgesamt verließen zwischen dem 30. Juni 1953 und dem 31. Januar 1954 mehr als 10000 Mitglieder den Kulturbund, wodurch seine Mitgliederzahl von gut 181000 auf knapp 171000 zurückging. 430 Zwar gab Ulbricht auf dem 15. Plenum des ZK der SED Ende Juli 1953 zu Protokoll, daß „den Intellektuellen größere Toleranz" entgegengebracht werden solle, und erkannte einige der Kulturbund-Forderungen immerhin für einer „ernsten" Prüfung würdig an - andere lehnte er als falsch ab -, 4 3 1 doch wurden praktische Konsequenzen zunächst nicht gezogen. Erst 1954 wurde die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten und das Staatliche Komitee für Filmwesen aufgelöst. Ihre Aufgaben übernahm das neu gegründete Ministerium für Kultur unter Johannes R. Becher. 432 Das Amt für Literatur und Verlagswesen blieb noch bis 1956 bestehen.

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Vorschläge des Kulturbundes für die Entwicklung unseres Kulturlebens, in: ND vom 8.7. 1953. Emst Niekisch z. B. hatte innerhalb des Präsidialrates diese Darstellung als Ergebnis einer „irreführenden" und „gefährlichen Interpretation" der Vorgänge gewertet. - Vgl. Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 176. Noch auf späteren Sitzungen des Jahres 1953 wurde davor gewarnt, „,den Ernst' des 17. Juni allzu rasch zu vergessen" (ebd., S. 178). Vertrauliches Schreiben von Karl Kneschke, Bundessekretär, an Herrn Alimow bei Herrn Beburow im Apparat des Hohen Kommissars der UdSSR vom 13. Januar 1954. - SAPMO: KB-Archiv 491 GV. Vgl. Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 211. Allerdings hatte der Kulturbund bereits seit 1952 durch Ausgliederung der Künstlerverbände Tausende von Mitgliedern verloren (ebd. S. 209). Der neue Kurs, in: Dokumente der SED, Bd. 4, S. 475. Vgl. auch Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 177. Hierzu vgl. Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 180ff.

6

Institutionengeschichte: Das Beispiel der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft

6.1

Die DSF als Ergänzung zum Kulturbund: Aufgabenverteilung

Im Juni 1947 wurde die „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion" gegründet, zwei Jahre nach der Schaffung des „Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" unter Vorsitz von Johannes R. Becher. Die Gründung einer zweiten Gesellschaft ähnlicher Art mit nur zweijährigem Abstand läßt darauf schließen, daß sie ein anderes Profil bekommen sollte. Mehrfach grenzte der Kulturbund in Sitzungen des Präsidialrats seine Funktionen gegenüber denen des FDGB und der DSF ab. 1 Die Mitgliedschaft im Kulturbund galt auch in bürgerlichen Kreisen nicht als „anrüchig", während die Mitarbeit in der DSF als kommunistisches Engagement ausgelegt wurde. 2 Die DSF war nicht nur stärker ideologisch ausgerichtet, sie eihielt auch die Rückendeckung, um zu einer Massenbewegung ausgebaut zu werden. Während die Mitgliederzahlen des Kulturbunds seit 1949 nur zögernd anwuchsen, nahm die Größe der DSF gerade von diesem Jahr an sprunghaft zu, was zu einer Belastung des Verhältnisses zwischen beiden Organisationen führte. 3 Kulturbundpräsident Becher stellte gar angesichts der ihm „zu schaffen" machenden „prosperierenden DSF" die Frage nach der „Daseinsberechtigung" seiner Organisation. 4 Hans Mark, der erste Generalsekretär der DSF, wurde beschuldigt, dem Kulturbund Mitglieder abzuwerben. 5 Im Sinne des Systems gegenseitiger Überwachung wurde er auch von sowjetischer Seite gebeten, Auskünfte über die Tätigkeit des Kulturbunds zu erteilen. 6 Offiziell wurde hingegen die Konkurrenz verdeckt mit dem Hinweis auf die „geistige Verwandtschaft" und darauf, daß man einem gemein1 2 3

4 5

6

Vgl. ebd., S. 108. Stolze, Hungerjahre, S. 103. Um ein Beispiel zu nennen: Von September 1948 bis Dezember 1949 stieg die Mitgliederzahl beim Kulturbund von 140 657 auf 152 530, bei der DSF zwischen März und Dezember 1949 von 69 607 auf 655 203 Personen. - Vgl. Politische Parteien, S. 207. Auf einer Sitzung des Präsidialrates vom 13. Oktober 1949; zit. nach: Heider, Politik - Kultur Kulturbund, S. 107f. Vgl. Gespräch mit Hans Mark vom 7. 9. 1988. Willi Bredel sprach auf derselben Präsidialratssitzung vieldeutig von der „Blutspende"funktion des Kulturbunds gegenüber anderen Organisationen, wobei dieser selber „blutarm geworden" sei; zit. nach: Heider, Politik - Kultur - Kulturbund, S. 108. Brief der WOKS an Mark vom 5. 4. 1950. - GARF 5283/16/162.

Institutionengeschichte:

232

Das Beispiel der DSF

samen Ziel diene. 7 Tatsächlich war das Verhältnis zwischen beiden Organisationen jedoch wohl nicht spannungsfrei. In einigen Städten der SBZ hatten sich schon im Kulturbund Gruppen formiert, die sich mit russischer Kunst und Kultur befaßten. So wurde im Februar 1946 in Leipzig unter Beteiligung der SMAD, des Stadtrats und von Angehörigen der Universität eine „DeutschRussische Studiengesellschaft" innerhalb des Kulturbunds gegründet. Bis zu ihrer Auflösung nach der Etablierung der DSF im Juni 1947 fanden 16 gut besuchte Zusammenkünfte zu Themen aus der russischen und sowjetischen Kultur und Wissenschaft statt, die überwiegend von Leipziger Wissenschaftlern bestritten wurden. 8 Nicht immer waren diese Gruppierungen mit ihrer Überführung in die DSF einverstanden. So berichtete der Vertreter Thüringens auf der 2. Arbeitskonferenz der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion (September 1947): „Die Sektion ,Russische Kunst' beim Kulturbund in Suhl besteht nach wie vor. Der Kulturbund hatte sich am vergangenen Sonnabend zu einer Sitzung, die der Gesellschaft nicht bekannt war, zusammengefunden und beschlossen, die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion in Suhl nicht gründen zu lassen." 9 Andererseits mag das Gelöbnis enger Zusammenarbeit von Seiten des Kulturbunds nicht immer nur formell gemeint gewesen sein, entlastete ihn die DSF doch erheblich von ideologischer und propagandistischer Arbeit. Möglicherweise ist das Votum Johannes R. Bechers für die Gründung einer Freundschaftsgesellschaft, das er während einer Beratung mit Kulturvertretern im Frühjahr 1947 erhoben hatte, 10 im Sinne solcher Entlastung gemeint gewesen. Die Aufgabenteilung wird auf die Dauer den pragmatischen Interessen beider Organisationen gedient haben. 11 Die Doppelmitgliedschaft in der DSF und dem Kulturbund, die besonders die intellektuelle Prominenz einging, widerspricht dieser Veimutung nicht.

6.2

Die Leitung der DSF

6.2.1 Die Führungsspitze der DSF in den ersten Jahren Der erste Präsident der DSF war der Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Jürgen Kuczynski, erster Generalsekretär wurde Hans Mark. Bei der Rückkehr aus der englischen Emigration war Kuczynski als Wirtschaftsminister vorgesehen. Er wurde dann aber im November 1945 von einer „Spezialabteilung der sowjetischen Besatzungsmacht" beschlagnahmt, wie er selber schreibt, und obwohl Walter Ulbricht ungern einwilligte, mußte er zwei Jahre für diese Spezialabteilung arbeiten. 12 1947 wurde er zum Präsidenten der Gesellschaft vorgeschlagen. Als er einwandte, daß er kaum Russisch spreche, sagte Tjulpanow, der Leiter der Informationsverwaltung der SMAD: „Sie verstehen mich falsch, dies ist keine Bitte, sondern ein Befehl." 13 Die Wahl Hans 7 8 9 10 11

Freunde für immer, S. 103. Aus einem Kulturbund-internen Bericht. - SAPMO: KB-Archiv Nr. 228. Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 162. Vgl. Grünberg, Kumpel, Kämpfer, Kommunist, S. 299. Vgl. Ursula Kohrt, Entwicklung der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft im Kreisgebiet, Jahresarbeit Greifswald 1968, S. 9. Der Kulturbund habe im Unterschied zur DSF die Landbevölkerung nicht einbezogen. 12 Kuczynski, Dialog mit meinem Urenkel, S. 50.

Institutionengeschichte: Das Beispiel der DSF

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Marks zum Generalsekretär der Gesellschaft ging von der Partei aus. Mark sprach gut Russisch, da er mit 14 Jahren in die Sowjetunion gekommen war und dort noch am Sturm auf das Winterpalais teilgenommen hatte. 1923 kehrte er nach Berlin zurück und war später Gefährte Kuczynskis im englischen Exil. Mit dem Ausbau der DSF zur Massenorganisation erschien eine organisatorisch wirkungsvollere Gestaltung der politisch-ideologischen Arbeit dringlich. Zu diesem Zweck wurde 1949 Gottfried Hamacher als stellvertretender Generalsekretär und Leiter des neuzubildenden Organisationssekretariats in die Zentrale Leitung der Gesellschaft berufen. 14 Hamacher war als Armeebeauftragter des Nationalkomitees „Freies Deutschland" mit der Zweiten Belorussischen Front nach Mecklenburg gekommen, hatte dort als Mitarbeiter der Landesleitung der KPD und Leiter der Landesparteischule gearbeitet, bis er Sekretär des von ihm mitbegründeten Landesverbands Mecklenburg der DSF wurde. 15 1950 wurde noch Klaus Willerding, Absolvent und Assistent einer der Antifa-Schulen für deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion, der Hamacher bei der DSF in Mecklenburg ersetzt hatte, als Sekretär für Kultur und Schulung in die Berliner Zentrale geholt, so daß , jetzt die organisatorische und ideologische Festigung der Gesellschaft von der Zentrale her koordinierter durchgeführt werden" konnte. 16 Die Berufung Hamachers und Willerdings wurde jedoch nicht nur wegen der neuen Größenordnung der DSF als notwendig erachtet; sie ist auch ein Indiz dafür, daß das ZK der SED, dessen Personalabteilung die Stellenbesetzungen bei der DSF selbst leitete oder kontrollierte, mit der bisherigen Arbeit des Sekretariats nicht zufrieden war. Davon zeugt auch ein Beschluß des Kleinen Sekretariats der SED vom 24. Juni 1949, gemäß dem, nach Rücksprache mit Kuczynski, Hamacher zu jenem Zeitpunkt nicht nur Stellvertreter, sondern Generalsekretär werden sollte. 17 Mark war für die Verwaltung der Geschäftsabteilung (Finanzen, Hausverwaltung und Verlag) vorgesehen, was eine deutliche Herabsetzung bedeutet hätte. Warum dieser Beschluß nicht umgesetzt wurde, muß offen bleiben. Möglicherweise wurde der bestehenden Leitung im Zuge der Umwandlung der Gesellschaft in eine Massengesellschaft eine neue Bewährungsprobe angeboten.

13 Vgl. Gespräch mit Jürgen Kuczynski vom 5.9. 1988. Schriftlich niedergelegt hat Kuczynski allerdings eine konziliantere Version der Unterredung. Ihr zufolge hat Tjulpanow ihm die Frage gestellt: „Oder meinen Sie, daß sich die SMA in Ihnen täuscht?" (Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 151). Eine dritte Variante, die allerdings die anderen nicht ausschließt, findet sich in seinem im Zentralen Parteiarchiv aufbewahrten Bericht über die Anfänge der DSF. Dort wird folgendes Gespräch wiedergegeben: (K.:) „Sehen Sie, Genosse Tulpanow, [...] jedesmal seit meinem ersten Besuch 1930, wenn ich aus der Sowjetunion wieder abgereist bin, konnten meine Sowjetfreunde besser Deutsch, aber ich nicht besser Russisch." (T.:) „Das nenne ich wirklich uneigennützige Freundschaft." - SAPMO: ZPA EA 1638. 14 Vgl. Hamacher, Von der Studiengesellschaft, S. 642. Um die Einrichtung eines Sekretariats für ideologische Fragen bemühte sich Kuczynski vergebens. - Vgl. Dralle, Von der Sowjetunion lernen, S. 357f. 15 Vgl. Hamacher, Von den Anfängen, S. 837ff. 16 Hamacher, Von den Anfängen, S. 837. 17 Vgl. das vertrauliche Schreiben des Kleinen Sekretariats an Fred Oelßner vom 28.6. 1949. - SAPMO: ZPA IV 2/906/23.

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Institutionengeschichte: Das Beispiel der DSF

6.2.2 Jürgen Kuczynski und Hans Mark als Opfer der antisemitischen Kampagne 1950 forderte man Kuczynski endgültig auf, sich von seinem jüdischen Generalsekretär Hans Mark zu trennen, der dann zunächst beim Kulturbund Unterschlupf fand. Kuczynski, selbst Jude, hatte sich vor ihn gestellt und mußte daraufhin ebenfalls seinen Posten verlassen. 18 In seinem Rechenschaftsbuch „Dialog mit meinem Urenkel" schreibt Kuczynski darüber: „Plötzlich und ziemlich brutal wurde ich als Präsident der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft abgesetzt - wie auch mein Freund Hans Mark [...]. Sowohl Wilhelm Pieck als auch Walter Ulbricht bestellten mich jeder zu sich und erklärten mir, daß wegen der Größe der Organisation jetzt ein Mitglied des Politbüros, es war der Genosse Ebert, an ihrer Spitze stehen müßte [...]. In Wirklichkeit hatten bestimmte Vertreter der sowjetischen Besatzungsmacht - wie sowjetische Genossen mir später berichteten - einen anderen Funktionär an der Spitze gewollt." 19 Ursache war der sowjetische Antisemitismus, ein Antisemitismus, den vor allem die Berija-Fraktion vertrat, wie Kuczynski im Gespräch erläuterte. Gleichsam zur Bekräftigung dieser Ansicht schrieb das Akademiemitglied L.N. Iwanow, Teilnehmer an einer sowjetischen Delegationsreise in die DDR im April/Mai 1950 nach seiner Rückkehr: „Die zentrale Leitung der DSF erfoidert eine Verstärkung. In ihrer derzeitigen Zusammensetzung hat sie bei den Massen keine besondere Popularität und Autorität. Das betrifft vor allem den jetzigen Präsidenten der DSF Kuczynski. Der Vorsitzende einer solchen Gesellschaft muß seiner Nationalität nach unbedingt Deutscher sein, was Kuczynski nicht ist. Außerdem trägt er die Last vergangener politischer Fehler und zweifelhafter Verbindungen (mit früheren Trotzkisten usw.). Daher liegt der Wunsch, ihn durch eine andere Person zu ersetzen, völlig auf der Hand." 20 Als Verfehlung wird hier wahrscheinlich schon die Tatsache gewertet, daß Kuczynski die Emigrationsjahre in England verbracht hatte, was im Zuge der Säuberungswelle der späten 40er/frühen 50er Jahre Grund genug war für parteiamtliches Mißtrauen. Zahlreiche andere Remigranten aus dem westlichen Exil, zumal solche jüdischer Herkunft, waren von den inszenierten Anklagen existentiell bedroht.21 Aus dem Umfeld der DSF zählte Lex Ende zu den Betroffenen. Im Frühjahr 1949 wurde er, bis dahin Chefredakteur des „Neuen Deutschland", mit der Leitung der in Vorbereitung befindlichen populären Wochenzeitung der DSF „Friedenspost" betraut. 22 Dieser Wechsel ist sicherlich bereits als Degradierung zu werten. Am 28. Oktober 1950 hieß es in einem Schreiben der Redaktion der Zeitung an die WOKS: „Wir teilen Ihnen mit, daß Lex Ende gemäß Parteibeschluß aus der Partei und demzufolge auch aus der Redaktion der ,Friedenspost' ausgeschlossen ist." 23 Aus einem sechsseitigen engbedruckten Brief Endes an die Zentrale Kontrollkommission beim ZK der SED vom 23. August 1950 gehen die Gründe für seinen Parteiausschluß hervor, um dessen Revidierung er nunmehr bat. Auch hier spielte vermeintliches politisches Fehlverhalten während der Emigration (in Frankreich) die entscheidende Rolle. Direkte Kontakte zu dem Amerikaner 18 19 20

21 22 23

Vgl. Gespräch mit Jürgen Kuczynski vom 5. 9. 1988. Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 162. Rechenschaftsbericht vom 2 3 . 5 . 1950. - GARF 5283/16/152. Unter dem Begriff „Nationalität" versteht man im sowjetischen Sprachgebrauch Volkszugehörigkeit; er wird von der „Staatsangehörigkeit" unterschieden. Vgl. Kap. 4.1. Brief Hans Marks an die WOKS vom 2 3 . 4 . 1949. - GARF 5283/16/136. GARF 5283/16/161.

Institutionengeschichte:

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Field, der Schlüsselfigur für die konstruierten Vorwürfe, 24 wies Ende zurück, da diese aus der Illegalität heraus, in der er politisch tätig war, gar nicht möglich gewesen seien. 25 Nach seiner späteren Verhaftung mußte Ende in einem sächsischen Uranerzbergwerk arbeiten und starb nach wenigen Monaten. 26 Die antisemitische Kampagne nahm in der DDR mit Blick auf die Erfahrungen der jüngsten deutschen Geschichte und angesichts der offenen Grenze nicht die Ausmaße an wie der in der Sowjetunion seit Ende 1948 geführte Kampf gegen den „wurzellosen Kosmopolitismus" und den „jüdischen Nationalismus". 27 Die 1948/49 von der SED-Führung beschlossenen und seit 1950 nach stalinistischem Ritus durchgeführten Parteisäuberungen sowie die geplanten Schauprozesse wurden stets politisch mit Abweichungen von der herrschenden Parteilinie begründet. 28 Nach dem antijüdisch geprägten Prozeß gegen Slansky in der CSSR im November 1952 und im Zuge der „Entlarvung" einer (vermeintlichen) Verschwörung jüdischer Ärzte Anfang Januar 1953 in der Sowjetunion wurde der Ton schärfer, die Maßnahmen härter. Ideologische Aigumente wurden ins Feld geführt, um jüdische Parteifunktionäre politisch zu diskriminieren: „Ist es denn nicht eine Tatsache [...], daß die Juden zumeist kleinbürgerlichen Schichten entstammen, sozial nicht mit der Arbeiterklasse verbunden sind und überall im Westen Verwandte und Bekannte haben? Daher bilden sie für den Klassengegner sehr geeignete Ansatzpunkte, stellen einen Unsicherheitsfaktor dar." 29 Die Verhaftung der Betroffenen, aber auch die Durchsuchung von Büros der jüdischen Gemeinden war nur die letzte Konsequenz aus dieser, Analyse', welche schließlich in die Wiederauflage der Theorie von der (auch die DDR bedrohenden) internationalen jüdischen Verschwörung mündete. Diese wurde jedoch nicht etwa rassistisch begründet, sondern mit der Rhetorik des Klassenkampfes umgeben, indem man sie als Produkt des US-Imperialismus betrachtete, gesteuert und finanziert von .jüdisch-zionistischen Monopolkapitalisten". 30 Der rassistisch motivierte Antisemitismus war nach dem Ende des Dritten Reiches indes in der DDR keineswegs getilgt. Als 1946 als erstes gesellschaftswissenschaftliches Buch in der SBZ eine Arbeit von Kuczynski veröffentlicht werden sollte, übergab ihm der Cheflektor des Gewerkschaftsverlages das Buch mit der Bemerkung: „Mir scheint es taktisch falsch, als erstes das Buch eines jüdischen Autors herauszubringen." 31 Die Notwendigkeit derartiger Zugeständnisse wurde auch gegenüber sowjetischen Organen formuliert. In einem Leserbrief an die in Moskau herausgegebene Zeitschrift „Sowjetliteratur" moniert der Leser bzw. die Leserin (M. Wolf) nach einer Kritik an der Verschlechterung des publizistischen Teils der Zeitschrift, daß die deutsche Redak24 25 26 27 28

Vgl. Kap. 4.1. Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/1. Vgl. Hodos, Schauprozesse, S. 186. Vgl. Koenen, Mythus des 21. Jahrhunderts?, S. 175ff. Vgl. Weber, „Weiße Flecken" in der DDR-Geschichtsschreibung, S. 7ff. Hierbei spielte die Abspaltung Jugoslawiens innerhalb des kommunistischen Lagers und die daraufhin einsetzende Hetze gegen den „Titoismus" eine nicht unwesentliche Rolle. Die offene Grenze Berlins bremste zumindest das Vorgehen. Zu den einzelnen Säuberungswellen siehe auch Weber, Politische Säuberungen, S. 113 bis S. 128.

29

Diese Worte Fritz Reuters auf einer Sitzung des SED-Sekretariats 1952 gibt Heinz Brandt in seinen Memoiren (Ein Traum, S. 192) wieder. Vgl. Herf, Der Geheimprozeß, S. 14, und Otto, Zur stalinistischen Politik der SED, S. 133. Kuczynski, Durchsetzung der Freundschaftsidee, S. 673.

30 31

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Das Beispiel der DSF

tion „von einem gewissen Schejnman" geleitet werde. „Das ist aus bestimmten politischen Erwägungen heraus nicht gut. Er ist offensichtlich Jude, und das beeinträchtigt die Verbreitung der Zeitschrift in Deutschland, da dort noch viele Antisemiten sind." 32 Bereits 1949 mußte indes eine damalige Mitarbeiterin der Zeitschrift „Sowjetliteratur", die Germanistin Tamara Motyljowa, im Zuge der Kampagne gegen den Kosmopolitismus aufgrund ihrer jüdischen Herkunft die Redaktion verlassen. 33

6.2.3 Die Neubesetzung des Präsidiums und Sekretariats Neuer Präsident der DSF wurde im Juni 1950 Friedrich Ebert, zum Generalsekretär ernannte man Gottfried Grimberg. Daß mit Grünberg der bisherige Minister für Volksbildung im Land Mecklenburg in die DSF-Zentrale berufen wurde, unterstreicht die Bedeutung, die dem Sekretariat zugemessen wurde. Über seinen neuen Vorgesetzten schreibt Hamacher: „Mit Gottfried Grünberg erhielt die Zentrale Leitung einen erfahrenen Funktionär der Partei der Arbeiterklasse als Generalsekretär, der es verstand, das Sekretariat zu einer kollektiven Leitung zusammenzuschweißen." 34 Später ist auch Hamacher zeitweilig in Ungnade gefallen, wie die Retuschierung eines 1951 aufgenommenen Photos in einem 1952 publizierten Band beweist. 35 Das neue Führungsgremium sollte sich in späteren Rückblicken sehr abfällig über die in Berlin vorgefundenen Verhältnisse äußern. „Als ich meine Aibeit in Berlin aufnahm", so Grünberg, „gab es nichts, was ich hätte übernehmen können. Ein muffiges ehemaliges Fremdenzimmer, ein leerer Panzerschrank, das war alles." 36 Grünberg wollte die Konsequenzen ziehen, die sich aus der „verpflichtendefn] Namensänderung im Jahre 1949" ergeben hatten: das bedeutete für ihn einen Abbau der Statistikhörigkeit zugunsten des konkreten Erfahrungsaustauschs, um „zu einem engen Bruder- und Kampfbund der werktätigen Menschen unserer beiden Völker zu kommen", die Erweiterung der Parteileitung und Aufteilung des Sekretariats in verschiedene Abteilungen sowie die Verkleinerung des aufgeblähten bürokratischen Apparats. 37 Es ist bezeichnend, daß für die Neuwahl des Präsidenten eine außerordentliche Tagung des Zentralvorstands der DSF einberufen werden mußte. Kuczynski verblieb als „5. Vizepräsident 38 im Präsidium und setzte sich weiterhin verantwortlich ein. Dies brachte er auch in seinem Demissionierungsschreiben vom 21. Juni 1950 an die WOKS zum Ausdruck. 39 Der neue Präsident, Friedrich Ebert, begründete in seinem auf den folgenden Tag datierten Antrittsschreiben an die WOKS den Wechsel an der Spitze der Gesellschaft mit der Arbeitsüberlastung Kuczynskis, die ihn selber den Wunsch nach Rücktritt habe äußern lassen. 40 In einem „Lebensbild" Eberts werden demge32 33 34 35 36 37 38

39

April 1951.-RGALI631/26/1318. Gespräch mit Tamara Motyljowa vom 27. 6. 1989. Hamacher, Von der Studiengesellschaft, S. 649. Die beiden von Jens Gieseke ermittelten Photos sind wiedergegeben in: Deutsche Studien 112 (1990), 4. Umschlagseite. Grünberg, Kumpel, Kämpfer, Kommunist, S. 315. Ebd. So heißt es in einer Notiz von Horst Sindermann an Pieck und Grotewohl vom 16. 6. 1950. Es wurde dort sogar ein zeitlicher Rahmen, „bis zur nächsten Wahlperiode", vorgegeben. - Nachlaß Wilhelm Pieck, SAPMO: ZPA NL 36/733. Die Sitzung fand am 19. Juni 1950 statt. GARF 5283/16/161.

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genüber Mängel in der bisherigen DSF-Leitung als Gründe für die Ablösung angeführt, die der Kritik Grünbergs entsprechen: „zuwenig Arbeiter, fast gar keine Jugendlichen und keine Frauen" als Mitglieder, Fehlen „der notwendigen Verbindung des Zentralvorstandes zu den Betriebsgruppen der Gesellschaft, zu den demokratischen Parteien und zu den anderen gesellschaftlichen Organisationen". 41 Der Vorwurf der mangelnden Popularität und Autorität Kuczynskis bei den Massen, den auch L.N. Iwanow in seinem Delegationsbericht erhoben hatte, erscheint jedoch deswegen unhaltbar, weil Kuczynski noch die „Dokumente der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft 1950" ganz maßgeblich bestimmt und gestaltet hat, 42 während der neu gewählte Präsident eher im Hintergrund blieb. Generell wird in der Forschungsliteratur zum Thema immer wieder Kuczynskis ,,bedeutende[r] Anteil an dieser Bewegung" herausgestrichen,43 während Eberts Rolle weniger Beachtung findet. Immerhin war man auf sowjetischer Seite mit dem Erfolg der Amtsführung durch Ebert offenbar zufrieden. Als „bescheidenen Tribut unserer tiefen Verehrung und unserer freundschaftlichen Gefühle gegenüber dem würdigen Leiter der DeutschSowjetischen Freundschaftsgesellschaft" überreichte der Leiter der WOKS dem neuen DSFPräsidenten zum Jahreswechsel 1951/52 einen „Pobeda", d.h. ein Auto gehobener Kategorie. 44 Neben seiner Präsidentschaft, die er bis 1958 ausübte, blieb Ebert Mitglied des Politbüros des ZK der SED und Oberbürgermeister Berlins. Die Ämterverknüpfung gewährleistete, die Freundschaftsgesellschaft unmittelbar als ,Transmissionsriemen' für politische Zwecke einzusetzen.45 Der Funktionswandel der DSF wurde auch anhand der Vizepräsidenten sichtbar, die ausschließlich repräsentierende Aufgaben erfüllten. Als Vizepräsidentin wurde erst die Schriftstellerin Anna Seghers gewonnen. 1949 wurde dieses Amt wesentlich erweitert und neben Anna Seghers der Rektor der Humboldt-Universität Prof. Dr. Johannes Stroux und der Autor Willi Bredel, also weitere Angehörige der wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz gewählt. Außer den Genannten wurde jedoch auch dem Bestarbeiter Adolf Hennecke eine Vizepräsidentschaft übertragen und damit dem Engagement der DSF für die von der Politik vorgegebenen ökonomischen Zielsetzungen sichtbarer Ausdruck verliehen.

6.3

Zur Gründungsgeschichte der DSF

6.3.1 Gruppierungen im Vorfeld Schon kurze Zeit nach Kriegsende waren in einigen Städten der SBZ Zirkel entstanden, die sich wie die „Deutsch-Russische Studiengesellschaft" in Leipzig (bereits sieben Wochen nach Ein40 Ebd. 41 Voßke, Friedrich Ebert, S. 154. 42 Dokumente der DSF 1950. 43 R. Richter, Kultur im Bündnis, S. 19. 44 Brief Denissows an Ebert vom 19. 12. 1951.-GARF 5283/16/173. Aberauch diedeutsche Seite geizte nicht mit Geschenken. Dem stellvertretenden WOKS-Vorsitzenden ließ die DSF anläßlich seines Besuches in der DDR im November 1952 u. a. folgendes zukommen: 32 Bücher aus der Bibliothek fortschrittlicher deutscher Schriftsteller, eine Buchkassette mit Beiträgen zum sozialistischen Realismus (sicher ohne Ironie als Präsentation einer Errungenschaft), einzelne Monographien zu deutschen Autoren, wissenschaftliche Zeitungen, 21 Kataloge von Kunstausstellungen. - Vgl. GARF 5283/16/187. 45 Vgl. Ebert, Reden und Aufsätze.

Institutionengeschichte: Das Beispiel der DSF

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marsch der Roten Armee) 46 oder der 1946 ins Leben gerufene „Deutsch-Russische Kultur-Club" in Weimar mit der Sowjetunion und ihrer Kultur zum Ziel der Information und Verständigung befaßten. 47 Treibende Kraft bei der Gründung des Weimarer Klubs sei die Landesleitung der SED gewesen. Bewußt habe sie, so wird ihr Vorgehen interpretiert, ein Anknüpfen an die proletarische Freundschaftsorganisation der Weimarer Republik „Bund der Freunde der Sowjetunion" vermieden und statt dessen bündnispolitische Vielfalt angestrebt.48 Als Rednerin am Eröffnungsabend sprach die Gattin des Landespräsidenten, Frau Luise Paul, die eine politisch unverfängliche, herkömmlichen Rezeptionsmustem verpflichtete Zielsetzung umriß: „Wir wollen aus der Vermittlung der Kulturgüter Rußlands die russische Seele kennen und verstehen lernen."49 Namhafte Vertreter der Landesregierung, der Parteien und Massenorganisationen, mehrere Oberbürgermeister, Prominente aus Wissenschaft und Kultur konnten für den Klub gewonnen werden, so daß die SED-Landesleitung darüber „eine weitere Möglichkeit" erhielt, „auf Personen auszustrahlen [...], die einen großen Einfluß auf die öffentliche Meinung ausübten".50 Die genannten Zirkel bildeten zusammen mit den Anfang 1947 in 14 Ortsgruppen des Kulturbunds entstandenen „Sektionen für deutsch-russische Beziehungen" 51 die Keimzellen der „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion" 52 . Deren schwerfälliger Name erklärt sich daraus, daß der Chef der SMAD in Thüringen, Gardegeneralmajor Kolesnitschenko diese Bezeichnung in seiner Bewilligung der vom „Deutsch-Russischen Kultur-Club" beartragten „Gesellschaft für kulturelle Beziehungen zur UdSSR" benutzt hatte. 6.3.2 S M A D und SED als Initiatoren Die Gründung der Studiengesellschaft war Ergebnis genauen politischen Kalküls. 53 Anfang 1947 fand in Moskau eine Beratung zwischen führenden Vertretern von SED und KPdSU über Strategie und Taktik, politisch-ideologisches Vorgehen und die Umgestaltung der SBZ statt. Ein Thema war dabei die Überwindung antisowjetischer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung und deren Gewinnung für die sowjetische Außen- und Deutschlandpolitik zu einem Zeitpunkt, wo sich die ideologische ,Zweiteilung der Welt' zu manifestieren begann. 54 Die Eröffnung des - später der DSF übergebenen - „Hauses der Kultur der Sowjetunion" in Berlin am 28. Februar 1947 durch die SMAD und das prosowjetische Bekenntnis Johannes R. Bechers auf dem Ersten 46 47 48 49

50 51 52 53 54

Vgl. Goltz, Die Entstehung der Gesellschaft, S. 25. Vgl. Schönknecht, Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft, S. 735. Vgl. Meng, Zur Entwicklung der Landesorganisation, S. 98f. Lothar Dralle sieht die Initiative hingegen vor allem bei der SMA Thüringens. - Vgl. Dralle, Von der Sowjetunion lernen, S. 94. Thüringer Volk vom 1.8. 1946, zit. nach: Meng, Zur Entwicklung der Landesorganisation, S. 99. Später erhob Kolesnitschenko den Vorwurf, daß „die Klubleitung mit Luise Paul an der Spitze [...] darauf hinarbeitete, den Klub in einen geschlossenen Salon für eine ausgewählte Intelligenz zu verwandeln". - Kolesnitschenko, Im gemeinsamen Kampf, S. 110. Vgl. Gieseke, Von der Gesellschaft, S. 52. Meng, Zur Entwicklung der Landesorganisation, S. 101. Vgl. Schmidt/Schneider/Scholz/Simon, Zur Entstehung und Bedeutung der Gesellschaft, S. 135. Vgl. Mai, Die Gesellschaft, S. 859. Zu Vorplanungen der KPD-Führung für einen „Bund der Freunde der Sowjetunion", die bereits vor Kriegsende in Moskau unternommen wurden, vgl. Gieseke, Zur Entstehung der Gesellschaft, S. 77. Vgl. auch Dralle, Von der Sowjetunion lernen, S. 127f.

Institutionengeschichte:

Das Beispiel der DSF

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Bundeskongreß des Kulturbunds im Mai müssen im Rahmen dieser Orientierung gesehen werden. Im Mai und Juni folgten weitere Besprechungen zwischen hohen Offizieren der SMAD und SED-Politikern, in denen bereits konkret die Gründung einer dem Ziel der deutsch-sowjetischen Freundschaft dienenden Organisation beraten wurde. Von daher unterstützten SED und SMAD auch massiv die Bestrebungen der einzelnen Initiativkomitees, aus denen sich die ersten Landesgesellschaften entwickelten. Wenn es in einer Darstellung Joachim Mais heißt: „Auf Initiative von progressiven Wissenschaftlern, Künstlern und Studenten erfolgte am 30. Juni in Berlin die Gründung einer Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion'", 55 so ist dies ebenso formal wahr wie faktisch verhüllend. Die eigentlichen Gründerväter waren deutsche und sowjetische Politiker, 56 und unter ihnen wird als maßgeblicher Initiatior immer wieder Sergej Tjulpanow, Chef der Informationsverwaltung der SMAD, genannt. 57 Tjulpanow war Gastgeber der Gründungsversammlung und Redner auf dem 1. Jahreskongreß, wo er auch anregte, daß hohe Offiziere der Informationsverwaltung (seine eigene Mitgliedschaft eingeschlossen) der DSF beitreten sollten. 58 In der ersten Zeit galt es, als organisatorische Grundeinheiten Ortsgruppen ins Leben zu rufen. Ein spontanes Vorgehen war dabei allerdings nicht vorgesehen. Nadeshda Ludwig berichtete über ihren Wohnort Luckenwalde, daß auf einer Parteisitzung die Aufforderung erging, eine Ortsgruppe der DSF zu gründen. 59 Außerhalb der Vormundschaft durch die SED und der kontrollierenden Beobachtung seitens der SMAD war kein deutsch-sowjetisches Handeln möglich. Diesen Zusammenhang zwischen SED und Aufbau der DSF versuchten die Funktionäre allerdings nach außen hin zu verdecken. So heißt es in der Gründungsmitteilung, daß die DSF mit keiner politischen Partei verbunden sei. 60 Im November 1947 lehnte Kuczynski es als „falsch" ab, zum 30. Jahrestag der Oktoberrevolution eine gemeinsame Feier mit der SED zu veranstalten 61 und betonte nachdrücklich, „die Gesellschaft sei kein Propagandaorgan für eine Partei". 62 Vielleicht hatte auch der Beschluß der SED, für die DSF die juristische Form des eingetragenen Vereins vorzusehen, zum Ziel, gerade diesen Anschein zu wahren. 63 Die Losung der Überparteilichkeit wurde selbst in der russischsprachigen Tageszeitung für die sowjetische Besatzungsmacht „Sowjetskoje Slowo" ausgegeben. 64

55 56 57 58 59 60 61 62 63 64

Mai, Die Gesellschaft, S. 860. Ähnlich: Heller/Krause, Kulturelle Zusammenarbeit, S. 31. Daß die Gründung der DSF ein Ergebnis gemeinsamen Vorgehens von SED und SMAD war, hebt auch Voßke hervor. - Voßke, Über den Kampf der SED, S. 241. Gespräche mit Hans Mark vom 7. 9. 1988 und mit Jürgen Kuczynski vom 5. 9. 1988. Vgl. auch Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 151. Vgl. Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 15lf. Gespräch mit Nadeshda Ludwig vom 5. 9. 1988. TR vom 1.7. 1947. Vgl. Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 164. Ebd., S. 166. Vgl. Protokoll Nr. 86 (II) der Sitzung des Zentralsekretariats der SED vom 7. 6. 1948. - SAPMO: ZPA IV 2/21/205. Leitartikel „Obscestvopo izucenijukul'tury Sovetskogo Sojuza", in: Sovetskoe slovo vom 8. 10. 1947.

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Institutionenge schichte: Das Beispiel der DSF

6.3.3 ,Pioniere' der „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion" Während im Kulturbund auch die schwankende und zögernde Intelligenz versammelt war, scharten sich in der DSF von Beginn an die „politisch bewußten" Leute. 65 Die .Pioniere' der Gesellschaft bestanden vor allem aus Mitgliedern folgender drei Gruppen: erstens linke Intellektuelle, die der Sowjetunion und einer Veränderung im Sinne des Sozialismus gegenüber aufgeschlossen waren, zweitens bürgerliche Prominenz, Nazigegner, die aktiv am kulturellen Aufschwung teilnehmen wollten. Wenn letztere Verbindung zu der Besatzungsmacht suchten, geschah dies vielfach nicht so sehr aus politischen Gründen, sondern aufgrund eines wissenschaftlichen oder künstlerischen Interesses. Sie wollten eingesetzt werden und suchten deswegen nach einem Rahmen für eine entsprechende Betätigung. In diesem Sinne wandte sich der Schriftsteller Bernhard Kellermann am 23. Mai 1945 in einem Schreiben an den ersten Militärkommandanten der Stadt Berlin, Generaloberst Bersarin: „Als einer der ersten deutschen Männer beeile ich mich, Ihnen zu Ihrer aufopfernden Tätigkeit meine Dienste zur Mitarbeit anzubieten. Ein Menschenalter mit dem Studium der Mentalität des deutschen Volkes beschäftigt, glaube ich besonders in der Propaganda und im Rundfunk ersprießliche Arbeit leisten zu können in der Neuerziehung des deutschen Volkes [.. ,]." 66 Kellermann wurde erster Vorsitzender der Landesgesellschaft Brandenburg. Die dritte Gruppe bildeten ehemalige Mitglieder von Organisationen der Weimarer Republik, vor allem der „Gesellschaft der Freunde des neuen Rußland" (dies war eine Vereinigung der Intellektuellen) und des eher proletarischen „Bundes der Freunde der Sowjetunion" (der die Zeitschrift „Der drohende Krieg", ab 1930 „Freund der Sowjets" vertrieb), die in der neuen Gesellschaft sehr aktiv wurden. Wie schon beim „Deutsch-Russischen Kultur-Club" in Weimar (und beim Aufbau des Kulturbunds) verfuhr man bei der Stellenvergabe nach dem Prinzip, daß man als Repräsentationsfiguren meist Prominente zu gewinnen verstand; sie gehörten im Falle der DSF zwar überwiegend der SED an, aber ihr Rang im akademischen, literarischen und gesellschaftlichen Leben war meist unumstritten. Die stellvertretenden Vorsitzenden stammten oftmals auch aus anderen Parteien; da ihnen praktisch keine konkrete Amtsbefugnis zustand, wurden die Kreise der SED kaum gestört. Nur in einem Fall kam es zu einer heftigen Kontroverse, als der Berliner Bürgermeister Ferdinand Friedensburg (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Landesvorstands in Berlin, Kritik an der Feier des 30. Jahrestags der Oktoberrevolution und der Planung einer Gedenkveranstaltung zum 24. Todestag Lenins im Januar 1948 äußerte. 67 Friedensburg verließ die DSF (er wurde auch aus dem Kulturbund ausgeschlossen). Danach habe sich, teilte der Berliner Vorsitzende Steinitz im März 1949 mit, „die Arbeit unserer Gesellschaft ruhig und organisch entwikkelt". 68 Zu Vorsitzenden der einzelnen Landesgesellschaften wurden neben dem parteilosen Schriftsteller Kellermann (Brandenburg) gewählt: in Thüringen der Kartograph Prof. Dr. Hermann Haack, in Mecklenburg der Finanzminister Hans Gotthilf Strasser (LDPD), in Sachsen Ministerialdirektor Herbert Gute (SED), in Sachsen-Anhalt der Philosoph Georg Mende (SED) und in Berlin der Slawist Prof. Dr. Wolfgang Steinitz (SED). In der Regel waren es die Sekretäre,

65 66 67 68

Zur Zusammensetzung der Mitgliederschaft in der Anfangszeit vgl. Gespräch mit Hans Mark vom 7. 9. 1988. AdK: Archiv Bernhard Kellermann, Nr. 224. Vgl. dazu im einzelnen Gieseke, Von der Gesellschaft, S. 63f. Auf dem Wege zu einer Massenorganisation.

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die „den ideologischen Karren ziehen" mußten.69 So ist es nur konsequent, wenn in einem Brief der DSF-Zentrale an die WOKS vom 9. Januar 1948 als Ansprechpartner bei den Landesleitungen die Generalsekretäre angegeben wurden und nicht die Vorsitzenden.70

6.4

Organisationsstruktur und Mitgliederzahlen

6.4.1 Zum Aufbau in den einzelnen Landesgesellschaften Die Entwicklung der einzelnen Landesgesellschaften verlief höchst unterschiedlich, je abhängig von den vorhergehenden Initiativen. In Thüringen war durch die Tätigkeit des „Deutsch-Russischen Kultur-Clubs" der Boden so vorbereitet, daß schon am 13. Juni 1947 die Landesgesellschaft Thüringen ins Leben gerufen wurde, während Gründungsdatum der zentralen Gesellschaft der 30. Juni war. Laut Hamacher hat es dennoch noch Monate gedauert, bis die zentrale Leitung arbeitsfähig war, so „daß sich die Studiengesellschaften in den Ländern in der Anfangsperiode völlig auf sich gestellt und unabhängig voneinander entwickelten".71 Ein Bericht der Ländervertreter über die bisher geleistete Arbeit vom 18. August 1947 weist einen höchst unterschiedlichen Stand aus. Thüringen blieb führend. Dort waren schon bis zum August Presse und Rundfunk für die Werbung benutzt, bereits eigene Häuser oder besondere Räume durch das Entgegenkommen der SMAD in Besitz genommen und eine erste Broschüre „Staatswesen der Sowjetunion" gedruckt worden.72 Zusammen mit dem Kulturbund hatte man im Juli eine „Woche des sowjetischen Films" durchgeführt.73 Den Aufbau der Bibliothek hatte der Verlag der SMAD, der SWA-Verlag, durch bevorzugte Lieferungen von Neuerscheinungen unterstützt. Sogar eine eigene Zeitung „Licht vom Osten" wurde ab Mai 1948 vom Landesvorstand Thüringen herausgegeben.74 Neben Thüringen war Mecklenburg Vorreiter der deutsch-sowjetischen Freundschaft. Hamacher, Grünberg und Willerding, die später sämtlich in die Zentrale der DSF berufen wurden, forcierten hier, mit starkem Akzent auf der politischen Klärung, die Entwicklung, so daß 1948 Mecklenburg mit seinen Zahlen an Betriebsveranstaltungen und Besuchern „weit an der Spitze aller Landesgesellschaften stand".75 Der besondere Status Berlins zeigte sich auch bei der Entwicklung der DSF, die als „Organisation mit politischem Charakter" einen Zulassungsantrag bei der alliierten Kommandantur stellen mußte.76 Die Lizenz ließ auf sich warten. Prof. Steinitz, zum Vorsitzenden der Landesgesellschaft Berlin gewählt, erklärte noch im November 1947, „Vorsitzender einer nicht existierenden Gesellschaft"77 zu sein. Die Genehmigung wurde schließlich am 29. November erteilt.78 69 Gespräch mit Nadeshda Ludwig vom 5. 9. 1988. 70 Vgl. GARF 5283/16/137. 71 Hamacher, Von der Studiengesellschaft, S. 639. 72 Vgl. Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 155. Ausführlich und kritisch zu den Vorgängen um die Gründung der Landesverbände siehe Dralle, Von der Sowjetunion lernen, S. 100-116. 73 Vgl. Meng, Zur Entwicklung der Landesorganisation, S. 105. 74 Zu den weiteren regionalen DSF-Zeitungen vgl. Gieseke, Von der Gesellschaft, S. 178f. 75 Hamacher, Von den Anfängen, S. 845. 76 Zu der entsprechenden Verordnung der Alliierten siehe Kap. 3. 1.1.

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In der Anfangszeit war die Bindung an die SMAD sehr stark. Die Entwicklung der DSF in den einzelnen Ländern hing nicht zuletzt auch von der Unterstützung durch die jeweiligen sowjetischen Befehlshaber ab. Gardegeneralmajor Kolesnitschenko in Thüringen, der Kulturoffizier der SMAD für Mecklenburg, Hauptmann Bondarenko, und General Kotikow in Berlin etwa zeigten besonderes Engagement für die DSF. Euphemistisch wird in einem Rückblick festgestellt, daß sich die Offiziere der SMAD dort, wo nichts getan wurde, veranlaßt sahen, „von sich aus Vorschläge zu machen, die dann natürlich als ,Kommandieren' angesehen werden". 79 Der Begriff „Hilfe" faßt im Sprachgebrauch der DSF alle unterstützenden, aber auch eingreifenden und kontrollierenden Maßnahmen der Militärregierung zusammen. 6.4.2 Die Kulturhäuser der DSF Die SMAD finanzierte die Gesellschaft, bis sie sich durch Mitgliedsbeiträge und Zuschüsse von deutscher Seite trug. Sie wies der DSF auch die Gebäude zu, die seit 1947 als Kulturhäuser eingerichtet wurden. Muster dafür war das - 1950 der DSF übeigebene - Berliner Haus der Kultur der Sowjetunion, von dem die größte Wirkung ausging. Ihm entsprechend umfaßten diese Häuser meist eine Bibliothek, einen großen Vortrags- bzw. Filmvorführungssaal, kleinere Räume für Vorträge und die Studiengruppenarbeit, eine Gaststätte und Büroräume (die Häuser fungierten auch als DSF-Geschäftsstellen); zum Teil besaßen sie auch gesonderte Sitzungs- und Lesezimmer oder Ausstellungsräume. Die Gebäude waren, wo nicht Eigentum der DSF, angemietet. Ihre Beschaffung verlief nicht immer ohne Schwierigkeiten. So kam es offenbar vor, daß man, um überhaupt einen Standort zu finden, sich „in abgelegenen Bezirken beschränkte Räumlichkeiten [...] sichern" mußte, „die letzten Endes nur dem Bürobetrieb dienen"konnten. 80 Dank der Protektion seitens der SMAD stieg bis zu deren Auflösung Ende 1949 die Zahl der DSF-Häuser rasch an, von März 1948 bis März 1949 z.B. um knapp das Doppelte, von 26 auf 76. 81 Zudem waren sie zumindest teilweise in einem für die damalige Zeit ungewöhnlich guten Zustand, großzügig ausgestattet und genossen eine bevorzugte Versorgung. Zum Teil handelte es sich um historische Gebäude, wie z. B. das ehemalige großherzogliche Palais in Schwerin. 82 Dieser relative ,materielle Reichtum' konnte ein Vorteil sein, da er Anreize für die Zusammenkunft in angenehmer Umgebung bot, in bezug auf die Heranziehung von Arbeitern wirkte er sich aber wohl eher nachteilig aus. 83 Nach der Staatsgründung verlief der Auf- und Ausbau der Kulturhäuser 77 78 79

80

81 82 83

Vgl. Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 173. Auch die Bewilligung der Namensänderung verzögerte sich. - Vgl. Freunde für immer, S. 113. Vgl. IfZ: OMGUS, ODI 5/38-1/29. Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 174. Ausschnitte aus Protokollen von Zonen- und Landesversammlungen der DSF, in denen es um das Problem der Einflußnahme bzw. „Bevormundung" geht, bei Dralle, Von der Sowjetunion lernen, S. 244ff. Daß dies nicht sein dürfe, da die „in Aussicht genommenen künftigen Aufgaben" große Räume verlangten, wurde auf einer Sitzung im Generalsekretariat vom 9.2. 1950 festgestellt. Dort erging auch die Mahnung, „wilde Bauten" zu unterlassen und nur genehmigte Objekte durchzuführen. - SAPMO: Z P A I V 2/905/22. Vgl. SAPMO: AGDSF, A 7. Bisweilen wurden die ausgewählten Gebäude mit Hilfe eines „Propusk" kurzerhand beschlagnahmt. Gespräch mit Hans Mark vom 7. 9. 1988. Vgl. dazu im einzelnen Leopoldi/Garrandt, Ein Haus - zwei Traditionen, bes. S. 1 lff. Diese Vermutung äußert auch Gieseke, Von der Gesellschaft, S. 112.

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offenbar in etwas bescheideneren Bahnen und weniger zügig. So waren für das Jahr 1950 z.B. keine Investitionsmittel dafür vorgesehen. Man verwies für die Fortführung der Projekte auf „örtliche Möglichkeiten", worunter auch „Zuschüsse aus Betrieben und Gemeinden" fielen, und verlangte „grössere Schlichtheit" sowie „sparsamste Wirtschaft bei planvoller Gestaltung". 84 Möglicherweise waren auch fehlende Finanzen (und nicht nur Mängel im Verteilungssystem) dafür verantwortlich, daß abseits der Metropole Berlin zuweilen ein völlig unzureichender und z. T. veralteter Bücher- und Zeitschriftenbestand anzutreffen war, wie der WOKS-Bevollmächtigte Gussew auf einer Inspektionsreise zu den Kulturhäusern in Dresden, Chemnitz, Halle und Meißen vom 19.-22. Februar 1952 feststellen mußte. 85 Dies galt vor allem für russische Bücher und WOKS-Broschüren, die in einigen Fällen seit ein bis zwei Jahren nicht mehr geliefert worden waren. Hierunter mußte nicht zuletzt die Referententätigkeit leiden. Der Zentralvoistand und die Ländervorstände wurden aufgefordert, bei der Verteilung des von der WOKS zugesandten Materials die örtlichen Kulturhäuser stärker als bisher zu berücksichtigen. Auch die Personaldecke wurde als zu kurz befunden. Mangels ehrenamtlicher Helfer betrage die tägliche Arbeitszeit der Kulturhaus-Leiter, deren aufopferungsvoller Einsatz gelobt wurde, 12 bis 14 Stunden, und das bei äußerst schlechter Bezahlung (sie erhielten weniger als ein Instrukteur der Kreisleitung). Gussew schlug vor, sowohl die Gehaltsordnung dementsprechend zu überprüfen als auch für jedes Kulturhaus mindestens einen hauptamtlichen Organisationssekretär zusätzlich einzustellen. Es versteht sich beinahe von selbst, daß die Kulturhäuser in aktuelle politische Kampagnen einbezogen wurden. So wurden im Rahmen der von der DSF unterstützten Propaganda für die Volkskammer-Wahlen 1950 im Berliner Haus „Aufklärungsräume der Nationalen Front" eingerichtet, 86 ein weiteres Indiz dafür, wie sehr die Hinwendung zur Sowjetunion und das „nationale Interesse" eine funktionale Einheit bildeten.

6.4.3 Die Namensänderung 1949 Im Juni 1947 hatte die DSF 2000 Mitglieder, fast ausschließlich Angehörige der Intelligenz. Dies kann nicht überraschen, betrachtet man die soziale Zusammensetzung der zentralen Leitung und der Landesvorstände, in denen Minister, Wissenschaftler und Schriftsteller dominierten. Vor allem die Arbeiterschaft wurde durch den Namen „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion" eher abgeschreckt, vermutete sie darunter doch einen wissenschaftlichen Studienzirkel oder einen „Klub feiner Leute" 87 . Nicht ganz zu Unrecht, denn der Akzent lag, obgleich gegen den Willen der geistigen Gründungsväter, zunächst eindeutig auf den Begriffen „Studium" und „Kultur". 1949 äußerte Michael Tschesno-Hell, der sehr gut russisch sprach und über her84

Sitzung des Generalsekretariats vom 9. 2. 1950. - SAPMO: ZPA IV 2/905/22. Kuczynski hatte allerdings schon in einem Brief an die WOKS vom 30. 12. 1948 darauf hingewiesen, daß sich die DSF durch den Ausbau der (damals) etwa 50 Kulturhäuser (trotz Unterstützung durch die SMAD) stark verschuldet habe. - GARF 5283/16/139. Weitere Einzelheiten zu den finanziellen Schwierigkeiten, in die die DSF durch Beschaffung und Herrichtung der Kulturhäuser geriet, beschreibt Dralle, Von der Sowjetunion lernen, S. 199-207.

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Vgl. SAPMO: AGDSF, A 1085. Vgl. Petersdorf, Die Rolle der Gesellschaft, S. 150. Vgl. Neuer Weg. Zeitschrift für aktuelle Fragen der Arbeiterbewegung 8/1948, S. 24f.

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vorragende Kontakte zum sowjetischen Apparat verfügte, daß „die Frage Kultur nicht unbedingt anziehend für die Kreise der Werktätigen" sei und daß „die Frage der Freundschaft [...] nicht nur eine höhere Stufe der Verbundenheit [sei], sondern [...] ja mehr als Kultur" beinhalte. 88 Die sozialen Blockaden, die die Bezeichnung „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion" auslösten, waren wohl mit ausschlaggebend für die Namensänderung in „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft", die auf dem zweiten Jahreskongreß im Juni 1949 erfolgte. Ob die Umbenennung den sowjetischen Stellen von der DSF vorgeschlagen wurde, wieKuczynski schreibt, 89 ist nicht nachzuweisen, entbehrt jedoch nicht der Wahrscheinlichkeit. Denn in bezug auf psychologische Dispositionen und Reaktionen holten die Offiziere der SMAD oftmals den Rat ihrer deutschen Gewährsleute ein. In einem Telegramm an den Vorsitzenden des Ministerrates der Sowjetunion, I.V. Stalin, wird die Namensänderung bekanntgegeben und als Auftrag interpretiert: „Er [der Name] ist eine große Veipflichtung unserem Volk, den Iiteressen unserer Nation gegenüber - und zugleich eine große Veipflichtung gegenüber der Sowjetunion. Alle fortschrittlichen Deutschen werden diese Namensänderung, die die Vertiefung unserer Arbeit anzeigt, als einen entscheidenden Schritt vorwärts für unser Land in die Gemeinschaft der freien Völker betrachten. Alle fortschrittlichen Deutschen wissen aber auch, daß wir so weit nur kommen konnten durch die Hilfe, die uns die Rote Armee, die Sowjetbesatzungsmacht, die uns die Sowjetunion als Ganzes gegeben hat." 90 In einem ersten Schritt zur (organisierten) Einlösung der genannten Verpflichtung fanden im Anschluß an die Umbenennung in allen Ländern der SBZ Kundgebungen für deutsch-sowjetische Freundschaft statt, die von den Ortsgruppen der DSF durchgefühlt wurden. In einem internen Papier der DSF vom September 1949 ist vom „ausgesprochenen Massencharakter" dieser Kundgebungen und von einer „hundertprozentigen Erhöhung der Gesamt-Mitgliedschaft" die Rede. 91

6.4.4 Die Umgestaltung zur Massenorganisation Den politischen Hintergrund für die Namensänderung bildete die Transformation von Partei und Gesellschaft nach sowjetischem Vorbild. Indem die SED auf ihrer 1. Parteikonferenz im Januar 1949 die Umgestaltung der DSF zur Massenorganisation forderte, unterstrich sie ihren Führungsanspruch gegenüber der Freundschaftsgesellschaft auch nach außen. Die Äußerungen Jürgen Kuczynskis zum Plan einer Massenbewegung sind auf den ersten Blick ambivalent. Einerseits vertrat er auf der ersten Arbeitskonferenz der DSF (September 1947) die Auffassung, „daß unsere Organisation die breiten Massen erfassen soll" 92 und gab 1948 die Zielsetzung einer „demokratischefn] Massenbewegung" bei parallelem ,,akademisch-wissenschaftliche[m] Studium der Sowjetkultur" vor. 93 Andererseits sagte Kuczynski auf dem ersten Jahreskongreß der DSF im Mai 1948 einschränkend: „So sehr wir uns bemühen, eine große Anzahl Deutscher in unserer

88 89

Freunde für immer, S. 145. Vgl. Kuczynski, Aus den Anfangen, S. 151. Archivmaterialien zur Diskussion um die Namensänderung, die dem zweiten Kongreß vorausgingen, zitiert Dralle, Von der Sowjetunion lernen, S. 252ff.

90 91 92 93

Dokumente der DSF 1949, S. 27. „Unterlagen für die Antworten der Prägen des Z.S. der SED". - SAPMO: ZPA IV 2/906/148. Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 157. Kuczynski, Über einen Weg des Aufbaus deutscher Kultur, S. 11.

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Gesellschaft zu vereinen, so hüten wir uns doch davor, Menschen zu werben, von denen keine Mitarbeit bzw. kein Studium zu erwarten ist." 94 Und noch im Herbst 1948 nannte er gute Gründe für ein nur maßvolles Anwachsen der Gesellschaft: „Wir dürfen niemals vergessen, daß unsere Organisation in dem gegenwärtigen Moment nicht den Ehigeiz haben kann, viele Hunderttausende oder Millionen Mitglieder zu haben - wo es doch aufgrund des politischen und spezifisch-kulturellen Niveaus der deutschen Bevölkerung eine so hohe Anzahl von von den Zielen unserer Gesellschaft wirklich überzeugten Menschen nicht gibt." Als realistisches Ziel setzte Kuczynski bis zum Jahresende eine Mitgliedeizahl von 50000 an. (Zum Zeitpunkt der Berichterstattung waren es knapp 36 000). 95 Der scheinbare Widerspruch erklärt sich daraus, daß der Ausbau zur Massenorganisation für Kuczynski offenbar ein Fernziel war, das es Schritt für Schritt zu erreichen galt. In einem Brief an die WOKS-Leitung zum Jahreswechsel 1948/49, in dem Kuczynski über das bisher Geleistete Rechenschaft ablegt, gibt er an, daß zahlenmäßig zwar die Grundlagen einer Massenorganisation geschaffen seien, „aber die organisatorische Festigung ist noch ungenuegend". Als Gründe führt er den Kadermangel und technische Schwierigkeiten wie fehlendes Benzin und einen unzureichenden Materialvertrieb an. Bei seinem Ausblick auf die Pläne der Gesellschaft für das kommende Jahr bleibt Kuczynski bei seiner moderaten Linie: Gewinnung neuer Mitglieder, und zwar wie bisher durch Werbung und nicht auf korporativem Wege, da man wirkliche Sympathisanten und Aktive, aber keine Zwangsmitglieder gewinnen wolle. 96 Doch die politischen Interessen der SED gingen über solche Bedenken hinweg. Die Anstrengungen galten seit 1949 sowohl einer verstärkten Mitgliederwerbung als auch insbesondere der Gewinnung von Arbeitern zur Mitarbeit, obwohl Kuczynski auch hier gemahnt hatte, qualitative Überzeugungsarbeit vor quantitative Erfolgsbilanzen zu setzen. 97 Kuczynskis im Herbst 1948 geäußerter Vorbehalt, Besprechungen mit dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund wären nur dann „nützlich, wenn es sich darum handelte, Hunderttausende von Mitgliedern des FDGB in den nächsten Monaten für uns zu gewinnen" 98 (zur Zeit ginge es jedoch um die Gewinnung einiger zehntausend Arbeiter), wurde bald durch die von der SED bestimmte Praxis überholt. Die DSF wurde im System der Parteien und Massenorganisationen vernetzt, was durch die Eingliederung in die Nationale Front auch institutionell verankert wurde. 99 Inhaltlich verlagerte sich der Akzent von der Aufklärung über die Sowjetunion auf den ideologischen Kampf, das Bekenntnis zur Sowjetunion und die Mobilisierung der Werktätigen für den Plan. Kuczynski gab in seinem Rechenschaftsbericht auf dem 2. Jahreskongreß im Juni 1949 folgende Zahlen an. Sie werden mit einer Genugtuung vorgetragen, die nichts von den ein halbes Jahr zuvor vorgebrachten Bedenken spüren läßt: „Zählten wir in den fünf Ländern der Ostzone am 1. April 1948 nur etwa 20000 Mitglieder und in Berlin wenig mehr als 1000, so betrug die 94 Kuczynski, Unsere nationale Aufgabe, in: NG 5-6/1948, S. 2. 95 Vgl. die Halbjahrestagung des Vorstandes der „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion" am 25. und 26. 10. 1948. Stenographisches Protokoll. Rede des Präsidenten über Aufgaben und Arbeit unserer Gesellschaft in der gegenwärtigen Situation. - SAPMO: AGDSF, A 3; vgl. Kuczynski, Aufgaben und Arbeit, S . l l . 96 Vgl. GARF 5283/16/139. 97 Vgl. Halbjahrestagung des Vorstandes. - SAPMO: AGDSF, A 3. 98 Vgl. ebd. 99 Vgl. Gieseke, Von der Gesellschaft, S. 140f.

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Mitgliederzahl am 1. April dieses Jahres in der Zone 70000 und in Berlin nicht sehr viel weniger als 10000. Heute wird die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion weit über 100 000 Mitglieder haben." 100 Im November und Dezember 1949 wurde erstmals, in den folgenden Jahren regelmäßig, ein „Monat der deutsch-sowjetischen Freundschaft" durchgeführt. Bereits in dessen Vorfeld nahm die Mitgliederwerbung den Charakter einer breit angelegten Kampagne an, die ihren Höhepunkt während des Freundschaftsmonats erreichte. Dieser sollte „Auswirkungen zeitigen [...], wie sie bisher von keiner Kampagne, die von anderen demokratischen Massenorganisationen durchgeführt [wurde], gezeitigt wurden". 101 Die forcierte Öffentlichkeitsarbeit erfaßte alle Lebensbereiche vom Wohnort über die Ausbildungsstätte bis zum Arbeitsplatz und wurde von der Regierung über die gesellschaftlichen Institutionen bis hin zur Presse, unterstützt, wenngleich mit unterschiedlicher Intensität. Sie folgten dem Aufruf zum „Monat für deutsch-sowjetische Freundschaft": „Wir wenden uns an alle Parteien und Organisationen, uns bei der Stärkung unserer Gesellschaft, bei unseren Veranstaltungen, bei unserer Werbung, in unserem Bemühen, die deutsch-sowjetische Freundschaft zu vertiefen, in diesen Wochen zu helfen." 102 FDGB und Freie Deutsche Jugend (FDJ) wurden seit dem Herbst 1949 in die planmäßige Vergrößerung der DSF eingespannt, wobei der Gewerkschaftsbund zunächst nur wenig Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeigte. So wurde auf der zentralen Arbeitstagung der DSF am 19. September 1949 vom Landessekretär Mecklenburgs bemängelt, daß „einige leitende Funktionäre des FDGB" die Werbemaßnahmen der DSF aufgrund eigener Arbeitsüberlastung nicht unterstützen konnten bzw. wollten und Vorschläge zu deren Ausgestaltung blockierten. Die gerade in Mecklenburg 1948 noch sehr erfolgreiche Betriebsarbeit erfuhr offenbar unter der neuen Zielvorgabe einer Massengesellschaft zunächst einen Einbruch. In anderen Ländern waren ähnliche Vorgänge zu beobachten bis hin zur offenen Ablehnung von Seiten einiger FDGB-Funkticnäre, der DSF beizutreten. Die großzügige Geldspende des FDGB in Sachsen an die DSF in Höhe von 24000 Mark blieb offensichtlich ein Einzelfall. Das Verhalten des FDGB lief somit weitgehend der Planung der DSF zuwider, der gemäß „die Werbe-Kampagne in den VEB zum grossen Teil durch die VEB-Betriebsleitungen und die Gewerkschaften durchgeführt werden muss". 103 Offenbar versprach man sich davon einen größeren Erfolg, als wenn gerade im Anfangsstadium der Betriebsarbeit ausschließlich die DSF selber in eigener Sache aufgetreten wäre. Ein Eingreifen des Bundesvorstands des FDGB führte zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit und damit zur Gründung weiterer Betriebsgruppen. 104

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Dokumente der DSF 1949, S. 16. Protokoll über die zentrale Arbeitstagung am 19.9. 1949. - SAPMO: ZPA IV 2/906/148. Zu dieser Kampagne vgl. auch das Kapitel „Die Mitgliederkampagne (September bis Dezember 1949)" bei Gieseke (Von der Gesellschaft, S. 145-158). Dokumente der DSF 1949, S. 147. Protokoll über die zentrale Arbeitstagung am 19. 9. 1949. Vgl. „Kritische Einschätzung zum Abschlußbericht des ,Monats der deutsch-sowjetischen Freundschaft'", unterzeichnet vom Generalsekretariat der DSF. - Nachlaß Wilhelm Pieck, SAPMO: ZPA NL 36/733. Die Zahl der Neugründungen von Betriebsgruppen während des Freundschaftsmonats wird in einer Pressemitteilung zu seinem Abschluß mit 2 9 3 5 angegeben, was nahezu eine Verdoppelung gegenüber dem Stand vor seinem Beginn bedeutete (ebd.).

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Ausgesprochen positiv wurde die Kooperation mit der FDJ beweitet, die im Endergebnis zu einem hohen Anteil von Jugendlichen unter den geworbenen Mitgliedern (fast 40%) führte. 105 Über den Kulturbund und den Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) heißt es in der „Kritischen Einschätzung" Ende 1949 lapidar: „Ausser einigen örtlichen Unterstützungen sind von diesen Massenorganisationen keinerlei zentrale Anweisungen an ihre Organisationseinheiten und Funktionäre zur Mitarbeit am Monat der deutsch-sowjetischen Freundschaft ergangen." 106 Das Verhältnis zwischen der DSF und den bürgerlichen Parteien war ambivalent. Für die DSF erhöhte sich der Werbeeffekt, wenn sich Vertreter bürgerlicher Parteien öffentlich zur deutsch-sowjetischen Freundschaft bekannten. 107 Jedoch waren solche Auftritte offenbar der Eigeninitiative zu verdanken, denn insgesamt zeigten die bürgerlichen Parteien und ihre Untergliederungen keine Bereitschaft zur Beteiligung am Freundschaftsmonat. Zwar hatten CDU und LDP offiziell dazu aufgerufen, dies wurde von der DSF jedoch im Nachhinein als eine Taktik, Unterstützung „vorzutäuschen", interpretiert. 108 Publizistisch wurde die Werbekampagne u. a. durch eine Broschüre in Massenauflage mit Reden Stalins und durch Großplakate begleitet, von denen eines, dem erweiterten Selbstverständnis der DSF entsprechend, eine Abbildung von Stachanow und Hennecke enthielt. Dieses sollte zum Jahrestag der Hennecke-Bewegung am 12. Oktober herauskommen. 109 Der Rundfunk bot sich für Sondersendungen der DSF an. 110 Allerdings verliefen die Vorbereitungen zur Werbekampagne auch DSF-intern nicht reibungslos. Moniert wurde zumeist eine mangelnde Zentralisierung bei der Durchführung der Maßnahmen. Hierdurch komme es dazu, daß die „bisherige Arbeitsmethode [...] mehr oder weniger von Zufälligkeiten hergeleitet wurde", bzw. daß „Werbungsmethoden betrieben werden, die die Massen nicht ansprechen". 111 Positiv wurde hingegen das Beispiel Thüringens hervorgehoben, wo man „operativ" arbeite, indem die Untergliederungen jedes ihrer Schreiben an das Landessekretariat mit dem Stempel versahen: „Auf dem Wege zur Massenorganisation - neuer Mitgliederstand." Ebenso verpflichteten sich dort die Mitglieder des Arbeitsausschusses des Landesvorstands, Einzelpatenschaften über „schwache Kreise" zu übernehmen. Der Abschlußbericht weist folgende Erfolgsstatistik auf: Während der Mitgliederstand zum 30. Oktober 1949 293 370 betragen, sich also seit dem 2. Jahreskongreß im Juni knapp verdreifacht hatte, belief er sich nach dem Werbemonat auf 655 203, was mehr als das Doppelte der vorherigen Zahl ausmacht. 112 Auf einer Sitzung des Gesamtvorstands Anfang Januar 1950 wurde Lenins 80. Geburtstag am 21. April 1950 für das Erreichen der Millionengrenze festgesetzt. 113 105

106 107 108 109 110 111 112 113

Nachlaß Wilhelm Pieck, SAPMO: ZPA NL 36/733. Offenbar war die FDJ indes nicht gleichbleibend und überall zur Unterstützung der DSF bereit. Auf einer Sitzung im Generalsekretariat am 3.2. 1950, also nur kurz nach dem Freundschaftsmonat, hieß es, daß „in den meisten Ländern die Zusammenarbeit mit der FDJ sehr schlecht" sei. So sei in Mecklenburg z. B. die Abstellung eines „Jugendfreunds" in das Landessekretariat vom FDJ-Landesvorstand verweigert worden. - SAPMO: ZPA IV 2/906/23. Nachlaß Wilhelm Pieck, SAPMO: ZPA NL 36/733. Vgl. „Unterlagen für die Antworten der Fragen des Z.S. der SED". „Kritische Einschätzung zum Abschlußbericht des .Monats der deutsch-sowjetischen Freundschaft"'. Protokoll über die zentrale Arbeitstagung am 19. 9. 1949. Vgl. GARF 5283/16/141. Protokoll über die zentrale Arbeitstagung am 19. 9. 1949. Die folgenden Zitate ebd. Vgl. Dokumente der DSF 1950, S. 18. Vgl. Petersdorf, Die Rolle der Gesellschaft, S. 130.

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Die Orientierung an .revolutionären Daten' zur Erlangung bestimmter Ziele war ein Element des sowjetischen Modells und stellte einen besonderen Verpflichtungsdruck dar. Am Stichtag war die Million überschritten, 114 Anfang 1951 zählte die Gesellschaft bereits zwei Millionen Mitglieder. Auch die soziale Gliederung der Mitgliederschaft konnte mit der Neudefinition der DSF als Massenorganisation entscheidend verändert werden. Neben den Arbeitern waren zunächst auch andere Zielgruppen nur schwer zu erreichen. In den „Vorschlägen für die Arbeit der D S F ' vom Herbst 1949 machte man sich etwa auch Gedanken über die Hausfrauen. „Um auch die Hausfrauen zu gewinnen, und die bei ihnen oft sehr stark vertretenen antisowjetischen Stimmungen besser als bisher bekämpfen zu können, sollte die Gesellschaft auch mit den Konsumgenossenschaften enger zusammenarbeiten und deren Räume, Läden usw. für Propagandazwecke benutzen." 115 Besonders schwierig gestaltete sich die Überzeugungsarbeit auf dem Land. Hier wurden hauptamtliche Instrukteure vom Kreisvorstand eingesetzt, die die Grundeinheien betreuen sollten. „Sie organisierten Studiengruppen, Kulturgruppen, Vorträge und Buchbesprechungen und leisteten Unterstützung bei der Verbreitung und Anwendung neuer Anbaumethoden aus der sowjetischen Landwirtschaft." 116 Als besonders werbewirksame Maßnahme wurden im Jahre 1949 erste Lieferungen von Traktoren und Lastwagen aus der Sowjetunion organisiert, durch die man den Begriff der „freundschaftlichen Hilfe" seitens der Sowjetunion konkret erfahrbar machen konnte. 1950/51 war der Anteil der Arbeiter auf 45,55% gestiegen; Angestellte waren mit 30,58%, Landarbeiter mit 3,16%, Bauern mit 1,15%, Wissenschaftler und Künstler mit 0,59%, Studenten und Schüler mit 6,22%, Handwerker und Kaufleute mit 1,64%, Hausfrauen mit 5,79%, die technische Intelligenz mit 1,09%, Lehrer mit 2,47% und Rentner mit 2,75% vertreten. 117 Der sprunghafte Anstieg der Mitgliederzahlen war jedoch nicht schlechthin ein Erfolg der verstärkten Werbung und damit Ausdruck einer wirklichen Aufgeschlossenheit gegenüber der Sowjetunion. In offiziösen Darstellungen wird zwar ein kausaler Zusammenhang zwischen Parteibeschluß und Mentalitätsveränderung innerhalb der Bevölkerung suggeriert: „Im Ergebnis der Durchführung der Beschlüsse der 1. Parteikonferenz entwickelte sich in der Bevölkerung der damaligen sowjetischen Besatzungszone der Gedanke der deutsch-sowjetischen Freundschaft immer stärker". 118 Doch liegt der eigentliche Grund für den massenhaften Beitritt zur DSF wohl darin, daß die Mitgliedschaft - auch in den Schulen - mehr und mehr obligatorisch wurde, sie jedenfalls einen positiven Eintrag in den Kaderakten bewirkte. Sie galt als „Mindestmaß .gesellschaftlicher Aktivität'". 119 „In die Gesellschaft trat ein, wer sich dem Druck aller ihn umgebenden Organisationen und Institutionen beugte oder es aus Gründen persönlicher Aufstiegs- (und auch: Nicht-Abstiegs-) Wünsche für opportun hielt, sich zur Freundschaft mit der Sowjetunion zu .bekennen'." 120 Kollektive Übertritte und Selbstverpflichtungskampagnen wurden in der 114 Zu den Schwierigkeiten bei der Erlangung dieses Ziels vgl. Gieseke, Von der Gesellschaft, S. 162, Anm. 111. 115 GARF 5283/16/141. 116 Kohrt, Entwicklung, S. 10. 117 Vgl. GARF 5283/16/141. 118 Voßke, Über den Kampf der SED, S. 245. 119 Stichwort „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft", in: DDR Handbuch, S. 546.

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Expansionsphase zur Regel. Nur auf diesem Hintergrund sind solche Erfolgsmeldungen wie die zu verstehen, daß während des Freundschaftsmonats 1950 alle 322 Studerten der Greifswalder Arbeiter- und Bauernfakultät Mitglieder der DSF wurden121 und im selben Jahr alle Kumpel der Wismut in die DSF eingetreten waren.122 Insofern besagt der rasche Aufschwung noch nichts über das tatsächliche Engagement der Bevölkerung für die deutsch-sowjetischen Belange. Dies kommt auch in dem bereits zitierten Delegationsbericht von L.N. Iwanow zum Ausdruck, der die 1948 geäußerten Vorbehalte Kuczynskis de facto bestätigt: „Man muß auch berücksichtigen, daß das schnelle zahlenmäßige Anwachsen der Mitglieder der Gesellschaft manchmal ein zu formaler Voigang ist und, nach Auskunft lokaler Aktivisten der Gesellschaft, nicht immer von einer Überprüfung der Aktivitäten neuer Mitglieder begleitet wird. Viele von ihnen sind nur auf dem Papier Mitglieder."123 Einen werbenden Charakter hatten zweifellos auch von der DSF veranstaltete Wettbewerbe und Preisausschreiben, nicht zuletzt, da sie häufig mit nicht unbeträchtlichen Preisgeldern verbunden waren. 1.600 Einsendungen registrierte im Dezember 1951 (also während des jährlichen Freundschaftsmonats) ein künstlerischer Wettbewerb zur deutsch-sowjetischen Freundschaft.124 Über den Erfolg dieser Maßnahme gibt auch der Konsultant für die deutsche Literatur W. Steshenski in seinen für die Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands zusammengestellten „Materialien über Deutschland" Auskunft.125 Anfang 1952 bot ein großes Preisausschreiben die Gelegenheit, „die in den letzten Jahren erworbenen Kenntnisse über die Sowjetunion zu überprüfen und zu vertiefen. Preise im Werte von 10000 Mark sind für die richtigen Antworten ausgesetzt."126 Daß zwischen den - eindrucksvollen - statistischen Angaben und der Praxis ,vor Ort' oft eine erhebliche Diskrepanz bestand, geht auch aus einer Kritik an der Arbeit der Gesellschaft im Stahl- und Walzwerk Riesa hervor, die 1952 in der „Friedenspost" veröffentlicht wurde. Als die Jugendinstrukteurbrigade des Zentralvorstands nach Riesa kam, bot sich ihr ein wenig überzeugendes Bild: keine der 43 Abteilungs- und Schichtgruppen hatte einen arbeitsfähigen Vorstand; die DSF unterhielt nur eine Abendschule im Lehrlingswohnheim mit 45 Teilnehmern, dabei beließ man die Teilnehmer in dem Glauben, daß es sich hier um normalen Unterrichtsstoff und nicht um besondere Themen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft handelte. Der Bericht lastete dem Kreissekretariat mangelnde Zusammenarbeit mit dem FDGB, „eine völlige Verkennung der Aufgaben unserer Gesellschaft, die heute schon längst keine ,nur Kulturvereinigung' ist", ungenügende Kaderausbildung, die Abschreckung zurückgekehrter Landesschüler durch bürokratisches Verhalten und eine schlechte FDJ-Arbeit an. Die Jugendinstrukteurbrigade mußte fünf Tage lang anleiten.127 120 Gieseke, Von der Gesellschaft, S. 156f. 121 Vgl. Neuber, Zur Geschichte der Gesellschaft, S. 58. 122 Vgl. Koch, Die deutsch-sowjetische Freundschaft, S. 223. In anderen DDR-Beiträgen wird hingegen betont, daß die DSF im Unterschied zu den meisten anderen Freundschaftsgesellschaften dem Prinzip der individuellen Aufnahme und Mitgliedschaft folgte, den kollektiven Beitritt von Betrieben, Schulen, Hochschulen usw. somit ausschloß. - Vgl. Dittrich, Die Anfänge der Aktivistenbewegung, S. 145. 123 GARF 5283/16/152. 124 Dezember 1951. - Vgl. SAPMO: AGDSF, 447. 125 Materialy po Germanii Nr. 9-10, Juli 1952. - RGALI 631/26/308. 126 Friedenspost 2/1952.

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6.4.5 Zur Organisationsstruktur und Kaderfrage Auch in bezug auf die Organisationsform bildeten die Jahre 1947-1949 noch eine Art Orientierungsphase. In der Satzung, die 1949 verabschiedet wurde, ist folgende Struktur vorgesehen: Die Zentrale Gesellschaft gliedert sich in Landesgruppen; diese wiederum in Ortsgruppen und Wirkungs- bzw. Betriebsgruppen. Auf allen Ebenen gibt es einen Vorstand mit einem Vorsitzenden und einem Sekretär. Entsprechend hierarchisch verläuft die Durchführung von Mitgliederversammlungen der Ortsgruppe, Landesdelegiertenkonferenz und zentraler Delegiertenkonferenz. Der Vorstand der Zentralen Gesellschaft besteht aus mindestens 31 Personen. Er wählt aus seiner Mitte einen Präsidenten und drei Vizepräsidenten sowie den Generalsekretär.128 Nicht in der Satzung definiert sind die seit Anfang 1948 innerhalb der Ortsgruppen ins Leben gerufenen Studiengruppen, die sich zur Vertiefung des Wissens und zur Ausbildung von Multiplikatoren auf bestimmte Inhalte konzentrierten,129 sowie die ab 1948 beim Zentralvorstand gegründeten Sektionen, deren Aufgabe in der fachlichen Betreuung der Orts- und Betriebsgruppen bestand. Die Einrichtung von Betriebsgruppen war innerhalb der SED zunächst umstritten. Anfang März 1949 faßte das Politbüro der SED einen Beschluß, wonach „in den Betrieben [...] keine Betriebsgruppen der Gesellschaft gebildet" werden. Statt dessen sollten die Ortsgruppen Vertrauensmänner in die Betriebe entsenden, die in den dortigen Kulturkommissionen „Sitz und Stimme" haben sollten. 130 Dieser Beschluß wurde dem Generalsekretär der DSF mitgeteilt. In dem gleichen Sinne hatte Otto Grotewohl auf einer Sitzung des Parteivorstands geäußert, daß „als Organisationseinheiten im Betrieb nur noch die Partei und die Gewerkschaft zugelassen würden". Anfang August 1949 teilte Hans Mark dem SED-Abteilungsleiter Stefan Heymann mit, daß ein Brief von Walter Ulbricht bei der SMAD in Lichtenberg liege, „wonach das Politbüro keinen Beschluß gefaßt habe, Betriebsgruppen der Gesellschaft nicht zuzulassen". Diese den Fakten widersprechende Formulierung sollte offenbar nahelegen, daß der entsprechende Beschluß aufzuheben sei, was Mitte August 1949 auch geschah. Zu diesem Zeitpunkt existierten aber bereits einige hundert Gruppen. Die anfängliche Skepsis der SED gegenüber den Betriebsgruppen der DSF mag von der Furcht diktiert gewesen sein, ihre originäre Einflußsphäre, den Betrieb und damit die Arbeiterklasse', durch Organisationen ,verwässert' zu sehen, die zwar unter der Kontrolle der Partei standen, die personell und strukturell zu jenem Zeitpunkt aber, mehr noch als der FDGB, ein eigenständiges Profil hatten. Zudem war der erhebliche Widerstand, auf den die Agitationsversuche der DSF anfangs in den Betrieben stießen, nicht dazu angetan, das Vertrauen der SED in die DSF auf diesem Gebiet zu stärken, denn dieser Widerstand konnte gemäß der innerparteilichen Logik nur auf ,Fehler' der DSF zurückzuführen sein. Die im Sommer 1949 in Angriff genommene personelle und organisatorische Umstrukturierung, verbunden mit einer intensiven Referentenschulung, schien nun die 127 128 129 130

Werner Kruse: Das fünfte Rad am Wagen, in: Friedenspost 4/1952. Vgl. Dokumente der DSF 1949, S. 5 4 - i 2 . Vgl. auch A. Hartmann/Eggeling, Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 90f. Auf diesen Beschluß wird in einem Brief Stefan Heymanns an Walter Ulbricht vom 5.8. 1949 verwiesen. - SAPMO: ZPA IV 2/906/23. Aus diesem Brief stammen auch die folgenden Zitate zu diesem Komplex. Weitere Briefe zwischen DSF-Leitung und SED werden angeführt bei Dralle, Von der Sowjetunion lernen, S. 323ff.

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Basis dafür zu bieten, eine gezielte Betriebsarbeit durchzuführen. Das von der SED selbst gesetzte Ziel der Umwandlung der DSF in eine Massengesellschaft und der umfassenden Einbeziehung von Arbeitern ließ sich darüber hinaus am besten über die Propaganda am Arbeitsplatz erreichen. Nur hier, und kaum am Wohnort, waren massenhafte und kollektive Beitritte möglich. Dennoch sollte dem FDGB die Leitung und Koordination der Kulturarbeit im Betrieb überlassen werden. Ein zu großes Nebeneinander verschiedener Gruppierungen war der SED noch 1951 suspekt. Auf der „Konferenz der Abteilung Kultur über die Erfüllung des Fünfjahrplans auf dem kulturpolitischen Gebiet" hieß es leicht mokant: „Stellt Euch doch einmal vor, in Riesa, im Stahlwerk, gibt es eine Kulturgruppe der FDJ, eine Kulturgruppe der DSF und eine Kulturgruppe des Kulturbunds. Die Zusammenarbeit ist manchmal gut, aber manchmal auch nicht gut." 131 Anfangs agierten, wie skizziert, die einzelnen DSF-Gruppen in den Städten und Regionen noch relativ unabhängig voneinander, doch war von Beginn an die Tendenz zur zentralen Leitung erkennbar. So wurden die Landesorganisationen und Ortsgruppen schon 1947 zwingend dazu aufgefordert, von jedem Druckerzeugnis, auch von Plakaten, drei Exemplare und von jedem Vortragsmanuskript ein Exemplar der Zentrale vorzulegen. 132 Auch wurde das Einreichen von Arbeitsberichten und eine rechtzeitige Programmausarbeitung angemahnt. Allerdings fand solcher Zentralismus offenbar keine positive Resonanz. Hans Mark beklagte in seinem Tätigkeitsbericht für das Jahr 1948/49 die „Unregelmäßigkeit der Berichterstattung" und fehlende Kontrollmöglichkeiten. 133 Auch die Anfang 1949 als Gegenmaßnahmen eingeführten vorgedruckten Berichtsbögen brachten zunächst nicht die erhofften Resultate. Für August 1949 hätten, wie der stellvertretende Generalsekretär Hamacher monierte, nur zwei Landesgesellschaften, Mecklenburg und Thüringen, die Berichtsbögen,.richtig und pünktlich" abgeliefert. 134 Um die Berichterstattung künftig sicherzustellen, wurde der Bericht aus Mecklenburg den übrigen Landesgesellschaften als Muster zugesandt. Es sei falsch, „wenn die Landessekretäre annehmen, dass die Aufstellung und Ausfüllung der Berichtsbögen mit viel Arbeit verbunden sei". Denn durch die Einbeziehung der Kreis- und Ortsverbandssekretäre in das Berichtssystem verringere sich letztlich das Arbeitspensum der Landessekretäre. Seit 1949 wurden unter dem Stichwort der „ideologischen und organisatorischen Festigung" Maßnahmen zur rigiden Straffung der Organisation eingeleitet. In den Kommissionen, die im Rahmen des 2. Jahreskongresses der DSF tagten (Kommissionen für Mandatsprüfungen, Redaktionen, Wahl, Finanzen, Vertrieb, Statuten, Werbe- und Pressearbeit, Veranstaltungen, Studiengruppen und Organisation) gab es eine intensive Diskussion darüber, wie der Umgestaltung der DSF zur Massenorganisation Rechnung zu tragen sei. In einem internen Papier zur Entwicklung 131

SAPMO: ZPA IV 2/101/172. Auf der Konferenz der Kulturaktivisten der SED im Juni 1949 kam Ähnliches zur Sprache. Der Kulturobmann eines Betriebes aus Thüringen gab an: „Wir haben unter einer Kulturinflation gelitten, Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, Kulturbund, FDGB, und Volksbühne traten an uns heran, und der Arbeiter wußte nicht, wohin er zuerst und zuletzt gehen sollte." - SAPMO: ZPA IV 2/101/117. Und der stellvertretende Generalsekretär der DSF, Hamacher, klagte in den „Unterlagen für die Antworten der Fragen des Z. S. der SED" vom 1. Oktober 1949, daß die DSF in den Betrieben „immer noch als eine Veranstaltungskonkurrenzorganisation angesehen" und ihr dadurch „manches Hindernis in den Weg gelegt" werde.

132 133 134

Vgl. Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 154. Vgl. Auf dem Wege zu einer Massenorganisation. Protokoll über die zentrale Arbeitstagung am 19. 9. 1949. Das folgende Zitat ebenda.

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der DSF im III. Quartal 1949 135 wurde bereits vorgesehen, „die bis zur Jahreskonferenz bestehende Organisationsstruktur, in der viele Ortsgruppen selbständig arbeiteten, [...] durch eine bessere zu ersetzen". In allen Kreisen wurden Sekretariate gebildet, „die von sich aus gegenüber der zuständigen Landesleitung die Verantwortung für die unteren Organisationseinheiten tragen". Es wurde hervorgehoben, daß „der Kreissekretär in seiner jetzigen Funktion als der verlängerte Arm des Landessekretariats anzusehen ist und er gewissermaßen die Funktion eines Kreisinstrukteurs ausübt". 136 Der ideologischen Relevanz dieses Postens wurde durch die Weisung Rechnung getragen, daß die Kreissekretäre weder wirtschaftliche Aufgaben übernehmen noch eine Doppelfunktion als Kreis- und Ortssekretäre ausüben sollten. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit zur Einstellung neuer Kader. Die ordnungsgemäße Erfüllung der in den Kreisen anstehenden Arbeit wurde anfangs noch durch das Fehlen von Fahrzeugen behindert. 137 Erst nach der Einrichtung der Sekretariate wurden analog zu den Grundeinheiten und den Landesvertretungen Kieisvorstände gebildet, 138 d.h. im Falle der Kreise erhielt das ideologisch- operative Moment Vorrang vor dem repräsentativen. Schwierigkeiten hatte man mit der Besetzung der neuen Leitungen. Im Amtsdeutsch heißt es dazu, daß „die erforderlichen neuen Funktionäre für die vielen neu entstandenen Betriebs- und Ortsgruppen" nicht so rasch „entwickelt" werden konnten. 139 Es mußten nicht nur neue Kader herangezogen werden, darüber hinaus stellte sich heraus, daß etliche der bisherigen Funktionäre den veränderten Aufgaben nicht mehr gewachsen waren. Zahlreiche Posten (70% der hauptamtlichen 140 ) wurden durch Heimkehrer aus sowjetischer Gefangenschaft besetzt, die den Freundschaftsgedanken offensiv vertreten sollten. Aber auch dieser Prozeß verlief nicht reibungslos, so daß Anfang Oktober 1949 noch „ca. 40% der Kreissekretariate schlecht besetzt" waren und „unbedingt einer Auffrischung" bedurften. 141 Es ist sicher kein Zufall, daß der Aufbau von DSF-Schulen auf Landes- und Kreisebene zeitlich mit den Beschlüssen zur Umstrukturierung der DSF zusammenfiel. Eine Erfahrung konnten jedoch auch die Schulen nicht vermitteln. Im September 1949 wurde als „ein Hauptmangel innerhalb unserer Arbeit" betrachtet, „dass die Funktionäre, die an verantwortlicher Stelle die Hauptarbeit der Gesellschaft in den Ländern durchführen, bisher keine Gelegenheit hatten, die Sowjet-Union selbst kennenzulernen, um ihr eigenes Wissen zu bereichern". 142 Auch 1950 war die DSF zum großen Teil mit den Konsolidierungsproblemen befaßt und stets aufs Neue bemüht, „aus der Improvisation herauszukommen und die organisatorische und ideologische Arbeit nach einem Plan zentral zu lenken". 143 Den Bereich der Ideologie beanspruchte die Zentrale für sich, während sie Fragen der Organisation „auf den Landesmaßstab [...] verle135 136 137 138 139 140 141 142 143

Vgl. GARF 5283/16/146. Protokoll über die zentrale Arbeitstagung am 19. 9. 1949. „Kritische Einschätzung zum Abschlußbericht des .Monats der deutsch-sowjetischen Freundschaft'". Vgl. Hamacher, Von der Studiengesellschaft, S. 645ff. Vgl. die Rede Jürgen Kuczynskis auf der Tagung des Gesamtvorstandes der DSF am 3. 1. 1950. Dokumente der DSF 1950, S. 7. Vgl. W. Schneider, Der Kampf der SED, S. 290. „Unterlagen für die Antworten der Fragen des Z.S. der SED". Protokoll über die zentrale Arbeitstagung am 19.9. 1949. Bericht der Abteilung Kultur und Erziehung des ZK der SED über die Sitzung im Generalsekretariat der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft am 3. 2. 1950. - SAPMO: ZPA IV 2/906/23.

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gen" wollte. Die Kontrolle über die Einhaltung ideologisch relevanter Programmpunkte durch die Ortsguppen sollte mit Hilfe eines von diesen zu führenden Tagebuchs gewährleistet werden. Das engmaschige Berichts- und Tagebuchsystem verführte jedoch offenbar zu Glättungen und Beschönigungen und schmälerte somit die Verläßlichkeit der Angaben. 144 Auch beim Haushalt, bei den Investitionen und der Vermögensverwaltung sollte die „Finanzhoheit des Generalsekretariats" gegenüber „partikularistischefn] Tendenzen in den Ländern" sichergestellt und gemäß der schon genannten Arbeitsteilung verfahren werden. Darüberhinaus legte die Partei wert darauf, „daß das Risiko bei grösseren Veranstaltungen nicht von der Gesellschaft allein übernommen wird". Diese .Fürsorge' beinhaltet eine Klarstellung sowohl zum gewünschten Selbstverständnis der DSF als auch zu den Verpflichtungen der übrigen Kulturverbände, die sich nicht aus der Verantwortung für die deutsch-sowjetische Freundschaft stehlen dürften: „Die Gesellschaft hat kein Monopol für die deutsch-sowjetische Freundschaft, sondern hat dafür zu sorgen, daß alle Organisationen diese Aufgabe mehr in den Vordergrund rücken. Die engere Zusammenarbeit mit den übrigen Organisationen muss auch auf finanziellem Gebiet gesichert werden." 145 Parallel zu den Zentralisierungsmaßnahmen erwies sich auch eine Reorganisation der unteren Einheiten als notwendig. Im Frühjahr 1950 wurden die Orts- und Betriebsgruppen, die zum Teil zu unüberschaubarer Größe angewachsen waren (z. B. Leipzig mit 40000 oder die Buna-Werke mit 4000 Mitgliedern), in sogenannte „Zehnergruppen" unterteilt. Etwa gleichzeitg wurden „Aufklärungsgruppen" gebildet, die nicht auf Massenveranstaltungen auftreten sollten, sondern für „Mensch-zu-Mensch-Überzeugung" zuständig waren. 146 Zu Beginn des folgenden Jahres manifestierte sich die straffere Leitung z. B. darin, daß in allen Ländern und in Berlin Länderkonferenzen mit der gleichen Tagesordnung durchgeführt 147 und zentrale Arbeitspläne sowie monatliche Pflichtthemen als Diskussionsgrundlage für alle Grundeinheiten herausgegeben wurden. 148 Doch blieb die Kritik an der immer noch ungenügenden Organisationsstruktur trotz des Wechsels in der Führung konstant. „Großer Apparat, kleine Bewegung" - gemäß dieser ,,alte[n] sowjetischefn] Erfahrung" 149 betrieb Gottfried Grünberg als Generalsekretär seit 1951 ein Stellenkürzungsprogramm, um den ineffektiven Apparat zu verkleinem und das Wirken für die DSF von einer bezahlten Tätigkeit in ein ehrenamtliches Engagement zu überführen. Diese Maßnahmen standen im Widerspruch zu den bereits erwähnten Beobachtungen, die der WOKS-Bevollmächtigte 1952 anhand der Kulturhäuser traf. Er forderte gerade die Schaffung neuer Planstellen, um die allgemeine Arbeitsüberlastung einzudämmen. Erst Mitte der 50er Jahre galt aus der Sicht der DSF-Leitung der Konsolidierungsprozeß als vollends abgeschlossen. Gerade die Bemühungen um eine .schlankere' Verwaltung machen jedoch sinnfällig, daß sich die DSF letztlich mehr und mehr als Behörde verstand, die sich endgültig von der Spontaneität und dem ideenreichen Improvisieren der ersten Jahre abkehrte.

144 145 146 147 148 149

Vgl. die entsprechenden Klagen des WOKS-Bevollmächtigten gegenüber der Moskauer WOKS-Zentrale, s.u. Kap. 6.6. Bericht der Abteilung Kultur und Erziehung des ZK der SED über die Sitzung im Generalsekretariat der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft am 9. 2. 1950. - SAPMO: ZPA IV 2/905/22. Vgl. Petersdorf, Die Rolle der Gesellschaft, S. 137. Vgl. GARF 5283/16/174. Vgl. Petersdorf, Die Rolle der Gesellschaft, S. 132. Grünberg, Kumpel, Kämpfer, Kommunist, S. 319.

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6.4.6 Das Verhältnis von SED und DSF Das Verhältnis von DSF und SED war bei weitem nicht so eindeutig, wie es der beständige Einfluß der SED und personelle Verflechtungen vermuten lassen. Während die SED es sich leisten konnte, ihre Erwartungen an die DSF zu formulieren und auf deren Erfüllung zu bestehen, wurden Erwartungen der DSF an die Partei nicht selten nur abwartend entgegengenommen bzw. abschlägig beschieden. Die ideologische Kontrolle im allgemeinen wurde nicht immer von Unterstützung im Einzelfall begleitet. Formal wurde eine Verstärkung der konkreten Hilfe auf einer Sitzung des Zentralsekretariats der SED vom 7. Juni 1948 beschlossen. Ein entsprechendes Rundschreiben sollte an alle Landesverbände versandt werden. Weitaus zurückhaltender heißt es jedoch in einem anderen Beschluß derselben Sitzung: „Auf der nächsten Konferenz der Abteilung Parteischulung, Kultur und Erziehung soll zur Unterstützung der Gesellschaft Stellung genommen werden." 150 Immerhin sollte ein Artikel über die DSF in der SED-Funktionärszeitschrift „Neuer Weg" erscheinen. Personalfragen seien von den „leitenden Genossen der Gesellschaft gemeinsam mit den Abteilungen Personalpolitik und Parteischulung, Kultur und Erziehung zu regeln". Gerade auf diesem Gebiet gab es jedoch. Unstimmigkeiten, die sich besonders im Umfeld der arbeits- und personalintensiven Werbekampagne und des ersten Monats der deutsch-sowjetischen Freundschaft bemerkbar machten. Die Schuld an Engpässen bei der Bereitstellung von Kadern wies die DSF dem Parteisekretariat und dessen personalpolitischen Abteilungen zu. „In den wenigsten Fällen wurden für die unteren Organisationseinheiten Funktionäre, trotz wiederholten Bittens, zur Verfügung gestellt, und es gibt nicht wenige Fälle, wo gute Funktionäre der Gesellschaft durch die PPA's wieder abgezogen werden." 151 Als besonders gravierend sah die DSF die bislang nicht erfolgte Besetzung des Postens eines stellvertretenden Generalsekretärs für ideologische Fragen an. 152 Die SED-Führung betrachtete die Kaderprobleme der DSF von einem anderen Standpunkt aus. Als sich z. B. der designierte Chefredakteur der DSF-Wochenzeitung „Friedenspost", Lex Ende, wegen der Besetzung mehrerer Redaktionsstellen an Walter Ulbricht wandte, sagte der zwar einerseits „beste Leute" von den heimkehrenden Antifa-Schülern zu, gab hinsichtlich des Verlagsleiter-Postens jedoch zu verstehen, daß man aufhören müsse, „vom Parteiapparat Freunde anzufordern, sondern endlich beginnen [müsse], selbst Leute zu entwickeln". 153 Einer Bestätigung durch die Partei bedurfte es dabei jedoch allemal. Was die sonstige Unterstützung der DSF durch die SED betrifft, so wurde Anfang 1950 zwar vermerkt, daß sie „aktiver" geworden sei, aber dennoch gebe es untere Parteieinheiten, bei denen „das notwendige Verständnis für die Unterstützung der Gesellschaft nicht vorhanden war", 154 150

151 152

153 154

SAPMO: ZPA 2/21/205. Dort auch das folgende Zitat. Zahlreiche Belege zum nicht spannungsfreien Miteinander von Partei und DSF in den ersten Jahren bei: Dralle, Von der Sowjetunion lernen, Kap. 7.2. „Unterlagen für die Antworten der Fragen des Z.S. der SED". „Kritische Einschätzung zum Abschlussbericht des ,Monats der deutsch-sowjetischen Freundschaft'", unterzeichnet vom Generalsekretariat der DSF. Ein stellvertretender Generalsekretär für Organisationsfragen war im Sommer 1949 eingesetzt worden. So Lex Ende in einer „Aktennotiz für die Gesellschaft" vom 1. 6. 1949. - Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/6. „Kritische Einschätzung zum Abschlussbericht des ,Monats der deutsch-sowjetischen Freundschaft'".

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und in deren Sitzungen gerade während des Freundschaftsmonats die DSF „nicht behandelt wurde". Vielleicht wurde gerade bei der Arbeit ,vor Ort' der Konkurrenzfaktor von den jeweiligen SED-Funktionären stärker empfunden als in der Parteizentrale. Das Desinteresse einiger kleinerer SED-Ortsgruppen an der Arbeit der DSF wurde letztlich, im Oktober 1949, auch dafür verantwortlich gemacht, daß sich„in der Gesellschaft kleinbürgerliche Elemente einnisten und sie dadurch isolieren". Dies mache sich in solchen Fällen vor allem in der Programmgestaltung bemerkbar, bei der die Beschäftigung mit „schöngeistigen Dingen" überwog und das „Politische" gescheut wurde. Dies sei letztlich eine Art des ,,Zurückweichen[s] vor der gegnerischen Propaganda", da man sich ihr nicht stelle, sondern in die Defensive gehe. 155 Insgesamt wurden jedoch in diesem Punkt Fortschritte gegenüber den ersten Monaten des Jahres 1949 registriert. Auf Versuche, der SED die Schuld an Mängeln in der DSF-Arbeit zu geben, reagierte Ulbricht stets empfindlich. In bezug auf die Verbreitung des DSF-Wochenblatts „Friedenspost" ließ er in einer Sitzung des Kleinen Sekretariats vom 9. September 1949 verlauten, daß die DSF selbst „die Hauptkraft der Werbung darstellen muss, dass es nicht so kommen dürfe, dass man irgendwelche Untätigkeiten auf die SED abschieben möchte". 156 Ein aus der Sicht der DSF-Leitung gravierendes Versäumnis bestand allerdings darin, daß entgegen einem Politbüro-Beschluß das „Neue Deutschland" den ersten „Monat der deutsch-sowjetischen Freundschaft" im Unterschied zur „Täglichen Rundschau", aber auch zu den Landesorganen der SED, „nur ungenügend beachtet" habe. 157 Auf einer Sitzung des Parteivorstands der SED vom 2. und 3. Juni 1950, also gut zwei Wochen vor dem erzwungenen Rücktritt Kuczynskis als Präsident der DSF, beklagte dieser, daß die DSF, aber auch andere Massenorganisationen, in zwei wichtigen Parteidokumenten „vergessen" worden seien (in der Entschließung zum bevorstehenden Parteikongreß und im Entwurf für das Parteistatut).158 Kritisiert wurde von ihm ebenso der seiner Ansicht nach zu geringe Gesprächskontakt mit den „obersten Organen unserer Partei". Eine stärkere und konkretere Anleitung der DSF durch die Partei sei notwendig. Hinter dieser Position verbarg sich sicher auch der Wunsch nach Teilung bzw. Abgabe von Verantwortung für die Politik der DSF. Aufschlußreicher noch ist Kuczynskis Schilderung seiner vergeblichen Suche nach einer für die DSF zuständigen Abteilung innerhalb der Parteiführung. Fred Oelßner von der Kulturabteilung habe Kuczynski an die Abteilung „Massenorganisation" verwiesen, aber diese „lehnte ebenfalls die Verantwortung ab". Kuczynski nannte nicht den Zeitpunkt seiner Demarchen, jedoch ist es nicht auszuschließen, daß die Parteiführung ihn gleichsam hatte,auflaufen' lassen, um die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen dann als weiteren Beweis für seine Organisations- und Führungsschwäche geltend machen 155 156 157 158

„Unterlagen für die Antworten der Fragen des Z.S. der SED". Notiz Lex Endes vom 10. 9. 1949 über diese Besprechung. - Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/6. „Kritische Einschätzung zum Abschlussbericht des ,Monats der deutsch-sowjetischen Freundschaft'", unterzeichnet vom Generalsekretariat der DSF. Stenographische Niederschrift der 26. (46.) Tagung des Parteivorstands der SED am 2. und 3. Juni 1950. Dort auch die folgenden Zitate. Auf derselben Sitzung hatte allerdings zuvor Pieck in seinem Eingangsreferat der DSF-Leitung eine „relativ schlechte Arbeit" vorgeworfen. Bereits Anfang Februar 1950 wurde auf einer Sitzung im Generalsekretariat der DSF kritisiert, daß Vorschläge und Forderungen der DSF nicht in hinreichendem Maße in die Arbeitspläne der Partei aufgenommen worden seien. - SAPMO: ZPA IV 2/905/22.

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zu können. Die Absetzung Kuczynskis war zum Zeitpunkt der Parteivorstandssitzung offenbar schon beschlossen, denn Pieck setzte unzweideutig dessen Rolle bei der Werbung für die DSF herab und hielt Kuczynski Selbstüberschätzung vor: „Das Wachstum der Gesellschaft ist doch nicht etwa allein auf die Agitation des Genossen Kuczynski zurückzuführen oder einiger anderer Genossen! Das ist doch die Arbeit der Partei, daß sie den Massen begreiflich macht, welche große Bedeutung die Gesellschaft für die Freundschaft mit der Sowjetunion, also auch die Mitgliedschaft darin, für den Kampf um den Frieden hat." 159 Die Einsetzung von Politbüro-Mitglied Friedrich Ebert als neuem Präsidenten brachte eine intensivere Einbindung der DSF in die aktuelle Parteipolitik mit sich, was zu einem weiteren Verlust an Selbständigkeit führte. Den DSF-Hochschulgruppen z.B. wurden im wesentlichen reine Hilfsfunktionen, so bei der Übersetzung sowjetischer Beiträge oder bei der Information über Neuerscheinungen aus der Sowjetunion, zugesprochen. Die übergeordnete Aufgabe der Propagierung der Sowjetwissenschaft und -kultur sowie der Koordinierung von Kontakten, so heißt es in einem Papier des Sektors Wissenschaft und Hochschulen beim ZK der SED vom Herbst 1951, dürfe „nicht die ausschließliche Angelegenheit der Gesellschaft sein, sondern sie gehöre vielmehr zum Hauptinhalt der Tätigkeit der Partei sowie der FDJ, des Kulturbundes usw. Deshalb wäre es politisch falsch, eine eigene, nur oder hauptsächlich von der Gesellschaft getragene Tätigkeit zu entfalten. Es kommt im Gegenteil gerade darauf an, die FDJ wie auch den Kulturbund zu Trägern einer solchen Tätigkeit unter Führung der Partei zu machen. Die Aufgabe der Gesellschaft besteht gerade darin, die ständige und unmittelbare Stütze der FDJ usw. bei der Verbreitung der sowjetischen Kultur zu sein." 160

6.5

Programmatik und Konzeptwandel

6.5.1 Das Operieren mit einem doppelten Kulturbegriff „Zweck der Gesellschaft ist es, dem deutschen Volk die Kenntnis der kulturellen Grundlagen und Einrichtungen der Völker der Sowjetunion zu vermitteln. Dazu sollen insbesondere Veranstaltungen von Vorträgen und Diskussionen, Theater- und Konzertaufführungen, Filmvorführungen, Ausstellungen, Einrichtung von Bibliotheken, Bildung von Studiengruppen, Einrichtung von Klassen zum Erlernen der russischen Sprache und die Herausgabe von Veröffentlichungen dienen, die dem Gesellschaftszweck dienen." 161 Diese Zielsetzung, die in der vorläufigen Satzung der „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion" von 1947 niedergelegt ist, ist ganz im Sinne einer Studiengesellschaft gehalten, die sich ausschließlich mit kulturellen Angelegenheiten befaßt. Es war jedoch von Beginn an keine Vereinigung intendiert, die sich der sowjetischen, oder sogar ausschließlich der russischen Literatur und Kunst widmete. Tjulpanow hatte

159 160 161

Stenographische Niederschrift der 26. (46.) Tagung des PV der SED am 2. und 3. Juni 1950. - SAPMO: ZPA 2/1/80. SAPMO: ZPA IV 2/906/148. Auch in den Betrieben sollte ja die Leitung und Koordination der Kulturarbeit letztlich dem FDGB überlassen werden; s.o. Kap. 6.4.5. Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion. Tätigkeitsbericht, S. 4.

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bezüglich ihres politischen Kerns sowohl auf der Griindungsveisammlung 162 als auch auf der 1. Jahrestagung 163 deutliche Worte gesprochen. Oft wurde jedoch in der Anfangsphase vorsichtig taktiert und die politische Dimension stillschweigend eingebracht, indem ein weiter Kulturbegriff zugrundegelegt wurde: „Die Kultur eines Landes umfaßt sein ganzes Leben, das politische und wirtschaftliche, das künstlerische und literarische." 164 Im Tätigkeitsbericht, den die Gesellschaft im März 1948 vorlegte, wurde indes daraus eine unzweideutige Handlungsorientierung abgeleitet: „Die Gesellschaft muß eine klare Stellung zur Sowjetunion beziehen. Unsere Mitglieder übernehmen die Verpflichtung, gegen Verleumdungen und Hetze wirksam aufzutreten. Die Haltung zur Sowjetunion und zu ihrer Kultur, zu der Kultur der sozialistischen Gesellschaft, dient als Gradmesser für die Verbreitung des fortschrittlichen Geistes in Deutschland." 165 Aber auch späterhin wurde, aus taktischen Erwägungen heraus, noch mit zweierlei Kulturbegriffen operiert. Der engere sollte vermutlich der Pflege eines bestimmten Image und der Gewinnung derjenigen Bevölkerungsschichten dienen, die aufgrund von Heikunft und Werdegang der Idee der deutsch-sowjetischen Freundschaft reserviert gegenüberstanden. Um den Verdacht der Sowjetisierung und der Russenabhängigkeit zu entkräften, gab Kuczynski einer Broschüre den programmatischen Titel „Über einen Weg des Aufbaus deutscher Kultur". 166 Noch in der auf dem DSF-Kongreß von 1949 angenommenen Satzung ist eine Zielsetzung festgehalten, die sich fast vollständig mit der 1947 formulierten deckt. 167 Gleichzeitig kam jedoch verstärkt ein erweiterter Kulturbegriff zum Tragen, der mehr und mehr ökonomische Aufgaben und politisch-ideologische Maßnahmen aufnahm. Er spiegelt sowohl die verstärkte Ausrichtung auf die Sowjetunion, die den Charakter bedingungsloser Gefolgschaft annahm, als auch die Anbindung an die SED, zu deren Sprachrohr die DSF mit der Entwicklung zur Massenbewegung wurde. Kuczynski stellte in seiner Kongreßrede 1949 die Vorbildlichkeit der Sowjetunion auf den verschiedensten Gebieten des gesellschaftlichen Lebens heraus: „Es ist die Gesellschaft, für die Deutschlands größte Söhne, Marx und Engels, gearbeitet, die Lenin und Stalin geschaffen haben. Es ist die Kultur des Marxismus-Leninismus und der Stalinschen Verfassung; von Gorki und Fadejew; von Shdanow und Molotow, von Mitschurin und Lyssenko, von Pawlow und Wawilow; der Sanatorien für Millionen Arbeiter und der Paläste der Pioniere; des neuen Dorfes und der verwandelten Städte. Es ist die Kultur der fortschrittlichen Gedanken und der edelsten Gefühle. Das alles und vieles, vieles mehr ist die Sowjetkultur. Und diese Kultur, diese Friedenskultur zu studieren, ihren Inhalt, ihre Größe und Bedeutung unserem Volk nahezubringen, das ist die zentrale Aufgabe der Gesellschaft." 168 Indem hier Größen der sowjetischen Gesellschaftslehre und Politik, der Literatur und Naturwissenschaft sowie soziale und Zivilisationsleistungen genannt werden, wird in dieser Aufzählung der Anspruch der DSF erkennbar, kulturell, politisch und ökonomisch wirken zu wollen, und dies auf die Gesamtheit des ,Volkes' gesehen.

162 163 164 165 166 167 168

Vgl. das Sitzungsprotokoll vom 30. Juni 1947. - SAPMO: AGDSF, A 1. Vgl. TR vom 23. 5. 1948. Kuczynski, Über einen Weg des Aufbaus deutscher Kultur, S. 10. Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion. Tätigkeitsbericht seit der Gründung, S. 2. Kuczynski, Über einen Weg des Aufbaus deutscher Kultur. Vgl. Dokumente der DSF 1949, S. 54. Ebd., S. 19.

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Paradoxerweise führte jedoch gerade die enge Verzahnung mit der Politik der SED dazu, daß dieser Anspruch nicht immer eingehalten werden konnte und bestimmte Bevölkerungsgruppen zeitweilig als Adressaten der DSF-Arbeit außen vor blieben. So sollte nach der Verkündung des planmäßigen Aufbaus des Sozialismus in der DDR auf der 2. Parteikonferenz im Juli 1952 auch in der DSF der ,,große[n] Bedeutung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften" Rechnung getragen werden. 169 In diesem Sinne heißt es in einer Entscheidung des Sekretariats der DSF vom 6. Februar 1953, daß die Einzelwirtschaften keine Möglichkeiten der Anwendung neuer Techniken und wissenschaftlicher Ergebnisse böten und damit weder zur Ertragssteigerung noch zur kulturellen Entwicklung beitrügen. Knapp ein halbes Jahr später, am 19. Juni 1953, also kurz nach der Festsetzung des Neuen Kurses durch die SED, wurde in einem Rundschreiben der DSF an alle Bezirks- und Kreisverbände diese Haltung als „verhängnisvolle Überspitzung" bezeichnet. 170 Es sei ein „schwerwiegender Fehler" gewesen, bei der Arbeit auf dem Lande die Mehrheit der Bauern, nämlich die Einzelbauern, zu vernachlässigen und sich ausschließlich auf die LPGs zu konzentrieren. „Am Studium der sowjetischen Erfahrungen in der Landwirtschaft, an der Hebung des kulturellen Lebens im Dorf sind alle Bauern interessiert." Die nach dem Kurswechsel der SED erfolgte zeitweilige politische Rehabilitierung der Einzelbauern wurde somit konsequenterweise von der DSF mitvollzogen. Die erneut als Adressaten umworbenen Landbewohner konnten sogleich wieder in die Propagierung sowjetischer Anbau- und Viehzuchtmethoden einbezogen werden. Doch solch rasche Kurswechsel taten sicherlich der Glaubwürdigkeit Abbruch. 6.5.2 Die Freundschaft zur Sowjetunion als Bekenntnis In dem Maße, in dem von führenden Vertretern der SED ein „rückhaltloses Bekenntnis zur Sowjetunion" gefordert und die „gesicherte Zukunft des deutschen Volkes" von dem ,,richtige[n] Verhältnis der deutschen Arbeiterklasse zur Sowjetunion" 171 abhängig gemacht wurde, verschärfte sich auch die Programmatik der DSF. 172 Die 1949 festgeschriebenen „Hauptaufgaben" der DSF stellen die politisch-propagandistischen Erfordernisse ganz in den Vordergrund: „Unablässige Aufklärung über alle Probleme der Sowjetunion, ständige Zerschlagung der von den Kriegshetzern und ihren Agenten verbreiteten antisowjetischen Lügenmärchen. [...] Methodische Erziehung aller Mitglieder zu bewußten Freunden der Sowjetunion." 173 Der 3. Kongreß der DSF im Januar 1951 stand dann unter der vom Partei vorstand der SED vorgeprägten militanten Losung: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen." Bei der Gründungsversammlung war vier Jahre zuvor die Parole ausgegeben worden: „Durch Studium zur Wahrheit - durch Wahrheit zur Freundschaft mit der Sowjetunion". Im Wandel der Losungen zeigt sich die allmähliche Angleichung an das sowjetische Modell: Die Betonung der Schrittmacherfunktion der Sowjetkultur als der fortgeschrittensten Repräsentantin der Weltkultur genügte 169

170 171 172 173

So z. B. bei der Zusammenstellung der Delegierten zum 4. Kongreß der DSF. - Vgl. die „Richtlinien für die Vorbereitung des 4. Kongresses der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft in den Kreisverbänden und Grundeinheiten" vom Januar 1953, GARF 5283/16/187. Vgl. GARF 5283/16/188. Herrnstadt, „Über ,die Russen' und über uns", S. 3. Vgl. auch Kuczynski, Über einige Schwächen, S. 15. Dokumente der DSF 1949, S. 29.

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Anfang der 50er Jahre nicht mehr, als der forcierte Aufbau des Sozialismus - unter sowjetisch-stalinistischen Vorzeichen - beschlossen wurde. „Fortan erfolgte die ideologische Tätigkeit in 3 Hauptrichtungen: Nachweis des Aufstiegs der Sowjetunion zur führenden Weltmacht; Erläuterung der Bedeutung des engen Bündnisses zwischen der DDR und der UdSSR; Nutzbarmachung der Erfahrungen der Sowjetunion beim Aufbau des Sozialismus/Kommunismus." 174 Die Sowjetunion wurde zum unantastbaren Vorbild. Dies gilt sowohl für ihre geschichtliche Rolle der Sieg im Zweiten Weltkrieg wurde nahezu ausschließlich ihr zugeschrieben 175 - als auch für ihr Verhalten gegenüber Deutschland nach dem Krieg 176 sowie für ihre eigene Aufbauleistung und die Ausbildung des „neuen Menschen" 177 . Zwar hatte Paul Wandel auf dem 2. Jahreskongreß der DSF 1949 ein Selbstverständnis proklamiert, demzufolge man sich nicht den Wünschen oder Ideen anderer unterordnen und fremden Befehlen Folge leisten wollte, sondern aufgeschlossen sei für die kulturellen Leistungen aller Völker, um „von allen Bestes zu übernehmen". Mit einer gewissen Logik wurde jedoch ausgeführt, daß man sich allerdings besonders um eine Übernahme von Errungenschaften der Sowjetunion als der führenden Nation bemühe. Wandel legte Wert auf die Feststellung, daß der Aufbau in der SBZ sich ähnlich wie in der Sowjetunion vollziehen solle, aber nicht genauso. Wandels Begründung verweist jedoch, entlarvend genug, auf derzeit noch bestehende Ungleichzeitigkeiten, die man bald zu überwinden hoffte: „Nicht nur, weil wir unsere eigene nationale Kultur schaffen und nicht kopieren wollen, sondern auch, weil wir leider manches noch nicht so machen können, wie in der Sowjetunion." 178 Einige Jahre später waren solche Rücksichtnahmen nicht mehr nötig.

6.6

DSF und WOKS

Nach Gründung der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion wurde beschlossen, anknüpfend an die Tradition der Vorläuferorganisationen der 20er Jahre, die Verbindung zur WOKS wiederherzustellen. Offiziell wurden die Kontakte während der ersten Delegationsreise deutscher Schriftsteller und Künstler nach Moskau im April/Mai 1948 aufgenommen, an der auch DSF-Präsident Kuczynski teilnahm. 179 Die Vereinbarungen über Austausch und Zusammenarbeit wurden in freundschaftlicher Atmosphäre getroffen mit einem für Kuczynski unerwarteten Entgegenkommen seitens der WOKS. 180 Der Briefwechsel und der gegenseitige Materialversand verliefen jedoch keineswegs so störungsfrei, wie es der Gesprächsverlauf erwarten ließ. Es mußten zahlreiche Stationen durchlaufen werden. Die Postsendungen der DSF gingen in der Regel zunächst an die Kulturabteilung der 174 175 176 177 178 179 180

Stichwort „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft", in: DDR Handbuch, S. 546. Vgl. Dokumente der DSF 1949, S. 45f. Vgl. ebd., S. 47f. Vgl. Freunde für immer, S. 45f. Ebd., S. 53. Vgl. Gräfe/Kirsch, Die Beziehungen, S. 307. Zum Profil der WOKS siehe Kap. 5.2.5. Vgl. Kuczynski, Unsere nationale Aufgabe, S. 5.

260

Institutionengeschichte:

Das Beispiel der DSF

SMAD bzw. später an den WOKS-Bevollmächtigten, wurden dort mit Begleitbriefen und Stellungnahmen versehen und an die WOKS-Zentrale in Moskau weitergeleitet. Dort wurde dann die Verteilung an die Empfänger vorgenommen. Einzelpersonen und Institutionen außerhalb der DSF, die Kontakte zu sowjetischen Kollegen bzw. Einrichtungen knüpfen wollten, waren angehalten, ihre Korrespondenz über die DSF zu führen; eine Umgehung dieser Instanz, die gegebenenfalls als ,Filter' fungieren konnte, betrachtete die WOKS als unerwünscht. Die Antworten bzw. Anschreiben von sowjetischer Seite nahmen den umgekehrten Weg. Innerhalb der WOKS wurde jeder dort eingehende Brief von mindestens zwei bis drei verantwortlichen Mitarbeitern abgezeichnet, z. T. auch mit Randbemerkungen, Fragezeichen, ablehnenden Bescheiden versehen. Klagen über verspätete oder gar nicht eingetroffene Antworten und Sendungen waren somit gleichsam vorprogrammiert, wobei das jedoch durchaus nicht immer mit den geschilderten administrativen Bedingungen entschuldigt, sondern vom Briefpartner, oft gereizt, mit einer politischen Interpretation versehen wurde. Die ständige Ungeduld der WOKS, die immer wieder rasche Antwort auf ihre Sendungen anmahnte, wurde gleichsam ergänzt durch die ebenso stetigen Beschwerden der Stellen in Deutschland über die Schwierigkeiten der Korrespondenz. Die anfangs zögerliche und hindernisreiche Kommunikation zwischen der DSF und der WOKS spiegelt sich in den Briefen der jeweiligen Vorstände wider. In etlichen Schreiben, dieKuczynski im Verlauf des Jahres 1948 an das Vorstandsmitglied Kislowa richtete, zeigte er sich beunruhigt über fehlende Bestätigungen von Zeitschriften- und Broschürensendungen der Gesellschaft an die WOKS, über angekündigte, aber nicht eingetroffene Bücherpakete der WOKS, über nicht erfüllte Materialwünsche und unzureichende Belieferung der DSF-Bibliotheken. 181 Als Beispiel führt Kuczynski an, daß die stärkere Wendung zu den Betrieben, aber auch zu den Bauern mehr Material aus der Sowjetunion erfordere, und zwar „lebendige Schilderungen ganz konkreter Tatsachenbestände". So müsse es doch möglich sein, einmal Auszüge aus einer Taschkenter oder einer sibirischen Zeitschrift zu erhalten und konkrete Schulpläne statt immer nur allgemeiner Artikel über das Erziehungswesen zu bekommen. „Aber diese Wuensche sind schon so oft geaeussert worden und bei so vielen Stellen, dass ich sie eigentlich nur noch einmal aus Pflichtbewusstsein und nicht in der Hoffnung, dass sie erfuellt werden koennten, voibringe." Kuczynski beklagt „die voellige Einseitigkeit des Verkehrs von deutscher Seite mit der Sowjetunion ueber unsere Gesellschaft und WOKS." 182 Das sowjetische Schweigen sei letztlich viel schädlicher als die völlige Verbindungslosigkeit vor seiner Sowjetunion-Reise. Um der Notwendigkeit eines regelmäßigen Kontaktes Nachdruck zu verleihen, macht Kuczynski darauf aufmerksam, daß „Faschisten und Semifaschisten [...] jederzeit Kontakt zu den Westmächten" hätten und englische, amerikanische und französische Literatur frei nach Deutschland komme. 183 Die Konkurrenzsituation in Berlin ließ die Schwerfälligkeit des sowjetischen Apparats besonders auffällig und zur Belastung für diejenigen werden, die an dieser ,Front' zu arbeiten hatten. Frau Kislowa ihrerseits begründete den „relativen Aktivitätsmangel der WOKS Ihrer Gesellschaft gegenüber" mit mangelnden Informationen über Struktur und Arbeitsformen der DSF. 184 181

Ausführlicher dazu siehe A. Hartmann/Eggeling, Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 51 ff. 182 Brief vom 30. 12. 1948. - GARF 5283/16/139 183 Brief vom 6. 7. 1948.- GARF 5283/16/139. 184 Brief vom 9. 12. 1948. - GARF 5283/16/139.

Institutionengeschichte:

Das Beispiel der DSF

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Als Perspektive der künftigen Zusammenarbeit regt sie einen ständigen Meinungs- und Informationsaustausch in allen Fragen der laufenden Arbeit zwischen den Vorständen der Gesellschaften an und fordert von Kuczynski sowohl Angaben über seine Vorstellungen von der Hilfe, die die DSF von der WOKS erhalten möchte, als auch regelmäßige Arbeitsbilanzen unter Berücksichtigung der praktischen Verwertung und Ausnutzung der übersandten Materialien. Im Laufe des Jahres 1949 wurden auf Initiative der WOKS auch direkte Kontakte zu den Landesverbänden der DSF geknüpft, die daraufhin unmittelbar mit Zeitschriften, Vortragsmaterialien und Photos beliefert wurden. Diese Initiative der WOKS trug jedoch trotz einer von Kuczynski am 22. Oktober 1949 erwähnten Neuregelung des Postverkehrs insgesamt offenbar nicht zur Verbesserung der Kommunikation zwischen ihr und der DSF bei. So beklagte er sich noch am 12. Dezember 1949 bei dem Direktor der WOKS, Denissow: „Wir würden uns sehr freuen, wenn wir etwas über die Einschätzung unserer Arbeit hören könnten, wenn wir auch nur eine einzige Bestätigung all der Pakete, die wir an die WOKS senden, erhalten könnten, und wenn wir auch nur auf einen der zahlreichen Briefe, die wir über die WOKS an verschiedene Stellen in der Sowjetunion vermitteln, eine Antwort bekommen könnten." 185 Als ,Antwort' darauf reagierte die WOKS Anfang März 1950 mit dem Wunsch, einen unmittelbaren Kontakt zwischen den einzelnen Sektionen der WOKS und denen der DSF herzustellen, ein Anliegen, das schon zwei Jahre zuvor in Erwägung gezogen worden war. Insgesamt gewinnt man aus dem Briefwechsel zwischen Kuczynski und den führenden WOKS-Vertretern den Eindruck, daß den Beschwerden von deutscher Seite selten konkret entsprochen, sondern meist durch Initiativen entgegnet wurde, die den Anspruch der WOKS, treibende Kraft und Organisator des Kulturaustausches zu sein, hervorheben sollten. Auf einen Beschluß der Zentraleuropäischen Abteilung der WOKS vom Sommer 1949 hin wurde 1950 ein Bevollmächtigter (namens Gussew) in der DDR eingesetzt, 186 der die zuvor von der Kulturabteilung der SMAD und der SKK betreute Koordination des Briefwechsels und Materialaustausches zwischen DSF und WOKS übernehmen und deren regelmäßige Berichterstattungen über jeden Schritt in der Entwicklung der DSF und ihrer Kader fortführen sollte. 187 Er wurde 1951 sogar in die Leitung der DSF aufgenommen, was die Mißbilligung der WOKS-Zentrale hervorrief. 188 Offensichtlich wollte die WOKS bei aller begleitenden Kontrolle und Unterstützung der DSF keine Vermischung der Funktionen haben. Auf der Basis des von der WOKS erhaltenen Materials fertigte die DSF, die die Portokosten dafür zu tragen hatte, 189 in der Regel eigenes „Lehr- und Propagandamaterial" an. Im Sommer 185

186 187 188 189

GARF 5283/16/146. Diese Klagen wurden auch an die Mitglieder sowjetischer Delegationen weitergegeben, die die DDR besuchten, wie aus deren Rechenschaftsberichten für die WOKS hervorgeht. - Vgl. z. B. Mai 1950, GARF 5283/16/152. Vgl. GARF 5283/16/143. Vgl. Kap. 5.2.5. Die z. B. von A. Dymschitz verfaßten Rechenschaftsberichte sind allerdings im eingesehenen WOKS-Archiv nicht enthalten; vorhanden sind nur seine Begleitschreiben. Dies geht aus einer Randnotiz auf Gussews Brief vom 15. 6. 1951 hervor, in der es heißt, daß er „völlig unnötigerweise" Leitungsmitglied der DSF sei. - GARF 5283/16/170. Vgl. GARF 5283/16/170 und 172. Das Porto für die als Gegenleistung mehrmals pro Woche erfolgenden Büchersendungen der DSF nach Moskau wurde von der SMAD bzw. später vom WOKS-Bevollmächtigten übernommen. (Der Postweg in diese Richtung verlief, wie in etlichen Anschreiben der WOKS nachzulesen, ebenfalls nicht störungsfrei.)

262

Institutionengeschichte:

Das Beispiel der DSF

1952 z.B. betrug die Gesamtauflage dieser Schriften 600000, wovon 80% an die Untergliederungen gingen. 190 Allerdings stellte Gussew in seinen regelmäßigen Rechenschaftsberichten an die WOKS noch bis 1953 Verteilungs- und Auswertungsmängel fest. Gegenüber den statistischen Angaben, die von der DSF geliefert wurden, verhielt er sich sehr zurückhaltend. So schrieb er am 4. Februar 1952 an die WOKS-Zentrale zum Stand der DSF am 1. Januar 1952, daß die aus den Länderabteilungen der DSF eingehenden Berichte oft nicht den tatsächlichen Zustand der Arbeit der DSF widerspiegelten. Ähnliches hatte er schon am 24. Januar 1952 in bezug auf die Verwendung des WOKS-Materials geäußert („Ungenaues Bild"). 191 Jedoch hat offenbar nicht zuletzt die im Rechenschaftsbericht für das 1. Quartal 1952 angekündigte Reorganisation der Auslandsabteilung der DSF zur besseren Verteilung des WOKS-Materials und zu gezielteren Nachweisen geführt. 192 Allerdings bedurfte es auch bei der DSF mehrerer Anläufe dazu, denn bereits am 20. Oktober 1950, nicht lange nach dem Wechsel des DSF-Vorstands, waren „Richtlinien für die einheitliche Gestaltung des Systems der Verwertung der von der WOKS zugesandten Materialien" aufgestellt worden. 193 Die Schwerfälligkeit dieser Bezeichnung macht die Schwerfälligkeit des gesamten, nach außen hin mit dem Siegel spontaner Freundschaft versehenen Beziehungsgefüges sinnfällig.

6.7

Publikationsorgane: Fallstudie „Friedenspost"

Mit dem Ziel, die Arbeit der DSF durch die Herausgabe von Büchern, Broschüren und Zeitschriften zu unterstützen, wurde 1947 der verbandseigene Verlag „Kultur und Fortschritt" gegründet. Hier erschien wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Literatur, hauptsächlich über die „Errungenschaften der Sowjetunion"; hier veröffentlichten unter der Rubrik „Politik und Zeitgeschehen" 1948 deutsche Autoren ihre Eindrücke über ihre Delegationsreise nach Moskau und Leningrad, dieselbe Rubrik vereinigte auch Beiträge zum „Friedenskampf; und hier kam auch die Sowjetliteratur in deutschen Ausgaben zu Wort, ebenso wie die sowjetische Literaturkritik und -Wissenschaft. 194 Produkte des Verlages waren auch die von Ende 1947 bis 1953 bestehende Monatszeitschrift „Die Neue Gesellschaft", die umfassende Einblicke in die Kultur und die Gesellschaft der Sowjetunion vermitteln sollte, sowie die 1948 ins Leben gerufene Zeitschrift „Sowjetwissenschaft", die in ihren verschiedenen, in den Folgejahren gebildeten Reihen (Naturwissenschaft, Gesellschaftswissenschaft, Literatur- und Kunstwissenschaft) ausschließlich Übersetzungen von Forschungsergebnissen aus der Sowjetunion enthielt. Als weiteres Presseorgan der DSF sind die ab 1950 erscheinenden „Mitteilungen" zu nennen, die, wie Kuczynski am 20. April 1950 der WOKS-Leitung schrieb, zur Festigung der Organisation, vor allem in „den Tausenden von Betrieben, in denen wir jetzt Gruppen haben", und zur Überwindung der Schwierigkeiten bei „der gründlichen Bearbeitung und Erziehung der Mitglieder" gedacht waren. 195 Näher unter-

190 191 192 193 194 195

Bericht des WOKS-Bevollmächtigten vom 7. 8. 1952. - GARF 5283/16/186. GARF 5283/16/182. Vgl. Schreiben vom 14. 5. 1952. - GARF 5283/16/186. Vgl. SAPMO: AGDSF A 1199. Vgl. A. Hartmann/Eggeling, Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 73-77. GARF 5283/16/161.

Institutionengeschichte:

Das Beispiel der DSF

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sucht wird im folgenden das von DSF und SED als ideologisch besonders relevant eingestufte, ebenfalls im Verlag „Kultur und Fortschritt" publizierte Wochenblatt „Friedenspost". Der Plan zur Schaffung einer Wochenzeitung nahm im Frühsommer 1949 Gestalt an. Sie sollte, so heißt es in den Zielsetzungen, „kein enges ,Verbandsorgan' der Gesellschaft, sondern eine Massenzeitung werden, die in der Lage ist, in die Schichten der Peripherie einzudringen. Sie soll bewußt Kurs nehmen auf Aktivisten und Jugendliche, selbstverständlich auch auf die Mitglieder der Gesellschaft, als Transmissionsriemen in die Massen." 196 Die geplante Auflagenhöhe lag bei 300000 bis 400000. Die Einrichtung dieser Zeitung war offenbar notwendig geworden, da die DSF-Monatszeitschrift „Die Neue Gesellschaft" ihrem Charakter nach eher eine Quelle für Studiengruppen und gebildetere Schichten und damit nicht „jedermann" zugänglich war. 197 Kuczynski charakterisierte in einem Brief vom 1. Juni 1949 an Alfred Kurella, der zu jenem Zeitpunkt noch in Moskau lebte und den er als dortigen Korrespondenten gewinnen wollte, ausführlich das Zeitungsprojekt: „Alle Probleme der Sowjetunion, das tägliche Leben, Wissenschaft, Kunst, Literatur usw. sollen in diesem Blatt auf lebendige Weise daigestellt werden. Die Popularisierung der Außenpolitik der Sowjetunion ist eine Hauptaufgabe. Der Kampf gegen den Antisowjetismus wird einen breiten Raum einnehmen und operativ geführt werden. 198 Die Zeitung - von Deutschen für Deutsche geschrieben - wird selbstverständlich unsere deutschen Probleme mit denen der Sowjetunion und der Volksrepubliken verbinden. Sie wird die in Deutschland wachsende Ostorientierung fördern und auf diesem Gebiete auch alle diejenigen Deutschen zur Mitarbeit heranziehen, die aus ihren nationalen Erwägungen heraus mit uns zu den gleichen außenpolitischen Auffassungen gelangen. Der Grundtenor der Zeitung wird sein: Freundschaft und dauerhaften Frieden mit der Sowjetunion als Voraussetzung der Befriedung ganz Europas." Kurella selber sei „der ideale Moskauer Korrespondent für dieses Blatt, das in ganz Deutschland Verbreitung finden soll". 199 Am gleichen Tag wandte sich Kuczynski an das Vorstandsmitglied der WOKS, Kislowa, mit der Bitte um Materialsendungen für die Zeitung und um Einrichtung einer Hilfsredaktion in Moskau. „Die ernste Arbeit, die wir uns vorgenommen haben, wenn wir nicht einfach ,eine Wochenzeitung mehr' schaffen wollen, macht gerade bei diesem Blatt die konkrete Hilfe von der Sowjetunion her unbedingt erforderlich." 200 Diesem offiziellen Schreiben gingen Besprechungen mit Vertretern der WOKS, des RadioKomitees, des Sowinformbüros und der Zeitschrift „Sowjetliteratur" voran, die der designierte Chefredakteur Lex Ende in Moskau geführt hatte und in denen ihm die Hilfe dieser Organisationen zugesagt worden war. 201 In der Redaktion und als ständige Mitarbeiter sollten vor allem 196 197 198

199 200 201

GARF 5283/16/143. Zum Profil der Zeitschrift „Die Neue Gesellschaft" vgl. A. Hartmann/Eggeling, Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 77-82. In einem späteren internen Papier der DSF vom 15. 8. 1949 wird in diesem Kontext auch der Kampf „gegen die angloamerikanische Kriegspolitik" genannt (Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/6), der jedoch einen geringeren Raum als die UdSSR-bezogenen Themen einnimmt. GARF 5283/16/143. Ebd. Vgl. Endes Brief an Kislowa vom 15. 5. 1949 - Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/6. Die von Kuczynski vorgeschlagene Nominierung Endes sei von S. Tjulpanow ausdrücklich begrüßt worden, wie Kuczynski in einem Brief an das Kleine Sekretariat vom 13. 4. 1949 betonte. - Vgl. Dralle, Von der Sowjetunion lernen, S. 354.

264

Institutionengeschichte:

Das Beispiel der DSF

Absolventen der Antifa-Schulen eingesetzt werden, da zur Popularisierung der Sowjetunion „solche Freunde, die selbst längere Zeit in der SU waren, natürlich von großem Interesse" seien. 202 Das Kleine Sekretariat beim ZK der SED wurde von Kuczynski gebeten, durch entsprechende Beschlüsse eine angemessene personelle und technische Ausstattung der Zeitung sicherzustellen. 203 Dieses Beispiel zeigt anschaulich, welche Wege ZK-Beschlüsse nehmen konnten. „Von unten" bereits weitgehend vorformuliert (Kuczynskis Schreiben enthält sechs detaillierte Vorlagen 204 ), passierten sie, soweit keine Einwände bestanden, die Parteiführung, um (erst) dann am gewünschten Ort wirksam werden zu können. Die Zeitung sollte 12 Seiten umfassen (später waren es nur noch acht) mit folgender Aufteilung: S. 1 und 2: Eine in sich abgeschlossene, „mit grossen Zeichnungen illustriert[e]" Novelle der Sowjetliteratur oder aus einer der Volksdemokratien. Mit der Konzeption, an die erste Stelle einen literarischen Beitrag zu setzen, wollte man sich von anderen Wochenzeitungen wie „Der Start" und „Der Sonntag" absetzen. 205 S. 2: Unter dem Titel „Rede und Antwort" sollte „irrtümlichen oder durch Lügen entstandenen Auffassungen über die Sowjetunion" entgegengetreten werden. S. 3: Aktualitäten, Moskauer Korrespondenz, aktuelle Kommentare. „Eine sehr lebhaft gemachte politische Seite, wo fortschrittliche Neuigkeiten aus der Sowjetunion und den volksdemokratischen Ländern Erscheinungen und Tatsachen aus westlichen Ländern gegenübergestellt werden." S. 4: Ideologie, Politik, Schulung. S. 5: „Die Auswahl", Sammlung von Kurzauszügen aus Artikeln in- und ausländischer Zeitungen oder Reden. S. 6 und 7 (Innenseiten): Literatur, „kleines Feuilleton", Bibliographie. S. 8: „Nichts als Tatsachen", eine regelmäßige Zusammenstellung von Tatsachenmaterial aus der Sowjetunion, von Auszügen aus Dokumenten, Zitaten usw., als Plakat für Betriebswandzeitungen geeignet; Leserbriefe und Diskussionen mit der Bevölkerung. S. 9: Technik, Erfindungen, Agronomie, Biologie, Wissenschaft (die „Seite für Aktivisten"). S. 10: Inserate und Antworten auf Fragen verschiedener Art über das sowjetische Leben, eventuell Briefe aus der Sowjetunion. S. 11: „Kleine Zeitung"; Radio, Film, Theater, Sport, Schach, Rätsel. S. 12: Karikaturen, Glossen (eigene und aus sowjetischen oder volksdemokratischen Zeitungen entnommene), politischer Humor, ebenfalls zum Ausschneiden und Aufkleben vorgesehen. Die Aufstellung entspricht dem geplanten sowohl populären als auch enzyklopädischen Charakter der Zeitung. Die im Brief an Kurella angesprochene Verbindung der deutschen Probleme mit denen der Sowjetunion schließt ein, daß sämtliche auf den ersten Blick innersowjetischen Themen stets auf ihre Übertragbaikeit auf deutsche Verhältnisse hin gelesen werden sollten. Interessant sind die verschiedenen Namensvorschläge, die außer dem letztlich gewählten Namen unter den Planern diskutiert wurden und die zwischen betont unprogrammatischen einerseits und 202 203 204 205

Brief Endes an Henschke von der Personalabteilung der „Einheit" vom 1 . 6 . 1 9 4 9 . - Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/6. Brief Kuczynskis an das Kleine Sekretariat vom 22. 7. 1949. - Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/6. Den vollen Wortlaut siehe Dralle, Von der Sowjetunion lernen, S. 354. Vgl. die zentrale Arbeitstagung der DSF-Leitung mit den Landessekretären am 19.9. 1949. Dieser Konzeption entsprach auch der vorgesehene Erscheinungstag, Freitag, also der Beginn des Wochenendes. Eine Erzählung am Anfang signalisierte Entspannung und zielte damit auf eine größere Bereitschaft zur Aufnahme der folgenden politischen Informationen und Berichte. Der Plan für die „Friedenspost" wie auch die folgenden Namensvorschläge sind enthalten in GARF 5283/16/143.

Institutionengeschichte:

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richtungsweisenden andererseits oszillieren: „Die Wende", „Die Stunde", „Heute und Moigen", „Ostsüdost", „Das Fenster", „Fenster der Freundschaft", „Echo von Ost", „Neuer Tag", „Hand in Hand", „Welt von heute", „Der kluge Deutsche", „Friedensbotschaft", „Die Begegnung", „Die Woche". Die Wahl des Namens „Friedenspost" spiegelt die seit 1949 zu beobachtende massive Beteiligung der DSF am „Friedenskampf' wider. 206 Die regelmäßige Konfrontation der deutschen Leser mit dem „friedlichen Aufbau" in der Sowjetunion sollte, neben der zu vermittelnden Vorbildrolle, die Überzeugung von der Sowjetunion als „Garanten des Friedens" festigen. Die erste Nummer ist dementsprechend zum Weltfriedenstag am 2. Oktober 1949 erschienen. Voraus gingen massive Werbemaßnahmen, „die in ihrem Umfang so gross sind, wie sie in den letzten 3 - 4 Jahren nicht aufgewendet wurden". 207 Zwei Millionen Postwurfsendungen für die Ostzone und Prospekte für „fast alle Haushalte im Ostsektor" sollten eine möglichst große Zahl von Abonnenten gewinnen. Ein „wirkungsvolles Plakat in 2 Grössen" war in einer Auflage von 100000 bzw. 200000 für „sämtliche Anschlagstellen in der Zone" vorgesehen. Die Bezifferung geplanter Anschlagstellen zeugt von der beinahe ins Groteske gesteigerten Akribie, mit der die Maßnahmen betrieben wurden (z.B. Sachsen: 6395, Ostsektor Berlin: 1453, Thüringen: 946). Das Plakat sollte darüber hinaus „an Bauzäunen, in Verwaltungsdienststellen, Ladengeschäften unter besonderer Berücksichtigung der Konsum- und HO-Verkaufsstellen sowie an Verkehrsmitteln, die uns zugänglich sind," angebracht werden. Hier waren die Kreis- und Ortsgruppenleitungen gefragt. Für den Stichtag 2. Oktober mußte gewähiieistet werden, daß die Zeitung „schlagartig unter die Massen kommt und auch breitesten Widerhall dort finden wird". Ließ sich die „schlagartige" Verbreitung noch mit rein technischen Mitteln bewerkstelligen, so mußten bei der Organisation von Widerhall schon die für totalitäre Systeme spezifischen Einwiikungs- und ,Überzeugungs'mechanismen vorausgesetzt werden. Dazu gehörte auch, daß die Zeitung eben nicht nur massenweise „in allen Kiosken, auf allen Bahnhöfen, in allen Buchhandlungen" vertrieben und per Post an die Abonnenten versandt, 208 sondern auch in Betrieben und MAS angeboten wurde, wo der Effekt der gesellschaftlichen Kontrolle' über Erwerb oder Nichterwerb (ebenso wie über Eintritt oder Nichteintritt in die DSF) entscheidend zum Tragen kam. Am ersten Erscheinungstag sollten in Berlin zusätzlich etwa 150 Straßenverkäufer die „Friedenspost" anbieten. Für die Länder war ein ähnliches Verfahren vorgesehen. Der Absatz wurde aber nicht nur .ideologisch', sondern auch über den Preis geregelt, mit 20 bzw. 25 Pfennig (laut zwei verschiedenen Quellen) „der bisher niedrigste" für eine Wochenzeitung. Damit wies sich die „Friedenspost" als ein hoch subventioniertes Unternehmen aus. Dies um so mehr, als „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Kulturschaffende eine Zeitlang die ,Friedenspost' mit einem besonderen Anschreiben kostenlos zugesandt bekommen" sollten. 209 Der Widerhall durfte sich jedoch nicht nur in Verkaufszahlen spiegeln, sondern es galt auch, eine „grosse Diskussion mit der Leserschaft auszulösen". Auch hier sollten die Kreis- und Ortssekretäre in Versammlungen und durch Einholung schriftlicher Beiträge von ,,verantwortliche[n] Freunde[n]" entsprechende Vorarbeiten leisten. 210 Angesichts des Werbeaufwands und der Erwartungen, die daran geknüpft

206 207 208 209 210

Siehe Kap. 3.2.4. Zentrale Arbeitstagung der DSF-Leitung mit den Landessekretären am 19.9. 1949. - SAPMO: ZPA IV 2/906/148. Dort auch die folgenden Zitate. Internes Papier der DSF vom 15. 8. 1949. - Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/6. Zentrale Arbeitstagung der DSF-Leitung mit den Landessekretären am 19.9. 1949. Vgl. das interne Papier der DSF vom 15. 8. 1948.

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waren, mußten einige politische ,Fehler' im ersten Jahrgang, auf die noch zurückzukommen ist, um so gravierender erscheinen. Bereits die ersten Nummern, für die spezielle Materialwünsche an die WOKS gerichtet worden waren, enthalten ein repräsentatives Spektrum von Beiträgen, die den genannten Vorstellungen und Zielen entsprechen. 211 Ein Artikel von A. Kurella in Nr. 3/1949 behandelt z.B. Fragen von „Reichtum und Besitz" in der Sowjetunion und hebt das Recht auf Privatbesitz und des Vererbens an die Nachkommen hervor. Entsprechende „Irrtümer" oder „Lügen" über dieses Thema sollten - wie es im Programm heißt - bei den noch weitgehend in .kapitalistischen' Kategorien denkenden Lesern dadurch entkräftet werden. Die Nr. 4 desselben Jahrgangs enthält einen programmatischen Aufsatz über „Das deutsche und das sowjetische Volk, die größten Potenzen in Europa zur Vollbringung großer Aktionen von Weltbedeutung", der die von SED und DSF vielfach beschworene Interessengleichheit Deutschlands und der Sowjetunion untermauern sollte. Aktuelles aus der sowjetischen Literaturpolitik - mit Blick auf die Übertragbarkeit in die DDR wird in einem Artikel desselben Heftes „Kritik an sich selbst und für das Volk" von B.Djacenko präsentiert. Am Beispiel von A. Fadejews Roman „Die junge Garde" und F. Gladkows Roman „Zement" wird aufgezeigt, wie die Autoren nach der Kritik „durch die Leser" ihre Werke umgearbeitet hatten. Daß hierbei entsprechende Parteidirektiven eine ausschlaggebende Rolle spielten, wird sorgsam verhüllt, was einiges über den Informationsgehalt solcher Beiträge aussagt. Mit „Autokauf in Moskau" (Nr. 5/1949) wird ein die Deutschen besonders interessierendes Alltags-Thema abgedeckt, wobei hier, wie auch bei anderen Gelegenheiten, stets die sowjetische Qualitätsarbeit (im Vergleich zur USA) hervorgehoben wird. Das ,Grandiose' und Bewunderung Einflößende sowjetischer Projekte wird an der (damals bereits) geplanten Umleitung sibirischer Flüsse demonstriert. Die weiteren Themen orientieren sich (seit 1950 mit zunehmendem Anteil) an den von der WOKS gelieferten Materialien. 212 Die Stalins 70. Geburtstag gewidmete Nr. 12 des Jahres 1949 hat einen Umfang von 40 Seiten, anstatt der üblichen 12, wovon allein 20 Seiten mit Gratulationsanzeigen deutscher Betriebsbelegschaften gefüllt sind. Damit hatte ein charakteristisches ,Genre' der Sowjetpresse Eingang in das DDR-Wochenblatt gefunden. In einem Brief vom 20. April 1950 dankte Kuczynski der WOKS für die Hilfe und Fürsorge bei der Ausgestaltung der „Friedenspost". Sie sei zur „beliebtesten Wochenzeitung" geworden. 213 Die „Friedenspost" gab es in sechs Länderausgaben. 214 Von 1950/51 an wurden in der „Friedenspost" regelmäßig Briefe sowjetischer Menschen (Bestarbeiter, Mütter etc.) an die deutschen Leser publiziert. Diese verfaßten z.T. Antwortbriefe, die von der Redaktion der „Friedenspost" mit der Bitte um Weiteiieitung und eine eventuelle Antwort an die WOKS gesandt wurden. Hauptthemen der deutschen Briefe 215 waren der Friedenskampf und die erfolgreiche Anwendung sowjetischer Aibeitsmethoden in deutschen Betrieben, 211

Die Redaktion erhielt neben den WOKS-Lieferungen (die beiden ersten mit Manuskripten „älteren Ursprungs") regelmäßig 15 sowjetische Zeitungen und Zeitschriften, darunter die „Prawda", „Iswestija", „Literaturnaja gaseta", um die erforderlichen Wissensgebiete abzudecken. - Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/6.

212 213 214 215

Vgl. Kap. 5.2.5 und 6.6. GARF 5283/16/161. Vgl. Brief von Chefredakteur Wenzel an die WOKS vom 16.6. 1952. - GARF 5283/16/184. Vgl. z.B. die Sendung vom 3. 8. 1950. - GARF 5283/16/165.

Institutionengeschichte:

Das Beispiel der DSF

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verbunden mit dem Wunsch, eine größere Anzahl der „ausgezeichneten" sowjetischen Maschinen zu erhalten (so z. B. in einem Brief der Maschinensetzerabteilung der „Märkischen Volksstimme" in Potsdam an den Stachanow-Arbeiter Jermakow vom 17. April 1950). 216 Zwei Tage vorher hatte die Redaktion der „Friedenspost" aufgrund des großen Widerhalls der Briefe aus der UdSSR bei den deutschen Lesern die WOKS nach Möglichkeiten für die Vermittlung von Briefwechseln zwischen deutschen und sowjetischen Bürgern gefragt. Es ist zu vermuten, daß auch dieser Widerhall .organisiert' war. Aus einem handschriftlichen Vermerk auf dem Schreiben geht hervor, daß diese Frage geprüft werden sollte. Zu jenem Zeitpunkt stand die WOKS privaten Briefwechseln noch skeptisch gegenüber. 217 Die „Friedenspost" beteiligte sich jedoch nicht nur an der Vermittlung sowjetischer Arbeitskultur, sondern unterstützte auch andere aktuelle Kampagnen. So bat sie am 9. Juni 1952 und ein zweites Mal am 6. Dezember 1952 um Beiträge zur Bekämpfung des Formalismus und Kosmopolitismus in der Kunst. 218 Für einen noch breiteren Einsatz der WOKS-Materialien und zur besseren Kontrolle ihrer Verwendung war geplant, in der „Friedenspost" jeweils eine Seite für den Eingang neuer Literatur (übersetzte Bücher und Broschüren) in der DSF zu reservieren. Ebenso sollte dort vermerkt werden, welche Beiträge im Verlag der DSF übersetzt würden, um Doppelübersetzungen zu vermeiden. 219 Im 1. Halbjahr 1952 wurden laut Rechenschaftsbericht von der „Friedenspost" 23 Artikel aus dem WOKS-Material publiziert. Jedoch wies der WOKS-Bevollmächtigte zum wiederholten Male darauf hin, daß die Angaben der DSF, auf die er sich bezog, sich nicht „durch Vollständigkeit und eine kritische Einschätzung des erhaltenen Materials" auszeichneten. 220 Faktisch war die Qualität der aus der Sowjetunion zugesandten Artikel, Broschüren u.ä. offenbar sehr unterschiedlich, was von den offiziellen Beliebtheitsbekundungen und der daraus abgeleiteten großen Nachfrage verdeckt wurde. Aussagekräftiger sind dagegen einige Zahlen. So wurden z.B. 1949 in der „Neuen Gesellschaft" nur fünf von 177 WOKS-Beiträgen abgedruckt, in der mit weniger „wissenschaftlichem" Anspruch gemachten „Friedenspost" waren es im 4. Quartal desselben Jahres 12 von 67, im ersten Halbjahr 1950 40 von 92, 221 eine Steigerung, die nicht unbedingt auf eine größere Qualität des Materials zurückzuführen ist, sondern eher auf die seit 1950 forcierte Propagierung des sowjetischen Vorbilds. Sehr kritisch äußern sich russische Zeitzeugen über die Güte der zugesandten Artikel. So seien die Materialien des Sowjetischen Informationsbüros (SIB), eines der Hauptlieferanten für sowjetische und kommunistische Presseorgane im Ausland, von dem auch die WOKS einen Teil ihrer Beiträge bezog, zu rund 90% unbrauchbar gewesen. 222 Innerhalb des SIB klagte man seit 1945 regelmäßig auf Sitzungen und in internen Rechenschaftsberichten über die inhaltlichen und stilistischen Unzulänglichkeiten der von

216 217 218 219 220 221

Vgl. GARF 5283/16/165. Vgl. A. Hartmann/Eggeling, Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 63. Vgl. GARF 5283/16/185. Vgl. den Bericht Gussews vom 29. 2. 1952 über die Verwendung der Materialien im zweiten Halbjahr 1 9 5 1 . - G A R F 5283/16/184. GARF 5283/16/186. Aus einem Rechenschaftsbericht der Zentraleuropäischen Abteilung der WOKS an das Ministerium für Staatliche Kontrolle. - GARF 5283/16/152. In dem zuvor erwähnten Bericht des WOKS-Bevollmächtigten wird die Gesamtzahl der erhaltenen WOKS-Broschüren mit 88 deutschsprachigen und vier russischsprachigen angegeben. - GARF 5283/16/186.

268

Institutionengeschichte:

Das Beispiel der DSF

einer Vielzahl freier Mitarbeiter verfaßten Artikel und Essays. 223 Die Schwerfälligkeit des Apparats ließ ein rasches Beheben der konstatierten Mißstände indes kaum zu. Über den Inhalt der „Friedenspost" wurde in einem Arbeitsgespräch der Vorstände von WOKS und DSF, das nach der Wahl Eberts und Grünbergs zum Präsidenten bzw. Generalsekretär (also nach dem 19. Juni 1950) stattgefunden hatte, recht unveimittelt zu Protokoll gegeben, daß die „Friedenspost" noch nicht „das Leben der Gesellschaft" widerspiegele. 224 Eine Begründung dafür ist nicht dokumentiert. Die partielle Unzufriedenheit der sowjetischen Seite mit der von der DSF als ideologisch äußerst relevant eingestuften Zeitung mußte in letzter Instanz Chefredakteur Lex Ende angelastet werden, in dessen Amtszeit die Parteiführung zu jenem Zeitpunkt bereits zwei gravierende politische .Fehler' zu registrieren hatte. Diese waren allerdings in der erwähnten Unterredung nicht zur Sprache gekommen. Mitte Januar, also nur drei Monate nach Erscheinungsbeginn des Blattes, führte ein Druckfehler zu einem parteilichen Untersuchungsveifahren. In einer Überschrift war bei der Angabe einer Prozentziffer ein Komma weggefallen. So konnte man in der Ausgabe vom 22. Januar 1950 auf Seite 11 lesen: „Nur noch 44% Reparationslieferungen" [an die Sowjetunion]. Gemeint waren jedoch 4,4%, wie es in der dazugehörigen Notiz richtig hieß. Da gerade das Thema Reparationen bei der Bevölkerung einen äußerst sensiblen Bereich innerhalb der deutsch-sowjetischen Beziehungen bildete, galt dieser Fehler in der exponierten Position einer Überschrift nicht nur als sinnentstellend, sondern geriet auch in den Verdacht einer antisowjetischen Wirkungsabsicht. Der für den Umbruch zuständige Mitarbeiter wies diesen Verdacht von sich, nahm aber die Schuld für den ,,grobe[n] und schwerwiegendefn] Flüchtigkeitsfehler" auf sich. 225 Es konnte jedoch der Parteilogik gemäß nicht ausbleiben, daß auch Ende als Chefredakteur dafür verantwortlich gemacht wurde. Der zweite Vorfall tangierte die aktuelle Parteilinie. In der Lenin gewidmeten Nummer 17 des Jahres 1950 wurde eine kurze Erzählung von Egon Erwin Kisch mit dem Titel „Sein möbliertes Zimmer" abgedruckt, die erstmals in den 20er Jahren erschienen war. Kisch beschreibt darin, wie er das Haus in Zürich aufsuchte, in dem Lenin in den letzten eineinhalb Jahren vor seiner Rückkehr nach Rußland ein Zimmer bewohnt hatte. Auf Lenins umfangreiche Korrespondenz einge222 223

Dies befand der frühere Mitarbeiter der „Täglichen Rundschau", W. Tschubinski, in einem Gespräch vom 16. 11. 1993. Vgl. z. B. GARF 8581/1/146, 8581/1/177, 8581/1/179. Überhöhte Honorare und Mehrfachbestellungen zu ein und demselben Thema aufgrund mangelnder Koordination der Abteilungen untereinander beides Beobachtungen einer staatlichen Kontrollkommission in ihrem Bericht für 1946 (GARF 8581/1/179) - wirkten wie ein Magnet nicht nur auf namhafte Schriftsteller wie K. Fedin oder A. Surkow, die sich so ein Zubrot verdienen konnten, sondern vor allem auch auf .zweit- und drittklassige' Autoren. Die Honorare wurden bezahlt, ob ein Beitrag gedruckt wurde oder nicht, so auch W. Tschubinski im Gespräch vom 16. 11. 1993.

224

Vgl. SAPMO: AGDSF, A 399. Es war jedoch von Anfang an geplant, die Zeitung gerade nicht zu einem „engen Verbandsorgan" zu machen, sondern sich auf die Herausstellung der „bedeutendsten Veranstaltungen der Gesellschaft" zu beschränken. Statt dessen sollte in einem besonderen Anhang der „Neuen Gesellschaft" regelmäßig über das Organisationsleben der DSF berichtet werden. - Internes Papier der DSF vom 15. 8. 1949, Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/6. Gerade dieser Anhang findet sich indes nur im Jahrgang 1948. Mit dem Ziel, über das „konkrete Leben der Gesellschaft" zu informieren, erschienen allerdings seit Februar 1950 die „Mitteilungen".

225

Siehe seinen „Bericht über den Verlauf des Umbruchs am 18. 1. 1950" vom 8. 2. 1950.-Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/6.

Institutionengeschichte:

Das Beispiel der DSF

269

hend, führt Kisch als Absender der Briefe (in dieser Reihenfolge) Gorki, Bucharin, Sinowjew, Rosa Luxemburg, Tschitscherin und Radek an. Die Nennung der nach den Schauprozessen der 30er Jahre hingerichteten Parteifunktionäre Bucharin, Sinowjew und Radek, die seither als Unpersonen galten bzw. als Trotzkisten geschmäht wurden, mußte Anstoß erregen. Offenbar hatte Lex Ende noch vor einer erwarteten Maßregelung durch die Parteiführung mit einem Brief an die Parteikontrollkommission vom 22. April 1950 selber die Initiative zur Offenlegung des „Fehlers" ergriffen. 226 Die Rekonstruktion des Vorgefallenen ergab, daß Endes Stellvertreter, Martin Schulz, diesen Artikel dem Referentenmaterial des Kulturbundes zum 80. Geburtstag Lenins entnommen und in Druck gegeben hatte, ohne daß Ende selbst ihn noch einmal gelesen hatte. Zwar nahm Ende (formal) die Schuld auf sich, kündigte jedoch eine eigene Untersuchung darüber an, „inwieweit bei Schulz eine Absicht vorliegen könnte oder eine sträfliche politische Instinktlosigkeit und grobe Fahrlässigkeit vorlag". Das Ergebnis wurde Hermann Matern von der Parteikontrollkommission zwei Tage später, mit Schreiben vom 24. April 1950, mitgeteilt. 227 Ende konnte bei Schulz keine „trotzkistischen Sympathien" entdecken. Schulz habe die „rein historische Erwähnung der Namen der Trotzkisten" für unbedenklich gehalten, sei sich nun aber „der Schwere seines Fehlers" bewußt geworden. Man könne ihm somit lediglich „intellektuelle Borniertheit" vorweifen. Dennoch empfahl Ende der Parteikontrollkommission, seinen Stellvertreter zu vernehmen und „zweckmäßigerweise den ,Urschuldigen' im Kulturbund ausfindig" zu machen, „der diesen Kisch-Beitrag in das Referentenmaterial des KB schmuggelte". Nachdem Ende mit der von ihm selbst durchgefühlten Untersuchung formal der innerparteilichen Disziplin Genüge getan hatte, stellte er sich jedoch vor Schulz und belobigte ihn als die „einzige ernste Hilfe bei der Gründung der ,Friedenspost'" und als bewährten Mitarbeiter. Kopien beider Briefe sandte Ende mit einem Begleitschreiben an die Informationsabteilung der Sowjetischen Kontrollkommission. Auch diesen (parteipolitisch unvermeidlichen) Schritt überließ Ende also nicht der SED-Führung. Seine .Flucht nach vorn' unter Verwendung der parteiüblichen Begrifflichkeit konnte einerseits der Schadensbegrenzung im allgemeinen gedient haben, läßt sich andererseits aber auch mit Endes zu jenem Zeitpunkt offenbar bereits unsicherer Position innerhalb der Partei erklären. Zwar erfolgte der Ausschluß im August 1950 für ihn selber unerwartet, sein im nachhinein als fehlerhaft eingestuftes Verhalten während der Emigration und sein gegen Kriegsende erfolgter Ausschluß aus der KPF hatte die Parteileitung jedoch schon seit 1946 zu entsprechenden Anfragen veranlaßt. 228 Zudem sah sich auch schon das „Neue Deutschland" unter Endes Leitung mehrmals wegen ideologischer und journalistischer .Mängel' der Kritik der Parteiführung ausgesetzt. In einem Fall wurde ihm sogar ein von Pieck und Grotewohl unterschriebener Verweis erteilt. 229 Es bleibt anzumerken, daß dieselbe Erzählung von Kisch in der „Neuen Gesellschaft" Nr. 1/1949 offensichtlich unbeanstandet bereits veröffentlicht worden war. Die nach Gründung der DDR sich

226 227 228 229

Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/6. Ebd. Vgl. die Stellungnahme Endes zum Untersuchungsergebnis der SED „in der Angelegenheit Field" vom 23. 8. 1950. - Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/1. Datiert vom 8. 12. 1948. - Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/5. Es ging um die offenbar nicht opportune Veröffentlichung eines Fotos von der Pressekonferenz des Deutschen Volksrates am 23. November 1948 im „Neuen Deutschland".

270

Institutionengeschichte:

Das Beispiel der DSF

beschleunigende Stalinisierung der SED und die damit verbundenen Wachsamkeitsappelle gegenüber „Saboteuren und Abweichlern" ließen nun jedoch keine Nachsicht mehr zu. Knapp zwei Wochen nach dem zweiten Vorfall, d.h. nur sieben Monate nach der Herausgabe der ersten Nummer, beklagte sich Ende im Parteiapparat über Papierknappheit, die dazu führe, daß „ein bestimmter Prozentsatz neuer und alter Abonnenten nicht mehr beliefert werden kann". 230 Das neue Papierkontingent reiche bei 12 Seiten für höchstens 270000 Exemplare und das zu einem Zeitpunkt, wo die DSF bereits mehr als eine Million Mitglieder zähle. Ob die Kürzung Ausdruck einer allgemeinen Knappheit war oder ob sie eine Reaktion auf die politischen .Fehler' des Blattes waren, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Die spätere Herabsetzung der Seitenzahl auf 8, auch unter den nachfolgenden Chefredakteuren, läßt darauf schließen, daß von Parteiseite keine Zugeständnisse gemacht wurden bzw. werden konnten. Die von Ende bitter vermerkte Auflagenerhöhung des Organs der nationaldemokratischen Partei „Deutsche Woche" von 200000 im Oktober 1949 auf 500000 im Mai 1950 bei 16 Seiten „auf bestem und gewichtsschwerem Papier" hatte seinen Grund vermutlich darin, daß die SED durch solche Großzügigkeit' die neu gegründete NDPD stärker an sich binden wollte. Endes Vorschlag, der „Deutschen Woche" vier Seiten zugunsten der Friedenspost „weg[zu]nehmen" scheint nicht umgesetzt worden zu sein. Die Verteilung der „Friedenspost" in großer Anzahl in den Westsektoren, z. T. auf dem Postwege, veranlaßte punktuell die amerikanische Militärverwaltung von Berlin zum Einschreiten. In zwei internen Schreiben vom 7. und 15. Februar 1950 teilte sie mit, daß sie alle Exemplare von zwei über die Post versandten Nummern (vom 5. und 12. Februar) konfisziert habe, da sich darin je ein Artikel befinde, der gegen das Gesetz vom 30. September 1946 über das Verbot von „böswilligen Angriffen" auf Politik und Personal der Militärverwaltung verstoße mit dem Ziel, die Einigkeit unter den Alliierten zu stören und Mißtrauen oder Feindseligkeit der deutschen Bevölkerung gegenüber der Besatzungsmacht zu schüren. Es ging um die Artikel „Wovon Kannibalen träumen" und „Clay als Revolverdiplomat". Offensichtlich handelte es sich bis dahin um Ausnahmeerscheinungen, da in den Schreiben der Inhalt der „Friedenspost" insgesamt als eher „prorussisch" denn „anti-amerikanisch" charakterisiert wird. Die Beschlagnahmung sollte nicht publik gemacht werden, um die Aufmerksamkeit der „östlichen Behörden" nicht darauf zu lenken.231 Im Herbst 1953 stellte die „Friedenspost ihr Erscheinen ein. Die „Freie Welt" ersetzte sowohl sie als auch die Monatszeitschrift „Die Neue Gesellschaft". In der kurzen Zeit ihrer Existenz hatte es mehrere Wechsel in der Redaktion gegeben. Als Folge seines Parteiausschlusses wurde Lex Ende im Oktober 1950 auch von seinem Posten als Chefredakteur der „Friedenspost" abgelöst. 232 Die geschilderten politischen Verfehlungen während seiner Amtszeit mußten aus der Sicht der Partei seine schon in der Emigration beobachtete politische Unzuverlässigkeit' bestätigen, auch wenn die Vorfälle in der „Friedenspost" beim Ausschlußverfahren nicht geltend gemacht wurden. Endes Nachfolger wurde Franz Wenzel, bis dahin stellvertretender Chefredak-

230

231 232

Schreiben an Gerhart Eisler vom 3. 5. 1950. - Nachlaß Lex Ende, SAPMO: ZPA NL 70/6. Die Auflagenhöhe der letzten Nummer wird hier mit 330000 angegeben, einer Zahl, die mindestens erforderlich sei, „um den Bestellungen durch die Post gerecht zu werden und den Strassenverkauf zu sichern". Vgl. IfZ: OMGUS, ODI 15/154-1/24. Siehe auch Kap. 6.2.2.

Institutionengeschichte:

Das Beispiel der DSF

271

teur im Sachsen-Verlag Dresden. 233 Im Januar 1953 wurde Wenzel seines Postens enthoben, da er „mit den Pflichten eines Chefredakteurs nicht zurechtgekommen ist und der Zeitung ,Friedenspost' nicht die nötige Ausrichtung als Oigan der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft geben konnte". 234 Eine ganz ähnliche Kritik an der Wochenzeitung war in dem schon erwähnten Vorstandsgespräch von DSF und WOKS 1950 geäußert worden, was den Schluß zuläßt, daß die „Friedenspost" offenbar die jeweils neuen Entwicklungsstufen der DSF nicht hinreichend reflektiert hatte. Zum Leiter wurde nunmehr Rudolf Wetzel ernannt, der zuvor „im Apparat des ZK der SED" gearbeitet hatte. Ein Parteifunktionär an der Spitze der DSFWochenzeitung sollte nun gewährleisten, daß die „Friedenspost" nicht nur die nötige Ausrichtung' als Organ der DSF erhielt, sondern auch deren nach 1950 wachsende Einbindung in die Politik der SED (endlich) zufriedenstellend zum Ausdruck brachte. Es ist vermutlich kein Zufall, daß sowohl die „Neue Gesellschaft" als auch die „Friedenspost" einige Monate nach Stalins Tod ihr Erscheinen einstellten, war doch das in ihnen vermittelte und auf die eigenen Veihältnisse zu übertragende Sowjetunion-Bild ein stalinistisch geprägtes. Zudem hatte der seit Sommer 1953 von der SED eingeschlagene „Neue Kurs" möglicherweise auch zu der Einsicht geführt, daß die von den beiden Organen vertretene Linie in dieser Form nicht mehr fortsetzbar war. Die Einrichtung eines neuen, auch äußerlich veränderten Blattes war offenbar die sinnvollste Lösung.

233 234

Vgl. den Brief der Redaktion an die WOKS vom 28. 10. 1950. - GARF 5283/16/161. Brief Gussews an die WOKS-Zentrale vom 7. 2. 1953. - GARF 5283/16/187.

7

Gegenseitige Wahrnehmung

7.1

Belehrung, Bekehrung, Beglaubigung. Reisen deutscher Schriftsteller in die Sowjetunion (1948/1953)

Der Notwendigkeit, die Sowjetunion als „Freund", „Garant des Friedens" und Vorbild auf allen Gebieten des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens aus eigener Anschauung kennenzulernen, wurde schon bald nach Kriegsende durch die Entsendung von Delegationen Rechnung getragen. Diese wurden auf deutscher Seite weitgehend von der DSF zusammengestellt. Die Planung erfolgte in Abstimmung mit der WOKS und der Ausland&ommission (AK) des sowjetischen Schriftstellerveibands. Die deutschen Vorschlagslisten wurden von sowjetischer Seite gründlich geprüft. Eine Chance, berücksichtigt zu werden, hatten nur „Peisönlichkeiten des öffentlichen, politischen und kulturellen Lebens".1 Bei den ersten Gruppen, die in die UdSSR entsandt wurden, handelte es sich um Abordnungen der FDJ, des FDGB, des Deutschen Volksrats und um eine Delegation von Kulturvertretern. Nach Unstimmigkeiten zwischen DSF und WOKS bezüglich der Teilnahmeberechtigung an solchen Reisen (Delegationen „allgemeinen Charakters" seien nicht zugelassen worden),2 wurde der Austausch ab 1950 zwar systematisiert,3 aber der interessierte Bürger, der nicht für Partei, Gewerkschaft, DSF oder ähnliche Institutionen aktiv und kein Bestarbeiter, Rationalisator etc. war, wurde nach wie vor nicht berücksichtigt.4 Wie die Delegationen aufs sorgfältigste zusammengestellt waren, so präzise umrissen waren auch die Aufgaben, die man den Teilnehmern zuwies. Die Reisenden sollten vom sowjetischen Vorbild lernen; sie hatten das gewünschte, von der Propaganda erzeugte Bild der Sowjetunion zu beglaubigen und schließlich das als Augenzeugen .authentisch' Erfahrene in Deutschland zu verbreiten. Mit Antritt der Fahrt übernahmen sie die Verpflichtung, sich später als Multiplikatoren zur Verfügung zu stellen, d. h. Vorträge zu halten, Zeitungsberichte und Broschüren zu schreiben. Die öffentlichen Auftritte der Delegationsmitglieder in Betrieben und Kulturhäusern (gefordert waren mindestens drei, de facto waren es bis zu 15 pro Person5) wurden, zumeist von den 1 SAPMO: AGDSF, A 389, bei einer Delegation zu den Oktoberrevolutions-Feierlichkeiten 1949. 2 Brief Jürgen Kuczynskis vom 30. 12. 1948. - GARF 5283/16/139. 3 Besprechung zwischen der DSF-Führung (Ebert, Grünberg) mit der WOKS-Leitung (Denisov, Kislova). - SAPMO: AGDSF, A 399. 4 Das WOKS-Archiv im GARF enthält etliche Anfragen von Einzelpersonen nach Reisemöglichkeiten in die Sowjetunion.

Gegenseitige

274

Wahrnehmung

DSF-Untergliederungen, genauestens protokolliert, ungeschickte Formulierungen und die Reaktionen der Zuhörer darauf peinlichst registriert. 6 Schon die ersten entsandten Gruppen hatten Sammelbände verfaßt: „Friedensflug nach Osten. Im Lande des Sozialismus. Tagebuchblätter der FDJ-Delegation, die in die Sowjetunion eingeladen wurde" (1947); „Was sahen deutsche Gewerkschafter in der Sowjetunion? Bericht der Delegation des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes über die Reise in der Zeit vom 5. November bis 4. Dezember 1947" (1948); „Die Sowjetunion und wir. Berichte der Delegation des Deutschen Volksrats" (1948).

7.1.1 Die Delegation von 1948 Besonderen Ertrag in dieser Hinsicht erhofften sich die Verantwortlichen von der aus Künstlern und Schriftstellern bestehenden Gruppe, die im Frühjahr 1948 Leningrad und Moskau besuchte, konnte man von ihr doch attraktivere, weil besser geschriebene Darstellungen erwarten. Man hielt es für notwendig, wie Jürgen Kuczynski, der damalige Präsident der DSF, im Vorwort zu den Broschüren hervorhebt, „alles aus unserer Reise für Deutschland herauszuholen, was sich nur herausholen ließ". Dazu mußte eine möglichst rasche und effektive Verbreitung der Ergebnisse gewährleistet werden. Noch während des Aufenthalts der Delegation in der UdSSR erschienen in der „Täglichen Rundschau", dem „Neuen Deutschland" und anderen Zeitungen der SBZ Interviews mit den Teilnehmern. Es folgten neben den fünf als Broschüren veröffentlichten Reiseberichten einzelne Artikel in der „Neuen Gesellschaft" sowie zahlreiche Vorträge. Daß diese Aufklärungsarbeit sehr mühsam war, läßt sich den Erinnerungen an Voitragsfahrten über Land zu einer kaum aufgeschlossenen, wenn nicht feindseligen Dorfbevölkerung entnehmen. 7 Während es bei der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland in erster Linie um die Vermittlung eines ,wahren Bildes' von der Sowjetunion ging, sollten die Begegnungen mit sowjetischen Autoren und Funktionären des Schriftstellerverbands vor allem der Orientierung und dem Lernen für die Konstituierung der eigenen Literatur dienen. Die Ergebnisse dieser Unterredungen wurden indes nicht vollständig nach außen getragen; sie sind in den internen Sitzungsprotokollen dokumentiert. Zwischen den als authentisch publik gemachten Eindrücken und derjenigen Wahrnehmung der sowjetischen Verhältnisse, wie sie die in den Diskussionen gestellten Fragen andeutungsweise vorzeigen, ergeben sich interesssante Divergenzen. Was tatsächlich erlebt und gedacht wurde, darüber läßt sich indes nur spekulieren. Zum Profil der Auslandskommission Die Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands (als einladende Institution) war 1935 auf der Basis der MORP (Internationale Organisation revolutionärer Schriftsteller) gegründet worden. Die in der Resolution der AK vom 6. April 1936 formulierten Aufgaben änderten sich bis in die Nachkriegszeit hinein nicht grundlegend: Herstellung der Kulturverbindungen des Schriftstellerverbands mit Schriftstellerorganisationen im Ausland; Koordination der internationalen Kontakte der sowjetischen Schriftsteller; Organisation des Austauschs von Schriftstellerdelegationen, Informationen und Literatur; Zusammenstellung von Überblicken 5 6 7

Vgl. GARF 5283/16/185. Vgl. SAPMO: AGDSF, A 416, hier auf das Jahr 1949 bezogen. Vgl. Claudius, Ruhelose Jahre, S. 312f.

Gegenseitige

Wahrnehmung

275

über die Auslandspresse. Die AK war ein Organ der Leitung des Schriftstellerverbands und arbeitete unter ihrer Führung. Die Zusammensetzung der AK wurde vom Präsidium und vom Sekretariat des Schriftstellerverbands bestätigt. Bis 1947 hatte die AK ein Sekretariat, nach Ländern gegliederte Referate sowie Abteilungen für Konsultation und technische Dienstleistungen. In einem Beschluß der AK vom 21. November 1947 wurde eine Umstrukturierung vorgenommen. Neben dem Sekretariat gab es nunmehr drei Sektoren, und zwar 1) für Kritik, Information und Gegenpropaganda, 2) für internationale Verbindungen und 3) für slavische Literaturen. Der dritte Sektor war nach Länderreferaten untergliedert. 8 In den „Vorschlägen zur Arbeit der Auslandskommission des Schriftstellerverbands" (ohne Datum, jedoch vermutlich aus dem Jahr 1945) wird u.a. gefordert, die Kompetenzen der AK und der Literatursektion der WOKS klar voneinander abzugrenzen. 9 Das Verhältnis zur WOKS blieb jedoch gespannt. Man warf ihr ein Streben nach Dominanz bei den Auslandsbeziehungen vor (das französische Schriftstellerpaar Louis Aragon und Elsa Triolet z. B. wäre gern Gast des Schriftstellerverbands gewesen, wurde aber von der WOKS eingeladen) sowie Unwissenheit über manche westliche Schriftsteller (so habe z. B. die WOKS Beziehungen mit Jules Romains aufnehmen wollen, wo dieser doch „antisowjetische Bücher" schreibe). Es wird moniert, daß bei der Gründung der Literatursektion der WOKS im Juni 1944 keine Vertreter der Sekretariate der AK und des Schriftstellerverbands eingeladen worden waren. In einem weiteren undatierten internen Papier, das dem Inhalt nach vermutlich 1946 oder 1947 verfaßt wurde, ist vom wachsenden Interesse des Auslands an der Sowjetliteratur die Rede. Dies solle Anlaß dafür sein, eine „gründlichere Analyse unserer Literatur zu fordern anstatt bei jeder positiven ausländischen Rezension in Rührung zu geraten". 10 Andererseits sollte man sich offensiv mit „entstellenden Interpretationen" der Sowjetliteratur auseinandersetzen und in den russischen Zeitschriften verstärkt folgende Themen behandeln: „Das Wechselverhältnis von Schriftsteller und Staat in der UdSSR, Klarstellung darüber, daß die Teilnahme des Schriftstellers am Leben des Volkes, das die Volksverbundenheit seines Schaffens bestimmt, kein Hemmnis, sondern einen Stimulus für seine schöpferische Entwicklung darstellt; Freiheit des Schaffens; Antwort auf Kritiker des Sozialistischen Realismus in der Literatur." Diese Auflistung hatte offenbar Weisungscharakter, da aus zahlreichen Dokumenten, so auch aus den Protokollen über die Treffen mit den deutschen Kunstschaffenden, ersichtlich wird, daß diese Akzente nicht nur in schriftlichen, sondern auch in mündlichen Selbstdarstellungen im Ausland bzw. ausländischen Gästen gegenüber gesetzt wurden. In dem bereits genannten Beschluß zur Umstrukturierung der AK vom 21. November 1947 wurden ihre Aufgaben unter Berücksichtigung der aktuellen literaturpolitischen Orientierung festgeschrieben. 11 Neben den bereits zitierten allgemeinen Zielen heißt es unter den Punkten 4 bis 6: „Entschiedene und konsequente Kritik reaktionärer und dekadenter Strömungen in der ausländischen bürgerlichen Literatur. Systematisches Zurückweisen verleumderischer Ausfälle ausländischer Reaktionäre gegen die sowjetische Literatur und Kultur. Systematische Entlarvung jeglicher Art von Katzbuckelei vor dem bürgerlichen Westen in unserem literarischen Milieu."

8 9 10 11

Diese Informationen sind dem Vorwort zum Findbuch der AK entnommen. - RGALI 631/14. RGALI 631/14/47. Dort auch die im folgenden genannten Sachverhalte. RGALI 631/14/46. RGALI 631/14/64.

Gegenseitige Wahrnehmung

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Andererseits wurde der Kontakt zu fortschrittlichen ausländischen Autoren gesucht. Selbstkritisch wurde ein halbes Jahr später auf einer Arbeitssitzung der AK vermerkt, daß sowohl im Hinblick auf die „Katzbuckelei" als auch bei der Kontaktaufnahme zu Kollegen im Ausland bislang noch ungenügende Arbeit geleistet worden sei. Diese Selbstkritik erfolgte offenbar auf einen Wink des Sekretariats des Schriftstellerverbands der UdSSR hin. 12 In ihrer Zielsetzung, ihren Abhängigkeiten und in ihrer einschlägigen Lexik erweist sich die AK somit als Teil des kulturpolitischen Apparates. Das wird auch darin deutlich, daß Anfang 1948, also nach den ersten Manifestationen des Kalten Krieges, für die Einrichtung eines ständigen Büros bei der AK aus Mitgliedern des Schriftstellerverbands, des Sowinformbüros, der WOKS u. a. plädiert wurde mit dem Ziel, die Gegenpropaganda seitens der Schriftsteller zu koordinieren und die Autoren in dieser Frage systematisch zu beraten. In bezug auf Deutschland sei dies besonders wichtig, da das deutsche Volk „zum Objekt der reaktionären Propaganda anglo-amerikanischer Kreise wird, die das politische und kulturelle Auseinanderbrechen Deutschlands anstreben". 13 Es sollten in diesem Zusammenhang einerseits Beiträge zu Problemen der deutschen Literatur und des ideologischen Kampfes in sowjetischen Periodika veröffentlicht werden und andererseits Artikelserien und offene Briefe in Zeitungen und Zeitschriften der SBZ erscheinen. Den Anfang machte I. Fradkin nach der Rückkehr von seinem Einsatz als Theateroffizier in der SBZ mit einem Aufsatz zur deutschen Nachkriegsliteratur.14 Zum Delegationsprofil An der im April/Mai 1948, also zum Zeitpunkt der ideologiebedingten Umstrukturierungen innerhalb der AK und der Neuformulierung ihrer Richtlinien durchgeführten Reise nahmen neben den Schriftstellern Anna Seghers, Bernhard Kellermann, Eduard Claudius, Stephan Hermlin und Günther Weisenborn der Theaterintendant Wolfgang Langhoff, der Journalist und Literaturkritiker Wolfgang Harich, der Präsident der DSF Jürgen Kuczynski, der Rektor der Berliner Kunsthochschule Wolfgang Ehmsen und Michael Tschesno-Hell, Direktor des Verlags „Volk und Welt", teil. Die Delegation begleitete der Leiter der Kulturabteilung der SMAD, Alexander Dymschitz. Es ist anzunehmen, daß er zusammen mit Tschesno-Hell, der 1902 in Vilnjus geboren wurde und Deutsch und Russisch gleich gut sprach, der eigentliche Kopf der Gruppe war. Tschesno-Hell, der in den Lexika der DDR als Verlagsgründer und -leiter, als Herausgeber, Publizist, Filmautor (u. a. mit Willi Bredel: „Ernst Thälmann - Sohn seiner Klasse" und „Emst Thälmann - Führer seiner Klasse") und Nationalpreisträger (1954,1957,1966) gewürdigt wurde,15 muß als einflußreicher Informant der sowjetischen Seite 16 und graue Eminenz des Kulturbetriebs in der frühen DDR 17 angesehen werden. Über Tschesno-Hells Emigrationszeit in der Schweiz berichtet Hans 12 13 14 15 16 17

RGALI631/14/71. RGALI 631/14/74. Fradkin, Bor'ba prodolzaetsja, S. 235-261. Vgl. Kap. 5.2.2. Vgl. Günter Albrecht, Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller. Von den Anfangen bis zur Gegenwart, Bd. 4, Lizenzausg. Kronberg/Ts. 1974. Vgl. seinen Bericht über deutsche Autoren gegenüber der AK des sowjetischen Schriftstellerverbands vom 21. 1. 1 9 5 1 . - R G A L I 631/26/1310. Vgl. Interview mit Ingrid Kantorowicz vom 15. 11. 1989.

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Mayer, daß er schon damals „sehr mächtig" gewesen sei. 18 Er sei der eigentliche Chefredakteur der Zeitschrift und Schriftenreihe „Über die Grenze" gewesen, für die er mit Hans Mayer, Stephan Hermlin und Heinz Mode als Redakteur zeichnete. 19 Es ist bezeichnend, daß die sowjetische Seite von allen Teilnehmern außer Tschesno-Hell eine Profilskizze über Tätigkeiten und Einstellung zur Sowjetunion anfertigte. Harich und Hermlin waren die jungen, sozialistisch engagierten Leute der Delegation, mit den Parteimitgliedern Seghers und Claudius hatte man Autoren eingeladen, deren Arbeiten zur sozialistischen Literatur zählten, während Weisenborn, damals Vorsitzender des Schutzverbandes Deutscher Autoren, und Kellermann, Vorsitzender der Landesgesellschaft Brandenburg der DSF, den sogenannten antifaschistischen Humanismus vertraten. Langhoff, der Autor der „Moorsoldaten" und aktiv für die SED tätig, war der führende Mann des neuen Theaters. Eilmsen, der in späteren Beschreibungen der Reise nur noch selten erwähnt wurde, gehörte zwar zu den links eingestellten Persönlichkeiten an der auf Westberliner Territorium befindlichen Kunsthochschule, 20 siedelte später jedoch nicht in den Osten über. Für die Reise ausgewählt wurde er wahrscheinlich, weil er bei der Gründungstagung der DSF 1947 zum Vorstandsmitglied gewählt worden war. „Ihm gegenüber muß man sich besonders taktvoll verhalten. Es ist durchaus möglich, ihn politisch für unsere Seite zu gewinnen, aber unsere Malerei wird ihm kaum gefallen", 21 hieß es in der Charakterisierung Ehmsens. Bei den unsicheren' Kandidaten fielen die Personenbeschreibungen um so ausführlicher aus. Zitiert sei hier nur die Beurteilung Weisenborns. In einer ersten Stellungnahme hieß es, daß er zwar kein Mitglied der SED sei, aber der Partei nahestehe und sich „zweifellos unter ihrem ideologischen Einfluß" befinde. Diese Version wurde - offenbar unter dem Eindruck von Weisenborns Besuchsverhalten - gestrichen und durch folgenden Passus ersetzt: „Weisenborn ist ein ideologisch verwirrter Mensch. Er kam mit vielen unklaren Vorstellungen und Vorurteilen in die Sowjetunion, was, wie er selber zugibt, auf den Einfluß langjähriger faschistischer Propaganda zurückzuführen ist. Er stellte sich Moskau nicht als Kulturstadt vor und war der Meinung, daß die Kunst bei uns reglementiert werde und schablonenhaft sei." 22 Auch Weisenboms literarische Arbeiten („Die Illegalen", „Babylon") ließ man nicht ungescholten. Der Autor habe noch keinen fühlbaren Schlag gegen den Kapitalismus geführt. 23 Es scheint, daß Weisenborn in einige Bedrängnis geriet. Dafür spricht, daß sich Eduard Claudius in einem Vortrag unmittelbar nach Rückkehr von der Reise ostentativ vor ihn stellte: „Ich glaube, er ist derjenige, der die stärkste 18 Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf, Bd. 1, S. 290. 19 Ebd., S. 300f.; Interview mit Hans Mayer vom 15.6. 1988. Tschesno förderte auch die Berufung Mayers nach Leipzig. 20 Wie Karl Hofer, mit dem zusammen er die Hochschule aufbaute, erhielt er sowjetische Lebensmittelpakete. Im Kalten Krieg wurden ihm diese „Ostgeschenke" und seine Grußadresse an den Pariser Weltfriedenskongreß (1949) als „kommunistische Propaganda-Aktionen" angekreidet. Ehmsen wurde suspendiert. - Vgl. Reichstrümmerstadt, S. 74ff. 21 RGALI631/14/537. 22 Ebd. Auch in einer Charakterisierung von 1949 wird hervorgehoben, daß - laut Auskunft Bechers die politische Position Weisenborns „sehr schwankend" sei. Zwar seien feindliche Äußerungen von ihm nicht vermerkt, doch hätten die Amerikaner einen starken Einfluß auf ihn. - RGALI 631/14/553. 23 RGALI 631/14/537.

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innere Wandlung durchgemacht hat." 24 Wohlwollend verhielt sich aber auch die Potsdamer rassischsprachige Tageszeitung, „Sowjetskoje slowo", wenn sie in dem Bericht über die Pressekonferenz, die die Delegationsteilnehmer am 10. Mai 1948 im Theatersaal des Hauses der Kultur der Sowjetunion in Berlin gegeben haben, schreibt: „Einmütigen Beifall gab es für Weisenborn, als er davon erzählte, wie er sich einen Stachanow-Arbeiter vor seiner Reise in die Sowjetunion vorgestellt hatte und wie der Stachanow-Arbeiter, den er in Moskau persönlich kennengelernt hatte, tatsächlich war." 25 Mit der offenen Thematisierung von Vorurteilen und deren Überwindung liefert Weisenborn (zumindest nach außen hin) im Grunde das beste Beispiel für ein Bekehrungserlebnis, das indes in der zitierten Charakteristik von sowjetischer Seite verschwiegen wurde. Es ist auffällig, daß Weisenborn, obwohl ausgewiesener Schriftsteller, dennoch nach der Reise keine Broschüre veröffentlichte, sei es, daß er selbst die Abfassung einer solchen Schrift abgelehnt hat, sei es, daß er nicht dazu aufgefordert wurde oder aber man mit dem Vorgelegten nicht einverstanden war. 26 Die Reiseskizzen, die in Weisenborns Band „Der gespaltene Horizont" eingingen, sind durchaus verhalten positiv. 27 Daß sich aufgrund der Heterogenität der Gruppe Schwierigkeiten bei ihrer Betreuung ergaben, bestätigte die der Delegation als Dolmetscherin zugeordnete Germanistin Tamara Motyljowa in ihrem Rechenschaftsbericht vor der Auslandskommission. 28 Reiseberichte Von Mitte April bis Mitte Mai erschienen in den Zeitungen des sowjetischen Sektors von Berlin erste kurze Stellungnahmen der Delegationsteilnehmer zu ihrem Aufenthalt. Der Ton ist durchweg ein emphatisch-affirmativer. 29 Gelobt wurde der „höhere Lebensstandard" Moskaus im Vergleich zu anderen, westeuropäischen Hauptstädten 30 , das „pulsierende Leben" der Metropole 31 . Man sei begeistert gewesen von der Friedensliebe und Gastfreundschaft der Sowjetbürger, 32 ihrem Optimismus in bezug auf den Aufbau des Landes, 33 ihrer tiefen Liebe zu den poli24 25 26

Vortrag in Potsdam. - AdK: Archiv Eduard Claudius, Nr. 101. Nemeckie pisateli rasskazyvajut o Sovetskom Sojuze, in: Sovetskoe slovo vom 12. 5. 1948. In der in Anm. 22 erwähnten Charakteristik Weisenboms von 1949 heißt es lapidar, daß er kein Buch publiziert habe. Allerdings erschienen von Weisenborn zwei noch während seines Aufenthaltes verfaßte kürzere Beiträge (TR vom 21. 4. 48 und Vorwärts vom 28. 4. 48) sowie ein Artikel „Momente in Moskau" (in NG 1/1949, S. 94-97). In der „Neuen Gesellschaft" wurden auch weitere Berichte von Teilnehmern, die keine Broschüre verfaßt hatten, publiziert. - Vgl. Heinrich Ehmsen, Das Leben der Bildenden Künstler, in: NG 8/1948, S. 33ff.; Moskauer Impressionen. Nach einem mündlichen Bericht Wolfgang Langhoffs, in: NG 8/1948, S. 29ff. Langhoff erzählte auch auf dem Ersten Kulturtag der SED vom 5. bis 7. Mai 1948 ausführlich über seine Eindrücke. - SAPMO: Z P A I V 2/101/88

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Vgl. Weisenbom, Der gespaltene Horizont, S. 91ff. Sitzung der AK vom 8. 6. 1948. - RGALI 631/14/71. Dies wurde von sowjetischer Seite durchaus beanstandet, weil es die Glaubwürdigkeit beeinträchtige. - Iz dokladnoj zapiski S. Tjul'panova v CK VKP(b) M. Suslovu o plenume Central'nogo pravlenija SEPG, RCChlDNI 17/128/331, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 97.

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Kuczynski, N D vom 15. 4. 1948. Hermlin, Vorwärts vom 15. 4. 1948. Weisenborn, TR vom 21. 4. 1948; Kellermann, Nachtexpreß vom 22. 4. 1948. Weisenborn, Vorwärts vom 28. 4. 1948.

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tischen Führern 34 und ihrer natürlichen Würde auch bei einem einfachen Leben 35 . Besondere Beachtung fand die sowjetische Kulturpflege. In der Tretjakow-Galerie seien Bilder von Futuristen und Expressionisten ausgestellt, womit die westliche Propaganda über die angebliche Einengung der Kunst in der UdSSR widerlegt sei. 36 Positiv vermerkt werden die belehrende Funktion des Theaters und das hohe Niveau der Inszenierungen. 37 Der Lebensstandard der sowjetischen Künstler sei sehr hoch; sie seien bestrebt, die Verbindung zum Volk aufrechtzuerhalten und eine Einheit von Form und Inhalt zu finden. 38 In diesen Aussagen lassen sich Wunschvorstellungen der deutschen Schriftsteller und Künstler hinsichtlich der eigenen Lebenswirklichkeit erkennen. Die Broschüren, die Eduard Claudius, Michael Hell, Stephan Hermlin, Bernhard und Ellen Kellermann und Anna Seghers veröffentlichten, basieren auf einem nahezu identischen Besuchsprogramm. Um so mehr Beachtung verdienen Schwerpunktsetzung und Akzentuierung. Die Berichte sind durchweg positiv, wenn nicht gar enthusiastisch. Übereinstimmend heben die Berichterstatter die Eigenschaften des „neuen Menschen" hervor. Man habe zufriedene Gesichter gesehen, niemals „zermürbte Menschen, erschöpfte Wesen"; 39 alle hätte Optimismus und gute Laune, Arbeitsfreude und Elan ausgestrahlt. Diese Wahrnehmung war sicherlich gesteuert durch die vermittelten Formeln, die dann ja durchaus eine Eigendynamik gewinnen, wie durch die Wunschvorstellung, den Traum vom Sozialismus in der Praxis verwirklicht zu sehen. Kellermann äußerte im Sinne der propagierten Gesetzmäßigkeit des historischen Fortschritts: „Die neue Gesellschaft mußte notgedrungen in einigen Jahrzehnten einen neuen Menschentypus hervorbringen." 40 Nur Eduard Claudius konfrontiert das „strahlende Bild", das er sich von Moskau gemacht hatte, mit dem Eindruck von den kleinen, halb verfallenen Holzhütten an schlammigen Wegen auf der Strecke vom Flughafen in die Stadt. Seine Schlußfolgerung lautet: „Würde man unsere deutschen Menschen in diese Straßen führen, so würden neunzig von hundert sagen: ,Das soll Sozialismus sein?'" 41 Eine solch kritische Reflexion bildete jedoch die Ausnahme. 42 Wie schon einmal die KPD-Presse in der Weimarer Republik verfiel man wiederum in den Feüer, und dies gilt für alle Delegationsbroschüren dieser Jahre, ein makelloses Porträt der Sowjetunion zu entwerfen. Dies entsprach natürlich durchaus der Praxis in den sowjetischen Medien, deren Manier, nur eine vorgegebene, von Aufbaupathos getragene Darstellung zuzulassen, in der SBZ/DDR übernommen wurde. Auf die Dauer sollte sich jedoch der gewünschte Effekt in sein Gegenteil verkehren. Das vorgespiegelte Bild hielt dem durch eigene Anschauung gewonnenen nicht stand. Bernhard und Ellen Kellermann, die gemeinsam über ihre Eindrücke berichteten, stellen vor allem zweierlei in den Vordergrund: die neue Stadt und den neuen Menschen. Der Stil ist ein 34 35 36 37 38 39 40 41 42

Zusammenfassender Bericht anläßlich des 1. Mai, TR vom 4. 5. 1948. Hermlin, BZ vom 9. 5. 1948; Claudius, TR vom 16. 5. 1948. Claudius, Vorwärts vom 26. 4. 1948. Claudius und Kellermann, TR vom 11.5. 1948. Ehmsen, BZ vom 11. 5. 1948. B. und E. Kellermann, Wir kommen aus Sowjetrußland, S. 31. Ebd., S. 38. Eduard Claudius, Notizen nebenbei, Berlin o J . [1948], S. 1 lf. Die Existenz von Bettlern, in Lumpen gehüllten ärmlichen Gestalten etwa bringt Claudius erst in seinen späteren Memoiren zur Sprache. - Ruhelose Jahre, S. 320.

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superlativischer und dadurch auffällig, daß jede Beobachtung durch einen Hinweis auf den Zustand in Westeuropa und Amerika gleichsam untermauert werden soll. Der Vergleich fallt stets zugunsten der sowjetischen Verhältnisse aus. So stelle die Metro Moskaus „alle Untergrundbahnen der Erde in bezug auf Schönheit, Ausstattung, Hygiene, Leistungsfähigkeit und Reinlichkeit weit in den Schatten". 43 Und das sowjetische Volk, dem man „die wirtschaftliche Bedrückung genommen" habe, sei „heute in Wahiheit das einzige Volk der Erde, das ohne jede Furcht leben kann!" 44 Warum Kellermann als .bürgerlicher Autor' ein solch ungetrübt harmonisches Bild zeichnet, läßt sich nur vermuten. Sein Verhältnis zu den Kulturoffizieren der SMAD war ein durchaus herzliches. Nach Kriegsende ließ Tjulpanow lange nach dem Schriftsteller suchen, 45 dessen Romane in der Sowjetunion sehr beliebt waren. Mitarbeiter der „Täglichen Rundschau" spürten ihn in Werder bei Berlin auf; bald wurde er regelmäßiger Mitarbeiter der Tageszeitung, die schon im Herbst 1945 eine Artikelserie „Was sollen wir tun?" von ihm veröffentlichte. Damit war Kellermann auch in die privilegierte Lebensmittelversorgung aufgenommen. Als er aus Krankheitsgründen Sonderverpflegung benötigte, beschaffte man ihm sogar eine Milchkuh. 46 So wird vor allem Dankbarkeit und die Rührung darüber, daß man ihm und seinem Lebenswerk mit Wertschätzung begegnete, Kellermann zu seinem euphorischen Bericht veranlaßt haben. Bei Hermlin 47 war offenbar ein anderes Motiv ausschlaggebend, nämlich die Scham angesichts der von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg angerichteten Zerstörungen. Während in den anderen Broschüren immer wieder, gleichsam erleichtert, festgestellt wird, daß der Krieg den deutschen Gesprächspartnern nicht als Schuld vorgehalten, sondern statt dessen die Zukunftsorientierung betont wurde, kommt Hermlin wiederholt auf die Kriegsgreuel zu sprechen, auf deren Hintergrund er die Aufbauleistung der UdSSR aufrichtig würdigt. Ein weiterer Schweipunkt seines Berichts sind die kulturellen Einrichtungen (die Museen) und der sowjetische Literaturbetrieb. Bedenken in der westlichen Welt, man habe es mit einer konformistischen, gelenkten Literatur und einer uniformen Literaturkritik zu tun, werden wiedergegeben, um sie - man hat den Eindruck: sich selbst überzeugend - zu verwerfen. Wieder einmal muß der frühere Kommunist André Gide, der 1936 in seinem Buch „Retour de l'URSS" mit der Sowjetunion abgerechnet hatte, als Repräsentant des Lagers der Zyniker, Antihumanisten und Immoralisten herhalten. Gides Bedenken könne Hermlin aufgrund eigener Anschauung und Erfahrung zweifelsfrei widerlegen. Die Betonung des Individualismus bei Gide interpretiert Hermlin als „ungeheure Vereinzelung des Schriftstellers unter unseren gesellschaftlichen Bedingungen". Ihr hält er den Kontakt „mit dem aktiven, reagierenden Leser" 48 entgegen, den er in der Sowjetunion habe beobachten können. Sein Fazit lautet: „Individuelle Freiheit und gesellschaftliche Verantwortung bestimmen das Universum des sowjetischen Schriftstellers. Die durch die Freiheit aller erst errungene und gesicherte Freiheit des einzelnen wirkt in der Sphäre, in der allein sie atmen und leben kann, in der Sphäre der Verantwortung, als .Einsicht in die Notwendigkeit' an der heraufdämmernden kommunistischen Gesellschaft." 49 In diesem Plädoyer Hermlins zeigt sich das

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B. und E. Kellermann, Wir kommen aus Sowjetrußland, S. 17f. Ebd., S. 32f. Bernhardt, Maßstab Humanismus, S. 158. Wais, Am Morgen nach dem Kriege (1973), S. 1208-1217. Hermlin, Russische Eindrücke. Ebd., S. 49.

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Bemühen um die Neubestimmung des eigenen literarischen Wegs. Vor allem der intensive Austausch zwischen Schriftstellern und Lesern scheint dem Bedürfnis des deutschen Autors entsprochen zu haben, nach den Jahren des Exils endlich wirken zu können. Die Umstellung seiner Schreibweise von einem der Moderne, besonders dem Surrealismus und Expressionismus verpflichteten Stil zu einer leserorientierten Ausdrucksweise ist gerade gegen Ende der 40er Jahre bei ihm festzustellen.50 Es ist kein Zufall, daß er sich hierbei immer wieder auf Wladimir Majakowski und dessen Verwurzelung im Volk berief. Dies ist als psychologische Disposition festzustellen: die Schriftsteller übernahmen nicht schlechthin kritiklos das Vorgeführte, sondern waren darauf aus, das eigene Wunschbild bestätigt zu bekommen. „Ich erinnere mich, daß ich in jenen Wochen verzweifelt etwas suchte, was einfach nicht zu finden war: die Wirklichkeit meiner Vorstellungen", notierte Eduard Claudius rückblickend in seinen Memoiren.51 Was Claudius, den ehemaligen Maurer, vor allem beschäftigte, waren die Arbeitsbedingungen, die veränderte Einstellung zur Produktion, der sozialistische Wettbewerb und die Rolle des Fünfjahrplans. Um die Qualitäten einer neuartigen Gesellschaft zu ergründen, versuchte er immer wieder, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und auch etwas über ihr Privatleben zu erfahren, über dem jedoch ein „seltsamefr] .Schleier,"52 liege. Der Sieg des Neuen wird nicht angezweifelt, doch die „Zähigkeit des Alten"53 immerhin eingeräumt. Daß die ansatzweise kritische Reflexion von williger Zustimmung überlagert wurde, erhellen die späteren Erinnerungen an die Reise; dort sind andere Episoden aufgenommen und die Einschätzungen weichen erheblich ab. In der Schilderung des Festbanketts des Schriftstellerverbands etwa hob Claudius 1948 das sensible und kluge Gesprächsverhalten hervor und die freundlichen Ansprachen Gorbatows und Ehrenburgs. 1968 heißt es dazu:, Auch Ehrenburg war da, rauchte seine Pfeife, die Augen düster. Was sah er? Konnte er nicht vergessen, waren wir ihm zu früh gekommen? Er sprach kaum; nur mit Anna Seghers und mit Hermlin sah ich ihn einige Sätze wechseln. Ungerührt von den freundlichen Begrüßungsreden, ließ er seine mißtrauischen Blicke von einem zum anderen gehen, nippte an seinem Glas, stieß dicke Wolken in die Luft. Er kam mir feindlich vor, hoffartig und von verletzender Kühle. Bezog er uns ein in die Kollektivschuld?"54 Sicherlich war es unmöglich, solche Aussagen 1948 zu publizieren. Doch die vorsichtige Zurückhaltung der Broschüre hatte wohl ebensosehr psychologische wie taktische Gründe. Anna Seghers kaschiert ihr persönliches Anliegen. Zu Beginn und am Ende präsentiert sie je zwei autobiographische Berichte von Sowjetbürgern über ihren Werdegang und ihre Selbstverwirklichung in Beruf und Gesellschaft, die Aussagen zu sozialen Einrichtungen und Beobachtungen zu Kunst und Literatur umklammern. Wie Hermlin hebt sie von den im Westen kursierenden Urteilen und Vorurteilen über die UdSSR ab; doch der sozialistische Aufbau habe „inzwischen ein solches Ausmaß angenommen [...], daß die Sowjetunion nicht mehr um seine Wirkung auf die besorgt ist, die sich gegen ihn sträuben".55 Wie auch aus einem an Konstantin Simonow adressierten Brief vom 15. Juni 1948 über eine gewünschte Urlaubsreise mit der 49 50 51 52 53 54 55

Ebd., S. 56. Vgl. Zecher/Pallus, „mit dem Gefühl, endlich atmen zu können", S. 296-315. Claudius, Ruhelose Jahre, S. 323. Claudius, Notizen nebenbei, S. 40. Ebd., S. 14. Claudius, Ruhelose Jahre, S. 320. Seghers, Sowjetmenschen, S . l l .

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Familie in die Sowjetunion hervorgeht, 56 war Anna Seghers offenbar bestens vertraut mit den Mechanismen des sowjetischen Apparats und der kulturellen Lenkung. Ihre Illusionslosigkeit erlaubt ihr, im Gewand der positiven Darstellung kritische Einwände geltend zu machen. So heißt es zur Übernahme des sowjetischen Modells in der Arbeitswelt und Kultur, daß es nicht nur ein Problem der Schriftsteller sei, die Mentalität der Menschen eines fortgeschrittenen Gesellschaftssystems auf die eines rückschrittlichen zu übertragen, „ohne die Zwischenstufen zu berücksichtigen". Man sehe das daran, „wie der Mensch fassungslos vor Verordnungen wie vor Büchern steht, in denen man ihm nur das Endergebnis bietet und annimmt, er sei schon allein davon überwältigt, anstatt ihm den Weg, der zu dem Ergebnis führt, genau zu erklären". 57 In äußerst geschickter Weise, nämlich sich durch die Berufung auf Aussagen sowjetischer Funktionsträger absichernd, plädiert Anna Seghers für ein weites Realismuskonzept und bleibt bei der Position, die sie in der Realismusdebatte der 30er Jahre bereits beim Briefwechsel mit Georg Lukäcs eingenommen hatte. 58 Bei einigen Themen sind Quervergleiche zwischen den einzelnen Broschüren besonders lohnend. Als konkret beobachtetes Beispiel des übereinstimmend gefeierten „neuen Menschen" wird von mehreren Autoren die Kellnerin Asta aus dem Leningrader Hotel angefühlt. Sie sei „sehr elegant", „sehr hübsch" gewesen, habe „eine ungemein herzliche, ja aristokratische Art" gehabt. 59 Auch verfügte sie über eine breite literarische Bildung und kannte sogar Werke der deutschen Gäste. Da sie, aufgrund ihrer estnischen Herkunft, gut deutsch sprach und die sonstigen Übersetzungsprobleme entfielen, war das spontane Gespräch mit ihr leichter als es bei den anderen Begegnungen der Fall war. 60 Hermlin und Claudius berichten, daß man ihr die Frage nach dem persönlichen Glücklichsein gestellt habe. Bei Hermlin bejaht sie sie uneingeschränkt: „Wie mein Leben ist, so ist es gut", 61 während ihr in Claudius' Bericht zum völligen Glück fehlt, daß ihr Mann in seiner Freizeit nicht genug lerne: „Er liest lieber am Abend, wenn er heimkommt, Bücher oder geht ins Theater. Das ist meine stete Sorge." 62 Eine bei aller scheinbaren Scherzhaftigkeit letztlich höchst,offizielle' Antwort. Claudius knüpft an die Person der Kellnerin weitreichende Überlegungen: „Was ist eine Kellnerin? Es lohnt sich darüber nachzudenken, da sich Inhalt und Fundament einer Gesellschaftsordnung im Wert und Maßstab abzeichnen, den diese Gesellschaft den .Geringsten' ihrer Mitglieder gibt." 63 Das Ergebnis dieses Nachdenkens lautet in Abwandlung des berühmten Gorki-Worts (aus „Nachtasyl") „Der Mensch - wie stolz das klingt!" bei Claudius: „Eine Kellnerin! Genossin Asta! Wie das anders klingt." Wer aus diesem ,Fall', wie es Claudius suggeriert, auf die neue Ranghöhe der unteren Schichten in einer grundlegend gewandelten Gesellschaft schließen würde, müßte dabei die Fakten verkennen. Denn bei der Genossin Asta handelte es sich keineswegs um eine einfache Frau proletarischer Herkunft. Eine solche wäre vermutlich zu jener Zeit auch kaum ohne weiteres zu einem Kontakt mit Ausländern zugelassen worden. Die „Kellnerin" war, bis sie durch den Krieg in diesem Beruf

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GARF 5283/16/140. Seghers, Sowjetmenschen, S. 82. Vgl. Die Expressionismusdebatte, S. 264—301. Hermlin, Russische Eindrücke, S. 12. Vgl. B. und E. Kellermann, Wir kommen aus Sowjetrußland, S. 53. Hermlin, Russische Eindrücke, S. 13. Claudius, Notizen nebenbei, S. 42. Ebd. S. 38f. Dort auch das folgende Zitat.

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arbeitslos gemacht wurde, Freizeitgestalterin in einem Erholungsheim für Betriebsaibeiter, verfaßte sogar eine Broschüre über Aspekte der Freizeitgestaltung und kehrte auch bald nach dem Besuch der deutschen Delegation zur Tätigkeit in einem Ferienheim zurück. Auf besonderen Wunsch einiger der deutschen Gäste wurde am Abend des 1. Mai eine Einladung in einer Privatfamilie gestattet und arrangiert. Hermlin gibt ein harmonisches Bild vom Empfang bei der russischen Textilarbeiterfamilie, des reichhaltigen Gastmahls und der Gespräche. Hervorgehoben wird besonders der Bericht der Ehefrau, die das schlechte frühere mit dem guten heutigen Leben vergleicht, das durch Weiterqualifizierung stets noch weitere Peispektiven eröffne. Das emotionale Problem, daß dieser Besuch wenige Jahre nach Kriegsende stattfindet, wird nur kurz angeschnitten („der Schatten des Krieges liegt einen Augenblick über dem weißen Tischtuch", 64 ) - obwohl der einzige Sohn im Krieg gefallen ist - , dann aber durch den Hausherrn beiseitegewischt. Sein Votum entspricht der offiziellen Theorie von den „zwei Deutschland": „Sie dürfen nicht glauben, daß wir die Deutschen hassen. Das waren die deutschen Faschisten. Es gibt aber auch andere Deutsche." 65 . Claudius geht sehr viel offener auf die Schwierigkeiten ein; die Hindernisse, die dem Wunsch nach einer solch privaten Visite von offizieller Seite entgegenstanden, konnte er wohl erst später ermessen: „Heute aber vermag ich zu ahnen, was damals alles an Widerständen aus dem Weg geräumt werden mußte." 66 Aber die atmosphärischen Spannungen, die bei einem solchen Besuch bestanden, kamen schon in der Broschüre deutlich zum Ausdruck. Er war (mit Weisenborn) bei einem Techniker der Textilfabrik eingeladen, dessen Familie ebenfalls durch den Krieg stark betroffen war. Daß ein kriegsversehrter Schwiegersohn bei dem Abend anwesend war, wird allerdings erst aus den späteren „Erinnerungen" deutlich. Geladen war man erst um neun Uhr abends, da die Gastgeber noch Vorbereitungen zu treffen hatten. Der Text von 1968 beschreibt die in der Broschüre angedeuteten Wohnverhältnisse im Detail: daß das Mietshaus offenbar eben erst fertiggestellt war, daß in den drei Zimmern und auf dem Flur qualvolle Enge herrschte. Hingegen seien Delikatessen üppig aufgedeckt gewesen. Die Frage, wer für das reichhaltige Gastmahl gesorgt und wer es bezahlt hat, drängt sich auf und wird in „Ruhelose Jahre" gestellt.67 Das Gespräch sei schleppend verlaufen, die Gesichter der russischen Familie seien abweisend, abgehärmt gewesen. Aufgelockert habe sich die Atmosphäre erst, als die leidgeprüfte Familie erfahren habe, daß sie es mit deutschen Antifaschisten zu tun hatte und diese von ihrem Kampf und Lebensweg erzählten. Zwanzig Jahre später heißt es bei Claudius weniger versöhnlich: „Es wahr wohl noch zu früh" für diese Begegnung.68 Die Episode vom Besuch in den Familien klingt in den Broschüren Hermlins und Claudius' aus in einer Verurteilung des Marshall-Plans. Wiederum forderte hier die aktuelle politische Linie ihren Tribut. Anders hätte es Ende der 40er Jahre selbst bei einem ,Privat'besuch kaum sein können, vor allem wenn man die wahrscheinliche Anwesenheit sowjetischer Dolmetscher berücksichtigt. Seghers beschreibt in ihrer Erzählung über den 1. Mai ausschließlich das Treiben in den Straßen Moskaus und auf dem Roten Platz nach Abschluß der offiziellen Feierlichkeiten. Sie lobt die Diszipliniertheit der - meist gut gekleideten - Menschen und charakterisiert diesen Tag als „Fest der freigewordenen Arbeit einer neuen Gesellschaft". 69 In diesem Kontext

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Hermlin, Russische Eindrücke, S. 62. Ebd. S. 63. Claudius, Ruhelose Jahre S. 332. Ebd. S. 334. Ebd.

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schwingt zum ersten Mal bei ihr ein gewisses Pathos mit, wenn sie über die sich am LeninMausoleum versammelnde Menge schreibt: „Die Menschen haben den Wunsch, in dieser Nacht wenigstens möglichst dicht in der Nähe des Toten zu sein." 70 Michael Tschesno-Hell nimmt sich in seinem unter dem deutschen Namensteil publizierten Bericht gänzlich zurück. Der Objektivierung dient ein Fragebogen, den Hell unter seinen Bekannten und „den Bekannten meiner Bekannten" 71 zirkulieren ließ, ein Vorgang, der seine engen Kontakte zur Sowjetunion bestätigt. Bei den Antworten bündelt er die .typischen' Ausagen, die mit dem Bild vom neuen sozialistischen Menschen vereinbar sind. Hell verläßt den Fragebogen, um über Episoden der Reise zu berichten und um die gegenwärtige Lage von Kunst und Literatur zu erörtern. Auch hier hält er sich mit eigenen Kommentaren zurück und zitiert ausführlich aus den gelesenen Literaturkritiken bzw. den gehörten Vorträgen oder er gibt Meinungsäußerungen aus dem Publikum wieder, deren hohes Niveau er lobt. Da ihm genaue Kenntnis auch der sowjetischen Interna unterstellt werden kann, sind in Heils Broschüre die Auslassungen besonders aufschlußreich: von Querelen und Mißständen ist nirgends die Rede; nichts wird erwähnt, was das glanzvolle Bild des Kulturlebens trüben könnte. Dabei war den deutschen Kulturvertretern die Angespanntheit der kulturpolitischen Lage in der Sowjetunion nach 1946 keineswegs verborgen. Schließlich hatte sie der Westpresse weidlich Angriffsfläche geboten. Auf ihrem Hintergrund gewinnen auch die Schriftstellerdiskussionen, die das eigentliche Anliegen der Reise bildeten, ihr Profil, lassen sich die dort vertretenen Standpunkte, die angewandten Frage- und Antwortstrategien verstehen. Die deutschen Autoren sahen sich so mit zweierlei konfrontiert: dem negativen Erscheinungsbild, das die sowjetische Literaturpolitik bot und das offensiv zu widerlegen war (die Broschüren von Hermlin und Seghers setzen hier an), und den eigenen Vorbehalten und Ängsten bezüglich der Einführung restriktiver Bestimmungen und Normen, die - soweit möglich - zu zerstreuen waren. Dies ist mitzubedenken, auch wenn ein echtes Bedürfnis nach Information und Belehrung über die sowjetische Kultur zu unterstellen ist, der Wunsch, die noch gänzlich unsichere eigene kulturelle Identität durch die Orientierung am Vorbild zu festigen. Denn Ziel der Reise war laut Jürgen Kuczynski, „reifer heimzukehren, produktiver weiterzuarbeiten und dem Volk das Gesehene weiterzugeben".72 Die Literaturdiskussion Die Sitzungsprotokolle73 erhellen, wie wenig spontan die Begegnungen mit sowjetischen Autoren erfolgen durften. Beide Seiten waren auf die Gespräche intensiv vorbereitet worden, wie dies auch späterhin Praxis war. Die Gesprächsrunde war von sowjetischer Seite hochkarätig besetzt, was die Bedeutung unterstreicht, die man dieser ersten Delegation deutscher Kulturvertreter nach dem Krieg zumaß. Anwesend waren: Konstantin Simonow, stellvertretender Generalsekretär des Schriftstellerverbands der UdSSR, Fjodor Gladkow, Abgeordneter des Obersten Sowjets der RSFSR und Präsidiumsmitglied des Schriftstellerveibands, die Stalinpreisträger Ilja Ehrenburg und Boris Gorbatow, Wadim Koshewnikow, damals Redakteur der Abteilung Literatur und 69 Seghers, Sowjetmenschen, S. 84f. 70 Ebd. S. 90. 71 Hell, Rußland antwortet, S. 9. 72 So formulierte er es den sowjetischen Ansprechpartnem gegenüber. - RGALI631/14/536. 73 Ebd.

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Kunst der „Prawda" und Valentin Katajew, Redaktionsmitglied von „Nowyj mir". Das Treffen vom 9. Mai 1948 war in der Weise strukturiert, daß „die deutschen Freunde" zunächst über die Arbeit ihrer Berufsorganisation sprechen und sodann Antworten auf ihre Fragen zu den entsprechenden sowjetischen Einrichtungen gegeben werden sollten. Die gegenwärtige Lage der deutschen Literatur wird kritisch eingeschätzt. Man beklagt die wenig einheitlichen und verschwommenen politischen Vorstellungen, die Zersplitterung und Grüppchenbildung um verschiedene Zeitschriften herum. Die Fragen an die sowjetischen Kollegen, etwa nach den von ihnen derzeit bevorzugten Themen, nach der Förderung des literarischen Nachwuchses - vor allem in der Provinz - , nach dem Vorhandensein formaler Experimente in der Sowjetliteratur und dem Verhältnis des sowjetischen Schriftstellerverbands zu westlich-dekadenten Strömungen wie Surrealismus und Existentialismus, sind durchweg unterlegt mit einem Lob der Sowjetunion und der Betonung des Vorbildcharakters ihres kulturellen Lebens. Die Antworten sind meist foimal, oberflächlich, zum Teil auch rein auf Quantitäten ausgerichtet. Sie kehren das Lehrer-Schüler-Verhältnis hervor. Um stellvertretend die Antwort Gorbatows auf die Frage nach den derzeit aktuellen Themen wiederzugeben: „Erstens natürlich der Krieg, die Erfahrung des Krieges. Die besten Bücher dieser Art sindEhrenburgs ,Sturm' und das Buch des Schriftstellers Bubennow ,Die weiße Birke'. Dann das Thema des Hinterlandes während des Krieges, die russischen Menschen im Hinterland. Die Bücher Panfjorows, Awdejews, Panowas. Das größte Interesse heute rufen die Nachkriegsthemen hervor, über die Menschen nach dem Krieg. Der Mensch findet das Glück nach dem Krieg. Der Mensch richtet sein Leben nach dem Krieg ein. Da ist z. B. der Roman ,Das Glück' vonPawlenko. Und eine Reihe anderer Themen. Dann der Kampf um das neue, bessere Leben, die Überwindung der Nachkriegsschwierigkeiten, der Kampf mit der Routine, mit der Rückständigkeit. [...] So vielfältig wie unser Leben sind auch die literarischen Themen." 74 Literaturpolitisch markiert ist der Begriff „vielfältig", der auch dazu dient, Fragen nach möglichen administrativen Eingriffen im Rahmen des sozialistischen Realismus abzufangen. Die deutschen Gesprächsteilnehmer nahmen die erhaltenen Auskünfte beim Wort - jedenfalls flössen sie zum Teil in die Broschüren ein. So hatte Ehrenburg als Antwort auf die Frage nach dem Spielraum der sowjetischen Literatur auf das Beispiel Vera Panowas verwiesen, deren Roman „Menschen aus Krushilicha" von der sowjetischen Presse heftig kritisiert worden war, aber dennoch einen Stalinpreis erhalten habe. Hell zitiert diesen Fall, um das Funktionieren einer kontroversen Literaturdebatte über das Heldenbild vorzuführen, die trotz ihrer Schärfe nicht zum Schaden der Autorin verlief. 75 Auch Hermlin schließt sich dem Lob der strengen, aber nicht vernichtenden Literaturkritik an. 76 Bei Claudius heißt es über die Kritiker, daß sie sich „von dem Wissen klugen Diagnostizierens, von den Gefühlen echter Freude, Liebe, Achtung vor dem Schaffenden" 77 lenken ließen. In Claudius, Memoiren liest man demgegenüber: „Oder die leidige Diskussion mit der Motylowa, die wochenlang noch in mir schwärte. Sie vermittelte mir ein Bild der damaligen sowjetischen Literaturkritik und ihrer Maximen, die ich für meine Aibeit nicht anerkennen konnte. Die enge Katalogisierung der veischiedenen Inhalte unserer sozialisti74 75 76 77

Ebd. Vgl. Hell, Rußland antwortet, S. 55-66. Vgl. Hermlin, Russische Eindrücke, S. 53f. Claudius, Notizen nebenbei, S. 21.

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sehen Zeitliteratur mancherorts [...] schien mir verderblich für das Lebendige in der Literatur." 78 Die Diskrepanz zwischen beiden Einschätzungen belegt die Steuerung von Wahrnehmung und Äußerung 1948. Immerhin lassen aber das damals Publizierte und die Stenogramme erkennen, wo die damaligen Diskussionen über ein höfliches Abfragen hinaus den Schaffensnerv der deutschen Autoren trafen. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß unter dem Vorwand, „unserem Proletariat zu erklären, wie der ideologische Kampf vonstatten geht" oder getarnt mit dem Wunsch, die noch zögerliche bürgerliche Intelligenz durch die richtigen Erklärungen „auf unsere Seite zu ziehen", 79 auch eigene Bedenken formuliert wurden. In beiden Fällen erbat man Erläuterungen zu den Literatur und Musik betreffenden ZK-Eiiassen, die doch für beträchtliche Unruhe gesorgt hatten, auch unter den Teilen der bürgerlichen Intelligenz, so Harich, die mit der sowjetischen Politik in Deutschland durchaus sympathisierten. Auch bei einer den Problemen des sozialistischen Realismus gewidmeten Gesprächsrunde ist erkennbar, daß das Interesse der Fragesteller keineswegs rein akademischer Natur war. Die Antworten reflektieren sowohl die damalige kulturpolitische Atmosphäre als auch das Bemühen, die ausländischen Gäste nicht abzuschrecken. Dies zeigt sich nicht zuletzt in Fadejews Erwiderung auf Kuczynskis Einwurf, ob „der sowjetische Stil der Darstellung des Positiven und Negativen auch für die sozialistischen Schriftsteller des Auslands notwendig ist?" Fadejew, bei dieser Debatte Hauptgesprächspartner auf sowjetischer Seite, strich entgegenkommend (ein weiteres Mal) die Vielfalt der Darstellungsmöglichkeiten innerhalb des sozialistischen Realismus heraus und betonte die Unzulässigkeit von übergestülpten Schemata: „Wir stellen keine literarischen Formeln auf. [...] Ich habe selbst einen langen Weg des Suchens und des Irrens hinter mir [...]." 8 ° Anna Seghers, die in ihrer Broschüre kritisch anfragt, warum Irrungen und Verzögerungen, die in der Politik schon überwunden seien, in der Kunst noch einmal durchgemacht würden, 81 benutzt Fadejews Kritik an Schablonen, um der Legitimität auch von Träumen, Märchen und Phantasien innerhalb des Realismus das Wort zu reden. Weiterhin gründet sie darauf folgende, auch appellativ zu verstehende Argumentation: „Greco hat in seiner Zeit den Realismus erweitert, der ihr entsprach, wie der Sowjetschriftsteller heute dem Begriff des .Sozialistischen Realismus' seine Enge und Starrheit nimmt, die man ihm aus Irrtum oder aus Unwissenheit oder aus Böswilligkeit zuschieben will." 82 Generell wird in den sowjetischen Redebeiträgen der Lenkungscharakter der Kulturpolitik heruntergespielt. Die Existenz von offiziösen Vorgaben für die Schriftsteller sei „Unsinn", so Fadejew: „Man darf die führende Rolle der Partei in der Literatur nicht so primitiv auffassen. Die sowjetische Gesellschaft, die Partei, die Organisation der Schriftsteller treten scharf in einer einheitlichen Front auf, sobald sie eine Verzerrung unserer Weltanschauung, eine Verleumdung unseres Volkes oder Staates feststellen." 83 1948, in der Rolle des wißbegierigen Schülers, war es noch möglich, Fragen mit - vielleicht auch nur vorgetäuschter - Naivität zu stellen, die um so 78 Claudius, Ruhelose Jahre, S. 323f. 79 RGALI631/14/536. 80 Zum Thema „Sozialer Realismus", S. 538. 81 Seghers, Sowjetmenschen, S. 50. 82 Ebd., S. 59. 83 Ebd.

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provozierender wirkten. Hermlin setzte bei seiner Wahrnehmung sowjetischer Kunst ein: „In der Bildhauerkunst und Malerei der UdSSR sahen wir keine nackten menschlichen Körper. Die sowjetischen Künstler bekleiden sie gewöhnlich mit Badehosen. Das ist weit entfernt von der Offenheit und Wahrhaftigkeit, mit der die Griechen den menschlichen Körper darstellten. Weshalb diese Verschleierung? Passen Feigenblätter zum Realismus?" 84 In der Antwort, die, wie üblich, die Brisanz der Frage durch Formelhaftigkeit entschärft, wird die sowjetische Prüderie verteidigt unter Hinweis auf die besondere Qualität des sozialistischen Realismus und seine Überlegenheit gegenüber der ,dekadenten' Kunst des Westens. Eine weitere Erkundigung Hermlins betrifft die gängige sowjetische Praxis, selbst .Klassiker' der Sowjetliteratur ständig neuen Bearbeitungen zu unterziehen. Könne es denn legitim sein, Meisterwerke, die als Denkmäler ihrer Epoche gelten, von heutigen Gesichtspunkten aus umzugestalten? Fadejew, der selber gerade mit der Umarbeitung seines Romans „Die junge Garde" befaßt war, stellte diesen Vorgang als „Säuberung eines Werkes von groben Ablagerungen, [...] von Naturalismen" dar. 85 Unter Naturalismen verstand man seit der normensetzenden Diskussion über die Sprache in der Sowjetunion der 30er Jahre alle dialektalen, volks- und vulgärsprachlichen Ausdrücke, die nun auf Forderung der kulturpolitischen Instanzen ausgemerzt werden mußten. Aber der Naturalismus-Vorwurf diente auch dazu, ideologische Korrekturen zu verlangen. Wenn etwa, wie im Falle von Fadejews Roman, die leitende Rolle der Parteiorganisation beim Untergrundkampf der Komsomolzen als zu wenig gewürdigt eingestuft wurde, mußte diese in der Überarbeitung aufgewertet werden. 86 Zu den angemahnten Korrekturen kamen natürlich auch eine präventive Selbstzensur und einlenkende Streichungen in eigenen Manuskripten, um ihre Veröffentlichung zu retten. Daß die deutschen Autoren selbst von der Umarbeitungspraxis betroffen waren, zeigt das Beispiel von Claudius' Spanienbuch „Grüne Oliven und nackte Berge" (1945), über dessen Übersetzung ins Russische er auf der Delegationsreise von 1948 vergeblich verhandelte. 87 Erneut ist auf den Widerspruch zwischen Gesprochenem und Geschriebenem hinzuweisen. Denn Hermlin, von dem die kritische Nachfrage bezüglich des Zwangs zur beständigen Überarbeitung stammte, berichtet darüber in seiner Broschüre idyllisierend, daß Scholochow bei seiner nun schon zwanzig Jahre dauernden Arbeit am „Stillen Don" die Dorfbewohner der heimatlichen Kosakenstaniza um sich versammele, „ihnen die Änderungen vorlegt und auf ihr Urteil hört, dies und jenes zu bedenken gibt und wieder an den Schreibtisch zurückkehrt". 88 Nur ein Delegationsteilnehmer, nämlich Weisenborn, wagte es bei der Diskussion über den sozialistischen Realismus auf einen konkreten Fall der Literaturpolitik, ein Opfer der Erlasse von 1946 zu sprechen zu kommen. 89 Auf Fadejews Beteuerung hin, daß negative Charaktere und rückständige Stimmungen nicht verschwiegen werden müßten, verlangt Weisenborn zu wissen, 84 85 86 87 88 89

Zum Thema „Sozialer Realismus", S. 536. Ebd. Vgl. Fadeev, Sobranie socinenij, tom 2, S. 560. Vgl. Kap. 7.2.2. Hermlin, Russische Eindrücke, S. 51. Laut Auskunft von Frau Motyljowa hatte Weisenborn 1948 mit Blick auf die Erlasse eindringlich darauf hingewiesen, daß jeder Skandal in der UdSSR dem Ansehen im Ausland schade. - Gespräch mit Tamara Motyljowa, Moskau, 27. 6. und 6. 7. 1989. Vielleicht haben gerade Bemerkungen dieser Art zu einer kritischen Beurteilung seiner Person von sowjetischer Seite geführt.

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wie dann die Ablehnung Sostschenkos zu verstehen sei, der doch nur, wie es nötig ist, auch das Negative gezeigt habe. Fadejews Replik lautet (in einer nahezu .klassischen' Argumentationsfolge): „Das Negative muß dargestellt werden, aber nicht in der Art Soschtschenkos. Er hat Gier, Beschränktheit, Eigenliebe, Dummheit, Geiz und alle kleinlichen Gefühle als unveränderliche, den Menschen stets anhaftende Eigenschaften gezeichnet. [...] So ist bei ihm die Verleumdung des Menschen überhaupt entstanden, insbesondere die Verleumdung der gewandelten, geistig gewachsenen Sowjetmenschen. Die sowjetischen Menschen waren längst über Soschtschenko und die Hoffnungslosigkeit in seinem Schaffen empört." 90 Nicht die Partei, sondern das Volk lehne also Sostschenko ab (bei der gesetzten Interessengleichheit von Partei und Volk spielt es dann keine Rolle, wenn die Partei den Anstoß dazu gibt), und die vermeintliche Herabsetzung des Sowjetmenschen wird zur Herabsetzung des Menschen schlechthin verallgemeinert. Obwohl die ZK-Erlasse gegen die Zeitschriften „Swesda" und „Leningrad" mit ihren Anschuldigungen gegen Achmatowa und Sostschenko in der SBZ zu jenem Zeitpunkt im Wortlaut nicht veröffentlicht waren, machten die Vorwürfe doch die Runde. In einer Artikelserie vom Oktober 1946 zur Erläuterung der sowjetischen Kulturpolitik einschließlich der Erlasse hatte Alexander Dymschitz bereits ähnlich argumentiert wie später Fadejew. Die Erlasse bedeuteten nicht ein Eingreifen der Partei, sondern die Leser würden Sostschenko und Achmatowa ablehnen. 91 Um etwaigen Befürchtungen der deutschen Autoren zuvorzukommen, die sich angesichts der Ausfälle gegen Sostschenko leicht an den Umgang mit Schriftstellern im Nationalsozialismus erinnert fühlen konnten, führte man Sostschenko beim Festbankett in Leningrad gleichsam vor, um zu demonstrieren, daß zwar scharf kritisiert, aber nicht vernichtet wird. Diese Maßnahme hatte offensichtlich Erfolg. Auf der abschließenden Pressekonferenz nach dem sowjetischen Autor befragt, antworteten die Delegationsteilnehmer, daß trotz der ZK-Schelte seine Werke nicht verboten seien. 92 Und Hermlin (wiederum ein Fall von Doppelzüngigkeit?) hebt in seinem Reisebericht die Begegnung mit dem Satiriker sogar eigens hervor: „Der bedeutende Humorist [...] war bei bester Gesundheit und Laune und sprach von seinem neuen Stück, das bald herauskommen soll." 93 Völlig an der Realität vorbei geht Langhoff, wenn er behauptet, daß das Stück auch aufgeführt worden sei. 94 Sostschenko, so Langhoff weiter, habe seinen Unwillen darüber zum Ausdruck gebracht, „daß seine internen Diskussionen, die er allerdings mit einigen führenden Schriftstellern und auch mit führenden Organen gehabt habe, von der reaktionären Westpresse dazu ausgenutzt werden, um das gesamte System der Sowjetunion zu diffamieren und zu schädigen." 95 Wenn Sostschenko so gesprochen hat, tat er damit dem (bis weit in die 70er Jahre hinein in vergleichbaren Fällen stets verlangten) ,Distanzierungsritual' Genüge. Ein anderes Ver-

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Zum Thema „Sozialer Realismus", S. 538. TR vom 11./13. und 15. 10. 1946. Gestützt wurden Dymschitz' Auslassungen durch einen nur wenig später, am 8. November 1946 im „Neuen Deutschland" erschienenen Artikel von A. Shdanow mit dem (irreführenden) Titel „Friedliche sozialistische Entwicklung", in dem die bekannten Angriffe auf die „Apolitizität" einiger sowjetischer Schriftsteller wiederholt werden. - Vgl. Pike, The Politics of Culture, S. 223. TR vom 15. 5. 1948. Hermlin, Russische Eindrücke, S. 55. So in seinem Reisebericht, den er auf dem Ersten Kulturtag der SED vom 5. bis 7. Mai 1948 vorgetragen hat. - Vgl. die „Stenographische Niederschrift", SAPMO: ZPA IV 2/101/88. Ebd.

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halten wäre gerade Ende der 40er Jahre in der Öffentlichkeit überhaupt nicht denkbar gewesen. Auch wenn Sostschenkos Werke formaljuristisch nicht verboten waren, war dies doch de facto der Fall, denn Verlage und Redaktionen fürchteten sich vor Sanktionen und nahmen von der Veröffentlichung seiner Werke Abstand. 96 Um so perfider war das - häufiger angewandte Verfahren, kritisierte Künstler internationalen Renommees mit ausländischen Gästen zusammenzubringen oder sie auf Tournee zu schicken. Auf diese Weise sollte die beunniiigte Weltöffentlichkeit getäuscht werden. Ein offenes Wort der Betroffenen wäre einem Selbstmord gleichgekommen. 97 Ob während dieser Reise der eine oder andere Zweifelnde tatsächlich bekehrt wurde, ist nicht entscheidbar. Sicherlich fiel aber die Überzeugungsarbeit, die die sowjetischen Stellen mit Fleiß unternahmen, zum Teil auf fruchtbaren Boden. Angesichts der politischen Konstellation in Deutschland sahen die linken Autoren keine Alternative zu einer sozialistischen Literatur, und in ihr erkannten sie eine historische Chance. Gerne wollte man bei ihrer Etablierung von dem Land lernen, das schon eine lange Phase der Erprobung hinter sich hatte. Willig wurde der Vorbildcharakter der Sowjetunion - in allen Bereichen - beglaubigt. Doch was aus dem Rahmen der präfigurierten Wahrnehmung herausfiel, wurde nicht publik gemacht. Die Autoren bedienten die Wünsche der Politik und Kulturpolitik. Dieses Verhaltensmuster sollte auch späterhin greifen: Ängste und Schwächen durften nicht zugegeben werden (man darf sich vor dem ideologischen Gegner keine Blöße geben), Mißstände wurden als „Kinderkrankheiten" entschuldigt. Die Chance, den Neubeginn auf offene Kritik und einen wirklichen Meinungsaustausch zu gründen, wurde vertan.

7.1.2 Schriftstellerbegegnung 1953 Zum Zeitpunkt der zweiten Reise im April/Mai 1953 hatte sich die kultur- und literaturpolitische Situation sowohl in der Sowjetunion als auch in der DDR nicht unwesentlich verändert. 98 Die durch Stalins Tod zwei Monate zuvor in der Sowjetunion ausgelöste aktuelle Entwicklung der allmählichen Entdogmatisierung wurde in den Gesprächen mit der deutschen Delegation indes noch nicht reflektiert. Bezugsrahmen war vielmehr der XIX. Parteitag, der auch unter sowjetischen Literaturfunktionären zunächst noch weitgehend seine Gültigkeit bewahrte. In der DDR hatte seit der ersten Delegationsreise die Kulturpolitik (auch institutionell) ein festes Gerüst bekommen. 99 Mit der gegen den „Formalismus in Kunst und Literatur" gerichteten Entschließung des ZK der SED auf der Tagung vom 15. bis 17. März 1951 hatte die DDR, wenn auch nur für kurze Zeit, die Sowjetunion ,eingeholt'. Die ihrem Charakter nach bereits abgrenzenden Parteirichtlinien erfuhren, wie auch aus den Moskauer Gesprächen hervorgeht, in der Literaturkritik und in anderen kulturpolitischen Instanzen unterhalb der Parteiebene eine weitere Dogmatisierang. Als Reaktion darauf wurden die durch die Abkehr von der „Theorie der Konfliktlosigkeit" in Gang gesetzten sowjetischen Diskussionen intensiv von den Schriftstellern der DDR rezipiert und eigene Überlegungen dazu angestellt.100 1953 erschienen in deutscher 96 Vgl. 97 Vgl. 98 Vgl. 99 Vgl.

Kap. 2.2.2. Zeugenaussage. Die Memoiren des Dmitrij Schostakowitsch, S. 194ff. Kap. 2.2.5. Kap. 4.3.3

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Sprache der Kunst und Literatur betreffende Abschnitt aus der Rede Malenkows auf dem XIX. Parteitag zusammen mit etlichen in der Sowjetunion publizierten Folgeartikeln zu Fragen des Konflikts in verschiedenen Gattungen (Literatur, Malerei, Theater, Film). 101 Zugleich kam aber neben weiteren Übersetzungen sowjetischer Literaturkritik und -theorie auch ein Band mit literaturpolitischen Richtlinien heraus, der die Parteierlasse von 1946/48 und Shdanows Ausführungen dazu enthielt. 102 Zwar waren die Erlasse in der Sowjetunion nach wie vor offiziell gültig, die Parteikritik an Konfliktlosigkeit und Schönfärberei wies jedoch bereits darüber hinaus. In der DDR hingegen war zum Zeitpunkt der Delegationsreise eine parteiamtliche Stellungnahme zu „konfliktloser" Literatur nicht geleistet worden. Zu den Teilnehmern Die Notwendigkeit eines forcierten Hineingehens in die deutsche Öffentlichkeit durch Wort und Schrift in Form weiterer ,Beglaubigungen' des in der UdSSR Erlebten bestand 1953 nicht mehr in dem Maße wie 1948. In der Zwischenzeit waren zahlreiche Delegationen und Einzelreisende mit Publikationen hervorgetreten, auch war durch Besuche von sowjetischer Seite und den beständigen Einsatz von Massenmedien die Informationsbasis so veibreitert worden, daß eine neuerliche literarische Aufarbeitung zu jenem Zeitpunkt redundant gewesen wäre. Zwar wurde auf der abschließenden Pressekonferenz, deren emphatisch vorgetragene Aussagen sich kaum von denen des Jahres 1948 unterschieden, 103 ein Sammelband mit Eindrücken angekündigt, aber offenbar ist er nicht realisiert worden. Der Leiter der Delegation, Kuba (Kurt Barthel), hatte schon zwei Jahre zuvor eine Broschüre anläßlich einer anderen Delegationsreise zu den Maifeiern 1950 verfaßt. 104 Außer Kuba nahmen Paul Wiens, Jurij Brezan, Franz Fühmann, Max Zimmering, Annemarie Reinhardt, Paul Rilla, Peter Hüchel und Hans Marchwitza an der Reise teil. 105 Wenn auf der genannten Pressekonferenz im Einklang mit dem positiven Gesamtbild der Reise behauptet wurde, daß „in literaturtheoretischen Fragen Klarheit geschaffen worden" sei, so wird dies durch die internen Sitzungsprotokolle nicht bestätigt. Zwar gab es keine heftigen Auseinandersetzungen, jedoch fehlte es häufig an eindeutigen Stellungnahmen der sowjetischen Gesprächspartner zu den von den deutschen Kollegen aufgeworfenen Fragen. Das mag u. a. auf folgende Sachverhalte zurückzuführen sein. Barachtet man die Zusammensetzung der sowjetischen Abordnung, so fällt auf, daß es sich zumeist um weniger renommierte 100 101 102

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Vgl. z. B. Wolfgang Joho, Es ist nicht alles „in bester Ordnung". Zur Rolle des Konflikts in unserer Literatur, in: Sonntag 48/1952; Neil, Über den Begriff des Typischen, S. 166-174. Zur Frage des Konflikts in Kunst und Literatur. Beiträge zum sozialistischen Realismus; Oserow, Literaturkritik; Timofejew, Über den sozialistischen Realismus. Shdanows Kommentar zu dem die Musik betreffenden Erlaß war allerdings schon unter dem Titel „Fragen der sowjetischen Musikkultur" in „Neue Welt" 11/1948, S. 3 - 1 8 veröffentlicht worden. - Vgl. Pike, The Politics of Culture, S. 469ff. RGALI 631/26/1336. Vgl. auch „Moskauer Eindrücke deutscher Schriftsteller", in: TR vom 24. 5. 1953. Kuba, Gedanken im Fluge. Nach Auskunft der die Gruppe betreuenden Dolmetscher sollte auch Bodo Uhse mitreisen. In letzter Minute, bereits auf dem Flughafen, erwies es sich, daß „etwas mit seinen Papieren nicht in Ordnung" gewesen sei. „Offenbar hatten die deutschen Behörden ihre Gründe, warum sie Bodo Uhses Reise in die Sowjetunion für nicht wünschenswert hielten." - RGALI 631/26/1329.

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Autoren und Kritiker als 1948 handelte. Die meisten von ihnen gehörten dem .dogmatischen Lager' innerhalb des sich nach Stalins Tod in der Sowjetunion herausbildenden und offen artikulierenden Meinungsspektrums an. 106 Teilnehmer waren, um nur einige Namen zu nennen, der Lyriker Alexej Surkow, der auf dem XIV. Leitungsplenum des Schriftstellerverbandes im Oktober 1953 zum Ersten Sekretär ernannt wurde und damit Fadejew als Generalsekretär ablöste. Surkow war u. a. 1958 einer der heftigsten Betreiber der Kampagne gegen Boris Pasternak im Zusammenhang mit der Auslandsveröffentlichung seines Romans „Doktor Shiwago" und der Verleihung des Nobelpreises an ihn. Auf dem dritten Schriftstellerkongreß 1959 trat Konstantin Fedin, der wohl bekannteste Autor der Gesprächsrunde, seine Nachfolge an. Er tat sich als Vorsitzender vor allem in den 60er Jahren durch das Zurückhalten ,unbequemer' Manuskripte hervor. Die Literaturkritiker Wladimir Jermilow und Dmitri Jerjomin wachten besonders scharf über Abweichungen vom sozialistischen Realismus. So galt z.B. Sostschenko für Jeimilow 1954, ein Jahr, nachdem er wieder in den Schriftstellerverband aufgenommen worden war, immer noch als zu schmähendes Negativexempel; und Jerjomin bezichtigte 1957 den zweiten Band des Almanachs „Literaturnaja Moskwa", der im Zuge der ersten .Liberalisierung' nach dem XX. Parteitag entstanden war, der „Schwarzmalerei". Die Kolchosromane des ebenfalls anwesenden Stalinpreisträgers Semjon Babajewski, etwa „Der Ritter des Goldenen Sterns", galten nach Stalins Tod als Musterbeispiele für die „Lackierung der Wirklichkeit". Es ist befremdlich und bezeichnend zugleich, daß er als Gesprächsteilnehmer nominiert woiden war. Von ihm sind indes keine Wortbeiträge dokumentiert. Die Kinderbuchautoren Alexej Mussatow und Maria Prileshajewa achteten, pauschal gesagt, in ihren Werken mehr auf die klassenbewußte Erziehung der Kinder als auf ästhetische Gestaltung. Über die Grenzen der Sowjetunion hinaus bekannt, nicht nur durch einen Besuch in der DDR 1951, war Boris Polewoi, der nicht eindeutig diesem Lager zugerechnet werden kann. Eher der antidogmatischen Seite zuzuordnen ist seinen Veröffentlichungen nach der Literaturwissenschaftler Boris Mejlach, dessen literaturpolitischer Einfluß jedoch gering war. Die Zusammensetzung solcher Gesprächsrunden war nicht zufallig. Sie verdeutlicht, daß bei Außenkontakten die ,orthodoxen' Kräfte ein größeres Vertrauen genossen und die Politik prinzipienfester Grenzziehungen' als ein entscheidendes Vermittlungsgut gesehen wurde. Zeitweilige ,kursabhängige' Unsicherheiten auf der eigenen Seite mußten sorgsam, ohne Preisgabe von Positionen, kaschiert werden. Obwohl die .Parteilichkeit' der deutschen Schriftsteller extrem unterschiedlich ausgeprägt war (von Kuba bis Hüchel), bestand in der Mängelkritik weitgehende Einhelligkeit. Sie bezog sich auf dogmatische Auswüchse bei der Umsetzung literaturpolitischer Direktiven der SED, die ihrerseits jedoch, zumindest nach außen hin, nicht selbst in Frage gestellt wurden. Konfrontiert mit derartigen Klagen der Deutschen und mit der an sie gerichteten Erwartungshaltung, gleichsam ein Machtwort in dieser Hinsicht zu sprechen, konnten die sowjetischen Gastgeber, gerade aufgrund ihres eigenen Profils, nur auf die Bloßstellung der „Theorie der Konfliktlosigkeit" durch die Partei im Jahre 1952 verweisen und sich dieser Linie anschließen. Sie bildete, wie die literaturpolitische Entwicklung innerhalb der UdSSR zeigt, eine Art Minimalkonsens zwischen den ,Lagern' und schloß das Einräumen eigener Fehler ein - ganz im Gegensatz zu 1948.

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Zu den folgenden Charakteristiken vgl. Eggeling, Die sowjetische Literaturpolitik.

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Die Gesprächsrunden Von der Reise, die nicht auf Moskau beschränkt blieb, sondern vom „Baltikum ans Schwarze Meer" führte, sind außer der Pressekonferenz vier Gesprächsrunden zwischen dem 8. und 11. Mai dokumentiert: mit der Kommission für Literatur der Völker der UdSSR; mit der Kommission für die Zusammenarbeit mit russischen Schriftstellern in den Republiken, Gebieten und Kreisen; mit der Auslandskommission des Schriftstellerverbandes „über den Aufenthalt in der UdSSR", wohinter sich jedoch ausschließlich literarische Themen verbergen; mit einer Gruppe von Kinderbuchautoren. Wenn von den DDR-Schriftstellern dabei vorwiegend Unzulänglichkeiten des eigenen Literaturbetriebs zur Sprache gebracht wurden, so sollte es dabei, lautZimmering, nicht so aussehen, „als würde alles weh tun. Aber wenn der Patient zum Arzt kommt, spricht er nicht darüber, was in Ordnung ist, sondern darüber, was weh tut". 107 Die „Arzt-Patient"-Relation bedeutet gleichsam eine Steigerung des zu Beginn fast jeden Gesprächs von den Deutschen thematisierten „Schüler-Lehrer"-Verhältnisses, damit aber auch eine Verstärkung des Erwartungsdrucks auf die sowjetischen Kollegen. Zwei große Themenkomplexe, die auch schon 1948 auf der Tagesordnung standen, durchziehen (nunmehr mit veränderten Inhalten) die Gespräche: die Organisation des Schriftstellerverbandes im weitesten Sinne sowie Probleme des Typischen, des Konflikts, des negativen und positiven Helden und der Satire. Das Interesse an einem Austausch zum Thema Nationalliteraturen mochte durch die Existenz einer nationalen Minderheit in der DDR, der Sorben, begründet sein, denen der mitreisende Schriftsteller J. Brezan angehörte. Aus der Sicht der DDR-Autoren hatte die Sowjetunion in der Erschließung der Nationalliteraturen und im Umgang mit ihnen einen höheren Entwicklungsstand erreicht, als er in der DDR zu jener Zeit zu verzeichnen war. Ebenso wie von sowjetischer Seite die Oktoberrevolution als Auslöser dieser Impulse dargestellt wurde, betonte Brezan, daß die sorbische Literatur nach dem Krieg mit Hilfe der sowjetischen Armee wiederhergestellt worden sei. 108 Das Gespräch dreht sich im wesentlichen um Fragen der Übersetzung von Werken der verschiedenen Völker der UdSSR ins Russische bzw. ins Deutsche. Literaturpolitische Dimensionen kommen vor allem dort ins Spiel, wo es um Vergleiche „bürgerlicher" und „sozialistischer" Übersetzungen geht. So fordern die sowjetischen Autoren, daß der sozialistische Realismus auch für Übersetzungen gelten solle, und zwar in dem Sinne, daß „bürgerliche Glättungen" überwunden werden müßten. Brezan berichtet von einer Sammlung soibischer Lieder, die Mitte des 19. Jh.s herausgegeben und ins Deutsche übersetzt worden waren. Diese Übersetzung würde jedoch die nationale Eigenart nicht genügend wiedergeben, ja sie sei,.kosmopolitischen Charakters". Daher hätten einige junge deutsche Schriftsteller die Bereitschaft signalisiert, eine Neuübersetzung anzufertigen. Die Akademie der Wissenschaften der DDR habe sie jedoch nicht genehmigt, da die Erstausgabe eine wissenschaftliche Quelle sei. Hier wird auf die politische ,Rückständigkeit' der Professorenschaft angespielt und durch die Verwendung des Begriffs „kosmopolitisch" an die sowjetische Kulturpolitik in den Jahren 1949/50 erinnert. Kubas Klage über den Mangel an jungen Professoren zielt in dieselbe Richtung wie die Aussage BrSzans, wenn er den „alten" vorwirft, daß sie zuweilen Studenten durchfallen ließen, die beim Examen die Fragen „von einem prinzipiellen Standpunkt aus" beantworten würden. In gleichem Maße wie der Kosmopolitismus wird jedoch auch ein eng verstandener Umgang mit National107 RGALI631/26/1334. 108 RGALI 631/26/1332.

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literaturen abgelehnt, der, ähnlich wie in der Sowjetunion, unter das Verdikt des Nationalismus fiel. So berichtet Brgzan darüber, daß man ihm in der DDR vorgeworfen habe, ein Buch nicht in seiner Muttersprache, sondern auf Deutsch verfaßt zu haben. 109 Von sowjetischer Seite wird bestätigt, daß der Vorwurf ungerechtfertigt sei. Zur effektiveren Koordinierung der Literaturvermittlung wird seitens der deutschen Autoren der Wunsch nach einem gemeinsam erstellten Übersetzungsplan laut, in den auch Lieder und Gedichte der Völker der UdSSR einbezogen werden sollten. Dies würde dazu beitragen, so Paul Wiens, Chauvinismus abzubauen. Nun wurde in der Sowjetunion auch in den 50er Jahren vor allem von .konservativen' Kreisen und von gleichgesinnten Vertretern der Republiken die Dominanz der russischen vor den anderen Literaturen betont. 110 Wiens' Gedanke enthält somit ein ungeahnt kritisches Potential. Beim Thema Betreuung der Provinzautoren und des literarischen Nachwuchses 111 überschreitet die sowjetische Selbstdarstellung den Rahmen einer formalen Aufzählung der betreffenden Kommissionen, der möglichen Wege von Manuskripten (z.B. vom Provinzalmanach zu einem Zentralverlag) und der möglichen Karrieren („Arbeiter, Ingenieur, Schriftsteller") nur selten. Es werden Optionen genannt, die einem jungen Autor offen stehen, sollte er mit einer Kritik nicht einverstanden sein (auf eine Frage von Hüchel hin), es wird betont, daß im Falle von „Patenschaften" ältere, bekanntere Autoren auf keinen Fall ihren jüngeren Kollegen, bzw. den Kollegen in der Provinz ihren Stil aufzwingen würden (auf eine Frage von Brezan, ob das Wachstum der Sowjetliteratur darauf zurückzuführen sei, daß erfahrene Autoren die Manuskripte der jüngeren läsen, also ein Erfolg der „kollektiven Arbeit" vorliege). Nicht zuletzt wird hervorgehoben, daß es auch in der Provinz Stalin-Preisträger gebe (z.B. W. Ashajew mit seinem Roman „Fern von Moskau"). Aus der Schilderung geht in erster Linie hervor, daß die Arbeit sehr sorgfältig durchgeführt wird, was unter ideologischen Gesichtspunkten nur konsequent ist. Unstimmigkeiten zwischen Zentrale und Provinz in der Bewertung einzelner Werke werden nicht verschwiegen, sondern als zum literarischen Alltag gehörig betrachtet. Selbstkritisch wird allerdings angemerkt, daß die Kommission oft zu liberal sei und strengere Maßstäbe anlegen müsse. Offen bleibt, ob sich dahinter der gesamte, völlig ausgeklammerte und von deutscher Seite nicht erfragte Komplex möglicher Sanktionen gegenüber (ideologisch),uneinsichtigen' Autoren, einschließlich der Willkür von Redaktionen etc. verbirgt. Ihren eigenen Literaturbetrieb schildern die deutschen Schriftsteller im Hinblick auf die noch im Aufbau begriffenen organisatorischen Strukturen und die damit verbundenen .Kinderkrankheiten'. Ein Zusammenspiel persönlicher und literaturpolitischer Faktoren mag sich hinter Hüchels Feststellung verbergen, daß trotz einzelner Patenschaften älterer Autoren über jüngere das Verhältnis zwischen beiden Gruppen nicht immer „ganz in Ordnung" sei. Bedauert wird, daß, im Gegensatz zur Sowjetunion, bei etlichen namhaften Schriftstellern das Verantwortungsgefühl (für die Mitarbeit im Schriftstellerverband und die Betreuung jüngerer Kollegen) noch schwach entwickelt sei, eine Ausnahme bildeten W. Bredel und A. Seghers. 112 Die Kritik ging jedoch hier, wie in allen anderen Gesprächen, nicht bis zu (denunziatorischen) Namensnennungen; sie blieb stets auf Inhalte beschränkt. Das gilt auch für den Hinweis auf die große Eile, mit der die 109 110 111 112

RGALI631/26/1335. Vgl. Eggeling, Die sowjetische Literaturpolitik, S. 47, 221. RGALI 631/26/1335. RGALI 631/26/1334. Zum Verhältnis der älteren und jungen Autoren in der DDR vgl. auch Kap. 5.3.4.

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Herausgabe neuer Literatur in der DDR vorangetrieben werde. Ergebnis sei eine oftmals mangelnde Sorgfalt im Umgang mit Manuskripten. Verlage und Redaktionen, z.T. mit junger und unerfahrener Belegschaft, rissen den Autoren die Werke oft noch in unreifem Zustand förmlich aus der Hand, bevor sie im Schriftstellerverband erörtert würden. Die - fraglos akzeptierten Gegenwartsthemen könnten auf diese Weise nicht gründlich genug studiert werden. Nicht zur Sprache kommen die in jedem Fall beteiligten Zensurinstanzen. Wie auch innerhalb der sowjetischen Literatuipolitik zu beobachten war, wird die Hoffnung auf eine qualitätsvollere Literatur mit der Notwendigkeit einer Neuorganisation des Schriftstellerverbandes verknüpft. Ob zu jenem Zeitpunkt bei den DDR-Schriftstellern das Denken in administrativen Abhängigkeitsverhältnissen bereits verinnerlicht war oder ob nicht anders argumentiert werden konnte, muß dahingestellt bleiben. Die Probleme bei der Erörterung von Manuskripten hatte Anna Seghers in einem Brief an den für deutsche Literatur zuständigen Konsultanten der Auslandskommission vom 13. April 1953, also kurz vor der Delegationsreise, viel prägnanter auf den Punkt gebracht: „Hier ist es sehr schwer unter den Bedingungen des heftigsten Kampfes Leute zu finden, die richtig mit den Künstlern diskutieren können, die eine negative oder teilweise negative Bewertung in einer Form geben können, daß der Autor mit neuen Kräften an die Arbeit geht, anstatt auf seinen Fehlern zu bestehen oder in den Westen zu gehen." 113 Das DDR-spezifische Problem der ,Ausweichmöglichkeit' in den Westen wird bei aller Offenheit in den Moskauer Gesprächen nicht tangiert. Von Westdeutschland ist lediglich im Zusammenhang mit Vorurteilen die Rede. So herrsche dort die Ansicht, daß der Nachwuchs in der Sowjetunion keine Entwicklungsmöglichkeiten habe. Dies stimme nicht, so Hüchel, sie seien sogar größer als in kapitalistischen Ländern. Hüchel ist es auch, der auf der Pressekonferenz hervorhebt, daß er nach den Unterredungen für Gespräche mit seinen westdeutschen Kollegen „gewappnet" sei. Es ging nicht nur um die Abwehr von im Westen kursierenden Meinungen, sondern, im Sinne der Programmatik des weltweiten Friedenskampfes, auch um die Stärkung der dortigen demokratischen Kräfte. 114 Als Errungenschaft erwähnen die DDR-Autoren die Literatuizirkel in der Provinz für Autoren, die (noch) nicht publizierten und nicht Mitglieder des Schriftstellerverbandes waren. Gerade Uber diese Einrichtung, deren Mitglieder bereits eigene Ausweise hatten, schreiben Wassili Ashajew und Jewgeni Dolmatowski in ihrem Rechenschaftsbericht über die Teilnahme an einer Konferenz junger Autoren in der DDR im März 1954: „Das erinnert uns an jene fernen Zeiten der RAPP-Aufrufe an die Stoßarbeiter, in die Literatur zu gehen." 115 Diese ironischüberlegene Art der Bewertung literarischer Vorgänge im Lande des .kleinen Bruders' klingt in den protokolierten Unterredungen nicht an. 116 Ashajews und Dolmatowskis Reise kann zu den erbetenen und versprochenen Hilfsmaßnahmen' des sowjetischen Schriftstellerverbands gerechnet werden.

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RGALI631/26/1340. Davon zeugt auch eine (nach einer Einzelreise in die UdSSR verfaßte) Broschüre Stefan Heyms „Reise in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten" (Berlin 1954). Sie wurde in Westdeutschland in Lizenz unter dem Titel „Wer hat Angst vor Rußlands Bären?" (Düsseldorf 1955) verlegt. RGALI 631/26/1344.

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Die Klagen der deutschen Schrifsteller über eine dogmatische Literaturkritik oder, im Falle der Kinder- und Jugendliteratur, über eine engstirnige Pädagogik werden im Zusammenhang mit Fragen zum Typischen und zur Konfliktgestaltung durch konkrete Beispiele veranschaulicht. 117 So durfte in einem Drehbuch von Wiens nach den Vorstellungen der DEFA ein zweifacher Aktivist keine Fehler begehen, und sein Erfolg durfte ihm nicht zu Kopfe steigen. Dies sei nicht typisch. Ergebnis war, daß der Held ein einfacher Aktivist sein sollte. 118 Die Kommentare der sowjetischen Gesprächspartner dazu, die sie nicht als Rezepte verstanden wissen wollten, bewegen sich zwischen dem Eingeständnis eigener - früherer - Fehler (ideale, fehlerfreie Helden) und der Reproduktion der Parteitagsbeschlüsse (die Menschen in ihrer inneren Komplexität und Widersprüchlichkeit zeigen). Sie heben hervor, daß der Autor erkennbar machen müsse, ob er durch die Darstellung negativer Züge bei seinem Helden zu dessen Läuterung beitragen wolle oder sich aber auf dessen Herabsetzung beschränke. Ebenso sei in der Kinderliteratur bei der Darstellung negativer Eigenschaften von Pionieren darauf zu achten, daß der Autor nicht etwa damit sympathisiere, sondern sie zu Zwecken der „Entlarvung und Verlachung" verwende. In der DDR, so die Klage der deutschen Schriftsteller, sei nach Ansicht der Pädagogen und Pionierleiter in jedem Fall ein Pionier mit negativen Verhaltensweisen undenkbar. Das Operieren mit dem Autorenstandpunkt war innerhalb der sowjetischen, vor allem der .konservativen' Literaturkritik ein entscheidendes Bewertungskriterium, mit Hilfe dessen gerne sozialkritische Werke angegriffen wurden. Dies geschah oftmals, indem unzulässigerweise der Autorenstandpunkt ohne weiteres mit dem Figurenstandpunkt gleichgesetzt wurde. In bezug auf die DDR-Literatur wird das Zugeständnis gemacht, daß in einer „jungen Literatur" oft das Negative ausführlicher beschrieben werde, da die Autoren „mehr Erfahrung darin" hätten. Ein zweites Beispiel: Es wird der potentielle literarische Stellenwert einer Begebenheit in einem Betrieb diskutiert, bei der ein parteiloser Arbeiter die beschlossene Gehaltserhöhung für die technische Intelligenz begrüßt, wohingegen zwei Parteimitglieder sie falsch finden. Kuba hält diese Szene für typisch in der DDR, sie zeige das wachsende Bewußtsein der Arbeiter. Oftmals seien Parteimitglieder weniger „bewußt" als parteilose. Diese Konstellation wird von sowjetischer Seite nicht ohne weiteres akzeptiert. Man müsse das vom Standpunkt des Typischen her „lange beweisen" (Surkow). Die führende Rolle der Partei, deren .mangelnde Darstellung' Ende der 40er Jahre bei vielen sowjetischen Autoren zur Überarbeitung ihrer Werke geführt hatte, galt also weiterhin als Beurteilungskriterium. Zwei Interpretationsmöglichkeiten werden vorgeführt:

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Sie ist jedoch in anderen internen Reiseberichten über die DDR enthalten. So mokiert sich z. B. Pawlenko über die Durchführung des II. Deutschen Schriftstellerkongresses 1950, an dem er mit K. Fedin und A. Twardowski teilgenommen hatte. Der Kongreß sei „unglaublich langweilig" und schlecht vorbereitet gewesen und habe darüber hinaus an Versammlungen in der Sowjetunion vor 20 Jahren erinnert („einige Leute in altmodischer Kleidung, einige Leute von der Arbeiterfakultät"). Die sowjetischen Gäste hätten letztlich die Organisation übernommen. - Sitzung der AK vom 11.8. 1950, RGALI 631/14/90.

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Das Gespräch über allgemeine Fragen der Literatur: RGALI 631/26/1333, das Gespräch über Kinderliteratur: RGALI 631/25/1334. Mit Hinweis auf den XIX. Parteitag heißt es, daß die DDR-Autoren derzeit vermehrt Drehbücher schrieben. Fadejew hatte in seiner Rede festgestellt, daß Drama und Drehbuch die schwierigsten literarischen Gattungen darstellten. Daher könne es nicht verwundern, daß die größten Mängel - hinsichtlich der „Konfliktlosigkeit" - gerade auf diesen Gebieten zu verzeichnen seien. Hier müßten um so größere Anstrengungen zur Korrektur vorgenommen werden. - Vgl. Current Soviet Politics, S. 154f.

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Wolle ein Autor mit der geschilderten Episode aus dem Betrieb von einem „sektiererischen Standpunkt" aus „einen Keil zwischen Parteimitglieder und Parteilose treiben", so sei dies abzulehnen. Als satirische Episode zur Entlarvung einer nicht übeizeugend arbeitenden Betriebsparteigruppe sei sie jedoch geeignet. Aus dieser Argumentationsweise geht (ein weiteres Mal) hervor, in welchem Maße der sozialistische Realismus nicht nur als „Schaffensmethode" verstanden wurde, sondern vor allem auch als Bewertungsinstrumentarium, an dem jedes Werk neu zu messen war, das aber selber äußerst dehnbar war und dessen weitere oder eqgere Spielräume von verschiedenen politischen Faktoren oder auch Gruppenzwistigkeiten abhingen. Wollte man jemandem etwas Negatives nachweisen, so gelang dies mit den hier offengelegten Aigumentationsmustern allemal. Anhand eines kurzen Gedichts von Heinar Kipphardt in „Neue deutsche Literatur" zum Tode von Paul Eluard wird das Problem des Formalismus angeschnitten. Nach Aussage Kubas ist der Formalismus in der DDR unter den jungen Autoren nur unterdrückt, aber noch nicht „bis zu den Wurzeln ausgerottet". Von sowjetischer Seite wird, gleichsam beruhigend, darauf hingewiesen, daß es auch dort noch nach 36 Jahren Sowjetliteratur formalistische Versuche gebe, diese Fragen also mit Sicherheit in der DDR noch weiterbestehen werden. Interessant ist, daß Surkow in diesem Kontext literaturpolitische Methoden bloßlegt, die sich die deutschen Kollegen offenbar zu eigen machen bzw. aus denen sie lernen sollten. So heißt es in bezug auf Majakowski, dessen vorrevolutionäre, futuristische SchafiFensphase zu jener Zeit scharf abgelehnt wurde, daß man die Diskussion um ihn mit dem Ziel führe, sein Werk vor der Gleichsetzung mit dem Futurismus zu bewahren und um eine Wiederbelebung des Futurismus, der ja als „formalistisch" galt, im Namen Majakowskis zu verhindern. In bezug auf die DDR führt Kuba als Beispiel für einen erfolgreichen Kampf gegen formalistische Neigungen den schöpferischen Weg Stephan Hermlins an. Die literaturpolitische Entwicklung innerhalb der Sowjetunion zeigt, daß die Kampagne gegen den Formalismus, die 1948 einen ersten Höhepunkt erreicht hatte, nie völlig zum Stillstand kam, sondern latent weiterwirkte und bei bestimmten Ereignissen immer wieder, so z.B. Ende 1962/Anfang 1963 im Zusammenhang mit modemer Kunst, an die Oberfläche gelangte. Die Notwendigkeit einer qualitativ guten Kinderliteratur wird mit der Abwehr der im Westen erfolgreichen Bücher trivialer Machart (Karl May, „Trotzkopf etc.) begründet. Um so ärgerlicher erschienen die gerade auf diesem Gebiet besonders engstirnigen Ermahnungen und Eingriffe von Pädagogen und Pionierführern, die nicht nur auf unzureichende Kenntnisse der Ästhetik, sondern auch auf eine mangelnde Durchdringung des Marxismus zurückgeführt wurden. Allerdings spricht Kuba ihnen mildernd eine gewisse Furchtsamkeit zu. Die angeführten Beispiele sind in der Tat denkwürdig: Ein Arbeiter darf seinen Sohn nicht „Nichtsnutz" schimpfen. Ein Bergmann darf nach 25 Jahren in der Grube nicht „krumm" gewoiden sein, er muß gerade stehen und sitzen. Pioniere müssen stets ohne Tadel dargestellt werden, was, so A. Reinhardt, die jungen Leser desorientieren würde, sie wüßten dann nicht mehr, was gut und was böse sei. (Dagegen werden Kinder aus dem Westen in den ,schwärzesten Farben' gezeichnet.) Dem Kinderbuch wird hier also eine dem Elternhaus und den gesellschaftlichen Einrichtungen gleichwertige Erziehungsfunktion und -fähigkeit zugesprochen, ein deutlicher Reflex sowjetischer Positionsbestimmungen in diesem Bereich. Beachtenswert ist die Feststellung, daß sich die DDR-Pädagogen bei all dem auf das sowjetische Vorbild beriefen. Dazu heißt es bei den deutschen Gästen: „Der Sache der deutsch-sowjetischen Freundschaft ist es nicht dienlich, wenn die sowjetische Pädagogik als Schreckgespenst aufgebaut wird. Gegen solche Dummheiten müssen

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wir gemeinsam kämpfen." 119 Das bedeutet, daß ein Mißbrauch sowjetischer Autorität unterbunden werden sollte. Ob die oft wenig präzisen Antworten der Gastgeber jedoch dazu angetan waren, der ihnen zugesprochenen Kompetenz gerecht zu werden, ist fraglich. Nach allgemeinen Hinweisen auf das „Zurückbleiben" der Literaturkritik auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendliteratur ist von zeitweiligen Unstimmigkeiten auch zwischen sowjetischen Pädagogen und Autoren die Rede. Allerdings sei die sowjetische Pädagogik nicht so verknöchert, wie es in der DDR den Anschein haben könnte. Den DDR-Kollegen wird empfohlen, sich pädagogisch zu wappnen, um ihre Bücher zu verteidigen. Im Geiste des XIX. Parteitags ist der Hinweis auf die - nun mögliche und nötige Schilderung scharfer Konflikte gehalten, mit der Einschränkung, das Negative nicht überzubetonen, einem restriktiven Einwand, der an je wechselnden Beispielen mehrere Jahrzehnte sowjetischer Literaturpolitik durchzog. Schließlich wird als „lebenswahrer Held" Pawlik Morosow angeboten, ein Pionier, der Anfang der 30er Jahre seinen Vater als Kulaken denunziert hatte und dafür von den Bewohnern seines Dorfes gelyncht worden war. Als typischer Märtyrer-Held ging er in zahlreiche Werke der Sowjetliteratur ein, fand aber, wie diese sowjetisch-stalinistische Tradition generell, keine genuine literarische Fortsetzung in der DDR, was angesichts der wesentlich kleineren Maßstäbe dort durchaus erklärbar war. Eine Diskussion über konkrete DDR-Produktionen fand, offensichtlich mangels Übersetzungen ins Russische, nicht statt. Deutlich ging indes der Kinderlyriker- und dramatiker Sergej Michalkow bei seinem Besuch in der DDR 1953, der als „Umschwung in der deutschen Kinder- und Jugendliteratur" bezeichnet wurde, 120 mit dieser ins Gericht. Er warf seinen deutschen Kollegen „Konfliktlosigkeit" vor und hielt ihnen entgegen: „Die deutschen Schriftsteller lassen das pulsierende Leben an sich vorüberziehen, wagen nicht, Gegenwartsthemen zu gestalten und greifen häufig auf Probleme der Vergangenheit zurück." Im Theater stünden „Zeitungsmenschen" mit unechten Konflikten auf der Bühne. Das operative Moment der .sowjetischen Hilfe' kam offenbar bei den Gegenbesuchen in der DDR stärker zum Ausdruck als bei den Delegationsreisen nach Moskau, wie auch der schon erwähnte Rechenschaftsbericht von Dolmatowski und Ashajew zeigt. Schaut man sich auf dem Hinteigrund der sowjetischen Literaturpolitik die Namen der Reisenden aus der UdSSR in jenem Zeitraum an, so fällt, wie bei der Gesprächszusammensetzung in Moskau, auf, daß wiederum die dogmatischen Kräfte überwogen, die zwar einerseits den .fortschrittlicheren', nämlich .postkonfliktlosen' Standpunkt vertreten konnten, von denen aber nicht zu befürchten war, daß sie zu große Offenheit propagieren würden. Um das Lehrer-Schüler-Verhältnis punktuell abzuschwächen, wurde den deutschen Teilnehmern die Möglichkeit geboten, über ein, wie sich herausstellte, auch bei den sowjetischen Kollegen nicht unumstrittenes Drama von A. Sofronow zu diskutieren, das in Deutschland spielt und einen Spionagefall in einem Betrieb zum Thema hat, gepaart mit einem Vater-Sohn-Konflikt. Es ging darum, ob das Stück in der DDR aufgeführt werden könnte. Das Ergebnis nach Abwägung der Stärken und Schwächen, wobei letztere deutlich überwogen, lautete, daß es für das sowjetische Publikum geeignet sei, vor einer Präsentation in der DDR jedoch überarbeitet werden müsse. 121 119 RGALI631/26/1334. 120 So in einem Bericht der DSF über Maßnahmen der Jahre 1953/54. - SAPMO: AGDSF, A 194. Dort auch das folgende Zitat. 121 RGALI 631/26/1333. Zu dem Stück siehe auch Kap. 7.3.1.

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Es ist letztlich nicht in deutscher Sprache erschienen. Sofronow, der bei diesem Gespräch nicht anwesend war, konnte jedoch bei der abschließenden Pressekonferenz höchstes Lob für sein Stück aus dem Munde der deutschen Kollegen vernehmen. Auch in diesem Punkt klafften Außendarstellung und Internes auseinander. Gleichsam im Gegenzug zur Ablehnung vonSofronows Stück wurde dem Schriftsteller Karl Grünberg, der sein Stück „Elektroden" mit der Anfrage nach Übersetzung und der Betonung der „Gegenwartsnähe" in die UdSSR geschickt hatte Thema war die Abwanderung von DDR-Ingenieuren in den Westen - , schriftlich geantwortet, daß der Stoff für den deutschen Leser und Zuschauer äußerst interessant und seinerzeit (Ende der 40er Jahre) auch in vielen Werken sowjetischer Dramatiker behandelt worden sei, nun aber seine Aktualität eingebüßt habe. 122 Die Gespräche sind, zumindest nach außen hin, zur beiderseitigen Zufriedenheit verlaufen. Die sowjetischen Teilnehmer lobten ihre Kollegen aus der DDR, daß sie „über das Stadium hinausgewachsen seien", wo „Ermutigung nur durch Komplimente zuteil werden konnte" und daß man jetzt „wie unter Erwachsenen" miteinander gesprochen habe 123 - durch die rhetorische Aufhebung gleichsam eine Bestätigung der „Schüler-Lehrer"-Beziehung. Was den Ertrag der Reise für die deutsche Literatur betrifft, so ist auf den Widerstreit zwischen dem Wissen um Mißstände und ihre Ursachen hinzuweisen, das die Gesprächsbeiträge kennzeichnet, und der Zurückhaltung, solche Erkenntnisse publik zu machen. Eine vergleichbare Divergenz war ja auch für die Delegation von 1948 festgestellt worden, doch war die damalige Situation des literarischen Neuanfangs und der noch nicht fixierten literaturpolitischen Strukturen, die das Vermeiden einer offenen Fehlerdiskussion immerhin erklärlich macht, inzwischen einer spürbaren Verhärtung der Verhältnisse gewichen. Die Ereignisse des 17. Juni waren signifikantester Ausdruck gesellschaftlicher Unzufriedenheit, deren Wortführer - bis auf Ausnahmen - die Intellektuellen jedoch nicht waren. Das in internen Sitzungen gesprochene klare Wort 124 war für die Öffentlichkeit nicht vernehmbar. 1953 war der Kulturaustausch bereits institutionalisiert und in .sichere' Bahnen gelenkt. Aufregungen waren nicht mehr zu erwarten. Brisante Fragen, wie sie 1948 (bei der Delegation mit dem zweifellos interessanteren Profil) - aus Unwissenheit, Naivität oder als Provokation gestellt worden waren, wurden nun nicht mehr vorgebracht. Doch auch die sowjetischen Gesprächspartner, und dies hatte bei solchen Begegnungen Methode, gehörten nicht zu denjenigen, die in ihrem Land zu den Exponenten der Liberalisierung', des Tauwetters gehörten. Trotz der oft apostrophierten Vorbildrolle konnten im Delegationsalltag so keine wirklichen Impulse für eine Überwindung institutioneller und künstlerischer Barrieren vermittelt werden. Mit entlarvender Ängstlichkeit charakterisierte nach einem DDR-Besuch PjotrPawlenko die Deutschen als „unwahrscheinlich schwierige" Gesprächspartner, da sie auf alles eine präzise und erschöpfende Antwort wünschten. Wie man sich dabei aus der Affäre ziehen kann, führte er anhand von Konstantin Fedin vor, der ihn begleitet hatte und aufgrund seiner ausgezeichneten Deutsch-

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Brief des Konsultaten der Auslandskommission für deutsche Literatur vom 17. 5. 1954. - RGALI 631/26/1353. RGALI 631/26/1333. Vgl. auch das Protokoll der Präsidialratssitzung des Kulturbunds vom 3. Juli 1953, in: SED und Intellektuelle, S. 13-59.

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kenntnisse in der Lage gewesen sei, „von den Fragen abzulenken und sich in schönen Phrasen zu ergehen; so zog das Gewitter vorüber". 125

7.2

Rezeptionsvorgänge

7.2.1 Sowjetische Literatur in der SBZ und frühen DDR Im Zeitraum 1945 bis 1949 erschienen auf dem Territorium von Bedin und der SBZ 314 russische Titel in deutscher Übersetzung, wobei Übersetzungen aus der vorrevolutionären Literatur und Übertragungen von Märchen etwa die Hälfte des belletristischen Angebots ausmachten. 126 An erster Stelle, mit 64 Publikationen, stand der Verlag der Sowjetischen Militäradministration, SWA-Verlag. 127 Er war mit der doppelten Intention gegründet worden, um zur Schadensbegleichung und als Reparationsleistung Bücher und andere Presseerzeugnisse für die Sowjetunion herzustellen und gleichzeitig übersetzte Schriften politischer, landeskundlicher wie belletristischer Art in der SBZ zu verbreiten. 128 In den drei Jahren seines Bestehens gab der Verlag 202 Bücher und Broschüren in einer Gesamtauflage von etwa zehn Millionen Exemplaren heraus. Besonders aktiv bei der Herausgabe russischer und sowjetischer Bücher waren ferner der 1945 ins Leben gerufene kulturbundeigene Aufbau-Verlag, der Verlag der Deutsch-Sowjetischen Freundschaftsgesellschaft Kultur und Fortschritt (gegründet 1947) und der ebenfalls 1947 begründete Verlag Volk und Welt. Hinzu kamen Importe des Moskauer Verlags für fremdsprachige Literatur. Transfer sowjetischer Literatur und sowjetischer Kriterien der Literaturtheorie leisteten auch Zeitschriften wie das Monatsorgan der DSF „Die Neue Gesellschaft" und Printmedien („Neue Zeit", „Neue Welt", „Sowjetwissenschaft" 129 ), die ausschließlich der Wiedergabe sowjetischer Beiträge in deutscher Sprache vorbehalten waren. Die Kulturoffiziere, die auf deutschem Boden den russisch-deutschen Kulturaustausch in der Anfangszeit praktisch in Allkompetenz anleiteten und überwachten, hatten, wie schon betont wurde, eine enorme Anstrengung zu vollbringen, um dem Wissensdefizit und dem Textvakuum entgegenzuarbeiten. Fast täglich wurden von den Mitarbeitern der Kulturabteilung der SMAD Briefe an die WOKS mit detaillierten Wünschen nach Büchern, Partituren, Szenarien usw. gerichtet. 125 126 127 128 129

Sitzung der AK vom 11.8. 1950. - RGALI631/14/90. Angaben nach: Krause, Schöne Literatur aus der Sowjetunion, S. 528-550. Über die einzelnen Aktivitäten gibt die 1948 publizierte Broschüre „ SWA-Verlag" Auskunft. Vgl. Sokolow, Bücher aus Leipzig. Die seit 1948 existierende Zeitschrift „Sowjetwissenschaft" wurde ausdrücklich deshalb ins Leben gerufen, um „Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung in der Sowjetunion auf den verschiedensten Gebieten, wie Biologie und Geschichte, Mathematik und Philologie, Physik und Volkswirtschaftlehre" in Übersetzungen aus der sowjetischen Fachpresse bereitzustellen. - Vgl. Fünf Jahre Verlag Kultur und Fortschritt. 1950 wurde sie in eine gesellschafts- und eine naturwissenschaftliche Reihe getrennt. 1953 entstand zusätzlich die Zeitschrift „Sowjetwissenschaft. Kunst und Literatur", um „die empfindliche Lücke in der Vermittlung der sowjetischen Kunst- und Literaturwissenschaft zu schliessen". - „Aufgaben und Zielsetzungen der Zeitschrift,Sowjetwissenschaft, Abt. Kunst und Literatur'", GARF 5283/16/187.

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Das Kompetenzgerangel zwischen den verschiedenen sowjetischen Institutionen und die Klärungsprozedur, wer jeweils die Übersetzung zu besorgen habe, blockierten die Effektivität. Schlechte Übersetzungen - der Slawist und Berliner Vorsitzende der DSF Prof. Steinitz bemängelte auf einem Ausspracheabend zur sowjetischen Literatur in Deutschland im Oktober 1947 vor allem das zu große Pathos - erschwerten die Aufnahme sowjetischer Werke. 130 Zwar standen noch etliche der ,Sowjetklassiker', d.h. der berühmten Romane aus der Revolutionsära, in Editionen der deutschen Linksverlage der 20er Jahre zur Verfügung, 131 doch verbot sich ihr Nachdruck, weil fast alle diese Werke von ihren Verfassern entsprechend dem Textverständnis der Stalinära inzwischen grundlegend umgearbeitet worden waren. Um „eine gute Auswahl" der ins Deutsche zu übersetzenden Bücher (vor allem aus der aktuellen sowjetischen Produktion) zu erreichen, bildete die Informationsverwaltung der SMAD „eine kleine Kommission", der - laut Tjulpanow - auch Friedrich Wolf, Willi Bredel, Anna Seghers und Johannes R. Becher angehörten. 132 Diese Einrichtung wurde in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Volksbildung und den Verlagen später institutionalisiert. Auch in der Sowjetunion gab es, etwa seitens der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands, Initiativen zur besseren Abstimmung unter den am Auslandsversand beteiligten Institutionen und zur klaren Formulierung von Empfehlungslisten: „Die Verbreitung sowjetischer Literatur im Ausland, d. h. die Einführung gerade der Literatur, von der wir wollen, daß sie in dem einen oder anderen Land herausgegeben wird (und nicht einfach die .Erfüllung von Bestellungen') muß koordiniert werden. Zu diesem Zweck muß fürs erste ein einheitlicher Redaktionsrat geschaffen werden, der sich mit der Veröffentlichung von Übersetzungen künstlerischer Literatur im Ausland befaßt und sich aus Vertretern der zuständigen Organisationen zusammensetzt, einschließlich Vertretern des sowjetischen Schriftstellerverbands. Dieser Redaktionsrat muß die (vor allem politische) Konjunktur des Buchmarktes kennen, die Anfragen vor Ort und unsere Wünsche in bezug auf die Buchauswahl; er muß untersuchen, wie ein Buch verbreitet wird, welche ideologische Wirkung es hervorruft usw. Er soll Listen mit Büchern herausgeben, die in verschiedenen Ländern vorzugsweise herausgegeben werden sollten, verbunden mit jeweils einer Kurzkritik." 133 Wie immer in solchen Fällen, in denen das ideologisch Erwünschte sich nicht spontan einstellte, also herbeigeführt werden mußte, wurde auch die Popularisierung des sowjetischen Buchs in der SBZ/DDR mit erheblichem propagandistischem Einsatz befördert. Eine 1950 vom Zentralinstitut für Bibliothekswesen erstellte 100-Titel-Liste derjenigen Bücher, die zum Grundbestand jeder, selbst der kleinsten Bibliothek gehören sollten, räumte im belletristischen Bereich sowjetischen Autoren eine Spitzenstellung ein. 134 In manchen Bibliotheken waren die Bücher mit einem System verschiedener Streifen je nach dem Grad der „Fortschrittlichkeit" markiert (Klassik, deutscher sozialistischer Roman, sowjetischer Gegenwartsroman usw.) und die Bibliothe130 Vgl. Petersdorf, Die Rolle der Gesellschaft, S. 74. Die oft unzureichende Qualität der (in Moskau angefertigten) Übersetzungen stand auch bei der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands auf der Tagesordnung. - Vgl. RGALI631/14/74. 131 Daß manche Berliner Buchhandlungen große Lagerbestände von dieser Literatur besaßen, betonte Ralf Schröder am 7. September 1988 im Gespräch. 132 Zeit des Neubeginns, S. 44. 133 Aus einem Sitzungsprotokoll der AK des Jahres 1948. - RGALI 631/14/74. 134 Vgl. Winckler, Kulturelle Erneuerung, S. 71-75.

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kare mußten zusehen, möglichst viele Bücher mit .hochrangigen' Streifen auszuleihen. Dies, obwohl die Leihbüchereien von vielen Lesern „als Nischen für deren an traditionellen Unterhaltungsstoffen orientiertes Lesebedürfnis genutzt wurden". 135 Da wanderte dann manch sowjetisches Buch als dem Leser zum eigentlich Entliehenen aufgedrängte ,Zugabe' über die Theke. Wichtigstes Mittel bei der Verbreitung sowjetischer Literatur waren neben den bewährten Werbemitteln wie Lesung, Rezension, Diskussionsabend die von der DSF in ihren Häusern veranstalteten Buchbesprechungen, für die später auch „Methodische Anleitungen für Buchbesprechungen vom Zentralvorstand der DSF' bereitgestellt wurden. Die Deklarierung jeweils eines sowjetischen Romans zum „Buch des Monats" (1953 erfolgte entsprechend den Aufklärungsebenen Industrie, Landwirtschaft und Intelligenz eine Differenzierung in mehrere Bücher des Monats 136 ) ermöglichte eine gezielte Schweipunktarbeit. Außerdem veröffentlichte die DSF die Schriftenreihe „Für den Literatur-Propagandisten" (Monographien über sowjetische Autoren, Protokolle von Literaturkonferenzen, Betrachtungen zu verschiedenen Themenkreisen). Die Schulungsideologie, die die Affirmation des als vorbildlich deklarierten Musters einforderte, führte im Bereich der Literaturvermittlung zu einer unkritischen Verherrlichung sowjetischer Werke. Theater und Film, von denen hier wenigstens kurz die Rede sein soll, standen aufgrund ihres öffentlichen Charakters noch stäiker im Blickpunkt des allgemeinen (auch westlichen) Interesses und waren damit anfälliger für die Eskalationen des Kalten Krieges. Bestimmte Inszenierungen, etwa die Aufführungen von Sartres „Die Fliegen" im (West-)Berliner Hebbel-Theater Januar 1948137 und von Simonows „Die russische Frage" Mai 1947 im (Ost-)Berliner Deutschen Theater wurden als außenpolitische Kampfansagen instrumentalisiert. Schon im Vorfeld war die Aufführung des Simonow-Stücks, das einen jungen amerikanischen Korrespondenten als Opfer antikommunistischer Hysterie zeigt, ein Politikum und führte zu Spannungen zwischen den Vertretern der amerikanischen und der sowjetischen Zone. 138 Vertreter der Kulturabteilung der SMAD waren nicht selten bis in die Detailarbeit am Textbuch und der Inszenierung in die Vorbereitungen zur Aufführung russischer und sowjetischer Stücke involviert. So berichtete Frau Alterman, die Kulturabteilung habe einer Aufführung von A. Ostrowskis „Wölfe und Schafe" am Max-Reinhardt-Theater in Berlin am 20. April 1948 zum 125. Geburtstag Ostrowskis besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Man habe mit Schauspielern Gespräche geführt und ihnen Filme gezeigt, damit sie sich mit der Atmosphäre des Stückes vertraut machen könnten. Die Aufführung wäre ein großer Erfolg gewesen. Bisher habe man von Ostrowski die falsche Vorstellung als russischem Schriftsteller mit engen nationalen Inhalten gehabt, der für den deutschen Zuschauer nicht von Interesse sei. Das Stück „Wölfe und Schafe" habe diese Vorurteile brillant entkräftet und gezeigt, daß die Dramatik Ostrowskis ein allgemeinmenschlicher Inhalt von unvergänglicher künstlerischer Bedeutung auszeichne. Ostrowskis Realismus sei von wohltuendem Einfluß auf die moderne deutsche Bühne. Das Stück gebe auch Anlässe zur Kritik am Kapitalismus. 139 Gerade dieser letzte, über das „Allgemeinmenschliche" 135 136 137 138

Ebd., S. 36. Petersdorf, Die Rolle der Gesellschaft, S. 303, Anm. 123. Vgl. Lusset, Sartre in Berlin, S. 107-119. Eine Zusammenstellung von Dokumenten befindet sich im GARF (5283/16/134 u. 135) sowie im RGALI (631/14/534). Vgl. auch: Tulpanow, Vertrauen und Zusammenarbeit, S. 521f.

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hinausgehende Aspekt wurde von dem für das Land Sachsen zuständigen Kulturoffizier A. Kotschetow noch vertieft, wenn er für die Inszenierungen russischer Bühnenwerke des 19. Jahrhunderts in Deutschland einforderte, sie müßten so gestaltet sein, „daß auch der deutsche Zuschauer das erfährt, was der sowjetische Zuschauer weiß: daß das Finstere, Rückständige, Bedrückende, Rechtlose etc. des alten Rußland nunmehr .weggefegt' ist." 140 Die Errichtung des Sozialismus als das ,Happy end' der russischen Geschichte sollte also hinzugedacht werden können. Ebenfalls 1948 fand im Haus der Kultur der Sowjetunion die deutsche Erstaufführung von Wsewolod Wischnewskis „Optimistischer Tragödie" statt, die von der Disziplinierung einer anarchistisch verführten Schiffsbesatzung durch eine Kommissarin und den heldenhaften Tod des Regiments für die bolschewistische Idee handelt. Die Übertragung besorgte Friedrich Wolf, der dabei den Text so veränderte, daß der deutsche Zuschauer über ihm noch weitgehend unverständliche Erscheinungen der kommunistischen Theorie und Praxis in der Sowjetunion informiert wurde. 141 „In einer an die Aufführung anknüpfenden Diskussion diente das Werk als Anlaß und Anschauungsmaterial, um Fragen zu erörtern wie die nach dem Verhältnis von Freiheit und revolutionärer Demokratie, nach der Berechtigung und Notwendigkeit revolutionären Kampfes und seinem realhumanistischen Ziel." 142 Zu den Gründen für die Wahl dieses Stückes bemerkte Dymschitz rückblickend: „Die Aufführung der optimistischen Tragödie' spielte damals eine wichtige Rolle. Es schien uns besonders geeignet, der vom Westen heranrollenden Welle reaktionärer Ideologien zu begegnen, mit denen verschiedene Kreise das deutsche Volk aufs neue zu hypnotisieren versuchten. Mit seinem Ideengehalt und seinem Pathos war es gegen den Existentialismus und den Anarcho-Individualismus gerichtet. Es war damals notwendig, auch mit einem solchen Stück eine Antwort auf die Propaganda einer formalen Demokratie und eines abstrakten Humanismus zu erteilen, die, von den angloamerikanischen Besatzungsmächten gesteuert, in den Westen Deutschlands, nach Westberlin und auch in die Ostzone eindrang." 143 Die SMAD empfahl den deutschen Theatern russische und sowjetische Stücke zur Aufführung und beantwortete Anfragen der WOKS, welche fortschrittlichen deutschen Autoren für eine Übersetzung ins Russische vorgeschlagen werden könnten, 144 Funktionen, die noch von der SKK weitergeführt wurden. 145 Im September 1948 wurde bei der DSF eine Theatersektion unter 139 140 141 142 143 144

GARF 5283/16/137. Erinnerungen von A. Kotschetow. - SAPMO: ZPA EA 1853. Über die Beziehungen der „Optimistischen Tragödie" zu Wolfs Stück „Die Matrosen von Cattaro" vgl. G. Düwel, Friedrich Wolf und Wsewolod Wischnewski, S. 195-220. G. Düwel, DDR-Literatur - Sowjetliteratur, S. 190. Vgl. auch G. Düwels Edition der „Optimistischen Tragödie" im Reclam-Verlag (Leipzig 1977). Aus einem Brief von Dymschitz an G. Körbel (vom 1. 9. 1968). - Körbel, Die Bedeutung, S. 151. Auch kümmerte sich die SMAD um die Verlags- und Aufführungsrechte. Am 17. 5. 1950 wandte sich die Theatersektion der DSF an die WOKS, seit der Auflösung der Kulturabteilung der SMAD sei diese Frage ungeklärt. Nach einer Besprechung der Theatersektion der DSF mit Vertretern der WOKS wurde von letzteren vorgeschlagen, mit Meshkniga übereinzukommen, daß die DSF ermächtigt wird, die Interessen der sowjetischen Autoren zu vertreten, die Aufführungsrechte an deutsche Bühnen zu vergeben und die Bühnenvertriebe zu veranlassen, die Tantiemen an Meshkniga abzuführen. Diese sei mit der Regelung einverstanden, wenn von der Sektion Theater der WOKS bzw. vom sowjetischen Schriftstellerverband eine Anweisung dafür vorläge. Die DSF bittet nun die WOKS, eine solche Regelung so schnell wie möglich herbeizuführen, damit die Aufführung von Stücken sowjetischer Autoren erleichtert und beschleunigt wird. - SAPMO: AGDSF A 95.

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Vorsitz von Friedrich Wolf gegründet, deren Beirat so renommierte Intendanten wie Ernst Legal und Wolfgang Langhoff angehörten. Der SMAD sekundierend setzte sie es sich zum Ziel, die Bühnen der SBZ bei Aufführungen russischer und sowjetischer Stücke „durch Konsultationen, Text- und Bildmaterial zu unterstützen und lebendigen Kontakt mit dem Theater der Sowjetunion zu unterhalten". Zur zentralen Bühne für die Aufführung sowjetischer Stücke wurde das beim Haus der Kultur der Sowjetunion in Berlin im Mai 1947 gegründete „Theater der Freundschaft", 146 das später den Namen „Maxim-Gorki-Theater" erhielt. Hausherr war seit 1952 Maxim Vallentin, einer der konsequentesten und erbittertsten Verfechter des Stanislawski-Systems, also eines Theaterkonzepts, das die ursprünglich durchaus wegweisende Idee eines „Theaters des Erlebens", der Identifikation und kontinuierlichen Handlung zur Doktrin eines offiziellen sozialistisch-realistischen Theaterstils erhob. 147 Diesen Theaterstil ohne „hinreichende Berücksichtigung der realistischen Traditionen des deutschen Theaters" und „losgelöst von der Praxis der zeitgenössischen Bühnenkunst der DDR" auf einer Konferenz von Theaterleuten im Januar 1953 propagiert zu haben, warf der WOKS-Bevollmächtigte dem Referenten Professor Otto Lang in einem Bericht an die Moskauer WOKS-Zentrale vor. Damit habe er viele Bühnenkünstler brüskiert, die die „Errungenschaften des sowjetischen Theaters" ansonsten durchaus zu schätzen wüßten. 148 In der Verteidigung deutscher kultureller Traditionen erwies sich der WOKS-Bevollmächtigte somit als durchaus ebenbürtiger Nachfolger der Kulturoffiziere. Die dem Stanislawski-System entgegengesetzte Position nahm Brecht ein, Vorkämpfer eines „Theaters des Darstellens", der Verfremdung und Diskontinuität. 149 In der Person Vallentins sah sich Brecht jedoch nicht einem ebenbürtigen Antipoden gegenüber, sondern fand sich dem „Apparat" konfrontiert. 150 Zwar gab es keine direkte Quotenregelung, wie hoch der Anteil russischer und sowjetischer Stücke an den einzelnen deutschen Bühnen zu sein hatte, 151 doch gab es - neben tatsächlicher Aufgeschlossenheit - einen nicht unerheblichen Anpassungsdruck für die Regisseure. Bestimmte gesellschaftliche Ereignisse wie der seit 1949 jährlich veranstaltete „Monat der DeutschSowjetischen Freundschaft" boten den Kulturpolitikern zudem Anlaß, eine gehäufte Präsentation russischer und sowjetischer Bühnenkunst einzufordern. 152 Viele Stücke zur sowjetischen Zeitgeschichte wurden indes vom Publikum schlecht aufgenommen. So räumte Kuczynski 1947 ein, daß „Die Bresche", ein Bürgerkriegsstück von B. Lawrenjow aus dem Jahre 1927, einen den 145

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Brief vom 13.1. 1950, GARF 5283/16/157. In einem Bericht über den Zeitraum April bis Juni 1952 z. B. wird die Entwicklung der deutschen Theater (31 Häuser) mittels statistischer Angaben zu Spielplänen, Besucherzahlen sowie anhand von Programmen, Bildmaterial und Zeitungsberichten über Inszenierungen festgehalten. - GARF 5283/16/188. Vgl. Körbel, Die Bedeutung, S. 150ff. Zur Konzeption Stanislawskis und zum Schicksal seines Theaters im Stalinismus vgl. A. Hartmann, Octobre Rouge, S. 82-84. „Informationen über das Kulturleben der DDR, Januar - März 1953. - GARF 5283/16/187. Vgl. Jürgen Schröder, Brecht oder Wolf? Alternativen eines sozialistischen deutschen Theaters, in: Geschichte der deutschen Literatur, S. 150. Vgl. Klunker, Die geborgte Revolution, S. 169. So die Auskunft von Arseni Gulyga (Moskau, 2 5 . 6 . 1989) und von Frank Lothar, 1948 bis 1950 Theaterintendant in Frankfurt/Oder, in einem ausführlichen Schreiben an die Verfasser vom 18. 9. 1988. Der für ihn zuständige Kulturoffizier habe sich - im Gegenteil - sogar bei amerikanischen Lustspielen amüsiert gezeigt.

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Deutschen fremden Stoff behandele, so daß viele Menschen das Theater verlassen hätten. 153 Ähnlich selbstkritisch oder aber mit einer versteckten ,Schuldzuweisung' an die deutschen Zuschauer heißt es in der DDR-Literaturgeschichtsschreibung dazu: „Der Aussagegehalt der Stücke konnte noch nicht immer voll erschlossen werden, da zwischen dem Bewußtseinsstand der großen Masse des Publikums und dem Anliegen des unter den Bedingungen der sozialistischen Gesellschaftsordnung geschaffenen Stückes noch ein zu steiles Gefälle war." 154 Wenn „Die Bresche" dennoch über fünfzigmal im Haus der Kultur der Sowjetunion aufgeführt wurde, 155 belegt dies weniger ein plötzlich erwachtes Interesse, sondern vielmehr die Lenkung der Zuschauer, die Delegierung ganzer Gruppen zu Theatervorstellungen. Nach Auflösung der SMAD nahmen die politischen Zwänge immer mehr zu. So bedurften die Spielpläne der Genehmigung seitens mehrerer Instanzen, und besonders das Ministerium für Volksbildung wachte darüber, daß das Kontingent zeitgenössischer sowjetischer Stücke einen bestimmten Prozentsatz nicht unterschritt. Folge waren ein enormer Zuschauerschwund (teilweise nicht mehr als 10 Personen, sofern der Besuch nicht verbindlich war) und große Finanzprobleme. 156 Auf erhebliche Ablehnung stießen auch viele sowjetische Filme. Zwar war schon während des Krieges, im sowjetischen Exil, von Friedrich Wolf eine genaue Vorschlagsliste mit russischen (und amerikanischen!) Filmtiteln vorgelegt worden, „die nach Tonierung bzw. mit deutschen Untertexten zur Vorführung im besetzten Deutschland geeignet erscheinen"; 157 doch obwohl Wolf vor allem Dokumentarfilme empfahl, die das Kampfgeschehen um Moskau, Stalingrad und Leningrad darstellten, 158 zeigten die sowjetischen Behörden (verantwortlich war vor allem Sowexportfilm) ohne psychologisches Feingefühl auch Filme, die die deutschen Zuschauer nicht einnehmen, sondern nur abschrecken konnten. 159 So war auch die anläßlich des 30. Jahrestages der Oktoberrevolution durchgeführte Filmfestwoche ein glatter Mißerfolg. Selbst die verkauften Karten sind nicht alle vom Publikum benutzt worden. „Die Filme für Deutschland müßten einer grundlegenden Bearbeitung unterzogen werden," monierte der Präsident der DSF, Jürgen Kuczynski, die von Sowexportfilm getroffene Auswahl. 160 152 Allerdings wurde meist darauf geachtet, daß ein gewisser,Genremix' eingehalten wurde, wie z.B. die Liste der geplanten Neuinszenierungen oder Uraufführungen für 1953 zeigt, in der neben Sowjetautoren wie A. Kornejtschuk, Ws. Wischnewski, W. Sobko und L. Rachmanow auch die „Klassiker" A. Tschechow und A. Ostrowski sowie Opern und Ballette von A. Borodin und S. Prokofjew vorgesehen waren. - Vgl. GARF 5283/16/188. 153 Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 170. 154 Die Aufnahme der Sowjetliteratur in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Geschichte der russischen Sowjetliteratur, Bd. 2, S. 458. 155 So erinnert sich Poltawzew. - SAPMO: ZPA EA 1840. 156 Vgl. das Protokoll L. Steuer über seine Tätigkeit an der Dresdner Staatsoper vom 4.2. 1950 und das Protokoll E. Eden über die Theaterkrise in der Ostzone vom 17. 11. 1949. - AdsD: Bestand Ostbüro der SPD 02801. 157 Wolf, Vorschläge für den Film (28. 2. 1945), in: Laschitza, Kämpferische Demokratie, S. 238-240. 158 Wolfs Empfehlungen wurden nur zu einem geringen Teil beherzigt. - Vgl. Band der Freundschaft. Sowjetische Filme in Deutschland 159 A. Gulyga nannte in diesem Zusammenhang z. B. einen Film mit dem Titel „Berlin - verfluchte Stadt". - Gespräch Moskau, 25. 6. 1989.

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Die Abwehr der Zuschauer betraf vor allem Themen wie „die unmittelbare deutsche Vergangenheit", „der Krieg gegen die UdSSR", „der Alltag der sowjetischen Menschen" und „Probleme des sozialistischen Aufbaus", also gerade die Themen, die man dem deutschen Publikum nahebringen wollte. Die geringe Akzeptanz sowjetischer Filme dieser Art unter der deutschen Bevölkerung beunruhigte die Verantwortlichen um so mehr, als man dem Film als „massenwirksamer Kunstform" besondere Funktionen bei der Erreichung weiter Kreise der Bevölkerung zuwies. Schon am 18. Dezember 1947 wurde aus Sorge über die weitere Entwicklung im Haus der Kultur der Sowjetunion ein Ausspracheabend zum Thema „Der sowjetische Film und seine deutschen Zuschauer" veranstaltet. Gewiß wurden teilweise ästhetische Mängel für den Rückgang der Besucherzahlen verantwortlich gemacht (Pathos, didaktische Vordergründigkeit oder schlichtweg geringe künstlerische Qualität), aber der Hauptgrund lag offenkundig, aber uneingestanden darin, daß die Zuschauer nicht mit der Verurteilung der Deutschen und der Glorifizierung der Sowjetmenschen zurechtkamen. Im Sprachduktus der DDR bedeutete dies, daß also die „ideologische Verhaftung im Imperialismus und doktrinäre nationalistische Vorurteile gegen die Sowjetunion" verantwortlich waren. 161 Die am Tage der Aussprache ins Leben gerufene Sektion Film des Zentralvorstands der DSF unter Leitung von Erika Hirsch sollte fortan mit Sowexportfilm zum Zweck der Beratung bei der Auswahl zusammenarbeiten (sie erhielt dafür das Recht auf Erstaufführung). Auch hatte sie die deutsche Bearbeitung der Filmtexte vorzunehmen. In der DSF-Zeitschrift „Die Neue Gesellschaft" wurde eine Sparte „Filmkritik" eingerichtet, deren Hauptaufgabe darin bestand, die deutschen Zuschauer zum Verständnis des sowjetischen Films zu erziehen. 162 Literarische Kanonbildung Einerseits konnten in der antifaschistisch-demokratischen Phase mit voller Billigung oder Unterstützung durch die Kulturoffiziere Werke erscheinen, die dann für lange Zeit vom Buchmarkt verschwanden (so legte etwa der S WA-Verlag 1948 Viktor Nekrassows in der Sowjetunion umstrittenen Kriegsroman „In den Schützengräben von Stalingrad" vor); andererseits waren in der Sowjetunion zentrale Kanonisierungsprozesse und komplementäre Unifizierungsvorgänge längst abgeschlossen und wirkten sich sukzessiv auf die auf dem Boden der SBZ und der DDR betriebene Literaturpolitik aus. Das zugelassene Erbe wurde verschmälert und die Interpretation auf bestimmte Raster verengt. Zwei Beispiele der Kanonbildung sollen im folgenden knapp skizziert werden, um zu zeigen, wie das den Lesern in der DDR vermittelte Bild der russischen und der sowjetischen Literatur auf bestimmte Profile zugeschnitten wurde: 1) Leo Tolstoi gehörte trotz seiner christlich-pazifistischen Aufforderung, „sich dem Übel nicht zu widersetzen", zu den anerkannten Vorbildern (aus seinen Romanen wurde der Typus des sozialistisch-realistischen Langromans, der Epopöe der Stalinzeit abgeleitet), nicht zuletzt, weil Lenin in sechs Essays die Ehrenrettung des großen Künstlers Tolstoi gegen seine fehleihafte Einstellung, trotz ,,schreiende[r] Widersprüche" in „den Werken, Anschauungen, Lehren 163 betrie160 Kuczynski, Aus den Anfängen, S. 162. Für Filme wie „Lenin 1918" fehle „der Bevölkerung das Verständnis" (ebd., S. 169). 161 Petersdorf, Die Rolle der Gesellschaft, S. 78. 162 Vgl. Tätigkeitsbericht 1947/48, S. 9. 163 W.I. Lenin, Leo Tolstoi als Spiegel der russischen Revolution, in: W.I.L., Werke, Bd. 15, S. 198.

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ben hatte. Die Theorie vom Sieg des künstlerischen Realismus über die Weltanschauung des Autors, die Engels am Beispiel von Balzac entworfen hatte, die Lenin in seinen Artikeln im Grunde umsetzte und die sich in den sowjetischen Richtungskämpfen der 30er Jahre als Lehrmeinung durchsetzte, 164 wurde indes nicht auf jeden Autor angewandt. Dostojewski, dem großen Antipoden Tolstois, verzieh man die Apologie des Duldens nicht, auch wenn man ihn als Autor der Erniedrigten und Beleidigten schätzte. Die antirevolutionäre, .reaktionäre' Haltung des Spätwerks, besonders in dem Roman „Die Dämonen", sonderte ihn für Jahre aus der Literaturgeschichte aus. Abfällige Bemerkungen Lenins und auch Gorkis taten dazu ein übriges. 165 So konnte es dann auch über ihn heißen, er habe Realismus und Humanismus durch die Darstellung der „Psyche unablässig peinigender und gepeinigter, pathologisch verängstigter, moralisch gebrochener, kriminell verwilderter, teils sadistischer, teils masochistischer Untertanen" 166 verfehlt. Die Ängstlichkeit und Vorsicht Dostojewski gegenüber war groß. Nachdem einige seiner Arbeiten während der antifaschistisch-demokratischen Phase in Verlagen mit sowjetischer Lizenz erschienen waren, wurde deren Publikation erst ab 1956 fortgesetzt, mit einer Reihe von Einzelausgaben, die 1965 abgeschlossen wurde. „Man muß eingestehen, daß Dostojewskis Kunst immer eine schwere Prüfung für die marxistische Ästhetik bedeutete", 167 wird noch in den 70er Jahren eingeräumt. 2) Von besonderer Denkwürdigkeit ist, was die Sowjetliteratur betrifft, der Fall Majakowski. 168 1935, als seine Gegner bereits triumphierten, wurde der Dichter plötzlich „über Nacht und durchaus nach Gebühr zum Nationaldichter, zum sowjetischen Klassiker erhoben". 169 Die „Prawda" veröffentlichte als verbindliche Meinung Stalins: „Majakowski war und bleibt der beste, talentvollste Dichter der Sowjetepoche" mit dem Zusatz: „es ist ein Verbrechen, Majakowskis Erbe zu vernachlässigen, seine Werke der Vergessenheit anheimzugeben". Damit wurde Majakowski so Pasternak - „zwangsweise eingeführt, wie die Kartoffel und Katharina. Das war sein zweiter Tod." 170 Die auf taktischen Überlegungen beruhende Stilisierung zum sowjetischen Klassiker dieses „exponiertestefn] Prophet[en] und Sänger[s] einer sozialistischen Industrialisierung der Sowjetunion in ihrer Entwurfsphase" 171 drückte den Futuristen und „Formenzertrümmerer erster Ordnung", 172 wie Brecht ihn bezeichnet hatte, beiseite. Ins Licht gerückt wurde der Dichter der Revolution und der sozialistischen Parteinahme, der Meister des sozialistischen Realismus. 173 Daß bereits 1946 im SWA-Verlag ein Auswahlband seiner Gedichte und Poeme erschien, dem allein bis 1953 fünf weitere Ausgaben folgten, unterstrich, daß man Majakowski als den Reprä-

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Vgl. Pike, Deutsche Schriftsteller, S. 3 5 2 ^ 1 6 . Vgl. W. Düwel, Für und wider Dostojewski, S. 124f. Franz Leschnitzer, Um Dostojewski (1948), in: F.L., Wahlheimat Sowjetunion, S. 77. Dneprow, Dostojewski, S. 338. Vgl. auch: Dostojewskis Erbe in unserer Zeit. Dazu kritisch: Hielscher, Von Marx zu Dostoevskij. Vgl. ausführlich: A. Hartmann, Aufbau und Demontage eines Denkmals, S. 197-227. Huppert, Ungeduld des Jahrhunderts, S. 132. Pasternak, Ljudi i polozenija, S. 231. Diese „zwangsweise Einführung" Majakoswkis wird auch im Verlauf der Sitzung einer Kommission des sowjetischen Schriftstellerverbands zur „Veranstaltung eines Gedenkabends für Majakowski" am 14. 3. 1940 deutlich (RGALI 631/15/484). Der kanonisierende Ausspruch Stalins sollte - „als grundlegende Komponente" - auf einem großen Transparent die Bühne dekorieren. Mierau, Majakowski lesen, S. 659. Brecht, [Über sozialistischen Realismus], in: B.B., Gesammelte Werke, Bd. 19, S. 379.

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sentanten der sowjetischen Lyrikentwicklung schlechthin ansah. Das Vorwort Hugo Hupperts zu der ersten Sammlung von 1946 stammt bereits aus dem Jahr 1943, zeigt also, daß dieser Band schon in der Sowjetunion konzipiert worden ist. 174 Das Vorwort stellt klar, welche Beispielfunktion Majakowski zugewiesen wird: „Keiner hat so stark wie Majakowski die Größe seiner Zeit, den heldischen Gefühlsschwang der russischen Revolution, ihre weltgeschichtliche Gültigkeit, die Geburt und den Sieg des Sozialismus abgebildet. [ . . . ] Er hat den besten Teil der Jugend um sich geschart, er ist zum geliebten, begeisternden Lehrmeister geworden, zum Vorbild jener zeitgerechten, wahrheitsliebenden Gestaltungsweise, die Stalin sozialistischen Realismus' nennt." 175 Neben den Texten der Gegenwartsbejahung wurden dann, im Zeichen der ideologischen Aufrüstung gegen den Westen, mit großem publizistischem Aufwand die Amerika-kritischen Gedichte Majakowskis in den Vordergrund gestellt. 176 Nicht nur, daß der in der SBZ und DDR präsentierte Majakowski ein gesäuberter war. Weitreichende Folgen hatte auch, daß sein literarisches Umfeld, das Geflecht von Polemik und Verständigung, Rede und Gegenrede, in dem er sich mit seiner Lyrik bewegte, nicht erkennbar wurde. Von Sergej Jessenin, Anna Achmatowa, Boris Pasternak, Demjan Bedny, Osip Mandelstam, Marina Zwetajewa und Welemir Chlebnikow - damit sind nur die wichtigsten Zeitgenossen Majakowskis unter den Lyrikern genannt - erschienen erste Auswahlbände in der DDR erst in den 60er und 70er Jahren. Die skizzierten Beispiele mögen folgendes hinreichend deutlich gemacht haben: Der Teil der sowjetischen, selbst der russischen Literatur, zu dem Zugang gewährt wurde, war begrenzt. Einige Autoren wurden mit großem Pomp gemacht und in Szene gesetzt, auf Kosten ihrer literarischen Gegner wie auch ihrer Mitstreiter und damit des literarischen Gesamtgefüges. Verfolgung, Tabuisierung, Verdrängung waren die Kehrseiten des lancierten, unantastbaren Ruhms. Je stärker die Einfuhr sowjetischer Literatur ideologisiert wurde, desto mehr erfolgte zudem eine Kanalisierung ihrer Wahrnehmung durch die ebenfalls importierten Prinzipien von Literaturtheorie und -kritik. Wenn man die Bestseller der Sowjetliteratur in der SBZ betrachtet, wird ein Wandel der Konzeptionen und damit eine Abfolge bestimmter Phasen erkennbar. Um hier nur von der Prosa zu sprechen: Zunächst setzten sich vor allem Romane durch, die aus der sowjetischen Revolutions- und Bürgerkriegszeit und der folgenden Aufbauära stammten oder über sie handelten; allen voran Gorkis „Die Mutter" (bereits 1946 erschien eine sechsbändige Gorki-Ausgabe), N.A. Ostrowskis „Wie der Stahl gehärtet wurde" (1947) sowie Scholochows „Neuland unterm Pflug" (1946) und „Der Stille Don" (1947); hinzu kamen unter anderem Krymows „Tanker Derbent" (1946), Serafimowitschs „Der eiserne Strom" (1947), A.N. Tolstois „Der Leidensweg" (1947), Katajews „Es blinkt ein einsam Segel" (1947) und „Im Sturmschritt vorwärts!" (1947),Fedins „Städte und Jahre" (1948), Fadejews „Die Neunzehn" (1948) und Gladkows „Zement" (1949). Die dahinter173

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Mit dieser Titulierung sollte auch vermieden werden, daß im Namen Majakowskis der Futurismus insgesamt wiederbelebt werde. Dies gaben beim Moskauer Treffen 1953 die sowjetischen Schriftsteller unumwunden ihren Kollegen aus der DDR gegenüber zu. - Vgl. Kap. 7.1.2. Die konzeptionelle Vorausplanung betont: Bernhardt, Maßstab Humanismus, S. 154f. Hugo Huppert, Der Dichter des Oktobersieges, in: Majakowski, Ausgewählte Gedichte, S. 3 u. 6. Eine Auswahl erschien 1948 im SWA-Verlag unter dem Titel „Meine Entdeckung Amerikas" (übertr. von H. Wolf).

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stehende Veröffentlichungspolitik erklärte Tjulpanow später als Hilfestellung für die in der SBZ durchlebte Sturm- und Drang-Periode, die Entsprechungen zu den 20er Jahren in der Sowjetunion gezeigt habe. 177 Allerdings ist noch einmal mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß selbst die Klassiker der Sowjetliteratur seit ihrer Erstausgabe ideologischer Korrekturen und sprachlicher Glättungen unterzogen worden waren. Diese Überarbeitungen waren nicht maiginal, sondern betrafen oftmals - wie etwa im Fall von Gladkows „Zement" (bis zu seinem Tod 1958 änderte Gladkow den Roman fortwährend) - das gesamte Romangefüge. 178 Nikolai Ostrowski, um ein weiteres Beispiel zu nennen, eliminierte für die Ausgabe seines Romans „Wie der Stahl gehärtet wurde" von 1935 unter anderem die Passagen, in denen von Kortschagins Teilnahme an der Arbeiteropposition (späteren Trotzkisten) die Rede ist: „Die Teilnahme Kortschagins an der Opposition ist nicht typisch für den positiven Typ des Komsomolzen. [. . .] Diese Episode war von mir zur Komplizierung des Sujets ausgedacht worden - sie erwies sich als politisch und künstlerisch nicht gerechtfertigt. [ . . . ] Die Hälfte des Druckbogens läßt sich problemlos streichen; so machen wir das Buch besser und noch bolschewistischer in der Ausrichtung." 179 Das bedeutet, daß diese Romane, als sie dem deutschen Nachkriegspublikum zur Kenntnis gebracht wurden, bereits bereinigt und verfälscht worden waren. Mit der Publikation sowjetischer Literatur war gerade in den eisten Nachkriegsjahren auch das Interesse verknüpft, über ein weitgehend unbekanntes Land aufzuklären und dem herrschenden Antisowjetismus gegenzusteuern. An einem Punkt war dabei alleidings äußerste Behutsamkeit erforderlich: bei der Kriegsliteratur. „Wir nahmen dabei auch Rücksicht auf den Entwicklungsstand der Ideologie in Deutschland. Man hätte diese Werke nicht gleich verstanden", heißt es in einem Rückblick Tjulpanows, die Ressentiments des Besiegten gegen die Verherrlichung des Siegers vorsichtig umschreibend. 180 So sei der SMAD „aus psychologischen Gründen" nicht in erster Linie an der Veröffentlichung von sowjetischer Kriegsliteratur gelegen gewesen. „Wir glaubten, daß es zweckmäßiger wäre, wenn deutsche Schriftsteller mit antifaschistisch-demokratischer Gesinnung selbst über den Krieg schreiben würden. Und solche Publikationen sind ja auch bald erschienen [...]. Uns war es zunächst viel wichtiger, die Leser in Deutschland mit Büchern bekannt zu machen, die einen Eindruck von unserem sozialistischen Aufbau vermitteln." 181 Dennoch begann man schon 1947 mit der Publikation von Werken über den ,Großen Vaterländischen Krieg': Ehrenburgs „Der Fall von Paris" (1947) und „Der Sturm" (1948),Simonows „Tage und Nächte" (1947), Panowas „Weggefährten" (1948), Pawlenkos „Das Glück" (1949) und Polewois „Der wahre Mensch" (1950), wobei Fadejews Roman „Die junge Garde" (1949), der dem heldenhaften Widerstandskampf der Krasnodarer Komsomolorganisation gewidmet ist, zu dem Erfolgsroman dieser Literatur des Zweiten Weltkriegs wurde (er erlebte 1954 bereits die 10. Auflage). Die schwerwiegende Frage, die etwa bei der Diskussion von Ehrenburgs „Der Sturm" aufkam: „Wie soll man das Werk Müttern empfehlen, deren Sohn in Rußland gefallen ist?" 182 , verlor bei den genannten Werken dort an Gewicht, wo Heroismus, Opferbereitschaft

177 Vgl. Tulpanow, Vom schweren Anfang, S. 731. Vgl. Kap. 5.1. 178 Zu Einzelheiten des Variantenvergleichs siehe Kap. 4.2.5. 179 Prochorov, Istorija teksta, S. 306. Siehe dazu auch Guski, Nikolaj Ostrovskijs „Kak zakaljalas' stal'", S. 116-145. 180 Tulpanow, Vom schweren Anfang, S. 731. 181 Zeit des Neubeginns, S. 44.

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und Mut als Elemente einer Romanhandlung gezeigt werden, die zwar den Feind als bösen Gegenspieler einführt, wo aber entfernt vom Dokumentarischen, das heißt auch von der konkreten Frontsituation abstrahierend, die Feier des Heldischen überwiegt. Alle angeführten Titel aus dieser Gruppe sind mit einem Stalinpreis ausgezeichnet worden, wie auch wichtige .Spitzenreiter' der frühen 50er Jahre, etwa Ashajews „Fem von Moskau" (1951), Rybakows „Menschen am Steuer" (1951) und Nikolajewas „Die Ernte" (1952) - Nachkriegsromane, die vom schwierigen Aufbau, von Bewährungssituationen, dem Sieg der sozialistischen Arbeitsweise und des kollektiven Schaffens handelten, und so als ,Bücher der Werktätigen' auch anleitend wirken sollten für die Errichtung der sozialistischen Gesellschaft in der DDR: „Die Unbeugsamen im Kriege sind nun als Baumeister des neuen Lebens auch die Unbeugsamen im Frieden. Der Held der Sowjetliteratur ist der bewußte kommunistische Mensch, der in der Praxis des Lebens im Lande der siegreichen sozialistischen Revolution heranreift. Dieser neue Held der Geschichte, der arbeitende Mensch, wurde zum kollektiven Gestalter der Geschichte." 183 Die massenhafte Verbreitung dieser Literatur belegte das zwanghafte Einholen der sowjetischen Linie, wie der Verlag Kultur und Fortschritt anläßlich seines zehnjährigen Bestehens in eher aufschlußreichen Selbstkritik einräumte: Die Auswahl aus der sowjetischen Literatur, die der Verlag seit 1949 vorgestellt hatte, wies nur wenige Klassiker der Sowjetliteratur auf (Gladkow „Zement", Serafimowitsch „Der eiserne Strom"); statt dessen konzentrierte sie sich ganz auf die aktuelle Nachkriegsproduktion (Ashajews „Fern von Moskau", Rybakows „Menschen am Steuer", Babajewskis „Der Ritter des goldenen Sterns", Nikolajewas „Die Ernte" und Koshewnikows „Belebendes Wasser"). 1957 hieß es dazu „frei und offen": „Auf dem Gebiet der schönen Literatur hat es der Verlag in den ersten sechs Jahren seines Bestehens versäumt, sich einen entscheidenden Anteil an literarisch wertvollen Titeln aus der sowjetischen Literatur zu sichern. Die Veröffentlichung von sowjetischen Romanen, die sich mit zeitnahen Stoffen befassen bzw. zum Thema Aufbau des Sozialismus etwas Gültiges zu sagen haben, entsprach und entspricht auch heute noch unserem Anliegen. Dennoch haben wir in der Vergangenheit die Herausgabe von Werken bedeutender sowjetischer Autoren vernachlässigt, die im tagespolitischen Sinne weniger aktuelle Themen behandeln. [...] Als in den Jahren 1955/56 im Hain der Literatur ein kräftiger Wind blies, entfacht durch die Verurteilung der Schönfärberei, da knickte mancher schnellgewachsene Baum." Die Romane Babajewskis etwa hätten „die Prüfung der Zeit nicht bestanden. Ashajews ,Fem von Moskau' und Nikolajewas ,Ernte' wurden vom Wind zersaust, aber der lebensfähige Stamm ließ sich nicht brechen." 184 Sieht man von der verhüllenden Metaphorik ab, die als Naturgeschehen hinstellt, was sich an Entstalinisierung in der sowjetischen Literatur(kritik) vollzog, so ist diese Rechenschaftslegung bemeikenswert deutlich. Sie gibt Fehler in der Verlagspolitik zu, die als (kultur)politischer Tribut begangen wurden. Erkennbar wird aber auch, daß die Diskussion über Konfliktlosigkeit und die „Lackierung der Wirklichkeit" erst in der Sowjetunion geführt werden mußte, bevor sie in der DDR übernehmbar war.

182 Woita, Gedanken, S. 49. 183 Abusch, Der neue Held, S. 998. 184 Zehn Jahre Verlag Kultur und Fortschritt.

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Literaturbegriff und Funktionszuweisungen Anfangs standen bei der Vermittlung gerade der russischen, aber auch der sowjetischen Literatur ganz in Übereinstimmung mit dem herrschenden, auf einen unspezifischen Humanismus orientierten Literaturbegriff die überzeitlichen Aspekte, die Pflege und Bewahrung der ,ewigen Werte' im Vordergund. „Es wurde mit der elementaren Feststellung begonnen, daß die russische Nation ein ,Kulturvolk' sei und die Meisterwerke der russischen Litaatur in die Schatzkammer der Menschheit' gehörten." 185 Im Sinne solcher Zeitenthobenheit wurde das spezifisch Russische und das konkret Gesellschaftliche unterdrückt und wurden die kulturellen Gemeinsamkeiten hervorgehoben. 1948/49 verwahrte man sich dann zunehmend gegen eine solche ,Verdeutschung' russischer Veihältnisse, bei der Puschkin als „slawischer kleiner Lenau 186 erschien und man Belinski „als den russischen Lessing" präsentierte: „In diesem Fall erscheint dann die russische und die sowjetische Kultur als mehr oder weniger gute deutsche Kultur. Wir gehen damit zwar noch nicht so weit, zu sagen: Am deutschen Wesen soll die Sowjetkultur genesen, aber wir handeln so, als ob wir sagen würden: Am deutschen Wesen soll die Sowjetkultur gemessen werden." 187 Veränderungen des Maßstabs, und zwar das Anlegen eines sozialistischen Gradmessers, wurden nun auch für die Rezeption von Werken der sowjetischen Gegenwartsliteratur gefordert, die bisher ebenfalls meist auf ihre ,allgemeinmenschlichen' Identifikationsangebote überprüft worden oder als Muster der fortgeschrittensten Nationalliteratur aufgenommen worden waren. Doch dem Geforderten wurden nur wenige Kritiker gerecht. Weithin waren in den Schriften Unsicherheiten bei der Beurteilung und ein Weiterwiiken der alten Begrifflichkeit festzustellen. Seit 1946 etablierte sich in Ergänzung zu dem .zeitlosen KulturmodelP, das ab 1948 durch die Konzeption einer ausgesprochenen Gegenwartsbindung abgelöst wurde, die Literaturtheorie Georg Lukäcs' 188 ; das bedeutete die Favorisierung der großen bürgerlichen Realisten, der Schöpfer umfassender Zeitgemälde, und die Ablehnung der literarischen Moderne, deren Kunstmittel als Spiegelung des Verfalls der bürgerlichen Gesellschaft interpretiert wurden. Damit ließ sich gegen den gefürchteten kulturellen Einfluß aus Westeuropa und Amerika (insbesondere den Existentialismus) argumentieren, damit konnte die Formalismuskampagne theoretisch abgesichert werden, damit war schließlich eine traditionsbewußte Haltung eraibeitet, die bündnispolitisch brauchbar war und zudem durch die sowjetische Orientierung seit den 30er Jahren autoritativ abgesichert war. Der kritische ließ sich als Vorschule des sozialistischen Realismus interpretieren und dessen Theorie konnte mit Bausteinen aus Lukäcs' Ästhetik errichtet werden. Entsprechend den skizzierten Veränderungen des Literaturbegriffs und Kulturmodells wurden der Sowjetliteratur in der SBZ und frühen DDR verschiedene sich zwischen 1945 und 1953 erheblich verändernde Funktionen zugewiesen. Durchgängig grundlegend blieb allerdings die Vorstellung einer direkten Beeinflussung durch Literatur. Gemäß dieser Literaturkonzeption, 185 186 187 188

Münz-Koenen, Literaturverhältnisse, S. 82. Bruno Kaiser, Puschkin in Deutschland, in: TR vom 5. 6. 1949. Kuczynski, Über einige Schwächen, S. lOf. Zu den hier nur angedeuteten Veränderungen des Wertesystems und den theoretischen Implikationen vgl. ausführlich: Münz-Koenen, Literaturverhältnisse, bes. S. 74-96. Zur damaligen Rolle von Lukäcs' Schriften vgl. außerdem: Staszak, Das Literaturkonzept von Georg Lukäcs, S. 11-16.

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die einseitig den Bezug zum Leser akzentuiert, erschien die sowjetische Literatur dazu prädestiniert, jene Wirkungen zu erzielen, die man sich so dringend von der Literatur insgesamt erhoffte - erst setzte man vorrangig auf ihre therapeutische, später recht direkt auf ihre erzieherische Kraft. Ein wesentliches Ziel sah man nach Kriegsende zunächst allgemein in der Überwindung der politischen und geistigen Depression, von Resignation und Beschränkung auf die Darstellung des Elends 189 und in der Herausbildung einer positiven und richtigen Lebenseinstellung anhand eines beispielhaften Menschenbildes: Von der Sowjetliteratur „geht ein heilender Lichtstrahl humanistischen Geistes aus, den wir Deutschen lange entbehrt haben. Sie stellt als das Wertvollste und Höchste den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung, der bei uns in Deutschland so außerordentlich niedrig im Kurs stand. Sie hat sich an die Spitze des Befreiungskampfes der ganzen Menschheit gestellt." 190 Die entscheidende Vermittlerrolle fiel dabei erst Maxim Gorki zu, dessen Werk die gewünschten Qualitäten in nahezu idealer Kombination aufwies und dessen Lebensweg sich außerdem hervorragend zu Zwecken emphatischer Dichterverehrung eignete. „Idiotische Rasseitheorie, ein unbegründeter Sklavenhochmut, der den Deutschen ein Jahrzwölft eingepaukt wurde, Lüge, Terror und Flammen hatten auch Gorkis menschlische Werke in Vergessenheit gebracht. Doch braucht sie gerade heute das deutsche Volk so nötig wie je, als Wegweiser in ein glückliches Morgen", 191 schrieb Hans Marchwitza damals. Die Parteilichkeit in der Darstellung der historischen Mission der Arbeiterklasse („Die Mutter"), die Formung des sozialistischen Menschen (in der autobiographischen Trilogie) und der kämpferische Optimismus ließen sich bei der Interpretation je zurückstellen zugunsten der Weckung von Hoffnung und Zuversicht durch Gorkis Glauben an das Gute im Menschen, sein Vertrauen auf die Korrigierbaikeit von Schwächen und Fehlern. So empfahl Johannes R. Becher: „Schreibt wie Maxim Gorki [...]: Werdet wie er ergriffen von dem schöpferischen Erlebnis der Unteilbarkeit der Welt, verkündet wie er die Allmacht des Menschen und das herrliche Gefühl, stolz auf den Menschen zu sein, seine unendlichen Möglichkeiten, seine geniale Wandlungsfähigkeit, und wenn ihr euch so verbündet mit dem Leben, der Natur, der Geschichte, wenn ihr so euer Volk liebt wie Maxim Gorki das russische geliebt hat und über dieser Liebe doch nicht die Achtung vor anderen Völkern und ein liebevolles Verständnis für sie vergessen habt - dann kann sich daraus, um all das künstlerisch darzustellen, nur eine Methode ergeben: die sozialistische. 192 Die Verbreitung von Gorkis Werken wurde durch Filme verstärkt - die Filmtrilogie „Meine Kindheit", „Unter fremden Menschen" und „Meine Universitäten" von Mark Donskoi lief Anfang 1948 in den Kinos der SBZ an und wurde allein bis zum 25. Februar von 1,5 Millionen Zuschauern gesehen 193 - und dadurch, daß sie schon frühzeitig Eingang in die Lehrpläne der Schulen fanden.

189 190 191 192 193

Darauf drängte Dymschitz schon 1945 in seinem Artikel „Krieg und Kunst", in: Alexander Dymschitz. Wissenschaftler, S. 61-63. Willi Bredel, Michail Scholochow, in: W.B., Sieben Dichter, S. 140f. Marchwitza, Gorkis Einfluß, S. 102f. Becher, Verteidigung der Poesie, S. 316. Angaben nach: Deutsch-sowjetische Freundschaft, S. 200. Im Gegensatz zu sowjetischen Kriegsfilmen wurden sie von den Zuschauem mit echter Begeisterung aufgenommen.

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Praktische Lebenshilfe im Bereich der Erziehung leistete dann vor allem das „Pädagogische Poem" A. S. Makarenkos, das 1950 unter dem Titel „Der Weg ins Leben" in der DDR erschien. Eingebettet in eine Romanhandlung mit romantischen Zügen (unter schwierigsten Bedingungen werden verwahrloste Jugendliche, Streuner und Kriminelle, zur Einsicht gebracht und damit zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft umgeformt), werden folgende pädagogische „Hauptlehren" gezogen: „Die Arbeit als Mittel der Erziehung, als Prinzip der Leistungssteigerung, die Fragen der Persönlichkeitsbildung in einem System kollektiver Tätigkeit und nicht zuletzt eine neue Auffassung von Disziplin. 194 Die Schriften Makarenkos, die teils literarischen, teils Fachbuch-Charakter haben, erreichten bis 1965 eine Gesamtauflage von 860000 Exemplaren und stellten „für viele Lehrer und pädagogisch Interessierte eine Offenbarung" 195 dar. Waren sie die wichtigste Quelle für die Erziehung der Erzieher, der Eltern und Lehrer, so wurden andererseits die Kinder und Jugendlichen auch sehr direkt und effektiv durch sowjetische Literatur erreicht. An die Jüngeren richtete sich vor allem A.P. Gaidars Roman „Timur und sein Trupp" (1947). Timur, ein junger Pionier, der mutig, hilfsbereit, willensstark und fröhlich ist, bildet mit anderen Pionieren eine wirkungsvolle Hilfsorganisation, durch die den Familien der Frontsoldaten geheim geholfen wird. Mit der von der Pionierorganisation der DDR ins Leben gerufenen „Timur-Trupp-Bewegung" wurde versucht, die aktivierende Kraft dieses Buches als Ansporn zu gesellschaftlich nützlichem Tun bei den Schülern einzusetzen. Die Jugendlichen konnten vor allem durch Nikolai Ostrowskis Roman „Wie der Stahl gehärtet wurde" angesprochen werden, der den Spitznamen „FDJ-Bibel" erhielt. 196 Der 1947 erstmals in deutscher Sprache verlegte Roman lag 1954 bereits in 300000 Exemplaren vor. Man organisierte Diskussionszirkel der Jugendlichen über den Helden Pawel Kortschagin, das „Abzeichen für gutes Wissen" der FDJ hatte die genaue Kenntnis dieses Romans zur Grundlage und freiwillige Wettbewerbsverpflichtungen in der Produktion wurden mit dem Namen des russischen Komsomolzen verbunden. Ostrowskis im Bürgerkrieg und an der Aufbaufront kühn und zielstrebig agierender Protagonist sollte wie kein anderer zur literarischen Leitgestalt der Jugendlichen werden (die autobiographischen Züge und die Legendenbildung um die Person des Verfassers im Zusammenhang mit seinem Kampf an der Bürgerkriegsfront und gegen seine schwere, ihn jahrelang ans Bett fesselnde Krankheit trugen ein Gutteil dazu bei); sein ,Credo' eignete sich als offizielles wie individuelles Glaubensbekenntnis: „Das Wertvollste, was der Mensch besitzt, ist das Leben. Es wird ihm nur einmal gegeben, und er muß es so nützen, daß ihn später sinnlos vertane Jahre nicht qualvoll gereuen, die Schande einer unwürdigen, nichtigen Vergangenheit ihn nicht bedrückt und daß er sterbend sagen kann: Mein ganzes Leben, meine ganze Kraft habe ich dem Herrlichsten auf der Welt - dem Kampf für die Befreiung der Menschheit - geweiht." 197 Inge Lange, damals Funktionär der FDJ in der Wismut, schreibt über die für die weitere Entwicklung bedeutsame Bildung der Jugendstoßbrigaden in der Wismut: „Die ersten Exemplare von Nikolai Ostrowskis Buch ,Wie der Stahl gehärtet wurde' halfen uns dabei. In einer Dachkammer versammelten wir die wenigen Funktionäre, studierten Kalinins Aufsätze und Reden über die kommunistische Erziehung und kamen zu dem Schluß, daß man die Jungarbeiter in Brigaden

194 195 196 197

Die Aufnahme der Sowjetliteratur, S. 438. Pachaly/Rosenfeld/Schützler/Schulze-Wollgast, Die kulturellen Beziehungen, S. 491. Vgl. Koch, Die deutsch-sowjetische Freundschaft, S. 226. Ostrowski, Wie der Stahl gehärtet wurde, S. 313.

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zusammenfassen und lehren muß, wie man bohrt und schießt, den Berg und die Methoden seiner Bezwingung meistert - und vor allem, daß dies im Interesse der Arbeiter und ihrer Jugend selbst geschieht." 198 Bei dem Umerziehungsprozeß wurde mit Recht den Jugendlichen, die nach dem Krieg ohne Orientierung oder aber mit falschen Idealen dastanden, besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Gegen die faschistische Verführung sollte „ein neues, richtiges Bewußtsein gesetzt werden, das auch Opferbereitschaft einschloß, das erfüllt war von den Ideen einer Gesellschaft ohne Großkapitalisten, ohne Großgrundbesitzer, ohne Ausbeutung, einer Gesellschaft, in der eine neue herrschende Klasse, die Arbeiteiklasse, aufstieg. Die sowjetische Literatur, in erster Linie Ostrowskis ,Wie der Stahl gehärtet wurde', stellte unsere Jugend vor echte Ideale, echte Vorbilder, Charaktere, die neue politische und ethische Normen setzten." 199 Dieses Zitat läßt sich auch auf jene Bücher übertragen, die primär für den erwachsenen Leser bestimmt waren. Auch ihm sollten durch das emotionale Erlebnis der Lektüre „gesellschaftlich-moralische Grundbegriffe und Erkenntnisse unserer Epoche" 200 vermittelt werden. Auch hier mußten die stärksten Impulse von jener frühen Sowjetliteratur ausgehen, welche die bei allen Schwierigkeiten grandiose Zeit des großen Umbruchs spiegelte. Trotz der Entstellungen durch die erfolgten Textüberarbeitungen: Das Pathos der Revolution, der Heroismus der Bürgerkriegsjahre und der Stolz des entbehrungsreichen Aufbaus borgten ihren Glanz einem durch den Krieg verwüsteten und ideologisch zusammengebrochenen Land. „Als ich 1946/47 den,Stillen Don' las, packte mich die Form, in derScholochow das große Epos der historischen Umgeburt darstellte, bei höchster Individualisierung aller Handelnden. Hier erlebte ich erstmalig in der Literatur das Auge-in-Auge-mit-dem-Feind-Stehen, das hat mir bis dato gefehlt. Hier sahen wir vom Jahrgang 23 die Ethik in Aktion. 201 Die Romane, in denen wie auch in Gladkows,dement" - „ein ganzes Panorama des schweren, gefahrvollen, doch von glutvollem Leben und revolutionärer Romantik erfüllten Geschehens entrollt 202 wird, verbreiteten auch in Deutschland die Aura einer Revolution, die dort nicht stattgefunden hatte bzw. von Beginn an administrativ verfügt worden war. Dabei ging es keineswegs nur um die Überhöhung der dürftigen Gegenwart, sondern - zumindest nach dem Willen der Literaturpropagandisten auch um die unmittelbare Stärkung für die Umwälzung in der SBZ und DDR. Erfolg der Nachkriegsromane über technisches Neuerertum und Iringen, ökonomische Bedingungen und menschliches Verhalten, den schließlichen Sieg des Neuen über das Alte mit Hilfe der Parteiorganisation - etwa in den genannten Werken Ashajews, Rybakows und Nikolajewas, aber auch in Koptjajewas „Direktor Anna" (1950), Koshewnikows „Belebende Wasser" (1951) und Kotschetows „Die Shurbins" (1953) - versprach man sich jetzt von der Paralldisierung. Die Probleme jener Nachkriegsgesellschaft, so wurde suggeriert, waren dieser ähnlich. Wenn dann gegen alles Widerständige am Ende der Böse verspielt hat und das Gute triumphiert, sind Lösungen aufgezeigt worden, die - so konstruiert sie auch immer sind - die Verführungsgewalt einer 198 199 200 201 202

I. Lange, Wie die Jungen vom Beust-Schacht singen lernten, S. 61. Probleme der Kulturpolitik, S. 11. G. Düwel, DDR-Literatur - Sowjetliteratur, S. 190. Max Walther Schulz, zit. nach: T. Richter, Die Sowjetliteratur, S. 407. Selbmann, Sowjetliteratur, S. 606. Zu „Zement" als „Modellbuch" vgl. auch Mayer, Deutsche Literatur und Sowjetliteratur, S. 224.

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klaren Welt- und Werteordnung haben, ähnlich den Modellen der Trivialliteratur. Auch wenn solche Reize schnell abstumpfen und das Aufsehen, das spätere, weniger schablonenhafte und konflikthaltigere Romane wie Granins ,3ahnbrecher" (1955), Owetschkins „Frühjahrsstürme" (1958) und Nikolajewas „Schlacht unterwegs" (1962) erregten, nachhaltiger war - der sowjetische Nachkriegsroman über den Kampf an der industriellen und argrarischen Front wurde mit Nachdruck in der frühen DDR verbreitet, denn er fügte sich als wichtiger Baustein in das neue Konzept der Bindung an die Belange der Produktion, der Aktivierung und Mobilisierung (statt therapeutischer Heilung) durch Kunst, der Betonung des Proletarischen (statt des Humanistischen) und der Exponierung des Faktors Arbeit. Dabei ist immer wieder aufschlußreich, daß man sich eine unmittelbare Wirkung von literarischen Werken, ja geradezu ein Überspringen der Romanhandlung in Realität, versprach. So wird über den .Einsatz' von Wassili Ashajews 1949 mit einem Stalinpreis ausgezeichneten Nachkriegsroman „Fern von Moskau", der den heldenhaften Einsatz beim industriellen Aufbau in Sibirien zum Thema hat, und über die erhoffte Wirkung auf die Bauarbeiter der Stalinallee berichtet: Die Direktion der Bauunion Potsdam habe als erste Dienstanweisung an ihre Oberbauleiter angeordnet, „Fern von Moskau" zu lesen, da der Roman helfe, die Arbeit zu organisieren und die Produktivität zu steigern. Und Grotewohl sekundierte, daß solche Romane wie der von Ashajew „sich unmittelbar helfend und fördernd auf unseren beginnenden sozialistischen Aufbau" auswirkten. 203 Transferhemmnisse Man kann wohl mit Fug und Recht annehmen, daß die bestimmenden Lektüreerlebnisse des Lesers in der SBZ/DDR andere waren als die eines Buchkonsumenten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft; neben dem .organisierten Lesen', den künstlich hohen Auflagen und den vielen Anstrengungen zur Popularisierung sowjetischer Bücher, Filme und Theaterstücke gab es eben auch das andere: echtes Interesse an den von der sowjetischen Literatur unterbreiteten Identifikationsangeboten, ihre Aufnahme zur Befriedigung von Abenteuerlust und damit als Alternative zu Karl May. Aber man muß dennoch davon ausgehen, daß sich die Intentionen der literaturvermittelnden Instanzen nur zum Teil verwirklichen ließen. Mindestens zwei grundlegende Hemmnisse lassen sich ausmachen: 1.) Ein in der Nachkriegszeit in weiten Bevölkerungskreisen zu beobachtender Widerstand gegen alles Politische im allgemeinen und speziell gegen das verordnete sowjetische Modell betraf auch die Literatur aus der UdSSR und ihre Vermittlung. Wie man bei politischen Vorträgen auf ausgehängten Plakaten oftmals das wirkliche Thema und Anliegen kaschierte, um überhaupt Interessenten zu gewinnen, wie man Vortragsabende durch künstlerische oder schauspielerische Beigaben attraktiver zu machen suchte, so setzte man auch bei der Präsentation sowjetischer Bücher Lockmittel ein: Zur Gewinnung eines breiteren Publikums und zur Erhöhung der emotionalen Wirkung wurden Rezitationen und musikalische Darbietungen einbezogen. Damit wurden aber nicht Maßstäbe einer neuartigen Literaturgesellschaft gesetzt, sondern überkommene, konservative Geschmacksvorstellungen bedient. Die politische Abwehrhaltung konnte dadurch zwar partiell unterlaufen, aber nicht wirksam durchbrochen werden. 203

Vgl. Zehn Jahre Verlag Kultur und Fortschritt.

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2.) Aktuelle sowjetische Literatur wurde von deutschen Rezensenten in der Regel unkritisch und enthusiastisch präsentiert. 204 Die Verabsolutierung des sowjetischen Modells ließ eine Rezeption, die den kritischen Vergleich mit den andersgearteten Lebensbedingungen in Deutschland und mit deutschen Werken ähnlicher Thematik gesucht hätte, nicht zu. Die Unantastbarkeit sowjetischer Lebens- und Literaturverhältnisse belegt etwa eine 1951 unter Thüringer Schriftstellern über „Fern von Moskau" geführte Diskussion. Von einigen Teilnehmern wird Kritik vorgebracht: Die technischen Dinge würden vom Autor zu stark herausgestellt, was zu unnötiger Länge führe; es sei nicht einzusehen, daß die Sprengung des Flusses während des Winters so breit diskutiert werden müsse; auch sei die Versenkung einer Ölleitung auf den Meeresboden nichts Neues und „für einen deutschen Ingenieur kein Problem". Außerdem „geschähe in diesem Roman zuviel Unwahrscheinliches". Während die stellvertretende Leiterin des Arbeitskreises, Ilse Faber, salomonisch zur „fast zu ideal" erscheinenden Schilderung des neuen Menschen erklärte: „Und wenn das Bild stimmt, kann man die Sowjetunion nur beglückwünschen!", befand der Funktionär Heinz Willmann in atemberaubender Dialektik: Ein Werk wie „Fern von Moskau" könne man nicht mit idealistischen Maßstäben messen, „aus dem einfachen Grund, weil das Buch eine realistische Schilderung tatsächlicher Vorgänge und lebendiger Menschen" sei. Alles, was unverständlich erscheine, sei letzten Endes darauf zurückzuführen, daß der „Autor das vollkommen neue Verhältnis der Menschen zueinander und zur Arbeit schildert, ein Verhältnis, das durch die Lehre des Marxismus und durch die Oktoberrevolution geboren wurde". 205 Durch eine solche Argumentation wurde sowohl der sowjetische Alltag als auch seine Erfassung im Roman jeder Kritik enthoben. Daß man auf diese Weise keinen lebendigen Dialog inaugurierte, sondern Langeweile erzeugte und damit die Verbreitung sowjetischer Literaur eher blockierte statt förderte, wurde von einzelnen Rezensenten erkannt. So wurde in Heft 6/1953 der Zeitschrift „Die Neue Gesellschaft" eine sowjetische Rezension zu Boris Polewois Roman „Gold" aufgenommen, die sich zwar positiv zum Anliegen des Autors äußert, jedoch sehr kritisch zur Komposition des Werkes Stellung nimmt. In dem von deutscher Seite verfaßten Vorwort heißt es, daß man nicht nur von den Besonderheiten dieses Romans in Kenntnis gesetzt werde, sondern auch etwas über das Verfassen von Rezensionen lernen könne. Dies waren aber vereinzelte, und erst spät (nach Stalins Tod!) zu Wort kommende Stimmen, die gegen die qua Anpassung und politischem Druck vollzogene Akklamation kaum etwas auszurichten vermochten. 7.2.2 Die Literatur der SBZ/DDR auf dem Prüfstand der sowjetischen Literaturkritik Die sowjetische Literaturkritik orientierte sich Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre in Tendenz und Begrifflichkeit besonders eng an der je aktuellen literaturpolitischen Linie und den daraus hervorgehenden Kampagnen. Es gab lediglich unterschiedliche Grade der Beteiligung; um nicht selber Opfer einer der Kampagnen zu werden, mußte man sich eines Minimums der gerade gültigen Kategorien bedienen. Nach außen hin hatte die Ausdifferenzierung der,Lager' (eines dog204 Dies hat auch eine von uns vorgenommene detaillierte Auswertung der „Neuen Gesellschaft" ergeben. 205 P.S.E., Thüringer Schriftsteller diskutieren ,Fem von Moskau'. Aussprache des Arbeitskreises Weimar des Deutschen Schriftstellerverbands 30. 11. 1951, in: Friedenspost 2/1952.

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matischen und eines antidogmatischen)206 noch nicht stattgefunden, doch wurde intern durchaus kontrovers diskutiert, zeichneten sich künftige Polaritäten bereits ab. Während die schon im April 1952 proklamierte Distanzierung von der „Theorie der Konfliktlosigkeit" und die Ablehnung einer „Lackierung der Wirklichkeit", die nun auch innerhalb des Systems des sozialistischen Realismus als Überspitzung betrachtet wurde, eine Art Minimalkonsens bildete, ergaben sich in den folgenden Jahrzehnten immer wieder fundamentale Differenzen bei der Interpretation und Bewertung einzelner Werke. Was z. B. in den Augen der Dogmatiker eine „Verzerrung der (sowjetischen) Wirklichkeit" darstellte, konnte bei den Antidogmatikern als „mutige Entlarvung von Mißständen" gelten. Umgekehrt wurden Werke, die die Antidogmatiker als „schönfärberisch" abqualifizierten, nicht selten von den Dogmatikern als „lebensbejahend" begrüßt. Ausmaß und Intensität der Beobachtung Auf diesem Hintergrund ist nun zu fragen, inwieweit und mit welchen Folgen auch die Literatur des Auslands, und hier speziell die der SBZ/DDR unter den genannten Leitvorstellungen beurteilt wurde. Ausmaß und Intensität der Berichterstattung und Öffentlichkeitsinformation über das literarische Leben jenseits der Grenzen sind höchst bemerkenswert. In der SBZ/DDR waren für die an Moskauer Instanzen zu richtenden Resümees, Pressedokumentationen, Kommentare und Meldungen zunächst die Kulturoffiziere zuständig, später die Mitarbeiter der Sowjetischen Kontrollkommission bzw. der WOKS-Bevollmächtigte. In Moskau verfügte die Auslandskommission (AK) des sowjetischen Schriftstellerverbands über einen eigenen Deutschlandreferenten (W. Steshenski). „Für den Dienstgebrauch" stellte er regelmäßig Materialien über das deutsche kulturelle Leben zusammen, sog. „Bulletins" mit Zeitungsausschnitten, Kongreßreden usw. Wie auch die Kulturoffiziere war er zu regelmäßigen Rechenschaftsberichten über die von ihm geleistete Arbeit angehalten: Er führte Lektüreabende und Leserkonferenzen zu deutschen Werken durch, organisierte bilaterale Gespräche, initiierte den Briefwechsel zwischen Schriftstellern beider Länder, rezensierte zum internen Gebrauch deutsche Bücher, stellte selbst Anthologien zusammen, steuerte Rundfunkbeiträge bei und bereitete deutsche Schriftsteller für ihre Teihahme an sowjetischen Schriftstellerkongressen vor. Vor dem II. Schritstellerkongreß 1954, so legte er dar, habe er z. B. mit Anna Seghers 21 Tage, mit Stefan Heym 54 Tage „gearbeitet". 207 Zusätzlich zu dem Genannten veranstaltete die Auslandskommission regelmäßig interne Sitzungen - ihre Protokolle sind archiviert - , zu denen Fachleute als Referenten geladen wurden. Es wurden Überblicksdarstellungen und Einzelbesprechungen über die DDR-Literatur für die bekannten sowjetischen Literaturzeitschriften verfaßt und kürzere Artikel in der in Potsdam herausgegebenen Tageszeitung „Sowjetskoje slowo" veröffentlicht. Zu Zwecken der Rechtfertigung der sowjetischen Verhältnisse und der „Kontrapropaganda" wurden von der Auslandskommission auch Beiträge in deutschen Zeitschriften und Zeitungen lanciert. Zusammengefaßt bestand bei der Auslandskommission, der WOKS usw. also ein doppeltes Interesse: Erstens wurde im Detail die Entwicklung der neuen Literatur der DDR verfolgt; zweitens wurde beständig geprüft, wie 206 207

Vgl. Kap. 3.2.5. Vgl. SteZenskij, Otcet konsul'tanta po nemeckoj literature 1. 1.-31. 8. 1954, - RGALI 631/26/314. Tschesno äußerte allerdings 1951 in Moskau, es wäre unbekannt, daß die Auslandskommission als Bindeglied zwischen den demokratischen Schriftstellern Deutschlands und dem sowjetischen Schriftstellerverband fungiere. - RGALI 631/26/1310.

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die sowjetische Literatur aufgenommen wurde und ihre präsumtive Vorbildfunktion erfüllte. Gerade aus diesem zweiten Blickwinkel ergab sich aus sowjetischer Perspektive auch die Notwendigkeit der Einflußnahme auf das kulturelle Leben in der DDR. Bewertungen von Autoren und Werken: Becher, Brecht, Kellermann, Seghers, Kuba, Wolf, Claudius Den ersten bilanzierenden Überblick über die literarische Produktion der letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre gab der als Referent für das Theater eingesetzte Germanist I. Fradkin im Dezember 1946 vor der AK. 2 0 8 Er bildete die Grundlage für seinen ebenfalls ersten ausführlichen, allein der deutschen Nachkriegsliteratur gewidmeten Aufsatz, der wenige Monate nach Fradkins Rückkehr in die UdSSR im August-Heft 1948 der Zeitschrift „Novyj mir" erschien. 209 Fradkin ging es hier im wesentlichen um die verschiedenen literarischen Ansätze zur Aufarbeitung der Hitler-Zeit unter Einbeziehung auch von Autoren der Westzonen, um den „schädlichen" Einfluß des französischen Existentialismus auf (west)deutsche Schriftsteller (Stichwort „Dekadenz") und um die Notwendigkeit für die „demokratischen Schriftsteller", den „Kampf' gegen den (Neo)Faschismus „fortzusetzen". Ungeachtet seines Pioniercharakters sei nicht weiter auf diesen Beitrag eingegangen. Im folgenden sollen vielmehr Modelle des Umgangs sowjetischer Experten mit der SBZ/DDR-Literatur exemplarisch anhand einiger zwischen 1948 und 1953 besonders häufig genannter und ausführlich besprochener Werke unterschiedlicher Thematik voigeführt werden: Bei den vielleicht prominentesten Autoren der DDR, Johannes R. Becher und Bert Brecht, geht es vorab um die Art, wie man sich ihrem Gesamtwerk näherte bzw. eine konkrete Auseinandeisetzung umging. Die Romane Bernhard Kellermanns waren bereits seit den 20er Jahren ins Russische übersetzt worden. An ihn (der während der Hitler-Zeit in Deutschland verblieb und sich nach Kriegsende engagiert sowohl am kulturellen Aufbau Deutschlands als auch an der Propagierung der Sowjetunion beteiligte) richteten sich besonders große Erwartungen. Sein erster und zugleich einziger Nachkriegsroman „Totentanz" (1948) hat indes gerade nicht die „Keime des neuen Deutschland" zum Thema, sondern die Aufarbeitung des Faschismus. 210 Anna Seghers' Roman „Die Toten bleiben jung", dessen Erscheinen 1949 ebenfalls mit viel Aufmerksamkeit bedacht wurde, ist ebensowenig der Nachkriegswirklichkeit gewidmet, sondern der deutschen Geschichte von 1918 bis 1945. Kuba (Kurt Barthel) legte 1948 einen vielbeachteten lyrisch-geschichtsphilosophischen Entwurf vor: In seinem Poem „Gedicht vom Menschen" entfaltet er ein ganzes Panorama der Menschheitsgeschichte von der Urzeit bis zur Gegenwart verbunden mit dem Entwurf eines neuen Menschenbildes. Der in der Wahl des Genres und der Art der Ausführung offenkundige Einfluß der Sowjetliteratur, besonders Majakowskis, weckte bei den sowjetischen Rezensenten besonderes Interesse. Dem „neuen Gegenstand" widmeten sich Eduard Claudius mit der Erzählung „Vom schweren Anfang" und dem Roman „Menschen an unsrer Seite" (Produktion) und Friedrich Wolf mit dem Theaterstück „Bürgermeister Anna" (Dorf) und wurden daher einer intensiven Prüfung unterzogen.

208 Vgl. RGALI 631/14/519. 209 Fradkin, Bor'ba prodolzaetsja. 210 Vgl. als Gegenbild die Figur des alten Schriftstellers Bohler in Wadim Sobkos Roman „Irgendwo in Deutschland", siehe Kap. 7.3.1.

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Eine nicht unproblematische Aufgabe war es, das facettenreiche Werk des Lyrikers Johannes R. Becher angemessen zu würdigen, der ja zugleich ein herausragender Kulturpolitiker war und den viele noch aus der Zeit seiner Moskauer Emigration kannten. In zwei Übeiblicksartikeln wird 1950 der Versuch unternommen, einen differenzierten Zugang zu seinem Schaffen zu eröffnen. 211 Allgemeine Aussagen zum Ideenreichtum und zur thematischen Vielfalt seiner „von sozialistischer Weltanschauung durchdrungenen" Lyrik bilden den Ausgangspunkt. Der Blick richtet sich vor allem auf das Thema Deutschland, das das Werk Bechers durchziehe und nach Kriegsende eine Verbindung mit den Themen Frieden, Arbeit und Aufbau eingegangen sei. Anerkennung findet seine „prinzipielle nationale Selbstkritik", die er als „wahrhafter Patriot" übe, ohne dabei aber Volk und Führungsschicht gleichzusetzen. Trauer und Scham seien allmählich durch den Glauben an die „moralische Genesung" der Deutschen ersetzt worden. Als „neue positive Errungenschaft im Schaffen Bechers" wird die Liedform gewertet, die durch die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Hanns Eisler besonders gefördert werde. Hiermit sprechen die Kritiker indirekt ein Lob der Einfachheit und Volksnähe (als Tugenden sozialistischer Literatur) aus. Indes riefen zwei der untersuchten Gedichtbände neben dem positiven Eindruck „all der starken und tiefen Werke auch Unverständnis und Erbitterung hervor". Ein Punkt betrifft die Auswahl. Man vermißt in den Bänden viele der „alten guten Gedichte über den Befreiungdcampf des Proletariats". Der zweite Einwand ist ideologischer Natur. In der unmittelbaren Nachkriegszeit mache sich bei Becher ein Hang zum „kosmischen Humanismus", zu archaischer Symbolik und zu „nebelhaften Formulierungen" bemerkbar. Besonders deutlich werde dies im „Sonett-Kranz an die im zweiten Weltkrieg gefallenen Deutschen", in dem er die gefolterten Antifaschisten und die auf dem Schlachtfeld gefallenen Soldaten gleichermaßen „bekränze", - eine „schrill falsche Note" im Gesamtwerk Bechers. Als strittig gilt auch die erneute Hinwendung zur Form des Sonetts überhaupt. Habe diese in Bechers frühen Werken die Funktion gehabt, sich durch klassische Klarheit von „dekadenter Verwirrtheit" abzusetzen, so wirke sie nunmehr einengend und schwäche die emotionale Wirkung der Gedichte. Diese .zweifelhafte' Schaffensphase wird aber als abgeschlossen betrachtet. Vor allem habe Bechers kulturpolitische Tätigkeit zu ihrer Überwindung beigetragen und seiner Lyrik neuen Auftrieb vermittelt - eine Aussage, die appellartig das bekannte, von Becher nunmehr offenbar eingelöste Junktim zwischen aktiver Teilnahme am gesellschaftlichen Aufbau und der Produktion einer positiven und volksverbundenen Literatur im Blick hat. Was von der sowjetischen Literaturkhtik nicht als störend empfunden bzw. durchaus lobend hervorgehoben wurde - Bechers patriotisches, nationales Empfinden - führte indes im kulturpolitischen Alltag bisweilen zu Kollisionen mit der SMAD. 212 Das ,Schillernde', was sowohl den Lyriker als auch den Politiker Becher ausmachte, bereitete den Menschen, die seine Arbeit einzuschätzen hatten, nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Brecht als Vertreter der linken Avantgarde wird erstaunlich selten in den vorhandenen Materialien gewürdigt. Seine Text- und Inszenierungspraktiken waren offensichtlich zu unbequem und wurden daher vorsichtshalber mit Schweigen übergangen. Ein erstes Statement gab Fradkin in seinem Vortrag von 1946 ab. Unter den noch in der Emigration befindlichen Schriftstellern er211 212

Motyleva, Literatura demokraticeskoj German», S. 238-241, und Ginzburg, Poezija demokraticeskoj Germanii, S. 161f. Vgl. Kap. 5.3.2.

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freue sich Brecht einer großen Autorität, äußerte Fradkin. 213 Motyljowa nennt 1950 Brechts „Mutter Courage" eines der herausragendsten Ereignisse des Theaterlebens in der DDR. Sie hebt die grotesk-zuspitzende Form hervor, die Satire sowohl auf die herrschenden Kriegstreiber als auch auf die unterwürfigen Spießbürger. Als strittig werden einige Repliken und Lieder gesehen, die zu einem „abstrakten Pazifismus" tendierten. Insgesamt wende sich das Stück jedoch nicht gegen den Krieg „überhaupt", sondern gegen räuberische Eroberungskriege. 214 Bewertungsmaßstab hier ist also die in der UdSSR lange Zeit gültige und auch für die weltweite Friedensbewegung als verbindlich betrachtete Unterscheidung zwischen gerechten und ungerechten Kriegen. Vorwürfe einer formalistischen Schreibweise, wie sie später auch in der DDR-Literaturkritik und von SED-Seite aus formuliert wurden, fehlen. In einem Festvortrag über die deutsche Nachkriegsliteratur, der anläßlich des deutsch-sowjetischen Freundschaftsmonats Ende November 1951 im großen Saal des Moskauer Konservatoriums gehalten wurde, gibt Konstantin Fedin eine dem Rahmen angemessene, eher im Stil einer Laudatio gehaltene und damit wenig aussagekräftige Würdigung Brechts. Sowohl als Lyriker als auch als Dramatiker und Regisseur sei Brecht originell, eigenständig und mutig. Vollends ins Unverbindliche gleitet Fedin ab, wenn er anekdotisch von Brechts Tournee durch Westdeutschland erzählt. 215 Dieser Vorgang ist symptomatisch: Das pauschale Lob an die Adresse des prominenten Autors .befreit' von der eingehenden Auseinandersetzung mit dem ,sperrigen' Werk. Ein grundlegendes Element der .Methode', mit der sich die sowjetische Literaturkritik einem Autor und seinem Werk nähert, ist die Verflechtung von Aussagen über seine Person, vor allem was die Einstellung zur Sowjetunion betrifft, mit Aussagen zu seinen Weiken. Über Kellermann heißt es in dem Persönlichkeitsprofil, das die AK im Zusammenhang mit der ersten Delegationsreise deutscher Schriftsteller und Künstler in die UdSSR im April/Mai 1948 eistellt hatte: „Auf Grundlage seiner Auftritte, Aufsätze, seiner gesellschaftlichen Tätigkeit und der Aussagen sowjetischer Offiziere über ihn kann man den Schluß ziehen, daß Bernhard Kellermann ein Freund der Sowjetunion ist und einen nicht zu unterschätzenden Einfluß unter den deutschen demokratischen Schriftstellern hat." 216 Seine bisherigen Romane - der „Totentanz" war noch nicht erschienen - wurden allerdings mit einem kritischeren Blick betrachtet. So sei Kellermann insgesamt „kein revolutionärer Schriftsteller", er habe „nie ein lebendiges Bild eines Arbeiters" gezeichnet und sei „nie gegen die bürgerlich-kapitalistische Ordnung" aufgetreten. Er sei eher der kleinbürgerlichen Ideologie verhaftet, und seine Werke trügen impressionistische und expressionistische Züge. Diese Beurteilung, die gleichsam alle Sünden, die ein Autor begehen kann, auf einmal enthält und die in einem Gegensatz zu dem offensichtlichen Erfolg seiner frühen Romane in der Sowjetunion stehen, bildet gleichsam den Erwartungshorizont, auf dessen Hintergrund die Rezeption von Kellermanns neuem Roman erfolgte. Dieser Roman über die Zeit des Nationalsozialismus wurde gemäß der in der UdSSR geltenden, den Regeln des historischen Materialismus entsprechenden Interpretation des Faschismus beweitet.

213 RGALI631/14/519. 214 Vgl. Motyleva, Literatura demokraticeskoj Germanii, S. 229f. 215 Die Truppe hatte einen eigenen Theatervorhang mitgenommen, auf dem Picassos „Friedenstaube" abgebildet war. In Düsseldorf sei daraufhin noch vor Beginn der Vorstellung dem „Vorhang applaudiert" worden. - Vgl. RGALI 631/26/1313. 216 RGALI 631/14/537.

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Besonders rigide und ganz den innersowjetischen Gepflogenheiten entsprechend geschah dies in einer internen Rezension des Deutschlandreferenten der AK von 1949, die vermutlich im Zusammenhang mit einer möglichen Übersetzung des Romans ins Russische in Auftrag gegeben worden war. 217 Steshenskis Urteil ist nahezu vernichtend. Kellermann sei seinem Anliegen, das Hitlerregime zu entlarven, so heißt es, nicht gerecht geworden. Er habe lediglich einige Extreme an der Oberfläche herausgehoben. Desweiteren stichwortartig: „grobe Verzerrung der historischen Wirklichkeit" bei der Darstellung der vermeintlichen Aufbaustimmung nach der Machtergreifung; kein Wort über die Verflechtung von Politik und Kapital; mit einer Ausnahme keine Schilderung echter Widerstandskämpfer; „lügenhafter Objektivismus" bei der Beschreibung des faschistischen Lagers (Faschismus als charakterliche Veranlagung, damit quasi moralische Rechtfertigung seiner Vertreter); Bestrafung der Verbrechen des Hitlerregimes als „persönliche Selbstrechtfertigung", z.B. durch den Selbstmord der Hauptperson. Steshenski beläßt es nicht bei dieser Abqualifizierung des Romans, die, hätte es sich um einen sowjetischen Autor gehandelt, diesen zu jener Zeit in größte Schwierigkeiten gebracht hätte. Statt dessen .entlarvt' er Kellermann persönlich, indem er ihm nachzuweisen versucht, daß er während der Nazizeit durchaus nicht abseits gestanden hätte (wie es z.B. Fradkin in der erwähnten Sitzung von 1946 dargestellt hatte), sondern zwei neue Werke veröffentlicht und andere neu aufgelegt hätte. Damit unterstellt Steshenski, daß man von diesem Autor gleichsam keine andere Darstellung des Naziregimes erwarten konnte. In (bewußtem?) Gegensatz zu den Kulturoffizieren übergeht er Kellermanns kulturelles und prosowjetisches Nachkriegsengagement. Ein Jahr später, 1950, wird in einer internen biographischen Notiz Steshenskis impliziter Vorwurf des Mitläufertums in der Hinsicht abgeschwächt, daß es über die beiden (1935 erschienenen) Novellen heißt, sie hätten einen „betont neutralen Charakter" und seien von keinem besonderen literarischen Wert. 218 Im gleichen Jahr gelangte auch T. Motyljowa zu einer etwas ausgewogeneren Einschätzung. Zwar ist immer noch von einer „Begrenzung der schöpferischen Möglichkeiten durch die bürgerliche Weltsicht" Kellermanns und von der unzureichenden Behandlung des antifaschistischen Lagers die Rede, aber dem Autor wird zugestanden, die „Verantwortung des reaktionären Kleinbürgers für die Verbrechen des Hitler-Regimes" überzeugend herausgearbeitet zu haben. 219 Ein kurzer, sieben Seiten umfassender Ausschnitt aus dem Roman ist unter dem Titel „Der Gauleiter" in einer von Ilja Fradkin 1951 herausgegebenen Anthologie erschienen. 220 Die von Stalin 1950 in seinen Abhandlungen zur Sprachwissenschaft betonte Notwendigkeit des wissenschaftlichen Disputs wurde von einigen Literaturkritikern nur allzu gern aufgegriffen, um sich vom Stil der vorangehenden Kampagnen abzuwenden. So läßt Fradkin in seiner Einleitung Kellermanns Roman nunmehr eine uneingeschränkt positive Beurteilung zuteil werden und widerlegt damit indirekt vor allem die von Steshenski hervorgehobenen Mängel. Rezeptionslenkend war bei ihm sicher auch der Sachverhalt, daß er im Gegensatz zu Steshenski Kellermanns Aktivitäten unmittelbar erlebt hat. Fradkin schreibt z.B., daß die privilegierten Schichten des Dritten Reiches, Kapitalisten, Militär, hohe Beamten und käufliche Karrieristen unter der Intelligenz, mit „schar217 Vgl. RGALI631/14/547. 218 RGALI 631/14/553. 219 Motyleva, Literatura demokraticeskoj Germanii, S. 236. 220 Na perelome, S. 140-147.

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fen realistischen Strichen" gezeichnet seien. Besonders gelungen seien die Porträts der nazistischen „Würdenträger", deren Handeln von keinerlei moralischen Prinzipien geleitet sei. 221 Unausgesprochen bleibt hierbei der Begriff des „negativen Helden". Ganz ähnlich argumentiert S. Rosanowa in einem Aufsatz vom August 1952 (ein Jahr nach Kellermanns Tod), nun schon unter der Einwirkung der seit April des Jahres geltenden neuen literaturpolitischen Vorgaben. Sie geht jedoch noch einen Schritt weiter, indem sie gerade die Schilderung des Wachstumsprozesses oppositioneller Stimmungen im „Totentanz" hervorhebt, ein Punkt, der bisher in den sowjetischen Rezensionen entweder geleugnet oder ausgespart worden war. Rosanowa zieht aus ihrer Interpretation den Schluß, daß Kellermanns Art der Vergangenheitsaufarbeitung ein „ernsthafter Beitrag zur geistigen und moralischen Erneuerung der Nation" sei, und erkennt dem Roman damit einen vollwertigen Platz in der - zu dieser Aufgabe verpflichteten - deutschen Nachkriegsliteratur zu. 222 Eine russische Übersetzung des Romans „Totentanz" erschien 1955 zusammen mit dem in der Sowjetunion häufig aufgelegten „9. November" in einem Band. 223 Ob die sechsjährige Verspätung im Vergleich zur deutschen Ausgabe letztendlich eine Folge der frühen negativen Rezension war und die Publikation erst nach Stalins Tod möglich wurde, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. In sowjetischen Abhandlungen und Literaturgeschichten der 60er bis 80er Jahre nehmen die Interpreten in bezug auf Kellermann eine mittlere Linie ein, untersuchen den Roman mit durchaus kritischem Blick, streichen aber letztlich - nunmehr historisierend - seine Verdienste (hinsichtlich der Verortung des Faschismus) stärker heraus. Diese Sicht konnte sich vor allem deshalb durchsetzen, da das Werk nun nicht mehr, wie es um 1950 implizit der Fall war, nach den Kategorien des sozialistischen Realismus beurteilt, sondern ausdrücklich dem „kritischen Realismus" zugeordnet wurde, wie auch andere Arbeiten „fortschrittlicher bürgerlicher Autoren". 224 Anna Seghers' große Gesellschaftschronik „Die Toten bleiben jung", ihr Versuch einer Erklärung der unglückseligen deutschen Geschichte von der Niederschlagung der Novemberrevolution bis zum letzten Kriegswinter 1944/45, wurde in der DDR lebhaft diskutiert. Die AK widmete dem Roman am 23. Mai 1950 eine eigene Diskussion. 225 Es folgte im Novemberheft von „Novyj mir" 1950 eine eingehende Besprechung des Romans durch Tamara Motyljowa, die an der AK-Sitzung teilgenommen hatte und gleichsam ein Resümee zieht. 221 222

223

224 225

Ebd., S. 12. Rozanova, Bor'ba za nemeckuju demokratiíeskuju literatura, S. 159. Es wäre eine gesonderte Untersuchung wert, zu ermitteln, inwieweit die literaturpolitischen ,Zeitverschiebungen' sich in einem unterschiedlichen Tenor der Kritiken in der Sowjetunion und der DDR niederschlugen, d. h. inwieweit z.B. ab 1952 günstigere sowjetische Rezensionen schärferen von DDR-Seite gegenüberstanden. Vgl. Rudomino, Perevody nemeckoj chudozestvennoj literatury, S. 28. Diese Angabe wird durch „Kniznaja letopis'", das Gesamtverzeichnis aller in der Sowjetunion erschienenen Bücher, von Jahrgang 1950 bis 1955 bestätigt. Vgl. Makarova, Antifasistskij román, S. 65-68. Siehe auch Lebedev, Politika SEPG v oblasti kul'tury, S. 62; Istorija zarubeznoj literatury, Bd. 2, S. 386; Istorija literatury GDR, S. 16. Stenogramma zasedanija v IK po obsuzdeniju romana Anny Segers „Mertvye ostajutsja molodymi". RGALI 631/14/548.

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Grundsätzlich wurde der Roman in beiden Ländern lebhaft begrüßt: Annemarie Auer etwa würdigt ihn als „das ungebrochene und konsequent progressive Epos deutscher Gegenwartsgesellschaft", 226 Rosanowa lobt ihn aufgrund seines geschichtlich-aufklärerischen Verdiensts als „wirkungsvolle Waffe im Kampf mit der neofaschistischen Politik der anglo-amerikanischen Imperialisten". 227 Sowohl die deutsche als auch die sowjetische Kritik entzündete sich an der Tatsache, daß Seghers in Ausführlichkeit die Motivationen der verschiedenen Gruppierungen des konservativen, später faschistischen Lagers nachvollzogen hat, ihr es demgegenüber aber nicht gelungen sei, das Gegenbild einer wirksamen kommunistischen Opposition kraftvoll zur Geltung zu bringen. Einzelne deutsche Kritiker argumentierten ästhetisch und lobten, wie Kantorowicz, den „Objektivismus" der Darstellung. 228 Paul Rilla versuchte die „kompromittierende Interessantheit" als ein „psychologisches Mittel der soziologischen Beweisführung" zu rechtfertigen. Über dieses Prinzip der kompromittierenden Interessantheit, die einfache Tatsache, daß die bösen oder schillernden Figuren eindrucksvoller sind als die makellos positiven, führt Rilla aus: „So wird man finden, daß die Interessantheit in dem Maße abnimmt, wie die Peisonen an positiver gesellschaftlicher Bestimmung zunehmen. An die Stelle der Interessantheit tritt das Interesse der gesellschaftlichen Geprägtheit." 229 Steshenski, Vorsitzender der AK-Sitzung, resümiert zunächst die innerdeutsche Diskussion über den Roman, um sich der SED-Kritik anzuschließen, daß der Roman zu wenig die Rolle der kommunistischen Partei würdige - so lautete der Vorwurf Stefan Heymanns, des damaligen Leiters der Kulturabteilung der SED - und die Proletariergestalten zu schwach gezeichnet seien. 230 Hier die blaß dargestellte Seite der Kommunisten, dort das plastisch gezeichnete feindliche Lager, dessen Alltag mit allzuviel Details illustriert werde und dessen Schicksale zu tragisch koloriert seien - so lautet Steshenskis Urteil, der den Roman dennoch als Waffe gegen die Kriegshetzer rechtfertigt und seine Veröffentlichung in Rußland empfiehlt. Es ist bezeichnend, daß die bei der Sitzung anwesenden Deutschen, Berta Lask und Franz Leschnitzer, dogmatischer als die russischen Diskutanten vor allem die Kerbe der Beanstandungen vertiefen. Lask verwirft die deutschen Kritiken von Kantorowicz und anderen als „formalistisch". Leschnitzer bezeichnet den Roman als ideologischen Rückschritt im Schaffen Seghers'. Er unterschätze die Rolle der KPD, entspreche nicht den Prinzipien des sozialistischen Realismus, sei zu psychologistisch und bringe nicht das so wesentliche optimistische, lebensbejahende Moment hervor. Einzig Ilja Fradkin bringt eine kräftige Gegenstimme gegen die von der SED und Steshenski vorgegebene Kritikrichtung zur Geltung, wobei er eine Argumentationsweise und Terminologie benutzt, die öffentlich erst zwei Jahre später im Zuge der Vorwürfe gegen die „Theorie der Konfliktlosigkeit"

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Neue Welt 2/1950. Rozanova, Bor'ba za nemeckuju demokraticeskuju literaturu, S. 160. TR vom 3. 12. 1949. Rilla, Der neue Roman von Anna Seghers, S. 219. Abusch warf ihm daraufhin vor, eine „fehlerhafte Theorie der Uninteressantheit" zu verbreiten. - Alexander Abusch, Die Diskussion in der Sowjetliteratur und bei uns, in: N D vom 4. 7. 1950. Rilla rechtfertigte noch einmal seine ästhetische Position (Die kompromittierende Interessantheit), zog sich aber daraufhin ganz aus der Literaturkritik und Tagespublizistik zurück. - Vgl. Schrade, Anna Seghers, S. 83.

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Peter Kast, Die Rolle der Partei in der fortschrittlichen Literatur. Ein Diskussionsbeitrag über Anna Seghers' Roman „Die Toten bleiben jung", in: ND vom 16. 8. 1950; vgl. auch: Fritz Erpenbeck, Das Werk einer großen Realistin, in: ND vom 20. 1. 1950.

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vernehmbar waren: Er gibt zu bedenken, daß die KPD in den Jahren 1936-1945 faktisch nicht mächtig gewesen sei und daß eine stärkere Herausstellung ihrer Rolle somit „lakirovka", Schönfärberei gewesen wäre. Motyljowa widmet in ihrem Beitrag „Die Literatur des demokratischen Deutschland" vom November 1950 dem Seghers-Roman zehn Spalten und hebt ihn als „größtes Ereignis der deutschen Nachkriegsprosa" hervor. 231 Sie lobt den Roman in politisch-ideologischer Hinsicht und grenzt ihn positiv gegen Thomas Manns „Doktor Faustus" ab. Auch geht Motyljowa, was eine Ausnahme darstellt, auf Fragen der Komposition und Machart ein. Die von ihr dennoch gekend gemachten Vorbehalte spiegeln zum Teil die Diskussion der AK-Sitzung, sind aber differenzierter: Personen des progressiven Lagers seien nur im Hintergrund gezeigt, jedoch nicht als Hauptfiguren gezeichnet; im Gegenzug sei das feindliche Lager mit allzuviel Detailverliebtheit, stellenweise mit „Objektivismus" dargestellt. So vollziehe der Roman sogar das Aufkommen einer Anti-Hitler-Stimmung innerhalb der Rechten nach, schildere jedoch nicht das Wichtigste, das Erwachen der Volksmassen. Von der Unterbewertung der KPD ist in Motyljowas Artikel keine Rede. Möglicherweise hat dies - wie die insgesamt wohlmeinende sowjetische Kritik überhaupt - den Roman „Die Toten bleiben jung" gleichsam ,gerettet'. Fadejews Roman „Die junge Garde" war 1945 mit Begeisterung aufgenommen worden, bis Stalin beiläufig die Frage stellte: „wo bleibt die Partei?", was die grundlegende Umarbeitung des Buches zur Folge hatte. Kuczynski notiert: „Als aber Walter Ulbricht, dem Beispiel Stalins folgend, die gleiche Frage betreffend ,Die Toten bleiben jung' von Anna Seghers stellte und schon Kritik in dieser Richtung veröffentlicht wurde, sagte ihm Ilja Ehrenburg, als er in dessen Gegenwart die Frage wiederholte: ,Ja, Genosse Ulbricht, diese Frage haben wir uns während des Krieges gestellt', und damit war die Kritik in dieser Richtung an dem Buch von Anna Seghers zu unserem Glück zu Ende." 232 Aber wohl nicht nur aufgrund der Ehrenburg-Bemerkung. Michael Tschesno berichtete 1951 vor der AK über eine Informationssitzung im engen SED-Kreis mit Mitgliedern des Zentralkomitees und des Politbüros, wo der sowjetische Gast, Gen. Stscherbina, zur großen Befriedigung aller Teilnehmer über den positiven Widerhall des Romans in der sowjetischen Presse berichtet habe. 233 Immerhin: Der Schock über die Vowürfe saß bei Anna Seghers so tief, daß sie dreizehn Jahre später noch einmal auf die Querelen zurückkam: „Manchem Schriftsteller ist es passiert, daß man seine Ansicht verwechselt hat mit der Ansicht einer seiner Gestalten. Mit meinem Buch ,Die Toten bleiben jung' hatte ich zum Beispiel viel Kummer. Man warf mir die Aussprüche etlicher Nazioffiziere vor, die antisowjetisch, antisemitisch waren, und nicht anders sprechen konnten, als sie dachten." 234 Schon 1949 wurde Kubas „Gedicht vom Menschen" im Rahmen einer AK-Sitzung vorgestellt und diskutiert. 235 Das Referat hielt Lew Ginsburg, der das Poem auch übersetzte und sich später wissenschaftlich dazu äußerte. Seinem Urteil nach gibt es in der deutschen Nachkriegslyrik 231 232 233 234 235

Motyleva, Literatura demokraticeskoj German», S. 233. Kuczynski, Ich bin der Meinung, S. 69. Stenogramma besedy v IK s pisatelem M. Cesno o literatumoj zizni GDR. - RGALI631/26/1310. Anna Seghers, Der empfindlichste aller Stoffe, in: A.S., Über Kunstwerk und Wirklichkeit, Bd. 2, S. 135. Stenogramma zasedanija Inostrannoj Komissii po obsuzdeniju poémy K. Bartelja „Poema o íeloveke" (21. 10. 1 9 4 9 ) . - R G A L I 631/14/541.

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sowohl in ideologischer als auch in künstlerischer Beziehung kein Werk, das dem „Gedicht vom Menschen" ebenbürtig sei. Die neuen Gedichte und Sammlungen Bechers enttäuschten durch ihre kalte Verstandesbestimmtheit und Abstraktheit, vor allem aber durch das „Unvermögen, die realen, lebendigen gesellschaftlichen Kräfte zu erkennen, die fähig sind, den Kampf für ein einheitliches, demokratisches Deutschland anzuführen". 236 Und im Schaffen Hermlins ließen sich nicht wenige formalistische Überbleibsel ausmachen. Demgegenüber bringe das „Gedicht vom Menschen" die Gedanken und Sehnsüchte des deutschen Volkes, besonders auch der deutschen Arbeiterklasse auf ihrer neuen Etappe in der historischen Entwicklung Deutschlands am vollständigsten und leuchtendsten zum Ausdruck. 237 Mit einigem Stolz wird der fruchtbare Einfluß Majakowskis vermerkt. Bei ihm habe Kuba nicht nur „agitatorische Leidenschaft und politische Prinzipienfestigkeit, Hingabe an die Sache der Revolution gelernt"; auch die Grundlagen seiner Poetik habe Kuba studiert: „Wir spüren im Gedicht den Rhythmus der Zeit und den Schritt der Epoche"; das „Volkslied fand ebenso Eingang in das Poem wie die revolutionäre Losung, der Marsch der an die Front vorrückenden Soldaten der Roten Armee, die Trompete, die zum Feldzug ruft. Wir hören ,das Gemurmel' der Millionen wie das ängstliche Flüstern der erschrockenen Intelligenz und das hysterische Geschrei des untergehenden ,Mylords'. Das alles ergibt die Monumentalität des Poems." Es enthalte nicht nur fortschrittliche Ideen, sondern auch Stimmen, Musik, Rhythmus, den Lärm der heranbrechenden Epoche. Und noch eine Eigenschaft habe Kuba in der Schule Majakowskis, bei der sowjetischen Literatur gelernt: Verachtung dem Feind gegenüber und die Verknüpfung von revolutionärem Pathos mit revolutionärer Satire. 238 Auch in den Diskussionsbeiträgen - an der Aussprache nahmen u.a. Fradkin und Motyljowa teil - wird mit Befriedigung vermerkt, wie positiv im „Gedicht vom Menschen" die Sowjetunion, ihre Führer und ihre Partei gezeichnet sind. Vor allem aber wird die Vorbildrolle der sowjetischen Ideologie und Poesie, des sozialistischen Realismus und besonders Majakowskis lobend herausgestellt. Aber man kritisiert auch Mängel, warnt vor einer voreiligen Kanonisierung des Autors. Einer der Redner weist auf die noch ungefestigte Weltanschauung Kubas hin; er selbst habe erlebt, wie Kuba bei Veranstaltungen ausfallend wurde gegen die technische Intelligenz, so daß die SED ihn bitten mußte, die Belange der nationalen Front nicht außer acht zu lassen. 239 Die meisten Mängel werden im Schlußteil des Poems ausgemacht: Man spüre zwar die Liebe zur Sowjetunion, aber ein konkretes Bild des Landes habe Kuba nicht zu geben vermocht. Hier setze das reale historische Denken aus und mache sich süßlicher Utopismus breit. 240 Diese Kritik verschärfte P. Toper in seinem 1950 in „Novyj mir" erschienenen Aufsatz über das Poem 241 , dessen Verteilung von Lob und Tadel dem in der Diskussion Geäußerten weitgehend entspricht. Auch Toper macht im Schlußkapitel (und im Abschnitt „Ich komm von weit") ab236 237 238 239 240 241

Ein Jahr später war Ginsburg unter Hinzuziehung der neuesten Werke des Lyrikers zu einer differenzierteren Einstellung gelangt, wie im Abschnitt über Becher dargestellt. Stenogramma zasedanija Inostrannoj Komissii po obsuzdeniju poémy K. Bartelja „Poèma o Seloveke". Ebd. Vgl. ebd. Vgl. vor allem die Ausführungen von I. Fradkin und T. Motyljowa, ebd. Toper, „Poèma o celoveke". - Anläßlich der Diskussion über Kubas Lyrik im Schriftstellerverband der DDR wurde der Aufsatz auch in deutscher Sprache abgedruckt (in: Der Schriftsteller 11/1953).

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straktes Philosophieren aus, eine Betrachtung des Menschen „an sich", außerhalb seiner sozialen Charakterisierung. Femer bemängelt er die künstliche Kompliziertheit in der Komposition des Poems; viele Bilder seien von falscher Raffiniertheit. Kurze Zeit später schloß sich Ginsburg in einem Artikel ebenfalls der strengeren Linie an und brachte neben den schon bekannten Beanstandungen auch eine ästhetische Mängelkritik vor: Während Majakowski gezeigt habe, wie man das Neue wirkungsvoll bekräftigen kann, nämlich durch die realistische Beschreibung neuer Menschen und nicht durch abstrakte Erörterungen, vermeide Kuba die Alltäglichkeit und bringe sein Poem daher um das konkret-historische Kolorit. 242 Erst nach Kennenlernen der Sowjetunion - im Rahmen einer Delegationsreise - habe er es vermocht, sein gesellschaftspolitisches Ideal zu konkretisieren: die „Stalin-Kantate" bezeichne einen erheblichen Fortschritt im Schaffen Kubas. Diese Ansicht war jedoch intern nicht unumstritten. In einem Brief der WOKS vom 18. Februar 1950 an H. Hauser, den Chefredakteur der „Neuen Gesellschaft", in deren Dezember-Nummer 1949 dieses Poem (aus Anlaß von Stalins 70. Geburtstag) erschienen war, wird heftige Kritik an Kubas Schilderung der Periode der Industrialisierung und Kollektivierung geübt. Anstatt die „freudige schöpferische Arbeit des sowjetischen Volkes" zu erkennen, entstehe bei der Lektüre der Eindruck, als handele es sich um eine „Epoche freudloser Arbeit hungriger und gequälter Menschen". 243 Das sich daraus für einen sowjetischen Autor zwingend ergebende Verdikt, sich einer „Verzerrung der sowjetischen Wirklichkeit" schuldig gemacht zu haben, wird jedoch nicht ausgesprochen. Sowjetische Dokumente zu Friedrich Wolfs 1950 uraufgeführtem Schauspiel „Bürgermeister Anna" liegen aus den Jahren 1950/51 vor. Die Darstellung des deutschen Nachkriegsdorfes und seiner sozialen Schichtung, bzw. des in ihm stattfindenden „Klassenkampfes" sei „aus unserer Sicht", so Motyljowa in ihrem Aufsatz vom November 1950, 244 nicht plausibel genug gestaltet, vor allem da der dorfinterne Konflikt (zwischen Anna und ihrem Widersacher, dem Großbauern Lehmkuhl) bezüglich des Baus einer Dorfschule nicht hinreichend an die gesellschaftlichen Veränderungen und Kämpfe Nachkriegsdeutschlands angebunden sei. Diese Argumentation offenbart, wie sehr die sowjetische Literaturkritik auf die am Romanepos orientierte Darstellung der Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit fixiert war. Einer exemplarischen oder symbolischen Verkleinerung, gesellschaftlicher Zustände auf einen Mikrokosmos wurde mit großer Skepsis, wenn nicht mit Ablehnung begegnet. Die junge Bürgermeisterin erfährt hingegen eine uneingeschränkt positive Beurteilung. In ihr sieht Motyljowa alle notwendigen Attribute für eine den gesellschaftlichen Umbruch repräsentierende Heldin vereinigt. Ausführlicher wird das Stück auf einer (etwa gleichzeitig, am 17. November 1950 stattfindenden) Sitzung der Dramatik-Kommission innerhalb der AK behandelt, wo es konkret um seine Aufführbarkeit in der UdSSR geht. 245 Die schon von Motyljowa getroffene Beobachtung eines unzureichend dargestellten Klassenkampfes wird - ohne von allen Diskutanten geteilt zu werden - präzisiert: Man vermisse sowohl die Landreform als auch die „mobilisierende und organisierende Kraft der SMAD und der SED". Hier hat Wolf aber durch die Genrebezeichnung „Komödie" möglicher Kritik von vornherein ,den Wind aus den Segeln genommen', denn es wird 242 243 244 245

Ginzburg, Poezija demokraticeskoj German», S. 164ff. GARF 5283/16/162. Motyleva, Literatura demokraticeskoj Germanii, S. 245. Vgl. RGALI 631/14/549.

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sogleich einschränkend gesagt, daß die Behandlung der Landreform für eine Komödie „unpassend" wäre. Einen weiteren Mangel sieht man in der zu geringen Einbeziehung des sowjetischen Vorbilds beim gesellschaftlichen Aufbau. Es wird jedoch zugute gehalten, daß hier unter Berücksichtigung der Stimmungen in der deutschen Bevölkerung taktische Erwägungen eine Rolle gespielt haben mögen. Um das - bereits übersetzte - Stück (vor allem aufgrund seiner gelungenen Protagonistin) zu ,retten', sei eine gründliche Überarbeitung, z.B. bei der Gestaltung des politisch „unklaren" Landrates, vonnöten, wenngleich in Ansätzen der positive Einfluß der sowjetischen Dramatik durchaus gesehen werden will. Gegenstimmen im argumentativen Sinne gab es nicht, jedoch erging der Appell, an die deutsche Dramatik nicht dieselben Maßstäbe wie an die sowjetische zu legen, also ,Nachsicht' zu üben. In einem am 5. April 1951 vor der AK gehaltenen Überblicksvoitrag zum Gegenwartsthema in der neueren deutschen Prosa und Dramatik wird der Vorwurf einer fehlenden räumlichen und zeitlichen Fixierung des Stückes, von der man auf seine mangelnde gesellschaftliche Verankerung schließt, wiederholt und damit als Bewertungsansatz festgeschrieben. 246 Bemerkenswert ist, daß die Porträts der positiven Heldin und des negativen Helden (des Großbauern) als gleichgewichtig betrachtet werden. Wolf ist somit aus sowjetischer Sicht der ,Gefahr' entgangen, den Vertreter des „Alten", Überlebten, aber „Vertrauteren" plastischer zu gestalten als die Repräsentantin des Neuen, noch wenig Vertrauten. Die zwiespältigen Urteile der DDR-Presse auf Wolfs Komödie wurden von sowjetischer Seite aufmerksam registriert. Daß Wolf jedoch letztlich bis in höchste Parteigremien hinein um die weitere Verbreitung seines Stückes kämpfen und es gegen nahezu kampagneartige Anfeindungen bis hin zum Vorwurf mangelnder Aktualität verteidigen mußte, 247 kam nicht zur Sprache. Die lang ersehnte und von den Kulturpolitikern unduldsam angemahnte Hinwendung zur neuen Produktion vollzog Eduard Claudius 1950/51. 1950 veröffentlichte der gelernte Maurer seine Erzählung „Vom schweren Anfang" über die - authentische - Aktivistentat HansGarbes, dem es gelang, im Werk Siemens-Plania den letzten betriebsfähigen Ringofen zu erneuern, ohne ihn zu löschen. Claudius ergänzte in seinem Roman „Menschen an unsrer Seite" (1951) das Porträt um weitere Personen und Nebenhandlungen. Die Figur des Aktivisten, der nun den Namen Aehre trägt, wird im Roman differenzierter gezeigt als in der Erzählung, und der Darstellung der anderen Arbeiter wird mehr Raum gegeben. Ideologisch relevant sind Unterschiede bei der Schilderung der Arbeitsleistung und bei der Einschätzung der Betriebsparteileitung: Der Protagonist ist im Roman nicht mehr ,Einzelkämpfer', sondern stärker in die Entscheidungsfindungen der Werksleitung eingebunden. Nicht die Arbeiter fordern im Roman (basisdemokratisch) die Absetzung des SED-Betriebsgruppensekretärs, sondern dessen Fehlverhalten wird durch einen Instrukteur der SED-Landesleitung (also von oben) korrigiert.248 In den sowjetischen Diskussionen und Rezensionen wird der Übergang von der Erzählung zum Roman allgemein als Fortschritt gewürdigt. Die sowjetischen Urteile über die Erzählung sind dementsprechend überaus schroff und dies in durchaus bewußt gemachtem Gegensatz zu der positiven deutschen Rezeption. So beurteilt 246 247 248

Stenogramma zasedanija v IK po obsuzdeniju doklada D.V. Rusanovoj „Stroiteli demokraticeskoj German» v poslevoennoj nemeckoj literature". - RGALI 631/26/1312. Vgl. Kap. 5.3.5. Ausführlicher dazu siehe Kap. 4.2.5.

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Rosanowa die Erzählung bei einer internen Diskussion vom 5. April 1951, also noch vor Kenntnis des Claudius-Romans, als politisch fehlerhaft: Die deutsche Wirklichkeit werde verzerrt dargestellt; die Arbeiter stünden einander zutiefst feindlich und sich hassend gegenüber; das Bild der Partei trage verleumderische Züge. Und sogar die Heldentat sei angreifbar: schließlich sei sie nur das Ergebnis guter Absichten und einer extremen (individuellen) Kraftanstrengung, aber nicht das Resultat neuer Lösungen im (kollektiven) Arbeitsprozeß gewesen. 249 Solche schwerwiegenden Vorwürfe werden in anderen Redebeiträgen durchaus noch verschärft. Laut Saleskaja erhärte sich der Verdacht, daß es sich bei Claudius nicht um zufällige Fehler handele, sondern sogar um einen großen politischen Fehler. Hier stellt sich Steshenski vor den deutschen Autor: Mit der politischen Fehler-Bezichtigung übertreibe man die Mängel der Erzählung, die ja nur eine Skizze sei. Die Figur des jämmerlichen Parteisekretärs sei künstlerisch wertvoll, nützlich für den deutschen Leser, um die Feinde zu erkennen. In ihrer im Oktober 1952 veröffentlichten Studie zur deutschen Gegenwartsliteratur hält Rosanowa an ihrer negativen Einschätzung der Erzählung fest. Zu den schon intern geäußerten Argumenten kommt nun das Verdikt, das auf „Vom schweren Anfang" noch die Traditionen der bürgerlichen Literatur lasteten (obwohl, dies sei hinzugesetzt, in der Erzählung der Einfluß von Gladkows „Zement" gerade stilistisch überaus direkt ist). Rosanowa kommt zu folgender Argumentationslogik: Die deutsche Literatur habe reaktionäre ästhetische Ansichten (vor allem „linker", formalistischer Art) noch nicht überwunden, woraufhin progressive deutsche Autoren den Kampf gegen den Formalismus aufgenommen hätten. Diese Lehre habe Claudius in „Menschen an unsrer Seite" positiv aufgenommen: „Der neue Roman von Claudius ist ein überzeugendes Beispiel dafür, wie sich ein Künstler von formalistischen Einflüssen befreit, der sich auf fortgeschrittenen Positionen befindet und unter den Bedingungen einer demokratischen Wirklichkeit arbeitet, und ein Zeugnis dafür, wie fruchtbar sich diese Befreiung auswirkt." 250 Auch das Parteileben und die Rolle der Parteiorganisation in der Fabrik habe Claudius nun besser gestaltet. Doch lag in der Parteidarstellung nach wie vor der heikle Punkt, wie aus einer 1954 veranstalteten Leserkonferenz hervorgeht, die eigens dem Thema galt: „Die Fragen der Parteileitung im Roman von E. Claudius ,Menschen an unsrer Seite'". 251 Zwar wird auch hier die Reifung des Schriftstellers Claudius vermerkt, werden der fruchtbringende Einfluß der Sowjetliteratur und die positiven Auswirkungen der ZK-Beschlüsse gegen den Formalismus hervorgehoben, doch bleiben erhebliche Beanstandungen auf dem politisch-ideologischen Sektor. Maßstab ist das Gewünschte, nicht das Tatsächliche oder Wahrscheinliche. Mechanismen und ,Hebel' der sowjetischen Literaturkritik An der Claudius-Debatte wird ein grundsätzliches Dilemma der ideologiegelenkten Literaturkritik erkennbar: Die Bewertung etwa eines negativ gezeichneten Parteivertreters hing ganz vom Standpunkt des Betrachters ab. Eine solche Darstellung konnte als schädlich, politisch fehlerhaft interpretiert werden oder als hilfreich, da unzureichende Praktiken entlarvend. Für den Rezensenten selbst barg die eindeutige Stellungnahme Risiken. Daher flüchteten sich einige Kritiker gerade in den publizierten Texten - in bloße Inhaltsangaben, zu normierter Rede und offiziellen 249 250 251

RGALI631/26/1312. Rozanova, Bor'ba za nemeckuju demokraticeskuju literaturu, S. 164. AdK: Archiv Eduard Claudius Nr. 146.

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Floskeln, doch sind gerade die internen Debatten erstaunlich offen und kontrovers geführt worden. Während manche der dort erhobenen Vorwürfe für sowjetische Autoren schlimmste Konsequenzen gehabt hätten (Publikationseinschränkungen oder Ausschluß aus dem Schriftstellerverband) blieben sie für die DDR-Schriftsteller weitgehend folgenlos. Unnachgiebigkeit machte sich indes dort breit, wo es um Übersetzungen deutscher Literatur ins Russische ging. Hier wurden in Einzelfällen größere (literaturpolitisch bedingte) Zugeständnisse verlangt, z. T. unter Verweis auf mögliche Unverständlichkeit für die russischen Leser. Kamen die deutschen Autoren diesen Forderungen nicht entgegen, wurde von einer Übersetzung abgesehen. Vor diese Alternative wurde etwa Claudius mit seinem Spanienbuch „Grüne Oliven und nackte Berge" (1945) gestellt: „1948 - ich war Mitglied der ersten deutschen Schriftstellerdelegation, die nach Moskau fuhr - hatte mich Tamara Motylowa sehr bedrängt, die .Naturalismen' auszumerzen. Anders sei eine Übersetzung nicht möglich. Ich weigerte mich. [...] Dumpf spürte ich, daß es nicht nur um Formfragen ging, auch nicht darum, einiges, was sprachlich zu grell geraten war, abzuschwächen oder auszumerzen. Ich weigerte mich, zu ändern, umzuschreiben, wegzustreichen. Das Buch kam nicht." 252 Ein anderes Instrument der Übersetzungspolitik war das Streichen mißliebiger Stellen, obwohl wie Fradkin gegen diese gängige Praxis einwendet - auf diese Weise „das Bild des russischen Lesers über den ausländischen Schriftsteller verzerrt" werde. 253 Als ,weiche Lösung' war Usus, die vorgeblichen Mängel eines Werkes im Vorwort anzusprechen und damit offensiv zu entkräften (so lautete etwa auch die Empfehlung für die Übersetzung des Seghers-Buchs „Die Toten bleiben jung" 254 ). Manchmal fuhr der Zensor dann doch noch dem Verfasser des Vorworts in die Parade: So hatte Fradkin in der Einleitung zu Bredels „Die Söhne" auf einige anstößige Passagen des Romans hingewiesen, doch zeigte sich, daß gerade diese Stellen in der Übersetzung weggestrichen worden waren. 255 Bei der Gesamteinschätzung der Literatur der SBZ und DDR durch die sowjetische Literaturkritik zeichnen sich drei Schwerpunkte ab, die auch in der damaligen innersowjetischen Diskussion vorrangig waren: Das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit, der sozialistische Realismus und das (gerade um 1950 aktuelle) Problem des Formalismus. 1) Spricht Dymschitz in einem Artikel vom 4. Oktober 1947 in „Sowjetskoje slowo" aus Anlaß des I. Deutschen Schriftstellerkongresses davon, daß die deutsche Nachkriegsliteratur, da erst im Aufbruch begriffen, etliche der anstehenden Aufgaben (Darstellung des gesellschaftlichen Aufbaus, Kampf mit der Reaktion) noch nicht erfüllt habe bzw. erfüllen könne, so findet 1950/51 der auch in bezug auf die Sowjetliteratur regelmäßig anzutreffende (und letztlich von den DDRPolitikern übernommene) Vorwurf des „Zurückbleibens" hinter der raschen gesellschaftlichen Entwicklung Verwendung. Dazu gehört der Verweis auf das noch fehlende Bild des - in der Wirklichkeit bereits als existent angesehenen - fortschrittlichen Deutschen sowie auf die noch unzureichende Berücksichtigung der Partei (KPD/SED) bei der Lösung anstehender Konflikte. 252 Claudius, Ruhelose Jahre, S. 252. 253 Stenogramma zasedanija v IK po obsuzdeniju romana Anny Segers „Mertvye ostajutsja molodymi". 254 Die Übersetzung erschien in der zweiten Hälfte des Jahres 1950 mit einem Vorwort von Rosanowa. Kniznaja letopis' Bd. 4/1950, Moskau. Schon Ende 1951 folgte eine zweite Auflage. 255 So Fradkin in der besagten Sitzung zur Erörterung von A. Seghers' Roman. - RGALI631/14/548.

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2) Zwar betrachtete man von sowjetischer Seite die Methode des sozialistischen Realismus als „äußerst wichtigen Faktor der künstlerischen Entwicklung der Menschheit", der „immer mehr seine weltweite Bedeutung offenbart", 256 doch wurde zugestanden, daß die gesellschaftlichen Bedingungen für die Entfaltung des sozialistischen Realismus zu jenem Zeitpunkt (um 1950) in den einzelnen Ländern unterschiedlich entwickelt seien. In bezug auf die DDR wurden diese Bedingungen (gemeinsam mit dem Einfluß der sowjetischen Literatur) als günstig angesehen, wobei das „Wachstum" des sozialistischen Realismus aber noch „in den Anfängen" begriffen sei. Damit wird signalisiert, daß die zunächst bestehende Bereitschaft zur Nachsicht schon bald einer strengeren Bewertung zu weichen habe. 3) Diese Strenge zeigte man deutlicher gegenüber vermeintlichen Spuren des „Formalismus" in der DDR-Literatur, wobei „Formalismus" noch lange nach Stalins Tod als Kampfbegriff der Dogmatiker eingesetzt wurde. Mit der Bekämpfung des Formalismus, der als Widerpart des sozialistischen Realismus verstanden wurde, war die Erwartung einer forcierten Annäherung an das stalinistische Literaturmodell verbunden. Die Vorbildlichkeit der Sowjetliteratur wurde letztlich von beiden Seiten in Anschlag gebracht: von deutscher Seite als obligatorischer Tribut an das Mutterland des Kommunismus, von sowjetischer Seite als Bestandteil des geforderten Patriotismus und des zu verbreitenden Bewußtseins der eigenen Fortschrittlichkeit und Überlegenheit. 257

7.3

Die Situation der sowjetischen Besatzung und die deutsche Nachkriegswirklichkeit im Roman

7.3.1 Aus der Sicht des Überlegenen: Sowjetische Gegenwartsliteratur über die Nachkriegszeit Einleitende Überlegungen Fast alle Werke dieser Thematik sind von Autoren verfaßt woiden, die die SBZ bzw. die frühe DDR aus eigener Anschauung kennengelernt haben. Die einen waren als Soldaten der Roten Armee nach Deutschland gekommen und hatten z. T. nach Einstellung der Kriegshandlungen Posten innerhalb der Sowjetischen Militäradministration bekleidet; andere hatten ein- oder mehr256 257

Motyleva, Certy progressivnoj zarubeznoj literatury, S. 225. So spricht z. B. T. Motyljowa in demselben Aufsatz (nachdem sie bereits ein Jahr zuvor im Zuge der Antikosmopolitismus-Kampagne aufgrund ihrer jüdischen Abstammung aus der Redaktion der Zeitschrift „Sowjetliteratur" entfernt worden war) von der „Hilfe der ZK-Erlasse von 1946 für fortschrittliche ausländische Schriftsteller" bei der „Überwindung formalistischer und anderer Fehler" (Motyleva, Certy progressivnoj zarubeznoj literatury, S. 207f.) und L. Ginsburg in einem Beitrag aus demselben Jahr allgemein vom „wohltätigen, unmittelbaren Einfluß der mächtigen Sowjetkultur" auf die deutsche Lyrik (Ginzburg, Poezija demokratifieskoj Germanii, S. 157).

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mals die SBZ/DDR bereist. Das präsentierte Material basiert somit weitgehend auf eigener Anschauung und beansprucht somit (innerhalb des vorgegebenen ideologischen Rahmens) ein hohes Maß an Authentizität. 258 Mit Ausnahme von Kasakewitschs Roman „Das Haus am Platz" sind alle untersuchten Romane und Theaterstücke zu diesem Thema zwischen 1947 und 1953, d.h. während der literaturpolitisch repressiven Shdanow-Ära, entstanden und - mit einer Ausnahme - in diesem Zeitraum auch veröffentlicht worden. Dies ist zu berücksichtigen, wenn die ideologische Dimension der Werke ausgelotet wird. Dazu zählt einerseits der Grad ihrer Orientierung an der offiziellen Außen- und Deutschlandpolitik der Sowjetunion in jenen Jahren, andererseits ihre Einpassung in das zu jener Zeit besonders engmaschige System des sozialistischen Realismus. „Das Haus am Platz" ist 1956, nach dem XX. Parteitag, erschienen, was sich indes weniger in dem präsentierten Deutschlandbild niederschlägt als in einer dem Geist der Entstalinisierung entsprechenden kritischen Aufarbeitung interner Vorgänge und Kontrollmechanismen bei der SMAD. Die inneren Angelegenheiten der SMAD stehen in allen anderen Werken nicht zur Debatte. Die ausgewählten Romane und Theaterstücke sind in erster Linie für das sowjetische Leserpublikum verfaßt worden. Erst dann stand die Frage einer Übersetzung ins Deutsche an. Zunächst sollte also den eigenen Landsleuten ein bestimmtes Bild Nachkriegsdeutschlands und seiner Bewohner sowie vom Handeln der sowjetischen Besatzungsmacht vermittelt werden. Danach wurde dieses Bild in (Ost-)Deutschland selber auf den Prüfstand gestellt, sofern nicht - wie in einem Fall geschehen - nach Rücksprache mit DDR-Schriftstellern und Literaturfunktionären eine Veröffentlichung in deutscher Übersetzung ohne größere Umarbeitungen des Originals ausgeschlossen wurde. Die Struktur der Werke basiert weitgehend auf dem Verhältnis von Fremd- und Selbstdarstellung. Zur Fremddarstellung, also dem vermittelten Deutschlandbild, gehört der Bereich der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der SBZ/DDR. Hier ist aussagekräftig, welche Sachverhalte und Entwicklungsschritte eingebracht bzw. besonders hervorgehoben werden. Damit zusammen hängen das Bild der Parteien - in erster Linie von KPD, SED und SPD - und ihre Rolle im Spiel der politischen Kräfte sowie die Charakterisierung ihrer Exponenten. Über die Parteizugehörigkeit hinaus ist die (differenzierte oder undifferenzierte) Zuordnung der Deutschen zu bestimmten - fortschrittlichen, reaktionären oder unentschiedenen - Gruppierungen von Bedeutung, einschließlich eventueller klischeehafter Vorstellungen. Beachtung verdient ferner, welche Funktion jeweils der künstlerischen und wissenschaftlichen Intelligenz zugedacht wird. Schließlich ist von Interesse, ob und in welcher Weise die Kriegszeit und die NS-Vergangenheit geschildert werden. Der Bereich der Fremddarstellung schließt auch das (eindimensionale oder differenzierte) Bild der westlichen Besatzungsmächte ein, wobei den Amerikanern eine vorrangige Stellung zukommt. Ebenfalls dazu gehören Schilderungen aus dem Leben in den Westzonen bzw. der Bundesrepublik und in den Westsektoren Beiiins, die, zumeist in Absetzung von der „positiven Entwicklung" in der SBZ/DDR, vereinzelt in das Handlungsgeschehen eingestreut sind. In einem der Texte liegt der Schauplatz überhaupt im Westen. Der Charakterisierung der Deutschen (in Ost und West) und der Vertreter der Alliierten dient auch die Erwähnung von Vorurteilen den 258

Publizistische Werke sowjetischer Korrespondenten über die SBZ/DDR bleiben ausgeklammert, obgleich das im folgenden vorgestellte Kategoriensystem auch an sie angelegt werden könnte. Siehe z. B. Korol'kov, V German» posle vojny.

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Russen und den Lebensbedingungen in der Sowjetunion gegenüber sowie von Handlungen, die auf die Schädigung der SBZ/DDR und ihres Rufes ausgerichtet sind, von „Verleumdungen" in der Presse bis zu handfesten Sabotageakten. Ihre Urheber sind in den untersuchten Werken meist Bewohner der Westzonen, die oftmals im Auftrag der westlichen Besatzungsmächte agieren, oder geflüchtete Großgrundbesitzer, ehemalige NSDAP-Funktionäre und sonstige Finsterlinge. Der Komplex der Selbstdarstellung umfaßt das Wirken der sowjetischen Armee und der SMAD sowie die Charakterisierung ihrer Angehörigen. Darunter fällt die Schilderung der Art und Weise, wie die sowjetischen Fachoffiziere, Ortskommandanten etc. ihre Aufgaben bewältigen, Schwierigkeiten meistern, mit den Deutschen (und mit ihren amerikanischen Kollegen) umgehen und zusammenarbeiten, aber auch ihrer Bereitschaft zur Reflexion über die Wahrnehmung ihres Tuns bei den Deutschen. Diese Wahrnehmung bildet insofern ein Element der Selbstdaistellung, als die Wiedergabe und Bewertung konkreter Handlungen aus der Perspektive der Deutschen, anders als die Thematisierung von Vorurteilen, ideologiegebundene (Wunsch-)Vorstellungen der sowjetischen Autoren freilegen. Das Gleiche gilt für das Motiv der „ersten Begegnung" der Deutschen mit den Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte und der SMAD sowie für die Vermittlung der Vorbild- und Vorreiterrolle der UdSSR auf technischem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet. In wenigen Fällen werden auch Vorurteile der Russen gegenüber den Deutschen als Element kritischer Selbsteinschätzung zur Sprache gebracht. Relevant für die Untersuchung ist ferner die Frage, inwieweit die russischen Roman- und Dramenfiguren als homogene Gruppe auftreten oder untereinander differenziert ausgestaltet sind. Dies schließt auch die Thematisierung negativer Einstellungen und Handlungsweisen gegenüber den Deutschen bis hin zu den bekannten Übergriffen ein, wobei das Problem der Demontagen spezielle Beachtung verdient. Den genannten Faktoren im Grunde übergeordnet ist die Kategorie der „Übereinstimmung mit der aktuellen ideologischen Gesamtlinie" der UdSSR. Hierunter ist in erster Linie die Reproduktion der Stalinschen Deutschlandpolitik in Erzähler- oder Personenrede zu verstehen mit ihren Thesen vom Vorrang der uneigennützigen Hilfe sowie der Unterdrückung potentieller Rachegefühle. Als eigenständiger Komplex, der sowohl die sowjetische als auch die deutsche Seite betrifft, sind Auseinandersetzungen um Kunst und Literatur zu betrachten, die entweder aus der Perspektive des Erzählers geschildert oder zwischen den handelnden Personen ausgetragen werden. Hier ist zu fragen, inwieweit die sowjetische Kunst und Literatur als nachahmenswertes Modell eingebracht und ihre Rezeption zum Thema gemacht wird, und ob die Autoren der Wiederbelebung des kulturellen Erbes in Deutschland durch die Vertreter der SMAD Rechnung tragen. Das Bild der deutschen Schriftsteller (in der SBZ/DDR) und die ihnen zugeschriebene Einstellung sowohl der sowjetischen Kultur als auch ihrem eigenen (künftigen) Schaffen gegenüber erfordern spezielle Aufmerksamkeit, vor allem in bezug auf die literarische Konstruktion von Entwicklungsschritten. Sicherlich weist die Behandlung der angeführten Themen in Roman und Drama gattungsbedingte Unterschiede auf, vor allem was die zeitliche und räumliche Ausdehnung, die Zahl der ins Spiel gebrachten politischen Gruppierungen oder die Ausführlichkeit der Personencharakterisierung betrifft. Die Frage, ob einem differenzierten oder einem schematisierten künstlerischen Herangehen der Vorzug gegeben wurde, läßt sich jedoch an die Werke beider Gattungen richten. Zwar sind alle Beispiele, soviel kann vorweggenommen werden, von einem parteilichen Standpunkt aus verfaßt worden. Aber dieser ist je enger oder weiter begriffen worden. Das schlägt sich

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sowohl in der Einbeziehung auch .unbequemer' Sachveihalte als auch in dem Grad der Verselbständigung der handelnden Personen bzw. der Dominanz eines ordnenden ideologischen Prinzips oder eines kommentierenden und (vor)interpretierenden Erzählers nieder. Drei Theaterstücke und vier Romane, entstanden zwischen 1947 und 1956, haben die nachkriegsdeutsche Situation zu ihrem Thema gemacht. Von den Theaterstücken ist nur eines ins Deutsche übersetzt und in der SBZ aufgeführt worden, und zwar „Oberst Kusmin" (auf Russisch „Der Provinzgouvemeur") von den Gebrüdern Tur und Lew Schejnin. 259 Bei Anatoli Sofronows Stück „Anders kann man nicht leben" ist von einer deutschen Übersetzung Abstand genommen worden. 260 Das dritte Stück mit dem Titel „Jenseits der Elbe" ist vom Leiter der Kulturabteilung der SMAD, Alexander Dymschitz, unmittelbar nach seiner Abberufung aus Deutschland zwischen März und Juli 1949 verfaßt worden. Es handelt sich offenbar um seinen einzigen Versuch in dieser Gattung, der unveröffentlicht blieb. 261 Obwohl in dargestellter Zeit, Schauplatz und Handlung unterschiedlich, weisen die drei Stücke große strukturelle Ähnlichkeiten auf, die nicht zuletzt auf die politisch-ideologischen Bedingungen des Sujets und ihre besonders strikte Beachtung des damaligen literaturpolitischen Regelsystems zurückzuführen sind. Alltag an der Demarkationslinie. Die Besatzungsmächte zwischen Kooperation und prinzipieller Abgrenzung: Gebrüder Tur/Lew Schejnin „Oberst Kusmin" „Oberst Kusmin", das am frühesten entstandene Werk dieser Thematik (1947), behandelt die ersten Wochen nach Kriegsende in einer Stadt an der Elbe. Ausgangspunkt ist das Zusammenfallen dreier Ereignisse: die (vergeblichen) Fluchtvoibereitungen der neben Oberst Kusmin zweiten Hauptperson, eines Chefingenieurs der Firma Zeiss, und seiner Familie, die Bekanntgabe von Hitlers Selbstmord durch den Rundfunk und der Einmarsch der Russen in den Ort, in dessen Folge das Haus des Chefingenieurs Dietrich beschlagnahmt und zum Sitz des sowjetischen Kom259

Brat'ja Tur/Sejnin, Gubernator provincii (1947); Gebrüder Tur und L. Schejnin, Oberst Kusmin (1948). (Die deutsche Erstaufführung fand jedoch schon im November 1947 statt.) Die Gebrüder Tur verfaßten zwischen den 30er und 60er Jahren, zum Teil in Zusammenarbeit mit anderen Autoren, zahlreiche publikumswirksame, jedoch literarisch eher anspruchslose Bühnenstücke. Ein auf dem genannten Stück basierendes Filmdrehbuch („Begegnung an der Elbe") wurde mit dem Stalin-Preis 1. Klasse für 1949 ausgezeichnet. 260 Sofronov, InaCe zit' nel'zja, 1953. Das Stück ist auf einem der Treffen zwischen deutschen und sowjetischen Schriftstellern in Moskau im Mai 1953 erörtert worden. Von deutscher Seite wurden vor einer eventuellen Übersetzung erhebliche Änderungen im Text angeraten. Das Stück ist in spätere (russische) Werkausgaben Sofronows nicht aufgenommen worden. Sofronow war ebenso wie die Gebrüder Tur Erfolgsautor und zudem Literaturfunktionär. Lange Jahre war er Chefredakteur der bis zu Gorbatschow konservativen Illustrierten „Ogonjok". 261 Aleksandr Dymsic, Po tu storonu El'by. - Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/128. Dymschitz war nicht der einzige in Deutschland stationierte Offizier, der, ohne von Hause aus Schriftsteller zu sein, seinen Eindrücken literarische Gestalt zu verleihen suchte. In einem Brief der SKK an die WOKS vom 8. 1. 1951 heißt es über das Stück eines Majors Ussow „Die Demarkationslinie", daß es oberflächlich, schematisch und sowohl künstlerisch als auch ideologisch nicht überzeugend sei. Es könne in seiner jetzigen Gestalt nicht für eine Aufführung auf einer deutschen Bühne empfohlen werden. Man habe den Regisseur Rodenberg, SED-Mitglied, diesbezüglich konsultiert. - GARF 5283/16/174.

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mandanten, Oberst Kusmin, erklärt wird. Dieser zeichnet sich durch Menschenkenntnis, Schlagfertigkeit und als getreuer Erfüller der sowjetischen Deutschlandpolitik aus. Dietrich ist der Typ des „unentschiedenen Intellektuellen", der als deutscher Patriot, wie er sich selber nennt, sowohl antifaschistisch als auch, ohne dies vor dem Kommandanten zu verheimlichen, antikommunistisch eingestellt ist. Er grenzt sich sowohl von seinem Schwiegersohn, Schmettau, ehern ausgewiesenen Nazi, ab als auch von seinem Sohn Kurt, der als Kommunist 12 Jahre im Zuchthaus Brandenburg verbracht und im Verlauf des Stückes entlassen wird. Es wird hier also auf das bewährte literarische Verfahren zurückgegriffen, die ideologischen Grenzlinien innerhalb einer Familie verlaufen zu lassen. Aus der Perspektive Kusmins gehört Kurt zu den „verläßlichen" deutschen Genossen, auf die er bei seiner Arbeit zählen kann. Als Lehrer wird er mit dem ideologisch wichtigen Posten eines Mitarbeiters für Erziehungsfragen bei der Stadtverwaltung betraut. Dietrich ist derjenige, der durch beharrliche Überzeugungsarbeit und Einbeziehung in den politischen Aufbau der Stadt (er wird von Kusmin zum Bürgermeister ernannt) auf die Seite des „demokratischen Deutschland" gezogen werden kann. Schmettau, der sich im Gegensatz zu Dietrich sogleich der sowjetischen Besatzungsmacht andient, wird von Kusmin durchschaut und später als Saboteur verhaftet (er stiehlt eine Kassette mit Konstruktionsplänen für hochwertige optische Linsen, die Dietrich aufbewahrt). Schmettaus Sohn Walter steht für die fehlgeleitete Jugend, die bislang nie von Heinrich Heine gehört hat - Kusmin liest ihm in Erfüllung seines kulturellen Auftrags Gedichte von ihm vor - und der zunächst noch mangels besserer Einsicht für seinen Vater nationalsozialistische Flugblätter in der Schule verteilt. Im Hintergrund agiert ein ehemaliger hoher SS-Funktionär, der den Auftrag zum Diebstahl der Konstruktionspläne erteilt, unter falschem Namen seine Ausreise (d. h. seine Flucht) in die USA erreichen und dort die Pläne verkaufen will. Die USA treten auch als,Versucher' Dietrichs in Erscheinung. Mit einem lukrativen Forschungsauftrag soll er dorthin gelockt werden. Der dramaturgische Kunstgriff besteht darin, daß dieses Angebot gerade in dem Augenblick zu ihm gelangt, als sein Labor von den Sowjets demontiert wird. Ein kurzer, spannungserzeugender und den Ausgang retardierender innerer Konflikt ist die Folge, der jedoch erwartungsgemäß zugunsten der SBZ gelöst wird. Eine gegenteilige Entscheidung hätte die Menschenkenntnis des sowjetischen Kommandanten - er vertraut Dietrich und damit seine Vorbildfunktion in Frage gestellt. Hinsichtlich der Demontagen findet Kusmin in dem Verweis auf die von den Deutschen in der Sowjetunion angerichteten Zerstörungen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit des Wiederaufbaus ein ideologisch abgesichertes Argument. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang folgende Überlegung Kusmins, die nur bis 1947, noch vor dem akuten Ausbruch des Kalten Krieges geschrieben werden konnte und in dieser Form nicht modellbildend geworden ist: „Sobald die Welt richtig eingerichtet sein wird, wird es den Völkern auch gleichgültig sein, wo die Linsen hergestellt werden, ob in Altenstadt, in Chicago oder in Leningrad. Wichtig bleibt nur die Tatsache, daß sie der Erforschung neuer Planeten dienen sollen und nicht der Vernichtung unserer alten, stark mitgenommenen Erde."262 Diese Äußerung beinhaltet noch die Möglichkeit einer Kooperation zwischen den USA und der UdSSR bei friedlichen Forschungsvorhaben, was zwei Jahre später kein Thema mehr war. Das gleiche 262 Gebr. Tur/Scheinin, Oberst Kusmin, S. 70. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich im folgenden auf die 1948 erschienene deutsche Ausgabe.

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gilt für die differenzierte Darstellung der Amerikaner. Kusmins Kollege, Oberst Hill, Kommandant der angrenzenden Stadt in der amerikanischen Zone, trägt durchaus sympathische Züge, ist dabei jedoch nicht frei von anfänglichen Vorurteilen gegenüber den Russen und Kusmin in seinem diplomatischen Geschick unterlegen. Er wird ausdrücklich als Anhänger des im April 1945 verstorbenen Präsidenten Roosevelt eingeführt (S. 17). Indem er jedoch zugibt, daß die Deutschen ihm persönlich „vollkommen gleichgültig" seien (S. 44), wird er von den Autoren in einen deutlichen Gegensatz zu Kusmin gestellt, dem ein existentielles Interesse am Schicksal Deutschlands zugesprochen wird. Hills Desinteresse ist mit dem gesamten Komplex der,Amerikanisierung' der deutschen Kultur zu assoziieren. Selbstverständlich tritt daneben das Amerika Trumans in Erscheinung, dessen Vertreter z.B. im Bündnis mit ehemaligen NS-Funktionären Sabotagekte in der SBZ veranlassen (so den Diebstahl von Dietrichs Kontruktionsplänen). Die ,zwei Amerikas' stehen bei Tur/Schejnin noch gleichberechtigt nebeneinander. Mit der Entbindung Hills von seinem Posten am Ende des Stückes wird jedoch gleichsam die Verdrängung des .besseren Amerikas' aus der offiziellen Politik signalisiert. Die Angehörigen aller politischer Gruppierungen sind, mit Ausnahme des Kommunisten Kurt Dietrich, in bestimmten „Vorurteilen" über die Sowjetunion befangen. So spricht Dietrich, der Ältere, wiederholt von der drohenden Gefahr, nach Sibirien verschickt zu werden, da er lange nicht bereit ist, die von ihm gehüteten Patente Kusmin auszuhändigen (S. 25). Bei der Demontage seines Labors spricht er verzweifelt von „Asiaten", die „alles auf Lastwagen verladen" (S. 69). Kommandant Hill lädt Kusmin zu sich ein, meint aber, daß dieser zuerst in Modcau um Erlaubnis für einen Besuch bitten müsse (S. 31), eine Einschätzung, die sicher den Kern der Sache trifft. Jedoch ist die „Besuchserlaubnis" ein Bestandteil der damaligen politischen Gesamtlinie der UdSSR, so daß Kusmin dieses „Vorurteil" in bezug auf den Einzelfall geschickt widerlegen kann. Die Selbstdarstellung der Sowjets verläuft ähnlich geradlinig wie die Fremddarstellung. Oberst Kusmin, der im Zentrum steht, muß sich an drei Fronten gleichzeitig bewähren: bei der Zusammenarbeit mit den Deutschen, beim Umgang mit den Amerikanern und den eigenen Kollegen gegenüber, bei denen er innere Widerstände bei der Durchführung des Wiederaufbau- und Versorgungsprogramms im ehemaligen „Feindesland" überwinden muß. (Vertreter dieser Vorbehalte ist Kusmins Mitarbeiter Gluchow, dessen halbwüchsiger Sohn von den Deutschen umgebracht worden war.) Diese ,Zweifler' haben, auch in den Romanen, die Funktion, die Argumente für die Erfüllung der deutschlandpolitischen Linie noch einmal abzurufen. Zunächst wird Kusmin selber bei seiner Ernennung zum Kommandanten von einem voigesetzten General auf diese Linie eingeschworen. „Sie haben deutsche Städte in die Luft gesprengt, jetzt müssen Sie helfen, sie wieder aufzubauen. Sie haben Deutsche totgeschlagen, jetzt müssen Sie ihnen helfen, wenn es nötig ist." (S. 20) Gegenüber den Amerikanern wird Kusmin zu einer Politik der Offenheit angehalten, die das Pendant zu der durchweg sympathieerweckenden Darstellung des US-Kommandanten bildet und die in dieser Form nur für die unmittelbare Nachkriegszeit gültig war: „Lassen Sie die Amerikaner hierher kommen, sperren Sie sich nicht ab, sie sollen ruhig sehen, was wir Sowjetmenschen hier treiben. In Europa haben wir nur einen Feind, die Faschisten. Mit den anderen werden wir uns einfach und sachlich verständigen." (ebd.) Kusmins Repliken - sachlich-emsthaft, schlagfertig-humoristisch oder offen demagogisch - auf kritische bis ebenfalls demagogische Fragen oder Einwürfe seiner deutschen und amerikanischen Gesprächspartner bewegen sich strikt in dem von der übergeordneten Instanz vorgegebenen

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Rahmen und können gleichsam als Lehrstück für jeden sowjetischen (oder auch SED-) Referenten in der SBZ verstanden werden. So antwortet er auf den Protest Dietrichs über die Entlassung von Universitätsprofessoren, ehemaligen Mitgliedern der NSDAP: „Schwedlers Hörer wissen nichts von Einstein, und wer bei Professor Seidlitz studiert hat, kennt Spinoza nicht." (S. 38) Hills Verwunderung darüber, daß in der SBZ noch keine Sowjetverwaltung eingeführt worden sei, kontert Kusmin damit, daß „man das Sowjetsystem erarbeiten" müsse (S. 33), ein Argument' das die Strategie der antifaschistischen Phase widerspiegelt. Die ,Fangfrage' eines amerikanischen Journalisten, ob in der Presse Kritik an Stalin geäußert werden könne, wird mit einer Schlagfertigkeit, die die kommunistische Rhetorik bloßlegt, verneint: „Weil die Bevölkerung die Redaktion, die das drucken wollte, noch am gleichen Tage kurz und klein schlagen würde." (S. 61) „Menschliche" Züge mischen sich nur punktuell in das nach außen hin .beherrschte' Auftreten Kusmins, so wenn er von seinem Heimweh spricht oder wenn er aufgrund einer von Schmettau verleumderisch ausgesprochenen Verdächtigung Dietrichs an seiner Menschenkenntnis zweifelt und um seine Entlassung bittet. Eine Mischung aus Selbst- und Fremddarstellung ist in diesem Kontext seine Feststellung: „In diesem Land haben die Menschen in der Regel ein doppeltes Gesicht." (S. 47) Das „doppelte Gesicht" des ehemaligen SS-Funktionärs durchschaut er indes nicht, sondern läßt sich von ihm täuschen, indem er ihm als vermeintlichem politischem Häftling der Nationalsozialisten einen Passierschein zur Ausreise in die USA, zu einer angeblichen Tochter, ausstellt. Nur das Geständnis des entlarvten Schmettau führt zu seiner Verhaftung. Die (singulare) Fehlbarkeit selbst eines Ortskommandanten kann als Appell zu noch größerer „Wachsamkeit" verstanden werden. Große „Wachsamkeit" legt Kusmin allerdings in bezug auf sein eigenes Verhalten und sein Äußeres an den Tag, ein Zeichen der Reflexion über die Wahrnehmung seines Tuns bei den Deutschen: „Jeden unserer Schritte nehmen sie unter die Lupe. Glauben Sie mir, noch nie im Leben habe ich so auf Bügelfalten geachtet wie hier. Denn hier bedeiiet auch eine Falte - Politik." (S. 52) Zwar steht in dem zeitlich ersten Werk, das das Leben im Nachkriegsdeutschland zum Thema hat, die Person des sowjetischen Kommandanten im Vordergrund, aber dennoch läßt sich ein bestimmtes Bild der Deutschen herausarbeiten, das allerdings thesenartig verkürzt ist. Modellbildend ist das Stück insofern, als etliche Motive sich auch in den von ihrer Anlage her differenzierteren Romanen wiederfinden. Die Aufrechten. Deutsche Kommunisten in der amerikanischen Zone: Alexander Dymschitz „Jenseits der Elbe" Dieses 1949 verfaßte Stück spielt abwechselnd im ,Lager' der westdeutschen Kommunisten (im Umkreis der Familie des KPD-Vorsitzenden einer „bayerischen Großstadt") und in dem der amerikanischen Militärverwaltung. Die Handlung ist auf Ende 1948 datiert, den Zeitpunkt der verschärften Konfrontation zwischen den ehemaligen Verbündeten (nach der Währungsreform in den Westzonen und während der Berlin-Blockade), was für das vorgestellte Bild der amerikanischen Besatzungsmacht von Bedeutung ist. Positive Helden sind auf deutscher Seite der von Anhängern und Gegnern geachtete KPD-Ortsvoisitzende Geiler und seine (mit ihm solidarische) Familie, eine in Berlin lebende Verwandte, Anna Kessel, Mitglied der SED und des Volksrates, ein Mitarbeiter Geilers sowie (als Randfigur) ein parteiloser Ingenieur. Die Sowjetunion wird

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lediglich durch zwei Journalisten vertreten, denen jedoch eine bedeutsame Funktion im Text zukommt. Ihnen allen steht eine Mehrzahl an negativen Figuren gegenüber, wie es nach dem Willen des Autors den Kräfteverhältnissen in den Westzonen, im Gegensatz zur SBZ/DDR, entspricht. Bei den Deutschen rekrutieren sie sich hauptsächlich, gemäß der Wiederbelebung eines alten Feindbildes, aus den Kreisen der Sozialdemokratie. Hinzu kommen zwei „Agenten der USA", die als „Trotzkist" bzw. „ehemaliger Nazi" bezeichnet werden. Ersterer ist als Spion in die KPD eingeschleust worden. Die amerikanische Seite repräsentieren einige hohe Offiziere der Militärverwaltung, ein Politkontrolleur und ein Journalist. Die Kategorie der „Schwankenden" fehlt völlig. Das denkbar einfache Sujet läßt keinen Raum für sie: Die US-Militärverwaltung möchte des KPD-Vorsitzenden („unter Beachtung des demokratischen Prestiges" 263 ) habhaft werden und versucht dies mittels untergeschobener Pläne für einen kommunistischen Umsturz in den Westzonen. Durch die Verhaftung eines (nicht auftretenden) Mittelsmannes kommt die Verschwörung ans Tageslicht. Der zunächst festgenommene Geiler wird wieder freigelassen. Auf diesem Hintergrund entfalten sich die Charaktere der Handelnden: die standhaften, umsichtigen, wachsamen Kommunisten (sogar die Kinder Geilers sind .aufgeweckt' und kritisch und werden in der Schule dafür zurechtgewiesen); die ,falschzüngigen' und verräterischen Sozialdemokraten, die unter Hitler z. T. hohe staatliche Funktionen innegehabt haben sollen und nun (aus Angst vor Entlarvung) über das „Ostbüro" gemeinsam mit den Amerikanern an der Verschwörung gegen Geiler teilnehmen; der durch Verleumdung von Mitarbeitern und gezielte Einbringung falscher Handlungsstrategien die KP-Gruppe zu unterwandern suchende trotzkistische Agent; die „Havanna" rauchenden,,perversen' („in jedem Dorf eine Braut"), mit Geld und Waren spekulierenden Amerikaner, die gegenüber Geiler mit unterschiedlichen .Gesichtern' (von falscher Freundlichkeit bis zur Brutalität) auftreten. Das Verprügeln Geilers während der Haft wird von einem Politinspekteur aus Washington lediglich als taktisch unklug bezeichnet, nicht jedoch als solches verurteilt. Das Bild der in Deutschland stationierten Amerikaner steht von der ersten Szene an eindeutig fest: „Die hiesigen Amis sind wie die Nazis, nur sehen sie anders aus und haben andere Manieren." (S. 8) Die Militärbehörde täuscht die Deutschen (sie sprengt Fabrikruinen im Zeichen der Demilitarisierung) und macht sich über sie lustig („Die Deutschen schlucken alles"); die Amerikaner sprechen verächtlich über den Alliierten Kortrollrat, sinnen auf Revanche für Stalingrad und wollen Deutschland zum „Schlachtfeld gegen die Kommunisten" machen. Diese Darstellung folgt dem seit 1948 in der Sowjetunion voiherrschenden Trend negativer und karikierender Amerikabilder. Daß Dymschitz sogleich nach seiner Rückkehr dieses Stereotyp bemüht, ist Indiz der schon erwähnten Verhärtung seiner Position im stalinistischen Rußland. 264 Im Umfeld der Fremddarstellung hält sich Dymschitz auch bei den Nebenfiguren streng an die Regel der Existenz „zweier Deutschland". So berichtet eines der Kinder Geilers von Überbleibseln eines rassistisch durchsetzten Biologieunterrichts in der Schule, der zudem von einer adligen Lehrerin abgehalten werde. Andererseits erklärt sich der parteilose Ingenieur mit der Familie des Verhafteten auch öffentlich solidarisch. Und ein „wachsamer Hausmeister" in Berlin hat zur Ver263

Dymsic, Po tu storonu El'by, S. 87. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf das unveröffentlichte Manuskript. 264 Vgl. Kap. 5.2.4. In der letzten Szene werden in einer seltsamen Logik die nach Europa einmarschierten Amerikaner ihren „anständigen", in den USA verbliebenen Landsleuten gegenübergestellt.

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haftung des Verbindungsmannes mit den gefälschten Dokumenten beigetragen, was von Geiler nach seiner Entlassung mit den Worten kommentiert wird, daß die Deutschen zu verstehen beginnen, wer die Feinde und wer die Freunde seien (S. 89). Wie in „Oberst Kusmin" bleibt auch hier bei den positiven Helden ein Rest an „mangelnder Wachsamkeit": Die Entlarvung des „trotzkistischen Unterwanderers" in den eigenen Reihen erfolgt nicht als Ergebnis eigener Recherchen, sondern - als „coup de théâtre - aufgrund der Aussage des verhafteten Mittelsmannes. Dieser wird im übrigen als „Alkoholiker und Morphinist" beschrieben, da solche „leichter anzuwerben sind und sich länger halten als junge Leute mit Phantasien und Ideen" (S. 80). Äußerungen dieser Art dienen dazu, den Zynismus der amerikanischen Besatzungsangehörigen bloßzulegen. Die ideologisch notwendige Einbringung der politischen Entwicklung in der SBZ, die nach Geiler der KPD im Westen „Kraft gibt", erfolgt durch die SED-Funktionärin Anna Kessel am Ort des Geschehens in öffentlichen Vorträgen. Hierbei stellen die Zuhörer auch kritische Fragen, z.B. nach Demontagen. Speziell über die Firma Zeiss heißt es bei Kessel, daß „kein Teil" demontiert wurde und die Produktion für friedliche Zwecke wieder aufgenommen worden sei. Beachtenswert ist, daß in „Oberst Kusmin" gerade das Labor dieser Firma demontiert wird. Kunst und Literatur werden nur einmal durch einen Schauspieler thematisiert, der eine Kontinuität zwischen Hitler-Deutschland und der amerikanischen Besatzungszone darin sieht, daß bei beiden die Aufführung von Lew Tolstoi verboten sei, bei den Amerikanern mit der (wiederum zynischen) Begründung, man sei nicht in der russischen Zone. Der Selbstdarstellung ist nur wenig Raum gewidmet. Die beiden sowjetischen Journalisten, die, obgleich keine zentralen Gestalten, im Personenverzeichnis an erster Stelle angeführt sind, legen auf der den „Verbrechen" Geilers gewidmeten Pressekonferenz der US-Militärverwaltung die zu erwartende Selbstsicherheit an den Tag. Sie übertrumpfen' die US-Beamten mit ihren Informationen über die Verhaftung des Verbindungsmannes und ,sprengen' damit die sorgfältig inszenierte Veranstaltung. Im Gegensatz zu Oberst Kusmin bringen sie darüber hinaus jedoch keine eigenen Leistungen. Dafür evoziert der Verfasser in den von Geiler gesprochenen letzten Worten des Stückes obligatorisch das sowjetische Vorbild: „Und uns voraus das Vorbild - Rußland, der große Leuchtturm des Kommunismus." (S. 89) Verrät bei aller Parteilichkeit im engeren Sinne „Oberst Kusmin" durch die Einflechtung von bühnenwirksamen Akzenten, .geistreichen' Repliken und z. T. humoristischen Leitmotiven den professionellen Bühnenschreiber, so gehen Dymschitz' Stück dramaturgische Kunstgriffe dieser Art fast gänzlich ab.265 Das ideologische Anliegen wird nahezu ungebrochen transportiert. Verlorener Sohn. Vom Stahlschmelzen „auf sowjetisch" und dessen Unterwanderung: Anatoli Sofronow „Anders kann man nicht leben" Dieses Stück, das auf dem Hintergrund eines bereits publizierten Reiseberichts von Sofronow über die DDR verfaßt wurde,266 bildet vom Schauplatz und von der Personenzusammensetzung her eine dritte Variante der Deutschlanddarstellung in der sowjetischen Literatur. Im Zentrum 265

Möglicherweise war es dieses Stück, das Dymschitz dem Ministerium für Kinematographie angeboten hatte. In seinem Antwortbrief vom 3.10. 1949 bedauerte der Stellvertretende Minister, daß sie für das Stück keine Verwendung hätten, sowohl vom Themenplan her als auch deshalb, weil „die gesamte Anlage Ihres Stückes weit von den Prinzipien eines Drehbuches entfernt ist". - RGALI2843/1/2502.

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steht ein Stahlbetrieb in der DDR zu Anfang der 50er Jahre. Beteiligt sind ausschließlich Deutsche; die SMAD hatte zu jenem Zeitpunkt bereits ihre Schuldigkeit getan, nun galt es, das selbständige Wirken' der Deutschen in den Vordergrund zu rücken. Zwei Vorgänge in der Fabrik bestimmen den Handlungsverlauf: geheime Laborversuche zur Herstellung einer neuen Stahlsorte und die Vorbereitungen zur erstmaligen Anwendung eines Stahlschnellkochverfahrens nach sowjetischem Vorbild. Vorreiter dieses „fortschrittlichen" Verfahrens sind vor allem die Mitglieder einer Arbeiterfamilie namens Milze, deren Oberhaupt nicht nur Meister, sondern auch Sekretär der SED-Betriebsgruppe ist und das Schnellkochen während einer Delegationsreise nach Moskau kennengelernt hat. Die Selbstdarstellung konzentriert sich somit auf die Vorbildfunktion der Sowjetunion und auf das Lehrer-Schüler-Veihältnis zwischen Russen und Deutschen. Der ideologischen Gesamtlinie entsprechend läßt Sofronow seinen Helden verkünden, daß die Russen ihre Erfahrungen gern weitergäben. 267 Bei aller Verschiedenheit des Sujets von denen der zuvor skizzierten Stücke gibt es große Ähnlichkeiten in der Struktur und bei einzelnen Motiven. Die Personenzeichnung ist ebenso schematisiert, nur daß die positiven Helden, anders als in .Jenseits der Elbe", in der Mehrheit sind. Als Gegenspieler treten nur der vorgeblich reuige, aus Westdeutschland in den Schoß der Familie zurückkehrende (zweite) Sohn Franz Milze und sein ebenso vorgeblich arbeitsloser Kollege Max Hüter auf. Sie suchen in dem fraglichen Betrieb Arbeit, um sowohl durch eine Explosion des Hochofens das Schnellkochverfahren und damit die Idee der Freundschaft zur Sowjetunion zu diskreditieren (S. 36) als auch die Formel für die neue Stahllegierung zu erschleichen. Die Existenz von Auftraggebern im Hintergrund wird angedeutet. Das Reiseziel New York, das die Saboteure „nach getaner Arbeit" anstreben, spielt auf die bekannten „Verflechtungen" an. Sofronow verschweigt nicht die sowjetfeindlichen Stimmungen, die nach der (Opfer fordernden) Explosion unter der Arbeiterschaft laut werden (schadenfroh werde vom „Stahlkochen auf bolschewistisch gesprochen") und vermittelt so den sowjetischen Zuschauem jener Zeit ein durchaus zutreffendes Bild von der Atmosphäre in deutschen Betrieben. Ob gerade solche Stellen während des Schriftstellertreffens in Moskau im Mai 1953 bei der Erörterung des Stückes auf deutscher Seite zu Vorbehalten gegen eine Aufführung in der DDR geführt haben, konnte nicht ermittelt werden. 268 Der Sabotageakt wird aufgedeckt und damit das Schnellkochverfahren rehabilitiert. 269 Die Verhaftung der „Schädiger" verhindert das Ausspionieren der Stahlformel. Das schon in „Oberst Kusmin" angelegte Motiv des „verlorenen Sohnes" findet sich auch in diesem Stück. Kommt es 266

Sofronov, Po zemljam novoj Germanii. Sofronow zeigt sich in dieser pathetisch geschriebenen Skizze insgesamt begeistert von den Ähnlichkeiten mit dem Leben in der Sowjetunion, sieht somit an vielen Orten bereits vollzogene Modellangleichungen, und lobt (unbescheiden) die Begeisterung der D D R Deutschen für die Sowjetunion.

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Sofronov, Inace zit' nel'zja, S. 27. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich im folgenden auf diese 1953 veröffentlichte russische Ausgabe. Die anwesenden deutschen Autoren übten hauptsächlich Kritik an der Personen- und Konfliktgestaltung sowie an der mangelnden Berücksichtigung der Psychologie der Deutschen. - Vgl. das Stenogramm der Unterredung in der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands mit deutschen Schriftstellern vom 11.5. 1953, RGALI 631/26/1333. Die Diskussion um Sofronows Stück bildete nur einen Teil des Erfahrungsaustausches, der Fragen des literarischen Schaffens insgesamt und der Organisation des Schriftstellerverbands umfaßte. Vgl. Kap. 7.1.2.

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hingegen in dem Bühnenwerk der Gebrüder Tur am Ende zu einer Annäherung zwischen dem kommunistischen Sohn und dem bewußtseinsgewandelten Vater, so sagt sich bei Sofronow die Familie endgültig von ihrem Sohn los. Die .Schwankenden' werden von zwei Typen verkörpert. Da ist zunächst der Ingenieur „alter Schule", Grubbe, der nicht an den Erfolg des neuen Stahlkochverfahrens glauben will (der Ofen halte das nicht aus) und sich aus der betreffenden Abteilung zurückzieht.270 Auf stereotype Weise werden diese Bedenken an die politische „Rückständigkeit" Grubbes gekoppelt: Er will Technologie und Politik nicht miteinander vermischen und überhaupt für keine politische Richtung eintreten, er sei „für sich" (S. 29). Die auf verschiedene Handelnde aufgeteilten Überzeugungsversuche reproduzieren die bekannten Argumente. Erst nach dem Sabotageakt, bei dem der ihn vertretende Ingenieur ums Leben kommt, ändert er seine Meinung und wechselt in das Lager der „Fortschrittlichen". Der zweite Typ ist der eines Arbeiters mit „spießerhaften" Zügen, der sich ebenfalls skeptisch abseits hält, nur an den Bau eines eigenen Häuschens denkt (sein bisheriges war im Krieg zerstört worden). Im Anschluß an Grubbe, an dem er sich orientiert, bekennt jedoch auch er sich zum richtigen Lager. Im Zusammenhang mit dem Sabotageakt kommt das Motiv der Verieumdungen und Falschmeldungen in der Westpresse zur Geltung. Eine westdeutsche Arbeiterdelegation, die den Betrieb nach dem Unfall aufsucht, hat dramaturgisch zwei Funktionen: Zum einen bringt sie die westliche Berichterstattung erstmalig in das Geschehen ein, in der an den Pressenachrichten orientierten Art ihrer Fragen nach dem Hergang der Explosion. (Es wird deutlich, daß die Zahl der Opfer und die angerichteten Schäden dort stark übertrieben worden sind.) Zum anderen können mit Hilfe der Delegation auch die (unbedingt von einem Sozialdemokraten vorzubringenden) obligaten „Vorurteile" gegenüber dem Leben in der DDR und der UdSSR ins Spiel gebracht werden, um sie anschließend glänzend zu widerlegen. Westdeutschland erfährt neben der Wiederholung bekannter Stereotypen von der hohen Arbeitslosigkeit (gegenüber dem wachsenden Arbeitskräftebedarf in der DDR) und den (amerikanisch gesteuerten) Kriegsvorbereitungen noch auf andere Weise Erwähnung. Die Betriebslaienspielgruppe studiert ein Stück über die Lage der westdeutschen Arbeiter ein: praxisbezogene Kunst als Akt der Solidarität der „Bessergestellten" mit den „Schlechtergestellten". Bei aller Kritik, die die deutschen Schriftsteller in Moskau anSofronows Stück übten, hoben sie dennoch (mit der den Gästen gebührenden Selbstkritik) hervor, daß es bislang noch keine deutschen Stücke zum Thema Produktion in der DDR gebe, der Sowjetliteratur also auch hierin eine Voibildfunktion zukomme. 271 Alle drei Theaterstücke weisen einen hohen Grad an ideologisch bedingter Stereotypie bei der Darstellung der Deutschen, d. h. bei der Fremddarstellung, aber auch bei der Selbstdarstellung auf. Damit fügen sie sich in den - überwiegenden - Teil der Sowjetliteratur jener Zeit ein, in dem 269

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Franz Milze hatte seinen Vater kurz vor der Explosion unter einem Vorwand zur Seite gerufen und damit in den Augen des Mittäters einen Fehler begangen. „Ein Diversant und Spion hat keine Familie." (S. 36) Dieser Typ ist auch aus sowjetischen Werken bekannt, deren Schauplatz im eigenen Land liegt, so z. B. bei dem damals gerade aktuellen Roman W. Ashajews „Fern von Moskau". Es ist in diesem Veihalten also kein DDR-spezifisches Problem zu sehen. Der Kampf mit (Bewußtseins)Überbleibseln aus der Vergangenheit wurde auch in der Sowjetunion stets neu entfacht. Vgl. Stenogramm der Sitzung vom 11.5. 1953, RGALI631/26/1333.

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die Kategorien des sozialistischen Realismus besonders eng verstanden und angewandt worden sind. Zudem folgen sie in ihren antiwestlichen und speziell antiamerikanischen Passagen dem damaligen (außen- und literaturpolitisch vorgegebenen) Trend, der sich auch in einer Reihe anderer, eigens dafür geschaffener Werke niederschlug. 272 Die im folgenden vorgestellten, sämtlich auf deutsch erschienenen Romane zum Thema Nachkriegsdeutschland sind in unterschiedlichem Umfang ebenfalls von Stereotypen und Schematismen geleitet, gehen jedoch vielfach darüber hinaus und vermitteln differenziertere Einsichten. Erste Begegnungen. Der „Marsch auf Berlin" und die Vorgänge im Hinterland: Emmanuil Kasakewitsch „Frühling an der Oder" Von den vier Romanen sind nur drei den ersten Jahren nach Kriegsende gewidmet, der vierte, „Frühling an der Oder" von Emmanuil Kasakewitsch, behandelt die letzten Kriegswochen auf deutschem Boden. Er ist 1949 in der Sowjetunion erschienen (als erster der vier vorgestellten Werke) und lag 1953 in der DDR in deutscher Übersetzung vor. 273 Zwei Gründe gibt es, warum er trotz seines Schwerpunkts auf dem Kriegsgeschehen in die Darstellung einbezogen werden soll. Zum einen sind außerhalb der Kämpfe, im Hinterland, etliche (z.T. „erste") Begegnungen zwischen Russen und Deutschen eingeflochten, die mit den Kategorien der Fremd- und Selbstdarstellung erfaßt werden können, zum anderen setzt Kasakewitsch die Handlung mit seinem 1956 (in der DDR 1957) publizierten Roman „Das Haus am Platz" fort; die Hauptpersonen sind identisch und werden nach ihrem Einsatz im Krieg nun als Mitarbeiter einer sowjetischen Ortskommandantur gezeigt. Fast das gesamte Schaffen Kasakewitschs ist, auf eine dem Unheroischen verpflichtete Weise, dem Kriegsthema gewidmet. 274 1948 war sein erster, im Jahr zuvor erschienener Kurzroman aus diesem Umfeld („Der Stern") mit einem Stalin-Preis 2. Klasse ausgezeichnet worden. Seine zweite im selben Jahr in der Zeitschrift „Snamja" veröffentlichte Erzählung mit dem Titel „Zwei in der Steppe" sah sich heftigen Angriffen durch dogmaisch ausgerichtete Literaturkritiker ausgesetzt, was zu jener Zeit, zieht man außerdem Kasakewitschs jüdische Abstammung in Betracht, erhebliche Gefahren für die Existenz eines Schriftstellers barg. 275 Der Roman „Frühling an der Oder" kann denn auch als Versuch Kasakewitschs gewertet werden, gewisse literaturpolitische Mindestanforderungen zu erfüllen, ohne seine spezifische Annäherung an das Kriegsthema gänzlich aufzugeben. Dieser Versuch wurde mit einem weiteren StalinPreis 2. Klasse honoriert, ein erneutes Beispiel für das in der UdSSR damals häufige schroffe 272

Vgl. Struve, Geschichte der Sowjetliteratur, S. 446ff. Indes waren es gerade Werke dieses Zuschnitts, die ihren engeren Entstehungszeitraum kaum überdauert haben. Die mit der Entlarvung der „Theorie der Konfliktlosigkeit" und spätestens mit Stalins Tod einhergehenden vorsichtigen Spielraumerweiterungen im Rahmen des sozialistischen Realismus führten in der Regel zur kritischen Distanzierung von dieser Art „Gegenwartsliteratur". 273 Kazakevic, Vesna na Ödere; deutsch: Kasakewitsch, Frühling an der Oder. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich im folgenden auf die deutsche Ausgabe. 274 Diese in der Sowjetunion umstrittene Herangehensweise war auch für die Kriegsromane Viktor Nekrassows und Wassili Grossmans bestimmend. 275 Dieses Werk kam erst Anfang 1962, wenige Monate vor Kasakewitschs Tod, zusammen mit anderen Kriegserzählungen des Autors in Buchform heraus - möglicherweise im Gefolge des XXII. Parteitags im Oktober 1961, der eine zweite Entstalinisierungswelle einleitete.

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Nebeneinander von Erniedrigung und Belobigung. Kasakewitsch selber war sich seiner zwiespältigen Lage bewußt und hat ungeachtet des Erfolgs dieses Romans unter dessen von ihm als solche empfundenen Mängeln gelitten.276 Die Romanhandlung von „Frühling an der Oder" beschreibt in verschiedenen Strängen den Marsch der sowjetischen Armee von der polnischen Grenze bis nach Berlin. Unter den Protagonisten steht der Chef des Divisionsaufklärungsdienstes, Gardemajor Lubenzow, im Mittelpunkt. (Kasakewitsch hatte zum Ende des Krieges eine vergleichbare Position inne.) Er begegnet uns im „Haus am Platz" als Kommandant einer Kreisstadt im Harz wieder, besitzt also Eigenschaften, die ihn aus der Sicht seiner Vorgesetzten für diese spätere Funktion geeignet erscheinen lassen. Ein Handlungsstrang ist der Geschichte eines deutschen Spionageabwehr-Offiziers namens Winkel gewidmet, der sich nach Berlin durchschlägt und wiederholt die Wege der sowjetischen Truppen kreuzt, ohne seine Identität preiszugeben. Er führt die Leser bis zum Führerhauptquartier und macht sie unterwegs mit einem - ihn später kaltblütig ermordenden - SS-Offizier bekannt, der auch im „Haus am Platz" eine unrühmliche Rolle spielen wird. Die Konstruktion dieses Handlungsstrangs ermöglicht es Kasakewitsch, trotz der durch die stetige Fortbewegung im Raum bedingten Episodenstruktur des Romans wiederkehrende negative Helden außerhalb des Kampfgeschehens einzuführen. Gegenspieler auf höchster Ebene sind Stalin und Hitler, wobei Stalin nur punktuell und in kurzen Charakteristiken Erwähnung findet, allerdings gerade auch an strukturell herausgehobener Position - auf der ersten und auf der letzten Seite. Daraus ergibt sich eine .ideologische Klammerfunktion'. („Und die Soldaten gedachten des großen Stalin, der sie geleitet und hierheigeführt hatte." (S. 9); „Ja, ihm [Stalin] sei Dank, dachte das Kriegsratsmitglied [...]. Dank seinem mächtigen Verstand, seiner eisernen Ausdauer, seiner unvergleichlichen Beharrlichkeit und beispiellosen Weitsicht." (S. 608)) Jedes Mal wird das Lob Stalins von einer der handelnden Personen ausgesprochen und nicht durch die Erzählerinstanz. Mit diesem Kunstgriff kann Kasakewitsch den Erfordernissen des Jahres 1949 (zudem das Jahr, in dem Stalin 70 Jahre alt wurde) Genüge tun und zugleich das Pathos des Personenkults in Grenzen halten. Von Hitler hingegen wird über etliche Seiten hinweg ein regelrechtes Psychogramm entworfen. Dabei vermeidet es der Autor, in eine bloße Karikatur abzugleiten, sondern entwirft ein eher tragisches, allerdings von grotesken Details durchzogenes Bild des Diktators in seinen letzten Lebenstagen.277 Gleich auf der ersten Seite wird auch eine weitere ideologische Vorgabe eingelöst. Das 1949 von der Parteispitze seinem Höhepunkt zugeführte übersteigerte slawische bzw. russische Nationalbewußtsein, das sich u. a. auch in der Reinterpretation historischer Sachverhalte niederschlug, wird in dem Augenblick eingebracht, als die sowjetischen Soldaten deutschen Boden betreten: „Und dann erst sahen sie Deutschlands Erde, diese bewohnte, von alters her von Slawen durch 276 Dies geht aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen jener Jahre hervor, zitiert bei BoCarov, Emmanuil Kazakevic, S. 73. 277 Kasakewitsch selber hat sich zu diesem Darstellungsproblem so geäußert: „Wenn man über solche wie Hitler, Goebbels, Himmler schreibt, steht man unwillkürlich vor einem Dilemma: wie soll man die Wahrheit der Empfindungen, die ganze emotionale Sphäre des Lebens dieser Ungeheuer darstellen, ohne in eine überflüssige Vermenschlichung der Charaktere zu fallen, was unserem Gewissen und unseren Vorstellungen von Menschlichkeit entgegenstünde. Das ist schwierig." - Vgl. Mednikov, Sila i cel'nost' duSi, S. 234.

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slawische Niederlassungen beschützte und mit rassischen Schwertern gegen den Einfall von Barbaren verteidigte Erde." (S. 9) Durch diese Konstruktion, in der sich die Erzählerrede in die Perspektive der Soldaten mischt, erfährt der Siegeszug der sowjetischen Armee als Akt der Befreiung der Deutschen vom ,Barbaren' Hitler eine historische Einbettung, wird in eine nahezu jahrtausendalte Tradition gestellt. 278 Gleichsam zur doppelten Absicherung verwendet der Autor hier sowohl „slawisch" als auch „russisch". Im nächsten Satz wird der erste Eindruck von Deutschland vermittelt: „Sie sahen gepflegte Haine und glatte Ebenen, auf denen kleine Häuser und Scheunen standen, umgeben \onBlumenbeeten und Gärten." 279 Diese Beschreibung läßt die Andersartigkeit gegenüber dem eigenen unüberschaubar großen Land mit seiner schwer zu bändigenden Natur hervortreten. 280 Das Vorgehen der Deutschen bei ihrem Einmarsch in die Sowjetunion findet in den Worten einer Stabsärztin, der zweiten Hauptperson neben Lubenzow, Erwähnung, die damit auch geheime Stimmungen unter den sowjetischen Soldaten wiedergibt: „Wie seltsam! Dort ist ein deutsches Dorf. Es ist ganz sonderbar, daß hier Deutsche leben. Dieselben Deutschen, die in der Welt soviel Böses angerichtet haben. Nun? Müßte man dieses Dorf nicht anzünden? Alle umbringen?" (S. 21) Diese Frage ruft bei ihren Adressaten einander widersprechende Reaktionen hervor. Ein Hauptmann antwortet: „Warum nicht? Gehen wir, tun wir es!" Der ebenfalls anwesende Gardemajor „sah ihn aufmerksam an und winkte ab" (ebd.). Dieses Gespräch ist zugleich Reflex auf die Übergriffe von sowjetischer Seite. Die Beschränkung auf die Wiedergabe von Stimmungen war 1949 einer der wenigen Wege, sich diesem heiklen Thema zu nähern. Ein anderer bestand darin, aus dem Munde der höchsten Vorgesetzten vorab harte disziplinarische und gerichtliche Maßnahmen bei „Verletzungen der Kriegsdisziplin" im Kontext des „gerechten Vergeltungsbedürfnisses, das in den Herzen unserer Soldaten herrscht" (S. 153), androhen zu lassen. Ein vermeintlicher Übergriff, die Ermordung einer sechsköpfigen deutschen Familie, erweist sich als Verbrechen einer „Sondergrappe" deutscher russisch sprechender und mit sowjetischen Uniformen bekleideter SS-Leute, die auf diese Weise der antisowjetischen Propaganda Voischub leisten wollten. Die Schilderung dieser Begebenheit hat ganz offensichtlich die Funktion, die sowjetische Seite zu entlasten. Bei dem von Kasakewitsch häufig angewandten Verfahren, die Deutschen und ihre Verhaltensweisen aus der Sicht der handelnden Russen zu beurteilen, fließen Fremd- und Selbstdarstellung ineinander. Wenn der Parteiorganisator einer Einheit, ein Unteroffizier, nach einem Blick auf die „großen roten Hände, Hände von Leuten, die an schwere bäuerliche Arbeit gewöhnt sind" (S. 66), zu dem Entschluß gelangt, daß man mit den Zivilpersonen „jetzt ruhiger umgehen muß. [...] Einfach als wären sie keine Deutschen... sondern - Menschen" (S.67), so wird damit zum einen eine Verständigungsebene geschaffen und zum anderen etwas über die Eigenschaften eines (vorbildlichen) Parteiorganisators ausgesagt, der seinen Blick eben gerade auf diese Bauernhän278

Zur Legitimierung dieses Gedankens enthält der Roman zahlreiche .Befreiungsszenen': Befreiungen von englischen und amerikanischen Kriegsgefangenen, von ausländischen Fremdarbeitern, von deutschen politischen Gefangenen etc. 279 Kasakewitsch, Frühling an der Oder, S. 9. Herv. AH/WE. 280 Deutlich abwertend äußert sich Oberst Kusmin, der Held des gleichnamigen Theaterstücks, seiner Ordonnanz gegenüber zu diesem als „typisch deutsch" deklarierten Erscheinungsbild: „Meinst du, mir gefällt es hier zwischen diesen ausgerichteten Bäumchen?" - Gebr. Tur/Scheinin, Oberst Kusmin, S. 36.

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de richtet und daraus mit „echte[m] Instinkt" (so das Lob eines Oberst) die richtigen Schlußfolgerungen zieht. Kasakewitsch versäumt es nicht aufzuzeigen, daß der Parteiorganisator diese Schlußfolgerungen auf seinen Schulungen an die Soldaten weitergibt. Er ist nach dem Willen des Autors übrigens kein Intellektueller, sondern ein .einfacher' Grubenarbeiter, was die Kommunikation mit deutschen Arbeitern erleichtert.281 Globalere Überlegungen zu Hitler und zum Kapitalismus, zu den Sozialdemokraten und zur Verführbarkeit der deutschen „Werktätigen" legt Kasakewitsch indes den höchsten Vorgesetzten in den Mund, so dem Kriegsratsmitglied General Sisokrylow. 282 Dieser repräsentiert den aus „Oberst Kusmin" bekannten Typ des politischen Offiziers, der ungeachtet persönlicher Trauer (sein Sohn ist gefallen) konsequent die Politik des gesellschaftlichen und kulturellen Wiederaufbaus Deutschlands vertritt. 283 Sisokrylows Erwägungen zur Rolle der Sowjetunion nach Ende des Krieges charakterisieren ihn, in Übereinstimmung mit seiner Funktion, als ,weitsichtigen Strategen': „Hier geht es nicht um den Sieg unserer Waffen, sondern um den Sieg unseres Geistes, unserer Denkweise, unseres Erziehungssystems, unseres geschichtlichen Weges" (S. 86), heißt es im Gespräch mit einem anderen Offizier. Zum Erscheinungszeitpunkt des Romans waren nach offizieller Interpretation die Fundamente dieses .zweiten Sieges' bereits gelegt. Kasakewitsch überläßt den Lesern die Bewertung der vorgeführten Gedanken. Durch eine geschickte Montage gibt er Perspektiven der weiteren Entwicklung zu erkennen. Ein Hauptfeldwebel, im Zivilberuf Kolchosbrigadier, macht sich Gedanken über die „völlige Ungleichheit" der Landverteilung bei Gutsbesitzern und den anderen Dorfbewohnern. „Er lächelte verächtlich [...], und alle verstanden, daß er an die Kollektivwirtschaft,Lenins Weg' im Altaigebiet dachte, auf der er zu Hause war." (S. 229) Die ganz persönlichen Assoziationen eines .einfachen Mannes' verwandeln sich (in den Köpfen der Leser) in politische Schlußfolgerungen, die die zum Publikationszeitpunkt bereits durchgeführte Bodenreform nur als Übergangsstadium erscheinen lassen. Wenn dieselbe Person hinzufügt: „Sie müßten zu uns kommen, um zu lernen", so soll dies authentischer wirken, als wenn diese Worte von einem hohen Parteifunktionär ausgesprochen würden. In einer auf „Das Haus am Platz" vorweisenden Szene werden die Offiziere, schon vor dem Ende des Krieges, auf ihre künftigen Aufgaben als Stadtkommandanten in der SBZ vorbereitet - ausführlicher als in der vergleichbaren Szene in „Oberst Kusmin". Kasakewitsch mag hier auf ent281 282

283

Vgl. die Szene der ersten Begegnung der deutschen Bauern mit sowjetischen Soldaten in Otto Gotsches Roman „Tiefe Furchen" (siehe Kap. 7.3.2). In einer Abhandlung über diesen Roman hebt G. Lukäcs die Umsetzung abstrakter Themen in „Handlungen, Gefühle und Gedanken der Romanfiguren" („konkreter Menschen") als positives Merkmal hervor und grenzt dieses Verfahren von den Methoden künstlerisch fragwürdiger Illustrationsliteratur ab. Er läßt dabei indes die mögliche Autorintention außer Acht, durch bewußtes Zurücktreten hinter die Figuren sich einer eigenen Stellungnahme zu entziehen. - Lukäcs, Kasakewitsch: „Frühling an der Oder", S. 635. Bei der Beschreibung von dessen Äußerem gleitet Kasakewitsch zuweilen in literarische Klischees ab, wenn z.B. beim kurzen Auflachen Sisokrylows „strenger Mund verborgene Gefühle offenbarte" (S. 480). Aus späterer Sicht wird die Gestalt des Generals vor allem aufgrund ihrer zum Schema neigenden Makellosigkeit als die am wenigsten gelungene bezeichnet und als positives Gegenbeispiel gerade der Parteiorganisator Sliwenko angeführt. - Vgl. Bocarov, E. Kazakevic, S. 72. Auch die Schilderung von Soldaten der Aufklärungseinheit ist nicht frei von Schablonen: „Große, ausgesucht schlanke braungebrannte [...] Menschen" (S. 508).

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sprechende eigene Erfahrungen zurückgegriffen haben. Der die Schulung leitende General Sisokrylow „stellte verschiedene Fragen, die die Geschichte Deutschlands betrafen, wie bei einem regelrechten Examen" (S. 477). Die „Menschenkenntnis" des Generals (er „hörte aufmerksam den Antworten der Offiziere zu und studierte eingehend das Gesicht eines jeden", ebd.) ist für die (nicht mehr thematisierte) Auswahl der Kandidaten bestimmend. Die Beschreibung der bevorstehenden „friedlichen" Aufgaben erfolgt auf ähnliche Weise wie in „Oberst Kusmin". Die Enttäuschung der Offiziere, die sich um den Abschluß der Kämpfe betrogen und andererseits der neuen Arbeit nicht gewachsen fühlen, wird nicht verschwiegen und dient damit auch zur Begründung potentieller künftiger „Fehler" und Konflikte. Das Panorama der vorgeführten Deutschen umfaßt neben zahlreichen z. T. einzeln porträtierten Soldaten viele Bevölkerungsschichten, von der Gemälde sammelnden Gutsbesitzerin, deren Bestand durch die sich dafür interessierenden Sowjetsoldaten gleichsam demokratisiert wird, bis zum Landarbeiter. Funktion und Verhaltensweisen der Intellektuellen finden erst im „Haus am Platz" sujetbedingt eine gebührende Berücksichtigung. Als innertextuelles, aber auch realitätsnahes Gegengewicht zu den Spionage- und SS-Offizieren und als Vertreter des „anderen" und „neuen" Deutschlands wird der aus der Gefangenschaft befreite kommunistische Funktionär eingeführt, der, wie andere Häftlinge, „die den Gang der Ereignisse voraussahen" (S. 511), bei russischen Kriegsgefangenen Russisch gelernt und darüber hinaus im Lager eine illegale Widerstandsgruppe organisiert hatte. Das - nur sehr sparsam eingebrachte - Bild der Amerikaner ist weniger grob vereinfacht und karikierend als in dem etwa gleichzeitig entstandenen Theaterstück von Dymschitz, obgleich auch hier zuweilen die Atmosphäre des Kalten Krieges einfließt. Kritik an der Kriegsführung der USA („Gewisse Leute, die damals, als wir fast verblutet sind, mit allen Mitteln die zweite Front im Westen verzögert haben, stoßen jetzt um jeden Preis vorwärts" (S. 82)) mischt sich mit Andeutungen über ihren (zukünftigen) Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern (über versprengte SS-Leute, die Richtung Westen ziehen, wird gesagt, daß sie wahrscheinlich hofften, „unsere Verbündeten, die Amerikaner, werden sich ihrer annehmen", worauf die Antwort folgt: „Bedauerlicherweise haben sie Gründe zu dieser Hoffnung" (S. 223)). Diese Andeutungen werden - im Grunde überflüssigerweise - eingelöst durch die Schilderung, wie der erwähnte SS-Offizier mit Hilfe eines deutschen Industriellen trotz Offenlegung seiner Funktion von den amerikanischen Militärs auf freien Fuß gesetzt wird. Die Freilassung ermöglicht sein erneutes Erscheinen im „Haus am Platz", wo er Sabotageakte gegen die SMAD und die ostdeutsche Bevölkerung verursacht. Damit ist mittelbar auch die Rolle vorgegeben, die die Amerikaner in Kasakewitschs nächstem Roman spielen. Der Stadtkommandant. Vorbild beim „Aufbau" und Opfer SMAD-interner Druckmechanismen: Emmanuil Kasakewitsch „Das Haus am Platz" Dieser 1956 in Band I des Almanachs „Literaturnaja Moskwa" erschienene Roman 284 entstand in den Jahren 1949 bis 1955, wurde also gleich nach der Publikation von „Frühling an der Oder" 284

Buchausgabe: Kazakevii, Dom na ploäcadi; deutsch: Kasakewitsch, Das Haus am Platz. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich im folgenden auf die deutsche Ausgabe.

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begonnen. Er spielt in den ersten beiden Jahren nach Kriegsende und zeigt die sowjetischen Offiziere und Soldaten, allen voran den nun zum Oberstleutnant beförderten Lubenzow als Stadtkommandanten der SMAD, in neuen, außerkriegerischen Bewährungssituationen. Schauplatz ist ein (fiktives) Kreisstädtchen im Harz, das vor dem Einrücken der Sowjettruppen für kurze Zeit von den Amerikanern und Engländern besetzt war. Dargestellt und von verallgemeinernden Reflexionen begleitet werden alle mit dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbau verbundenen Probleme und Schwierigkeiten, von der Energieversorgung über die Beherbergung von Flüchtlingen bis zur Bodenreform. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf der Präsentation interner Vorgänge der Kommandantur als,Zelle' der SMAD insgesamt. Über Kasakewitschs Position in Deutschland nach dem Krieg gibt es unterschiedliche Aussagen. Zum einen heißt es, er sei 1945 Stadtkommandant von Halberstadt gewesen,285 zum anderen sagen ehemalige Kriegskameraden aus, daß er weiterhin in der Aufklärungsabteilung des Stabs der 47. Armee gedient habe. Er habe sich jedoch häufig und sehr angelegentlich bei einem Freund, der stellvertretender Kommandant der Stadt und des Kreises Wernigerode im Harz war, über dessen Tätigkeit und über Leben und Einstellungen der Deutschen informiert.286 Diese Stadt wurde dann offenbar das Vorbild für den Romanschauplatz. 1946 kehrte Kasakewitsch wieder nach Moskau zurück. 1955, kurz vor Fertigstellung des Romans, reiste er noch einmal in die DDR, um sich ein Bild von den zurückgelegten Entwicklungsschritten zu machen.287 Das Spektrum der Deutschen, dem der Leser begegnet, ist, thematisch bedingt, erheblich breiter gefächert als im ersten Teil des Romanwerks und schließt auch Vertreter der vier zuerst wiedergegründeten Parteien ein. Die dominierende Perspektive ist die Lubenzows und anderer SMAD-Mitarbeiter,288 zuweilen schwenkt der Blick auf die andere Seite, und die Angehörigen der Kommandantur erscheinen als Beobachtungsobjekt der Einwohner. So heißt es z. B. über Lubenzow: „Der blauäugige, sehr jung aussehende Oberstleutnant war ein gescheiter und tüchtiger Mensch. Er konnte gut Deutsch, was er jedoch geflissentlich geheimhielt; es wurde erst nach längerer Zeit bemerkt." (S. 199) „Innerlich staunte der Dolmetscher, wie rasch und reibungslos diesem Russen alles gelang, was er in Angriff nahm." (S. 107) Die handelnden Personen sind zumeist in einer Weise differenziert und abseits gängiger Klisches dargestellt, die sie sowohl für den .operativ' beobachtenden Kommandanten als auch für die Leser einer eindeutigen Bewertung und Zuordnung zu den bekannten Kategorien entzieht, so z.B. die gutaussehende, klavierspielende Gutsbesitzerin von Melchior, der Architekt und Fabrikbesitzer Dr. Auer, der,glicht im geringsten den dicken, hakennasigen Karikaturbourgeois mit den ringbedeckten Krallenhänden" glich, (S. 59); aber auch der .hitzige' deutsche Kommunist Lerche, der sich nach seiner Befreiung aus dem KZ in erster Linie von Revanchegedanken leiten läßt.289 Darüber hinaus erfahren manche Personen und ihre Handlungsweisen eine mehrfache Bewertung durch jeweils andere, was die Leser zum Abwägen der einzelnen Aussagen veranlaßt. Das betrifft auch „die Deut-

285 286 287 288

Vgl. Boiarov, E. Kazakevii, S. 8. Vgl. BujmoviC, Pered pobedoj i posle nee, S. 158f. Vgl. Boiarov, E. Kazakevic, S. 8. In dieser Hinsicht ist der Roman vergleichbar mit „Oberst Kusmin", geht jedoch bei einigen dort vereinfacht präsentierten Sachverhalten ins Detail. Kasakewitsch soll auf einer Leserkonferenz zugespitzt formuliert haben, daß Deutschland eher der Hintergrund für die Schilderung der SMAD-Intema gewesen sei. - Boiarov, E. Kazakevif, S. 156.

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sehen" insgesamt, die von sowjetischen Soldaten und SMAD-Angehörigen verschiedener Dienstgrade unterschiedlich wahrgenommen weiden. 290 Einer der Gegenspieler Lubenzows ist der ehemalige SS-Offizier Bürke, der mit Sabotageakten auf die Bodenreform reagiert (er führt ein Viehsterben im Landkreis herbei). Ähnlich wie der Spionageabwehr-Offizier Winkel in „Frühling an der Oder" wird er, damit man sich in ihn als Gegner hineinversetzen und ihn durchschauen kann, einer recht detaillierten psychologischen Analyse unterzogen. Es wird deutlich, daß er, um einer Verurteilung aufgrund seiner SS-Zugehörigkeit zu entgehen, sich in die völlige Abhängigkeit westdeutscher Industrieller und aus der SBZ geflohener Großgrundbesitzer begeben hat. Von ihnen erhält er letztlich den Auftrag zur „Lageerkundung" über den Hergang der Bodenreform in der SBZ und zur Verteilung von Drohbriefen an die (zukünftigen) neuen Kleinbauern. Als „Schädiger" entpuppt sich auch der „sozial mildtätige" und sich sowohl bei den Landbewohnern als auch bei den Spitzen der deutschen Selbstverwaltung beliebt machende Großbauer Fleder, der, um nicht der Bodenreform zum Opfer zu fallen, weiter entfernt liegenden Landbesitz verschweigt, jedoch von Lubenzow entlarvt wird. Dieser Fall wird nicht zuletzt deshalb in das Handlungsgeschehen eingebracht, um eine andere Hauptperson, den zum Landrat ernannten Chemieprofessor Sebastian, zu charakterisieren. Dieser ist der .typische' schwankende, sich zunächst aus der Politik heraushaltende, dann jedoch die Arbeit der SMAD aktiv unterstützende Intellektuelle, vergleichbar mit Ingenieur Dietrich aus „Oberst Kusmin". Nachdem bereits ein KPD-Mitglied zum Bürgermeister gewählt worden war, sollte, in getreuer Widerspiegelung der Praxis, eine Person zum Landrat ernannt werden, die „möglichst keiner Partei angehörte und bei allen Schichten der Bevölkerung Ansehen genoß" (S. 205). Innertextuell nimmt Sebastian verschiedene Funktionen wahr. Er ermöglicht durch seine zögernde Haltung dem Kommandanten, noch einmal alle Argumente für eine Beteiligung am gesellschaftlichen Aufbau Deutschlands anzuführen und dabei auch seine Bildung zu demonstrieren (er zitiert aus Goethes „Faust"); 291 er wird der,Versuchung' ausgesetzt, unter der Obhut der Amerikaner eine hochdotierte Stelle in der westdeutschen Chemieindustrie anzunehmen (auch hier eine Parallele zu „Oberst Kusmin"); sein Besuch in den Westzonen bei seinem Sohn, dem .Versucher', stellt die (mehrfach aus der Perspektive der Deutschen hervorgehobene) 289

Eine ähnlich konzipierte Figur kommt in Willi Bredels Roman „Ein neues Kapitel" vor. Dort will der mit dem Makel des „Linksradikalismus" behaftete Kommunist die Vereinigung mit der SPD schon gleich nach Kriegsende forcieren. Bei Kasakewitsch hingegen hegt der Kommunist Lerche die bekannten Abneigungen gegen die SPD.

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Sehr anschaulich wird Kasakewitschs Spiel mit den Perspektiven an folgender Stelle, wo verschiedene Kommandantur-Angehörige nacheinander ihre Meinung über das Städtchen kundtun: „Jaworski: ,In kultureller Hinsicht kann sich unser Lauterburg sehen lassen. Die städtische Bibliothek ist stets sehr besucht, hauptsächlich von Jugendlichen. Die Einwohner lieben ihre Stadt und sind stolz auf die schönen alten Bauten.' Tschegodajew: ,Ein sehr fleißiger, betriebsamer Menschenschlag. Das Städtchen ist klein, aber was für eine Menge von verschiedensten Werkstätten, von Groß- und Kleinbetrieben! Mir gefallen die Leute hier.' Der Leutnant von der Kommandanturmannschaft: ,Kann ich nicht gerade behaupten. Die ganze Bande faulenzt. Wo man hinguckt: Betrunkene! Und die Kneipen sind immer voll. Ich weiß nicht, wann die Leute überhaupt arbeiten...' Menschow: .Eine sehr gesittete Stadt. Alle sind zuvorkommend, besonders die Kinder. Auf Schritt und Tritt hört man .danke schön' und .bitte schön'. Und wie ordentlich die Leute aussehen....' Worobejzew: .Ein liederliches, verkommenes Nest! Lauter Huren und Schieber! Weiß der Himmel, wie das hier zugeht.' Wer hatte recht? Alle und keiner." (S. 329f.)

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„Menschenkenntnis" Lubenzows auf die Probe; 292 an Sebastian wird schließlich demonstriert, wie selbst er als politisch exponierter Mensch sich von dem Großbauern Fleder täuschen lassen kann, womit die Gefährlichkeit dieser „Elemente aus der Vergangenheit" unter Beweis gestellt werden soll. In diesem Fall folgt Kasakewitsch ungebrochen den ideologischen Vorgaben. Stärker als der Landrat Sebastian wandelt sich seine Tochter Erika von einer den Russen gegenüber äußerst distanzierten, politisch abseits stehenden (klavierspielenden und strickenden) jungen Frau zur Organisatorin der Junglehrerausbildung in der Stadt und zu einer begeisterten Anhängerin des Kommunismus. Hierbei spielen die Initiative Lubenzows, der sein Quartier im Gartenhaus des Sebastianschen Anwesens bezogen hat, und häufige Kontakte mit ihm, die später von der SMAD gegen ihn verwendet weiden, eine entscheidende Rolle. Die Schilderung ihres Werdegangs schwankt zwischen Verallgemeinerung und engem Personenbezug: „Mit dem Fanatismus der Neubekehrten fing sie an, alles zu lesen, was sie über den Kommunismus und die Sowjetunion auftreiben konnte, und nahm sie die für sie neuen Ideen vorbehaltlos auf, weil Lubenzow daran glaubte. Sie duldete nicht die Spur einer Kritik an der Weltanschauung, zu der sie auf eine so rein weibliche Weise gelangt war." (S.450) Wenn sie dabei als „sehr lieb, naiv und ein wenig drollig" (ebd.) bezeichnet wird, so ist dies die einzige Stelle, an der ein Schatten von Ironie das Bild Erikas überzieht. Möglicherweise betrifft dies jedoch weniger ihre Person als das literarische Klischee einer Entwicklung, das Kasakewitsch, nachdem er es verwendet hat, auf diese Weise gewissermaßen in Frage stellt. Das tendenziell negative, sich weitgehend an bekannten Standards orientierende Bild der westlichen Militärmächte setzt sich im wesentlichen aus Schilderungen und Einschätzungen unterschiedlicher Figuren zusammen, die die (wenigen) ereignishaften Szenen, an denen Angehörige sowohl der sowjetischen als auch der englischen bzw. amerikanischen Militärverwaltung teilnehmen, ergänzen. So vermeidet Kasakewitsch auch hier eine autoritäre Erzählhaltung, die erst die ideologische „Richtigkeit" des vermittelten Bildes garantieren würde. Einige Vorkommnisse, wie z. B. der von Lubenzow verhinderte illegale Abtransport von Fabrikausrüstungen beim Abmarsch der Engländer aus der Stadt, mögen eventuell auch auf eigenen Erlebnissen des Autors basieren. Es wird indes auch ein (gebildeter) Vertreter des .anderen Amerikas', ein Anhänger des verstorbenen Präsidenten Roosevelt eingeführt, der sich bei Sebastians Besuch in der amerikanischen Zone kritisch zur restaurativen Deutschlandpolitik der USA und zum herrischen Verhalten ihrer Ortskommandanten äußert. Aus dem Bereich der Selbstdarstellung seien drei Themen herausgegriffen, die jahrelang tabuisiert waren und zu Stalins Lebzeiten kaum in dieser Form hätten literarisch abgehandelt weiden können. Das erste Thema ist die Durchbrechung der offiziell dekretierten Kontaktverbote zwischen den Russen der unteren Dienstränge und den Deutschen. Kasakewitsch führt hier einen 291

An einer Stelle wird aus der Perspektive der Einwohner beschrieben, welche Bücher sich Lubenzow kauft, von landeskundlichen Darstellungen über Kriminalromane bis zu den deutschen Klassikern („den ganzen Goethe, Schiller, Lessing und sogar den Uhland", S. 199). Das Motiv der Belesenheit wird in einem anderen Zusammenhang später wieder aufgegriffen, gegen Lubenzow gewendet. Es stellt sich die Frage, ob sich hinter dem Blickpunkt der Deutschen nicht eine gewisse Ironie des Erzählers gegenüber dem Idealitätsstreben seines Helden versteckt; Ironie deshalb, da der „ideale Held" vor allem in seiner spätstalinistischen Variante 1956 literaturpolitisch bereits diskreditiert war. 292 Lubenzow fürchtet, daß der Landrat nicht zurückkehren könnte.

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schon in „Frühling an der Oder" angelegten Gedanken, den der Gemeinsamkeit zwischen körperlich arbeitenden .einfachen' Deutschen und Russen weiter, indem er die Annäherung aus der Sicht der sowjetischen Soldaten als vollzogen darstellt. Der Grund für den von ihnen beobachteten „Abbau der Furcht" bei den Deutschen und für den „erhebliche [n] Umschwung" zum Positiven in den Beziehungen sei „keineswegs nur in den Anweisungen und Befehlen der Sowjetischen Militärverwaltung zu suchen. Die Ursache lag vielmehr in dem lebendigen Kontakt mit der Bevölkerung. Zwar waren Verbindungen zwischen der Truppe und der Einwohneischaft untersagt - sie wurden jedenfalls nicht gern gesehen trotzdem waren sie im Gange." (S. 54) In scharfem Kontrast zu dieser optimistischen Einschätzung, die das Problem der Sanktionen ausklammert, heißt es über die deutsche Wahrnehmung der einmarschierenden sowjetischen Truppen: „Etwas ängstlich, aber doch neugierig spähten sie [die Deutschen] in die Gesichter der russischen Offiziere, als wollten sie in deren Augen ihr Schicksal lesen. Aber die Russen schritten und fuhren an ihnen vorbei, als bewegten sie sich in einer anderen Dimension, auf einem anderen Planeten. Zwei scharf voneinander geschiedene Atmosphären, zwei Welten, von denen jede ihr eigenes, der anderen völlig wesensfremdes Dasein führte." (S. 30f.) Es wäre unzureichend, die Überbrückung der Kluft zwischen den beiden Sichtweisen mit dem dazwischenliegenden Zeitablauf im Handlungsgeschehen erklären zu wollen. Die Aussagen stehen vielmehr in einem durchaus beabsichtigten Spannungsverhältnis zueinander, was durch das Fehlen eines relativierenden Erzählerkommentars nur unterstrichen wird. Das Überlaufen eines SMAD-Offiziers (aus Lubenzows Kommandantur) zu den Amerikanern stellt ein weiteres heikles Thema dar, das jedoch nicht mit letzter Konsequenz abgehandelt wird. So heißt es ausdrücklich (in einem inneren Monolog Lubenzows), daß der betreffende Hauptmann Worobejzew „niemals politische Gespräche geführt und keinerlei feindliche Ansichten verbreitet" habe (S. 434). Statt dessen werden die Motive für die Flucht in den Charakter des Hauptmanns gelegt: Seine Orientierung an „Genuß und Gewinn", seine „Habgier" und „grenzenlose Selbstsucht" hätten ihn veranlaßt, seine Dienstgeschäfte zu vernachlässigen und sich mit zwielichtigen' Deutschen und Amerikanern einzulassen.293 Die Flucht in den Westen wird mit der Furcht vor Bestrafung begründet. Indem jedoch gezeigt wird, wie Worobejzew in seinem neuen Domizil durch die ständige Anwesenheit amerikanischer Bewacher Erniedrigungen ausgesetzt ist und sein Leben durch die bloße Fortsetzung seiner „Gelage" letztlich inhaltslos wird, stellt sich der Frontwechsel - im Sinne einer Warnung - als Akt endgültiger Selbstzerstörung dar. Die Flucht des Hauptmanns generiert das dritte Tabuthema: ,Bearbeitungs'- und Anschuldigungsmechanismen innerhalb der SMAD. Den Rahmen dafür bildet die Untersuchungskommission, in der sich Lubenzow als Vorgesetzter Worobejzews dem Vorwurf der mangelnden Wachsamkeit und der Schädigung des Ansehens der SMAD stellen muß. Wäre der Seitenwechsel zu den Amerikanern politisch motiviert gewesen, hätte der Roman von diesem Punkt an einen neuen Schwerpunkt erhalten (Untersuchung des politischen Schadens, der westlichen Propaganda etc.). Die Wahl einer im Charakter des Betreffenden begründeten Motivation ermöglicht es Kasakewitsch, auf den außenpolitischen Aspekt weitgehend zu verzichten und sich auf die Person des Kommandanten sowie die Interna der SMAD zu konzentrieren. Er demonstriert, wie sich die Anschuldigungen verselbständigen, sich allmählich vom Ausgangspunkt, der „mangelnden 293

In diesem Kontext übt Kasakewitsch Kritik am System der zu bloßen Schemen geronnenen dienstlichen Beurteilungen, deren Pendant ihre ebenso gedankenlose Rezeption durch je neue Vorgesetzte ist.

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Wachsamkeit" Lubenzows gegenüber seinem Untergebenen, lösen und rückwirkend sogar im Prinzip positive Sachverhalte in ihr Gegenteil verkehrt werden. So wird Lubenzows gründliche Kenntnis der deutschen Klassiker nunmehr als „Katzbuckelei vor der bürgerlichen Kultur" bezeichnet. Sein Kontakt zur Tochter des Landrats (die sich ja letztlich durch ihn zu einer Aktivistin des sozialistischen Erziehungswesens wandelt) wird zu einer Romanze stilisiert, seine Sebastian gewährte Erlaubnis, für eine Woche die amerikanische Zone zu besuchen, Leichtsinn genannt,294 sein breit gestreuter Kontakt zur deutschen Bevölkerung insgesamt kritisch beurteilt.295 Die quasi dokumentarische Form (fiktiver) Sitzungsstenogramme vermittelt den Anschein von Authentizität. Kasakewitsch legt die Druckmechanismen bloß, die auch die engsten Mitarbeiter des Kommandanten dazu bringen, gegen ihn auszusagen. Das Verhältnis des vorgesetzten Generals zu seinen Untergebenen wird als eine Art .dialektischer Opportunismus' geschildert. „General Kuprijanow [...] unterlag der Massenpsychose, die er, ohne es zu wissen, selber hervorgerufen hatte." (S. 441) Als ein Offizier aus der Kampagne ausschert und sich wieder den Verdiensten des Kommandanten zuwendet, schwingt die Stimmung bei Vorgesetzten und Untergebenen allmählich wieder um. Der Zynismus des Machtapparats kommt ans Tageslicht, wenn der Autor den General als Ergebnis des sanktionsfreien Ausgangs der Kampagne denken läßt: „Es war die Wahrheit, die nach langen und wechselvollen Debatten in freiem demokratischem Meinungsaustausch zutage gefördert worden war." (S. 475) Passend dazu macht Kasakewitsch bei der Skizzierung eines Redners von einem stereotypen Verfahren des sozialistischen Realismus Gebrauch, bei dem sich hinter dem unsympathischem Äußeren einer Figur stets negative Eigenschaften verbergen: „Dieser Oberst, ein Mann mit flacher Stirn, stumpfen kleinen Krebsaugen und dicken Genießerlippen [...]" (S. 457). Die „Genießerlippen" sind eine direkte Anspielung auf den übergelaufenen Worobejzew, was den Schluß nahelegen soll, daß auch die ,Linientreuen' vergleichbare ,Dekadenzerscheinungen' aufweisen. Kasakewitsch idealisiert indes, wenn er fraglos vorhandenen „mutigen Einzelrednern" die Kraft zu einer Stimmungswende zuspricht.296 Neben der .Entlarvung' der geschilderten SMAD-intemen Mechanismen erfüllt die Kampagne gegen den Kommandanten noch eine weitere Funktion. Bedeutet sie auf der Personenebene eine Erschütterung von Lubenzows Selbstbild (,.Lubenzow war gewohnt, immer nur Wohlwollen und Aufgeschlossenheit um sich zu sehen; ja, er war ein .Sonntagskind', einer, den alle gern hatten [...]. Der unvermittelte Wechsel wirkte wie ein gewaltiger Schlag und versetzte ihn in Bestürzung." 297 (S. 432)), so läßt sich im literaturgeschichtlichen Kontext darin die nach Stalins Tod eingeleitete Demontage oder zumindest Relativierung eines zunächst aufgebauten idealen Heldenbildes ausmachen. Dieses enthält zum einen Elemente des idealistisch gemeinten bildungs294 295

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Der Landrat kehrt jedoch - ein offensichtlicher dramaturgischer Kunstgriff - gerade während der betreffenden Sitzungen zurück. Alle diese Beschuldigungen sind ,aus dem Leben gegriffen', wie die bruchstückhafte Rekonstruktion von Einzelschicksalen ehemaliger SMAD-Offiziere zeigt. Vgl Kap. 5.2.3. Kasakewitsch habe einmal zu erkennen gegeben, daß er sich wegen der Szene in der SMAD nicht wenig mit der Redaktion (offenbar des Almanachs „Literatumaja Moskwa") „herumgequält" habe. - BoCarov, E. Kazakevii, S. 183. Da er jedoch selber Mitglied der Redaktion war, läßt sich ermessen, daß hier vor allem die Zensur gemeint war. Botscharow interpretiert,systemgemäß': Ljubenzow stehe der Atmosphäre jener Zeit entgegen, aber ein Buch über den Sieg der sowjetischen, kommunistischen Ideologie hätte nicht mit der persönlichen Tragik des Protagonisten enden können. - BoCarov, E. Kazakevii, S. 190f.

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beflissenen und unermüdlichen Erbauers (wie er in der Literatur der 20er Jahre anzutreffen war) und zum anderen verweist es auf die in der spätstalinistischen Zeit verkürzte Variante ehes „Überhelden", dem alles „mit Leichtigkeit gelingt". Damit werden indes nicht die positiven Eigenschaften der Hauptfigur und die ihr zugesprochene Reflexionsfähigkeit insgesamt in Frage gestellt. 298 Kasakewitsch stutzt vielmehr das „ideale Heldenbild" auf ein nach Stalins Tod sich literaturpolitisch durchsetzendes Maß des „Positiven" zurecht. 299 Der Roman im Roman. Planmäßige Entwicklung und genormter Bewußtseinswandel in Wirtschaft und Kultur: Wadim Sobko „Irgendwo in Deutschland" Dieser Roman, 1951 in der Sowjetunion und 1953 in der DDR erschienen, weist die Entstehungsjahre 1945-1949 auf, die zugleich auch der dargestellten Zeit entsprechen. 300 Der ukrainische Schriftsteller Sobko war 1943 bis 1945 im Range eines Majors Korrespondent der Armeezeitung und wurde in den letzten Kriegstagen in den Kämpfen um Berlin schwer verwundet. Dennoch blieb er als Mitarbeiter der SMAD einige Jahre in Deutschland. 301 Ein langjähriger Briefwechsel zwischen ihm und Dymschitz zeugt von der näheren Bekanntschaft des Kiewers mit dem Leningrader, die wohl während der Erfüllung dienstlicher Obliegenheiten in Berlin geknüpft worden ist. 302 Sobkos Werk kann am ehesten als „Illustrationsroman" bezeichnet werden. Die auktoriale Erzählhaltung dominiert, die handelnden Personen, ob Deutsche oder Russen, haben kaum Eigengewicht; sie verkörpern fast ausnahmslos die mit der Entwicklung der SBZ verknüpften ideologischen Positionen. Dabei überwiegt in der Figuren- wie in der Erzählerrede ein mit .revolutionärem Pathos' durchsetzter ,ZeitungsstiP. So sagt der sowjetische Kommandant auf einer Versammlung: „Die Besatzungsmacht stellt sich das künftige Deutschland als einen einheitlichen, demokratischen friedliebenden Staat vor, der imstande ist, den Frieden in Europa zu sichern. In unserer Zone schreitet der Demokratisierungsprozeß rasch vorwärts." (S. 228) Über den Ortsvorsitzenden der KPD (später der SED), einen Schauspieler, heißt es: „Langsam ging Max Dalgow durch die stillen Straßen seiner Heimatstadt. Der deutsche Kommunist, der Kämpfer der Internationalen Brigaden, der pflichtbewußte politische Funktionär, sann darüber nach,

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In einer Vorabcharakterisierung zu Beginn des Romans bezeichnet gerade der „negative Held" Worobejzew den Kommandanten ganz ähnlich als „Glückspilz", der sein Können und seine Bildung stets auch zur Schau trage. Diese gleichsam mit Neid gemischte Einschätzung wird im Zusammenhang mit der späteren Kritik wieder abgerufen.

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Hervorzuheben sind in bezug auf den aktuellen Vorfall des Überlaufens z. B. Lubenzows Gedanken zum Verhältnis von Wachsamkeit und Mißtrauen. Letzteres wird als ein die zwischenmenschliche Atmosphäre vergiftender Zustand abgelehnt. Eine Bestätigung dieser These könnte in der Tatsache gesehen werden, daß Kasakewitsch den ersten und zweiten Teil des Romans noch zu Lebzeiten Stalins, den dritten Teil aber schon im Vorfeld des XX. Parteitags verfaßt hat. Botscharow formuliert das so, daß die widersprüchliche Situation in der ersten Hälfte der 50er Jahre „ihre Spuren im Roman" hinterlassen habe. - Bocarov, E. Kazakevic, S. 152. Dennoch wurde der Roman überwiegend positiv aufgenommen. - Vgl. z. B. L'vov, Posle togo kak roman procitan, S. 250-254.

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Sobko, Zalog mira [Das Unterpfand des Friedens]; deutsch: Sobko, Irgendwo in Deutschland. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich im folgenden auf die deutsche Ausgabe. Angaben nach: Nebenzahl, Mein Leben, S. 39. Briefe von Sobko an Dymschitz 1951 bis 1972. - RGALI 2843/1/1959.

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wie schön diese Stadt, wie herrlich das ganze Land in einigen Jahren aufblühen würden." (S. 101) Er wird mit dem Mythos eines allwissenden Führers umgeben: „Die Bauern hörten zu und wunderten sich. Woher wußte dieser große stattliche Mann so genau, wo sie der Schuh drückt." (S. 246) 303 Am Beispiel einer (ebenfalls) fiktiven Stadt namens Dornau weiden alle Stationen des „planvoll und gesetzmäßig" verlaufenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen (Wieder)aufbaus in der SBZ nachvollzogen: von der Bereitstellung elementarer Lebensmittel über die Bodenreform 3 0 4 und die Vergesellschaftung der Betriebe bis zur Verkündung des Zweijahrplans und der Gründung der DDR. Sogar die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion findet Erwähnung. Detailliert abgehandelt weiden die Bestleistung eines Bergarbeiters 305 , die Einführung des Leistungslohns (am Beispiel „vorbildlicher" Betriebsarbeiter) und die Einrichtung der MAS („Das wird ein Leben", jubilierte er [der Vorsitzende der Gegenseitigen Bauemhilfe]. „Mit einer Maschinenausleihstation werden wir es viel leichter haben. Alle Deutschen müssen der Sowjetunion dankbar für diese Hilfe sein." (S. 396)). Widerstand gegen diese Maßnahmen geht im Roman, wenn überhaupt, stets nur von einzelnen aus. Sie handeln, nach dem Willen des Autors, z. T. im Auftrag ehemaliger „Nazis", „die sich überall versteckt hielten" (S. 26). Diese gleich zu Anfang formulierte,These' macht den .deduktiven Ansatz' Sobkos besonders deutlich. Die Dingfestmachung dieser unter Führung eines ehemaligen SS-Offiziers agierenden Personen als Saboteure des Aufbaus bietet so kein Überraschungsmoment mehr. Das Spektrum der schon zu literarischen Stereotypen geronnenen Sabotage- und Spionageakte umfaßt Drohbriefe an die Bauern im Zuge der Bodenreform, das Ausstreuen von Gerüchten über die Verschleppung junger Männer nach Sibirien, 306 das Herbeiführen von Maschinenschäden in einem volkseigenen Betrieb, den Überfall auf dessen neuen, aus der Belegschaft hervorgegangenen Direktor, das Auskundschaften von Einzelheiten über die in der SBZ stationierten Sowjettruppen sowie Verleumdungen von Schauspielern in der Presse der Westzonen, wenn sie in sowjetischen Theaterstücken auftreten. Weder Sabotageakte noch sonstige Anfeindungen werfen indes einen Schatten auf die Bestleistung und die Person des Hauers Rennicke. Um dieses harmonische Bild, das mit der historischen 303

Bisweilen wird in der deutschen Fassung der Versuch gemacht, stereotype Formulierungen des Originals aufzulösen. Über das Theater heißt es z. B. in der russischen Version, es sei,glicht bloß Vergnügen, sondern ein Abschnitt im schärfsten politischen Kampf' (S. 105). Die parallele deutsche Stelle lautet: „[...] daß die Menschen sich im Theater zerstreuen, nein, das Theater ist ein politisches Erziehungsmittel" (S. 125). Der „gemeinsame Kampf' (von SPD und KPD) im Russischen (S. 146) wird im Deutschen zum „gemeinsamen Vorgehen" (S. 174). Die „Agitation" für oder gegen etwas wird zur „fieberhaftein] Tätigkeit" (S. 198). Bei der Gegenüberstellung dieses Romans mit Kasakewitschs „Das Haus am Platz" merkt Botscharow an, daß der Autor an der Oberfläche der Erscheinungen geblieben sei und sich, vor allem bei den Vertretern der Sowjetunion, auf die Präsentierung einheitlicher Typen anstatt „lebendiger Charaktere" beschränkt habe. - BoCarov, E. Kazakevic, S. 157. 304 Mit Emphase läßt der Autor den für diese Maßnahme zuständigen Kommmandantur-Mitarbeiter sagen: „Keine Macht der Welt wird diesen Menschen das Land, das sie bekommen haben, wieder entreißen können." (S. 142) Die Bildung der LPGs ist hier noch kein Thema. 305 Die entsprechende Romanfigur heißt Rennicke. Der Bezug zu A. Hennecke liegt auf der Hand. 306 Indem der Autor die tatsächlich vorgekommenen Verschleppungen als faschistische Gerüchte abtut, entledigt er sich, gemäß der offiziellen Sichtweise, der Rechenschaftspflicht.

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Wirklichkeit nicht in Einklang war,307 aufrechtzuerhalten, verwendet Sobko zwei Kunstgriffe. Zum einen legt er Bedenken über die Aufnahme einer Sonderleistung bei den Arbeitskollegen vorwegnehmend Rennickes Frau in den Mund, die insgesamt als stets unzufrieden und nahezu politisch „rückständig" beschrieben wird. „Was werden deine Freunde dazu sagen? Sie werden dich verwünschen. Nimm an, es gelingt dir, deine Leistungen zu steigern, und dann kommt der Guthof und verlangt dieselbe Leistung von allen anderen, und die Häuer müssen sich abrakkern..." (S. 391) Zum anderen läßt Sobko diesen Handlungsstrang mit der „Tat" selber enden; damit entledigt er sich der Aufgabe, die Reaktionen der anderen Bergleute einzubeziehen. Er erwähnt lediglich die auf der unmittelbar folgenden Kundgebung ausgesprochenen Glückwünsche (S. 416). Die Sonderschicht des Hauers wird im Roman als Endpunkt einer politischen Bewußtseinsentwicklung geschildert, deren erzieherische Intention auf der Hand liegt.308 Zu den äußeren Anstößen dieser Entwicklung gehört (selbstverständlich) das sowjetische Vorbild Stachanow, auf das ein Heimkehrer verweist. Die Heimkehrer ihrerseits treten als „Augenzeugen über das Leben und Treiben in der Sowjetunion" auf. Die zweimalige Betonung des „spontanen" Charakters entsprechender Veranstaltungen (S.361) verschleiert die wahren Sachverhalte. De facto wurde kein Vortrag über die Sowjetunion, sei es von Heimkehrern, sei es von Delegationsreisenden, dem Zufall ausgesetzt.309 Einen großen Raum nimmt im Unterschied zu den übrigen untersuchten Werken die Kunstdiskussion ein. Auch dieser Komplex ist mit dem Entwicklungsgang zweier Personen verbunden, an dessen Ende die Herausbildung eines ,richtigen' (sozialistischen) Bewußtseins steht. Die Protagonisten, der ältere Schriftsteller Gerhard Bohler (als Vertreter der „bürgerlichen Intelligenz") und die junge Schauspielerin Edith Hartmann, legen eine ähnliche Entwicklung zurück: vom unbeteiligten, abwartenden Beobachter, der von lukrativen Angeboten aus dem Westen in „Versuchung" geführt wird, bis zur tätigen Identifizierung mit der Politik der UdSSR und der SBZ/DDR. Bei Bohler schlägt sich das im Verfassen eines den ideologischen Erfordernissen der Zeit entsprechenden Gegenwartsromans und einer Broschüre über seine Reise in die Sowjetunion nieder sowie in der Perspektive, künftig am „Kampf für den Frieden" (S.405) teilzunehmen. Edith Hartmann, die zunächst als Chansonsängerin in einem aus kommunistischer Sicht zwielichtigen Lokal arbeitet, übernimmt die Hauptrolle in einem sowjetischen Theaterstück. Es handelt sich, wenngleich nicht beim Namen genannt, um die während des Bürgerkriegs 1918/20 spielende „Optimistische Tragödie" Wsewolod Wischnewskis, deren Protagonistin eine politische Kommissarin auf einem Kriegsschiff ist. Für die Übernahme dieser Rolle wird sie nach ihrem Eintritt in die SED mit einer Delegierung zum Deutschen Volksrat gleichsam belohnt. Die Bewußtseinsprozesse werden vom Autor mit einigen Widersprüchen und Konflikten versehen, deren Auflösung jedoch vorhersehbar ist. Bohler, der sein Buchprojekt zunächst vor seinen Freunden geheimhält, nimmt sich vor, „mit schonungsloser Ehrlichkeit" das „Leben des Volkes" 307 308

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Zur Bestleistung Henneckes und ihren Folgen siehe Kap. 4.2.3. Rennickes Entwicklungsschritte werden von hölzernen Erzählerkommentaren begleitet. Zu Beginn heißt es: Rennicke „war Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und las seine Zeitungen, hatte aber noch nicht begriffen, was mit Deutschland geschehen war" (S. 91). Später wird vermerkt: „Alfred Rennicke sinnt und sinnt. Vieles erscheint ihm noch unbegreiflich. Aber soviel ist ihm jetzt schon klar: Ein neues, wirklich demokratisches Deutschland wird auch sein Werk sein. Das hat er begriffen, nur handelt er noch nicht nach dieser Erkenntnis." (S. 360) VPI. Kan 4.1.1 und 7.1.1.

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darzustellen und zu beschreiben, „was für die Menschen in der sowjetischen Besatzungszone logisch und typisch war" (S. 346), letztlich „die reine Wahrheit" (S. 400). 310 Zugleich beharrt er aber lange Zeit auf seiner „politischen Unabhängigkeit" als Voraussetzung für künstlerisches Schaffen. Sobko postuliert, daß diese Haltungen miteinander unvereinbar sind, und löst den „Widerspruch" unter Verweis auf unbewußte innere Lenkungsmechanismen auf: „[Bohler] merkte gar nicht, daß seine Arbeit den Rahmen des ursprünglich Geplanten schon weit überragte. Sein Buch wurde mehr und mehr ein Appell zum Frieden, zu schöpferischer Arbeit." (S. 311) Den sich rascher vollziehenden Bewußtseinswandel der Schauspielerin beobachtet Bohler mit Skepsis. In dem Maße aber, und dies ist ein Kunstgriff Sobkos, wie Bohler den Weg Edith Hartmanns zu einem Gegenstand seines Romans macht, erkennt er dessen Richtigkeit. Die politische Bewußtwerdung der Schauspielerin verläuft über ihre wachsende Identifizierung mit der literarischen Figur der Kommissarin, begleitet vom Zuspruch der örtlichen sowjetischen Kulturreferentin und wohlwollender Parteimitglieder. Parallel dazu wiederholen sich die durch den ehemaligen SS-Funktionär Sander lancierten Angebote, Filmstar in Hollywood zu werden. Die Aussicht auf materielle Versorgtheit für sich und ihre Mutter, beide leben in ärmlichen Verhältnissen, macht sie schwankend. Der ,wahre' Charakter der westlichen Angebote offenbart sich, indem in plakativer Schematisierung die finanziellen Anreize an die Bedingung antisowjetischer Hervorbringungen geknüpft werden. Bohlers Buch wird von einem Hamburger Verlag, dem er es zugeschickt hatte, zu einem gegen die SBZ gerichteten Werk umgeschrieben. Edith Hartmann soll an einer Westberliner Bühne Hauptdarstellerin in einem antisowjetischen Stück werden, das von den „Greueltaten der Bolschewiken" handelt. Mit der Weigerung Bohlers, das Buch in der verunstalteten Form freizugeben (es erscheint dann folgerichtig in einem SBZ-Verlag) und mit der Absage der Schauspielerin, eine solche Rolle zu übernehmen, hat jeder der beiden die ab Ende 1947 den Kunstschaffenden in der SBZ gestellte Entscheidungsfrage (für oder gegen die Sowjetunion) für sich beantwortet. Die „Angebote" erweisen sich für die potentiellen Auftraggeber geradezu als kontraproduktiv, da sie letztlich für die Betroffenen eine Entscheidungshilfe in entgegengesetzter Richtung bilden. Die .Versucher', so könnte man resümieren, unterliegen einer Fehleinschätzung des sich konstituierenden „neuen Menschen". Vorbild für die Gestalt Bohlers ist zweifellos der Schriftsteller Bernhard Kellermann. Der Hinweis auf die Bekanntheit von Bohlers frühen Romanen in der UdSSR sowie seine Teilnahme an der ersten Delegationsreise deutscher Schriftsteller und Künstler nach dem Krieg in dieses Land machen die Ähnlichkeit offensichtlich. Allerdings gibt es zwei markante Abweichungen. Hatte Kellermann sofort nach Kriegsende der SMAD seine Dienste beim kulturellen Aufbau Deutschlands angeboten und einen führenden Posten im Kulturbund übernommen, so muß Bohler erst über einen längeren Zeitraum hinweg von der Notwendigkeit überzeugt werden, sein zweifellos vorhandenes politisches Interesse aktiv umzusetzen. An der erzieherischen und appellativen Intention des facettenreich dargestellten (Um)erziehungsprozesses ist, ähnlich wie im Falle Rennickes, kaum zu zweifeln. Indes war Kellermanns letzter Roman, der 1948 erschienene „Totentanz", gerade nicht den aktuellen gesellschaftspolitischen Veränderungen in der SBZ, sondern der Abrechnung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit gewidmet. Wenn Bohler am Ende 310

Daß Bohler hier nahezu ungebrochen Kategorien des sozialistischen Realismus reproduziert, zeugt von der stilistischen Einförmigkeit des gesamten Romans.

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als Autor eines Gegenwartsromans über das Leben in der SBZ präsentiert wird, so spiegelt sich darin eine Wunschvorstellung Sobkos bzw. der sowjetischen Seite. Anhand von Bohlers Roman formuliert Sobko programmatisch für die Produktion sozialistisch-realistischer Literatur in Deutschland: „Bohler erkannte mehr und mehr, daß der negative Teil seines Buches in dem Maße zusammenschrumpfte, in dem die Kommandantur, der Magistrat und nicht zuletzt die Massenorganisationen sich einschalteten und anfangliche Mängel beseitigten." (S. 312) Die erwünschte Rezeption von Werken, die dieser .Methode' folgen, wird am Beispiel des sowjetischen Theaterstücks demonstriert. Über die Schauspielerin heißt es während der Lesung, die von der Kulturreferentin der sowjetischen Kommandantur, Ljuba Sokolowa, durchgeführt wird: „Sie fühlte sich in eine unbekannte neue Welt versetzt, in der alles von atemberaubender Spannung erfüllt war. [...] Todesmutige Matrosen umgaben sie. Und dann die herrliche Gestalt der Heldin - der weibliche Politkommissar. Alle beugten sich ihrem eisernen Willen - dem Willen der Partei." (S. 215) Das Erkennen sowohl der „revolutionären Romantik" als auch der „Rolle der Partei" wird den deutschen Lesern auf diese Weise gleichsam als Leitfaden bei der Aufnahme sowjetischer Werke an die Hand gegeben. 311 Die (geheimen) Wirkungsmechanismen, die der sowjetischen Kultur insgesamt zugesprochen werden, offenbart der Stadtkommandant im Gespräch mit seiner Kulturreferentin: „Was die deutschen Menschen jetzt in den Filmen und auf der Bühne zu sehen bekommen, was sie in den Büchern lesen und bei den Vorträgen hören, bereitet sie unmerklich für die Erneuerung ihrer Denk- und Lebensweise vor." 312 Es bleibt den Lesern vorbehalten, diese Aussage mit ihren eigenen Lektüre-, Theaterund Filmerfahrungen zu konfrontieren. 313 Die Schilderung der Kulturreferentin Ljuba Sokolowa fällt bereits in den Bereich der Selbstdarstellung. Sie selber faßt die von Sobko den SM AD-Angehörigen zugeschriebene Rolle in einem Gespräch mit ihrem Mann am treffendsten zusammen: „Wir mühen uns ab, wir regen uns auf und leisten eine wichtige Arbeit, wir führen unsere Aufträge aus und merken dabei gar nicht, was mit uns selber vorgeht, bis wir eines schönen Tages begreifen, wie wichtig das alles ist und wieviel wir erreicht haben. Wir öffnen den Menschen hier die Augen und zeigen ihnen den Weg, der zum Glück führt." (S. 355) Die hier bloßgelegte und durch keinerlei Indizien infragegestellte Selbststilisierung zu missionarischen Heilsbringern findet in den übrigen Werken zum selben Thema nicht ihresgleichen. Wenn in diesem Kontext der „sehnlichste Wunsch" des Paares, „in Moskau leben zu dürfen" (S. 354) thematisiert wird, so ist dies kein Widerspruch, sondern der notwendige Tribut an den Sowjetpatriotismus. Legitimiert wird die genannte Selbsteinschätzung von einem aus der UdSSR zurückgekehrten deutschen Emigranten: „[...] die Sowjetunion ist ein ganz erstaunliches Land. Die Sowjetmenschen sind mit Begeisterung dabei. Wer die Luft dort einmal geatmet hat, wird nie wieder im alten Schlendrian dahinleben können." (S. 99) Entgegen seinem eigenen, mit den Worten des Stadtkommandanten foimulierten Anspruch ist Sobkos Roman gerade kein Beispiel für eine „unmerkliche" positive Einwirkung auf die 311 312 313

Über Scholochows „Neuland unterm Pflug" äußert sich ein Bauernaktivist in diesem Sinne „ehrlich begeistert: ,Hätte ich dieses Buch nur früher gekannt!'" (S. 352) S. 352, Herv. AH/WE. Über den Auftritt eines Ensembles der Roten Armee sagt Edith Hartmann, ganz in Übereinstimmung mit damaligen Zeitungsüberschriften: „,Wie die singen und tanzen, Mutter! Welche Heiterkeit geht von ihnen aus! Welche Lebensfreude...' Edith war ganz begeistert." (S. 264)

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deutschen Leser. Die ungebrochene Einbeziehung ideologischer Vorgaben unter Verwendung standardisierter Zeitungs- und Versammlungssprache mochte eher kontraproduktiv gewesen sein. Sobko selbst mag indes eine zum Erscheinungszeitpunkt bestehende weitgehende Interessengleichheit zwischen der DDR und der UdSSR vorausgesetzt haben, die ohne künstlerische Umschweife nur noch der einfachen literarischen Bestätigung bedarf.

Kleinbürger unter der Lupe. Von den Gefahren der Orientierungslosigkeit und wie man ihr entrinnt: Wladimir Pomeranzew „Die Tochter des Antiquars" Obwohl auch dieses 1951 in der UdSSR und 1952 in der DDR erschienene Werk 314 alle Bestandteile eines sozialistischen Entwicklungsromans aufweist, 315 könnte der Kontrast zu Sobkos nach geschichtlichen Etappen ausgerichtetem Illustrationsroman kaum größer sein. Pomeranzew, der Mitarbeiter der von der SMAD herausgegebenen „Täglichen Rundschau" war und dort auch erste eigene Beiträge publizierte, geht vom einzelnen Menschen aus und porträtiert eine Vielzahl von Personen unterschiedlicher politischer Anschauungen, fast sämtlich Bewohner des Prenzlauer Bergs in Berlin, wo die Handlung (in den ersten Nachkriegsjahren) angesiedelt ist. Sie alle stehen in einem engeren oder weiteren Bezug zu der Figur, die dem Roman den Titel gegeben hat, der Tochter des Antiquars, Emmi Feldmeier. Innerhalb des weitgehend ohne wertenden Erzählerkommentar wiedergegebenen Meinungsspektrums 316 dominiert in jedem der beiden gleich großen Teile des Romans eine Person bzw. eine ideologisch gleichgesinnte Personengruppe. Im ersten Teil versucht Emmis Vater, ihr seine von Pessimismus geprägte und gegen die Vereinnahmung durch Heilslehren jeglicher Art gerichtete Weltanschauung zu vermitteln. Das Mädchen beginnt jedoch bereits, seine Aufnahmebereitschaft für sozialistisches Gedankengut zu zeigen. Dieses wird im zweiten Teil in immer stärkerem Maße von drei Personen an Emmi herangetragen: von dem FDJ-Funktionär und späteren Lebenspartner Emmis Willi Biegel, vom Bezirksbürgermeister und SED-Mitglied Heidauer und von einem Major der SMAD. Die Gestaltung des Spannungsbogens beider Teile folgt dieser Konzeption: Zu Beginn steht die Beschreibung des Äußeren des Antiquars, am Ende des ersten Teils sein in Form eines langen Briefes an seine Tochter gerichtetes Vermächtnis. In scharfem Kontrast dazu wird der zweite Teil mit dem Vortrag eines SMAD-Majors über die Sowjetunion eingeleitet. Er endet mit der Perspektive eines gemeinsamen Lebensweges von Emmi Feldmeier und Willi Biegel.317 Emmis Entscheidung, am gesellschaftlichen Aufbau aktiv teilzunehmen - sie sucht im Auftrag des Magistrats nach Unterkünften für Obdachlose - , fällt bereits in den ersten Teil, so daß das Vermächtnis des 314 315 316 317

Pomerancev, Do£' bukinista; deutsch: Pomeranzew, Die Tochter des Antiquars. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich im folgenden auf die deutsche Ausgabe. Zur Unterscheidung des klassischen Bildungsromans vom Bildungsroman totalitärer Gesellschaften, allerdings an Beispielen der 30er Jahre, siehe Günther, Education and Conversion, S. 204ff. In einer Rezension ist von der „vielstimmigen (unorganisierten) Kraft eines allgemeinen, allumfassenden und unaufhörlichen Streites" die Rede. - Stut, Poiski istiny, S. 186. In der deutschen Version werden die Schwerpunkte der beiden Teile durch die jeweils vorangestellte Illustration verdeutlicht. Sitzt Emmi zunächst zu Füßen ihres von Büchern umgebenen Vaters, so schreitet sie auf der Zeichnung zu Beginn des zweiten Teils Arm in Arm mit Willi Biegel auf dem Hintergrund einer Baustelle vorwärts.

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Vaters ein schon zum Scheitern verurteilter Versuch ist, sie von diesem Weg abzubringen. Im zweiten Teil .verstummt' der Vater, auch krankheitsbedingt, und stirbt. Der von Pomeranzew im Gegensatz zu Sobko eingeschlagene ,induktive' Weg wird gleich mit den ersten Sätzen des Romans deutlich. Die detailliert beschriebene ,Gesichtslandschaft' des Antiquars stellt eine Art von kleinstmöglichem Mikrokosmos dar, von dem aus der Autor zu allgemeineren Aussagen über dessen Weltanschauung gelangt. Der Leser erlebt gleichsam in Naheinstellung die „eingefallenen Wangen mit kleinen Fetthöckern", die ,,tiefe[n] Runzeln", die „sein Gesicht in einzelne Felder" teilen, die Haut, die sich „unter dem linken Auge blähte und [...] eine Höhle unter dem rechten bildete" (S. 7). .Gezeichnet' ist Feldmeier durch die auf sein „ständiges Lesen" zurückgeführte Erkenntnis, „daß andere schon alles gesagt haben" (S.215) und, mehr noch, durch die Auswahl dessen, was er liest und womit er sich identifiziert. Es sind hauptsächlich Aussagen über die „Schlechtigkeit" des Menschen, die sein Weltbild prägen und die ihn zu einem verbitterten Beobachter des Weltgeschehens machen., Ja, der Mensch vegetiert. Sein Leben ist nur scheinbar vernünftig." (S. 9) In ihrem Antwortbrief bringt Emmi seine Lektürevorlieben anhand der russischen Literatur auf den Punkt: „Ich wußte, weshalb Du von den Russen nur Dostojewski aufbewahrtest und weshalb auf Deinen Regalen niemals Gorki stand." (S. 331) Zwei Autoren werden einander gegenübergestellt, von denen der erste (zum Erscheinungszeitpunkt des Romans in der Sowjetunion schlecht gelitten) die .Abgründe' der menschlichen Seele ausleuchtet und der zweite Auswege und (sozialistische) Bewußtweidungen zeigt. 318 Indes schwingt in der dem Ableben des alten Mannes gewidmeten Erzählerrede weder Ablehnung noch Ironie, sondern Mitgefühl, wenn es heißt: „Der Antiquar Feldmeier, der gelehrteste Mann der Straße, der .letzte Schopenhauer', Autor der ungeschriebenen Geschichte menschlichen Irrens, war nicht mehr." (S. 386) Die konsequent eingesetzte Innenperspektive kommt in zahlreichen Geschichten und Episoden über die Menschen in Emmi Feldmeiers näherer und weiterer Umgebung zum Ausdruck, deren wirtschaftliche Sorgen und Nöte und deren Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dingen des täglichen Bedarfs der Erzähler verständnisvoll schildert. Ausdrücklich interessiert ihn dabei der „beachtliche Bevölkerungsteil", den man in dem Kampf zwischen denjenigen, die nach dem Krieg „die Unantastbarkeit ihres Reichtums noch erbitterter" verteidigen und den anderen, die „nach Wegen, die Nation aus dem Elend zu führen," suchen, „schwer [...] einordnen konnte". (S. 24) Gemeint sind damit die zahlreichen kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden, „die man im engen Sinne des Wortes nicht als Unternehmer bezeichnen konnte, die aber auch nicht jeder als Werktätige gelten lassen würde". (S. 26) Eine lange Reihung von Berufs- und Tätigkeitsbezeichnungen zeugt von dem Bestreben, in den Lebensraum dieses Bevölkerungsteils einzudringen. Die Menschen werden mit Namen versehen; ihr Fleiß, ihre Standhaftigkeit, ihre Armut („Die Familie des Musikers Tscheppele [...] setzte sich seit langem nicht mehr zum Essen an den Tisch. Sein Stückchen Brot konnte jeder auch so aufessen." (S. 3lf.)) oder ihre relative Wohlhabenheit (wie z.B. „Herr Schmidt" mit seinen „zehn Motorbootefn]", S.25), aber auch kleine Betrügereien fügen sich zu einem Bild der Nachkriegsdeutschen, die im täglichen Über-

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1954 hat A. Dymschitz in den Thesen zu einem Referat über den positiven Helden die Formulierung geprägt: „Auf Gorkische Weise mit den schädlichen Tendenzen der Nachfolge Dostojewskis kämpfen." - Nachlaß Dymschitz, RGALI 2843/1/109.

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lebenskampf wenig Neigung zeigen, sich großen politischen Ideen hinzugeben oder auch nur gemeinnützige Tätigkeiten zu übernehmen. An verschiedenen Stellen des Romans werden indes Signale für,Bewußtseinsanstöße' bei Teilen der Bevölkerung gegeben, die der erfolgreichen, auf der Erzählerebene weitgehend unkommentierten Überzeugungsarbeit des SED-Bürgermeisters Heidauer und des SMAD-Majors, aber auch Emmis Vorbild zugeschrieben werden. (Völlige Erfolglosigkeit in dieser Hinsicht hätte im übrigen auch das positive Bild der „Kommunisten" in Frage gestellt.) Im Resümee einer der Versammlungen werden die widerstreitenden Empfindungen der Teilnehmer auf den Punkt gebracht: Die Bewohner,.hatten Mitleid mit sich selbst; fremd und aufdringlich schienen ihnen die Menschen, die sie so ungerecht behandelten. Das durchdringende Organ des Bäckers hatte ihnen das Unrecht deutlich gemacht. Aber während sie dem Bürgermeister zuhörten, drang eine andere Wahrheit in ihr Bewußtsein, die vielleicht stärker war als die bisherige eigene Anschauung." (S. 46) 319 Die Konstruktion einiger tragisch verlaufender Schicksale in Emmis näherer Umgebung läßt die tätige Entscheidung der jungen Frau für das neue Gesellschaftssystem um so klarer als einzig gültige Alternative erscheinen; eine Entscheidung, die neben der Magistratsarbeit in der Übernahme von Vorträgen für die FDJ, z.B. über den „Friedenskampf", gipfelt, womit der .planmäßige' Übergang von einer Lernenden zur Lehrenden vollzogen ist. Das erste dieser Schicksale verkörpert Emmis Bruder Otto, ehemals Offizier und nun Physikstudent, der sich apolitisch verhält, weder dem Kommunismus noch dem kämpferischen Antikommunismus zuneigt und „nichts mehr von einer Neuordnung der Welt wissen" will. „Er hatte nicht gestürzten Göttern gedient, um jetzt vor neuen Göttern zu knien." (S. 19) Als Konsequenz daraus droht Vereinsamung, weil der Anschluß an die „stürmische Vorwärtsentwicklung" der Gesellschaft verpaßt wird. Das zweite Exempel wird anhand Ottos politisch unentschlossenem Kommilitonen Heinz Wilwitzky vorgeführt, der in der Vielfalt der in Zeitungen und auf Versammlungen geäußerten Meinungen unterzugehen droht, in den unterschiedlichsten Argumenten jeweils etwas Wahres entdeckt. Durch einen Zufall gelangt er im Westsektor Berlins in eine aitikommunistische Verschwörung, an der, klischeegemäß, Amerikaner, Vertreter des Großkapitals und ehemalige Nazi-Funktionäre beteiligt sind, wird als unfreiwilliger Zeuge und „Spion" eingesperrt und verhört und läßt sich schließlich für amerikanische Propagandazwecke mißbrauchen.320 Wilwitzky wird sich des politischen und menschlichen Ausmaßes seiner aufgezwungenen Rolle bewußt und begeht Selbstmord. In der Bewertung dieser Vorgänge stellt der Eizähler, ohne offenkundige Präferenzen, Emmis Mitleid der „Strenge" des Bezirksbürgermeisters gegenüber, der, als ehemaliger KZ-Häftling, Wilwitzky postum Wankelmut und Schwäche vorwirft. 319

Die Klage des besagten Bäckers, eines SPD-Mitglieds bezeichnenderweise, lautete: „Man will, daß wir Tag und Nacht Trümmer wegräumen und Ziegel putzen, aber daß wir einen Magen haben, das ist wohl gleichgültig." (S. 42) 320 In einem exemplarisch demonstrierten Schlagabtausch der westlichen und östlichen Presse wird der Fall Wilwitzky von allen Seiten beleuchtet. Stilistisch und ihrer Tendenz nach sind die quasi dokumentarisch zitierten Zeitungsartikel den realen Gegenbenheiten auf dem Mediensektor treffend nachempfunden. Auch der Vorgang der Entführung selber beruht auf Realien. - Vgl. Zapiska zamestitelja nacal'nika politotdela politsovetnika... zamestitelju ministra inostrannych del... o perestrojke sovetskoj propagandy v German» (25. 5. 1946), RCChlDNI 17/127/1090, zit. nach: SVAG. Upravlenie propagandy, S. 149.

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Das dritte Beispiel verkörpert Emmis Freundin Maria Schierlinger, die als Maniküre und Masseuse für einen Friseur in Zehlendorf arbeitet und Hausbesuche bei wohlhabenden Leuten macht. Spätabends hilft sie noch ihrer Mutter, einer armen Hutmacherin, bei deren Arbeit. Sie wird als Mensch vorgeführt, der nach Unterhaltung und Vergnügungen strebt, um aus dem tristen Alltag auszubrechen. In amerikanischen Filmen mit dem heiteren Leben der Reichen konfrontiert, wird sie selber von dem Wunsch erfaßt, viel Geld zu besitzen, nicht zuletzt auch, um sich (angesichts des akuten Mangels an Männern) einen Lebenspartner „zu kaufen". Sie beginnt, im Auftrag eines aus den USA angereisten Deutsch-Amerikaners zu spekulieren und für Kaffee, Tabak und Speck Wertgegenstände aufzukaufen, die mit Gewinn jenseits des Atlantiks abgesetzt werden sollen. Das tragische Ende ist in diesem Fall die Verurteilung Marias zu zwei Jahren Gefängnis. 321 Den drei Modellen des Scheiterns oder (im Falle Ottos) des drohenden Scheiterns steht als Vorbild Willi Biegel entgegen, dessen Biographie und Werdegang zum aktiven Kommunisten und FDJ-Funktionär detailliert nachgezeichnet wird (Arbeiterfamilie, Arbeitslosigkeit des Vaters, Armut und Erniedrigungen). Er ist nicht nur in ideologischer Hinsicht,sattelfest', sondern weist auch überragende Kenntnisse in seinem Beruf als Maurer auf, die ihn in die Lage versetzen, andere bei dem Bau eines Hochofens für das Metallwerk anzuleiten. In dem Maße, wie der Hochofen (als Symbol des gesellschaftlichen Aufbaus) wächst, wachsen auch, so resümiertBiegel aus seiner Perspektive, die daran arbeitenden Menschen. 322 Menschen, die sich nicht an diesem Unternehmen beteiligen, bleiben dieser Logik zufolge hinter der gesellschaftlichen Entwicklung zurück. Wenn ein deutscher Ingenieur zu verstehen gibt, daß man in der Sowjetunion „längst doppelt so große Hochöfen" baue (S. 265), so wird die symbolische Funktion dieser Werkeinrichtung konsequent zu Ende gedacht. 323 Dem Bild von den großen und kleinen Hochöfen entspricht die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Russen und Deutschen, wie sie - nicht ohne ironischen Unterton - der „Leiterin der Frauenorganisation" bei der Verabschiedung des SMAD-Majors in den Mund gelegt wird: „Sie kehren jetzt sozusagen in die Welt der Erwachsenen zurück, zu Gleichaltrigen, nachdem Sie drei Jahre als Erzieher in einem Kindergarten gearbeitet haben. Ihre Vorträge haben Sie doch hier vor Menschen gehalten, die von sozialen Fragen so wenig wußten wie Kinder." (S. 441)

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Wenn in der schon genannten Rezension diese drei Personen ebenso wie der Nationalsozialist Holz (s.u.) dem Lager der „Feinde" zugeschlagen werden, der Antiquar Feldmeier sogar als ein besonders „gefährliches" Exemplar, da äußerlich „veredelt", charakterisiert wird (Stut, Poiski istiny, S. 187), so geschieht dies, gemäß den Mechanismen der sowjetischen Literaturkritik und -politik, eventuell auch, um den Roman vor Anfeindungen anderer Rezensenten zu schützen, die dem Autor ggf. eine zu große Sympathie mit den Vertretern des „Überlebten" vorwerfen könnten.

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Das literarische Motiv des Hochofens wird auch bei Pomeranzew gleichsam automatisch mit dem Motiv der Sabotage kombiniert. Anders als in Sofronows Theaterstück kann die geplante Explosion hier noch verhindert werden. Ein weiteres dazugeschaltetes Motiv ist das der „Verleumdungen in der Westpresse", in der vom vermeintlichen Zwangscharakter dieser Arbeit die Rede ist. Als ein Element des sowjetischen Modells werden die Abbildungen der Bestarbeiter in der SBZ-Presse thematisiert.

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Auch der Hinweis auf das Arbeitstempo erhält in diesem Kontext Symbolwert: „Ich führte die Arbeiter zur Wochenschau", schreibt Emmi u. a. in ihrem langen Brief an ihren Vater, „damit sie sahen, wie rasch die Maurer in Rußland arbeiten" (S. 327).

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Detailliert widmet sich der Autor dem politischen und persönlichen Gegenspieler Biegeis, dem für die britisch lizensierte Presse tätigen Journalisten und erklärten Nationalsozialisten Holz. Er versucht, Emmi und Otto zu agitieren, und tritt darüber hinaus dem Mädchen gegenüber auch in der Rolle des persönlichen .Versuchers' auf, indem er um sie wirbt und ihr ein wohlhabendes Leben in London verspricht. 324 Im Kreis von Gleichgesinnten gibt er sich offen als „Kriegstreiber" zu erkennen, der durch Flugblätter in Ostberliner Betrieben und gezielte Störungen von Arbeiterversammlungen Kräfte gegen die sich abzeichnende gesellschaftliche Entwicklung sammeln will. Dadurch daß auch ihm (und nicht nur den SED- und SMAD-Vertretern) eine Anerkennung der Stärke der SED und der wirtschaftlichen Leistungen der UdSSR in den Mund gelegt wird, wird deren positiver Status ,objektiv' bestätigt. Bei Holz führt dieses Lob indes zu entgegengesetzten Schlußfolgerungen: „Wir sind besiegt, jetzt müssen wir an die Zukunft des Volkes denken. Das Volk darf sich nicht vom russischen Vorbild blenden lassen." (S. 103) Seine Gesinnungsgenossen zeigen die Mechanismen zur systematischen Entwicklung des Klassenbewußtseins bei den SBZ-Arbeitern auf: Ernennung zu Abteilungs- und Werkleitern, Ermöglichung akademischer Ausbildung, bessere Verpflegung, „Verherrlichung" von Siegern des sozialistischen Wettbewerbs in der Presse. „[...] man nennt sie die wichtigsten Menschen der Gegenwart. [...] Noch einige Jahre, und diese beschränkten Leute werden fanatisch an ihre besondere Mission glauben." (S. 246f.) Der Nationalsozialist Holz verheimlicht aber auch nicht seine kritische Einstellung zur USA: „Was machen die Amerikaner denn, um sich Sympathien zu erwerben? Sie überschwemmen das Land mit Hosen und Uhren und verärgern die Schneider und Uhrmacher, von denen es in Deutschland wimmelt." (S. 249) Eine Anspielung auf mangelnde landeskundliche Kenntnisse der westlichen Besatzungsmacht und deren unzureichendes Feingefühl für die deutsche Mentalität, die, von einem „rechten" Deutschen ausgesprochen, authentischer klingen soll, als wenn dies ein „Linker" täte. 325 Holzens spätere Entlarvung und Verhaftung wird nur noch nebenbei erwähnt. Das von Holz evozierte sowjetische Vorbild wird an etlichen Stellen des Romans von den Kommunisten, ihren Sympathisanten (wie Emmi Feldmeier) und den Sowjetoffizieren konkretisiert. Ähnlich wie Kasakewitsch tritt also auch Pomeranzew hinter seine Figuren zurück, zeigt sie vor als Propagandisten des sowjetischen Gesellschaftssystems. Das (in Gesprächen und auf Versammlungen) vermittelte Sowjetunionbild ist in einer Weise makellos und schematisiert, die in einem auffallenden Gegensatz zur differenzierten und einfühlsamen Schilderung der deutschen Gegebenheiten steht. Gewiß sind die Gründe dafür in den ideologischen Erfordernissen der Entstehungszeit zu sehen. Gegen den Strich gelesen, läßt sich indes eine Kritik an der faktisch kontraproduktiven Verherrlichung der Sowjetunion im besetzten Deutschland326 und eine Ent324 325

326

In seinem letzten Brief an Emmi hatte der Antiquar in Verkennung von Holzens wahrem Charakter ihr diese Allianz ausdrücklich nahegelegt. Die „rechten" Deutschen ihrerseits müssen sich von den Vertretern der amerikanischen Militärverwaltung ihr vorschnelles „Geschwätz [...] über die Schaffung eines Weststaates, die Wiedererrichtung der Armee", ihr Prahlen mit der Anzahl ihrer Leute „in unserem Geheimdienst" (S. 283f.) vorhalten lassen. Diese Art der Propaganda war z. B. von Jürgen Kuczynski, dem ersten Präsidenten der DSF, in seinem Bericht auf der Halbjahrestagung des DSF-Vorstands im Herbst 1948 als unrichtiges Mittel zur Gewinnung neuer Sympathisanten bezeichnet worden. - Vgl. A. Hartmann/Eggeling, Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, S. 44.

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larvung von „Schönfärberei" und „Lackierung der Wirklichkeit" durch Hyperbolisierung ausmachen. 327 Dies vor allem, wenn z.B. das Lob der hohen Produktionssteigerungen in Landwirtschaft und Industrie zur Utopie gerät: „Und wenn die Menschen nach Wunsch Getreide und Vieh vermehren, so können sie in der Industrie sogar Wunder schaffen. Sie können die Welt mit einer solchen Menge von Geweben, Schuhen, Konserven, Möbeln und Kraftwagen versorgen, daß jedem alles zur Verfügung steht, was er braucht." (S. 174) Manche Wortbeiträge von SM AD-Vertretern erscheinen gar als (allerdings nur schwer angreifbare) Karikatur ihrer selbst: „Wir haben in unserem Lande auch längst die Gärten Kaliforniens, die Reisfelder Japans, die ägyptischen Baumwollplantagen, die Weingärten der Champagne und die Goldgruben Südafrikas" (S.441) hier wird die Politik der Abschottung gegenüber dem Ausland mit bitterem Spott bedacht. Oder - auf die Frage, ob es in der Sowjetunion Rechtsanwälte gebe: ,„Ja', antwortete der Russe. ,Es gibt Ärzte, Häuser, Wasserleitungen, Rundfunkempfänger und auch Rechtsanwälte.'"(S. 227). Eine offene Kritik, zwar nicht an der UdSSR, sondern an publizistischen Praktiken des „Neuen Deutschland" und an Haltungen der SED-Mitglieder läßtPomeranzew Emmi ganz zu Beginn ihrer .Laufbahn' in ihrem allerersten, noch ,spontanen' Redebeitrag auf einer Versammlung üben. Sie moniert, daß sich die Anhänger des Bürgermeisters für „klüger als die ganze Welt" hielten. „Wer nicht für sie ist, den nennen sie gleich einen Verräter und Faschisten. Das ,Neue Deutschland' schimpft über alle." (S. 42f.) Es ist nicht auszuschließen, daß Pomeranzew diese Kritik teilt, ideologische Fehlentwicklungen aufzeigen will. In diesem Fall wäre es verständlich, daß er sich einer .unverdächtigen', politisch noch ungefestigten Person bedient. Das Dilemma der Entscheidungsfindung offenbart sich indes darin, daß die Polarisierung der Welt, deren Erscheinungsformen Emmi Feldmeier zu Beginn anprangert, später ein fester Bestandteil ihres eigenen gewachsenen Bewußtseins wird. Hierzu gehört auch der „rettende Gedanke", das Sortiment des Buchladens um deutsche Übersetzungen russischer und sowjetischer Literatur zu erweitern. Er entspringt Emmis Wunsch, vor allem den jungen Lesern „lebensbejahende Romane" zu vermitteln. Solche findet sie in der deutschen Nachkriegsliteratur nicht. Der Erzähler mischt sich in ihre Überlegungen, wenn er, ganz im Trend der damaligen Literaturdebatten, zu bedenken gibt: „In den zwei Nachkriegsjahren hatten deutsche Schriftsteller viele düstere Bücher geschrieben und den Lesern den Schmerz über die Ruinen mitgeteilt. Diese Bücher zeigten keinen Ausweg." (S. 381f.) Es läßt sich ein Bezug zu den vorgeführten Biographien der drei gescheiterten oder von Scheitern bedrohten jungen Menschen aus Emmis näherer Umgebung herstellen. Literarisch präsentierte Auswege sollten nunmehr im wahrsten Sinne des Wortes „Rettungsfunktionen" übernehmen. Auf die Spitze getrieben wird der literarische Pragmatismus indes, in einer auch bestimmte Auswüchse des sozialistischen Realismus desavouierenden Weise, (ausgerechnet) von dem deutsch-amerikanischen .Aufsteiger' und Spekulanten Schramm, der nach einer längeren Auslassung über die deutsche und amerikanische Literatur zu dem Ergebnis gelangt: „Es ist doch gleichgültig, was für eine Nase Jim

327

Vgl. dazu Kap. 2.2.5. In zeitgenössischen Rezensionen, die dem Werk und seinem Autor wohlwollend gegenüberstanden, konnten diese Interpretationsmöglichkeiten, selbst wenn sie erkannt worden sind, nicht offen ausgesprochen werden. Die Literaturkritiker mußten sich mit der Feststellung begnügen, daß das Positive im eigenen Lande, aber auch die „Keime des Neuen" in der SBZ-Gesellschaft mit „unvergleichlich geringerer künstlerischer Kraft" dargestellt worden seien als die „ideologische Entwaffnung des Gegners". - Stut, Poiski istiny, S. 189.

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und was für Haare Mary hat. Mich interessiert, was sie tun und wie sie im Leben vorwärtskommen. [...] Ich erwarte von einem Buch etwas Vernünftiges und Nützliches. Ich will daraus lernen, wie ich mich im Leben zurechtfinden kann." (S. 124) Diese gewagte Annäherung konträrer Kulturen und Ideologien wird jedoch durch eine der für Pomeranzew charakteristischen Detailbeobachtungen wieder aufgefangen. Anhand der Plakataufschriften an den Litfaßsäulen im Ost- und Westsektor Berlins, resümiert er (ohne eigenen Kommentar) das Auseinanderdriften der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung in den beiden Teilen Deutschlands. Unter vielem anderem stellt er einen „Gorki-Abend" und „viele Stellenanzeigen" (Ost) den „schreiende[n] Reklamen" und einem Hollywoodfilm mit „acht Mordefn]" (West) (S. 443f.) gegenüber. Die Annahme, daß bestimmte Textstellen in Pomeranzews Roman (anders als bei Sobko) durchaus gegen den Strich gelesen werden wollen, um so ihr kritisches Potential zu entfalten, wird durch die Kenntnis der konsequent antidogmatischen bzw. antistalinistischen literaturpolitischen Haltung dieses Autors gestützt, der er vor allem in einem unmittelbar nach Stalins Tod publizierten Grundsatzreferat mit dem programmatischen Titel „Über die Aufrichtigkeit in der Literatur" Ausdruck verliehen hat. 328 Sowohl der Autor als auch das Publikationsorgan, die Zeitschrift „Nowyj mir", sahen sich in der Folge heftigen Angriffen durch die dogmatischen Kräfte im Schriftstellerverband und durch die Parteiführung ausgesetzt. Auch Kasakewitsch, der sich neben Pomeranzew am weitesten bei dem Thema Nachkriegsdeutschland hervorgewagt hatte, blieb nicht ungeschoren, als er mit der Herausgabe des Almanachs „Literaturnaja Moskwa" den gegen Stalin gerichteten Geist des XX. Parteitags allzu konsequent umzusetzen versuchte. 329 Das Spektrum der Annäherungen an den untersuchten Gegenstand spiegelt letztlich die Bandbreite politischer Einstellungen bei den Autoren.

7.3.2 Zwischen freiwilliger Hommage, fälligem Tribut und kritischer Korrektur: Die deutsche Sicht der Besatzungsära im Roman Niederlage, Kapitulation, Besatzung: Daß das Verhältnis eines besiegten Landes zur Okkupationsmacht nicht frei ist von Spannungen, liegt in der Natur der Sache. Wenn zudem, wie im Fall der sowjetischen Hegemonie im östlichen Teil Deutschlands seit 1945, der fremde und eigene Propagandaapparat ein klares Benennen der Probleme nicht gestattete, sondern Idealisierung der Beziehungen gefordert war, wird ein Reden über den Zustand der Besatzung zum heiklen Experiment: Es kann sich entweder, um den Preis des Lügnerischen, den herrschenden Sprachregelungen beugen, oder aber, was jedoch über Jahrzehnte weder druck- noch durchsetzbar war, sich diesen verweigern. Ein Mittelweg muß zum Balanceakt geraten. Von daher verwundert es nicht, daß das Faktum der Besatzung, obwohl doch prägender Tatbestand des politisch-öffentlichen Lebens, in DDR-Romanen über die Frühzeit zwar vielfach Erwähnung findet, aber kaum je als zentrales Sujet gewählt wurde. Auch erklärt sich daraus, warum im Unterschied zu den sowjetischen Romanen und Theaterstücken das Thema nicht aus unmittelbarem Erleben, also etwa zeitgleich zu den Ereignissen literarisch verarbeitet, sondern erst sehr viel später aufgegriffen wurde. Eine Ausnahme bildete der sorbische Schriftsteller Boris Djacenko, der 1954 mit 328 329

Pomerancev, Ob iskrennosti v literature. Vgl. Eggeling, Die sowjetische Literaturpolitik, S. 54, 59, 96 u. 101.

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„Herz und Asche" einen in seiner Vorurteilsfreiheit bemerkenswerten Roman über die Zeit des Faschismus und den Widerstand vorlegte. Eine Fortsetzung, d.h. eine Schilderung der Nachkriegsverhältnisse, ist von Djacenko verfaßt worden; trotz vorgenommener Umarbeitung durfte sie jedoch nie erscheinen, ein Zensurfall, der nicht nur von persönlicher Tragik war, sondern auch bezeichnet, wie stark über lange Zeiträume die Literaturverhältnisse in der DDR politisch belastet waren. Die sowjetischen Romane und Theaterstücke zur Besatzungszeit in Deutschland, zwischen 1949 und 1956 erschienen, lagen vor, als sich die DDR-Schriftsteller diesem Thema zuwandten. Obwohl sich zahlreiche Bewertungen und Argumentationsmuster decken, ist nicht entscheidbar, inwieweit die Autoren der DDR sich an diesen ,Vorlagen' orientierten oder inwieweit sie lediglich dem öffentlich-politischen Sprachgebrauch mit seinen präskriptiven Deutungsmodellen folgten. Erst in den 70er Jahren wurde ein Schreiben über die frühen Jahre als eigenständige Annäherung möglich, wenngleich nach wie vor viele wichtige Texte nicht in der DDR veröffentlicht werden konnten. Diese Annäherungen betrafen sowohl die vorher als erledigt ausgegebene oder bewältigt geglaubte Zeit des Nationalsozialismus und seine Folgen (Christa Wolf „Kindheitsmuster", 1976); sie rührten aber auch an das Dilemma, daß der Sozialismus in der DDR unter stalinistischen Bedingungen aufgebaut werden mußte (Stefan Heym „Collin", 1979; Christoph Hein „Horns Ende", 1985). Diese hier nur exemplarisch angefühlte Literatur, die vorwiegend den deutschen Schuldzusammenhängen nachgeht, muß man kennen, weil es nur im Kontext dieses veränderten, kritischen Geschichtsverständnisses möglich wurde, den Traumata der Besatzungszeit nachzugehen. Im folgenden konzentrieren wir uns indes ausschließlich auf die Literatur, die das deutsch-russische Verhältnis in der Nachkriegszeit ausführlicher analysiert und interpretiert. Ausgeklammert bleiben auch die Arbeiten von Autoren, die die DDR verlassen haben, von Ralph Giordanos autobiographischer Abrechnung „Die Partei hat immer recht" (1961) bis hin zu Uwe Johnsons großem Romanepos „Jahrestage", da ihr aktueller Schreibzusammenhang (vom persönlichen politischen Risiko bis hin zum Adressaten) nicht mehr die DDR war. Perspektive der Gemeinsamkeit. Die Chronik einer gelingenden Wandlung: Willi Bredel „Ein neues Kapitel" Der einzige Roman, der unmittelbar und zentral die Situation der Besatzung schildert, ist Willi Bredels Werk „Ein neues Kapitel". Das erste Buch erschien 1959, in überarbeiteter und erweiterter Fassung wurde es 1961 neu aufgelegt; 330 zwei weitere Bücher mit dem Untertitel „Chronik einer Wandlung" folgten 1964. Während die Romanhandlung des ersten Teils vor der Kapitulation einsetzt und bis zur Bodenreform und Ernte des Jahres 1945 reicht, also etwa ein halbes Jahr umspannt, führen die beiden folgenden Teile das Geschehen bis zum Deutschlandtreffen der 330

Zugrundegelegt werden die Ausgaben: Bredel, Ein neues Kapitel, Berlin 1959 (Seitenzahlen im folgenden direkt im Text). Dass., Berlin 1961. Das Verhältnis der überarbeiteten Fassung zum ursprünglichen Text ist kaum durch Korrekturen, sondern vor allem durch Erweiterungen gekennzeichnet (70 Seiten sind zusätzlich eingefügt): die zweite Version zeichnet die Charaktere und Lebensumstände zentraler Figuren (wie Boisen und Greta Waiß) eingehender, sie ist ausführlicher in der politischen Interpretation und Kommentierung und sie geht vor allem im Detail auf die vorher nur knapp skizzierte Bodenreform ein (allein in das letzte, IV. Kapitel sind 11 neue Unterpunkte, die ca. 50 Seiten ausmachen, eingefügt).

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FDJ Pfingsten 1950 weiter. Konzentrieren wir uns auf das erste Buch, das die historisch gesehen besonders brisante unmittelbare Nachkriegszeit mit dem Einmarsch der Roten Armee und der sowjetischen Machtergreifung behandelt und damit einen Zeitraum der Spontaneität, aber auch unkontrollierter und unerfreulicher Übergriffe umfaßt. Der Kunstgriff, mit dem Bredel die historisch manifesten Spannungen und Animositäten zwischen Besatzern und Besetzten zu mildern, ja fast aufzulösen vermag, besteht darin, daß die Hauptprotagonisten auf deutscher Seite von vornherein als Freunde der Sowjetunion ausgewiesen werden. Der junge Thomas Waiß war in den Oktobertagen 1941 zur Roten Armee übergelaufen, um auf ihrer Seite voller „Unerschrockenheit" gegen die Faschisten zu kämpfen (S. 35f.); ferner war er bei der Antifa-Schulung und der Gründung des Nationalkomitees „Neues Deutschland" beteiligt, um später als enger Mitarbeiter von Oberstleutnant Kowalenko den Siegeszug der sowjetischen Truppen mitzuvollziehen (S. 36f.). Kowalenko, Stellvertreter des Kommandanten in Rostock, setzt durch, daß Waiß, obwohl ortsfremd, dort Oberbürgermeister wird. Aus Berlin wird als politischer Instrukteur der Schriftsteller Peter Boisen nach Rostock entsandt. Seine Biographie (fast deckungsgleich mit dem Lebenslauf Bredels selbst) weist u.a. aus: „Von 1933 bis 1934 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel. Von 1934 bis 1936 Agitationsarbeit im Saaigebiet. [...] Von 1936 bis 1939 in Paris. Mitarbeit im Thälmann-Befreiungskomitee. Seit August 1939 in Moskau. Im Vaterländischen Krieg Lehrer an Kriegsgefangenenschulen. Frontaibeit im Auftrage des Nationalkomitees .Freies Deutschland'." (S. 76) Und auch die Partnerinnen von Waiß und Boisen sind - positiv - mit der Sowjetunion verbunden. Greta Wächter, die im Zuge der Romanhandlung Waiß heiratet, war als Kind mit Vater und Mutter in Moskau gewesen und hatte dort die Karl-Liebknecht-Schule [für deutsche Schüler] besucht. In Verkennung der politischen Realitäten war die Familie 1939 nach Deutschland heimgekehrt, der Vater wurde umgehend von der Gestapo verhaftet (S. 79). Boisens Frau Marja, eine Schwedin, die er in Moskau als mutige Mitarbeiterin der Rundfunkstation kennengelernt hat (S. 122), verrichtet noch dort ihre Arbeit, bereitet sich aber auf ein Leben in Deutschland vor. So akzentuiert Bredel den gemeinsamen, freundschaftlichen Aufbau, die von Beginn an gegebene Interessengleichheit zwischen deutschen Antifaschisten und sowjetischen Besatzern. Manifest wird diese Konstruktion vor allem bei der spontanen gemeinsamen Siegesfeier aus Anlaß der Nachricht von der Kapitulation Deutschlands (S. 77ff.). Boisen und Oberst Pernikow legen hier die Sprachregelung fest: Die Befreiung vom Faschismus, so Boisen, sei den deutschen Arbeitern, dem ganzen deutschen Volk durch die Rote Armee geschenkt worden. Pernikow würdigt den Anteil des „anderen Deutschland": „Gesellschaftliche Umwälzungen werden nicht nur auf Barrikaden erkämpft, sondern auch im unterirdischen Kleinkampf, in Konzentrationslagern und auf dem Schafott." (S. 83) Die Übereinstimmung auf der politischen Ebene wird durch ähnliche Erfahrungen im persönlichen Bereich noch verstärkt. Mit Konstanz wird bei den im Roman auftretenden russischen Soldaten und Offizieren auf die Schwere des erlittenen Schicksals, auf den Verlust von Angehörigen und die Selbstlosigkeit ihres Einsatzes für ein neues Deutschland hingewiesen. Das Kapitel „Frühlingssonate", das auch als eigenständige Erzählung erschienen ist, exponiert das Sujet eines sowjetischen Offiziers, der gerne kommt, um dem Musizieren einer deutschen Professorenfamilie zuzuhören. Als diese die eigens für den sowjetischen Gast einstudierte Sonate Beethovens vorspielt, fängt er an zu randalieren, weil, wie sich herausstellt, seine Familie dieses Stück am Abend vor der Einberufung des Vaters übte. Er sah Frau und Kind nie wieder (S. 346).

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Mit der hervorgekehrten Harmonie zwischen deutschen und sowjetischen Kommunisten ist die Besatzungssituation von vornherein um ihre brisante Dimension entschärft. Die dennoch angesprochenen Konflikte zwischen Deutschen und Russen sind demnach nur von maiginalem oder untergeordnetem Rang. So wird zwar eine „Vergewaltigung" beim Einmarsch der Roten Armee angedeutet, doch wird dem Vorfall, obwohl er zur Schwangerschaft führt, weder Gewaltsamkeit noch Tragik zugesprochen. Allgemein wird auf den Veirohungseffekt hingewiesen, den der grausame Krieg gehabt habe (vgl. S. 120). Auch das Demontageproblem wird angesprochen: Mehrfach wird in politischen Darlegungen begründet, warum die Wiedeigutmachung Vorrang haben müsse vor dem Neuaufbau (S. 82) und daß die Russen angesichts der von Deutschen begangenen Zerstörungen ein unbedingtes moralisches Recht auf Reparationsleistungen hätten (S. 281); praktisch wird in der Handlung des Romans jedoch die Demontage einer Werft abgewehrt (S. 322) und der drohende Abtransport der Straßenbahn nach Minsk verhindert (S. 396). Negative Einstellungen gegenüber den Russen werden als Vorurteile gleichsam aufgerufen, um dann widerlegt zu werden. So wird zwar Greta Wächter von johlenden Sowjetsoldaten ein Fahrrad gestohlen (S. 45), aber es wird ihr zurückerstattet, die Täter werden bestraft, die Spannung in Lachen aufgelöst („Du lieber Gott! Lassen Sie die Annen nicht zu lange sitzen." (S. 113)).331 Fehlverhalten von Angehörigen der Roten Armee wird entweder psychologisch motiviert (wie im Fall der „Frühlingssonate" oder am Beispiel eines Majors, der sich aus Heimweh dem Alkohol hingibt) oder aber als bedauerlicher Mißstand bewertet, der umgehend und kategorisch behoben wird. Während die vorgestellten sowjetischen Offiziere (vor allem Kowalenko und Pemikow als Hauptfiguren) mit wenigen, nur am Rande vermerkten Ausnahmen, vorbildlich agieren, ist auf der deutschen Seite ein ganzes Spektrum an Verhaltensformen zu registrieren. Indem Bredel den Roman als lockere Folge von Episoden, Berichten und Anekdoten aufbaut, die durch die häufige Präsenz der wenigen Hauptpersonen zusammengehalten wird, kann er eine Vielzahl an Einstellungen und Charakteren vorführen. Da gibt es den Kommunisten mit Widerstandserfahrung Wahlke, der unmittelbar zum Aufbau des Sozialismus schreiten will und sich erst mühsam in die Realitäten der Politik hineinfinden muß; da ist der Tankwart Böttcher, der sich zwar nicht für die Sowjets, aber für seine Stadt einsetzt und damit hilfreich ist; da ist der ehemalige SS-Sturmbannführer, jetzt Verwalter des Stadtguts, der enttarnt werden kann; da ist der in schwarzem Gehrock und Zylinder auftretende konservative, aber in Fragen der kommunalen Verwaltung erfahrene Adolf Christwitt, der sich zögernd in den Dienst der neuen Ordnung stellt, usw. In knapper Form wird meist an geeigneter Stelle der Lebenslauf der Betroffenen rekapituliert, ihr Handeln in Episoden vorgeführt. Das Gesellschaftspanorama, hier anhand der Stadt Rostock, erwächst also aus der Summierung vieler einzelner Geschicke. Die politischen Wertungen im Roman enthalten dabei keine Überraschungen. Sie sind in allen wesentlichen Punkten den damals gültigen offiziellen Lesarten angepaßt. Dies gilt nicht zuletzt auch für das Verhältnis zur SPD. Über das Verhalten der Sozialdemokraten während des Krieges heißt es etwa: „,Mit denen war recht wenig anzufangen.," (S.62) Die negative Einstellung gegenüber der Sozialdemokratie wird dann jedoch dadurch relativiert, daß zwischen sozialdemokratischen Führern (exemplarisch vorgeführt anhand des ehemaligen Reichstags- und Landtagsabgeordneten Albert Meier, Quertreiber bei den Einheits- und Aufbaubestrebungen) und sozialdemokratischen Arbeitern differenziert wird (vgl. S. 67). So kann dann in Hinblick auf die Nach331

In der zweiten Fassung wird dieser Ausruf umgewandelt in „Herrje!"

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kriegssituation das Vorhandensein verschiedener Kräfte innerhalb der SPD hervorgehoben werden. Das Neben- oder Gegeneinander der ewig Gestrigen, der geschickten Taktierer und Nutznießer der neuen Zeit, der Zögernden und schließlich der Gutwilligen, die sich am liebsten von der SPD lossagen würden, statt sie von innen her zu reformieren, läßt unterschiedliche politische Entscheidungen und Handlungen plausibel werden. Demgegenüber erscheinen die KPD-Vertreter in ihrem politischen Willen sehr viel geschlossener, selbst wenn auch bei ihnen menschliche Schwächen konzediert werden (Johannes Schaber ist nicht fähig, seinen ehemals in die SS eingetretenen Sohn trotz seiner Wandlung wieder anzunehmen - erst am Ende des dritten Bandes kommt es zur Versöhnung) und sich auch in ihre Reihen ein ehemaliger SS-Mann eingeschlichen hat, der zunächst bei der KPD bzw. SED Kairiere macht und erst im dritten Band entlarvt wird. Er wird zwar von vornherein als unsympathisch geschildert (über sein Äußeres läßt Bredel die Sekretärin von Waiß urteilen: „Sein scharfprofiliertes Gesicht mit der dickglasigen Brille auf der spitzen, stark vorstehenden Nase, der lippenlose, strichdünne Mund, so fand sie, ließen auf Kälte des Gemüts, auf Härte und Rücksichtslosigkeit schließen." S. 155) und seine Enttarnung wird in Aussicht gestellt, doch wird generell in den Reflexionen Boisens häufig darauf hingewiesen, daß das Äußere bzw. der erste Eindruck trügen kann und daß umgekehrt nicht einmal Tüchtigkeit im Amt Ausweis für ehrliche Gesinnung sein muß. Mit solchen Überlegungen und dem Eingeständnis, daß auch die sowjetische Kommandantur und die Kommunisten Fehler bei der Beurteilung anderer machen, übersteigt der Roman gleichsam ausdrücklich die engen typologischen Raster und Zuordnungen des sozialistischen Realismus. Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist auch die im Roman geführte Kunstdiskussion, vor allem ein Gespräch zwischen Prinin, in dem Alexander Dymschitz wiederzuerkennen ist, und Boisen. Prinin fordert Boisen auf, seine schriftstellerische Tätigkeit wieder aufzunehmen, aber nicht über Vergangenes zu schreiben, sondern über die Gegenwart. Anzuschließen sei dabei nicht an „den modernen bürgerlichen Roman, der kaum noch eine Handlung, eine Fabel besitze, dafür überwuchert sei von Reflexionen, Seelenbespiegelungen, inneren Dialogen und feuilletonistischen Einlagen", sondern an „die gesunden, realistischen Romantraditionen" (S. 229). Damit ist indirekt ein Programm für den Roman „Ein neues Kapitel" formuliert.332 Bredel selbst konnte das durchaus facettenreiche Erzählen, das im übrigen weniger von einer Fabel zusammengehalten wird denn episodisch ist (und damit die von Prinin vorgetragenen Vorstellungen auch nur unzureichend erfüllt) nicht durchhalten. Im zweiten und dritten Band wird wesentlich linearer erzählt. Der Umzug Boisens nach Schwerin zentriert die Erzählung mehr auf seine Person, die Vorkommnisse in Rostock werden nur noch gelegentlich durch Besucher in Berichtform eingebracht. Überraschend ist, daß nun, vor allem aus der Perspektive von Boisens Frau Marja, die aus Moskau nachgereist kommt, die Deutschen sehr viel negativer gezeichnet werden als im ersten Band, in dem die These von den zwei Deutschland als Handlungsmaxime fungiert. Nun wird nicht länger das Bild des latenten Widerstands gegen Hitler, der guten Kräfte innerhalb der deutschen Arbeiterklasse heraufbeschworen, sondern geschildert, daß die Mehrheit der Deutschen mitgemacht hat, mitschuldig ist und weite Teile noch verkappt faschistisch eingestellt sind. Marja, die gebürtige Schwedin, darf - ähnlich wie die ebenfalls 332 In diesen Zusammenhang gehört auch die Aufführung von Friedrich Wolfs Stück „Professor Mamlock" im Rostocker Theater, auf die mehrfach eingegangen wird.

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nachgereiste Frau Kowalenkos - diese Einstellung vertreten. Langsam erst lernt sie, sich in die Verhältnisse einzufinden und sich (ebenfalls wie die Frau Kowalenkos) dennoch zu engagieren. Die Basis des zweiten und dritten Teils sind die - halbwegs - konsolidierten Machtverhältnisse. Dies bedeutet, daß das Verhältnis zwischen Besatzern und Besetzten keine Rolle mehr spielt (von den sowjetischen Protagonisten des ersten Bandes ist nur noch am Rande die Rede), und daß statt dessen - kleinere, lösbare - Konflikte unter den jetzt Verantwortlichen, auch innerhalb der SED, in den Vordergrund rücken. Auch die Abgrenzung nach außen, besonders gegenüber den Briten als unmittelbaren Nachbarn Mecklenburgs, gerät nun aggressiver. Bredel läßt Prinin den Ausbruch des Kalten Krieges als Verlust alliierter Gemeinschaft interpretieren (die Amerikaner und Briten der ersten Stunde seien inzwischen nahezu alle abgelöst worden) und ihn die - in der Romanhandlung bereits umgesetzte - Prognose stellen: „,Ich glaube, wir müssen uns darauf einstellen, daß das politische Barometer in den kommenden Jahren fällt, und zwar auf kühl, kalt, Schlechtwetter.'" (2. Bd., S. 239) Bredels Versuch einer breiten Aufarbeitung der Nachkriegszeit als Ära der Sowjetischen Besatzungszone blieb innerhalb der DDR-Literatur ein Einzelfall. Die sonstigen Gegenwartsromane der 40er bis 60er Jahre modellieren zumeist einen Ausschnitt der neuen gesellschaftlichen Wirklichkeit, wobei die Beziehung zwischen Deutschen und Russen nur punktuell in den Blick gerät und damit gestaltbar bleibt. Exemplarisch seien einige Lösungsmodelle vorgestellt. Die erste Begegnung. Exponierung symbolträchtiger Handlungen: Otto Gotsche „Tiefe Furchen" In seinem 1948 erstmals erschienenen „Roman des deutschen Dorfes" mit dem Titel „Tiefe Furchen" 333 exponiert Gotsche bezüglich des deutsch-russischen Verhältnisses das Motiv der „ersten Begegnung". „Sie kamen nicht kämpfend wie ein gewaltiges, stürmendes Heer ins Land. Ganz unauffällig gingen sie am Straßenrand" (S. 100), heißt es über den Einmarsch der sowjetischen Truppen in das geschilderte Dorf. Die Fremdheit und die Angst vor der siegreichen Macht, deren Sprache unbekannt ist, wird durch Handlungen mit Symbolgehalt überwunden: Einer der Soldaten mäht, gefolgt von seinem Trupp, fachgerecht mit einer Sense das Getreide, ein anderer, gelernter Metallarbeiter, dengelt die Sense. Durch die Tat des Arbeiters und der Bauern wird Völkerverständigung erreicht, aber auch die Eikenntnis mitgeteilt, daß die sowjetischen Soldaten unwillig in einen ihnen aufgezwungenen Krieg gezogen sind, der sie ihren eigentlichen Berufen entfremdet hat. Einer der Protagonisten des Romans, der Bauer Hübner, erklärt seiner Tochter: „Das sind alles Bauernjungens, Agnes, verstehst du? Die wären weiß Gott lieber zu Haus geblieben und hätten ihren Vätern geholfen. Die Alten quälen und schinden sich allein ums Brot, und ihre Jungen laufen hier herum, und die Menschen fürchten sich vor ihnen wie du dumme Gans." (S. 103) Damit ist auch das Thema der Angst vor den sowjetischen Truppen angesprochen, das man hier, wie in anderen Romanen, nicht ausspart, sondern offensiv zu entkräften versucht. Hübner argumentiert damit, daß die deutsche Bevölkerung über Jahre verhetzt worden sei, einzelne Übergriffe hochstilisiert würden und die Anklagen der Flüchtlinge Ablenkungsmanöver von eigenen Schandtaten seien.

333 Zit. wird nach der Ausgabe: Gotsche, Tiefe Furchen, Halle/S. 1975. Seitenzahlen im folgenden direkt im Text.

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Auf der politischen Ebene, in der Verwaltung des Dorfes, nimmt der Einmarsch der Russen, die die Amerikaner ablösen, zunächst einen unglücklichen Verlauf. Der bisherige antifaschistische Bürgermeister Lößner wird aufgrund des intriganten Verhaltens eines Kriegsverbrechers und Nazis, der als Schwarzmeerdeutscher mit seinen Russischkenntnissen den jungen russischen Leutnant täuschen kann, abgesetzt. Schließlich wird der Betrüger entlarvt, Lößner wieder als Bürgermeister eingesetzt, nicht ohne daß es noch einmal zu einer Aussprache über die Schuldigen und die Ursachen des Krieges gekommen wäre. Zugrundegelegt wird von Lößner die These von den zwei Deutschland: „Ja, die Braunen wollten ihn [den Krieg], die haben vom ersten Tage ihrer Machtergreifung an darauf hingearbeitet. Wir aber nicht! [...] Was wir dagegen tun konnten, haben wir getan. Die meisten Leute in Deutschland hatten es eben nicht begriffen. Das ist die ganze große Schuld. Die trifft fast alle. Es gab nicht genug, die sich gewehrt haben. Aber aus unserem Dorfe allein waren vierzehn Männer fort, im Zuchthaus." (S. 135) Ein „mehr als fünfzig Jahre altes Doppelbildnis von Marx und Engels" (S. 137) mit einer Widmung August Bebels, das im Haus des ehemaligen KZ-Häftlings Schuster einen Ehrenplatz einnimmt, fungiert als ikonographisches Zeichen der Verständigung. Die Übereinstimmung wird noch überhöht durch die Stimme aus dem jetzt eingeschalteten Radio. Sie gibt den Befehl Marschall Shukows zur Bildung von antifaschistischen Parteien bekannt. Der Befehl wird von Schuster umgemünzt in zukunftsträchtige Wegweisung: „Endlich können wir aus dem Dunkel heraus, ans Licht! Der Weg ist frei! Das ist der Tag! Heute ist der Tag! - Geben Sie uns eine Versammlung frei. Die Menschen sollen hören. Wir wollen morgen reden. Wir weiden Zeugnis ablegen für unser Tun und neu anfangen!" (S. 138) Mit Shukows Befehl ist die Verantwortlichkeit gleichsam an die Deutschen zurückgegeben, die jetzt zu eigenständigem politischem Handeln ermächtigt sind. Der Roman setzt dies erzähltechnisch um, indem im folgenden die Auseinandersetzung um die Bodenreform als Streit und Bewußtseinsprozeß zwischen verschiedenen Gruppierungen der deutschen Dorfbewohner dargestellt wird und von der Besatzungsmacht nur noch ganz am Rande die Rede ist. 334 So wird einerseits der Vorreiterrolle der Besatzungsmacht der fällige Tribut gezollt, andererseits aber der Blick auf die Neubauerngemeinschaft und ihre höchst unterschiedlichen Mitglieder konzentriert, so daß das Reformwerk nicht als von oben durchgesetzt, sondern von unten betrieben erscheint. Das Verhalten des einzelnen. Spiegelung der weltpolitischen Situation in der Familiensaga: Ludwig Turek „Familie Nagelschwert" In vergleichbarer Weise verknüpft Ludwig Turek in seinem 1961 erschienenen Roman „Familie Nagelschwert" 335 eine - knappe - Hommage an die Sowjets mit der ausführlichen Darlegung der deutschen Situation und ihrer Triebkräfte. Die unmittelbare Nachkriegszeit wird im Spiegel einer Familiensaga eingefangen. Die vier Töchter des Ehepaars Nagelschwert und ihre Freunde bzw. Ehemänner symbolisieren verschiedene Verhaltensformen in der Nachkriegsgesellschaft. Die älteste Tochter Christel heiratet den dem NS-Staat ergebenen Oberleutnant Helmut, der später in den (Geheim-)Dienst der Amerikaner tritt. Christel folgt ihm, obwohl abgewiesen, mit ihrem gemeinsamen Sohn Wölfchen nach Westberlin und übernimmt schließlich selbst Spionageaufga334 Etwa als der Leutnant gegenüber dem Interesse der Bauern an einer optimalen Emte die übergeordnete Notwendigkeit des sofort zu entrichtenden Ablieferungssolls begründet (S. 215ff.). 335 Zitiert wird nach dieser 1961 in Berlin erschienenen Ausgabe.

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ben, als Helmut sich reumütig wandelt und zur Familie wie zu gesellschaftlich nützlicher Arbeit zurückkehrt. Daß auch Christel, die verhaftet wird, einmal wieder den richtigen Weg findet, wird zumindest in Aussicht gestellt. Immerhin hat sie den Hoffnungsträger Wölfchen geboren. Die zweite Tochter, Hilde, wurde bereits früh, aus Kummer über die Verhaftung ihres eisten Freundes Marcel, zur Kommunistin. Sie findet ihren Platz in den Vereinigten Maschinenfabriken und an der Seite von deren kommunistischem Leiter Baumann. Irmchen, die drittälteste Tochter, heiratet den jungen Herbert Meuser. Die beiden bringen es rasch zu recht wohlhabenden Kleinunternehmern; Irmchen legt sich im Zuge ihrer Etablierung jedoch auch bald ein herrschaftliches Gebaren zu. Die jüngste Tochter, Renate, steht für die Jugendlichen, die das neue Gemeinschaftsgefühl erproben. Die Gedichte und Harmonika-Lieder, die ihr Freund Stawski spielt, umgeben den Zug in die neue Zeit mit romantischem Pathos. Während die Handlungsstruktur des Romans einerseits durch die unterschiedlichen Charaktere der Töchter bestimmt wird, ist sie zum anderen durch den verschlungenen Weg des Vaters Karl Friedrich zur richtigen Einstellung geprägt. Im Bereich der Arbeit ist es, nachdem er sich bei Kriegsende zunächst mit einigen Gelegenheitsjobs durchgeschlagen hat, der Weg vom Helfer in Irmchen und Herberts Kleinbetrieb zum Metallarbeiter in den Vereinigten Maschinenwelken, die in dem Roman als Modell eines volkseigenen Betriebs fungieren. Auf dem familiären Sektor ist es der Weg nach manchen Extratouren zu verständnisvollen älteren Damen zurück zu seiner polternden Josephine. Im politischen Bereich schließlich ist es der Weg von einem schon in der Vorkriegszeit pazifistisch eingestellten Sozialdemokraten (S. 39) zu einem politisch bewußten Arbeiter, der, obgleich er nicht das Parteibuch der Kommunisten besitzt, doch klar mit ihnen sympathisiert. Die sozialdemokratische Mitgliedschaft nimmt im Roman breiten Raum ein. Sie wird mit Mitläuferschaft in Verbindung gebracht (S. 30) und mit Verschwörertum. An diesen Stellen sackt der Roman in billige Kolportage ab, so daß der Kommentar eines SPD-Manns aus dem Westen zu den Aktionen der Ost-SPD als Kritik dieser Romanpassagen selbst dienen kann: „Das sind doch Räuberpistolen, die niemals von der Partei gefordert werden" (S. 138). Versammlungen der SPD werden als obskure geheimbündlerische Unternehmungen geschildert (S. 99ff.) So darf nicht angeklopft werden, der Versammlungsraum ist verdunkelt, der Leiter verbirgt sich hinter einer dunklen Brille. Nagelschwert wird in geheimer Mission losgeschickt,336 muß heimlich Broschüren und Flugblätter verteilen, wodurch er sich eine Untersuchung seitens der GPU und eine - mangels an Beweisen kurze - Haftzeit einhandelt, für die er durch ein Bestechungsgeld entschädigt wird. Die Kräfte innerhalb der SPD, die zielstrebig auf die Vereiniung mit der KPD zugehen, werden allerdings nicht, wie die anderen, als „Verschwörer für die eigene Tasche" dargestellt. Der Arbeiter Paule, ebenfalls altes SPD-Mitglied, fungiert gleichsam als Schrittmacher für den zögernden Protagonisten Karl Friedrich Nagelschwert. So vollzieht er eher den Wechsel von Herbert Meusers Handwerksbetrieb zu den Vereinigten Maschinenwerken, damit den Übergang vom (tendenziell egoistischen) Kleinuntemehmen zu Gemeinschaftswerk und Volkseigentum. Er wird zum Sprachrohr der .richtigen' Wahrheiten („Es ist ja unmöglich, daß wir mit dem Aken wieder vorn anfangen... Auf die Gesinnung kommt es an. Wer jetzt nicht das Neue will, der ist kein Sozialist." S. 92) und damit zum Promoter Nagelschwerts. Daß dieser gegen die im 336

Ein bei Gefahr zu verschluckender Zettel, den er tatsächlich herunterwürgt, erscheint ihm plötzlich vergiftet.

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Erzählen befestigte Erkenntnis von der positiven Rolle der KPD bis vier Wochen vor dem Vereinigungsparteitag an seinen .rückschrittlichen' Meinungen festhält („Gewiß, er war ein verschworener Gegner des Kommunismus", S. 258), ist nicht logisch und paßt nicht zu den ihm zugeschriebenen Wahrnehmungen. In diesem Zusammenhang sind auch die punktuellen Beobachtungen und Einschätzungen der Roten Armee und der Besatzungsmacht von großer Bedeutung. Ähnlich wie bei Gotsche wird auch bei Turek das Motiv der ersten Begegnung exponiert und mit Symbolkraft versehen. Noch während des Krieges tritt ein zerlumpter Mann, ein Russe, auf Nagelschwert zu und bittet ihn um eine Zigarette. Nagelschwert fragt ihn: „Wann Krieg kaputt?" Die Antwort des Russen ist eine Prophezeiung und wird auch so aufgenommen: .„Nächste Jahr alles fertik!' Karl-Friedrich zeigte mit dem Finger auf die Erde. ,Russki dann hier?' Der Zerlumpte nickte schweigend. Er bekam dafür die ganze Schachtel Zigaretten. ... Nächstes Jahr alles fertig! Das war wie eine Offenbarung." (S. 24) Die Würdigung der Sowjets erwächst zum einen aus einzelnen Anmeikungen, etwa der Erwähnung von Unermüdlichkeit und Fleiß der Besatzungssoldaten (S. 38), des Siegeswillens und der Kampfkraft der Roten Armee (S. 51), ihrer Humanität gegenüber den jungen Gefangenen (S. 41); zum anderen ensteht sie aus dem Kontrast mit den Amerikanern. Die amerikanischen Soldaten werden als geldgierig und hartherzig gegenüber den hungernden Deutschen dargestellt (S. 67). Die im Zuge der Spionagestory ausführlich geschilderten Offiziere sind entweder Säufer und Weiberhelden oder aber energisch und unerbittlich handelnde Männer, die Widersetzlichkeit nicht dulden. Auf dem Hintergrund der negativ gezeichneten Amerikaner hebt sich das Bild der durchweg mit positiven Attributen versehenen Russen um so deutlicher ab. Annäherung im Entwicklungsroman. Die Reifung des jungen Helden: Erik Neutsch, Am Fluß" Noch Erik Neutschs Roman „Am Fluß", der 1974 als erstes Buch seines auf sechs Bände angelegten Romanepos „Der Friede im Osten" erschien,337 arbeitet mit ähnlichen erzähltechnischen Mitteln, um Sympathie und Antipathie im Sinne des gewünschten Geschichtsverständhisses zu erzeugen: die Hartherzigkeit der Amerikaner, die sich an der Gier der Hungernden ergötzen, wird herausgestellt (S. 35,41); sie werden als sexlüstern und alkoholsüchtig geschildert („Als sie sich umblickte, sah sie, daß der Soldat ihr folgte, aus verzerrtem Munde immerfort ein grauenvoll gemeines Wort stieß, torkelte und schließlich über eine Bordsteinkante stolperte und niederschlug." (S. 42)); ja mehr noch: Indem eine Vergewaltigung, deren Spuren im Detail geschildert werden (S. 55), als Tat eines amerikanischen Soldaten hingestellt wird, versucht Neutsch offensiv gegen die verankerten Vorurteils- und Wahrnehmungsstrukturen vorzugehen. Auch in diskursiver Form unterstreicht Neutsch dieses Anliegen noch mehrfach. So wird als historisches Faktum berichtet, daß bei Räumung Thüringens und Westsachsens durch die Amerikaner und Briten letztere die noch vorhandenen Zwangsarbeiter mit Waffen versorgt hätten, woraufhin diese plündernd durch die Stadt (Ort der Handlung ist Graubrücken) gezogen seien. „Die Leute in Graubrücken allerdings nahmen es lange noch dafür, daß die ,Russen' derartige Racheaktionen angeordnet hätten, und in den Gerüchten, von Lügnern bewußt geschürt, war von Blutbädern an allen Ecken und Enden der Stadt die Rede, seien Frauen vergewaltigt und Kinder auf Bajonette 337

Zitiert wird nach der Ausgabe: Halle/Leipzig ^ 1986 (Seitenzahlen direkt im Text).

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gespießt worden. Bis heute, wie man häufig noch sehen kann, macht diese Methode Schule." (S. 86) Mit dem Ausfindigmachen des schuldigen Dritten und dem Zurückweisen aller anderslautenden Behauptungen als lügnerischen Gerüchten ist die sowjetische Besatzungmsacht in toto entculpabilisiert. Daß ihre Maßnahmen als besonders fortschrittlich gekennzeichnet werden (S. 65), ihre Korrektheit (S. 95) und ihr großherziges Verständnis für die deutsche Tradition (S. 295) hervorgehoben wird, ist die komplementäre Ergänzung zur Abwertung der „imperialistischen Besatzungsmächte" (S. 357). Ein Ereignis allerdings fällt geradezu krass aus diesem konventionalisierten Erzählrahmen. Doch zunächst kurz zum Gang der Handlung: Erzählt wird in diesem ersten Band des großangelegten Epos, gestaltet als Entwicklungsroman, der Prozeß der politisch richtigen Bewußtwerdung und Reifung des Jugendlichen Achim Steinhauer. Bei Kriegsende ist der Vierzehnjährige im letzten Volkssturmaufgebot, fest entschlossen, „dem Führerbefehl bedingungslos zu gehorchen und dem Feind bis zum letzten Blutstropfen Widerstand zu leisten" (S. 12). Lange sieht er sich den Pseudoidealen der Hitlerjugend von Treue und unbedingter Pflichterfüllung verpflichtet, mit schroffer Ablehnung aller Anders- und Umdenkenden. Als der kommunistische Bürgermeister von Graubrücken ermordet wird, fällt der Verdacht rasch auf den Sportverein, in dem sich „eine Gruppe ehemaliger HJ-Führer versammelt hatte, für die, zumindest in den Köpfen, der Krieg noch lange nicht beendet war" (S. 138). Achim und andere Mitglieder seiner Handballmannschaft werden verhaftet. Neben der durch eine lebensbedrohliche Abtreibung beendeten Schwangerschaft von Achims Schülerfreundin Ulrike ist die Verhaftungswelle der zweite große Konfliktfall des Romans, in der Krassheit der Schilderung ein durchaus überraschender. Denn die Darstellung der Verhöre durch den NKWD ist keineswegs schönfärberisch. Dafür, daß die Dolmetscherin Ilona die Deutschen als „Bestien" verabscheut („Sie sind alle vertiert." S. 140) und der Unterleutnant Boris bei den Verhören ein Geständnis herausprügeln möchte, werden zwar gute Gründe angeführt (die leidvolle Lebensgeschichte der beiden), aber Rachegefühle und Haß werden doch klar benannt. Der die Untersuchung leitende Hauptmann, der die Devise ausgibt: „Streng und unerbittlich - ja. Aber jederzeit so, wie es sich für uns als die Vertreter der Sowjetmacht gehört" (S. 141), verwarnt zwar des öfteren Boris, doch läßt er ihn zunächst weitgehend gewähren (später wird Boris wegen Terroraktionen verurteilt und nach Kamtschatka geschickt, S. 213). Achims Widerstandskraft wird letztlich mit Gewalt gebrochen, so daß er schließlich ein ihm vorgelegtes Protokoll unterschreibt, ohne hinzusehen. Obwohl die Verhaftungen „spontan" und „ungezielt" erfolgt waren (S. 178), findet eine Korrektur erst dreiviertel Jahr später statt, auch dies eine unumwunden präsentierte Härte der Besatzungsmacht. Den Anstoß zur Überprüfung des Falls gibt der ehemalige KZ-Häftling und Kommunist Matthias Münz, der beim sowjetischen Stadtkommandanten von Graubrücken vorspricht und ihn auf den langfristigen Schaden hinweist, den die Verhaftungen in der Bevölkerung, besonders unter den Sozialdemokraten verursachten. Der Stadtkommandant gibt den Wunsch nach Überprüfung an Oberst Koschkin weiter, der zweimal wöchentlich die Untersuchungen im Magdeburger Gefängnis leitet. Aufschlußreich ist bei den Reflexionen Koschkins über den Stadtkommandanten und das eigene Tun der Gegensatz, den er zwischen dem NKWD und der sowjetischen Armee sieht: „Offenbar machte auch er sich Gedanken über so manche Entscheidung, die aus dem Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten kam. Nein er, Koschkin, unterstand der Armeeführung. Außerdem gab Stalin ihm recht: Die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk bleibt." (S. 184) Kommunikation zwischen Koschkin und Achim wird über ein Liebesgedicht Achims erzielt, das in die Akten gelangt war; hier knüpft Koschkin mit der Frage

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an, ob Achim Heine kenne, für den russischen Oberst der kulturelle Gewährsmann eines anderen, alternativen Deutschland. Den Auftrag, sich nach erfolgter Freilassung mit der Lyrik Heines zu befassen, erfüllt Achim (nachdem er endlich die Freiheit wiedererlangt hat) tatsächlich, wenngleich zunächst mit einigem Zögern. „Koschkin, dachte er anfangs noch, ich habe dir nichts versprochen. Jetzt aber will ich wissen, wen die Russen für einen großen Dichter halten." (S.237) Damit ist der Beginn eines Lernprozesses in allen Bereichen gekennzeichnet, der jedoch durchaus nicht geradlinig verläuft: So eckt er, der Arbeiteisohn, dem die Stadt durch ein Stipendium den Besuch der Oberschule erlaubt, immer wieder an und reibt sich an den konservativen Strukturen. Erst allmählich findet Achim, gestützt durch seinen Mentor Münz, zu der Reife, die ihn dazu befähigt, seinen Platz in der Klasse zu behaupten und die ihn in in die SED eintreten läßt. Zwar wird ihm Ulrike nach dem dramatischen Schwangerschaftsabbruch durch ihre Familie entzogen, doch nimmt ihn die sozialistische Gemeinschaft (beim Deutschlandtreffen der Jugend und Studenten) auf: „Und zum ersten Mal fühlte auch Achim sich, als seien ihm neue Kräfte gekommen. Die Massen hier, die Hunderttausende in dieser Stadt, die Millionen im Lande... Sie alle könnten wie eins sein, wenn sie nur wollten, wenn sie nur selbst sich besiegten. Und nur der Gedanke, daß nicht auch Ulrike an seiner Seite war, schmerzte noch." (S. 510) Das Bekenntnis zur unliebsamen Wahrheit. Aufarbeitung der Vergangenheit in der Lebensrückschau: Werner Heiduczek „Tod am Meer" Das episodische, punktuelle Verfahren nehmen auch die meisten derjenigen Romane der 70er und 80er Jahre auf, die die Nachkriegszeit einer kritischen Revision unterziehen. Einen ersten Versuch des von ideologischen Rücksichtnahmen unverstellten Blicks auf die Jahre der SBZ und frühen DDR unternahm Werner Heiduczek in seinem 1977 erschienenen Roman „Tod am Meer". 338 Durch einen Gefäßriss plötzlich erkrankt, läßt der gealterte Schriftsteller Jablonski im Krankenbett am Schwarzen Meer - er war dorthin zu einer Veranstaltung eingeladen worden sein Leben Revue passieren. In seinem Vorwort teilt der Herausgeber den Tod Jablonskis mit; als eigentliche Ursache vermutet er nicht den Krankheitsfall, sondern den „Versuch, sein Leben zu korrigieren". Hatte Jablonki früher seinen Lesern und Fernsehzuschauern „mit seiner Kunst so manchen Schein als Wahrheit angeboten" (S. 7), sucht er nun, auf dem Krankenbett, ohne Schonung sich selbst gegenüber Rechenschaft abzulegen. Durch die physische Labilität und die psychische Grenzsituation sei „die plötzlich auftretende Besessenheit Jablonskis nach Wahrhaftigkeit zu verstehen" (S. 6). Aus Respekt vor Jablonskis neuem Leitsatz „Nur die Wahrheit", vor seinem Bekenntnis zu Irrtümern und der Aufrichtigkeit ohne Rücksicht auf den Nutzen des Lesers und den eigenen Ruhm habe der Herausgeber das Tagebuch des Schriftstellers unverändert vorgelegt, obwohl literaturkundige Freunde ihm geraten hätten, „Eingriffe im Manuskript vorzunehmen" (S. 7). Durch die Herstellung dieser fiktionalen Situation - der Schriftsteller zeichnet in einer existentiellen Extremsituation eine schonungslose Lebensbilanz auf; der Herausgeber verteidigt diese subjektive Selbstanklage und die Veröffentlichung des Tagebuchs in unveränderter Form - sucht Heiduczek sein Herangehen gleichsam doppelt zu legitimieren und gegenüber den möglichen 338

Seitenzahlen im folgenden direkt im Text.

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Angriffen seitens der Zensur abzusichern. Dennoch wurde die Tabuverletzung geahndet: Der sowjetische Botschafter intervenierte, so daß nach der zweiten, bereits ausverkauften Auflage der Roman in der DDR verboten wurde. Der Rückblick des Schriftstellers setzt 1943 ein, als Jablonski, ein sechzehnjähriger Junge, als Luftwaffenhelfer einberufen wird. Es folgen die Lebensstationen Wehrmachteinsatz, amerikanische Gefangenschaft, Flucht, russische Gefangenschaft, Hilfsarbeiter beim Gleisbau, Neulehrerlehrgang, Studium, Kreisparteischule, Schulleiter, Schulrat, Bauhilfsarbeiter, „schreibender Arbeiter", Rehabilitierung,,Flucht' als Aushilfslehrer nach Burgas. Doch wird hier nicht, wie bei Neutsch, die Geschichte einer persönlichen und politischen Reifung erzählt. Die Hauptfigur ist weder positiver noch negativer Held, eher Vertreter einer lost generation, die in der Nachkriegszeit ohne Orientierung, ohne Ziele, ohne Perspektive ist. Auch die Frauen, die ihm begegnen und mit denen er Affären hat, gehören zu den Verlorenen. Sie sind auf der Suche nach einem Stück zumindest privaten Glücks, das sie - wie seine Frau Anissa - nicht finden, oder - wie die frühere Hure Ellen - nach einem Neuanfang, der nicht gelingt. Jablonski steht nicht für sie ein und leistet keinen Beistand. Seine moralische Indifferenz führt zu tragischen Konsequenzen: Selbstmordversuchen, Relegationen, Schwangerschaftsabbrüchen, zerstörten Beziehungen, Flucht in den Westen usw. So scheint das Personal des Romans eher aus einem Roman Camus' oder Sartres zu stammen (deren Namen auch fallen), denn in den Umkreis der Literatur des sozialistischen Realismus zu gehören. Entscheidungen mit weitreichender Bedeutung werden von Jablonski zufällig getroffen und nicht aufgrund eines entsprechenden Bewußtseins. So meldet sich Jablonski zum Neulehrerlehrgang an, obwohl er „nie und nimmer" Lehrer werden wollte: „Ich wollte lediglich den schlimmen Anfang des Nachkriegs überleben." (S. 57) In die SPD tritt er ein, weil ihm dafür 100 Mark angeboten werden. „Ich hatte keine Ahnung, daß vier Wochen später der Vereinigungsparteitag stattfinden sollte und daß die neue Partei, in die ich in meiner Einfalt hineinrutschte, mit einer Disziplin arbeitete, der ich anfangs hilflos gegenüberstand." (S. 122) Die eigentümliche Melancholie und das Antiheroische teilen sich auch der Wahrnehmung der frühen DDR-Geschichte mit. Die dargestellten Lebensläufe wiederlegen den von der Ideologie propagierten Glauben, „der Kommunismus wäre in der Lage, jeden Menschen vor der Zerstörung zu bewahren" (S. 182). Der Roman legt den Finger auf „den Riß, der durch unsere Welt geht" (S. 297). Der einzige Revolutionär der Geschichte, der ehemalige KZ-Häftling Immanuel Feister, genannt Imme, stirbt zwar am 17. Juni den von Jablonski beneideten Heldentod, doch hatte er mit seiner Unerbittlichkeit vorher Karrieren und Schicksale zerstört. So schickt Imme Jablonski an der Universität mit Stalin-Broschüren ausgestattet in einen unfairen Kampf gegen den Kant-Spezialisten Gotthold Melzer, der nach dem Angriff zwangsemeritiert wird. „Vielleicht hätte manches glücklicher geschehen können, nicht nur für mich, sondern auch in unserem Land, hätten beide einander verstehen können." (S. 201) So aber, da diese Verständigung auf keiner Ebene erfolgt, flieht Jablonski schließlich mit Hilfe der Anstellung in Burgas aus einem Land, „in dem er sich nicht mehr zurechtfand" (S. 223). Die Besatzungssituation wird in „Tod am Meer" nur punktuell gestreift, etwa in der Episode der unglücklichen, weil politisch unstatthaften Liebesgeschichte eines Kulturoffiziers in der Provinz mit einer Deutschen. ,Die erste Begegnung' zwischen Deutschen und Russen ist in diesem Roman eine unglückselige, gekennzeichnet von Vergewaltigungen und der Ermordung eigener Leute durch die sowjetischen Truppen. „Mit dem, was in jener Nacht und am folgenden Morgen

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auf diesem Bauemhof geschah, bin ich all die Jahre über nicht fertig geworden", kommentiert Jablonski. „Vielleicht ist das der Grund, weswegen ich mich lange geweigert habe, ein Filmszenarium oder ein Buch über die Nachkriegszeit zu schreiben." (S.76) Heiduczek hat dieses Buch verfaßt, aber noch 1977 war eine solche Darstellung nicht opportun. Es waren vor allem diese Passagen, die zum Verbot des Buches führten, das mit seinem Gestus der Aufricltigkeit, mit seiner Stimmung der Melancholie und Verlorenheit in der DDR-Literatur seinesgleichen sucht. „latente balancen sich zusammenbrauender konflikte". Der pikarische Held durchstreift die Nachkriegsszenerie: Erwin Strittmatter „Der Wundertäter III" Erwin Strittmatter hat, zumal in seinen späteren literarischen Aibeiten, die eigene Biographie zum zentralen Thema gemacht, gemäß der Devise: „je älter ich werde, desto mehr lerne ich die Wirklichkeit schätzen". 339 Dabei handelt es sich keineswegs um eine naive Erinnerungsliteratur, sondern um komplexe Texte, die - unterschiedlich stark - fiktionalisierte biographische Elemente mit einer ausgeprägten Selbst- und Kunstreflexion veiknüpfen. 340 Vor allem der dritte Teil seiner Trilogie „Der Wundertäter" 341 ist einerseits gesättigt mit Nachkriegsrealität der DDR, andererseits ist er in hohem Grad virtuos und artifiziell. Programmatisch vorangestellt ist ein Wort Brechts: „wann wird die zeit kommen, wo ein realismus möglich ist, wie die dialektik ihn ermöglichen könnte? schon die darstellung von zuständen als latente balancen sich zusammenbrauender konflikte stößt heute auf enorme Schwierigkeiten, die Zielstrebigkeit des schreibers eliminiert allzu viele tendenzen des zu beschreibenden zustandes. unaufhörlich müssen wir idealisieren, da wir eben unaufhörlich partei nehmen und damit propagandieren müssen." Die Entstehung des dritten Bandes seines „Wundertäter"-Romans in den Jahren 1973 bis 1978 war von der Skepsis begleitet, daß die von Brecht in Aussicht genommene Zeit für einen unvoreingenommenen Realismus wohl immer noch nicht gekommen sei. Strittmatters Entschluß war, den Roman auch ohne Aussicht auf Veröffentlichung zu verfassen, ihn „ohne Rücksicht auf parteipolitische Konvention und so zu schreiben, daß er einzig der Wahrheit dient (oder dem, was ich für die Wahrheit halte)". Diese Entscheidung leitete einen „neuen Abschnitt" in seinem Leben und in seiner Arbeit ein, wie der Autor in einer Tagebucheintragung vom 21. Mai 1976

339 340

Strittmatter, Grüner Juni, S. 110. Selbst ein scheinbar .wirklichkeitsgetreuer' Text wie die 1985 vorgelegte Erzählung „Grüner Juni. Eine Nachtigall-Geschichte", der lapidar vom Einmarsch der Russen in den kleinen Ort der Handlung, von Vorladungen auf die Kommandantur und von der Begegnung mit einem betrunkenen, auf Frauen versessenen russischen Soldaten berichtet, behält das reflexive Moment bei. So konfrontiert der Erzähler seinen Schreibmodus mit den in der DDR-Literatur üblichen Normen, verkörpert in der Person des Ewigen Edwin, seines Belehrers und Bekehrers: „der Ewige Edwin hält mir außerdem vor, ich hätte über einen Soldaten unseres Brudervolkes verlauten lassen, er hätte mich fast erschossen, um an deutsche Frauen heranzukommen. Aber der Soldat war betrunken, und es ist so gewesen! Naturalismus, nichts als Naturalismus, wird Edwin sagen und er wird darauf beharren, daß ich so etwas nicht zu schreiben habe, auch nicht, wenn ich es dialektisch tue, obwohl Edwin die Dialektik sonst nicht genug rühmen kann. Für den Ewigen Edwin ist Kunst nur Kunst, wenn sie so aussieht, wie er sich Kunst vorstellt." (S. 157) 341 Strittmatter, Der Wundertäter, Bd. 3. Zitiert wird nach der 3. Auflage (1982). Seitenzahlen direkt im Text).

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festhält. 342 Dem Roman teilt sich diese Unabhängigkeit, die auch eine Unabhängigkeit von der Fixierung auf Parteigeist, Ideologie, Sektiererei usw. als schriftlich zu bekämpfenden Widersachern ist, 343 als Furchtlosigkeit und Leichtigkeit mit. Immerhin konnte der Roman 1980, zwei Jahre nach seiner Fertigstellung, doch noch erscheinen, nach langwierigem Weg durch die (Zensur-)Instanzen und einer zermürbenden Druckgenehmigungsprozedur, bei der sich jeder, so gut er konnte, davor drückte, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu tragen. Situationen, die der Roman beschreibt, treten hier gleichsam ins Leben. 344 Strittmatter läßt sein alter ego, den Lokalredakteur und Schriftsteller Stanislaus Büdner wie einen pikarischen Helden die Szenerie der SBZ und frühen DDR durchstreifen. 345 Büdner wird Journalist in der Lokalredaktion von Kohlhalden, wo er mit dem Widerspruch zwischen Wirklichkeit und angefertigtem oder anzufertigendem Schein konfrontiert wird; seine schriftstellerischen Versuche werden nach Anfangserfolgen bei ihm bekannten und mit den Verhältnissen vertrauten Lesern durch eine Leserbriefaktion niedergemacht; seine Zeitungsarbeit wird als unpolitisch verurteilt; Büdner erhält eine Parteistrafe und wird zur Bewährung in die Produktion geschickt. „Ich muß mir immer wieder wundern", kommentiert ein Häuer im Bergwerk, „daß man Genossen zur Bewährung in den Schacht schickt. Damit beurkundet die Kreisleitung, daß wir im Schachte Strafarbeiter sind." (S. 240) Da eine Rezension in der Tageszeitung der Sowjetischen Besatzungsmacht „Tagesrundschau" positiv ist, macht sein Roman doch noch Furore, Büdner findet Eingang in die Berliner Schriftstellerkreise, vor allem in das Haus des großen Lukian List (hinter dem unschwer Brecht zu erkennen ist), wird jedoch aus der Partei ausgeschlossen. Alles Erlebte im Roman ist gleichzeitig literarischer Stoff, Figuren der Literaturgeschichte treten, zum Teil unter echten, meist mit fingierten Namen getarnt, auf; ein Meisterfaun, Versucher und Anreger Büdners, huscht durch den Roman. Büdner ist ganz Teil einer Wirklichkeit, deren Eigentümlichkeiten und Absurditäten kritisch, aber nicht diffamierend, im Sinne der „balancen sich zusammenbrauender konflikte" festgehalten werden. Das Verhältnis zur sowjetischen Besatzungsmacht wird nicht direkt angesprochen, es wird kein helfendes, anleitendes Eingreifen der sowjetischen Administration geschildert, keine feierliche ,erste Begegnung' herausgestellt, ebensowenig Härten, Fehlveihalten, Machtausübung der sowjetischen Seite frontal angeprangert, aber dennoch ist die sowjetisch-deutsche Situation eindrücklich präsent. Ein Verfahren dieser indirekten Thematisierung ist das facettenreiche Reden 342 343 344 345

Strittmatter, Die Lage in den Lüften, S. 118. Vgl. ebd., S. 210. Vgl. ebd., S. 183. Manfred Bieler hatte schon 1963 mit seinem Roman „Bonifaz oder Der Matrose in der Flasche" (Berlin 1963; Neuwied und Berlin 1963) einen bemerkenswerten Versuch im pikarischen Genre vorgelegt. Bonifaz streift als betont neutraler Beobachter durch die Welten Ost und West, gerät in witzige und aberwitzige Situationen. Doch während die Satire in den West-Passagen nicht selten den Blick in ein Panoptikum des Absurden, ja des Grauens freigibt - etwa beim Besuch des Rasierklingenherstellers Radau, der seit Jahrzehnten Generäle, Kommerzienrätinnen, Minister, Professoren u. a. in einem Kabinett gefangenhält, „Gefährliche oder Dumme, die meinem Vater und mir im Wege waren" (S. 159), oder bei der Bekanntschaft mit dem vom Raketenerfinder Vieth ob seines Leichtgewichts von sechsundfünfzig Pfund zum Versuchsastronauten auserkorenen Dierk, der Spezialist für Kindererschießungen war bleibt die Satire in den Ost-Episoden (Bonifaz wird sogar für kurze Zeit vom russischen Major zum Bürgermeister eines Städtchens eingesetzt) eher blaß.

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über Tatbestände, das Kommentieren und Mutmaßen. So erfährt Büdner im Bergwerk nach und nach die allen bekannte, aber ängstlich gehütete Geschichte des Häuers Risse, die er später literarisch verarbeitet. Bei Kriegsende, so heißt es, sei Risses Tochter von einrückenden russischen Soldaten vergewaltigt worden und dadurch zu Tode gekommen. Die Mutter verfiel ob dieses Anblicks in Wahnsinn. Der Häuer Risse nahm Rache mit kleinen Sabotageakten an sowjetischen Einrichtungen, bis schließlich auch er mit unbekanntem Schicksal verhaftet und abtransportiert wird. Der große Lukian List betreut zwar später Büdners Risse-Geschichte, aber die Vellage scheuen sich, sie zu veröffentlichen. Obwohl List das Manuskript bei dem Obersten Sekretär der Partei durchzusetzen sucht, wird die Geschichte abgelehnt. Das Thema Vergewaltigung durch sowjetische Soldaten ist ein Tabu (S. 582) - was nicht nur für das Schicksal des fiktiven, Büdnerschen, sondern auch für das des realen, Strittmatterschen Romans von Bedeutung ist, dessen Erscheinen aufgrund der Tabu-Verletzungen und der damit einhergehenden Angst vor sowjetischer Einmischung346 lange Zeit in Frage gestellt war. Dem Roman geht es nicht um die Fiktion der realen Begebenheit, um die Rekonstruktion von Nachkriegsrealität, wie sie,wirklich war', sondern um die Herstellung eines Geflechts von Stimmen und Meinungen, das die Wahrnehmung und Wirkung der damaligen Ereignisse wiedergibt. Unheilvolle Geschichte rückt dabei vielfach in den Blick: Etwa als Büdners Schwager Reinhold Steil, Bezirkssekretär, während einer Moskaureise seinen russischen Freund vermißt und nur erfahrt, daß dieser sich zu einer längeren Dienstreise im Nordosten aufhalte, es aber auch nicht opportun sei, die erkrankte Frau aufzusuchen (S. 196ff.).347 Oder als die jüdische Frau des Schriftstellers Lekasch, die seit ihrer Rückkehr aus Amerika in einem Archiv für Geschichte arbeitete, plötzlich beurlaubt wird (S. 142) und auch der Schriftsteller selbst aus der Partei ausgeschlossen wird, da er während des Krieges Kontakt gehabt habe mit dem Agenten Wood (hier ist, kaum kaschiert, Noel Field wiederzuerkennen). Die Angst jener Jahre wird aufgerufen, die Angst, politischer Fehler, schädlicher Auffassungen überführt zu werden. Die angeführten Beispiele bestätigen die rhetorisch formulierte Frage: „Knabberten Bürokratismus, Sektiererei, Verkirchlichung und übergroße Furcht vor Konterrevolutionen an der Theorie von der Weltrevolution?" (S. 357) Der Verhaltensmodus ist gerade auf der Funktionärsebene von Anpassung und Selbstaufgabe bestimmt, anschaulich gemacht etwa in der Gestalt des ehemaligen SA-Manns und jetzigen Propagandasekretärs Wummer; es bedarf eines Plazets von sowjetischer Seite, um Büdners Roman zu retten, für den auf der Kreisebene niemand die Verantwortung zu übernehmen wagt. Kritik und Selbstkritik erfolgen nicht aufgrund von Sachargumenten, sondern nach festgelegtem Ritual: „Eine ansteckende Eiferei herrschte unter den Parteimitgliedern, eine Bußwilligkeit, wie er sie bisher nur bei religiösen Sektierern im Insel-Kloster erlebt hatte." (S. 193) Zum Sektiererischen gehört das Kultische. Auch hier, in der Wiedergabe des zwanghaften Personenkults um Stalin, setzt Strittmatter das Verfahren der Rede-Wiedergabe ein. Die Arbeiter des Braunkohlenwerks haben zur Trauerfeier für den verstorbenen Generalissimus anzutreten. Ein Gedicht vom „Hauptdichter der Republik" wird verlesen, zur Überraschung einiger, die sich wundem, „daß schon ein verwendungsfähiges Gedicht vorliegt" (S. 346). Wummer, der die Totenrede hält, hangelt sich an seiner Rededisposition entlang und gibt mit der Länge seiner gestanzten Trauerrede 346 Vgl. Strittmatter, Die Lage in den Lüften, S. 188f. 347 Später erfahrt der Leser, daß der Freund im Lager gestorben ist (S. 503).

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Raum für den Einschub von konterkarierenden Gedankenabschweifungen Büdners und anderer Zuhörer. Damit wird nicht nur satirisch die von Wummer vorgetragene Lobeshymne widerlegt, die keines der „von fleißigen Journalisten zusammengetragenen verherrlichenden Adjektiva" (S. 347) ausließ, sondern auch der Kontrast markiert, der zwischen der hohen Politik und dem „kleinen Leben" (S. 349) liegt. Eine weitere Technik der indirekten Darstellung des deutsch-russischen Nachkriegsverhältnisses besteht in der Schilderung der Folgen, die die oktroyierte Vorbildrolle des sowjetischen Modells im Alltag der DDR hatte. Ein Bereich, der hier eine zentrale Rolle einnimmt, ist der Transfer der sowjetischen Arbeitskultur. Nach dem Beispiel der „Berlinebene", die - dem Schrittmacher Sowjetunion folgend - im Zwickauer Steinkohlengebiet einen „Überbergmann" produziert hatte „beschloß man im Sekretariat der Kreisleitung, ,für Kohlhalden einen Extrakampf um die Aktivistenbewegung mit der Zielrichtung Erstellung eines Braunkohlenhelden in die Öffentlichkeit zu tragen'" (S. 56). 348 Die Zwickauer Leistung, von der viele Menschen, „sogar unerfahrene Genossen" glaubten, sie sei spontan entstanden, ohne zu ahnen, „was von der führenden Kraft dazuorganisiert werden mußte", hatte nämlich keine freiwilligen Nachahmer im Braunkohlengebiet gefunden. So mußte diese Wirkung mühsam helgestellt werden. Der Rekord des zum Helden erkorenen Braunkohlenhäuers Kimme ist dann ebenfalls Produkt einer exakten Organisation (Eßpaket, Prämie, Bereitstellung aller notwendigen Arbeitsgeräte, genügend Hilfspersonal usw.) Die „Anfertigung des Helden" wird natürlich auch als Medienereignis inszeniert und ideologisch ausgewertet, da das „Hauptblatt" auf das notwendige Zusammenwirken von Intelligenz, Ideologie und Muskelkraft hinwies: Kimme antwortet auf die Frage, wie ihm bei seiner Tat zumute war: „Es war mir, will mal sagen, als ob ich einem in die Fresse schlage." „Und wer wars, dem du in die Fresse schlugst?" wollte Büdner wissen. „Schreib man, schreib!" sagte Kimme. „Es war, glaube ich, der Imperialismus." (S. 59) Leider stellte sich hinterher heraus, daß Kimme früher ein SA-Schläger war (S. 69), seine Wahl also einen Fehlgriff darstellte. Das Fremdartige, Aufgesetzte der sowjetischen Methoden, die dennoch in jedem Fall als vorbildlich anzusehen sind, kommt vor allem in den Passagen zum Ausdruck, in denen von der Einführung unsinniger Lyssenko-Verfahren in der Landwirtschaft die Rede ist. 349 Dies gilt für das „Kartoffel-Quadrat-Nest-Pflanzverfahren" (S. 201, 358), das Trawopolnaja-System (S. 424) wie die Jarowisierung. Letztere muß Landwirtschaftssekretär Pötsch eiklären: ,„Das Sommergetreide muß fortan, wird verlangt, vor der Aussaat starken Frösten ausgesetzt werden', sagte er [...]. ,Nach der Frostbehandlung, so wird uns versichert, soll das Getreide froher wachsen und reichlicher Kömer ausgeben. Aber, Genossen, ich schätze ein, es wird nicht ganz einfach sein, in unserer gemäßigten Zone allzeit die nötigen Fröste bereitzuhalten. Aber ganz gleich - Ausreden gelten nicht, ihr wißt! Ab sofort müssen für alle Landwirtschaftsbetriebe und besonders für die Volksgüter Möglichkeiten zur Jarowisierung geschaffen werden!' ,Wer hat das nun wieder herausgebosselt?' fragte der Zweite Sekretär Kuchbrät [...]. ,Ich sage dir nur soviel', antwortete ihm Pötsch, ,die Jarowisierung haben sowjetische Agrarwissenschaftler entdeckt.',Wie heißt der Entdecker?' fragte Propagandasekretär Wummer und hielt seinen Block schreibbereit. ,Der Name ist mir entfallen', sagte Pötsch, ,aber Jarow heißt er jedenfalls nicht. Ist auch nicht so wich-

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Vgl. Kap. 4.2.3. Vgl. Kap. 4.2.4.

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tig, weil wichtig ist, am Willen unserer Bauern zur Jarowisierung wird man ihr Verhältnis zur Sowjetunion ablesen.'" (S. 45) Ähnlich veräußerlicht, weil verordnet, aber nicht qua Überzeugung angenommen, verlief die Institutionalisierung des sozialistischen Realismus als verbindlicher literarischer und literaturkritischer Methode. Dieser Bereich der Wirkungsweise eines aufgesetzten sowjetischen Modells nimmt im Roman breiten Raum ein, zumal er die Selbstreflexion des Schreibens betrifft. Sowjetische Gegenwartsromane werden allerseits als Pflichtlektüre den Lesern „auferlegt" (S. 92). Von Kulturfunktionären gehandhabt, die in Schnellkursen geschult worden sind, gerät der sozialistische Realismus - so kennzeichnet es der Roman - zu einer Ansammlung von schematisch angelegten Maßregeln, deren Nichterfüllung das jeweilige Werk und seinen Autor höchst verdächtig machte. Dies wird durchaus mit Bitterkeit vorgetragen - das (Ver-)Urteilen nach Schablonen betrifft auch Büdners Roman - , aber es werden auch mit Ironie die Sorgen etwa des Kulturredakteurs oder des Kreissekretärs mitgeteilt, der sich sehr mit der Frage plagt, wie es geschehen konnte, „daß der parteilose Bäcker Gorki das marxistische Geistesarsenal mit der Theorie des Sozialistischen Realismus bereicherte?" (S. 155) Aber Engstirnigkeit ist nicht nur eine Sache der Provinz. Im Landesmaßstab gewinnt sie an Bedrohlichkeit. So hat man das Spanienbuch des Schriftstellers Lekasch „zurechtgerückt und verschönt. Es wäre Taktik oder Dialektik, sagt man und arbeitet mit dem Lineal, mit dem man bekanntlich nur gerade Striche erzielt. Man paßt das Leben der Theorie an." (S. 292) Bei einem Besuch Lists bei seinem alten Freund Waldmoser, der sich nach den Enthüllungen des XX. Parteitags von seinen alten Überzeugungen lossagt, rückt die Last des Stalinismus in den Blick: „Dafür hat uns unser Väterchen eine Menge Shakespeare-Stoffe geliefert. Aber man wird nicht zulassen, daß sie einer von uns bearbeitet. Wir werden es uns sogar selbst verbieten, weils heißen wird: Nach vorn und nicht zuriicksehn, Genossen!" (S. 543) 350 Büdner selbst stößt mit seiner Risse-Geschichte an die Grenze des Zulässigen. So fungiert die Geschichte in der Geschichte gleichsam als Modell für den Roman: Im Markieren der politischen Tabus und im Anschreiben gegen die Schemata erwächst ein komplexes Bild der Nachkriegswirklichkeit in der frühen DDR, dessen .Realismus' jedoch nicht erwünscht war. Auch nach Erscheinen des dritten Bandes der „Wundertäter"-Trilogie wurde, gleichsam eine Fortsetzung der künstlerischen wie realen Satire, alles Erdenkliche getan, um die Verbreitung des Romans zu verhindern: die Armee erhielt Anweisung, mehrere zehntausend Exemplare aufzukaufen, 351 die SED schickte ebenfalls Aufkäufer aus, die Presse äußerte sich kaum, der Autor wurde nahezu isoliert. Die Freunde und Bekannten, die von Strittmatter ein Exemplar erhielten, warteten in der Mehrzahl ab, was ihm geschehen würde. „Sie verlautbaren aus Sicherheitsgründen nichts, bevor sie die Meinung von Partei-Oberfunktionären im Hauptblatt serviert kriegen." 352 Damit wurde die kritische Stoßrichtung des Romans gleichsam noch einmal,bestätigt'.

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List, alias Brecht, wird in dem Roman sowohl seiner schriftstellerischen als auch politischen und menschlichen Haltung nach durchaus zwiespältig beschrieben. Vgl. Strittmatter, Die Lage in den Lüften, S. 225. Ebd., S. 224.

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Besatzungsvakuum. Das utopische Moment einer Geschichte, wie sie hätte sein können: Stefan Heym „Schwarzenberg" Stefan Heyms „Schwarzenberg"353 ist der negativste, radikalste Roman über die Besatzungssituation, obwohl oder gerade weil er über ein Gebiet von der Größe eines Landkreises handelt, das weder von Amerikanern noch von Russen besetzt ist. Tatsächlich war bei Kriegsende im südlichen Erzgbirge ein kleines Gebiet von den einmarschierenden Alliierten ausgepart geblieben. Daß es so kam, führt Heym im Roman auf eine Laune der - keineswegs karikierten - amerikanischen Besatzer zurück. Ihre Protagonisten in der erzählten Geschichte, Sergeant Whistler und Lieutenant Lambert, haben die Direktive erhalten, in Richtung Chemnitz zum 13. Längengrad, der vorgesehenen Trennlinie zwischen den sowjetischen und amerikanischen Besatzern vorzustoßen, doch war bei der Anweisung „an der Grenze des Landkreises Schwarzenberg entlang" nicht präzisiert worden, ob die westliche oder östliche Grenze des dreiecksförmigen Gebildes gemeint war. Eine 25-Cent-Münze, von Whistler geworfen, bringt die Entscheidung zugunsten der westlichen Linie und schafft, da die Russen sich ihrerseits an die östliche Grenze halten, ein Machtvakuum in Schwarzenberg, die Chance für ein von deutschen Antifaschisten ausgefülltes Modell. Der Roman beschränkt sich auf ein begrenztes, exemplarisches Peisoneninventar. Da sind die beiden schon erwähnten Amerikaner, von denen der eine, der Pastorensohn Lambert, vor allem ein persönliches Anliegen verfolgt: Er sucht seine jüdische Freundin Esther Bernhardt, die er wegen des Widerstands seines Vaters nicht, wie versprochen, nach Amerika geholt hatte. Ihtien sind zwei Protagonisten auf sowjetischer Seite zugeordnet. Der durchsetzungsstarke Realpolitiker Kapitän Viktor Workutin und sein Vorgesetzter, Major Kyrill Bogdanow, ein Intellektueller, der schon die vergangenen Jahre als Zeit der existentiellen Bedrohung erfahren hatte und auch nun in der Angst vor Verhaftung lebt. Mit Lambert verbindet ihn ein spontanes Verständnis, während er innerhalb des sowjetischen Apparats isoliert ist. Auf deutscher Seite ist Hauptprotagonist der Genosse Ernst Kadletz, dessen auf Tonband gesprochene Erinnerungen mit dem Text des Ich-Erzählers abwechseln; er wird zum Vorsitzenden des antifaschistischen Aktionsausschusses gewählt. Einflußreiche „externe" Schwarzenberger sind der heimgekehrte KZ-Häftling Max Wolfram, dessen Dissertation „Soziale Strukturen der Zukunft. Vergleichende Studie utopischer Gedankengänge" einst als Jüdisches Machwerk" diffamiert worden war (S.26), und der Bergbauingenieur und Fachmann für Nichteisenmetalle Erhard Reinsiepe, der die vergangenen Jahre im sowjetischen Exil verbracht hatte. Beide, der Utopist Wolfram und der geschulte Kommunist Reinsiepe, der sein Handeln stets höheren Zwecken unterordnet, sind gleichsam Gegenspieler. Wolfram ist in Begleitung eines von ihm Paula genannten verstummten Mädchens, das im zerbombten Dresden an seine Seite gekommen war. Es stellt sich heraus, daß sie, die eigentlich Justine Egloffstein heißt, bei diesem Inferno unter einem stählernen Balken festgeklemmt war und Reinsiepe, ein Freund der Familie, ihr nicht geholfen hatte: „,Ich hatte einen Auftrag'", rechtfertigt sich Reinsiepe: „.Einen Auftrag, [...] der zu tun hatte mit diesem Schwarzenberg und mit dem, was hier unter der Erde liegt und was bewahrt werden mußte vor dem Zugriff Unberufener, weil es Urkräfte enthält, die die Zukunft der Menschheit bestimmen weiden so oder so.'" 353

Der Roman erschien erstmals München 1984; hier wird zitiert nach der Taschenbuchausgabe Frankfurt/M. 1987.

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(S. 266) Es ist bedauerlich, daß Heym auf diese Weise die meisten Schicksale kolportagehaft verknüpft: Der Bruder Justines, jetzt als Gefreiter Egloffctein in einer nazistischen Kampftruppe tätig, hatte „die Judenhure" Esther Bernhardt, die in seinem Elternhaus Schutz gesucht hatte, an die Gestapo verraten; später ist er es auch, der den Melancholiker Bogdanow tötet. Denn die politische Kritik, ja Trauer des Romans ist von einer derartigen Intensität, daß sie durch solch triviale Strukturen nur unterminiert weiden kann. Es ist die Trauer über die Tatsache, daß entgegen den Hoffnungen der deutschen Antifaschisten und des Vordenkers Wolfram das Modell Schwarzenberg, der Versuch, Demokratie und Sozialismus ohne Vorschreibungen, ohne Schema miteinander zu verknüpfen (S. 39), in den Augen Workutins und Reinsiepes von vornherein nur ein für kurze Zeit zu duldendes Provisorium ist. Sowohl das wirtschaftliche Interesse an den Bodenschätzen als auch die Nicht-Duldung eines „dritten Weges" zwischen den Systemen lassen es in ihrer Sicht nicht zu, „seine Energien auf derartige Experimente" zu verschwenden (S. 98). Da ist die Desillusionierung der Antifaschisten, etwa Kadietz', für den die Sowjetunion ein Land der „Menschlichkeit und Gerechtigkeit" war (S.51), für den der Begriff „die Freunde" nicht nur „eine Art Fachbezeichnung" war, sondern „wirklich emotionellen Gehalt" besitzt (S. 95), der nun nach und nach erfahren muß, daß dort „die Macht nur auf der Furcht der Menschen voreinander" (S. 50) basiert, daß auch dort Unschuldige in Lagern gequält werden (S. 121). Diese Erkenntnis trifft, betrifft ihn auch persönlich: Denn er verliebt sich bei Verhandlungen mit dem Fremdarbeiterlager Rote Mühle in die Dolmetscherin Tatjana Orlowa, einst Deutschlehrerin in Rostow am Don. Kadletz selbst ist es, der - unwissend - den Abtransport dieser Zwangsarbeiter in die Heimat vorbereitet, obowhl Tatjana ihm bedeutet, daß wohl nicht alle Insassen „der geplanten Heimreise mit so großer Freude entgegensähen" (S. 83). So wird auch Kadletz unschuldig schuldig. Schließlich erfährt er auf seine beunruhigten Nachfragen hin von Workutin: „Sie hatten doch Erkundigungen eingezogen wegen einer Tatjana Orlowa, Genosse Kadletz. Ich kann Sie da beruhigen. Die Bürgerin Orlowa lebt und befindet sich in staatlicher Obhut." (S. 256) Und da ist schließlich die Trauer über die Erblast dieses Stalinismus für die entstehende DDR und den real existierenden Sozialismus.354 Auch Wolfram wird verhaftet - er hatte Kontakt mit den Amerikanern gesucht, um „sein" Schwarzenberg zu retten, aber nicht das Angebot angenommen, mit den Amerikanern fortzugehen - und auf Jahre in der Sowjetunion inhaftiert. Danach, und das ist vielleicht die schlimmste Mitteilung dieses Buchs, ist sein politischer Mut gebrochen. Wolfram ist zwar jetzt Professor an der Universität Leipzig und hält Vorlesungen über „Soziale Strukuren in utopischen Gesellschaften", aber er hat Angst vor den bohrenden Fragen seiner jungen Studenten. Doch nimmt zumindest einer von ihnen, der Sohn eines damaligen Aktionsausschußmitgliedes, die Utopie wieder auf: „,Es verlangt ja keiner, Herr Professor', sagt er, ,daß Sie irgendeine Fahne schwingen sollen, nach Ihren Erfahrungen im Zuchthaus, in der Todeszelle, und der langen Zeit drüben bei den Freunden. Aber lassen Sie uns doch den Traum. Und die Fahne.'" (S. 271) Stefan Heyms Roman konnte in der DDR nicht erscheinen. Die sowjetischen Autoren sind - mit Ausnahme Sobkos355 - auf das Thema der Besatzung nicht mehr zurückgekommen. Die sowjetischen Theaterstücke der 40er und 50er Jahre waren .konjunkturbedingt' gewesen, so daß für ihre Autoren keine innere Notwendigkeit voilag, zu diesem 354 Die Geschichte der Republik Schwarzenberg ist offiziell zur Un-Geschichte erklärt worden (S. 135). 355 Er legte Jahrzehnte später ein weiteres Buch über die unmittelbare Nachkriegszeit in Deutschland vor. - Sobko, Vtoroja vstreia.

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Gegenstand zurückzukehren. Zeitzeugen wie Kasakewitsch und Pomeranzew, die in den 50er Jahren die avanciertesten Positionen vertraten, sind früh, 1962 bzw. 1971, gestorben. Die Abrechnungen mit dem Stalinismus, die die Perestrojka eimöglichte, befassen sich mit den innersowjetischen Verhältnissen und geschichtlichen Lasten. Hier, mit der Aufarbeitung der Besatzungszeit, war der DDR-Literatur also eine Aufgabe zugewachsen, die die sowjetische Literatur aufgrund der skizzierten Umstände nicht übernommen hatte: In den Romanen Heiduczeks, Strittmatters und Heyms hat sie sich ihrer mit Mut und Bravour entledigt.

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Schlußbemerkungen

In den ersten beiden Nachkriegsjahren war im kulturellen Leben der sowjetischen Besatzungszone der sowjetische Einfluß zwar personell bestimmend - alle Entscheidungsbefugnisse lagen unzweideutig bei den Vertretern der Sowjetischen Militäradministration aber die sowjetische Präsenz manifestierte sich in diesem Zeitraum noch nicht als Transfer des alle Lebensbereiche umfassenden sowjetischen Modells stalinistischer Prägung. Ackermanns Parole vom „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus" umriß gleichsam die von vielen Intellektuellen geteilte Vision einer eigenständigen Entwicklung. Der Facettenreichtum des damaligen Kulturbetriebs, der Meinungspluralismus in Diskussionen (etwa über das Niveau der Presse und insbesondere des Feuilletons) ließen diese Vision realisierbar erscheinen. Die Gründung des - im Ostblock als Kulturvereinigung einzigartigen - Kulturbunds mit seinem weitgefaßten Bündnisprogramm sprach ebenfalls dafür. Von den Intellektuellen wurde lediglich Loyalität gefordert und noch keine parteiliche Bekenntnishaltung. Es ist in den letzten Jahren viel darüber diskutiert worden, ob die relative kulturelle Freizügigkeit der Anfangsphase aufrichtig gewollt oder ob sie nur die nach außen präsentierte Fassade war, hinter der sich von Anfang an - aus strategischen Gründen zunächst kaschierte - autoritäre Kulturvorstellungen verbargen. Inwieweit die Motive der einzelnen Funktionäre von KPD/SED anfangs lauter, d. h. auf ein Zusammenkommen von Kultur und Demokratie gerichtet waren, oder inwieweit von vornherein die Errichtung eines Macht- und Interpretationsmonopols intendiert war, läßt sich nicht restlos und nicht für alle Protagonisten nachvollziehen. Letztlich ist die Frage nach den wirklichen kulturpolitischen Positionen und Zielsetzungen auch sekundär, weil der Sektor Kultur in allen Belangen abhängig war von der Politik, die wiederum in allen entscheidenden Faktoren von der Sowjetunion bestimmt wurde. Thesenhaft formuliert: Wenn sich die außenpolitischen Beziehungen zwischen den Kriegsalliierten (und damit die deutschlandpolitischen Optionen der Sowjetunion) nicht bis zur Eskalation des Kalten Krieges verschlechtert hätten, wäre auch die SED mit ihrem Bestreben nach Konsolidierung ihrer Herrschaft erfolglos geblieben. Dies belegen noch die Ereignisse um den 17. Juni, als Ulbrichts Stellung, und wohl auch das Weiterbestehen der DDR, zur Disposition stand. Die kulturpolitisch weitgehend liberalen ersten beiden Nachkriegsjahre waren somit Reflex der weltpolitisch noch nicht verfestigten Situation. Damit hatten die demokratischen Kräfte eine Chance, während gleichzeitig die konservativen', .dogmatischen' Kunstverwalter bereits ihre Bastionen künftiger Machtausübung ausbauten. Bei dem Versuch, von der Oberfläche, d. h. der Ebene der bekannten Fakten und Verlautbarungen, durch die Detailrekonstruktion exemplarischer Vorgänge und die Auswertung interner Diskussionen und Anordnungen die Tiefenstruktur nachzuzeichnen, erkennt man schnell, daß

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Schlußbemerkungen

das abwartende,,offene' Verhalten der Sowjetunion keineswegs Untätigkeit und Laxheit bedeutete. Von vornherein betrieb die SMAD eine entschiedene Personalpolitik, indem man wichtige Schaltstellen mit deutschen Kadern, vor allem Rückkehrern aus dem sowjetischen Exil, besetzte. Indem die SMAD zunehmend aus der Öffentlichkeit zurücktrat, blieb ihre Lenkungstätigkeit der breiten Bevölkerung durchweg verborgen. Auch die SMAD war indes Teil des sowjetischen Apparats, und damit berichterstattungspflichtig gegenüber den entsprechenden Moskauer Stellen und selbst einer umfassenden Kontrolle unterworfen. Diese Erkenntnis muß gerade in bezug auf die Kulturoffiziere zu einer Korrektur bisheriger idealisierender Einschätzungen führen: Während ihre Aktionen in Deutschland den Eindruck erweckten (und in der Forschungsliteratur vor allem der DDR so dargestellt wurden), als seien sie spontan, improvisiert oder zumindest weitgehend selbständig erfolgt, ergibt sich ,tiefenstruktureH' ein ganz anderes Bild. Die fast täglich in brieflicher Form mit der WOKS und anderen Moskauer Stellen geführte Auseinandersetzung belegt ebenso wie das Verhalten des Parteibüros innerhalb der SMAD (etwa bei dem Vorstoß gegen Dymschitz, der zu seiner Demissionierung führte), daß die sowjetischen Entscheidungsprozesse auf deutschem Boden immer in sowjetischen Systemstrukturen und -zwängen erfolgten. Gerade im kulturellen Bereich kam es in der frühen Besatzungszeit zu einer offenkundigen Ungleichzeitigkeit zwischen der in der Sowjetunion nach einer Phase relativer Lockerung während des Krieges 1945/46 schroff vollzogenen Re-Stalinisierung und dem werbenden Programm, das die sowjetischen Kulturoffiziere in Deutschland zu vertreten hatten oder vertreten wollten (auch hier ist die Frage nach den wirklichen Intentionen kaum entscheidbar). Zwar genossen manche der Kulturoffiziere in der Geschichtsschreibung und Memoirenliteratur über Jahrzehnte einen persönlichen Bonus von Liberalität, Toleranz und uneigennütziger Hilfe; doch wurde der Kredit, den die Kulturoffiziere (allerdings weitgehend auf Berlin beschränkt) durch ihr großzügiges Kulturprogramm für die sowjetische Kulturpolitik erwarben, von vornherein durch das politische Vorgehen der SMAD, die Rechtsunsicherheit, das Wirken des Geheimdienstes, das zynische Reagieren der Kommandanturen gefährdet, später dann endgültig verspielt. Mit den Vorgängen des Jahres 1947 (Truman-Doktrin, Marshall-Plan, Kominform-Gründung) wurde die „reaktive Mechanik" des Kalten Kriegs in Gang gesetzt. Damit wurden auch die Weichen in Richtung auf die Bildung von zwei deutschen Separatstaaten gestellt. Das erste kulturelle Großereignis, das vom Ausbruch des Kalten Kriegs betroffen war, war der I. Deutsche Schriftstellerkongreß im Oktober 1947. Den sowjetischen Delegierten, geschult, die Signale des stalinistischen Diskurses aufzunehmen und umzusetzen, fiel die Aufgabe zu, die neue Abgrenzungspolitik und Entscheidungsforderung in den Kongreß hineinzutragen, ohne daß die deutschen Intellektuellen begriffen, was während der Sitzungen und in ihrem Umfeld (Kulturbund-, Verbot') vor sich ging. Noch auf dem Breslauer Kongreß 1948 waren die Intellektuellen (vor allem des Westens) vielfach empört über die diffamierende Rede Fadejews, erkannten jedoch nicht das dahinterstehende Konzept: das Eintreten für den Frieden als prosowjetisches Bekenntnis und als Kampfansage gegen den .Imperialismus' zu instrumentalisieren. Ab 1948/49 wurde das sowjetische Modell in der SBZ/DDR in allen Lebensbereichen installiert und schrittweise verankert. Dabei gab es eine Gemengelage von Außensteuerung und Internalisierung. Dekrete und Entscheidungen zur sozialistisch-stalinistischen Transformation der DDR-Gesellschaft aus Moskau verzahnten sich mit Dispositionen und Aktivitäten auf deutscher Seite. Denn die deutschen Funktionäre verfolgten eigene Machtinteressen, die sie mit Hilfe der

Schlußbemerkungen

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sowjetischen Autorität zu legitimieren und zu behaupten suchten, wobei die unsichere deutsch-deutsche Situation einen besonderen Druck zu Anpassung und vorlaufendem Gehorsam bedeutete. Die Übernahme des sowjetischen Modells war also ein zweiseitiger Vorgang, wobei eine innere Entwicklungslogik ebenso in Rechnung zu stellen ist wie der Selbstlauf von einmal nach einem bestimmten Vorbild modellierten Organisationen. So schloß die Profilierung der (eindeutig von der SMAD begünstigten) SED als „entscheidendes Kraftzentrum" im Parteienspektrum der SBZ ihren alleinigen Führungsanspruch ein; der Entschluß zur Umwandlung in eine ,.Partei neuen Typus" war gleichzeitig eine Entscheidung zur Parteisäuberung im Blick auf strikte Linientreue; der Monopolanspruch der SED führte zwangsläufig zu Zentralismus, der nach und nach Politik, Wirtschaft, Recht, Medien, Bildung bestimmte. Diese Entwicklung steuerte auch die Formierung und den Ausbau der kulturellen Institutionen: Die durchaus eigenwilligen Vorstellungen, die Johannnes R. Becher mit dem Kulturbund und Jürgen Kuczynski mit der DSF verbanden, wurden zunehmend chancenlos. Beide Organisationen wurden rigide gestrafft und als „ideologische Transmissionsriemen" der engen Kontrolle durch die Partei unterstellt. Basisdemokratische, randständige Gruppierungen (wie die Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Intellektueller) wurden ausgeschaltet. Aber der von außen und innen betriebene Modelltransfer betraf nicht nur die organisatorische Gestaltung des Kulturbetriebs (von der Personalpolitik und Struktur künstlerischer Vereinigungen und Verbände über die ministeriellen Befugnisse bis hin zur Zensur), sondern auch Veihaltensmodi, Diskussionsrituale und Inhalte. Dazu gehörte die planmäßige Erfassung, Organisierung und Schulung der Intellektuellen, wobei die sowjetischen Wissenschaftskampagnen der 40er Jahre nicht alsDiskussionen, sondern als Ergebnisse mit verbindlichem Wahrheitsanspruch eingeführt wurden. An die Stelle von werbenden Maßnahmen und Überzeugungsarbeit trat das Agieren mit einem umfassenden Steuerungs- und Wahrheitsanspruch. Dabei gingen sowjetische und deutsche Funktionäre von der falschen Voraussetzung aus, als ob durch Propaganda und Agitation das gewünschte Bewußtsein, ja mehr noch: die gewünschte Realität herzustellen sei. Wirkliche Debatten konnten nicht mehr zugelassen werden, wie die Kampagne zur „Klärung" der Einstellung zur Sowjetunion „Über ,die Russen' und über uns" (1948/49) zeigt. Daß man beim Modelltransfer (etwa im Produktionsbereich, aber auch bei der Lancierung der Formalismuskampagne) oftmals auch mit mangelndem psychologischem Feingefühl vorging, vergrößerte noch den Schaden. Der Bevölkerung brachte man kein Vertrauen entgegen, auch eigene Wege zu gehen. Das Ersetzen der Debatten durch Dekrete, der erarbeiteten Erfahrung durch verordnetes Wissen führte zur Ausbildung eines doppelten Bewußtseins, der Diskrepanz zwischen offizieller und interner oder privater Rede. Die Schriftsteller und Künstler waren hier Opfer und Täter zugleich, weil sie den sie bevormundenden Apparat bedienten und nicht demontierten, weil sie das fällige gesellschaftliche Engagement erbrachten, obwohl oftmals Spontaneität und kreatives Potential weggekürzt wurden. Politische Rücksichtnahmen spielten hier ebenso eine Rolle wie die Aufrechterhaltung einer Sozialismushoffnung, für deren Verwirklichung man nur im Osten und nicht im Westen Deutschlands Voraussetzungen sah. Während die Intellektuellen anfangs - bis auf eine dünne Schicht - eher zur großen Masse der zu lenkenden, zu belehrenden, zu blendenden Bevölkerung gehörte, wurden viele von ihnen seit Ende der 40er Jahre durch den Aufstieg zu der über Herrschaftswissen verfügenden ,Kaste der Eingeweihten' komimpiert. Sie durchschauten zwar die Mechanismen der Macht, konnten diese Einsicht aber nicht preisgeben, indem sie beteiligt wurden.

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Schlußbemerkungen

Eckpunkte, an denen ein entschiedenes Verhalten, eine gemeinsame Auflehnung der Schriftsteller und Künstler vielleicht eine andere Entwicklung bewirkt hätte, waren 1947/48, am Beginn der Reglementierungswelle, und um den 17. Juni 1953 gegeben, als die Intellektuellen intern durchaus den von den Arbeitern öffentlich geäußerten Unmut teilten. Beide Chancen wurden versäumt, obwohl gerade 1953 die Maschinerie des Apparats laut knirschte, zumal mit dem nach Stalins Tod einsetzenden „Tauwetter" in der UdSSR Elemente des sowjetischen Modells in seiner stalinistischen Formation der Revision unterzogen wurden. Der sich differenzierende und öffnende sowjetische Kulturbereich hätte teilweise durchaus die Chance einer tatsächlichen Vorbildrolle gehabt - aber solche Anknüpfungen durften nicht frei gesucht werden; es blieb kaum Spielraum zur kritischen Auseinandersetzung. Die SED, der es um das Einholen, nicht um die Korrektur der sowjetisch-stalinistischen Linie ging, behielt gegenüber den Kritikern die Oberhand. So war insgesamt das mit aller Macht und allem publizistisch-propagandistischem Aufwand eingeführte sowjetische Modell im gesellschaftlichen Leben der SBZ/DDR nach außen hin äußerst erfolgreich. Die Bilanz der Wirkung im Innneren ist aber eher dürftig oder gar negativ. Die Romane über die Besatzungszeit zeigen das ganze Spektrum: Sie spiegeln die Gewißheit des Siegers, das Pathos des Aufbaus, den Traum der deutsch-sowjetischen Freundschaft; aber ebenso das Trauma der unglücklichen Begegnung, den Protest gegen das Fremdartige und Übergestülpte, die Tragik, daß der Sozialismus in der DDR unter stalinistischen Bedingungen enichtet worden ist.

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Editorische Notiz

Russische Namen und Ausdrücke werden im Text in der Umschrift wiedergegeben, wie sie in der DDR üblich war. In den Anmerkungen und im Literaturverzeichnis entspricht die Schreibweise der russischen Namen bei Übersetzungen der in den jeweiligen Beiträgen verwendeten, so daß sich zum Teil unterschiedliche Varianten ergeben (z.B. Tulpanow - Tjulpanow, Wais - Weiss). Bei russischsprachigen Publikationen wird dort für Namen und Titel die wissenschaftliche Transliteration verwendet. Für die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, die 1949 in Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft umbenannt wurde, wird generell die Abkürzung DSF verwendet. Für die kommunistische Partei in der UdSSR wird von uns durchgängig die - im Westen gebräuchliche - Bezeichnung Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) / Kommunisticeskaja Partija Sovetskogo Sojuza (KPSS) benutzt, obwohl sie bis 1952 Allrussische Kommunistische Partei (Bolschewiki)/Vserossijskaja Kommunisticeskaja Partija (bol'sevikov), VKP (b) hieß. Zur Vermeidung schwerfälliger Umschreibungen wie „die sowjetische Seite" oder „die Vertreter der Sowjetunion" verwenden wir stellenweise - wertneutral und in Parallele zur verkürzenden Rede von „den Amerikanern" oder „den Franzosen" - die Bezeichnung „die Sowjets". Für die im kulturellen Bereich tätigen Mitarbeiter der SMAD wird nicht der sowjetische Fachterminus „Referenten" benutzt, sondern der populäre Begriff „Kulturoffiziere", der sich in der DDR eingebürgert hatte. Akten aus russischen Archiven werden folgendermaßen zitiert: Nennung des Archivs opis' (Findbuch)/fond (Bestand)/Aktennummer. Die Archivverweise erfolgen ohne Seitenzahlen. Im Literaturverzeichnis wurden Artikel aus Tageszeitungen nicht berücksichtigt; sie werden in den Anmerkungen vollständig zitiert. Beiträge aus Wochenzeitungen sind nur in sehr begrenzter Auswahl in die Bibliographie aufgenommen worden, ohne Nennung der Seitenzahlen. Alle weiteren Publikationen, die im Literaturverzeichnis nachgewiesen sind, werden in den Anmerkungen - bereits ab der ersten Nennung - mit Kurztitel angeführt.

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AdsD AdK AGDSF AK ASV BA BGL BZ BzG CDU(D) CIA CK DA DBD DEFA DFD DSF DSV DVV DWK EAC EVG FDGB FDJ GARF GDR Glavlit GPU GUS HFBK HdK HJ HO IfZ KB KdF KP

Abkürzungsverzeichnis

Archiv der sozialen Demokratie Akademie der Künste Archiv der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft Auslandskommission (des sowjetischen Schriftstellerverbands) Archiv des Schriftstellerverbands Bundesarchiv Betriebsgewerkschaftsleitungen Berliner Zeitung Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung Christlich-Demokratische Union Deutschlands Central Intelligence Agency Central'nyj komitet/Zentralkomitee Deutschland Archiv Demokratische Bauernpartei Deutschlands Deutsche Film-Aktiengesellschaft Demokratischer Frauenbund Deutschlands Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft Deutscher Schriftstellerverband Deutsche Verwaltung für Volksbildung Deutsche Wirtschaftskommission European Advisory Commission Europäische Verteidigungsgemeinschaft Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Gosudarstvennyj archiv Rossijskoj Federacii/Staatsarchiv der Russischen Föderation Germanskaja Demokraticeskaja Respublika/Deutsche Demokratische Republik Glavnoe upravlenie po delam literatury i izdatel'stv/Hauptverwaltung für Literatur- und Verlagsangelegenheiten Gosudarstvennoe politiöeskoe upravlenie/Staatliche Politikverwaltung Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Hochschule für Bildende Künste Haus der Kultur der Sowjetunion Hitlerjugend Handelsorganisation Institut für Zeitgeschichte Kulturbund Kraft durch Freude Kommunistische Partei

388

KPD KPF KPdSU(B) KPSS(b) KZ LAZ LDP(D) LPG MAS MORP ND NDL NDPD NG NKFD NKWD NL NS NSDAP ODI OMGUS PEN PG PV RAPP RCChlDNI RGALI RGW RSFSR SA SAG SAPMO SBZ SDA SED SEPG SIB SKK SMA(D) SNB SPD SS SSOD

Abkürzungsverzeichnis

Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei Frankreichs Kommunistische Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) Kommunisticeskaja Partija Sovetskogo Sojuza (bol'sevikov) / Kommunistische Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) Konzentrationslager Landesarchiv Berlin - Abteilung Zeitgeschichte Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Maschinen-Ausleih-Station Mezdunarodnoe ob-edinenie revoljucionnych pisatelej/Internationale Vereinigung revolutionärer Schriftsteller Neues Deutschland Neue Deutsche Literatur Nationaldemokratische Partei Deutschlands Die Neue Gesellschaft Nationalkomitee Freies Deutschland Narodnyj kommissariat vnutrennych del/Volkskommissariat für innere Angelegenheiten Nachlaß Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Office of the Director of Intelligence Office of Military Gouvemment for Germany, US (-Club) Poets, Essayists, Novelists. Internationale Schriftsteller-Vereinigung Parteigenosse Parteivorstand Rossijskaja associacija proletarskich pisatelej / Russische Assoziation proletarischer Schriftsteller Rossijskij centr chranenija i izucenija dokumentov novejsej istorii/ Russisches Zentrum für die Aufbewahrung und Erforschung von Dokumenten der neuesten Geschichte Rossijskij gosudarstvennyj archiv literatury i iskusstva/Russisches Staatsarchiv für Literatur und Kunst Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Rossijskaja Sovetskaja Federativnaja Socialisticeskaja Respublika/Russische sozialistische föderative Sowjetrepublik Sturmabteilung Sowjetische Aktiengesellschaft Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR Sowjetische Besatzungszone Schutzverband Deutscher Autoren Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Socialisticeskaja Edinaja Partija Germanii/Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetisches Informationsbüro Sowjetische Kontrollkommission Sowjetische Militäradministration (in Deutschland) Sowjetisches Nachrichtenbüro Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Sojuz sovetskich obscestv druzby i kul'turnoj svjazi s zarubeznymi stranami/Union der sowjetischen Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Beziehungen mit dem Ausland

Abkürzungsverzeichnis

SSSR SU SVA(G) TAN TASS TR UdSSR VAPP VEB VKP(b) VVB WB WDR WEU WOKS ZA ZK ZPA ZPKK ZS

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Sojuz Sovetskich Socialisticeskich Respublik / Union der sozialistischen Sowjetrepubliken Sowjetunion Sovetskaja Voennaja Administracija (Germanii)/Sowjetische Militäradministration (in Deutschland) Technisch begründete Arbeitsnormen Telegrafnoe agenstvo Sovetskogo Sojuza/Telegraphenagentur der Sowjetunion Tägliche Rundschau Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Vserossijskaja associacija proletarskich pisatelej/Allrussische Assoziation proletarischer Schriftsteller Volkseigener Betrieb Vserossijskaja Kommunisticeskaja Partija (bol'sevikov)/Allrussische Kommunistische Partei (Bolschewiki) Vereinigung Volkseigener Betriebe Weimarer Beiträge Westdeutscher Rundfunk Westeuropäische Union Vsesojuznoe obäcestvo kul'tumych svjazej / Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland Zentralausschuß Zentralkomitee Zentrales Parteiarchiv Zentrale Parteikontrollkommission Zentralsekretariat

11 Interviews und schriftliche Befragungen

In Deutschland und Österreich Hans Borgelt, Journalist, Filmemacher und Literat, nach dem Krieg Musik- und Theaterkritiker der „Berliner Zeitung" (Gespräch am 26. 11. 1989). Heinrich Graf von Einsiedel, als Kriegsgefangener Mitglied des NKFD und Absolvent einer Antifa-Schule, 1948 Mitarbeiter bei der „Täglichen Rundschau" (Gespräch am 18. 8. 1989). Eva Hay, Ehefrau des Dramatikers Julius Hay, reiste gemeinsam mit ihm 1948 in die SBZ (Gespräch am 20. 4. 1988). Stephan Heym, Schriftsteller, kämpfte während des Zweiten Weltkriegs auf Seiten der US-Armee, organisierte 1945 zeitweilig die amerikanische Pressearbeit in Deutschland, übersiedelte 1952 in die DDR (Brief vom 26. 5. 1989). Ingrid Kantorowicz, Kunstpädagogin, unterrichtete Ende der 40er Jahre an den Kunsthochschulen Dresden und Berlin-Weißensee, Ehefrau des Schriftstellers Alfred Kantorowicz (Gespräch am 15.11. 1989). Jürgen Kuczynski, Volkswirtschaftler, Professor für politische Ökonomie und Wirtschaftsgeschichte, 1947 bis 1950 erster Präsident der DSF (Gespräch am 5. 9. 1988). Melvin J. Lasky, Publizist, seit Kriegsende Herausgeber wissenschaftlich-politischer Zeitschriften (Brief vom 30. 11. 1991). Leonhard, Wolfgang, Journalist und Hochschullehrer, Absolvent der Komintern-Schule in Moskau, Mitarbeit im NKFD und innerhalb der „Gruppe Ulbricht" seit Mai 1945 beim politischen Aufbau in Ost-Berlin, flüchtete 1948 über Jugoslawien nach Westdeutschland (Gespräch am 19. 3. 1988). Erich Loest, Schriftsteller, war nach dem Krieg Redakteur der „Leipziger Volkszeitung" (Gespräch am 19. 10. 1988). Frank Lothar, Schauspieler, Regisseur, Theaterdirektor, 1948-1950 Intendant des Schauspielhauses in Frankfurt/Oder (Brief vom 18. 9. 1988). Nadeshda Ludwig, Slawistin, Übersetzerin, nach dem Krieg als Literaturpropagandistin tätig (Gespräch am 5. 9. 1988). Hans Mark, Parteifunktionär, 1947 bis 1950 Generalsekretär der DSF, danach Mitarbeiter beim Kulturbund (Gespräch am 7.9. 1988). Hans Mayer, Literaturwissenschaftler, 1948 bis 1963 Germanistik-Professor an der Universität Leipzig (Gespräch am 15. 6. 1988). Fritz Mierau, Slawist (Studium in den 50er Jahren), Herausgeber zahlreicher Editionen aus dem Russischen (Gespräch am 17. 2 .1988).

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Interviews

und schriftliche

Befragungen

Eberhard Reißner, Slawist, Hochschullehrer, Student in der DDR während der Aufbauphase (Gespräch am 22. 3. 1988). Ralf Schröder, Slawist, Übersetzer, hatte 1946 sein Slawistik-Studium in Berlin begonnen (Gespräch am 7. 9. 1988). Wadim Tschubinski, Historiker und Publizist, nach dem Krieg zunächst Dolmetscher bei der Außenhandelsverwaltung der SMAD, später Redakteur bei der „Täglichen Rundschau" (Gespräch am 16.11. 1993). Ernst Wangermann, Historiker, Beobachter der Exilszene in England und der Nachkriegsentwicklung in Wien (Gespräch am 17. 8. 1989). Charlotte Wasser, Kulturpädagogin, Anfang der 50er Jahre Lektorin für neue deutsche Literatur im Schriftstellerverband, 1954-1959 Mitglied des Zentralvorstands der DSF (zahlreiche Gespräche seit Mai 1988). Paula Waßmann, Bibliothekarin, in der Nachkriegszeit in einer Bücherei in Plauen/Vogtland beschäftigt (Gespräch am 9. 2. 1988). Michail Woslenski, Politikwissenschaftler, nach dem Krieg Dolmetscher beim Alliierten Kontrollrat (Gespräch am 29. 8. 1989).

In Rußland Hilde Angarowa, deutscher Abstammung, seit 1928 in Moskau, seit den 30er Jahren Übersetzerin russischer und sowjetischer Literatur ins Deutsche (Gespräch am 23. 5. 1989). Grigori Bergelson, Germanist, nach dem Krieg Redakteur bei der „Täglichen Rundschau" (Gespräch am 9. 7. 1989). Nikolai Bunin, Germanist, seit den 50er Jahren Übersetzer deutscher Literatur ins Russische (Gespräch am 20. 5. und 22. 5. 1989). Ira Ehrenburg, Übersetzerin und Journalistin, betreut den Nachlaß ihres Vaters Ilja Ehrenburg (Gespräch am 28. 5. 1989). Ilja Fradkin, Germanist, nach dem Krieg Theateroffizier bei der SMAD (Gespräch am 27. 5. 1989). Arseni Gulyga, Philosoph, nach dem Krieg Theateroffizier für Berlin (Gespräch am 26.6. 1989). Oleg Jegorow, Literaturwissenschaftler, bei Kriegsende NKWD-Offizier an der Elite-Antifa-Schule Krasnogorsk bei Moskau (Gespräch am 6. 7. 1989). Jewgenija Kazewa, Übersetzerin und Redakteurin literarischer und literaturwissenschaftlicher Zeitschriften, nach dem Krieg Mitarbeiterin beim Sowjetischen Nachrichtenbüro in Berlin (Gespräch am 24. 5. 1989). Tamara Motyljowa, Germanistin, seit 1930 Mitarbeiterin bei der Internationalen Vereinigung revolutionärer Schriftsteller (MORP), betreute 1948 die erste deutsche Schriftstellerdelegation in Moskau, bis 1949 Mitarbeiterin bei der deutschen Abteilung der Zeitschrift „Sowjetliteratur" (Gespräch am 27. 6. 1989 und 6. 7. 1989).

12 Eingesehene Archive

Akademie der Künste zu Berlin (AdK): - Archiv des Schriftstellerverbands (ASV), Berlin - Friedrich-Wolf-Archiv, Lehnitz - Literaturarchive, Berlin Archiv der sozialen Demokratie (AdsD), Bonn Bundesarchiv Koblenz (BA Koblenz) Gosudarstvennyj archiv Rossijskoj Federacii / Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF), Moskau Institut für Zeitgeschichte (IfZ), München Landesarchiv Berlin - Abteilung Zeitgeschichte (LAZ) Rossijskij gosudarstvennyj archiv literatury i iskusstva / Russisches Staatsarchiv für Literatur und Kunst (RGALI), Moskau Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Nachlaß Alfred Kantorowicz Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO), Berlin: - Archiv der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (AGDSF) - Archiv des Kulturbunds (KB-Archiv) - Zentrales Parteiarchiv (ZPA) Ullstein-Archiv, Berlin

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Literaturverzeichnis

13.1 Dokumente und Quellen Auf dem Wege zu einer Massenorganisation. Tätigkeitsbericht der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion 1. 4. 1948 bis 31. 3. 1949, überreicht von Generalsekretär Hans Mark, Berlin o. J. Band der Freundschaft. Sowjetische Filme in Deutschland. Hrsg. von der Presse- und Werbeabteilung Sovexportfilm G. m. b. H„ Berlin o. J. [1951] Becher-Dokumente, in: Neue Deutsche Literatur 5/1991, S. 90-105 Beziehungen DDR-UdSSR 1949-1955. Dokumentensammlung Bd. 1. Hrsg. vom Ministerium für auswärtige Angelegenheiten der DDR/Ministerstvo inostrannych del SSSR, Berlin 1975 Chamberlin, Brewster S.: Kultur auf Trümmern. Berliner Berichte der amerikanischen Information Control Section Juli-Dezember 1945, Stuttgart 1979 Congrès mondial des intellectuels pour la paix Wrodaw - Pologne 25-28 août 1948. Compte-rendu presenté par le bureau du secrétaire général, Warschau 1949 DDR. Dokumente zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945-1985. Hrsg. von Hermann Weber, München 1986 Dokumente der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft 1949, o. O. o. J. [Berlin 1950] Dokumente der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft 1950, o. O. o. J. [Berlin 1951] Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Parteivorstandes, des Zentralsekretariats und des Politischen Büros. Bd. 2, Berlin 1951 Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats. Bd. 4, Berlin 1954 Dokumente zur Kulturpolitik in Mecklenburg nach der Befreiung vom Faschismus. Hrsg. vom Staatsarchiv Schwerin in Zus.arbeit mit dem Rat des Bezirkes Schwerin und der Bezirkskommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der Bezirksleitung Schwerin der SED, Schwerin 1972 Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED. Hrsg. von Elimar Schubbe, Stuttgart 1972 Eine neue Generation nimmt das Wort, in: Horizont 24/1947, S. 8-10 Der erste gesamtdeutsche Schriftstellerkongreß nach dem Zweiten Weltkrieg im Ostsektor Berlins vom 4. bis 8. Oktober 1947. Hrsg. von Waltraud Wende-Hohenberger, Frankfurt/M.-Bern-New York-Paris 1988 Die Expressionismusdebatte. Materialien zu einer marxistischen Realismuskonzeption. Hrsg. von Hans-Jürgen Schmitt, Frankfurt/M. 1976

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Literaturverzeichnis

Der Fall Berija. Protokoll einer Abrechnung. Das Plenum des ZK der KPdSU Juli 1953. Hrsg. von Viktor Knoll und Lothar Kölm, Berlin 1993 Freunde für immer. Die Neue Gesellschaft: Sondernummer zum 2. Kongreß der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft 1949, Berlin 1949 Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion. Tätigkeitsbericht seit der Gründung der zentralen Gesellschaft 30.6.1947 bis 31.3.1948, vorgelegt vom Generalsekretär Hans Mark, als Manuskript gedruckt, Berlin o. J. „Gruppe Ulbricht" in Berlin April bis Juni 1945. Von den Vorbereitungen im Sommer 1944 bis zur Wiedergründung der KPD im Juni 1945. Eine Dokumentation. Hrsg. von Gerhard Keiderling, Berlin 1993 Kuczynski, Jürgen: Aus den Anfängen einer großen Freundschaftsbewegung. Dokumente aus der Tätigkeit der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1967, Sonderheft S. 149-175 Manifest des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Berlin o. J. [1945] Materialy k 60-letiju sojuza sovetskich obscestv druzby i kul'tumoj svjazi s zarubeznymi stranami, Moskau 1986 Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands 20. bis 24. Juli 1950, Berlin 1951 Protokoll der Verhandlungen der 2. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1952 Public Opinion in Occupied Germany. The OMGUS Surveys, 1945-1949. Hrsg. von Anna J. Merritt und Richard L. Merritt, Urbana-Chicago-London 1970 Die Säuberung. Moskau 1936: Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung. Hrsg. von Reinhard Müller, Reinbek 1991 Schlewe, Siegfried: Dokumentation zur demokratischen Bodenreform im Kreis Greifswald. Hrsg. von der Kreisleitung der SED und dem Kreislandwirtschaftsrat unter Mitwirkung der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung, o. O., o. J. SSSR GDR. 30 let otnosenij. 1949-1979. Dokumenty i materialy. Ministerstvo inostrannych del SSSR/Ministerstvo inostrannych del GDR, Moskau 1981 Um die Erneuerung der deutschen Kultur. Dokumente 1945-1949. Hrsg. von Gerd Dietrich, Berlin 1983 Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Dokumente aus den Jahren 1945-1949. Hrsg. vom Ministerium für auswärtige Angelegenheiten der DDR, Berlin 1968 Za antifasistskuju demokratiCeskuju Germaniju. Sbornik dokumentov 1945-1949 gg. Ministerstvo inostrannych del SSSR, Moskau 1969

13.2 Memoiren und literarische Werke Abusch, Alexander: Mit offenem Visier. Memoiren, Berlin 1986 Andreas-Friedrich, Ruth: Schauplatz Berlin. Tagebuchaufzeichnungen 1945-1948, Frankfurt/M. 1986 Barlog, Boleslaw: Theater lebenslänglich, München 1981 Becher, Johannes R.: Verteidigung der Poesie (1952), in: J.R.B., Bemühungen I (Gesammelte Werke, Bd. 13), Berlin-Weimar 1972, S. 5 ^ 0 8

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14 Personenregister

Abramow, A.A. 170, 180 Abusch, Alexander 44,45,49,61,67,73,91,148, 187, 192,204,206,216 Acheson, Dean 21 Achmatowa, Anna 25, 26, 27, 28, 30, 54, 56, 65, 74, 157, 176, 288, 307 Ackermann, Anton 61, 96, 97, 99, 186, 197, 214, 216, 381 Adenauer, Konrad 22 Akimow, Nikolai 27 Alexandrow, Georgi 31, 53, 57,75, 104, 225 Alterman, S. 161, 301 Amado, Jorge 67 Anderson-Nexö, Martin 67 Andreas-Friedrich, Ruth 102 Andric, Ivo 67 Angarowa, Hilde 7 Apel, Carl 126 Aragon, Louis 38, 64, 69, 93, 275 Arendt, Hannah 84 Aron, Raymond 84 Ashajew, Boris 117, 144, 293, 297, 309, 313, 314 Auer, Annemarie 321 Awdejew, Viktor 285 Babajewski, Semjon 29, 291, 309 Babel, Isaak 30 Babitschenko, Denis 5 Baby, Jean 84 Bach, Johann Sebastian 219 Baierl, Helmut 139 Balzac, Honoré de 201, 305 Bardin, Iwan 64 Barlach, Emst 161, 220, 221 Barthel, Max 155 Bauer, Leo 101 Becher, Johannes R. 37, 38, 39,45,46,49,51,61, 67, 92, 93, 145, 150, 154, 155, 179, 188, 189,

190, 192, 193, 196, 204, 216, 229, 231, 232, 238, 277, 300, 311, 316, 317, 318, 323, 383 Bedel, Maurice 68 Bedny, Demjan 307 Beethoven, Ludwig van 219 Belinski, Wissarion 310 Benda, Julien 67 Benjamin, Walter 134 Benn, Gottfried 39 Bergelson, Grigori 7, 164, 172, 178 Bergengruen, Werner 39 Berija, Lawrenti 18, 23, 234 Berman, Jakub 65, 66 Bernstein 80 Bersarin, Nikolai 185, 240 Bieler, Manfred 374 Binding, Rudolf 155 Birkenfeld, Günther 38, 50, 51, 52, 53 Blaum, Verena 4, 191 Bljum, Arien 5 Bloch 163 Bloch, Ernst 221 Block, Alexander 156 Bock, Sigrid 49 Bokow, Fjodor 165 Bondarenko 181, 242 Bondy, François 67, 84 Bonwetsch, Bernd 5 Bordjugow, Gennadi 5 Borejsza, Jerzy 64, 66, 70, 79 Borgelt, Hans 7,47,150 Borkenau, Franz 84, 85 Borodin, Alexander 303 Bortkewitsch, Georgi 124 Brailsford, Eva Maria 52 Brailsford, Henry 52 Brandt, Günter 187

420

Brecht, Bertolt 3 8 , 6 7 , 9 3 , 1 0 5 , 1 1 0 , 1 3 3 , 1 3 4 , 1 3 7 , 141, 143, 144, 150, 159, 220, 226, 228, 303, 306, 316, 317, 319, 373, 374, 377 Bredel, Willi 39, 49, 67, 116, 194, 220, 231, 237, 276, 293, 300, 328, 345, 362, 363, 364, 365, 366 Breshnew, Leonid 121 BrSzan, Jurij 290, 292, 293 Brik, Ossip 135 Broch, Hermann 85 Broszat, Martin 3 Brahat, Jean 84 Bubennow, Michail 285 Bucharin, Nikolai 269 Buchwitz, Otto 115 Bühring, Rudolf 128 Builow, A. F. 125 Bulgakow, Michail 26 Burnham, James 84 Busch, Ernst 169 Bykow, Pawel 124, 125 Byrnes, James F. 14, 15, 16, 17, 18 Caldwell, Erskine 38 Camus, Albert 372 Cárdenas, Lázaro 80 Carossa, Hans 39 Chagall, Marc 80 Chaplin, Charlie 80 Chlebnikow, Welemir 307 Chrennikow, Tichon 64, 86 Chrustschow, Nikita 30 Chudow, Georgi 219 Churchill, Winston 1 0 , 1 1 , 1 4 , 1 6 , 109 Claudius, Eduard 133, 134, 136, 137, 139, 141, 144, 276, 277, 279, 281, 282, 283, 285, 287, 316,317, 326, 327 Clay, Lucius D. 17, 18, 19, 2 0 , 4 0 , 4 6 , 102, 270 Coleman, Peter 60, 83, 85 Creuzberger, Stefan 5 Croce, Benedetto 84 Crossmann, Richard 84 Cwojdrak, Günter 226 Davidson, Joe 66 Dawidowitsch, David 187 Deiters, Heinrich 42,43, 199 Dessau, Paul 220 Deutscher, Isaac 148 Dewey, John 84 Dietrich, Gerd 3, 197 Dimitroff, Georgi 95, 189

Personenregister

Djacenko, Boris 266, 361 Döblin, Alfred 38 Dobrenko, Jewgeni 6 Dolmatowski, Jewgeni 294, 297 Donskoi, Mark 311 Dos Passos, John 69, 84 Dostojewski, Fjodor 305, 306, 356 Dovifat, Emil 187 Dralle, Lothar 3 Dulles, John Foster 21 Duwanow, Pawel 125 Dymschitz, Alexander 36, 37, 38, 40, 51, 55, 56, 57, 59, 61, 145, 146, 148, 149, 150, 152, 157, 158, 159, 160, 161, 165, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 176, 177, 178, 179, 180, 183, 202, 219, 261, 276, 288, 302, 328, 332, 335, 336, 337, 344, 350,356, 365, 382 Ebert, Friedrich 234, 236, 237, 256, 268 Eggebrecht, Axel 50 Ehmsen, Wolfgang 276, 277 Ehrenburg, Ilja 6 4 , 7 0 , 7 1 , 8 0 , 8 1 , 8 2 , 8 6 , 1 0 4 , 1 8 0 , 281,284, 285, 308, 323 Einsiedel, Heinrich Graf von 7 Einstein, Albert 78, 79, 80 Eisenstein, Sergej M. 53, 57,71 Eisler, Gerhart 59 Eisler, Hanns 59, 67, 220, 318 Eliot, Thomas S. 69, 83 Elisabeth, Königin von Belgien 80 Eluard, Paul 67, 69, 296 Ende, Lex 108, 198, 199, 200, 202, 204, 234,235, 254, 263, 268, 269, 270 Endler, Adolf 93 Engel, Rudolf 219 Engels, Friedrich 257, 305 Erpenbeck, Fritz 199 Faber, Ilse 315 Fadejew, Alexander 28, 29, 30, 54, 5 6 , 6 4 , 6 6 , 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 83, 86, 257, 266, 286, 287, 288, 291, 295, 307, 308, 323, 382 Fallada, Hans 154, 155, 156 Farrell, James T. 84 Fast, Howard 69 Faulkner, William 52 Fedin, Konstantin 175, 180, 268, 291, 295, 298, 307, 319 Fehling, Jürgen 153 Feldman, I. 163, 164, 166 Field, Noel 100, 235, 269, 375 Fischer, Ernst 67, 68, 70, 72

Personenregister

Fischer, Ruth 59 Flaubert, Gustave 201 Fleischer, Erna 216 Fontane, Theodor 201 Fradkin, Ilja 7, 149, 163, 164, 172, 276, 316, 318, 320, 322, 324, 328 Frank, Leonhard 39 Friedensburg, Ferdinand 42,45,48, 193,240 Frisch, Max 67, 68, 73 Fiihmann, Franz 290 Furtwängler, Wilhelm 153,154, 201 Gaidar, Arkadi 312 Gandhi, Mahatma 52 Gansei, Carsten 4 Garbe, Hans 134, 136, 137, 326 Gide, André 84, 280 Gieseke, Jens 3 Ginsburg, Lew 323, 324 Giordano, Ralph 362 Gimus, Wilhelm 67,219, 220 Gladkow, Fjodor 29,133,134,135,136,137,139, 180, 266, 284, 307, 308, 309, 313, 327 Glinka, Michail 156,217 Gniffke, Erich 211 Goebbels, Josef 55, 73, 341 Goethe, Johann Wolfgang von 152,157,179, 219 Goldhammer, Bruno 101 Golikow, G. 181 Gorbatow, Boris 40,51,52,54, 55, 56,57,58,61, 74,156, 182,281,284,285 Gorbatschow, Michail 332 Gorki, Maxim 182, 257, 269, 282, 306, 307, 311, 356, 360, 377 Gotsche, Otto 139, 215, 220, 342, 366, 368 Graf, Oskar Maria 39 Griese, Gustav 122 Gropper, William 66 Grossman, Wassili 30, 172,180, 340 Grotewohl, Otto 96,115,198, 202,216,250,269, 314 Grünberg, Gottfried 236, 237, 241, 253, 268 Griinberg, Karl 226, 227, 298 Gründgens, Gustav 153, 169 Gulyga, Arseni 7, 149, 164, 172 Gussew 172, 220, 243, 261, 262 Gute, Herbert 240 Guttuso, Renato 67 Gysi, Klaus 42, 62, 199, 201, 204 Haack, Hermann 240 Halpem, Olga 134

421

Hamacher, Gottfried 233, 236, 241, 251 Händel, Georg Friedrich 219 Harich, Wolfgang 50, 61, 92, 199, 204, 276, 277, 286 Harriman, Averiii W. 15 Hauptmann, Gerhart 154, 155,156 Hauser, Harald 324 Hausmann, Manfred 39 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 57 Heider, Magdalena 4 Heiduczek, Werner 371, 372, 379 Hein, Christoph 362 Heine, Heinrich 178, 333 Helfrich, Carl 67 Hennecke, Adolf 114, 115, 116, 117, 118, 121, 122, 124, 126, 237,247, 351 Hepp, Eugène-Théodore 48 Hermes, Andreas 96, 165 Hermlin, Stephan 49,92,276,277, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 287, 288, 296, 323 Herrnstadt, Rudolf 4, 23, 108, 109, 110, 216 Herzfelde, Wieland 215 Heukenkamp, Rudolf 92 Heukenkamp, Ursula 3,191 Heym, Stefan 128, 227, 316, 362, 377, 378, 379 Heymann, Stefan 159, 216, 250, 322 Hiebel, Irmfried 197, 208 Hiersche, Anton 174 Hillebrand, Alfons 122 Himmler, Heinrich 341 Hirsch, Erika 305 Hitler, Adolf 72,95,109,110,153,175,178,199, 317, 341,343 Hofer, Karl 153, 158, 161, 218, 277 Hoffmann, Frieda 125 Hogarth, Paul 67 Hook, Sidney 80, 82, 84, 85 Hovde, Bryn J. 66, 72, 73, 74, 82 Howley, Frank L. 42 Huch, Ricarda 39, 48, 60 Hüchel, Peter 290, 291, 293, 294 Huppert, Hugo 306 Hurwitz, Harold 102, 103 Huxley, Julian 67, 70, 72, 73, 74, 85 Ihering, Herbert 169 Ilf, Ilja 26 Iwan IV. 170 Iwanow, Lew 234, 237, 249 Iwaszkiewicz, Jaroslaw 68 Jäger, Manfred 197, 207

422

Janka, Walter 4 Jaspers, Karl 84 Jegolin, A. 28 Jerjomin, Dmitri 291 Jermakow 267 Jermilow, Wladimir 291 Jessenin, Sergej 307 Johnson, Uwe 362 Joliot-Curie, Irène 6 7 , 7 0 Kahn, Albert E. 66 Kaiser, Jakob 99, 165 Kalinin, Michail 312 Kant, Immanuel 50 Kantorowicz, Alfred 37, 38, 61, 151, 221,321,322 Kantorowicz, Ingrid 7 Kasakewitsch, Emmanuil 29, 329, 340, 343, 344, 345, 347, 348, 349, 350, 361, 379 Kast, Peter 204 Katajew, Valentin 2 9 , 4 0 , 5 2 , 5 5 , 5 6 , 5 7 , 182, 284, 307 Kazewa, Jewgenija 7, 172 Kegel, Gerhard 67 Kellermann, Bernhard 154, 176, 179, 276, 277, 279, 280, 316, 317, 319, 353 Kellermann, Ellen 279 Kemenow, Wladimir 181 Kennan, George F. 12, 15 Kipphardt, Heinar 296 Kirsanow, Alexander 149, 163 Kisch, Egon Erwin 134, 268, 269 Kislowa, L. 260, 263 Kleinschmidt, Karl 194 Knepler, Georg 217 Kneschke, Karl 213 Knoll, Viktor 4 Koestler, Arthur 83, 84, 85 Kogon, Eugen 84 Köhler, Erich 139 Kolesnitschenko, Iwan 238, 242 Kölm, Lothar 4 Kolzow, Michail 26 Konwitschny, Franz 48 Koptjajewa, Antonina 313 Komejtschuk, Alexander 303 Koroljow 126 Koshewnikow, Alexej 309, 313 Koshewnikow, Wadim 284

Personenregister

167, 220,

341, 342, 351, 359,

156, 180,

195, 240, 320, 321,

Kosmodemjanskaja, Soja 117 Kostoff, Trajtscho 100 Kotelnikow 170 Kotikow, Alexander 242 Kotschetow, A. 301 Kotschetow, Wsewolod 313 Kowaljow, Fjodor 125 Krawtschenko, Viktor 82, 83, 84 Kreikemeyer, Willi 101 Kretzschmar, Ingeburg 164 Kriwopalow 170 Krymow, Juri 307 Kuba (Kurt Barthel) 226,227, 290,291,292,295, 2 9 6 , 3 1 6 , 3 1 7 , 3 2 3 , 3 2 4 , 325 Kubsch, Hermann Werner 156, 204 Kuby, Erich 102, 149 Kuckhoff, Edith 91 Kuczynski, Jürgen 7, 67, 90, 107, 166, 171, 199, 200, 201, 202, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 239, 243, 244, 245, 255, 256, 257, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 266, 274, 276, 284, 286, 303, 304, 323, 359, 383 Kügelgen, Bernd von 203 Kulbakin, V. D. 5 Kurella, Alfred 263, 264, 266 Kusmin, Michail 65 Lang, Otto 303 Langgässer, Elisabeth 39, 49 Langhoff, Wolfgang 58, 276, 277, 288, 303 Langner, Ilse 37 Lask, Berta 322 Lasky, Melvin J. 35, 36,40,52, 5 3 , 5 4 , 5 5 , 5 7 , 5 9 , 60, 73, 84, 86 Lawrenjow, Boris 183, 303 Legal, Ernst 67, 302 Lemmer, Ernst 99, 165 Lenau, Nikolaus 310 Lenin, Wladimir 55, 145, 146,152, 209,240,257, 268, 305, 306 Leonhard, Hans 187 Leonhard, Rudolf 38,49, 60 Leonhard, Wolfgang 98 Leonow, Leonid 64, 71, 72 Leschnitzer, Franz 322 Lewonewski, Dmitri 25 Liebknecht, Kurt 217 Loest, Erich 7, 227 Lorbeer, Hans 155 Loschtoschenowa, K. 131 Löwenthal, Richard 84

423

Personenregister

Ludwig, Nadeshda 7,107, 239 Luft, Friedrich 38 Lukäcs, Georg 67, 82, 152, 282, 310 Lunatscharski, Anatoli 145 Lunin, Nikolai 125 Luxemburg, Rosa 269 Lyssenko, Trofim 31, 76, 77, 78, 83, 130, 132, 224, 257, 376 Magritz, Kurt 217, 218, 221 Mai, Joachim 239 Maier, Robert 120 Majakowski, Wladimir 71, 135, 168, 281, 306, 307,317,324 Makarenko, Anton 311, 312 Malenkow, Georgi 18, 24, 25, 32, 33,57, 66, 226, 289 Malraux, André 69, 85 Mamedow, Firidun 125 Mandelstam, Ossip 65, 173, 307 Mann, Golo 84 Mann, Heinrich 38, 80 Mann, Thomas 37, 38, 84, 154, 322 Marchwitza, Hans 67, 290, 311 Maritain, Jacques 84 Mark, Hans 7, 231, 232, 233, 234, 250, 251 Marr, Nikolai 223, 224 Marshall, George C. 16 Marx, Karl 257 Matern, Hermann 269 Matisse, Henri 80 Matrossow, Alexander 117 Maurer, Georg 227 May 216 May, Karl 296, 314 Mayer, Hans 4, 7, 50, 53, 60, 63, 67, 68, 73, 167, 277 McCarthy, Joseph R. 21, 54, 66, 81 Mehring, Walter 84 Meier, Otto 186 Mejlach, Boris 291 Mende, Georg 240 Mendelssohn, Peter de 84 Merker, Paul 100, 101 Mestschaninow, Iwan 64 Meyer, Emst Hermann 217 Meyerhold, Wsewolod 134 Michalkow, Sergej 297 Mikojan, Anastas 18 Miller, Henry 69 Mitschurin, Iwan 76, 257

131,

296,

225,

103,

Mjasnikow, A. S. 222 Mode, Heinz 277 Modzelewski, Zygmunt 68 Molotow, Wjatscheslaw 13, 18, 66, 106, 201, 257 Morenow, Pawel 123 Morgan, Levis H. 77 Morgenthau, Henry 12, 13 Morosow, Pawlik 297 Motenew 162 Motyljowa, Tamara 7, 278, 285, 318, 320, 321, 322, 323, 324, 325, 327 Mühsam, Erich 134 Müller, Heiner 134, 135, 137 Müller, Reinhard 4 Mumford, Lewis 78 Mussatow, Alexej 291 Naas, Josef 155, 194, 202 Nabokov, Nicolas 85 Naimark, Norman 5 Nasarowa, Nina 125 Nekrassow, Viktor 29, 54, 305, 340 Neriinger, Oskar 158 Neruda, Pablo 64, 93 Neutsch, Erik 369, 372 Niekisch, Ernst 228 Nierich, Max 67 Nikitin, Andrej 5 Nikolajewa, Galina 309, 313 O'Neill, Eugene 69 Oelßner, Fred 209, 210, 255 Ognjow, Nikolai (= Rosanow, Michail) 171 Oistrach, David 48, 175 Orwell, George 84 Ossietzky, Maud von 187 Ostrowski, Alexander 301 Ostrowski, Nikolai 180, 303, 307, 308, 312, 313 Ould, Herman 38 Owetschkin, Valentin 313 Palladin, Alexander 64 Panfjorow, Fjodor 285 Panowa, Vera 29, 285, 308 Pardon, Inge 107 Pasternak, Boris 26, 30, 65, 176, 180, 291, 306, 307 Patent, Grigori 178, 183 Paul, Luise 238 Pawlenko, Pjotr 285, 295, 298, 308 Pawlow, Iwan 257 Pechstein, Ernst 67 Pereswetow, Roman 164

424

Petrow, Jewgeni 26 Petzold, Ilse 210 Picasso, Pablo 64, 67, 89, 319 Pieck, Wilhelm 87, 115, 150, 155, 189, 202, 234, 255, 256, 269 Pike, David 3 Platonow, Andrej 30, 176, 180 Plivier, Theodor 39, 84 Pohl, Gerhard 67 Pohl, Gerhart 155 Polewoi, Boris 308, 315 Poltawzew, Walen 4 8 , 1 7 1 , 1 8 0 , 1 8 1 , 182, 185 Pomeranzew, Wladimir 355, 358, 359, 360, 361, 379 Prenant, Marcel 67, 83 Prileshajewa, Maria 291 Prokofjew, Sergej 28, 82, 303 Pudowkin, Wsewolod 64 Puschkin, Alexander 156,179, 310 Quasimodo, Salvatore 67 Rachmanow, Leonid 303 Radek, Karl 269 Rajk, Làzló 100 Rehmann, Ruth 35, 54 Rein, Heinz 204 Reinhardt, Annemarie 290, 296 Reinhardt, Rudolf 163, 164 Reinhold, Ursula 35 Renn, Ludwig 61, 65 Reuter, Ernst 85 Reuter, Fritz 235 Rilla, Paul 153, 290, 322 Rimski-Korsakow, Nikolai 170 Rinser, Luise 84 Robeson, Paul 80 Rodenberg, Hans 332 Rogge, John O. 66, 80 Rolland, Romain 69 Romains, Jules 84, 275 Roosevelt, Eleanor 84 Roosevelt, Franklin D. 10, 11, 12, 13,15,59, 333 Rosanow, Michail 171 Rosanow, Wsewolod 171,179 Rosanowa, S. 320, 321, 326, 327 Rousset, David 83 Rowohlt, Emst 47 Rühle, Jürgen 223, 226 Rülicke, Käthe 134 Russell, Bertrand 78, 83, 84 Rybakow, Anatoli 309, 313

Personenregister

Salacrou, Armand 80 Saleskaja 326 Sandberg, Herbert 159, 219 Sartre, Jean-Paul 69, 81, 301, 372 Saslawski, David 73, 74, 77, 207 Scharoun, Hans 67 Schejnin, Lew 331, 332, 333, 338 Schendell, Werner 37 Schiller, Friedrich 152, 219 Schlenstedt 35 Schlesinger, Arthur M. 84 Schmid, Carlo 84 Schmidt-Rottluff, Karl 161 Schneider, Reinhold 39 Scholochow, Michail 29, 64, 84, 86, 138, 139, 141, 142, 143, 144, 287, 307, 313, 354 Schostakowitsch, Dmitri 28, 82, 86, 159, 175 Schreiber, Walther 96 Schroeder, Louise 43 Schröder, Max 37, 220 Schröder, Ralf 7 Schröder, Rudolf Alexander 39 Schulmeister, Karl-Heinz 192,194 Schulz, Martin 269 Schumacher, Kurt 97 Schwaab 160 Schwarz, Jewgeni 169, 183 Seeger, Bernhard 139 Seghers, Anna 39, 49, 50, 65, 67, 93, 116, 134, 135, 212, 216, 237, 276, 277, 279, 281, 282, 283, 284, 286, 293, 294, 300, 316, 317, 321, 322, 323, 328 Seitz, Gustav 220 Seminski, Witali 125 Semjonow, Wladimir 2 3 , 1 4 7 , 1 6 2 , 1 6 3 , 1 6 5 , 1 6 6 , 190,191,217 Serafimowitsch, Alexander 307, 309 Serow, Iwan 165 Shakespeare, William 377 Shdanow, Andrej 1 6 , 1 7 , 1 8 , 2 4 , 2 5 , 2 6 , 2 7 , 2 8 , 3 1 , 32, 33, 39,40, 5 7 , 6 3 , 6 5 , 6 6 , 6 8 , 76,152,157, 158,165,179, 214, 215, 225, 257, 288, 329 Shirmunski, Viktor 179 Shukow, Georgi 104, 154,187, 367 Silone, Ignazio 84 Simonow, Konstantin 2 7 , 4 7 , 5 6 , 8 3 , 86,104,281, 284, 301,308 Sinclair, Upton 85 Sinowjew, Alexander 269 Slansky, Rudolf 101, 235

Personenregister

Sobko, Wadim 303, 317, 350, 351, 353, 354, 355, 361,379 Sobottka, Gustav 97 Sofronow, Anatoli 297, 298, 331, 332, 337, 338, 339, 358 Sokolowski, Wassili 17,40,165,166,190 Sostschenko, Michail 25, 26, 27, 28, 30, 32, 53, 54,55,56,59,74,157,176,287,288,289,291 Souvarine, Boris 84 Stachanow, Alexej 115, 116, 117, 118, 121, 124, 132, 138,247, 352 Stalin, Josif 2,9, 10, 11, 12,14,16,18, 22,24,25, 26,27,28,29,30,32,33,54,57,65,76,79,82, 84, 88,90,91, 93, 94,104, 120,121,130,132, 170, 172, 182, 191, 201, 209, 210, 223, 224, 225, 228, 244, 247, 257, 266, 271, 289, 306, 315, 321, 323, 325, 331, 334, 341, 347, 349, 375, 384 Stanislawski, Konstantin 303 Steinbeck, John 38, 52 Steiniger, Peter 109 Steinitz, Wolfgang 109, 240, 241, 299 Stern, Kurt 37 Steshenski, Wladimir 249,316,319,320,322,326 Strasser, Hans Gotthilf 240 Strempel, Horst 214, 218, 219 Strittmatter, Erwin 138, 139, 141, 143, 227, 373, 374, 375,377,379 Stroux, Johannes 116, 237 Stscherbina, Wladimir 323 Stübs, Albin 49 Stulz-Herrnstadt, Nadja 4 Surkow, Alexej 268, 291, 295, 296 Susanow 128 Süskind, Wilhelm Emanuel 49, 50 Tarle, Jewgeni 64 Taylor, Alan J. P. 67, 72, 73, 74 Thape, Emst 211 Thons, Kerstin 4 Thoss, Alfred Edgar 134 Tiburtius, Joachim 48 Tichonow, Nikolai 28, 86,93 Tito, Josip Broz 17, 84, 180,210 Tjulpanow, Sergej 38,39,40,44,45,49,115,145, 146, 149, 150, 152, 155, 156, 163, 164, 165, 166, 167, 170, 185, 190, 232, 233, 239, 256, 263, 280, 300, 307, 308 Tolstoi, Alexej 307 Tolstoi, Lew 135, 305, 306, 337 Toper, P. 324

425

Toynbee, Arnold 78 Trenjow, Konstantin 183 Tretjakow, Sergej 133, 134, 135, 200 Triolet, Elsa 275 Truman, Harry S. 15,16, 59, 333 Tschaikowski, Pjotr 156 Tschechow, Anton 303 Tscherednikow 125 Tschesno-Hell, Michael 243, 276, 277, 284, 316, 323 Tschitscherin, Georgi 269 Tschubinski, Wadim 7, 164 Tschuikow, Wassili 152, 166, 184 Tschutkich, Alexander 126 Tucholsky, Kurt 178 Tur, Gebrüder (= Tubelski, Leonid, und Ryshej, Pjotr) 331, 332, 333, 338 Turek, Ludwig 367, 368 Twardowski, Alexander 93, 295 Ulbricht, Walter 23, 36, 96, 97, 98, 100,150,165, 184, 189, 192, 197, 215, 216, 220, 229, 232, 234, 250, 254, 255, 323, 381 Unger, Wilhelm 39 Unruh, Fritz von 38 Ussow 332 Vallentin, Maxim 303 Varga, Jewgeni 75, 76 Viskov, S.T. 5 Vring, Georg von der 155 Wagner, Richard 151 Wallace, Henry 66 Wandel, Paul 185, 259 Warne, Colston 66 Wauer, Max 160 Wawilow, Sergej 86, 257 Weber, Alfred 84 Weber, Hermann 3 Wegener, Paul 185 Wehner, Jens 3 Weimann, Richard 200, 201, 203 Weinert, Erich 49, 61, 65,150,155, 186, 220 Weisenbom, Günther 37, 38, 48, 58, 219, 276, 277, 278, 283, 287 Weismann, August 77 Weiss (Wais), Grigori 150, 154 Welk, Ehm 220 Wells, Herbert G. 69 Wenzel, Franz 270, 271 Wetzel, Rudolf 271 Wiechert, Ernst 39

Personenregister

426

Wiens, Paul 290, 293, 295 Wilder, Thornton 52 Willerding, Klaus 233, 241 Willmann, Heinz 315 Winogradowa, M. 119 Winzer, Otto 67, 216 Wirth, Erich 124, 125, 126 Wischnewski, Wsewolod 40, 48, 51, 52, 54, 156, 182,183,302, 303,352 Wittgenstein, Werner 42 Wolf, Christa 362

Wolf, Friedrich 39, 49, 50, 52, 67, 139, 178, 179, 182, 216, 220, 300, 302, 304, 316, 317, 325, 326, 365 Woslenski, Michail 7 Wosnessenski, Nikolai 75, 76 Wurmser, André 83 Wyschinski, Wsewolod 90 Zaisser, Wilhelm 23 Zimmering, Max 290, 292 Zipfel, Rudi 122 Zweig, Arnold 39, 150,212 Zwetajewa, Marina 65, 307

Publikationen des

Zentrums für Zeitgeschichte von Bildung und Wissenschaft der Universität Hannover Akademie Verlag Berlin Manfred Heinemann (Hrsg.): Vom Studium generale zur Hochschulreform. Die „Oberaudorfer Gespräche" als Forum gewerkschaftlicher Hochschulpolitik 1950-1968, bearb. von Peter Chroust. (Edition Bildung und Wissenschaft, Bd. 1). Berlin 1996, 326 S. Gb. DM 98,00 (ISBN 3-05-002901-3) Peter Strunk: Zensur und Zensoren. Medienkontrolle und Propagandapolitik unter sowjetischer Besatzungsherrschaft in Deutschland. (Edition Bildung und Wissenschaft, Bd. 2). Berlin 1997, 183 S. Gb. DM 84,00 (ISBN 03-05-002850-5) Manfred Heinemann (Hrsg.): Süddeutsche Hochschulkonferenzen 1945-1948, bearb. von Klaus-Dieter Müller und Christian Eggers (Edition Bildung und Wissenschaft, Bd. 3). Berlin 1997, VIII, 307 S. Gb. DM 124,00 (ISBN 3-05-002852-1) Manfred Heinemann (Hrsg.): Hochschuloffiziere und der Wiederaufbau des Hochschulwesens in Deutschland: Die sowjetische Besatzungszone, unter Mitarbeit von Alexandr Haritonow, Berit Haritonow, Anne Peters, Hartmut Remmers. (Edition Bildung und Wissenschaft, Bd. 4). Berlin 1998 (ISBN 3-05-002851-3), in Vorbereitung Manfred Heinemann (Hrsg.): Wissenschaft und Macht. Zur Sowjetisierung der Wissenschaft in Osteuropa. (Edition Bildung und Wissenschaft, Bd. 5). Berlin 1998 (ISBN 3-05-003173-5), in Vorbereitung Pjotr I. Nikitin: Zwischen Dogma und gesundem Menschenverstand: Wie ich die Hochschulen in der deutschen Besatzungszone „sowjetisierte". Erinnerungen des Sektorleiters Hochschulen und Wissenschaft in der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland. (Edition Bildung und Wissenschaft, Bd. 6). Berlin 1997, X, 284 S. Gb. DM 98,00 (ISBN 3-05-003147-3) Anne Hartmann/Wolfram Eggeling: Sowjetische Präsenz im kulturellen Leben der SBZ und frühen DDR 1945-1953 (Edition Bildung und Wissenschaft, Bd. 7). Berlin 1998, XII, 426 S. Gb. DM 120,00 (ISBN 3-05-003089-5) Akademie Verlag GmbH • Mühlenstr. 33-34 • D 13187 Berlin • Fax (0 30) 47 88 93 57 Auslieferung: Verlegerdienst München • Gutenbergstr. 1 • 82205 Gilching • Fax (0 81 05) 38 81 00 Verlag Lax Hildesheim Manfred Heinemann (Hrsg.): Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Westdeutschland 1945-1952. Teil 1: Die britische Zone, bearb. von David Phillips. (Geschichte von Bildung und Wissenschaft, Reihe B, Bd. 1) Hildesheim 1990, 204 S„ Ln. geb. DM 68,00 (ISBN 3-8269-3901-8) Manfred Heinemann (Hrsg.): Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Westleutschland 1945-1952. Teil 2: Die US-Zone. Unter Mitarbeit von Ullrich Schneider. (Geschichte von Bildung und Wissenschaft, Reihe B, Bd. 2) Hildesheim 1990, 255 S., Ln. geb. DM 68,00 (ISBN 3-8269-3902-6) Manfred Heinemann (Hrsg.): Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Westdeutschland 1945-1952. Teil 3: Die Französische Zone. Bearb. von Jürgen Fischer unter Mitarbeit von Klaus-Dieter Müler, Anne Peters und Peter Hanske. (Geschichte von Bildung und Wissenschaft, Reihe B, Bd. 3) Hildesheim 1991, 332 S., Ln. geb. DM 86,00 (ISBN 3-8269-3903-4) Bernhard vom Brocke (Hrsg.): Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. „Das System Althoff' in historischer Perspektive. (Geschichte von Bildung und Wissenschaft, Reihe B, Bd. 5). Hildesheim 1991, 640 S„ Ln. geb. DM 116,00 (ISBN 3-8269-3906-9) Manfred Heinemann (Hrsg.): Nordwestdeutsche Hochschulkonferenzen 1945-1948. Bearb. von Siegfried Müller. (Geschichte von Bildung und Wissenschaft, Reihe C, Bd. 1, Teil I und II) Hildesheim 1990, 618 S., Ln. geb. DM 168,00 (ISBN 3-8269-3905-0) Werner Holzmüller: Ein Physiker erlebt das 20. Jahrhundert (Geschichte von Bildung und Wissenschaft, Reihe D, Bd. 1) Hildesheim 1993, Ln. geb. DM 78,00 (ISBN 3-8269-3907-7) Verlag Lax • Andreas-Passage 1 • D 31134 Hildesheim Fax (0 51 21) 16 70 17