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German Pages 1261 [1258] Year 2004
Michael Schwartz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München Berlin, Abteilung Berlin sowie Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. -
Umschlagabbildung:
Vertriebene in einem Umsiedlerlager der SBZ im sächsischen Freiberg. Quelle: Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Landesregierung Sachsen, Ministerium des Innern Nr. 2429/1
Oldenbourg
Michael Schwartz Vertriebene und „Umsiedlerpolitik"
Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte Band 61
R.
Oldenbourg Verlag München 2004
Michael Schwartz
Vertriebene und
„Umsiedlerpolitik" Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ/DDR 1945-1961
R.
Oldenbourg Verlag München 2004
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2004 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Umschlagabbildung: Vertriebene in einem Umsiedlerlager der SBZ im sächsischen Freiberg. Quelle: Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Landesregierung Sachsen, Ministerium des Inneren Nr. 2429/1 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbH, München ISBN 3-486-56845-0
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung. I. Einleitung: Die Fremdheit der Vertriebenen. Zwangsmigration und Integration als Probleme der doppelten deutschen Nachkriegsgeschichte 1. Der Fragehorizont: Forschung als Wissenszuwachs und Deutungs.
alternative
2. Vermintes
.
Begriffs-Gelände:
XI
1 1
Von Umsiedlern, Vertriebenen und
anderen Labels. 3. Zwangs-Gesellschaft im Nachkrieg: Integrationsideologie und
Integrationsverweigerung. Zwangszuwanderung: Politische Inklusion
3 6
4. Dialektik der
soziale Exklusion. 5. Soziale Resultate der Zwangszuwanderung: Differenzierung statt -
Nivellierung. Zwangszuwanderung: Ein neues Design von Sozialpolitik. 7. Fortschritte und Fehltritte: Bemerkungen zum Forschungsstand.. 8. Prämissen, Fragen, Methoden: Zur Vorgehensweise dieser Arbeit. Die Soziologie der Macht: Organisationen und Netzwerke auf dem Politikfeld der „Umsiedlerpolitik". 1. Befehl und Mitgestaltung: Sowjetisch-deutsche Kommunikation in der Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR.
16
22
6. Politische Resultate der
II.
1.1. „Die russischen Offiziere": Geschäftsführer der Umsiedlerangelegenheiten in der Sowjetischen Militäradministration 1.2. Begrenzte „Perestrojka": Zum Wandel sowjetisch-deutscher
..
1.3.
Arbeitsbeziehungen. „Die Deutschen machen nichts ohne Anordnung": SMADBefehle und Varianten deutscher Befehlserfüllung.
28 36 43 47 68
71 80 94
„Die Lage ist schwarz, die Lage ist sehr schlecht!" Deutsche Verwaltungspraxis und sowjetische Korrekturversuche (98) 1.3.2. „Pas1.3.1.
Systemebenen, Lebenswelten und Grenzen der Besatzungs-Diktatur (103) 1.3.3. „Es kommt darauf an, den Befehl so auszulegen, daß er tragbar wird": Deutsche Strategien des Aushandelns und Unterlaufens sowjetischer Befehle (115) 1.4. „Wir sind kein sinkendes Schiff": Die Entmachtung der sive Resistenz":
-
-
SMAD-Umsiedlerabteilung in der sowjetzonalen Umsiedlerpolitik 1947-1949.
131
Inhaltsverzeichnis
VI 1.5.
„Ein gewisser ,Übergangscharakter' jener Zeit": Die Sowje-
tische Kontrollkommission und die Entstehung des DDRUmsiedlergesetzes 1949/50. 2. Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität: Deutsche Akteure und Agenturen von Umsiedlerpolitik in der SBZ/DDR 2.1. Verflechtung und Abgrenzung: Gesamtdeutsche Entwicklungstendenzen von Flüchtlingspolitik und Flüchtlingsbürokratien 2.2. „Erprobte Parteiarbeiter": Das kaderpolitische Machtmonopol der KPD/SED in den sowjetzonalen Umsiedlerbürokratien 2.2.1. „Beim Personaleinsatz erhebliche Fehlgriffe": ZVU-Personalpolitik zwischen KPD/SPD-Parität und anti-sozialdemokratischen „Säuberungen" (174) 2.2.2. „Diese Apparate müssen jetzt auch gesäubert ....
139 159
.
164
.
173
werden": Personalpolitische Interventionen in den Umsiedlerbehörden der Länder und Provinzen (193) 2.2.3. „Gewisse Verschiebung des politischen Schwergewichts": Kommunistische Kaderpolitik und bürgerliche Blockparteien (204) -2.2.4. „Etwas Neues": Das soziopolitische Profil der ZVU-Belegschaft in sowjetzonaler und gesamtdeutscher Perspektive (228) -
-
2.3.
„Wir haben gemeinsam Kraft genug": Kohäsion und Konflikt
im SED-Netzwerk der Umsiedlerpolitik. 2.3.1. „Bemerkenswert war die unfreundliche Haltung": Kommunistisch-sozialdemokratische Gruppenkonflikte und der Antagonismus 2.3.2. „In den Bahnen von von Umsiedler- und Sozialpolitik (247) Paul Merker" ? Gruppenkonflikte zwischen Westemigranten und Moskau-Emigranten und die sozialinterventionistische Umsiedlerpolitik (257) 2.3.3. „Der Genosse Wilhelm Pieck hat nachdrücklich gewünscht, daß die Aufgaben der Partei zur Lösung des Umsiedlerpro-
244
-
-
blems klar umrissen werden": Umsiedlerpolitische Differenzen zwischen Moskau-Emigranten am Beispiel Piecks und Ulbrichts (269) 2.3.4. „Vom Zentralsekretariat der Partei behandelt": Geschäftsführer der Umsiedlerpolitik im zentralen SED-Apparat (283) -
2.4.
„Interessenvertretung bei der DWK": Das Reformprojekt ei-
institutionellen Verbindung von Vertriebenenförderung und Wirtschaftsplanung 1948/49. 2.4.1. „Nicht so weiterarbeiten wie bisher": Institutionelle Reform-Varianten der sowjetzonalen Umsiedlerpolitik 1947/48 (296) 2.4.2. „Nicht interessiert, daß Umsiedler bei der Wirtschaftskommission ner
295
-
bleibt": Die vorübergehende DWK-Integration der zentralen Umsiedlerbürokratie 1948 (302) 2.4.3. „Nicht energisch genug mit der Faust auf den Tisch geschlagen": Widerstände der SED-Umsiedlerfunktionäre gegen den Widerruf der DWK-Integration 1948/49 (321) 2.4.4. „An entscheidender Stelle wirksam": Liberaldemokratische Opposition gegen die Aufgabe der DWK-Integration 1948/49 (325) 2.4.5. „Die Union geht voran": Christdemokratische Opposition gegen die Aufgabe der DWK-Integration 1948-1950 (331) -
-
-
2.5. Zwischen
„Liquidierung" und „Weiterführung": Umsiedlerpolitisches Netzwerk-Handeln im Kontext der SED-Innenpolitik 1948-1953.
341
Inhaltsverzeichnis 2.5.1.
„Schon lange gewünschte bestimmte Machtbefugnisse": Die In-
als Träger von Zentralisierung und Gleichschaltung im Staatsapparat der SBZ 1948/49 (342) 2.5.2. „Falsche Selbständigkeit": nenressorts
Der Konflikt um die künftigen Handlungsspielräume umsiedlerpolitischer Institutionen in den Innenressorts 1948/49 (350) 2.5.3. „Die Arbeit für die Umsiedler nicht zu Ende": Landespolitische SED-Netzwerkstrategien zwischen Parteidisziplin und Eigeninitiative 1948/49 (359) 2.5.4. „Maßnahmen im Interesse der Umsiedler": Problematische Kontinuitätssicherung im zentralen SED-Parteiapparat 1948/50 (367) 2.5.5. „Weitere Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler": Das neue bevölkerungspolitische Netzwerk und das Kontinui-
-
-
-
tätsproblem der Umsiedlerpolitik 1949-1953 (387)
Eigensinn und Selbstorganisation: Politik der Vertriebenen als Herausforderung der offiziellen Umsiedlerpolitik. 3.1. Der „Apparat der Umsiedlerausschüsse": Das staatliche Projekt kontrollierter Vertriebenenpartizipation 1945-1949.
412 419
3.1.1. „Mehr oder weniger auf dem Papier": Ausschuß-Projekt und
Zusammenbruchsgesellschaft 1945/46 (421) 3.1.2. „Hechte im Karpfenteich": Zentralistische Ausschuß-Förderung und lokalgesellschaftliche Machtverhältnisse 1947/48 (432) 3.1.3. „Bedenken in einigen -
Fragen": Das Projekt des „Zentralen Umsiedlerbeirats" und das Veto der SED-Führung 1947 (451) 3.1.4. „Organisation, die wir nicht -
mehr in der Hand haben": Die „Liquidierung" der Umsiedlerausschüsse zugunsten des SED-Machtmonopols 1948/49 (462) 3.1.5. „Die richtige Zusammensetzung": Kommunale Wohnungsausschüsse und Sozialkommissionen als interessenpolitische Ersatz-Institutionen -
-
(470)
3.2.
„Die Selbstverwaltung der Flüchtlinge": Vertriebenen-Selbst-
organisation und polizeistaatliche Repression in der SBZ/
DDR. 3.2.1. „Man kann nicht durch Dekrete die Heimatgefühle unterbin-
477
den": Selbstorganisationsversuche vertriebener Kommunisten in der SBZ (482) 3.2.2. „Flüchtlingsvertreter": Spielräume und Grenzen selbstorganisierter Vertriebenen-Partizipation in der SBZ 1945-1948 (497) 3.2.3. „So einfach mit dem Holzhammer": Vertriebenen-Selbstorganisation und SED-Repression 1948-1961 (509) -
-
3.3.
„Die revanchistische Schutzhelferrolle des Klerus": Vertriebe-
nen-Organisation und kirchliche Institutionen in der SBZ/
DDR. 3.3.1. „Keine politischen Geschäfte mit Spenden": Der Machtkampf
544
zwischen SED und kirchlichen Hilfswerken um das Spendenverteilungsmonopol in der SBZ/DDR (546) 3.3.2. „In den meisten Köpfen nur die Kirche": Kirchliche Vertriebenen-Arbeit als sozialer Integrationsfaktor und als SED-Kontrollproblem (551) 3.3.3. „Sofort ein politischer Accent": Das Sonderproblem der pommerschen und schlesischen Landeskirchen in der SBZ/DDR (569) 3.3.4. „Charakter von Landsmannschaften": Evangelische Vertriebenen-Freikirchen und der versagende SED-Kontrollanspruch (571) 3.4. „Staat im Staate": Die Mikropolitik der „Umsiedler-Pro-
-
-
duktivgenossenschaften" zwischen Gruppenautonomie und Assimilationszwang.
572
VIII
Inhaltsverzeichnis
„Ein geeignetes Instrument, sofern dieses Instrument richtig gehandhabt wird": Selbstorganisation und Subventionierung der Umsiedlergenossenschaften in der SBZ (576) 3.4.2. „Der stärkste Steuerzahler": Sonderfall und Sonderbehandlung der Gablonzer-Genossenschaften in der SBZ (592) 3.4.3. „Die Rechnung ohne den Wirt gemacht": Die gescheiterte Selbstbehauptung umsiedlergenossenschaftlicher Netzwerke am Beispiel der Neustrelitzer „Sudehi" (596) 3.5. „Gewollte Isolierung in jeder Beziehung": Die Selbstabgrenzung von Vertriebenen als Steuerungsproblem der SED-Assi3.4.1.
-
-
milationspolitik
.
III. Die Macht des Sozialen: „Umsiedlerpolitik" in der Konfliktgesellschaft der SBZ/DDR. 1. Integration durch Bodenreform? Vertriebene, Agrarpolitik und ländliche Aufnahmegesellschaft in der SBZ/DDR. 1.1. „Von größter Bedeutung für die Behebung der Not der Um-
siedler": Sowjetzonale Bodenreform und begrenzte Vertriebenenpartizipation. 1.1.1.
611 625 637
645
„Verschiedene Meinungen über die Freiheit": Bodenreformen
und Vertriebenenpartizipation in der SBZ und in Westdeutschland (646) 1.1.2. Auf der Schattenseite der „Bodenreform": Vertriebene Landarbeiter und arbeitsunfähige Vertriebene als neue ländliche Unterschicht (654) 1.1.3. Integration durch Desintegration: Soziale Mechanismen der Vertriebenen-Partizipation an der „Bodenreform" (668) 1.1.4. Vertriebene als „Reservearmee": Temporale Strukturen der Vertriebenen-Partizipation an der „Bodenreform" (680) 1.1.5. Neubauernpolitik und Vertriebenendifferenz: Problemleugnung und Problemwahrnehmung in der sowjetzonalen Agrarpolitik (689) 1.1.6. „Antifaschistische Kaders auf dem Dorfe": Zentralstaatliche Förderung und mehrheitsgesellschaftliche Ablehnung neubäuerlicher „Antifa-Umsiedler" 1946-1948 (709) 1.1.7. „Zweckmäßig, anders zu arbeiten": Umsiedler-Neubauern und die Anfänge der Agrarkollektivierung in der DDR ab 1952 (720) -
-
-
-
-
-
1.2.
„Ein Stück Gartenland zum Urbarmachen und Bebauen": Er-
nährungssicherung durch Parzellenverteilung an Vertriebene
1946-1949. „Magenfrage": Nahrungsmittelknappheit und Anrechtskonflikte in der Rationengesellschaft (731) 1.2.2. „Nicht mehr von dem Wohlwollen oder Nichtwohlwollen der örtlichen Stellen abhängig": Gesetzliche Anrechtsgewährung und effektive Gartenlandverteilung in Thüringen und Sachsen-Anhalt 1947/48 (740) 1.2.3. „Man lässt sie dahinvegetieren": Gartenlandverteilung als kommunaler Gnadenakt in der restlichen SBZ 1947-1949 (758)
729
1950. „Gleichzeitig Wohnraum verloren": Das Neubauern-Bauprogramm und die Zerstörung von Gutsgebäuden (772) 1.3.2. „Änderung der Kreditbedingungen erforderlich": Die soziale Exklusionswirkung der Baufinanzierung (800) 1.3.3. „Losgelöst von den Wirtschaft-
766
1.2.1. Die
-
-
1.3.
„Daß sich eine besondere Verfügung zur Bevorzugung der Umsiedlerneubauern erübrigt": Vom Nutzen und Nachteil des Neubauern-Bauprogramms für die Vertriebenen 19471.3.1.
-
-
Inhaltsverzeichnis
1.4.
liehen Möglichkeiten und dem Bewußtsein des größten Teils der Umsiedler und Neubauern": Die Krise der Bauförderung als Voraussetzung der Wende zur Vertriebenenförderung 1950 (827)
„Umsiedler sind bevorzugt zu behandeln": Neubauernpolitik als Vertriebenenpolitik 1950-1952.
„Klassenkampf im Dorfe" : Vertriebenenpolitische Abgaben- und Tarifermäßigungen im Kontext der SED-Transformationspolitik (844) 1.4.2. „Ungesetzliche Handlungen": Steuerungsprobleme und Inklusionskonflikte anreizorientierter Sozialpolitik am Beispiel der Milchvieh-Versorgungsaktion (856) 1.4.3. „Faß ohne Boden": Das vertriebenenpolitisch modifizierte Neubauern-Bauprogramm 1951/52 (868) „Umsiedlerkredit" statt Umverteilung: Varianten der Hausrathilfe
840
1.4.1.
-
-
in den 2.1.
gesellschaftlichen Interessenkonflikten der SBZ/DDR „Es muß etwas getan werden": Umverteilung von Mobiliar und Hausrat als lastenausgleichende Soforthilfe-Politik in der ....
SBZ.
893
898
„Appell die Solidarität": Das Versagen freiwilliger HausratUmverteilung 1945-1948 (901) 2.1.2. „Den Faschismus aktiv unterstützt": Zwangs-Umverteilung von Hausrat im Kontext der Entnazifi2.1.1.
an
-
2.2.
zierung 1945/46(908) „Streit um Kleiderschränke und Wäschetruhen": Gesamt-
deutsche Konflikte um zwangsweise Hausrat-Umverteilung 1946-1949.
918
2.2.1. „Spaltung der Werktätigen": Projekte zur Zwangsumverteilung in SED und CDU und deren Vereitelung 1946/47 (920) 2.2.2. „Das
Gesetz läuft stillschweigend weiter": Zwangsumverteilung in Thüringen zwischen Avantgardismus und Isolation (935) 2.2.3. „Beschwerden in großer Zahl": Umverteilung auf der Basis des Reichsleistungsgesetzes (943) 2.2.4. „Keine Gesetze zu empfehlen": Landespolitische -
-
Blockaden von Umverteilungspolitik (950) 2.2.5. „Umsiedler an erster Stelle": Privilegierte Versorgung aus der Neuproduktion als Um-
-
2.3.
verteilungs-Alternative (963) „Umsiedlerkredit": Die Subventionen des DDR-Umsiedler-
gesetzes „zum Erwerb von Gegenständen des Wohnbedarfs" 1950-1953. 2.3.1. „Propaganda-Bluff": Diskussionen um Ausstattungssubventionen im Kontext sowjetzonaler Lastenausgleichspolitik 1946-1949 (974) 2.3.2. „Verfrüht, mit Teilzahlungskrediten Hoffnungen zu machen": Das Scheitern des Kredit-Pilotprojekts der SED 1949 (994) 2.3.3. „Landesarbeitsgemeinschaft für Umsiedlerversorgung": Zentralstaatliche Passivität und konkurrierende Subventionspolitik SachsenAnhalts 1949/50 (1008)-2.3.4. „Vom Notbürger zum Vollbürger": Die Konzeption des Wohnbedarfkredits im DDR-Umsiedlergesetz vom September 1950 (1019) -2.3.5. „In jeder Hinsicht großzügig": Der Wohnbedarfkredit als allgemeiner „Umsiedlerkredit im Herbst 1950 (1026) 2.3.6. „Umsiedlerkredite gerecht verteilen!" Der restriktive Kurswechsel im November 1950 (1044) 2.3.7. „Wie man durch ein gutes Gesetz mit ungenügender Vorbereitung die Bevölkerung verärgern kann": Politische Steuerungsversuche nach dem Kurswechsel in der Kreditpolitik (1056) 2.3.8. „Erwartung, daß ihnen der Staat die -
-
-
-
Schuld erlässt": Kreditnehmer-Verhalten und verschärfter staatlicher -
973
X
Inhaltsverzeichnis
Tilgungsdruck (1079) 2.3.9. „Durch ihren Einsatz eine Hilfe verdient": Die partielle Wiedereinbeziehung besserverdienender „Aktivi-
sten
und Bestarbeiter" in den Wohnbedarfkredit (1091) 2.3.10.
„Grenzen gezogen": Die Einstellung des Hausratkredits 1953 und ihre Folgeprobleme (1108) IV. Schlußbilanz: Vertriebenenzuwanderung, Gesellschaftskonflikt und Assimilationspolitik in der SBZ/DDR. 1. Der „vormundschaftliche Staat": Institutionelle und personelle Strukturen von „Umsiedlerpolitik" in der SBZ/DDR. 2. „Angleichung der Lebensverhältnisse": Umsiedlerpolitik als Ge-
1117 1121
sellschaftsveränderung 2.1. Integration in der Desintegration: Agrarpolitische Vertriebenenförderung und ländliche Gesellschaftskonflikte. 2.2. Von der Umverteilung zur Arbeitsgesellschaft: VertriebenenHausrathilfe und gesellschaftliche Gruppeninteressen. „Einschmelzung" versus „Eingliederung": Konkurrierende Integrationspolitiken in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften Konflikt, Kooperation und Trauma. Das Integrationsproblem
1138
der Vertriebenen in Politik und Gesellschaft.
1188
Abkürzungsverzeichnis.
1201
Quellenverzeichnis.
1207
Literaturverzeichnis.
1211
Personenregister
1241
.
3. 4.
1143 1152 1165
..
Vorbemerkung Die
vorliegende Arbeit
ist das Resultat einer
mehrjährigen Forschungsanstren-
gung, deren Verlauf den Verfasser gegenüber verschiedenen Personen und Institu-
tionen zu großem Dank verpflichtet hat. Die Dankesschuld beginnt gegenüber dem Arbeitgeber, dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, dem diese Arbeit ihre Anregung und ihre günstigen Entstehungsbedingungen verdankt. Vor allem ist dem Direktor des Instituts, Prof. Dr. Horst Möller, für die ermutigende und sachkundige Begleitung zu danken. Nicht minder hilfreich war die vom Bundesministerium des Innern geförderte Ermöglichung zweier wissenschaftlicher Konferenzen zum Thema der Vertriebenenintegration in Deutschland unter Ägide des Instituts für Zeitgeschichte, deren Vorbereitung, Diskussionen und Ergebnisse die vorliegende Arbeit wesentlich bereichert haben. Nicht möglich geworden wäre diese Arbeit ohne die Unterstützung aller in Anspruch genommenen Archive, allen voran der Berliner Abteilung des Bundesarchivs und der ebenda angesiedelten Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR, deren geduldigen Mitarbeitern herzlicher Dank gesagt werden soll. Dieser gebührt nicht minder jenen wissenschaftlichen Kollegen, die wie PD. Dr. Hermann Wentker, Dr. Dierk Hoffmann und Dr. Jan Foitzik, sämtlich Berlin, sowie Dr. Damián van Melis, Köln, den Entstehungsprozeß dieser Arbeit durch kritische Lektüre unterstützt haben. Dem Stellvertretenden Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Prof. Dr. Udo Wengst, sei für die sachkundige und zuvorkommende redaktionelle Betreuung dieser Arbeit herzlich gedankt. Mein ganz besonderer Dank für ihren keineswegs selbstverständlichen Beistand gilt Astrid Leder, Berlin. Auch die zahlreichen Mitarbeiter der Berliner Abteilung des Instituts für Zeitgeschichte, die zur Fertigstellung dieses Manuskripts ihren Teil beitrugen, schließe ich in diese Danksagung ein und erwähne stellvertretend nur Frau Gabriele Tzschacher. Daß für verbliebene Irrtümer und Fehler ausschließlich der Verfasser selbst hafte, braucht nicht eigens hervorgehoben zu werden, sei jedoch umso mehr der Nachsicht des Lesers anempfohlen. Besonders herzlich gedankt sei schließlich Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer, Münster, der meine Verbundenheit mit der Westfälischen Wilhelms-Universität auch nach meinem Wechsel an das Institut für Zeitgeschichte aufrechtzuerhalten half und mich in meinem Vorhaben unterstützt hat, diese Arbeit dem Fachbereich Geschichte/Philosophie der Westfälischen Wilhelms-Universität als Habilitationsschrift zu unterbreiten. Als solche wurde sie im Jahre 2001 angenommen. Für die Drucklegung erfolgte eine Überarbeitung des Textes und seine Ergänzung um neueste
Forschungsliteratur.
Berlin, im April 2003 Michael Schwartz
„Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.
Wir trennen es
von uns
ab und stellen uns fremd."
Christa Wolf
Einleitung: Die Fremdheit der Vertriebenen. Zwangsmigration und Integration als Probleme der doppelten deutschen Nachkriegsgeschichte I.
„Ist das wirklich uns
geschehen?
Immer aufs
neue
müssen wir
versichern, daß sie tatsächlich stattgefunden hat [...]:
Völkerwanderung ohne gleichen, Flucht und Vertreibung von Millionen. [...] Nicht nur die Leiden gehen uns an, diese
die unendlichen Schmerzen [...], sondern fast mehr noch [...] die Wandlungen auch in den objektiven Lebensordnungen und sozialen Strukturen. [...] Wir fragen nicht nur, was in den Flüchtenden vor sich ging, sondern zugleich, was sich durch sie vollzog, indem sie in die Welt der Seßhaften eintraten. Denn ihr Erscheinen stört eine Welt auf, und was geschieht, das geschieht nicht nur den Geflohenen und Vertriebenen, sondern auch den anderen, denen sie ins Haus traten, und denen sich ihre Unruhe mitteilte."
Elisabeth Pfeil (1948)1
Fragehorizont: Forschung als Wissenszuwachs und Deutungsalternative 1. Der
Wissenschaft muß nicht nur aufbauen, sondern zugleich zerstören. Das gilt auch für eine Arbeit zum Vertriebenenproblem im geteilten Nachkriegsdeutschland, die sich auf die politischen Integrationsstrategien und gesellschaftlichen Entwicklungen in der SBZ/DDR konzentriert. Denn diese Arbeit sieht sich nicht nur mit Wissenslücken, sondern auch mit Vor- und Fehlurteilen konfrontiert als seien Vertriebenenproblematik und Integrationspolitik ausschließlich Angelegenheiten der westdeutschen Bundesrepublik gewesen2, als habe es „in der SBZ/DDR nie ein ,Vertriebenenproblem'" gegeben, „dessen man sich im Rahmen einer Eingliederung" hätte annehmen müssen, da man sich dieses Problems angeblich „durch politische Tabuisierung und Ideologisierung entledigte"3. Wissenslücken und Fehlwahrnehmungen säumen auch die gesamtdeutsche Dimension unseres The-
denn die mit dem Vertriebenenproblem verbundenen Determinanten gesellschaftlicher Nachkriegsentwicklung neue soziale Ungleichheiten und Gruppenmas,
-
1
2 3
Pfeil, Der Flüchtling. S. 5f.
Diese Sicht exemplarisch bei
Vgl. noch
1996 S. 5 und S. 8.
Hobsbawm, Das Jahrhundert der Extreme, S. 74 f.
Frantzioch-Immenkeppel,
Die Vertriebenen in der
Bundesrepublik Deutschland,
2
I.
Einleitung
konflikte werden in kollektiver Erinnerung und Historiographie allzu oft ausgeblendet oder durch harmonisierende Mythologien etwa über eine allen gemeinversame Nachkriegsnot und einen ebenso gemeinschaftlichen Wiederaufstieg harmlost. -
-
-
Nun ist das Denken in Erfolgs-Kategorien gerade bei der Diskussion des deutschen Vertriebenenproblems in gewisser Hinsicht sehr verständlich. Das Trauma einer zwölf bis fünfzehn Millionen Menschen betreffenden „ethnischen Säuberung" mit all ihren Gewalterfahrungen und materiellen Notständen, aber auch der unlösbar scheinende Zwang zur Aufnahme, Versorgung und alternativlosen Integration so vieler Menschen in den verbliebenen Siedlungsgebieten des einstigen „Deutschen Reiches" ließen eine Lösung dieses quantitativ präzedenzlosen Problems lange kaum vorstellbar erscheinen. Im ersten Nachkriegsjahrzehnt erzeugte die Massennotlage der Vertriebenen eine tiefsitzende Radikalisierungsfurcht in der einheimischen Mehrheitsgesellschaft und bei den alliierten Siegermächten. Unter der Perspektive dieser „ausgebliebenen Katastrophe" (Hans-Peter Schwarz) wird begreiflich, weshalb viele Zeitgenossen vom „Wunder der Integration" zu sprechen begannen. Auch in der geschichtswissenschaftlichen Diskussion haben Gefühle der Verwunderung und Erleichterung tiefe Spuren hinterlassen, die sich mit dem Leistungsstolz der „Aufbau"-Generation verbanden und das „Wunder der Integration" in die große Erzählung vom „Wirtschaftswunder" einmünden ließen. Dabei stellte vermutlich „die zunächst sehr schwierige, aber letztlich erfolgreiche ökonomische, soziale und politische Integration von etwa 12 Millionen Flüchtlingen" und Vertriebenen „ein noch größeres ,Wunder' dar"4. Jede Erfolgs-Geschichte der Vertriebenen-Integration birgt jedoch zugleich Verdunkelungsgefahr. Allzu leicht dispensiert die Rhetorik des „Wunders" von der Analyse vorgängiger Entscheidungen und Entwicklungen. Allzu leicht verleitet eine Rhetorik des „Erfolgs" dazu, die Integrationswirkung einzelner politischer Maßnahmen sei es der Bodenreform in der SBZ, sei es des Lastenausgleichs in der Bundesrepublik zu überschätzen. Allzu gern lässt eine Historiographie der erleichterten Mitlebenden die sozialen und sozialpsychologischen Verwerfungen der ursprünglichen gesellschaftlichen Konfliktgeschichte, die sich mit dem Vertriebenenproblem im Nachkriegsdeutschland entfaltete, in einen milde abgedunkelten Hintergrund treten. Vielleicht konnte dies zu bestimmter Zeit nicht anders sein schon gar nicht in einer mentalen deutschen Tradition, die soziale Konflikte möglichst unter „Konsens" versteckt. Und vielleicht ist es das Vorrecht einer jüngeren, nicht so sehr unbefangenen als einfach anders befangenen Generation, mit ihren perspektivischen „Erkenntnisfortschritten" alte Fehler zu korrigieren und dabei unweigerlich neue zu begehen. Im Bewußtsein dieser grundlegenden, im Kern unaufhebbaren Dialektik von Forschung und Irrtum darf in Anlehnung an Karl Kraus gesagt werden: „Ungerechtigkeit muß sein, sonst kommt man zu keinem Ende." Vor diesem Hintergrund soll unsere Studie zum Vertriebenenproblem in der SBZ/DDR zwei Aufgaben erfüllen. Zum einen geht es darum, ein wichtiges Ausgangsproblem der Nachkriegsgeschichte Deutschlands und Europas auch für den -
-
-
4
Ritter, Über Deutschland, S. 99.
2. Vermintes
3
Begriffs-Gelände
östlichen deutschen Teilstaat und dessen Gesellschaft differenziert zu untersuchen. Diese Konzentration auf die DDR-Entwicklung soll zugleich aber zur „Entmythologisierung" der gesamtdeutschen Nachkriegsgeschichte beitragen. Der vorliegenden Studie kann es folglich nicht ausschließlich um empirisch gesicherte Neuproduktion von Wissen gehen. Denn jede auf DDR-Geschichte konzentrierte Wissensproduktion sieht sich mit der keineswegs wertneutralen Frage konfrontiert, ob sie ihr „Wissen" isoliert oder vergleichend gewinnen und gewichtrotz ihrer schwerpunktmäßigen ten will. Wenn sich die vorliegende Arbeit Konzentration auf die Aufarbeitung der relativ unbekannten Entwicklung in der SBZ/DDR für einen intranationalen deutsch-deutschen Vergleichshorizont entscheidet, um zur Konstruktion eines gesamt-deutschen ,,Relationengefüge[s]" bislang fragmentierter Zeitgeschichte(n) beizutragen5, hat sie die weitere Vorentscheidung zu treffen, ob das neue Wissen über die SBZ/DDR lediglich als Negativfolie „westlicher" Erfolgsgeschichte verstanden werden soll, um den 1989/90 ermittelten „Sieger der Geschichte" in rückwärtsgewandter Prophétie ein weiteres Mal zu bekränzen, oder ob sie den schwierigeren Versuch unternehmen möchte, durch Rekonstruktion DDR-spezifischer Sachverhalte auch selbstverständliche „alt-bundesrepublikanische" Wissensbestände neu zu befragen. Nur wenn letzteres geschähe, wenn also Erkenntnisfortschritt in der DDR-Forschung kognitive Wechselwirkungen und somit auch Verunsicherungen „bundesrepublikanischen" Wissens einkalkuliert, macht nach Meinung des Verfassers eine „gesamtdeutsche" Zeitgeschichte wirklich Sinn. -
-
2. Vermintes Begriffs-Gelände: Von Umsiedlern, Vertriebenen und anderen Labels Daß sich zeithistorische Forschung nicht auf Addition von Wissen zu beschränken vermag, zeigt sich bereits an den Klippen der Terminologie. Soll man die Betroffenen jenes Prozesses, der sich in Phasen von „Flucht", „Vertreibung" und „Zwangsumsiedlung" erschließen läßt6, als „Flüchtlinge" bezeichnen, wie es in der Nachkriegsgesellschaft grenzüberschreitend verbreitet war? Oder besser als „Vertriebene", was ausgehend von der Selbstbezeichnung organisierter Betroffener in den fünfziger Jahren in bundesrepublikanischer Gesetzgebung und Öffentlichkeit verbindlich wurde? Die neuere Forschung der „alten" Bundesrepublik hat sich mit dem Formelkompromiß der „Flüchtlinge und Vertriebenen" zu behelfen versucht, der freilich abweichende Gruppenerfahrungen etwa der aber auch der der aus kommenden „Zwangsumgesiedelten", Kriegsgefangenschaft „heimatlosen Heimkehrer" trotz seines unhandlich-additiven Charakters wei-
-
-
terhin ausblendete. Mit Blick auf die SBZ/DDR ist
zu fragen, was mit dem dortigen offiziellen Deutungsbegriff des „Umsiedlers" und seinen Derivaten vom „Neubürger", den man auch in Westdeutschland findet, bis zum Selbstwider-
-
5 6
Hierzu ausführlicher: Hockerts, Zeitgeschichte in Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, S. 40 f.
Deutschland, S.
127.
I.
4
Einleitung
sprach des „ehemaligen Umsiedlers" geschehen soll7. Zu Recht ist der von den Sowjets im Herbst 1945 oktroyierte „Umsiedler"-Begriff als „euphemistische und verfälschende Terminologie für die Vertreibung und die Vertriebenen" bezeichnet worden8, denn ein „politisch neutraler Begriff"9 war nun wirklich das Letzte, was er nach dem Willen seiner Urheber hätte sein sollen. Allerdings sollte eine Distanzierung vom „Umsiedler"-Begriff nicht die Selbsttäuschung wecken, daß man mit dem westdeutschen Terminus des „Vertriebenen" den „ideologisierten Begriffe[n] der Quellen" entkommen könnte10. Zwar besitzt der Vertriebenenbegriff eine demokratische „Legitimität"11, die dem Umsiedlerbegriff abgeht, doch ist damit nicht zwangsläufig schon wissenschaftliche Objektivität gewonnen. Da vielmehr sämtliche zeitgenössischen Begriffe zur Bezeichnung des für unser Problem konsumtiven Sachverhalts politische Deutungsformeln gewesen sind, die „von bestimmten Absichten und Zielen sowie dem Zusammenspiel der jeweils verfolgten Interessen bestimmt" wurden12, verbietet sich prinzipiell ein unbefangener Gebrauch zeitgenössischer Terminologie. Auf dem gesamtdeutschen Felde der „Vertriebenenpolitik" gab es nicht nur eine „Sprachpolitik" der Sowjets und der SEDMachthaber13, sondern auch eine Sprachpolitik der westlichen Alliierten14 und der Bundesrepublik15, wobei letztere wesentlich von organisierten Vertriebeneninteressen geprägt wurde16. Nicht nur der sowjetzonale Umsiedlerbegriff, dessen DDR die bald durch nur zu Sprachpolitik Sprachlosigkeit ersetzte, sondern ebenso der westdeutsche Vertriebenenbegriff hat eine komplexe Realität bewußt vereinfacht: Indem er die vom Umsiedlerbegriff beschönigte Realität gewaltsamer Vertreibung offenlegte, die zuweilen verstärkend als „Zwangsvertreibung" bezeichnet wurde17, hat der Vertriebenenbegriff zugleich die objektive Alternativlosigkeit des vom Umsiedlerbegriff bejahten Integrationszwanges in eine „neue Heimat" verdunkelt, um „gleichsam als fortlaufender Protest gegen das Unrecht der Vertreibung" voluntaristisch das „Recht auf [alte] Heimat" herauszustellen18. Diese „Vielzahl der Benennungen" ist nicht nur begriffsgeschichtlich signifikant19, denn sowohl der interessengebundene Konflikt der Begriffe als auch deren unterschiedliche gesellschaftliche Durchsetzungskraft werfen Licht auf „Rolle -
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Zur gesellschaftsgeschichtlichen Dimension von Sprachpolitiken: Schwartz, „Vom Umsiedler zum
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Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 91. Diese Fehldeutung bei Naimark, Die Russen in Deutschland, S. 191. So jedoch Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 93. Vgl. ebenda, S. 95. Beer, Flüchtlinge Ausgewiesene Neubürger Heimatvertriebene, S. 150; zur sprachpolitischen Funktion sämtlicher Begriffe unseres Themas auch: Lübbe, Der Streit um Worte. Reich, Sprache und Politik, S. 333; Schwartz, „Vom Umsiedler zum Staatsbürger". Nahm, Der Wille zur Eingliederung, S. 145, Anm. 1, sowie Middelmann, Entstehung und Aufga-
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Staatsbürger".
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ben der Flüchtlingsverwaltung, S. 288.
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Rogge, Vertreibung und Eingliederung im Spiegel des Rechts. Ahonen, Domestic constraints on West German Ostpolitik. Vgl. die SPD-Parteitagsrede Willy Brandts vom Mai 1949 in: Willy Brandt. Berliner Ausgabe, Bd. 4, S. 110; die bei Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 97, an derlei „Pleonasmen" geäußerte Kritik ist formal richtig, verfehlt jedoch die Intention der Bezeichnung eines unvergleichlichen Entstehungskontexts. Rogge, Vertreibung und Eingliederung im Spiegel des Rechts, S. 190. Koselleck, Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, S. 121.
2. Vermintes
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Begriffs-Gelände
und Ziele der an diesem Prozeß beteiligten Institutionen und Gruppen" sowie „auf die Dynamik des Eingliederungsprozesses"20. Angesichts dessen entschied sich eine Pilotstudie über Integrationspolitik in Bayern schon vor zwei Jahrzehnten, bewußt von „Flüchtlingspolitik" statt von „Vertriebenenpolitik" zu sprechen, weil der Begriff des „Flüchtlings" für ihren Untersuchungszeitraum (1945 bis 1950) größere historische Authentizität besaß als der erst später offiziell fixierte Vertriebenenbegriff21. Diese Vorgehensweise erscheint plausibel, in unserem Falle jedoch undenkbar, nicht nur, weil in unserem Falle mit dem „Umsiedler"-Begriff ein „oktroyierter"22, den Sachverhalt verzerrender Terminus wissenschaftliche Weihen erhalten würde, sondern vor allem, weil dieser von den Sowjets verordnete Terminus seinerzeit zwar in der Kommunikation der Herrschaftsapparate (und damit in der Mehrzahl der überlieferten Quellen), nicht aber im gesellschaftlichen Sprachgebrauch durchgesetzt werden konnte23. Umgekehrt hat es nach 1989 in der Forschung Tendenzen eines überängstlichen Ostrazismus gegeben, denen auch der Verfasser dieser Arbeit nicht entgangen ist; allzu leichtfertig wurde nicht nur quellenfern, sondern im Hinblick auf sowjetische und einheitssozialistische Intentionen schlicht verzerrend über „Vertriebenenpolitik" in der SBZ/DDR gesprochen. Diese Vermeidungsstrategie verunklarte die polemisch-antagonistische Qualität des „Umsiedler"-Begriffs und der darunter rubrizierten Politik, die gerade keine „Flüchtlings"- oder „Vertriebenenpolitik" hatte sein wollen, sondern deren ausdrückliches Gegenteil. Auch darf nicht übersehen werden, daß dem „Umsiedler"-Begriff in der kommunikativen Praxis der sowjetzonalen und der DDR-Gesellschaft eigendynamische Konnotationen zuwachsen konnten, was nicht nur dem sprachpolitischen Totalitarismus Grenzen setzte, sondern auch der heutigen wissenschaftlichen Sicht vom bloßen sprachpolitischen Oktroi. Nicht zufällig bemühten sich die Machthaber der SBZ/DDR bereits ab 1948/49, den von ihnen selbst entwickelten „Umsiedler-Begriff „schnellstens verschwinden" zu lassen, weil derselbe allzu „oft" im Sinne ihrer „Klassenfeinde" instrumentalisiert zu werden schien24. Die hier aufscheinenden gesellschaftlichen „Handlungsmöglichkeiten und -barrieren", die das vertikale Politikverständnis der Herrschenden konterkarierten, lenken den Blick auf eine selbst in der SBZ/DDR mögliche „Vielfalt der Politik-Arenen"25, die man durch vorschnelle totalitarismustheoretische Annahmen nicht ausblenden sollte. Die folgende Studie präferiert daher einen pragmatischen Umgang mit der komplizierten Terminologie. Sie macht keinen Hehl aus der „westdeutschen" Standortgebundenheit ihres Verfassers, insofern gemeinhin der Vertriebenenbegriff genutzt werden wird, wenn analytisch von der sozialen Gruppe der deut-
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Beer, Flüchtlinge Ausgewiesene Neubürger Heimatvertriebene, S. Bauer, Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Bayern, S. 9ff. -
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Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 9Í.
Dazu ausführlich die sprachpolitische Studie von Schwanz, „Vom Umsiedler zum Staatsbürger"; zum Verhältnis von Sprachpolitik und DDR-Literatur über vier Jahrzehnte: ders., Tabu und Erinnerung. SAPMO, DY 30/IV2/5/243, Bl. 100 f., SED, ZS, Abt. Organisation, Schäfer, Bemerkungen zum
Umsiedlerproblem, 24. 2. 49. Langewiesche, Sozialgeschichte und Politische Geschichte, S. 20-22.
6
I.
Einleitung
sehen Zwangsmigranten nach 1944/45 die Rede sein soll. Zudem wird in vergleichender deutsch-deutscher Perspektive auch von „Vertriebenenpolitik" in der SBZ/DDR bzw. von zwei deutschen „Vertriebenenpolitiken" die Rede sein. Sofern sich die Untersuchung jedoch auf die politischen Konzepte und das durch sie konstituierte Politikfeld in der SBZ/DDR konzentriert, muß und wird von „Umsiedlerpolitik" gesprochen werden. Die Politik der Sowjets und der SED konstruierte nun einmal „Umsiedler" und keine „Vertriebenen", und wo letzteres etwa bei der Ost-CDU 1947 zeitweilig geschah, wurde es sehr bald abgestellt. Entsprechend operierte das politische System der SBZ/DDR mit „Umsiedlerverwaltungen" statt mit „Flüchtlingsverwaltungen" oder gar „Vertriebenenministerien", es gab „Umsiedler-Neubauern" und keine „Flüchtlingslandwirte", es existierte ein „Umsiedlergesetz" und nicht ein „Vertriebenen"- oder „Flüchtlingsgesetz". Das waren keine belanglosen Wortspiele, die terminologischen Unterschiede bezeichneten vielmehr scharfe konzeptionelle Gegensätze. Daher bleibt der „Umsiedler"-Begriff zur angemessenen Bezeichnung jenes besonderen Politikfeldes in der SBZ/DDR wissenschaftlich unverzichtbar. -
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Zwangs-Gesellschaft im Nachkrieg: Integrationsideologie und Integrationsverweigerung 3.
Simone de Beauvoirs 1943 erschienener Erstlingsroman „Sie kam und blieb" endet als einziger Ausweg aus dem Dilemma unvereinbarer Ansprüche mit der Ermordung des Eindringlings. Als wenige Jahre später zwölf Millionen deutsche Vertriebene ins drastisch verkleinerte Deutschland kamen und blieben, war dies nach herkömmlicher Auskunft unserer Historiographie der Anlaß für „eine der größten Erfolgsgeschichten der Bundesrepublik Deutschland"26. Die gelingende Integration dieser Vertriebenen in die beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften erschien besonders im Gegensatz zum jahrzehntelang schwelenden Palästinakonflikt als „eine der großen Friedensleistungen unseres [zwanzigsten] Jahrhunderts"27. Man betont die vergleichsweise günstigen Integrationsvoraussetzungen für Vertriebene in Deutschland, die im Unterschied etwa zu den ausländischen Zwangsarbeitern des NS-Regimes, deren freigewordene Arbeitsplätze sie häufig einnahmen nicht automatisch der „doppelten Unterprivilegierung" als Fremde und Arbeiter verfallen seien. Die Vertriebenen hätten vielmehr einen raschen „Anschluß auch an die Mittel- und Oberschicht der westdeutschen Gesellschaft" geschafft und „eine durchsetzungsstarke Interessengruppe" gebildet; vor allem seien sie als Deutsche von Anfang an partizipationsberechtigt und „damit politisch ein ernstzunehmender Faktor" gewesen. Die Integration dieser vertriebenen Deutschen habe sich überdies nicht in einer starren, sozial immobilen Gesellschaft vollzogen, sondern in einer „Gesellschaft in Bewegung": Im „allgemeinen Durcheinander der verschiedenartigsten Wanderungen" seien „die Vertriebenen eben nur eine Gruppe unter vielen" gewesen, „die ,neu in der Gegend' waren". Kon-
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Die Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland, S. 3. Frantzioch-Immenkeppel, Möller, Die Relativität historischer Epochen, S. 6.
3.
Zwangs-Gesellschaft im Nachkrieg
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flikte zwischen Alteingesessenen und Newcomern hätten daher nicht die Schärfe entwickelt, „wie dies unter normalen Umständen wohl der Fall gewesen wäre"28. Solche generalisierenden Einschätzungen sind hochgradig fragwürdig. Hinter der Fassade der Erfolgsgeschichte verbergen sich mannigfaltige Verletzungen. Schon 1949 veröffentlichte eine Vertriebene in den „Frankfurter Heften" ein an de Beauvoirs Fabel erinnerndes Gedicht, in dem das harte Wort fiel, die Vertriebenen wären in Deutschland schon längst kein Problem mehr, gäbe es „kein fünftes Gebot"29. Statt gleichberechtigter Behandlung unter Deutschen hatten viele Vertriebene in den unmittelbaren Nachkriegsjahren erfahren, in Rest-Deutschland ein unerwünschtes „fünftes Rad am Wagen" zu sein. Ein Betroffener äußerte 1947, die Mehrheit seiner Schicksalsgenossen hege den festen Vorsatz, durch Rückkehr in die bisherige Heimat oder aber durch Auswanderung nach Übersee der „neuen Zwangsheimat Deutschland" und dem dortigen „lebenslänglichen Dauerhungerelend als heimatlose Zigeunersklaven im praktischen Leben trotz aller Gleichstellungsgesetze" möglichst „zu entfliehen, um wieder Menschen zu werden". Nach ihren bisherigen Erfahrungen herrsche unter den Vertriebenen in Deutschland „allgemein die Ansicht" vor, „daß der einheimische deutsche Volksgenosse seine eigenen Haustiere meistens höher einschätzt als die aufgezwungenen Umsiedler, welche ihn in einem behaglichen Dasein stören"30. Der Ausweg der Auswanderung stand realiter jedoch nur wenigen vor allem jungen und gut ausgebildeten Menschen offen, und der Rückweg in die alte Heimat und Soziallage blieb nahezu allen versperrt. Um mit de Beauvoir zu sprechen, mußten die Vertriebenen nicht nur kommen, sondern gezwungenermaßen auch bleiben. Daraus entstand ein nicht nur für Vertriebene, sondern auch für Alteingesessene weithin unerwünschter Zwang zur gemeinsamen Zukunft. Zunächst war weniger Integration als heftiger Konflikt die Folge dieses Zwanges. Erst viel später, falls überhaupt, lernten ältere Vertriebene, sich damit abzufinden; ihren Kindern mochte dies leichter gelingen. Erst viel später begriffen die Alteingesessenen, welch wertvolles „Humankapital" die vermeintlichen „Hungerleider" und „nutzlosen Esser" beim ökonomischen Wiederaufbau darstellten. Im Nachkriegszeitraum zwischen 1945 und 1960 jedoch wurde das besiegte, zerstörte, verkleinerte und geteilte Deutschland für seine zusammengewürfelten Nachkriegs-Bewohner zu einer enttäuschend brutalen „Zwangsheimat", in der von späteren „Wundern" und „Erfolgen" wenig -
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spüren war.
Darum bietet das Vertriebenenthema dem Historiker „keine einfache Erfolgsgeschichte". Zwar lässt sich nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR aus der Systemperspektive ein beachtlicher langfristiger Integrationserfolg konstatieren. Doch ein „genauerer Blick auf Lebensgeschichten" von Betroffenen offenbart „gravierende Unterschiede dieses Erfolgs": „Vor allem der Blick auf die verschiedenen Generationen und Geschlechter belegt eindrucksvoll, wie differenziert Integration erlebt und bewältigt worden ist oder auch nicht."31 Am Beginn -
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Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik, S.
193 und S. 200.
Hufnagl, Flüchtlinge, S. 344. SAPMO, NY 4243/23, Bl. 1 ff., insb. Bl. 2 f., Johann St., Bitterfeld, an ZVU, Daub, Brief Nr. 2,4. 4.47. Franzen/Lemberg, Die Vertriebenen, S. 202.
I.
s
Einleitung
dessen, was man „Integration" nennt32, stand keine durch nationale Identifikation
Solidargemeinschaft, sondern ein massiver gesellschaftlicher Gruppenkonflikt. Dieser war nicht nur die Folge zusammenbruchsbedingter nationaler Desintegration, sondern auch die Konsequenz der früheren nationalistischrassistischen Übersteigerung. Daß die deutsche Nachkriegsgesellschaft eine „Ge-
vermittelte
Herbert) war, in der Vertriebene auf viele andere ist Migrantengruppen stießen, richtig, hatte jedoch keineswegs eine erhöhte Integrationsbereitschaft dieser Gesellschaft zur Folge. Statt Solidarität und Integration kennzeichneten Fragmentierung und sozialer Konflikt die (gesamt-)deutsche Gesellschaft. Die kollektiven Nachkriegs-Identitäten der „Vertriebenen" und „Einheimischen" bildeten sich durch wechselseitige Aus- und Abgrenzung33, eine Vergesellschaftung beider Gruppen fand zunächst primär als von fremden Besatzungsmächten „verordnete Konfliktgemeinschaft"34 statt, bevor gesellschaftliche besonders arbeitsgesellschaftliche Integrationsprozesse zu greifen begannen. Zweifellos ist zwischen Sozialmilieus, Urbanisierungsgrad, Geschlechtern und Generationen zu differenzieren. Insgesamt jedoch hat die neuere soziologische Vertriebenenforschung den zählebigen „Mythos der schnellen Integration" überzeugend widerlegt, auf langfristig fortbestehende Ungleichheitsstrukturen zwischen Vertriebenen und Einheimischen hingewiesen35 und damit die verwundertoptimistische These der älteren, gewissermaßen „begleitenden" Integrationsforschung36 korrigiert, wonach „der sich sonst über zwei bis drei Geschlechter hinziehende Eingliederungsprozeß" bei den deutschen Vertriebenen offenbar „auf eine Generation zusammengedrängt" worden sei37. Relativiert die neuere soziologische Forschung mittlerweile die objektiven Erfolge der Integration, allen voran die berufliche Aufstiegsmobilität von Vertriebenen und deren Nachkommen38, so leisten volkskundliche Studien seit einiger Zeit ähnliches für den Bereich der subjektiven Integration. Schon 1949 hatte Eugen Lemberg, ein selbst vertriebener Sozialwissenschaftler, der über einschlägige Vorerfahrungen mit osteuropäischen Nationalitätenkonflikten verfügte, zur Lage der Vertriebenen in Deutschland die bemerkenswerte Beobachtung gemacht: „Was hier entstanden ist, trägt deutliche Züge eines Nationalitätenkampfes und eines Klassengegensatzes. Man darf sich nur nicht scheuen, diese Ausdrücke zu gebrauchen."39 Ende der fünfziger Jahre wurden solche Konfliktperspektiven jedoch nicht weiterverfolgt, vielmehr behauptete man erleichtert, die anfänglichen „Fronten" zwischen Einheimischen und Vertriebenen würden „heute de facto nicht mehr" existieren, die „Starre" habe sich „gelöst" und gemeinsamen Lebensformen Platz gemacht40. Seltsam nur, daß trotzdem „die Anerkennung der gegenwärtigen Grenzen beider deutscher sellschaft in Bewegung" (U.
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Zum
„Interpretationsmodell"
land, S. 29-32. 33
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der
„Integration": Hoffmann, Junge Zuwanderer in Westdeutsch-
Krauss, Das „Wir" und das „Ihr", S. 27ff. Grosser, Von der freiwilligen Solidar- zur verordneten Konfliktgemeinschaft, S. 65.
Lüttinger, Der Mythos der schnellen Integration; ders., Integration der Vertriebenen. Hoff mann, Junge Zuwanderer in Westdeutschland, S. 23. Karasek-Langer, Volkstum im Umbruch, S. 687. Handl/Herrmann, Sozialstruktureller Wandel und Flüchtlingsintegration; Herrmann, Wandel der Sozialstruktur und geschlechtsspezifische Integrationschancen. Lemberg, Die Ausweisung als Schicksal und Aufgabe, S. 25. Karasek-Langer, Volkstum im Umbruch, S. 687.
3.
9
Zwangs-Gesellschaft im Nachkrieg
Staaten" bis Ende der sechziger Jahre „ein echtes Berührungstabu" bildete41 übrigens nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch im SED-Staat42. Erst erfahrungsgeschichtliche Ansätze der neunziger Jahre förderten „eine lange Linie
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Erinnerungen, Traditionen und offenen Fragen im Erzählen zwischen den „voller Kontinuitäten und Spiegelungen, voller Überlagerungen unterschiedlicher Zeitebenen und voller Tabus und Brüche" waren und überzeugend demonstrierten, daß „eindringliche lebensgeschichtliche Erfahrungen" offenbar „vom einzelnen Menschen niemals völlig vergessen" werden
von
Generationen" zutage, die
konnten43. Diese durch „Opfer, Leid und Zerstörung" geprägte „Gesellschaft des Nachkriegs" hat bisher nicht im Zentrum des „zeitgeschichtlichen Narrativs" gestanden, obschon die doppelte deutsche Gesellschaftsgeschichte zwischen 1945 und 1989/90 eine erhebliche „Tiefenprägung [...] durch die vorangegangene extreme Gewalt" erfahren hatte und darauf mit einer „Vielfalt der Bewältigungs-, Integrations- und Normalisierungsstrategien" reagierte44. Dennoch oder gerade deswegen? ist die öffentliche Nachkriegsidentität noch immer durch eine eigentümliche „Unfähigkeit zu trauern" gekennzeichnet: Nicht nur die Opfer der NS-Diktatur blieben in Deutschland lange nach 1945 fremd45, auch der Doppel-Komplex von Vertreibung und Vertriebenenaufnahme wurde in beiden Nachkriegsgesellschaften nicht „aufgearbeitet", geschweige denn „bewältigt", sondern in mehr oder weniger systemspezifischer Einseitigkeit erinnert, verharmlost, verdrängt und tabuisiert. Vertriebenen-Integration erlebte dabei ähnliche Deformationen, wie sie von anderen „Immigrantenschicksalen" bekannt sind: „Im neuen Milieu kann es entweder zu einer stürmischen Verleugnung der alten und zur Übernahme der neuen Gruppenidentität kommen; oder aber meist älteren Menschen gelingt es nicht, die erwartete kulturelle Anpassung zu leisten, sie behalten ihre mitgebrachten Identifikationen und Wertorientierungen bei, bleiben dadurch ,seltsam', Fremde, randständig. [...] Es kann aber auch der Kompromiß zustande kommen, daß der Neuling die Fertigkeit entwickelt, auf zwei Schauplätzen zu leben, in der Familie oder in der ethnischen Gruppe mit der alten, auf dem Arbeitsplatz mit der neuen Moral und ihren Idealen."46 Wenn im folgenden von Vertriebenen in Deutschland speziell in der SBZ/ DDR die Rede sein wird, geht es nicht um deren primäre Katastrophe der Vertreibung, sondern um die darauf folgende, meist weniger beachtete zweite Katastrophe ihrer Ankunft47. Um jene traumatische Erfahrung also, welche die naive Annahme enttäuschte, in Deutschland als Deutsche unter Deutschen aufgenommen und solidarisch behandelt zu werden. Statt dessen erfolgte überwiegend eine -
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Mitscherlich/Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern, S. 15. Noch bei einer im Frühjahr 1965 erhobenen Umfrage des Instituts für Meinungsforschung beim ZK der SED wurde die Frage, ob die „Grenzen von 1937 wiederhergestellt werden sollten", von 22% der Befragten bejaht; Niemann, Meinungsforschung in der DDR, Dokument I, insb. S. 24 und S. 29 f. Lehmann, Im Fremden ungewollt zuhaus, S. 9f. und S. 183. Naumann, Einleitung, insb. S. 9f. und S. 21. Mitscherlich/Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern, S. 81. Ebenda, S. 191. Vgl. den exzellenten Essay von Jeggle, Kaidaunen und Elche.
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I.
Einleitung
Einstufung und Behandlung als unerwünschte Fremde und Konkurrenten um knappe Ressourcen. In gewisser Hinsicht waren, wie Heiner Müller einmal bemerkte, die „Flüchtlinge" der Nachkriegsgesellschaft „das, was heute die Asylanten sind"48. 1980 hat auch der damalige Bundespräsident Karl Carstens die Erfahrungen der deutschen Vertriebenen mit denen anderer Flüchtlinge in Beziehung gesetzt, als er feststellte, „wir Deutschen sollten aus eigener Erfahrung Verständnis für das Leid dieser Menschen haben"49. Tatsächlich kann die Geschichte der
als „Begegnung von Einheimischen und Fremden den Prozeß des Einlebens in eine andere Gesellschaft und Kultur modellartig vor Augen führen" und zwar „trotz aller nicht zu übersehenden Unterschiede der ethnischen Gegebenheiten und historischen Voraussetzungen". Doch trotz partieller Ähnlichkeit der Integrationsprobleme scheint sich eine überdurchschnittliche Identifikation und Solidarität von Vertriebenen mit anderen Migranten später selten eingestellt zu haben; trotz oder gerade wegen der selbst erfahrenen Ausgrenzung überwog bei vielen Vertriebenen offenbar eine distanzierte Haltung50. Vielleicht steigerte die Unterschichtung von neuen Zuwanderergruppen die Möglichkeit, als einstige Zwangszuwanderer selbst endlich „dazu" zu gehören, vom Rande der Gesellschaft in deren „Kernbevölkerung"51 vorzustoßen. Unmittelbar nach ihrer Vertreibung wurden den meisten Vertriebenen im innerdeutschen „Asyl" weitere Schockerfahrungen zugemutet. Für Pommern, die „in Bayern wie ,Polacken' aufgenommen wurden", bedeutete solche Behandlung den „Gipfel des Hohns", waren sie doch eben erst von Polen als Deutsche vertrieben worden52. Zugleich mußten die wie alle Deutschen im NS-Staat sozialisierten Vertriebenen mit der verwirrenden Erfahrung umgehen, plötzlich nicht mehr auf Seiten der ausgrenzenden Mehrheit zu stehen, sondern selbst zur ausgegrenzten Minderheit geworden zu sein. Vertriebene, die in ethnischen Konflikten ihrer bisherigen Heimatgebiete zum Teil ein aggressives nationalistisches Selbstbewußtsein eingeübt und gegen „Fremde" praktiziert hatten, wurden in ihrer neuen Zwangsheimat Opfer ganz ähnlicher Stereotypen und Ausgrenzungsmechanismen53. Zeitgenössische Wissenschaftler beobachteten eine „völlige Desintegration des deutschen Volkes" mit traumatischen Folgen für Vertriebene wie Einheimische, eine Desintegration, die als naheliegende Folge des „aus Kriegspropaganda und Kriegspsychose stammenden allgemeinen Kollektivschuld-Denken[s] jener Zeit" in der „Bereitschaft zu gegenseitiger Kollektivbeschuldigung" ihren Ausdruck fand. Insbesondere „die unwillkommene und das Leben so sehr erschwerende Gruppe der Flüchtlinge und Vertriebenen" sei „von vielen mit dem Verdacht und Vorwurf empfangen" worden, „sie sei in besonderem Maße an der Aufrichtung der nationalsozialistischen Herrschaft und damit auch am deutschen Zusammenbruch schuld"54. Konflikte zwischen einheimischen und vertriebenen
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Müller, Krieg ohne Schlacht, S. 72. Carstens, Reden und Interviews, Bd. 2, S. 37. Lehmann, Im Fremden ungewollt zuhaus, S. 9 und S.
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Der Terminus „Kernbevölkerung" zur Benennung der Alteingesessenen findet sich häufig in amtlichen Quellen der SBZ/DDR. Grosser, Geschichte Deutschlands seit 1945, S. 272. Lehmann, Im Fremden ungewollt zuhaus, S. 170 f. Lemberg, Der Wandel des politischen Denkens, S. 443.
3.
Zwangs-Gesellschaft im Nachkrieg
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Deutschen strukturierten sich nach Grundmustern der im „Dritten Reich" und im Weltkriege trainierten Kollektivpsychosen „eigener" Überlegenheit und „fremder" Minderwertigkeit, die mit der totalen Niederlage keineswegs verschwunden waren. Vieles spricht dafür, daß die bisher gegen äußere Kriegsgegner oder stigmatisierte Bevölkerungsminderheiten gerichteten Aggressionen nach Kriegsende neue „Sündenböcke" suchten und nicht zuletzt in Flüchtlingen und Vertriebenen auch fanden55. Der Umstand, daß nach dem Zusammenbruch des deutschen Großstaates die kleinräumigen lokalen Milieus zum „Ankerplatz" für Daseinssicherung und Krisenbewältigung und folglich zum ,,erste[n] und vorrangige^] Bezugspunkt für politische Aktivitäten, Emotionen und Identifikationsbezüge" wurden56, verschärfte solche Abgrenzungen zwangsläufig. „Deutsche" Solidarität als politische Prämisse mußte angesichts solcher Fragmentierung erst mühsam rekonstruiert werden, bevor über die sozialpolitische Frage gestritten werden konnte, wie weit diese Solidarität materiell gehen sollte. Sympathie und Solidaritätsbereitschaft der Bevölkerungsmehrheit differierten je nach deren „Nähe" zu bestimmten Opfergruppen. Eine US-amerikanische Meinungsumfrage von 1951, „bei der [...] danach gefragt worden war, welche Gruppen das größte Anrecht auf Hilfe hätten", ergab für die Bundesrepublik eine „bezeichnende Reihenfolge", bei der „an erster Stelle [...] die Kriegerwitwen und Kriegswaisen" standen, „an zweiter die Bombengeschädigten, an dritter die Vertriebenen, an vierter die Widerstandskämpfer des 20. Juli" und ganz zum Schluß die jüdischen NS-Verfolgten57. In der Gesellschaft der SBZ/DDR dürfte diese Opferhierarchie nicht anders ausgesehen haben. Inklusions- und Exklusionsphänomene haben weniger mit individueller Moralität als mit strukturellen Konfliktkonstellationen zu tun, in denen jeder Beteiligte seine „Rolle" spielt. Die bittere Ironie der Geschichte sah zuweilen abrupte Rollenwechsel vor: Aus flüchtlingsfeindlichen Einheimischen konnten über Nacht selbst Flüchtlinge und Neuankömmlinge werden, die ihrerseits auf feindselige Einheimische stießen58. Die ersten Flüchtlingstrecks des Winters 1944/45 machten in westlicher gelegenen Gegenden Ostpreußens oder Pommerns die Erfahrung, daß deren dortige Bewohner „nichts für uns übrig" hatten und „Tür und Tor vor uns" verschlossen nur, um „ein paar Tage später [...] unser trauriges Los" teilen zu müssen. Allein durch die Willkür eines alliierten Federstrichs war die Bevölkerung noch weiter westlich gelegener Gebiete „von dem gleichen Schicksal verschont geblieben", was dort jedoch „schnell verdrängt" wurde59. Schon 1945 war es inopportun, die alteingesessene Mehrheitsbevölkerung der sowjetischen Besatzungszone, die doch unmittelbar an Oder und Neiße grenzte, an Derartiges zu erinnern. Als der erste Präsident der Umsiedler-Zentralverwaltung, der Kommunist Josef Schlaffer, angesichts der vehementen Abwehrhaltung der alteingesessenen SBZ-Bewohner gegenüber den dorthin Vertriebenen die Argu-
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Krauss, Das „Wir" und das „Ihr", S. 29. Thamer, Lokalgeschichte und Zeitgeschichte, S. Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, S. 496.
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Vgl. zur feindseligen Aufnahme Volksdeutscher Umsiedler vor 1945 in den späteren ostdeutschen Vertreibungsgebieten: Boberach, Meldungen aus dem Reich, Bd. 3, S. 566, Bd. 4, S. 896, Bd. 10, S. 3961 ff. Zit. nach:
Wille, Die Vertriebenen in der SBZ/DDR, Bd. 1, S.
17 und S. 20.
12
I.
Einleitung
mentationslinie vorschlug: „Stellt euch vor, daß die Linie an der Elbe gezogen worden wäre; dann müßten wir die Leute aus Mecklenburg, Brandenburg und sogar die Berliner über die Elbe hinüberschicken, und ihr würdet dasselbe Los teilen", löste dieser naive Idealismus bei ZK-Sekretär Anton Ackermann nur die schneidende Rückfrage aus: „Wozu muß man das sagen?"60 Solange „Entnazifizierung" im Nachkriegs-Deutschland auf der politischen Agenda stand, war der wechselseitige Faschismusvorwurf von Eingesessenen und Vertriebenen an die jeweils andere Seite eine allseits genutzte Waffe61. Diese Faschismusvorwürfe veranschaulichen, daß neben kulturell-mentalen Konfliktlinien, an denen um symbolische Anerkennung gerungen wurde, materielle Verteilungskonflikte das Verhältnis von Einheimischen und Vertriebenen wesentlich bestimmten. Das war wenig verwunderlich zu einer Zeit, da sich die deutsche „Zusammenbruchsgesellschaft"62 als „Rationengesellschaft"63 ausprägte, deren Angehörige sich auf unzureichende Ernährungsrationen herabgedrückt sahen64, deren Nahrungsmittelverteilung schlechter funktionierte denn je und deren Landwirte und Schwarzhändler von der Notlage der Bevölkerungsmehrheit extrem profitierten65. Der Zugang zu Lebensmitteln wurde folglich zu einer krassen sozialen Differenzierungslinie, doch ebenso greifbar waren Lebensstandard-Gefälle und daraus folgende Verteilungskonflikte einer „Trümmergesellschaft"66, in der die Verfügung über unzerstörten Wohnraum und Hausrat zum kostbaren Gut geworden war. Das „Durcheinander der verschiedenartigsten Wanderungen" in der Nachkriegsgesellschaft, das gern als Integrationsvorteil herausgestellt wird67, verschärfte solche Verteilungskonflikte noch. Eine Gesellschaft, in deren jüngster Vergangenheit die geregelte Austragung sozialer Interessenkonflikte eklatant gescheitert war, sah sich unvorstellbaren Notlagen und daraus resultierenden massiven Umverteilungskonflikten ausgesetzt. Die mangelhafte Einübung der damalideutschen Gesellschaft den in zivilisierten gen Umgang mit Konflikten, deren bisher ihrer in Lösung „endgültigen Beseitigung, nicht dagegen in ihrer vernünftigen Regelung" gesucht worden war68, steigerte das bei Kriegsende bestehende kollektive Aggressionspotential und zerrüttete das Verhältnis zwischen Vertriebenen und Einheimischen oft nachhaltig. Wenn verantwortliche Politiker forderten, „die Gesamtheit der Bevölkerung" müsse „mehr als bisher darüber aufgeklärt werden, daß die Umsiedler auf die Dauer keine Last, sondern eine Hilfe sein" würden69, sind diese gesellschaftlichen Konfliktlinien nur zaghaft angedeutet. 1947 berichtete das kommunistisch geführte sächsische Landesumsiedleramt, es häuften sich die Fälle, „daß Umsiedler, die im Westen waren und nun zu uns kommen, sagen, sie wollten lieber weniger essen und dafür am Aufbau mitarbeiten, als daß 60
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„die häufig genug ihren eigenen Wünschen
Jolies, Zur Soziologie der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, S. 371. Vgl. die Hinweise bei Kaiser, Klientelbildung und Formierung einer neuen politischen Kultur. Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, S. 453. Ebenda, S. 452 und S. 454.
6. Politische Resultate
33
der Zwangszuwanderung
und Absichten widersprach"180, und aufgrund derer andererseits auch viele Menschen weitreichende soziale Aufstiegsangebote erhielten und nutzten, was zur sozialen Stabilität des DDR-Regimes beitrug. Wohl wirkte die massenhafte „Republikflucht" bis 1961 ökonomisch destabilisierend; politisch und gesellschaftlich hatte sie freilich auch stabilisierende Konsequenzen, indem sie kritisches Potential verringerte und durch freiwerdende Positionen von Flüchtigen die „soziale Aufwärtsmobilität" der „prämuralen" DDR-Gesellschaft verstärkte. Zu Recht spricht Graf Kielmannsegg von „fast anderthalb Jahrzehnte[n] einer Mobilitätsdynamik sondergleichen, [...], eines Sogs nach oben, wie ihn tatsächlich nur Revolutionen erzeugen können"181. Betrachtet man das heutige positive Gedenken früherer DDR-Bürger hinsichtlich der „sozialen Errungenschaften" des SED-Regimes, so bestätigt sich Dahrendorfs hellsichtige Prognose des Jahres 1965, daß die seit 1945 erfolgten „Wandlungen in der deutschen Gesellschaft der DDR [...] umso bleibender und stabiler" sein dürften, „je stärker sie die soziale Form der Modernität betreffen", während der totalitäre Inhalt „umso schwächer und anfälliger" sei182. Das SED-Regime mochte vergehen, die von ihm erzwungene soziale Transformation bleibt zu wesentlichen Teilen unumkehrbar. Verglichen mit diesen desintegrierenden und zugleich integrierenden Wirkungen sozialrevolutionärer Transformation spielte „Umsiedlerpolitik" für die Vertriebenenintegration in der DDR nur eine kurzfristige und insgesamt ephemere Rolle. Von Bedeutung war sie nicht zufällig allein im ersten Nachkriegsjahrzehnt, als die skizzierte Transformationsdynamik der DDR-Gesellschaftspolitik noch nicht umfassend wirkte. Die materiellen und symbolpolitischen Leistungen gruppenspezifischer Umsiedlerpolitik sollten so will es rückblickend scheinen diese harte Übergangszeit etwas erleichtern. Eine kritische Wirkungsanalyse muß die konkreten Leistungen dieser Umsiedlerpolitik benennen und zugleich deren intendierte und nichtintendierte Wirkungen erörtern. Sie muß sich überdies dem Zusammenhang zwischen Förderung (Inklusion) und Benachteiligung (Exklusion) stellen, der jede Sozialpolitik notwendig kennzeichnet. Dabei gerät die sozialpolitische „Opferkonkurrenz" in den Blick183, die in der SBZ/DDR (anders oder jedenfalls weit schärfer als in der Bundesrepublik) in eine krasse Benachteiligung einheimischer Kriegsfolgengeschädigter allen voran der Bombengeschädigten gegenüber Vertriebenen führte184. Folglich kann sich eine Analyse der Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR nicht darauf beschränken, deren „starken egalitären Impetus" herauszustellen185. Jede Sozialpolitik läßt zugleich soziale Ungleichheiten bestehen, was auf ein Vollzugsdefizit, aber auch auf bewußte Zurückhaltung verweisen kann; und jede Sozialpolitik generiert darüber hinaus neue soziale Ungleichheiten durch ihre zwangsläufige Definition „positiv und negativ -
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-
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180
181 182
Ebenda, S. 453.
Kielmannsegg, Nach der Katastrophe, S. 585 f.
Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, S. 462; bis heute werden Dahrendorfs luzide
Beobachtungen zur DDR-Gesellschaftsgeschichte von der Forschung kaum aufgegriffen. Im Gegensatz zum westdeutschen Soforthilfegesetz, aber auch zur früheren Umsiedlergesetzgebung der SBZ wurden Bombengeschädigte 1950 von den Leistungen des DDR-Umsiedlergesetzes kategorisch ausgeschlossen. 183 So jedoch Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 140. 183
184
Bade, Homo migrans, S. 45.
34
I.
Einleitung
Auch die Umsiedlerpolitik der SBZ/ das Verhältnis zwischen Vertriebenen und Einheimisomit DDR beeinflusste schen in ambivalenter Weise nivellierend und zugleich differenzierend -, wie sie innerhalb der Vertriebenenklientel selbst eine „ungleiche Verteilung der Leistungsansprüche" und daraus resultierende neue Ungleichheiten generierte186. Zu Recht ist darauf verwiesen worden, daß der säkulare Trend zur Expansion sozialpolitischer Intervention in immer mehr gesellschaftliche Bereiche „eine strikte Trennung von Politik- und Sozialgeschichte zunehmend fragwürdig" erscheinen lasse187. Die allgemeine Tendenz zur wechselseitigen Durchdringung von sozialpolitischer und sozialer Entwicklung in der Nachkriegsgeschichte wird im Falle der DDR durch das Spezifikum des SED-Totalitarismus noch verstärkt, dessen Projekt einer möglichst vollkommenen „Entdifferenzierung der Gesellschaft" eine Aufarbeitung von der Politik ausgehender gesellschaftlicher Transformationsentwicklungen selbst für den überaus wahrscheinlichen Fall unerläßlich macht, daß es eine völlig entdifferenzierte Gesellschaft in der DDR niemals gegeben hat188. Die gesellschaftliche Durchschlagskraft totalitärer Politik zu überschätzen, sollten differenzierte Erkenntnisse zur NS-„Sozialgeschichte von Herrschaft"189 ebenso vermeiden helfen wie die erkennbaren „Grenzen der Diktatur" in der frühen DDR-Gesellschaft selbst190. Selbst wenn die DDR als „ein politisches System ohne intermediäre Organisationen" zu beschreiben wäre, müßte nach alternativen Formen der Interessen- und Konfliktkommunikation sowie nach Aushandlungssystemen zwischen Herrschaft und Gesellschaft gefragt werden, statt von vornherein zu unterstellen, daß mit dem Fehlen intermediärer „Arenen der Konfliktinstitutionalisierung [...] auch keine Interessenartikulation und Interessenvertretung außerhalb der politisch homogenisierten und zentralisierten staatlichen Herrschaftsstruktur" mehr möglich gewesen sei191. Eine solche Sicht überschätzt die formale Seite eines Herrschaftssystems ebenso, wie sie den Grundcharakter von Herrschaft als zwar asymmetrische, aber stets wechselseitige Kommunikation192 ausblendet. Anders als am westlichen Gesellschaftstypus geschulte systemtheoretische Modelle, die für totalitäre Gesellschaften allzu rasch gelungene Gleichschaltung und Durchherrschung durch Entdifferenzierung und entgrenzte politische Steuerung suggerieren, vermag ein konflikttheoretischer Zugang differenziertere Einsichten zu eröffnen. In solcher Perspektive erscheint die politische Verhinderung von Interessenartikulation und Interessenvertretung, ja selbst von Konfliktinstitutionalisierung in modernen Gesellschaften nachgerade als unmöglich. Auch „die Geschichte der DDR" wäre dann primär „als Geschichte der Suche ihrer Konflikte nach Ausdrucksformen" zu schreiben, und „wie jedes totalitäre Regime" hätte in solcher Perspektive „auch die Regierung der DDR eine Reihe von Maßnahmen und Institutionen entwickelt, die der Zemen-
privilegierte[r] (Versorgungs-)Klassen". -
Unter Berufung auf Lepsius' Versorgungsklassenmodell: Alber, Der Sozialstaat in der BundesreS. 132. publik, 187 Hockerts, Grundlinien und soziale Folgen der Sozialpolitik in der DDR, S. 519. 188 Vgl. hierzu die stichhaltigen Einwände von Jessen, Gesellschaft im Staatssozialismus. 189 Vgl. Schlögl/Schwartz/Thamer, Konsens, Konflikt und Repression. no Vgl. Bessel/Jessen, Grenzen der Diktatur. 191 Die kritisierte Position bei Lepsius, Die Institutionenordnung, S. 28. 192 Vgl. Lüdtke, Herrschaft als soziale Praxis. 186
6. Politische Resultate der Zwangszuwanderung
35
tierung ihrer Herrschaft durch Kanalisierung der Konflikte dien[t]en"193. Folgt man der empirisch immer besser begründeten „Ausgangsvermutung einer Sozial-
geschichte der staatssozialistischen Gesellschaft in der DDR", wonach „es eine stillgelegte Gesellschaft nicht gibt"194, kann selbst für den etablierten SED-Staat „immer nur von einer relativen Autonomie der Politik gegenüber den gesell-
Bedingungen die Rede sein"195. Insbesondere für das erste Nachkriegsjahrzehnt, das uns im weiteren Verlauf besonders interessieren wird, kann die Sozialgeschichte von Herrschaft in diesem Fall von Umsiedlerpolitik nur als „hochkomplexe Mischung aus dem ideologiegeleiteten diktatorischen Konschaftlichen
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struktionsversuch auf der einen und dem verbleibenden und neu entstehenden Eigengewicht sozialer Strukturen und Prozesse auf der anderen Seite" beschrieben werden196. Selbst das wäre noch zu einfach, denn man wird sich hüten müssen, „Herrschaft" und „Gesellschaft" als monolithische Antipoden zu betrachten. Vielmehr zerfallen beide Bereiche bei näherem Hinsehen in diverse Netzwerke, für die übergreifende Teilbündnisse zwischen „Herrschaft" und „Gesellschaft" essentiell, wenn nicht existenziell waren197. In sämtlichen Zonen Deutschlands waren die ersten vertriebenen- oder umsied-
lerpolitischen Maßnahmen tastende Experimente unter denkbar schlechten Kontextbedingungen; erst in den fünfziger Jahren wurden halbwegs systematische Entscheidungen getroffen und umgesetzt. In der Bundesrepublik sind die 1949 bzw. 1952 verabschiedeten Soforthilfe- und Lastenausgleichsgesetze entscheidend. In der DDR war das „Umsiedlergesetz" von 1950 „formal dem westdeutschen Soforthilfegesetz vergleichbar"198. Indem jedoch das SED-Regime seine Umsiedlerpolitik bereits 1952/53 ersatzlos auslaufen ließ, statt sie wie die Bundesrepublik langfristig, obschon degressiv weiterzuführen199, wurden in der DDR fortbestehende soziale Problemlagen grundsätzlich individualisiert200. Vermutlich liegt es daran, daß die Bodenreform bis heute in ihrer umsiedlerpolitischen Bedeutung erinnert wird201, die mit dem DDR-Umsiedlergesetz verbundene zweite Phase der Umsiedlerpolitik jedoch unter der DDR-Bevölkerung fast vergessen scheint und in der Erinnerung der „alten" Bundesrepublik erst recht nicht vorkommt. Bis heute reduziert selbst die zeithistorische Forschung die „Vertriebenenpolitik" der SBZ/DDR weitgehend auf den Zeitraum bis 1949 und weiß die ebenso wichtige Ära des DDR-Umsiedlergesetzes nicht angemessen zu gewichten202. Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, S. 454 f. Jessen, Gesellschaft im Staatssozialismus, S. 99. 193 Hockerts, Grundlinien und soziale Folgen der Sozialpolitik in der DDR, S. 519. 196 Gesellschaft im Staatssozialismus, S. 99. Jessen, 197 Zum Koalitionsgeschehen politischer Akteure: v. Beyme, Theorie der Politik im 20. Jahrhundert, 193
194
S. 347;
zur
wechselseitigen subsystemischen Penetration als Voraussetzung erfolgreicher politizwischen Herrschafts- und Risikopolitik, S. 46; zu Koalitionsbildungen und
scher Steuerung: Münch,
Gesellschaftsgruppen: Schwartz, Regionalgeschichte NS-Forschung, sowie ders., „Machter? greifung" 198 Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, S. 276. 199 auch Schwartz, „Ablenkungsmanöver der Reaktion". Vgl. 200 Lediglich die Kriegsbeschädigten wurden von dieser Politikverweigerung weiterhin ausgenommen.
201 202
Vgl. Franzen/Lemberg, Die Vertriebenen, S. 27. Vgl. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 163-165; Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen; Mehlhase, Flüchtlinge und Vertriebene in Sachsen-Anhalt; Bauerkämper, Verwaltung
36
I.
Einleitung
Vielleicht hängt diese selektive Vergeßlichkeit damit zusammen, daß die Jahre 1949/50 einen wichtigen Umschwung im gesamtdeutschen Konkurrenzverhältnis der Vertriebenenpolitiken einleiteten. Die kriegsfolgenbezogene Sozialpolitik der SBZ, die zwischen 1945 und 1949 in einigen Bereichen (Umverteilung von Agrarland, finanzielle Soforthilfe) deutliche Leistungsvorsprünge gegenüber den Westzonen aufzuweisen hatte, verlor mit dem Inkrafttreten des westdeutschen Soforthilfegesetzes und dessen Leistungsvolumen schlagartig diese Vorrangstellung. Auch mit den für DDR-Verhältnisse aufwendigen Maßnahmenkatalogen des Umsiedlergesetzes gelang es der SED-Politik ab 1950 nicht, den Leistungsvorsprung der Bundesrepublik wieder umzukehren, der sich statt dessen mit der 1952 einsetzenden Lastenausgleichspolitik noch vertiefte und verfestigte. Nicht zufällig stieg die SED-Führung zu diesem Zeitpunkt aus der vertriebenenpolitischen Systemkonkurrenz aus203. Die doppelte Geschichte kriegsfolgenbedingter Sozialpolitik im Nachkriegsdeutschland ist somit ein Lehrstück nicht nur über hochpolemische Systemkonkurrenz, die sich auch auf diesem Gebiete entfaltete, sondern auch über den rasch abnehmenden Stellenwert dieser Konkurrenzsituation für sozialpolitische Grundsatzentscheidungen im ersten Nachkriegsjahrzehnt.
7. Fortschritte und Fehltritte:
Bemerkungen zum Forschungsstand Es ist schier
unmöglich geworden, den in fünf Jahrzehnten akkumulierten Forschungsstand zur Vertriebenenpolitik und Vertriebenenintegration in Westdeutschland umfassend zu schildern204. Die inhaltlichen Schwerpunkte dieser Forschung, die ihre Höhepunkte in den fünfziger205 und in den achtziger Jahren206 erreichte, liegen einerseits auf historiographischen Arbeiten, die sich mit der unmittelbaren Nachkriegsentwicklung von Vertriebenenpolitik und Vertriebenenbehörden beschäftigt haben207, andererseits auf soziologischen Studien, die den langfristigen Integrationsverlauf untersuchten und zunehmend kritisch bewerteund Gesellschaft, S. 238; Schwab, „Neue Heimat neues Leben"?, S. 132, beschränkt sich auf die schlichte Bemerkung, dieses Gesetz habe „vor allem propagandistische Zwecke im Vorfeld der Volkskammerwahlen erfüllen" sollen, als ob es erheblichen sozialpolitischen Handlungsbedarf nicht gegeben hätte. Vgl. Schwartz, Vertreibung und Vergangenheitspolitik. Überblicke bieten die Bibliographie von Krallert-Sattler, der bibliographische Anhang von Frantzioch, Die Integration der Vertriebenen, ferner Grosser, Von der freiwilligen Solidar- zur verord-
203 204
Konfliktgemeinschaft, sowie von Plato, Vergangene Perspektiven? Höhepunkt dieser Phase war die Publikation von Lemberg/Edding, Die Heimatvertriebenen in
neten
205
206
207
Westdeutschland. Als Markstein der
neueren westdeutschen Integrationsforschung gilt Schulze/von der Brelie-Lewien/Grebing, Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte; eine gesamtdeutsch ausgerichtete Bilanz der neuesten Forschungen bieten Hoffmann/Krauss/Schwartz,
Vertriebene in Deutschland. Vgl. Bauer, Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Bayern; Messerschmidt, Aufnahme und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Hessen, und Schraut, Flüchtlingsaufnahme in Württemberg-Baden; Parisius, Flüchtlingsverwaltung in der britischen und amerikanischen Besatzungszone.
7.
Fortschritte und Fehltritte
37
achtziger Jahren in Mode gekommene erfahrungsgeschichtliche Studien haben die These des Integrationserfolges teilweise kritisch beleuchtet209, teilweise mit neuen Begründungen zu stützen versucht210. Hingegen haben volkskundlich-ethnologische Arbeiten, die in den fünfziger Jahren noch einen optimiten208. Seit den
stischen Grundton hinsichtlich der „Integration" der Vertriebenen anstimmten211, in neuester Zeit den Integrationserfolg durch Hervorhebung fortwirkender sozialer Gruppenkonflikte212 und einer darauf reagierenden euphemistischen „Integrationsideologie" unter Vertriebenen213 erheblich relativiert. Die genannten Hochphasen der Vertriebenenforschung hatten zwangsläufig ihren Schwerpunkt in der „alten", westdeutschen Bundesrepublik214. Erst in der Zeit nach 1989 hat, bedingt durch den Zusammenbruch des SED-Regimes und die weitgehende Öffnung der DDR-Archive, ein intensiver Aufholprozeß von Arbeiten zur Vertriebenenpolitik und Vertriebenenintegration in der SBZ/DDR einsetzen können. Zuvor war das anfängliche, doch nie allzu ausgeprägte westdeutsche Interesse an der Parallelentwicklung in der DDR215 seit den sechziger Jahren vollständig erlahmt, so daß, als die westdeutsche Vertriebenenforschung in den achtziger Jahren ihre Renaissance erlebte und ihre bisherigen Ergebnisse bilanzierte, das Problem der Vertriebenenintegration in der DDR als regelrechter blinder Fleck erschien216. Desinteresse und Unkenntnis der meisten westdeutschen Beobachter, die sich später erst mühsam daran gewöhnen mußten, „gerechterweise auch die unter ungleich ungünstigeren Voraussetzungen in der SBZ/DDR vollzogene" Vertriebenenintegration jener in der Bundesrepublik „an die Seite zu stellen"217, wurden dadurch verschärft, daß das SED-Regime selbst die wissenschaftliche Aufarbeitung der Vertriebenenintegration in der DDR lange blockierte218. Nach kurzfristigen Lockerungen in den frühen siebziger Jahren219 konnte die DDR-Historiographie erst in den achtziger Jahren in durchaus interessanter Parallele zur zweiten westdeutschen Forschungs-Hochphase eine Beschäftigung mit der Vertriebenen- bzw. „Umsiedler"-Thematik beginnen. Unter der unvermeidlichen Prämisse einer raschen und erfolgreichen, allein der SED-Politik zu dankenden „Lösung des Umsiedlerproblems" gelangen einer Magdeburger Forschungsgruppe um Manfred Wille220, der Dresdnerin Regine Just221 und dem Ber-
-
Vgl. Lüttinger, Integration der Vertriebenen; Gerhardt, Bilanz der soziologischen Literatur. Vgl. Lehmann, Im Fremden ungewollt zuhaus. 210 v. Plato, „Ihr lebt auch auf keinem anderen Stern wie wir". Vgl. 2,1 Vgl. Karasek-Langer, Volkstum im Umbruch. 212 Kaidaunen und Elche. Vgl. Jeggle, 213 Vgl. Lehmann, Im Fremden ungewollt zuhaus, S. 68. 2,4 Vgl. den Überblick bei Grosser, Von der freiwilligen Solidar- zur verordneten Konfliktgemeinschaft. 213 Vgl. Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone; Storbeck, Soziale Strukturen in Mitteldeutschland. 216 Grebing, Zum Begriff der Integration, S. 303 f., und Schlau, Einige Diskussionsbeiträge, S. 313 f. 217 In seltener Fairneß: Rautenberg, Die Wahrnehmung von Flucht und Vertreibung, S. 37. 218 Vgl. Wille, Die „Umsiedler"-Problematik im Spiegel der SBZ-/DDR-Geschichtsschreibung; Mehlhase, Flüchtlinge und Vertriebene in Sachsen-Anhalt. 219 Vgl. Krellenberg, Die Eingliederung der Umsiedler in das gesellschaftliche und politische Leben in Mecklenburg. 220 Vgl. die einschlägigen Beiträge in Wille/Hoffmann/Meinicke, Sie hatten alles verloren. 221 Just, Zur Lösung des Umsiedlerproblems; dies., Die Integration der Umsiedler im Land Sachsen. 208 209
3S
I.
Einleitung
liner
Wolfgang Meinicke222 wichtige Ansätze wissenschaftlicher Aufarbeitung. Einige dieser DDR-Historiker setzten ihre Arbeit unter den gewandelten Bedingungen der neunziger Jahre fort. So verdanken wir Meinicke, der eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem westdeutschen Historiker von Plato begann223, nicht nur eine erste bilanzierende Skizze zur Vertriebenenpolitik der SBZ/DDR insgesondern zur auch Studien fundierte samt224, vertriebenenpolitischen Bedeutung der Bodenreform und der Wohnraumumverteilung225. Wille konzentrierte sich auf politik- und verwaltungsgeschichtliche Arbeiten zur zonalen Umsiedlerbüro-
kratie und zur KPD/SED226, während sich seine Schüler der beruflichen und wohnlichen Unterbringung von Vertriebenen in der SBZ227 oder regionalhistorischen Gesamtanalysen zuwandten228. Ein weiterer früherer DDR-Historiker, der Potsdamer Peter Hübner, hat sich der industriebetrieblichen Integrationssituation in der DDR während der fünfziger Jahre angenommen229. Erfahrungswissenschaftliche Annäherungen an langfristige Integrationsverläufe sind insbesondere Alexander von Plato230 sowie im Hinblick auf die Sondersituation von Eisenhüttenstadt der Berlinerin Dagmar Semmelmann zu danken231. Seit Mitte der neunziger Jahre traten zu den früheren DDR-Historikern Angehörige einer jüngeren Wissenschaftler-Generation, die größtenteils der „alten" Bundesrepublik entstammte. Die Studien des Potsdamer, nun Berliner Historikers Arnd Bauerkämper zur Agrarpolitik der SBZ/DDR232 bieten obschon in der Regel nicht vertriebenenspezifisch eine wichtige Grundlage für jede weiterführende Diskussion von Vertriebenenintegration und ländlicher Gesellschaftsentwicklung. Der Mannheimer Marcel Boldorf hat den Zusammenhang von Sozialfürsorge und „Nachkriegsarmut" in der SBZ/DDR untersucht und dabei auch den Vertriebenen Aufmerksamkeit gewidmet233. Der Münsteraner Damián van Melis erhellte am Beispiel der Entnazifizierung in Mecklenburg-Vorpommern die Wechselwirkung zwischen Vertriebenenintegration und Transformationspoli-
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Vgl. Meinicke, Zur Integration der Umsiedler. Vgl. v. Plato/Meinicke: Alte Heimat Neue Zeit. 224 Vgl. Meinicke, Flüchtlinge, Umgesiedelte, Vertriebene. 225 Vgl. Meinicke, Die Bodenreform und die Vertriebenen in der SBZ; ders., Die Bodenreform und die Vertriebenen in der Sowjetischen Besatzungszone; ders., Probleme der Integration der Vertriebe222 223
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nen.
Vgl. Wille, Die Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler; ders., Die Vertriebenen und das politisch-staatliche System der SBZ/DDR; ders., SED und „Umsiedler"; ders., Die „freiwillige Ausreise", sowie ders., Die verordnete Einbürgerung. 227 Vgl. Kaltenborn, Herausbildung und Entwicklung der Umsiedlergenossenschaften; dies., Wohnund Lebensverhältnisse von Vertriebenen. 228 Vgl. Mehlhase, Flüchtlinge und Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg in Sachsen-Anhalt. 229 Vgl. Hübner, Industriearbeit als Faktor der Vertriebenenintegration. 230 Vgl. v. Plato/Meinicke: Alte Heimat Neue Zeit. Vgl. Semmelmann, Zur Integration aus lebensgeschichtlicher Sicht. 232 Vgl. Bauerkämper, Das Neubauernbauprogramm im Land Brandenburg; ders., Strukturumbruch ohne Mentalitätenwandel; ders., Zwangsmodernisierung und Krisenzyklen; ders. Von der Bodenreform zur Kollektivierung; ders., Aufwertung und Nivellierung; ders., Problemdruck und Ressourcenverbrauch; ders., Die vorgetäuschte Integration; zusammenfassend zum Vertriebenenproblem im Rahmen gesellschaftlicher Gruppenkonflikte: derselbe, Ländliche Gesellschaft, insb. 354368, wobei allerdings die Rolle staatlicher „Umsiedlerpolitik" nur kursorisch gestreift wird; vertriebenenspezifisch dürftig: Humm, Auf dem Weg zum sozialistischen Dorf? 233 Vgl. Boldorf, Sozialfürsorge in der SBZ/DDR. 226
231
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7. Fortschritte und Fehltritte
39
tik234. Dierk Hoffmann beleuchtete das Vertriebenenproblem aus dem Blickwinkel seiner Forschungen zur Arbeitskräftelenkung in der SBZ/DDR235. Neuerdings ist auch die erfreuliche Tendenz zu beobachten, die übliche Beschränkung auf die Entwicklung der SBZ/DDR, die in dieser Selbstbezüglichkeit ebenso restringierte Forschungen zur Vertriebenenintegration in Westdeutschland nachzuahmen schien, durch Herausbildung von Vergleichshorizonten zu erweitern. So wurden Fragen der Agrarpolitik, der Sozialfürsorge oder des Lastenausgleichs gezielt in komparativ-gesamtdeutscher Perspektive diskutiert236. Dieser deutsch-deutsche Vergleich gemeinsamer gesellschaftlicher Problemlagen und konkurrierender Integrationspolitiken soll auch in der vorliegenden Arbeit trotz ihrer Konzentration auf die DDR-Entwicklung eine Rolle spielen. Neben diesem intranationalen Vergleichsansatz, der das methodologische Postulat einer mehrdimensionalen gesamtdeutschen Zeitgeschichte im Blick zu halten versucht, ist eine auf den stalinistischen Systemvergleich in Mittel- und Osteuropa setzende internationale Vergleichsperspektive von Bedeutung, wie sie insbesondere vom Berliner, nun in Frankfurt/Oder tätigen Osteuropa-Historiker Philipp Ther zur Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen entwickelt worden ist237. Thers 1998 publizierte Studie stellt die bislang anspruchsvollste Beschäftigung mit der DDR-Thematik dar und lohnt daher eine eingehendere Betrachtung. Beachtenswert ist der Versuch, die Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR in verschiedene Politikkonzepte „sozialcaritative", „Sozialrevolutionäre" und „redistributive" Ansätze zu kategorisieren. Die konkrete Umsetzung dieser typologischen Trias erscheint allerdings fragwürdig. So ist die Präzision der „sozialcaritativen" Kategorie kaum noch zu erkennen, wenn so unterschiedliche Maßnahmen wie Spendensammlungen, gesetzliche Finanz-Soforthilfen und das DDR-Umsiedlergesetz mit seinen Kreditprogrammen darunter rubriziert werden. Als weiteres Grundproblem der Ther'schen Studie erscheint deren zutiefst statisches Politikverständnis, weshalb das dort gezeichnete Bild der Vertriebenenpolitik der SBZ/DDR der hochdynamischen Entwicklung jener Jahre kaum entspricht. Lediglich für das Jahr 1948 wird eine (entsprechend große) Zäsur konstatiert, die den qualitativen Umschlag von einer sozialpolitischen zu einer repressiv-„negativen Vertriebenenpolitik" im Kontext zunehmender „Stalinisierung" bezeichnen soll238. Daß die Vertriebenenpolitik der SBZ/DDR durch permanente Labilität gekennzeichnet war, gerät ebenso aus dem Blick wie die Tatsache, daß sozialpolitische und repressive Elemente zu jeder Zeit Bestandteile von „Umsiedlerpolitik" waren. Den Höhepunkt sozialintegrativer Umsiedlerpolitik in der SBZ/DDR, das 1950 erlassene Umsiedlergesetz, vermag Ther daher weder angemessen zu gewichten noch zu er-
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Vgl. van Melis, Integration statt Entnazifizierung; ders., Entnazifizierung in Mecklenburg-Vorpommern. 233 Vgl. Hoffmann, Vertriebenenintegration durch Arbeitsmarktlenkung?; ders., Binnenwanderung und Arbeitsmarkt. 236 Boldorf, Fürsorgeunterstützung in DeutschVgl. Bauerkämper, Die vorgetäuschte Integration; land; Schwanz, „Ablenkungsmanöver der Reaktion". 237 Vgl. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene; ders., Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR am Beispiel des Kreises Calau-Senftenberg; ders., The Integration of Expellees in Germany and Poland after World War II; ders., Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen. 238 Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 227 ff. 234
I.
40
Einleitung
wenigen Seiten, die den Strukturbedingungen von Vertriebenenpolitik gewidmet sind239, sucht man jenseits nichtssagender Chiffren von „der" SMAD oder „der" SED die grundlegende politikwissenschaftliche Einsicht vergebens, daß Politik „immer Koalitionsgeschehen" sei und daher auch hinter monolithisch wirkenden Fassaden mit „widersprüchlichen Aktionseinheiten" gerechnet werden müsse240. Auch eine eigenständige „Politik der Vertriebenen" jenseits des staatlichen Paternalismus wird nur „bei Bedarf", aber nicht systematisch in den Blick genommen und bietet daher lediglich illustrative „Reaktionen auf die Vertriebenenpolitik" von oben241. Angesichts solcher Staatsfixierung verwundert es nicht, daß sich Ther von der gesellschaftlichen Durchschlagskraft totalitärer Repression vollauf überzeugt zeigt. Doch seine Behauptung, schon „Ende 1950" seien die „letzten Geheimtreffen" von Vertriebenen und damit deren Selbstorganisationsbestrebungen vom SED-Staat erfolgreich zerschlagen worden, darf als bereits widerlegt gelten242. Die an Thers Studie zu kritisierende Sicht der politischen Akteure und ihrer institutionellen Rahmenbedingungen reproduziert freilich nur die Insuffizienzen der bisherigen Forschung. Viel zu stark haben sich Arbeiten zur „Umsiedlerpolitik" der SBZ/DDR bislang auf die sowjetzonalen Umsiedlerbehörden und deren Aktenüberlieferungen konzentriert, die zwar einen unerläßlichen Einstieg in die Thematik bieten, jedoch weder in zeitlicher noch in perspektivischer Hinsicht ausreichen, um das Thema angemessen aufzuarbeiten. Weder in der Bundesrepublik noch in der SBZ/DDR war Vertriebenenpolitik das Monopol spezifischer Vertriebenenbehörden; folglich endete, als diese Sonderverwaltungsstrukturen in der SBZ 1948/49 beseitigt wurden, dortige Vertriebenenpolitik keineswegs243. Deshalb scheint es höchst fragwürdig, ob man in der „Auflösung der Sonderverwaltung 1948" wirklich den ,,entscheidende[n] Einschnitt" der Umsiedlerpolitik der SBZ/ DDR erblicken soll, „dem lediglich Nachhutgefechte folgten"244. Der Fortbestand von Umsiedlerpolitik nach 1948 hatte auch nicht nur damit zu tun, daß „die Partei" nun „die konzeptionelle Kompetenz in Vertriebenenfragen an sich" gerissen hätte245, denn dieses Politikfeld war vermutlich erst zum Zeitpunkt seiner Abschaffung, also 1952/53, das unbestrittene Monopol der SED-Führung. Zuvor erscheint es wesentlich polyzentrisch. Dies betrifft zunächst den Staatsapparat, wo Umsiedlerpolitik zu keiner Zeit exklusive Sache der Umsiedlerverwaltungen gewesen ist, sondern vielmehr umstrittener Gegenstand fast aller regulären Bürokratien und ihrer unterschiedlichen Problemperspektiven. Ähnlich fragmentiert war der SED-Apparat selbst. Daß in der Forschung bisher eigenständige politische Ansätze bürgerlicher Blockparteien kaum thematisiert worden sind246, obschon klären. Auf den
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239
Ebenda, S.
148-156.
Beyme, Theorie der Politik im 20. Jahrhundert, S. 347. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 107. 242 Die Behauptung ebenda, S. 238; ihre Widerlegung bei Schwartz, Umsiedlerpolitik in der Krise?, S. 193-196. 243 Vgl. jedoch Mehlhase, Flüchtlinge und Vertriebene in Sachsen-Anhalt, der 1949 abbricht, obwohl er mühelos bis 1952/53 hätte weitergehen können. 244 So neuerdings noch Bauerkämper, Verwaltung und Gesellschaft, S. 242. 245 Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 152. 246 Eine rühmliche Ausnahme im Hinblick auf die Ost-CDU bietet Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen. 240 v. 241
7. Fortschritte und
Fehltritte
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diese bis 1949/50 eine nicht unbedeutende Rolle spielten, wird angesichts des bisher Gesagten nicht verwundern. Mindestens ebenso problematisch ist die implizite Forschungsprämisse von der vertriebenenpolitischen Interessenidentität zwischen Sowjets und SED, obschon ein sehr viel differenzierteres Bild sowjetisch-deutscher Politikkommunikation angebracht erscheint. Zudem müßte eine ernstgemeinte vertikale Polyzentrizität die Autonomie der kommunalpolitischen Handlungsebene sowie die vielschichtige, bis heute jedoch kaum untersuchte Selbstorganisation von Vertriebenen247 in der SBZ/DDR ernstnehmen, statt Vertriebene nur als Objekte und letztlich als Opfer politischen Handelns darzustellen. Im Hinblick auf die sowjetischen Anteile an der Umsiedlerpolitik der SBZ/ DDR verdient die regionalhistorisch konzipierte Arbeit des Leipziger Historikers Stefan Donth über „Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen" Beachtung. Donth hat nicht nur die üblichen Provenienzen der deutschen Umsiedlerverwaltungen und der SED genutzt, sondern neben der Überlieferung der Ost-CDU erstmals auch sowjetische Bestände herangezogen. Damit bietet seine Arbeit die Chance zu einem „Härtetest" für alle bisherigen Forschungsergebnisse zur Vertriebenenproblematik in der SBZ/DDR. Dabei ergibt sich allerdings, daß die bisher am deutschen Material gewonnenen Erkenntnisse nur selten modifiziert, jedenfalls nicht grundlegend korrigiert werden müssen. Diese Beobachtung ist wichtig für die Einschätzung der in unserer Studie auf der Basis deutscher Quellenüberlieferung durchgeführten Untersuchung des sowjetisch-deutschen Verhältnisses in der Umsiedlerpolitik. Unsere Analyse wird die von Donth konstatierte „entscheidende Rahmenbedingung", daß „die Vorgaben" für Politik in der SBZ von „der sowjetischen Besatzungsmacht" stammten, relativieren und konkretisieren. Demnach trifft Donths Feststellung lediglich für grundlegende Ziele wie die Unumkehrbarkeit der Vertreibung und den daraus folgenden Assimilationszwang zu, während jenseits dessen wo integrative Umsiedlerpolitik erst anfängt die sowjetisch-deutsche Politikkommunikation keineswegs als durchgängige Befehl-Gehorsam-Relation gedacht werden kann. Grundsätzlich scheint Donth die Durchsetzungsfähigkeit selbst der totalitär agierenden sowjetischen Besatzungsmacht im Chaos der Nachkriegszeit zu überschätzen248. Unlängst ist mit Blick auf die SBZ/DDR das doppelte Forschungsdesiderat einer weiteren Erforschung von Umsiedlerverwaltungen, insbesondere der regionalen und lokalen Ebene sowie der sowjetischen Organe, und der zusätzlichen Klärung der Folgewirkungen und Grenzen der von diesen Verwaltungen betriebenen Politik konstatiert worden249. Die vorliegende Arbeit sucht sich dieser doppelten Herausforderung zu stellen. Ihr Verfasser hat sich seit Mitte der neunziger Jahre in die Forschungen zur Vertriebenenproblematik eingereiht. Ausgehend von dem Versuch, die innere Entwicklung, aber auch den Stellenwert der Umsiedler-Sonderverwaltung im politisch-administrativen System der SBZ zwischen -
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Vgl. für den Zeitraum 1945-1948 nunmehr Grottendieck, Egalisierung ohne Differenzierung? Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 14, S. 16 und S. 107f.; wenn Donth „ein umfangreiches Berichtsystem" und laufende „Kontrollen" als Belege nimmt, daß die SMAD „die Eingliederung der Vertriebenen in entscheidender Weise" geprägt habe, könnten diese Indizien auch das exakte Gegenteil belegen. 249 Bauerkämper, Verwaltung und Gesellschaft, S. 230 f. 247 248
I.
42
1945 und 1948
zu
Einleitung
bestimmen250, wurden zunächst weitere institutionelle Faktoren
etwa das Partizipationsinstruder „Umsiedlerausschüsse"251, das zu einem zeitweiligen Aktionsbündnis zwischen Umsiedlerverwaltungen und Teilen der Vertriebenenbasis führte, oder die umsiedlerpolitischen „Geschäftsträger" der sowjetischen Besatzungsmacht252. Im Verlauf dieses Forschungsprozesses ergab sich dann eine zunehmende Relativierung institutioneller Faktoren insbesondere der Umsiedlerbürokratien zugunsten der Bedeutung von Interaktionen personeller Funktionärs-Netzwerke, die das dynamische Kräfteverhältnis von institutionellen Akteuren maßgeblich bestimmten. Nicht einzelne Individuen, wohl aber konkrete Personengruppen „machten" in dieser Sicht „Geschichte"253. Diese Netzwerk-Analyse wird in der vorliegenden Arbeit vertieft und auf die bislang kaum erforschte DDR-Phase der Umsiedlerpolitik zwischen 1949 und 1953 ausgeweitet, in der gar keine Sonderverwaltungen mehr existierten. Dabei ist die ursprüngliche Akzentuierung der Bedeutung von Netzwerken gegenüber Institutionen einer ausgewogeneren Sichtweise gewichen, die auf die wechselseitige Bedingtheit von Institutionenund Netzwerkentwicklung abhebt. Wichtig erscheint, daß nicht nur die Institutionen und Netzwerke der SMA/SKK, der SED-Führung und der Umsiedleroder Innenbehörden Beachtung finden, sondern auch jene anderer Ressortzusammenhänge sowie der bürgerlichen Blockparteien und vor allem den Vertriebenen selbst. Das Forschungsinteresse des Verfassers hat sich zwischenzeitlich auf sozialgeschichtliche Aspekte der Vertriebenenintegration in der SBZ/DDR ausgedehnt254. Der damit berührte Zusammenhang zwischen Politik- und Gesellschaftsentwicklung ist auch in der vorliegenden Arbeit unter der Perspektive politischer Steuerung und ihrer sozialen Folgewirkungen präsent. Hinzu trat eine gesamtdeutsche Vergleichsperspektive, die nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden konkreter Integrationspolitik (z.B. beim Lastenausgleich) fragte und den langfristigen Umgang mit der Vertriebenenthematik in beiden Nachkriegsgesellschaften in den Blick nahm255. Besonders wichtig erscheint, daß Mitte der neunziger Jahre begonnene Versuche einer Vernetzung von Bundesrepublik- und DDR-Forschungsfeldern unterdessen Fortschritte gemacht haben256. Eine Studie zur Sprachpolitik der „Umsiedler"-Terminologie in der SBZ/DDR rundet das Vorvon
„Umsiedlerpolitik" in den Blick genommen
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ment
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Vgl. Schwartz, Zwischen Zusammenbruch und Stalinisierung. Vgl. Schwartz, Kontrollierte Partizipation. 252 Eine erste Annäherung bietet Schwartz, Besatzer und Vertriebene; vgl. umfassender Kap. II.1. 253 Schwartz, „Apparate" und Kurswechsel. Vgl. 254 Vgl. Schwartz, Vertrieben in die Arbeiterschaft; ders., Integration und Transformation. 255 Vgl. Schwartz, „Ablenkungsmanöver der Reaktion"; ders., Vertreibung und Vergangenheitspolitik; ders., Tabu und Erinnerung; Schwartz, Diskriminierung oder Gleichstellung? 256 Beispiele für eine noch separate Perspektive bieten der epochenübergreifend angelegte Band von Beer,/Kintzinger,/Krauss, Migration und Integration, sowie die auf die alte Bundesrepublik bzw. Bayern konzentrierten Bände von Schraut/Grosser, Die Flüchtlingsfrage in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, und Endres, Bayerns vierter Stamm; in ähnlicher Weise fokussieren Hoffmann/ 250 251
Wille/Meinicke,
Sie hatten alles
verloren, ausschließlich auf die SBZ/DDR; diese
Konzentration
trotz Einbeziehung des westdeutschen Vergleichshorizonts auch bei Wille, Fünfzig Jahre überwogund Flucht Vertreibung, sowie bei Hoffmann/Schwartz, Geglückte Integration?; eine vergleichend gesamtdeutsche und methodisch interdisziplinäre Perspektive bietet erstmals die Forschungsbilanz von Hoffmann/Krauss/Schwartz, Vertriebene in Deutschland.
8.
43
Prämissen, Fragen, Methoden
feld der vorliegenden Arbeit ab und erklärt zugleich, weshalb im Rahmen dieser Arbeit auf eingehende begriffsgeschichtliche Untersuchungen verzichtet werden kann257.
8.
Prämissen, Fragen, Methoden:
Zur Vorgehensweise dieser Arbeit
Obgleich Gegenstand dieser Arbeit die „Umsiedlerpolitik" in der SBZ/DDR bleiben soll, kann deren adäquate Einordnung und Gewichtung nur vor dem Hintergrund der westdeutschen Parallelentwicklung erfolgen, die daher im folgenden stets mit verfolgt werden soll. Indem unsere Studie das umsiedlerpolitische Subsystem und dessen Politik in der Nachkriegsgesellschaft der SBZ/DDR untersucht, konzentriert sie sich zwangsläufig auf die ersten Nachkriegsjahre der SBZPhase sowie auf das erste knappe Jahrzehnt der DDR. Diese zeitliche Begrenzung ist wesentlich der DDR-spezifischen Quellenlage geschuldet, daß das Vertriebenenproblem ab Mitte der fünfziger Jahre fast keinen Niederschlag mehr in der schriftlichen Überlieferung des DDR-Herrschaftssystems gefunden hat258. Lediglich in den Repressionsapparaten sowie auf lokaler oder betrieblicher Ebene, wo man mit dem fortbestehenden Problem „dichter" konfrontiert war, scheinen Ausnahmen von dieser Regel gemacht worden zu sein259, ohne daß sich freilich daraus ein Gesamtbild ergäbe. Bedauerlich ist insbesondere, daß seit 1949/50 besondere statistische Erhebungen über Vertriebene in der DDR nicht mehr erfolgten, so daß die Möglichkeit darauf basierender Langzeitanalysen über soziale Integrationsverläufe, wie sie in der (alten) Bundesrepublik zu wichtigen Ergebnissen geführt haben260, nicht gegeben ist. Langzeitanalysen scheinen für die DDR allein mittels erfahrungsgeschichtlicher Annäherungen möglich und beschränken sich zwangsläufig auf den retrospektiv erinnerten Grad individueller Integration. Doch muß die zwangsläufige Beschränkung auf die unmittelbare Nachkriegszeit nicht nur von Nachteil sein. Zum einen erlaubt sie vergleichende Perspektiven auf die bundesrepublikanische Parallelentwicklung, deren Vertriebenenpolitik ebenfalls vorrangig für die erste Nachkriegsdekade erforscht worden ist, obgleich die dort weiterlaufende Quellenüberlieferung anderes gestatten würde. Zum zweiten bietet das vorhandene Quellenmaterial der SBZ/DDR für die vierziger und frühen fünfziger Jahre reichhaltige, bislang nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten zur Rekonstruktion politischer Konzeptionen, Entscheidungen und Umsetzungen, aber auch der diesen vorausliegenden und wiederum beeinflußten gesellschaftlichen Konfliktlagen. Dazu ist allerdings eine breitere Quellengrundlage erforderlich, als die bishe-
rige Forschung 257 258
239 260
zur
Vertriebenenpolitik der
SBZ/DDR sie in der
Vgl. ausführlich Schwanz, „Vom Umsiedler zum Staatsbürger".
Regel
genutzt
Fruth, Die Bestände des Bundesarchivs Berlin und der SAPMO, S. 410, terminiert „eine aussagekräftige Überlieferung [...] auf die Jahre 1945-1950/52", wobei allerdings Ausläufer bis 1955/60 in
Rechnung zu stellen sind.
Hübner, Industriearbeit als Faktor der Vertriebenenintegration, S. 312. Vgl. Lüttinger, Integration der Vertriebenen.
44
I.
Einleitung
hat. Insbesondere erscheint es unzureichend, solche Arbeiten im wesentlichen auf die Überlieferung der Umsiedler-Sonderverwaltungen der Zone und der Länder zu stützen. Obgleich diese Bestände für den Zeitraum bis 1948/49 zweifellos zentral sind, müssen stets auch die Problemperzeptionen anderer Ressorts Beachtung finden, die ebenfalls und nicht selten einflußreicher als die Sonderverwaltung über das Schicksal von Umsiedlerpolitik entschieden. Aus diesem Grunde werden in dieser Arbeit auch die Bestände der Zentralverwaltungen bzw. Ministerien für Arbeit und Sozialfürsorge, Finanzen, Land- und Forstwirtschaft sowie Handel und Versorgung erstmals intensiv herangezogen. Auch eine sorgfältigere Einbeziehung der Überlieferungen der Innenressorts von Zone und Ländern, als sie bisher erfolgt ist, scheint aus zweierlei Gründen unerläßlich: Zum einen läßt sich nur so die repressive Dimension von Umsiedlerpolitik, die der sozialpolitischen an die Seite zu stellen ist, adäquat erschließen, und zum anderen traten die Innenressorts in der Phase von 1948/49 bis 1953 als maßgebliche Exekutivorgane von Umsiedlerpolitik an die Stelle der Sonderverwaltungen. Daß diese wichtige DDR-Hochphase der Umsiedlerpolitik bislang nicht angemessen gewürdigt worden ist, hat wesentlich mit der Vorentscheidung zu tun, sich primär auf die Überlieferung der Sonderverwaltungen zu beschränken. Diese Arbeit geht ferner davon aus, daß Handlungsspielräume der Landesregierungen und ihrer Funktionärsgruppen ein wichtiger Faktor für die inhaltliche Entwicklung und gesellschaftliche Umsetzung von Umsiedlerpolitik gewesen sind. Auch frühere Forschungen haben diese Bedeutung der regionalen MesoEbene erkannt, jedoch Handlungsspielräume zwischen Zentrale und Ländern nie angemessen zu gewichten vermocht, weil sie sich entweder auf die Betrachtung eines einzigen Landes beschränkten261 oder lediglich ein Land mit der zonalen Politik kontrastierten262. Genutzte oder ungenutzte Handlungsspielräume der Länder werden jedoch erst dann deutlich, wenn man sie sowohl mit der zonalen Politikebene als auch untereinander vergleicht. Daher versucht die vorliegende Arbeit, möglichst alle fünf relevanten Landespolitiken zu analysieren. Zu diesem Zwecke wurden die Überlieferungen dreier Landesregierungen der SBZ/DDR Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen intensiv ausgewertet, während für Sachsen-Anhalt und Brandenburg auf vorliegende Forschungen sowie eine vergleichsweise gute Überlieferung in zentralstaatlichen Quellen zurückgegriffen werden konnte. Die zielgerichtete Heranziehung zentralstaatlicher und regionaler Quellen erlaubt überdies eine Berücksichtigung der wichtigen lokalen Politikebene und ihrer Interdependenz mit den höheren Systemebenen, wenngleich die hier gewonnenen Erkenntnisse das Desiderat vergleichender kommunalpolitischer und lokalgesellschaftlicher Studien nicht obsolet machen. Wiederholt ist in der Forschung auf die signifikante Rolle des zentralen SEDParteiapparates in der Umsiedlerpolitik hingewiesen worden, die in der Tat späte-
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Vgl. Just, Die Integration der Umsiedler im Lande Sachsen; Mehlhase, Flüchtlinge und Vertriebene in Sachsen-Anhalt; weitere Beispiele für dieses Verfahren in Hoffmann/Wille/Meinicke, Sie hatten alles verloren. 262 Vgl. Ther, Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR am Beispiel des Kreises Calau-Senftenberg, sowie Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen; Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, nutzt neben zentraler Überlieferung lediglich brandenburgische und beiläufig sächsische Bestände. 261
8.
Prämissen, Fragen, Methoden
45
ab 1948 nicht ignoriert werden kann. Allerdings kann auch diese Rolle erst gewichtet werden, wenn man weitere politische Variablen bürgerliche Blockparteien, Kirchen263, „Massenorganisationen" wie FDGB oder VdgB in die Betrachtung einbezieht. Vor allem aber wird unter Heranziehung neuester Forschungsergebnisse zu Struktur und Arbeitsweise der sowjetischen Besatzungsorgane264 das Verhältnis zwischen Sowjets und SED-Führungsgruppen differenziert untersucht werden müssen, statt simple Interessen- und Aktionsidentitäten vorauszusetzen oder a priori von der Dominanz sowjetischer Stellen auszugehen. In einem ersten Schritt (Teil II) versucht unsere Arbeit, die soziopolitischen Strukturbedingungen für das Politikfeld der „Umsiedlerpolitik" zu analysieren. Von der Prämisse ausgehend, daß in kybernetischer Perspektive „alle formellen Makroorganisationen Netzwerke von Kommunikationsbeziehungen" seien265, vertiefen und ergänzen Netzwerkanalysen und Untersuchungen von NetzwerkKommunikation die für unser Thema ebenso signifikante Institutionengeschichte. Neben konfligierenden oder koalierenden politischen Akteurskonstellationen266, stens
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wie sie sich in SMAD und SED sowie zwischen beiden Institutionen etablierten (Kap. II. 1.) und den Kern des „umsiedlerpolitischen Netzwerks" im politischen Subsystem der SBZ/DDR bildeten (Kap. H.2.), treten zusätzliche politikbestimmende Zentren und Peripherien in den Blick: Länder und Kommunen, bürgerliche Blockparteien, kirchliche Institutionen und nicht zuletzt die Vertriebenen selbst mit allen denkbaren Verhaltensvarianten von kontrollierter Partizipation zu den Bedingungen des Regimes über Selbstorganisation neben der oder gegen die offizielle Politik bis zum selbstreferentiellen Rückzug in exklusive Binnenmilieus (Kap. II.3.). In diesem Zusammenhang soll das Vorurteil einer bereits frühzeitig nicht mehr möglichen Selbstorganisation von Vertriebenen in der SBZ/DDR267 relativiert werden, um statt dessen auf diverse Organisationsformen hinzuweisen, die teilweise staatlich gefördert (Umsiedlerausschüsse, Umsiedlergenossenschaften), teilweise gegen staatliche Repression behauptet diverse Ansätze er-
zunehmend bedrängter Selbstorganisation repräsentierten. Auf diese Weise treten die ursprüngliche Polyzentralität des vertriebenenspezifischen Politikfeldes der SBZ/DDR sowie die Bedingungen und Grenzen seiner Gleichschaltung klar hervor. Der zweite Hauptteil (Teil III) konzentriert sich auf eine Implementationsanalyse von Umsiedlerpolitik, welche die zuvor erarbeitete systematische Politikfeldanalyse auf die „konkreten Implementationssituationfen]" (Haas/Pfister) zweier wesentlicher Aktionsfelder bezieht, um politische Konzeptionen, deren administrative Umsetzung und deren gesellschaftliche Folgewirkungen zu überprüfen. Zum einen geht es um die vertriebenenpolitische Relevanz der Bodenreform. Dabei gilt es, die erheblichen Ausdifferenzierungsprobleme vertriebenenspezifischer Förderung im Rahmen allgemeiner „Neubauernpolitik" herauszuarbeiten und mit den kulturell wie ökonomisch bestimmten Gruppenkonflikten der
folgreicher, wenngleich
Die Ost-CDU hat auch
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Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, in den Blick genommen. Foitzik, Sowjetische Militäradministration (1999); Scherstjanoi, SKK-Statut. Vgl. 263 Cadwallader, Die kybernetische Analyse des Wandels, S. 142. 266 hierzu v. Beyme, Theorie der Politik im 20. Jahrhundert. Vgl. 267 Jüngst noch Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 238. 263 264
I.
46
Einleitung
ländlichen Gesellschaft der SBZ/DDR erklärend in Beziehung zu setzen (Kap. III. 1.). Zum anderen geht es um Vertriebenenförderung bei der Neuausstattung mit Mobiliar und Hausrat und damit um ein ebenfalls vehement umstrittenes Thema der gesamtdeutschen Nachkriegsgesellschaft, das zunächst ähnlich wie die Bodenreform als Umverteilungsprojekt, später als Subventionspolitik daherkam (Kap. III.2.). In beiden Fällen belegt die Analyse, daß sozialpolitische Intervention soziale Ungleichheit weniger behob als neu strukturierte, und trägt dadurch zur Identifizierung der frühen DDR-Gesellschaft als allerdings hochgradig „umgewälzte" „Klassengesellschaft" bei268. Politik konkret: Umsiedlerpolitik in der SBZ/DDR erscheint bei alledem „nicht mehr" als „eine Frage des intentionalen Handelns von einzelnen", sondern als „von komplexen Kommunikationsprozessen der verschiedenen beteiligten sozialen Gruppen und Struk-
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turen"
268 269
geprägt269.
Solga, Auf dem Weg in eine klassenlose Gesellschaft?, S. 208. Vgl. die methodologische Skizze bei Haas/Pfister, Verwaltungsgeschichte, S. 17.
Soziologie der Macht: Organisationen und Netzwerke auf dem Politikfeld der „Umsiedlerpolitik" II. Die
„Die Entwicklung des Ganzen ging aus von der Improvisation und führte schließlich zu einer gut funktionierenden Organisation [...]. In der ersten Periode war ein besonderer Verwaltungsapparat notwendig -[...] In der zweiten Periode müssen alle Verwaltungen die anstehenden Probleme lösen Und hier muß sich die Partei als solche überall einschalten und darauf achten, daß alle Verwaltungsorgane ihre Pflicht [...] erfüllen [...] .Liquidierung des Apparates?' Nein! Es geht um eine Umstellung unserer Arbeitsmethode."
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Anton Plenikowski
(1948)1
Vertreibung als gewaltsam erzwungene und erlittene (massenhafte) Bevölkerungswanderung2 war im „Jahrhundert der Flüchtlinge" (F. Nuscheier) weder ein ausschließlich „deutsches Schicksal" noch eine ausschließliche Erfahrung „abendländischer Menschheit" (E. Pfeil). Massenvertreibung, Deportation oder sonstige Formen der Zwangswanderung hatten nicht nur Europa, sondern auch andere Teile der Welt bereits seit Jahrzehnten geprägt. Die türkischen Armenierdeportationen machten während des Ersten Weltkrieges einen unseligen Anfang und überschritten dabei zugleich die stets prekäre Grenze zwischen Deportation und Völkermord. Russische Bürgerkriegsflüchtlinge und wechselseitig Vertriebene aus Griechenland und der Türkei, deren Vertreibung bzw. Zwangsumsiedlung im Vertrag von Lausanne völkerrechtlich besiegelt wurde, bestimmten das Bild der zwanziger Jahre3. Und während die stalinistische Sowjetunion ihr Herrschaftssystem der Massendeportationen vervollkommnete (und bis nach dem Zweiten Weltkrieg fortlaufend praktizierte), verursachte das NS-Regime in Deutschland seit 1933 einen zunehmenden Exodus politisch oder rassisch Verfolgter4. Der von Deutschland begonnene Zweite Weltkrieg schließlich wurde „ganz bewusst mit dem Ziel geführt [...], durch Vernichtung, Verfolgung und Umsiedlung in Europa eine Neue Ordnung zu schaffen". Insbesondere die beiden totalitären Großmächte, Hitlers Großdeutschland und Stalins Sowjetunion, taten sich zunächst i
2
3 4
ThüHStA, Mdl 3676, Bl. 60-65, insb. Bl. 60f., Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über die
Tagung beim SED-Zentralsekretariat am 3. 12. 48, 16. 12. 48, Paraphrase der Rede des ZS-Abteilungsleiters Plenikowski. Der Zwangscharakter und die damit verbundenen Erfahrungen unterscheiden Vertreibungen von den (mehr oder weniger) freiwilligen Migrationsbewegungen. Mazower, Der dunkle Kontinent, S. 97-101; Naimark, Fires of Hatred, S. Naimark, Fires of Hatred, S. 57-73.
17-56.
48
II. Die Soziologie der Macht
mit solchen menschenverachtenden Neuordnungsstrategien hervor: „Hitler wollte die ethnographische Karte von Grund auf neu zeichnen, während Stalin Hunderttausende von Klassenfeinden' und .ethnischen Feinden' deportieren ließ, darunter Polen, Ukrainer, Litauer und Tschetschenen."5 Vor Hitlers Angriff auf die Sowjetunion kooperierten die beiden Umsiedlungsregime hin und wieder sogar: Zwischen 1939 und 1941 war es im eroberten deutschen Herrschaftsbereich, insbesondere in Ost- und Südosteuropa, zu massenhaften Bevölkerungsverschiebungen gekommen, die insgesamt etwa 910000 Volksdeutsche aus der Sowjetunion, Rumänien, Polen und dem Baltikum „heim ins Reich" (und zwar mehrheitlich in die von Deutschland eroberten polnischen Gebiete, die „Reichsgaue" Danzig-Westpreußen und Wartheland sowie das polnische „Generalgouvernement") verpflanzten, während Teile der bisher dort ansässigen polnischen Bevölkerung gen Osten vertrieben wurden. Für Millionen von Juden war die vom NSRegime europaweit betriebene Massendeportation gleichbedeutend mit dem Weg in die NS-Vernichtungslager, den viele nicht überlebten. Weitere Bevölkerungs-
verschiebungen erfolgten während des Krieges durch das ausufernde deutsche Fremd- und Zwangsarbeiter-System, das Millionen ausländischer Arbeitskräfte der deutschen Kriegswirtschaft zuführte, sowie durch das Massenheer der Kriegsgefangenen; auch in diesen Fällen überschritt die Vernichtungslogik des NSRegimes systematisch die Grenze zwischen Zwangsverschiebung und Völkermord, indem viele Fremdarbeiter durch „Vernichtung durch Arbeit" und zumindest die als „Untermenschen" verachteten sowjetischen Kriegsgefangenen durch einkalkulierten Hungertod massenhaft getötet wurden6. Die totale Kriegsniederlage des nationalsozialistischen Deutschland machte ab
1945 einen beträchtlichen Teil des deutschen Volkes die bis dahin in Ostdeutschland und Osteuropa ansässigen Deutschen zu Opfern von Vertreibung und Massendeportation. Ausschlaggebend war neben dem machtpolitischen Kalkül Stalins zweifellos der durch die deutsche Gewaltpolitik im Zweiten Weltkrieg geweckte Haß auf die Deutschen schlechthin, doch zugleich nutzten vor allem die politisch Verantwortlichen in Polen und in der Tschechoslowakei „the cover of war and the transition from war to peace"7, um durch die möglichst vollständige Vertreibung der Deutschen aus ihren Ländern sehr viel ältere Nationalitätenkonflikte und Minderheitenprobleme brutal zu „lösen" und damit zugleich nationalistische Homogenisierungsvorstellungen zum Ziel zu führen. Auf der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 „akzeptierten" auch die demokratischen Siegermächte, die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien, diesen „Grundsatz der Massenvertreibung von Millionen Deutschen"; die Hauptsorge aller Alliierten „galt der Kontrolle" der bereits laufenden und das Nachkriegschaos erheblich vergrößernden Vertreibungsprozesse insbesondere in Polen, den von den Sowjets bereits an Polen übergebenen bisherigen deutschen Ostgebieten und in der Tschechoslowakei8. Nicht zu Unrecht stellte der SED-Spitzenpolitiker Paul Merker 1947 fest, auf diese Weise sei „die von Hitler" und seinen zahlreichen -
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5 6 7
8
Mazower, Der dunkle Kontinent, S. 310f. Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, S. 129-189; Streit, Keine Kameraden. Naimark, Fires of Hatred, S. 136. Mazower, Der dunkle Kontinent, S. 315f.
II. Die
Soziologie der Macht
49
größter Brutalität" gegen andere Völker „zur Anwendung gebrachte Massenumsiedlung zu einem Bumerang für unser eigenes Volk" geworden9. Zugleich aber machten parallele Vertreibungsprozesse in Osteuropa deutlich, daß der von Deutschland begonnene Zweite Weltkrieg zwar die wesentliche, aber nicht die alleinige Ursache für Massenvertreibungen gegen Kriegsende gewesen ist. Ältere, im Kriege allerdings radikalisierte ethnisch-nationale Konfliktlagen wurden ebenso signifikant10 wie geostrategische Interessen: Indem sich die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges, ein alter polnisch-ukrainischer Konflikt und das osteuropäische Hegemonialstreben der Sowjetunion miteinander verbanden11, wurden zwischen 1944 und 1948 auch Millionen Polen aus den (wie schon einmal 1939/40) von der Sowjetunion annektierten früheren polnischen Ostgebieten vertrieben und großenteils in den durch die auf Kosten Deutschlands erfolgte „Westverschiebung" Polens angeblich „wiedergewonnenen Gebieten" des bisherigen deutschen Ostens angesiedelt. Allerdings übertraf das quantitative Ausmaß der Vertreibung der Deutschen nach 1945 zumindest in Europa alles bisher Dagewesene12, waren doch bis zu 15 Millionen Menschen davon betroffen, von denen bis 1950 etwa 12 Millionen in das verkleinerte, besetzte und geteilte Deutschland gelangten. Einer ersten Phase der kriegs- bzw. zusammenbruchsbedingten Massenflucht vor der heranrückenden „Roten Armee", die schon im Sommer 1944 einsetzte und seit Januar 1945 Millionen von Menschen gen Westen trieb, folgte nach Kriegsende eine Phase der sogenannten „wilden" Vertreibungen in den wiedererrichteten Staaten Polen und Tschechoslowakei, die jedoch im Kern seit längerem bestehende Vertreibungspläne der jeweiligen politischen Führungen realisierten. Diese keineswegs „wilden", sondern zentral gelenkten Vertreibungsaktionen gingen nach einem von den drei alliierten Großmächten in Potsdam verfügten zeitweiligen Vertreibungsstopp seit 1946 in organisierte Massentransporte über, die gemäß den Potsdamer Beschlüssen vom August 1945 nunmehr „organisiert und human" ablaufen sollten, jedoch in Form einer halbwegs geordneten „Zwangsumsiedlung" das Ziel ethnischer Hogomenisierung unverwandt weiterverfolgten13. Diese Politik der „ethnischen Säuberung" der osteuropäischen Nachbarstaaten Deutschlands von älteren oder (im Falle Polens durch die von Stalin forcierte „Westverschiebung") neugewonnenen starken deutschen Minderheiten war die brutale sozialtechnologische Folge der wechselseitigen Unfähigkeit, das multiethnische Zusammenleben in Vielvölkerstaaten friedlich zu organisieren. Obwohl mit dem zwischen 1912 und 1918 erfolgenden Zusammenbruch der traditionellen Vielvölkerreiche in Ost- und Südosteuropa des Osmanischen Reiches, des zaristischen Rußland, der Habsburgermonarchie, und (was Polen angeht) auch des Mittätern „mit
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9
10 11 12
13
Merker, Die nächsten Schritte zur Lösung des Umsiedlerproblems, S. 6. Brandes, Alternativen zur Vertreibung; Brandes e.a., Erzwungene Trennung. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 67.
zur gleichen Zeit führte 1947 die Beendigung der britischen Herrschaft in Indien und die dortige Teilung in die Staaten Indien und Pakistan zu millionenfachen Vertreibungen und Umsiedlungen. Die drei Alliierten hatten in Potsdam übereinstimmend anerkannt, „daß die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung oder von Teilen derselben, die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, durchgeführt werden muß"; vgl. Fischer, Teheran Jaita Potsdam, S. 403.
Etwa
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50
II. Die Soziologie der Macht
wilhelminischen Deutschland scheinbar das Prinzip nationaler Befreiung doch waren triumphierte, keineswegs Nationalstaaten an die Stelle der früheren Großreiche getreten, sondern vielmehr neue, kleinere Vielvölkerstaaten (Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien, Rumänien) geschaffen worden. Lediglich die Hegemonialnationen hatten gewechselt, wobei Revanchebedürfnisse der neuen „Herrenvölker" mit Abwehr- und Revisionsbedürfnissen der entmachteten alten kollidierten. Der Versuch des 1920 geschaffenen Völkerbundes, völkerrechtliche Minderheitenschutzgesetze zu verankern, führte zu keinen stabilen Verhältnissen, da den meisten Beteiligten der erforderliche Wille zu Kompromiß und Toleranz fehlte. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei 1938/39 und der Zweite Weltkrieg ruinierten dieses System des Status quo endgültig. Nicht nur der NS-Staat versuchte seither, ein System der „ethnischen Säuberung" in Osteuropa zu erzwingen; mit der deutschen Niederlage wurde die Logik der „ethnischen Säuberung", die in den gewalttätigen Balkankonflikten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts schon längst, mit völkerrechtlicher Sanktionierung jedoch erstmals im griechischtürkischen Bevölkerungsaustausch der zwanziger Jahre (Vertrag von Lausanne 1923) praktiziert worden war14, auch von den alliierten Siegermächten und deren osteuropäische Verbündeten praktiziert. Die schon seit den zwanziger Jahren erprobte sowjetische Tradition der Massendeportationen spielte hierbei ebenso eine Rolle wie die britische Bereitschaft zu einer sozialtechnologischen „total expulsion", welche die Rache- und Sicherheitsbedürfnisse der osteuropäischen Nachbarn Deutschlands höher gewichtete als das Recht der Besiegten15. Obgleich diese Vertreibungen zahlreiche Todesopfer16 und darüber hinaus zahlreiche „Fälle von Vergewaltigung" oder „schwerer Misshandlung" mit „bleibende^] körperliche[n] oder psychische[n] Schädigungen" zur Folge hatten17, überschritt dieses Vertreibungsverbrechen doch nicht (wie leider zuweilen behauptet wird) die Schwelle zum Genozid18, wie ihn das NS-Regime zuvor an anderen verübt hatte. Von den 14 bis 15 Millionen Deutschen, die zwischen 1944/45 und 1950 vom mehrphasigen Prozeß der Flucht, der Vertreibung und der Zwangsumsiedlung betroffen waren, haben über zwölf Millionen nachweislich überlebt, und ein Teil der übrigen dürfte in den Vertreibungsgebieten zurückgeblieben sein. Die große Mehrheit dieser überlebenden Vertriebenen 8,1 Millionen oder 63,5% befand sich 1950 in der Bundesrepublik Deutschland, ein knappes Drittel (4,1 Millionen) in der DDR. Nur kleine Gruppen hatten Aufnahme in Österreich -
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14 's
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17
18
Vgl. Lemberg, „Ethnische Säuberung". Ebenda, S. 33f.
Münz /
Ohliger, Deutsche aus Ostmittel- und Osteuropa, S. 403; Reichling, Die deutschen Vertriebenen in Zahlen, S. 29, geht von 1,7 Millionen Todesopfern aus, während Nawratil, Die deutschen Nachkriegsverluste, S. 32, überzogen zwischen 2,8 und 3 Millionen schätzt; selbst wenn man von viel geringeren Zahlen (im Bereich von mehreren Hunderttausend Opfern) ausgehen wollte, müsste man auch die schwer zu beziffernde überdurchschnittlich hohe Sterbequote in Deutschland nach 1945 teilweise mit den während der Vertreibung erlittenen physischen Entbehrungen in Zusammenhang bringen, an denen insbesondere Säuglinge, Kleinkinder und alte Menschen sehr leicht verstarben. Nawratil, Die deutschen Nachkriegsverluste, S. 32; zur Problematik der Massenvergewaltigung auch: Naimark, The Russians in Germany. Dieses zutreffende Resümee bei Esch, „Gesunde Verhältnisse", S. 408.
II. Die
Soziologie der Macht
51
(430000 oder 3,4%) gefunden oder nach Westeuropa bzw. nach Übersee auswan-
dern können (120000 oder 0,9%)19. Der dreiphasige Prozeß von Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung brachte allein zwischen 1945 und 1948 etwa fünf Millionen Vertriebene in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands (SBZ), von denen Anfang 1949 sei es infolge von Weiterwanderung gen Westen, von Sterbefällen oder einfach von Rechenfehlern nur noch 4,3 Millionen vorhanden waren20. Insofern verdeutlicht die folgende Statistik auch die Problematik möglichst exakter Zahlen im deutschen Nachkriegschaos: -
-
Zeitraum
bis 1.6. 1946 2. Hälfte 1946 1947 1948
insg.
Realer Bestand
SBZ insg.
Branden-
Mecklen-
bürg
SachsenAnhalt
Sachsen
burg
Thüunngen
3142738 1083 609 671 875 164971 5063193 4312289
590649 86244 57511 15328 749732 655466
837901 231791 22087 1119 1092798 922088
680933 330993 190026 25448 1227400 1051024
544799 271943 268251 92673 1177666 997798
488456 162638 134000 30403 815497 685913
750904
94266
170710
176376
179868
129584
1. 1. 1949
Fehlbestand
Das zwischen 1945 und 1947 in die sowjetische Zone gelangte Gros der Vertriebenen stammte zu 72,4% aus den früheren Ostgebieten des Deutschen Reiches sowie aus dem Vorkriegs-Polen (3,1 Millionen Menschen), zu 20,8% aus der CSR (900000 Menschen) und zu 2,1% aus der Sowjetunion einschließlich des nördlichen Ostpreußen (Königsberger bzw. Kaliningrader Gebiet; 90000 Menschen). Die aus den Oder-Neiße Gebieten stammenden Vertriebenen waren besonders stark in den jeweiligen Grenzländern der SBZ, also in Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg vertreten; die Sudetendeutschen aus der CSR wiederum überdurchschnittlich in Sachsen-Anhalt und in Thüringen, wo sie jeweils ein knappes Drittel aller Vertriebenen stellten21. Unter den Vertriebenen dominierten Anfangs Frauen, alte Menschen und Kinder. Während der Frauenanteil durch den Zustrom entlassener Kriegsgefangener aus den Vertreibungsgebieten allmählich ausgeglichen wurde, blieb die überdurchschnittliche Quote an Kindern erhalten. Was längerfristig für die Aufnah-
in Zahlen, S. 55; Antalovsky, Die österreichische FlüchtReichling, Die deutschen Vertriebenen Gesamtzahl Millionen
von 1,6 „Fremden" in Österreich 1945 Vertriebene waren; die Zahl der deutschen HeimatvertriebeOption auf die österreichische Staatsbürgerschaft einräumte, scheint langfristig auf 300000 abgeschmolzen zu sein; grundsätzlich sei im ersten Nachkriegsjahrzehnt „eine eher unsichere, zurückhaltende Behandlung der Fremden bzw. Flüchtlinge" erfolgt, erst seit dem ungarischen Aufstand 1956 sei Österreich ganz bewußt zum Flüchtlingsaufnahmeland geworden. Vgl. BAB, DO 2/19, Bl. 57. Vgl. BAB, DO 2/14, Bl. 94, ZVU, Statistischer Jahresbericht für 1947.
lingspolitik, S. 187f., geht von einer
aus, von denen rund 600000 deutsche nen, denen Österreich erst 1954 die
II. Die Soziologie der Macht
52
megesellschaften
eine
wichtige Erweiterung des Arbeitskräftepotentials bedeuenormes sozialpolitisches Versorgungsproblem erfahren:
tete, wurde zunächst als
Bevölkerung nach Geschlechtern (1. 10. 1947)22 Region
Männer
Brandenb. Meckl. Sachs.-A. Sachsen
29,9% 28,6% 30,0% 30,7% 36,5% 30,2%
Thüringen SBZ insg.
Männliche
Frauen
Weibliche
Kinder
Umsiedler-
insgesamt Umsiedler insgesamt Umsiedler insgesamt Kinder 28,5% 26,4% 27,3% 27,5% 27,1% 27,3%
45,4% 42,6% 43,5% 47,1% 44,3% 45,0%
44,1% 43,3% 44,8% 45,9% 45,2% 44,7%
24,7% 28,8% 26,5% 22,2% 25,2% 24,8%
27,4% 30,3% 27,9% 26,6% 27,7% 28,0%
Die Aufnahme der Flüchtlinge, Vertriebenen oder Zwangsumgesiedelten im verkleinerten Nachkriegsdeutschland bewirkte unter anderem, daß die kriegsbeding-
Bevölkerungsverluste (von rund 10% der Gesamtbevölkerung oder 6,9 Millionen Menschen bei einem Stand von 69,3 Millionen Einwohnern 1939) zehn Jahre später numerisch fast vollständig ausgeglichen wurden (1949: 68,4 Millionen Einwohner). Betrachtet man nur die Gebiete der vier alliierten Besatzungszonen, so hatte sich deren Bevölkerung zwischen 1939 und 1949 sogar von 58,8 Millionen auf 68,4 Millionen Menschen drastisch erhöht. Am stärksten war der prozentuale Bevölkerungszuwachs in den amerikanischen (+26,3%) und britischen Zonen (+21,3%) gewesen, doch auch in der SBZ war er mit 17,9% deutlich überdurchschnittlich. Diese Zahl bedeutete für die sowjetische Zone ein rapides Anwachsen der Vorkriegsbevölkerung von 15,2 Millionen Menschen 1939 auf eine Nachkriegsbevölkerung von 17,9 Millionen 194923. Gegenüber den weit geringfügigeren Bevölkerungsgruppen der Evakuierten (1949: rund eine Million) und der Ausländer (792500) stellten die damals 11,6 Millionen Vertriebenen im Vier-ZonenDeutschland die mit Abstand (16,9%) größte Gruppe der Neuzugänge an der jeweiligen Nachkriegsbevölkerung. Die größten strukturellen Bevölkerungsveränderungen waren in der sowjetischen Zone eingetreten, denn mit 24,1% lag der dortige regionale Vertriebenenanteil höher als irgendwo sonst. Eine besonders massive Bevölkerungszunahme war mit 51,4% in Mecklenburg-Vorpommern erfolgt, doch auch in Sachsen-Anhalt und Thüringen war diese mit 25% oder 22,9% erheblich, während sie in Brandenburg (9,7%) und Sachsen (6,1%) deutlich unterdurchschnittlich blieb. Dies spiegelte sich auch in der Entwicklung der Bevölkerungsdichte wieder, die in der gesamten SBZ von 141 auf 166 Einwohner pro Quadratmeter zugenommen hatte, in Sachsen jedoch nur um 19 und in Brandenburg nur um 8 Personen, während die Zunahme in den übrigen Ländern zwischen ten
22 23
Vgl. ebenda, Bl. 96. Lediglich die Französische Zone, insbesondere aber die Stadt Berlin hatten Bevölkerungsschwund aufzuweisen.
II. Die
Soziologie der Macht
53
30 und 36 Personen
betrug24. Ebenso deutliche Unterschiede zeigten sich in der SBZ beim durch Kriegsverluste und Westflucht hervorgerufenen Bevölkerungsschwund unter der altansässigen Bevölkerung, die im Jahrzehnt seit 1939 um 13,6% abgenommen hatte. Während sich diese Abgänge in Sachsen-Anhalt und Thüringen um die 10% bewegten, beliefen sie sich in Brandenburg, Mecklenburg und Sachsen auf das Doppelte. Besonders Brandenburg und Mecklenburg waren von Fluchtbewegungen in der Endphase des Krieges sowie vom nachkriegsbedingten „Abgang des in diesen Ländern besonders stark vertretenen Junker- und Großbauerntums nach dem Westen" betroffen gewesen25. Bevölkerung in den Ländern der SBZ26 a) Bevölkerungsbewegung 1939-1947 (1939 100)
Die
=
Regionen
1. 12. 1945
29. 10. 1946
1. 12. 1947
Brandenburg Mecklenburg
96 139
Sachsen-Anhalt Sachsen
113
Thüringen SBZ insg.
114 107
105 153 121 101 121 114
109 151 128 106 125 118
96
b) Gliederung der Bevölkerung Region Brandenb. Mecklenb. Sachs.-A. Sachsen
Thüringen SBZ
Altbevölkg. Veränderung
Umsiedler-
Veränderung
12/47
ggü. 1/47
anteil 12/47
ggü.
72,0% 52,7%
-0,3%
69.2%
-0,6% -0,7% -1,1% -0,6%
23,7% 44,0% 24,9% 17,3% 22,8% 24,2%
+8,7% -3,7% +13,3% +28,4% + 14,0% +11,6%
79,8% 73,5% 71,8%
1/47
Evakuierte Verän12/47
4,1% 3,1% 5,7% 2,6% 3,5% 3,8%
derung ggü.
1/47
-1,4% -3,5% -4,6% -4,8% -8,2% ^1,6%
Nachkriegsjahr keine systematische Lenkung der Vertriebenenund Wanderung Ansiedlung in der SBZ gegeben hatte, waren „mehr als zwei Millionen" Menschen völlig ungesteuert an ihre neuen Wohnorte gelangt27. Der Zustrom war „hauptsächlich von den kleinen Gemeinden aufgesogen" worden, „während die Großstädte infolge ihrer teilweisen Zerstörung davon fast unberührt" geblieben waren: Noch 1949 lebten 47% der Vertriebenen in der SBZ in Gemeinden von unter 2000 Einwohnern, was nur für 36,7% der Altbevölkerung Da
24
23 2 27
es
im
ersten
BAB, DO 2/19 Bl. 225-239, insb. Bl. 229f., DVdl, Abt. BP, „Die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur seit 1939", Mai 1949.
Vgl. ebenda, Bl. 232. Vgl. BAB, DO 2/14, Bl. 96. Vgl. BAB, DO 2/19, Bl. 232.
54
II. Die
Soziologie der Macht
zutraf. Damit hatte die kleinste Gemeindegrößenklasse mit 27,2% den stärksten Bevölkerungszuwachs zu verkraften gehabt, während in allen übrigen Gemeindegrößenklassen Vertriebene deutlich schwächer vertreten waren als Alteingesessene. Allerdings machte sich bereits seit 1946 ein Abwanderungstrend in Richtung der Städte bemerkbar28. Neben solcher Binnenwanderung spielte von Anfang an, ab 1948 „relativ stark" die Abwanderung von Vertriebenen in die Westzonen eine Rolle. Die Statistiker der DVdl schätzten, daß 1948 etwa 452 000 Menschen (2,5% der Zonen-Bevölkerung) nach Westen abgegangen seien, und konnten sich im Jahr der DDR-Gründung der etwas anarchisch anmutenden Extrapolation nicht enthalten: „Theoretisch würde der letzte Einwohner das Gebiet der sowjetischen Besatzungszone nach längstens vierzig Jahren verlassen, wenn der Abwanderungsstrom anhielte."29 Tatsächlich nahm die Zahl der Vertriebenen in der SBZ, die Ende 1947 den Höchstwert von 4,4 Millionen erreicht und diesen trotz anhaltender Weiterwanderung etlicher Vertriebener in die Westzonen durch starke Neuzugänge bis 1949 in etwa beibehalten hatte, im Laufe der fünfziger Jahre durch fortgesetzte Westabwanderung bzw. „Republikflucht" von Vertriebenen und nunmehr ausbleibende neuerliche „Umsiedlungen" aus Osteuropa bis 1961 um etwa 900000 Menschen deutlich ab30. Zwischen 1945 und 1950 entwickelte sich die regionale Vertriebenenaufnahme in den verschiedenen Ländern Deutschlands wie folgt:
Aufnahme-Region31
29. 10. 1946
1. 1. 1948
1. 1. 1949
1. 1. 1950
1. 1. 1953
Schleswig-Holstein Hamburg
845000 63000 1493 000 26000
878000 76000 1633000 32000
888000 91000 1767000 38000
887000 103000 1851000 44000
729000 150000 1746000 63000
714000 537000 49000
976000 626000 60000
1183000 675000 75000
1267000 703000 91000
1665000 767000 238000
575000
648000
701000
792000
1010000
5963000
6757000
7334000
7671000
8258000
Niedersachsen Bremen
NordrheinWestfalen Hessen
Rheinland-Pfalz Baden-Württem-
berg Westzonen / BRD insgesamt
Ebenda, Bl. 236 und Bl. 238 f. Ebenda, Bl. 233 ff., insb. Bl. 235; die Ursachen dieser starken Westwanderung verorteten die DVdl-Experten „in der allgemeinen Unzufriedenheit noch weiter Kreise, besonders der Umsiedler, die der Meinung sind, im Westen ein besseres Auskommen zu finden", zumal diese Stimmung durch westliche „Zweckpropaganda" noch zusätzlich angefacht werde; staatstragend gingen die Berichterstatter davon aus, daß „das Gelingen des Zweijahrplanes und die damit verbundene Erhöhung des Lebensstandards [...] hierin eine Änderung schaffen" werde: „Mit der materiellen Verbesserung des Lebensstandards wird sich zweifellos auch eine engere Bindung der Umsiedler mit der neuen Heimat vollziehen." Vgl. Heidemeyer, Vertriebene als Sowjetflüchtlinge. Vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1953, S. 50.
II. Die
31.12.4632
Region
Soziologie der Macht
1. 12. 194733
1. 1. 194934
55
31. 8. 195035
Neuzugänge 1950/5136
Brandenburg Mecklenburg
Sachsen-Anhalt Sachsen
Thüringen SBZ/DDR
580571 980773 961733 781455 607390
621756 930774 1081802 1005992 692424
655466 922088 1051024 997798 685913
540761 686340 782374 760920 483 707
391192237
4332748
4312289
3254102
78380
(4100000)38 Das Problem der Aufnahme der Vertriebenen war zweifellos das größte, aber keineswegs das einzige demographisch bedeutsame Kriegsfolgenproblem in Deutschland. Zu Recht stellte die sowjetzonale Innenbehörde im Frühjahr 1949 fest: „Die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur eines Landes waren nach einem Kriege selten so vielgestaltig und einschneidend, wie nach dem letzten Weltkrieg." Neben der Vertreibung, die in der SBZ offiziell hartnäckig als „Um-
bezeichnet wurde, reihte die DVdl die kriegsbedingte „Evakuierung" bestimmter Bevölkerungsgruppen (die Frauen und Kinder, aber auch kriegswichtige Betriebe und deren Belegschaften durch Verlagerung vor dem Bombenkrieg hatte schützen sollen) und die „Zwangsarbeitsverpflichtung von Millionen ausländischer Arbeitskräfte" in das Syndrom der kriegsbedingten Zwangsmigrationen ein39. Das Problem der Evakuierten verwies auch auf die zahlreichen Opfer
siedlung"
32 33 34
35
Die Angaben für 1946 in: BAB, DO 2/13, Bl. 43. Vgl. BAB, DO 2/14, Bl. 93. Vgl. BAB, DO 2/19, Bl. 57. Die erste DDR-Volkszählung vom 31.8. 1950 fragte im Gegensatz zu späteren noch nach dem „Herkunftsland entsprechend dem Wohnort am 1. September 1939", wobei der Gebietsstand vom 31. 8. 1950 mit jenem vom 1. Januar 1937 verglichen wurde; die Herkunftsgebiete der in der DDR lebenden Vertriebenen wurden daher in seinerzeit deutsche „Gebiete östlich der Oder-NeißeGrenze" sowie in „Ausland" nach dem Gebietsstand von 1937 differenziert; durch den Stichtag von 1939 wurde die Vertriebenengruppe in der DDR künstlich verkleinert, da später Geborene nicht mitgezählt werden konnten; insofern bietet diese DDR-Volkszählung nur Annäherungswerte; vgl. Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1956, S. 36. Das DDR-Ministerium des Innern erstellte im Sommer 1951 offenbar letztmalig einen Überblick über Neuzugänge an ,,angekommene[n] Umsiedlern" in der DDR, der nicht mehr nach Ländern differenziert war; bis Ende 1949 hatte die DDR-Regierung auf ihrem Territorium 1 855243 Vertriebene als ordnungsgemäß aufgenommen registriert; vgl. BAB, DO 2/19, Bl. 47; das bedeutete, daß der Großteil der 1945/46 ins Land gelangten Vertriebenen statistisch nicht ordentlich hatte erfaßt werden können; ausgehend von der 1949er Registriertenziffer ergibt sich zwischen Januar 1950 und Ende Juni 1951 die genannte Zahl an Neuzugängen, von denen 18639 auf das erste Halbjahr 1951 entfielen; vgl. ebenda, Bl. 209. 1948 korrigierte die ZVU ihre Vertriebenenstatisik für den 1. 1. 1947 leicht nach unten, Anfang wobei nur die thüringischen Zahlen unverändert blieben; demnach hatten Anfang 1947 in Brandenburg 572010 inVertriebene gelebt, in Mecklenburg 966162, in Sachsen-Anhalt 954702, in Sachsen SBZ -
36
37
38
-
783 673 und der gesamten 3 883 937 Vertriebene; vgl. BAB, DO 2/14, Bl. 93. In die DDR-Gesamtzahl wurde der „Demokratische Sektor" Berlins mit 71013 registrierten Ver-
einbezogen; vgl. Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1956, Reichling, Die deutschen Vertriebenen in Zahlen, S. 59, schätzt die Gesamtzahl der Vertrie-
triebenen S. 36; 3»
benen der DDR für 1950 auf 4,1 Millionen. DO 2/19, Bl. 225 ff., DVdl, HA Verwaltung, Abt. Bevölkerungspolitik, Denkschrift über „Die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur seit 1939", Mai 1949.
Vgl. BAB,
II. Die
56
Soziologie der Macht
des Bombenkrieges in Deutschland, die teilweise nicht nur obdachlos, sondern auch vollkommen besitzlos geworden waren und in dieser Hinsicht das materielle Los der meisten Vertriebenen teilten. Das Problem der ausländischen „Displaced Persons" wurde anders als in Westdeutschland40 durch eine von der sowjetischen Besatzungsmacht praktizierte rigide Rückführungspolitik in der sowjetischen Besatzungszone rasch gelöst41: Ende 1947 wurden nur noch 43000 „Ausländer" in der SBZ registriert42. Demgegenüber blieb die Gruppe der „Evakuierten" auch in der SBZ ein längerfristiges Massenproblem43: Obgleich die alliierten Besatzungsmächte seit Herbst 1945 einen großangelegten „Interzonenaustausch der Evakuierten" durchführten, der bis Jahresende 1946 etwa 2,6 Millionen Menschen aus der SBZ in die Westzonen zurückführte und umgekehrt rund zwei Millionen Menschen in die SBZ zurückkehren ließ44, wurden Ende 1946 bei einer Gesamtbevölkerung von 17,5 Millionen Menschen in der SBZ neben 3,9 Millionen Vertriebenen (22,3%) noch rund 704000 Evakuierte (4,1%) gezählt45. Der Großteil dieser Evakuierten (432500 Personen oder 61,4%) stammte aus der sowjetischen Zone selbst und hatte nach Einschätzung der sowjetzonalen Behörden seinen bisherigen Wohnraum durch Kriegszerstörungen verloren, so daß eine Rückkehr in die früheren Wohnorte „noch nicht möglich" schien. Weitere 145 000 Evakuierte stammten aus Groß-Berlin, etwa 127000 Personen aus den westlichen Besatzungszonen46. Der längerfristige Verbleib dieser größeren Evakuiertengruppe aus Westdeutschland in der SBZ hing nicht zuletzt damit zusammenhängen, daß die britische Besatzungsmacht seit Mitte 1946 weitere Übernahmen verweigerte, während der Austausch mit der französischen Zone bis Ende 1946 noch gar nicht recht in Gang gekommen war47. Dieser „harte Kern" der Evakuierten ließ sich in der Folgezeit nur langsam abbauen: Er ging bis Ende 1947 in der SBZ um lediglich 4,6% auf etwa 675 000 Personen zurück. Dabei scheint insbesondere die Rückfüh-
40
41
42 43
-
In der
Bundesrepublik waren im Oktober 1952 insgesamt 446737 Ausländer registriert, deren größte Gruppe (76 788) aus Polen (bzw. der früher polnischen Ukraine) stammte; über 41000 staatenlose Ausländer, die fast alle aus Osteuropa stammten, lebten in Lagern; vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1953, S. 53. Vgl. BAB, DO 2/19, Bl. 228; in der „Kommandantur-Dienstverwaltung" der SMAD existierte eigens eine „Abteilung für Repatriierung", die sich mit der Rückführung Nicht-Deutscher aus der SBZ befaßte, während die benachbarte „Abteilung für Umsiedlerfragen" Deutsche aus Ostdeutschland und Osteuropa in die SBZ hineintransportierte; vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 443.
Vgl. BAB, DO 2/14, Bl. 93. Die Evakuierten-Rückführung wurde aus pragmatischen Gründen der im wesentlichen mit Vertriebenentransporten befaßten Umsiedler-Zentralverwaltung der SBZ auferlegt; dies mag das wissenschaftliche Mißverständnis befördert haben, daß die Evakuierten „in der sowjetischen Zone sowie später in der DDR [...] erst gar nicht als eigene Gruppe verstanden" worden, sondern „auch begrifflich im Heer der Flüchtlinge beziehungsweise Umsiedler" aufgegangen seien; vgl. Krause, Flucht vor dem Bombenkrieg, S. 38f., und die ihm darin folgende Klee, „Im Luftschutzkeller des Reiches", S. 14, Anm. 14; diese offensichtlich auf die DDR-Historikerin Regine Just zurückgehende Beobachtung (vgl. etwa Just, Zur Lösung des Umsiedlerproblems, S. 972, Anm. 4) ist jedoch
verfehlt, denn zwischen 1945 und 1949 wurden die „Evakuierten" in Berichten und Statistiken der ZVU bzw. DVdl nachweislich als besondere, von den „Umsiedlern" strikt getrennte Bevölke-
44 43
« 47
rungskategorie geführt. Vgl. BAB, DO 2/13, Bl. 50. Vgl. BAB, DO 2/13, Bl. 43. Vgl. BAB, DO 2/13, Bl. 44. Vgl. ebenda, Bl. 51.
II. Die
Soziologie der Macht
57
rung in die Westzonen bzw. nach Berlin Fortschritte gemacht zu haben, denn der Anteil der aus der eigenen Zone stammenden Evakuierten war auf 63,5% gestiegen und auch in absoluten Zahlen mit 428000 Personen kaum gesunken. Dennoch hatte sich das Evakuiertenproblem, das Ende 1947 im besetzten Deutschland noch 3,2 Millionen Menschen betraf, in der SBZ vergleichsweise rasch entschärft48. Anfang 1949 wurden nur noch 411 000 Evakuierte in der Bevölkerung der sowjetischen Zone (2,3%) gezählt, deren Zahl somit binnen eines Jahres um über 60% gesunken war. Die Binnenverhältnisse hatten sich freilich verändert: Nur noch 184000 Personen dieser Gruppe stammten aus der SBZ selbst (44,7%), 124000 hingegen aus Berlin und 103000 aus den Westzonen49. Die schubweise „Heimkehr" deutscher Kriegsgefangener bei über 80 Millionen Kombattanten waren im Laufe des Zweiten Weltkrieges etwa 35 Millionen Menschen in Kriegsgefangenschaft geraten, darunter bis zu zwölf Millionen deutscher Soldaten50 eine weitere enorme nachkriegsbedingte Bevölkerungsbewegung dar. Allein die SBZ/DDR erlebte zwischen 1945 und 1951 einen Transfer -
-
über 1,7 Millionen Kriegsheimkehrern, von denen rund 967000 dort verblieben51. Während die von den westlichen Alliierten gefangengenommenen Wehrmachtsangehörigen weitgehend bereits bis Ende 1947 freigelassen worden waren, zögerte sich die Rückkehr der in der Sowjetunion gefangenen deutschen Soldaten sehr viel länger hinaus. Immerhin waren nach sowjetischen Unterlagen von insgesamt über zwei Millionen deutschen Gefangenen bis Anfang 1949 1,3 Millionen „repatriiert" worden; weitere 315000 waren demnach unterdessen verstorben, knapp 36000 auf andere Weise abhanden gekommen (vermutlich geflohen), so daß 1949 noch etwa 421000 deutsche Gefangene in sowjetischen Händen waren, deren Freilassung sich bekanntlich bis Mitte der fünfziger Jahre hinauszögerte52. Der dennoch zunehmende Rückstrom der Kriegsheimkehrer überholte den Vertriebenenzustrom in der SBZ/DDR 1948/49 quantitativ und schuf auch für die Integration der Vertriebenen in die mittel- bzw. neuostdeutsche Nachkriegsgesellschaft erschwerte Bedingungen etwa durch Verdrängung vertriebener Frauen durch heimkehrende Männer auf dem Arbeitsmarkt. Das Jahr 1948 wurde nicht nur deshalb zum ,Jahr der Heimkehr" ausgerufen, weil man damals (vereinbarungsgemäß, aber vergeblich) mit der restlosen Rückführung aller deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion rechnete53. 1948 und 1949 stellten in der SBZ Heimkehrer erstmals die größte Gruppe an Neuzugängen, während zuvor der Vertriebenenzustrom dominiert hatte. Allerdings waren Heimkehrer- und von
-
48
Vgl. BAB, DO 2/14, Bl. 92f.; die SBZ lag deutlich unter den gesamtdeutschen Durchschnittswerten.
49
Als „Evakuierte" registriert wurden freilich nur Evakuierte aus anderen Ländern der SBZ, aus Groß-Berlin und aus den Westzonen, nicht aber „Evakuierte des eigenen Landes, z.B. Evakuierte aus Dresden, die heute in Annaberg wohnen"; diese wurden vielmehr trotz kriegsbedingten Wohnsitzwechsels „zur altansässigen Bevölkerung" gerechnet; vgl. BAB, DO 2/19, Bl. 231; es bleibt unklar, ob diese Definition erst 1949 oder bereits zuvor angewendet wurde. Vgl. Kaminsky, Vorwort, S. 8. Vgl. BAB, DO 2/19, Bl. 210f. Vgl. Kosteneckij, Heimatkontakte und Rückkehr, S. 67. Vgl. Kaminsky, Vorwort, S. 7f. -
-
30 3' 32
33
II. Die
5S
Soziologie der Macht
Vertriebenenproblem inhaltlich auch dadurch miteinander verknüpft54, dass unter den entlassenen Kriegsgefangenen nicht wenige aus den nunmehrigen Vertreibungsgebieten stammten und als „Kriegsheimkehrer" gar nicht in diese engere
Heimat zurückkehren konnten. Oft auf der Suche nach ihren bereits vertriebenen Angehörigen, gelangten diese zu Recht so genannten „heimatlosen Heimkehrer" ins Vierzonen-Deutschland. Bis Ende 1948 befanden sich in den die SBZ erreichenden Heimkehrer-Transporten aus der Sowjetunion neben 202 000 dort ansässigen Heimkehrern auch 61071 „heimatlose Heimkehrer" (immerhin etwa
30%)55.
davon aus der
davon aus dem Westen56
Jahr der
Vertriebene
1945/4657
4226347 671 875 164971 35 585 59741 18639
438328 215726 472395 406585 43442 378
149289 215726 336513 383 624 40200
264073 145846 116140 5486 1225
5177158
1728 851
1125352
532 858
Heimkehr
Ankunft 1947 1948 1949
1950 1.
Hälfte 1951
Summe58
Sowjetunion
Aus westdeutscher
Perspektive schien das durch diese Ereignisse und die daraus resultierenden Sachzwänge konstruierte Politikfeld der „Flüchtlingspolitik" in der SBZ/DDR lange Zeit gut überschaubar. Die für Jahrzehnte einzige, 1954 veröffentlichte bundesrepublikanische Monographie zur dortigen Umsiedlerpolitik ging von einer „einheitlichen Haltung" der Machthaber „gegenüber den Heimatvertriebenen vor und nach der Gründung des neuen sog.[enannten] Staates" aus, so daß „die Gründung der ,DDR' in dieser Frage „keinen Einschnitt" dargestellt habe. Auch die entscheidenden politischen Instanzen wußte die zeitgenössische westdeutsche Wissenschaft eindeutig zu benennen: Träger der Integrationspolitik in der SBZ/DDR waren demnach vor 1949 die Länder und die „Deutsche Wirtschaftskommission" (DWK), während seither „die Initiative auf die ,Regierung der DDR' überging". Die „grundsätzliche Linie der Politik" sei jedoch „vor- wie nachher von den militärischen und politischen Beauftragten der UdSSR in Berlin bestimmt" worden59. Dieser allzu leichtfertige Umgang mit den Funktionsmechanismen von Politik im östlichen deutschen Nachkriegs-Teilstaat hat sich "
34
33
36
57
58 59
Auf dem Gebiet der SBZ/DDR wurden Transport, Betreuung und ggf. dauerhafte Aufnahme der Heimkehrer durch die für Vertriebene zuständigen Sonderverwaltungen geregelt. Vgl. BAB, DO 2/18, 23 f. Westliche alliierte Siegermächte; die zur Gesamtsumme fehlenden Heimkehrerzahlen betreffen kleinere Kontingente aus befreiten nord- oder osteuropäischen Staaten. Die Aufnahmestatistiken berechnet nach diversen Statistiken in BAB, DO 2/19; bis zum Stichtag des 1. 6. 1946 waren unplanmäßig und bis dahin nur teilweise registriert insgesamt 3142 738 Vertriebene in der SBZ aufgenommen worden; erst seither erfolgte eine zentral gesteuerte Registrierung und Verteilung der neuankommenden Vertriebenentransporte; vgl. ebenda, Bl. 57. Übernahme-Zahlen ohne folgende Weiterwanderung. Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 31 f.
II. Die Soziologie der Macht
59
leider im Kern in der „westdeutschen" Forschung zur DDR-Vertriebenenpolitik bis heute erhalten. Zwar ist die oberflächliche Vorstellung einer inhaltlichen Politikkontinuität allmählich dem Bewußtsein um Brüche und Zäsuren gewichen, doch noch immer ist es möglich und üblich, von Plänen oder Handlungen schlechthin „der" Sowjets, „der" SED oder „der" sowjetzonalen Verwaltungen zu sprechen und damit zumindest für den jeweiligen Zeitpunkt ein einheitliches Politikkonzept und politisches Handeln dieser Kollektivakteure zu unterstellen60. Den Zeitgenossen bot sich die politische Situation in der SBZ/DDR sehr viel unübersichtlicher dar. Victor Klemperer, als Volkskammerabgeordneter der DDR am inneren Rand des Machtapparates, hat sich zu Beginn der fünfziger Jahre die Frage gestellt, auf welche Weise politische „Entscheidungen in der DDR" überhaupt zustande kämen. Unklar schien dabei nicht nur das Machtverhältnis zwischen Staats- und Parteiapparaten, sondern erst recht, welche Personen in den di-
Apparaten eigentlich Entscheidungsträger waren61. Die von Klemperer zugleich aufgeworfene Frage nach den „letzten Motiven" politischer Entscheidun-
versen
gen im SED-Staat läßt sich
gewiß nicht bloß für unseren Untersuchungsgegenstand nur schwer lösen62. Produktiv analysiert werden kann hingegen seine Frage nach Beziehungen und Machtverschiebungen zwischen Institutionen und Personengruppen, welche Durchsetzung oder Blockierung politischer Ziele beeinflußwie wir sehen werden -personelle Netzwerke ebenso wichtig ten. Dabei waren und zeitweilig sogar tragfähiger als formelle Institutionen, auf welche die allzu staatsfixierte Forschung zur DDR-Vertriebenenpolitik allzu lange geblickt hat. Wer etwa der 1948 erfolgten Auflösung der Umsiedler-Sonderverwaltung in der SBZ „fatale Folgen" für die Vertriebenen attestiert, weil damit „die einzige verbliebene Lobby der Vertriebenen" liquidiert worden sei63, offenbart ein restringiertes Politikverständnis. Auch nach dem Wegfall der Sonderverwaltungen existierte ein umsiedlerpolitisches Funktionärs-Netzwerk, das inhaltliche Kontinuität in der institutionellen Diskontinuität zu bewahren versuchte und dabei wenigstens Teilerfolge erzielte. SED-interne Beharrungskräfte in Parteiapparat und Verwaltungen produzierten Synergieeffekte mit vertriebenenpolitischen Interessenvertretern in Blockparteien und Vertriebenenbevölkerung. Erst zwischen 1950 und 1952/53 gelang es der SED-Führung allmählich, diese eigendynamischen politischen Bestrebungen unter Kontrolle zu bekommen. Dieser komplizierte Prozeß der „Durchherrschung" (J. Kocka) des umsiedlerpolitischen Politikfeldes in der DDR, der wesentliche Voraussetzung für dessen frühzeitige und vollständige Abschaffung gewesen ist, ist der Gegenstand des ersten Hauptteils (Teil II) dieser Arbeit. „Wichtigster politischer Entscheidungsträger"64 im politischen Subsystem der SBZ und damit auch in der „Umsiedlerpolitik" war die sowjetische Besatzungsmacht, vorrangig nicht ausschließlich repräsentiert durch die „Sowjetische Mi-
-
60 61
62
63 64
-
Vgl. dazu die kritischen Ausführungen im einleitenden Kap. I. Klemperer, So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, Bd. 2, S. 169, Eintrag vom 30. 5. 51. Zur unbefriedigenden Lage der Quellenüberlieferung auch Fulbrook, Methodologische Überlegungen, S. 280. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 235. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 391.
II. Die
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Soziologie der Macht
litäradministration in Deutschland" (SMAD) und deren nachgeordnete Instanzen. Hinzu traten seit 1945 durch die SMAD geschaffene zonale, regionale und kommunale deutsche Verwaltungen, die zunächst als „Hilfsverwaltungen" gedacht waren, alsbald jedoch größere Mitwirkungsmöglichkeiten erhielten. Das administrative Panorama wurde durch die schon im Sommer 1945 zugelassenen neuen Parteien der SBZ ergänzt, wobei sich die sowjetisch-deutsche Kooperation alsbald auf kommunistische Netzwerke verengte. Ein solches Netzwerk entstand auch in der Umsiedlerpolitik und wurde zu einem wesentlichen Faktor ihrer Existenzsicherung im Laufe eines turbulenten knappen Nachkriegsjahrzehnts. Dieses Netzwerk bestand wesentlich aus Funktionärsgruppen innerhalb der SMADUmsiedlerabteilung, der Abteilungen für Arbeit und Sozialfürsorge bzw. für Landespolitik beim SED-Zentralsekretariat und der 1945 von der SMAD geschaffenen „Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler" (ZVU) sowie der in Ländern, Provinzen und Kommunen nachgeordneten Instanzen dieser Organisationen. Seit ihrer Gründung gehörte die ZVU zu den personalpolitisch am stärksten kommunistisch dominierten Zentralverwaltungen der SBZ. Bürgerliche Parteimitglieder waren unter ihrer Belegschaft niemals vertreten, frühere Sozialdemokraten, denen man 1945 eine annähernde Parität bei der Besetzung von Führungspositionen eingeräumt hatte, wurden ebenfalls rasch verdrängt. Unter der Ägide der SED-Parteifunktionäre und früheren Westemigranten Franz Dahlem und Paul Merker (letzterer war zwischen 1946 und 1948 der umsiedlerpolitische Experte der SED-Führung) wurde ein wesentlich aus früheren KPD-Westemigranten bestehendes Netzwerk in der ZVU-Führung installiert: Dazu zählten der langjährige ZVU-Präsident Rudolf Engel sowie seine Stellvertreter Michael Tschesno und Philipp Daub, während Engels kurzzeitiger Vorgänger Josef Schlaffer und der spätere Vizepräsident Arthur Vogt aus den Reihen der innerhalb Deutschlands verbliebenen „Antifaschisten" kamen. Innerhalb der wechselnden Mitglieder der ZVU-Führung stammten lediglich Tschesno und Vogt aus den Vertreibungsgebieten, so daß „mehrheitlich SED-Angehörige aus den Reihen der einheimischen Bevölkerung" die Steuerung der Umsiedlerpolitik in Händen hatten65. Auch in den Landesumsiedlerämtern dominierte von Anfang an der altkommunistische Einfluß, wobei freilich auch sudetendeutsche „Antifa-Umsiedler" in Führungspositionen aufrückten. Demgegenüber bildeten frühere Sozialdemokraten (wie Erich Friedrichs in Brandenburg) oder gar Bürgerliche (wie die aus Oberschlesien stammende Ruth Fabisch, LDP, in Sachsen) auch auf Landesebene die Ausnahme. Nach Bildung demokratisch legitimierter Landesregierungen Ende 1946 unterstanden zwar drei von fünf Landesumsiedlerämtern christdemokratischen Ressortministern, doch sollte dies auf die internen Machtverhältnisse in diesen Behörden nur geringe Auswirkungen zeitigen.
Die ZVU fungierte mit ihren nachgeordneten Landes- und Kommunalbehörden zunächst vor allem als Steuerungsinstanz für Transporte, Erstaufnahme und Verteilung der Neuankömmlinge. Im Frühjahr 1947 wurde die Zentralverwaltung von SMAD und SED jedoch zur integrationspolitischen Leitinstanz aufgewertet, eine Aufgabe, welche die Durchsetzungskraft dieser kleinen und quer zur regulars
Ebenda, S. 395.
II. Die
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ren Bürokratie stehenden Sonderverwaltung allerdings deutlich überforderte. Fortwährend sollte die Umsiedlerverwaltung Probleme haben, ihre Klientenperspektive und darauf aufbauende sozialpolitische Maßnahmenkataloge gegen die reguläre Ressortperspektive insbesondere der Arbeits- und Sozialverwaltungen zur Geltung zu bringen. Das umsiedlerpolitische Netzwerk in SMAD, SED und ZVU stieß auf zunehmenden Widerstand der Netzwerke herkömmlicher SEDSozialpolitiker und ihrer Verbündeten. Diese verlangten eine Einbeziehung der Umsiedler in die allgemeine Sozialpolitik und deren Ressortzusammenhänge, wie dies bei anderen Kriegsfolgengeschädigten (etwa den Kriegsinvaliden) bereits praktiziert wurde. Seit 1948 geriet die Umsiedlerbürokratie zusätzlich mit übergeordneten sicherheits-, wirtschafts- und finanzpolitischen Interessenlagen der Sowjets und der SED-Parteiführung in Konflikt. Aufgrund dessen wurde die ZVU im Juli 1948 als „Hauptabteilung Umsiedler" in die zonale Innen Verwaltung (DVdl) überführt. Damit geriet die inhaltliche Tätigkeit der Umsiedlerbürokratie zeitweilig erheblich unter Druck, denn der 1948/49 amtierende DVdl-Präsident Kurt Fischer und sein Adlatus Alfred Malz (Leiter der DVdl-Hauptabteilung Verwaltung) profilierten sich als entschiedene Gegner besonderer Umsiedlerpolitik. Parallel zu diesem Umbau der Staatsverwaltung wurden Mitte 1948 auch in SMAD und SED-Zentralsekretariat die Umsiedlerkompetenzen in den Bereich der Sicherheitsorgane verlagert, wodurch SED-intern der bislang federführende Sozialpolitiker Paul Merker zugunsten Walter Ulbrichts und dessen Mitarbeiters Anton Plenikowski (Leiter der ZS-Abteilung Landespolitik bzw. Staatliche Verwaltung) entmachtet wurde. Die organisatorische Umstrukturierung war 1948/49 mit einem partiellen Austausch der führenden Verwaltungsfunktionäre verbunden: Die zunächst von Arthur Vogt weitergeleitete DVdl-Hauptabteilung Umsiedler wurde 1949 zur bloßen Abteilung herabgestuft und alsbald von einer
neugeschaffenen „Abteilung Bevölkerungspolitik" unter Kurt Büttner abgelöst. Entsprechend wurden die Umsiedlerabteilungen der Landesregierungen 1949 aus
den Arbeits- und Sozialministerien in die (strikt SED-dominierten) Innenministerien überführt, zu bevölkerungspolitischen Abteilungen umstrukturiert und in ihren Leitungsfunktionen umbesetzt. Dabei wurden führende SED-Funktionäre oft durch ihre Stellvertreter ersetzt. Zugleich aber entstand, indem zwischen 1948 und 1950 mit Georg Chwalczyk ein früherer ZVU-Funktionär im SED-Zentralsekretariat als Ulbricht unterstellter „Hauptreferent für Umsiedler" amtierte, eine prekäre Kontinuität in der Diskontinuität. Der umsiedlerpolitische Einfluß der bürgerlichen Parteien (CDU und LDP) basierte wesentlich auf ihrer landes- und kommunalpolitischen Verankerung. Während die CDU insbesondere über ihre ressortmäßig zuständigen Landesminister den aus Posen-Westpreußen stammenden Fritz Hermann Schwob in Brandenburg, Leo Herwegen in Sachsen-Anhalt und Friedrich Burmeister in Mecklenburg-Vorpommern Einfluß zu nehmen und diese regionalen Machtbasen in einer CDU-„Ministerkonferenz" zu bündeln versuchte, beschränkte sich der Einfluß der LDP auf die Umsiedlerpolitik Sachsens und Thüringens, wobei die sächsische Umsiedleramtschefin Fabisch durch ihre Wahl in den stellvertretenden Zonenvorsitz der LDP 1949 späte gesamtzonale Bedeutung erlangte. Neben die staatlich-administrative Mitwirkung trat in beiden bürgerlichen Parteien eine in-
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nerparteiliche Ausdifferenzierung von Flüchtlings- bzw. Umsiedlerinstitutionen: In der LDP-Zonenleitung nahm sich seit Ende 1946 der sozialpolitische Referent Franz Ediger auch der „Umsiedlerpolitik" an; in der CDU konstituierte sich 1947 ein „Flüchtlings"-, später „Umsiedlerausschuß" auf zentraler und auf Länderebene; prominente Mitglieder waren die brandenburgischen CDU-Minister Schwob und Stargardt, engagiert trat auch der schlesische Vertriebene und mecklenburgische Landtagsabgeordnete Kurt Herzog hervor, der kurzfristig auch als
Leiter der Schweriner Landesumsiedlerbehörde amtierte. SMAD und SED-Führung reagierten auf die Eigendynamik von Ländern, Kommunen und bürgerlicher Parteipolitik seit 1948 mit fünf komplementären Zentralisierungs- und Gleichschaltungsprozessen: Erstens forderte die SED-Führung von ihrer eigenen Parteibasis die Anerkennung strikter Zentralisierung und inhaltlicher Disziplinierung eine innerparteiliche Gleichschaltung, die insbesondere auf die Entmachtung früherer Sozialdemokraten zielte. Zweitens veränderten SMAD und SED die Machtverhältnisse in der bereits 1945 geschaffenen „Einheitsfront" der zunächst vier, dann (nach der Vereinigung von KPD und SPD zur SED im Frühjahr 1946) noch drei lizenzierten Parteien durch die Zulassung zweier weiterer, wesentlich von bisherigen SED-Führungskadern dominierter Parteien (NDPD und DBD) sowie durch massive personalpolitische „Säuberungen" innerhalb der Führungsgruppen von LDP und CDU, die zwischen 1947 und 1950 einen mehrstufigen Gleichschaltungsprozess erlebten. Drittens wurden die wirtschaftlich relevanten Zentralverwaltungen der SBZ 1947/48 in zwei Schritten in der „Deutschen Wirtschaftskommission" (DWK) zusammengefasst, die seit 1948 zur entscheidenden Lenkungsinstanz der sowjetzonalen Planwirtschaft und damit zum Kern einer späteren DDR-Regierung wurde und auch gegenüber den Landesregierungen Weisungskompetenz erhielt. Viertens wurde die „Deutsche Verwaltung des Innern" (DVdl), die seit ihrer Gründung 1946 vorwiegend den Polizeiapparat der SBZ auf SED-Kurs gebracht hatte, 1948 mit der Personal- und Strukturpolitik des gesamten Öffentlichen Dienstes der SBZ befasst und damit zu einem weiteren wichtigen Instrument von Zentralisierung und Gleichschaltung auch gegenüber eigenwilligen SED-Landespolitikern. Und fünftens sorgten schließlich maßnahmenstaatliche Sonderinstitutionen, insbesondere die 1948 eingerichteten „Kontrollkommissionen" der DWK (später der DDR-Regierung) sowie der Länder, für zusätzlichen Konformitätsdruck. Alle diese Agenturen von Zentralisierung und Gleichschaltung waren personalpolitisch strikt auf die SEDFührung ausgerichtet, die seit 1948 den Anspruch erhob, die „Hegemonialpartei" (H. Weber) der SBZ schlechthin zu sein. Neben den Verwaltungen ist das staatlich organisierte und kontrollierte Ausschuss-System der SBZ zu erwähnen, das bestimmten sozialen Gruppen gewisse Partizipationsrechte einräumte. Diese Ausschüsse dienten zugleich der Eindämmung unerwünschter Selbstorganisationsbestrebungen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere der Vertriebenen. Stärker als bei den Schwerbeschädigtenausschüssen der SBZ ist das politische Doppelziel, durch begrenzte Partizipation politische Einbindung zu erzielen, anhand der Umsiedlerausschüsse zu demonstrieren, die in der SBZ zwischen Herbst 1945 und Frühjahr 1949 existieren durften und grundsätzlich den westdeutschen „Flüchtlingsbeiräten" vergleichbar -
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Hochphase hatten diese „Umsiedlerausschüsse" in den Jahren 1947/ als etabliert wurden und größere politische Mitwirkungssie flächendeckend 48, rechte erhalten sollten. Die bereits 1949 erfolgte Abschaffung der Umsiedlerausschüsse stärkte zwangsläufig die untergründigen Selbstorganisationstendenzen und die gesamtdeutsche Kommunikation der Vertriebenen, worauf das politische System mit polizeistaatlichen Mitteln reagierte. Anders als in den Westzonen, wo das zunächst ebenfalls repressive Koalitionsverbot, das für Vertriebene ein negatives Sonderrecht geschaffen hatte, zwischen 1948 und 1950 aufgehoben wurde, perpetuierte die sowjetzonale Politik dieses Verbot, indem sie es zum Bestandteil ihrer allgemein gegen gesellschaftliche Selbstorganisation gerichteten totalitären Politik machte. „Alle bedeutenden Entscheidungen zur Eingliederung der Vertriebenen traf die sowjetische Besatzungsmacht", stellt eine neue Studie über Vertriebene in Sachsen fest, die auch auf russische Archivüberlieferungen zurückgreifen konnte67, und man ist leicht geneigt, diese Feststellung für die gesamte SBZ/DDR zu verallgemeinern68. Jedoch kann von einer „von der SMAD konzipierten und exekutierten Vertriebenenpolitik"69 nur unter wichtigen Einschränkungen die Rede sein. Wohl zeigt die Einordnung der 1945 geschaffenen ZVU und der parallelen SMAD-Umsiedlerabteilung in den Machtbereich des sowjetischen NKWD-Statthalters Generaloberst Serow sowie die gezielte personalpolitische Besetzung der Führungspositionen der ZVU mit Kommunisten deutlich, „in welch hohem Maße die Besatzungsmacht die Auswirkungen der Bevölkerungsverschiebungen als Sicherheitsproblem begriff"70. Doch diese sicherheitspolitische Anbindung ließ schon sehr bald nach, um zunächst sozialfürsorgerischem, sodann sozialpolitischem Alltagshandeln Platz zu machen, bevor die erneute Annexion der Umsiedlerverwaltungen durch die Sicherheitsapparate 1948/49 die Problemperspektive der Anfangsphase erneuerte und ungleich stärker zur Geltung zu bringen suchte. Zwischenzeitlich jedoch, von 1946 bis 1948, betrachtete die SMAD die Umsiedlerpolitik „nicht als zentrales Politikfeld wie etwa die Wirtschaftspolitik". Dies machte es leichter, „die Kompetenzen in diesem Bereich relativ rasch an deutsche Organe [zu] übertragen" und selbst nur noch „punktuell" einzugreifen, wenn sowjetische Politikprioritäten bedroht schienen oder innerdeutsche Kompetenzkonflikte entschieden werden mußten71. Man könnte einwenden, daß die sowjetische Seite durch die prokommunistische Personalpolitik trotz ihres offenbaren Rückzuges „ein hohes Maß an Kontrolle und Einfluß auf diesen sensiblen Politikbereich" gesichert habe72. Freilich wäre das exakte Maß, das diese Verschiebung waren66. Ihre
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Messerschmidt, Aufnahme und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Hessen,
S. 187-
218. 67
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Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 391. Auch laut Pohl, Justiz in Brandenburg, S. 96, ist „die Rolle der sowjetischen Besatzungsmacht in der Innenpolitik der SBZ [...] kaum zu überschätzen", da diese „die Grundlinien der ganzen Politik" bestimmt, „eine weitgehende Kontrolle über Personalfragen" ausgeübt und notfalls interve-
habe, „wenn ihre Prioritäten berührt schienen". Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 400. Ebenda, S. 103. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 148. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 103. niert
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II. Die
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direkter zu stärker indirekter Herrschaftsausübung73 an „Kontrolle und Einfluß" weiterhin gewährte, empirisch noch zu bestimmen, statt es bereits vorauszu-
von
setzen.
Auf der begrenzten Basis der deutschen Quellenüberlieferung der SBZ/DDR, auf der unsere Untersuchung fußt, kann eine umfassende Bewertung sowjetischer Einflußnahme nicht erwartet werden. Dennoch wird bereits der Versuch, sich anhand der überlieferten deutschen Quellen ein differenziertes Bild von sowjetischdeutschen Arbeitsbeziehungen und Kommunikationsverhalten innerhalb der geschäftsführenden, also auf „zweiter und dritter Ebene" angesiedelten Funktionärsnetzwerke zu machen, hinreichend verdeutlichen, daß die verbreitete Vorstellung konsistenter kollektiver Akteure sei es „die SMAD", sei es „die SED" nicht sehr weit trägt74. Zugleich wird die These hinterfragt, dass die deutsche Verwaltung „auf vertriebenenpolitischem Gebiet" nur „über besonders enge Handlungsspielräume" verfügt und auch „die SED [...] anfangs nur [...] geringe Möglichkeiten zur Beeinflußung administrativer Prozesse" besessen habe, weil „detaillierte Befehle und Vorgaben" der Sowjets „den Handlungsrahmen" abgesteckt hätten75. Sowohl die Vorstellung von monolithischen Kollektivakteuren als auch das Bild eindeutiger sowjetischer Dominanz in der politischen Steuerung sind erheblich korrekturbedürftig. Die politischen Aktionseinheiten, auch auf sowjetischer Seite, erweisen sich bei näherem Hinsehen als derart widersprüchlich, daß sie den luziden politikwissenschaftlichen Ansatz, „Regieren" stets als „Koalitionsgeschehen" zu begreifen76, auch für das sowjetzonale Besatzungsregime und die anschließende SED-Diktatur bestätigen. Gerade auf dem innovativen, zwangsläufig kontroversen Politikfeld der „Umsiedlerpolitik" tritt die Heterogenität der Interessen und Ziele bei kollektiven Akteuren besonders deutlich hervor. Selbst wer der SMAD „eine relativ geradlinige Vertriebenenpolitik" attestiert, kann nicht übersehen, daß „innerhalb des Apparates der Besatzungsmacht [...] mehrere Abteilungen um die administrative Zuständigkeit" konkurrierten, ohne je zu einer „Gesamtkoordination" ihres Verwaltungshandelns zu gelangen77. Verwandelt sich damit „die" sowjetische Vertriebenenpolitik abgesehen von Basisprämissen wie der Unumkehrbarkeit der „Umsiedlung" und des daraus resultierenden Zwanges zur raschen Assimilation in ein Dickicht konkurrierender Ressortinteressen und widersprüchlicher Politiken, so verschwindet die vermeintliche sowjetische Dominanz, ohne formal je in Frage gestellt worden zu sein, in einem Geflecht sich überlagernder Koalitions- oder Kollisionsstrukturen, bei denen Sowjets und Deutsche durch gemeinsame Ressort- und Sachinteressen sowie durch persönliche (Arbeits-)Beziehungen zusammengeschweißt gemischte Allianzen eingingen. Die Chancen deutscher Funktionsträger zur Mitgestaltung politischer Vorgaben oder zur Modifikation derselben waren aufgrund solcher Netzwerkstrukturen informell weit größer als normativ zu erwarten. Daß die -
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Schwartz, Besatzer und Vertriebene, S. 195. Diese monolithische Perspektive bei Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 392. Dieser weiterführende Ansatz bei v. Beyme, Theorie der Politik, S. 347. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 391 f.
148-152.
II. Die
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Mitglieder des umsiedlerpolitischen Netzwerkes auf deutscher Seite überwiegend Altkommunisten waren, dürfte den Sowjets die Tolerierung solcher Partizipation erleichtert haben. Diese war jedoch schon aufgrund der schieren Unmöglichkeit
unerläßlich, eine hochentwickelte Gesellschaft durch mit deren Funktionsmechanismen wenig vertraute Besatzungsoffiziere zu steuern. Wenn auch kein Zweifel
der Priorität sowjetischer Interessen und Politikvorgaben „im großen" angebracht ist, wie etwa anhand der sowjetischen Intransigenz in Sachen OstgrenzenRevision oder Lastenausgleich gezeigt werden kann, so gab es doch „im kleinen" der „inneren Politik" wechselseitige sowjetisch-deutsche Abhängigkeiten und daraus resultierende deutsche Gestaltungsspielräume, die nicht unterschätzt werden sollten. Auf dem Felde der Umsiedlerpolitik, das inhaltlich, personell und institutionell erst neu definiert werden mußte und daher flexibler gestaltbar war als traditionelle Politikbereiche, mündete sowjetisch-deutsches Netzwerk-Handeln grundsätzlich in Reziprozität statt Linearität, wenn auch hier die sowjetische Seite die Letztentscheidung behielt und damit im eigentlichen Sinne „souverän" blieb. Was aber wollte der sowjetische Souverän? Sowohl auf sowjetischer als auch auf deutscher Seite mußte sich das im politischen Gesamtsystem eher unbedeutende „umsiedlerpolitische Netzwerk" der SBZ/DDR gegen stärker institutionalisierte und besser verankerte Netzwerke behaupten, die wie die Sozialpolitiker oder die Innen- und Sicherheitspolitiker seine Annexion, Umformung oder Beseitigung anstrebten. In diesem Spannungsfeld gelang es dem umsiedlerpolitischen Netzwerk zeitweilig, seinen Handlungsrahmen auszuweiten (1947) und demonstrative Erfolge (DDR-Umsiedlergesetz 1950) zu erzielen. Letztendlich jedoch unterlag es stärkeren Gegnern: Auf die erste Existenzkrise der Jahre 1948/49, die durch die DDR-Umsiedlergesetzgebung noch einmal ins Positive gewendet wurde, folgte die endgültige „Liquidierung" des umsiedlerpolitischen Politikfeldes und seines Funktionärsnetzwerkes 1952/53. Was folgte, war nur noch sozialpolitische Abwicklung und polizeistaatliche Repression. Zwischenzeitlich war eine weitreichende personalpolitische „Zersetzung" des umsiedlerpolitischen Netzwerkes erfolgt, welche in den fünfziger Jahren eine Wiederholung der erfolgreichen Defensive von 1948/49 unmöglich erscheinen ließ78. Die Verteidigung eines Politikfeldes basiert nicht nur auf inhaltlichen Überzeugungen, sondern auch auf sozialen, organisationssoziologisch geläufigen Beharrungstendenzen. Wichtig in inhaltlicher wie funktioneller Hinsicht scheint die Aktivierung sozialer Beziehungen in Form von Kooperation und Allianzen. Auch die durch gemeinsame politische Arbeit gewachsene soziale Kohärenz des umsiedlerpolitischen Netzwerkes wurde dadurch zur Bedingung für die Fortsetzung politischer Arbeit. In der Krisenphase des Herbstes 1948, als Umsiedlerpolitik in der SBZ zur Disposition stand, skizzierte ein Durchhalteappell des letzten ZVUChefs Arthur Vogt an die versammelten Umsiedlerfunktionäre der Zone wesentliche Grundelemente von Netzwerkhandeln: „Wir haben gemeinsam Kraft genug, die weitere Entwicklung unserer Arbeit zu beeinflussen." Man müsse „zusammenbleiben, bis unser Werk einen gewissen Abschluß erhalten hat", denn dabei handle es sich schließlich um „ein Stück unseres Lebens, das wir dieser Arbeit gean
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Vgl. ausführlicher Schwanz, Apparate und Kurswechsel.
II. Die
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Soziologie der Macht
widmet haben, und ein Teil des Weges und des Zieles, das wir uns von unserer weltanschaulichen Basis aus gesteckt haben"79. So dachten beileibe nicht nur deutsche Funktionäre. Auch der zuständige Abteilungsleiter der SMAD versicherte sich und anderen im Sommer 1948: „Wir sind kein sinkendes Schiff, sondern ein Schiff, das nun mit Volldampf voraus fahren muß."80 Zwar irrte sich der sowjetische Oberst in Geschwindigkeit und Durchschlagskraft künftiger Umsiedlerpolitik, doch verhinderte das auch hier zum Ausdruck kommende Beharrungsvermögen des umsiedlerpolitischen Netzwerkes, daß „Umsiedlerpolitik" tatsächlich schon 1948/49 „liquidiert" werden konnte, wie es andere sowjetisch-deutsche Funktionärsnetzwerke ernsthaft beabsichtigten. Aufgrund solcher Divergenzen, die es kaum erlauben, von einer einheitlichen Politik „der" SMAD oder „der" SED zu sprechen, dauerte es bis 1952/53, bevor dieses Politikfeld verschwand. Nicht nur Gruppen-Identitäten von Millionen Vertriebenen wurden seither ins Halbdunkel privater Erinnerung oder Verdrängung verbannt, sondern auch die Kenntnisse, Erfahrungen und Problemsichten der einstigen Umsiedler-Experten der SBZ/DDR, die längst kein aktives Netzwerk mehr bildeten. Selbst den seit 1948 artikulierten Vorschlägen, der früheren Integrationsarbeit durch eine breitangelegte Dokumentation ein politisch-historiographisches Denkmal zu setzen, begegnete die SED-Führung mit verletzendem Desinteresse. Noch im Juli 1957 suchte Arthur Vogt, unterdessen zum Berliner Schlachthofdirektor abgehalftert, den ZK-Apparat seiner Partei dazu zu bewegen, die Kenntnisse der Protagonisten des einstigen umsiedlerpolitischen Netzwerkes für die SED-Parteigeschichtsschreibung zu nutzen. Vogt nannte vorsorglich etliche (bezeichnenderweise nicht alle!) Namen noch lebender Ansprechpartner, doch die Mahnung des einstigen SED-Umsiedlerfunktionärs, „die Partei werde es noch einmal bereuen, daß sie nicht darauf bestanden habe, die Dokumentation niederzuschreiben"81, verhallte folgenlos. Auch systemkonforme Erinnerung war in der Vertriebenenfrage nicht länger erwünscht. Erst in den siebziger Jahren, als erste Ansätze einer historiographischen Aufarbeitung möglich wurden, begann sich diese starre Haltung zu ändern: Nun durfte der einstige ZVU-Abteilungsleiter Erich Hanke in seinen 1976 veröffentlichten Nachkriegserinnerungen ein Kapitel über „Umsiedler" schreiben82. Dabei wurde deutlich, daß auch Angehörige des umsiedlerpolitischen Netzwerkes, die nicht derart intensiv an ihren einstigen Aufgaben „hingen" wie der ins Abseits geratene Arthur Vogt, einen Rest solcher Wechselwirkung zwischen Sacharbeit und sozialer Vernetzung verspürten. Im Rückblick Hankes klingt das Schwanken zwischen inhaltlichem Engagement „mitten in einer Arbeit aufzuhören, mit der ich sehr vielen Menschen helfen konnte" und Parteidisziplin nebst Karriereorientierung noch spürbar nach. Laut Hanke soll es dessen einstigen Vorgesetzten in der ZVU, Vizepräsident Michael Tschesno, ganz ähnlich ergangen sein: Einerseits habe dieser „so bald wie -
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"i
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BAB, DO 2/32, Bl. 151 ff., insb. Bl. 159, DVdl, HAU, Protokoll der Direktorenkonferenz am 12.10,10.11.48. ThüHStA, Mdl 3676, Bl. 37-12, insb. Bl. 39 f., Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über die Direktorenkonferenz vom 23. 8., 25. 8. 48. SAPMO, SgY 30/0969, Bl. 14, SED, ZK, Rehberg, Aktennotiz vom 10. 7. 57. Weshalb der 1993 verstorbene Ex-ZVU-Präsident Rudolf muß offenbleiben.
Engel
dazu nie
etwas
veröffentlichte,
II. Die Soziologie der Macht
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möglich wieder schriftstellerisch arbeiten" wollen, andererseits habe „diese Aufgabe hier, für die wir so viel Kraft aufgewendet haben", ihn „innerlich auch sehr gepackt"83. Dieses Zugehörigkeitsgefühl zur „Sache" und der sie gemeinsam bearbeitenden Gruppe bewirkte, daß sich einige „Funktionäre" des umsiedlerpolitischen Netzwerkes dem Postulat der SED-Führung, auch bei der Abschaffung des eigenen Arbeitsfeldes reibungslos zu „funktionieren", längere Zeit verweigerten. Die inhaltliche Kontinuität von Umsiedlerpolitik basierte nicht zuletzt auf der sozialen Kohärenz und politischen Resistenz eines gemischten sowjetisch-deutschen Netzwerkes.
83
Hanke, Im Strom der Zeit, S. 74.
II. Die
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1. Befehl und
Soziologie der Macht
Mitgestaltung: Sowjetisch-deutsche
Kommunikation in der Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR „Die Deutschen machen nichts ohne Anordnung."
J.W. Stalin (1946)1 Im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands war die sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) zwischen 1945 und 1949 die oberste politische Autorität, die alle staatlichen Gewalten in sich vereinigte und von der sich zunächst auch die Legitimität aller deutschen Institutionen ableitete. Infolge der Kommunal- und Landtagswahlen des Jahres 1946 erhielten freilich regionale und kommunale Instanzen eine zusätzliche demokratisch-parlamentarische Legitimation, die den von den Sowjets ernannten Zentralverwaltungen der SBZ weiterhin abging. Dieser Umstand verlieh insbesondere den gewählten Landesregierungen ein zeitweilig hohes, faktisch jedoch reichlich überzogenes Selbstbewusstsein, das spätestens 1948 erneuter Unterordnung wich. Die zonalen Institutionen verfügten bis 1950 über keine solche demokratische Legitimation, wenn auch der mit diktatorischen Vollmachten operierenden „Deutschen Wirtschaftskommission" (DWK) Ende 1948 ein halbparlamentarisches Feigenblatt verliehen und der im Herbst 1949 konstituierten Provisorischen Regierung der DDR eine „Provisorische Volkskammer" an die Seite gestellt wurde. Erst im Herbst 1950 konstituierte sich das laut DDR-Verfassung „höchste Organ der Republik"2, die Volkskammer der DDR, durch (undemokratische) Einheitslistenwahl. In all diesen Wandlungen blieb das politische Schwergewicht auf Seiten der sowjetischen Besatzungsverwaltung, welche „die Macht und das Recht" behielt, „ihre Vorstellungen mittels entsprechender Befehle durchsetzen zu lassen". Allerdings lernte die SMAD schon bald, „von spektakulären Eingriffen allenfalls dann Gebrauch" zu machen, „wenn die politische Entwicklung [...] einen für sie unerwünschten Verlauf anzunehmen drohte"3. Für die laufenden Geschäfte verstand die Militärverwaltung zunehmend auf deutsche Agenturen zur Durchsetzung der gewünschten Politik zurückzugreifen. Das war nicht außergewöhnlich, denn auch in den westlichen Besatzungszonen war Besatzungspolitik stets alliiert-deutsche Interaktion, bei der die Alliierten die Vorgaben machten und den Deutschen deren Umsetzung anvertrauten frei nach der US-Devise „Make the Germans do it"4. Dies wirkte sich auch auf die Vertriebenenbetreuung aus, wo nicht nur Sowjets, sondern auch Amerikaner schon gegen Jahresende 1945 ein Netz deutscher Hilfsverwaltungen organisiert hatten; selbst das französisch besetzte WürttembergHohenzollern bestellte damals einen deutschen Flüchtlingskommissar, obgleich die dortige Besatzungsmacht die Aufnahme von Vertriebenen kategorisch verweigerte. Lediglich die Briten zögerten bis 1947, bevor sie ein über kommunale -
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3 4
Zit. nach: Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 408. Zit. nach: Mampel, Die sozialistische Verfassung, S. 913; demnach wurde die „höchstes Organ" der Sowjetverfassung von 1936 entlehnt. Creutzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 185. Vgl. hierzu Schraut, „Make the Germans do it", S. 119f.
Qualifizierung als
1. Befehl und
Mitgestaltung
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Dienststellen hinausgehendes deutsches Flüchtlingsverwaltungssystem mit weiterhin recht eingeschränkten Kompetenzen zuließen5. Trotz solcher gesamtdeutschen Konvergenzen gab es grundsätzliche Unterschiede. Während in Westdeutschland die „indirect rule" der Besatzungspolitik die parlamentarische Demokratie und kapitalistische Wirtschaftsordnung westlichen Zuschnitts zum Ziel hatte, waren in der SBZ Parlamentarismus und Rechtsstaatlichkeit nur taktische Elemente einer „Übergangsperiode"6, während im Wirtschaftsbereich längst grundlegende Transformationen vorgenommen wurden. In der SBZ blieb die Tendenz zur „indirect rule" daher höchst ambivalent: Während sie die sowjetische Steuerung zu verringern schien, gewährte sie derselben zugleich mittels linientreuer SED-Kader weitere, wenn nicht wachsende Interventionsmöglichkeiten. Und bei Bedarf konnte die deutsche Statthalterschaft durch sowjetische Interventionen jederzeit konterkariert („korrigiert") werden. Wesentliche Instrumente dieser asymmetrischen sowjetisch-deutschen Besatzungspolitik waren zunächst die Staatsverwaltungen der zentralen und regionalen Ebenen. 1948/49 erfolgte dann eine Machtkonzentration in den zentralen Wirtschafts- und Polizeiapparaten der DWK und DVdl, die ihrerseits der unmittelbaren Kontrolle durch den zentralen SED-Parteiapparat unterworfen wurden. Damit war das grundlegende Machtverhältnis zwischen SED-Führung und späterer DDR-Regierung bereits vor Gründung der „Deutschen Demokratischen Republik" etabliert. Als Militärverwaltung war die SMAD nach dem Schema des militärischen Befehlsprinzips organisiert. Bis zur Gründung der DDR im Herbst 1949 besaßen die formellen Befehle des Obersten Chefs der SMAD für die sowjetische Zone Gesetzeskraft. In enger Abstimmung mit der Ende 1949 als Nachfolgebehörde der SMAD gebildeten „Sowjetischen Kontrollkommission" (SKK) prüfte sodann die Provisorische Regierung der DDR unter Federführung des zum stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannten Walter Ulbricht, „welche bisherigen Befehle der SMA, unter Berücksichtigung der veränderten Bedingungen, als Verordnungen einzelner Ministerien ausgearbeitet werden und welche früheren Befehle der SMA in die von der Provisorischen Regierung [...] vorbereiteten Gesetze eingefügt werden" sollten. Dabei machte der Vorsitzende der SKK und vorherige Oberste Chef der SMAD, Armeegeneral Tschuikow, dem SED-Führer detaillierte Vorgaben. Die Einflußnahme der Sowjets schien sich nach Gründung der DDR somit wiederum eher der Form als dem Grade nach verändert zu haben. Man legte in der SKK Wert auf inhaltliche Kontinuität zwischen SBZ- und DDR-Gesetzgebung7, und erst im Zuge ihrer schrittweisen DDR-Souveränitätserklärungen beschloß die sowjetische Regierung im August 1954 „die Aufhebung aller Befehle und Anordnungen, die von der Sowjetischen Militäradministration und von der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland in den Jahren 1945 bis 1953 über Fragen er3 * 7
Vgl. hierzu Middelmann, Entstehung und Aufgaben der Flüchtlingsverwaltung, S. 281-290. Vgl. Badstübner/Heitzer, Die DDR in der Übergangsperiode.
SAPMO, NY 4182/1194, Bl. 72, StvMP DDR, Ulbricht, an SKK, Tschuikow, 12. 2. 50; Parallelüberlieferung in BAB, DC 20/3890, Bl. 26; Ulbricht beeilte sich, seinem obersten sowjetischen Kontrolleur mitzuteilen, daß das geplante fehlen weitgehend entsprechen werde.
DDR-Arbeitsgesetz den bislang geltenden SMAD-Be-
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Soziologie der Macht
lassen worden" waren, „die das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben der DDR" betrafen8. Ein spezielles „Gesetz über die Hilfe für die Umsiedler" stand seit Anfang 1950 auf der von den Sowjets kontrollierten Agenda der DDRPolitik9, und als dasselbe im September 1950 tatsächlich erlassen wurde, war es für die SED selbstverständlich, dieses Gesetz in die Kontinuität sowjetzonaler „Umsiedlerpolitik" zu stellen. Die Vertriebenen sollten im übrigen die gesamte Transformationspolitik der SED, die durch Enteignungen in den Banken-, Agrar- und Industriesektoren die Gesellschaftsstruktur einschneidend verändert hatte, als unverzichtbaren Kontext ihrer Integration akzeptieren und dafür nicht zuletzt den Sowjets dankbar sein10. Abgesehen davon, daß viele Vertriebene mit den Sowjets andere, schmerzliche Erinnerungen verbunden haben dürften, gedachte mancher vorzugsweise jener SMAD-Befehle, die zwar offiziell verkündet, jedoch nie verwirklicht worden waren. So erinnerte im Frühjahr 1951 ein couragierter DDR-Bürger seinen Präsidenten Wilhelm Pieck an den im Juni 1948 vom Obersten Chef der SMAD, Marschall Wassili D. Sokolowski, erlassenen Währungsreform-Befehl Nr. 111, der die politischen Instanzen der SBZ auch dazu verpflichtet hatte, „Vorschläge zur Änderung der Steuergesetzgebung vorzubereiten, um einen Lastenausgleich der Kriegsfolgen zu gewährleisten"11. Diese Lastenausgleichs-Bestimmung der SMAD hatte seinerzeit im gesamtdeutschen Kontext eine wichtige propagandistische Funktion besessen, war jedoch bald stillschweigend wieder fallengelassen worden12. Der sich erinnernde DDR-Bürger jedoch wollte dies nicht fraglos hinnehmen: „Woran liegt es, daß bezüglich der Bombengeschädigten und Umsiedler bisher dem Befehl des Marschalls Sokolowski noch nicht Rechnung getragen worden ist, obwohl doch diese Bevölkerungskreise durch den Hitlerkrieg und seine Folgen ungleich schwerer betroffen worden sind als diejenigen, die Heimat, Wohnung und Eigentum behalten durften?"13 Da nach sowjetischer Rechtsauffassung „nicht der Textinhalt, sondern allein der Befehlswille, die Intention des Textes, ausschlaggebend" war14, bestand in diesem Falle entweder die Befehlsintention von vornherein nur in kurzfristiger propagandistischer Entlastung oder aber die ursprüngliche Lastenausgleichsintention war einem politischen Kurswechsel zum Opfer gefallen, ohne daß die gesetzliche Bestimmung aufgehoben wurde. Das Schicksal des nie realisierten sowjetzonalen Lastenausgleichs-Befehls konnte zweierlei lehren: Zum einen, daß gesetzlich verbriefte Anrechte in der SBZ/DDR politisch völlig disponibel blieben; zum zweiten, daß die Herrschenden etwaige politische Kurswechsel öffentlich nicht zu begründen wünschten. -
8 9
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12 '3 14
Zit. nach: Unsere Kultur, S. 71. Ulbricht meldete damals Tschuikow, daß neben Gesetzen über das Gesundheitswesen, zu Kulturfragen und über die Rechte der Frauen auch Aein Gesetz über die Hilfe für die Umsiedler" auf deutscher Seite Ain Arbeit" sei; SAPMO, NY 4182/1194, Bl. 72, StvMP DDR, Ulbricht, an SKK,
Tschuikow, 12. 2. 50.
BAB, DA 1/977, Bl. 38ff., insb. Bl. 129f., PrVK DDR, Prot. der 20. Sitzung am 8. 9. BAC, DN lah/3116, Eberhard M., Halle, an Präsident DDR, 24. 5. 51.
Vgl. hierzu: Schwanz, AAblenkungsmanöver der Reaktion", S. 405 f. BAC, DN lalt/3116, Eberhard M., Halle, an Präsident DDR, 24. 5. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 313.
51.
50.
1. Befehl und
1.1.
Mitgestaltung
71
„Die russischen Offiziere": Geschäftsführer der
Umsiedlerangelegenheiten in der Sowjetischen Militäradministration Die mit dem Flüchtlings- und Vertriebenenproblem konfrontierten deutschen Politiker und Bürokraten machten im Jahre 1945 eine Urerfahrung sowjetischen Versagens. Denn „die SMAD als wichtigster politischer Entscheidungsträger in der SBZ wurde in den ersten Monaten nach Kriegsende von den Dimensionen des Problems" eindeutig „überrascht". Nicht vor Jahresende 1945 „werden die Grundzüge der Vertriebenenpolitik" der SMAD wirklich „faßbar"15. Bis in den Spätsommer 1945 hinein besaß die sowjetische Besatzungsmacht weder einen Begriff vom faktischen Ausmaß des Flüchtlingsproblems noch ein Programm für die notwendigen Auffang- und Versorgungsmaßnahmen16. Das mag damit erklärt werden, daß die SMAD damals selbst noch im Aufbau befindlich war. Jedenfalls
blieben im ersten Nachkriegssommer selbst zur Lenkung der Vertriebenenströme ausgegebene Befehle des Obersten Chefs der SMAD, Marschall Schukow, weitgehend Makulatur; sie waren freilich auch viel zu wenig konkret, um hilfreich zu sein. Alle ersten Maßnahmen zur Versorgung und Aufnahme der Vertriebenen mussten folglich ohne zentrale Steuerung improvisiert werden müssen. Einweisungen in einzelne Landkreise waren stets „abhängig vom guten Willen des [sowjetischen] Kreiskommandanten", der die Vertriebenen nicht selten eigenmächtig wieder auswies, zuweilen aber auch (etwa in Sachsen) vor entsprechender Willkür deutscher Behörden schützte. Folglich handelten viele Flüchtlinge denkbar rational, wenn sie 1945 eine amtliche Registrierung lieber vermieden und statt dessen versuchten, „privat" irgendwo unterzukommen. Diese unkontrollierten Wanderungen beschworen allerdings nicht nur Verelendung, sondern auch eine allgemeine Seuchengefahr herauf17. Sowjetische Besatzungsoffiziere standen 1945 vor dem plötzlichen Aufgabenwechsel, statt militärischer Kriegführung massenhafte Nothilfe und rudimentäre Sozialpolitik organisieren zu sollen. Im ersten Nachkriegschaos fiel es der SMAD nicht nur schwer, überhaupt sachgerechte Befehle zu erteilen, sie vermochte ihre Befehle gegenüber nachgeordneten sowjetischen Stellen auch nicht einheitlich zur Geltung zu bringen und hatte folglich ein profundes Autoritätsproblem18. Obwohl die Autonomie nachgeordneter sowjetischer Kommandanten in den Folgejahren abnahm, war sie selbst gegen Ende der Besatzungszeit nicht völlig verschwunden19. Daß die SMAD den wachsenden 13 16
Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 391. BAB, DQ 2/679, ZVAS, Turau[?], Aktennotiz über Unterredung mit Oberst Remisow, SMAD, am
17
18
19
5. 9. 45.
BAB, DO 2/29, Bl. 2-8, insb. Bl. 2 f., „Protokoll einer überprovinziellen Besprechung über die
Frage der Ausgewiesenen und Heimkehrer", 3. 9. 45. Trotz Befehls des Obersten SMAD-Chefs war „vieles durcheinander gegangen, vor allem viel durch die Eigenwilligkeiten der einzelnen Landräte und Kreiskommandanten"; vgl. MLHA, MP 1037, LV Mecklenburg-Vorpommern, Bericht über die Konferenz der Landesvertreter in Berlin am 3V4.9., 5. 9.45; dabei veranlaßten sowjetische Orts- oder Kreiskommandanten nicht nur eigenmächtige Abschiebungen von Vertriebenen, sondern verhinderten auch höherenorts geplante Deportationen; vgl. SäHStA, LRS, MfA 1012, Bl. 49, LV Sachsen, Gabler, Aktennotiz v. 30. 8. 45. Der Leiter einer DWK-Hauptverwaltung beklagte sich noch 1948: „Sehr hindernd wirkt sich die Einstellung der Kommandanten der SMA in den Ländern und Kreisen bei unserer Arbeit aus. In dieser Beziehung müßte uns die Partei [die Stange] halten, damit die Gesamtlinie der sozialpolitischen Arbeit nicht durch die persönliche Einstellung eines dieser Kommandanten durchbrochen
72
II. Die
Soziologie der Macht
Zentralisierungs- und Koordinierungsbedarf bei Vertriebenenlenkung und -Versorgung im September 1945 endlich anerkannte, war nicht zuletzt dem anhaltenden Drängen sozialpolitisch tätiger deutscher Verwaltungsfunktionäre wie des
Berliner Stadtrats Ottomar Geschke (KPD) oder des sozialdemokratischen Vizepräsidenten der zentralen Arbeits- und Sozialverwaltung der SBZ (ZVAS), Helmut Lehmann, zu verdanken. Dennoch bleibt unklar, was die Sowjets dazu veranlaßte, Mitte September 1945 aus der allmählich adäquaten Problemwahrnehmung die Schlußfolgerung zu ziehen, die Gründung einer „Zeitweiligen Deutschen Zentralverwaltung für Umsiedlung" vorzunehmen, die durch einen weiteren Befehl Marschall Schukows erfolgte20, statt die bereits existierende Arbeits- und Sozialverwaltung mit der Vertriebenenbetreuung zu betrauen. Nicht zuletzt „kaderpolitische" Vorbehalte gegen die stark von Sozialdemokraten dominierte ZVAS könnten die Neugründung der ZVU inspiriert haben, um dort gezielt kommunistische Personalpolitik betreiben zu können. Damit einher ging die vom Stellvertretenden SMAD-Chef Serow, dem höchsten Repräsentanten des sowjetischen Geheimdienstes in der SBZ, durchgesetzte Anbindung der neuen UmsiedlerZentralverwaltung an die innen- und sicherheitspolitische Führung der SMAD. Daß es Serow erfolgreich gelang, die hinter den ZVAS-Ambitionen Lehmanns zu vermutenden „Ansprüche der SMAD-Wirtschaftsverwaltungen bei der administrativen Gestaltung der Vertriebenenpolitik" durch Neuschöpfung der ZVU abzuwehren, dürfte nur zum geringeren Teil einer abstrakten Einschätzung der „Auswirkungen der Bevölkerungsverschiebungen als Sicherheitsproblem" geschuldet sein21, die eher 1948 auf sowjetischer Seite eine Rolle spielte22. Ausschlaggebend waren 1945 vermutlich die handfesten Erfahrungen und „Erfolge", die NKWD-General Serow bei diversen innersowjetischen „Umsiedlungsaktionen" gewonnen hatte, denn diese Spezialisteneigenschaft ließ ihn und seine SMAD-Apparate auch zur Bewältigung des akuten Transport- und Ansiedlungsproblems von Millionen „deutscher Umsiedler" besonders geeignet erscheinen23. Es waren konkrete transport- oder deportationspolitische Prioritäten und weniger in dieser Situation reichlich illusorische sicherheitspolitische Kontrollphantasien, die im Spätsommer 1945 die Ausdifferenzierung und Institutionalisierung des umsiedlerspezifischen Sonderverwaltungssystems in der SBZ bestimmten. Im Ergebnis war zwar die neugebildete „Zentralverwaltung für Flüchtlingswesen und Heimkehrer"24, die im Oktober 1945 auf sowjetische Weisung in „Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler" (ZVU) umgetauft wurde25, von Beginn an dem
20
21 22
23
24
23
wird." BAB, DQ 2/457, DWK, HVAS, Cramer, Bericht über die Besprechung mit Vertretern des SED-Zentralsekretariats am 20. 8., 24. 8. 48, S. 4. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 102, der die „Zeitweiligkeit" dieser Ausdifferenzierung hervorhebt und bemerkt, daß eine ähnliche Einschränkung bei Gründung der SMADUmsiedlerabteilung schon nicht mehr gemacht worden sei. Beide Aussagen ebenda, S. 103. Zur Intervention der SMAD-Innenverwaltung: Schwartz, Apparate und Kurswechsel, S. 114 f., zum repressiven Kontext: ders., Umsiedlerpolitik in der Krise?, S. 192-197. Zur terminologisch-sachlichen Parallele, die Serow als Person verklammerte: Schwartz, „Vom Umsiedler zum Staatsbürger", S. 136-138. BAB, DO 2/1, Bl. 6, Zentralverwaltung für Flüchtlingswesen und Heimkehrer, Schlaffer, an Ma-
gistrat Berlin, 15. 9. 45. Vgl. ausführlicher Schwartz, Zwischen Zusammenbruch und Stalinisierung.
1. Befehl und
Mitgestaltung
73
Kompetenzbereich der SMAD-Zivilverwaltung und somit dem bis 1947 als stellvertretender Oberster Chef der SMAD für die Zivilverwaltung amtierenden Berija-Statthalter Serow26 unterworfen. Doch obwohl damit von vornherein das institutionalisierte Potential gegeben war, das Vertriebenenproblem primär in sicherheitspolizeilicher Perspektive zu behandeln, setzte sich diese Perspektive verstärkt erst ab 1948 (und selbst dann niemals ausschließlich) durch. Bis 1948 erfolgte hingegen eine auf den ersten Blick überraschende, angesichts der Alltagsprobleme jedoch mehr als plausible „Entpolitisierung" des Vertriebenenproblems, das innerhalb des Serow-Ressorts an die eher mit verwaltungstechnischen Fragen befaßte „Kommandanturdienstverwaltung" unter Leitung des Generalmajors Gorochow delegiert wurde, wo eine neue „Abteilung für Umsiedlungsfragen" entstand27. Sicherheitspolizeiliche Aufgaben standen in der Tätigkeit dieser SMAD-Umsiedlerabteilung und der von ihr angeleiteten deutschen Umsiedhinter und transportler-Zentralverwaltung sozialpolitischen Aufgabenfeldern deutlich zurück. „In allen Zonen" des besetzten Deutschlands dominierten damals somit „gleichartige Aufgaben der Einschleusung, Verteilung, Unterbringung und ersten Nothilfe"28, und auch in der SBZ blieben demgegenüber Kontrolle und Bespitzelung von Vertriebenen durch kommunistische Angehörige der Umsiedlerbürokratie und ihrer Netzwerke nachrangig29. Gerade weil die ZVU diese Überwachungsfunktion nur höchst unzureichend erfüllte, erzwangen vermutlich die Sicherheitsapparate der SMAD 1948 deren Eingliederung in die „Deutsche Verwaltung des Innern" (DVdl) die oberste Polizeibehörde der SBZ, die bereits über rudimentäre Geheimdienststrukturen verfügte. Dienstlicher (wenngleich nicht unbedingt wichtigster) Ansprechpartner für die deutsche Umsiedler-Sonderverwaltung war die ebenfalls im September 1945 geschaffene SMAD-„Abteilung für Umsiedlerfragen"30, die bereits im Frühjahr 1946 in einer größeren „Abteilung für Zivilangelegenheiten, Statistik und Verteilung der deutschen Umsiedler" innerhalb der Kommandanturdienstverwaltung (KDV) aufging31. Auch in den fünf regionalen SMA-Vertretungen der SBZ wurde ein sowjetischer Parallelapparat zu den deutschen Länderverwaltungen aufgebaut: So etablierte sich in Thüringen 1946 neben dem deutschen Landesamt für Neubürger auch in der Landes-SMA eine Umsiedlerabteilung, in den nachgeordneten drei Bezirkskommandanturen wurde jeweils ein Offizier mit der Wahrnehmung -
2»
27
BAB, DO 2/3, Bl. 53f., SMAD, KDV, Umsiedlerabteilung, Major Stotland an Oberst Issakow, 4.1.46. Im folgenden Abschnitt werden einige in einer früheren Skizze des Verfassers (vgl. Schwartz, Besatzer und Vertriebene) gebotene Daten zum SMAD-Personal auf erweiterter Quellenbasis par-
korrigiert oder ergänzt; auch auf die später erschienene Studie Donths zur SMAD-Vertriebenenpolitik wird Bezug genommen. Vgl. treffend Middelmann, Entstehung und Aufgaben der Flüchtlingsverwaltung, S. 281. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 109 f., neigt zur Überschätzung der sicherheitspolizeilichen Funktion, wenn er den „Suchdienst für vermißte Deutsche" und dessen aus dem KPD-Abwehrapparat stammenden Leiter August Mayr nur unter dem Aspekt der „Errichtung tiell
28 29
30 31
verdeckt arbeitender Sicherheitsstrukturen" betrachtet. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 102 und S. 443. Diese Umorganisation erfolgte zwischen März und Mai 1946; BAB, DO 2/80, Bl. 167f., während laut Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 104, die ursprüngliche Verwaltungsstruktur „im wesentlichen" bis Ende 1946 bestanden haben und im März 1946 lediglich gestrafft worden sein soll.
II. Die
74
Soziologie der Macht
der umsiedlerspezifischen Aufgaben betraut, der eine entsprechend weitergehende Organisationsgliederung „nach unten" veranlaßte: „Es besteht also neben dem deutschen Verwaltungsapparat ein ähnlicher Verwaltungsapparat der russischen Militärbehörde." Dabei hatte allerdings mindestens bis zum Winter 1946/47 die Zusammenarbeit der unteren sowjetischen und deutschen Stellen „noch nicht die enge Verbundenheit erreicht, wie sie in der Spitze" bereits gegeben gewesen sein soll. Daraus resultierten „zeitweise gewisse Spannungen" zwischen Sowjets und deutschen Umsiedlerbürokraten, denn „während die deutschen Berichte durchgängig zufriedenstellend lauteten, wurde durch die russischen Offiziere eine zum Teil sehr scharfe Kritik ausgesprochen", welche die deutschen Verwaltungsstellen zu zumindest symbolischen „Konsequenzen" zwang „mit dem Ziel, in scharfer Selbstkritik die berechtigten Bemängelungen der Militärbehörden abzustellen"32. Die innerhalb der SMAD 1945/46 permanent erfolgenden organisatorischen Umstrukturierungen bewirkten im Verbund mit „sicherheitspolitischen" Maßnahmen gerade auf zentraler Ebene „eine hohe [...] Personalfluktuation"33. Davon war auch die Umsiedlerabteilung der SMAD betroffen, deren erwähnte, 1946 erfolgte Reorganisation einen ersten Wechsel in der Abteilungsleitung nach sich zog. Der seit Gründung der ZVU als deren direkter Befehlshaber auftretende Oberst Issakow34, der Anfang Mai 1946 auch noch als Chef der größeren neuen SMAD-Abteilung gezeichnet hatte, scheint im selben Monat durch seinen Stellvertreter35 Oberstleutnant Maslennikow abgelöst worden zu sein36. Die Hintergründe dieses Wechsels sind unbekannt, doch hat Issakows Abgang möglicherweise mit jüdischer Abkunft zu tun ähnlich wie vermutlich im Falle jenes Unterleutnants Weinbaum, der schon nach Februar 1946 nicht mehr in Erscheinung trat37. Generell jedenfalls markierte die Entfernung jüdischer Offiziere aus der sowjetischen Besatzungsverwaltung im Jahre 194638 einen Trend sowjetischer Ka-
derpolitik39. 32
33 34 33
36
37 38
39
BAB, DO 2/25, Bl. 76-115, insb. Bl. 101, Ministerium für allgemeine Verwaltung Thüringen, AfN, Jahresbericht für 1946, 30. 12. 46. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 205. Vgl. BAB, DO 2/29, Bl. 113, sowie die Vorgänge in BAB, DO 2/1. Maslennikow firmierte März 1946 als stellvertretender Leiter der Umsiedlerabteilung; BAB, DO 2/80, Bl. 168; er war jedoch schon im Oktober 1945 Ansprechpartner der ZVU und folglich Mitarbeiter dieser Abteilung; BAB, DO 2/29, Bl. 150.
Nachdem Issakow zuletzt auf der ZVU-Konferenz vom 8. Mai 1946 in Erscheinung getreten war, fungierte auf der nächsten Tagung im September 1946 Maslennikow als Repräsentant der SMAD; BAB, DO 2/30, Bl. 104 f., Bl. 205 und Bl. 211; für einen Leitungswechsel von Issakow zu Maslennikow bereits im Mai 1946 spricht, daß Ende Mai 1946 ein Oberstleutnant Ugrjuow (oder Ugrjumow) als stellvertretender Abteilungsleiter firmierte; BAB, DO 2/81, Bl. 78; Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 104, terminiert den Leiterwechsel auf Sommer 1946 und nimmt Ugrjumow erst im Mai 1947 als Unterabteilungsleiter für Kontrolle zur Kenntnis; ebenda, S. 245. SAPMO, DY30/IV2/11/217, Bl. 2-24, ZVU, Prot. der Arbeitskonferenz vom 1.2. 46. Obwohl sich zwischen Herbst 1946 und Anfang 1947 der Personalbestand der SMAD um 50% erhöhte, wurde der Anteil von Juden von 7% auf 6,5% reduziert; Foitzik, Sowjetische Militäradmi-
nistration, 1999, S. 210. Hierzu Naimark, The Russians in Germany, S. 31, sowie Peterson, Russian Commands and German Resistance, S. 478, der vermutet, daß jüdische sowjetische Offiziere allzu deutschfreundlich und westlich
gewirkt hätten.
1.
Befehl und Mitgestaltung
75
Issakows Nachfolger Maslennikow scheint bis Mitte 1947 amtiert zu haben40: Noch am 16. und 17. Juni 1947 trat er auf der großangelegten Eisenacher ZVUTagung als Vertreter der SMAD selbstbewußt in Erscheinung41, so daß nichts auf einen bevorstehenden Abgang hindeutete. Doch nur wenige Tage später, am 20. Juni, wurde in einem Schreiben des ZVU-Präsidenten plötzlich ein Oberst
Jewsejew
als
zuständiger Abteilungsleiter angesprochen42. Jewsejew,
zuvor ver-
mutlich stellvertretender Leiter der ebenfalls der Kommandanturdienstverwaltung unterstellten Abteilung für Repatriierung43, die im Gegensatz zur Umsiedlerabteilung Menschen nicht in die SBZ hineindeportierte, sondern (als „Displaced Persons") in deren osteuropäische Heimat zurückschickte, leitete denn auch die SMAD-Delegation auf der nächstfolgenden ZVU-Direktorenkonferenz am 28. Juli 194744. Über die Ursachen der plötzlichen Entlassung Maslennikows muß ebenso spekuliert werden wie im Falle seines Vorgängers. Der Abgang des Abteilungschefs fällt zeitlich mit einer verstärkten „Säuberung" innerhalb der SMAD zusammen, wo im April 1947 die Stellung eines stellvertretenden Obersten Chefs für Kaderfragen geschaffen worden war, um die Personalpolitik zu straffen und alle „Kompromittierten" aus Deutschland zu entfernen „eine Sammelkategorie, unter die sowohl politische als auch sonstige Verfehlungen fielen". Zwischen Mitte 1947 und März 1948 wurden jedenfalls fast 7000 SMA-Mitarbeiter in die Sowjetunion zurückbeordert, weit mehr als die rund 5000 Abgänge des Vorjahres. Die Hälfte dieser Versetzungen wurde auf „politische" oder „sonstige -
Verfehlungen" zurückgeführt45. Was in der Folgezeit in und mit der SMAD-Umsiedlerabteilung geschah, bis es Mitte 1948 zu einer größeren Verwaltungsreorganisation in der gesamten SMAD
kam46, bleibt unklar. Jewsejew, der im Herbst 1947 nachweislich weiter amtierte47, trat nur wenig hervor, und spätestens im Mai 1948 hatte ein Oberst Komarow die Funktion als Ansprechpartner der ZVU übernommen48, um im Juni offen als „Chef der Abteilung für Umsiedler und Zivilangelegenheiten KDV-SMAD" an40
„an den Chef der Abteilung für ZivilangelegenheiVerteilung der deutschen Umsiedler bei der KDV-SMAD z.Hd. Herrn Qberstleutnant Maslennikow"; BAB, DO 2/31, Bl. 122; ähnlich Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in
Im Mai 1947 adressierte ZVU-Präsident Engel ten, Statistik und
« 42
Sachsen, S. 104.
Vgl. BAB, DO 2/82, Bl. 193 f. BAB, DO 2/89, Bl. 167, ZVU, Engel, „an den Chef der Abteilung für Zivilangelegenheiten, Statistik und Verteilung der deutschen Umsiedler bei KDV-SMAD, z.H. Herrn Oberst Jewsejew", 20. 6. 47; Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 443, geht von Maslennikows Entlassung 1947 aus, benennt jedoch keinen Nachfolger; Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, neben Maslennikow in der Funktion als Umsiedler-
S. 245, sieht Jewsejew schon im Mai 1947
-
Abteilungsleiter. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 443. LRS, Mdl 2207; die ursprünglich vom Verfasser (vgl. Schwartz, Besatzer und VerVgl. SäHStA, vertretene -
43 44
triebene) sifiziert. 43 46 47
48
Hypothese, Maslennikow habe möglicherweise bis Mitte 1948 amtiert, ist fal-
Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 207. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1990, S. 24. BAB, DO 2/59, Bl. 361, Übersetzung: SMAD, Oberst Jewsejew, an ZVU, Engel, 30. 10. 47. BAB, DQ 2/1304, Fasz. K, DWK, HVAS, Lange, Protokoll der Besprechung am 29. 5. 48, wobei ZVU-Chef Vogt über seine Unterredung mit Oberst Komarow berichtete, „in der die endgültige Anweisung gegeben wurde", die bisher bei der ZVU ressortierende Spendenkommission der SBZ in die HVAS
einzugliedern.
76
II. Die
Soziologie der Macht
gesprochen zu werden49. Wenig später wurde im Zuge einer großangelegten SMAD-Reorganisation die bisherige Kommandanturdienstverwaltung aufgelöst und mit Teilen der SMAD-Innenverwaltung zusammengelegt, wobei der bisherige KDV-Chef General Gorochow zum neuen Chef dieses vergrößerten SMADRessorts für „Innere Verwaltung" ernannt wurde50. Die bisher für Umsiedlerfragen zuständige SMAD-Abteilung war analog zur Eingliederung der deutschen Umsiedler-Zentralverwaltung in die Innenverwaltung der SBZ in diese neu formierte SMAD-Innenverwaltung übernommen worden, arbeitete aber laut Komarow weiterhin „vollkommen selbständig"51. Komarow selbst jedoch, der sich auf der Basis dieser Prämisse auf Konflikte mit der sowjetisch gut vernetzten DVdlFührung um Kurt Fischer einließ, wurde sehr bald abgelöst52. An seiner Statt wird -
-
ab Oktober 1948 ein Oberstleutnant Simow sichtbar53, der in der ersten Hälfte des 1949 als ständiger Ansprechpartner der deutschen Seite fungierte54. Etwa gleichzeitig gewinnt auch ein Oberstleutnant bzw. Oberst Balakin Konturen, der bereits 1947 der SMAD-Umsiedlerabteilung angehört hatte55 und Mitte 1948 als Kontaktmann zur neuen Hauptabteilung Umsiedler in der DVdl fungierte56. Es ist unklar, ob Simow 1948/49 der neue Leiter der für Umsiedlerfragen zuständigen SMAD-Abteilung57 oder lediglich Stellvertreter des neuen Abteilungsleiters Balakin gewesen ist58. Weitaus wichtiger für die sowjetische Einflußnahme auf die Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR war nun ohnehin der SMAD-„Verwaltungsfachmann" Pjotr S. Ljulka59, den DVdl-Präsident Fischer im Dezember 1948 sogar übertrieben als „Chef der Zivilverwaltung der SMAD" adressierte60. Ljulka entstammte der SMAD-Informationsverwaltung des zeitweilig einflußreichen Obersten Tjulpanow61, wo er für die Zusammenarbeit mit deutschen Verwaltungsorganen zustän-
Jahres
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30
31
BAB, DO 2/84, Bl. 14, ZVU, Vogt, an SMAD, Komarow, 24. 6. 48; Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, bietet weder Informationen über den Wechsel zwischen Jewsejew und Komarow noch über die 1948 erfolgte Ablösung des letzteren und deren Hintergründe. Mindestens bis Juni 1948 amtierte als Chef der „Abteilung für Innere Angelegenheiten" General Malkow; vgl. BAB, DO 1/7/37; im August findet sich ein Oberstleutnant Golowlow, der jedoch nur nachgeordnet gewesen sein dürfte; BAB, DO 1/7/41, DO 1/7/42; Ende 1948 erscheint Gorochow als Chef der „Abteilung Innere Verwaltung"; vgl. BAB, DO 1/7/41, laut Naimark, The Russians in Germany, S. 373, amtierte er bereits im Sommer 1948. BAB, DO 2/32, Bl. 85 ff., insb. Bl. 90, DVdl, HAU, Protokoll der Direktorenkonferenz am 23. 8.,
22. 9. 48. 32
33 34
33
36
37 38 39 "> 61
Nach November 1948 verliert sich seine Spur; BAB, DO 2/32, Bl. 13ff., Bl. 68 und Bl. 85 ff.; zu den Konflikten zwischen Komarow und der DVdl siehe unten Kap. II.1.4. Vgl. BAB, DO 2/32, Bl. 46. Insbesondere zwischen Januar und Mai 1949; vgl. BAB, DO 2/33. SäHStA, LRS, Mdl 2207, Protokoll der ZVU-Direktorenkonferenz am 28. 7. 47, wo neben Jewsejew ein „Oberstlt. Baljakin" erwähnt wird, der laut Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 245, im Mai 1947 Unterabteilungsleiter für Statistik und Umsiedlung in der SMAD-Um-
siedlerabteilung war.
BAB, DO 1/7/37, Bl. 276; während Simow ab Mai 1949 nicht mehr auftaucht, bleibt Balakin bis in den Hochsommer 1949 Ansprechpartner der DVdl; ebenda, Bl. 1 f. und Bl. 59f. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 443.
Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 357. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 467; bei Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, findet Ljulka keinerlei Berücksichtigung. Vgl. BAB, DO 1/7/41, Bl. 54, mit der Schreibweise „Lulkow". Der Einfluß Tjulpanows wird kontrovers beurteilt; Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 136, bewertet ihn als „bestenfalls fünftrangig", was sich nur „geringfügig" und kurzfristig
1. Befehl und
17
Mitgestaltung
dig gewesen war62. Seine Bedeutung stieg, als seine „Abteilung für Zivilverwaltung (d.i. deutsche Verwaltung)" im Juli 1948 aus der Informationsverwaltung „ausgegliedert und zu einer selbständigen Abteilung umgewandelt" wurde63, die dem Stellvertretenden SMAD-Chef für Zivilverwaltung direkt unterstellt war64. Zweifellos hing dieser Aufstieg von Ressort und Funktionär mit der „Kaderfrage" also der linientreu-kommunistischen Personalpolitik in den deutschen Bürokratien zusammen, die seit Herbst 1947 in SMAD- und SED-Führung erheblich an Bedeutung gewonnen hatte. Als kaderpolitischer Gleichschalter begab sich Ljulka auf „vernachlässigtes Gebiet" wie die deutsche Justiz, wobei er es wagen konnte, auch die zuständige SMAD-Rechtsabteilung „einer deutlichen Kritik" zu unterziehen65. „Bemerkenswert" war ferner, daß dieser Major „höherrangige Offiziere unter sich hatte"66, was auf einen geheimdienstlichen Offiziersrang hindeutet67.
-
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Ljulkas Einfluß in der SMAD wird auch dadurch unterstrichen68, daß er dem DVdl-Präsidenten und den Innenministern der Länder als weisungsbefugter SMA-Vertreter gegenübertrat69. Damit wurde er für die künftige Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR weit wichtiger als die Obristen Simow oder Balakin, denn während diese mit nachgeordneten Abteilungsleitern der DVdl kommunizierten, agierte Ljulka auf Augenhöhe des DVdl-Präsidiums und des zuständigen Abteilungsleiters im SED-Parteiapparat, des Ulbricht-Mitarbeiters Anton Plenikowski70. Auch in der 1949 geschaffenen Nachfolgebehörde der SMAD, der „Sowjetischen Kontrollkommission" (SKK), die formell als Zivilbehörde konzipiert worden war, ohne deswegen in den Führungspositionen größere Diskontinuitäten aufzuweisen71, blieb Ljulka an derselben verantwortlichen Stelle tätig72. Zwiverändert habe; demgegenüber schätzen Loth, Stalins ungeliebtes Kind, und Naimark, Die Russen in Deutschland, Tjulpanow deutlich höher ein; „der sowjetische Militärgouverneur in Deutschland", als den ihn Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 2, S. 139, anspricht, war er freilich zu keiner Zeit. 62 « 64
Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 467. Ebenda, S. 104. Ebenda, S. 109; Ljulka blieb bis 1955 Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft in der DDR; ebenda, S. 467.
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71 72
Wentker, Justiz in der SBZ/DDR, S. 234 f. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S.
145.
Geheimdienstränge waren formell niedriger als gleichlautende Armeeränge; freundlicher Hinweis des Kollegen Dr. Jan Foitzik, Berlin. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 145. Im Dezember 1948 rüffelte der Major die versammelten Innenminister der SBZ wegen unzureichender Durchführung der verordneten Personaleinsparungen und bat dieselben zugleich, in finanzieller Hinsicht „nichts zu beschließen, bis wir unsere Meinung gesagt haben"; ebenda, S. 392; der Chef der DJV berichtete 1949 direkt an Ljulka; vgl. Wentker, Justiz in der SBZ/DDR, S. 374,
Anm. 43. BAB, DO 1-8/83, Bl. 112, DVdl, Abt. BP, Morche, Bericht über Kontrolle in der Gemeinde Prötzel am 20. 5., 2. 6. 49; einen Tag später ordnete DVdl-Hauptabteilungsleiter Malz die Weiterleitung des Berichts an das SED-Zentralsekretariat (Plenikowski) und an die SMAD zu Händen
„Ljulkows" an. Scherstjanoi, Einleitung, S. 16 ff.
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Der zum Oberstleutnant beförderte Ljulka blieb mindestens bis Frühjahr 1951 in der SKK-Abteilung für Administrative Angelegenheiten, obwohl ein Oberstleutnant Sokol als deren Leiter firmierte; vgl. BAB, DO 1/33259, Mdl DDR, Warnke, an SKK, Abt. Administrative Angelegenheiten, Ljulka, 21.3. 51; laut Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 467f., hat Ljulka 1950 die Leitung dieser Abteilung abgegeben, sei aber bis 1955 in der DDR aktiv geblieben; laut Scherstjanoi, Einleitung, S. 22 und S. 59 f., leitete Ljulka zunächst die Abteilung für Verwaltungs-
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II. Die
Soziologie der Macht
sehen 1948 und 1951 scheint dieser frühere Mitarbeiter der SMAD-Propagandaabteilung73 der eigentliche sowjetische Geschäftsführer auch der Umsiedlerpolitik in der SBZ/DDR gewesen zu sein. Die vorstehenden Rekonstruktionsversuche zur Entwicklung der sowjetischen Umsiedlerabteilung und ihres Personals lassen deutlich werden, daß die personelle Fluktuation auf der zentralen Ebene der SMAD relativ hoch gewesen ist. Das interne Verwaltungshandeln der SMAD wurde zu großen Teilen von personalpolitischer Kontrolle und Revirements beeinflusst, wofür neben administrativer Ineffizienz auch Korruptions- und ähnliche Probleme ausschlaggebend waren. Letztlich ging es um die Aufrechterhaltung ideologisch-politischer Disziplin, die durch allzu lange Westaufenthalte sowjetischer Offiziere die West-Erfahrung der späteren Dekabristen mochte als Menetekel dienen aufgeweicht zu werden drohte74. Als Konsequenz dieser permanenten Personalfluktuation in der SMAD amtierte in der zentralen Umsiedlerabteilung in Karlshorst kaum ein Abteilungsleiter länger als ein Jahr. Damit unterschieden sich die sowjetischen Geschäftsführer der Umsiedlerpolitik deutlich von ihren leitenden deutschen Untergebenen, die nicht selten fast die gesamte Phase der Besatzungszeit im Amt blieben75. Die daraus folgende wachsende Diskrepanz in Herrschaftswissen und bei tragfähigen Netzwerk-Kontakten dürfte das Gewicht der deutschen Seite in der gemeinsamen Alltagsarbeit gestärkt haben. Anders konnte es auf regionaler Ebene aussehen. Hier blieben, wie in den SMA-Vertretungen Sachsens oder Thüringens, die sowjetischen Leiter über Jahre hinweg im Amt, während auf Seiten der deutschen Landesamtsleiter hohe Fluktuation herrschte. Der Leiter der sächsischen SMA-Umsiedlerabteilung, Oberstleutnant Wolodin, amtierte von Oktober 1945 bis'zum Spätsommer 1949 und sorgte „auch aufgrund seiner langen Amtszeit für administrative Kontinuität über die Zäsuren von 1948 hinweg"76. Betrachtet man gerade die in der umsiedlerpolitischen Krise des Sommers 1948 deutlich werdende vertrauensvolle Kooperation zwischen der sächsischen Umsiedlerabteilungsleiterin Ruth Fabisch (LDP) und Wolodin77, war es vermutlich nicht nur Schmeichelei, wenn Fabischs Stellvertreter und späterer Nachfolger Halm dem in die Sowjetunion zurückkehrenden SMASOffizier 1949 „die herzlichsten Abschiedsgrüße" seiner deutschen Mitarbeiter übermittelte, die in ihm „niemals den befehlenden Offizier der [...] Besatzungsmacht gesehen", sondern stets ein „Vorbild" für den „Aufbau unseres neuen demokratischen Deutschlands" geachtet hätten. Angesichts der auch im Sommer 1949 anhaltenden Krise der Umsiedlerpolitik war Halms Versicherung hochpoli-
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fragen, bevor er 1951 in die Informationsabteilung der SKK zurückkehrte; seine Nachfolger waren (kommissarisch) sein Stellvertreter Pastuchow und später Stroganow. Diese Zuordnung Ljulkas findet sich auch in einem Schreiben an das SED-Zentralsekretariat Februar 1948 in den Akten der ZVU; vgl. BAB, DO 2/88, Bl. 221. Naimark, The Russians in Germany, S. 29 und S. 31. Der zweite Präsident der Umsiedler-Sonderverwaltung, Engel, kam auf eine dreieinhalbjährige Amtszeit, und auch einige Leiter von Landesumsiedlerbehörden konnten mehrjährige Amtszeiten aufweisen. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 113 und S. 362. BAB, DO 2/83, Bl. 39, MfAS Sachsen, HAU, Fabisch, „Notiz für Herrn Oberstleutnant Wolodin zur Besprechung in Karlshorst", 14. 7. 48.
vom
1.
tisch,
man
Befehl und Mitgestaltung
werde in Wolodins Sinne „weiter arbeiten [...], bis das
problem abgeschlossen ist"78. Der sächsische SMA-Abteilungsleiter
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Umsiedlungs-
hatte während seiner fast vierjährigen drei deutsche Amtschefs Amtszeit erlebt, sein thüringischer Kollege Kapitän Kornjuschko, der bereits Mitte 1948 in die Sowjetunion zurückgekehrt war79, hatte es trotz kürzerer Tätigkeit sogar mit vier deutschen Pendants zu tun gehabt80. Kornjuschkos Abgang fiel offenbar weniger herzlich aus als der Wolodins, wozu zweifellos die immer wieder aufscheinende Heftigkeit im Umgang mit deutschen Bürokraten beigetragen haben dürfte81. Dennoch lobte der thüringische Neubürgeramtschef Kalinke im Februar 1949 diesen früheren sowjetischen Abteilungsleiter im Rückblick: Kornjuschko habe sich „wirklich als ein Mensch erwiesen, der uns zwar manchmal starke Kopfschmerzen gemacht hat", doch „nachdem er [...] ein halbes Jahr fort ist, können wir erst ermessen, wie sehr er uns geholfen hat"82. Gerade Kalinke war es zuvor gelungen, Kornjuschkos Impulsivität gegen administrative Widerstände anderer Ressorts zu richten und dabei in ,,monatelange[r] Arbeit" umsiedlerpolitische Erfolge zu erzielen, die „ohne das sehr nachdrückliche Eingreifen" des SMA-Abteilungsleiters wohl länger hätten auf sich warten lassen83. Auf punktuelle Hilfen beschränkte sich freilich die Bedeutung eines solchen sowjetischen Ansprechpartners nicht, diese lag vielmehr vor allem in der Gewährleistung institutioneller Politikfeld-Kontinuität. Auf einer Versammlung des thüringischen Neubürgeramtes im Januar 1948 also kurz vor den einschneidenden Zäsuren in der sowjetzonalen Umsiedlerpolitik hatte Kornjuschko die Frage der Einebnung des vertriebenenspezifischen Politikfeldes und seiner Sonderverwaltungsstrukturen offen aufgeworfen, um deren Berechtigung mit Blick auf den problematischen gesellschaftlichen Integrationsstand der Vertriebenen ostentativ zu verneinen: „Ist es nicht an der Zeit, diese ganzen Umsiedler nicht mehr als etwas nur Eingeströmtes anzusehen, ist es nicht an der Zeit, ihre ganzen Nöte und Notwendigkeiten den Organen in die Hand zu geben, die sich mit der ganzen Bevölkerung befassen. Andererseits können wir dann mit gutem Gewissen sagen, daß alle Umsiedler gut eingereiht und untergebracht und in Arbeit vermittelt worden sind und kein besonderes Augenmerk darauf geworfen zu werden braucht. Es scheint so, als ob das noch nicht gesagt werden könnte. Deswegen müssen verschiedene Organe bleiben, Organe, die sich vielleicht nicht selbst mit der Umsiedlung befassen, die aber kontrollieren und als Kontrollorgan fungieren müssen, die die Wohnungsunterbringung und -einrichtung sowie -
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SäHStA, LRS, Mdl 2743, Mdl Sachsen, Abt. Umsiedler, i.A. Halm, an SMAS, Abt. Umsiedler, Wolodin, 20. 8. 49. ThüHStA, Mdl 3649, Bl. 83, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Kurzbericht v. 28. 5. 48, worin für die unmittelbar bevorstehende Ablösung
Kornjuschkos angekündigt wird.
Siehe die Tabelle in Kapitel II.2.2.2. Beispiele bieten BAB, DO 2/36, Bl. 1-22, Umsiedleramt Thüringen, Protokoll der Dienstbesprechung am 8. 1.46, sowie Bl. 67-69, SED, LV Thüringen, Abt. Presse und Information, Information Nr. 19 über „Das Umsiedlerproblem in Thüringen", 30. 11. 46. ThüHStA, Mdl 3652, Bl. 232-254, insb. Bl. 249f., Mdl Thüringen, Protokoll der erweiterten Sitzung der Landeskommission für Neubürger am 11.2. 49, o.D. BAB, DO 2/27, Bl. 1-107, insb. Bl. 4, Mdl Thüringen, AfN, Jahresbericht für 1948, o.D.; zu Kornjuschkos Pressionen auf einen von ihm einbestellten Mitarbeiter des Arbeits- und Sozialministeriums: ThüHStA, Mdl 3649, Bl. 81, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Kurzbericht v. 14. 5. 48.
II. Die Soziologie der Macht
80
Arbeitsvermittlung kontrollieren werden."84 Wir werden noch sehen, daß die Widerstände einiger deutscher Landesumsiedlerbehörden gegen die völlige Beseitigung von Umsiedlerpolitik zwischen 1948 und 1950 innerhalb einiger regionaler SMA- und SKK-Vertretungen auf ähnlich motiviertes Verständnis und auf politische Unterstützung rechnen konnten85. 1.2.
Begrenzte „Perestrojka":
Zum Wandel sowjetisch-deutscher Arbeitsbeziehungen Wenn die neueste Studie zur SMAD die eindeutige Feststellung trifft, daß „die Besatzungsmacht [...] die Eingliederung der Vertriebenen in entscheidender Weise" geprägt habe86, droht sie der totalitären Faszination ihres Gegenstandes so sehr zu erliegen, daß sie nicht nur die Grundgesetze gesellschaftlicher Kommunikation von Herrschaft, sondern bereits die Entstehungsbedingungen politischer Ent-
scheidungen aus dem Blick verliert. „Ein umfangreiches Berichtssystem", regelmäßige Kontrollen über „die genaue Ausführung ihrer Anordnungen auf allen Ebenen der Verwaltung", „zahlreiche Befehle" der SMA zur „Abstellung von .Fehlern'" sowie „genaue Vorschriften" über Haushalts- und Personalpolitik87 all das gab es tatsächlich in Fülle. Doch was hat das zu bedeuten und was wurde dadurch bewirkt? Zahlreiche Befehle zur Abstellung von „Fehlern" verweisen auf ebenso zahlreiche, trotz vorangegangener Befehle nicht abgestellte deutsche Abweichungen von sowjetischen Anweisungen. Genaue Vorschriften in Personalpolitik und Haushaltsrecht verhinderten nicht, das just in diesen beiden Bereichen eklatante vorschriftswidrige deutsche Eigenmächtigkeiten zu verzeichnen waren. Die gravierenden Verstöße deutscher Stellen gegen finanzpolitische Restriktionen -
der SMAD werden im Laufe dieser Arbeit noch zu erörtern sein. Was die Personalpolitik betrifft, so stürzte (wie noch zu zeigen sein wird) ausgerechnet der erste Präsident der ZVU 1945 über ihm ausdrücklich verbotene Alleingänge. Es ist möglicherweise mit diesen Hintergründen zu erklären, daß sich seitdem im Amtsgebäude der ZVU ein sowjetischer Verbindungsoffizier befand, der sämtliche Personalentscheidungen penibel vorbegutachtete und im Februar 1948 sogar eine Überprüfung des gesamten Personalbestandes vornahm88. Sowjetische Weisungen setzten jedenfalls keinen totalitären Automatismus in Gang, sondern eine widersprüchliche und zum Teil höchst eigenwillige „Filterung" dieser Weisungen durch diverse deutsche Politik-Instanzen und sodann durch die besetzte, aber keineswegs willenlose deutsche Gesellschaft. Die deutsche Bevölkerung geriet weder nach 1933 noch nach 1945 „zum bloßen Herrschaftsobjekt", sondern entwickelte neben „Apathie" und „Desorientierung" sowie offenem Widerstand auch „zahl-
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BAB, DO 2/36, Bl. 132-146, insb. Bl. 132, Mdl Thüringen, AfN, Protokoll der
chung v. 20. 1.48, o.D.
Siehe unten Kap II.2.5. Donth, Vertriebene und Ebenda, S. 107 f.
Arbeitsbespre-
Flüchtlinge in Sachsen, S. 107.
Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 321; knapper: Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 108.
1.
reiche Formen stanz"89.
Befehl und Mitgestaltung
gradueller politischer Opposition und allgemeine
81
kulturelle Di-
Als der einstige ZVU-Abteilungsleiter Erich Hanke 1976 seine Reminiszenzen die Gründungsphase dieser Zentralverwaltung veröffentlichen durfte, enthielten diese manche farbige Schilderung, an entscheidenden Punkten jedoch auch gravierende Ungenauigkeiten, wenn nicht gezielte Unwahrhaftigkeiten. Das von Hanke entworfene Panorama gutgelaunter Solidarität unter kommunistischen ZVU-Funktionären, die „ein gutes Kollektiv" gewesen seien und sich „ausgezeichnet" verstanden hätten, entsprach zwar dem Ideal unterdessen gefragter „Aufbaugeschichten" über die Gründungsphase der SBZ/DDR, nicht jedoch den einst realen Intrigen und Grabenkämpfen, an denen Hanke Anteil gehabt hatte90. Auch die ursprünglichen Konflikte zwischen deutschen und sowjetischen Kommunisten paßten schlecht ins retuschierte Bild sozialistischen Neuaufbaus, innerhalb dessen SED-Veteranen wie Hanke an frühere sowjetische Vorgesetzten einfach „gern" zurückdachten. Hanke müsste die scharfen Rügen, die er als ZVUMitarbeiter von SMAD-Funktionären erhalten hatte, völlig verdrängt haben, um die zuständigen Offiziere der SMAD euphorisch würdigen zu können „nicht nur wegen ihrer tatkräftigen Hilfe, wenn unsere Mittel und Kräfte nicht ausreichten, sondern auch wegen des kameradschaftlichen und herzlichen Verhältnisses, das zwischen den verantwortlichen Mitarbeitern unserer Verwaltung und den sowjetischen Offizieren bestand"91. Das sowjetisch-deutsche Kommunikationsverhältnis in der unmittelbaren Nachkriegszeit war ganz anderer Art gewesen. Sowjetische Besatzungsoffiziere traten gegenüber ihren deutschen Helfern auch gegenüber kommunistischen Funktionären in barschem Befehlston auf. Der ungute Kommandoton reflektierte primär Funktionsdefizite eines noch nicht routinemäßigen Unterordnungsverhältnisses und auch der SMAD selbst und schwand nicht zufällig mit diesen Problemen. Anfangs zogen es die noch unsicheren und mißtrauischen Eroberer vor, mit Drohungen zu regieren. Auf einer im Oktober 1945 stattfindenden Konferenz der eben gegründeten Umsiedler-Zentralverwaltung bedrohte der frischgebackene Leiter der SMAD-Umsiedlerabteilung, Oberst Issakow, die brandenburan
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gische Landesverwaltung wegen angeblichen Versagens in einer wichtigen Frage mit Verhaftung und Militärgericht, falls nicht umgehend den sowjetischen Anweisungen Folge geleistet würde: „Man muß sich daran gewöhnen, die Instruktionen und Befehle der Militärverwaltung und Sowjetbehörden zu befolgen, sonst werden wir in der Sowjetzone keine Ordnung haben." Der autoritär auftretende Oberst erklärte den deutschen Bürokraten, sie hätten nicht das geringste Recht, „irgendwelche Umstände anzuführen, warum das Dringliche und das Notwendige nicht durchgeführt werden kann". Die SMAD habe konkrete Anweisungen erteilt, und diese müßten widerspruchslos „durchgeführt werden"92. Einen ähn89 90 91
92
Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 429. Hanke, Im Strom der Zeit, S. 74; zu Hankes Rolle beim Sturze Schlaffers siehe unten Kap. II.2.2.1. Ebenda, S. 66; Hanke nannte „General Gorochow, Oberst Issakow, Oberstleutnant Maslennikow, Major Stodtland"; insbesondere mit letzterem habe sich durch Kooperation eine Freundschaft entwickelt; ebenda, S. 60. BAB, DO 2/29, Bl. 162-210, insb. Bl. 192 und Bl. 194, ZVU, Protokoll über die Sitzung der ZVU mit den
Regionalverwaltungen am 26. 10. 45, o.D.
II. Die Soziologie der Macht
82
schlug auf einer Dienstbesprechung der für Vertriebenenversorgung zuständigen Landes- und Kommunalverwaltungsstellen in Thüringen der Leiter der regionalen SMA-Umsiedlerabteilung, Kapitän Kornjuschko, an, der den in seinen Augen unzureichend arbeitenden deutschen Bürokraten vorhielt: „Unsere Arbeit ist eine politische Arbeit. Wird sie schlecht ausgeführt, dann muß daraus gefolgert werden, daß die betreffenden Personen gegen die neue Regierung arbeiten. [...] Ich hoffe, daß wir uns gegenseitig verstanden haben." Diese Drohung mit Sabotageverdacht bezog sich auf Vorkommnisse wie jene im Landkreis Weissensee, wo im ersten Nachkriegswinter trotz langwieriger Verhandlungen zwischen dem Landrat und der SMA keinerlei Quarantänelager für Vertriebene eingerichtet worden waren, wodurch zahlreiche vertriebene Typhuskranke in akute Not gerieten und zugleich die übrige Bevölkerung anzustecken drohten. Kornjuschko ließ seinem Zorn über die verantwortlichen deutschen Kommunalpolitiker freien Lauf: „Alle Typhuskranken müssen zu dem Landrat und dem Bürgermeister in die Wohnung gebracht werden!" Die Wohlfahrtsabteilung dieses Kreises befasse sich nicht mit der Wohlfahrt der Bevölkerung, sondern „anscheinend nur mit der eigenen Wohlfahrt"93. Auf dieselbe unwirsche Weise wurde auch die Umsiedler-Zentralverwaltung von ihren sowjetischen Vorgesetzten daran erinnert, daß sie lediglich Befehlsempfänger sei und keineswegs eigenständig operieren dürfe. Die im September 1945 etablierte ZVU sollte demnach vor allem das Chaos bei Transport und Unterbringung der Vertriebenen und Zwangsumgesiedelten in den Griff bekommen. Nach Ansicht des SMAD-Abteilungsleiters waren diesbezügliche Fortschritte unzureichend geblieben, während sich die ZVU gleichzeitig in Kompetenzkonflikten mit den Regionalverwaltungen zu verzetteln drohte, die bis zur Einschallieh schroffen Ton
tung des Obersten Chefs der SMAD, Marschall Schukow, eskaliert waren und daher auch unangenehme Rückkopplungseffekte für die SMAD-Umsiedlerabteilung selbst zu zeitigen drohten. Nachdem Schukow Mitte November 1945 den keineswegs nur im Bereich der Umsiedlerbürokratie eskalierten Kompetenzkonflikt zwischen Zentral- und Regionalverwaltungen tendenziell zugunsten der letzteren entschieden hatte, wirkte sich diese Grundsatzentscheidung vernichtend auf den Versuch der ZVU aus, gegenüber den Umsiedlerbehörden der Länder und Provinzen institutionelle Weisungsbefugnisse zu etablieren, die sie nicht nur aus Prestigegründen, sondern auch zur Durchführung ihres Steuerungsauftrages dringend benötigte94. Oberst Issakow jedoch griff Ende November 1945 den Präsidenten seiner deutschen Hilfsverwaltung mit der scharfen Frage an: „Wie lange wird Ihre Verwaltung noch untätig bleiben, statt sich mit der eigentlichen Arbeit zu befassen. Ich warne Sie, wenn Sie nicht sofort die Arbeit Ihrer Verwaltung umorganisieren, werde ich das an Ihrer Stelle tun."95 Kritik an der nach Schukows
93
94
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BAB, DO 2/36, Bl. 1-22, insb. Bl. 13f. und Bl. 22, Dienstbesprechung am 8. 1. 46, o.D.
LV
Thüringen, Umsiedleramt, Protokoll der
Salomonisch wurden beide Verwaltungsebenen zur Kooperation aufgerufen, aber zugleich darauf hingewiesen, daß das „Schwergewicht der Arbeit" bei den Regionalverwaltungen liege; vgl. Merker, Landes- und Zentralverwaltungen, S. 105; zum umsiedlerpolitischen Teilkonflikt: Schwanz, Zwischen Zusammenbruch und Stalinisierung, S. 60-63. BAB, DO 2/86, Bl. 11, SMAD, KDV, Abt. für Umsiedlerfragen, Issakow, an ZVU, Schlaffer, 30. 11.45.
1.
Befehl und Mitgestaltung
S3
Entscheidung eindeutigen Kompetenzüberschreitung der ZVU trat hinzu; Anfang Dezember richtete Issakow an ZVU-Präsident Schlaffer die zornige Anfrage: „Mit welchem Recht ändern Sie selbständig die durch Befehl der SMA geschaffene Struktur? Ich habe Ihnen verboten, sich mit solchen Fragen zu befassen. [...] Grundsätzlich haben Sie sich nicht in Fragen, die schon von der SMAD aufgestellt sind, einzumischen. Befassen Sie sich konkreter mit den Umsiedlern, dazu ist Ihre Verwaltung geschaffen."96 Der Ton wurde immer schärfer. Wenige Tage später be-
kräftigte der Oberst: „Keine selbständigen Handlungen! Bei mir hat niemand um Erlaubnis nachgesucht."97 Nur wenig später wurde der kommunistische Präsident der ZVU von der SMAD nach nur dreimonatiger Amtszeit in Ungnaden entlassen
der erste Fall dieser Art. Der sowjetische Vorwurf der Ineffizienz war mit Blick auf die deutsche Zentralverwaltung nicht unbegründet, gleichwohl aber ungerecht, benötigte doch die SMAD nach ihrer Gründung im Frühjahr 1945 selbst ein knappes Jahr, um „voll arbeitsfähig" zu werden98. Auch später war die interne Geschichte der Militärverwaltung permanent durch die Sorge um genügend qualifizierte und zugleich linientreue Funktionäre gekennzeichnet ein letztlich nie gelöstes Problem der SMAD99. Doch gerade die eigene Instabilität erzeugte innere Unsicherheit, die hinter einer autoritären Fassade versteckt werden mußte. Trotzdem war der autoritär auftretende sowjetische Kaiser, der sich dem Vertriebenenzustrom anfangs kaum gewachsen gezeigt hatte, in den Augen seiner deutschen Untertanen nur zu oft nackt. Die politischen Ziele der Sowjets wollten nicht konsistent erscheinen: Wozu gründete die SMAD eine Umsiedler-Zentralverwaltung, wenn sie ihr die Zentralisierung der Länderbehörden verbot? Es war kaum ein Zufall, daß dem ersten ZVU-Präsidenten Josef Schlaffer binnen kurzem nicht nur die „Nichtausführung von Befehlen" der SMAD, sondern überdies angelastet werden konnte, er habe sich gegenüber Vertretern anderer Parteien und Verwaltungen abfällig über die Sowjets geäußert100. Längerfristige politische Karriereerwartungen hatten nicht überheblich-freimütige Kommunisten wie Schlaffer, sondern nur solche Funktionäre, die sich wie dessen KPD-interner Denunziant Hanke zur devoten Überzeugung bekannten, „durch die Zusammenarbeit mit Angehörigen der SMAD sehr viel lernen" zu können101. In der Besatzungszeit tritt zugleich das Moment abgeleiteter Autorität deutscher Behörden und die damit verbundene administrative Stabilisierungsfunktion sowjetischer Befehlsgewalt deutlich hervor. Man schimpfte hinter vorgehaltener Hand über die Sowjets, doch zugleich brauchte man sie dringend. Nach dem Zusammenbruch der deutschen Zentralgewalt stellte die sowjetische Besatzungszone wie die übrigen Zonen „unmittelbar nach Kriegsende" kaum mehr als
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BAB, DO 2/1, Bl. 20, SMAD, KDV, Abt. für Umsiedlerfragen, Issakow, an ZVU, Schlaffer, 6.
12.
45. 97
Ebenda, Bl. 24, SMAD, KDV, Abt. für Umsiedlerfragen, Issakow, an ZVU, Schlaffer,
10. 12. 45.
Creutzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 178. Naimark, The Russians in Germany, S. 29. 100 Schlaffer wurde deshalb von seinem Untergebenen Hanke bei Ulbricht denunziert; SAPMO, NY 182/1186, Bl. 2-5, insb. Bl. 4f., KPD, ZK, Ulbricht, Rdschr. „an alle Sekretariatsmitglieder der KPD", 27. 11. 45, Anlage: „Bemerkungen von Hanke". 101 Hanke, Im Strom der Zeit, S. 66 f., mit einigen Lernbeispielen. 98
99
II. Die
84
Soziologie der Macht
einen „Flickenteppich von ,Dorf- und Stadtrepubliken'" dar102, welche in der SBZ bis 1947 sogar eigenständige „Ortsgesetze" erließen103 und von den „noch relativ kraftlosen Länder- und Provinzialverwaltungen mehr schlecht als recht zu-
wurden104. Noch schwächer als diese Mittelbehörden waren der von SMAD seit Hochsommer 1945 geschaffenen „Deutschen Zentralverwaltungen", die nur in seltensten Fällen über klare Weisungsbefugnisse verfügten105 und überdies durch mangelhafte Kommunikations- und Transportmittel in ihrer Kontrollfunktion stark behindert waren106. Als die ZVU dies (wie oben angedeutet) auf eigene Faust zu ändern versuchte, erlitt sie Ende 1945 durch die Schukow-Entscheidung schmählichen Schiffbruch und mußte fortan sehr viel vorsichtiger operieren, ohne freilich ihre Zentralisierungsbestrebungen aufgeben zu können. Der Aufbau umfassenderer politischer Aktionsräume litt jedoch daran, daß in der Zusammenbruchsgesellschaft die Wertigkeit diverser Gruppenidentitäten umgekehrt worden zu sein schienen: Die gemeinsame nationale Identität hatte, bedingt durch Niederlage und Zusammenbruch, ihre dominante Bindekraft eingebüßt, um bislang nachgeordnete regionale, lokale oder familiäre Identitäten stärker hervortreten zu lassen. Die Primärgruppe der Groß-Familie war nicht nur für Vertriebene zum Rückzugspunkt und zur wichtigsten Solidargemeinschaft geworden. Die zusammenbruchsbedingte Reduktion von Verkehr und Kommunikation beförderte diesen Alltags-Partikularismus zusätzlich. Der Dresdner Victor Klemperer notierte als scharfsichtiger Zeitgenosse im Juli 1946: „Es gibt kein Deutschland mehr, nur noch Einzelbezirke, Kleinstaaten oder Einzelcoloniien [sie!] verschiedener Länder."107 1948 erst begriff er im Zuge einer Ostseereise die partikularistische Kraft der lokalen Handlungsebene vollends: „Gewachsener Patriotismus ist immer nur allerengster Regionalismus, Dorf steht gegen Dorf."108 In dieser Lage hatte es jede übergeordnete Politikebene schwer, Steuerungsansprüche durchzusetzen. Landrat stand gegen Bürgermeister, Landesverwaltung gegen Landkreise, und in weiter Berliner Ferne mühten sich Zentralverwaltungen darum, ernstgenommen zu werden. Anfänglich hingen die jeweils höheren Verwaltungsebenen regelrecht in der Luft, waren sie doch von lokaler Berichterstattung abhängig, die nur partiell, verspätet und je nach Autoreninteresse geschönt oder perhorreszierend eintraf. Es kam in dieser Phase „immer wieder vor", daß höhere Stellen „auf Fragen, die uns von der SMA vorgelegt werden, keine
sammengehalten" zunächst die
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107 ™
Mielke, Die Auflösung der Länder, S. 38. Vgl. die Vorgänge in BAB, DO 2/7. Mielke, Die Auflösung der Länder, S. 38. Zank, Wirtschaftliche Zentralverwaltungen, S. 256 f.
In seinem ersten Rechenschaftsbericht an die SMAD betonte der zweite ZVU-Präsident Engel Ende 1945, daß die referierten Daten zuweilen „unvollkommen" seien, da aufgrund fehlender oder erschwerter Telefon- und Postverbindungen eine regelmäßige Berichterstattung (insb. für Mecklenburg und Brandenburg) noch nicht möglich sei; zudem habe die ZVU durch zu geringfügige Kontrollen und einen zu geringen Einfluß auf regionale Personalpolitik nicht verhindern können, daß in den Ländern und Provinzen „Verwaltungsapparate entstanden [seien], die den Anforderungen nicht genügen"; BAB, DO 2/11, Bl. 157-175, insb. Bl. 157, ZVU, Engel, an SMAD, Abt. Umsiedler, Rechenschaftsbericht v. 23. 12. 45; Hinweise auf Infrastrukturprobleme finden sich auch in späteren Jahren, nicht zuletzt in den Akten der Landesregierungen. Klemperer, So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, Bd. 1, S. 275.
Ebenda, S. 501.
1. Befehl und
den [kommunalen] Umsiedlungsstäben keine Nachrichten zugegangen sind". Kommunale Berichterstattung erfolgte „nur sehr schleppend und erst nach mehrfacher Erinnerung". Für die übergeordneten Stellen war es „dann beschämend [...], wenn wir uns von der SMA sagen lassen müssen, daß die gepriesene deutsche Verwaltung nicht einmal in der Lage sei, solche Zahlen in einwandfreier Weise zu liefern"109. In dieser Situation setzten sich die höheren deutschen Verwaltungen oft nur in dem Maße durch, wie es den sowjetischen Administrationen derselben Ebene gelang, die eigenen nachgeordneten Kommandostrukturen zu disziplinieren und damit den untergeordneten deutschen Verwaltungen deren „natürlichen" Rückhalt zu entziehen. Das brandenburgische Umsiedleramt hatte bis Ende 1946 mit seinem neuen SMA-Vorgesetzten sehr hilfreiche Erfahrungen gemacht: „Tritt in irgendeinem Kreis eine Schwierigkeit auf, die auf Maßnahmen eines Kommandanten zurückzuführen ist, so schaltet sich der Leiter der Ums.[iedler]-Abt.[eilung] der SMA sofort ein und bereinigt die Angelegenheit zu unseren Gunsten." Während sich in Potsdam die Zusammenarbeit zwischen sowjetischen und deutschen Abteilungsleitern „recht gut" entwickelte, da sich eine gemeinsame Ressortperspektive etablierte, verhielt sich der übergeordnete „Leiter des Kommandanturdienstes" der SMAB zum Bedauern des deutschen Abteilungsleiters weiterhin „in erster Linie als Offizier", der „gegebene Befehle ausführt", statt sich gegenüber der SMAD für die Interessen Brandenburgs einzusetzen „ein Faktor, der für uns in unserer bedrängten Lage von großer Wichtigkeit wäre"110. Die von deutscher Seite nutzbaren Spielräume der regionalen SMA endeten stets dann, dem Sitz der SMAD eindeutige Weisungen ergingen. So wenn aus Karlshorst konnte die sächsische Umsiedlerbehörde im Frühjahr 1946 „auch von Oberstleutnant Wolodin, Chef der Abt. für deutsche Umsiedler bei der SMA f.[ür] d.[as] BLS [i.e. Bundesland Sachsen]", die Zusicherung erhalten, er teile ihre Auffassung in einer strittigen Frage „allerdings mit der Einschränkung, daß, wenn die SMAKarlshorst andere Befehle gibt, dieselben natürlich durchgeführt werden"111. Doch auch Spielräume unter Vorbehalt konnten einige Zeit tragen. Auf allen Politikebenen operierten die deutschen Hilfsverwaltungen anfangs nur mit abgeleiteter Autorität. Sie beriefen sich daher unablässig auf sowjetische Befehle oder auf die Autorität sowjetischer Befehlsgeber. Im Zentralisierungskonflikt zwischen ZVU und Regionalverwaltungen verweigerte das Land Thüringen im November 1945 seine Unterordnung mit dem Argument, daß die Landesabteilung auf Befehl der thüringischen SMA gegründet worden sei und folglich nur von dieser umstrukturiert werden könne112. In einem Machtkampfe, bei dem sich alle deutschen Konfliktparteien hinter ihren vorgesetzten sowjetischen Antwort
geben können,
weil
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Mitgestaltung
uns von
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i°9
"o
111
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BAB, DO 2/36, Bl. 1-22, insb. Bl. 1, LV Thüringen, Protokoll der Dienstbesprechung des Umsiedleramtes Thüringen mit den Bevollmächtigten der Kreise etc. am 8.1. 46, Rede Bieligks. BAB, DO 2/22, Bl. 5 ff., insb. Bl. 17, PV Mark Brandenburg, Abt. Arbeit und Sozialwesen, Amt für deutsche Umsiedler, Jahresbericht 1946,30. 12. 46; das Lob des thüringischen Neubürgeramts-
chefs Kalinke für seinen Mitte 1948 abgelösten SMA-Abteilungsleiter Kapitän Kornjuschko besaß ähnlichen Hintergrund; vgl. ThüHStA, Mdl 3652, Bl. 232-254, insb. Bl. 249f., Protokoll der erweiterten Sitzung der LKfN Thüringen am 11.2. 49, o.D. BAB, DO 2/59, Bl. 175, LV Sachsen, Abt. Umsiedler, Knoch, an ZVU, Tschesno, 15. 5. 46.
BAB, DO 2/1, Bl. 18, LV Thüringen an ZVU, 9.
11. 45.
II. Die Soziologie der Macht
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Dienststellen verschanzten, war für die Umsiedler-Zentralverwaltung die Berufung auf den Gründungsbefehl und die Autorität des „Marschalls" folglich lebenswichtig113. Ihr Problem, diesen Gründungsbefehl überhaupt in schriftlicher Form zu erhalten, verweist dabei auf die immer wieder kollidierenden Unterschiede sowjetischer und deutscher Verwaltungstraditionen114. Das Verhältnis zwischen sowjetischen Militär- und deutschen Zivilverwaltungen blieb zwangsläufig ambivalent. Selbst Altkommunisten wie ZVU-Vizepräsident Michael Tschesno kleideten diese Erfahrung in die Formel, die SMAD sei wie „jede Kontrollbehörde" zweifellos „eine Bürde"115. Belastend wirkte nicht nur die strikte sowjetische Kontrolle, deutsche Beschwerden betrafen auch das langwierige und entscheidungsschwache Verwaltungsverfahren der Sowjets116. Zumindest kommunistische Funktionäre beeilten sich, solche Mónita im selben Atemzuge wieder zu relativieren. Tschesno etwa erklärte die sowjetische „Bürde" einsichtsvoll damit, daß Deutschland sich nun einmal nicht aus eigener Kraft vom NS-Regime habe befreien können. Der ZVU bleibe nur übrig, mit den von der SMAD gewährten (und als zu eng empfundenen) Kompetenzen zu operieren und die eigenen Handlungsspielräume, legitimiert durch gute Arbeitsergebnisse, sukzessive auszuweiten. Diese Strategie akzentuierte der zum Nachfolger des unbotmäßigen Schlaffer bestimmte neue ZVU-Präsident Rudolf Engel (KPD) Ende 1945 noch stärker durch den Hinweis, die sowjetische Besatzungsmacht sei im Begriff, Deutschland politische Selbstverwaltung zu geben, weshalb sich die deutsche Seite dieser Selbstverwaltung auch als fähig erweisen müsse. Statt nur blinden Gehorsam gegenüber SMAD-Weisungen zu üben, müsse man eigenständig mitdenken und mithandeln117. Die Betonung hatte freilich auf dem Miteinander zu liegen, denn offene Renitenz konnte sich, wie der Sturz des ersten ZVU-Präsidenten lehrte, kein deutscher Behördenvertreter erlauben. Grundvoraussetzung für deutsche Gestaltungsspielräume war vielmehr persönliche Geschmeidigkeit im alltäglichen Umgang mit den Sowjets118, die mit dem unerläßlichen Konsens in politischen Grundfragen einherging. Diese Bedingungen verengten die Chance zu erweiterten Handlungsspielräumen tendenziell auf Funktionäre der KPD/SED, wenn es stets auch einige sozialdemokratische oder bürgerliche Exponenten gab, die geschickt genug waren, gute Beziehungen zu möglichst vielen und möglichst einflußreichen sowjetischen Funktionären zu etablieren119. So verdankte sich der "3 114
BAB, DO 2/1, Bl. 7ff., ZVU, Rundschreiben v. 2. 10. 45. Ebenda, Bl. 17, ZVU an SMAD, KDV, 6. 10. 45; deutsche Behörden drängten ihre sowjetischen
Befehlsgeber immer wieder zur Verschriftlichung von Anweisungen, weil dies deutscher Verwaltungstradition entsprach; solche Forderungen kollidierten mit der sowjetischen Militärtradition, in der „das Recht der schriftlichen Befehlserteilung [...] streng reglementiert" war und „nur höheren Führungsebenen" zukam, „während untergeordnete Stellen nur mündlich befehlen durften"; "3 "
3
16 17
'8 19
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BAB, DO 2/85, Bl. 11-16, insb. Bl.
11 f., ZVU, Engel, an ZVAS, „Vorschlag zur Bildung einer Arbeitskommission für Umsiedlerfragen", 18. 2. 46. Vgl. für Westdeutschland: Rogge, Vertreibung und Eingliederung im Spiegel des Rechts, S. 197. Der SMAD-Befehl vom 15. 4. 47 gab der ZVÜ die gewünschten Kompetenzen; vgl. BAB, DO 2/ 17, Bl. 49 ff., ZVU, Abt. BPuA, Arbeitsbericht für April 1947, 6. 5. 47; Donth, Vertriebene und
Flüchtlinge in Sachsen, S. 107. Vgl. bereits Just, Integration, S. 163 f. Sämtliche Angaben gemäß BAB, DO 2/3.
BAB, DO 2/1, Bl. 70«., ZVU, Abt. BPuA, Chwalczyk, an DVAS, Matern, 8. 4. 47.
Mayntz, Politische Steuerung, S. 164. Vgl. hierzu Wambach, Verbändestaat und Parteienoligopol.
2. Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
163
einzig durch sowjetische Interventionsrechte beeinab trächtigt die SED-Führung 1948/49 jenes politische Machtmonopol, das den dortigen Umsiedlerfunktionären den erforderlichen Rückhalt gewähren oder entziehen konnte. Wie auch immer Politik und Verwaltungen sich verhielten stets bedeutete ihr Verhalten eine Parteinahme in jenen heftigen gesellschaftlichen Gruppenkonflikten, die sich am Vertriebenenproblem entzündeten. In sämtlichen Besatzungspolitiken mußte das assimilationspolitische Ziel, Vertriebene in der Aufnahmebevölkerung rasch „aufgehen" zu lassen und unkenntlich zu machen, um damit insbesondere das Revisionismusproblem im Sinne der Sieger des Zweiten Weltkrieges zu lösen, mit dem sozialpolitischen Ziel in Widerstreit geraten, das zur Durchsetzung größerer Verteilungs- oder Chancengerechtigkeit eine deutliche Herausstellung besonderer Vertriebenennotlagen und -interessen bedingte. Es ist gezeigt worden, daß die assimilationspolitischen Kernziele der US-Militärregierung eine allzu starke Herausstellung von Sonderinteressen der „Neubürger" bis 1949 nicht gestatteten23. Dies galt, nachdem in der SBZ 1947 kurzfristig anders verfahren worden war, 1948/49 auch für die sowjetische Besatzungspolitik, die Sonderinteressen der Vertriebenen strikt zu negieren und Sonderinstitutionen abzubauen versuchte, obschon diese „negative Vertriebenenpolitik"24 zunächst noch „nicht durchgestanden werden" konnte25. Inwiefern das Schwanken zwischen Vertriebenenpolitik, ihrer Verdrängung und neuerlicher Vertriebenenpolitik in der SBZ und frühen DDR mit übergeordneten Auseinandersetzungen um den Grad an „Volksdemokratisierung" zu tun hatte, die gleichzeitig zwischen Mai zwischen sowjetisch-einheitssozialistischen Führungs1948 und Jahresende wurden und mit dem vermutlich von Stalin gefällten Machtgruppen ausgetragen wort endeten, „den Status quo in der SBZ vorerst beizubehalten"26, ist schwer zu klären, doch eine zeitliche Koinzidenz dieser Wellenbewegungen ist unverkennbar. In der Vertriebenenfrage folgte auf den radikalen Kurswechsel des Frühjahrs 1948 mit seiner Abschaffung der Sonderverwaltung und möglichst auch der von ihr betriebenen Sonderpolitik gegen Jahresende 1948 ein prekärer Kompromiß, der eine politische „Weiterführung des Assimilationsprozesses" der Vertriebenen zusagte, diese jedoch an die SED-Zentrale und den regulären Staatsapparat band statt an Sonderverwaltungen band. Die im vollen Gange befindliche Abschaffung der besonderen Umsiedlerverwaltungen wurde daher nicht zurückgenommen. Während nach der doppelten deutschen Staatsgründung von 1949 die inhaltliche Systemkonkurrenz auf dem Felde der Vertriebenen-Integrationspolitik noch eine Zeitlang weiterlief und auf eine (wenn auch schwächer werdende) gesamtdeutsche Verflechtung verweist, waren in institutionell-administrativer Hinsicht bereits seit 1948/49 die Weichen auf deutsch-deutsche Abgrenzung gestellt. Die grundleDDR hingegen sicherte sich
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gende Dialektik von „Verflechtung und Abgrenzung" (Ch. Kleßmann) bestimmte
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Schraut, Die westlichen Besatzungsmächte, S. 40. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 230. Hoffmann / Wille / Meinicke, Flüchtlinge und Vertriebene, S. 25.
Zu dieser Parallele: Scherstjanoi, Die deutschlandpolitischen Absichten der UdSSR 1948, S. 47 und S. 51.
II. Die
164
Soziologie der Macht
somit auch das Verhältnis konkurrierender Vertriebenenpolitiken in der Bundesrepublik und in der SBZ/DDR.
Verflechtung und Abgrenzung: Gesamtdeutsche Entwicklungstendenzen von Flüchtlingspolitik und Flüchtlingsbürokratien Vergleicht man die Parallelentwicklung der vertriebenenspezifischen Subsysteme in den westlichen Besatzungszonen und in der SBZ, so fällt als frühzeitiger Unterschied der Grad an Verrechtlichung ins Auge. In Westdeutschland ist alsbald eine Fortentwicklung der ursprünglichen Kommissariatsverwaltung zur verrechtlichten Exekutive zu beobachten27. Operierten die kommissarisch eingesetzten Flüchtlingsverwalter anfangs auf typisch maßnahmenstaatliche Weise, gesichert durch den Rückhalt ihrer Besatzungsoffiziere und eine relativ freie Auslegung reichsdeutschen Rechts28, so erfolgte seit Ende 1946 im Zuge der Bildung demokratisch legitimierter Landesregierungen eine zunehmende Rechtsbindung des Sonderverwaltungshandelns durch eine eigens geschaffene Sondergesetzgebung. Diese Tendenz zur Verrechtlichung von Flüchtlingspolitik, wie sie insbesondere in den „Flüchtlingsgesetzen" der Bizone 1947/48 zum Ausdruck kam, läßt sich für den Zeitraum von 1946/47 zunächst auch in der SBZ feststellen; dort preschten die Landesgesetzgeber in Thüringen und Sachsen-Anhalt vor, doch hätten nach den Vorstellungen der SED-Führung parallele Gesetzgebungsakte zu einer zonenweiten Rechtsvereinheitlichung führen sollen29. Diese sowjetzonale Umsiedlergesetzgebung wurde jedoch Mitte 1947 abrupt abgebrochen. Daß SED und SMAD „strikt gegen eine Verrechtlichung des Flüchtlingsstatus" gewesen seien30, läßt sich dennoch nicht behaupten. Eine klare Divergenz der West-Ost-Entwicklung schon für 1947/48 anzusetzen31, erscheint nicht nur deshalb verfrüht, weil die Flüchtlingsgesetzgebung der Westzonen bis 1949 ebenfalls nicht geradlinig verlief, 2.1.
sondern insbesondere, weil sich 1949/50 eine zweite deutsch-deutsche Hochkon-
junktur in der Vertriebenen-Gesetzgebung einstellte, deren Synchronität auf die fortbestehende Verflechtung west-östlicher Politikentwicklung verweist. Nachdem im August 1949 in den Westzonen das „Soforthilfegesetz" für Vertriebene und andere Kriegsfolgengeschädigte in Kraft getreten war, zog die DDR im September 1950 mit dem (freilich allein auf Vertriebene bezogenen) „Umsiedlergesetz" nach. Erst in der dritten Phase deutscher Vertriebenengesetzgebung, die in der Bundesrepublik 1952/53 zum Lastenausgleichsgesetz (LAG) und zum Bundesvertriebenen- und -flüchtlingsgesetz (BVFG) führte, klinkte sich die DDRPolitik gänzlich aus und ließ die bisher zwischen Verflechtung und Abgrenzung oszillierende deutsch-deutsche Vertriebenenpolitik in eindeutige Abgrenzung übergehen.
27 28
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Rogge, Vertreibung und Eingliederung im Spiegel des Rechts, S. 217f. Middelmann, Entstehung und Aufgaben der Flüchtlingsverwaltung, S. 281. Vgl. zur Gartenlandgesetzgebung und Hausratgesetzgebung ausführlich Kapitel III. Vgl. diese Lesart bei Messerschmidt, Die Flüchtlingsfrage als Verwaltungsproblem, S. 170. Ebenda, S.
185.
2. Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
165
Vertriebenenpolitische Verrechtlichungstendenzen waren in der SBZ/DDR im Nachkriegsjahrzehnt folglich durchaus vorhanden, im Unterschied zum Westen jedoch nicht von Dauer. Schon bevor der SED-Staat 1952/53 endgültig aus dieser Politikkonkurrenz ausstieg, hatte er sich einer dauerhaften Rechtsbindung seiner Vertriebenenförderung entzogen. In beiden deutschen Nachkriegsstaaten bewirkte somit das Vertriebenenproblem über das Politikfeld der Vertriebenenpolitik neue Sichten auf Ziele und Reichweite von Sozialpolitik, die sich zu tendenziell gesamtgesellschaftlichen Steuerungsszenarien weitete. Doch allein in der Bundesrepublik wurde Vertriebenengesetzgebung zum langfristig wirksamen ersten
„Schrittmacher" eines expansiven „sozialen Rechtsstaats", indem sie ein neues Sondergebiet der Sozialpolitik konstituierte, das „den Charakter einer über die Fürsorge im Elend hinausgehenden Daseinsvorsorge für einen Großteil der Bevölkerung annahm"32. Daß die Parallelentwicklung der SBZ/DDR ersatzlos abgebrochen werden konnte, wirft nicht nur ein bezeichnendes Licht auf die SEDspezifischen Probleme mit „Sozialpolitik" im allgemeinen33 und „Umsiedlerpolitik" im besonderen34, sondern auch auf die in der DDR konstitutive politische Disponibilität des Rechts, das einen längerfristigen „Vertrauensschutz" nicht entstehen ließ35. Anders als das Soforthilfegesetz Westdeutschlands, das mit dem Anschlußprojekt des Lastenausgleichs über sich selbst hinauswies, blieb das konkurrierende DDR-Umsiedlergesetz eine eng befristete Ad-hoc-Maßnahme ohne derartigen Zeithorizont. Ein zweites Differenzkriterium bietet die administrative Organisationsstruktur der Flüchtlings- bzw. Umsiedlerverwaltungen. Diese waren zunächst in sämtlichen Zonen ähnlich. Es hat sich eingebürgert, die entsprechenden Strukturen als „Sonderverwaltung" zu qualifizieren35, doch obgleich das massenhafte Kriegsfolgenproblem eine gleichgerichtete Ausdifferenzierung „der klientenorientierten Flüchtlingssonderverwaltung in Ost und West"37 bewirkte, war eine Sonderverwaltungsstruktur doch nirgends in Reinkultur vorhanden. Statt dessen haben wir es wie bereits angedeutet in beiden entstehenden politischen Systemen mit einem kompliziert gemischten System zu tun, dessen Sonderverwaltungselemente tendenziell rasch wieder abgebaut wurden. Dieses Mischsystem aus Sonder- und Regelverwaltungsstrukturen wurde durch die in ganz Deutschland noch bestehende föderale Struktur zusätzlich kompliziert. Lediglich auf der Zentralebene des jeweiligen politischen Systems in der SBZ zwischen 1945 und 1948 mit der „Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler" (ZVU), in der Bundesrepublik zwi-
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schen 1949 und 1969 mit dem „Bundesministerium für Vertriebene" (BMVt)38 existierten ausgeprägte, aber institutionell relativ schwache Sonderverwaltungs-
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32 33 34 33
36 37 38
Rogge, Vertreibung und Eingliederung im Spiegel des Rechts, S. 225.
Vgl. grundlegend: Hockerts, Soziale Errungenschaften?, S. 790-792. Vgl. Schwartz, Umsiedlerpolitik in der Krise? Ähnlich wie der Begriff der „Sozialpolitik" wurde in den fünfziger Jahren auch der des „Rechtsstaates" von der SED-Politik als bürgerliches Relikt stigmatisiert, um erst in den sechziger Jahren für sozialistische Politik wieder aufbereitet zu werden; vgl. Brunner, Das Rechtsverständnis der SED, S. 296. Vgl. zuletzt Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 149. Messerschmidt, Die Flüchtlingsfrage als Verwaltungsproblem, S. 167. Zwischen 1949 und 1953 als „Bundesministerium für Angelegenheiten der Vertriebenen", seitdem als „Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte".
II. Die
166
Soziologie der Macht
Strukturen39, während sich die Situation auf den Länder- und Kommunalebenen weit unübersichtlicher darstellte und eher zur Beibehaltung von Regelverwaltungsstrukturen mit allenfalls untergeordneten Ausdifferenzierungen besonderer Flüchtlings- oder Umsiedlerabteilungen tendierte. Bevor man vorschnelle Ost-West-Unterschiede beschwört, muß man sich vergegenwärtigen, daß die Entwicklung in den drei Westzonen keineswegs einheitlich verlief. Das war nicht einmal innerhalb jeder Zone der Fall40. In der Britischen Zone verblieben die Flüchtlingsangelegenheiten längere Zeit in der Direktzuständigkeit der Militärregierung; erst Mitte 1946 wurde ein Flüchtlingsausschuß beim deutschen Zonenbeirat zugelassen, und deutsche Flüchtlingsverwaltungen entstanden auf Länderebene nicht vor September 1946. Auch deren Entwicklung verlief unterschiedlich. Im Industriezentrum Nordrhein-Westfalen firmierte das Landesflüchtlingsamt von Anfang an als Abteilung des Sozialministeriums, eine eigenständige Sonderverwaltung hat dort nie existiert. In den stark von Flüchtlingen besiedelten Flächenstaaten Niedersachsen und Schleswig-Holstein hingegen entstanden mit eigenen Flüchtlings-Ministerien vollwertige Sonderressorts41. In der US-Zone und teilweise (im Lande Württemberg-Hohenzollern) auch in der französischen Zone wiederum waren die Flüchtlingsangelegenheiten von der Besatzungsmacht als Auftragsangelegenheit rasch an die neugeschaffenen deutschen Landesregierungen delegiert worden42. Die in den amerikanisch besetzten Flächenländern Hessen, Bayern und Württemberg-Baden bereits im Herbst 1945 ernannten Staatskommissare für das Flüchtlingswesen wußten sich dabei ein „weit größeres Mitspracherecht und eine größere Eigenverantwortlichkeit deutscher Stellen" zu sichern als ihre Pendants „in den anderen Zonen" Westdeutschlands43. Die drei Staatskommissare bildeten 1946 einen Flüchtlingsausschuß beim zonalen Länderrat, der Beratungen über Eingliederungs- und Gleichstellungsfragen begann, um das Flüchtlingsproblem nicht länger nur als Teilbereich der Sozialfürsorge erscheinen zu lassen. Diese Beratungen des US-Länderrats brachten die erwähnte, beispielgebende Flüchtlingsgesetzgebung des Jahres 1947 hervor. Doch unmittelbar darauf setzte 1947/48 in der US-Zone ein gezielter Wieder-Abbau der 39
Die ZVU
40
Beer, Symbolische Politik?, S. 299.
41
begann im Herbst 1945 mit 62 Planstellen, um im Frühjahr 1947 auf 113 anzuschwellen und Mitte 1948 als nunmehrige DVdl-Hauptabteilung auf 54 abzusinken; vgl. BAB, DO 2/3; das BMVt begann 1949 mit 42 Beamtenstellen, die bis 1963 auf etwa 100 anstiegen, während die Gesamtzahl der Mitarbeiter bei 700 lag; vgl. Beer, Symbolische Politik?, S. 309. In Niedersachsen wurde das im November 1946 gebildete Staatskommissariat für Flüchtlingswesen Mitte 1948 in ein Flüchtlings-Ministerium umgewandelt, das seit Herbst 1950 als Vertriebenenministerium bezeichnet wurde; in Schleswig-Holstein, wo Mitte 1947 ähnlich NordrheinWestfalen ein Landesbeauftragter für das Flüchtlingswesen im Wohlfahrtsministerium installiert worden war, kam es im November 1947 ebenfalls zur Einrichtung eines eigenständigen Ressorts „für Umsiedlung und Wiederaufbau", das jedoch im März 1949 in ein reguläres Sozialministerium umgewandelt wurde, um ab September 1950 nach Regierungsbeteiligung der Vertriebenenpartei BHE als „Ministerium für Arbeit, Soziales und Vertriebene" die Sonderaufgabe wieder deutlicher zu betonen; vgl. Middelmann, Entstehung und Aufgaben der Flüchtlingsverwaltung, S. 282290. In der französischen Zone sollten Flüchtlingsverwaltungen eher dem Ziel einer rigorosen Abdienen, das erst 1949 aufgegeben wurde; Kühne, Abschottung und Assimilation, schottungspolitik S. 193 ff. Middelmann, Entstehung und Aufgaben der Flüchtlingsverwaltung, S. 287; Parisius, Flüchtlingsverwaltung in der britischen und amerikanischen Besatzungszone, S. 258-260. -
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42
43
2. Institutionenwandel
und Netzwerk-Kontinuität
167
Sonderverwaltungen ein. Dies kann nur überraschen, wenn man die Funktion der US-zonalen Flüchtlingsgesetze übersieht, die Kompetenzen der Flüchtlings-Sonderverwalttingen möglichst „erfolgreich zu blockieren"44. Ausgerechnet die Verrechtlichung der Flüchtlingspolitik wurde zum Hebel der Verdrängung der Sonderverwaltungen durch die Regelverwaltungen. Die formelle Einverleibung der ersteren durch bestimmte reguläre Ressorts war die logische Folge. Zwar hatten sich die Sonderverwaltungen, gemessen an ihrem Arbeitsauftrag, durchaus „bewährt", doch gerade deswegen waren sie „in Konflikt zur einheimischen Bevölkerung und im besonderen zur Kommunalverwaltung geraten", was „besonders von den bürgerlichen Parteien" aufgrund der dadurch drohenden Umverteilungspolitik als „ernsthaftes Problem" begriffen wurde. Die an Mehrheitsinteressen ausgerichtete Problemlösung ließ nicht lange auf sich warten und bewirkte, „daß bis zum Jahre 1948 fast sämtliche Ansätze des kommissarischen Flüchtlingsdienstes aufgelöst oder in die innere Landesverwaltung eingebaut wurden"45. Noch bevor die Ausführungsbestimmungen zum Flüchtlingsgesetz veröffentlicht worden waren, begann man in der württembergisch-badischen Regierung darüber nachzudenken, wie man sich „der unbequemen Sonderverwaltung entledigen könne"46. In Hessen wurde bereits Anfang 1947 das Staatskommissariat für Flüchtlinge als Landesamt dem Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt inkorporiert47, bevor es Ende 1949 ins Innenministerium verlagert wurde48. In Bayern verlief diese Integration umgekehrt: Dort wurde im Oktober 1948 die Sonderbehörde des Staatskommissars als Staatssekretariat in das Innenministerium überführt,
um
1955 als
untergeordnete Abteilung im Ministerium für Arbeit und soziale Fürsorge zu ver-
schwinden49. Eine am Beispiel Bayerns erarbeitete Pionierstudie über regionale „Flüchtlingspolitik" hat den engen Zusammenhang zwischen organisationsstruktureller Entwicklung und gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz des Politikfeldes herausgearbeitet. Demnach hat es das „Flüchtlingsproblem" trotz seiner quantitativen Dimension sehr „schwer" gehabt, „auch tatsächlich als .Problem', das will heißen: als ein eine umfassende Behandlung und Erledigung fordernder Aufgabenkomplex Eingang in das Bewußtsein der bayerischen Regierungsverantwortlichen zu finden". Wenn für Konstituierung und Gestaltung von „Flüchtlingspolitik" die „Problemperzeption in Regierung und Verwaltung" entscheidend gewesen ist50, kam diese Problemperzeption im politischen System des Landes Bayern nur widerwillig, mit einer „zwar nicht unbedingt flüchtlingsfeindlichen, aber ratlosabwehrenden Einstellung" zustande, die Flüchtlingspolitik auf bloße Not-„Fürsorge" reduzierte. Während die bayerische Flüchtlingsverwaltung „zusehends in die unbequeme Position einer Alibi-Institution" geriet, der „de facto die ganze 44 45 « 47
« 49
30
Schraut, Flüchtlingsaufnahme in Württemberg-Baden, S. 107. Messerschmidt, Die Flüchtlingsfrage als Verwaltungsproblem, S. 183 f. Ebenda, S. 113. Messerschmidt, Aufnahme und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Hessen, S. 127f. Ebenda, S. 254 f. An dieser Umressortierung hatte der Zufall Anteil, daß Flüchtlings-Staatssekretär Walter Stein 1954 zum neuen bayerischen Arbeitsminister berufen wurde; vgl. Wolff, Zwischen Elend, Politik und allen Stühlen, S. 15 und S. 19. Bauer, Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Bayern, S. 239.
II. Die
168
Soziologie der Macht
Verantwortung für die Betreuung der Flüchtlinge [...] aufgebürdet" wurde, beobachtete man „bei den etablierten Ministerien" trotz ihrer Mitwirkung an „Flücht-
lingspolitik" eine Tendenz zur „Distanzierung von der Flüchtlingsproblematik", die so weit gehen konnte, „daß sie sich schließlich als Sachwalter der Einheimischen gegen die Forderungen der Flüchtlinge und der Flüchtlingsverwaltung verstanden und gerierten". Die daraus resultierende „Desintegration" zwischen Flüchtlings- und allgemeiner Politik wird allerdings nicht nur auf diese „Isolation" der Sonderverwaltung zurückgeführt, sondern zugleich auf deren ausgeprägten „Ressortexpansionismus", der zwangsläufig „bei der regulären Verwaltung wieder für Mißtrauen und Mißfallen sorgte". Da auch der übergeordneten US-Militärregierung eine „übergreifende[] Konzeption" in der Flüchtlingspolitik gefehlt habe, sei von dort kein Impuls zur Koordinierung von Flüchtlingspolitik und allgemeiner Landespolitik ausgegangen51. Diese Beobachtungen mündeten in die Schlußfolgerung, daß zwischen 1945 und 1950 eine bayerische Flüchtlingspolitik „im Sinne eines konsistent durchformulierten Programms zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems" gar nicht existiert habe. Darum müsse man „Flüchtlingspolitik" als „die Vielfalt der rechtlichen Regelungen, der politischen Entscheidungen (und bewußten Unterlassungen) und der administrativen Maßnahmen" verstehen, „die auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems in der Auseinandersetzung mit dem Flüchtlingsproblem in Erscheinung traten". Eine derart pragmatisch definierte „Flüchtlingspolitik" dürfe sich nicht nur auf „die positiven Lösungsansätze" einer Regierung oder Verwaltung beschränken, sondern müsse auch die hintergründigen „Haltungen und Einstellungen der politikgestaltenden Organe zum Flüchtlingsproblem" und die Partizipationschancen der Betroffenen selbst thematisieren52 also „Flüchtlingspolitik" nicht zuletzt „als Politik der Flüchtlinge" begreifen53. Im Ergebnis erscheint „Flüchtlingspolitik" als Produkt widerstreitender, politisch zur Geltung gebrachter gesellschaftlicher Gruppeninteressen. Daraus erklärt sich die seit 1946/47 wachsende „neue und eigenartige Tendenz" der bayerischen Landespolitik, „den mühseligen Prozeß der Eingliederung gleichsam überspringend" eine rückhaltlose „Assimilation der Flüchtlinge" zu behaupten und „gewissermaßen per Dekret" unverzüglich „herbeizwingen" zu wollen. Von allen Parteien von der KPD bis zur CSU sei einmütig gefordert worden, der Flüchtlingsbegriff müsse so rasch wie möglich wieder verschwinden. Diese forcierte Assimilationspolitik erscheint als ambivalent: Sie habe durchaus positive Effekte beim Abbau rechtlicher Diskriminierungen zeitigen können, doch letztlich habe bei dieser „evasiven Problemausblendung" die Gefahr überwogen, „in eine neuerliche, vielleicht weniger offen zutage liegende Diskriminierung umzuschlagen", „mit dem Begriff .Flüchtling' auch das Problem zu leugnen" und „die solchermaßen zu .Neubürgern' oder .Vollbürgern' nur Um-Etikettierten in ihrer unveränderten wirtschaftlichen und sozialen Randlage sich selbst zu überlassen"54. -
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si
32 33 34
Ebenda, S. 243 und S. 245-247. Ebenda, S. 239. Ebenda, S. 251. Ebenda, S. 322 f.
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
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Fallbeispiel Bayerns erarbeitete Befund, dass eine 1945 aufgrund einer vorbehaltlos akzeptierten „Fürsorgepflicht des Staates" für die dorthin Vertriebenen begonnene Flüchtlingspolitik sehr bald von einer negativen Grundhaltung überlagert worden sei, welche im „Spannungsfeld aus Reserviertheit und Distanz, Der
am
Unwillen über die Störung der Rekonstruktions- und Aufbauarbeit durch diese von außen auferlegte Bürde sowie einer tiefen Skepsis hinsichtlich der Lösbarkeit des Problems überhaupt" gründete55, scheint für den Zeitraum bis 1950 für die gesamtdeutsche Entwicklung verallgemeinerbar zu sein. In Schleswig-Holstein, der (knapp vor Mecklenburg-Vorpommern rangierenden) gesamtdeutschen Aufnahmeregion mit der höchsten Vertriebenenquote, stürzte 1947 die Empörung der einheimischen Bevölkerung den (selbst vertriebenen) Volkswohlfahrtsminister Dr. Franz Ryba (CDU), der es gewagt hatte, ein „Flüchtlingsgesetz" vorzulegen. Hintergrund waren wachsende Befürchtungen der nur noch knappen einheimischen Bevölkerungsmehrheit, daß die Einrichtung besonderer Flüchtlingsverwaltungen unweigerlich zur „Flüchtlingsherrschaft" führen müsse56. Bevor in der Bundesrepublik 1952/53 die erwähnte dritte Phase der Vertriebenengesetzgebung für langfristige rechtliche und sozialpolitische Weichenstellungen sorgte, war dort ein weitreichender, wenn nicht völliger Verzicht auf solche Gruppenförderung keineswegs ausgeschlossen. Berücksichtigt man diese greifbare westdeutsche Versuchung zur „evasiven Problemausblendung", so ist die ab 1948 im sowjetischen Machtbereich ersichtliche „Tendenz, das Vertriebenenproblem zu unterdrücken, statt es zu lösen", keineswegs als Spezifikum stalinistischer Diktaturen zu deuten57. Der gesamtdeutsche Vergleich vermag vorschnelle totalitarismustheoretische Erklärungsansätze zu relativieren, indem er an systemübergreifende gesellschaftliche Konfliktlagen und Gruppeninteressen erinnert. Ostzonen- und diktaturspezifisch war allerdings, daß sich die „evasiven" Tendenzen in der SBZ/DDR in den fünfziger Jahren dauerhaft durchsetzten, während die Entwicklung in Westdeutschland letztlich anders verlief. Entscheidend für diesen Unterschied war letztlich, daß das demokratisch-pluralistische Politiksystem Westdeutschlands die Selbstorganisation von Vertriebenen-Interessen in Parteien und Verbänden gestattete und damit zeitweilig eine gewichtige politische Partizipation dieser organisierten Gruppeninteressen erzeugte, welche die dort gegebenen Tendenzen zur Ausblendung von Vertriebenenpolitik erfolgreich konterkarierte. Zunehmend „evasiv" wurde die Politik der Bundesrepublik erst wieder, als organisierte Vertriebeneninteressen seit Mitte der fünfziger Jahre an Bedeutung verloren, doch fortan verhinderten unterdessen eingegangene Rechtsbindungen eine Beseitigung des sozialpolitischen Handlungsfeldes, das freilich nicht weiter ausgebaut bzw. allmählich zurückgebaut wurde. Eine vergleichbare selbstorganisierte Basis von Vertriebenen-Interessenpolitik konnte sich im politischen System der SBZ/DDR ebensowenig entwickeln wie die für Politikfeld-Kontinuität wichtige Unantastbarkeit rechtlich kodifizierter sozialer Anrechte. 33 36 37
Ebenda, S. 386. Parisius, Flüchtlingsverwaltung in der britischen und amerikanischen Besatzungszone, S. 260. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 252 f., stellt diese „negative Vertriebenenpolitik" ausschließlich in den
„Stalinisierungs"-Kontext.
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Soziologie der Macht
eingangs der Mischcharakter des politisch-administrativen Systems bei der Vertriebenenbetreuung als wesentliches gesamtdeutsches KonvergenzphänoWenn
benannt worden ist, interessiert dabei nicht nur die horizontale Relation zwischen Sonderverwaltungen und Regelressorts. Noch deutlicher wird der Mischcharakter in vertikaler Richtung: Sowohl die zwischen 1945 und 1948 existierende zentrale Sonderverwaltung der SBZ als auch ihre späteren westdeutschen Pendants in Bizone und Bundesrepublik verfügten über keine nachgeordneten Behördenstränge, sondern waren auf bestimmte Apparate der Landes- und Kommunalebenen als Auftragsverwaltungen angewiesen. In der SBZ waren die ursprünglichen Sonderverwaltungen der Länder und Provinzen gegen Jahresende 1945 der Direktunterstellung unter die Umsiedler-Zentralverwaltung entgangen, um mit Bildung der Landesregierungen Ende 1946 allerdings in reguläre Fachministerien zumeist in die Arbeits- und Sozialministerien, in Thüringen in das Innenministerium integriert zu werden58. Eine ähnliche Tendenz zur Integration und Subordination regionaler Sonderverwaltungen in reguläre Länderressorts läßt sich in Westdeutschland beobachten, wo allerdings im Unterschied zur SBZ auch gegenläufige Entwicklungen durch Bildung besonderer Nertriebenenministerien (insbesondere in der Britischen Zone) möglich blieben. Am schwächsten ausdifferenziert war in allen Zonen eine Sonderverwaltungsstruktur auf kommunaler Ebene, obgleich sie gerade dort am wichtigsten gewesen wäre, konzentrierte sich vor Ort doch „die gesamte Last der Aufgabenerfüllung"59. men
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Die ursprünglich gesamtdeutsche Konvergenz gemischter Verwaltungsstruktuwurde 1948/49 durch abrupte Zäsuren in der SBZ dauerhaft beendet. Während das vertriebenenpolitische System der Bundesrepublik seinen gemischten, in der Ressortzuordnung geradezu buntscheckigen Charakter beibehielt und durch Gründung eines zentralen Vertriebenenressorts 1949 sogar noch steigerte, war in der SBZ kurz zuvor eine straffe Zentralisierung und Verwaltungsvereinheitlichung erfolgt. Die Mitte 1948 durchgesetzte Abschaffung der zentralen Sonderverwaltung ZVU, die fortan zunächst als „Hauptabteilung", später als einfache „Abteilung Umsiedler" in der zonalen Innenverwaltung (DVdl) ressortierte, bevor sie im Herbst 1949 endgültig abgeschafft und von einer Anfang 1949 geschaffenen „Abteilung Bevölkerungspolitik" im Innenressort beerbt wurde, leitete diesen grundlegenden Strukturwandel ein. Komplettiert wurde dieser durch die im ersten Quartal 1949 erfolgende Umstrukturierung der Landesumsiedlerbehörden, die nicht nur generell in die Innenministerien überführt wurden, sondern ebenfalls das uniforme neue Gesicht „bevölkerungspolitischer" Abteilungen erhalten sollten, welche die vertriebenenspezifische Klientelperspektive zugunsten einer Orientierung an der Ges^wibevölkerung hätten aufgeben sollen. An Stelle des bisherigen institutionellen Mischsystems trat somit zwischen Mitte 1948 und Endel949 in der SBZ/DDR eine straffe, von zentralen Weisungen abhängige Verwaltungsstruktur innerhalb der Innenministerien, womit im sowjetischen Machtbereich ein Grad an Zentralisierung und Uniformität der Vertriebenenbürokratien erreicht worden war, wie er in der föderal strukturierten Bundesrepublik niemals möglich wurde. ren
38 39
Vgl. ausführlich Schwanz, Zwischen Zusammenbruch und Stalinisierung, S. 60-67. Messerschmidt, Die Flüchtlingsfrage als Verwaltungsproblem, S. 182.
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Dort fuhr man fort, auf Länderebene zwischen der Errichtung von Sonderressorts
und deren
Integration in stärkere, freilich auch andere Arbeitsperspektiven pflegende Regelressorts zu changieren. Dort erbte das 1949 neugeschaffene Bundesvertriebenenministerium alle Stärken und Schwächen früherer Sonderverwal-
die Stärke einer ausgeprägten Klientenperspektive und die Schwäche mangelnder Durchsetzungskraft. Als man dieses Sonderressort 1969 auf Bundesebene schließlich aufgab, wählte man übrigens den Weg der Integration in das Innenministerium als der einflußreichsten Regelbürokratie der politischen Zentrale, den die SBZ/DDR bereits zwei Jahrzehnte zuvor beschritten hatte. Diese späte formelle Analogie war freilich die einzige Gemeinsamkeit zwischen Bundesrepublik und DDR. Noch schwerer als die erhebliche zeitliche Differenz ihrer Umsetzung wog der Unterschied, daß sich in der SBZ seit 1948 der zentrale SED-Parteiapparat als oberstes Entscheidungsgremium über sämtliche Staatsverwaltungen gesetzt hatte, wobei diese „Auftragsdelegation" an die ,,mediatisierte[] SED" unter sowjetischem „Kontrollvorbehalt" blieb60. In Westdeutschland hingegen, wo der ursprüngliche Besatzungsabsolutismus rasch abgebaut wurde61, ging die ohnehin plurale, nämlich dreifache „Herrschaft der Sieger"62 nicht in ein solches deutsches Parteienmonopol über, sondern in parteipolitischen Pluralismus, der über föderale Mitwirkungsrechte und die Chance der Neugründung von Protestparteien die politische Monopolstellung einer einzigen Partei systematisch ausschloß. Das entstehende bundesrepublikanische Netzwerk der Vertriebenenpolitik bestehend aus Ministern und Ministerialbeamten, aus gewählten Parlamentariern und aus Vertretern selbstorganisierter Interessenverbände wies in parteipolitischer Hinsicht recht unterschiedliche Couleurs auf. Durch diesen in der Frühzeit der Bundesrepublik besonders ausgeprägten Pluralismus wurde die dortige Vertriebenenpolitik zu einem wichtigen Lernort demokratischer politischer Kultur, die inhaltlich auf Kompromissen und formal auf dazu tungen
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erforderlichen Methoden der Einflußnahme, des Aushandelns und der MehrheitsEntscheidung basierte63. Somit läßt sich seit 1948/49 im Bereich der Vertriebenenpolitik eine grundlegende west-östliche Systemdifferenz zwischen Demokratie und Diktatur feststellen, ein Unterschied, der sich 1952/53 zur inhaltlichen Politikdifferenz verdichtete. Aus anfänglich graduellen Differenzen wurde durch diese sich rasch ausprägende Systemdifferenz der prinzipielle Unterschied zwischen Politik und Nicht-Politik. Bei alledem bedurfte die inhaltliche Kontinuitätssicherung in der Vertriebenenpolitik nicht zwangsläufig einer Sonderverwaltungsstruktur. Die 1969 erfolgte Abschaffung des Vertriebenenministeriums in der Bundesrepublik bedeutete nicht, daß die politische Sonderaufgabe der Vertriebenenpolitik seither nicht mehr wahrgenommen worden wäre64. Ähnlich fielen in der SBZ/DDR die Abschaffung der Sonderverwaltung und der Umsiedlerpolitik zeitlich keineswegs zusammen. 60 6'
62
63 «
Vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 428. Dieser wurde ohnehin durch die Mitarbeit deutscher Verwaltungsexperten und die Tendenz zur „indirect rule" begrenzt; vgl. Birke, Nation ohne Haus, S. 57. Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 24. Vgl. Holtmann, Politische Interessenvertretung von Vertriebenen. BStU, ZA, MfS HA XX ZMA Nr. 663, MfS DDR, HVA, Abt. II, „Objektauskunft zum revanchistischen Dachverband Bund der Vertriebenen [...]", 1. 7. 89, S. 91.
II. Die
172
Soziologie der Macht
Bewertung eines Abbaus von Sonderverwaltungsstrukturen ist stets entscheidend, ob dies „für die Klientel im Zweifel günstig war", weil dieser Abbau deren „Eingliederung beförderte", oder ob er die weitere Integration der Klientel hemmte. Sonderverwaltungen ist gegenüber Regelverwaltungen der Vorzug attestiert worden, „örtlichen Einflüssen weniger zugänglich" gewesen zu sein, also den Interessen der einheimischen Mehrheitsbevölkerung weniger Rechnung geFür die
tragen
zu
haben. Insofern bedeutete die
Auflösung
einer
Sonderverwaltung
im
Umkehrschluß, „örtlichen Einflüssen und Machtverhältnissen" der eingesessenen
klar entgegenzukommen. Die Schlußfolgerung kann nur lauten: „Je später das geschah, desto nützlicher für die Flüchtlinge."65 Aus dieser Sicht muß der administrative Einschnitt der Jahre 1948/49, wie er insbesondere in der SBZ, aber auch in einigen westdeutschen Ländern erfolgte, aus interessenpolitischer Sicht der Vertriebenen als reichlich verfrüht angesehen werden. „Das Ende der ZVU" ist daher „in seiner Bedeutung als Zäsur" zwar „nicht zu unterschätzen"66, doch überschätzt werden sollte es ebenfalls nicht. Die bisher in der Forschung dominierende Konzentration auf Vertriebenen-Sonderverwaltungen hat bedauerlicherweise die Tendenz gefördert, die Untersuchungen fast automatisch mit deren Abschaffung und dem daraus folgenden Ende ihrer Aktenüberlieferung abzuschließen. Dadurch wurde übersehen oder zumindest unterschätzt, daß die in den Innenressorts der SBZ/DDR etablierten Nachfolgebehörden der Umsiedlerverwaltungen an der eingeübten Klientenorientierung noch längere Zeit festhielten, was nicht zuletzt damit zusammenhing, daß die neuen Behörden mit dem Großteil des bisherigen Personals der Umsiedlerbürokratien weiterarbeiteten. Die wissenschaftliche Fehlwahrnehmung, bereits „ab November 1948" seien „sämtliche haupt- und nebenamtlichen Einrichtungen für die Betreuung der Vertriebenen" aufgelöst worden67, ignoriert mit ihrer Sonderverwaltungsfixierung die eigentlich unübersehbare Tatsache, daß Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR noch lange nach Abschaffung der Sonderverwaltungen möglich gewesen ist. Sie ist sogar sehr viel länger nämlich zwischen 1948 und 1953 ohne Sonderverwaltungsstruktur praktiziert worden als mit einer solchen. Umso ärgerlicher erscheint, wenn gerade die wichtigsten neueren Studien zum Thema den Zeitraum nach 1948 nur noch als Verfallsphase der Umsiedlerpolitik statt als eigenständige neue Gestaltungsphase interpretieren68. Statt dessen gilt: Das politisch-administrative System der SBZ/DDR war im ersten Nachkriegsjahrzehnt durch eine hochgradige Dynamik gekennzeichnet. Es war ein System im Übergang, dessen institutionellen Zäsuren deshalb kein übertriebenes Gewicht beigemessen werden sollte. Nicht Fortexistenz oder Wegfall bestimmter Verwaltungsstrukturen, sondern die Existenz politischer Netzwerke innerhalb fluktuierender Institutionen war entscheidend. Diese Netzwerke mussten über genügend Kontinuität und Einfluß verfügen, um eine vertriebenenspezifische Problemperspektive, ein „umsiedlerpolitisches" Politikfeld und darauf basierende Vertriebenenförderung durchzusetzen zu können. Diesen Netzwerken, ihren Kommu-
Mehrheitsgesellschaft
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Ellwein, Zum Problem der Flüchtlingsverwaltung, S. 213 f. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 234. Mehlhase, Flüchtlinge und Vertriebene in Sachsen-Anhalt, S. 208. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene; Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen.
2. Institutionenwandel
und Netzwerk-Kontinuität
173
nikationsstrategien, ihren Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen sowie den daraus resultierenden gesellschaftlichen Wirkungen effektiver „Umsiedlerpolitik" in der SBZ/DDR gilt im folgenden unser Hauptaugenmerk. Erprobte Parteiarbeiter": Das kaderpolitische Machtmonopol der KPD/SED in den sowjetzonalen Umsiedlerhürokratien Entscheidend für die Strukturierung eines umsiedlerpolitischen Netzwerkes in der SBZ/DDR war dessen frühzeitige kommunistische Monopolisierung, die andere politische Gruppierungen ausschloß oder zumindest marginalisierte. Da „Umsiedlerpolitik" anfänglich, bis Ende 1946, wesentlich von den 1945 ausdifferenzierten Verwaltungsapparaten der SMAD und der deutschen Umsiedlerbürokratien gesteuert wurde, kam es kaderpolitisch zunächst auf eine möglichst erfolgreiche Durchdringung und Homogenisierung des Personals dieser Verwaltungsapparate an. Dabei kam den Kommunisten zweierlei zu Hilfe: Da diese Bürokratien völlig neu geschaffen werden mußten, existierte kein bürgerliches Stammpersonal mit Beamtentradition, das erst mühsam hätte durchsetzt, gleichgeschaltet oder verdrängt werden müssen. KPD-Kaderchef Franz Dahlem fiel es daher 1945 leicht, die Schlüsselstellen der Umsiedler-Zentralverwaltung mit ,,erprobte[n] Parteiarbeitern]" zu besetzen69. Einziges Hindernis dieser KPD-Kaderpolitik blieb die viel zu dünne Personaldecke an zuverlässigen Genossen, während sich personalpolitische Partizipationsforderungen der nichtkommunistischen Parteien in er2.2.
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staunlichen Grenzen hielten und damit die kommunistische Alleinherrschaft über die zentrale Sonderverwaltung zusätzlich erleichterten. Lediglich sozialdemokratische Funktionäre traten sowohl in der Zentralverwaltung als auch in einigen Regionalbehörden den kommunistischen Kadern als Gegengewicht anfangs zur Seite. Die im September 1945 ins Leben gerufene und seit Oktober so genannte „Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler" (ZVU) gehörte nicht zur „ersten Welle" der von der SMAD im Juli 1945 geschaffenen Zentralverwaltungen, sondern eröffnete eine Folge von „Nachgründungen", die 1945/46 aus unabweisbaren Sachzwängen notwendig wurden70. Trotz des dringenden, ja beispiellosen Steuerungsbedarfs in der Vertriebenenfrage wurde die neue Zentralverwaltung von der SMAD zunächst eher als randständig behandelt. Dies demonstrierte bereits die zunächst nur auf Direktorenebene angesiedelte Einstufung der ZVU-Führung, die freilich schon nach einigen Wochen den höheren Präsidentenrang erhielt, vermutlich um das Defizit an Durchschlagskraft gegenüber anderen Behörden nicht noch durch formelle Rangunterschiede zu verschärfen. Die wiederum Sachzwängen gehorchende Expansionsdynamik der ZVU, die den von der SMAD genehmigten Stellenplan von 62 Mitarbeitern bis Ende 1945 schon auf 79 Stellen aufblähte71, vermochte andererseits die Tatsache nicht aus der Welt zu schaffen, daß es sich bei der Umsiedler-Sonderverwaltung selbst dann noch um die am schwächsten besetzte Zentralbürokratie der sowjetischen Zone handelte. 69 70 71
Hanke, Im Strom der Zeit, S. 46. Merker, Landes- und Zentralverwaltungen, S. 36 f. BAB, DO 2/3, Bl. 49ff., Stellenpläne der ZVU.
174
II. Die
Soziologie der Macht
Nicht nur institutionell, sondern auch personalpolitisch wurde die Umsiedlerbürokratie der SBZ/DDR von einer pulsierenden Entwicklungsdynamik beherrscht. Zunächst scheint es schwierig gewesen zu sein, genügend einigermaßen „geeignete Mitarbeiter" für die neuartige Verwaltungsaufgabe zu rekrutieren72. Die Tatsache, daß binnen eines Jahres zwischen Ende 1945 und Ende 1946 nicht weniger als 74 von 79 Stelleninhabern die ZVU wieder verlassen hatten73, verweist auf erhebliche Konsolidierungsprobleme einer Behörde, die ohne jede Vorerfahrung ihre Arbeit aufnehmen mußte und bei der Auswahl ihres Personals bewußt nicht auf traditionelle Beamte zurückgriff, wodurch allgemeine Verwaltungserfahrung weitgehend ausgeschlossen war74. Die hochgradige Fluktuation im ersten Jahr der ZVU, die einem fast vollständigen Austausch ihres Gründungspersonals gleichkam, war der Ausbildung bürokratisch-administrativer Kontinuität nicht förderlich. Berücksichtigt man ferner die oben erwähnte Strukturreform der ZVU vom April 1947, die eine erhebliche Aufgaben- und Kompetenzerweiterung erbrachte, so muß man davon ausgehen, daß eine wirkliche Stabilisierung des Verwaltungshandelns erst im Laufe des Jahres 1947 erreicht werden konnte, um bereits ab Frühjahr 1948 von einer erneuten institutionellen und personalpolitischen Destabilisierungswelle erfasst zu werden. Mit der Strukturreform vom April 1947 hatte die ZVU ihren Personalstamm auf 113 Stellen ausgeweitet und damit den Zenit ihrer kurzen Organisationsgeschichte erreicht. Ab Herbst 1947 setzte Personalabbau ein, der die ZVU bis März 1948 auf 96 Stellen reduzierte. Der entscheidende Schlag erfolgte zum Juli 1948, als die ZVU in die DVdl eingegliedert und auf 54 Stellen zurückgefahren wurde weit unter ihren Anfangsstand von 1945. Im fremden institutionellen Kontext der Innenverwaltung dem doppelten Druck inhaltlicher Umorientierung und finanziell motivierter Stelleneinsparung ausgesetzt, schwand die Bedeutung der „Hauptabteilung Umsiedler" (HAU) rapide dahin: Bis Ende Februar 1949 auf 14 Stellen abgeschmolzen, erfolgte ihre Degradierung zur bloßen Abteilung, die bis Sommer 1949 auf ganze acht Planstellen schrumpfte75, bevor sie mit Gründung des DDR-Innenministeriums endgültig verschwand bzw. in die parallel entstandene „Abteilung Bevölkerungspolitik" integriert wurde. Die skizzierte Parallelität institutionellen Strukturwandels und personalpolitischer Fluktuation bildet die Grundkonstante einer auf kommunistischer Kaderpolitik basierenden Netzwerkentwicklung im Bereich sowjetzonaler -
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Umsiedlerpolitik.
„Beim Personaleinsatz erhebliche Fehlgriffe": ZVU-Personalpolitik zwischen KPD/SPD-Parität und anti-sozialdemokratischen „Säuberungen" Als sich der einstige ZVU-Abteilungsleiter Erich Hanke in den siebziger Jahren an seine frühere Tätigkeit erinnern durfte, fehlten in seiner Darstellung wichtige Einzelheiten. Der KPD/SED-Funktionär suggerierte statt dessen einen regelrech2.2.1.
74
Hanke, Im Strom der Zeit, S. 49. BAB, DO 2/3, Bl. 93, Stellenpläne der ZVU. Im Oktober 1947 stammten 48,1% der ZVU-Mitarbeiter aus der Angestellten-, weitere 44,4% aus der Arbeiterschaft, hingegen nur 1,9% (2 Personen) aus der früheren Beamtenschaft; ebenda, Bl.
73
BAB, DO 2/1, Bl. 123ff., Bl. 143, Bl. 169, Bl. 172, Bl. 186f., Bl.
72 73
143 und Bl. 169.
194 und Bl. 208.
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
175
kommunistischer Machtmonopolisierung, indem er behaupeigentlich die SPD den ersten ZVU-Präsidenten stellen sollen, jedoch niemanden „vorgeschlagen", weshalb die KPD einem ihrer Funktionäre die Leitung der Umsiedler-Sonderverwaltung habe anvertrauen müssen76. Tatsächlich jedoch war die ZVU 1945 geradezu zur Verhinderung sozialdemokratischer Dominanz in der Vertriebenenbetreuung gegründet worden, hatte die KPD die Leitungsebene dieser Zentralverwaltung inklusive des Präsidentenamtes von Anfang an okkupiert und rasch dafür gesorgt, daß die vorhandenen Sozialdemokraten in der ZVU lediglich in der zweiten Reihe und bald überhaupt nicht mehr mitarbeiten durften. Gezielt verschwieg Hanke überdies die nur dreimonatige Amtszeit des ersten kommunistischen ZVU-Chefs Josef Schlaffer, der von den Sowjets im Dezember 1945 in Ungnaden entlassen worden war woran Hanke übrigens persönlich unrühmlichen Anteil gehabt hatte. Für eine propagandistische Schilderung kommunistischer Aufbauleistungen eignete sich diese Episode jedoch wahrhaftig nicht. Als erfahrener SED-Funktionär wußte Hanke und durfte dies 1976 auch veröffentlichen, daß „die Personalpolitik" ein „besonders wichtiger Bestandteil der politischen Arbeit" gewesen war77. Entsprechend dieser Prämisse wurde die kommunistische Kernmannschaft der neuen Zentralverwaltung nach dem Kriterium ,,erprobte[r] Parteiarbeiter" zusammengesucht78. Auch als der Ende 1945 eingesetzte zweite Präsident der ZVU, der Kommunist Rudolf Engel, gegenüber den Sowjets erklärte, in der Gründungsphase seiner Verwaltung seien „bei Aufstellung der Organisation und beim Personaleinsatz erhebliche Fehlgriffe" vorgekommen, die erst allmählich abgestellt werden könnten, war dies kein unpolitisches Statement. Wenn zwischen September und Dezember 1945 ein knappes Fünftel der ZVU-Gründungsbelegschaft, nämlich 17 von 86 Mitarbeitern, wieder entlassen worden war und sich darunter ein Großteil des Führungspersonals der ersten Stunde befand auch der Präsident, ein Vizepräsident und drei Abteilungsleiter -, so kann über die politische Relevanz dieser Vorgänge kein Zweifel bestehen79. Die gewiß vielfältiger motivierte Fluktuation der ZVU-Gründungsphase wurde folglich durch gezielte Entlassungen politisch unliebsamer Mitarbeiter unter dem Vorwand fachlicher Inkompetenz zum Zwecke der KPD-Machtmonopolisierung ebenso instrumentalisiert wie der spätere Personalabbau der ZVU-Schlußphase 1948. Bis Ende 1946 gelang es auf diese Weise, der KPD bzw. dem altkommunistischen SED-Flügel die alleinige parteipolitische Präsenz in der ZVU-Belegschaft zu sichern. Mitglieder bürgerlicher Blockparteien gelangten in die ZVU erst gar nicht hinein, Sozialdemokraten wurden meist rasch wieder hinausgedrängt. Daß die „Partei neuen Typus" mit ihren Hegemonieansprüchen gegenüber den Staatsverwaltungen noch bis 1948 auf sich warten ließ, wurde in der ZVU seit 1946 durch ein unangefochtenes personalpolitisches Monopol altkommunistischer SED-Kader partiell kompensiert. ten
Sachzwang
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Hanke, Im Strom der Zeit, S. 46 und S. 53 f. Ebenda, S. 75. Ebenda, S. 46. BAB, DO 2/11, Bl. 157-175, insb. Bl. 157f., ZVU, Engel, Rechenschaftsbericht v. 23.
12. 45.
II. Die
176
Soziologie der Macht
Schon in der Gründungsbelegschaft der ZVU verfügten kommunistische Parteimitglieder nicht nur über das quantitative Übergewicht, sondern auch über die Schlüsselpositionen. Im Herbst 1945 waren von 62 Mitarbeitern über die Hälfte (32) in der KPD organisiert, weitere acht in der SPD, während Mitglieder der bürgerlichen Blockparteien vollständig fehlten80. Das war kein Zufall, denn zumindest „die Einstellung des leitenden Personals" erfolgte durch den zuständigen ZVU-Abteilungsleiter Erich Hanke einen gelernten Maurer und selbst KPDMitglied81 „in allen Fällen" dergestalt, daß ausschließlich „den Leitungen der Parteien der KPD und SPD" Listen mit offenen Verwaltungspositionen übermittelt wurden, woraufhin „von den jeweiligen Kaderabteilungen der Parteien [...] entsprechende Leute vorgeschlagen" wurden. Diese „Bewerber" hatten sodann „einen ausführlichen Fragebogen auszufüllen, der nach Prüfung durch das Präsidium [der ZVU] und evtl. Rückfrage bei den Kaderabteilungen der Parteien der SMA zur Bestätigung vorgelegt" werden mußte82. Durch dieses Besetzungsverfahren unterschied sich die politische Struktur des ZVU-Personals von Anbeginn grundlegend von den übrigen Zentralverwaltungen der SBZ, in denen Verwaltungsfachleute bürgerlicher und sozialdemokratischer Provenienz stark vertreten waren und wo die bürgerlichen Parteien darauf achteten, an der Besetzung von Führungspositionen beteiligt zu werden. Im Falle der ZVU hingegen erhob die Parteiführung der LDP die (übrigens wirkungslose) Forderung nach einem den Wahlergebnissen von 1946 entsprechenden Proporz in der Personalpolitik nicht vor Januar 194883, als sich bereits die Abschaffung der Sonderverwaltung abzuzeichnen begann. Entsprechende Partizipationsforderungen der Union sind überhaupt nicht überliefert84, obschon diese Partei bereits Ende August 1945 die Errichtung einer „zentralen Stelle" zur Flüchtlingsbetreuung gefordert hatte. Dieses christdemokratische Interesse an der Errichtung einer Sonderverwaltung wurde freilich von Forderungen nach „Rückführung" der Flüchtlinge in ihre Heimatgebiete überlagert, während konkurrierende Altkommunisten wie der Berliner Dezernent Ottomar Geschke oder Sozialdemokraten wie der Vizepräsident der zentralen Arbeits- und Sozialverwaltung Helmut Lehmann sehr viel eindeutiger auf eine zentralisierte Betreuungsinstitution in den Aufnahmegebieten hinzuwirken vermochten. Vorentscheidend für die altkommunistische Dominanz in der ZVU-Personalpolitik und für die Ausgrenzung bürgerlicher Parteimitglieder war vermutlich, daß innerhalb der SMAD im September 1945 der oberste Repräsentant des NKWD, Generaloberst Serow, die Umsiedlerbetreuung an sich zu ziehen verstand85. -
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Herbst / Ranke / Winkler, So funktionierte die DDR, Bd. 3, S. 60; zu Daubs Widerstandsaktivität auch Schneider, Unterm Hakenkreuz, S. 796, S. 984, S. 1043 und S. 1049. SAPMO, DY30/IV2/ll/v251, Kaderakte Philipp Daub, SED-Personalfragebogen vom 8.12. 46, Punkt 16. SAPMO DY30/IV2/2.1/168, SED, ZS, Protokoll Nr. 41 (II) der ZS-Sitzung am 26. 1. 48, S. 4: ,,b) Philipp Daub legt sein Amt als Vizepräsident der Deutschen Verwaltung für Umsiedler nieder und übernimmt vorbehaltlich der Zustimmung von Otto Grotewohl die Funktion [...] als gleichberechtigter Leiter der Abteilung Personalpolitik." Badstübner / Loth, Pieck, S. 343. SAPMO, DY30/JIV2/3/117, Bl. 1 ff., insb. Bl. 8 f., SED, ZK, Sekretariat, Protokoll Nr. 117 der Sitzung des Sekretariats am 26. 6. 50, Tagesordnungspunkt 27: Beurlaubung des Genossen Daub zum 1. Juli 1950: „Über die weitere Verwendung des Genossen Daub wird nach seiner Rückkehr entschieden." SAPMO, DY30/JIV2/3/131, Bl. Iff., SED, ZK, Sekretariat, Protokoll Nr. 5 der Sitzung am 16. 8. 50.
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SBZ-Handbuch, S. 885. BAB, DO 2/3, Bl. 153, DVdl, HAU, Liste der ZVU-Leitung, o.D. Vgl. SAPMO, DY30/IV2/11/196, Bl. 106, SED, ZS, Abt. Personalpolitik, an Dahlem und Gniffke, 18. 2. 48; dieses Schreiben wurde von Daub mitgezeichnet. Merker-Entwurf für SMAD in SAPMO, DY30/IV2/2.027/6, Bl. 173; SMAD-Befehl Nr. 95 22. 5. 1948 nach Foitzik, Inventar, S. 155. BAB, DO 2/3, Bl. 153, DVdl, HAU, Liste der ZVU-Leitung, o.D.
vom
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
187
sowjetisch-deutschen Filmgesellschaft DEFA tätig, die damals von der SED-Führung gezielt mit linientreuen Funktionären durchsetzt werden sollte144, wurde Engel wenige Wochen später145 wegen Unstimmigkeiten mit der SED-Führung von Dahlem und SED-Kulturchef Anton Ackermann „mit sofortiger Wirkung" erneut abberufen146. Nach dieser ungünstigen Episode, über die man in Engels Erinnerungen nichts erfährt, wurde der frühere ZVU-Präsident im Juli 1948 als Vizepräsident der Deutschen Verwaltung für Volksbildung tätig. In diesem Amte folgte er Erich Weinert nach, mit dem er seit dem Spanischen Bürgerkrieg als
„Freund und Genosse"147 verbunden war. Mit Weinerts Vorgesetzten, DWb-Präsident Paul Wandel, hatte Engel als ZVU-Präsident derart gute Arbeitskontakte gepflegt148, daß Wandel bereits Anfang 1948 beim SED-Zentralsekretariat beantragt hatte, Engel in sein Ressort übernehmen zu dürfen. Dieser frühe Versetzungsversuch war von der SED-Führung noch abgelehnt worden149, doch als wenig später die Sowjets zur Überraschung der SED die sofortige Abschaffung der ZVU befahlen, wurde Engel auf seinem bisherigen Posten nicht nur entbehrlich, sondern möglicherweise sogar hinderlich. Sein Verhältnis zum anstelle Merkers bestimmten neuen obersten Umsiedlerpolitiker der SED, Walter Ulbricht, scheint nur vordergründig gut gewesen zu sein150. Die plötzlichen Abgänge der ZVU-Führer Engel und Daub erzeugten bei den nachgeordneten Umsiedlerfunktionären in der SBZ den deprimierenden Eindruck, „daß bei der ZVU Ausverkauf ist"151. Diese Bemerkung des sachsen-anhaltischen Abteilungsleiters Hiebsch war wenig schmeichelhaft für den einzig verbleibenden Angehörigen des letzten ZVU-Führungstrios, Vizepräsident Arthur Vogt, dem sie geradewegs ins Gesicht gesagt wurde. Vogt, im Januar 1947 zum zweiten ZVU-Vizepräsidenten berufen, war nach Daubs Abgang alleiniger Stellvertreter Engels geworden und mit dessen Abberufung im April 1948 unversehens in die Rolle des geschäftsführenden Leiters der in Liquidation befindlichen 144
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Der bisherige DEFA-Direktor Alfred Lindemann, der der SED-Führung vermutlich zu eigenständig agierte, sollte auf deren Weisung Ende März 1948 mit sofortiger Wirkung entlassen werden und schied offiziell zum Mai aus; vgl. Heimann, DEFA, Künstler und SED-Kulturpolitik, S. 108 f. und S. 150, Anm. 104 und Anm. 106. Da Engels Nachfolger als DEFA-Direktor, Walter Janka, offiziell zum Juli 1948 sein Amt antrat, muß Engels Ablösung kurz zuvor erfolgt sein; zur Janka-Datierung: ebenda, S. 151, Anm. 109; Heimann ¡st übrigens die von Janka, Spuren eines Lebens, S. 216 ff., erwähnte vorherige Direkto-
renschaft von „Rudi Engel" unbekannt geblieben. Engel hatte laut Ackermann „in seiner Leichtgläubigkeit einen Vertrag mit den sowjetischen Freunden abgeschlossen", der aus Sicht der SED-Führung für die deutsche Seite zu ungünstig war;
Janka, Spuren eines Lebens, S. 216. Engel, Feinde und Freunde, S. 293. 1« BAB, SAPMO, SgY30/1821/l, Bl. Iff., insb. Bl. 5, Rudolf Engel, „Meine Tätigkeit von Oktober 1945 bis Ende 1950 unter besonderer Berücksichtigung der kulturpolitischen Fragen", o.D. 149 SAPMO IV2/2.1/166, SED, ZS, Protokoll Nr. 39 (II) der ZS-Sitzung am 19.1. 48. 130 Erst im Herbst 1949, als er an die Akademie der Künste berufen wurde, erhielt Engel eine gönnerhafte Belobigung Ulbrichts für seine ZVU-Tätigkeit: „Du hast ja als Umsiedler-Präsident gezeigt, daß du was kannst, und jetzt auf kulturellem Gebiet auch, mach die Akademie ein Jahr oder zwei, und wenn sie steht, suchst du dir etwas anderes." Vgl. BAB, SAPMO, SgY30/1821/l, Bl. 1 ff., insb. Bl. 20f., Rudolf Engel, „Meine Tätigkeit von Oktober 1945 bis Ende 1950 unter besonderer Berücksichtigung der kulturpolitischen Fragen", o.D. i3' ThüHStA, Mdl 3639, Bl. 16-21, insb. Bl. 18, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über die 147
Direktorenkonferenz am 23. 8., 25. 8. 48.
188
II. Die
Soziologie der Macht
Umsiedler-Sonderverwaltung geraten. Der 1894 in Breslau geborene Arbeiter152 hatte zu den Gründungsmitgliedern erst der USPD, dann der KPD gehört, war je-
doch 1927 wegen „linker Opposition" aus der Kommunistischen Partei vorübergehend ausgeschlossen worden153. Dies war nach Gesprächen mit Dahlem und Ulbricht, die schon damals der Parteiführung angehörten, rückgängig gemacht worden und hatte Vogts Karriere als ZK-Mitarbeiter Dahlems und KPD-Reichstagsabgeordneter nicht beeinträchtigt, doch wurde Derartiges unter Kommunisten niemals vergessen und konnte noch nach Jahrzehnten bedrohlich werden. Nach der NS-Zeit, die ihn zeitweilig ins KZ gebracht hatte, und nach kurzer Aktivität in der Berliner Kommunalpolitik war Vogt Mitte 1946 „im Auftrag der Partei" vermutlich über Kaderchef Dahlem zum ZVU-Sonderbeauftragten für die Transporte aus der CSR ernannt worden. Auch als ZVU-Vizepräsident blieb Vogt 1947/48 letztlich der oberste Transportleiter der SBZ, dem „neben der Rückführung der Kriegsgefangenen aus allen Ländern die operative Arbeit der Rückführung der Umsiedler" oblag, während die integrationspolitischen Aufgaben von Engel und Daub monopolisiert wurden. Es war dieses technokratische Profil, das Vogt in den Augen der SED-Führung zum perfekten Abwickler der Sonderverwaltung prädestiniert haben dürfte, die 1948 ihrer integrationspolitischen Aufgaben entkleidet und wieder auf bloße Transport- und Verteilungsfunktionen beschränkt werden sollte. Offenbar hatte niemand erwartet, daß der bislang blasse Vogt gegen diese Rollenzuschreibung aufbegehren und sich entschließen würde, um die Kompetenzen seiner Abteilung und die sozialpolitischen Interessen ihrer Klientel verbissen zu kämpfen. Wohlwollen oder gar Dank erntete der Mitte 1948 zum Leiter der DVdl-Hauptabteilung Umsiedler ernannte Vogt in den Führungsder und der DVdl damit nicht. Statt dessen ereilte ihn im November SED etagen 1948 die parteioffizielle Rüge, er habe offensichtlich den „Charakter unserer Partei neuen Typs" nicht begriffen, der vor allem darin bestehe, „daß besonders die leitenden Genossen aus den Verwaltungen nicht losgelöst von der Partei ihre Verwaltungsarbeit erledigen" dürften, sondern sich „in jeder Beziehung als Parteifunktionäre [zu] fühlen" hätten, da sie „ja letztenendes [sie!] ihren Auftrag von der Partei erhalten haben"154. Innerhalb der DVdl seit Anfang 1949 durch Abspaltung der neuen Abteilung für Bevölkerungspolitik (unter seinem bisherigen Untergebenen Kurt Büttner) unter Druck und seinerseits zum einfachen Abteilungsleiter degradiert, sah sich Vogt im oben geschilderten Konflikt mit DVdl-Präsident Kurt Fischer wenig später auch in seiner Kernkompetenz der Organisation der Umsiedlungstransporte bedroht und gezielt gedemütigt155. Im Juni 1949 beschloß das von Ulbricht geleitete Kleine Sekretariat des SED-Politbüros angeblich „im Einverständnis mit dem Genossen Arthur Vogt und der DVdl" -, daß „Genosse Vogt von seiner Tätigkeit bei der HV Umsiedler zurückgezogen" werden solle. Die ihm in Aussicht gestellte „anderweitige Verwendung" mußte erst -
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SAPMO, SgY30/0969. SBZ-Handbuch, S. 1048. BAB, DO 2/4, Bl. 180f., SED, ZS, Abt. Arbeit und Sozialfürsorge, an DVdl, HAU, Vogt,
48. 135
Siehe oben
Kap.
II.1.4.
13. 11.
2. Institutionenwandel
und Netzwerk-Kontinuität
189
noch gefunden werden156 und war folglich für die Abberufung nicht ausschlaggebend. Mit Vogt wurden auch seine engsten Mitarbeiter aus der DVdl entfernt157, was auf das Bestreben Fischers verweist, das verbliebene umsiedlerpolitische Netzwerk in der Innenverwaltung endgültig zu zerschlagen. Die SED-Kaderpolitiker Dahlem und Daub nahmen ihren früheren Mitarbeiter Vogt daraufhin aus dem politisch-administrativen Sektor vollständig heraus, um ihn bei der Gleichschaltung der landwirtschaftlichen Genossenschaften einzusetzen, wo er die Geschäftsführung der Vereinigung der Volkseigenen Erfassungs- und Aufkaufbetriebe (WEAB) für den Bereich Tierproduktion übernahm. Nach dem Sturz Dahlems im Jahre 1953 ging es mit Vogt bergab: 1953/54 versuchte er sich als „Reorganisator der volkseigenen Güter", 1954 wurde er als Direktor des GroßBerliner Schlachthofs kaltgestellt158. 1957 auch aus dieser Funktion entfernt, verstarb Arthur Vogt 1964159. 1948/49 wurden folglich alle bis dahin führenden altkommunistischen Funktionäre des umsiedlerpolitischen Netzwerkes Paul Merker, Rudolf Engel, Philipp Daub und Arthur Vogt durch kaderpolitische Entscheidungen der SED-Spitze sukzessive aus diesem Politikfeld verdrängt. Dies war der Beginn einer schrittweise erfolgenden Desintegration des umsiedlerpolitischen Netzwerkes, das sich in den Jahren zuvor etabliert hatte. Dabei spielte keine Rolle, daß dieses Netzwerk personalpolitisch durch die KPD/SED weitgehend monopolisiert worden war und insofern als besonders zuverlässig hätte gelten können. Die wachsende Durchsetzung der SED-Kaderpolitik in den Umsiedlerbürokratien hatte vielmehr eine nach innen gerichtete weitere Disziplinierung zur Folge: Ging es anfangs primär um die Beseitigung politischer Gegner außerhalb der KPD/SED, so kümmerte sich die „Partei neuen Typus" verstärkt um die Zerschlagung unerwünschter SED-interner Netzwerke. Ein personalpolitisches Monopol kommunistischer Funktionäre herrschte keineswegs nur in der Umsiedler-Zentralverwaltung. Im sächsischen Umsiedleramt, wo Ende 1946 nicht nur der Amtschef, sondern auch vier von fünf Abteilungsleitern sowie 26 von 31 Mitarbeitern in der SED organisiert waren160, lag der Durchdringungsgrad der Belegschaft sogar noch höher als in der Zentralverwaltung, wo bis Herbst 1947 immerhin zwei Drittel der Belegschaft in der SED organisiert waren. Damit wies die Umsiedlerverwaltung die zweithöchste SED-Organisationsquote aller Zentralverwaltungen auf161 und wurde nur noch von der Arbeits- und Sozialverwaltung (77%) übertroffen. Man hat darin nicht zuletzt angesichts der Schwierigkeiten bei der Bereitstellung zuverlässiger KP-Funktionäre für die Staatsverwaltung ein Indiz für die große politische „Bedeutung der ZVU" er-
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>3
SAPMO, DY30/JIV2/3/34, Bl. 1 ff., insb. Bl. 3, SED, K1S, Protokoll Nr. 34 der Sitzung des K1S am 20. 6. 49.
137
138 139 '60
BAB, DO 2/19, Bl. 32 ff., insb. Bl. 41, Mdl DDR, Abt. BP, Jahresbericht für 1949, 23. 1. 50. SAPMO, SgY30/0969, Bl. 2 ff., insb. Bl. 6 und Bl. 9 f., Autobiographischer Lebenslauf Vogts.
SBZ-Handbuch, S.
1048. ein Sachbearbeiter für Statistik und eine Stenotypistin zählten demgegenüber zur Blockpartei LDP; vgl. BAB, DO 2/23, Bl. 78, ZVU, Personalbogen der sächsischen Umsiedlerabteilung, o.D. [ca. Ende 1946]. BAB, DO 2/3, Bl. 143; ferner: BAB, DO 2/6, Bl. 2; offensichtlich wurden gezielt Parteilose entlas-
Ganze zwei
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1«
sen.
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190
II. Die
Soziologie der Macht
blicken wollen162, was insbesondere für die Gründungsphase zutreffen könnte, als die Umsiedlerverwaltung dem sowjetischen Sicherheitsapparat unter Serow zugeordnet wurde und das Vertriebenenproblem folglich auch als „Sicherheitsproblem" erschien163. Daß die Umsiedlerverwaltung völlig neu aufgebaut wurde und insofern sehr viel leichter eine starke KPD-Beteiligung zuließ als reguläre Fachressorts, ist allerdings ebenso signifikant: In den Wirtschaftsressorts dagegen war die SED-Quote aufgrund des höheren Anteils bürgerlicher Fachleute deutlich niedriger, und nicht zufällig bildete die Justizverwaltung mit 12% SEDMitgliedern164 und einer ,,große[n] Zahl von früheren Beamten und Fachleuten" das Schlußlicht165. Wie ungewöhnlich hoch und frühzeitig die KPD/SED-Dominanz in der zentralen Umsiedlerbürokratie gewesen ist, zeigt der Umstand, daß noch Ende 1950 der Apparat der DDR-Regierung erst zu 56,5% mit SED-Mitgliedern durchsetzt war, von denen nur 12% schon vor 1945 der KPD angehört hatten166. Zu den SED-Mitgliedern, die im Frühjahr 1947 72 der 105 ZVU-Planstellen besetzten, zählten neben dem dreiköpfigen Präsidium auch sämtliche Abteilungsleiter mit der Ausnahme des parteilosen neuen Leiters der Sanitätsabteilung, eines promovierten Mediziners. In der erst 1947 eingerichteten, für Assimilationspolitik zuständigen Abteilung für Bevölkerungspolitik und Ansiedlung war das SED-Parteibuch nicht nur beim Abteilungsleiter und dessen Stellvertreter, sondern auch bei sämtlichen Referenten eine Selbstverständlichkeit167. Daß es sich dabei nicht nur um nominelle Mitgliedschaften handelte, zeigen die späteren Karrieren von Mitarbeitern dieser wichtigsten ZVU-Abteilung: Deren Leiter Georg Chwalczyk stieg im Sommer 1948 zum Umsiedlerreferenten des SED-Parteivorstandes bzw. des SED-Zentralkomitees auf, sein Stellvertreter Kurt Büttner avancierte 1949 zum Leiter der Abteilung Bevölkerungspolitik in der DVdl bzw. im DDR-Innenministerium, der einstige Referent Szczyrbowski wurde im DDR-Arbeitsministerium tätig168 und dessen Kollege Haslinger scheint 1950 in der Kontrollabteilung der Staatlichen Plankommission der DDR Verwendung gefunden zu haben169. Im Zuge des ab Herbst 1947 einsetzenden Personalabbaus in der ZVU erhöhte sich deren SED-Quote bis März 1948 sogar auf 72%170. Die Belegschaftsreduzierung ging folglich gezielt zu Lasten von „Nicht-Genossen". Nicht nur damals finanziell oft unabweisbaren Personalabnutzte die SED-Kaderpolitik einen -
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162
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Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 109. Vgl. treffend ebenda, S. 103. War in der Industrieverwaltung noch jeder zweite SED-Mitglied, betrug der SED-Anteil in der Zentralverwaltung für Handel und Versorgung lediglich 28%, in der Landwirtschaftsverwaltung 23%, in der zentralen Finanzverwaltung 17% und in der Brennstoffverwaltung nur 13%; vgl. BAB, DO 2/6, Bl. 2, Auflistung der SED-Quote des Personals der deutschen Zentralverwaltuno.D.
[ca. Herbst 1947]. gen, Zit. nach: Wentker, Justiz in der SBZ/DDR, S. 77. "> Gieseke, Von der Deutschen Verwaltung des Innern zum Ministerium für Staatssicherheit, S. 135. "7 BAB, DO 2/3, Bl. 135-141, ZVU, Personalliste [ca. April 1947]. i"» Ebenda, Bl. 210-213, Mdl DDR, Abt. BP, Personal der ehem. ZVU, 27. 6. 50. ">9 BAB, DK 1/3031, Bl. 20ff. Vgl. '™ BAB, DO 2/3, Bl. 143; BAB, DO 2/6, Bl. 2. '«
2. Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
191
Organisationsstruktur und Leitendes Personal der ZVU nach der Strukturreform vom April 1947m
Rudolf Engel (SED) Präsident
Präsidium
15.12.45-30.6.48,
faktische Ablösung im
April 1948 Philipp Daub (SED) 1. Vizepräsident
1.1.47-31.3.48, faktische Ablösung im Februar 1948 Arthur Vogt (SED)
2.
Vizepräsident
1.1.47-30.6.48,
geschäftsführender abApril 1948
ZVU-Präsident
Abteilung Organisation und Statistik
Anton Fischbach 1. 1.47-31.3.48
(SED)
Georg Chwalczyk (SED) 1.4.48-30.6.48
Abteilung
Johannes Gutjahr (SED)
Abteilung Bevölkerungspolitik und Ansiedlung
Georg Chwalczyk (SED) 15. 4. 47-31. 3.(?) 48
Wirtschaftsmaterielle Sicherung
-
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-
-
Referat Industrie und Gewerbe Referat Landwirtschaft Referat Wohnraumbeschaffung Referat Sozialfürsorge Referat Umsiedlerausschüsse
Kurt Büttner (SED) Stellv. Max Riedel (SED)
Josef Haslinger (SED) Johannes Bazynski (SED) Erich Szczyrbowski (SED) Josef Haslinger (SED)
-
Sanitätsabteilung Allgemeine Abteilung Abteilung Wirtschaft (ab April 48: Material- und Transportkontrolle)
Dr. Dr. Heinz Radmann
(parteilos)
Erich Lange (SED) Wilhelm Thiele Otto Linke (SED)
(SED), Stellv.
21.12.46-31.3.48
Spendenabteilung Abteilung Presse und Propaganda
Anton Fischbach (SED) 1.4.48-30.6.48 Robert Rentmeister (SED) Willy Gatte (SED)
bau für machtpolitische Nebenzwecke. Ähnlich wurden später, als der verschärfte Personalabbau auch SED-Mitglieder treffen mußte, allzu eigenwillige Funktionäre vom Schlage Vogts entmachtet. Angesichts des zunehmenden Konformitätsdrucks wählten einige wie die Abteilungsleiter Wilhelm Thiele und Anton Fischbach oder der Referent Max Riedel 1948 einen halbwegs selbst gewählten Abgang, bevor es mit ihrer Behörde zu Ende ging172. -
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I?i
'72
BAB, DO 2/3; zur Besetzung der Referate für Umsiedlerausschüsse und Landwirtschaft auch: BAB, DO 2/50. BAB, DO 2/18, Bl. 42, DVdl, HAU, Entwurf zum Vorwort des Jahresberichtes 1948, 4. 3. 49.
192
II. Die
Soziologie der Macht
Organisationsstruktur und Leitendes Personal der Hauptabteilung Umsiedler (HAU) in der Deutschen Verwaltung des Innern (Nachfolge-Abteilung der aufgelösten ZVU), Entwurf Juni 1948™ DVdl-Hauptabteilung Umsiedler (ab 1. 4. 49 Abteilung Umsiedler;
Arthur Vogt (SED)
HAL 1. 7. 48-1. 4. 49 AL 1. 4. 49-30. 6. 49
vermutlich im November 1949 in die Wilhelm Thiele (SED) stellv. HAL ab 1. 3. 49 separate Abteilung 1. 7. 48-31. 12. 48
Bevölkerungspolitik überführt)
Kurt Büttner
Abteilung Organisation
Anton
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Referat Übernahme Referat Transportplanung Referat Lagerinspektion
(SED)
Fischbach (SED)
AL 1. 7. 49-ca. Nov. 49 AL 1. 7. 48-31.12.48
Peter Peterson (SED) Georg Heinze (SED) Max Schüssler
(parteilos)
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Abteilung Ansiedlung
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Georg Chwalczyk (SED) Kurt Büttner (SED)
Referat Ansiedlungsplanung Kurt Büttner (SED) Referat Statistik Josef Morche (SED) Referat Rechtsberatung [gestrichen] [Dr. Kolbe]
AL 1. 7.-30. 9.48 AL 1. 10. 48 28. 2. 49 -
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Das in der DVdl karrieremäßig überlebende Netzwerkmitglied Kurt Büttner hat Mitte 1950 den Verbleib der wenigen von ihm als „geeignet" beurteilten früheren
Kollegen festgehalten: Demnach war der ehemalige ZVU-Abteilungsleiter Erich Lange unterdessen in der Personalleitung des DDR-Außenhandelsministeriums tätig, Ex-Abteilungsleiter Chwalczyk hatte seinen Aufstieg zum Umsiedlerreferenten der SED-Führung bereits hinter sich und war auf das Abstellgleis eines Assistenten der SED-Parteihochschule geraten, sein einstiger Kollege Wilhelm Thiele hatte es hingegen zum Bürgermeister von Berlin-Mitte gebracht. Drei untergeordnete ZVU-Mitarbeiter waren als Referent im DDR-Arbeitsministerium,
als Statistiker im DDR-Innenministerium und als Sekretärin im DDR-Institut für Zeitgeschichte untergekommen. Die Mitglieder des letzten ZVU-Präsidiums waren aus machtpolitisch relevanten Funktionen vollständig entfernt und in belanglose Tätigkeitsfelder verpflanzt worden: Engel und Tschesno fanden sich in der DDR-Akademie der Künste wieder, Vogt in einer Genossenschaftsverwaltung. Daub, der einzige, der seine Abberufung aus der ZVU-Spitze 1948 in einen Aufstieg hatte verwandeln können, wurde just damals aus seiner einflußreichen Funktion als Leiter der SED-Kaderabteilung entfernt und in die kommunalpolitische Provinz abgeschoben174. Besser konnte ein unerwünschtes Netzwerk nicht zerschlagen werden. 173
'74
Sämtliche Angaben nach BAB, DO 2/3; Zusatzangaben zur Leitung der Abteilung Ansiedlung 1948 und zur DVdl-Abteilungsentwicklung 1949 nach BAB, DO 2/1; zum Ausscheiden bestimmter Mitarbeiter auch BAB, DO 2/18; zur Verselbständigung der Abteilung Bevölkerungspolitik und zur offenbar letztmaligen Berichterstattung einer eigenständigen Abteilung Umsiedler im Oktober 1949 vgl. BAB, DO 2/19; es ist anzunehmen, daß ab November 1949, als die DVdl in das Mdl überführt wurde, auf eine eigenständige Umsiedlerabteilung verzichtet wurde. BAB, DO 2/3, Bl. 210ff., Mdl DDR, Abt. BP, Personalübersicht ehemaliger ZVU-Mitarbeiter, 27. 6. 50.
2. Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
193
„Diese Apparate müssen jetzt auch gesäubert werden": Personalpolitische Interventionen der ZVU in den Landesumsiedlerämtern
2.2.2.
geschilderte Verdrängung leitender ZVU-Funktionäre aus ihrem bisherigen war nur der augenfälligste Teil einer weiter reichenden personellen „Säuberung" des umsiedlerpolitischen Netzwerkes. Ähnliches geschah auf regionaler Ebene. Auch hier läßt sich zunächst eine Phase personalpolitischer Machtmonopolisierung altkommunistischer Funktionärsnetzwerke beobachten, bevor 1949 deren partielle Zerschlagung einsetzte. Es war alles andere als zufällig, daß von den Leitern der Landesumsiedlerbehörden, die Mitte 1948 amtierten, Ende 1949 kein einziger mehr in diesem Politikfeld tätig war. Gleichwohl bewiesen, wie wir oben bereits gesehen haben, die derart angeschlagenen regionalen Netzwerke in einigen Fällen deutlich größere Beharrungskraft als das Netzwerk auf zentralDie
Arbeitsfeld
staatlicher Ebene.
Bereits im Winter 1945/46 wurden auf Regionalebene zielgerichtete kaderpolitische „Säuberungen" der Umsiedlerbürokratien von unerwünschten Sozialdemokraten in die Wege geleitet, die dort zunächst im Unterschied zur Umsiedler-Zentralverwaltung oft dominierten. Die in der ZVU erfolgreich praktizierte kommunistische Strategie, unerwünschte SPD-Mitglieder durch den Vorwurf mangelnder Qualifikation zu diskreditieren, wurde dabei rücksichtslos auf die Länder- und Provinzialverwaltungen ausgedehnt. Im Dezember feierte der für Umsiedlerfragen zuständige ZK-Mitarbeiter Hähnel die erwarteten kommunistischen „Antifa-Umsiedler" aus der CSR nicht nur als „zweifellos [...] große Bereicherung und Erweiterung unseres Kaderbestandes", sondern stigmatisierte im selben Atemzug die sozialdemokratischen Funktionäre der Landesumsiedlerbehörden als passiv, ineffizient und teilweise korrupt. Die Forderung, „in einzelnen Umsiedlerabteilungen, so teilweise in Thüringen, auch in der Provinz Sachsen und in Mecklenburg Umbesetzungen vor[zu]nehmen", war aus der dichotomischen Sicht der KPD-Führung nur folgerichtig. Auch KPD-Kaderchef Dahlem propagierte „eine neue Aufstellung der Kader, die diese Aufgaben durchzuführen haben", und bewertete die Tatsache, daß im thüringischen Umsiedleramt 32 von 35 Mitarbeitern der SPD und nur ganze zwei, „die auch nicht viel taugen", der KPD angehörten, als skandalöses Versagen der kommunistischen Bezirksleitung: „Diese Apparate müssen jetzt auch gesäubert werden." Die Tatsache, daß man kurz zuvor den eigenen kommunistischen ZVU-Präsidenten hatte fallenlassen, wurde von der KPD-Führung geschickt genutzt, um ihre Forderung nach Entfernung von Sozialdemokraten als unparteilich und sachlich begründet erscheinen zu lassen. Dennoch schien die tiefsitzende Verachtung der „jungen", kampferprobten Kommunisten für die älteren, allzu gesetzten Sozialdemokraten durch: „Die alten Leute aus der SPD werden mit den Schwierigkeiten nicht fertig. Draußen sterben die Leute zu Zehntausenden, und die Kinder gehen zugrunde. Damit werden nur Menschen fertig, die hart sind und Liebe zu dieser Arbeit haben, die sich durchsetzen und mit den -
-
Kommandanten verhandeln können. So müßt ihr es unten auch machen."175
173
Krusch / Benser, Dokumente zur Geschichte der kommunistischen S. 423.
Bewegung, Bd. 2, S. 416f. und
194
II. Die
Soziologie der Macht
Die neue ZVU-Führung unter Engel und Tschesno erkannte sofort, daß ihr diese KPD-Kaderpolitik eine unverhoffte Chance bot, den unter Schlaffer gescheiterten zentralistischen Zugriff auf die Landesumsiedlerämter unter dem Vorwand personalpolitischer Korrekturen zu erneuern. Gegenüber der SMAD bekannte Engel daher im Tone der Selbstkritik, seine Verwaltung habe aufgrund unzureichender Kontrollen, aber auch wegen ihres zu geringen Einflusses auf die regionale Personalpolitik nicht verhindert, daß in den Ländern und Provinzen „Verwaltungsapparate entstanden" seien, „die den Anforderungen nicht genügen"176. In Abstimmung mit der SMAD erstellte die ZVU daraufhin „Normalstellenpläne" zur Verwaltungsorganisation, mit denen sie seit Februar 1946 „substantiell in die Struktur der Umsiedlerverwaltungen der Länder" eingriff177. Diese neue ZVUStrategie der verdeckten Zentralisierung, die weniger auf formelle Weisungsbefugnisse als auf faktische Einflußnahme setzte, nutzte entsprechend die Kontrollfunktion der Zentrale gegenüber den zahlreichen Umsiedlerlagern der SBZ, in denen Mißstände immer wieder Anlaß zur Intervention boten178, zur Stärkung des kommunistischen Einflusses in den Landesumsiedlerverwaltungen. All dies wurde gezielt mit personalpolitischen Eingriffen verbunden. In Thüringen nutzte diese „Säuberungs" -Strategie die ohnehin laufende „Entnazifizierungs"-Kampagne, um ihre kaderpolitischen Ziele zu erreichen. Nachdem nicht nur KPD-Kaderchef Dahlem, sondern auch ZVU-Vizepräsident Tschesno im Weimarer Landesumsiedleramt zu viele „verlotte[r]te Menschen" und zu wenig brauchbare Kommunisten entdeckt hatte, war es für kommunistische Interventionsgelüste ein unschätzbarer Glücksfall, daß der dortige stellvertretende Amtsleiter unter dem Vorwurf, ein „ehemaliger Pg." und „Betrüger" zu sein, bereits im Herbst 1945 verhaftet worden war179. Dieser Vorfall unterminierte die Position des Landesamtschefs Rudolf Bieligk, eines führenden Thüringer Sozialdemokraten180, der sich bei der KPD dadurch höchst mißliebig machte, daß er sich um bevorzugte Zuführung sozialdemokratischer Antifa-Transporte aus der CSR bemühte, kommunistische Transporte hingegen zurückstellen wollte181, um damit die Strategie vorrangig kommunistischen „Kadertransfers" zu durchkreuzen182. Die kommunistisch geführte ZVU erhob gegen Bieligk im Januar 1946 schwere Vorwürfe, darunter den besonders bedrohlichen des unbotmäßigen Verhaltens gegenüber der SMA, über den eben erst ZVU-Präsident Schlaffer gestürzt war. ZVU-Vizepräsident Tschesno forderte daher vom thüringischen Landesprä™ 177 178 179
BAB, DO 2/11, Bl. 157-175, insb. Bl. 157, ZVU, Engel, Rechenschaftsbericht v. 23. 12. 45. Piegsa, Die Binnenwanderung der Heimatvertriebenen, S. 119; vgl. auch BAB, DO 2/2. Ausführlicher: Schwartz, Zwischen Zusammenbruch und Stalinisierung, S. 64 f. BAB, DO 2/35, Bl. 76-80, insb. Bl. 77, ZVU Land Sachsen, Bericht über Besprechung am 18.12., 19. 12.45.
Bieligk war in der Weimarer Zeit SPD-Landtagsabgeordneter und Staatsrat (Mitglied der Landesregierung) in Thüringen gewesen; vgl. Thüringen-Handbuch, S. 561 f.; als Vertreter der SPD nahm er 1945 (neben Gustav Brack) an jener Sitzung der Landesverwaltung und vier Parteien teil, auf der die Bodenreformverordnung beschlossen wurde; vgl. ThüHStA, Büro MP 459, Bl. 117ff., LV Thüringen, Protokoll der Sitzung am 7. 9. 45. im ThüHStA, Mdl 3701, Bl. 1, SPD, LV Thüringen, Elisabeth Zajak-Frölich, an LA für Kommunalwesen, Umsiedleramt, Bieligk, 8. 12. 45. ,s2 Foitzik, „Kadertransfer"; aus Furcht vor der antikommunistischen „Jaksch-Gruppe" sudetendeutscher Sozialdemokraten brachte die KPD deren Umsiedlung in die SBZ 1945/46 weitgehend zum Erliegen; vgl. van Hoorn, Umsiedlung, S. 97-99. '80
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
195
sidenten Dr. Paul, einem damals noch parteilosen, später in die SED eingetretenen früheren Linksliberalen, die Absetzung Bieligks nebst Einleitung eines Disziplinarverfahrens183. Paul hatte sich der ZVU im Zentralisationsstreit des Herbstes 1945 nicht gefügt, doch der Forderung nach Absetzung Bieligks kam er unverzüglich nach, um freilich die Gelegenheit zu nutzen, sich das vakante Umsiedleramt direkt zu unterstellen. Dabei mußte er allerdings hinnehmen, daß der neue Leiter des nunmehrigen „Amtes für Neubürger" von Tschesno im Zusammenspiel mit der thüringischen KPD-Bezirksleitung bestimmt wurde. Auf diese Weise wurde ein einheimischer Sozialdemokrat durch einen kommunistischen Antifa-Umsiedler aus der CSR, Ernst Ressel, verdrängt184. Die Zahl der KPD/SED-Mitglieder im thüringischen Landesamt stieg dennoch nur langsam an: Hatte man dort Ende 1945 unter 34 Mitarbeitern neun Sozialdemokraten, zwei Liberaldemokraten und nur einen einzigen Kommunisten gezählt, wuchs unter Ressel bis zum Spätsommer 1946 die Zahl der SED-Mitglieder unter der dreißigköpfigen Belegschaft immerhin auf 15, neben denen die beiden LDP-Mitglieder im Amt verblieben. Im Unterschied zu anderen Landesumsiedlerämtern waren in Thüringen allerdings noch 1947 nicht alle Abteilungsleiterstellen durch SED-Funktionäre monopolisiert; neben dem SED-Amtschef und drei SED-Abteilungsleitern standen immer noch zwei parteilose Abteilungsleiter und überdies sogar ein der LDP angehörender bürgerlicher Jurist als stellvertretender Amtschef185. Im übrigen gerieten der Antifa-Umsiedler Ressel und sein ebenfalls altkommunistischer (aber wieder einheimischer) Nachfolger, der vormalige Weimarer Oberbürgermeister Otto Faust186, bald schon in derartige politische Schwierigkeiten, daß sie sich nur kurzfristig zu halten vermochten. Ressel dürfte nicht zuletzt über Konflikte mit dem mächtigen altkommunistischen Landes-Vizepräsidenten Ernst Busse, einem ehemaligen Buchenwald-Häftling, gestolpert sein, dessen einseitig gegen Vertriebene gerichtete Entnazifizierungspraxis im öffentlichen Dienst er scharf kritisiert hatte187. Faust exponierte sich zu stark für eine Politik eindeutiger Vertriebenenförderung, mit der er nicht nur den Landeshaushalt, sondern auch die Umverteilungsbereitschaft der einheimischen Bevölkerungsmehrheit überforderte188. Spätestens als Faust auf der Eisenacher ZVU-Konferenz Mitte 1947 von ZVU-Vizepräsident Daub vehement kritisiert wurde, weil er die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der Sowjetzone negativ eingeschätzt und auch noch die unter Vertriebenen gegebene „Hasspsychose" gegen das polnische Volk öffentlich anzuBAB, DO 2/2, Bl. 185ff., ZVU, Tschesno, an Präsident Thüringen, 17.1. 46. Ebenda, Bl. 190, Landesamt für Kommunalwesen Thüringen an ZVU, 6.2. 46, mit der Mitteilung über Bieligks Entlassung und Ressels Ernennung; ThüHStA, Mdl 3652, Bl. 16, LA für Kommunalwesen Thüringen, Böhme, an Präsident Thüringen, 4. 2. 46, mit dem Hinweis, als Leiter der LKfN sei von Eggerath dem Bezirksleiter der KPD „ein Herr Ernst Ressel benannt" worden, „auf dessen Berufung die Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler Wert legt, weil er nach Anvon Herrn Tschesno der beste Mann ¡st, den er zur Verfügung stellen kann". gabe •83 BAB, DO 2/2, Bl. 181 ff., [LV Thüringen, Abt. Umsiedler], Geschäftsverteilungs-Plan, 30. 12. 45; Präsident Thüringen, AfN, Personalbogen, [ca. Mitte 46]; Bl. 212, Mdl Thüringen, AfN, Personalaufstellung [ca. Mitte 47]. ix' SBZ-Handbuch, S. 897. 87 Vgl. die Vorgänge in ThüHStA, Mdl 3879, Bl. 9-16; Schwartz, „Verantwortliche Arbeit beim Wiederaufbau"; Ressel scheint daraufhin zur thüringischen Volkspolizei gewechselt zu sein; vgl. van Hoorn, Umsiedlung, S. 205. i83 184
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i88
Vgl. Kap. III.3.
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196
II. Die
Soziologie der Macht
sprechen gewagt hatte, dürfte er seinen Rückhalt in der Landes-SED eingebüßt haben. Daub hielt die Äußerungen des altkommunistischen Neubürgeramtschefs für „gefährlich", weil sie unter Vertriebenen die Grundhaltung schürten, sich lediglich als „Opfer des neuen demokratischen Faschismusses" zu begreifen, statt sich „immer wieder vor Augen [zu] halten, wie wir zu der heutigen Lage gekommen sind". Noch schärfer hatte der ZVU-Vizepräsident auf Fausts Plädoyer readie solle sich Wirtschaftshilfe öffnen: „Er sei der Meinung, SBZ westlicher giert, daß man die demokratische Entwicklung in der SBZ nicht für eine Tafel Schokolade verkaufen solle."189 Als wenig später auch noch sowjetische Kritik an unzureichenden Arbeitsergebnissen seines Amtes laut wurde, sah sich Faust im Zuge einer größeren Regierungsneubildung im September 1947 auf einen Landratsposten abgeschoben190. Auf diese Weise endete die Anfang 1946 etablierte altkommunistische Vorherrschaft im Thüringer Neubürgeramt, denn der neue, bis Frühjahr 1949 amtierende Behördenchef Willy Kalinke war ein früheres Mitglied der Weimarer Splitterpartei SAP („Sozialistische Arbeiterpartei"), zu der auch Willy Brandt gezählt hatte, wenngleich Kalinke nach 1945 über die KPD den Weg in die SED gefunden hatte191. Im regionalen SED-Netzwerk Thüringens scheint Kalinke, welcher der dortigen Landtagsfraktion angehörte und seit 1947 auch als Landesvorsitzender der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" fungierte192, gut verankert gewesen zu sein. Als Mitglied des Zentralvorstands der
WN hatte Kalinke auch direkten Kontakt zu den SED-Führern Dahlem und Helmut Lehmann. Der zuständige Sachbearbeiter im SED-Landesvorstand ging jedenfalls zufrieden davon aus, daß die Partei mit der Bereitstellung dieses „guten und zuverlässigen Genossen" in der Umsiedlerpolitik das ihrige getan habe193. Wie in Thüringen hatten die kommunistischen Kaderpolitiker auch in SachsenAnhalt allzu viele Sozialdemokraten im Provinzialumsiedleramt ausgemacht194. Gerade in dieser Region der SBZ war die SPD außerordentlich stark und wehrte sich folglich 1945/46 vehementer als andernorts gegen kommunistische Hegemoniegelüste195. Solche Widerstände wurden von der KPD im Zusammenspiel mit den Sowjets notfalls gewaltsam gebrochen196, wobei man vor dem Mittel der Verhaftung nicht zurückschreckte. Auf diese brachiale Weise wurde im Spätsommer 1946 auch der Leiter des Provinzialumsiedleramtes, der frühere Sozialdemokrat und nunmehrige SED-Funktionär Paul Gaden, „wegen politischer Unzuverlässigkeit" entlassen und gleichzeitig inhaftiert197. Sein Sturz hatte sich bereits im i»9
ThüHSTA, Mdl 3672, Bl. 175-208, insb. Bl. 186,188 f. und 202 f., Mdl Thüringen, AfN, Protokoll
"o
ThüHStA, Mdl 3672, Bl. 211-234, insb. Bl. 213, Mdl Thüringen, AfN, Protokoll der 1.Tagung der
der erweiterten Direktorenkonferenz auf der Wartburg in Eisenach am 16. und 17. 6. 47, 16. 6. 47.
neugebildeten
i9' 192
LKfN
Thüringen am 28. 10. 47, 28. 10.
burghausen übernommen.
47; Faust hatte das Landratsamt in Hild-
SBZ-Handbuch, S. 942. Ebenda.
BAB, DO 2/1, Bl. 192ff., insb. Bl. 193, DVdl, HAU, Thiele, Bericht über Besprechungen mit den Innenministern der Länder über die Eingliederung der Abteilungen Bevölkerungspolitik, 24.9.48; zum WN-Vorstand: Reuter/Hansel, Das kurze Leben der WN, S. 546. '94 Vgl. BAB, DO 2/2, Bl. 120ff. 195 Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 45ff. 196 Müller, Sozialdemokratische Politik unter sowjetischer Militärverwaltung, S. 174; Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 37. >97 BAB, DO 2/4, Bl. 28-31, insb. Bl. 30, ZVU, Engel, Jahresbericht des Präsidiums für 1946, o.D. 193
2. Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
197
Juni abgezeichnet, als der vorgesetzte Vizepräsident der Provinzialverwaltung, der Altkommunist Robert Siewert, kritisierte, „daß seiner Auffassung nach die Zusammenarbeit des Herrn Gaden mit der SMA (Major Potjemkin) anscheinend
nicht in wünschenswerter Weise klappt", da der frühere Sozialdemokrat „zu sehr Beamter" sei198. An Gadens Stelle trat mit dem Altkommunisten Rudolf Hiebsch ähnlich wie mit Ressel in Thüringen ein sudetendeutscher Antifa-Umsiedler, der erst seit kurzem im Provinzialumsiedleramt tätig war199. Ähnlich wie dem Thüringer Kalinke scheint es auch dem Neu-Hallenser Hiebsch gelungen zu sein, sich in den regionalen Machtstrukturen gut zu verankern. Der 1908 geborene deutschböhmische Kommunist, der zwischen 1938 und 1946 in der sowjetischen Emigration gelebt hatte, um 1946 in die CSR nur deshalb zurückzukehren, um seinen Eltern bei der „Umsiedlung" in die SBZ beizustehen, machte auf diese Weise formell selbst zum „Antifa-Umsiedler" geworden nicht nur in der Umsiedlerabteilung der Provinzialverwaltung rasch Karriere. Hiebsch nutzte die Parteiarbeit zur Absicherung seiner staatlichen Funktion: 1948/49 hatte er den Vorsitz der SED-Betriebsgruppe seines Ministeriums inne und gehörte daher auch der SED-Betriebsgruppenleitung der Landesregierung an. Durch diese Aktivität gelang es Hiebsch, Netzwerk-Kontakte zu einflußreichen SED-Größen zu knüpfen, so dass er nach eigener Aussage beim Genossen Robert Siewert, dem sachsenanhaltischen Innenminister, im Falle eines Gesprächswunsches nie zu warten brauchte, während es sonst bei Ministern „für einen kleinen Oberregierungsrat" unmöglich sei, auch nur „zum Vorzimmer vorzukommen"200. Solche SED-Netzwerkkontakte dürften Hiebsch befähigt haben, als einziger zur SED gehörender Leiter einer Landesumsiedlerabteilung deren Abschaffung im Frühjahr 1949 zu überstehen, indem er selbst zum Leiter der neugeschaffenen Abteilung Bevölkerungspolitik im Innenministerium ernannt wurde. Hiebschs hartnäckiges Beharren auf der Notwendigkeit weiterer sozialpolitischer Vertriebenenförderung, dem er auf Landesebene auch Taten folgen ließ201, machte ihn in der übergeordneten zonalen Innenverwaltung jedoch zur Persona non grata. Die mit Bildung der Provisorischen DDR-Regierung einhergehende Personalrochade zwischen Zentrale und Ländern bot den Kaderpolitikern die Möglichkeit, den unbequemen Landesfunktionär unauffällig loszuwerden. Im Herbst 1949 seiner bisherigen Staats- und Parteifunktionen entkleidet, wurde Hiebsch zu einem Lehrgang der Deutschen Verwaltungsakademie in Forst Zinna abgeordnet, wo er die zwiespältige Beurteilung erhielt, zwar leistungsfähig, aber zu selbstbewußt und keineswegs immer lernfähig zu sein. Solche Noten boten dem ehemaligen Umsiedlerbürokraten keine Chance zur Rückkehr in die DDR-Innenpolitik. Im Frühjahr 1950 absolvierte Hiebsch einen weiteren, diesmal außenpolitischen Lehrgang, um sodann -
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198
BAB, DO 2/35, Bl. 48, ZVU, Scheel, Bericht über Besprechungen mit Siewert und Gaden am 3.6., o.D.
199
BAB, DO 2/2, Bl.
124 f., neuer Stellvertreter wurde das SED-Mitglied Hans Freyer, der für eine Vorkriegs-Parteikarriere zu jung war, als ehemaliger Wehrmachtsoffizier jedoch wegen einer von der SMA durchgeführten Vernehmung um seine Sicherheit fürchtete und im Juni 1947 in den Westen
200
2oi
floh.
BAB, DO 2/32, Bl. 85 ff. und Bl. 96 ff., insb. Bl. 106, DVdl, HAU, Protokoll der Direktorenkonferenz am 23. 8. 48, 22. 9. 48, Zusatzprotokoll, o.D.; irrtümliche Schreibweise „Siebert".
Vgl. Kap. II.2.5.3 und Kap. III.2.
198
II. Die
Soziologie der Macht
Mai 1950 bis zu seinem frühen Tode im Mai 1951 als Erster Sekretär der DDR-Mission in Bulgarien zu arbeiten, wo er offenbar an den Folgen einer schlecht ausgeführten Operation verstarb202. Die Ernennungen Ressels und Hiebschs demonstrieren, wie entschlossen die kommunistische Personalpolitik die Chance nutzte, den „Kadertransfer" (J. Foitzik) kommunistischer Antifa-Umsiedler aus der Tschechoslowakei zum Ausbau altkommunistischer Machtpositionen und zur rücksichtslosen Verdrängung von Sozialdemokraten zu nutzen203. Eine Ausnahme bildete im Bereich der Umsiedlerverwaltungen lediglich der seit Ende 1945 amtierende Leiter der brandenburgischen Umsiedlerabteilung, der Sozialdemokrat Erich Friedrichs, der bis Anfang 1949 unangetastet im Amt blieb, wenn er auch im März 1946 seinen bisherigen Stellvertreter, einen Fachbeamten der früheren Provinzialverwaltung, gegen einen KPD-Funktionär hatte austauschen müssen204. Daß Friedrichs' Arbeitsverhältnis zur altkommunistisch geprägten ZVU nicht spannungsfrei war, geht teilweise auf den Konflikt zentraler und regionaler Systemebenen zurück, war partiell allerdings auch in den unterschiedlichen politischen Kulturen von KPD und SPD begründet. Der Potsdamer Amtschef drohte im Sommer 1947 der ZVU unumwunden mit Rücktritt, falls sich die Kooperation nicht verbessere: Er sei gern in seiner Funktion tätig, doch solle man nicht glauben, „daß ich um meine Stelle bange und mich deswegen so häufig gegen die Anordnungen der ZVU wende". Das gegenseitige Verhältnis war, wie die ZVU ihrerseits Friedrichs vorwarf, von „Mißtrauen" geprägt. Dieser konterte mit Beschwerden über die „häufige [...] Einmischung" der Zentralverwaltung in die Arbeit seines Landesamtes, über autoritäres, vernehmungsähnliches Auftreten von ZVU-Mitarbeitern bei dienstlichen Besuchen, „wie sie uns hier im ganzen Hause fremd und unerwünscht" seien, sowie über Versuche der ZVU, über seinen Kopf hinweg Fragen seines Ressorts direkt mit dem brandenburgischen SED-Landesvorstand zu klären205. Aufgrund dessen wurde Friedrichs von den Altkommunisten der ZVU höchst ambivalent erinnert: „Persönlich" zwar „ein sehr lieber Mensch und bewußter Antifaschist", sei er doch zu sehr „ein ausgesprochener Beamter" geblieben, der die „politischen Probleme" der Vertriebenenaufnahme unterschätzt, „lediglich die organisatorische Seite" gesehen und dadurch gerade anfänglich eine unbefriedigende Arbeit geleistet habe206. Doch selbst wo die Einsetzung eines kommunistischen Landesamtsleiters gelang, hatte dies nicht zwangsläufig eine reibungslose Kooperation mit der kommunistischen ZVU-Zentrale zur Folge. Der schon im Herbst 1945 in Mecklenvon
202 203
204
SAPMO, DY30/IV2/11/V.165, Kaderakte Rudolf Hiebsch. Insgesamt jedoch ist die Bedeutung des „Kadertransfer"-Interesses bei der „Umsiedlung" der
rund 50000 Antifa-Umsiedler in die SBZ zu relativieren, da das Interesse von SMAD und KPD an Industrie-Facharbeitern viel bedeutsamer war und zudem der Anteil bisheriger KPC-Mitglieder an den Transporten allenfalls ein Drittel erreichte; van Hoorn, Umsiedlung, S. 132, schätzt, daß höchsten 20% der Antifa-Umsiedler politisch und altersmäßig als Kader einsatzfähig gewesen seien, und stellt daher die Tauglichkeit des Begriffs „Kadertransfer" generell in Frage. BAB, DO 2/2, Bl. 64 ff., Provinzialverw. Mark Brandenburg, Amt für dt. Umsiedler, Personallisten
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206
1945/46.
Ebenda, Bl. 94, MfAS Brandenburg, Abt. Umsiedler und Heimkehrer, Friedrichs, an ZVU, Lange,
27. 8. 47. Hanke, Im Strom der Zeit, S. 55.
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
199
burg-Vorpommern anstelle eines vom sozialdemokratischen Präsidenten der Landesverwaltung, Höcker, protegierten Regierungsrates installierte KPD-Amtschef Karl Brincker, ein 1903 in Lübeck geborener Buchdrucker207, dessen Machtbewußtsein wohl größer war als seine Verwaltungsbefähigung, wurde vielmehr seit Herbst 1946 von der ZVU vehement bekämpft. Brincker hatte nämlich die Genossen der Zentralverwaltung nach den Landtagswahlen freudestrahlend wissen lassen, die Partei könne demnächst nicht mehr „über ihn bestimmen" und dabei offenbar „die Tatsache im Auge" gehabt, „daß das Ministerium für Arbeit und So-
zialfürsorge", dem seine Umsiedlerabteilung nun zugeordnet worden war, „in Mecklenburg voraussichtlich ein CDU-Mann übernehmen wird". Dieser Landes-
funktionär lehnte misstrauisch sogar einen SED-Parteibeschluß ab, ihn auf eine Parteischule zu schicken, da er dadurch aus dem Amt entfernt zu werden fürchtete208. Der in der mecklenburgischen Landespartei offensichtlich gut abgesicherte Ministerialdirigent konnte erst im Hochsommer 1947 beseitigt werden, als seine Verwicklung in Lebensmittel-Korruptionsskandale offenkundig geworden war. Als Erbe der Ära Brincker ging den Emissären der Schweriner Hauptabteilung Umsiedlung in den Landkreisen ein denkbar schlechter Ruf voraus: „Es besteht die Meinung, daß das Umsiedleramt nur rauskommt, um zu organisieren. Wo es gutes Essen gibt, da ist nichts zu beanstanden."209 Selbst nachdem Brincker durch Beschluß des SED-Landesparteischiedsgerichts vom 1. September 1947 mit sofortiger Wirkung „von seiner Funktion zurückgezogen" und als „Berichterstatter" ins Schweriner ADN-Büro versetzt worden war, tendierte man im SED-Landesvorstand zur Beschönigung jener „Reihe von Fällen" von Lebensmittelunterschlagungen in Umsiedlerlagern, die den „Eindruck" hatten entstehen lassen, „als ob er es aus Freundschaftsrücksichten oftmals nicht genau genug genommen hätte"210. Nicht der Landes-SED, sondern dem verbissenen Einsatz von ZVU-Vizepräsident Vogt, der dafür Kontakte zum SED-Kaderfunktionär und früheren ZVU-Mitarbeiter Hanke aktivierte, war es zuzuschreiben, daß Brinckers Ablösung schließlich erfolgte. Eine Korruptionsanklage blieb dem zwielichtigen Umsiedleramtschef mit Rücksicht auf seine frühere Widerstandstätigkeit gegen das NS-Regime erspart. Um das öffentliche Ansehen der SED nicht zu beschädigen, stimmte auch Vogt dieser Lösung zu, denn „Skandalprozesse haben wir bekanntlich in der letzten Zeit genug gehabt"211. Während in Thüringen und Sachsen-Anhalt das altkommunistische Machtmonopol gegen sozialdemokratische Widerstände konfliktreich durchgesetzt werden mußte, war es der KPD-Kaderpolitik bis Spätsommer 1946 gelungen, die übrigen Landesumsiedlerämter weniger auffällig zu dominieren. In Brinckers mecklenburgischer Abteilung waren damals 24 von 35 Planstellen mit SED-Mit207
BAB, DO 2/2, Bl. 37 ff., insb. Bl. 38, Präsident Mecklenburg-Vorpommern, Abt. Umsiedleramt, ZVU, 24. 9. 46, nebst Stellenplan. SAPMO, DY30/IV2/2.022/35, Bl. 123, SED, ZS, HA IV, Merker, Aktennotiz v. 12. 12. 46. MLHA, MfS 31a, Bl. 143 ff., insb. Bl. 144, MfSoz Mecklenburg, HAU, Bericht über Besprechung am 20. 11.47, o.D. SAPMO, DY30/IV2/1 l/v.3007, SED, LV Mecklenburg, an SED, ZS, 9. 3. 48. Ebenda, Vogt an SED, ZS, Abt. Personalpolitik, Hanke, 18.9. 47; Brincker war später bis 1954 Vorsitzender des Rates des Kreises Parchim und erhielt auf Beschluß des ZK 1968 den Vaterländischen Verdienstorden in Silber. an
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200
II. Die
Soziologie der Macht
gliedern besetzt, neben denen eine der LDP angehörende Stenotypistin und ein FDJ-Mitglied nicht ins Gewicht fielen. In Brandenburg stellten SED-Mitglieder 16 von 27 Amts-Mitarbeitern; eine Sachbearbeiterin und eine Stenotypistin gehör-
damals zur CDU, doch der Amtsleiter, sein Stellvertreter, sämtliche vier Referenten und der ihnen gleichgestellte Leitende Arzt waren Einheitssozialisten. In der Umsiedlerabteilung der sächsischen Landesverwaltung bekannten sich damals ein Statistiker und eine Stenotypistin zur LDP, doch 28 der insgesamt 32 Belegschaftsangehörigen waren in der SED organisiert. Die Machtverhältnisse schienen auch in den Ländern frühzeitig eindeutig geklärt212. Neben der personalpolitischen Durchdringung der staatlichen Umsiedlerbürokratien hatte der SED-Parteiapparat schon 1946/47 ein parteiinternes Netzwerk umsiedlerpolitischer Sachbearbeiter ausdifferenziert, das hierarchisch gegliedert nicht nur im Zentralsekretariat, sondern auch in allen sechs Landesvorständen der SED (einschließlich Berlins) etabliert worden war213, ohne jedoch in dieser Form bis zu den kommunalen Parteigliederungen zu reichen214. Lediglich in Sachsen-Anhalt versuchte die SED ein dichtes Netzwerk von „Kreisbeauftragten für Umsiedlerfragen" zu etablieren, die formell dem Provinzialumsiedleramt, faktisch jedoch der Partei unterstanden und aus den Reihen der angesiedelten AntifaUmsiedler stammten. Diese hatten laut Anweisung der SMA das Recht, die Wohnungs- und Umsiedlerausschüsse der Gemeinden „zu kontrollieren und zu dirigieren", was freilich die Kommunalverwaltungen nicht hinderte, sie „zunächst weitestgehend zu ignorieren"215. Zwar scheint sich die Tätigkeit dieser SEDKreisbeauftragten auf die Aktivierung lokaler Umsiedlerausschüsse in SachsenAnhalt positiv ausgewirkt zu haben216, doch diente sie zugleich dem Domestizierungsversuch, „die Zusammensetzung der Ausschüsse" im Sinne der SED „zu überprüfen und zu steuern" und dadurch zu verhindern, „daß hemmende, destruktive Elemente in die Ausschüsse gelangen"217. Ähnlich wie die mit Umsiedlerfragen betrauten Funktionäre der Zentralsekretariats-Abteilung Arbeit und Sozialfürsorge neben den Offizieren der SMAD-
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212
BAB, DO 2/2, Bl. 37ff., Präsident Mecklenburg-Vorpommern, Abt. Umsiedleramt, an ZVU, 24. 9. 46, nebst Stellenplan; ebenda, Bl. 82 ff., Provinzialverwaltung Mark Brandenburg, Abt. AS, Amt für dt. Umsiedler, an ZVU, 17. 9. 46: ebenda, Bl. 156 ff., LV Sachsen, Abt. für dt. Umsiedler,
Personalaufstellung vom 25. 9. 46. Dabei variierte die Positionierung dieser Sachbearbeiter; im ZS und in sämtlichen Landesvorständen mit Ausnahme Thüringens waren sie der Abteilung für Arbeit und Sozialfürsorge zugeordnet, „Umsiedler und Neubürger" gelediglich der thüringische Landesvorstand hatte eine Abteilung schaffen; in Berlin gab es ferner Umsiedler-Sachbearbeiter in der Wirtschaftsabteilung, in Brandenburg und Thüringen in der Abteilung Personalpolitik; SAPMO, DY30/IV2/11/217, Bl. 54, SED, ZS, Abt. Personalpolitik, Wö[hl], an Gniffke und Dahlem, 19.12. 47. 211 BAB, DO 2/26, Bl. Iff., insb. Bl. 4f., Mdl Thüringen, AfN, Jahresbericht für 1947, o.D.; demnach herrschte bei den Landesvorständen aller Parteien und Organisationen „genügend Verständnis für die Umsiedlerfragen", wobei dort überall auch „besondere Sachbearbeiter" agierten; hingegen wurden „in den Kreis- und Ortsorganisationen Umsiedlerfragen oft als nebensächlich behandelt"; besondere Sachbearbeiter schien es dort nicht zu geben. 2'3 Mehlhase, Die SED und die Vertriebenen, S. 163. 2"> BAB, DO 2/13, Bl. 34ff., insb. Bl. 81 f., ZVU, Abt. Organisation, Chwalczyk, Jahresbericht für
2'3
1946.
2'7
Rundschreiben des SED-Provinzialvorstandes Sachsen vom 17. Juni 1946, zit. nach: Mehlhase, Die SED und die Vertriebenen, S. 162f.; diese Weisung belegt freilich nicht, daß die SED die Ausschüsse „kontrollierte", wie Mehlhase meint, sondern lediglich den Versuch solcher Kontrolle.
2. Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
201
Umsiedlerabteilung zu den engsten Ansprechpartnern der ZVU-Funktionäre wurden, bot die Vernetzung zwischen SED-Funktionären der Landesumsiedlerbehörden, der regionalen SMA und der SED-Landesvorstände die primäre strukturelle Basis für umsiedlerpolitisches Handeln. In vielen SED-Landesvorständen wurden die umsiedlerpolitischen Sachbearbeiter aus den Reihen der Vertriebenen berufen. Auch auf dieser Ebene wurden überproportional „Antifa-Umsiedler" aus der Tschechoslowakei herangezogen, welche in den SED-Vorständen Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens sämtliche relevanten Positionen besetzten ein wichtiger Parallelismus zur erwähnten Einsetzung sudetendeutscher Kommunisten als Leiter der Landesbehörden Sachsen-Anhalts und Thüringens. In Berlin und Mecklenburg dominierten hingegen reichsdeutsche Kommunisten, in Brandenburg war ein früherer Sozialdemokrat als Leiter der Partei-Abteilung für Arbeit und Sozialfürsorge auch für Umsiedlerfragen zuständig, was wiederum die einzigartige Stabilität der Position des dortigen Abteilungsleiters der Landesregierung erklären mag, der sich als einziger früherer Sozialdemokrat in dieser Netzwerkstruktur langfristig zu behaupten vermochte218. Im Herbst 1947 wurden diese SED-Netzwerke durch das zuständige ZSMitglied Paul Merker zu bündeln versucht, der „zur besseren Führung der Arbeit -
unter
den Umsiedlern" eine „Umsiedlerkommission des Parteivorstandes" für
„notwendig" erachtete, „die mindestens viermal jährlich zusammentreten" sollte. Als Mitglieder waren Vertreter der strikt SED-dominierten Zentralverwaltungen für Umsiedler und für Arbeit und Sozialfürsorge und ferner „die Leiter der Landesumsiedlerämter, soweit sie Mitglieder der SED sind", „die Umsiedler-Sachbearbeiter der Landesvorstände" sowie „je ein Vertreter [der KPD] der französischen, britischen und USA-Zone" vorgesehen219. Das SED-Zentralsekretariat stimmte dieser Kommissionsgründung zu220, die freilich in den Turbulenzen des folgenden Jahres funktionslos geworden zu sein scheint, bevor sie Ende 1948 von der SED-Führung „auf ausdrücklichen Wunsch ihres Vorsitzenden Pieck" gewissermaßen neu „geschaffen" wurde, um „sich in den kommenden Wochen ausschließlich mit dem Umsiedlerproblem [zu] beschäftigen"221. Diese formell von Ulbricht, faktisch von dessen Umsiedlerreferenten Georg Chwalczyk geleitete SED-Umsiedlerkommission, die nun aus Vertretern diverser Fachabteilungen der SED und der staatlichen Umsiedler- und Wohnungsbehörden bestand, leistete im Winter 1948/49 intensive Arbeit zur Analyse der sozialen Lage der in der SBZ lebenden Vertriebenen222, verlor seither jedoch rasch an Bedeutung und befaßte sich im Herbst 1950 in der Hochphase der DDR-Umsiedlerpolitik nicht mehr -
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In Sachsen-Anhalt und Thüringen kooperierten überdies frühere Kommunisten und Sozialdemokraten aus der CSR „paritätisch" in den zuständigen Parteigremien; SAPMO, DY30/ÏV2/11/217, Bl. 54, SED, Abt. Personalpolitik, Wö.[hl], an Gniffke und Dahlem, 19. 12. 47. SAPMO, DY30/IV2/2.022/16, Bl. 200, SED, ZS, Merker, Beschlußvorlage v. 11. 10. 47. SAPMO, DY30/IV2/2.027/34, Bl. 84, SED, ZS, Auszug aus Prot. Nr. 6 der Sitzung vom 13. 10.47. BAB, DO 2/36, Bl. 289 ff., insb. Bl. 290, Mdl Thüringen, AfN, Protokoll der Belegschaftsversammlung am 22. 12. 48, 3. 1. 49, Rede Kalinkes. Vgl. SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. 51 ff., SED, ZS, Abt. Landespolitik, Bericht der Umsiedlerkommission zur „Überprüfung der Situation der Umsiedler im Kreis Zittau, 14. und 15. Dezember 1948", 8. 1. 49.
II. Die
202
Soziologie der Macht
mit DDR-Angelegenheiten, sondern zu agitatorischen Zwecken ausschließlich mit der Lage der Vertriebenen in Westdeutschland223. Im Endeffekt bildete sich aufgrund paralleler Entwicklungen zwischen 1945 und 1947 ein auf drei Säulen den Umsiedler-Sonderinstitutionen in der sowjetischen Besatzungsverwaltung, in den staatlichen deutschen Verwaltungsstrukturen sowie in den SED-Parteiapparaten ein breit gefächertes umsiedlerpolitisches Netzwerk heraus. Dieses wesentlich von Kommunisten geprägte Funktionärsnetzwerk zog die „Geschäftsführung" der sowjetzonalen Umsiedlerpolitik, die in zentralen Punkten stets sowjetischen Vorgaben zu folgen hatte, strikt an sich. Dies führte zu einer doppelten Marginalisierung bürgerlicher Vertriebenenpolitik: Deren innerparteiliche Vertriebenengremien hatten es schwer, an Entscheidungsprozessen des kommunistischen Netzwerkes zu partizipieren, und bürgerliche Versuche zu einer personalpolitischen Partizipation in den staatlichen Umsiedlerbürokratien erwiesen sich, sofern sie erfolgten, der sowjetisch gedeckten kommunistischen Kaderpolitik in der Regel als hilflos unterlegen. Doch nicht nur bürgerliche Parteienvertreter sahen sich marginalisiert, dasselbe traf auch als „unzuverlässig" bewertete SED-Funktionäre zunächst (ehemalige) Sozialdemokraten, später eigenwillige Kommunisten, die sich der erstarrenden Parteidisziplin nicht um jeden Preis beugen wollten. -
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Der Kern des
umsiedlerpolitischen Netzwerkes in der SBZ 1945 bis 1949
SMAD-KDV/
SKK-Innenverwaltung Gorochow
SMAD-Umsiedlerabteilung Issakow; Stottland; Maslennikow; Jewsejew; Komarow; Simow; Balakin;
Ljulka
ZVU-Präsidium
KPD-ZK/SED-ZS/SED-ZK
Josef Schlaffer (KPD) Rudolf Engel (KPD/SED)
Paul Dahlem (KPD/SED) Helmut Lehmann (SPD/SED) Michael Tschesno (KPD/SED) Paul Merker (KPD/SED) Walter Ulbricht (KPD/SED) Philipp Daub (KPD/SED) Arthur Vogt (KPD/SED) ZVU-Abt. Bevölkerungspoli- ZS-Abt. Arbeit u. Sozialtik und Ansiedlung (1947/48) fürsorge Rudolf Belke (KPD/SED) Georg Chwalczyk (KPD/SED) Kurt Nettball (KPD/SED) Kurt Büttner (SED)
ZS-Abteilung Landespolitik/ ZK-Abt. Staatliche Verwaltung Anton Plenikowski (KPD/SED)
SMA
Brandenburg
Zurotschkin
Georg Chwalczyk (KPD/SED)
Landesregierung Brandenburg
SED-Landesvorstand
Brandenburg
Amt für deutsche Umsiedler Walter Wernsdorf (SPD/SED) der Provinzialverwaltung; bis 12/1946 Abteilung Umsiedler und Otto Wagner (KPD/SED)
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223
SAPMO, NY 4062/122, Bl. 334 ff., SED, Westkommission, Bericht über die Tagung der Umsiedlerkommission [von SED und KPD] am 30.9. und 1.10. im Nationalrat, 2.10. 50.
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
203
Heimkehrer im Ministerium für Arbeit und Sozialwesen bis 1/1949 Magda Sendhoff (KPD; 1945) Erich Friedrichs (SPD/SED;
1945-1949)
SMA
Mecklenburg
SED-Landesvorstand Umsiedleramt beim Mecklenburg Präsidenten der LandesverOtto Lechky (KPD/SED) waltung bis 12/1946 Umsiedler Hauptabteilung im Ministerium für Sozialwesen bis 7/1948 Unterabteilung Volk und Heimat in der Hauptabteilung Arbeit und Sozialfürsorge des Ministeriums für Sozialwesen bis 1/1949 Karl Brincker (KPD/SED;
Landesregierung Mecklenburg
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1945-1947)
Johanna Gutmann (KPD/SED; 1947/48) Herzog (CDU; 1948)
Kurt SMA Sachsen-Anhalt
Mukojd
Wolodin
SED-Landesvorstand Landesregierung SachsenAnhalt Sachsen-Anhalt Umsiedleramt der ProvinzialHerbert Schebeste (KPC/SED) verwaltung bis 12/1946 Franz Müller (SPC/SED) Abteilung Umsiedler im Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik bis 3/1949 Paul Gaden (SPD/SED;
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1945/46)
Rudolf Hiebsch
(KPC/SED; 1946-1949) SMA Sachsen
Karnauschtschenko Wolodin (1945-1949)
Walejew
Landesregierung Sachsen
SED-Landesvorstand Umsiedleramt der Landes- Sachsen Maximilian Hartenberger verwaltung bis 12/1946 Hauptabteilung Umsiedler (KPC/SED) im Ministerium für Arbeit und Sozialfürsorge bis 3/1949 Otto Knoch (KPD/SED;
-
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1945/46)
Paul Kloss (KPD/SED;
1946/47)
Ruth Fabisch (LDP;
1947-1949)
SMA Thüringen
Kornjuschko Safronow
Landesregierung Thüringen
SED-Landesvorstand
Umsiedleramt im Landesamt für Kommunalwesen bis
Thüringen
4/1946
Johann Elster (SPC/SED)
II. Die Soziologie der Macht
204
Rudolf Krautzberger Landesamt für Neubürger im Präsidialamt bis 12/1946 (KPC/SED) Willi Gaida (KPC/SED) Hauptabteilung Amt für Neubürger im Ministerium des Innern bis 3/1949 Rudolf Bieligk (SPD, 1945/46) Ernst Ressel (KPD/SED, 1946) Otto Faust (KPD/SED,
-
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1946/47)
Willy Kalinke (SAP/KPD/ SED, 1947/49)
Sowjetische
Kommandantur Berlin
Magistrat Groß-Berlin
SED-Landesvorstand Berlin
Ottomar Geschke (KPD/SED) Kurt Ziegenhagen
(KPD/SED)
Georg Gnewikow (?/SED) 2.2.3.
„Gewisse Verschiebung des politischen Schwergewichts": Kommunistische
Kaderpolitik und bürgerliche Blockparteien
Beide 1945 in der SBZ gegründeten bürgerlichen Blockparteien, die Christdemokraten wie auch die Liberaldemokraten, blieben in der Umsiedlerpolitik hinter der straffen Organisationsstruktur des kommunistischen Funktionärsnetzwerkes deutlich zurück. In der Liberaldemokratischen Partei (LDP) schien sich zunächst besonders der Vizepräsident der sächsischen Landesverwaltung, Dr. Dr. Reinhard Uhle, der dort im Frühjahr 1946 die administrative Zuständigkeit für Umsiedler-
übernommen hatte, als vertriebenenpolitischer Experte zu profilieren224. Nach seiner Ernennung zum sächsischen Landwirtschaftsminister Ende 1946 konnte Uhle jedoch dieses Engagement nicht aufrechterhalten. Zur selben Zeit wurde aber im LDP-Parteiapparat ein Referat für Gewerkschafts- und Sozialpolitik225 installiert, das sich auch der Vertriebenenpolitik annahm. LDP-Sozialreferent Franz Ediger, ein früherer Danziger DDP-Abgeordneter, verfügte allerdings über keinen direkten politischen Einfluß und kompensierte dieses Manko durch eifrige publizistische Tätigkeit. Nur kurzfristig wollte es Mitte 1947 scheinen, als würde Ediger im Zuge der damals praktizierten SED-Einbindungsstrategie gegenüber den bürgerlichen Parteien zum Ansprechpartner der ZVU aufgewertet226. Den altkommunistischen Umsiedlerfunktionären dürfte sein Bekenntnis zur endgültigen Integration der Vertriebenen in ihrer „neuen Heimat" gefallen haunterschied doch es die der die von ben, Vertriebenenpolitik LDP, Ediger bewußt als „Umsiedlerpolitik" bezeichnet wurde, deutlich von der „Flüchtlingspolitik"
fragen
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22t 223
226
am 6.-8.7.46 in Erfurt, Wortprotokoll, Bd. 7, S. 12, Rede Dr. Dr. Uhles „zum Problem der Umsiedler und Heimkehrer". ADL, LDPD 907, LDPD, Parteileitung, Abteilung für Gewerkschafts- und Sozialpolitik, Ediger, Sozialpolitischer Brief Nr. 1 v. 23. 1. 47, wonach dieses Referat am 15. 11. 46 eingerichtet wurde. Ediger durfte im Juni 1947 auf der Eisenacher ZVU-Konferenz auftreten und wurde dort von ZVU-Präsident Engel demonstrativ gewürdigt; vgl. ThüHStA, Mdl 3672, Bl. 175-208, insb. Bl. 204 und Bl. 206, Mdl Thüringen, AfN, Protokoll der erweiterten Direktorenkonferenz auf der Wartburg in Eisenach am 16. und 17. 6. 47, 16. 6. 47.
ADL/LDPD/9005, 1. Parteitag der LDPD
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
205
der CDU, welche noch 1947 auf Aufrechterhaltung der Rückkehrhoffnung und damit verbundene Revisionsforderungen in Sachen Grenzziehung und Vertreibung großen Wert legte227. Dissens mit der SED mußte freilich Edigers Forderung nach verstärkter Vertriebenenpartizipation in der Umsiedlerpolitik der SBZ auslösen, sollten doch die „Umsiedler", um „gleichberechtigte Glieder unserer Gemeinschaft zu sein", nach Meinung des LDP-Funktionärs „nicht Objekt, sondern Subjekt einer deutschen Umsiedlerpolitik" werden: „Nur was der Umsiedler freiwillig tut, kann als endgültig angesehen werden"228. Mit dem plötzlichen Scheitern des von der ZVU betriebenen Projekts eines Zentralen Umsiedlerbeirats, in den Ediger als Vertreter seiner Partei öffentlichkeitswirksam hätte eingebunden werden sollen, sah sich der Liberaldemokrat ab Herbst 1947 erneut auf seine mehr oder weniger ohnmächtige Rolle als Publizist zurückverwiesen. Die DDR-Historiographie hat Ediger als typischen Repräsentanten bürgerlicher Reaktion bewertet und dafür sein Beharren auf einer gesamtdeutschen Lösung beim Lastenausgleich angeführt229. Abgesehen davon, dass der Verweis auf eine erforderliche gesamtdeutsche Lösung auch den Gegnern eines Lastenausgleichs in sämtlichen Parteien (auch in der SED) als nützliche Sachzwang-Ausrede diente, kann das Projekt eines besitzumverteilenden Lastenausgleichs keineswegs als reaktionär bezeichnet werden. Edigers LDP-Umsiedlerpolitik ging davon aus, daß der einheimischen Bevölkerung „immer wieder klar" gemacht werden müsse, „daß sie an dieser Hilfe nicht vorbeikommt und daß letzten Endes auch einem Lastenausgleich zugunsten der Umsiedler nicht auszuweichen" sei. „Keine künftige deutsche Regierung", so glaubte Ediger, werde in dieser Frage „anders handeln" können. Der LDP-Politiker erwartete von einer künftigen Zentralregierung offenbar größere Unabhängigkeit gegenüber einheimischen Gruppeninteressen, stellte er doch bedauernd fest, „daß die behördlichen Maßnahmen in den verschiedenen Zonen und Ländern weitgehend beeinflußt sind durch die Haltung der eingesessenen Bevölkerung". Deutlich abweichend vom umsiedlerpolitischen Deutungsangebot der SED (zumindest bis 1948) waren nicht diese Auffassungen, sondern eher Edigers Reflexionen über die Ursachen der Vertreibung, die dem vom NS-Regime ausgelösten Zweiten Weltkrieg zwar eine wichtige, aber nicht alleinentscheidende Rolle zumaßen und damit implizite Kritik an den kommunistisch dominierten Nachkriegsregierungen der Vertreiberstaaten übten. Insgesamt gesehen gab es jedoch zwischen Edigers LDP-Position und der 1947/48 betriebenen Umsiedlerpolitik von SED und ZVU weitreichende Übereinstimmung. Dies für nicht die des Liberaldemokraten nur vor der politischen Gefahr Warnung galt einer massenhaften Unzufriedenheit der Vertriebenen, die trotz formaler Gleichberechtigung aufgrund fehlender sozialer Gleichstellung einen Nährboden für das Wiedererwachen des Nationalsozialismus abgeben könne. Auch Edigers Forderung nach verstärkter Partizipation der Vertriebenen bei der administrativen Gestaltung ihres Schicksals fand in der Umsiedlerausschuß-Politik der ZVU zumin227
228
229
Zu dieser frühen „Vertriebenenpolitik" der CDU unter Hermes und Kaiser: Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 82 ff. und S. 303 ff. ADL, LDPD 907, LDPD, Parteileitung, Abteilung für Gewerkschafts- und Sozialpolitik, Ediger, Sozialpolitischer Brief Nr. 7 v. 31. 7. 47. Pape, Die Haltung der Liberal-Demokratischen Partei, S. 58 f.
II. Die Soziologie der Macht
206
dest einen gewissen Widerhall, solange jedenfalls diese Partizipation im Sinne der SED kontrollierbar schien. Auch der Wunsch nach größerer Durchschlagskraft zentral geplanter Umsiedlerpolitik einte LDP und SED-geführte ZVU. Nicht zufällig unterstrichen SED-Umsiedlerbürokraten Edigers Feststellung: „In den zentralen Stellen wird vielleicht richtig geplant und alles durchdacht, aber je weiter man die Durchführung der angeordneten Maßnahmen nach unten beobachtet, umso mehr muß man feststellen, daß sie entweder an Wirksamkeit verlieren oder überhaupt nicht durchgeführt werden."230 Erst mit dem von SMAD und SED im Alleingang erzwungenen umsiedlerpolitischen Kurswechsel des Jahres 1948 zerbrach dieser weitgehende Konsens. Fortan wurden LDP-Politiker wie Ediger mit ihrem Beharren auf besonderer „Umsiedlerpolitik" von Seiten der SED immer heftiger attackiert. Anfang 1949 wies der oberste SED-Umsiedlerbürokrat Arthur Vogt DVdl-Präsidium und SMAD warnend auf „reaktionäre Kräfte" hin, welche die „entstandene Mißstimmung unter den Umsiedlern in bewußter Weise auszunutzen" versuchten, etwa „in einer Anzahl von polemischen Presseartikeln [...] in den Organen der CDU und LDP"231. Wenig später wurde Ediger in Abwesenheit auf einer Funktionärskonferenz in Schwerin vom Umsiedlerreferenten der SED-Führung, Chwalczyk, namentlich angegriffen, weil er im November 1948 in einem Artikel im mecklenburgischen LDP-Landesorgan den Vertriebenen „weiszumachen" versucht habe, „daß das Leben der Umsiedler im Zweijahresplan überhaupt nicht berücksichtigt" worden sei ein Vorwurf übrigens, der nichtöffentlich von vielen SED-Umsiedlerpolitikern geteilt wurde. Öffentlich jedoch schloß die SED diszipliniert ihre Reihen und erklärte Edigers Kritik schlicht für destruktiv: Man könne „nicht erkennen, daß hier Kräfte am Werk sind, die die Situation verbessern, da hier nur versucht wird, eine Störung zu entfachen". Solchen Attacken müsse die SED „scharf und grob" entgegentreten232. Doch nicht mit Grobheit, sondern offenbar mit personalpolitischer Subtilität gelang es der SED letztlich, Ediger auszuschalten, indem der bisherige Sozialreferent der LDP im Laufe des Jahres 1949 in das Präsidium der Fürsorgeorganisation Volkssolidarität versetzt wurde233 mit der für die SED angenehmen Folge, dass seither von ihm in der Umsiedlerpolitik nichts mehr zu hören war. Vertriebenenfragen wurden im LDP-Parteiapparat spätestens ab 1950 nicht mehr von einem Referenten, sondern von einem Ausschuß bezeichnenderweise für allgemeine „Sozialpolitik" unter Vorsitz der Volkskammerabgeordneten Milly Schmidt bearbeitet, der intern zwar kontrovers diskutierte, öffentlich jedoch kaum noch hervortrat234. Angesichts dieser vergleichsweise schwachen Parteistrukturen kam es in der Umsiedlerpolitik der LDP umso stärker auf personalpolitische Beteiligung in den staatlichen Verwaltungen an. Auf der Ebene der Umsiedler-Zentralverwaltung hatten jedoch, wie oben gesehen, beide bürgerlichen Parteien der monopolisti-
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-
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"° 251 252
233 234
BAB, DO 2/49, Bl. 386-396, insb. Bl. 389f. und Bl. 392-395, Abschrift: Franz Ediger, Das Umsiedlerproblem, LDP-Schriftenreihe 1, hrgg. v. der LDP-Parteileitung, o.D. [ca. Mitte 1947]. BAB, DO 2/18, Bl. 1 ff., insb. Bl. 60 f., DVdl, HAU, Statistischer Jahresbericht 1948, Januar 1949. BAB, DO 1-8/83, Bl. 57-73, insb. Bl. 67f., DVdl, Protokoll über die Landeskonferenz des Mdl Mecklenburg am 1. 2. 49 in Schwerin, 1. 2. 49.
SBZ-Handbuch, S. 892.
Vgl. ADL/LDPD/24463 und ADL/LDPD/22305.
2. Institutionenwandel
und Netzwerk-Kontinuität
207
sehen Kaderpolitik der KPD/SED nichts entgegenzusetzen. Bezeichnenderweise erst im Januar 1948 forderte die LDP-Parteiführung von der altkommunistisch beherrschten ZVU, eine den Wahlergebnissen von 1946 entsprechende Besetzung der ZVU-Belegschaft vorzunehmen, was angesichts der längst geklärten Machtverhältnisse völlig wirkungslos blieb235. Geschickt gab ZVU-Präsident Engel den schwarzen Peter an die LDP zurück, indem er behauptete, „von Anfang an versucht" zu haben, „Mitarbeiter aus allen Parteien zu gewinnen"; im übrigen komme die LDP-Forderung viel zu spät, da die Arbeit der ZVU schon fast abgeschlossen sei. Das all dies nichts mit Böswilligkeit zu tun habe, suchte Engel durch den Verweis auf seine denkbar guten Arbeitserfahrungen mit leitenden LDPUmsiedlerfunktionären in den Landesregierungen Sachsens und Thüringens zu
belegen236.
Tatsächlich hatte in Thüringen stets unter altkommunistischen Vorgesetzten Anfang 1946 bis zum Sommer 1947 der Liberaldemokrat Dr. Erich Reuß als stellvertretender Leiter des Amtes für Neubürger fungiert und als gelernter Verwaltungsjurist auf die in Thüringen ausgeprägte umsiedlerpolitische Landesgesetzgebung sogar erheblichen Einfluß nehmen können. Auch nachdem Reuß als Rechtsdezernent in die Gothaer Kommunalpolitik gewechselt war, wurden seine Expertisen in der Landeskommission für Neubürger weiterhin geschätzt, der er bis zu deren Auflösung 1949 angehörte. Besondere Genugtuung dürfte der Liberaldemokrat im Sommer 1948 erlebt haben, als SED-Amtschef Kalinke ein von ihm entworfenes Lastenausgleichskonzept in Berlin vorlegte237. Daß einer solchen Zonengesetzgebung letztlich kein Erfolg beschieden war, steht auf einem anderen Blatt. Verdankte sich Reuß' Einfluß offenbar landespolitischen Konstellationen, so war der Parallelfall der sächsischen LPD-Amtschefin Ruth Fabisch komplexer238. Im Dresdner Landesumsiedleramt war zunächst unter der Ägide des KPD-Funktionärs Otto Knoch bis Frühjahr 1946 eine derartig rücksichtslose altkommunistische Dominanz etabliert worden, daß man es sich leisten konnte, das Amt aus dem Machtbereich des KPD-Vizepräsidenten Kurt Fischer in den des liberaldemokratischen Vizepräsidenten Uhle zu verlagern239. Schadeten dem Parteisoldaten Knoch Intransigenz und Inkompetenz nicht, so stolperte er ähnlich wie sein Schweriner Genosse Brincker schließlich über Korruption und wurde im November 1946 durch den Leipziger Sozialstadtrat Paul Kloß ebenfalls ein altes KPD-Mitglied ersetzt. Dessen auf langjährige Zuchthaushaft im NS-Staat zurückgehende Gesundheitsschäden verschlimmerten sich jedoch bald schon derart, -
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von
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BAB, DO 2/4, Bl. 222, LDP, ZV, Külz / Lieutenant, an ZVU, Engel, 15. 1. 48. Ebenda, Bl. 223, ZVU, Engel, an LDP, ZV, 22. 1. 48. 237 BAB, DO 2/83, Bl. 284 ff., Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, an DVdl, HAU, 287f., Anlage Dr. Reuß, „Gedanken zum Lastenausgleich", 3. 3. 48. 233 23'
238
239
28. 7. 48, sowie Bl.
Die 1903 in Kattowitz geborene Ruth Fabisch wurde nach abgebrochenem Medizinstudium 1930 Leiterin einer Fürsorgestelle, verlor jedoch diese Position 1933; 1945 nach Sachsen vertrieben, wurde sie Organisationsleiterin des LDP-Landesverbandes und ab Oktober 1945 Landessekretärin der Volkssolidarität; seit 1. Mai 1947 fungierte sie im Range eines Ministerialrats als Leiterin der Hauptabteilung Umsiedler im Arbeits- und Sozialministerium; BAB, DQ 2/137, Bl. 79, DVAS, Personalfragebogen Fabisch. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 116ff., insb. S. 123.
II. Die
208
Soziologie der Macht
daß seine Abberufung unumgänglich wurde240. In dieser Situation wurde die Landesumsiedlerabteilung Ende 1946 in das Arbeits- und Sozialressort und damit wieder in den Amtsbereich eines SED-Ministers überführt wenngleich dieser mit Walter Gabler ein früherer Sozialdemokrat war. Die sächsischen Liberaldemokraten, deutlich stärker umsiedlerpolitisch engagiert als andere LDP-Landesverbände, sannen auf Kompensation, indem sie die unmittelbare Leitung der nunmehrigen „Hauptabteilung Umsiedler" des Arbeitsministeriums beanspruchten. Hintergrundaktivitäten des LDP-Landesvorsitzenden Hermann Kastner und der ihm gewogenen SMAS ebneten einer solchen Lösung den Weg, der sich auch Regierungschef Rudolf Friedrichs, ein früherer SPD-Politiker, nicht verschloß241. Doch als die aus Oberschlesien stammende Wohlfahrtspflegerin Ruth Fabisch, bisher als LDP-Vertreterin im Landesvorstand der sächsischen Volkssolidarität tätig242, im Mai 1947 tatsächlich zur Leiterin der Hauptabteilung im Range eines Ministerialrates ernannt wurde, spielten weitere Motive eine Rolle. Fabischs Ernennung diente nicht zuletzt dazu, damals laut gewordene Forderungen der sächsischen LDP nach Errichtung völlig neuer (möglicherweise weniger SED-konformer) Sonderverwaltungsstrukturen für Vertriebene zu entschärfen243, und konnte zugleich als Beweis für die angebliche personalpolitische Konzilianz der SED angeführt werden244. Diese Duldung oder gar gezielte Einsetzung liberaldemokratischer Amtschefs in zwei Ländern der SBZ reflektierte eine grundlegende Ambivalenz der SED in der damaligen Umsiedlerpolitik. Einerseits auf die rasche Durchsetzung eines kommunistischen Machtmonopols in den Umsiedlerverwaltungen fixiert, zeigte man sich doch andererseits nicht bereit, auch die öffentliche Verantwortung für solche Machtmonopolisierung zu übernehmen. Doch überall, wo Umsiedlerpolitik Bevölkerungszorn hervorrief, richtete sich dieser zwangsläufig primär gegen die SED, die in den frühen Umsiedlerverwaltungen omnipräsent war und daher als hauptverantwortlich für umstrittene Entscheidungen betrachtet wurde. Diese öffentliche Wahrnehmung wurde für die SED umso riskanter, als sie die bürgerlichen Blockparteien verlockte, sich auf populistische Kritik unpopulärer Verwaltungsmaßnahmen zu beschränken. Gegenstrategien der SED zielten darauf, vom Machtmonopol nicht wirklich zu lassen, jedoch bürgerliche Blockpolitik öffentlichkeitswirksam mitverantwortlich zu machen. Schon Mitte 1946 hatte die ZVU von thüringischen SED-Funktionären gefordert, eine „enge Verbindungnahme mit der Partei" zu suchen, zugleich aber die öffentliche „Verantwortlichmachung der Vertreter der LDP und CDU" anzustreben, die bislang „in der Landeskommission für Neubürger das große [kritische] Wort führen" würden245. Aus dem-
240
Ebenda, S.
126 f.; Kloß und der
ZVU-Sonderbeauftragte für Antifa-Transporte, Arthur Vogt, der Zeit des mitteldeutschen KPD-Aufstandes von 1923. Ebenda, S. 238 f.; eine Beteiligung der ZVU an diesen Weichenstellungen scheint Donth nicht zu sehen. kannten sich
241
242 243
aus
SBZ-Handbuch, S. 896. Vgl. etwa SäHStA, SäLT 47, SäLT, Prot. der Sitzg. des Ausschusses für Arbeit und Sozialfürsorge am
23. 4., 25. 4. 47, Beratung über im Lande Sachsen".
LDP-Antrag Drs. Nr.
140 betr.
„Gesetz über das Flüchtlings-
wesen 244 243
Thüsing, Landesverwaltung und Landesregierung in Sachsen, S. 225 f. BAB, DO 2/36, Bl. 49, ZVU, Lange, „Kritische Bemerkungen zur Arbeit unserer Verwaltung in Weimar", „Vertraulich!", 20. 7. 46.
2. Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
209
selben Grunde hatten die in der SED-Führung für Innenpolitik zuständigen ZSMitglieder Walter Ulbricht und Max Fechner von den SED-Landesvorständen im November 1946 verlangt, im Zuge der Bildung neuer Landesregierungen die Leitung des für „Umsiedler" zuständigen Ministeriums „bürgerlichen]" Politikern zu überlassen246. ZVU-Chef Engel hatte im Februar 1947 eine ähnliche Grundsatzentscheidung für die neuen Leitungen der Landesumsiedlerbehörden verlangt, um die SED in der gesellschaftlich konfliktreichen Umsiedlerpolitik etwas
der Schusslinie zu nehmen: „Bisher" habe öffentlich wahrnehmbar „nur die SED aktiv an der Umsiedlerfrage gearbeitet [...], so daß von der Zentralverwaltung bis in die untersten Einheiten der Lager fast ausschließlich SED- oder parteilose Mitarbeiter tätig" seien. Engel drängte die SED-Führung deshalb zur Entscheidung, ob sie die bürgerlichen Parteien an der Verantwortung für „diese unpopuläre und undankbare Aufgabe" öffentlichkeitswirksam beteiligen wolle oder ob sie vielmehr ihr Politikmonopol rückhaltlos durchsetzen, sich dann aber auch „viel intensiver und konkreter mit der Lösung dieser Aufgabe" befassen wolle. Der ZVU-Präsident hielt es damals für „richtiger", das Vertriebenenproblem „nicht allein auf den Schultern der SED beruhen zu lassen, sondern zu versuchen, alle Parteien der Zone an der Durchführung dieser Aufgabe zu beteiligen". Erst für den Fall, daß dies „nicht ohne weiteres durchführbar" sein sollte, riet Engel zur zweiten Variante, die durch straffe Unterstellung aller Landesumsiedlerverwaltungen unter die SED-kontrollierten Innenministerien hätte umgesetzt werden sollen247. Für den altkommunistischen ZVU-Präsidenten stellte nicht die LDP, sondern die CDU die eigentliche Bedrohung dar. Nur SED und CDU nämlich hatten bei den Kommunalwahlen des September 1946 eine Massenbasis unter Vertriebenen gewinnen können. Die Konkurrenz der Union schien für die SED noch gefährlicher zu werden, als die Landesumsiedlerämter bei der Bildung der ersten gewählten Landesregierungen mehrheitlich unter Kontrolle von CDU-Ministern gelangten: Im Unterschied zu Sachsen und Thüringen, wo sie SED-Ressortchefs unterstellt wurden oder blieben248, firmierten die Behörden Brandenburgs, Mecklenburg-Vorpommerns und Sachsen-Anhalts fortan in den CDU-geführten Arbeits- und Sozialministerien. Engel fürchtete „eine gewisse Verschiebung des politischen Schwergewichts in der Behandlung der Umsiedlung", zumal die neuen Landesregierungen selbstbewusst den Steuerungsanspruch der Zentralverwaltungen in Frage stellten249. Obgleich sich diese Befürchtungen als übertrieben erweisen sollten, veranlaßten sie die SED-Führung 1947 zur Umsetzung der von Engel skizzierten Doppelstrategie. Dabei erhielt der Versuch öffentlicher Einbindung der bürgerlichen aus
Blockparteien Vorrang vor unbedingter kommunistischer Machtmonopolisierung. Die Einbindungsstrategie mündete in eine gezielte Förderung der LDP
durch die SED, womit die Liberaldemokraten unwissentlich für eine gegen die 2« 247 248
249
Zit. nach: Arnos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR, S. 222. BAB, DO 2/4, Bl. 40-46, insb. Bl. 43 f., ZVU, Engel, Memorandum v. 18. 2. 47. Engel sprach irrtümlich von Innenministern, was jedoch nur auf Thüringen zutraf, während in Sachsen das Umsiedleramt dem Arbeits- und Sozialminister unterstand. BAB, DO 2/4, Bl. 28-31, ZVU, Engel, Jahresbericht des Präsidiums, o.D. [ca. Anfang 1947].
210
II. Die
Soziologie der Macht
CDU gerichtete Eindämmungspolitik instrumentalisiert wurden. Zwar sollte auch die CDU öffentlichkeitswirksam eingebunden werden, wie das 1947 betriebene Projekt eines „Zentralen Umsiedler-Beirates" indiziert, doch an wirkliche Schaltstellen sollten deren Mitglieder möglichst nicht gelangen. Die alternative Option Engels, den CDU-Länderministern ihre Zuständigkeit in Vertriebenenfragen wieder streitig zu machen, blieb zunächst sekundär und erfuhr erst 1948 unter gewandelten politischen Rahmenbedingungen eine entscheidende Wiederbelebung, als die Einbindungspolitik infolge der Zuspitzungen in der Deutsch-
landpolitik unpraktikabel geworden war.
Als die Liberaldemokratin Fabisch im Mai 1947 zur sächsischen UmsiedlerAmtschefin ernannt wurde, war folglich diese „Personalkonstellation" für die ZVU keineswegs „unbefriedigend"250. Der ZVU-Präsident hatte vielmehr der SED-Führung ausdrücklich dazu geraten, bei der Neubesetzung des sächsischen Umsiedleramtes „aus Gründen der Blockpolitik [...] einen Vertreter der LDP" zum Zuge kommen zu lassen. Um die bisherige SED-Kontrolle über die sächsische Umsiedlerabteilung nicht verloren gehen zu lassen, suchte Engel der neuen LDP-Amtsleiterin „einen starken Stellvertreter" aus der SED an die Seite zu stellen, „der die Materie beherrscht und der in der Lage ist, die anfallenden Aufgaben auch politisch zu meistern"251. Engels Wunschkandidat, der Umsiedler-Sachbearbeiter im SED-Landesvorstand Max Hartenberger, ein Antifa-Umsiedler aus der Tschechoslowakei, wurde vom SED-Landesvorstand jedoch für unabkömmlich erklärt, so daß man schließlich die einstige Stellvertreterin des ersten kommunistischen Amtschefs, Elisabeth Tänzer (KPD/SED)252, die 1946 in ein anderes Ressort gewechselt war, für die Umsiedlerpolitik reaktivieren mußten. „Sachliche und persönliche Auseinandersetzungen" zwischen der LDP-Amtschefin und ihrer SED-Kontrolleurin waren die Folge „und beeinträchtigten den geordneten Dienstbetrieb". Dabei konnten selbst SED-Kaderpolitiker nicht umhin, die „geschickte Verhandlungsführung" der LDP-Ministerialrätin Fabisch zu loben, und wenn sie ihr die Bevorzugung bürgerlicher Mitarbeiter vorwarfen und ihr Engagement in der (LDP-)Parteiarbeit als allzu zeitraubend kritisierten253, hätte ein solches (in diesem Falle natürlich SED-konformes) Vorgehen einer SED-Amtschefin wohl Anlaß zu Lob gegeben. Gerade Fabischs gezielt vorangetriebene Karriere in der LDP war für ihre politische Absicherung in der sächsischen Landesumsiedlerbehörde unerläßlich. Dasselbe galt für ein anzustrebendes gutes persönliches Verhältnis zu den sowjetischen Vorgesetzten in der SMAS254. Selbst mit den altkommunistischen Funktionären der ZVU wußte die bürgerliche Ministerialrätin zu kooperieren, zumal sich die umsiedlerpolitischen Vorstellungen zunächst auf ähnliche Weise deckten wie im Falle Edigers. Auch hier erfolgte der Bruch erst, als SMAD und SED Mitte 1948 plötzlich die Auflösung der zentralen Sonderverwaltung und die Einstellung 230 251 232 233
234
So jedoch Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 241. BAB, DO 2/4, Bl. 47f., ZVU, Engel, an SED, ZS, 19. 5. 47. BAB, DO 2/2, Bl. 135, LV Sachsen, Umsiedleramt, Personalliste v. Oktober 1945; die 1920 rene Kommunistin Tänzer war gelernte Krankenschwester. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 241 f. und S. 244. Hanke, Im Strom der Zeit, S. 68 f., schildert eine solche Episode.
gebo-
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
211
ihrer Integrationspolitik verfügten, was Fabisch nicht zu akzeptieren bereit war. Ihre landespolitische Stellung wurde durch diesen tiefen Dissens bemerkenswerterweise ebenso wenig erschüttert wie durch die Anfeindungen der sächsischen SED. Schon im Februar 1948 versuchten die SED-Mitglieder ihrer Abteilungsbelegschaft, allen voran Tänzer, den SED-Landesvorstand für die Ablösung Fabischs zugunsten eines SED-Kandidaten zu gewinnen. Die Dresdner SED-Führung wollte damals jedoch aus blockpolitischen Gründen anstelle Fabischs höchstens „einen fortschrittlichen LDP-Mann" einsetzen. Fabisch aber ließ sich nicht kampflos verdrängen, sondern erschütterte im Gegenzug die Position ihrer SEDStellvertreterin durch den Vorwurf des Medikamentenmißbrauchs derart, daß diese im Sommer 1948 aus dem Regierungsapparat zurückgezogen werden mußte255. Dieser Sieg stärkte Fabischs politisches Gewicht, das sie umgehend zur offensiven Vertretung ihrer umsiedlerpolitischen Überzeugungen nutzte. Zu diesem Zeitpunkt opponierten freilich auch die SED-Leiter der übrigen Landesumsiedlerbehörden noch gegen den Kurswechsel der Berliner Zentrale. Erst als dieser SED-interne Widerspruch gegen Ende 1948 verstummte, erhielt Fabischs Beharrlichkeit parteipolitische Oppositionsqualität. Nunmehr konnte sie von den DVdl-Gleichschaltern als Negativbeispiel für unbotmäßige Verwaltungsfunktionäre angeprangert werden, was unter ihren SED-Amtskollegen unwürdige Distanzierungsrituale zur höheren Ehre der Parteidisziplin auslöste256. Kaum hatte Fabisch die behördeninterne SED-Opposition überwunden, drohte ihr von der zentralistisch beschlossenen Überführung ihrer „Hauptabteilung Umsiedler" in das Dresdner Innenministerium neue Gefahr. Leitende Funktionäre dieses SED-dominierten Ressorts planten im Sommer 1948 die Entlassung der LDP-Ministerialrätin257, und zu den beiden im August und Oktober 1948 veranstalteten Zonenkonferenzen der DVdl-Hauptabteilung Umsiedler, der Nachfolgebehörde der aufgelösten ZVU, wurde die sächsische Amtschefin denn auch gar nicht mehr eingeladen, da man alle künftigen Entscheidungen offensichtlich einem exklusiven Zirkel von SED-Funktionären vorbehalten wollte258. Fabisch selbst ging freilich selbstbewußt von ihrer Weiterbestallung aus259 und sollte damit recht behalten. Ihr zunehmendes Gewicht in der LDP, zu deren stellvertretender Zonenvorsitzenden sie im Februar 1949 gewählt wurde260, verhinderte ihre Entfernung, zumal die SMAD Fabisch zu den „progressiven" Kräften ihrer Blockpartei rechnete261. Doch nicht nur der Aufstieg in die zonale Politikebene machte die Liberaldemokratin in Dresden unantastbar. Fabisch verstand es zugleich, ein Netz 253
236
237
238
239 260 26'
Tänzer wurde im Juli 1948 durch den SED-Funktionär Heinz Halm ersetzt und in der Abteilung Personalpolitik des SED-Landesvorstands weiterbeschäftigt; vgl. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 261-263. Besonders Vogt und Kalinke suchten dadurch ihre eigenen Kontinuitätsbestrebungen zu sichern; Mdl 3676, Bl. 60-65, insb. Bl. 62, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über die vgl. ThüHStA, Sitzung beim ZS am 3. 12., 16. 12. 48. BAB, DO 2/1, Bl. 192 ff., DVdl, HAU, Thiele, Bericht über Besprechungen mit den Innenministern der Länder über die Eingliederung der Abteilungen Bevölkerungspolitik, 24.9. 48. BAB, DO 2/32; Sachsen wurde durch Fabischs SED-Stellvertreter Halm repräsentiert. BAB, DO 2/1, Bl. 192 ff., DVdl, HAU, Thiele, Bericht über Besprechungen mit den Innenministern der Länder über die Eingliederung der Abteilungen Bevölkerungspolitik, 24.9. 48. Dähn, Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, S. 560. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 264.
II. Die
212
Soziologie der Macht
persönlicher Kontakte zu knüpfen, das über LDP-interne Verbindungen weit hinausging. Zugute kam ihr gewiß, daß der langjährige Leiter der SMAS-Umsiedlerabteilung, Oberstleutnant Wolodin, im Gegensatz zu anderen sowjetischen Umsiedlerfunktionären nicht schon 1948 abgelöst wurde, sondern bis Spätsommer 1949 im Amt blieb262. Über diesen sowjetischen Kanal konnte sie ebenso Zugang
gewinnen versuchen263, wie ihre neue Funktion in der LDPzum Leiter der SMAD-Propagandaabteilung, Oberst Parteiführung über den Fabisch gegnerische SED-UmsiedlerbürokraTjulpanow, ermöglichte, ten der DVdl unter Druck zu setzen verstand264. Fabischs in der sächsischen LDP geknüpfte Verbindung zu Hermann Kastner, dem zeitweiligen sächsischen Justizzu
„Karlshorst"
zu
Kontakte
1948 zu einem der Stellvertretenden DWK-Vorsitzenden verschafften ihr zusätzliche Einflußmöglichkeiten sowohl in der aufgestiegen Blockpolitik als auch bei hochrangigen sowjetischen Vertretern265. Am bemerkenswertesten war jedoch Fabischs Kunststück, selbst unter sächsischen SEDFunktionären Rückhalt zu gewinnen. Dabei überspielte die selbstbewußte Abteilungsleiterin nicht nur ihren vorgesetzten SED-Arbeitsminister Gabler, indem sie sich in strittigen Fragen direkt an SED-Ministerpräsident Seydewitz zu wenden wagte266. Noch wichtiger war das wider Erwarten gute Arbeitsverhältnis Fabischs seit Überfühzum SED-Innenminister Wilhelm Zaisser, der seit Anfang 1949 das Innenministerium267 der in ihr Dienstvorgesetzter Umsiedlerabteilung rung war. Dieser altkommunistische Spanienkämpfer und Moskau-Emigrant verfügte über beste Kontakte zum sowjetischen Staatssicherheitsdienst, denen er seine spätere Blitzkarriere als SED-Politbüromitglied und erster DDR-Minister für Staatssicherheit ebenso verdankte268, wie ihn der Sturz seines Moskauer Gönners Berija 1953 mit ins Verderben riß269. Zwar dürfte Zaisser, der SED-intern die damals vorherrschende Auffassung vertrat, daß „das Umsiedlerproblem als solches verschwindet"270, die exakt gegen diese Linie gerichtete Forderung Fabischs nach
minister, der im März war,
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-
22
SäHStA, LRS, Mdl 2743, Mdl Sachsen, Abt. Umsiedler, an SMAS, Umsiedlerabteilung, Wolodin,
20. 8. 49. BAB, DO 2/83, Bl. 39, MfAS Sachsen, HAU, Fabisch, „Notiz für Herrn Oberstleutnant Wolodin zur Besprechung in Karlshorst", 14. 7. 48. 2M BAB, DO 2/87, Bl. 232, DVdl, Abt. Umsiedler, Vogt, an DWK, HVG, Zetkin, 4. 5. 49; demnach hatte Fabisch, „die dritte Zonenvorsitzende der LDP", eklatante Notstände bei Umsiedlertransporten ,,benutzt[,] um sowie [sie!] bei der Wirtschaftskommission^] bei Herrn Generaloberst Tulpanow und auch bei uns [...] vorzustoßen", wofür „auch ein bestimmtes politisches Interesse" ausschlaggebend gewesen sei. 263 Vgl. ausführlich Kap. II.2.4.5. 2« SäHStA, LRS, Mdl 2283, MfAS Sachsen, HAU, Fabisch, Entwurf für MP Sachsen, Seydewitz, 29. 9. 48. 27 SäHStA, LRS, Mdl 2751, Mdl Sachsen, Abt. Umsiedler, Jahresbericht für 1949, S. 22. 268 Schon als General der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg sollen Zaisser und sein späterer MfS-Staatssekretär Mielke als „Beauftragte des NKWD [...] streng nach den Weisungen des ebenfalls nach Spanien abkommandierten NKWD-Generals Orlow gehandelt haben"; vgl. Janka, Spuren eines Lebens, S. 171; 1939 im Zuge der Stalinschen „Säuberungen" in der Sowjetunion inhaftiert, soll Zaisser vom neuen sowjetischen Geheimdienstchef Berija freigelassen worden sein; vgl. v. Flocken / Scholz, Ernst Wollweber, S. 136. 269 Von 1950 bis zu seinem jähen Sturz in der DDR-Staatskrise des Jahres 1953 gehörte Zaisser „zu den mächtigsten Männern der DDR"; vgl. v. Flocken / Scholz, Ernst Wollweber, S. 136; dabei soll er als Haupt der SED-„Reformpartei" 1953 von Semjonow unterstützt worden sein, während sich die Reformgegner um Ulbricht primär auf Sowjetbotschafter Puschkin gestützt hätten. 270 Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 360. 23
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
213
Schaffung einer Vertriebenen-Sonderinstitution in der DWK271 kaum gebilligt haben, doch scheint der SED-Minister dem sozialpolitischen Engagement seiner LDP-Abteilungsleiterin bald schon Respekt und Aufgeschlossenheit entgegenge-
bracht zu haben ansonsten hätte Fabisch den Innenminister schon im März 1949 kaum gebeten, sich auf einer Besprechung bei der sächsischen SMA für die Beibehaltung exakt jener einmaligen Umsiedlerunterstützung gemäß Befehl Nr. 304 einzusetzen, die die sowjetischen und deutschen Instanzen der Berliner Zentrale soeben eingestellt hatten272. Die Unterstützung seiner LDP-Amtschefin könnte Zaisser umso leichter gefallen sein, als er damit den auf Einstellung jeglicher Umsiedlerpolitik gerichteten Kurs des DVdl-Präsidenten Kurt Fischer, seines schärfsten Konkurrenten in der SED-Sicherheitspolitik, konterkarierte. Jedenfalls war Zaissers bedingte Aufgeschlossenheit in der Umsiedlerpolitik 1949 unter SEDInnenpolitikern eine Ausnahme, die allenfalls noch von Robert Siewert in SachsenAnhalt geteilt wurde273 und den jeweiligen Umsiedlerbürokraten größere Spielräume bewahrte als andernorts. Es war daher mehr als eine Floskel, als Fabisch ihrem SED-Minister zum Geburtstag Mitte 1949 den „aufrichtigsten Dank für die uns durch Sie zuteil gewordene stete Unterstützung unserer Arbeit" übermittelte274. Als Zaisser unmittelbar darauf, im Juli 1949, in die DVdl-Zentrale abging, um die Reorganisation der sowjetzonalen Geheimdienste zu übernehmen, behielt sein Stellvertreter und Nachfolger als Landesinnenminister, der Altkommunist Arthur Hofmann, diese Rückendeckung Fabischs bei275. Zwar konnte die couragierte Liberaldemokratin den 1948/49 erfolgten Kurswechsel in der Umsiedlerpolitik der SBZ nicht verhindern, geschweige denn rückgängig machen, doch die integrationspolitischen Zuständigkeiten ihrer eigenen Behörde vermochte sie trotz der Integration ihres Amtes in das Landes-Innenressort und gegen den Willen der Berliner Zentrale zäh zu verteidigen. Entsprechend selbstbewußt konterte Fabisch im Oktober 1949 auf einer Sitzung des LDP-Hauptausschusses eine kritische Stimme, die der LDP Untätigkeit in der Vertriebenenfrage vorhielt, mit der Feststellung, die Liberaldemokraten hätten ganz im Gegenteil „dafür gesorgt [...], daß die Diskussion und das Bemühen um das Umsiedlerproblem nicht abreißt": -
„Denn gerade von uns aus, nachdem ich darf es hier ruhig sagen von Seiten der SED das Umsiedlerproblem wohl Ende 1948 [als] so gut wie abgeschlossen betrachtet wurde, durch unseren ständigen Hinweis auf die große Not der Umsiedler und die Fragen, die dort sehr schnell erledigt werden müssen, ist es erreicht worden, daß nunmehr die DWK [...] sich be-
-
müht."276
Was mit
Fabischs
Intrigen und Disziplinierungsversuchen nicht gelungen war, erreichten SED-Gegner schließlich mit der eleganten Lösung einer Hinweg-Beför-
derung. Die Bildung der Provisorischen DDR-Regierung im Oktober 1949 bot viele solche Versetzungsmöglichkeiten. Ruth Fabisch erhielt eine „Berufung zum 27i
272
SäHStA, LRS, Mdl 303, Bl. 174 ff., insb. Bl. 174, MfAS Sachsen, HAU [alter Briefkopf], Fabisch, an Mdl Sachsen, Zaisser, 27. 1. 49. Ebenda, Bl. 78f., Mdl Sachsen, Abt. Umsiedler, Fabisch, an Zaisser, 30. 3. 49.
Vgl. zu Siewert Kap. III.2.3.3. SäHStA, LRS, Mdl 2283, Mdl Sachsen, Abt. Umsiedler, Fabisch, an Zaisser, 20. 6. 49. 273 ausführlich Kap. II.2.4.5.1. Vgl. 276 ADL, LDPD/2513, Protokoll der Sitzung des LDP-Hauptausschusses am 3.10. 49 in Leipzig, 273 274
S. 15/4.
II. Die
214
Soziologie der Macht
Staatssekretär"277 im neuen DDR-Ministerium für Volksbildung278, wo ihr Amtsantritt mit dem früheren ZVU-Präsidenten Rudolf Engel ausgerechnet einen ehemaligen Angehörigen des umsiedlerpolitischen Netzwerkes „aus Gründen des Parteienproporzes" verdrängte279. Der Wechsel nach Berlin zwang Fabisch, die Leitung der sächsischen Umsiedlerabteilung im November 1949 aufzugeben280. Ähnlich wie SED-Abteilungsleiter Rudolf Hiebsch in Sachsen-Anhalt hatte sich jedoch diese bürgerliche Außenseiterin im sonst SED-dominierten umsiedlerpolitischen Netzwerk durch gezieltes „Networking" länger als alle anderen leitenden Landesfunktionäre in ihrer Position behaupten können und zwar, wiederum wie Hiebsch, ohne opportunistische Anpassung an die seit Mitte 1948 herrschende neue Linie der Berliner Zentrale. Mit ihrem Aufstieg in die DDRRegierung ging diese couragierte Vertreterin bürgerlicher Blockpolitik dem umsiedlerpolitischen Politikfeld jedoch dauerhaft verloren. Zwar könnte sie im DDR-Volksbildungsministerium 1950 noch Anteil an Planung und Durchführung des DDR-Umsiedlergesetzes gehabt haben, dessen Teil IV immerhin in der Zuständigkeit ihres Hauses eine Reihe von „Ausbildungshilfen für Umsiedlerkinder" von Förderklassen für Zurückgebliebene bis zu Hochschulstipendien für Begabte auf den Weg brachte281. Doch lassen sich persönliche Konturen Fabischs in der DDR-Umsiedlerpolitik nicht mehr entdecken. Quasi als Abglanz einstiger Renitenz wirkt ihr im Herbst 1954 gegenüber einer bereits gleichgeschalteten LDP-Führung geäußertes Beharren darauf, in ihrer Kandidaten-Kurzbiographie zur Volkskammerwahl „gerade die Zeit von 1946 bis 1949" nicht etwa auszusparen, sondern unter Hinweis auf ihre damaligen „sehr anerkannten]" Leistungen und „verschiedene^] Auszeichnungen" einen „Satz über ihre Tätigkeit im Umsiedleramt" einzufügen. Fabischs schrittweise Entmachtung war jedoch unaufhaltsam: Im Sommer 1953 zunächst als Stellvertretende Ministerin in ein bedeutungsloses Ressort, das neue Ministerium für Lebensmittelindustrie, abgeschoben, wurde ihr von LDP-Generalsekretär Gerlach Ende 1956 eröffnet, daß man sie wegen fortdauernder Konflikte mit ihrem SED-Minister abzulösen gedachte. Volkskammerpräsident Dieckmann regte an, die LDP möge sich ganz von Fabisch trennen, die viel besser in der Fraktion des Kulturbundes aufgehoben sei282. 1957/58 im Zuge der Auflösung des Lebensmittelindustrie-Ressorts283 und der nächsten Volkskammerwahlen scheint Fabisch ihre politischen Ämter verloren zu haben284. -
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2»o
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2«2 2«3 284
SäHStA, SäLT 51, Mdl Sachsen, Abt. Umsiedler, Fabisch, an Kanzlei SäLT, 25. 10. 49; entsprechend hatte sich die engagierte Politikerin als „Ministerialrat" bezeichnet. ADL, LDPD/32315, Kaderakte Ruth Fabisch. SAPMO, SgY30/1821/l, Bl. Iff., insb. Bl. 5 und Bl. 20, Rudolf Engel, „Meine Tätigkeit von Oktober 1945 bis Ende 1950 unter besonderer Berücksichtigung der kulturpolitischen Fragen", o.D. SäHStA, LRS, Mdl 2258, Mdl Sachsen, Abt. Umsiedler, Fabisch, an DVdl, Abt. Umsiedler, 14.11. 49; laut SBZ-Handbuch, S. 216, wurde die DVdl bereits am 7. 11. 49 in das neue DDR-Innenministerium überführt. GB1. DDR 1950, S. 973, Umsiedlergesetz, Teil IV. ADL, LDPD/32315, Kaderakte Ruth Fabisch, LDPD, Parteileitung, Peter, Aktennotiz v. 9. 10. 54, sowie die Vorgänge der Jahre 1954-1956. Herbst / Ranke / Winkler, So funktionierte die DDR, Bd. 2, S. 664 f. Laut Budde, Frauen der Intelligenz, S. 332, Anm. 96, verlor Fabisch ihr Ministeramt 1957; laut frdl. Mitteilung des Archivars im ADL, Herrn Sandler, ist Fabisch hochbetagt 1988 zu ihrer Tochter in die
Bundesrepublik übergesiedelt.
2. Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
215
sowjetzonalen Christdemokratie erfolgte eine Ausdifferenzierung innerparteilicher Vertriebeneninstitutionen später als in den übrigen Parteien. Diese beschränkte sich überdies auf ab Frühjahr 1947 eingerichtete Ausschüsse beim CDU-Hauptvorstand sowie bei den Landesvorständen. Dieser wichtige Unterschied zur SED-Struktur war alles andere als zufällig: Ging es im SED-Apparat um die Einsetzung von Funktionären, die Entscheidungen ihrer Parteiführung exekutieren sollten, entstand in der Ost-CDU ein Netz von Beratungsgremien, in denen pluralistisch diskutiert werden konnte, ohne daß die Verbindlichkeit dortiger Diskurse und Beschlüsse geklärt war. Die symbolische Funktion dieser CDU-Ausschüsse war jedenfalls sehr viel greifbarer als ihr innerparteilicher Einfluß. Zu dieser Symbolfunktion, der Signalwirkung nach außen, gehörte bereits die Namensgebung: Während SED und LDP terminologisch längst von „Umsiedlern" und von „Umsiedlerpolitik" sprachen, beharrten die Christdemokraten bis zur Krise von 1947 auf dem „Flüchtlings"-Begriff, der implizit auch Fluchtanlaß und Rückkehrwunsch zur Sprache brachte. Mit dieser Sprachpolitik war die Ost-CDU zweifellos „basisdemokratisch", indem sie den verbreiteten Sprachgebrauch der Bevölkerung und insbesondere der Betroffenen ernst nahm, statt ihn mit der „Umsiedler"-Terminologie schulmeistern zu wollen. Zugleich wahrte dieses Festhalten am Flüchtlingsbegriff die gesamtdeutsche Innerhalb der
Dimension, die dem zwischen Ende 1945 und Ende 1947 amtierenden CDU-Vor-
sitzenden Jakob Kaiser so sehr am Herzen lag. Der in Kaisers Parteiapparat geschaffene zentrale Flüchtlingsausschuß der CDU litt freilich wie alle zentralen Gremien dieser Partei unter Berlin-Lästigkeit. Die überproportionale Präsenz Berliner Delegierter erklärt sich zum Teil aus verkehrstechnischen Zwängen der Nachkriegszeit, war jedoch für einen Flüchtlingsausschuß besonders problematisch, da in der ehemaligen Reichshauptstadt kaum Vertriebene untergebracht waren. Die primär ländlichen Siedlungsschwerpunkte der Vertriebenen in der SBZ waren demgegenüber im CDU-Ausschuß deutlich unterrepräsentiert. Indem sich der mit der Gründung des Flüchtlingsausschusses betraute CDU-Parteifunktionär, der aus Berlin-Neukölln stammende Dr. Alfred Rojek, um die Gewinnung von Mitgliedern „besonders aus der Zone, wo die Flüchtlinge untergebracht sind", bemühte285, hatte die Parteiführung dieses Repräsentationsproblem immerhin frühzeitig erkannt. Tatsächlich gelang es dem Berliner Kern-Ausschuß, bis Juli 1947 je zwei bis drei Politiker aus jedem Flächenland der SBZ heranzuziehen; der gesamtdeutsche Vertretungsanspruch des Gremiums konnte in seiner personellen Struktur hingegen niemals eingelöst werden. Rojek selbst wurde erster Vorsitzender des Flüchtlingsausschusses, seinem Berliner Gründerkreis gehörten Vertreter der kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen (Caritas und Evangelisches Hilfswerk) an, aber auch solche des Berliner Hauptsozialamts und des Berliner Landesvorstands, darunter Rojeks späterer Nachfolger im Ausschussvorsitz Wölky. Das Hinzutreten von Vertretern der sowjetzonalen Landesflüchtlingsausschüsse wirkte in mehrfacher Hinsicht bereichernd: Erst auf diese Weise gelangten mehrere Frauen in den zentralen CDU-
283
-
ACDP, 07/010/1927, Bl. 6f., CDU, HVo, Prot. der Sitzung der Ausschußvorsitzenden am 28. 6., 30. 6. 47.
II. Die
216
Soziologie der Macht
Ausschuß (deren Geschlechtsgenossinnen in den parteiinternen Netzwerken der SED nie eine Chance bekamen), und drei CDU-Landesminister verschafften dem Flüchtlingsausschuß neben einem Hauch politischer Prominenz wichtige Vernetzungsmöglichkeiten mit wichtigeren Parteigremien. Diese drei Minister die Brandenburger Minister für Justiz bzw. für Arbeit und Sozialwesen, Ernst Stargardt und Fritz Hermann Schwob, sowie der mecklenburgische Sozialminister Friedrich Burmeister stammten aus den regionalen Siedlungsschwerpunkten der Vertriebenen in der SBZ. Sie verbanden ein dadurch geschärftes Problembewußt-
-
sein mit einer gouvernemental „gezähmten" realpolitischen Lösungsperspektive. Die zwei Sozialminister im Flüchtlingsausschuß waren im übrigen nicht nur die in ihren Ländern für Umsiedlerpolitik zuständigen Ressortchefs, sondern auch selbst Vertriebene: Schwob, gebürtiger Breslauer286, hatte sowohl seine Geburtsais auch seine spätere Wahlheimat Posen-Westpreußen verloren287, und Burmeister, obschon gebürtiger Mecklenburger, verfügte infolge seiner mehrjährigen Tätigkeit als höherer Postbeamter im Sudetenland immerhin über persönliche Flucht- bzw. Vertreibungserfahrungen, als er aus dieser Wahl- in seine Geburtsheimat zurückkehren mußte288. Im zentralen CDU-Flüchtlingsausschuß, der alsbald wahrscheinlich auf sowjetische Weisung in „Ausschuß für Umsiedler und Heimkehrer" umbenannt wurde, entzündeten sich hitzige Diskussionen nicht nur über die erforderliche Soforthilfepolitik innerhalb der SBZ, sondern auch über das Schicksal der 1945 verlorenen deutschen Ostgebiete. Ohne sich durch die Anwesenheit von SMADVertretern gehemmt zu fühlen, erging sich der Ausschußvorsitzende im September 1947 in Erwägungen, ob „nach dem Wegfall der Ostgebiete [...] das deutsche Volk zurzeit überhaupt lebensfähig" sei, und der Thüringer Delegierte Riedel betonte das „Recht der Umsiedler nicht nur auf die neue Heimat, sondern auch auf die alte Heimat"289. Der Berliner Wölky sah im unterdessen polnisch verwalteten und besiedelten Schlesien weite Gebiete einfach brachliegen (während im besetzten Rest-Deutschland die Menschen hungerten) und appellierte an das Weltgewissen, den deutschen Vertriebenen die Rückkehr zu gestatten290. Angesichts solcher hochpolitischer Debatten im CDU-Flüchtlingsausschuß war es nicht verwunderlich, daß Rojeks Versuch, neben seiner CDU auch den mit dieser Partei eng verbundenen Kirchen und kirchlichen Hilfswerken Sitze und Stimmrechte im von der ZVU vorbereiteten „Zentralen Umsiedlerbeirat" der SBZ zu geben, vom SED-Parteiapparat massiv blockiert wurde291. Ebenso wenig überrascht, daß Rojek die von der SMAD Ende 1947 verfügte spektakuläre Absetzung seines Par-
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286 287 288
Sattler, Wirtschaftsordnung im Übergang, Bd. 2, S. 960. Richter, Die Ost-CDU, S. 418.
ACDP, 07/010/1724, Liste der Mitglieder des CDU-Flüchtlingsausschusses, 31.7. 47;
Stargard
kein Vertriebener, sondern in Berlin gebürtiger rassisch Verfolgter des NS-Regimes; vgl. SBZHandbuch, S. 1035; zu Schwob: Richter, Die Ost-CDU, S. 418; zu Burmeisters Sudeten-Episode: MLHA, MfS 31b, Bl. 665, „Soziale Arbeit für und mit den Umsiedlern", in: Der Demokrat v. war
21.12.46. 2«9
ACDP, 07/010/1724, CDU, HVo, Prot. der Sitzg. des Ausschusses für Umsiedler und Heimkehrer am
29o 211
4. 9. 47.
Ebenda, CDU, HVo, Prot. der Sitzung des Umsiedlerausschusses am 5. 9. 47. Vgl. Kap. II.3.1.3.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
2.
217
teivorsitzenden Jakob Kaiser politisch ebenfalls nicht überlebte292. Im Vorsitz des zentralen CDU-Flüchtlingsausschusses folgte ihm zunächst der West-Berliner Wölky293, der allerdings schon wenig später im Zuge der 1948 eskalierenden Berlin-Krise, die auch zur Spaltung der Berliner CDU führte durch den Dresdner Kasparek abgelöst wurde. Dieser führte den nunmehrigen zentralen Umsiedlerausschuß der Ost-CDU bis zu dessen Auflösung im Juni 1950, als er in den Ausschuß für Sozialpolitik überführt wurde294. Für die CDU-Parteipolitik blieb dieser zentrale Flüchtlings- oder UmsiedlerAusschuß stets eine Randgröße. Sein im September 1947 getroffener Beschluß, sich bei der Parteiführung für die Einrichtung eines „Referats für Umsiedler und Heimkehrer" in der Hauptgeschäftstelle der CDU einzusetzen295 und dadurch mit den konkurrierenden Parteien gleichzuziehen, hatte keinerlei Konsequenzen, was wiederum, wie der sachsen-anhaltische CDU-Umsiedlerausschuß Ende 1947 „besonders bedauertfe]", eine schwere Beeinträchtigung der innerparteilichen Wirkungsmöglichkeiten des Ausschusses zur Folge hatte296. Rein ehrenamtlich war die erforderliche Organisationsarbeit ersichtlich nicht zu leisten. Die Absetzung der CDU-Parteiführung um Jakob Kaiser und die damit von der SMAD ausgelöste schwere Krise der Ost-CDU ließ wenig später die Wirkungsmöglichkeiten des gesamten CDU-Parteiapparates zeitweilig gegen Null tendieren. Diese Lähmung konnte erst mit dem Parteitag vom September 1948, der eine neue Parteiführung installierte und der Basis zugleich neuen, gegen die SED-Dominanz gerichteten Elan vermittelte, überwunden werden. Zwischenzeitlich kam der CDU-Landespolitik eine entscheidende Stabilisierungsfunktion zu. Die CDULandesvorsitzenden der sowjetischen Zone bildeten eine provisorische Parteiführung, und ein informelles Honoratiorengremium der CDU, die sogenannte „Ministerkonferenz", versuchte durch regelmäßige Treffen sämtlicher CDU-Länderminister, zu denen ab März 1948 auch die leitenden DWK-Funktionäre der CDU traten, die Politik der Partei zumindest notdürftig zu koordinieren und nach außen zu vertreten. Trotz alledem war seit Ende 1947 die Schwäche der sowjetzonalen Union auch in der Vertriebenenpolitik offenkundig. Hatte der noch unter Kaiser abgehaltene 2. CDU-Parteitag im September 1947 gefordert, „im Zuge der Bildung deutscher Zentralverwaltungen", die damals noch als gesamtdeutsche Behörden möglich schienen, auch ein „Amt für Umsiedler zu schaffen"297, sah sich die Ost-CDU im Jahre 1948 durch den eigenmächtigen umsiedlerpolitischen Kurswechsel von -
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Aus dem S. 1007.
Parteiapparat
bereits im
September 1947 ausgeschieden; vgl. SBZ-Handbuch, 293 ACDP, 03/033/0096, CDU, HVo, Entschließungsentwurf des Umsiedlerausschusses zum 3. CDU-Parteitag 1948. 294 Protokoll der 292
war er
ACDP, 07/010/0749, CDU, HGSt, schusses der CDU
293
Sozialpolitik am
Heimkehrer- und NeubürgerausSitzung des Ausschusses für
24. 5. 50 sowie Protokoll der
6. 9. 47.
Ebenda, CDU, HVo, Prot. der Sitzg. des Umsiedlerausschusses beim CDU-Landesvorstand Sach-
sen-Anhalt am 16.12, 18. 12. 47. 297
Sitzung des
am
ACDP, 07/010/1724, CDU, HVo, Prot. der Sitzg. des Ausschusses für Umsiedler und Heimkehrer am
296
15. 2. 50 und 21.6. 50. am
ACDP, 07/010/1724, siedler".
17.
Entschließung des 2. Unionstages „zur Hilfe und Eingliederung der Um-
II. Die
218
Soziologie der Macht
SMAD und SED mit dem genauen Gegenteil, dem drohenden Abbau einer besonderen Umsiedlerverwaltung und letztlich aller Vertriebenenpolitik konfrontiert. Drei Mitglieder der CDU-Ministerkonferenz die Arbeits- und Sozialminister Brandenburgs, Mecklenburgs und Sachsen-Anhalts waren von diesen einschneidenden Reorganisationsplänen unmittelbar betroffen, sollte ihnen doch die Oberaufsicht über ihre Landesumsiedlerbehörden entzogen werden. Der stellvertretende DWK-Vorsitzende Luitpold Steidle hatte wie wir noch sehen werden im März 1948 bereits erlebt, wie einem CDU-Politiker die Zuständigkeit für Umsiedlerpolitik und ZVU ebenso plötzlich übertragen und wieder entzogen werden konnte, ohne dass übrigens im Falle dieses anpassungsfähigen Christdemokraten auch nur vom Versuch einer Gegenwehr etwas bekannt geworden wäre. Immerhin zeigte der Fall Steidles, dass eine „Umbildung der Umsiedlerabteilungen" in der SBZ längst im Gange war, als die CDU-Ministerkonferenz erstmals am 12. April 1948 darüber beriet. Ein gut informiertes Mitglied vermutlich Steidle oder Burmeister teilte den Versammelten mit, „daß Bestrebungen im Gange sind, die Umsiedlerabteilungen aufzulösen". Damit ließ man es zunächst bewenden, denn „Beschlüsse" wurden „in dieser Frage nicht gefaßt"298. Auf der folgenden Ministerkonferenz vom Juni 1948 brauchte die Behandlung des (zweifellos wichtigen) Wirtschafts- und Sozialprogramms der CDU, mit dem man der SED-Wirtschaftsplanung den Kampf anzusagen gedachte, so viel Zeit, dass die Umsiedlerpolitik nicht mehr zur Sprache kommen konnte299. Die CDU-Ministerkonferenz reagierte somit viel zu spät auf die von SMAD und SED beschlossene Überführung der Umsiedlerverwaltungen in die Innenressorts. Die CDUMinister leisteten gegen die Mitte 1948 erfolgende Abschaffung der ZVU und deren Überführung in die zonale Innenverwaltung überhaupt keinen Widerstand, vermutlich weil es ihnen gleichgültig schien, ob sie es mit einer SED-monopolisierten Umsiedler- oder Innenverwaltung zu tun hatten. Den Christdemokraten kam es in der Krise von 1948 primär auf die Behauptung ihrer landespolitischen Einflussmöglichkeiten an, weshalb sie Mitte August 1948 den Beschluß faßten, „daß nach Aufhebung der Umsiedler-Abteilung die Erledigung der restlichen Umsiedlerarbeit den Sozialministern bleiben soll"300. Auch auf Länderebene verteidigte die CDU folglich nicht die von Auflösung bedrohten Umsiedlerbehörden, die mehrheitlich SED-dominiert waren, sondern forderte deren Absorption durch die CDU-dominierte allgemeine Sozialpolitik. Dabei nahm man offenbar den Vorstoß des Mecklenburger Sozialministers Burmeister zum Vorbild, der die ihm unterstellte, stets altkommunistisch geleitete Umsiedler-Hauptabteilung zum Juli 1948 aufgelöst, deren SED-Leiterin hinwegbefördert und einen CDU-Vertrauensmann mit der Leitung einer neuen Unterabteilung für „Volk und Heimat" betraut hatte, die entgegen ihrer institutionellen Herabstufung ein sogar „erweitertfes]" Aufgabenfeld erhalten sollte301. Die Strategie der CDU-Minister unterschätzte, wie sich noch zeigen wird, den Gleichschaltungsdruck der nunmehr strikt zentralistischen SED-Politik ganz erheblich. Insofern wurde die Konzen-
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ACDP, 07/012/2364, Prot. der CDU-Ministerkonferenz am 12. 4. 48. Ebenda, Prot. der CDU-Ministerkonferenz am 1. 6. 48. 500 Ebenda, Protokoll der 5. Ministerkonferenz am 18.719.8.48, S. 3. 3°i BAB, DO 2/2, Bl. 56f., MfSoz Mecklenburg, Burmeister, Erlaß v. 25. 6. 48.
218
2"
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
219
Verteidigung landespolitischer Kompetenzen unter den gewandelten Bedingungen des Jahres 1948 zum entscheidenden Schwachpunkt, da die breit angelegte Zentralisierungspolitik der Sowjets und der SED die Landespolitik in der SBZ auf entscheidende Weise unterhöhlte. Selbst koordinierter Widerstand der CDU-Landesminister vermochte daher die umsiedlerpolitische Entmachtung von drei Ressortkollegen nicht zu verhindern. Auch der offensive Mecklenburger Burmeister mußte sich Ende 1948 fügen und die eben erst unter CDU-Kontrolle gebrachte Umsiedlerpolitik dem SED-geführten Innenressort tration der CDU auf die
überlassen302. Mit dieser im ersten Quartal 1949 zu Ende gebrachten Entmachtung der CDULänderminister realisierte das sicherheitspolizeiliche Netzwerk in SMAD, SED und DVdl letztlich die schon 1947 vom ZVU-Präsidenten diskutierte strategische Alternative zur blockpolitischen Einbindung der bürgerlichen Parteien. Seinerzeit hatte Rudolf Engel, als er in Sachsen eine demonstrative Blockpolitik zwischen SED und LDP zu Lasten der CDU zu betreiben riet, für Mecklenburg verlangt, das dortige Umsiedleramt entweder vollends dem CDU-Sozialminister zu überlassen und damit den Christdemokraten die Alleinverantwortung aufzubürden oder aber eine rasche Unterstellung dieser Behörde unter den SED-Innenminister vorzunehmen: „Die jetzigen Verhältnisse in Mecklenburg werden durch die Besetzung des Umsiedleramtes einerseits mit SED-Leuten unter der Führung eines CDU-Ministers doch politisch von uns verantwortet, ohne daß über die Person des Ministers die Möglichkeit einer durchgreifenden Verbesserung der Arbeit gegeben ist." Auch im Falle Brandenburgs hatte Engel auf eine Überführung der Umsiedlerabteilung in das Innenressort und damit unter klare SED-Kontrolle gedrängt303. Diese Vorschläge waren von SMAD und SED-Führung zunächst nicht umgesetzt worden, sie scheinen jedoch im „administrativen Gedächtnis" dieser Machtzentralen geblieben zu sein und spielten beim 1948/49 realisierten Um- und Abbau der Umsiedlerverwaltungen in der SBZ eine verspätete, aber nunmehr richtungsweisende Rolle. Zwischenzeitlich gelang allein in Mecklenburg einem CDU-Minister Mitte 1948, das in vier von fünf Fällen fortbestehende SED-Monopol in der Leitung der Landesumsiedlerämter kurzfristig zu brechen304. Die düpierten SED-Umsiedlerbürokraten forderten umgehend „die einheitliche Unterstellung" der Umsiedlerbehörden unter die „Ministerien des Innern"305, und kaum zufällig erfolgte diese Umstrukturierung in Mecklenburg zuerst, wodurch die Präsenz eines CDUAmtschefs in der Umsiedlerpolitik eine flüchtige Episode des Krisenjahres 1948 blieb306. Die kurze Karriere des mecklenburgischen CDU-Umsiedlerfunktionärs Kurt Herzog erscheint paradigmatisch für den raschen Auf- und Wiederabstieg gegen die SED-Vormacht gerichteter CDU-Vertriebenenpolitik. 1910 in Breslau geboren, war der zum Kriegsdienst einberufene Angestellte Herzog in
Vgl. die Vorgänge in BAB, DO 2/2, Bl.an 58-63. 19. 47. 5. BAB, DO 2/4, Bl. 47f., ZVU, Engel, SED, ZS, w BAB, DO 2/2, Bl. 56 f., MfSoz Mecklenburg, Erlaß v. 25. 6. 48. »3 Ebenda, Bl. 50, DVdl, HAU, Vogt, an Seifert, 5. 7. 48. 306 Vgl. die Vorgänge ebenda, Bl. 59-63; am 29. November 1948 verzeichnete die DVdl-Hauptabteilung Umsiedler das Einverständnis des mecklenburgischen Sozialministers zur Überführung der Umsiedlerbehörde ins Innenministerium, die im Januar 1949 vollzogen wurde. »2 »3
220
II. Die
Soziologie der Macht
sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten, aber bereits im Sommer 1945 nach Deutschland zurückgekehrt. Als schlesischen „heimatlosen Heimkehrer" hatte es Herzog nach Schwerin verschlagen, wo er der CDU beitrat und eine Stelle als Regierungsinspektor in der Landesverwaltung erhielt. Im Herbst 1946 zum Landtagsabgeordneten gewählt307 und im Sozialausschuß des CDU-Landesvorstands aktiv308, wurde Herzog Ende 1946 in das CDU-geführte Ministerium für Sozialwesen übernommen. Sein Minister Burmeister schleuste den jungen Regierungsrat im September 1947 als stellvertretenden Leiter in die SED-dominierte Hauptabteilung Umsiedler ein, um ihn im Juli 1948 auf die oben erwähnte Weise sogar zum Leiter der Vertriebenenbehörde zu machen. Als die CDU-Strategen gleichwohl Ende 1948 genötigt waren, die Vertriebenenzuständigkeiten an das SEDgeführte Innenministerium abzutreten, blieb Herzog als persönlicher Referent Burmeisters im Sozialressort309. Vermutlich seit dem 3. CDU-Parteitag von 1948 gehörte er auch dem Umsiedlerausschuß beim CDU-Hauptvorstand an. Seinen Einfluß in der CDU-Vertriebenenpolitik nutzte der Schlesier ähnlich wie die liberaldemokratische Oberschiesierin Fabisch im Winter 1948/49 für eine entschiedene Oppositionspolitik gegen den umsiedlerpolitisch repressiven Kurs der SED. Im Januar 1949 publizierte Herzog in der Parteizeitung der mecklenburgischen CDU eine Polemik über die Grundfrage: „Ist das Umsiedlerproblem gelöst?", um entsprechende SED-Argumentationen als „sehr gewagte[s] Urteil" zu kritisieren. Noch vor Jahresfrist seien sich alle politischen Kräfte einig gewesen, „daß das Problem der Umsiedler und Totalgeschädigten zu seiner Lösung noch lange Zeit" brauchen werde. Herzog wußte einen ganzen Katalog aktueller Ungerechtigkeiten und Probleme aufzulisten und schlussfolgerte: „Es kann also nur ein Urteil geben: Das Umsiedlerproblem und das der [einheimischen] Totalnoch ist geschädigten lange nicht gelöst."310 Umgehend konterte auf derselben Schweriner Funktionärskonferenz im Februar 1949, auf der auch die Kritik des Liberaldemokraten Ediger attackiert wurde, SED-Innenminister Hans Warnke Herzogs Generalangriff. Warnke behauptete, die SED betrachte „die Umsiedlerfrage" mitnichten als bereits „erledigt": „Wer dieses Problem so sieht, hat es noch gar nicht erfaßt und ist auch nicht gewillt, dieses Problem zu lösen. Es kommt darauf an, den Umsiedlern eine wirkliche neue Heimat zu schaffen." Gab Warnke fortbestehende Integrationsprobleme immerhin zu, schien das Auftreten des DVdl-Vertreters Büttner hingegen sämtliche Kritikpunkte des Christdemokraten Herzog bestätigen zu wollen. Büttner behauptete, „das Umsiedlerproblem" sei „überhaupt nicht mehr für die Gegenwart" von Bedeutung, begriff die öffentlich geübte Kritik bürgerlicher Vertriebenenpolitiker am Kurs der SED als störende „Nadelspitzen gegen die Öffentlichkeit", die rasch unterbunden werden müßten, da solche Kritik nicht geeignet sei, „daß sich unsere Umsiedler hier in unserer Zone mit den Alteinwohnern assimilieren"311. -
-
307 308
»9 3,0
Handbuch für den mecklenburgischen Landtag, 1. WP, Schwerin o.J., S. 83. MLHA, MfSoz 39, Protokoll der Sitzung des Sozialausschusses [beim CDU-Landesvorstand
Mecklenburg] am 22.10., 26. 10. 48. Vgl. die Vorgänge in BAB, DO 2/2, Bl. 53-61.
MLHA, Mdl 147, Kurt Herzog MdL, „Ist das Umsiedlerproblem gelöst?", in: Der Demokrat v. 18.1.49.
3>i
BAB, DO 1-8/83, Bl. 57-73, insb. Bl. 61 ff., DVdl, Prot. der Landeskonferenz am 1.2. 49,
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2. Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
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Herzogs Attacke auf die SED-Politik der raschen Problemausblendung fügte sich in eine Pressekampagne des CDU-Zentralorgans „Neue Zeit". Dieses hatte bereits im November 1948 den Leserbrief eines Umsiedlerausschuß-Vorsitzenden aus Sachsen-Anhalt publiziert, der sich mit einer Unzahl stichhaltiger Alltagsbeispiele erbost gegen dieselbe SED-Parole vom bereits weitestgehend gelösten „Umsiedlerproblem" gewandt hatte. Dieser örtliche Vertriebenenvertreter erhoffte sich in deutlicher Verkennung der machtpolitischen Lage sozialpolitische Problemlösungen primär von den Landesregierungen, in denen die CDU noch über beträchtlichen Einfluß verfügte312. Gegen Weihnachten 1948 legte die „Neue Zeit" mit der triumphierenden Feststellung nach, „wenn es eines Beweises bedurft hätte, daß es durchaus ein Umsiedlerproblem gibt, so wäre er allein schon durch die Lawine von Zuschriften geliefert, die unsere erste kritische Veröffentlichung [...] ins Rollen brachte". Bemerkenswert war überdies der kommentarlose Abdruck einer Leserzuschrift, die „das Umsiedlerproblem [...] neben dem Zweijahresplan zum Thema Nr. 1 des Wiederaufbaus" zu erklären forderte313. Solche Ansätze zu öffentlicher SED-Kritik wurden jedoch in der Ost-CDU 1949 wieder abgewürgt. Entscheidend dazu bei trug das eklatante, schon im Januar 1949 erfolgende Scheitern eines gegen die Nicht-Politik der SED propagierten CDU-Lastenausgleichsprojekts an innerparteilichen Widerständen. Dadurch beraubte sich die Union der einzigartigen Chance, die SED auf dem umsiedlerpolitischem Politikfeld massenwirksam in die Enge zu treiben. Vergebens beschwor Kurt Herzog in den Beratungen im Januar 1949 seine Partei, den Lastenausgleich als die „politische Frage der Gegenwart" schlechthin zu begreifen und entsprechend avantgardistisch zu handeln, während die SED blockiere und von der LDP „auch noch nichts bekannt" sei314. Bekanntlich hatte die unscheinbare Bestimmung im SMAD-Währungsreformbefehl vom Juni 1948, auch einen steuerlichen Lastenausgleich für Kriegsfolgengeschädigte vorzubereiten, die zahlreichen Forderungen und Pläne für einen zumindest vorläufigen Teil-Lastenausgleich in der SBZ aktiviert und gebündelt. Auch das umsiedlerpolitische SED-Netzwerk machte dabei zunächst, obschon durch die Abschaffung der ZVU geschwächt, keine Ausnahme. Nachdem die SED-Führung jedoch auf sowjetische Weisung im Oktober 1948 sämtliche innerparteilichen Diskussionen über ein Lastenausgleichsgesetz per Machtwort im „Neuen Deutschland" abgewürgt hatte, blieb die Ost-CDU als einzige Partei der SBZ übrig, die weiterhin mit diesem heißen Eisen zu hantieren wagte315. Die für Vertriebenenbetreuung zuständigen CDU-Sozialminister Brandenburgs und Sachsen-Anhalts, Schwob und Herwegen, warfen dafür ihr ganzes politisches Gewicht in die Waagschale316. Daß die selbstbewußt auftretenden Christdemokraten der SBZ dadurch zum zentralen, zugleich aber politisch isolierten Gegner der -
3'2 3'3 3'4
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SäHStA, LRS, Mdl 303, Bl. 176, „Kein Umsiedlerproblem mehr?", in: Neue Zeit vom 14.11.48. „Also doch: Umsiedlerproblem", in: Neue Zeit Nr. 298 v. 22. 12. 48, S. 2. ACDP, 07/010/1719, CDU, HVo, Protokoll der gemeinsamen Sitzung der CDU-Ausschüsse für
Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Umsiedler und Heimkehrer sowie Gewerkschaftspolitik am 7.1. 49, S. 5.
Vgl. Kap. III.2.3.1. 316 Fritz Schwob, „Sozialprogramm der CDU", in: Märkische Union Nr. 76 v. 22. 10.48, S. 1; Herwegens Erklärung in: „Union zum Lastenausgleich", in: Märkische Union Nr. 88 v. 3. 12. 48, S. 1. 3'3
II. Die
222
Soziologie der Macht
sowjetischen Schutzmacht zu werden drohten, waren etliche CDU-Vertriebenenpolitiker zu riskieren bereit. Die seit Herbst 1948 von Parteiführung und Ministerkonferenz unterstützte CDU-Lastenausgleichspolitik stieß jedoch umgehend auf derart heftige innerparteiliche Widerstände des alteingesessenen Mittelstandsflügels, daß SMAD und SED gar nicht zu intervenieren brauchten. Zum Fanal des Widerstands gegen einen Lastenausgleich wurde die im SED und ihrer
November 1948 verabschiedete Resolution des Wirtschafts- und Handwerksausschusses des CDU-Kreisverbandes Chemnitz-Stadt, die den CDU-Lastenausgleichsentwurf entschieden ablehnte: „Man kann nicht auch von Seiten der CDU denselben Weg gehen, der bisher immer wieder von der SED begangen wurde, indem man auf der einen Seite erst schwersten Schaden durch Enteignung verursacht, um auf der anderen Seite geringfügige Hilfe zu leisten." Der Chemnitzer Mittelstand zeigte sich „aufs Peinlichste berührt, [...] daß dieser Vorschlag von den Ministern der CDU kommt", und war sich einig, „daß er dem Ansehen der Union sofern er in der Öffentlichkeit bekannt würde schwersten Schaden z[u]fügen würde". Auch die auf der Versammlung anwesenden Arbeiter und „Umsiedler" hätten „diesen Vorschlag [...] in keiner Weise billigen" wollen317. Die Chemnitzer Resolution wurde richtungsweisend für die restriktive Linie des sächsischen CDU-Landesvorstands318 und bald darauf des gesamten Wirtschaftsflügels der Ost-CDU. Angesichts der unvermeidlichen Polarisierung der Parteibasis kam es im Januar 1949 zu einer gemeinsamen Sitzung der zentralen CDU-Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Umsiedler und Heimkehrer sowie für Gewerkschaftspolitik über das CDU-Lastenausgleichsprojekt. Nach kontroversen Debatten wurde dasselbe offiziell zwar zur Weiterberatung an einen Unterausschuß delegiert, faktisch jedoch von den einheimisch-mittelständischen Besitzinteressen bereits beerdigt. Diese vielleicht letzte Chance zum vertriebenenpolitischen Generalangriff auf die SED wurde somit vertan, weil sich alteingesessene Besitzinteressen in der Ost-CDU als übermächtig erwiesen319. Spätere Forderungen nach Lastenausgleich, wie sie die „Neue Zeit" im März 1949 unter Berufung auf den christlichen Sozialismus und im August 1949 vor dem Hintergrund des westdeutschen Soforthilfegesetzes nochmals erhob320, liefen angesichts der sich für eine eigenständige CDU-Politik rapide verschlechternden Kontextbedingungen von vornherein ins Leere. In den entscheidenden Januar-Beratungen hatte engagierter als die anwesenden CDU-Minister der Umsiedlerpolitiker Kurt Herzog für den Lastenausgleich gekämpft und sich dabei sogar auf einen offenen Disput mit seinem bisherigen Förderer und Vorgesetzten Friedrich Burmeister eingelassen321. Das bisherige Vertrauensverhältnis der beiden scheint darüber zerbrochen zu sein: -
-
"7
ACDP, 03/035/066, CDU, KV Chemnitz-Stadt, Stellungnahme des Wirtschafts- und Handwerksausschusses
zum
CDU-Vorschlag über den Lastenausgleich, 10. 11. 48.
Ebenda, CDU, LV Sachsen, Vorschlag zum Lastenausgleich, 11.11. 48. 3'9 Vgl. Kap. ffl.2.3.1. 320 „Heimat der Neubürger", in: Neue Zeit Nr. 74 v. 29. 3. 49, S. 1; „Zum Lastenausgleich", in: Neue Zeit Nr. 183 v. 7. 8. 49, S. 2; „Umsiedlernot", in: Neue Zeit Nr. 188 v. 13. 8. 49, S. If. 32' ACDP, 07/010/1719, CDU, HVo, Protokoll der gemeinsamen Sitzung der CDU-Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Umsiedler und Heimkehrer sowie Gewerkschaftspolitik am 7.1. 318
49, S. 5.
2. Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
223
Als Burmeister im Herbst 1949 zum ersten DDR-Minister für Post- und Fernmeldewesen berufen wurde, scheint er seinen bisherigen persönlichen Referenten nicht mit sich genommen zu haben. Herzog blieb in der mecklenburgischen Landespolitik, mußte jedoch im Juli 1950 aus dem gleichgeschalteten CDU-Landesvorstand ausscheiden, um im Herbst für die Landtagswahl nicht wieder aufgestellt auch sein Abgeordnetenmandat zu verlieren322. Für seine Stellung im Schweriner Regierungsapparat dürfte dies nicht folgenlos geblieben sein. Im Vergleich mit dem einfachen Landtagsabgeordneten und Regierungsrat Herzog zeigten die meisten für Vertriebenenbetreuung zuständigen CDU-Länderminister für Arbeit und Soziales in der Krisenphase von 1948/49 ein deutlich geringeres oppositionelles Engagement gegen die vertriebenenpolitik-feindliche neue SED-„Bevölkerungspolitik". Sachsen-Anhalts Minister Leo Herwegen stürzte im Herbst 1949 über wirtschaftspolitische Konflikte mit der SED, wurde in einem Schauprozeß als „Wirtschaftsverbrecher" verurteilt und verbrachte Jahre seines Lebens in einem DDR-Zuchthaus. Sein Schweriner Kollege Burmeister wußte die Zeichen der Zeit anders zu deuten und wurde für seine Anpassungsbereitschaft mit einem langjährigen DDR-Ministeramt in einem freilich politisch unerheblichen Ressort belohnt. Allein der Potsdamer Minister Fritz Hermann Schwob nahm sich der Verteidigung der bedrohten Umsiedlerpolitik intensiver an. Schwob, 1891 in Breslau geborener Volkswirt und früherer Zentrumspolitiker der preußischen Provinz Posen-Westpreußen, hatte die NS-Zeit als Freiberufler überdauert und war nach Kriegsende und Vertreibung CDU-Mitglied und Leiter eines brandenburgischen Finanzamtes geworden. Ende 1946 wurde er zum brandenburgischen Arbeits- und Sozialminister ernannt323, obwohl ihn die regionale SMA als „Anhänger des ,rechten' CDU-Flügels und radikalen konservativen Christdemokraten" einstufte324. Als Heimatvertriebener und für Flüchtlingsfragen zuständiger Ressortchef arbeitete Schwob in den Umsiedlerausschüssen seines Landesverbandes und der CDU-Zentrale mit, wobei er allerdings eine gemäßigte Rolle spielte. So stimmte Schwob im September 1947 gegen die Mehrheit des zentralen CDU-Flüchtlingsausschusses, dessen stellvertretender Vorsitzender er war, da er statt der symbolpolitischen Schaffung einer gesamtdeutschen Flüchtlings-Zentralverwaltung die Integration der Vertriebenenbürokratie in eine gesamtdeutsche Sozialverwaltung nach dem Modell seines Ministeriums favorisierte325. An den die Sowjets herausfordernden Debatten über Grenzrevisionen scheint er sich ebenfalls nicht beteiligt zu haben, und Forderungen nach einer besonderen Flüchtlingsgesetzgebung, die den Interessen sowohl der Sowjets als auch der einheimischen Mehrheitsbevölkerung zuwiderlief, wußte er im Juli 1947 offenbar geschickt abzublocken326. Als sich Schwob Anfang 1948 doch noch für ein Sondergesetz zur Verteilung von Gartenparzellen an Vertriebene zu interessie-
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SBZ-Handbuch, S. 930. Richter, Die Ost-CDU, S. 418. 324 Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 122. 323 ACDP, 07/010/1724, CDU, HVo, Prot. der Sitzg. des Ausschusses für Umsiedler und Heimkehrer 322 323
am 32
4. 9. 47.
ACDP, 07/010/1927, Bl. 25. 7.
151 ff., CDU, HVo, Protokoll der Sitzung des Flüchtlingsausschusses am 47; dieses Vorhaben wurde aufgrund einer brandenburgischen Stellungnahme verworfen.
224
II. Die
Soziologie der Macht
begann327, war es an der SED, über ihren brandenburgischen Umsiedlerabteilungsleiter dieses verspätete Projekt des CDU-Ministers zu vereiteln328. Überhaupt war die dienstliche Beziehung zwischen dem christdemokratischen Minister und seinem SED-Abteilungsleiter für Umsiedler und Heimkehrer, Ministerialrat Erich Friedrichs, ein typisches Beispiel für parteipolitische Machtkämpfe in der Umsiedlerpolitik. Daß der einstige Sozialdemokrat im SED-Netzwerk selbst ein Außenseiter war, änderte an dieser Frontstellung nichts. Wenn Friedrichs im September 1947 die brandenburgischen Lagerleiter ermahnte, „den Empfang der Umsiedler und Heimkehrer herzlich zu gestalten, der Greuelpropaganda entgegenzutreten und insbesondere in Referaten die Ostgrenzen-Frage unter Berücksichtigung der Mentalität der Umsiedler nicht mit dem Holzhammer, ren
sondern im Sinne der neuen Demokratie zu behandeln", betrieb er bei aller Behutsamkeit doch unverhohlen die damals eingeleitete Grenzanerkennungspolitik der SED329, während er Aktivitäten anderer Parteien, insbesondere der CDU, in den Umsiedlerlagern nach Möglichkeit behinderte330. Zugleich geriet der brandenburgische CDU-Minister ins Visier der parteipolitisch motivierten Umstrukturierungspläne des ZVU-Präsidenten Engel, der im Frühjahr 1947 die SED-Führung drängte, die SED-geführte Umsiedlerabteilung dem ebenfalls SED-geführten Innenministerium zu unterstellen, da der zuständige CDU-Minister in der Vertriebenenfrage „zögernd und ohne Einschlagkraft" agiere, während SED-Innenminister Bechler „in die Verhältnisse der Umsiedler am besten eingeweiht" sei und der Umsiedlerabteilung des Sozialministeriums schon bisher „die größtmöglichste [sie!] Unterstützung gegeben" habe331. Als Engel im Januar 1948 seine gesamtzonalen Reformpläne endlich durchsetzen konnte, war es nur folgerichtig, daß nach dem Modell Mecklenburg Brandenburg „das nächste Land" sein sollte, in dem eine umsiedlerpolitische Entmachtung des CDU-Sozialministers vollzogen würde332. Allerdings trafen diese Bestrebungen in Brandenburg auf einen politisch gestärkten CDU-Minister. Schwob war unterdessen nicht nur zum Sachverständigen für den Heimkehrer-Unterausschuß des „Deutschen Volksrates" nominiert worden333, sondern wirkte auch federführend an der Entwicklung der „Sozialpolitische[n] Richtsätze der Ostzonen-CDU" mit. Darin forderte er ausdrücklich, die Vertriebenen müßten „im Mittelpunkt der sozialen Fürsorge" stehen, „denn die Umsiedlerfrage ist die soziale Frage der Gegenwart geworden" und sei historisch allein mit der Bildung des vierten Standes im 19. Jahrhundert vergleichbar. Mit dieser Prioritätensetzung in der Sozialpolitik geriet Schwob zwangsläufig 327
ACDP, 03/033/0096, Ministerium für Arbeit und Sozialwesen Brandenburg, Schwob, LV
328
329
330
33' 332 333
Brandenburg, 20. 1.48.
an
CDU,
ACDP, 03/033/0128, Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau, Gesundheitswesen
und Umsiedler des brandenburgischen Landtages am 31. 3. 48. BAB, DO 2/31, Bl. 349 f., ZVU, Abt. Wirtschaft, Wolter, Bericht über Besprechung der Umsiedlerabteilung Brandenburg mit ihren Lager- und Wirtschaftsleitern am 4.9., 5. 9. 47. Vgl. etwa ACDP, 03/033/001, Protokoll der Sitzung des erweiterten CDU-LV Brandenburg am 28. 7. 47, S. 2-4. BAB, DO 2/4, Bl. 47 f., ZVU, Engel, an SED, ZS, 19. 5. 47. BAB, DO 2/1, Bl. 89f., ZVU, Engel, „Organisatorische Änderung der Umsiedlerarbeit", 19.1. 48. BAB, DO 2/75, Bl. 54, DVR an „Deutsche Hauptverwaltung für Umsiedler" [ DVdl, HAU], Vogt, 2. 7. 48.
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
225
Gegensatz zur neuen, evasiven Linie der SED-Politik. Der drohenden Konfrontation bewußt, versuchte Schwob seine Partei auf eine umfassende sozialpolitische Ausweitung von Umsiedlerpolitik festzulegen, um die bisherige Nothilfe abzulösen334. Es spricht vieles dafür, daß der Brandenburger wesentlich zu dem im August 1948 gefaßten Beschluß der CDU-Ministerkonferenz beitrug, nach Aufhebung der Landesumsiedlerabteilungen solle „die Erledigung der restlichen Umsiedlerarbeit den Sozialministern [verjbleiben"335. Als einziger CDU-Minister wandte sich Schwob jedenfalls wenig später an die DVdl-Hauptabteilung Umsiedler, um eine Konferenz aller Sozialminister der SBZ vor der geplanten Reorganisation der Landesumsiedlerbehörden vorzuschlagen336, was freilich in der SEDdominierten Innenverwaltung keine Gegenliebe fand, da die mehrheitlich CDUgeprägte Ministerrunde die SED-Umstellungspläne nur gestört hätte. Während sich Schwob noch zu wehren versuchte, stritt sein SED-Umsiedleramtschef längst um konkrete Modalitäten der Überführung seiner Behörde in das Potsdamer Innenministerium337. Obwohl CDU- und SED-Umsiedlerpolitiker in Sachfragen häufig übereinstimmten, stritten beide Funktionärs-Netzwerke gegen Gegner ihres Politikfeldes niemals gemeinsam. Nicht allein das in kleinlichen Grabenkämpfen gewachsene Mißtrauen, sondern auch tiefer gehender Dissens insbesondere in der Frage der Oder-Neiße-Grenze und damit des Assimilationsziels sowjetischer Umsiedlerpolitik, aber auch beim Lastenausgleich machten solche Bündnisse undenkbar. Diese Unversöhnlichkeit kam Anfang 1949 im Jahresbericht der soeben ins Innenministerium überführten brandenburgischen Umsiedlerabteilung für die SMA deutlich zum Ausdruck: in
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„Die Blockparteien arbeiteten bisher nicht nach einer einheitlichen Linie an der Lösung des Umsiedlerproblems. Nur wenn diese Parteien in einer gemeinsamen Erklärung über die Grenzfrage im Sinne der Potsdamer Beschlüsse zu den Umsiedlern sprechen werden, wird ein Teil derselben, die [sie!] noch passiv sind und die Hände in den Schoß legen, weil sie an ihre Rückkehr in die alte Heimat glauben, sich positiv auf die heutige Zeit einstellen und selbst versuchen, ihr Geschick mit Erfolg zu meistern. Auch in der Erkenntnis, wie weit den Umsiedlern wirtschaftlich geholfen werden kann, wäre eine einheitliche Linie in der Arbeit der Blockparteien notwendig. Es ist ein unerträglicher Zustand, wenn den Umsiedlern mehr versprochen wird, als ihnen gemäß unserer wirtschaftlichen Lage gegeben werden kann."338
Auch die Verteidigung der von der SED erst geförderten, dann wieder fallengelassenen Partizipationsinstitution der kommunalen Umsiedlerausschüsse erfolgte in der Krise von 1948/49 in strikter parteipolitischer Trennung. Obschon in Bran-
denburg beide Netzwerke, in der SED
ebenso wie in der Ost-CDU,
am
Fort-
ACDP, 07/013/2066, „Minister Schwob, Sozialpolitische Richtsätze der Ostzonen-CDU", o.D. ACDP, 07/012/2364, Protokoll der 5. Ministerkonferenz am 18./19.8.48, S. 3. 336 BAB, DO 2/2, Bl. 112, Ministerium für Arbeit und Sozialwesen Brandenburg, Schwob, an DVdl, HAU, 28. 8. 48. 337 Friedrichs sorgte sich, daß seine Abteilung „im Gesamtrahmen der Landesregierung unterschätzt und nicht genügend gewürdigt" werde; es müsse „zu einer Selbstverständlichkeit werden, daß diese bevölkerungspolitische Abteilung zu allen Beratungen hinzugezogen wird, bei denen es sich darum handelt, für die breiteste Schicht der Bevölkerung zu planen oder zu sorgen"; vgl. BAB, DO 2/22, Bl. 307f., insb. Bl. 308, [Ministerium für Arbeit und Sozialwesen Brandenburg], Abt. UuH, Friedrichs, an Mdl Brandenburg, Abt. Personal, 6. 10. 48. 338 BAB, DO 2/22, Bl. 34 ff., insb. Bl. 51, Mdl Brandenburg, Abt. Umsiedler, i.V. Kuhn, an SMAB, Abt. Umsiedler, Jahresbericht für 1948,17. 1. 49. 334 333
226
II. Die
Soziologie der Macht
bestehen der Ausschüsse interessiert waren, wurde eine Kooperation im Interesse der Sache niemals versucht. Auf einer Tagung aller SED-Umsiedlerfunktionäre der SBZ beim SED-Parteivorstand, wo Ende 1948 die Details der soeben beschlossenen „Weiterführung des Assimilationsprozesses der Umsiedler" diskutiert wurden, profilierte sich der brandenburgische Umsiedlerabteilungsleiter Friedrichs als couragierter Kritiker seiner Parteiführung, indem er nicht nur die Beibehaltung besonderer Umsiedlerbürokratien bis zur wirklichen Lösung der ihnen übertragenen Probleme anmahnte, sondern auch erklärte, die zum Frühjahr 1949 verfügte Auflösung der Umsiedlerausschüsse komme „vielleicht zu früh", da sich diese Gremien „ganz besonders" um die Vertriebenen bemühten339. Diese mutige Kritik blieb isoliert und erfolglos und trug möglicherweise dazu bei, daß der einzige frühere SPD-Mann im SED-Netzwerk wenig später sein Amt als Leiter einer Landesumsiedlerbehörde verlor. Gleichzeitig (und ebenso isoliert) war auch CDU-Minister Schwob in dieser Frage aktiv, obschon er Anfang 1949 die amtliche Zuständigkeit für Umsiedlerpolitik hatte abgeben müssen und der brandenburgische CDU-Landesvorstand im Februar 1949 überdies sein Mandat für mehrere Parteiausschüsse beim CDU-Hauptvorstand, darunter den Umsiedlerausschuß, nicht verlängerte, was Schwob als Affront auffaßte340. Dennoch arbeitete er im Umsiedlerausschuß beim CDU-Hauptvorstand in seiner Eigenschaft als Minister als außerordentliches Mitglied weiter341 und garantierte dadurch eine direkte Verbindung dieses schwachen Parteigremiums zur CDU-Ministerkonferenz und zur DWK-Spitze342. Unter Schwobs Vorsitz tagte Ende Juni 1949 dieser Umsiedler- und Heimkehrerausschuß der LJnion und fixierte einige sozialpolitische Forderungen zugunsten der Vertriebenen, die von der DWK bald darauf teilweise umgesetzt wurden, so daß das brandenburgische CDU-Parteiorgan „Märkische Union" die rasche „Auswirkung der vom Umsiedlerausschuß der CDU gestellten Anträge" feierte343. Unwirksam blieb hingegen der auf derselben Ausschußsitzung „einmütig" erklärte „Wunsch" der CDU-Delegierten, „die in den Gemeinden vorhandenen Umsiedlerausschüsse zu erhalten und, wenn solche schon aufgelöst sind, wieder neue zu bilden". Dieser Beschluß in der „Märkischen Union" am 1. Juli 1949 zunächst in einer kleinen Notiz publik gemacht, bevor er eine Woche später auf der Titelseite bekräftigt wurde344 war eine offene der und denn auch deren Umsiedlerbürokraten SED versetzte Herausforderung in Potsdam und Berlin in Alarmstimmung. Am 6. Juli 1949 mußte Friedrichs' -
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339 340
341 342
343 344
ThüHStA, Mdl 3676, Bl. 60-65, insb. Bl. 62 f., Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über die Sitzung beim ZS der SED am 3. 12., 16. 12. 48. Der Ausgebootete reagierte mit einer Rückzugsdrohung
aus allen Parteigremien; vgl. ACDP, 03/ 033/0099, Ministerium für Arbeit und Sozialwesen Brandenburg, Schwob, an CDU, LV Branden-
burg, 14. 2. 49.
Ebenda, CDU, LV Brandenburg, Henke, an Schwob, 16. 2. 49. ACDP, 07/012/0807, Protokoll über die 9. Sitzung der Minister und Landesvorsitzenden der CDU am 20. 7. 49, S. 2: „Minister Schwob berichtet über die Beschlüsse des Heimkehrer- und Umsiedlerausschusses. Die Vorschläge werden am 21. Juli dem Hauptvorstand vorgelegt und sodann der DWK eingereicht." „Verbesserte Unterbringung der Umsiedler", in: Märkische Union Nr. 54 (150) v. 8. 7. 49, S. 1. „Bessere Versorgung der Umsiedler", in: Märkische Union Nr. 52 (148) v. 1. 7. 49, S. 1, sowie „Verbesserte Unterbringung der Umsiedler", in: Märkische Union Nr. 54 (150) v. 8. 7. 49, S. 1; im zweiten Fall wurde die Meldung gesperrt gedruckt und damit besonders hervorgehoben.
2. Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
227
Nachfolger Kuhn, der neue Leiter der brandenburgischen Mdl-Abteilung für Bevölkerungspolitik, seinem DVdl-Vorgesetzten Büttner mitteilen, daß in Brandenburg entgegen zentraler Weisungen „die Umsiedlerausschüsse noch nicht aufgelöst worden" seien, was er mit Widerständen in der dortigen CDU begründete.
Insbesondere „der Minister Schwob, CDU, [sei] stark daran interessiert, die U[msiedler]-Ausschüsse unter allen Umständen weiter existieren zu lassen". Büttner befahl nachdrücklich, „eine sofortige Auflösung der U-Ausschüsse [zu] fordern"345. Machtpolitisch kämpften die Christdemokraten auf verlorenem Posten. Was vermochte die Ost-CDU kommunalpolitisch zur Rettung der Ausschüsse zu tun, wenn zur selben Zeit „in einer Gemeinde, in der die CDU 60% der Stimmen erhalten hat", von den SED-Kaderpolitikern „der letzte CDUAngestellte aus der Verwaltung entlassen" werden konnte346? Im August 1949 ordnete Landes-Innenminister Bechler die Auflösung der Umsiedlerausschüsse in Brandenburg an347, deren Ende Schwob und der CDU-Umsiedlerausschuß mit ihrem oppositionellen Signal gegen die dominierende SED-Politik somit lediglich zu verzögern vermochten. Angesichts des schwindenden Einflusses seiner Partei im entstehenden SEDStaat zeigte sich Schwob zum Zeitpunkt der doppelten Separatstaatsbildung an der Wiederaufnahme gesamtdeutscher Kommunikation interessiert und griff die SED-Politik, deren Verstaatlichungsmaßnahmen die deutsche Teilung beförderten, im August 1949 auf einer Sitzung des brandenburgischen CDU-Vorstandes scharf an. Schwob erklärte es zur „Aufgabe" der Ost-CDU, gegen diese SEDSpaltungspolitik „ein Gespräch mit dem Westen herzustellen". Vergeblich habe er bereits einmal „in der Landtagsfraktion den Vorschlag gemacht [...], eine Zusammenkunft mit den Flüchtlingsministern aus ganz Deutschland zu veranlassen", denn bevor die CDU sich zum Handeln entschlossen habe, sei dasselbe „seitens der SED gebracht und beschlossen" und dadurch von vornherein unwirksam gemacht worden, denn die westdeutschen Minister hätten der SED natürlich „keine Antwort darauf erteilt". Deutsch-deutsche Kommunikation hatte für Schwob überhaupt nur dann Erfolgsaussichten, wenn es gelang, das eklatante Demokratiedefizit der SBZ zu beheben: Man brauche unbedingt ein demokratisch gewähltes Gremium, um mit dem Westen zu verhandeln, der weder die DWK noch den Deutschen Volksrat als solches anerkenne348. Derart mutige Kritik äußerte Schwob offenbar auch vor der CDU-Basis. Dabei hatte seit Anfang 1949 der sowjetische Gleichschaltungsdruck auf die Ost-CDU massiv zugenommen, es kam zu erzwungenen Mandatsniederlegungen, zu Verhaftungen, die wie im Fall des CDU-Landtagsfraktionsvorsitzenden Schleusener zuweilen Todesfolgen nach sich zogen, und sogar zu Hinrichtungen. Die dadurch verschärften innerparteili343
BAB, DO 2/33, Bl. 87, DVdl, Abt. Umsiedler, Büttner, Bericht über Besprechung mit Kuhn, 6. 7.
49. 346 347
348
Reinert, Protokolle des Landesblockausschusses, S. 249, Protokoll v. 18. 7. 49, Rede Grobbels. Bauerkämper, Verwaltung und Gesellschaft, S. 241. ACDP, 03/033/001, CDU, LV Brandenburg, Prot. der Sitzung des CDU-LV am 22. 8. 49, S. 5;
einer gesamtdeutschen Konferenz der Sozialminister vom Juli 1949 auch: SED und „Umsiedler", S. 103; zustande kam lediglich eine sowjetzonale Arbeitsministerkonferenz im September 1949; vgl. BAB, DQ 2/1533, Bl. Iff., DWK, HVAS, Protokoll der Arbeitsministerkonferenz in Stralsund am 23724.9., 24.10. 49. zum
SED-Vorschlag
Wille,
II. Die
228
Soziologie der Macht
chen Konflikte um Konformität oder Eigenständigkeit dauerten bis in den Herbst 1950349 Ende Januar 1950 erreichte die „Säuberungswelle" auch Schwob, indem die brandenburgische SED, die längst ein detailliertes „Sündenregister" des CDUMinisters angelegt hatte, im Blockausschuß dessen Sturz durchsetzte350. Nach Darstellung der „Märkischen Union" hatte der CDU-Landesvorstand bereits Ende 1949 „Herrn Schwob aufgefordert", „wegen seiner unklaren politischen Haltung freiwillig von seinem Amt als Minister zurückzutreten", was dieser jedoch verweigerte. Nach weiteren SED-Angriffen im Parteienblock, die laut CDU-Organ Schwobs Stellung „immer unhaltbarer" machten, veranlaßte der CDU-Landesvorstand schließlich von sich aus die Amtsenthebung des CDU-Ministers und erkannte diesem am 7. Februar 1950 gegen alle parlamentarischen Gepflogenheiten auch sein Landtagsmandat ab. Der Gestürzte hielt es für ratsam, unverzüglich „aus dem Bereich der Republik zu flüchten"351. Blockparteiliche Netzwerkaktionen wie die des von Schwob geleiteten CDUUmsiedlerausschusses im Frühsommer 1949 blieben im damaligen Kontext verschärfter Repression gegen eigenständige Blockpolitiker rare Ausnahmen. Mutige oppositionelle Wortführer wie der Mecklenburger Herzog oder der Brandenburger Schwob machten vielmehr die bittere Erfahrung, in der eigenen Partei zielgerichtet isoliert zu werden. Vereinzelung und individuelle „Ausschaltung" wurde somit auch in der Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR zum Grundmuster der Beseitigung bürgerlicher Opposition durch die sowjetischen und einheitssozialistischen Machthaber. Übrig blieb um 1950 nur noch ein deutlich angeschlagenes umsiedlerpolitisches SED-Netzwerk, das wie wir gesehen haben seinerseits mit dem zunehmenden Konformitätsdruck der entstehenden SED-Diktatur zu kämpfen hatte. -
2.2.4.
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„Etwas Neues": Das soziopolitische Profil der ZVU-Belegschaft in sowjet-
zonaler und
gesamtdeutscher Perspektive Der überproportionale Anteil altkommunistischer SED-Mitglieder an der Umsiedlerbürokratie der SBZ/DDR gab deren Belegschaften ein besonderes Sozialprofil, das sich nicht nur von westdeutschen Bürokratien, sondern auch von vielen Behördenbelegschaften der sowjetischen Zone deutlich abhob. Die Besonderheineben ihrer parteipolitischen ten sowjetzonaler Umsiedlerbürokraten betrafen Sozialisation im wesentlichen Altersstruktur, Bildungsgrad und soziale Herkunft. Die im Herbst 1947 insgesamt 108 Mitarbeiter der ZVU gliederten sich in drei Präsidiumsmitglieder, fünf Abteilungsleiter, 18 Referenten, 36 Inspektoren und Sachbearbeiter sowie 46 technische Kräfte. Zur Belegschaft gehörten 37 Frauen, die jedoch am stärksten unter den nachgeordneten Kräften (Inspektoren und Sachbearbeiter) vertreten waren, nur zwei Referentenstellen besetzten und in den höheren Leitungsfunktionen gar nicht vertreten waren. In einigen Landesumsiedlerämtern etwa in Brandenburg 1945 (Sendhoff), Sachsen zwischen 1947 und 1949 (Fabisch) und in Mecklenburg 1947 bis 1948 (Gutmann) konnten Frauen -
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-
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349 330 35i
Vgl. Richter, Die Ost-CDU, S. 180 ff.
Reinert, Protokolle des Landesblockausschusses, S. 334 ff., Protokoll v. 30. „Schwob ausgeschlossen", in: Märkische Union Nr. 12 v. 10. 2. 50, S. 1.
1. 50.
2. Institutionenwandel und
Netzwerk-Kontinuität
229
bis in Leitungsfunktionen aufsteigen, doch die Personalstruktur der zentralen Umsiedlerverwaltung war in Gender-Perspektive reichlich traditionell. Im Hinblick auf die Bildungsqualifikationen der ZVU-Belegschaft sah dies allerdings
ganz anders aus: In der ZVU dominierten 73 Volksschulabsolventen, was dem sozialen Hintergrund der vielen KPD/SED-Funktionäre dieser Verwaltung entsprach und bis zur Verwaltungsspitze reichte, denn unter den früheren Volksschülern befanden sich nicht nur untergeordnete Kräfte, sondern auch zwei Mitglieder des Präsidiums und zwei von fünf Abteilungsleitern, die nach traditionellen Qualifikationskriterien der deutschen Verwaltung niemals in solche Führungspositionen hätten gelangen können. Demgegenüber verfügten lediglich zwei von 108 ZVU-Mitarbeitern über eine Universitätsausbildung, darunter der promovierte Leiter der Sanitätsabteilung. Ein Mitglied des Präsidiums und ein weiterer Abteilungsleiter zählten zu jenen 19 Mitarbeitern, die höhere Schulbildung besaßen, weitere 14 Belegschaftsangehörige hatten die Mittelschule besucht. Von der sozialen Herkunft her waren 48% der ZVU-Mitarbeiter darunter alle drei Präsidiumsmitglieder des Jahres 1947 frühere Angestellte, weitere 44,8% frühere Arbeiter, ferner 5,6% Freiberufler. Lediglich zwei Mitarbeiter waren vor 1945 als Staatsbeamte tätig gewesen352. Im Hinblick auf ihr Sozialprofil hat es in der Umsiedler-Sonderverwaltung der SBZ somit tatsächlich eine „Stunde Null" gegeben nicht nur, weil es sich um eine völlig neue Behörde ohne Verwaltungstradition handelte, sondern auch, weil die KPD ihre personalpolitischen Interessen dort rücksichtsloser als andernorts hatte durchsetzen können. Die zonale Umsiedlerbürokratie der SBZ wurde altersmäßig von der mittleren Generation dominiert. Dies war umso bemerkenswerter, als die hohen Kriegsverluste bei den wehrfähigen mittleren Jahrgängen sonst eher eine Aufspaltung des Verwaltungspersonals in überalterte (oft im Pensionsalter stehende) und besonders junge Kohorten vermuten lassen. Als Vergleichsgröße mag die Altersstruktur im „Verwaltungs- und Rechtswesen" der DDR im Jahre 1950 herangezogen werden mit der Einschränkung, daß sie gegenüber 1947 insofern günstiger gewesen sein dürfte, als heimgekehrte Kriegsgefangene die ausgedünnten mittleren Erwerbsjahrgänge unterdessen verstärkt haben könnten. Jedenfalls waren im DDRVerwaltungssektor 1950 18,9% der Angestellten über 50 Jahre alt, was auch Personen über 65 Jahre einschließt. Die beiden Altersgruppen der 40^I9jährigen sowie der 30-39jährigen waren mit jeweils 19% vertreten. Einen stärkeren Anteil hatten die 21-29jährigen mit 29,5%. Demgegenüber war im Herbst 1947 zwar auch in der ZVU jeder fünfte Mitarbeiter über 50 Jahre alt, doch den Kern der ZVU-Belegschaft bildeten die mittleren Altersgruppen der 41-50jährigen (35,1 %) und der 31-40jährigen (26,9%), während die 22-30jährigen mit 13,9% eher geringfügig und die noch Jüngeren nur marginal vertreten waren353. Daß diese Dominanz der mittleren Generation mit den in Exil und NS-Haft überlebenden KPD-Funktionären zu tun hat, wird daraus ersichtlich, daß die Führungspositionen der ZVU durchweg mit Angehörigen dieser Generation besetzt waren, die bei Amtsantritt zwischen 43 und 54 Jahre zählten und ihre Sozialisation somit in der -
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332 333
Vgl. BAB, DO 2/3, Bl. 143. Die Berechnungen nach: Statistisches Jahrbuch DDR 1955, S. 30.
230
II. Die
Soziologie der Macht
Zeit vor 1933 erlebt hatten. Sie waren in der Weimarer Republik die „jungen" linksextremen Gegner der ebenfalls „jungen" rechtsextremen Nationalsozialisten gewesen. Der erste ZVU-Präsident Schlaffer (Jahrgang 1891) sowie die späteren Vizepräsidenten Vogt (1894) und Daub (1896) zählten zu jener Alterskohorte, der auch Hitler (1889), Ulbricht (1893) oder Jakob Kaiser (1888) entstammten. Hingegen waren ZVU-Präsident Engel (1903) und sein Stellvertreter Tschesno (1902) bei Amtsantritt gerade Anfang vierzig. Noch jünger waren die ihnen zuarbeitenden Abteilungsleiter, insbesondere jene, die den Einschnitt von 1948 politisch überstanden: Der Berliner und gelernte Statistiker Georg Chwalczyk zählte zum Jahrgang 1907, der ebenfalls in Berlin geborene gelernte Kaufmann Kurt Büttner sogar zum Jahrgang 1910354. In ähnlicher Weise dominierte die Alterskohorte der knapp über Vierzigjährigen in den Landesumsiedlerämtern. Der in Mecklenburg bis 1947 amtierende KPAmtschef Brincker gehörte zum Jahrgang 1903 und war, als er 1945 ins Amt ge-
langte, deutlich jünger als seine christdemokratischen und sozialdemokratischen Referenten355. In Brandenburg zählte der langjährige sozialdemokratische Amtschef Friedrichs zum Jahrgang 1905356, sein Hallenser SPD-Kollege Gaden zum Jahrgang 1902, dessen kommunistischer Nachfolger Hiebsch sogar zum Jahrgang 1908; Hiebschs zeitweiliger Stellvertreter war erst siebenundzwanzig Jahre alt357. Ähnlich verhielt es sich 1945 in Sachsen, wo der kommunistische Direktor des Umsiedleramtes, Knoch, 1904 geboren war und seine ebenfalls der KPD angehörende Stellvertreterin Tänzer nur fünfundzwanzig Jahre zählte358. Zwar gehörte Knochs Nachfolger Kloss als 1892 Geborener der älteren Kohorte der Umsiedlerfunktionäre an359, doch mit der 1947 ernannten Ruth Fabisch (Jahrgang 1903) wurden die alten im Grunde „jungen" Verhältnisse wiederhergestellt360. Ähnlich verlief die Entwicklung in Thüringen, wo die Amtschefs Ressel und Kalinke dem Geburtsjahrgang 1904 angehörten361. Diese relativ jungen KPD/SED-Amtsleiter überflügelten ihre sozialdemokratischen oder bürgerlichen Untergebenen, so daß ein etwaiger politischer Dissens zugleich Züge eines Generationenkonfliktes trug: Auf diese Weise agierte Ende 1945 innerhalb einer ZVU-Abteilung der 1903 geborene Kommunist und einstige Kellner Rudolf Engel als Vorgesetzter eines 1881 geborenen Sozialdemokraten und früheren Gewerkschaftssekretärs, in einer anderen Abteilung der 1911 geborene Kommunist und gelernte Maurer Erich Hanke als Vorgesetzter eines 1882 geborenen Sozialdemokraten und einsti-
334
333
336
337 338 339 »o 3
Intensivierung der allgemeinen Verwaltungsarbeit herbeigeführt wer-
BAB, DO 2/2, Bl. 131, Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik Sachsen-Anhalt, Abt. Umsiedler, an DVdl, HAU, 28. 8. 48. BAB, DO 2/1, Bl. 192 ff., DVdl, HAU, Thiele, Bericht über Besprechungen mit den Innenministern
der Länder über die
Eingliederung der „Abteilungen für Bevölkerungspolitik", 24. 9. 48.
356
II. Die
Soziologie der Macht
den sollte. Wiederum beharrte er auf selbständigen Abteilungen in den Innenministerien und berief sich dabei auf die grundsätzliche Unterstützung der Landesinnenminister (deren wichtige Einschränkung hinsichtlich des Stellenplans er freilich verschwieg). Neu war Thieles Anregung, auch bei den Wirtschaftspla-
nungsämtern und Fachverwaltungen „Stellen zu schaffen, welche die besonderen Interessen der Umsiedler bei allen Planungen und Maßnahmen zur Geltung bringen" sollten ein letzter Nachhall der einst geplanten Anbindung an die Wirt-
schaftsplanung969. -
Daß Thiele
an
diesen entscheidenden Punkten nach zwei Monaten wiederum
lediglich Forderungen formulierte, statt verbindliche Lösungen zu präsentieren, veranlaßte die Ländervertreter jedoch zu aufgebrachten Reaktionen. Der Thüringer Kalinke drohte mit Rücktritt und pochte auf klare institutionelle Regelungen: „Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, daß sich irgendwer dieser Aufgabe annimmt. Es muß eine Stelle geben, die kontrolliert, ob die einzelnen Verwaltungen diese besonderen Aufgaben auch richtig in Angriff nehmen. [...] Es sind für diesen speziellen Teil der Bevölkerung so schwere Aufgaben zu lösen, daß man nicht weiß, wo man die Kraft dazu hernehmen soll. Natürlich ist es leichter, den Problemen aus dem Wege zu gehen, bei den Umsiedlern bleibt dann alles hängen."970 Während Thiele das Weiterbestehen der Kreisumsiedlerämter als gelöst bezeichnet hatte, reiste nach Kalinkes Erfahrung in Thüringen längst eine Kommission der DWK und der DVdl (zweifellos ein Ableger der Malz-Kommission) durch das Land und löste solche Ämter flächendeckend auf. „Das ist eine Folge davon, wenn man an zentraler Stelle dauernd davon spricht, daß das Umsiedlerproblem nicht mehr existiert." Die DVdl-Hauptabteilung Umsiedler sei offensichtlich auf Zentralebene viel zu schwach, jedenfalls behaupte sie „sich nicht genügend gegenüber den entscheidenden Stellen" in der DWK und der DVdl-Führung. Das Grundproblem der Verwaltungsreform sei doch, daß „die anderen Stellen" der Staatsverwaltung, denen künftig die Vertriebenenförderung übertragen werden solle, noch gar nicht erkannt hätten, „wieviel geleistet werden muß"971. Auch Sachsen-Anhalts Vertreter Hiebsch zeigte sich schwer enttäuscht, drohte mit der Einstellung der Arbeit durch seine Behörde und wies zugleich auf tiefe Widersprüche zwischen der von der DVdl betriebenen Politik der „Liquidierung" der Umsiedlerpolitik und ihm bekannten sowjetischen Auffassungen in dieser Frage hin: „Die SMA steht nicht auf dem Standpunkt, wie vorgetragen wurde, sondern ist gewillt, die Umsiedlerarbeit zu verstärken."972 HAU-Chef Vogt, der sich gegen den bitteren Vorwurf seiner institutionellen und persönlichen Bedeutungslosigkeit nur mühsam zur Wehr setzte, versuchte an den Korpsgeist der SED-Umsiedlerfunktionäre zu appellieren, um die drohende Desintegration des gesamten Netzwerkes zu verhindern: „Wir haben gemeinsam Kraft genug, die weitere Entwicklung unserer Arbeit zu beeinflußen." Man müsse „zusammenbleiben, bis unser Werk einen gewissen Abschluß erhalten hat", denn 969 »o
97' 972
BAB, DO 2/32, Bl. 151 ff., insb. Bl. 154 f., DVdl, HAU, Protokoll der Direktorenkonferenz der HAU am 12. 10., 10. 11.48.
Ebenda, Bl. 156 f. Ebenda, Bl. 157f. Ebenda, Bl. 158.
2. Institutionenwandel und
Netzwerk-Kontinuität
357
dabei handle
es sich um „ein Stück unseres Lebens, das wir dieser Arbeit gewidhaben"973. Auch der diesmal anstelle von Malz anwesende DVdl-Vizepräsident Seifert versuchte Optimismus zu verbreiten: Er habe sich „von Anfang an [...] dagegen gewehrt, einen Apparat aufzulösen, der jahrelang gut gearbeitet und sich eine bestimmte Qualifikation erworben hat". Einzelne Abgänge zu anderen
met
Verwaltungen seien zwar möglich, doch eine völlige Zerschlagung des bisherigen Personals der Umsiedlerbehörden sei gewiß „nicht richtig". Diese sollten „als selbständige Abteilung im Innenministerium bestehen bleiben"974. Das klang verheißungsvoll wenn es auch aufgrund der schwachen Stellung Seiferts im DVdlPräsidium wenig realistisch war -, doch indem sich Vogt, Seifert und der anwesende SED-Umsiedlerreferent Chwalczyk in der Folge hauptsächlich mit wechselseitigen Schuldzuweisungen für den nach wie vor ungeklärten Schwebezustand der Strukturreform beschäftigten, bestätigten sie die negativen Eindrücke der Ländervertreter hinsichtlich der Bedeutungslosigkeit und Entscheidungsschwäche ihrer zentralen Ansprechpartner nur noch mehr. Dieser krisenhafte Konferenzverlauf scheint immerhin von Chwalczyk als Vertreter des zentralen SED-Parteiapparats als Alarmsignal begriffen worden zu sein, denn erstmals seit Monaten ergriff nunmehr das SED-Zentralsekretariat wieder die Initiative, um dem umsiedlerpolitischen Funktionärskorps ein ermutigendes Signal zur „Weiterführung des Assimilationsprozesses der Umsiedler" zu geben. Am 15. November 1948 nahm dieses SED-Führungsgremium eine entsprechende Beschlußvorlage Plenikowskis an, die inhaltlich auf Chwalczyk zurückging, und verfügte zudem auf ausdrücklichen Wunsch Wilhelm Piecks die Bildung einer speziellen Kommission unter dem Vorsitz Ulbrichts, der je ein Vertreter der ZSAbteilungen Landespolitik, Arbeit und Sozialfürsorge, Organisation sowie Werbung-Presse-Rundfunk angehören sollte, um gemeinsame „Vorschläge für die Parteiarbeit unter den Umsiedlern" zu erarbeiten und „eine Beratung dieser Frage im größeren Kreise" vorzubereiten975. Zu letzterer ist es niemals gekommen. Auch hielt diese ZS-Entschließung die früheren Beschlüsse des SED-Führungsgremiums zur Abschaffung besonderer Umsiedlerinstitutionen ausdrücklich aufrecht. Allerdings wurde nunmehr den SED-Umsiedlerfunktionären ein inhaltlicher Spielraum zur Beibehaltung ihrer Klientelperspektive und darauf abgestimmter gruppenspezifischer Hilfsmaßnahmen eingeräumt freilich im Rahmen der regulären Verwaltungen und unter strikter Oberaufsicht der Parteiführung. Die neuen Abteilungen für Bevölkerungspolitik sollten diesem SED-Beschluß zufolge nunmehr endgültig in den Hauptabteilungen Verwaltung der Landesinnenministerien angesiedelt werden, womit die umstrittene Minister-Direktunterstellung endgültig gescheitert schien. Das Arbeitsprofil der neuen Abteilungen wurde -
-
Zentralsekretariat höchst undeutlich definiert, sollten sie doch neben einer Analyse der Bevölkerungsstruktur besonders jenen „speziellen Problemen der
vom
973 974
973
Ebenda, Bl. Ebenda, Bl.
159 f. 161.
Drittens beschloß das ZS, den zentralen Suchdienst der DVdl zu unterstellen, was auf der Oktober-Konferenz der DVdl bereits vorbereitet worden war; vgl. SAPMO, DY30/IV2/2.1/248, SED, ZS, Prot. Nr. 130(11) v. 15. 11. 48, Bl. 1; zur Rolle Piecks: ThüHStA, Mdl 3676, Bl. 60ff., Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über die Sitzung beim ZS der SED am 3.12., 16. 12. 48.
358
II. Die
Soziologie der Macht
Bevölkerungs- und Innenpolitik" Rechnung tragen, „die ihrer Eigenart nach vorerst nicht zum Kompetenzbereich einer besonderen Ressortstelle gehören"976.
Diese Leerformel ließ vieles offen und damit manches zu. Die Reaktionen der SED-Umsiedlerfunktionäre waren trotz ihrer Niederlage in der Unterstellungsfrage nicht ungünstig. Der am 3. Dezember 1948 von ZSAbteilungsleiter Plenikowski erläuterte Parteibeschluß gab ihnen seit längerem erstmals wieder begründete Hoffnung auf die Fortsetzung umsiedlerpolitischer Arbeit mit dem Ziel der „Gleichberechtigung der Umsiedler", die laut Plenikowski in materieller Hinsicht noch nicht erreicht war. Der Ulbricht-Mitarbeiter forderte das umsiedlerpolitische Netzwerk sogar ausdrücklich auf, in der gesamtdeutschen Systemkonkurrenz zu „beweisen, daß wir die bessere Ordnung haben"977. Institutionell gehe es daher bei den sich vollziehenden Reformen nicht um die „Liquidierung des Apparates", sondern nur um eine „Umstellung unserer Arbeitsmethode", denn inhaltlich bleibe „noch viel zu tun". Freilich müßten nun sämtliche Verwaltungen diese Probleme zu lösen versuchen, und die Partei selbst müsse fortan kontrollieren, „daß alle Verwaltungsorgane ihre Pflicht gegenüber den Umsiedlern, aber auch gegenüber den Bombengeschädigten und Heimkehrern erfüllen"978. Künftig solle die SED in der Umsiedlerpolitik zur „entscheidende^] Kraft" werden, was ohne öffentliche Mobilisierungskampagnen nicht möglich sei, da „viele der maßgebenden Funktionäre in der SED [...] die politische Bedeutung der Umsiedler in ihrem Assimilationsprozeß nicht erkannt" hätten979. Im übrigen bekannte sich Plenikowski zur Diffusionsstrategie seines Umsiedlerreferenten Chwalczyk, indem er forderte, „unsere freiwerdenden Genossen" aus den bisherigen Umsiedlerbehörden müßten „mit ihren wertvollen Erfahrungen in alle infrage [sie!] kommenden Verwaltungen" lanciert werden980. In der anschließenden Diskussion begrüßte der Thüringer Kalinke diese offiziellen Erklärungen der Parteiführung begeistert: „Endlich haben wir das erreicht, was wir schon immer fordern, nämlich daß die Dinge vom Zentralsekretariat der Partei behandelt werden."981 Lediglich der Brandenburger Friedrichs widersprach der beschlossenen Abschaffung aller Umsiedlerverwaltungen auf Länder- und Kommunalebene zum damaligen Zeitpunkt982, was ihm den Verweis des sächsischen SED-Funktionärs Bürger einbrachte, „das Umsiedlerproblem" sei „keine Ressortaufgabe". Der Sachse selbst monierte allerdings die untergeordnete Stellung der Abteilungen für Bevölkerungspolitik, die nicht dem Stellenwert ihrer Aufgaben gerecht werde: „Die neue Abteilung Bevölkerungspolitik sollte eine besondere Abteilung bleiben und direkt dem Minister unterstellt werden." Dies
SAPMO, DY30/IV2/2.1/248, SED, ZS, Prot. Nr. 130(11) v. 15. 11. 48, Bl. 1 und Bl. 8f. BAB, DO 2/1, Bl. 213, DVdl, HAU, Büttner, Bericht über ZS-Besprechung am 3.12., 6. 12. 48. 978 ThüHStA, Mdl 3702, Bl. 90-95, insb. Bl. 91, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über ZS976 977
979
980
98'
982
Besprechung am 3. 12., 16.
12. 48.
BAB, DO 2/1, Bl. 213, DVdl, HAU, Büttner, Bericht über ZS-Besprechung am 3.12., 6. 12. 48. ThüHStA, Mdl 3702, Bl. 90-95, insb. Bl. 91, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über ZSBesprechung am 3. 12., 16. 12. 48. Ebenda.
ThüHStA, Mdl 3676, Bl. 60-65, insb. Bl. 63, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über ZS-
Besprechung am 3. 12., 16. 12. 48.
2. Institutionenwandel und
Netzwerk-Kontinuität
359
lehnte jedoch der anwesende DVdl-Gleichschalter Malz erneut strikt ab983. Damit eingetreten, was die Länderfunktionäre von Anfang an befürchtet hatten eine weitreichende Herabstufung der bevölkerungspolitischen Abteilungen, die Eigeninitiative und Beteiligung an politischen Kernentscheidungen unmöglich zu machen schien. Nunmehr mußte sich zeigen, ob die saloppe Erklärung des DVdlFunktionärs Malz, es komme weniger auf formelle Strukturen an als auf individuell erkämpfte Handlungsspielräume, auf der Ebene der Landespolitik nicht auch gegen die Gängelungspolitik der Berliner Zentrale gewendet werden konnte. Einige der Versammelten sollten dies sehr bald erproben.
war
-
2.5.3.
„Die Arbeit für die Umsiedler nicht zu Ende": Landespolitische SED-Netz-
werkstrategien zwischen Parteidisziplin und Eigeninitiative 1948/49 In Thüringen hatte sich Umsiedlerpolitik von der übrigen sowjetischen Zone seit Ende 1946 stets zu unterscheiden gewußt. Vertriebenenspezifische Sozialpolitik wurde dort insbesondere 1946/47 mit größerem Engagement und größerer Inklusionsbereitschaft betrieben als anderswo984; nirgendwo war die Bereitschaft zu Sondergesetzgebung für Vertriebene ausgeprägter als dort, was im Sommer 1948 von DVdl-Hauptabteilungsleiter Malz als „Folge einer falschen Selbständigkeit" ausdrücklich getadelt werden sollte985. Seit 1946 pflegte Thüringen eine besondere Terminologie für bereits „eingemeindete" Vertriebene, die man nicht länger „Umsiedler" nennen wollte, sondern zu „Neubürgern" erhob wobei man den Tadel des zentralen SED-Apparats ignorierte und sprachpolitische (assimilatorische) Parallelen zu Westdeutschland in Kauf nahm986. Folgerichtig unterschied sich auch die institutionelle Struktur der Sonderverwaltung zwischen Thüringen und den übrigen Ländern der SBZ: Während alle übrigen Landesumsiedlerbehörden Ende 1946 in die Arbeits- und Sozialministerien ihrer Landesregierungen eingegliedert worden waren, ressortierte das thüringische „Amt für Neubürger" seither im dortigen Innenministerium. Aufgrund dessen hatte sich auch der thüringische Amtschef Kalinke für die Anfang 1948 grassierenden Reorganisationspläne der ZVU, die eine Aufgabenzersplitterung auf mehrere Ressorts bewirkt hätten und insbesondere auf eine Wirtschaftsplanungs-Integration der Umsiedlerbehörden zielten, nur wenig erwärmen können. Gegenüber der SMATh plädierte er dafür, sein Amt wie bisher im Innenministerium zu belassen oder bestenfalls dem Regierungschef direkt zu unterstellen, die im SED/ZVU-Plan vorgesehene Dreiteilung zwischen Wirtschaftsplanungs-, Innen- und Sozialressorts jedoch zu vermeiden: „Nur dann", wenn die institutionelle Anbindung an den wichtigsten Stellen der Landesregierung gewährleistet sei, könne man das Umsiedlerproblem tatsächlich -
-
-
lösen987.
983
984 983
ThüHStA, Mdl 3702, Bl. 90-95, insb. Bl. 93, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über ZSBesprechung am 3. 12., 16. 12. 48.
Vgl. hierzu Teil III.
BAB, DO 2/32, Bl. 85ff., insb. Bl. 91, DVdl, HAU, Protokoll der Direktorenkonferenz am 23. 8.,
22. 9. 48. 986 987
Vgl. ausführlich: Schwartz, „Vom Umsiedler zum Staatsbürger". ThüHStA, Mdl 3714, Bl. 243, Mdl Thüringen, AfN, Prot. der Besprechung bei der SMATh am 2.2., 2. 2. 48.
II. Die
360
Soziologie der Macht
Seine skeptische Einstellung zu den Reformplänen Merkers und Engels prädestinierte Kalinke im Frühjahr 1948 für die Unterstützung der von den Sicherheitsapparaten der SMAD und Ulbrichts favorisierten vollständigen Integration aller Umsiedlerbehörden in die Innenressorts. Kalinke erblickte darin vermutlich zunächst nichts anderes als eine zonenweite Verallgemeinerung seines funktionierenden „thüringischen Modells". Jedenfalls ließ er sich bezeichnenderweise als einziger Landesvertreter auf die Mitarbeit in jener „Kommission für Umsiedler und Heimkehrer" ein, die im Auftrage der Innenministerkonferenz der Zone mit der Überführung der Umsiedlerbehörden in die Innenressorts befaßt war988. Es war folglich nicht die institutionelle Umstrukturierung an sich, die den Thüringer in der Folgezeit zunehmend irritierte, sondern die wachsende Unklarheit über die zukünftige Aufgabenstellung der neuen Abteilungen für Bevölkerungspolitik. Auf einer Belegschaftsversammlung seines Amtes erklärte Ende September 1948 Kalinke unverhohlen, während die künftige Organisationsstruktur der Umsiedlerbehörden „noch in der Schwebe" sei, habe sich „bei unserer ehemaligen Zentralverwaltung eine gewisse Unentschlossenheit" entwickelt und „lähmend auch auf die Arbeit der Länder" ausgewirkt. Die Fortsetzung der Verwaltungsarbeit sei durch die völlig falsche Parole vom unmittelbar bevorstehenden Abschluß der Umsiedlung also dem Ende des Neuzugangs an Zwangsumgesiedelerschwert worden, was dazu geführt habe, „daß unsere noch zu ten in der SBZ lösenden Aufgaben von manchen Behörden und antifaschistischen Organisationen unterschätzt werden, daß wir kurzerhand um mehrere Lager gebracht wurden und deswegen heute die größten Schwierigkeiten bei der Unterbringung der vielen Umsiedler und Heimkehrer haben"989. Der Beschluß des SED-Zentralsekretariats zur „Weiterführung des Assimilationsprozesses der Umsiedler" hatte diesen SED-Funktionär gegen Jahresende 1948 wie oben gesehen sichtlich beruhigt. Kurz nach der Konferenz mit Plenikowski lobte Kalinke gegenüber Mitarbeitern der Umsiedlerabteilungen Mecklenburgs und Sachsen-Anhalts dessen „wesentliche Gedankengänge", wollte freilich den künftigen Abteilungen für Bevölkerungspolitik ausdrücklich aufgetragen wissen, nicht nur „dafür zu sorgen, daß die noch ankommenden Umsiedler schnell und gut untergebracht werden", sondern auch „darauf zu achten, daß wirklich demokratisches Denken in den Herzen der Bevölkerung verankert wird". Der thüringische Amtschef förderte auch die von Plenikowski befürwortete zielgerichtete personelle Diffusion von Umsiedlerfunktionären in andere Behörden, die angesichts der Personalkürzungsauflagen ohnehin unvermeidlich war. Mitarbeiter seines Neubürgeramtes gingen „zur allgemeinen Verwaltung, zu Arbeit und Sozialwesen und zum Wirtschaftsministerium, weil von diesen drei Stellen Entscheidendes geleistet, weil der Mahnruf .Thüringen, Heimat für drei Millionen' nicht nur eine Phrase, sondern tatsächliche Realität werden muß"990. -
-
-
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988
989
"o
-
Die übrigen Mitglieder der Kommission waren DVdl-Präsident Fischer, ZVU-Vizepräsident Vogt und dessen Abteilungsleiter Chwalczyk und Fischbach; vgl. ThüHStA, Mdl 3639, Bl. 26, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, an Gebhardt, an SMATh, Abt. Umsiedler, Oberstlt. Safronow, an SED, LL Thüringen, Hanusch, 8. 6. 48. ThüHStA, Mdl 3676, Bl. 48-55, insb. Bl. 50L, Mdl Thüringen, AfN, Protokoll der Belegschaftsversammlung am 20. 9. 48, o.D., Rede Kalinkes. BAB, DO 2/36, Bl. 283-287, Mdl Thüringen, AfN, Protokoll der Versammlung der Mitarbeiter
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
361
Nicht nur Kalinke begriff die 1949 anstehende Überführung der Umsiedlerbehörden in die Innenministerien als institutionelle Verbesserung und politische Chance. Im Arbeitsministerium Sachsen-Anhalts hatte, so die Klage eines Mitarbeiters, die Umsiedlerabteilung „von dem zuständigen Minister" dem Christdemokraten Herwegen angeblich „keinerlei Unterstützung" erfahren und fühlte sich entsprechend als „das fünfte Rad am Wagen". Auch in Mecklenburg wurde von den SED-Funktionären der Umsiedlerbehörde „die Unterstützung des zuständigen Ministers", des Christdemokraten Burmeister, vermißt, obschon dieser wie wir gesehen haben gemeinsam mit seinem Adlatus Herzog durchaus umsiedlerpolitisch engagiert war. Demgegenüber rühmte Kalinke seinen SED-Innenminister als idealen Chef, der große Spielräume lasse. „Die genügende Autorität [...] erarbeitet" habe sich das Neubürgeramt aber „nicht zuletzt mit Unterstützung der Umsiedlerabteilung der SMATh, so daß nunmehr bei allen Dienststellen auf ein großes Entgegenkommen gestoßen wird". Als der mecklenburgische Vertreter die Meinung äußerte, daß „das Umsiedlerproblem besser gelöst werden könnte, wenn vorläufig die besonderen Umsiedlerdienststellen bestehen bleiben würden", vertraute Kalinke demonstrativ darauf, daß bei intensiver Einschaltung der Partei, wie das Zentralsekretariat sie beabsichtige, schon nichts schief gehen werde. Mit diesem Vertrauen auf die Parteiführung scheint Kalinke die übrigen Ländervertreter allerdings nicht angesteckt zu haben. Der Gast aus Halle erklärte, „daß der Standpunkt der SED fortschrittlich und zu begrüßen ist, aber nach seiner persönlichen Meinung noch etwas verfrüht"991. Im eigenen Lande ging Kalinke unverzüglich daran, die November-Beschlüsse der Parteiführung umzusetzen. Am 15. Dezember 1948 gab er ein Rundschreiben an die Kreisämter heraus, in dem er darauf hinwies, daß umsiedlerpolitische Verwaltungsarbeit nur dann erfolgreich sein könne, wenn sich die „antifaschistischen Organisationen" an dieser Integrationspolitik aktiv beteiligten. Zugleich ordnete Kalinke an, daß alle relevanten Funktionäre der Kreisverwaltungen an den für die Jahreswende 1948/49 geplanten sozialpolitischen Konferenzen der SED verbindlich teilzunehmen hätten992. Auf einer Belegschaftsversammlung des Neubürgeramtes vor Weihnachten 1948 erklärte Kalinke auf der Basis jüngst durchgeführter behördlicher Untersuchungen zur Lage der Vertriebenen in Thüringen, daß man bereits rund „40% der Umsiedler als Bürger Thüringens ansehen" könne. Zugleich aber mahnte er die zu anderen Behörden wechselnden bisherigen Umsiedlerfunktionäre: „Vergessen Sie nie, daß in dieser allgemeinen Not [der Nachkriegszeit] die Umsiedler noch eine besondere Not leiden. Sehen Sie in der neuen Dienststelle Ihre große soziale Verpflichtung gegenüber diesen armen Menschen und die politische Verpflichtung gegenüber der werdenden Demokratie."993 -
-
-
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des AfN
aus
14. 12.48. "i 992
993
Anlaß der Anwesenheit der Vertreter Sachsen-Anhalts und
Mecklenburgs am 9.12.,
Ebenda. Dieses Schreiben macht zudem die enge Verklammerung von Staat und Partei deutlich, die in Thüringen auch auf kommunaler Ebene selbstverständlich praktiziert wurde; vgl. ThüHStA, Mdl 3626, Bl. 104, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Rdschr. 42/48 v. 15. 12. 48. ThüHStA, Mdl 3649, Bl. 173-177, insb. Bl. 174 und Bl. 177, Mdl Thüringen, AfN, Protokoll der Belegschaftsversammlung am 22.12. 48, o.D.; vgl. auch BAB, DO 2/36, Bl. 290 ff.
362
II. Die
Soziologie der Macht
Dennoch war Anfang 1949 die Euphorie, die der ZS-Beschluß zur „Weiterführung des Assimilationsprozesses der Umsiedler" bei Kalinke erzeugt hatte, Ernüchterung gewichen. Der Landesamtschef begriff, daß trotz aller Mobilisierungs- und Steuerungsabsichten der SED-Parteiführung eine institutionelle Basis
für künftige Vertriebenenpolitik völlig fehlte. War nicht, wie man bei Lenin lernen konnte, Kontrolle am Ende immer besser als bloßes Vertrauen? Mitte Januar 1949 wandte sich Kalinke in einem Privatschreiben an DVdl-Hauptabteilungsleiter Vogt, um seine „Sorge" zu artikulieren, daß „nicht alle Stellen auch an die Durchführung dieses Beschlusses [der Parteiführung] herangehen". Angesichts der Tatsache, daß noch mit Hunderttausenden von Heimkehrern und Zehntausenden von neueintreffenden Umsiedlern zu rechnen sei, dürfe „die Sorge um sie [...] nicht in der Luft hängen". Es sei „allerhöchste Zeit" für die verbindliche Mitteilung, wie die Verwaltungsstrukturen der neuen Abteilungen für Bevölkerungspolitik ab April 1949 aussehen sollten „oder ob sie überhaupt vorhanden sein wird". Kalinke wollte endlich erfahren, „wie wir unsere Arbeit an diese Dienststelle überleiten können", um eine Lähmung der Vertriebenenarbeit zu vermeiden994. Als am 11. Februar 1949 die großangelegte Abschlußsitzung der 1946 geschaffenen thüringischen Landeskommission für Neubürger erfolgte, war man in diesen wichtigen Fragen jedoch keinen Schritt weiter gekommen. In seiner Abschiedsrede an die thüringischen Funktionäre gab Kalinke daher inhaltlicher Kontinuitätssicherung höchste Priorität: -
„Wir haben uns das Ziel gestellt, daß unsere Umsiedlerdienststelle nicht länger [zu] bestehen braucht. Wir wissen aber, daß damit die Arbeit für die Umsiedler nicht zu Ende sein darf. Deswegen sind wir in diesen Tagen dabei, dem Landesjugendamt und dem Sozialministerium zu sagen, wir haben die und die Mängel und Mißstände aufgedeckt und ihr müßt euch in Zusammenarbeit mit uns bemühen, diese Dinge schnellstens abzustellen. Damit die Dinge, die wir den Dienststellen unterbreiten, nicht in irgendwelchen Aktenheftern verschwinden, sondern daß diese Dinge bearbeitet werden, dafür werden wir sorgen und vor allem auch die antifaschistischen Organisationen auf solche Kernprobleme aufmerksam machen."995 Wenn Kalinke gehofft haben sollte, spätestens auf dieser Tagung vom anwesenden
DVdl-Vertreter Vogt Konkretes zu den bevölkerungspolitischen Abteilungen zu erfahren, die spätestens zum April 1949 ihre Arbeit aufnehmen sollten, so wurde er bitter enttäuscht. Vogt mußte zugeben, daß man sich innerhalb der DVdl-Zentrale „über die letzte Phase der Abteilung Bevölkerungspolitik selbst noch nicht schlüssig" sei. Darum wußte er lediglich dasselbe Prinzip des Learning by doing zu empfehlen, nach dem 1945 bereits die Umsiedlerverwaltungen zu arbeiten begonnen hätten996. Die Umsiedlerarbeit werde sich strukturell immer wieder ändern müssen, weshalb man die aktuelle Umstellung „nicht nur unter dem sturen, kalten Wort Liquidierung" betrachten solle: „Entscheidend ist, daß wir nicht schlechthin liquidieren, sondern daß wir die einzelnen Auf-
gaben,
die sich
ergeben,
den einzelnen
zuständigen Verwaltungen
zuleiten. An der
Spitze
BAB, DO 2/33, Bl. 115, Kalinke an Vogt, 22. 1. 49, handschriftliches Privatschreiben. BAB, DO 2/36, Bl. 295-315, insb. Bl. 298, ZVU, Prot. der erweiterten Sitzg. der LKfN am 11.2. 49, o.D. "6 ThüHStA, Mdl 3652, Bl. 232-254, insb. Bl. 251, Mdl Thüringen, AfN, Prot. der erweiterten Sitzg. der LKfN am 11. 2. 49, o.D. 994
993
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
363
steht bei dem, was bleibt, die Auswertung der strukturellen Veränderung in der Bevölkerung überhaupt und durch den Zustrom der Umsiedler im besonderen. Dies kann man nicht einfach allen Verwaltungen zuweisen, dazu müssen wir ein besonderes Organ schaffen. Wir sehen dieses Organ in dem jetzt bei den Innenministerien geschaffenen Abteilungen für Be-
völkerungspolitik."997 Vogts Rede ließ erkennen, daß die Verzögerungen bei der Aufgabenbestimmung der
neuen
Behörden mit vehementen Konflikten innerhalb der Berliner Zentra-
le^) um den Kontroll- und Mitspracheanspruch gegenüber anderen Ressorts zu tun hatte. Laut Vogt hatten „einige Leutchen" erklärt, „so wie ihr die Dinge seht,
[...] heißt das, daß hier eine Verwaltung über der anderen stehen soll". Angesichts der strikten Ablehnung konkreter Kontrollbefugnisse der Abteilungen für Bevölkerungspolitik durch die SED-internen Gegner besonderer Umsiedlerpolitik übte Vogt sich in der rhetorischen Gratwanderung, „daß diese Abteilung kein Weisungsrecht haben wird", sondern lediglich „Vorschläge auszuarbeiten" und „sagen wir nicht einmal überwachen, aber verfolgen [solle], wie die einzelnen Verwaltungskörper an die Durchführung der für sie sich ergebenden Aufgaben gehen". Doch der Umsiedler-Hauptabteilungsleiter, der in seiner zentralen Innenbehörde selbst kaum noch über Spielräume verfügte, konnte nichts Verbindliches festlegen, sondern den nachgeordneten Netzwerk-Mitgliedern lediglich Fingerzeige für Eigeninitiativen geben. Den von Kalinke seit längerem kritisierten Umstand, daß die Abteilungen für Bevölkerungspolitik über keine klaren Kompetenzen und Aufgaben verfügten, suchte Vogt lieber als Chance denn als Problem zu betrachten quasi als informellen „Wettbewerb" diverser Verwaltungen um die beste Problemlösung998. Kalinke reichte das nicht. Zwei Wochen nach der Landeskonferenz wandte er sich an ihm nahestehende SED-Genossen, um „die künftige Arbeit für die Umsiedler" zu thematisieren. Seine Adressaten waren neben dem wiederum einbezogenen Vogt zwei Funktionäre des thüringischen SED-Vorstandes, darunter das Sekretariatsmitglied Emma Sachse999, ferner Innenminister Willy Gebhardt und Kalinkes Amtskollege Rudolf Güldenpfennig, Hauptabteilungsleiter für Staatliche Verwaltung im Innenressort, der gemäß dem Malz-Strukturplan die Kontrolle über die neue Abteilung Bevölkerungspolitik übernehmen sollte. Kalinke hatte unterdessen den Eindruck gewonnen, daß die SED-Führungsgremien in Berlin nicht über das notwendige Problembewußtsein verfügten, um die künftige Anleitung der Umsiedlerpolitik übernehmen zu können. Der scheidende Neubürgeramtschef empfand es als mißlich, daß die inhaltlichen Konzeptionsprobleme der neuen Abteilungen mit massiven Einsparungszwängen zusammenfielen. Damit drohte eine fortlaufende Verringerung der Planstellen: War man im Herbst 1948 noch von 30 Planstellen für die künftige thüringische Abteilung ausgegangen, wagte Kalinke im Februar 1949 nur noch 19 Stellen zu fordern. Landesregierung und Landes-SED mußten in Kalinkes Sicht daher möglichst selbst die vertriebenenspezifische Problemperspektive innerhalb der regulären Verwaltun-
997
BAB, DO 2/36, Bl. 295-315, insb. Bl.
LKfNamll.2.49, o.D. 998 Vgl. ebenda, Bl. 304 f. 999 SBZ-Handbuch, S. 1011.
300 und Bl. 303 f.,
ZVU,
Prot. der erweiterten
Sitzg.
der
II. Die
364
gen wach
Soziologie der Macht
halten versuchen. Das bedingte nicht nur Information, sondern auch zu einer Besprechung des thüringischen Innenministeriums mit „maßgeblichen Vertretern des Landesvorstandes der SED und des FDGB", auf der gegen die bevorstehende „Auflösung der besonderen Umsiedlerorganisationen [...] in Anbetracht dessen, daß die Umsiedlung und die Rückführung von Heimkehrern noch nicht beendet seien, von verschiedenen Seiten größte Bedenken gehegt wurden"1001. Die „Aussprache" war auf „Wunsch des Genossen Kalinke" zustande gekommen, der nochmals seine SED-internen Netzwerkkontakte mobilisiert zu haben scheint, „um Richtlinien festzulegen, wie in Zukunft die Arbeit in der Umsiedlung durchgeführt werden soll". Doch war es nicht der Neubürgeramtschef, sondern sein Mdl-Kollege Güldenpfennig, der gegen den Kurs der SED-Zentrale zumindest vorübergehend „für die Beibehaltung des bestehenden Zustandes in [sie!] der Landesebene" plädierte, da noch mit weiteren Umsiedlertransporten zu rechnen sei. Dem widersprach nicht nur der Vertreter des Arbeitsministeriums, sondern auch SED-Vorstandsmitglied Emma Sachse mit der apodiktischen Feststellung: „Es gibt kein Zurück. Die Umsiedlerämter und Ausschüsse müssen verschwinden, wir können nur noch im Rahmen der Bedürftigkeit helfen." An der Strukturreform war nicht mehr zu rütteln1002. Zwar erfolgte die zum 1. April 1949 vorgesehene Auflösung des thüringischen Amtes für Neubürger mit einigen Wochen Verspätung, doch das zentrale Anliegen Kalinkes, „daß nach Auflösung der Neubürgerämter kein Stillstand in der Betreuung der Neubürger eintritt"1003, ließ sich nicht umsetzen. Kalinkes Einspruch gegen die Herabstufung seiner bisherigen Hauptabteilung zu einer untergeordneten Abteilung (Bevölkerungspolitik) der Hauptabteilung Landes-, Kreis- und Gemeindeverwaltung, mit der die Direktunterstellung unter den Innenminister endete1004, blieb wirkungslos. Derartiges Vertrauen auf die zentralen Instanzen, wie es beim Thüringer Kalinke 1949 enttäuscht wurde, war dessen Kollegen in Sachsen-Anhalt, Rudolf Hiebsch, wohl gar nicht erst zu unterstellen, denn nur zu oft war dieser von Zentralinstanzen desavouiert worden. 1947/48 hatte die ZVU auf höhere Weisung gezielt Hiebschs Projekt eines Landesumsiedlergesetzes blockiert, das unter anderem im Mietrecht und bei der Hausratumverteilung eine Besserstellung Vertriebener hatte erreichen wollen1005. Enttäuscht worden war der SED-Landesfunktionär auch durch den plötzlichen Abbruch der DWK-orientierten Strukturreform im Jahre 1948, die er anders als Kalinke grundsätzlich gutgeheißen und als einzizu
Kontrolle1000. Am 24. März 1949 kam es
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ThüHStA, Mdl 3702, Bl. 8-12, Willy Kalinke, Erfurt, an die Genossen Max Richter und Emma Sachse, Willy Gebhardt und Rudolf Güldenpfennig sowie Arthur Vogt, 27. 2. 49. looi ThüHStA, Büro MP 444/10, Bl. 47ff., insb. Bl. 81, Mdl Thüringen, HA Landes-, Kreis- und Gemeindeverwaltung, Böhme, Fünfjahresbericht 1945-50, o.D. 002 BAB, DO 1-8/83, Bl. 85, Mdl Thüringen, AfN, Maschke, Protokoll der Besprechung vom 24. 3., 25. 3. 49; desgleichen in: ThüHStA, Mdl 3680, Bl. 130. >oo3 ThüHStA, Mdl 3702, Bl. 13, SED, LV Thüringen, Hänßgen, Bericht v. 26. 3. 49. lootThüHStA, Mdl 3680, Bl. 131 ff., insb. Bl. 132, Mdl Thüringen, AfN, Protokoll der Belegschaftsge
i°03
versammlung am 30. 3., 2. 4. 49. die Vorgänge in BAB, DO 2/7, aber auch BAB, DO 2/66, Bl. 187, Ministerium Vgl. insbesondere für Arbeit und Sozialpolitik Sachsen-Anhalt, Abt. Umsiedler, Hiebsch, an ZVU, 8. 5. 48.
2. Institutionenwandel und
365
Netzwerk-Kontinuität
ger Landesvertreter konstruktiv kritisiert hatte1006, um dann erleben zu müssen, wie SMAD und SED-Führung im Verbund mit der DVdl wenig später alles zunichte machten. Ähnlich wie Kalinke, der als SED-Landtagsabgeordneter und WN-Landesvorsitzender im regionalen Netzwerk der thüringischen SED gut positioniert war, war es auch dem sudetendeutschen Antifa-Umsiedler Hiebsch gelungen, sich in den regionalen Strukturen Sachsen-Anhalts zu verankern. Dazu diente ihm insbesondere die Leitung der SED-Betriebsgruppe im Arbeits- und Sozialministerium, durch die er automatisch auch der SED-Betriebsgruppenleitung der gesamten Landesregierung angehörte. Auf diese Weise gelang es Hiebsch ähnlich wie der sächsischen Amtschefin Ruth Fabisch (LDP) länger als alle anderen Landesumsiedleramtschefs im Amt zu bleiben, das er erst im Herbst 1949 -
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aufgeben mußte.
Als Leiter der Umsiedlerabteilung bzw. der Abteilung Bevölkerungspolitik in der sachsen-anhaltischen Landesregierung zeigte Hiebsch 1948/49 des öfteren jenen selbstbewußten Mangel an Anpassungsbereitschaft, den ihm SED-Kaderfunktionäre später zum Vorwurf machen sollten1007. Zu dem Zeitpunkt, als sein thüringischer Kollege Kalinke von der Berliner Zentrale konkrete Arbeitsrichtlinien für die künftige Bevölkerungspolitik einforderte, war Hiebsch schon einen Schritt weiter: Er hatte Anfang März 1949 eigene diesbezügliche Richtlinien entworfen, die vermutlich zunächst für die interne Meinungsbildung unter relevanten SED-Funktionären seiner Landesregierung bestimmt waren, anläßlich einer Dienstbesprechung in Halle jedoch auch einem Vertreter der DVdl übergeben wurden. Diese der Berliner Zentrale durchaus unerwünschte Eigeninitiative begründete Hiebsch spitz damit, daß ihm seitens der DVdl leider noch keine Arbeitsrichtlinien zugegangen seien1008. Dort aber mußte bereits der Grundgedanke der Hiebsch-Richtlinien provozieren, „daß sozialfürsorgerische Maßnahmen nicht genügend, daß vielmehr politische und wirtschaftspolitische Maßnahmen notwendig" seien, „um den Umsiedlern eine neue Heimat zu geben, bei gleichzeitiger Berücksichtigung volkswirtschaftlicher Gesichtspunkte". Damit erinnerte Hiebsch an die 1948 ursprünglich intendierte Wirtschaftsplanungs-Integration der Umsiedlerbehörden, was man in der DVdl prompt mit „Falsch!" kommentierte. Zwei der drei von Hiebsch definierten Hauptarbeitsgebiete der Abteilung für Bevölkerungspolitik die „Binnenumsiedlung" nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und der „Abschluß der Einschleusung vom Ausland" waren sachlich unstrittig. Indem der Hallenser SED-Funktionär jedoch zusätzlich eine „Lastenausgleichsbehandlung" als Schwerpunkt der Abteilungsarbeit wünschte, wagte er sich auf ein Feld, das SMAD und SED-Führung im Herbst 1948 ausdrücklich zur Tabuzone erklärt hatten. Zugleich wandte sich Hiebsch gegen ein untergeordnetes Schattendasein der neuen Abteilung im Innenministerium und forderte deren grundsätzliche „Mitbeteiligung bei tiefgehenden Maßnahmen" in -
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BAB, DO 2/1, Bl. 128 f., Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik Sachsen-Anhalt, Abt. Umsiedler, Hiebsch, an ZVU, 31.3. 48. SAPMO, DY30/1V2/11/V.165, Kaderakte Rudolf Hiebsch. loos BAB, DO 1-8/83, Bl. 88, DVdl, Abt. Umsiedler, Peterson, Aktennotiz für Büttner, 28. 3. 49. loo*
1007
366
II. Die
Soziologie der Macht
Politik und Kultur1009. Das war das exakte Gegenteil dessen, was man in der DVdl unter „Bevölkerungspolitik" verstand. Der Leiter der dort seit März 1949 bestehenden gleichnamigen Abteilung, der frühere ZVU-Mitarbeiter Kurt Büttner, hatte die künftigen „Aufgaben der Bevölkerungspolitik" strikt auf Datenerhebungen zur Bevölkerungsstruktur sowie auf Maßnahmen zur „Umgruppierung" der Bevölkerung nach wirtschaftlichen und sicherheitspolizeilichen Gesichtspunkten beschränkt1010. Büttner legte daher Hiebschs „Ausarbeitung" unbeachtet zu den Akten, da diese durch sein eigenes „Rahmenprogramm gegenstandslos" sei1011. Letzteres übersandte der DVdl-Abteilungsleiter am 31. März 1949 sämtlichen Landesregierungen reichlich verspätet als verbindliche Grundlage ihrer Arbeit nicht ohne ausdrücklich zu betonen, daß die neuen Dienststellen für Bevölkerungspolitik „mit dem ehemaligen Aufgabengebiet der Umsiedlerabteilung bzw. Umsiedlerämter nichts mehr zu tun" hätten1012. Nachdem es Hiebsch nicht gelungen war, die zonale „Bevölkerungspolitik" konzeptionell zu beeinflussen, verlegte er sich darauf, seine landespolitischen Spielräume zu nutzen und entgegen der zentralen Weisung Büttners vertriebenenfördernde Maßnahmen stillschweigend fortzusetzen. Bereits in seinen Lastenausgleichsplänen hatte ein „großzügiges Möbelprogramm" zur Hausratausstattung eine wichtige Rolle gespielt1013. Zu diesem Zwecke hatte die sachsen-anhaltische Umsiedlerabteilung bereits 1948 „aus eigener Entschlußkraft die Herstellung von Möbeln in Angriff genommen" und in Verhandlungen mit der Landes-SMA und dem Finanzministerium erreicht, daß Materialien und Landesmittel bereitgestellt wurden. Im Dezember 1948 war ferner unbeeindruckt von der bereits verfügten Abschaffung aller Umsiedler-Sonderinstitutionen in Sachsen-Anhalt eine „Landesarbeitsgemeinschaft für Umsiedlerversorgung" gegründet worden, die man 1949 vorsorglich in „Landesarbeitsgemeinschaft für materielle Versorgung hilfsbedürftiger Bevölkerungsteile" umbenannte, ansonsten jedoch weiterarbeiten ließ wie zuvor1014. Die von Hiebsch seit April 1949 geleitete Mdl-Abteilung für Bevölkerungspolitik teilte im Oktober 1949 dem DDR-Innenministerium offenherzig mit, daß sie nach wie vor die Geschäftsführung einer Landesarbeitsgemeinschaft wahrnahm, deren „Hauptaufgabe [...] in der Durchführung von Versorgungsprogrammen für Umsiedler" bestand1015. Möglicherweise hatte das unterdessen von ZS-Umsiedlerreferent Chwalczyk angeregte und infolge der Sekretariatsbeschlüsse vom Mai 1949 verfolgte Möbelausstattungsprogramm der SED-Zentrale, das Ende 1949 freilich ergebnislos fal-
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Ebenda, Bl. 76-83, Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik, Abt. Umsiedler, Hiebsch, Denkschrift zum Arbeitsgebiet der Abt. BP, 9. 3. 49. io'0 Ebenda, Bl. 84, DVdl, Abt. BP, Büttner, „Aufgaben der Bevölkerungspolitik", 14. 3. 49. i°" Ebenda, Bl. 88, DVdl, Abt. Umsiedler, Peterson, Aktennotiz für Büttner, 28. 3. 49, nebst Vermerk 1009
io'2
Büttners. BAB, DO 1-8/83, Bl. 89, DVdl, Büttner, Rdschr. an alle 31. 3. 49; ferner Bl. 91, Rahmenprogramm v. 31. 3. 49.
Landesregierungen und an DVdl, HAU, Sozialpolitik, Abt. Umsiedler, Hiebsch, Denk-
Ebenda, Bl. 76-83, Ministerium für Arbeit und schrift zum Arbeitsgebiet der Abt. BP, 9. 3. 49. 1014 BAB, DO 1/33283, Mdl Sachsen-Anhalt, Abt. BP, Denkschrift zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Umsiedler, insb. zur Möbelbeschaffung, 18. 10. 49. io'3 BAB, DO 2/83, Bl. 385ff., Mdl Sachsen-Anhalt, Abt. BP, Salchow, an Mdl DDR, „Hauptabteilung Umsiedler", 26. 10. 49; vgl. ausführlich Kap. III.2.3.3. 1013
2. Institutionenwandel und
Netzwerk-Kontinuität
367
lengelassen wurde1016, diese Offenheit der sachsen-anhaltischen Umsiedlerfunktionäre gegenüber dem DDR-Innenressort angeregt. Hinzu kam die dort eben erst erfolgte Entmachtung Kurt Fischers zugunsten Hans Warnkes, die umsiedlerpolitisch neue Hoffnungen keimen lassen mochte. Im Oktober 1949 erstellte jedenfalls die Hallenser Abteilung für Bevölkerungspolitik eine ausführliche Denkschrift über ihre Möbelversorgungspolitik, die zunächst der Information der Landesregierung dienen sollte, sehr bald jedoch DDR-weit relevanten NetzwerkMitgliedern bekannt wurde und die zentralen Instanzen dadurch als handlungsunfähig oder handlungsunwillig bloßstellte. DDR-Abteilungsleiter Büttner rügte das eigenmächtige sozialpolitische Vorgehen Sachsen-Anhalts im Dezember 1949 als Fortsetzung sachfremder Arbeiten und forderte eine Kursänderung1017, die freilich er selbst nur wenige Monate später vollziehen mußte, indem die DDR-Regierung im Frühjahr 1950 plötzlich das von Hiebsch inaugurierte Vorgehen Sachsen-Anhalts zum Modell für alle übrigen Länder erklärte1018. In einer konkreten sozialpolitischen Frage hatte somit das umsiedlerpolitische Netzwerk einer bestimmten Landesregierung, das dort offensichtlich nicht nur in verschiedenen Ministerien, sondern auch in der regionalen SMA über Rückhalt verfügte, gegen die restriktive Politik der Zentrale nicht nur vertriebenenspezifisches Problembewußtsein im Sinne Kalinkes wachgehalten, sondern darüber hinaus auch effektiv gehandelt. 2.5.4.
„Maßnahmen im Interesse der Umsiedler": Problematische Kontinuitäts-
sicherung im zentralen SED-Parteiapparat 1948/50 Im Juni 1950 erstellte die Abteilung Bevölkerungspolitik im DDR-Ministerium des Innern eine Auflistung über den Verbleib zahlreicher ehemaliger Mitarbeiter der einstigen ZVU. Weit davon entfernt, damit lediglich späteren Historikern behilflich sein zu wollen, trieb den selbst aus der ZVU hervorgegangenen Abteilungsleiter Kurt Büttner und seinen Adlatus Georg Heinze offensichtlich die Frage um, wer von diesen „Ehemaligen" als Ansprechpartner der 1948/49 ins Stocken, nun aber wieder in Bewegung geratenen Umsiedlerpolitik geeignet erschien. Ging es darum, alte Netzwerkbeziehungen wieder zu intensivieren? Das erstellte Tableau demonstrierte die Reichweite personalpolitischer Diffusion bisheriger Umsiedlerfunktionäre in höchst unterschiedliche Verwaltungszweige der neuen DDR, es zeigt damit aber zugleich, daß die neuen Tätigkeiten zumeist kaum noch Gelegenheit geboten haben dürften, sich weiterhin für Vertriebenenbelange zu engagieren. So waren die einstigen ZVU-Präsidiumsmitglieder Engel und Tschesno unterdessen an der Akademie der Künste der DDR tätig, ihr früherer Kollege Vogt in leitender Funktion einer VEB-Vereinigung und der ehemalige Daub als der mächtigen Abteilung PersonalLeiter (noch) Vizepräsident Philipp politik beim SED-Parteivorstand. Ein einstiger Leiter der ZVU-Präsidialkanzlei hatte unterdessen den Weg nach Westdeutschland gewählt, während sich der Verbleib mehrerer früherer Abteilungsleiter vom DDR-Innenressort offenbar gar nicht ermitteln ließ. Immerhin wußte man, daß einige frühere führende ZVUio«
Vgl. Kap. III.2.3.2.
ioi7BAB, DO 2/83, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, an Mdl Sachsen-Anhalt, Abt. BP, i»» Ebenda, Mdl DDR, Abt. BP, Rdschr. v. 30. 3. 50.
15. 12. 49.
368
II. Die
Soziologie der Macht
Mitarbeiter Positionen in verschiedenen DDR-Ministerien bekleideten: Karl Jagodzinski und Erich Szczyrbowski arbeiteten im Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen, der frühere Abteilungsleiter Linke und der einstige Referent Lange im Ministerium für Außenhandel, Anton Fischbach im Ressort für Postund Fernmeldewesen und der ehemalige Oberreferent Peter Peterson im DDRLandwirtschaftsministerium. Der einstige ZVU-Abteilungsleiter Karl Baier war beim Berliner Magistrat beschäftigt, sein früherer Kollege Wilhelm Thiele war zum Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte avanciert. Ein früherer Presseredakteur der ZVU fand sich im Amt für Information beim Ministerpräsidenten der DDR, der einstige Spendenkommissions-Geschäftsführer Robert Rentmeister arbeitete beim FDGB. Neben Daub waren der ehemalige Hauptabteilungsleiter Chwalczyk und der frühere Referatsleiter Kurt Benda in den zentralen Parteiapparat der SED gewechselt. Weiterhin mit Umsiedlerpolitik zu tun hatten von diesen früheren ZVU-Funktionären jedoch nur die wenigsten. Neben Georg Chwalczyk, der damals noch als Umsiedlerreferent des SED-Parteivorstandes wirkte, aber zum September 1950 abgelöst werden würde, galt dies am ehesten für den im Arbeitsministerium für Wohnungspolitik zuständigen Abteilungsleiter Jagodzinski sowie die im Innenressort verbliebenen Funktionäre Büttner und Heinze selbst1019. Nachdem Georg Chwalczyk, der einstige Leiter der integrationspolitischen ZVU-Abteilung Bevölkerungspolitik und Ansiedlung, im Sommer 1948 zum neuen „Haupreferenten für Umsiedler" beim SED-Parteivorstand berufen worden war, hatte er in der Walter Ulbricht zugeordneten ZS-Abteilung Landespolitik Gelegenheit, die Alltagstauglichkeit seiner Strategie personeller Diffusion bisheriger Umsiedlerfunktionäre zur Kontinuitätssicherung der Vertriebenenförderung unter Beweis zu stellen. Dabei geriet er unverzüglich in Konflikte mit der umsiedlerpolitik-feindlichen DVdl-Führung um Kurt Fischer. Auf der Direktorenkonferenz vom Oktober 1948 ergingen sich Chwalczyk und DVdl-Vizepräsident Seifert in wechselseitigen Schuldzuweisungen wegen der nach wie vor unklaren Aufgabenstellung der kommenden Abteilungen für Bevölkerungspolitik1020. Und als sich Chwalczyk im Dezember 1948 auf einer SED-Tagung mit der Forderung seiner Netzwerk-Kollegen Vogt und Friedrichs solidarisierte, die institutionelle Wiederanbindung der Umsiedlerbehörden an die DWK zu erwägen, geriet er nicht nur mit der DVdl-Führung, sondern auch mit der eigenen SED-Spitze in was anwesender sein Plenikowski Gegensatz, ZS-Abteilungsleiter allerdings mit lernte die der ParAutorität bald, gnädigem Schweigen überging1021. Chwalczyk nicht in zu Im sondern für zu Ziele nutzen. März Frage stellen, eigene teiführung 1949 warf er auf einer Funktionärstagung DVdl-Vize Seifert sogar offen vor, dessen Ressort habe die geltende umsiedlerpolitische SED-Beschlußlage „einfach
BAB, DO 2/3, Bl. 210-213, Mdl DDR, Abt. BP, Personal der ehem. ZVU, 27. 6. 50. BAB, DO 2/32, Bl. 151 ff., insb. Bl. 162 f., DVdl, Prot. der Direktorenkonferenz der HAU am 12. 10., 10. 11.48. i°2i ThüHStA, Mdl 3676, Bl. 60-65, insb. Bl. 64, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über die Sitzung beim ZS der SED am 3.12., 16. 12. 48. '0'9
1020
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
369
[...] ignoriert": „Im ZS war der Zustand klar, es ist jedoch danach nicht gearbeitet worden."1022 Diese Anspielung galt dem am 15. November 1948 gefaßten Grundsatzbeschluß der SED-Führung zur „Weiterführung des Assimilationsprozesses der Umsiedler", der sich von der seit Frühjahr 1948 vorherrschenden Tabuisierungsstrategie der DVdl-Führung deutlich distanziert hatte. Dieser WeiterführungsBeschluß war von Chwalczyk selbst vorbereitet1023 und durch die rasche Bestätigung im SED-Führungsgremium zum ersten politischen Erfolg des neuen SEDUmsiedlerreferenten geworden. Dennoch war, wie der Konflikt mit Seifert zeigt, dieser Grundsatzbeschluß keineswegs unangefochten. Im Februar 1949 plädierte ein Positionspapier der ZS-Organisationsabteilung vielmehr dafür, die wiederbelebte Sonderperspektive der Vertriebenenpolitik zugunsten einer Orientierung auf allgemeine Arbeits- und Sozialpolitik fallenzulassen1024. Ähnliches hatte Malz namens der DVdl-Führung bereits auf der Direktorenkonferenz im August 1948
gefordert. Chwalczyks Beschlußvorlage zur „Weiterführung des Assimilationsprozesses der Umsiedler" fiel allerdings im November 1948 zeitlich mit einer von der sowjetischen Führung verordneten deutschlandpolitischen Kurskorrektur zusammen. Bestand auch ein inhaltlicher Zusammenhang? Nachdem der Chef der SMADPropagandaverwaltung, Oberst Tjulpanow, im Mai 1948 der SED-Führung signalisiert hatte, ähnlich wie in den osteuropäischen Volksdemokratien stehe auch die SED in der SBZ bereits „faktisch an der Macht", was eine intransigente SEDPolitik ermutigte, wurde im Herbst 1948 dieser Sowjetisierungskurs durch die sowjetische Führung wieder desavouiert, Tjulpanow durch den Politischen Berater der SMAD, Semjonow, gemaßregelt, teilweise entmachtet und im Sommer 1949 abberufen. In Moskau machte Stalin der SED-Führung im Dezember 1948 deutlich, daß die SBZ „noch keine Volksdemokratie" sei und die SED keineswegs schon „vor der Macht" stehe1025. Möglicherweise resultierte auch die verhaltene Wiederbelebung der sowjetzonalen Umsiedlerpolitik aus diesem übergeordneten sowjetischen Kurswechsel. Der von Chwalczyk formulierte ZS-Beschluß hatte die inhaltliche „Weiterführung" der Umsiedlerpolitik in der SBZ an die Bedingung geknüpft, daß ein Weiterbestehen besonderer Umsiedlerverwaltungen ausgeschlossen war. Der Kompromißcharakter zwischen unterschiedlichen SED-Führungsgruppen ist evident. Erst unter dieser Voraussetzung, die laufende Verwaltungsstrukturreform nicht anzutasten, wurde in der SED-Führung Chwalczyks Kritik zustimmungsfähig, daß die neue Linie noch nicht in allen Verwaltungen und Organisationen „die notwendige Aufmerksamkeit" finde, die folglich durch eine gezielte „Aufklärungskampagne" der Partei gesteigert werden müsse. Diese sollte auch „den in der SBZ lebenden Umsiedlern [...] zeigen, daß sie gleichberechtigte Staatsbürger und keine io22
BAB, DO 2/33, Bl. 78, DVdl, HAU, Protokoll der Besprechung zwischen HAU, Abt. BP, HVAS, ZS SED
1023
(Chwalczyk) und dem thüringischen Amt für Neubürger am 19.3.,
SAPMO, DY30/IV2/2.027/34, Bl. 264ff., SED, ZS, Abt. LP, Chwalczyk,
19. 3. 49.
Beschlußvorlage
zur
„Weiterführung des Assimilationsprozesses der Umsiedler", 13.11. 48. 1024 SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. lOOf., SED, ZS, Abt. Organisation, Schäfer, Entwurf: „Bemerkungen der Org.-Abteilung zum Umsiedlerproblem", 24. 2. 49. >023 Loth, Deutschland im Kalten Krieg, S. 9.
II. Die Soziologie der Macht
370
von der Gesamtbevölkerung isoliert lebende Gruppe darstellen"1026. Die künftige Vertriebenen-Assimilationspolitik hatte Chwalczyk in einem Vierzehn-PunkteKatalog entwickelt, der mit Maßnahmen zur beruflichen Qualifikation der Vertriebenenjugend bzw. zur Umschulung oder Binnenumsiedlung von vertriebenen Erwachsenen, die nicht in ihrem früheren Beruf tätig werden konnten, einsetzte. Ein dritter Schwerpunkt bestand in sozialpolitischen Maßnahmen etwa einer verbesserten Fürsorge für Alte und Nichtarbeitsfähige, aber auch in der wirtschaftsplanerischen Ausrichtung der Hausratproduktion auf den Versorgungsbedarf der Vertriebenen. Ein vierter Schwerpunkt versuchte sich in assimilatorischer Bewußtseinspolitik: Einerseits forderte Chwalczyk die „Bekämpfung aller umsiedlerfeindlichen Tendenzen" unter der Altbevölkerung der SBZ, andererseits die „Verstärkung der politischen und kulturellen Aufklärungsarbeit und festerefr] kulturellefr] Bindung der Umsiedler an die engere neue Heimat". Besonders dringlich schien dies im Hinblick auf die Oder-Neiße-Linie, deren Anerkennung „als besonderes Merkmal unserer Friedenspolitik und unserer Einstellung zum Umsiedlerproblem" herausgestellt werden sollte. „Ansätze zur Bildung besonderer Umsiedlerorganisationen und Gruppen" in der SBZ sollten im Zuge dieser Assimilationspolitik „mit den den Innenministerien zur Verfügung stehenden Mitteln" unterbunden werden1027. Abschließend hielt es Chwalczyk für geboten, sein umsiedlerpolitisches Konzept mit der Beteuerung abzusichern, „von vornherein der Gefahr" begegnen zu wollen, daß die neuen bevölkerungspolitischen „Abteilungen ihre Aufgabe in der Fortsetzung einer besonderen Umsiedlerpolitik" erblickten. Sie hätten sich statt dessen mit der „Untersuchung der Bevölkerungsstruktur" insgesamt und mit der Auswertung statistischen Materials „nach politischen Gesichtspunkten" zu befassen, sollten daher „weder übergeordnete noch kontrollierende Funktionen gegenüber anderen Zweigen der Verwaltung besitzen" und lediglich „als koordinierendes Element innerhalb der Landesverwaltungen" wirken1028. Dieser Entwurf Chwalczyks war, als er von Plenikowski dem SED-Zentralsekretariat vorgetragen wurde, deutlich gekürzt worden. Die redaktionelle Verdichtung hatte insbesondere den sozialpolitischen Maßnahmenkatalog reduziert, der mit dem neuen Kurs der dominierenden Innen- und Sicherheitspolitiker am schwierigsten zu vereinbaren war. Im Vordergrund der Abteilungsvorlage standen konkrete Weisungen zur institutionellen Überleitung der Umsiedlerbehörden1029. Ob dennoch Ansatzpunkte zur Fortführung sozialintegrativer Umsiedlerpolitik bestanden, mußte die konkrete Arbeit der neuen Behörden zeigen. Das SEDZentralsekretariat stimmte dieser reduzierten Vorlage am 15. November 1948 mit lediglich geringfügigen Ergänzungen zu1030. -
SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. 31 ff., insb. Bl. 31-33, SED, ZS, Abt. LP, Chwalczyk, Vorlage zur „Weiterführung des Assimilationsprozesses der Umsiedler", November 1948. io27 Ebenda, Bl. 33-35. io»
Darüber hinaus sollten „spezielle Probleme der Bevölkerungs- bzw. Innenpolitik von den neuen untersucht werden, die ihrer Eigenart nach vorerst nicht zum Kompetenzbereich Abteilungen einer besonderen Ressortstelle gehören"; deren Benennung sei, da es sich um Ad-hoc-Aufgaben handle, unmöglich; vgl. ebenda, Bl. 35 f. io» SAPMO, DY 30/IV2/2.1/248, Prot. Nr. 130(11) der ZS-Sitzung v. 15. 11. 48, S. 8f. io« 1028
Ebenda, S.
1.
2. Institutionenwandel und
371
Netzwerk-Kontinuität
Ein isolierter Blick auf diesen SED-Beschluß muß zu der Schlußfolgerung kommen: „Wenn das Dokument auch eine Reihe von Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der Lage der Vertriebenen auflistete und die seit 1948 zur Liquidation der ,Umsiedlerfrage' eingeleitete Kampagne mit .Beschleunigung des Assimilationsprozesses' umschrieb, so sollte in Wirklichkeit das Schicksal von vier Millionen in der SBZ aufgenommenen Menschen mit repressiv-administrativen Mitteln aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit gebracht werden."1031 Diese Wertung übersieht freilich die strategische Funktion des November-Beschlusses, welche darin bestand, gegen die SED-internen Befürworter einer völligen „Liquidation" überhaupt erst wieder Spielraum für die Fortsetzung von VertriebenenSozialpolitik zu gewinnen. Folgerichtig bestand das Interpretationsangebot Plenikowskis an die SED-Umsiedlerbürokraten im Dezember 1948 in vertriebenenpolitischer Systemkonkurrenz mit Westdeutschland1032. Angesichts dessen muß die repressionspolitische Dimension des SED-Beschlusses zwar ernstgenommen, darf aber nicht verabsolutiert werden. Die 1948 in der SED-Führung vorhandene Tendenz, sozialpolitische Maßnahmen durch rein „negative Vertriebenenpolitik" zu ersetzen1033, war mit dem SED-Beschluß zur „Weiterführung des Assimilatider Umsiedler" relativiert worden. Mehr als ein prekärer onsprozesses jedenfalls Schwebezustand war damit zunächst allerdings nicht zu erreichen. Es sollte bis zur Verabschiedung des DDR-Umsiedlergesetzes im Spätsommer 1950 dauern, dieses fragile Patt zwischen Befürwortern und Gegnern von Umsiedlerpolitik innerhalb der SED in eine Phase neuerlicher großangelegter Vertriebenenförderung zu überführen. Das Jahr 1949 blieb demgegenüber eine Phase der Verzögerungen und Blockaden. Die politische Bedeutung Chwalczyks, einem wichtigen Überlebenden des umsiedlerpolitischen Netzwerks nach dem Umbruch von 1948, besteht darin, in dieser kritischen Übergangsphase die bedrohte Kontinuität vertriebenenspezifischer Sozialpolitik wenigstens thematisch gesichert zu haben. Ähnlich wie sein ZS-Vorgesetzter Plenikowski wollte auch SED-Umsiedlerreferent Chwalczyk gegenüber der westdeutschen Systemkonkurrenz in der Vertriebenenförderung „beweisen, daß wir die bessere Ordnung haben"i0M. Das SED-Zentralsekretariat hatte im November 1948 eine Umsiedlerkommission beim Parteivorstand gebildet, die unter dem Vorsitz Ulbrichts empirisches Material über die soziale Situation der Vertriebenen in der SBZ zusammenstellen sollte. Diese Parteikommission ging unter Chwalczyks faktischer Leitung im Winter 1948/49 daran, „in jedem Land der Zone mindestens je einen Stadt- und einen Landkreis [zu] überprüfen, um die Situation der Umsiedler zu untersuchen und sich darüber zu informieren, wie die Tätigkeit der Parteiorgane zukünftig auf das Umsiedlerproblem einzustellen ist"1035. Dabei ging es nicht um sicherheits-
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Wille, SED und „Umsiedler", S. 98. BAB, DO 2/1, Bl. 213, DVdl, HAU, Büttner, „Bericht über die Besprechung im ZS der SED im Beisein der Leiter der Umsiedler-Ämter und der Landesleitungen der SED, Abteilung Umsiedler, am 3. 12. 1948 in Berlin", 6.12. 48. 1033 Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 230. 1034 ThüHStA, Mdl 3702, Bl. 90-95, insb. Bl. 91, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über die Besprechung beim SED-ZS am 3.12., 16. 12. 48, Rede Plenikowskis. 1033 SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. 38, SED, ZS, Abt. LP, Chwalczyk, an Abt. Organisation, 4.12.48, 1031
1032
Anlage 2: Chwalczyk, Exposé „zum Umsiedlerproblem", 27. 11. 48.
II. Die
372
Soziologie der Macht
polizeiliche Repression, sondern um die Vorbereitung sozialer Integrationsmaßnahmen. Chwalczyk suchte innerhalb des zentralen SED-Apparates etwa gegenüber der kritischen Organisationsabteilung Problembewußtsein dafür zu wecken, daß die „endgültige Wiederseßhaftmachung" der Vertriebenen „von einer Reihe von wirtschaftlichen, sozialen und politischen Momenten abhängig" -
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sei. Ein begrenzter Teil dieser Menschen habe zwar bereits integriert werden könlaut Chwalczyk insbesondere die rund 86000 Umsiedler-Neubauernfaminen aber auch Vertriebene, die „ihrer beruflichen Qualität entsprechend fest in lien, den Produktionsprozeß eingebaut sind und mit Wohnung und Hausrat versorgt wurden". An der Validität dieser Erfolgsdiagnose müssen Zweifel angemeldet werden, doch entscheidend war Chwalczyks damit legitimierte Schlußfolgerung, daß „der größere Teil der Umsiedler" bislang „aus einem Zustand der Provisorien noch nicht herausgekommen" sei. Dafür machte der SED-Umsiedlerreferent vor allem den ,,krasse[n] Gegensatz" verantwortlich, „dem sich auf der sozialen Ebene dieser Umsiedlerteil dem durchschnittlichen Lebensniveau der Altbevölkerung gegenübersieht", was wiederum zu „Absonderung" und zur „Bereitschaft" beitrage, „reaktionären revisionistischen und chauvinistischen Beeinflussungen zu unterliegen"1036. Die materialistischen Integrationskategorien Chwalczyks waren zweifellos einseitig, doch sie standen SED-intern für etwas anderes als für eine bloß „negative Vertriebenenpolitik": Sie legitimierten die Fortsetzung einer Gruppenpolitik forcierter materieller Gleichstellung. Im Dezember 1948 erhielt Chwalczyk die Zustimmung der keineswegs begeisterten ZS-Organisationsabteilung zu einer zonenweiten Parteikampagne1037. Im selben Monat begann die von Chwalczyk geleitete Untersuchungskommission der SED mit ihren Kreisanalysen zur Lage der Vertriebenen. Die Kommission, der ferner Merkers Heimkehrerreferent Nettball, der DVdl-Funktionär Büttner, der Leiter des sächsischen Landeswohnungsamtes sowie zwei Funktionäre des dortigen SED-Landesvorstands angehörten, nahm Ende 1948 eine „Überprüfung der Situation der Umsiedler im Kreis Zittau" vor, in dem etwa 42000 Vertriebene ein Drittel der Gesamtbevölkerung stellten. Untersucht wurde mit kritischem Unterton gegen die Wohnungsbehörden, denen man „eine Verschleierung der tatsächlichen Wohnverhältnisse durch die Statistik" vorwarf zunächst die Wohnungsunterbringung der Vertriebenen, die sich nach wie vor als ungünstig und keinesfalls als gleichberechtigt darstellte1038. Ein zweiter Schwerpunkt war der Arbeitseinsatz: Aufgrund der ,,starke[n] Entwicklung der Industrie des Kreises" erschien nicht Arbeitslosigkeit als Problem, sondern die Erschwerung der Arbeitseinsätze durch fehlende Arbeits- und Schuhbekleidung ein Problem, das freilich auch Teile der Altbevölkerung betraf1039. Die größte Freude hatte die SED-Kommission am Großkraftwerk Hirschfelde, von dessen 2700 Belegschafts-
-
-
-
io» 1037
Ebenda, Bl. 46 f. Ebenda, Bl. 50, SED, ZS, Abt. Organisation (Fu/H) an Abt. LP, Plenikowski,
16. 12. 48; dem Pa-
pier der Abt. Landespolitik wurde mit der Einschränkung zugestimmt, dieses müsse vor Drucklegung „unbedingt" von den „Genossen aus der praktischen Arbeit" insbesondere Verwaltungsbetriebsgruppen diskutiert und ergänzt werden. -
1038
1039
SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. 51-63, insb. Bl. 51 ff., SED, ZS, Abt. LP, Bericht über „Überprüfung der Situation der Umsiedler im Kreis Zittau, 14. und 15. Dezember 1948", 8. 1. 49. -
Ebenda, Bl. 55 ff.
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
373
mitgliedern rund 35% Vertriebene waren, und dem eine vorbildliche betriebliche Integrationsleistung attestiert wurde1040. Die Integration der Vertriebenen in die Arbeitsgesellschaft der Nachkriegs- und Wiederaufbauzeit wurde von den SEDUmsiedlerfunktionären um Chwalczyk als wesentlicher „Assimilationsfaktor" begriffen. Die Basisintegration von Vertriebenen entwickelte sich demnach wesentlich über die soziale Lebenswelt am Arbeitsplatz und damit verbunden durch Erstellung akzeptabler Wohnverhältnisse. Die wirtschaftlichen Integrationsmöglichkeiten für Vertriebene wurden im Kreis Zittau als günstig bewertet und schienen vor allem durch ungünstige Wohnungsunterbringung in teilweise verkehrsfernen Landgemeinden behindert zu werden. Hier forderte die SEDKommission eine Optimierung der Wohnraumverteilung und eine Bevölkerungsumschichtung nach Arbeitsmarktgesichtspunkten. Zugleich verschloß man nicht die Augen davor, daß die unmittelbare „Nähe der tschechischen und polnischen Grenze und der Umstand, daß ein Teil der Umsiedler früher im jetzt polnischen und tschechischen Grenzgebiet wohnte", die Integrationssituation im Zittauer Gebiet „kompliziert" machte. Die Hoffnung auf kleinere Grenzkorrekturen, die zunächst auch SED-Führer wie Wilhelm Pieck geteilt hatten, war unter den Zit-
-
Vertriebenen nach wie vor „stark verbreitet, auch in den Reihen unserer Partei". Hier konnte die SED-Führung nur auf den Zeitfaktor setzen: Der „klare Standpunkt" der Partei in der Grenzfrage müsse „sich noch in der Parteimitgliedschaft durchsetzen und wird auch zu einer Änderung der Stimmung in der Gesamtbevölkerung führen". Die Chwalczyk-Kommission hoffte auf die langfristige assimilatorische Wirkung der beruflichen Integration1041. Damit vertrat die SED-Umsiedlerkommission Anfang 1949 einen objektiven Integrationsbegriff, der sich an eindeutig meßbarer Basisintegration mit den „Hauptkriterien der Erwerbstätigkeit, der Wohnung und der sozialen Sicherheit" orientierte1042. Dieses tiefe Vertrauen der SED-Umsiedlerpolitiker auf die assimilatorischen Inklusionskräfte der Arbeitsgesellschaft unterschätzte allerdings die Beharrungskraft des kulturell-mentalen Faktors erheblich1043. Chwalczyks Untersuchungskommission hatte sich bei ihren Analysen zur Lage der Vertriebenen nicht nur auf die vergleichsweise günstige Integrationssituation in industriellen Großbetrieben Sachsens oder Mecklenburgs beschränkt. Nach Untersuchung der Verhältnisse in Stadt und Schiffsbauwerft Wismar1044 hatte man sich auch einer nahegelegenen Landgemeinde zugewandt und war dabei zu dem niederschmetternden Resultat gelangt, diese sei „ein Schulbeispiel dafür, wie sich unsere Partei auf rückständige und teilweise reaktionäre Schichten im Dorfe stützt tauer
1040
Ebenda, Bl. 59f.; als „hemmender Faktor" verbreite die CDU die Parole, „daß den Umsiedlern erst ein besseres Leben geschaffen werden muß, ehe sie sich am Neuaufbau aktiv beteiligen kön-
1o4!
SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. 51-63, insb. Bl. 62f., SED, ZS, Abt. LP, Bericht über „Überprüfung der Situation der Umsiedler im Kreis Zittau, 14. und 15. Dezember 1948", 8. 1. 49.
nen". 1042
Frantzioch, Die Vertriebenen, S. 235.
Vgl. Kap. II.3.5. sowie zusammenfassend Kap. IV.3. '044 Zu Chwalczyks Mecklenburg-Stichproben: SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. 64-73, SED, ZS, Abt. LP, Chwalczyk, Bericht über Situation der Umsiedler auf der Schiffswerft wismar, 25. 1.49, sowie Bl. 74-76, ders., Bericht über Wohnungssituation in Wismar, 28. 1. 49; zur damaligen Situation in 1043
Wismar: Schwartz, Vertrieben in die in der Rostocker Neptunwerft.
Arbeiterschaft, S. 98—105, sowie Haack, Das Arbeitermilieu
374
II. Die
Soziologie der Macht
und sich jeder neuen Entwicklung in der Praxis zäh entgegenstellt". Demnach ließen dörfliche SED-Kommunalpolitiker die zahlreichen Vertriebenen schlicht „dahinvegetieren" und blockten berechtigte Ansprüche mit Versprechungen ab, die niemals eingelöst wurden. Aufgrund dessen könnten „die Umsiedler der Gemeinde [...] in der SED nicht ihre
Interessenvertretung erkennen"1045. Solche
Erfahrungen bestätigten Chwalczyk in seiner (zeitweilig unterdrückten) Überzeugung, daß der 1948 über Bord geworfene Reformansatz Merkers und Engels, der eine Synthese aus Umsiedlerpolitik und Wirtschaftsplanung intendiert hatte, nach wie vor richtig und notwendig war. „Der augenblickliche Zustand" jedenfalls, „daß die Umsiedler in großen Gruppen ohne gesicherte Existenzbasis in den Landgemeinden sitzen", mußte laut Chwalczyk „systematisch verändert werden" zum einen durch den gezielten, staatlich forcierten Wohnungswechsel zwischen Vertriebenen und nicht mehr erwerbstätigen Gruppen der einheiarbeitsfähigen mischen Bevölkerung, um vertriebene Facharbeiter und deren Familien wohnlich
-
näher an die industriellen Produktionsstätten heranzuführen, zum anderen durch Schaffung neuer Produktionsmöglichkeiten in den ländlichen Siedlungsgebieten der Vertriebenen selbst. Analog zum von ihm damals mitentworfenen ZVU-Plan zur Reorganisation der mecklenburgischen Umsiedlerpolitik vom Januar 1948 erklärte Chwalczyk daher ein Jahr später eine enge Kooperation zwischen Vertriebenenförderung und „Wirtschaftsplanungsstellen" erneut für unerläßlich. Neu hinzu trat das Ziel einer breiten umsiedlerpolitischen Aktivierung der SED-Parteiorganisationen. Letzteres schien dem Vertreter der SED-Zentrale deshalb wichtig, weil „die politische Rückständigkeit des Landes, die sich auch auf die Arbeit unserer Parteiorganisation auswirkt, [...] einen guten Nährboden für reaktionäre Kräfte" schaffe, was „von Seiten der CDU und der LDP" entsprechend „ausgenutzt" werde1046. Für die dringend notwendige kommunalpolitische Arbeit der SED in den Landgemeinden brächten leider gerade altkommunistische SED-Mitglieder (die meist keinen ländlichen Hintergrund besaßen) nur geringes Verständnis auf. Sporadische Konferenzen reichten nicht aus, da ein Teil der lokalen SEDFunktionäre daran gar nicht erst teilnehme und ein anderer Teil Schönfärberei betreibe. Man müsse daher gezielt einen Instrukteur-Apparat aufbauen und zugleich die Basisorganisationen der SED verjüngen (wogegen Altmitglieder häufig Widerstand leisteten). Bisher gebe es an der mecklenburgischen Parteibasis kaum ernstzunehmende Agitation und Information der Bevölkerung; in vielen Orten nehme die Parteibasis gar nicht an Parteiversammlungen teil1047. Wegen derart schlechter Botschaften hatten manche antike Herrscher die Boten getötet. Auch der SED-Umsiedlerreferent brauchte optimistisch klingenden Ausgleich und fand ihn in Thüringen. Dort hatte im Vorjahr Kalinkes Amt für Neubürger eine flächendeckende Analyse aller Stadt- und Landkreise durchgeführt und über 5600 Wohnungsüberprüfungen vorgenommen. Das zufriedenstellende SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. 77-84, insb. Bl. 83, SED, ZS, Abt. LP, Chwalczyk, Bericht über die Situation in der Gemeinde Dabei, Kr. Wismar, 29. 1. 49. 1046 Ebenda, Bl. 85L, SED, ZS, Abt. LP, Chwalczyk, Bericht über Inspektionsreise Mecklenburg, 1. 2. io«
49.
1047
SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. 85 f., SED, ZS, Abt. LP, Chwalczyk, Bericht über Inspektionsreise
Mecklenburg, 1.2. 49.
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
375
aller Umsiedler bereits das Stadium der ProvisoLebensstandard der Altbevölkerung angeglichen" und sich dem überwunden rien hätten1048. So etwas hörte die Parteiführung gern, und die Schlußbetrachtungen einer seit Sommer 1949 unter Federführung der ZS-Abteilung Landespolitik entworfenen Denkschrift über „die Einbürgerung der Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik" sollten diese günstige thüringische Assimilationsdiagnose wenig später verallgemeinern, ohne die wichtigen regionalen Disparitäten (etwa in Mecklenburg) noch zu erwähnen1049. Dabei hatte Chwalczyk nicht verschwiegen, daß es auch in Thüringen Gegenden gab, wo der „Assimilationsprozeß zurückgeblieben" sei. Allerdings glaubte der SED-Umsiedlerreferent beharrlich an die gesellschaftlichen Steuerungskapazitäten der Politik, denn „überall dort", wo sich die SED „aktiv für den Assimilationsprozeß interessiert" habe, seien „auch die größten Erfolge erzielt worden"1050. Seit Sommer 1948 trat die SED-Presse zwar in einer regelrechten Artikellawine für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und die Freundschaft Deutschlands mit seinen polnischen und tschechoslowakischen Nachbarvölkern ein1051, doch die sozialpolitische Dimension der in die Krise geratenen SED-Umsiedlerpolitik wurde lange nicht mehr thematisiert. Auch ZS-Umsiedlerreferent Chwalczyk machte hier keine Ausnahme. Als er nach etlichen Monaten Schweigens zu diesem Thema im Februar 1949 wieder einen programmatischen Beitrag zur Assimilationspolitik erscheinen lassen konnte, war schon dessen Titel Programm, ging es der SED demnach doch vorrangig darum, das Kollektivbewußtsein der Vertriebenen so schnell wie möglich „vom Umsiedler zum [normalen] Staatsbürger" zu verändern1052. Dieser ND-Artikel Chwalczyks war als offizielle Sprachregelung für alle SED-Umsiedlerfunktionäre wichtig1053, doch in sozialpolitischer Hinsicht war sein Gehalt enttäuschend, denn außer vagen Appellen an die Regelverwaltungen, mehr für die Vertriebenen zu tun, war nichts zu entdekken. Was war dieses „Mehr", auf das man sich politisch hätte konzentrieren sollen? Welche Rolle konnte Vertriebenen-Sozialpolitik zu einem Zeitpunkt spielen, an dem die reguläre Sozialpolitik selbst unter der Priorität des schwerindustriellen Wiederaufbaus litt? Was war von regulären Verwaltungen an Vertriebenenpolitik zu erwarten, wenn schon der SED-Umsiedlerreferent seine Klientel auf das Prin-
Ergebnis lautete, daß „55-60%
io«
Ebenda, Bl. 87-90, SED, ZS, Abt. LP, Chwalczyk, Bericht zur Lage der Umsiedler in Thüringen, 15.2.49.
Ebenda, Bl. 102-130, insb. Bl. 127f., DWK, Denkschrift über „Die Einbürgerung der Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik", o.D. (27-Seiten-Version). loso Ebenda, Bl. 87-90, SED, ZS, Abt. LP, Chwalczyk, Bericht zur Lage der Umsiedler in Thüringen, >o49
15. 2. 49. Franz Dahlem, „Deutschland und der europäische Osten. Aus Gesprächen in Polen", in: Neues Deutschland Nr. 147 v. 27. 6. 48, S. 3f.; „Die CSR und Deutschland", in: Neues Deutschland Nr. 172 v. 27. 7. 48, S. 2; „Die deutsch-polnischen Beziehungen. Die Oder—Neiße-Grenze", in: Neues Deutschland Nr. 250 v. 26. 10. 48, S. 3; Walter Ulbricht, „Die Grundlagen der deutsch-polnischen Freundschaft", in: Neues Deutschland Nr. 272 v. 21. 11. 48, S. 3; „Die Friedenspoltik Polens. Ministerpräsident Cyrankiewicz über die Lösung der deutschen Frage", in: Neues Deutschland Nr. 9 v. 12. 1. 49, S. 1; „Fierlinger über Deutschland", in: Neues Deutschland Nr. 29 v. 4. 2. 49, S. 1. 1032 BAB, DO 2/93, BL 10, Chwalczyk, „Vom Umsiedler zum Staatsbürger", in: Neues Deutschland Nr. 39 v. 16. 2. 49. 1033 SäHStA, LRS, Mdl 304, Bl. 205, Chwalczyk, „Vom Umsiedler zum Staatsbürger", ND-Ausschnitt.
tosí
376
II. Die
Soziologie der Macht
zip individueller Partizipation am wirtschaftlichen Wiederaufbau verwies? Auch auf einer von Politbüromitglied Paul Merker geleiteten Sitzung der SED-Heimkehrerkommission im März 1949 propagierte Chwalczyk keine besondere Sozialpolitik für Vertriebene. Diese nahmen nach seiner Auffassung in der SBZ schließlich „keine Ausnahmestellung mehr" ein, sondern bedurften lediglich noch verstärkter Maßnahmen zur qualifikationsgerechten Arbeitskräftelenkung, zur „Binnenumsiedlung" und zur Umverteilung von Wohnraum. Entsprechend wollte DVdl-Vizepräsident Seifert die diesbezügliche Behördentätigkeit auf den qualifikationsgerechten Arbeitseinsatz für Vertriebene bzw. auf deren Um- und Fachschulung konzentrieren. Es blieb dem einstigen SED-Umsiedlerpolitiker Merker vorbehalten, zusätzlich sozialpolitische Vertriebenenförderung einzufordern: So dürfe man die Versorgung mit Gegenständen des täglichen Bedarfs nicht
dem Markt überlassen, sondern habe diese „selbst in die Hand zu nehmen", und bei der Arbeitskräftelenkung dürfe man nicht nur die Facharbeiter unter den Vertriebenen sehen, sondern müsse dringend auch die Sozialunterstützten im Blick behalten, die „von ihrer Rente nicht existieren" könnten1054. Dieser Impuls scheint bei Chwalczyk Folgen gezeitigt zu haben, denn Merkers Postulat einer Hausrat-Soforthilfe integrierte Chwalczyk in seine Ende April 1949 erstellte „Vorlage für das Kleine Sekretariat betr. [effend] Maßnahmen zur schnelleren Einbürgerung der Umsiedler". Dieses Aktionsprogramm sollte den SED-Grundsatzbeschluß vom November 1948 mit Leben füllen. Die beabsichtigte Wiederaufnahme besonderer Sozialpolitik für Vertriebene begründete der SED-Umsiedlerreferent damit, daß bislang nur „für einen Teil der in der SBZ aufgenommenen Umsiedler [...] die Einbürgerung bereits in weitgehendstem Maße erfolgt" sei, nämlich nur für jene, „die wieder voll im Produktionsprozeß stehen, wohnlich ausreichend untergebracht sind und für die keine besonderen wirtschaftlichen Schwierigkeiten mehr bestehen". Chwalczyk schätzte, daß in den südlichen drei Ländern der SBZ „ca. 25-30%" der Umsiedler in diesem Sinne als eingebürgert betrachtet werden könnten, während dieser Prozeß „in Brandenburg und Mecklenburg noch nicht diese Höhe erreicht" habe. Diese zurückhaltende Diagnose scheint in der SED-Führung moniert worden zu sein, denn in der überarbeiteten Fassung der Beschlußvorlage vom Mai 1949 wurde sie ersatzlos fallengelassen. Gleichwohl war die Einsicht, daß die große Mehrheit der Vertriebenen vier Jahre nach Kriegsende die soziale Basisintegrationsstufe noch nicht erreicht hatte, ausschlaggebend für die Forderung nach weiterer gruppenorientierter Integrationspolitik. Dabei wurde die zur „Eingliederung in den Produktionsprozeß" dienende „bessere wohnliche Unterbringung" um eine vertriebenenspezifische „Versorgung mit Möbeln und Textilien sowie Hausrat" erweitert. Den repressiven Zielen der SED-Politik wurde zugleich dadurch Rechnung getragen, daß man zur Eindämmung der Rückkehrhoffnungen und der konkurrierenden politischen oder kirchlichen Einflüsse unter Vertriebenen gezielte „ideologische Maßnahmen" avisierte1055. SAPMO, DY 34/A/152, FDGB, HA SP, Meimelt, Bericht über die Sitzung der Kommission für Heimkehrer im ZS der SED am 3.3., 8. 3. 49. 1033 SAPMO, DY30/IV2/11/217, Bl. 117-123, SED, ZS, Abt. LP, Chwalczyk, „Vorlage für das Kleine
'034
Sekretariat betr. Maßnahmen
zur
schnelleren
Einbürgerung der Umsiedler", 25. 4. 49.
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
377
Chwalczyks Pläne zur verbesserten Arbeitskräftelenkung und begleitenden beruflichen Qualifikation enthielten wenig Überraschendes. Zu Recht ist die Unverbindlichkeit dieses Maßnahmenkatalogs herausgestellt worden, der in reduzierter Form und ohne klare zeitliche Vorgaben vom Kleinen Sekretariat des SEDPolitbüros im Mai 1949 beschlossen wurde, auf den die SED-Führung jedoch später „nicht mehr zurückkam"1056. Bedeutsamer war jedoch der eigentlich sozialpolitische Teil des Chwalczyk-Entwurfs, der eine massive Wohnraum-Umverteilung zu Lasten einheimischer Bevölkerungsgruppen und zugunsten der Vertriebenen verlangte. Diese gesellschaftlich brisanten wohnungspolitischen UmverteilungsPostulate fanden sich im späteren Sekretariats-Beschluß ebenfalls nicht mehr wieder. Besser erging es lediglich Chwalczyks Forderung nach Kooperation zwischen Wohnungsämtern und Betrieben bei der Unterbringung von „Arbeiterumsiedlern", um deren Anmarschwege zu verkürzen oder durch Familienzusammenführungen Trennungsgelder einzusparen. Hingegen wurde die intendierte bevorzugte Wohnraumversorgung von Arbeiterumsiedlern im Rahmen des Bauprogramms für industrielle Schwerpunkte gestrichen und erst 1950 im Rahmen des DDR-Umsiedlergesetzes wiederaufgenommen. Die zweite, vermutlich auf Merkers Anregung zurückgehende sozialpolitische Maßnahme in Chwalczyks Programm bestand in einer Sonderversorgung mit Mobiliar, die deshalb besonders wichtig war, weil damit Vertriebenen „die Lösung aus den alten Unterkünften ermöglicht" werden könnte, die häufig mit Fremdmobiliar ausgestattet waren. Zu diesem Zwecke hatte Chwalczyk die Feststellung des dringendsten Bedarfs an Mobiliar der Arbeiterumsiedler durch die Sozialkommissionen der Betriebe vorgeschlagen, was in der Folge aber wieder fallengelassen wurde vielleicht um den Sozialneid einheimischer Belegschaftsmitglieder nicht zu wecken. Eine „bessere Verteilung des aus der Neuproduktion stammenden Mobiliars durch Einschaltung der Betriebe und Wohnungsämter" überlebte hingegen als Sekretariats-Forderung nach einem speziellen Umsiedlerkontingent an billigen Standardmöbeln, wenn auch die Verteilung nicht (wie von Chwalczyk vorgesehen) über die Betriebe, sondern über den Spezial-Handel erfolgen sollte. Eine zusätzliche Gewährung von Krediten oder Vorschüssen zur Anschaffung dieses Mobiliars, die Chwalczyk infolge der geringen Kaufkraft vieler Vertriebener für unerläßlich hielt, wurde von der SED-Führung grundsätzlich gebilligt1057. Als das von Ulbricht geleitete Kleine Sekretariat des SED-Politbüros am 29. April 1949 Chwalczyks Entwurf zur „Umsiedlerfrage" beriet, muß es insgesamt jedoch deutlichen Unmut gegeben haben. Zwar wurde die Vorlage nicht abgelehnt, sondern „zur Neufassung zurückverwiesen", doch ihr Autor wurde durch die Festlegung diszipliniert, daß sein Vorgesetzter, ZS-Abteilungsleiter Plenikowski, der bei dieser Beratung im Ulbricht-Gremium anwesend war, „verantwortlich für die Schlußredigierung" gemacht wurde1058. Ein in den Akten der ZS-
1056 o37
Hoffmann, Vertriebenenintegration durch Arbeitsmarktlenkung?, S.
190.
SAPMO, DY30/IV2/11/217, Bl. 117-123, SED, ZS, Abt. LP, Chwalczyk, „Vorlage für das Kleine Sekretariat betr. Maßnahmen zur schnelleren Einbürgerung der Umsiedler", 25.4. 49; Vergleichs-
grundlage
sind handschriftliche
Streichungen
in der
Quelle sowie
der Beschluß
von
Ende Mai:
SAPMO, DY30/JIV2/3/29, Bl. 1 ff., SED, PB, K1S, Prot. Nr. 29 der Sitzung des K1S am 23. 5. 49, insb. Bl. 21, Anlage Nr. 2: „Betr.: Maßnahmen im Interesse der Umsiedler". 'o38 SAPMO, DY30/JIV2/3/24, Bl. 1, SED, PB, K1S, Protokoll Nr. 24 der Sitzung des K1S am 29. 4. 49.
378
II. Die
Soziologie der Macht
Personalabteilung aufgefundenes Exemplar der ursprünglichen Chwalczyk-Vorlage1059 zeigt in Form handschriftlicher Streichungen, daß etliche Einzelpunkte des ursprünglichen Maßnahmenkatalogs nicht die Zustimmung des engsten SEDFührungszirkels hatten finden können1060. Bereits einige Sondermaßnahmen zur Arbeitskräftelenkung waren dem Rotstift zum Opfer gefallen, erst recht galt dies aber für die rigiden Forderungen zur Wohnraum-Umverteilung, die nur noch rudimentär erhalten blieben. Auch Chwalczyks innerparteiliches Mobilisierungsvorhaben für Umsiedlerpolitik hatte Federn lassen müssen: Seine Forderung nach Einschaltung der SED-Wohngebietsgruppen wurde fallengelassen, die altkommunistische Führungsriege bevorzugte eine alleinige Mobilisierung der SEDBetriebsgruppen und konkretisierte diese Teilforderung Chwalczyks. Das interessante Postulat, alle Verwaltungsmaßnahmen auf ihren Nutzen für die Vertriebenen zu prüfen, überlebte nur teilweise. Hingegen wurde die verstärkte Einschaltung der sozial- und kommunalpolitischen Abteilungen der Landes- und Kreisvorstände der SED akzeptiert. Anfang Mai legten Chwalczyk und sein Kontrolleur Plenikowski dem Kleinen
Sekretariat eine deutlich überarbeitete Fassung vor. Diese unterschied sich von der Erstfassung schon durch die realitätsferne Behauptung, die „Einbürgerung der Umsiedler" sei in der SBZ bereits „durchgeführt" worden. Aus einem Mehrheitsproblem wurde perspektivisch eine Resterscheinung gemacht, wenn es nunmehr hieß, daß „noch nicht alle Umsiedler voll in den Produktionsprozeß eingegliedert oder wohnlich zufriedenstellend untergebracht und mit Mobiliar versorgt" seien. Die neue Vorlage konzentrierte sich auf einen Maßnahmenkatalog vertriebenengerechter Arbeitskräftelenkung, wohingegen sich die verbliebene Wohnungspolitik recht dürftig ausnahm: Nunmehr sollten die Wohnungsämter angewiesen werden, die Wohnraumsituation für Arbeiter-Umsiedler gezielt zu verbessern und bis zum Herbst 1949 sämtliche Notunterkünfte in Form von „provisorischen und lagerähnlichen Unterbringungsverhältnisse[n]" aufzulösen. Das besondere Hausratversorgungsprogramm hatte immerhin grundsätzlich überlebt, denn die DWK-Hauptverwaltung Materialversorgung sollte veranlaßt werden, den Vertriebenen „standardisierte billige Möbel" zum Kauf anzubieten. Im Bedürftigkeitsfalle sollten sogar spezielle Beschaffungskredite gewährt werden eine Idee, die Chwalczyk bereits in den fruchtlosen Lastenausgleichsplanungen des Sommers 1948 generiert hatte. Neu hinzugetreten war in der zweiten Fassung eine nach verbesserten für Vertriebene in generelle Forderung Fürsorgemaßnahmen Sozialbehörden von und Diese Volkssolidarität1061. überarbeitete Kooperation -
Dabei handelt es sich wahrscheinlich um das Handexemplar des SED-Kaderchefs Franz Dahlem, der dem Kleinen Sekretariat angehörte und an der Sitzung teilgenommen hatte. 1060 SAPMO, DY30/IV2/11/217, Bl. 117-123, SED, ZS, Abt. Landespolitik, Chwalczyk, „Vorlage für das Kleine Sekretariat betr. Maßnahmen zur schnelleren Einbürgerung der Umsiedler", 25. 4. 49. '06i Alle „erforderlichen Maßnahmen" sollten von HVAS, Arbeits- und Sozialministerien der Länder sowie den entsprechenden Kreisbehörden „auf Arbeitsbesprechungen" und „Belegschaftsversammlungen" behandelt werden, damit sich „alle Mitarbeiter" dieser Bürokratien „eingehend mit der Lösung dieser Aufgabe" beschäftigten; zugleich wurden die Abteilungen für Arbeit und Sozialpolitik sowie für Kommunalpolitik bei den Landes- und Kreisvorständen der SED für die Kontrolle besagter Ressorts verantwortlich gemacht; vgl. SAPMO, DY30/IV2/13/388, SED, ZS, Abt. LP, Beschlußvorlage: „Maßnahmen, die es den Umsiedlern erleichtern, sich rascher einzuleben", 5. 5. 1949; zu Chwalczyks Lastenausgleichskonzept vgl. Kap. III.2.3.1. i°39
2.
Institutionenwandel und Netzwerk-Kontinuität
379
Vorlage wurde am 23. Mai 1949 dem Tag der Verabschiedung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom Kleinen Sekretariat des SED-Politbüros ohne inhaltliche Änderungen angenommen. Besonders herausgestellt wurde im Beschluß der SED-Führung vor allem die maßnahmenstaatliche Kontrollfunktion -
-
der Partei, deren Landes- und Kreisvorstände „ihre Aufmerksamkeit darauf zu richten" hätten, „daß alle Verwaltungsstellen die beschlossenen Maßnahmen durchführen und durch operative Arbeitsmethoden alle dabei auftretenden Widerstände überwinden"1062. Nachdem diese Sekretariats-Beschlüsse „von den Vorsitzenden [der SED], den Genossen Pieck und Grotewohl, bestätigt" worden waren, informierte Ulbricht „streng vertraulich" sämtliche SED-Landesvorsitzende über den umsiedlerpolitischen Maßnahmenkatalog1063. Dabei wurden dessen Inhalte schon in der Befehlskette zwischen zentralem SED-Apparat und SED-Landesvorständen erheblich ausgedünnt. So wies Plenikowski, als er im Juni den Beschluß an die mecklenburgische SED-Landesleitung übersandte, darauf hin, daß für dieses Land vor allem die Verbesserung der Wohnungssituation für Arbeiterumsiedler sowie die Auflösung aller lagerähnlichen Unterbringungen bis Herbst 1949, eine verbesserte Fürsorge und Altersheimunterbringung für Arbeitsunfähige sowie eine Verbesserung der Verwaltungsarbeit zugunsten der Vertriebenen Priorität besitze1064. Die Beratungen in den Landesvorständen führten zu einer weiteren Verengung: So konzentrierte sich das mecklenburgische SED-Sekretariat ausschließlich auf Planspiele für ein besonderes Wohnungsbauprogramm für Vertriebene sowie auf eine verbesserte Altersheimunterbringung, wobei sich das Wohnungsbauprojekt alsbald auf einen Reparaturplan für Dachgeschosse reduzierte. Doch selbst dafür waren keine Finanzmittel vorhanden1065. Es dauerte bis Mitte Juni 1949, bevor mit entsprechender propagandistischer Aufmachung der DWK-Vorsitzende Rau der für Wohnungspolitik verantwortlichen HVAS demonstrativ den Auftrag erteilte, in einem mecklenburgischen Ort festgestellte „Mißstände" bei der Unterbringung von Vertriebenen abzustellen. Zugleich übte Rau ganz im Sinne der Chwalczyk'schen Kontroll- und Mobilisierungsstrategie „heftige Kritik an den Verwaltungsstellen, die sich den berechtigten Forderungen der Umsiedler gegenüber passiv verhalten" hätten. Die HVAS wurde beauftragt, gemeinsam mit der DVdl „eine unverzügliche Prüfung der Umsiedlerwohnverhältnisse in der gesamten sowjetischen Besatzungszone" vorzunehmen, wobei auch „die Zentrale Kontrollkommission [der DWK] und die Volkskontrollausschüsse [...] eingeschaltet werden" sollten1066 also jene 1949 ge-
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-
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io"
SAPMO, DY30/JIV2/3/29, Bl. 1 ff., SED, PB, K1S, Protokoll Nr. 29 der Sitzung des K1S am 23. 5.
49, insb. Bl. 21, Anlage Nr. 2: „Betr.: Maßnahmen im Interesse der Umsiedler". Ebenda, Bl. 30, SED, PB, Ulbricht, Rdschr. an alle SED-Landesvorsitzenden, 31. 5. 49; ferner: ebenda, Bl. 31, SED, PB, Büro des Sekretariats, Rdschr. an alle Landesvorstände, 1. 6. 49. o« MLHA, SED-LL IV/2/3/80, Bl. 77, SED, ZS, Abt. StV, Plenikowski, an SED, LV Mecklenburg,
i°63
16. 6. 49.
'«s
i066
Ebenda, Bl. 188ff., SED, LL Mecklenburg, Protokoll der 25. Sekretariatssitzung am 13.7. 49; ebenda, Bl. 209 f., SED, LL Mecklenburg, Karl, Vorlage für das Sekretariat des SED-Landesvorstands, 11.7. 49; ebenda, Bl. 251 ff., insb. Bl. 254, SED, LL Mecklenburg, Protokoll der 27. Sekre-
tariatssitzung am 27. 7. 49.
„Heinrich Rau kommt Umsiedlern zu Hilfe. DWK greift durch Scharfe Kritik an säumigen Ver-
waltungen", in: Neues Deutschland Nr.
143
v.
22. 6.
49, S. 2.
-
380
II. Die
Soziologie der Macht
schaffenen „Agenturen der extralegalen Intervention"1067, mit deren Hilfe „Volksrecht" fortan „Verwaltung" brechen sollte1068. Wenig später, am 5. Juli 1949, befaßte sich das SED-Politbüro mit der „Lage der Umsiedler". Doch die Aufforderung an die DWK, „eine gesamtdeutsche Konferenz der Sozialminister der Länder anzuregen, deren Aufgabe die Beratung von Maßnahmen zur Schaffung von Existenz und Heimat für die Umsiedler in allen Zonen Deutschlands sein soll"1069, hatte eher propagandistische Funktion und entwertete, wie wir bereits wissen, eine parallele Initiative der Ost-CDU1070. Sozialpolitisch halbwegs konkret wurde das Politbüro nur mit seiner Weisung an die DWK, „Maßnahmen zu ergreifen zur Beseitigung der noch vorhandenen Schwierigkeiten in den Wohnverhältnissen der Umsiedler und in ihrer Versorgung mit Kleidung und Haushaltsgegenständen"1071. Während eine flächendeckende Wohnraumüberprüfung tatsächlich in Angriff genommen wurde, ohne freilich mehr als geringfügige Verbesserungen zu erzielen1072, scheiterte das Möbelversorgungsprogramm an finanziellen Engpässen und konnte in veränderter Form ebenso wie der Sonderwohnungsbau für vertriebene Industriearbeiter erst 1950 im Rahmen des Umsiedlergesetzes realisiert werden. Im Zuge einer SED-Pressekampagne, die auf die westdeutsche Soforthilfepolitik zu reagieren gezwungen war, durfte SED-Umsiedlerreferent Chwalczyk im Juli 1949 einen weiteren programmatischen Vorstoß im „Neuen Deutschland" unternehmen. Gegenüber seinem Februar-Artikel war die Akzentverschiebung beträchtlich: Statt die „Umsiedler" in der SBZ bereits zu weitgehend integrierten „Staatsbürgern" zu definieren, konnte nun öffentlich verlangt werden, den „Umsiedlern" als solchen politisch „mehr Aufmerksamkeit" zu schenken und zwar insbesondere in sozialpolitischer Hinsicht. Kritisch konnte Chwalczyk öffentlich die Frage nach dem „bereits" erreichten Stand der „Einbürgerung" stellen und dabei auf „zweifellos berechtigte]" Klagen von Vertriebenen über mangelndes Verständnis für ihre Probleme verweisen. Neben ,,schlechte[n] Wohnverhältnisse[n]" seien primär die „scheinbare Unmöglichkeit, wieder im alten Beruf tätig zu werden", sowie die „mangelhafte Ausstattung mit Mobiliar und Gebrauchsgegenständen" problematisch. Solche Ausführungen waren im damaligen SED-Kontext immer noch mutig und keineswegs selbstverständlich: So wurde der entsprechende Abschnitt des ND-Artikels von einem SED-Umsiedlerbürokraten der DVdl mit einem deutlichen Fragezeichen versehen. Chwalczyk war es gelungen, öffentlich eine Weiterführung besonderer Sozialpolitik für Vertriebene zu fordern und scharfe Kritik an der Praxis der regulären Wohnungs- und Arbeitsbehörden zu üben. Politisch habe zwar in der SBZ erfolgreich verhindert werden können, daß „zwischen den Altansässigen und den Umsiedlern unübersteigbare Schranken" entstanden wären, doch hätten vier Jahre zur Lösung aller Probleme noch -
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Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 428. Zu dieser Parole der Staatspolitischen Konferenz der SED von 1948: ebenda, S.381. „Heimat und Existenz für Umsiedler. Politbüro der SED schlägt Maßnahmen zur vorhandener Schwierigkeiten vor", in: Neues Deutschland Nr. 156 v. 7. 7. 49, S. 1. lo^Vgl. Kap. II.2.2.3. 1071 „Heimat und Existenz für Umsiedler. Politbüro der SED schlägt Maßnahmen zur vorhandener Schwierigkeiten vor", in: Neues Deutschland Nr. 156 v. 7. 7. 49, S. 1. 1072 Vgl. Schwartz, Vertrieben in die Arbeiterschaft. 1067
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Beseitigung Beseitigung
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ausgereicht. Ziel der künftigen SED-Politik sei daher, dem notleidenden „Restbestand von Umsiedlern" ebenfalls „alle Möglichkeiten zur Sicherung seiner
nicht
Existenz und zur Führung eines normalen Lebens" in seiner neuen Heimat zu geben1073. Zu diesem Zeitpunkt betätigte sich Chwalczyk bereits als Redakteur jener von der SED-Führung in Auftrag gegebenen großangelegten Umsiedler-Denkschrift, deren Einzelteile aus allen Fachressorts der SBZ zusammengetragen wurden, deren politische Interpretation jedoch strikt dem SED-Parteiapparat vorbehalten blieb1074. Das SED-Politbüro hatte im Juli 1949 die Weisung erteilt, „eine Denkschrift auszuarbeiten über die bisher erreichten Ergebnisse in der Unterbringung der Umsiedler in der Wirtschaft und Verwaltung der sowjetisch besetzten Zone". Dieses Vorhaben ging über bloße Informations- und Propagandazwecke hinaus, denn es sollte erklärtermaßen auch die Basis für „Vorschläge zur weiteren Festigung der wirtschaftlichen Existenz der Umsiedler" abgeben1075. Obgleich diese Politikankündigung ein Jahr lang uneingelöst blieb, verbietet sie es doch, die Umsiedler-Denkschrift der DWK als bloße „Abschlußbilanz"1076 der SED-Umsiedlerpolitik abzutun. Chwalczyk nahm jedenfalls als Redakteur dieser Denkschrift den Doppelbeschluß des Politbüros ernst, wonach diese Denkschrift sowohl „die bisher erreichten Ergebnisse" als auch „Vorschläge zur weiteren Festigung der wirtschaftlichen Existenz der Umsiedler vorbereiten" sollte, und forderte von den einzelnen Ressorts, die Probleme ausführlich, statistisch untermauert und nicht zuletzt „kritisch darzustellen". Seine pragmatische Orientierung kam in der Weisung zum Ausdruck: „Schönfärberei hat zu unterbleiben. Vorschläge müssen realisierbar sein. Schwarzmalerei ist fehl am Platze." Jedenfalls gehörten „Polemiken gegen die Westzonen [...] nicht in die Denkschrift!"1077 Die an der Erarbeitung beteiligte DVdl-Umsiedlerabteilung gewann infolgedessen jedenfalls den Eindruck, daß „die vom Politbüro gewünschte Denkschrift [...] als Unterlage [...] für die weiteren Maßnahmen hinsichtlich des schnelleren Einlebens der Umsiedler in ihrer neuen Heimat" dienen sollte1078. Diese Denkschrift war tatsächlich die wesentliche Informationsgrundlage für die große Berliner Propagandarede Wilhelm Piecks zum Thema „Wer hilft den Umsiedlern?" im August 19491079, aber auch für die gesamte spätere Berichterstattung der DDR-Regierungsinstanzen über das Vertriebenenproblem, zu dem bekanntlich seither kaum noch weitere statistische Erhebungen stattfanden. Für ihren Redakteur Chwalczyk erwies sich allerdings diese Denkschrift als ebenso heikel wie seine frühere Vorlage für das Kleine Sekre1073
BAB, DO 2/93, Bl. 11, G. Chwalczyk, „Mehr Aufmerksamkeit den Umsiedlern", in: Neues
Deutschland Nr. 163 v. 15. 7. 49. Seine Ko-Redakteurin scheint eine Mitarbeiterin des DWK-Sekretariats, Frau Dr. Eule, gewesen zu sein. 1073 „Heimat und Existenz für Umsiedler. Politbüro der SED schlägt Maßnahmen zur Beseitigung vorhandener Schwierigkeiten vor", in: Neues Deutschland Nr. 156 v. 7. 7. 49, S. 1. io« Vgl. diese Deutung bei Wille, SED und „Umsiedler", S. 101. >o77BAC, DN lalt/3190, SED, ZS, Abt. StV, Chwalczyk, Disposition für die Denkschrift über das 1074
Umsiedlerproblem, 14. 7. 49.
>o78BAB, DO 2/19, Bl. Ulf., insb. Bl. 112, DVdl, Abt. Umsiedler, Tätigkeitsbericht für Juli 1949, 15.8.49.
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Vgl. SAPMO, DY 34/A/l 52, FDGB, BV, Abt. SP, Meimelt, Aktennotiz über Besprechung bei der DWK betr. „Umsiedlerprobleme", 26. 8. 49.
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II. Die
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tariat: Erneut kam es SED-intern über die Beurteilung des Integrationsstands der Vertriebenen zu grundlegendem Dissens, der sich anhand der verschiedenen Versionen der Umsiedler-Denkschrift deutlich nachvollziehen läßt. Der längste und wohl älteste Entwurf der „Denkschrift über die bisher erreichten Ergebnisse in der Unterbringung der Umsiedler in Wirtschaft und Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone nach dem Stand vom 1. Juli 1949" umfaßte 43 Seiten und zeigte in seinen deutenden, Chwalczyk zuzurechnenden Passagen einen durchaus eigenwilligen Charakter, der in den folgenden Überarbeitungen fast vollständig verloren ging. So war in der Einleitung zunächst ausdrücklich von einer ,,moralische[n] Verpflichtung" des deutschen Volkes die Rede, „die Umsiedler innerhalb der ihm verbliebenen territorialen Grenzen einzubürgern und ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, wieder seßhaft zu werden". Dabei seien deren Versorgung mit Wohnraum und Hausrat sowie deren Arbeitsmarktintegration die „vornehmste Aufgabe". Was die Frage der Ostgrenze anging, beteuerte der ErstEntwurf, daß nach den Potsdamer Beschlüssen der Alliierten „mit einer nachträglichen Revision dieser Grenzlinie nicht gerechnet werden kann", um freilich einen Friedensvertragsvorbehalt hinzuzufügen. All diese Ausführungen wurden im zentralen SED-Apparat mit deutlichen Fragezeichen versehen und waren in der mutmaßlichen Endfassung der Denkschrift nicht mehr zu finden. Auch im Schlußteil des präsumtiven Erstentwurfs fanden sich Bemerkungen, die später als inopportun entfielen etwa das Eingeständnis, das Verbot besonderer „Umsiedlerorganisationen" sei die Folge der sowjetzonalen „Politik, keine Gegensätzlichkeiten innerhalb der Bevölkerung zu erzeugen". Getilgt wurden ferner detaillierte Angaben zur Partizipation von Vertriebenen im öffentlichen Dienst der SBZ, so daß nur Hinweise auf Vertriebene in politischen Ämtern übrig blieben. Auch der selbstbewußt gemeinte Hinweis auf die problemlose religiöse Betreuung der Vertriebenen in konfessionellen Mischgebieten mußte entfallen. Im Schlußabsatz des ersten Entwurfs hatte sich noch eine kritische Erwägung zum „anfangs zu beobachtende[n] Widerstand der Umsiedler gegen diese Politik" angeschlossen, der seine „Ursache darin" gehabt habe, „daß sich die Umgesiedelten nur schwer an den Gedanken gewöhnen konnten, daß eine Rückkehr in ihre alten Heimatgebiete unmöglich sein sollte". Auch die folgende Behauptung, diese mentale Hemmung sei „für den größten Teil der Umsiedler bereits überwunden", konnte die Passage nicht retten. In späteren Versionen war nur noch von „Resterscheinungen" die Rede, ohne auf einen ursprünglich massenhaften Vorbehalt unter Vertriebenen zu sprechen zu kommen1080. Schon der erheblich gekürzte, nur noch 31 Seiten umfassende „2. Entwurf" dieser Umsiedlerdenkschrift hatte die Akzente verschoben. Nun, da der eigentliche Vertreibungs- und Aussiedlungsprozeß der „Umsiedlung" als „beendet" angesehen werden konnte, wurde dem ,,deutsche[n] Volk in seiner Gesamtheit" keine moralische Verpflichtung mehr, aber immerhin noch „die Aufgabe" zugewiesen, -
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SAPMO, DY30/IV2/13/388, DWK, Sekretariat, Entwurf einer „Denkschrift über die bisher erreichten Ergebnisse in der Unterbringung der Umsiedler in Wirtschaft und Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone nachdem Stand vom 1. Juli 1949", o.D., S. If. undS. 41 f.; dieser 43 Seiten umfassende Entwurf dürfte die erste, im Juli/August 1949 erstellte Fassung darstellen; zu den
Folgeentwürfen vgl. die folgenden Anmerkungen.
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„die Umsiedler einzubürgern und ihnen die Möglichkeit zu geben, seßhaft zu werden". An den inhaltlichen Schwerpunkten für politisch-administrative Integrationsarbeit „die Eingliederung in den Produktionsprozeß, die notwendige Versorgung mit Wohnraum und den notwendigsten Gebrauchs- und Bedarfsgegenständen" wurde nichts geändert. Allerdings forderte man nun ausdrücklich die „Unterstützung aller demokratischen Parteien und Organisationen und der gesamten Bevölkerung" ein. Nichts von alledem sollte sich in der endgültigen dritten Version wiederfinden. Erst recht wurde der zwanghafte integrationspolitische Optimismus, der den Einzelfakten der Denkschrift übergestülpt worden war, in der veränderten Zusammenfassung deutlich. Dort hieß es nun, der Einbürgerungsprozeß der Umsiedler in der SBZ sei „bereits weit vorangeschritten" eine Behauptung, die immerhin auch ihrerseits ein SED-internes rotes Fragezeichen erhielt. Doch der Verfasser des Schlußteils vermutlich immer noch berief sich auf Chwalczyk1081 „eingehende Analysen" im Lande Thüringen, die daß 40% sich rund dieser Bevölkerungsgruppe „in ihrer Lebensergeben hätten, kaum noch den von haltung entsprechenden Schichten der Altbevölkerung unterscheiden". Die ursprünglichen Schätzungen der thüringischen Landesregierung hatten sogar noch höher angesetzt, doch auch diese im Denkschrift-Entwurf lancierte Zahl war hinreichend geschönt, wenn man bedenkt, daß Chwalczyk in der (ebenfalls später zwangsredigierten) Urfassung seiner Vorlage für das Kleine Sekretariat vom April 1949 noch ganz anders argumentiert hatte. Solche Zurückhaltung aber schien angesichts der von der SED-Führung verlangten Erfolgspropaganda für die gesamtdeutsche Systemkonkurrenz nicht länger gefragt. Ein harmonisierender Rückblick auf die aufgelösten Umsiedlerausschüsse leugnete statt dessen vertriebenenspezifische gesellschaftliche Interessenkonflikten: „Durch ihre Zusammensetzung aus Umsiedlern und Altbürgern" hätten nämlich die früheren Ausschüsse erfolgreich „vermieden, daß sich zwischen beiden Gruppen der Bevölkerung Gegensätze entwickeln konnten". Der begrenzt kritische Tenor, den Chwalczyk früher hatte anklingen lassen, wurde damit bereits in dieser zweiten Fassung der Denkschrift durch eine zutiefst selbstzufriedene Sicht abgelöst: „Die in der Umsiedlerpolitik der sowjetischen Besatzungszone bisher erzielten Ergebnisse", so hieß es abschließend, erbrächten „den Beweis" für die „Richtigkeit" dieser Politik. Wider besseres Wissen wurde behauptet, „daß das Aufkommen illusionärer Rückkehrstimmungen unter den Umsiedlern verhindert" worden sei, welche vielmehr schon „selbst zu einem aktiven Faktor im Prozeß ihrer Wiedereinbürgerung" geworden seien. „Jetzt" handle es sich daher lediglich „darum, sich noch mit den Resterscheinungen des Umsiedlerproblems zu beschäftigen". Sofern sich „alle demokratischen und fortschrittlichen Kräfte in Öffentlichkeit und Verwaltung auf die Lösung dieses Problems" konzentrieren würden, werde man den Integrationsprozeß in „eine neue Heimat" zügig abschließen können. Bezeich-
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nenderweise erntete sogar die euphemistische Feststellung negativer „Resterschei-
Jedenfalls wurde im Sinne Chwalczyks Berufstätigkeit als „großer Assimilationsfaktor" net.
bezeich-
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nungen" noch ein SED-internes Fragezeichen und sollte in der Schlußversion der Denkschrift denn auch weiter geschönt werden1082. Die SED-interne Umgestaltung der Umsiedler-Denkschrift aus einer Analyse zu einer Propagandabroschüre war evident. Diverse SED-Abteilungen verwahrten sich gegen Inhalte, die der „gegnerischen Presse" im Westen kritische Anhaltspunkte hätten bieten können, und forderten die Streichung ungünstig erscheinen-
der Daten oder Statistiken: „Nach mehreren Überarbeitungsphasen, in denen der Inhalt stärker politisiert und entproblematisiert wurde, trug die Dokumentation die nun auch nicht mehr Denkschrift hieß den Titel ,Die Einbürgerung der Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik'."1083 Die auf 27 Seiten geschrumpfte Schlußversion scheint erst im April 1950 fertiggestellt worden zu sein1084. Insbesondere die Interpretations-Teile des Textes hatten eine völlige Metamorphose erlebt. Hatte sich Chwalczyk bei Arbeitsbeginn platte Polemiken gegen Westdeutschland noch ausdrücklich verbeten, spielten solche Ausfälle in der Einleitung der Endfassung eine ebenso zentrale wie traurige Rolle. Man postulierte nun eine grundlegende Differenz zwischen Ost und West, bei der sich die erfolgreiche SED-Umsiedlerpolitik vom revanchistischen und sozialpolitisch völlig untätigen Westdeutschland Adenauers kategorisch unterschied. „Ein Umsiedlerproblem wie in Westdeutschland" gebe es daher „in der Deutschen Demokratischen Republik nicht mehr"1085. Genau besehen besagte diese Behauptung nicht, daß es überhaupt kein „Umsiedlerproblem" in der DDR des Jahres 1950 gebe. Doch tendierte die propagandistisch motivierte SED-Endredaktion der Umsiedler-Denkschrift zu geschönten „Schlußbetrachtungen", die kaum noch entsprechendes Problembewußtsein erkennen ließen. Demnach war „der Prozeß der Einbürgerung der früheren Umsiedler" in der DDR „bereits sehr weit fortgeschritten", was wiederum mit thüringischen Untersuchungen untermauert wurde. Insbesondere „die Arbeit" habe sich als „großer Assimilationsfaktor" erwiesen. Daraus folge, „daß es in der Deutschen Demokratischen Republik ein ,Umsiedlerproblem' nicht mehr gibt und die früheren Umsiedler ein Teil der Bevölkerung mit den gleichen Rechten und Pflichten der gesamten Bevölkerung geworden sind". Nicht einmal von „Resterscheinungen" eines besonderen Vertriebenenproblems war noch die Rede. „Zweifellos" vorhandene Probleme wurden statt dessen auf eine Summe von Einzelfällen reduziert und entweder mit noch vorhandenen reaktionären Tendenzen in der DDR-Bevölkerung („meist in entlegenen Landkreisen") oder mit feindlicher „verstärkte^] Agententätigkeit und Sabotage" hinwegerklärt. Integrationsspezifische Konflikte in der DDR-Gesellschaft konnte
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1082
Ebenda, DWK, Sekretariat, „2. Entwurf" der „Denkschrift über die bisher erreichten Ergebnisse
in der Unterbringung der Umsiedler in Wirtschaft und Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone nach dem Stand vom 1. Juli 1949", o.D., S. 1 und S. 30f. 1083 Wille, Die Vertriebenen und das politisch-staatliche System der SBZ/DDR, S. 209; ferner: ders., Die verordnete Einbürgerung, S. 9ff. 1084 E)as ¡n der ZS-Abt. Staatliche Verwaltung befindliche Exemplar dieser Fassung trägt den handschriftlichen Datumsvermerk „IV/1950"; vgl. SAPMO, DY30/IV2/13/388, Denkschrift über „Die Einbürgerung der Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik", o.D.; im DDRInnenministerium erhielt diese Version den Eingangsstempel 28. 4. 50; vgl. BAB, DO 2/49, Bl. 100-128; ohne Datum überliefert in: SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. 102-130. io83 SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. 102-130, insb. Bl. 103, Denkschrift über „Die Einbürgerung der Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik", o.D. [ca. April 1950; 27-Seiten-Version].
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und durfte es nicht geben, sondern waren Resterscheinung des inneren oder externen Klassenkampfes. Man gab sich selbstzufrieden: „Die früheren Umsiedler haben sich eingegliedert, arbeiten mit, sind in ihrer neuen Heimat seßhaft geworden und fühlen sich als gleichberechtigte Bürger." Die stetigen sozialpolitischen Verbesserungen in der DDR, seien es das Landarbeiterschutzgesetz oder der verbindliche Achtstundentag, sowie die mit dem „Volkswirtschaftsplan für das Jahr 1950" zunehmende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gewährleisteten in dieser zweckoptimistischen Sicht „eine weitere ständige Verbesserung der Lebenslage aller Werktätigen" und damit auch der „ehemaligen Umsiedler"1086. Das bezeichnende Schicksal der Umsiedlerdenkschrift indiziert die schleichende politische Entmachtung ihres Redakteurs, des SED-Umsiedlerreferenten Chwalczyk. Doch obwohl dessen ursprünglicher Ansatz SED-internen Propagandazwecken geopfert worden war, konnte sich die Parteiführung nicht entschließen, diese gefärbte Dokumentation zu veröffentlichen. Statt dessen bot der Verweis auf die „schon vorliegende Denkschrift über die Einbürgerung der Umsiedler in der DDR", die „in Kürze im Druck erscheinen" solle, im Frühjahr 1950 ZS-Abteilungsleiter Plenikowski die Handhabe, ein wissenschaftliches Forschungsvorhaben an der Berliner Humboldt-Universität „über die Lage der Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik" als „nicht für notwendig" zu erklären1087. Dennoch ist es unzutreffend, „daß die ,Erfolgsbilanz' am Ende" deshalb „nicht publiziert" worden sei, weil man fürchtete, „ein derartig geschöntes Bild könnte im Vorfeld der Wahlen 1950 Unwillen bei den Vertriebenen auslösen"1088. Die Erfolgsbotschaft der verstümmelten „Umsiedler-Denkschrift" wurde vom SED-Regime schließlich doch noch veröffentlicht allerdings nicht im vollen Wortlaut und erst dann, als man mit der im September 1950 erfolgten Inkraftsetzung des DDR-Umsiedlergesetzes sozialpolitisch für Vertriebene rechtzeitig vor den Volkskammerwahlen wieder etwas vorzuweisen hatte. Das auf den Leistungsbilanzen der Umsiedler-Denkschrift basierende Kapitel einer Wahlbroschüre mit dem Titel „Sie fanden eine neue Heimat" klärte Interessierte darüber auf, wie in der DDR „für die ehemaligen Umsiedler gesorgt" worden sei. Zugleich wurde das binnen eines Tages durch das DDR-Scheinparlament gepaukte Umsiedlergesetz dessen konkurrierendes Vorbild, das westdeutsche Soforthilfegesetz von 1949, natürlich mit keiner Silbe erwähnt wurde zum Musterbeispiel für „das schnelle Arbeiten unserer gesetzgebenden Körperschaften" stilisiert, das „im erfreulichen Gegensatz zu der Behandlung der Umsiedlerfragen im Bonner Spalterparlament" stehe, wo „alle Anträge zur Verbesserung der Lage der Umsiedler von berufsmäßigen Parlamentariern totgeredet, verschleppt oder mit Hilfe der dort beliebten Tricks der Überweisung an Parlamentsunterausschüsse zu Grabe getragen" würden. Im Westen wolle man nun einmal „das Elend der Um-
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'0S6 ios?
Ebenda, Bl. 127ff. BAB, DO 1/5512, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, über HA StV, Malz, an Warnke, 16. 5. 50; Büttner
referierte die Position Plenikowskis anläßlich einer Anfrage der Humboldt-Universität vom 15.4. 50; möglicherweise betraf dies das Dissertationsprojekt der früheren Vertriebenenfürsorgerin Gisela Conrad zur Frage „Können Produktivgenossenschaften einen Beitrag zur wirtschaftlichen Eingliederung der Umsiedler leisten?", das an der Ost-Berliner Humboldt-Universtät begonnen, jedoch 1950 an der West-Berliner Freien Universität beendet wurde. 1088 So jedoch Wille, Die Vertriebenen und das politisch-staatliche System in der SBZ/DDR, S. 209.
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siedler [...] verewigen [...], um sie als gefügige Werkzeuge der Aufrüstungspolitik und als Kanonenfutter [...] des anglo-amerikanischen Imperialismus zu mißbrauchen" 1089. Propagandatiraden gab es folglich genug. Doch anders als die Urheber der Endfassung der Umsiedler-Denkschrift im Frühjahr 1950 beabsichtigt hatten, konnte sich SED-Umsiedlerpolitik nicht darauf beschränken, Vertriebene auf allgemeine sozialpolitische Verbesserungen und das dafür erforderliche Wirtschaftswachstum zu vertrösten. Vielmehr dokumentierte die Geschichte der Umsiedlerdenkschrift, daß der Versuch starker Kräfte in der SED-Führung, das „völlige durchzusetzen, Übergehen" der besonderen „Sorgen und Nöte" der Vertriebenen in der Frühphase der DDR noch „nicht durchgestanden werden" konnte1090. Zwischenzeitlich waren jedoch die SED-internen Aktivitäten für VertriebenenSozialpolitik völlig erlahmt. Insbesondere das Versanden der im Frühjahr 1949 vom SED-Umsiedlerreferenten Chwalczyk durchgesetzten Maßnahmen zeigte, daß dessen zur Kontinuitätssicherung von Umsiedlerpolitik betriebene Diffusionsstrategie unter Verzicht auf institutionelle (organisatorische wie legislative) Festlegungen langfristig nicht hinreichend trug. Zwar war es Chwalczyk und einigen anderen Überlebenden des angeschlagenen umsiedlerpolitischen Netzwerks gelungen, gegen massive Anfeindungen anderer SED-Gruppierungen die thematische Kontinuität des umsiedlerpolitischen Politikfeldes zu sichern und in einigen Beschlüssen von SED-Führungsgremien wieder zur Geltung zu bringen. Doch die von Chwalczyk für unerläßlich erachtete umsiedlerpolitische Mobilisierung der SED-Parteibasis blieb in Ansätzen stecken und „überforderte [...] die Partei"1091. Freilich zeigte sich auf der Ebene des zentralen SED-Parteiapparates nicht nur Selbstüberforderung, sondern auch grundlegender inhaltlicher Dissens: Mit der Umsiedlerpolitik verlagerten sich sämtliche politischen und gesellschaftlichen Interessengegensätze dieses Politikfeldes in den SED-Apparat und führten dort 1948/49 zu zeitweiliger Politikblockade. Auch die mehrfachen Nachbesserungen der Umsiedler-Denkschrift waren gegenläufigen Interessen im SED-Apparat (und in den verbündeten sowjetischen Netzwerken) geschuldet. Erschöpfte sich die erwähnte Kritik der SED-Organisationsabteilung noch in alternativer Sprachpolitik, versuchte die ZS-Abteilung für Wirtschafts- und Finanzpolitik unter Führung Willi Stophs die von Chwalczyk verteidigte besondere Sozialpolitik für Vertriebene zu torpedieren1092. Das umsiedlerpolitische Netzwerk in der SBZ/ DDR erlebte in dieser Phase vertriebenenpolitischen Stillstands zwischen Herbst 1949 und Sommer 1950 weitere Einbrüche. Im Laufe des Jahres 1949 war es auf Länderebene zu einem scheinbar beiläufigen Austausch der leitenden Umsiedlerfunktionäre gekommen, der die erfahrenen und selbstbewußten Wortführer der Direktorenkonferenzen des Jahres 1948 von der Bildfläche verschwinden ließ. In Sachsen und Sachsen-Anhalt überdauerten zwar die Leiter der Landesbehörden kurzfristig deren im Frühjahr 1949 erfolgte Überführung in die Innenministerien, doch auch diese beiden couragierten Länderfunktionäre wurden im Zuge der großen Personalrotation der DDR-Regierungsbildung im Herbst 1949 abgelöst. Die1089
s;e fanden eine
neue
Heimat, S. 1 und S. 4.
Hoffmann/Wille/Meinicke, Flüchtlinge und Vertriebene, S. 24 f. 1091 Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 152. 1090
1092
Vgl. zum Hausratkredit 1949: Kap. III.2.3.2.
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1949 erfolgte Personalaustausch in den Leitungen der Landesabteilungen wurde im folgenden Jahre auf zentraler Ebene fortgesetzt, indem diverse Angehörige des um Paul Merker zentrierten (früheren) umsiedlerpolitischen Netzwerkes, darunter auch Chwalczyk, ihre Positionen verloren. ser
„Weitere Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler": Das neue bevölkerungspolitische Netzwerk und das Kontinuitätsproblem der Umsiedlerpolitik 1949-1953 Das Ende 1949 greifbare Scheitern der personellen Diffusionsstrategie zur Kontinuitätssicherung von Vertriebenenförderung in der SBZ/DDR, wie sie insbesondere Georg Chwalczyk ab Mitte 1948 repräsentiert und praktiziert hatte, bewirkte paradoxerweise eine Wiederaufwertung administrativer Institutionen in der Umsiedlerpolitik des entstehenden SED-Staates. Konkret betraf dies die 1949 in den Innenressorts der SBZ geschaffenen, zunächst jedoch in ihren Operationsspielräumen von der DVdl-Führung möglichst kurz gehaltenen Abteilungen für Bevölkerungspolitik. Die 1950 erfolgte „Säuberung" des SED-Parteiapparates, der auch der bisherige SED-Umsiedlerreferent Chwalczyk zum Opfer fiel, verlagerte den Schwerpunkt weiterlaufender Netzwerk-Aktivitäten zwangsläufig in diese Abteilungen, die als letzte personelle Bastionen von Umsiedlerpolitik in der DDR gelten konnten und erstaunlicherweise (gegen den Willen ihrer Schöpfer) auch zu institutionellen Agenturen derselben wurden. Ausgerechnet jene Apparate, die 1949 gezielt zur Abschaffung besonderer Umsiedlerpolitik eingerichtet worden waren, trugen ab 1950 entscheidend zu deren Wiederbelebung bei. Umso mehr verwundert, daß sich die bisherige Forschung fast ausschließlich auf die Existenzphase der Umsiedler-Sonderverwaltung und damit auf den 2.5.5.
schmalen Zeitraum zwischen 1945 und 1948/49 konzentriert hat, während die inund infolge des DDR-Umsiedlergesetzes mindestens ebenso wichtige bis Folgezeit Mitte der fünfziger Jahre bestenfalls als kaum beachtliche Nachgeschichte, wenn nicht gar als Verfallsgeschichte (als „Ende der Vertriebenenpolitik" in der DDR1093) behandelt wurde. Solch sträfliche Geringschätzung der zweiten Phase von Umsiedlerpolitik in der SBZ/DDR, die mit dem Umsiedlergesetz von 1950 in sozialpolitischer Hinsicht sogar den klaren Höhepunkt der kurzen Vertriebenenförderung im SED-Staat einläutete, hat auch auf die Untersuchung der neuen institutionellen und personellen Träger dieser Umsiedlerpolitik ohne Sonderverwaltung nur wenig Mühe verwendet. Sofern die Darstellungen nicht einfach 1949 abbrechen1094, präsentieren sie für die Folgezeit nur zusammenhanglose Details1095 oder irreführende Mutmaßungen1096. Dies ist umso bedauerlicher, als teressante
1093
Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, Sachsen, S. 357.
S. 239; ähnlich
Donth, Vertriebene in Flüchtlinge in
etwa Mehlhase, Flüchtlinge und Vertriebene in Sachsen-Anhalt, der dadurch gerade im Falle Vgl. seiner Untersuchungsregion wissenswerte Erkenntnisse über Spielräume von Landespolitik völlig verschenkt. '°93 So die zusammenhanglos präsentierten Fakten bei Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S.357Í. 1096 Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 236, zieht einer empirischen Analyse die Behauptung vor, „die SED" habe jene „Lücke, die sie durch die Abschaffung der Sonderverwaltung gerissen 1094
hatte", nie mehr schließen können.
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zuweilen durchaus ein Bewußtsein dafür vorhanden war, daß die „einschneidende Zäsur" des Jahres 1948 gleichwohl „nicht das Ende der SED-Vertriebenenpolitik" bewirkt habe, da „im Vorfeld der Wahlen und Abstimmungen von 1949 bis 1951" die Vertriebenen erneut „ins Blickfeld von Besatzungsmacht und SED" gerückt seien1097. Diese Beobachtung verweist auf den quasi-plebiszitären Kontext der DDR-Umsiedlerpolitik nach 1949 und auf deren daraus folgende sozialpolitische Legitimationsfunktion; die entscheidenden Instanzen der „Besatzungsmacht" und der „SED", die diese neue Politikphase steuerten, bleiben darin gleichwohl schemenhafte Kollektivakteure. Überdies muß man dem Eindruck entgegentreten, als habe es unabweisbare Sachzwänge seien es die soziale Hilfsbedürftigkeit oder die wahlpolitisch relevante Unzufriedenheit der Vertriebenen gegeben, welche die „Belange dieser Bevölkerungsgruppe" gewissermaßen automatisch wieder „ins Blickfeld" der Verantwortlichen gerückt hätten1098. Sachzwänge existieren nicht, sondern werden konstruiert, indem man sie erkennt, definiert und politisch auf sie reagiert. Daher sind die soziale Zusammensetzung, der Wahrnehmungshorizont und das Interesse der politischen Akteure zumindest erheblich mit-entscheidend für den politischen Wandel in der DDR-Umsiedlerpolitik um 1950. Blickt man gezielt hinter die Fassaden der scheinbar monolithischen „Besatzungsmacht" und der „SED", erscheinen die Aufrechterhaltung und Wiederbelebung von Umsiedlerpolitik nicht zuletzt als Leistung eines fortbestehenden umsiedlerpolitischen Funktionärs-Netzwerkes, das seine Problemhorizonte erneut politikrelevant zu machen verstand. Dieses Netzwerk bestand im SED-Staat keineswegs nur aus Vertriebenen1099 und auch nicht nur aus Deutschen, blieb es doch (wie wir oben gesehen haben) ganz entscheidend auf sowjetische Partner angewiesen. Dieses insbesondere in den Innenministerien der DDR und der Länder1100 agierende Netzwerk soll im folgenden näher betrachtet werden. Wir haben bereits gesehen, wie 1950 die SED-Funktionäre einiger Länderabteilungen für Bevölkerungspolitik im Verbund mit Ansprechpartnern in der SKK aktiv auf die Wiederbelebung von Umsiedlerpolitik hinwirkten1101. Dieser Nachweis macht die als „typisch" präsentierte Beobachtung, „daß der eigentliche politische Abstimmungsprozeß" in der Frühphase der DDR „nur in einem sehr kleinen Personenkreis" aus höchsten SKK- und SED-Führern erfolgt sei1102, ebenso die 1948 wie einer seit fragwürdig Behauptung durchgängigen Tendenz zu „negativer Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR"1103. Derartige Deutungsmuster ver-
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1097 1098
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Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 261. Dieser Eindruck entsteht ebenda.
Daher erscheint es wenig überzeugend, die unzureichende Berücksichtigung von Vertriebeneninteressen nach 1948/49 „unter anderem" mit dem „ausgeprägten Repräsentationsdefizit der Vertriebenen in der allgemeinen Verwaltung und in der SED" zu erklären, wie Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 236, dies versuchte; weder waren die Befürworter von Vertriebenenpolitik nur Vertriebene noch war ihre angeblich geringe Repräsentation im Herrschaftsapparat ausschlaggebend für die Politikentwicklung, die vielmehr von antipluralistischen Strukturen abhing. i'00 Auch der Verfasser hat früher die Bedeutung der Funktionäre der Abteilungen für Bevölkerungspolitik insbesondere auf Länderebene für den Zeitraum ab 1950 unterschätzt; vgl. Schwanz, Apparate und Kurswechsel, S. 132 ff. noi Vgl. oben Kap. II. 1.5. "°2 Kaiser, Wechsel von sowjetischer Besatzungspolitik zu sowjetischer Kontrolle?, S. 231. 1103 Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 230. 1099
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kennen die Vielschichtigkeit sowjetisch-deutscher Kommunikation ebenso wie die daraus resultierenden Interessengegensätze und politischen Schwankungen, die auf dem Felde der Vertriebenenpolitik 1948 und 1950 zu einander widersprechenden Zäsuren führten. Ging es 1948 darum, eine besondere „Umsiedlerpolitik" möglichst umgehend abzuschaffen, wurde sie 1950 mit dem DDR-Umsiedlergesetz demonstrativ erneuert. Dieses DDR-Umsiedlergesetz erhielt im Herbst 1950 Durchführungsbestimmungen, mit denen das DDR-Innenministerium zur federführenden Kontrollinstanz der Gesetzesdurchführung wurde. Ausgerechnet jenes Polizei- und Verwaltungsressort, dessen Führung sich 1948/49 vehement um die Beseitigung besonderer Vertriebenenpolitik bemüht hatte, wurde somit zur Speerspitze der neuen DDR-Umsiedlerpolitik. Diesem bemerkenswerten Rollenwechsel des Innenressorts war eine personalpolitische Rochade vorausgegangen, bei der der profilierte Gegner der Umsiedlerpolitik, DVdl-Präsident Kurt Fischer, im Herbst 1949 durch den aufgeschlosseneren Hans Warnke als „starken Mann" innerhalb dieser Spitzenverwaltung abgelöst worden war. Der seit Anfang 1949 amtierende Leiter der Abteilung für Bevölkerungspolitik in der DVdl, der einstige ZVUFunktionär Kurt Büttner, hatte sich bis dahin zum bedenkenlosen Werkzeug Fischers gegen das umsiedlerpolitische Netzwerk gemacht, dessen Mitglied er zuvor selbst gewesen war; insofern bedeutete die Entmachtung Fischers und die plötzliche neuerliche umsiedlerpolitische Hochkonjunktur des Jahres 1950 eine beachtliche Herausforderung an Büttners Anpassungsfähigkeit. Die Pikanterie, diesen Funktionär binnen kurzem zwischen Befürwortung, Ablehnung und neuerlicher Befürwortung von Umsiedlerpolitik hin- und herpendeln zu sehen, mußten insbesondere jene Landesabteilungsleiter empfinden, die sich auch in der schwierigen Phase von 1949/50 couragiert für die Beibehaltung vertriebenenfordernder Maßnahmen eingesetzt hatten. Betrachtet man die mit dem westdeutschen Soforthilfegesetz durchaus vergleichbare Bedeutung des DDR-Umsiedlergesetzes, sollte man die der ZVU-Auflösung folgenden politischen Konflikte ab 1948 nicht „lediglich [als] Nachhutgefechte" abtun wollen1104. Auch daß solches Eintreten für umsiedlerpolitische Kontinuität „nur noch von einzelnen Funktionären" ausgegangen sei1105, verkürzt die Sachlage, denn jene Einzelpersonen, die sich weiterhin für Umsiedlerpolitik einsetzten, agierten immerhin an institutionellen Schaltstellen der Innenministerien und kooperierten nach wie vor als Netzwerk. Gerade der 1949/50 greifbare Dissens zwischen dem zentralen Innenressort und mehreren Länderinnenministerien in der Frage weiterer Umsiedler-Sozialpolitik demonstriert, daß man landespolitische Spielräume in der Gründungsphase der DDR keineswegs unterschätzen sollte. Die in Sachsen 1948/49 greifbaren Widerstände gegen eine zentralistisch verordnete Abschaffung der Umsiedlerpolitik hörten mit der bis Herbst 1950 hinausgezögerten Umwandlung der dortigen Mdl-Umsiedlerabteilung zur Abteilung Bevölkerungspolitik keineswegs auf und lassen daher nicht den Schluß zu, daß sich „die Zentralisierungs- und Assimilierungspolitik" der Zentrale zwar „verzögert", aber letztlich „durchgesetzt" il04 "05
So jedoch Bauerkämper, Ebenda.
Verwaltung und Gesellschaft, S. 242.
II. Die
390
Soziologie der Macht
habe1106. Im Gegenteil trugen landespolitische Widerstände, wie sie in Sachsen und Sachsen-Anhalt beobachtet werden können, durch Netzwerk-Rückkopplungen auf die zentrale Ebene erheblich dazu bei, die „negative Vertriebenenpolitik" der DDR ab 1950 für mehrere Jahre sozialpolitisch zu korrigieren. Auf zentraler Verwaltungsebene hatte Büttners bedenkenloser Opportunismus immerhin sichergestellt, daß dieser Funktionär zusammen mit wenigen anderen ZVU-Veteranen1107 die verschiedenen Revirements der Jahre 1949/50 unbeschadet überstand. Durch diese „List der Vernunft" wurde die Besetzung der Berliner Abteilung für Bevölkerungspolitik sogar zum letzten zeitweilig unfreiwilligen, nach 1950 jedoch wieder engagierten Spurenelement des umsiedlerpolitischen Netzwerks in der DDR-Bürokratie. Dabei vermochte die zentrale Abteilung in den endemischen Ressortkonflikten aller an der Durchführung des Umsiedlergesetzes beteiligten Instanzen zwischen 1950 und 1952/53 durchaus Erfolge bei Auslegung und Ausweitung gesetzlicher Sondermaßnahmen für Vertriebene zu erzielen. Was diese nachgeordnete Mdl-Abteilung im Unterschied zur früheren ZVU oder selbst der HAU jedoch nicht mehr zustande brachte, war die Entwicklung weiterführender Konzeptionen. Die Mdl-Abteilung Bevölkerungspolitik war und blieb gerade auf zentralstaatlicher Ebene eine subalterne Dienststelle, ein Operationszentrum, doch die Zusatzfunktion des Think-Tanks, wie sie der früheren gleichnamigen ZVU-Abteilung 1947/48 attestiert werden kann, ging ihr nahezu vollständig ab. Das war wiederum die Ursache dafür, daß die zentrale Berliner Abteilung nicht selten durch eigenständigeres Handeln ihr formal nachgeordneter Länderabteilungen vorexerziert bekam, was ein mutiges Austesten von Spielräumen auch unter den Bedingungen der stalinisierten frühen DDR administrativ noch zu bewegen vermochte. Insofern machten sich auf zentraler Verwaltungsebene die negativen Folgen der institutionellen Herabstufung von 1948/49 ebenso nachhaltig bemerkbar wie die übergroße Anpassungsbereitschaft der verbliebenen Netzwerk-Funktionäre. Auf regionaler Ebene war das teilweise anders, doch hier wirkte die Abschaffung der Landesregierungen Mitte 1952 eindeutig negativ, indem eingespielte Regionalnetzwerke zerschlagen oder zumindest erheblich gelockert wurden. Verschärfend kam hinzu, daß die wenigen „Bevölkerungspolitiker" der Innenressorts auf zentraler und regionaler Ebene in anderen politischen Institutionen besonders im zentralen SED-Parteiapparat kaum noch über gleichgesinnte Ansprechpartner verfügten. Bereits seit 1950 fehlte innerhalb der SED-Führung ein in Funktionärsnetzwerken stabilisierter Wille zu nachhaltiger Umsiedlerpolitik. Die SED-Spitze war anders als einst unter dem „Überzeugungstäter" Paul Merker in der Phase des DDR-Umsiedlergesetzes eher durch die Umstände und die Sowjets zur neuerlichen Umsiedlerpolitik getrieben worden. Der kurzfristige sozialpolitische Elan, der 1950/51 in der veröffentlichten Meinung der DDR zum Ausdruck gebracht wurde, verebbte daher bald wieder und konnte nur notdürftig verdecken, daß es dieser SED-Politik an Nachhaltigkeit fehlte. Das insofern trotz des Gesetzgebungserfolges von 1950 -
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zu
BAB, DO 2/50, Bl. 40ff., insb. Bl. 41 f., ZVU, Abt. BPuA, Haslinger, Bericht über „Entwicklung und Tätigkeit der Umsiedlerausschüsse im 1. Halbjahr 1947", 13. 8. 47. Ebenda, Bl. 489, ZVU an Bruno H, Uckermünde, 12. 8. 47. Ebenda, Bl. 477, ZVU, Abt. BPuA, Büttner, an Richard P., Eisenberg/Thür., 22. 7. 47. Ebenda, Bl. 478 ff., insb. Bl. 478, Richard P., Eisenberg/Thür., an ZVU, Redaktion „Neue Heimat", 8. 7. 47.
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SäHStA, LRS, Mdl 2374, MfAS Sachsen, HAU, Gödl, Bericht über sein Referat in 28. 7., 30. 7. 47.
Würzen
am
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
441
Diese Vorkommnisse verdeutlichen, daß ein Umsiedlerausschuß nur bedingt mit der Mehrheitsmeinung der vermeintlich durch ihn repräsentierten Vertriebenen konvergierte. Sofern ein Ausschuß SED-dominiert war und die offizielle „umsiedlerpolitische" Linie der Einheitspartei vertrat, erzeugte dies in der Regel heftigen Dissens in der Frage der Ostgrenzen und der damit zusammenhängenden Rückkehr- und Integrationswilligkeit. Waren Umsiedlerausschüsse von örtlichen Verwaltungen dominiert, drohten sie wiederum zu Interessenvertretern der einheimischen Bevölkerungsmehrheit zu werden, was zumindest in Sachsen auch seitens der SED gewollt schien117. Als der Wismarer Kreisumsiedlerausschuß auf seiner ersten Sitzung im Juni 1947 einstimmig eine Entschließung annahm, wonach der Kreis überfüllt und für weitere Vertriebene nicht mehr aufnahmefähig sei118, vertrat er ebenfalls primär die Interessen alteingesessener Wohnungsinhaber. Wo ein Umsiedlerausschuß hingegen tatsächlich den Willen der Vertriebenen zu re-
präsentieren suchte, wurden zwangsläufig Forderungen dieser Bevölkerungsgruppe zum Ausdruck gebracht, die der herrschenden Umsiedlerpolitik nicht immer gefallen konnten. So forderte eine „Resulution" des Umsiedlerausschusses im sächsischen Großröhrsdorf Mitte 1947 „mit allem Nachdruck einen allgemeinen Lastenausgleich", der durch Eingriffe in den Besitz derer erfolgen sollte, „die durch den Krieg wenig oder gar nichts verloren" hätten bzw. „sogar bedeutend reicher aus dem Kriege hervorgegangen" seien. Dieser Umsiedlerausschuß verstand solche Umverteilung nicht nur als Gebot ,,soziale[r] Gerechtigkeit" und der „Menschenrechte", sondern auch als Akt politischer Klugheit, um die „verzweifelten" Vertriebenen „nicht eines Tages eine revolutionäre Masse werden" zu lassen, die „jedes ordentliche Staatsgefüge ins Wanken bringen" könnte119. Umsiedlerausschüsse waren als institutionalisierte Interessenvertretung im lokalen Machtgefüge bedeutungsvoll, erhofften sich doch Vertriebene von solchen Gremien eine Verbesserung ihrer nur zu oft durch hoffnungslose Benachteiligung gekennzeichneten Alltagssituation. Mehr soziale Gerechtigkeit vor Ort zu erreichen, bedeutete für Mitglieder von Ortsumsiedlerausschüssen, sich für einen ihrem Bevölkerungsanteil entsprechenden Anteil der Vertriebenen an den örtlichen Handels- und Gewerbebetrieben einzusetzen, statt sie mit dem „Einwand, es seien genügend Betriebe vorhanden", als unerwünschte Konkurrenten vom Markt fernzuhalten, während einheimischen Bürgern durchaus neue Gewerbegenehmigungen erteilt wurden. Desgleichen wurde eine verbindliche Zuteilungsquote für Vertriebene an der lokalen Möbelproduktion gefordert, die bislang unter den Augen der Bedürftigen auf dem Schwarzmarkt verschwand: 117
Die sächsische SED suchte anders als einige CDU-Ortsgruppen die Mehrheitsverhältnisse in den Ausschüssen zugunsten der Einheimischen zu beeinflussen; vgl. Donth, Vertriebene und -
"8
119
-
Flüchtlinge in Sachsen, S. 280. Zugleich wurde gefordert, daß Kirchen oder Behörden keine Sonderrechte in der Wohnraumlenkung mehr genießen sollten; vgl. MLHA, MfSoz 31b, RdK Wismar, Prot. der Sitzg. des Kreisum-
siedlerausschusses am 18. 6. 47. SäHStA, LRS, Mdl 2281, „Resulution" des Umsiedlerausschusses Großröhrsdorf O./L., Stempel: 27. 6.47; diese Resolution leitete der Kamenzer Kreistag Ende 1947 an die sächsische Landesregierung weiter, welche erst im April 1948 reagierte; vgl. ebenda, MfAS Sachsen, HAU, Fabisch, an Kreistag Kamenz, Sozialausschuß, 16. 4. 48.
II. Die
442
Soziologie der Macht
„Das [sie!] dies Mißstände sind, bestreitet niemand. Auch der
Altbürger nicht. Allerdings lange, als es bei der Feststellung der Tatsachen bleibt. Soll aber zur Abstellung [...] geschritten werden, dann ändert sich die Ansicht grundlegend. [...] Und doch müssen wir Umsiedler darauf bestehen, daß hier Wandel geschaffen wird. Unsere Vertretungen müssen immer und immer wieder dahinterhaken [sie!], immer und immer wieder die entsprechenden Stellen darauf aufmerksam machen und Abhilfe verlangen. [...] Solange dera[r]tige Zustände nur so
nicht ausgemerzt werden, wird und Neubürgern geben."120
es
auch nie ein wirkliches Zusammenfinden zwischen Alt-
Diese Vertriebenenförderung nach
größerer Verteilungsgerechtigkeit durch instiInteressenvertretung in der Kommunalpolitik traf den Kern der ZVU-Ausschußpolitik. Erfreut stellte die ZVU im Sommer 1947 fest, der „Löwenanteil" der lokalen Ausschußarbeit bestehe unterdessen in der Sicherstellung der Versorgung mit lebensnotwendigen Sachgütern wie Hausrat, Kleidung und Mobiliar. Daneben erprobe man „neue Methoden" der Wohnraumumverteilung, etwa einen wechselseitigen Einsatz lokaler Wohnungsausschüsse und Prüfungskommissionen in ihnen jeweils ortsfremden Gemeinden, was durch den Abbau sozialer Rücksichten zu effektiverer Wohnraum-Umverteilung beigetragen haben dürfte. In Thüringen und Sachsen-Anhalt beteiligten sich Ortsausschüsse auch an der landesgesetzlich geregelten Verteilung von Gartenland. „Schwächer" blieb hingegen die Mitwirkung der Ausschüsse an der Arbeitsmarktlenkung, die wie die ZVU monierte allzu „oft aus Bequemlichkeit den Arbeitsämtern überlassen" bleibe. Die Überforderung vieler Ausschüsse mit den bisher genannten Aufgaben allzu leicht übergehend, rügte die ZVU auch noch, daß sich die Ausschüsse an der Ansetzung von Umsiedler-Neubauern auf Bodenreformland kaum beteiligt hätten121. Doch wer so viel auf einmal forderte, drohte Verzettelung, Überforderung und Resignation zu bewirken. Nach kritischer Einschätzung der Sonderverwaltutionalisierte
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tung leistete immerhin „etwa die Hälfte aller Ausschüsse" im Sommer 1947 „Arbeit weit über das Verwaltungsmäßige hinaus, weil diese Arbeit auf System und eigenem Impuls beruht". Zugleich aber schien „der andere Teil [...] aus der Atmosphäre der Improvisation noch nicht herausgekommen" zu sein. Zentraler Kritikpunkt der ZVU war, daß die Ausschüsse ihrer integrationspolitischen Funktion einer forcierten Verschmelzung von Alteingesessenen und Vertriebenen nur unzureichend gerecht geworden seien. Kaum einem Ausschuß sei es gelungen, „als Bindeglied" zwischen beiden Bevölkerungsgruppen zu fungieren und sich damit allmählich selbst überflüssig zu machen. Mancherorts sei durch die Ausschussarbeit sogar eine Verschlechterung im Verhältnis beider Bevölkerungsteile zu verzeichnen, „im allgemeinen herrscht ein stagnierender Zustand vor". ZVU-Refeanders als die SED-Führent Haslinger forderte angesichts solcher Diagnosen rung ein knappes Jahr später freilich nicht die Auflösung der Ausschüsse, um diese Situation zu ändern, sondern eine weitere Intensivierung ihrer Arbeit: -
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„Die Sehnsucht der Umsiedler nach der alten Heimat hat ihren Nährboden in Elend und
Verlassenheit, das eine verschwindet mit dem andern. Zehntausende .Umsiedlerausschüsse' sind eine Masse von 50000 Funktionären. Werden diese vom '2o
i2'
eigenen Pflichtbewußtsein be-
BAB, DO 2/50, Bl. 478 ff., insb. Bl. 478 f., Richard R, Eisenberg/Thür., an ZVU, Red. „Neue Heimat", 8. 7. 47. Ebenda, Bl. 40ff., insb. Bl. 48ff., ZVU, Abt. BPuA, Haslinger, Bericht v. 13. 8. 47.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
443
seek, in Bewegung gesetzt, wird von Stunde zu Stunde der Druck von den Gemütern wei-
chen. Die Menschen in den Tälern des Erzgebirges bis zu den nördlichen Gestaden Rügens, vom Harz bis an die Oder werden Zeugen einer einmaligen sozialen Tat des deutschen Volkes sein."122
Angesichts solcher zentraler Machtphantasien über Massen von Funktionären ist die Implementationsstrategie mancher Landesregierung aufschlußreich, um die Kommunen von der Einrichtung lokaler Umsiedlerausschüsse zu überzeugen. Die Leiterin der sächsischen Umsiedlerabteilung, Fabisch, drohte Mitte 1947 mit Gesetzentwürfen zur zwangsweisen Umverteilung von Sachgütern, die zu „sehr tiefeinschneidenden [sie!] Eingriffen auf [sie!] das Privateigentum des Einzelnen" führen könnten. Zu deren Vermeidung könne freilich auch der Weg intensivierter freiwilliger Umverteilung beschritten werden, wozu dann aber auch gehöre, „die Bildung der Umsiedler-Ausschüsse bis in die kleinste Gemeinde durchzuführen"
und bereits bestehende Ausschüsse „neu zu beleben und auf eine breitere Basis als bisher zu bringen". Die sächsische Umsiedlerabteilung forderte von den Kreisverwaltungen, neben den üblichen Verwaltungs- und Parteienvertretern auch Vertreter der Vertriebenen selbst aufzunehmen, die in Einwohnerversammlungen demokratisch gewählt werden sollten, wobei Vertriebene nicht paritätisch, sondern nur entsprechend ihrem jeweiligen Bevölkerungsanteil vertreten sein müßten. Ferner sollten die Ausschüsse nicht nach Belieben des Bürgermeisters zusammentreten, sondern mindestens einmal pro Monat tagen und regelmäßige öffentliche Sprechstunden abhalten. Ihre Aufgaben sollten sich auf nahezu alle Bereiche erstrecken123. Zumindest in Mecklenburg verfingen ähnliche Überredungsversuche offenbar nicht. Als es der ZVU im August 1947 endlich gelang, gegen den hinhaltenden Widerstand der mecklenburgischen Landespolitik die Bildung eines Landesumsiedlerausschusses zu bewirken, hatte „ein großer Teil der Orts-Ausschüsse" seine Arbeit schon wieder eingestellt, und deren Wiederbelebung stieß in einigen Gemeinden auf derartige „Schwierigkeiten", daß allen Ernstes „die Einschaltung der SMA" erforderlich wurde124. Nicht zufällig hatte auf der Gründungssitzung des mecklenburgischen Landesumsiedlerausschusses die Vertreterin des SED-Landesvorstands, Frieda Wollermann, die angebliche vertriebenenpolitische Passivität der bürgerlichen Blockparteien mit dem Argument kritisiert, es dürfe nicht einer einzigen Partei überlassen bleiben, „diese ganzen Probleme auf ihre Schultern zu nehmen"125. Solche Äußerungen demonstrierten, wie sehr die SED im schwierigen gesellschaftspolitischen Balanceakt des Vertriebenenproblems Entlastung brauchte, denn populär konnte i22
123
124
>23
Ebenda, Bl. 47f. und Bl. 50f.
Dazu zählten Mithilfe bei Wohnraum-Erfassung, Kontrolle des Wohnraums der Umsiedler und der Miethöhe, Mithilfe bei Arbeitsbeschaffungen für Umsiedler, „Überwachung" der bereitgestellten Kontingente an Gebrauchsgütern und Textilien, Einrichtung von Reparaturwerkstätten gemeinsam mit der VS, „Erschließung neuer Erwerbszweige" gemeinsam mit der jeweiligen HWK oder IHK, „aktives Einschalten" bei Wohnungsneubau und bei Verteilung von Brachland, Darlehensüberprüfungen, die „kulturelle Betreuung der Umsiedler, die das Einleben in die neue Wohngemeinde erleichtert und fördert", und schließlich die Beschwerdenbearbeitung; vgl. SäHStA, LRS, MfA 24, Bl. 5, MfAS Sachsen, HAU, Fabisch, Rdschr. v. 25. 6. 47. MLHA, Mdl 147, MfSoz Mecklenburg, HAU, Protokoll der Gründungskonferenz des LUAu am 6.8., 7. 8. 47, S. 2-5.
Ebenda, S. 6ff.
444
II. Die
Soziologie der Macht
mit Vertriebenenpolitik in der Mangelgesellschaft zweifellos nicht werden. Aus diesem Grunde war die SED-Kritik an der angeblichen Zurückhaltung der bürgerlichen Parteien auch kein mecklenburgischer Sonderfall. Bereits im Februar 1947 hatte bekanntlich ZVU-Präsident Engel intern gefordert, die SED von der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Alleinzuständigkeit für die Umsiedlerpolitik zu entlasten; es sei „richtiger", das schwierige Problem der Vertriebenenintegration „nicht allein auf den Schultern der SED beruhen zu lassen, sondern zu versuchen, alle Parteien der Zone an der Durchführung" dieser ,,unpopuläre[n] und undankbare[n] Aufgabe" zu „beteiligen"126. Diese Forderung hatte sich wenig später Paul Merker in einer offiziösen SED-Broschüre hinsichtlich der Umsiedlerausschüsse zu eigen gemacht: „Es darf nie vergessen werden, daß die Lösung des Umsiedlerproblems die Aufgabe aller demokratischen Parteien und Organisationen ist und daß sie alle dafür die Verantwortung gemeinsam zu tragen haben." Insbesondere auf kommunaler Ebene solle die Umsiedlerbetreuung als gemeinsame „Blockpolitik" erfolgen, „damit alle Maßnahmen gemeinsam beschlossen und ihre Durchführung gemeinsam in Angriff genommen werden" könnten127. In dieser Mitte 1947 erschienenen und offiziell vom SED-Zentralsekretariat herausgegebenen Schrift über „die nächsten Schritte zur Lösung des Umsiedlerproblems" hatte Merker die große Bedeutung der Umsiedlerausschüsse für die neue Integrationspolitik von SED und ZVU noch einmal unterstrichen. Von der Kommunal- bis zur Zonenebene sollten Umsiedlerausschüsse entstehen, die über die Umsiedlerund Sozialbürokratien hinaus grundsätzlich alle für Wirtschaftsfragen zuständigen Behörden oder Ministerien, sämtliche Parteien, die wirtschaftlich relevanten Massenorganisationen FDGB und VdgB, die Frauen- und Jugendausschüsse sowie (zumindest auf Kommunal- und Landesebene) auch Vertreter „der Umsiedler selbst" einbeziehen sollten. Diese Vertriebenenvertreter sollten in den Ausschüssen „die Möglichkeit" erhalten, „energisch für ihre Interessen einzutreten", womit „zugleich den Bestrebungen, besondere Umsiedlerorganisationen zu schaffen, die Grundlage genommen" werde. Derartige Sonderorganisationen ächtete die SED-Politik als Integrationshindernis: „Besondere Umsiedlerorganisationen können den Umsiedlern nur wenig helfen, aber sie vertiefen die Kluft zwischen Alteingesessenen und Umsiedlern und verewigen die Spaltung der Bevölkerung in zwei Lager."128 Durch Teilnahme an diversen Kreis-Umsiedlerkonferenzen in Mecklenburg konnten Vertreter der ZVU im Oktober 1947 überprüfen, inwiefern Vertriebenen eine energische Interessenvertretung kommunalpolitisch tatsächlich gestattet worden war. Beim Schweriner Landesumsiedlerausschuß gewannen die Berliner Bürokraten den ungünstigen Eindruck, „daß es dort etwas .drunter und drüber' ging", denn die Kreiskonferenzen seien schlecht vorbereitet worden, Vorbesprechungen habe es nicht gegeben129. Auf der Kreiskonferenz in Rostock entging den ZVU-Vertretern nicht die große Enttäuschung der versammelten Bürgermeister man
i» 127 '28 '29
BAB, DO 2/4, Bl. 40^16, insb. Bl. 43 f., ZVU, Engel, Memorandum [an SED], 18. 2. 47. Merker, Die nächsten Schritte zur Lösung des Umsiedlerproblems, S. 22.
Ebenda, S. 21 f.
BAB, DO 2/34, Bl. 51 ff., insb. Bl. 62, ZVU, Gutjahr, Bericht über Dienstreise in Mecklenburg am 6.-12.10.47, o.D.
3.
und
Eigensinn und Selbstorganisation
445
Ausschußmitglieder darüber, daß die Führung des Kreisumsiedlerausschusnicht einmal für nötig befunden hatte, persönlich anwesend zu sein:
ses es
„Vom Ausschuß selbst beteiligten sich an der Diskussion nur die Vertreter des Umsiedlerund Wohnungsamtes, die sich hauptsächlich auf die Verteidigung ihrer von den Konferenzteilnehmern kritisierten Amtsgeschäfte beschränkten. Es war notwendig, gegen einen derart passiven Ausschuß starke kritische Worte zu finden, die sich an die leider abwesenden Parteivertreter und den FDGB richteten."
lediglich ein Vertreter der CDU anwesend war, kamen die ZVU-Funktionäre nicht umhin, auch die SED zu rügen. Um eine neuerliche Konferenz vorzubereiten, machten sie die Programmpunkte der ZVU-„Bevölkerungspolitik" zur Grundlage einer Entschließung, mußten daraufhin allerdings feststellen, daß diese lediglich von den Kommunalvertretern akzeptiert wurde, „jedoch nicht vom Umsiedlerausschuß [des Kreises], der sich in seiner Zusammensetzung nicht für kompetent genug dafür hielt". Der ZVU blieb schließlich nur, von der mecklenburgischen Hauptabteilung Umsiedler eine bessere Koordination zu verlangen, damit „die Umsiedlerausschüsse in Mecklenburg, die alle an der gleichen Direktionslosigkeit leiden, sich zu wirklich arbeitsfähigen Körperschaften entwickeln"130. Die zentrale Steuerung der lokalpolitischen Ebene blieb ein permanentes Problem der Ausschußpolitik. Teilweise wurden deren Ziele sogar von örtlichen Umsiedlerausschüssen offen konterkariert. So stellte die SMAD im Herbst 1947 fest, daß in Sachsen trotz gegenteiliger sowjetischer Weisung immer noch Sammellager für vertriebene Neuankömmlinge existierten. Als sowjetische Offiziere die unverzügliche Schließung dieser Lager anordneten, mußten sie feststellen, daß sich ausgerechnet die Umsiedlerausschüsse „mit allen Kräften" darum bemühten, „die Lager beizubehalten", um auf diese Weise die aufreibende und konfliktreiche „Arbeit der Unterbringung der Umsiedler los [zu] werden"131. Auch eine im Oktober 1947 veranstaltete Tagung des sächsischen Landesumsiedlerausschusses und des für Vertriebenenfragen zuständigen Landtagsausschusses veranschaulichte die Kräfte kommunaler Beharrung. Von Regierungsseite wurde gefordert, daß „zu den Umsiedlerausschüssen der Kreise und Gemeinden [...] unbedingt die Umsiedler mit hinzugezogen werden" müßten, was offensichtlich bisher nicht durchweg geschehen war. In der idealistischen Sicht des Umsiedler-Sachbearbeiters im SED-Landesvorstand sollten die Vertriebenenvertreter in den Ausschüssen geradezu „die ,Hechte im Karpfenteich' sein" und die Ausschüsse „immer wieder mit der Nase dorthin stoßen, wo es am brennendsten ist"; vertriebene Mitglieder sähen sehr viel „klarer als wir selbst, weil sie eben diese Hemmungen und Rücksicht gegenüber der alteingesessenen Bevölkerung nicht haben"132. Damit war das zentrale Problem der meist einseitigen sozialen Vernetzung der kommunalen Instanzen von Parteien und Verwaltungen angesprochen, das sich massiv zuungunsten Da
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Ebenda, Bl. 88 f., ZVU, Abt. BPuA, Chwalczyk, Bericht über die Kreis-Umsiedlerkonferenz Rostock, 3. 11.47. BAB, DO 2/59, Bl. 361, Übersetzung: SMAD, Abt. Umsiedler, Oberst Jewsejew, an ZVU, Engel, 30. 10.47. BAB, DO
2/35, Bl. 136-152, insb. Bl. 146, Protokoll der Arbeitstagung des Landesumsiedlerausschusses Sachsen, des Sächsischen Landtagsausschusses für Arbeit und Sozialfürsorge sowie Ader Vertreter der Stadt- und Landkreise sowie Kreisumsiedlerausschüsse" am 23.10., 24. 10. 47.
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II. Die
Soziologie der Macht
der Vertriebenen auswirkte. Mit Blick auf überörtliche Wohnraum-Kontrollen stellte ein Vertreter aus Großenhain die entscheidende Frage: „Wie sollen die Umsiedler-Ausschüsse aktiv tätig sein, wenn von 99% der Behörden-Vertreter uns die größten Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden?" Ein Ausschußmitglied aus Riesa forderte amtliche Vollmachten für die Umsiedlerausschüsse, doch zu deren Unterstützung setzte die sächsische Regierung lediglich auf eine stärkere Einbindung der Gemeindebürgermeister: „Es darf nie wieder vorkommen" und war offenbar häufig vorgekommen -, „daß Umsiedler zur Regierung kommen und Beschwerde darüber führen, daß gerade der Bürgermeister der Gemeinde es ist, der mit aller Gewalt zu verhindern versucht, den Ausschuß funktionieren zu lassen, in der Befürchtung, daß eine zu große Aktivität der Umsiedler auf Kosten seiner Beliebtheit bei der Kernbevölkerung geht". Statt dessen appellierte die Leiterin der sächsischen Umsiedler-Hauptabteilung: „Jeder Landrat und Bürgermeister muß es sich zur Ehre anrechnen, bei Wahrung der Rechte für die Umsiedler bei unvernünftigen Teilen der Kernbevölkerung unpopulär zu werden." An die wirksame Umsetzung eines solchen Ehrenkodexes mochte man in Dresden freilich selbst nicht glauben und setzte daher zusätzlich auf öffentlichen Handlungsdruck durch die Umsiedlerausschüsse, die künftig ihre Lösungsvorschläge als Anträge an die Kreis- bzw. Gemeinderäte herantragen sollten: „Es gibt dann kaum eine Möglichkeit für uneinsichtige Bürgermeister oder nur theoretisch an der Lösung des .Umsiedler'-Problems interessierte Landräte, sich den Forderungen des Gesamtausschusses entgegenzustellen." Daß diese Pläne keineswegs unumstritten waren, verdeutlicht die beschwichtigende Bemerkung der Regierungsvertreterin Fabisch, man brauche „kaum zu fürchten, daß Forderungen dieser Ausschüsse über das Maß des Möglichen hinausgehen, denn durch die Tatsache, daß in den Umsiedlerausschüssen' ja alle Ressorts, Vertreter der Behörden und sonstigen Organisationen vertreten sind, wird immer von entscheidend fachkundiger Seite der Vorschlag des Möglichen gegeben werden können"133. Die Furcht vor Radikalisierung der Vertriebenen war nicht nur unter Umsiedlerpolitikern der SBZ, sondern offenbar auch unter der einheimischen Mehrheitsbevölkerung nicht gering. Solche Abwiegelungsversuche zielten auf Vertriebenenforderungen, wie sie Johanna Gutmann, der mecklenburgischen Amtskollegin der Sächsin Fabisch, auf sämtlichen Umsiedler-Kreiskonferenzen ihres Landes 1947 zu schaffen machten. Dort wurde übereinstimmend die „Schaffung eines Gesetzes zur Erfassung des überflüssigen Hausrates", die Bereitstellung von Baumaterial für Wohnungsneubauten sowie die Schaffung eines Gesetzes über Zwangs-Umquartierungen zur Freimachung von Wohnraum für Vertriebene gefordert. Erbittert monierten Vertriebenenvertreter, daß insbesondere Inhaber geräumiger Dienstwohnungen von „Pfarr-, Schul- und Forstverwaltungen" kategorisch die Aufnahme von Vertriebenen verweigerten134. Umsiedlerausschüsse waren offenbar in heftige Konflikte mit solchen Repräsentanten der ländlichen Honoratiorenschicht geraten. Im bei Schwerin gelegenen Dorfe Pampow hatte der Pfarrer, nachdem in seiner Woh-
Ebenda, Bl. 153-169, insb. Bl. 161 ff., MfAS Sachsen, HAU, Fabisch, Referat vor der erweiterten des Landesumsiedlerausschusses Sachsen, o.D. [Oktober 1947]. Sitzung 134 BAB, DO 2/34, Bl. 121 ff., insb. Bl. 125, MfSoz Mecklenburg, HAU, Gutmann, Bericht über 133
Kreiskonferenzen an ZVU, 26. 11. 47.
3.
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nung eine Vertriebenenfamilie zwangseinquartiert worden war, den dafür verantwortlichen Umsiedlerausschuß nicht nur wegen Hausfriedensbruchs verklagt, sondern dessen Mitgliedern auch demonstrativ das Betreten des Gotteshauses verboten, was einer Exkommunikation gleichkam135. In solchen Verteilungskonflikten, die leicht zu prestigegeladenen Machtkämpfen eskalierten, bedurften Umsiedlerausschüsse dringend behördlichen Rückhalts auf höherer Ebene. Die Kreiskonferenzen des Herbstes 1947 hatten in Mecklenburg offenbar nur eine kurzfristige Aktivierung bewirkt, was auch damit zusammenhing, daß die Landespolitik selbst über den vertriebenenpolitischen Kurs uneins war. Während die zuständige Regierungsfunktionärin Gutmann (SED) Verständnis für umverteilungspolitische Forderungen der Vertriebenenbasis bekundete, stand Frieda Wollermann als Vertreterin des SED-Landesvorstands solchen Postulaten sehr viel distanzierter gegenüber und plädierte dafür, „die Bevölkerung einmal zur Ruhe kommen" zu lassen, statt mit Umverteilungsgesetzen „nur mehr Unruhe als Zufriedenheit" zu schaffen. Diese Haltung nutzte zwangsläufig den besitzenden Schichten der einheimischen Landbevölkerung136. In seiner Jahresbilanz für 1947 erklärte der sächsische Landesumsiedlerausschuß zurückhaltend, eine Bewertung der Arbeit der Umsiedlerausschüsse sei „nach so kurzer Anlaufzeit keineswegs" möglich, um in der Folge ausschließlich positive Beispiele anzuführen mit der bemerkenswerten Begründung, daß ihm über negative Fälle „nicht berichtet" worden sei137. Dieses Verfahren hob sich, obschon fragwürdig genug, immer noch erfreulich ab von der gleichzeitigen Erfolgsberichterstattung des thüringischen Neubürgeramtes, das 1947 eine „entscheidende Verbesserung in der Arbeit" der Neubürger-Kommissionen aller Ebenen beobachten wollte138, obwohl sich nach eigenem Bekunden „die Tätigkeit der Landeskommission für Neubürger [...] bis Oktober" (als die SMATh wieder einmal massiv interveniert hatte) „auf eine sporadische Mitarbeit" beschränkt hatte und lediglich bei „zwei großen Tagungen" sichtbar geworden war. Erst im Herbst 1947 war die Bildung einer „engeren Arbeitskommission" auf Landesebene erfolgt, deren Mitglieder je zwei Kreise „zur persönlichen Betreuung zugewiesen" erhielten. Die Kreiskommissionen glaubte man durch die Anweisung aktiviert zu haben, daß überall die Landräte persönlich den Vorsitz führen müßten. Die Arbeit der Ortskommissionen, deren Vorsitz die Bürgermeister innehatten, erschien dem Landesamt als „zufriedenstellend", denn die Neubürger hätten unterdessen das „Gefühl, daß diese Organe ihre Interessenvertretung sind". Bei Besuchen örtlicher Neubürgerversammlungen habe man festgestellt, daß „von Seiten der Umsiedler lebhaft diskutiert" worden sei, was den Regierungsvertretern den Eindruck vermittelte, „daß der Verschmelzungsprozeß zwischen Umsiedler[n] und einheimischer Bevölkerung bereits in ein fortgeschrittenes Stadium getreten" sei, -
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Die Landesregierung gab den Ausschüssen durch die Anweisung Rückendeckung, Pfarrern lediglich ein freies Arbeitszimmer zuzugestehen, sie ansonsten aber nicht zu bevorzugen; vgl. MLHA, MfSoz 31a, Bl. 114-118, insb. Bl. 115f., MfSoz Mecklenburg, HAU, Hawlitschek, Gesamtbericht über die Kreiskonferenzen in Mecklenburg, 27.11. 47. MLHA, MfSoz 31a, Bl. 133-141, insb. Bl. 133ff. und Bl. 140, MfSoz Mecklenburg, HAU, Gutmann, Protokoll der Sitzung des LUAu am 24. 11. 47. BAB, DO 2/23, Bl. 138f., Landesumsiedlerausschuß Sachsenjahresbericht für 1947, 9.1. 48. BAB, DO 2/26, Bl. 1 ff., insb. Bl. 4, Mdl Thüringen, AfN, Jahresbericht für 1947, o.D.
II. Die
448
Soziologie der Macht
(wie in Mecklenburg) durchaus auch das Gegenteil aus interessenDebatten hätte ableiten können. Der thüringische Bericht jedoch bepolitischen abschließend, „der weitaus größte Teil" der Vertriebenen habe sich behauptete reits „mit der Umsiedlung abgefunden", und „nur ältere Leute können sich schwer in die neue Lage finden". Diese gewollt optimistische Bewertung rieb sich mit der Warnung vor ,,faschistische[n] Strömungen". Demnach waren „irreführende Schreiben unter den Umsiedlern verbreitet" und mancherorts Unterschriftensammlungen an den Kontrollrat (zwecks Rückwanderung in die alte Heimat) zu beobachten. Zumindest bei der Unterdrückung solcher Selbstorganisationsbestrebungen erfüllten einige Umsiedlerausschüsse die in sie gesetzten Erwartungen der SED-Führung, denn „durch die Wachsamkeit der Ortskommissionen und der antifaschistischen Parteien konnten diese Bestrebungen aufgedeckt und beseitigt werden"139. Bis zum Winter 1947/48 war es der ZVU mit Hilfe der SED-Umsiedlerpolitiker gelungen, ein wenn auch nicht flächendeckendes, so doch weiter denn je gespanntes Netz von Umsiedlerausschüssen in der SBZ zu installieren. Diese Ausschüsse, die den alltäglichen Kontakt zur Vertriebenenklientel garantierten, bildeten das eigentliche lokale Fundament der Umsiedlerverwaltung, deren bürokratischer Arm von der Zentralverwaltung nur bis zu den Kreisverwaltungen reichte, aber vor den Toren der Gemeinden endete. Daher hing es in der Tat „weitgehend" von Existenz und Funktionstüchtigkeit der lokalen Umsiedlerausschüsse ab, „inwieweit integrative Ansätze der Vertriebenenpolitik umgesetzt wurden" oder „auf dem Weg in die Provinz versandeten"140. Freilich waren, wie in Sachsen, „Zusammensetzung und Tätigkeit der Ausschüsse" ebenfalls „meist von lokalen Machtkonstellationen abhängig"141. Trotzdem glaubten sich die höheren Ebenen der Umsiedlerbürokratie, wie etwa in Brandenburg, „durch unsere Organisation, die durch die verhältnismäßig aktiv arbeitenden Umsiedlerausschüsse bis in die kleinste Gemeinde reicht", effektiv „in der Lage, Anregungen, Pläne und Hinweise aller Art in alle Gemeinden zu tragen"142. Durch den Apparat der Ortsausschüsse erhöhte sich zweifellos die Steuerungswirkung der zentralen und regionalen Umsiedlerbehörden, die nunmehr parallel zu den regulären Verwaltungsberichten und deren interessengeleiteter Perspektive nun auch ungefilterte (oder besser: anders gefilterte) kommunikative Rückmeldungen aus der Vertriebenenbasis erhalten konnten. Diese duale Informationsstruktur war unerläßlich für realitätsnähere politische Arbeit. Daneben boten die von behördlicher Seite protegierten Ausschüsse Vertriebenen potentiellen Rückhalt gegenüber Alteingesessenen und den meist von letzteren beherrschten Kommunalverwaltungen. obschon
man
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139
Ebenda, Bl. 130ff.; in ähnlicher Weise monierten Mitte 1948 bei der brandenburgischen Regierung
zwei Vertreter eines Ortsumsiedlerausschusses, daß die Umsiedlerstelle Bautzen Fragebögen verteile, in denen zur „Vorbereitung für einen kommenden Lastenausgleich" zur Auflistung von Vermögensverlusten aufgefordert würde; vgl. BAB, DO 2/83, Bl. 264, Ministerium für Arbeit und Sozialwesen Brandenburg, Abt. UuH, Friedrichs, an ZVU, Vogt, 14. 6. 48. 140 Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 150 f. 141 Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 280. 142
BAB, DO 2/59, Bl. 76, Ministerium für Arbeit und Sozialwesen Brandenburg, Abt. UuH, ZVU, 12.1.48.
an
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
449
Allerdings hing die Umsetzung von Vertriebenenpolitik in einzelnen Gemeinden nicht einfach davon ab, „inwieweit die jeweiligen Umsiedlerausschüsse aktiv waren"143. Entscheidend war vielmehr, ob es gelang, vor Ort ein politisches Bündnis zwischen Umsiedlerausschuß und kommunalem Verwaltungschef zu schmieden. Die am Beispiel Hessens gewonnene Erkenntnis, „wie nutzlos ein solcher Flüchtlingsausschuß bleiben mußte, wenn ihm die nötige Rückendeckung vom Landrat verwehrt wurde bzw. wenn seine Einsetzung nur den gesetzlichen Bestimmungen Genüge tat", ist auf die SBZ übertragbar. Selbst in derart günstigen Konstellationen blieb, wie wiederum für Hessen festgestellt worden ist, die Tätigkeit eines Flüchtlingsausschusses „interventionistisch", also auf die Klärung von Einzelfällen beschränkt, „ohne durchschlagende Eingliederungserfolge zu verzeichnen"144. Ein typisches Beispiel für die analoge Situation in der SBZ bietet der Umsiedlerausschuß der sächsischen Gemeinde Leisnig, dessen Tätigkeit sich „auf die sofortige Hilfeleistung bei ankommenden Umsiedlertransporten und die weitere Betreuung bis zur Privateinquartierung derselben" konzentrierte, obschon er sich bemühte, die Vertriebenen auch „darüber hinaus" im Blick zu behalten. Da die Leiterin des kommunalen Wohnungsamtes (LDP) zugleich stellvertretende Ausschußvorsitzende war, war eine enge Kooperation zwischen Gemeindeverwaltung und Umsiedlerausschuß in der Frage der Wohnungseinquartierung sichergestellt. Andererseits domestizierte eine solche Personalunion die Ausschußtätigkeit auf das aus behördlicher Sicht Machbare und verengte Umsiedlerpolitik auf die Arbeitsperspektive des Wohnungsamtes. Folglich war in Leisnig „mit der Einweisung in Privatquartiere [...] die Hauptarbeit des Umsiedlerausschusses beendet", eine „weitere Betreuung" erfolgte nur „von Fall zu Fall" und betraf oft nur die Schlichtung von Mietstreitigkeiten145. Das war kein Einzelfall. Auch die Arbeit der brandenburgischen Umsiedlerausschüsse erschöpfte sich wesentlich in punktuellen Maßnahmen, seien es Spendensammlungen, seien es Wohnraum- oder Arbeitsplatzzuweisungen146. In Mecklenburg fungierten Umsiedlerausschüsse vor allem als Beschwerde- und Petitionsstellen: So wandte sich die Leiterin des Umsiedlerausschusses Marihn Ende 1948 in einem regelrechten „Hilferuf" an das mecklenburgische Sozialministerium, um die als willkürlich empfundene Wegnahme eines bislang einer Vertriebenen zur Nutzung überlassenen Kleiderschrankes überprüfen zu lassen. Von dessen amtlichen Abholern war diese Ausschußvorsitzende „mit einem groben Ton aus der Stube gewiesen" worden, und „da der Bürgermeister (der kein Umsiedler ist) sich nicht für uns einsetzt", fragte die macht-, aber nicht mutlose örtliche Vertriebenenfunktionärin nun in der Landeshauptstadt nach, „wo der Schutz der Neubürger liegt"147. Daß die auf Brandenburg bezogene Einschätzung zutrifft, selbst die „weniger aktiven Umsiedlerausschüsse" hätten durch ihre Existenz „zumindest" bewirkt, „daß die Vertriebenenproblematik auf der politischen Tagesordnung stand, in der 143 144
i« 146 '47
Vgl. diese Sicht bei Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 233.
Zum Westen: Messerschmidt, Aufnahme und Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge in Hessen, S. 174 f. ADL, LDPD/17627, Käte Seh., LDP-Ortsgruppe Leisnig, an LDPD, KV Döbeln, 20. 7. 48. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 233. MLHA, Mdl 2698, G. Wilk, Marihn, an [MfSoz Mecklenburg], Herzog, 6. 11. 48.
II. Die
450
Soziologie der Macht
öffentlichen Diskussion blieb und Einheimische, die die Neuankömmlinge offen diskriminierten, mit Sanktionen rechnen mußten"148, ist zu bezweifeln. Der zuständige Landesabteilungsleiter war jedenfalls Ende 1947 zu ganz anderen Schlüssen gelangt: „Die Bürgermeister bringen im allgemeinen nicht das nötige Verständnis für die Umsiedlerausschüsse auf und kümmern sich auch nicht um sie. Zum größten Teil ist es so, daß ein Umsiedler den Ausschuß leitet und die Mitglie-
der selbst auch nur Umsiedler sind." Um das Funktionieren der Umsiedlerausschüsse zu gewährleisten, sei jedoch „unbedingt erforderlich, daß der Bürgermeister und Alteingesessene Mitglieder des Ausschusses sind" und daß möglichst „die Partei [i.e. die SED] und vor allen Dingen auch Fachleute hinzugezogen" würden. Doch von der notwendigen Beachtung der Umsiedlerausschüsse durch Kommunalverwaltungen und Bevölkerungsmehrheit konnte in den meisten brandenburgischen Ortschaften offenbar keine Rede sein. Die alteingesessene Bevölkerung zeigte demonstratives Desinteresse, woran auch staatliche Mobilisierungskampagnen wie die im November 1947 veranstaltete brandenburgische „Umsiedlerwoche" nichts änderten, bei der sich selbst führende SED-Landespolitiker ihrer Mitwirkung entzogen149. Auch aus anderen Ländern der SBZ erreichten die ZVU Klagen, daß „die Aktivität der Umsiedlerausschüsse" seit Herbst 1947 wieder „erheblich nachgelassen" habe. Ein Mitarbeiter des Sozialamtes der thüringischen Stadt Greiz sah die Ursache ebenso wie der eben zitierte Brandenburger Amtschef Friedrichs „vor allem darin, daß sich die Ausschüsse [...] den offen zutage tretenden Widerständen von Seiten der Bürgermeister nicht gewachsen zeigen". Die Folge sei „eine allgemeine Apathie" unter den Vertriebenen, die „den Wunsch nach Rückkehr in die alte Heimat wieder aufkommen läßt"150. Der Brandenburger Friedrichs zog daraus den Schluß, daß man „nicht so weiterarbeiten" könne „wie bisher". Zwar boten die Umsiedlerausschüsse den staatlichen Verwaltungen ein brauchbares Kommunikationsnetzwerk, doch das Integrationskonzept, das die Ausschüsse vor Ort hätten realisieren sollen, konnte nach einem knappen Jahr praktisch als gescheitert gelten: Selbst in Brandenburg, dem anfänglichen Musterland, waren die Umsiedlerausschüsse „sehr oft" isolierte „Gemeinschaften von Umsiedlern" geblieben, „ohne daß sich die örtlichen Verwaltungen, Parteien und Organisationen dafür interessieren"151. Daß die Klientelpolitik der Umsiedlerbehörden und Umsiedlerausschüsse „vor allem auf lokaler Ebene [...] praktische Auswirkungen" gehabt hätte152, gehört folglich ins Reich der Legende. Vielmehr war es die hartnäckige, kommunalpolitische wie lebensweltliche Resistenz alteingesessener Bevölkerungsmehrheiten gegen die ihnen von oben aufgenötigte Vertriebenenpolitik, die deren Gestaltungskraft entscheidend lähmte. Zwar boten Umsiedlerausschüsse den Vertriebenen eingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten und etliche Einzelfallhilfen, doch eine effektive Plattform für längerfristige Integrationspolitik vermochten sie nur -
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Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 234. SAPMO, DY30/IV2/2.027/34, Bl. 96-153, insb. Bl. 108 und Bl. 98, Protokoll der SED-Umsiedlerkonferenz am 11. 11. 47 in Potsdam, 13. 11. 47. 'so BAB, DO 2/59, Bl. 365, ZVU, Büttner, Aktennotiz v. 2. 2. 48. 151 BAB, DO 2/2, Bl. 102, Ministerium für Arbeit und Sozialwesen Brandenburg, Abt. UuH, an ZVU, 25. 1.48. 152 Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 233. 148
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3.
Eigensinn und Selbstorganisation
451
in seltensten Fällen zu werden. Dieses Steckenbleiben und Sich-Aufreiben der Ausschußarbeit in den lokalen Konfliktszenarien der Jahre 1947/48 verursachte nicht nur in der SBZ, sondern auch im Parallelfall der US-zonalen Flüchtlingsausschüsse eine grundsätzlich „,negative' Ausstrahlung auf den Gesamtprozeß der Flüchtlingseingliederung". Die „Wirkungslosigkeit" vieler Ausschüsse beförderte gerade, was ihre Institutionalisierung hatte verhindern sollen, nämlich „eine verstärkte Funktionalisierung von Flüchtlingsinteressen, jenen Ansätzen von Verbandsbildung, die sich in ,Selbsthilfe' bereits außerhalb der Flüchtlingsverwaltung [...] formiert hatten"153. Welche Schlußfolgerungen zog die sowjetzonale Umsiedlerpolitik aus diesem Scheitern der ZVU-Ausschußpolitik? Ging es um die enttäuschte Aufgabe dieser Institutionen oder um deren weitere Intensivierung? Der brandenburgische Behördenchef warnte Anfang 1948 vehement vor in der SED um sich greifenden Tendenzen, die gesamte Umsiedlerverwaltungsstruktur ersatzlos aufzulösen, „um den Begriff .Umsiedler' verschwinden zu lassen" und das fortbestehende Vertriebenenproblems schlicht zu negieren. In diesem Falle würden „sich die Umsiedler völlig allein überlassen bleiben" und unweigerlich zur Selbstorganisation schreiten, „um sich ihren Rechtsschutz zu sichern"154.
„Bedenken in einigen Fragen": Das Projekt des „Zentralen Umsiedlerbeirats" und das Veto der SED-Führung 1947
3.1.3.
Schon seit Spätsommer 1947 hatte die ursprüngliche Kooperation von SED und ZVU in der Ausschußpolitik deutlich gelitten. Dieser Konflikt innerhalb des umsiedlerpolitischen Netzwerkes entzündete sich nicht an der Ausschußpolitik insgesamt, sondern zunächst an der Frage ihres krönenden Abschlusses. Seit Frühjahr 1947 arbeitete die ZVU an der Bildung eines für die gesamte Besatzungszone zuständigen „Zentralen Umsiedlerausschusses". Im September 1947, als die Realisierung dieses Projekts zum Greifen nahe war, resümierte die ZVU nicht ohne Stolz, sie habe „von Anfang an" gewünscht, „eine zentrale Stelle zu schaffen, in der alle interessierten Verwaltungen, Parteien und Organisationen" an der zonalen Umsiedlerpolitik mitarbeiten könnten. Bis hinauf zur Landesebene habe man Umsiedlerausschüsse als Koordinationsgremien von Politik und Verwaltungen bereits durchsetzen können, doch habe sich „sehr störend bemerkbar" gemacht, „daß in Berlin die Arbeit, die in der Regierung eines Landes koordiniert geleistet werden konnte, auseinanderstrebte und durch verschiedene Organe behandelt wurde, die keinen unmittelbaren Kontakt zueinander hatten" und folglich ihre „Maßnahmen nicht untereinander abstimmen konnten". Die ZVU suchte ihre Zentralisierungsstrategie somit als administrative Optimierungsstrategie zu legitimieren. Daß es „verschiedene Grundauffassungen zu Fragen des Umsiedlerproblems" innerhalb des politischen Systems der SBZ „gab und gibt", wußten die ZVU-Funktionäre dabei nur zu gut ebenso wie die Tatsache, daß sich dieser grundlegende Dissens „sehr zum Nachteil der praktischen Arbeit in der Zone" -
153 154
Messerschmidt, Aufnahme und Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge
in Hessen, S. 172. BAB, DO 2/2, Bl. 102, Ministerium für Arbeit und Sozialwesen Brandenburg, Abt. UuH, an ZVU, 25. 1.48.
452
II. Die
Soziologie der Macht
auswirkte. Darum sollte die von der ZVU mit ihrem Zentralausschuß-Projekt forcierte Zentralisierung der Umsiedlerpolitik in zweierlei Hinsicht greifen sowohl als Vernetzung der politischen Regional- mit der Zentralebene als auch als Integration der Sonderpolitik für Vertriebene in ein politisches Gesamtkonzept: -
„So sind z.B. bei der Beurteilung der Notwendigkeit von besonderen Gesetzen zugunsten der Umsiedler die Auffassungen in den Ländern verschieden. Fragen juristischer, staatsrechtlicher, finanzieller und wirtschaftlicher Natur werden oft nur unter dem Gesichtswinkel der besonderen Interessen des einzelnen Landes, nicht aber der Zoneninteressen behandelt, und auch in jedem Falle immer nur von der zuständigen Fachabteilung, ohne Rücksicht auf die sich ergebenden Zusammenhänge mit anderen Instanzen."155
Nach der Auf gabenausweitung der ZVU im Frühjahr 1947 war das in der Zentralverwaltung schon Anfang 1946 erwogene Projekt eines Umsiedler-„Zentralausschusses"156 erstmals in realistische Reichweite gerückt. Die hohe Relevanz dieses Projekts kam darin zum Ausdruck, daß der Zentral-Ausschuß dem ZVU-Präsidenten direkt unterstellt werden sollte157. Ursprünglich zielte die ZVU dabei lediglich auf die Zusammenfassung der „entscheidenden" Zentralverwaltungen, der drei Parteien, des FDGB, der Frauen- und Jugendausschüsse und ,,sonstige[r] öffentliche^] Körperschaften", während an eine Beteiligung von Länder- und insbesondere von Vertriebenenvertretern im frühen Planungsstadium noch nicht gedacht war. Die Landesregierungen wurden vermutlich auf Anregung des DVASPräsidenten Brack einbezogen, der dadurch die endemischen Kompetenzkonflikte zwischen Zentrale und Ländern schon im Vorfeld zu entschärfen hoffte158. Die Beteiligung von Vertretern der Vertriebenenbasis dürfte wiederum Konsequenz der in „Notizen für Merker" festgehaltenen Beobachtung der ZVU-Führung gewesen sein, daß die kommunalen Umsiedlerausschüsse stets dann „zufriedenstellende Erfolge" verzeichneten, wenn sie „paritätisch richtig" zusammengesetzt seien159. Jedenfalls stimmte im Mai 1947 das SED-Zentralsekretariat einer Beschlußvorlage Merkers zur „Bildung eines Zonenausschusses" zu, dem nicht mehr nur Vertreter aller relevanten Zentralverwaltungen und Parteien sowie diverser Massenorganisationen (FDGB, FDJ, VdgB, Frauenbund) angehören sollten, sondern auch „je ein Vertreter der Länder [...] und je zwei Umsiedler aus jeder Provinz"160. Diese Bestimmung über die Einbeziehung von Länder- und Vertriebenenvertretern war übrigens möglicherweise gezielt an unauffälliger Stelle der Beschlußvorlage plaziert worden und in der zu Beginn stehenden ersten Auflistung der Ausschußmitglieder nicht enthalten. Mit dem ZS-Beschluß hatten Merker und Engel jedenfalls grünes Licht erhalten, im Zentralausschuß für Umsiedler „als Arbeitsgemeinschaft die besonderen Probleme der Umsiedler diskutieren und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln der Behörden und Organisationen im Zonen-Maßstabe popularisieren und für deren Lösung arbeiten" -
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136
137 >38 139 "*
BAB, DO 2/50, Bl. 54-57, insb. Bl. 54, ZVU, „Zur Bildung des Zentralen Umsiedler-Beirats (ZUB)", o.D., hdschr. Notiz: 22. 9. 47. Ebenda, Bl. 6, ZVU, Abt. Wirtschaft, Aktennotiz v. 21. 1. 46; darin wurde das Zentralausschuß-
Projekt handschriftlich wieder gestrichen.
BAB, DO 2/31, Bl. 21 f., ZVU, Chwalczyk, Vorschlag zur Arbeitsteilung im Präsidium, 6. 3. 47. BAB, DO 2/50, Bl. 31, ZVU, Aktennotiz über Besprechung mit DVAS-Präsident Brack, 14. 3. 47. Ebenda, Bl. 35, ZVU, Vermerk „zur Frage der Umsiedlerausschüsse", o.D. SAPMO, DY30/IV2/2.1/88, Bl. 3, SED, ZS, Protokoll Nr. 98 der ZS-Sitzung v. 19. 5. 47.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
453
zu lassen. Die SED-Führung erkannte ausdrücklich an, daß es bei der Vertriebenenintegration „eine ganze Reihe von Problemen" gab, „die nicht von einer Verwaltung oder einer Partei allein gelöst werden" könnten. Verwaltungskooperation war der SED mit dem Beiratsprojekt folglich ebenso wichtig wie die öffentlichkeitswirksame Einbindung der bürgerlichen Parteien, über die Merker und Engel bereits seit Ende 1946 intensiv diskutiert hatten. Diese doppelte Einheitsfront der Parteien und Verwaltungen sollte laut Merker stark genug sein, um die „Ausarbeitung von Verordnungen, Gesetzen und Bestimmungen bzw. deren Angleichung im Zonen-Maßstabe, die Unterstützung der Regierungen auf den verschiedenen Gebieten, die durch die Umsiedlung besonders berührt werden", zu gewährleisten und ferner „die Bearbeitung der Massen in politischer Beziehung, um das Verständnis für die Lage der Umsiedler zu wecken und deren Eingliederung zu erleichtern"161. Als die ZVU im Juli 1947 die Einladungen zur Mitarbeit im geplanten Zentralausschuß aussprach, begründete sie dessen Notwendigkeit primär mit der Vereinheitlichung der Ländergesetzgebung162. Der Ausschuß sollte im Oktober 1947 beim Festakt zum zweijährigen Bestehen der ZVU aus der Taufe gehoben werden. Zuvor wollte die Zentralverwaltung noch eine „Konferenz mit den fünf zuständigen Ressortministern unserer Zone" durchführen, „die sich mit den Aufgaben der Bildung des RUB", also eines reichsweit und folglich zonenübergreifend gedachten Umsiedler-Beirats, beschäftigen sollte163. Offensichtlich erwog die ZVU damals die Bildung eines gesamtdeutschen Beratungsgremiums für den Fall der Bildung einer entsprechenden gesamtdeutschen Zentralverwaltung durch die vier Besatzungsmächte. Solche Planspiele fanden im 1947 kurzfristig
wiederbelebten Alliierten Kontrollrat tatsächlich statt, doch effektiv nahmen lediglich die Beratungen zur Schaffung einer gesamtdeutschen Postverwaltung ernsthafte Formen an, und auch dieses Projekt scheiterte, als der Kontrollrat ab März 1948 nicht mehr zusammentrat164. Unterdessen wurde im Sommer 1947 die Beteiligung von Vertriebenen-Vertretern zum Gegenstand von Kontroversen im umsiedlerpolitischen SED-Netzwerk. Gegen diesbezügliche Einwände argumentierte ZVU-Präsident Engel, es gehe nicht darum, die Ausschüsse aller Ebenen „nur aus Umsiedlern" zu bilden, sondern vielmehr durch „Beteiligung der Umsiedler [...] überall die Möglichkeit zu schaffen, daß Alt- und Neubürger die Probleme gemeinsam in demokratischen Diskussionen lösen"165. Doch wie „demokratisch" konnten und durften solche Diskussionen sein? Am 27. August 1947 wurde auf einer Besprechung zwischen Vertretern des SED-Zentralsekretariats, des FDGB, der ZVU und der DVAS also zwischen einem exklusiven Netzwerk von SED-Funktionären festgelegt, den Vertriebenen pro 300000 Menschen je einen Delegierten zuzugestehen, was etwa vierzehn Vertriebenenvertreter in den Zentralausschuß gebracht hätte. Diese sollten „bereits eine öffentliche Funktion innehaben" und folglich -
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SAPMO, DY30/IV2/2.022/16, Bl. 126, SED, ZS, Merker, Beschlußvorlage v. 13. 5. 47. SAPMO, DY34/18/d/769, ZVU, Lange, an FDGB, BV, 7. 7. 47. >« BAB, DO 2/31, Bl. 70 ff., ZVU, Protokoll Nr. 22 der Präsidiumssitzung am 8. 9. 47. 164 Kraus, Ministerien für das ganze Deutschland?, S. 347f. "5 SAPMO, DY30/IV2/2027/34, Bl. 155-158, insb. Bl. 156, ZVU, Engel, Memorandum über „Erfolge und Schwächen in der Umsiedlerarbeit", o.D. [ca. Sommer 1947]. i«
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II. Die
454
Soziologie der Macht
ausschließlich aus den Reihen der 1946 handverlesenen Funktionseliten der Bürgermeister, Kreisräte und Landtagsabgeordneten rekrutiert werden166. Auf der vorbereitenden Sitzung aller für den Zentralen Ausschuß vorgesehenen Institutionen, die am 10. September 1947 stattfand, begründete ZVU-Präsident Engel dieses alles andere als basisdemokratische Auswahlkriterium damit, daß man nur solche Vertriebenenvertreter berufen wolle, „die durch ihre Tätigkeit sich bereits das Vertrauen der Alteingesessenen und der Umsiedler erworben" hätten167. In Wahrheit ging es wohl primär um das Vertrauen der Besatzungsmacht. Zwei Tage zuvor, am 8. September 1947, hatte das ZVU-Präsidium bereits beschlossen, die Vertriebenendelegierten durch die Landesumsiedlerausschüsse berufen zu lassen, womit ein direktes Wahlverfahren endgültig ausgeschlossen war168. Demokratische Wahlen, wie sie für Vertriebenenvertreter in Landesumsiedlerausschüssen einige Monate zuvor noch anvisiert worden waren, hatten zumindest auf Zonenebene keine Chance mehr. Zu diesem Zeitpunkt wollte das ZVU-Präsidium den Status des „Zentralen Umsiedler-Ausschusses" durch Umbenennung in „Zentralen Umsiedler-Beirat" deutlicher herausstellen. Dies geschah nicht nur der Unverwechselbarkeit gegenüber den ,,zahlreiche[n] Ausschüsse[n]" des sowjetzonalen Politiksystems halber, „die in ähnlicher Form zusammengesetzt" waren169, sondern schien auch geeignet, „die Anlehnung" des neuen Gremiums „an eine andere bestehende Körperschaft" die ZVU selbst „am klarsten zum Ausdruck zu bringen"170. Der zum „Beirat" präzisierte Ausschuß hätte somit die integrationspolitische Führungsrolle der ZVU demonstrieren sollen, deren Präsident den Vorsitz des neuen Gremiums übernehmen wollte. Neben der administrativen Zentralisierung war diesem Gremium vom SEDZentralsekretariat im Mai 1947 auch die Funktion der „Bearbeitung der Massen in politischer Beziehung" zugewiesen worden, „um das Verständnis für die Lage der Umsiedler zu wecken und deren Eingliederung zu erleichtern". Diese Mobilisierungsabsicht zielte primär auf die Altbevölkerung. Zu diesem Zwecke wünschten SED-Führung und ZVU die bürgerlichen Blockparteien institutionell einzubinden und damit öffentlichkeitswirksam in Mitverantwortung für die alles andere als populäre Integrationspolitik zu nehmen171. Dabei war die SED-Führung einem Vorschlag des ZVU-Präsidenten gefolgt, der den öffentlichen Eindruck der Alleinzuständigkeit der SED für seine Partei als schädlich betrachtete172. Schon auf der ZVU-Direktorenkonferenz vom April 1947 hatte Engels Stellvertreter Daub gefordert, es müsse „klar sein, daß weder eine Partei noch alle drei Parteien allein die Lasten und die Verantwortung tragen können"; Umsiedlerpolitik sei -
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BAB, DO 2/50, Bl. 52, ZVU, Protokoll der Besprechung mit Vertretern des SED-Zentralsekretariats, des FDGB und der DVAS, 27. 8. 47. Ebenda, Bl. 60-63, insb. Bl. 62, ZVU, Protokoll der vorbereitenden Sitzung zur Konstituierung
des Zentralen Umsiedlerbeirats am 10. 9. 1947, o.D. BAB, DO 2/31, Bl. 70 ff., ZVU, Protokoll Nr. 22 der Präsidiumssitzung am 8. 9. 47. Ebenda, insb. Bl. 70. BAB, DO 2/50, Bl. 54-57, insb. Bl. 54, ZVU, Aktennotiz „Zur Bildung des Zentralen UmsiedlerBeirats (ZUB)", o.D. Vgl. Merker, Die nächsten Schritte zur Lösung des Umsiedlerproblems, S. 22. BAB, DO 2/4, Bl. 40^16, insb. Bl. 43f., ZVU, Engel, Memorandum v. 18. 2. 47.
3.
455
Eigensinn und Selbstorganisation
Aufgabe des gesamten Volkes. Das Verhältnis der Parteien dürfe sich nicht dahin entwickeln, „daß eine Partei, wie die SED, die aktivste ist und sich die anderen in Reden verlieren in der Hoffnung, einer Partei die gesamte Verantwortung aufhalsen zu können". Es seien häufig unpopuläre Maßnahmen zu treffen, und leider treffe man auf „Parteien, die sich davor drücken wollen", und auf „CDUMinister, die solchen Entscheidungen aus dem Wege gehen"173. Diese von SED und ZVU gemeinsam verfolgte Einbindungsstrategie gegenüber den bürgerlichen Blockparteien (die zugleich eine Entpolitisierung der Umsiedlerpolitik als konsensuelle Sachaufgabe bezweckte) mußte freilich seit Sommer 1947 mit dem offensiv vertretenen Hegemonialanspruch der SED vereinbart werden. Der massive Widerstand der Ost-CDU gegenüber diesem „Transformations-Schub" in der Blockpolitik174, der mit deutschlandpolitischen Weichenstellungen (Volkskongreß-Bewegung) einher ging, führte im Dezember 1947 zur demonstrativen Absetzung der CDU-Parteiführer Kaiser und Lemmer durch die SMAD eine Intervention, welche die Spaltung der deutschen Christdemokratie festschrieb und zugleich „eine schwere Krise der Blockpolitik" in der SBZ verursachte175. In dieser politischen Eskalation geriet das auf scheinbare Entpolitisierung seines Politikfeldes zielende Projekt des Zentralen Umsiedlerausschusses zwangsläufig unter die Räder. Wachsende Zweifel in der SED-Führung (und vermutlich auch in der SMAD) an der politischen Steuerbarkeit des öffentlichkeitswirksam konzipierten Beirates ließen dessen Institutionalisierung in letzter Minute scheitern. Mitentscheidend dürfte der Anfang September 1947 veranstaltete 2. Parteitag der CDU gewesen sein, der sich nicht zuletzt in der Vertriebenenpolitik deutlich von der sowjetischen Linie distanziert hatte. Eine CDU-Entschließung „zur Hilfe und Eingliederung der Umsiedler" hatte ausdrücklich bekräftigt, daß „jeder Mensch [...] ein Recht auf Heimat" besitze, und „zur Erfüllung dieses Grundrechtes" gefordert, „im Zuge der Bildung deutscher Zentralverwaltungen", die gesamtdeutsch tätig werden sollten, auch „ein Amt für Umsiedler zu schaffen"176. Zu diesem Zeitpunkt waren die oben erwähnten interalliierten Verhandlungen zur 1945 in Aussicht gestellten Einrichtung gesamtdeutscher Zentralverwaltungen bereits wieder in „Leerlauf" geraten177. Der CDU-Parteitag hatte überdies Vorbereitungen für einen Lastenausgleich gefordert und „die Vereinigungsfreiheit für Umsiedler, insbesondere in der Einrichtung von Genossenschaften und anderen Selbsthilfeorganisationen", postuliert178. Auf diesem ostentativen „Parteitag des Widerstands" hatte der CDU-Vorsitzende Jakob Kaiser sogar eine „verantwortlieine
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SAPMO, DY34/18/d/769, ZVU, Daub, Vortrag über „Bevölkerungspolitik und Ansiedlung" auf der Direktorenkonferenz in Leipzig am 14.715.4.47, S. 13. 174 Staritz, Die Gründung der DDR, S. 144. 173 Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 270. 173
176
177
ACDP, 07/010/1724,
Entschließung des 2. Unionstages „zur Hilfe und Eingliederung der Um-
S. 326; auf der Moskauer AußenministerkonfeAlphand die Einrichtung solcher Zentralbehörden von einer endgültigen Regelung der Grenzfragen abhängig gemacht, während der sowjetische Minister Wyschinski auf weitgehenden Eingriffsrechten des jeweiligen alliierten Zonenkommandeurs bestand; vgl. ebenda, S. 308. ACDP, 07/010/1724,17. Entschließung des 2. Unionstages „zur Hilfe und Eingliederung der Umsiedler" [September 1947]. renz vom
178
17.
siedler", o.D. [September 1947]. Kraus, Ministerien für das ganze Deutschland?,
April
1947 hatte der französische Vertreter
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II. Die
Soziologie der Macht
ehe Regelung der deutschen Ostgrenze" angemahnt und zu fragen gewagt, ob es wirklich verwerflicher „Nationalismus" sei, „wenn Deutschland nach dem Wiederbesitz seines Bodens verlangt, der seinen Menschen viele Jahrhunderte hindurch Heimat" gewesen sei. Als Kaiser auf einem abendlichen Empfang der SMAD eine weitere, allzu „leicht formulierte Bemerkung über die Oder-NeißeLinie machte", reagierte der einflußreiche Chef der SMAD-Propagandaverwaltung, Oberst Tjulpanow, „äußerst gereizt". Die Szene ließ ahnen, daß für die CDU in der sowjetischen Zone „die Zukunft sehr schwierig werden würde"179. Bereits vor diesem CDU-Parteitag hatte die SMAD mit wachsender Besorgnis registriert, daß in ihrer Besatzungszone, namentlich „überall im Land [Sachsen,] die Verbreitung von antisowjetischen und gegen die SED gerichteten Flugblättern, Broschüren und Briefen beträchtlich" zugenommen hatte. Dabei ging es thematisch in erster Linie um „Fragen der Grenzen" und „der Repatriierung", also um den Rückkehrwunsch der Vertriebenen180. Die offenen Diskussionen auf dem CDU-Parteitag, auf dessen Eröffnungssitzung die Sowjets „die demonstrative Anwesenheit dreier amerikanischer Generäle in Begleitung von zwölf höheren Offizieren in voller Uniform" übel vermerkten181, goßen weiteres Öl ins Feuer. Unmittelbar nach dem CDU-Parteitag schlug Tjulpanow der Moskauer Führung vor, den „rechten Flügel" der Christdemokraten um Kaiser zu entmachten und „jeden Versuch der Kritik an den bestehenden Ostgrenzen Deutschlands zu ahnden"182. Wenige Tage später übernahm die SED, die ebenfalls im September ihren II. Parteitag veranstaltete, offiziell die harte sowjetische Linie in der Grenzpolitik, indem Paul Merker im „Neuen Deutschland" den logischen Zusammenhang zwischen Grenzanerkennung und integrativer Sozialpolitik herausstellte, „Illusionen" über wesentliche Änderungen der damaligen Situation als friedensgefährdend verwarf und statt dessen „die Angleichung der Lebensverhältnisse der Umsiedlerfamilien an die der Gesamtbevölkerung zu vollenden" als integrative Zukunftsaufgabe der SED anvisierte183. Indem der umsiedlerpolitische Dissens zwischen Ost-CDU einerseits und SMAD und SED andererseits im September 1947 offen ausbrach, waren die politischen Umstände für eine Konstituierung des geplanten ZVU-Beirats äußerst ungünstig geworden. Innere Konflikte zwischen SED-Führung und SED-Umsiedlerbürokratie taten sehr bald ein übriges, um das
Projekt zu torpedieren. Ende August 1947 hatte sich die ZVU-Führung mit dem SED-Umsiedlerreferenten Nettball, dem FDGB-Sozialexperten Steinke und einem Vertreter der DVAS darauf verständigt, „daß vor der konstituierenden Sitzung" des Zentralausschusses, die für den 1. Oktober vorgesehen wurde, am 10. September „nochmals eine Vorbesprechung im größeren Rahmen durchgeführt werden" solle, auf der „die zukünftigen Aufgaben des ZUA, die Tagesordnung der Gründungsversammlung, die Arbeit der Kommissionen besprochen werden" sollten184. Schon vor dieGradl, Anfang unter dem Sowjetstern, S. 109, S. 116 und S. 121. Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Sowjetische Politik in der SBZ, S. 119, Memorandum Tjulpanows v. 9. 8. 47. si Ebenda, S. 127, Bericht der SMAD-Informationsverwaltung für das ZK der KPdSU(B) v. 9. 9. 47. '82 S. 128.
179
180
183 '84
Ebenda, Paul Merker, „Die Partei und die Umsiedler", in: Neues Deutschland Nr. 217 v. 17. 9. 47, S. 2. BAB, DO 2/50, Bl. 52, ZVU, Lange, Protokoll der Besprechung über den ZUA am 27. 8., 27. 8. 47.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
457
beschloß das ZVU-Präsidium bestimmte Modifikationen, die nicht den Namenwechsel zum „Zentralen Umsiedler-Beirat" (ZUB) betrafen, sondern auch die Bildung eines engeren, geschäftsführenden Vorstands anvisierten, in dem lediglich Vertreter der ZVU, der DVAS sowie der drei Parteien kooperieren sollten, so daß die SED-Dominanz auf jeden Fall numerisch gesichert war185. Im weiteren ZUB hingegen sollten alle interessierten Organisationen und Behörden, die dies wünschten, mitarbeiten und durch je einen Delegierten vertreten werden können. Zugleich sollten die fünf Landesumsiedlerausschüsse eigene Delegierte ernennen und zusätzlich auch mehrere Vertriebenenvertreter (je einen für 300000 Menschen) benennen. Federführend im Beirat wollte selbstverständlich die ZVU sein, die auch dessen ständigen Sekretär stellen würde. Die ZVU beabsichtigte kontinuierliche Sitzungen (mindestens alle zwei Monate) und darüber hinaus die Einrichtung von Arbeitskommissionen für Fachfragen, die sich durch Sachverständige ergänzen konnten. Die im Entwurf der Beirats-Geschäftsordnung ursprünglich vorgesehene Öffentlichkeit der Plenums-Sitzungen fiel bezeichnenderweise der Selbstzensur der SED-Umsiedlerbürokraten wieder zum Opfer186. In einem anderen Punkte fehlte der ZVU-Führung jedoch genügend vorauseilender Gehorsam, denn die Zusammensetzung des geplanten engeren Beirats erwies sich im Nachhinein als „umstritten", wie ein ZVU-Funktionär notierte, und mußte folglich ebenfalls gestrichen werden. Offensichtlich wurde im umsiedlerpolitischen SED-Netzwerk die Beteiligung der bürgerlichen Parteien, insbesondere der CDU, an einem zwangsläufig öffentlich beachteten Gremium der Verser
Sitzung
nur
triebenenpolitik hochgradig strittig187.
September 1947 kam es auf der Vorbereitungssitzung bei der ZVU, die der sächsischen Regierungsvertreterin bereits als „Sitzung des Zentralen Umsiedlerbeirates" mißverstanden wurde, trotz aller Bereinigungsversuche im Vorfeld zum handfesten Eklat. Schon das Vorhaben des ZVU-Präsidenten, mit der für den 2. Oktober geplanten feierlichen Eröffnung des Beirats zu „beweisen, daß wir uns in jeder Beziehung nun endgültig mit der großzügigsten Hilfe für die Umsiedler intensiv beschäftigen und das Vorgenommene auch wirklich praktisch durchführen", und letzteres durch die rasche Erarbeitung von Sondergesetzen zur Hausrat- und Wohnungsumverteilung zu konkretisieren188, barg erheblichen Zündstoff, hatten doch wichtige Kräfte in SMAD und SED wenige Monate zuvor in der gesellschaftlich heftig umstrittenen Frage der Hausratumverteilung solche Sondergesetzgebungsvorhaben eben noch sistiert189. Als die Provinzialregierung Sachsen-Anhalts solche Umsiedlergesetzgebung dennoch weiterverfolgte, beAm 10.
von
183 '«>
187
BAB, DO 2/31, Bl. 70 ff., ZVU, Protokoll Nr. 22 der Präsidiumssitzung am 8. 9. 47. SAPMO, DY34/18M/769, ZVU, Entwurf einer Geschäftsordnung für den ZUB, 9.9. 47, in der die Öffentlichkeit der Sitzungen per Hand gestrichen ist; in einer anderen Fassung ist davon gar keine Rede mehr; vgl. BAB, DO 2/50, Bl. 59, ZVU, Geschäftsordnungs-Entwurf für ZUB, o.D. [nach 9. 9. 47]. Nicht konsensfähig war, daß dem engeren Beirat „außer dem Vorsitzenden je ein Vertreter der zu-
gelassenen politischen Parteien und ein Vertreter der Deutschen Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge angehören" sollten, um „im Einzelfall" durch „weitere Delegierte" ergänzt zu werden; vgl. BAB, DO 2/50, Bl. 59, ZVU, Geschäftsordnungs-Entwurf für ZUB, o.D. [nach 9.9. 47]. >88 SäHStA, LRS, Mdl 2212, Bl. 107f., MfAS Sachsen, HAU, Tänzer, Bericht über die „Sitzung des Zentralen Umsiedlerbeirates in Berlin am 10. 9. 47", 19. 9. 47.
189
Vgl. Kap. II.2.3.2. sowie insbesondere Kap. III.2.
458
II. Die
Soziologie der Macht
mühte sich die ZVU im Sommer 1947 darum, eine „gewisse Einhelligkeit" in der SBZ zu sichern, damit nicht „durch die gesetzgeberische Tätigkeit der Parlamente allein in unserer Zone schließlich fünf verschiedene Rechtsauffassungen existieren"190. Ein Gesetzentwurf Sachsen-Anhalts wurde „vorläufig zurückgestellt" (und damit letztlich dauerhaft verhindert), „bis eine Beratung durch die ZVU und die übrigen in Frage kommenden Stellen erfolgt" sei191. Aus dieser Zurückstellung eines landespolitischen Alleingangs läßt sich allerdings nicht schließen, daß die ZVU lediglich eine sowjetische Weisung habe durchsetzen wollen, wonach es „keine gesonderte Gesetzlichkeit für die Vertriebenen [mehr] geben sollte"192. Erst durch das Scheitern des parallelen ZVU-Beiratsprojekts, mit dem der ehrgeizige Plan einer zoneneinheitlichen Sondergesetzgebung zusammenbrach, verschob sich die der Hallenser Regierung angekündigte „zonale Regelung" auf unbestimmte Zeit193, da die neuen Entscheidungsträger „die Herausgabe von besonderen Umsiedlergesetzen als politisch nicht tragbar" ansahen194. Tatsächlich sollte es erst 1950, als die SBZ schon zur DDR geworden war, zu einer Wiederaufnahme von Vertriebenen-Sondergesetzgebung kommen. Anfang September 1947 deutete jedoch noch vieles auf eine Intensivierung öffentlichkeitswirksamer Umsiedlerpolitik hin. Dies kam schon durch die von der ZVU vorbereitete breite Einbeziehung diverser Fachressorts der SBZ in den geplanten Beirat zum Ausdruck. Dabei war die Beteiligung der zonalen Sozial- und Gesundheitsverwaltungen selbstverständlich und im Falle der DVAS schon auf einer ZVU-Direktorenkonferenz im Juni 1947 erprobt worden. Interessanter erscheint die Partizipation der wirtschaftspolitisch wichtigen Zentralbehörden für Handel und Versorgung, Industrie, Landwirtschaft und Finanzen. Die Einbeziehung der zentralen Justizverwaltung, die sich durch einen Mitarbeiter ihrer Gesetzgebungsabteilung, den aus Schlesien stammenden parteilosen Fachjuristen Fenner, vertreten ließ195, verweist nicht zuletzt auf die ernsthafte Absicht der ZVU zur Wiederaufnahme von Vertriebenen-Sondergesetzgebung. Die Anwesenheit der wichtigen Massenorganisationen, insbesondere des FDGB, war selbstverständlich, weshalb besonders auffiel, daß sich die eingeladene Volkssolidarität demonstrativ fernhielt. Mit dem SED-Umsiedlerreferenten Nettball, dem CDUUmsiedlerausschußvorsitzenden Dr. Rojek und dem LDP-Sozialreferenten Ediger hatten auch sämtliche Parteien ihre Vertriebenenexperten zur Vorbereitungssitzung des Zentralen Umsiedlerbeirats der SBZ entsandt196. BAB, DO 2/50, Bl. 38, ZVU, Abt. BPuA, Chwalczyk, Aktennotiz v. 19. 7. 47. Ebenda, Bl. 61, ZVU, Lange, Aktennotiz v. 3. 11. 47. '92 Diese Lesart bei Wille, Die Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler, S. 49. 193 BAB, DO 2/7, Bl. 69, Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik Sachsen-Anhalt, Abt. Umsiedler, Hiebsch, an ZVU, 19.6.48. 194 Ebenda, Bl. 75, DVdl, HA Verwaltung, Malz, Aktennotiz v. 3. 9. 48. '93 Fenner, 1905 in Oppeln geboren, war in der DJV zwischen 1945 und 1949 als Referent (bzw. kommissarischer Abteilungsleiter) der Gesetzgebungsabteilung tätig; für diesen freundlichen Hinweis dankt der Verfasser dem Kollegen PD. Dr. Hermann Wentker, Berlin. 19' BAB, DO 2/50, Bl. 60-63, insb. Bl. 60, ZVU, Protokoll über die vorbereitende Sitzung des ZUB '«
'«
10. 9.47, o.D.; offensichtlich nahmen auch Vertreter von Landesvorständen verschiedener Parteien teil, worüber das ZVU-Protokoll sich jedoch ausschweigt; vgl. aber SäHStA, LRS, Mdl 2212, Bl. 107 f., MfAS Sachsen, HAU, Bericht über die „Sitzung des Zentralen Umsiedlerbeirates in Berlin am 10. 9. 47", 19. 9. 47. am
3.
Wie die Vertreterin der
Eigensinn und Selbstorganisation
459
Gesundheitsverwaltung, Frau Dr. Hamann, später no-
tierte, wurde hinsichtlich der von der ZVU „vorgelegten Arbeitsrichtlinien und der Geschäftsordnung [...] in den Grundsätzen Einstimmigkeit in der Diskussion erzielt". Jedoch traten „sehr geteilte Meinungen" in der Frage zutage, „ob Vertre-
der Kirchen in den zentralen Umsiedlerbeirat hinzugezogen werden sollten"197. Der Christdemokrat Rojek hatte diese Einbeziehung der Kirchen, aber ter
auch ihrer Hilfsorganisationen (Caritas und Hilfswerk) gefordert, woraufhin ZVU-Präsident Engel die Vertreter der Landesregierungen „über ihre Erfahrungen hinsichtlich der Mitarbeit der Kirchen in Umsiedlerfragen" zu „berichten" bat. Dabei ergab sich, daß etliche SED-Landesfunktionäre längst eine vertriebenenpolitische Kooperation mit den Kirchen begonnen hatten. Der SED-Vertreter Thüringens votierte mit seinem Plädoyer, dem Beirat „von vornherein eine Form zu geben", welche die Durchführung seiner Ziele am besten gewährleiste, sogar indirekt für den CDU-Antrag. Auch Engel schien eine solche Einbeziehung zumindest für die „repräsentative Körperschaft" des größeren Beirats akzeptieren zu wollen, beharrte allerdings darauf, daß in der internen Kommissionsarbeit Experten ausschlaggebend bleiben müßten, zu denen er Kirchenvertreter ausdrücklich nicht rechnete, obschon zumindest die karitativen Organisationen längst eine entsprechende Professionalisierung aufwiesen. Schon diese Zugeständnisse gingen dem Vertreter der SED-Führung, Nettball, viel zu weit. Der ZS-Umsiedlerreferent teilte lediglich Engels Schlußbemerkung, „wonach das Schwergewicht dieses Zonenbeirates auf die Arbeitskommissionen gelegt werden soll, so daß der Zonenbeirat als ein stark arbeitsmäßiges Gremium anzusehen" sei, bei dem die Einbeziehung der „einzelnen Kirchen usw." wirklich „zu weit führen" würde. Für völlig verfehlt hielt Nettball die von der CDU gewünschte zusätzliche Einbeziehung der kirchlichen Hilfsorganisationen, könne doch das umsiedlerpolitische Kernziel, „die Umsiedler mit den Alteingesessenen zu assimilieren", kaum erreicht werden, „wenn man lediglich mit charitativen [sie!] Hilfsmaßnahmen kommt". In seiner antikirchlichen Haltung erfuhr der SED-Vertreter die volle Unterstützung des FDGB, dessen Vertreter sich ebenfalls gegen „irgend welche Wohlfahrtsunterstützungen" abgrenzte. Wichtig sei keine Vertretung der Kirchen im Beirat, sondern daß die Vertriebenen selbst „Sitz und Stimme" erhielten. Demgegenüber hielt es der Leiter der sachsen-anhaltischen Umsiedlerabteilung, der SED-Funktionär Hiebsch, trotz seiner Abgrenzung gegen eine sozialfürsorgerische Umsiedlerbetreuung für durchaus „zweckmäßig, die Kirchen mit zur Arbeit im ZUB heranzuziehen". Auch der bürgerliche Vertreter der Justizverwaltung, Fenner, verwies auf „außerordentlich günstig[e]" Erfahrungen mit den Kirchen, „zunächst in Fragen der seelisch-geistigen Betreuung, die für die Massen der Umsiedler eine große Rolle spielt, dann in der Fürsorge für die Kinder, die im Osten zurückgeblieben sind". Auch ZVU-Präsident Engel wagte den Dissens mit der eigenen Parteiführung, indem er erklärte, er „glaube nicht, daß wir bei den Beratungen, die die Interessen der Umgesiedelten berühren, ohne den Standpunkt 197
BAB, DQ 1/5548, Bl. 82, ZVG, Dr. Hamann an Dr. von Renthe, Bericht über die ZUB-Vorbereitungssitzung vom 10. 9., 11. 9. 47.
460
II. Die Soziologie der Macht
der Kirchen zu hören, auskommen" könnten. Schon weil die konfessionelle Struktur der Zonenbevölkerung durch die Umsiedlung erheblich verändert worden sei, erscheine es „notwendig", bei Beratungen über Assimilierung auch die Kirchen zu hören. Völlig anders verhielt sich Engel in der Frage zusätzlicher Beteiligung der kirchlichen Hilfswerke, die er mit dem Argument strikt verweigerte, diese partizipierten über ihre Mitgliedschaft in der Volkssolidarität ohnehin am Beirat198. Diese harte Haltung des ZVU-Präsidenten korrespondiert mit seinem damaligen Konfrontationskurs gegen die kirchlichen Hilfswerke in der brisanten Frage der Spendenverteilungsrechte, die bereits diskutiert wurde199. Nach diesem Konflikt zwischen SED-Funktionären stimmten die Angehörigen des umsiedlerpolitischen Netzwerkes bei der von Brandenburg aufgeworfenen Frage der Einbeziehung des FDGB in den geschäftsführenden „engeren Beirat", zu dem laut ZVU-Entwurf eigentlich nur die Umsiedler- und Arbeitsverwaltungen sowie die Parteien gehören sollten, desto einmütiger überein. Der CDU-Vertreter lehnte die Vollmitgliedschaft der Gewerkschaften strikt ab, hatte jedoch in Aufnahme eines Kompromißvorschlags des DJV-Vertreters Fenner schließlich „nichts dagegen, wenn man den FDGB von Fall zu Fall hinzuzieht". Dem stimmte auch der bislang nicht hervorgetretene Vertreter der LDP-Führung zu200. Die parteipolitische Bilanz der Sitzung war insgesamt sehr ambivalent: Während die bürgerlichen Blockparteien im engeren Beirat gegenüber einem eingespielten SED-Netzwerk hoffnungslos in die Minderheit zu geraten drohten, hatten sie in der Frage der Kirchenbeteiligung eben dieses SED-Netzwerk ihrerseits auseinander dividieren können. Zwar resümierte die ZVU nach der Vorbereitungssitzung, der Vorschlag ihres Präsidenten, „die Kirchen zur nächsten Sitzung einzuladen", sei „ohne Widerspruch" geblieben201, doch hinter den Kulissen wuchs sich die diesbezügliche Ablehnung des SED-Umsiedlerreferenten rasch zum endgültigen Veto der SED-Führung gegen das gesamte Beiratsprojekt aus. Während die bürgerlichen Blockparteien bereits hochrangige Festredner für die Beiratseröffnung benannten, sah sich die ZVU aufgrund der „durch den Sekretär der SED geäußerten Bedenken in einigen Fragen" plötzlich „veranlaßt, die für den 2. und 3. Oktober geplante öffentliche Einberufung des ZUB bis zur endgültigen Klärung zu verschieben"202. Vermutlich war es die Negativerfahrung mangelnder Steuerungsfähigkeit schon gegenüber eigenen SED-Regierungsfunktionären, die den zentralen SED-Apparat dazu brachte, das erst vor kurzem beschlossene Projekt eines Zentralen Umsiedler-Beirats unverzüglich abzusagen. Am 17. September 1947 sah sich das ZVU-Präsidium genötigt, aufgrund von nicht näher erläuterten „Meinungsver198
'" 200
201
202
BAB, DO 2/50, Bl. 60-63, insb. Bl. 61 f., ZVU, Protokoll über die vorbereitende Sitzung des ZUB am 10. 9. 47, o.D.; in Sachsen scheint es zwischen LDP und SED zum Streit um die Einbeziehung der Kirchen in den Landesumsiedlerausschuß gekommen zu sein; vgl. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 276.
Vgl. Kap. II.2.3.1.
BAB, DO 2/50, Bl. 60-63, insb. Bl. 62, ZVU, Prot. über die vorbereitende Sitzung des ZUB am 10. 9. 47, o.D. Ebenda, Bl. 54-57, insb. Bl. 56, ZVU, Vermerk „Zur Bildung des Zentralen Umsiedler-Beirats (ZUB)", o.D., hdschr. Notiz: 22. 9. 47. Bei den bürgerlichen Rednern handelte es sich um den stellvertretenden LDP-Vorsitzenden Lieutenant und den brandenburgischen CDU-Minister Schwob; vgl. ebenda, Bl. 57.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
461
schiedenheiten" über „die Zusammensetzung des ZUB und die Durchführung der gestellten Aufgaben" die Konstituierung dieses Gremiums „vorläufig unbefristet zu vertagen"203. Den übrigen Organisationen erklärte die ZVU diese Absage lapidar mit ,,technische[n] Schwierigkeiten"204. Daß der Dissens zwischen SED und ZVU in der Frage der Kirchenbeteiligung eine wichtige Rolle spielte, unterstreicht der zusätzliche ZVU-Beschluß, sich von den Landesumsiedlerausschüssen eingehend über deren Erfahrungen mit kirchlicher Mitwirkung berichten zu lassen, „um die Zweckmäßigkeit der Beteiligung der ev.fangelischen] und kath.[olischen] Kirche in unserer Zone im ZUB beurteilen zu können"205. Ganz offensichtlich wurde eben diese „Zweckmäßigkeit" innerhalb der SED-Führung massiv in Frage gestellt. Dort wurde angesichts der jüngsten Erfahrungen mit dem CDU-Parteitag und der ZVU-Vorbereitungssitzung wohl ernsthaft befürchtet, weder die eigenen SED-Bürokraten noch die bürgerliche Konkurrenz aus CDU und Kirchen im Beirat wirksam domestizieren zu können. Damit verwandelte sich das bisher gemeinsame Ziel von SED und ZVU, „die politische und materielle Verantwortung" für die Umsiedlerpolitik durch die (über den Beirat vorgesehene) öffentliche „Einschaltung der drei Blockparteien" auf „breitere Schultern zu verlagern"206, in eine ernste politische Bedrohung für den SED-Apparat. Dieser setzte folgerichtig nicht länger auf die ZVU-Einbindungspolitik, der er bislang gefolgt war. Dieses Problem vermengte sich mit einem neuartigen Konflikt um den politischen Vorrang zwischen SED-Parteiführung und ZVU. Der unterdessen erheblich gewachsene Führungsanspruch der SED vertrug es nicht mehr, in staatlichen Gremien lediglich Mitglied „inter pares" zu sein. Darum erhob gegen die von der ZVU lancierte Bezeichnung des „Beirats", mit der die Anbindung dieses Gremiums an die ZVU hatte signalisiert werden sollen, Paul Merker persönlich namens seiner „Partei" unvorhergesehene „Bedenken", und es blieb keineswegs bei der ersten Aufforderung an die ZVU, diese möge zum „unverbindlichen Ausdruck .Ausschuß' zurückkehren207. Einige Wochen später war aus SED-Sicht „eine Beteiligung der politischen Parteien am Beirat" grundsätzlich „nicht möglich", denn „die SED" könne „als politische Partei nicht an einem einer Verwaltung angegliederten Beirat mitarbeiten". Eine solche Kooperation sei allenfalls „in einem selbständigen Ausschuß möglich, der in seinen Beschlüssen nicht von dem von einer Verwaltung gezogenen Rahmen abhängt", doch auch diese Einschränkung blieb akademisch, da die SED faktisch gar keine Beteiligung der Parteien mehr wünschte. Die ZVU trug, um ihr zentrales Beratungsgremium bangend, dieser "
Vorgabe willfährig Rechnung, um wenigstens einen Rumpf-Ausschuß aus Verwaltungen, Massenorganisationen und Vertretern der Landesumsiedlerausschüsse zu retten. Unter der ausdrücklichen Bedingung der „Nichtbeteiligung der politischen Parteien" hatte die SED-Führung ein solches zusammengestutztes Gremium, von dessen Vertriebenendelegierten keine Rede mehr war, Mitte Oktober ™ 2°4
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2o7
BAB, DO 2/31, Bl. 73ff., insb. Bl. 74, ZVU, Protokoll der Präsidiumssitzung am 17. 9., 18. 9. 47. SAPMO, DY34/18/d/769, ZVU, Lange, an FDGB, BV, Steinke, 20. 9. 47. BAB, DO 2/31, Bl. 73ff., insb. Bl. 74, ZVU, Protokoll der Präsidiumssitzung am 17.9., 18. 9. 47. BAB, DO 2/50, Bl. 54-57, insb. Bl. 57, ZVU, Vermerk „Zur Bildung des Zentralen Umsiedler-Beirats (ZUB)", o.D., hdschr. Notiz: 22. 9. 47. Ebenda.
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II. Die Soziologie der Macht
„gutgeheißen"208. Doch selbst zu dieser Restlösung kam es nicht. Statt dessen bereitete Paul Merker eine Beschlußvorlage für das SED-Zentralsekretariat vor, in der „zur besseren Führung der Arbeit unter den Umsiedlern" die Bildung einer „Umsiedlerkommission des Parteivorstandes" beantragt wurde. Diese Parteikommission wirkt als unmittelbarer Ersatz für das ausgebremste Beiratsprojekt, weil nicht nur die relevanten Funktionäre der Partei, sondern auch sämtliche der SED angehörenden Vertreter relevanter Zentralverwaltungen (ZVU, DVAS) und der Landesumsiedlerämter darin einbezogen werden sollten nunmehr freilich unter Vorsitz der Partei209. Der Bildung dieser SED-Parteikommission stimmte das Zentralsekretariat unverzüglich zu210. Damit hatte sich die SED-Politik vollständig geändert. Man versuchte nicht länger, die eigene Vertriebenenpolitik durch eine öffentlichkeitswirksame Einbindungsstrategie gegenüber den bürgerlichen Parteien abzusichern. Statt dessen setzte man nun auf die von Engel Anfang 1947 skizzierte, damals jedoch verworfene Alternativstrategie211, jeglichen politischen Pluralismus und eine institutionalisierte Öffentlichkeit durch konsequente Machtmonopolisierung zugunsten der SED auszuschalten. 1947 tatsächlich
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„Organisation, die wir nicht mehr in der Hand haben": Die „Liquidierung" der Umsiedlerausschüsse zugunsten des SED-Machtmonopols 1948/49 Das Scheitern des Zentralen Beiratsprojekts im Spätsommer 1947 dürfte erheblich dazu beigetragen haben, in SED und ZVU jene Strukturreform der gesamten Umsiedlerbürokratie durchzusetzen, die zwischen Februar und April 1948 in zwei völlig unterschiedlichen Reformansätzen realisiert wurde zunächst als DWKIntegration, sodann als DVdl-Integration der bisherigen Umsiedlerverwaltung. Schon der erste, im Februar 1948 unter Ägide der SED-Umsiedlerpolitiker Merker und Engel gefaßte Beschluß der SED-Führung zur „Liquidierung" der bisherigen Umsiedlerbehörden betraf auch die erst 1947 einigermaßen flächendeckend geschaffenen Umsiedlerausschüsse der sowjetischen Zone. Das Kernstück dieser Februar-Strukturreform bestand bekanntlich darin, auf Zonenebene im Wirtschaftsplanungsapparat der DWK einen umsiedlerpolitischen Think-tank einzubauen und in den Landesinnenministerien entsprechende Planbehörden einzurichten, die „in engster Verbindung mit den erweiterten Landesumsiedler-Ausschüssen [...], für die eine neue Bezeichnung zu wählen" sei, arbeiten sollten. Diese künftig auf Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsplanung auszurichtenden Landesausschüsse sollten alle Gesetzentwürfe oder Verordnungen der Landesregierungen daraufhin „prüfen, ob die Interessen der neu in das Land gekommenen Bürger in geeigneter Weise berücksichtigt werden". Des weiteren sollten sie in „engster" Zusammenarbeit mit den Kreis- und örtlichen Ausschüssen „die vorläufig noch vorhandenen besonderen Interessen in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht der neu in das Land gekommenen Bürger [...] vertreten und ihre Assimilierung mit der übrigen Bevölkerung [...] fördern" nicht zuletzt dadurch, 3.1.4.
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Ebenda, Bl. 66, ZVU, Engel, Aktennotiz v. 10.10. 47. SAPMO, DY30/IV2/2.022/16, Bl. 200, SED, ZS, Merker, Beschlußvorlage v. 11. 10. 47. 2io SAPMO, DY30/IV2/2027/34, Bl. 84, SED, ZS, Protokollauszug der ZS-Sitzung am 13.10. 47. 2" BAB, DO 2/4, Bl. 40-46, insb. Bl. 44, ZVU, Engel, Memorandum [an SED] v. 18. 2. 47. 2°s
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3.
Eigensinn und Selbstorganisation
463
daß sie die Landesregierungen gezielt über die Situation der „neu in das Land gekommenen Bürger" unterrichten sollten212. Im Februar 1948 schien folglich SEDintern noch unbestritten, daß die Arbeit der Umsiedlerausschüsse in veränderter Form weitergehen sollte. Um anderen Lesarten vorzubeugen, wurde gegenüber dem mecklenburgischen SED-Landesvorstand sogar ausdrücklich bekräftigt, „daß die Umsiedlerausschüsse noch intensiver arbeiten müssen und die soziale Betreuung, Wohnungsbeschaffung, Arbeitslenkung, Hilfe für die Umsiedlerhandwerker usw. noch besser als bisher geführt werden muß"213. Auch als das SEDZentralsekretariat im April 1948 veranlaßt durch die sowjetischen Sicherheitsapparate seine im Februar beschlossene Strukturreform eilig widerrief und durch die rasche Überführung der Umsiedlerverwaltungen in die Innenressorts der Zone und der Länder ersetzte, wurde die Zukunft der Umsiedlerausschüsse explizit nicht berührt214. Doch angesichts der Abhängigkeit effektiver Ausschußarbeit von nachhaltiger administrativer Unterstützung durch die Umsiedlerbürokratie mußte der rapide Abbau derselben und die daraus resultierende Verunsicherung zwangsläufig erhebliche Folgen für die Ausschüsse zeitigen. Weit beunruhigender für die SED war jedoch, daß Umsiedlerausschüsse zunehmend unerwünschte politische Forderungen erhoben. Von jeher hatten aktive Umsiedlerausschüsse den Unmut der lokalen Mehrheitsgesellschaft und ihrer politischen Exponenten auf sich gezogen und bestehende Gruppenkonflikte vertieft215. 1948 schien diese Konflikteskalation umso weniger steuerbar, als sie ihren bisher lokalen Rahmen zu verlassen drohte; viele Umsiedlerausschüsse gerieten durch die wachsende Unzufriedenheit und durch Selbstorganisationstendenzen unter Radikalisierungsdruck der Vertriebenenbasis und erhoben immer öfter allgemeinpolitische Forderungen. Im Februar 1948 verlangte beispielsweise der Umsiedlerausschuß Großen-Luckau namens der „unterzeichneten Umsiedler aus den Provinzen Brandenburg, Pommern, Niederschlesien, Ostpreußen, Posen, aus Danzig und aus anderen Gegenden unseres deutschen Vaterlandes" von der Schweriner Landesregierung, „unsere [im Zuge der Vertreibung] entstandenen Verluste abschätzen zu lassen und uns eine Entschädigung zu zahlen"216. Tendenzen zur Verquickung der offiziellen Umsiedlerausschüsse mit eigenständigen Vertriebenen-Interessenorganisationen in der SBZ wurden immer deutlicher. Im Juli 1948 stellte die brandenburgische Regierung fest, daß von der Grenzstadt Forst ausgehende „Versuche zur Bildung eigener Umsiedlerorganisationen in der Art von Interessengemeinschaften für Umsiedler" zahlreiche Umsiedlerausschüsse zur Mitarbeit hatten bewegen können: „176 Orts-Umsiedlerausschüsse sollen auf -
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SAPMO, DY30/IV2/2.022/16, Bl. 238 f., SED, ZS, Lehmann/Merker, Beschlußvorlage v. 7. 2. 48. SAPMO, DY30/IV2/2.027/34, Bl. 200, SED, ZS, Abt. AS, Belke, an SED, LV Mecklenburg, Abt. AS, 25. 2. 48. SAPMO, IV2/2.022/16, Bl. 268, SED, ZS, Merker, Beschlußvorlage v. 24. 4. 48. Ein Beispiel bietet der Konflikt im brandenburgischen Schwarzheide, wo dem Ausschußvorsitzenden vorgeworfen wurde, ohne das Vertrauen der Vertriebenen zu amtieren und die Gegensätze zwischen Vertriebenen und Einheimischen zu verschärfen; besonders strittig war sein aktives Vorgehen bei der Wohnraumumverteilung; vgl. BAB, DO 2/61, Bl. 200-205, insb. Bl. 201f., Untersu-
chungsbericht über verschiedene Umsiedlergenossenschaften Brandenburgs an Ministerium für Arbeit und Sozialwesen Mark Brandenburg, Abt. UuH, 9. 7. 47. 216 MLHA, Mdl 2698, MfSoz Mecklenburg, HAU, Herzog, an Umsiedlerausschuß Großen-Luckau, 5. 4. 48, sowie dessen Eingabe v. 9. 2. 48.
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II. Die
Soziologie der Macht
die Aufforderung zur Bildung einer eigenen Umsiedlerorganisation durch Zuschriften an die Interessengemeinschaft in Forst reagiert haben"217. Angesichts dessen verwundert es nicht, daß unter den zuständigen SED-Funktionären im Sommer 1948 die Abschaffung der Umsiedlerausschüsse debattiert wurde. Auch die in die DVdl überführten Mitarbeiter der bisherigen ZVU ließen ihr einstiges Lieblingsprojekt fallen. Der bisherige ZVU-Integrationsexperte und angehende SED-Umsiedlerreferent Chwalczyk spielte allerdings eher auf das Versagen der Ausschüsse an, wenn er es grundsätzlich „für falsch" erklärte, „Gebilde aufrechtzuerhalten, die ihre Kraft verbrauchen müssen im Kampf um die Anerkennung ihrer Existenz und die sich offensichtlich in der heutigen politischen und wirtschaftlichen Situation bereits überlebt haben"218. In dieselbe Kerbe schlug der stellvertretende Leiter der DVdl-Hauptabteilung Umsiedler, Thiele, als er im August 1948 dazu riet, die Umsiedlerausschüsse aufzulösen, da diese häufig ausschließlich aus Vertriebenen zusammengesetzt seien (und damit die assimilationsfördernde Parität vermissen ließen), keinerlei Beteiligung der zuständigen Kommunalbehörden aufwiesen und lediglich sozialfürsorgerische Aufgaben erfüllten. Immerhin zeigte sich Thiele überzeugt, daß die von den Umsiedlerausschüssen offenbar nur unzureichend wahrgenommene integrative „Arbeit fortgeführt werden" müsse, indem in die regulären Sozialausschüsse der Gemeinden Vertreter der Vertriebenen integriert werden sollten. Thieles Anregung, „zur Durchführung der bevölkerungspolitischen Aufgaben" die „Schaffung eines entsprechenden Hilfsorgans" in Form von „Kreis- und Gemeindeausschüssen" zu „erwägen", das „aus den Vertretern der wichtigsten Ämter, der Parteien und Organisationen und aktiv in der Gemeindearbeit beteiligten Alt- und Neubürger bestehen" sollte, war sogar ein Spurenelement des reformierten Umsiedlerausschußkonzepts vom Jahresanfang 1948, das aber bald verschwinden sollte219. Der nunmehr auch die Umsiedlerausschüsse bedrohenden Liquidierungspolitik der Zentrale widersprach auf der DVdl-Direktorenkonferenz vom August 1948 der Hallenser Abteilungsleiter Hiebsch, der nachdrücklich die Beibehaltung der Ausschüsse forderte, um öffentlich nicht die völlige „Aufgabe der Fürsorge für die Umsiedler" zu signalisieren und damit die Gefahr unerwünschter Selbstorganisation „gegen das neue Staatswesen" zu vergrößern. Hiebschs Position empfand ein Vertreter der neuen Linie wie Alfred Malz zwangsläufig als „sehr einseitig" und rückwärtsgewandt, bestand doch in seinen Augen die Gefahr der Selbstorganisation umso mehr, je länger man „ewig von Umsiedlern" sprach. Auch die Umsiedlerausschüsse erschienen Malz als „eine sehr problematische Angelegenheit", die man besser niemals geschaffen hätte220. Während Umsiedlerfunktionäre wie Thiele die Abschaffung der Ausschüsse mit deren geringer Handlungsfähig2"7
2>8 2'9
220
BAB, DO 2/22, Bl. 260 ff., insb. Bl. 265, Ministerium für Arbeit und Sozialwesen Brandenburg, Abt. UuH, 2. Quartalsbericht an die SMAB, 7. 7. 48. BAB, DO 2/1, Bl. 177ff., insb. Bl. 178, DVdl, HAU, Chwalczyk, Denkschrift zum Geschäftsver-
teilungsplan der DVdl-Hauptabteilung Umsiedler, 22. 7. 48.
BAB, DO 2/32, Bl. 85 ff., insb. Bl. 85, DVdl, HAU, Protokoll der Direktorenkonferenz am 23. 8.,
22. 9. 48. Man hätte,
so Malz, „seinerzeit" besser „die Sozialausschüsse in den Gemeinden durch Umsiedler erweitern" sollen; vgl. ThüHStA, Mdl 3676, Bl. 37-42, insb. Bl. 39, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über die Direktorenkonferenz vom 23. 8., 25. 8. 48.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
465
keit begründeten, verwies ein SED-Sicherheitspolitiker wie Malz ganz im Gegenteil auf die allzu große und politisch unkontrollierbare Eigendynamik dieser Ausschüsse. Bis Herbst 1948 brachte die DVdl-Führung daraufhin zumindest ihre eigenen Umsiedlerbürokraten auf Linie, denn nunmehr sprach sich auch Thiele für die Auflösung der Umsiedlerausschüsse aus, deren Aufgaben unter Einbeziehung von Vertriebenenvertretern vollständig an die regulären örtlichen Sozialausschüsse, Sozialkommissionen, Wohnungsausschüsse und Ausschüsse für die Verteilung von Industrieerzeugnissen delegiert werden sollten221. Auf der Länderkonferenz vom Oktober 1948 erklärte DVdl-Vizepräsident Seifert, „die Auflösung der Umsiedlerausschüsse" sei deshalb „eine wichtige Frage", weil „die Gefahr einer gewissen Organisation" nicht ausgeschlossen werden könne, „die wir nicht mehr in der Hand haben". Derartige Verselbständigungstendenzen habe man „bei den zentralen Organen der Kleingartenvereine" bereits erlebt. Trotz solcher Eröffnungen regte sich gegen die ersatzlose Abschaffung der Sonderausschüsse unter SED-Ländervertretern weiterhin Widerspruch. Letztlich ging es dabei um die Priorität von Sicherheitspolitik oder Integrationspolitik. Der thüringische Amtschef Kalinke erklärte, zwar seien ihm „die Umsiedlerausschüsse aus politischen Gründen auch nicht ganz sympathisch", doch müsse man objektiv feststellen, „daß dort, wo die Organisationen für die Neubürger regelmäßig ihre Sprechstunde abhalten, die Frage der Assimilierung völlig gelöst" sei. Funktionierende Ausschüsse hätten „durch ihre Tätigkeit eine Atmosphäre des Vertrauens geschaffen", und das sei für ihre Bewertung letztlich „das Entscheidende". Auf diesen Einwand, den der Brandenburger Friedrichs unterstützte, gestand der DVdl-Vizepräsident immerhin zu, man müsse Wege finden, die praktische Integrationsarbeit unter der Abschaffung der Ausschüsse nicht leiden zu lassen. Seifert erwog sogar allerdings unverbindlich und folgenlos ein mögliches Fortbestehen der Ausschüsse unter der Bedingung, sie fortan direkt den Bürgermeistern oder Landräten zu unterstellen, um ihnen jede Möglichkeit zu nehmen, sich zur „Sonderorganisation der Umsiedler" zu entwickeln, statt ein bloßes „Hilfsorgan der Verwaltung" zu bleiben. Hauptabteilungsleiter Malz hingegen, der als Adlatus des DVdl-Präsidenten Fischer faktisch sehr viel einflußreicher war als der ihm formell übergeordnete Vizepräsident Seifert, betonte demgegenüber abschließend nochmals das Ziel einer raschen Auflösung aller Umsiedlerausschüsse222. Letztere wurde am 15. November 1948 vom SED-Zentralsekretariat beschlossen. Ausgerechnet der von SED-Umsiedlerreferent Chwalczyk entwickelte Grundsatzbeschluß zur „Weiterführung des Assimilationsprozesses der Umsiedler" sah damit die Auflösung der Umsiedlerausschüsse aller Ebenen und die Übertragung ihrer Funktionen auf die allgemeinen Sozialkommissionen und Wohnungsausschüsse vor223. Als ZS-Abteilungsleiter Plenikowski im Dezember 1948 den versammelten SED-Umsiedlerfunktionären aus Staat und Partei diesen Beschluß erläuterte, wagte lediglich der einzige frühere Sozialdemokrat in dieser -
-
-
22> 222 223
BAB, DO 2/32, Bl. 12. 10., 10. 11.48.
Ebenda, Bl.
-
151 ff., insb. Bl.
154, DVdl, HAU, Protokoll der Direktorenkonferenz
156 f. und 163 f.
SAPMO, DY30/IV2/2.1/248, insb. Bl. 8, Protokoll der ZS-Sitzung vom
15.11. 48.
am
466
II. Die
Soziologie der Macht
altkommunistischen Runde, der brandenburgische Abteilungsleiter Friedrichs, die kritische Bemerkung, die zum April 1949 verfügte Auflösung der Umsiedlerausschüsse komme „vielleicht zu früh", denn diese Organe hätten sich sonst
„ganz besonders" um die schwierige wohnliche Unterbringung der Vertriebenen bemüht224. Mit dieser Kritik an der SED-Führung stand Friedrichs jedoch völlig allein. Selbst der Hallenser Hiebsch, der sich im Sommer noch für die Beibehaltung der Ausschüsse stark gemacht hatte, schwieg, um sich nur wenig später im Glanz seines von der SED favorisierten „Zerbster Modells" einer Überführung der Ausschuß-Aufgaben in die regulären Sozialkommissionen zu sonnen225. Auf einer im Februar 1949 veranstalteten Regierungskonferenz in Schwerin präsentierte DVdl-Abteilungsleiter Büttner dieses schon 1947 erprobte Vorgehen in Zerbst als Muster der Überleitung: „Wir wollen in Zukunft keine Teilung der Bevölkerung mehr, sondern wir wollen die Umsiedler hineinführen in den ganzen
Volkskörper."226
Indem SED-interne Kritik an der Abschaffung der Umsiedlerausschüsse verstummte, wurde sie zum Monopol der bürgerlichen Blockparteien. CDU-intern hatte der engagierte mecklenburgische Umsiedlerpolitiker Kurt Herzog schon im Herbst 1948 die Frage gestellt, was eigentlich mit den Anfang 1948 mit der SED getroffenen Reformvereinbarungen geschehen sei: „Besteht der Landes-Umsiedlerausschuß noch? Was tut er? Oder was gedenkt er zu tun?"227 Die stille Klärung dieser Frage verlief offenbar so erfolglos, daß sich Herzog im Januar 1949 zum öffentlichen Angriff auf den SED-Liquidierungskurs entschloß. Die „sehr gewagte" Behauptung der SED, daß es in der SBZ kein eigentliches Vertriebenenproblem mehr gebe, solle doch einmal einer Direktbefragung der Betroffenen unterzogen werden, wozu die Umsiedlerausschüsse einen gangbaren Weg böten. Freilich sah dieser CDU-Politiker damals auch Anlaß zur kritischen Frage, ob die Vertriebenen das Instrument der Ausschüsse wirklich wirksam genug genutzt hätten: „Redeten eure Umsiedlerausschüsse so deutlich, daß sie auch von den Räten eurer Gemeinden und Kreise verstanden wurden?" Auf jeden Fall werde „keiner, dem die soziale und seelische Not noch so vieler Umsiedler [...] bekannt ist, [...] den Mut aufbringen, von einer Lösung dieses Problems zu sprechen". Dennoch müsse man leider mittlerweile öffentlich nachfragen, ob der Landes-Umsiedlerausschuß überhaupt noch bestehe228. Schon im November 1948 hatte das CDU-Zentralorgan „Neue Zeit" den Leserbrief eines Umsiedlerausschuß-Vorsitzenden aus Sachsen-Anhalt publiziert, der die damals gängige SED-Problemleugnung mit einer Kaskade polemischer Fragen zur materiellen Notlage vieler Vertriebener und zur alltäglich erfahrenen 224
ThüHStA, Mdl 3676, Bl. 60-65, insb. Bl. 62 f., Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über die Sitzung beim ZS der SED
am 3.12., 16. 12. 48. BAB, DO 2/50, Bl. 299, Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik Sachsen-Anhalt, Abt. Umsiedler, Hiebsch, an DVdl, HAU, 4. 1. 49. 22' BAB, DO 1-8/83, Bl. 57-73, insb. Bl. 66, DVdl, Protokoll über Landeskonferenz des Mdl Mecklenburg am 1.2., 1. 2. 49. 227 MLHA, MfSoz 39, Protokoll der Sitzung des Sozialausschusses [beim CDU-LV MecklenburgVorpommern] am 22. 10., 26. 10. 48. 228 MLHA, Mdl 147, Kurt Herzog MdL [CDU], „Ist das Umsiedlerproblem gelöst?", in: Der Demo223
krat v. 18. 1.49.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
467
Inferiorität gegenüber den Einheimischen konfrontierte. Zunächst einmal seien die Vertriebenen „keine .Neubürger'", sondern gleichberechtigte „deutsche Staatsbürger", hätten ihren „Anteil an der Kriegsschuld des deutschen Volkes als bisher einzige mit unserem gesamten Hab und Gut [bereits] beglichen" und wollten deshalb „keine Fürsorge- [...] oder Almosenempfänger mehr bleiben". Statt dessen erwarteten sie, „daß die Landesregierungen das Umsiedlerproblem nunmehr so anfassen, daß uns unser Recht und das Umsiedlerproblem wirklich gelöst wird"229. Vor Weihnachten 1948 schob die „Neue Zeit" einen weiteren Artikel nach, um triumphierend festzustellen, „wenn es eines Beweises bedurft hätte, daß es durchaus ein Umsiedlerproblem gibt, so wäre er allein schon durch die Lawine von Zuschriften geliefert, die unsere erste kritische Veröffentlichung [...] ins Rollen brachte". Dabei solidarisierte sich das CDU-Zentralorgan mit der Leser-Forderung, „das Umsiedlerproblem [...] neben dem Zweijahresplan zum Thema Nr. 1 des Wiederaufbaus" zu erklären. Anhand solcher Leserbriefe fiel der enge Konnex zwischen CDU-Presse und lokalen Umsiedlerausschüssen ins Auge. Etliche Ausschüsse waren unterdessen dazu übergegangen, „Tausende von Fragebogen" an Vertriebene zu verschicken, um konkrete Daten zum materiellen Ausstattungsmangel zu ermitteln. „Antwort: Es fehlt an allem!"230 Im Unterschied zur Ost-CDU kämpfte die sächsische Liberaldemokratin Fabisch nicht für eine Beibehaltung der Umsiedlerausschüsse, deren Abschaffung sie als Folge „einer notwendigen Entwicklung" anerkannte, um „die Betreuung der Umsiedler aus der [bisherigen] Sonderstellung" herauszuführen231. Diese Haltung hatte Fabisch bereits im November 1948 erkennen lassen, als in Sachsen SED-Bestrebungen zur Beseitigung der Ausschüsse deutlich wurden. So hatte der Kreistag von Dippoldiswalde einen Antrag der SED-Fraktion befürwortet, den Kreisumsiedlerausschuß aufzulösen und dessen Aufgaben den Sozial- und WohnungsAusschüssen zu übertragen, jedoch eine landeseinheitliche Regelung gewünscht und daher den sächsischen Landtag eingeschaltet. Ähnliche Bestrebungen waren „auch in anderen Kreisen laut" geworden. Fabisch bat daraufhin ihren vorgesetzten SED-Arbeitsminister um eine Grundsatzentscheidung, ohne selbst eine klare Richtung vorzugeben232, doch Minister Gabler vertrat (wie der Brandenburger Amtschef Friedrichs) die Auffassung, „daß der Zeitpunkt für eine Auflösung [...] so lange nicht zweckmäßig erscheint, als noch mit weiteren Zugängen von Umsiedlern in nennenswertem Umfange zu rechnen" sei. Zugleich wies dieser aus der SPD stammende SED-Sozialpolitiker darauf hin, „daß zur völligen Eingliederung der Umsiedler in der [sie!] Kernbevölkerung auch zahlreiche Aufgaben gehören, die nicht von den Sozial- und Wohnungsausschüssen behandelt werden; z.B. die Versorgung mit Kleidung, Hausrat und sonstigen Gebrauchsgegenständen und die Unterbringung in Arbeit"233. Die LDP-Amtschefin schloß sich Gablers Posi229 230 231
232
233
SäHStA, LRS, Mdl 303, Bl. 176, „Kein Umsiedlerproblem mehr?", in: Neue Zeit vom „Also doch: Umsiedlerproblem", in: Neue Zeit Nr. 298 v. 22. 12. 48, S. 2.
14.11. 48.
(vergeblich) auf Zaissers Unterstützung für ihr Projekt, eine neue umsiedlerpolitische Planungsbehörde beim DWK-Sekretariat einzurichten; vgl. ebenda, Bl. 174, Stattdessen hoffte Fabisch
MfAS Sachsen, HAU, Fabisch, an Mdl Sachsen, Zaisser, 27. 1. 49. SäHStA, LRS, Mdl 2281, MfAS Sachsen, Fabisch an Gabler, 12. 11. 48. Ebenda, MfAS Sachsen, Gabler an HAU, 18.11. 48.
468
II. Die
Soziologie der Macht
tion an234, verteidigte jedoch die Umsiedlerausschüsse gegen die Liquidierungspolitik der Berliner SED-Zentrale auch in der Folgezeit nicht. Ihr SED-Nachfolger Halm brachte Anfang 1950 unter ungleich schwierigeren Bedingungen den Mut auf, die Auflösung der kommunalen Umsiedlerbehörden und der Umsiedlerausschüsse als übereilt zu kritisieren, doch für deren Wiederherstellung mochte damals auch er nicht mehr plädieren235. Eine nachdrückliche Verteidigung der Umsiedlerausschüsse erfolgte somit ausschließlich seitens der Ost-CDU, die mit diesen Gremien offenbar auch parteipolitische Stützpunkte verlor. Nach den öffentlichen Protesten des Mecklenburgers Herzog nahm sich insbesondere der brandenburgische Arbeitsminister Schwob der Sache an, unter dessen Vorsitz am 1. Juli 1949 der Heimkehrer- und Umsiedlerausschuß der CDU „einmütig" den „Wunsch zum Ausdruck" brachte, „die in den Gemeinden vorhandenen Umsiedlerausschüsse zu erhalten und, wenn solche schon aufgelöst sind, wieder neue zu bilden"236. Schwob hatte schon früher vergebens versucht, „ein Koalitionsrecht für Vertriebene zu erwirken"237. Noch im August 1949 veröffentlichte die „Neue Zeit" eine Liste der wichtigsten „Wünsche und Forderungen der Umsiedler", auf der neben Forderungen zum Lastenausgleich und zu sozialpolitischen Integrationshilfen die „Bildung von Umsiedlerausschüssen" und die „Bildung einer Umsiedlerorganisation" einträchtig nebeneinander standen. Während sich die geplante „Umsiedlerorganisation" besonders mit der Vorbereitung eines Lastenausgleichs hätte befassen sollen, ging es der OstCDU in der Ausschußfrage um bessere Partizipationsmöglichkeiten für Vertriebene: Vertreter der Umsiedlerausschüsse sollten „in alle Kommissionen" integriert werden, „die Umsiedlerfragen zu entscheiden haben", so daß eine verbindliche „Mitwirkung und Beratung" von Vertriebenen „bei allen obenerwähnten Forderungen" zur Integrationspolitik sichergestellt sei238. Am 30. August 1949 forderte der zonale Heimkehrer- und Umsiedlerausschuß der Ost-CDU „erneut die Beibehaltung der Umsiedlerausschüsse in den Verwaltungen" und verlangte eine verbindliche Vertriebenenbeteiligung an den „Wohnungs- und Sozialausschüssen sowie Sozialkommissionen" der Gemeinden239. Indem diese Forderungen ins Leere liefen, wurde das eklatante Demokratiedefizit der SBZ/DDR ein weiteres Mal offenbar. Lediglich für die brandenburgischen Ausschüsse hatte die von Minister Schwob veranlaßte CDU-Intervention einen kurzfristigen Aufschub erbracht, denn im Juli 1949 waren anders als in anderen Teilen der SBZ in Brandenburg „die Umsiedlerausschüsse noch nicht aufgelöst worden". Daraufhin erhielt der Potsdamer SED-Abteilungsleiter Kuhn seitens der DVdl strikte -
-
-
234
233 236
237 238 239
-
In ihrem 1948er Jahresbericht konstatierte Fabisch lediglich, angesichts der unzulänglichen Verder Vertriebenen und der Notwendigkeit ihrer „rechtlichen Sicherstellung" ersorgungslage scheine eine Auflösung der Umsiedlerausschüsse als „verfrüht"; vgl. SäHStA, LRS, Mdl 2751, Bl. 91, MfAS Sachsen, HAU, Jahresbericht für 1948. Ebenda, Mdl Sachsen, Abt. Umsiedler, Jahresbericht für 1949, S. 22. „Bessere Versorgung der Umsiedler", in: Märkische Union Nr. 52 (148) v. 1. 7. 49, S. 1. Christopeit, Die Herkunft und Verteilung der Evakuierten, Flüchtlinge und Vertriebenen in der Provinz Mark Brandenburg, S. 105 f. K. A., „Zum Lastenausgleich", in: Neue Zeit Nr. 183 v. 7. 8. 49, S. 2. „Für Umsiedler und Heimgekehrte", in: Neue Zeit Nr. 210 v. 8. 9. 49, S. 2.
3.
469
Eigensinn und Selbstorganisation
Weisung, „eine sofortige Auflösung der U-Ausschüsse [zu] fordern"240. Bereits im April 1949 hatte DVdl-Abteilungsleiter Büttner heftig kritisiert, daß „im Lande
Sachsen noch immer Umsiedlerausschüsse bestehen, die mit ihren nicht erfüllbaren Forderungen und Entschließungen negative Erscheinungen hervorrufen"241. Die Umsiedlerausschüsse waren für die SED zweifellos ein zweischneidiges Instrument: Hatte ihre Institutionalisierung ursprünglich die Gefahr einer Selbstorganisation der Vertriebenen verringert, so beschwor sie doch gleichzeitig ein Interessenbündnis zwischen Vertriebenen und bürgerlicher Blockpolitik herauf. Zugleich konnten Vertriebene auf der institutionellen Plattform der Ausschüsse politische Forderungen stellen, die der SED aus inhaltlichen Gründen oder wegen negativer Reaktionen der alteingesessenen Mehrheitsgesellschaft hochgradig unangenehm waren. DVdl-Abteilungsleiter Büttner begründete daher im August 1949 die unterdessen vollzogene Auflösung der Umsiedlerausschüsse in der SBZ zunächst einmal integrationspolitisch. Das Argument, die Ausschußarbeit habe die Gefahr einer ,,weitere[n] Aufspaltung der Bevölkerung" erhöht, statt „die an diese Ausschüsse geknüpften Hoffnungen auf ein allmähliches Ineinandergehen beider Bevölkerungsteile" zu erfüllen, verweist darauf, daß die durch die Ausschüsse erhöhte Konfliktbereitschaft der Vertriebenen in der Mehrheitsgesellschaft offenbar kontraproduktiv gewirkt und die entsprechende SED-Position beeinflußt haben dürfte. Das entscheidende Motiv für die Wiederabschaffung der erst kurz zuvor eingerichteten Umsiedlerausschüsse war jedoch macht- und sicherheitspolitischer Natur. Der SED schienen „die Umsiedlerausschüsse mehr und mehr zu reaktionären Gruppen" geworden zu sein, in denen „mit Unterstützung gewisser Kreise aus LDP und CDU [...] Resolutionen verfaßt" wurden, „die unerfüllbare Forderungen enthielten". Nachdem in den Ausschüssen „auch die Frage der Oder-Neiße-Grenze [...] erneut zur Diskussion gestellt" worden war, lag das Scheitern der ursprünglichen SED-Strategie kontrollierter Partizipation offen zutage. Damit war das Schicksal der Umsiedlerausschüsse in der SBZ besiegelt242. Das soziopolitische Konfliktpotential wurde durch ihre Abschaffung freilich nicht sistiert. Auch in der Vertriebenenpolitik erreichte „die Geschichte der DDR als Geschichte der Suche ihrer Konflikte nach Ausdrucksformen"243 mit der Auflösung von Umsiedlerverwaltungen und Umsiedlerausschüssen 1948/49 lediglich eine neue Phase, ohne an ihr der SED so erwünschtes Ende gelangen zu können. Da eine offizielle Vertretung von Gruppeninteressen den Vertriebenen in der SBZ/DDR seit 1949 nicht mehr möglich war, gab es für die unter ihnen fortwährenden Kommunikations- und Organisationsbestrebungen nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder man nahm die Angebote zur Mitarbeit in den offiziellen «o
24'
BAB, DO 2/33, Bl. 87, DVdl, Abt. BP, Büttner, Bericht über Arbeitsbesprechung mit Kuhn, Mdl
Brandenburg, 6. 7. 49.
BAB, DO 2/1, Bl. 217, DVdl, HA Verwaltung, Abt. BP, Büttner, Bericht
v.
11. 4.
49; diese Ein-
DVdl-Abteilung Bevölkerungspolitik unterschied sich erheblich von jener der DVdl-Hauptabteilung Umsiedler, die zur selben Zeit den Ausschüssen eher zu geringfügige Aktivitäten anlastete: vgl. BAB, DO 2/18, Bl. 43 ff., insb. Bl. 55, DVdl, HAU, Entwurf Arbeitsbericht schätzung
für 1948. 242 243
der
SAPMO, NY 4036/744, DVdl, Abt. BP, Büttner, Aktennotiz v. 10. 8. 49. Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, S. 454.
470
II. Die Soziologie der Macht
Parteien, Massenorganisationen und als Ersatz der Umsiedlerausschüsse angebo-
Sozialkommissionen und Wohnungsausschüssen wahr oder man wurde in die Illegalität abgedrängt.
tenen
-
„Die richtige Zusammensetzung": Kommunale Wohnungsausschüsse und Sozialkommissionen als interessenpolitische Ersatz-Institutionen Als die 1949 „noch teilweise bestehenden Umsiedler-Ausschüsse bzw. Neubürger-Kommissionen" mit der Begründung „schnellstens aufzulösen" waren, daß „sie dem Prozeß des Verschmelzens mit der Stammbevölkerung hinderlich im Wege stehen" würden, übertrug man die bisherigen Aufgabenbereiche dieser Sonderausschüsse partiell auf die regulären, für alle Bürger gleichermaßen zuständigen kommunalen Sozialkommissionen und Wohnungsausschüsse244. Dabei berief sich die SED-Politik auf einen schon 1947 praktizierten und als erfolgreich gewerteten Modellversuch des Kreises Zerbst, wo diese Aufgabenübertragung allerdings mit der Maßgabe verbunden gewesen war, daß „in den gemäß Befehl Nr. 92 zu bildenden Sozialkommissionen 50% Umsiedler vertreten sein müssen"245. Diese Partizipationsquote wurde bei der zonenweiten Nachahmung des Zerbster Modells jedoch völlig außer acht gelassen. Teilweise ließ sich dies damit entschuldigen, daß die Rekrutierung ehrenamtlicher Mitarbeiter für solche Gremien in der Praxis oft derartige Probleme bereitete, daß eine solche Quote völlig irreal anmutete: In Mecklenburg fanden sich weder unter Vertriebenen noch unter Einheimischen hinreichend viele Freiwillige zur Mitarbeit in den Sozialkommissionen, wofür aus Sicht der Landesregierung der Dauerkonflikt zwischen diesen Gremien und den Gemeindevertretungen verantwortlich war246. Und wenn die Ost-CDU im August 1949 öffentlich forderte, „daß in den Wohnungs- und Sozialausschüssen sowie Sozialkommissionen auch Umsiedler vertreten sein müssen"247, war dies offensichtlich sehr häufig immer noch nicht der Fall. Von einer verbindlichen Quote war übrigens auch im CDU-Antrag keine Rede. Die Auflösung der Umsiedlerausschüsse veränderte die ohnehin ungünstige kommunalpolitische Machtbalance eindeutig zu Lasten der Vertriebenen. Insbesondere in der umkämpften Frage der Wohnraumumverteilung, bei der es nach Feststellungen des SED-Zentralsekretariats Anfang 1949 immer noch krasse Verteilungsungerechtigkeiten zwischen Vertriebenen und Alteingesessenen gab, mußte sich diese Kräfteverschiebung negativ auswirken, zumal Vertriebene in vielen regulären kommunalpolitischen Institutionen unterrepräsentiert waren. Der SED-internen Analyse zufolge hatten allerdings die Vertriebenen diese Benachteiligung vielfach selbst verschuldet, da sie infolge illusorischer Rückkehrhoffnungen jahrelang „dem Kampf um ihre Gleichberechtigung ausgewichen" seien und sich an der Kommunalpolitik der SBZ nur „ungenügend" beteiligt hätten. Infolgedessen seien „bei den Gemeindewahlen 1946 zum großen Teil Alteinwohner, oft sogar in großer Zahl, Gewerbetreibende, Hausbesitzer, Großbauern usw. in die
3.1.5.
244 243
2« 247
BAB, DQ 2/963, DVdl, Seifert/Büttner, Rdschr. o.D. [Abschrift für HVAS, Januar 1949]. BAB, DO 2/50, Bl. 299, Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik, Abt. Umsiedler, Hiebsch, DVdl, HAU, 4. 1.49. MLHA, MfSoz 32b, MfSoz Mecklenburg, HAAS, Brinkmann, Rdschr. v. 20. 12. 47. „Für Umsiedler und Heimgekehrte", in: Neue Zeit Nr. 210 v. 8. 9. 49, S. 2.
an
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
471
worden. Diese kommunalpolitisch dominierenden Mittelschichten" hätten in der Folgezeit, „meistens aus ,privatem Interesse' ", eine gerechte Durchführung des Alliierten Wohnungsgesetzes mit seinen Einquartierungsbestimmungen effektiv verhindert. Um Abhilfe zu schaffen, empfahl die ZS-Organisationsabteilung 1949 neue Richtlinien für die kommunalen Wohnungsämter und die SED-Basis. Zur Debatte stand allerdings nicht die in Zerbst einst vorgeschriebene und von der sachsen-anhaltischen Umsiedlerabteilung 1949 wohl in Verallgemeinerungsabsicht nach Berlin gemeldete 50%-Quote für Vertriebene in den Wohnungsausschüssen. Angesichts ihrer generellen Forderung, von einem ,Umsiedlerprob\em'" nicht länger zu sprechen, sondern nur noch allgemeine Arbeits- und Sozialpolitik zu thematisieren248, konnte die SED-Organisationsabteilung nicht besonders überzeugend für Vertriebenenquoten in allgemeinpolitischen Gremien eintreten. Im Sommer 1946 hatte Helmut Lehmann namens des SED-Zentralsekretariats die Parteigliederungen noch angewiesen, bei der Bildung kommunaler Wohnungsausschüsse darauf zu achten, daß denselben auch Gewerkschaftsvertreter, Frauen und Vertriebene angehörten. Es sei „Aufgabe der Parteiorganisation [...], diese Ausschüsse zu betreuen und darüber zu wachen, daß das Wohnungsgesetz so angewendet wird, daß es den Besitz- und Wohnungslosen eine wirkliche Hilfe wird"249. Zunächst einmal hatte die SED jedoch ihre eigene parteipolitische Dominanz gesichert, denn im Sommer 1947 waren fast die Hälfte der 43500 Mitglieder kommunaler Wohnungsausschüsse in der Einheitspartei organisiert, während Vertreter bürgerlicher Parteien nur in jedem dritten Ausschuß zu finden waren. Angesichts der in der Bevölkerung höchst unpopulären Umverteilungsaufgaben dieser Ausschüsse stimmte diese augenfällige Vorherrschaft der SED deren Parteiführung eher bedenklich. Daß der Vertriebenenanteil in den Wohnungsausschüssen lediglich bei 5,6% und damit weit unter dem Bevölkerungsanteil von fast 25% dieser an Wohnraumumverteilung besonders interessierten sozialen Gruppe lag, war hingegen für die SED-Führung von untergeordnetem Interesse250. Wenn folglich jedoch in den Wohnungsausschüssen SED-Mitgliedschaft und Zugehörigkeit zur einheimischen Bevölkerung in der Regel zusammenfielen, konnte ein massives vertriebenenförderndes Engagement dieser Ausschüsse bei der Wohnraumumverteilung kaum erwartet werden. Die SED-Organisationsabteilung bemerkte 1949 sogar, daß ein Teil der örtlichen SED-Funktionäre selbst eindeutig „zu große Räume" bewohne, weshalb die SED an der Verhinderung „einer gerechten Wohnraumverteilung" nicht unschuldig sei251. Um die Unterrepräsentation der Vertriebenen in den Wohnungsausschüssen zu ändern, hatte die ZVU im Februar 1947 angeregt, den Umsiedlerausschüssen ein
Gemeindeverwaltung gewählt"
den „Alteinwohner
aus
„
248
SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. lOOf., SED, ZS, Abt. Organisation, Schäfer, „Bemerkungen der
249
SAPMO, DY30/IV2/2.027/41, Bl. 23 f., SED, ZS, Lehmann, Rdschr. v. 27. 8. 46.
250
"1
Org.-Abteilung zum Umsiedlerproblem", 24. 2. 49.
In der SBZ wurden damals 9423 Wohnungsausschüsse mit 43500 Mitgliedern gezählt, von denen 20593 der SED, aber nur 3771 der CDU, 3517 der LDP, 4765 dem FDGB und 5479 den Frauenausschüssen angehörten; nur ganze 2426 der Ausschußmitglieder waren demnach Umsiedler; vgl. ebenda, Bl. 150, SED, ZS, Abt. AS. Weck/Belke, Rdschr. v. 30. 7. 47.
SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. lOOf., SED, ZS, Abt. Organisation, Schäfer, „Bemerkungen der
Org.-Abteilung zum Umsiedlerproblem", 24. 2. 49.
472
II. Die Soziologie der Macht
institutionelles Vertretungsrecht in den Wohnungsausschüssen zu geben. Da die 1946 erlassene DVAS-Durchführungsverordnung zum Wohnungsgesetz des Alliierten Kontrollrats nicht eindeutig geklärt hatte, wer die Mitglieder des Wohnungsausschusses ernannte, befürchtete die ZVU ein faktisches Ernennungsmonopol der örtlichen Wohnungsämter, durch das der als Beratungs- und Kontrollgremium gedachte Ausschuß neutralisiert werden könnte: „Es wäre im extremen Fall denkbar, daß ein örtlich aktiver und dem Wohnungsamt unbequemer Umsiedlerausschuß, der sich um eine Vertretung im Wohnungsausschuß bemüht, in diesen nicht aufgenommen wird."252 Zugleich wollte die ZVU die Interventionsrechte der Wohnungsausschüsse stärken, die ein eigenständiges Recht zur Begehung des kommunalen Wohnungsbestandes253 und die rechtliche Handhabe zur Umwandlung bisheriger Untermietverhältnisse in gleichberechtigte Hauptmietverhältnisse erhalten sollten254. Zumindest das Recht eigenständiger Wohnungsbesichtigungen erhielten die Ausschüsse bis Spätsommer 1947 tatsächlich255. Und im Herbst 1947 bereitete die für Wohnungspolitik zuständige DVAS neue Richtlinien vor, in denen „ausdrücklich festgelegt" werden sollte, daß Vertriebene zumindest „in ausreichender Zahl" in den Ausschüssen vertreten sein müßten256. Die beteiligten Zentralverwaltungen wußten nur zu gut, daß der Erfolg solcher Partizipationsförderung von kommunalen Kräftekonstellationen abhing. Deshalb warb ZVU-Funktionär Chwalczyk im Februar 1948 als Referent auf einem Schulungskurs kommunaler Wohnungsamtsleiter gezielt für vertriebenenpolitisches Engagement. Die Wohnungsämter sollten auf „die richtige Zusammensetzung" der Wohnungsausschüsse achten, denn „je besser ein Wohnungsausschuß arbeitet, desto leichter wird die Arbeit des Wohnungsamtes werden". Umgekehrt könne man sagen: „Überall dort, wo sich die Wohnungsausschüsse zu reinen Schlichtungsorganen haben degradieren lassen, kann man darauf schließen, daß das Wohnungsamt seine Arbeit bürokratisch angefaßt hat und wahrscheinlich nicht die Rolle spielt, die einer Wohnungsbehörde zugedacht ist." Einige Ämter und Ausschüsse agierten laut Chwalczyk als regelrechte „Interessenvertreter der ihren alnamentlich der besser ten Lebensstandard zäh verteidigenden Altbevölkerung situierten Kreise". Um dies zu ändern, forderte der Umsiedlerbürokrat eine grundsätzliche Beteiligung von Vertriebenen in den Wohnungsausschüssen, die aus pragmatischen Gründen zunächst über eine Beteiligung der Umsiedlerausschüsse erfolgen sollte. Dies betrachtete die ZVU als Übergangslösung, denn eigentlich sollten „die Umsiedler hier nicht als eine besondere Gruppe der Bevölkerung" betrachtet werden, „sondern wir wünschen, daß Umsiedler und Altbevölkerung bereits so miteinander verwachsen sind, daß jede Gruppe von Menschen, die zu einem bestimmten Zweck zusammentritt, sei es als Ausschuß oder in einer sonstigen Form, sich bereits aus Altansässigen und Umsiedlern in der richti-
232
233 234
233
*»
BAB, DO 2/66, Bl. 23-33, insb. Bl. 23 f., ZVU, Abt. Organisation, Chwalczyk, „Das KontrollratsGesetz Nr. 18 (Wohnungsgesetz) und die Durchführungsverordnung der deutschen für Arbeit und Sozialfürsorge (kritische Bemerkung)", 13.2. 47.
Verwaltung
Ebenda.
Ebenda, Bl. 48-54, insb. Bl. 50, ZVU, Abt. BPuA, Chwalczyk, „Das Wohnungsgesetz und seine
Anwendung", 16. 6. 47.
Ebenda, Bl. 57 f., ZVU, Daub/Chwalczyk, an DVAS, 27. 9. 47. Ebenda, Bl. 62, DVAS, Matern, an ZVU, 16. 10. 47.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
473
man Vertriebene erst nachträglich in solche Ausschüsse integrieren müsse, könne man auf örtliche Assimilationsprobleme schließen und (was Chwalczyk freilich nicht aussprach) auf ein Versagen der Kommunalverwaltung257. Intern wurden Umsiedlerbürokraten noch weitaus deutlicher. So stellte der 1948er Jahresbericht des thüringischen Neubürgeramtes fest, viele Wohnungsausschüsse seien „den Weg des geringsten Widerstandes" gegangen und hätten eine „augenfällig einseitige Wohnungspolitik" mitverschuldet258. Darum müsse grundsätzlich sichergestellt werden, daß in den Wohnungsausschüssen und Sozialkommissionen „die Umsiedler selbst vertreten sind" und daß ihre Forderungen wirklich beachtet würden259. Als bis zum Sommer 1949 die Auflösung der Umsiedlerausschüsse erfolgte, wurde die Umsetzung dieser Forderung im Vertriebeneninteresse dringender denn je. Das vom einstigen ZVU-Funktionär Karl Jagodzinski geleitete Wohnungsreferat der DWK-Hauptverwaltung Arbeit und Sozialfürsorge (HVAS) zeigte diesbezüglich durchaus Problembewußtsein. Gemäß den im Juli 1949 erlassenen „Richtlinien über die Tätigkeit der Wohnungsausschüsse" sollten sich diese „nicht darauf beschränken", lediglich zu den „ihm vom Wohnungsamt zugeleiteten Fällen Stellung zu nehmen", sondern „selbst die Initiative" ergreifen, Anregungen machen, Mißstände aufzeigen und Verbesserungsvorschläge entwickeln. Die Kriterien des Wohnungsgesetzes für die Zusammensetzung der Ausschüsse wurden von der zonalen Wohnungsbehörde als „Mindestforderungen" ausgelegt, um „die Mitgliederzahl durch Hereinnahme von Angehörigen der politischen Parteien und Vertreter der Fachausschüsse der Parlamente zu erhöhen". Frauen mußten nach Auffassung der HVAS in den Ausschüssen weit stärker vertreten sein als bisher, auch ausgewiesene NS-Gegner sollten bevorzugt werden. „Bei dem Interesse der Umsiedler an der Wohnraumlenkung" sollte „angestrebt werden, daß dieser Bevölkerungskreis im Verhältnis zu seinem Anteil an der Gesamtbevölkerung in den Wohnungsausschüssen vertreten ist". Das implizierte eine 25%-Quote, die jedoch für die Wohnungsausschüsse nicht verbindlich gemacht wurde260. Die kommunalen Machtverhältnisse ließen sich allerdings durch den gutgemeinten Interventionismus des SED-Systems nur geringfügig beeinflussen. So stellte der leitende Wohnungsbürokrat der DDR, derselbe Jagodzinski, Anfang 1952 ein allgemeines Versagen der Wohnungsausschüsse fest, die „keine Initiative entfaltet" hätten, nicht zuletzt, „weil die Anleitung [durch die Wohnungsbehörden] zu schwach war"261. Zur gleichen Zeit beobachtete das sächsische Innenministerium eine Dauerkonfrontation zwischen Wohnungsämtern und Wohnungs-
gen Form zusammensetzt". Wo -
Ebenda, Bl. 75-83, insb. Bl. 81, ZVU, Chwalczyk, Referat über „Die Bedeutung der wohnlichen Unterbringung bei der Wiederseßhaftmachung der Umsiedler" einem Schulungskurs von Mitarbeitern der Wohnungsämter der SBZ am 11.2. 48, o.D. BAB, DO 2/27, Bl. 1-107, insb. Bl. 83, Mdl Thüringen, AfN, Jahresbericht für 1948, o.D. 239 ThüHStA, Mdl 3702, Bl. 8-12, insb. Bl. 12, Willy Kalinke, Erfurt, an die Genossen Max Richter und Emma Sachse, Willy Gebhardt und Rudolf Güldenpfennig sowie Arthur Vogt, 27. 2. 49. «o 257
vor
238
BAB,
261
DO 2/66, Bl. 85-90, insb. Bl. 86f., DWK, HVAS, an „ZVU" [i.e. DVdl, HAU], 20. 7. 48. Das Arbeitsressort hoffte, neben dem ohnehin interessierten FDGB auch andere Massenorganisationen zur Ausschuß-Mitarbeit zu bewegen; vgl. BAB, DO 1/33283, [MfA DDR], Jagodzinski, an Mdl DDR, Lange, 14. 1.52.
474
II. Die Soziologie der Macht
ausschüssen, da beide Instanzen häufig einander widersprechende Entscheidun-
gen träfen. An der die Lebenssituation für viele Jahre vorentscheidenden Erstun-
terbringung von Vertriebenen wurden die Ausschüsse durch die Ämter offenbar nicht beteiligt262. Solche Realitäten entwerteten die Tatsache, daß in einigen be-
sonders stark von Vertriebenen bevölkerten Landkreisen Sachsens diese Bevölkerungsgruppe in sämtlichen Wohnungsausschüssen vertreten war263. Damit hoben sich diese sächsischen Gebiete trotzdem vorteilhaft von Thüringen ab, wo Stichproben der Regierung im Juni 1950 ergeben hatten, daß dort lebende Vertriebene nicht nur in den 1946 gewählten Gemeindevertretungen, sondern „bis jetzt" auch „in den Ausschüssen [...] wenig vertreten" waren. Im Kreis Eisenach mit einem Vertriebenenanteil an der Bevölkerung von 18% zählten demnach von etwa 1600 Gemeindevertretern nur rund 90 zu den Vertriebenen, was einem Anteil von 5,6% entsprach. Und nur in 28 von insgesamt 158 Gemeinden dieses Kreises waren in den kommunalen Wohnungs- und Sozialausschüssen Vertriebene vertreten also in nicht einmal 18% aller Gremien. Dies mochte erklären, warum in diesem Landkreis Vertriebene über eine Pro-Kopf-Wohnfläche von höchstens sieben Quadratmetern verfügten, während der Vergleichswert für Einheimische mit zwölf Quadratmetern fast doppelt so hoch lag264. Mit assimilationspolitischer Effizienzsteigerung hatte die Auflösung der Umsiedlerausschüsse folglich trotz entsprechender SED-Behauptungen nichts zu tun. Daß die Stellung der Vertriebenen in den kommunalen Konflikten um Anerkennung und Güterverteilung durch die Abschaffung der Umsiedlerausschüsse vielmehr eindeutig gelitten hatte, wurde bereits im März 1949 während der Beratungen des sachsen-anhaltischen Landeswohnungsausschusses mit Vertretern der DWK, der DVdl und aller übrigen Landesausschüsse offen festgestellt. Auf dieser Sitzung hatte HVAS-Referent Jagodzinski von den Wohnungsausschüssen ausdrücklich verlangt, bei Wohnraumvergaben künftig vor allem „die besonderen Erfordernisse der Wirtschaft Beachtung" finden zu lassen; Wohnraumzuteilungen sollten vorrangig auf die Industrie-Facharbeiterschaft, die Belegschaften der neuen Maschinen-Ausleih-Stationen (MAS) und ausgezeichnete „Aktivisten" aus der Erwerbsbevölkerung konzentriert werden. Diese aufbauorientierte Prioritätensetzung ging zwangsläufig zu Lasten sozial schwacher Bevölkerungsgruppen, die innerhalb der politischen Prioritätenkonkurrenz über keine Lobby verfügten. Der anwesende DVdl-Funktionär Büttner hielt zutreffend fest: „Im allgemeinen wirkt sich der entstehende Druck auf diejenige Bevölkerungsgruppe, die wirtschaftlich am schwächsten ist, am schnellsten und am leichtesten aus und das sind vor allem Umsiedler, Evakuierte, Berufslose, Rentner usw."265 War es offenbar um die angemessene Partizipation von Vertriebenen in den kommunalen Wohnungsausschüssen und Sozialkommissionen der SBZ trotz zentralstaatlicher Förderungsbemühungen gleichermaßen schlecht bestellt, so schei-
-
262
Ebenda, Mdl Sachsen, Abt. BP, Halm, an Mdl DDR, Abt. BP, 5. 11. 51. SäHStA, LRS, Mdl 2188, Mdl Sachsen, Hofmann, Bericht über Kreisüberprüfung zur Durchführung des Umsiedlergesetzes in den Kreisen Niesky, Grimma und Meißen, 19. 1. 52, S. 8. 2« ThüHStA, Büro MP 228, Bl. 320-325, insb. Bl. 320L, MP Thüringen, Afl, Bericht Nr. 118/50 v. 263
7. 6. 50.
2«
BAB, DO 2/35, Bl. 75, DVdl, Abt. BP, Büttner, Bericht über ausschusses Sachsen-Anhalt am 9. 3. 49, 11. 3. 49.
100.
Sitzung des Landeswohnungs-
3.
475
Eigensinn und Selbstorganisation
wie etwa das günstige Verhalten vieler Sozialkommissionen bei der Durchführung des Wohnbedarfkredits ab 1950 zeigt266 Vertriebenenbelange in den sonen
-
zialfürsorgerischen Beratungsgremien der Kommunalverwaltungen eher Berücksichtigung gefunden haben als in den Wohnungsausschüssen. Auch in diesem Falle hatte die ZVU 1947 „verlangt", daß in den Bestimmungen zur Konstituierung der Sozialkommissionen „die Neubürger und Umsiedler ausdrücklich miterwähnt und herangezogen werden" sollten267. Später war seitens der DVdl-Abteilung Bevölkerungspolitik nur noch die Rede davon, daß Wohnungsausschüsse und Sozialkommissionen „den speziellen Belangen der Umsiedler und Heimkehrer Rechnung zu tragen" hätten268. Diese unabhängig von Vertriebenenmitwirkung gegebene größere Hilfsbereitschaft der Sozialkommissionen war keineswegs zufällig, sondern paradigmatisch bedingt. Während es bei der Tätigkeit der Wohnungsausschüsse um Gleichberechtigung und Umverteilung aufgrund gesetzlicher Anrechte ging, schrumpfte Vertriebenenförderung in den Sozialkommissionen auf jene sozialfürsorgerische Perspektive, welche die Umsiedlerausschußpolitik der ZVU zuvor gezielt hatte überwinden wollen. Anders, als dies die Wohnungsausschüsse hätten tun sollen, verhalfen die Sozialkommissionen nicht gleichberechtigten Bürgern zu ihrem gesetzlich verbrieften Recht, sondern sie halfen sozial Schwachen (und dadurch gesellschaftlich Stigmatisierten) notdürftig über eine Notlage hinweg. Durch diese Hilfeleistung wurde der inferiore Status der Vertriebenen nicht behoben, sondern gleichgültig, welche Intentionen die Helfer haben mochten in der sozialen Praxis erneut bestätigt. Die Auflösung der Umsiedlerausschüsse scheint im Laufe des Jahres 1949 weitgehend erfolgt zu sein. Übersehen wurde offenbar der betriebliche Umsiedlerausschuß des Braunkohlekombinats Espenhain, der erst im Februar 1950 der Auflösung verfiel, nachdem er in Erinnerung an frühere ZVU-Kontakte269 den Fehler begangen hatte, durch ein Hilfsersuchen an die schon seit längerem nicht mehr existente Umsiedler-Zentralverwaltung ins Visier des DDR-Innenministeriums zu geraten. Dieses fand zwar anerkennende Worte für die geleistete Arbeit, bat jedoch unmißverständlich, der Ausschuß möge sich umgehend in die Sozialkommission des Kombinates eingliedern: „Wir glauben, daß diese Maßnahmen zur weiteren Verschmelzung der ehemaligen Umsiedler mit der alteingesessenen Bevölkerung beitragen und der Gegensatz zwischen beiden Bevölkerungsteilen da-
-
-
-
-
mit leichter überbrückt wird."270 In Wahrheit ging es nicht um die Überbrückung von Gegensätzen, sondern um deren Entschärfung. Nachdem den Vertriebenen in ihrem „Gegensatz" zur einheimischen Mehrheitsgesellschaft die einzige institutionelle Plattform zur Vertretung besonderer Gruppeninteressen genommen worden war, waren sie mehr denn je auf das Wohlwollen der von Alteingesessenen dominierten Gremien angewiesen. Diese kommunale Machtkonstellation ließ auch die Durchführung des 1950 2
BAB, DO 1/33267, MP DDR, Grotewohl, an Mdl DDR, Warnke, 4.
form-Mitteilung vom 29. 9. 50, S. 3. Vgl. Kap. III.1.4.1. 273
10.
50, Anlage: Afl DDR, In-
272
BAB, DO 1/33272, Mdl DDR, Abt. BP, Arzt, Bericht über die setzes
im Kreis
Cottbus, 20.
10. 50.
Durchführung des Umsiedlerge-
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
477
ten", sprach den lokalgesellschaftlichen Diskriminierungserfahrungen zahlreicher
Menschen Hohn. Aus Sicht des SED-Regimes konnte jedoch die Existenz besonderer Umsiedlerausschüsse „evtl. noch vorhandene Spannungen zwischen den ehemaligen Umsiedlern und der Kernbevölkerung nur verschärfen"274. Bei der Beseitigung der Umsiedlerausschüsse trafen sich folglich das machtpolitische Interesse des herrschenden Systems an durchgreifender Kontrolle und das soziale Interesse der alteingesessenen Mehrheitsbevölkerung an der Aufrechterhaltung des lebensweltlichen Status quo. Beide Interessen sahen sich durch die institutionelle Basis zur Artikulation von Vertriebeneninteressen nachhaltig gestört. Dieses stillschweigende Interessenbündnis zwischen SED-Herrschaft und Mehrheitsgesellschaft, dessen doppeltes Ruhebedürfnis sich gegen die in verschiedener Hinsicht aufbegehrenden Vertriebenen richtete, bildete den Hintergrund jener rückblickenden Feststellung der DDR-Regierung vom Herbst 1953, „daß eine besondere Herausstellung der Umsiedler die Assimilierung erschwert" habe und daß die Umsiedlerausschüsse „die Seßhaftmachung häufig behinderten und zum Teil noch vorhandene Gegensätze zwischen der altansässigen Bevölkerung und den Umsiedlern vertieften"275. Diese „noch vorhandenen Gegensätze" innerhalb der Gesellschaft der SBZ/DDR waren folglich zum Zeitpunkt der Ausschußauflösung längst nicht gelöst. Die gesellschaftspolitische Funktion der Beseitigung besonderer Vertriebeneninstitutionen hatte schon 1948 ein der CDU nahestehender Vorsitzender eines Umsiedlerausschusses klar auf den Punkt gebracht: Vor dem Hintergrund krasser gesellschaftlicher Ungleichheit und Diskriminierung wirke die von der SED plötzlich vertretene Parole vom bereits gelösten Vertriebenenproblem zwangsläufig „wie eine Ermunterung an [sie!] die einheimische Bevölke-
rung"276. 3.2.
„Die Selbstverwaltung der Flüchtlinge":
Vertriebenen-Selbstorganisation
und polizeistaatliche Repression in der SBZ/DDR
Folgt man einer Feststellung der in Westdeutschland lebenden Soziologin Elisabeth Pfeil aus dem Jahre 1948, waren die ins restliche Deutschland gelangten deutschen Vertriebenen in ihren sozialen Beziehungen zur alteingesessenen Bevölkerung ihrer Aufnahmegebiete bis dahin schlicht „Nichthingehörige" geblieben: Die „Kluft zwischen sich und den Menschen, unter die sie verschlagen wurden", sei von den Zwangsmigranten deutlich empfunden worden, und zwar, obgleich in diesem Falle Deutsche „unter Angehörige des eigenen Volkes versetzt" worden seien277. Damit befanden sich die Vertriebenen im Nachkriegsdeutschland trotz gleicher Volkszugehörigkeit oder gar Staatsangehörigkeit in soziokultureller Hinsicht (zumindest überwiegend) in einer klassischen Einwanderungssituation278. 273
BAB, DO 1/33276, Mdl DDR, Abt. BP, Heinze, an Walter B., Hohenstein-Ernstthal, 27. 11. 52. BAB, DO 2/49, Bl. 140-158, insb. Bl. 140, Mdl DDR, Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten, Abt. BP, „Erläuterungen zur Lage der ehemaligen Umsiedler in der Deutschen Demokrati-
276
SäHStA, LRS, Mdl 303, Bl. 176, „Kein Umsiedlerproblem mehr?", in: Neue Zeit vom 14.11. 48.
274
schen 277 278
Republik", 20.
10. 53.
Pfeil, Der Flüchtling, S. 56. Auch die frühe volkskundliche
Forschung
zur
Vertriebenenintegration
betonte Ähnlichkeiten
II. Die Soziologie der Macht
478
Einen nur auf den ersten Blick unpassend scheinenden Vergleich zwischen diesen deutschen Vertriebenen in Deutschland und den vor dem NS-Regime geflohenen deutschen Emigranten im Ausland zogen zurückkehrende Emigranten selbst, und
deren Gesprächspartner gestanden nach anfänglichem Widerstreben die Berechtigung dieses Vergleiches zu, dessen Tertium comparationis im „Gefühl des Fremdseins" bestand: „Keiner der Vertriebenen, der auf der Flucht oder im Sammellager sehnlichst wünschte, ins .Reich' und zu den Brüdern zu kommen, ist ,ins Reich gekommen'; sie alle entdeckten schließlich, daß ihre Vertreibung ein Weg in die Fremde war. Enttäuscht suchen sie aneinander Halt, am Landsmann oder am
Schicksalsgefährten."279 Freilich gab es Abstufungen: Pommern, die es ins weiterhin zu Deutschland gehörige Vorpommern verschlagen hatte, dürften sich soziokulturell weniger „fremd" gefühlt haben als Ostpreußen in Sachsen oder katholisch-städtische Sudetendeutsche im lutherisch-ländlichen Mecklenburg. „Am schwersten" war das Gefühl der Desintegration offenbar für Volksdeutsche Vertriebene aus Südosteu-
„die sich zum Teil gar nicht mehr als Deutsche fühlen" mochten: ,Vor vielen hundert Jahren sollen wir ja mal aus Deutschland gekommen sein'", äußerte „ein alter Mann" zu Pfeil280. Generell hatte das doppelte Chaos von Vertreibung und Erstansiedlung bislang voneinander getrennte regionale, soziale und konfessionelle Bevölkerungsgruppen durchmischt und einer erzwungenen wechselseitigen Begegnung also einer ursprünglichen Fremdheits-Erfahrung ausgesetzt281. Elisabeth Pfeil beobachtete, daß die Konflikte zwischen Einheimischen und Fremden ein Wechselspiel von Ausgrenzung und Selbstabgrenzung in Gang setzten. Ghettoisierung war kein von Vertriebenen nur passiv erlebter, sondern auch ein aktiv gestalteter Prozeß. Gefühle „geheimer Verzweiflung" gegenüber einer abweisenden und übermächtigen Umwelt mischten sich „zur Herstellung des [inneren] Gleichgewichtes" nicht selten „mit geheimem Stolz" gegen diese als verächtlich empfundene Außenwelt282. Andere Beobachter aus Vertriebenenkreisen haben darauf hingewiesen, daß nicht soziokulturelle Trennlinien, sondern die soziale Deklassierung der Vertriebenen „am schärfsten und nachhaltigsten" deren „Spannungsverhältnis" zu den Alteingesessenen bestimmt habe. Gerade weil die große Mehrheit der Vertriebenen in kleinen Landgemeinden untergebracht worden sei, „deren soziales Gefüge [...] durch den Krieg kaum gestört" worden sei, habe sich „notwendigerweise und von Anfang an der deutliche Abstand zwischen dem .Wohlstand' der Einheimischen und der ,Armut' der Vertriebenen bemerkbar machen" müssen: „Die einen sind im Stande des Besitzes, die anderen im Stande besitzloser Proletarier." Dieses deklassierte Vertriebenenproletariat sei durch weitgehende Nivellierung früherer sozialer Unterschiede gekennzeichnet, so daß man um 1950 in Deutschland „fast von einem Stück klassenloser Gesellschaft sprechen" wollte, „mit Überbleibseln alter Rangordnungen zwar", die damals jeropa,
„
-
279
280 28' 282
-
zwischen Vertriebenenintegration und sonstigen Migrationstypen, etwa im Hinblick auf die Kluft der Generationen: vgl. Karasek-Langer, Volkstum im Umbruch, S. 686. Böttcher, Die deutsche Emigration aus dem Osten, S. 1160 und S. 1162. Pfeil, Der Flüchtling, S. 56. Ebenda, S. 60. Ebenda, S. 60 f.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
479
doch (auch politisch) weniger zählten als das „gemeinsame Schicksal" der Vertreibung und die „soziale Deklassierung" in der Aufnahmegesellschaft283. Die zunächst informelle, später auch organisierte Gruppenbildung der Vertriebenen basierte wesentlich auf diesem soziokulturell wie materiell bedingten sozialen „Gegensatz zwischen Einheimischen und Zugezogenen". Erst dieser Sozialkonflikt und das daraus resultierende Gefühl der Fremdheit und NichtZugehörigkeit machte aus Vertreibungsopfern Vertriebene. Deren bald entstehende Interessenorganisationen politisierten die „Frontstellung gegenüber den noch in Eigentum, Beziehungen, altgewohnter Nachbarschaft und Gesellschaftsordnung verwurzelten Bodenständigen" ebenso, wie sie die gruppeninterne Tendenz zur „Selbsthilfe, der Nachbarlichkeit zu Schicksalsgefährten und das Sicheinfügen in eine größere, am Aufnahmeort vorhandene Gruppe gleich betroffener Menschen" institutionalisierten. Letzteres bot vielen „die psychologisch wichtige Möglichkeit", sich „für eine gewisse Übergangszeit als ,Gleicher unter Gleichen' relativ geborgen zu wissen"284. Die private oder organisierte „Hilfsbereitschaft der Flüchtlinge untereinander" basierte auf dem Wissen darum, wie einander zumute war. Gerade um diese Stabilisierungsfunktion der Ghettoisierung nicht zu beschädigen, riet Elisabeth Pfeil 1948 dazu, „den gesellschaftlichen Zusammenschlüssen der Heimatlosen keine Hindernisse in den Weg zu legen"285. In den westlichen Besatzungszonen fanden solche Plädoyers Gehör. Auch für die sowjetische Zone war den Umsiedlerbürokratien bekannt, daß ein „gesellschaftlicher Verkehr" zwischen Vertriebenen und Alteingesessenen in den ersten Nachkriegsjahren kaum gegeben war. Ein in Bitterfeld lebender Vertriebener, der diese Sachlage im April 1947 dem ZVU-Vizepräsidenten Philipp Daub schilderte, führte diese gesellschaftliche Kluft nicht auf Abgrenzungstendenzen der Vertriebenen, sondern auf eine „vorsätzliche Isolierung der Einheimischen vor den Umsiedlern im Privatleben" zurück. Zu einer „Verschmelzung" komme es „nur dort, so das Erwerbsleben zum gegenseitigen Zusammenarbeiten zwingt!" Unter den sozial ausgegrenzten und isolierten Vertriebenen bestehe daher eine „tiefe unstillbare Sehnsucht nach der verlorenen Habe und Heimat"; man würde allgemein „lieber, wenn möglich, wieder unter Polen und Chechen [sic!] [...] leben als unter den einheimischen deutschen Volksgenossen". Gegenüber der Situation bei Kriegsende hätten sich die Zustände in den Jahren 1946/47 sogar verschlimmert: Zahllose Selbstmorde oder krankheitsbedingte Todesfälle unter Vertriebenen gingen auf die andauernde Hungersnot zurück, würden jedoch von keiner Zeitung als Problem registriert. Angesichts der großen Notlage bei Wohnraum, Hausrat, Kleidung und Nahrung blieben die Hilfen des Staates völlig unzulänglich; zudem machten kommunale Verwaltungen oft große Schwierigkeiten, die den Vertriebenen zustehenden Bezugsscheine tatsächlich zu erteilen. Die für Vertriebene oft veranstalteten Spendensammlungen der einheimischen Bevölke-
hingegen erst gar nicht als Hilfe empfunden, sondern seien doppelt kontraproduktiv; zum einen brächten sie kaum brauchbare Ergebnisse, zum anrung würden
283
284 283
Böttcher, Die deutsche Emigration aus dem Osten, S. Karasek-Langer, Volkstum im Umbruch, S. 659. Pfeil, Der Flüchtling, S. 61 f.
1162-1164.
II. Die
480
Soziologie der Macht
degradierten sie die Vertriebenen zu Almosenempfängern und nötigten sie unangebrachter Dankbarkeit. Gerade aufgrund des Konflikts mit der einheimischen Bevölkerungsmehrheit löse die Maxime der sowjetzonalen Politik,
deren zu
Gesten
daß die Vertriebenen in der SBZ dauerhaft ihre „neue Heimat" erkennen müßten, „allgemein oft stärksten Protest, tiefe erbitterte Ablehnung, starken Widerwillen bei dem größten Teil der Umsiedler aus". Folgte man dieser Analyse eines Betroffenen, so konnte im Jahre 1947 in der SBZ „von einer brüderlichen Verschmelzung" zwischen Vertriebenen und Alteingesessenen „derzeit selbst mit der stärksten Propaganda keine Rede sein" „im Gegenteil, die Kluft vergrößert sich"286. Dieser vertriebene Bitterfelder bezweifelte denn auch ausdrücklich die Realisierbarkeit der SED-Assimilationspolitik. Statt dessen schlug er vor, allen nicht NS-belasteten Vertriebenen die Möglichkeit zu geben, in ihre bisherigen Heimatgebiete zurückzukehren. Bis dies möglich werde, solle man in der SBZ den Vertriebenen ein weitgehend selbstbezügliches Leben in einer institutionalisierten Parallelgesellschaft ermöglichen. Man müsse dazu eine zonale Vertriebenen-Interessenorganisation mit Zentralstelle und eigener Zeitung schaffen, die als „Unterstützungs-Geselligkeitsverein ehemaliger Umsiedler" für gegenseitige Hilfe, Arbeitsbeschaffung, Spendensammlungen und „billige Kredite" sorgen solle. Um absehbare Befürchtungen der SED (und wohl auch der Sowjets) auszuräumen, die jegliche Form demokratischer Selbstorganisation in der SBZ ablehnten, schlug der Bitterfelder Vertriebene vor, Kriegsverbrecher von der Mitgliedschaft in dieser Vertriebenenorganisation grundsätzlich auszuschließen. Auch dürften „innerhalb des Vereinslebens [...] keine politischen Tendenzen propagiert oder gefördert werden". Trotzdem war dieses Bitterfelder Projekt für die SED-Führung ebenso indiskutabel wie das Ansinnen, Vertriebenen-Delegationen zu bilden, um mit den Vertreiberstaaten über Entschädigung oder Eigentumsrückerstattung für alle nicht NS-Belasteten zu verhandeln287. Die gesellschaftlichen Problemlagen vertriebener Selbstorganisation ähnelten sich im ersten Nachkriegsjahrzehnt über Zonen- und Staatsgrenzen hinweg. Elektrisiert vom politischen Aufstieg der westdeutschen Vertriebenen-Protestpartei BHE, verwiesen 1950 die „Frankfurter Hefte" auf die gesellschaftliche und politische Bedeutung solcher Selbstorganisation, die als notwendiger Akt der Emanzipation gegenüber der bisherigen, von Besatzungsmächten und einheimischen Behörden praktizierten bevormundenden „Flüchtlingsbetreuung" begriffen wurde. Besonders wichtig an den aus „eigener Kraft" entstandenen „Organisations- und Lebensformen" schien, daß sie Vertriebenen erstmals „einen spezifischen Rang als Partner in der Politik" verschafften, der es ermöglichte, „Bedingungen zu stellen, die von der eingesessenen Bevölkerung akzeptiert werden" mußten288. Selbstbestimmte politische Partizipation die „Selbstverwaltung der Flüchtlinge" wurde -
in solcher Sicht
unerläßlichen Voraussetzung ihrer gesellschaftlichen Integration: „Es ist das Ende der Flüchtlingsverwaltung. Jetzt muß man die Kraft ihrer Solidarität in Rechnung stellen."289 28¿ 287 288
289
-
-
zur
SAPMO, NY4243/23, Bl. 1 f., Johann St., Bitterfeld, an ZVU, Daub, 4. 4. 47, Brief Nr. 2. Ebenda, Bl. 3 f. Böttcher, Die deutsche Emigration aus dem Osten, S. 1166f.undS. 1170f. Ebenda, S. 1175.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
481
Institutionalisierte Selbstorganisation von Vertriebenen hatte stets ein Doppelgesicht: Einerseits bedeutete sie im Sinne Pfeils eine Form ghettoisierter „Heimat" durch organisierte Geselligkeit, zum anderen aber bot sie auch eine Plattform für nach „außen" gerichtete zielstrebige Interessenpolitik. Was oft als selbstbezügliche Selbsthilfeaktion innerhalb einer Gruppe Vertriebener begann, konnte sehr leicht als politisches Forderungsbündnis in Richtung Staat und Mehrheitsgesellschaft externalisiert werden. Das assimilationspolitisch begründete Koalitionsverbot der Alliierten, das die Vertriebenen unter Ausnahmerecht stellte und ihnen zeitweilig in allen Besatzungszonen Selbstorganisation untersagte, richtete sich gegen beide Seiten dieses Phänomens. Die sich ab 1948 noch verstärkende Repression in der SBZ, die auch Institutionen bisher geförderter kontrollierter Partizipation wie die Umsiedlerausschüsse beseitigte, war nicht zuletzt eine Reaktion auf Veränderungen in Westdeutschland, wo das Koalitionsverbot der Alliierten damals durch politische Pluralisierung relativiert und schließlich ersetzt wurde. Die sich etablierende SED-Diktatur konnte organisierte Sonderinteressen in der SBZ um so weniger tolerieren, als diese ihren anfänglich lokalen Rahmen zu überschreiten und sich sogar mit westdeutschen Organisationen zu vernetzen drohten. Verstärkte Repressionspolitik der SED war daher zwangsläufig, allerdings nicht auch zwangsläufig erfolgreich. Jedenfalls trifft es nicht zu, daß bereits „Ende 1950" der SED-Führung „die Zerschlagung der letzten Geheimtreffen von Vertriebenen" hätte gemeldet werden können290. In der DDR kam es noch Jahre später sogar zu öffentlichen, landsmannschaftlich motivierten Versammlungen von mehreren tausend Vertriebenen. Darüber hinaus boten nicht nur die „Subgesellschaften" der kirchlichen Milieus Vertriebenen institutionalisierte Organisationschancen; auch diverse Varianten ghettoisierter Vertriebenengemeinschaften, von ländlichen Siedlungskernen bis hin zu industriell-gewerblichen Genossenschaftsbelegschaften, widersetzten sich auf je unterschiedliche Weise dem totalitären Verbot ihrer Form von Selbstorganisation. Die Repressionspolitik der SED-Diktatur stieß schließlich auch deshalb an Grenzen, weil die DDR über eindeutige Grenzen in territorialer Hinsicht nicht verfügte291 und durch ihre westdeutsche „Referenzgesellschaft" permanent herausgefordert wurde292. Waren in der SBZ/DDR organisierte Vertriebenentreffen nicht möglich, fanden Vertriebene aus dem SED-Staat doch immer noch die Möglichkeit, zu solchen Veranstaltungen nach Westberlin oder Westdeutschland zu reisen, was Polizeiorgane des SED-Regimes hilflos registrierten293. Vor dem Mauerbau war west-östliche Vertriebenenkommunikation durch staatliche Pressionen zwar zu beeinträchtigen, aber nicht zu unterbinden. Und vor wie nach dem Mauerbau durchkreuzten Rundfunk und das sich auch in der DDR verbreitende Fernsehen die totalen Kontrollansprüche der Propagandaund Repressionsapparate294. Die DDR hatte von Beginn an „die Propaganda290 291
292 293 294
Diese Behauptung bei Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 238. Das schließt nicht aus, das Verhältnis von offener Grenze und Diktaturentwicklung in der DDR letztlich ambivalent aufzufassen, wie dies bei Bessel, Grenzen des Polizeistaates, S. 237, aufscheint. Graf, Blick vom Westen, S. 56. Vgl. BAB, DO 1-11/886 und 887. Verfügten 1956 nur 4% der West- und 1% der Ost-Haushalte über Fensehgenehmigungen, so wuchs diese Zahl bis 1962 auf 37 bzw. 32% an, um bis 1966 auf 61 bzw. 54% zu steigen; damit be-
II. Die
482
Soziologie der Macht
schlacht im Äther klar verloren"295. Insbesondere der „Rundfunk im Amerikanischen Sektor" Berlins (RIAS) wurde daher zum Feindbild der SED-Potentaten296, da dessen Einfluß auf in der DDR lebende Vertriebene offenkundig war297. Doch während Gedanken und Sozialbeziehungen von Vertriebenen weithin autonom bleiben konnten und der institutionelle Schutzraum der Kirchen nur ansatzweise beschädigt wurde, gelang es dem SED-Regime im Laufe der fünfziger Jahre immerhin, darüber hinausgehende Formen der Selbstorganisation von Vertriebenen unmöglich zu machen oder zumindest in die NichtÖffentlichkeit abzudrängen.
„Man kann nicht durch Dekrete die Heimatgefühle unterbinden": Selbstorganisationsversuche vertriebener Kommunisten in der SBZ Anfänglich sah sich die SED sogar selbst mit internen Organisationsbestrebungen vertriebener Parteimitglieder konfrontiert. Personelle Netzwerke, die leicht zu mobilisieren waren, existierten insbesondere unter den in die sowjetische Zone gelangten sudetendeutschen „Antifa-Umsiedlern", die der SED-Führung bereits Mitte 1946 ihre Distanz zu den von Alteingesessenen dominierten regulären SEDGliederungen signalisierten. Die Parteispitze reagierte mit der Aufforderung, sich an der „Umsiedlerarbeit" der Partei systematisch zu beteiligen und „vor allen Dingen in den Umsiedlerausschüssen aktiv [zu] werden"298. Das Engagement der Antifa-Umsiedler sollte folglich zugleich gestärkt und diszipliniert werden, wozu auch die von Ulbricht schon 1945 geforderte Integration von Antifa-Umsiedlern in die sowjetzonalen Umsiedlerbürokratien diente299. Diese Kanalisierungspolitik hat SED-intern zweifellos Erfolge erzielt. Sie reichte dennoch nicht aus, um Eigeninitiativen von in der SED organisierten Vertriebenen völlig zu absorbieren. Dies verhinderte schon die häufige Tatsache, daß SED-Parteigliederungen „noch immer nicht das richtige Verständnis für die Umsiedler" aufbrachten. Aufgrund dessen diskutierten Antifa-Umsiedler in Thüringen im Spätsommer 1946 Vorschläge, inhaltlich SED-loyale, organisatorisch jedoch eigenständige Vertriebenenorganisationen in der SBZ zu bilden. „Durch solche Organe" „Heimatvereine" hofften diese in der SED organisierten Vertriebenen zugleich, ein „Mittel zur Unterbindung reaktionärer Machenschaften in 3.2.1.
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saßen 1966 3,6 Millionen DDR-Haushalte ein S. 209. 293
Fernsehgerät; vgl. Meyen, Ein Stück Privatleben,
Schildt, Zwei Staaten eine Hörfunk- und Fernsehnation, S. 62.
neue West-Berliner Umsiedlerorganisationen aufmerksam, die Propagandamöglichkeiten (RIAS, NWDR usw.)" und „sicher auch" über „Verbindungswege innerhalb der Zone" verfügten; vgl. BAB, DO 1-7/71, SED, ZS, Plenikowski, an DVdl, Fischer, 11.3. 49. 297 So im März 1952 während einer Schulungsveranstaltung in Sachsen, wo der Zirkelleiter „früher des Bannes der Hitlerjugend" die Ostgrenzenfrage revisionistisch erörterte; damit Angestellter habe der Redner obwohl 296
Im März 1949 wurde die SED auf -
„über genügend Geldmittel und
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er eingestandenermaßen RIAS-Ar„allgemeine Zustimmung" gefunden, gumente benutzt habe; vgl. SAPMO, DY30/IV2/9.02/72, Bl. 130, Afl DDR, IK, Inform-Mitteilung 1/138/52 v. 29. 3. 52, Sonderbericht; im selben Jahr wurde dem Pfarrer im brandenburgischen Hohenferchesar unterstellt, „auf der Grundlage von RIAS-Argumenten" zu predigen; vgl. SAPMO, DY30/IV2/9.02/77, Bl. 52 ff., insb. Bl. 57, Afl DDR, IK, Inform-Mitteilung 11/221/52 v. -
23. 9. 52. 298
299
BAB, DO 2/4, Bl. 98-106, insb. Bl. lOOf., ZVU, Protokoll und Anlagen der Konferenz der Umsiedler aus den Ländern und Provinzen der SBZ am 14. 6. 46, o.D.
Vgl. oben Kap. II.2.2.2.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
483
die Hände" zu bekommen, statt tatenlos mitansehen zu müssen, daß „sich die Umsiedler selbständig in Gruppen zusammenschließen und mit losen Zusammenkünften unkontrollierbar arbeiten". Berichte aus dem Raum Gera ließen darauf schließen, daß es im Sommer 1946 etliche informelle Vertriebenentreffen, geordnet nach Herkunftsorten, gegeben hatte, wobei die allenthalben grassierenden Rückkehrgerüchte auch Antifa-Umsiedler verwirrten. Statt Selbstorganisationstendenzen von Vertriebenen einfach polizeistaatlich zu unterdrücken, sollte sich die SED nach Meinung ihrer Antifa-Umsiedler besser an deren Spitze stellen: „Man kann nicht durch Dekrete die Heimatgefühle unterbinden, sondern muß sie für unsere Bewegung ausnützen."300 Sowjets und SED-Führung erteilten derartigen Ansinnen konsequente Abfuhren. Doch der gegenläufige Versuch der SED-Parteizentrale, das Engagement ihrer vertriebenen SED-Mitglieder strikt zu kontrollieren, ist in den ersten Nachkriegsjahren nicht immer gelungen. Dabei spielten auch regionale Aspekte der KP-Parteigeschichte vor 1945 eine nicht zu unterschätzende Rolle. Gerade aus (gemessen an den Grenzen von 1937) nicht-reichsdeutschen Vertreibungsgebieten stammende Kommunisten etwa solche aus der CSR oder aus den 1939 „heim ins Reich" geholten Sonder-Territorien Danzig und Memel hatten die brutale Disziplinierung der KPD zu einer moskauhörigen Kaderpartei, wie sie ein erheblicher Teil der SED-Führungsgruppe im sowjetischen Exil erlebt und überlebt hatte, nicht mitvollzogen. Die mangelnde Vertrautheit mit sowjetischer Machtpolitik und ihre intuitive Empörung über die ungerechten sozialen Verhältnisse in den Aufnahmeregionen der SBZ verleiteten nicht wenige in der SED organisierte Vertriebene zu eigensinnigem „Abenteurertum", das nicht zuletzt in die Bildung eigenständiger Interessenvertretungen für Vertriebene gegen den Willen der SEDParteiführung münden konnte. Nicht zufällig wurde Thüringen, ein Hauptaufnahmegebiet sudetendeutscher „Umsiedler", auch zu einem frühen Schwerpunkt solcher Selbstorganisationsbestrebungen. Bereits Mitte 1946 verhandelte eine „Sozialistische Umsiedleraktion Thüringen", die in Mühlhausen eine „Betreuungsstelle" installiert hatte, mit dem Landesamt für Neubürger, das damals von einem der SED angehörenden kommunistischen Antifa-Umsiedler geleitet wurde301. Leiter von in die SBZ gelangten Antifa-Transporten behielten ihre Sprecher-Position auch nach erfolgter „Ansiedlung" bei, um staatliche Stellen auf die feindselige Haltung der einheimischen Bevölkerungsmehrheit aufmerksam zu machen. Im Kreis Hildburghausen wollten Antifa-Umsiedler trotz akuter Notlagen nicht um finanzielle Unterstützung nachsuchen, da sie „nicht als Bettler nach hier gekommen, sondern zum Aufbau unserer guten Sache" in die SBZ gegangen seien. Viele waren jedoch nach einigen Monaten derart entmutigt worden, daß sie erwogen, nicht etwa von den alteingesessenen Deutschen, sondern „von den Russen Hilfe zu erbitten oder den Transport wieder zurückzuführen". Der Transportleiter dieser Gruppe wollte jedoch die „Russen" nicht mit solchen Problemen „belästigen", die letztendlich „doch -
-
-wo 301
SAPMO, DY30/IV2/2.022/118, Bl. 92-96, SED, ZS, Berichte an Merker, 6.9. 46; ferner auch Grottendieck, Egalisierung ohne Differenzierung?, S. 205-209. ThüHStA, Mdl 3704, Bl. 5, Sozialistische Umsiedleraktion Thüringen, Betreuungsstelle Mühlhausen, an Präsident des Landes Thüringen, LKfN, Ressel, 23. 6. 46.
II. Die
484
Soziologie der Macht
Sache der deutschen Behörden" seien, und appellierte lieber an seinen thüringischen SED-Landesvorstand, umgehend zu helfen, bevor all „diese Gen.[ossen] kaput [sie!] sind und den Mut verloren haben"302. Nicht alle Antifa-Umsiedler aus der CSR bewahrten nach ihrem Ankunftsschock in der SBZ dieses Grundvertrauen in die SED und die deutschen Verwaltungen. Im Januar 1947 rügte das thüringische Amt für Neubürger gegenüber einem Umsiedler-Wortführer in Nordhausen, daß zu einer dort einberufenen „Konferenz der Antifa-Neubürger" keine Behördenvertreter eingeladen worden seien, wodurch die „Gefahr" bestehe, „daß die antifaschistischen Umsiedler sich in einer bestimmten Form isolieren und nicht den notwendigen Kontakt mit den zuständigen Stellen und der Bevölkerung finden"303. Diese Furcht vor Selbstorganisationsbestrebungen unter SED-organisierten „Umsiedlern" war nicht unberechtigt und ließ sich nur zu bald auch nicht mehr auf Sudetendeutsche beschränken. Ende 1946 wurde in Magdeburg ein Versuch, „unter der Maske von .Antifaschisten' eine Vereinigung Danziger Landsleute" zu bilden, von der Provinzialregierung vereitelt. Zu diesem Zeitpunkt existierten bereits Statuten und ein Termin für die Gründungsversammlung. Die Sowjets stuften den Vorfall als hochgradig sicherheitsrelevant ein, denn der Hallenser Landesumsiedlerbehörde wurde „dieser Fall" umgehend „von der SMA, Umsiedlerabteilung, abgenommen und mit dem Bemerken, daß sie den Vorgang selbst bearbeiten werde, eine Bear-
beitung verboten"304. Noch weiter gedieh eine von schlesischen SED-Mitgliedern betriebene Selbstorganisation in Mecklenburg. Am 5. Januar 1947 hatte in der Kreisstadt Malchin eine Versammlung von 180 Vertriebenen stattgefunden, die vom „Umsiedler" Friedrich B. aus Breslau einem anerkannten „Opfer des Faschismus" und Mitglied der SED einberufen worden war305. Der Initiator war mit seinem Vorhaben -
Ende 1946 an andere aus Schlesien stammende SED-Funktionäre in der Malchiner SED-Kreisleitung und im Kreisarbeitsamt herangetreten, die nachträglich allerdings behaupteten, „vom ersten Moment an eine abneigende Haltung" dazu eingenommen zu haben. Tatsächlich aber waren sie durch die Tatsache, dass B. eine Genehmigung des zuständigen sowjetischen Politoffiziers der Kreiskommandantur zu erwirken vermochte, überzeugt worden, daß es sich um eine „ordnungsgemäße Angelegenheit" handele. Die Angelegenheit bekam überregionale Bedeutung, weil auch ein Funktionär der Informationsabteilung der Landesregierung an der Malchiner Versammlung teilnahm. Alle diese SED-Funktionäre wollten sich jedoch, wie sie nachträglich behaupteten, lediglich „über die Sinn- und Zwecklosigkeit dieses Verbandes" unterhalten haben, der dort gegründet wurde306. Der -
302 303
Ebenda, Bl. 34, Antifaschistischer Transport Hildburghausen, Franz B., Themar, an SED, LV Thüringen, Abt. Umsiedler, o.D. [ca. Anfang 1947]. Ebenda, Bl. 28, Ministerium für allgemeine Verwaltung Thüringen, AfN, an Franz N., Nordhausen, 30. 1.47.
304
303
306
BAB, DO 2/50, Bl. 516, Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik Sachsen-Anhalt, Abt. Umsiedler, Hiebsch, an Mdl Sachsen-Anhalt, Siewert, 30. 3. 49. MLHA, MP 623, MP Mecklenburg-Vorpommern, Abt. Information, Tiedt, Bericht über die Gründung des „Deutschen Umsiedler-Verbandes" in Malchin am 5. 1. 47, 10. 1. 47; ferner auch
Grottendieck, Egalisierung ohne Differenzierung?, S. 209-217.
MLHA, MfSoz 802, MfSoz Mecklenburg-Vorpommern, Abt. AS, Rosenträger,
an
MP Mecklen-
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
485
Malchiner SED-Kreisvorstand stempelte B. zum Alleinverantwortlichen und sozial Gescheiterten, welcher „der Kreisleitung seit längerer Zeit als Querulant bekannt und aufgefallen" sei und binnen kurzem vier Stellen im öffentlichen Dienst erhalten und wieder aufgegeben habe. Die öffentlich erfolgte Selbstorganisation solle man hingegen nicht zu wichtig nehmen, habe doch der von B. gegründete Umsiedlerverband nur einen einzigen Tag lang existiert307. Die mit Unterstützung der sowjetischen Kommandantur und der lokalen SED veranstaltete Malchiner Vertriebenenversammlung war tatsächlich zu dem Zweck erfolgt, die Gründung eines eigenständigen „Umsiedler-Verbandes" zur besseren Vertretung der Vertriebeneninteressen auf Kreisebene vorzunehmen. In seiner Rede formulierte SED-Mitglied B. als Ziel, die „Umsiedler" nicht länger als „Menschen zweiter Klasse den Einheimischen gegenüber" oder „als .verkommene Flüchtlinge' stiefmütterlich behandeln" zu lassen, sondern mit Hilfe der neuen Organisation ihre „Gleichberechtigung bei der Wohnraumverteilung, der Bezugscheinzuteilung, der Arbeitszuweisung" und auch in den politischen Vertretungen durchzusetzen. Alle diese Forderungen waren unter den Versammelten unstrittig. Differenzen entstanden jedoch über die korrekte Bezeichnung der eigenen Gruppe und die damit verbundene Deutung ihres Schicksals: Als B. die Versammelten im politisch korrekten SED-Jargon als „Umsiedler" ansprach, „wurden Rufe laut: ,Wir sind nur arme Flüchtlinge', ,wir sind Vertriebene, Heimatlose!'" Allerdings gelang es dem Redner, die Versammlung mehrheitlich auf seine Seite zu ziehen, denn „die Abstimmung ergab [...] eine überwiegende Mehrzahl für die Bezeichnung .Deutscher Umsiedler-Verband'". Auch wurde B. zum Vorsitzenden gewählt und machte die kämpferische Versprechung, „in der Erfüllung seiner Aufgaben durch dick und dünn zu gehen und unter Umständen durch Demonstrationen die Ziele des Verbandes zu erkämpfen". Zugleich wurde eine auf umfassende Gleichberechtigung zielende Resolution an die Kreisverwaltung und die Parteien gerichtet: „Die Umsiedler haben im allgemeinen Aufbau nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte, wenn man ihnen die zwangsweis[e] gewählte neue Heimat nicht verleiden will." Konkret gefordert wurden die gerechte Verteilung von Wohnungen, Möbeln und Bezugscheinen, eine Beschäftigungsquote für Umsiedler im öffentlichen Dienst sowie die „Bekämpfung jeder Art von Schiebung"2,0*. Der in Malchin gegründete „Deutsche Umsiedlerverband" wurde am folgenden Tag polizeilich wieder aufgelöst, sein Initiator und Vorsitzender sogar von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet309. Der Anstoß zu dieser Repression war offensichtlich vom mecklenburgischen SED-Innenminister Hans Warnke ausgegangen, der gleichzeitig der „politischen Abteilung der SMA" die Bitte übermittelte, alle sowjetischen Kommandanten anzuweisen, künftig „keine Genehmigung zur Bildung solcher Vereine zu geben". Die rücksichtslose Zerschlagung des Malchiner Interessenverbandes begründete der einflußreiche SED-Landespolitiker
burg-Vorpommern, Abt. Information, 7. 2. 47, Anlage: Kreisamt für Arbeit Malchin, Koch, an MfSoz Mecklenburg-Vorpommern, Rosenträger, 30. 1. 47. 307 Ebenda, SED, KV Malchin, Abt. PP, an MfSoz Mecklenburg-Vorpommern, Rosenträger, 30. 1. 47. 308 Ebenda, MP Mecklenburg-Vorpommern, Abt. Information, Tiedt, Bericht über die Gründung des „Deutschen Umsiedler-Verbandes" in Malchin am 5.Januar, 10. 1. 47. 309 MLHA, MP 623, MfSoz Mecklenburg-Vorpommern, Burmeister, an MP Mecklenburg-Vorpommern,
Höcker,
19. 2. 47.
486
II. Die
Soziologie der Macht
damit, „daß durch die Bildung solcher Vereine eine Teilung unserer Bevölkerung
in Einheimische und Umsiedler erfolgen würde". Diese Spaltung der Gesellschaft hatte der sowjetische Politoffizier in Malchin, der den Verband genehmigt hatte, offensichtlich längst für gegeben gehalten und daraus eine offene Parteinahme zugunsten der sozial schwächeren Vertriebenen abgeleitet. Im Falle Malchins entstand dadurch die pikante Situation, daß ein SED-Landesminister das alliierte Koalitionsverbot auch gegen eine sowjetische Kreiskommandantur zur Geltung brachte310, freilich nicht, ohne sich höheren Orts in der SMA selbst wieder rück-
zuversichern.
Das Eingreifen des Innenministers und des sowjetischen Geheimdienstes in Malchin zog etliche Rechtfertigungsschriften der beteiligten SED-Funktionäre nach sich. Während die Malchiner SED-Kreisleitung den Initiator des Umsiedlerverbandes ausgrenzte und denunzierte, beharrte die Informationsabteilung der Landesregierung darauf, der verhaftete B. habe keineswegs aus egoistischen Motiven den Interessenverband gegründet, ihm könne der ehrliche Wille, die Not der Vertriebenen zu beheben, nicht abgesprochen werden. Die Ursache für die Malchiner Selbstorganisation bestand demnach darin, daß die dort lebenden Vertriebenen über umsiedlerpohtische Maßnahmen und Pläne der Landesregierung überhaupt nicht unterrichtet waren. Da in Malchin nicht einmal ein Umsiedlerausschuß existiere, sei es nicht verwunderlich, „daß es zu einer solchen Gründung wie der des .Deutschen Umsiedlerverbandes' kommen mußte". Der Berichterstatter riet dazu, rasch einen solchen offiziellen Ausschuß zu schaffen, denn „energische und gut funktionierende Umsiedlerausschüsse in allen Stadt- und Landgemeinden sind allein ausschlaggebend". Auch müsse es unter den Bürgermeistern zu einem regelrechten Wettbewerb um die bestmögliche Hilfe für die Umsiedler kommen311. Angesichts der lokalen Machtverhältnisse war das wohl ein frommer Wunsch, doch zeigt diese Expertise zumindest, daß die damalige SED-Linie Umsiedlerpolitik nicht nur als repressive, sondern auch als sozialpolitische Angelegenheit begriff. Der zuständige CDU-Sozialminister Friedrich Burmeister beeilte sich nach dem Aufsehen in Malchin im Februar 1947, seinem SEDRegierungschef zu melden, daß „die Umsiedler-Abteilung des Kreises" unterdessen „eine stärkere Betreuung der Umsiedler eingeleitet" habe, „so daß die größten Schwierigkeiten der Umsiedlerfrage" in Malchin „behoben werden" könnten312. Die „Schockwirkung" des Malchiner Selbstorganisationsversuchs hatte neben polizeilicher Repression somit immerhin ein Minimum kurzfristiger sozialpolitischer Aufmerksamkeit bewirkt. Das Verhältnis SED-loyaler Vertriebener zur Frage der Vertriebenen-Selbstorganisation war naturgemäß zwiespältig. Im Frühjahr 1947 entschied sich ein Antifa-Umsiedler, seine SED-Genossen im thüringischen Innenministerium über die zirkulierende Satzung eines „Verbandes der Umsiedler" aus Cottbus zu informie310
311
312
Ebenda, Ministerium für Innere Verwaltung und Planung Mecklenburg-Vorpommern, Warnke, an MP Mecklenburg-Vorpommern, Persönl. Referat, 10. 2. 47. Ebenda, MP Mecklenburg-Vorpommern, Abt. Information, Tiedt, Bericht über die Gründung des „Deutschen Umsiedler-Verbandes" in Malchin am 5. 1. 47, 10. 1. 47. Ebenda, MfSoz Mecklenburg-Vorpommern, Burmeister, an MP Mecklenburg-Vorpommern, Höcker, 19. 2. 47; zur „Schockwirkung": Grottendieck, Egalisierung ohne Differenzierung?,
S. 216.
3.
487
Eigensinn und Selbstorganisation
während zur gleichen Zeit im sächsischen Zittau lebende Antifa-Umsiedler daran gingen, selbst eine „Reichsvereinigung der Umsiedler" aufzubauen313. Anders als die Cottbusser Satzung, die den Machthabern durch Denunziation zur Kenntnis gelangte, hatten die Zittauer Organisatoren der SED-Zentrale ihren „Satzungsentwurf für eine zu gründende unpolitische Reichs-Vereinigung für Umsiedler in allen Zonen zur Kenntnisnahme" nicht zur Genehmigung aus freien Stücken übersandt. Vorangegangen waren, ähnlich wie in Malchin, Verhandlungen der Initiatoren mit der sowjetischen Ortskommandantur, die „nach längerer Aussprache" das Vorhaben ebenfalls nicht abgelehnt, sondern Weisung erteilt hatte, „die Unterlagen an die Sowjetische Militär-Administration BerlinKarlshorst zur Genehmigung vorzulegen"314. Wie der Satzungsentwurf der Reichsvereinigung erkennen ließ, wollte dieselbe „keine politische Organisation" sein, sondern wie jemand im SED-Zentralsekretariat mit Rotstift hervorhob für die „Pflege des Heimatgedankens durch Wort, Schrift und Bild" eintreten. Mitglied sollte jeder „Umsiedler" werden können, „der für eine neue Heimat und den demokratischen Aufbau eines neuen Deutschlands ist" und sich folglich zum assimilatorischen Kernziel der SED-Politik bekannte; ehemaligen Angehörigen der NSDAP oder ihrer Gliederungen wurde eine Mitgliedschaft grundsätzlich verwehrt. Ansonsten ging es dieser erklärtermaßen SED-nahen Selbstorganisation um Rechtsschutz, Beratung, Selbsthilfe und materielle Interessenvertretung. Neben der „Gleichberechtigung der Umsiedler mit der ortsansässigen Bevölkerung" schrieb man ausdrücklich den „Kampf gegen den Faschismus für die Freiheit Deutschlands" und den klassenkämpferisch klingenden „Schutz der werktätigen Umsiedler gegen Arbeitgeber und unbotmäßige Ausbeutung" auf die Fahnen. Eine „Berücksichtigung der sozialen Lage der Umsiedler" sollte „bei der Bemessung der Steuern und Verbesserung der Lebensbedingungen" wohl eine gruppenspezifische Subventionspolitik einführen315. Anders als in Malchin, wo der SED-Initiator einer Selbstorganisation mit Ungewissem Schicksal verhaftet worden war, bemühte sich im Zittauer Fall das SEDZentralsekretariat, in seinem Antwortschreiben an den gewählten Vorsitzenden dieser sich als SED-konform verstehenden „Reichsvereinigung", den in Zittau lebenden Walter P, durch behutsame Erläuterung der politischen Linie die Aufgabe des Gründungsvorhabens zu erreichen. Die ZS-Abteilungsleiter Weck und Belke erklärten, es sei „von Anfang an" das Bestreben der SED-Führung gewesen, „auf keinem Gebiet einen Unterschied zwischen Alteingesessenen und Umsiedlern eintreten zu lassen", man sei darin auch „mit wachsendem Erfolg tätig gewesen" und bemühe sich, „die letzten Gegensätze zu verwischen, wo solche noch bestehen" sollten. Die beabsichtigte „Gründung einer besonderen Organisation für Umsiedler" werde jedoch „vorhandene Gegensätze vertiefen und bereits überwundene Gegensätze neu aufwerfen"; daher werde auch die SMAD diese Selbstren,
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3»
BAB, DO 2/50, Bl. 491 ff., SED, LV Thüringen, Abt. Presse und Information, Vertraulicher Bericht
zur
Information Nr. 81
v.
14. 5. 47.
SAPMO, DY30/IV2/2.022/37, Bl. 130, Walter P. (SED), Zittau, an SED, „Landesvorstand in Berlin" [i.e. PV SED], 2. 5. 47. 315 Ebenda, Bl. 131, Abschrift: Satzungsentwurf der „Reichsvereinigung der Umsiedler" in Zittau, 3'4
27. 3. 47.
II. Die
488
Soziologie der Macht
Außerdem würden in einer solchen Organisation leicht „reaktionäre Elemente Unterschlupf finden [...], den sie anderswo nicht finden können". Dieser subtile Appell an Parteidisziplin und Antifaschismus wurde durch die Aufforderung ergänzt, „durch Mitarbeit in den Umsiedlerausschüssen, den Gemeindevertretungen und im Rahmen der Partei" die offizielle SED-Umsiedlerpolitik zu unterstützen, wobei die Parteiführung „für neue Anregungen und Mitteilung von Mißständen dankbar" sei316. Das Vertrauen auf solche Hilfe von oben wurde jedoch angesichts der eigenen Alltagserfahrungen immer aufs Neue brüchig. Am 28. Oktober 1947 hatte eine offenbar ebenfalls aus SED-Mitgliedern bestehende Umsiedlerversammlung im Potsdamer Volkstheater einstimmig eine Resolution an das SED-Zentralsekretariat verabschiedet, „die organisatorische Erfassung der Umsiedler zu veranlassen und denselben tatkräftig Hilfe und Schutz zu gewähren"317. Auf einer im November 1947 organisierten regionalen SED-Umsiedlerkonferenz in Potsdam suchte daraufhin Paul Merker persönlich den versammelten SED-Umsiedlerfunktionären zu erklären, daß man das genaue Gegenteil dieser Resolution realisieren müsse: Einheimischen wie Vertriebenen müsse die SED klarmachen, „daß sie sich zusammenfinden müssen, daß sie ein einheitliches Ganzes bilden müssen"; eine eigenständige „Umsiedlerorganisation" würde nur eine schädliche „Kluft" schaffen. Daraufhin erfolgte ein Zwischenruf, die Potsdamer Resolution sei offenbar „vom Z.S. falsch verstanden" worden: Man wolle durchaus „keine Organisation für Umsiedler schaffen", sondern habe lediglich „um eine restlose Erfassung der Umsiedler in der SED" gebeten, da man selbst wisse, „daß wir zusammenwachsen müssen". Merker entgegnete, daß diese Absicht „in der Resolution nicht klar zum Ausdruck kommt, wenn es sich aber so verhält, dann stimmt er zu". Natürlich ist es zu einer derartigen parteiinternen Umsiedlerorganisation ebenfalls nie gekommen. Statt dessen versuchte der SED-Parteiführer die Versammlung auf das assimilatorische Kernziel völliger Gleichberechtigung in der Aufnahmegesellschaft einzuschwören. Selbstorganisation sollte unnötig werden, indem die SED-Führung selbst die Notwendigkeit besonderer Unterstützung anerkannte und durchwar es doch für Merker „ganz klar, daß man die Umsiedler mehr untersetzte stützen muß als die Alteingesessenen"318. Selbstorganisation von Vertriebenen zielte stets auf organisierten Lobbyismus, auf politisch relevante Interessenvertretung, doch nicht immer wurden diese Interessen als gerechtere Integration in der Aufnahmegesellschaft definiert. Rück-
Organisation „nicht billigen".
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kehrbestrebungen unter Vertriebenen waren in den ersten Nachkriegsjahren hochgradig verbreitet, und dabei blieb es keineswegs nur bei frommen Wünschen. Es kam durchaus zu Versuchen, die Rückkehr in die alte Heimat illegal zu erreichen. Ein rumäniendeutscher Angestellter der Dresdner Umsiedlerbehörde nutzte beispielsweise seine dienstliche Stellung dazu, rückkehrwilligen Vertriebenen Reisegenehmigungen nach Rumänien auszustellen. Begonnen hatte dieses Unternehmen im Herbst 1947 als Gefälligkeit für drei frühere Mitbürger seines >"> 3'7 3'8
Ebenda, Bl. 133, SED, ZS, Abt. AS, Weck/Belke, an Walter P., Zittau, 23. 5. 47. SAPMO, DY30/IV2/2.027/34, Bl. 86, SED, ZS, Meier an Lehmann und Merker, 30. Ebenda, Bl. 118.
10. 47.
3.
489
Eigensinn und Selbstorganisation
Heimatdorfes, doch am Ende hatte dieser Verwaltungsangestellte rund hundert Personen „ohne Kenntnis der Regierung und der zuständigen SMA-Stelle" illegal
repatriiert und als Gegenleistung Lebensmittelpakete oder Bargeld entgegengenommen. Im April 1948 wurde er von der „K 5" verhaftet und dem MWD überstellt319.
Was im Dresdner Fall von vornherein illegal war und sich zudem zum Korruptionsfall entwickelt hatte, wurde von anderen Vertriebenen mit völlig offener Interessenpolitik zu erreichen versucht. Dem aus dem Memelgebiet stammenden SED-Mitglied Paul S., einem Veteranen des Kieler Matrosenaufstandes und langjährigen Mitglied der früheren KPD320, ging es bei seinem Selbstorganisationsversuch ebenfalls nicht um gleichberechtigte Integration in die SBZ-Gesellschaft, sondern um die Schaffung bevorzugter Rückkehrmöglichkeiten seiner „Memelländer" in ihre bisherige, nunmehr zur Sowjetunion gehörende Heimat. Anders als der Dresdner Rumäniendeutsche suchte der Memelländer dazu die offizielle Zustimmung der Sowjets zu gewinnen. Diese illusorisch anmutende Zielsetzung bezog eine gewisse Plausibilität durch die verwickelte völkerrechtliche Situation dieser Vertreibungsregion. Für die rund 129000 deutschen Alteinwohner dieses Gebiets321, die 1944/45 bis auf „mehrere Tausende" vor der Roten Armee gen Westen geflohen waren, bot diese völkerrechtliche Unklarheit einen hypothetischen Ansatz zur legalen Rückkehr in die Heimat322. Anders als die große Mehrzahl der Vertriebenen verfügten viele Memeldeutsche über die (ihnen vor 1939 meist unerwünschte) Möglichkeit, ihre litauische Staatszugehörigkeit zu reklamieren und sich damit, da Litauen von den Sowjets 1940 als „Sowjetrepublik" annektiert worden war, als nunmehrige Sowjetbürger „repatriieren" zu lassen. Ein kleiner Teil der Memelländer war schon unmittelbar nach Kriegsende ohne derartige Formaba in seine Heimat zurückgekehrt und offenbar nicht erneut vertrieben worden. In der Folgezeit gelang es weiteren Flüchtlingen, sich unter Berufung auf ihre litauische Staatsbürgerschaft „von den Flüchtlingslagern in Mittel- und Westdeutschland sowie in Dänemark als litauische DP's repatriieren" zu lassen, so daß insgesamt zehn- bis fünfzehntausend Deutschen also einem knappen Zehntel -
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BStU, ZA, Allg. S. 501/66, Bl. 9f., LKA Sachsen, Dez. K 5, Bericht v. 14. 5. 48; nach etwa fünfwöVorgang der deutschen Gerichtsbarkeit übergeben; vgl. ebenda, chiger Haft wurde allerdings derDez. v. 3. 6. 48. K K an
Bl. 41, Abschrift: LKA Sachsen, 5, DVdl, Ref. 5, Fernschreiben BAB, SAPMO, SgY30/0797, Paul S., Barth, „Zu den revolutionären Vorgängen im November 1918 bei der Marine in Kiel", 20. 4. 58. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Bd. 1, S. 7E. Das Memelgebiet, bis dahin Bestandteil der preußischen Provinz Ostpreußen und des Deutschen Reiches, war nach 1918 unter Völkerbundverwaltung gestellt und 1923 von Litauen besetzt worden, was mit der „Memelkonvention" von 1924 zwar internationale, aber keine deutsche Anerkennung erfuhr; im Gegenzug mußte Litauen der deutschen Bevölkerungsmehrheit Selbstvervon Litauen die formell freiwillige Wiewaltungsrechte einräumen; März 1939 erzwang Hitler derabtretung des Memelgebiets an Deutschland; 1944/45 von den Sowjets besetzt, wurde das Territorium im April 1948 formell der Sowjetrepublik Litauen angegliedert; zugleich aber hatten sich die Alliierten in Potsdam verständigt, „Deutschland" auf dessen Grenzen von 1937 zu beschränken, so daß die 1939 erfolgte Rückgliederung des Memelgebiets hinfällig geworden war, was wiederum im Widerspruch zum Wiedereingliederungsakt von 1948 stand; vgl. Menzel, Das Annexionsverbot des modernen Völkerrechts, Bd. 1., S. 12 f. -
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II. Die
490
Soziologie der Macht
der Vorkriegsbevölkerung die Rückkehr in das Memelgebiet gelungen zu sein scheint323. Einer dieser Repatriierungswilligen war der memelländische Kommunist Paul S., der mit einer Gruppe von Landsleuten ins sächsische Vogtland geraten dort Gelegenheit gehabt hatte, die zügige sowjetische Repatriierungspraxis bei nichtdeutschen „Displaced Persons" zu beobachten. Bekanntlich existierte in der sowjetischen Militäradministration eigens eine „Abteilung für Repatriierung", um die Rückführung der Millionen ausländischer Staatsangehöriger (meist Fremdarbeiter) in die jeweilige Heimat zu betreiben324. Seit 1945 hatte die sowjetische Besatzungszone daher einander kreuzende Massenwanderungen erlebt, indem sich „aus der Tschecho-Slowakei und aus dem Osten [...] ununterbrochene Züge von Flüchtlingen, Heimkehrern und Umsiedlern durch das Land" gen Westen bewegten, während „in umgekehrter Richtung [...] Ukrainer und Polen sowie Fremdarbeiter aus allen Ländern Europas" gen Osten zogen325. Auf diese Weise gelangten bis 1947 über vier Millionen Flüchtlinge und Vertriebene zwangsweise in die SBZ, während dort die große Zahl der ausländischen „Displaced Persons" anders als in Westdeutschland, wo sie sich partiell zu dauerhafter Einwanderung verstetigte326 durch die sowjetische Repatriierungspraxis auf 43000 „Ausländer" drastisch heruntergefahren wurde327. Als Sprecher seiner im vogtländischen Oelsnitz lebenden Landsleute trat der Memelländer S. erstmals im November 1946 in Erscheinung. Gegenüber ZVUVizepräsident Tschesno (der bekanntlich im litauischen Wilna geboren war) schilderte S. die unhaltbare Situation dieser Memelländer, die vom NS-Regime als Seeleute oder Bauern in eine vom Kriege völlig unberührte Industriestadt evakuiert worden waren, hob das fehlende Verständnis der alteingesessenen Bevölkerungsmehrheit für die Nöte der Zwangsmigranten und die völlige Entwertung ihrer beruflichen Qualifikation in der neuen, wirtschaftlich ganz anders strukturierten Umgebung hervor. Als Mindestlösung regte S. daher eine Binnenumsiedlung an die Ostseeküste an, ließ jedoch am eigentlichen Ziel der Repatriierung keinen Zweifel: „Für uns Memelländer [...] wird es jetzt höchste Zeit, daß man uns in die Heimat abtransportiert."328 Ähnlich wie in Malchin gründete dieser Oelsnitzer Selbstorganisationsversuch auf massiven Diskriminierungserfahrungen. In einem Privatbrief an einen anderen SED-Genossen attackierte S. die in seiner Partei vorherrschende assimilationspolitische „Phrase von der .Gleichstellung der Umsiedler in den Landesbürgerrechten'", die lediglich für staatsbürgerliche Pflichten zutreffe, mit denen Vertriebene -
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Die Vertreibung der Deutschen, Bd. 1., S. 95E.
Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 443; zur Fremdarbeiterfrage: Herbert, Fremd-
arbeiter. SäHStA, LRS, MfA 921, Bl. 82-91, insb. BL 83, LV Sachsen, „Rechenschaftsbericht der Abteilung Soziale Fürsorge im Ressort Wirtschaft und Arbeit auf die Zeit vom 1. 7. 1945 bis 30. 6. 1946", 18.7.46. In der Bundesrepublik
waren im Oktober 1952 insgesamt 446737 Ausländer registriert, deren größte Einzelgruppe (76788) aus Polen (bzw. der früher polnischen Ukraine) stammte; über 41000 staatenlose Ausländer, die fast ausschließlich aus Osteuropa stammten, lebten damals in Lagern; Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1953, S. 53. vgl. 327 BAB, DO 2/14, Bl. 93, ZVU, Statistischer Jahresbericht für 1947. 328 BAB, DO 2/58, Bl. 250, Paul S., z.Z. Oelsnitz/Vogtland, an ZVU, Tschesnofw], 28. 11. 46. 326
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
491
oft besonders belastet würden, nicht aber für „die gleichen Rechte". Darin stimmte der Memelländer S. unwissentlich mit dem Schlesier B. in Malchin völlig überein. Für S. war die wirtschaftliche Benachteiligung der Vertriebenen in der SBZ allgemein und erklärte sich aus den exklusiven Beziehungsnetzen der Alteingesessenen:
„Solange Einheimische allein die Kontrolle und die Schlüsselstellungen für die Verteilung der Güter des täglichen Bedarfs in den Händen haben, wird es nicht besser werden. [...] Wo aber die Kritik dagegen einsetzt, unterbindet man sie. [...] Die unbequemen Mahner aber bezeichnet man nach Goebbel[s]scher Art als Kritikaster, Nörgler, Meckerer und Besserwisser." Dieser Altkommunist der ersten Stunde warf jüngeren SED-Funktionären vor, sich angesichts der „Abneigung der Einheimischen gegen die Umsiedler" viel zu konfliktscheu und zu opportunistisch zu verhalten: „Nur Menschen mit einem gewissen revolutionären Schwung haben den Mut, sich über solch kleinstädtische Ansichten hinwegzusetzen und den ihnen gezogenen Rahmen in verantwortungsfreudiger Überzeugtheit zu sprengen." Die Kritik an der mangelhaften staatlichen Parteinahme vermengte sich dadurch mit einem innerparteilichen Generationenkonflikt, wobei der einstige KP-Straßenkämpfer dem Typus des neuen SED-Parteibürokraten unverhohlene Geringschätzung entgegenbrachte:
„Früher Kampf auf der Straße, heute wieder alles zu ersticken drohender Parteibürokratis[...] Uns genügte nicht nur die entstellende Kritik unserer Gegner, sondern wir übten auch eine unbarmherzige Selbstkritik. Ihr dagegen unterbindet jede Kritik (wie die Nazis auch!) und habt Eure Presse auf reichliche Verteilung von Vorschußlorbeeren abgestellt. [...] Wir halfen mit der Tat, ohne Ansehen der Person, während hier viel geredet, aber wenig getan mus.
wird. Das Elend der Umsiedler ist ein
schlagender Beweis dafür."329
Die Aktivitäten des Paul S. waren vielfältiger Art. Im November 1946 bat er einen Vertreter des von ihm verachteten SED-„Parteibürokratismus" um Genehmigung, einen Hilfsappell an die Bevölkerung von Oelsnitz zur Gewährung privater Mittagstisch-Freistellen für alte arbeitsunfähige Vertriebene „starten" zu dürfen330. Im Februar 1947 übersandte er ZVU-Vizepräsident Tschesno einen Presseartikel zum Thema „Wer und was ist ein Memelländer", den er zuvor der „Täglichen Rundschau" angeboten hatte, notfalls aber auch an die Presse der Westzonen gehen lassen wollte. In diesem Manuskript vertrat S. nachdrücklich die These von der litauischen Staatsangehörigkeit der deutschen Memelländer (gemäß der internationalen Memelkonvention von 1924) und forderte, da die deutschen Behörden in der Regel eine andere Rechtsauffassung verträten und die Memelländer als „deutsche Umsiedler" betrachteten, eine grundsätzliche Klärung dieses Problems. Die Memelländer selbst, so ihr kommunistischer Wortführer, betrachteten sich jedenfalls als vom „Nazijoche" befreiter „Volksstamm, der die Hoffnung hegt, recht bald in die geliebte Heimat zurückkehren zu können". Da das Memelgebiet ohne Zweifel „ein integrierender Bestandteil der Republik Litauen" sei, sei es folgerichtig auch „als befreites Gebiet anzusprechen"331. 329
33° 33>
Ebenda, Bl. 251-254, insb. Bl. 252ff., S. an G, 27. 11. 46. Ebenda, Bl. 255, S. an G., 28. 11. 46. BAB, DO 2/58, Bl. 256ff., insb. Bl. 258f., S. an ZVU, „Tschesnow", 27. 2. 47.
II. Die
492
Soziologie der Macht
Der selbst aus Litauen stammende Tschesno hatte auf S. offenbar den Eindruck
gemacht, „auch für die Memelländer etwas übrig" zu haben332. Insofern war es Pech, daß Tschesno Anfang 1947 aus der ZVU-Führung ausschied333, bevor ihn „in heimatlicher Verbundenheit" im Frühjahr 1947 ein von S. verfaßter Sachstandbericht über sein Repatriierungsvorhaben erreichen konnte. Unterdessen war dieser Ostpreuße, der nun Litauer zu sein begehrte, mit sowjetischen Stellen in Direktverhandlungen eingetreten, doch hatte sich bei der angeblich „von der SMA zugesagten Repatriierung der Memelländer" faktisch noch nichts bewegt, da eine „ordnungsgemäße Repatriierung" nach sowjetischer Auffassung „erst nach Abschluß der Friedensverhandlungen" erfolgen könne und überdies „die Staatszugehörigkeit der Memelländer für ungeklärt gehalten" werde. „Stillschweigend", so S., erkenne die SMA jedoch den Memelländern die litauische Staatszugehörigkeit durchaus zu und habe signalisiert, eventuellen Heimkehrern „keine Schwierigkeiten in den Weg" legen zu wollen, „wenn sie sich im Lager für sowjetische Staatsbürger Döbeln einfinden und dort ihre Absicht bekunden, wieder in das Memelgebiet zurückkehren zu wollen". Da die Repatriierung in großem Stil Zeit -
-
brauchen würde, falls sie je realisiert werden konnte, hatte S., um zwischenzeitlich seiner Klientel bessere Überlebensmöglichkeiten zu bieten, seine parallelen Bemühungen um Binnenumsiedlung an die Ostseeküste wiederaufgenommen und im Mai 1947 von der sächsischen Umsiedlerabteilung die Mitteilung erhalten, „daß die SMA im Prinzip mit einer Umquartierung einverstanden ist". Um S.' Plan einer Einbeziehung der „Küste in der englischen Zone" zu unterstützen, hatte sich die sächsische Amtschefin Fabisch (LDP) sogar bereit erklärt, „auch beim Kontrollrat" vorstellig zu werden334. In dieses Binnenumsiedlungsprojekt kam 1947 tatsächlich Bewegung, da sich S. nicht nur der Unterstützung Fabischs, sondern auch der Umsiedlerabteilungsleiter in der SMAD und SMAS, Maslennikow und Wolodin, hatte versichern können. In einem amtlichen Schreiben an die mecklenburgische Umsiedlerabteilung bezeichnete ihn Fabisch sogar offiziell als ,,Beauftragte[n] der memelländischen Volksvertretung"335. Im Namen dieser ,,Vorläufige[n] antifaschistische[n] memelländischefn] Volksvertretung" eine grandiose Bezeichnung, die nicht weit von der Proklamation einer Exilregierung entfernt war hatte sich S. seinerseits an die Umsiedlerbehörden Brandenburgs, Sachsen-Anhalts und Thüringens gewandt, um auch deren Unterstützung für die geplante Binnenumsiedlung zu erhalten336. Damit weckte er schlafende Hunde, denn der Leiter der brandenburgischen Umsiedlerabteilung teilte daraufhin seiner sächsischen Kollegin und der ZVU mit, daß er das sachliche Anliegen zwar unterstütze, es jedoch „nach den allgemeinen Anschauungen nicht für richtig" halte, „wenn eine Vereinigung oder Organisation in der hier geplanten -
-
332 333 334
333
336
Ebenda. Zur Umbesetzung der ZVU-Führung Anfang 1947 vgl. oben Kap. II.2.2. BAB, DO 2/58, Bl. 260, S. an ZVU, [Tschesno], „Bericht über den Stand der memelländischen AnEnde Monat Mai 1947", o.D. [Eingang: 28. 5. 47]. gelegenheiten Ebenda, Bl. 262, ZVU, Abschrift: MfAS Sachsen, Amt für deutsche Umsiedler [HAU], Fabisch, an MfSoz Mecklenburg, Abt. Umsiedler [HAU], Scheel, 5. 6. 47. Ebenda, Bl. 270, Abschrift: „Vorläufige antifaschistische memelländische Volksvertretung", S., Rdschr. an die Arbeits- und Sozialministerien von Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen, 8.6.47.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
493
Form gebildet wird"337. Damit war S.' Selbstorganisationsversuch, der nicht länger informell bleiben wollte, sondern „Volksvertretungs"-Anspruch erhob, ins Visier des Koalitionsverbotes geraten. Tschesnos Nachfolger in der ZVU, Vize-
präsident Daub, fragte umgehend beim SED-Zentralsekretariat an, ob diese Organisation dort bekannt sei und „welche Stellung" die Parteiführung dazu einnehme338. Die SED-Führung ließ keinen Zweifel daran, daß man S.' Organisation „selbstverständlich aus den bekannten politischen Gründen ablehnen" müsse, „da ja eine Rückführung nach dem Memelgebiet nicht infrage kommen kann". Statt dessen solle die ZVU „im Zuge der Binnenwanderung diesen Fischern entsprechende Arbeitsmöglichkeiten an der Ostsee oder an den großen mecklenburgischen Seen zu geben" versuchen339. Die ZVU machte sich sofort daran, die permissive sächsische Umsiedlerbehörde sowie den Oelsnitzer Kreisrat zu disziplinieren. Gegenüber der Dresdner Regierungsstelle brachte man Verärgerung zum Ausdruck, über eine derart grundsätzliche Angelegenheit nicht hinreichend informiert worden zu sein, obgleich Entscheidungsbefugnisse der SMAD mißachtet worden sein könnten340. Der Oelsnitzer Kommunalverwaltung wurde unter Berufung auf die SMAD die einschüchternde Frage gestellt, wer für die dort erfolgte Publikation über Repatriierungsmöglichkeiten für Memeldeutsche im Amtsblatt verantwortlich zeichne, wieviele Personen sich daraufhin hätten registrieren lassen und woher man Kenntnis von der Existenz des sowjetischen Rückführungslagers Döbeln habe341. Mit Repatriierungsangelegenheiten sollten Umsiedlerbürokraten nun einmal ressortmäßig nichts zu tun haben. Tatsächlich hatte, wie sich zeigen sollte, das Döbelner Umsiedleramt von der Existenz des Repatriierungslagers auch gar nichts gewußt, die den Memelländern vielmehr auf der sowjetischen Kreiskommandantur offenbart worden war. Diese Unterstützung durch sowjetische Stellen hatte das Landratsamt dann veranlaßt, die Repatriierungsmöglichkeit im Amtsblatt zu publizieren, woraufhin 57 Personen ins Lager Döbeln abgegangen und von dort Richtung Sowjetunion weitergeleitet worden waren; insgesamt hatten sich bislang 153 Rückkehrwillige registrieren lassen. Diese quasi unter der Hand laufende „Rückführung von Memeldeutschen" wurde daraufhin bis auf weiteres eingestellt342.
Am 24. Juni 1947 erreichte die sächsische Umsiedlerabteilung die Mitteilung des dortigen Landesinnenministeriums, wonach „die Bildung einer memelländischen Volksvertretung verboten" sei. Die Dresdner Umsiedlerbehörde sah daraufhin „nur [noch] die Möglichkeit", das Teilvorhaben einer Binnenumsiedlung nach Mecklenburg zu realisieren, wobei sie sämtliche Verhandlungen ausschließ-
337
338
Ebenda, Bl. 269, Ministerium für Arbeit und Sozialwesen Provinz Mark Brandenburg, Abt. Umsiedler, Friedrichs, an MfAS Sachsen und an ZVU, 26. 6. 47. Ebenda, Bl. 271, ZVU, Daub, an SED, ZS, Abt. AS, 1. 7. 47; daß Daub die Angelegenheit als brisant
empfand, geht aus dem handschriftlichen Vermerk hervor: „Kopie nicht in die Registratur ge-
ben!" 339 34°
34> 342
Ebenda, Bl. 273, SED, ZS, Abt. AS, an ZVU, Daub, 10. 7. 47. Ebenda, Bl. 272, ZVU, Daub, an MfAS Sachsen, Abt. Umsiedler [HAU]., 1. 7. 47. Ebenda, Bl. 274, ZVU, Abt. BPuA, Chwalczyk, an LRA Oelsnitz i.V/Abt. Umsiedler, Ebenda, Bl. 276, ZVU, Abt. BPuA, Chwalczyk, Aktennotiz v. 12. 7. 47.
11.7. 47.
494
II. Die
Soziologie der Macht
lieh selbst übernehmen wollte343. Bis dahin hatte man in Dresden offenbar mit S.' „Volksvertretung" einvernehmlich und arbeitsteilig kooperiert. Dies geschah auf informeller Ebene allerdings weiterhin, denn als es nach anfänglichem Wderstreben der Schweriner Regierung im Herbst 1947 tatsächlich gelang, im Tausch gegen die zehnfache Anzahl von Textilarbeitern, die in Sachsen benötigt wurden, rund 440 Memelländer zu transferieren344, wurde S. geradezu selbstverständlich zum Leiter des staatlichen Umsiedlungstransportes ernannt. Dieser Bahntransport angereichert durch viele Vertriebene aus Pommern wurde für den SED-Aktivisten aus Memel allerdings zum Alptraum, denn als Folge diverser Widrigkeiten distanzierte sich die Mehrheit dieser Vertriebenen von ihrem Obmann: „Es kam soweit, daß man uns Kz-ler [i.e. ehemalige Insassen von NS-Konzentrationslagern] als Zuchthäusler beschimpfte und meine Tochter deswegen mit ihrem Jungen das Personalabteil räumen mußte." Der memelländische Kommunist sah sich unversehens demselben Stigma ausgeliefert, mit dem er bereits im „Dritten Reich" ausgegrenzt worden war, und reagierte mit einem ebenso pauschalen Faschismusverdacht: „Nach diesen Vorgängen nehme ich an, daß die uns angeschlossenen Pommern von den Polen zwangsevakuierte Nazisten gewesen sind, die jetzt in der Sowjetzone unterzutauchen versuchen." Der schon in vorgerücktem Alter stehende S. erlitt auf dem Transport einen Nervenzusammenbruch und vermochte nur mit knapper Not körperlichen Mißhandlungen zu entgehen. Im Grunde, resümierte er später verbittert, habe er „mit dem üblichen Undank der Masse" von vornherein gerechnet, dazu sei er „schon zu lange im sozialistischen Sektor tätig"345. Das polizeiliche Verbot seiner Oelsnitzer „Volksvertretung" hatte S.' Hang zur Selbstorganisation (und zur damit verbundenen Selbstdarstellung) nur zeitweilig gebremst. Bereits im September 1947, noch vor dem für ihn peinigenden Mecklenburg-Transport, bezeichnete er sich in einem Schreiben an die ZVU unter Rückgriff auf revolutionäre Terminologien als „memelländischer Volksbeauftragter", der sich der Familienzusammenführung einiger in Westdeutschland lebender „Heimatgenossen" annehmen wolle346. Im November 1947, nunmehr im Ostseehafen Barth ansässig, präsentierte er sich der Schweriner Landesregierung als „Sachbearbeiter für memelländische Angelegenheiten", um amtliche Unterstützung beim Adreßaustausch der nach Mecklenburg und Vorpommern umgesiedelten Memelländer zu suchen347. Die Leiterin der mecklenburgischen Umsiedlerabteilung, Gutmann, bewertete diese Selbstorganisationsbestrebungen jedoch weit ungnädiger als ihre Kollegin Fabisch in Sachsen und ließ S. Ende 1947 wissen, daß die Behörden das Betreuungsmonopol besäßen und auch keine Einteilung von Vertriebenen nach Herkunftsgebieten vornähmen; damit erübrigte sich der „Sach-
-
Ebenda, Bl. 277, MfAS Sachsen, HAU, Fabisch, an ZVU, 14. 7. 47. Ebenda, Bl. 285, MfAS Sachsen, HAU, Dürr, an ZVU, 2. 9. 47. 343 Ebenda, Bl. 303-306, S., „Schlußbericht über die Umquartierungsaktion der memell.fändischen] Fischer und Bootsbauer an die Ostseeküste nach Mecklenburg", o.D. [November 1947]. 346 Ebenda, Bl. 290, S., „memelländ. Volksbeauftragter", an „Amt für Deutsche Umsiedler, z.Hd. Herrn Riegel", [ZVU, Riedel], 22. 9. 47. 347 Ebenda, Bl. 301, S., „Sachbearbeiter für Memell. Angelegenheiten", nunmehr Barth, an MfSoz 343 344
Mecklenburg, HAU, 10. 11. 47.
3.
495
Eigensinn und Selbstorganisation
bearbeiter"-Titel „für memelländische Angelegenheiten" gleich doppelt348. In seinem Antwortschreiben wechselte S. wieder in die Titulatur eines „Volksbeauftragten", um die Schweriner Regierung mit der Feststellung zu provozieren, er wolle keineswegs ihrer Vertriebenenbetreuung Konkurrenz machen, seine Arbeit basiere vielmehr auf einigen zehntausend Repatriierungsgesuchen an die SMAD
und müsse weitergehen, solange die Staatsangehörigkeitsfrage „nach Ansicht einiger besatzungsbehördlicher Amtsstellen" noch „unentschieden" sei. Zwischenzeitlich genössen diese rückkehrwilligen Memelländer in der SBZ nur ein „gern gewährtes Gastrecht"349. Zugleich nutzte S. seine Replik zu einer selbstbewußten Auseinandersetzung mit den Zwängen sowjetzonaler Assimilationspolitik und scheute vor einem Systemvergleich mit den Westzonen nicht zurück: „Wir Memelländer können es nicht verstehen, warum man uns in der Ostzone eine Stelle zur Wahrung unserer Sonderinteressen deutschbehördlicherseits nicht gönnt, sie im Gegenteil nicht schnell und gründlich genug zerschlagen kann. Es ist dies nicht der erste Versuch dazu." Hingegen bestünden solche Stellen in den Westzonen „unangefochten", würden jedoch nicht von Kommunisten wie ihm, sondern oft von früheren Nationalsozialisten betrieben: „Wie früher sind sie auch jetzt wieder gegen[über] uns Antifaschisten im Vorteil. In den Westzonen vorbildliche Selbsthilfe, hier Störung derselben aus kleinlichen Erwägungen heraus. Was anders ist es doch nicht?!"350 Abschließend erinnerte S. die SED-Regierungsfunktionärin, daß die von ihm geleitete, aus fünf Personen bestehende „Vorläufige antifaschistische memelländische Volksvertretung" im Vogtland seinerzeit von den Amerikanern anerkannt und von den Sowjets immerhin unter der Auflage geduldet worden sei, keine Propaganda zu treiben. Verboten worden sei diese Organisation erst 1947, „anscheinend auf Betreiben der Sachs.[ischen] Landesregierung", die sich auf einen angeblichen Wunsch der SMA berufen habe. Solche Repression hielt der alte Kämpe der Weltrevolution für zutiefst „unproletarisch und kleinbürgerlich" „mehr möchte ich nicht dazu sagen". Daß sich der mittlerweile 71jährige durch das Verbot nicht sonderlich beeindrucken ließ, hatte mit dem Stolz auf seine lange antifaschistische Vergangenheit zu tun, die ihm offenbar bei sowjetischen Funktionären Anerkennung und Sympathie eingetragen hatte: „Bei der SMA hat man mir jedenfalls zu verstehen gegeben, daß man Leute wie mich noch wird brauchen können." Nachgeben kam für ihn nicht in Frage: „Was kaiserlich deutsche Staatsanwälte und die Gestapo nicht fertiggebracht haben", würde ansonsten ja ausgerechnet „demokratischen Einrichtungen im ,Neuen' Deutschland vorbehalten bleiben"351. Dieser vertriebene Altkommunist vermochte nicht zu begreifen, daß die neueste Repressionserfahrung gerade von jener Partei ausging, für die er ein Leben lang gekämpft hatte. Die politische Heimat dieses Vertriebenen war im Grunde nicht die Nachkriegs-SED, sondern die untergegangene KPD der Weimarer Zeit: „Herrgottnochmal! Gibt es denn wirklich keine revolutionär denkenden Staatsangestellten mehr!? Versackt wirklich wieder alles in die wilhelminische -
348 349
Ebenda, Bl. 345, MfSoz Mecklenburg, HAU, Gutmann, an S., Barth, 22.12. 47. Ebenda, Bl. 345-350, insb. Bl. 345f. und Bl. 348, S., „Memelländ. Volksbeauftragter",
Mecklenburg, HAU, 28. 12. 47. 33° »>
Ebenda, Bl. 347 f. Ebenda, Bl. 348 f.
an
MfSoz
II. Die
496
Soziologie der Macht
Subalternerei? Dann schon lieber nochmal die Weimarer mißlungenen Versuche aufnehmen."352 So sprach kein Gefolgsmann Ulbrichts. Wollte man den unbequemen SED-Aktivisten daraufhin auf die von ihm gewünschte Weise loswerden? Jedenfalls erhielt plötzlich im Mai 1948 die Familie des „Paul Eduard S.", dessen deutscher Nachname nun in litauischer Variante erschien, von den Sowjets die Genehmigung zur Repatriierung ins Memelgebiet gemäß der im Dezember 1947 erlassenen neuen Bestimmungen des Obersten Sowjets353. Dieser sowjetische Erlaß, den der alte Mann in begeisterter Selbstüberschätzung auf ein persönliches Bittgesuch an Stalin zurückführte, schien eine Repatriierung nachweislicher Antifaschisten deutscher Abstammung zu ermöglichen, denn S. resümierte: „Der Weg in die Heimat ist für alle anständigen ehemaligen ständigen Einwohner des Memelgebiets frei. [...] Daß die ,Heim-ins-ReichBrüller' und die früher antilitauisch eingestellten Elemente davon ausgeschlossen sind, ist selbstverständlich." Enthusiastisch pries S. „den sowjetrussischen proletarischen Gerechtigkeitssinn und die litauische Brüderlichkeit zu den stammverwandten Memelländern", während er an die Unzahl von „Schwierigkeiten, die mir politisch andersdenkende Memelländer, örtliche und Landesbehörden, politische Parteien und andere Organisationen [in der SBZ] in den Weg legten", nur mit Zorn zurückdenken konnte. In Erwartung seiner bevorstehenden Ausreise entledigte sich S. bei seiner an die ZVU gerichteten Kritik der sowjetzonalen Assimilierungspolitik aller Rücksichten: In diesem von der SED propagierten „Einschmelzungsprozeß" „ein merkwürdiger Ausdruck auf gewaltsam in Unkultur zurückgedrängte Menschen angewandt!" vermochte er lediglich das Interesse der Alteingesessenen zu erkennen, sich möglichst lange möglichst viele billige Arbeitskräfte zu sichern: „Anscheinend wollte man den willigen und billigen ,Ostarbeiter' dem Lande erhalten und diesen ,Ersatz' aus der Nazizeit vorläufig noch nicht demobilisieren'." Die SED habe ihm zugemutet, „das bei den Memelländern besonders stark ausgeprägte Heimatgefühl abtöten zu helfen", doch statt dessen habe er, „im Vertrauen auf den endlichen Erfolg dieser meiner Tätigkeit, das Heimatgefühl stets wachzuhalten versucht"354. Das wäre ein würdiges Schlußwort gewesen, doch ein Jahrzehnt später befand sich der greise Paul S. immer noch oder wieder? in seinem mecklenburgischen Aufnahmeort, wo er 1958 für das SED-Erinnerungsarchiv einige Seiten „zu den revolutionären Vorgängen im November 1918 bei der Marine in Kiel" verfaßte355. Sein zäher Versuch, durch Verhandlungen mit sowjetischen und deutschen Stellen eine selbstorganisierte Repatriierung einer memelländischen Bevölkerungsgruppe zu erreichen, dürfte fehl-
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geschlagen sein. Die Disziplinierungsdynamik der „Partei neuen Typus" scheint nach 1948 derartige dissidente Selbstorganisationsversuche vertriebener Kommunisten SED-intern grundsätzlich abgestellt zu haben. Das bedeutet freilich nicht, daß vertriebene
332 333
Ebenda, Bl. 351, S. an „Amt für deutsche Umsiedler" [ZVU], 29.12. 47. Ebenda, Bl. 362, Kommandant des 226. Lagers für befreite Kriegsgefangene und Bürger der So-
wjetunion, Brandenburg/H., 334
333
Oberstleutnant
Romanjenko, an
Militärkommandant Bezirk Stral-
sund, 19. 5. 48. Ebenda, Bl. 363-368, insb. Bl. 364 und Bl. 366ff., S. an ZVU, 28. 5. 48. SAPMO, SgY30/0797, Paul S., AV-K. der „Ostsee-Zeitung", Barth, 20. 4. 58.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
497
SED-Mitglieder nicht auch später noch versucht hätten, gegen die unzureichende Politik ihrer Parteiführung Vertriebeneninteressen zur Geltung zu bringen. Kurz vor Gründung der DDR, in einer Phase also, in der die SED jedes umsiedlerpolitische Engagement vermissen ließ, richtete die SED-Wohnbezirksgruppe 1/1 der sachsen-anhaltischen Gemeinde Thale am 3. Oktober 1949 folgende Resolution an ihre Parteiführung: „Das Problem der Umsiedler und Totalgeschädigten sowie des Lastenausgleichs für diese wird als vordringlich betrachtet. Der Mißbrauch des Umsiedlerproblems im Westen zur chauvinistischen, antisowjetischen und antipolnischen Hetze wird von uns scharf verurteilt. Solange eine gesamtdeutsche Lösung des Problems durch die verhängnisvolle Spaltung nicht möglich ist, muß von der Partei eine vorläufig ostzonale Regelung des Lastenausgleichs durch Steuererleichterungen angestrebt werden." -
zeitigte, richtete der Wortführer der in Thale lebenden vertriebenen SED-Mitglieder, der „Heimkehrer und Umsiedler" Willy F., im Mai 1950 ein weiteres Schreiben an das SED-Zentralsekretariat, in dem er darauf hinwies, „daß große Teile der Umsiedler und Totalgeschädigten den Bestrebungen nicht nur der SED, sondern auch denen der Nationalen Front heute noch passiv gegenüber" stünden, weil nach ihrer Wahrnehmung „bisher leider auch in der DDR nichts für die Umsiedler und Totalgeschädigten getan wurde". Auf Dauer sei es gesellschaftlich untragbar, ein Viertel der Nachkriegsbevölkerung alle Lasten des Krieges tragen zu lassen, damit drei Viertel des Volkes nahezu unbelastet bleiben und teilweise an der Not der anderen noch verdienen könnten. Die „Millionen Umsiedler und Hunderttausende Totalgeschädigte" seien „keine Parias oder Bettler, die man nur duldet, weil man sie nicht einfach verschwinden lassen kann". Sicher sei jedenfalls, „daß das Umsiedlerproblem nicht dadurch aus der Welt geschafft wird, indem man darüber einfach schweigt oder sagt, es gibt in der DDR kein Umsiedlerproblem mehr". Insbesondere der in der DDR verweigerte Lastenausgleich bewirke unter Vertriebenen vielfach politische Passivität oder Distanz: Solange in der DDR die Gleichberechtigung der Vertriebenen „nur auf dem Papier" stehe und „von einer gleichen Belastung aller Volksschichten nicht die Rede" sein könne, falle eine politische Mobilisierung für die SED äußerst schwer356. Da diese Resolution keine Wirkung
3.2.2. „Flüchtlingsvertreter": Spielräume und Grenzen selbstorganisierter Vertriebenen-Partizipation in der SBZ 1945-1948 Daß der Schritt von der gruppeninternen Selbsthilfe zur externen politisierten Interessenvertretung nicht allzu groß war, hatte man bereits im Zusammenbruchsjahr 1945 beobachten können. Unmittelbar nach ihrer Ankunft in der SBZ bestimmten Gruppen von Flüchtlingen oder Vertriebenen, die aus demselben Her-
kunftsbereich stammten und dadurch bereits sozial vernetzt waren, mehr oder weniger formelle Vertrauensleute, um mit den Behörden ihrer Aufnahmegebiete in Verhandlungen zu treten. Daraus entstanden fragile Basisorganisationen, die zumindest solange Bestand hatten, wie die betreffende Gruppe zusammenzublei33«
SAPMO, DY30/IV2/13/388, Willy F., „Heimkehrer u. Umsiedler", Thale/H., an SED, ZS, 50.
15. 5.
II. Die Soziologie der Macht
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ben vermochte. Im Sommer 1945 agierten auf diese Weise in Chemnitz drei „Beauftragte der im hiesigen Bezirk untergebrachten Flüchtlinge aus Schlesien" als die „von unseren Landsleuten gewählten Vertreter", welche nach Angaben des dortigen Oberbürgermeisters bis zu 20000 Menschen, nach eigener Darstellung nur knapp die Hälfte repräsentierten. Die Größe dieser Vertriebenengruppe macht es unwahrscheinlich, daß besagte Vertriebenenvertreter durch offene Wahlen bestimmt worden sind; wahrscheinlicher ist eine Abstimmung zwischen Honoratioren-Netzwerken innerhalb der Flüchtlingsgruppe. Auf jeden Fall verfügte die Anfang Juli 1945 gebildete Repräsentanz der schlesischen Flüchtlinge im Chemnitzer Raum über genügend Autorität, um von der Stadtverwaltung und den Vertretern der sowjetischen Besatzungsmacht als Ansprechpartner anerkannt zu werden357. Vom Chemnitzer Oberbürgermeister ermuntert, traten diese 1945 im auch mit der Dresdner Landesverwaltung in August Flüchtlingsvertreter Verhandlungen, wobei nicht nur die Notlage ihrer Gruppe geschildert, sondern auch deren Rückkehrwünsche artikuliert wurden358. Wenig später ging es freilich primär darum, die (in Dresden aus Ernährungsrücksichten verfügte) drohende Ausweisung aller in Sachsen befindlichen Vertriebenen in andere Länder der SBZ zu verhindern oder wenigstens abzumildern, indem man sich dagegen verwahrte, „irgendwohin ungehört wie Vieh verfrachtet zu werden". Es kam zu der absurden Situation, daß sich schlesische Flüchtlingsvertreter gegenüber der sächsischen Landesverwaltung auf die Potsdamer Vertreibungsbeschlüsse der Siegermächte beriefen, um zumindest eine „ordnungsgemäße und humane Weise" der „Überführung deutscher Bevölkerungsteile" in andere Gebiete der SBZ zu erreichen359. Solche lokale „Notgemeinschaften", wie sie in der britischen Besatzungszone genannt wurden360, waren im unmittelbaren Zusammenhang mit Flucht und Vertreibung entstanden, hatten teilweise jedoch auch längerfristig Bestand. Auch in der SBZ zeigten kommunale Verwaltungen und örtliche sowjetische Stellen Interesse an verläßlichen Ansprechpartnern unter den zunächst chaotisch erscheinenden Massen der Vertriebenen, so daß das schon damals geltende Koalitionsverbot in dieser ersten Nachkriegsphase häufig unbeachtet blieb. Der Pragmatismus der lokalen Verwaltungen wurde dadurch begünstigt, daß die zentrale Politikebene von solchen Entwicklungen nur Notiz nahm, wenn sie von Vertriebenenrepräsentanten um Unterstützung gegen übermächtige einheimische Kräfte angegangen wurde361. Selbiges versuchte ein von in Sachsen gestrandeten 250 ostpreußischen Vertriebenen gewählter „Flüchtlingsvertreter und ehem.[aliger] Bauer" im Herbst 1945 bei der ZVU, um eine größere Beteiligung seiner Landsleute an der sächsi337
SäHStA, LRS, MfA 1012, Bl. 10, OB Chemnitz, Dr. Wuthenau, an LV Sachsen, 21. 8. 45, Bl. 11 f., „Schlesischer Heimatdienst", Hubert R. aus Breslau, nun Chemnitz, an LV Sachsen, Dr. Konitzer, 21. 8. 45, sowie Bl. 13 ff., Hubert R., „Druckereibesitzer aus Breslau", nun Chemnitz, an LV Sachsen,
10.8.45.
Ebenda, Bl. 13 ff., insb. Bl. 15, Hubert R., „Druckereibesitzer aus Breslau", nun Chemnitz, an LV Sachsen, 10. 8. 45. 339 Ebenda, Bl. 11 f., „Schlesischer Heimatdienst", Hubert R., Breslau, nun Chemnitz, an LV Sachsen, Dr. Konitzer, 21. 8. 45; zu den sächsischen Ausweisungsmaßnahmen: Just, Die Integration der 338
Umsiedler im Land Sachsen.
360 361
Vgl. das Hamburger Beispiel bei: Kather, Die Entmachtung der Vertriebenen, Bd. 1, S. 20 ff. Was sich in der heutigen Aktenüberlieferung findet, ist folglich nur die „oben" bekannt gewordene „Spitze des Eisbergs".
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
499
sehen Bodenreform zu erreichen und zugleich einen noch weitergehenden Lastenausgleich durch Vermögensabgaben der Alteingesessenen zu fordern362. Selbst manche Regionalverwaltung stand Selbstorganisationstendenzen unter Vertriebenen zunächst aufgeschlossen gegenüber, da diese die zunächst unzureichend funktionsfähige Bürokratie spürbar entlasteten. So stimmte das Präsidium der sächsischen Provinzialverwaltung im Januar 1946 der Bildung einer „zentrale[n] Umsiedlerselbsthilfeorganisation" (Ushi) in Halle grundsätzlich zu, um durch Schaffung einer solchen Organisationsstruktur die bestehenden örtlichen Vertriebenen-Initiativen zusammenzufassen und größerer staatlicher Kontrolle zu unterstellen. Von der geplanten Organisation erhoffte sich die Hallenser Landespolitik ferner Unterstützung bei der Arbeitsmarkt- und Wohnungsunterbringung von Vertriebenen, aber auch die „Vertretung der Ums.fiedler] in allen grundsätzlichen Fragen gegenüber Behörden und allen anderen Stellen der Prov.[inz] Sachsen", die „Vorbereitung der Unterlagen für etwaige Verhandlungen wegen Entschädigung der Umsiedler" für ihre bei Flucht und Vertreibung erlittenen Vermögensverluste sowie die „Förderung aller kulturellen Bestrebungen der Umsiedler"363. Zur Gründung dieses offiziellen Vertriebenenverbandes im späteren Sachsen-Anhalt ist es jedoch nicht gekommen, da auf landespolitischer Ebene das alliierte Koalitionsverbot blockierende Verbindlichkeit entfaltete364. Entsprechend wurde auch der Antrag eines in Finsterwalde lebenden vertriebenen früheren Stadtrats auf „Genehmigung und Zulassung der Organisation Arbeitsgemeinschaft deutscher Flüchtlinge" von der brandenburgischen Provinzialverwaltung „leider abgelehnt". Als dieser vertriebene Honoratior, womöglich Wortführer einer größeren Vertriebenengruppe, daraufhin bei der Umsiedler-Zentralverwaltung denselben Antrag stellte und die Notwendigkeit seiner Organisation damit begründete, daß „die Selbstverwaltungsorgane" der Kommunen gegenüber dem unvorstellbaren Elend der Flüchtlinge „leider sehr oft vollständig versagt" hätten, „da den dafür eingesetzten Personen vielfach das soziale Verständnis, ja sogar das rein menschliche Mitgefühl fehlt", und die „Einschaltung einer demokratischen Selbsthilfeorganisation" folglich „nicht nur im Interesse der Vertriebenen, sondern auch der betreuenden Amtsstelle" des Staates liege, die für eigenes Eingreifen viel zu schwach schien365, erhielt er wiederum ablehnenden Bescheid. Die ZVU vertrat die bekannte Auffassung, daß „die Zusammenfassung der Umsiedler in besonderen Organisationen [...] zu einer Isolierung dieser Bevölkerungsgruppe führen" und damit „die leider vielfach zu beobachtenden Gegensätze zwischen der alten und neuen Bevölkerung nicht überbrücken, sondern zum Schaden der Umsiedler nur vergrößern" würde. Das wohlverstandene Interesse der Vertriebe362
BAB, DO 2/50, Bl. 417 ff., Hermann P., „Flüchtlingsvertreter und ehem. Bauer aus Ostpreußen", St. Egidien, an ZVU, 26. 10. 45. BAB, DO 2/50, Bl. 420f., ZVU, Auszug aus dem Protokoll der 1. Sitzung des Präsidiums der Pronun
»3
364
Sachsen am 7.1., 10. 1. 46. vinzialverwaltung Die neueste regionalgeschichtliche Studie zur Vertriebenenfrage in Sachsen-Anhalt enthält keinerlei Hinweise auf eine Existenz dieses Verbandes; vgl. Mehlhase, Flüchtlinge und Vertriebene in
Sachsen-Anhalt.
»5
BAB, DO 2/50, Bl. 422, Stadtrat a.D. Alwin Seh., nun Finsterwalde, an ZVU, 29.4.46; die Finsterwalder Pläne zielten auf einen gesamtdeutschen Wirkungskreis, dabei wollte man sich „unter bewußter
Ablehnung aktivfaschistischer Elemente" angeblich jedoch „politisch neutral" verhalten.
500
II. Die
Soziologie der Macht
möglich den örtlichen Verhältnissen ihrer jetzigen Unterbringungsorte anzupassen und sich so eng wie möglich mit der alteingesessenen Bevölkerung zu verbinden". Die ZVU trete „mit allem Nachdruck" für die völlige Gleichberechtigung der Vertriebenen ein, doch statt Selbstorganisationspläne zu schmieden, sollten alle engagierten Vertriebenen „die bereits vorhandenen Möglichkeiten" nutzen, „den Umsiedlern mit Rat und Tat zu nen
bestehe darin, „sich so schnell wie
helfen"366. Fühlte ein vertriebener deutscher Beamter offensichtlich die innere Verpflichtung, seine Selbstorganisationsbestrebungen beim neuen Staate anzumelden und genehmigen zu lassen, so hatte die sowjetzonale Politik doch spätestens seit Sommer 1946 auch mit weiträumigeren Selbstorganisationstendenzen zu tun, welche sich um die sowjetzonalen Behörden nicht kümmerten, die Assimilationspolitik der SMAD und SED gezielt konterkarierten und für eine Rückkehr der Vertriebenen in die bisherigen Heimatgebiete eintraten. Vor allem das polnische Vorhaben einer Volksabstimmung über die endgültige Annexion der „wiedergewonnenen Gebiete", das den bisherigen Vertreibungs- und Polonisierungsmaßnahmen am 30. Juni 1946 eine Zustimmung von über 90% bescherte367, bewirkte eine erhebliche Politisierung unter den Vertriebenen in der SBZ. Im Mai 1946 wurde ein öffentlicher Aufruf des aus Liegnitz stammenden Ex-Präsidenten des deutschen Reichstages, des Sozialdemokraten Paul Lobe, sowie eines bürgerlichen Vertriebenenvertreters, des ehemaligen Bürgermeisters und Fabrikbesitzers Dr. Beyendorff, bekannt, der von Westdeutschland aus auch den SED-Parteivorstand aufforderte, sich beim Alliierten Kontrollrat für den Verbleib Ostdeutschlands bei Deutschland einzusetzen: „Wir sind von der schlesischen Bevölkerung dringend gebeten worden, ihre Interessen zu wahren."368 Da Lobe als Gegner der SEDGründung profiliert war, übernahm es sein bürgerlicher Partner Beyendorff, mit dem SED-Vorsitzenden Pieck in Kontakt zu treten, was freilich mißlang. Daß dieser Appell von Honoratiorenvertretern diverser Vertriebenenschichten die SEDFührung angesichts der nahenden Kommunal- und Landtagswahlen in der SBZ dennoch nicht unbeeindruckt ließ, zeigt dessen Beratung auf einer Sitzung des SED-Zentralsekretariats im Juni 1946369. Der Druck, in der Frage der Ostgrenze zugunsten der rückkehrwilligen Vertriebenen Stellung zu beziehen, nahm auf die SED noch erheblich zu, als Vertriebenen-Komitees in Kettenbriefen sämtliche ehemalige Einwohner Schlesiens und Pommerns aufforderten, in vorformulierter Form massenhaft an den Alliierten Kontrollrat zu appellieren, „die Grenzen zwischen Deutschland und Polen bei der bevorstehenden Friedenskonferenz" auf dem Stand von 1937 zu belassen. Diese Kettenbriefaktion war der erste selbstorganisierte Versuch zur interessenpolitischen Massenmobilisierung unter Vertriebenen:
„Achtung, Schlesier, Pommern! [...] An Euch liegt es nun, die Zukunft unserer Heimat zu bestimmen! Sorgt dafür, daß dieser Aufruf in die Hände aller Pommern [bzw. Schlesier] gelangt! Schreibt ihn ab und schickt die Abschrift an Bekannte in allen Teilen Deutschlands! 39 BAB, DO 1-11/887, Bl. 23, Mdl DDR, Warnke, an StvMP DDR, HA Verbindung zu den Kirchen, Nuschke, Februar 1951. 320 Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 160 f. 321 Ther, Deutsche und polnische Vertriebenenpolitik, S. 152. 322 Ebenda, S. 238. 317 318
II. Die
534
Soziologie der Macht
vereinspolizeiliche Genehmigung nachsuchten. Untersagt wurde 1951 die Gründung eines Skat- und Billardclubs, dessen Mitgliedschaft ausschließlich aus Vertriebenen bestanden hätte. Zwar wandten sich die Initiatoren mit einer Eingabe an DDR-Ministerpräsident Grotewohl, doch beharrte Volkspolizei-Chefinspekteur Lust darauf, der Klub habe „den Charakter einer Umsiedlerorganisation" tragen sollen und sei deshalb zu Recht nicht gestattet worden. Den betroffenen DDR-Neubürgern stehe es frei, ihre Freizeitaktivitäten innerhalb der offiziellen Sportbewegung zu entfalten, denn „in der DDR" gebe es „genügend Massenorganisationen [...], in welchen eine gesellschaftliche und kulturelle Betätigung gefördert" werde. Selbstverständlich wurden die Antragsteller seither überwacht523. Schwieriger war und blieb staatliche Repression, wo die formelle Institutionalisierung einer Vertriebenenorganisation nicht ohne weiteres nachweisbar war. Letzteres war umso öfter der Fall, je mehr der Eifer staatlicher Kontrolleure die Vielfalt von Vertriebenen-Lebenswelten in den Blick nahm. So hatte Ende 1950 die Volkspolizei in Jena festgestellt, daß sich in einer Gaststätte regelmäßig „Umsiedler treffen". Da die Pächterin „selbst Umsiedlerin" war, entstand sofort „der starke Verdacht, daß sich aufgrund dessen ihre Gäste vorwiegend aus Umsiedlern zusammensetzen". Diese intelligente Erkenntnis führte die Volkspolizei dazu, die Gespräche der Wirtshausbesucher zu belauschen, die sich tatsächlich „um die Vergangenheit der Einzelnen und um den Verlust des ehemaligen Besitzes" drehten. Als in einer Gruppe älterer Männer über die Meinung diskutiert wurde, die Vertriebenen kämen „nun bald wieder zurück nach Schlesien", kommentierten die Anwesenden dies zum Leidwesen der Ermittler jedoch „ungläubig" und „übereinstimmend" mit der Bemerkung, „daß sie damit nicht mehr zu rechnen brauchten". Die erwarteten „Angriffe oder Verächtlichmachung[en] der Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjetunion" hatte der Polizeibeobachter nicht feststellen können, doch gewann er bei seinem Verlassen der Gaststätte den Eindruck, „als wenn sie befriedigt waren, nun unter sich zu sein"524. Regelmäßige Treffen von Vertriebenen in Gaststätten waren kaum mit illegaler Vertriebenenorganisation gleichzusetzen. Doch Selbstorganisationen nutzten gerade diese Grauzone zwischen sozialer Kommunikation und Gruppenorganisation nach Kräften. Dies konnte durch Unterwanderung und Transformation bestehender Vereinsstrukturen erfolgen, aber auch durch die Inszenierung scheinbar zufälliger Zusammentreffen. Mit dem Mittel der Vereinsunterwanderung operierten offensichtlich jene „Zusammenkünfte von Neubürgern", die in regelmäßigen Abständen im Leipziger „Gartenverein Priesnitz" veranstaltet wurden. Dieser Verein dürfte in die Struktur der Kleingärtner-Fachsparte des FDGB eingebunden gewesen sein, und doch gelang es den SED-konformen Kontrollmechanismen nicht, sein eigendynamisches soziales Innenleben zu domestizieren. In den Jahren 1951 und 1952 beobachtete das Amt für Information wiederholt Zusammenkünfte, bei denen nicht nur Leipziger Vereinsmitglieder, sondern auch „Vertreter aus Halle" anwesend waren. An einer ,,illegale[n] Zusammenkunft" im Gartengar
um
etwa
-
323 324
-
BAB, DO 1-11/887, Bl. 57, Mdl DDR, HV DVP, Lust, an MP DDR, Sekretariat, 10. 10. 51. Ebenda, Bl. 1, Landesbehörde der Volkspolizei Thüringen an Mdl DDR, HV DVP, 9. 1. 51.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
535
verein sollen im Februar 1952 bis zu 400 Vertriebene teilgenommen haben, die aus Schlesien und dem Neißegebiet stammten. Ein SED-Mitglied, das an dieser Ver-
sammlung teilgenommen hatte, berichtete der DDR-Regierung, daß sich diese Massenversammlung aus „Treffen in kleineren Kreisen" innerhalb einer Gast-
hätten, deren Pächter das Vereinslokal des Gartenvereins überund auf diese Weise „die Neubürger ,nachgezogen'" habe. Der ursprünglich auf das gesamte Schlesien bezogene Teilnehmerkreis sei nach Ansicht der Organisatoren allmählich „zu groß geworden", weshalb man sich ausschließlich auf ,,ehem.[alige] Niederschlesier" konzentrieren wolle. Auffällig war zudem die kirchliche Bindung des Versammlungsleiters geworden, der „aktiv in der katholischen Gemeinde und seit 1949 auch mit der katholischen Jugend" arbeite; unter den Versammelten befanden sich offenbar „viele katholische Kirchgänger". Dem Gewährsmann des Amtes für Information zufolge war auf der Priesnitzer Vertriebenenversammlung „gegen die SED" jedoch „nicht gesprochen worden", weil der Versammlungsleiter dergleichen ausdrücklich „nicht wünsche"; umgekehrt sei aber „auch kein Wort über die Erhaltung des Friedens gesagt worden", wie sie die SED-Politik verstand. Der Regierungsinformant spürte, daß seine Informationen ziemlich vage blieben, und stellte daher Mutmaßungen an, ob „der ursprüngliche Zweck der Veranstaltung durch die Anwesenheit einiger Mitglieder der SED geändert" worden sei; jedenfalls erhalte der Versammlungsleiter „von irgendeiner Stelle Anweisungen". Die DDR-Regierungsstelle stellte jedoch lieber die Aufrichtigkeit ihres Informanten in Frage: Dieser scheine „mehr von den Zusammenkünften" zu wissen, „als er sagt"525. Die Priesnitzer Versammlung, die mehrere hundert Vertriebene mobilisierte, ließ sich von anderen Vertriebenentreffen an Umfang und Öffentlichkeit mühelos überbieten. Auf diese Entwicklung in der DDR hatte die sich entfaltende Vertriebenen-Selbstorganisation in der Bundesrepublik großen Einfluß, die dort 1950 keinerlei Beschränkung mehr unterlag. Ein großes Vertriebenentreffen in Leipzig erfolgte, nachdem am Tag zuvor die westdeutschen Vertriebenenverbände in Bad Cannstatt in ihrer „Charta der deutschen Heimatvertriebenen" ein feierliches „Bekenntnis zum ewigen und unverlierbaren Recht auf unsere Heimat", aber auch zum „Anspruch der Vertriebenen auf den notwendigen Lebensraum und die volle Gleichberechtigung innerhalb des deutschen Volkes" abgelegt hatten, um zugleich ausdrücklich einen „Verzicht auf Haß und Rache" gegenüber den für die Vertreibung der Deutschen verantwortlichen Nationen zu erklären526. Den folgenden Tag, den 6. August 1950, hatten die westdeutschen Vertriebenenorganisationen zum „Tag der Heimat" ausgerufen, der in der Bundesrepublik fortan alljährlich begangen wurde. In der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei des DDR-Innenministeriums wurden 1950 zu Recht Befürchtungen wach, dieses symbolträchtige Datum könne auch in der DDR Vertriebenenaktionen veranlassen527. Tatsächlich versammelten sich trotz Überwachungsmaßnahmen am 6. August im Leipziger Zoo an die „500 ehem.falige] Umsiedler aus der CSR", die stätte entwickelt nommen
323
SAPMO, DY30/IV2/9.02/75, Bl. 5f., MP DDR, Afl, Abt. IK, Inform-Mitteilung 11/27/52 v. 21. 2. 52.
Vgl. die Rede Kathers in: ders., Die Entmachtung der Vertriebenen, Bd. 1, S. 170. 327 326
BAB, DO 1-11/886, Bl. 52, Mdl DDR, HV DVP, Rdschr. v. 21.
7. 50.
II. Die
536
Soziologie der Macht
aus Dresden, Halle und Thüringen angereist waren. Gegen dieses öffentliche Massentreffen, das sich als zufällige Begegnung tarnte, vermochten die Sicherheitsapparate nichts auszurichten: „Intensiv durchgeführte Ermittlungen durch das Referat VA 3 Leipzig" ergaben lediglich, „daß es sich bei dieser Zusammenkunft um einen Besuch des Zoologischen Gartens handelte", bei dem sich Hunderte von Vertriebenen zwanglos in dasselbe Gartenlokal begaben. Ansprachen hatte man ebenso wenig feststellen können wie „organisatorische Anhaltspunkte", obschon die Staatsmacht beobachtete, daß beim mutmaßlichen „Organisatorfen] des Treffens", einem früheren Architekten, „sehr oft Umsiedler ein und aus gehen". In diesem Falle wurde eine Personenüberwachung eingeleitet528. Bemerkenswert an solchen öffentlichen Massentreffen, die freilich auf jedes Anzeichen einer politischen Versammlung verzichten mußten, war die Tatsache, daß diese offenbar sorgfältig vorbereiteten „zufälligen Begegnungen" vom SEDStaat über Jahre hinweg nicht verhindert werden konnten. Sie erhielten dadurch insbesondere für das Selbstbewußtsein der Teilnehmer eine trotzige Demonstrationsqualität. Große Gruppen von Vertriebenen machten dem SED-Regime punktuell die Herrschaft über den öffentlichen Raum streitig. Besonders auffällig entwickelte sich die „Arbeit des Gegners unter den Massen", wie die SED-Polizeiorgane dergleichen nannten, bei der „Organisierung von Umsiedlertreffen in Halle", wo sich erstmals im Sommer 1950 beobachtet „in bestimmten Zeitabständen im zoologischen Garten genannte Kreise trafen"529. Im Mai 1951 fand auf dem Hallenser Zoogelände ein weiteres größeres „Umsiedlertreffen" statt, über das die DDR-Ministerien des Innern und für Staatssicherheit vorab unterrichtet waren. Die auf dem Zoogelände postierten Vertreter der Staatsmacht stellten „in den frühen Morgenstunden des besagten Tages einen ungewöhnlich starken Zustrom zum Zoo" fest, wobei sie bezeichnenderweise „an der Kleidung vieler Menschen" erkennen wollten, „daß es sich hier um Neubürger handelte". Die Gespräche dieser Vertriebenen drehten sich um die alte Heimat, um die Chance zur Rückkehr, aber auch um aktuelle Erwerbsmöglichkeiten. Das Interesse am Zoo war bei diesen Besuchern offenkundig gering. Statt dessen saßen sie stundenlang in der Zoogaststätte, wo „eine Menge Ansichtskarten geschrieben" und stets von mehreren Personen unterschrieben wurden, woraufhin die Staatssicherheit sämtliche „Zoobriefkästen" kontrollierte. Darüber hinaus mußten die polizeilichen Beobachter mitanhören, „daß Neubürger vom Schlage ehemaliger Gutsbesitzer das Lied ,0 alte Burschenherrlichkeit' sangen und sich zwei Neubürger mit ,Heil Hitler' verabschiedeten". Von einer alten Frau hatten die Polizeispitzel erfahren, „daß diese Treffen von einem Pfarrer aus Westdeutschland organisiert" würden und der Großteil der Teilnehmer nicht aus Halle stamme, sondern aus ganz Sachsen-Anhalt530.
weiträumig
-
-
-
-
328 329
»o
Volkspolizei Sachsen an Mdl DDR, HV DVP, BAB, DO 1-7/72, Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen-Anhalt, Auswertung der volkspolizeilichen Tätigkeit zur Sicherung der Vorbereitungen und Durchführung der Volkswahlen 1950, BAB,
DO 24.11.50.
1-11/886, Bl. 87, Landesbehörde der
26. 10. 50, S. 24. BAB, DO 1-11/887, Bl. DVP, 28. 5. 51.
38, Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen-Anhalt
an
Mdl DDR, HV
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
537
Erneut hatten die Repressionsapparate der DDR ein größeres öffentliches, offenbar gut organisiertes Vertriebenentreffen zwar beobachten, aber nicht unterbinden können. Angesichts der Hilflosigkeit des SED-Staates wurde der Hallenser Zoo in der Folgezeit zu einem hoch frequentierten Treffpunkt von Vertriebenen. Dabei wurden die sich treffenden Gruppen immer größer und gingen schließlich im Frühjahr 1953 in die Tausende. Bereits im Juni 1951 trafen sich dort etwa 380 „Neubürger", die besonders aus dem Raum Schönau (Tschechoslowakei) stammten und „aus allen Gegenden Mitteldeutschlands zusammengekommen" waren. Organisatoren waren offenbar zwei frühere Schuldirektoren, „welche heute in der DDR wieder eine solche Stellung bekleiden sollen", sowie weitere Lehrer und Lehrerinnen, doch im Hintergrund schien ein nicht anwesender ehemaliger Bürgermeister des Herkunftsortes zu stehen. Auch diesmal wurden vom Zoo aus zahlreiche Ansichtskarten verschickt, die oft nach Westdeutschland, vereinzelt sogar nach Schweden gehen sollten; auch diesmal hatten die DDR-Organe diese Post kontrolliert, jedoch nur unverfängliche Texte gefunden. Diese Vertriebenen hatten offensichtlich gelernt, was man in der DDR dem Postwege anvertrauen durfte. Ähnlich hilflos agierte die Volkspolizei bei den folgenden Vertriebenentreffen, die während des Hochsommers 1951 manchmal in wöchentlicher Abfolge im Hallenser Zoo stattfanden. Am 1. Juli knüpfte ein Volkspolizei-Angehöriger in Zivil ein Gespräch mit einer verdächtigen Zoobesucherin an, die ganz offen erklärte, daß es sich bei ihrer Gruppe um sudetendeutsche Vertriebene aus Brix handle, die nun in Sachsen-Anhalt wohnten und sich alljährlich auf diese Weise träfen, „um sich über frühere Zeiten mit Verwandten und Bekannten aussprechen zu können". Man treffe „sich deshalb im Zoo [...], weil sich jeder den Zoo ansehen darf". Als sich eine Woche später an die eintausend Sudetendeutschen auf demselben Gelände versammelten, sonderten sich zumindest die männlichen Teilnehmer dieses Treffens gezielt von ihnen unbekannten Personen ab: „Welche Unterhaltung von diesen männlichen Gruppen geführt wurde, konnte nicht ermittelt werden, da jedesmal, wenn sich ein Fremder näherte, die Gespräche unterbrochen wurden." Am 12. August 1951 schließlich schätzte die machtlose Staatsgewalt den Umfang eines sudetendeutschen Treffens auf bis zu 2000 Personen, die diesmal offenbar überwiegend eine agrarische Vergangenheit verband. Unter den Versammelten befanden sich zahlreiche Umsiedler-Neubauern, aber auch ehemalige Großbauern und ein mutmaßlicher früherer Großgrundbesitzer, der von etlichen als „unser guter alter Herr" ehrerbietig begrüßt wurde und offenbar nach wie vor wohlhabend war, da er laufend Tischrunden mit großen Scheinen bezahlte. Angesichts dieser gegen die Außenwelt abgeschotteten GegenGesellschaft dieser Sudetendeutschen, in der alte soziale Hierarchien fortzugehen schienen, waren die Polizeispitzel dankbar, wenn ein einzelner Vertriebener, „ein Eisenbahner", der Meinungsführerschaft solcher Honoratioren von sich aus widersprach, da er in der DDR Arbeit gefunden habe und nicht daran denke, wieder fortzugehen. Ansonsten mußten die frustrierten Ermittler feststellen, „daß die Neubürger ganz besonders fest zusammenhielten", denn es war nicht möglich gewesen, die Namen jenes vermeintlichen Großgrundbesitzers sowie eines Pfarrers als derjenigen herauszubekommen, die offenbar innerhalb der Gruppe meinungsführend waren. Den polizeilichen Überwachern wurde ihr Außenseitertum be-
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538
II. Die Soziologie der Macht
bewußt, daß es „sehr schwer" für sie war, „durch den Dialekt überhaupt etwas herauszuhören". Die Polizeiagenten hatten nur „einzelne Gesprächsstücke" verstehen können, etwa daß die Vertriebenen zu solchen Treffen „neuerdings nicht mehr schriftlich eingeladen werden, sondern jetzt die Nachricht von Mund zu Mund erhalten". Die wenigen greifbaren Ergebnisse dieser Überwachungsaktion bestanden in der Namhaftmachung eines Volkspolizeiwachtmeisters, der es gewagt hatte, in voller Uniform an diesem Vertriebenentreffen teilzunehmen, und in der Weitergabe einiger Buskennzeichen an die Staatssicherheit531. Es dauerte bis Herbst 1952, bevor das SED-Regime gegen die unterdessen etablierte Tradition der Hallenser Vertriebenentreffen repressiv vorging. Obwohl ein angekündigtes Zoo-Treffen von rund 350 Vertriebenen damals ausfiel, wurden zwei Dutzend erschienene Vertriebene vorläufig festgenommen, da sie allzu laut „ihr Erstaunen darüber" geäußert hatten, „daß an diesem Tage kein Umsiedlertreffen stattfand". Die Vernehmungen erbrachten Namen weiterer Personen, „die ständig an derartigen Treffen teilnehmen", und bestätigten Erkenntnisse, wonach die Termine unterdessen nur noch mündlich weitergegeben wurden. „Organisatoren konnten nicht ermittelt werden."532 Nach dieser Generalprobe wurde schließlich auf dem Höhepunkt der unpopulären Stalinisierungspolitik des SED-Regimes, im Vorfeld des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953, ein am 10. Mai dieses Jahres im Hallenser Zoo stattfindendes „Umsiedlertreffen" durch einen polizeilichen Großeinsatz gesprengt. Diese massive Repression beendete die dortigen Massentreffen schlagartig. Die Bezirksbehörde der Volkspolizei, die vorab über das Maitreffen unterrichtet war, hatte sich zuvor bei „Partei" und „MfS" rückversichert, „um dieses illegale Treffen zu unterbinden", und dafür 140 Sicherheitskräfte aufgeboten. Geheimpolizisten kontrollierten sämtliche Ausfallstraßen der Stadt und hielten etliche verdächtige Kraftfahrzeuge und Busse schon bei deren Anreise auf, um sie an ihre Ausgangsorte zurückzuschicken. Die gleichzeitigen Bahnhofskontrollen der Transportpolizei erwiesen sich jedoch als unzureichend, da „ein größerer Personenkreis" von Vertriebenen auf diesem Wege ungehindert in die Stadt Halle gelangte. Im Vorfeld des Zoologischen Gartens selbst war jedoch eine weitere „innere Sicherung" durch massive Ausweiskontrollen etabliert worden, in denen bis Mittag etwa 800 Vertriebene hängenblieben; dabei hatte man „die ersten Wortführer ermittelt und zwecks Vernehmung der Abt. K zugeführt". Weitere Ausweiskontrollen bei sämtlichen Zoobesuchern führten zur Feststellung der Personalien von weiteren 2000 Vertriebenen, von denen 598 vorläufig festgenommen wurden, um „in mehreren Gruppen Belehrungen" über sich ergehen zu lassen und anschließend „listenmäßig anhand der Personalausweise erfaßt" zu werden. Von diesen Verhafteten wurden 91 Personen eingehender „vernommen, weil sie als Wortführer in Erscheinung traten"533. Hatte der Großteil der Verhafreits dadurch schmerzlich
"i
Ebenda, Bl. 48, Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen-Anhalt an Mdl DDR,
HV
DVP,
16. 8.
51. 332
Ebenda, Bl. 89, Mdl DDR, Generalinspekteur VP, Seifert, an Mdl DDR, Stoph, MfS, Zaisser, SKK an Mdl DDR, Chefinspekteur Röbelen, o.D. [Oktober 1952]. Ebenda, Bl. 96-104, insb. Bl. 96-98, Bezirksbehörde der DVP Halle an Mdl DDR, Staatssekretaund
333
riat für Innere Angelegenheiten, HV DVP, 1. 6. 53.
3.
539
Eigensinn und Selbstorganisation
den Zweck ihres Zooaufenthaltes geleugnet, gab eine Minderheit die Absicht eines organisierten Vertriebenentreffens „als seit den letzten Jahren überlieferte Gewohnheit" offen zu. Zugleich wurde mehrheitlich erklärt, „daß der Inhalt dieses Treffens einen rein freundschaftlichen Charakter" trage, um „als alte Bekannte aus der .Heimat' ihre gegenseitigen Erfahrungen über ihre persönlichen Verhältnisse und Arbeitsstellen nach 1945 auszutauschen". In „wenigen Ausnahmen" wurde allerdings zugestanden, „daß Hin und Wieder [sie!] einige politische Diskussionen" geführt worden seien. Allerdings gelang es den Ermittlern nicht, etwaige Redner namhaft zu machen, obgleich „einzelne Personen während des Treffens von Tisch zu Tisch gegangen" sein sollten534. Die Auswertung der Personalien der erfaßten mutmaßlichen 91 „Wortführer" ermöglichte der Volkspolizei ein Soziogramm dissidenter Vertriebener. Demnach stammte „die größte Zahl der Personen aus den Bezirken Halle/Sa., Magdeburg und Leipzig", also aus nähergelegenen Regionen535. Über 80% der vernommenen 91 Personen waren männlich, 42% waren über 50 Jahre, weitere 30% zwischen 41 und 50 Jahre alt. In der Berufsstruktur überwogen mit 45% eindeutig die Arbeiter, gefolgt von 14% Angestellten und je 7% Handwerkern und Bauern. Dabei ergaben sich im Vergleich zum Vorkriegsberuf bei Arbeitern und Angestellten kaum Veränderungen, während nur einer der sechs Handwerker diesen Beruf schon vor der Vertreibung ausgeübt hatte. Sechs Nachkriegsbauern, die durch die Bodenreform Land erhalten hatten, standen 16 bäuerliche Vorkriegkarrieren gegenüber. Soweit die mutmaßlichen Rädelsführer des Vertriebenentreffens in Parteien organisiert waren, gehörten sie größtenteils der SED an mit 15 (von insgesamt 27 organisierten) Personen immerhin 17% der Gesamtgruppe. Zwölf Personen und damit 13% der 91 Vernommenen gaben zu, früher NSDAP-Mitglieder gewesen zu sein536. Aus diesen 91 intensiver Vernommenen wurden fünf Personen als eigentliche Organisatoren der Zootreffen herausgefiltert, bei denen Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden; da diese in allen Fällen weiteres Belastungsmaterial ergaben, wurde eine Strafverfolgung eingeleitet. Diese stützte die Volkspolizei übrigens nicht auf die Verfassung der DDR oder das Friedensschutzgesetz, sondern auf die bereits im Oktober 1946 von den alliierten Besatzungsmächten erlassene Kontrollratsdirektive Nr. 38537, in der die „Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen", aber auch die „Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen" geregelt worden war538. Dabei setzte der von der Volkspolizei herangezogene Artikel III A III539 ausdrücklich solche Personen mit zu verfolgenden NS-Aktivisten gleich, die „nach dem 8. Mai 1945 durch Propaganda für den Nationalsozialismus oder Militarismus oder durch Erfindung und Verbreitung tendenziöser Gerüchte den Frieden des deutschen Volkes oder den Frieden der Welt teten
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334 333 3» 337 338 339
Ebenda, Bl. 102 f. Ebenda, Bl. 98. Ebenda, Bl. 102 f. Ebenda, Bl. 99f. Zit. nach: Rößler, Entnazifizierungspolitik der KPD/SED, S. 97.
BAB, DO 1-11/887, Bl. 96-104, insb. Bl. 100, Bezirksbehörde der DVP Halle Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten, HV DVP, 1. 6. 53.
an
Mdl DDR,
II. Die
540
Soziologie der Macht
gefährdet" hätten oder „möglicherweise noch" gefährden würden540. Da „Aktivisten" unter die Gruppe der NS-„Belasteten" gerechnet wurden, bot diese besatzungsrechtliche Direktive dem SED-Staat die juristische Möglichkeit, unliebsame Personen bis zur „Dauer von zehn Jahren in einem Gefängnis oder in einem Lager interniert" zu halten, Vermögenseinziehung zu veranlassen und mehrere Jahre nach einer Entlassung aus der Internierung noch diverse Rechtsbeschränkungen sowie Berufsverbote zu verhängen541. Der Artikel III A III der Entnazifizierungs-Direktive wurde von der politischen Justiz der SBZ/DDR als „erste uneingeschränkt als rein politisches Regimeschutzgesetz angewandte Vorschrift begriffen". Gemäß einem Urteil des Obersten Gerichts der DDR vom August 1951 diente diese besatzungsrechtliche Vorschrift
zum
in den deutlicheren Worten der
Schutz der „Demokratie" bzw.
Justiz-Staatssekretärin Hilde Benjamin (SED) der Aufrechterhaltung ,,unsere[r] Ordnung"542. Dabei wurde jedwede Form oppositionellen Handelns gegen das SED-Regime als „Neofaschismus" gebrandmarkt und verfolgt. Das Landgericht Magdeburg verurteilte auf dieser fadenscheinigen Rechtsgrundlage 1952 die Einführung westdeutscher Zeitungen in die DDR als NS-Propaganda, das Oberste -
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Gericht inkriminierte zur selben Zeit die Äußerung, es möge in der DDR einmal „anders" werden543. Die Anwendung der Entnazifizierungs-Direktive auch auf Selbstorganisationsversuche von Vertriebenen ist insofern nur ein weiterer Ausdruck der seit 1950 zunehmenden, „jedes vernünftigen Sinnes entbehrenden Totalisierung des Strafbedürfnisses des Regimes"544. Die fünf in Halle längerfristig verhafteten Vertriebenen waren ein ehemaliger sudetendeutscher Staatsangestellter, der der NSDAP angehört hatte und nunmehr Rentner war; ein Lehrer, der erst der SPD, nach 1938 der NSDAP und zum Zeitpunkt seiner Festnahme der SED angehörte; ein ehemaliger Textilkaufmann, der nun Postangestellter und Mitglied der Blockpartei CDU war; und schließlich ein selbständiger Handwerker sowie ein ehemaliger Viehhändler, der als Kraftfahrer arbeitete. Im Zuge der Ermittlungen gegen diese Personengruppe gelang es der Volkspolizei, einen illegalen Bankverein auszuheben, der zum organisatorischen Fundament der Vertriebenenorganisation gehörte545. Auch gegen den Betreiber der Zoogaststätte wurde ein Ermittlungsverfahren eröffnet, um ihm die Konzession zu entziehen und diesen Vertriebenentreffpunkt endgültig zu zerschlagen. Gegen die Inhaber „der kontrollierten KFZ" wurden ebenfalls „Ermittlungsverfahren gemäß KD 38" eingeleitet mit dem Ziel, „die Fahrzeuge zu beschlagnahmen". Da viele Vertriebene jedoch mit Firmenfahrzeugen angereist waren, sollte auch eine Überprüfung dieser oft volkseigenen Betriebe erfolgen. Trotz der in diesem Fall erzielten weitreichenden Repressionserfolge machte sich die Hallenser Bezirksverwaltung der Volkspolizei jedoch keine Illusionen: Es müsse „damit «o 341
542 343 344 343
Zit. nach: Rößler, Entnazifizierungspolitik der KPD/SED, S. 102. Vgl. Artikel IX der Kontrollratsdirektive Nr. 38 über „Sühnemaßnahmen gegen Belastete": ebenda, S. 105 f. Schuller, Geschichte und Struktur des politischen Strafrechts der DDR, S. 25. Ebenda, S. 27 f. Ebenda, S. 379 f. BAB, DO 1-11/887, Bl. 96-104, insb. Bl. lOOf., Bezirksbehörde der DVP Halle an Mdl DDR, Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten, HV DVP, 1. 6. 53.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
541
gerechnet werden, daß in Zukunft derartige Treffen an andere Orte verlagert werden"546. Nach den alsbald folgenden militärischen Repression des Juni-Aufstandes von 1953 durch die Rote Armee scheint jedoch zumindest die Zeit öffentlicher Großveranstaltungen, die bewußt die Grauzone zwischen Legalität und Illegalität in der DDR ausgelotet hatten, vorüber gewesen zu sein. Das bedeutet allerdings nicht, daß das Regime die Selbstorganisationsaktivitäten unter Vertriebenen flächendeckend in den Griff bekommen haben muß. Nach der Systemkrise von 1953 lockerte sich vielmehr der repressive Zugriff ein wenig, was auch die Bereitschaft zu offener Meinungsäußerung wieder anwachsen ließ. Unter den verschärften Bedingungen des Stalinisierungsjahres 1952 hatte das Amt für Information als Einwand gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze bereits eingestuft, daß ein Angestellter eines Dessauer SAG-Betriebs verhalten äußerte: „Wir haben ein Gesetz zum Schütze des Friedens. Die Oder-Neiße-Grenze ist als Friedensgrenze erklärt worden. Wenn wir nun darüber sprechen und anderer Meinung sind, so würde das ein Verstoß gegen dieses Gesetz sein und wir machen uns strafbar. Also müssen wir es als endgültig ansehen."547 Hingegen gewannen nach dem Juniaufstand und dem partiellen politischen Zurückweichen des SED-Regimes unter dem „Neuen Kurs" Teile der Bevölkerung den Eindruck, „es ist ja jetzt schön, daß man mal wirklich seine Meinung offen aussprechen kann, das hat sich erst geändert nach dem 17. Juni, seitdem werden auch keine Bauern mehr abgeholt". Jener Landwirt aus dem Kreis Prenzlau, der Mitte 1955 diese Diagnose äußerte, getraute sich sogar, die Oder-Neiße-Grenze mit dem Versailler Diktat zu vergleichen und für das deutsche „Volk ohne Raum" allen Ernstes Kolonien zu fordern548. Wo Alteingesessene ihr Recht auf freie Meinungsäußerung derart selbstbewußt behaupteten, wollten Vertriebene nicht zurückstehen. Anfang 1954 erklärte sich ein vertriebener Schlesier, der nun als Maurer in Thüringen lebte, „aus Liebe zur Heimat" gegen die Oder-Neiße-Grenze, wobei die SED-Obrigkeit diese Haltung auf das Wirken eines Gastwirtes zurückführte, „welcher aus derselben ehemaligen schlesischen Gegend" stamme, dort „einige Ländereien verloren" habe und daher „die anderen Umsiedler in negativer Art und Weise" beeinflusse549. Mitte 1955 fiel im Kreis Röbel ein aus Oberschlesien stammender Handwerker auf, der ebenfalls gegen die 1950 anerkannte Ostgrenze sprach und offensichtlich „in Verbindung mit den Landsmannschaften in Westdeutschland" stand, von denen er „laufend schriftliches Material" erhielt. Das wußte man deshalb, weil dieser Vertriebene so weit ging, westdeutsche Publikationen auf öffentlichen Dorfversammlungen zu zitieren550.
34" 347
348
Ebenda, Bl. 104. SAPMO, DY30/IV2/9.02/72, Bl. 203ff., insb. Bl. 207, MP DDR, Afl, Abt. Informations-Kon-
trolle, Inform-Mitteilung 1/161/52 v. 19. 4. 52. SAPMO, DY 6/4720-502-004, NFddD, Bezirksausschuß Neubrandenburg, Informationsbericht
v. 349
24. 6. 55.
SAPMO, DY6/4946-509-006, NFddD, Bezirkssekretariat Gera, Informationsbericht S.7.
550
v.
5. 2.
54,
SAPMO, DY6/4720-502-004, NFddD, Bezirksausschuß Neubrandenburg, Informationsbericht v.
15.6.55.
542
II. Die
Soziologie der Macht
Die kommunikative, zuweilen organisatorisch verfestigte Vernetzung zwischen in der DDR und in der Bundesrepublik lebenden Vertriebenen konnte das SEDRegime vor dem Bau seiner Mauer nicht wirksam unterbinden. Noch im Herbst 1960 erklärte das DDR-Innenministerium die verstärkte Beteiligung von Vertriebenen an der „Republikflucht" mit solchen Einflüssen aus Westdeutschland oder West-Berlin. Die teilweise erheblichen Leistungen des westdeutschen Lastenausgleichsgesetzes würden „in vielen Fällen [...] den ehemaligen Umsiedlern" durch bereits republikflüchtig gewordene Bekannte mitgeteilt und entfalteten entsprechende Anziehungskraft: Nachdem beispielsweise in der Gemeinde Trebnitz, Kreis Seelow, das Gerücht umgegangen sei, daß ein republikflüchtiger Bauer in der Bundesrepublik 40000 DM Entschädigung erhalten habe, seien aus diesem Dorfe binnen eines Jahres 36 „ehemalige Umsiedler, die alle aus dem Gebiet Schlochau stammen, republikflüchtig" geworden. Ähnliches lasse sich in vielen Orten der DDR feststellen. „Vielfach" wurden nach den Erkenntnissen des DDRInnenressorts auch damals noch „Umsiedler-Zeitungen illegal" in die DDR eingeführt, „verschiedentlich" hatten später republikflüchtig gewordene Vertriebene zuvor „an Umsiedler-Treffen in Westdeutschland bzw. Westberlin" teilgenommen551, die offenbar auch die Funktion von Informationsbörsen zur Migrationsvorbereitung hatten. In ländlichen Gebieten der DDR herrschte zuweilen um 1960 unter Vertriebenen eine starke Tendenz zur sozialen Isolation, die lediglich durch Briefverkehr mit in Westdeutschland lebenden Heimatgenossen durchbrochen wurde. Auch hierbei unterstellte das SED-Regime Kontakte zu westdeutschen Landsmannschaften: „Es gibt Gemeinden, die ausschließlich von Umsiedlern, die aus den Gebieten östlich der Oder stammen, bewohnt sind. Von den fünf Angestellten des Rates der Gemeinde Gramzow sind vier Umsiedler, wovon einer regen Briefverkehr mit früheren Bekannten, die jetzt in Lübeck (Sitz des Heimatverbandes der Uckermärker) wohnen, unterhält."552 Dem SED-Regime blieb angesichts dessen neben punktueller Repression und weitreichender Duldung nur die Hoffnung auf langfristigen Wandel. Letzteren hoffte man konkret vor allem durch die politische „Umerziehung" der jungen Vertriebenengeneration zu fördern, deren Teilerfolge von westdeutschen Beobachtern schon gegen Mitte der fünfziger Jahre mit Besorgnis verfolgt wurden553. Bereits 1946 hatte der selbst aus Danzig stammende SED-Funktionär Anton Plenikowski betont, daß sich „Kinder" stets „am leichtesten assimilieren" ließen, weshalb der scharfe „Gegensatz zwischen Umsiedlern und Ortsansässigen [...] am schnellsten durch die junge Generation überwunden" werden dürfte554. Was der SED-Führung Anlaß zu assimilationspolitischer Hoffnung war, bedeutete aus westdeutscher Perspektive die Gefahr allmählichen Absterbens der von der Elterngeneration mehrheitlich noch hochgehaltenen landsmannschaftlichen „Tra-
551 332
SAPMO, DY30/IV2/13/401, Mdl DDR, Abt.
Innere Angelegenheiten, Informationsbericht über die Methoden der Abwerbung von Bürgern der DDR, 30. 9. 60, S. 4. Ebenda, Mdl DDR, Bericht über den Einsatz der Brigade des Mdl im Kreis Prenzlau, 14.12. 60, S. 3.
333 334
Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 180.
BAB, DO 2/4, Bl. 114, SED, ZS, Abt. LP, Plenikowski, an Ulbricht und Fechner, 29.
11. 46.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
543
ditionswerte"555. Daß Erfolge des SED-Staates unter der jüngeren VertriebenenGeneration nicht nur mit Manipulation zu tun hatten, sondern auch auf realen sozialen Aufstiegsangeboten gründeten556, belegt unter anderem jener dreiundzwanzigjährige SED-Funktionär, der 1952 dem Westreporter Erich Kuby stolz erklärte, „daß er eines Arbeiters Kind sei, aus Schlesien, und unter kapitalistischen Verhältnissen niemals den Aufstieg zum Referenten des [thüringischen] Ministerpräsidenten hätte nehmen können"557. Gleichwohl verschärfte die gezielte Umerziehungsarbeit der SED den eigendynamischen Generationengegensatz und vergiftete diesen langfristig zwangsläufigen mentalen Bruch zwischen den Vertriebenengenerationen in der DDR durch eine haßerfüllte Politisierung. Im April 1952 entdeckte an der Pädagogischen Fachschule für Heimerzieher in Potsdam eine Lehrerin bei einem Stubenrundgang unter den Gegenständen eines zwanzigjährigen Schülers aus dem Kreis Grimmen eine illegale Vertriebenenbroschüre. Da es sich bei diesem Schüler, einem Vertriebenenkind, nach Einschätzung seiner Erzieher „um einen aufrechten und fortschrittlichen jungen Menschen handeltfe]", wollte man nicht was ebenfalls denkbar gewesen wäre seine Ausbildung und Berufsperspektive im SED-Staat ohne weiteres zerstören. Statt dessen diskutierten die SED-Lehrer mit diesem Jugendlichen „offen über die Rolle der Art von Organisationen und über die Zweckmäßigkeit der herausgegebenen Schriften". In diesem Gespräch, das über seine Zukunft entschied, gab der Schüler an, daß seine in Mecklenburg lebenden Eltern „von irgend einer Stelle beeinflußt" würden, denn sooft er „zu Hause weilte[,] erzählten die Eltern, daß es bald heimgeht[,] und immer sogar mit genauen Daten". In Mecklenburg gebe es „ganze Dörfer von ehemaligen Sudetendeutschen [...], die durch irgendwelche Stellen zu Heimweh und Heimatzurückreise beeinflußt" würden. Die Initiatoren dieser Organisation und der bei ihm beschlagnahmten Broschüre vermutete der junge Vertriebene und künftige DDR-Pädagoge unter „erzreaktionären und faschistischen Elementen", die er noch aus seiner Heimat kenne558. Indoktrination und repressive Bedrohung beschleunigten in diesem Falle eine Distanzierung von der Erfahrungswelt der Elterngeneration, die zur selben Zeit auf „natürlichere" Weise durchaus auch in der Bundesrepublik zu beobachten war und folglich auch in der DDR ohne repressive Beihilfe allmählich erfolgt wäre. Jedenfalls beschrieb der Volkskundler Karasek-Langer die in Westdeutschland lebende Vertriebenenjugend im Jahre 1959 als bemerkenswert „unbelastete Generation", die sich gegenüber den Vertreibungs-Erfahrungen der Eltern „distanziert, neutralisiert und versachlicht" verhielt und „dem [ehemals deutschen] Osten in einem tieferen Sinne entfremdet" schien, „als man dies ahnt und die Väter es wahrhaben möchten"559. -
333
Seraphim,
Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 164; freilich wurde nicht bedacht, daß solche Traditionswerte permanentem Wandel ausgesetzt waren; vgl. Karasek-Langer, Volkstum im
Umbruch, S. 677 f.
Vgl. allgemein: Kielmannsegg, Nach der Katastrophe, S. 585. Kuby, In einem anderen Land, S. 427. BAB, DO 1-11/887, Bl. 77, Volkspolizei-Präsidium Potsdam Brandenburg, 26. 4. 52. 339 Karasek-Langer, Volkstum im Umbruch, S. 694. 336
-
337 338
an
Landesbehörde
Volkspolizei
II. Die Soziologie der Macht
544
3.3.
„Die revanchistische Schutzhelferrolle des Klerus": Vertrieb enen-Organisation und kirchliche Institutionen in der SBZ/DDR
Daß das Territorium der SBZ aus katholischer Perspektive als Diaspora betrachtet werden mußte, hatte der Vertriebenenzustrom nicht grundlegend geändert, doch Millionen von Katholiken aus der Tschechoslowakei, aus Schlesien und Ostpreußen hatten immerhin die Gesamtzahl der katholischen Minorität nahezu verdreifacht560. Gleichwohl gehörten 1950 in der DDR immer noch 80,5% der Gesamtbevölkerung evangelischen Kirchen und nur 11% der katholischen an. Bis 1964 sollte dieser Mitgliederbestand beider großkirchlicher „Lager" infolge eines allgemeinen Säkularisierungstrends, aber auch wachsender antikirchlicher Repression im SED-Staat freilich um ein Viertel rapide sinken561. Die katholischen und protestantischen Kirchen haben in der Vertriebenenbetreuung der Nachkriegszeit unschätzbare Arbeit geleistet562. Nicht nur in Sachen karitativer Nothilfe erwiesen sie sich oft als zunächst einzig funktionierende Großinstitution der deutschen Zusammenbruchsgesellschaft; weit über ihren eigentlichen Aufgabenbereich hinaus übernahmen die Kirchen auch politische Ersatzfunktionen563. Kirchenvertreter wurden zu gefragten Gesprächs- und Verhandlungspartnern aller Besatzungsmächte564 aufgrund einer unerwartet kirchenfreundlichen Haltung der SMAD sogar in der SBZ565. Freilich blieb das Verhältnis zwischen Kirchen und Besatzungsmächten „immer nur solange harmonisch", wie erstere mit den politischen Zielen der Sieger übereinstimmten: „Doch eben dies war nicht der Fall: nicht bei der Entnazifizierung, nicht bei der Reform der politischen und kulturellen Strukturen, nicht bei der Beurteilung der deutschen Geschichte, nicht bei den Grenzziehungs-, Flüchtlings- und Kriegsgefangenenproblemen"566. Mochte die „caritative Seite" der Kirchen die Besatzungsmächte sozialpolitisch hilfreich entlasten, so ließ bereits „die missionarische Seite" derselben Institutionen567 Konflikte mit der Besatzungspolitik entstehen, welche insbesondere den weitreichenden gesellschaftspolitischen Gestaltungsanspruch der Kirchen kaum zu akzeptieren bereit waren. Aufgrund dessen folgte in allen Besatzungszonen dem anfangs „fast freundschaftlichen Einvernehmen" rasch -
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361
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Von einer Million 1939 auf 2,7 Millionen 1949
hochgeschnellt, betrug der Katholikenanteil der DDR-Bevölkerung 13,9%, um durch Abwanderung wieder zu sinken; vgl. Schäfer, Staat und ka-
tholische Kirche in der DDR, S. 57. Mohrmann, Lust auf Feste, S. 418. Vgl. den Überblick bei Neubach, Die Rolle der beiden christlichen Kirchen; zur caritativen Seite evangelischer Kirchenpolitik in der SBZ/DDR: Seidel, „Neubeginn" in der Kirche?, S. 156-166; Wischnath, Kirche in Aktion; zur Vertriebenenseelsorge der evangelischen Kirchen Rudolph, Evangelische Kirche und Vertriebene; zu Katholizismus und Vertriebenen: Köhler/Bendel, Bewährte Rezepte oder unkonventionelle Experimente? Eine kritische Sicht auf die eher karitative als pastorale Vertriebenenbetreuung vertritt Hirschfeld, Katholisches Milieu und Vertriebene, S. 529.
Vgl. Kaiser/Doering-Manteuffel, Christentum und politische Verantwortung. 364 563
Einem von ihnen dem durch seinen Widerstand gegen die NS-„Euthanasie" international anerkannten katholischen Bischof von Münster, Graf von Galen, soll sogar angeboten worden sein, an die Spitze der dortigen Regionalverwaltung zu treten; vgl. Nowak, Geschichte des Christentums in Deutschland, S. 296. Vgl. zur Kirchenpolitik der Sowjets: Dähn, Grundzüge der Kirchenpolitik von SMAD und KPD/ SED. Nowak, Geschichte des Christentums in Deutschland, S. 304 und S. 302. Seidel, „Neubeginn" in der Kirche?, S. 155f. und S. 166. -
363
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3.
Eigensinn und Selbstorganisation
545
„eine nahezu vier Jahre andauernde Phase der Mißverständnisse und Konflikte"568. Daß die Kirchen nach dem Zusammenbruch der Hitler-Diktatur auf breitenwirksame Rechristianisierung setzten und sich entsprechend großen gesellschaftlichen Einfluß erhofften569, konnte und wollte insbesondere die SED nicht hinnehmen, weshalb nach Gründung der DDR die unter der sowjetischen Besatzungsherrschaft „noch gedämpft ausgetragene Konfrontation" der kommunistischen Machthaber mit den Kirchen ganz offen zum Ausbruch gelangte570. Diese massive politische Pression ließ in der DDR die gesellschaftliche Stellung der Kirchen viel rascher erodieren als in Westdeutschland, wo eher ein schleichender Einflußverlust beobachtet werden kann; letztlich jedoch sah sich die unzeitgemäße Hoffnung der Kirchen auf eine „Rechristianisierung" der Gesamtgesellschaft nach der totalen, auch moralischen Katastrophe des „Dritten Reiches" in ganz Deutschland „schnell enttäuscht"571. Der altkommunistische Kern der SED konnte die kirchenfreundliche Taktik der Sowjets niemals wirklich nachvollziehen. Schon 1947/48 mehrten sich unter SED-Funktionären Stimmen, die in den Kirchen hochgefährliche Bündnispartner der bürgerlichen Blockparteien erblickten. Dieser Argwohn bezog sich insbesondere auf das enge Verhältnis zwischen den Kirchen und der Ost-CDU, aber auch auf den evidenten Zusammenhang zwischen kirchlicher Vertriebenenarbeit und wachsender Vertriebenen-Selbstorganisation in der SBZ. Der Eklat des September 1947, als die SED-Führung beiden großen Kirchen und deren karitativen Hilfswerken die von der Union beantragte Beteiligung am geplanten „Zentralen Umsiedler-Beirat" der sowjetischen Zone brüsk verweigerte, bedeutete in vertriebenenpolitischer Hinsicht den Wendepunkt im bislang eher kooperativen Verhältnis von Staat und Kirchen. Fortan sollte Politik und eben auch Vertriebenenpolitik zur alleinigen Angelegenheit des von SMAD und SED dominierten politischen Systems der SBZ gemacht werden. Dieser Konfrontationskurs der SED-Führung führte 1947/48 zur „Zurückdrängung der Kirchen" aus offiziellen staatlichen Gremien, nicht jedoch wie vergröbernd behauptet worden ist „aus dem öffentlichen Leben und damit auch aus der Vertriebenenpolitik" überhaupt572. Politik ließ sich nicht auf das Handeln staatlicher (oder staatsparteilicher) Institutionen reduzieren, sondern blieb selbst unter den zunehmend repressiven Bedingungen der SBZ und der frühen DDR ein „schöpferischer Prozeß" in vielfältiger, oft konfliktreicher „Verflechtung von Politik und Nichtpolitik"573. Indem die SED die Kirchen aus staatlichen Vertriebenengremien wie den Umsiedlerausschüssen, nicht aber aus der Öffentlichkeit insgesamt zu verdrängen vermochte, gewann vertriebenenspezifisches Engagement der Kirchen unweigerlich die Qualität einer politischen Gegen-Öffentlichkeit. Die SED vermochte niemals zu begreifen, daß die dialektische „Kehrseite der Säkularisation", die sie in Staat und Gesellschaft zu erzwingen gedachte, wachsende „Autonomie" und „Unabhängigkeit der Kir-
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568
Nowak, Geschichte des Christentums in Deutschland, S. 304 und S. 302.
Vgl. Köhler/van Melis, Siegerin in Trümmern. 370 369
371 372 373
Nowak, Geschichte des Christentums in Deutschland, S. 322. Nowak, Staat ohne Kirche?, S. 35. So jedoch Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 151. Vgl. zu letzterem allgemein: Münch, Risikopolitik, S. 73.
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546
II. Die
Soziologie der Macht
gegenüber staatlicher Steuerung sein müßte und sein würde574. Wie im NSinfolge dessen ein weiteres totalitäres Regime „Handlungen und Verhaltensweisen zu .Widerstand' ", die im Kontext „einer pluralistischen Demokratie" niemals diese Bedeutung erlangt hätten575. Freilich sollte kirchlicher „Wichen"
Staat machte
derstand" im SED-Staat weder idealisiert noch überschätzt werden, denn eine weitere Analogie zum „Dritten Reich" dürfte darin bestanden haben, daß staatlich-kirchliche Resistenzkonflikte nicht nur „herrschaftsbegrenzend", sondern zugleich auch „systemstabilisierend" wirkten, da „partielle Herrschaftsbegrenzung und grundsätzliche Systemstabilisierung [...] einander wesentlich bedingten"576. Auf dem Felde der Vertriebenenpolitik boten die Kirchen Gruppenaktivitäten von Vertriebenen zweifellos wichtige institutionelle Schutzräume gegen eine totalitäre SED-Assimilationspolitik, doch diese Protektion domestizierte und disziplinierte zugleich die Protegierten. Diese Ambivalenz kirchlicher Exklaven, die grundlegende Sachzwänge sozialer Integration keineswegs außer Kraft setzten, sondern die gerade durch ihre relative Autonomie zu funktionierenden zusätzlichen Zonen allmählicher Vertriebenen-Integration in der DDR-Gesellschaft wurden, vermochte die starre SED-Politik freilich nicht zu begreifen. Dasselbe gilt für die sozialintegrative Funktion religiöser Deutungsmuster der Vertreibung. Studien zum Umgang des westdeutschen Katholizismus mit dem Vertriebenenproblem haben jedoch überzeugend gezeigt, daß im kirchlichen Milieu „Integration statt Separation" auf der Agenda stand577, eine Maxime, die zuweilen sogar „eine rigide Integrationspraxis der kirchlichen Behörden" gegenüber landsmannschaftlichen Identitäten und entsprechenden Organisationsbestrebungen veranlaßte und sich folglich aufs beste in den gesamtgesellschaftlichen „Hintergrund der Assimilation" fügte578. Daß die SED-Politik solche Sachverhalte immer weniger wahrnahm, zeugt vom eklatanten Verlust dialektischer Denkfähigkeit auf dem Felde der Integrationspolitik, welches statt dessen durch ein primitives FreundFeind-Schema dominiert wurde. Der monopolistische Steuerungsanspruch der DDR-Hegemonialpartei konnte daher selbst begrenzte kirchliche Autonomie nur schwer tolerieren.
„Keine politischen Geschäfte mit Spenden": Der Machtkampf zwischen SED und kirchlichen Hilfswerken um das Spendenverteilungsmonopol in der SBZ/DDR 3.3.1.
Unmittelbar nach dem Eklat um den gescheiterten „Zentralen Umsiedler-Beirat", aus dem die SED-Führung die Kirchen und ihre Hilfswerke möglichst ausgeschlossen wissen wollte, eskalierte in der SBZ ab Herbst 1947 ein schon länger schwelender Konflikt um die staatliche Kontrolle der Verteilung internationaler Spenden. Die von ZVU und Volkssolidarität kontrollierte und damit SED-dominierte „Kommission zur Verteilung ausländischer Spenden", 1946 ursprünglich zur Verteilung der Hilfsgüter des Internationalen Roten Kreuzes geschaffen, hatte 574 373
Vgl. grundsätzlich: Rémond, Religion und Gesellschaft in Europa, S. 239. Kershaw, Der NS-Staat, S. 281.
Vgl. am NS-Beispiel: Schlögl/Schwartz/Thamer, Konsens, Konflikt und Repression, S. 28. 377 Vgl. für das Erzbistum Bamberg: Blessing, „Deutschland in Not, wir im Glauben...", S. 85. 378 376
Hirschfeld, Katholisches Milieu und Vertriebene, S. 522 f. und S.
128.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
547
in der Folge „eine ganze Reihe anderer Organisationen" einbezogen579 und damit einen Hang zur staatlichen Monopolisierung der Spendenverteilung entwickelt, der sich mit der Eigenständigkeit der kirchlichen Hilfsorganisationen dem Evangelischen Hilfswerk und der katholischen Caritas schlecht vertrug. Beide großkirchlichen Hilfswerke waren nicht nur gesamtdeutsch organisiert, sondern verfügten auch über gute internationale Verbindungen, wodurch sie „ausländische Spenden in [derart] großem Umfang zur Verteilung bringen" konnten, daß die SED-gelenkte staatliche Kommission deutlich ins Hintertreffen geriet. Dieses Ungleichgewicht verstärkte sich noch durch die administrative Inkompetenz der SED-gesteuerten Massenorganisation Volkssolidarität, in deren Händen die Verteilung der Kommissionsressourcen lag, die aber offenbar weit weniger effizient arbeitete als die kirchlichen Organisationen. Den Hauptgrund des kommenden Konflikts bildete die allgemeinpolitische Seite der Nothilfen-Kontrolle: In der Mangelgesellschaft der Nachkriegszeit bedeutete die Verfügungsgewalt über „monatlich hunderte [sie!] von Tonnen an Lebensmitteln, Medikamenten und anderen Sachspenden", die „ohne jede Kontrolle aus dem Westen Deutschlands über Berlin in die Zone" transportiert wurden und dort „durch die Pfarrer zur Verteilung" gelangten, eine enorme politische Macht, die SED-Kreise zunehmend beunruhigte580. Unter den strukturellen Bedingungen der SBZ wurde vor allem das Evangelische Hilfswerk, das zwischen 1945 und 1949 im besetzten Deutschland durch 55000 Mitarbeiter insgesamt 62 Millionen Kilogramm Lebensmittel und Kleidung zur Verteilung brachte581, zur ernsthaften Konkurrenz nicht nur der staatlichen Spendenverteilung, sondern auch für das politische Gestaltungsmonopol der SED. Je mehr sich das Verhältnis zwischen SED und Kirchen verschlechterte582, desto offener wurde die eigenständige Spendenverteilung der konfessionellen Hilfsorganisationen attackiert. ZVU-Präsident Engel warnte im Herbst 1947 ausdrücklich vor der ,,politische[n] Rückwirkung" der kirchlichen Verfügungsgewalt über „außerordentlich wertvolle und schwer zu beschaffende Waren". Besonderen Anstoß erregte, daß die Kirchen Spendenverteilungen an eine kirchliche Bindung der Empfänger knüpften und auf diese Weise einen sozialen Konformitätsdruck erzeugten, den Engel offiziell ablehnte, insgeheim jedoch nur allzu gern seiner Partei vorbehalten hätte. Darum forderte der ZVU-Präsident in vordergründiger Neutralität, die Spendenverteilung ausschließlich nach Bedürftigkeitskriterien und nicht nach sachfremden (sprich: religiösen) Gesichtspunkten zu handhaben. Allein eine konsequente Monopolisierung der Spendenverteilung durch die staatliche Kommission könne jedoch dieses Bedürftigkeits-Prinzip durchsetzen und damit eine „Garantie" geben, „daß keine politischen Geschäfte mit Spenden ge-
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379
Kreuz, amerikanische Quäker und Mormonen sowie skandinavische Arhatten ebenfalls der Kommission die Spendenverteilung überlassen; vgl. BAB, DO 2/89, Bl. 89-92, insb. Bl. 90, ZVU, Engel, Memorandum zur „Zusammenarbeit mit dem Internationalen Roten Kreuz", 24. 11. 47. Ebenda, Bl. 90, sowie Bl. 96 f., Anlage 3: Kommission zur Verteilung der ausländischen Spenden, Das Schwedische Rote
beiterorganisationen 580
Rentmeister, an ZVU, 22.
381 382
11. 47.
Nowak, Geschichte des Christentums in Deutschland, S. 297 f. Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 96.
548
II. Die
Soziologie der Macht
macht werden"583. Freilich wußten die SED-Umsiedlerfunktionäre, daß ein Teil der kirchlich verteilten Spenden durch deren ebenfalls kirchliche Spender konfessionell ausdrücklich zweckgebunden worden war und folglich nicht unterschiedslos verteilt werden durfte, wollte man nicht das Versiegen dieser Spendenquellen riskieren. Doch hoffte die SED-Führung, solche „zweckgebundenen Spenden"
wenigstens „mit der Zeit zu beseitigen"584.
Dieser Konflikt um die Verteilungsautonomie der kirchlichen Hilfswerke schwelte bereits seit Gründung der staatlichen Spendenkommission im April 1946. Seitdem hatte, wie der ZVU-Präsident gegenüber der SED-Führung im Februar 1948 erbittert konstatierte, das Evangelische Hilfswerk jahrelang „ohne besondere Genehmigung und ohne Rücksprache oder Vereinbarung mit der Kommission oder der Volkssolidarität laufend tausende [sie!] von Tonnen Lebensmittel und Kleider in die Zone eingeführt und über seine kirchlichen Organisationen zweckgebunden zur Verteilung gebracht". Das Bemühen der ZVU, „diesen politisch unhaltbaren Zustand" zu ändern, war stets an der SMAD gescheitert, die „offensichtlich keine irgendwie als kirchenfeindlich auszulegende Haltung einnehmen wollte"585. Vergeblich hatte Engel Ende 1946 bei der SMAD ein Spendenverteilungsmonopol für die staatliche Kommission beantragt586. Nach diesem SED-Misserfolg beharrte das Evangelische Hilfswerk gegenüber Spendenkommission und ZVU nur umso selbstbewußter auf seiner Autonomie, die man „von keiner Majorität oder durch einen Totalitätsanspruch [...] beeinflussen" lassen werde. Der in der Spendenkommission geschäftsführende ZVU-Abteilungsleiter Robert Rentmeister (SED) forderte im Februar 1947 erneut eine endgültige Klärung durch die SMAD entweder durch Einbeziehung von Hilfswerk und Caritas in die Kommission „unter der Bedingung, daß sämtliche Spenden nur durch die Kommission verteilt werden könnten", oder durch ein klares Verbot kirchlicher Spendenverteilung587. Die SED-Funktionäre der ZVU wurden jedoch durch ihre sowjetischen Vorgesetzten aufs Neue desavouiert, indem der Leiter der SMAD-Umsiedlerabteilung, Maslennikow, die nichtssagende Entscheidung bekannt gab, „daß nicht nur das IRK Spenden in die Sowjetische] Zone einführen" dürfe, „sondern auch jede andere Organisation". Die Spendenverteilung erklärte die SMAD „ganz klar" zu ,,innerdeutsche[n] Angelegenheiten", in die sie sich „nicht einmischen" wolle; sie äußerte lediglich „den Wunsch", daß „die Verteilung gerecht und unterschiedslos erfolgen möge"588. Diese sibyllinische Stellungnahme interpretierte der Leiter des Evangelischen Hilfswerks in der SBZ, Dr. Robert Tillmanns (CDU), als Freibrief für seine Organisation, während Rentmeister behauptete, daß die SMAD Hilfswerk und Caritas lediglich ein Recht auf Spenden-
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384 383 38 587
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BAB, DO 2/89, Bl. 89-92, insb. Bl. 90, ZVU, Engel, Memorandum zur „Zusammenarbeit mit dem Internationalen Roten Kreuz", 24. 11. 47, sowie Bl. 96 f., Anlage 3: Kommission zur Verteilung der ausländischen Spenden, Rentmeister, an ZVU, 22. 11. 47. Ebenda, Bl. 147f., SED, ZS, Abt. AS, Belke, an Lehmann, 15. 10. 47. BAB, DO 2/88, Bl. 220f., insb. Bl. 220, [Engel] an SED, ZS, 27.2. 48. BAB, DO 2/89, Bl. 136, ZVU, Engel, an SMAD, KDV, Abt. Umsiedler, 13. 12. 46. Ebenda, Bl. 138f., Kommission zur Verteilung ausländischer Spenden, Rentmeister, an ZVU, Daub, 6. 2. 47, über Verhandlungen mit Tillich, Ev. Hilfswerk, vom 30. 1. 47. Ebenda, Bl. 140ff., [ZVU, Rentmeister?], Aktennotiz zum Schreiben Dr. Tillmanns' v. 18. 2. 47, 10.3.47.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
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Sammlung zugestanden habe, nicht jedoch auf Spendenverteilung589. Der spätere
Stellvertreter Adenauers im Bundesvorsitz der westdeutschen CDU und zeitweilige Minister der Bundesrepublik Deutschland konterte, daß seinem Hilfswerk die freie Spendenverteilung unter der Bedingung zugestanden worden sei, daß „dabei nach dem Gesichtspunkte gerechter Berücksichtigung der dringendsten Notstände verfahren werde und eine einseitige Bevorzugung bestimmter Bevölkerungsgruppen vermieden werde"590. Daraufhin sammelte Rentmeister möglichst „zahlreiche Beweise", wonach die Spendenverteilung des Hilfswerkes keineswegs unparteiisch, sondern nach dem Kriterium der Kirchenzugehörigkeit erfolge, was „einer Ausnutzung der materiellen Not zu politischen Zwecken" gleichkomme591. In diesem verbissenen Konflikt ging der Kirchenverbandsfunktionär Tillmanns im Oktober 1947 zur Gegenoffensive über, indem er die Aufforderung der Sowjets, das Evangelische Hilfswerk möge die staatliche Spendenverteilungskommission über seine Tätigkeit „unterrichten und mit ihr in ständiger Verbindung stehen", als Forderung nach institutioneller Mitgliedschaft des Hilfswerkes in der Kommission uminterpretierte, ohne zugleich auf die Verteilungsautonomie des Hilfswerkes verzichten zu wollen592. Der faktische Leiter der Spendenkommission, ZS-Abteilungsleiter Belke, beharrte mit seinen ZVU-„Genossen Rentmeister und Engel nach wie vor auf dem Standpunkt, daß alle ausländischen Spenden grundsätzlich über die Kommission gehen müssen", doch blieb der SED wiederum nur der Ungewisse Appell an eine Entscheidung der SMAD. Um das Verteilungsder staatlichen Kommission abzusichern, sollte dem Evangelischen monopol Hilfswerk die Pflicht auferlegt werden, die Kommission vorab über das kirchliche
Spendenaufkommen
arbeiten und
zu
informieren,
um
gemeinsame Verteilungspläne
zu er-
beschließen. Die solcherart verplanten kirchlichen Spenden sollten formal in der Obhut des Hilfswerkes verbleiben, ihre „Verteilung" hätte jedoch „gemeinsam" geschehen sollen, wodurch das Hilfswerk letztlich zum Spendenakquisiteur und Lagerhalter der staatlichen Kommission degradiert worden wäre. Den Wunsch der kirchlichen Seite, in Streitfällen die SMAD als „Schiedsinstanz" anzurufen, fand die SED bezeichnenderweise „völlig indiskutabel". Statt dessen solle sich die deutsche Kommission „in jedem Falle einigen" und „notfalls [...] den Blockausschuß" der deutschen Parteien „zur Entscheidung heranziehen"593. Das Bemühen der SED, durch Exklusion der SMAD eine Machtverschiebung im Verhältnis zwischen Politik und Kirchen herbeizuführen, war unübersehbar. Dieser Konflikt wurde im Oktober 1947 überraschend dadurch entschieden, daß sich der nominelle Vorsitzende der staatlichen Spendenkommission, der SED-Spitzenpolitiker und Volkssolidaritäts-Präsident Helmut Lehmann, mit der 389 390
391
zu
Ebenda, Bl. 144 f., ZVU, Abt. VII, Rentmeister, an Engel, 3. 7. 47. Ebenda, Bl. 149-152, [Hilfswerk der Evangelischen Kirche, Zentralbüro Ost],
Dr.
T[illmanns],
Richtlinienentwurf zur „Verteilung kirchlicher Spenden ausländischer Herkunft", 9.10. 47. Ebenda, Bl. 96f., Kommission zur Verteilung ausländischer Spenden, Rentmeister, an ZVU, 22. 11. 47.
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393
Ebenda, Bl. 149-152, [Hilfswerk der Evangelischen Kirche, Zentralbüro Ost], Dr. Tfillmanns], Richtlinienentwurf zur „Verteilung kirchlicher Spenden ausländischer Herkunft", 9.10. 47. Ebenda, Bl. 147L, SED, ZS, Abt. AS, Belke, an Lehmann, 15. 10. 47.
550
II. Die
Soziologie der Macht
Forderung des Evangelischen Hilfswerkes, an der Kommission ohne Aufgabe eigenständiger Spendenverteilung mitwirken zu können, bedingungslos einverstanden erklärte und der katholischen Caritas Ähnliches zugestand594. Da sich Belke dem Votum seines SED-Vorgesetzten sofort unterwarf, sahen sich die ZVU-Funktionäre Engel und Rentmeister im Kampf gegen die kirchliche Spendenverteilung nicht nur von der SMAD, sondern plötzlich auch von der eigenen Parteiführung alleingelassen. Die Folge war ein SED-interner Funktionärskonflikt, bei dem ZVU-Präsident Engel dem Mitglied des SED-Zentralsekretariats Helmut Lehmann unverhohlen vorwarf, einen objektiv ,,unannehmbar[en]" Vorschlag des Evangelischen Hilfswerkes nur deshalb „in vollem Umfang" akzeptiert zu haben, „da er die Klärung der Situation auf irgendeine Weise wünschte". Noch heftiger wurde Belke attackiert, hatte dieser doch Engels Bemühungen, Lehmanns Zugeständnis durch Einschaltung von Verbündeten in der SMAD-Propagandaabteilung doch noch zu revidieren, durch die überaus rasche Anerkennung der Lehmann-Entscheidung durch die Spendenkommission vereitelt595. Nur mühsam einigten sich die völlig zerstrittenen SED-Funktionäre im März 1948 darauf, die zumal die von Lehmann getroffene Entscheidung zunächst nicht zu ändern kirchlichen Hilfswerke in der Spendenkommission kein volles Stimmrecht erhalten, sondern nur dann herangezogen werden sollten, wenn es um die Verteilung ihrer eigenen Spenden ging. Im Gegenzug wurde Engel zugestanden, demnächst bei der SMAD erneut ein staatliches Spendenverteilungsmonopol beantragen zu dürfen, um die Eigenständigkeit der kirchlichen Hilfswerke auszuschalten596. Die unmittelbar darauf erfolgte Abschaffung der ZVU scheint die Realisierung dieser Konzession verhindert zu haben, denn nachdem die staatliche Spendenkommission im Juni 1948 in die Obhut der Arbeits- und Sozialverwaltung übergegangen war, ließ sich weder eine erfolgte noch eine beabsichtigte Verteilungsmonopolisierung bemerken597. Seither deutete vielmehr „alles darauf hin, daß der weitaus größte Teil kirchlicher Spenden über kirchliche Organisationen verteilt wurde", und die Führung der Caritas erwartete im Frühjahr 1949 eine „günstige Regelung" der Spendenverteilung zugunsten der kirchlichen Hilfs werke598. Spendenkommission und Volkssolidarität gerieten bei der Spendenverteilung wie dermaßen ins Hintertreffen, daß sich das SED-Povon der ZVU vorausgesehen litbüro im Sommer 1950 von einem vertriebenen Genossen die provokante Frage gefallen lassen mußte: „Warum gibt es hier in unserer DDR kein anderes Hilfswerk für Umsiedler als nur das amerikanische im Wege der evang.felischen] u.[nd] kath.[olischen] Kirchengemeinde?"599 Der Kritiker lief freilich bei der SED-Führung offene Türen an, denn diese hatte wenige Tage zuvor, am 16. August 1950, nicht nur die Auflösung der bisherigen staatlichen Spendenkommission, sondern auch ein staatliches Distributionsmonopol beschlossen; demnach durften Spenden „an Umsiedler" nur noch über das DDR-Arbeitsministerium zur Verteilung -
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Ebenda, Bl. 146, VS, Zentralausschuß, Lehmann, an Kommission zur Verteilung ausländischer Spenden, Rentmeister, 22. 10. 47. 393 BAB, DO 2/88, Bl. 220 f., [Engel] an SED, ZS, 27. 2. 48. 39 Ebenda, Bl. 174f., SED, ZS, Abt. AS, Belke, Notiz zur „Besprechung am 4. 3. 1948", 9. 3. 48. 397 BAB, DQ 2/137, Bl. 161, DWK, HVAS, Brack, an SMAD, Abt. Arbeitskraft, Morenow, 1. 6. 48. 398 Tischner, Katholische Kirche in der SBZ/DDR, S. 431. 399 BAB, DO 1/33276, K. Dvorak, Umsiedlerlager bei Güstrow, an SED, PB, 21. 8. 50. 394
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
551
gelangen600. Insbesondere das DDR-Innenministerium schien jedoch an der Beseitigung der kirchlichen Verteilungsautonomie interessiert601, die es im Dezember 1950 ausdrücklich untersagte602. Es kam zur Durchsuchung kirchlicher Spendenlager und zu Beschlagnahmen. Die Caritas zog sich daraufhin aus der Volkssolidarität, die ihren einstigen Charakter als überparteiliche und unpolitische Hilfsorganisation längst verloren hatte, im März 1951 demonstrativ zurück603. Trotz alledem wollte die verfügte Staatsmonopolisierung der Spendenverteilung auch in den folgenden Jahren nicht gelingen. Teilweise wurde kirchliche Spendenverteilung mit Rücksicht auf die schlechte Versorgungslage der Bevölkerung weiterhin geduldet, teilweise unterliefen die kirchlichen Hilfswerke das offizielle staatliche Verteilungsmonopol dadurch, daß sie statt der bisherigen kollektiven Spendenkontingente die Verteilung von Einzelspenden über Patengemeinden organisierten604. Wenn es zutrifft, daß die Kirchen bei der Durchführung landesweiter Spendensammlungen der von Staat und Volkssolidarität organisierten „Umsiedlerwochen" bereits 1947/48 „nur noch eine untergeordnete Rolle" spielten605, so gilt dies doch keineswegs für die Position der kirchlichen Hilfswerke bei der Verteilung anderweitig beschaffter Spenden in der SBZ und frühen DDR. Auch nach dem offiziellen Verbot des Jahres 1950 erfolgte eine autonome Spendenversorgung der konfessionellen Subgesellschaften „in beträchtlichem Umfang"606. 3.3.2. „In den meisten Köpfen nur die Kirche": Kirchliche VertriebenenArbeit als sozialer Integrationsfaktor und als SED-Kontrollproblem Das Beispiel der Spendenverteilung zeigt, daß es im Umgang mit kirchlichen Institutionen nicht nur einen grundsätzlichen Dissens zwischen den Sowjets und der KPD/SED gegeben hat607, sondern daß die SED selbst in dieser Frage gespalten war. Auf dem Felde der Umsiedlerpolitik kamen die politisch-administrativen SED-Netzwerke an der Präsenz der Kirchen jedenfalls nicht vorbei, wie sie sich auch zu dieser stellen mochten. In der unmittelbaren Nachkriegsphase hatten kirchliche Organisationen und Gemeindepfarrer vor Ort längst effektive Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene geleistet, bevor staatliche Umsiedlerverwaltungen auf den Plan traten. Wer daher von einer ,,sozialcaritative[n] Politik" des Staates spricht, in welche sich die Kirchen „seit 1946 zunehmend" eingeschaltet hätten, verwechselt schlicht die Reihenfolge karitativer Praxis608. Die SED-gesteuerte Umsiedlerbürokratie hatte gegenüber Kirchen und kirchlichen Hilfswerken nicht nicht einmal in der Hochnur solchen Nachholbedarf, sie verfügte auch niemals über derart Umsiedlerausschüsse ein der 1947/48 dichtes, in jede Gephase meinde reichendes institutionalisiertes Netzwerk wie die kirchliche Konkurrenz. -
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600 "oi 602 603 604 603 60 «>7 608
Tischner, Katholische Kirche in der SBZ/DDR, S. 431, der die Gründung der staatlichen Spendenkommission für das Frühjahr 1950 viel zu spät ansetzt. Ebenda, S. 433. Zehn Jahre nach der Vertreibung, S. 427. Kösters, Staatssicherheit und Caritas 1950-1989, S. 61. Tischner, Katholische Kirche in der SBZ/DDR, S. 431-134. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 161. Tischner, Katholische Kirche in der SBZ/DDR, S. 434. Vgl. Dähn, Grundzüge der Kirchenpolitik der SMAD und der KPD/SED. Gegen Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 161.
552
II. Die
Soziologie der Macht
Bereits in den der Erstaufnahme und Weiterleitung der Vertriebenen dienenden Umsiedlerlagern wirkte dieser dichte kirchliche Einfluß auf SED-Funktionäre geradezu bedrückend, da „in den meisten Köpfen nur die Kirche eine bedeutende Rolle" zu spielen schien609. Hilflos forderte im Frühjahr 1946 der Leiter des mecklenburgischen Umsiedleramtes, der Altkommunist Brincker, den auf kommunaler Ebene dominierenden Einfluß der Kirchen durch verstärktes SED-Engagement einzudämmen610. Andere SED-Politiker versuchten in klarer Erkenntnis der eigenen organisatorischen Schwäche hingegen, die Unterstützung kirchlicher Institutionen in der Vertriebenenbetreuung zu gewinnen. Ende 1945 verschmähte es selbst die neu gegründete ZVU nicht, in Ermangelung eigener verläßlicher Daten über die Zahl der noch in den an Polen gefallenen bisherigen deutschen Ostgebieten befindlichen Deutschen bei der Caritas um Auskunft zu bitten611. Der thüringische Innenminister Ernst Busse, ein ausgewiesener altkommunistischer Hardliner, ging im Frühjahr 1947 so weit, an sämtliche Pfarrer seines Landes ein Rundschreiben zu richten, um diese zur Mitarbeit bei der Vertriebenenintegration aufzurufen612. Der evangelische Landesbischof Moritz Mitzenheim leitete dieses amtliche Schreiben bereitwillig an alle 750 Pfarrer seiner Landeskirche weiter, ließ jedoch den SEDMinister zugleich selbstbewußt wissen, daß seine Kirche und deren Hilfswerk den „Neubürgern" schon vor diesem Regierungsaufruf längst effektiv geholfen hätten613. Trotz der bischöflichen Kooperationsbereitschaft wurde Busses Briefaktion übrigens ein Fehlschlag: Im Innenministerium gingen nur siebzehn Antwortbriefe ein, von denen zwölf bezeichnenderweise von katholischen Geistlichen stammten meist vermutlich Vertriebene, die es mit ihren Gemeinden nach Thüringen verschlagen hatte614. Auf das an verschiedene Honoratiorengruppen gerichtete Busse-Rundschreiben hatte am ehesten noch die traditionell staatsnahe Lehrerschaft angesprochen, während gerade die Pfarrerschaft „am wenigsten darauf [...] reagiert" hatte, was im Ministerium umso größere Enttäuschung hervorrief, weil man gerade ihr „einen engen Kontakt mit den Kreisen der Umsiedler" attestierte615. Vermutlich dachten etliche Geistliche nicht daran, eine SED-Behörde über ihre kirchliche Vertriebenenarbeit zu informieren. Des weiteren hatte das Innenministerium nicht bedacht, daß das Gros der evangelischen Pfarrerschaft zugleich Teil der alteingesessenen Mehrheitsgesellschaft war und sich möglicher-
«»
BAB, DO 2/23, Bl. 71 ff., insb. Bl. 71, Umsiedlerlager 4 Löbau, Bericht für Dezember 1946,23.
12.
46. "0
BAB, DO 2/30, Bl. 129ff., insb. Bl. 131, ZVU, Protokoll der Direktorenkonferenz am 21. 5. 46, o.D.
832 833
834
Ebenda, Mdl Mecklenburg, Abt. BP, Zühlsdorff, „Abschlußbericht über die Räumung des Sportlagers sowie die Liquidierung der Produktivgenossenschaft in Neustrelitz", 19. 3. 51, S. 3f. Ebenda, S. 5f. Ebenda, S. 5.
BAC, DC 1/630, LKSK Mecklenburg an ZKSK DDR, 9. 3. 51, sowie Anlage 1, Beauftragter für SK
Kreis Waren an LKSK Mecklenburg, 1.3. 51, sowie Anlage 2, Beschluß zur Bildung der Prüfungskommission im Kreis Waren, 11.1.51. MLHA, Mdl 2682, Mdl Mecklenburg, Abt. BP, Zühlsdorff, „Abschlußbericht über die Räumung des Sportlagers sowie die Liquidierung der Produktivgenossenschaft in Neustrelitz", 19.3. 51, S. 5.
3.
609
Eigensinn und Selbstorganisation
bisherigen Geschäftsführer der Genossenschaft vorzugehen, um einen Zahlungsbefehl zu erwirken, obgleich sie dessen Angaben über frühere Finanzierungszusagen der Landesregierung Glauben schenkte. Zudem warf die DHZ dem mecklenburgischen Innenministerium vor, die Auflösung der Neustrelitzer Ge-
den
nossenschaft veranlaßt zu haben, „ohne daß die sonst üblichen Vorschriften bei der Liquidierung eines Unternehmens beachtet worden wären"855. Das Schweriner Innenressort bestritt diese Darlegung, indem es sich plötzlich darauf berief, daß die Auflösung des Barackenlagers und damit indirekt der Genossenschaft durch das DDR-Innenministerium veranlaßt worden sei856. Auf diese dubiose Weise ließ die Schweriner Regierung nicht nur den früheren „Sudehi"-Geschäftsführer mit den Restschulden seiner Genossenschaft allein, auch einfachen Genossenschaftsmitgliedern wurde jede Überbrückungshilfe strikt verweigert857. Insgesamt war die staatliche Förderung der Umsiedler-Genossenschaften, die stets in der SED-Führung auf politische Vorbehalte gestoßen, aus pragmatischen Gründen jedoch von den zentral- und landespolitischen Stellen eine Zeitlang praktiziert worden war, bereits seit 1949 eingestellt worden. Öffentliches Symbol dieses Kurswechsels war das ersatzlose Auslaufen des im Frühjahr 1947 gestarteten Förderprogramms der „Umsiedler-Produktivkredite", das zwar wider Erwarten „kein besonderes Ausmaß angenommen" hatte, jedoch ein eindeutiges Subventionsprogramm für die leistungsfähige Spitzengruppe der Umsiedlergenossenschaften gewesen war. Das anfängliche Kreditvolumen von ursprünglich 50 Millionen RM war vor der Währungsreform nur marginal, nach derselben (auf etwa 5 Millionen neue Mark reduziert) bis Frühjahr 1949 immerhin zu 4,2 Millionen Mark in Anspruch genommen worden. Der Löwenanteil des Kredits von fast drei Millionen Mark war dabei ganzen zwölf Umsiedlergenossenschaften zugute gekommen, während zonenweit nur 167 vertriebene Einzelhandwerker geringfügig gefördert worden waren. Hatte jede Genossenschaft einen Kredit von durchschnittlich 250000 Mark erhalten, so entfielen auf jeden Handwerker lediglich 3150 Mark. In beiden Fällen lag der geographische Förderschwerpunkt in Thüringen858. Angesichts des geringen Volumens der Kreditaktion war es nur folgerichtig, daß der Vorschlag zu ihrer Einstellung nicht von der Finanzverwaltung, sondern im Juni 1949 von der DVdl ausging „unter Hinweis darauf, daß die Umsiedlung im wesentlichen als abgeschlossen angesehen werden" könne. Die HVF setzte diesem Vorschlag keinen Widerstand entgegen, sondern unterstützte ihn bei der SMAD mit dem Hinweis, „daß die erwerbsfähigen Umsiedler in die allgemeine Kreditgewährung einbezogen werden" könnten859. Diese Sichtweise erwies sich freilich als verfehlt, was im Sommer 1950 zur Kurskorrektur in Form des in das DDR-Umsiedlergesetz integrierten Handwerker-Kredits führte. Binnen eines Jahres wurden daraufhin (bis September 1951) 13,4 Millionen Mark an Krediten bewilligt860, was bei rund 4500 Kreditnehmern einer Pro-Kopf-Subvention von -
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833 8» 837 838 839
8o
MLHA, Mdl 2682, DHZ Holz, Berlin, an Mdl Mecklenburg, Abt. BP, Ebenda, Mdl Mecklenburg, Abt. BP, an die DHZ Holz, 9. 6. 51. Ebenda, Mdl Mecklenburg, Abt. BP, an Ludwig N, Waren, 1. 6. 51. BAB, DN 1/2347, DWK, HVF, Abt. R 4, Aktennotiz v. 15. 7. 49.
17. 5. 51.
Ebenda.
BAB, DN 1/2350, MdF DDR, Aktennotiz v. 28. 9. 51; gemäß der 2. Durchführungsbestimmung zum
DDR-Umsiedlergesetz
vom
11. 10. 51
besaßen diese Kredite eine
zehnjährige
Laufzeit bei
610
II. Die
Soziologie der Macht
entsprach. Bis Anfang 1952 waren an 5259 handwerkliche Betriebsinhaber insgesamt 15,8 Millionen DM (Ost) Kreditsubventionen vergeben worden, so daß die durchschnittliche Kreditsumme von 3000 Mark gehalten wurde861. Bis Sommer 1953 stieg die Zahl der Kreditnehmer auf 6850 Handwerker an, was eine gleichbleibende durchschnittliche Kreditgewährung vorausgesetzt ein Gesamtvolumen von etwa 20,4 Millionen Mark an Kreditmitteln ergab862. Wie am Beispiel der „Sudehi" demonstriert, wurde dieser Handwerkerkredit des Umsiedlergesetzes jedoch nur noch kleinen Handwerksbetrieben von bis zu zehn Mitarbeitern gewährt, während aus strukturpolitischen Gründen größere Vertriebenenbetriebe, gleichgültig ob privatunternehmerisch oder genossenschaftlich organisiert, von der neuen Subventionsmaßnahme grundsätzlich ausgeschlossen blieben. Daß diese Strukturpolitik nicht generell genossenschaftsfeindlich, sondern speziell umsiedler-genossenschaftsfeindlich war, demonstrierte das ebenfalls 1950 verabschiedete Gesetz zur Förderung des Handwerks, daß allen Einzelbetrieben ein Recht auf genossenschaftliche Zusammenschlüsse einräumte, und eine staatliche Handwerkspolitik, die dieses Recht in der Praxis sehr oft sogar zum Zwang werden ließ863. Insofern war die mit dem Umsiedlergesetz erfolgte drastische vertriebenenpolitische Wende von der Genossenschafts- zur kleinbetrieblichen Subventionspolitik nur eine Zwischenstufe zur neuerlichen, jedoch vertriebenen-unspezifischen Zusammenfassung in Genossenschaften. Einwände wie jener der thüringischen Handwerkskammer, die Exklusion größerer Vertriebenenbetriebe stehe im Widerspruch zur Intention des Umsiedlergesetzes, „nämlich der Hilfe für den Umsiedler"864, wurden vor diesem Hintergrund selbstverständlich abgeblockt865. Für die Umsiedlergenossenschaften fand sich nach 1950 innerhalb des politischen Systems nicht einmal eine ähnlich vergebliche Fürsprache. Diese Genossenschaften standen seit 1949 vor der Alternative, im Falle von Unrentabilität liquidiert zu werden, wofür sich der Leiter der DVdl-Hauptabteilung Umsiedler schon im Sommer 1948 ausgesprochen hatte866, oder bei wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in einen regulären „volkseigenen Betrieb" umgewandelt zu wer3000 Mark
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863
einem verbilligten Zinssatz von 3%; bis September 1951 waren 8,6 Millionen Mark effektiv in Anspruch genommen worden. ThüHStA, Mdl 3670, Bl. 13ff., insb. Bl. 14, Mdl Thüringen, Abt. BP, Pilz, Bericht über die Länderkonferenz am 10. 1., 11. 1. 52, Referat Heinzes. Das Gesamtvolumen des Kredits wurde nicht beziffert; vgl. BAB, DO 2/49, Bl. 135f., insb. Bl. 136, Mdl DDR, Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten, Abt. BP, Heinze, „Materialien über die Lösung des Umsiedlerproblems in der Deutschen Demokratischen Republik", 30. 7. 53. Owzar, Sozialistische Bündnispolitik und gewerblich-industrieller Mittelstand, S. 426. ThüHStA, Mdl 3818, Bl. 73, HWK Thüringen an Mdl Thüringen, 24.4. 51; in Thüringen war 1949 die weitere Betreuung der dortigen sechzehn Umsiedlergenossenschaften der HWK übertragen worden; vgl. ThüHStA, Mdl 3817, Bl. 16f., Mdl Thüringen, Abt. BP, Bericht zur Lage der Umsiedler in Thüringen, 27. 8. 49. Eine solche Einbeziehung war- mit der Ausnahme von Gärtnerei- und Fischereibetrieben von bis zu zehn Beschäftigten seit März 1951 rechtlich nicht möglich; der Vorwurf, daß man durch diesen Ausschluß dem Sinn des Umsiedlergesetzes zuwider handle, wurde zurückgewiesen, „da u.E. die meisten Umsiedler-Handwerksbetriebe mit einer Beschäftigtenzahl unter 10 Personen arbeiten" und somit unter das Handwerksförderungsgesetz fallen würden; vgl. ThüHStA, Mdl 3818, Bl. 72, Mdl Thüringen, Abt. BP, Apel, an HWK Thüringen, 19. 6. 51. ThüHStA, Mdl 3639, Bl. 16-21, insb. Bl. 20, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Bericht über die Direktorenkonferenz der DVdl am 23. 8., 25. 8. 48. -
8'o
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
611
den. Dies hatte die sachsen-anhaltische Umsiedlerabteilung schon Anfang 1949 angeregt, um dieses VEB-Modell auf alle künftigen Gründungen von Vertriebenenbetrieben anzuwenden, wobei im Sinne des SED-Kontrollanspruchs stets SED-nahe Antifa-Umsiedler den Kern solcher Neugründungen bilden sollten867. Dieses Hallenser Vorhaben fand freilich nur im Hinblick auf die Umwandlung bereits bestehender wirtschaftsstarker Umsiedlergenossenschaften den Beifall der Zentralinstanzen. So wurden die Gablonzer Genossenschaften 1949/50 rasch zu VEB transformiert, die vertriebenen Genossenschaftsmitglieder faktisch enteignet und zu abhängigen „Werktätigen" der DDR-Planwirtschaft herabgestuft. Nachdem der staatliche Zugriff auf Vertriebenen-Großbetriebe durchgesetzt war, scheinen spätere Zusammenlegungen mit anderen Betrieben den vertriebenenspezifischen Betriebs- und Belegschaftscharakter signifikant verändert zu haben868. Während dieser doppelte Prozeß von Liquidation und Transformation in vollem Gange war, ließ das DDR-Innenministerium Ende 1950 überprüfen, inwiefern „noch von Umsiedlern gegründete Genossenschaften" bestanden, „deren Name im Zusammenhang mit ihrer früheren Heimat, Heimatort bzw. mit der Bezeichnung Umsiedler stehen". Nötigenfalls wurde eine Umbenennung zur Tilgung der Vertriebeneneigenschaft angeordnet, denn „nachdem durch den Eintritt von Genossenschaftlern aus den Kreisen der Kernbevölkerung häufig ein Verschmelzungsprozeß stattgefunden" habe, müsse auch eine „Änderung ihrer Firmenbezeichnung" erfolgen869. Als das Mdl im Herbst 1951 die Umsetzung dieser Weisung überprüfte, fiel nur noch eine Umsiedlergenossenschaft im sachsen-anhaltischen Alsleben dadurch auf, daß ihr Vertriebenen-Ursprung im Firmennamen weiterhin kenntlich war870. -
3.5.
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Gewollte Isolierung in jeder Beziehung ": Die Selbstabgrenzung von Vertriebenen als Steuerungsproblem der SED-Assimilationspolitik „
Die Ambivalenz zwischen
Ausgrenzung und Selbstabgrenzung kann als sozioloGrundtatsache betrachtet werden, welche die Situation vieler Vertriebener gische in ihrer neuen Lebenswelt sei es in Westdeutschland, sei es in der SBZ/DDR längerfristig prägte. Selbstabgrenzung im lebensweltlichen Ghetto vertriebener „Landsleute" konnte helfen, Erfahrungen von Fremdheit und Ausgrenzung durch die Konstruktion kollektiver Geborgenheit in einer „In-Group" zu relativieren. Die Soziologin Elisabeth Pfeil hat, ideologisch freilich entsprechend prä-
87
868
BAB, DO 1-8/83, Bl. 76-83, insb. Bl. 78, Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik Sachsen-Anhalt, Abt. Umsiedler, Hiebsch, Denkschrift zum Arbeitsgebiet der Abt. BP, 9. 3. 49.
„Bijou": Kaltenborn, Herausbildung und Entwicklung der Umsiedlergenossenschaften, f.; zu den Gablonzern in Sachsen-Anhalt: Mehlhase, Flüchtlinge und Vertriebene in Sachsen-Anhalt, S. 177f.; zur Rückzahlung der Genossenschaftseinlagen von je 300 Mark bei Umwandlung in einen VEB im Falle von Dorf Zinna/Neuheim: van Hoorn, Umsiedlung, S. 305; betriebsgeschichtliche Ansätze ferner bei: Hübner, Industriearbeit als Faktor der Vertriebenenintegration; Jahn, Zur sächsischen Spezifik der Aufnahme von vertriebenen Deutschen; Semmelmann, Zur Integration aus lebensgeschichtlicher Sicht; Haack, Das Arbeitermilieu in der Rostocker NepZur
S. 191
869 870
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tunwerft; Wagner, Die Rostocker Brauerei. BAB, DO 1/33276, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, Rdschr. v. 15. 12. 50. Ebenda, Mdl DDR, Abt. BP, an Mdl Sachsen-Anhalt, 5. 10. 51.
612
II. Die
Soziologie der Macht
disponiert871,1948 sogar dafür plädiert, in der Vertriebenenpolitik die „alte Erfahrung der Siedlungspolitik" zu beherzigen, „daß die Ansiedlung von Menschen am ehesten gelingt, wenn man Landsleute miteinander ansiedelt" und folglich eine „landsmannschaftlich geschlossene Siedlung" zulasse872. Daß ein derartiger siedlungssoziologischer Separatismus langfristige Integrationserfolge zu erzielen vermochte, suchte Pfeil ein Jahrzehnt später in ihrer Bilanz städtischer VertriebenenNeugründungen innerhalb der Bundesrepublik zu demonstrieren; dabei indizierte allerdings die äußerst geringe Zahl solch exklusiver Vertriebenenstädte, die Pfeil mit lediglich sechs bezifferte, die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit dieser aus politischen Gründen gern herausgestellten „Funktion des Sammeins"873. Das ideologische Raisonnement über die „latenten Kräfte" zur Selbsthilfe unter den vertriebenen „Nachfahren von Städtegründern [...] aus der Zeit der Ostkolonisation" vermochte nicht darüber hinwegzutäuschen, daß allenfalls der sudetendeutsche Typus der „Gewerbestadt" in der „industriebürokratischen Gesellschaft" des 20. Jahrhunderts gewisse Zukunftschancen haben mochte und auch das nur unter bestimmten Strukturbedingungen der jeweiligen Aufnahmeregion874. Insofern -
war es
„kein Zufall", daß fünf von sechs „neuen Städten", die laut Pfeil „auf diese Südbayern zu lokalisieren sind, während in der gan-
Weise entstanden" waren, in
restlichen Bundesrepublik das ostwestfälische Espelkamp die einzig vergleichbare exklusive Vertriebenen-Neugründung war, die durch Subventionen der Evangelischen Kirche und der nordrhein-westfälischen Landesregierung gefördert worden war875. In solchen Gemeinden hat das „Milieu der Kolonie" offensichtlich „nach innen eine erstaunlich integrative Wirkung" entfaltet: Soziale Abschließung, gemeinsames Vertreibungsschicksal sowie die gemeinsame Aufbauerfahrung gaben solchen Vertriebenensiedlungen eine starke „binnenorientierte integrative Prägekraft", deren soziale Exklusivität sich erst allmählich abschwächte und den gesamtgesellschaftlich üblichen Konfliktphänomenen wich876. Doch die „im Ganzen des Eingliederungsgeschehens geringe Bedeutung" solch exklusiver Neugründungen, die in der Bundesrepublik nicht einmal 1 % der dort lebenden Vertriebenen erfaßt haben dürften, sollte es verbieten, „die exemplarische Bedeutung der Vertriebenenstädte", von der Pfeil nicht lassen wollte877, auch heute noch zu unterstellen. Espelkamp oder Neugablonz waren gerade kein „Modell" der sich insgesamt vollziehenden Vertriebenenintegration878, sondern als „Eingliederungs"-Varianten eines tendenziell sonst eher assimilatorischen Integrationsprozesses eine letztlich bedeutungslose Marginalie879. zen
871 872 873
874 875
Zu Pfeils NS-Vergangenheit: Gerhardt, Bilanz der soziologischen Literatur, S. 44^19. Pfeil, Der Flüchtling, S. 60-62. Pfeil, Städtische Neugründungen, S. 507; sehr viel unauffälliger dürfte sich dieses Sammel-Phänomen allerdings in Stadtteil-Siedlungen innerhalb bereits bestehender Gemeinden manifestiert haben, die allerdings lediglich Wohn- oder Schlafstadt-Funktionen besaßen. Ebenda, S. 501 f. Ebenda, S. 507 f.; darüber hinaus fand Pfeil nur das hessische Allendorf als „Klein-Espelkamp" er-
wähnenswert.
Oberpenning, Das „Modell Espelkamp", S. 53. Pfeil, Städtische Neugründungen, S. 519. Vgl. ausführlich: Oberpenning, Das „Modell Espelkamp". 879 Insofern sollte es sich verbieten, die Flüchtlingsstadt Neugablonz als typisches Beispiel für Ver876 877 878
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
613
Auch in der SBZ gab es Stimmen, welche die von der SED favorisierte „Verschmelzung" zwischen Einheimischen und Vertriebenen für unmöglich hielten und daher nur zwei Lösungswege anerkannten: „Entweder die Umsiedler in bealso stimmten freizumachenden Bezirken selbständig für sich anzusiedeln" beide Bevölkerungsgruppen lokal zu segregieren „oder die Besatzungsmächte davon zu überzeugen, daß diese Gruppen so bald als nur möglich im Interesse der allgemeinen Beruhigung zur Auswanderung vorgesehen werden"880. Beide von einem sächsischen Bürger 1947 vorgeschlagenen Alternativen zu ihrer Assimilationspolitik hielt die SED-Führung für inakzeptabel. Eine massenhafte Auswanderungslösung schien dem verantwortlichen SED-Umsiedlerpolitiker Paul Merker weder praktikabel881 noch „im Interesse der künftigen Entwicklung Deutschlands" wünschenswert, da (vertriebene) Arbeitskräfte für die industrielle Zukunft dringend gebraucht würden. Die Homeland-Lösung durch räumlich isolierte Ansiedlung von Vertriebenen „auf einem freigemachten Gebiet" wiederum wollte dem SED-Spitzenpolitiker schon „unter Berücksichtigung der Landesverhältnisse in Deutschland" als „nicht möglich" erscheinen, doch auch „vom politischen Standpunkt aus" lehnte Merker solche Überlegungen ab: „Die Umsiedler zu isolieren und ihrem Schicksal zu überlassen", wäre nämlich „ein guter Nährboden" für reaktionäre Hetzkampagnen. Darum gab sich Merker namens der SED „überzeugt, daß unser Land das Umsiedlerproblem lösen wird", schließlich kenne „die Geschichte" bereits „mehrere solcher Beispiele". Allerdings bedürfe die notwendige Assimilationspolitik „großer Anstrengungen, denen sich niemand entziehen darf"882. Überhaupt war in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine Diskussion über planmäßige Ansiedlung von Vertriebenen reichlich irrelevant. Bis Spätsommer 1945 waren „mehr als zwei Millionen" Flüchtlinge und Vertriebene völlig ohne staatliche Lenkung in der SBZ „an ihren jetzigen Wohnort" gelangt, „der größte Teil davon in Mecklenburg"883. Die erst ab 1946 einigermaßen funktionierende staatliche Vertriebenenansiedlung wurde auch weiterhin durch eigendynamische Binnenwanderung konterkariert884 und blieb ihrerseits eher von pragmatischen als von assimilationspolitischen Gesichtspunkten bestimmt. Während Paul Merker in einer isolierten Ansiedlung von Vertriebenen einen gefährlichen „Nährboden" für revisionistische Umtriebe erblickte, konnte der ebenfalls zur SED gehörige Leiter des thüringischen Neubürgeramtes noch im Herbst 1948 dafür plädieren, einen „sinnvollen Einsatz" von aus Ostpreußen stammenden „antifaschistischen Bodenbewerber[n]" als Umsiedler-Neubauern durch deren möglichst geschlossene und von der alteingesessenen Bevölkerung separierte Ansiedlung in Mecklenburg in die Wege zu leiten. Dort würden „wahrscheinlich [...] die Gründungen neuer -
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triebenenintegration in der Bundesrepublik heranzuziehen, wie dies in den
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88' 882
883 884
wieder geschieht.
Medien leider immer
SAPMO, DY30/IV2/2.022/35, Bl. 39, Albert B, Herrnhut und Luftkurort Oybin,
Merker, 14. 5. 47. Ebenda, Bl. 41, SED, ZS, Merker, an Albert B., Herrnhut, 26. 6. 47.
an
SED, ZS,
Ebenda.
BAB, DO 2/19, Bl. 225-239, insb. Bl. 233, DVdl, Abt. BP, „Die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur seit 1939", Mai 1949.
Schwartz, Vertrieben in die Arbeiterschaft, S.
106 f.
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II. Die
Soziologie der Macht
Dörfer notwendig [...]; denn einzelne Familien in die dortigen Dörfer [der Alteingesessenen] zu schicken, wird nichts Gutes ergeben"885. Als Resultat eigendynamischer Migrationsprozesse in den ländlichen Schwerpunktregionen der SBZ hatten sich solche Vertriebenendörfer im übrigen längst gebildet. Ende 1947 waren im mit Vertriebenen überbelegten mecklenburgischen Kreis Neubrandenburg 102 von 120 Gemeinden „reine Neubauerndörfer" mit hohem Vertriebenenanteil886. Im Raum Schwerin gab es noch in den fünfziger Jahren „ganze Dörfer von ehemaligen Sudetendeutschen"887. Solche von Vertriebenen dominierte Landgemeinden führten ein politisch wie soziokulturell vom SED-Regime nur sehr begrenzt zu kontrollierendes Eigenleben. Mit der sicherheitspolitischen Überformung der SED-Assimilationspolitik ab 1948 wurden solche Siedlungsschwerpunkte, die sich über Migrationsketten nachziehender Verwandter und Bekannter888 oft weiter vergrößerten, zum assimilationspolitischen und staatspolizeilichen Problem. Eine Länderkonferenz des DDR-Innenministeriums, die ausschließlich SED-Regierungsfunktionäre versammelte, nahm Ende 1949 die Mitteilung, die mecklenburgische LDP habe „einen Antrag eingereicht, die Umsiedler in getrennten Ortschaften unterzubringen, nach Möglichkeit dabei noch in Landsmannschaften gegliedert", mit eisigem Schweigen zur Kenntnis889. Längst waren in dieser Phase intensivierter Verfolgung von Selbstorganisationsbestrebungen auch bloße Siedlungsschwerpunkte von Vertriebenen zum Kontrollobjekt der SED-Machtapparate geworden. Diese typische Überdehnung des staatlichen Kontroll- und Steuerungsanspruchs führte zwangsläufig dazu, daß sich das etablierende SED-Regime dem selbstreferentiellen Gruppenleben Volksdeutscher Landgemeinden gegenüber noch hilfloser zeigte als etwa gegenüber dem kirchlichen Bereich. Tatsächlich resultierten die „vielleicht interessantesten Grenzen der Diktatur [...] aus ihrer angemaßten Grenzenlosigkeit", die in eine „permanente Selbstüberforderung" der Herrschenden umschlug890. Die politische Überschätzung von Vertriebenen-„Selbstbewahrung" durch isolierte Gruppenbildung bedeutet freilich nicht, daß es das Phänomen selbst nicht gegeben hätte. Gerade Volksdeutsche Bevölkerungsgruppen aus Osteuropa übten sich durchweg in solcher Selbst-Segregation. Ende der fünfziger Jahre verwies auf einer niedersächsischen Vertriebenentagung ein ungarndeutscher Pfarrer darauf, daß unter Volksdeutschen Vertriebenen, die mental und soziokulturell den durch ihre Vertreibung erzwungenen „Sprung vom 18. bis 20. Jahrhundert in kürzester Zeit" hätten vornehmen müssen, nach wie vor die „Gefahr" bestehe, die in langfristigen Volkstumskonflikten ihrer alten Heimatgebiete eingeübte „FreundFeind-Haltung" nicht nur gegenüber den Vertreibernationen weiter zu kultivieren, sondern auch auf die alteingesessene deutsche Mehrheitsbevölkerung anzu883 «• 887
888
889
BAB, DO 2/63, Bl. 140, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, an DVdl, HAU, 3. 9. 48. BAB, DO 2/34, Bl. 126, MfSoz Mecklenburg, HAU, Gutmann, Gesamtbericht v. 27. 11. 47. BAB, DO 1-11/887, Bl. 77, VP-Präsidium Potsdam an Landesbehörde der Volkspolizei Branden-
burg, 26. 4. 52.
Haug/Pichler, Soziale Netzwerke und Transnationalität, S. 264. BAB, DO 1/33291, Mdl DDR, Abt. BP, Protokoll der Länderbesprechung am S. 7.
890
Bessel/Jessen, Einleitung: Grenzen der Diktatur, S. 14.
12.
12., 21. 12. 49,
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
615
wenden. Diese Volksdeutschen tendierten demnach dazu, in traditioneller Weise „eine Volksgruppe in Deutschland bilden" und bleiben zu wollen: „Nachdem wir nun hundert Jahre lang unser Deutschtum verteidigt haben, möchte manch einer jetzt unser Ungarn-Deutschtum gegenüber dem Reichsdeutschtum verteidigen"891. Der im baltendeutschen Organisationswesen aktive Vertriebenensoziologe Max Hildebert Boehm machte zur selben Zeit auf „eine wichtige Schnittlinie" aufmerksam, die seines Erachtens reichsdeutsche und Volksdeutsche Vertriebene in mentalitätsgeschichtlicher Hinsicht deutlich voneinander unterschied. Während die „reichsdeutschen" Vertriebenen also die Bewohner der bisherigen deutschen Ostgebiete, die an Polen oder die Sowjetunion gefallen waren vor 1945 keinem fremdnationalen Anpassungsdruck ausgesetzt gewesen seien, sondern selbstverständlich als Teil der deutschen Gesellschaft gelebt und zudem starke obrigkeitsstaatliche Denktraditionen entwickelt hätten, was nach 1945 zur Folge gehabt habe, daß ihnen die Rolle als vertriebene Minderheit in einer alteingesessenen Mehrheitsgesellschaft ebenso „fremd und ungewohnt" gewesen sei wie die Notwendigkeit zu interessenpolitischer Selbstorganisation, hätten Volksdeutsche Vertriebene Erfahrungstraditionen als ethnische Minderheiten „unter fremder staatlicher Hoheit" und damit „eine gewisse Vertrautheit mit der Gesetzmäßigkeit und den Formen assimilatorischer Vorgänge" in ihre Aufnahmegebiete mitgebracht: „Auf alle Fälle ist den ehemaligen Volksgruppen die landsmannschaftliche Existenz und Problematik von früher her gut vertraut."892 Die schon für bundesrepublikanische Eingliederungs-Ideologen wie Boehm „bedenkliche" Strategie Volksdeutscher Vertriebenengruppen, unter „fremder" Herrschaft und Mehrheitsbevölkerung die eigene kulturelle Identität durch Selbstabgrenzung und exklusive Selbstorganisation zu bewahren, mußte der rigiden Assimilationspolitik des SED-Staates erst recht mißfallen. Dies führte spätestens dann zu repressiver Intervention, wenn solche Tendenzen zur Selbst-Abschließung eine Disposition zu nonkonformer Politisierung erkennen ließen. In Westdeutschland wiesen Kenner solcher Verhältnisse, etwa der zitierte ungarndeutsche Kirchenvertreter, auf den inneren Zusammenhang zwischen der früheren Politisierung von Grenzlanddeutschen in ethnischen Konflikten und deren „überdurchschnittlichen" Engagement in der „Vertriebenenbewegung" der Bundesrepublik hin, um kritisch hinzuzufügen, daß dieser größere „Mut zum politischen Handeln" leider „sehr oft die Gefahr" laufe, „aus der herkömmlichen Freund-Feind-Haltung nicht heraus[zu]kommen", „oft nur das eigene Ressentiment" zu verewigen und „niemals den Abstand zu einem objektiven Urteil" zu gewinnen893. Das SED-Regime teilte solche Wahrnehmungen und reagierte darauf auf seine Weise, übersah dabei freilich eine weitere Erkenntnis der bundesrepublikanischen Vertriebenenforschung, welche die SED-Assimilationspolitiker eigentlich hätte beruhigen müssen. Jedenfalls hatte der Soziologe Eugen Lemberg 1959 im von ihm mitherausgegebenen Sammelwerk über „die Vertriebenen in West-
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891 892
893
Spiegel-Schmidt, Zusammenfassung, S. 77-81. Boehm, Gruppenbildung und Organisationswesen, S. 598 und S. 591; diese These wäre freilich mit Blick auf zwischen Deutschland und Polen umstrittene Grenzregionen in Oberschlesien und Ostpreußen zu relativieren. Spiegel-Schmidt, Zusammenfassung, S. 76 f.
616
II. Die
Soziologie der Macht
deutschland" darauf hingewiesen, daß unter der Mehrheit der Volksdeutschen Vertriebenen nach 1945 revisionistische Rückkehrhoffnungen sehr viel geringer ausgeprägt gewesen seien als unter „reichsdeutschen" Schicksalsgenossen. Mit einer bloßen „Wiederherstellung eines staatsrechtlichen Status quo", etwa der vielbeschworenen Reichsgrenze von 1937, war diesen Vertriebenen tatsächlich nicht geholfen. Daß diese Volksdeutschen keine Identität als deutsche „Staatsbürger", sondern als exklusive „Volksgruppe" in klassischer Distanz zum Staat besaßen, machte demnach ihre Assimilation in soziokultureller Hinsicht schwieriger, in sozioökonomischer Hinsicht jedoch wieder einfacher, denn „eine auf die Wiederherstellung der verlorenen Heimat gerichtete Politik konnte bei diesen Volksgruppen von vornherein nicht zu jenem leidenschaftlichen Anliegen werden, das sie für die anderen Gruppen der vertriebenen Ostdeutschen darstellte"894. In der Aktenhinterlassenschaft des SED-Regimes finden sich für die Zeit ab 1948 immer wieder Indizien für ein besonderes Interesse der Repressionsapparate an Volksdeutschen Vertriebenengruppen. Daß sich dieses Interesse in erster Linie auf Sudetendeutsche konzentrierte, lag aufgrund der Größe dieser Vertriebenengruppe nahe und veranlaßte SED-Politbüromitglied Merker noch 1950 zu einem Artikel im „Neuen Deutschland", der die Integrationserfolge der SED-Politik gerade für diese Vertriebenengruppe hervorhob895. In einem kurz zuvor erstellten Bericht des DDR-Innenministeriums, der vermutlich die Grundlage für Merkers Propagandaartikel gebildet hatte, waren allerdings auch kritische Töne angeklungen, wenn etwa auf die Benachteiligung der faktisch zu spät Gekommenen bei der Landumverteilung der Bodenreform hingewiesen wurde. Auch den geographischen Ansiedlungswünschen von Sudetendeutschen hatte man in der SBZ/DDR nur begrenzt Rechnung tragen können: Mit Thüringen als Ansiedlungsregion sei diese Vertriebenengruppe in der Regel zufrieden, da es der alten Heimat geographisch ähnlich sei, doch die meisten anderen Gebiete der DDR würden offen abgelehnt, während in Sachsen die Ansiedlung sudetendeutscher Vertriebener zunächst verboten gewesen sei896. Gerade die sächsischen Grenzkreise zur Tschechoslowakei bereiteten dem SED-Regime wachsende Sorgen. Ende 1948 stellte die DVdl-Hauptabteilung Umsiedler im Kreis Zittau große Probleme im angestrebten Verschmelzungsprozeß zwischen Vertriebenen und Einheimischen fest. In Assimilationsverweigerung übten sich demnach nicht nur die zahlreichen Vertriebenen aus der CSR, die sich bewußt in Grenznähe niedergelassen hatten und teilweise „ständig in die Fenster ihrer früheren Wohnungen" sehen konnten, sondern auch eine Gruppe von etwa 2000 Ungarndeutschen, die sich nicht nur von den Alteingesessenen, sondern auch von der sudetendeutschen Mehrheit der dortigen Vertriebenen abgrenzte. Diese „gewollte Isolierung in jeder Beziehung" wurde nicht nur am Tra-
Trachtenkleidung festgemacht, sondern auch an einer offen zur Schau gestellten Distanz zur sowjetzonalen Politik, hatte doch die ungarndeutsche Gruppe größtenteils ihre Eintragung in die Wählerlisten für ein 1948 verangen traditioneller
894 893 8*
Lemberg, Der Wandel des politischen Denkens, S. 440. Vgl. Merker, Sie fanden eine neue Heimat.
BAB, DO 1/33204, Mdl DDR, Abt. BP, Heinze, Bericht über „Die Umsiedlung der deutschen Be-
völkerung aus der Tschechoslowakei in die sowjetische Besatzungszone", 21.1. 50, insb. S. 2.
3.
617
Eigensinn und Selbstorganisation
staltetes „Volksbegehren" abgelehnt897 und dadurch aus Sicht der Umsiedlerbürokraten „klar die Gefahr des Fortbestehens eines fremden Faktors im Volkskörper" demonstriert. Mit ihrer organizistischen Terminologie, die man eher einem anderen deutschen Regime zugetraut hätte, signalisiert diese Stellungnahme deutlich, wie stark die Sozialtechnologen der sozialistischen Zukunftsgesellschaft von homogenen Gesellschaftsbildern geprägt waren. Die Unangepaßten mußte der „Volkskörper" des SED-Zukunftsstaates schleunigst aussondern in diesem Falle den vermeintlichen ,,geistige[n] Initiator" der ungarndeutschen Isolationstendenzen, einen Lehrer, der sein subversives Verhalten bisher „nach außen geschickt getarnt" habe, den der SED-Staat nun jedoch (so jedenfalls die Empfehlung des DVdl-Funktionärs Kurt Büttner) zusammen mit anderen Verdächtigen „unter besonderer Beobachtung in andere Kreise umquartieren" müsse898. Solch bürokratischer Alarmismus diente nicht nur „objektiven" Zwecken, sondern stets auch dazu, im institutionellen Wettlauf der Repressionsapparate und in der persönlichen Konkurrenz der SED-Bürokraten einen Vorsprung zu erzielen. Auch der bisherige Umsiedlerfunktionär Büttner wollte sich mit demonstrativer „Wachsamkeit" bei einer DVdl-Führung, die für Umsiedlerpolitik sichtlich nichts übrig hatte, für andere und höhere Aufgaben empfehlen. Indem der Alarmismus einer Stelle den übrigen Repressionsinstanzen jedoch implizit automatisch mangelnde Wachsamkeit unterstellte, reagierten diese auf solche Profilierungsversuche verständlicherweise allergisch. In unserem Falle wies der zuständige sächsische Innenminister Wilhelm Zaisser und damit ausgerechnet der spätere erste Minister für Staatssicherheit der DDR Büttners Einschätzung der Zittauer Ungarndeutschen als Sicherheitsrisiko zurück. Nachforschungen hätten ergeben, daß die Nichtteilnahme der Ungarndeutschen am Volksbegehren angesichts ihrer gerade erst erfolgten Ankunft in der SBZ politisch irrelevant sei. Noch bemerkenswerter war Zaissers Reaktion auf „die weitere Beanstandung, daß die Ungarndeutschen an der mitgebrachten Tracht festhalten" würden; dieses Monitum erschien dem Innenminister schlicht „unverständlich": „Man müßte sich doch darüber klar sein, daß die alten Menschen, die seit hunderten [sie!] von Jahren ihrer Tracht treugeblieben sind, nicht von heut auf morgen zur freiwilligen Preisgabe dieser Gewohnheit gebracht werden können. Das wird sich ohne Härten erst bei Assimilierung der jungen Generation erreichen lassen." Schließlich warf Zaisser, der in der Frage kultureller Sonderidentitäten eine bemerkenswerte Gelassenheit demonstrierte, Büttners DVdl-Bericht mangelnde Genauigkeit vor; durch solche Fehler werde leicht „das Gegenteil von dem erreicht [...], was erreicht werden soll"899. Zaissers Kritik war offensichtlich zutreffend und nötigte den DVdl-Funktionär Büttner, unterdessen zum Leiter der Abteilung Bevölkerungspolitik aufgestiegen, zur Rücknahme seiner alarmistischen Einschätzung im Falle der Zittauer Ungarn-
897
898 899
Gemeint war vermutlich das im März 1948 vom 2. Deutschen Volkskongreß initiierte und im Mai 1948 durchgeführte „Volksbegehren für Einheit und gerechten Frieden"; vgl. SBZ vonl945 bis 1954, S. 71 und S. 77. BAB, DO 2/49, Bl. 97, DVdl, HAU, Büttner, Bericht über Kreisinspektion in Zittau, 20.12. 48. SäHStA, LRS, Mdl 2258, Mdl Sachsen, Zaisser, an DVdl, HAU, Vogt, 4. 4. 49.
618
II. Die
Soziologie der Macht
deutschen900. Trotz dieses Rückziehers erlebte die Neigung des Innenressorts zur übertriebenen Wachsamkeit gegenüber Volksdeutschen Vertriebenen immer wieder Neuauflagen, was sich nicht nur aus dem Unbehagen der SED-Funktionäre gegenüber einer ihnen zutiefst fremden und unverständlichen Lebenswelt erklärt, sondern auch auf die Eigendynamik einander überbietender Repressionsapparate zurückzuführen ist, deren konkurrierender Aktivismus immer neue Bedrohungsszenarien generierte. Noch im selben Monat, als er in der ungarndeutschen Angelegenheit von Zaisser gedemütigt wurde, berichtete Büttner den Führungen von SED und DVdl sowie dem brandenburgischen Innenministerium von gefährlichen Absonderungstendenzen unter Volksdeutschen Vertriebenengruppen, die während der NS-Zeit aus dem „Baltikum, Bessarabien, Siebenbürgen etc." umgesiedelt worden und nach Kriegsende nach Brandenburg gelangt waren. Obwohl diese Volksdeutschen im Zuge der Bodenreform vielfach Neubauernstellen erhalten hatten, war diesen laut Büttner „für den Prozeß des Einlebens in unseren Volkskörper günstigen" sozioökonomischen Voraussetzungen offenbar „vielfach die politische Anteilnahme nicht gefolgt". Statt dessen betrachteten diese Volksdeutschen Umsiedlerneubauern ihre Lage meist als vorübergehend, hätten den Gedanken an eine Rückkehr in ihre frühere Heimat nicht aufgegeben, isolierten sich „bewußt" von der übrigen Bevölkerung und lehnten die Mitarbeit in öffentlichen Organisationen ab. Wiederum wurde die soziale Abschottungstendenz zum Sicherheitsrisiko aufgebauscht: „In einem plötzlich auftretenden Gefahrenmoment kann diese Bevölkerungsschicht zu einem besonderen politischen Unsicherheitsfaktor werden." Da Büttner einen Siedlungsschwerpunkt solcher „Umgesiedelten" in der brandenburgischen Gemeinde Prötzel gemeldet hatte, wurde dort eine eingehende Untersuchung durchgeführt901, die jedoch erneut die Haltlosigkeit des Bedrohungsszenarios erbrachte. Zwar bestand die Einwohnerschaft Prötzels zu zwei Dritteln aus Vertriebenen, aber nicht aus „zwischenstaatlich Umgesiedelten", sondern „in der Hauptsache aus Schlesiern und einigen wenigen Ostpreußen". Das dörfliche Unruhepotential bildeten nach Wahrnehmung des vor Ort ermittelnden DVdl-Funktionärs jedoch weniger die Vertriebenen als die Alteingesessenen, unter denen nach Einschätzung des SED-Ortsvorsitzenden nach wie vor die Auffassung vorherrschte, „daß das Leben bei dem alten Gutsherren besser war und ihnen daher eine Rückkehr in diese Verhältnisse nach wie vor erstrebenswert erscheine"902. Die tiefe Fremdheit, die das SED-Regime gegenüber Volksdeutschen Vertriebenengruppen aus Südosteuropa dauerhaft empfand, verlieh jedoch auch seinen Bedrohungsängsten Dauer. Diese soziokulturelle Kluft zwischen Volksdeutschen aus Südosteuropa und den nunmehr über sie herrschenden SED-Funktionären war der wesentliche Grund für das Mißtrauen des SED-Regimes, das ohne konkrete Anhaltspunkte auch in den fünfziger Jahren immer wieder aufflackerte. Ende 1951 unterrichtete Büttners Nachfolger als bevölkerungspolitischer Abtei-
lungsleiter
im
DDR-Innenministerium, Kaßner, unmittelbar nach
Amtsantritt
BAB, DO 2/49, Bl. 99, DVdl, Abt. BP, Büttner, an Mdl Sachsen, 19. 4. 49. BAB, DO 1-8/83, Bl. 96, DVdl, Abt. BP, Büttner, an SED, ZS, an Mdl Brandenburg, Abt. BP, sowie an DVdl, Dr. Fischer und Malz, 14. 4. 49. 902 Ebenda, Bl. 112, DVdl, Abt. BP, Morche, Bericht über Kontrolle in Prötzel am 20. 5., 2. 6. 49. ™
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3.
Eigensinn und Selbstorganisation
619
„streng vertraulich" das SED-Zentralkomitee über Probleme bei der „Assimilation der ehemaligen Umsiedler aus Wolhynien, Bessarabien etc. im Kreise Waren/ Müritz (Mecklenburg)". Laut Kaßner war „die ungenügende Assimilation dieser Personengruppen", wie sie auch in ihrem dörflichen „Eigenleben" zum Ausdruck komme, „ohne Zweifel aus der isolierten Stellung abzuleiten, die sie in den geschlossenen deutschen Wohnsiedlungen in Bessarabien, Wolhynien und im Banat innehatten". Der DDR-Funktionär nahm mit dieser treffenden Beobachtung spätere Erkenntnisse der bundesrepublikanischen Vertriebenensoziologie vorweg. Die Isolationstendenzen solcher Vertriebenengruppen, die nicht selten die große Mehrheit der jeweiligen Dorfbevölkerung stellten und daher lokalgesellschaftlich keineswegs zur Anpassung an einheimische Mehrheiten gezwungen waren, wurden offenbar durch institutionalisierte kirchliche Absonderung noch verschärft. Diese ungünstige Assimilationssituation lastete der DDR-Regierungsfunktionär der „schwachen Arbeit der demokratischen Organisationen" an, die es nicht verstanden hätten, diese Menschen für sich zu gewinnen. Im Unterschied zu seinem Vorgänger forderte Kaßner jedoch keine polizeiliche Repression, sondern gemäß der damaligen sozialpolitischen Realisierungsphase des DDR-Umsiedlergeeine Verstärkung der kommunalpolitischen Arbeit der SED903. Mit dem setzes Auslaufen des Umsiedlergesetzes entfiel diese aktivistische Komponente allerdings wieder und beschränkte Kaßners Nachfolger im krisenhaften Juni 1953 auf die grundsätzlich repressionsbereite Überwachung der materiellen, kulturellen und politischen „Lage der umgesiedelten Personen aus den Volksdemokratien Polen, Tschechoslowakei, Ungarn und Rumänien"904. Der SED-Politik gelang es nicht, der exklusiven Lebenswelten auf dem Lande lebender Vertriebener wirklich Herr zu werden, sofern und solange diese Vertriebenen an der Aufrechterhaltung ihrer Binnenstrukturen interessiert blieben. Bis zum Ende der DDR existierten in Mecklenburg Dörfer, in denen Volksdeutsche Vertriebene, etwa aus Bessarabien, eine gruppenbezogene Autonomie zu konservieren vermochten. Die in Jahrhunderten erlernte Tradition, das dörfliche Gruppenleben zu bewahren und zugleich dem jeweiligen fernen Staat zu geben, was des Staates war, hatte sich offenbar auch unter dem DDR-Regime bewährt. In solchen Dörfern war die von der SED erwünschte einseitige Assimilation im Sinne einer Auslöschung besonderer Vertriebenenidentität selbst nach vier Jahrzehnten nicht erfolgt, weil dort die Volksdeutschen die Mehrheit der Nachkriegsbevölkerung stellten und diese Mehrheitsposition ihrerseits lokalgesellschaftlich zur Geltung zu bringen verstanden: Zwar hatten sich insbesondere in den jüngeren Generationen Anpassungsprozesse an die neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten als unvermeidlich erwiesen, bemerkenswerter war jedoch eine Akkuhuration der örtlichen alteingesessenen Minderheit an bestimmte Sitten und Bräuche der vertriebenen Mehrheit905. Vermochte der scheinbar allgegenwärtige SED-Überwachungsstaat diese Vertriebenenghettos bis zuletzt nicht völlig zu assimilieren, so blieb doch die klassische Selbstabgrenzung der Bessarabiendeutschen „in einer -
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*» *»
903
BAB, DO 1/33276, Mdl DDR, Abt. BP, Kaßner, an SED, ZK, Abt. StV, Wolff, BAB, DO 1/33204, Mdl DDR, Abt. BP, Fritzsche, Rdschr. v. 15. 6. 53. Schmidt, „Drei- oder viermal im Leben neu anfangen zu müssen...", S. 296f.
14. 12. 51.
II. Die
620
Soziologie der Macht
Art .inneren Peripherie' wesentlich defensiv und beschränkte sich auf Bewahrung lebensweltlicher Lokalautonomie906. Der Argwohn der SED-Machtapparate gegen solch abgeschlossene Lebenswel"
ten
nährte sich aus der Befürchtung, daß diese Sozialmilieus auch offensive Akti-
vitäten entfalten könnten. Deshalb waren generell Vertriebenenansiedlungen in den östlichen Grenzregionen der DDR dem Regime ein Dorn im Auge. Seit 1950 offiziell „Friedensgrenze" zwischen dem SED-Staat und seinen polnischen und
tschechoslowakischen Nachbarstaaten, wollte offenbar unter den vertriebenen Bewohnern dieser Grenzregionen lange keine Befriedung aufkommen907. Dazu trugen nicht nur gelegentliche (und von den deutschen Organen möglichst vertuschte) Zwischenfälle bei, bei denen deutsche Boote auf der Oder von polnischen Grenzsoldaten beschossen wurden908. Schon die Präsenz zahlreicher Vertriebener genügte zur Erzeugung grenzpolitischer Brisanz: Im Frühjahr 1950, unmittelbar vor der förmlichen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die DDR, warnte das Amt für Information die SED-Führung, daß die erstrebte „Seßhaftmachung" von Vertriebenen „in Grenzkreisen besonders schwierig" sei. In sächsischen Grenzkreisen wie Niesky und Zittau seien Rückkehrhoffnungen unter Vertriebenen, auch innerhalb der CDU-Mitgliedschaft, nach wie vor verbreitet. Daß dies mit der grenznahen Ansiedlung dieser Vertriebenen zu tun haben müsse, suggerierte der Bericht durch die Bemerkung, solches Denken habe unter Vertriebenen in Thüringen bereits „stark nachgelassen". Im Kreis Zittau hingegen habe ein Neubürger auf die Frage der amtlichen „Interviewer", ob er sich bereits neue Möbel oder Hausrat angeschafft habe, unwirsch reagiert: „Was soll ich mit dem Bett? Wie soll ich das Zeug zurück transportieren, wenn wir wieder über die Neiße gehen?"909 Die in solchen Grenzkreisen lebenden Vertriebenen waren nicht unbedingt Phantasten. Sie rechneten lediglich einige Jahre länger, als dies auch SED-Führer wie Wilhelm Pieck getan hatten, mit kleineren Grenzkorrekturen im Zuge eines Friedensvertrages. Ende 1948 äußerten vor allem jene „Neubürger" des Kreises Zittau, die bis 1945 in den östlich der Neiße gelegenen Gemeinden desselben Kreises gelebt hatten, „die größte Zuversicht auf eine für sie günstige Grenzziehung bei der einmal kommenden Friedensverhandlung"910. Noch 1955 wurde im Kreis Niesky eine Grenzkorrektur zugunsten der DDR um 50 Kilometer verlangt, damit Vertriebene in ihre grenznahe alte Heimat zurückkehren könnten; andere Vertriebene, die sich von solch geringfügigen Grenzkorrekturen nichts versprechen konnten, forderten statt dessen, „jetzt in der DDR Abfindung" zu erhalten911. Die 906
907
908
w
Ebenda, S. 319; ferner: Schmidt, Die Deutschen aus Bessarabien. Noch 1981 fielen bei einer für Polen bestimmten Weihnachtskollekte in vorpommerschen Gemeinden mit hohem Vertriebenenanteil die Spendenergebnisse deutlich schlechter aus als andernorts; vgl. Raddatz, Kirchliche Bemühungen um Aufnahme und Integration, S. 222. BAB, DO 1/3635, RdB Frankfurt an Mdl DDR, Staatssekretariat für innere Angelegenheiten, Abschrift: Bericht des VEB Wasserwirtschaft Oder-Neiße, Betriebsstelle Schwedt/Oder, v. 14. 9. 53. BAB, DO 1/33276, MP DDR, Afl, Abt. IK, Inform-Mitteilung 47/50 über „Beispiele zur Lage der Neubürger in Sachsen und Thüringen Seßhaftmachung in Grenzkreisen besonders schwierig", 3.4.50.
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SäHStA, LRS, Mdl 3024, Kreisrat zu Zittau, AfN, Jahresbericht für 1948, 15.12. 48, S. 2. SAPMO, DY6/5008-511-005, NFddD, Bezirksausschuß Dresden, Informationsbericht an Präsidium NFddD, 19.4. 55, S. 8.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
621
Ost-CDU hatte solche begrenzten Revisionshoffnungen im Grenzgebiet zur Tschechoslowakei zeitweilig zu ihrer Sache gemacht, um wie der sächsische CDU-Vorsitzende Hickmann 1947 erklärte „nationale Würde mit dem Wirklichkeitssinn zu verbinden"912. Anfang 1950 mußte die nunmehr auf SED-Linie gezwungene sächsische CDU-Führung feststellen, daß im Kreis Zittau Mitgliedsbeiträge ihrer Parteiorganisation „an die West-CDU abgeführt" worden waren913. Als die SED-Umsiedlerkommission den Problemkreis Zittau Ende 1948 untersuchte, waren von dessen rund 129000 Einwohnern 42000 oder 32% Vertriebene, in der Kreisstadt sogar 36%914. Wie ein Bericht des sächsischen Innenministeriums Anfang 1952 zeigte, änderte sich in der Folgezeit an diesem überdurchschnittlich hohen Vertriebenenanteil der strukturschwachen Grenzregion, der nicht nur den DDR-Durchschnitt von rund 24%, sondern erst recht den sächsischen Landesdurchschnitt von nur 17% deutlich übertraf, nicht das Geringste. Eine besonders hohe Konzentration von Vertriebenen gab es in den unmittelbaren Grenzgemeinden, im Kraftwerksstandort Hirschfelde stellten „ehemalige Umsiedler" fast 60% der Ortsbevölkerung915. Beide Berichte, der SED-Bericht von 1948 und der Regierungsbericht von 1952, zeugen zugleich vom andauernden Interesse der Herrschaftsapparate an diesen Problemzonen ein Interesse, das sicherheitspolitische und sozialpolitische Aspekte der SED-Umsiedlerpolitik noch zu bündeln versuchte. Spätestens der erwähnte Bericht des DDR-Amtes für Information über die „besonders schwierig[e]" Situation der Grenzkreise brachte dieses Problem im April 1950 auf die Agenda der Berliner SED-Zentrale916. Die im Juni 1950 um eingehende Berichterstattung ersuchte sächsische SED-Landesleitung bestätigte dem ZK Anfang September die Notwendigkeit, „besonders in den Kreisen der Umsiedler Klarheit in der Frage der Oder-Neiße-Grenze, Freundschaft zur Volksrepublik Polen und gegen die Hetze der westdeutschen Sender" zu schaffen. Zur Gewinnung der Vertriebenen für die SED-Politik sei allerdings ergänzendes sozialpolitisches Handeln erforderlich: „Jedenfalls wird jetzt von den Neubürgern das angekündigte Gesetz für die Umsiedler mit großer Spannung erwartet, weil beson[d]ers die alten und erwerbsunfähigen Neubürger Hilfe für sich daraus erwarten."917 Tatsächlich aber enthielt das angesprochene DDR-Umsiedlergesetz, das wenige Tage später verabschiedet wurde, gerade Hilfen für alte und arbeitsunfähige Vertriebene am allerwenigsten918. -
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9'2
913
9">
*»3
ACDP, 03/035/001, CDU, LV Sachsen, Protokoll der Sitzung des erweiterten CDU-Landesvorstandes Sachsen am 16. 9. 47, S. 3. Ebenda, CDU, LV Sachsen, Protokoll der Sitzung des geschäftsführenden CDU-Landesvorstandes Sachsen am 10. 2. 50, S. 11. SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. 51-63, insb. Bl. 51, SED, US, Abt. LP, Bericht zur „Überprüfung der Situation der Umsiedler im Kreis Zittau, 14. und 15. Dezember 1948", 8. 1. 49. SäHStA, LRS, Mdl 3040, Bl. 75-82, insb. Bl. 75, Mdl Sachsen, Abt. BP, Bo[sse], Bericht über die
Überprüfung der Durchführung des Umsiedlergesetzes im Landkreis Zittau und '"
im Stadtkreis
Görlitz, 18.2. 52. BAB, DO 1/33276, MP DDR, Afl, Abt. IK, Inform-Mitteilung 47/50 über „Beispiele zur Lage der
Neubürger in Sachsen und Thüringen Seßhaftmachung in Grenzkreisen besonders schwierig",
SAPMO, DY30/IV2/13/388, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, an SED, ZS, Abt. StV, 9. 6. 50. SAPMO, DY30/IV2/13/388, SED, LL Sachsen, an SED, ZK, Abt. StV, 2. 9. 50. 3. 4. 50;
9'7 918
Vgl. zu den Förderprogrammen Diktaturfolgen.
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des
Umsiedlergesetzes: Schwartz, Ausgleich
von
Kriegs-
und
622
II. Die
Soziologie der Macht
Das Problem
grenznah konzentrierter Vertriebenensiedlung wollten manche „Bevölkerungspolitiker" der Innenressorts durch zwangsweise „Binnenumsiedlung" lösen: Der DVdl-Funktionär Büttner hatte schon Ende 1948 die Registrierung aller grenznah lebenden Vertriebener und deren Umquartierung ins Landesinnere der SBZ empfohlen, nachdem ein „ausdrückliches Zuzugsverbot" für Vertriebene nach Zittau bereits ausgesprochen worden war919. Zur Umsetzung derart repressiver Binnenumsiedlungen ist es in der SBZ/DDR aus Furcht vor Bevölkerungsreaktionen jedoch in größerem Stile offenbar nicht gekommen. Statt dessen setzte sich die moderate Linie Hans Warnkes durch, die er als damaliger mecklenburgischer Innenminister und nachmaliger Staatssekretär im DDR-Innenministerium Anfang 1949 in die prägnante Formel kleidete, man könne „nicht wild hereingehen in die Dörfer und die [...] Menschen sortieren und sagen, diese Umsiedlernester müssen gelockert werden". Warnke setzte statt dessen auf verbesserte materielle Anreize zur Intensivierung freiwilliger Binnen-Abwanderung von Vertriebenen in Richtung attraktiverer Arbeits- und Wohngebiete920.
Auch dem sächsischen Innenministerium erschien, als es im Sommer 1950 das in die Debatte geworfene) Problem eines vertriebenenfreien Zehn-Kilometer-Grenzgürtels zu Polen und zur CSR thematisierte, eine „generelle Umsetzung" der ausgerechnet in dieser unmittelbaren Grenzzone ansässigen rund 130000 Vertriebenen, die aus grenznahen Vertreibungsgebieten stammten, völlig unmöglich. Obwohl „deren Assimilierung infolge der Grenznähe teilweise auf besondere Schwierigkeiten stößt" und diese Gruppe „für reaktionäre, revisionistische Propaganda einen günstigen Nährboden" abzugeben schien, befürwortete der Leiter der sächsischen Umsiedlerabteilung, Halm, lediglich die Binnenumsiedlung solcher Personen, „die in dem fraglichen Gebiet noch keine ausreichende Existenzgrundlage gefunden haben". Bei Vertriebenen hingegen, „die innerhalb des Grenzgürtels beruflich festen Fuß gefaßt haben", erschien eine zwangsweise „Umsiedlung schon aus rein volkswirtschaftlichen Erwägungen nicht angebracht", umso weniger, als die einigermaßen gesicherten materiellen Verhältnisse dieser Menschen vermutlich „eine allmähliche politische Bewußtseinsänderung" begünstigten. Diese moderate Linie suchte der sächsische Umsiedlerfunktionär durch ein demonstratives Lippenbekenntnis zur Wachsamkeit abzusichern921. Leichter als bestehende Siedlungszusammenhänge aufzubrechen schien eine Zuzugsbeschränkung für die Grenzregionen zu sein. Doch auch hierbei kollidierten sicherheitspolitische Prioritäten der SED-Führung mit der eigenen Wirtschaftspolitik. So waren in der DDR Anfang 1950 insgesamt 5074 Neubauernstel-
(von der SED-Führung
9'9
«o
BAB, DO 2/49, Bl. 97, DVdl, HAU, Büttner, Bericht über Kreisinspektion in Zittau, 20.12. 48;
auch eine in Brandenburg arbeitende Umsiedler-Genossenschaft aus demselben Vertreibungsgebiet trug, wie ihr Ansiedlungsort, den demonstrativen Namen „Neu-Zittau"; vgl. BAB, DO 1/ 33276, Mdl DDR, Abt. BP, Liste der Umsiedlergenossenschaften in der DDR nach dem Stand voml. 10. 48, o.D. BAB, DO 1-8/83, Bl. 60 f., DVdl, Protokoll über Landeskonferenz des Mdl Mecklenburg, 1.2. 49; zum Problem der Binnenumsiedlung auch: Schwartz, Vertrieben in die Arbeiterschaft, S. 105115.
92>
SäHStA, LRS, Mdl 2260, Mdl Sachsen, Abt. Umsiedler, Halm, an Mdl DDR, Abt. BP, 24. 8. 50, S.4.
3.
Eigensinn und Selbstorganisation
623
len unbesetzt, die große Mehrheit davon in Mecklenburg und Brandenburg, wodurch fast 44000 Hektar Agrarfläche brach lagen922. Angesichts dessen setzte Agrar-Staatssekretär Paul Merker Mitte 1950 große Hoffnungen auf die Mitteilung des DDR-Botschafters in Warschau, Friedrich Wolf, „daß weiterhin zahlreiche deutsche Bauernfamilien aus dem volksdemokratischen Polen nach Deutschland zurückkehren" sollten, wollte er doch diese Aussiedler gezielt auf unbesetzten Neubauernstellen ansetzen923. Der um Mitarbeit gebetene Mdl-Staatssekretär Warnke entschied jedoch nach Rücksprache mit dem brandenburgischen Innenminister, „daß die Besetzung der [bereits errichteten, aber leerstehenden] Kernbauten [von Neubauernhöfen] in unmittelbarer Nähe der Grenze ungefähr 25 km durch die neu eintreffenden Umsiedler unbedingt vermieden werden muß"924. Das Grundvertrauen untergeordneter SED-Funktionäre wie des Sachsen Halm, eine halbwegs gesicherte materielle Existenz werde das Revisionismusproblem unter grenznah lebenden Vertriebenen allmählich entschärfen, wurde offenbar von der SED-Führung nicht geteilt. Ulbricht persönlich erklärte sich Ende 1950 im Zuge der Planungen für das Neubauern-Bauprogramm des Folgejahres ausdrücklich „dagegen [...], daß die Kreise in der Aufstellung [für Hofneubauten] enthalten sind, die unmittelbar an der Grenze liegen", und ganz auf dieser Linie sperrte sich auch das DDR-Innenministerium gegen vertriebene Neuzugänge innerhalb der 25-Kilometer-Zone an der Ostgrenze der DDR. Selbst Ausnahmegenehmigungen für neu anzusetzende Umsiedler-Neubauern sollte es nicht mehr geben925. Damit obsiegte eindeutig die sicherheitspolizeiliche Perspektive der SED-Umsiedlerpolitik über deren sozial- und wirtschaftspolitischen Integrationsansatz. Der intelligente Zynismus eines Heiner Müller befand nach dem Untergang des SED-Regimes, rückblickend sei es „die große Qualität von Ulbricht" gewesen, im Gegensatz zu seinem Nachfolger Honecker stets damit gerechnet zu haben, „daß er ein Volk von Feinden regiert"926. -
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922 923 924 923
BAB, DO 1/33276, MLF DDR, Liste über unbesetzte Neubauernstellen am 28.2., 27. 5. 50. Ebenda, MLF DDR, Merker, an Mdl DDR, Warnke, 3. 7. 50. Ebenda, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, Aktennotiz v. 28. 7. 50. BAB, DO 1/33269, Mdl DDR, Abt. BP, Strehlau, Bericht über die Kommissionssitzung für das Neubauern-Bauprogramm 1951 beim Ministerium für Aufbau am 5.12., 6. 12. 50; ebenda, Ministerium für Aufbau DDR, Siewert, Aktennotiz vom 8.12. 50; am 19. 12. 1950 wies das Mdl die Landesbodenkommissionen an, „innerhalb eines 25 Kilometer breiten Streifens längs der deutsch-
und deutsch-tschechoslowakischen Grenzen keine Neubesetzung durch Umsiedler auf Bodenreformland vorzunehmen"; vgl. BAB, DO 1-8/83, Bl. 242-249, insb. Bl. 248, Mdl DDR, Abt. BP, Jahresbericht 1950, 30. 1. 51. Müller, Krieg ohne Schlacht, S. 131.
polnischen «m
„Umsiedlerpolitik" in der Konfliktgesellschaft der SBZ/DDR
III. Die Macht des Sozialen:
„Wir vertreten einen sozialistischen Gedanken. Wir glauben, daß es nicht das besitzende Bürgertum ist, das gerettet werden muß in diesem Staate, sondern wir glauben, daß die Frage der Einordnung der Menschen, die als Umsiedler in unser Land gekommen sind, die entscheidende Frage ist, an der Deutschland zugrunde geht, wenn sie nicht gelöst wird [...] Dies bedeutet, daß die besitzenden Bürger in dieser entscheidenden Frage mit uns in Konflikt kommen."1 Der CDU-Politiker Werner Jöhren 1947
Obwohl es sich bei der Aufnahme der rund zwölf Millionen deutschen VertriebeOstdeutschland und Osteuropa im geteilten und verkleinerten RestDeutschland um eine „Wanderbewegung in das Gebiet des eigenen Volkes" handelte, die folglich reibungsloser hätte verlaufen können als eine Einwanderung von Fremden, erinnerte zeitgenössische Beobachter des Vertriebenenproblems im Nachkriegs-Deutschland „vieles" daran an eine „Einwanderung unter fremde Völker". Insbesondere der tiefgreifende soziale und kulturelle Konflikt zwischen vertriebenen und alteingesessenen Deutschen trug für erfahrene Beobachter „deutliche Züge eines Nationalitätenkampfes und eines Klassengegensatzes" (E. Lemberg). Vertriebene in Deutschland waren für die meisten Einheimischen folglich Fremde (wie andere Fremde auch), und sie waren überdies unerwünschte Konkurrenten um knappe Ressourcen oder soziale Positionen. Für viele Vertriebene war deshalb auf den Schock ihrer brutalen Vertreibung eine zweite traumatische Erfahrung gefolgt der unerwartete Schock ihrer Ankunftserfahrung, der in der tiefen Enttäuschung der Erwartung bestand, unter ihren deutschen Landsleuten oder „Volksgenossen" solidarische Aufnahme zu finden. Statt dessen sahen sich viele Vertriebene von vielen Alteingesessenen materiell und kulturell diskriminiert. Lange Zeit herrschte daher unter Betroffenen der verbitterte Eindruck vor, im eigenen Lande als „Menschen zweiter oder dritter Klasse" ausgegrenzt und herabgestuft zu werden. Die westdeutsche Vertriebenenforschung stellte erst um 1960 eine allmähliche „Auflösung der Fronten" fest (A. Karasek-Langer), die der „Entstehung eines neuen Volkes aus Binnendeutschen und Ostvertriebenen" (E. Lemberg) gewichen seien. Es gibt (wie wir sehen werden) wenig Anhaltspunkte, daß sich diese Gruppenkonflikte in der Nachkriegsgesellschaft der SBZ/ DDR frühzeitiger entspannt hätten. nen aus
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1
ACDP, 03/036/002, CDU Mecklenburg, Prot. der Kreissekretärsbesprechung o. D., Rede Werner Jöhrens.
am
22V23.4. 47,
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III. Die Macht des Sozialen
negative Ursprungserfahrung der nationalen Entsolidarisierung der deutZusammenbruchsgesellschaft wurde später vehement beschwiegen oder positiv überformt. Eine aus Verdrängung und Beschönigung gezimmerte „Integrationsideologie" (A. Lehmann) kennzeichnete nicht nur die individuellen Lebensläufe vieler Betroffener, sondern auch die offizielle Erinnerungspolitik. Das in der DDR regierende SED-Regime proklamierte bereits zu Beginn der fünfziger Jahre die erfolgreiche Lösung des dort so genannten „Umsiedlerproblems", um dessen öffentliche Erörterung weitgehend zu unterbinden. In der Bonner Bundesrepublik wurde die ungute Erinnerung an die „Konfliktgemeinschaft" von Vertriebenenminderheit und Eingesessenenmehrheit durch Erfolgsgeschichten vom Die
schen
gemeinsam erarbeiteten „Wirtschaftswunder" und von der spät, aber immerhin bewiesenen nationalen Solidarität beim „Lastenausgleich" überlagert. Dieser lange und systemübergreifend gepflegte „Mythos der schnellen Integration" (P. Lüttinger), verdeckte gezielt die Opfer und Verwerfungen des sehr viel schwierigeren und längerfristigen Integrationsprozesses und damit die historische Grundtatsache, daß Vertriebenenintegration keine Folge selbstverständlicher nationaler Solidarität, sondern vielmehr das Ergebnis einer von heftigen Gruppenkonflikten geprägten Gesellschaftsentwicklung gewesen ist. Erscheint die Vertriebenenintegration in sozialer Hinsicht mit anderen Immigrationsprozessen in vielem vergleichbar, so ist doch ein wesentlicher Unterschied zu beachten: Von den politisch Verantwortlichen wurde die nationale Zugehörig-
keit der Vertriebenen zum deutschen Volke und damit ihr Recht auf Gleichstellung und Gleichbehandlung mit den Einheimischen grundsätzlich anerkannt. Diese Bürgerrechts-Prämisse mußte früher oder später zu konkreten sozialpolitischen Anrechten und Hilfsprogrammen führen. Mit den deutschen Staatsgründungen von 1949 erhielt diese rechtliche Gleichstellung der Vertriebenen Verfassungsrang. Somit darf man auch im Falle der Vertriebenen von einer „privilegierten Migration" (R. Münz / R. Ohliger) sprechen, wie sie bislang nur den in die Bundesrepublik Deutschland zuwandernden Spätaussiedlern attestiert worden ist. Allerdings reagierte diese zunächst eher virtuelle sozialpolitische „Privilegierung" auf eine katastrophale soziale „Unterprivilegierung", sie mußte in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter äußerst ungünstigen materiellen Umständen realisiert werden und zeitigte daher nur begrenzte Wirkungen. Trotzdem konterkarierte die grundsätzliche Integrationsbereitschaft beider politischen Nachkriegssysteme in Deutschland die tendenzielle Integrationsverweigerung ihrer einheimischen Mehrheitsgesellschaften (sowie eines Großteils der dorthin vertriebenen Minderheit). Soziale Gerechtigkeit zwischen Kriegsfolgengeschädigten und Nichtgeschädigten schien im ersten Nachkriegsjahrzehnt nur über graduelle Umverteilung von Privatbesitz zu Lasten der Letzteren erreichbar. Dies rief unter den von Vertrei-
bung, Bombenkrieg und Enteignung verschonten Bevölkerungsschichten enorme Widerstände hervor. Die durch oberflächliche Diagnosen allgemeiner Not leichthin kaschierte krasse soziale Ungleichheit in der Trümmer- und Rationengesellschaft der Jahre nach 1945 stand im Gegensatz zu einer ebenfalls mit dem Notstandsargument operierenden staatsinterventionistischen Sozialpolitik, die in bis dahin ungekanntem Maße in gesellschaftliche Verhältnisse eingreifen wollte. Je
III. Die Macht des Sozialen
627
nach System mündete eine solche Politik, welche auf die egalitäre Sehnsucht breiter Bevölkerungsgruppen vertrauen mochte, in das Leitbild einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft" oder einer homogenisierten „Arbeiter- und Bauernklasse", deren gemeinsamer Nenner die deutliche Ablehnung traditioneller Sozialhierarchien war. Gleichwohl wurden Umverteilungspolitiken zugunsten von Kriegsfolgegeschädigten in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften von der Bevölkerungsmehrheit nach Möglichkeit bekämpft und behindert. Da sozialpolitische Nivellierungseffekte folglich begrenzt blieben, verlief die individuelle Integration in die jeweilige Nachkriegsgesellschaft wesentlich unter den Bedingungen industrieller Leistungsgesellschaften, welche fortbestehende oder neu entstehende soziale Ungleichheiten als persönlich „verdient" legitimierten. Der Widerspruch zwischen sozialpolitischer Nivellierungstendenz und sozioökonomischer Differenzierungstendenz führte in beiden deutschen Aufnahmegesellschaften zu un-
ausweichlichen Spannungen.
Wie weit mußte, wie weit durfte politisch forcierte Umverteilung gehen, um schon oder noch sozial „gerecht" zu sein? Die konträren Resultate der jeweiligen „Bodenreformen" die in der SBZ radikal, in Westdeutschland so gut wie gar nicht erfolgten demonstrieren die Spannbreite möglicher Antworten. Gleichwohl wäre es verfehlt, diesen Gegensatz zu verallgemeinern. Der Eindruck, in der SBZ/DDR seien grundsätzlich „Spielräume für eine umverteilende Vertriebenenpolitik größer als in Westdeutschland" gewesen, weil die dortigen Machthaber „wenig Respekt vor bestehenden Eigentumsrechten" gehabt hätten (Ph. Ther), führt in die Irre. Zwar fuhren Sowjets und SED fort, bestimmte Formen privaten Eigentums rücksichtslos zu enteignen, doch achteten sie spätestens seit 1947 sorgfältig darauf, dabei nicht die Bevölkerungsmehrheit gegen sich aufzubringen. Auch der zweite Schritt, enteigneten Besitz an neue private Eigentümer oder Nutzer umzuverteilen, wurde nicht zur Konstante kommunistischer Transformationspolitik, so daß das vermeintliche Umverteilungsvorbild der Bodenreform eher als Ausnahme erscheint. Das gesamtdeutsche Scheitern der hessischen und thüringischen Hausrat-Umverteilungspolitik markiert die Relevanz des „Respekts" auch der sowjetzonalen Machthaber vor bestehenden Eigentumsrechten und damit die gesellschaftlich bedingten Grenzen ihrer Vertriebenen-Soforthilfe. Dennoch gibt es Forscher, die der SED-Umsiedlerpolitik eine vergleichsweise rasche und tiefgreifende Integrationswirkung attestieren. Tatsächlich war Umsiedlerpolitik in der SBZ/DDR durch eine spezielle Mischung autoritärer Zumutungen und sozialer Angebote charakterisiert. Die Zugehörigkeit zum sowjetischen Machtbereich blockierte die Flucht in jene typische bundesdeutsche Zweideutigkeit, bis zur Ostpolitik der 1970er Jahre und formaljuristisch sogar bis 1990/91 soziale Integrationspolitik mit der ihr widersprechenden rhetorischen Aufrechterhaltung der Rückkehroption zu verbinden. Deswegen sah sich die Umsiedlerpolitik im SED-Staat früher und eindeutiger auf das Ziel entschiedener Integration (im Sinne von Assimilation) verwiesen, die durch völlige soziale Gleichstellung mittels sozialpolitischer Integrationshilfen gefördert werden sollte. So sehr man die positiven Wirkungen dieser sozialpolitischen Integrationshilfen würdigen muß, die in der SBZ früher einsetzten als im Westen, um allerdings in der DDR auch früher wieder abgebrochen zu werden, so deutlich muß man die Schattensei-
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628
III. Die Macht des Sozialen
dieser Politik benennen. Dazu gehört nicht nur die gegen den Willen der eigeBevölkerung frühzeitig und repressiv durchgesetzte, aus außen- und wirtschaftspolitischen Gründen für das SED-Regime unausweichliche Anerkennung der deutschen Nachkriegs-Ostgrenzen (1950), wodurch sich viele Vertriebene alleingelassen und verraten fühlten. Dazu gehört ebenso die Tatsache, daß der partielle Integrationserfolg in der SBZ/DDR notwendig auf gewaltsamer sozialer Veränderung und auf der gezielten Desintegration anderer Bevölkerungsschichten basierte. Schon die Landumverteilung der „Bodenreform", bei der Vertriebene am Ende fast jeden zweiten „Neubauern" der DDR stellten, basierte auf der vollständigen und entschädigungslosen Enteignung sowie auf der weitgehenden Vertreibung der bisherigen Eigentümerfamilien. Ganz ähnlich beruhte die für rund 140000 Vertriebene gegebene Möglichkeit, zwischen 1945 und 1949 Positionen im öffentlichen Dienst der SBZ/DDR zu übernehmen, nicht nur auf einer erheblichen Aufblähung des Personals, sondern auch auf der massenhaften Entlassung alteingesessener Beamter und Angestellter unter der Chiffre der „Entnazifizierung" und zum Zwecke der SED-Machtabsicherung. Schließlich schuf auch die in den 1950er Jahren durch die SED-Transformationspolitik bewirkte Massenabwanderung bürgerlicher und großbäuerlicher Eliten nach Westdeutschland für Zurückbleibende darunter (ebenso wie unter den „Republikflüchtlingen") viele jüngere Vertriebene günstige Integrations- und Aufstiegschancen. Gerade durch diese gewaltsam verursachte soziale Mobilität und die dadurch geschaffenen Integrationschancen für Vertriebene, bei denen sich Anpassungsdruck und Aufstiegsangebot charakteristisch vermengten, wurde die DDR-Gesellschaft zur „ersten modernen Gesellschaft auf deutschem Boden" (R. Dahrendorf). Abgesehen von dieser allgemeinen gesellschaftsverändernden Entwicklung bot die Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR zeitweilig zusätzliche sozialpolitische Hilfen zur Förderung der Vertriebenenintegration. Höhepunkt dieser Politik war das im September 1950 verabschiedete „Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik". Angesichts der gesamtdeutsch grassierenden gesellschaftlichen und politischen Tendenzen zur „evasiven Problemausblendung" (F. J. Bauer) waren sowohl das westdeutsche Soforthilfegesetz von 1949 als auch das darauf antwortende DDR-Umsiedlergesetz wichtige Bekenntnisse zur Notwendigkeit weiterer besonderer Vertriebenenförderung durch staatliche Sozialpolitik. Daß das vertriebenenpolitische Ziel einer „Angleichung der sozialen Lage der Vertriebenen an die der Eingesessenen" (P. Merker) in der Folgezeit allein in der Bonner Republik überlebte, obwohl es ursprünglich von SED-Politikern formuliert worden war, hing wiederum mit dem grundlegenden Demokratiedefizit der DDR zusammen. Während das pluralistische Politiksystem des westlichen deutschen Teilstaates den Vertriebenen Selbstorganisation, Machtbeteiligung und Aushandlung eines Umverteilungskompromisses ermöglichte, welcher der einheimischen Mehrheit zumindest zeitweilig materielle Zugeständnisse abverlangte, waren Partizipationsspielräume organisierter Gruppeninteressen im DDR-System institutionell unmöglich. Gerade deshalb entstand dort eher früher als später ein Kompromiß zwischen dem nur schwach legitimierten SED-Regime und der einheimischen Mehrheitsgesellschaft, die beide aus unterschiedlichen Gründen das Sonderproblem der Vertriebenen ten
nen
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III. Die Macht des Sozialen
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möglichst rasch auszublenden wünschten. Gerade wenn man das rasche Ende der DDR-Umsiedlerpolitik, das bereits 1952/53 eintrat, nicht nur als politisch motivierte Repression, sondern auch als Zugeständnis der Politik an mehrheitsgesellschaftlich motivierte Repression begreift, erscheint es nicht als Zufall, daß die
SED-Politik nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 zwar den materiellen Wünschen der Mehrheit der „Werktätigen" entgegenkommen mußte, die bisherige Vertriebenenförderung jedoch zur selben Zeit problemlos einstellen konnte. Dazu trug auch der Umstand bei, daß das DDR-Umsiedlergesetz im Unterschied zur breiter angelegten westdeutschen Lastenausgleichspolitik konzeptionell ausschließlich Vertriebene begünstigt und durch die dadurch erzeugte östliche Variante des auch in der Bundesrepublik bekannten unguten „Lastenausgleichsneids" die Minderheit der Kriegsfolgengeschädigten in der DDR zusätzlich entsolidarisiert hatte. Der sozialpolitische Versuch, materielle Gräben (zwischen Vertriebenen und Einheimischen) zu nivellieren, schuf somit automatisch neue, schwer zu rechtfertigende Ungleichheiten in der DDR-Gesellschaft. Die anhaltende Erbitterung der einheimischen Bombengeschädigten über ihren 1950 rücksichtslos durchgesetzten Ausschluß von den Förderangeboten des Umsiedlergesetzes trug somit erheblich dazu bei, 1953 die Fortsetzung besonderer Vertriebenenförderung in der DDR dauerhaft zu blockieren. Ab 1953 setzte die DDR durch den völligen Verzicht auf gruppenspezifische Vertriebenenförderung sehr viel eindeutiger als die Bundesrepublik Deutschland auf die Individualisierung des Integrationsproblems, das öffentlich nach Möglichkeit nicht mehr erörtert werden sollte. Dieser politische Tabuisierungsversuch war, was die Erinnerung an die Katastrophe der Vertreibung angeht, vor allem außenpolitisch motiviert, entwickelte zugleich jedoch ein ausgeprägtes innergesellschaftliches Ruhebedürfnis im Hinblick auf die konfliktreiche frühe Phase der Vertriebenenintegration in der SBZ/DDR selbst. Zwischenzeitlich blieb es der so genannten „schönen" Literatur vorbehalten, in der kontrollierten Öffentlichkeit der DDR die Tabuthemen der Vertreibung und der Vertriebenenintegration und damit zwei Grundtatsachen deutscher Nachkriegs-Vergesellschaftung wenigstens punktuell weiter zur Sprache zu bringen. War eine literarische Thematisierung unter den Bedingungen des ersten Nachkriegsjahrzehnts noch vergleichsweise unproblematisch, solange man sich an die Grundprämissen der SED-Umsiedlerpolitik hielt, wurde die Thematisierung des Vertriebenenproblems in der DDR zwischen 1955 und 1975 deutlich schwieriger, um erst in den letzten fünfzehn Jahren der DDR parallel zu einer bemerkenswerten geschichtswissenschaftlichen Öffnung und zum von Christa Wolf in ihren „Kindheitsmustern" diagnostizierten Ende des langen gesellschaftlichen „Nachkriegs" eine zweite Hochphase zu erleben"2. Zuvor scheinen sich Politik und Gesellschaft gleichermaßen repressiv verhalten zu haben: Aufgrund seines Tabubruchs mit dem 1961 nach einer einzigen Probeaufführung prompt verbotenen Drama „Die Umsiedlerin" blieb etwa Heiner Müller in der DDR zwölf Jahre ein „Dramatiker ohne Bühne"3. Müller erinnerte sich, daß noch etliche Jahre nach dem ursprünglichen Verbot in Mecklen-
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2 3
Vgl. ausführlich: Schwartz, Tabu und Erinnerung. Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 158.
630
III. Die Macht des Sozialen
burg ein neuerlicher Inszenierungsversuch des Stücks „von der Bezirksleitung" der SED „mit dem Argument verboten" worden sei, „sie möchten keine alten Wunden aufreißen"4. Erst 1975 durfte die „Umsiedlerin" publiziert und ein Jahr später auch aufgeführt werden5. Nach der lange verzögerten Premiere des Tabubruchs, der allmählich keiner mehr war, raunte Klaus Gysi, ein früherer DDRKulturminister, dem Dramatiker zu: „Das war zu früh damals. Ein wunderbares Stück."6 Die zeitweilige Tabuisierungsstrategie hatte des weiteren zur Folge, daß im Gegensatz zur Bundesrepublik, wo in den fünfziger Jahren eine breite wissenschaftliche Forschung zu Vertreibung und Vertriebenenintegration einsetzte und von der Politik gezielt subventioniert wurde, in der DDR eine wissenschaftliche Bearbeitung dieses Gegenstandes lange unmöglich war. Dabei hatte es Ansätze durchaus gegeben: Bereits 1947 hatte die „Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler" volkswirtschaftliche, historische und politische Untersuchungen angeregt, um „Grundmaterial" für eine spätere Dokumentation der sowjetzonalen Umsiedlerpolitik zu gewinnen, die nach Einschätzung des ZVU-Präsidenten Rudolf Engel „über kurz oder lang" erforderlich werden würde7. Eine solche Dokumentation wurde jedoch niemals realisiert. Im Winter 1948/49 unternommene Vorstöße eines Netzwerkes ehemaliger leitender ZVU-Funktionäre, nach Auflösung ihrer Sonderverwaltung eine Art öffentlichen Abschlußbericht schreiben zu dürfen8, blieb die unerläßliche Zustimmung der SED-Spitze versagt9. Die stattdessen in Auftrag gegebene amtliche Denkschrift über den Stand der UmsiedlerAssimilation in der SBZ/DDR wurde zwar (mit immer deutlicheren Vorgaben und Retuschen) 1949/50 fertiggestellt, jedoch lediglich zur internen Information der politischen Führung genutzt10, während die DDR-Öffentlichkeit mit Propagandaschnipseln abgespeist wurde11. Vergeblich beklagte der einstige ZVU-Vizepräsident Arthur Vogt gegenüber dem ZK-Apparat noch 1957 diese Unterlassung: „Die Partei werde es noch einmal bereuen, daß sie nicht darauf bestanden habe, die Dokumentation niederzuschreiben"12. Diese Einschätzung hatten Universitätswissenschaftler offenbar geteilt, denn 1949/50 waren in der SBZ/DDR Dissertationen zu Teilaspekten der Umsiedlerpolitik entstanden. Eine im Mai 1949 an der Universität Leipzig angenommene Doktorarbeit hatte sich am Beispiel des Kreises Bitterfeld mit dem Verhältnis von „Umsiedlerproblem" und Bodenreform auseinandergesetzt. Wenig später begann eine frühere Vertriebenenfürsorgerin an der Berliner Humboldt-Universität ihre Dissertation über die Frage, inwiefern Produktivgenossenschaften „einen Beitrag zur wirtschaftlichen Eingliederung der Umsiedler leisten" könnten13. Diese Stu4 3 6 7 8
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42
BAB, DO 2/58, Bl. 57 ff., insb. Bl. 58-60, DVdl, HAU, Büttner, Denkschrift „Ist eine Binnenwan-
derung notwendig?", 9. 12. 48.
Erker, Revolution des Dorfes?, S. 367. Nicht alle Landgemeinden waren um 1945 noch agrarisch dominiert, vielfach bestimmte eine agra-
risch-gewerbliche Mischstruktur das Bild; doch blieb die soziokulturelle Werthierarchie auch solMischgemeinden lange agrarisch (d.h. groß-bäuerlich) dominiert; vgl. Planck/Ziehe, Agrarsoziologie. Erker, Revolution des Dorfes?, S. 424f. Teppe, Trümmergesellschaft im Wiederaufbau, S. 26. Bauerkämper, Auf dem Weg zum „Sozialismus auf dem Lande", S. 261. die Vgl. für die Bundesrepublik: Erker, Revolution des Dorfes?, S. 424f; für DDR: das UlbrichtZitat zu Beginn von Kap. ULI. cher
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43 46
47
Müller, Die Umsiedlerin, S. 58.
1.
Integration durch Bodenreform?
639
ziger Jahre entstandenen Erzählung „Die Umsiedler" als Erinnerung an sein niedersächsisches Aufnahmedorf düstere Bilder und spannungsgeladene Wortfetzen: „Wind gab krummen Flüchtlingen Püffe in Haar und Augen, mach daß Du weiterkommst, die Wetterhähne schackerten auf den Firsten. [...] Und schon erschien der schwarze Dachkeil des Niedersachsenbauern: Niemand, der nicht Landwirt war, hat ein Recht, von den Schrekken des Krieges zu reden; die ewigen Kontrollen, mein Lieber! Daß Euch der Kriwitz! [...] Drinnen der Tischfluch über die Sirupschnitte; verschimmelte Wände, wer kann das Loch erheizen [...]; und dies ist das sogenannte Existieren, was wir jetzt tun."48 Den Umsiedlerbürokraten war stärker als anderen SED-Funktionärsgruppen bewußt, daß sich in der ländlichen Gesellschaft der sowjetischen Zone nach 1945 eine doppelte Revolution vollzogen hatte. Die massenhafte Aufnahme von Vertriebenen mit ihren demographischen, kulturellen und sozialen Brüchen war dort anders als in Westdeutschland mit der soziökonomischen Strukturrevolution
der sogenannten „Bodenreform" zusammengefallen. Durch diese von Sowjets und deutschen Kommunisten exekutierte Agrar-„Revolution von oben" wurden zwischen Herbst 1945 und Herbst 1947 über 7000 Güter mit jeweils mehr als 100 Hektar Nutzfläche sowie rund 3400 kleinere Landwirtschaftsbetriebe (wegen angeblicher oder tatsächlicher NS-Belastung ihrer Besitzer) entschädigungslos enteignet insgesamt ein volles Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche der SBZ. Zu zwei Dritteln wurde dieses Agrarland an ländliche Unterschichten, aber auch an Vertriebene als neue Besitzer umverteilt49. Durch diese ländliche Doppelrevolution der Vertriebenenaufnahme und der Bodenreform hatte sich in der SBZ zweifellos „eine der tiefgreifendsten [sie!] Veränderungen in der Struktur unseres gesellschaftlichen Lebens nach 1945" ereignet. Die Bodenreform hatte mit dem Großgrundbesitz die Spitze der ländlichen Gesellschaftsordnung beseitigt und zugleich die strukturrevolutionäre Wirkung gezeitigt, daß „gegenwärtig der bäuerliche Besitz mit einer Größe von 5 bis 20 Hektar überwiegt", der seinen Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche 1945 schlagartig von 30% auf 48,5% gehatte. ökonomisch als Was steigert Nivellierung erscheint, bedeutete sozial eine der neue tiefgreifende Differenzierung ländlichen Gesellschaft, indem neben die verbliebene, ihrerseits differenzierte Schicht der „Altbauern" eine breite Schicht von Neubauern und deren Angehörigen trat, eine höchst heterogene Gruppe von 1,7 Millionen Menschen, innerhalb derer „rund 300000 Umsiedler" UmsiedlerNeubauern nebst Angehörigen eine besondere Untergruppe bildeten50. Landarbeiter, Arbeitslose und Arbeitsunfähige (darunter jeweils überdurchschnittlich viele Vertriebene) bildeten die neue Unterschicht dieser ländlichen Nachkriegsgesellschaft der SBZ. Man könnte vermuten, daß durch diese parallelen revolutionären Strukturbrüche die ländliche Gesellschaft der SBZ zu einer vollkommen „umgewälzten" Gesellschaft geworden sei ein Bild, das von der SED-Historiographie denn auch geflissentlich gezeichnet worden ist. Doch haben in letzter Zeit gerade Forschungen zur Vertriebenenproblematik in der ländlichen Gesellschaft die dortige „Kon-
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« 49 »
Schmidt, Die Umsiedler, S. 263 f.
Bauerkämper, Auf dem weg zum „Sozialismus auf dem Lande", S. 249. BAB, DO 2/58, Bl. 57ff., insb. Bl. 57f., DVdl, HAU, Büttner, Denkschrift „Ist eine Binnenwanderung notwendig?", 9. 12. 48.
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III. Die Macht des Sozialen
tinuität traditionaler Werte" und „die Beharrungskraft dörflich-agrarischer Milieus" herausgestellt51, da sich just diese konservativen Strukturen längerfristig als integrationsfeindlich erwiesen. Nicht umsonst eckte der junge SED-Dramatiker Heiner Müller mit seinem 1961 uraufgeführten und sofort verbotenen Drama „Die Umsiedlerin" bei den Herrschenden an, hatte er doch ein Panorama der ländlichen Sowjetzonengesellschaft entworfen, das von krassen Machtverhältnissen, heftigen Gruppenkonflikten und unzähligen Ungerechtigkeiten gekennzeichnet war. Die von der SED gewünschte Darstellung des sozialistischen Fortschritts geriet bei Müller zum „Kampf der Widersprüche: Die Aufhebung der alten produziert neue. Jeder Idealismus scheint ausgemerzt."52 Indem Müller dialektisches Denken offenbar weit ernster nahm als die SED-Parteidogmatiker, konnte er unverfälscht auf jenes nach 1945 neu entstandene Machtgefälle zwischen etablierten Altbauern und krisengeplagten Neubauern hinweisen, das einer seiner Protagonisten prägnant schilderte:
„Brachland gabs zuviel, Zugvieh zu wenig, Trecker keinen. Da fraß der Große wieder den auf, ich hab acht Pferde, was hast du? Hack meine Rüben, wenn du dein Feld gepflügt willst, oder spann dich selber vor den Pflug und krepier in der Furche. Hunger habt Kleinen
ihr? Ich bin satt."53
Die „Bodenreform" in der SBZ besaß somit die Bedeutung einer partiellen, aber eben auch partiell steckengebliebenen Revolution. Schon die „Beharrungskraft dörflich-agrarischer Milieus" begrenzte längerfristig die „Auswirkungen der von dem SED-Regime durchgesetzten Politik gesellschaftlicher Destruktion und Konstruktion"54. Diese Beharrungskraft der alteingesessenen „Kernbevölkerung" mag man je nach Standpunkt als „entschlossene Abwehr" oder als „flexible Anpassung" gegenüber der SED-Agrarpolitik bewerten55, doch zugleich muß man sehen, daß derartige Resistenz stets auch die soziale Inferiorität der in den Dorfgesellschaften lebenden Vertriebenen festschrieb. Auf Veränderungen durch staatliche Intervention zählte bald selbst jene Vertriebenen-Minderheit nicht mehr, die von der Bodenreform anfangs hatte profitieren können. Auf einer Besuchsreise durch mecklenburgische Dörfer traf DDR-Ministerpräsident Grotewohl im Mai 1951 jedenfalls auf ,,ehem.[alige] Umsiedler", die als Neubauern tätig, aber „noch in Baracken notdürftig untergebracht" waren und durch den katastrophalen Zustand der ihnen zugewiesenen Stallungen über Viehseuchen in wirtschaftliche Not geraten waren. Grotewohl fand unter diesen vertriebenen Landwirten tiefe Resignation. Als der SED-Führer für das staatliche, unterdessen auf Vertriebene zugeschnittene Neubauern-Bauprogramm, warb, kam in den Reaktionen der vertriebenen Landwirte deutlich „zum Ausdruck, daß die Enttäuschungen und das Nichteinhalten der [früheren] Versprechungen sie diesen Ausführungen skeptisch gegenüber stehen lassen und sie die Hoffnung aufgegeben haben, daß auch ein
3' 32 33 34 33
Vgl. den Hinweis bei Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft, S. 32.
Hauschild, Heiner Müller, S. 186. Müller, Die Umsiedlerin, S. 51; vgl. ausführlicher: Schwartz, Tabu und Erinnerung. Bauerkämper, Auf dem Weg zum „Sozialismus auf dem Lande", S. 261. Derart einseitig fixiert: Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft, S. 427.
1.
Integration durch Bodenreform?
641
Eingreifen des Ministerpräsidenten den trostlosen Zustand dieser Gemeinde wird
ändern können"56. Dabei hatte gerade die sogenannte „Bodenreform" im Unterschied zu ihrem irreführenden Namen keine reformistische Maßnahme, sondern eine wirklich revolutionäre „Umwälzung" sein wollen57, welche die agrarischen Besitzeliten vollständig und entschädigungslos enteignete, sogar aus ihren Wohnsitzen und sozialen Beziehungsnetzen vertrieb58 und damit die bisherige ländliche Gesellschaftspyramide gezielt enthauptete. Anstelle der spätfeudalen Abhängigkeit von Gutsherren trat für viele „Neubauern" infolge der strukturell bedingten ökonomischen Schwäche ihrer Betriebe die sozialpolitische Abhängigkeit vom entstehenden SED-Staat. Die Relevanz deutscher politischer Kräfte, die ohne sowjetischen Anstoß „selbst eine revolutionäre Umgestaltung [...] anstrebten"59, sollte man im Falle der „Bodenreform" nicht überschätzen. Diese war im wesentlichen eine dekretierte Revolution von oben, die zwar Umverteilungsbedürfnisse diverser gesellschaftlicher Gruppen aufgriff und zugleich schürte, unter demokratischen und rechtsstaatlichen Bedingungen jedoch weit moderater ausgefallen und folglich keine Revolution mehr gewesen wäre. Das Deutschland des Jahres 1945 war keineswegs das Rußland von 1917, wo die Aufteilung des Großgrundbesitzes primär von den Bauern selbst ausgegangen war60. Einmal per Besatzungsdiktat durchgesetzt und mit dem Schein des Rechts versehen, fanden sich allerdings auch in der SBZ Hunderttausende von Profiteuren, deren „individuelle Überlebensstrategien"61 das Projekt der „Bodenreform" stabilisierten und gesellschaftlich unumkehrbar machten. Unter den Nutznießern dieser Enteignung befanden sich auch zahlreiche durch Flucht und Vertreibung enteignete Menschen. Angesichts von 90000 „Umsiedler-Neubauern" zum Zeitpunkt der DDR-Gründung erscheinen anhaltende Bemühungen, soziale Eingliederungsbestrebungen der dortigen Umsiedlerpolitik schlicht zu negieren62, eher außerwissenschaftlich motiviert63 als wissenschaftlich vertretbar. Die Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR hatte zweifellos schwerwiegende repressive Aspekte, doch zugleich besaß sie eine soziale und auch sozialpolitische Angebotsdimension, die vielen greifbare Neuanfänge verhieß und begrenzte Basisloyalität erzeugte. Treffend hat Ralf Dahrendorf schon 1965 prognostiziert, daß „die Wandlungen in der deutschen Gesellschaft der DDR [...] umso bleibender und stabiler" sein würden, „je stärker sie die soziale Form der Modernität betreffen", die dort mit totalitären Mitteln erreicht worden war, und
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BAC, DH 1/44480, MP DDR, Sekretariat, an Minister für Aufbau DDR, Dr. Bolz, 7. 6. 51. Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß, S. 72; zuletzt noch: Doern-
berg, Das Unikale der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung, S. 81. Vgl. zur normativen Seite der Enteignung: von der Beck, Die Konfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone, S. 69—80. So jedoch: Laufer, Von den Demontagen zur Währungsreform, S. 185. Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, S. 93-98; umfassender: Figes, Die Tragödie eines Volkes.
61
62
63
Kleßmann, Die stilisierte Klasse, S. 39.
Vgl.
noch jüngst: Frantzioch-Immenkeppel, Die Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland. Für Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 141, sind Frantziochs Thesen eine „Ausgeburt des Kalten Krieges".
642
III. Die Macht des Sozialen
„umso schwächer und anfälliger, je stärker sie den totalitären Inhalt betreffen"64. Die sowjetzonale Bodenreform steht exemplarisch für diese Dauerhaftigkeit gewaltsam modernisierter Gesellschaftsstrukturen; nicht zufällig wurde sie über die Existenz des SED-Regimes hinaus als zentrale „Errungenschaft" sozialer Zwangsmodernisierung im wiedervereinigten Deutschland konserviert. Dieser Wirkzusammenhang hat wiederum dazu verführt, eine „Sozialrevolutionäre Vertriebenenpolitik im Rahmen der Bodenreform"65 erheblich zu überschätzen. Die „Bodenreform" gar zum „Kernstück" der sowjetzonalen „Vertriebenenzu erscheint nicht nur „auf den ersten Blick als gewagt"66. stilisieren, politik" Zweifellos war die Vertriebenenbeteiligung an der Bodenreform das „Kernstück" der umsiedlerpolitischen SED-Propaganda67, doch ihre „Schlüsselbedeutung für die Vertriebenenpolitik" verlor sich nicht erst „im Zuge der Stalinisierung"68, sie hat es vielmehr niemals gegeben. Auch der abgeschwächte Versuch, die ländlichagrarischen „Umwälzungen" in der SBZ „zugleich" als „ein Kernstück der allgemeinen Politik und der Vertriebenenpolitik" werten zu wollen69, verfehlt den entscheidenden Prioritätenkonflikt sowjetzonaler Neubauernpolitik, denn weder in der Theorie noch in der gesellschaftlichen Praxis konnte eine auf formale Gleichbehandlung setzende Neubauernpolitik gleichzeitig eine auf Sonderförderung abhebende Vertriebenenpolitik sein. Gerade die konstitutive Spannung zwischen Gleichbehandlung und Vorzugsbehandlung erklärt die erheblichen Widersprüche sowjetzonaler Neubauernpolitik, die im ersten Nachkriegsjahrzehnt erst sehr spät und auch dann nur kurzfristig eindeutig vertriebenenpolitische Züge erhielt. Noch gravierender wirkt die Fehleinschätzung, die mit der Bodenreform verwirklichte „Sozialrevolutionäre" Vertriebenenpolitik habe gesamtgesellschaftlich die „größte Bedeutung für die angestrebte Integration der Vertriebenen" besessen70. Daß bereits für Wilhelm Pieck die Beteiligung von 90000 Vertriebenen an der Bodenreform „von größter Bedeutung für die Behebung der Not der Umsiedler" gewesen war, verleiht dieser These zwar eine historische Dimension, aber keineswegs mehr Wahrheitsgehalt71. Vertriebene Neubauern stellten 1949 lediglich 4,3% aller erwerbsfähigen Vertriebenen und einen noch geringeren Anteil an den Vertriebenen der SBZ/DDR überhaupt. Nicht ihre vermeintlich große Bedeutung, sondern vielmehr ihre relative Bedeutungslosigkeit kennzeichnet daher die 64 63 66 67
Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, S. 462. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 187. Vgl. diesen „ersten Blick" bei: Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. In einem offenen Brief
173.
Michail Gorbatschow hat der frühere DDR-Ministerpräsident Hans Modrow (SED/PDS) als Ehrenvorsitzender der PDS 1998 die falsche, jedoch bezeichnende Behauptung aufgestellt, die Bodenreform habe in der „Mehrheit" Vertriebenen „Umsiedler aus Ostpreußen, Polen und der Tschechischen Republik" als Neubauern „eine neue Lebenschance" gegeben; vgl. PDS-Pressedienst Nr. 10 v. 6. 3. 98, in: http://www.pds-online.de/pressedienst/9810/ 23765.html Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 174. Ebenda, S. 173. an
-
-
68 »9 70 ?i
Ebenda, S.
171.
Pieck hatte immerhin Referenzzahlen angegeben, welche die Bedeutung der Bodenreform für die berufliche Integration der in der DDR lebenden Vertriebenen deutlich relativierten; demnach arbeiteten von „2,1 Millionen meldepflichtigen erwachsenen Umsiedlern [...] 1,4 Millionen in der Industrie, im Handel und Gewerbe und weitere 160360 in der öffentlichen Verwaltung"; vgl. Pieck, Reden, Bd. 2, S. 276.
1.
Integration durch Bodenreform?
643
integrationspolitische Rolle der Bodenreform. Als umverteilungspolitisches Symbol war diese Maßnahme zweifellos wichtig, doch letztlich wurde in der SBZ/ DDR die übergroße Mehrheit der Vertriebenen nicht als Neubauern auf Bodenreformland, sondern als abhängig Beschäftigte in Landwirtschaft, Industrie oder Verwaltungen in die Nachkriegsgesellschaft integriert. Auch im werdenden SEDStaat vollzog sich damit Vertriebenenintegration nicht durch spektakuläre „Sozialrevolutionäre" Umverteilungspolitik, sondern wesentlich durch unspektakuläre sozioökonomische Unterschichtungs- und partielle Aufstiegsprozesse. In Ost wie West wurden die meisten erwerbsfähigen Vertriebenen auf ein- und dieselbe Weise in eine hochgradig heterogene Arbeiter- und Angestelltenschaft „integriert"72. Selbst für die in der ländlichen Gesellschaft der SBZ erwerbstätigen Vertriebenen blieb Bodenreform-Beteiligung ein Minderheitenphänomen, denn die „übergroße Mehrheit der auf dem Land untergebrachten Vertriebenen" hatte gar „kein Bodenreformland erhalten"73, sondern füllte in einem typischen Unterschichtungsprozeß die durch Fremdarbeiter-Befreiung und Neubauernschafts-Aufstiege entleerten Ränge der Landarbeiterschaft wieder auf: Ende 1947 arbeitete fast jeder dritte unselbständig beschäftigte Vertriebene in der SBZ als Landarbeiter und stellte damit überdurchschnittliche 42,8% dieser Nachkriegs-Erwerbsgruppe.
Mehr als die Hälfte dieser vertriebenen Landarbeiter waren Frauen74. Nicht die Beteiligung an der Bodenreform, sondern die Unterschichtung durch die Boden'-1 reform kennzeichnete daher die ländliche Lebenswelt der meisten Vertriebenen. Betrachtet man die (durch die Vertreibung noch beschleunigte) Modernisierung der Erwerbsstruktur im Nachkriegsdeutschland, bei der vor allem Teile des bisher selbständigen „Mittelstandes" in abhängige Beschäftigungsverhältnisse gezwungen wurden, gewinnt die als Integrationsleistung gefeierte Neubauernpolitik der SBZ/DDR im übrigen zutiefst anachronistische Züge. Indem die Agrarpolitik von SMAD und KPD/SED bisherige Landarbeiter oder Bauern zu Neubauern machte75, ließ sie im Unterschied zu Westdeutschland, wo eine Bodenreform dieser Art verweigert wurde, eine Statusrestauration einer größeren Zahl vertriebener Landwirte zu, die zwar deren individuellen Wünschen entgegenkommen mochte, die aber dem sozioökonomischen Modernisierungstrend völlig zuwiderlief und daher auch langfristig unhaltbar war. Die integrative Lösung der Bodenreform war folglich eine Scheinlösung und hing untrennbar mit der kleinbäuerlichen Betriebsstruktur der Neubauernhöfe zusammen, die im Durchschnitt 7,8 Hektar Betriebsfläche umfaßten76. Dies war ökonomisch widersinnig und trug zum „weitgehend politisch bedingten Leistungstief" der Landwirtschaft der SBZ mit
72
Vgl. zur westdeutschen Entwicklung: Ambrosius, Der Beitrag der Vertriebenen und Flüchtlinge;
SBZ-Entwicklung: Kleßmann, Die stilisierte Klasse; Schwartz, Vertrieben in die Arbeiterschaft; ders., „Verantwortliche Arbeit beim Wiederaufbau". Diese Feststellung bei Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 187, ohne daß dies Anlaß zur zur
73
Überprüfung seiner grundsätzlichen Hochschätzung der Bodenreform als vertriebenenpolitische Maßnahme 74 73 7h
gegeben hätte.
Schwartz, Vertrieben in die Arbeiterschaft, S. 84. Sie fanden eine neue Heimat, S. 5. Bauerkämper, Auf dem Wege zum „Sozialismus auf dem Lande", S. 249.
III. Die Macht des Sozialen
644
der Folge einer tiefgreifenden heblich bei77.
„Ernährungskrise" für die Gesamtbevölkerung er-
Betriebswirtschaftlicher Strukturwandel Bodenreform 1945-19527*: Größenklasse
0,5 bis 1 ha 1 bis 5 ha 5 bis 10 ha 10 bis 20 ha 20 bis 50 ha 50 bis 100 ha über 100 ha
der
Landwirtschaft
Betriebsanteil
Flächenanteil
vor
vor
Bodenreform
20,7% 35,3% 16,4% 16,6% 8,5% 1,4% 1,1%
der SBZ/DDR
infolge
der
Bodenreform
Betriebsanteil nach Bodenreform
Flächenanteil nach Bodenreform
1,5% 8,8% 10,5% 19,5% 20,8% 9,2% 29,7%
21,8% 25,1% 31,7% 15,2% 5,5% 0,6% 0,1%
3,0% 12,4% 29,5% 25,8% 19,6% 4,7% 5,0%
Indem die Bodenreform „die kleinbäuerliche Familienwirtschaft als herrschenden Betriebstyp ganz breit in den Vordergrund geschoben" hatte, wurden „die Leistungsfähigkeit und das Arbeitsvermögen der Bauernfamilie" ausschlaggebend für etwaige betriebswirtschaftliche Erfolge79. Welche Fähigkeit zur Selbstausbeutung sich dahinter verbarg, läßt sich kaum ermessen, wenn man Neubauern etwa auf einer Feierstunde zur Übergabe einer Gemeinschafts-Bauernstube im ehemaligen Herrenhaus von Gönnsdorf, Kreis Dresden, gegen Jahresanfang 1952 ihre individuellen Aufbauleistungen mit konkreten Daten in Erinnerung bringen sieht: Einer hatte 1945 mit einer Kuh und einem Pferd angefangen, besaß jedoch im siebten Jahr seines Neubauerntums schon „ein eigenes Gehöft und zwei Pferde, fünf Stück Rindvieh und fünf Schweine"; ein anderer hatte 1948 eine vom Vorbesitzer „total heruntergewirtschaftete]" Bauernstelle mit einem Ochsen und einer Kuh übernommen und besaß mittlerweile „fünf Stück Rindvieh, ein Pferd, fünf Schweine, zwei Ziegen und 22 Hühner". In diesen kleinen Erfolgsmeldungen drückte sich primär der bäuerliche Stolz auf eigene Arbeitsleistung aus; der DDRPolitik gestand man implizit allenfalls zu, günstige politische Rahmenbedingungen geschaffen zu haben80. Doch im Unterschied zur subjektiven Wahrnehmung vieler Neubauern waren ihre kleinbetrieblichen Höfe größtenteils nur unter der Bedingung massiver staatlicher Subventionen überlebensfähig81. Vom ökonomischen Standpunkt aus war -
-
Kluge, „Die Bodenreform ist in erster Linie eine politische Angelegenheit", S. 117. BAB, DK 1/2913, Bl. 166, MLF DDR, Statistik zu „Besitzveränderungen durch die demokratische Bodenreform", 5. 6.
1952.
Mager, Geschichte des Bauerntums, S. 559.
SAPMO, DY30/IV2/9.02/71, Bl. 53, MP DDR, Afl, Abt. IK, Inform-Mitteilung 1/17/52 v. 52.
Meinicke, Die Bodenreform und die Vertriebenen, S.
150.
15. 1.
1.
Integration durch Bodenreform?
645
die Bodenreform daher von Anfang an ein „Desaster"82. Daraus erwuchs ab 1949/ 50 jener Prioritätenkonflikt zwischen den gleichermaßen kostenintensiven Neubauern- und Industrialisierungspolitiken der DDR, der von der SED-Führung 1952/53 schließlich mit der ersatzlosen Einstellung der kleinbäuerlichen Stabilisierungspolitik gelöst wurde83. Doch ging es bei der Bodenreform nie primär um Wirtschaftlichkeit: Entscheidend war vielmehr bei diesem von der DDR-Historiographie stilisierten Akt historischer Gerechtigkeit, der das im Laufe von Jahrhunderten widerrechtlich angeeignete „Ritterland wieder Bauernland" werden lassen sollte, die politische und soziale Entmachtung des Großgrundbesitzes, die man als „Umbildung des Landes im demokratischen Sinne" verstand84. Nur nebenbei bezweckte Bodenreform auch Vertriebenenintegration, und auch als solche war sie eine kostspielige, wenig zukunftsträchtige und weithin unwirksame Farce. Kurzfristig bot diese Integrationsvariante immerhin rund neunzigtausend Vertriebenenfamilien einen materiellen und sozialpsychologischen Halt, den ihre Schicksalsgenossen in Westdeutschland fast völlig entbehren mußten. Nur ein Teil dieser vertriebenen Neubauern fand dauerhaft in der DDR-Landwirtschaft eine wenn auch nicht mehr kleinbäuerliche, sondern genossenschaftliche Zukunftsperspektive, wobei ihre eigentliche Integration erst in der ab 1952/58 laufenden Phase der Kollektivierung der Landwirtschaft erfolgte. Ein anderer Teil der Umsiedler-Neubauern hatte seinen Bodenreform- Landbesitz nur als Zwischenstation nutzen wollen oder (unter dem Druck der Verhältnisse) nutzen können. Die soziale Zukunft der meisten Vertriebenen in der SBZ/DDR wurde nicht von sozialrevolutionärer Agrarpolitik auf dem Lande bestimmt, sondern von der frühzeitig einsetzenden Abwanderung vom Lande in die industriellurbanen Wachstumsregionen der SBZ/DDR85. -
-
1.1. „Von größter Bedeutung für die
Behebung der Not der Umsiedler": Sowjetzonale Bodenreform und begrenzte Vertriebenenpartizipation Wenn spätere Künder der bundesrepublikanischen Erfolgsgeschichte die im Rückblick rasch und reibungslos anmutende Integration der Vertriebenen in die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft als „das eigentliche deutsche Nachkriegswunder" feiern, bringen sie immer noch Überraschung und Erleichterung darüber zum Ausdruck, daß „die Vertriebenen [...] trotz ihrer anfänglichen fast völligen Stalin erhofft von wie und von westlichen Besatzungsden Besitzlosigkeit nicht, mächten befürchtet, zu Fermenten der Unruhe und der sozialen Dekomposition, sondern zu aktiven Aufbaukräften, zu Leistungsträgern" geworden seien86. Die in 87 83
84
83
86
Sandford, From Hitler to Ulbricht, S. 114. Seither
setzte
die
SED-Agrarpolitik
auf
genossenschaftliche Bewirtschaftung,
wie sie manche
Neubauern, aber auch SPD-Politiker schon 1945 gefordert hatten; vgl. Bauerkämper, Aufwertung und Nivellierung, S. 251; Malycha, Privatwirtschaftliche oder staatliche Landwirtschaft?, S. 37ff.
Zuweilen vermischten sich einheitssozialistische und nationalsozialistische antiaristokratische
Ressentiments; vgl. etwa: Steinmann, Bauer und Ritter in Mecklenburg, S. 238.
Von Oktober 1947 bis Oktober 1948 nahm der Anteil der Landarbeiter an den unselbständig beschäftigten Vertriebenen von 33,3% auf 26,9% deutlich ab; vgl. BAB, DO 2/18, Bl. 18, DVdl, HAU, Statistischer Jahresbericht 1948, Januar 1949; ferner: Kleßmann, Die stilisierte Klasse, S. 37 f. Frantzioch-Immenkeppel, Die Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland, S. 8.
646
III. Die Macht des Sozialen
solcher Sicht gern ausgeblendete Integrationsgeschichte der Vertriebenen in der SBZ/DDR lehrt jedoch, daß „soziale Dekomposition" und aktive Mitarbeit am Wiederaufbau keineswegs Gegensätze sein mußten. Gerade im Falle der sowjetzonalen Bodenreform basierte der Aufbau einer (partiell) neuen Gesellschaftsordnung notwendig auf der (partiellen) Dekomposition der bisherigen. 1949 waren 43% aller neubäuerlichen Bodenreform-Profiteure Vertriebene, während ihr Bevölkerungsanteil bei 24% lag87. Der SED-Vorsitzende Pieck verwies darauf, daß durch die Vergabe von rund 90500 an Vertriebene verteilten Neubauernstellen „348000 Umsiedler einschließlich ihrer Angehörigen seßhaft" gemacht worden seien, und knüpfte daran im polemischen Ost-West-Vergleich die selbstbewußte Schlußfolgerung: „So ist klar, wer und was den Umsiedlern hilft, aus ihrer Notlage herauszukommen, so daß sich die Lebenshaltung der Umsiedler immer mehr verbessern wird und sie selbst sich nicht mehr als Umsiedler, sondern als völlig gleichberechtigte Bürger und Einheimische fühlen können."88 Die SED hat die in der DDR lebenden Vertriebenen immer wieder zu erinnern versucht, wie sehr ihre gewaltsame Transformationspolitik etwa im Falle der Bodenreform der Integration der „Umsiedler" zugute gekommen sei. Vor den „Volkswahlen" im Oktober 1950 betonte ZK-Funktionär Anton Plenikowski vor der Provisorischen Volkskammer ausdrücklich diesen Zusammenhang zwischen Umsiedlerpolitik und gesellschaftspolitischer Umgestaltung, der nicht nur im Falle der entschädigungslosen Enteignung des Großgrundbesitzes im Zuge der Bodenreform gegeben sei. Überhaupt sei die durch „schnelle Eingliederung in den Produktionsprozeß" erfolgte „Lösung des Umsiedlerproblems bei uns" untrennbar mit den politisch-strukturellen Umwälzungen verbunden: „Die Umsiedlerfrage konnte so gelöst werden, weil die demokratischen Kräfte in gemeinsamer Arbeit [...] diesen Teil Deutschlands demokratisierten und [...] weil es hier keine imperialistischen Besatzungsmächte gab, die den demokratischen Kräften den Weg dazu versperr-
-
ten."89
1.1.1. „Verschiedene Meinungen über die Freiheit": Bodenreformen und Vertriebenenpartizipation in der SBZ und in Westdeutschland Indem die SED-Propaganda die Bodenreform zum zentralen Unterscheidungs-
merkmal zwischen Ost und West stilisierte, traf sie die Achillesferse der westdeutschen Vertriebenenpolitik. Dort war bis 1949 nicht nur insgesamt wenig für Vertriebene geschehen, dort war es auch wie in der britischen Besatzungszone bestenfalls „zu einer Bodenreformgesetzgebung, nicht aber zu einer Bodenreform gekommen"90. Da eine ernsthafte Bodenreform in Westdeutschland politisch und gesellschaftlich nicht gewollt war, wich man auf andere Möglichkeiten der Landvergabe an Vertriebene aus, doch diese Landumverteilung aufgrund des Reichs-
87
88 89
90
-
SAPMO, DY30/IV2/13/388, DWK, Sekretariat, Entwurf einer „Denkschrift über die bisher
er-
reichten Ergebnisse in der Unterbringung der Umsiedler in Wirtschaft und Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone nach dem Stand vom 1. Juli 1949", S. 6ff. Pieck, Reden, Bd. 2, S. 276 f. BAB, DA 1/977, Bl. 38ff., insb. Bl. 129ff., PrVK DDR, Prot. der 20. Sitzung der PrVK am 8. 9. 50, Rede Plenikowskis. Trittel, Die Bodenreform in der Britischen Zone, S. 168.
1.
647
Integration durch Bodenreform?
Siedlungsgesetzes von 1919 und der restriktiven Bodenreformgesetze der vierziger Jahre blieb mehr als dürftig. In der US-Zone wurde im September 1946 ein „Gesetz zur Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform" verabschiedet, je-
doch von den Länderbehörden kaum umgesetzt, so daß bis Ende 1947 nur 25000 Hektar gewonnen wurden. In der französischen Zone tat sich trotz einer Verordnung der Militärregierung noch weniger. Eine Bodenreform-Verordnung der britischen Besatzungsmacht vom September 1947 hätte, wäre sie flächendeckend umgesetzt worden, immerhin 235 000 Hektar umverteilen können, was legt man die Durchschnittsgröße eines sowjetzonalen Umsiedler-Neubauernhofes zugrunde für knapp 28000 Vertriebenenhöfe ausgereicht hätte. Doch selbst diese bescheidenen Dimensionen wurden effektiv in der britischen Zone nicht erreicht. Lediglich im Vertriebenen-Schwerpunkt Schleswig-Holstein wurde 1948/49 auf Initiative der regierenden Sozialdemokratie und gegen den heftigen Widerstand der christdemokratischen Opposition und der Bauernverbände ein Landesgesetz zur Bodenreform verabschiedet, doch auch dessen Enteignungsvorschriften mußten auf Druck der britischen Militärregierung wieder abgeschwächt werden91. Überall sonst in den westlichen Besatzungszonen war es „den konservativen Kräften in den Landtagen" weitgehend gelungen, entweder die Bodenreformgesetzgebung selbst zu verhindern oder deren Ausführung so lange zu verzögern, „daß eine sozialpolitisch effektive Siedlungspolitik verhindert wurde"92. Nach Berechnungen der gemeinsamen „Westkommission" von SED und KPD hatte man für 1949 in Westdeutschland die Umverteilung von etwa 496000 Hektar Bodenreformland geplant, doch waren von dieser Fläche, die nicht einmal ein Viertel der sowjetzonalen Bodenreformfläche erreichte, am Ende ganze 41900 Hektar (oder 8,4%) tatsächlich an Vertriebene umverteilt worden, obwohl an die 589000 „Bodenbewerber" auf Zuteilungen warteten93. Vertriebene Landwirte, die auf Statusrestauration auf neuen Agrarflächen hofften, gehörten damit zu Hunderttausenden zu den langfristigen Verlierern westdeutscher Vertriebenenpolitik. Das Steckenbleiben der ohnehin vergleichsweise zurückhaltenden (weil rechtsstaatlichen) westdeutschen Bodenreformgesetze lediglich mit dem Hinweis erklären und implizit rechtfertigen zu wollen, daß dort „der Anteil der Großbetriebe, die für eine zwangsweise Abgabe von Land in Frage" gekommen wären, einfach zu gering gewesen sei94, greift deutlich zu kurz. Auch in den westlichen Besatzungszonen gab es in bestimmten Regionen ausgeprägten Großgrundbesitz, und kommunistische Agitatoren erinnerten nur zu gern daran, „daß der Großherzog von Oldenburg noch über 18821 Hektar Land verfügen kann, während z.B. der arme Graf Platen nur noch 8376 Hektar Land besitzt"95. Zwar war der großbetriebliche Anteil im Vergleich zur SBZ tatsächlich geringer, doch scheiterte die westdeutsche Bodenreform primär an politischen Blockaden. So wurde die Zahl -
-
91
92 93
94 93
Bauerkämper, Die vorgetäuschte Integration, S. 206; Trittel, Die Bodenreform in der Britischen Zone, S. 128 f. Trittel, Bodenreform, S. 107. SAPMO, NY 4062/122, Bl. 305ff., insb. Bl. 305, SED, Westkommission der SED und der KPD, Zur Lage der Landwirtschaft in Westdeutschland, 15. 10. 50. Albers, Die Eingliederung in volkswirtschaftlicher Sicht, S. 455. SAPMO, DY30/IV2/2.022/50, Bl. 9ff., insb. Bl. 15, Karl-Josef Schromm, Konzept einer umsiedlerpolitischen Broschüre für die KPD [Sommer 1948].
648
III. Die Macht des Sozialen
der abgabepflichtigen Betriebe durch höhere Obergrenzen (150 Hektar im britisch-zonalen Rahmengesetz statt 100 Hektar in der SBZ) oder durch die völlige Ausklammerung forstwirtschaftlichen Besitzes (im US-zonalen Gesetz) bewußt erheblich reduziert. Daß es in den westlichen Gesetzen zudem nur um prozentual gestaffelte Landabgaben, nicht jedoch um vollständige Enteignung ging, erscheint aus rechtsstaatlicher und sozialphilosophischer Sicht sympathisch, trug jedoch ebenfalls zur Minderung der verfügbaren Fläche bei. Die im Unterschied zur SBZ ernsthafte Beachtung des Rechtsstaatsprinzips führte durch die Möglichkeit verwaltungsgerichtlicher Überprüfung von Abgabeverfügungen zu zusätzlichen juristischen Blockaden der westlichen Bodenreform-Praxis96. Die Defensive der dortigen ländlichen Besitzeliten war letztlich deshalb erfolgreich, weil die demokratischen Partizipations- und pluralistischen Organisationsmöglichkeiten der Westzonen ihnen höchst effektive Interessenvertretung garantierten. Während die meisten Großgrundbesitzerfamilien der Sowjetzone brutal aus ihren Wohnorten verjagt worden waren, um auch ihren sozialen Einfluß in lokalen und regionalen Netzwerken zu brechen, war in Westdeutschland die Aktivierung informeller Netzwerke in Politik und Verwaltungen selbstverständlich und effektiv. So wie die sowjetzonale Bodenreform 1945 trotz ihrer formalen Rechtsgrundlagen primär durch das konstitutive Systemdefizit an demokratischer Mitbestimmung und Rechtsstaatsbindung in der Frühphase der SBZ möglich geworden war, sah sich ihr westdeutsches Pendant durch die zunehmende Effektivität deutscher Mitwirkungsmöglichkeiten und des Rechtsstaatsprinzips weitgehend blockiert. In der Enteignungsfrage standen somit politische Freiheits- und ökonomische Eigentumsrechte der sozialen Teilhabe Vertriebener ziemlich unversöhnlich gegeneinander. Ulbricht sollte diesen System-Zusammenhang polemisch berühren, als er mit Blick auf die in der Bundesrepublik verpaßte Chance zur Bodenreform 1970 feststellte, man habe offensichtlich „verschiedene Meinungen über die Freiheit", die in Westdeutschland die Freiheit der Besitzenden sei97. Nach dem fast ergebnislosen Versanden der Bodenreformprojekte wandte sich die westdeutsche Politik ganz der traditionellen Weimarer Siedlungspolitik zu. Das im August 1949 beschlossene „Flüchtlingssiedlungsgesetz" sah zwar zunächst noch das ergänzende Instrument zwangsweiser Landumverteilungen vor, doch schon mit dem Bundesvertriebenengesetz wurde diese praktisch ohnehin kaum genutzte Möglichkeit 1953 zugunsten rein freiwilliger Landabgaben fallengelassen. Seither beschränkte sich agrarische Umverteilungspolitik auf Finanzsubventionen für kaufwillige Vertriebene oder auf Anreize für verkaufswillige Landbesitzer98. Solange jedoch die einheimischen Landbesitzer Vertriebene „als störende Eindringlinge in den eigenen Lebenskreis" betrachteten, waren solche Verkaufsanreize zur Schaffung von Neusiedler-Höfen reichlich unwirksam. Nach -
96 97
Enders, Die Bodenreform in den westlichen Besatzungszonen, S. 173 ff.
„DDR hat auf allen Gebieten Alternative zur Politik der Vergangenheit", in: Neues Deutschland 17. 7. 70, S.4. Ansonsten war die Einheirat auf einen einheimischen Hof für vertriebene Landwirte „die einzige Möglichkeit", erneut Grund und Boden zu erwerben, doch angesichts des auf Besitzstandswahrung fixierten Heiratsverhaltens bäuerlicher Schichten blieben solche Konnubien bis 1960 überwiegend auf dörfliche Unterschichten begrenzt; vgl. Exner, Agrarwirtschaft und ländliche Gesellv.
98
-
schaft in Westdeutschland, S. 198 f. und S. 207 f.
1.
Integration durch Bodenreform?
649
agrarwissenschaftlichen Schätzungen wurden zwischen 1945 und 1954 insgesamt 210000 Hektar Siedlungsland bereitgestellt, während das Bundesernährungsministerium Erfolgsmeldungen von bis zu 380000 Hektar verbreitete99. Je nachdem, welcher Zahl man zu folgen geneigt ist, hatten westdeutsche Bodenreform und Flüchtlingssiedlung lediglich zwischen 10% und 18% der sowjetzonalen Bodenreformfläche umverteilt100; sie werden daher zu Recht als schon im Ansatz „abge-
Integration" charakterisiert101. Indem der Großteil der westdeutschen Landumverteilung erst mit dem seit 1949 geltenden Flüchtlingssiedlungsgesetz in Gang kam, erfuhr dieses spärliche agrarische Integrationsangebot im Vergleich zur SBZ auch eine erhebliche Verzögerung. Bei alledem hatte die KPD/SED-Westkommission jedoch Unrecht mit ihrem 1950 erhobenen Vorwurf, die „Hauptschwierigkeit für die Landnahme" vertriebener Landwirte in der Bundesrepublik bestehe darin, daß dort „Hilfsmaßnahmen für die Neusiedler durch Bereitstellung von Krediten, Maschinen und Geräten, Vieh und Wohngebäude[n], nur in ganz unbedeutendem Umfange" erfolgten102. Mit Hilfe des Flüchtlingssiedlungsgesetzes war es bis Ende 1950 immerhin gelungen, 10670 Vertriebene als selbständige Landwirte anzusetzen103, deren Zahl bis Spätsommer 1952 auf 31244 anstieg, wenngleich nur ein Drittel derselben als Vollerwerbslandwirte gelten konnten. Für diese vertriebenen „Neusiedler" hatte der bundesdeutsche Soforthilfefonds binnen dreier Jahre jedoch rund 210 Millionen DM, größtenteils als rückzahlbare Kredite, verausgabt. Vertriebene Neusiedler konnten zunächst Beihilfen von bis zu 5000 DM beantragen, die 1952 bei gleichbleibender Höchstsumme in einen zinslosen Kredit umgewandelt wurden104. Insofern operierte die bundesrepublikanische Vertriebenenpolitik im Agrarbereich mit demselben Instrumentarium der Aufbaukredite105, das auch die Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR bis 1952/53 dominierte. Das Hauptproblem der westdeutschen Siedlungspolitik bestand folglich nicht in mangelnden Finanzsubventionen, sondern in der mangelnden Verfügung über Agrarland zu Umverteilungszwecken. Im übrigen standen wie im Falle der sowjetzonalen Bodenreform Subventionsaufwand und Integrationsergebnis auch bei der westdeutschen Flüchtlingssiedlung in ungünstigem Verhältnis. Nachdem man 700000 Hektar brochene
-
-
-
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mit einem Kostenaufwand
vergeben hatte,
waren
von fast sieben Milliarden DM an 175000 Vertriebene höchstens 30000 überlebensfähige Flüchtlingsbetriebe ent-
Wiegand, Der Lastenausgleich, S. 113, Anm. 187, der sich auf Abel beruft. In der SBZ waren bis zum Dezember 1945 2,6 Millionen Hektar enteignet und davon 2,06 Millionen Hektar auch an neue Individualbesitzer umverteilt worden; vgl. BAB, DO 2/65, Bl. 1 f., ZVU, Statistik zum Stand der Bodenreform Anfang Dezember 1945, o.D. 101 Bauerkämper, Die vorgetäuschte Integration, S. 204. i°2 99
100
103 104 105
SAPMO, NY 4062/122, Bl. 305 ff., insb. Bl. 309, SED, Westkommission der SED und der KPD, Zur Lage der Landwirtschaft in Westdeutschland, 15. 10. 50. Bauerkämper, Die vorgetäuschte Integration, S. 208.
Wiegand, Der Lastenausgleich, S. 118 und S. 115. Schwerpunktmäßig in den fünfziger Jahren erhielten zwischen 1952 und 1985 knapp 149000 Agrarbetriebe Aufbaudarlehen aus Lastenausgleichsmitteln in Höhe von 1,8 Milliarden DM, wobei freilich nur in 16% der Fälle (ca. 23 800) die Errichtung einer bäuerlichen Vollerwerbsstelle gefördert wurde; das Gros der für Eingliederungsmaßnahmen in der Landwirtschaft verausgabten 2,4 Milliarden DM bestand aus Krediten, die wieder an den Fonds zurückflössen; vgl. Wiegand, Der Lastenausgleich, S. 267 ff.
650
III. Die Macht des Sozialen
standen106, vermutlich sogar weniger, denn von den 28411 Vollerwerbshöfen, die in der
Bundesrepublik Mitte
1955
von
vertriebenen Landwirten betrieben
wur-
den, war lediglich knapp die Hälfte größer als zehn Hektar, während die anderen
schlicht als „Kümmerexistenzen" gelten mußten. Nachdem der Vertriebenenanteil an selbständigen Landwirten in der Bundesrepublik von 1,1% im Jahre 1950 auf 2,1% im Jahre 1955 verdoppelt worden war, hatte „nicht mehr jeder zwanzigste, sondern etwa jeder zehnte ehemals selbständige Landwirt wieder einen landwirtschaftlichen Betrieb" inne, doch als „befriedigende Eingliederung" aus Sicht der Befürworter bäuerlicher Statusrestauration konnte dieses magere Resultat kaum gewertet werden107. Die 105565 vertriebenen Neusiedler, die man Ende 1958 in der Bundesrepublik zählte, verfügten meist nur über Parzellen, die zu Selbstversorgung oder Nebenerwerb taugten. Anfang der sechziger Jahre waren lediglich 16000 Vollerwerbsbetriebe im Besitz von Vertriebenen108. Diese marginale Statusrestauration in der Landwirtschaft überließ zahlreiche bäuerliche Problemfälle sich selbst. Eine Denkschrift des Bundesvertriebenenministeriums konstatierte 1956, daß sich die Zukunftsgestaltung für mehr als 100000 vertriebene Bauernfamilien nach wie vor am schwierigsten darstelle, denn gerade ehemalige Landwirte fänden in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft oft keinen befriedigenden Einstieg. Der Verzicht der westdeutschen Politik auf eine rechtsstaatliche und dennoch effektive Bodenreform beraubte Hunderttausende vertriebener Landwirte der Aussicht auf soziale Restitution. Die Bundesregierung beobachtete, daß Mitte der fünfziger Jahre rund 10% aller Vertriebenen noch keine Möglichkeit der wirtschaftlichen Eingliederung gefunden hatten, schätzte jedoch diese Problemgruppe bei früheren Selbständigen (insbesondere bei früheren Landwirten) auf überdurchschnittliche 35%. Zugleich aber gaben sich die Integrationsexperten angesichts der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung überzeugt, daß „jeder Versuch der Eingliederung, der nur eine Verpflanzung des Vertriebenen aus früher gegebenen Verhältnissen in gleiche neu zu schaffende Verhältnisse in einem anderen Teil Deutschlands zum Ziele hätte, von vornherein zum Fehlschlag verurteilt sein" würde. Der wirtschaftliche Wiederaufbau war in Wahrheit ein Neubau, und das nüchterne Fazit der Regierungsberater lautete: „Das Rad der Entwicklung läßt sich nicht zurückdrehen."109 In derart sozialtechnologischer Perspektive wird auch heute die Auffassung vertreten, daß die sowjetzonale „Bodenreform für die Integration der Vertriebenen [...] eher hinderlich denn nützlich" gewesen sei, weil sich Politik und Vertriebene gleichermaßen „länger als im Westen auf das Land" konzentriert hätten und damit ausgerechnet die integrationsfeindlichsten (ländlichen) Milieus und den am wenigsten zukunftsträchtigen Wirtschaftssektor zum Integrationsschwerpunkt gemacht hätten110. Eine derartige Interpretation hat teilweise recht, verkennt allerdings, daß auch in der SBZ/DDR nur ein „Bruchteil" der Vertriebenen an der Bodenreform partizi"» ,07
Trittel, Bodenreform, S. 108. Albers, Die Eingliederung in volkswirtschaftlicher Sicht, S. 456-459.
Bauerkämper, Die vorgetäuschte Integration, S. 208. BAK, B 150/4589, H.l, BMVt, Memorandum zur Eingliederung der Vertriebenen, 30. 4. 56, S. 2, S. 12 und S. 19-21. n° Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 187. io«
i°9
1.
Integration durch Bodenreform?
651
pierte111, und ignoriert überdies den subjektiv integrationshemmenden Effekt, den die NichtVersorgung mit Agrarland auf einen Großteil vertriebener Landwirte (insbesondere der älteren Generation) in ganz Deutschland gehabt hat. In jener „Restgruppe von ungefähr 10%", die sich unter interviewten Vertriebenen des bayerischen Kreises Günzburg noch Jahrzehnte nach ihrer Vertreibung als nicht zufriedenstellend integriert empfand, dominierten (neben nicht berufstätigen Frauen) kaum zufällig frühere Landwirte112. Objektiver Besitz- und subjektiver Statusverlust wirkten auf viele Betroffene deprimierend, das Ausbleiben staatlicher Hilfeleistung entmutigte zusätzlich. Die organisierte bundesdeutsche Vertriebenenpolitik in Regierung und Verbänden wollte sich mit dieser agrarpolitischen Integrationsverweigerung lange nicht abfinden. Umso klarer ist das faktische Zeugnis ihrer Machtlosigkeit. Vertriebenen-Staatssekretär Peter Paul Nahm (CDU) wies noch Mitte der sechziger Jahre darauf hin, „nur ein Drittel der dem Mittelstand angehörenden Flüchtlinge und Vertriebenen seien bisher ,berufsgerecht' eingegliedert worden, während die Ansiedlung von rund 160000 ehemals im Osten ansässig gewesenen Bauern" nach wie vor nicht gelungen sei. Der in den fünfziger Jahren einst führende CDU-Vertriebenenpolitiker Linus Kather, zu diesem Zeitpunkt längst enttäuscht ins rechtsextreme Abseits geglitten, kommentierte diese Stellungnahme der Bundesregierung zornig, mit dem Eingeständnis, daß in der Bundesrepublik 160000 Bauern „jetzt zum Teil schon über zwanzig Jahre" auf ihre Eingliederung warteten, habe ein ranghoher Vertreter der Bundesregierung „das ganze Gerede von der vollzogenen und geglückten Eingliederung als gefährlichen Nonsens" entlarvt113. Weniger verbittert, aber ähnlich kritisch erinnerte 1967 der frühere Bundesvertriebenenminister Krüger (CDU) seinen amtierenden Nachfolger von Hasseil (ebenfalls
CDU) an diese bäuerlichen Verlierer des westdeutschen Integrationsprozesses. Die überwiegend positiven Ergebnisse der Vertriebenenintegration in Westdeutschland dürften nicht zu der Einschätzung verleiten, als ob „die Eingliederung vollständig gelungen" sei. Es gebe nach wie vor „eine große Zahl von Vertriebenen, die immer zu denen gehören wird, die nicht den gleichen Stand erreichen können, wie die Bundesbürger im Durchschnitt in allen Ständen ihn erhalten haben"; gerade für vertriebene Landwirte seien daher weiterhin staatliche Hilfen erforderlich114. Diese Alarmrufe bezeugten nicht nur die Macht sozioökonomischer Modernisierungsprozesse und alteingesessener sozialer Interessengruppen, sie waren auch ein unabweisbares Indiz für den fortschreitenden Relevanzverlust westdeutscher Vertriebenenpolitik. Kaum jemand interessierte sich im Wirtschaftswunderland noch für die Jeremiaden Kathers, der die soziale Situation von 111 117
113 114
Boldorf, Lastenausgleich, S. 355. Sallinger, Die Integration der Heimatvertriebenen
im Landkreis Günzburg, S. 259; vertriebene Landwirte fühlten sich laut dieser Befragung noch vier Jahrzehnte nach Vertreibung und „Integration" überproportional nicht integriert; äußerten insgesamt 10% von 362 Antwortenden diese Einschätzung, so standen an erster Stelle frühere Selbständige, darunter zu fast zwei Dritteln frühere Landwirte. Kather, Die Entmachtung der Vertriebenen, Bd. 2, S. 254f. BAK, B 106/22480, Hans Krüger, Denkschrift „Welche Faktoren haben sich für die Eingliederung der Heimatvertriebenen als hemmend und welche als fördernd erwiesen?", Juni 1967, S. lOOf. und S. 103.
III. Die Macht des Sozialen
652
eingegliederten vertriebenen Bauernfamilien „als katastround bezeichnete „auch die Lage der bereits [als Siedler] angesetzten Bauern" phal" als weiterhin „sehr schwierig" betrachtete115. Verglichen mit der westdeutschen Entwicklung hatte die sowjetzonale Bodenreformpolitik beträchtliche Erfolge aufzuweisen. Im Sommer 1949 stellten 90551 vertriebene Landwirte 43% aller Neubauern der SBZ116, die folglich über 700000 Hektar bewirtschaftet haben müssen. Bis Mitte 1952 stieg die Zahl der UmsiedlerNeubauern auf 91155 sogar weiter an117. Dabei war diese Vertriebenenpartizipation an der Neubauernschaft der SBZ/DDR regional sehr unterschiedlich: In den Bodenreform-Schwerpunkten Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg lag sie überdurchschnittlich hoch, dort war jeder zweite Neubauer ein Vertriebener (oder eine Vertriebene); im dritten Bodenreform-Schwerpunkt Sachsen-Anhalt, aber auch in Sachsen und Thüringen galt das hingegen nur für jeden dritten. Insgesamt verfügten vertriebene Neubauern 1949 über etwa 35% des an Privatpersonen verteilten Teils der Bodenreformfläche von über zwei Millionen Hektar118: „fast
200000" nicht
Region
Brandenburg Mecklenburg Sachs.-Anh. Sachsen
Thüringen SBZ insg.
einheimische Neubauern
27716 38362 34060 13 689 6038 119865
UmsiedlerNeubauern
25042 38524 16623 7463 2 899 90551
Vertriebenenanteil an der Neubauernschaft
47,5% 50,1% 32,8% 35,3% 32,4% 43,0%
Durchschn.
Betriebsgröße
Umsiedler-Hof in Hektar
8,3 9,6 6,8 6,9 7,9
8,4
Insofern kam diese Umverteilung von Sachvermögen an neue Individual-Besitzer nicht in erster Linie Vertriebenen zugute. Insgesamt waren 2,1 Millionen Hektar enteigneter Betriebsflächen unter 559089 „Bodenempfängern" aufgeteilt worden, so daß theoretisch jeder 3,9 Hektar Land hatte erhalten können. Diese Durchschnittszahl ist allerdings irreführend, denn die etwa 119000 „landlosen Bauern und Landarbeiter" und weitere rund 91000 „Umsiedler", die gemeinsam als eigentliche „Neubauern" galten, hatten erheblich größere Betriebe von 7,8 bzw. 8,4 Hektar erhalten. Über 82000 „landarme Bauern" wiederum, die bereits über Kleinbetriebe verfügten, hatten zusätzliche Ländereien im Durchschnitt von 3,3 Hektar gewonnen. Hinzu kamen kleine „Waldzulagen" an 40000 alteingeses1,3 '"
"7
"8
Kather, Die Entmachtung der Vertriebenen, Bd. 2, S. 272. SAPMO, DY30/IV2/13/388, DWK, Sekretariat, Entwurf einer „Denkschrift über die bisher er-
reichten Ergebnisse in der Unterbringung der Umsiedler in Wirtschaft und Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone nach dem Stand vom 1. Juli 1949", S. 7f. BAB, DK 1/2913, Bl. 166, MLF DDR, Statistik zu „Besitzveränderungen durch die demokratische Bodenreform", 5. 6. 1952. hierzu und zur folgenden Tabelle: SAPMO, DY30/IV2/13/388, DWK, Sekretariat, Entwurf Vgl. einer „Denkschrift über die bisher erreichten Ergebnisse in der Unterbringung der Umsiedler in Wirtschaft und Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone nach dem Stand vom 1. Juli 1949", S. 7f.
1.
Integration durch Bodenreform?
653
„Altbauern" sowie Parzellengrundstücke für bereits ansässige 43000 „Kleinpächter" und über 83 000 „nichtlandwirtschaftliche" Dorfbewohner119. Wenn sich die SED-Diktatur der Bodenreform immer wieder gern als eines erfolgreichen Sozialrevolutionären Ansatzes zur Vertriebenenintegration erinnerte, vergewisserte sich das Regime der politischen Gestaltbarkeit sozialer Zusammenhänge und belegte zugleich die Berechtigung seiner polemischen Attacken auf die Bundesrepublik, welche den SED-Staat auf anderen Feldern der Vertriebenenintegration Stichwort Lastenausgleich längst überrundet hatte. In SED-Sicht blieb die sowjetzonale Bodenreform mit ihrer überdurchschnittlichen Beteiligung Vertriebener nicht nur eine singuläre Leistung, sondern auch eine eindeutige Erfolgsgeschichte. In Wahrheit hatte die Bodenreform unterschiedlichen Zwecken gedient. sene
-
-
Das von Wilhelm Pieck im Spätsommer 1945 verkündete Ziel, sie solle „auch" die Möglichkeit schaffen, daß „der aus den Ostgebieten ausgewiesenen und durch den Hitlerkrieg ihres Besitzes beraubten bäuerlichen Bevölkerung Boden zugeteilt werden" könne120, war immer nur eines unter mehreren und nie das wichtigste gewesen. „Die Bodenreform war für uns nicht allein ein Umsiedlerproblem, sondern vor allen Dingen ein politisches Problem, um damit die festesten Stützen der Reaktion, Boden und Schlösser zu zertrümmern", resümierte der Leiter der damals mächtigen Zentralen Kontrollkommission der DWK, Fritz Lange (SED), im März 1949121. Bei Bedarf ließ sich jedoch die faktisch nachrangige vertriebenenintegrative Funktion der Bodenreformpolitik jederzeit zum propagandistischen Beweis überlegener SED-Umsiedlerpolitik stilisieren. Stellvertretend für viele feierte ZVU-Funktionär Chwalczyk Ende 1946 die „demokratische Bodenreform" als „ein besonderes Positivum der sowjetischen Besatzungszone", habe doch diese
Reform nicht nur der „Junker- und Militaristenclique" ihre gesellschaftliche Machtbasis genommen, sondern „vor allem [...] auch 380000 Umsiedler wieder seßhaft gemacht". In Westdeutschland gebe es hingegen statt vergleichbarer Landumverteilung lediglich amerikanische Care-Pakete: „Man entschließe sich im Westen endlich zu gleichen Maßnahmen und verlasse sich nicht auf die Gaben von Übersee!"122 Auf ähnliche Weise rühmte die westdeutsche KPD die Bodenreform der SBZ/DDR noch in den Lastenausgleichsberatungen des Bundestages im Frühjahr 1952. Die bundesrepublikanische Vertriebenenpolitik reagierte auf solche Propaganda bemerkenswert allergisch; so wies der CDU-Abgeordnete Ferdinand Friedensburg, einst Präsident der sowjetzonalen Zentralverwaltung für Brennstoffindustrie, das auf die DDR gemünzte Bodenreformlob der KPD als völlig „grotesk" zurück: „Wenn wir hier die in der Tat zunächst imponierend erscheinenden Zahlen über die Schaf-
fung neuer Bauernstellen hören, so müssen wir uns darüber klar sein, wieviel Not und Sorge wirklich dahintersteht. [...] Seien Sie sich dessen gewiß, daß von den 60000 [!] Besitzern von neuen
'" 17° '2' >77
Stellen morgen 59500 froh wären, sich
aus
Ihrem Paradies hier in dieses Land
zu
be-
BAB, DK 1/2913, Bl. 166, MLF DDR, Abt. Wissenschaft und Forschung, Statistik über „Besitz-
veränderungen durch die demokratische Bodenreform", 5. 6. 52. Pieck, Reden, Bd. 1,S. 13. Zit. nach: Wentker, Justiz in der SBZ/DDR, S. 23 f. BAB, DO 2/93, Bl. 7, G. v.
20. 11.46.
Chwalczyk, „Lösung der Umsiedlerfrage", in: Berliner Zeitung Nr. 272
III. Die Macht des Sozialen
654
geben. [...] Die landwirtschaftliche Produktion in Ihren Siedlungsgebieten bleibt ebenso tief unter um
dem
20 bis
Friedensstand, wie sie hier in der Bundesrepublik über dem Friedensstand liegt,
30%."123
Gleichwohl blieb die Bodenreform von 1945 im kollektiven Gedächtnis der SED und vielleicht auch der Bevölkerung der SBZ/DDR die ausgeprägteste Diffe-
DDR-Umsiedlerpolitik und Bonner Vertriebenenpolitik. Diesen „grundsätzlichen]" Unterschied agrarischer Integrationspolitiken, der isoliert betrachtet ohne weiteres zugunsten der DDR ausfiel, mußte auch die zeitgenössische westdeutsche Forschung eingestehen: Da in der Bundesrepublik „der Groß-
-
renz
zwischen
-
teil der heimatvertriebenen Landwirte nicht wieder in die Landwirtschaft überführt werden konnte", was mit der geringeren Nutzfläche, aber auch mit „starke[r] Zurückhaltung in der Enteignungsfrage" erklärt wurde, hob sich etwa für den Integrationsforscher Seraphim Mitte der fünfziger Jahre „die Lage der Heimatvertriebenen [...] im landwirtschaftlichen Sektor in der Bundesrepublik weit deutlicher von der der Eingesessenen ab" als im SED-Staat, wo „ein beträchtlicher Teil des heimatvertriebenen Landvolks als Neusiedler" auf Bodenreformland angesetzt worden war124. Noch im Sommer 1970 konterte der greise Walter Ulbricht die Herausforderung der sozialliberalen Bonner Entspannungspolitik125 mit einer Beschwörung der längst vergangenen Bodenreform, die dem SED-Führer immer noch als „Beispiel für die westdeutsche Bundesrepublik" erschien126. Ulbrichts demonstratives Selbstbewußtsein entpuppte sich freilich als Schwäche, machte er mit seinen öffentlichen Ausführungen doch nur zu deutlich, daß das SED-Regime nach einem Vierteljahrhundert Systemkonkurrenz in der Vertriebenenpolitik nicht mehr zu bieten hatte als seinen allerersten gesellschaftspolitischen Erfolg. Um 1970, an der Schwelle zur dritten industriellen Revolution, welche die DDRÖkonomie nicht überschreiten würde, wirkte Ulbrichts kleinbäuerlich-sozialrevolutionäre Bodenreform-Reminiszenz besonders anachronistisch. 1.1.2. Auf der Schattenseite der
„Bodenreform": Vertriebene Landarbeiter und Vertriebene als ländliche Unterschicht neue arbeitsunfähige Für Friedrich Engels konnte eine sozialistische Arbeiterpartei keinesfalls eine Bauernpartei sein. Sie hatte vielmehr „in erster Linie für die Lohnarbeiter einzutreten, also für die Knechte, Mägde und Tagelöhner"127. Insofern hätte die Agrar123 124
125 ,26
,27
Zit. nach: Die Lastenausgleichsgesetze, Bd. 1/3, S. 788, Rede Friedensburgs Mai 1952. Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 89; diesen Unterschied suchte der Autor jedoch mit der Feststellung abzuwiegeln, daß die „Niveauangleichung" in der DDR vorwiegend auf einer Senkung des Lebensstandards der Einheimischen basiere. Vgl. zum Kontext: Stelkens, Machtwechsel in Ost-Berlin, S. 527. Der Staats- und Parteichef der DDR räumte lediglich ein, daß „auch in Westdeutschland [...] die große Masse der ehemaligen Umsiedler heute in gewissem Maße Boden unter den Füßen" gewonnen habe; vgl. „DDR hat auf allen Gebieten Alternative zur Politik der Vergangenheit", in: Neues Deutschland v. 17. 7. 70, S. 4. Engels, Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland, S. 447; den Großgrundbesitz werde man nach der Machtübernahme unverzüglich enteignen, doch auch den Bauern dürfe man keinerlei Versprechungen hinsichtlich der Erhaltung ihrer Privatbetriebe machen, „die die Fortdauer der Lohnknechtschaft der Arbeiter einschließen" würden; im Falle der „Groß- und Mittelbauern" war dies für Engels „Verrat", im Falle der kleinen „Parzellenbauern" ökonomisch „eine einfache Torheit".
1.
Integration durch Bodenreform?
655
politik der SED im ersten Nachkriegsjahrzehnt von Engels äußerst schlechte Noten erhalten müssen: Es läßt sich kaum behaupten, daß die Landarbeiter darin „einen wichtigen Stellenwert sowohl für die Herrschaftslegitimation des SED-Regimes als auch in der Transformation der ländlichen Gesellschaft in Ostdeutschland" eingenommen hätten128, sofern man sich nicht durch Propagandagetöse und vergebliche Politikansätze untergeordneter Funktionäre irreführen läßt. Tatsächlich stand nämlich die Landarbeiterschaft der SBZ/DDR bis Mitte der fünfziger Jahre kontinuierlich auf der Schattenseite einer SED-Agrarpolitik, die der Absicherung der Bodenreform und damit der Neubauern-Förderung höchste Priorität gab. Während zwischen 1945 und 1952 alle verfügbaren Subventionen in die Neubauernschaft investiert wurden, ging die Landarbeiterschaft und damit die weit größere Gruppe der ländlichen Unterschicht so gut wie leer aus129. Lediglich die Bodenreform selbst machte im Herbst 1945 von dieser Regel eine wichtige Ausnahme. Dies begann schon damit, daß rund 19600 alteingesessene Landarbeiter über 38% der Mitglieder der für die Landumverteilung zuständigen Gemeindebodenkommissionen stellten130. Diese politische Partizipation vor Ort schlug sich auch in ökonomischer Partizipation nieder, bildete doch die bisherige ländliche Unterschicht der Landarbeiter und „landlosen Bauern" 1952 mit über 119000 Personen die mit Abstand größte Teilgruppe der durch die Bodenreform geschaffenen Neubauernschaft der SBZ/DDR131. Die Landumverteilung ließ über ein Zehntel (11,4%) der im Sommer 1945 etwa eine Million Menschen umfassenden sowjetzonalen Landarbeiterschaft132 zu neubäuerlichen Betriebsinhabern aufsteigen. In der Folgezeit verlor die Politik der KPD/SED jedoch jedes tiefergehende Interesse an der verbleibenden bzw. sich völlig neu konstituierenden Masse der Landarbeiterschaft. Ist schon im Bereich der Neubauernpolitik nur mit erheblichen Einschränkungen von vertriebenenpolitischen Förderelementen zu sprechen, so weist die Landarbeiterpolitik überhaupt keine vertriebenenpolitische Spezifik auf. Dieses Defizit im Politikentwurf wirkte sich umso gravierender aus, als die Landarbeiterpolitik eine weit größere Anzahl von Vertriebenen betraf als die Neubauernpolitik. Die Bodenreform der SBZ hatte nur eine kleine Minderheit von Vertriebenen zu Neubauern gemacht, während die „weit überwiegende Mehrheit der im primären Sektor tätigen ,Umsiedler' als Landarbeiter in die sowjetzonale Arbeitsgesellschaft integriert wurde133. Vertriebene wurden in ihren ländlichen Aufnahmegesellschaften folglich weit weniger als um Land konkurrierende Neubauernanwärter134 denn als land- und nahezu rechtlose „Knechte" oder „Mägde" sozial positioniert und ersetzten als solche die bei Kriegsende plötzlich "
178
129
'»
So jedoch:
Bauerkämper, Aufwertung und Nivellierung, S. 245. Auch Bauerkämper (ebenda, S. 266) gesteht zu, daß die von ihm behauptete „ideologische Aufwertung der Landarbeiter" politisch „oft folgenlos" geblieben sei und daß „Verteilungskonflikte" in der Regel zugunsten der Neubauern entschieden worden seien. BAB, DO 2/65, Bl. 5-22, insb. Bl. 6, ZVLF, Gesamtstatistik über Stand der Bodenreform, Stand 1.2.46.
'5i
132 131
134
BAB, DK 1/2913, Bl. 166, MLF DDR, HA Bodenordnung, Übersicht über die Resultate der de-
mokratischen Bodenreform, 5. 6. 52. Bauerkämper, Von der Bodenreform zur Kollektivierung, S. 128. Hoffmann, Vertriebenenintegration durch Arbeitsmarktlenkung?, S. 180; Schwartz, „Umsiedler" in der Zusammenbruchsgesellschaft, S. 256. Vgl. diese nur begrenzt zutreffende Akzentuierung bei: Sandford, From Hitler to Ulbricht, S. 111. Diese Zahl bei
III. Die Macht des Sozialen
656
nicht mehr verfügbaren Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen der NS-Zeit. Aufgrund des Überangebots an Arbeitskräften konnten die vertriebenen Nachrücker in die durch die Bodenreform-Aufstiege ausgedünnte Landarbeiterschaft der SBZ von ihren agrarischen Arbeitgebern längere Zeit minimal entlohnt werden135. Erst das Jahr 1950 brachte diesem ländlichen Vertriebenen-Proletariat ein sozialpolitisch motiviertes (und zugleich die stigmatisierten „Großbauern" belastendes) „Landarbeiterschutzgesetz" mit dem Rechtsanspruch auf geregelte Tariflöhne und Urlaubszeit136, wobei offen bleiben muß, inwieweit und in welcher Zeitspanne die DDR-Regierung die flächendeckende Beachtung dieser Bestimmungen durchzusetzen vermochte137. Da die Nachkriegs-Landarbeiterschaft sich überwiegend aus Vertriebenen rekrutierte, während die zahlenmäßig deutlich geringere Neubauernschaft überwiegend aus Einheimischen bestand, muß man in gesamtgesellschaftlicher Perspektive die bis 1952/53 anhaltende subventionspolitische Priorität der Neubauernförderung weniger als vertriebenenpolitische Leistung denn als vertriebenenspezifische Leistungsverweigerung betrachten. Selbst als sie ab 1950 kurzfristig vertriebenenspezifisch organisiert wurde, behielt die Neubauernpolitik der SBZ/DDR den Charakter der Umverteilung von unten nach etwas weiter oben, indem sie stets (auch) zu Lasten der breiten Masse der auf dem Lande lebenden Vertriebenen ging. Die Landarbeiterschaft auf dem Territorium der späteren SBZ/DDR war zwischen Frühjahr 1939 und Sommer 1945 von rund 774000 auf über eine Million Erwerbskräfte angestiegen138 und blieb auch nach Kriegsende bis 1948/49 auf sehr hohem Niveau, bevor sie aufgrund massenhafter Abwanderung in die Industrie bis 1953 drastisch auf 435000 Erwerbspersonen zurückging139. Ende 1946 standen den knapp 78000 Vertriebenen, die in der SBZ zu „Umsiedler-Neubauern" geworden waren, siebeneinhalbmal soviel Vertriebene als Landarbeiter gegenüber140. Diese enorme Zahl von rund 589000 als Arbeitern in der Land- und Forstwirtschaft eingesetzten Vertriebenen sank zwar bis Ende 1947 auf 431500141 und bis Herbst 1948 auf rund 359000 ab142, doch stellten Vertriebene damit Ende 1947 immer noch überproportionale 41,9% aller land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter der SBZ ein fast doppelt so hoher Wert wie ihr damaliger Gesamtbevöl-
kerungsanteil143.
-
Die Landarbeiterschaft der SBZ/DDR war nach 1945 folglich von hochgradiger sozialer Mobilität gekennzeichnet. Abgesehen vom Abzug der nichtdeutschen „Fremdarbeiter" war ein erheblicher Teil einheimischer Landarbeiter zonenweit -
Schwartz, „Umsiedler"
in der Zusammenbruchsgesellschaft, S. 256. und Nivellierung, S. 256. Bauerkämper, Aufwertung ,37 Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft, S. 376L, verweist lediglich auf bäuerliche Widerstände im Jahre 1950, untersucht jedoch nicht die Veränderung der Arbeits- und Sozialbeziehungen durch staatliche Sozialpolitik. Bauerkämper, Von der Bodenreform zur Kollektivierung, S. 128. 139 Bauerkämper, Aufwertung und Nivellierung, S. 258; ders., Ländliche Gesellschaft, S. 143, beziffert für die „ständig in der Landwirtschaft beschäftigten Landarbeiter" einen Rückgang von 410000 221000 133
136
138
i« 'i' '« i«
(1950) auf (1952). BAB, DO 2/13, Bl. 72, ZVU, Jahresbericht für 1946. Bl. DO BAB, 2/14, 108, ZVU, Jahresbericht für 1947. BAB, DO 2/18, Bl. Iff., insb. Bl. 18, ZVU, Jahresbericht für 1948. DO BAB, 2/14, Bl. 108, ZVU, Jahresbericht für 1947.
1.
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bis Februar 1946 17,4%, in Mecklenburg an die 30% durch die Bodenreform zu Neubauern aufgestiegen. Zugleich vollzog sich ein gewaltiger Unterschichtungsprozeß durch Neuzugänge, nicht nur an Flüchtlingen und Vertriebenen, sondern auch an Evakuierten und heimkehrenden Kriegsgefangenen, die teils gezielt, teils aus Mangel an Alternativen als Landarbeiter Beschäftigung fanden. In Mecklenburg-Vorpommern, wo 1944 die Kriegs-Landarbeiterschaft zu fast zwei Dritteln aus Kriegsgefangenen oder Fremdarbeitern bestanden hatte, wurde die Nachkriegs-Landarbeiterschaft Ende 1945 zu zwei Dritteln von Vertriebenen gestellt144. Diese enorme Fluktuation machte die Nachkriegs-Landarbeiterschaft der SBZ zu einer ebenso großen wie heterogenen Erwerbsgruppe und Gesellschaftsschicht145. Mit Blick auf die frühen Integrationschancen von Vertriebenen in der Gesellschaft der SBZ/DDR ist jedenfalls weniger die Bodenreform und die daran anknüpfende Neubauernpolitik wichtig, sondern vor allem die ernüchternde Feststellung, daß sich „die Arbeits- und Lebensbedingungen der Landarbeiter [...] in der Nachkriegszeit kaum" verbesserten146. Das Gesicht dieser zusammengewürfelten Masse war überwiegend weiblich: Im Oktober 1946 stellten Frauen rund 57% der insgesamt zwei Millionen in der Landwirtschaft Beschäftigten, was in etwa ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprach. Unter selbständigen Landwirten und deren Angehörigen waren Frauen jedoch nur unterdurchschnittlich (zu 54%) vertreten, während sie fast 60% aller Landarbeiter ausmachten. Die Feststellung, daß Frauen „unverhältnismäßig stark unter den wirtschaftlich Schwachen vertreten" waren147, ist daher keine Übertreibung. Dies galt insbesondere für weibliche Vertriebene, denn auch die Unterschichtungsprozesse in der sowjetzonalen Landarbeiterschaft besaßen eine deutliche geschlechtsspezifische Komponente: Erwerbstätige weibliche Vertriebene waren Ende 1946 zu 35% abhängig in der Landwirtschaft beschäftigt und stellten damit mehr als die Hälfte (54,8%) aller als Landarbeiter tätigen „Umsiedler"148. Bis Oktober 1947 ging ihre Zahl auf rund 237000 Personen zurück, womit sie noch immer 53,4% aller Vertriebenen-Landarbeiter der Zone stellten. Und daß ihre Zahl bis Herbst 1948 auf 185000 (oder 51,6% aller Vertriebenen-Landarbeiter) weiter absank, kann nicht unbedingt als günstige Entwicklung gewertet werden149, denn die sinkende Frauenerwerbsquote in der Landarbeiterschaft indizierte weniger eine Abwanderung in günstigere Erwerbszweige als vielmehr ein Abdrängen in Arbeitslosigkeit und Fürsorgebedürftigkeit150. Da die große Mehrheit dieser Landarbeiter in groß- und mittelbäuerlichen Einzelbetrieben beschäftigt war151, wurde die Alltagssituation der (mehrheitlich weiblichen) Vertriebenen-Landarbeiter durch patriarchalische Machtverhältnisse -
Bauerkämper, Aufwertung und Nivellierung, S. 252. Bauerkämper, Von der Bodenreform zur Kollektivierung, S. 128 f.; Schwartz, Vom Flüchtling zum „Umsiedler" im Landkreis Beeskow-Storkow, S. 142 f.; BauerNeubürger, S. 34; Scholtze-Irrlitz, kämper, Aufwertung und Nivellierung, S. 253. Yg]_ zur Landarbeiterschaft: Bauerkämper, Zwangsmodernisierung und Krisenzyklen, S. 568. 147 Osmond, Geschlechtsspezifische Folgen der Bodenreform, S. 155. Vgl. >48 BAB, DO 2/14, Bl. 107f., ZVU, Statistischer Jahresbericht 1947, Januar 1948. 149 BAB, DO 2/18, Bl. 1 ff., insb. Bl. 18, ZVU, Jahresbericht für 1948. 'so Vgl. die Vorgänge in SAPMO, DY30/IV2/17/23, insb. Bl. 32 f., SED, ZS, Frauensekretariat, an SED, LV Mecklenburg, Frauensekretariat, 7. 6. 48. i5' Bauerkämper, Von der Bodenreform zur Kollektivierung, S. 129. 144 145
146
658
III. Die Macht des Sozialen
und Werthaltungen alteingesessener Bauernfamilien bestimmt, die durch die ferne Berliner SED-Politik zunächst fast unberührt blieben. Insofern unterschied sich die Situation vertriebener Landarbeiter in der SBZ/DDR bis in die fünfziger Jahre hinein nur unwesentlich von der ihrer Schicksalsgenossen in Westdeutschland. Erst die Kollektivierung scheint bewirkt zu haben, daß sich die sozioökonomische Lage von Bauern und Landarbeitern allmählich anglich und die Landarbeiterschaft ein homogeneres Profil entwickelte; freilich scheint die zu Lasten der Frauen und ihrer Qualifizierung gehende „geschlechterspezifische Arbeiterverteilung und Rollenzuweisung" auch in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften „vielfach reproduziert" worden zu sein152. Die Heterogenität der Nachkriegs-Landarbeiterschaft war auch dadurch bedingt, daß die Mehrheit der aus Vertriebenenkreisen stammenden Landarbeiter über keine berufliche Vorerfahrungen in der Landwirtschaft verfügte, sondern eine berufliche „Notlösung" mit möglichst großer Nähe zu den knappen Nahrungsquellen der Zusammenbruchsgesellschaft gewählt hatte. Nur 22,3% der aus den deutschen Ostgebieten Vertriebenen und nur 17,2% der „Umsiedler" aus der CSR waren bereits vor 1945 in der Land- und Forstwirtschaft tätig gewesen, während sich in der SBZ gegen Jahresende 1946 fast die Hälfte (43,8%) aller erwerbstätigen „Umsiedler" in diesem Erwerbsbereich wiederfanden153. Legt man ein Mittel von 19,75% an ausgebildeten Land- und Forstarbeitern unter den damals 1,6 Millionen in der SBZ lebenden arbeitsfähigen Vertriebenen zugrunde und unterstellt man deren vollständige Wiederverwendung im erlernten Beruf, so kommt man neben höchstens 316000 berufserfahrenen Vertriebenen-Landarbeitern auf zusätzlich mindestens 273 000 ungelernte Vertriebene in dieser Erwerbsgruppe. Die revolutionierende Wirkung von Flucht und Vertreibung auf die Erwerbsstruktur der Betroffenen war somit von Anfang an greifbar landwirtschaftliche Hilfstätigkeiten wurden für zahlreiche Vertriebene zum ersten beruflichen Auffangbecken. Die Massenenteignung diverser Gruppen von Selbständigen und die Massenverdrängung von überzähligen Angestellten und Beamten ließ in der SBZ trotz Bodenreform und Entnazifizierung keine flächendeckende Statusrestauration zu, sondern verursachte eine ebenso massive wie dauerhafte Zunahme der abhängig Beschäftigten zunächst im primären, dann im sekundären Sektor. Dabei waren Vertriebene zunächst in Berufszweigen mit niedrigem Sozialprestige und geringer beruflicher Qualifikation überdurchschnittlich vertreten154. Die ökonomisch unproduktive Überbesetzung des Landes und der Landarbeiterschaft wurde im Zuge der 1947/48 einsetzenden Wirtschaftsplanung der SBZ zum politischen Thema. Ein ZVU-Bericht über Grimmen schilderte mahnend das Beispiel eines Bauernhofs, der insgesamt drei Landarbeiter beschäftigt, jedoch -
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Bauerkämper, Aufwertung und Nivellierung, S. 263 f. Allerdings waren 19,4% der Vermittelten in der Sparte „Industrie und Gewerbe" untergekommen, unter der vor 1945 nur 12,4% der CSR-„Umsiedler" und nur 5,1% der „Umsiedler" aus Polen firmiert hatten; vgl. BAB, DO 2/13, Bl. 71f., ZVU, Jahresbericht für 1946. 154 13,4% der unselbständig beschäftigten „Umsiedler" fungierten als „Hilfsarbeiter aller Art" und stellten überdurchschnittliche 26,5% aller Hilfsarbeiter; mit Ausnahme der Hilfs- und der Landarbeiterschaft waren Vertriebene in allen Klassements unterrepräsentiert; vgl. BAB, DO 2/14, Bl. ,32
153
107 f.,
ZVU, Statistischer Jahresbericht 1947, Januar 1948.
1.
Integration durch Bodenreform?
659
zehn bis fünfzehn weitere Vertriebene beherbergt und miternährt habe: Übertrage man diese Beobachtung „auf eine dörfliche Gemeinschaft und darüber hinaus auf einen ganzen Kreis", ergebe sich „eine beträchtliche Zahl unproduktiver Menschen, die lediglich ,Esser' sind"155. Tatsächlich blieb die provisorische Auffangfunktion des primären Sektors, bei der sich Saisonarbeit mit Sozialunterstützung abwechselte, in den vierziger Jahren weitgehend konstant. Ein Mitarbeiter der HAU brachte dies auf einer Beratung in der SED-Zentrale Ende 1948 auf die drastische, aber zutreffende Formel: „Bis jetzt war es so, daß man eben diese Umsiedler auf das Land steckte, für das, was aus ihnen wurde, interessierte man sich nicht mehr."156 HAU-Leiter Arthur Vogt sah daher im März 1949 die Landwirtschaft der SBZ aufgrund ihrer Überbesetzung mit einer halben Million Arbeitskräften „in der schwierigsten Lage". Um wenigstens die nach 1945 erfolgte massenhafte Fehllenkung von industriellen Fachkräften zu korrigieren, die unterdessen in der wiederauflebenden Industrie der SBZ spürbar fehlten, riet Vogt dazu, mit der „Kontrolle des landwirtschaftlichen Teiles der Umsiedler in Mecklenburg [zu] beginnen", da dort ein besonders großer Prozentsatz aufgenommen worden sei157. Nach Angaben des Schweriner Wirtschaftsministeriums waren Ende 1949 45% der Erwerbstätigen des Landes im Agrarsektor (einschließlich Fischerei) tätig, während nur 14% in der Industrie und je 12% im Handwerk bzw. im Handelsund Verkehrsbereich arbeiteten und weitere 14% im „öffentlichen und privaten
Dienstleistungssektor]" beschäftigt waren158. Der mecklenburgische Innenmini-
Warnke (SED) schätzte damals, daß auf dem „flachen Lande" rund 350000 Umsiedler lebten, die lediglich landwirtschaftliche Hilfsarbeiten Emtearbeiten oder Mithilfe im bäuerlichen Haushalt ausführten und deren Entlohnung häufig nur aus Nahrung und (wie auch immer gearteter) Unterkunft bestand. Dabei sah Warnke realistisch, daß die Ausnutzung dieses massiven Überangebots an ungelernten Arbeitskräften nicht nur Sache der damals von der SED bereits als Klassenfeinde attackierten „Großbauern" war, denn nach Erfahrung des Ministers hatten Ausbeutungsphänomene nichts mit Eigentumsverhältnissen zu tun: „Auf den volkseigenen Gütern sieht es ähnlich aus."159 Gerade unter der Arbeiterschaft dieser Staatsgüter soll übrigens der Vertriebenenanteil besonders hoch gewesen sein160. Ein nicht geringer Teil des mit der Bodenreform enteigneten Großgrundbesitzes war in der SBZ nach 1945 in öffentlichen Händen verblieben: Bis Dezember 1945 waren über 20% der enteigneten Bodenreform-Ländereien etwa 540000 Hektar nicht an einzelne Bodenbewerber verteilt worden161. In Meckster
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SAPMO, NY 4243/23, Bl. 14ff., insb. Bl. 21 f., ZVU, Büttner, Bericht über die Lage der Umsiedler im Landkreis Grimmen, 6. 1. 48. im ThüHStA, Ministerium des Innern 3702, Bl. 90ff., insb. Bl. 93, Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, Be-
155
137
138
139
richt über die Besprechung im SED-Zentralsekretariat am 3.12., 16. 12. 48. SAPMO, FDGB Büro A 152, FDGB, HA SP, Bericht über die Sitzung der Kommission für Heimkehrer im ZS der SED am 3. März, 8. 3. 49. MLHA, MfWA 207, Bericht des mecklenburgischen Ministers für Wirtschaft auf der Arbeitskonferenz in Rostock am 19. 1. 50, S. 7. BAB, DO 1/8/83, Bl. 57ff., insb. Bl. 60, DVdl, Protokoll der Landeskonferenz Mecklenburg, 1.2.
49. ,6° 161
Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 90 ff.
BAB, DO 2/65, Bl. 1 f., ZVU, Statistik zum Stand der Bodenreform Anfang Dezember 1945, o.D.,
III. Die Macht des Sozialen
660
lenburg blieb sogar ein Viertel der Bodenreformfläche im Besitz des Landes, der Kommunen oder der VdgB und wurde in traditioneller Form als Gutswirtschaften (oft sogar vom selben Verwaltungspersonal wie vor der Bodenreform) weitergeführt162. 1950 zählte man in der DDR 559 „volkseigene Güter" mit insgesamt 205000 Hektar Wirtschaftsfläche; hinzu kamen über 32000 weitere volkseigene,
öffentliche oder kirchliche Landwirtschaftsbetriebe mit einer Wirtschaftsfläche 2,3 Millionen Hektar. Diese (mit Ausnahme der Kirchengüter) nicht in Privatbesitz befindlichen und in der Regel als Gutswirtschaften betriebenen Ländereien machten rund 25% der DDR-Wirtschaftsfläche aus, obschon sie nur 5,7% der landwirtschaftlichen Nutzfläche umfaßten163. Ab 1948 diskutierten die staatlichen Instanzen der SBZ darüber, die Überbesetzung der Landarbeiterschaft zu korrigieren. Im Frühjahr 1948 hatte die ZVU in die sowjetzonale Wirtschaftsplanung den Grundgedanken einzubringen versucht, daß künftige Integrationspolitik („Bevölkerungspolitik") vorrangig eine Korrektur der seit 1945 vorherrschenden Flucht aufs Land anzustreben hätte. Die aktuellen Probleme sowohl der Landwirtschaft als auch der ländlichen Gesellschaftsbeziehungen hielt man in der Umsiedlerverwaltung für „untragbar", denn weder die unqualifizierte Hilfsarbeit vieler Vertriebener, die letztlich nur die erforderliche Modernisierung der Landwirtschaft behinderte, noch die Ausbeutung dieser Vertriebenen durch übermächtige Arbeitgeber seien politisch erwünscht. Die geforderte Alternative war ein „planmäßiger Abzug von Arbeitskräften [...] in die entwicklungsfähigen Klein- und Mittelstädte", der freilich durch einen dortigen Ausbau von Industrie, Handel und Gewerbe sowie fast noch dringlicher von einem darauf abgestimmten Wohnungsbau bzw. einer „Wohnungspolitik" als ,,gerechte[r] Verteilung des vorhandenen Wohnraumes" flankiert werden müsse164. Gerade vom bisher einzigen nennenswerten Wohnungsbauprogramm der SBZ, dem seit Herbst 1947 laufenden „Neubauern-Bauprogramm", war die Arbeiterschaft der SBZ/DDR im allgemeinen und die Landarbeiterschaft im besonderen ausgeschlossen worden. Diese bäuerliche Wohnungsbauförderung, die primär der ökonomischen „Festigung der Bodenreform" dienen sollte und erhebliche staatliche Baukredite sowie fast sämtliche Baukapazitäten der Zone beanspruchte, sah sich von Anfang an dem Vorwurf aus Landarbeitergewerkschaftskreisen ausgesetzt, daß zumal in Mecklenburg die „Erstellung von Landarbeiterwohnungen" mindestens ebenso dringend sei165. Dergleichen blieb nicht nur im weiteren von
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wonach in der SBZ 2,6 Millionen ha Land zur Verfügung standen, wovon 2,06 Millionen ha auch zur Verteilung gelangt seien. Vgl. Kuntsche, Bodenreform in einem Kernland des Großgrundbesitzes, S. 55 f. Statistisches Jahrbuch der DDR 1956, S. 350. BAB, DO 2/1, Bl. 116f., ZVU, Denkschrift Chwalczyk über die weiteren Aufgaben der Abteilung II, 14. 4. 48. BAB, DK 1/8803, Bl. 32, DVLF an FDGB-IG 10, LV Mecklenburg, 27. 10. 47; im Oktober 1947 hatte der mecklenburgische Vorstand der Landarbeitergewerkschaft im FDGB erklärt, „daß nicht allein die Frage der Beschaffung von Neubauernhöfen, sondern in Mecklenburg viel weit mehr [sie!] als anderswo die Erstellung von Landarbeiterwohnungen auf der Tagesordnung stehe und mit dem Programm des Befehls Nr. 209 verbunden werden müsse"; DVLF-Vizepräsident Busse (SED) antwortete, es sei Aufgabe der Gewerkschaft und der Landesregierung, konkrete Vorschläge auszuarbeiten.
1.
Integration durch Bodenreform?
661
Neubauernbauprogramm völlig unberücksichtigt, selbst die 1950 in die Wege geleiteten zusätzlichen Wohnungsbauprogramme des DDR-Umsiedlergesetzes korrigierten diese strukturelle Benachteiligung der Landarbeiterschaft nicht. Neben dem immerhin für die Jahre 1951/52 ganz auf Umsiedler-Neubauern fokussierten Neubauern-Bauprogramm suchte das Umsiedlergesetz zwar ein kleines Wohnungsbauprogramm für im volkseigenen Wirtschaftssektor tätige vertriebene Arbeiter zu forcieren; doch ließen dessen Planvorgaben den Wohnungsbau im ländlichen Raum zugunsten großindustrieller Projekte nahezu unberücksichtigt166. Nach kurzem regierungsinternen Zögern wurden Forstarbeiter volkseigener Betriebe explizit gar nicht mehr erwähnt167, und im Hinblick auf vertriebene Landarbeiter volkseigener Güter bzw. auf vertriebene Mitarbeiter von Maschinen-Aus-
leih-Stationen (MAS) hatte DDR-Landwirtschaftsminister Paul Scholz (DBD) gegen den mächtigen Druck der Industrieministerien schon ein Minimalprogramm hart erkämpfen müssen. Bei seinen Wohnungsbauvorschlägen für MAS und VEG, die er im Dezember 1950 „als den Erfordernissen entsprechend und somit als endgültig" bezeichnete, hatte sich der Minister erklärtermaßen auf „Beispiel- und Musterbetriebe" konzentriert. Das bedeutete konkret, daß von rund 500 MAS in der DDR ganze vierzehn zu Bauschwerpunkten bestimmt wurden, von rund 600 volkseigenen Gütern dreiundzwanzig168. Während Landarbeiter volkseigener Betriebe beim Umsiedlerwohnungsbau ab 1951 somit nur peripher berücksichtigt wurden, sah sich die Mehrheit der privatbetrieblich beschäftigten Landarbeiter durch die DDR-Umsiedlerpolitik in Wohnungsbaufragen vollkommen alleingelassen. Was das bedeuten konnte, entdeckte 1950 die mecklenburgische Landeskontrollkommission in Landgemeinden des Kreises Demmin. Dort waren Vertriebenenfamilien noch fünf Jahre nach Kriegsende in dunklen und feuchten Kuhställen oder Hühnerställen untergebracht im letzteren Fall vier Personen auf zwölf Stall-Quadratmetern. Auf einem Hof der Gemeinde Hasselfeld bewohnte eine dreiköpfige Vertriebenenfamilie zwei dunkle Kammern, denen eine Eingangstür fehlte; der vertriebene Familienvater hatte daher ein etwa 70 Zentimeter großes Loch in die Fachwerkwand gehauen, „durch welches nun die Familie raus und rein kriechen muß". Der bäuerliche Eigentümer dieser Mietunterkunft hatte den Einbau einer Tür mit der Bemerkung abgelehnt, „daß die Familie" seines Erachtens „flink genug sei, um durch das Loch zu kriechen"169. Der größte, wenn nicht einzige Vorteil solchen Vertriebenen-„Lebens auf dem Lande"170 war die relative Nähe zu den Ernährungsressourcen. Als die DVdlHauptabteilung Umsiedler Ende 1948 eine auf industrielle Standorte gerichtete „Binnenwanderung" ländlicher Arbeitskräfte erörterte, war sie von der Notwen-
166 '"
168
i« '70
Vgl. Schwartz, Integration und Transformation, S. 141 ff.
BAB, DC 20-1/3-39, Bl. 149, Ministerium für Aufbau DDR, Siewert, an MP DDR, Regierungskanzlei, Dr. Geyer, 13. 11. 50, worin noch von geplanten Wohnungsbauvorschlägen des Ministe-
riums für Land- und Forstwirtschaft für vertriebene Beschäftigte auf VEG, MAS sowie in der Forstarbeiterschaft gesprochen wurde. Ebenda, Bl. 59ff., Regierungskanzlei der DDR, HA II, Protokoll der 6. Sitzung der Regierung der DDR am 14. 12., 15. 12. 50, sowie Bl. 144, Anl. 2 [gestrichen], MLF DDR, Scholz, an Ministerium für Aufbau DDR, Siewert, 7. 12. 50. MLHA, MP 659, Teil eines LKSK-Berichts, ca. Januar 1951, S. 9f. Vgl. den Untertitel des Dramas von Müller, Die Umsiedlerin.
III. Die Macht des Sozialen
662
um den „zweifellos" auftretenden brechen. Grund war die unterstellte Überzeugung etlicher auf dem Lande lebender früherer Industriearbeiter, daß ihnen die möglichst „enge Nachbarschaft mit den Bauern" eine „bessere ernährungsmäßige Grundlage" biete; während der aufs Land abgewanderte Stadtbewohner „einerseits mit der vertrauteren Stadtatmosphäre liebäugelt, denkt er andererseits an seinen Kochtopf". Nur durch die „Magenfrage", davon war diese Expertise überzeugt, sei zu erklären, „daß sich in Mecklenburg immer noch tausende von Facharbeitern befinden, die es ablehnen, ihre oft notdürftige Unterkunft auf dem Lande zu verlassen, um in die Industriegebiete Thüringens und Sachsens abzuwandern". Die absehbare und im Zweijahrplan für 1949/50 bereits vorgesehene „Industrialisierung der Landwirtschaft" werde jedoch dazu führen, daß „in absehbarer Zeit" der primäre Wirtschaftssektor einem Großteil der dort noch beschäftigten „Umsiedler" keine Perspektive mehr bieten könne. Der Staat habe „bereits jetzt diesem Umstand Rechnung zu tragen und den notwendigen Zug in die Städte und Industriegebiete und in die entwicklungsfähigen Klein- und Mittelstädte vorzuberei-
digkeit
von
Zwangsmaßnahmen überzeugt,
„Widerstand"
ten"171. Setzten
zu
einige
Berliner Bürokraten auf massenhafte
Zwangsumsiedlung
von
Arbeitskräften, wußten regionale SED-Führer wie der mecklenburgische Innenminister Warnke, daß man in den ländlichen Gebieten mit Zwang kaum weiter-
kommen würde: „Wir können nicht wild hereingehen in die Dörfer und die 350000 Menschen sortieren und sagen, diese Umsiedlernester müssen gelockert werden", erklärte Warnke vor SED-Umsiedlerfunktionären im Februar 1949. Auch diesen SED-Vertreter ärgerte der volkswirtschaftlich schädliche Umstand, daß sich mindestens noch 25 000 dringend benötigte Industriefacharbeiter unter den mecklenburgischen Landarbeitern befanden, doch „wenn wir diese Menschen fragen, warum sie nicht in ihren [ursprünglichen] Berufen tätig sind, erhalten wir die Antwort, daß die Lebensbedingungen hier auf dem Lande besser sind als in der Stadt". Um dies zu ändern, setzte der SED-Umsiedlerpolitiker Warnke nicht auf Zwang, sondern auf verbesserte materielle Anreize zur Abwanderung in die Industriestandorte: „Wir müssen bemüht sein, in den Städten die gleichen Lebensbedingungen zu schaffen."172 Schon im November 1948 hatte das SED-Zentralsekretariat in seinem Beschluß zur „Weiterführung des Assimilationsprozesses der Umsiedler" eine staatliche „Förderung der Binnenwanderung [...] in Richtung auf die Produktionsstätten" vorgesehen und „zweckentsprechende Maßnahmen der Arbeits- und Wohnungsbehörden" für diesbezügliche Lebensstandard-Anreize vorgesehen; eine hohe Bedeutung maß die SED-Führung der „Sozialarbeit in den Betrieben" bei, welche „die Arbeiterumsiedler immer fester an den Betrieb und die neue Umgebung binden und alle Maßnahmen unterstützen" sollte, „die geeignet sind, den Lebensstandard der Umsiedler schrittweise dem der übrigen
werktätigen Bevölkerung anzugleichen"173. Im Sommer 1949 plädierte der Autor '7>
172
BAB, DO 2/58, Bl.
58 f., DVdl, Hauptabteilung Umsiedler, Büttner, Denkschrift: „Ist eine Binnenwanderung notwendig?", 9. 12. 48. BAB, DO 1/8/83, Bl. 60L, DVdl, Protokoll über Landeskonferenz des Mdl Mecklenburg am 1.2.
49 in 173
Schwerin, 1. 2. 49.
SAPMO, DY30/IV2/5/243, Bl. 46 f., SED, ZS, Abt. LP, Denkschrift Chwalczyk
„zum
Umsiedler-
1.
Integration durch Bodenreform?
663
dieses SED-Beschlusses, ZS-Umsiedlerreferent Chwalczyk, im „Neuen Deutschland" ausdrücklich für Geduld in der Frage der Binnenumsiedlung, da viele Vertriebene vor einer ,,nochmalige[n] Umsiedlung" innerhalb der SBZ aufgrund ihrer Vorerfahrungen zurückschreckten. Diese Geduld könne sich der SED-Staat umso eher leisten, als „die Vorteile des Lebens auf dem Dorfe, die in den ersten Nachkriegsjahren aus begreiflichen Gründen gern hingenommen wurden, [...] bei der sich verbessernden Versorgung der Städte ihre Bedeutung" bereits verlören. Zudem führe die fortschreitende Mechanisierung der Landwirtschaft zu verstärkter Freisetzung von Arbeitskräften, die nur in anderen Sektoren der Volkswirtschaft untergebracht werden könnten. Diese Prozesse hätten bereits eine eigendynamische Abwanderung vieler Arbeitskräfte in Richtung industriell-urbaner Zentren ausgelöst. Administratives Handeln müsse diesen gesellschaftlichen Trend nur verstärken174. Das begreifliche Interesse an der „Bodenreform" der SBZ hat zu einer isolierten Konzentration der Forschung auf die dortige „Bauernpolitik" geführt. Ein Gesamtbild ländlicher Gesellschaftsentwicklung in der SBZ/DDR bedarf nicht nur der Einbeziehung der hier diskutierten Nachkriegs-Landarbeiterschaft, sondern auch als eines weiteren Auffangbeckens für viele Vertriebene der „neuen Landarmut" der sowjetzonalen Nachkriegsgesellschaft in Form der (wiederum häufig weiblichen) Sozialunterstützten und Kleinrentner175. Dieser ländlichen Unterschicht boten Bodenreform und Neubauernpolitik ebenso wenig wie der Landarbeiterschaft nach 1945 nicht die geringste Integrationshilfe. Im Gegenteil führte die (wenngleich ihrerseits prekäre) soziale Aufwertung der „Neubauern" für die davon ausgeschlossene Vertriebenenmehrheit zu verschärfter Unterschichtung am Fuße der sozialen Rangskala176. Im November 1947 betrug der Anteil der Sozialunterstützten an der Gesamtbevölkerung der SBZ 5,5%, wobei fast die Hälfte dieser rund 996000 Sozialunterstützten 451902 Personen Vertriebene waren. Bei damals 4,3 Millionen Vertriebenen in der SBZ belief sich deren Sozialunterstützten-Anteil auf überproportionale 10,5%. Besonders stark vertreten waren unter den Hilfeempfängern zwei Großgruppen, die sich überwiegend aus Vertriebenen rekrutierten: 46% aller Sozialunterstützten waren Kinder, weitere 21% von der Arbeit freigestellte Frauen. Hinzu traten Menschen im Rentenalter (15%) sowie Kranke und Invaliden (9,5%), während nur vorübergehend in Not geratene Unterstützte mit 8,5% deutlich in der Minderheit blieben177. Als Rentnerinnen, die häufig nur Mindestrenten erhielten, oder als alleinerziehende Mütter, die zwi-
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problem", 27. 11. 48, sowie Bl. 31 ff., SED, ZS, Abt. LP, Vorlage Chwalczyk betr.. „Weiterführung des Assimilationsprozesses der Umsiedler", November 1948; der ZS-Beschluß selbst in: SAPMO, DY30/IV2/1/248, Prot. Nr. 130(11) der Sitzung des SED-Zentralsekretariats v. 15. 11. 48. 174 BAB, DO 2/93, Bl. 11, G. Chwalczyk, „Mehr Aufmerksamkeit den Umsiedlern", in: Neues Deutschland 175
Nr. 163 v. 15. 7. 49. Diese Unterschichten der ländlichen Gesellschaft, die wohl mehrheitlich von Frauen gebildet wurden, werden von der Forschung wie noch jüngst bei Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft meist vollkommen ausgeblendet; einen ersten Überblick bietet: Boldorf, Landarmut in der SBZ/ DDR. Kleßmann, Die stilisierte Klasse, S. 30, spricht zu Recht davon, daß „die Grenzen zwischen Landarbeitern und Neubauern fließend" geworden seien, übersieht jedoch die zugleich konstituierte neue soziale Grenzziehung zu Lasten vieler vertriebener Neu-Landarbeiter. Hoffmann, Sozialpolitische Neuordnung in der SBZ/DDR, S. 164f. -
,76
,77
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III. Die Macht des Sozialen
664
Minimalerwerbstätigkeit und Minimal-Sozialunterstützung hin- und herpendelten, erlebten viele weibliche Vertriebene in der Nachkriegsgesellschaft der SBZ/DDR eine „doppelte Depravierung"178. Langfristige Unterstützungsbedürftigkeit hatte in der SBZ/DDR sowohl ein vertriebenes als auch ein weibliches Gesicht. Noch im Frühjahr 1949 stellten Vertriebene wiederum fast die Hälfte sehen
(42,6%) aller Sozialunterstützten der SBZ, womit weiterhin ein volles Zehntel
dieser Bevölkerungsgruppe der Sozialfürsorge zur Last fiel179. In den drei nördlichen Bezirken der DDR lag die absolute Zahl der Sozialunterstützten Ende 1952 weiterhin auf gleicher Höhe mit den mecklenburgischen Daten des Jahres 1946180, und im Landkreis Rostock waren Anfang 1950 solche Unterstützungsempfänger fast ausschließlich Vertriebene, die vertriebenen Empfänger wiederum fast ausschließlich Frauen181. Auch in Sachsen befanden sich vertriebene Frauen und ihre Kinder langfristig im sozialen Abseits. Die Halbierung der regionalen Vertriebenen-Unterstütztenquote zwischen 1947 und 1949 hatte dort nichts daran geändert, daß der Unterstütztenanteil von Vertriebenen weiterhin fast viermal so hoch war wie jener der einheimischen Bevölkerung (10,4% gegenüber 2,7%). Hinzu kam ein erhebliches Stadt-Land-Gefälle: Während bei den Einheimischen die Unterstütztenquote in den Stadtkreisen doppelt so hoch war wie auf dem Lande (4% gegenüber 2%), dominierten unter Vertriebenen Landbewohner (9,4% zu 10,1%). Von den knapp 101 000 vertriebenen Sozialunterstützten Sachsens waren mehr als die Hälfte weiblich: Demnach erhielten 1950 12,8% aller vertriebenen Frauen dieser Region und 12,1% aller Vertriebenenkinder Sozialunterstützung gegenüber nur 5,3% der vertriebenen Männer182. Am zaghaft einsetzenden wirtschaftlichen Wiederaufstieg in der SBZ/DDR hatten solche Vertriebenenfrauen und ihre Kinder kaum Anteil. Die Zentrale Kontrollkommission der DDR-Regierung stellte 1951 für den mecklenburgischen Kreis Waren fest, daß nicht nur katastrophale Wohnsituationen für diese Vertriebenen dort die Regel waren: „Erwerbsmöglichkeiten gibt es dort für Frauen und Jugendliche nur im Sommer während der Arbeit auf dem Felde. Im Winter sind sie gezwungen, Wohlfahrtsunterstützungen zu beziehen."183 Ganz ähnlich sah es, wie die sächsische Landeskontrollkommission betonte, in den agrarischen Randzonen dieser Industrieregion -
aus:
„Von der Arbeit in der Landwirtschaft können diese Frauen meist mit Kindern nicht exi-
stieren, Renten oder Unterstützungen sind bei Arbeitsfähigkeit nicht vorgesehen. Die Frage -
Vgl. die auf Bayern bezogenen Ergebnisse schlechtsspezifische Integrationschancen. 179 178
-
bei Herrmann, Wandel der Sozialstruktur und ge-
SAPMO, DY30/IV2/13/388, DWK, Sekretariat, Entwurf einer „Denkschrift über die bisher erreichten Ergebnisse in der Unterbringung der Umsiedler in Wirtschaft und Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone nach dem Stand vom 1. Juli 1949", S. 21 f. 180 Boldorf, Fürsorgeunterstützung in Deutschland, S. 239 ff. '»' MLHA, Mdl 2717, RdK Rostock, Dez. Innere Verwaltung, an SKK Rostock, 13. 3. 50. '82 SäHStA, LRS, Mdl 304, Bl. 149, MfAS Sachsen, Sozialfürsorge-Statistik der Kernbevölkerung für Juni 1949, sowie Bl. 150, dto., Sozialfürsorge-Statistik der „Neubürger (Ansiedler)" für Juni 1949. ,83
BAC, DC 1/630, ZKSK DDR, Linz, „Auswertung der Überprüfung des Gesetzes über die weitere
Verbesserung
der
Lage
1950", 15.2. 51, S.6.
der Umsiedler in der Deutschen Demokratischen
Republik
vom
8. 9.
1.
Integration durch Bodenreform?
665
[...], wovon sie leben sollen, wird in den ländl.fichen] Gemeinden in fast allen öffentlichen
Versammlungen gestellt."184
Für im Rentenalter stehende Vertriebene war die Frage ihrer Einbeziehung in Lei-
stungen des Sozialversicherungssystems „eines der drängendsten Probleme". Darin unterschieden sich Vertriebene zunächst nicht von alteingesessenen alten Menschen, die ebenfalls unter der 1945 eingetretenen Krise des Rentensystems litten. Damals waren die Rentenleistungen für alle Anspruchsberechtigten weggebrochen, um erst nach der Reorganisation des Sozialversicherungswesens ab Februar 1946 allmählich wiedereinzusetzen185. Zwischenzeitlich waren in der SBZ nur „sehr spärlich" Rentenzahlungen erfolgt, so daß Alten-Hilfe durch „Notgemeinschaften" und die nicht zuletzt daraus entstandene Massenorganisation „Volkssolidarität" an Bedeutung gewann186. Sozialkaritative Umverteilungsleistungen der Volkssolidarität wurden „integraler Bestandteil der Sozialpolitik" der SBZ und zwar „insbesondere der Altenpolitik"187. Sobald die Rentenzahlungen wieder einsetzten, wurde den Vertriebenen schlagartig vor Augen geführt, daß sie in der SBZ alles andere als gleichberechtigte Bürger waren. Schon als es im August 1945 der sächsischen Landesverwaltung gelang, „die Zahlung der Sozialrenten für Alte und Invalide wieder in Gang zu bringen" und sogar eine nachträgliche Auszahlung für die vorangegangenen beiden Monate zu veranlassen, betraf dies allein alteingesessene Rentner, während die „aus der Tschecho-Slowakei und aus dem Osten" nach Sachsen gelangten, „zum Teil völlig Mittellosen [sie!] und ausgehungerten Menschen" entweder der Sozialfürsorge oder, „soweit die Gemeinden [...] nicht Hilfe leisten konnten", sich selbst überlassen blieben188. Die Diskriminierung der Vertriebenen durch die Sozialversicherung der SBZ war in doppelter Hinsicht systematisch bedingt. Zum einen bewirkte die regionale Struktur des herkömmlichen deutschen Sozialversicherungssystems automatisch einen Ausschluß all derer, die nicht in die bisher auf dem Boden der SBZ existenten Versicherungen einbezogen worden waren. Hier bedurfte es einer sozialrechtlichen Inklusionsregel für Vertriebene mit erheblicher finanzieller Umverteilungswirkung also der gesetzlichen Gewährung „versicherungsfremder" Leistungen aus nationaler Solidarität. Zum anderen bestand selbst für den Fall einer grundsätzlichen Einbeziehung in die sowjetzonalen Versicherungsleistungen für viele Vertriebene das Problem, daß sie insbesondere als frühere bäuerliche und andere Selbständige niemals sozialversichert gewesen waren oder daß sie infolge vertreibungsbedingten Verlusts entsprechender Dokumente ihre Beitragsleistungen nicht nachzuweisen vermochten. Daß solche Vertriebene auch bei grundsätzlicher Inklusion in die Sozialversicherung über das Mindesrentenniveau nicht hinausgelangten, belegt der Umstand, daß „die Entlastung der Sozialfürsorge durch andere -
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-
-
ist
'85 >86
,87 ix«
Ebenda, LKSK Sachsen, Berlin, an ZKSK DDR, Bericht vom 3.1. 51, S. 11. Hoffmann, Sozialpolitische Neuordnung in der SBZ/DDR, S. 45 und S. 47. MLHA, MfS 15, MfS Mecklenburg, HAU, „Bericht über den Werdegang der Umsiedlerabtei-
lung", 25. 6. 48, S. 22.
Springer, Da könnt' ich mich dann so'n bißchen entfalten, S. 78. SäHStA, LRS, MfA 921, Bl. 82-91, insb. Bl. 82f., Landesverwaltung Sachsen, „Rechenschaftsbericht der Abteilung Soziale Fürsorge im Ressort Wirtschaft und Arbeit auf die Zeit vom 1.7. 1945 bis 30. 6. 1946", 18. 7. 46.
III. Die Macht des Sozialen
666
Systeme der sozialen Versorgung [...] in der SBZ/DDR als gering eingestuft werden" muß189. Das bedeutet: In vielen Fällen blieben Rentenleistungen an Vertriebene derart minimal, daß die Betroffenen weiterhin auf Sozialunterstützung angewiesen waren. Im November 1947 befanden sich unter 996000 Sozialunterstützten des Landes Sachsen, die fast zur Hälfte Vertriebene waren, über 76000 Rentenempfänger ein klares „Indiz dafür, daß die Höhe der Rentenzahlungen für einen Teil der Empfänger unzureichend war"190. Die Hilfsbedürftigkeit alter Vertriebener blieb in der SBZ/DDR ein langfristiges Strukturproblem191, das erst mit dem allmählichen Aussterben der Betroffenen entfiel. Die Folge solch dauerhafter Existenz unter dem Existenzminimum war, wie die thüringische Landesregierung 1950 beobachtete, eine gerade unter älteren Vertriebenen anhaltende -
Rückkehrhoffnung192. Ein Beispiel für diese am unteren Rande der DDR-Gesellschaft lebenden und zutiefst unzufriedenen alten Vertriebenen gehörte ein über siebzigjähriges Ehepaar, das an seinem früheren schlesischen Wohnort gemeinsam 126 RM Rente erhalten hatte, fünf Jahre nach Kriegsende in seinem neuen Wohnort, einem Dorf bei Brandenburg an der Havel, hingegen nur auf 110 DM (Ost) kam. Diese Vertriebenen würdigten nicht, daß sich zwischen 1947 und 1950 die Mindestrente in der SBZ/DDR von ursprünglich 30 RM fast verdoppelt hatte. In ihren Augen sah nicht nur die Rentenpolitik der DDR nicht gut aus, auch die nahezu ungeschmälerten Besitzverhältnisse der einheimischen Bevölkerung und die politische Verweigerung einer gerechten Verteilung der Kriegsfolgelasten verbitterte diese Menschen, deren Lebenssituation zwischen Resignation und Zorn über die evidente Verteilungsungerechtigkeit in der deutschen Nachkriegsgesellschaft schwankte: „Nun sind wir beide total geschädigt. Haben alles verloren, bis auf etwas alten Plunder, den der Pole nicht mochte. [...] Und was den verlorenen Krieg anbelangt, so haben wir Ausgewiesenen und Ausgebombten denselben doch bloß verloren, während andere noch in ihren schönen Häusern sitzen, ihre Wohnungseinrichtungen noch haben, Radio, Fahrräder, Kleider, Wäsche usw. noch besitzen, während wir zu Bettlern geworden sind. Auch konnten sich diese Herrschaften auf Grund ihres Besitzes ihren Wanst vollfressen, während wir vor Hunger fast umkamen. [...] Es war alles noch beim Alten, als wenn es überhaupt für diese Leute keinen Krieg gegeben hätte. Und solche Leute gibts noch genug, die vom Krieg verschont geblieben sind. Und da will mann [sie!] mir als Trost vorschwätzen, Wir: also auch die anderen haben nun einmal den Krieg verloren, und sind leider nicht in der Lage, was zwölf Jahre schlecht gemacht wurde, so schnell wieder aufzuholen. [...] Im Winter ist es so kalt in meiner Wohnung, daß wir völlig angezogen zu Bett gehen müssen, um nicht zu erfrieren. [...] Ich war jahrelang in unserer Pfarrkirche Kirchenmusiker, habe zur Ehre Gottes alle Sonntage als Geiger eine lateinische Messe mitgespielt. Und heute! Läßt er mich im Stich, und meine Volksgenossen dazu. Nicht schön von beiden Parteien."193 189 '9°
"i
Zu letzterem: Boldorf,
Fürsorgeunterstützung in Deutschland, S. 241. Hoffmann, Sozialpolitische Neuordnung in der SBZ/DDR, S. 164 f. BAB, DO 1/33276, Mdl Thüringen, Abt. BP, Apel, an Mdl DDR, Abt. BP, 29. 6. 50, Anl.
1: Mdl
Thüringen, Abt. BP, Apel, an SKK Thüringen, „Bericht über den derzeitigen Stand der Umsiedlung", 20. 4. 50, S. 3. >92 ThüHStA, Mdl 3817, Bl. 74-77, insb. Bl. 77, Mdl Thüringen, Abt. BP, Apel, „Bericht über den derzeitigen Stand der Umsiedlung", 20. 4. 50. '93 ACDP, 03/033/0096, CDU, LV Brandenburg, Abschrift eines Schreibens des Amandus J., Prützke bei Brandenburg, 20. 6. 50.
1.
Integration durch Bodenreform?
667
Solche Stimmungen führten zuweilen zu drastischen Äußerungen: „Wenn wir Alten bloß als unnütze Brotesser angesehen werden, dann ist es uns lieber, man schlägt uns tot, als [uns] langsam durch Not und Entbehrung umzubringen." Auch die Forderung nach sozialpolitischer Intervention durch einen umfassenden Lastenausgleich kontrastierte mit der Furcht und Empörung, als alte Menschen von Staat und Gesellschaft längst abgeschrieben worden zu sein: „Wir Alten und total Geschädigten haben lange genug gewartet. Oder: Liegt etwa Methode im Versäumnis? daß man wartet, bis so und so viel alte Menschen vorher der Teufel geholt hat, um dadurch sich entlasten zu können?"194 Gegen die eigene Gruppe gerichtete verbale Mordphantasien, die hochgradige Frustration ebenso ausdrückten wie das verrohte Erbe des NS-Regimes und seines Weltkrieges, lassen sich unter alten Vertriebenen des öfteren finden. Doch steckte immer auch Provokation und Anklage darin, wenn etwa im Herbst 1950 ein in Thüringen lebender vertriebener Rentner den Propagandisten der „Nationalen Front" erklärte: „Die Rentner sind heute zu nichts mehr nütze, als Fortschaffen und mit dem Maschinengewehr erschießen!" Derselbe Vertriebene konnte Freude über die jüngste Rentenerhöhung der DDR-Regierung äußern, doch zugleich fühlte er sich (wie vermutlich nicht wenige seiner Schicksalsgenossen) am Ende seines Lebens als eindeutiger Verlierer der Geschichte:
„Natürlich freue ich mich über die Erhöhung der Renten; aber es reicht trotzdem noch nicht, anständig leben zu können. Schön war es nur vor 1914 und seitdem nicht wieder, und das
um
kommt auch nicht wieder."195
Neben die materielle Armut trat die psychologische Demütigung, zu Sozialhilfeempfängern „abgerutscht" zu sein. Nicht wenige alte Vertriebene mochten ähnlich wie 1947 eine mit ihrem schwerbehinderten Mann nach Sachsen vertriebene frühere Tabakhändlerin den Behörden erklären, man wolle „keine Almosen", sondern „sich selbst ernähren, aber wie? wenn wir keine Arbeit bekommen"196. Neben dem Zwang (und Selbstzwang) zur Arbeit trat das Bemühen, sich durch -
-
Kategorienwechsel vom Sozialunterstützungs- zum Rentenempfänger wenigstens ein besseres Selbstwertgefühl zu verschaffen. Durch die Vertreibung waren etliche, die zuvor aus sicherer (Klein-)Bürgerlichkeit an der Stigmatisierung von Fürsorgeempfängern teil gehabt hatten, plötzlich selbst in diese soziale Randdas Vertriebenenschicksal Da als persönlich unverschuldet empfunlage geraten. den wurde, erwarteten die Betroffenen von Politik und Mehrheitsgesellschaft, sie aus der Schande der Armenfürsorge baldmöglichst wieder zu befreien197. In der 1949 ab die Bundesrepublik trug Einrichtung besonderer Unterhaltsleistungen im Kontext der Soforthilfe- und Lastenausgleichspolitik diesem tiefen Bedürfnis der einen
Ebenda, Amandus J., Prützke/Brandenburg, an CDU [DDR oder Brandenburg?], 8. 6. 50. ThüHStA, SED-LL AIV2/13/185, Nationale Front des demokratischen Deutschlands, Kreisstelle Greiz, Politische Analyse v. 24. 9. 50, S. 3. "o SäHStA, LRS, Mdl 2259, Elfriede T, Flöha, „an den Verlag der neuen Heimat", Juli 1947. ,97 Ähnliches hatte die deutsche Sozialpolitik während des Ersten Weltkrieges erlebt, wo die soziale i«
'»
von Kriegsgefallenen zum Massenproblem geworden war; damals Absicherung der Angehörigen hatte der Staat mit der Einrichtung einer gehobenen „Kriegsfürsorge" reagiert, „die im Gegensatz zur Armenpflege nicht mit sozialen und politischen Diskriminierungen verbunden war"; vgl. Rit-
ter, Der
Sozialstaat, S.
104 f.
668
III. Die Macht des Sozialen
Vertriebenen nach sozialpsychologischer Wiederaufwertung Rechnung198. Die SED-Politik vermochte die Bedeutung eines solchen Kategorienwechsels durch begrenzte materielle Sonderrentenleistungen nicht nachzuvollziehen199. Es war statt dessen die Mittelstandspartei LDPD, die 1952 im sächsischen Landtag den
Antrag stellte, vertriebene Fürsorgeempfänger grundsätzlich zu Rentenempfängern aufzuwerten200, befanden sich doch unter vertriebenen Fürsorgeempfängern
ohne reguläre Rentenansprüche zwangsläufig viele durch die Vertreibung enteignete und um ihre Altersversorgung gebrachte Selbständige. Schon auf dem 1949er Parteitag der LDP hatte ein Delegierter unter Hinweis auf solche Notlagen vehement einen Lastenausgleich gefordert und sich gegen die Tendenz gewehrt, die „Umsiedlerfrage" mit verbalen Scheinlösungen abzutun: „Was nützen uns all die schönen Namen", etwa wenn einem früheren Fabrikbesitzer in der SBZ gestattet werde, weiter seinen Titel zu führen, „obwohl er ein armer Mann ist"201. Drei Jahre später wagte die unterdessen gleichgeschaltete LDPD nur noch einen verdeckten Lastenausgleich über die verbesserte Einbeziehung Vertriebener in die DDR-Rentenversicherung zu fordern. Die SED jedoch fand sich dazu nicht bereit. Zwar begriff der sächsische Innenminister Hofmann die von der LDPD angeregte „Umwandlung der Fürsorgeempfänger in Rentenempfänger" als Versuch, den „gewissen Makel" zu beseitigen, der im Begriff der Fürsorgeunterstützung enthalten sei, doch bot der SED-Politiker der liberaldemokratischen Klientelpolitik lediglich jene Scheinlösung an, die in der LDP 1949 als nutzlos angeprangert worden war: Hofmann wies auf die terminologische Aufwertung der Fürsorgeleistungen zur „Sozialunterstützung" hin, wollte jedoch den LDP-Begriff der „Sozialrente" nicht akzeptieren, „weil die Gewährung einer Rente Leistungen voraussetzt". Die SED profilierte sich damit unnachgiebig als für depravierte Selbständigen-Interessen unzugängliche Arbeiter- und Angestelltenpartei202. Im übrigen blieb „Altenpolitik" in den fünfziger Jahren primär die sozialkaritative Angelegenheit der Volkssolidarität203. 1.1.3. Integration durch Desintegration: Soziale Mechanismen der VertriebenenPartizipation an der „Bodenreform" Der CSU-Abgeordnete Karl Theodor Freiherr von Guttenberg hatte in einer heftigen Bundestagsdebatte am 27. Mai 1970 darauf beharrt, nach der Gewaltpolitik Hitlers dürfe es „keine Anerkennung für neues Unrecht auf deutschem Boden, für Herrn Ulbricht geben", zumindest die Union werde weiterhin „Terror Terror und ,98 i"
2°°
Schraut, Flüchtlingsaufnahme in Württemberg-Baden, S. 397. Die „Westkommission" von SED und westdeutscher KPD beschränkte sich 1950 darauf, der neuen Unterhaltshilfe geringfügige materielle Leistungsverbesserungen zu attestieren; im übrigen habe „auf diese Weise [...] der Bonner Staat praktisch seine Soziallasten abgewälzt"; vgl. SAPMO, NY4062/122, Bl. 334 ff., insb. Bl. 351, SED, Westkommission, Bericht über die Tagung der Umsiedlerkommission [von SED und KPD] am 30.9. und 1.10. im Nationalrat, 2.10. 50. SäHStA, LRS, Mdl 3040, Bl. 28-31, insb. Bl. 30, Mdl Sachsen, Hofmann, an Kanzlei MP Sachsen, 18.4.52.
2°i
2°2
ADL, LDPD/2508, Protokoll des
3. Parteitages der LDP vom Februar 1949 in Eisenach, S. 182, Rede des sachsen-anhaltischen Delegierten Demmler. SäHStA, LRS, Mdl 3040, Bl. 28-31, insb. Bl. 30, Mdl Sachsen, Hofmann, an Kanzlei MP Sachsen,
18.4.52.
203
Springer, Da könnt' ich mich dann so'n bißchen entfalten, S. 78.
1.
Integration durch Bodenreform?
669
Mord an der Mauer Mord an der Mauer nennen"204. SED-Generalsekretär Walter Ulbricht konterte einige Wochen später in einer Rede in Rostock, indem er Guttenberg zum Prototyp des reaktionären Junkers erklärte, dessen vollständige Enteignung in einer westdeutschen Bodenreform längst überfällig gewesen wäre: „Das hat man aber nicht getan, und deshalb hält der Herr Baron von Guttenberg viele Reden über die Freiheit in Bayern und in der Bundesrepublik. Das ist seine Freiheit! Sie besteht darin, daß er die Arbeiter ausbeuten kann und jährlich die entsprechenden Gewinne einheimst." In der SBZ/DDR hingegen habe die Enteignung ähnlicher Großgrundbesitzer eine Erfolgsgeschichte ländlicher Vertriebenenintegration eingeleitet, die laut Ulbricht von der Bodenreform bruchlos über die Kollektivierung bis zu „modernen, industriemäßig geleiteten genossenschaftlichen Landwirtschaftsbetriebfen] mit 10000 ha" reichte. Gerade weil die SED „die Umsiedler als gleichberechtigte Bürger gewertet und niemandem erlaubt" habe, „sie zurückzusetzen oder zu diskriminieren", seien „diese Menschen zu guten Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik geworden"205. Tatsächlich hatte sich nach 1945 die von den Sowjets und der KPD/SED im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Transformationspolitik bewirkte Umverteilung von Land und sonstigen Vermögenswerten an Vertriebene „weitgehend auf Eigentum" beschränkt, das zuvor anderen „verdrängten und entmachteten Gesellschaftsgruppen entzogen worden war"206. Vertriebenenintegration fand folglich im Kontext gezielter gesellschaftlicher Desintegrationen statt. Dieser Konnex war kein Geheimnis. Immer wieder war nach 1945 der Nutzen der Vertreibung und Enteignung bisheriger Großgrundbesitzer für die anderweitig heimat- und besitzlos gewordenen Vertriebenen in der SBZ/DDR öffentlich betont worden. So feierte der Pressedienst der ZVU 1948 das Beispiel eines Herrensitzes in Plohn, der sich durch die Bodenreform „von Grund auf verändert" habe: „Vor der Aufteilung waren zwei Leute als Guts- und Herrenhausbesitzer die Nutznießer. Wie sieht es jetzt aus? Elf Neubauern, zusammen mit ihren Familien 32 Menschen, haben sich hier eine neue Existenz aufgebaut. In guter Zusammenarbeit mit dem Wohnungsausschuß wurde für 39 Leute Wohnraum geschaffen, weitere zehn können bei entsprechendem Ausbau noch untergebracht werden. Wo früher nur zwei herrschten auf der Grundlage von Sonderrechten und Privilegien, haben heute also 81 Menschen eine Heimat gefunden."207 Die Umverteilungspolitik der Bodenreform verfolgte die Maxime, wenigen alles zu nehmen, um vielen ein wenig geben zu können208. Nach den enteigneten und gewaltsam entfernten „Leuten", den früheren Eigentümern, wurde dabei wie im Plohner Falle nicht weiter gefragt209. Hier verfuhr man ebenso unsentimental wie klassenbewußt, galt es in den Augen der KPD-Führung doch, mit dem agrarischen Großbesitz „ein jahrhundertealtes Unrecht an der bäuerlichen Bevölke2« 705
206 2°7 208 209
Zit. nach: Chronik Deutscher Bundestag 1969-1972, S. 61 ff. „DDR hat auf allen Gebieten Alternative zur Politik der Vergangenheit", in: Neues Deutschland v. 17. 7.70, S. 4. Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft, S. 368. BAB, DO 2/59, Bl. 83, ZVU, „Elf Neubauern auf einem Herrenhof", Pressedienst Nr. 3 v. 8. 1. 48. Kaiser, Klientelbildung und Formierung einer neuen politischen Kultur, S. 129. Erinnerungsberichte aus der meist ausgeblendeten Perspektive enteigneter und ausgewiesener Gutsbesitzersfamilien bietet auf das Jahr 1945 konzentriert: Schicksalsbuch des sächsisch-thüringischen Adels.
III. Die Macht des Sozialen
670
rung" zu beseitigen, die darauf basierende „reaktionäre Vorherrschaft der Junker und Feudalherren im Dorfe"
zu brechen und zugleich die von dieser Landumverteilung profitierenden Bauern „zur kräftigsten Stütze der Demokratie im Dorfe", also der SED-Herrschaft, zu formen. Das Denken in abstrakten Klassenkampfkategorien fiel umso leichter, als man die Enteigneten der sogenannten Bodenreform kollektiv „zu den ständigen Kriegstreibern" der vergangenen Jahrzehnte rechnete: Laut Pieck waren sie „es auch, die gemeinsam mit den großen Industrie- und Finanzkapitalisten Hitler zur Macht verhalfen" und folglich „die Hauptschuld am Kriege und an den Kriegsverbrechen" trugen210. Die in der SBZ enteigneten „7.000 Großgrundbesitzer" oder „Junker" wurden somit von der KPD-Propaganda mit dem dreifachen Stigma einer volksfernen Adelskaste, einer parasitären Ausbeuterschicht und einer an NS-Regime und Weltkrieg hauptschuldigen sozialen Führungsschicht belegt, um möglichst alle Ressentiments der Mehrheitsgesellschaft gegen sie zu mobilisieren. Noch im September 1950 erklärte Pieck, unterdessen Präsident der DDR, auf einer Bauernkundgebung in Leipzig:
„Mit dieser demokratischen Bodenreform haben wir für alle Zeiten die Kaste der feudalen
Rittergutsbesitzer, der Herren, die die Erträge der Landarbeiter und Pachtbauern verpraßten, beseitigt. Nie wieder werden die Herren von und zu die Möglichkeit haben, aus dem Blut
und Schweiß der Bauern und Landarbeiter reaktionäre faschistische Organisationen zu finanzieren. Nie wieder wird diese Kaste auf der Grundlage des Besitzes von Hunderten Hektar Land die Spitzen der Regierung und des Militärs besetzen, um eine Politik des Krieges und der Raubzüge gegen andere Völker durchzuführen."211 Im Kern
die „Bodenreform"
weniger eine agrarpolitische als eine gezielt klassenkämpferische, gesellschaftsverändernde Maßnahme zur politisch-sozialen Entmachtung einer unerwünschten bisherigen Elite212: „Indem sie das Junkertum als Klasse beseitigte, zerschlug sie" aus Sicht der SED „die Bastionen des Imperiawar
lismus und Militarismus auf dem Lande"213. Ein Mitarbeiter der sächsischen SEDLandesleitung hatte 1947 die „Enteignung der Junker" primär deshalb für „notwendig" erklärt, „weil das [bisherige deutsche] Offizierskorps sich aus ihnen rekrutiert" habe214. Als eine der notwendigen „Lehren deutscher Geschichte" rechtfertigte zur selben Zeit das spätere SED-Politbüromitglied Albert Norden, damals Pressechef der DWK, die rücksichtslose Enteignung der „rückschrittlichen Herren von und zu", die „unentwegt einen Teil des Rückgrates der wirtschaftlichen, politischen und militaristischen Reaktion" gebildet hätten, mit dem Willen der ,,ganze[n] Welt", daß mit dem totalen Scheitern des von ihnen mitgetragenen NSAngriffskrieges „diese in unsere Zeit hineinragenden Überreste des 18. Jahrhunderts ausgeräumt werden" müßten. Dieser von den Nationalsozialisten 1933 ins Exil getriebene oberschlesische Rabbinersohn und kommunistische Funktionär bemerkte gar nicht, wie sehr sein Kampfvokabular der entwürdigenden Terminologie des NS-Regimes ähnelte, als er das enteignete Junkerland als „unkraut2'° 2"
2'2 2>3 2,4
Pieck, Reden und Aufsätze, Bd. 2, S. Ebenda, Bd. 2, S. 536. Ebenda, Bd. 2, S. 135. Geschichte der SED. Abriß, S. 104.
Demgegenüber war das denn zwischen allen
Motiv der
11.
Vertriebenenintegration zweitrangig; Klemperer, So sitze ich
Stühlen, Bd. 1, S. 419.
1.
671
Integration durch Bodenreform?
freie[n] Boden" und die verhaßten Enteigneten als ,,ausgerodet[e] [...] Schmarotzerschicht" bezeichnete215. Der von der kommunistischen Propaganda geprägte Begriff des „Junkers" beschwor gezielt das Feindbild eines reaktionären, am NSRegime mitschuldigen Zwingherren und verdeckte die vielschichtigere Realität der Zwangsenteignungen. Noch zum vierzigsten Jahrestag der Bodenreform er-
schienen 1985 in der DDR Erinnerungsbroschüren darüber, „wie wir unseren Gutsbesitzer enteigneten", wobei der letztere natürlich als Besitzer eines 400Hektar-Gutes „einem eingefleischten Militaristen" entsprach, welcher sich „von ,seinen' Leuten mit ,Herr Hauptmann' anreden ließ", doch im Oktober 1945 mit „seinesgleichen [...] für immer ausgespielt" hatte216. In Wahrheit trafen die Enteignungen, die letztlich eine „herrschende Klasse" und nicht nur individuell Schuldige entmachten sollten, Anhänger und Gegner des NS-Regimes gleichermaßen. Aufgrund der kriegsbedingten Abwesenheit vieler dieser „Herren" fand 1945 im übrigen „ein erheblicher Teil der Bodenkonfiskationen" als „Enteignungen von Frauen" statt, die sich mit ihren Angehörigen der Willkür männlich dominierter Bodenreformkommissionen ausgesetzt sahen217. Auch im Fall der Bodenreform-Opfer blieben Vertreibungserfahrungen vorwiegend Frauen, Kindern und alten Menschen vorbehalten. Als das thüringische Rittergut Merxleben enteignet wurde, verhaftete man den Sohn der Besitzerin, ohne daß dieser sich irgendetwas hätte zuschulden kommen lassen, gewissermaßen „vorsorglich"; die Mutter wurde, „rheumatisch und unter Gicht leidend, [...] im Armlehnstuhl aus ihrem Haus getragen, nur ein ehemaliger Knecht habe sich noch um sie gekümmert"218. Greisen Enteigneten, die an ihrem Wohnort zu sterben wünschten, gestatteten die verantwortlichen KPD-Politiker den Verbleib grundsätzlich nicht, so unsicher fühlte sich das neue Regime innerhalb der ländlichen Gesellschaft219. Ende 1946 bemängelte der zuständige Referent der Provinzialverwaltung Sachsen, Dr. Wolkwitz, man hätte bei der Durchführung der Bodenreform ausgewiesenen „Opfern des Faschismus, Antifaschisten u. dergl." unter den enteigneten Großgrundbesitzern „Restgüter bis 100 ha belassen sollen"; einem entsprechenden Vorschlag habe „die SMA Halle zuerst nicht abgeneigt gegenübergestanden, [...] ihn aber dann doch abgelehnt"220. Tatsächlich hatte die sächsische Provinzialverwaltung Ende September 1945 antifaschistisch ausgewiesene Großgrundbesitzer noch öffentlich aufgefordert, „den Antrag auf Belassung eines Restgutes zu stellen", um jedoch daraufhin bis Frühjahr 1946 fortlaufend die Erfahrung zu machen, daß „bei der SMA zur Zeit keine Neigung" bestand, „die Anweisung von Restgütern zu genehmigen". Statt dessen erzwangen sowjetische Kommandanten von Landräten und Kreisbodenkommissionen, welche die Zuteilung solcher Restgüter befürwortet hatten, die Aufteilung des dafür vorgesehenen Landes221. In 2.5
Norden, Lehren deutscher Geschichte, nen der DDR, S. 1042 f.
S. 261;
Biographisches in: Die Parteien und Organisatio-
Kleßmann/Wagner, Das gespaltene Land, S. 163 f. Vgl. Osmond, Geschlechtsspezifische Folgen der Bodenreform, S. 156f. Schier, Alltagsleben im „sozialistischen Dorf", S. 98f. 2,9 Naimark, The Russians in Germany, S. 157. 22 BAB, DK 1/8170, Bl. 7ff., insb. Bl. 40, DVLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht 2.6
Zit. nach:
2.7 7'8
22i
zur Bodenreform in der SBZ, 7.12. 46. Wille, Die Verabschiedung der Verordnung über die Bodenreform, S.
100 f.
672
III. Die Macht des Sozialen
Brandenburg scheint eine Handvoll nachweislich „antifaschistischer"
Gutsbesiteinen Rest ihres Besitzes ausnahmsweise gerettet haben zu können, während solche Ausnahmeregelungen in Sachsen-Anhalt grundsätzlich verboten wurden222. Anfang 1946 sprach sich Wilhelm Pieck zwar im KPD-Zentralkomitee für Vergabe von Restgütern oder Neubauernstellen an nachweislich antifaschistische Gutsbesitzer aus, beharrte jedoch auf der Ausweisung auch solcher Personen aus ihren bisherigen Heimatgemeinden. Das kommunistische Kernziel, mit der physischen Vertreibung der Großgrundbesitzer „traditionale paternalistische Klientelbeziehungen in den Dörfern zu beseitigen", trat hierbei deutlich hervor223. Den kommunistischen Initiatoren der „Bodenreform" ging es um nichts Geringeres als eine Veränderung der politischen Kultur auf dem Lande, um eine tiefe mentale Zäsur224. Das „Abhängigkeitsgefühl" und der „Untertanengeist, der unter dem Großgrundbesitz herrschte", sollte durch größeres Selbstbewußtsein und „mehr Rückgrat" der übrigen Landbevölkerung bei der Wahrnehmung der eigenen Interessen ersetzt werden. Funktionäre der DVLF, die Ende 1946 diese Ziele notierten, waren freilich realistisch genug, diesen Demokratisierungsprozeß nicht nur durch das mentale Erbe der eben erst überwundenen NS-Diktatur, sondern auch durch das aktuelle Problem „der offenen militärischen Besatzung" konterkariert zu sehen. Tatsächlich verschaffte das Vorgehen sowjetischer Kommandanten bei der Eintreibung des Ablieferungssolls der Landbevölkerung immer wieder die Alltagserfahrung einer rücksichtslosen Willkürherrschaft225. Der von der SED-Historiographie beschworene „erbitterte Widerstand" von Großgrundbesitzern und ihres „Anhangs" gegen die Enteignung erscheint angesichts der faktischen Machtverhältnisse in der sowjetisch besetzten Zusammenbruchsgesellschaft der SBZ als völlig überzeichnet, obgleich es vereinzelte Abwehrbestrebungen gegeben haben dürfte. Im 1978 veröffentlichten „Abriß" der „Geschichte der SED" heißt es jedoch verallgemeinernd über die Gutsbesitzer: zer
„Sie versuchten, die Dorfbevölkerung einzuschüchtern oder für ihre Zwecke zu mißbrauchen. Gerüchte wurden verbreitet, die Bodenreform wäre nicht von Dauer und die Neusiedler müßten dafür büßen, wenn sie Land übernähmen. Man versuchte, reaktionäre Elemente in die Bodenkommissionen einzuschleusen. Selbst mit Gewaltakten wurden die Pioniere der Bodenreform bedroht. Die Junker und ihr Klüngel sabotierten mit allen Mitteln die Demokratisierung der Landwirtschaft und einen Aufschwung in der Agrarproduktion."226 Vertreter des
„Junkerklüngels", die ihrer Enteignung Widerstand entgegenzuschienen, wurden jedoch rücksichtslos verhaftet227. Zu Recht bescheinigte die SED-Geschichtsschreibung der „Anwesenheit der sowjetischen Besatzungsmacht" wesentlichen Anteil daran, „daß der Widerstand der Großgrundbesitzer und ihres Anhangs im Keime erstickt werden konnte"228, denn durch die Sowjets setzen
Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft, S. 94 und Naimark, The Russians in Germany, S. 156 f. Ländliche Gesellschaft, S. 94. Bauerkämper, 224 Kaiser, Klientelbildung und Formierung einer neuen politischen Kultur. Vgl. 223 BAB, DK 1/8170, Bl. 7ff., insb. Bl. 30r, DVLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht 222
223
Bodenreform in der SBZ, 7. 12. 46. Geschichte der SED. Abriß, S. 101 f. In Thüringen sollen 1945 115 „Großagrarier" verhaftet worden sein; der SBZ, S. 1164. Geschichte der SED. Abriß, S. 104. zur
2» 227
228
vgl. Merz, Bodenreform in
1.
Integration durch Bodenreform?
673
wurde jede offene „Machtfrage" rasch geklärt. Die Parteihistoriographen der SED ließen sich übrigens nicht näher darüber aus, daß die überwiegende Anzahl der Enteigneten zugleich vertrieben worden war, um ihren sozialen Einfluß auf die ihnen vertraute Landbevölkerung zu brechen. Dabei war es gerade diese inhumane Kombination von Enteignung und Ausweisung, durch die wie die sächsische Provinzialverwaltung 1946 feststellte das „politische Ziel" der Bodenreform „vollkommen erreicht" werden konnte: -
-
„Zunächst versuchten die Gutsbesitzer, unter den Landarbeitern und Landarmen Stimmung
gegen die
Enteignung zu machen. Die ergriffenen Gegenmaßnahmen waren die Orts- oder Kreisverweisung aller Vorbesitzer, in besonders schwerwiegenden Fällen sogar die Provinzverweisung, was sich als äußerst wirksam erwies. Viele der Gutsbesitzer sind nach den westlichen Zonen abgezogen, andere sind in der Provinz verblieben und haben keinen Einfluß mehr."229
Nullsummenspiel der Bodenreform, Integration durch Desintegration zu erzwingen, war es insofern kein Zufall, daß die enteigneten Grundbesitzerfamilien, die aus einem Umkreis von zwanzig Kilometern systematisch ausgewiesen werden sollten, zum Abtransport ausgerechnet „der Flüchtlingsfürsorge überwiesen" wurden230. Das bedeutete, daß die Enteigneten der Bodenreform mit demselben Transportsystem innerhalb der SBZ deportiert wurden, mit dem seit Herbst 1945 Millionen Zwangsumgesiedelte aus anderen Regionen Deutschlands und Europas in die sowjetische Zone hineingekarrt wurden. Bedenkt man, daß „schon der Transport der Zwangsmigranten" unter den Bedingungen einer auch verkehrstechnischen Zusammenbruchsgesellschaft „logistisch eine enorme Herausforderung" war231, werden die ,,schwere[n] Bedenken gegen die Abschiebung" der zusätzlichen Opfer der Bodenreform verständlich, die der erste Präsident der ZVU, der Altkommunist Josef Schlaffer, im November 1945 bei der KPD-Führung erhob232. Schlaffer suchte seine Haltung mit dem Hinweis zu verteidigen, die von ihm pauschal als „Nationalsozialisten" bezeichneten Enteigneten seien in ihrer engeren Heimat wenigstens bekannt und könnten dort folglich „kein Unheil mehr anrichten", während diese soziale Kontrolle andernorts fehle. Demgegenüber verfocht Anton Ackermann den gegenteiligen Standpunkt, „daß die Gutsbesitzer in ihren Dörfern den größten Schaden anrichten" könnten, sollten sie nach ihrer Enteignung dort verbleiben. Parteichef Pieck suchte die Kontroverse mit dem makabren Scherz aufzulockern, dann könne man die Enteigneten „also nur erschiessen", womit er einen Heiterkeitserfolg erzielte. Am Ende sah sich der ZVU-Präsident gezwungen, die überregionale Deportation von Gutsbesitzerfamilien (und damit des größten Teils der Enteigneten) durchzuführen; nur enteigIm
-
-
BAB, DK 1/8170, Bl. 7ff., insb. Bl. 32, DVLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht zur Bodenreform in der SBZ, 7.12. 46. 230 BAB, DO 2/62, Bl. 2 f., unter anderem am Beispiel des Kreises Neustrelitz; vielleicht war es diese spiegelverkehrte Schicksalsgemeinschaft mit den eigentlichen Vertriebenen, die einen enteigneten 229
vorpommerschen Grafen im Herbst 1945 dazu bewegte, sich mit Vorschlägen zur Umsiedlerbetreuung an die ZVU zu wenden; vgl. BAB, DO 2/67, Bl. 15f., Graf C. M. Seh., vormals Dargibell/ Kr.
23i 232
Anklam, nun Berlin, an ZVU [?],
17. 10. 45.
Bauerkämper, Verwaltung und Gesellschaft, S. 243. Sattler, Wirtschaftsordnung im Übergang 1, S. 158, hebt als Schlaffers Motiv den Aspekt der besseren Kontrolle „faschistischer" Elemente hervor, der jedoch eher instrumenteil vorgebracht worden sein dürfte, um das eigentliche Ziel der Transportvermeidung zu erreichen.
674
III. Die Macht des Sozialen
Nationalsozialisten sollten zum Zwecke besserer Kontrolle in ihrer engeren Heimat verbleiben dürfen233. Die Entscheidung der KPD-Führung machte klar, daß die Deportation der ehemaligen Gutsbesitzerfamilien primär deren sozialen Einfluß brechen sollte. Zu den dringenden Befürwortern einer Zwangsumsiedlung enteigneter Gutsbesitzerfamilien gehörte die sächsische Landesverwaltung. Bereits im November 1945 hatte der Chef der sächsischen Polizei, der spätere Innenminister Arthur Hofmann (KPD), im „Einverständnis mit der SMA" enteignete Großgrundbesitzer und „Naziverbrecher" aus Sachsen auf die Insel Rügen verfrachten lassen. Diese weiträumige Deportation hielt man für erforderlich, um den Erfolg der noch laufenden Landumverteilung sicherzustellen. Hofmann ließ nämlich der offensichtlich überraschten ZVU ausrichten, „daß von der Insel Rügen bereits eine Anzahl Umsiedler [i.e. Enteignete] wieder in ihre Heimatgebiete in Sachsen zurückgekehrt ist, wodurch unter den Bauern, die Land erhielten, eine Beunruhigung entstanden ist", und bat die KPD-Genossen in der Umsiedlerverwaltung dringend, man möge keine weiteren Ausreisegenehmigungen für Rügen mehr erteilen234. Die Umsiedlerverwaltung hielt jedoch überregionale Deportationen lediglich auf der Basis strikter Gegenseitigkeit für möglich: „Keine Provinz will solche Leute aufnehmen, ohne die gleiche Anzahl an die jeweilige Provinz wieder abgeben zu können."235 Daraufhin räumte die sächsische Landesverwaltung jenen Enteigneten, die als „in keiner Weise politisch belastet" galten, die Möglichkeit ein, sich außerhalb ihres bisherigen Heimatkreises innerhalb Sachsens selbst niederzulassen236. „Unzulässige Enteignungen" waren nach Schätzung der sächsischen Provinzialverwaltung 1945/46 in bis zu 100 Fällen auch bei Höfen unter 100 Hektar erfolgt, konnten jedoch später nicht rückgängig gemacht werden, obwohl sie sich „in der Öffentlichkeit so" auswirken, „als ob es sich um 10000 Fälle gehandelt habe". Als irreversibel erwiesen sich auch Enteignungen, die „aus Eigennutz und persönlicher Feindschaft" verfügt worden waren237. Juristische Widerstandsversuche enteigneter Eigentümer blieben nahezu aussichtslos. Als die Berliner Reichsleitung der CDU im November 1945 einen Bericht über Rechtsverletzungen bei der Bodenreform vorlegte, erklärte sich die zentrale Justizverwaltung der SBZ für unzuständig238. Auf der politisch und juristisch zuständigen Regionalebene sammelten die bürgerlichen Blockparteien Sachsens bis Ende 1946 rund 320 Eingaben von enteigneten Bauern mit Höfen unter 100 Hektar, um das Problem vor den Landtag zu bringen239. Somit lag in Sachsen gegen jede vierte Enteignung nete
233
Benser/Krusch, Dokumente zur Geschichte der kommunistischen Bewegung, Bd. 2, S. 311-313, wo
234
Schlaffer als „Schäffer" firmiert. LV Sachsen, Abt. Inneres und
Ebenda, Bl. 1, mann,
233
23
237
238
239
an
ZVU
Sachsen, 14.
11. 45.
Volksbildung, Chef der sächsischen Polizei, HofSammellager in Sachsen selbst gebildet werden; Ebenda,
Aus diesem Grunde sollten zunächst ZVU Sachsen an LV Sachsen, Chef der Sächsischen Polizei, 15.11. 45. BAB, DK 1/8163, Bl. 5, LV Sachsen, Abt. LW, Fischer, Rdschr. v. 16. 1. 46. BAB, DK 1/8170, Bl. 7ff., insb. Bl. 40, DVLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht zur Bodenreform in der SBZ, 7. 12. 46. Pohl, Justiz in Brandenburg, S. 73. So die Einschätzung des thüringischen CDU-Landesvorstands, der deshalb eindringlich für nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Enteignungen eintrat; BAB, DK 1/8170, Bl. 7fL,
1.
Integration durch Bodenreform?
675
Einspruch vor, der nach Einschätzung der zonalen AgrarAnwendung der Gesetze auch fast ausschließlich zu Recht" bestand. Die Aussichten auf Restituierung enteigneter Eigentümer waren jedoch durchweg schlecht, da der verwaltungsgerichtliche Klageweg ausgeschlossen war und die für Revision zuständige Landesbodenkommission nach Erfahrung der zentralen Agrarverwaltung „ungern oder garnicht [sie!] daran ging, ungerechte resp. ungesetzliche Enteignungen wieder rückgängig zu machen"240. Es war kaum ein Zufall, daß ausgerechnet in Sachsen die Landesbodenkommission frühzeitig aufgelöst und selbst trotz des Drängens der zentralen Agrarverwaltung nicht wieder eingerichtet wurde. SED-Innenminister Fischer, der die sächsische Bodenreform persönlich geleitet hatte, berief sich zur Rechtfertigung dieser zeitweiligen Blockade auf regionale „Sonderverhältnisse" und die damit zusammenhängende „Gefahr, daß politische Gegner in die Landesbodenkommission hinein gelangen und hierbei eine Verwässerungs- und Verschlechterungstaktik durchzusetzen versuchen würden". Bereits das vom bürgerlichen Verwaltungsjuristen Reinhard Uhle (LDP) geleitete Dresdner Landwirtschaftsministerium erschien dem Altkommunisten Fischer als Bedrohung, denn selbst SED-Funktionäre diekleinerer Betriebe ein
verwaltung „bei
genauer
Ressorts seien teils offene „Saboteure der Bodenreform", teils einfach „zu weich"241. Fischer hatte die Entwicklung in anderen Ländern vor Augen, wo sich aufgrund der Hartnäckigkeit bürgerlicher Parteienvertreter Überprüfungsverfahren über Jahre hinzogen242. Solche Verfahren behinderten zwar nicht die Enteignung der betroffenen Betriebe, führten jedoch zu anhaltender Rechtsunsicherheit auch für die Neubesitzer und beeinträchtigten damit die von SMAD und SED gewünschte „Festigung" der Bodenreform durch Bekräftigung des „voll wirksamen Eigentum[s]" an umverteiltem Agrarland243. Freilich war die sowjetisch-kommunistische Herrschaft auf dem Lande keineswegs total. So unnachsichtig SMAD und KPD/SED die Enteignung des Großgrundbesitzes durchzuführen gedachten, so wenig führte die Bodenreform 1945 zur vollständigen Vertreibung der bisherigen Besitzeliten. Pächter großer Kirohnehin der waren von Enteignung ausgenommen und bliechengüter gesetzlich ben in der Regel ungeschmälert in ihren sozioökonomischen Machtpositionen244. In anderen Fällen konnten Enteignete mit Hilfe ihrer sozialen Netzwerke unweit ihrer bisherigen Wohnorte einen Neuanfang unternehmen. So hatte der frühere Pächter des rund 600 Hektar großen Gutes Tranitz, das 1945 in der Bodenreform „aufgesiedelt" worden war, sich selbst und Familienangehörigen in Kathlow, Kreis Cottbus, insgesamt sechs Neubauernhöfe der besten Bodenklasse, größere ses
74° 24i
242
243
244
insb. Bl. 7r und Bl. 9, DVLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht zur Bodenreform in der SBZ, 7. 12. 46. Ebenda, Bl. 40 und Bl. 42 f. BAB, DK 1/8163, Bl. 43 ff., insb. Bl. 45, DVLF, Dölling, Aktennotiz v. 17. 10. 47. In einem Falle war ein Gut längst in sieben Neubauernhöfe aufgeteilt und der enteignete Besitzer verstorben, als dessen Erbin und Tochter 1947 gegen die Enteignung mit juristischen Mitteln weiterhin aufbegehrte, was immerhin dazu führte, den gegen sie gerichteten Ausweisungsbeschluß längerfristig außer Kraft zu setzen; vgl. BAB, DO 2/62, Bl. 116f., Landesbodenkommission Brandenburg, Bericht über Sitzung am 18. 11. 47. Ebenda, Bl. 17ff., DVLF, Entwurf einer Verordnung „zur Festigung des auf Grund der Bodenreform entstandenen landwirtschaftlichen Grundbesitzes", 9.11. 46, insb. Art. 1. Vgl. ein Fallbeispiel: ebenda, Bl. 40.
III. Die Macht des Sozialen
676
Waldgebiete und sogar den Maschinenpark seines früheren Gutes zu sichern gewußt. Nachdem er in seinem neuen Wohnort ein Sägewerk errichtet hatte, war es ihm durch Kontakte zu einem (später wegen NS-Belastung entlassenen) Mitarbeiter der Potsdamer Landesverwaltung gelungen, 1946 auch noch eine landeseigene Teichwirtschaft
von
600
Morgen zu pachten. Während sein als
Neubauer ange-
angeblicher „Werwolf"-Tätigkeit in sowjetische Haft dieser frühere Gutspächter zum Vorstandsmitglied und Geschäftsführer der örtlichen Fischereigenossenschaft. Erst nach Jahren scheiterte dieser Neuanfang, der den depossedierten Gutspächter erneut in die soziale Elite einer sowjetzonalen Dorfgesellschaft geführt hatte: Vermutlich infolge einer Denunziation wurde dem Betreffenden auf Weisung des für Landwirtschaft zuständigen SED-Führers Paul Merker im Januar 1949 der Neubauernhof aberkannt; zugleich wurde er aus seinem Wohnort ausgewiesen245. Eine beachtliche Minderheit der Enteigneten hatte 1945 nicht einmal ihren bisherigen Wohnort verlassen müssen. Wie die sächsische Landesverwaltung Ende 1946 herausfand, wurde „das Gut Rahmsdorf [vermutlich Ramsdorf, Kreis Borna] so aufgeteilt, daß eine Siedlung die ehemalige Pächterin, eine Siedlung ihr Sohn und eine Siedlung ihre Tochter erhielt. Die vierte Siedlung erhielt ein [nicht
Schwiegersohn geriet, avancierte
setzter
wegen
zur Familie zählender] Neubauer. Falls also eine Heirat zwischen Neubauer und Tochter zustande käme, wäre das gesamte Gut wieder ausschließlich im Besitz der Pächterfamilie."246 Ähnlich wie in der russischen Revolution nach 1917 wurde offenbar auch in der SBZ einer beachtlichen Minderheit bisheriger Besitzer von ihren Dorfgesellschaften die Chance eingeräumt, sich als Kleinlandwirte an der „neuen Zeit" gleichberechtigt zu beteiligen247. Auf diese Weise erhielten von 2080 in Brandenburg 1945 enteigneten Grundbesitzerfamilien 798 also über 38% aus den Beständen ihrer ehemaligen Güter Neubauernhöfe, von denen sie erst zwei Jahre später vertrieben wurden248. Damals konstatierten SMAD-Vertreter auf einer Zonenbodenkonferenz im Juli 1947, daß Neubauern in vielen Dörfern ökonomisch benachteiligt oder gar „verdrängt" würden, während Angehörige der enteigneten Grundbesitzer-Elite nach wie vor über Einfluß verfügten: -
-
„Es ist vorgekommen, daß Neubauern aus dem Dorf verdrängt wurden. Man gab ihnen weder Zugvieh noch Geräte noch Saatgut, dann beschuldigte man sie und wurde sie auf diese Weise los. In Steinitz Kreis Calau lebt der Gutsbesitzer wie früher. In der Nachbargemeinde [...] wohnen Verwandte [dieses Gutsbesitzers], sie haben mehr als früher an Vieh und Inventar. Auf dem Gut in Gänzendorf lebt man wie einst, hat 25 Hektar vom eigenen Land erhalten und das Leben ist wie früher. [...] 35 große Güter sind in der Mark Brandenburg noch nicht aufgeteilt worden, und dabei gibt es keinen Boden für die kleinen Bauern und Landarbeiter."249
243
2«
SAPMO, DY30/IV2/2.022/36, Bl. 112, SED, ZS, Abt. Personalpolitik, an Merker, 15. 11. 48, sowie Bl. 113, SED, LV Brandenburg an SED, ZS, 5.1. 49. BAB, DK 1/8170, Bl. 7ff., insb. Bl. 42, DVLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht zur Bodenreform in der SBZ, 7. 12. 46.
Vgl. zur russischen Entwicklung nach 1917: Figes, Die Tragödie eines Volkes. Zur Vertreibungsaktion des Befehls Nr. 6080: Ross, Constructing Socialism at the grass-roots, S. 20; Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft, S. 95 f. 249 BAB, DO 2/62, Bl. 73 ff., ZVU, Abt. BPuA, Haslinger, Bericht über die Zonenkonferenz der Bodenordnung am 29./30.7., 7. 8. 47. 247
248
1.
677
Integration durch Bodenreform?
Solche Feststellungen führten 1947 nicht nur zu neuen Wellen von Enteignung und Zwangsausweisung, sondern dürften auch den sowjetischen Entschluß beeinflußt haben, mit Hilfe des im September 1947 eingeleiteten Neubauern-Bauprogramms möglichst viele Schlösser und Gutshäuser als Symbole der früheren sozialen Machtverhältnisse buchstäblich zu zerstören250. Diese Abrißpolitik war rechtsstaatlicher Kontrolle ebenso entzogen wie die neuerlichen Enteignungswellen; Proteste, wie sie etwa die brandenburgische CDU gegen letztere erhob, verhallten wirkungslos251. Statt dessen forderten die SED-Mitglieder der brandenburgischen Landesbodenkommission Ende 1947, alle Enteignungsfälle müßten „streng politisch aus der sozialen Atmosphäre des alten Dorfes betrachtet und entschieden werden", da das politische Ziel der Bodenreform, „dem Dorf ein neues Gesicht zu geben, es mit fortschrittlichen Elementen zu erfüllen", danach verlange, „die sozialen Wurzeln der alten Hierarchie [...], aus der schließlich der Faschismus erwuchs, schleunigst und gründlichst auszureißen". Jene EinzelfallerÜberprüfungen, auf welche die bürgerlichen Parteien so großen Wert legten, Winkelals mit schienen den Enteignungsbefürwortern lediglich „formalistischen zügen" betriebene „Obstruktionspolitik", um, „wo immer nur möglich, die alten Besitztitel und Privilegien zu erhalten" und „die durch die Bodenreform angestrebte soziale und gesellschaftliche Entwicklung [...] mit aller Kraft [zu] hem-
men"252. Mit Hilfe der Sowjets konnte die SED rechtsstaatliche Argumente der bürgerlichen Parteien jederzeit außer Kraft setzen. In einem Landtagsdisput mit einem LDP-Abgeordneten, der die Ausweisung Enteigneter aus ihren Heimatkreisen in Frage zu stellen wagte, berief sich der für die Bodenreform zuständige SED-Innenminister auf den erklärten Willen der SMA, deren Befehl endlich durchgeführt werden müsse253. Überdies ordnete die brandenburgische SMA im Sommer 1947 per Befehl Nr. 6080 ausdrücklich an, noch in ihren Heimatorten seßhafte frühere
Gutsbesitzer landesweit
ausfindig zu
machen und
aus
ihren Wohnorten
auszu-
weisen, da der häufige „Aufenthalt der früheren Gutsbesitzer auf ihren ehemaligen Besitzungen oder in benachbarten Städten und Gemeinden" geeignet sei, „bei
den Neubauern, die Land aufgrund der Reform erhalten haben, Unsicherheit über ihre Lage" hervorzurufen254. Allein aus der östlichen Prignitz wurden daraufhin bis Jahresende 72 enteignete Gutsbesitzer, die dort als Neubauern ansässig waren, deportiert, um die dadurch „freiwerdenden Siedlungen" sudetendeutschen Antifa-Umsiedlern zu übereignen255. Noch im Sommer 1948 protestierte der brandenburgische CDU-Vorsitzende Ernst Zborowski gegen diese Ausweisungsmaßnahmen, die „unter oft recht fragwürdiger Auslegung des Befehls 6080" erfolgt 23° 25i 232
Vgl. unten Kap. III.1.3.1. Pohl, Justiz in Brandenburg, S. 73. Landesbodenkommission Bl. BAB, DO 2/62, 18. 11.47.
116 f.,
Brandenburg,
Bericht über die
Sitzung am
Vgl. BAB, DK 1/8165, Bl. 70 f. Ausgenommen wurden lediglich „frühere Gutsverwalter, die durch die Tat ein loyales Verhalten gegenüber der Bodenreform" gezeigt hätten; vgl. BAB, DO 2/64, Bl. 234, SMAB an MP Brandenburg, Befehl Nr. 6080 v. 23. 8. 47. 253 Ebenda, Bl. 244, SED, LV Brandenburg, Abt. Landwirtschaft, an Gen. Josef B., Finsterwalde, 1.12. 47; Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft, S. 95, spricht hingegen von lediglich 44 Ausgewie233 254
senen.
678
III. Die Macht des Sozialen
und lediglich geeignet seien, „der Seßhaftmachung von Neu- oder Umsiedlern entgegen zu wirken"256. Neubäuerliche Karrieren enteigneter Gutsbesitzer endeten wohl weniger durch systematische Ausweisungsaktionen der SMA als durch individuelle Denunziationen, die zur punktuellen Intervention des zur totalitären Überwachung noch keineswegs fähigen Staatsapparates führten. Als das im Kreis Arnstadt gelegene Gut Osthausen 1945 in vier Neubauernhöfe aufgeteilt wurde, verteilte ein Mitarbeiter des Landratsamtes diese Höfe nicht nur an den späteren Vorsitzenden der örtlichen VdgB, an ein angebliches „Opfer des Faschismus" und an einen Vertriebenen, sondern auch an den Sohn des enteigneten Gutsbesitzers. Letzterer hatte neben dem OdF „bei der Bodenverteilung den besten Boden erhalten", während der ortsfremde Umsiedler-Neubauer „den schlechtesten" bekam. Der Gutsbesitzersohn verstand sich nicht nur durch alte Kontakte zur Arnstädter Kommunalbürokratie, sondern auch durch neu etablierte Kontakte zu seinem (offenbar auf dem Schwarzmarkt tätigen) OdF-Nachbarn abzusichern, dessen Nichte er als Haushälterin beschäftigte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die so ungleiche soziale Konstellation in Osthausen eskalierte: Nachdem eine schriftliche Beschwerde des VdgB-Vorsitzenden über diese beiden Nachbarn bei der Kreisverwaltung ohne Erfolg geblieben war, schalteten dieser Funktionär und der Umsiedler-Neubauer Anfang 1948 einen SED-Vertrauensmann mit Kontakten zur Landesregierung ein. Aus Sicht der Denunzianten herrschte mit den anderen beiden Neubauern „ein sehr schlechtes zusammenleben [sie!]", da der NS-Verfolgte eher dunkle Machenschaften als eine ordentliche Landwirtschaft treibe, während „der Sohn des ehemaligen Gutsbesitzers [...] mit allen Mitteln versucht, die alleinige Herrschaft auf dem Gut wiederzu [sie!] erlangen und gleichzeitig die Aufbauarbeit der Wirtschaft mit allen Mitteln zu Sabotieren [sie!]". Der Übermittler der Denunziation gab der Landesregierung die Empfehlung, mit Hilfe der SEDOrtsgruppe die „Politische Lage zu reinigen", um „das Wirtschaftliche und Politische Nivo [sie!] bei den Neusiedlern" des Ortes zu heben257. Nicht nur in diesem Fall griffen in lokalgesellschaftlichen Kräftekonstellationen die Schwächeren zum Mittel der Konfliktausweitung durch denunziatorischen Appell an den SED-Staat. Auch in der Prignitz machte erst die Denunziation einer Vertriebenen die brandenburgische Provinzialverwaltung Anfang 1947 darauf aufmerksam, daß sich unter den 33 Neusiedlern des je zu acht Hektar aufgeteilten Gutes Eggersdorf, Kreis Pritzwalk, auch „die Kinder des enteigneten Großgrundbesitzers" befanden, die sich Ende 1945 offenbar drei dieser Höfe gesichert hatten. Denunziert wurde ferner der Vorsitzende der Gemeindebodenkommission, ein früherer Landarbeiter des aufgeteilten Gutes, der nicht nur der eigenen Familie zwei Neubauernhöfe zugeteilt, sondern auch einen früheren auswärtigen NSDAP-Ortsgruppenleiter als Neubauern akzeptiert haben sollte. Die Potsdamer Prüfungskommission, die daraufhin im Dorf erschien, veranlaßte die
Anspielung auf begünstigte Antifa-Umsiedler wurden auch „parteipolitische Beweggründe" der SED kritisiert; vgl. BAB, DO 1-7/39, Bl. 20ff., insb. Bl. 21, CDU, LV Brandenburg, Zborowski, an Mdl Brandenburg, Bechler, 10. 8. 48.
236
Unter
237
ThüHStA, Büro MP 271/34, Bl. 12, Bericht über das Dorf Osthausen, Kr. Arnstadt, o.D. [ca. Jan. 1948].
1.
Integration durch Bodenreform?
679
Neuvergabe dieser fünf Neubauernhöfe „an Umsiedler, die noch kein Land erhalten haben und bis jetzt bei anderen Siedlern als Landarbeiter gearbeitet haben". Die Angehörigen des früheren Großgrundbesitzers und der ehemalige NS-Aktivist sollen zudem ausgewiesen worden sein. In Eggersdorf erfolgte somit die endgültige Vertreibung der schon angeschlagenen alten Elite durch ein über Denunziation vermitteltes Interessenbündnis zwischen Vertriebenen und SED-Regime. Dabei beließen es die einmal aufmerksam gewordenen Vertreter der Staatsmacht nicht: Sie stellten überdies fest, daß „im Gegensatz zu der Unterbringung der Siedler [...] die Unterkünfte der Umsiedler katastrophal" seien, und veranlaßten Gemeindekommission und VdgB-Ortsausschuß, „das Mobiliar des Gutshauses, das sich verschiedene Leute im Dorf angeeignet haben, wieder herbeizuschaffen und durch den Wohnungs- und Umsiedlerausschuß gerecht zu verteilen". Die ganze männliche Bevölkerung des durch zuviel Großzügigkeit gegenüber der früheren Gutsbesitzerfamilie aufgefallenen Ortes wurde zu Ausbesserungsarbeiten an den Wohnungen der Vertriebenen genötigt. Der ganze Zorn der einheimischen Bevölkerung richtete sich daraufhin gegen die vertriebene Beschwerdeführerin,
die durch ihre Denunziation „die Unruhe im Dorf erhöht" habe258. Angesichts derartiger Konfliktverläufe wundert es nicht, daß Vertriebene in nicht wenigen Dorfgesellschaften als die eigentlich Schuldigen an der „Umwälzung" galten, obgleich insgesamt mehr Einheimische von der Bodenreform profitiert hatten. Oft mischte sich die Abneigung gegen dorthin-vertriebene Fremde mit Loyalität gegenüber den hinweg-vertriebenen Gutsherren. Ende 1948 wurde im brandenburgischen Haage, Kreis Nauen, ein ehemaliger Gutsarbeiter des enteigneten Großgrundbesitzers denunziert, weil er ein Neubauer und ein früheres SPD-Mitglied, das nun jedoch nicht in der SED, sondern in der LDP organisiert öffentlich erklärt habe: „Wenn unser Herr [...] wiederkommt, werden wir war zuerst einen von den Umsiedlern aufhängen." Der offensichtlich zu den Vertriebenen des Ortes zählende Denunziant informierte die SED, ein „großer Teil der früheren Gutsarbeiter" dieses Dorfes wünsche noch nach drei Jahren die Rückkehr des früheren adligen Gutsherrn herbei „leider sind auch SED-Genossen dabei"259. In solchen lokalgesellschaftlichen Konstellationen schienen die Umsiedler-Neubauern jedenfalls im Hinblick auf die „Festigung der Bodenreform" die noch am ehesten verläßliche SED-Klientel auf dem Lande zu sein. Doch auch dies mochte trügen, denn unter letzteren traten zum langanhaltenden Verlangen nach Rückkehr in die frühere Heimat häufig Enttäuschung und Resignation über nicht enden wollende Benachteiligungen in der Aufnahmegesellschaft. Im September 1950 hatten daher etliche „Delegiertenkonferenzen der Nationalen Front" gegenüber der SED-Führung „mit allem Nachdruck unterstrichen, daß wir insbesondere in den Landgemeinden eine Änderung der [mehrheitlich ungünstigen] Meinung der Umsiedler nur dann erreichen werden, wenn wir eine wirtschaftliche Besserstellung derselben und vor allen Dingen eine Änderung ihrer -
-
-
-
-
238
239
BAB, DO 2/64, Bl.
185 ff., [Provinzialverwaltung Mark Brandenburg], Dezernat Bodenrecht und Bauernordnung, Rechtsreferat, Prüfungsbericht der Bodenreform-Resultate in Eggersdorf, Kr. Ostprignitz, 12.2. 47. SAPMO, DY30/IV2/9.02/44, Bl. 687ff., insb. Bl. 696, SED, ZS, Abt. Werbung, Bericht v. 10. 12.
48.
680
III. Die Macht des Sozialen
wohnlichen Unterbringung vornehmen". Viele auf dem Lande lebende Vertriebene seien mit der (damals soeben erfolgten) Anerkennung „der Oder-NeißeGrenze nicht einverstanden" und wollten die bevorstehenden EinheitslistenWahlen boykottieren, „weil sie so furchtbar schlecht untergebracht sind, sich nicht wohlfühlen, sich niemand um sie kümmert und sie hier darum nicht ihre Heimat finden können"260. 1.1.4. Vertriebene als
„Reservearmee": Temporale Strukturen der
Vertriebenen-Partizipation an der „Bodenreform"
Die sogenannte „Bodenreform" war keine Reform, sondern fraglos revolutionär. Kann sie aber auch als „wichtigstes Element" eines „Sozialrevolutionären Ansatzes der Vertriebenenpolitik" in der SBZ/DDR261 gelten? Gewiß: Die SED-Propaganda stellte die Vertriebenenbeteiligung an der Bodenreform immer wieder, wenn sie dessen bedurfte, ungeniert als großen Erfolg ihrer Integrationspolitik dar. Stolz erklärte DDR-Präsident Pieck als Wahlkämpfer im Oktober 1950 in seiner (durch die Oder-Neiße-Grenze geteilten) Geburtsstadt Guben: „Wir gaben den Umsiedlern Land der Junker. Im Westen ist nichts dergleichen geschehen."262 Wie verträgt sich diese SED-Interpretation, die auch bei einem Teil der neuesten Forschung Anklang findet, mit sozialhistorischen Forschungsergebnissen, die das Verhältnis zwischen Bodenreformpolitik und Umsiedlerpolitik in der SBZ/DDR eher als „deklamierte Integration"263 beschreiben? Eine Ursache für die Überschätzung der Bodenreform als „Sozialrevolutionäre Vertriebenenpolitik" ist der allzu schematische Blick auf die abschließende Erfolgsziffer von über 91 000 Umsiedler-Neubauern, die im Jahre 1950 in der DDR stolze 43,4% aller Neubauern stellten. Damit waren Vertriebene tatsächlich „weit über ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung unter den Nutznießern der Bodenreform vertreten"264. Diese Tatsache erlaubt jedoch nicht den Rückschluß, die sowjetzonale Politik habe Vertriebene bei der Landverteilung gezielt gefördert; ebenso wenig gestattet sie die Spekulation, eine Neuverteilung" von Land an Vertriebene sei in der SBZ „für die Machthaber von Beginn an" offenbar „politisch leichter durchzusetzen" gewesen „als die f/mverteilung knapper Güter wie Wohnraum, Möbel oder Hausrat"265. Angesichts der hohen Bedeutung, welche die Verfügung über Agrarland in der Ernährungskrise der Nachkriegszeit besaß, zeugen solche Ausführungen nicht unbedingt von gesellschaftsgeschichtlicher Tiefenschärfe. Agrarland war ein knappes und in der „Rationengesellschaft" höchst begehrtes Gut, um das sich ebenso heftige soziale Verteilungskonflikte rankten wie in der Wohnraum- und Hausratfrage. Die Verfügung über Land entschied in den dörflichen Gesellschaften zugleich über Sozialprestige und lokale 2'°
26' 2«
SAPMO, DY30/JIV2/3/137, Bl. 1 ff., insb. Bl. 58, SED, ZK, Sekretariat, Protokoll Nr. 11 der Sitzung des ZK-Sekretariats am 11.9. 50, Anlage 4: „Bericht über das Ergebnis der Versammlungen und Delegiertenkonferenzen zur Vorbereitung des Nationalkongresses", o.D. So jedenfalls Ther, Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen, S. 150. Pieck, Reden, Bd. 2, S. 554.
Bauerkämper, Die vorgetäuschte Integration, S. 196. Meinicke, Flüchtlinge, Umgesiedelte, Vertriebene, S. 60. 263 Vgl. wiederum Ther, Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen, S. 150. 263 264
1.
Integration durch Bodenreform?
681
Mit Hilfe des Gewaltmonopols der Roten Armee gelang den neuen Machthabern in der SBZ tatsächlich relativ leicht die politisch induzierte Enteignung (und oft auch Entfernung) der bisherigen Eigentümer, doch die anschließende Neuverteilung des enteigneten Landes war keineswegs mit derselben Leichtigkeit zu steuern. Statt dessen etablierte sich in den Dörfern eine von heftigen Verteilungskonflikten gekennzeichnete „Neidgesellschaft"267, in der alteingesessene Bauern auch Kleinbauern Beteiligungsinteressen von bisher Landlosen als unerwünschte Konkurrenz betrachteten, um statt dessen lieber die eigenen Betriebe zu arrondieren268. Die schon erwähnten Denunziationen seitens Vertriebener waren insofern eine Form des Hilfsappells in den Konflikten dieser
Machtpositionen266. zwar
-
-
„Neidgesellschaft".
Ebenfalls mit diesen Gruppenkonflikten hatte zu tun, daß nach Feststellung der zonalen Landwirtschaftsverwaltung bis Ende 1946 „nur ein sehr geringer Prozentsatz von Ostumsiedlern an der Bodenreform durch Landempfang beteiligt worden" war. Die Experten der DVLF wollten darin keine gezielte Diskriminierung erkennen, sondern schoben die Unterrepräsentation der Vertriebenen unter den Neubauern der ersten Stunde auf den zu „frühen Zeitpunkt" der Landumverteilung, „da zu dieser Zeit erst ein recht geringer Teil Ostumsiedler in der Zone eingetroffen war"269. Das war freilich hanebüchener Unsinn: Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Bodenreform, Ende 1945, befanden sich bereits zwei bis drei Millionen Vertriebene in der SBZ270, die überwiegend in ländlichen Gebieten untergebracht waren271 und daher als Mitbewerber um Bodenreformland durchaus in Betracht gekommen wären. Trotz ihrer massenhaften Anwesenheit aber wurden Vertriebene während der eigentlichen Landumverteilung, die zwischen September und Dezember 1945 erfolgte, nur unterdurchschnittlich und häufig an letzter Stelle berücksichtigt. In der entscheidenden Phase der primären Landumverteilung, in der alle wesentlichen umverteilungspolitischen Weichen für künftige betriebliche Überlebenschancen gestellt wurden, sorgte keine koordinierte Vertriebenenpolitik für die angemessene Berücksichtigung der sogenannten „Umsiedler". Zentrale Politiksteuerung funktionierte damals in der SBZ bestenfalls rudimentär, und überdies nahm das Vertriebenenproblem auf der agrarpolitischen Agenda der KPD-Führung entgegen aller Propaganda 1945 nur einen „untergeordneten Platz" ein272. Die Modalitäten der Landumverteilung blieben somit weitgehend den lokalen Bodenreformkommissionen überlassen, und die lokalgesellschaftliche Vertriebenenpartizipation an der Bodenreform war denn auch 766
267 268 2'9
Planck/Ziehe, Land- und Agrarsoziologie, S.
176.
Kluge, „Die Bodenreform ist in erster Linie eine politische Angelegenheit", S. 116. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 170, Berichte Serows von September 1945. BAB, DK 1/8170, Bl. 7ff., insb. Bl. lOr, DVLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht Bodenreform in der SBZ, 7. 12. 46. BAB, DO 2/19, Bl. 225-239, insb. Bl. 233, DVdl, Abt. BP, Statistische Denkschrift vom Mai 1949. Zank, Wirtschaft und Arbeit in Ostdeutschland, S. 145, wonach im Oktober 1946 2,9 Millionen zur
27° 271
von
ren. 272
insgesamt 3,4 Millionen in der SBZ lebenden Vertriebenen in Landkreisen untergebracht wa-
Wille, SED und „Umsiedler", S. 92, wonach bei der erst Ende ZK-Sekretariats siert wurde.
zu
„Flüchtlingsfragen" lediglich
1945 erfolgten ersten Beratung des das Problem der „Antifa-Umsiedler" themati-
III. Die Macht des Sozialen
682
„ausgesprochen zufallhaft"273. In Sachsen hatte die KPD-Führung gar keine Beteiligung von Vertriebenen an diesen Kommissionen vorgesehen; der zuständige Vizepräsident der Landesverwaltung, Fritz Selbmann (KPD), ging gegenüber der SMAD sogar ausdrücklich davon aus, daß eine Bodenreformbeteiligung Vertriebener wenig Chancen hätte, da der ohnehin geringe Bodenfonds vorrangig „zur Vergrößerung des Besitzes der [eingesessenen] Kleinbauern und Pächter" verwendet werden sollte274. Einzig in Mecklenburg-Vorpommern, wo allerdings auch ein volles Drittel der gesamtzonalen Bodenreformfläche zur Verteilung anstand, kam es bereits 1945 zu einer überdurchschnittlichen Beteiligung von Vertriebenen.
Doch selbst dort wurde deutlich, daß die Bodenreform „zur Integration von Flüchtlingen und Zwangsumgesiedelten aus den abgetrennten Gebieten [...] nur begrenzt beitragen]" konnte, standen doch zunächst 23000, am Ende 39000 mecklenburgische Umsiedlerneubauern rund einer Million Vertriebenen in derselben Region gegenüber275. Erst recht waren die zonenweit 57000 UmsiedlerNeubauern der ersten Stunde unter über drei Millionen Vertriebenen in der SBZ eine verschwindende Minderheit. Auch als die Zahl der Umsiedler-Neubauern bis Ende 1946 auf rund 78000 anstieg, hatten diese an der Gesamtzahl arbeitsvermittelter Vertriebener nur einen Anteil von 6%. Insofern sind hochtönende Einschätzungen, wonach „Erfolg oder Mißerfolg der Bodenreform [...] von höchster Bedeutung für die Integration der Vertriebenen und deren Akzeptanz der staatlichen Integrationsbemühungen" gewesen seien276, schlicht unhaltbar. Selbst der gern zitierte späte Vertriebenenanteil von über 43% an der DDR-Neubauernschaft relativiert sich, wenn man sich klarmacht, daß dieser Höchststand von knapp 91000 Neubauern nur 2,3% aller rund vier Millionen in der DDR lebenden Vertriebenen betraf und daß selbst mit (mithelfenden) Familienangehörigen vermutlich niemals mehr als 8% aller Vertriebenen zeitweilig an der Bodenreform beteiligt waren277. Daß die vertriebenenspezifische „Integrationswirkung der Bodenreform" eindeutig „begrenzt" war278, entging den politisch Verantwortlichen keineswegs. Der kommunistische Präsident der ZVLF, Edwin Hoernle, hatte schon im September 1945 festgestellt, man könne „leicht berechnen, daß die Bodenreform noch lange nicht allen Vertriebenen ein neues Heim zu schaffen" in der Lage sei279. Ebenso offen wurde 1946 im agrarpolitischen Ausschuß des CDU-Vorstands ausgesprochen, daß die britische Bedarfsschätzung von bis zu zwei Millionen Siedlerstellen für ganz Deutschland durchaus realistisch sei, daß jedoch „die Bodenreform im
Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 70, wonach Vertriebene primär in ihren lokalen Aufnahmezentren 1945 an der Bodenreform stärker beteiligt worden seien, während ein organisierter überregionaler Ausgleich gefehlt habe. vertriebenenpolitisch 274 Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 171. 273 Kuntsche, Bodenreform in einem Kernland des Großgrundbesitzes, S. 54 f. 276 Ther, Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen, S. 150. 277 Zwischen 1945 und 1949 stagnierte der Anteil der Umsiedler-Neubauern bei rund 2% aller Vertriebenen; ihr Anteil an allen melde- und arbeitspflichtigen erwachsenen Vertriebenen war 1946/47 273
von 4,9% auf 4,1% zurückgegangen; vgl. BAB, DO 2/13, Bl. 34fL, insb. Bl. 43 und Bl. 68, ZVU, Jahresbericht für 1946, sowie BAB, DO 2/14, Bl. 84ff., insb. Bl. 92, Bl. 105 und Bl. 121,
sogar
ZVU, Jahresbericht für 1947.
Bauerkämper, Strukturumbruch ohne Mentalitätenwandel, S. 82; selbst die früher in der Landwirtschaft Beschäftigten wurden nur zu höchstens 36% Neubauern; vgl. Bauerkämper, Die vorgetäuschte Integration, S. 211. 279 278
Zit. nach:
Meinicke, Die Bodenreform und die Vertriebenen, S.
137.
1.
Integration durch Bodenreform?
683
russisch besetzten Raum"
demgegenüber „bisher nur 206000 Neubauernstellen sei habe; geschaffen" folglich „auf drei Vierteln der für die Siedlung in Frage kom-
menden Fläche nur etwa ein Achtel der Bewerber befriedigt" worden280. Die Bodenreform ausgerechnet „von der Wirkung her" zur „wichtigste^] Maßnahme zur Integration von Vertriebenen" in der SBZ/DDR zu stilisieren281, erscheint daher schlicht abwegig.
Der Vertriebenen-Anteil unmittelbar nach Abschluß der Bodenreform
(Anfang Dezember 1945)2S2: Region
Bodenempfänger
Umsiedler-Neubauern
insgesamt
(und Anteil an Neubauernschaft)
Mecklenburg-Vorpommern Prov. Mark Brandenburg
66786 72457 111949 53063 27080 331335
23340 14908 10328 5 844 2256 56676
Prov. Sachsen(-Anhalt)
Sachsen
Thüringen SBZ insgesamt
(34,9%) (20,6%) (9,2%) (11,0%) (8,3%) (17,1%)
Tatsache, daß Vertriebene an der eigentlichen Landverteilung von 1945 vergleichsweise geringfügig beteiligt waren, hat verschiedene Ursachen. Die Verallgemeinerung, vertriebene Bauern hätten sich bei der Bodenbewerbung eher zurückgehalten, während Landarbeiter und landarme Bauern versuchten, „die gebotene Chance des Landerwerbs für die Neugründung einer Existenz" zu nutzen283, erscheint daher problematisch. Der in Mecklenburg-Vorpommern für die BodenreDie
form verantwortliche KPD/SED-Funktionär Hans Warnke beobachtete, daß sich alteingesessene ländliche Unterschicht als auch vertriebenen Neuankömmlinge in der Frage der Bodenreform gleichermaßen gespalten zeigten284. In Brandenburg ist eher eine ,,zögernd[e]" Haltung der Vertriebenen zur Bodenreform beobachtet 28°
ACDP, 07/010/1927, Bl. 66 ff., insb. Bl. 66 f., CDU, HVo, Agrarpolitischer Ausschuß, Papier zur
o.D. [1946, evtl. Entwurf des Grafen Schmettau, Potsdam]; die CDU bedauerte auch, „daß die zum Teil wenig glückliche Auswahl der Siedler das Gefühl der Ungerechtigkeit verstärkt hat, das die bisherige, sehr eilige Verteilung des Bodens ohnehin schon hat erwecken müssen"; vgl. ebenda, Bl. 71. Diese Fehleinschätzung wird bei Ther, Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen, S. 150, auf Polen und „Ostdeutschland" (i.e. die SBZ/DDR) gleichermaßen bezogen. BAB, DO 2/65, Bl. 1 f., ZVU, Statistik zum Stand der Bodenreform Anfang Dezember 1945, o.D. Meinicke, Die Bodenreform und die Vertriebenen, S. 138.
Agrarpolitik,
28'
782
283 284
Etwa die Hälfte der einheimischen Landarbeiter bestand nach Warnkes Schätzung aus Gegnern der Bodenreform, „teils aus Angst, daß sie nicht selbständig arbeiten könnten, teils glaubten sie[J 5 ha seien zu wenig Land[,] und teils glaubten sie, die .Herrschaften' kämen wieder"; ähnlich zwiespältig hätten sich die Vertriebenen verhalten: „Ehemalige Bauern waren froh, daß sie wieder eine Stelle hatten, die ehemaligen Landarbeiter haben sich so benommen wie die hiesigen Landarbeiter", doch habe es „unter den Umsiedlern" auch viele gegeben, die über keine landwirtschaftlichen Erfahrungen verfügten, „aber sie haben erstmal Land, Haus und Vieh genommen, um sich damit über das Wasser zu halten"; Warnke wußte, daß sich Rückkehrhoffnung und Bodenreform-Teilnahme nicht ausschlössen; vgl. SAPMO, SgY30/1340, Bl. 41-50, insb. Bl. 47f., Warnke an Vosske, 22. 2. 64.
684
III. Die Macht des Sozialen
und auf anhaltende Rückkehrhoffnungen zurückgeführt worden285. In der Provinz Sachsen scheinen hingegen gerade die durch Kriegsfolgen besitzlos gewordenen Bevölkerungsgruppen die Enteignung der ländlichen Oberschichten als „gerecht" empfunden und unterstützt zu haben; im Unterschied zu vielen einheimischen Bauern oder Landarbeitern zeigten Bombengeschädigte und Flüchtlinge demnach „keine Scheu, sich um eine Neubauernstelle zu bewerben"286. Bodenbewerbungen von Vertriebenen wurden freilich dort, wo es sie gab, häufig diskriminiert. Im mecklenburgischen Schönberg wurden „Flüchtlinge" im Herbst 1945 bei der „Landaufteilung" zur alles entscheidenden Dorfversammlung gar nicht zugelassen, so daß „nur die hiesigen Gutsarbeiter" von der Bodenreform profitierten, während Vertriebene gezwungenermaßen Landarbeiter oder Fürsorgeempfänger blieben und sich entsprechend als nur „geduldetes Lumpenpack" vorkamen287. Stellungnahmen bäuerlicher Flüchtlingsvertreter aus Ostpreußen, die gegenüber sächsischen Behörden im Oktober 1945 die Enteignungsmaßnahmen der Bodenreform „als ein[en] Hoffnungsstrahl" in Richtung eines umfassenden Lastenausgleichs begrüßten, lassen erkennen, daß vertriebene Landwirte durchaus rasch Partizipationswillen zu entwickeln vermochten. Doch auch in diesem aus dem sächsischen Landkreis Hohenstein-Ernstthal dokumentierten Fall nutzte die faktisch vollzogene Landumverteilung nur einem „ganz kleinen Teil der Flüchtlinge" und kam „in erster Linie" Einheimischen zugute. Die benachteiligten Vertriebenen setzten dem Feindbild des unbehelligten einheimischen NaziBauern, der wuchere, Flüchtlinge ausbeute, wie nie zuvor verdiene und nicht einmal seinen Hof ordentlich bewirtschafte, das aufpolierte Selbstbild politisch unbelasteter, einsatzfreudiger, aber im Stich gelassener Flüchtlings-Bauern entgegen: „Hunderttausende Nicht-Nazi-Bauern aus dem Osten, die Tag und Nacht arbeiwie einer ten würden, hätten sie nur eine Scholle unter den Füßen", drohten ihrer Wortführer die ZVU wissen ließ aufgrund ihrer lokalgesellschaftlichen Diskriminierung bei der Bodenreform „der größten Verelendung" anheim zu fal-
-
len288. Auf diese
gesellschaftlichen Konfliktlagen stieß das „strategische Konzept" der Bodenreformpolitik von KPD/SED, „auf dem Lande eine neue, der künftigen Staatspartei politisch, sozial, ökonomisch und mental verpflichtete Klientel zu schaffen"289. Da diese SED-Klientelbildungspolitik auf die abstrakte Gruppe des „Neubauerntums"290 fixiert war, kam sie mit den heterogenen sozialen Interessen der betreffenden ländlichen Bevölkerungsschichten allenfalls teilweise zur Dekkung291. Auf die Feststellung der ,,enge[n] Grenzen" kleinbäuerlicher SED-KlienBauerkämper, Strukturumbruch ohne Mentalitätenwandel, S. 78 f. Wlle, Die Verabschiedung der Verordnung über die Bodenreform, S. 101 f. 287 BAB, DO 2/50, Bl. 415, Margarete L. aus Sonnenburg, Kr. Landsberg, nunmehr Schönberg, ZVU, Abschrift 14. 11.45. 283 286
288
289 290
29t
an
BAB, DO 2/50, Bl. 417fL, insb. Bl. 419, Hermann P., St. Egidien, an ZVU, 26. 10. 45. und Formierung einer neuen politischen Kultur, S. 126. Vgl. Kaiser, Klientelbildung Der Dresdner Romanist Klemperer, der damals eine Studie über die Sprache des Dritten Reiches
(Lingua Tertii Imperii, LTI) verfaßte, reihte den Begriff des Neubauerntums in die Sprache des SED, des „Vierten Reiches" ein: „LQI!"; vgl. Klemperer, So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, Bd. 1,S. 194. Vgl. Kaiser, Klientelbildung und Formierung einer neuen politischen Kultur, S. 127, sowie Bauerkämper, Die vorgetäuschte Integration, S. 210f.
1.
Integration durch Bodenreform?
685
telpolitik292 ist daher Wert zu legen unbeschadet zeitweiliger Erfolge, etwa bei den 1946er Wahlen in den „Bodenreform"-Schwerpunktgebieten293. Die „Bodenreform" hatte kein „gesellschaftliches Vakuum" auf dem Lande erzeugt, sondern abgesehen von der Enthauptung der bisherigen Sozialpyramide „die sozialen Beziehungen und Mentalitäten" der Mehrheits-Gesellschaft nur begrenzt tangiert, so daß sich diese „deutlich langsamer" veränderten294. Gewiß hatte die Enteignung der Großgrundbesitzer eine breite neue Schicht von „Neubauern" geschaffen, die freilich infolge ihrer ökonomischen Schwäche „in gewisser Abhängigkeit"295 von anderen sei es vom Staat, sei es von Nachbarschaftshilfe blieben. Der Abgang der Großgrundbesitzer und die Hilfsbedürftigkeit der Neubauern führte vielerorts zu einer Steigerung von Einfluß und Status der größeren bäuerlichen Betriebsinhaber296. Die materiellen Ausstattungsunterschiede und das daraus resultierende Machtgefälle etablierten zweifellos eine ausgeprägte „Neidgesellschaft" zwischen Alt- und Neubauern297, doch dergleichen muß auch den sozialen Beziehungen innerhalb der Neubauernschaft attestiert werden, wo die Kluft zwischen Eingesessenen und Flüchtlingen ähnliche Phänomene generierte298. Die gravierenden materiellen und daraus folgenden sozialen Ungleichheiten innerhalb ihrer bäuerlichen Schichten prägten die ländliche Nachkriegsgesellschaft der sowjetischen Zone ebenso nachhaltig wie der Ausschluß des größten Teils der vertriebenen Landbevölkerung von der Bodenreform. Die Bodenreform ist treffend als gleichzeitige „gezielte Entmachtung und Privilegierung" verschiedener sozialer Gruppen beschrieben worden299. Zu den privilegierten Bodenempfängern wird man Vertriebene nur unter erheblichen Einschränkungen zählen dürfen. So wichtig für die kommunistische BodenreformPropaganda (und deren Akzeptanz auch in bürgerlichen, nicht zuletzt kirchlichen Kreisen) die Forderung war, mit dieser Landumverteilung auch „den Opfern der Kriegspolitik der Hitlerbande, den Flüchtlingsmassen" helfen zu wollen300, so wenig hatte die Beteiligung der Vertriebenen faktisch Priorität. Auf der gern zitierten Bodenreform-Kundgebung im brandenburgischen Kyritz hatte Wlhelm Pieck am 2. September 1945 ausdrücklich die Aufteilung der zu enteignenden Ländereien „an die kleinen Bauern, Landarbeiter und Kriegsvertriebenen" gefordert301. Dieser den Vertriebenen zugewiesene dritte Platz in der Liste der Anspruchsberechtigten war weder zufällig noch folgenlos, denn dieselbe Rangfolge -
-
-
-
-
Kuntsche, Bodenreform in einem Kernland des Großgrundbesitzes, S. 63. Falter/Weins, Die Wahlen in der sowjetisch besetzten Zone, S. 224 f. 794 Bauerkämper, Strukturumbruch ohne Mentalitätenwandel, S. 69 f. 293 BAB, DK 1/8170, Bl. 7ff., insb. Bl. 17, DZLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht zur Bodenreform in der SBZ, 7. 12. 46. 296 Strukturumbruch ohne Mentalitätenwandel, S. 80. Bauerkämper, 297 „Die Bodenreform ist in erster Linie eine politische Angelegenheit", S. 116. Kluge, 298 Kluge, ebenda, scheint diese Konfliktlinie zu unterschätzen, während sie von Meinicke, Die Bodenreform und die Vertriebenen, S. 133 ff., und von Bauerkämper, Strukturumbruch ohne Mentalitätenwandel, S. 82, deutlich herausgestellt wird; letzterer verweist auf die Sondersituation von „Dörfern, die ausschließlich von Neubauern bewohnt waren" und keine lokalen „Ausschlußmechanismen" aufwiesen, wobei eine solche isolierte Ansiedlung „die gesamtgesellschaftliche Eingliederung der Neubauernschicht" nicht gerade gefördert habe; vgl. ebenda, S. 84. 799 792 293
300 »i
Bauerkämper, Die vorgetäuschte Integration, S. 195. Vgl. unter Verweis auf eine Rede Hoernles: Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 175. Zit. nach: Geschichte der SED.
Abriß, S.
100 f.
686
III. Die Macht des Sozialen
fand sich wenig später in den Bodenreform-Verordnungen der Länder und Provinzen wieder, die der Landumverteilung Gesetzeskraft verliehen302, und begegnete erneut bei der Vergabepraxis der von Einheimischen dominierten Bodenreformkommissionen303. Nicht selten scheinen die lokalen Honoratioreneliten „Lehrer, Gutsinspektor, Ortsbauernführer und Bürgermeister" diese Kommissionen gebildet und „damit eher Kontinuität als Brüche in der unmittelbaren Nachkriegszeit" gewährleistet zu haben, so daß unter sozialrevolutionärem „Deckmantel" letztlich „überkommene Partikularinteressen verfolgt" werden konnten304. Es lag auf der Linie alteingesessener Interessenpolitik, daß diese Gremien nach Erkenntnissen des sachsen-anhaltischen Landwirtschaftsministeriums die Vertriebenen bei der Landvergabe „vielfach [...] als Stiefkinder behandelt" hatten305. Übergeordnete Instanzen konnten wenig daran ändern, daß die Landvergabe wesentlich „unter dem Gesichtswinkel der Freundschaft oder der persönlichen Bekanntschaft erfolgte", wie ZVU-Präsident Engel 1947 erbittert resümierte306. Nicht nur „gelegentlich"307, sondern „vielfach" weigerten sich „Gemeindekommissionen und Bürgermeister" ausdrücklich, „Flüchtlinge aus dem Osten aufzunehmen"308. Wer die Bodenreform dennoch als Sozialrevolutionäre Variante von Vertriebenenpolitik definieren will, muß daher ausdrücklich einschränken, eine „starke vertriebenenpolitische Ausrichtung der Bodenreform" habe sich „erst nach 1945, also nach der ersten Welle der Landaufteilung" entwickelt309. Tatsächlich kam es in den Folgejahren zu einer gewissermaßen nachholenden Partizipation Vertriebener an der Neubauernschaft: Über 37% aller Umsiedler-Neubauern des Jahres 1949 waren erst nach der Erst-Umverteilung des Herbstes 1945 in diese Gruppe gelangt, davon 21295 zwischen Ende 1945 und Ende 1946310, weitere 7730 bis -
-
302
3°3
304
303 3°« 307
3138 309 3'°
Vgl. die sächsische Bodenreform-Verordnung vom 10. 9. 45, in der als „Ziel der Bodenreform" definiert wurde, ,,a) das Ackerland der bereits bestehenden Bauernhöfe unter 5 ha zu vergrößern, b) neue selbständige Bauernwirtschaften für landlose Bauern, Landarbeiter und kleine Pächter zu schaffen, c) an Umsiedler und Flüchtlinge, die durch die räuberische hitlerische Kriegspolitik ihr Hab und Gut verloren haben, Land zu vergeben, d) zur Versorgung der Arbeiter, Angestellten und Handwerker mit Fleisch- und Milchprodukten in der Nähe der Städte Wirtschaften zu schaffen, die der Stadtverwaltung unterstehen, sowie den Arbeitern und Angestellten zum Zwecke des Gemüseanbaues kleine Grundstücke (Parzellen) zur Verfügung zu stellen"; zit. nach: Hohlfeld, Dokumente der deutschen Politik und Geschichte, Bd. 6, S. 41 f. BAB, DO 2/65, Bl. 5-22, insb Bl. 6, ZVLF, Gesamtstatistik über den Stand der Bodenreform, Stand 1. 2. 46; demnach wiesen die Gemeindebodenkommissionen zonenweit 51232 Mitglieder auf, davon 19562 Landarbeiter (38,2%), 17786 Kleinpächter und landarme Bauern (34,7%) sowie 6119 Umsiedler (11,9%); fast 41% der vertriebenen Kommissionsmitglieder lebten in Mecklenburg (22,5% aller Kommissionsmitglieder des Landes), während die Vertriebenenpartizipation ansonsten sehr zu wünschen übrig ließ: In Brandenburg lag der Vertriebenenanteil bei 14,8%, in Sachsen bei 7,9%, in der Provinz Sachsen bei 7,3% und in Thüringen bei 6,1%. Langehan, „Halte dich fern von den Kommunisten...", S. 126. BAB, DO 2/63, Bl. 73, Ministerium für Land- und Forstwirtschaft und Handel und Versorgung Sachsen-Anhalt, Rderl. L Nr. III-l 1120/47 v. 12. 3. 47. Ebenda, Bl. 93, ZVU, Engel, an DVLF, Hoernle, 22. 5. 47. Bauerkämper, Strukturumbruch ohne Mentalitätenwandel, S. 80. BAB, DO 2/63, BL 96, Ministerium für Wirtschaftsplanung Mark Brandenburg, Abt. LF, an
DVLF, Hoernle, 19. 7. 47. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S.
176.
Zwischen dem 1. 12. 1945 und dem 15. 11. 1946 erhöhte sich die Gesamtzahl der Umsiedler-Neubauern von 56676 auf 77971; vgl. BAB, DO 2/65, Bl. 1 f. und Bl. 39.
1.
Integration durch Bodenreform?
687
Ende 1947311 und weitere 4850 bis Mitte 1949312. Erst diese verspätete Partizipation von fast zwei Fünfteln aller Umsiedler-Neubauern ließ deren NeubauernAnteil auf die imposante Quote von über 43% ansteigen. Die Nachteile für die Integrationschancen dieser Nachrücker bleiben in dieser verspäteten Erfolgsstatistik außer acht. Doch gerade der „Zeitpunkt der Übernahme der Siedlung" war in ökonomischer Hinsicht „für den Siedlungserfolg von wesentlicher Bedeutung". Die Neubauern der ersten Stunde hatten die besten Chancen, Nutzfläche, Inventar und noch vorhandenes Vieh nach Qualitätsgesichtspunkten aufzuteilen, während sich später Hinzutretende mit minderwertigen Resten begnügen oder sich gar „auf Höfen versuchen" mußten, „deren Unrentabilität meist schon vom Vorgänger erprobt war"313. Infolge der Anfangsschwierigkeiten besonders in den östlichen Teilen der SBZ war aufgrund der Kriegsereignisse oder sowjetischer Plünderungen kaum noch Vieh vorhanden und der rigorosen Eintreibung des Pflichtablieferungssolls durch die Sowjets, die vielen Neubauern die ganze Ernte beschlagnahmten oder das einzige Stück Vieh nahmen, häuften sich die Betriebsaufgaben überforderter Neubauern: Allein in den brandenburgischen Kreisen Oberbarnim und Lebus sollen 1946 pro Monat 150 Siedler ihre Höfe verlassen haben314. Bis Mai 1947 gaben über 10000 Neubauern ihre Höfe wieder auf (2,2% aller Neubauern), und diese bedrohliche Ziffer stieg auf 31290 Ende 1949 (14,9%) und auf 67045 Ende 1951 (22,9%). Anfang 1950 waren in der DDR 5074 dieser verlassenen Neubauernstellen nicht neu besetzt, die große Mehrheit davon in Mecklenburg und Brandenburg, wodurch fast 44 000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche ungenutzt blieben; die Zahl dieser dauerhaft verlassenen Bodenreform-Betriebe stieg bis Ende 1951 auf 8 845315. Die 1952 geäußerte nichtöffentliche Meinung des DDR-Finanzministeriums, daß „abgegebene Neubauernstellen größtenteils heruntergewirtschaftet" seien, wollte das Landwirtschaftsministerium zwar nicht bestätigen316, doch unter Agrarexperten war dies längst ein offenes Geheimnis317. Möglicherweise war ebendies der Grund für die von sächsischen SED-Funktionären schon 1947 gemachte Beobachtung, daß sich nach anfänglicher Beteiligung Vertriebener an der Bodenreform „heute [...] die Leute weigern, von dem Boden der Bodenreform zu nehmen"318. Eine „ständig zunehmende Zahl" verlassener Neubauernwirtschaften sowie wachsende Probleme bei -
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Bis Dezember 1947 erhöhte sich die Zahl der Umsiedler-Neubauern auf 85701; vgl. BAB, DO 2/ 14, Bl. 121, ZVU, Jahresbericht für 1947. SAPMO, DY30/IV2/13/388, DWK, Sekretariat, Entwurf einer „Denkschrift über die bisher erreichten Ergebnisse in der Unterbringung der Umsiedler in Wirtschaft und Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone nach dem Stand vom 1. Juli 1949", o.D., S. 7f. Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 78. BAB, DK 1/8170, Bl. 7ff., insb. Bl. 19, DZLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht zur Bodenreform in der SBZ, 7. 12. 46. BAB, DO 1/33276, MLF DDR, Liste über unbesetzte Neubauernstellen am 28.2., 27. 5. 50; Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft S. 282: unter den Aufgebenden befanden sich bis Ende 1949 2675 Frauen, oftmals Vertriebene; ebenda, S. 249. BAB, DK 1/2913, Bl. 50, MLF DDR, Frommhold, an MdF, HA Kreditwesen, 3. 10. 52. Ebenda, Bl. 58f., VdgB an MLF DDR, 22.12. 51; das Agrarressort war infolgedessen einverstanden, die Schulden des Vorbesitzers nicht dem Nachfolger anzurechnen; vgl. ebenda, Bl. 54, MLF DDR an VdgB, 2. 10. 52. SäHStA, LRS, MfA 1017, Bl. 54ff., insb. Bl. 188, [SED, LV Sachsen, Abt. Arbeit und Sozialpolitik, Landeskonferenz in Dresden-Strehlen am 3. 5. 47, Diskussionsbeitrag des Gen. Hertwig, Weißwasser.
III. Die Macht des Sozialen
688
Wiederbesetzung319 machten die Tatsache, daß eine Zeitlang „weiterhin zahlreiche deutsche Bauernfamilien aus dem volksdemokratischen Polen nach Deutschland zurückkehren" sollten, zur letzten Hoffnung der SED-Neubauernpolitik; um 1950 boten diese späten Zwangsumsiedlungen in die DDR die einzige Chance für das SED-Regime, ansonsten unbesetzbare Neubauernhöfe mit ahderen
nungslosen Neuankömmlingen aus den Vertreibungsgebieten zu besetzen320. Der Prozeß nachholender Partizipation verlief regional höchst unterschiedlich. Die Vertriebenen-Partizipation an der Neubauernschaft erzielte ihre hohen Durchschnittsquoten allein wegen der Sonderentwicklung in Mecklenburg-Vor-
pommern, wo sich schon Ende 1945 über 41% aller Umsiedler-Neubauern der SBZ befanden; bis 1949 sollte der Anteil Mecklenburgs an den Umsiedler-Neubauern auf 42,5% weiter ansteigen. Der Anteil brandenburgischer UmsiedlerNeubauern an ihrer Gesamtgruppe stieg im selben Zeitraum von 26,3% auf 27,7%. In den übrigen Ländern sanken hingegen die Quoten, in Thüringen nahm sogar die absolute Zahl der Umsiedler-Neubauern ab. Der Partizipationsprozeß von Vertriebenen an der Bodenreform läßt sich folglich nur schwer zu einem linearen Partizipationsfortschritt harmonisieren321. Die
Entwicklung des Vertriebenenanteils an der Bodenreform 1945-1949322:
Region Meckl.-Vorpomm. Brandenburg
Sachsen-Anhalt Sachsen
Thüringen SBZ insgesamt
UmsiedlerNeubauern
UmsiedlerNeubauern
UmsiedlerNeubauern
1.12.45
1.12.47
1.7.49
23340 14908 10328 5844 2256 56676
35 872(4-53,7%) 23917 (+60,4%) 15110 (+46,3%) 7422 (+ 27,0%) 3 380 (+49,8%) 85 701 (+51,2%)
38524 (+7,4%) 25042 (+4,7%) 16623 (+10,0%) 7463 (+ 0,6%) 2 899 (-14,2%) 90551 (+5,7%)
Partizipation war weniger einer gezielten, politisch gesteuerten Vertriebenenpolitik zu verdanken als vorausgehenden gesellschaftlichen Entwicklungen. Dabei sollten die nach 1945 wachsende Bereitschaft Vertriebener, sich als Die nachholende
Neubauern
zu
1946 und 1948 erheblichen weiteren in die SBZ zwar berücksichtigt, aber nicht überschätzt wer-
bewerben, und die zwischen
Vertriebenenzugänge
den323, denn eine Konzentration auf Motivation oder Zahlen der Vertriebenen BAB, DO 2/18, Bl. Iff., insb. Bl. 54, DVdl, HAU, Jahresbericht für 1948, Januar 1949. BAB, DO 1/33276, MLF DDR, Merker, an Mdl DDR, Warnke, 3. 7. 50. 321 Vgl. solche Tendenzen bei Meinicke, Flüchtlinge, Umgesiedelte, Vertriebene, S. 60, sowie bei Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 175 f. 322 Vgl. zu den Angaben im folgenden: BAB, DO 2/65, BL 1 f., ZVU, Statistik zum Stand der Bodenreform Anfang Dezember 1945, o.D.; BAB, DO 2/14, Bl. 121, ZVU, Jahresbericht für 1947; SAPMO, DY30/IV2/13/388, DWK, Sekretariat, „Denkschrift über die bisher erreichten Ergeb3i9
32°
323
nisse in der Unterbringung der Umsiedler in Wirtschaft und zungszone nach dem Stand vom 1. Juli 1949", o.D., S. 7f. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 176.
Verwaltung der sowjetischen Besat-
1.
689
Integration durch Bodenreform?
Bevölkerungsgruppe eine Wahlfreiheit in Sachen BodenreformBeteiligung suggerieren, die realiter kaum je gegeben war. Entscheidend blieb vielmehr, wieviel Partizipationsspielraum die einheimische Bevölkerung den Vertriebenen jeweils zubilligte. Vertriebenenbeteiligung an der Neubauernschaft hing letztlich stets davon ab, ob die allgemeine gesellschaftliche Nachfrage nach Bodenreformland stark oder geringfügig war, ob sie zu- oder abnahm. Indem der Partizipationszuwachs Vertriebener in den Jahren 1947/48 auf der Voraussetzung neu zu besetzender Hofstellen basierte Neubesetzungen, die teils durch Freibisher unverteilten Landes, häufiger jedoch durch den Rückzug der Vorbegabe sitzer möglich wurden -, entwickelten sich Vertriebene zu einer Art landwirtschaftlicher „Reservearmee" der Neubauernschaft. Der späte Partizipationserfolg entpuppt sich damit zu erheblichen Teilen als Einstieg von Lückenbüßern. Die länger als unter Einheimischen anhaltende Vertriebenennachfrage nach Bodenreformland indiziert spätestens ab 1947/48 eine weitere Diskriminierung: Gerade weil die allgemeine „Lösung der Integrationsaufgabe" auf dem Arbeitsmarkt der SBZ/DDR weiterhin ausstand und Vertriebene noch zum Zeitpunkt der DDRGründung auf dem Gesamt-Arbeitsmarkt gegenüber Einheimischen klar benachteiligt waren, hielt ihre Nachfrage nach Bodenreform-Land unverhältnismäßig lange an324. Der Partizipationsanstieg von Umsiedler-Neubauern an der Bodenreform erscheint daher als ambivalent: Daß 1950 fast jeder zweite Neubauer ein Vertriebener war, war ein integrationspolitischer Pyrrhussieg, denn dieser Erfolg wurde nur durch den wachsenden ökonomischen Afz/?erfolg der Bodenreform möglich. Die neubäuerliche Reserve-Armee der Vertriebenen325 vertuschte durch ihr Nachrücken das ökonomische Scheitern der Bodenreformpolitik, bevor endgültig nichts mehr half als die Flucht in die Kollektivierung.
würde für diese
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Neubauernpolitik und Vertriebenendifferenz: Problemleugnung und Problemwahrnehmung in der sowjetzonalen Agrarpolitik Sowjetzonale Agrarpolitik zwischen 1945 und 1949 war abgesehen von ihrer grundsätzlichen Bereitschaft, „auch der aus den Ostgebietenen ausgewiesenen [...] bäuerlichen Bevölkerung" eine Chance zur Beteiligung an der Bodenreform„Initiative der landarmen und landlosen Bauern" zu gewähren326 zu Vertriebenenpolitik nicht gerade prädestiniert. Die Wahrnehmung des spezifischen Integrationsproblems vertriebener Landwirte innerhalb der durch die „Bodenreform" geschaffenen Neubauernschaft fiel einer an der traditionellen Klassenanalyse geschulten SED-Agrarbürokratie alles andere als leicht und wurde lange vermieden. Unter den Bedingungen dörflicher Sozialkonflikte war es schwer genug, eine Politik genereller Neubauernförderung durchzuhalten, da wie ZVU-Referent Haslinger 1947 betonte die einheimische Dorfbevölkerung dazu neigte, sämtliche 1.1.5.
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Neubauern „wie Umsiedler" -
324 325
32»
zu
bewerten, „also in dem Sinne, daß die Umsiedler
Zank, Wirtschaft und Arbeit in Ostdeutschland, S.
151 f. Nicht nur durch ihre überproportionalen Anteile in der Landarbeiterschaft, für die Bauerkämper, Von der Bodenreform zur Kollektivierung, S. 127, dies festgestellt hat, waren Vertriebene in allen Besatzungszonen „ein mobiles und flexibles Reservepotential, das den enormen Arbeitskräftebedarf der Landwirtschaft befriedigte". Pieck, Reden und Aufsätze, Bd. 2, S. 12 f.
III. Die Macht des Sozialen
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Menschen zweiter oder gar dritter Klasse sind"327. Die staatliche Subventionierung, die seit 1946/47 den Neubauern zuteil wurde, verschärfte bestehende Gruppenkonflikte, insbesondere „Spannungen zwischen Alt- und Neubauern". Eine spezifische Förderung vertriebener Neubauern, wie sie ab 1950 in der DDR für etwa zwei Jahre betrieben wurde, mußte zwangsläufig den Sozialneid aller übrigen sozialen Gruppen auf sich ziehen und „die in der ländlichen Gesellschaft ohnehin virulente Auseinandersetzung zwischen Vertriebenen und der alteingesessenen Bevölkerung" zusätzlich schüren328. Die Konfliktlinie zwischen Vertriebenen und Einheimischen in den dörflichen Lokalgesellschaften der SBZ war nicht erst durch die Bodenreform geschaffen worden, sondern existierte bereits seit und infolge der Ankunft der Vertriebenen. Sowjetzonale Agrarpolitik konnte sowohl durch Handeln als auch durch Unterlassen diese Kräftekonstellationen lediglich beeinflußen. Um in der Neubauernpolitik vertriebenenpolitisch, also gezielt vertriebenenfördernd handeln zu können, war eine vertriebenenspezifische Problemperspektive unerläßliche Voraussetzung. Versuche, die Vertriebenen-Differenz innerhalb der Neubauernschaft wahrzunehmen und daraus politische Konsequenzen zu ziehen, stießen jedoch unter SED-Agrarpolitikern lange auf massive ideologische Vorbehalte. Der Präsident der zonalen Agrarverwaltung (DVLF), Edwin Hoernle, warf seinem Stellvertreter und Konkurrenten Ernst Busse Anfang 1948 bereits als schweren Fehler vor, in einem Verordnungsentwurf „den Begriff des ,Neubauern'" verwendet zu haben, was man, um real existierende Gegensätze zwischen Alt- und Neubauern nicht auch noch juristisch festzuschreiben, bisher strikt vermieden habe. Da es das Ziel der SED-Agrarpolitik sei, solche sozialen Gegensätze zu „liquidieren", bestand Hoernle darauf, „daß der Begriff ,Neubauer' aus der ganzen Verordnung verschwindet"329. Eine SED-Agrarpolitik jedoch, die nicht einmal durchgängig zwischen „Alt- und Neubauern" zu differenzieren bereit war330 und mit dem unermüdlichen Nivellierer Helmut Lehmann schon im Sommer 1947 forderte, zur „Verbesserung der Parteiarbeit auf dem Lande" die dort lebenden Vertriebenen „so schnell als möglich ihres Charakters als einer Sondergruppe" zu entkleiden331, konnte die subtile Differenz zwischen Umsiedler-Neubauern und dem Rest der ländlichen Gesellschaft zwangsläufig nicht anerkennen. Dies änderte sich erst, als die SED seit 1948 daran ging, den „Klassenkampf im Dorfe" gegen die alteingesessenen „Großbauern" zu forcieren. Mit dieser ideologisch-politischen Grundvoraussetzung, aber auch angesichts wachsender wirtschaftlicher Existenzprobleme vieler Neubauernwirtschaften fiel es leichter, den großen Vertriebenenanteil an der untersten Schicht der Neubauernschaft wahrzunehmen. Doch auch dann dauerte es bis Spätsommer 1950, bevor aus undifferenzierter Neubauernförderung eine gezielte Förderung von „Umsiedler-Neubauern" wurde332. Sofern die Agrarpolitik der SBZ/DDR vertriebenenpolitische Son-
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327
BAB, DO 2/62, Bl. 77ff., insb. Bl. 94, DVLF, Protokoll der Zonenkonferenz für Bodenordnung 29./30.7.47, o.D.
vom 328 329 330 33 '
332
Bauerkämper, Problemdruck und Ressourcenverbrauch, S. 319f.
BAB, DK 1/8176, Bl. 62, ZVLF, Hoernle an Busse, 29. 1. 48. Pieck, Reden und Aufsätze, Bd. 2, S. 135, Presseartikel vom November 1947. Zit. nach Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 346. Pieck, Reden und Aufsätze, Bd. 2, S. 538 f., SED-Pressedienst vom September 1950.
1.
Integration durch Bodenreform?
691
dermaßnahmen überhaupt zuließ, erfolgten diese folglich stets nachholend und damit zu einem Zeitpunkt, als eine strukturelle Benachteiligung von Vertriebenen längst eingetreten und nur noch schwer zu korrigieren war. Vertriebenenpolitik wurde auf diese Weise zum improvisierten Nachbesserungsversuch einer zunächst schematisch (auf unterschiedslose Gleichbehandlung) konzipierten Agrar-
politik, die durch vielfache lokalgesellschaftliche „Eigendynamik" zu Lasten von Vertriebenen umgeformt wurde ein Prozeß (mehrheits-)gesellschaftlicher Aneignung von Politik, der „von der SMAD und der KPD-Führung zunächst kaum eingedämmt werden konnte"333. Bereits die eigendynamische „Durchführung" der Bodenreform zugunsten alteingesessener Bevölkerungsgruppen, bei der Vertriebene nur unterdurchschnittlich berücksichtigt wurden, führte vereinzelt zu derart nachholender Vertriebenenförderung in der sowjetzonalen Agrarpolitik. In solchen Fällen hatte Politik -
zwar
ein schlechtes Gewissen, aber fast nichts mehr zu verteilen. Mitte Dezember
Landesverwaltung an, überall dort, Bodenreformland noch nicht oder nicht vorschriftsmäßig verteilt worden sei, „die Verteilung des Landes nach den im Gesetz festgesetzten Normen nochmals vorzunehmen, um zusätzliche Anwärter [...] zu befriedigen, insbesondere Umsiedler"334. Bei dieser nachträglichen Privilegierung Vertriebener konnte es nur um die Verteilung von Restbeständen gehen. Zuweilen geriet selbst solche nach1945 ordnete das Präsidium der sächsischen
wo
trägliche Vertriebenenprivilegierung zum normativen Täuschungsmanöver: So verfügte im März 1946 der provinzsächsische Vizepräsident Robert Siewert (KPD) eine „bevorzugte^..] Ansetzung von Umsiedlern auf den von der Roten Armee zurückgegebenen Gütern", um die häufigen Diskriminierungen von „Umsiedlern], die sich schon sehr früh um Land beworben hatten, [jedoch] auf später vertröstet und nach Aufteilung des Bodens dann abgewiesen" worden seien, zu korrigieren. Die eingangs proklamierte Vertriebenen-Vorzugsregel ging jedoch in den Detailbestimmungen desselben Erlasses wieder verloren, denn dort wurden bei der Landvergabe plötzlich „in erster Linie die gutsangehörigen Landarbeiter" berücksichtigt, in zweiter Linie bereits bestehende Kleinbetriebe, und erst an dritter Stelle war „alles darüber hinaus verfügbare Land [...] restlos zunächst an Um-
siedler zu verteilen", wobei „selbstverständlich [...] nur landwirtschaftliche Kräfte angesetzt werden" dürften335. Erst ein volles Jahr später, nachdem man in Halle erneut hatte feststellen müssen, „daß bei der Aufteilung von Betrieben in der Bodenreform [...] die Umsiedler vielfach von den Gemeindebodenkommissionen als Stiefkinder behandelt" worden waren, ordnete das sachsen-anhaltische Landwirtschaftsministerium ausdrücklich an, fortan „freiwerdende Neubauernstellen in erster Linie an geeignete Umsiedler zu vergeben". Doch beschränkte sich diese neuerliche Vorzugsregel auf von ihren Vorbesitzern aufgegebene Höfe, 333
334
Bauerkämper, Zwangsmodernisierung und Krisenzyklen, S. 567 f.
BAB, DK 1/8163, Bl. lOff., LV Sachsen, Friedrichs/Fischer, Rundverfügung zur Bodenreform v. 14. 12. 45; einer verstärkten Umsiedlerbeteiligung mochte auch die Vorschrift einer Begrenzung der Viehstückzahlen pro Hofinhaber bei der Viehaufteilung dienen; überdies sollte eine allgemeine
Aufteilung des Saatguts und eine Verteilung von „Speisekartoffeln, Gemüse und Getreide zur Ernährung" an sozial schwache Neubauern erfolgen. 333 BAB, DK 1/8164, Bl. 12, Präsident der Provinz Sachsen, Siewert, Rderl. zur bevorzugten Ansetzung von Umsiedlern auf den von der Roten Armee zurückgegebenen Gütern v. 11.3. 46.
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III. Die Macht des Sozialen
während bei vollkommen neu aufzuteilenden Gütern (mit womöglich besseren Böden) weiterhin gutsangehörige Landarbeiter bevorzugt werden sollten und Vertriebene lediglich auf Rang Zwei der Warteliste vorrücken durften. Durch solche zaghaften Schritte konnte die deklamierte „weitgehende Sicherung der berechtigten Interessen der Umsiedler bei der Besetzung von Neubauernstellen" kaum erreicht werden336. Der Vorsitzende der sachsen-anhaltischen Provinzialbodenkommission machte denn auch wenig später der zonalen Agrarverwaltung klar, er sei „nach wie vor der Meinung", daß „bei Neuaufteilung von Gutsbetrieben als Landerwerber in erster Linie die bisherigen Gutsarbeiter, soweit sie sich als Neubauern eignen, zu berücksichtigen" seien337. Die örtliche Vergabepraxis solcher Funktionäre ist gut vorstellbar. Und selbst derart zurückhaltende Ansätze einer vertriebenenfördernden Anrechtspolitik fanden in der Bodenreformpolitik außerhalb Sachsen-Anhalts keine Nachahmer. Vertriebenenpolitik blieb gerade in der Hochphase der Bodenreform eine ephemere Größe. Hinzu kam die sozialpolitische Dialektik agrarpolitischer Vertriebenenförderung: Die Förderung von vertriebenen Neubauern ging nämlich, wo sie denn stattfand, oft unmittelbar zu Lasten anderer Vertriebenengruppen. Dieser Zusammenhang ist bei der agrarpolitisch motivierten Umverteilung von Wohnraum in enteigneten Schlössern und Gutsgebäuden unmittelbar greifbar. Um UmsiedlerNeubauern oder solche Vertriebene, die es gern geworden wären, nicht länger „auf Böden bei Altbauern, in Scheunen, Baracken und in Gemeinschaftsunterkünften mit zweietagigen Pritschen hausen" zu lassen, die oft weit von den Wirtschaftsflächen dieser Landwirte entfernt lagen, wollte die SMAD-Agrarverwaltung die vielen nicht als Neubauern tätigen Vertriebenen aus enteigneten Gutsgebäuden verdrängen, obwohl es für deren Unterbringung kaum Alternativen gab338. „Redistributive" Vertriebenenpolitik339 war an der Schnittstelle von Agrarund Wohnungspolitik häufig nicht mehr als eine euphemistische Chiffre für die bittere Tatsache, daß die Umverteilung knapper Güter ausschließlich innerhalb der Vertriebenengruppe selbst stattfand. Politisch als förderungswürdig eingestufte Vertriebene verdrängten weniger geschätzte und daher schwächere Teile derselben Bevölkerungsgruppe. Einen derartigen Erlaß zur vertriebeneninternen Wohnraumumverteilung gab die sächsische Provinzialverwaltung im Januar 1946 heraus340, um wenig später konsterniert festzustellen, daß er „z.T. falsch ausgelegt worden" sei. Die Anordnung dürfe jedenfalls „nicht dazu führen, daß Flüchtlings- und Umsiedlerfamilien, denen [...] in den Gutshäusern Wohnungen zugewiesen" worden seien, „einfach auf die Straße gesetzt" würden, was offenbar vielfach geschehen war. Statt dies durch klare neue Richtlinien zu verhindern, stellte es die Regionalverwaltung jedoch lieber weiterhin „dem pflichtgemäßen Ermessen der Herren Landräte und Bürgermeister" anheim, „zwischen den notwendi336
BAB, DO 2/63, Bl. 73, Ministerium für Land- und Forstwirtschaft und für Handel und Versor-
Sachsen-Anhalt, Rderl. L Nr. III-l 1120/47 v. 12. 3. 47. Ebenda, Bl. 88, Mdl Sachsen-Anhalt, Vors. der Provinzialbodenkommission, an DVLF, Hoernle, gung
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7. 7. 47.
338 339
34°
BAB, DK 1/8176, Bl. 14f., SMAD, VLF, Kabanow, an DVLF, 20. 12. 47. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 204, wo insbesondere die sowjetzonale Wohnungs-
politik als redistributive Vertriebenenpolitik erscheint.
BAB, DK 1/8176, Bl. 49, Präsident der Provinz Sachsen, Dr. Diettrich, Rderl. v. 2. 1. 46.
1.
Integration durch Bodenreform?
693
gen Interessen der
Neubauern, die auf Wohnungen in erster Linie Anspruch haund dem Schutzbedürfnis der Flüchtlinge den richtigen Ausgleich zu finben, den"341. Dieses gravierende Umverteilungs- und Verdrängungsproblem sollte noch die Frühphase des 1947/48 eingeleiteten Neubauern-Bauprogramms überschatten, das zugleich ein großangelegtes Abrißprogramm war: Um neue Wohnund Wirtschaftsgebäude für Neubauern errichten zu können, mußten Abrisse bisheriger Gutsgebäude erfolgen, in denen vielfach Vertriebene ein provisorisches Obdach gefunden hatten. Das einzige erwähnenswerte Wohnungsbauprogramm der SBZ drohte aufgrund dessen vertriebenenpolitisch bestenfalls ein Nullsummenspiel zu bleiben, bei dem sich innerhalb der Vertriebenengruppe lediglich die Begünstigungskriterien verschoben. Es ist sogar wahrscheinlich, daß zwischen 1947 und 1949 mehr Vertriebene durch die Abrißpolitik dieses Bauprogramms geschädigt wurden, als andere eben Umsiedler-Neubauern durch die parallele Aufbaupolitik profitierten342. Vielleicht war dies der Hintergrund für die bissige Bemerkung, die der SPD-Abgeordnete Walter Seuffert 1952 im Bundestag an die Adresse der westdeutschen KPD richtete, die kurz zuvor Bodenreform und Wohnungspolitik der DDR zu preisen gewagt hatte. Seuffert konterte: „Mit Ihrer Methode der Schaffung von Siedlerstellen durch Zerlegung von Häusern aus eins mach zwei können Sie uns nicht imponieren."343 Die schematische Behandlung sämtlicher Neubauern durch die sowjetzonale Agrarpolitik war angesichts der ungleichen sozialen Lagen innerhalb der Neubauernschicht oft wirklichkeitsfremd. Formale Gleichbehandlung wurde dadurch zur sozialen Ungerechtigkeit. Wirtschaftsschwache Neubauern, darunter viele Vertriebene, erhielten beispielsweise bei Ablieferungsverpflichtungen keine Erleichterungen. Daß statt dessen die fälligen Abgaben auf sowjetischen Befehl rigoros eingetrieben wurden, ging Ende 1947 sogar dem führenden SED-Agrarpolitiker Paul Merker zu weit. Dieser wies den brandenburgischen Wirtschaftsminister Heinrich Rau (ebenfalls SED) darauf hin, „daß sich die Fälle häufen, wo den Neubauern, die aus irgendwelchen Gründen ihr Ablieferungssoll nicht voll erfüllt haben, ihre einzige Kuh oder ihr einziges Schwein als Ausgleich genommen" würde. Dies hielt Merker in Fällen, wo die „Unmöglichkeit" der Sollerfüllung evident war, für „ein sehr schematisches Vorgehen, das nur zu ernsten wirtschaftlichen, aber auch politischen Schäden führen" könne344. Merkers Kritik war nicht explizit vertriebenenpolitisch motiviert, hätte aber für viele Umsiedler-Neubauern günstige Wirkungen zeitigen können, denn der führende SED-Agrarpolitiker wollte „endlich erreichen, daß die Kleinen nicht einfach durch schematische Maßnahmen in ihrer Existenz gefährdet werden, wenn es ihnen aus irgendwelchen nicht in ihrer Macht liegenden Gründen unmöglich war, ihr Soll hundertprozentig zu erfüllen"345 Das brandenburgische Ministerium für Wirtschaftsplanung sah sich in diesem Fall jedoch außerstande, gegen anderslautende sowjetische Befehle zu han-
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341 342 343
344
Ebenda, Bl. 54, Präsident der Provinz Sachsen, i.A. Dr. Diettrich, Rundverfügung v. 28. 1. 46. Zum Neubauern-Bauprogramm ausführlich weiter unten Kap. III. 1.3. Zit. nach: Die Lastenausgleichsgesetze, Bd. 1/3, S. 800, Rede des SPD-Abgeordneten Seuffert in der Bundestagsdebatte vom 8. 5. 1952. SAPMO, DY30/IV2/2.022/37, Bl. 230, SED, PV, Merker, an „Innenminister" Rau, Brandenburg,
24. 12. 47. 343
Ebenda, Bl. 231, Merker an Rau, Zweiter Brief, 24.12. 47.
III. Die Macht des Sozialen
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Etwaige „Übergriffe"
könnten lediglich nachträglich über einen ViehausBauern wieder abgemildert werden346. für viehschwache gleich sogenannte Der SED-Agrarpolitik fiel es nach vollzogener Bodenreform schwer, sich und anderen die komplexe soziale Differenzierung innerhalb der selbstgeschaffenen Neubauernschaft einzugestehen. Die in der Agrarpolitik praktizierte formale Gleichbehandlung aller Neubauern verfestigte und verstärkte folglich bestehende soziale Ungleichheiten, statt sie durch eine Politik gezielter Förderung der Schwächsten abzumildern. Nach dem weitgehenden Abschluß der Landumverteilung stand 1946/47 eine Politik allgemeiner „Neubauernhilfe" im Vordergrund, die den katastrophalen Ausstattungsmangel an Vieh durch einen „Viehausgleich" zu Lasten von Altbauern lindern wollte347. Doch auch diese Umverteilungspolitik war keine Maßnahme, die „insbesondere den Vertriebenen" hätte helfen sollen, sondern wurde als allgemeine Neubauernpolitik konzipiert. Die Folge war, daß die lokalen Verteilungsmechanismen in der Regel Einheimische bevorzugten und trotz aller gutgemeinten staatlichen Gleichbehandlungspolitik Umsiedler-Neubauern beim Viehausgleich oft leer ausgehen ließen348. In den Ausnahmefällen, wo lokale SED-Funktionäre tatsächlich eine rigorose Vieh-Umverteilung zugunsten Vertriebener propagierten, wurden sie in den 1946er Kommunalwahlen von der einheimischen Bevölkerungsmehrheit abgestraft349. Während es in MecklenburgVorpommern 1946 zumindest zu einer landesweit organisierten, wenn auch im Ergebnis unzulänglichen Viehausgleichsaktion gekommen war350, hatte die brandenburgische Provinzialverwaltung in dieser Umverteilungsfrage von vornherein kapituliert, „da ein Viehausgleich innerhalb der Provinz auf freiwilliger Basis nicht durchzuführen war und ein Zwangsausgleich mit Hilfe des Reichsleistungsgesetzes oder auf dem Versorgungswege aus politischen Gründen nicht tragbar erschien"351. Auch die Agrarpolitik der SBZ bewegte sich in jenen redistributiven Konfliktzonen, die für Umsiedlerpolitik generell typisch waren, und auch im Agrarsektor schreckten die meisten Politiker und Bürokraten vor Verteilungskonflikten mit der einheimischen Bevölkerungsmehrheit zurück. Seit Jahresende 1946 nahmen manche Stellen immerhin wahr, daß die wirtschaftliche Lage der Neubauern „sehr stark davon abhängig" war, „ob es sich um Ortsansässige oder um Flüchtlinge oder ortsfremde Neusiedler handelt". Funktionäre der zonalen Agrarverwaltung bemängelten, daß „diese Unterschiede [...] bisher viel zu wenig berücksichtigt worden" seien. Neubauern, die aus der alteingesessenen Bevölkerungsmehrheit stammten, verfügten demnach meistens bereits über eigenen Wohnraum und auch über Unterbringungsmöglichkeiten für ihr Vieh, während Umsiedler-Neubauern überwiegend in Massenquartieren in den dein.
344
Ebenda, Bl. 229, Ministerium für Wirtschaftsplanung Brandenburg an SED, PV, Merker,
derartigen Viehausgleichaktionen siehe unten Kap. III. 1.4.2. 347 Blockpolitik und Neubauernhilfe, S. 590. Ottofülling, 348
17. 1.
48;
zu
Vgl. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 178, der zu Recht auf die geringe Wirksamkeit des Viehausgleichs verweist, denselben freilich als Maßnahme mißversteht, „insbesondere den Ver-
349
33°
33'
triebenen" helfen zu wollen. Vgl. ein Fallbeispiel aus dem Kreis Parchim in: MLHA, SED-LL IV/L/2/13/606, SED, LV Mecklenburg-Vorpommern, Abt. Information, Bericht über die Kommunalwahlen, 24. 9. 46, S. 12. BAB, DK 1/8170, Bl. 7fL, insb. Bl. 17, DZLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht zur Bodenreform in der SBZ, 7. 12. 46. Ebenda, Bl. 11.
1.
Integration durch Bodenreform?
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ehemaligen Herrenhäusern lebten. Die kommunalen Verwaltungen unterstützten nach sowjetischen Feststellungen durchweg nicht die besonders hilfsbedürftigen Vertriebenen, sondern eher die Einheimischen und insbesondere die gutsituierten
Großbauern. Die einheimische Landbevölkerung schien nicht daran interessiert, daß Vertriebene zu Neubauern würden; sie sollten besser landwirtschaftliche Hilfsarbeiter bleiben, um für einheimische Landwirte „billige Arbeitskraft und freies Land" zugleich zu gewährleisten352. Anhand ihrer Behandlung der Vertriebenen demonstrierte die einheimische Landbevölkerung der SBZ ihr tiefes Desinteresse an den gesellschaftspolitischen Transformationszielen der Urheber der Bodenreform353. Die SMAD glaubte freilich, die soziale Komplexität der nach 1945 etablierten Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse auf den ideologisch erwarteten Sozialkonflikt zwischen ausgebeuteten Neubauern und ausbeutenden „Großbauern" reduzieren zu können. Im Sommer 1947 behauptete einer ihrer Agrarfunktionäre vor deutschen Verwaltungsvertretern allen Ernstes: „Ein Bauer, der zwei bis drei Hektar besitzt und eine Kuh bekommt, wird niemals gegen die Umsiedler eingestellt sein; denn die Umsiedler haben genau so wenig. Aber wer 60 Hektar, neun Pferde und 15 Kühe hat, der ist gegen die Umsiedler eingestellt. Das ist die Einstufung in Klassen." Dieses schlichte sowjetische Weltbild blendete Konkurrenzkonflikte innerhalb der angeblichen „Klasse" der Klein- und Neubauern völlig aus. Ein deutscher SED-Agrarfunktionär, DVLF-Hauptabteilungsleiter Wilhelm Dölling, wagte allerdings auf derselben Zonenkonferenz der ideologischen Sicht der Sowjets zu widersprechen, indem er einerseits auf Beispiele für ausgesprochen gute Beziehungen zwischen Angehörigen alt- und neubäuerlicher Schichten verwies und andererseits „auch das Verhältnis von Neubauer zu Neubauer" als „oft unerfreulich" bezeichnete: „Nicht nur Altbauern sind moderne Sklavenhalter geworden, sondern auch Neubauern nutzen Neubauern aus."354 Nicht jeder Funktionär in SMAD und SED mochte trotz antrainierter Klassenkampfkategorien355 diesen neuartigen sozialen Konflikt wahrnehmen. So zeichnete die SED-Zentrale Ende 1946 von der ländlichen Gesellschaft Mecklenburgs zwar ein denkbar düsteres Bild, konzentrierte sich dabei jedoch ausschließlich auf ideologiekompatible Konfliktlinien. Demnach versuchten die Altbauern mit allen Mitteln, ihre Verpflichtungen zu umgehen, die VdgB-Organe seien „durchsetzt mit der typischen Besitzerideologie und der Feindschaft dem Neuen gegenüber", während „der arme Neubauer umgeben von Ablehnung, Neid und Schadenfreude Ebenda, Bl. 26. Sandford, From Hitler to Ulbricht, S. 111. 334 BAB, DO 1/10/62, Bl. 76 ff., insb. Bl. 95, DVLF an ZVU, 13. 8. 47, inklusive Protokoll der Zonen332 333
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konferenz für Bodenordnung am 29.ls0.7A7. Engels hatte zur „Bauernfrage" 1894 erklärt: „Ich leugne geradezu, daß die sozialistische Arbeiterpartei [...] die Aufgabe hat, außer den Landproletariern und Kleinbauern auch die Mittel- und Großbauern, oder gar die Pächter großer Güter [...] in ihren Schoß aufzunehmen. [...] Wir mögen in gewissen Fragen mit ihnen zusammengehn, für bestimmte Zwecke eine Zeitlang an ihrer Seite kämpfen können. Aber in unsrer Partei können wir zwar Individuen aus jeder Gesellschaftsklasse, aber durchaus keine kapitalistischen, keine mittelbürgerlichen oder mittelbäuerlichen Interessengruppen gebrauchen." Vgl. Engels, Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland, S. 438.
III. Die Macht des Sozialen
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auf der Strecke" bleibe. Unter den Altbauern herrsche noch immer die NS-Terminologie vom „Ortsbauernführer", auch auf den verstaatlichten Gütern sei weiterhin von „Gefolgschaft" die Rede, wenn man die Gutsarbeiter meine356. Der von der neueren Forschung konstatierte Gegensatz zwischen partiell rapidem sozialen Wandel und der „relativen Beharrungskraft dörflicher Milieus" und ihrer Mentalitäten357 wurde schon von diesen SED-Funktionären treffend beschrieben: „Das Alte und das Neue liegen in einem erbitterten Kampf; es ist ein Brodeln und Gähren im Dorf, dem aber unsere Parteiorganisationen nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenken." Dabei zeigte sich dieses „Neue" nicht nur in der Bodenreform, sondern auch in der Verdoppelung der Einwohnerzahl vieler Dörfer durch den Vertriebenenzustrom und die mit diesem korrespondierenden Bilder der Not, der Enge und des Verfalls. Auch „Umsiedlerdörfer" mit überwiegender Vertriebenenbevölkerung spiegelten „die Nöte und Hoffnungen dieser Zeit": In einem dieser Orte, dem im Kreis Hagenow gelegenen Düssin, erklärten manche zu Neubauern gewordene Vertriebene ein Jahr nach der Bodenreform resigniert, es habe sich einfach alles gegen sie verschworen „die Natur, die Kreatur, die SMA und die deutsche Verwaltung". Ihre wirtschaftlichen Ziele hatten sie trotz allen persönlichen Einsatzes nicht erreicht358. Die ländlichen Sozialverhältnisse in der SBZ wurden häufig dann konfliktreich, wenn das „Flüchtlingsproblem" hineinspielte. Meistens stellten die Vertriebenen in solchen Konflikten die zahlenmäßig unterlegene Bevölkerungsgruppe. Doch gab es besonders in Mecklenburg auch Situationen, in denen sich die lokalen Mehrheitsverhältnisse schlagartig umgekehrt hatten, wo also Vertriebene die Mehrheit der Nachkriegsbevölkerung in den Dörfern stellten. Dieses zahlenmäßige Mehrheitsverhältnis bewirkte allerdings nicht automatisch Gleichberechtigung, geschweige denn effektive Dominanz. Solange die Vertriebenen eine mutlose, zudem von Rückkehrwünschen geprägte heterogene Masse blieben, die ihre Interessen nicht organisierte und artikulierte, verfügte die plötzlich zur Minderheit im eigenen Orte gewordene alteingesessene Bevölkerung über die besseren Machtpositionen. Im Havelland gab es Gemeinden, deren Bevölkerung zu 98% aus Neubauern und Siedlern bestand, wo jedoch nach SED-Beobachtung „der politische Einfluß der zehn Mittelbauern [...] unter den [sie!] aus alten Ostländern, wie Ostpreußen, Westpreußen, Sudetenland, Posen und Schlesien stammenden Bevölkerung, [sie!] stärksten Widerhall" fand, „weil die meisten von ihnen wieder in ihre alte Heimat zurück wollen"359. Auch im zum Kreis Schwerin gehörigen Dorf Rastow wußte die zur Minderheit gewordene Gruppe der (im Februar 1946) 747 Altansässigen gegenüber der Mehrheit von 1103 Vertriebenen ihre lokale Hegemonie zu behaupten. Die Vertriebenenmehrheit bestand überwiegend aus -
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SAPMO DY30/IV2/7/266, Bl. 36ff., insb. Bl. 51, SED, ZS-Abt. LW, Bericht der Untersuchungskommission der SED und der DVAS über Schwierigkeiten in der Selbstversorgung der Umsiedlerund Landarbeiterfamilien in Mecklenburg, 12./13.11.46. Bauerkämper, Strukturumbruch ohne Mentalitätenwandel, S. 85. SAPMO DY30/IV2/7/266, Bl. 36 ff., insb. Bl. 51 f., SED, ZS, Abt. LW, Bericht der Untersuchungskommission der SED und der DVAS über Schwierigkeiten in der Selbstversorgung der Umsiedlerund Landarbeiterfamilien in Mecklenburg, 12./l3.11.46; Düssin erscheint hier als „Düssin". SAPMO, DY30/IV2/2.022/36, Bl. 111, Schreiben He., Falkenrehde/Osthavelland, an Merker, 21.5.49.
1.
Integration durch Bodenreform?
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Frauen und
Kindern, nur 200 männliche und 300 weibliche Vertriebene galten als überhaupt arbeitsfähig. Diese somit in vieler Hinsicht schwache Vertriebenenmehrheit majorisierte die eingesessene Dorfbevölkerung keineswegs. Zwar war es gelungen, den Großteil der Vertriebenen in einheimischen Wohnraum einzuquartieren, denn während 58 Umsiedlerfamilien noch in Baracken lebten, verfügten 220 Familien bereits über mindestens ein großes Zimmer mit Küchenbenutzung. Nicht gelungen war jedoch deren Integration in den örtlichen Arbeitsmarkt, befanden sich doch „nicht mehr als 30% der arbeitsfähigen Umsiedler in Arbeit". Vereinzelt wurden solche Vertriebenen auf Anforderung der Roten Armee tätig, erhielten aber nicht immer Bezahlung, so daß auch sie von Geldspenden der übrigen Dorfbevölkerung existieren mußten. Die Mehrheit der in Arbeit befindlichen Vertriebenen „sechzig Männer und fünfzig Frauen" war in der Landwirtschaft beschäftigt, und zwar ausschließlich als Landarbeiter. Von der Bodenreform hatte in Rastow kein einziger Vertriebener profitiert, denn lediglich an „103 Ortsansässige" war „Grund und Boden zugeteilt" worden. Zumeist arbeitsunfähig oder arbeitslos und mehr oder weniger provisorisch untergebracht, befand sich die Vertriebenenmajorität dieses mecklenburgischen Dorfes materiell, aber auch symbolisch am untersten Ende der sozialen Rangskala und war für jedermann sichtbar von der Mildtätigkeit der Alteingesessenen abhängig. Zu Weihnachten gab es und für Alte und Kranke also für die NahrungsSachspenden Kinder, große Mehrheit der im Dorfe lebenden Vertriebenen. Daneben erfolgten laufend Lebensmittel-Zuwendungen an alle Vertriebenenhaushalte. Informelle Wohltätigkeit verhinderte reguläre kommunale Ausgaben zur Sozialunterstützung; demütigend aber wirkte das eine wie das andere. Daher wundert es nicht, daß sich Einheimische und Vertriebene politisch klar getrennt organisiert gegenüberstanden: Einheimische stellten in Rastow das Gros der SPD-Mitglieder (37 von 47), darunter auch den Gemeindevorsteher, während 40 von 42 KPD-Mitgliedern im Dorf Vertriebene waren. Auch im lokalen Umsiedlerausschuß standen sich beide Welzwei Ortsansässige mit SPD-Buch trafen ten getrennt organisiert gegenüber dort auf zwei in der KPD organisierte Vertriebene360. Beide Gruppen würden sich bald in einer SED-Ortsorganisation zwangsvereinigt wiederfinden. Die zunächst nur numerische Majorität von Vertriebenen in etlichen Landgemeinden im Norden der SBZ wurde politisch relevant, sobald diese Gruppe mehr war oder wurde als eine hilfsbedürftige Zufallsagglomeration. Dies war etwa im Dorfe Grambzow im mecklenburgischen Landkreis Malchin der Fall, wo die Vertriebenen mehrheitlich durch eine geschlossen eingetroffene Gruppe von Umsiedlern aus Bessarabien repräsentiert wurden. Diese hatten bereits (infolge zwischenstaatlicher Abkommen des NS-Regimes) 1940 ihre Heimat (die damals von Rumänien an die Sowjetunion überging) verlassen müssen, um die ihnen zunächst zugewiesene neue Zwangsheimat in Ostdeutschland nach dem Zusammenbruch des „Großdeutschen Reiches" mit einer zweiten Zwangsheimat in der SBZ zu vertauschen. Diese durch die Bodenreform zu Neubauern gewordenen Bessarabiendeutschen bildeten in Grambzow eine geschlossene soziale Gruppe, die mit der Lokalautonomie dieses Dorfes zugleich ihre soziale und kulturelle Gruppenauto-
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360
BAB, DO 2/67, Bl.
78 f., Präsident
Mecklenburg-Vorpommern, Umsiedleramt, an ZVU, 6. 3. 46.
III. Die Macht des Sozialen
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nomie verteidigte. Diese exklusive Haltung mündete führte 1951 zu heftigen Konflikten, als eine Gemeindezusammenlegung dem Dorfe Grambzow die lokale Selbstbestimmung nahm361. Einerseits an der Umverteilungspolitik der KPD/ SED durchaus interessierte Profiteure der Bodenreform, andererseits auf die schon im zaristischen Rußland über Generationen eingeübte Bewahrung ihrer Lokalautonomie bedacht und dazu durchaus konfliktbereit, entwickelten und verteidigten solche dörflichen Vertriebenen-Mehrheiten auch in der SBZ/DDR „eigene Substrukturen", die sich während der gesamten Dauer des SED-Regimes der staatlichen Gleichschaltung bis zu einem gewissen Grade entzogen362. In solchen Dörfern errangen Vertriebenen-Netzwerke die lokalgesellschaftliche Hegemonie. Eine Bessarabierin erinnerte sich später: „Wir haben uns nachher behauptet, weil wir mehr waren, und die haben auch gesehen, was wir konnten, also sie waren nachher zugänglicher zu uns."363 In der brandenburgischen Gemeinde Prötzel, Kreis Straußberg, die 1949 aufgrund ihrer Vertriebenenmehrheit zum Untersuchungsobjekt der besorgten DVdl werden sollte, bestand damals die Einwohnerschaft zu zwei Dritteln aus Vertriebenen, „in der Hauptsache aus Schlesiern und einigen wenigen Ostpreußen". In Prötzel standen 422 Altansässige 816 Vertriebenen gegenüber. Durch den 1945 offenbar fluchtartig erfolgten „Wegzug der Gutsherrschaft und eines Teiles der Landarbeiter" hatte die Versorgung dieser Vertriebenen mit Wohnraum und Agrarland „verhältnismäßig reibungslos" erfolgen können. Zum größten Teil hatten sie an der Bodenreform partizipiert, sogar fast alle alleinstehenden Frauen mit Kindern. Angeblich gab es im Dorfe keine Arbeitslosen, lediglich fünf Fälle von Sozialunterstützung wurden gezählt stets Frauen, die allein für zu viele (bis zu sieben) Kinder zu hatten. sorgen Stichproben ergaben, daß die Erträge der Höfe von Umsiedler-Neubauern „notdürftig für den Lebensunterhalt" ausreichten364. Anders als im Falle Grambzow, wo die Bessarabien-Umsiedler gegenüber SED und Kreisverwaltung „wie ein Block" zusammenhielten365, schien sich in Prötzel eine gewisse Interessenidentität zwischen der SED und den überwiegend schlesischen Umsiedler-Neubauern herausgebildet zu haben. Jedenfalls war die einzige Partei im Ort die SED, deren etwa vierzig Mitglieder zu „mehr als 80% Umsiedler" waren. Integriert aber waren die Prötzeler Vertriebenen keineswegs: Das Neubauern-Bauprogramm wurde ausschließlich von den Umsiedler-Neubauern selbst getragen, genauso wie die SED-Ortsorganisation, während die alteingesessenene Bevölkerungsminderheit demonstrative Distanz wahrte: „Von ca. 50 freiwilligen Helfern während eines durchgeführten Aufbausonntags [beim Bauprogramm] waren nur zwei Personen Altansässige." Der SED-Ortsvorsitzende wußte zu berichten, die einheimische Bevölkerungsminderheit vertrete nach wie vor die Meinung, „daß das Leben bei dem alten Gutsherren besser war",
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36i
3«
363 »4
Umstritten
waren ferner bestimmte Maßnahmen der Agrar- und Umsiedlerpolitik der DDR; vgl. ausführlich: Schmidt, „Drei- oder viermal im Leben neu anfangen zu müssen...", S. 314f. Ebenda, S. 319 f.
Ebenda, S. 300. BAB, DO 1-8/83, Bl. 112, DVdl, Abt. BP, Morche, Bericht über Kontrolle in Prötzel
2. 6. 49. 365
Vgl.
diese Wertung des RdK bei: Schmidt, „Drei- oder viermal im Leben
sen...", S. 314.
neu
am
20. 5.,
anfangen zu müs-
1.
Integration durch Bodenreform?
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weshalb ihr „eine Rückkehr in diese Verhältnisse nach wie vor erstrebenswert erscheine". Der enteignete und nicht mehr im Orte ansässige Großgrundbesitzer werde durch seinen früheren Gärtner über alle Vorgänge in Prötzel brieflich unterrichtet366. Vertriebene und Kommunisten waren in den Dörfern ähnliche „Fremdkörper". Lokalpolitisch brisant wurde diese Konstellation besonders dann, wenn Vertriebene als selbstbewußte Kommunisten agierten und die fast überall bestehenden Konfliktdispositionen in offene Konflikte umzuwandeln wagten. Diese aggressive Rolle fiel häufig der Minorität der „antifaschistischen Umsiedler" zu, einer Minderheit in der Minderheit, die auch von vielen Vertriebenen (aufgrund ihrer Privilegien und ihrer politischen Nähe zur SED) nicht unbedingt geschätzt wurde. Die Konfliktbereitschaft dieser Antifa-Umsiedler richtete sich vor allem gegen bestimmte Gruppen der Alteingesessenen, welche die Feindbilder der Etablierten, der Besitzenden und womöglich der „Faschisten" auf sich zogen. Ein typischer Konflikt eskalierte im mecklenburgischen Dorf Lassahn. Aus diesem im Kreis Hagenow gelegenen Ort waren 1945 ähnlich wie in Prötzel Teile der Altbevölkerung 1945 vor der Roten Armee nach Westen geflohen, während große Gruppen von Vertriebenen neu anlangten. Auch im Dorf Lassahn stellten Flüchtlinge und Vertriebene daher die Mehrheit der Nachkriegs-Bevölkerung angeblich 93%. Die verbliebene einheimische „Kernbevölkerung" des Ortes, die in diesem Fall wahrhaftig zur Randbevölkerung geworden war, entwickelte Bedrohungsängste gegenüber dieser Masse an „Fremden" Befürchtungen, die durch das aggressive Auftreten einer Minderheit „antifaschistischer Umsiedler" erheblich verstärkt wurden, indem sie sich zu handfesten materiellen Verlustängsten steigerten. Als nämlich 1946 ein Teil der aus Lassahn geflüchteten Altbevölkerung versuchte, auf seine verlassenen Bauernhöfe zurückzukehren, zeigte sich, daß diese unterdessen großenteils von einer Gruppe „antifaschistischer Umsiedler" aus der CSR übernommen worden waren. Diese Antifa-Neubauern protestierten im Herbst 1946 bei den SED-kontrollierten Kommunalbehörden scharf „gegen die Rückkehr der im Vorjahre in die englische Zone geflüchteten ansässigen Landwirte und sonstiger faschistischer Elemente nach Lassahn" und erklärten: „Wir haben als anerkannte Antifaschisten kein Interesse, nazistischen Saboteuren [...] auf unsere Kosten" nämlich durch die zwischenzeitliche Bewirtschaftung der verlassenen Höfe „die Wege für eine neue Laufbahn zu ebnen, um na[c]hher als lästige Ausländer abgeschoben zu werden." Besonders wurmte diese Antifa-Umsiedler, nach Monaten immer noch nicht über Besitzurkunden für die übernommenen Höfe zu verfügen367. Im Frühjahr 1947 formierte sich daraufhin der Widerstand der alteingesessenen Dorfminderheit, die eine Delegation bestehend aus drei Frauen, darunter eine Bäuerin und die Gemeindeschwester zur mecklenburgischen Landesregierung sandte, um gegen die aus ihrer Sicht unerträgliche Anmaßung der Vertriebenen im Dorf Beschwerde zu führen. Der Regierung wurde, von SED- und -
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CDU-Mitgliedern einträchtig unterzeichnet, eine Petition von zweiundzwanzig 3«>
BAB, DO 1-8/83, Bl. 112, DVdl, Abt. BP, Morche, Bericht über Kontrolle in der Gemeinde Pröt-
367
BAB, DO 2/67, Bl. 311 f., ZVU, Abschrift: Eingabe antifaschistischer Neubauern aus Lassahn, Kr.
zel
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20. 5., 2. 6. 49.
Hagenow, 22. 10. 46.
III. Die Macht des Sozialen
700
Alteinwohnern überreicht. Auf beiden Seiten war dieser Konflikt letztlich ein Elitenkonflikt: Es ging um den Besitz der Bauernhöfe, von denen es in Lassahn, einem Dorf mit nunmehr etwa 600 Einwohnern, fünfunddreißig gab, von denen nur noch sechs im Besitz Alteingesessener waren. Die Delegation der Lassahner Altbauern warf den nun dominierenden Antifa-Umsiedlern vor, als Landwirte versagt zu haben ein Argument, daß in ländlichen Gesellschaften stets genutzt wurde, um mißliebige Personen zu diskreditieren368, um die Jahreswende 1946/47 in der SBZ freilich besonders brisant war, da damals unter sowjetzonalen Behörden diskutiert wurde, nachweislich unfähigen Neubauern ihr Bodenreformland nachträglich wieder zu entziehen369. Der Angriff auf die Umsiedler-Neubauern sollte offensichtlich deren Versuch abblocken, „nunmehr die ihnen zugewiesenen Höfe zu verlassen und sich in Höfe der noch im Orte vorhandenen Altbauern hereinzusetzen". Die Achillesferse etlicher Altbauern in diesem Verteilungskonflikt war ihre frühere NSDAP-Zugehörigkeit, die in zwei Fällen bereits zur Enteignung zugunsten der Antifa-Umsiedler geführt hatte. Seither ging „im Dorfe [...] das Gerücht, daß die Neusiedler in ähnlicher Weise [...] alle Altbauern verdrängen wollen". Der Landrat, an den sich die Altbauern in traditioneller Weise mehrfach um Hilfe gewandt hatten, war dem Orte bisher ferngeblieben, ein Mitarbeiter des Landratsamtes sollte erklärt haben, „daß der Landrat Angst hätte, nach Lassahn zu kommen", und daß sich „die Alteinwohner", statt auf Hilfe von oben zu hoffen, „selbst helfen und das Faustrecht gebrauchen" sollten370. Dieser Ratschlag, der in etlichen Landgemeinden sicher befolgt worden wäre, war angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Lassahn freilich äußerst riskant. Wechselseitige Stigmatisierungen, die entweder auf einheimische „Nazi-Bauern" oder auf vertriebene „Faule und Säufer" abhoben, waren in solchen Gruppenkonflikten an der Tagesordnung. Der staatlichen Seite, die von beiden Konfliktparteien angerufen wurde, blieb nur der Stoßseufzer: „Wenn die Neubauern überwiegend Mecklenburger wären, würde das Einleben leichter sein." Aufschlußreich ist die verallgemeinernde Beobachtung der zonalen Agrarverwaltung, daß sich als „die hartnäckigsten Versager in der Hilfeleistung" gegenüber Vertriebenen „die ehemaligen Landarbeiter" erwiesen, die zu Neubauern aufgestiegen waren; diese hatten folglich ein besonders starkes Abgrenzungsbedürfnis gegenüber Flüchtlings-Neubauern, von deren Unterschichtung letztlich der eigene neuerworbene Bauernstatus abhing. Materielle Verteilungskonflikte wurden durch solche Statuskonflikte in der Transformationsgesellschaft der SBZ erheblich verschärft371. Anders als die brandenburgische Provinzialverwaltung, deren Optik die nur scheinbar graue Masse ihrer „Neubauern" nicht zu differenzieren vermochte, betonten die Verwaltungen Mecklenburgs und mehr noch der Provinz Sachsen die soziale Heterogenität der zusammengewürfelten Neubauernschicht und das daraus entstehende Konfliktpotential: „Größer" als der Antagonismus -
Westfalens bei: Schwartz, „Machtergreifung"? Ygl_ Fallbeispiele in ländlichen NS-Elitekonflikten BAB, DO 2/62, Bl. 17ff., DVLF, Entwurf einer Verordnung „zur Festigung des auf Grund der Bodenreform entstandenen landwirtschaftlichen Grundbesitzes", 9.11. 46. 37° BAB, DO 2/50, Bl. 466 ff., insb. Bl. 466 f., [Landesregierung Mecklenburg, Umsiedleramt?], „Bericht über Zustände in Lassahn, Kr. Hagenow", 13. 5. 47. 37' BAB, DK 1/8170, Bl. 7fL, insb. Bl. 33, DZLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht 368
369
zur
Bodenreform in der SBZ, 7. 12. 46.
1.
Integration durch Bodenreform?
701
zwischen Alt- und Neubauern seien die „Gegensätze zwischen den einheimischen Neusiedlern und den Umsiedlern". Als ursächlich wurde insbesondere die unterschiedliche Verteilung der knappen materiellen Ressourcen, die zu Lasten der vertriebenen Landwirte gegangen war, betrachtet. Das Land Sachsen sah „einen scharfen Unterschied zwischen den ortsansässigen und ortsfremden Neubauern" zudem mit der Konkurrenz organisierter Parteipolitik verknüpft: „Die SED sieht vor allem in den Neubauern, die aus Schlesien und der Tschechei zugewandert sind, Vertreter der CDU, die das politische Gefüge des Dorfes für sie ungünstig beeinflußen." LDP und CDU wiederum betrachteten aus Städten stammende Neubauern „in erster Linie [als] Vertreter der SED". Die neu gegründete Bauernorganisation der SBZ, die VdgB, erblicke in sämtlichen Neubauern nur den „wirtschaftlich schwächeren Teil" der Bauernschaft, „der von den Altbauern immer nachgeschleppt werden muß"372. Die Tatsache, daß in der ländlichen Gesellschaft Sachsens mit dem Begriff des „Neubauern", der offiziell sämtliche Hofinhaber auf Bodenreformland meinte, vor Ort „im wesentlichen [...] nur der Nichtansässige oder vielmehr Ortsfremde bezeichnet" wurde, veranschaulicht, wie sehr die Unterschichtung der Vertriebenen den prekären Sozialstatus einheimischer Landempfänger aufzuwerten vermochte373. Nach Wahrnehmung der sächsischen Landesverwaltung wirkte die dortige „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe" (VdgB) in solchen Sozialkonflikten nicht integrierend, wie es ihre schon im Namen zum Ausdruck gebrachte Aufgabe hätte sein sollen, sondern vielmehr selbst als Konfliktpartei je nach örtlicher Lage als Interessenvereinigung der Alt- oder der Neubauern374. DVLF-Präsident Hoernle hatte Mitte 1946 statt jenes einheitlichen Zonenverbandes der Bauern, zu dem die VdgB später wurde, eigentlich eine lockere „Vereinigung der grundsätzlich selbständigen Landes- und Provinzialverbände" favorisiert, weil er einen Kontrollverlust der SED fürchtete: „Die Führung dieser Organisation liegt zwar heute noch in unserer Hand, aber wer weiß, wie die Dinge sich morgen entwikkeln." Es gebe bereits „Kreisausschüsse, die völlig Großbauernpolitik gegen die Neubauern und gegen die Kleinbauern machen". Damit die „Führung der Bauernschaft [...] in der Hand der Arbeiterklasse" bleibe, sollten seiner Meinung nach nur „die Organisationen der Arbeiterklasse zentralisiert werden, aber nicht die Organisationen der Bauern"375. In der Tat wurden örtliche VdgB-Instanzen bald mehrheitlich durch einheimische Bauern und wie in der sozialen Stratifikation der ländlichen Gesellschaft üblich durch Inhaber größerer Betriebe dominiert. Daher entwickelte sich die 1946 zur politischen Mobilisierung und ökonomischen Unterstützung der Klein- und Neubauern ins Leben gerufene VdgB vor Ort nicht zum „Transmissionsriemen" der SED-Klientelpolitik, sondern wie von Hoernle befürchtet zum lokalen Machtinstrument parteiloser altbäuerlicher Gruppen, welche die VdgB „entgegen den Intentionen ihrer Gründer [...] zu einer sozial -
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372
Ebenda.
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Ebenda, Bl. 36.
374 373
Ebenda. SAPMO DY30/IV2/2.022/66, Bl. 6, Hoernle an SED, ZS, Abt. LW, Reuter, 9. 7. 46; Hoernle nahm an, mit dieser Position auch in Gegensatz zu Helmut Lehmann zu stehen.
III. Die Macht des Sozialen
702
gefächerten Bauernorganisation" umzuwandeln drohten376. Diese Massenorganisation der SBZ, so SED-kontrolliert ihre zentralen und regionalen Führungsebenen bleiben mochten, bot auf lokaler Ebene groß- oder mittelbäuerlichen Schichten große Möglichkeiten zu institutioneller Resistenz, aber auch zur organisierten Vertretung sozialer Gruppeninteressen unter den Bedingungen einer Besatzungsdiktatur. Man darf nicht vergessen, daß diese altbäuerlichen Eliten häufig über Vorerfahrungen mit sozialer Interessenpolitik in einer totalitär konzipierten Agrarorganisation verfügten, hatte doch das NS-Regime ganz ähnliche Steuerungsprobleme mit der lokalen Führungsebene seines „Reichsnährstands" erlebt377. Entsprechend geringes Ansehen genoß die neue Bauernorganisation der SBZ bei SED-Politikern: Im Februar 1947 beschwerte sich VdgB-Generalsekretär Jadasch gegenüber SED-Chef Pieck über eine Äußerung des brandenburgischen Ministerpräsidenten Dr. Steinhoff, der die VdgB vor der versammelten SEDLandtagsfraktion als „Panoptikumgestalt" bezeichnet habe378. Ähnliche, vielleicht noch stärkere institutionelle Residuen besaßen altbäuerliche Eliten in den Führungen des agrarischen Genossenschaftswesens der SBZ379, dessen anfängliche organisatorische Zersplitterung380 von der Berliner Politikzenbreit
trale zunächst kaum zu kontrollieren war. Noch 1949 waren Bauern mit Höfen über 20 Hektar in den lokalen Führungsgremien der Genossenschaften deutlich überrepräsentiert381. Zu dieser Zeit lief allerdings schon der durch die SED-Führung eingeleitete Verdrängungsprozeß gegen die „Großbauern" im landwirtschaftlichen Genossenschaftswesen, der zugleich dessen Gleichschaltung besiegelte382. DVLF-Vizepräsident Ernst Busse, der 1949/50 den neugeschaffenen Zonenverband der Genossenschaften leiten sollte, zeigte sich im Herbst 1948 gegenüber SED-Kaderchef Dahlem überzeugt, „daß es auf diesem Gebiet noch sehr viel zu tun gibt", da die Führung der Genossenschaften „vorwiegend noch in den Händen der sogenannten erfahrenen alten Großbauern" liege, während Neu- und Kleinbauern „nur in wenigen Fällen [...] bis dahin vorgedrungen" seien. Änderungen zu erzwingen, sei für die SED „keine leichte Aufgabe", doch: „Wir müssen die alten Kräfte ausschalten und das übrige Dorf für uns gewinnen."383 Die anfängliche politische Dominanz altbäuerlicher Eliten in den Basisorganisationen der Landwirtschaft wurde dadurch begünstigt, daß der Organisationsgrad der Landwirte in der VdgB zunächst sehr unterschiedlich und oft recht niedrig war384. Im Herbst 1947 wurden bei der Neuwahl der VdgB-Ortsausschüsse die 376
Staritz, Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe, S. 761.
Vgl. Schwartz, Zwischen „Reich" und „Nährstand"; zur in solchen intermediären Organisationen institutionalisierten Interessenvertretung bäuerlicher Oberschichten in der NS-Diktatur ausführlicher: ders., „Machtergreifung"?; ders., Schützenvereine im „Dritten Reich"; eine konflikttheoretische Einbettung in: ders., Regionalgeschichte und NS-Forschung. 378 DY30/IV2/2.022/66, Bl. 59f. Vgl. SAPMO,Politik 379 der 377
Mertner, Die
S. 64. 380
38i 382
383
384
Landesparteiorganisation der SED gegenüber der VdgB in Mecklenburg,
Brandenburg existierten im Frühjahr 1946 knapp 1700 agrarische Genossenschaften mit insgesamt 162000 Mitgliedern; vgl. Fait, (Mark) Brandenburg, S. 92f. Berthold e. a., Von den bürgerlichen Agrarreformen zur sozialistischen Landwirtschaft, S. 191. Allein in
Schöne,
Das landwirtschaftliche
Übergang, Bd. 1, S. 464^191.
Genossenschaftswesen, und Sattler, Wirtschaftsordnung im
Zit. nach: Niethammer, Der „gesäuberte" Antifaschismus, S. 384. In der Provinz Sachsen waren im Januar 1947 22% der Betriebsinhaber organisiert, in Thüringen
1.
Integration durch Bodenreform?
703
Parteilosen mit 48% die stärkste Gruppe vor den SED-Mitgliedern mit 43%, während bürgerliche Parteimitglieder kaum vertreten waren. Auf OrtsausschußEbene war die SED überdurchschnittlich in Mecklenburg (54%) und SachsenAnhalt (45%) vertreten, während sie in Thüringen (38%) und Sachsen (33%) un-
günstig abgeschnitten hatte. Im Vergleich zu den VdgB-Wahlen von 1946 hatte die SED ein Jahr später auf Kreis- und Ortsebene in allen Ländern herbe Verluste hinnehmen müssen, obschon die Kreis- und Ländergremien der VdgB klar SED-dominiert blieben385. Diese Entwicklungen lief den Intentionen der SED ebenso zuwider, wie er bürgerlicher Agrarpolitik386 entgegenkam. Ähnlich wie die altbäuerliche Bevölkerung begriffen auch die bürgerlichen Blockparteien um die Jahreswende 1946/47, daß die VdgB im eigenen Sinne genutzt werden könnte: Auf einer Beratung des agrarpolitischen Ausschusses der CDU wollte zwar der Mecklenburger Delegierte Werner Pohls in der VdgB „nichts weiter als ein Instrument der Kommunisten" erblicken, doch der westdeutsche Bauernverbandsfunktionär Johannes Hummel gab sich optimistischer: „Die VdgB sind [sie!] eine ausgezeichnete Einrichtung, wenn ihre Leitung in den richtigen Händen liegt. Was man im Westen jetzt macht, ist im Grunde das gleiche."387 Die selbstbewußte Strategie der Umformung der VdgB in ein Instrument (alt-)bäuerlicher Interessenpolitik setzte sich in der Union im Februar 1947 endgültig durch. Der sächsische CDU-Agrarpolitiker Hillebrand erklärte bündig, am derzeitigen (zu stark SED-dominierten) Zustand der VdgB sei die CDU selbst schuld, und der Berliner von Zitzewitz sekundierte, man dürfe gegenüber der VdgB keine Berührungsängste mehr haben, denn vor Ort dominierten Sachfragen und „zuletzt werden doch diejenigen die Führung haben, die die vernünftigsten Ideen haben". Auch bei einer berufsständischen Landwirtschaftsorganisation (wie sie offenbar in der CDU favorisiert wurde) würden die örtlichen Basisorganisationen „nicht viel anders aussehen können als die VdgB". Selbst Skeptiker wie der Brandenburger Max Hampe, welche „die VdgB [...] in den Augen der Bauern mit dem Erbe der Bodenreform belastet und ferner [...] zu sehr in den Händen der SED" sahen, räumten damals ein, man müsse sich „trotzdem [...] beteiligen, um noch größere Schäden zu verhindern". Diesen Stoßseufzer verwandelte Dr. Bruno Schöne, der führende Agrarpolitiker der CDU mit einschlägigen Weimarer DNVP-Erfahrungen, in ein Angriffssignal: „Wir müssen gerade die Altbauern dazu bringen, in die Vereinigungen hineinzugehen und diese zu erobern."388
19% und in der Provinz Brandenburg 18%, in Mecklenburg-Vorpommern nur 15% und in Sachsogar nur 11%; zwischen einzelnen Landkreisen existierten wiederum außerordentlich große Unterschiede (zwischen 3% und 77%); vgl. SAPMO, DY19/Bdl. 560/518, Bericht Nr. 1 der VdgB, sen
bearb. vom Referat Statistik der Rechts- und Wirtschaftsabteilung des Zentral-Bauernsekretariats, 15. 1.47.
385
3834 633
SBZ-Handbuch, S. 940.
Vgl. ACDP, 03/033/0096.
MLHA, Mdl 2705, RdK Usedom an Mdl Mecklenburg, Abt. BP, 28. 10. 50. BAB, DO 2/63, Bl. 87, MfSoz Mecklenburg, Burmeister, an ZVU, 4. 7. 47. BAB, DO 2/96, Bl. 13 ff., insb. Bl. 18, Engel, „Kritik und Anerkennung. Betrachtungen
Kreiskonferenzen", in: Neue Heimat Nr. 2 v. Nov. 6» "37
zu
zwei
1947.
MLHA, Mdl 2622, RdK Güstrow, Ref. BP, an Mdl Mecklenburg, Abt. BP, 20. 6. 49. MLHA, Mdl 2717, RdK Rostock, Dez. Innere Verwaltung, Kreisrat Scha[rrenberg], an SKK Ro-
stock, Tschenzow, 13. 3. 50.
III. Die Macht des Sozialen
764
traie übermittelte, dort jedoch sofort ad acta gelegte Lastenausgleichs-Programm des sachsen-anhaltischen Umsiedlerabteilungsleiters Hiebsch, der dafür sorgen wollte, „daß jeder Umsiedler, Ausgebombte und Kriegsbeschädigte Kleingartenbesitzer wird"; zu diesem Zwecke sollte nicht nur Gemeindeland umverteilt werden, sondern der Staat sollte sich notfalls nicht scheuen, „von Besitzern von über 25 Hektar Abtretung zu fordern"658. In der 1949 gegründeten DDR war jedoch Gartenlandumverteilung zugunsten Vertriebener (und womöglich weiterer Kriegsfolgengeschädigter) nicht mehr politikfähig. Wo es an legislativen, administrativen und institutionellen Rückendeckungen weitgehend fehlte, herrschte das Gesetz des lokalgesellschaftlich Stärkeren unangefochten. Wo Gartenland-Verteilung ein kommunalpolitischer Gnadenakt blieb, konnten ebenso willkürlich gezielte „roll-backs" erfolgen, indem bereits erfolgte Landverpachtungen an Vertriebene zugunsten einheimischer Interessenten rücksichtslos wieder rückgängig gemacht wurden. Nach dem umsiedlerpolitischen Kurswechsel von SMAD und SED im Jahre 1948 spielte es in solchen Umverteilungskonflikten auch keine große Rolle mehr, ob in der fraglichen Region ein Gartenlandgesetz erlassen worden war oder nicht; höchstens die Wahl der Mittel mochte davon abhängen, die Frage also, ob man Vertriebenen ihr Pachtland durch juristische Schritte wieder abnahm oder ob dazu ein administrativer Willkürakt der Gemeindeverwaltung genügte. Der ersten Variante begegnen wir auf einer Besprechung vom September 1948 in Sachsen-Anhalt, auf der Vertreter der zuständigen SMA der dortigen VdgB vorwarfen, in verschiedenen Gemeinden Gartenzuteilungen an Neubauern, die bereits ins Grundbuch eingetragen worden seien, gerichtlich wieder rückgängig gemacht zu haben, um dieses Land an einheimische Großbauern zu verpachten659. Die zweite Variante findet sich im mecklenburgischen Dorf Dabei, Kreis Wismar, wo kein Landesgesetz je Gartenlandverteilung veranlaßte oder schützte; dort konnte folglich auf juristische Legitimation erneuter Umverteilung verzichtet werden. So willkürlich Vertriebenen in Dabei Land zugeteilt worden war, so willkürlich glaubte man es ihnen dort auch wieder nehmen zu dürfen. Unter den knapp 1200 Einwohnern dieses Dorfes stellten Vertriebene einen Anteil von 43,1%, was dem mecklenburgischen Landesdurchschnitt entsprach. Die Bodenreform war hingegen in Dabei fast folgenlos geblieben, dort lebten ganze sieben Neubauern, von denen drei Vertriebene waren. Die Gemeindeverwaltung war, als 1949 eine Berliner SED-Untersuchungskommission auftauchte, über die soziale Lage der mehr als fünfhundert Vertriebenen im Dorfe überhaupt nicht orientiert; man wußte lediglich zu sagen, daß es „offizielle Arbeitslose" nicht gab. Die politischen Machtverhältnisse in Dabei waren eindeutig: Alle sechzehn Mitglieder der Gemeindevertretung waren über die SED-Liste gewählt worden, auch die beiden Parteilosen. Ein einziges Mitglied des Gemeinderats repräsentierte die Vertriebenen; immerhin war der örtliche Wohnungsausschuß pari 687
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7'2
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Bauerkämper, Problemdruck und Ressourcenverbrauch, S. 315. BAB, DO 2/62, Bl. 76-97, insb. Bl. 83, DVLF an ZVU, Protokoll der Zonenkonferenz für Bodenordnung vom 29./30.7., 13. 8. 47. Ebenda, Bl. 95.
Schlenker, Die Abbruche mecklenburgischer Gutsanlagen, S. 101. Vgl. das Resümee des Befehls Nr. 209 in: BAB, DK 1/8176, Bl. 18 f., SMAD, Verwaltung für Landund Forstwirtschaft, T[e]rentjew, an DVLF, 16. 12. 47. 713 So jedoch Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 181. 713
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III. Die Macht des Sozialen
Neubauern-Bauprogramms, ganz wie es die Enteignung und Vertreibung der bisherigen Gutsbesitzer für die Durchführung der „Bodenreform" gewesen war. Der Abriß enteigneter Gutsanlagen war folglich sowohl symbolisch als auch materiell die Grundlage der einsetzenden Neubauern-Baupolitik. Symbolpolitisch sollte auf die Entfernung der „Junker" die demonstrative Zerstörung ihrer „Zwingburgen"716 folgen. Materiell stammten bis Ende 1948 immerhin 22% aller im Neubauern-Bauprogramm verwandten Mauersteine und 27% aller Dachziegel aus Gutsabrissen. Eine ungleich größere Menge an Baumaterial wurde dem Neubauern-Bauprogramm freilich durch den parallelen Abriß sonstiger Gebäude, insbesondere früherer Militäranlagen, zugeführt717. Die Durchsetzung dieser Abrißpolitik war alles andere als einfach. Dagegen sprachen allein schon kulturpolitische Gesichtspunkte, die zwar in der Landwirtschaftsverwaltung der SMAD wenig zählten, jedoch von sowjetischen und deutschen Kulturfunktionären ernsthaft verteidigt wurden. Gegen den SMAD-Baubefehl, der zahlreiche kulturell wertvolle Baudenkmäler bedrohte, mobilisierte die Zentralverwaltung für Volksbildung (DWb) als oberste Denkmalschutzbehörde
der SBZ unverzüglich ihre sowjetischen Ansprechpartner. Dieser kulturpolitischen Defensive kam zugute, daß sowohl der Präsident der DWb, der frühere Komintern-Funktionär Paul Wandel, als auch dessen Stellvertreter Erich Weinert, der frühere Chef des in der Sowjetunion gebildeten „Nationalkomitees Freies Deutschland" (NKFD), über exzellente Kontakte zu sowjetischen Vertretern verfügten. Um wenigstens eine partielle Bestandsgarantie für bedrohte Schlösser und Gutshäuser zu erreichen, wandte sich Weinert nicht nur an die vorgesetzte SMAD-Abteilung für Volksbildung, sondern auch den Leiter der Kulturabteilung in der einflußreichen SMAD-Propagandaverwaltung, Oberstleutnant Dymschitz, einen Germanistikprofessor aus dem Hitlers Vernichtungswahn nur knapp entgangenen Leningrad, einer Perle des Weltkulturerbes. Darüber hinaus hatte der DWb-Vizepräsident auch die für Vertriebenen- und Wohnungsfragen zuständigen deutschen Zentralverwaltungen sowie sämtliche Länderministerien für Landwirtschaft und Volksbildung alarmiert718. Weinens auf diverse sowjetisch-kommunistische Netzwerke setzende breit angelegte Frondebildung gegen den Zerstörungsbefehl der SMAD-Agrarpolitiker erwies sich als der richtige Weg, um die rigorose Abrißpolitik zumindest zu bremsen. Gänzlich zu verhindern war sie mit kulturpolitischen Argumenten und Netzwerk-Blockaden freilich nicht. Zwei Tage nach Erlaß des Befehls Nr. 209 hatte Weinert beim Leiter des dafür verantwortlichen SMAD-Landwirtschaftsressorts, Oberst Alexander F. Kaba716
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So HVLF-Hauptabteilungsleiter Wilhelm Dölling auf der Zonenbaukonferenz vom Mai 1948; vgl. BAB, DO 2/62, Bl. 192-202, insb. Bl. 192, DWK, HVLF, HA II (Agrar- und Bauernpolitik), Niederschrift über die Zonenbaukonferenz (Reaktivierungskonferenz) am 20. 5., 22. 5. 48. BAB, DK 1/8742, Bl. 1-21, insb. Bl. 8, DWK, HVLF, Lichtenberger, Bericht über die Durchführung des Neubauernbauprogramms gemäß Befehl 209 1947/48, 10. 1. 1949; bei einem Gesamtbedarf von 878,7 Millionen Mauersteinen hatte man 167,5 Millionen aus Gutsabbrüchen gedeckt, 266 Millionen Stück aus dem Abbruch sonstiger Anlagen; insgesamt verbaute man 754,9 Millionen Stück; bei Dachziegeln herrschte ein Gesamtbedarf von 182,7 Millionen Stück, von dem 31,6 Millionen Stück aus Gutsabbrüchen gedeckt wurden, 4,9 Millionen Stück aus anderen abgebrochenen Anlagen; insgesamt verbaute man 117,6 Millionen Stück. BAB, DO 2/63, Bl. 145f., insb. Bl. 146, DWB, Weinen, an SMAD, Verwaltung für Landwirtschaft, Kabanow, 11.9. 47.
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einen undifferenzierten Abriß von Schlössern, Burgen und GutsgeEinspruch eingelegt und strikte Einzelfallprüfungen gefordert. So sehr er „damit übereinstimme, daß sich auch das Gesicht der Landschaft im Zusammenhang mit der Bodenreform verändert, indem Bauobjekte, die als ausgesprochene Repräsentanten feudaler Gesinnung anzusprechen sind, Veränderungen erfahren", so wenig dürfe man „Denkmale der kulturellen Entwicklung von höchstem Wert" beseitigen, ohne zu einer „Negation der geschichtlichen Substanz" zu kommen. Zudem erbrächten die geplanten Abbruche voraussichtlich relativ wenig für Neubauten brauchbares Baumaterial, da aufgrund der Bauweisen früherer Jahrhunderte ein Großteil des Materials nicht weiterverwendet werden könne. Den „relativ unbedeutendefn] wirtschaftliche^] Erfolgefn]" solcher Abrißpolitik stünden jedoch gravierende, „propagandistisch nicht zu begrüßende Konsequenzen" gegenüber. Ferner konterkariere ein undifferenzierter Abbruch die unter Arbeitsmarkt-Gesichtspunkten laufenden Planungen einer „inneren Umsiedlung mit einer Konzentration arbeitsfähiger Spezialisten in Industriebezirken und mit einer Verlagerung nicht voll arbeitsfähiger Bevölkerungsteile in ländliche Gebiete", böten doch „die ehemaligen Schloßbauten die einzige Möglichkeit zur Aufnahme der [auf das Land] umgesiedelten Bevölkerungsteile". Geschickt erklärte der Russland-Kenner Weinert schließlich die Praxis der Sowjetunion für vorbildlich, nur kunsthistorisch belanglose Bauten abzureißen, kulturell wertvolle hingegen zu erhalten und neuen Nutzungen zuzuführen. Umwidmung statt Abriß bot für diesen führenden SED-Kulturpolitiker den „sinnfälligsten" Ausdruck der „Überwindung eines ehemaligen historischen Zustandes"719. Der Erich Weinert aus gemeinsamen Spanienkämpfer-Tagen verbundene ZVUPräsident Rudolf Engel720 sagte dem Verteidiger der bedrohten Kulturdenkmäler „in jeder Weise" Unterstützung zu. Dies fiel Engel umso leichter, als die bedrohten Gutsgebäude auch für die wohnliche Unterbringung vieler Vertriebener unverzichtbar schienen721. Die zugunsten der Neubauern geplante Abrißpolitik dieser Gebäude ging somit zwangsläufig zu Lasten Dritter: „Der Abriß von Gutsgebäuden beeinträchtigte nicht nur die landwirtschaftliche Erzeugung, sondern führte auch zum Verlust von Wohnraum für Flüchtlinge"722. In Sachsen-Anhalt waren Ende 1947 von 568 enteigneten Schlössern oder Gutshäusern mehr als ein Fünftel (22,5% oder 128 Gebäude) „ausschließlich zur Unterbringung von Umsiedlern in Benutzung", die vermutlich noch größere Zahl an Teilnutzungen gar nicht mitgerechnet723. In den Kerngebieten gleichzeitiger Bodenreform und Vertriebenen-Ansiedlung war dieser Belegungsanteil noch sehr viel höher: 1949 wurden in Mecklenburg 75% aller Gutsgebäude entweder zu landwirtschaftlichen Zwecken oder zur Vertriebenenunterbringung genutzt724. Nach Kriegsende wanow, gegen
bäuden
7'9
Ebenda.
SAPMO, SgY30/1821/l, Rudolf Engel, „Meine Tätigkeit von Oktober 1945 bis Ende 1950 unter besonderer Berücksichtigung der kulturpolitischen Fragen", o.D., S. 5. 72> BAB, DO 2/63, Bl. 143, ZVU, Engel, an DWb, Weinert, 6. 10. 47. 722 Bauerkämper, Problemdruck und Ressourcenverbrauch, S. 319. 723 BAB, DO 2/66, Bl. 186, Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik Sachsen-Anhalt an ZVU, 26.11. 72°
47.
724
Schlenker, Die Abbruche mecklenburgischer Gutsanlagen, S. 103; in der gesamten sowjetischen Zone wurde damals knapp die Hälfte der Gutshäuser „ausschließlich von Neubauern genutzt".
III. Die Macht des Sozialen
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ren Millionen Vertriebene in die ländlichen Gebiete der sowjetischen Zone gelangt und häufig in den eben erst enteigneten Gutsgebäuden einquartiert worden, wo sie oft jahrelang als in einer Art Ersatz-Flüchtlingslager verblieben. Noch 1950 waren etwa im Landkreis Rostock die dort lebenden Vertriebenen primär in eheGutsdörfern konzentriert und deutlich in weniger maligen Altbauerngemeinden präsent, weil „1945 in den geräumigen Gutshäusern zunächst große Massen von Umsiedlern untergebracht werden konnten"725. In weniger von der Bodenreform betroffenen Regionen wie Thüringen verstanden die Neubürgerbehörden unter Wohnraumbeschaffung für Vertriebene hingegen in erster Linie die zusätzliche Belegung ehemaliger Kasernen oder Lager der NS-Zeit726. In Sachsen waren 1947 etwa 18% der dort lebenden Vertriebenen „in Boden- und Kellerräumen [von Privathäusern] oder [in] Kasernen" untergebracht727. Die Abrißpolitik der sowjetzonalen Agrarpolitiker konterkarierte 1947 Versuche der Umsiedlerverwaltung, angesichts der bei anhaltenden Zwangsumsiedlungen stetig wachsenden Wohnungsnotlage für Vertriebene die im Alliierten Wohnungsgesetz von 1946 enthaltene Verpflichtung der Wohnungsämter, sich um Vermehrung von Wohnraum zu bemühen, offensiv zu interpretieren. Aus Sicht der ZVU mußten diese Behörden alle denkbaren Gebäude „auch ehem.[alige] militärische Anlagen" erfassen, sofern deren Umbau zu Wohnungen möglich schien, und folglich deren „Abriß und Verkauf" grundsätzlich untersagen728. „Kasernen zu Wohnungen" umzuwidmen, war und blieb gerade im VertriebenenSchwerpunkt Mecklenburg-Vorpommern eine wohnungspolitische Kernaufgabe729. Im April 1947 versicherte sich die mecklenburgische Hauptabteilung Umsiedlung der Unterstützung diverser Zentralverwaltungen und der SED-Spitzenpolitiker Grotewohl, Gniffke und Lehmann, um in Verhandlungen mit hochrangigen Vertretern der SMAD die drohende Demontage und Sprengung ehemaliger Militäranlagen zu verhindern730. Noch Jahre später konnte Mecklenburg auf den Umbau von Kasernen und Lagerbaracken zu Wohnungen nicht verzichten731. Die Umsiedlerfunktionäre der SMA erwiesen sich in dieser Frage als verständnisvoll, doch höherrangige sowjetische Militärs sträubten sich häufig gegen den Erhalt solcher Anlagen. So wurde in Thüringen 1947 die von der SMA zunächst gebilligte Zurverfügungstellung von Kasernen oder Baracken zu Wohnzwecken -
-
MLHA, Mdl 2717, RdK Rostock, Dez. Innere Verwaltung, an SKK Rostock, Tschenzow, 13. 3. 50, S. 2. 7« ThüHStA, Mdl 3701, Bl. 62 f., Mdl Thüringen, AfN, Faust, „Gedanken über einen Dreijahresplan auf dem Gebiet der Umsiedlung", o.D. [ca. 1947]. 727 SäHStA, LRS, Mdl 2741, SMAS, Abt. Umsiedler, Befehl Nr. 124 an MP Sachsen v. 13. 3. 47. 728 BAB, DO 2/66, Bl. 23-33, insb. Bl. 25 f., ZVU, Abt. Organisation, Chwalczyk, „Das Kontrollrats723
729
730
™
Gesetz Nr. 18 (Wohnungsgesetz) und die Durchführungsverordnung der deutschen Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge (kritische Bemerkung)", 13.2. 47. MLHA, MP 662, Bl. 101 ff., insb. Bl. 106, Ministerium für Sozialwesen Mecklenburg, HAAS, Verkürzter Geschäftsbericht für 1947. MLHA, MfS 31b, Bl. 559f., Ministerium für Sozialwesen Mecklenburg, HAU, Scheel, Bericht an MP Höcker und die Minister Burmeister und Warnke sowie an die SMAM, Major Litwitzki, über die Verhandlungen in Berlin zur Wohnraumbeschaffung für Umsiedler, 2. 4. 47. MLHA, SED-LL IV/2/3/80, Bl. 209 f., SED, LV Mecklenburg, Karl, Vorlage an Sekretariat des LV, 11.7.49.
1.
Integration durch Bodenreform?
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nach einiger Zeit wieder rückgängig gemacht732. Gegenüber dem SED-Landesvorsitzenden und Minister Werner Eggerath erklärte sich der Chef der SMATh, Generaloberst Boldin, im April 1947 „keinesfalls damit einverstanden [...], daß Kasernen, die zu Wohnzwecken oder für Büros schon vor fünf Monaten übergeben wurden, noch heute [...] absolut den Kasernencharakter tragen und keinem Umbau unterworfen wurden". Dies müsse zwangsläufig „Mißtrauen" erwecken. Eggerath wiederum wußte von Fällen, in denen im Sinne Boldins laufende Umbauten von Kasernen durch die SMA wieder gestoppt worden waren733. Der SMAD-Befehl Nr. 209 vom September 1947 war nicht zuletzt die Konsequenz derartigen sowjetischen Mißtrauens, das sich gegen den Erhalt von Militär- und Gutsanlagen richtete. Als gegen solche Gebäude gerichteter Abrißbefehl konterkarierte der Baubefehl der SMAD die Anstrengungen der sowjetzonalen Wohnungs- und Umsiedlerpolitiker gravierend, machte er doch nicht nur den Erwerb weiteren Wohnraums (etwa in Kasernenanlagen) unmöglich, sondern bedrohte sogar bereits belegten Wohnraum in Kasernen und Gutsgebäuden. Gerade die Destruktion dieser für Vertriebenenunterbringung essentiellen Wohnflächen macht es nahezu unmöglich, dem damaligen Neubauern-Bauprogramm eine positive „vertriebenenpolitische Komponente"734 zu attestieren. Nicht nur auf Zonen-, auch auf Länderebene führte der im Kontext des SMAD-Baubefehls gegebene Abrißbefehl zu heftigen Ziel- und Ressortkonflikten. Parteizugehörigkeit spielte dabei nur eine sekundäre Rolle. Auf zentraler Ebene stritten sich auf Seiten diverser SMAD-Funktionäre, aber auch der Präsidenten von DVLF, DWb und ZVU jeweils überzeugte Altkommunisten. In Brandenburg stießen mit den Ressortchefs für Wirtschaftsplanung und Volksbildung, Rau und Rücker, altkommunistische und altsozialdemokratische SEDMinister aufeinander735. Auf einer Sitzung des thüringischen Landeskabinetts wurden im November 1947 der altkommunistische SED-Innenminister Wlly Gebhardt, seine einst sozialdemokratische SED-Genossin im Volksbildungsressort, Dr. Marie Torhorst'36, und der bürgerliche Justizminister Dr. Helmut Külz (LDP) zu Antipoden. Laut Gebhardt war es zur Erfüllung des SMAD-Baubefehls nicht nur objektiv zwingend, Baumaterial „aus der Niederlegung der alten Schlösser und Gutshäuser" zu gewinnen, eine derartige Abrißpolitik wurde auch von der SMATh nachdrückl ch gefordert. Die durch Weinert alarmierte Volksbildungsministerin Torhorst plädierte jedoch für die Bildung einer Kommission, die zunächst „über den kulu.rhistorischen Wert der abzutragenden Schlösser" zu befinden hätte. Justizminister Külz, der Sohn des damaligen Zonenvorsitzenden der LDP und einstigen Reichsinnenministers Dr. Wilhelm Külz, bestritt hingegen, daß es einen sowjetischen Befehl zum Abriß früherer Gutshäuser überhaupt gab, da der Befehl Nr. 209 den Neubauern im Wortlaut „lediglich erlaubt, Baustoffe 732
733
734 733 736
104 ff., insb. Bl. 105, MP Thüringen, Aktennotiz über Besprechung des Ministers Eggerath mit Generalmajor Kolesnitschenko am 18. 4., 18. 4. 47. Ebenda, Bl. 114f., MP Thüringen, Aktennotiz über Besprechung des Ministers Eggerath mit Generaloberst Boldin und Gereralmajor Kolesnitschenko am 25. 4. 47. Diese verfehlte Sicht bei: Tl er, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 180. Bauerkämper, Das Neubauernbauprogramm im Land Brandenburg, S. 196. Diese frühere Sozialdemokratin war 1945 der KPD beigetreten und im Frühjahr 1947 zur ersten Ministerin einer Landesregierung der SBZ aufgestiegen; vgl. SBZ-Handbuch, S. 1044.
ThüHStA, Büro MP 514, Bl.
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diesen abzutragenden Gebäuden zu entnehmen", jedoch weder Bauern noch Staat dazu verpflichte. „Gegen einen sofortigen Abbruch" erhob Külz überdies „wirtschaftliche Bedenken" und plädierte dafür, sich bei der Spitze der SMATh um eine „Auslegung der Abbauaktion dahingehend" zu bemühen, „daß diese nicht fristgebunden durchzuführen ist, sondern daß Zeit gewonnen werden kann, diese Aktion im Zusammenhang mit der Neubauplanung" also nach Bedarf begrenzt „in Angriff zu nehmen". Es war nicht der für Vertriebene zuständige SED-Innenminister, sondern dieser bürgerliche Justizminister, der ferner darauf hinwies, daß „eine vorzeitige Abbauaktion" auch „vielen Neubürgern die gegenwärtige Unterkunft nehmen" würde. Külz erhielt Rückendeckung durch Versorgungsminister Georg Grosse (CDU), der keine Gewähr gegeben sah, daß bei flächendeckenden sofortigen Abrissen das gewonnene Material umgehend für Neubauten verwendet werden könne, so daß vielfach die Gefahr von Diebstahl und Zweckentfremdung bestehe. Dies scheint Innenminister Gebhardt überzeugt zu haben, der nun den Standpunkt vertrat, „daß nur im Zuge der Neubauplanung die Abbruchaktion vor sich gehen" könne. SED-Chef Eggerath, unterdessen thüringischer Ministerpräsident, beauftragte seinen Genossen, diese Frage mit Fachleuten zu klären und erforderlichenfalls mit der SMATh zu besprechen737. Die Nutzung etlicher Gutshäuser als Notquartiere für Vertriebene war ein mindestens so zugkräftiges Argument gegen deren Abriß wie die denkmalpflegerischen Einwände. In der Praxis wog es ungleich schwerer. Auf einer Sitzung des sächsischen Landesumsiedlerausschusses wandte sich Arbeitsminister Gabler, der ebenso für Umsiedler- wie auch für Wohnungsfragen zuständig war, im Februar 1948 ausdrücklich dagegen, „daß wir sinn- und wahllos diese Schlösser zerstören". Man solle besonders solche Gebäude abreißen, die keinen kunsthistorischen Wert besäßen und überdies schon derart baufällig seien, „daß sich kein Mensch findet, der auf die Dauer die Kosten [ihrer Erhaltung] zu tragen vermag". Ansonsten ließ dieser SED-Politiker keinen Zweifel daran, daß für ihn die wohnliche Nutzung von Gutsgebäuden Vorrang besaß. Bei der „Mehrzahl" der Objekte es reiche aus, sie „durch die Trennung von Zimmern, Abbruch von Türmen, Veränderungen der Vasaden [sie!] usw." für die neuen massenhaften Unterbringungszwecke „baulich und wohnlich" umzugestalten, um ihnen die nicht mehr erwünschte Symbolfunktion der Junkerherrschaft zu nehmen738. Die Landwirtschaftsabteilung der SMAD, deren großangelegtes NeubauernBauprogramm mit der Durchsetzung möglichst vieler Gebäudeabrisse stand oder fiel, zeigte sich von derlei Einwänden unbeeindruckt. Ende 1947 rügte deren einflußreicher Abteilungsleiter Kabanow, der im März 1948 zum Stellvertreter des Obersten Chefs der SMAD für Zivilangelegenheiten aufsteigen sollte739, gegenüber der DVLF, daß in früheren Herrenhäusern und Schlössern vielfach Vertriebene einquartiert worden seien, die mit Landwirtschaft gar nichts zu tun hätten, aus
-
-
während Umsiedler-Neubauern und solche, die 737
738
739
es
gern werden würden, „auf Bö-
ThüHStA, Büro MP 461, Bl. 64 ff., insb. Bl. 82-85, MP Thüringen, Protokoll der 45. Regierungs-
sitzung am 3. 11. 47.
SäHStA, LRS, Mdl 2212, Bl. 1-12, insb. Bl. 6f., [MfAS Sachsen], Protokoll der Sitzung des Landesumsiedlerausschusses Sachsen am 28. 2., 8. 3. 48, S. 6f. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 130.
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den bei Altbauern, in Scheunen, Baracken und in Gemeinschaftsunterkünften mit zweietagigen Pritschen hausen" müßten. Viele Neubauern hätten aufgrund dieser falschen Wohnraumverteilung „täglich zwei bis vier Stunden" Anmarschwege zu ihren Feldern. Zugleich verhindere diese Situation den notwendigen „Abbruch der Gutshäuser für die Neubauern". Vielerorts würden Abbruche zu verhindern versucht, indem entweder „zum Schein Erholungshäuser, Schulen, Museen, Heime, Nähstuben, Schneidereien usw." in den Gutsgebäuden eingerichtet würden oder „viele Häuser" einfach „als historische Denkmäler stehengelassen" werden sollten. Kabanow forderte von der DVLF bis Februar 1948 eine Bestandsaufnahme der aktuellen Nutzung konfiszierter Wohn- und Wirtschaftsgebäude740. Damit hatten die Gegner der Abrißpolitik, die zur Winterzeit ohnehin schwer durchführbar war, immerhin eine Atempause gewonnen. Schon im November 1947 hatte die brandenburgische Regierung der DVLF einen Entwurf über „Richtlinien für den Abriß von Gutsgebäuden" unterbreitet. Die SMAD hatte dieses Papier jedoch abgelehnt und statt dessen „eine einheitliche Regelung für die gesamte Zone gefordert", für welche die DVLF auf einer Zonenkonferenz für Bodenordnung Ende Januar 1948 auch Vorschläge unterbreitete741. Auf dieser Konferenz kritisierten Vertreter der SMAD-Landwirtschaftsverwaltung heftig den bislang geringen Stand der befohlenen Abrisse von Kasernen oder Gutshäusern: Mecklenburg habe erst 10% der vorgesehenen Abrisse durchgeführt, klage jedoch zugleich über Materialmangel beim Neubauernbauprogramm. Zugleich mahnten die Sowjets einen sachgerechten Abriß von Gutshäusern an, um möglichst viel Baumaterial für Neubauernbauten zu gewinnen742. Dem Entwurf einer Gebäudeverordnung wurde, wie DVLF-Präsident Hoernle später behauptete, durch eine ad hoc gebildete Kommission „nach Vornahme kleiner Änderungen" zugestimmt743. Hoernles Erinnerung unterschlug jedoch, daß er selbst unmittelbar nach der Januar-Konferenz seinen Stellvertreter Ernst Busse eben wegen dieses Entwurfs massiv attackiert hatte. Busse, bis Frühjahr 1947 als thüringischer Innenminister einer der mächtigsten SED-Politiker dieses Landes, war wegen seiner problematischen Vergangenheit als Lagerältester im NS-Konzentrationslager Buchenwald (die ihn schließlich 1952 im sowjetischen GULag das Leben kostete) abgelöst und in der zonalen Agrarverwaltung „kaltgestellt" worden, wo der fachlich überforderte Neuling vom alten Führungszirkel um Hoernle nur zu gern mit der Verantwortung für das „schlechthin unlösbar" scheinende Neubauern-Bauprogramm belastet wurde744. Fortan sah sich Busse in der Zwangslage, unter den wachsamen Augen der SMAD „37000 Neubauernhäuser erstellen" zu sollen, „für die jedes Stückchen Material, sei [es,] was es sei, auf besonderen Wegen und ohne bestimmte Plangarantie beschafft werden" mußte745. Busses Vorgesetzter Hoernle, bis 1933 der führende Agrarpolitiker der KPD, der 74° ™ 742
743 744 743
BAB, DK 1/8176, Bl. 14f., SMAD, Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft, Kabanow, an DVLF, 20. 12. 47. Ebenda, Bl. 39, DVLF, Hoernle, an DWK, Steidle, 21. 5. 48. BAB, DO 2/62, Bl. 150-161, insb. Bl. 154 ff., DVLF, HA X (Bodenordnung), Niederschrift über die Zonenkonferenz für Bodenordnung am 27./28.1., 3. 2. 48. BAB, DK 1/8176, Bl. 39, DVLF, Hoernle, an DWK, Steidle, 21. 5. 48. Niethammer, Der .gesäuberte' Antifaschismus, S. 78 und S. 103. Zit. nach:
ebenda, S. 381.
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diese Stellung in der SED jedoch an Paul Merker verloren hatte, suchte begierig nach Blößen seines unerfahrenen Konkurrenten und Stellvertreters. Dabei nutzte Hoernle den im Januar vorgelegten Entwurf für eine zonale Gebäudeverordnung, um Busse wegen einer „Anzahl grundsätzlicher Fehler und offenbarer Unzweckmäßigkeiten" scharf anzugreifen. Als „politisch untragbar" betrachtete Hoernle etwa die Tendenz, Altbauern und ehemalige Nationalsozialisten gleichzusetzen. Vertriebenenpolitisch kritisierte der DVLF-Präsident als „grundsätzlichen politischen Fehler" des Entwurfs, „die bisherigen Bewohner der Gebäude, die den Landempfängern übergeben werden sollen, unter ein Ausnahmerecht zu stellen", insbesondere durch die Regelung, daß die Mieterschutzgesetzgebung auf solche Fälle keine Anwendung mehr finden solle. Hoernle warf Busse (und dessen Zuarbeiter Wilhelm Dölling, dem eigentlichen Verfasser des Entwurfs) somit vor, eine mindere Rechtstellung für vertriebene Mieter schaffen zu wollen, was Umsiedler- und sozialpolitisch „eine besondere Härte" bedeute. Mit Blick auf die von der SED gern angeprangerten wohnlichen Mißstände in den Westzonen polemisierte Hoernle sogar: „Wir dürfen uns nicht auf bayerische Zustände herabdrücken lassen!"746 Mit diesem Plädoyer für eine sozialpolitisch motivierte rechtliche Gleichbehandlung von in Bodenreform-Gebäuden lebenden Vertriebenen-Mietern probte der DVLF-Präsident nochmals den Schulterschluß mit seinem alten Verbündeten Rudolf Engel, mit dem er bekanntlich in der Frage der Antifa-Umsiedler gut (wenn auch ziemlich erfolglos) kooperiert hatte. Der ZVU-Präsident war unterdessen mit seiner Kritik an der sowjetischen Abrißpolitik noch weiter vorgeprescht: In einer Rede vor Umsiedlerfunktionären in Mecklenburg hatte Engel Anfang 1948 ausdrücklich gewarnt, weil das Neubauernbauprogramm „zum größten Teil" auf dem Abriß früherer Gutshäuser basiere, werde zwangsläufig „gleichzeitig Wohnraum verloren" gehen. Angesichts der angespannten Wohnraumsituation für Vertriebene sei das Bauprogramm der SMAD „im Moment ungünstig"747. So weit wie der Umsiedlerpolitiker Engel, der sich hier offen gegen die Agrarpolitik der SMAD stellte, ging Mieterschützer Hoernle im ressortintern beschränkten Schlagabtausch mit Bau- und Abrißplaner Busse nicht. Das weitere Schicksal der Bodenreform-Gebäudeverordnung gibt Aufschluß über den Stellenwert vertriebenenpolitischer Argumente in der sowjetzonalen Politik. Daß solche Argumente ziemlich unwirksam blieben, bewirkte nicht zuletzt der Grundsatzbeschluß des SED-Zentralsekretariats vom 15. März 1948, wonach die unterdessen gebildeten interministeriellen Prüfungskommissionen der Länder im Zielkonflikt um den „Abriß von Schlössern und Junkersitzen" beizubehal7«
747
BAB, DK 1/8176, Bl. 62, ZVLF, Hoernle an Busse, 29. 1. 48; ebenfalls in BAB, DK 1/8835, Bl. 141; Busse reagierte mit der Bemerkung, Hoernles Ausführungen deckten sich „in einigen Fällen" mit Darlegungen Dritter auf der Zonenbaukonferenz vom Januar 1948 sowie „mit den von mir schon
selbst angestellten Erwägungen"; daher würden diese Punkte „unbedingt mit berücksichtigt"; vgl. ebenda, Bl. 140, DVLF, Busse an Hoernle, 2. 2. 48. In Engels Sicht hatte die SMAD verfehlte Prioritäten gesetzt, was er mit der Äußerung andeutete, das „wirkliche Problem" des Wohnungsbaus bestehe „nicht auf dem Lande, sondern in den Städten, wo Wohnraum für die Facharbeiter geschaffen werden müsse"; vgl. SAPMO, DY30/IV2/ 2.022/118, Bl. 82 ff., insb. Bl. 87, ZVU, Chwalczyk, Bericht über die Reise des ZVU-Präsidenten in Mecklenburg vom 10.-14. Januar, 15. 1. 48.
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tende soziale Nutzungen solcher Gebäude möglichst auf kunsthistorisch ohnehin erhaltenswerte Gebäude konzentrieren sollten. Dadurch wollte die SED-Führung die Zahl der vom Abriß auszunehmenden Gebäude möglichst begrenzen; indem kulturell wertvolle Objekte systematisch der Beschädigung durch unsachgemäße Massennutzung ausgesetzt werden sollten, wurde zugleich der extrem niedrige Stellenwert von Kulturpolitik und Denkmalschutz in der SED-Politik demonstriert. Statt dessen suchten die SED-Führer Ulbricht und Ackermann ihre Partei in einem internen Rundschreiben darauf einzuschwören, „den beschleunigten Abriß der Junkersitze durchzuführen". Sehr „viel wichtiger" als die Versorgung des Neubauernbauprogramms mit Baumaterial erschien diesen SED-Politikern das ideologisch-gesellschaftspolitische Ziel, „soweit als möglich die Spuren der Junkerherrschaft auf dem Dorfe zu vernichten"748. Dieser Versuch, mit flächendeckenden Gutsabrissen „tabula rasa zu machen" und „die agrarische Vergangenheit ganzer Regionen aus dem Gedächtnis zu tilgen", ist treffend als Folge „tiefsitzendefr], zum Teil freilich verständliche^] historische[r] Ressentiments" der altkommunistischen SED-Kader gegen die einst dominierenden konservativen Agrareliten erklärt worden. Derselbe Zusammenhang zwischen neubäuerlicher Klientelbildung und kleinlichem Rachebedürfnis der KPD/SED wurde bereits in der „Gewaltsamkeit der Enteignungsvorgänge" und der „teilweise unwürdigschäbige[n], fast immer schikanöse[n] Behandlung der Altbesitzer" im Jahre 1945 evident749. Nach dieser Entscheidung der SED-Führung, die sich vollständig hinter die Politik der SMAD-Agrarverwaltung gestallt hatte, war der Vorrang der Abrißpolitik gegenüber vertriebenenpolitischen Erwägungen eindeutig. Deshalb legte der bis April 1948 in der nunmehrigen HVLF der DWK überarbeitete Entwurf der Gebäude-Verordnung für alle „größeren" durch die Bodenreform enteigneten Gebäude „wie Herrenhäuser, Gutshäuser, Schlösser, Großscheunen, Großställe, Schnitterkasernen u.a." den grundsätzlichen Abriß „zum Zwecke der Bereitstellung von Baumaterialien" als politisch-rechtliche Vorgabe fest, wobei das Material „restlos" dem Neubauern-Bauprogramm zugeführt werden solle. Auch sollten diese Abrisse „unverzüglich" angeordnet werden. Mit der Bestimmung, im Falle des Abbruchs wohnlich belegter Gutshäuser habe das zuständige Wohnungsamt für Ersatzquartiere zu sorgen, entledigte man sich in der Landwirtschaftsverwaltung der SBZ des akuten Wohnungsproblems der Vertriebenen mehr als leichtfüßig. Da Ausnahmen von der Abrißregel nach Anhörung des Landeskonservators einvernehmlich von der den Innenministern unterstellten Landesbodenkommission und dem „für das Umsiedlungswesen zuständigen Minister" vereinbart werden sollten, scheinen die Agrarpolitiker der DWK rückhaltlos dem SED-Beschluß gefolgt zu sein, ausschließlich kunsthistorisch wertvolle Objekte als künftige Vertriebenenwohnungen anerkennen und bestehen lassen zu wollen. Im Falle von Meinungsverschiedenheiten zwischen Agrar- und Umsiedlerfunktionären sollte eine zentrale Kommission endgültig entscheiden, die aus Vertretern der DVLF, 748
MLHA, SED-LL, IV/L/2/3/123, SED, ZS, Ulbricht/Ackermann, Rdschr. Nr. 8/48 Schlössern und Junkersitzen", 31.3.48. Kaiser, Klientelbildung und Formierung einer neuen
von 749
politischen Kultur, S.
129 f.
zum
„Abriß
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der DWb und der ZVU zusammengesetzt werden sollte. Dabei hätten die Agrarpolitiker durch ein Bündnis der Denkmalschützer und Umsiedlerbürokraten theoretisch überstimmt werden können750. Dem stand jedoch die parteiinterne Anweisung Ulbrichts und Ackermanns vom 31. März 1948 entgegen, nach der bei ernsthaften Differenzen in den Kommissionen das jeweilige SED-Landessekretariat die Entscheidung über Abriß oder Erhalt eines Gebäudes treffen sollte751. Damit maßte sich die SED-Führung unter Ausklammerung aller anderen Parteien die oberste Schiedsrichterrolle gegenüber staatlichen Instanzen an einer der vielen Schritte der SED auf dem Weg zur unumschränkten Staatspartei der SBZ/ -
DDR.
Nicht nur, weil ein Bündnis zwischen DWb und ZVU zur Gebäudesicherung durch die SED-Parteiapparate unterdessen jederzeit hätte ausgehebelt werden können, war eine solche Allianz der kultur- und umsiedlerpolitischen Funktionärsnetzwerke im Frühjahr 1948 unterdessen zweifelhaft geworden. Auch objektive Interessendivergenzen setzten derselben enge Grenzen. Für die Volksbildungsverwaltung zählte die Rettung wichtiger Kulturgüter, der die Sicherung von Wohnraum für Vertriebene umso eher geopfert werden konnte, als diese dem Ziel der Denkmalpflege bei der sich abzeichnenden Konzentration auf den Erhalt wertvoller Gebäuden diametral entgegenstand. Der kulturelle Sach-Egoismus der Denkmalpfleger wurde Anfang März 1948 auf einer Beratung zwischen Kulturund Agrarfunktionären sichtbar, wo DWb-Vertreter Dr. Strauß unter Berufung auf Unterstützung seitens der Moskauer Akademie der Wissenschaften forderte, kulturhistorisch wertvolle Objekte müßten „unbedingt" erhalten bleiben. Zugleich konzedierte Strauß jedoch die Notwendigkeit der gleichzeitigen Abrißund Aufbaupolitik des Befehls Nr. 209, „um die Konsolidierung der Verhältnisse auf dem flachen Land herbeizuführen, indem man den Siedlern und Flüchtlingen Wohn- und Wirtschaftsräume verschafft, daß sie nicht mehr in Schlössern zu vegetieren brauchen, sondern ebenso leben können wie die Altbauern, damit endlich der Begriff Alt- und Neubauer verschwindet". Das Vertriebenenargument, das Volksbildungs- und Umsiedlerverwaltungen bisher gemeinsam zugunsten des Erhalts der Gutsgebäude eingesetzt hatten, wurde in dieser Argumentation umgedreht und zur Befürwortung der Abrißpolitik genutzt. Gleichwohl brachte es wenig, daß sich die Landeskonservatoren einmütig auf die geltende Denkmalschutzgesetzgebung beriefen und zudem das schon von Weinert bemühte pragmatische Argument wiederholten, „daß die durch die Abbruche von Burgen und Schlössern anfallenden Baumaterialien durch das hohe Alter dieser Gebäude für die Errichtung von Neubauerngehöften zum größten Teil unbrauchbar seien". Die Zielkonflikte zwischen Bilderstürmern und Denkmalpflegern blieben unversöhnlich: Die thüringische Landesbodenkommission hatte offenbar gefordert, die Zahl der unbedingt zu erhaltenden Gebäude dürfe 5% des Bestandes nicht übersteigen, 730
73'
BAB, DK 1/8176, Bl. 50-54, DVLF, Entwurf einer Ausführungsverordnung zur Durchführung der Bodenreform über die Verwendung der durch die Bodenreform enteigneten Gebäude und die Bereitstellung von Baumaterialien für die Errichtung von Neubauerngehöften, 15. 3. 48; lt. hdschr. Vermerk überarbeitete Fassung für Hoernle vom 14.4. 48; die Genehmigung der SMAD-Landwirtschaftsabteilung war bereits am 1. 3. 48 erteilt worden. MLHA, SED-LL, IV/L/2/3/123, SED, ZS, Ulbricht/Ackermann, Rdschr. Nr. 8/48 zum „Abriß von Schlössern und Junkersitzen", 31.3. 48.
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während das Erfurter Ministerium für Volksbildung die Hälfte von 400 aufgelisteten Objekten als erhaltenswert einstufen wollte. Konnte man dem agrarpolitischen Argument aus kulturpolitischer Sicht noch widersprechen, war man machtlos, als der Vertreter der zentralen Landwirtschaftsverwaltung das gesellschaftspolitische Hauptargument ins Feld führte, ein Gutsabriß müsse deshalb möglichst umfassend erfolgen, „um in erster Linie den Charakter der früheren Feudalherrschaft dort, wo es noch nicht geschehen ist, ein für allemal auszulöschen". Diesem Ziel unterwarf sich die SED-geführte Volksbildungsverwaltung widerstandslos, wollte allerdings Gebäudeabbrüche „in erster Linie" dort beginnen lassen, wo auch kein denkmalpflegerisches Schutzinteresse vorliege. Als Gegenleistung bat DWb-Verhandlungsführer Strauß die HVLF, sich ihrerseits dem Schutz der als „besonders wertvoll" klassifizierten Objekte nicht zu verschließen752. Vertriebenenpolitische Belange spielten bei diesem „Deal" keine Rolle mehr: Als die Volks-
bildungsverwaltung wenige Tage später eine Zusammenstellung „kulturhistorisch wertvoller Burgen, Schlösser und Herrenhäuser" vorlegte, die gestaffelt nach den Kategorien „besonders wertvoll", „wertvoll" und „erhaltenswert" insgesamt 10,4% aller Schlösser und Gutshäuser der SBZ (865 von 8348 Objekten) vom Abrißgebot des SMAD-Baubefehls ausnehmen wollte, war offenkundig, daß diese Ausnahmen die vertriebenenpolitische Katastrophe der Abrißpolitik kaum mildern wollten und würden. Ausgerechnet gegen den Abriß von Gutshäusern in den mecklenburgischen und brandenburgischen Siedlungsschwerpunkten der Vertriebenen wurden die geringsten Einwände erhoben753. Vermutlich war diese Ausnahmenliste, um deren Verteidigung gegenüber „Minister Kabanow" DWb-Vize Weinert seinen im Grunde desavouierten Freund und Bundesgenossen Rudolf Engel ganz selbstverständlich bat754, angesichts des politischen Drucks der SMAD-Landwirtschaftsverwaltung und der SED-Führung das Äußerste, was auf zentraler Politikebene zugunsten eines Gebäudeerhalts damals durchgesetzt werden konnte. Wie prekär selbst diese zurückgenommene Defensivlinie der Volksbildungsverwaltung war, zeigte sich, als Weinert bei Übergabe dieser angeblich bereits um die Hälfte reduzierten Liste zu erhaltender Objekte gegenüber der SMAD-Landwirtschaftsabteilung auch noch das Zugeständnis machte, bei Objekten der Kategorie III („erhaltenswert") fallweise den Abbruch gestatten zu wollen. Damit wurden 300 der 865 noch für schützenswert erklärten Objekte ebenfalls zur Disposition gestellt. Weinert versicherte Kabanow zugleich, „daß das Interesse meiner Verwaltung wirklich nur in wesentlichen Fällen für Erhaltung eintreten wird, da auch ich die Notwendigkeit einer bevorzugten Förderung der Bodenreform und [...] die Schaffung von Wohn- und Wirt-
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BAB, DK 1/8835, Bl. 75 ff., DWK, HVLF, HA Bodenordnung, Salzbrunn, Protokoll der Besprechung in der DWb am 4.3., 9. 3. 48.
Die Schwerpunkte dieser Ausnahmeregelungen lagen mit 300 Objekten in Sachsen-Anhalt und mit 255 in Sachsen (10,1% bzw. 14,1%), prozentual sollte hingegen mit 122 von 390 Objekten am meisten in Thüringen erhalten bleiben (31,2%); am wenigsten erhaltenswert erschienen den Denkmalschützern der SBZ die Schlösser und Gutsgebäude in Mecklenburg (113 von 2.423, 4,6%) und Brandenburg (75 von 783, 9,6%); vgl. BAB, DO 2/63, Bl. 147, DWb, Zusammenstellung „kulturhistorisch wertvoller Burgen, Schlösser und Herrenhäuser", 13. 3. 48. Ebenda, Bl. 148, DWb, Weinert, an ZVU, Engel, 17. 3. 48; der von Weinert mehrfach angesprochene Ministerstatus von Kabanow wird bei Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 463, nicht erwähnt.
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III. Die Macht des Sozialen
schaftsraum für die Neusiedler voll anerkenne". Ebenso werde die gesellschaftspolitische Zielsetzung der Abrißpolitik „voll verstanden, ohne daß ich allerdings einen so weitgehenden Eingriff in die alte Substanz, wie er z.B. in Sachsen beabsichtigt zu sein scheint, für notwendig halte". Weinert ging es darum, den Landeskonservatoren ein prinzipielles Mitbestimmungsrecht bei Abbruchsentscheidun-
gen zu sichern, und er beharrte darauf, kunsthistorisch wertvolle Details abzubrechender Gebäude in jedem Fall zu retten. Gebäude der Kategorie III sollten im übrigen erst dann in Frage gestellt werden, wenn alle nicht geschützten Gebäude abgerissen worden seien. Um seine Position zu stärken, hoffte Weinert auf einen
Beschluß des SED-Zentralsekretariats755. Solche Kautelen gingen dem brachialen obersten Bauplaner der SBZ, HVLFVize Ernst Busse, viel zu weit. Dieser erklärte der Volksbildungsverwaltung Anfang April, er könne ihren Standpunkt nicht in jeder Hinsicht teilen, denn angesichts der Baustoffverknappung in der SBZ lasse sich „ein umfangreicher Abbruch" von Herrenhäusern nicht umgehen, ganz abgesehen davon, daß grundsätzlich „aller Anlaß dazu besteht, die Niststätten des Feudalismus aus dem Landschaftsbild unserer Zone schnellstens und weitestgehend verschwinden zu lassen". Busse bestritt die kunsthistorische Notwendigkeit des von Weinert angestrebten Erhalts von 865 Objekten und wollte ohne eingehende Prüfung durch die Landesbodenkommissionen diesem Ausnahmenkatalog nicht zustimmen. Gegen eine beratende Mitwirkung der Landeskonservatoren hatte Busse nichts einzuwenden, doch das von Weinert beanspruchte Vetorecht verweigerte er. Wes Geistes Kind Busse war, zeigte sein Credo, bei allem Verständnis für kulturelle Gesichtspunkte müsse man begreifen, „daß die Realitäten dem des Öfteren entgegenstehen"756. Obschon beides Altkommunisten und langjährig geschulte Funktionäre der KPD/SED, sprachen der gelernte Schleifer Busse und der vom Maschinenbauer zum Schriftsteller gewandelte Weinert kaum dieselbe Sprache. Busse zog mit einem in Jahrzehnten gewachsenen tiefen Ressentiment gegen Schlösser und Gutsgebäude als „Niststätten des Feudalismus" zu Felde, welche er mit Hilfe der Schädlings- und Ungezieferkategorie der Feindbilder radikal entwertete, während Weinert, das spätere Gründungsmitglied der Akademie der Künste in der DDR, in der Arbeiterbewegungstradition progressiver Aneignung des kulturellen Erbes früherer Gesellschaftsformationen solchem Berserkertum entgegentrat. Während Busse den bisherigen sozialen Zeichencharakter der umstrittenen Gebäude auch nach deren Funktionsverlust geradezu tödlich ernstnahm, hatte Weinert denselben durch Historisierung und Ästhetisierung längst überwunden. Einen Tag nach der intransigenten Antwort Busses an Weinert forderte die SMAD-Agrarverwaltung von Busses HVLF, „in den nächsten zwei Monaten April und Mai" müsse „alles abgebrochen" werden, um „damit Millionen von Mauersteinen und Dachziegeln" für das Bauprogramm zu gewinnen757. Daraufhin appellierte die HVLF Mitte April 1948 an die „Hilfe der Deutschen Wirtschaftskommission", denn auf ein Rundschreiben Busses zur Aktivierung des 733 73
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Ebenda, Bl. 149L, DWb, Weinert, an SMAD, Abteilung LF, Minister Kabanov, 17. 3. 48. BAB, DK 1/8835, Bl. 31 f., DWK, HVLF, Busse, an DWb, 6. 4. 48. Ebenda, Bl. 26ff., insb. Bl. 27, DWK, HVLF, Protokoll der SMAD-Besprechung vom 7.4., 7. 4. 48.
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Abbruchgeschehens hätten die Ministerpräsidenten der Länder übernicht reagiert. Bis Ende März seien erst 4132 der geforderten 37000 Neuhaupt bauten in der Zone als fertiggestellt gemeldet worden 11,2% des Solls, während bereits 40% der Laufzeit verstrichen seien758. Die HVLF bat daher um Ermächtigung, den Landesregierungen fortan verbindliche Weisungen erteilen zu dürfen759. Im Gegenzug rief das Volksbildungsressort die Umsiedlerverwaltungen sowie sämtliche Parteien und Massenorganisationen dazu auf, alle erdenklichen Nutzungszwecke für Schlösser und Gutshäuser den Landeskonservatoren mitzuteilen760. Erneut ging es angesichts des sich verschärfenden Abrissdrucks um eine möglichst breite und begrenzt symbiotische Rettungsfront, von der auch Vertriebene profitieren konnten und in die sich auch die unterdessen durch den Widerruf ihrer DWK-Integration und die Ablösung ihres Präsidenten erheblich geschwächte ZVU anstandslos einreihte761. Ende April 1948 erhielten die Landesumsiedlerbehörden über die ZVU den für die Regelung der Gebäudeabrisse relevanten Auszug jener Bodenreform-Gebäudeverordnung, die von der HVLF nach monatelangem Gezerre am 14. April 1948 endlich in Kraft gesetzt worden war. Die darin festgeschriebenen Mitspracherechte der Umsiedlerbehörden sollten nach Meinung der ZVU zumindest erprobt werden762, obschon deren Reichweite unklar blieb und nach ersten Rückmeldungen eher zurückhaltend beurteilt werden mußte. So ließ der mecklenburgische Sozialminister die ZVU sibyllinisch wissen, daß in seinem Lande eine „Kommission zur Sicherung kultur-historisch wertvoller Bauten" unter Mitarbeit der dortigen HAU bereits bestehe763, ohne über etwaige Erfolge irgend etwas verlauten zu lassen. Konkreter, aber nicht erfreulicher war die Mitteilung aus Thüringen, daß der Landesbodenkommission zufolge „nur ein ganz kleiner Teil der angegebenen Objekte von der SMA freigegeben" und damit vom Abriß ausgenommen sei. Da diese wenigen Gebäude „sofort nach Befehl Nr. 44, der eine Vermehrung der Erholungsheime und Sanatorien vorsieht, vom FDGB und dem Amt für Arbeit und Sozialwesen beschlagnahmt worden" waren, gingen sie für Vertriebenennutzung ebenfalls verloren764. Auf einer „Reaktivierungskonferenz" sichteten die Agrarfunktionäre der SMAD und DWK am 20. Mai 1948 den Stand der Gutsabrisse. Demnach war in Mecklenburg der Gebäudeabbruch sowohl bei Militärobjekten (44%) als auch bei Gutsgebäuden (46%, 1226 von 2639) gegenüber dem Jahresbeginn weit vorangeschritten. Gerade „Gutsabbrüche" sollten fortan noch „stärker einsetzen". In Brandenburg hingegen hatte man von fast 2700 zum Abriß bestimmten Herrenhäusern und Gutsgebäuden erst 364 niedergelegt, doch bei über 1100 weiteren war angeblich mit dem Abriß begonnen worden. Demgegenüber befand sich das dritte Bodenreformzentrum Sachsen-Anhalt „stark im Rückstand", da Abrisse Bau- und
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Ebenda, Bl. 5 ff., DWK, HVLF, an DWK, Sekretariat, Rau, 15. 4. 48. Ebenda, Bl. 13 ff., Entwurf für DWK-Beschluß, 15. 4. 48. 7« BAB, DO 2/63, Bl. 152 ff, DWb an „DVU" [i.e. ZVU], 6. 4. 48. 761 Ebenda, Bl. 164, ZVU, Rdschr. v. 15. 4. 48, sowie Bl. 165-217, die entsprechenden detaillierten Listen der in drei Kategorien eingeteilten Objekte nach Ländern, Landkreisen und Schlössern. 72 Ebenda, Bl. 220-224, ZVU, Rdschr. v. 30. 4. 48 nebst Anlage. 7« Ebenda, Bl. 218, MfSoz Mecklenburg, Burmeister, an ZVU, 21. 4. 48. 7134 Ebenda, Bl. 219, Mdl Thüringen, AfN, an ZVU, 22. 4. 48. 738
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durch den Landeskonservator, durch aktuelle Nutzungen oder durch den Widerstreit verschiedener Interessen häufig blockiert wurden. Noch zurückhaltender agierte man offenbar in Sachsen, wo von fast 3000 Gutsobjekten nur 586 für einen Abbruch vorgesehen waren. Auch dort sah man den geforderten „Abbruch mit Schwierigkeiten verbunden", da viele dieser „Gebäude vollbelegt mit Siedlern" seien, für die alternative Unterbringungsmöglichkeiten fehlten. Folglich waren in Sachsen erst 286 Gebäude abgerissen worden, während weitere 1300 ganz im Sinne der oben erwähnten Position Gablers umgebaut oder nur teilweise abgetragen werden sollten. Der Vertreter Thüringens wies im übrigen darauf hin, daß in nahe der Zonengrenze gelegenen Kreisen „die Propaganda gegen den Abbruch der Gutsgebäude und Herrenhäuser sehr stark" sei. Demgegenüber forderten die Agrarfunktionäre der zentralen Politikebene mit Nachdruck eine Forcierung der Abrißpolitik. Der SMAD-Vertreter Tarakanowski postulierte, die Bauern müßten „die Gutshäuser und Schlösser" endlich als „Fremdkörper" sehen lernen, dann würden sie auch anders mit ihnen umgehen. Zugleich gestand der Sowjet den offenkundig von der Abrissperspektive nicht begeisterten deutschen Funktionären gönnerhaft zu: „Sie sind keine Barbaren, sondern Kulturmenschen. Wir haben niemals gesagt, man soll alles abbrechen."765 Solche Äußerungen reflektierten auch anhaltende politische Widerstände. Unterdessen hatte beispielsweise der thüringische Ministerpräsident beim DWKSekretariat gegen die Gültigkeit der Gebäudeverordnung der HVLF formell Einspruch erhoben. HVLF-Leiter Hoernle empfand dies zu Recht als Verzögerungstaktik in der Abrißfrage, beobachtete jedoch erleichtert, daß Thüringen mit diesem Vorgehen allein geblieben war766. Die dortige Landesregierung geriet entsprechend unter konzentrierten Druck. Bereits im Februar hatte Hoernles Stellvertreter Busse die kunsthistorischen Einwände des thüringischen Volksbildungsministeriums mit der Einschüchterung gekontert: „Wir wollen nur die Herrenhäuser und die Gutshöfe austilgen, und zwar dies gründlich und vollständig, und das wird wahrscheinlich jeder fortschrittlich denkende Mensch nicht nur einsehen, sondern unterstützen."767 Ende April 1948 berichtete Innenminister Gebhardt auf einer Sitzung des thüringischen Kabinetts von einem „Brief des Generals", also der SMATh-Führung, der lauter „Verdächtigungen und Behauptungen" enthalte und eine Sprache spreche, „die man an und für sich nicht mehr gewohnt war". In Thüringen ging es um den Abriß von 1800 Gutsgebäuden aller Art, darunter 314 Herrenhäuser, von denen aus Sicht der DWb wenigstens 130 als Erholungsheime bzw. als Kulturdenkmäler erhalten bleiben sollten. Der SEDInnenminister fühlte sich „als Verantwortlicher für den Befehl 209 zwischen den Mahlsteinen der einzelnen Interessen", ließ jedoch durchblicken, daß „die Mühle [...] von Karlshorst aus in Gang gebracht" wurde. In dieser Situation gab sich Gebhardt einerseits als ,,energisch[er]" Erfüllungsgehilfe der sowjetischen Abriß-
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politik, verteidigte andererseits jedoch kommunale Stellen gegen den sowjetischen Vorwurf, „Widerstände" gegen sowjetische Befehle zu leisten: Die Verwaltungs7« 7«> 767
BAB, DO 2/62, Bl. 192-202, insb. Bl. 192-199, DWK, HVLF, HA II (Agrar- und Bauernpolitik), Niederschrift über die Zonenbaukonferenz (Reaktivierungskonferenz) am 20. 5., 22. 5. 48. BAB, DK 1/8176, Bl. 39L, DWK, HVLF, Hoernle, an DWK, Sekretariat, Steidle, 21. 5. 48. Zit. nach: Kaiser, Klientelbildung und Formierung einer neuen politischen Kultur, S. 126.
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Integration durch Bodenreform?
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leute vor Ort wählten doch nur „den Weg des geringsten Widerstandes", denn Gebäude seien oft von vielen Familien bewohnt oder sollten zur Unterbringung von Schulen dienen. Hoffte der entnervte Innenminister auf ein Ende mit Schrekken, indem „Karlshorst [...] entscheiden" würde, raubte ihm SED-Arbeitsminister Dr. Appell diese Hoffnung durch den Hinweis, daß die Fachressorts der SMAD in der Abrißfrage nicht weniger zerstritten seien als die deutschen Behörden. So habe der für Wohnungspolitik zuständige Leiter der SMAD-Abteilung Arbeitskraft, Morenow, unterdessen erklärt, „daß es darauf ankommt, die Planung auf längere Sicht durchzuführen, es sei nicht entscheidend, jetzt alles an Objekten zu verfügen, sondern es muß auf mehrere Jahre hinaus gearbeitet werden". Diese sowjetische Uneinheitlichkeit in der Frage forcierter oder langfristig-schubweiser Abrisse brachte alle Landesregierungen der SBZ, wie Appell treffend folgerte, „praktisch in Kollisionen". In einigen Ländern werde sogar schon die Wiederherstellung abgerissener Gebäude verlangt768. Auch die defensive Allianz zwischen Volksbildungs- und Umsiedlerbürokratien hatte eher auf landespolitischer als auf zentralstaatlicher Ebene Teilerfolge zu verzeichnen. Im Mai 1948 konnte die Volksbildungsverwaltung der ZVU mitteilen, „daß in Sachsen 822 ehemalige Gutshäuser erhalten bleiben und nur 333 für den Abbruch bestimmt sind, so daß die durch uns angeregte Sicherung der kulturhistorisch wertvollen Beständen [sie!] unter den ehemaligen Gutshäusern für das Land Sachsen als gewährleistet angesehen werden kann"769. Und aus Sachsen-Anhalt meldete Umsiedleramtschef Hiebsch, seine Abteilung habe beratenden Status in der Landesprüfungskommission erhalten und Zwangsumquartierungen Vertriebener durch die Regelung verhindern können, daß nur „die derzeit unbenutzten" Gebäude „sofort abgerissen" werden sollten, „während die belegten Objekte erst nach Sicherstellung entsprechender neuer Unterkünfte abgebrochen werden können". Zu diesem Zwecke hatte man für die Kommunen eine dreimonatige Frist bewirkt770. Anfang Juni 1948 forderte die kurz vor ihrer Auflösung stehende ZVU auch die übrigen Länder, von denen sie keine befriedigenden Berichte erhalten hatte, zu aktiver Mitarbeit bei der Gebäudesicherung auf: „Wenn die Umsiedlerämter selber als unmittelbare Veranstalter und Unterhaltungsträger für die praktische Nutzung solcher Gebäude nicht auftreten, so ist es doch von Bedeutung, andere [...] in Frage kommende Stellen auf die mögliche Ausnutzung besonders solcher Gebäude hinzuweisen, die zu der Gruppe der noch nicht endgültig gesicherten gehören und deren Erhaltung vorderhand von ihrer praktischen Verwendung abhängt."771
Meldeten Sachsen und Brandenburg daraufhin Aktivitäten, deren Resultate freilich nicht recht einzuschätzen waren, so scherte der Leiter des thüringischen Amtes für Neubürger aus dieser Verteidigungsfront demonstrativ aus. SED-Ministerialrat Kalinke wollte sich erklärtermaßen nicht stärker für die Schlösser einset™
ThüHStA, Büro MP 466, Bl. 36 ff., insb. Bl. 49-53, MP Thüringen, Stenographischer Bericht über die 67.
Regierungssitzung am 26. 4. 48.
BAB, DO 2/63, Bl. 226, DWb an „HVU" [DWK-Hauptverwaltung Umsiedler, damals jedoch wieder: ZVU], 13.5. 48. 770 Ebenda, Bl. 227, Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik Sachsen-Anhalt, Abt. Umsiedler, Hiebsch, an ZVU, 29. 5. 48. 77' Ebenda, Bl. 229, ZVU, Chwalczyk, Rdschr. v. 2. 6. 48. 7'9
III. Die Macht des Sozialen
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„zumal wir auf dem Standpunkt stehen, daß die ehem.[aligen] Herrenhäuser in vielen Fällen als Wohnmöglichkeiten für Umsiedler und Neubürger völlig ungeeignet sind"772. Ganz anders reagierte der Hallenser Hiebsch, der am Erhalt von Gutsgebäuden derart interessiert war, daß er seinerseits das Vorgehen der ZVU als unkoordiniert und verspätet kritisierte773. Mit diesem Fazit fanden die Versuche der zentralen Umsiedlerbürokratie der SBZ, auf die Gutsabrißpolitik der innenund agrarpolitischen Netzwerke in SMAD und SED hemmenden Einfluß zu nehmen, offenbar ein Ende. Die zur Hauptabteilung Umsiedler der zonalen Innenverwaltung degradierte bisherige Zentralverwaltung unterlag nun selbst der Kontrolle der SED-Innenpolitiker und war wohl auch zu nachrangig geworden, als daß man sie als Bündnis- oder Gesprächspartner noch ernstgenommen hätte. Neben den zonen- und landespolitischen Zielkonflikten spielte für den Erhalt vieler bedrohter Gebäude auf lokaler Ebene die lebensweltliche Zurückhaltung der Landbevölkerung gegenüber der von oben verordneten Abrißpolitik eine wichtige Rolle. Nicht selten stieß die „Beseitigung der Gutshöfe [...] in den einzelnen Gemeinden offenbar auf erheblichen Widerstand"774. Anfang Februar 1948 monierte der unter Erfolgsdruck stehende DVLF-Vize Busse gegenüber der ZSAbteilung Landwirtschaft, daß sich die ländlichen Parteiengliederungen nicht genügend für die „Durchführung der Abrißarbeiten der früheren Gutsgebäude und -anlagen" einsetzten, die daher „manchmal auf Verständnislosigkeit bei vielen Neubauern und Umsiedlern" stoße und „nur unbefriedigende Ergebnisse" gezeitigt habe775. Der zentrale SED-Apparat wußte bereits um die gegen den Abbruch von „Junkerschlössern" gerichtete Bevölkerungsstimmung und deren Argument, es gebe genügend kriegszerstörte Gebäude, um Baumaterial für das Neubauernbauprogramm zu beschaffen, während der Abriß bewohnbarer Bauten angesichts der Wohnraumknappheit für Vertriebene geradezu widersinnig sei. Aus eigener Anschauung als Wehrmachtssoldaten oder Kriegsgefangene in der Sowjetunion wußten etliche Deutsche überdies zu berichten, daß die dortigen Kommunisten mit Gutshäusern ganz anders verführen: diese seien nicht abgerissen, sondern in Museen oder Erholungsheime umgewandelt worden776. Vermutlich war es wesentlich solchen Widerständen der Bevölkerung geschuldet, daß der Abbruch von Gutshäusern auch im Sommer 1948 insbesondere in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg nicht voranzukommen schien; zugleich leiteten die dortigen Landesverwaltungen nicht einmal die zentralen Anweisungen weiter777. zen,
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Die Ministerien für Volksbildung sowie für Arbeit und Sozialwesen hätten seinerzeit über kulturhistorisch wertvolle sowie für soziale Zwecke nutzbare Objekte mit der SMA verhandelt; er halte es daher „nicht für ratsam, in dem jetzigen Stadium der Aktion durch neuerliche Verhandlungen störend einzugreifen"; vgl. ebenda, Bl. 230ff., Mdl Thüringen, AfN, Kalinke, an ZVU, 16. 6. 48. Bl. 233, Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik Sachsen-Anhalt, Abt. Umsiedler, Ebenda,
Hiebsch, an ZVU,
19. 6. 48.
Bauerkämper, Das Neubauernbauprogramm im Land Brandenburg, S. 197. 773 774
m
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BAB, DK 1/8835, Bl. 127, DVLF, Busse, an SED, ZS, Abt. LW, 9. 2. 48. SAPMO, DY30/IV2/9.02/44, Bl. 122L; dabei verglich man freilich einen nachrevolutionären Zustand in der Sowjetunion mit einer laufenden „Revolution von oben" in der SBZ; während der Re-
volutionen von 1905 und 1917 selbst waren in Rußland Hunderte von Herrenhäusern vernichtet worden, weshalb Maxim Gorki 1917 eigens eine Kommission zur Rettung von Kunstschätzen gründete; vgl. Figes, Die Tragödie eines Volkes, S. 425. SAPMO, DY19/Bündel 17/136, SED, ZS, Merker, an VdgB, Vieweg, 6. 8. 48.
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Integration durch Bodenreform?
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Trotz dieser Hemmnisse fielen bis Ende 1948 dem Neubauern-Bauprogramm und der damit verbundenen Abrisspolitik in der sowjetischen Zone Tausende von Gutsgebäuden zum Opfer, darunter Hunderte von Schlössern oder Herrenhäusern778. Die meisten der nach monatelangen Streitigkeiten um kunsthistorische oder sozialpolitische Ausnahmen zum Abbruch bestimmten Gutsgebäude befanden sich in Mecklenburg-Vorpommern (über 8.000) und Sachsen-Anhalt (über 5.800), darunter 479 bzw. 180 Schlösser oder Herrenhäuser. Allerdings setzte sich diese Abrißpolitik vor Ort weit weniger drastisch durch als auf dem Papier, denn in vielen betroffenen Gemeinden schonte man gerade die Wohngebäude der enteigneten Güter und konzentrierte sich auf den Abriß von deren Wirtschaftsanlagen. Überhaupt waren von den bis Ende 1948 zum Abbruch bestimmten 22124 Gutsgebäuden aller Art lediglich 1447 (oder 6,5%) als „Schlösser" oder „Herrenhäuser" qualifiziert worden; nimmt man 988 weitere Wohngebäude hinzu, so können nur 11% aller zum Abriß bestimmten Gutsgebäude als Wohngebäude identifiziert werden. Von diesen 2435 Wohnobjekten wurden 1947/48 zonenweit 1514 oder 62% vollständig abgerissen, davon fast 72% (1087 Wohngebäude) ausschließlich im Lande Thüringen. Bei den erst begonnenen Abrissen (die möglicherweise Teilabrisse blieben) sah die Situation ähnlich aus, so daß den politisch Verantwortlichen in Thüringen eine im Vergleich zur übrigen Zone äußerst radikale Abrißpolitik attestiert werden muß. Demgegenüber waren in MecklenburgVorpommern von insgesamt 500 zum Abbruch vorgesehenen Schlössern, Herrenoder Wohnhäusern bis Ende 1948 nur ganze 36 tatsächlich niedergelegt worden, bei weiteren 47 war ein Teilabbruch erfolgt. Zur gleichen Zeit hatte man dort jedoch mehrere tausend Wirtschaftsgebäude solcher Herrensitze abgerissen779. Die Politik der Gutsabrisse wurde, soweit sie frühere Wohngebäude der Großgrundbesitzer betraf, überwiegend in Thüringen und damit in jenem Land umgesetzt, daß die wenigsten vertriebenen Neubauern aufzuweisen hatte. Die dortigen Abrisse dürften folglich überwiegend einheimischen Neubauern zugute gekommen sein, hingegen überwiegend vertriebenen Bewohnern vernichteter Gutsgebäude geschadet haben. Nicht zufällig erhöhte sich in Thüringen durch die rigide Abrißpolitik zeitweilig die Zahl der Insassen sogenannter Umsiedlerlager780. Generell berichteten die Wohnraumlenker der DWK der SMAD kurz vor Gründung der DDR, daß die „Zunahme an Wohnraum" durch die 1948 erfolgte Errichtung von über 34 000 Neubauernwohnhäusern mit einer Nutzfläche von je 50 Quadratmetern wohnungsverteilungspolitisch „nicht voll zur Geltung" gekommen sei, „weil die Schlösser und Herrenhäuser der früheren Großgrundbesitzer in weitem Maße abgerissen worden sind und dadurch ein Verlust von Wohnraum eingetreten ist"781. Der Mechanismus der Minderung des Wohnungsneubaus durch gleichzeitigen Wohnungsabriß war hier treffend benannt, doch wurde die Reichweite der Abrißpolitik erheblich übertrieben. In der ländlichen Gesellschaft 778
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Bauerkämper, Problemdruck und Ressourcenverbrauch, S. 316, spricht undifferenziert von 8300 bis Ende Í948 abgetragenen „Gebäuden", die jedoch nur zum geringeren Teil kunsthistorisch
wertvolle Schlösser waren. BAB, DK 1/8742, Bl. 1-21, insb. Bl. 9, DWK, HVLF, Lichtenberger, Bericht über die Durchführung des Neubauernbauprogramms gemäß Befehl 209 1947/48,10.1. 49. Vgl. zum zeitweiligen Anstieg: Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 181. Vgl. Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland 2.2, S. 617f., Dokument Nr. 273.
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Mecklenburgs etwa waren „in den geräumigen Gutshäusern" auch nach Gründung der DDR noch „große Massen von Umsiedlern untergebracht", denn in dieser Region hatte man die Abrißbefehle von SMAD und SED-Führung weitgehend ignoriert. Die meisten Gutshäuser befanden sich, wie der Kreis Rostock 1950 der SKK berichtete, im Besitz örtlicher VdgB-Einheiten, die „fast nirgendfwo]" Mietzahlungen von den Bewohnern forderten, im Gegenzug aber in Kauf nahmen, daß sich diese Häuser mittlerweile „restlos" in einem untragbaren baulichen Zustand befanden782. Auf der anderen Seite waren zu Jahresbeginn 1950 in Mecklenburg 900 von 1200 unbesetzten Neubauernstellen nur deshalb nicht zu bewirtschaften, weil es an Wohnungen fehlte. Arbeitsminister Pohls (CDU) nahm gegenüber der DDR-Regierung angesichts der anhaltenden ländlichen Wohnungsmisere kein Blatt vor den Mund:
„Auch heute noch sind in den alten Gutshäusern Umsiedler eng zusammengedrängt, so daß noch mehrere Familien in einzelnen Räumen wohnen. Es ist daher eine zusätzliche Unterbringung der noch benötigten Neubauern in den alten Gebäuden nicht möglich. Der Bau von Neubauernstellen schreitet jedoch infolge der bekannten Schwierigkeiten nicht so schnell voran, sodaß [sie!] immer noch 35000 neue Wohngebäude fehlen."783 Zu diesem Fehlbestand hatten in Mecklenburg Gutsabrisse zweifellos beigetragen, doch darf man deren Anteil an der Wohnraumvernichtung nicht isoliert betrachten und dadurch überbewerten. Das mecklenburgische Landeswohnungsamt errechnete im April 1950 einen Gesamtbedarf von 59630 Wohnungen mit
2,1 Millionen Quadratmetern Wohnfläche und stellte zugleich fest, daß das Land seit 1945 durch Gutsabbrüche 30000 Quadratmeter an Wohnraum eingebüßt habe. Im gleichen Zeitraum hatte man durch den Abriß verfallener Landarbeiter-
weitere 7500 Quadratmeter verloren, durch Katastrophenschäden oder baulichen Verfall aber sogar 36000 Quadratmeter, so daß zwischen 1945 und 1950 der ohnehin knappe Wohnraum um insgesamt 73 500 Quadratmeter reduziert worden war. Dafür waren die von SMAD und SED angeordneten Gebäudeabrisse nur zur Hälfte verantwortlich. Nach Berechnung der Landeswohnungsbehörde hätte die insgesamt verlorene Fläche für 1700 Wohnungen zu je 43 Quadratmetern gereicht. Im selben Zeitraum waren jedoch allein durch Zweckentfremdung 47000 weitere Quadratmeter an Wohnfläche verlorengegangen784. Wohnungspolitik mußte in der Nachkriegszeit an allzu vielen Fronten kämpfen. Jedenfalls gelang dem Neubauern-Bauprogramm die frühe Aufbauleistung der Jahre 1947/48 nur durch gleichzeitig forcierte Abrißpolitik. Das Resultat war weniger ein Wohnraumzuwachs als eine Wohnraumumverteilung zwischen oder innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Die abgerissenen Gebäude, seien es frühere Militäranlagen oder Gutsgebäude, waren teilweise von Vertriebenen bewohnt oder hätten einer solchen Nutzung zugeführt werden können. Insofern war der Gewinn an neubäuerlichem Wohnraum, der nur zum geringeren Teil vertriebenen Landwirten zugute kam, mit einem erheblichen Wohnraumverlust für
wohnungen
782
MLHA, Mdl 2717, RdK Rostock, 50.
783 784
Dez. Innere
Verwaltung, an SKK Rostock, Tschenzow, 13. 3.
MLHA, MfS 32b, MfAG Mecklenburg, Pohls, an MfAG DDR, 17.1. 50. MLHA, MP 557, MfAG Mecklenburg, LWA, Übersicht über die Wohnraumlage in Mecklenburg zum
31. 3., 25. 4. 50.
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Integration durch Bodenreform?
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nichtbäuerliche Bevölkerungsgruppen verknüpft, den überwiegend Vertriebene spüren bekamen785. Da exakte Wohnflächenvergleiche, wie sie die mecklenburgische Regierung anstellen ließ, für die restliche SBZ fehlen, soll dieses wohnungspolitische Nullsummenspiel des frühen Neubauernbauprogramms anhand verfügbarer Daten über die Anfang 1949 als vollständig abgerissen gemeldeten bzw. als vollständig fertiggestellt gemeldeten Wohngebäude veranschaulicht werden: zu
Das Neubauern-Bauprogramm als synchrone Abriß- und Aufbaupolitik 1947/487*6:
Region
Mecklenburg Brandenburg
Sachsen-Anhalt Sachsen
Thüringen SBZ insgesamt
Abgerissene Militärgebäude
Abgerissene Wohngebäude
Als fertiggestellt
801 60 292 20 135 1308
36 139 79 173 1087 1514
8617 10047 7425 5800 3423 35412
enteigneter Güter
gemeldete Neu-
bauernwohnhäuser
Im Jahre 1949 wurde der nach wie
vor geltende SMAD-Befehl zum „Abriß der Herrenhäuser" nach offiziellen Meldungen der DWK an die SMAD zwar „fortgesetzt" beachtet, in seinem Nutzen für den Wohnungsneubau jedoch offen bezweifelt787. Gezielte Gutsabrisse spielten für das Neubauern-Bauprogramm keine entscheidende Rolle mehr, sobald die Neuproduktion an Baumaterial wieder anstieg. Nachdem die Abbruchaktionen um 1950 endgültig verebbt waren, kam es im Sommer 1951 in Mecklenburg sogar zu einem Ministerratsbeschluß zur „Erhaltung von 21 baukünstlerisch wertvollen ehemaligen Schlössern"788. Ende 1951 leitete daraufhin das DDR-Ministerium für Aufbau nach Rücksprache mit der Staatlichen Plankommission eine grundsätzliche Kehrtwende ein: Nunmehr wurden die Dorfgemeinden angewiesen, fortan im Falle gut erhaltener Gutsgebäude zu prüfen, ob eine sinnvolle Weiterverwendung dieser Bauten möglich sei. Nur bei fehlenden Nutzungsmöglichkeiten sollte noch ein Abriß erfolgen, während ein solcher bei allen schlecht erhaltenen oder bereits teilweise ausgeschlachteten Gutsgebäuden weiterhin generell vorgesehen war789. Diese Neuregelung der Abrißbestimmungen ging somit an den Realitäten vorbei, denn in der ländlichen Peripherie der DDR gingen baulicher Verfall und Überfüllung mit Vertriebenen bei
Vgl. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 180 f. Vgl. die Daten in: BAB, DK 1/8742, Bl. 1-21, DWK, HVLF, 1.19erger, Bericht über die Durchführung des Neubauernbauprogramms gemäß Befehl 209 1947/48, 10.1. 1949; niedrigere Abrißzahlen (724 Wohngebäude und 6717 Wirtschaftsgebäude) für September 1948 nennt Schlenker, Die Abbruche mecklenburgischer Gutsanlagen, S. 104. 787 Vgl. Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland 2.2, S. 618, Dokument Nr. 273. 788 Vgl. Schlenker, Die Abbruche mecklenburgischer Gutsanlagen, S. 103. 783
78'
789
BAB, DK 1/3032, Bl. 13, Ministerium für Aufbau DDR, Aktennotiz v. 5.
12. 51.
796
III. Die Macht des Sozialen
vielen noch bestehenden Gutshäusern längst Hand in Hand. So war das im meck-
lenburgischen
Kreis Waren gelegene, seit 1930 denkmalgeschützte Renaissanceschloß Ulrichshusen nach 1945 zunächst mit sowjetischen Offizieren, dann mit Vertriebenen voll belegt worden. Hinzu trat eine Konsum-Verkaufsstelle und später, als bisher belegte Teile des Schlosses frei wurden, die Nutzung als Lagerraum. Erst 1976 zogen in Ulrichshusen die letzten, dort ab 1945 einquartierten vertriebenen Mieter aus, und 1987 brannte das Gebäude aus ungeklärten Gründen ab, was einer örtlichen Initiative zur Errichtung einer kulturellen Begegnungsstätte bis 1989/90 ein Ende setzte. Statt dessen wurden die nach wie vor denkmalgeschützten Überreste der Ruine von der NVA unbedenklich zu Manöverzwecken
genutzt790.
langfristige Überfüllung von Schlössern und Gutshäusern schädigte die Gebäudesubstanz und das noch dort befindliche Inventar rasch und nachhaltig. Schon im Herbst 1946 gewahrte eine Berliner Untersuchungskommission Bilder der Not, der Enge und des Verfalls. Frühere Prachtsäle enteigneter mecklenburgischer Schlösser wurden durch armselige Bretterverschläge in Notunterkünfte für Vertriebene verwandelt, kostbares Mobiliar von den neuen Bewohnern oft aus Unwissenheit ruiniert. Die nicht unsensiblen SED-Kontrolleure sahen „wahre Schätze an altertümlichen Schränken, die heute von den Holzschuhen der zahlreichen Umsiedlerkinder bearbeitet werden, prachtvolle Spinette[,] die sich wohl bald unter der rauhen Behandlung durch die neuen zahlreichen Bewohner der Schlösser in ihre einzelnen Bestandteile aufgelöst haben werden."791 Derlei Zerstörung durch unsachgemäße Nutzung ging mit fortschreitendem Verfall infolge ausbleibender Renovierung einher. Im Kreis Rostock zahlten vertriebene Einquartierte keine Miete, und im Gegenzug unternahmen die institutionellen Eigentümer der 1945 enteigneten Gutsgebäude nichts zu deren Erhaltung. Ein engagierter Rostocker Kreisrat forderte daher im März 1950 neben der „Schaffung neuen Wohnraumes" die umgehende Renovierung aller von Vertriebenen bewohnten Gutshäuser und die Festsetzung von laufenden Mietzahlungen, deren Erlös in einen Renovierungsfonds fließen müsse792. Doch selbst wo Mieten gefordert wurden, stellte sich die Situation nicht besser dar: Auch das im Kreis Waren gelegene, von Vertriebenen bewohnte Schloß Torgelow war 1951 hochgradig baufällig793, und die Gemeinde sah sich als Eigentümerin zur Instandhaltung nicht in der Lage, da ihr im Jahresetat nur 1000 DM (Ost) dafür zur Verfügung stünden und die Mieteinnahmen zu gering ausfielen. Umso heftiger attackierte man die vertriebenen Schloßbewohner als Menschen, die sich durch „Arbeitsverweigerung" angemessenen Mietzahlungen entzögen794. Gleichzeitig stellte ein Mitarbeiter der Die
790 79i
792 793
Timm, „Denkmale planmäßig erhalten", S. 6-19. SAPMO DY30/IV2/7/266, Bl. 36ff., insb. Bl. 51, SED, ZS, Abt. LW, Bericht der Untersuchungs-
kommission der SED und der DVAS über Schwierigkeiten in der Selbstversorgung der Umsiedlerund Landarbeiterfamilien in Mecklenburg, 12./13.11.46. MLHA, Mdl 2717, RdK Rostock, Dez. Innere Verwaltung, Kreisrat Schafrenberg], an SKK Ro-
stock, Tschenzow, 13. 3. 50. Reparaturen an Dach, an Öfen und Herden,
an den Fensterscheiben sowie diverse Maurer- und Malerarbeiten schienen dringlich; vgl. BAC, DC 1/630, Kreisrat Peter, Waren, an
KreiswohnungsWaren, 25. 1.51. BAC, DC 1/675, LKSK Mecklenburg, Beschwerdestelle, an ZKSK, Linz, 3. 8. 51. amt
794
1.
Integration durch Bodenreform?
797
Sozialversicherungsanstalt bei Besuchen in den Schlössern Groß Gievitz und Torgelow fest, daß der größte Teil der dort untergebrachten Vertriebenen die gesetzliche Sozialunterstützung durch die Kommunen bislang nicht erhalten hatte.
Statt dessen war in Groß Gievitz Ende 1950 „die Miete teilweise um das dreifache erhöht worden [...] mit der Begründung, daß das Dach [des Schlosses] reparaturbedürftig sei und die Kosten hierfür von der Miete aufgebracht werden" müßten. Der größte Teil der in diesem (übrigens damals noch in Privatbesitz befindlichen)
untergebrachten Vertriebenen weigerte sich, diese Mieterhöhung zu akzeptieren, da er über kein hinreichendes Einkommen verfügte795. Trotz ihrer beengten Wohnverhältnisse und des baulichen Verfalls lehnten die vertriebenen Bewohner solcher Schlösser das Angebot einer Umquartierung kategorisch ab796. Die Beschaffung alternativen Wohnraums war allerdings auch nicht einfach, sah sich doch der Rat des Kreises bereits mit der Unterbringung von 40 Vertriebenen-
Schloß
familien aus dem Schloß Groß Plasten, das zu einer Traktoristen-Zentralschule der MAS umgewidmet werden sollte, sowie von 13 Vertriebenenfamilien aus dem Kreis Neustrelitz völlig überfordert. Letztere mußten aufgenommen werden, „weil dort ein Barackenlager mit 150 Familien geräumt" wurde, bei dem es sich offenbar um den Standort der politisch unliebsamen und ökonomisch nicht mehr überlebensfähigen Umsiedlergenossenschaft „Sudehi" handelte797. Trotz seit 1949 laufender kommunaler Bemühungen um die Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Schlössern Groß Gievitz und Torgelow war außer der Ausquartierung einzelner Familien kaum etwas geschehen. Die politische Einstellung unter den dort lebenden Vertriebenen war daher aus Sicht des SED-Regimes im Sommer 1951 „vollkommen negativ"798. Kaum anders verhielt es sich zur selben Zeit in der sächsischen Gemeinde Gebeizig, Kreis Niesky, wo vertriebene Neubauern den umfangreichen Hilfsprogrammen des 1950 verabschiedeten DDR-Umsiedlergesetzes nicht trauen wollten, weil viele von ihnen immer „noch sehr schlecht untergebracht" waren. Zwölf der 41 Umsiedler-Neubauern-Familien des Dorfes teilten sich mit fünf anderen Vertriebenenfamilien nunmehr seit Jahren Notunterkünfte im enteigneten Schloß: „Je ein Neubauer mit seiner Familie bewohnt zwei Zimmer, welche [auch] als Geräteschuppen, Keller, Scheune und Getreidespeicher dienen." Das sächsische Amt für Information, das im Frühjahr 1951 auf diese Verhältnisse stieß, stellte fest, dort seien „wirklich die ehemaligen Umsiedler der einheimischen Bevölkerung gegenüber noch nicht gleichberechtigt". Betroffene brächten in Diskussionen „immer wieder zum Ausdruck", man solle „sie lieber wieder in ihre alte Heimat zurücklassen [...], dort würden sie es besser haben und würden nicht immer auf die Hilfe anderer angewiesen sein". Ansonsten glaubten diese Vertriebenen „nicht daran, daß sie wieder einmal ein an-
795
7* 797
798
BAC, DC 1/630, SVA Mecklenburg, Sozialversicherungskasse Waren, an Beauftragten für Staatliche Kontrolle Kreis Waren, 15. 1. 51; das Schloß wurde von einem Beauftragten der unterdessen in Westdeutschland lebenden Eigentümer verwaltet. BAC, DC 1/675, LKSK Mecklenburg, Beschwerdestelle, an ZKSK, Linz, 3. 8. 51. BAC, DC 1/630, Beauftragter für Staatliche Kontrolle Kreis Waren an LKSK Mecklenburg ,1.3. 51; vgl. ausführlicher zur „Sudehi": Kap. II.3.4.3. BAC, DC 1/675, LKSK Mecklenburg, Beschwerdestelle, an ZKSK, Gerda Linz, 3. 8. 51.
III. Die Macht des Sozialen
798
genehmes Leben führen können"799. Auch das mit Vertriebenen überfüllte Schloß Obergebelzig war dringend reparaturbedürftig. Verbesserungen der örtlichen Wohnungssituation schienen nach Einschätzung des sächsischen Landwirtschaftsministeriums jedoch allein über Nebenwirkungen des Neubauern-Bauprogramms möglich: „Nur wenn die Neubauern ihre Gehöfte neu erstellen, können
durch das Freiwerden dieser Räumlichkeiten die anderen Umsiedler-Familien besser untergebracht werden."800 Die thüringische Landesregierung hatte bereits 1950 MAS- und VdgB-Standorte überprüfen lassen, die in enteigneten Gutsgebäuden untergebracht waren. In der MAS Breitungen, Kreis Schmalkalden, mußten Betriebsangehörige Anmarschwege von bis zu 25 Kilometern in Kauf nehmen, da der im MAS-Gebäude vorhandene Wohnraum seit Jahren mit „Neubürgerfamilien" anderweitig belegt war. Die zuständigen Wohnungsbehörden hatten seit 1946 weder für diese Vertriebenen, die im ehemaligen Herrenhaus teilweise sehr schlecht untergebracht waren, noch durch deren Umsetzung für die Traktoristen der MAS etwas getan. Im Schloß waren bis zu siebenköpfige Familien in mit Bretterverschlägen unterteilten Sälen auf einer Fläche von rund 20 Quadratmetern untergebracht. Diese Menschen wirkten ungepflegt, ein Familienvater war tuberkulosekrank. Die Kontrolleure der Landesregierung notierten nach Besichtigung der Zweiraumwohnung einer sechsköpfigen Vertriebenenfamilie im Schloß Herrenbreitungen: „Der Zustand der Räume ist unbeschreiblich. Der Putz bröckelt von den Wänden und das Mobiliar ist äußerst dürftig und z.T. selbst aus Kisten gezimmert." Veranlaßt hatte die Überprüfung die engagierte Leiterin der Land-Ambulanz, die sich mit den ,,katastrophale[n] Verhältnisse[n]" in den Vertriebenenquartieren nicht länger abfinden wollte. Damit stand sie unter den kommunalen Funktionsträgern offensichtlich allein: Als die Vertriebenen 1946 „angeblich als Notbehelf in großen Familiengruppen in den alten baufälligen Sälen des Schlosses untergebracht" worden waren, hatte ihnen die Kommunalverwaltung zwar zugesichert, diese primitiven Verhältnisse rasch zu ändern, doch in der Folgezeit war nicht das Geringste unternommen worden. Auch unlängst vom Landrat eingeleitete Baumaßnahmen waren nicht weit gediehen und zum Zeitpunkt der Kontrolle schon wieder eingestellt worden. Auf die Kontrolleure der Landesregierung wirkten die Herrenbreitunger „Neubürger völlig abgestumpft" und schienen „den Glauben und das Vertrauen zu der von uns zugesicherten Hilfe verloren [zu] haben". Der Unterschied zwischen der Wohnsituation der Alteingesessenen des Dorfes und der „Neubürger" in der MAS erschien den Regierungsvertretern eindeutig „zu kraß": „Die von uns angetroffenen Verhältnisse hätten im Jahre 1946 eine Begründung finden können, aber im Jahre 1950 sind sie uns unverständlich."801 Die Zustände in Herrenbreitungen gaben im folgenden Jahr Anlaß zu einer heftigen Intervention von höchster Stelle. In einer Rede auf der Verwaltungsakademie in Forst Zinna übte Walter Ulbricht persönlich anhand dieses Fallbeispiels -
-
SäHStA, LRS Mdl 2186, MP Sachsen, Afl, Abt. Informations-Kontrolle, Inform.-Bericht 289/51 zur „Verbesserung der Lage der Umsiedler", 25. 5. 51, S. 3. ¡x» BAB DO 1/33269, MLF Sachsen an MLF DDR, 28. 9. 51. 801 ThüHStA, Büro MP 477, Anlage zum Protokoll der ao. Sitzung der Landesregierung Thüringen 799
,
am
3. 3. 1950, S. 3f.
1.
Integration durch Bodenreform?
799
massive Bürokratenschelte. Dabei ging es dem SED-Führer nur in zweiter Linie um die Verbesserung der ländlichen Wohnsituationen der Vertriebenen; primär war eine „Veränderung der Arbeitsmethoden der staatlichen Organe" sein Ziel, allen voran die Gleichschaltung der kommunalen Verwaltungen, denen Ulbricht häufig lebensferne Entscheidungen vorwarf: „Es genügt nicht, gesetzliche Bestimmungen auszuarbeiten, sondern man muß auch dafür sorgen, daß sie bis unten zu Ende durchgeführt werden." Vor allem aber müsse „der Kritik der Werktätigen mehr Beachtung" geschenkt werden, wie das Negativbeispiel Herrenbreitungen zeige. Zur Verbesserung der Wohnungssituation ,,mehrere[r] Umsiedlerfamilien", die im dortigen enteigneten Schloß teilweise noch „hinter Bretterverschlägen" zu „hausen" gezwungen seien, habe die Gemeinde Mittel aus dem Generalreparaturplan beantragt und auch erhalten. Der zuständige Sachbearbeiter des Finanzamtes habe jedoch darauf bestanden, daß diese Mittel nur für Reparaturen am Gebäude verwendet werden dürften, nicht aber für Wohnungsumbauten. Das habe zwar den gesetzlichen Bestimmungen entsprochen, jedoch den „Sinn dieser Bestimmungen ins Gegenteil verkehrt". Im Ergebnis sei nämlich die Schloßfassade verputzt und die Toreinfahrt gepflastert worden, statt die Wohnräume zu renovieren, „und die Umsiedler mußten sich das ansehen". Ulbricht echauffierte sich über diese „bürokratische Anordnung" als „Ausdruck einer völlig falschen Auffassung von der Arbeit einer Verwaltung", und demonstrierte deutlich, was er von Verwaltungsrecht hielt: „Was ist das für eine Verwaltung, wo ein einziger Mann solchen Unsinn anordnen kann?"802 Mit dem Motiv, sozial schwachen Menschen unbürokratisch Hilfe zu leisten, wurde eine an Rechtsvorschriften orientierte Verwaltungspraxis vom Spitzenmann der SED hemmungslos diskreditiert. Solche Tiraden sollten DDR-Bürokraten einschüchtern und gefügig machen, den Vertriebenen halfen sie wenig. Deren ländliches Wohnungsproblem war so ubiquitär wie die daraus folgende Resignation, welche im Frühjahr 1951 sogar DDR-Ministerpräsident Grotewohl bei einem Besuch der mecklenburgischen Gemeinde Rambow, Kreis Wismar, zur Kenntnis nehmen mußte: „Im Gespräch mit den [Umsiedler-]Neubauem wurde eine größere Trägheit vorgefunden, die in erster Linie darauf zurückzuführen ist, daß den Neubauern unentwegt Versprechungen für die Besserung der Verhältnisse von den laufend aufgesuchten Verwaltungsstellen gemacht worden sind, ohne daß sich bisher auch nur ein geringer Ansatz zur Änderung bemerkbar macht." Im Gegenteil: Die Lage dieser vertriebenen Landwirte war durch das Neubauern-Bauprogramm nicht nur nicht verbessert, sondern sogar noch verschlimmert worden. Grotewohl erfuhr damals in Rambow, daß das in den Wirtschaftsgebäuden des enteigneten Gutshofes untergebrachte Vieh dieser Neubauern seit Jahren unter der Witterung litt und bei Regenfällen stets „unter Wasser" stand, da diese Ställe nicht mehr wetterfest waren, seit man ihr Obergeschoß zur Materialgewinnung für das Neubauernbauprogramm abgebrochen hatte. Während dieser Teilabriß der Gutsstallungen „neunzehn Bauern, die ihr Vieh in den Stallgebäuden untergebracht haben, wirtschaftlich geschädigt" hatte, hatte nach Aussage der betroffenen Umsiedler-Neubauern seinerzeit nur ein einziger Dorfbewohner vom Abriß profitiert: Mit Hilfe des Abbruchsma802
Ulbricht, Die Entwicklung des deutschen volksdemokratischen Staates, S. 281 f. und S. 284.
800
III. Die Macht des Sozialen
terials war damals „für den richtet" worden803.
Bürgermeister der Gemeinde ein Neubauernhof er-
1.3.2. „Änderung der Kreditbedingungen erforderlich": Die soziale Exklusionswirkung der Baufinanzierung Zumindest für die normative Seite der sowjetzonalen Agrarpolitik trifft nicht zu, daß „der Staat in den ersten Jahren den Neubauern keine Hilfe" gewährt hätte804. Staatliche Kredithilfen für die ökonomisch meist ungefestigten Neubauern setzten fast so früh ein wie die Bodenreform selbst. Bereits im Januar 1946 gewährte die SMAD regional und zeitlich begrenzte Saatgutdarlehen für die Neubauern Mecklenburg-Vorpommerns805; und am 22. Februar 1946 bot der SMAD-Befehl Nr. 62 sämtlichen Neubauern der sowjetischen Zone Wirtschaftskredite an806. Allerdings mußten die Finanzexperten in SMAD und DZFV rasch erkennen, daß die Details dieser Kreditangebote Probleme mit sich brachten. Die deutsche Finanzverwaltung kritisierte die geringe Höhe der Einzelkredite von lediglich 1500 RM, die von den Sowjets damit gerechtfertigt wurde, daß man höchstens 10% der auf 600 Millionen RM geschätzten Einlagen aller landwirtschaftlichen Genossenschaften für dieses Kreditprogramm in Anspruch nehmen wolle. Falls dies ernstgemeint war, hätten folglich bestenfalls 4000 solcher Kredite bei rund 200000 Neubauern bewilligt werden können. Nicht nur in diesem Falle erwies sich die sowjetische Finanzplanung in sozialpolitischen Sektoren als völlig unrealistisch. Die deutsche Zentralfinanzverwaltung glaubte zudem, daß der von den Sowjets gewählte Weg einer Kreditierung über die landwirtschaftlichen Genossenschaften aufgrund von deren Finanzschwäche nicht würde funktionieren können, so daß eine öffentliche Finanzierung unumgänglich sei. Auch juristisch schien der sowjetische Weg der Genossenschaftsfinanzierung angreifbar: -
-
„Es ist völlig undenkbar, daß für Verluste aus dieser Sonderkreditaktion die übrigen Mitglieder der Genossenschaft aus der Haftsumme beansprucht werden können; denn die Genossenschaften geben die Kredite ja nicht freiwillig, sondern auf Befehl, sie haben keinen Einfluß darauf, den Kreditnehmer nach seiner Bonität zu beurteilen."807
Obwohl es sich um einen unfreiwilligen Staatsauftrag handelte, einigten sich SMAD und DZFV am Ende darauf, daß es sich „bei der Kreditaktion [...] nicht um eine Subvention oder um Darlehen unter Haftung der öffentlichen Hand, sondern um einen regulären Kredit" handle, „der lediglich zu einem ermäßigten Zinssatz [...] gewährt wird". Damit hatte die SMAD ihre Konzeption unverändert beibehalten. Eine sonst übliche Stellung materieller Kreditsicherheiten für die kreditgebenden Genossenschaften war nicht vorgesehen: Grundbuchsicherheiten wurden für unzulässig, Sicherheiten in Form von Inventar und Vieh für „problematisch" erklärt. Statt dessen sollte zwischen Erntelieferungsverträgen, Sammel8°3 804 8°3 8«> 8°7
BAC, DH 1/44480, MP DDR, Sekretariat des MP, an den Stellvertreter des MP DDR, Dr. Bolz, 7.6.51. Diese Behauptung bei: Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 148. Foitzik, Inventar, S. 296, Nr. 307. Ebenda, S. 345, Nr. 337. BAB, DN 1/2345, DZFV, Protokoll einer Besprechung mit der SMAD, Gorochow, am 7. 3. 46, S. 3.
1.
Integration durch Bodenreform?
801
bürgschaften der VdgB oder Blankokrediten gewählt werden808. Diese Vorgaben stießen begreiflicherweise auf den Widerstand vieler Genossenschaften, die sich weigerten, die Einlagen ihrer Mitglieder ökonomisch kaum überlebensfähigen Neubauern zur Verfügung zu stellen. In Thüringen, wo altbäuerliche Strukturen
besonders stark waren, waren bis Ende 1946 Wirtschaftskredite für Neubauern meist nicht rechtzeitig ausgezahlt worden, da die Bürgschaftsfrage zwischen Genossenschaften und Landesregierung strittig geblieben war: „Hierdurch haben die meisten Neusiedler auf den Wirtschaftskredit verzichtet, weil er vor allen Dingen seinen Zweck, des über die schwerste Zeit Hinaushelfens, verfehlt hatte."809 Wo eine Ausgabe der Kredite erfolgte, wurden die Genossenschaftsbanken durch die Landesbanken refinanziert, um die Eigenmittel der Genossenschaften nicht zu schmälern. Bis Ende 1946 wurden an Wirtschafts-, aber auch schon an ersten Hofbau-Krediten in der SBZ 204,1 Millionen RM bewilligt, davon allein in Mecklenburg-Vorpommern 104 Millionen und in Brandenburg 82,6 Millionen Mark. Entgegen den ursprünglichen sowjetischen Absichten hatte dieses erste
Neubauern-Kreditprogramm somit erhebliche Breitenwirkung mit entsprechend hohen Kreditkosten erreicht. Allerdings fiel auf, daß Vertriebene unter den neubäuerlichen Kreditnehmern eher selten waren; nach Einschätzung der DZFV hatte „nur etwa der dritte Teil der Umsiedler [...] Kredite aufgenommen". Deren Inanspruchnahme war je nach Region nicht nur quantitativ sehr unterschiedlich, sondern auch strukturell: In Brandenburg und Mecklenburg dominierten kurzund mittelfristige Wirtschaftskredite, in Sachsen und Thüringen hingegen langfristige Baukredite. Gerade dort also, wo der Baubedarf am größten war und wo sich
auch die meisten vertriebenen Neubauern befanden, sahen sich offenbar die wenigsten Neubauern zur Finanzierung von Hofbauten in der Lage. Im Süden der SBZ, wo vergleichsweise wenig vertriebene Neubauern ansässig waren, schienen die Neubauern sehr viel stärker auf finanzielle Eigenmittel zurückgreifen zu können, wodurch das dortige Bauvolumen sehr viel größer war als im Norden: „Während in den Ländern Sachsen und Thüringen 16,6% bzw. 18,4% der Neubauern mit der Erstellung von Wohn- und Nutzbauten begonnen haben, waren es bis zum 1. 10. 1946 in Brandenburg und Mecklenburg nur etwa 3%." Die schlechte Wirtschaftslage vieler Umsiedler-Neubauern dürfte bei formeller Gleichbehandlung und freiwilliger Einzelentscheidung der Hauptgrund für diese regionale und soziale Differenzierung gewesen sein, denn Kreditverweigerungen seitens örtlicher Genossenschaften waren zumindest formell „nur aufgrund ausdrücklicher Anweisung" der VdgB möglich810. Der Subventionssog der durch die Bodenreform erzeugten kleinbäuerlichen Agrarstruktur bewirkte in der SBZ eine immer weitere Aufstockung des staatlich gesteuerten Kreditprogramms. Das ursprüngliche Kreditangebot vom Februar 1946, das bei fünf Jahren Laufzeit Kredite mit einer Zinsrate von 3% in Höhe von bis zu 1500 RM enthielt, war wenig später bereits erhöht worden, weil mit derartigen Summen zwar die Anschaffung von Saatgut und Dünger zu finanzieren war, -
-
Ebenda, DZFV, Aktennotiz über Besprechung mit SMAD, Gorochow, 19. 3. 46. BAB, DK 1/8170, Bl. 7ff., insb. Bl. 14, DVLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht zur Bodenreform in der SBZ, 7. 12. 46. si» Ebenda, DZFV an SMAD, Abt. Finanzen, Litwak, 4. 3. 47. 808 8°9
802
III. Die Macht des Sozialen
nicht aber der Bau von Häusern und Stallungen. Auch der neue Kredithöchstbetrag für Bauvorhaben von 6000 RM erwies sich als unzureichend, so daß ein SMAD-Befehl vom 25. März 1947 die Höchstgrenze für Neubauernkredite am Ende vollständig aufhob. Seither lag deren Festsetzung ganz im Ermessen der örtlichen Kreditgeber. Allerdings wurden zur Absicherung dieser Baukredite persönliche Bürgschaften gefordert, und zwar durch zwei Altbauern oder aber „weil der Neubauer noch keine Gelegenheit hatte, seine Persönlichkeit unter Vertrauensbeweis zu stellen" durch die örtliche VdgB811, deren Basisorganisationen freilich oft alt- und großbäuerlich dominiert waren und daher ähnliche „Vertrauensbeweis"-Probleme geltend machen mochten. Auf einer Zonenboden konferenz wurde der VdgB Anfang 1947 denn auch kritisch bescheinigt, sie müsse dringend „auf dem Wege, die Gewerkschaft der Bauern zu werden, weiterschreiten", denn sie habe es bislang nicht vermocht, die negativen „Verhältnisse am Kreditsektor" gemeint war insbesondere die Zurückhaltung bei der Kreditaufnahme zu verbessern812. Angesichts des Inklusionskriteriums einer individuellen oder institutionellen Bürgschaft durch alteingesessene Bauern waren die Chancen für vertriebene Landwirte, trotz formeller Gleichstellung in den Genuß von Baukrediten zu gelangen, eher gering. Daß die im Vorjahr von der SMAD noch abgelehnte hypothekarische Belastung der Neubauernhöfe bei Baukrediten nunmehr selbstverständlich geworden war, dürfte zusätzlich abgeschreckt haben. Vermutlich waren solche Restriktionen dafür verantwortlich, daß wie die „Tägliche Rundschau" im Mai 1947 verständnislos konstatierte trotz aller sowjetischen Großzügigkeit bei der Kreditaufstockung keine entsprechend gesteigerte Bautätigkeit zu beobachten war. In der Analyse der SMAD-nahen Zeitschrift wurde „die verhältnismäßig geringe Inanspruchnahme der bewilligten Kredite" jedoch lediglich darauf zurückgeführt, „daß nicht genügend Material vorhanden ist und die Produktion der Landmaschinen jetzt noch zu klein ist". Jedenfalls waren damals von bewilligten 72 Millionen RM an Baukrediten erst 19 Millionen also wenig mehr als ein Viertel abgerufen und effektiv eingesetzt worden. „Immerhin", so tröstete sich mit Robert Neddermeyer ein enttäuschtes SED-Mitglied der branseien „bis jetzt 1454 Neubauten finanBodenreformkommission, denburgischen ziert und davon Hunderte von Bauten beendet" worden813. Das sächsische Finanzressort hatte, von der regionalen SMA zur Stellungnahme aufgefordert, im Herbst 1946 als Ursache der schleppenden Bauentwicklung diagnostiziert, entweder seien die Neubauern über die Kreditmöglichkeiten gar nicht informiert oder sie verfügten über genügend eigene Geldmittel; zudem fehle es an Baumaterial814. Auf die zusätzliche Erklärung, daß der Kreditcharakter des staatlichen Subventionsangebots zwangsläufig die wirtschaftlich Schwächsten abschrecken mußte, kamen weder die Dresdner Finanzbürokraten noch der in der „Täglichen Rundschau" publizierende SED-Agrarfunktionär Neddermeyer, der -
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811
Ebenda, R.fobert] Neddermayer, „Kredite für Neubauern", in: Tägliche Rundschau Nr. v.
xi2
813
8'4
18. 5. 47.
114 (615)
BAB, DO 2/62, Bl. 38 ff., insb. Bl. 39, ZVU, Abt. Organisation, Haslinger, Bericht über die Zonenkonferenz zur Bodenreform am 6./7.1., 15.1. 47. BAB, DN 1/2345, R.fobert] Neddermayer, „Kredite für Neubauern", in: Tägliche Rundschau Nr. 114 (615) v. 18.5.47. Ebenda, LV Sachsen, Abt. Finanzen, an SMAS, 15.10. 46.
1.
Integration durch Bodenreform?
803
sogar die Behauptung wagte, gerade für die schwächsten Neubauern sei „die Kredithilfe alles!"815 Was für die relativ überschaubaren Wirtschaftskredite zutreffen mochte, konnte für eine jahrelange hohe Tilgungsbelastung durch Baukredite nicht ohne weiteres gelten. Nicht zufällig entwickelte sich 1947 die Inanspruchnahme der Wirtschafts- und Baukredite für Neubauern immer stärker auseinander. Bei einem Gesamtvolumen von 290 Millionen RM hatten im September 1947 die bewilligten Baukredite mit 160,2 Millionen RM die Wirtschaftskredite mit 129,8 Millionen RM zwar erstmals überrundet, wobei die beiden Bodenreformzentren Mecklenburg und Brandenburg mit 167 bzw. 76,7 Millionen RM Schwerpunkte der Kreditgenehmigung waren. Weit aussagekräftiger war jedoch die faktische Inanspruchnahme solcher Kredite: Hier waren in der SBZ bis Spätsommer 1947 37% der genehmigten Wirtschaftskredite, aber nur 8% der Baukredite wirklich genutzt worden. Eine überdurchschnittliche Beanspruchung der Wrtschaftskredite gab es in Brandenburg (61% oder 20,5 Millionen RM), während die anderen Bodenreformzentren Mecklenburg (37% oder 48,6 Millionen RM) und Sachsen-Anhalt (32% oder 962000 RM) nicht einmal bei diesen kurzfristigen und vergleichsweise geringfügigen Krediten den Zonendurchschnitt erreichten. Was die Baukredite anging, lag Sachsen-Anhalt mit einer Nutzungsquote von 14% (2,3 Millionen RM) deutlich über dem Zonendurchschnitt, gefolgt von bereits unterdurchschnittlichen Quoten in Thüringen (7%) und Brandenburg (5% oder 2,2 Millionen RM), während Sachsen und Mecklenburg mit je 4% (3,2 Millionen RM) die Schlußlichter bildeten816. Ausgerechnet in Mecklenburg, der Region mit dem größten Baubedarf für Neubauern und mit dem höchsten Vertriebenenanteil an der Neubauernschaft, tat sich folglich bei der faktischen Inanspruchnahme der Baukredite am wenigsten817. In dieser Situation gelang dem SMAD-Baubefehl Nr. 209 ab September 1947 eine begrenzte Intensivierung des Baugeschehens und der Kreditvergabe. Im vierten Quartal des Jahres 1947 stiegen die bewilligten Kredite um 13% auf 328 Millionen RM an, bei effektiver Inanspruchnahme war eine Steigerung von immerhin 16% auf 71 Millionen RM zu verzeichnen. Lag der Anteil der Baukredite an den Bewilligungen bei 57%, erreichte er bei den Auszahlungen immer noch nur 26%. Bis Ende 1947 waren mit 18,4 Millionen RM erst 10% aller bewilligten Baukredite an Neubauern aus Anlaß des Baubeginns tatsächlich ausgezahlt worden, während die Nutzung von Wirtschaftskrediten bei 37% (53 Millionen RM) lag. Nach Erlaß des SMAD-Baubefehls 209, der ein großangelegtes „Neubauern-Bauprogramm" bis Ende 1948 verhieß, waren zwar die bewilligten Baukredite bis Jahresende 1947 in Brandenburg von 43,1 Millionen auf 55,7 Millionen RM, in Mecklenburg von 78,5 Millionen auf 85,8 Millionen RM angestiegen. Doch in ihrem Bericht an die SMAD mahnte die zentrale Finanzverwaltung im Februar 1948 völlig zu Recht, daß die Bereitstellung von Kreditmitteln wenig nütze, wenn nicht auch die sonsti815
Ebenda, R.[obert] Neddermayer, „Kredite für Neubauern", in: Tägliche Rundschau Nr. v.
8"
817
18. 5. 47.
Ebenda, DZFV, Meyer, an SMAD, Finanzabteilung, 21.
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11. 47.
Damit dürften die zeitlich undifferenzierten Beobachtungen Meinickes über den zwischen 1945 und 1949 gegebenen Vertriebenenanteil am Neubauern-Bauprogramm erheblich zu modifizieren sein; vgl. Meinicke, Die Bodenreform und die Vertriebenen, S. 146.
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III. Die Macht des Sozialen
Vieh, Saatgut oder Baumaterial für die Neubauernhöfe gesichert werden könnten818. Angesichts dieser übermächtigen Ressourcenprobleme verschwendeten die politisch Verantwortlichen offenbar wenige Gedanken an das Problem der sozialen Reichweite ihrer Neubauernbaukredite. Dabei hätten bereits die Ausführungsbegen materiellen Ressourcen
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stimmungen zur Kreditvergabe eine kritische Überprüfung gelohnt. An Neubau-
interessierte Neubauern konnten in den meisten Ländern der SBZ direkte Einzelkredite erhalten, doch in Sachsen-Anhalt wurde angeblich in Ausnahmefällen die VdgB in die Kreditvergabe eingeschaltet, in Mecklenburg war diese Variante, die der landwirtschaftlichen Massenorganisation ein indirektes Vetorecht einräumte, sogar der Regelfall819. Der dortige Finanzminister Dr. Hans Gotthilf Strasser (LDP) erläuterte im Herbst 1947 das Procederé nach dem Kreditantrag eines Neubauern: ten
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„Eine Generalversammlung der VdgB beschließt sodann, den Ausschuß zu ermächtigen, die
beantragten Kredite aufzunehmen. Die Unterlagen sind von dem zuständigen Kreisausschuß der VdgB zu bestätigen. Diese Instanz hat auch gleichzeitig die Genehmigung zur Aufnahme des Kredites zu erteilen. Vom Kreiskomitee gelangen die Unterlagen an die Zentralkasse [i.e. Raiffeisen-Zentralkasse des Landes], die sie sachlich und formell zu prüfen und etwaige Mängel zu beseitigen hat. Danach beauftragt die Zentralkasse diejenige Kreditgenossenschaft, die verkehrsmäßig am günstigsten liegt, mit der Kreditgewährung." so umständlich klang, ließ nach Darstellung des Ministers Entscheidungen innerhalb von zwei bis drei Wochen durchaus zu820. Doch niemand in der Schweriner Landesregierung scheint sich gefragt zu haben, was dieser von allen übrigen Ländern abweichende Sonderweg, die tendenziell von Einheimischen dominierten lokalen VdgB-Einheiten zur Kreditgenehmigungsinstanz zu machen, für kreditinteressierte Umsiedler-Neubauern bedeuten konnte. Inwieweit diese rechtliche Konstruktion vertriebene Landwirte effektiv benachteiligte, läßt sich freilich schwer klären. Die bekannte Konfliktdisposition zwischen Alteingesessenen und Vertriebenen und die soziale Parteinahme der VdgB zugunsten der Einheimischen legen allerdings eine hohe Wahrscheinlichkeit solcher Diskriminierung nahe. Dafür spricht auch die im Sommer 1948 geäußerte Kritik Paul Merkers, des obersten Agrarpolitikers der SED, der für die unterplanmäßige Erfüllung des Bauprogramms in Brandenburg und Mecklenburg neben administrativen Hemmnissen primär die Fehleinschätzung der Bedeutung dieses Bauprogramms durch die VdgB verantwortlich machte821. Wenn die VdgB-Gliederungen der beiden wichtigsten Siedlungsgebiete für Umsiedler-Neubauern das Bauprogramm offenbar als nachrangig einschätzten, dürften allgemeine vertriebenenfeindliche Ressentiments im Verbund mit traditionellen Bonitätskriterien bei der Vergabe genossen-
Was
Schwerpunkte der doppelten Kreditaktion waren weiterhin Mecklenburg (48%) und Brandenburg (33%); im letzten Quartal 1947 waren dort auch die bewilligten Wirtschaftskredite weiter gestiegen, so in Mecklenburg von 88,6 Millionen auf 98,5 Millionen RM; vgl. BAB, DN 1/2345, DZFV an SMAD, Finanzabteilung, 18.2. 48. BAB, DN 1/2343, DZFV an SMAD, Finanzabteilung, Kapitän Litwak, 22. 10. 47, S. 9. 820 In den „allermeisten" Fällen seien die Kredite eher vorsorglich beantragt und in der Umsetzung nicht eilig; von der Kreditseite gebe es also keinerlei Schwierigkeiten, „es fehlt aber an Baumaterial, an Vieh und an Inventar"; vgl. ebenda, MfF Mecklenburg, Prof. Dr. Strasser, an DZFV, 23. 9. 47. 82' SAPMO, DY19/Bündel 17/136, SED, ZS, Merker, an VdgB, Vieweg, 6. 8. 48. 818
8'9
1.
Integration durch Bodenreform?
805
schaftlicher Kredite gegenüber wirtschaftsschwachen Landwirten umso stärkere Ausschlußwirkung entfaltet haben. Entsprechende Exklusionserfahrungen hatte die sowjetzonale Politik 1947 bereits mit der mangelnden Bereitschaft von Kommunen machen können, Ausfallbürgschaften für vertriebene Gewerbetreibende zu übernehmen, welche die unabdingbare Voraussetzung für die Vergabe von Wirtschaftskrediten darstellten822. Die „Tägliche Rundschau" hatte diese ebenfalls ausgerechnet in Mecklenburg „stockende Kreditaktion für Umsiedler" kritisch thematisiert und ausdrücklich erklärt, die verbreitete Annahme, daß die geringe Nutzungsquote der angebotenen Produktivkredite „wirklich nur auf das NichtVorhandensein unternehmerischer Kräfte unter den Neubürgern zurückzuführen" sei, sei offenkundig „falsch". Statt dessen wurden mangelnde Informationspolitik und „Unklarheiten in der Übernahme der geforderten selbstschuldnerischen Bürgschaft durch die Kreise und Gemeinden" als entscheidende Hindernisse namhaft gemacht823. Und im Sommer 1949, als diese Kreditvariante auslief, erreichte die DWK eine Leserzuschrift aus der CDU-Parteizeitung „Neue Zeit", in der sich mittellose Vertriebene über die weltfremde Forderung sowjetzonaler Banken nach persönlichen Kreditsicherheiten erbosten, die offenbar selbst in den seltenen Fällen erhoben wurde, in denen sich eine Kommunalverwaltung zur Ausfallbürgschaft bereit erklärt hatte. Die Betroffenen kommentierten das Misstrauen der Banken verbittert: „Wir Umsiedler dachten, so etwas gäbe es nur in Texas!"824 Die Hürden einer Kreditbewilligung waren für kreditinteressierte Neubauern nicht das einzige Problem. Gerade die wirtschaftlich schwachen Neubauern, unter denen sich überproportional viele Vertriebene befanden, mußten sich auch durch das unübersichtliche und zunehmend irreführende System jener Mischfinanzierung abgeschreckt fühlen, das mit dem zunächst großartig klingenden Angebot des Neubauernbauprogramms auf sie zukam. Anfangs gaben die Landesregierungen neben dem eigentlichen Baukredit weitere, zwischen 2000 und 5000 RM schwankende Bauzuschüsse, die von den Neubauern nicht zurückgefordert wurden825 und einen Teil der Baustückkosten abdecken sollten, welche Anfang 1946 optimistisch auf rund 10 000 RM geschätzt wurden826. Theoretisch hätte eine Kombination aus staatlichen Bauzuschüssen und staatlich erzwungenen genossenschaftlichen Baukrediten ausreichen können, um die Baukosten zu decken, zumal die Neubauernbaukredite seit Frühjahr 1947 nach oben unbegrenzt waren, bevor sie im Frühjahr 1948 durch die DWK erneut mit einer Obergrenze von 872
Nach Feststellungen der DZFV wurde bis Ende 1947 „der Forderung auf Übernahme von Bürgschaften durch die zuständigen Stadt- oder Landgemeinden für zu gewährende Umsiedlerkredite [...] gelegentlich [...] nur zögernd entsprochen", weshalb die brandenburgische Landesregierung den Gemeinden bereits Landesausfallbürgschaften angeboten habe; vgl. BAB, DN 1/2347, DZFV an
823
824 823
826
SMAD, Finanzabteilung, 25. 2. 48.
Ebenda, Simone, „Ungenutzte Wirtschaftshilfe. Stockende Kreditaktion für Umsiedler in Mecklenburg", in: Tägliche Rundschau, Ausschnitt o.D. [ca. Frühjahr 1948]. Ebenda, DWK, HVF, Presseabteilung, an HA Banken, 9. 8. 49. BAB DK 1/8742, Bl. 1-21, insb. Bl. 12, DWK, HVLF, Lichtenberger, Bericht über die Durchführung des Neubauernbauprogramms gemäß Befehl 209 1947/48, 10. 1. 1949. BAB, DK 1/8821, Bl. 1 ff., ZVLF, Denkschrift zu „Organisation und Finanzierung der Siedlungsbauten", 8. 2. 46; einige Jahre später lagen diese Stückkosten beträchtlich höher.
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III. Die Macht des Sozialen
nunmehr 15000 RM gedeckelt wurden827. Trotzdem hätten ökonomisch schwache Bauherren, falls sie solche Baukredite überhaupt bewilligt erhielten, eine hohe, über Jahrzehnte laufende Verschuldung in Kauf nehmen müssen. Da nicht alle Interessenten die Höhe dieser Kreditbelastung richtig einzuschätzen wußten, dürfte es zu Fällen auswegloser Verschuldung häufiger gekommen sein828. Im DDR-„Gesetz über Entschuldung und Kredithilfe für Klein- und Mittelbauern", das gleichzeitig mit dem Umsiedlergesetz am 8. September 1950 erlassen wurde, hetzte die Präambel zwar gegen „die agrarkapitalistischen Siedlungsgesellschaften und ihre Bankinstitute, die heute fast ausnahmslos ihren Sitz in Westberlin haben", doch bezeichnenderweise diente dieses Agrargesetz zugleich der gezielten „Entschuldung von Neubauernhöfen", deren seit der Währungsreform eingetretene Kreditbelastung „um 50% herabgesetzt" werden mußte, um die Betriebe zu retten. Den Schuldenerlaß legitimierte die DDR-Politik als Gleichbehandlung mit jenen Neubauern, welche künftig die günstigeren Kreditkonditionen ab 1951 nutzen würden. Zugleich aber gestand man mit diesem Tilgungsnachlaß ein, daß das sowjetzonale Neubauernbauprogramm breitenwirksame Verschuldung bewirkt hatte: Gerade jene „Neubauern, die in den ersten Jahren des Neuaufbaus [...] unter schweren Bedingungen [...] ihre Gebäude errichteten", hätten „vielfach durch überhöhte Preisforderungen von Landbaugesellschaften und anderen", nicht näher bezeichneten Instanzen „hohe Aufwendungen" gehabt und dadurch zwangsläufig „hohe Kredite" in Anspruch nehmen müssen829. Die drohende Schuldenfalle hielt offenbar gerade Umsiedler-Neubauern von der Beantragung eines Baukredits ab. Als die deutsche Agrarverwaltung Anfang 1948 die sowjetische Anfrage beantwortete, worauf „die geringe Inanspruchnahme der von den Ländern bereitgestellten Mittel zurückzuführen" sei, gab sie eine regional differenzierte Antwort. Während im altbäuerlich geprägten Thüringen das Baugeschehen überwiegend aus Mangel an Baumaterial zu stocken schien, konnte demnach im Bodenreformzentrum Sachsen-Anhalt (wo einheimische Neubauern überwogen) „bei dem derzeitigen Preisgefüge von einer kapitalkräftigen Landwirtschaft oder gar von kapitalkräftigen Neubauernbetrieben nicht die Rede sein". Erst recht galt für Mecklenburg, der Bodenreformregion mit den meisten Umsiedler-Neubauern, daß „die bisher erstellten Bauten [...] zum größten Teil aus eigenen Mitteln der Neubauern errichtet" worden waren. Das bedeutete im Umkehrschluß, daß die in der Regel ohne Eigenkapital dastehenden Umsiedler-Neubauern kaum partizipiert haben konnten830. „Die zögernde, abwartende Haltung der Umsiedler" und die daraus folgende unterdurchschnittliche Vertriebenenbeteiligung am staatlich subventionierten Baugeschehen erklärte sich die 827
828
829
™
Noch höhere Kredite waren möglich, bedurften allerdings einer Sondergenehmigung des Landesfinanzministers; vgl. BAB, DN 1/2343, DWK, Sekretariat, Beschluß S. 62/48, S. 3. Darauf verweist auch: Mehlhase, Flüchtlinge und Vertriebene in Sachsen-Anhalt, S. 159 f. GB1. DDR 1950, S. 969, Gesetz über Entschuldung und Kredithilfe für Klein- und Mittelbauern v. 8. 9. 50, Präambel und § 1, Abs. 1 sowie § 2; das Argument der Gleichbehandlung früherer und künftiger Gruppen von Kreditnehmern spricht gegen den Ansatz von Bauer, Blockpartei und Agrarrevolution von oben, S. 328, das Entschuldungsgesetz „als Abschluß des Bodenreformbauprogramms" zu deuten. BAB, DK 1/8802, Bl. 32 ff., insb. Bl. 33, DZLF, Hoernle, an SMAD, VLF, Tarakanowski, Januar 1948.
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Integration durch Bodenreform?
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staatliche Seite jedoch lieber mit individueller Verweigerungshaltung der Vertriebenen als mit eigenen Konzeptionsfehlern. Daher beschränkte sich die HVLF im Frühjahr 1948 auf die Forderung nach „verstärkte^] Propaganda, auch durch die VdgB", um „den Neusiedlern einen größeren Anteil an der Neubautätigkeit zu sichern"831. Bei alledem war die Beobachtung einer (z.T. mit Rückkehrhoffnungen verbundenen) Abwartehaltung unter Vertriebenen nicht immer falsch, doch ihre monokausale Auswertung in der staatlichen Kreditdiskussion verhinderte eine produktive Selbstkritik der sowjetzonalen Agrarpolitik. Größere Sensibilität für die soziale Ausschlußwirkung eines Kreditprogramms zeigten ausgerechnet die Finanzexperten. Im März 1948 war die Höhe der Kredittilgungssätze eine wesentliche Frage auf einer Beratung zwischen SMAD-Finanzverwaltung und HVF. Ursprünglich hatte die deutsche Seite vorgeschlagen, die Tilgungssätze für Neubauernkredite auf 1 % abzusenken. Dies hätte im Extremfall jedoch eine Kreditlaufzeit von 47 Jahren bedeutet, die leicht die Lebensdauer der mit Hilfe dieser Kredite errichteten Gebäude hätte übertreffen können. Darum einigte man sich am Ende auf eine Differenzierung zwischen 1% und 3% jährlicher Kredittilgung. Was bei der Tilgungsbelastung an Erleichterungen gewährt wurde, machten die Finanzexperten jedoch durch ihre Beschlüsse zu den Kreditbürgschaften indirekt wieder zunichte. Die DZFV hatte eine hundertprozentige Kreditbürgschaft durch die Länder vorgesehen, wobei diese zugleich das Recht erhalten sollten, „die kreditgebenden Genossenschaften und die VdgB mit je 5% in Anspruch zu nehmen, wenn diesen bei Einräumung und Beobachtung der Kredite ein Verschulden unterliefe". Die SMAD-Finanzverwaltung wünschte demgegenüber den Bürgschaftsanteil der Länder auf 85% abzusenken und die Selbsthaftung der Kreditgenossenschaften auf 10% zu erhöhen. Am Ende stand der Kompromiß, die Länder zu 100% bürgen zu lassen, Genossenschaften und VdgB jedoch „mit erheblich höheren Prozentsätzen" in Mithaftung zu nehmen, wenn diesen Instanzen schuldhaftes Verhalten bei der Gewährung später nicht getilgter Neubauernkredite nachgewiesen werden könne832. Ein DWK-Sekretariatsbeschluß konkretisierte dieses „Rückgriffsrecht" der Landesregierungen gegenüber den Genossenschaften auf 30%, gegenüber der VdgB auf 15% der Kreditbeträge inklusive Zinsen833. Diese drohende Mithaftung von Genossenschaften und VdgB bei etwaigen Tilgungsausfällen mußte zwangsläufig dazu führen, gegen wirtschaftlich zu schwach erscheinende Interessenten (und damit insbesondere gegen Vertriebene) restriktiv zu entscheiden. Während die potentielle Ausschlußwirkung des Bürgschaftsverfahrens seither nicht mehr thematisiert worden zu sein scheint, was sich aus der staatlich-genossenschaftlichen Interessenidentität hinsichtlich des Rückflusses an Kreditmitteln erklärt, blieb die Höhe der Tilgungssätze auf der politischen Agenda. Schon im August 1948 hatte Paul Merker vom DWK-Vorsitzenden Rau gefordert, Neubauernkredite mit möglichst langer Laufzeit und niedrigen Zinssätzen zu versehen, damit sie flächendeckend greifen könnten834. Trotz seiner starken Stellung in der 83> 832 833 834
BAB, DK 1/8835, Bl. 25, DWK, HVLF, Reisebericht aus Sachsen-Anhalt, 13. 4. 48. BAB, DN 1/2343, DWK, HVF, Protokoll über Besprechung mit SMAD am 13. 3., 13. 3. 48. Ebenda, DWK, Sekretariat, Beschluß S 62/48, S. 3. SAPMO, DY19/Bündel 17/136, SED, ZS, Merker, an VdgB, ZBS, Vieweg, 6. 8. 48.
III. Die Macht des Sozialen
808
SED-Führung
scheint sich Merker mit dieser
Forderung nicht durchgesetzt zu
haben, denn ein Jahr später erhoben DWK-Agrarexperten dasselbe Postulat nach
günstigeren Tilgungsbedingungen erneut
diesmal sogar ausdrücklich für Um-
siedler-Neubauern, weil deren sozioökonomische „Lage den Altbürgern gegen-
über eine schlechtere" sei835. Auch dies wurde jedoch in der Agrarpolitik der SBZ/ DDR bis Sommer 1950 nicht angemessen berücksichtigt. Neben den Finanzierungsproblemen litt das Neubauern-Bauprogramm an der Notwendigkeit zur Gewährleistung kostenloser Arbeitsleistungen sei es durch Eigenleistungen der Neubauern auf der Baustelle oder durch entsprechende Solidaritätsaktionen Dritter. Beide Varianten waren unerläßlich, um die Bauvorhaben erfolgreich abschließen zu können. Diese kostenlosen Arbeitsleistungen sollten den Arbeitskräftemangel der ländlichen Bauwirtschaft kompensieren836 und überdies unter Solidaritätsrhetorik notdürftig verdecken, daß ohne Selbst- und Fremdausbeutung der Subventionsrahmen des Neubauern-Bauprogramms zur Deckung der Baukosten nicht ausreichte. Damit ist ein doppelter Strukturfehler des Bauprogramms angesprochen, den die Politik der SBZ/DDR niemals -je länger, desto weniger in den Griff bekam. Während staatliche oder staatlich abgesicherte Geldmittel bis 1948/49 reichlich zur Verfügung standen, aber nur geringfügig in Anspruch genommen wurden, krankte das Bauprogramm von Anbeginn an der fehlenden Bereitschaft oder Möglichkeit zur Selbstausbeutung. Schon die fest eingeplante Selbsthilfe der Neubauern war nach den 1947/48 gesammelten Erfahrungen der zonalen Agrarverwaltung für viele Betroffene eine unbegreifliche und zu bestimmten Jahreszeiten auch undurchführbare Zumutung: „Nur so war es möglich, daß selbst bauende Neubauern wiederholt die Auffassung äußerten, daß sie ihren Bauauftrag erteilt hätten und nunmehr der Bauträger oder die Landesregierung verpflichtet sei, ihnen ihr Gehöft zu errichten." Eine in der SED ursprünglich diskutierte Pflicht der Altbauern zur Hilfeleistung auf den Neubauern-Baustellen wurde von DVLF-Chef Hoernle bereits 1947 als „politisch untragbar" verhindert837. Auch die statt dessen organisierten „Patenschaften und Solidaritätsaktionen" von Betriebsbelegschaften aus Industriestädten, die den Neubauern durch kostenlose „Arbeitsleistungen, Materialspenden, Transportmittelgestellung, Lieferung von Verpflegung für Bauarbeiter" oder Geldmittel „wesentliche Hilfe" hätten leisten sollen, waren nicht nur zu selten, sondern teilweise auch kontraproduktiv: Oft gelangten solche Hilfskampagnen über symbolische Aktionen nicht hinaus, und zuweilen reisten die Helfer mit der festen Absicht an, „sich die Arbeitsstunden von den Neubauern in Geld oder Naturalien bezahlen" zu lassen, wodurch die betroffenen Neubauern „mehr Schaden als Nutzen" hatten und fortan „kritisch" zum Bauprogramm standen838. An organisierten Solidaritätsleistungen war insbesondere die ländliche Massenorganisation „für gegenseitige Bauernhilfe" (VdgB) nicht interessiert. Deren Bau-
-
833
836 837 838
SAPMO,
DY 34/A/152, FDGB, BV, Abt. Sozialpolitik, Meimelt, Aktennotiz über Besprechung bei der DWK betr. „Umsiedlerprobleme", 26. 8. 49. Diese Hypothese bei: Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 149. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 347. BAB, DK 1/8742, Bl. 1 ff., insb. Bl. 10 und Bl. 15f., DWK, HVLF, Lichtenberger, Bericht über die Durchführung des Neubauernbauprogramms gemäß Befehl 209 1947/48, 10.1. 49.
1.
Integration durch Bodenreform?
809
Abteilungsleiter Hilscher wurde im Januar 1948 auf einer Zonenbaukonferenz von SMAD-Agrarfunktionären demonstrativ abgekanzelt, weil er grundsätzlich den Standpunkt vertrat, daß laut SMAD-Befehl Nr. 209 „jeder Neubauer sein ei-
gener Bauherr" sei, „der selbst die Verantwortung trägt für das, was an seinem Bau geschieht"839. Der massive Druck der SMAD-Landwirtschaftsabteilung, die VdgB in eine Art General-Bauträger aller Neubauern zu verwandeln, war in Hilschers Augen absolut unzulässig. Der auf der Bodenkonferenz von SMAD-Funktionär Tarakanowski vor aller Augen scharf zurechtgewiesene VdgB-Funktionär fühlte sich in dieser Streitfrage vom Leiter des Zonenbauprogramms, DVLFVizepräsident Busse vollkommen im Stich gelassen, der wider besseres Wissen die „irrige Auffassung" der SMAD „nachdrücklichst" unterstützt habe. Im Februar
das heikle Thema der bäuerlichen Eigenleistungen aufgriff, um offenkundige Planungsfehler der zonalen Agrarverwaltung anzuprangern. Hilscher rechnete Busse akribisch vor, daß für die Durchführung des Neubauern-Bauprogramms, das binnen fünfzehn Monaten 37000 Neubauernhöfe errichten wollte, in der gesamten „Zone" nur 15 000 „qualifizierte Baufacharbeiter" zur Verfügung stünden, „so daß für zehn auszuführende Gehöftanlagen vier Facharbeiter in Frage kommen". Der Normaltyp eines Neubauerngehöfts erfordere rund 5000 Arbeitsstunden, ein Facharbeiter komme jedoch bei 300 Jahresarbeitstagen nur auf rund 2400 Arbeitsstunden, so daß vier Facharbeiter an zehn Gehöften insgesamt 9600 Arbeitsstunden im Jahr würden leisten können. Notwendig seien für die fristgerechte Fertigstellung dieser zehn Gehöfte jedoch rund 50000 Arbeitsstunden. Das staatliche Bauprogramm zwang damit unter der Voraussetzung pünktlicher Fertigstellung dem jeweiligen Neubauern über 4000 Selbsthilfestunden auf und verlangte somit vom Bauherren, sein Gehöft zu 80% selbst zu errichten. Die realistischen Alternativen erheblicher Bauverzögerungen oder baulicher Mängel ließ Hilscher aus Gründen der Polemik unberücksichtigt. Statt dessen wagte der über Busse aufgebrachte VdgB-Funktionär dem DVLF-Vizepräsidenten zu sagen, was unter normalen Umständen höchstens hinter vorgehaltener Hand diskutiert worden wäre: „Es ist ganz offenbar, daß die entscheidenden Instanzen diese Sachlage noch nicht erkannt haben und teilweise noch des Glaubens sind, daß durch irgendwelche dienstzuverpflichtenden Kräfte das Aufbaugeschehen auf dem Lande günstiger gestaltet werden könnte." Derartige Ansichten seien jedoch „irrig", auch künftig werde die Gesamtsituation ungünstig bleiben, und „aus zahllosen Eingaben und persönlichen Beschwerden unserer Neubauern" sei zu erkennen, „daß weite Kreise unserer Bauernschaft das Vertrauen für [sie!] den Aufbau ihrer Gehöftanlagen verloren haben". Hilscher glaubte, die DVLF und insbesondere Busse seien längst dabei, durch Fehlinformation der SMAD Sündenböcke für das eigene Planungsversagen zu suchen840. 1948 revanchierte sich
839
84°
Hilscher, indem
er
BAB, DK 1/8809, Bl. 54ff., insb. Bl. 72, VdgB, Deutsches Bauernsekretariat, Bauabteilung, Hilscher, Denkschrift über „Organisation und Bauarbeiten im Dorf", 4. 12. 47. Ebenda, Bl. 2 ff., insb. Bl. 5-8, VdgB, ZBS, Hilscher, an DVLF, Busse, 20. 2. 48; Busse drohte daraufhin VdgB-Generalsekretär Vieweg mit der Einschaltung seines Vorgesetzten Hoernle, wollte allerdings zuvor ein klärendes Gespräch im kleinen Kreise suchen; vgl. ebenda, Bl. 1, DVLF, Busse, an VdgB, ZBS, Vieweg, 24. 2. 48.
III. Die Macht des Sozialen
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Obwohl somit von Anfang an offenkundig war, daß die freiwilligen und kostenlosen Zusatzarbeiten der Neubauern oder Dritter in der geforderten Höhe nicht erbracht werden konnten, beharrte die Agrarpolitik der SBZ/DDR hartnäckig auf diesem unerläßlichen Beitrag zum Bauprogramm. Als ab 1949 die staatlichen Subventionen drastisch zurückgefahren werden mußten, wurden Eigenleistungen und Gemeinschaftshilfen geradezu zum luftbuchhalterischen Prinzip Hoffnung der staatlichen Bauplaner. Für das 1949er Jahresbauprogramm wurde der Finanzierungsanteil bäuerlichen Eigenkapitals auf 21% der Baukosten veranschlagt, weil man „keine andere Möglichkeit" sah, „die zu kurze [finanzielle] Decke ohne Selbsthilfe zu vergrößern"; weitere 22% der Baukosten sollten durch Selbst- oder Gemeinschaftshilfen erbracht werden, was einem Gegenwert von 136 Millionen Mark entsprechen sollte. Selbst diese Summe war nach Meinung des HVF-Zonenbauleiters Dölling „in Wirklichkeit" noch viel „zu niedrig" geschätzt841. Regelrecht katastrophal entwickelte sich infolge der wachsenden finanziellen Zwangslage die Bauplanung für das Folgejahr 1950, sollten doch nach den ursprünglichen Vorgaben des DDR-Planungsministeriums volle drei Viertel der Baukosten durch Eigenleistungen „also durch Eigen- und Gemeinschaftshilfe, Patenschaften usw." erbracht werden. Als dasselbe Ressort, nunmehr als Staatliche Plankommission der DDR firmierend, Anfang 1951 dem DDR-Landwirtschaftsministerium die „schlechten" Ergebnisse des 1950er Bauprogramms vorhielt, konterte das letztere erzürnt, man möge nicht „die Hauptursachen" dieses Scheiterns übersehen, „die insbesondere durch schwerwiegende Planungsfehler in Ihrem Ministerium [...] hervorgerufen wurden". Trotz der erheblich gesteigerten Bedeutung von Eigen- und Fremdleistungen sei damals ein realisierbarer Plan zur Organisation solidarischer Hilfe vor Ort nicht entwickelt worden. Statt dessen habe man den bis 1949 eingespielten Apparat der bisherigen (im Agrarressort angesiedelten) Zonenbauleitung ersatzlos zerschlagen und dadurch das Baugeschehen noch zusätzlich gehemmt842. Als diese regierungsinternen Schuldzuweisungen ausgetauscht wurden, legte das DDR-Aufbauministerium soeben einen Richtlinienentwurf für das 1951er Bauprogramm vor, in dem sich bauwillige Umsiedler-Neubauern ausdrücklich dazu verpflichten sollten, bei „nachstehend bezeichneten Stellen dafür Sorge zu tragen, daß Gemeinschafts- und Patenschaftsleistungen durchgeführt werden". Der Staat versuchte somit sogar die Aufgabe der Einwerbung von Solidaritätsaktionen auf die bäuerlichen Bauherren abzuwälzen843. DDR-Landwirtschaftsminister Paul Scholz (DBD) hielt dieses Vorhaben für unmöglich und forderte, an der bisherigen Methode festzuhalten, solche Solidaritätsaktionen über die Gemeinden, die Parteien und die Massenorganisationen zu mobilisieren844. Hinreichende Effizienz garantierte keine der beiden Varianten. Die staatlichen Finanzierungsprobleme, die hinter solchen Luftbuchungen standen, waren nicht vom Himmel gefallen. Auch für das Neubauernbaupro-
-
sii
842
843
844
BAB, DN 1/2343, DWK, HVLF, Protokoll der Zonenbaukonferenz am 2. 2. 49,
10. 2. 49, S. 14f., insb. Beitrag Döllings. BAB, DK 1/3031, Bl. 8 f., insb. Bl. 9, MLF, HA III, Pifoch], an SPK, Instruktionsabteilung, streng
vertraulich, 26. 2. 51.
BAB, DK 1/3032, Bl. 209 ff., insb. Bl. 209 f., Ministerium für Aufbau DDR, Richtlinienentwurf für das Neubauernbauprogramm 1951, 13. 2. 51. Ebenda, Bl. 205, MLF DDR, Scholz, an Ministerium für Aufbau DDR, Dr. Bolz, 26. 2. 51.
1.
Integration durch Bodenreform?
811
gramm bedeutete die
Währungsreform vom Juni 1948 eine wichtige Zäsur. Dadurch wurde nicht nur das Baugeschehen außerordentlich intensiviert, erstmals wurden auch die Baukredite, die bis Ende 1948 eine Bewilligungssumme von 505,4 Millionen Mark erreichten845, nicht mehr nur prophylaktisch beantragt und genehmigt, sondern tatsächlich massenhaft in Anspruch genommen. Binnen zwölf Monaten explodierte die Nutzung der Neubauern-Baukredite geradezu und schnellte von lediglich 18,4 Millionen RM gegen Ende 1947 bis Ende 1948 auf rund 169 Millionen DM (Ost) hoch846 ein Zuwachs von über 918%. -
Region
Genutzte Baukredite Ende 1947 (in Mio. RM)
Mecklenburg Brandenburg
4,3 3,0 3,4 6,5 1,2 18,4
Sachsen-Anhalt Sachsen
Thüringen SBZ insgesamt
Genutzte Baukredite Ende 1948847 (in Mio. DM (Ost)
40,0 56,0 27,2 38,5 7,2 168,9
(23,4%) (16,3%) (18,5%) (35,3%) (6,5%)
(23,7%) (33,2%) (16,1%) (22,8%) (4,3%)
Diese rasante Kreditentwicklung gewinnt noch weit dramatischere Züge, wenn man die Umtauschquote zwischen alter und neuer Währung berücksichtigt, die zwar in der SBZ deutlich niedriger war als die westzonale Quote von 20,9:1, mit einer faktischen Reduzierung von 9,7:1 allerdings ebenfalls eine deutliche Aufwertung der ostzonalen „Deutschen Mark" bewirkte848. Diese extrem intensivierte Kreditbeanspruchung für das Neubauern-Bauprogramm war zu großen Teilen Folge der Währungsreform. Wurden im Juni 1948 erst 10,8% der bewilligten Baukredite tatsächlich eingesetzt849, so lag die Nutzungsquote gegen Jahresende bei 33,4%. Offensichtlich hatte die Währungsreform den Kreditbedarf bauinteressierter Neubauern erheblich gesteigert. Dies hatte einerseits mit dem Abschmelzen von Eigenkapitalreserven zu tun, zollte andererseits auch der gesteigerten Kaufkraft der neuen Währung Tribut, die Baukredite wirksamer machte. Die noch in alter Reichsmark-Währung ausgegebenen Baukredite waren durch die Währungsreform im Vorzugs-Verhältnis 5:1850 von 45 Millionen RM auf 9 Millionen DM (Ost) umgewertet worden, was weiteren Kreditbedarf erzeugt haben BAB, DK 1/8742, Bl. 1-21, insb. Bl. 12, DWK, HVLF, Lichtenberger, Bericht über die Durchführung des Neubauernbauprogramms gemäß Befehl 209 1947/48, 10.1. 1949. 8« BAB, DN 1/2345, DWK, HVF, Übersicht über die „Inanspruchnahme der Baukredite an Neu8«
847
848
bauern (in Mio DM)", o.D. Die thüringische Angabe stammt vgl. ebenda.
vom
30. 9.
1948, so daß die Gesamtsumme höher liegen dürfte;
Zschaler, Die vergessene Währungsreform, S. 218 f.
zum Stichtag waren 414,4 Millionen RM an Baukrediten bewilligt, jedoch nur 44,7 Millionen abgerufen worden; vgl. BAB, DN 1/2343, DWK, HVF, an SMAD, 14. 8. 48: Statistik zum Stand der Neubauernkreditaktion am Stichtag der Währungsreform (23.6.48). 830 Zum Schutz kreditbelasteter Neubauern vor unbeabsichtigten Folgen der Währungsreform hatte eine DWK-Verordnung vom 21.Juni 1948 die Vorzugsumwertung von 5:1 festgelegt; vgl. SAPMO, DY30/IV2/13/388, DWK, Entwurf einer „Denkschrift über die bisher erreichten Ergebnisse in der Unterbringung der Umsiedler in Wirtschaft und Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone nach dem Stand vom 1 Juli 1949", o.D., S. 10. 849
Bis
III. Die Macht des Sozialen
812
mochte, denn bis zum Ende des 3. Quartals 1948 wurden 62 Millionen Mark Bau-
Diese Summe stellte freilich nur 13% der bewilligten Baukredite dar, so daß eine „weitere erhebliche Steigerung der Inanspruchnahme der Baukredite (von 73 auf 182 Mio DM)" erst im Herbst 1948 einsetzte. Trotz dieser Kostrenexplosion war die faktische Inanspruchnahme der bewilligten Baukredite mit 182,5 Millionen von 600,6 bereits bewilligten Millionen Mark Ende 1948 mit einem Drittel noch immer gering. Dies führte die HVF ausgerechnet darauf zurück, „daß ein nicht unwesentlicher Teil der Baukosten durch Selbst- bzw. gegenseitige Hilfe aufgebracht wird"852. Was aber würde geschehen, wenn alle bewilligten Baukredite der SBZ tatsächlich abgerufen werden
kredite in
Anspruch genommen851.
sollten? Die durch die Währungsreform gesteigerte Kreditnutzung kurbelte erstmals das bislang stagnierende Baugeschehen in den vertriebenenrelevanten Bodenreform-Regionen Mecklenburg und Brandenburg an. Waren bis Juni 1948 in Mecklenburg 178 Millionen RM an Baukrediten bewilligt worden, so hatte sich deren Inanspruchnahme auf ganze 13,2 Millionen Reichsmark oder 7,4% beschränkt853. Bis Jahresende stiegen die dort effektiv genutzten Baukredite auf 39,6 Millionen Mark an und machten damit 17% der bewilligten Kredite aus, was hinter dem Zonendurchschnitt zwar weiterhin zurückblieb, gegenüber dem Vergleichswert jedoch mehr als eine Verdopplung bedeutete854. Ende 1948 wiesen Brandenburg mit 56 Millionen Mark und Mecklenburg mit 39,6 Millionen Mark in absoluten Zahlen bereits die regional höchsten Inanspruchnahmen der Baukredite auf855. Was agrar- und sozialpolitisch erfreulich schien, wirkte finanzpolitisch höchst bedrohlich. Denn mit ihren bewilligten Baukrediten lagen diese beiden Länder Ende 1948 bereits deutlich über dem gesetzlichen Limit von 10% der Passiva ihrer Landeskreditbanken. Jede weitere Steigerung der Kreditnutzung mußte zwangsläufig die finanzielle Leistungsfähigkeit dieser Bodenreformländer überfordern. Die steigende Kreditnachfrage in den beiden nördlichen Bodenreformzentren trug zum Anstieg der bewilligten Gesamtkreditsumme der SBZ bei, die sich zur Jahreswende 1948/49 bereits weit jenseits des von der SMAD gesetzten Limit bewegte: Lag dieses bei 415 Millionen Mark, waren faktisch bereits 781,1 Millionen Mark an Baukrediten bewilligt worden, die jederzeit abgerufen werden konnten856. Den Finanzpolitikern der SBZ mußte seit Anfang 1949 klar sein, daß eine gravierende Finanzierungskrise des Bauprogramms drohte. Angesichts der industriellen Investitionsprioritäten des laufenden Zweijahrplans der SBZ war es zweifelhaft, ob das sich abzeichnende staatliche Kreditdefizit durch Haushaltsumschichtungen auszugleichen sein würde. BAB, DN 1/2343, DWK, HVF, an SMAD, Finanzverwaltung, 22. 11. 48. Ebenda, DWK, HVF an SMAD, Finanzverwaltung, 31.3. 49. 833 Ebenda, DWK, HVF, Bericht v. 14. 8. 48. 834 Ebenda, DWK, HVF, an SMAD, Finanzverwaltung, Anlage zum Bericht v. 31. 3. 49. 833 Prozentual führte allerdings bei einem Zonendurchschnitt von 30% Sachsen (66%) vor Thüringen (48%) und Sachsen-Anhalt (41%), während Brandenburg leicht (28%) und Mecklenburg Übersicht über völlig unterdurchschnittlich (17%) dastanden; vgl. BAB, DN 1/2345, DWK, HVF, Limit die „Inanspruchnahme der Baukredite an Neubauern (in Mio DM)", o.D.; dieses betrug in Sachsen 136,8 Millionen Mark, in Sachsen-Anhalt 94,2 Millionen, in Thüringen 63,5 Millionen, in 83>
832
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83'
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Brandenburg 69,9 Millionen und in Mecklenburg gerade einmal 51,4 Millionen Mark.
BAB, DN 1/2343, DWK, HVF, an SMAD, Finanzverwaltung, Anlage zum Bericht v. 31. 3. 49.
1.
813
Integration durch Bodenreform?
Mit einem Länderfinanzausgleich zugunsten der besonders belasteten Bodenreformzentren allein war es nicht getan. Doch schon dieses Projekt war angesichts der bislang länderzentrierten Finanzierungspolitik schwierig. Besonders Mecklenburg bedurfte dringend der Entlastung. Dort war das in einer DWK-Anordnung vom Mai 1948 bekräftigte Kreditlimit bereits im September 1948 überschritten worden. Anfang 1949 setzte sich der stellvertretende Leiter der HVF, Wilhelm Boes (SED), beim DWK-Vorsitzenden Rau dafür ein, das Land, das „infolge seiner landwirtschaftlichen Struktur besonders viele Umsiedler [habe] aufnehmen müssen", finanziell nicht länger allein zu lassen. Mecklenburg habe bisher etwa 34 Millionen Mark für Neubauernhöfe kreditiert, müsse insgesamt jedoch 180 Millionen Mark aufwenden; hinzu kämen Neubauern-Wirtschaftskredite in Höhe von 123 Millionen Mark. Damit trage dieses Land die Hauptlast von rund 40% aller Bodenreformkredite der SBZ, ohne über die erforderliche Finanzausstattung zu verfügen. „Davon ausgehend, daß die Unterbringung der Umsiedler eine Zonenaufgabe ist", sollten nach Meinung der HVF „auch die übrigen Länder der Zone, die weniger Umsiedler aufgenommen haben, zur Refinanzierung der in Mecklenburg zu gewährenden Kredite beitragen". Boes unterbreitete einen detaillierten Vorschlag für eine „Weisung an die Ministerpräsidenten der vier Länder, die Vorsitzende der Verwaltungsräte der Landeskreditbanken sind"857. Indem Rau mit Ausnahme des Bodenam 28. Januar 1949 drei Ministerpräsidenten der SBZ reformlandes Brandenburg, das zugleich Raus politische Heimat war zumindest ersuchte, die mecklenburgische Landeskreditbank zu je einem Drittel zu refinanzieren, wurde in der SBZ erstmals das Projekt eines länderübergreifenden Finanzausgleichs sichtbar858. Dies war heikel genug und mußte gegenüber der SMADFinanzverwaltung als „Zwischenlösung" gerechtfertigt werden859. Einwände der sachsen-anhaltischen Landeskreditbank konnten von der HVF entkräftet werden zum einen mit der Drohung, andernfalls eine verbindliche Anweisung zu erwirken, zum anderen mit der Versicherung, daß diese Finanzierung „eine vorübergehende Maßnahme" bleiben werde, die durch Gründung einer Zentralgenossenschaftskasse bald wieder fallengelassen werden könne860. Die im Februar 1949 tagende Zonenbaukonferenz der SBZ hatte folglich diverse Problemhorizonte zu beachten. Doch zunächst vermeldete HVLF-Abteilungsleiter Dölling als Zonenbauleiter stolz die offizielle Erfüllung des Bausolls für 1948 zu 99%: Es seien 36615 von 37000 geplanten Gebäuden errichtet worden, hinzu komme ein Bauüberhang von über 27000 begonnenen Baueinheiten als Aktivposten für das kommende Jahresprogramm. Einziger Wermutstropfen war der Hinweis auf die regional sehr unterschiedliche Erfüllung des Bauprogramms, denn in Brandenburg hatte das Soll nur knapp erfüllt werden können, in Mecklen-
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857
Boes' Vorschlag bestand darin, das mecklenburgische Kreditgenossenschaftswesen Kredite bis zu 10% seiner Einlagen ungesichert ausgeben zu lassen, alle dieses Limit übersteigenden Kredite je-
doch durch die Zentralkasse bei der Landeskreditbank Mecklenburg zu 2,5% verzinslich zu refinanzieren; sobald die Landeskreditbank ihr eigenes Limit von 10% der Passiva überschritt, sollte sie sich „zu je einem Viertel" bei den Landeskreditbanken der übrigen Länder refinanzieren dür-
fen; vgl. ebenda, DWK, HVF, Boes, an DWK, Vorsitzender, 15. 1. 49. Ebenda, DWK, HVF, an MfF Mecklenburg, 1. 2. 49. 839 Ebenda, DWK, HVF, an SMAD, Finanzverwaltung, 5. 2. 49. 860 Ebenda, Landeskreditbank Sachsen-Anhalt an MdF Sachsen-Anhalt, 7.2. 49. 838
III. Die Macht des Sozialen
814
burg gar nicht861. Auch SMAD-Kontrolleur Tarakanowski gefiel sich in der Pose des erfolgreichen Bauplaners, als er die deutschen Funktionäre daran erinnerte, „daß es bei Erlaß des Befehls im Jahre 1947 für unmöglich gehalten wurde, den Befehl auszuführen, daß sogar ein Minister des Landes Sachsen der Meinung war,
daß der Befehl höchstens zu 10% erfüllt werden könnte". Tarakanowski war es freilich auch, der warnend darauf hinwies, daß die Planerfüllung im Jahre 1949 schwieriger werden würde: „Es werden weniger Kredite zur Verfügung stehen, weil nicht nur die Landwirtschaft Kredite braucht." Bei gleichzeitig steigender Kreditnachfrage bedeute dies unweigerlich, daß die Kredithöhe pro Baueinheit drastisch gesenkt werden müsse: „Sachsen-Anhalt, daß zehn- bis zwölftausend Mark für ein Haus an Kredit gewährt, wird sich wahrscheinlich mit 5000 Mark begnügen müssen." Aufgrund großer nichtagrarischer Bauprojekte im Volkswirtschaftsplan werde es auch zu einer weiteren Verknappung des Baumaterials kommen862. Während Dölling diesen Problemhorizont durch den Verweis auf vermeintliche Entlastungseffekte zu relativieren suchte863, nutzte der DWK-Vorsitzende und künftige oberste Wirtschaftsplaner der DDR, Heinrich Rau, die Gelegenheit, ungeschminkt die „Frage der Ehrlichkeit in den Berichten" über den Stand des Bauprogramms anzusprechen und die Zuverlässigkeit der von Dölling eben erst gefeierten Erfolgsstatistiken grundsätzlich in Frage zu stellen: „Es ist uns gemeldet worden, daß 36000 Bauernhäuser gebaut worden sind. Ich habe mir erlaubt, eine Kontrolle in einen Ort zu schicken. Diese eine Kontrolle hat mir Veranlassung gegeben, noch mehrere Orte besuchen zu lassen. Das, was mir der Kontrolleur aus diesem Ort im Land Brandenburg berichtet hat, zeigt, daß uns gemachte Meldungen unwahr sind. Die Häuser bestehen zum Teil Häusern nicht wohnen."
nur
auf dem
Papier. Unsere Neubauern können aber in solchen
Noch im Dezember 1948 habe eine im selben Ort durchgeführte Kontrolle der Landesregierung und der Bauleitung alles für in Ordnung befunden. Die Wirklichkeit aber sehe anders aus: Von fünfzehn angeblich vollständig errichteten Neubauernhäusern entsprächen allenfalls fünf den Anforderungen, die restlichen seien „teilweise ausgebaute Ställe". Diesmal war es nicht ein sowjetischer, sondern ein deutscher Spitzenmann, der die Beschönigungsstrategien der nachgeordneten Bürokratien offen attackierte und „ehrliche Berichte" einforderte: „Es ist ein Skandal, daß man sich erlaubt, solche Berichte an die Deutsche Wirtschaftskommission zu geben! Wie soll ein Plan gemacht werden, wenn die Unterlagen dazu falsch sind. Wenn wir solche Arbeit leisten, ist es unmöglich, unsere Wirtschaft in Gang zu bringen. [...] Wir haben keinerlei Interesse daran, zu hören, daß Sie hundertprozentig erfüllt haben, wenn das nicht auf Wahrheit beruht."864
Beispiel zeigt, welche Zurückhaltung beim Umgang mit statistischen Erfolgsmeldungen der SBZ/DDR geboten ist umso mehr, als die Konsequenz auf Dieses
Raus Kritik nicht in solideren Zahlen, sondern in der amtlichen Neudefinition der DWK bestand, künftig Neubauten schon als „fertiggestellt" zu betrachten, „wenn -
8" 8«
Ebenda, DWK, HVLF, Protokoll der Zonenbaukonferenz am 2.2., Ebenda, S. 12.
10. 2. 49, S. 3.
ging (optimistisch) davon aus, daß ab 1951 alle Ressourcen des Bauprogramms auf Brandenund Mecklenburg konzentriert werden könnten; vgl. ebenda, S. 13. burg 864 Die Ankündigung weiterer Kreisüberprüfungen war eine deutliche Warnung; vgl. ebenda, S. 18. 863
Man
1.
Integration durch Bodenreform?
815
der Baustelle aus die Bewirtschaftung [des Hofes] aufgenommen wurde"865. übrigen lassen auch die geschönten Statistiken eine bis 1949 deutlich unterdurchschnittliche Berücksichtigung von Vertriebenen-Landwirten im Neubauern-Bauprogramm vermuten, lag doch der Vertriebenenanteil an der Neubauernschaft stets dort am höchsten, wo das reale Baugeschehen am geringfügigsten war. Wie glaubwürdig sind angesichts dessen Erfolgsmeldungen der zonalen Agrarverwaltung, wonach zwischen 1945 und Mitte 1949 knapp die Hälfte aller WohnNeubauten Vertriebenen zugute gekommen sei, im Land Mecklenburg sogar volle 75% ? Selbst wenn dies zuträfe, hätten diese dann rund 19000 für Umsiedler-Neubauern erstellten Neubauten nur jeden fünften vertriebenen Landwirt versorgt866, nicht jedoch jene große Mehrheit, die 1949 nach wie vor über „nicht genug oder kein Eigenkapital" verfügte und damit „zur Gänze auf die mit einer Höchstsumme von 15 000 Mark sehr knapp bemessenen Baukredite angewiesen" war867. Indem bis Mitte 1949 teils durch Zuweisung enteigneter Gebäude, teils durch das Bauprogramm 38359 Umsiedler-Neubauern-42,2% dieser Gruppe über eigene Hofgebäude verfügt haben sollen868, hatte man gewiß Versorgungsfortschritte erreicht, doch letztlich war es nicht gelungen, die „weite Kluft zwischen Einheimischen und Vertriebenen" zu schließen869. Die Erfolgsmeldungen relativieren sich noch stärker, wenn man gegen Jahresende 1948 einen mecklenburgischen Umsiedlerbürokraten auf einer Sitzung des zentralen SED-Apparats konstatieren hört, daß „der Befehl 209 [...] in Mecklenburg nicht so erfüllt" worden sei, „daß man damit den Umsiedlern geholfen hätte"870. Insofern scheint es überaus optimistisch, an die offiziell gemeldete Vertriebenenquote von 33% bei Neubauten in Brandenburg (die den Vertriebenenanteil an der dortigen Neubauernschaft deutlich überstiegen hätte) die Schlußfolgerung zu knüpfen, die dortige Landespolitik habe „das Ziel" erreicht, „Vertriebene besonders zu berücksichtigen"871. Statt dessen wäre zu fragen, ob es zu diesem Zeitpunkt in der SBZ dieses Ziel überhaupt gab; hatte man es nicht lediglich mit „Bemühungen für eine Gleichstellung"872 zu tun? Beides sollte nicht verwechselt werden, denn eine „besondere Berücksichtigung" Vertriebener im Bauprogramm hätte in effektive Vorzugsbehandlung münden müssen. Wenn es die DWK 1949 jedoch erstmals für notwendig hielt, „Vertriebene bei der Dringlichkeitseinstufung von Bauvorhaben bevorzugt zu berücksichtigen"873, verweist dies auf eine gegenläufige Wirklichkeit im bisherigen Baugeschehen, die durch betonte Rück-
von
Im
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863 86t
Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 182. Meinicke, Die Bodenreform und die Vertriebenen, S. 146f.; in Mecklenburg waren demnach 42% aller Neubauern Vertriebene, in Brandenburg immerhin 28%, während sie in Sachsen-Anhalt nur 17%, in Sachsen und Thüringen sogar nur 9% bzw. 4% stellten.
Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 182. 868 Meinicke, Die Bodenreform und die Vertriebenen, S. 147. 869 Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 183. 870 ThüHStA, Mdl 3702, Bl. 93, Stellungnahme des Vertreters des mecklenburgischen Umsiedleram867
tes, Mai, auf der Besprechung im SED-Zentralsekretariat Dezember 1948. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 181; dieser weist darauf hin, daß diese Vertriebenenquote in Brandenburg bis zum Frühjahr 1950 sogar noch auf 40% gesteigert worden sei; vgl. ebenda, S. 182. 877 Ebenda, S. 181 f. 873 Ebenda, S. 180. 871
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III. Die Macht des Sozialen
sichtnahme der zonalen Agrarverwaltung auf einheimische Bauinteressen noch bestärkt wurde874. Im übrigen dürfte (wie wir noch sehen werden) auch diese DWK-Vorzugsbestimmung zu jener nicht seltenen Spezies zählen, die „nur auf dem Papier stehen" blieb875. Jedenfalls war, bis es 1951/52 in der DDR-Agrarpolitik tatsächlich zu einem exklusiven gesetzlichen Privileg für Umsiedler-Neubauern kam, „die Benachteiligung dieser Bevölkerungsgruppe auch in der Umsetzung des Baubefehls Nr. 209"876 ein Faktum. Während der Nutzen des Neubauernbauprogramms für Vertriebene bis 1949/ 50 begrenzt blieb, mußte die einseitige Konzentration aller Bauressourcen auf die Neubauernschaft die sozialen Gegensätze innerhalb der Landbevölkerung zwangsläufig verschärfen. Die wirtschaftsstarken Altbauern sahen sich zugunsten Schwächerer, darunter teilweise Fremde, vom (legalen) Baugeschehen ausgegrenzt, was ihren „ohnehin schon schwelenden Ressentiments" gegen Neubauern zusätzliche Nahrung gab877. Diese „Abneigung" dürfte mit voller Wucht die Vertriebenen getroffen haben insbesondere, sofern und sobald sie „zu den Hauptadressaten der einseitigen Ressourcenlenkung gehörten"878. Als es 1951/52 zur weitgehenden Konzentration staatlicher Bausubventionen auf vertriebene Landwirte kam, hatten diese nicht nur die einheimischen Altbauern, sondern auch die plötzlich „unterprivilegierten" einheimischen Neubauern gegen sich. Eine Politik, die mit dem Anspruch angetreten war, soziale Unterschiede zu nivellieren, schürte bestehende soziale Gegensätze und schuf sogar neue. Während die DWK eine Bevorzugung vertriebener Bauherren durch „Dringlichkeitseinstufung" verfügte, verdüsterten sich die Realisierungsaussichten für eine solche Begünstigung Vertriebener im ländlichen Baugeschehen im Laufe des Jahres 1949 drastisch. Wir haben gesehen, daß schon im Februar klar war, mit welch unzureichendem Subventionsrahmen das 1949er Bauprogramm würde betrieben werden müssen. „Die Stalin'sche These vom forcierten Aufbau der Schwerindustrie", wonach „jedes sozialistische Land seine eigene Basis dafür haben" müsse, begann damals in der SBZ/DDR „außerordentlich investitionsintensiv" zu werden879. Statt diese finanzpolitische Schwerpunktverlagerung auf schwerindustrielle Bauvorhaben in Rechnung zu stellen und die Planvorgaben des Neubauernbauprogramms entsprechend nach unten zu korrigieren, wurde jedoch einfach dessen Finanzplanung schöngerechnet. Die bislang üblichen Baukostenvoranschläge, denen zufolge sich die Gesamtkosten des Bauprogramms auf 694 Millionen Mark bezifferten, erklärte Zonenbauleiter Dölling ohne jede Begründung plötzlich für zu hoch und kam mit dieser Methode auf einen günstiger wirkenden Deckungsbedarf von 624 Millionen Mark. Auf die in früheren Jahren verausgabten Bauzuschüsse aus den Länderetats war offensichtlich kaum mehr zu -
874 873
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Zu letzterem: Donth, Vertriebene und Flüchtlinge in Sachsen, S. 347. Vgl. zur regierungsinternen Wahrnehmung dieses Phänomens in der Wohnungspolitik: BAB, DO 1-8/83, Bl. 342 f., insb. Bl. 343, MfA DDR, Litke, Rdschr. Nr. 1/51 zur Verbesserung der Arbeit der Wohnungsämter der Kreise und Gemeinden, 5. 2. 51. Meinicke, Die Bodenreform und die Vertriebenen, S. 147. Humm, Auf dem Weg zum sozialistischen Dorf?, S. 80. Vgl. diese treffende, wenngleich zeitlich undifferenzierte Beobachtung bei: Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 183. Schürer, Gewagt und verloren, S. 53 f.
1.
Integration durch Bodenreform?
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hoffen, denn diese wurden für 1949 auf lediglich acht Millionen Mark veranschlagt. Das bedeutete, daß die staatlichen Subventionen fast ausschließlich Kreditcharakter tragen würden, deren Hauptlast wiederum nicht beim Zonenkredit (150 Millionen Mark) lag, sondern bei einer auf 200 Millionen Mark veranschlag-
Summe von Länderkrediten liegen sollte. Wie die schon übermäßig belasteten Bodenreformländer Mecklenburg und Brandenburg diese neuen Lasten schultern sollten, wurde nicht erörtert. Dölling konzentrierte sich ausschließlich auf den nach all diesen Luftbuchungen noch offenen Fehlbetrag von 266 Millionen Mark. Hier kam das unterstellte Eigenkapital der Bauern ins Spiel, das nunmehr 21% der Baukosten decken sollte, obwohl die Währungsreform eben erst die Ersparnisse einheimischer Bauern reduziert hatte und vertriebene Landwirte über Sparguthaben ohnehin kaum verfügten. Das wußten auch die Funktionäre der HVLF, die dennoch „keine andere Möglichkeit" sahen, als „die zu kurze [finanzielle] Decke" durch irreale Planspiele „zu vergrößern". Die Zwangslage der deutschen Bauplaner resultierte vermutlich daraus, daß die SMAD-Agrarverwaltung (ihrerseits wiederum an Moskauer Weisungen gebunden) nicht bereit gewesen sein dürfte, die Gesamtzahl der Bauvorhaben des Jahres 1949 nach unten zu korrigieren. Folglich wurde in den Planspielen der HVLF durch die eingangs erwähnte kosmetische Baukostensenkung automatisch der Anteil der realiter fragwürdigen Selbstund Gemeinschaftshilfen auf 22% der Gesamtbaukosten hochgestemmt, was Zonenbauleiter Dölling „in Wirklichkeit" sogar noch für „zu niedrig" veranschlagt erklärte880. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Wirtschaftsplanung der SBZ/DDR auf einem entscheidenden Sektor jede Realitätsnähe und damit auch ihre Praktikabilität verloren. Das Vorhaben der zentralen Planer, ein Drittel des Zonenkredits von 150 Millionen Mark für Mecklenburg und weitere 43 Millionen für Brandenburg zu reservieren881, konnte der Finanzkrise in den beiden Bodenreformzentren nicht wirksam begegnen. Da auch die von der DWK veranlaßte Refinanzierung Mecklenburgs durch drei andere Länder „bisher nur in unzureichendem Maße verwirklicht" worden war, drohten die Genossenschaftsbanken, „in den nächsten Tagen die Auszahlungen auf bewilligte Kredite einzustellen", falls die Schweriner Landesregierung nicht die Ausgleichsanordnung der DWK realisiere oder einen Vorschuß aus dem Landesetat in Höhe von 15 Millionen Mark gewähre. Die effektive Kreditinanspruchnahme war zwischen Ende 1948 und Anfang März 1949 von 49,6 Millionen Mark auf 72 Millionen Mark hochgeschnellt, und die Zentralkasse rechnete für die nahe Zukunft mit monatlichen Auszahlungen in Höhe von je 15 bis 20 Millionen Mark. Bei der Finanzierung der bisher verausgabten Baukredite waren fast ausschließlich mecklenburgische Mitteln zum Einsatz gekommen, zu 41 Millionen Mark seitens der Landeskreditbank und zu 23 Millionen Mark von der Raiffeisen-Zentralkasse, womit letztere ihr 10%-Limit von 7 Millionen Mark
ten
bereits um mehr als das Dreifache überschritten hatte. Die von der DWK in die Pflicht genommenen Landeskreditbanken dreier Nachbarländer, deren Hilfsverpflichtungen sich nach mecklenburgischen Berechnungen auf bis zu 90 Millionen 8» 88>
BAB, DN 1/2343, DWK, HVLF, Protokoll der Zonenbaukonferenz am 2.2., Ebenda.
10. 2.
49, S.
14.
818
III. Die Macht des Sozialen
Mark beliefen, hatten bislang nur acht Millionen Mark refinanziert, wobei die thüringische Landeskreditbank jegliche Hilfeleistung nach wie vor verweigerte882. Die Sowjets verkannten damals offensichtlich den Ernst der Lage völlig, denn noch im April 1949 richtete der Chef der SMAD-Finanzverwaltung, Sitnin, an die Deutsche Investitionsbank die Frage, ob die Vergünstigungen der BodenreformKredite nicht auf einen größeren Personenkreis, darunter auch Altbauern, ausgedehnt werden könnten. Die DWK-Hauptverwaltung Finanzen suchte daraufhin behutsam auf die neue Sachlage hinzuweisen, daß Bodenreformkredite und besonders Baukredite seit der Währungsreform nicht länger durch ein „nur allmähliches Anwachsen der Bewilligungen bei geringer und prozentual fast gleichbleibender Inanspruchnahme" gekennzeichnet seien, sondern daß eine „Aufwärtsentwicklung" eingesetzt habe, „die vor allem in den Ländern Mecklenburg und Brandenburg [...] zu einer völligen Ausschöpfung der vorgesehenen Kredit- und Refinanzierungsmittel geführt" habe. Diesen Boom führte die HVF darauf zurück, daß die Währungsreform die Eigenmittel der Bauern massiv reduziert habe; demnach gebe es seither keine meßbaren Vermögensunterschiede zwischen den unterschiedlichen bäuerlichen Gruppen mehr. Diese Annahme war zwar bestenfalls für die Geldvermögen zutreffend, führte jedoch dazu, daß Agrar- und Finanzverwaltungen der DWK gegenüber der SMAD eine Ausdehnung der vergünstigten Neubauernkredite auf mittellose Altbauern befürworteten, soweit es um die Beseitigung von Kriegszerstörungen ging. Grundsätzlich aber sollte die Sicherung der Bodenreform, also die bevorzugte Förderung der Neubauernschaft, Vorrang behalten883. Im Grunde war diese Diskussion absurd und zeugt primär von der mangelnden Koordination aufeinander angewiesener Politikbereiche: Während die Finanzpolitiker der SBZ noch eine deutliche Ausweitung der Kreditinklusion diskutierten, strichen die Agrarpolitiker die Kreditmittel für jedes Bauobjekt drastisch zusammen. Bei alledem waren sich die Finanzexperten der HVF darüber im klaren, daß das Finanzierungsproblem des Neubauern-Bauprogramms dringend gelöst werden mußte. Aus dem Jahresbauprogramm von 1948 waren an die 400 Millionen Mark noch nicht refinanziert worden, hinzu kam ein Finanzvolumen von mindestens 625 Millionen Mark für 1949. Dieser Fehlbetrag von über einer Milliarde Mark erforderte Grundsatzentscheidungen, die über den von der HVF geforderten Länderfinanzausgleich884 weit hinausgingen. Nach Wahrnehmung des Generalsekretärs der VdgB, Kurt Vieweg, bestanden im März 1949 nicht mehr nur „in Mecklenburg und in Kürze auch in Brandenburg ernste Schwierigkeiten", auch „in den anderen Ländern der Zone" schien die ungünstige finanzielle „Entwicklung einen ähnlichen Verlauf [zu] nehmen"885. Ein Länderfinanzausgleich, auf den die HVF vertröstete886 und den die SMAD durch Freigabe des Jahreskreditbetrags in Höhe von 300 Millionen Mark ohne spezielle Länderkontingentierung Mitte 1949 in der 882
883 884
Ebenda, Raiffeisen Zentralkasse für Mecklenburg an Landesregierung Mecklenburg, Ministerrat, 8.3.49. Ebenda, DWK, HVF an SMAD, Finanzverwaltung, Konzept v. 5. 4. 49. Ebenda, DWK, HVF, Schütte, Aktennotiz für Rumpf, 26. 2. 49; vgl. entsprechend auch: BAB, DN 1/2344.
883 88'
BAB, DN 1/2343, VdgB, Vieweg, an DWK, HVF, Rumpf, 22. 3. 49. Ebenda, DWK, HVF, Schnaufer, an VdgB, Vieweg, 31. 3. 49.
1.
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Integration durch Bodenreform?
SBZ erstmals ermöglichte, war keine angemessene Lösung, da das Gesamtvolumen der Baukredite auch weiterhin nicht überschritten werden durfte887. Die drastische Überdehnung des Finanzrahmens war jedoch längst Realität und machte eine politische Grundsatzentscheidung unumgänglich, ob man die staatlichen Kreditmittel massiv aufstocken oder das Neubauernbauprogramm einschneidend herunterfahren wollte. Die erste Alternative war angesichts der sonstigen politischen Prioritäten in der SBZ faktisch unbezahlbar, die zweite berührte wiederum ein heikles Tabu der sozialistischen Welt eine offizielle Plankorrektur nach unten. Im Winter 1948/49 hatten sich die politisch Verantwortlichen bereits eingestehen müssen, daß das Neubauernbauprogramm der SBZ nicht wie ursprünglich geplant rasch würde abgeschlossen werden können, sondern über Jahre hinweg weiterlaufen müsse und gewaltige Ressourcen an Geld und Baumaterial verbrauchen würde. Zugleich mußte man zugeben, daß sich bestimmte Rahmenbedingungen dieses Programms verschlechterten: nicht allein dadurch, daß die durch Gebäudeabrisse gewonnenen Materialressourcen ab 1949 deutlich abnahmen, sondern auch deswegen, weil nicht länger alle übrigen Bauvorhaben insbesondere in der Industrie und in den Städten zugunsten des Neubauernbauprogramms zurückgestellt werden konnten, wie dies bisher weitgehend der Fall gewesen war. Die SMAD plante daher, die erforderlichen 95000 weiteren Hofbauten auf zwei Jahresprogramme für 1949 und 1950 zu strecken888. Auch dies war, wie sich bald zeigen sollte, ein unzureichendes Zugeständnis an die Wirklichkeit, jedoch immerhin ein Fortschritt, hatte doch im April 1948 SMAD-Antreiber Tarakanowski noch unverdrossen gefordert, bereits im Jahre 1949 müßten „alle restlichen Neubauerngehöfte gebaut werden", die er auf 62000 Neubauten und 30000 Umbauten bezifferte. Zu diesem Zwecke hatte der SMAD-Vertreter eine Konzentration der Bauaktivitäten gefordert: „Zuerst ist der Bau des Wohnhauses oder Wohnteiles durchzuführen. Nur dafür sind Baumaterialien zuzuteilen. Ställe und alles andere kann später errichtet werden."889 Damit wurde unterhalb der Schwelle offizieller Plankorrekturen eine pragmatische Politik der Prioritätensetzungen begonnen, die 1949 auch eine vorsichtige vertriebenenpolitische Prioritätensetzung möglich machte890. Im Januar 1949 hatte die SMAD für das neue Jahres-Bauprogramm eine Planvorgabe von insgesamt 104200 durch Neu- und Umbauten zu errichtenden Gebäuden vorgegeben. Die größten Plankontingente entfielen ohne jede Rücksicht auf die dortigen Finanzprobleme auf die Bodenreform- und Vertriebenenzentren Brandenburg (30000) und Mecklenburg (über 28000)891. Diese im Februar 1949 den Landesregierungen übermittelten überoptimistischen Planzahlen wurden bereits Anfang April „nach inzwischen noch stattgefundenen Besprechungen -
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887
Immerhin erhielt die Deutsche Investitionsbank „die Möglichkeit", „bei Überschreitungen der für die einzelnen Länder vorgesehenen Ausleihungsgrenze den Erfordernissen entsprechende Ausgleiche vorzunehmen"; vgl. BAB, DK 1/8171, Bl. 1, DWK, HVF, Schnaufer, an DWK, Vors., Rau, 6. 7. 49.
BAB, DK 1/8742, Bl. 80, DWK, HVLF, Abt. II/A, Dölling, an Hoernle, 27. 4. 48. BAB, DK 1/8835, Bl. 26 ff., DWK, HVLF, Protokoll der SMAD-Besprechung vom 7.4., 7. 4. 48. 890 Zu letzterer: Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 180. 89i BAB, DK 1/8742, Bl. 22, DWK, HVLF, Planung für das Bodenreform-Bauprogramm 1949, 25.1. 888
889
49.
III. Die Macht des Sozialen
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zwischen den beteiligten Hauptverwaltungen" auf „nur 72 900" Baueinheiten um über 30% drastisch nach unten korrigiert. Gleichwohl blieb diese Plankorrektur, die den Verantwortlichen schwer genug gefallen sein dürfte, weit von der unerfreulichen Wirklichkeit entfernt: Bis Ende Mai 1949 war nach Informationen der HVLF bei über 94% der Baueinheiten zwar mit dem Ausschachten begonnen worden, fertiggestellt waren jedoch bislang nur 13,2%. Während Thüringen und Sachsen-Anhalt den Jahresbauplan voraussichtlich übererfüllen würden, zeigten sich andernorts verschärft durch die verspätete Herausgabe des Volkswirtschaftsplans erhebliche Schwierigkeiten bei der lokalen Verteilung des Bausolls, bei der Baustoffversorgung und bei der Finanzierung. Selbst bei Vorhaben mit hoher Priorität wie dem von der DWK im April 1949 angeordneten MAS-Bauprogramm kamen die Vertriebenen-Schwerpunktländer am schlechtesten voran: Während dieses kleine, aber agrarpolitisch wichtige Teilprogramm im Frühjahr 1949 in Sachsen schon zu einem Viertel (50 Gebäude) realisiert worden war, hatte man in Mecklenburg mit 27 MAS-Gebäuden erst ein Zehntel und in Brandenburg mit 16 Gebäuden nur 8,5% des Plansolls geschafft892. Mitte 1949 zeichnete sich ein eklatantes Scheitern des gesamten Jahresbauprogramms ab. Der stellvertretende Chef der SMAD-Landwirtschaftsabteilung übermittelte deshalb Edwin Hoernle, dem Leiter der DWK-Hauptverwaltung Landwirtschaft, eine scharfe Rüge, da bei gleichbleibendem Tempo bestenfalls eine Planerfüllung von 45% zu erwarten sei. Die Regierungschefs der Länder müßten dringend zur Baubeschleunigung angehalten werden, um „monatlich nicht weniger als 5000 Häuser" fertigzustellen893. Angesichts dieser harschen sowjetischen Kritik half es wenig, daß sich die HVLF die Realität mit der Feststellung schönzureden suchte, man habe doch schon über 70% des Jahresbauplans fertiggestellt894. Nur wenige Tage zuvor nämlich waren Vertreter diverser DWK-Ressorts zu einer Krisensitzung zusammengetreten, um über die „Auswirkung der Finanzfrage auf das Zonenbauprogramm" zu beraten. Die Runde sah sich jedoch zu Entscheidungen außerstande und beauftragte daher den Zonenbauleiter, dem DWK-Vorsitzenden „die Sachlage auf dem Gebiete des ländlichen Bauwesens" darzulegen und „die Angelegenheit nunmehr durch das Sekretariat [der DWK] auf dem Finanzund Materialsektor [...] klären zu lassen". Wie wenig koordiniert Agrar- und Finanzpolitik im August 1949 immer noch praktiziert wurden, macht die Tatsache deutlich, daß die geladenen Vertreter der DWK-Hauptverwaltungen für Finanzen und für Materialversorgung zu dieser wichtigen Beratung gar nicht erschienen -
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waren895. Was auf dieser war, 892 893
894
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Krisensitzung vornehm als „Finanzfrage" bezeichnet worden bedeutete nichts anderes, als daß Ende Juli 1949 die für das Neubauern-Bau-
Ebenda, Bl. 61, DWK, HVLF, HA II, Aktennotiz v. 18. 6. 49. Ebenda, Bl. 88, SMAD, VLF, Antschochorow, an DWK, HVLF, Hoernle,
13. 7. 49.
Bei einem Planwert von 633,9 Millionen Mark sollten Werte in Höhe von 453,2 Millionen Mark, also etwa 71,5%, fertiggestellt worden sein; vgl. ebenda, Bl. 75, DWK, HVLF, Übersicht über das
Bauvolumen 1949, 7. 9. 49. Ebenda, Bl. 70, DWK, HVLF, Aktennotiz über die Sitzung der Zonenbauleitung 209 am 27. 8., 27. 8. 49; vertreten waren neben der HVLF (u.a. Dölling) die Hauptverwaltungen für Bauwesen, für Wirtschaftsplanung, und die MAS-Zentralverwaltung; Vertreter der Hauptverwaltungen für Materialversorgung und für Finanzen fehlten.
1.
Integration durch Bodenreform?
821
eingeplanten Subventionen „bereits verbraucht" waren, obgleich das Jahresplansoll höchstens zur Hälfte realisiert worden war896. Dies lag nach Einschätzung der Deutschen Investitionsbank nicht nur daran, daß der Finanzbedarf zur Erfüllung des 1949er Plans und der Bauüberhänge von 1948 viel zu niedrig angesetzt worden war, weshalb nach Schätzungen der HVLF mindestens weitere 98 Millionen Mark Kreditmittel erforderlich seien. Zur zusätzlichen Erschöpfung programm
des Kreditrahmens hatte die deutliche Überschreitung der Planzahlen in den drei südlichen Ländern der SBZ beigetragen. Was die Baupolitiker gern als Erfolg feierten, trug zur finanzpolitischen Katastrophe bei. Hinzu kam die flächendeckende Nichteinhaltung der zentral vorgegebenen Kostenvoranschläge und Finanzierungspläne und die Tatsache, daß die vorgeschriebenen „Eigen- und Gemeinschaftsleistungen" ebenfalls „nicht in ausreichendem Umfange erbracht" worden waren. Die Unzulänglichkeit der zentralen Finanzplanung hatte folglich durch unrealistische Rechenkunststücke nur für wenige Monate kaschiert werden können897. Dieser katastrophalen Entwicklung suchte die SED-Führung zunächst mit scharfen Preiskontrollen und einer Aktivierung der Massenorganisationen für kostenlose Solidaritätsarbeiten auf den Neubauern-Baustellen zu steuern, obschon mit beiden Instrumenten nach aller bisherigen Erfahrung nicht viel zu bewirken war898. Folgerichtig stand sehr bald die „finanzpolitische Notbremse"899 eines Baustopps im Raum, womit jedoch das Scheitern des Neubauernbauprogramms öffentlich eingestanden worden wäre. Der SED-treuen Spitze der Investitionsbank erschien es daher „politisch nicht vertretbar, einen vollständigen Baustopp zu verlangen, wie dies nach den Kreditzahlen der Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen bereits jetzt geschehen müßte". Statt dessen wurde vorgeschlagen, den Kreditrahmen um 98 Millionen Mark aufzustocken, zugleich jedoch die „Einstellung aller Bauten" zu verfügen, „die über das Kellermauern nicht gediehen sind", und das Baugeschehen dadurch zu konzentrieren. Im übrigen verständigten sich Investitionsbank und HVLF auf eine „Steigerung der Masseninitiative", um „durch Selbst- und Gemeinschaftsleistungen 30% der Baukosten zu erbringen"900. Dieser Anteil war viel zu hoch veranschlagt, denn das DDR-Landwirtschaftsministerium hielt später fest, daß 1949 „die Eigen- und Gemeinschaftshilfe der Neubauern und Dorfgemeinschaften im Durchschnitt 15 bis 18% der Baukosten erbrachte"901. Die neuerliche Flucht der SED-Agrarpolitik in illusorische Eigen- oder Solidaritätsleistungsquoten kam dem indirekten Eingeständnis gleich, daß die vorgesehene Kreditaufstockung immer noch viel zu gering war, um das Bauprogramm zu stabilisieren.
Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 182; jedenfalls wandte sich Anfang August 1949 die Leitung der Deutschen Investitionsbank an die SED-Abteilung für Landwirtschaft, um darauf hinzuweisen, daß 271 Millionen der insgesamt für 1949 reservierten 300 Millionen Mark Baukredite bereits in Anspruch genommen worden seien; vgl. BAB, DK 1/8171, Bl. 11 ff., insb. Bl. 11, DIB, Lehmann/Schütte, an SED, ZS, Abt. LF, 2. 8. 49. 897 BAB, DK 1/8171, Bl. 11 ff., insb. Bl. 11, DIB, Lehmann/Schütte, an SED, ZS, Abt. LF, 2. 8. 49. 898 Ebenda, Bl. 12. 899 Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 182. k» BAB, DK 1/8171, Bl. 11 ff., insb. Bl. 12, DIB, Lehmann/Schütte, an SED, ZS, Abt. LF, 2. 8. 49. 9°i 896
BAB, DK 1/3039, Bl. 46-52, insb. Bl. 46, MLF DDR, „Begründung für eine erforderliche Planänderung des Bodenreform-Bauprogramms des Jahres 1950", 28. 7. 50.
III. Die Macht des Sozialen
822
Auf einer
Krisensitzung
in Karlshorst lehnte SMAD-Finanzchef Sitnin
am
August 1949 schon diese zu niedrige Aufstockung des Kreditrahmens „in der beantragten Höhe um 98 Mill. DM für Planbauten 1949 und 130 Mill. DM für 18.
Finanzüberhang 1948" kategorisch ab. Sitnin gestattete der Investitionsbank lediglich, zusätzliche Kredite von 100 Millionen Mark zur Finanzierung der Bauüberhänge des Vorjahres zur Verfügung zu stellen. Ansonsten erklärte der oberste Finanzplaner der Besatzungsmacht, „daß die jetzige Praxis falsch ist, bei der die
Bauten der Neubauern in erster Linie aus Mitteln der staatlichen Banken unter Garantie der Länder durchgeführt werden". Die DWK müsse daher eine deut-
liche Verringerung des staatlichen Subventionsanteils veranlassen und statt dessen „auf die Notwendigkeit der Mobilisierung der eigenen Mittel und Leistungen der Bauern für die Erstellung der Bauten immer wieder" hinweisen. Sitnin forderte, diese abrupte Wende in der Neubauernpolitik „möglichst breit in der Presse und bei allen Gelegenheiten" zu erläutern. Zugleich erklärte der SMAD-Funktionär unmißverständlich, daß mit weiteren Finanzmitteln für das laufende Jahresbauprogramm nicht zu rechnen sei902. Zwar blieb es nicht bei diesem negativen Bescheid, denn bis Jahresende 1949 wurden statt der zunächst bewilligten 398 Millionen insgesamt 430 Millionen Mark bereitgestellt und erstmals in der Geschichte der sowjetzonalen Baukredite auch vollständig ausgeschöpft903. Dennoch blieb nach Sitnins Entscheidung ein Finanzloch von 120 Millionen Mark. Zonenbauleiter Dölling notierte frustriert, daß „bei allen Aktions- und Mobilisierungsmaßnahmen durch Presse und Funk [...] mit einer auch nur annähernd hohen Deckung durch Eigenmittel, Selbst- und Gemeinschaftshilfe nicht gerechnet werden" konnte904. Da die SMAD die erforderlichen Finanzaufstockungen verweigerte, geriet das Jahresbauprogramm im Sommer 1949 unweigerlich in eine schwere Krise. Die staatlichen Stellen behalfen sich nicht nur mit der Verhängung eines Baustopps für alle noch nicht begonnenen Neubauten, sondern verfügten eine Kreditsperre auch für all jene Bauten, „die bis zum 31. Juli noch nicht zu mindestens 55% fertiggestellt" oder für die bis Ende August noch „keine schlüssigen Kosten- und Finanzierungspläne eingereicht" worden waren905. Dadurch blieben etliche Bauvorhaben halbfertig liegen. Wie das DDR-Landwirtschaftsministerium noch Jahre später grimmig konstatierte, erfolgte überdies durch die nachträgliche „Senkung der Kredite" für bereits laufende Bauprojekte eine gravierende „Verletzung der vertraglich vereinbarten Kreditverträge [sie!] durch die Regierung"906. So wurden ab -
9°2
BAB, DK 1/8171, Bl. 9L, DWK, HVLF, Dölling, Aktennotiz v.
19. 8. 49; die zusätzlichen Kreditmittel wurden entgegen der unlängst verfügten Aufhebung der Länderkontingente erneut den einzelnen Ländern zugeteilt: den Löwenanteil erhielten Sachsen-Anhalt (38 Millionen mehr, nunmehr insgesamt 88 Millionen) und Thüringen (20 Millionen mehr, nunmehr 40 Millionen), während Mecklenburg (12 Millionen mehr, nunmehr 105 Millionen) und Brandenburg (10 Millionen mehr, nunmehr 103 Millionen) deutlich geringfügiger bedacht wurden. Die Bodenreformschwerpunkte Brandenburg und Mecklenburg kamen dabei auf Kreditkontingente von 115 bzw. 107 Millionen Mark; vgl. BAB, DK 1/3029, Bl. 18f., MLF DDR, Scholz, an SKK, 3. 4. 51, mit Anlage: Statistik mit Erläuterungen, 2. 4. 51. BAB, DK 1/8171, Bl. 9 f., DWK, HVLF, Dölling, Aktennotiz v. 19. 8. 49. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 182. BAB, DK 1/3031, Bl. 8 f., MLF DDR, HA III, Pi[och], an SPK, Instruktionsabteilung, streng ver-
-
903
*m 903 **
traulich, 26. 2. 51.
1.
Integration durch Bodenreform?
823
1949 in Mecklenburg die Vertragsbedingungen rücksichtslos verändert: Alle Scheunenbauten wurden mit sofortiger Wirkung aus der Kreditierung genommen und mußten folglich von den überrumpelten Neubauern selbst finanziert werden. Die weiterhin subventionierten Hofbauten wiederum sollten keinen Außenputz und keinen Dachgeschoßausbau mehr erhalten, es sei denn durch Eigenfinanzierung der Neubauern. Fortan wurde eine „Dielung" nur noch für zwei Räume jeden Wohnteils bereitgestellt, davon „nach Möglichkeit" in einem Raum „in massiver Ausführung", ansonsten wurde auch dieser Innenausbau als alleinige „Sache des Neubauern" betrachtet907. Die öffentliche Wirkung dieser völlig überraschenden Einschnitte unter der Neubauernschaft war verheerend. Die CDU-Landtagsfraktion Mecklenburgs wußte von bäuerlichen Befürchtungen, daß durch diese Kürzungen nur noch „Primitivbauten erstellt würden", welche „kaum als wirkliche Heimstätten für Neubauern angesehen werden" könnten. Vielen Neubauern wurde es „sehr schwierig", die plötzlich dekretierte „Vollendung bzw. den weiteren Ausbau der so erstellten Neubauernhäuser aus eigenen Mitteln zu finanzieren"908. In Sachsen versetzte die Stornierung eines Teils der vertraglich zugesagten staatlichen Baukredite die CDU-Fraktion regelrecht in Alarmstimmung:
September
großzügigster Weise forciert worden. Die geradezu genötigt, zu bauen. Bauausführenden Firmen wurden andere Bauaufträge stillgelegt, bis die verlangte Zahl von Neubauernhöfen errichtet war. Nunmehr „Das Neubauernbauprogramm ist bekanntlich in
Neubauern wurden
ist durch den Entzug der von der DWK und von den Ländern zugesagten Kreditmitteln [sie!] das Neubauernbauprogramm total blockiert und abgestoppt worden. Die halbfertigen Bauten stehen da. Der Neubauer bekommt keinen Kredit, obgleich er auf die Kreditzusage gebaut hat. Baufirmen werden zahlungsunfähig und neben der wirtschaftlichen Not der Betroffenen sind die Auswirkungen der politischen Folgerungen [...] garnicht [sie!] abzusehen. Tagtäglich geben Neubauern ihre Höfe zurück, weil sie sich der Schuldenlast nicht anders entziehen können. Hier muß sofort zumindest durch eine Stillhalteaktion Abhilfe geschaffen werden."909 -
-
katastrophale Entwicklung dürfte die im Frühjahr 1949 in das Neubauernbauprogramm eingefügte Richtlinie, vertriebene Neubauern bei der Dringlichkeitseinstufung von Bauvorhaben bevorzugt zu behandeln910, praktisch weitgehend entwertet haben. Indem die sowjetzonale Finanzpolitik im Spätsommer 1949 den Kreditrahmen strikt begrenzte und die Fortsetzung von Bauvorhaben folglich an den erhöhten Einsatz von Eigenmitteln und Eigenleistungen der NeuDiese
bauern band, wurden besonders Vertriebene, die über finanzielle Ressourcen kaum verfügten, vom Ende der bisherigen Subventionspolitik tief getroffen. Das Neubauernbauprogramm hatte sowohl die Ressourcen des Staates als auch die vieler Neubauern überfordert911, doch der ohne Vorwarnung verhängte partielle Bau- und Kreditstopp produzierte lediglich Einsparungen auf staatlicher Seite, in9°7
ACDP, 07/011/1792, Abschrift: MLF Mecklenburg, Oberbauleitung 209, des Kreises Schönberg, 10. 9. 49.
an
die
Bauleitung 209
Ebenda, CDU-Landtagsfraktion Mecklenburg an CDU-Fraktion der PrVK, 8. 11. 49. Ebenda, CDU-Landtagsfraktion Sachsen, Jensch, an CDU-Fraktion der PrVK, 1.11. 49. 910 Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 180. 9°8
9°9
'"
Ebenda.
III. Die Macht des Sozialen
824
dem er Kosten und Folgekosten rücksichtslos auf die einzelnen Neubauern abwälzte. Die unmittelbare Folge bestand in Tausenden von halbfertigen Rohbauten, die teilweise noch Jahre später nicht fertiggestellt waren und wieder verfielen. Gegen Jahresende 1951 diskutierten Heinrich Rau, nunmehr Chef der Staatlichen Plankommission der DDR, und Landwirtschaftsminister Scholz „streng vertraulich" die Frage der Beseitigung von Notabdeckungen an derartigen halbfertigen Neubauernhäusern912. Schon Ende 1949 hatte diese „zum Schutz des Volksvermögens" staatlich verfügte „Winterfestmachung (Eindeckung)" noch nicht fertiggestellter Bodenreformbauten Kosten verursacht, die „von amtswegen [sie!] vom Kreditkonto des betr. Siedlers zu entnehmen" waren913. Damit wurden all jene Neubauern, die zur Fertigstellung ihrer Hofbauten nicht in der Lage waren, zur Finanzierung provisorischer Lösungen gezwungen und damit eines weiteren Teils ihrer Finanzmittel beraubt. Im übrigen hatten die Oberbauleitungen der Länder, nachdem diese Rohbauten „mit Stroh, Rohr, Schilf, Holzschindeln, Schalbrettern und Dachpappe behelfsmäßig" winterfest gemacht worden waren, keine Bedenken getragen, sodann „derartige Bauten als ,fertig' zu melden. Allein in Mecklenburg gab es 1500 solcher Bauten, „deren behelfsmäßige Dacheindeckung im Laufe der Jahre [derart] schadhaft wurde", daß im Jahre 1951 eingelagerte Erntevorräte durch Witterungseinflüsse ernsthaft gefährdet schienen914. Das traf auch auf die Gesundheit jener Neubauernfamilien zu, die jahrelang in derartigen Gebäuden leben mußten915. Da solche Bauten dringend fertiggestellt werden mußten, die Neusiedler jedoch bereits 1949 durch die Provisorien finanziell belastet worden waren, versuchte der für Wohnungsbau zuständige Hauptabteilungsleiter im DDR-Ministerium für Aufbau, Robert Siewert (SED), den Betroffenen „aus Billigkeitsgründen" möglichst „nicht rückzahlbare Kredite", also im Grunde staatliche Zuschüsse zu gewähren916. Dies lehnte das DDR-Landwirtschaftsministerium jedoch strikt ab, da solche Bauherren durch den 1950 erfolgten Teilerlaß der Kreditschulden bereits entlastet worden seien; statt dessen wollte man die nötigen Mittel über einen Sonderkreditfonds für Überhangbauten bereitstellen917. Das Problem komplizierte sich dadurch, daß besagte Bauten von den Ländern bereits als fertiggestellt gemeldet worden waren, weshalb sie in den Statistiken für Überhangbauten gar nicht auftauchten. Als Überhänge, die sie faktisch waren, hätten diese Dauer-Provisorien wiederum „bereits im Zuge der restlosen Fertigstellung "
912
9'3
Die Kosten dafür wurden auf etwa 2,5 Millionen Mark geschätzt; vgl. BAB, DK 1/3031, Bl. 1, SPK DDR, Persönlicher Referent des StvMP Rau, Hofmann, an MLF DDR, Scholz, streng vertraulich, 17. 11.51. BAB, DK 1/3032, Bl. 90, Mdl Brandenburg, Oberbauleitung 209, Rderl. LBK 30/49 Teil 2 zum
Schutz des 12. 12.49. 914
Ebenda,
4.9.51. 913
Volksvermögens
durch
Winterfestmachung (Eindeckung)
Bl. 84, Ministerium für Aufbau DDR,
der
Bodenreformbauten,
Siewert, an MLF DDR, Sekretariat des Ministers,
BAC, DC 1/630, ZKSK DDR, Linz, „Auswertung der Überprüfung des Gesetzes über die weitere der Lage der Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik vom 8. 9. 1950", 15. 2.51, S. 5. BAB, DK 1/3032, Bl. 84, Ministerium für Aufbau DDR, Siewert, an MLF DDR, Sekr. des Min.,
Verbesserung 9"
4.9.51. 9'7
Ebenda, Bl. 81, MLF DDR, Pioch, an Ministerium für Aufbau DDR, Konzept, o.D.
1.
Integration durch Bodenreform?
825
der Bautenüberhänge überhaupt bis zum 30. 6. 51 fertiggestellt sein müssen"918. Dieses Schicksal teilten die halbfertigen Bauten freilich mit vielen offiziellen
Überhangbauten.
Hatte die zonale Bauleitung Anfang 1949 den Terminus der „Überhänge" noch im positiven Sinne als erfreuliche Übererfüllung von Planvorgaben benutzt, so kehrte sich diese Konnotation mit dem gescheiterten 1949er Jahresprogramm drastisch und dauerhaft um. Fortan bezeichnete der Begriff die offiziell eingeräumten Rückstände in der Planerfüllung, die in den nächsten oder gar übernächsten Jahresplan eingearbeitet werden mußten. Im Frühjahr 1950 bezifferte DDR-Landwirtschaftsminister Ernst Goldenbaum (DBD) in einem Bericht an die SKK die Überhänge des Jahres 1949 allein an Wohnhäusern auf 14453 Objekte. Da im -
-
Bauprogramm für 1950 der Neubau von 23400 Wohnhäusern vorgesehen war, er-
höhten diese sogenannten Überhänge die geforderte Bauleistung um über 60%, sofern man davon ausging, daß sie 1950 sämtlich fertiggestellt würden919. Dies tawie man sich im DDR-Landwirtten zumindest die DDR-Bauplaner, welche schaftsministerium zornig erinnerte „rein schematisch" forderten, daß all „diese Überhänge bis zum 31. 7. 1950 fertiggestellt sein sollten", obgleich man damals noch keinen Überblick darüber hatte, „welche Baukosten und Kreditmittel für die Fertigstellung der Überhänge" erforderlich sein würden920. Diese nicht allein dem neuen Ministerium für Aufbau, sondern letztlich den ranghöchsten Wirtschaftsplanern Ulbricht und Rau anzukreidenden „Fehler in der Planung" hatte ein im Juli 1950 entstandenes Papier des Landwirtschaftsministeriums, das unter Federführung des damaligen Ulbricht-Konkurrenten und MLF-Staatssekretärs Paul Merker entstand, mit einer Baukostenschätzung zu beheben versucht, die für die Überhangsbauten des Vorjahres einen Finanzbedarf von 118 Millionen Mark, für die Bauten des Jahres 1950 von weiteren 45 Millionen Mark errechnete. Das Erschreckende war, daß selbst für den unwahrscheinlichen Fall dieser Mittelbereitstellung weiterhin „63% der noch erforderlichen Baukosten [...] hauptsächlich von den Bauern aufgebracht werden" mußten921. Nach Einschätzung des DDR-Agrarressorts war daher bereits „Mitte Juli 1950 [...] zu erkennen, daß die vom Ministerium für Planung vorgesehenen Baubedingungen eine Weiterführung der Überhänge nur für die wirtschaftlich stärksten Neubauern zuließen und 75% der Neubauern keine Möglichkeit hatten, ihren Überhangsbau weiterzuführen und fertigzustellen". Diese Situation machte eine „Änderung der Kreditbedingungen für Überhangsbauten erforderlich", die mit dem DDR-Ministerratsbeschluß vom 3. August 1950 nach heftigen Konflikten innerhalb der SED-Führung auch erfolgte922. Doch schon im Oktober desselben Jahres zweigte die DDR-Agrarpolitik 25 Millionen Mark aus dem (für Neu- und Überhangsbauten) 145 Millionen umfassenden Finanzrahmen des 1950er Baupro-
-
918 9'9
97°
Ebenda, Bl. 78, MLF DDR, Griepentrog, an Ministerium für Aufbau DDR, Konzept, o.D. BAB, DK 1/3029, Bl. 38, MLF DDR, Goldenbaum, an SKK, 15. 4. 50. BAB, DK 1/3031, Bl. 8 f., MLF DDR, HA III, an SPK, Instruktionsabteilung, streng vertraulich,
26.2.51.
BAB, DK 1/3039, Bl. 46-52, insb. Bl. 47, MLF DDR, „Begründung für eine erforderliche Planändes Bodenreform-Bauprogramms des Jahres 1950", 28. 7. 50. derung 977 BAB, DK 1/3031, Bl. 8 f., MLF DDR, HA III, an SPK, Instruktionsabteilung, streng vertraulich, «'
26.2.51.
III. Die Macht des Sozialen
826
um bislang unbezahlte Neubauern-Rechnungen des Jahres 1949 zu deren Gesamthöhe auf 55 Millionen Mark geschätzt wurde. Durch begleichen, diese Verkürzung des Kreditrahmens auf 120 Millionen DM verringerte sich die Zahl der Bauzulassungen für das 1950er Programm923. Dennoch war diese staatliche Subventionierung der Neubauern-Rückstände, die einer partiellen Rücknahme der 1949 verfügten Vertragsbrüche gleichkam, unumgänglich weniger aus Sorge um die geprellten Neubauern denn aus Rücksicht auf die Bauwirtschaft, die sich nicht selten weigerte, angesichts der Zahlungsrückstände für das Jahresbauprogramm weiter tätig zu werden. Schon das MLF-Papier vom Juli 1950 hatte darauf hingewiesen924, und noch drei Tage vor seiner Absetzung als Staatssekretär des Agrarressorts, die am 24. August 1950 erfolgte, kritisierte Paul Merker das DDR-Aufbauministerium heftig, weil auf den einzigen beiden Sitzungen der dort seit Ende 1949 ressortierenden Zentralen Bauleitung der DDR alle mit dem Bauprogramm von 1949 zusammenhängenden Fragen darunter „Abwicklung und Abrechnung" überhaupt nicht behandelt worden seien925. Die verbindliche Neuregelung, die Merker forderte, wurde wenig später ohne ihn realisiert926. Das noch unter Merkers Ägide verfaßte kritisch-kämpferische Papier des Landwirtschaftsressorts hatte im Juli 1950 beobachtet, daß „ein großer Teil der Überhänge [...] überhaupt nicht weitergeführt" werde, „da die 10000-DM-Kreditgrenze erreicht ist und eine restlose Finanzierung [aus Eigenmitteln] zur Zeit nicht möglich ist"927. Dies blieb ein chronisches Problem der Überhangbauten, deren Fertigstellung von der DDR-Regierung Mitte 1950 ebenso schematisch und ergebnislos gefordert wurde wie erneut ein Jahr später. Diese Überhangproblematik beeinträchtigte zwangsläufig auch die im September 1950 endlich eingeleitete Vertriebenenförderung in der Baupolitik. Denn als die DDR-Regierung für die Jahresbauprogramme 1951 und 1952 eine exklusive „Errichtung von Wohnhäusern und Wirtschaftsgebäuden für die Neubauernumsiedler" dekretierte, wurde diese Prioritätensetzung durch die gleichzeitige Anweisung wieder relativiert, innerhalb des 1951er Bauprogramms auch „die Fertigstellung der noch nicht vollendeten Bauten aus den Jahren 1948 und 1949 besonders zu berücksichtigen"928.
gramms
ab,
-
-
-
923
Ebenda, Bl. 17f., MLF DDR, HA III, Griepentrog, Erfüllungsbericht und Analyse über das Neubauernbauprogramm 1950, 15.1. 51; vgl. auch: ebenda, Bl. 12-15, MLF DDR, HA III/A, Erfül-
lungsbericht zum Neubauernbauprogramm 1950,17.1. 51. BAB, DK 1/3039, Bl. 46-52, insb. Bl. 48 und Bl. 51, MLF DDR, „Begründung für eine erforderliche Planänderung des Bodenreform-Bauprogramms des Jahres 1950", 28. 7. 50. 923 BAB, DK 1/3031, Bl. 8f., MLF DDR, HA III, [Pioch], an SPK, Instruktionsabteilung, streng verwährend 26. 2. von nur einer 924
traulich,
926 927
928
hier 51; Januar-Sitzung der neuen ZBL die Rede ist, registrierte Merker eine weitere Sitzung im April 1950; vgl. BAB, DK 1/3032, Bl. 29fL, insb. Bl. 31, MLF DDR, [Merker; Name nachträglich geschwärzt], an Ministerium für Aufbau DDR, 21.8. 50. Vgl. zum Sturz Merkers ausführlicher: Kap. II.2.3.2. BAB, DK 1/3039, Bl. 46-52, insb. Bl. 50, MLF DDR, „Begründung für eine erforderliche Planänderung des Bodenreform-Bauprogramms des Jahres 1950", 28. 7. 50. BAB, DK 1/3035, Bl. 29, Ministerium für Planung DDR, Zentrales Planungsamt, Abt. Bauwesen, Entwurf einer Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der
ehemaligen Umsiedler, 26. 9. 50, § 1.
1.
827
Integration durch Bodenreform?
1.3.3. „Losgelöst von den wirtschaftlichen Möglichkeiten und dem Bewußtsein des größten Teils der Umsiedler und Neubauern": Die Krise der Bauförderung als Voraussetzung der Wende zur Vertriebenenförderung 1950 In der SBZ/DDR, so ist behauptet worden, hätten sowohl die Regierenden als auch die dort lebenden Vertriebenen „für die angestrebte Integration das Augenmerk länger als im Westen auf das Land" gerichtet, was der dortigen Vertriebenenintegration „eher hinderlich denn nützlich" gewesen sei929. Was die Vertriebenen angeht, von denen 1949 gerade 2% als Neubauern tätig waren, kann eine allzu große Bindung an die Bodenreform-„Scholle" kaum behauptet werden. Vielmehr löste „der in den späten vierziger Jahren einsetzende Aufschwung der Industriewirtschaft [...] nicht nur ebenso wie in Westdeutschland die Binnenwanderung der Vertriebenen in städtische Regionen aus, sondern beschleunigte auch die berufliche Umschichtung vom primären in den sekundären oder tertiären Sektor"930. Was die Regierenden des entstehenden SED-Staates betrifft, so verursachte deren durch die Bodenreform notwendig gewordene Neubauernpolitik zwar hohe volkswirtschaftliche Kosten. Daß diese Neubauernpolitik jedoch die Schwerindustrialisierung der DDR und die damit verbundene Vertriebenenintegration in urban-industriellen Lebenswelten ernstlich behindert hätte, läßt sich jedoch ebenfalls nicht behaupten. Im Gegenteil unterhöhlten die schwerindustriellen Investitionsprioritäten der zentralen Wirtschaftsplanung ab 1949/50 durch entsprechende finanzielle Umschichtungen im Staatshaushalt und dadurch erforderliche wiederholte Kürzungen der Kreditsubventionen die bisherige Neubauernförderung, deren Bauprogramm nach einer ersten schweren Krise 1949 im Sommer des Folgejahres zeitweilig zum Erliegen kam. 1952/53 trug die verschärfte finanzielle Prioritätensetzung zugunsten der Schwerindustrie931 zur endgültigen Einstellung der kostenintensiven Neubauernförderung maßgeblich bei. Die abrupte Wende zur Kollektivierung der Landwirtschaft war insofern auch eine Flucht aus den Trümmern des Neubauernbauprogramms. Letzteres war 1949 insbesondere deshalb in eine gravierende Finanzkrise geraten, weil damals die effektive Kreditinanspruchnahme erstmals den staatlich gebotenen Kreditrahmen ausschöpfte und überforderte, während zugleich die neuen schwerindustriellen Aufbauprioritäten die finanziellen Spielräume empfindlich beschnitten. Indem die SED-Politik den sowjetischen Forderungen nach drastischer Reduzierung des staatlichen Kreditanteils willfährig nachkam, wurden bereits im Sommer 1949 auch die Aussichten des 1950er Jahresbauprogramms gegen Null gefahren932. Trotz der von den Sowjets verfügten Absenkung der Baukreditsubventionen wurde das Planvolumen des Neubauernbauprogramms nämlich nicht entsprechend verringert, sondern auf dem Papier dadurch beibehalten, daß man den neubäuerlichen Bauherren noch größere Eigenleistungen abverlangte. -
An diesem
979
931
932
1950 ein
heftiger Konflikt
In den Dörfern sei der Integrationsprozeß nämlich grundsätzlich langsamer verlaufen als in Städund Industriezentren; vgl. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 187. Problemdruck und Ressourcenverbrauch, S. 320. Bauerkämper, Roesler, Die Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft, S. 18. Der von Zank, Wirtschaft und Arbeit in Ostdeutschland, S. 159, für Jahresanfang 1950 unterstellte „stillschweigende Abbruch des Bauprogramms" fand allerdings erst 1952 statt. ten
930
Widerspruch entzündete sich ab Frühjahr
-
828
III. Die Macht des Sozialen
innerhalb der SED-Spitze über das unverzichtbare Minimum an Realitätsnähe der DDR-Wirtschaftsplanung. Dieser sachliche Konflikt zwischen Wirtschaftsplanern und Agrarfunktionären verschränkte sich mit dem SED-internen Machtkampf zwischen Walter Ulbricht und Paul Merker, der mit dem Sturz des letzteren im August 1950 entschieden wurde. Dabei bezog sich der agrarpolitische Gehalt dieses Machtkampfes nicht nur auf die Ausweitung des Finanzrahmens für das Neubauernbauprogramm, sondern auch auf eine soziale Differenzierung der Kreditvergabe, die in Merkers Sicht fortan besonders wirtschaftsschwachen Umsiedler-Neubauern zugute kommen sollte. Von einer vertriebenenspezifischen Sonderpolitik, wie sie im September 1950 gesetzlich verankert werden sollte, war in dieser Auseinandersetzung allerdings explizit noch keine Rede. Indem beide Konfliktparteien an der allgemeinen Ausrichtung der SED-Neubauernpolitik grundsätzlich festhielten, kann ihr Konflikt lediglich als wichtige Vorstufe einer vertriebenenpolitischen Engführung der bisherigen SED-Neubauernpolitik betrachtet werden. Dabei war die Stichhaltigkeit der von Merker vorgebrachten Argumente für eine sozialpolitische Differenzierungsstrategie nicht zu bestreiten. Während ihr Urheber, der gegen den abgehobenen Planungs-Schematismus Ulbrichts (und seiner sowjetischen Protektoren) aufzubegehren wagte, im Sommer 1950 vom Mitgestalter zum Opfer der DDR-Geschichte wurde, adaptierte die siegreiche Führungsclique um Ulbricht die Reformkonzeption des Unterlegenen und modifizierte das fehlgeplante Jahresbauprogramm für 1950, um zu retten, was noch zu retten war, nach Merkers Rezepten. Das DDR-Landwirtschaftsministerium ging Mitte 1950 von einem Gesamtbaubedarf von 146066 Wohnhäusern und 158609 Ställen aus. Dieser Bedarf war offiziell bis Ende 1949 je zu 37% erfüllt worden, so daß in der SBZ/DDR bis dahin etwa 55000 Häuser und 39000 Ställe errichtet worden waren. Als Überhänge des 1949er Programms waren weitere 10% des Wohnhaus- und 8% des Stallbedarfs verzeichnet worden. Der Neubauplan für 1950 sah die Errichtung weiterer 20% des Bedarfs an Wohnhäusern bzw. 18% an Ställen vor, so daß für 1951 ein „Restbedarf" von 33% an Wohnhäusern (48617) und von 37% an Ställen (38242) einkalkuliert wurde. Immerhin wurde bei allem Zweckoptimismus den politischen Spitzen von SKK und SED signalisiert, daß man noch einige Zeit würde weiterbauen müssen933. Ursprünglich waren, als die DWK-Hauptverwaltung Wirtschaftsplanung im Juli 1949 ihre Vorschläge zur Investitionsplanung für 1950 zirkulieren ließ, für dieses Jahresbauprogramm bei einem Kostenvolumen von 400 Millionen Mark noch staatliche Kreditmittel von 200 Millionen Mark veranschlagt worden. Gegenüber der Kreditplanung des Vorjahres, die bekanntlich nachträglich erheblich hatte aufgestockt werden müssen und dennoch nicht ausgereicht hatte, bedeutete dieser Ansatz eine Verringerung des Kreditvolumens um nahezu 43%. Noch nicht einmal diese Quote ließ sich halten, denn im August 1949 „wurde dem Vorsitzenden der Zonenbauleitung 209 mündlich mitgeteilt, daß [...] Kredite nur im Umfang von 100 Millionen zur Verfügung gestellt werden könnten". Der -
933
-
BAB, DK 1/3029, Bl. 31, MLF DDR, „Übersicht über die Versorgung der Neubauern mit Wohnund Stallgebäuden nach der Bodenreform durch Neu- und Umbauten", 30. 6. 50. -
1.
Integration durch Bodenreform?
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oberste Bauleiter der HVLF, Dölling, wies die DWK-Wirtschaftsplaner postwendend darauf hin, „daß abgesehen von der endgültigen Höhe der Kreditsumme die Kontrollziffer für das Baugeschehen nicht 100% höher sein kann als die bereitgestellten Kreditmittel". Nach Döllings (ebenfalls noch zu optimistischer) Einschätzung durfte der Eigen- und Gemeinschaftsleistungsanteil zur Baufinanzierung höchstens ein Drittel der Gesamtbaukosten betragen. Der Zonenbauleiter forderte deshalb, falls es bei der Kreditabsenkung auf 100 Millionen Mark bleiben sollte, das Bauvolumen für 1950 entsprechend auf 150 Millionen Mark abzusenken. Das hätte bedeutet, den ursprünglichen Planansatz um über 60% zu reduzieren934.
Die obersten Wirtschaftsplaner der SBZ/DDR hielten jedoch an ihren völlig unrealistischen Planziffern fest. Obwohl die vom DDR-Agrarressort 1949 gemachten Erfahrungen „bekannt" gewesen sein dürften, wonach „die Eigen- und Gemeinschaftshilfe der Neubauern und Dorfgemeinschaften im Durchschnitt [nur] 15 bis 18% der Baukosten erbrachte", bestimmte das DWK-Planungszentrum für das kommende Jahr allen Ernstes, „daß die Finanzierung der Bauten zu 75% aus Eigenhilfe, Gemeinschaftshilfe und Solidaritätsaktionen erfolgen sollte". Dies konnten die Agrarexperten um SED-Politbüromitglied Paul Merker, der im Oktober 1949 auch zum Staatssekretär im DDR-Landwirtschaftsministerium ernannt worden war, nur als „völlig falsche Einschätzung der wirtschaftlichen Lage" jener Neubauern bewerten, die bislang noch keine Hofbauten errichtet hatten. Nach Erfahrung der Agrarexperten hatten bislang „in der Regel" die „wirtschaftlich stärkeren Neubauern mit fortschrittlicher Einstellung zuerst ihre Gehöfte errichtet", was im Umkehrschluß bedeutete, daß die wirtschaftliche Belastbarkeit der übrigen von den Wirtschaftsplanern „weit überschätzt" werde. Dasselbe galt für die dörfliche „Bereitschaft zur solidarischen Hilfe und das hierfür erforderliche Zusammengehörigkeitsgefühl"935. Die Wirtschaftsplaner hatten überdies, „entgegen der bis zum Jahre 1949 üblichen Methode, zu Beginn eines Baujahres Planzahlen über die Anzahl der zu errichtenden Gebäude bekanntzugeben", für den Volkswirtschaftsplan 1950 den Weg gewählt, ein fixes Baukostenvolumen von 400 Millionen Mark festzulegen. Entsprechend wurde bei den Überhangbauten des Jahres 1949 verfahren936. Bereits im August 1949 war „die Kreditgrenze von 15000. auf 10000. [Mark] je Wirtschaft herabgesetzt" worden, um bei knapper werdenden Kreditmitteln dennoch eine größere Zahl geförderter Bauobjekte zu erzielen. Da schon die bisherige Kredithöchstgrenze knapp bemessen gewesen war, mußte ihre Absenkung zwangsläufig negative Auswirkungen auf das Baugeschehen entfalten: Wirtschaftsschwachen Neubauern, zu denen das Gros der Umsiedler-Neubauern zählte, wurde jede realistische Chance auf einen Hofbau genommen. Dennoch mußte sich die Agrarverwaltung dem Druck der Wirtschaftsplaner wider besseres -
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BAB, DK 1/8742, Bl. 69, DWK, HVLF, HA II, [Diktatzeichen Döllings],
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an
DWK, HV Wirt-
schaftsplanung, 15. 8. 49. 933 BAB, DK 1/3039, Bl. 46-52, insb. Bl. 46 f., MLF DDR, „Begründung für eine erforderliche Planänderung des Bodenreform-Bauprogramms des Jahres 1950", 28. 7. 50. '« BAB, DK 1/3031, Bl. 12-15, insb. Bl. 12, MLF DDR, HA III/A, Erfüllungsbericht zum Neubauern-Bauprogramm 1950, 17.
1. 51.
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beugen: Der DDR-Ministerrat setzte im Februar 1950 die Höchstbaukofür ein Neubauern-Wohnhaus auf 10000 Mark und für ein Stallgebäude auf 5000 Mark herab937. Im Herbst 1949 hat vermutlich der hartnäckige Widerspruch des damaligen Zonenbauleiters Dölling gegen diese Entscheidungen dazu beigetragen, die bisher der Agrarverwaltung zugeordnete Zonenbauleitung anlässlich der Bildung der „Provisorischen Regierung der DDR" aufzulösen und ihre Kompetenzen dem selbst noch im Aufbau befindlichen neuen „Ministerium für Aufbau" (dem DDR-Bauressort) zu übertragen. Den Landwirtschaftsministerien der DDR und der Länder verblieben nur noch schwach besetzte Referate, „um die Planung des Bauprogramms 1950 und die Lenkung der Baukredite durchzuführen"938. Diese hastige Kompetenzverlagerung war der Sache keineswegs dienlich, war doch nach Auflösung der Zonenbauleitung und ihrer nachgeordneten Instanzen wie das gedemütigte Landwirtschaftsministerium später vorwurfsvoll feststellte „praktisch keine Stelle da", die noch einen Überblick über Baukosten und Kreditmittel besessen hätte. Die „Zerschlagung einer bestehenden Organisation" war in der Tat erfolgt, „ohne etwas besseres an dessen [sie!] Stelle zu setzen", denn die neuen Projektierungs- und Bauleitungsbüros der Kreise waren „erst im Somzu spät für eine rechtzeitige Umsetzung des 1950er Baumer 1950 arbeitsfähig" 1949 beschlossen worden war, eine neue „Zentrale Obwohl Ende programms. beim Aufbauministerium zu bilden, hatte dieselbe 1950 offenbar nur Bauleitung" faktische Fehlen Das einer zentralen Bauleitung kompensiersymbolisch getagt. ten die Funktionäre der betroffenen Ministerien dadurch, daß sie „laufend die Betriebsgruppensekretäre der SED aller beteiligten Ministerien und Institutionen zusammen kommen" ließen, „um eine wirksame ideologische Aufklärung in den Verwaltungsstellen und bei der ländl.[ichen] Bevölkerung zu erzielen und das Gegeneinander der einzelnen Verwaltungsstellen zu unterbinden"939. Informelle SED-Netzwerke sollten das selbstverschuldete institutionelle Vakuum der DDR-
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Baupolitik notdürftig auffangen. Die für das 1950er Bauprogramm geplante Reduzierung des staatlichen Kreditanteils auf ein Viertel der veranschlagten Baukosten hatte zur Folge, daß Scheunenbauten vollständig aus der Kreditförderung herausfielen, während Wohnhäuser und Ställe höchstens bis zu 3750 Mark kreditfinanziert werden konnten, „jedoch nicht [zu] mehr als 25% des Gesamtbauwertes". Den kreditgewährenden Instanzen wurde sogar aufgegeben, „möglichst viele Bauern ohne oder mit weniger als 25% Kredit bauen" zu lassen. Als Kompromiß zwischen Sparzwang und Sozialpolitik wurde eine Kann-Bestimmung eingefügt, derzufolge „Neubauern, die aus sozialen Gründen zu bevorzugen sind oder solche, deren Land infolge Fehlens von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden landwirtschaftlich nicht oder nur 937
938
939
BAC, DH 1/44480, Ministerium für Aufbau DDR, Aktennotiz zur Bauplanung im NeubauernBauprogramm 1950/51, o.D. [ca. April 1951]. BAB, DK 1/3032, Bl. 29ff., insb. Bl. 30, MLF DDR, [Merker; in Abschrift nachträglich dessen Namen geschwärzt], an Ministerium für Aufbau DDR, 21.8. 50. BAB, DK 1/3031, Bl. 8f., MLF DDR, HA III, [Pioch], an SPK, Instruktionsabteilung, streng vertraulich, 26. 2. 51; während in dieser Quelle von nur einer Januar-Sitzung der neuen ZBL die Rede ¡st, registrierte Staatssekretär Merker eine weitere, ebenfalls ergebnislose Sitzung im April 1950; vgl. BAB, DK 1/3032, Bl. 29ff., insb. Bl. 31, MLF DDR, [Merker; Name nachträglich geschwärzt], an Ministerium für Aufbau DDR, 21. 8. 50.
1.
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schlecht genutzt werden kann (insbesondere in mecklenburgischen oder brandenburgischen Notgebieten), [...] einen erhöhten Kredit erhalten" durften940. Diese kontraproduktive Bauplanung wurde durch die Entscheidung des DDR-Ministerrates vom Februar 1950, die Höchstbaukosten für ein Neubauern-Wohnhaus auf 10000 Mark und für einen Stall auf 5000 Mark abzusenken941, nicht verbessert, da die realen Baukosten weit höher lagen. Um die neuen Kostenobergrenzen einzuhalten, war daher die Entwicklung von Billig-Bautypen erforderlich, die obgleich sie unter Neubauern kaum Akzeptanz fanden vom DDR-Ministerium für Aufbau Ende März 1950 für verbindlich erklärt wurden942. Gleichzeitig schrumpfte der erst Anfang 1950 festgelegte Finanzrahmen der Baukredite weiter zusammen, denn anstelle der zunächst genehmigten 100 Millionen Mark ging DDR-Landwirtschaftsminister Goldenbaum Mitte April nur noch von 91,3 Millionen Mark aus, mit denen der Bau von 23400 Wohnhäusern und über 26000 Ställen gefördert werden sollte943. Die Planungen vom Jahresanfang wurden von der SED-Führung zum Frühjahrsbeginn als noch nicht restriktiv genug über den Haufen geworfen. Am 1. April 1950 erhob der zentrale SED-Parteiapparat Einspruch gegen die Baukostenplanung der DDR-Regierung und stellte eine eigene Entscheidung in Aussicht. Damit hatte die Hegemonialpartei einen gültigen Ministerratsbeschluß außer Kraft gesetzt und erneut demonstriert, was die Verfassung der DDR wert war. Dieses Vorgehen desavouierte auch die beim Bauprogramm federführenden SED-Regierungsfunktionäre Politbüromitglied Paul Merker als Staatssekretär im Landwirtschaftsressort sowie den soeben zum Ministerialdirektor im DDRAufbauministerium degradierten bisherigen Innenminister Sachsen-Anhalts, Robert Siewert944. Diesen wurde am 18. April 1950 „vom stellv.[ertretenden] Ministerpräsidenten Ulbricht mitgeteilt": „Die vorgelegten Typen sind vom Politbüro abgelehnt. Sie sind zu teuer und zu groß. Es ist ein kleiner und billiger Typ zu bauen. Die Kosten dürfen für Wohnraum und Stallteil 10000. DM nicht übersteigen." Ulbrichts Parteiapparat schrieb den Fachministerien detailliert vor, wie die erforderlichen Kürzungen umgesetzt werden sollten nämlich durch drastische Verkleinerung der Stallplanung. Die neuen Stalltypen boten nur noch drei Stück Rindvieh Platz, Schweinehaltung war überhaupt nicht mehr berücksichtigt, sondern sollte in gesonderten Naturbauhütten erfolgen. Durch diese Abstriche am Bautypenplan konnte der staatliche Kredit von höchstens 3750 Mark unverän-
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gültige Kreditverträge der Überhangbauten galten die alten Kreditrichtlinien fort, wobei allerdings auch hier keine Kredite mehr für Scheunenbauten verausgabt werden durften; außerdem durften Altkredite 10000 DM (Ost) nur noch mit Genehmigung des jeweiligen Landesfinanzministeriums überschreiten; vgl. BAB, DK 1/3029, Bl. 43 ff., insb. Bl. 44 f., MLF DDR, Anlage 8 zum Protokoll der 14. Sitzung der Regierung am 2.2. 50. BAC, DH 1/44480, Ministerium für Aufbau DDR, Aktennotiz zur Bauplanung im NeubauernFür bereits
Bauprogramm 1950/51, o.D. [ca. April 1951]. Ebenda.
BAB, DK 1/3029, Bl. 38, MLF DDR, Goldenbaum, an SKK,
15. 4. 50; allein für die Wohnteile der Höfe hätten somit höchstens Baukredite von je 3900 Mark vergeben werden können. Siewert, seit 1945 Vizepräsident der Provinzialverwaltung und seit Ende 1946 Innenminister in Sachsen-Anhalt, war im Frühjahr 1950 „zum Abteilungsleiter in der Hauptabteilung Bauaufsicht des Aufbauministeriums der DDR degradiert worden", wofür seine politisch prekäre Vergangenheit als KPO-Mitglied und Buchenwald-Häftling den Hintergrund gebildet haben dürfte; vgl. Niethammer, Der .gesäuberte' Antifaschismus, S. 477, Anm. 10.
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dert bleiben und zugleich durch theoretische Senkung der Baustückkosten auf dem Papier sogar auf einen staatlichen Finanzierungsanteil von 37,5% (statt 25%) ansteigen. Ein neuer DDR-Ministerratsbeschluß vollzog am 11. Mai 1950 diese einsamen Entschlüsse des obersten SED-Führungszirkels (und der SKK) willfährig nach945, wobei Merker die ihm von Ulbricht aufoktroyierte Vorlage in kalkulierter Demütigung persönlich im Ministerrat vertreten mußte946. Mit der drastischen Senkung der Baukostenobergrenzen verfolgte die DDR-Regierung das unrealistische Ziel, im laufenden Jahre 20% des geschätzten Bedarfs an Wohnhäusern und 18% des Bedarfs an Ställen errichten zu können. Für beide Gebäudegruppen, insbesondere für Wohnhäuser, war das Jahresbausoll auf jeweils 28400 Objekte deutlich angehoben worden947. Mit der agrar- und baupolitischen Realität hatten diese Planvorgaben jedoch nicht das geringste zu tun. Offensichtlich ging es den führenden Wirtschaftsplanern Ulbricht und Rau darum, mit möglichst „gut" aussehenden Planzahlen bei ihren sowjetischen Kontrolleuren nicht anzuecken. Die tatsächliche Entwicklung des Baugeschehens zeigte 1950 nachdrücklich, wie selbstreferentiell diese Planungen waren. Einem gegen Jahresende 1950 an die SKK gerichteten Erfahrungsbericht der sächsischen Landesregierung ist zu entnehmen, daß der Planbau des Jahres 1950 von vielen Bauern abgelehnt wurde, weil diese zur geforderten Eigenfinanzierung von 62,5% der Baukosten nicht in der Lage waren. Zudem wurde der auf Ulbrichts Weisung verkleinerte Stallteil von den Bauern als völlig unbrauchbar kritisiert. Als realitätsnähere Alternative hatte sich deshalb im Sommer 1950 der sogenannte „Kernbau"-Typ herauskristallisiert, der zwar ebenfalls nicht den Erfordernissen der Bauern entsprach, jedoch den Vorteil besaß, nachträglich leicht erweitert und ausgebaut werden zu können. Zudem kostete ein solcher „Kernbau" lediglich 5000 Mark, die zu 80% kreditfinanziert werden konnten948. Eigentlich war der Kernbautyp auf Vorschlag des Landes Brandenburg als regional begrenzte „Notlösung [...] für die am stärksten durch den Krieg in Mitleidenschaft genommenen Gebiete des Oderbruches" entworfen worden949. Doch „aufgrund der schwierigen Finanzlage" des regulären Neubauernbauprogramms hatte die SKK Ende Juni 1950 „beim Ministerium der Finanzen der DDR angeregt [...], einen Sonderfonds in Höhe von 25 Millionen DM zu bilden, falls Interesse bei den Neubauern besteht, mehr Kernbauten als im Plan vorgesehen zu bauen"950. Die Sowjets hatten begriffen, daß die Kernbau-Notlösung neben den Bauüberhängen des Vorjahres der einzig realistische Ansatzpunkt des Jahresbauprogramms werden würde. Grundsätzlich aber litt der Kernbautyp unter denselben Planungsfehlern wie der reguläre Planbautyp. Die von der -
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947
BAC, DH 1/44480, Ministerium für Aufbau DDR, Aktennotiz zur Bauplanung im Neubauern-
Bauprogramm 1950/51, o.D. [ca. April 1951]. BAB, DC 20-1/3-17, Bl. 97 ff., insb. Bl. 100, Regierungskanzlei der DDR, Protokoll der 25. Sitzung der Provisorischen Regierung der DDR am 11. 5., 12. 5. 50. BAB, DK 1/3029, Bl. 31, MLF DDR, „Übersicht über die Versorgung der Neubauern mit Wohnund Stallgebäuden [...] durch Neu- und Umbauten", 30. 6. 50.
SäHStA, LRS, Mdl 2208, Mdl Sachsen, Abt. BP, Halm, an SKK, z.H. Major Kirilin, 13. 12. 50. BAB, DK 1/3032, Bl. 55 ff., MLF DDR, Frommhold, an Ministerium für Aufbau DDR, 24.10. 51. 9313 BAB, DK 1/3029, Bl. 26f., insb. Bl. 26, MLF DDR, Aktennotiz über die Besprechung bei der SKK 948
949
am
23. 6., 30. 6. 50.
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SED-Führung verfügten „Baukostensummen von 5000 DM für den Kernbau als auch 10 000 DM für den Planbau des Jahres 1950" waren, wie ein Abteilungsleiter des Landwirtschaftsministeriums noch im Herbst 1951 seinen Kollegen im Aufbauressort unverblümt erklärte, „ohne Mitwirkung der Neubauern und der Bauwirtschaft am ,Grünen Tisch' in Berlin ermittelt" worden und hatten mit den realen Baukosten nichts zu tun951. Zu diesem Zeitpunkt hatte das DDR-Aufbauministerium bereits Erfahrungen mit der Kostenentwicklung „im volkseigenen Wohnungsbau" sammeln können, für den das DDR-Umsiedlergesetz vom September 1950 ebenfalls ein kleines Vertriebenen-Förderprogramm aufgelegt hatte952. Auch für diese an subventionierten industriellen Entwicklungsschwerpunkten der DDR-Wirtschaft angesiedelten Bauvorhaben war ein Richtpreis von 10000 Mark pro Wohneinheit festgelegt worden. „Um eine möglichst große Zahl von Wohnungseinheiten zu errichten", hatte das Aufbauministerium „vorzugsweise" den „Bau von Zwei-Zimmerwohnungen angeordnet", ohne auf die Raumbedürfnisse der häufig größeren Arbeiterfamilien Rücksicht zu nehmen. Schon im Spätsommer 1950 war die Realitätsferne dieser Planungen deutlich geworden, denn die tatsächlichen Baukosten hatten pro Wohneinheit nicht bei 10000 Mark, sondern (noch ohne Gebäudeaufschließung) bei durchschnittlich 12300 Mark gelegen. Wo die verordnete Kostenobergrenze tatsächlich eingehalten worden war, war dies „auf Kosten der Qualität geschehen"953. Der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission stellte im Sommer 1951 fest, daß „Klagen" über „klaffende Risse", schlecht isolierte Fenster und dauernden Luftzug in den Wohnungsneubauten der Jahre 1949/50 „in der ganzen Republik" laut geworden seien954. Auch um die Neubauten des Jahres 1951 stand es nicht viel besser: Diese Wohnungen waren ebenfalls zu klein und für Familien mit Kindern ungeeignet; zudem waren als fertiggestellt gemeldete Wohnungen vielfach noch gar nicht bezugsfertig. Der Plankommission zufolge war es geradezu eine „Massenerscheinung" geworden, „daß die Bauindustrie erklärt, daß sie nach den vorliegenden Kostenplänen die Investitionsobjekte nicht erstellen kann und sich weigert, die Arbeiten entweder überhaupt zu beginnen oder bei begonnenen Vorhaben die Arbeit einstellt". Die DDR-Wirtschaftsplaner forderten von ihrem Chef Heinrich Rau, die realitätsferne Kostenobergrenze überschreiten zu dürfen, „damit keine Ruinen stehen bleiben"955. Das Baugeschehen für Neubauern litt unter denselben Verwerfungen. Die Mängel einer Baupolitik, die sich eher an papierenen Erfolgsstatistiken als an realen Fortschritten zu orientieren gelernt hatte, waren eklatant. „Eingestürzte Gebäude in Wittstock, Kr. [eis] Prenzlau" machten Schlagzeilen und waren im Juni 1950 der Grund eines Hilferufs des dortigen Ortsausschusses der „Nationalen *" 952 933
934 933
BAB, DK 1/3032, Bl. 55 ff., MLF DDR, Frommhold, an Ministerium für Aufbau DDR, 24.
10. 51.
Vgl. Schwartz, Vertrieben in die Arbeiterschaft, S. 116 ff. Etwa durch „Weglassung des Außenputzes, der Dachrinnen, Fallrohre, Badeeinrichtungen, Öfen" sowie durch den Einbau „schlechterefr] Kochherde" oder von „Einfachfenster[n]"; vgl. BAC, DH 1/44495, Entwurf Ministerium für Aufbau DDR, Dr. Mfüller], an MP DDR, Sekretariat, 11.10. 51, S. 2f. BAC, DH 1/44523, SPK DDR, Rau, an MfA DDR, Malter, 5. 7. 51. Ebenda, SPK DDR, Abt. Investitionsplanung, Bayer, an Rau, 31. 5. 51, S. 2.
834
III. Die Macht des Sozialen
an Agrar-Staatssekretär Merker956. Bei diesen eingestürzten Neubauten handelte es sich offensichtlich um Bauobjekte des Vorjahres957, welche „entgegen den baupolizeilichen Bestimmungen technisch falsch ausgeführt wurden, wodurch erhebliche Sachschäden entstanden". Die betroffenen Neubauern wußten „von eingestürzten Giebeln und Kellerwänden, nicht tragfähigem Mauerwerk, schiefen Wänden, starken Rissen im Mauerwerk" zu berichten958. Mitte Juni 1950 stellte die „Märkische Volksstimme", das brandenburgische SED-Parteiorgan, öffentlich die alles andere als optimistische Frage: „Was wird aus dem Bauprogramm 1950?" Das SED-Presseorgan kontrastierte Photographien von Altbauten mit dem „Bild von unfertigen Neubauernhäusern" und bemerkte dazu, letztere würden „noch heute mehr einem Ruinenfeld gleichen, als von einem bewußten Aufbau Zeugnis ablegen". Angesichts der Tatsache, daß ein Teil dieser Neubauten vermutlich wieder abgerissen werden mußte, forderte das SED-Blatt zornig, ohne freilich Roß und Reiter nennen zu können: „Schluß mit der Wurstelei -Jetzt muß endlich gehandelt werden."959 Es muß offenbleiben, ob dieser bemerkenswerte Artikel auf den Einfluß Paul Merkers zurückgeht, der damals noch über ein SED-Landtagsmandat in Brandenburg und über jahrelang gewachsene Kontakte zum dortigen SED-Apparat verfügte960. Jedenfalls wurde wenig später, Ende Juli 1950, die „falsche Planung" für das 1950er Bauprogramm auch in einem internen Papier des DDR-Landwirtschaftsministeriums heftig attackiert, wobei im Unterschied zur SED-Presse auch allerhöchste Verantwortliche namhaft gemacht wurden. Diese für SED-Verhältnisse ungewöhnlich direkte Attacke auf Ulbricht und dessen Planungschef Heinrich Rau war von derartiger Brisanz, daß sie nur von Merker ausgegangen sein kann961, der zu dieser Zeit auf dem III. SED-Parteitag unter demütigenden Umständen seine Führungsfunktionen in der SED-Spitze verloren hatte962, jedoch als Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium noch im Amt war. Seit dem SEDParteitag wußte Merker, daß er mit dem Rücken zur Wand stand. Sein Widersacher Ulbricht instrumentalisierte nicht nur die „Noel-Field-Affäre", die im gesamten Ostblock Anlaß zu „Säuberungen" der kommunistischen Parteiführungen von früheren „Westemigranten" gab, um Merker zu Fall zu bringen963, son-
Front"
95
95? 95s
BAB, DK 1/3032, Bl. 104ff., insb. Bl. 104, Ministerium für Aufbau DDR, Siewert, an MLF DDR, HA III, 21. 7. 50.
Ebenda, Bl. 106. Ebenda, Bl. 29ff., insb. Bl. 29, MLF DDR, [Merker; Name in Abschrift nachträglich geschwärzt],
Ministerium für Aufbau DDR, 21. 8. 50; dieser Vorfall löste einen Disput zwischen Merker und Siewert darüber aus, welches ihrer beiden Ministerien dafür zuständig sei, „die Schuldigen festzustellen, zur Verantwortung zu ziehen und Maßnahmen zur Beseitigung der Schäden und Fertigstellung der Bauten [...] einzuleiten"; vgl. ebenda, Bl. 108, MLF DDR an Ministerium für Aufbau DDR, 8. 7. 50; ferner: ebenda, Bl. 104ff., insb. Bl. 105, Ministerium für Aufbau DDR, Siewert, an MLF DDR, HA III, 21. 7. 50, sowie ebenda, Bl. 29ff., MLF DDR, [Merker], an Ministerium für Aufbau DDR, 21. 8. 50; dieser Kompetenzstreit wiederholte sich im Herbst 1951. BAB, DN 1/2344, „Was wird aus dem Bauprogramm 1950?", in: Märkische Volksstimme v. 14. 6. an
959
50. 960
*i 962 963
SBZ-Handbuch, S. 977; Merkers parteiinterne Korrespondenz bietet Beispiele für intensive Kommunikation mit brandenburgischen SED-Mitgliedern; vgl. SAPMO, DY30/IV2/2.022/36. BAB, DK 1/3039, Bl. 46-52, MLF DDR, „Begründung für eine erforderliche Planänderung des
Bodenreform-Bauprogramms des Jahres 1950", 28. 7. 50. Janka, Spuren eines Lebens, S. 332 f.
Herf, Antisemitismus in der SED, S. 638; seit dem Ausbruch Jugoslawiens
aus
der
sowjetischen
1.
Integration durch Bodenreform?
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dem verstand auf der „Suche nach Belastungsmomenten" auch „der agrarischen Dauerkrise und der unausgereiften Landwirtschaftsverwaltung" Nützliches abzugewinnen964. Der in die Defensive geratene Merker, dessen einst gutes „Image" auch bei den Sowjets „wegen seiner agrarpolitischen Ansichten und Tätigkeit 1950 gelitten haben" dürfte965, scheint in dieser Situation versucht zu haben, seine Position mit tragfähigen neuen Konzeptionen für die kriselnde Neubauernpolitik und mit gleichzeitiger heftiger Kritik am Ulbricht-Kreis wieder befestigen zu können. Wie dieser Machtkampf ausging, ist bekannt: Mit Hilfe der Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) Hermann Materns wurde Merker als Sowjetfeind „enttarnt", dessen politisches Schicksal am 24. August 1950 durch den Ausschluß aus der SED und die gleichzeitige Entfernung aus dem Amt des Staatssekretärs besiegelt wurde. Bevor ihn das SED-Regime Ende 1952 für mehrere Jahre inhaftierte, wurde der gelernte Kellner zum HO-Gaststättenleiter in der branden-
burgischen Provinz degradiert966. Die Ermittlungen der ZPKK zwangen Merker am 27. Juli 1950, eine detaillierte Rechtfertigung seiner politischen Vergangenheit zu verfassen967. Nur einen Tag später entstand im DDR-Landwirtschaftsministerium jene ausführliche „Begründung für eine erforderliche Planänderung des Bodenreform-Bauprogramms des Jahres 1950", in der letztlich Ulbricht für die bisherigen „Fehler in der Planung" verantwortlich gemacht wurde968. Merker, der mutmaßliche Urheber dieser Ausarbeitung, kämpfte damit um sein politisches und womöglich auch persönliches
Überleben. Ohne taktische Rücksichten versuchte er aus seiner letzten verbliebenen Bastion, dem DDR-Landwirtschaftsministerium, einen Entlastungsangriff
auf die ihn bedrohende Ulbricht-Clique. Angesichts Merkers SED-interner Isolation und der uns bekannten Möglichkeiten effektiver Kritik an der SED-Spitze durch sowjetisch-deutsche Kommunikation969 dürfte die brisante MLF-Ausarbeitung zur Neubauernbaupolitik mit hoher Wahrscheinlichkeit vor allem für sowjetische Ansprechpartner bestimmt gewesen sein. „Die Frage der Errichtung der Neubauernhäuser" war von der SKK schon Ende Juni als „ein äußerst ernstes Problem" eingestuft worden, für das Merker auf deutscher Seite der wichtigste Ansprechpartner war970. Damals war auf einer SKK-Besprechung vom DDRAufbauministerium ein „Vorschlag" für den Ministerrat vorgestellt worden, um für Überhangbauten „eine höhere Kreditierung über die jetzt bestehende Grenze Hegemonie
überboten sich die
Vasallenparteien
des stalinistischen Blocks darin, vermeintliche
Verräter in den eigenen Reihen ausfindig zu machen; vgl. Fejtö, Geschichte der Volksdemokratien,
Bd. l,S.256f.
964 93
966 w »8
*9 970
Bauer, Blockpartei und Agrarrevolution von oben, S. 308.
Ebenda. Herf, Antisemitismus in der SED, S. 638 ff.; zwischen Dezember 1952 und Januar 1956 wurde Merker als Schlüsselfigur eines geplanten Schauprozesses inhaftiert. Ebenda, S. 639, Anm. 12. BAB, DK 1/3039, Bl. 46-52, insb. Bl. 46, MLF DDR, „Begründung für eine erforderliche Planänderung des Bodenreform-Bauprogramms des Jahres 1950", 28. 7. 50. ausführlich Kap. II.1.5. Vgl. einer Auf Besprechung bat SKK-Vertreter Baranow „um Zusendung einer Übersicht über die bisherige Versorgung der Neubauern mit Gehöften und über den Restbedarf, mit Unterschrift des Herrn Staatssekretärs Merker"; vgl. BAB, DK 1/3029, Bl. 26f., insb. Bl. 27, MLF DDR, Aktennotiz über SKK-Besprechung am 23. 6., 30. 6. 50.
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DM pro Gehöft" zuzulassen971. Dieser von den Sowjets nicht zurückgewiesene Vorschlag fand sich einen Monat später im Papier des Agrarressorts wieder972. Die von Merker Anfang Juli 1950 verfügte Einberufung einer Sitzung der Landwirtschaftsminister aller Länder, deren persönliches Erscheinen in Berlin verlangt wurde973, ging im Kern ebenfalls auf eine sowjetische Anregung zurück974. Diese am 26. Juli 1950 durchgeführte Spitzenbesprechung ergab, „daß die vorgegebenen Richtzahlen" des Jahresbauprogramms „im Durchschnitt höchstens zu 50% erreicht werden" konnten. In dieser Ministerrunde, die das Jahr 1950 politisch mehrheitlich nicht überleben sollte975, wurde die Ursache dafür „hauptsächlich" auf „falsche Planung" zurückgeführt976. Die Führung des DDR-Landwirtschaftsministeriums listete zwei Tage nach dieser Sitzung minutiös auf, daß sie schon am 3. März 1950 in Absprache mit dem Aufbauministerium dem Ministerrat eine Beschlußvorlage unterbreitet habe, in der „eine differenzierte Kreditausreichung entsprechend der Wirtschaftskraft der Neubauern von 22 bis 83% der Baukosten vorgeschlagen" worden sei. Außerdem habe man die Kosten der Überhangbauten in das Gesamtbauvolumen für 1950 einbeziehen wollen und eine Senkung dieses Volumens auf 344 Millionen Mark empfohlen. Diese Vorlage sei am 16. März auf die Tagesordnung des Ministerrats gekommen, jedoch nicht behandelt worden. Statt dessen sei am 3. April im Agrarressort eine Stellungnahme des DDR-Ministers für Planung, Heinrich Rau, „mit der kategorischen Ablehnung der Vorschläge" eingegangen. Der Planungsminister habe den Ministerratsbeschluß vom Februar so ausgelegt, daß das Gesamtbauvolumen mit Überhängen 518 Millionen Mark betrage. Bei gleichbleibendem Kreditvolumen von 145 Millionen Mark habe diese Interpretation bedeutet, daß nunmehr 373 Millionen Mark oder 72% der Baukosten „anderweitig" also primär durch Eigenleistungen der Bauern hätten erbracht werden müssen. Diese Rekonstruktion des politischen EntScheidungsprozesses führte Merkers Ministerium zum vernichtenden Fazit, eine Realisierung des Jahresbauprogramms sei von Anfang an „nicht möglich" gewesen: „Dieser Plan hing völlig in der Luft, losgelöst von der lebendigen Wirklichkeit, von den wirtschaftlichen Möglichkeiten und dem Bewußtsein des größten Teils der Umsiedler und Neubauern."977 Das nach der Konferenz der Agrarminister entstandene Papier des DDR-Landwirtschaftsministeriums „für eine erforderliche Planänderung" betonte mit Blick auf diese planerische Fehlentwicklung ausdrücklich, daß die ursprünglich vorgevon
10000,
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9«
977
Ebenda. BAB, DK 1/3039, Bl. 46-52, insb. Bl. 50, MLF DDR, „Begründung für eine erforderliche Planänderung des Bodenreform-Bauprogramms des Jahres 1950", 28. 7. 50. Ebenda, Bl. 57, MLF DDR, Merker, Rdschr. v. 7. 7. 50. Demnach sollte der DDR-Minister „nach und nach die Ländervertreter zur Berichterstattung kommen" lassen; vgl. BAB, DK 1/3029, Bl. 26f., insb. Bl. 27, MLF DDR, Aktennotiz über SKKBesprechung am 23. 6., 30. 6. 50. Vier der fünf Landesminister (darunter drei SED-Politiker) verloren im Herbst 1950 ihre Ämter; dies betraf u. a. den brandenburgischen Wirtschaftsminister Otto Falkenberg, der wie Merker früherer Westemigrant war, den sachsen-anhaltischen Minister Ernst Brandt, der 1951 sogar verhaftet wurde, und den kommissarischen sächsischen Minister Felix Kaden, der als früherer Sozialdemokrat nicht länger erwünscht war; vgl. die Einträge im SBZ-Handbuch. BAB, DK 1/3039, Bl. 46-52, insb. Bl. 46, MLF DDR, „Begründung für eine erforderliche Planänderung des Bodenreform-Bauprogramms des Jahres 1950", 28. 7. 50.
Ebenda, Bl. 47.
1.
Integration durch Bodenreform?
837
sehenen Bautypen „auf Veranlassung des Herrn stellv.[ertretenden] Ministerpräsidenten Walter Ulbricht" im April 1950 hätten widerrufen werden müssen, was zu einer erheblichen Zeitverzögerung bei der Baudurchführung geführt habe. Tatsächlich waren bis Ende Juli 1950 erst 2,6% des Wohnbautensolls und 4,6% des Stallbautensolls genehmigt worden; bei Kernbauten und Überhängen sah es wenig besser aus. Merkers Ministerium wagte daher das Unding einer „Planänderung" zu fordern, die unter anderem eine Aufstockung des Kreditvolumens um 25 Millionen Mark erbringen sollte. Ferner sollte eine flächendeckende Überprüfung der wirtschaftlichen Lage aller Neubauern mit Überhangbauten die Voraussetzung bilden, um „bei nachgewiesener Bedürftigkeit" über die bisherige Kreditgrenze von 10000 Mark hinausgehen zu können. Auch der Kreditanteil für Planbauten sollte „nicht schematisch" an die Höchstgrenze von 3750 Mark gebunden, sondern nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der Neubauern differenziert und auf bis zu 7500 Mark nahezu doppelt werden können. Eine differenzierte Kreditvergabe wurde auch in regionaler Hinsicht zugunsten von „Notstandskreisen auf Kosten wirtschaftlich stärkerer Kreise" angeregt. Da die Länderminister übereinstimmend ein „größeres Interesse für Kernbauten" unter den Neubauern konstatiert hatten, sollte diese Billigbauvariante von 4000 auf 8000 Objekte verdoppelt werden. Dieses von Merker gebündelte Programm sozialer Differenzierung der Neubauern-Bauförderung war nicht explizit umsiedlerpolitisch motiviert, wäre allerdings wirtschaftsschwachen Umsiedler-Neubauern effektiv zugute gekommen. Freilich sah auch dieser Änderungsvorschlag eine Kredithöchstgrenze vor, die 60% der jeweiligen regionalen Bausumme nicht überschreiten sollte. „Mit dieser Planänderung und den Vorschlägen zur Verbesserung der Organisationsarbeit in den zuständigen Verwaltungsstellen" hielten es die Agrarpolitiker der DDR für „möglich [...], das Bodenreform-Bauprogramm planmäßig und erfolgreich zu Ende zu führen"978. Nach Merkers Entlassung am 24. August 1950, der im DDR-Landwirtschaftsministerium weitere „Säuberungen" folgten979, versuchten die Sieger dieses Machtkampfes, die für sie peinliche Geschichte des Jahresbauprogramms von 1950 in ihrem Sinne umzuschreiben. Als im Dezember 1950 die Inspektionsabteilung der Staatlichen Plankommission die Durchführung des Jahresbauprogramms überprüfte, kam der Berichterstatter ausgerechnet der frühere BodenreformSachbearbeiter der ZVU, Josef Haslinger980 zwar zu ähnlich deprimierenden Beobachtungen wie das Merker-Papier, jedoch zu völlig anderen Schuldzuweisungen. Ende Oktober 1950 waren erst 43% der Überhangwohnbauten und 50% der Ställe und Scheunen bezugsfertig gewesen, während der ursprünglich veranschlagte Förderkredit von 45 Millionen Mark auf 80 Millionen hatte erhöht werden müssen. Von den eigentlichen Planbauten des Jahres 1950 waren damals erst 5% als fertiggestellt und weitere 4,5% als im Rohbau befindlich gemeldet. Bei den -
-
„Kernbauten (Wohnhaus und Stall)" sah es entgegen der auch im Merker-Um-
978 979
Ebenda, Bl. 48-52. gramm wesentlich BAB, DN 1/2350.
98°
Wilhelm Dölling, der zwischen 1947 und 1949 das Neubauern-Baupromitgeprägt hatte, wurde als angeblicher Saboteur verhaftet; vgl. die Vorgänge in
Hauptabteilungsleiter
Vgl. die Vorgänge in BAB, DO 2/62.
III. Die Macht des Sozialen
838
feld
vertretenen
optimistischen
„schlechte Realisierung" des
noch ungünstiger aus. Für diese Bauprogramms machte die DDR-Plankom-
Annahmen
1950er
-
mission freilich nicht die eigenen Planungen, sondern die für die Baudurchführung verantwortlichen Ministerien für Landwirtschaft und für Aufbau verantwortlich. Diese hätten zu spät mit den organisatorisch-technischen Vorbereitungen begonnen, „ein brauchbarer Bauplan" und entsprechende Kreditregelungen seien ebenfalls „sehr spät geklärt" worden, was wiederum die Werbearbeit vor Ort behindert habe. Daß diese Verzögerungen jedoch auf direkte Interventionen Ulbrichts und seines Planungschefs Rau zurückgingen, blieb in der Plankommissions-Expertise begreiflicherweise unerwähnt und war womöglich dem untergeordneten Berichterstatter nicht einmal bekannt. Auch die Tatsache, daß die mit der Bauausführung betrauten Organe des Aufbauministeriums sowie die Projektierungsbüros 1950 nur „ungenügend aktionsfähig" gewesen waren, wurde nicht auf Ursachen hin untersucht. Das kritische Potential des SPK-Berichts blieb daher oberflächlich, denn wenn beiden Fachministerien vorzuwerfen war, daß sie sich in langwierigen „Kompetenzstreitigkeiten" verzettelt hatten, hätte die Anschlußfrage nahegelegen, welche übergeordnete Stelle dieses Kompetenzchaos verursacht oder geduldet hatte. Fragen nach der politischen Letztverantwortlichkeit waren jedoch im SED-Staat nicht mehr opportun981. Der Bericht der Plankommission war nicht für den internen Gebrauch bestimmt, man ließ ihn vielmehr unter Spitzenfunktionären der DDR zirkulieren982 und konfrontierte auf diese Weise die betroffenen Fachressorts mit vehementen Schuldzuweisungen983. Während sich das Aufbauministerium, dessen Hauptabteilungsleiter Siewert wegen seiner politischen Vergangenheit angreifbar war984, offensichtlich still verhielt, löste der Versuch der Plankommission, von den eigenen Planungsfehlern abzulenken, im DDR-Landwirtschaftsministerium heftige Gegenreaktionen aus. Die dortigen Funktionäre erinnerten sich zu gut der im Frühsommer 1950 unter der Ägide ihres zur Unperson gewordenen Staatssekretärs geübten Kritik an der Arbeit des DDR-Planungsministeriums, das unterdessen zur Plankommission mutiert war, sowie des letztverantwortlichen DDRWirtschaftsplaners Walter Ulbricht. Der für das ländliche Baugeschehen zuständige MLF-Hauptabteilungsleiter Griepentrog war nicht bereit, das konzeptionelle Versagen der Wirtschaftsplaner zu einem administrativen Versagen seines Hauses umdeuten zu lassen. Bissig kommentierte er, der Verlauf des Baugeschehens habe 1950 „klar und unmißverständlich" gezeigt, „daß infolge [der] Überschätzung der Wirtschaftskraft der Neubauern der aufgestellte Plan [...] nicht realisiert werden konnte". Ursprünglich habe man mit 145 Millionen Mark Kredit98>
BAB, DK 1/3031, Bl. 20fL, SPK DDR, Bericht betr.
982
983 984
Inspektions-Abteilung, Haslinger, „Zusammenfassender
Überprüfung des Bodenreform-Bauprogramms
1950", streng vertraulich, 8.12. 50. SAPMO, DY19/Bündell8/138, SPK DDR, Inspektionsabteilung, Haslinger, an VdgB, Generalse-
kretär, „streng vertraulich", 8. 12. 50. BAB, DK 1/3031, Bl. 19, SPK DDR, Inspektions-Abteilung, Kunde,
an MLF DDR, Dez. 1950. Siewert stand wegen seiner Zugehörigkeit zur von den Sowjets wegen ihres Verhaltens gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen kritisch untersuchten Gruppe der „roten" Häftlingselite des NSKonzentrationslagers Buchenwald, aber auch wegen früherer Zugehörigkeit zur Weimarer KPO unter Druck und verlor 1951 für längere Zeit alle politischen Funktionen; vgl. SBZ-Handbuch, S. 1030.
1.
Integration durch Bodenreform?
839
mitteln ein Bauvolumen von 518 Millionen Mark stimulieren wollen, welches zunächst im Mai auf 400 Millionen Mark, im August sodann auf 267,8 Millionen Mark drastisch nach unten habe korrigiert werden müssen. Am Ende habe das reale Volumen des Jahresprogramms sogar nur 179,5 Millionen Mark betragen985. Realitätsferner, so die unmissverständliche Andeutung, konnte Planung kaum sein. Der Bericht eines weiteren Abteilungsleiters des Agrarressorts scheute sich nicht einmal, an die persönliche Verantwortung Ulbrichts für erhebliche Zeitverzögerungen zu erinnern. Erst die zweite Revision der Planvorgaben vom August 1950, an der sich das Landwirtschaftsministerium erheblichen Anteil zurechnen konnte, hatte nach Einschätzung desselben „trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit" noch „ein sprunghaftes Ansteigen der Bauwilligkeit" bewirkt986. Dies war zutreffend, doch auf die kaum realisierte Bautätigkeit, die mit der Bauwilligkeit eklatant kontrastierte und von der SPK entsprechend angeprangert worden war, ging die Apologie des Agrarressorts ihrerseits nicht ein. Diesen Bericht ließ der oberste Baufunktionär des Landwirtschaftsministeriums kommentarlos der Staatlichen Plankommission zugehen, obwohl er sich auf die nüchterne Mitteilung hätte beschränken können, daß für ihre Mónita das Ministerium für Aufbau berichtspflichtig sei987. Doch nicht nur Griepentrog und seine Mitarbeiter waren konfliktfreudig. Die Inspekteure der Plankommission ließen den Konflikt ihrerseits eskalieren, indem sie im Februar 1951 bei Landwirtschaftsminister Scholz intervenierten. Den Bericht seiner Funktionäre, so erfuhr der DBD-Mimster, könne man „keinesfalls anerkennen", statt dessen sei eine eingehende Antwort auf den Kontrollbericht der SPK und eine Unterrichtung über eingeleitete Verbesserungsmaßnahmen erforderlich988. Damit provozierte die Plankommission nur noch härtere Gegenattacken. In einer „streng vertraulichen]" Replik warf die zuständige Hauptabteilung des Landwirtschaftsressorts den Wirtschaftsplanern offen vor, sich völlig isoliert „mit den schlechten Ergebnissen" des Bauprogramms befaßt zu haben, „ohne die Hauptursachen" zu diskutieren, „die insbesondere durch schwerwiegende Planungsfehler" im damaligen Planungsministerium sowie durch die sinnlose Zerschlagung der früheren Zonenbauleitung hervorgerufen worden seien989. Bei diesem Konflikt ging es nicht nur um wechselseitige Schuldzuweisungen, die karrierebedrohend werden konnten. Im Kern ging es darum, zu welchem Grad kritischer Selbstbeobachtung und Selbstkorrektur das politische System der DDR unter den sich verschärfenden Bedingungen der Diktatur eines kleinen SED-Führungszirkels noch fähig war. Im Sommer 1950 konnten schwerwiegende Planungsfehler noch beim Namen genannt und zumindest partiell korrigiert werden. Ein halbes Jahr später hatte sich dieses kritische Potential bereits auf coura985
Ebenda, Bl. 17f., MLF DDR, HA III Ländliches Bauwesen, Griepentrog, Erfüllungsbericht und
Analyse über den Volkswirtschaftsplan 986 Ebenda, Bl. 12-15, 1950, 17. 1.51.
MLF
DDR,
HA
1950
(Neubauern-Bauprogramm), 15.1. 51. zum Neubauernbauprogramm für
III/A, Erfüllungsbericht
Ebenda, Bl. 11, MLF DDR, HA III, an SPK DDR, streng vertraulich, 30.1. 51. 988 Ebenda, Bl. 10, SPK DDR, Insp.-Abt., Kunde, an MLF DDR, Sekretariat Minister Scholz, 987
12.2.
51.
989
BAB, traulich, 26. 2. 51.
DK 1/3031, Bl. 8 f., MLF DDR, HA III,
an
SPK
DDR, Instruktionsabteilung, streng ver-
III. Die Macht des Sozialen
840
gierte Selbstverteidigung reduziert, die politische Entscheidungen nicht mehr zu beeinflussen vermochte. Die Spätphase des Neubauern-Bauprogramms von 1951 bis 1953 kannte schließlich nur noch kritische Diskussionen über Mängel in der Durchführung, während die höhere Ebene der DDR-Wirtschaftsplanung quasi unberührbar geworden war. Die Ereignisse des Jahres 1950 waren ein eklatantes Beispiel für wirtschaftsplanerische Entscheidungsscheu und gleichzeitige Übersteuerung. Nicht bereit oder in der Lage, das wachsende Mißverhältnis zwischen Subventions- und Bauvolumen in Einklang zu bringen, hatte das SED-Regime damals nicht die finanziellen Grenzen des Neubauernbauprogramms, sondern beinahe das Programm selbst gesprengt. Im Ergebnis mußte, wie brandenburgische SED-Agrarfunktionäre 1951 feststellten, „das Jahr 1950" zweifellos „als ein schwarzes Jahr in der Erfüllung unseres Neubauernbauprogramms bezeichnet werden"990. Das galt auch für dessen vertriebenenrelevante Wirkung. Das DDR-Landwirtschaftsministerium schätzte zwar den „Anteil der Neubauern-Umsiedler an den genehmigten Bauanträgen" auf „50-55%"991, konnte jedoch nicht verhehlen, daß insbesondere in den Vertriebenenschwerpunkten Brandenburg und Mecklenburg das Jahresbauprogramm für 1950 effektiv gescheitert war. Eine Schlußfolgerung für die Agrarpolitik der DDR konnte daher nur lauten, ihre künftige Baupolitik auf diese Bodenreformzentren zu konzentrieren, die zugleich die Länder mit dem höchsten Anteil an vertriebenen Neubauern waren992. Eine weitere Schlußfolgerung drängte sich seit der Krise des Sommers 1950 auf: Die ausdrückliche konzeptio-
nelle Konzentration der Kreditsubventionen auf Umsiedler-Neubauern. Gerade Neubauernbauprogramms im Jahre 1950 verhalf somit jener gezielten Vertriebenenförderung in der Neubauernpolitik zum Durchbruch, welche die SED-Agrarpolitiker bisher stets zu vermeiden versucht hatten.
die Krise des
1.4. Umsiedler sind bevorzugt zu behandeln": Neubauernpolitik als Vertriebenenpolitik 1950-1952 „
Noch bevor das Neubauernbauprogramm 1950 in seine bis dahin schwerste Krise geriet, zeigten Angehörige der Sowjetischen Kontrollkommission in der DDR wachsendes Interesse an Fördermaßnahmen für Vertriebene, darunter auch an gruppenspezifischen Hilfeleistungen für Umsiedler-Neubauern. Im Frühjahr 1950 forderte die thüringische SKK-Vertretung von der dortigen Landesregierung und SED-Landesleitung, „die Lage der Umsiedler zu studieren, welche in der Landwirtschaft beschäftigt sind[J und Maßnahmen zu treffen, um ihre Interessen
990 "i
992
Zit. nach: Bauerkämper, Das Neubauernbauprogramm im Land Brandenburg, S. 193. BAB, DK 1/3029, Bl. 23, MLF DDR an SKK, 19. 3. 51. In Brandenburg waren von bereitgestellten 48,5 Millionen Mark an Baukrediten nur 29 Millionen beantragt und bewilligt worden, in Mecklenburg von 42,5 Millionen Mark sogar nur 24,5 Millionen; 1951 sollten daher laut Scholz insgesamt 145 Millionen Mark an Baukrediten bereitgestellt werden, die schwerpunktmäßig den in Mecklenburg (65,7 Millionen Mark) und Brandenburg
(44 Millionen Mark) wirtschaftenden Neubauern zur Verfügung gestellt werden sollten; vgl. ebenda, Bl. 18f., MLF DDR, Scholz, an SKK, Stellv. Vorsitzender, 3. 4. 51, mit Anlage: Statistik zu Neubauern-Baukrediten mit Erläuterungen, 2. 4. 51.
1.
Integration durch Bodenreform?
841
unterstützen und Hilfe zu leisten"993. Schon im März 1950 hatte sich ein Rostocker Kreisrat an die dortige SKK-Vertretung gewandt, um sie auf die desolate Lage eines Teils der Vertriebenenbevölkerung, darunter auch der meisten Umsiedler-Neubauern, aufmerksam zu machen. Angesichts der staatlichen Politikverweigerung in dieser Frage hatten im Kreis Rostock einige Kommunen selbst schon eigene kleine Baupläne erstellt, um durch Um- oder Neubauten zusätzlichen Wohnraum für Vertriebene zu schaffen. Daß dies jedoch nur in acht von insgesamt 189 Landgemeinden dieses Landkreises geschehen war, verweist auf die begrenzten kommunalpolitischen Motivationen oder Handlungsspielräume für solche Hilfsmaßnahmen. Der Rostocker Dezernent forderte daher, im Rahmen des Neubauern-Bauprogramms das Baukreditlimit generell von 10000 auf 12000 Mark zu erhöhen. Daneben sei eine strenge Normierung aller Bauten zwecks Kostensenkung, eine zentrale Organisation von Sammeltransporten für Baumaterial in jedes Dorf und eine stärkere Mobilisierung kostenloser Gemeinschaftshilfe zu
dringlich994.
In der ersten Umsetzungsphase des Neubauern-Bauprogramms zwischen 1948 und 1950 hatte die Planerfüllung bei 56% gelegen, da weniger als 57000 von geplanten 102000 Wohnhäusern fertiggestellt werden konnten. Zwar scheint es einseitig, diese unter sehr schweren Umständen erbrachte Leistung einfach als „Desaster" abzutun995, doch DDR-weit verfügten im Oktober 1950 immer noch 41 600 Umsiedler-Neubauern (also 45% ihrer Gesamtgruppe) über keine eigenen Wohngebäude. Noch mehr (zu 48%) fehlte es diesen vertriebenen Landwirten an Stallungen. Nicht nur die negativen Wirkungen auf den Lebens- und Arbeitsalltag, sondern auch die Folgen für das Sozialprestige solcher Umsiedler-Neubauern in der ländlichen Gesellschaft waren verheerend: „Im Ansehen des Dorfes waren diese Neubauern eigentlich keine Bauern, sie blieben weiterhin die .Flüchtlinge', die nichts besaßen."996 Umso dringlicher wurde eine Wiederbelebung jener vertriebenenpolitischen Gruppenförderung, wie sie SED und ZVU 1947/48 zeitweilig konzipiert hatten, und deren zielgerichtete Ausweitung auf den davon bisher kaum berührten Bereich der Neubauernpolitik. Die DDR-Agrarpolitik mußte nunmehr die Wahrnehmung jener Vertriebenendifferenz innerhalb der Neubauernschaft nachholen, die der damalige ZVU-Präsident Rudolf Engel bereits im Juni 1947 mustergültig formuliert hatte. Auf einer Konferenz auf der Wartburg hatte Engel als Aufgabe seiner Sonderverwaltung die Sorge für jene Menschen definiert, „die unter Bedingungen in unser Volk eintreten, die sich wesentlich von den Bedingungen der anderen Menschen unterscheiden", und dabei ausdrücklich auf die unterschiedliche Soziallage alteingesessener und vertriebener Neubauern hingewiesen. Ein einheimischer Neubauer, der zuvor „Jahrzehnte als Landarbeiter oder landarmer Bauer" gearbeitet habe, habe durch die Bodenreform „seine bisherige Existenz bereichert", denn er verfüge bereits über „Wohnung, Ackergerät und einen gewissen Viehbestand" und könne sich überdies auf die Hilfe von
ThüHStA, Mdl 3817, Bl. 86-89, insb. Bl. 89, Abschrift: [SKK Thüringen], „Bericht über die Lage der Umsiedler im Land Thüringen", o.D. [ca. Frühjahr 1950]. 994 MLHA, Mdl 2717, RdK Rostock, Dez. Innere Verwaltung, an SKK, Vertretung Rostock, 13. 3. 50. 993 Buck, Wohnungspolitik (SBZ), S. 910. 996 Meinicke, Die Bodenreform und die Vertriebenen, S. 147. 993
842
III. Die Macht des Sozialen
Verwandten verlassen, weshalb er gute Chancen besitze, in kurzer Zeit einen leistungsfähigen bäuerlichen Betrieb zu errichten. Die Ausgangschancen vertriebener Neubauern seien hingegen weit ungünstiger: „Der Umsiedler, der fremd in das Dorf kommt [...], wird nicht die beste und fetteste Stelle bekommen, sondern er wird etwas am Rand leben müssen; die Gebäude und Ackergeräte werden ihm nicht zur Verfügung stehen, er wird warten müssen, bis er daran kommt und wird auf lange Zeit hinaus auch dann noch unterstützt werden müssen."997
Im September 1950 mündete diese Problemanalyse mit Erlaß des „Gesetzes zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler" in der DDR endlich in eine konzeptionell angemessene politische Reaktion. Dieses Umsiedlergesetz verfolgte das Ziel der konzentrierten sozialpolitischen Förderung bestimmter Vertriebenen-Berufsgruppen, darunter an erster Stelle der Umsiedler-Neubauern. Die Bevölkerungspolitiker des DDR-Innenressorts gestanden nunmehr regierungsintern offen ein, daß die ursprüngliche „staatliche Hilfe", die den Umsiedler-Neubauern „in Form von Krediten" zuteil geworden sei, „häufig nicht" ausgereicht habe, um deren Höfe „so zu festigen, daß sie [...] volkswirtschaftlich [...] einen größeren Nutzeffekt erzielen konnten"998. Das DDR-Umsiedlergesetz wollte das Versäumte nachholen und leitete damit ebenso unerwartet wie verspäund wie sich zeigen sollte: auch nur vorübergehend eine neue Phase der tet Landwirtschaftspolitik in der SBZ/DDR ein. Für die nächsten zwei Jahre wurde die bislang unspezifische Neubauernpolitik zur gezielten Vertriebenenpolitik. Mit Recht feierte der CDU-Volkskammerabgeordnete und „Meisterbauer" August Hillebrand auf dem 5. Parteitag der Union die große Bedeutung des neuen Gesetzes für vertriebene Neubauern, denn „in jedem Paragraphen" sei „zu lesen: Umsiedler sind bevorzugt zu behandeln.'"999 Das DDR-Umsiedlergesetz von 1950 in den Kontext eines gezielten ,,Abbau[s] von Vertriebenenpolitik im Agrarbereich" zu stellen1000, ist daher geradezu widersinnig. Im Gegenteil repräsentiert das Umden einsamen siedlergesetz Höhepunkt besonderer Vertriebenenförderung im SED-Staat, deren Abbau erst mit der ersatzlosen Einstellung der umsiedlergesetzlichen Fördermaßnahmen in den Jahren 1952/53 erfolgte. In der Agrarpolitik be-
-
schränkte sich diese
Vertriebenenförderung allerdings nahezu ausschließlich auf Neubauernförderung, während die breite Masse der Landarbeiterschaft, die zu großen Teilen ebenfalls aus Vertriebenen bestand, vom DDR-Umsiedlergesetz wenig zu erwarten hatte1001. Insofern stand das Umsiedlergesetz eindeutig in der Kontinuität der bisherigen SED-Agrarpolitik als exklusiver Neubauernpolitik. Zudem krankte die 1950 eingeleitete agarpolitische Vertriebenenförderung an der kontextuellen sozioökonomischen Entwicklung, aufgrund derer der politische 997
998
ThüHStA, Mdl 3672, Bl. 175-208, insb. Bl. 206, Mdl Thüringen, AfN, Protokoll der erweiterten Direktorenkonferenz auf der Wartburg in Eisenach am 16. und 17. 6., 16. 6. 47. SäHStA, LRS, Mdl 2208, [Mdl Sachsen], Protokoll der Arbeitstagung am 23.10., 25. 10. 50, Vortrag Heinzes.
ACDP, 07/011/1905, Protokoll des 5. Parteitages der CDU, September 1950, Bl. 71/2 und 72/1. íooofher, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 183 f.
999
™'Auch die darin enthaltenen Wohnungsbaumaßnahmen für vertriebene Belegschaftsmitglieder volkseigener Betriebe gingen an der Landwirtschaft fast völlig vorbei und begünstigten nur eine kleine Zahl von Belegschaftsmitgliedern der VEG oder MAS; Schwartz, Vertrieben in die Arbeiterschaft, S. 119.
1.
Integration durch Bodenreform?
843
Stellenwert von Agrarpolitik innerhalb der gesamten Wirtschaftspolitik der DDR drastisch im Sinken begriffen war. Nicht die Vertriebenenförderung in der Agrarpolitik, aber die Agrarpolitik als solche erlitt bereits ab 1949/50 einen einschneidenden Relevanzverlust in der DDR, der in der Umschichtung finanzieller Subventionen zugunsten des schwerindustriellen Aufbaus folgenschweren Ausdruck fand. Das heißt: Die DDR-Agrarpolitik konzentrierte sich zu einem Zeitpunkt auf die Förderung vertriebener Landwirte, als ihre finanziellen Handlungsspielräume drastisch beschnitten wurden. Das Neubauernbauprogramm, das den Großteil der staatlichen Agrarsubventionen verschlang, war just damals vom Vorzeigeobjekt zum Sorgenkind geworden: Ausgerechnet in jenem September 1950, in dem Neubauernpolitik durch das Umsiedlergesetz zur Vertriebenenförderpolitik modifiziert wurde, verlangte DDR-Planungsminister Rau einen verläßlichen „Überblick" darüber, „ob das Bodenreformbauprogramm ein Faß ohne Boden oder mit Boden ist"1002. Es brauchte nicht lange, bis sich in der SED-Führung der Eindruck verfestigte, daß diese Baupolitik für die Staatsfinanzen ein gewaltiges „Faß ohne Boden" war, mit dessen Finanzierung sich das politische System der SBZ/DDR deutlich „übernommen"1003 hatte. Dies umso mehr, als finanzpolitische Zielkoordination und Prioritätensetzung auch nach 1950 fehlten. Immerhin nutzte die SED-Politik die Krise der bisherigen Neubauernförderung und das gleichzeitige Drängen der Sowjets auf sozialpolitische Vertriebenenförderung dazu, die unvermeidliche Beschränkung staatlicher Subventionen in der Neubauernförderung nicht als Kürzungszwang, sondern als produktive politische Gestaltung zu präsentieren: „Um die wirtschaftliche Einrichtung der Neubauern-Umsiedler zum Abschluß zu bringen", wurden mit dem Umsiedlergesetz Landesregierungen und Kommunalverwaltungen beauftragt, den Bau von Wohnund Wirtschaftsgebäuden für vertriebene Neubauern „bis spätestens Ende 1952 zu vollenden" eine klare vertriebenenpolitische Prioritätensetzung in der neubäuerlichen Bauförderung, die angesichts immer knapper werdender finanzieller Ressourcen und der dringenden Konzentration auf die Regionen MecklenburgVorpommern und Brandenburg doppelt sinnvoll war, zugleich allerdings große Teile der DDR-Bauernschaft vom Baugeschehen ausschloß. Die zusätzliche Maßgabe des Gesetzes, auch „die noch nicht vollendeten Bauten aus den Jahren 1948 und 1949" fertigzustellen, verweist allerdings auf die diese vertriebenenpolitischen Privilegien schon wieder aufweichende Realität des Wohnungsbaus in der SBZ/DDR, die durch widerstreitende Gruppeninteressen gekennzeichnet war. Immerhin war der Wille zu einer bevorzugten, tendenziell exklusiven Vertriebenenförderung in der DDR-Neubauernbaupolitik niemals stärker und effektiver als in der Durchführungsphase des DDR-Umsiedlergesetzes 1951/52. Bedürftigen Umsiedler-Neubauern konnte zusätzlich zu den üblichen Neubauernbaukrediten ein zinsloser Sonderkredit von bis zu 5000 Mark gewährt werden, so -
-
daß sie zu günstigeren Konditionen bauen konnten als alle Neubauern zuvor. Die Tatsache allerdings, daß für das Jahr 1951 eine Sonderkreditsumme von lediglich -
1/44480, Ministerium für Planung DDR, Rau,
Ministerium für
Aufbau, Dr. Bolz,
1002
BAC, DH 25. 9. 50.
1003
Diese zutreffende Wertung bei Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 182.
an
III. Die Macht des Sozialen
844 25 Millionen DM
(Ost) bereitgestellt wurde, die theoretisch gerade 5000 Personen gelangen ließ, verweist auf
in den Genuß der Höchstsumme des Sonderkredites
die äußerst restringierten Möglichkeiten damaliger DDR-Agrarpolitik1004. Ein kleiner Ausstattungskredit für 10000 Stück Milchvieh im Jahre 19511005 rundete die Sonderkreditprogramme für vertriebene Landwirte ab. Hinzu traten im agrarpolitischen Teil des DDR-Umsiedlergesetzes „Vorzugsbedingungen für die Ablieferung" landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die für die Jahre 1951/52 galten; diese konnten bei wirtschaftlich in akute Schwierigkeiten geratenen Umsiedler-Neubauern, aber grundsätzlich auch bei allen invaliden Angehörigen dieser Gruppe sowie bei verwitweten Umsiedler-Neubäuerinnen eine Sollermäßigung von bis zu 50% bewirken1006. Eine gesetzliche Weisung an die MAS, „in erster Linie Neubauern-Umsiedlern, die nicht genügend Zugkräfte und landwirtschaftliche Geräte besitzen", mit ihren Maschinenparks „Hilfe zu erweisen"1007, wurde hinsichtlich einer Bevorzugung bei Vertragsabschlüssen sowie einer bindenden dreißigprozentigen Tarifermäßigung konkretisiert1008. Es blieb die Frage, inwieweit diese für die DDR-Landwirtschaft und ihre Umsiedler-Neubauern gleichermaßen gut gemeinten Vorzugsregelungen in der gesellschaftlichen Realität der DDR wirklich umgesetzt werden konnten. Diese Realität aber wurde von sich verschärfenden sozialen und politischen Konflikten geprägt.
„Klassenkampf im Dorfe": Vertriebenenpolitische Abgaben- und Tarifermäßigungen im Kontext der SED-Transformationspolitik Die mit dem Umsiedlergesetz einsetzende agrarpolitische Vertriebenenförderung läßt sich nicht nur unter isolierten „vertriebenenpolitischen" Gesichtspunkten be1.4.1.
trachten, sondern kann schon der Intention ihrer Urheber nach, erst recht aber in ihrer soziopolitischen Implementation sinnvoll nur im Kontext der SED-Gesellschaftspolitik der fünfziger Jahre verstanden werden, die zwangsläufig eine Politik forcierter Gesellschaftsveränderung war. Dies wird besonders am Beispiel -
-
der MAS-Tarifermäßigungen für vertriebene Landwirte deutlich, die nur vor dem Hintergrund damaliger SED-Eindämmungspolitik gegen die „Großbauern" voll verständlich wird. Auch weniger eindeutig politisierte, für sich genommen gut gemeint scheinende sozialpolitische Maßnahmen wie die vertriebenenfördernde Abgabenermäßigung beim landwirtschaftlichen Pflichtablieferungssoll veränder1004
1003 1006
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GB1. DDR 1950, S. 971, Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler Teil I, § 1 und 2. Ebenda, S. 972, Umsiedlergesetz Teil I, § 4. GB1. DDR 1950, S. 971, Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler Teil I, § 5; die am ll.Oktober 1950 herausgegebene Zweite Durchführungsbestimmung konkretisierte die für Ablieferungssollermäßigung in Frage kommenden Gruppen der Umsiedler-Neubauern; wirtschaftliche Bedürftigkeit wurde auf solche begrenzt, die ohne eigenes Verschulden, nämlich „infolge ungenügender Ausstattung, wie z.B. mit Gebäuden, Inventar und Vieh, geringe Erzeugungsleistungen erzielten"; hingegen wurde das Kriterium persönlicher Bedürftigkeit nicht nur auf verwitwete Bäuerinnen bezogen, sondern auf alle „Neubauern-Umsiedlerfrauen" ausgedehnt, „deren Männer gestorben, gefallen oder vermißt sind"; das Invaliditätskriterium wurde auf Schwerbeschädigte begrenzt; vgl. GB1. DDR 1950, S. 1079. Ebenda, S. 972, Umsiedlergesetz Teil I, § 6. Ebenda, S. 1080, Zweite Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler v. 11. 10. 50.
1.
Integration durch Bodenreform?
845
gesellschaftlicher Transformationspolitik gezielt Gruppenbeziehungen. gesellschaftliche „In der landwirtschaftlichen Bevölkerung" der SBZ/DDR war die Haltung zur
ten
als kalkulierter Bestandteil
SED-Politik im Jahre 1950 „zurückhaltend". Die Beobachter des Regimes trafen dort „weniger offene Bekenntnisse zur DDR und ihrer Politik" an, sondern vielmehr die Grundhaltung: „Sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über dich hat." Neben der schwelenden Furcht vor der Kollektivierung gehörten die Klagen über die Belastung durch das Pflichtablieferungssoll an landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu den wichtigsten Stimmungsäußerungen der Bauern1009. Vertriebene, die als Neubauern mit ungünstigen ökonomischen und sozialen Strukturbedingungen zu kämpfen hatten, sahen sich durch die hohen Abgabebelastungen in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet. Dieses Problem durchzog alle frühen Nachkriegsjahre. Schon Ende 1946 hatte die zonale Agrarverwaltung geschätzt, daß im ersten Wirtschaftsjahr nach der Bodenreform weniger als ein Drittel der Landwirte das Soll übererfüllt, weitere 45% dasselbe immerhin erfüllt hatten, während ein volles Viertel der Bauern den Abgabeanforderungen nicht gewachsen gewesen sei. Im brandenburgischen Kreis Oberbarnim war damals fast sämtlichen Neubauern nahezu die gesamte Ernte beschlagnahmt worden, ohne zu berücksichtigen, daß die Neubauern dadurch weder Futtergetreide noch Saatgut für das kommende Jahr zurückbehielten und zur eigenen Ernährung auf Lebensmittelkarten angewiesen waren, „die noch sehr unregelmäßig ausgegeben werden und auf welche sie nicht einmal die vorgeschriebenen Mengen bekommen". Die brandenburgische Agrarverwaltung hatte daher das undifferenzierte und brutale Vorgehen der sowjetischen Besatzungsmacht scharf (aber wirkungslos) kritisiert: „Durch das Vorgehen der Kommandanten der Roten Armee, welche ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Verhältnisse [...] unterschiedslos [...] Massenbestrafungen und Einbunkerungen von Neubauern vorgenommen haben, ist eine Lage entstanden, welche die Existenz der Neubauern in Frage stellt. Im Kreise Oberbarnim verlassen jeden Monat etwa 150 Siedler ihren Grund und Boden. Ein Teil dieser Flucht von der Scholle ist auf das rücksichtslose Vorgehen [...] der Roten Armee zurückzuführen. Es ist dabei bemerkenswert, daß die gesamten deutschen Verwaltungsstellen von den Provinzialleitungen bis zum Bürgermeister herunter den in der Art der Durchführung schädlichen Anordnungen der Dienststellen der Besatzung keinerlei Widerstand entgegensetzen, sondern gehorsam und ohne jeden Einwand alle Anordnungen buchstabengetreu durchzuführen [sie!]. Es ist verständlich, daß dadurch oft eine Wirkung erzielt wird, welche den wirklichen Absichten der Besatzungsmacht abträglich ist."1010
zuspitzende Selbstversorgungsproblematik vieler kleinbäuerlicher Bedie triebe, zugleich (wie andernorts diskutiert) die Ernährung der sowjetzonalen Landarbeiterschaft gefährdete, führte im Sommer 1947 zu einer Koalition diverser deutscher Zentralverwaltungen und des FDGB, um die SMAD zur Differenzierung des Pflichtabgabesolls nach Betriebsgrößen zu bewegen. Damit wollte man „erreichen, daß ein allgemeiner Ausgleich zwischen produktiven Betrieben und solchen, welche durch irgendwelche Ursachen Not leiden, herbeigeführt werden" Die sich
i°°9 >°'°
ThüHStA, SED-LL A IV 2/13/185, Nationale Front des demokratischen Deutschlands, Kreis Schleiz, Situationsbericht v. 25. 9. 50. BAB, DK 1/8170, Bl. 7ff., insb. Bl. 17 und Bl. 19f., DVLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht
zur
Bodenreform in der SBZ, 7. 12. 46.
III. Die Macht des Sozialen
846
könne. Nicht offen gesagt, aber intendiert war, daß insbesondere neubäuerliche Wirtschaften entlastet werden sollten. Die SMAD lehnte damals eine solche Abgabendifferenzierung noch strikt ab1011. Die Folge solcher Intransigenz war eine anhaltende Existenzkrise zahlreicher Neubauernhöfe. Im brandenburgischen Schlagenthin, Kreis Straußberg, wurde Neubauern, die ihr Abgabesoll an Getreide und Kartoffeln nicht hatten erfüllen können, „wichtige Teile ihres schmalen Viehbestandes als Ausgleich abgenommen". SED-Agrarexperte Paul Merker wandte sich Ende 1947 an den brandenburgischen Wirtschaftsminister Heinrich Rau (ebenfalls SED), um zumindest in Fällen, wo die objektive „Unmöglichkeit" der Sollerfüllung zutage lag, ein solches „sehr schematisches Vorgehen" zu unterbinden1012: „Wir müssen doch endlich erreichen, daß die Kleinen nicht einfach durch schematische Maßnahmen in ihrer Existenz gefährdet werden, wenn es ihnen aus irgendwelchen nicht in ihrer Macht liegenden Gründen unmöglich war, ihr Soll hundertprozentig zu erfüllen. Einige Maßnahmen gegen den Schematismus würden sich sicher sehr günstig für [sie!] die gesamte Stimmung auf dem Lande auswirken."1013
Merker regte beim brandenburgischen SED-Landesvorstand einen Vorstoß im Landtag an und wollte „diese Frage auch mit Karlshorst behandeln"1014. Das brandenburgische Wirtschaftsressort hatte offensichtlich seinerseits schon versucht, „die Eingriffe in die Viehbestände möglichst gering zu halten", um „die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft [zu] erhalten", jedoch nicht verhindern können, „daß hin und wieder bei den Erfassungsaktionen diese Richtlinien von den eingesetzten Kommissionen, an denen sehr häufig auch Offiziere der Besatzungsmacht beteiligt waren, nicht hinreichend beachtet worden" waren. Solange die Sowjets nichts anderes befahlen, mußte das vorgeschriebene Ablieferungssoll strikt beachtet werden, mochten deutsche Funktionäre noch so intensiv „über die Notwendigkeit einer unbegrenzten Differenzierung zum Zwecke der gerechten Festsetzung der Ablieferungsnormen" diskutieren1015. Erst 1948 gelang es offenbar, den Neubauern der SBZ eine „vierzigprozentige Ermäßigung der Pflichtablieferung" zu gewähren, sofern ihre Betriebsgrößen nicht über 20 Hektar lagen oder durch Zupachtungen vergrößert worden waren. Damit war (im Kontext des einsetzenden Kampfes gegen die sogenannten „Großbauern" mit Betrieben über 20 Hektar) eine nach ökonomischer Leistungsfähigkeit differenzierte landwirtschaftliche Abgabenpolitik eingeleitet geworden, die allerdings die wirtschaftlich vernünftigen Tendenzen zu Hofvergrößerungen durch die nun verhängte Abgabenprogression gezielt zunichte machte und die union
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1013 1°» i»'3
BAB, DQ 2/512, DVAS, Brack und Herrn, an SMAD, Abt. AK, 23. 9. 47; strittig war zwischen
den deutschen Stellen, ab welcher Betriebsgröße die höhere Abgabenbelastung einsetzen sollte; die DVAS plädierte dafür, „daß alle Wirtschaften über 20 ha (welche in der Hauptsache die Landarbeiter [...] beschäftigen)", betroffen sein sollten, während die DVLF eine Untergrenze von 10 Hektar favorisierte; vgl. BAB, DK 1/8803, Bl. 122, DVLF, Hotze, Situationsbericht über den Stand der Naturalversorgung für Landarbeiter, 9. 9. 47. SAPMO, DY30/IV2/2.022/37, Bl. 230, SED, ZS, Merker, an „Innenminister" [i.e. Minister für Wirtschaftsplanung] Rau, 24. 12. 47. Ebenda, Bl. 231, Merker an Rau, (zweiter, eher privat gehaltener Brief), 24. 12. 47. Ebenda, Bl. 233, SED, ZS, Merker, an SED, LV Brandenburg, Sägebrecht, 24.12. 47. Ebenda, Bl. 229, Ministerium für Wirtschaftsplanung Brandenburg, Abt. HV, an SED, ZS, Mer-
ker, 17.
1.48.
1.
Integration durch Bodenreform?
847
wirtschaftliche kleinbetriebliche Struktur der Neubauernbetriebe begünstigte1016. Die rigorose Eintreibungspolitik beim agrarischen Ablieferungssoll konterkarierte im übrigen weiterhin die Neubauernförderung. In mecklenburgischen Landkreisen mit hohem Umsiedler-Anteil an der Neubauernschaft gab es Gemeinden, die zwischen 1945 und 1950 niemals in der Lage waren, ihr Ablieferungssoll zu erfüllen. Eine zeitlich befristete, aber deutliche Senkung des Ablieferungssolls gehörte daher noch 1950 zu den Kernforderungen engagierter Umsiedlerpolitiker1017. Auch der DBD-Parteivorstand forderte im September 1950 eine „Differenzierung" des Ablieferungssolls und kritisierte die bisherige Politik, die „bisher weniger vom Standpunkt der Landwirtschaft als dem der Versorgung" ausgegangen sei1018. Das im selben Monat in Kraft gesetzte Umsiedlergesetz sollte solche Postulate zumindest für Vertriebenenlandwirte in die Tat umsetzen, indem es Abgabensenkungen für hilfsbedürftige Umsiedler-Neubauern für die Jahre 1951/52 vorsah. Da die im DDR-Umsiedlergesetz vorgesehene „Herabsetzung des Pflichtablieferungssolls" bereits im Oktober konkrete Durchführungsbestimmungen erhielt1019, wurde die Soll-Ermäßigung für viele vertriebene Landwirte zur ersten konkret erfahrbaren Hilfsmaßnahme der neuen DDR-Umsiedlerpolitik. Als das DDR-Innenministerium im Februar 1951 bei Stichproben im Kreis Stralsund monierte, daß diese Hilfsmaßnahme in zahlreichen Gemeinden rein „formal durchgeführt" worden sei, wurde mit diesem Vokabular nicht (wie sonst üblich) bürokratische Restriktion, sondern vielmehr eine allzu weitgehende Großzügigkeit angeprangert. In acht von zehn überprüften Dörfern des Raumes Stralsund war demnach die gesetzlich auf Bedürftigkeitsfälle beschränkte Sollermäßigung pauschal sämtlichen Umsiedler-Neubauern gewährt worden wenn auch mit stark differenzierten Abschlägen zwischen 5% und 50%. Aus Sicht der Berliner Zentrale war jedoch nur in jenen zwei Gemeinden, in denen ,,eine[r] Reihe" vertriebener Landwirte die Ermäßigung auch versagt worden war, weil deren Wirtschaften bereits ökonomisch gefestigt schienen, eine „folgerichtige Anwendung des Gesetzes" erfolgt. Der Ermessensspielraum der örtlichen Differenzierungskommissionen, der diesmal zugunsten der Vertriebenen genutzt wurde, war nicht zuletzt deshalb so groß, weil die übergeordneten Verwaltungsstellen „von sich aus noch keine Bedarfsermittlung durchgeführt" hatten und insofern lokale Entscheidungen nicht zu überprüfen vermochten1020. Damit hatten sich die gleich nach Inkrafttreten des Umsiedlergesetzes geäußerten Befürchtungen von UmsiedlerNeubauern, von „Alteingesessenen" beherrschte Kommissionen würden „aus Neid und Mißgunst" gegenüber Vertriebenen „in den meisten Fällen die Frage der -
Vgl. den Hinweis auf ein entsprechendes Rundschreiben der mecklenburgischen Regierung bei Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 71 f. 1017 MLHA, Mdl 2717, RdK Rostock, Dez. Innere Verwaltung, Kreisrat Scha[rrenberg], an SKK Rostock, Tschenzow, 13. 3. 50; diese Abgabensenkung sollte auf ein Jahr befristet sein. 1018 Zit. nach: Bauer, Blockpartei und Agrarrevolution von oben, S. 310. '°19 GB1. DDR 1950, S. 1079, 2. Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler v. 11. 10. 50, §§ 1-4. >°2° BAB, DO 1-8/83, Bl. 267fL, insb. Bl. 267f. und Bl. 269, Mdl DDR, HA StV, Abt. Org.-Instr., Bericht zur Überprüfung der Verwaltungsabläufe bei der Durchführung des Umsiedlergesetzes, 1016
9.2.51.
III. Die Macht des Sozialen
848
Bedürftigkeit verneinen", überraschenderweise nicht erfüllt. Die großzügige Bewilligungspraxis dürfte dadurch erleichtert worden sein, daß es diesmal nicht um verteilungspolitische Nullsummenspiele innerhalb der Dorfgesellschaften (und damit zu Lasten der Alteingesessenen), sondern um Abgabenerleichterungen zu Lasten des Staates ging, mit dem die gesamte Dorfgesellschaft nicht viel im Sinn hatte. Gleichwohl hatte die Abgabenermäßigung für vertriebene Landwirte die dörflichen Gruppenbeziehungen bereits dadurch verschärft, daß einheimische Mitbürger die Vertriebenen wie im mecklenburgischen Kreis Demmin mit ,,zynische[n] oder gehässige[n] Redensarten" überhäuften1021. In toto war der Sozialneid der von Begünstigung Ausgeschlossenen jedoch diesmal nicht in Diskriminierung der normativ Begünstigten umgeschlagen. Die -
-
Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle stellte fest, daß in den meisten Ländern der DDR der Senkung des Ablieferungssolls für bedürftige UmsiedlerNeubauern keine Bedürftigkeitsprüfungen vorausgegangen waren, so daß häufig nahezu alle Vertriebenenhöfe eines Kreises in den Genuß der Ermäßigungen gekommen seien. Dies war, wie die späteren Statistiken der Ermäßigungsaktion zeigen, zwar übertrieben, in der Tendenz jedoch richtig beobachtet, profitierten doch für das Jahr 1951 mehr als drei Viertel aller Umsiedler-Neubauern von dieser Erleichterung. Die Höhe der Abgabensenkung war zuweilen sogar über die gesetzliche Höchstmarge von 50% hinausgegangen und hatte in einem sächsischen Fall 85% erreicht. Ausgerechnet im Vertriebenenzentrum Mecklenburg hatten die Prüfungskommissionen jedoch „konkreter gearbeitet" als anderswo. So waren im Kreis Pasewalk von 804 Anträgen auf Herabsetzung des Ablieferungssolls nur etwa 20% genehmigt worden, und auch für diese Fälle hatte man statt pauschaler Sollherabsetzung gezielte Einzelfallmaßnahmen beschlossen. Lediglich vertriebene Witwen, die als Neubäuerinnen tätig waren, hatten dort offenbar regelmäßig die Höchstermäßigung von 50% erhalten1022. War es ein Zufall, daß UmsiedlerNeubauern in den ländlichen Vertriebenen-Schwerpunktregionen strenger auf Bedürftigkeit geprüft wurden als anderswo? Während in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen die Inklusionsquote stets über 80% lag, erreichte sie in Mecklenburg-Vorpommern nur knappe 77%, in Brandenburg sogar weniger als 70%. In absoluten Zahlen allerdings waren in diesen beiden Regionen die meisten Umsiedler-Neubauern in die Ermäßigungsaktion einbezogen worden, stellten doch Mecklenburger und Brandenburger Landwirte über 68% aller Begünstigten. Angesichts der lokalpolitischen Eigendynamik der Ermäßigungspraxis riet die ZKSK der DDR-Regierung dringend dazu, in Zukunft vor Festlegung der Ablieferungssolls das Staatssekretariat für Erfassung und Aufkauf das Gesamtvolumen solcher Ermäßigungen begrenzen zu lassen und den Ländern und Kreisen feste Kontingente vorzuschreiben. Gegenwärtig sei man „in der Art, wie das Gesetz zur Durchführung gebracht wurde, [...] auf Zufälligkeiten angewiesen, während es, richtig gesehen, notwendig wäre, daß die verringerten Erfassungsmengen i°7i
i°77
BAB, DO 1/33267, MP DDR, Grotewohl, an Mdl DDR, Warnke, 4.
10. 50, Anlage: Afl DDR, Inform-Mitteilung vom 29. 9. 50, S. 3; vgl. hierzu auch Kap. II.3.1.5. BAC, DC-1/630, ZKSK, Linz, „Auswertung der Überprüfung des Gesetzes über die weitere Verbesserung der Lage der Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik vom 8.9. 1950", 15.
2.51, S. 3.
1.
Integration durch Bodenreform?
849
schon im
Versorgungsplan zum Ausdruck kommen" würden1023. Mit solchen Vorschlägen reagierte die Zentrale Kontrollkomission noch vergleichsweise vorsichtig auf Besorgnisse, wie sie die sächsische Kontrollkommission Anfang 1951 sehr viel unverblümter artikulierte. Diese fürchtete, die Herabsetzung des Ablieferungssolls könnte sich bei zu großzügiger Auslegung zu einer Schädigung des Volkswirtschaftsplans für 1951 auswachsen, und hatte deshalb strenge Kontrollen vor Ort verlangt, um Bedürftigkeitsprüfungen in jedem Einzelfall sicherzustellen1024.
Drängten die staatlichen Kontrollkommissionen auf eine Begrenzung der Sol-
lermäßigung, so beobachtete die im DDR-Innenministerium für Koordinierung des Umsiedlergesetzes zuständige Abteilung Bevölkerungspolitik deren ausufernde Erfolgsgeschichte wohlwollend. Dort glaubte man im Frühjahr 1951, daß sich die Einbeziehung des größten Teils der Umsiedler-Neubauern in die Ablieferungsermäßigung positiv auf die Stabilisierung solcher Höfe auswirken würde1025. Am Ende war es jedoch das Unvermögen zu flächendeckender Staatskontrolle, das die Beibehaltung sozialpolitischer Großzügigkeit sicherte. Zwar gab die DDR-Regierung mit einer Arbeitsanweisung des Ministeriums für Handel und Versorgung vom 31. Oktober 1951 restriktive Bestimmungen für das zweite Ermäßigungsjahr 1952 heraus, doch weder diese Weisungen noch die in der Folge durchgeführten „Nachdifferenzierungen" durch höhere Stellen vermochten an der weitreichenden Inklusionswirkung der Abgabenermäßigung Grundlegendes zu ändern. Auf 68 702 Ermäßigungen für das Jahr 1951 folgten 63 940 Ermäßigungen für das Jahr 19521026. Bei 91155 Umsiedler-Neubauern im Jahre 19521027 waren somit im Förderjahr 1951 etwa 75,4%, 1952 immerhin noch 70,1% der vertriebenen Landwirte in den Genuß der Abgabeerleichterung gekommen, deren Höhe allerdings unterschiedlich ausfiel. Region
Sollermäßigg.
Sollermäßigg. 1952
Inklusion UmsiedlerNeubauern 1951
17399 29541 13307 6085 2370 68 702
16685 26845 12616 5565 2229 63940
69,5% 77,0% 80,1% 81,5% 81,8% 75,4%
1951
Brandenburg Mecklenburg
Sachsen-Anhalt Sachsen
Thüringen
DDR insgesamt
1023 ">24
i°23 1026
Ebenda, S. 13. Ebenda, LKSK Sachsen, Berlin, an ZKSK, Bericht v. 3. 1. 51, S. 8. BAB, DO 1/33272, Mdl DDR, Abt. BP, Lange, Bericht über „Die Realisierung des Umsiedlergesetzes", 18. 4. 51, S. 5. Ebenda, Mdl DDR, Abt. BP, „Rededisposition für Konferenz der Vertreter der Bezirke am 21. 10. 52" über „Die bisherige und weitere Durchführung des Umsiedlergesetzes", 20.10. 52, S. 5f.
>°27
BAB, DK 1/2913, Bl. 166, MLF DDR, Statistik zu „Besitzveränderungen durch die demokrati-
sche
Bodenreform", 5. 6.
1952.
III. Die Macht des Sozialen
850
zutreffen, daß die begünstigten vertriebenen Landwirte größere Produktmengen in den freien Verkauf bringen und sich dadurch ökonomisch stabilisieren konnten1028. Die Frage ist nur, ob zeitlich begrenzte Erleichterungen eine nachhaltige Stabilisierung der Betriebe bewirkten. Man mag mit zeitgenössischen westdeutschen Beobachtern um exakte Zahlen streiten, wenn sie um 1954 „kaum mehr als 15% der heimatvertriebenen Neubauern" in der DDR eine wirtschaftliche Konsolidierung attestieren wollten, während weitere 15% schon hätten aufgeben müssen und „der große Durchschnitt" sich nur mit Mühe auf seinen Höfen halten könne. Dennoch war die parteiische Skizze Seraphims nicht völlig unzutreffend, wenn es über die Umsiedler-Neubauern hieß:
Die gouvernementale Schlußfolgerung dürfte
„Ihre Lebensbedingungen liegen unter dem Niveau des Durchschnitts der sowjetzonalen Bevölkerung. Sie können weder Sparvermögen ansammeln, noch Mittel in ihrem Betrieb investieren, noch auch ihre Lebensbedürfnisse annähernd entsprechend dem früheren Niveau be-
friedigen. Von einer besitzständigen Wohlhabenheit des heimatvertriebenen Siedlers kann allgemein nicht gesprochen werden. Er kämpft um die Erreichung des Solls, des Schlachtscheins, einer kleinen .freien Spitze', die es ihm ermöglicht, überhaupt etwas anschaffen und ersetzen zu können. [...] Er ist [...] trotz der Bodenbindung nicht eingewurzelt und nicht eigentlich bodenfest geworden."1029
Senkung des Ablieferungssolls enthielt das DDR-Umsiedlergesetz in Maßnahmenkatalog zur „Hilfe für Umsiedler-Neubauern" auch die Verpflichtung für alle Maschinen-Ausleih-Stationen, künftig „in erster Linie Neubauern-Umsiedlern, die nicht genügend Zugkräfte und landwirtschaftliche Geräte besitzen, bei der Bodenbearbeitung und Ernte Hilfe zu erweisen"1030. Diese „MaNeben der seinem
schinen-Ausleih-Stationen" (MAS) waren ebenfalls ein Kind der Bodenreform. Man hatte in diesen Institutionen ab Herbst 1946 unter Ägide der VdgB den verbliebenen Maschinenpark der enteigneten Großbetriebe zusammengefaßt, um durchaus nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen den umliegenden Agrarbetrieben deren kostenpflichtige Nutzung anzubieten. Dieses Geschäftsgebaren der MAS führte zwangsläufig dazu, tendenziell eher mit zahlungsfähigen altein-
-
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zu kooperieren als mit hilfsbedürftigen, von ZahlungsunfäAls die SED 1948 ihre taktische Zurückhaltung bedrohten Neubauern. higkeit den „Großbauern" sogenannten aufgab und einen neuen ländlichen gegenüber wurde die initiierte, agrarpolitische Funktion der MAS immer stärKlassenkampf ker von einer gesellschaftspolitischen Transformationsfunktion überlagert. Maschinelle Hilfe für Neubauern bedeutete nunmehr vor allem Parteinahme im ländlichen Gesellschaftskonflikt. Nicht zufällig wurden 1948 die damals rund 4000 MAS der Zuständigkeit der (oft großbäuerlich dominierten) lokalen VdgB-Instanzen entzogen und einer eigens geschaffenen zentralen Verwaltung unterstellt, die wiederum von der DWK kontrolliert wurde. Nachdem ihnen wenig später
gesessenen Bauern
1028
Ebenda, Mdl DDR, Abt. BP, „Rededisposition für Konferenz der Vertreter der Bezirke am „Die bisherige und weitere Durchführung des Umsiedlergesetzes", 20.10. 52,
21.10. 52" über
S.5f. 1029 1030
in der Sowjetzone, S. 86 f. Seraphim, Die Heimatvertriebenen GB1. DDR 1950, S. 971, Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler,
§6.
1.
Integration durch Bodenreform?
851
auch sämtliche Landmaschinen der landwirtschaftlichen Genossenschaften und der VdgB zugeführt worden waren, besaßen diese umstrukturierten MAS abgesehen von in Privatbesitz befindlichen Maschinen das Mechanisierungsmonopol in der Landwirtschaft der SBZ/DDR1031. Die Zentralisation der 4000 MaschinenAusleihstationen ging mit einer massiven Konzentration einher, denn 1950 existierten in der DDR nur noch ganze 514 MAS, die den landwirtschaftlichen Einsatz von rund 11 000 Traktoren und Pflügen, 7000 Dreschmaschinen und 2900 Lastkraftwagen steuerten1032. Die Konzentration der MAS war ökonomisch sinnvoll und bot zugleich den Vorteil erhöhter staatlicher Kontrollintensität. Die MAS konnten und sollten nach dem Willen der SED-Führung die weitere Entwicklung der Landwirtschaft und ländlichen Gesellschaft gezielt beeinflussen1033. Im November 1948 hatte Paul Merker, der damals führende SED-Agrarpolitiker, einen programmatischen Artikel über den neuen „Klassenkampf im Dorfe" publiziert und damit bei Robert Siewert, dem auch für die Bodenreform zuständigen SED-Innenminister Sachsen-Anhalts, lebhafte Zustimmung erzeugt. Siewert teilte Merkers Ansicht, „daß ein Teil unserer Genossen sich über die große Bedeutung der Rolle der Bauernschaft und der richtigen Politik der Partei gegenüber der Dorf-Armut, den Neu- und Kleinbauern nicht im klaren ist". Eine wichtige Funktion komme daher vor Ort der VdgB zu, deren Unterstützung durch die Partei „dringend notwendig" sei. MAS und Reparaturhöfe müßten ausgebaut und „restlos in den Dienst der Neu-, Klein- und Mittelbauern" gestellt werden. Allerdings hatte Merker in seinem Artikel auch Siewerts Landesregierung kritisiert, weil diese ihre Hände angeblich schützend über die kapitalistisch operierende Zentrale Ankaufstelle für landwirtschaftliche Maschinen in Halle hielt, die allein großbäuerlichen Interessen diene nach dem Motto: „Wer gut zahlt (wir vermeiden zu sagen, wer gut schmiert), der gut fährt"1034. Das sollte sich künftig ändern. Paul Merker nutzte die von ihm 1948/49 betriebene Zentralisierung der Maschinen-Ausleih-Stationen zu deren gezielter Politisierung im Sinne der SED. Zunächst sollten die MAS zu personalpolitischen Parteistützpunkten in der ländlichen Gesellschaft ausgebaut werden: „Die Genossen der MAS" sollten „zur eigentlichen politischen Kraft im Dorfe werden". Dies erklärte der SED-Agrarpolitiker jedenfalls im Frühjahr 1949 dem Leiter der MAS Falkenrehde im Kreis Osthavelland, der ihm einen politischen Lagebericht über die Situation im Dorfe hatte zukommen lassen. Falkenrehde, ein Ort mit knapp 800 Einwohnern, bestand demnach zwar zu 98% aus Neubauern und Siedlern, doch nach wie vor herrschte dort „der politische Einfluß" einer kleinen alteingesessenen Elite von „Mittelbauern", deren Meinungsführerschaft unter der vertriebenen Bevölkerungsmehrheit offensichtlich „stärksten Widerhall" fand, „weil die meisten von -
-
i"3' 1032
1033 1034
Herbst/Ranke/Winkler, So funktionierte die DDR, Bd. 2, S. 608 f. Statistisches Jahrbuch der DDR 1956, S. 356; bis 1952 wuchs diese Zahl allerdings wieder auf 585 an, um bis 1956 auf 602 zu steigen; die regionalen Schwerpunkte lagen in Sachsen-Anhalt und
Mecklenburg.
Herbst/Ranke/Winkler, So funktionierte die DDR, Bd. 2, S. 608 f. £)en Vorwurf der Protektion solcher Geschäftspolitik wies Siewert zurück, habe er doch schon vor Jahresfrist den Vorschlag gemacht, diese Stelle den Genossenschaften oder der VdgB zu übertragen, was jedoch von der SMA abgelehnt worden sei; vgl. SAPMO DY30/IV2/2.022/37, Bl. 234, Siewert an Merker, 11. 11. 48.
III. Die Macht des Sozialen
852
ihnen wieder in ihre alte Heimat zurück wollen". Die 33 Personen starke Ortsgruppe der SED hatte demgegenüber „bisher keinen Einfluß unter den Einwohnern", zumal der SED-Bürgermeister die Partei angeblich nicht unterstützte, die Errichtung der MAS sogar bekämpft haben sollte und so die Unterstellung des MAS-Leiters insgeheim immer noch bekämpfte. Die Gründung dörflicher Betriebsgruppen der SED und der FDJ sowie einer Betriebsgewerkschaftsleitung gingen offenbar sämtlich auf den ehrgeizigen und selbstbewußten Leiter der MAS zurück, den Merker in seinem Vorgehen gegen die alte dörfliche Elite ausdrücklich ermutigte1035. Dieses Beispiel veranschaulicht, wie vehement die Institutionalisierung einer nicht-bäuerlichen Führungsposition die Elitenstruktur dörflicher Lokalgesellschaften in der SBZ/DDR zu heterogenisieren vermochte. Das SEDRegime begann, über die MAS soziale und politische Veränderung zu implantieren. Durch den institutionellen Ausbau der immer stärker SED-kontrollierten MAS nahm die ökonomische und damit indirekt auch soziale Machtposition alteingesessener bäuerlicher Eliten zwangsläufig ab. Vor diesem Hintergrund wird die abfällige Bemerkung eines Bauern in Heiner Müllers Drama „Die Umsiedlerin" erst richtig verständlich, der nach der Flüchtlingswelle von 1945 in den MASTraktoristen die zweite Überfremdungs- und Überformungswelle erblickte, die sein Dorf erreichte: „Ein Unglück bleibt nicht lang allein. Wir haben den Abschaum aus dem Osten schon am Hals. Jetzt kommt der Kehrricht aus der Stadt hinzu. Wir sind der Schuttplatz."1036 Andere Mitglieder der ländlichen Gesellschaft mochten hingegen die MAS und ihre Maschinenparks als wichtigen Schritt der Neubauern aus der Abhängigkeit von örtlichen Großbauern begrüßen, wie dies Müller in einem seiner Dialoge einem SED-Aktivisten in den Mund legte: „Brachland gabs zuviel, Zugvieh zu wenig, Trecker keinen. Da fraß der Große wieder den Kleinen auf, ich hab acht Pferde, was hast du? Hack meine Rüben, wenn du dein Feld gepflügt willst, oder spann dich selber vor den Pflug und kreder Furche. in habt ihr? Ich bin sind satt. wir pier Hunger Jetzt vierundzwanzig Pferde weiter. [...] [Denn] ein Trecker hat zwölf Pferdestärken."1037 Nicht überall war die gesellschaftsverändernde Funktion der MAS, die die SED seit 1948 anstrebte, derart in Reinkultur greifbar wie in Falkenrehde. Die Bestimmungen des DDR-Umsiedlergesetzes von 1950 über Vertriebenen-Vorzugsbehandlung durch die MAS lassen erkennen, daß bis dahin längst nicht alle Leiter von Maschinen-Ausleihstationen zu konfliktfreudigen dörflichen SED-Aktivisten geworden waren. Nicht nur im SED-Staat fanden sich neben lokalgesellschaftlichen Elitenkonflikten stets auch Fälle mehr oder weniger harmonischer Elitenverschränkung1038, durch die sich ein neu ins Dorf gelangender Funktionär der herrschenden Lokalelite lieber anpaßte, als diese zu bekämpfen. Ein typisches -
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i°33
1036
1,337 1038
Ausdrücklich bat Merker um den Namen des SED-Bürgermeisters, mit dem man schleunigst „aufräumen" müsse; vgl. SAPMO DY30/IV2/2.022/36, Bl. 111, Leiter MAS I Falkenrehde, Kreis Osthavelland, H, an Merker, 21. 5. 49, sowie Bl. 110, Merker an H., 17. 6. 49. Müller, Die Umsiedlerin, S. 58; zur nicht nur ökonomischen, sondern auch politisch-kulturellen Veränderungsfunktion der MAS in den Dörfern auch: Bauerkämper, Von der Bodenreform zur Kollektivierung, S. 132 f. Müller, Die Umsiedlerin, S. 50 f. Zur Anwendung dieser Kategorien auf die Elitenentwicklung dörflicher Lokalgesellschaften der
dreißiger Jahre: Schwanz, Machtergreifung?
1.
Integration durch Bodenreform?
853
Beispiel für solche dem SED-Regime unerwünschte Elitenverschränkung bietet ein 1928 geborener Bauernsohn aus Westpreußen, der sich nach seiner 1945 erfolgten Flucht in Mecklenburg zunächst mit Gelegenheitsarbeiten durchschlug, jedoch durch die Ehe mit einer gutsituierten einheimischen Försterstochter (die letztlich die alte, durch plötzliche Besitzlosigkeit nicht mehr selbstverständliche Schichtzugehörigkeit restituierte) frühzeitig sozial stabilisiert wurde. Während seines landwirtschaftlichen Fachschulstudiums in Rostock gelangte dieser zwanzigjährige Vertriebene über FDJ-Engagement 1948 in die SED und wurde nach Abschluß des Studiums stellvertretender MAS-Leiter in einem mecklenburgischen Dorfe. Subjektiv ein überzeugter SED-Aktivist, suchte dieser MAS-Funktionär jedoch nicht den Konflikt mit der dortigen bäuerlichen Elite, sondern scheint sich erleichtert durch eigene Herkunft in dieselbe integriert zu haben. Da er der „rigiden Anti-Großbauernpolitik" der SED immer weniger zu folgen vermochte, verlor er daher 1951 folgerichtig nicht nur die Leitungsfunktion in der MAS, sondern auch seine Parteimitgliedschaft, weil er in der MAS-Geschäftsführung die örtlichen Großbauern und damit „Klassenfeinde" begünstigt haben sollte1039. Dieser Vertriebene wurde somit vom SED-Regime auch dafür abgestraft, daß er sich nicht hinreichend für gesellschaftsverändernde Vertriebenenförderung innerhalb seiner dörflichen Lebenswelt eingesetzt hatte. Schon im März 1949 hatte die DWK eine grundlegende Tarifreform für die MAS verfügt, deren Ausleihgebühren nun nach Betriebsgrößen gestaffelt wurden und mit zunehmender Betriebsgröße anstiegen. Das bedeutete eine gezielte „Benachteiligung der Mittel- und Großbauern"1040, zugleich jedoch was zuweilen vergessen wird eine Privilegierung der schwächsten bäuerlichen Schichten. Das DWK-Sekretariat hatte nämlich gleichzeitig einen MAS-Vorzugstarif für bedürftige Umsiedler-Neubauern eingeführt, der für diese ökonomisch gefährdete Neubauerngruppe eine Preissenkung von 30% erbrachte1041. Hatten somit vertriebene Landwirte Vorteile von der Zentralisierung der MAS, so erlebten andere Vertriebenengruppen diesen Prozeß eher als neuerliche Zwangsumsiedlung, denn häufig mußten von Vertriebenen bewohnte enteignete Gutsgebäude für die Neuerrichtung großangelegter MAS freigemacht werden. Allein in Mecklenburg-Vorpommern wurden 1949 aus diesem Grunde 2400 Vertriebene zwangsumquartiert1042. Doch auch die 1949 verfügte MAS-Tarifermäßigung hatte geringe oder gar keine Wirkung. Das hatte mit dem kontraproduktiven Effekt der als Benachteiligung gemeinten Tariferhöhung für Mittel- und Großbauern zu tun, die für betriebswirtschaftlich kalkulierende MAS-Funktionäre einen zusätzlichen Anreiz gab, bevorzugt solche Betriebe zu bedienen und schwache Neubauernbetriebe zu ver-
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1040
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Semmelmann, Zur Integration aus lebensgeschichtlicher Sicht, S. 329 f.; diesem Vertriebenen, der seither parteifern blieb, gelang ab 1952 ein beruflicher Neuaufstieg in Leitungsfunktionen des „Eisenhüttenkombinats Ost". Vgl. Herbst/Ranke/Winkler, So funktionierte die DDR, Bd. 2, S. 609; dieser Beitrag bringt die Tarifreform allerdings allzu glatt in unmittelbaren Zusammenhang mit der späteren Kollektivie-
rungspolitik.
BAB, DO 2/49, Bl. 140-158, insb. Bl. 149, Mdl DDR, Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten, Abt. BP, „Erläuterungen zur Lage der ehemaligen Umsiedler in der Deutschen Demokratischen
1047
Republik", 20. 10. 53.
MLHA, MP 557, MfAG Mecklenburg, Pohls, „Zusammenfassender Bericht über die Wohnraumverhältnisse der Umsiedler im Lande
Mecklenburg", 18. 3. 50.
854
III. Die Macht des Sozialen
nachlässigen. Dabei bedurften letztere der MAS-Unterstützung dringend, denn ihre Ausstattung mit technischem Gerät war um 1950 eindeutig „mangelhaft". Dieser technische Rückstand hatte nicht nur wirtschaftliche Probleme, sondern auch demütigende soziale „Abhängigkeitsverhältnisse" zur Folge, indem die meisten vertriebenen Landwirte zur Frühjahrsbestellung und erneut zur Erntezeit entweder „Bittgänge zu den Altbauern" antreten oder „sich um günstige Termine in den MAS/MTS" bemühen mußten. Unter Umsiedler-Neubauern war folglich „das Gefühl, als vollwertiger Bauer zu gelten, nur bedingt vorhanden"1043. Die im September 1950 im Umsiedlergesetz festgeschriebene Verpflichtung der Maschinen-Äusleih-Stationen, künftig „in erster Linie Neubauern-Umsiedlern, die nicht genügend Zugkräfte und landwirtschaftliche Geräte besitzen, bei der Bodenbearbeitung und Ernte Hilfe zu erweisen"1044, war indirekt ein klares Eingeständnis, daß die MAS mehrheitlich bislang anders verfahren waren. Der daraus resultierende soziale Gruppenkonflikt hatte bekanntlich im thüringischen Merxleben die Umsiedler-Neubauern dazu geführt, angesichts der ausbleibenden Unterstützung durch VdgB oder MAS 1951 eine eigenständige „Ablieferungsgemeinschaft" zu gründen, um kostengünstiger zu kooperieren und sich des wirt-
schaftlichen Drucks der Großbauern zu erwehren. Die SED suchte diese damals noch unerwünschte Urform einer „Produktionsgenossenschaft" dadurch „zu liquidieren", daß man den Merxlebener Umsiedler-Neubauern versicherte, die zuständige MAS habe bereits obrigkeitliche Anweisung zu verstärkter Hilfeleistung erhalten. Auch werde man sich bemühen, die Machtverhältnisse in der örtlichen VdgB zugunsten der Neubauern zu verändern1045. Da das Umsiedlergesetz hinsichtlich konkreter Hilfeleistungen durch die MAS sehr vage geblieben war, hing viel von seiner diesbezüglichen Durchführungsbestimmung ab. Darin suchte das DDR-Landwirtschaftsministerium die Bevorzugungsregel des Gesetzes dahin zu konkretisieren, daß die zuständige MAS mit Umsiedler-Neubauern „in jedem Falle bevorzugt Arbeitsverträge abzuschließen und [diese] bevorzugt zu erfüllen" habe1046. Freilich fand sich nur noch der erste Teil dieses Vorschlags in der am 11. Oktober 1950 publizierten Durchführungsbestimmung zum Umsiedlergesetz wieder. Zugleich verfügte diese Bestimmung, daß auf unterstützungsbedürftige Umsiedler-Neubauern die Vorzugstarife vom März 1949 Anwendung finden sollten1047. Daß bedeutete eine weitere Vorzugsbehandlung, da eine MAS-Gebührenermäßigung für Vertriebene wiederbelebt wurde, obwohl unterdessen ein genereller Tarif gültig geworden war1048. Die Umsetzung dieser Vorzugsregeln verlief jedoch schleppend. So meldete die thüringische Landeskontrollkommission im Winter 1950/51 nach Berlin, daß die 1043
1044
i«3
Meinicke, Die Bodenreform und die Vertriebenen, S. 149, der auch konkrete Daten zur Inventarausstattung der Umsiedler-Neubauern zwischen 1946 und 1950 bietet. GB1. DDR 1950, S. 971, Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der
ehemaligen Umsiedler, §6. SED-LL A IV LL 2/13/189, SED, ThüHStA, Thüringen, Abt. LW, Bericht über „Die Lage in der Landwirtschaft", o.D. [ca. Frühjahr 1951], S. 4; zu den Vorgängen in Merxleben siehe oben Kap. ULI.1.6.
io« ,047
'°48
BAB, DK 1/3035, Bl. 25, MLF DDR, Entwurf der Durchführungsbestimmung, 3.10. 50. GB1. DDR 1950, S. 1079, 2. Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler v. 11. 10. 50, § 5. BAB, DO 1/33267, MLF DDR an Mdl DDR, 4. 4. 52.
1.
Integration durch Bodenreform?
855
Bevorzugungsregel der Umsiedler-Neubauern bei Vertragsabschlüssen den meisten MAS völlig unbekannt sei, denn diese hätten bislang keine entsprechende Anweisung von der MAS-Zentralstelle erhalten. Umso greifbarer waren die Folgen der bisherigen Geschäftsbeziehungen zwischen Ausleihstationen und Vertriebenen in der partiell hohen Verschuldung der letzteren bei den MAS1049. In Mecklenburg praktizierten die MAS nach Feststellungen der dortigen Landeskontroll-
kommission ebenso wenig eine Bevorzugung der Umsiedler-Neubauern, sondern beriefen sich weiterhin auf eine Geschäftspolitik völliger Gleichbehandlung, die jeden Einzelfall nach sozialer Bedürftigkeit beurteile und danach Preisfestsetzungen vornehme1050. Der nach intensiven Stichproben im März 1951 erhobene Vorwurf der Kontrollkommission, die MAS hätten bislang viel „zu wenig Aufträge abgeschlossen", läßt erkennen, daß den MAS-Leitungen an aktiver Bevorzugung von Vertriebenen nicht sehr viel gelegen war1051. Eben dieser Eindruck dürfte jene „Säuberungswelle" in den Leitungen der mecklenburgischen MAS ausgelöst haben, von der anhand eines Einzelfalles aus dem Jahre 1951 vorhin die Rede war. Diese Sanktionen bewirkten, daß der Landesregierung bis Spätsommer 1951 gemeldet werden konnte, daß Umsiedler-Neubauern bei Vertragsabschlüssen der MAS tatsächlich bevorzugt würden1052. Die damals erfolgte Bildung von fünf regionalen „Vereinigungen volkseigener Maschinen-Ausleih-Stationen" (WMAS)1053 dürfte die staatliche Kontrolle noch verstärkt haben. In der Folgezeit fanden die MAS-relevanten Vorzugsbestimmungen des Umsiedlergesetzes in der Behördenüberlieferung der DDR jedoch kaum noch Niederschlag. Man war mit wichtigeren Teilprogrammen wie dem Neubauern-Bauprogramm oder dem Wohnbedarfkredit völlig ausgelastet und hatte offenbar weder Zeit noch Lust, die Umsetzung der MAS-Bestimmungen kontinuierlich zu kontrollieren. Überdies wurde die im Herbst 1950 eingeführte Tarifermäßigung bei MAS schon im März 1952 vom DDR-Landwirtschaftsministerium wieder außer Kraft gesetzt. Gegenüber dem umsiedlerpolitisch federführenden Innenministerium wurde dieser Alleingang damit begründet, für die bisherige Sondervergünstigung bestehe kein Anlaß mehr, da im Januar 1952 eine allgemeine MASTarifsenkung von rund 30% erfolgt sei. Indem sich das Innenministerium „nachträglich mit dieser Regelung einverstanden erklärt[e]", wurde die Sonderförderung wieder zur Gleichstellungspolitik zurückgestuft1054. Mancher MAS-Leiter scheint dieses Signal auf seine Weise gedeutet zu haben. Jedenfalls berichtete im Spätsommer 1952 der neubäuerliche VdgB-Vorsitzende aus Güldengossa bei Leipzig dem Amt für Information, daß der Beirat der zuständigen MAS unlängst -
-
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1051 1057 1033 1034
BAC, DC 1/630, LKSK Thüringen an ZKSK DDR, Bericht o.D. [ca. Januar 1951], S. 4; zur Wei-
sung an die MAS-Zentralstelle: GB1. DDR 1950, S. 1079,2. Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler v. 11. 10. 50, § 5, Abs. 3. MLHA, MP 659, LKSK Mecklenburg, Auszüge aus dem Bericht über die Durchführung des Umsiedlergesetzes vom Dezember 1950. MLHA, MP 660a, LKSK Mecklenburg, Bericht über Überprüfungen von MAS, 9.3. 51, S. 12. MLHA, Mdl 2705, RdK Grevesmühlen an Mdl Mecklenburg, Abt. BP, 18. 9. 51. Bauerkämper, Von der Bodenreform zur Kollektivierung, S. 134. BAB, DO 1/33267, MLF DDR an Mdl DDR, 4. 4. 52; BAB, DO 1/33272, Mdl DDR, Abt. BP, „Rededisposition für Konferenz der Vertreter der Bezirke am 21. 10. 52" über „Die bisherige und weitere Durchführung des Umsiedlergesetzes", 20.10. 52, S. 6; die andere Vorzugsregel, den bevorzugten Vertragsabschluß betreffend, dürfte stillschweigend fallengelassen worden sein.
III. Die Macht des Sozialen
856
beschlossen habe,
zuerst
bei den Altbauern des Ortes
zu
dreschen; es habe einer
heftigen Auseinandersetzung des Bürgermeisters mit dem MAS-Leiter bedurft, um doch noch die bevorzugte Behandlung der Neubauern durchzusetzen. Angesichts fortbestehender großbauernfreundlicher Grundhaltungen in den MAS-
Leitungen ist es nicht verwunderlich, daß in Sachsen auch seitens der 1952 gegründeten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Kritik an „ungenügende^] Unterstützung durch die MAS" laut wurde1055. Der DDR-Ministerratsbeschluß vom 24. Juli 1952, der den meist von Neubauern getragenen LPG der ersten Stunde nicht nur eine zweijährige Steuerbefreiung und eine Senkung des Pflichtablieferungssolls um 10%, sondern auch die Einstufung in die niedrigste Tarifgruppe der aus den MAS neu gebildeten „Maschinen-Traktoren-Stationen" (MTS) zugesprochen hatte1056, stieß offenbar auf ähnliche gesellschaftliche Umsetzungsprobleme wie die früheren umsiedlerpolitischen Vorzugsmaßnahmen. 1.4.2. „Ungesetzliche Handlungen": Steuerungsprobleme und Inklusionskonflikte anreizorientierter Sozialpolitik am Beispiel der
Milchvieh-Versorgungsaktion Mit den MAS-Vorzugsregeln des Umsiedlergesetzes hatte die DDR-Regierung versucht, dem katastrophalen Ausstattungsmangel vieler Umsiedler-Neubauern an landwirtschaftlichem Gerät Rechnung zu tragen und die daraus folgende Abhängigkeit von alteingesessenen Bauern zu verringern. Das Umsiedlergesetz nahm sich darüber hinaus dem fortdauernden Ausstattungsbedarf vertriebener Neubauern an Milchvieh sowie an Wohn- und Wirtschaftsgebäuden an. Dabei versuchte die DDR-Regierung den Milchvieh-Mangel durch Bereitstellung von Sonderkontingenten an Vieh zu mildern, die von den Umsiedler-Neubauern zwar nach wie vor erworben werden mußten, für deren Erwerb jedoch nunmehr vergünstigte staatliche Sonderkredite zur Verfügung gestellt wurden. Zuvor hatte man mit der Viehverteilung, die wie die gesamte sowjetzonale Agrarpolitik dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Vertriebenen und Nichtvertriebenen gefolgt war, weitgehend enttäuschende Erfahrungen gemacht. Das gut gemeinte Gleichstellungsziel der Neubauernpolitik war im Alltag lokaler -
-
Lebenswelten nur zu oft unter die Räder sozialer Machtverhältnisse geraten. Gerade die Ausgangslage bei der Viehversorgung war für Neubauern grundsätzlich schlecht. So betrug Ende 1946 in Mecklenburg-Vorpommern zwar „die Bodenreformfläche", die an Neubauern vergeben worden war, „über ein Drittel des Landes", doch „der Viehbestand der Neubauern" hatte „noch lange nicht ein Drittel des gesamten Mecklenburger Viehbestandes erreicht", sondern betrug bei Pferden ganze 19%, bei Rindvieh nur 10% des Sommerbestandes von 1945, „bei Geflügel nicht einmal 2%"1057. Auch innerhalb der ungünstig gestellten Neubauernschaft zeigten sich gravierende Differenzierungen in der Viehausstattung in sozialer -
i°33
SAPMO, DY30/IV2/9.02/74, Bl. 79L, insb. Bl. 80, MP DDR, Afl, Abt. IK, Inform-Mitteilung 1/ 366/52 v. 12. 9. 52.
1036 i°37
Schier, Alltagsleben im „sozialistischen Dorf", S. 121. Ähnlich niedrig lag der Neubauernanteil an landwirtschaftlichem Gerät; vgl. BAB, DK 1/8170, Bl. 7ff., insb. Bl. 11, DVLF, HA Bodenordnung, Zusammenfassender Bericht zur Bodenreform in der SBZ, 7. 12. 46.
1.
Integration durch Bodenreform?
857
wie in regionaler Hinsicht. Nach
Beobachtung der zonalen Agrarverwaltung war die wirtschaftliche Lage der Neubauern „sehr stark davon abhängig [...], ob es sich um Ortsansässige oder um Flüchtlinge oder ortsfremde Neusiedler handelt"1058. Nur eine Minderheit von Vertriebenen hatte einen Teil des eigenen Viehs mit sich zu führen vermocht1059. Daneben spielten regionale und örtliche Kontingenzen eine Rolle, die mit Kriegszerstörungen und unterschiedlich intensiver sowjetischer Beutepolitik zu tun hatten: So war in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg ein klares West-Ost-Gefälle in der Ausstattungssituation der Neubauern zu beobachten. Im westlichen Mecklenburg schien deren „wirtschaftliche Lage gut", da dort noch „viel Vieh und auch Vorräte" von den Neubauern hätten übernommen werden können: „Viele der Neubauern besitzen dort ein Pferd, drei Kühe, eine Starke und mehrere Schafe. Im Gegensatz hierzu haben in den östlichen Kreisen die Neubauern überhaupt nichts übernommen."1060 Ähnlich unterschiedlich war die Ausstattungssituation der Neubauern in Sachsen und Thüringen. Grundsätzlich schlecht erschien die Lage jener Neubauern, die erst verspätet auf Bodenreformland angesetzt werden konnten, was insbesondere Vertriebene betraf. Erst nachträglich zur Verteilung gelangende, zuvor von der Roten Armee als Nahrungsmittelressourcen ausgebeutete beschlagnahmte Güter waren von Vieh stets vollkommen entblößt1061. Dieser höchst zufälligen Verteilung von Nutzvieh, die viele Umsiedler-Neubauern durch örtliche Diskriminierung oder schlichtes Zuspätkommen zusätzlich benachteiligte, suchten die Agrarbürokratien der SBZ 1946 durch einen staatlich organisierten, allerdings formell freiwilligen „Viehausgleich" zu steuern. In Mecklenburg wurden damals durch Viehabgaben aus anderen Ländern rund 25000 Rinder, 9000 Pferde und über 10000 Schafe verteilt, die „fast alle" an Neubauern gegangen sein sollen. Ein landesinterner Viehausgleich führte den Neubauern überdies an die 25000 Stück Rindvieh und 10000 Pferde zu. Gleichwohl waren Ende 1946 in Mecklenburg-Vorpommern immer noch 12-14000 Neubauern ohne ein einziges Stück Vieh. Es war, wie die DVLF notierte, ein „ganz großer Übelstand", daß sich viele Neubauern aus Mangel an Vieh nicht selbst ernähren konnten, jedoch keine Lebensmittelkarten erhielten, da sie als Landwirte formal als Selbstversorger galten. Andernorts war ein (wenn auch unzureichender) Viehausgleich überhaupt nicht zustandegekommen. In Brandenburg war nach Einschätzung der dortigen Provinzialverwaltung „ein Viehausgleich innerhalb der Provinz auf freiwilliger Basis nicht durchzuführen", während man einen „Zwangsausgleich" wiederum „aus politischen Gründen" für „nicht tragbar" hielt. Da man Altbauern und volkseigenen Gütern nichts zu nehmen wagte, mußte dort „die Versorgung der Neusiedler und Kleinbauern mit Vieh aus den Einfuhren aus der sowjetischen und aus den westlichen Zonen gedeckt" werden und fiel entsprechend geringfügig aus. Für 1947 strebte die Potsdamer Verwaltung loss i°59
ioom käs 1066
Ebenda, Bl. 17undBl. 11. Ebenda, Bl. 29, Anlage: VS Thüringen, Jung, an VdgB Thüringen, [Paula] Rabethge, 25.11. 46. BAB, DO 2/62, Bl. 73 ff., ZVU, Abt. BPuA, Haslinger, Bericht über die Zonenkonferenz der Bo-
denordnung am 29./30.7., 7. 8. 47. Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 75. GB1. DDR 1950, S. 971, Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler, 1 3. § 4, Abs. und
1.
Integration durch Bodenreform?
859
siedlergesetzes für dergleichen gar nicht zuständig zu sein. Das LandWirtschaftsministerium wiederum prognostizierte, daß die Bereitstellung von 10000 Milchkühen bis Mitte 1951 praktisch unmöglich sei. Auch durch freiwillige Viehabga-
ben werde man die erforderliche Stückzahl nicht beschaffen können. Daher müsse mit dem Außenhandelsministerium über eine größere Importaktion beraten werden1067. In der DDR standen damals knapp über eine Million Kühe unter Milchleistungsprüfung, was etwa zwei Drittel des gesamten Kuhbestandes von 1,6 Millionen Tieren ausmachte1068. Damit lag der Gesamtbestand immer noch um 17% unter den Vergleichszahlen von 1938. Fast sämtliche Kühe waren in Privatbesitz, die volkseigenen Güter hatten mit nur 18300 Kühen einen minimalen Anteil1069, so daß der Staat über keine eigenen Vieh-Ressourcen verfügte, um das benötigte Kontingent zu stellen. Damit drohte dieses agrarpolitische Teilprogramm des Umsiedlergesetzes kläglich zu scheitern. Die sowjetischen „Freunde" verfolgten die Entwicklung der DDR-Agrarpolitik mit regem Interesse. Schon SMA-Stellen hatten etwa im Herbst 1947 in Thüringen eine staatliche Viehausstattung von Umsiedler-Neubauern angeordnet1070. Deren Anfang 1950 gegebene Viehausstattung war bei Geflügel und Schweinen leidlich, auch ein bis zwei Stück Rindvieh waren im Durchschnitt vorhanden, doch Milchvieh und mehr noch Zuchtsauen und Pferde waren auf Vertriebenen-Höfen der DDR weiterhin rar. Regionale Ausstattungsdifferenzen dauerten fort: Während in Thüringen und Sachsen jeder vertriebene Landwirt im Schnitt über 1,7 bzw. 1,4 Milchkühe verfügte, betrug der Durchschnitt in Brandenburg nur 0,8 und in Mecklenburg 0,71071. Angesichts dessen drängten die Sowjets erneut auf staatliches Handeln. Doch als die Dresdner SKK-Vertretung Ende 1950 von der Landesregierung erfahren wollte, wie es um die Milchvieh-Beschaffungskredite stand, hatte die DDR-Regierung noch nicht einmal Durchführungsbestimmungen dazu erlassen1072. Diese Verzögerung, die auch die Umsiedlerexperten des DDR-Innenministeriums verärgerte, war die zwangsläufige Folge der erfolglosen Versuche, das benötigte Kontingent von 10000 Milchkühen zusammenzustellen. Zwar hatte das DDR-Landwirtschaftsministerium Mitte November den Entwurf einer Durchführungsbestimmung erstellt, der jedoch das große Manko besaß, daß nach wie vor „nicht ersichtlich war, wie die 10000 Milchkühe beschafft werden sollten". Diesen Webfehler hatten, wie das DDR-Innenministerium später verärgert feststellte, das Ministerium für Handel und Versorgung und die Staatliche Plankommission großzügig übersehen, als sie dem MLF-Entwurf ihre Zustimmung gaben. Erst Innenminister Steinhoff nahm es auf sich, das unzulängliche Papier „an den Herrn Minister Scholz mit der Bitte um entsprechende Überarbeitung zurückzugeben". Das Agrarressort legte dadurch erst im zweiten Anlauf am 8. Dezember 1950 eine brauchbare Durchführungsbestimmung vor1073. -
-
BAB, DN 1/2348, MdF DDR, Aktennotiz über Besprechung im Mdl am 13. 9., 14. 9. 50, S. If. Vgl. diese Daten für 1950 in: Statistisches Jahrbuch der DDR 1956, S. 421 und S. 431. Ebenda, S. 421. '°7° ThüHStA, Mdl 3637, Bl. 7ff., insb. Bl. 8, SMATh-Befehl Nr. 209 v. 29. 9. 47. 1071 Meinicke, Die Bodenreform und die Vertriebenen, S. 149. o« SäHStA, LRS, Mdl 2208, Mdl Sachsen, Abt. BP, Halm, an SKK Dresden, Kirilin, 13. 12. 50. 1073 BAB, DO 1/33268, Mdl DDR, Abt. BP, Heinze, Bericht über die Erstellung der 3. und 4. Durcho*7
1068
1o«.9
860
III. Die Macht des Sozialen
Nunmehr war der DDR-Regierung klar, daß die benötigten „Kühe auf dem normalen Kaufwege beschafft werden" mußten, da andere Ressourcen nicht zur Verfügung standen und die ursprüngliche Idee des Viehimports, die beträchtliche Devisenausgaben verursacht hätte, stets illusionär gewesen war. Da sich nach Meinung der Agrarexperten „nur wenige Bauern bereitfinden" würden, „eine Kuh zum normalen Preis zu verkaufen", mußte „man dem Verkäufer einen Anreiz zum Verkaufen geben". Daher sollte der Marktpreis um eine staatliche Prämie von 800 Mark aufgestockt werden. Dies hatte eine nicht unbeträchtliche Erhöhung des staatlichen Finanzbedarfs zur Folge, denn neben dem bisherigen Kreditvolumen von zehn Millionen Mark wurde die Bereitstellung von weiteren acht Millionen erforderlich, die zu allem Überfluß direkt „aus Haushaltsmitteln zu bestreiten" waren und im Unterschied zum Ausstattungskredit selbst „als verlorener Zuschuß betrachtet werden" mußten. Prompt verweigerte das Finanzministerium seine Zustimmung. Seither war die bis Juni 1951 vorgesehene termingerechte Durchführung des Ausstattungsprogramms ernsthaft gefährdet. Daraufhin ließen die Agrarexperten um den neuen MLF-Staatssekretär Kurt Siegmund (SED) die Idee einer anreizorientierten Verkaufsprämie wieder fallen. Statt dessen suchten sie das Staatssekretariat für Erfassung und Ankauf dafür zu gewinnen, eine kompensatorische „Anrechnung des Verkaufsgewichtes auf das Fleischablieferungssoll des Verkäufers" als indirekten Verkaufsanreiz zu gewähren. Während dessen fragte das DDR-Innenministerium, „ob es nicht zweckmädie acht Millionen DM bereitzustellen, als die durch Anerforderlichen ist, ßiger auf das rechnung Fleischablieferungssoll erforderlichen Devisen für eine erhöhte Fleischeinfuhr". Die unterdessen gewonnenen Erfahrungen bei der Umsetzung des Umsiedlergesetzes hatten das Innenressort eine zutiefst kritische Sicht bürokratischer Mechanismen gelehrt. Die evidenten „Schwächen der Verwaltungsarbeit" bestanden nicht nur in Inkompetenz, Schlendrian und starren Ressortperspektiven, sondern auch in mangelnder Festigkeit gegenüber anderen Ressorts, insbesondere gegenüber den hartleibigen Finanzbürokraten: „Beim Auftauchen von Schwierigkeiten zeigten oft die federführenden Ministerien nicht genügend Elan bei der Durchsetzung ihrer Forderungen gegenüber anderen Fachministerien. Sie waren zu schnell geneigt, abschiebenden Tendenzen nachzugeben."1074 Anfang 1951 wuchs sich die regierungsinterne Blockade zum Skandal aus. Die Leitung der Deutschen Investitionsbank, von jeher an der Finanzierung des Neubauernbauprogramms beteiligt1075, alarmierte SED-Generalsekretär Ulbricht, daß „zu den beiden wichtigen und von den Neubauern-Umsiedlern besonders beachteten Gesetzesabschnitten", nämlich denen über zusätzliche Baukredite und über zinslose Kredite zur Anschaffung von Milchkühen, noch immer keine Durchführungsbestimmungen erlassen worden seien. Diese Verschleppung beeinträchtige die intendierte „wirtschaftliche und politische Wirkung des Gesetzes" sowie das „Vertrauen der Umsiedler". Eine Vergrößerung des Viehbestandes der Umsiedler-
führungsbestimmung zum Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsied-
i°74 i°73
ler, 11. 1.51, S. 3. Ebenda, S. 3f. Vgl. die Vorgänge in BAB, DN
1/2343 und DN 1/2519.
1.
Integration durch Bodenreform?
861
Neubauern werde weiterhin behindert1076. Zu ähnlichen Feststellungen gelangte ein Untersuchungsbericht des DDR-Innenministeriums, demzufolge das Milchviehbeschaffungs-Programm von den mecklenburgischen Kommunen den Umsiedler-Neubauern noch nicht einmal bekanntgemacht worden war1077. MdlStaatssekretär Warnke, mit diesem Bericht seiner Bevölkerungspolitiker konfrontiert, teilte zwar deren Einschätzung, daß eine Popularisierung des Umsiedlergesetzes nachgeholt werden müsse, suchte jedoch die aufgeregte Kritik zu dämpfen: Eine Durchführungsbestimmung zur Vieh-Versorgung müsse nun einmal „unbedingt zur Voraussetzung haben, daß tatsächlich eine der Bestimmung entsprechende Realisierung ermöglicht wird". Das setze eine sorgfältige Bedarfsermitt-
lung vor Ort voraus1078.
Als die DDR-Ministerien des Innern sowie für Land- und Forstwirtschaft am Durchführungsbestimmung zum Umsiedlergesetz endzum Milchvieh-Ausstattungsprogramm herausgaben, konkrete Richtlinien lich waren immerhin die regierungsinternen Finanzierungskonflikte gelöst. Man hatte sich auf den Kompromiß einer zusätzlichen Verkaufsprämie von nur noch 300 Mark pro Stück Vieh verständigt1079, was die Zusatzkosten auf etwa drei Millionen Mark begrenzte. Da eine derart niedrige Prämie deren Urhebern als Verkaufsanreiz nicht auszureichen schien, war der Alternativvorschlag des Landwirtschaftsministeriums ebenfalls realisiert worden, den Verkäufern „die volle Anrechnung des tatsächlichen Gewichtes des verkauften Tieres auf die Pflichtablieferung von Schlachtvieh" zu gewähren. Ein zusätzliches Bezugsrecht für Futtergetreide sollte diese komplizierte Anreizkombination abrunden1080. Verkauft werden durften „nur voll nutzungstaugliche Rinder im Alter von zweieinhalb bis zu fünf Jahren" sowie tragende Färsen1081. Zugleich sollten nur solche Wirtschaften Tiere zu diesen Konditionen verkaufen dürfen, deren Erfüllung des Viehhalteplans für 1951 nachweislich gesichert war1082 eine Maßnahme, die die Planbarkeit der allgemeinen Fleischversorgung der Bevölkerung sichern sollte, von der sich jedoch nicht sagen ließ, inwiefern sie das mühsam etablierte Verkaufsanreizsystem beeinträchtigen würde. Was die potentiellen Käufer anging, hatte bereits das Umsiedlergesetz deren Kreis ausdrücklich auf die „bedürftigsten" Vertriebenen-Landwirte beschränkt1083. Die Durchführungsbestimmungen wollten all jene Neubauern-Umsiedler als bedürftig anerkennen, „die noch nicht im Besitze einer Milchkuh oder eines hochtragenden Jungrindes" seien und sich ein solches Tier auch „nicht aus 20. März 1951 mit der 4.
-
o« 1077
1078
BAB, DC 20/3970, DIB an StvMP DDR, Ulbricht, 30. 1. 51. BAB, DO 1-8/83, Bl. 267 ff., insb. Bl. 269, Mdl DDR, Org.-Instr.-Abt., Bericht zur Überprüfung der Verwaltungsabläufe bei der Durchführung des Umsiedlergesetzes im Kreis Stralsund, 9.2. 51. Ebenda, Bl. 334f., Mdl DDR, HA StV, [Malz?], Aktennotiz an Abt. Org.-Instx, Geiss, und Abt.
BP, Büttner, 20. 2.
1079
ioso 'oui 10s7 1083
51.
GB1. DDR 1951, S. 221, Vierte Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler v. 20. 3. 51, § 2, Abs. 4. Ebenda, § 3, Abs. 3, Ziffer c) und d). Ebenda, § 3, Abs. 2. Ebenda, § 3, Abs. 1. GB1. DDR 1950, S. 971, Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler, §4, Abs. 1.
III. Die Macht des Sozialen
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eigenen Mitteln" würden anschaffen können1084. Der Sicherung der Breitenwirkung diente das Verbot, die Gewährung des Ausstattungskredits von „etwaigen sonstigen Kreditverpflichtungen des Neubauern" bei der VdgB (BHG) abhängig
machen1085. Indem der Staat die höheren Kaufanreize voll subventionierte und dem Neubauern einen zweckgebundenen zinslosen Kredit „in Höhe des jeweils zulässigen Preises der betreffenden Zuchtwertklasse gewährt[e]"1086, kam man den wirtschaftlich schwächsten Umsiedler-Neubauern entgegen, ohne allerdings auf Kreditrückzahlung als materielle Hürde zu verzichten. Damit war trotz aller Bedürftigkeitsrhetorik letztlich der Ansatz einer Hilfe zur Selbsthilfe gegeben. Da der ausstattungswillige Neubauer „bis zur vollen Rückzahlung des Kredites die ihm zu Eigentum übertragene Kuh oder tragende Färse nur mit Zustimmung der Deutschen Bauernbank veräußern oder verpfänden" durfte1087, behielt der Staat auch ein wirksames Druckmittel zur Erzeugung von Tilgungsdisziplin in der Hand abgesehen davon, daß die Selbstkontrolle der ländlichen Gesellschaft genügend Druck erzeugen würde, lief doch die Kreditgewährung vor Ort über Bürgermeister und VdgB-Ortsvereinigungen ab1088. Um das Kontingent von 10000 hochwertigen Milchkühen tatsächlich zusammenzubringen, sollten die Landwirtschaftsministerien der Länder anordnen, „daß bis zum Abschluß der Aktion sämtliche im freien Handel zum Verkauf angebotenen, voll nutzungstauglichen Milchkühe und tragenden Färsen [...] ausschließlich an Neubauern-Umsiedler, die keine Kühe besitzen, verkauft werden müssen". Zugleich sollte die Tauglichkeit der Tiere tierärztlich bescheinigt werden1089. Darüber hinaus nahm die DDR-Regierung eine regionale Quotierung des Viehkontingents nach Bedarfsgesichtspunkten vor: Brandenburg und Mecklenburg standen mit 3400 bzw. 2100 Stück Vieh an der Spitze, Sachsen-Anhalt und Sachsen sollten je 2000 Stück zugewiesen erhalten, Thüringen hatte sich mit 500 zu bescheiden. Ein unerwartetes regionales Mehrangebot war sofort der Zentrale zu melden, um einen interregionalen Viehausgleich organisieren zu können1090. Alles weitere hing davon ab, ob ein quantitativ wie qualitativ hinreichendes Viehkontingent zusammengestellt werden würde. Dabei ging die gesetzliche Terminvorgabe des Juni 1951 bereits über Bord: Nach Meldungen des Landwirtschaftsministeriums gelang es bis Ende Juli 1951, lediglich 6752 Stück Vieh anzukaufen, bis Ende September stieg diese Zahl auf 7662 Tiere1091. Im Juni 1951 überprüfte die Abteilung Bevölkerungspolitik des DDR-Innenministeriums die Durchführung des Milchvieh-Ausstattungsprogramms in den Landkreisen Seelow und Oberbarnim sowie bei der übergeordneten brandenburgischen Landesregierung. Demnach war die Bearbeitung der Kreditanträge durch Bürgermeister und örtliche VdgB-Organe „sehr unterschiedlich" erfolgt. Waren zu
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1084
GB1. DDR 1951, S. 221 f., insb. S. 221, Vierte Durchführungsbestimmung zum Gesetz Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler v. 20. 3. 51, § 1, Abs. 1. Ebenda, § 2, Abs. 2. Ebenda, § 2, Abs. 1. Ebenda, § 2, Abs. 6. Ebenda, § 1, Abs. 2. Ebenda, S. 222, § 6. Ebenda, § 4, Abs. 1. Vgl. die entsprechenden Meldungen in BAB, DO 1/33266. ren
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1.
Integration durch Bodenreform?
863
einige Gemeinden streng nach Gesetz vorgegangen, „befürworteten andere jeden ganz gleich, ob der Antragsteller Umsiedler war oder nicht und ob er
Antrag,
noch keine oder bereits zwei oder drei Kühe hatte". Die Landwirtschaftsabteilungen der Kreisverwaltungen hatten derartige Anträge oft ohne eigene Prüfung einfach an die Landesregierung weitergereicht. Moniert wurde, daß Bedarfsermittlungen häufig alteingesessene Neubauern, denen ebenfalls Milchvieh fehlte, miteinbezogen hatten. In beiden überprüften Landkreisen waren die zuständigen Kreisräte gar nicht in der Lage, die genaue Zahl der viehbedürftigen UmsiedlerNeubauern zu beziffern. Umso bereitwilliger war bei der Verteilung des Viehs die gesetzlich vorgeschriebene Bevorzugung der Vertriebenen aufgeweicht worden. So hatte der Kreis Seelow 735 Stück Vieh als Bedarf gemeldet, doch nur die ersten 285 Anträge galten ausschließlich Vertriebenen, während die folgenden Antragslisten zu 20% alteingesessene Neubauern einschlössen. Die dörflichen Lokalgesellschaften waren offenbar nicht bereit, die exklusive Vertriebenenförderung des Umsiedlergesetzes zu akzeptieren. Diese gesetzwidrige Einbeziehung einheimischer Neubauern wurde mit Sachzwängen begründet: Der Ankauf von Kühen sei schon vor den Antragstellungen erfolgt, und der daraus resultierende Zwang zur raschen Unterbringung der Tiere habe Nachsicht bei der Auswahl der Interessenten erzeugt. Die Landesregierung hatte offenbar aus solchen Motiven die Anträge von Nicht-Umsiedlern zunächst genehmigt, ihre Haltung jedoch später geändert. Dieser Kurswechsel hatte zur absurden Situation geführt, daß alteingesessene Neubauern zwar die für Vertriebene bestimmten Kühe erhalten hatten, nicht jedoch die zu deren Bezahlung erforderlichen Kredite, „so daß diese Kühe heute noch unbezahlt sind". Eine Bezahlung durch Umsiedlerkredite war in solchen Fällen zweifellos „gesetzlich nicht möglich", doch da nach Einschätzung der Mdl-Kontrolleure „andererseits aber diesen Neubauern die Kühe unmöglich wieder abgenommen werden können", mußte das Potsdamer Landwirtschaftsministerium versuchen, eine geschmeidige Lösung zu finden. Man hoffte auf eine in der DDR-Regierung zu diesem Zeitpunkt erwogene generelle Milchkuh-Aktion, die ähnlich kreditfinanziert werden könnte wie die derzeitige Aktion für Umsiedler-Neubauern, denn damit „wäre der Ausweg schon gefunden"1092. Bis Ende Juli 1951 waren die 6752 angekauften und von Käufern übernommenen Milchkühe auf die Länder der DDR sehr ungleich verteilt worden. War 2100 mit Stück Vieh nach Plan ganz Mecklenburg versorgt worden, so hatte das zweite Bodenreformzentrum Brandenburg statt 3400 Milchkühe lediglich 1960 Stück (also knapp über 60% des Solls) erhalten. In Sachsen-Anhalt waren die Planquoten zu 72% (1.442 Stück Vieh), in Sachsen aber nur zu 38% (767 Stück Vieh) realisiert worden. In Thüringen, das infolge geringen Viehbedarfs nur 500 Stück hätte erhalten sollen, war mit 483 verteilten Milchkühen (96,6%) das Programm neben Mecklenburg am besten durchgeführt worden. Trotz dieser Unterschiede behauptete das DDR-Innenministerium, „dem überwiegenden Teil der bedürftigen Neubauern-Umsiedler" habe bis Hochsommer 1951 „eine Milchkuh
1092
Ebenda, Mdl DDR, Abt. BP, Lange, Bericht über Dienstreise in Brandenburg, 26. 6. 51.
864
III. Die Macht des Sozialen
bzw. tragende Färse zugewiesen werden" können1093. Wie kam es, daß der nur zu zwei Dritteln realisierte Gesetzesauftrag dennoch als erfolgreich gewertet werden
konnte?
Hauptgrund lag darin, daß das DDR-Landwirtschaftsressort seine ursprünglichen Prognosen zum Ausstattungsbedarf vertriebener Landwirte unterdessen drastisch nach unten korrigiert hatte. 1950 hatte man rund 6000 Umsiedler-Neubauern als austattungsbedürftig, d.h. ohne eine einzige Milchkuh, geDer
schätzt, „die danach verbleibenden
4000 Milchkühe wurden besonders im Hinblick auf die noch zu besetzenden freien Neubauernstellen als Reserve betrachtet". Im Laufe des Frühjahrs 1951 hatte das Landwirtschaftsministerium jedoch festgestellt, daß nur 3000 Umsiedler-Neubauern ohne ein Stück Milchvieh wirtschaften würden. Um die peinliche Entdeckung zu vermeiden, daß ein Großteil des so mühsam beschafften Viehkontingents gar nicht benötigt wurde und folglich auch nicht würde verteilt werden können, schritt das Agrarressort zu einer eigenmächtigen Lockerung der Kreditrichtlinien, gegen die das Innenministerium keinen Einspruch erhob, solange die vertriebenenpolitische Zielrichtung weiter gewährleistet schien. Am 12. Mai 1951 gestattete das Landwirtschaftsministerium die „Einbeziehung derjenigen Neubauern-Umsiedler, die nur im Besitze einer zucht- und nutzungsuntauglichen Kuh sind", und da auch das noch nicht auszureichen schien, wurde am 2. Juni 1951 die „Einbeziehung derjenigen Neubauern-Umsiedler, die nur im Besitze einer Kuh sind, deren Milch-Jahresleistung unter 1000 kg liegt", ebenfalls zugelassen. Das Innenministerium hielt auch dies für gerechtfertigt, da man solche Tiere nicht als Milchkühe bezeichnen könne1094. Die eigenmächtige Inklusionserweiterung stellte eine eindeutige „Gesetzwidrigkeit" dar. Es dauerte auch nicht lange, bis die Lockerungen „auf Grund einer Rücksprache mit Herrn Ministerpräsidenten Rau wieder aufgehoben werden" mußten1095. Tatsächlich hatte der Chef der Staatlichen Plankommission, sobald ihm der illegale und mit seiner Behörde nicht abgestimmte Pragmatismus des Landwirtschaftsministeriums bekannt wurde, im Juli 1951 die Wiederaufhebung der Lockerungen gefordert, die er mit sofortiger Wirkung vorsorglich außer Kraft setzte. Als Ausgleich für die unrechtmäßig verteilten Kühe wurde von deren neuen Besitzern die Ablieferung zucht- und nutzungsuntauglicher Kühe bis Ende September gefordert, und zwar ohne daß diese Ersatzleistung auf das reguläre Fleischablieferungssoll angerechnet werden sollte. Nach Auffassung der Plankommission hatte das Landwirtschaftsministerium mit seinem eigenmächtigen Handeln eine ernste Gefährdung der Fleischversorgung der Bevölkerung heraufbeschworen1096. Das ertappte Agrarressort machte am 5. Juli 1951 diese oktroyierten Ablieferungsverpflichtungen verbindlich, ohne seine bisherige Politik zu ver-
1/33272, Mdl DDR, Abt. BP, Aktennotiz
11393
BAB, DO 30.8.51.
1094
BAB, DO 1/33266, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, Aktennotiz vom 16. 7. 52 [i.e. 1951]. BAB, DO 1/33272, Mdl DDR, Abt. BP, Aktennotiz zur Durchführung des Umsiedlergesetzes, 30. 8. 51; tatsächlich war Rau einer von mehreren Stellvertretenden Ministerpräsidenten der
11393
zur
Durchführung des Umsiedlergesetzes,
DDR.
"> >
BAB, DO 1/33266, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, Aktennotiz vom
16. 7. 51.
1.
Integration durch Bodenreform?
865
teidigen1097. Hingegen verweigerte die Abteilung Bevölkerungspolitik im Innenministerium wenige Tage später ihre Genehmigung dieser unerwarteten Kehrtwende des Landwirtschaftsministeriums. Erst nachträglich erfuhr man im Mdl, daß man sich mit diesem Veto gegen eine Weisung der Plankommission gestellt und einen Konflikt mit deren Chef Heinrich Rau, einem mächtigen Politbüromitglied der SED, heraufbeschworen hatte1098. Der von zwei Seiten unter Druck gesetzte DBD-Landwirtschaftsminister Scholz machte gegenüber Plankommission-
das Innenministerium dafür verantwortlich, daß die beanstandete noch nicht habe abgestellt werden können. Rau kommenPraxis ungesetzliche tierte süffisant: „Das ist eine ganz neue Rechtslage. Mir war bisher nicht bekannt, daß das Ministerium des Innern das Recht hat, Gesetze aufzuheben oder abzuändern^] und daß es erlaubt ist, unter Berufung darauf ungesetzliche Handlungen durchzuführen." Er könne sich auch nicht vorstellen, daß der Innenminister oder sein Staatssekretär solches angeordnet hätten, „sondern es kann sich höchstens um eine Stellungnahme eines unverantwortlichen unteren Angestellten handeln". Rau forderte von Innenminister Steinhoff mit Nachdruck die „sofortige Herstellung schef Rau
nun
des
gesetzlichen Zustandes"1099. Ausgerechnet das im Kontext des Umsiedlergesetzes eher nachrangige Milchvieh-Ausstattungsprogramm verursachte damit einen regierungsinternen Inklusionskonflikt, der erst durch eine Besprechung beim SED-Zentralkomitee gelöst werden konnte. Dabei nötigte am 16. Juli 1951 der Vertreter des Innenressorts, Abteilungsleiter Büttner, Landwirtschaftsministerium und Plankommission zu dem bemerkenswerten Eingeständnis, daß deren Anweisung zur nachträglichen Revision der Viehbeschaffung „in der jetzigen Form unbrauchbar" sei. Zuvor hatte Büttner das Argument der SPK, die Lockerung der Inklusionsbestimmungen sei ungesetzlich, deutlich zurückgewiesen: „Ohne Zweifel bedeutet diese Lockerung eine Erweiterung der Vierten Durchführungsbestimmung, jedoch nicht des Gesetzes, wenn man berücksichtigt, daß dieselbe in ihrer [ersten] Fassung niemals der im Gesetz aufgestellten Forderung nach Verteilung von 10000 Milchkühen gerecht werden konnte." Auch das Argument einer Gefährdung der Bevölkerungsversorgung treffe nicht zu, denn die Plankommission habe sich mit ihrer Zustimmung zur Durchführungsbestimmung mit dem Ausfall der 10000 Kühe für die allgemeine Fleischversorgung bereits einverstanden erklärt. Da bislang trotz aller Lockerungen die Verteilung dieses Kontingents nicht gelungen sei, müsse man sich fragen, wie es zur plötzlich beanstandeten Gefährdung der Fleischversorgung gekommen sei. Ebenso ablehnend verhielt sich der Mdl-Vertreter zur Forderung der Plankommission nach Kompensation der illegal verabfolgten Milchkühe durch Sonderablieferung anderer Kühe, der sich das Agrarressort widerspruchslos gebeugt hatte. Wenn die betroffenen Umsiedler-Neubauern kranke, sterile oder „infolge übermäßiger Anspannung unwirtschaftlich geworden^]"
Tiere
ablieferten, bestehe die Gefahr, daß die neuen Milchkühe mangels zum Anspannen benutzt würden, so daß diese Tiere für die
Alternative auch 1097
'098 1099
Ebenda, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, Bericht über die Besprechung mit dem SPK-Vorsitzenden Rau am 20.7., 21. 7. 51. Ebenda, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, Aktennotiz vom 16. 7. 51. Ebenda, SPK DDR, Rau, an MLF, Scholz, 13. 7. 51.
III. Die Macht des Sozialen
866
Milchproduktion unbrauchbar würden. Damit hätten diese Landwirte wirtschaftlich nichts gewonnen, aber trotzdem die neuen Kreditschulden zu tragen. Für interne Verwaltungsfehler, so Büttners engagiertes Plädoyer, dürfe man aber nicht die Umsiedler-Neubauern büßen lassen1100. Eine höherrangig besetzte Verhandlungsrunde bei Vizeministerpräsident Rau kam am 20. Juli 1951 zu der Feststellung, daß die beiden vom Landwirtschaftsministerium verfügten Lockerungen eindeutig „ungesetzlich" seien und daher auch nicht wieder in Kraft gesetzt werden könnten. Zugleich aber beschloß man, daß die zu Unrecht begünstigten Umsiedler-Neubauern sowohl ihre bisherigen als auch ihre neuerworbenen Tiere behalten dürften, womit die Ersatz-Ablieferungsanordnung des Landwirtschaftsministeriums ebenfalls widerrufen wurde. Dieser Rückzieher der Plankommission, die anfänglich massiv auf Ersatzablieferung gedrungen hatte, war politisch-taktisch bedingt, „um eine Beunruhigung der betr.[effenden] Neubauern-Umsiedler und evtl. damit zusammenhängende unbedachte Handlungen von vornherein zu vermeiden". Dem Landwirtschaftsministerium wurde aufgetragen, alle Betroffenen von dieser erneuten Neuregelung schriftlich zu unterrichten und überdies eine selbstkritische Presseerklärung abzugeben. Das gedemütigte Agrarressort mußte überdies die exakte Zahl der unrechtmäßig abgegebenen Milchkühe erfassen, damit der DDR-Ministerrat deren Verteilung nachträglich legalisieren konnte1101. Die umsiedlerpolitische Konfliktbereitschaft des DDR-Innenministeriums hatte folglich verhindert, daß etliche Umsiedler-Neubauern zuerst begünstigt wurden, um für die unverhoffte Begünstigung nachträglich wieder bestraft zu werden. Der Verzicht auf Strafmaßnahmen erklärt sich nicht zuletzt aus der Breitenwirkung, welche die vom DDR-Landwirtschaftsministerium angestoßene großzügigere Handhabung des Milchvieh-Programms unterdessen gezeitigt hatte. In Sachsen hatte man das ursprüngliche Kontingent von 2000 Milchkühen auf 1500 abgesenkt, da nach Einschätzung der Landesregierung nicht genügend anspruchsberechtigte Umsiedler-Neubauern vorhanden waren. Von den bis Ende September 1951 eingegangenen 1630 Kreditanträgen zum vergünstigten Kauf einer Milchkuh stammten nur 847 (52%) von Umsiedler-Neubauern, 580 hingegen von einheimischen Neubauern und 203 sogar von alteingesessenen Landwirten. Diese Anträge hatte die Dresdner Landesregierung zu 60% genehmigt. Umsiedler-Neubauern ohne bisherigen Kuhbestand die gesetzlich Anspruchsberechtigten wurden in 429 Fällen, solche mit einer „nutzungsuntauglichen Kuh" in 256 Fällen als Kreditnehmer anerkannt, so daß im Falle vertriebener Neubauern eine Bewilligungsquote von etwa 81% gegeben war. Da jedoch auch 184 „Neubauern-Nichtumsiedler" ohne eigene Kuh und 108 weitere einheimische Neubauern, die bereits über eine nutzungsuntaugliche Kuh verfügten, Kredite erhalten hatten, hatte in Sachsen folglich auch die Hälfte der interessierten nichtvertriebenen Neubauern Berücksichtigung gefunden. Lediglich die Anträge von Altbauern scheinen von der Landesregierung durchweg abgelehnt worden zu -
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Ebenda, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, Aktennotiz vom 16. 7. 51. Ebenda, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, Bericht über Besprechung beim SPK-Vorsitzenden Rau am
20. 7., 21. 7. 51.
1.
Integration durch Bodenreform?
867
Einzelfälle, in denen eindeutig nicht bedürftige Neubauern versuchten, in den Genuß der Kredite zu kommen, wurden wiederum durch die soziale Kontrolle mancher Dorfgesellschaften sei es aus Sozialneid, sei es aus Gerechtigkeitsempfinden über das in Deutschland bewährte Mittel der Denunziation („die Wachsamkeit der Bevölkerung") korrigiert1102. Im Ergebnis aber war die sächsische Landespolitik dem Bestreben der ländlichen Gesellschaft weit entgegen gekommen, das gesetzlich auf „bedürftigste" Umsiedler-Neubauern zugeschnittene Milchvieh-Programm tendenziell auf die sehr viel breitere Dimension der bis 1950 praktizierten allgemeinen Neubauernförderung auszudehnen. Im Rahmen dieser Inklusionserweiterung hatte allerdings Vertriebenenförderung ihre Priorität behalten. Auf der erwähnten Regierungsbesprechung beim Vorsitzenden der DDR-Plankommission war am 20. Juli 1951 auch verabredet worden, das bislang als einmalige Aktion verstandene Milchvieh-Ausstattungsprogramm weiterzuführen. Die Verlängerung der Antragsfrist über den 30. Juni 1951 hinaus diente dazu, neu eingesetzte Umsiedler-Neubauern ebenfalls profitieren zu lassen1103. Im Dezember 1951 verlängerte ein Ministerratsbeschluß die Ausstattungskredite für das Folgejahr 1952. Das neue Viehkontingent war freilich auf 2000 Milchkühe bzw. tragende Färsen reduziert worden, von denen fast die Hälfte nach Mecklenburg gehen sollten, wo die Neubauernfluktuation offenbar am größten war. Im Unterschied zum Vorjahr gelang es 1952, die Inklusionsbestimmungen einzuhalten. Dies hatte jedoch zur Folge, daß das neue Viehkontingent kaum zur Verteilung gelangte: Nur 17,8% des Kontingents (356 Stück) wurden am Ende verkauft. Der zuständige Abteilungsleiter im Landwirtschaftsressort zog daraus den Schluß, daß nicht genügend bedürftige Abnehmer vorhanden seien1104. Das wäre eine Erklärung, doch bezeichnenderweise wurde auf die selbstkritische Frage, ob es angemessen war, den erklärtermaßen „bedürftigsten" Vertriebenen mit einem Kreditprogramm helfen zu wollen, in der DDR-Regierung kein Gedanke verschwendet1105. Statt dessen führte die Annahme der geringen Bedürftigkeit von Umsiedler-Neubauern das DDR-Landwirtschaftsministerium im Oktober 1952 neuerlich zum Versuch einer Inklusionserweiterung: Diesmal wollte man den vertriebenenpolitischen Ausstattungskredit der soeben eingeleiteten Kollektivierungspolitik dienstbar machen. Der Vorschlag, den Abnehmerkreis auf alle LPGMitglieder auszuweiten, blieb jedoch erfolglos1106. sein.
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An Krediten waren diesbezüglich in Sachsen 696000 Mark ausgegeben worden, wovon bisher 29800 Mark wieder zurückgeflossen waren; als Prämien an verkaufswillige Bauern hatte man zudem 257000 Mark gezahlt; vgl. SäHStA, LRS, Mdl 2187, Mdl Sachsen, Abt. BP, Bericht zur Durchführung des Umsiedlergesetzes, 20. 10. 51, S. 3f. BAB, DO 1/33266, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, Bericht über Besprechung bei Rau am 20. 7., 21.7.51. Ebenda, MLF DDR, Wilde, an Mdl DDR, Abt. BP, 5. 3. 53; nach Ländern aufgeschlüsselt hatte Brandenburg 550 Tiere erhalten sollen, aber nur 56 verteilen können; in Mecklenburg lag das Verhältnis zwischen Plan und Realisierung bei 940:229, in Sachsen-Anhalt bei 400:38, in Thüringen bei 50:9 und in Sachsen schließlich bei 60:24. Im Parallelfall der Wohnbedarfkredite hatte man die Ausschlußwirkung einer Kredithilfe für einkommensschwächste Schichten immerhin zu diskutieren begonnen; vgl. Kapitel III.2. BAB, DO 1/33266, MLF DDR, Wilde, an Mdl DDR, Abt. BP, 5. 3. 53; die Ablehnung war von der Koordinierungs- und Kontrollstelle für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft sowie für Erfassung und Ankauf ausgegangen.
III. Die Macht des Sozialen
868
Ein weiteres Hemmnis für den Erfolg des Milchvieh-Ausstattungsprogramms, das sich in den selbstbezüglichen Diskursen der DDR-Administratoren ebenfalls kaum wiederfand, war die teilweise unzureichende Qualität der angebotenen Tiere. Selbst wenn Notschlachtungen selten geblieben zu sein scheinen, darf nicht übersehen werden, welche Enttäuschung und wirtschaftliche Schädigung vertriebenen Landwirten aus solchen Fällen erwuchsen1107. Wurde diese Qualitätsproblematik einmal öffentlich diskutiert, geschah dies in einer Weise, die Rückschlüsse auf das nicht-veröffentlichte bäuerliche Meinungsklima gestattet. So erschien im Januar 1952 im Zentralorgan der DBD, dem „Bauern-Echo", eine Leserzuschrift, die von der Redaktion nicht nur mit einer Karikatur versehen wurde, sondern auch mit der polemischen Überschrift: „Das sind keine Kühe für Neubauern!" Unter Verweis auf Kühe des Geburtsjahrgangs 1938 wurde zu Recht gefragt: „Wo soll da die Milchleistung herkommen?"1108 Aufgrund dieses Artikels veranlaßte das DDR-Innenministerium Nachprüfungen durch das Landwirtschaftsressort, die jedoch zu dem Ergebnis gelangten, bei dem dargestellten Fall könne es sich nicht um eine Lieferung im Rahmen des Umsiedlergesetzes handeln; im übrigen habe der Kaufpreis der betreffenden Kuh ihrem Nutzwert entsprochen1109. Während die Regierungsbürokraten sich selbst beruhigten, ging es einer wachsenden Zahl Betroffener vermutlich ähnlich wie jenem Umsiedler-Neubauern aus dem Kreis Nordhausen, der infolge unbrauchbarer Milchkühe sein Ablieferungssoll nicht erfüllen konnte und deshalb im Frühjahr 1951 Regierungsfunktionären in den Block diktierte: „Wenn es so weiter geht, gehen wir in die Stadt, da leben wir besser."1110 1.4.3.
„Faß ohne Boden": Das vertriebenenpolitisch modifizierte Neubauern-
Bauprogramm 1951/52
Mit dem Wiedererstarken des industriellen Sektors in der SBZ/DDR nahm die Tendenz zur Abwanderung aus der Agrarproduktion unübersehbare Dimensionen an. Diese Entwicklung machte vor Neubauern-Wirtschaften am wenigsten halt: Instabile Höfe wurden zunehmend aufgegeben. Bald half auch das Ersatzreservoir der erst zu diesem späten Zeitpunkt in die SBZ/DDR gelangenden „Umsiedler" nicht mehr, die durch Abwanderung entstehenden Lücken in der Neubauernschaft wieder zu füllen1111. Gleichwohl hoffte Agrar-Staatssekretär Merker noch im Sommer 1950, als er vom Warschauer DDR-Botschafter Friedrich Wolf die Information erhielt, „daß weiterhin zahlreiche deutsche Bauernfamilien aus dem volksdemokratischen Polen nach Deutschland zurückkehren" sollten, diese »°7
SäHStA, LRS, Mdl 2188, Mdl Sachsen, Hofmann, an Kanzlei MP Sachsen,
19.1. 52, S. 3, berichals Ergebnis einer Kreisüberprüfung von vier solchen Fällen. BAB, DO 1/33267, „Das sind keine Kühe für Neubauern! Geburtsjahr 1938/Wo soll da die Milchleistung herkommen?", in: Bauern-Echo v. 27. 1. 52. Vgl. die Vorgänge zwischen Januar und März 1952 in: ebenda. ThüHStA, Büro MP 238, MP Thüringen, Afl, Bericht Nr. 201 v. 16. 5. 51. Zeitweilig hatte die Neuzuwanderung von Spätumsiedlern dazu beigetragen, die Zahl der Umsiedler-Neubauern in Mecklenburg und Brandenburg stetig anwachsen zu lassen, während sie in den drei südlichen SBZ-Ländern seit 1947 kontinuierlich abnahm; in Mecklenburg hatte man 1947/48 binnen Jahresfrist über 2200 neue Umsiedler-Neubauern registrieren können; vgl. BAB, DO 2/18, Bl. 54, DVdl, HAU, Entwurf Jahresbericht für 1948. tet
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1109 "io 1111
1.
Integration durch Bodenreform?
869
Spätumsiedler für die Übernahme von Neubauernstellen gewinnen zu können1112. Anfang 1950 gab es in der DDR bereits 5074 unbesetzte Betriebe, davon die Mehrzahl (2.856) in Mecklenburg. Dafür gab es objektive Gründe: Nur 10% aller
unbesetzten Neubauern-Höfe waren mit Wohnhäusern und Ställen und nur 5% mit Scheunen ausgestattet; in Mecklenburg wiesen nur 7% der aufgegebenen Höfe Häuser auf, nur 6% Ställe und ganze 2% Scheunen1113. Wie der Sekretär der sachsen-anhaltischen Landesbodenkommission, Filter, auf einer Sitzung des DDR-Landwirtschaftsministeriums im Dezember 1950 ausführte, machte die massenhafte Aufgabe von Neubauernwirtschaften auch „deren Neubesetzung zum Problem", denn „die Wirtschaften werden meistens völlig devastiert, entblößt von lebendem und totem Inv.[entar] zu einem beliebigen Zeitpunkt abgegeben, ohne daß die Landesbodenkommissionen eine Handhabe haben, hiergegen einzuschreiten". Die Ursachen der Fluktuation lagen laut Filter in erster Linie darin, daß ein Großteil der bisherigen Neubauern ihre Bauernstellen nur „als Überbrückung der schlechten Ernährungslage" verstanden habe und nicht als Lebensaufgabe: „Durch die industrielle Entwicklung in der DDR wird ein großer Teil der Neubauern in die Industrie übergehen, was besonders in industriellen Kreisen schon jetzt beobachtet werden kann." Des weiteren sei es bislang „nicht gelungen, den Wohnungsbau [dermaßen] zu fördern, daß wenigstens 70% der Neubauern mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehen sind". Drittens habe sich „die soziale Lage der Bauern" spürbar „verschlechtert", da ihr Einkommen „in keinem Vergleich" zu den Preisen der von ihnen benötigten industriellen Bedarfsgüter stehe. Da immer mehr Neubauern abwanderten und volkseigene Güter, MAS oder VdgB die Mitbewirtschaftung der freigewordenen Höfe verweigerten, bildeten die verlassenen und verwildernden Neubauernhöfe „das zur Zeit schwierigste Problem" der DDR-Agrarpolitik. „Sofortige Maßnahmen zur Abhilfe" seien dringend erforderlich. Die Vertreter aller übrigen Länder schlössen sich dieser Sicht anstandslos an1114. Mehr denn je war Neubauernbaupolitik zum Krisenmanagement genötigt, das sich ab 1951 in einem gezielten Förderprivileg für Umsiedler-Neubauern niederschlug. Die im September 1950 beschlossene Konzentration der Neubauern-Bauprogramme der Jahre 1951/52 auf Umsiedler-Neubauern bildeten wohl das kostenträchtigste und auch öffentlich am meisten beachtete agrarpolitische Hilfsprogramm des DDR-Umsiedlergesetzes. Neben dem exklusiven Zugang zu den regulären, zu 3% zu verzinsenden staatlichen Baukrediten wurde vertriebenen Neubauern, „entsprechend dem Grad ihrer Bedürftigkeit", ergänzend ein zinsloser Zusatzkredit von bis zu 5000 Mark angeboten1115, um das 1950 in eine schwere Krise geratene ländliche Baugeschehen wieder zu beleben. Diese zusätzlichen Subventionsangebote gaben indirekt zu verstehen, daß ein Großteil der Umsiedler-Neubauern von der Bauförderung bislang nicht hatte profitieren können, und ii>7 'i» m4
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Ebenda, MLF DDR, Merker, an Mdl DDR, Warnke, 3. 7. 50.
BAB, DO 1/33276, MLF DDR, Bericht v. 27. 5. 50. BAB, DK 1/2913, Bl. 283-292, insb. Bl. 284, MLF DDR, Protokoll über die Sitzung der Landesbodenkommissionen am 14. 12. 50, 3. 1. 51. GB1. DDR 1950, S. 971, Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler,
§ 1 und 2.
III. Die Macht des Sozialen
870
Zugleich machte die vertriebenenpolitiEngführung bislang angelegten Neubauern-Bauprogramms aus einer Not eine Tugend, denn angesichts der Finanzierungsprobleme war eine irgendwie geartete Konzentration des Bauprogramms unabdingbar, um wenigstens eine gewisse Zahl von Neubauernhöfen zu stabilisieren und den Abwanderungs-
waren
sche
insofern klare Krisenindikatoren. des
breiter
trend aus der Landwirtschaft zu bremsen. Pläne, Tausende von unbesetzten Höfe mit Neubauten zu versorgen und damit für Interessenten attraktiver zu machen, konnte sich die DDR-Agrarpolitik zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht leisten, denn solche Bauten hätten zu 100% staatlich vorfinanziert werden müssen. Dennoch ging DDR-Planungsminister Heinrich Rau bei den Vorbereitungen des 1951er Bauprogramms im September 1950 davon aus, 5000 Kernbauten auf bislang ungenutztem Bodenreformland zu errichten. Da an Staatsmitteln laut Investitionsplan für 1951 nur 75 Millionen Mark vorgesehen waren, hätte dieses Vorgehen bereits ein Drittel der Bausubventionen gebunden. Von den übrigen 50 Millionen Mark sollte überdies die Hälfte zur Schuldentilgung für unbezahlte Rechnungen des Jahres 1949 verwendet werden, so daß die reguläre Kreditfinanzierung für 1951 nur ein Volumen von 25 Millionen Mark hätte erreichen können. Legt man die 1950 geltende Höhe der Einzelkredite von 3750 Mark zugrunde, hätte diese Summe gerade einmal zur Förderung von 7000 Bauprojekten gereicht. Ungerührt erklärte jedoch der oberste DDR-Wirtschaftsplaner gegenüber DDRAufbauminister Lothar Bolz (NDPD), das Kreditvolumen könne „auf keinen Fall erhöht werden", so daß sich Aufbau- und Agrarressorts darum bemühen müßten, „das Bodenreformbauprogramm 1951 entsprechend einzuschränken". Auch der Sonderkredit für bedürftige Umsiedler-Neubauern wurde von den Zwängen der DDR-Finanzplanung unmittelbar nach seiner wahlwerbewirksamen Verkündung sofort wieder entwertet. Für die zusätzliche Subventionierung bedürftiger Umsiedler-Neubauern gedachte die DDR-Regierung nicht mehr Geld auszugeben als für die nachträgliche Schuldentilgung zugunsten (mehrheitlich nicht vertriebener) Bauherren des Jahres 1949, denn für die bis zu 5000 Mark gehenden zinslosen Sonderkredite hatte die DDR-Regierung lediglich 25 Millionen Mark bereitgestellt. Bei voller Ausschöpfung der Einzelkredite hätten nur etwa 5000 der 91000 vertriebenen Neubauern (5,5%) diese Hilfe in Anspruch nehmen können. Die soziale Differenzierungswirkung des Neubauernbauprogramms überblickte die DDR-Regierung weder damals noch in Zukunft, was sich auf die Steuerung der Vertriebenenförderung zwangsläufig negativ auswirken mußte. Die SED-Politik vermochte in den Worten Raus damals noch nicht einmal zu „beurteilen [...], ob das Bodenreformbauprogramm ein Faß ohne Boden oder mit Boden ist". Folgerichtig gelangte sie über improvisiertes Krisenmanagement nicht hinaus. Der oberste Wirtschaftsplaner der DDR beobachtete „viele Unklarheiten über den Stand und die Weiterführung des Bodenreformbauprogramms" und forderte, mit den knapper werdenden staatlichen Mitteln zuerst die Altschulden und bereits begonnene Bauvorhaben abzudecken, um erst in zweiter Linie die Sonderprogramme für Umsiedler-Neubauern und die Errichtung von Kernbauten auf herrenlosen Ländereien zu sichern. Bodenreformbauten für sonstige Neubauern oder Altbauern in Notstandsgebieten sollten nur noch -
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1.
Integration durch Bodenreform?
871
stattfinden, sofern dann immer noch finanzieller Spielraum vorhanden wäre1116.
Diese Prioritätenliste der DDR-Wirtschaftsplaner erklärte die eben erst gesetzlich verkündete Vertriebenenförderung in der Neubauern-Baupolitik bereits wieder
für zweitrangig. Was die Finanzplanung für 1951
anging, stellte sich entgegen Raus Planspielen Lage Ende etwas günstiger dar. Offenbar hatte man September in der DDR-Regierungsspitze eingesehen, daß ein derart unterfinanziertes Bauprogramm erneut keine Effekte zeitigen würde. Darum hatte der erst im Februar 1951 erfolgte Ministerratsbeschluß zum Neubauernbauprogramm für 1951 dessen Finanzvolumen so weit ausgedehnt, um wenigstens das (seinerseits alles andere als unproblematische) Niveau des Vorjahres zu halten. Das Mißverhältnis zwischen bäuerlichen Eigenleistungen und öffentlicher Teilsubventionierung, das bereits die Vorgängerprogramme der Jahre 1949 und 1950 schwer beeinträchtigt
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1950
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hatte, blieb somit auch beim 1951er Vertriebenen-Bauprogramm ein strukturelles Hemmnis. Vorgesehen war eine Investitionssumme von 300 Millionen Mark, die
180 Millionen aus Eigenleistungen und zu nunmehr 120 Millionen Mark aus dem Staatshaushalt finanziert werden sollte. Hinzu kamen die nicht erhöhten 25 Millionen Mark Sonderkredite für sozial schwache Umsiedler-Neubauern. Indem nunmehr 70 statt ursprünglich veranschlagter 25 Millionen Mark des Jahreskreditvolumens zur Fertigstellung von Überhängen reserviert wurden, blieb für Vertriebenen-Neubauten nur ein Subventionsrahmen von 50 Millionen Mark übrig1117, der sich damit gegenüber Raus ursprünglichen Vorstellungen immerhin verdoppelt hatte. Da die Umsiedler-Sonderkredite erst vergeben werden sollten, wenn dieser reguläre Kredit erschöpft war1118, konnten folglich höchstens rund 13 000 Umsiedler-Neubauern 1951 auf Bausubventionen rechnen, und weniger als die Hälfte dieser Bauherren hatte eine Chance auf den zinslosen Zusatzkredit1119. Angesichts derart knapper Finanzressourcen war die Enttäuschung unter den Landwirten groß. Thüringische Umsiedler-Neubauern äußerten Unmut darüber, daß das Gros der Zusatzkredite den noch schlechter gestellten Schicksalsgenossen in Mecklenburg und Brandenburg vorbehalten bleiben sollte1120. Diese Thüringer wollten offensichtlich bauen; ob dies auch für die Vertriebenen in Mecklenburg galt, war völlig offen. Im Unterschied zu anderen Hilfsmaßnahmen des Umsiedlergesetzes, die unverzüglich umgesetzt worden waren, sah sich die Neubauern-Bauplanung für 1951 durch die endemischen Zielkonflikte der DDR-Politik behindert. Die Umzu
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i'7o
BAC, DH 1/44480, Ministerium für Planung DDR, Rau, an Ministerium für Aufbau DDR, Dr. Bolz, 25. 9. 50. BAC, DC 1/630. ZKSK DDR, Samariter, Vorbericht v. 12. 2. 51, S. 3.
GB1. DDR 1951, S. 147, Dritte Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur weiteren VerbesseLage der ehemaligen Umsiedler v. 1. 3. 51, § 1, Abs. 2, und § 3. Genauso kam es: Eine Stichprobe der Landeskontrollkommission im Kreis Demmin ergab im Dorfe Wodarg, wo 31 Eindachtypen von je 10000 Mark erstellt wurden und „schematisch" jedem Projekt „ein zinsloser Kredit von 3750 DM zuerkannt" worden war, daß die 31 Bauvorhaben 6,2% des Kreisbauvolumens stellten, aber bereits 13% der dem Kreis zur Verfügung stehenden zinslosen Zusatz-Baukredite beansprucht hatten; vgl. MLHA, MP 660a, LKSK Mecklenburg, „Bericht über den Stand der Erfüllung des Neubauern-Bauprogramms 209", 4. 5. 51, S. 9f. ThüHStA, Mdl 3818, Bl. 94 ff., insb. Bl. 94 f., Mdl Thüringen, Bericht über Durchführung des rung der
Umsiedlergesetzes, o.D. [1951].
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III. Die Macht des Sozialen
siedlerbürokraten des DDR-Innenministeriums lasteten es Konzeptionsmängeln und fehlender Kooperationsbereitschaft zwischen den Landwirtschafts- und Finanzministerien an, daß es vier Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes (September 1950) bis Jahresanfang 1951 immer noch zu keiner tragfähigen Durchführungsbestimmung für das Bauprogramm gekommen war. Beide Ressorts schienen
Sonderinteressen zu verfolgen, ohne in Zusammenhängen zu denken1121. Indessen drohte im Winter 1950/51 zum zweiten Mal ein finanzpolitisches Fiasko des Bauprogramms. Nach monatelangen Vorbereitungen für eine Durchführungsbestimmung erfuhren die federführenden Funktionäre des Innenministeriums Ende 1950 in Bezug auf den Zusatzkredit nämlich „in mündlicher Form vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft ganz beiläufig", daß „im Rahmen dieser Kreditaktion mit mehr als 40000 Kreditbewerbern zu rechnen sei, so daß bei dem vorhandenen Kreditvolumen von 25 Millionen DM jeder Bewerber nur etwa 700.- DM erhalten könnte". In verhaltenem Zorn hielt es der zuständige Referent der Abteilung Bevölkerungspolitik, der ZVU-Veteran Heinze, für „bezeichnend", daß das Agrarressort „diese Feststellung ohne Überlegungen im Hinblick auf die Kreditgebahrung auf sich beruhen ließ". Dem Mdl-Umsiedlerfunktionär war „unerklärlich, daß die zuständigen Fachministerien nicht die hiermit drohende Gefahr erkannten und entsprechend handelten", da doch eine unveränderte Anwendung der gerade fertiggestellten Durchführungsbestimmung „bei dem ungesunden Verhältnis zwischen dem Kreditvolumen und der übergroßen Zahl von Reflektanten ohne gleichzeitige Herausgabe von strengen Ausführungsbestimmungen und ohne Limitierung der 25 Millionen DM zu unabsehbaren politischen Folgen geführt hätte"1122. Im Ergebnis wurde die nochmals überarbeitete und deshalb erst viel zu spät (zum März 1951) in Kraft gesetzte Durchführungsbestimmung mit einer restriktiven Bedürftigkeitsdefinition versehen. Der Zusatzkredit sollte nur noch dann gewährt werden, wenn der betreffende UmsiedlerNeubauer sein Bauprojekt nachweislich nicht mit Hilfe des regulären Baukredits, „verfügbaren eigenen Geldmitteln und der vorgesehenen Selbsthilfe, Gemeinschaftshilfe und Patenschaft" würde durchführen können. Zudem durfte der Sonderkredit erst vergeben werden, wenn der reguläre Baukredit erschöpft war, und durfte nicht zur Tilgung eines regulären Baukredits genutzt werden1123. All dies sollte offenkundig Interessenten möglichst entmutigen und den Kreis der Kreditempfänger klein halten. Angesichts der Finanzprobleme des Bauprogramms hatten kostenintensive Zusatzforderungen der bürgerlichen Blockparteien keine Aussicht auf Berücksichtigung. Das galt insbesondere für das unbekümmerte Postulat des Politischen Ausschusses des CDU-Hauptvorstandes, das Neubauern-Bauprogramm „beschleunigt zu Ende zu führen" und dabei „die notwendigen Kredite" staatlicherseits in ausreichender Höhe bereitzustellen, „daß die Gehöfte auch tatsächlich hergestellt nur
folge
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1123
BAB, DO 1-8/83, Bl. 250-253, insb. Bl. 253, Mdl DDR, Abt. BP, Bemerkungen zum Jahresbericht 1950, 30. 1. 51. BAB, DO 1/33268, Mdl DDR, Abt. BP, Heinze, Bericht über die Erstellung der 3. und 4. Durch-
führungsbestimmung zum Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler, 11. 1.51. GB1. DDR 1951, S. 147, Dritte Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler v. 1. 3. 51, § 1, Abs. 2, und § 3.
1.
Integration durch Bodenreform?
873
werden können", ohne die Betriebe unvertretbar zu belasten1124. Derartige Fensterreden waren völlig irrelevant, zumal die Ost-CDU nicht erklärte, an welcher Stelle des Gesamthaushalts die benötigten Finanzmittel hätten eingespart werden sollen. Im Sozialpolitischen Ausschuß der LDP sorgte man sich eher um das Verhältnis zwischen staatlichem Finanzeinsatz und dadurch produzierter Bauqualität. Im Patendorf seiner Verwaltung, einem Neubauerndorf, so der Schweriner Delegierte Manfred Ciasen, seien Ziegel geliefert worden, die schon bei der ersten Berührung zerbrochen wären: „Wenn man nach den Angaben der Handwerker mit einem etwas festeren Hut gegen die Mauer wirft, fällt sie ein."1125 Die entscheidenden Fragen der Finanzplanung wurden allein in SED-Zirkeln entschieden. Dies mußte auch das von einem Vertreter der Bauernpartei DBD geführte DDR-Landwirtschaftsministerium lernen, das bei einem Einzelkreditanteil von 3800 Mark pro Wohnhaus und von weiteren 1000 Mark pro Stall für das gesamte restliche Neubauernbauprogramm der DDR einen Kreditfinanzierungsbedarf von 201,9 Millionen DM (Ost) errechnet hatte. Dessenungeachtet hatte der DDR-Ministerrat am 2. November 1950 lediglich je 50 Millionen Mark für die beiden Jahresprogramme 1951/52 zur Verfügung gestellt, womit der vom Agrarresort veranschlagte staatliche Finanzierungsanteil gerade zur Hälfte gedeckt war. Die Fachleute des Landwirtschaftsressorts warnten eindringlich, eine Bereitstellung der fehlenden 101,9 Millionen Mark sei „unbedingt erforderlich", um die Vorgabe des Umsiedlergesetzes umsetzen zu können, sämtliche Umsiedler-Neubauern bis spätestens Ende 1952 mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden zu versorgen. Zu diesem Zwecke entwickelten sie einen Finanzierungsvorschlag, der das in den bis 1955 laufenden Fünfjahrplan integrierte Bodenreform-Bauprogramm auf die Jahre 1951 bis 1953 komprimieren und die erst für 1954/55 vorgesehenen 63 Millionen Mark Kreditmittel auf 1952 vorziehen wollte, wodurch sich das Kreditvolumen dieses Jahres von 62 Millionen auf 125 Millionen Mark verdoppelt hätte. Insgesamt hätten auf diese Weise bis 1953 zusätzliche 118,6 Millionen Mark mobilisiert werden sollen. Dieser kühne Vorschlag wurde allerdings rasch wieder fallengelassen; statt dessen präsentierte das Landwirtschaftsressort Mitte November 1950 einen Alternativplan, der für 1951 die Planvorgaben des Ministerrates (22 000 Baueinheiten) willfährig akzeptierte, um den gesamten restlichen Baubedarf von über 62000 Baueinheiten ohne Rücksicht auf Verwirklichungschancen für das Jahr 1952 einzuplanen. Auch der restliche Gesamtkreditbedarf in Höhe von über 151 Millionen Mark wurde für 1952 aufgelistet, ohne anzudeuten, wie die ungedeckten 100 Millionen Mark Zusatzbedarf finanziert werden sollten1126. Angesichts des übermächtigen Drucks der SED-Wirtschaftsplaner, gegen den das Agrarressort bis Mitte 1950 noch couragiert gekämpft hatte, hatte man nun offenbar resigniert und beschlossen, wie alle anderen über das Jahresende 1951 nicht mehr hinauszudenken. Am 5. Dezember 1950 kam es nochmals zu einer „sehr er-
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ACDP, 07/010/1315, CDU, HVo, Politischer Ausschuß, Anlage der Sitzung am 12. 9. 50, Entschließung zur Agrarpolitik, Teil III. ADL/LDPD/24463, LDP, HVo, Sozialpolitischer Ausschuß, Protokoll der Sitzung am 28. 9. 50, S.5.
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BAB, DK 1/3035, Bl. 54f., MLF DDR, HA III/A, Griepentrog, Aktennotiz hdschr.
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regte[n] Diskussion" über den Kreditanteil an den Baukosten, als Plankommissions-Chef Rau gegen das Vorhaben votierte, beim sogenannten „Eindachtyp", der Wohn- und Stallgebäude zusammenzwängte, 4800 von veranschlagten 10000 Mark Baustückkosten staatlich zu kreditieren. Vergeblich versuchten die Ministerien für Aufbau und Landwirtschaft den angestrebten Kreditanteil von 48% zu
die Achse zwischen Plankommission, Finanzministerium und anderen Regierungsstellen erwies sich als stärker und senkte den Kreditanteil des Eindachtyps auf die bei Planbauten üblichen 37,5% ab1127. Wenige Tage später beschloß der DDR-Ministerrat die Errichtung von 22000 Baueinheiten im Jahre 19511128. Neben dem Finanzmangel war es der akute Mangel an Baumaterial, der die Priorität der Vertriebenenförderung im Neubauernbauprogramm von Anfang an fraglich erscheinen ließ. Bereits im Januar 1951 erklärte sich das der Staatlichen Plankommission unterstellte Staatssekretariat für Materialversorgung für „z.Z. nicht in der Lage [...], die Bereitstellung der erforderlichen Baumaterialien [...] zu sichern". Nach Einschätzung des Landwirtschaftsministeriums reichten „die bisher erfolgten verbindlichen Materialzuweisungen [...] nicht einmal aus, um die Bautenüberhänge aus dem Jahre 1950 restlos fertigzustellen, geschweige denn neue Bauvorhaben zu errichten". Besorgt appellierte man an das Innenministerium, gegenüber der Plankommission „mit allen [sie!] Nachdruck besonders die Interessen und Belange der Neubauern- Umsiedler" zu vertreten1129. Wie es um diese Interessenwahrung tatsächlich stand, demonstriert ein gleichzeitig unterbreiteter Vorschlag des Agrarressorts betreffs der zusätzlichen Baukredite für bedürftige Umsiedler-Neubauern. Da die diesbezügliche Durchführungsbestimmung vor März 1951 nicht in Kraft treten konnte1130, ließen sich die Sonderkredite nach Einschätzung von Finanzexperten 1951 gar nicht mehr mit den regulären Baukrediten koordinieren. Während die Deutsche Investitionsbank diesen Umstand gegenüber Ulbricht kritisch zur Sprache brachte1131, machte das Agrarressort dem Innenministerium den umsiedlerpolitisch zweifelhaften Vorschlag, einen Teil dieser Zusatz-Baukredite pragmatisch umzuwidmen und zur Finanzierung der Bautenüberhänge des Jahres 1950 zu nutzen. Diese hatten gegenüber Neubauten den Vorteil, „bereits jetzt unverzüglich ohne Unterbrechung weitergeführt" werden zu können; vertriebenenpolitische Bedenken suchte man mit der Behauptung zu zerstreuen, daß an den Überhangbauten Umsiedler-Neubauern zu „mindestens 50-60% beteiligt" seien1132. Das Innenministerium stimmte mit der Maßgabe zu, daß die Finanzierung von Überhangbauten „in angemessenen [sie!] Verretten:
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BAB, DO 1/33269, Mdl DDR, Abt. BP, Strehlau, Bericht über die Kommissionssitzung für das Neubauern-Bauprogramm beim Ministerium für Aufbau am 5.12., 6. 12. 50. BAB, DC-20-I/3-39, Bl. 59ff., Regierungskanzlei DDR, HA II, Protokoll der 6. Sitzung der Regierung der DDR am 14. 12., 15. 12. 50, insb. Bl. 78, Anlage 2: Beschluß zum Umsiedlergesetz; die regionalen Planvorgaben lagen für Mecklenburg bei 5610 Wohnhäusern und 6612 Ställen, für
Brandenburg bei 2480 bzw. 3.240, für Sachsen-Anhalt bei 1300 bzw. 1.476, für Sachsen bei 600 bzw. 660 und für Thüringen bei 10 bzw. 12 Wohnhaus- bzw. Stallbauten. BAB, DK 1/3035, Bl. 14f., MLF DDR, HA III/A, an Mdl DDR, Abt. BP, 24. 1.51. GB1. DDR 1951, S. 147, 3. Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler vom 1. 3. 51 sowie Bekanntmachung über Kreditrichtlinien zur Durchführung des Bauprogramms im Jahre 1951 v. 1. 3. 51. BAB, DC 20/3970, DIB an StvMP DDR, Ulbricht, 30.1. 51. BAB, DK 1/3035, Bl. 14f., MLF DDR, HA III/A, an Mdl DDR, Abt. BP, 24.
1. 51.
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Integration durch Bodenreform?
was zum Bodenreform-Bauprogramm des Jahres 1951" stehen müsse1133 immer diese schamhafte Kautele konkret bedeuten mochte. Faktisch drohte der Zusatzkredit des Umsiedlergesetzes von Anfang an seiner vertriebenenpolitischen Zweckbindung entkleidet zu werden. Ende März 1951 wiederholten Aufbauminister Dr. Bolz, Finanzstaatssekretär Rumpf und ein Vertreter der unterdessen ebenfalls dafür gewonnenen Investitionsbank den Vorschlag, eine Kreditaufstockung bei Überhangbauten zu gestatten und zu deren Finanzierung auf die Umsiedler-Sonderkredite zurückzugreifen1134. Die eben erst eingeleitete Vertriebenenförderung in der DDR-Agrarpolitik erodierte denkbar zügig: Was bei der Milchvieh-Versorgungsaktion erst während der Implementationsphase erfolgte, läßt sich im Falle der Baupolitik bereits in der Konzeptualisierungsphase beob-
hältnis
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achten.
Hinter dem Pragmatismus verschiedener politischer Instanzen standen handfeste gesellschaftliche Gruppeninteressen. Immer ungenierter forderten politische Repräsentanten eine Aufweichung der Inklusionskriterien des umsiedlergesetzlichen Sonderkredits. Im März 1951 verband der brandenburgische Ministerpräsident Rudolf Jahn (SED) dieses Ziel mit einer Grundsatzkritik an der unzureichenden Typenplanung der schon 1950 stark zusammengestrichenen Stallbauten:
„Wir haben bei der Fertigstellung des Neubauern-Bauprogramms
der
aus
dem Jahre 1950 und
Inangriffnahme des Neubauern-Bauprogramms des Jahres 1951 insofern Schwierigkeiten, als ein großer Teil Neubauern-Umsiedler wohl bereit ist zu bauen, aber den Kernbau Typ 50 L ablehnt, weil die Stallungen bei diesem Bautyp nicht ausreichen, um den Viehvermehrungs- und Viehhaltungsplan zu erfüllen."
Jahns Intervention zielte auf die Umwidmung des für besonders bedürftige Um-
siedler-Neubauern reservierten Sonderkredits immerhin zugunsten anderer vertriebener Landwirte, um mit Hilfe der zusätzlichen Kreditmittel den ökonomisch unbrauchbaren „Kernbau zu einem Planbau mit einer Bausumme von 10000 DM zu erweitern"1135. Dabei hatte der brandenburgische Regierungschef vor allem kriegs- und hochwassergeschädigte „Oderkreise" wie Seelow, Oberbarnim und Prenzlau im Auge, wo „die Erfüllung des Viehhalteplanes gefährdet wird, wenn an der Errichtung des Kernbaus Typ 50 L festgehalten wird"1136. Durch Beschrän-
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'136
Ebenda, Bl. 13, Mdl DDR, Abt. BP, Büttner, an MLF DDR, HA III/A, 7.2. 51. So wollte man vier Millionen Mark Überschuß aus 1950 heranziehen, ferner zehn Millionen Mark aus dem ausschließlich für Umsiedler-Neubauern bereitgestellten Baukredit von 50 Millionen Mark und weitere sechs Millionen „durch Heranziehung von zinslosen Krediten an bedürftige Neubauern-Umsiedler gemäß Arbeitsrichtlinien der VdgB"; vgl. BAC, DH 1/44480, MdF DDR, Rumpf/Ministerium für Aufbau DDR, Dr. Bolz/DIB, Lehmann, Überlegungen zum „Weiterbau der Neubauern-Bauten 1950", 22. 3. 51. Handschriftliche Vermerke deuten darauf hin, daß Jahn damit in der SPK wenig Anklang fand; ein Vermerk lautete: „Neuen Bautyp durch Aufbaufministerium] bestätigen lassen! Dort wird daran gearbeitet." Ein neben den Bemerkungen zum Ministerratsbeschluß angebrachter Vermerk lautete: „Diese Auffassung ist falsch. Zuerst Plan erfüllen!" Vgl. BAB, DE 1/12054, MP Branden-
burgjahn, an MP DDR, Grotewohl, 28. 3. 51. Statt der Erweiterung des Kernbautyps zum regulären Planbau durch voll ausgeschöpfte Zusatzkredite von 5000 Mark sollten reduzierte Kredite von 1600 Mark dazu verwendet werden, um lediglich Stallungen bedarfsgerecht zu vergrößern; vgl. ebenda, MP Brandenburg, Jahn, an StvMP DDR, Rau, 28. 3. 51.
III. Die Macht des Sozialen
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kung des Sonderbaukredits auf ein Drittel der Höchstsumme wollte Jahn einer dreimal so großen Gruppe dortiger Umsiedler-Neubauern helfen1137. In der Frage, ob der Sondertopf zinsloser Zusatzbaukredite zur Finanzierung von Überhängen oder von Neubauten genutzt werden sollte, zeigte sich die DDR-Regierung jedoch gespalten. Während das Aufbauministerium zur Überhangfinanzierung tendiert zu haben scheint, versuchte das Agrarressort gemeinsam mit dem Innenministerium die Priorität der Neubaufinanzierung zu retten. Nach Auffassung des MLF-Referenten für ländliches Bauwesen, Pioch, konnte nur auf diese Weise der Volkswirtschaftsplan für 1951, der die Errichtung von 10000 Wohngebäuden und 12000 Ställen vorsah, erfüllt werden. Plankommissions-Chef Rau verhielt sich schwankend: Bei der Beratung über Jahns Vor-
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stoß hatte er in Übereinstimmung mit der später von Staatssekretär Hans Wermund fixierten Position des Aufbauressorts „zuerst gleichfalls auf dem Standpunkt" beharrt, „daß die 25 Millionen DM zinslose Sonderkredite für alle Neubauern-Umsiedler ganz gleich, ob sie bereits Bauten besitzen, Bauten begonnen haben oder noch nicht mit ihrem Bau angefangen haben zuzubilligen" seien. Erst als der DDR-Vizepremier darüber aufgeklärt wurde, daß in diesem Falle rund „40-50000 Neubauern-Umsiedler" als Kreditnehmer in Frage kämen, für die nur 25 Millionen Mark zur Verfügung stünden, schwenkte Rau um und vertrat „nun gleichfalls die Ansicht" des Agrarressorts, „daß in erster Linie die Aufgaben des Planes 1951" also Neubauten „finanziell gesichert sein müssen, ehe eingesparte Kreditmittel für Erweiterungen, und damit auch für Überhänge, verwendet werden können"1138. Dieser finanzpolitische Verschiebebahnhof demonstrierte nur, daß die Subventionen für das Neubauern-Bauprogramm keinesfalls ausreichten. Laut einer im Herbst 1950 erstellten Statistik des DDR-Landwirtschaftsministeriums waren von 90 732 Umsiedler-Neubauern 41604 immer noch ohne Wohnhaus und 43 817 ohne Stallungen1139. Zugleich waren zahlreiche Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Jahresbauprogramms von 1950 noch „nicht fertiggestellt", und deren Weiterführung würde zwangsläufig den Großteil des für 1951 bereitgestellten staatlichen Kreditvolumens etwa 70 Millionen von 120 Millionen Mark verschlingen1140. Überdies sollte sich zeigen: Nicht die DDR-Politik, die sich letztlich für die Priorität von Neubauten aussprach, sondern die gesellschaftlichen Implementationsbedingungen dieser Politik entschieden über den Verlauf des 1951er Bauprogramms. Dieses erschöpfte sich, wie schon im Sommer absehbar wurde, weitge-
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Jahn bat um einen raschen DDR-Ministerratsbeschluß und wollte seinen Plan notfalls persönlich vertreten; vgl. ebenda, MP Brandenburg, Jahn, an MP DDR, Grotewohl, 28. 3. 51, und Kopie des og. Schreibens an StvMP Rau. i'3« BAB, DK 1/3032, Bl. 201 f., MLF DDR, Pioch, an Minister Scholz, StS Siegmund u.a., Stellungi'37
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nahme zum Schreiben Wermunds v. 3.4., 10. 4. 51. BAB, DK 1/3035, Bl. 54f., MLF DDR, HA III/A, Griepentrog, Aktennotiz hdschr.
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Überarbeitung vom 16. 11. 50.
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BAC, DC-1/630, ZKSK, Linz, „Auswertung der Überprüfung des Gesetzes über die weitere Verbesserung der Lage der Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik vom 8.9. 1950",
15. 2. 51, S. 4f.; bei den bewilligten Bausummen war den Staatskontrolleuren zudem aufgefallen, daß dabei die Fertigstellung des Hausbodens, des Scheunentors und der Bau von Jauchegruben Anicht vorgesehen" war, obwohl „die Bedürfnisse der Neubauern auf Fertigstellung der Baulichkeiten" offenbar „besonders auf diesem Gebiete" gegeben waren.
1.
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hend in der Fertigstellung von Überhangbauten des Vorjahres1141. Damit hatte die im Umsiedlergesetz verankerte Vertriebenenförderung in der Baupolitik trotz des politischen Willens der DDR-Regierung nicht realisiert werden können. Krisenhaft war insbesondere die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern, wie bereits im November 1950 die in der DDR beispiellose Berufung eines Sonder-Ministers für das Neubauernbauprogramm (in Person des DBD-Landesvorsitzenden Ernst-Walter Beer) indizierte1142. 1950 waren in Mecklenburg von 6572 geplanten Baueinheiten nur 806 fertiggestellt worden, weitere 4100 befanden sich entweder im Bau oder waren gerade einmal vertraglich fixiert worden. Dieses Versagen in der Baupolitik begründete Ministerpräsident Höcker gegenüber der SKK ehrlich, aber ungeschickt mit mangelnder Organisation und Initiative (was letztlich auf seine Regierung zurückfiel) sowie damit, daß schon „aus dem Jahr 1949 erhebliche Überhangbauten übernommen und fertiggestellt werden mußten". Auch von diesen über 7700 Überhängen waren 1950 nur etwa 5100 fertiggeworden. Zwar wurde auch in Mecklenburg das auf Vertriebene konzentrierte Neubauernbauprogramm für 1951/52 als „vordringliche Schwerpunktaufgabe" definiert1143, doch hinter den tönenden Vokabeln stand tiefe Ratlosigkeit, ließ sich doch angesichts der unzureichenden staatlichen Subventionen die Bauwilligkeit der Neubauern kaum steigern. Auch Sonder-Minister Beer wußte nach einer „Inventur sämtlicher Überhangbauten" nicht viel mehr zu sagen, als daß „die Lage im Bodenreformbauprogramm" für Mecklenburg „sehr ungünstig" sei. Regierungschef Höcker erreichten kurz darauf weitere Hiobsbotschaften, denn er notierte am Ende des Beer-Berichts geradezu erschüttert: „Kredite sind größtenteils aufgebraucht. Woher sollen jetzt die Neubauern Gelder nehmen, da neue Kredite nicht zur Verfügung stehen! Wie war das möglich, welche Kontrollen, Überwachungen fanden statt? Es scheitert alles an der Finanzierung."1144 Die Finanzlücken hatte die Schweriner Landesregierung nicht zu verantworten, sehr wohl aber den Umstand, daß sich ihre Ressorts im Frühjahr 1951 nicht einmal über die exakte Zahl der fertiggestellten Überhangbauten einig zu werden vermochten. Die Landeskontrollkommission führte dieses Chaos partiell auf „bewußt[e] Falschmeldungen" der unteren Verwaltungsebenen, mehr noch aber auf 1141
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Von 10306 Überhängen des Jahres 1949 waren demnach im Juli 1951 8760 oder 85% fertiggestellt, weitere 1504 befanden sich im Bau; umgerechnet auf bezugsfertige Objekte galten 94% dieser des Jahres 1950 waren 5492 oder 71% fertigÜberhänge als abgeschlossen; von 7793 Überhängen gestellt worden, unter Einbeziehung weiterer im Bau befindlicher Objekte wurde die nachträgliche Planerfüllung mit 85% angesetzt; die Realisierung der 1950er Überhänge war offenbar durch die per DDR-Regierungsbeschluß vom 30. 5. 51 veröffentlichten neuen Bautypen 51 A und 51 B befördert worden; vgl. BAC, DH 1/44523, Ministerium für Aufbau DDR, Abt. Investitionen, Hajesch, Erläuterungen zum Bautenstandbericht über das Bodenreform-Bauprogramm, 10. 7. 51. Der DBD-Politiker und Umsiedler-Neubauer Beer, formell Minister ohne Geschäftsbereich, koordinierte als Vorsitzender des Landesbauausschusses dieses Programm, das damit dem Geschäftsbereich des regulären SED-Landwirtschaftsministers und späteren Regierungschefs Bernhard Quandt faktisch entzogen wurde. MLHA, MP 557, MP Mecklenburg, „Bericht über die am [...] 13.d.M. stattgefundene Besprechung bei Herrn Generalmajor Usow [i.e. Jussow, SKK Mecklenburg] betr. verschiedener [sie!] Fragen der wirtschaftlichen Lage der Umsiedler, der Neubauern und der Durchführung des Bo-
denreformbauprogrammes", 15. 1. 51. Ebenda, Minister o.G. Mecklenburg, Beer, an MP Mecklenburg, Höcker, 6.3.51, mit Notiz Hökkers.
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die schlechte Kooperation zwischen den beteiligten Ministerien zurück, die auch die Ernennung des Sonderministers nicht hatte verbessern können1145. Generell war die Werbung Bauwilliger in Mecklenburg rückständig und schwierig, weil die Bauern den als halbfertigen Planbau angebotenen, erweiterungsfähigen Kernbautyp großenteils ablehnten und statt dessen den größeren, aber teureren Eindachtyp für 10000 Mark bevorzugten. Gleichzeitig war die viel zu niedrig angesetzte staatliche Kostenplanung unter den Bauern vollkommen unglaubwürdig1146. Wo tatsächlich gebaut wurde etwa bei Kernbautypen, die zu den Überhangbauten zählten war regelmäßig „die Plandisziplin durchbrochen" worden, „indem die Bauern eigenmächtig den Bau vergrößert" hatten und dabei von lokalen Verwaltungsvertretern noch ermutigt worden waren. Dieses Verhalten war offenbar das einzig rationale, denn wo man sich an die restriktiven Richtlinien gehalten und keine zusätzlichen Stallbauten zugelassen hatte, blieben Kernbauten des Vorjahres unvollendet und unbewohnt, „weil die Eigentümer ihr Vieh noch in den alten Stallungen haben und die neue Kernbausiedlung zu weit vom Stall entfernt liegt". Unter den betroffenen Neubauern kursierte die böse Redensart, „daß der Kernbau die Wohnung des späteren Kollektivbauern sein soll"1147. Indem die Kreditrichtlinien für das Jahres-Bauprogramm erst im Mai 1951 herausgegeben wurden, wiederholten sich die Verzögerungen des Vorjahres. Die Durchführung der Bauvorhaben war dadurch von Anfang an schwer beeinträchtigt: „Wegen der verspäteten Planung entfielen Eigen- und Gemeinschaftsleistungen der Bauern" beim Neubau, da sie jahreszeitlich bedingt „ihre Felder bestellen und anschließend die Ernte einbringen mußten"1148. Die Finanzierungs-Planspiele der Regierungen, die seit 1949 auf übermäßig hohe Eigenleistungen setzten, wurden auf diese Weise vollends ad absurdum geführt. Vielerorts hatten die Vertriebenen-Neubauern den Glauben an wirksame staatliche Hilfe längst verloren, wie der SED-Vorsitzende und DDR-Regierungschef Otto Grotewohl im Mai 1951 auf einer Rundreise durch mecklenburgische Dörfer wiederholt feststellen konnte1149. Im selben Monat forderte ein aggressiver Artikel im „Neuen Deutschland", endlich den „Störungsaktionen im Bodenreform-Bauprogramm ein Ende [zu] bereiten". Darunter verstand das SED-Zentralorgan freilich nur eine Disziplinierung des Aufbauministeriums, das sich nicht an den Ministerratsbeschluß vom 1. Februar gehalten habe. Während dort festgelegt worden sei, daß Planbauten mit Wohnhaus und Stall unter gemeinsamem Dach (Eindachtypen) höchstens 10000 Mark, Kernbauten höchstens 6000 Mark pro Objekt kosten dürften, habe das Aufbauressort Planungen vorgelegt, in denen diese Kostengrenzen um 13% überschritten worden seien. Nach Meinung des SED-Zentralorgans lag dieser Pragmatismus, der doch lediglich den realen Baukosten Rechnung trug, nicht im -
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MLHA, MP 660a, LKSK Mecklenburg, „Bericht über den Stand der Erfüllung des NeubauernBauprogramms 209", 4. 5. 51, S. Iff. In mehreren Kreisen kursierten überdies Kalkulationen privater oder volkseigener Baufirmen, „aus denen hervorgeht, daß der Kernbau für [die staatlich vorgegebenen] 6000 DM nicht zu er-
stellen wäre"; auch die Hauptabteilung Aufbau der Landesregierung veranschlagte intern eher 7200 Mark Baustückkosten; vgl. ebenda, S. 7f. "47Ebenda,S. 5f. i'48 Bauerkämper, Das Neubauernbauprogramm im Land Brandenburg, S. 194. 1149 BAC, DH 1/44480, MP DDR, Sekretariat, an Ministerium für Aufbau DDR, Dr. Bolz, 7. 6. 51.
1.
Integration durch Bodenreform?
Interesse der Vertriebenen. Letztlich
ging es
aber
nur
vordergründig um
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Klien-
teninteressen, entscheidend war der bürokratische Ungehorsam gegenüber der Parteispitze: „Eine solche Mißachtung des Ministerratsbeschlusses" sowie der
„ernsten Worte Walter Ulbrichts in Forst Zinna" war für brave Parteikader nun einmal „starker Tabak"1150. Liebedienerisch hob das SED-Zentralorgan die große Bedeutung der von Ulbricht im Februar 1951 auf der Staatsfunktionärskonferenz in Forst Zinna proklamierten Grundsätze der „Kritik und Selbstkritik" der Verwaltungen, der ernsthaften Berücksichtigung des „Beschwerderechts" der Bevölkerung und der „erhöhten demokratischen Wachsamkeit" hervor1151. Und „gerade zur rechten Zeit" war von der Landesregierung Sachsen-Anhalt ein in den Augen der Parteipresse besserer Vorschlag vorgelegt worden, durch den Verzögerungen und finanzielle Schädigungen der Umsiedler-Neubauern vermieden werden könnten. Die Hallenser Rechenkünstler hatten es fertiggebracht, die Gesamtfläche eines Planbaus auf 73 Quadratmeter und den Stallteil auf 31,55 Quadratmeter zu vergrößern, gleichzeitig jedoch die Baukosten um 5900 Mark niedriger anzusetzen und damit um 10% unter die von der DDR-Regierung festgelegte Höchstgrenze zu bringen. Das „Neue Deutschland" jubelte:
„Damit könnte den Bauwilligen jene große Sorge genommen werden, die sie bei ihrer vertrauensvollen Aussprache mit Ministerpräsident Grotewohl am 27. April in Grüntal an die Regierung herantrugen. So läßt sich die Zusage Otto Grotewohls, in Zukunft den Stallteil zu erweitern, sehr schnell zur Zufriedenheit unserer Neubauern einlösen."1152
obliegende Typenplanung, die stets von finanziellen diktiert blieb wurde, Engpässen jedoch weiterhin eine stetige Quelle von Konflikten. Zwar hatte die „scharfe Kritik" der Neubauern am 1950 zusammengestrichenen „Kernbautyp 50" dazu geführt, im folgenden Jahr die neuen Typen 51A und 51B anzubieten. Die Pläne des DDR-Aufbauministeriums waren jedoch nicht anwendungsfähig gewesen, so daß die Landesministerien nachbessern und weiterentwickeln mußten und die modifizierten Typen erst gegen Jahresmitte 1951 an die Kreise weiterleiten konnten. Dadurch wurde der Baubeginn des 1951er Programms drastisch weiter verzögert. In Sachsen-Anhalt hatte, wie erwähnt, diese Planüberarbeitung auf dem Papier erhebliche Kostensenkungen gebracht, da der Typ 51A nur noch 9800 statt 11000 Mark kosten sollte. Diese Einsparungen wollte die Landesregierung zur Senkung der bekanntlich unrealistisch angesetzten bäuerlichen Eigenleistungen nutzen, doch zeigte es sich, daß die Neubauern auch den Planungs-Typ 51A als zu klein und praxisfremd verwarfen1153. Im sächsischen Kreis Meißen empfanden selbst lokale SED-Funktionäre (einschließlich des Landrats) diesen Bautyp als ungeeignet, weil die Bauern Vieh und Gerät nicht Die dem Aufbauministerium
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BAC, DH 1/44480, Bruno Bibach, „Den Störungsaktionen im Bodenreform-Bauprogramm ein Ende bereiten!", in: Neues Deutschland v. 12. 5. 51. Vgl. die Forst Zinnaer Rede in: Ulbricht, Die Entwicklung des deutschen volksdemokratischen Staates, S. 246-288, insb. S. 250 und S. 283 ff. BAC, DH 1/44480, Bruno Bibach, „Den Störungsaktionen im Bodenreform-Bauprogramm ein Ende bereiten!", in: Neues Deutschland v. 12. 5. 51. SAPMO, DY30/IV2/9.02/71, Bl. 99ff., insb. Bl. lOOf., MP DDR, Afl, Abt. IK, Inform-Mittei-
lung 1/36/52 v. 29. 1. 52.
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III. Die Macht des Sozialen
sachgerecht unterbringen könnten, was Sollerfüllung und betriebswirtschaftliche Stabilisierung gefährdete1154. Der gebürtige Oberschlesier Dr. Bolz1155, DDR-Minister für Aufbau und zugleich Vorsitzender der Blockpartei NDPD, nutzte diese offenkundige Krise des auf Vertriebene konzentrierten
Bauprogramms ungeniert für die Vertretung altAugust 1951 wies Bolz den DDR-Minister-
eingesessener präsidenten auf das drohende Scheitern des Jahresbauprogramms hin, dessen Plansoll bei Bauanträgen erst zu 56%, bei gültigen Vertragsabschlüssen erst zu 32% erfüllt sei. Da nach Vertragsabschluß häufig festgestellt werde, „daß die Neubauern nicht in der Lage sind, die notwendigen Eigenmittel und -leistungen (rund DM 3.000.-) bereitzustellen", ließen die realen Bauresultate noch geringere Quoten erwarten. Bolz hatte deshalb ursprünglich anregen wollen, den finanzschwachen Umsiedler-Neubauern eine vollständige staatliche Kreditierung zu gewähren, wagte am Ende jedoch nicht, diesen finanzpolitisch heiklen Vorschlag, der zudem das Bauvolumen auch auf dem Papier erheblich verringert hätte, bei der SED-Führung zu vertreten. Statt dessen regte dieser stellvertretende DDR-Ministerpräsident an, der „Anforderung von Lizenzen für die Instandsetzung der Wohn- und Wirtschaftsgebäude der Altbauern", sofern sie durch Kriegs- oder Katastropheneinwirkung beschädigt worden seien, sowie der ,,politische[n] Notwendigkeit der Instandsetzung von genossenschaftlichen und privaten Wohngebäuden in kriegszerstörten Gebieten" durch Umschichtung finanzieller Mittel Rechnung zu tragen. Konkret wollte Bolz „das Volumen des Bodenreformbaues um 50 Millionen [...] kürzen", um je zehn Millionen Mark für genossenschaftlichen Wohnungsbau und für Wiederinstandsetzung von Altbauernhöfen sowie 30 Millionen für den Aufbau kriegszerstörter Gebiete abzuzweigen1156. Es ist unklar, ob der Aufbauminister diesen gegen die 1950 festgelegte neubäuerliche Vertriebenenpolitik gerichteten Vorschlag dem Ministerrat tatsächlich unterbreitet hat. Doch angesichts solcher Planspiele sah sich das Aufbauministerium kaum zu UnBauerninteressen. Im
recht wachsender Kritik aus anderen Parteien ausgesetzt, nicht genug für die Realisierung des vertriebenenspezifischen Neubauern-Bauprogramms zu tun1157. Im November 1951 brachte ausgerechnet Walter Ulbricht dem mit der Vertriebenenförderung hadernden Aufbauminister Entlastung. Der SED-Generalsekretär und stellvertretende DDR-Ministerpräsident äußerte damals gegenüber Bolz die alles andere als unverbindliche Meinung, beim Neubauernbauprogramm solle seines Erachtens das Landwirtschaftsministerium „die ganze Verantwortung" tragen. Laut Ulbricht mußte das Schwergewicht der Baupolitik auf den industriellen Wohnungsbau und den Städtebau gelegt werden, und daher betrachtete er das ent1154
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1157
£)er Berichterstatter des Informationsamtes unterstützte die dringenden Forderungen der Meißner Bauern, begrenzte Kreditmittel auch für Scheunenbauten zur Verfügung zu stellen; vgl. ebenda, Bl. 45 ff., insb. Bl. 49, MP DDR, Afl, Abt. IK, Inform-Mitteilung Nr. 1/15/52 v. 15. 1. 52. Die Parteien und Organisationen der DDR, S. 903. BAC, DH 1/44480, Minister für Aufbau, Dr. Bolz, an MP DDR, Grotewohl, Entwurf vom 9. 8. 51. So kritisierte der Christdemokrat Ferdinand
Geißler, zugleich Leiter der Organisationsabteilung des FDGB-Bundesvorstands und Volkskammerabgeordneter des FDGB, unter anderem das Versagen der Projektierungsbüros und der Kreisabteilungen für Aufbau bei der Aufklärungsarbeit, weshalb ein Teil der Neubauern das Programm vehement ablehne; vgl. ebenda, FDGB, BV, Geißler, an Minister für Aufbau DDR, Dr. Bolz, 19. 10. 51.
1.
Integration durch Bodenreform?
881
mutigende ländliche Baugeschehen als wachsende Belastung für das Aufbauministerium, das sich „viel zu viel mit dem Neubauernbauprogramm" beschäftige und „darüber wichtigere Aufgaben" vernachlässige. Beim ländlichen Baugeschehen sollte sich das Aufbauministerium künftig laut Ulbricht auf die Typenplanung be-
schränken und die Bauaufsicht ganz den Räten der Kreise überlassen1158. Als im April 1952 die Staatliche Plankommission entschied, dem DDR-Aufbauministerium ab 1953 auch die Zuständigkeit für den volkseigenen Wohnungsbau eine weitere, auf vertriebene Industrie-Facharbeiter zielende Maßnahme des Umsiedlergesetzes zu nehmen und den Ländern zu übertragen, wurde dieser Kompetenzverlust von Aufbau-Staatssekretär Wermund als Entlastung begrüßt1159. Bis Herbst 1951 waren nach amtlichen Meldungen 82% der insgesamt 22000 geplanten Baueinheiten des laufenden Jahresprogramms gerade einmal genehmigt worden. Das Soll solcher Baugenehmigungen nicht deren Realisierung! hatte Sachsen übererfüllt, Thüringen erfüllt, und sogar das bisherige Sorgenkind Mecklenburg hatte zu 93,3% genehmigt; statt dessen fiel Brandenburg mit der unterdurchschnittlichen Quote von nur 51% „völlig aus dem Rahmen". Entsprechend stark wurde der Druck auf die Potsdamer Regierung, „dieses Versagen" umgehend abzustellen und „kurzfristig eine hundertprozentige Erfüllung der Bauzulassungen und Kreditgenehmigungen zu erreichen". Bürokratische Energie löste jedoch nicht das eigentliche Problem der Umsetzung der bereits genehmigten Bauvorhaben. Bei einer Genehmigungsquote von 70% in der gesamten DDR war Ende August 1951 erst in 18,3% der Fälle mit dem Bau begonnen worden, und nur 1% aller Bauten konnte nach den Kriterien der DDR-Statistik als fertiggestellt gelten1160. DDR-Landwirtschaftsminister Scholz fand diese Situation begreiflicherweise „völlig unbefriedigend" und forderte vom Aufbauministerium Sondermaßnahmen, „um auf breitester Basis alle seit Wochen zugelassenen Bauten sofort zu beginnen, die Materialversorgung sicherzustellen und für einen flüssigen Arbeitsablauf zu sorgen". Scholz plädierte dafür, das mecklenburgische Modell eines zentralen Bauausschusses unter Leitung eines Sonderministers, republikweit und zwar unter Leitung des Aufbauministers nachzuahmen1161. Administrative Optimierung war in der DDR zweifellos vonnöten, doch ein Bericht aus dem Landkreis Templin zeigte, daß die Bauwerbung unter Neubauern wesentlich an deren ökonomischer Misere scheiterte. Sie war selbst dann „außerordentlich schwierig", als von den Siedlern nur noch ein Minimum an 300 Mark Eigenkapital gefordert wurde. Die restlichen 2700 Mark des offiziell geforderten Eigenanteils sollten wieder eine Luftbuchung in Form vermehrter eigener Arbeitsleistungen der Neubauern beim Hofbau erbracht werden, obwohl es faktisch gar „nicht möglich" war, „die DM 2.700. abzuarbeiten", da diese Summe „viel zu hoch bemessen" war. Die meisten Umsiedler-Neubauern des Kreises verfügten nicht einmal über ein minimales Eigenkapital von 300 Mark, sondern waren auf-
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BAC, DH 1/44495, Ministerium für Aufbau DDR [Dr. Bolz?], „Notizen über die Besprechung mit dem Stellvertreter des
o.D., insb. S. 2. "39 "«>
Ministerpräsidenten, Herrn Walter Ulbricht am
Vgl. die Vorgänge in BAC, DH 1/44495. BAB, DK 1/3030, Bl. 15f., MLF DDR, Scholz, 51.
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III. Die Macht des Sozialen
1112
strie hatte die Konsumgüterindustrie bewußt vernachlässigt und dadurch eine „Stagnation bis Verschlechterung des ohnehin unzureichenden Lebensniveaus der Bevölkerung" bewirkt. Preissteigerungen waren mit verschärfter Steuereintreibung einhergegangen. Diese konsumfeindliche Wirtschaftspolitik wurde durch den Mitte 1952 proklamierten „Aufbau der Grundlagen des Sozialismus" in der DDR noch erheblich verschärft. Die SED-Wirtschaftspolitik kam daher 1952/53 in schärfsten „Konflikt mit der dringend erforderlichen Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung, besonderes [sie!] der Arbeiter"1080. In diesem Kontext gab und damit auch umsiedlerpolitisch nichts mehr zu verteilen: es sozialpolitisch Das Innenministerium wies die Bezirksräte im März 1953 mahnend darauf hin, „daß im Rahmen unseres Fünfjahrplanes größere Kreditmittel für den Aufbau unserer Friedenswirtschaft benötigt werden und damit der Gewährung von Umsiedlerwohnbedarfskrediten gewisse Grenzen gezogen sind". Scharf kritisiert wurde der Rat der Stadt Stendal, welcher statt der Bevölkerung diese politischen Prioritäten zu vermitteln unerfüllbare Anträge angehäuft „und damit unberechtigte Hoffnungen bei den Antragstellern erweckt" habe1081. Ein weiteres Problem stellten die restlichen Auszahlungen der zweiten Kreditrate dar. Erst im Januar 1953 waren Innen- und Finanzministerien übereingekommen, „nunmehr für die Kreditnehmer der ersten Rate, die vom 1.7. 1951 bis zum 31. 12. 52 beantragt wurde, auf Antrag Kreditbewilligungsscheine für die zweite Rate auszustellen". Diese Folgeanträge mußten sehr kurzfristig nämlich bis Ende März, dem allgemeinen Einstellungsdatum der Kreditbewilligungen gestellt werden1082. Offensichtlich war das Wissen um diese knappe Antragsfrist unter Vertriebenen nicht flächendeckend verbreitet, denn nach deren Ablauf gingen im DDR-Finanzministerium ständig Anträge auf „nachträgliche Bewilligung der zweiten Rate des Umsiedler-Wohnbedarfkredites" ein. Entnervt und „dringend" forderte die DDR-Regierung vom Potsdamer Rat des Bezirks, aus dessen Region diese Anträge überwiegend stammten, die dortigen Kommunen sollten „eine Verweisung an uns künftig unterlassen, da wir nach Ablauf der gesetzlichen Antragfrist nicht in der Lage sind, eine nachträgliche Antragstellung zu genehmigen"1083. Der 17. Juni 1953 führte, obwohl der Aufstand durch sowjetisches Militär niedergeschlagen wurde, zu einem deutlichen Zurückweichen des SED-Regimes vor diversen konsum- und sozialpolitischen Forderungen der Bevölkerung. Die hastig verkündete Nachgiebigkeit des „Neuen Kurses" bezog sich jedoch vor allem auf „eine schnelle Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter, Angestellten und der schaffenden Intelligenz" und auf die dafür notwendige „Erleichterung und Hilfe" für Selbstständige in allen Wirtschaftssektoren1084. Schon am 25. Juni 1953 beschloß der DDR-Ministerrat „zusätzliche Wohnungs- und Sozialinvestitionen", wobei letztere neben der Betriebshygiene im wesentlichen auf die Verbesserung der Infrastruktur „des Kultur-, Sozial- und Gesundheitswesens" ziel-
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Wenzel, Plan und Wirklichkeit, S. 28 f. BAB, DO 1/33265, Mdl DDR, Abt. BP, Heinze, an RdB Magdeburg, BP, 21. 3. 53. io82 BAB, DO 1/33267, MdF DDR, Müller, an Mdl DDR, Abt. BP, 20. 1. 53. 'o83 BAB, DN 1/2350, MdF DDR, Müller, an RdB Potsdam, Abt. Finanzen, 22. 5. 53. i°84 Pieck, Reden und Aufsätze, Bd. 3, S. 621. loso io«'
2. Umsiedlerkredit
statt
Umverteilung
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ten1085. Auch im engeren Bereich der Sozialpolitik führte die neue Lage zu hastigen, finanziell kostenträchtigen Entscheidungen: Ebenfalls am 25. Juni erließ die
DDR-Regierung eine „Verordnung über die Erhöhung der Renten und der Sozialfürsorgeunterstützung", durch welche die monatliche Mindestrente von 65 auf 75 Mark und die monatliche Hauptunterstützung von 45 auf 55 Mark angehoben wurde1086. Sozialpolitik für sozial Schwache blieb jedoch die Ausnahme. Wenn die Feststellung der DDR-Historiographie richtig ist, daß für die SED-Sozialpolitik nach dem 17. Juni die Ende 1953 erlassene Verordnung „über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen" von „großer Bedeutung" gewesen sei1087, so muß an den präzisen Titel dieser Verordnung erinnert werden, die sich ausdrücklich auf die „weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter" konzentrierte1088. In der Präambel betonte die DDR-Regierung,
daß sie die Löhne vieler Arbeiter erhöht, die Lohnsteuer und die Preise vieler Massenwaren hingegen gesenkt habe, wodurch sich das Realeinkommen aller Werktätigen 1953 um über 2,7 Milliarden Mark erhöht habe. Nur knapp wies die Regierung darauf hin, daß die Rentenausgaben 1952 über drei Milliarden Mark betragen hätten und sich 1953 „weiterhin erhöht" hätten. Das SED-Regime gab offen zu und sah darin offensichtlich einen politischen Legitimationsvorteil, daß seine „Sorge" primär um „die Nöte und Bedürfnisse der Arbeiter und der anderen Werktätigen" kreiste1089. Der „Neue Kurs" bestand somit aus einem zeitweiligen Zurückweichen vor der Arbeiterschaft, nicht aber in einer grundsätzlichen Wende der DDR-Sozialpolitik, deren Subordination unter die Wirtschaftspolitik unverändert blieb. Diese Begrenztheit des „Neuen Kurses" zerschlug alle Hoffnungen, die nach dem 17. Juni den bisher abgewiesenen Vertriebenenforderungen kurzfristig neuen Auftrieb gaben. So häuften sich im Bezirk Dresden während des Sommers 1953 Anfragen und Anträge von Vertriebenen, bei denen es stets um nachträgliche Gewährung von Wohnbedarfkrediten ging. Die Einstellung des Kreditprogramms hatte Unruhe unter der betroffenen Bevölkerungsgruppe erzeugt und zu kritischen Diskussionen in Betrieben und SED-Betriebsparteiorganisationen geführt. „Als Begründung" für die Antragsflut wurde „durchweg auf den neuen Kurs der Regierung [...] hingewiesen", von dem man nicht nur eine Fortsetzung des bisherigen Kreditprogramms, sondern sogar eine Korrektur der ,,bisherige[n] Regelung hinsichtlich Beschränkung durch Höchsteinkommensgrenzen usw." erwartete, die „als fehlerhaft bezeichnet" wurde. Der zuständige Sachbearbeiter im Rat des Bezirks Dresden wollte wenigstens besondere Härtefälle nachträglich berücksichtigt wissen1090. Selbst dies lehnte Mdl-Abteilungsleiter Fritzsche strikt ab. Zwar hätten seinerzeit nicht alle Vertriebenen in den Genuß der Kreditaktion GB1. DDR 1953, S. 845, Bekanntmachung des Beschlusses über zusätzliche Wohnungs- und Sozialinvestitionen vom 25. 6. 53. lost 2
>3
Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 256.
Vgl. den Hinweis bei: Hübner, Industriearbeit als Faktor der Vertriebenenintegration, S. 308 f. SAPMO, DY6/4674/500/004, NFddD, Bezirkssekretariat Rostock, Wochenbericht v. S. 2, sowie NFddD, Bezirkssekretariat Rostock, Wochenbericht v. 30. 7. 55. SAPMO, DY6/5008-511-005, NFddD, Bezirksausschuß Dresden, an Präsidium NF,
S. 8. "
15. 7. 55, 19.4.
55,
SAPMO, DY30/IV2/12/11, Bl. 30ff., insb. Bl. 34, Bl. 43, Bl. 54, Bl. 57 und Bl. 65, SED, ZK, Stirn-
IV. Schlußbilanz
1170
benen zur Oder-Neiße-Frage zu differenzieren, was deutlich mit unterschiedlichen Graden sozialer Integration und politischer Regime-Akzeptanz zu tun hatte. Was Propaganda und Repressionen des SED-Regimes nicht schafften, bewirkte vermutlich die Zeit: Durch das allmähliche Hineinwachsen der meisten in eine neue Gesellschaft und durch die um sich greifende Erkenntnis von der Unmöglichkeit einer Rückkehr. Ab einem bestimmten Punkt dürfte vielen in der DDR lebenden Vertriebenen ähnlich wie ihren Schicksalsgenossen in Westdeutschland eine reale Rückkehr in die früheren Heimatgebiete nicht mehr vorstellbar gewesen sein. Doch waren Entwicklungsrhythmen und -Intensitäten in dieser Frage unter den in der DDR lebenden Vertriebenen sehr unterschiedlich. Im Vertriebenenzentrum Mecklenburg legten 1959 anläßlich des sowjetischen Friedensvertragsentwurfs im DDR-Schuldienst stehende Vertriebene pflichtschuldigst ein einmütiges Bekenntnis zur Nachkriegsgrenze ab, „da sie hier eine Heimat gefunden" hätten, während in der Landwirtschaft tätige Vertriebene in der Grenzfrage weiterhin geteilter Meinung waren15. Noch im Frühjahr 1965 wurde anlässlich einer Umfrage des Instituts für Meinungsforschung beim ZK der SED die Frage, ob die deutschen „Grenzen von 1937 wiederhergestellt werden sollten", von immerhin 22% der befragten DDR-Bürger bejaht, während 69,9% „die jetzigen Grenzen Deutschlands für endgültig" erklärten. Die SED-Meinungsforscher hielten dieses Resultat für „ein ernstes Signal", besonders wegen der überdurchschnittlich stark vertretenen Hoffnungen auf eine Grenzrevision unter landwirtschaftlich Beschäftigten (33,3%) und unter Arbeitern (22,9%)16. Eine starke Minderheit der angeblich staatstragenden „Arbeiter-und-Bauern"-Klasse der DDR, die vertreibungsbedingt einen überdurchschnittlich hohen Vertriebenenanteil aufwies17, entzog sich noch zwei Jahrzehnte nach Kriegsende in der Frage der Ostgrenzen der Bevormundung durch ihre selbsternannte SED-Avantgarde. Gegenüber solchen Beobachtungen einer renitenten Vertriebenen-Identität, die über Jahre hinweg trotz aller staatlichen Pressionen ihre gesellschaftliche Sonderstellung artikulierte, erweisen sich zeitgenössische westdeutsche Beobachtungen als reichlich holzschnittartig. Die keineswegs „wertfreien" Beobachtungen der frühen westdeutschen Vertriebenenforschung zur Integrationsentwicklung in der DDR repräsentieren weniger die (nur bedingt zu rekonstruierende) „reale" Entwicklung von „drüben" als die eigene Entwicklung in der Präferenz der Interpretationsraster. Mitte der fünfziger Jahre schien aus West-Perspektive trotz aller Leugnungs- und Tabuisierungsversuche der SED-Politik ein massenhaftes „Vertriebenenproblem" in der DDR weiterhin gegeben. Das Verhältnis zwischen Vertriebenen und Einheimischen wurde entlang eines Süd-Nord- und eines StadtLand-Gefälles zwar als „unterschiedlich" eingestuft, doch grundsätzlich als -
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mungsberichte zum Friedensvertragsentwurf 1959; für diesen Hinweis ist der Verfasser Dr. Matzu Dank verpflichtet.
thias Uhl '3
SAPMO, DZ 6 v.
16 17
6. 2.
59, S. 3f.
Nr.
4696-501-006, NFddD, Kreisausschuß Schwerin-Stadt, Informationsbericht
Niemann, Meinungsforschung in der DDR, Dokument I, insb. S. 24 und S. 29 f. Vgl. ausführlich: Schwanz, Vertrieben in die Arbeiterschaft; auf der anderen Seite stellten die SED-Meinungsforscher den 22% „Revisionisten" im eigenen Lande eine Allensbach-Umfrage gegenüber, wonach 1965 nur 46% der Bundesbürger meinten, „die ,Ostgebiete' würden nie wieder deutsch werden"; vgl. Niemann, Meinungsforschung in der DDR, Dokument I, S. 30.
3.
1171
Einschmelzung versus Eingliederung
schlecht gewertet. Zehn Jahre nach ihrer vertreibungsbedingten Ankunft seien „die Vertriebenen" in der SBZ/DDR immer noch „vielfach umgebungsfremd", ihre „Einformung und Eingliederung" sei „zum großen Teil" noch „nicht erreicht" worden. Obwohl es dem SED-Regime gelungen sei, besonders unter jüngeren Vertriebenen „SED-Aktivisten" zu gewinnen, widersetze sich „der überwiegend größte Teil der Vertriebenen" bislang „innerlich" der obrigkeitlichen „Zumutung" der „Selbstaufgabe ihrer geistigen und traditionellen Eigenständigkeit". Die Mehrheit der Vertriebenen in der DDR lehne deshalb das SED-Regime ab18. Was war hier realistische Analyse, was Wunschdenken? Nur knapp ein Jahrzehnt später, Mitte der sechziger Jahre, sprach ein anderer westdeutscher Beobachter von „einer weitgehend erfolgten Eingliederung der Vertriebenen" in die DDR-Gesellschaft. Dieser Integrationserfolg wurde nicht nur sozioökonomisch erklärt, sondern ausdrücklich auch auf die erfolgreiche Repression von Vertriebenenidentität und -selbstorganisation durch das SED-Regime zurückgeführt. Gerade weil die in der DDR lebenden Vertriebenen im Unterschied zur Bundesrepublik nicht „mit eigenen Rechten oder Möglichkeiten ausgestattet" worden seien, hätten sie sich allmählich selbst „in keiner Weise mehr als eine besondere Bevölkerungsgruppe" betrachtet19. Traf diese These zu? Oder verdankten sich die längerfristigen Integrationsfortschritte doch eher der integrativen Nebenwirkung sozioökonomischer Prozesse insbesondere den sozialen Aufstiegschancen für jüngere Vertriebene, den sich allmählich verbessernden und verdichtenden sozialen Beziehungen zwischen Vertriebenen und Alteingesessenen über das Medium gemeinsamer Arbeitswelten und der immer klarer werdenden Alternativlosigkeit zur Integration in das Bestehende? Gewiß ist in einer politisch „durchherrschten" Gesellschaft, wie die DDR-Gesellschaft es war, mit einem erhöhten Einfluß von Politik auch auf gesellschaftliche Entwicklungen zu rechnen. Dennoch überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit jenseits aller abgehobenen Debatten um die Zulässigkeit der Anwendung von Totalitarismustheorien auf die DDR im Falle der in der DDR lebenden Vertriebenen seitens der damaligen „westdeutschen" Forschung eine hochgradige gesellschaftliche Effektivität staatlicher Repressionspolitik unterstellt worden ist, die in der Westliteratur der siebziger Jahre zur unerläßlichen Bedingung erfolgreicher DDR-Integrationsentwicklung avancierte. Was vordem wenigstens noch als Ergebnis eines längeren Prozesses präsentiert wurde, schien nunmehr von Anfang an gelungen: „Alle Sonderbestrebungen von Umsiedlern' wurden im Keime erstickt, um zu verhindern, daß sie ein eigenes Gruppenbewußtsein entwickelten."20 Seither von der frühen Durchsetzung totalitärer Herrschaftsansprüche in der DDR-Gesellschaft zutiefst überzeugt21, dominierte in der Westwahrnehmung auch nach dem Ende der SED-Diktatur ein dichotomisches Geschichtsbild, das den Vertriebenen in der alten Bundesrepublik eine gelungene Eingliederung attestierte, ihren in der DDR verbliebenen Schicksalsgenossen hingegen ausschließlich Unterdrückungserfahrungen zuschrieb: Diese -
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2° 21
Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 180 f.
Storbeck, Soziale Strukturen in Mitteldeutschland, S. 228 f. Lehmann, Der Oder-Neiße-Konflikt, S. 156. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 238.
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IV. Schlußbilanz
Vertriebenen seien von der SED-Diktatur erfolgreich „ihrer Geschichte, ihrer Erfahrungen und, was vielleicht am schwersten wiegt, ihrer kulturellen Identität beraubt" worden22. In solcher Sicht erschienen Vertriebene „in der DDR ausschließlich" als „Objekte des Geschehens", die von einem totalitären Regime „bis zur Unkenntlichkeit wegdefiniert" werden konnten23. Eine derartige Sichtweise, die es in der Regel bei einer kurzschlüssigen „Kennzeichnung des SED-Staates als totalitäre bzw. spättotalitäre Gesellschaft"24 beläßt, wird jedoch dem komplexen Verhältnis zwischen SED-Regime und DDR-Gesellschaft und damit auch dem Problem der sozialen Integration von Vertriebenen in der DDR nicht gerecht. Definiert man als „Flüchtlingsland" eine Region, die durch den Zustrom von Flüchtlingen oder Vertriebenen wesentlich belastet und in ihrer sozialen, wirtschaftlichen sowie demographischen Struktur „empfindlich gestört" worden sei25, hatte nach Kriegsende nicht nur Westdeutschland, auf das diese Definition angewendet worden ist, sondern auch die SBZ/DDR den Charakter eines solchen Flüchtlingslandes. Damit aber hat man der bundesrepublikanischen Integrationsentwicklung und Integrationspolitik „gerechterweise auch die unter ungleich ungünstigeren Voraussetzungen in der SBZ/DDR vollzogene an die Seite zu stellen"26. Wenn in der Retrospektive eines halben Jahrhunderts die nur kurzfristig praktizierte „Umsiedlerpolitik" der SBZ/DDR gegenüber den umfangreichen und langfristigen Leistungen der bundesrepublikanischen Vertriebenenpolitik als geringfügig erscheinen mag27, muß doch daran erinnert werden, daß unter zeitgenössischen westdeutschen Beobachtern zu Beginn der 1950er Jahre noch ernsthaft darüber gestritten werden konnte, ob die Umsiedlerpolitik der DDR der westlichen Vertriebenenpolitik überlegen sei28. Es kostete damals erheblichen Argumentationsaufwand, solchen Einschätzungen über die „sozialen Maßnahmen des Sowjetzonenregimes für die Vertriebenen" zu widersprechen und die DDR-Umsiedlerpolitik als im „Ergebnis unbefriedigend" abzutun29. Bei alledem aber war völlig unstrittig, daß man es mit einer besonderen „Flüchtlingspolitik des Sowjetzonenregimes"30 zu tun hatte, die im Ansatz der westdeutschen
Vertriebenenpolitik vergleichbar war. In der SBZ und der frühen DDR gab es nicht nur eine vertriebenenspezifische Integrationspolitik. Unsere Hinweise auf diverse institutionelle Basen soziopolitischer Konfliktgeschichte haben ferner gezeigt, daß Vertriebene in der DDR auch nicht einfach als degradierte passive „Objekte" gedacht werden können. Innerhalb eines freilich ständig ungünstiger und asymmetrischer werdenden Machtverhältnisses bemühten sich Vertriebene durch Mitwirkung in Institutionen des offiziellen politischen Subsystems (etwa den Umsiedlerausschüssen), aber auch in offener oder (kirchlich) verdeckter Selbstorganisation sowie in sozialer Selbstab-
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Ansätze, S. 26. Frantzioch-Immenkeppel, Theoretische Frantzioch-Immenkeppel, Die Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland, S. 8. Schroeder, Der SED-Staat, S. 648. Rogge, Vertreibung und Eingliederung im Spiegel des Rechts, S. 222. Rautenberg, Die Wahrnehmung von Flucht und Vertreibung, S. 37. Boldorf, Lastenausgleich, S. 354 f. Zit. nach: Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 177.
Ebenda, S. 179. Ebenda, S. 31.
3.
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Einschmelzung versus Eingliederung
Subjekte ihrer Geschichte zu bleiben. Dem SED-Regime gelang es im fünfziger Jahre zunehmend, institutionelle Konfliktorte zu beseitigen: Demonstrative, auf Außenwirkung zielende Formen von Vertriebenen-Selbstorganisation scheinen nach 1953 unmöglich geworden zu sein, andere Selbstorganisationsformen wurden ebenso nach „innen" abgedrängt wie die kirchlich institutionalisierte „Vertriebenenarbeit", derer das Regime offensichtlich nie völlig Herr werden konnte. Ähnliches gilt für Tendenzen zu lebensweltlicher Selbstghettoisierung, denen zwar wie im Falle der Umsiedlergenossenschaften die institutionelle Eigenständigkeit geraubt werden konnte, nicht jedoch die soziale Kohärenz, die zumindest in ländlichen Randlagen das SED-Regime als „innere Peripherie" überdauerte. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß die politische Repression keine totale Verobjektivierung der Vertriebenen zu erzwingen vermochte, jedoch zunehmend eine Verdrängung besonderer Gruppen-Identitäten und daraus abgeleiteter politischer Postulate aus der Öffentlichkeit erzielte. Vertriebenenidentität sah sich folglich dort, wo man sie bewahren wollte, einem wachsenden Verinnerlichungszwang ausgesetzt. Auf diese Weise mag sie zu einer der ersten „Nischen" der DDR-Gesellschaft avanciert sein. Zugleich dürften allerdings die sozial bedingten, von der einheimischen Mehrheitsgesellschaft ausgehenden Anpassungszwänge zu individuell exerzierten Verdrängungsmechanismen unter Vertriebenen geführt haben, welche wiederum dazu beigetragen haben grenzung,
Laufe der
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dürften, daß eine „Vertriebenenidentität"
in der DDR öffentlich alsbald nicht mehr wahrgenommen werden konnte. Das bedeutete jedoch nicht, daß es eine solche in der DDR nicht mehr gegeben hätte. Es scheint kein Zufall, daß die Thematik in beiden deutschen Nachkriegsstaaten Mitte der achtziger Jahre eine beachtliche öffentliche Renaissance erlebte. Die jüngere Erlebnisgeneration nach ihren Aufbau-, Anpassungs- und Verdrängungsleistungen in die Jahre gekommen wollte sich Erinnerung plötzlich wieder leisten, freilich im Präteritum der Historiographie und unter der entschärfenden Bedingung eines „Happy-ends" erfolgreich geglückter Integration in eine „neue Zeit", im Falle der DDR in eine real-sozialistische vergangene Zukunft. Bei alledem war „Vertriebenenidentität", wie der Begriff selbst schon indiziert, nichts historisch Gewachsenes, sondern etwas erst mit der Vertreibung schlagartig neu Entstandenes. Auch die Berufung auf „landsmannschaftliche Traditionen" hilft nicht weiter, denn mochten unter Umständen Traditionen alt sein, so war es doch nicht ihre identitätsstiftende Beschwörung und Pflege. Westdeutsche Vertriebenenführer wie Wenzel Jaksch täuschten sich und andere nicht darüber, daß landsmannschaftliche Traditionspflege und „Austreibung" in engem Zusammenhang standen31. Landsmannschaftliches Kulturbewußtsein war weitgehend, gesellschaftliches Vertriebenenbewußtsein vollständig eine Neuschöpfung der doppelten Katastrophe von Vertreibung und Ankunft. Solange unter den Betroffenen soziokulturelle Verlust- und Fremdheitserfahrungen dominierten, solange dominierte in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften auch ihre Vertriebeneniden-
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Viele alte Volkslieder aus den Vertreibungsregionen seien „in der alten Heimat kaum mit solcher Innigkeit gesungen worden" wie nach der Vertreibung; vgl. Jaksch, Der geistige Standort der Hei-
matvertriebenen, S. 37.
IV. Schlußbilanz
1174
tität. Mit wachsenden Integrationserfolgen schwächten sich Kohärenz und Dominanz dieser kollektiven Vertriebenenidentität zwangsläufig ab. Sie trat hinter Anderes zurück, wurde sekundär oder tertiär, wenngleich sie auch unter „Integrierten" kaum völlig verschwunden sein dürfte. Wie politisch war in der DDR „vertriebene" Identität? Indem der SED-Staat Tendenzen zur kulturellen Selbstbewahrung oder sozialen Interessenvertretung kriminalisierte, verstärkte er die Fremdheitserfahrung der Vertriebenen und damit ungewollt gerade jene auf Außendruck beruhende Sonderidentität, die er unterdrücken wollte. Zwar kann kein Zweifel daran bestehen, daß es politisch motivierte Selbstorganisation gab, die überdies aus Westdeutschland beeinflußt und manchmal gesteuert worden sein mag. Doch erst die als Kehrseite allumfassender Kontrollansprüche entstandene sicherheitspolitische Paranoia eines schwachen, aus Bevölkerungssicht illegitimen Regimes führte dazu, nicht nur solche Ansätze, sondern letztlich alle Symptome unerwünschter Gruppenidentität zu einer „Strafsache"32 zu machen. Mit dieser grundlegenden Ächtung von Vertriebenenidentität, wie sie in der DDR insbesondere zwischen 1955 und 1975 beobachtet werden kann, mußte der SED-Staat die Realität seiner Gesellschaft radikal verfehlen, leugnete er doch eine wesentliche soziokulturelle Konfliktsituation, statt ihr institutionelle Äußerungs- und Regelungsmöglichkeiten einzuräumen. Ohne Not, wenn man nicht den totalitären Grundantrieb zur Selbstüberforderung für eine solche haken will, verwechselte das SED-Regime Selbstbewahrung oder Distanz mit offener Feindschaft, obgleich sich Tendenzen zur soziokukurellen „Selbstbewahrung" und Stabilisierung eines herrschenden Regimes keineswegs ausschlössen33. Diese „Unterdrückung der Vertriebenenproblematik in der SBZ/DDR" ist zu Recht als „kontraproduktiv" bewertet worden, „da eine öffentliche Debatte über bestehende Unterschiede, Interessenkonflikte und Ziele der jeweiligen Bevölkerungsgruppen nicht" habe geführt werden können, woraus „gesellschaftliche Kommunikationsdefizite" entstanden seien, „die einen Interessenausgleich zwischen den jeweiligen Bevölkerungsgruppen behinderten"34. Man wird jedoch festhalten müssen, daß die politische Verweigerung institutionalisierten Konflikts zum Zwecke gesellschaftlichen Interessenausgleichs keineswegs „kontraproduktiv" schlechthin und für alle gewesen ist. In erster Linie wurde dadurch die soziale Gleichstellung von Vertriebenen behindert und verzögert, während die vom Regime intendierte sozioökonomische Transformation, aber auch die materiellen Interessen
alteingesessener Bevölkerungsschichten profitierten35.
Die Weigerung des SED-Regimes, „die offene Auseinandersetzung solidarischer Gruppen" über politische oder gesellschaftliche Interessengegensätze zuzulassen, führte wie Dahrendorf schon 1965 gezeigt hat nicht zur „Unterdrükkung von Konflikten", die wohl in keiner modernen Gesellschaft gelingen kann, sondern lediglich zu veränderten „Ausdrucksformen" solcher Konflikte. Unter den Bedingungen der DDR wählte die Mehrheit der Bevölkerung und speziell -
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32
33 34 33
Vgl. dieses auf den Umgang mit Individualität in der DDR gemünzte Wort bei: Bloch, Politische Messungen, Pestzeit, Vormärz, S. 401. Vgl. am Beispiel der NS-Gesellschaft: Schwartz, Regionalgeschichte und NS-Forschung. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 333 f. Vgl. Schwanz, „Ablenkungsmanöver der Reaktion".
3.
Einschmelzung versus Eingliederung
1175
der Vertriebenen keine offene Konfliktkommunikation via „Flucht" oder „Revolten", sondern eine Schaukelstrategie zwischen partieller Anpassung und partieller Selbstbewahrung durch den „von vielen immer wieder versuchten Rückzug in den schmaler werdenden privaten Bereich"36. Diese Strategie war in Richtung Osten (als Rückkehr) spätestens seit 1950, in Richtung Westen (als Weiterwanderung) ab 1961 ohne Alternative. Inwiefern Herrschaft und Gesellschaft in DDR nach dem Mauerbau eine pragmatische „Kanalisierung der Konflikte" durch wechselseitige „Einübung in Konflikten" gelang37, muß offen bleiben und wäre ein lohnendes Forschungsfeld erfahrungshistorischer Studien. Die vierzigjährige Dauer der SED-Herrschaft scheint ein gewisses Maß an wechselseitiger Lernfähigkeit nahe zu legen. Das offenkundige Scheitern der DDR wiederum, die am Ende vom sowjetischen Protektor ebenso aufgegeben wie von der Mehrheit der eigenen Bevölkerung wie ein Kartenhaus zusammenfiel, verweist auf das letztlich Provisorische und Bedingte zeitweiliger „Normalisierung". Der intelligente Zynismus eines Heiner Müller befand rückblickend, es sei „die große Qualität von Ulbricht" gewesen, im Gegensatz zu Honecker stets damit gerechnet zu haben, „daß er ein Volk von Feinden regiert"38. Erzeugte der Dissens, der zwischen Politik und Gesellschaft in der Grenzfrage entstand, zwangsläufig ein Mehr an Repression, war auch die vergleichsweise „gute Seite" der Umsiedlerpolitik in der SBZ/DDR, ihre sozialpolitisch-integrative Dimension, nicht unproblematisch. Das Angebot an die Vertriebenen, nicht nur Gleichberechtigung, sondern zeitweilig effektive Gleichstellung durch interventionistische Sozialpolitik herbeizuführen, wurde von Anfang an dadurch verdüstert, daß soziale Integrationsspielräume für Vertriebene in der Nachkriegsgesellschaft der SBZ/DDR mit höchst gewaltsamer Gesellschaftsveränderung einhergingen und zum Teil allein dadurch geschaffen werden konnten. Das gilt insbesondere für eine sogenannte „Bodenreform", die 1945 alle rechtsstaatlichen und „reformatorischen" Schranken sprengte, im Gegenzug jedoch eine nennenswerte Minderheit von Vertriebenen an der dadurch gewonnenen Umverteilungsmasse teilhaben ließ und damit einen sozioökonomisch zwar peripheren, symbolpolitisch jedoch wichtigen Soforthilfe-Erfolg erzielte, den sich der besitzstandwahrende Westen Deutschlands zwangsläufig versagte. Diese Dialektik gesellschaftlicher Desintegration und paralleler Vertriebenen-Integration in der SBZ/DDR setzte sich fort in einer Politik machtpolitisch motivierter „Entnazifizierung" im öffentlichen Dienst, die bis 1950 weit über einhunderttausend Vertriebenen die Chance gleichberechtigten Nachrückens eröffnete. Das manifestierte sich in einer Politik der Wohnraumumverteilung, die weniger als im Westen das Besitzrecht Alteingesessener an ihren Wohnungen respektierte und damit das Problem der Massennotunterkünfte durch massenhafte Einweisung Vertriebener in untervermietete Wohnräume einer Lösung sehr viel näher brachte. In den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten wurde die Gesellschaft der SBZ/DDR durch diese gewaltsame Transformationspolitik im Hinblick auf ihre soziale Mobilität zur „er-
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36 37
38
Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, S. 454. Ebenda, S. 455. Müller, Krieg ohne Schlacht, S. 131.
IV. Schlußbilanz
1176
ste[n] moderne[n] Gesellschaft auf deutschem Boden" umgeformt. Indem diese
soziale Dynamik, die auch Integrationsdynamik war, jedoch durch offene oder strukturelle Gewalt durch Verdrängung oder Vertreibung bisheriger Besitz- und Funktionseliten sowie die komplementären strukturrevolutionären Transformationsprozesse erzeugt wurde, etablierte sich zugleich eine politische Kultur, die durch ein grundlegendes Defizit an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und durch die Unfähigkeit zur strukturierten Kanalisierung sozialer Konflikte gekennzeichnet blieb39. Neben der Chance, als Vertriebener von dieser gewaltsamen Teil-Modernisierung der Gesellschaft im Nachkriegs-Osten Deutschlands zu profitieren, steht zeitweilig eine besondere sozialpolitische Vertriebenenförderung in der SBZ/ DDR. Diese „Umsiedlerpolitik" des SED-Regimes steht im Kontext eines größeren, nach 1945 in ganz Europa, kriegsfolgenbedingt jedoch besonders im geteilten Deutschland einsetzenden Trends zur sozialpolitischen Expansion. Solange in der SBZ/DDR Umsiedlerpolitik praktiziert wurde, erschöpfte sie sich nicht in Repression, sondern machte stets auch positive Identifikations- und materielle Hilfsangebote. Daß letztere nicht ausreichend oder wirksam genug waren, ändert nichts an der konzeptionellen Doppelgleisigkeit, die es nicht gestattet, für den Zeitraum zwischen 1948 und 1953 von lediglich „negativer Vertriebenenpolitik"40 in der SBZ/DDR zu sprechen. Die stets vorhandene, wenn auch ab 1948 zunehmende repressive Dimension dieser Umsiedlerpolitik richtete sich wesentlich gegen das besondere Gruppen-Bewußtsein der Vertriebenen und daran anknüpfende interessenpolitische Selbstorganisation. Solche Selbstorganisation von Vertriebenen war in der SBZ/DDR doppelt systeminkompatibel, indem sie zum einen die externe Stabilität der Grenzen innerhalb des sowjetischen Herrschaftssystems in Frage zu stellen und zum anderen die innere Stabilität der neuen „ostdeutschen" Gesellschaft sowohl durch Bewahrung eines rück- oder auswanderungswilligen Bevölkerungspotentials als auch durch gesellschaftspolitisch unerwünschte Lastenausgleichsprojekte zu stören geeignet schien. Die sowjetzonale Politik hatte bis 1948/49 noch versucht, das damals keineswegs grundsätzlich unerwünschte Mitwirkungspotential von Vertriebenen in systemkonformer, „kontrollierter Partizipation" zu bündeln zunächst in besonderen Institutionen (Umsiedlerausschüsse), dann in regulären Gremien (Parlamente, Wohnungsausschüsse, Sozialkommissionen). Das Verbot der Selbstorganisation Vertriebener, zunächst kein sowjetisches Spezifikum, sondern allgemeine Besatzungspraxis, und für einige Zeit trotzdem auf lokaler Basis pragmatisch umgangen, wurde erst ab 1948/50 zum besonderen Kennzeichen der DDR-Politik, da man dort anders als in der Bundespolitik an dieser repressiven Linie festhielt. Die Bespitzelung von Vertriebenen durch die expandierenden Repressionsapparate des SED-Regimes nahm zu, die Strafandrohung wuchs, ohne daß informelle Gruppenbildung oder soziale Kommunikation dadurch kurzfristig wirksam eingedämmt worden wären. Insbesondere die Kirchen boten Tendenzen zur Vertriebenen-Selbstorganisation institutionelle Schutzräume, die sich in der DDR niemals beseitigen lie-
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s' 40
Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, S. 452 ff. und 462. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 230.
3.
Einschmelzung versus Eingliederung
1177
ßen. Und erst der Mauerbau beendete 1961 die Möglichkeit intensiver grenzüberschreitender Vertriebenen-Kommunikation. Der mediale Einfluß von West-Fernsehen und -Rundfunk blieb der DDR-Gesellschaft und ihren Vertriebenen ohnehin erhalten. Die sozialpolitische Dimension der Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR unterscheidet sich von der Vertriebenenpolitik der Bundesrepublik wesentlich durch ihre schroffe Eindeutigkeit: Sie war und blieb strikte Assimilationspolitik. Während im Westen verbaler Rückkehr-Vorbehalt und hochsubventionierte Pflege der „Vertriebenenkultur" die letztlich zwar illusorische, aber emotional erleichternde Begleitmusik für den auch dort faktisch auf „Assimilation" hinauslaufenden Integrationsprozeß boten, wurden in der DDR solche verbalen und institutionellen Tröstungen geächtet und in den Untergrund gedrängt. Diese schroffe Eindeutigkeit führte andererseits dazu, daß es in der SBZ sehr viel früher zu effektiven politischen Hilfsmaßnahmen zugunsten Vertriebener kam als in den Westzonen, wie dies anhand der Bodenreform von 1945 oder den einmaligen Soforthilfezahlungen zwischen 1946-1949 gezeigt werden kann. Ob diese Früh- und zeitweilige Vorzeitigkeit der sowjetzonalen Integrationspolitik die Schlußfolgerung rechtfertigt, dadurch sei es „Flüchtlingen/Vertriebenen und namentlich ihren Kindern" erleichtert worden, „in der SBZ Fuß zu fassen", und zwar „schneller als in den Westzonen, wo sie als Gruppe gegenüber den Einheimischen im ganzen stets benachteiligt blieben"41, sollte allerdings zurückhaltend beurteilt werden. Andererseits erschiene es unbillig, die umsiedlerpolitischen Hilfsmaßnahmen der SBZ/DDR als bloße „Tropfen auf den heißen Stein" abtun zu wollen42, gilt dieses Verdikt letztlich doch für alle Soforthilfemaßnahmen im geteilten Deutschland, wobei es im Falle der SBZ/DDR durch das antike „Bis dat qui cito dat" positiv zu relativieren wäre. Das spezifische Problem der Umsiedlerpolitik bestand nur in zweiter Linie im Mangel an materiellen Ressourcen, primär jedoch darin, daß sie keine Nachhaltigkeit ihrer sozialpolitischen Leistungen zu garantieren vermochte und ihr eine sozialfürsorgerische Teilfunktion für Alte und Arbeitsunfähige allzu früh abhanden kam. Im übrigen sollte man für beide deutschen Nachkriegsgesellschaften die Bedeutung vertriebenenspezifischer Sozialpolitik nicht überschätzen: Wirtschaftswachstum und individuelle Partizipation an der Arbeitsgesellschaft waren in Ost und West für die sozioökonomische Integration der Vertriebenen entscheidend.
Allerdings kann „Wirtschaftswachstum [...] auch desintegrierend wirken nämlich dann, wenn die Begünstigungseffekte einseitig verteilt bleiben"43. Wenn der bundesrepublikanischen Sozialpolitik attestiert werden kann, durch partielle
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Umverteilung einseitiger Wachstumsgewinne „keine Verfestigung kompakter Gruppen von ausgesprochen Notleidenden zugelassen" zu haben44, bewirkte der rasche und ersatzlose Abbruch von Vertriebenen-Sozialpolitik in der DDR mit 4' 42
43 44
Lehmann, Der Oder-Neiße-Konflikt, S.
156. in der SBZ/DDR am Beispiel des Kreises Calau-Senftenberg. S. 162, hinsichtlich des Befehls Nr. 304; ähnlich abschätzig: Meinicke, Flüchtlinge, Umgesiedelte, Vertriebene, S. 76, hinsichtlich der Wohnbedarfkredite des Umsiedlergesetzes. Hockerts, Metamorphosen des Wohlfahrtsstaates, S. 36. Ebenda.
Vgl. Ther, Vertriebenenpolitik
1178
IV. Schlußbilanz
seinem Verzicht auf gruppenspezifische Umverteilungspolitik eine radikale und rückhaltlose Flucht in die Arbeits- und Leistungsgesellschaft sehr viel deutlicher als im Falle der westdeutschen Systemkonkurrenz. Der ursprünglich in beiden deutschen Staaten durch Vertriebenenpolitik ausgelöste „Interventionsschub"45, der zur Expansionsdynamik des Sozialstaates im geteilten Deutschland beitrug, kam in der DDR gegen Mitte der fünfziger Jahre abrupt zum Stehen, um die soziale Integrationsproblematik der Vertriebenen im Kontext einer „sozialistischen Aufbaugesellschaft" völlig zu individualisieren. Versteht man Sozialpolitik als Versuch, Menschen durch Versorgung zu immobilisieren46, muß dieser Verzicht auf Vertriebenen-Integrationspolitik als sozioökonomische Mobilisierungsstrategie gewertet werden, die freilich via „Republikflucht" der besonders Mobilen für die DDR auch nachteilige Effekte zeitigen konnte. Auf jeden Fall wurden Alte und Arbeitsunfähige, darunter auch etliche alleinerziehende Frauen, zu kollektiven Verlierern dieser sozialpolitisch kaum noch korrigierten sozialistischen Arbeits- und Leistungsgesellschaft. In der Bundesrepublik vermied man allzu selbstkritische Reflexionen über die anti-individualistische Tradition der dortigen Eingliederungs-Ideologie, aber auch über deren offenkundige Desavouierung durch die ebenfalls individualisierte gesellschaftliche Integrationsentwicklung dadurch, daß man die spannungsreiche interne Dialektik von „Eingliederung" und „Einschmelzung" auf das feindselige deutsch-deutsche Außenverhältnis transponierte. Die DDR bot sich als Feindbild auch deshalb an, weil das SED-Regime auf dieser vertriebenenpolitischen Andersartigkeit seinerseits bestand. Daß „die Verhältnisse in der Sowjetzone" eindeutig „ganz anders" lägen als in der Bundesrepublik47, wurde zur Kernthese deutschdeutscher Selbstvergewisserung. Assimilatorische „Zwangsvermassung" in der DDR wurde zum stabilisierenden Gegenbild bundesrepublikanischer Eingliederungspolitik48, mit dessen Hilfe die Assimilationstendenzen der eigenen Gesellschaftsentwicklung vernebelt wurden. Erst als die jeweiligen Integrationspolitiken für „Vertriebene" oder „Umsiedler" an Relevanz verloren, verblaßten und verloren sich auch die Stereotypen dichotomischer „Eingliederung" oder „Ein-
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schmelzung".
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Tatsächlich unterschied sich die bundesrepublikanische Integrationspolitik von ihrem DDR-Pendant schon durch ihre ungleich längere Laufzeit. Entscheidend für diese differierende Stabilität von Vertriebenenpolitik, die bis in unsere Gegenwart reicht, war letztlich der politische Systemunterschied. Während der politische Pluralismus der Bundesrepublik den Einfluß konkurrierender Interessengruppen im politischen System ab 1950 erhöhte und durch Vertriebenen-Selbstorganisation der bis dahin eher zaghaften Vertriebenenpolitik „eine völlig neue Dynamik" verlieh49, welche die bundesrepublikanische Politik zum Laboratorium erfolgreicher Integration und Identifikation durch Prozeduren politischer 43 46
47 48 49
Ebenda, S. 35.
Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, S. 60. Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 11. Vgl. Nolte, Die Ordnung der deutschen Gesellschaft, S. 308. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 332.
3.
Einschmelzung versus Eingliederung
1179
Kompromißbildung werden ließ50, verhinderte die in der DDR etablierte Diktatur eines kleinen Kreises von SED-Politikern (und ihrer sowjetischen Gewährs-
leute) nicht nur institutionalisierten Pluralismus, sondern zerstörte selbst jene faktischen Handlungsspielräume, wie sie innerhalb der SED und den von ihr durchherrschten Staatsbürokratien bis dahin noch existiert hatten. Die ideologisierte vertriebenenpolitische Systemkonkurrenz zwischen West und Ost überdeckte jedoch die Gemeinsamkeiten, die es bei allen Unterschieden zwischen beiden Integrationspolitiken gab. Diese Gemeinsamkeiten basierten nicht nur darauf, daß ursprünglich auch in Westdeutschland von den dortigen Besatzungsmächten eine ähnlich rigorose Assimilationspolitik betrieben worden war wie in der SBZ, deren Weichenstellungen in Ansiedlungspolitik und Selbstorganisationsverbot trotz späterer Korrekturversuche nicht folgenlos geblieben waren. Auch die sozialpolitische Verpflichtung zur Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Vertriebenen und Alteingesessenen war ein gemeinsames Kernstück beider Vertriebenenpolitiken. Diese „Angleichung der sozialen Lage der Vertriebenen an die der Eingesessenen" (Paul Merker) zielte auf eine Erhöhung des Lebensstandards der Vertriebenen durch sozialpolitische Maßnahmen, da sich deren soziale Ausgangslage strukturell ungünstiger als die der einheimischen Bevölkerung darstellte. Eine solche Politik schien, solange man „die Vertriebenen" als bedrohlichen gesellschaftlichen Unruheherd diagnostizierte, im Eigeninteresse der Regierenden und der Mehrheitsbevölkerung zu liegen, warf jedoch zugleich das heikle Problem gesellschaftlicher Verteilungsgerechtigkeit in der Mangelsituation der Nachkriegszeit auf. Die daraus resultierenden Verteilungskonflikte fraktionierten nicht nur das politische System der bundesrepublikanischen Demokratie, sondern auch die SED-Diktatur nach sozialen oder soziokulturellen Interessengegensätzen und begrenzten sozialpolitische Innovationsentscheidungen erheblich. In beiden politischen Systemen konnte nur soviel Umverteilungspolitik für Vertriebene praktiziert werden, wie die Mehrheit der jeweiligen Gesellschaft zuließ. Daß diese Grenze in der Bundesrepublik letztlich großzügiger gezogen wurde als in der DDR, obwohl dort die Ausgangslage für Umverteilungspolitik auf den ersten Blick günstiger erschien, hat wiederum mit den systematisch unterschiedlichen politischen Partizipationsspielräumen organisierter Gruppeninteressen zu tun. Daß Spielräume für Vertriebenen-Interessen auch in Westdeutschland nicht in den Himmel wuchsen, zeigt nicht nur die auf dem Papier stehen gebliebene Bodenreform, sondern auch der Lastenausgleich, der keine Umverteilung vorhandener Privatvermögen, sondern nur eines Bruchteils ihrer Vermögenszuwächse zuwege brachte. Sozialpolitische Umverteilung ging in der Bundesrepublik nie an die Vermögenssubstanz, sondern funktionierte zunächst über Umverteilung von Wachstumserträgen, später bis hin zur Finanzierung der deutschen Wiedervereinigung über ausufernde Staatsverschuldung. Mit der Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR verhielt es sich nicht wesentlich anders: Ein umverteilender Zugriff auf private Vermögen erfolgte lediglich in der Bodenreform, während integrative So-
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50
Holtmann, Politische Interessenvertretung von Vertriebenen.
1180
IV. Schlußbilanz
zialpolitik sonst auf der Verteilung von Wachstumsüberschüssen und auf Staatsverschuldung basierte. Beide Politiken teilten auch einen sozioökonomischen Integrationsschwerpunkt. Nur für die wirtschaftliche und berufliche Integration der Vertriebenen vermochte die Politik beider Systeme hinreichend funktionsfähige Programme zu entwickeln, welche die jeweilige gesellschaftliche Entwicklung richtungsweisend beeinflußten. In anderen Bereichen, etwa bei der Förderung oder Unterdrückung kultureller Gruppenidentitäten oder hinsichtlich der sozialen Beziehungen zwischen Vertriebenen und Einheimischen, erwies sich politische Intervention nur als bedingt wirksam. Sozioökonomische Entwicklungen waren fraglos besser objektivierbar und damit besser steuerbar als das schwierige Feld der subjektiven „emotionalen Integration". Faktisch reduzierte sich damit die vielschichtige Integrationsproblematik in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften aus der Perspektive politischer Steuerung auf die Grundfrage nach hinreichender Systemfunktionalität. Diese Reduktion von Komplexität förderte eine Konzentration staatlicher Integrationspolitik auf wirtschaftliche Integration und damit auf die erwerbsfähigen Teile der Vertriebenenbevölkerung. Das tiefe Vertrauen der SED-Umsiedlerpolitiker auf die assimilatorischen Inklusionskräfte der Arbeitsgesellschaft unterschätzte die Beharrungskraft des kulturell-mentalen Faktors, der in der bundesrepublikanischen Eingliederungspolitik (auf freilich nicht unproblematische Weise) mitberücksichtigt wurde. Es
würde leicht fallen, die Eindimensionalität dieser SED-Politik anzuprangern: Man könnte sich auf die Kronzeugenschaft des DVdl-Hauptabteilungsleiters Arthur Vogt zu berufen, der 1949 die bemerkenswerte Kritik äußerte, man habe in der SBZ „das Umsiedlerproblem zu stark vom rein materiellen Gesichtspunkt und von der rein materiellen Fürsorge gesehen" und dabei unterschätzt, daß viele „Schwierigkeiten [...] viel weniger auf materiellem als auf ideel[l]em Gebiet" bestünden51. Es ließe sich aber auch eine nachdenklichere Perspektive wählen und fragen, ob diese einseitige Konzentration der SED-Politik auf ökonomische Basisintegration langfristig nicht alternativlos gewesen ist. Denn obgleich in der politischen Kultur der Bundesrepublik längere Zeit eine demonstrative Achtung der besonderen Gruppenidentität der Vertriebenen praktiziert wurde, bevor um 1970 eine Phase der Ächtung begann, war auch dort der objektive Integrationsprozeß in die Arbeitsgesellschaft von Anfang an zentral. Nicht zufällig berührte eine im Bundesvertriebenenministerium 1956 vorgelegte Expertise zur Vertriebenen-Eingliederung weder kulturelle noch individuell-mentale Faktoren, sondern konzentrierte sich ganz auf die „angemessene Beteiligung am Sozialprodukt" als Maßstab für erfolgreiche „wirtschaftliche Eingliederung", der man im weiteren Sinne eine
„soziologische Eingliederung" (durch Gewinnung einer jeweils passenden soPosition) an die Seite stellte. Staatliche Eingliederungspolitik wurde als Summe „all derjenigen Hilfen" definiert, „die den Vertriebenen in die Lage versetzen, die sich als Folge der Vertreibung ergebenden Benachteiligungen im wirtschaftlichen Wettbewerb zu überwinden". Parallel dazu sollte die Eingliederungszialen
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BAB, DO 2/36, Bl. 295-315, Bl. 305, DVdl, HAU, Prot. der Sitzg. der LKfN Thüringen am 11.2.
49, o.D.
3.
1181
Einschmelzung versus Eingliederung
bereitschaft der eingesessenen Bevölkerungsmehrheit „gestärkt" werden52. In dieser Bestimmung der ökonomischen Begleitfunktion des Politischen unterschieden sich bundesdeutsche Vertriebenenpolitik und SED-Umsiedlerpolitik kaum. Ein wesentlicher Unterschied bestand aber hinsichtlich des Zeithorizontes dieser Integrationspolitiken, der in der DDR bereits Mitte der fünfziger Jahre abrupt en-
dete, während die Experten der Bundesregierung aufgrund von Erfahrungen in Einwanderungsländern wie den USA, Kanada oder Australien zu eben diesem -
Zeitpunkt die Dauer wirtschaftlicher Vertriebeneneingliederung auf ein volles Jahrzehnt veranschlagten, das sie infolge kriegsbedingter Verwerfungen für Deutschland frühestens 1951 beginnen lassen wollten53. Zugleich machte das Bun-
desvertriebenenministerium deutlich, daß „alle Maßnahmen zugunsten der Vertriebenen, die während der letzten zehn Jahre [...] ergriffen wurden und zu den im Ausland und in den weniger einsichtsvollen Kreisen der Einheimischen überschätzten Ergebnissen führten", bisher „bei weitem nicht ausgereicht" hätten, „die Vertriebenen einzugliedern, ihnen die richtige Arbeit und die angemessene Wohnung sowie die Voraussetzungen für einen ungehinderten Wettbewerb mit den einheimischen Bewohnern der Bundesrepublik zu sichern". Darum sei eine Weiterführung der staatlichen Integrationshilfen unbedingt erforderlich54. Dies sah ein weiteres Jahrzehnt später der langjährige Vertriebenenfunktionär und zeitweilige Bundesvertriebenenminister Hans Krüger (CDU) genauso. Zugleich übte dieser Vertriebenenvertreter heftige Kritik an einem rein wirtschaftlichen Integrationsbegriff, der unter bundesrepublikanischen Politikern meist als „genügend und allumfassend angesehen" werde und das unterdessen vorherrschende Urteil der westdeutschen Öffentlichkeit begründe, die Eingliederung der Vertriebenen sei bereits „zufriedenstellend vollzogen". Dabei werde jedoch „vergessen, daß [...] eine echte Eingliederung doch in erster Linie von geistigen und emotionalen Faktoren, wie z.B. von der Erhaltung und Weiterführung des kulturellen Erbes, abhängig ist und somit durch materielle Unterstützung nicht entschieden, sondern lediglich erleichtert werden" könne55. Diese späte Kritik zeigt, wie stark trotz aller gewichtigen Unterschiede in den Politikentwürfen der Bundesrepublik und der DDR beide politischen Praktiken (und erst recht die gesellschaftlichen Integrationsverläufe) denselben ökonomisch-arbeitsgesellschaftlichen Prioritäten gehorchten. In beiden deutschen Nachkriegsstaaten und -gesellschaften konzentrierte man sich auf staatliche Förderung der ökonomischen Basisintegration von Vertriebenen, was zugleich bedeutete, die Betroffenen primär als erwerbssuchende Zuwanderer einer Arbeitsgesellschaft zurechtzudefinieren und zu behandeln56. Wer mit dieser sozialtechnologischen Verkürzung des Vertriebenenproblems nicht einverstanden war, wurde von der SED-Diktatur repressiv sanktio-
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32
33 34 33
36
BAK, B 150/4589, 30. 4. 56, S. 2f.
H.l, BMVt,
II 5004
a/b, Memorandum
zur
Eingliederung der Vertriebenen,
Ebenda, S.9f. Ebenda, S. 19.
BAK, B 106/22480, Bundesminister a.D. Hans Krüger, „Welche Faktoren haben sich für die Ein-
gliederung der Heimatvertriebenen als hemmend und welche als fördernd erwiesen?", Juni 1967, S. 103 f. Lediglich für den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik (und ihm gleichgeordnete Bereiche, etwa den kirchlichen Dienst) können andere Zugangsvoraussetzungen geltend gemacht werden.
1182
IV. Schlußbilanz
niert, sah sich allerdings auch in der Bundesrepublik marginalisiert bzw. auf die
randständige „Spielwiese" kultureller Identitätsbewahrung abgeschoben. Warnungen wie diejenige Krügers, „die faktisch restlose wirtschaftliche Einbeziehung der Vertriebenen" sei immer „noch keine soziale Lösung", waren auch in West-
deutschland reichlich irrelevant57. Das Vertrauen auf den „Assimilationsfaktor" Arbeit war folglich keine Spezialität der SED. Zwar versuchte die offizielle Vertriebenenpolitik der Bundesrepublik den politischen Balanceakt einer Aufrechterhaltung der Rückkehrhoffnung bei gleichzeitiger Integration in die Aufnahmegesellschaft. Dies führte zu schlingernden Argumentationen wie jener des schlesischen Vertriebenenfunktionärs und CSU-Politikers Walter Rinke, der einmal salomonisch erklärte: „Man kann das eine tun und braucht das andere nicht zu lassen! Unser Nahziel ist die gleichberechtigte Eingliederung in die Bevölkerung der neuen Heimat, unser Fernziel aber heißt: Wiedergewinn der alten Heimat!"5* Das klang gut und war weit tröstlicher als die illusionslosen Zumutungen der SED-Politik, die keine „Umsiedler" auf „gepackten Koffern" sitzen sehen wollte. Doch mit der Zeit, auf welche die SED-Umsiedlerpolitik so sehr setzte, wurde diese Doppelstrategie der westdeutschen Vertriebenenpolitik immer unglaubwürdiger. Realiter fand sich Rinke eben nicht in seiner Heimat Schlesien, sondern als bayerischer Abgeordneter im Bonner Bundestag wieder. Rückkehrhoffnung und Integrationsfortschritt schlössen sich je länger, desto stärker aus. Daß Rückwärtsgewandheit den Integrationsprozeß in die aufnehmende Arbeitsgesellschaft ernstlich behindern konnte, war bundesrepublikanischen Politikberatern, aber auch einigen Vertriebenenpolitikern frühzeitig bewußt: Zwar konzedierte 1951 auf einer Tagung zur Flüchtlingsforschung, an der auch der niedersächsische Vertriebenenminister Heinrich Albertz (SPD) teilnahm, der als Sozialdemokrat und Jude vom NS-Regime 1933 ins skandinavische Exil vertriebene Soziologe Theodor Geiger, die Integration der Vertriebenen sei nicht nur von wirtschaftlichen, sondern auch stark von psychologischen Faktoren abhängig, doch begriff Geiger gerade letztere primär als irrational und störend. Wohl kaum unbeeindruckt vom Schmerz der eigenen Exilerfahrung und der darüber entwickelten Bewältigungsstrategie forderte Geiger daher von der (west-)deutschen Vertriebenenpolitik, sich rigoros der Zukunft zuzuwenden: „Gegen das Romantisieren der alten Heimat sollte man direkt einen Kampf führen, denn das Zusammenschließen in Heimatgruppen isoliere die Vertriebenen und verhindere sie geradezu, sich zu assimilieren."59 Ein SED-Umsiedlerpolitiker hätte dies nicht besser sagen können. Mit geringerer Vehemenz, aber letztlich ähnlicher Stoßrichtung hatte der Sozialdemokrat Heinrich Albertz, selbst Vertriebener aus Schlesien, als Vertriebenenminister des Landes Niedersachsen im Januar 1950 von CDU-Bundesarbeitsminister Anton Storch zornig verlangt, dieser möge seine wohlfeilen Sonntagsreden über Rückkehrmöglichkeiten in die alte Heimat besser unterlassen, weil er auf verantwortungslose Weise dadurch nur sinnlose 57 38
59
Vgl. BAK,
B 106/22480, sowie Müller, Soziologische und sozialpsychologische Folgen, S. 767 f. Büro MP 1065, Bl. 67f., Abschrift: Ministerialrat Dr. Walter Rinke, München, „Wir glauben an das Recht", o.D. [ca. 1948]. BAK, B 150/536, H.l, Protokoll der Sitzung der Deutschen Sektion der Europäischen Forschungsgruppe für Flüchtlingsfragen am 14.4.[51] in Hannover, S. 3.
ThüHStA,
3.
Einschmelzung versus Eingliederung
1183
Hoffnungen unter Betroffenen erzeuge. Gerade „der deutsche Bundesminister für Arbeit" müsse in dieser Frage sehr behutsam sein, „denn die durchs Land gehende Rede von .faulen Flüchtlingen' bezeichnet ja nur die psychologische Situation des auf dem gepackten Koffer Sitzens und schwächt das letzte, was der Vertriebene mitgebracht hat, nämlich seinen Willen zur Arbeit". Zugleich beschrieb Albertz das auch für die damalige SPD noch geltende Dilemma westdeutscher Vertriebenenpolitik, wenn er forderte, daß „zwar die Forderung auf eine Revision im deutschen Osten niemals von uns aufgegeben werden darf, daß wir aber hier im Westen so reden und handeln müssen, als ob kein einziger vertriebener Deutscher wieder nach Hause käme"60. Je mehr Zeit ins Land ging, desto stärker prägte diese Maxime die bundesrepublikanische Integrationsrealität. Eine weitere Konvergenz beider deutsch-deutschen Vertriebenenpolitiken bestand somit in ihrer Zukunftsbezogenheit. Was bei der Assimilationspolitik der SBZ/DDR evident ist, die ihre Vertriebenen geradezu einem Zwang zur Zukunft aussetzte, mag mit Blick auf die zweideutige Eingliederungspolitik der Bundesrepublik, die das rückwärtsgewandte „Recht auf Heimat" ebenso beinhaltete wie das Ziel partieller Vermögensentschädigung, nicht ohne weiteres einleuchten. Doch die Rückkehroption wurde in Westdeutschland schon bald zum unglaubwürdigen Bestand offizieller Politikerreden; die Entschädigungsdimension dortiger Lastenausgleichspolitik wurde ebenfalls nur ansatzweise realisiert und blieb der zukunftsweisenden sozialintegrativen Komponente klar untergeordnet. Insofern war es nicht ganz gerechtfertigt, wenn Kritiker der sechziger Jahre die Vertriebenenpolitik der Bundesrepublik als Beispiel für eine sozialkonservative Grundausrichtung von Sozialpolitik und damit für ein modernisierungsfeindliches wohlfahrtsstaatliches „Syndrom der Unmündigkeit" anführten61. Vertriebenenpolitik mußte vielmehr, indem sie auf sozioökonomischem Wandel und wirtschaftlichem Wachstum basierte, soziale Mobilität grundsätzlich bejahen. Allem Gerede von „Statusrestauration" zum Trotz konnte daher auch Vertriebenenpolitik in der Bundesrepublik niemals „restaurativ" sein. Indem sie fortschrittsbejahend und damit in gewisser Hinsicht „revolutionär" sein mußte62, unterlag Vertriebenenpolitik letztlich in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften demselben grundlegenden Zwang zur Zukunft. Dieser Zukunftszwang wurde allerdings durch die eindeutige Politik der SED noch forciert, durch die zweideutige westdeutsche Politik hingegen kaschiert. Suchte die Vertriebenenpolitik in Westdeutschland diesem Zukunftszwange durch die komplementäre Utopie der Statusrestauration zu entgehen, war es paradoxerweise die bis 1953 praktizierte Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR, welche die sozialrestaurativen und antimodernistischen Züge dieser Restaurationsutopie innerhalb ihrer Teilgesellschaft sehr viel stärker verwirklichte. Das gilt insbesondere für die Agrarpolitik, die 1945 mit der Bodenreform eine regelrechte Strukturrevolution ausgelöst hatte, indem landwirtschaftliche Großbetriebe in völlig unwirtschaftliche Minibetriebe zerlegt wurden, deren Subventionsabhängigkeit und de60 61
62
BAK, B 150/1150, Staatsminister Albertz, Hannover, an Bundesminister Storch, Bonn, Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, S. 466 f. Edding/Lemberg, Eingliederung und Gesellschaftswandel, S. 159.
16. 1. 50.
IV. Schlußbilanz
1184 ren
zeitweilige Überbesetzung mit Arbeitskräften ein volkswirtschaftlich verhee-
render Anachronismus
war.
Dieser mußte zwischen 1952 und 1960 durch die
zur
großflächigen Bewirtschaftung zurückkehrende Politik der Zwangskollektivierung und die gleichzeitige Umleitung staatlicher Subventionen und vieler Arbeitskräfte in den industriellen Sektor mühsam widerrufen werden. In ähnlicher Weise weist auch die anfängliche Subventionspolitik der SBZ/DDR gegenüber dem Handwerk, insbesondere seit ihrer 1950 erfolgten Einschränkung auf Kleinbetriebe, stark sozialrestaurative Elemente auf. Noch in den Lastenausgleichsdebatten des westdeutschen Parlaments feierte 1952 die KPD diese Umsiedlerpolitik ihrer Schwesterpartei SED mit dem öffentlichen Hinweis, in der DDR seien mit Hilfe dieser Vertriebenensubventionen „über 65000 neue[...] Handwerkerstellen bzw. Handwerksbetriebe^..]" geschaffen worden63. Diese Subventionspolitik verweist auf den nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch im SED-Staat evidenten Zusammenhang zwischen integrationspolitischer „Hilfe zur Selbsthilfe" und Eigentumsordnung. So wie sich die westdeutsche Lastenausgleichspolitik ihrem Kontext der sozialen Marktwirtschaft anpaßte und dem gesellschaftspolitischen Kernziel der Sicherung des Privateigentums unterordnete64, konvergierte die Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR mit massiver Enteignung des Privateigentums besitzender Oberschichten, die freilich mit der gleichzeitigen Achtung vor dem Klein-Eigentum der Bevölkerungsmehrheit und einer veritablen Politik der Kleineigentumsbildung einherging. Diese interessante gesellschaftspolitische Gemengelage bewirkte, daß Mitte der 1950er Jahre in der DDR „unter gleichen Rechtsvoraussetzungen stehende soziale Gruppen" über „sehr ungleiche Chancen im wirtschaftlichen Wettbewerb" verfügten; seit 1945 vertreibungsbedingt entstandene „soziale Ungleichheiten", die nach wie vor zu „Spannungen zwischen Vertriebenen und Eingesessenen" führten65, wurden durch politisch neu induzierte soziale Ungleichheiten ergänzt und überlagert. Auch mit dem 1950 erlassenen Umsiedlergesetz hatte das SED-Regime durch mehrjährige sozialpolitische Sonderbehandlung und Privilegierung von Vertriebenen (bzw. bestimmten Vertriebenen-Gruppen) das Gesellschaftsgefüge der DDR zu verändern versucht. Zugleich versagte das DDR-Umsiedlergesetz den Vertriebenen Entschädigungsleistungen, da das sozialrestaurative Teilziel solcher Entschädigungspolitik mit den gesellschaftspolitischen Transformationszielen der SED ebenso inkompatibel war wie die Einbeziehung des durch Enteignungen geschaffenen volkseigenen Wirtschaftssektors in etwaige Lastenausgleichsabgaben. Die 1950 gewährten Sonderleistungen des Umsiedlergesetzes waren als zukunftsgerichtete Integrationshilfen und nicht als restaurative Entschädigungen konzipiert, selbst wenn sie auf manche Neubauern oder Kleinhandwerker so gewirkt haben mochten. Indem das Umsiedlergesetz Vertriebenenförderung an bestimmte Erwerbsgruppen-Zugehörigkeiten band66, brachen sich auf der anderen Seite auch 63 64
65 66
Lastenausgleichsgesetze 1/3, S. 786. Hughes, Shouldering the burdens of defeat, S. 185. Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 179. Die
Neben Umsiedler-Neubauern waren dies vertriebene Kleinhandwerker, Belegschaftsangehörige volkseigener Betriebe (vor allem des schwerindustriellen Sektors) sowie Schüler, Studenten und
Lehrlinge.
3.
Einschmelzung versus Eingliederung
1185
sozialpolitischen Kriegsfolgenausgleichs für besonders HilfsbePrinzip volkswirtschaftlich abgeleiteter Förderungsdürftige Das diesbezügliche Leistungsprinzip bloßer Hilfe zur Selbsthilfe würdigkeit. wurde dadurch betont, daß die geförderten Vertriebenengruppen überwiegend mit Subventionen für Erwerbstätige unterstützt wurden. Die in der DDR-Umsiedlerpolitik von jeher sichtbare, ab 1950 jedoch eindeutig dominierende Hilfe zur Selbsthilfe bewirkte eine weitere konzeptionelle Konvergenz zwischen den Integrationspolitiken beider deutscher Staaten. Das Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe diente in der Bundesrepublik bekanntlich der Stärkung einer „Bejahung des Privateigentums"67 unter besitzlos gewordenen Vertriebenen. Seitens der regierungsnahen bundesrepublikanischen Vertriebenenforschung wurde „der konservative Grundcharakter dieser Entwicklung" herausgestellt, der dazu geführt habe, „daß alle Elemente im Osten, die gerade auf die soziale Radikalisierung Westdeutschlands mit Hilfe der hineingepumpten Flüchtlingsmassen ihre Hoffnungen gesetzt haben, sich in diesen Erwartungen betrogen sahen"68. Andere Beobachter haben solchen Restaurations-Diagnosen frühzeitig den „revolutionären" Grundzug der Nachkriegszeit entgegengestellt69. Der früdie Ansätze eines am
dominierenden
here Bundesvertriebenenminister von Merkatz konstatierte 1971 treffend, bei der Einbeziehung der Vertriebenen „in den großen Prozeß des Wiederaufbaus" sei es weder um Revolution noch um Restauration, „sondern um Progression" gegangen. Im Ergebnis dieses Prozesses seien „die Entwurzelten [...] nicht zu verzweifelten Revolutionären, die Deutschland für die Machtübernahme der Kommunisten als einer neuen Ordnungsmacht reif machten", sondern zu ,,verbissene[n] Kämpfer ums Eigentum und eine freiheitliche rechtsstaatliche Leistungsgesellschaft" geworden70. Die Notwendigkeit, die gewünschte soziale Sicherheit erst wieder erreichen zu müssen, statt darüber von vornherein zu verfügen, verweist auf die starke dynamische Komponente dieser damals entstandenen, zutiefst ambivalenten Vertriebenen-Mentalität. Doch fand der Zwang zur Vertriebenenintegration durch Gesellschaftsveränderung in der Bundesrepublik keine revolutionäre, sondern eine evolutionäre Lösung. Dieselbe Dialektik des ebenso sozialkonservativen wie gesellschaftsverändernden Wunsches nach Wiedererlangung sozialer Sicherheit wird den in der DDR lebenden Vertriebenen in nicht geringerem Maße unterstellt werden dürfen. Diese Mentalität vertriebener DDR-Bürger, die mit dem „eher konservativ-mittelständischejn] Lebensstil der DDR-Bevölkerung"71 harmonisch korrespondierte, in materiellen Umverteilungsfragen jedoch massiv kollidierte, wußte die SED-Umsiedlerpolitik durchaus in Rechnung zu stellen. Insofern verlangt der Zusammenhang zwischen Umsiedlerpolitik und Privateigentum in der DDR-Gesellschaft eine differenzierte Betrachtung. Den dortigen Machthabern grundsätzlich „wenig Respekt vor bestehenden Eigentumsrechten" zu attestieren und daraus größere „Spielräume für eine umverteilende Vertriebenenpolitik [...] als in Westdeutsch67 68 69 70 71
Rogge, Vertreibung und Eingliederung im Spiegel des Rechts, S. 227. Boehm, Gruppenbildung und Organisationswesen, S. 592. Eingliederung und Gesellschaftswandel. Edding/Lemberg, Zit. nach: Windelen, Die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge, S. 701. Ludz, Deutschlands doppelte Zukunft, S. 88.
IV. Schlußbilanz
1186
land" abzuleiten72, wäre eine unzulässige Vereinfachung. Was für die Bodenreform zutrifft, erweist sich bei der Hausrat-Umverteilungspolitik von 1946/47 bereits als brüchig und nicht tragfähig. Insgesamt kann der Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR keine Eigentumsfeindlichkeit attestiert werden. Selbst bei der Bodenreform ging es nicht um Abschaffung, sondern um Umverteilung von Privateigentum. Nach dem eklatanten Scheitern der Hausratgesetzgebung spielte eine auf
Privateigentum zielende Umverteilungskonzeption
in der Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR dann keine Rolle mehr. Umso wichtiger wurde für die zweite Hochphase der Umsiedlerpolitik ab 1950 das mit Privateigentum bestens kompatible Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. Während die SED-Politik in Westdeutschland auf eine Sozialrevolutionäre Radikalisierung der Vertriebenen setzte, griff sie DDR-intern mit dem „Umsiedlergesetz" sozialstabilisierende Grundkonzeptionen der attackierten westdeutschen Eingliederungspolitik auf. Durch das weitgehende Fehlen von Entschädigungselementen wurden Selbsthilfe-Elemente sogar noch eindeutiger zur Geltung gebracht als in der Bundesrepublik. Im eigenen Herrschaftsbereich erlag das SED-Regime keineswegs den im Westen beschworenen „Versuchungen einer eigentumsfeindlich-kommunistischen Flüchtlingspolitik"73. Das DDR-Umsiedlergesetz zielte vielmehr auf die Schaffung oder Festigung neuen Privatbesitzes und subventionierte zwischen 1950 und 1953 nicht nur die Ausstattung von Vertriebenen-Haushalten mit Privatbesitz an Mobiliar und Hausrat, sondern auch privatwirtschaftliche Kleinbetriebe vertriebener Landwirte oder Handwerker. Indem die Vertriebenenförderung der DDR auf eigenverantwortliches wirtschaftliches oder berufsqualifizierendes Handeln setzte, alte oder arbeitsunfähige Vertriebene hingegen nur marginal berücksichtigte, erscheint die arbeitsgesellschaftliche Ausrichtung der DDR-Integrationspolitik noch sehr viel ausgeprägter als beim bundesrepublikanischen Konkurrenzmodell. Die SEDIntegrationspolitik zielte jedenfalls nicht weniger auf die Steigerung des individuellen Willens zur Selbsthilfe und zur Bildung von Kleineigentum, als dies der bundesrepublikanischen Eingliederungspolitik zu Recht attestiert worden ist. Freilich war diese Form der Selbständigenförderung mit der 1952 in der DDR verkündeten Politik des „Aufbaus des Sozialismus" nicht mehr kompatibel und wurde seither durch genossenschaftliche Kollektivierung ersetzt. Vor dem Hintergrund dieses Kurswechsels, der zwei wesentliche Teile des Umsiedlergesetzes, die Neubauern- und die Handwerksförderung, desavouierte, erscheint die bald darauf erfolgte Einstellung der Vertriebenenförderung in der DDR konsequent. Sie wurde zusätzlich dadurch erleichtert, daß sich andere Maßnahmen des Umsiedlergesetzes wie die Vertriebenenquote des volkseigenen Wohnungsbauprogramms als dysfunktional erwiesen hatten oder wie die Hochschulstipendien in Widerspruch zur sonstigen systemspezifischen Anrechtsprivilegierung geraten waren oder wie der Wohnbedarfkredit zu kostspielig und gesellschaftlich zu legitimationsbedürftig schienen. Indem die SED-Politik ab 1953 die Fort-
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72
73
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Vgl. diese Einschätzung bei: Ther, Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR am Beispiel des Kreises Calau-Senftenberg, S. 162; später schwächte der Autor diese Wertung dahin ab, daß man in der SBZ „weniger Rücksicht auf Eigentums- und Bürgerrechte" habe nehmen müssen als in Westdeutschland; vgl. Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, S. 226. Rogge, Vertreibung und Eingliederung im Spiegel des Rechts, S. 227.
3.
Einschmelzung versus Eingliederung
1187
Setzung besonderer Vertriebenenförderung verweigerte, konnte sich Vertriebenen-Integration in der DDR nur noch auf der Grundlage formaler Gleichberechtigung und durch individuellen „äußersten Arbeitseinsatz" (Willi Stoph) vollziehen. Die arbeitsgesellschaftliche Komponente von Vertriebenenintegration wurde durch den ersatzlosen Wegfall komplementärer Umsiedlerpolitik radikalisiert, Vertriebene wurden seither nicht mehr als Vertriebene oder als vertriebene Erwerbstätige, sondern nur noch als „Werktätige" wie alle anderen betrachtet und gegebenenfalls gefördert. In ihrer „eigentlichen" Existenz zwischen 1953 und 1989 betrieb die DDR keine spezifische Vertriebenen-Integrationspolitik mehr. Damit steht der Historiker vor der ironisch anmutenden Tatsache, daß die Forderung nach „Angleichung der Lebensverhältnisse" verschiedener Bevölkerungsgruppen lediglich Anfang und Ende dieser DDR-Geschichte markiert. Zwischenzeitlich war es die gewaltsame und gerade dadurch „revolutionäre" Ausmaße annehmende soziale Mobilisierung74, deren radikaler Bruch mit der Herkunftsgesellschaft die „Gesellschaft der DDR" vielleicht stärker als die Bundesrepublik der Adenauerzeit bis Mitte der 1960er Jahre zur ,,erste[n] moderne[n] Gesellschaft auf deutschem Boden" werden ließ75. Aufgrund dieser sozialen Dynamik, die teils sozioökonomische Eigendynamik war wie anderswo auch, teils jedoch politisch bewußt erstrebt und erzeugt wurde, entstand auch für Vertriebene in der DDR-Gesellschaft im Laufe der 1950er Jahre eine Integrations- und Aufstiegsdynamik, die eine komplementäre Umsiedlerpolitik zumindest für die Gewinner dieses gesellschaftlichen Transformationsprozesses entbehrlich werden ließ. Die Verlierer wurden nicht gefragt. -
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74 73
Vgl. Kennan, Memoiren eines Diplomaten, S. 432.
Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, S. 453.
1188
4.
IV. Schlußbilanz
Konflikt, Kooperation und Trauma. Das Integrationsproblem der Vertriebenen in Politik und Gesellschaft
Integration wird als ein Individuen oder Gruppen betreffender Prozeß der Positiund Funktionszuweisung innerhalb eines sozialen Systems verstanden1. Der Verlauf dieses Prozesses hängt von bestimmten Erwartungen und Entscheidungen sowohl auf Seiten der Immigranten als auch auf Seiten der Aufnahmegesellschaft ab: Zum einen geht es um das Ausmaß des Willens, die bisherige kulturelle Identität der Immigranten zu bewahren oder nicht; zum anderen geht es um das Ausmaß der Bereitschaft, soziale Kontakte über die eigene Herkunftsgruppe hinaus zu etablieren. Assimilation wäre ein solcher Integrationsprozeß stets dann, wenn ein Immigrant seine bisherige Identität freiwillig aufgibt, um sich der Einwanderungsgesellschaft vollständig zu akkulturieren, oder wenn er durch dieselbe zur Preisgabe seiner bisherigen Identität gezwungen wird. Im einen Falle hätte man das Modell eines auf Freiwilligkeit basierenden „Schmelztiegels" vor Augen, im ons-
anderen Falle das einer Gesellschaft unter Assimilationsdiktat2. Assimilation, „im Extremfall" völlige „Absorption", bezeichnet somit einen Sonderfall von Integration, der auf eine Homogenisierung kultureller Identität hinausläuft. Daneben gibt es jedoch auch Varianten einer „Integration ohne Assimilation", in denen eine Gruppenidentität der Immigranten mehr oder weniger erhalten und erkennbar bleibt3. Im Hinblick auf das Vertriebenenproblem ist die wissenschaftliche Tauglichkeit des Integrationsbegriffs mitunter in Frage gestellt worden. Tatsächlich wird man nicht nur den in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften gepflegten „Mythos der schnellen Integration"4 relativieren, sondern auch die Frage aufgreifen müssen, ob das dem Integrationsbegriff in der Regel zugrunde gelegte Verständnis einer statischen Aufnahmegesellschaft der zerrütteten und zwangsmobilisierten deutschen Nachkriegsgesellschaft angemessen sei. Waren ab 1945 nicht vielfältige „strukturelle Veränderungsprozesse" im Gang, die nicht nur Vertriebenen, sondern auch Alteingesessenen erhebliche Neuorientierung abverlangten?5 Es „darf nicht verkannt werden: auch die einheimische Bevölkerung brachte im Zeichen der Vertreibung große Opfer; selbst sie verlor ein Stück Heimat. Heimat in dem umfassenden soziologischen Sinne: der Frieden, die Ordnung und die Geschlossenheit des Hauses wurden durch die .Flüchtlinge' gestört."6 Dennoch ist zu fragen, ob der gemeinsame vertreibungsbedingte Zwang, daß „sich beide Gruppen, Einheimische wie Umgesiedelte, in einer ,neuen Fremdheit' der Nachkriegsgesellschaft zurechtfinden mußten", die „zweifellos vorhandenen Unterschiede" tatsächlich überwog7. Das vielbeschworene „Wunder der Integration" wird von An1
2 3 4 5 6 7
Vgl. diese Definition Günter Endruweits bei: Krauss, Integration und Akkulturation, S. 13. Vgl. dieses Modell John Berrys: ebenda, S. 19f. Olshausen, Versuch einer Definition des Begriffs „Integration", S. 33. Zur Kritik daran: Lüttinger, Der Mythos der schnellen Integration. Grebing, Zum Begriff der Integration, S. 302 f. Müller, Soziologische und sozialpsychologische Folgen der Austreibungen, S. 772 f. Letzteres glaubt von Plato, „Wir leben auch unter keinem anderen Stern wie ihr", S. 260; dieser Sicht folgend: Krauss, Das „Wir" und das „Ihr".
4.
Konflikt, Kooperation und Trauma
1189
hängern dieser These mit dem Ausbleiben einseitiger, lediglich die Vertriebenen zu Veränderungen zwingender Assimilation erklärt, da sich die gesamte deutsche Nachkriegsgesellschaft neu habe formieren und integrieren müssen. Diese These klingt bestechend, wird jedoch mit ihren harmonisierenden Untertönen nicht zufällig von Erfahrungshistorikern formuliert, die sich primär auf die Integrationsentwicklung in großindustriellen Ballungszentren (Ruhrgebiet, Eisenhüttenstadt) konzentrierten. Dabei gebührt nicht nur dem beschönigenden Filter der Erinnerung ein methodologisches Grundmißtrauen, auch dürfen arbeitsgesellschaftliche Integrationsprozesse in traditionellen oder neugeschaffenen „melting pots" nicht verallgemeinert werden. Bekanntlich wurden die meisten Vertriebenen nach 1945 gezielt in ländliche Gebiete geleitet, wo sie während des ersten Nachkriegsjahr-
zehnts mehrheitlich verblieben. Sozialhistoriker ländlicher Gesellschaften stoßen selbst in der durch die Bodenreform aufgewühlten ländlichen Gesellschaft der SBZ auf zwar angeschlagene, aber keineswegs zerschlagene soziale Milieus der Einheimischen, deren Beharrungskraft den vertriebenen Neuankömmlingen keineswegs gleichwertige Integrationschancen garantierten8. Der harmonisierenden Erfahrungsgeschichte stehen zudem skeptische Resultate volkskundlicher Forschungen entgegen, die der These einer gemeinsamen Integration in eine neue Zeit kaum etwas abzugewinnen vermögen. Statt dessen wird dort betont, daß auf die ursprüngliche Katastrophenerfahrung von Flucht und Vertreibung für viele Vertriebene eine zweite schwere Katastrophenerfahrung gefolgt sei die Katastrophe der Ankunft, die eine „totale Aufkündigung der nationalen Solidarität" erfahren und lange nachwirken ließ9. Diese konfliktbetonte Sicht kann die zeithistorische Forschung nur bestätigen. Sie muß spätere Prozessen sozialer Annäherung und Verflechtung berücksichtigen, darf jedoch auch das Phänomen retrospektiver „Integrationsideologie" gegen die realiter weit komplexere Integrationssituation der Anfangszeit nicht ausblenden. Die ethnologische Beobachtung sollte ernst genommen werden, daß „ein Begriff wie .Integration' [...] die historischen Tatsachen auch in der Erinnerung" harmonisiere und „die eigene Lebensgeschichte" leicht auf „eine reine Erfolgsstory reduziert", während Negatives, allen voran die „Zeit der Diffamierung und Benachteiligung", ausgeblendet wird. Individuelle Erinnerung taugt somit nur bedingt zur Korrektur vorherrschender gesellschaftlicher Deutungen, denn gerade „durch diese gesellschaftlich formulierte Vorstellung wird die Wahrnehmung der eigenen Geschichte geprägt"10. Unsere Studie hat gezeigt: Integration war überwiegend Anpassung der Vertriebenen an gesellschaftliche Strukturen mit für die Neuzugänge ungünstigen sozialen Kräfteverhältnissen. Den „Burgfrieden" oder „geistigen Waffenstillstand", den Vertriebene und Einheimische in Anerkennung ihres unveränderlichen Neben- oder Miteinanders um 1960 als „eine Art seelischen Notstandsgleichgewichts" zu schließen begannen11, kann man somit nicht als Resultat gleichberechtigter Integration betrachten. Ein Indiz für langfristige soziale Asymmetrie sind -
8 9 10 11
Vgl. Bauerkämper, Die vorgetäuschte Integration. Jeggle, Elche und Kaidaunen, S. 400. Lehmann, Im Fremden ungewollt zuhaus, S. 69. Müller, Soziologische und sozialpsychologische Folgen der Austreibungen, S. 773.
1190
IV. Schlußbilanz
die anhaltenden Forderungen nach Statusrestauration und Redifferenzierung der vertreibungsbedingt nivellierten Vertriebenenschicht12. Gerade eine intergenerationelle Benachteiligung Vertriebener in der hochdifferenzierten Nachkriegsgesellschaft, die in der Bundesrepublik erst in der dritten Generation ausgeglichen werden konnte, markiert den Verlauf einer äußerst langwierigen Vertriebenen„Integration"13. Diese war nicht zwangsläufig einseitige Assimilation, sondern ist durchaus als wechselseitiger Prozeß zu denken, wenn man berücksichtigt, daß dieser Prozeß asymmetrisch war und damit den Vertriebenen weit mehr Zugeständnisse abverlangte als der einheimischen Mehrheitsgesellschaft. Es waren die Verwerfungen der Nachkriegszeit, die in Deutschland zwei gesellschaftliche Großgruppen als einander befehdende Konfliktparteien entstehen ließen, die es vor 1945 nicht gegeben hatte und deren Identität sich mittelfristig auch wieder abschwächte: Die „Vertriebenen" und die „Einheimischen", die „abseits von den Klassenvorstellungen der Jahrzehnte zuvor" eine „ganz neue Front des Klassenkampfes" eröffneten14. Beide Gruppen-Identitäten standen quer zu traditionellen sozialen Schichtungskriterien, waren heterogen und unbeständig und für die meisten Angehörigen nur insofern und solange maßgeblich, wie die Abgrenzung gegenüber den jeweils „Anderen" zur Durchsetzung eigener Interessen als unerläßlich begriffen wurde. Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, „daß die Vorstellung von einer homogenen Einheimischenkultur" der gesellschaftlichen Realität zuwiderlief und ihre Wirksamkeit aus der Instrumentalisierung eines innergesellschaftlichen Macht-Diskurses erzielte, „in dem Hierarchien aufgerichtet oder bestätigt und Positionen gesichert werden sollten" und mit dessen Hilfe ein während des NS-Regimes und des Krieges eingeübtes Freund-Feind-Denken von außen nach innen gerichtet wurde nicht zuletzt gegen „die Flüchtlinge, die Habenichtse und Felddiebe, die ,Horden', die Restdeutschland überschwemmten'"15. Vielleicht resultierte diese Abwehrhaltung aus jenem Mangel an „Phantasie", den ein deutscher Bundespräsident später einmal beklagte, denn mangelndes Einfühlungsvermögen beeinträchtigte zweifellos die Bereitschaft zu materieller Solidarität16. Entsprechend war auch die Kollektividentität der „Vertriebenen" ein aus akuten gesellschaftlichen Konfliktlagen entstandenes Artefakt der Nachkriegszeit, eine „Erlebnisgemeinschaft", die durch die drei gemeinsamen Erfahrungen der Vertreibung, des Rückkehrwunsches und der sozialen Diskriminierung erzeugt und zusammengehalten wurde17. In soziokultureller Hinsicht gab es unter „Vertriebenen" kaum weniger Diskrepanzen, Interessengegensätze und Konflikte wie unter den „Einheimischen". Eine interessenpolitische Mobilisie-
12 13 14 13 "'
Senfft von Pilsach, Die Heimatvertriebenen in der Bundesrepublik, S. 752 f. Vgl. Lüttinger, Der Mythos der schnellen Integration.
Boehm, Gruppenbildung und Organisationswesen, S. 532. Krauss, Das „Wir" und das „Ihr", S. 29. Eine Dorflehrerin berichtete 1947 vom Vorschlag einer Vertriebenen, alle Alteingesessenen für vier
Wochen von Haus und Hof zu vertreiben und in eine finstere Kammer zu sperren, ohne sie wissen zu lassen, daß sie zurückkehren dürften; erst dann sei eine Besserung des Verhältnisses zu erwarten; die Lehrerin kommentierte: „Gewiß, ein drastisches Mittel. Schade, daß es nicht durchführbar ist!" Vgl. ThüHStA, Mdl 3809, Bl. 77ff., insb. Bl. 79, Lydia L, Naitschau, Kr. Greiz, an Mdl Thü17
ringen, 3. 4. 47. Seraphim, Die Heimatvertriebenen in der Sowjetzone, S. 159.
4.
Konflikt, Kooperation und Trauma
1191
rung der Vertriebenenidentität
wie sie in der Bundesrepublik am sinnfälligsten mit dem „Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (BHE) erfolgte war daher nur teilweise und vor allem nur zeitweilig erfolgreich18. Je differenzierter sich Integrationserfahrungen in der Arbeitswelt und im gesellschaftlichen Umgang (bis hin zum Konnubium) gestalteten19, desto weniger konnte verallgemeinernd die Rede davon sein, „daß die Massen der Vertriebenen und der Einheimischen sich wie Blöcke gegenüberstehen und sich morgen zerfleischen" würden20. Im Laufe der integrationspolitisch entscheidenden 1950er Jahre verloren die Konfrontationsidentitäten der „Vertriebenen" und der „Einheimischen" in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften erheblich an gesellschaftlicher Bindekraft. Die „Verlierer" dieser Entwicklung sahen sich umso stärker gesellschaftlich marginalisiert, als ihre Probleme und Ansichten nun auch innerhalb der eigenen Großgruppe immer weniger berücksichtigt wurden. Um die vergleichsweise rasche, bereits um 1960 greifbare Entpolitisierung der Vertriebenenkategorie zu begreifen, muß man sehen, daß sich die „Erlebnisgemeinschaft" der Vertriebenen von Anfang an durch eine hochgradige Diversität der Vertreibungsschicksale relativierte. Nicht umsonst hat die Forschung jene Gruppe, die wir pragmatisch als „Vertriebene" zusammenfassen, in „Flüchtlinge", „Vertriebene" und „Zwangsumgesiedelte" zu unterscheiden gelernt21. Hinter jeder Gruppenzugehörigkeit stehen andere Erfahrungen mit Zwangsmigration, andere Erfahrungen mit „Vertreibern", andere Erfahrungen mit der Aufnahmegesellschaft im restlichen Deutschland. Eine vierte Gruppe bildeten die in der SBZ/ DDR so genannten „heimatlosen Heimkehrer", jene entlassenen deutschen Kriegsgefangenen, deren Heimat die unterdessen zu Vertreibungsgebieten gewordenen Regionen Ostdeutschlands und Osteuropas waren. Dieses Problem verweist auf die zusätzlich wichtige Geschlechter- und Generationendifferenz, denn die frühen Flucht- und Vertreibungserfahrungen waren durch kriegs- bzw. gefangenschaftsbedingte Abwesenheit wehrfähiger Männer wesentlich Frauen, alten Männern, Jugendlichen und Kindern vorbehalten geblieben. Die Geschlechter- und Generationendifferenz wirkte sich auch auf die Lebenschancen in der „neuen Heimat" aus: In der Regel verfügten Männer über höheres berufliches Qualifikationsniveau als Frauen, in der Regel besaßen junge Menschen größere Integrations- und Aufstiegschancen als ältere, welche ähnlich wie viele alleinerziehende und dadurch faktisch arbeitsunfähige Frauen zum „Sozialballast" ihrer Nachkriegsgesellschaft wurden und darunter häufig auch subjektiv litten. Die ursprüngliche soziale Herkunft differenzierte ebenfalls nicht nur Integrationschancen, sondern auch „Vertriebenenbewußtsein" je nachdem, ob man den Neuanfang nach 1945 als Deklassierung, als Statusrestauration oder als Aufstieg erlebte. Ihre jeweilige landsmannschaftliche Herkunft differenzierte die Vertriebenen zusätzlich nicht so sehr im Sinne bestimmter „deutscher Stammeseigenschaften", welche die bundesrepublikanische Eingliederungspolitik möglichst lange konser-
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18 19
20 21
Vgl. Holtmann, Politische Interessenvertretung von Vertriebenen. Vgl. diese klassische Trias gesellschaftlicher Integration bei Frantzioch, Die Vertriebenen. Spiegel-Schmidt, Zusammenfassung, S. 81. Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, S. 40f.
IV. Schlußbilanz
1192
vieren, die DDR-Umsiedlerpolitik möglichst rasch absorbieren wollte, um deren
jedoch in bemerkenswerter Eintracht vorauszusetzen. Statt dessen geht regional differenzierte soziokulturelle Voraussetzungen für mehr oder weniger gelingende soziale und politische Integration, denn Vertriebene aus stärker industrialisierten Regionen (Sudetenland, Schlesien) zeigten nicht nur eine tendenziell stärkere Integrationsfähigkeit in die industriellen Arbeitsgesellschaften von Ost und West, sondern auch einen höheren Politisierungsgrad als Vertriebene aus agrarisch geprägten Regionen. Volksdeutsche Umsiedler aus Südosteuropa tendierten dazu, ihren über Jahrhunderte eingeübten Hang zur Selbstabschließung gegen ihre Umwelt auch in Deutschland beizubehalten. Auch konfessionelle Differenzierungen pendelten zwischen „schlesischer Toleranz" und Volksdeutscher Selbstabgrenzung. Die kriegsfolgenbedingten Zwangsmigrationen veränderten die Nachkriegsgesellschaften der Bundesrepublik und der DDR in ähnlicher, jedoch nicht identischer Weise. In beiden Gesellschaften ließ die massenhafte Zuwanderung Vertriebener eine Einwanderungsgesellschaft wider Willen entstehen, wobei die Tatsache, daß sich dieser Einwanderungsprozeß unter Deutschen abspielte, in rechtlicher und sozialpolitischer Hinsicht Vertriebenenintegration zu „privilegierte[r] Einwanderung"22 werden ließ. Mit fast viereinhalb Millionen Vertriebenen erlebte die SBZ/DDR zwischen 1945 und 1950 eine Massenzuwanderung, die ihr einen zunächst weit höheren Vertriebenenanteil an der Nachkriegsbevölkerung bescherte als der Bundesrepublik (24,1% gegenüber 17,9%). Doch während sich in Westdeutschland der Trend zur Einwanderungsgesellschaft verstetigte und bald auf andere (ausländische) Migrantengruppen ausdehnte, verwandelte sich die DDR in den 1950er Jahren aus einem Zuwanderungs- schlagartig in ein Abwanderungsland. Der massenhafte Exodus von etwa 2,7 Millionen „Republikflüchtigen" bis 1961, unter denen Vertriebene ein überdurchschnittliches Drittel stellten23, beraubte die DDR-Gesellschaft vieler qualifizierter jüngerer Fachkräfte, bewirkte jedoch auch eine Reduzierung politischen Konfliktpotentials durch Abwanderung und komplementäre Neubesetzung geräumter sozialer Positionen. Anders als die Bundesrepublik, die ihre gesellschaftliche Integrationsleistung gegenüber den Vertriebenen unter den Bedingungen einer relativ stabilen einheimischen Mehrheitsgesellschaft und anhaltender Massenzuwanderung zu erbringen hatte, vollzog sich in der DDR die Integration der dauerhaft dort verbleibenden rund drei Millionen Vertriebenen vor dem Hintergrund forcierter gesellschaftlicher Desintegration. Diese vom SED-Regime teilweise gewollte, teilweise nicht zu verhindernde Gesellschaftsdynamik, die erst nach dem Mauerbau von 1961 Existenz es um
„zur
Ruhe" kam24, bedurfte offensichtlich sehr bald schon keiner besonderen In-
tegrationspolitik mehr. Das rasche und endgültige Ende der DDR-Umsiedlerpolitik hat zusätzlich allerdings auch damit zu tun, daß Politik und Mehrheitsgesellschaft in der DDR nicht bereit waren, die Finanz- und die Legitimationslasten besonderer Vertriebe22
23 24
Vgl. diese mit Blick auf die spätere Aussiedler-Politik getroffene Unterscheidung bei Münz/Ohliger, Privilegierte Migration. Vgl. Heidemeyer, Vertriebene als Sowjetflüchtlinge. Vgl. Solga, Auf dem Weg in eine klassenlose Gesellschaft?
4.
Konflikt, Kooperation und Trauma
1193
nenförderung längerfristig zu erbringen. Grundsätzlich erscheinen Umsiedlerpolitik und DDR-System inkompatibel. Diese Inkompatibilität war zum einen politisch-systematischer Natur, denn das Vertriebenenproblem und seine fortwährende Politisierung störten die grundlegende Aufgabe des SED-Staates der Festigung seiner Systemgrenzen. Dies galt nicht nur für die Ostgrenze der DDR, deren Nichtanerkennung durch Vertriebene mit dem ökonomischen und außenpolitischen Integrationsbedarf des Regimes kollidierte, sondern auch für die Westgrenze der DDR, wo der gesamtdeutsche (familiäre oder landsmannschaftliche) Kommunikationszusammenhang Vertriebener mit dem Abgrenzungs- und Abschottungsbedürfnis des Regimes in Widerspruch geriet. In beiden Fällen
sprengte Vertriebenenidentität die labilen Grenzen der DDR. Hinzu kam eine ideologische Inkompatibilität. Wenn das Vertriebenenproblem tatsächlich wie oft behauptet eine „neue soziale Frage" war, die ältere Klassenund Konfliktlinien relativierte oder gar ersetzte, wurde nicht zuletzt das auf marxistischen Klassenanalysen und Klassenkampfkategorien basierende „Wissen" der Staatspartei SED relativiert. Marxistisches Denken sah sich gezwungen, Vertriebene zu objektiven „Proletariern" zu definieren, um ihnen ideologiekonform helfen zu können. Solche Definitionsversuche griffen in der Realität jedoch oft zu kurz, führten zu Enttäuschungen und fortschreitenden Distanzierungen. Für SED-Funktionäre blieb stets zweifelhaft, ob Vertriebene nicht doch eher gefährliche „Lumpenproletarier" waren, allzeit bereit, sich von der „Reaktion" und vom „Revanchismus" anheuern zu lassen wie einst die scheinproletarischen „Mobilgarden" vom zweiten Bonaparte. Zwar war der ausgeprägte Aufstiegswunsch vieler Vertriebener, die nicht dauerhaft „verproletarisieren" wollten, für die wirtschaftliche Dynamik der DDR-Aufbaugesellschaft äußerst nützlich. Politischideologisch jedoch erschien es günstiger, mit „Staatsbürgern" statt mit „Vertriebenen" rechnen zu müssen. Dies führt uns zur dritten, gesellschaftspolitischen Inkompatibilität von Umsiedlerpolitik und DDR-System. Inwiefern konnte in einer Gesellschaft, die ganz Arbeitsgesellschaft werden wollte und mußte, gruppenspezifische Förderung legitimiert werden, die nicht auf arbeitsgesellschaftlicher Leistung basierte, sondern auf einem kriegsfolgenbedingten Opferstatus? Schon das DDR-Umsiedlergesetz von 1950 mußte die umsiedlerpolitische Soforthilfe-Konzeption mit einer Wirt-
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schaftsförderung wichtiger gesellschaftlicher Erwerbsgruppen kombinieren, um sich politisch und gesellschaftlich rechtfertigen zu können. Einige Jahre später war die weitere Förderung einer gesellschaftlichen Minderheit zu Lasten der Mehrheit und gegen die wirtschaftlichen Leitkonzepte der SED-Politik offensichtlich nicht mehr vermittelbar. In negativer Synergie würgten die alteingesessene Neidgesellschaft und die arbeitsgesellschaftlich fixierte SED-Politik die eigene Umsiedlerpolitik kurzerhand ab. Deren Ende wurde nicht nur durch den
oben forcierten „Aufbau des Sozialismus", sondern auch durch den von erzwungenen „Neuen Kurs" allgemeiner „Werktätigen"- und ArbeiterFörderung nach dem 17. Juni 1953 bewirkt. Aus Gründen des politischen Systems hatte die Minorität der Vertriebenen in der DDR keine Möglichkeit, sich interessenpolitisch gegen diese Entwicklung zu anders als in der Bundesrepublik, wo der systemkonforme Lobbyisstemmen von
unten
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IV. Schlußbilanz
selbstorganisierter Vertriebeneninteressen für zwei Jahrzehnte zu einer wichtigen Determinante politischer EntScheidungsprozesse wurde. Die frühzeitige soziale Diversifizierung der Vertriebeneninteressen trug in der DDR zur weiteren Schwächung eines denkbaren Gruppenwiderstandes bei, der durch repressive Maßnahmen des Regimes und die daraus resultierende Tendenz zur Westabwanderung, aber auch durch die soziale Mißachtung der Vertriebenenidentität seitens der alteingesessenen Mehrheitsgesellschaft zusätzlich stillgestellt wurde. Umsiedlerpolitik in der SBZ/DDR scheiterte somit nicht nur am repressiven Willen des SED-Regimes, sondern zugleich an den dadurch beeinflußten Strukturen eines unterschwellig anhaltenden gesellschaftlichen Gruppenkonflikts. Letztlich sahen sich die in der DDR verbleibenden Vertriebenen zweierlei Assimilationszwängen ausgesetzt: Die gesellschaftlichen Anpassungszwänge wurden durch staatliche mus
Repression ergänzt und verschärft, statt
wie in Westdeutschland bis etwa 1970 durch staatliche Vertriebenenpolitik materiell und mehr noch symbolisch konterkariert zu werden. Obschon der integrationsfördernde Effekt von Integrationspolitik nicht in Abrede gestellt werden soll25, dürfte die Auffassung, „der wichtigste Faktor der Integration" von Vertriebenen sei „die Vertriebenenpolitik" gewesen26, nicht nur im Falle der SBZ/DDR nachdrücklich zu bestreiten sein. Die gesellschaftlichen Gruppenkonflikte hat solche Politik trotz ihrer assimilatorischen Absicht nicht beheben können, sondern im Gegenteil durch Erzeugung von „Sozialpolitik-Neid" gelegentlich noch verschärft. Mit dieser komplizierten Wahrnehmung einer Vermittlungsfunktion im Gesellschaftskonflikt zwischen Vertriebenen und Einheimischen verfolgte Vertriebenenpolitik primär das staatliche Eigeninteresse an der Aufrechterhaltung der „Regierbarkeit" seiner Gesellschaft27. Die entscheidende Anschlußfrage lautet, welcher Konfliktpartei im Zuge dieser „Vermittlung" größere Zugeständnisse abverlangt wurden. Die Problemdiagnose einer Kluft zwischen Vertriebenen und Einheimischen konnte vielen Zwecken dienen, sie taugte zur Legitimation vertriebenenspezifischer Sozialpolitik, die diese Kluft schließen sollte28, ebenso wie zur Negation solcher Gruppenpolitik, um die Kluft nicht noch weiter zu vertiefen29. Beide Motive prägten die prekäre Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR. Als das DDR-Umsiedlergesetz 1950 bestimmte Vertriebenengruppen als besonders benachteiligt anerkannte und daran gezielte sozialpolitische Fördermaßnahmen knüpfte30, reklamierten Wirtschafts- und Finanzpolitiker der SED umgehend, daß es „an der Zeit" sei, „daß die Umsiedler sich nicht mehr wie bisher als eine besondere Gruppe in der Bevölkerung betrachten mit gesondert gelagerten Interessen"31. Auch die Opferkonkurrenz zwischen Vertriebe-
-
-
-
25
26 27 28 2' 3°
3'
Vgl. die ironische Schlußfolgerung von Haerendel, Die Politik der „Eingliederung", S. 133: „Politics doesn't matter, but it helps." und
Ther, Deutsche polnische Vertriebene, S. 330. Willke, Systemtheorie entwickelter Gesellschaften, S. 104. Merker, Die Partei und die Umsiedler, S. 2. BAB, DO 1-8/83, Bl. 53, DVdl, HAV, Malz, an DWK, HVF, Dr. v. Frankenberg, 29. 11. 48. BAB, DA 1/977, Bl. 38 ff., PrVK DDR, Prot. der 20. Sitzung der PrVK am 8. 9. 50, insb. Bl. 133, Stellungnahme des Volkskammerpräsidenten Dieckmann (LDP), und Bl. 129, Stellungnahme des SED-Abgeordneten Plenikowski. SAPMO, DY30/IV2/13/388, Abschrift: SED, ZK, Abt. WP, Stoph, an Abt. StV, „Vorschlag zur Umsiedlerhilfe des Erhard Julius, Überlandwerk Glauchau", 20. 9. 50.
4.
Konflikt, Kooperation und Trauma
1195
und einheimischen Bombengeschädigten um gleiche oder größere Notlagen, deren Anwälten sich in der SBZ/DDR verschiedene Politik-Fraktionen aufwarfen, nutzte am Ende nicht den betroffenen Gruppen, sondern nur der nichtgeschädigten Mehrheit der einheimischen Bevölkerung, die sich alsbald der Hilfe für beide zu entziehen vermochte. Die Rede von der allgemeinen Notlage in Deutschland erscheint, indem sie gravierende soziale Ungleichheiten ebenso übertönt wie die sich daran entzündenden Verteilungskonflikte, als komplementäres Märchen zum „Mythos der schnellen Integration"32. Obwohl die EKD 1965 noch eine gesamtdeutsche Institution war, sparte sie wie eingangs gezeigt die Nachkriegsgesellschaft der DDR aus ihren kritischen Betrachtungen zum traumatischen gesellschaftlichen Verhältnis zwischen Alteingesessenen und Vertriebenen völlig aus33. Die (unausgesprochene) Kritik an der DDR-Gesellschaft hätte noch herber ausfallen müssen als jene an der Bundesrepublik, denn dort war nicht nur eine ähnliche innergesellschaftliche Spannung und Spaltung zu vermuten wie im Westen, sondern auch die Tatsache evident, daß der SED-Staat diesem gesellschaftlichen „Trauma" schon längst nicht mehr vertriebenenpolitisch zu steuern suchte. Der Anpassungs- und Atomisierungsdruck auf Vertriebene war folglich in der DDR-Gesellschaft vermutlich noch stärker als in der Bundesrepublik, wo Vertriebenenliteratur der 1970er Jahre später als Wesenszug gesellschaftlicher Integration festhielt: „Flüchtlinge und Vertriebene suchten sich anzupassen und ihre Eigenart zu leugnen."34 Fremdheits- und Ausgrenzungserfahrungen von Vertriebenen in der sowjetzonalen Nachkriegsgesellschaft waren daher auch ein wichtiges Thema der DDR-Literatur vor allem der 1970er und 1980er Jahre35. Soziologisch eindeutig ist, daß die alte Generation der Vertriebenen „in jeder Hinsicht die eigentliche Opfergeneration" gewesen ist, während sich die Lage der jüngeren Generationen differenzierte und unterschiedliche Strategien individueller „Bewältigung" generierte36. Der alten Vertriebenengeneration gelang es in der Regel nicht, den vertreibungsbedingten Status- und Besitzverlust in der restlichen Lebensspanne zu kompensieren37; umso stärker war der retrospektive Bezug zur verlorenen Heimat und der Drang zur internen Gruppenkommunikation38. Hingegen boten beide deutsche Nachkriegsgesellschaften jüngeren Vertriebene bessere Einstiegs- und Aufstiegschancen. Doch milderte dies den gesellschaftlichen und politischen Anpassungsdruck? Wer „dazugehören" wollte, mußte sich selbst als „erfolgreich integriert" betrachten39. Dabei verband sich wie Ursula Höntsch gegen Ende der DDR romanhaft gezeigt hat die vom SED-Regime politisch gewünschte Verdrängungsleistung mit dem sozialen Anpassungsdruck der alteingenen
zu
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-
32
33 34
35 36 37 38 39
Lüttinger, Der Mythos der schnellen Integration, S. 20. Zit. nach: Henkys, Deutschland und die östlichen Nachbarn, S. 183 und S. 185. Vgl. Christine Brückner, Jauche und Levkojen, zit. nach: Helbig/Hoffmann/Kraemer, Verlorene Heimaten neue Fremden, S. 152. Vgl. ausführlich: Schwanz, Tabu und Erinnerung. Engelhardt, Generation und historisch-biographische Erfahrung, S. 357 f. Vgl. Lüttinger, Die Integration der Vertriebenen. Vgl. die Passagen in Ursula Höntschs Romanen; näheres ¡n: Schwanz, Tabu und Erinnerung. Vgl. Lehmann, Im Fremden ungewollt zuhaus, S. 68 ff. -
IV. Schlußbilanz
1196
Mehrheitsgesellschaft40. Verdrängung der Vertriebenenidentität war stets den Preis von „Verlust und Verletzung"41 möglich. Dabei sollten die Zwänge einer beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften gemeinsamen „Integrationsideologie"42 nicht unterschätzt werden, denn erfolgreiche Integration basierte letztlich überall auf einem subtilen „Zwang zum Selbstzwang"43, dem Zwang zur individuellen Sozialdisziplinierung, der wesentlich innergesellschaftlichen Machtkonstellationen und Erwartungshaltungen der Alteingesessenen Rechnung trug. In der DDR-Gesellschaft kamen die (alles andere als subtilen) Zumutungen der SED-Assimilationspolitik noch erschwerend hinzu, die „zu einer schizoiden Spaltung in private und öffentlich demonstrierte Auffassungen" führsessenen nur um
ten44.
Tabuisiert wurde in der doppelten deutschen Gesellschaftsgeschichte der Nachkriegszeit das „traumatische" Gruppenerlebnis der konflikthaften Begegnung von Einheimischen und Vertriebenen. Unterschwellig wirkte freilich die Erinnerung daran weiter: Die tendenzielle Verweigerung nationaler oder einfach mitmenschlicher Solidarität in der Not durch die alteingesessene Bevölkerungsmehrheit ist noch Jahrzehnte nach den Geschehnissen eine gesamtdeutsche Erinnerungskonstante unter Vertriebenen geblieben der mehr oder weniger erfolgreichen „Integration" der noch Lebenden zum Trotz45. Dieser Mangel an Solidarität wurde in zweierlei Hinsicht erfahren: Als Verweigerung materieller Hilfeleistungen durch alteingesessene Besitzstandswahrer sowie als Verweigerung von Anerkennung durch das Desinteresse am besonderen Schicksal der Neuankömmlinge, die statt dessen als Fremde ausgegrenzt und diskriminiert wurden46. Entgegen einer verklärenden Erinnerungspolitik, die Integration stets als Resultat gemeinsamer Not und gemeinsamen Wiederaufbaus beschwört, war es überwiegend diese „fehlende Solidarität in der Not"47, die das soziale Verhältnis der Einheimischen zu den Vertriebenen nach 1945 in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften kennzeichnete. Das Kollektivschicksal der Vertriebenen wurde, obgleich gesamtnational und politisch verursacht, in der Folge strikt privatisiert. Nicht nur in der DDR, auch in der Bundesrepublik scheint es „bis heute keine gültige Repräsentation" gefunden zu haben48. Seine parallele mehrheitsgesellschaftlich forcierte Tabuisierung hat vielmehr zunehmend auch die ursprüngliche Politikdifferenz beider deutscher Staaten nivelliert. Nachdem das SED-Regime bereits seit Mitte der fünfziger Jahre die Problematik zu verdrängen suchte, zog die Bundesrepublik ab Ende der sechziger Jahre gleich. Westdeutsche Vertriebenenpolitik wurde zwar auch dann (bedingt durch den bundesrepublikanischen Pluralismus) nicht gänzlich eingestellt, jedoch institutionell wie inhaltlich zu einem Randphänomen deutscher Politik. -
40
Zit. nach: Helbig/Hoffmann/Kraemer, Verlorene Heimaten neue Fremden, S. 164 ff.; ähnliche Mechanismen in Westdeutschland beobachtet: Lehmann, Im Fremden ungewollt zuhaus, S. 68 f. Eckstaedt, Vertriebenenschicksale psychoanalytisch gesehen, S. 370. Lehmann, Im Fremden ungewollt zuhaus, S. 68. Vgl. unter Bezug auf Foucault: v. Beyme, Theorie der Politik, S. 190. v. Plato, „Ihr lebt auch auf keinem anderen Stern wie wir", S. 264. v. Plato, Vergangene Perspektiven?, S. 104. Grebing, Zum Begriff der Integration, S. 302 ff.; Naumann, Der Krieg als Text, S. 84. -
41 42
43 44 45 46 47
48
—
v.
Plato, Vergangene Perspektiven?, S. 104.
Naumann, Der Krieg als Text, S. 82 f.
4.
Konflikt, Kooperation und Trauma
1197
Repräsentation besonderer Vertriebenenidentität und etwaiger Sonderinteressen litt seit den heftigen Konflikten um die „neue Ostpolitik", bei denen Vertriebene bezeichnenderweise auf beiden Seiten der Konfliktlinie zu finden waren, nicht nur unter dem Stigma des Verlierers, sondern auch der ewigen Gestrigkeit, wenn nicht des rechtsextremen Generalverdachts. Solche Strategien der Ausgrenzung und Selbstausgrenzung bewirkten, daß ein Selbstverständnis als „Vertriebener" in beiden deutschen Gesellschaften spätestens nach 1970 nicht mehr als „zukunftsfähig" galt. Kritische Anfragen an diese Assimilationszwänge der deutschen Nachkriegsgeschichte sind bis heute selten geblieben, obschon sie doch zumindest für die Erlebnisgenerationen der Vertriebenen mehr als berechtigt wären. Indem sie auf die mangelnde gesellschaftliche Wahrnehmung der kollektiven Leidensgeschichte, aber auch der späteren sozialen Anpassungsleistungen der Vertriebenen hinwies49, hat Helga Grebing Mitte der achtziger Jahre der alt-bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft wichtige Anstösse für eine Revision des bis heute dominierenden Geschichtsbildes bruchlos erfolgreicher Integration gegeben. Hellsichtig stellte Grebing die weitgehende Verweigerung gesellschaftlicher Anerkennung für ein besonders schweres Kriegsfolgenschicksal in die Kontinuität deutscher Verdrängungsleistungen nach 1945 als „ein weiteres Kapitel der Unfähigkeit der Deutschen, Trauerarbeit zu leisten; wie gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus nun auch gegenüber den Opfern seiner Folgen"50. Diese Feststellung hat bis heute, angesichts der ebenso quälenden wie notwendigen Debatten um ein „Zentrum gegen Vertreibungen", nichts von ihrer Aktualität verloren. Es dürfte kaum ein Zufall sein, daß die Verweigerung von Anerkennung in beiden Fällen gesellschaftliche Minderheiten traf und trifft. Man kann überdies darauf hinweisen, daß der falsche Mythos solidarischer Vertriebenenintegration aktuelle Integrationsprozesse im Einwanderungsland Deutschland massiv behindert, denn bis heute wird die historische Grundtatsache geleugnet, daß dieses Deutschland längst über wichtige historische Erfahrungen als Einwanderungsgesellschaft, aber auch als Einwanderungs-Konfliktgesellschaft verfügt. Ein kritischer Umgang mit diesen Dimensionen der deutschen Nachkriegsgeschichte würde die Chance eröffnen, sich den gesellschaftlichen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft womöglich besser, auf jeden Fall aber bewußter als bisher zu stellen51. Zu einem reflektierten Umgang mit der Vergangenheit gehört freilich auch, den Zusammenhang von Zuwanderung und Sozialkonflikt nicht überzubetonen. Die wichtige Unterscheidung der EKD-Denkschrift zwischen Integrationspolitik und Gesellschaftskonflikt ermöglicht hier eine differenzierte Sicht. Wenn die gesellschaftstheoretische Einsicht zutrifft, „daß das Spannungsverhältnis von Konflikt und Kooperation, von Dissens und Konsens die Dynamik moderner Gesellschaf-
Die öffentliche
-
grundlegend bestimmt", wäre es „schlechterdings als abwegig" zu bezeichnen, „die Arbeitsweise moderner Gesellschaften auf nur eine Seite der Dichotomie zu
ten
verengen oder die Ratio des 49 30 31
gesellschaftlichen Prozesses auf die Herstellung von
Grebing, Zum Begriff der Integration, S. 302 ff. Diese Wertung Helga Grebings zit. nach: v. Plato, Vergangene Perspektiven?, S. 93. Vgl. die Beobachtungen von: Grosser, Von der freiwilligen Solidar- zur verordneten meinschaft, S. 85.
Konfliktge-
IV. Schlußbilanz
1198
zu begrenzen"52. Eine „monumentalistische" Erinnerung erfolgreicher Solidarität bei der Vertriebenenintegration ist daher ebenso verfehlt wie eine einseitig konflikttheoretische Antithese53. Angesichts der in Geschichtsschreibung und öffentlicher Erinnerungspolitik lange dominierenden einseitigen Erfolgsmythologie erscheint eine gewisse Pointierung der lange verdrängten gesellschaftlichen Konfliktgeschichte allerdings zulässig, wenn nicht sogar notwendig. Für die deutsche Gesellschaft ist die Erinnerung lehrreich, einst über Konflikt zur Integration gelangt zu sein. Zugleich aber erschöpft sich Integration nicht in Konflikten, sondern bedarf geregelt errungener und institutionell verstetigter Kompro-
Konsens
misse.
Gerade in gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive lohnt die Überlegung, ob die „Umsiedlerpolitik" der SBZ/DDR und insbesondere ihre rasche Beendigung eher auf (totalitär bedingte) Selbstabschließung des politischen Subsystems gegenüber kommunikativen Rückkopplungen der übrigen gesellschaftlichen Subsysteme zurückzuführen oder im Gegenteil als Resultat einer auch in der DDR funktionierenden „Balance zwischen politischer Selbstreferenz und Fremdreferenz" zu betrachten sei54. Im ersten Fall hätte die SED-Politik gesellschaftliche Interessen gezielt ignoriert, im anderen Falle bewußt berücksichtigt. Indem unsere Studie der Auffassung folgt, daß Herrschaft wesentlich auf öffentlicher Meinung basiere und der Anerkennung durch maßgebliche Teile der Gesellschaft bedürfe55, optiert sie für das zweite Erklärungsmodell. Die Umsiedlerpolitik der SBZ/DDR wird somit als Resultat wechselseitiger Kommunikationsprozesse zwischen politischem Subsystem und Gesellschaft begriffen. Folglich darf das Parallelogramm von Kooperation und Konflikt in beiden deutschen Nachknegsgesellschaften nicht aus dem Auge verloren werden. Bereits die klassische Theorie des sozialen Konflikts wußte um das „Doppelgesicht der Gesellschaft", in der sich scheinbare „Gegensatzpaare" von „Stabilität und Wandel" oder „Integration und Konflikt" bei näherem Hinsehen „keineswegs ausschließen" mußten, sondern „zwei gleich gültige Aspekte" gesellschaftlicher Realität darstellten, „dialektisch aneinandergekettet und nur in ihrer Kombination erschöpfend als Beschreibung des gesellschaftlichen Prozesses"56. Vor dem Hintergrund sozialen Gruppenkonflikts kam in beiden deutschen Nachkriegsordnungen der Politik dem politischen System und seinen Steuerungsversuchen die Aufgabe zu, Konflikt durch Kooperation zu ersetzen. Wo dies gelang, finden sich Spuren von „Vertriebenenpolitik" (West) oder „Umsiedlerpolitik" (Ost). Zugleich aber begrenzte der in die Politik kommunizierte gesellschaftliche Konflikt die politisch induzierten Kooperationsimpulse, sei es in Form konstellationsgemäßer Kompromisse, sei es durch baldigen Verzicht auf ein dieser Kooperation dienendes besonderes Politikfeld. Was bleibt am Ende dieser Arbeit? Über den erhofften Zugewinn an Wissen und Interpretationen über Ziele, Leistungen, Rahmenbedingungen und Grenzen von „Umsiedlerpolitik" in der Nachkriegsgesellschaft der SBZ/DDR und über -
-
52 33 34 35 36
Willke, Systemtheorie entwickelter Gesellschaften, S. 110. Ebenda, S. 103. Vgl. grundsätzlich: Münch, Risikopolitik, S. 46f. Onega y Gasset, Der Aufstand der Massen, S. 94 f. Dahrendorf, Zu einer Theorie des sozialen Konflikts, S. 113.
4.
Konflikt, Kooperation und Trauma
1199
eine gewisse Spiegelung der Parallelprozesse in Westdeutschland hinaus vielleicht ein Bewußtsein für unterschwellige Bezüge zwischen Geschichte und Gegenwart und eine daraus zuweilen folgende Verstörung. Zum einen ein Bewußtsein dafür, daß die kollektive Erinnerung daran, wie sehr Deutschland für viele seiner Vertriebenen eine bittere „Zwangsheimat" gewesen und zuweilen geblieben ist, die historische Einsicht generiert, daß jeder gesellschaftliche Integrationsprozeß vehementen gesellschaftlichen Konflikten unterliegt. Zum zweiten die Lehre, daß jeder gesellschaftliche Integrationsprozeß dazu tendiert, seine Erfolge zu feiern und seine Opfer zu vergessen, daß es jedoch nicht Aufgabe von Wissenschaft sein kann, solcher „Erinnerungspolitik" Vorschub zu leisten. Mit solchen Einsichten zielt Wissenschaft nicht nur auf die Zerstörung gedankenloser Erfolgsmythologien. Sie versucht auch ein feineres Gespür für die Verwerfungen unserer neuesten Gesellschaftsgeschichte und für Mechanismen gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu entwickeln, wie sie gerade im Wechselverhältnis von Politik- und Gesellschaftsentwicklung wichtig wurden und werden. Indem sie den Zusammenhängen von Vertriebenenproblem, Assimilationspolitik und Gesellschaftskonflikt in der SBZ/DDR nachging, konnte unsere wissenschaftliche Annäherung an die doppelte Geschichte der Vertriebenenintegration in Deutschland weder eine Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln noch eine national-solidarische Gedenkfeier werden. Dennoch zielt sie letztlich auf Gedenken auf die mühevolle Einfühlung in menschliche Schicksale, auf die Erinnerung an zwei konkurrierende politische Steuerungsversuche, auf den Hinweis auf die für deutsche Vergesellschaftung nach 1945 grundlegende Dialektik von Integration und Konflikt. Auf solche Weise vermag die Geschichte der Vertriebenenintegration im geteilten Deutschland uns etwas darüber mitzuteilen, wie wir (mit den Worten Christa Wolfs) wurden, was wir sind. Für Christa Wolf ging der deutsche „Nachkrieg" erst zu Beginn der 1970er Jahre allmählich zu Ende eine Zäsur, die Nachdenken und Sprechen über das deutsche Vertriebenenproblem in der DDRGesellschaft offensichtlich förderte. Unsere Annäherung an jenen tiefgreifenden Zwang zur Zukunft, dem sich die Vertriebenen im deutschen Nachkrieg in vielfältiger Weise ausgesetzt sahen, klingt aus mit dem Bekenntnis eines anderen seismographischen Beobachters der deutschen Nachkriegsgesellschaft des jungen Heinrich Böll, der die Solidarisierung „mit Flüchtlingen und allen denen", die nach dem Zivilisationsbruch des NS-Regimes und des Zweiten Weltkrieges „auf andere Weise heimatlos geworden waren", als sittliche Forderung empfand. Am Ende dieser Arbeit über Vertriebene zwischen Assimilationspolitik und Gesellschaftskonflikt in einem vergangenen deutschen Staat soll der Versuch stehen, ebenso unpathetisch wie eindringlich „daran zu erinnern, daß der Mensch nicht nur existiert, um verwaltet zu werden und daß die Zerstörungen in unserer Welt nicht nur äußerer Art sind und nicht so geringfügiger Natur, daß man sich anmaßen kann, sie in wenigen Jahren zu heilen"57. -
-
-
-
57
Zit. nach:
Mayer, Deutsche Literaturkritik, Bd. 4, S. 398 und S. 403.
Abkürzungsverzeichnis a.D.
Abt. Abt. AK Abt. Arbeit und SP Abt. AS Abt. AuSw Abt. BP Abt. BPuA Abt. HV Abt. HW Abt. IK Abt. KD Abt. LF Abt. LP Abt. LW
Abt. PP Abt. SF Abt. StV Abt. UuH Abt. WP Abt. Org.-Instr. ACDP ADL Afl
AfN
Allg. Anl.
Anm.
außer Dienst Abte ung Abte lung Arbeitskraft Abte lung Arbeit und Sozialpolitik Abte lung Arbeit und Sozialfürsorge Abte lung Arbeit und Sozialwesen Abte lung Bevölkerungspolitik Abte lung Bevölkerungspolitik und Ansiedlung Abte lung Handel und Versorgung Abte lung Handwerk Abte lung Informationskontrolle Abte lung Kommandantur-Dienst Abte lung Land- und Forstwirtschaft Abte lung Landespolitik Abte lung Landwirtschaft Abte lung Personalpolitik Abte lung Sozialfürsorge Abte lung Staatliche Verwaltung Abte lung Umsiedler und Heimkehrer Abte lung Wirtschaftspolitik Abte lung Organisations-Instruktion Arch v für Christlich-Demokratische Politik Arch v des Deutschen Liberalismus Amt für Information Amt für Neubürger
Allgemeines Anlage Anmerkung
ao.
außerordentlich
AS BAB
Arbeit und Sozialfürsorge Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Coswig Bundesarchiv Koblenz Band betreffend Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten Bundeskanzler
BAC BAK
Bd. betr. BHE BK BL
Bezirksleitung
Abkürzungsverzeichnis
1202
Bl.
Blatt
BM BMGF BMVt BP BPuA BStU
Bürgermeister
BV ca.
CDU CSR CSU DBD DDR DEFA Dez. Dez. HW DFD DHG DHZ DIB
DJV
DM DNB Dr. Drs.
dto. DVAS
DVdl DVLF DVR DW DWK DZFV
DZLF e.a.
e.G.m.b.H. e.Gen.m.b.H. Ev.
f. f.d. Fasz. FDGB
FDJ
Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen Bundesministerium der Vertriebenen
Bevölkerungspolitik Bevölkerungspolitik und Ansiedlung Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheit^ dienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik B ezirks Verwaltung cirka Christlich-Demokratische Union Tschechoslowakische Republik Christlich-Soziale Union Demokratische Bauernpartei Deutschlands Deutsche Demokratische Republik Deutsche Film-Aktien-Gesellschaft Dezernat Dezernat Handwerk
Demokratischer Frauenbund Deutschlands Deutsche Handelsgenossenschaft Deutsche Handelszentrale Deutsche Investitionsbank Deutsche Justizverwaltung Deutsche Mark Deutsche Notenbank Doktor Drucksache dito Deutsche Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge Deutsche Verwaltung des Innern Deutsche Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft Deutscher Volksrat Deutsche Verwaltung für Volksbildung Deutsche Wirtschaftskommission Deutsche Zentrale Finanzverwaltung Deutsche Zentralverwaltung für Land- und Forstwirtschaft et alii eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftung
Evangelisch folgende
für den/die/das Faszikel Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend
-
Abkürzungsverzeichnis ff. FS GB1. Gen. GStA HA HASP HAStV HAA HAAS HAL HAU HAV
fortfolgende
hdschr.
handschriftlich
Festschrift Gesetzblatt Genosse
Generalstaatsanwalt
Hauptabteilung Hauptabteilung Sozialpolitik Hauptabteilung Staatliche Verwaltung Hauptabteilung Arbeit Hauptabteilung Arbeit und Sozialfürsorge Hauptabteilungsleiter Hauptabteilung Umsiedler Hauptabteilung Verwaltung
HGSt HO HVDVP HVA HVAS HVF HVLF HVo HW i.A. i.e. i.R. i.V. IGLF
Hauptgeschäftsstelle Handelsorganisation Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei Hauptverwaltung Aufklärung Hauptverwaltung Arbeit und Sozialfürsorge Hauptverwaltung Finanzen Hauptverwaltung Land- und Forstwirtschaft Hauptvorstand
IK
IRK
Informationskontrolle insbesondere Internationales Rotes Kreuz
Kap.
Kapitel
KDV
Kommandantur-Dienst-Verwaltung Kilogramm Kreisleitung
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Kath.
kg
KL
K1S KPC KPD KR Kr. KV LA LAA LAAS LAu
Handwerk
im Auftrag
id est im Ruhestand in Vertretung
Industriegewerkschaft Land- und Forstwirtschaft
Katholisch
Kleines Sekretariat
Kommunistische Partei der Tschechoslowakei Kommunistische Partei Deutschlands Kreisrat Kreis
Kreisverwaltung
Landesamt Landesamt für Arbeit Landesamt für Arbeit und Sozialfürsorge
Landesausschuß
1203
Abkürzungsverzeichnis
1204
LBK LBS LDP LDPD LKA LKfN LKSK LL LR LRS LT lt. LTM LV LVS LWA MAS MdF Mdl
MdJ MEW
MfA MfAA MfAS MfAuSw MfAuG MfAuSP MfF MfHV MfP MfS MfSoz MfW MfWA MLF MLHA MP MWD ND NDPD NfddD NKWD Nr. NS NSDAP o.D.
Landesbodenkommission Landesbauernsekretariat Liberaldemokratische Partei Liberaldemokratische Partei Deutschlands Landeskriminalamt Landeskommission für Neubürger Landeskommission für Staatliche Kontrolle
Landesleitung Landrat
Landesregierung Sachsen Landtag laut
Landtag Mecklenburg Landesverwaltung Landesverwaltung Sachsen Landeswohnungsamt
Maschinen-Ausleih-Station Ministerium der Finanzen Ministerium des Innern Ministerium der Justiz
Marx-Engels-Werke
Ministerium für Arbeit Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Ministerium für Arbeit und Sozialfürsorge Ministerium für Arbeit und Sozialwesen Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik Ministerium für Finanzen Ministerium für Handel und Versorgung Ministerium für Planung Ministerium für Staatssicherheit Ministerium für Sozialwesen Ministerium für Wirtschaft Ministerium für Wirtschaft und Arbeit Ministerium für Land- und Forstwirtschaft
Mecklenburgisches Landeshauptarchiv Ministerpräsident Sowjetisches Ministerium für Inneres Neues Deutschland
Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nationale Front des demokratischen Deutschland Sowjetisches Volkskommissariat für Inneres Nummer
Nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ohne Datum
Abkürzungsverzeichnis o.G. OB
OdF OKfN
Org.-Instr.-Abt. P PB
ohne Geschäftsbereich
Oberbürgermeister Opfer des Faschismus Ortskommission für Neubürger
Organisations-Instruktions-Abteilung Präsident
Politbüro
Pg.
Parteigenosse
Prof.
Professor Protokoll Provinz
PP
Prot. Prov. PrVK PV
Personalpolitik Provisorische Volkskammer Parteivorstand
rd. RdB Rderl. RdG RdK RdS Rdschr. Ref. RGBl.
rund Rat des Bezirks Runderlaß Rat der Gemeinde Rat des Kreises Rat der Stadt Rundschreiben Referat
RM S. s.Zt. SAG SäHStA SäLT SAPMO
Reichsmark Seite seiner Zeit
SBZ SD SED SED-BG SF SHG SKK SMA SMAB SMAD SMAM SMAS
SMATh SP
SPC
1205
Reichsgesetzblatt Sowjetische Aktiengesellschaft Sächsisches Hauptstaatsarchiv Sächsischer Landtag Stiftung Archiv Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR im Bundesarchiv Sowjetische Besatzungszone Sicherheitsdienst Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
SED-Betriebsgruppe Sozialfürsorge Soforthilfegesetz Sowjetische Kontrollkommission Sowjetische Militäradministration SMA Brandenburg SMA in Deutschland SMA Mecklenburg SMA Sachsen SMA Thüringen
Sozialpolitik
Sozialdemokratische Partei der Tschechoslowakei
Abkürzungsverzeichnis
1206
SPK
Staatliche Plankommission
SpKV
Sparkassenverband
StS StV Stv
StvMP SVA
Staatssekretär Staatliche Verwaltung Stellvertreter/Stellvertretender Stellvertretender Ministerpräsident
ThüHStA ThÜLT TOP
Sozialversicherungsanstalt Thüringisches Hauptstaatsarchiv Thüringer Landtag Tagesordnungspunkt
u.a.
unter
UdSSR UNB
anderem Umsiedlerausschuß Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Umsiedler-Neubauern
v.
von/vom
VdgB
Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe Verfolgte des Naziregimes Verkaufsgenossenschaft vergleiche
UAu
VdN VG
Vgl VK
VLF VP VS WN z.H. z.Z.
ZBS zit. ZK ZKSK ZMA ZR ZS ZV ZVAS
ZVF ZVG ZVI ZVU ZWb
Volkskammer Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft
Vizepräsident
Volkssolidarität Vereinigung der Verfolgten des zu Händen
Naziregimes
Zeit Zentrales Bauernsekretariat zitiert Zentralkomitee Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle Zentrales Ministerarchiv Zentralrat Zentralsekretariat zur
Zentralverwaltung Zentralverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge Zentralverwaltung für Finanzen Zentralverwaltung für Gesundheitswesen Zentralverwaltung für Industrie Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler Zentralverwaltung für Volksbildung
Quellenverzeichnis 1.
Bundesarchiv, Abt. Berlin (BAB) [vormals Abt. Potsdam (BAP)J
C 15 DA 1 DC 20
Deutsche Wirtschaftskommission, Sekretariat Volkskammer der DDR Ministerrat der DDR
DC 20-1 DE 1 DK 1 DL 1 DO 1
Regierungskanzlei des Ministerpräsidenten
Staatliche Plankommission Ministerium für Land- und Forstwirtschaft Ministerium für Handel und Versorgung Ministerium des Innern
PO 1-34.0] DVdl/Mdl, Abteilung Bevölkerungspolitik
DO 1-7 DO 1-8 DO 1-11 DO 2 DN 1 DP 1-VA
DQ 1 DQ 2
DVdl, Präsidium Mdl, Abt. Örtliche Räte Mdl, Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler [vormals DO 1-10]
Ministerium der Finanzen Ministerium der Justiz, Verwaltungsarchiv Ministerium für Gesundheitswesen Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung
2. DC 1 DH 1
Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle Ministerium für Bauwesen 3.
B B B B
106 136 137 150
4.
Bundesarchiv, Abt. Coswig (BAC)
Bundesarchiv, Abt. Koblenz (BAK)
Bundesministerium des Innern Bundeskanzleramt Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und
Kriegsgeschädigte
Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR im
DY 30
Bundesarchiv, Berlin (SAPMO)
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) DY 30/IV2/1 Parteivorstand DY 30/IV2/2 Politisches Büro DY 30/JIV2/3 Kleines Sekretariat des Politbüros DY 30/IV2/2.1 Zentralsekretariat des Partei Vorstands DY 30/IV/2.022 Büro Paul Merker DY 30/IV2/2.027 Büro Helmut Lehmann DY 30/IV2/5
Abteilung Parteiorgane
Quellenverzeichnis
1208
DY 34 DY 6 DY 16 DY 19 NY 4036 NY 4062 NY 4090 NY 4182 NY 4243 SgY 30
DY 30/IV2/6.02 Abteilung Wirtschaft DY 30/IV2/7 Abteilung Landwirtschaft DY 30/IV2/9.02 Abteilung Werbung / Agitation DY 30/IV2/11 Abteilung Personalpolitik / Kader DY 30/IV2/13 Abteilung Landespolitik / Staat und Recht DY30/IV2/17 Abteilung Frauen Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) Nationale Front des demokratischen Deutschland (NF), Nationalrat Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NDPD)
Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) Nachlaß Wilhelm Pieck Nachlaß Heinrich Rau Nachlaß Otto Grotewohl Nachlaß Walter Ulbricht Nachlaß Philipp Daub Erinnerungsarchiv der SED
5. Der Bundesbeauftragte für die
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes
ehemaligen DDR (BStU), Zentralarchiv (ZA), Berlin
AS Allgemeine Sammlung HVA Hauptverwaltung Aufklärung HA XX Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kunst, Kultur, Kirche) Dok. Nr. 101506 Schreiben des Staatssekretärs im Ministerium für Staatssicherheit v. 10.4.1951
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU), Archiv der Außenstelle Potsdam
6. Der Bundesbeauftragte für die
ehemaligen
BVfS Potsdam, AS
DDR
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam, Allgemeine Sammlung
7. Der Bundesbeauftragte für die
ehemaligen
BV
DDR
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU), Archiv der Außenstelle Magdeburg
Magdeburg, Abt. XX Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Magdeburg, Abteilung XX 8. Bauernverband der DDR
e.
V. in
Liquidation, Berlin
Handakten der VdgB (BHG) 9. Archiv des deutschen Liberalismus LDPD
(ADL), Gummersbach
Liberaldemokratische Partei Deutschlands
Parteitagsprotokolle
Protokolle und Dokumente des Zentralvorstands Protokolle des Hauptausschusses Protokolle des Politischen Ausschusses Ausschuß für Sozialpolitik
1209
Quellenverzeichnis Kaderabteilung
Protokolle der Landesvorstände Korrespondenz der sächsischen LDP-Landtagsfraktion Akten der sachsen-anhaltischen LDP-Landtagsfraktion Protokolle der thüringischen LDP-Landtagsfraktion Nachlaß Dr. Hans Loch 10. Archiv für Christlich-Demokratische Politik
(ACDP), St. Augustin
Ost-CDU Christlich-Demokratische Union der DDR 07/010 Hauptvorstand und Ausschüsse beim Hauptvorstand, insb. Ausschüsse für Umsiedler, für Wirtschaft, für Rechtsfragen sowie Politischer Aus-
schuß
Hauptvorstandes, CDU-Ministerkonferenzen,
CDU-
CDU-Ministerkonferenzen, CDU-Fraktion in der DWK und Volkskammer, Wahlen; Protokolle der Sitzungen der Einheitsfront; Ausschüsse
in der
07/011 Sekretariat des 07/012 07/013 03/031 03/032 03/033 03/035 03/036
11.
Parteitage
Landesvorstand und Landtagsfraktion Thüringen Landesvorstand Sachsen-Anhalt Landesvorstand und Landtagsfraktion Brandenburg Landesvorstand Sachsen Landesvorstand und Landtagsfraktion Mecklenburg
Mecklenburgisches Landeshauptarchiv (MLHA), Schwerin
Büro des Ministerpräsidenten Ministerium des Innern Ministerium für Sozialwesen Ministerium für Wirtschaft (und
Landtag Mecklenburg
Arbeit)
SED-Landesleitung
Rat des Kreises Grimmen
12. Sächsisches Hauptstaatsarchiv
(SäHStA), Dresden
Landesregierung Sachsen Ministerpräsident
Ministerium des Innern Ministerium für Arbeit (und Sozialfürsorge) Ministerium für Wirtschaft und Arbeit
Sächsischer Landtag 13. Büro des
Thüringisches Hauptstaatsarchiv (ThüHStA), Weimar
Ministerpräsidenten
Ministerium des Innern
Thüringer Landtag SED-Landesleitung
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„Schafft den Umsiedlern eine Nr. 188
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Personenregister Ackermann, Anton 12, 187, 673, 785-786 Adenauer, Konrad 234, 236, 238, 271, 384, 549,562,983,1187
Albertz, Heinrich 1182-1183 Albrecht, Willi 1097
Apel 1050 Apel, Wilhelmine 151-152, 404-405, 1014 Appell, Georg 129-130, 791 Aquin, Thomas von Babicke, Richard
918
961-962
Baender 1071
Bahr, Egon 274 Baier, Karl 178,368
Balakin 76-77,202 Bartel, Walter 501,527 Bazynski, Johannes 191,240 Beauvoir, Simone de 6-7
Becher, Johannes R. 279, 925 Bechler, Bernhard 227 Becker 1107 Beer, Ernst-Walter 877 Belke, Rudolf 202, 254-255, 261, 263, 284-
288, 314,433,487, 549-550, 583, 927-928, 953,964-965
Benda, Kurt 368 Bendl, Edgar 179,240
Benjamin, Hilde 540,916 Berija, Lawrentij P. 212,247
Bester 401^102, 405^107, 1008, 1011, 1017-
1018,1037,1093,1110
Bettinger, Willi
Beyendorff
233
500
Bick, Wilhelm 606,1043,1049
Bieligk, Rudolf 194-195,204 Biering 706
Biermann, Wolf 238 Bismarck, Otto Fürst von 20, 114 Blecha, Johanna 146, 347, 979
Blumenthal-Barby
178
Boehm, Max Hildebert 556, 615 Böhme, Curt 746-748,936 Böll, Heinrich 1199 Boes, Wilhelm 813
Boldin 781
Bolz, Lothar 870, 875, 880, 1103 Bonaparte, Louis Napoleon 1193
Bosse 407,1036, 1078 Brack, Gustav 92, 113-115, 118, 317, 452 Brandt, Ernst 706
Brandt, Willy
520
Braun, Otto 285 Breyer, Walter 177-178,180, 182, 239-240 Brincker, Karl 199, 203, 207, 230, 552
Bruschke, Werner
122
Bruyn, Günter de 26, 964, 1142 Buchwitz, Otto 286-287, 340 Bürger 358
Büttner, Kurt 61, 188, 190-192, 202, 220, 227,230, 323-325, 366-368,372, 389-394, 397-398,402,405, 466,468,474, 528-529, 617-618,622, 865-866, 969-970, 979-980, 994, 1011,1014,1016-1018,1035, 1041, 1102
Burkhardt, Jacob 22 Burmeister,Friedrich 61,110,216,218-220, 222-223, 312, 331-332, 336, 361, 486, 719, 762-763, 956-957, 984, 987-989, 991, 1015-1016,1134 Busse, Ernst 195, 263, 552, 690, 702, 719, 766, 769-770, 772, 775, 783-784, 788, 790, 792, 809, 930
Byrnes, James F.
424
Carstens, Karl 10,14,24 Christensen, Willy 177,179
Churchill, Winston S.
1122
Chwalczyk, Georg 61, 178-179, 190-192,
201-202, 206, 230,256, 267,282, 284,288, 290-294,311-312,320-321,323-324,334335, 347, 350, 357-358,366,368-387, 392393,433,464-465,472-473, 516-520, 561, 572, 590, 653, 663, 765-766, 770-771, 949950, 966, 976-977, 979-980, 983, 994-998, 1000, 1002, 1022-1023, 1025,1031-1032, 1039,1100,1134
Chwalek, Roman Ciasen, Manfred
1103 873
Personenregister
1242
Clay, Lucius D.
20,923
Dahlem, Franz 60,134,173,184-189, 193-
207,213, 246,279,289, 322, 327, 342-344, 346-347, 367-368, 389,391, 393-394, 397, 465, 525, 531, 675, 731-732, 948, 959, 962,
1133 194,196,202,244,257,267,269-270, 273274,276,279, 309-310, 318, 702, 772,1132 Frankenberg, von
328
Dahrendorf, Ralf 32-33, 628, 641, 1122-
Freitag, Otto
Daub, Philipp 60, 184-189,191-192,195-
Friedrichs, Erich 60,198,203,224,226,230, 240, 324, 354, 358, 368,403, 405,430, 450,
1123,1174 Dau, Else 989
339
Friedensburg, Ferdinand
88, 653, 1109
196,202, 230-231,244,250,257,259,291, 465-467, 758, 761-762,975-976, 979,1132 294,367-368,454,479,493, 521, 590,1132 Friedrichs, Rudolf 87, 208, 732, 959 Fritzsche, Rudolf 399, 410, 1078, 1113 Dertinger, Georg 332, 336, 984
Dibelius, Otto 557-558, 562 Dieckmann, Johannes 214, 1024
Dölling, Wilhelm 695, 771, 784, 810, 813814, 816-817, 822, 829-830 Dubrowski 336
Dymschiz, Alexander L.
778
Edding, Friedrich 23, 29 Ediger, Franz 62,204-206, 220, 458, 932,
Fröhlich, August
1019
Gablentz, Otto-Heinrich von der 933 Gabler, Walter 111, 208, 212, 250-251, 261, 436,438,467, 782, 790, 929-931, 948, 958962,968,1097 Gaden, Paul 196-197,203, 230, 427 Gärtner, Elsa 751
Eggerath, Werner 142,781-782
Gaida, Willi 204 Ganter-Gilmans, Hans-Paul 984, 991 Gatte, Willy 191 Gebhardt, Willy 87-88, 95, 103, 129-130,
Engel, Rudolf 60, 86, 88-89,117,131-132,
Geiger, Theodor
981,1134
Einsiedel, Horst von Elster, Johann 203
981
134-135,160-161,175,178-180,184-189, 191-192,194,202, 207,209-210, 214,219, 224,230-231,242,244, 246,248-249,253257,265-266,275,283,288,290-291,302, 304,311-314, 316-318, 322, 348, 351, 360, 367,374,431,444, 452-454,459-460,462, 547-550, 582, 584, 685, 714, 735, 763, 771, 779, 784, 787, 841,901-902, 904, 914, 951, 1132-1133
Engels, Friedrich 654-655 Erhard, Ludwig 13, 315-316 Ernst, Luise 108
152, 363, 781-782, 790
Falkenberg, Otto
520
Georgino, Willy 1094, 1107 Gerhard 989
Gerlach, Manfred 214 Geschke, Ottomar 72, 176, 204, 247 Gierke, Karl 988-989 Gillessen, Heinrich 984 Globke, Hans 237 Gnewikow, Georg 204 Gniffke, Erich 141,309-310,780 Goebbels, Joseph 20, 237
Göring, Bernhard 117 Goerlich, Franz 178-179
Fabisch, Ruth 60-61, 78,136,144,203,207- Gohr, Arnold 208,210-214,220, 228,230, 324, 327-330, 332, 334-339, 365, 395, 401-402,405,443, 446, 467, 492, 494, 962, 973, 995, 1132
1182
Genscher, Hans-Dietrich
987-988
Goldenbaum, Ernst 825, 831 Gorbatschow, Michail S. 520 Gorochow, S. F. 73, 76, 88, 134-135, 138,
970 202,283, 896 Fascher, Erich 554 Gradl, Johann Baptist 235, 932-933 Faust, Otto 195-196,204, 747,930,939-940 Graf, Hugo 285 Fechner, Max 209, 262-263, 306, 309, 920- Griepentrog 838-839
921,931
Feldmann, Wilhelm 337, 991 Fenner 458^160
Field, Noël 258, 260, 293-294, 834 Filter, Otto 869 Fischbach, Anton 191-192, 240, 368 Fischer, Kurt 61,76,135,137-138,188-189,
Grötschel 399,1107
Grosse, Georg
782
Grotewohl, Otto 141, 146, 271-274, 276,
309, 379, 424, 534, 604, 640, 780, 799, 878, 1007,1028, 1031-1032, 1035, 1039, 10451046, 1050, 1063-1064, 1082, 1104-1105, 1140,1142
1243
Personenregister Guddorf, Hildegard
179
Güldenpfennig, Rudolf 363-364 Gundermann 1078 Gutjahr, Johannes 191,298 Gutmann, Johanna 203, 228, 312, 446-447, 494,955
Guttenberg, Karl Theodor Freiherr von 668-669
Gysi, Klaus
Höcker, Wilhelm 199, 232, 877, 911, 955956
Höntsch, Ursula 523,1195 Hoernle, Edwin 682, 690, 711, 714-715, 783-784, 790, 808, 820
Hofmann, Arthur 213, 329, 335, 668, 674 Honecker, Erich 113, 238, 252, 623, 1175
Hornig, Ernst
569-570
Hübener, Erhard 87 Hummel, Johannes 703
630
Haase 752-753
Hähnel, Walter 193,283
Issakow 74-75, 81-83, 88, 91-92,180,182,
Halm, Heinz 78, 149-150, 330, 339, 401-
Iwand, Hans Joachim
Hahn 1078
202
403, 405^106,468, 622-623,1018 Hamann, Anneliese 459 Hamann, Karl 327,981
Hampe 934 Hampe, Max
Hampel
703
Jadasch, Anton 181, 240, 702, 771 Jäger, Lorenz 566 Jänicke, Johannes 558 Jagodzinski, Karl 178-179,181, 240, 368, 473-474, 945-946, 1001, 1005, 1007
1015
Handke, Georg 997 Hanke, Erich 66, 81, 83, 89, 174-176,178182, 184, 199, 230, 269-270, 303
Hanusch 941
Jahn, Rudolf 875-876 Jaksch, Wenzel 520, 1168,1173 Janka, Walter 258, 269-270 Jewsejew, A. S. 75, 99, 202, 734 Jöhren, Werner 625, 762-763, 932, 952, 954 Jolies, Hiddo M. 27
Hartenberger, Maximilian 203, 210, 437, 948 Haslinger, Josef 190-191,239-240,435,438, Jost 442, 577, 587-589, 596, 689, 837 Hausdorf, Hans 338,1035 Heinze, Georg 192,295, 367-368, 396, 407, 872, 1016-1017
Heitgreß, Franz
Helm, Rolf
562
233
115
Hempel, Gerhard
939 599 1096 Hennig 1005-1006 Henselmann, Hermann
Henlein, Konrad Hennecke, Adolf
430, 967 Herrnstadt, Rudolf 292,1063 Herwegen, Leo 61,110,221,223, 361, 754, 946, 978, 983-984, 986, 1008, 1134 Herzog, Kurt 203, 219-223, 228, 332, 335, 361, 466, 468, 555, 982, 988, 1016, 1132, 1134
Hickmann, Hugo 93, 303, 334-336, 339, 554, 621
Hiebsch, Rudolf 144, 197-198, 203, 214,
961
Jüngst, Auguste 179 Jung, Ferdinand 858,939 Kabanow, Alexander F. 778-779, 782-783, 787
Kaisen, Wilhelm 924 Kaiser, Jakob 215, 217, 230,246, 326,455456, 762-763, 932, 935, 983
Kalinke, Willy 79, 99,136, 196-197, 204,
207,230, 238,270-271,284, 318, 323-324, 345, 353-354, 356, 358-365, 374,404^105, 465, 751, 791, 941-942, 976-978, 993
Kailer, Maximilian 503 Kaltenborn, Karl Heinz Kammler, Bruno 934
987-988
Karasek-Langer, Alfred 415, 543, 625 Karnauschtschenko 203 Karpeljuk 91,100-101
Kasparek 217, 1098
Kaßner, Walter 397-399,405,407, 571,618619 230-231,258, 352, 354-356, 364-367,401403, 405,459,464,466, 754-755, 764, 791- Kastner, Hermann 208,212,316,328 792, 914, 947, 992-994, 1008,1132 Kather, Linus 231, 233, 510, 651 Hillebrand, August 703, 842 Kirsch, Ludwig 554, 985-986 Hilscher 809 Klemperer, Victor 59, 84, 131, 532, 926 Hitler, Adolf 20, 47-48, 230, 259, 668, 778 Kloss, Paul 203, 207, 230, 960 Hockauf, Frieda
1096
Klosse, Hans
945
1244
Personenregister
Ludwig, Günther
Knabe, Georg 968 Knoch, Otto 203,207,230,919 Körner, Olga 338, 948, 960
Kohl, Helmut
Lust 530-531,534
520
Kolbe 192
Kolesnitschenko, Iwan D. 89-90, 927 Kolossow 1068
Komarow 75-76,136-138, 202, 322-323, 352-355
Konitzer, Paul
731
Kornjuschko 79, 82, 91, 99, 101, 203
Kowal, Konstantin I. 96,104,127, 143, 344 Kraft, Waldemar 236 Kraus, Karl
2
Krautzberger, Rudolf 204 Krüger, Hans 235,237,651,1181-1182 Krummacher, Friedrich Wilhelm Krupp (Familie) 979
Kuby, Erich
570
468, 917, 1017-1018,1037, 1053, 1068, 1105,1110 Kunde 1050 Kunze, Johannes 1108
Lang, Joseph/Josef 177-179 Lange, Erich 178-179, 191-192, 368, 502, 599
Lange, Fritz 653 Lechky, Otto 203,312 Legier, Marianne 960
Lehmann, Helmut 72, 176, 181,196,202, 247-258, 261-262,279,281,283,285-286, 288, 428,431-432,471, 549-550, 690, 780, 904,920
Lemberg, Eugen
8, 16-17, 23, 29, 615, 625 Lemmer, Ernst 235, 237, 246, 455, 935 1051
Lenin, Wladimir I. 270, 362
Lenz, Otto 932,934 Leuschner, Bruno 305, 316, 318, 1050
Lewke, Karl 179 Lieutenant, Arthur 137, 327-328, 981 Lindner 405
Linke, Otto 191,368 Litke, Karl 1002, 1004, 1031 Ljulka, Pjotr S. 76-77, 132, 135, 202, 344345
Lobedanz, Reinhold 952, 1061 Loch, Hans 93-94, 303, 1045, 1052, Lobe, Paul 500 Löhr, Jonny 603
Magura
988
Mahle, Hans 518 Maletín, Pawel A. 104, 127 Malkow, Pawel M. 133-134, 266-267, 277, 315,319-320
Malter, Friedel 1024,1100 Malz, Alfred 61, 324, 328, 344-346, 350,
352-355, 357, 359, 363, 369,392, 394, 397, 464^165, 530, 759
Malzew, Andrej M. Marx, Karl 294
105
Maschke 404 Maslennikow 74-75, 88, 92, 126-127, 202,
492,548
543
Külz, Helmut 129, 781-782, 916 Külz, Wilhelm 326,981 Kuhn, Erich 227, 239-240, 403, 405-407,
Lengwinat
1074
Lukaschek, Hans 234, 236-237, 743
1059
Matern, Hermann 260, 286, 835, 1050 Matern, Jenny 253, 286, 299, 731, 1050
Mattes 119 Mayer, Hans 277 Melsheimer, Ernst 917,957 Merkatz, Hans Joachim von 24, 235, 1185
Merker, Paul 48, 60-61, 113, 131-135, 145, 185-187,189,201-202,244,246-247,249250,252-253,257-271,273, 275-276, 278, 281-284,286-288, 294, 306-307, 311,313315, 318-319, 347, 351, 360, 374, 376, 387, 390,395,412,432,437^138, 444,452-453, 456, 461-462,488, 511, 555, 576, 613, 616, 623, 628,676, 693, 704, 710, 740, 758, 784, 804, 807-808, 825-826, 828-829, 831-832, 834-837, 846, 851, 868, 901-902, 910, 920924,927-931, 934, 939, 948, 951, 953, 959960, 964, 974-975, 995, 1022, 1095, 11321133,1138,1179
Merzinger
933
Middelmann, Werner 922-923 Mielke, Erich 343,527 Mischnick, Wolfgang 234-235 Mitzenheim, Moritz 552, 748 Möller, Otto 739 Moltmann, Carl 251,311,313,439, 762, 952 Moog, Leonhard 119 Morche, Josef 192 Morenow, P. I. 117-118,791
Mückenberger, Erich
1151
Müller, Else-Marie 960 Müller, Franz 203 Müller, Heiner 10, 108, 623, 629, 638, 640, 852,1175
Müllerjosef
983 568
Müller, Ludolf
1245
Personenregister Müntzer, Thomas
Mukojd
Rau, Johannes 16
1021
Rentmeister, Robert 191, 254-256, 368,
203
548-550
Nahm, Peter Paul 19, 315, 651
Neddermeyer, Robert
802
Nettball, Kurt 202, 284-285, 288-289, 294, 372,456, 458-459 Neumann, Heinz 179
Niemöller, Martin 562-563 Nöll von der Nahmer, Robert Philipp 1109 Norden, Albert 670 Nowak, Paul 337-338, 340, 960-962, 968, 1016
Nuschke, Otto 332, 336,533, 567, 570,1085
Oberländer, Theodor 234-238, 512, 531
Oldenburg, Großherzog von
647
Paschkin 706 Paul, Rudolf 87, 100,195, 746, 937-938 Perschmann 933 Peschke, Paul 1006-1007 Peterson, Peter 192,368 Pfeil, Elisabeth 1,19,47,477-479,481, oli-
óla 757
Pflugbeil
Reschke, Erich 319,343 Ressel, Ernst 195,197-198,204, 230-231, 584,744,1132 Reuß, Erich 207, 231, 918-919, 936, 941942,977-978,993,1132
Riedel 216
Riedel, Max 191 Rinke, Walter 1182 Robertson, Brian H.
20
Rodionow 706 Rohner, Gerhard 123, 982, 984, 986-987 Rojek, Alfred 215-216,458-459, 554, 935
Roßberg
255
Roßmann, Erich 923 Rubel, Walter 983-985, 989-990 Rücker, Fritz 781 Rühle, Otto 1025-1026
Rumpf, Willi 875, 997, 1001, 1034, 1040,
1042, 1046, 1048, 1051,1054, 1060, 1071, 1094,1107
Ryba, Franz
169
960
Piechowski 177-179 Pieck, Wilhelm 70, 146,155-156,186, 201,
269,271-272,274-278,282, 309,357, 373, 379, 381,424, 500-501,527, 620, 642, 646,
653, 670, 672-673, 680, 685, 702, 9991000,1019,1143,1165
Pilz, Waldemar
405
Pioch 876 Piontek 992 PiusXII. 558 Platen, Graf von 647
Plenikowski, Anton 47, 61, 77, 202, 262,
281,284,289-291, 323-324, 345,348-349, 357-358,360, 368, 370-371, 377-379,385, 399, 465, 542, 646, 920-921, 996, 1002, 1029,1046,1164 Pohls, Werner 148, 703, 794
Proschljakow
127
Rabetke, Paula 704,858 Radmann, Heinz 179, 191, 240
Raetsch 968 Rathenau, Walter 1120 Rau, Heinrich 143-144, 266, 269, 316-317,
320,322, 342,379, 693, 713, 719-720, 781, 807, 813-814, 824-825, 832-834, 843, 846, 864-866, 870-871, 874, 876, 1000, 10061007, 1015, 1050, 1058
Sachse, Emma
363-364
Safronow 203 Schäfer, Albert 724 Schebeste, Herbert 203 Schelsky, Helmut 25 Scheven, Karl von 569-570
Schiller, Karl 13 Schlaffer, Josef 11, 60, 83, 86, 88-89, 175,
178-184,194,202, 230,240, 281,421, 673, 1132
Schleusener, Frank
227
Schmelew 152
Schmidt, Arno 638 Schmidt, Milly 206, 1030, 1045, 1067 Schnaufer, Karl Erich 1046, 1059-1060 Schöne, Bruno 703 Scholz, Paul 661, 810, 824, 839, 859, 865, 881
Schröder, Wilhelm 887 Schüssler, Max 192 Schukow, Georgij K. 71-72, 82, 84, 91
Schulz 1061 Schulz, Albert 955 Schwob, Fritz Hermann 61-62, 216, 221,
223-228, 331-332,468, 554, 710, 762, 934, 983,987, 1134 Seifert, Willi 319, 323, 343, 353, 357, 368369, 376, 392, 465, 531
Personenregister
1246
Selbmann, Fritz 316, 342, 682, 970,1058, 1060
Semjonow, Wladimir S. 90, 104, 140, 142, 155-157,186,369,925-926 Sendhoff, Magda 203,228
Seraphim, Peter-Heinz
416-417, 512-513, 533, 654, 850 Serow, Iwan A. 63, 72-73,90,104,176, 190, 247
Seuffert, Walter
693
Seydewitz, Max 103,212 Sieber, Hans
355-356, 368, 392-393, 464-465, 978-979
Thürmer, Gertrud
337-338 979 Tillmanns, Robert 548-549 Tito, Josip Broz 94 Tjulpanow, Sergej I. 76, 132, 134-135, 329, 369, 456, 926 Todt, Fritz 504 Torhorst, Marie 781 Trübenbach, Erna 1013,1051,1075
Thyssen (Familie)
212,
Tschesno, Michael 60, 66, 86, 88, 178-179, 182-185,192,194-195,202,230-232,239-
954
Siegmund, Kurt
Thiele, Wilhelm 191-192, 297, 351, 353,
860
Siewert, Robert 197,213,392,691, 704,824, 241,270, 295, 303, 367,427,490-493,1132 Tschuikow, Wassili I. 69, 155 831, 838, 851, 888, 1008, 1011-1012
Simow 76-77,137-138, 202 Sitnin, W. K. 818,822
Tzschorn, Hans
Skoppeck 404^105,1011 Skossyrew, Michail A. 97 Sladek, Paulus
Uhle, Reinhard 204, 207, 675, 715, 731 Ulbricht, Walter 61, 69, 77,133, 137, 140-
918
Smirnow 431
Sokolowski, Wassili D. 70, 89,
114
Sorgenicht, Klaus 346, 349, 397 Staas, Hans 101,744,937
Stachanow. Alexei G. 1096 Stalin, Jossif W. 47^18, 68, 92, 94, 135, 140, 142,163,260,269,275-276,278, 319, 369, 496,645,816,1167
Stargardt, Ernst 62, 216, 916, 957, 1134 Steidle, Luitpold 218, 316-317, 322, SSOSSI, 339, 1006-1007
Steinbach, Erika 1036 Steinhoff, Karl 346, 398, 439, 566, 702, 859, 865,1043
Steinke 125,456
Stelzig 594 Stoltzenberg,Wilhelm von 982 Stoph, Willi 305, 349-350, 386, 398, 775,
978,1001-1002, 1017, 1029, 1057, Storbeck, Dietrich 415 Storch, Anton 1182
1187
Stottland 88,202 Strampfer, Walter Herbert 306 Straßenberger, Paul 1051 Strasser, Hans Gotthilf 804 Strauß 786-787 Szczyrbowski, Erich 190-191,368
Tänzer, Elisabeth 210-211,230
Tarakanowski 774-775, 790, 809, 814, 819 Terpitz, Paul 562,897
Thälmann, Ernst Theiss, Germanus
179 988
962-963
142,144,146-147,155-157,180-181,187188,201-202,209, 230,232, 239,246, 258, 260-263,266-269,271-274,276-284,288294,305-306, 308-310, 314-321, 342,344, 346,349, 357-358, 360, 368, 371, 377, 379, 413,496, 567, 604, 623, 631, 637, 648, 654, 668-669, 704, 724-725, 727, 740, 765, 770, 785-786, 798-799, 825, 828, 831-832, 834835, 837-839, 860, 874, 879-881, 888, 920922,930-931, 940, 948, 955, 958, 995-997, 1001-1002, 1007, 1022-1023, 1050, 1057, 1143,1164,1175
Ulbrieg, Franz
1051
Vensky, Werner 237 Vieweg, Kurt 704,818 Vogt, Arthur 60-61, 65-66,137-139, 179,
184,187-189,191-192,199,202,206,230231,239-240,245,270,286,291-292,296297, 321-325,327,348, 350-351, 356-357, 362-363,367-368,391-392,402, 516-517, 630, 659, 971, 1132-1133, 1136
Wagner, Kurt 343 Wagner, Otto 202 Walejew 91,203
Wandel, Paul 187,778
Warning, Willy
1025
Warnke, Hans 145, 147, 156, 220, 257, 293, 295, 302, 311-312, 318, 346-349, 367, 389, 392,396, 398, 485, 533, 566-567, 622-623, 659, 662, 683, 861, 911, 956, 1021, 1023, 1028, 1040, 1042, 1051, 1053-1054, 1058, 1061,1094, 1100, 1106-1107
Weck, Rudolf 284-286, 288, 487
Personenregister Weinbaum 74 Weinert, Erich 778-779, 781, 786-788 Weinwurm 585-587,595 Weizsäcker, Richard Freiherr von 15 Wermund, Hans 876,881
Wernsdorf, Walter
202
Wiese 745 Windelen, Heinrich 15 Winzer, Wilhelm 177
Witte, Siegfried 601, 984, 987 Wohl, Wilhelm 285-286, 589
Wölky
215-217
Wolf 309
Wolf, Bruno 293, 1039-1041, 1051, 1054, 1060, 1067
Wolf, Christa 629,893,1199 Wolf, Friedrich 623,868
1247
Wolf, Markus 527 Wolfrum, Gerhard
237
Wolkwitz 671 Wollermann, Frieda 348, 443, 447, 955 Wolodin 78-79, 85,203, 212, 328, 492
Wyschinski, Andrej I.
104
Zaisser, Wilhelm 184, 212-213, 329, 335336,343,346,617,973
Zborowski, Ernst 677, 982
Ziegenhagen, Kurt
Zieger 119 Zinn, Georg August
Zitzewitz, von
204 922
703
Zühlsdorff 404-405,1043 Zumpe, Paul 1049-1050, 1067, 1075 Zurotschkin 202
Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte Band 46 Petra Weber Justiz und Diktatur Justizverwaltung und
politische Strafjustiz in Thüringen 1945-1961 Veröffentlichungen zur SBZ-/DDR-Forschung im Institut für Zeitgeschichte 2000. XI, 574 Seiten ISBN 3-486-56463-3
Band 50 Dieter Pohl Justiz in Brandenburg 1945-1955 Gleichschaltung und Anpassung
Veröffentlichungen Zeitgeschichte
zur
SBZ-/DDR-Forschung im Institut für
2001. X, 414 Seiten ISBN 3-486-56532-X
Band 51 Hermann Wentker Justiz in der SBZ/DDR 1945-1953 Transformation und Rolle ihrer zentralen Institutionen Veröffentlichungen zur SBZ-/DDR-Forschung im Institut für
Zeitgeschichte
2001. XI, 647 Seiten ISBN 3-486-56544-3 Band 60 Dierk Hoffmann Aufbau und Krise der Planwirtschaft Die Arbeitskräftelenkung in der SBZ/DDR 1945 bis 1963 Veröffentlichungen zur SBZ-/DDR-Forschung im Institut für
Zeitgeschichte 2002. VIII, 586 Seiten ISBN 3-486-56616-4
Oldenbo