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German Pages 171 [172] Year 2003
Lehrerrolle und Lehrerbildung im Prozeß der gesellschaftlichen Transformation
Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung Band 85
Lehrerrolle und Lehrerbildung im Prozeß der gesellschaftlichen Transformation Veränderungen in den neuen und alten Bundesländern
Herausgegeben von Hans-Peter Schäfer und Wendelin Sroka
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5774 ISBN 3-428-11096-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ
Inhalt
Hans-Peter Schäfer Einleitung
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Jens-Rainer Ahrens Verwaltete Schule oder Schulautonomie? Konsequenzen für die Lehrerrolle
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Siegesmund Schulz Aufgaben der Schulverwaltung (Schulaufsicht) und Freiheit des Lehrers in den neuen Bundesländern 27 Walter Thomas Das didaktische Vakuum: Über die Schwierigkeiten selbstverantwortlicher Unterrichtsplanung in einem neuen Bundesland 45 Hans-Werner Fuchs Bildungsentwicklung und Lehrerbedarf im Osten und Westen Deutschlands
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Hans Döbert Professionelle Anpassungsleistung oder Identitätskrise der Lehrerschaft in den neuen Bundesländern? Zu einigen empirischen Annäherungen an die Fragestellung 77 Axel Gehrmann Divergente und konvergente Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern in Berlin. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung aus dem Jahr 1996 . . . . 99 Friedrich W. Busch Einphasigkeit versus Zweiphasigkeit. Anstöße zur Reform der Lehrerausbildung. Erfahrungen aus den alten und neuen Bundesländern 129 Dieter Schulz Flexibilisierung der Lehrerlaufbahnen - Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland 153 Verfasser und Herausgeber
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Einleitung Aufgaben und gesellschaftliches Umfeld der Lehrerinnen und Lehrer, Schule und Unterricht haben sich im letzten Jahrzehnt in zuvor kaum vorstellbarem Maße verändert. Das gilt keineswegs nur für die neuen Bundesländer, in denen sich die Ablösung der sozialistischen Einheitsschule mit ihrer auf die SED fixierten politisch-ideologischen Programmatik durch ein pluralistisch-demokratisches und strukturell gegliedertes Schulsystem vollzog. Auch in den alten Bundesländern haben demographische Veränderungen, Arbeitsmigration und multikulturelles Lernen, der Einzug der neuen Medien in die Schule, Deregulierung der Schulverwaltung und Selbstbudgetierung der Schulen - um nur einige Stichworte zu nennen - den Schulalltag gründlich verändert und die Lehrerinnen und Lehrer vor neue Herausforderungen gestellt. Die Lehrerausbildung an Universitäten und Hochschulen hat, folgt man den jüngsten, in großer Zahl publizierten Stellungnahmen von Kultusministerkonferenz, Hochschulrektorenkonferenz, Wissenschaftsrat, Deutscher Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, GEW und den Berufsverbänden der Lehrer, auf die gesellschaftlichen, schulstrukturellen und curricularen Reformprozesse bisher nur unzureichend reagiert. Die Reform der Lehreraus- und -Weiterbildung, insbesondere ihre Ausdifferenzierung in erste, zweite und dritte Phase erscheint dringend revisionsbedürftig, ohne daß bereits eindeutig erkennbar wird, in welche Richtung sich die Lehrerbildung zu entwickeln habe. Gängige Schlagworte wie „Praxisorientierung", „Polyvalenz", „Wissenschaftsorientierung" und „Professionalisierung", mit denen die gegenwärtige Diskussion angeheizt wird, sind zumeist unscharf geblieben und vermögen über das zu konstatierende konzeptionelle Defizit nicht hinwegzutäuschen. In dieser Situation hat die Gesellschaft für Deutschlandforschung, deren „Fachgruppe Erziehungswissenschaft" Wissenschaftler, Lehrer und Schulverwaltungsbeamte angehören, zusammen mit der Ost-Akademie Lüneburg den Versuch unternommen, die häufig separat geführten Diskussionen im Osten und Westen Deutschlands im Rahmen eines Symposiums zusammenzuführen. Der vorliegende Band vereinigt eine Auswahl der Referate, die auf der Fachtagung der Gesellschaft für Deutschlandforschung in der Zeit vom 13. bis 15. November 1997 unter der Leitung der Herausgeber in Lüneburg gehalten wurden. Im Mittelpunkt der Tagung standen fünf Themenkomplexe:
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Einleitung
• Verwaltete Schule oder Schulautonomie? - Konsequenzen für die Lehrerrolle • Strukturelle Probleme der Lehrerprofession in Deutschland • Lehrerrolle und Lehrerbefindlichkeit in den neuen Bundesländern • Veränderte Gesellschaft, veränderte Schule, neue Anforderungen an den Lehrerberuf (methodisch-didaktische Aspekte) • Konsequenzen veränderter Lehrerrollen für die Lehreraus- und -Weiterbildung Die seit Anfang der 90er Jahre nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern mit Nachdruck erhobene Forderung nach einer „Autonomie der Schule" hat, wie den Beiträgen von J.-R. Ahrens und S. Schulz zu entnehmen ist, in den alten und neuen Bundesländern durchaus unterschiedliche Resonanz gefunden. Kulturföderalismus auf der einen, dirigistischer Zentralismus auf der anderen Seite haben unterschiedliche Selbstverwaltungstraditionen herausgebildet, die bis heute mental nachwirken. Dennoch sieht Ahrens, der als Landrat eines niedersächsischen Landkreises über Verwaltungserfahrung verfügt, trotz des Föderalismus auch in den alten Bundesländern, und zwar innerhalb eines jeden Bundeslandes, durchaus noch zentralistische Steuerungssysteme. Nach Ahrens handelt es sich um „Mischsysteme von zentralen Kompetenzen mit dezentralen eigenverantwortlichen Entscheidungsbereichen", die im Gegensatz zum DDRSystem pluralistisch angelegt und offen für Einflüsse von außen sind. Auch S. Schulz, ehemals Lehrer in der DDR und nach der Wende zum Leiter des Schulamtes Schwerin ernannt, beschreibt aus persönlichem Erleben die Schwierigkeiten beim Aufbau des Schulamtes und der Neugestaltung des Schulwesens. Folgt man seiner Darstellung, so haben wechselnde konzeptionelle Orientierungen, materielle Zwänge und permanente Organisationsreformen dazu geführt, daß im Osten Deutschlands von dirigistischen bzw. zentralistischen Elementen kaum noch die Rede sein kann, vielmehr die Schulverwaltung große Mühe hat, die Schulreform umzusetzen, sofern sie nicht faktisch dem Reformprozeß hinterherhinkt. Auf einige „ungewollte Nebenwirkungen" (Spranger) der postulierten Schulautonomie, die in der Regel eigentlich auf eine erweiterte Selbstgestaltungsmöglichkeit der Schule abhebt, macht Ahrens noch aufmerksam. Rollenstruktur der Schule und Rollenbeziehungen der Lehrer untereinander würden sich notwendig verändern, Abstimmungsdruck und Konfliktpotential nähmen zu. Daher sei es erforderlich, die Eigenverantwortlichkeit der Lehrkräfte für den von ihnen erteilten Unterricht zu wahren. Die Autonomie der Schule dürfe die pädagogische Autonomie des Lehrers nicht aushöhlen.
Einleitung
Die Eigenverantwortlichkeit für den Unterricht und die Freiheit der Unterrichtsgestaltung ist den Lehrern in den neuen Bundesländern erst nach der Wende im vollem Umfang zuteil geworden. Offensichtlich sind damit aber auch Probleme auf sie zugekommen, denen sich nicht alle Lehrer gewachsen fühlten. Von vielen wurde die gewonnene Freiheit, wie der Dezernatsleiter im Landesinstitut für Schule und Unterricht in Mecklenburg-Vorpommern, W. Thomas, behauptet, paradoxerweise als Zwang zur Entscheidung erlebt. Symptomatisch sei ein gesteigertes Bedürfnis nach Rezepten und fertigen Unterrichtsmodellen. Viele Lehrer sähen sich zudem mangels einer umfassenden fachdidaktischen und nicht nur fachmethodischen Ausbildung vor ein „didaktisches Vakuum" gestellt, das nicht selten zu einer unreflektierten Methodenvielfalt verführe. Insgesamt erscheint Thomas das Lehrerverhalten in den neuen Bundesländern durchaus widersprüchlich. Einerseits besäßen die Lehrer ein relativ ungebrochenes Selbstbild, das im Ergebnis auf die DDR-Lehrerbildung zurückgeht. Andererseits führten Beschäftigungsrisiken und Stellenabbau zu Statusunsicherheit und diffusen Ängsten, die sich zum Beispiel in der Neigung zur „unproduktiven Harmonisierung" oder im Gegenteil in einer rüde vorgetragenen Allroundkritik ausdrückten. In diesem Kontext erhält die profunde quantitative Analyse des Lehrkräftebedarfs in Ost- und Westdeutschland von H.W. Fuchs Gewicht, belegt sie doch unter anderem, daß angesichts eines drastischen Schülerzahlenrückgangs und einer systematischen Lehrkräftereduzierung in Ostdeutschland die oben beschriebenen Status- und Beschäftigungsängste der Lehrer keineswegs aus der Luft gegriffen sind. Denn anders als in Westdeutschland sind nach Fuchs in den neuen Bundesländern vom prognostizierten Lehrkräftebedarf nicht nur der Lehrkräftenachwuchs, sondern auch die angestellten Lehrkräfte betroffen. Im Hinblick auf die Beschäftigungspolitik der Lehrer erkennt Fuchs durchaus unterschiedliche Handlungsstrategien der Kultus- und Bildungsadministrationen. Allen gemeinsam sei allerdings die Tatsache, daß die anhaltende Haushaltsenge im Unterschied zu bildungspolitischen, pädagogischen, ökonomischen oder anderen Faktoren das wichtigste Kriterium bei der Festlegung der Lehrkräftezahlen darstellt. Gegenstand mehrerer größerer empirischer Untersuchungen der letzten Jahre bildeten Einstellungen und Mentalität der Lehrer in Ostdeutschland und in Berlin. Gefragt wurde einerseits, ob die politisch-gesellschaftlichen Veränderungen bei ehemaligen DDR-Lehrern zu Identitätskrisen geführt hätten beziehungsweise wieweit die Lehrer sich den neuen Verhältnissen angepaßt haben. Zum anderen, ob es nach wie vor signifikante Unterschiede im Einstellungsbereich und Berufsverständnis zwischen Ost- und Westberliner Lehrerinnen und Lehrer gibt. Trotz einiger Vorbehalte zur Repräsentativität der Aussagen - nur drei neue Bundesländer wurden einbezo-
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Einleitung
gen - und einiger geringfügiger Differenzen bieten die Erhebungen doch ein relativ einheitliches Bild. Offensichtlich sind die Einstellungen und Erfahrungen West- und Ostberliner Lehrer weitaus ähnlicher, als in der Öffentlichkeit angenommen wird. Deutlichste Angleichungsprozesse zeigen sich nach A. Gehrmann im Gymnasium, gefolgt von der Grundschule. Dagegen unterscheiden sich die Gesamtschullehrer am stärksten. Auch in den neuen Bundesländern sind nach H. Döbert die Unterschiede zwischen den Schulformen größer als zwischen den einzelnen Ländern, sind die Grundschullehrer der zufriedenste und die Gesamtschullehrer der unzufriedenste Teil der Lehrerschaft. Erhebliche Divergenzen bestehen nach Gehrmann zwischen Ost- und Westberliner Lehrern vor allem in der schulpolitischen Grundorientierung. Ostberliner Lehrer präferieren die Einheitsschule bis zur 10. Klasse bei gleichzeitigem Wunsch nach stärkerer Differenzierung für die „Leistungsspitzen". Dagegen befürworten die westlichen Kollegen ein gemäßigt gegliedertes Schulsystem, das eine individuellere Option betont. Von tiefenbiografischen Brüchen oder gar Identitätskrisen der Lehrerinnen und Lehrer kann nach Döbert und Gehrmann weder in Ostberlin noch in den neuen Bundesländern ausgegangen werden. Für eine gelungene Anpassungsleistung spräche bereits der hohe Grad an Zufriedenheit der Lehrer mit ihrer beruflichen Situation. Das Gelingen des Transformationsprozesses führt Gehrmann auf die nicht unstrittige Feststellung zurück, schon zu Zeiten der alten DDR hätten Modernisierungsprozesse im Schulsystem im Ostteil Berlins stattgefunden, die nach der Wende nur noch öffentlich gemacht werden mußten. Außerdem resultiere die Anpassungs- bzw. Innovationsbereitschaft der Ostberliner Lehrer aus deren niedrigem Durchschnittsalter von ca. 35 Jahren (1989). Döbert hingegen glaubt, daß insbesondere die gründliche berufspraktische Ausbildung der ehemaligen DDR-Lehrer die Voraussetzung dafür geschaffen hätte, um mit den Übergangsproblemen fertig zu werden. Als noch defizitär konstatiert Döbert dagegen die theoretisch-geistige Auseinandersetzung mit dem neuen Schulsystem. Welche Folgerungen und Empfehlungen ergeben sich nun aus den Befunden für die Lehrerbildung? Hat sich das westdeutsche System der zweiphasigen Lehrerausbildung an Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen sowie an den Studienseminaren, das nach der Wende auch in den ostdeutschen Ländern verbindlich eingeführt wurde, prinzipiell bewährt? Oder sollte man nicht ein System anstreben, das die Vorzüge der ehemaligen DDR-Lehrerbildung mit den bewährten Traditionen der westdeutschen Lehrerbildung in neuer Form verbindet, quasi im Hegeischen Sinne dialektisch aufhebt? F. W. Busch hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten wie kaum ein anderer mit verschiedenen Modellen der Lehrerausbildung kritisch auseinandergesetzt. Er war als Vizepräsident der Universität Oldenburg verantwortlich
Einleitung
für den Modellversuch der einphasigen Lehrerbildung, er hat die DDR-Lehrerbildung an der Pädagogischen Hochschule Dresden kennengelernt und er hat als Gründungsdekan die Erziehungswissenschaftliche Fakultät an der Technischen Universität Dresden neu aufgebaut. Das Fazit aus seiner vielseitigen Tätigkeit, auf die er hier näher eingeht, läßt sich in zwei Begriffen zusammenfassen. Für Busch geht es weniger um strukturelle Reformen als vielmehr um die Durchsetzung der zentralen Prinzipien „Wissenschaftlichkeit" und „Berufspraxisbezug" in der Lehrerbildung. Offen bleibt, wieweit sich die genannten Prinzipien miteinander verbinden lassen beziehungsweise, ob nicht in ihrer antinomischen Struktur das Kernproblem der Lehrerbildung zu suchen ist. D. Schulz, Dekan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig und Mitglied zweier Reformkommissionen zur Lehrerbildung, setzt sich kritisch mit dem aus dem beschäftigungspolitischen Kontext resultierenden Argument einer „Öffnung" der Lehrerbildung zugunsten größerer Polyvalenz auseinander. Sein Votum geht aus „qualitativen" Gründen eindeutig in Richtung verstärkter Professionalisierung der Lehrerbildung, wobei er ein ausgewogenes Verhältnis der vier Elemente fachwissenschaftliche, fachdidaktische, erziehungswissenschaftliche und schulpraktische Studien für unverzichtbar hält. Das universitäre Studium hat nach D. Schulz bisher eher zur Ausbildung des Standesbewußtseins als zur Professionalisierung des Lehrerberufs beigetragen. Allerdings, so räumt Schulz ein, findet die Professionalisierung der Lehrerbildung nicht nur an den beteiligten Wissenschaften, sondern auch am Charakter des „pädagogischen Bezuges" und an der Persönlichkeit des Lehrers ihre Grenzen. Ahrensburg, im Frühjahr 2003
Hans-Peter Schäfer
Verwaltete Schule oder Schulautonomie? Konsequenzen für die Lehrerrolle Von Jens-Rainer Ahrens I. Nicht erst seit dem Erscheinen der Streitschrift von Helmut Becker „Die verwaltete Schule" im Jahr 1956 wird auch in der Bundesrepublik in immer wieder aufflammenden Diskussionen und Beiträgen das Verhältnis von staatlicher Verwaltung und Eigenständigkeit der Schule in Erziehung und Unterricht kritisch durchleuchtet. Becker prangert den „Kampf des bürokratischen Elementes gegen die Erziehungsfreiheit" 1 an und fordert die „stärker eigenverantwortliche Schule" 2 . Er beruft sich dabei u. a. auf Eduard Spranger, der schon in den 20er Jahren die „Autonomie des Erziehungsbereichs" gegenüber der staatlichen Bürokratie als nötig erachtet hat. Als leuchtendes Beispiel einer unter widrigsten Umständen ins Werk gesetzten und tief reflektierten selbstgestalteten Schule schwebt Becker die Arbeit Adolf Reichweins vor Augen: Das Modell Tiefensee, trotz der Nazi-Zeit und gegen den totalitären Anspruch des Regimes in der Mark Brandenburg verwirklicht und in der Schrift „Schaffendes Schulvolk" der Nachwelt hinterlassen. In diesem Beispiel verdichtet sich das Problem, wie der Lehrer seine Rolle ethisch und pädagogisch definiert und sich ins Verhältnis setzt zur Schulumwelt und dem staatlich-politischen und verwaltungsbürokratischen Reglement. Für die Schulpraxis wirkt sich die Schrift Beckers eigentlich nur gering aus. Kritische Beiträge zur soziologischen Analyse des Verhältnisses von Schulverwaltungsbürokratie und Schule bleiben rar. 3
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Becker, H.: Die verwaltete Schule. In: Kulturpolitik und Schule. Probleme der verwalteten Welt. Stuttgart 1956, S. 61. 2 Ebenda, S. 62. 3 Vgl. Fürstenau, P.: Neuere Entwicklungen der Bürokratieforschung und das Schulwesen. Ein organisationssoziologischer Beitrag. In: Hartfiel, G./Holm, K. (Hrsg.): Bildung und Erziehung in der Industriegesellschaft. Opladen 1973.
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Jens-Rainer Ahrens
II. Einen Meilenstein setzt das Gutachten des Deutschen Bildungsrates mit seinen Empfehlungen „Zur Reform von Organisation und Verwaltung im Bildungswesen, Teil I: Verstärkte Selbständigkeit der Schule und Partizipation der Lehrer, Schüler und Eltern", vorgelegt 1973 in Bonn. Das Thema verstärkte Selbständigkeit, erweiterte Gestaltungsfreiheit oder Schulautonomie ist damit auf die politische Tagesordnung gesetzt, allerdings zunächst in mehr indirekter Form. Fast alle Bundesländer gestalten Anfang der 70er Jahre ihre Schulgesetze um. Aufgegriffen werden dabei die Anregungen zur Partizipation von Eltern und Schülern. Die Beteiligungsrechte werden z.T. erheblich erweitert, wobei Gesamtschulneugründungen in variierenden Modellen vielfach eine Vorreiterfunktion einnehmen. Hier sei bereits erwähnt, daß die erweiterte Mitbestimmung von Eltern und Schülern/Schülerinnen keineswegs konfliktfrei in die Praxis umgesetzt worden ist. Eltern, Lehrkräfte und Schülerschaft mußten in Teilen die bislang gewohnten Rollen neu definieren und erproben, z.B. mußten sie erfahren, daß ein Schulelternratsvorsitzender nicht Ober-Schulaufsichtsrat und ein Landeselternratsvorsitzender nicht Neben-Kultusminister ist. Den Ausgangspunkt aller schulrechtlichen Analysen zum Verhältnis von Einzelschule und Schulverwaltung bildet der Artikel 7 der Verfassung, wonach „das gesamte Schulwesen unter Aufsicht des Staates" steht. Dazu gibt es vielfältige und kontroverse Analysen, Interpretationen und Folgerungen, die sich vor allem darauf beziehen, was „Aufsicht" bedeutet und wie sie zu handhaben ist und ob und wieweit der Verfassungsauftrag die durchgehende Reglementierung des Schulwesens gebietet oder erlaubt. Dazu gehören auch kritische Überlegungen, ob das staatliche „Schule halten", wie es sich in unserer Tradition eingebürgert hat, einen so starken Vorrang vor dem privaten Schulwesen einnehmen sollte bzw. darf. Zum Verhältnis von Schule und Schulverwaltung wurde in den Schulrechtsdiskussionen Anfang der 70er Jahre zunächst mit dem Begriff der „teilverselbständigten Schule" operiert. Schule sollte nicht mehr bloß den Charakter der Rechtsfigur „Anstalt", aber auch noch nicht den einen größeren Gestaltungsspielraum gewährenden Charakter einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft (wie die Universitäten) bekommen. Juristisch erzeugte dieses Vorhaben enormes Kopfzerbrechen. A m Ende gelang es aber, bestimmte Essentials der „teilverselbständigten Schule" rechtlich zu fixieren. In Niedersachsen 4 waren dies die Garantie der Selbständigkeit „in Planung und Durchführung des Unterrichts, in der Erziehung und Verwaltung", allerdings „ i m Rahmen der staatlichen Verantwortung und der Rechts- und Ver4
Vgl. Niedersächsische Schulgesetze - NSCHG - von 1974 bis 1980.
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waltungsvorschriften" 5 , die Garantie der Eigenverantwortung der Lehrkräfte in Erziehung und Unterricht, allerdings mit Bindung an Rechtsvorschriften, Gremienbeschlüsse und Anordnungen der Schulaufsicht 6 und im Schulgesetz von 1974 die „Einschränkung der Fachaufsicht" 7 , wodurch die Eingriffsmöglichkeiten der Schulaufsicht in pädagogischen und unterrichtlichen Entscheidungen begrenzt werden sollten. Gleichwohl bleibt das Verhältnis von Schule und Schulverwaltung prekär. Die Entwicklung des Schulwesens in den 70er Jahren birgt gegenläufig zwei Elemente in sich, die anders als die gewollte Gestaltungsfreiheit die Tendenz zur Bürokratisierung stärken. Da ist zum einen das enorme Wachstum des gesamten Bildungssektors Anfang der 70er Jahre (z.B. Verdoppelung der Bildungsausgaben in 5 Jahren) mit entsprechender Ausdehnung der Kultusverwaltungen und zum anderen der Trend der zunehmenden Verrechtlichung des Schulwesens, z.T. verstanden als Schutzrechte der am Schulleben Beteiligten, aber auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Zahl widerspruchsbereiter Bürgerinnen und Bürger und auch als Instrument gegen vermeintlich überbordenden Reformeifer. Der seinerzeitige Ministerpräsidentenerlaß über das Fernhalten politisch Radikaler vom öffentlichen Dienst wird vor allem von der jungen Lehrergeneration als Machtinstrument und Disziplinierungsmittel der öffentlichen Verwaltung erlebt. Im Ergebnis bleiben die Bemühungen um die Teilverselbständigung der Schule zwiespältig. Einerseits ermöglicht der rechtlich abgesteckte Rahmen durchaus erweiterte Handlungsspielräume. Andererseits verstehen und erleben sich Schulen und Kollegien nach wie vor als über die Maßen reglementiert. Nur so ist es zu verstehen, daß der Niedersächsische Kultusminister Remmers Ende der 70er Jahre mit dem Schlagwort von der „erlaßfreien Schule" in der Öffentlichkeit breiten Widerhall findet. Der Kerngedanke ist auch hier, die Schule von rechtlichen Vorgaben und damit von Ansatzpunkten schulaufsichtlicher Tätigkeit zu entlasten und die eigenverantwortlichen Entscheidungskompetenzen auszubauen. Zu einer durchgreifenden Veränderung des Verhältnisses von Schulverwaltung und Schule hat diese Kampagne, zumindest schulrechtlich, nicht geführt.
III. Nachdem die meisten Bundesländer ihre Schulgesetze neu gestaltet und bei Regierungswechseln auch mehrfach novelliert haben, ist es in den 80er
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§ 21 NSCHG v. 1974. Vgl. § 35 NSCHG v. 1980. § 101 NSCHG v. 1974.
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Jahren relativ still um den Gedanken erweiterter Gestaltungsfreiheit der Schulen geworden. Ab Anfang der 90er Jahre, besonders ab 1993/1994, bricht plötzlich eine wahre Flut von Artikeln, Analysen und Schriften über die Öffentlichkeit herein, die sich unter den verschiedensten Aspekten neu mit dem Thema „Schulautonomie" befassen. Neu ist auch, daß eine so breite Öffentlichkeit auch an den diffizileren Fragen, die sich mit der Idee der verselbständigten Schule verbinden, regen Anteil nimmt. Über die Ursachen, die das Thema „Schulautonomie" beinahe zum Modeartikel gewandelt haben, lohnt es sich, genauer nachzudenken. Es sieht so aus, als ob sich hinter dieser Erscheinung einige allgemeine Trends verbergen. Denn das Thema „Schulautonomie" wird nicht nur bei uns heftig diskutiert. Fast alle Industriestaaten - nicht nur in Europa - diskutieren über Verwaltungsabhängigkeit und Eigenständigkeit von Schulen bzw. Bildungseinrichtungen. Ich möchte drei Trends benennen, die besonders in den 80er Jahren an Bedeutung gewonnen haben bzw. zunehmend ins Bewußtsein gerückt sind: 1. Der Wertewandel in der Gesellschaft. Der Soziologe Ronald Inglehart 8 konstatiert in seinen Untersuchungen weltweit in den industrialisierten Ländern einen Trend von einer materialistisch orientierten Werthaltung zu einer postmaterialistischen Kultur. Seine Theorien bleiben zwar nicht unwidersprochen, haben aber nach wie vor Evidenz und werden vielleicht eher durch die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen korrigiert als durch wissenschaftliche Kritik. Im Rahmen dieses Wertewandels treten traditionelle Orientierungen (Sicherheitsstreben, wirtschaftliches Wohlergehen) zurück zugunsten von Werten, die stärker auf Selbstgestaltung und kulturelle Teilhabe ausgerichtet sind (weniger unpersönliche Beziehungen, mehr Mitspracherecht, schöne Städte/Natur, Redefreiheit). 2.
Grenzen der zentralen Steuerung hochkomplexer Systeme: Die immer weiter auswuchernden Großkonzerne mit ihren Verwaltungsapparaten wie auch die in den letzten 20 Jahren gewachsenen Bürokratien haben immer deutlicher die Grenzen der organisationellen Steuerung hochkomplexer Systeme vor Augen geführt. Das Problem wird verschärft durch den raschen Wandel der wirtschaftlich relevanten Umwelt und die Notwendigkeit, schnell und flexibel darauf zu reagieren. Als erstes beginnen Unternehmen mit Zerlegung ihrer Organisation in selbstverantwortliche, marktgesteuerte Teilsysteme. Dies ist bei Verwaltungen so
8 Vgl. Inglehart, R.: Kultureller Umbruch. Wertewandel in der westlichen Welt. Frankfurt/New York 1989.
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nicht möglich, jedoch drücken die gleichen Probleme. Mit Verzögerung reagieren Verwaltungen mit Abgabe und Neudefinition von Aufgaben, mit internen Verwaltungs- und Organisationsreformen (Organisationsentwicklungs-Programme) und Personaleinsparungen unter dem Schlagwort „lean administration". 3.
Die neoliberale Ideologie globaler Deregulierung: Es gibt eine interessengeleitete Debatte über die Notwendigkeit von Deregulierung auf den verschiedensten Ebenen innerhalb des Staates, aber auch in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Staaten. Durch Deregulierung sollen Initiativen, aber auch Marktkräfte freigesetzt werden. Die regulative Ausgleichs- und soziale Schutzfunktion des Staates wird als übertriebenes Hemmnis deklariert.
Fasse ich diese drei Trends zusammen, ergibt sich folgendes: Diese weltweit beobachtbaren Trends wirken, wenn wir sie auf unser Bildungssystem beziehen, gleichsinnig. Die Menschen möchten sich in ihrer Arbeit nicht länger abhängig sehen von unpersönlichen Steuerungskräften, sondern frei ihren Arbeitseinsatz zumindest mitgestalten. Die Qualifikationen dafür bringen sie inzwischen infolge der Bildungsexpansion mit. Sie haben die Immobilität von Unternehmens- und Verwaltungsbürokratien oder anderen großen Sozialsystemen (z.B. auch Parteien) erfahren und sind für Kritik an diesen Zuständen empfänglich (große öffentliche Resonanz). Gehobene und damit tonangebende Teile der Gesellschaft sehen ihre Interessen in einer stärker deregulierten Gesellschaft als besser durchsetzbar an. Die Debatte um Schulautonomie spiegelt diese weltweit wirksamen Trends wider. Sie gibt auch erste Ansatzpunkte für die Einschätzung der Befindlichkeiten und Interessen der in einem derartigen Prozeß Involvierten. Als besonderer Faktor kommt in Deutschland hinzu: die deutsche Einigung mit ihrer ökonomischen und sozialen Anpas'sungskrise. Die deutsche Einigung strapaziert die öffentlichen Kassen in einem ursprünglich nicht vorhergesehenem Maße. Alle öffentlichen Bereiche, auch das gesamte Bildungswesen, stehen unter dem Diktat des Rotstiftes. Die Frage nach den im Bildungssystem notwendigen Overhead-Kosten für Verwaltungsaufbau und -abläufe stellt sich radikaler als je zuvor.
IV. Die Schulsysteme in den neuen und alten Bundesländern sind in ihrer jetzigen Struktur auf vollständig unterschiedlichem Fundament entstanden: radikaler Umbruch auf der einen, allmähliche Entwicklung auf der anderen Seite, lange Zeit ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse in den neuen Län2 Schäfer/Sroka
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dem, überwiegend beamtete oder dauerbeschäftigte Lehrkräfte in den alten Ländern. Vor dem Hintergrund gesicherter Beschäftigungslage bzw. Einkommen läßt sich natürlich anders über Schulautonomie denken und diskutieren als auf ökonomisch schwankendem Boden. In den Kategorien von Inglehart gesprochen: Wo wegen ungesicherter wirtschaftlicher Situation materialistische Wertorientierungen (z.B. Sicherheitsstreben) Vorrang haben (müssen), entfällt ein wesentlicher Faktor als motivationale Schubkraft für die Autonomiedebatte. Auch in der Bundesrepublik der 50er und frühen 60er Jahre geht Sicherheitsstreben allemal vor Reformbereitschaft. Allerdings ergibt sich im Prozeß des Zusammenwachsens der Länder und ihrer Bildungssysteme auch eine zunehmende Gemengelage gleichartiger Probleme. Mit der grundsätzlichen Übernahme des Schulsystems westdeutscher Bundesländer haben die neuen Länder nicht nur dessen Stärken, sondern auch dessen Schwächen mitgeerbt. Gleichwohl gilt es festzuhalten, daß beim Einstieg in die Autonomiedebatte für die Kollegien in den neuen Bundesländern ein anderer Ausgangspunkt besteht als in den alten Ländern. Vergleicht man die staatliche Anbindung der Einzelschule in der ehemaligen DDR mit dem System in den westdeutschen Bundesländern, ergeben sich deutliche Differenzen. In der ehemaligen DDR verzeichnen wir die zentrale Durchsteuerung des gesamten Bildungssektors vom Politbüro des Z K der SED über alle Verwaltungs- und Parteiebenen hinweg bis in die Städte und Gemeinden mit ihren Schulen. Der Steuerungsanspruch ist total bezogen auf Ideologie und Unterrichtsinhalte. In der von Anweiler, Fuchs u.a. erstellten eindrucksvollen Grafik über die Einfluß- und Kompetenzstrukturen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich in der D D R 9 ist die Einbindung der Schule in den Doppelgriff von Verwaltungs- und Parteibürokratie gut ablesbar. Zieht man zum Vergleich die Einfluß- und Kompetenzstrukturen im Bildungsbereich heran, wie sie in den westdeutschen Ländern gewachsen und heute in allen Ländern gültig sind, ergibt sich ein differenziertes B i l d . 1 0 Trotz Föderalismus besteht innerhalb der einzelnen Bundesländer ein durchaus zentralistisches Steuerungssystem, jedenfalls bislang. Der Kultusminister ist in bestimmten Angelegenheiten imstande, von der obersten Schulbehörde aus bis in die einzelne Schule durchzusteuern. Diese Möglichkeit hat Helmut Becker 1956 zu der polemischen Äußerung veranlaßt: „Der zur Zeit in Deutschland gepflegte Kulturföderalismus ist ja verwaltungsrechtlich gesehen innerhalb der Länder von einem Zentralismus, der zum Teil 9 Vgl. Anweiler, O.I Fuchs, H.-J. (Hrsg.): Bildungspolitik in Deutschland 19451990. Opladen 1992, S. 533. 10
Vgl. das Schema in ebenda, S. 532.
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die Verwaltungspraxis des Dritten Reiches noch übertrifft". 11 Ich halte diesen Vorwurf Beckers für ungerechtfertigt. Bei näherem Hinsehen haben wir es mit Einflüssen von teilweise unabhängig voneinander agierenden Institutionen zu tun, und zwar jeweils auf der Ebene von plural zusammengesetzten Volksvertretungen auf Landes-, Kreis- und Gemeindeebene sowie Landesverwaltung und Kommunalverwaltung mit jeweils eigenen verfassungsund kommunalrechtlich abgesicherten Kompetenzen. D.h. neben den rechtlich definierten und vielfach auch eingegrenzten Durchgriffsmöglichkeiten im Rahmen der Schulverwaltungshierarchie gibt es ein Geflecht kooperierender und gelegentlich auch gegeneinander arbeitender Institutionen, die Einfluß zu nehmen versuchen. Im Vergleich zum in der ehemaligen DDR gepflegten Zentralismus zeigt sich das System der Einfluß- und Kompetenzstrukturen in der Bundesrepublik als Mischsystem von zentralen Kompetenzen mit dezentralen eigenverantwortlichen Entscheidungsbereichen, es ist pluralistisch und keineswegs geschlossen, sondern offen für Einflüsse und Veränderungen. Für die Autonomiedebatte ist ganz wichtig, daß Veränderungen nicht allein durch übergeordnete Instanzen, sondern auch und besonders von unten nach oben (bottom-up-Prinzip) durchgetragen werden können. Insoweit könnte das Schema von Anweiler u. a. auch noch ergänzt werden. Vor dem Hintergrund des Zentralismus in der ehemaligen DDR könnten Lehrkräfte aus den neuen Bundesländern zu dem Ergebnis gelangen, daß es sich ja nun kaum noch lohne, über erweiterte Gestaltungsspielräume für die Schule zu diskutieren, man hat sie ja bereits.
V. An dieser Stelle ist es nötig, sich zu vergewissern, was unter „Schulautonomie" zu verstehen ist. Eigentlich ist dieser Begriff irreführend. Eine völlig autonome, von allen institutionellen Einrichtungen gesellschaftlicher Willensbildung und gesellschaftlichen Lebens losgelöste Organisation Schule ist nicht möglich und sehr wahrscheinlich auch wenig sinnvoll. Der Begriff hat sich allerdings in der schulpolitischen Debatte eingebürgert und steht für erweiterte Selbstgestaltungsmöglichkeiten der Schule, und zwar als ein Bündel von untereinander verkoppelbaren Veränderungsperspektiven. Die Ansatzpunkte für Konzepte erweiterter Selbstgestaltung können sehr unterschiedlich sein und folgende Bereiche umfassen: „1. Programm- bzw. curriculumorientierte Autonomie: eigene Curriculumarbeit, Profilbildung der Schule (zum Beispiel musisch, ökologisch, 11
2*
Becker (Anm. 1), S. 66-67.
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technisch, naturwissenschaftlich, zwei- oder frühsprachlich-interkulturell, sport- oder erlebnispädagogisch). 2.
Gestärkte Selbstverwaltung: Selbstentscheidung über zugewiesene Etats, eigenständige Bewirtschaftung der Mittel, evtl. mit Einwerbung von Sponsoren-Geldern (Fund raising), Selbstentscheidung über bisher in Erlassen geregelte Vorgaben, kollegiale Schulleitung, erheblicher Einfluß bei der Einstellung von Lehrkräften und der Berufung der Schulleitung.
3.
Erweiterte Selbstgestaltungsmöglichkeiten bei der Lösung von besonderen Aufgaben: zum Beispiel Integrationsarbeit mit Zuwandererkindern, gemeinsames Lernen mit Behinderten, besondere Förderung benachteiligter Mädchen oder Jungen, intensive Schulpartnerschaftsprojekte.
4.
Neuer Gestaltungsrahmen für Qualifikation und Kontrolle: Entwicklung eigener Verfahren zur Evaluation des Unterrichts und Projektierung der Fort- und Weiterbildung (beides ggf. mit Hilfe der Beratung Dritter), Sicherung der Qualität des Unterrichts durch „Innere Schulaufsicht" und externe Beratung, Zusammenfassung der Qualifikations- und Kontrollaufgaben in einem Prozeß stetiger Personal- und Organisationsentwicklung." 1 2
Bei dieser Konkretisierung von Autonomieprojekten wird nicht selten der Einwand erhoben, daß dies doch überhaupt nichts Neues sei und viele Schulen schon das eine oder andere der aufgeführten Projekte praktiziert hätten. Zutreffend ist, daß in der Pädagogik selten etwas wirklich Neues aufgetischt wird und die Vielfalt des pädagogisch Möglichen immer schon irgendwo tiefschürfend durchdacht und günstigenfalls auch praktiziert worden ist. Das Neue besteht eher in dem Gesamtrahmen, in dem derartige Vorhaben stehen, nämlich stärker als bisher eigenverantwortlich Schulleben zu gestalten. Grundsätzlich sollte jede Schule selbst darüber entscheiden, in welchen Bereichen und in welchem Ausmaß sie ein Autonomieprojekt aufgreift. So könnte sich z.B. eine Schule ein von ihr als besonders wichtig erachtetes Gebiet herausgreifen und evtl. später weitere Bereiche hinzunehmen. Vieles zum gleichen Zeitpunkt zu beginnen, würde voraussichtlich die handelnden Personen überfordern. Die entscheidende Frage ist dann, wie motivieren sich die am Schulleben Beteiligten zu derartigen Neuaufbrüchen (oder werden motiviert), besonders wenn Rahmenbedingungen für die Arbeit an den Schulen durchaus zu Mißhelligkeiten Anlaß geben (mangelnde Unterrichtsversorgung, Überalterung 12 Ahrens, J.-R.: Schulautonomie - Zwischenbilanz und Ausblick. In: Die Deutsche Schule, 88 (1996) 1, S. 18.
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des Lehrkörpers, schrumpfende Schuletats u.a.m.). Mit dem gesellschaftlichen Wandel verändert sich unter der Hand auch die Schule ständig. Die Frage ist, ob man diesen Veränderungsprozeß der Schule in Teilen selbst gestalten oder nur zum Objekt des Wandels werden möchte.
VI. Eine Reihe von Bundesländern haben die Signale inzwischen auf aktiv gestalteten Wandel gestellt, und zwar durch neue Rechtsregelungen, die den Handlungsrahmen der Schulen erweitern, durch neue Unterstützungs- und Beratungssysteme (z.B. Moderatorenausbildung in NRW und Bremen), weiterhin durch Schulverwaltungsreformen. Niedersachsen hat eine Schulverwaltungsreform begonnen, in deren Verlauf eine Schulinstanz wegfällt (untere Schulbehörde). Sachsen-Anhalt, das ebenfalls zur zweistufigen Schulverwaltung übergeht, läßt dagegen die Mittelinstanz wegfallen und bildet neue regionale Schulämter. Dieser Prozeß wird begleitet von gutachterlichen Stellungnahmen über die zukünftige Verteilung von Kompetenzen (in Niedersachsen die „Düwel-Kommission" mit dem Schlußpapier von Juni 95) und zum eigentlichen Reformprozeß der erweiterten Selbstgestaltung (in Niedersachsen das „Ermert-Papier" vom November 1996). Im Rahmen der Verwaltungsreform sind Vorschläge zur Vereinfachung und zum Wegfall von Verwaltungsaufgaben gemacht worden sowie zur Delegation von Entscheidungen, die bisher auf übergeordneter Ebene getroffen wurden, auf die Schulen. Der Anstoß zu dieser Verwaltungsreform kommt nicht aus pädagogischen Erwägungen, sondern aus finanzpolitischen, nämlich Stelleneinsparungen im Verwaltungsbereich zu erzielen. Die Delegation von Entscheidungskompetenzen auf die Schulen kommt allerdings dem Autonomie-Konzept entgegen. Bei dieser Delegation von Entscheidungsbefugnissen gibt es dann wenig Probleme, wenn die Verteilung der Aufgaben innerhalb des Kollegiums und das System der verteilten Rollen im großen und ganzen unberührt bleibt. Wird die Rolle des Schulleiters hingegen stärker auf Attribute der Vorgesetzten-Rolle verändert, z.B. durch das Recht der dienstlichen Beurteilung (und sei es nur zu besonderen Anlässen), gerät das bisherige System der Rollenverteilung ins Wanken und gibt damit zu Konflikten Anlaß (so in Niedersachsen). Betrachtet man das Geflecht der Rollenbeziehungen einer einzelnen Lehrkraft, so ergibt sich ein Netz von Beziehungen zu Schülern, Kollegen, Schulleitung und weiterhin innerhalb der Organisation Schule zu Elternvertretungen, Schülervertretung, Mitgliedern von Schulkonferenzen. Über den Rahmen der Organisation Schule hinaus gibt es direkte Beziehungen zu
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Eltern sowie Vertretern von Institutionen wie Schulverwaltungshierarchie, Vertretungskörperschaften auf Gemeinde- bzw. Kreisebene, Betrieben u.a.m. (s. Abbildung 1). Ohne die schematische Auflistung des Geflechtes von Rollenbeziehungen überzustrapazieren, kann jedoch auf einen Blick festgestellt werden, daß die einzelne Lehrkraft in einem dichten Geflecht von Rollenbeziehungen teils sehr persönlich gefärbter Art, teils in einem institutionell geprägten Rahmen steht. Bei der Vielfalt unterschiedlicher Rollenerwartungen muß das Potential an Rollendruck und Rollenkonflikten als nicht unerheblich eingeschätzt werden. Das Projekt Schulautonomie greift in dieses Geflecht von Rollenbeziehungen ein. A m Beispiel der Stärkung der Kompetenzen der Schulleitung wurde dies bereits deutlich. Aber auch andere (Teil-)Projekte von Schulautonomie wirken sich hier aus. Die Entwicklung eines eigenständigen Schulprofils bzw. Schulprogramms, die Einrichtung eigener Verfahren zur Evaluation der Effekte dieses Programmes und damit auch zur Evaluation des Unterrichtes muß zwangsläufig Veränderungen im Rollengefüge der Organisation Schule nach sich ziehen. So ist es für die Schulen pädagogisch notwendig und auch rechtlich abgesichert, die individuelle Eigenverantwortlichkeit der Lehrkräfte für den von ihnen erteilten Unterricht zu wahren. Es geht um den notwendigen Gestaltungsspielraum der einzelnen Lehrkraft und in diesem Sinne um seine pädagogische Autonomie. Dies ist ein individuelles Recht. Bei der Schulautonomie geht es jedoch um den erweiterten Gestaltungsrahmen der Schule als Ganzes. Dies hat Folgen für das Geflecht der Rollenbeziehungen. Aus dem Nebeneinander gleich gelagerter Rollen wird eine gefüge- oder teamartige Struktur, und zwar umso mehr, je umfassender Autonomieprojekte in den Schulalltag eingebaut werden. Es entsteht also ein Spannungsverhältnis zwischen individueller Eigenverantwortlichkeit, die bestehen bleibt, und den Abstimmungsbedürfnissen zu Kollegen, Schülern, Eltern, Betrieben usw. im Rahmen gefügeartiger Kooperation. Besonders im Zusammenhang mit Vorhaben, die der Qualitätssicherung, Selbstevaluation und Organisationsentwicklung (systematisch geplanter Wandel) dienen, wird die Qualität der Rollenbeziehung der Beteiligten untereinander und das Geflecht der Rollenbeziehungen insgesamt verändert. Dies ist auch der Grund, warum derartige Projekte ein sorgfältiges, genau durchdachtes, schrittweises Vorgehen erfordern. Die niedersächsische Kommission „Schulentwicklung, Beratung und Fortbildung" greift daher in ihrem Bericht vom November 1996 auf bislang gemachte Erfahrungen und Berichte aus anderen Staaten und Bundesländern zurück und regt Organisationsentwicklungs-Projekte als Institutionelles Schulentwicklungsprogramm (ISP) auf der Grundlage der von Per Dalin
Verwaltete Schule oder Schulautonomie?
Institutionelle Ebene
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Individuelle Ebene
Anlässen Abbildung 1 : Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Beziehungsgeflecht der am Schulleben Beteiligten
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und anderen entwickelten Konzepte an. Die Kommission macht sich insbesondere die 10 Grundannahmen von Horster 13 zu eigen, die dem schrittweisen, reflektierten Vorgehen bei geplantem Wandel zugrundeliegen sollten. Horster fordert in seinem differenzierten 10-Punkteprogramm, daß die Schule selbst mit ihren Besonderheiten zum Ausgangspunkt jeder Veränderungsstrategie gemacht werden müsse. Dazu gehöre, die unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen und Bewertungen der Beteiligten aufzunehmen, kooperative Strukturen aufzubauen und potentielle Konfliktbereiche aufzuarbeiten. Kooperation und Schulentwicklung müßten sich an konkreten Projekten entfalten, Entscheidungsspielräume aktiv genutzt und ausgebaut werden. Beim ISP gehörten Planung und Ausführung in gleiche Hände, woraus neue Abläufe und Kooperationsformen entstünden. Die Beteiligten und die Schule als Ganzes würden dazulernen, die interne Organisationskultur gemeinsam weiterentwickeln und zum Anknüpfungspunkt von Identifikation ausbauen.14 Wegen der Komplexität dieses Prozesses wird überwiegend externe Hilfe (Beratung, Moderation, Fortbildungsvorhaben) als hilfreich oder sogar notwendig erachtet. Zum Schluß stellt sich die Frage: „Wollen denn die Schulen überhaupt mehr Gestaltungsfreiheit, oder haben geschickte Schulleitungen und ihre Kollegien, die schon jetzt teamartig kooperieren, sich nicht längst alle die für ihr qualitätsvolles Arbeiten notwendigen Freiheiten genommen?" Die eingangs dargelegten allgemeinen Trends haben die Debatte um mehr Gestaltungsfreiheit in anderen Ländern vorangebracht und beflügelt, es ist unwahrscheinlich, daß diese Entwicklung ausgerechnet bei uns unter- oder abgebrochen würde. Selbstbestimmung, Bürokratiekritik, Entkoppelung großer Organisationssysteme, haben auch bei uns ihr sozialstrukturelles Fundament und werden als Notwendigkeiten weitgehend akzeptiert. Ob der Impuls zur Veränderung dem Leidensdruck oder der Einsicht entspringt, das bleibt allerdings vielfach offen. Literatur Ahrens, J.-R.: Schulautonomie - Zwischenbilanz und Ausblick. In: Die Deutsche Schule, 88 (1996) 1, S. 10-21. Becker, H.: Die verwaltete Schule. In: Kulturpolitik und Schule. Probleme der verwalteten Welt. Stuttgart 1956. 13
Vgl. Horster, L.: Ein OE-Konzept für die Schule. Von der fragmentierten Schule zur Lernorganisation. In: Buchen, H./Horster, L./Rolff, H. G. (Hrsg.): Schulleitung und Schulentwicklung. Stuttgart 1994. 14
Ebenda, S. 16 ff.
Verwaltete Schule oder Schulautonomie?
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Bildungspolitik in Deutschland 1945-1990. Ein historisch-vergleichender Quellenband, hrsg. v. Anweiler, O./Fuchs, H.-J. u.a. Opladen 1992. Fürstenau, P.: Neuere Entwicklungen der Bürokratieforschung und das Schulwesen. Ein organisationssoziologischer Beitrag. In: Bildung und Erziehung in der Industriegesellschaft, hrsg. v. Hartfiel, G./Holm, K. Opladen 1973. Horster, L.: Ein OE-Konzept für die Schule. Von der fragmentierten Schule zur Lernorganisation. In: Schulleitung und Schulentwicklung, hrsg. v. Buchen, H./ Horster, L./Rolff, H. G. Stuttgart 1994. Inglehart, R.: Kultureller Umbruch. Wertewandel in der westlichen Welt. Frankfurt/ New York 1989. Zur Reform von Organisation und Verwaltung im Bildungswesen. Teil I: Verstärkte Selbständigkeit der Schule und Partizipation der Lehrer, Schüler und Eltern, hrsg. vom Deutschen Bildungsrat, Bonn 1973. Schlußbericht der Arbeitsgruppe „Schulverwaltungsreform" im Niedersächsischen Kultusministerium vom 26. Juni 1995 („Düwel-Papier"). Schulautonomie - Chancen und Grenzen. Impulse für die Schulentwicklung, hrsg. v. Daschner, P./Rolff, H. G./Stryck, T. Weinheim/München 1995. Schulentwicklung, Beratung und Fortbildung in Niedersachsen. Stand - Perspektiven - Empfehlungen, Bericht der Kommission „Schulentwicklung, Beratung, Fortbildung" beim Niedersächsischen Kultusministerium vom 29. Nov. 1996, Hannover 1996 („Ermert-Papier").
Aufgaben der Schulverwaltung (Schulaufsicht) und Freiheit des Lehrers in den neuen Bundesländern Von Siegesmund Schulz Das Thema: Aufgaben der Schulverwaltung und Freiheit des Lehrers in den neuen Bundesländern behandle ich aus der Sicht eines heutigen Schulrates im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, der als ehemaliger DDRBürger selbst Lehrer war. Dabei ist es mir wichtig, Verallgemeinerndes über den DDR-Lehrer und die ihm gewährten „Freiheiten" mitzuteilen. Vor diesem Hintergrund wende ich mich eingangs der schulischen Alltagssituation für Schüler und Lehrer unter den Bedingungen der sozialistischen Einheitsschule in der DDR zu. In einem zweiten Schritt versuche ich, Besonderheiten der Schule „ i m Jahre 0" des Übergangs 1990/91 zu beschreiben. Zum dritten gehe ich auf die beginnende Konsolidierung ab dem Schuljahr 1991/92 ein, im vierten Abschnitt wende ich mich schließlich der Schulentwicklung in unserem Bundesland mit Inkrafttreten des Schulgesetzes Mecklenburg-Vorpommern am 15. Mai 1995 zu. In den vier Abschnitten nehme ich aus einer ganz persönlichen Sicht eine Situationsbeschreibung von Schule und ihrer Entwicklung sowie eine Standortbestimmung der Lehrerschaft vor und beziehe Stellung zu den realen Möglichkeiten der Wahrnehmung schulaufsichtlicher Aufgaben.
I. Ich beginne mit einigen Ausführungen zum eigenen Entwicklungsweg, der sich nur unwesentlich von dem vieler DDR-Bürger unterscheiden mag. Nach der achtklassigen Einheitsschule stellte sich für mich die Frage nach dem weiteren Bildungsweg. Der Gang auf die Erweiterte Oberschule (EOS) war theoretisch möglich, jedoch war er an die von der SED gestellten Bedingungen geknüpft (Jung- und Thälmannpionier, Mitglied der FDJ - Freie Deutsche Jugend). Das reichte noch nicht für den Eintritt in die EOS. Zugang zu höherer Bildung war und blieb vor allem Jugendlichen vorbehalten, die in Klasse 8 am Jugendweihejahr teilnahmen und am Tag der „Weihe" das vom SED-Staat erwartete klassenstandpunktbezogene („Lippen")-Bekenntnis zu „ihrem" Arbeiter-und-Bauern-Staat ablegten. Dieser Staat gab vor, alle progressiven Traditionen humanistischen Denkens in
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neuer Qualität zu repräsentieren, widerlegte sich aber dahingehend selbst, daß er aus der von ihm entwickelten marxistisch-leninistischen Bildungskonzeption heraus unter den ihm anvertrauten und zugleich ausgelieferten Kindern eine Selektion nach eindeutig ideologischen Auswahlkriterien vornahm. Vorrang genossen Kinder der Arbeiter und Bauern. Das von Volksbildungsministerin Margot Honecker zentralistisch geleitete Ministerium bestimmte bis in die letzte Abteilung der Städte und Kreise und bis zu den ihr hörigen SED-Schulleitern noch im Jahre 1989, wer die EOS bzw. Klassen der Berufsausbildung mit Abitur oder auch Abiturkurse der VHS besuchen durfte. Der Staat verfolgte das Ziel, die von ihm erwählte Elite so ausbilden zu lassen, daß sie nach erfolgreich bestandenem Abitur und Hochschulstudium in allen Bereichen des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens Führungspositionen einnehmen konnte. Nach erfolgreich abgelegtem Abitur und achtsemestrigem Universitätsstudium trat ich 1968 den Dienst als Lehrer an. Nach pflichtgemäßer dreijähriger Tätigkeit am Ort des Ersteinsatzes wurde Schwerin zur neuen Heimat. In 22 Folgejahren war ich Lehrer an 10-klassigen polytechnischen Oberschulen. Einer wiederholten Werbekampagne für die SED, die bereits 1967 während des Studiums einsetzte, entzog ich mich. Mein Eintritt in die CDU („Ost") war nicht alltäglich und wurde von der Schul- und Parteileitung an der Schule beargwöhnt. Als ehemaliger Lehrer in der DDR erlebte ich Schule wie die anderen meiner Schulratskollegen unseres Bundeslandes hautnah von innen. Auch die Lehrerschaft war durch die alles beherrschende Partei ohne Rücksicht auf fachliche und persönliche Eignung und Befähigung in zwei Kategorien eingestuft: Zur Kategorie 1 zählten linientreue oder „mitlaufende" Genossen, die in den von anderen Lehrern bereits zeitlich gesondert abgehaltenen parteiinternen pädagogischen Beratungen Festlegungen/Beschlüsse nach Maßgabe der Partei trafen. Die Kategorie 2 umfaßte sonstige Lehrer, Nichtgenossen, die das vorher bereits Besprochene zur Kenntnis zu nehmen und gemeinsam mit den anderen zu beschließen und umzusetzen hatten. Jeder Lehrer war verpflichtet, seinen Unterricht auf der Grundlage verbindlicher staatlicher Lehrpläne vorzubereiten und zu erteilen. Die Konzeption sozialistischer Allgemeinbildung war im zentral gültigen Lehrplanwerk zusammengefaßt und entsprach dem im Programm der SED formulierten Ziel „ . . . der Erziehung und Ausbildung allseitig entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten, die ihre Fähigkeiten und Begabungen zum Wohle der sozialistischen Gesellschaft entfalten, sich durch Arbeitsliebe und Verteidigungsbereitschaft, durch Gemeinschaftsgeist und das Streben nach hohen kommunistischen Idealen auszeichnen."1
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Im Standardwerk „Allgemeinbildung und Lehrplanwerk" widmete das Autorenkollektiv unter Leitung des „Chefpädagogen" der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR, Gerhart Neuner, der ideologischen Erziehung einen gesonderten Abschnitt und gab dazu folgende Begründung: „Eine wissenschaftlich anspruchsvolle Allgemeinbildung, solides Wissen und Können, eine hohe geistige Kultur sind entscheidend für eine stabile ideologische Position der sozialistischen Persönlichkeit." 2 Jedem Leser dieses Werkes wird bewußt, daß jedes Fach ausnahmslos seinen spezifischen Beitrag zur inneren Einheit aller Fachbereiche und Fächer im Gesamtlehrplanwerk hinsichtlich einer klar definierten ideologischen Erziehung als dem zentralen Ziel sozialistischer Allgemeinbildung zu leisten hatte. In jedem Lehrerkollektiv gab es neben der kleinen Gruppe ehrlich Überzeugter die der orthodoxen Marxisten-Leninisten, dazu kam die Mehrheit der angepaßten und nach außen mit wenig oder keinem sichtbaren Widerspruch in Erscheinung tretenden Lehrer. Welche Freiheiten hatte ein Lehrer, wenn er es war und bleiben wollte? Neben Anpassungsleistungen bestimmten bis zum widerstandslosen Zusammenfall der „großen Erzählung" des real existierenden Sozialismus im Jahre 1989 Zurückhaltung und Verunsicherung das Bild. Der Bildungssektor war zentralistisch durchorganisiert. Die vom Volksbildungsministerium verordneten Leitlinien nahmen ihren Weg von Berlin über die 15 Bezirksschulräte, von dort über die Abteilung Volksbildung der Städte und Kreise in jede Schule. Bis auf die Ebene eines Direktors und Stellvertreters waren Funktionsausübung und Mitgliedschaft in der SED fast identisch. Leiter sein, hieß in erster Linie politisch Verantwortlicher zu sein. Die Wahrnehmung der Dienst-, Rechts- und Fachaufsicht fiel der jeweiligen Abteilung Volksbildung zu. Ein Schulrat war höchst selten an den Schulen seines Bereiches. Er selbst umgab sich mit mehreren Schulinspektoren, die in seinem Auftrag auf Einhaltung von Recht und Ordnung im politisch-ideologischen, pädagogischen und fachlichen Bereich zu achten hatten. Sie stellten das „parteiidentische" Bindeglied zwischen Schulrat und Direktor dar. Das Pädagogische Kreiskabinett (PKK) mit den dort zugeordneten Fachberatern für jedes Einzelfach nahm im Auftrag des Schulrates bzw. nach direkter Anforderung eines Direktors für diesen vor allem die Aufgaben der Fachaufsicht wahr. Jeder Inspektor und i.d.R. auch die Mehrheit der Fachberater waren Mitglied in der SED. Mit dieser bewußten Personalauswahl war eine nahtlose Durchsetzung von Partei- und Regierungsbeschlüssen im gesamten Bereich des Schulwesens sichergestellt. 1 2
Programm der SED. Berlin 1976, S. 49. Allgemeinbildung und Lehrplanwerk. Berlin 1988, S. 55.
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Ein im ideologischen Bereich widersprechender oder nicht konform gehender Lehrer konnte gewiß sein, bei Nichteinsehen seines „Irrweges" und „Abkehr" die längste Zeit Lehrer gewesen zu sein. Mancher Lehrer trug das zu vermittelnde Wissensgut mit Augenmaß und Verantwortung an die Schüler heran. Unterricht und außerunterrichtliche Kinder- und Jugendarbeit, auch mit Halstuch oder Blauhemd, wurde von diesen nicht ausschließlich und vordergründig als Feld ideologischer Umsetzung von Bildungsund Erziehungszielen strapaziert, sondern auch zum gemeinsamen Gestalten und Erleben eigener Neigungen und Interessen in der Freizeit. Neben „Altgenossen" und den noch immer abwartenden, unsicheren und sich rückversichernden Lehrern gab es zusehends auch die in einen freieren Meinungsaustausch mit ihren Schülern Eintretenden. Einige Mutige wagten bereits am 23. Oktober 1989 an den Montagsdemonstrationen in Schwerin teilzunehmen. Während des Schuljahres 1989/90 gab es erste sichtbare Bewegungen um die geforderte innere Veränderung der Schule im Sinn demokratischer Reformen. An den „Runden Tischen der Bildung" beteiligten sich engagierte Lehrer, Eltern, Vertreter verschiedenster Parteien und Kirchen, um eine erforderliche Wende im Bildungswesen vorzubereiten. Allen Beteiligten war bewußt, daß DDR-Schule zu keiner Zeit als politisch abstinent galt, sondern Schüler entgegen ihren eigenen subjektiven Interessen als Objekt der politisch-ideologischen Macht der SED bewußt mißbraucht worden waren. Nach meiner Überzeugung wurde auch die Lehrerschaft in ihrer Mehrheit als Objekt der Staatspartei durch den ihnen auferlegten Dienstauftrag zur Ideologisierung der ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen mißbraucht. Gleichzeitig hatte jeder Lehrer bei Prüfung des eigenen Gewissens - abgeschwächt, stärker aufgetragen oder gar überzogen - Anteil daran, daß die sozialistische Schule mit ihrer staatlich verordneten Ideologie befördert und am Leben erhalten wurde. Diese Aussage verstehe ich als Versuch meinerseits, Lehrer zu einem bewußten Nachdenken anzuregen und zum möglichen Eingestehen nicht zu leugnender Mitverantwortung. Sie gilt keinesfalls als pauschale Schuldzuweisung. Die gesellschaftliche Öffentlichkeit beklagte nach der Wende, vielleicht nicht zu unrecht, daß viele der ehemaligen DDR-Lehrer eine große Chance ihrer pädagogischen Glaubwürdigkeit verpaßt hätten, um vor ihren Schülern die eigene Lebensgeschichte in der Schulgeschichte zu reflektieren. Im Schuljahr 1989/90 rückten zunehmend kritische Äußerungen ins Zentrum der Diskussion, wie z.B. Forderungen nach Abschaffung des Wehrunterrichts und des Faches Staatsbürgerkunde, Einführung der Friedenserziehung, stärkeres Eingehen auf Bedeutung und Inhalte der musisch-ästhetischen Bildung und Erziehung sowie die Öffnung hin zu ökologischen Fragen und Problemen unserer Zeit, Verbannen der staatlich verordneten
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sozialistischen Kinder- und Jugendorganisation sowie der Jugendweihe aus der Schule, Durchsetzung äußerer Differenzierung im Bildungsbereich u.a. neben der uneingeschränkten Zulassung junger Menschen auf die abiturbildenden Schulen und in pädagogische Berufe. Befähigte und unbelastet engagierte Lehrer berieten über die Neugestaltung künftiger Rahmenpläne. Zunehmend nutzten Lehrer das Jahr des Übergangs und die Folgejahre, um sich über neue methodisch-didaktische Ansätze und Wege zu informieren. Nicht selten bestand für den einzelnen oder auch das Lehrerkollegium die Möglichkeit zum Informationsbesuch in Schulen der Altbundesländer. Neben vordergründigen „Scheinjägern" waren es vielfach auch die motivierten Lehrer, die sich auf den Weg machten und in einer Reihe von qualitativ hochwertigen Fächerangeboten oder im Bereich der Fachdidaktik und -methodik ihren Blick für andere und neue Wege weiteten. Obschon die Mehrheit der Lehrer die Loslösung von sie bis dahin einengenden ideologischen Fesseln im Beruf begrüßte und sich in die neugewonnene Freiheit als wirklichem Gewinn einzudenken und einzuleben anschickte, empfand sie die einsetzende Diskussion um die Existenz ihres bis dahin unangetasteten Arbeitsplatzes als im höchsten Maße persönlich verunsichernd und belastend. In dem die Schule umgebenden Außenfeld wurde laut darüber nachgedacht, ob es nicht besser sei, die Schulen nach dem Zusammenbruch alter Machtstrukturen und vor Errichtung eines demokratischen Schulwesens für diese Übergangszeit ganz geschlossen zu halten. Die Befürworter dieses Vorschlags begründeten ihren gedanklichen Ansatz u.a. auch damit, daß eine sich von Grund auf erneuernde Schule mit der unveränderten Lehrerschaft kaum zu realisieren sei. Die ersten freien Kommunalwahlen im Mai 1990 dokumentierten überzeugend den Mehrheitswillen zur Demokratisierung des gesamten politischen und gesellschaftlichen Lebens und somit auch zur Neugestaltung des Schulwesens. A m 22.06.1990 richtete der neu ernannte Dezernent für Bildung, Kultur und Sport einen Aufruf an alle Direktoren der Schweriner Schulen, in dem er die exakte Einhaltung der Verordnung über Mitwirkungsgremien und Leitungsstrukturen im Schulwesen einforderte. Es ging um die Wahl schulischer Mitwirkungsgremien bei Schülern, Eltern und Lehrern sowie die zu bildenden Schulkonferenzen. Dieser Schulkonferenz sowie dem kommunalen Schulträger hatten sich der künftige Direktor und Stellvertreter nach erfolgter Bewerbung für die Tätigkeit im Schuljahr 1990/91 im Rahmen einer Anhörung zu stellen. In einer Reihe von Schweriner Schulen kam es nicht zu einer Bestätigung alter Leitungen. Die Auseinandersetzung mit ehemals besonders systemnahen Direktoren fand in der Regel auf der Ebene sachlicher und kritischer Gespräche statt. An einigen Schulstandorten genossen die „Alten" noch Rückhalt bei den in den neu gewählten Schulkonferenzen versammel-
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ten „Getreuen". Einige engagierte und befähigte Neubewerber mußten ermuntert werden, sich als Gegenkandidat zur „alten Garde" einer Anhörung zu stellen. An etwa der Hälfte der Schweriner Schulen konnten so zum Schuljahr 1990/91 neue, wenn auch in der Leitung von Schule noch unerfahrene Direktoren auf ein Jahr befristet bestellt werden. Gemeinsam mit diesen „Neuen" und „Neuen-Alten" hatten die neu eingerichteten Ämter für Bildung das von vielen inhaltlichen Veränderungen bestimmte Schuljahr 1990/91 zu bestreiten. A m 19. Juli 1990 wurden durch den Minister für Bildung der DDR in der Übergangsregierung des Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, Prof. Hans Meyer, 26 Damen und Herren zu Kreisschulräten im späteren Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ernannt.
II. Der Kreisschulrat war als Leiter des aufzubauendes Amtes für Bildung im ersten Dienstjahr Kommunalangestellter. Wie die Mehrheit der Kreisschulräte brachte ich neben viel Engagement und Mut eine über 20jährige pädagogisch praktische Erfahrung, Bereitschaft sowie Beharrlichkeit für veränderndes Mitgestalten und den Neubeginn eines demokratischen Schulwesens mit ein. Jeder Kreisschulrat hatte den ehemaligen Bereich der Abteilung Volksbildung in seinen noch bestehenden Strukturen übernommen, um daraus im Zeitraum eines knappen Jahres das jeweilige Amt für Bildung aufzubauen. Zum Personal der ehemaligen Abteilung Volksbildung zählten zu dieser Zeit Lehrkräfte der Allgemeinbildung, übergangsweise auch die Lehrer der Berufsbildung, Hortnerinnen, Kindergärtnerinnen, das Personal staatlicher Heime sowie sämtliche schulsächliche Mitarbeiterinnen. Schulaufsicht und Schulverwaltung fanden in zwei Abteilungen unter einem Dach zusammen. In Umsetzung der Kommunalverfassung und im Ergebnis der Landtagswahlen mußte eine Entflechtung beider Bereiche vorbereitet und vollzogen werden. Unter diesen Gegebenheiten war die Wahrnehmung der eigentlichen schulaufsichtlichen Aufgaben in diesem und auch in den Folgejahren nur in begrenztem Maß möglich. Vorrangig ging es zunächst um Aufgaben der Verwaltungsreform, um die Entflechtung bisheriger Strukturen bei inhaltlicher Zuordnung zu neu zu bildenden Ämtern und Zuständigkeiten im Kommunalbereich. Aufgrund einer breiten Reformbereitschaft, vorrangig im Jahr der Wende, konnten wesentliche der im ersten Teil genannten Forderungen bald erfüllt werden. An manchen Schulen war in diesem Jahr, man sprach auch vom „Jahr 0" vor dem Neubeginn, der alte DDR-Mief noch zu atmen. Einige Lehrer
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meinten nach wie vor, daß das sozialistische Bildungssystem keine Reform benötige. Ehemals Systemnahe behaupteten sogar, daß dieses über Jahrzehnte bewährte System der „Einheitsschule" vorsätzlich von einigen Oberschlauen aus dem Westen, die es dort zu nichts bringen konnten, und einigen Gernegroßpolitikern aus dem Osten wider besseres Wissen einer rückschrittlich verbürgerlichten Schule geopfert würde. In einigen Anhörungsverfahren der Schulleiter und Stellvertreter vor Schulkonferenzen oder bei Diskussionen um die Beibehaltung ideologisch befrachteter Schulnamen wie Lenin, Marx, Engels u.a. wurde deutlich, wie tief die von der SED gelegte Saat der Ideologie im Denken von Lehrern, Schülern und Eltern verhaftet war. Eines der „Modrow-Gesetze" hatte bis einschließlich 1. November 1990 dafür gesorgt, ehemaligen Lehrern, die zu DDR-Zeiten ihren Dienst als Lehrer aus unterschiedlichen Gründen quittiert und leitende Tätigkeiten in Bereichen des MfS, der N V A , des Partei- und Staatsapparates, der Bezirksund Kreisparteischulen der SED, bezirklicher und kreislicher Institutionen und Verwaltungen, der sozialistischen Kinder- und Jugendorganisation, anderer Parteien und Massenorganisationen mit bzw. noch vor Auflösung dieser Institutionen die Rückkehr und Wiederbeschäftigung als Lehrer zu ermöglichen. Ohne tatsächlichen Bedarf wurden vom Amt für Bildung in Schwerin in den Schuljahren 1989/90 und 1990/91 neben vertraglich angeforderten Hoch- und Fachschulabsolventen zusätzlich „Altkader" aus dem eigenen Kreis und Bezirk sowie aus anderen Gegenden der DDR zugeordnet. Hinzu kamen ehemalige Lehrer mit Teil-Berufsunfähigkeit und die bis 1989/90 tätigen Pionier- und FDJ-Lehrer an Schulen. Sie und andere Lehrkräfte, die den Schulen zusätzlich zugewiesen wurden, um Lehrerinnen in der Schwangerschaft oder im Erziehungsurlaub zu vertreten, waren zu beschäftigen. Klar war, daß sich im besonderen die „Modrow-Lehrer" als zusätzliche personelle Belastung beim Aufbau eines demokratischen Schulwesens erwiesen. Zum Ende des Jahres 1990 waren die für das Schuljahr 1991/92 erforderlichen Kündigungen dieser Personengruppe von jedem Schulrat im Auftrag des Kultusministeriums des Landes vorzubereiten und mit Vertretungsbefugnis für das Kultusministerium des Landes vor dem jeweiligen Arbeitsgericht zu bestreiten. Im September 1990 erteilte der Oberbürgermeister der Stadt Schwerin dem Leiter des Amtes für Bildung den Auftrag, von allen Beschäftigten bis zum 31.10. eine vorgegebene „Ehrenerklärung" unterschrieben einzufordern und über den jeweiligen Leiter der Einrichtung beim Amt vorzulegen. Mit seiner Unterschrift dokumentierte der Beschäftigte, zu keiner Zeit informeller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit/Amts für Nationale Sicherheit gewesen zu sein. Die verschlossenen Umschläge waren zu sichten 3 Schäfer/Sroka
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und zu registrieren. Wenn sich auch nicht jeder achte bis zehnte der befragten Lehrer als I M „enttarnte", so stimmte die Zahl Nichtunterschreibender sowie die mit unterschiedlichsten Zusatzerklärungen ausgefertigten Papiere sehr nachdenklich. Für all diese war ein Auskunftsersuchen an die GauckBehörde zu richten. Mit Übernahme der Lehrer in den Landesdienst erfolgte 1991 eine zweite Abfrage zu einer eventuellen IM-Tätigkeit im Auftrag des Kultusministeriums. Bis in das Jahr 1996 reagierte das Ministerium im Fall von Nichtunterzeichnern und bei Lehrern, die mit ihrer Unterschrift eine Falschaussage getroffen hatten, nach vorheriger Anhörung und Prüfung des Einzelfalls gegebenenfalls auch mit einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung. Im Ergebnis der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern im Dezember des Jahres der Deutschen Einheit übernahm eine aus CDU und FDP gebildete Koalition die Regierung. Es bedurfte großer Anstrengungen, um ein demokratisch legitimiertes Schulwesen auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Landesverfassung auf den Gesetzesweg zu bringen. Nicht wenige Personen, die sich 1989/90 in erklärter Reformbereitschaft „von unten" engagiert hatten, zogen sich nach kontrovers geführten Diskussionen vor Einführung des Ersten Schulreformgesetzes aufgrund vielfältiger Enttäuschungen über die neuen parlamentarisch-demokratischen Verhältnisse und ein „von oben" verordnetes Gesetz resigniert zurück. Der von ihnen gewollte und mit vorbereitete Umstellungsprozeß im Bildungsbereich wurde auch von einem Teil der Lehrerschaft als „bürokratisch", als „von oben gesteuerte" Transformation und als Ost-West-Transfer empfunden. A m 26. April 1991 wurde das Erste Schulreformgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern verabschiedet. Damit hatte das Bundesland ein demokratisch legitimiertes Schulwesen auf der Grundlage freiheitlich demokratischer Wertvorstellungen beschlossen. Die Vorsitzende der GEW in Mecklenburg-Vorpommern, Heidrun Breyer, äußerte sich in einem Interview der Lokalpresse in Rückschau auf diese Zeit im Sommer 1997 wie folgt: „ M i t dem neuen Schulgesetz wurde uns etwas übergestülpt und alles andere restlos über Bord geworfen. Dabei ist erwiesen, daß DDR-Schule auch eine ganze Menge gebracht hat, gerade im naturwissenschaftlichen Bereich oder gar die Ganztagsschule."3 Im Bereich der Schulverwaltung waren im Frühjahr 1991 aufwendige Berechnungen für eine erste Schulentwicklungsplanung abgeschlossen. Diese mußte mit den im Schulreformgesetz ausgewiesenen Regelschularten und Angebotsschulen in Übereinstimmung sein und den direkten Bedarf auswei-
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Breyer, H. in: Blitz (Schwerin), vom 14.9.1997.
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sen. Innerhalb kürzester Zeit zwischen der Verabschiedung des Gesetzes und dem Schuljahresbeginn 1991/92 mußte alles getan werden, um das bis dahin gültige Einheitsschulwesen in die Dreigliedrigkeit zu überführen. Helmut Klaus, damaliger Abteilungsleiter für Allgemeinbildende Schulen im Kultusministerium, kommentierte diese Situation als direkt Beteiligter: „Innerhalb von knapp vier Monaten mußten die ehemaligen POS und EOS des gesamten Bundeslandes in mehrfacher Hinsicht zu den neuen Regelschulen umstrukturiert werden. Es galt zu prüfen und festzulegen, in welchen Bauten welcher Schultyp unterzubringen ist; welche Lehrer an welchem Schultyp unterrichten, wer wo Schulleiter wird. Schüler und ihre Eltern hatten zu entscheiden, wer welche Schule besucht." 4 Rund 288.000 Schüler an 971 allgemeinbildenden Schulen des Landes erlebten die gravierende und von manch organisatorischen Engpässen begleitete Umgestaltung. Die gesamte Lehrerschaft, rund 25.000, wurde in einem Ad-hoc-Verfahren mit für sie völlig neuen Inhalten und Strukturen nach westdeutschem Muster gefordert und manchmal überfordert. Klassenlehrer aller Klassen ab der Jahrgangsstufe 4 wurden quasi über Nacht und ohne ausreichende Vorbereitung aufgefordert, ihren Schülern eine schriftliche Empfehlung für einen der drei möglichen Bildungsgänge auszuhändigen und zu erläutern. Nach getroffener Entscheidung für einen Bildungsgang mußten die Eltern ihr Kind bei einer namentlich anzugebenden Schule anmelden. Aufgrund des tatsächlichen Bedarfs ergab sich für das Schulamt Schwerin bei ca. 120.000 Einwohnern mit 20.000 Schülern die Notwendigkeit zur Errichtung von: - sieben Förderschulen, davon zwei im Bereich Förderung geistig behinderter Kinder und Jugendlicher; - vierzehn Grundschulen, - vier Realschulen; - zwei Grund-/Realschulen, drei Grund-/Haupt-/Realschulen, fünf Haupt-/ Realschulen; - sieben Gymnasien, darunter ein Sport-, ein Musik-, ein altsprachliches und ein neusprachliches Gymnasium. Lehrkräfte, die an einem der zum Schuljahr 1991/92 neu einzurichtenden sieben Gymnasien als Lehrer tätig sein wollten, mußten sich mit schriftlichem Antrag beim Schulamt für diese Tätigkeit bewerben. Je nach Bedarf blieb der einzelne Lehrer an seiner früheren Schule oder wurde versetzt. 4 Zit. n. Busch, R.: Gemischte Gefühle - Einheitsalltag in Mecklenburg-Vorpommern. Berlin 1993, S. 254.
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Die Entscheidungsträger standen vor der schwierigen Aufgabe, aus einer Vielzahl von Bewerbern mit gleicher Ausbildung die geeignetsten und integeren Lehrer herauszufiltern, die an einem der künftigen Gymnasien unterrichten sollten. Vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt und auch in den Folgejahren zu leistenden vielfältigen Aufgaben im Bereich Schulorganisation und -Verwaltung sowie des zu betreibenden Personalabbaus war die Wahrnehmung der Aufgaben der Schulaufsicht mit Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht nur in sehr begrenztem Rahmen möglich. Rückwirkend zum 08.05. erfolgte am 01.06.1991 die Berufung der Schulräte in den Landesdienst. Die neuen föderalen Strukturen führten zur zeitgleichen Übernahme der Schulen in ein staatliches Pflichtschulsystem sowie der Personalhoheit für Lehrer durch das Land. Schulaufsichtliche Aufgaben wurden bis zum Schuljahr 1995/96 von jedem Schulrat schulartübergreifend parallel wahrgenommen. Bedarfsgerechte Lehrerumsetzungen gingen keinesfalls problemlos und nicht selten ohne Aufmarsch protestierender Eltern und Schüler vor sich. Hinzu kam die klagende Lehrerschaft. Die planerischen Vorgaben für künftige neue Stundentafeln machten neben der Berechnung des Gesamtbedarfs für jedes Schulamt eine nach Schularten und Standorten differenzierte Lehrerzuweisung erforderlich. Insgesamt kam es gegenüber den bis dahin gültigen Stundentafeln aus DDR-Zeiten zu erheblichen Streichungen, Streckungen sowie merklichen Verschiebungen innerhalb einzelner Fächer und Bildungsbereiche. Die Folge war eine erhebliche Reduzierung in der Grundschule, in den naturwissenschaftlichen Fächern (Physik, Biologie und Chemie), im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich und hier vor allem in der Geographie. Verschoben wurde zugunsten der Fremdsprachen, besonders in Richtung der 1. Fremdsprache Englisch. Während hier der Bedarf an Fachlehrern enorm stieg, sank er in Russisch rapide. Neben bereits angesprochenen Personalüberhängen führte die Erhöhung der Lehrerwochenstundenzahl von 23 auf 25 an Gymnasien, auf 26 an Gesamtschulen und 27 an Grund-, Haupt- und Realschulen sowie Förderschulen zu gravierenden personellen Belastungen. Nicht alle, die vor und während des Transformationsprozesses als Lehrer tätig waren, blieben auch Lehrer. Die Annahme der Vorruhestandsregelung half in bescheidenem Maße mit, den geforderten Stellenabbau zu realisieren. Das Schuljahr 1991/92, das erste nach vollzogenem organisatorischen Umbau des Schulsystems, begann mit veränderten, durchmischten und vielerorts auch völlig neuen Kollegien. Erst während der Ferien bzw. unmittelbar vor Schuljahresbeginn konnte dem einzelnen Lehrer abschließend bestätigt werden, an welcher Schule und unter wessen Leitung er am ersten Schultag seinen Dienst anzutreten hatte.
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Im Mai und Juni des Jahres hatten sich der künftige Schulleiter und sein Stellvertreter auf eine der neu einzurichtenden 46 Schulen in der Stadt Schulart- und schulstandortbezogen neu zu bewerben. In vielen persönlichen Gesprächen mit „ehemaligen Alten" und nicht immer „fest entschlossenen Neuen" versuchten die Schulräte indirekt Einfluß zu nehmen. Erstgenannten rieten sie von einer Neubewerbung ab. Den „Neuen" machten sie Mut und sicherten ihnen Unterstützung zu. Das Ergebnis war, daß das neue Schuljahr weitgehend mit neuen und politisch unangefochtenen Schulleitungen begonnen werden konnte. Unabdingbar war ferner die Einführung neuer und erstmals aus einer Fülle unterschiedlicher Schulbuchverlage von den unterrichtenden Lehrern schulartbezogen selbst auszuwählender Schulbücher. Diese und erste Vorläufige Rahmenpläne kamen sukzessive ab Oktober/November des bereits angelaufenen Schuljahres zum Einsatz. Bedarfsgerechte Neueinstellungen von Lehrern waren fast ausschließlich an Gymnasien in Fächern wie Englisch, Französisch, Latein und Griechisch erforderlich. Der Zugang erstgenannter Lehrer aus dem „Westen" führte innerhalb des Transformationsprozesses zu Direktbegegnungen mit einer Mehrheit ehemaliger DDR-Lehrer am gemeinsamen Arbeitsort. Die Aufnahme verlief personenbezogen und auch schulstandortbedingt unterschiedlich. Hier entschieden die Bereitschaft zu gegenseitigem Verstehen und Zuhören sowie der Wille, voneinander zu lernen. Der „Nur-BesserwisserWessi" hatte einen nachweislich schlechten Stand.
III. Der Start in das erste Jahr der Neugestaltung verlief nicht problemlos. Das Ausbleiben bzw. das sich über Monate hinziehende Verfahren der Zulieferung neuer Schulbücher lieferte neuen Zündstoff. Neu entstandene Kollegien mußten sich zusammenfinden. Zunächst amtierend eingesetzte Schulleiter und deren Stellvertreter hatten sich der Anhörung durch den Schulträger und die Schulkonferenz zu stellen. Bis in den Spätherbst bzw. das Frühjahr 1992 warteten sie auf ihre jeweils für ein Schuljahr befristete Bestellung. „Modrow-Lehrer" und andere politisch Belastete erhielten als erste ihren Kündigungsbescheid. Eine Änderung der Stundentafeln zum Schuljahr 1992/93 war in Vorbereitung. Ausfallstunden im eigentlichen Sinne konnte es bis dahin nicht geben, denn noch immer war ausreichend Personal vorhanden, um im Bedarfsfall ohne größere Probleme Lang- und Kurzzeitausfall (weitestgehend auch fachgerecht) zu vertreten. Das L.I.S.A., Landesinstitut für Schule und Ausbildung, hatte seine Arbeit aufgenommen und
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wurde neben der Wahrnehmung der 2. Ausbildungsphase für Lehrer unterschiedlicher Schularten u.a. auch in der Lehrerfort- und -Weiterbildung tätig. Insbesondere nutzten Grundschullehrer die Möglichkeit zur individuellen Fortbildung. Nicht selten legten sie damit den Grundstein für einen intensiven Erfahrungsaustausch und zum Beschreiten neuer methodischdidaktischer Wege an ihren Schulen. Im Sekundarbereich fanden schulartbezogene Fachthemen größeren Zuspruch. Fachgruppen- oder Fachschaftsarbeit wurde an Schulen mit mehreren Lehrern des gleichen Faches neu belebt, auch kooperative Formen der Zusammenarbeit zwischen Lehrern mehrerer Schulen und auch der Schulleiter gleicher Schularten entwickelten sich. Das Erscheinen Vorläufiger Rahmenrichtlinien führte zu verbindlichen Fachkonferenzbeschlüssen. Erste schulinterne Versuche im Bereich von Projekttagen oder -wochen wurden gestartet. Der Erlaß zur Lehrerfort- und -Weiterbildung ermöglichte es Schulen, SCHILF-Tage (Schulinterne Lehrerfortbildung) als Ganztagsveranstaltungen unter Vorlage eines pädagogischen Programms nach Genehmigung durch die untere Schulaufsichtsbehörde durchzuführen. Die Zahl neuer Erlasse nahm situationsbedingt zu. Turnusgemäß waren thematische Schulleiterberatungen erforderlich, um auch diese Erlasse gemeinsam zu erörtern oder zu interpretieren. Besonders intensiv wurden die Verordnungen über die zentrale Realschulabschlußprüfung sowie die Einführung der Abiturprüfungsverordnung mit dem Zentralabitur detailliert besprochen und interpretiert, um eine reibungslose Umsetzung sicherzustellen. Das Erscheinen der Richtlinien zur Durchführung von Schulfahrten und -Wanderungen an den öffentlichen Schulen im August 1992 beendete eine Zeit oft spontan von Schulen unternommener Reisen, die einzig der „Heilung eines unbegrenzten Reisefiebers" gedient hatten. Die in der Folge einzureichenden pädagogischen und fächerübergreifenden Programme dieser Fahrten waren bei Einhaltung eines Zeit- und Zielplans durch die Schulaufsicht zu genehmigen. Turnusmäßig fanden auf Grund des hohen Anfangsbedarfs thematische Schulleiterdienstversammlungen durch die untere Schulaufsicht statt, die immer auch stark beratenden Charakter hatten. Darüber hinaus initiierten die Schulräte mehrtägige Fortbildungsveranstaltungen in Kooperation mit dem L.I.S.A., der Ost-Akademie Lüneburg oder dem Schulamt im Herzogtum Lauenburg, um Schulleiter bei der Wahrnehmung ihrer verantwortungsvollen Aufgaben zusehends sicherer zu machen. Zur Jahreswende 1991/92 erschien die Vorankündigung auf die zum Schuljahr 1992/93 neu in Kraft tretenden Stundentafeln aller Schularten. Landes weit errechnete sich daraus ein Überhang an Lehrern von ca. 3.000 Stellen. Ca. 10% dieses Personalüberhangs war in Schwerin abzubauen.
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Mit der Planung und Durchführung dieser Maßnahme war das Schulamt bei gleichzeitiger Vorbereitung des Schuljahres 1992/93 voll beschäftigt. Neben ordentlichen Kündigungen, Änderungskündigungen für Ein-Fach-Lehrer auf einer Stellengröße von 0,5, waren Aufhebungsvereinbarungen mit Eintritt in den Vorruhestand termingerecht zum 30. Juni 1992 erforderlich. Die Differenz zur feststehenden Abbaugröße war durch „freiwilliges" Eintreten in Teilzeitarbeit, u.a. im Grundschulbereich, auszugleichen. Erster Kündigungsgrund war, mit Ausnahme außerordentlicher Kündigungen, grundsätzlich der substantiiert auf das einzelne Fach auszuweisende mangelnde Bedarf innerhalb des einzelnen Schulamtes. Zweiter Kündigungsgrund war hilfsweise vorsorglich die besondere Nähe einzelner Personen zum SEDStaat. Es ging um den Nachweis der bis 1989/90 in dominierender Stellung auf besonders indoktrinäre Weise ausgeübten Tätigkeit. Der Gang zum Arbeitsgericht sowie die schriftsätzliche Abfassung der Klageerwiderungen war zu diesem Zeitpunkt ein Hauptbetätigungsfeld der Schulräte. „Änderungsgekündigten" Einfachlehrern und solchen, für deren Fach perspektivisch geringerer Bedarf bestand, unterbreitete das Land Nachqualifizierungsangebote in einem Bedarfsfach über das L.I.S.A. Staatsbürgerkundelehrern blieb (und ist) der Zugang zu Fächern wie Sozialkunde, Philosophieren mit Kindern/Philosophie und Religion verwehrt. Vor Aufnahme der Nachqualifizierung hatte die Schulaufsicht Einzelgespräche zu führen, um die vor Gericht geschlossenen Vergleiche umzusetzen sowie die Anwahl möglicher Fächer zu prüfen und eine begründete Festlegung der zeitlichen Folge der Nachqualifikanten zu treffen. Ab dem Schuljahr 1991/92 traten sukzessive 129 Lehrer/Innen eine Nachqualifizierung in den Fächern Englisch, Französisch, Sozialkunde, evang. Religion, Philosophieren mit Kindern/Philosophie, Latein, Spanisch, Musik, Kunst/ Gestalten sowie Geographie und Geschichte an. Mit den Stundentafeln zum Schuljahr 1991/92 und der Festlegung von Englisch als 1. Fremdsprache ergab sich unmittelbar ein enormer Bedarf. 33 Lehrer machten sich auf den Weg einer Nachqualifizierung, hinzu kamen bedarfsgerechte Neueinstellungen an Gymnasien. Auch das ab 1991/92 neu unterrichtete Fach Sozialkunde erforderte die Nachqualifizierung von Lehrern, 29 traten in diese Maßnahme ein. Problemhaft gestaltete sich die Einführung des Faches Religion. Die überwiegende Mehrheit der ehemaligen DDR-Bevölkerung hatte unter dem Einfluß der atheistischen Erziehung der SED Religion und Kirche aus ihrem Leben verdrängt. Hinter diesem Fach argwöhnte sie, ja sie unterstellte den Kirchen, sich auf diesem Weg illegal Zugang zu den Kindern und Jugendlichen zu verschaffen und somit Einfluß und Macht zu gewinnen. Auch personell gestaltete sich die Unterrichtserteilung als Problem. Ausge-
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bildete Lehrer gab es zunächst nicht. Mit den seit 1991 in der Nachqualifizierung stehenden Lehrkräften konnte an einigen wenigen Schulen studienbegleitend zwischen vier und sechs Stunden Unterricht im Fach evangelische Religion erteilt werden. Diese Lehrer sahen sich nicht selten einer Front feindseliger Lehrer im eigenen Kollegium gegenüber. In ihnen sah man nun Lehrer, die ihnen die in der Stundentafel ausgewiesenen Religionsstunden, die sie bislang ersatzweise fachfremd selbst unterrichtet hatten, einfach „stahlen". Noch ärger erging es dem einen und anderen Religionslehrer aus den alten Bundesländern, der bedarfsgerecht in Verbindung mit einem zweiten Bedarfsfach an einem Gymnasium neu eingestellt worden war. Zu den zuvor angeführten Anschuldigungen kam vielfach offen oder verdeckt noch ein provozierter „Ost-West-Konflikt" hinzu. Einziges im Schulgesetz des Landes ausgewiesenes Ersatzfach für Religion ist Philosophieren mit Kindern/Philosophie. Trotz begrenzter Neueinstellungen an Gymnasien, und wiederum aus Altbundesländern, sowie 12 Nachqualifikanten, von denen die ersten im Frühjahr 1996 ihre Prüfung erfolgreich für den Sekundarbereich I ablegten (fünf entschlossen sich zum Aufbaustudium für die Sekundarstufe II), konnte der Bedarf nicht einmal an Gymnasien gedeckt werden. Schulen, an denen Religionsunterricht erteilt, das Ersatzfach aus Gründen der Personalsituation aber nicht angeboten werden kann, dürfen in einer Übergangszeit Ersatzunterricht in einem Fach aus dem musisch-ästhetisch-künstlerischen Bereich erteilen. Der nach verbindlichen Rahmenrichtlinien erteilte Unterricht in Religion und Philosophieren mit Kindern/Philosophie ab Klasse 3 ist per Erlaß erstmals ab Schuljahr 1997/98 zu zensieren. Auch das entsprechend andere Ersatzfach ist nunmehr verpflichtend gefordert. Die antragstellende Schule muß in Ermangelung eines Rahmenplanes erstmals ein jahrgangsbezogenes thematisches Jahresprogramm zur Genehmigung bei der unteren Schulaufsicht einreichen. Trotz des ersten gravierenden Personalabbaus sind bislang ca. 80% der ehemaligen DDR Lehrer im Schuldienst verblieben. Waren es im Januar 1992 im Amtsbereich noch 1.587 Lehrer, so reduzierte sich diese Zahl im Schulamtsbereich auf 1.326 im Dezember 1994. Bedauert wird in diesem Zusammenhang eine nicht seltene Rückkehr unbefristet neu beschäftigter Lehrer aus den Altbundesländern. 84 bzw. z.Zt. 86% des Nettolohnes ihrer Berufskollegen im „Westen" und fehlende Zusagen auf eine Verbeamtung sind wenig attraktiv, um sie über mehrere Jahre an unsere Schulen zu binden. Seit zwei Jahren werden mit neu eingestellten Lehrern unbefristete Arbeitsverträge mit einer kündigungsgeschützten halben Stelle geschlossen. Bedarfsgerecht können dazu jährlich befristet Änderungsverträge hinzutreten, die die Höhe vertraglicher Mehrstunden regeln. In der Praxis droht v. a. den Gymnasien, aber auch anderen Schule im Sekundarbereich I, eine fach-
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bezogene Kontinuität und eine z.Zt. gute geistige Durchmischung und Verjüngung der Kollegien verloren zu gehen. Fühlen sich die „Neuen" einerseits in den Kollegien wohl und sprechen sie anerkennend von der offenen Aufnahme und den freimütigen Meinungsäußerungen und kollegialen Hilfen, die sie begrüßen und zum Bleiben veranlassen könnten, so zählen gerade für junge und familienplanende Lehrkräfte die Beschränkungen und Abstriche im finanziellen Bereich zu den Gründen ihres möglichen Fortgehens. Bedauerlicherweise scheiterte im Jahre 1994 der Versuch des Kultusministeriums, gemeinsam mit dem L.I.S.A. und den Universitäten Geschichtslehrer, die ihre Ausbildung in der DDR absolviert und Unterricht in diesem ideologiebefrachteten Fach erteilt hatten, zu einer systematischen Blockweiterbildung zu veranlassen. Längst fällige Diskussionen über die NS-Diktatur, die Auseinandersetzung mit der Zeit kommunistischer Herrschaft, des Stalinismus und der SED-Diktatur sowie mit den ihnen vorausgegangenen Geschichtsepochen aus einer anderen als der uns allen vermittelten einheitlichen Sicht marxistisch-leninistischer Geschichtsbetrachtung fand somit nicht statt. Ein Blick auf eine Auswahl von Paragraphen des Ersten Schulreformgesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern, hier im Teil 4, läßt die den einzelnen Bediensteten zugewiesenen Aufgaben, Zuständigkeiten und Kompetenzen erkennen. Was der einzelne in seinem Bereich zu tun hatte oder besser hätte tun sollen, ist formuliert. Was er aber aufgrund stetiger und vielfältiger Aufgaben und Änderungen innerhalb eines kurzen sowie über Jahre anhaltenden Transformationsprozesses in seinem Bereich hat leisten können, das steht auf einem anderen Blatt. Zum 04.10.1994 erfolgte innerhalb der Gruppe der inzwischen noch 42 Schulräte, die im Verlauf der Umsetzung der Kreisgebietsreform in 18 Schulämtern des Landes ihre Tätigkeit ausübten, eine formale Trennung in die Gruppe der noch nicht 50jährigen, die auf Probe verbeamtet wurden, und in die der bereits 50jährigen und älteren, die im Angestelltenverhältnis blieben. Im Februar 1995 erhielten die Schulämter schriftlich den Auftrag, für alle tätigen Lehrer rückwirkend zum 22.10.1994 mit Inkrafttreten des Zweiten Änderungsgesetzes zum Landesbesoldungsgesetz MecklenburgVorpommern die Lehramtszuweisung und die darauf entsprechende Eingruppierung vorzunehmen. Per Erlaß vom 23. März 1995 wurden die Schulräte des Landes verpflichtet, Schulleiter, die seit 1991/92 bzw. in den Folgejahren mit einer auf jeweils ein Jahr verlängert befristeten Beauftragung ihre Tätigkeit engagiert und verantwortlich wahrgenommen hatten, dienstlich zu beurteilen. Dieses Verfahren war erforderlich, um Schulleiter als enge Mitstreiter bei
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der Demokratisierung der Schule und in der Wahrnehmung ihrer verantwortungsvollen Leitungsaufgaben auch vor dem Kollegium zu stärken und sie öffentlich zu bestätigen. Die letzten Schulleiter wurden durch das Kultusministerium im Schuljahr 1996/97 auf Dauer für eine Schule unter der Bedingung ihrer Bestandswahrung bestellt. Mit dem Beurteilungsverfahren für Stellvertreter war ab Herbst des Schuljahres 1996/97 zu beginnen und dieses zum Schuljahresende abzuschließen. Auch sie wurden bei entsprechendem Ausgang der Beurteilung mit einer Note beurteilt sowie nach Anhörung durch Schulkonferenz und kommunalen Schulträger auf Dauer berufen. IV. Das Schuljahr 1994/95 begann und verlief vor dem Hintergrund eines lange geführten Wahlkampfes, an dessen Ende eine Koalitionsregierung aus CDU und SPD stand. Das Kultusministerium wird seit Einigung in der Koalition durch eine SPD-Ministerin „regiert". A m Ende eines kontroversen Diskussionsmarathons wurde dem Landtag der gemeinsame Entwurf eines Schulgesetzes vorgelegt und am 15.05.1996 bei einer mit großer Spannung erwarteten Abstimmung durch den Landtag mit der Mehrheit der Regierungsparteien verabschiedet. Damit war die Phase des Übergangs der Demokratisierung des Schulwesens in unserem Bundesland abgeschlossen. Ein direkter Vergleich beider Gesetzestexte (Schulreformgesetz und Schulgesetz) in den Aussagen zu Lehrern, Schulleitern sowie zur Schulaufsicht weist vor allem auf Veränderungen und detailliertere Zuständigkeiten in den einzelnen Aufgabenbereichen hin. Mit der Abiturprüfung 1996 erreichte der erste im Schuljahr 1994/95 gestartete Jahrgang von Abiturienten unter den Bedingungen der neuen Abiturprüfungsverordnung das angestrebte Ziel. Mit dieser Abiturregelung waren die Vereinbarungen der Kultusministerien und der Ministerpräsidenten der Länder erfüllt, die die gleichwertige Anerkennung der erreichten Schulabschlüsse in allen Bundesländern sichern sollte. Der innerhalb von fünf Jahren zwischen 1989 und 1994 in der Geschichte des Bildungswesens bis dahin beispiellose und plötzliche Rückgang der Schülerzahlen um fast 70 Prozent veranlaßte das Kultusministerium mit Erlaß vom 22.05.1995, die kreisfreien Städte und Landkreise bis zum 31.06.1996 damit zu beauftragen, eine detaillierte Schulentwicklungsplanung für die Dauer von fünf Jahren zu erarbeiten. Dabei war die Schülerprognose mit einer Vorausschau auf die Bestandsfähigkeit der Schulstandorte bis zum Jahr 2010 auszuweisen und nach dessen Verabschiedung durch die Stadtvertretung dem Kultusministerium zur Genehmigung zuzuleiten.
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Für Schwerin ergab sich eine stufenweise Abnahme von Geburten seit 1988/89 und deren Einschulung zum Schuljahr 1995/96. Waren es 1989/90 noch 1.598 Geburten, so sank diese Zahl im Jahre 1990/91 auf 1.058. Folglich nahm die Zahl der Einschulungen systematisch ab. Dieser Trend wird bis einschließlich in das Einschulungsjahr 2000/01 anhalten. Erst um 2010, so die Prognose im Landesdurchschnitt, wird sich die Zahl einzuschulender Schüler dem Stand von über 50 Prozent der Ausgangssituation von 1989/90 annähern. Dieser massive Schülerrückgang reduziert den Lehrerbedarf von derzeit ca. 19.500 Lehrerstellen auf bedarfsgerechte 8.500 Stellen im Land. Nach derzeitigen Schätzungen wird in den 12-13 Jahren ein Abbau an Lehrerstellen von annähernd 11.000 unvermeidlich sein. Manche Schulschließung wird nicht ausbleiben. In Schwerin wurden mit Beendigung des Schuljahres 1996/97 die ersten beiden Grundschulen geschlossen, zum Ende dieses Schuljahres folgt eine dritte sowie die Schließung eines ersten Gymnasiums. Ein seit dem Februar 1996 den Lehrern vom Land vorgelegtes Personalkonzept sieht unterschiedliche Möglichkeiten wie Abfindung, Vorruhestand, Teilzeitarbeit oder Wechsel in den Bereich der Beruflichen Bildung vor. In einem sehr aufwendigen und jährlich neu zu berechnenden Gesamtbedarf für die Erteilung des Unterrichts müssen bei der Vorbereitung des jeweils folgenden Schuljahres die entsprechenden Abbaumaßnahmen parallel zu den befristeten Änderungsverträgen geplant und realisiert werden. Die derzeitigen Vorstellungen gehen dahin, Lehrer nach dem jährlich neu zu berechnenden Bedarf schrittweise auf einen unbefristeten und unkündbaren Vertrag mit einer 0,5-Stelle zu setzen. Zusätzlich mit einem darüber hinaus auf ein Schuljahr befristeten Änderungsvertrag könnten in der entsprechend benötigten Höhe des Zusatzbedarfs Stunden vereinbart werden. Trotz dieser Bedingungen sollten Kontinuität, Stabilität und auch Fachlichkeit sowie innere Ruhe und Arbeitsatmosphäre an den Schulen im kommenden Jahrzehnt keinen Abbruch erleiden. Im Frühjahr dieses Jahres wurden die im Amt bestätigten Schulleiter in Ergänzung des Beurteilungserlasses vom 23. März 1995 damit beauftragt, Lehrer, die sich im Verfahren einer beförderungsersetzenden Höhergruppierung auf Stellen des gehobenen Dienstes bzw. des höheren Dienstes beworben haben, dienstlich zu beurteilen. Dieses stellte für sie nicht nur eine Herausforderung dar, sondern erstmals wirkten sie maßgeblich an der personellen Besetzung im Bereich zu besetzender Funktionsstellen an ihrer Schule mit. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Als Schulrat erstelle ich nunmehr im 3. Jahr erlaßbezogen dienstliche Beurteilungen für alle unbefristet neu eingestellten Lehrkräfte in der Probezeit. Hierbei nehme ich mir ausreichend Zeit, um über das dienstliche Ge-
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spräch hinaus Auskünfte über die Annahme im Kollegium, die eigenen Eindrücke und Befindlichkeiten sowie die persönliche Planung zu erlangen. Auf einer Personalversammlung bestätigte die Kultusministerin die durch den Landtag getroffene Entscheidung, daß zum 01.08.1998 vier neue staatliche Schulämter zu bilden sind. Standorte der Schulämter sind ab diesem Zeitpunkt Schwerin, Rostock, Neubrandenburg und Greifswald. Der Transformationsprozeß struktureller und inhaltlicher Zuordnung innerhalb der staatlichen Schulaufsicht geht damit in die vorerst letzte Etappe. Literatur Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR (Hrsg.): Allgemeinbildung und Lehrplanwerk. Berlin 1988. Busch, R.: Gemischte Gefühle - Einheitsalltag in Mecklenburg-Vorpommern. Berlin 1993. Hahne, P.: No future - Wir haben Zukunft! Berlin, 12. Aufl. 1996. Melzer, WJSandfuchs, U.: Schulreform in der Mitte der 90er Jahre - Strukturwandel und Debatten um die Entwicklung des Schulsystems in Ost- und Westdeutschland. Opladen 1996. Neuner, G.: Allgemeinbildung. Konzeption - Inhalt - Prozeß. Berlin 1989. Postmann, N.: Keine Götter mehr - Das Ende der Erziehung. München 1995. Programm der SED. Berlin 1976. Schäuble, W.: Und der Zukunft zugewandt. München 1994.
Das didaktische Vakuum: Über die Schwierigkeiten selbstverantwortlicher Unterrichtsplanung in einem neuen Bundesland1 Von Walter Thomas Pädagogische Haltungen Wenn ich die vielen Unterrichtsstunden, die ich in den letzten Jahren in „meinen" Fächern, also in Deutsch und Geschichte, in verschiedenen Gegenden Mecklenburg-Vorpommerns als Hospitant mitverfolgen durfte, noch einmal Revue passieren lasse, komme ich zu Einschätzungen, die im ganzen zufrieden stimmen. Daß im einzelnen aber auch Defizite zu verbuchen sind, kann angesichts der naturgemäßen Komplexität von Unterricht niemanden ernsthaft überraschen - schon gar nicht in der gegenwärtigen Phase eines kulturhistorischen Umbruchs, die keineswegs schon abgeschlossen ist und die es den Lehrern im Lande schwer genug macht. Die geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen sind davon aus begreiflichen Gründen ungleich stärker betroffen als die Mathematik und die Naturwissenschaften. Durchaus günstig stellt sich mir das Bild in pädagogischer Hinsicht dar. Ich weiß, daß andere hier kritischer urteilen. Es scheint mir jedoch nicht angemessen, von einem Idealkonstrukt auszugehen, sondern die Vergleiche gerechterweise auf den pädagogischen Alltag in den Altbundesländern zu beziehen, der natürlich ebenfalls höchst gemischte Eindrücke hinterläßt. Der pädagogische Habitus im weiten Land Mecklenburg-Vorpommern ist 1
Vorauszuschicken ist, daß die Beschreibung von Unterrichtswirklichkeit, soweit nicht statistische oder demoskopische Methoden zur Anwendung kommen, notgedrungen immer subjektiv-ausschnitthaft bleiben muß. Die nachfolgende Darstellung versteht sich deshalb als Diskussionsbeitrag, der einen Abgleich mit der - ebenfalls eingeschränkten - Sicht anderer evozieren möchte. Der Autor ist promovierter Germanist und war als Deutsch- und Geschichtslehrer am Gymnasium sowie als Studienleiter in der Referendarsausbildung tätig. Er verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Unterrichtsbeobachtung und -analyse in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Seit 1993 ist er Leitender Regierungsschuldirektor am Landesinstitut Mecklenburg-Vorpommern für Schule und Ausbildung (L.I.S.A.) und hat auch in dieser Eigenschaft zahlreiche Einblicke in die Schulen des Landes nehmen können.
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meist schnörkellos und direkt, vielleicht gelegentlich etwas undifferenziert. Lob und Tadel werden intuitiv richtig verteilt und erzielen in der Regel die gewünschte Wirkung. Subtilere Formen der Motivation sind eher spärlich: Ermunterung, Bekräftigung und die diversen Formen der indirekten pädagogischen Einwirkung spielen eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle. Unter professionellem Gesichtspunkt wirkt das pädagogische Geschehen etwas unstrategisch (ich will nicht sagen gedankenlos), andererseits entsteht der Eindruck einer erfrischenden Natürlichkeit und Unmittelbarkeit. Günstigstenfalls (und gar nicht so selten) läßt sich unter diesen Prämissen eine unverstellte, emotional stimmige Schüler-Lehrer-Beziehung konstatieren, die exakt die richtige pädagogische Mitte zwischen Nähe und Distanz findet. Ich konnte bislang nicht beobachten, daß ein herzliches pädagogisches Verhältnis in distanzlose Kumpelhaftigkeit abgleitet, oder daß umgekehrt die notwendige Distanz auf der Ebene der Sachbegegnung in Kälte umschlug Phänomene, die mir aus Westdeutschland durchaus geläufig sind. Schülerklagen über inadäquates Lehrerverhalten sind relativ selten. Beide Seiten kennen und akzeptieren ihren Part in der Rollenverteilung. Die Spannbreite der pädagogischen Mentalitäten - von der erzieherischen Euphorie bis zum resignativen Zynismus - scheint mir im Vergleich zu den Altbundesländern weit weniger stark ausgeprägt. Eher präsentiert sich ein sehr breites Mittelfeld, mit dem vorherrschenden Mentalitätsprofil eines gediegenen pädagogischen Realismus. In der gegenwärtig noch immer anhaltenden starken Verunsicherung bei allen am Bildungsprozeß Beteiligten sehe ich darin einen nicht zu unterschätzenden Stabilitätsfaktor. Die Lehrerpersönlichkeiten wirken vor der Klasse auf mich deutlich gefestigter als im Westen Deutschlands, eben weil die Lehrerrolle ziemlich fraglos verinnerlicht ist. Prinzipielle Infragestellungen des Lehrer-SchülerVerhältnisses, die bei Westkollegen oft zu Skrupeln und Selbstzweifeln bis hin zu Identitätskrisen führen, sind kaum anzutreffen. Dies ist vermutlich noch das Resultat einer Lehrerausbildung, die eine kritische Hinterfragung der Lehrerrolle in all ihren prekären Aspekten meines Wissens kaum betrieben hat - jedenfalls sicher nicht mit der Rigorosität wie im Westen. Schwer zu entscheiden ist, ob, in welchem Umfang und auf welche Weise in der gegenwärtigen Situation an diesem noch relativ ungebrochenen Selbstbild der hiesigen Lehrer gerüttelt werden sollte. Behutsam aufklärerisches Wirken der L.I.S.A.-Fortbildung wäre hier wohl vertretbar, im Rahmen der Seminarausbildung müßte die Problematik meines Erachtens gezielt und differenziert angegangen werden, ohne dabei Schaden anzurichten, d.h. ohne dem angehenden Lehrer die bejahende Annahme seiner Lehrerrolle unmöglich zu machen. Das Studium von Unterrichtskonzepten und Lehrprobenentwürfen (vor allem der ersten Zeit nach der Wende) zeigt, daß soziale und interaktive
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Bezüge in der Schulklasse oft nicht in einer adäquaten Weise verbal dargestellt werden. Die Frage ist, ob die unzureichende Verbalisierung tatsächlich auf eine entsprechend unscharfe Wahrnehmung oder gar auf fehlende Sensibilität im Hinblick auf die sozialen und psychologischen Befindlichkeiten der Lerngruppe schließen läßt. Ich vermute eher, es fehlt oft nur am einschlägigen erziehungswissenschaftlichen Deskriptionsvokabular, mit dem die Phänomene differenziert darstellbar sind. Dies ist prinzipiell relativ kurzfristig lernbar. Auffallend ist jedenfalls, daß schon die ersten, noch in der DDR vorgebildeten Referendare, die eine sehr holzschnittartige pädagogische Analyse mit gelegentlich zweifelhaften autoritären Untertönen vorlegten, in der Praxis dann doch sehr sensibel und einfühlsam agierten. Insofern sehe ich auf diesem Feld zwar Handlungsbedarf, was die Beobachtungs-, Reflexions- und Verbalisierungsschulung betrifft, nicht aber unbedingt die Notwendigkeit einer prinzipiellen Revision von pädagogischen Einstellungen und Haltungen.
Methodenvarianz Im Bereich der Unterrichtsmethodik haben die hiesigen Lehrer in kürzester Zeit enorm viel hinzuerworben. Im Geschichts- und Deutschunterricht z.B. ist die gesamte Palette des methodischen Repertoires mittlerweile verfügbar. Bei Referendaren gilt das fast uneingeschränkt. Bei älteren Lehrern scheint mir zumindest die Bereitschaft groß, Neues zu erproben; auch sie machen schließlich die Erfahrung, daß mehr Abwechslung allen Beteiligten Vorteil verspricht. Der eine Lehrer ist dabei ehrlich angetan von den neuen Spielräumen und läßt sich davon begeistern, manch einer springt vielleicht auch bloß auf einen fahrenden Zug. Methodische Vielfalt in Verbindung mit variablen Sozialformen hat aber nach meinem Eindruck an unseren Schulen inzwischen prinzipiell Fuß gefaßt. Daß der sog. „Frontalunterricht" dabei nach wie vor die dominante Sozialform darstellt, ist für mich tolerabel: Darin unterscheidet sich Mecklenburg-Vorpommern in nichts von anderen Bundesländern. Wichtig ist vielmehr, daß die Varianten sich emanzipieren, und das scheint mir der Fall. Es bleibt natürlich das Problem der Dunkelziffer. In der Regel gewinnt man die positiven Eindrücke von Referendaren oder von Lehrern, die ihre Klassentür freiwillig öffnen. Doch der Umkehrschluß, daß überall dort, wo Türen verschlossen bleiben, die Regression triumphiert, scheint mir nicht zulässig. Ich vertraue darauf, daß man sich als Lehrer gewisse unterrichtliche Impertinenzen heute einfach kaum noch leisten kann und immer weniger wird leisten können. Unübersehbar scheint mir jedoch, daß der Enthusiasmus der ersten Zeit nach der „Wende" wieder deutlich abgeebbt ist. Dieser Eindruck wird von vielen Beobachtern mit mir geteilt, nicht zuletzt von Lehrern selbst. Er
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wird gestützt auch durch objektive Indizien, wie z.B. durch das Fortbildungsverhalten der Lehrer. Ausschlaggebend für diese Tendenz dürften vor allem Status- und Existenzprobleme sein, mit denen sich die Lehrer zwischenzeitlich konfrontiert sahen. Nach der ersten Entlassungswelle sahen sich die verbliebenen Lehrer auf der sicheren Seite und waren erkennbar bereit, dies mit großem Engagement zu vergelten. Die Identifikation mit dem neuen Schulsystem und seinen erweiterten pädagogischen Spielräumen war stark. Die Bereitschaft, sich durch Fort- und Weiterbildung mit großem Arbeitsaufwand umzuorientieren, war beträchtlich. Inzwischen gibt es bei Lehrern dieselbe existentielle Ernüchterung wie bei vielen anderen Menschen in den neuen Bundesländern. Dem Unterricht kann das nicht gut bekommen. Gleichwohl ist es keineswegs so, daß es zu ernsthaften Verwerfungen auf Kosten der Schüler käme. Trotz mancher Enttäuschung bei den Lehrern: Aufs Ganze gesehen stimmt die pädagogische Chemie, und der gewonnene Spielraum wird genutzt. Dringlich stellt sich jedoch die Frage nach der funktionalen Sinnhaftigkeit der praktizierten Methoden Vielfalt. Diese stellt ja keinen Wert an sich dar, auch wenn manche Stundenbesprechungen anläßlich von Gruppenhospitationen oder Staatsexamina dies suggerieren. Gerade hier sind manche ungute Usancen aus den alten Bundesländern herübergeschwappt. Selbst wenn man der unterrichtlichen Abwechslung jenseits des Stofflichen einen gewissen affektuösen Eigenwert konzediert, so bleibt doch grundsätzlich die Frage nach dem Wozu. Methodische Entscheidungen stehen unter utilitärem Signum. Sie stehen damit, was in der Praxis oft übersehen wird, unter Rechtfertigungszwang. In der verständlichen Freude über den gelungenen emotionalen Effekt verliert sich nicht selten die Frage, welchem unterrichtlichen Ziel die jeweilige methodische Wahl denn eigentlich dient. Ungünstigenfalls entsteht dann ein Unterricht, der seine Lebendigkeit tatsächlich vom äußeren Effekt her bezieht, der „allen Spaß macht", der möglicherweise auch ein wenig sozialinteraktiven Gewinn abwirft, der aber einen kognitiven Ertrag mit geschickten Mitteln nur vortäuscht. Tendenzen dieser Art werden nach meinen Beobachtungen in Stundenanalysen nicht immer klar genug benannt. Hier wünsche ich mir von unseren Studienleitern, Mentoren und hospitierenden Schulleitern gelegentlich etwas mehr Scharfblick und auch den Mut, gegen den äußeren Augenschein zu argumentieren. Um nicht mißverstanden zu werden: Die Alternative heißt nicht „lebendiger, schülergerechter" versus „niveauvoller" Unterricht. Natürlich geht es um eine Verknüpfung von beidem. Die aber ist in praxi eben schwer zu realisieren, erfordert hohe Professionalität. Im Referendariat liegt die Verantwortung bei den Studienleitern. Daß Unterrichtsstoff nicht über die Köpfe von Kindern hinweg doziert werden kann, und sei der Dozent noch
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so brillant, ist längst Allgemeingut. Es gibt aber auch das andere Extrem: den erfolgreichen rituellen Unterricht ohne substantiellen Kern (in ganz anderer, politideologisch eingefärbter Variante gab es so etwas wohl auch in der DDR). Auch hier muß genau hingesehen werden, und das scheint schwieriger zu sein, weil es so etwas Spielverderberhaftes hat. Wer mäkelt schon gern nachträglich an einer Stunde, die allenthalben Vergnügen bereitete?
Didaktische Legitimation von Unterricht Methodischer Einfallsreichtum kann dann eine wirklich konstruktive Kraft darstellen, wenn er mit den erzieherischen Grundentscheidungen des Unterrichts einerseits und andererseits mit den fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Entscheidungen korrespondiert bzw. aus ihnen hervorgeht. Ihnen gegenüber hat die Methodik eine dienende Funktion. Das Beziehungsgeflecht von Erziehungs- und Bildungszielen, von Sachgegenstand und dessen didaktischer Aufbereitung, schließlich der methodischen Umsetzung und letztendlich des praktizierten Unterrichts ist außerordentlich komplex. Bleibt es dem Zufall überlassen, ergibt es keinen Sinn; an Sinnhaftigkeit gewinnt es in dem Maß, wie es geordneten Kausalitäten zugeführt wird. Hier sehe ich momentan die größten Schwierigkeiten bei den Lehrern in Mecklenburg-Vorpommern (und gewiß den anderen neuen Bundesländern). Auch den Kollegen der Altbundesländer fällt hier nichts in den Schoß, doch haben sie den Vorteil einer seit Jahrzehnten eingespielten unterrichtlichen Kulturtradition, in die sie allmählich hineingewachsen sind. Für die Lehrer hier geht alles viel schneller. Von Defiziten bei den Lehrern der neuen Bundesländer kann deshalb keine Rede sein, wohl aber von einer verkürzten Freiheitserfahrung und deren Folgen. Das Problem des DDR-sozialisierten Lehrers, zumindest in den geistesund sozialwissenschaftlichen Fächern, liegt tatsächlich in seiner neugewonnenen Freiheit der Unterrichtsplanung, die durch die Plötzlichkeit ihres Hereinbrechens paradoxer-, aber auch verständlicherweise leicht als Zwang (zur Entscheidung nämlich) erlebt wird. So erklärt sich das Bedürfnis nach Rezepturen, nach fertigen, unmittelbar anwendbaren Unterrichtsmodellen gar, das sich im Fortbildungsverhalten oft dokumentiert. Fortbildungsangebote, die eine neue Perspektive eröffnen, mit neuen wissenschaftlichen oder didaktischen Positionen vertraut machen, sind aber nur mittelbar nutzbar; den Schritt zum Unterricht muß der Inanspruchnehmer selbst vollziehen. Fortbildung kann und sollte aber bewußt dem Lehrer seine konkreten Unterrichtsentscheidungen selbst überlassen, andernfalls sie in ein höchst bedenkliches Fahrwasser der Präjudizierung und der Reglementierung, wenn nicht gar der Indoktrination geriete. L.I.S.A.-Fortbildung muß Potentiale 4 Schäfer/Sroka
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Walter Thomas
freilegen, verschiedene Optionen pädagogischen und unterrichtlichen Handelns vorstellen und strukturelle Veränderungen des Schulwesens informativ begleiten (z.B. durch Hilfen bei neuen Lehrplänen, Einführung in Prüfungsmodalitäten und dgl.). Fortbildung kann schulische Innovationen anregen, bestenfalls initiieren, darf dabei aber nicht die Rolle des Lehrers als eigenverantwortlich handelndes pädagogisches Subjekt in Frage stellen. Ich halte es deshalb für wünschenswert, daß der einzelne Lehrer die besuchten Fortbildungsveranstaltungen nicht vorbehaltlos adaptiert, sondern sie kritisch für seine eigenen Belange filtert. In den Veranstaltungen selbst könnte sich das in der Weise widerspiegeln, daß weniger eifrig mitgeschrieben, stattdessen mehr und kontroverser diskutiert wird. Idealiter würde ich mir Fortbildungsveranstaltungen gerade in der jetzigen Zeit auch als Foren der modellhaften Selbsterfahrung mit den Formen einer zivilisierten Streitkultur wünschen, die dann transferierbar wären in den Bereich des Klassenzimmers. Die tatsächlichen Kommunikationsstrukturen scheinen mir erkennbar noch von diffusen Ängsten geprägt; Statusunsicherheit, vermeintliche und tatsächliche Abhängigkeiten spielen dabei eine Rolle. Manchmal äußert sich das in einem unproduktiven Harmonismus, der sich der konkreten Benennung von Problemen verweigert, erst recht deren Aufarbeitung. Der unausgesprochene Gruppenkonsens besteht dann darin, dem positiven Gemeinschaftserlebnis Vorrang zu geben vor der atmosphärisch als bedrohlich empfundenen Sachauseinandersetzung. Manchmal tritt aber auch der umgekehrte Fall auf, nämlich die zum Teil in rüder Form vorgetragene Allroundkritik („Dampfablassen") gegen alles und jedes. Beide Modelle, sowohl das harmonistische als auch das konfrontative, dienen letztlich bloß der psychosozialen Entlastung. Mein Plädoyer wäre das für ein möglichst hohes Maß an Konkretheit und sachbezogener argumentativer Trennschärfe, in der sich verschiedene Positionen artikulieren können, ohne in konfrontative Verhärtungen zu geraten. Die fachwissenschaftlichen Voraussetzungen im Fach Geschichte bei den heute im Dienst befindlichen Lehrern sind relativ klar zu rekonstruieren, da die schulischen und universitären Ausbildungsgänge der DDR nicht nur noch verfügbar sind, sondern auch detailliert realisiert wurden. Der geschichtsphilosophische Alleinvertretungsanspruch des Historischen Materialismus hat nicht nur zu einer ausgesprochen verengten Geschichtssicht geführt, sondern auch zu einseitigen Kenntnisschwerpunkten, die sich unter multiperspektivischen Aspekten nicht mehr legitimieren lassen. Dies wissen die Geschichtslehrer in der Regel, und sie arbeiten im Rahmen ihrer Möglichkeiten daran, zu kompensieren und aufzuarbeiten. Die Besonderheit der Marxschen Geschichtsinterpretation, nämlich die Geschichte von Klassenkämpfen sich von Anbeginn über die gesamte Menschheitsgeschichte erstrecken zu lassen, hat die DDR-Lehrer mit dem chronologischen Prinzip
Das didaktische Vakuum
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und einer klaren Epochisierung der Geschichte aufwachsen lassen. Dieser Ansatz ist arbeitstechnisch mit der nun zu übernehmenden „bürgerlich-liberalen" Geschichtsgliederung prinzipiell kompatibel (bei allen inhaltlichen Veränderungen) - ein beträchtlicher praktischer Vorteil bei einer zügigen Umorientierung des Faches, wenn einige solcher fundamentalen Kategorien gültig bleiben. Die Terminologie des Historischen Materialismus ist erstaunlich vollständig außer Gebrauch, scheint geradezu mit einem Tabu belegt. Als Beobachter wünschte man sich fast schon gelegentliche begriffliche Reminiszenzen zum Zwecke der nachträglichen Überprüfung: Die historische Dimension des Geschichtsunterrichts selbst ließe sich damit vermitteln. Inwieweit die alten fachspezifischen Denkmuster tatsächlich überwunden sind, ist kaum quantifizierbar. Gelegentlich schimmert Altes durch, im Positiven wie im Negativen. Begrüßenswert für den Geschichtsunterricht halte ich es etwa, wenn der aus der marxistischen Schulung erworbene geschärfte Blick für sozioökonomische Zusammenhänge weiter wirksam bliebe; fragwürdig scheint mir dagegen eine hier und da noch anzutreffende simplifizierende Schwarzweiß-Unterteilung von positiven und negativen Triebkräften der Geschichte, wobei dann doch noch zumindest unbewußt die Marxschen Fortschrittskategorien Pate stehen. Im Deutschunterricht fällt mir eine Tendenz ins Erlebnishafte, Identifikatorische beim Umgang mit Literatur auf, die offenbar an eine Traditionslinie der DDR-Didaktik anknüpft und von den Lehrern deshalb problemlos aufgegriffen wird. Ihres politischen Kontextes entkleidet, scheint mir solcher Zugang jedoch zu schmalbrüstig, er erinnert mich ein wenig an die apolitischen, introvertierten Zeiten der Schulgermanistik der 50er und 60er Jahre in der Bundesrepublik, die dann das Fach zu Recht in eine schwere Krise gestürzt haben. Entsprechendes gilt partiell auch für den gegenwärtigen Geschichtsunterricht: In Ermangelung schärferer analytischer Kategorien werden geschichtliche Ereignisse, auch einzelne Quellen, auf der Ebene des Menschlich-Allzumenschlischen „interpretiert", oft in Verbindung mit den oben genannten Schwarzweiß-Mustern. Simpelste moralische Kategorien („War das gerecht?") im Verein mit oberflächlichen Identifikationen („Auf wessen Seite wäret Ihr gewesen?") werden dann schlechtestenfalls, aber allen Ernstes als historische Urteilsbildung ausgegeben. Dies sind Extrembeispiele, die aber insofern ihre Berechtigung haben, als der Geschichtsunterricht in den Bereichen der Text- und Problemanalyse sowie der Problemerörterung und -lösung noch ausbaubedürftig ist. Das hat sich auch im Zusammenhang mit dem Abitur gezeigt. Zwischen den Phasen einer sehr gewissenhaften und soliden Faktenvermittlung und einer oft verkürzten, pauschalen Schlußbilanz klafft eine Lücke, in welche die Fortbildung gezielt hineinstoßen muß. Die schwierigste Phase einer Geschichts4*
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Walter Thomas
stunde, diejenige der „Problematisierung", der „Lösungssuche", der „Arbeit am Gegenstand" (es gibt viele derartige Termini) ist den Möglichkeiten nach zugleich die lebendigste und offenste. Das am Ende stehende Ergebnis sollte nicht vom Lehrer präjudiziert sein, allenfalls in seiner ungefähren Tendenz, sondern wirklich von der Lerngruppe selbst mit möglichst wenig Außensteuerung erzielt werden. Das allein, daß nämlich das Resultat einer Stunde nicht mehr vorformulierbar ist, macht vielen Lehrern Beklemmungen (nicht nur in den neuen Bundesländern), zumal es überdies möglichst konkret und argumentatorisch abgesichert sein sollte. In dieser entscheidenden Phase, die maßgeblich die Qualität einer Stunde bestimmt, geht es meistens um die intensive gemeinsame Arbeit an einem Text, vorzugsweise an einer historischen Quelle. Das L.I.S.A. hat deshalb im Fach Geschichte die zahlreichen didaktischen und methodischen Aspekte der Quellenarbeit stets im Fortbildungsangebot gehabt. Quellenarbeit wird übrigens wohl auch deshalb oft nur so kursorisch realisiert, weil sie bei gründlicher Durchführung viel kostbare Unterrichtszeit kostet, was gerade dem gewissenhaft ans Pensum denkenden Geschichtslehrer einiges an Überwindung abverlangt. In dieser und in vielen anderen Hinsichten gleicht sie der Textanalyse und -interpretation im Fach Deutsch, die vor ganz ähnlichen Problemen und Möglichkeiten steht. Allerdings ist das Zeitproblem schon wegen der Stundentafel in Geschichte noch bedrängender. Fortbildung muß deshalb den Geschichtslehrern Lösungswege aufzeigen aus dem Zeitdilemma. Hierzu gehört der Mut, zugunsten von Intensität und Qualität von Geschichtsunterricht die Quantitäten der Stoffvermittlung zu reduzieren.
Notwendige didaktische Kategorien Die zentralen didaktischen Kategorien in diesem Zusammenhang sind die der Exemplarität und der Adäquatheit. Prioritäten- und Auswahlentscheidungen dürfen nicht unkritisch und kriterienlos getroffen werden. Bei näherem Hinsehen stehen hinter allen Entscheidungen für eine Einzelstunde gehe es um die Themenwahl, die Problemstellung, die Materialauswahl oder die Methodik - geschichtsdidaktische und geschichtsphilosophische Grundsatzfragen. Oft sind sich Geschichtslehrer dessen nur nicht bewußt. Es herrscht die etwas vage Vorstellung, daß nach der materialistischen nun eben die bürgerliche Geschichtsschau an der Reihe sei. Daß diese aber nicht hermetisch schlüssig, sondern pluralistisch offen ist, wird in der vollen Konsequenz nicht immer realisiert. In gewissem Umfang ist das tolerierbar, denn der Unterricht kann gleichwohl im Einzelfall erfolgreich sein. Aber zur Professionalität des Lehrerberufs gehört, so meine ich, heute ein bestimmtes Maß an theoretischer Vergewisserung des eigenen unterrichtli-
Das didaktische Vakuum
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chen und pädagogischen Handelns. Für Geschichtslehrer, deren Fach in den neuen Bundesländern eine besonders radikale Umwälzung seiner theoretischen Grundlagen erfahren hat, gilt dies jedenfalls unabweislich. Nur so können sie zu einem emanzipierten Verhältnis gegenüber Lehrplänen, Lehrbüchern und vorgefertigten Stundenkonzepten gelangen. Wenn sich die Wende des Faches in unseren Schulen nicht nur auf einer unterrichtstechnischen Oberflächenebene vollziehen soll, kann man nur versuchen, die Fortbildungsbereitschaft durch entsprechende Angebote zu wecken. Dabei muß man zugestehen, daß fachwissenschaftliche Grundlagenfortbildung ein solches Maß an zeitlicher und psychischer Investition erfordert, das ohne zusätzliche Stundenentlastung der möglicherweise dann doch interessierten Kollegen kaum realisierbar erscheint. Trotzdem sind erfreulich viele Lehrer auch jetzt noch bereit, z.B. an einer sehr anspruchsvollen, arbeitsintensiven L.I.S.A.-Blockfortbildung teilzunehmen, die vom Fachbereich Geschichtswissenschaften der Universität Rostock getragen wird. Zwei weitere didaktische Kernkategorien sind für den Geschichtsunterricht, gerade jetzt in der Zeit des politischen Umbruchs, von solcher Signifikanz, daß sie im Unterricht selbst und im Fortbildungsangebot einen ganz hohen Stellenwert haben müßten: Der Gegenwartsbezug und die Zukunftsbedeutung. Auf die konkrete Lage bezogen geht es dabei um einen Beitrag des Faches Geschichte zur Aufarbeitung der deutschen Nachkriegsgeschichte, insbesondere der Geschichte der DDR (nicht im Sinne eines platten Verdikts), der Zeit um das Jahr 1989 und danach. Wer, wenn nicht das Fach Geschichte, wäre hier in erster Linie gefordert? Ich selbst habe noch die Verdrängung der Nazizeit im Geschichtsunterricht (und nicht nur dort) der BRD in den 50er und 60er Jahren in Erinnerung, die dann folgerichtig zu einer dramatischen Generationenentfremdung im Zuge der sog. 68er-Revolution geführt hat. Woran liegt es, daß zur Zeit ein solcher Ansatz zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte in wohl allen neuen Bundesländern nicht in wünschenswertem Umfang stattfindet? Die didaktischen Möglichkeiten wären, theoretisch gesehen, einmalig faszinierend: Immerhin waren Lehrer und Schüler gemeinsam Teilhaber dieser Geschichte - was könnte motivierender und befruchtender sein? Doch dieser hypothetisch naheliegende Kommunikationsprozeß kommt bislang nicht in Gang - ein Thema wahrscheinlich für künftige Historiker. Der vorläufige Oberstufenlehrplan Geschichte von 1993 in Mecklenburg-Vorpommern versucht einen Anfangsimpuls zu geben. Geschichtliches Material bei diesem Thema sind im wesentlichen die eigene Erinnerung und die Realien: DDR-Schulbücher, Zeitungen, aufgehobene Schriftstücke und Gegenstände aller Art. Im Grunde eine äußerst reizvolle Möglichkeit des Unterrichtens mit großer Unmittelbarkeit. Die eigene Zeitzeugenschaft könnte in ihrem historischen Aussagewert mitreflektiert wer-
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Walter Thomas
den, die wichtige und so schwierige Grundsatzfrage nach den Möglichkeiten bzw. Grenzen historischer Wahrheitsfindung könnte nirgends so wirkungsvoll exemplifiziert werden wie hier. Die Schüler könnten so an die Grundlagen des Faches herangeführt werden, das offene Unterrichtsgespräch könnte wahre Sternstunden erleben. Geleistet werden müßte all dies jedoch von den Betroffenen selbst, also von Lehrern und L.I.S.A.-Fortbildern, die jene Zeit aus eigenem Erleben kennen. Es ist wohl realistisch, dabei mögliche Blockaden in Rechnung zu stellen, zumal gerade diese Lehrer früher wenig Gelegenheiten hatten, ein solches Maß an methodischer Phantasie und persönlicher Öffnung zu entwickeln, wie es an dieser Stelle nötig wäre. Vielleicht läge gerade hier ein lohnendes Aktionsfeld der schulinternen Lehrerfortbildung.
Vorläufige Bilanz Eine Ausbildung zur fachdidaktischen Eigenständigkeit der Lehrer hat es in der DDR nicht gegeben. Die Lehrerausbilder an der Universität nannten sich folgerichtig „Methodiker". Die didaktische Diskussion wurde im wesentlichen unter Ausschluß der Lehrer selbst an den Universitäten geführt, und auch dort nur im engen Rahmen der ideologischen Vorgaben des Staatsapparats. Für den Lehrer war die Erziehung zur Sozialistischen Persönlichkeit das Maß aller Dinge. Die Zielsetzung seines Unterrichts, ja sogar die Planung bis in die einzelne Stunde hinein, nahm ihm der Staat ab. Nach dem Zusammenbruch der alten Gesellschaftsordnung tat sich dem Lehrer ein didaktisches Vakuum auf, und zwar in Gestalt einer Rechtsfigur namens „Pädagogische Freiheit". Der Staat hielt sich plötzlich aus dem Unterricht heraus. Lehrpläne boten nur mehr ein loses Handlungsgerüst. Lernziele und Planungsentscheidungen mußte der Lehrer fortan selbst in die Hand nehmen. Vor allem in den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern war und ist es außerordentlich schwer, ein Kriteriengerüst für die unterrichtlichen Entscheidungen zu erstellen und sie nicht dem Zufall, dem Lehrbuch oder spontaner Eingebung zu überlassen, kurz: Konzeptionell zu arbeiten, statt von der Hand in den Mund. Als vorläufige Bilanz läßt sich festhalten: Der Geschichtsunterricht, der äußerlich unangefochten und institutionell unbehelligt die Wende überstanden hat, „funktioniert", und zwar völlig reibungslos. Das pädagogische Klima ist auf seine Art intakt und stimmig. Die neuen methodischen Spielräume werden genutzt. Ein achtenswertes Arbeitsethos garantiert solide kognitive Lernerfolge. Ideologische Indoktrination ist selbst in verdeckter Form kaum anzutreffen. Kommunikative und fachliche Probleme gibt es dagegen mit den freien, ergebnisoffenen Phasen des Unterrichts, die Interaktion und eine selbsttätige Schülerreflexion erfordern, sowie bei der sich
Das didaktische Vakuum
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dort anschließenden Ergebnisfixierung. Nachholbedarf besteht hinsichtlich der theoretischen Durchdringung des eigenen Unterrichtsfachs, d.h. seiner philosophischen und didaktischen Grundlagen. Verdrängungstendenzen und Berührungsängste schließlich zeigen sich gegenüber der jüngst vergangenen Geschichte und ihrem Hineinwirken in die Gegenwart.
Bildungsentwicklung und Lehrerbedarf im Osten und Westen Deutschlands Von Hans-Werner Fuchs I. Vorbemerkung Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen sind Aspekte der Bildungsentwicklung in Ost- und Westdeutschland und ihre Folgen für den Lehrkräftebedarf im allgemeinbildenden Schulwesen. Aufgrund der unterschiedlichen Entwicklung der Rahmenbedingungen in Ost- und Westdeutschland verfolgen die Kultus- und Bildungsadministrationen unterschiedliche Handlungsstrategien; die Darstellung von Entwicklungstendenzen erfolgt daher getrennt nach alten und neuen Ländern. 1 Im Mittelpunkt steht die Beantwortung folgender Fragen: 1. Wie werden sich in den kommenden Jahren die wichtigsten Kenngrößen und Rahmenbedingungen entwickeln, die auf den Lehrkräftebedarf in Ost- und Westdeutschland Einfluß haben? 2. Welche Schlußfolgerungen werden auf Länderebene aus der Entwicklung der Rahmenbedingungen mit Blick auf den zu erwartenden Lehrkräftebedarf bezogen? 3. Wie sehen die Strategien aus, mit denen auf die Lehrkräftebedarfsprognosen in Abhängigkeit von den jeweiligen Rahmenbedingungen reagiert werden soll? Unter „Bildungsentwicklung" sollen insbesondere folgende Kenngrößen betrachtet werden: 1
Relevante Daten zum Thema bieten folgende Veröffentlichungen aus dem bildungspolitischen Bereich: Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) (Hrsg.): Langfristige Personalentwicklung im Schulbereich der alten und neuen Bundesländer. Bonn, September 1994; Sekretariat der Kultusministerkonferenz (KMK) (Hrsg.): Sicherung der Leistungsfähigkeit der Schulen in einer Phase anhaltender Haushaltsenge. Bericht der Kultusministerkonferenz vom 29.09.1995. Bonn; Sekretariat der Kultusministerkonferenz (KMK) (Hrsg.): Vorausberechnung der Schüler- und Absolventenzahlen 1995 bis 2015. Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz Nr. 141. Bonn, August 1997. Die genannten Untersuchungen enthalten wichtige Kennzahlen, differenzieren allerdings ausschließlich auf der Basis „alte Länder - neue Länder".
58
Hans-Werner Fuchs
a) die Veränderung der Schülerzahlen; zu berücksichtigen sind die Geburtenentwicklung und ein möglicher Zuzug von Ausländern, Aussiedlern, Asylsuchenden etc. (Migration); b) die erwartete Verteilung der Schülerströme, d.h. das Wahlverhalten von Eltern und Schülern in bezug auf die Schularten der Sekundarstufe I und II; sowie c) die Haushaltslage. Die erwarteten Veränderungen der Schülerzahlen und Schülerströme sind implizit in den vorzustellenden Modellrechnungen und Prognosen enthalten. Zur Entwicklung der Haushaltslage in den Ländern genügen wenige Sätze. In keinem der Länder wird mittelfristig mit einer substantiellen Verbesserung der Einnahmensituation gerechnet - weder generell noch mit Blick auf die Bildungs- und Wissenschaftshaushalte. Die Erwartung höherer Mittelansätze zur Lösung gegenwärtiger oder zukünftiger Probleme im Schulwesen erscheint daher nicht als realistisch, „anhaltende Haushaltsenge" im Sinne des KMK-Berichts 2 dürfte hingegen durchaus treffend die Situation der kommenden Jahre kennzeichnen. I I . Geburten- und Schülerzahlenentwicklung Die wichtigste Kenngröße mit Blick auf den zukünftigen Lehrkräftebedarf stellt die Geburten- und Schülerzahlenentwicklung dar, wobei sich die Schülerzahl aus den Faktoren Geburtenrate und Migrationsbewegung zusammensetzt. In den alten Bundesländern wird von einem leichten, aber stetigen Rückgang der Geburtenziffern in den kommenden Jahren ausgegangen, der auch durch den erwarteten Zuzug von Ausländern, Asylberechtigten und Aussiedlern in nennenswerter Zahl nicht vollständig aufgefangen wird. Zum Ende des kommenden Jahrzehnts wird der Tiefpunkt der Geburtenentwicklung in Westdeutschland erreicht sein und in einen sehr geringen Wiederanstieg übergehen. Die für das Jahr 2009 erwartete niedrigste Geburtenzahl wird etwa 78% der Geburtenzahl des Jahres 1996 betragen. Die neuen Bundesländer sind durch eine gänzlich andere Situation gekennzeichnet. Nachdem sich die Geburtenrate dort zwischen 1990 und 1994 halbiert hat, war im Jahr 1994 der (vorläufig) niedrigste Stand erreicht. In den kommenden Jahren wird ein stetiger Wiederanstieg der Geburtenzahlen bis zum Jahr 2010 erwartet. Ab dem Jahr 2010 wird eine wieder rückläufige Tendenz erwartet, wenn die sehr schwachen Geburtsjahrgänge 1990 ff. in die Phase der Familiengründung eintreten. Einige Zahlen zu den dargestellten Entwicklungen: In den alten Ländern sinken die Geburtenzahlen, so die Vorausschätzung, von 652.000 im Jahr 1996 auf 507.000 im Jahr 2009, um Vgl. Sekretariat der K M K 199 (Anm. 1).
Bildungsentwicklung und Lehrerbedarf im Osten und Westen Deutschlands
59
dann in den Folgejahren wieder leicht anzusteigen. In den neuen Bundesländern kam es bereits 1994 zu der Trendumkehr, als mit 100.000 Personen in der Gruppe der 0-ljährigen der niedrigste Stand erreicht war. Ihre Zahl steigt bis 2009/2010 auf 159.000, um dann wieder leicht abzufallen. Es wird nicht erwartet, daß der Stand von 1990 auch nur annähernd wieder erreicht wird. Beachtenswert ist, daß sich die DDR hinsichtlich der Geburtenzahlen bereits seit 1980 in einem Abwärtstrend befand, der durch die Ereignisse im Zuge der Wende und Vereinigung allerdings nachhaltig verstärkt wurde. In der (alten) Bundesrepublik war hingegen von 1985 bis 1992 ein starker Anstieg der Geburtenziffern von 563.000 (1985) auf 702.000 (1992), somit um ca. 25% in 7 Jahren zu verzeichnen (vgl. Tab. 1). Die Situation in einzelnen Bundesländern kann am Beispiel je zweier west- und ostdeutscher Länder verdeutlicht werden. In Bayern gab es 1990 die vorläufig höchste Zahl Neugeborener mit rund 136.000, seither sinken die Geburtenziffern. Im Jahr 2010 soll mit 95.400 Neugeborenen die niedrigste Zahl erreicht sein, was einem Rückgang von rund 30% entspräche. Für die Folgejahre wird erwartet, daß die Geburtenziffer bei etwa 96.000 verharren wird. 3 In Nordrhein-Westfalen wird für das Jahr 2008 die niedrigste Geburtenziffer erwartet, die dann bei 142.000 gegenüber 168.200 im Jahr 2000 und rund 197.000 im Jahr 1992 läge. Zu erkennen ist auch hier die sinkende Tendenz, der Rückgang zwischen 1992 und 2008 betrüge ca. 28% und entspräche in etwa dem für Bayern erwarteten. In den Jahren nach 2008 wird zunächst ein leichter Wiederanstieg erwartet 4 . Bei einem vergleichenden Blick auf die Situation in den ostdeutschen Ländern ist zunächst darauf hinzuweisen, daß in manchen Regionen die Geburtenrate zwischen 1990 und 1994 nicht um ca. 50%, sondern um bis zu zwei Drittel gesunken ist. Neben einem veränderten generativen Verhalten in Folge des Transformationsprozesses war insbesondere die starke Binnenwanderung von Bevölkerungsgruppen unter 30 Jahren nach Westdeutschland Ursache dieser Entwicklung. So sank beispielsweise in MecklenburgVörpommern die Zahl der 20-30jährigen zwischen 1990 und 1994 um ein Drittel. 5 In Brandenburg ging die Zahl der Geburten von 29.238 im Jahr 1990 auf 12.238 im Jahr 1993 zurück; dies entspricht einem Minus von 58%. Für das Jahr 2010 wird ein Wiederanstieg auf eine Zahl um 17.500 3
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst (Hrsg.): Schüler- und Absolventenprognose 1996. Modellrechnung bis zum Jahr 2020. München, August 1996, S. 8. 4 Vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen: Vorausberechnung der Schülerzahlen bis zum Jahr 2020/21 und der Schulabgängerzahlen bis zum Jahr 2021/22. Düsseldorf, August 1997, Tab. 3. 5 Vgl. Kultusministerium Mecklenburg-Vorpommern: Informationsbroschüre 1 zum Personalkonzept - Lehrkräfte. Schwerin, Februar 1996, S. 1.
60
Hans-Werner Fuchs
Tabelle 1 0- bis unter einjährige deutsche und ausländische Bevölkerung 1990 bis 2010 (in 1.000)6 Jahr
Bundesgebiet
Alte Länder
Neue Länder
Istzahlen 1990
911
708
203
1991
824
701
123
1992
812
702
110
1993
799
697
102
1994
770
670
100
1995
764
663
101
Prognosezahlen 1996
759
652
107
1997
753
643
110
1998
743
627
116
1999
730
611
119
2000
716
593
123
2001
705
576
129
2002
693
560
133
2003
683
545
138
2004
676
532
144
2005
672
523
149
2006
667
515
152
2007
665
511
154
2008
665
508
157
2009
666
507
159
2010
668
509
159
Geburten erwartet, wobei dieser Wert immer noch um rund 40% unter dem des Jahres 1990 läge. 7 In Sachsen-Anhalt sank die Geburtenzahl von etwa 32.000 im Jahr 1990 auf ca. 14.000 im Jahr 1993. Bis 2010 wird ein kontinuierlicher Wiederanstieg auf eine Zahl von etwa 25.000 Geburten erwar6
Vgl. Sekretariat der K M K 1997 (Anm. 1), S. 4.
Bildungsentwicklung und Lehrerbedarf im Osten und Westen Deutschlands
61
tet; die Differenz zur Geburtenziffer des Jahres 1990 betrüge hier etwa
22%.8
Wie wirkt sich die Geburtenentwicklung in West- und Ostdeutland auf die zu erwartenden Schülerzahlen aus? Der direkteste Zusammenhang zeigt sich nachvollziehbarer Weise jeweils mit einer Verzögerung von sechs Jahren bei der Einschulung in die Grundschulen; bereits jetzt sind nachhaltige Auswirkungen des Geburtenrückganges im Grundschulbereich der neuen Bundesländer erkennbar. Schwieriger wird es bei der Vorausschätzung der Schülerzahlen und damit des Lehrerbedarfs für die Schularten der Sekundarstufe. In diesem Bereich wirken neben demographischen Veränderungen Faktoren wie Wanderungsbewegungen der deutschen und nichtdeutschen Bevölkerung, Schulstrukturen, Schulwahl- und Bildungsgangentscheidungen, die Bildungsbeteiligung und die Verweildauer der Schülerinnen und Schüler in den jeweiligen Schularten auf die Entwicklung der Schülerzahlen und des Lehrkräftebedarfs ein. Eine Prognose der Schülerzahlen für die jeweiligen Schularten gestaltet sich daher zumindest für die Schulen der Sekundarstufe noch schwieriger als die Prognose der Geburtenziffern, die wiederum als wichtigste Kennziffer für den abzuschätzenden Lehrkräftebedarf anzusehen ist. Einen Anhalt für die erwartete Entwicklung der Schülerzahlen in den alten und neuen Ländern geben die in Tabelle 2 wiedergegebenen Zahlen. Auch hier wird deutlich, daß die Veränderungen in West- und Ostdeutschland nahezu entgegengesetzt verlaufen. In den alten Ländern steigen die Schülerzahlen zunächst bis zum Jahr 2004 an, dann soll mit 10.34 Mio. ein Höchststand erreicht sein. In den Folgejahren geht die K M K von einem Rückgang der Schülerzahl auf 8.6 Mio. im Jahr 2015 aus; diese Zahl läge um 8% unter der des Jahres 1995. Der Anstieg bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts und die anschließende Abnahme der Schülerzahlen sind das Szenario, das in den meisten westdeutschen Ländern als wahrscheinlich angenommen wird. Hierauf basieren die Strategien zur Steuerung des Lehrkräftebedarfs.
7
Vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (Hrsg.): Modellrechnungen zur Entwicklung der Schülerzahlen, des Lehrkräftebedarfs und Lehrkräftebestands. Vorab Veröffentlichung. Potsdam, August 1997, Tab. 1. 8 Vgl. Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt: Stellenentwicklungskonzept des Kultusministeriums für die Allgemeinbildenden Schulen und die Berufsbildenden Schulen gemäß Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplanes für das Haushaltsjahr 1994 (Nachtragshaushaltsgesetz 1994) § 2, Abs. 2, Unterabs. Magdeburg 1994, Grafik 1.
Hans-Werner Fuchs
62
Tabelle 2 Entwicklung der Schülerzahlen 1995 bis 2005 und jährliche Veränderungen (in 1.000)9 Jahr
Bundesgebiet insgesamt Anzahl
jährliche Veränderung
Alte Länder Anzahl
Neue Länder
jährliche Veränderung
Anzahl
9.344
jährliche Veränderung
3.034
1995
12.378
1996
12.565
+ 187
9.525
+ 181
3.041
+
6
1997
12.709
+ 144
9.716
+ 191
2.993
-
47
1998
12.775
+ 66
9.890
+ 174
2.885
- 108
1999
12.798
+ 23
10.037
+ 147
2.761
- 124
2000
12.780
-
18
10.153
+ 116
2.627
- 134
2001
12.720
-
60
10.227
+ 74
2.493
- 134
2002
12.648
-
72
10.283
+ 56
2.365
- 128
2003
12.570
-
78
10.324
+ 41
2.246
- 119
2004
12.473
-
97
10.344
+ 20
2.129
- 117
2005
12.340
- 133
10.322
-
22
2.018
- 111
2006
12.165
- 175
10.252
-
70
1.913
- 105
2007
11.960
-205
10.142
- 110
1.818
-
2008
11.740
-220
9.994
- 148
1.746
-
72
2009
11.519
-221
9.816
- 178
1.703
-
43
2010
11.230
- 199
9.619
- 197
1.701
-
2
2011
11.128
- 192
9.404
-215
1.724
+ 23
2012
10.957
- 171
9.189
-215
1.768
+ 44
2013
10.799
- 158
8.981
-208
1.818
+ 50
2014
10.654
- 145
8.785
- 196
1.869
+ 51
2015
10.518
- 136 "
8.600
- 185
1.918
+ 49
95
In den neuen Ländern wird der dramatische Geburtenrückgang zwischen 1990 und 1994 direkt im Schulwesen abgebildet. Die in Tabelle 2 genannten Zahlen scheinen dies allerdings etwas zu verdecken. Erkennbar ist ein langfristiger, linearer Rückgang der Schülerzahlen von 3.034 Mio. im Jahr 1995 auf 1.701 Mio. im Jahr 2010. Sekretariat der K M K 1997 (Anm. 1), S.
.
Bildungsentwicklung und Lehrerbedarf im Osten und Westen Deutschlands
63
Differenziert nach Bildungsbereichen zeigt sich, daß in den alten Ländern im Primarbereich mit der höchsten Schülerzahl im Jahr 1999 gerechnet wird, im Sekundarbereich I im Jahr 2003 und im Sekundarbereich I I im Jahr 2008. Ab dem Jahr 2008 ist in Westdeutschland dann ein Rückgang der Schülerzahlen in allen Stufen zu erwarten. Auch dies kann wieder an zwei Beispielen konkretisiert werden: Besuchten in Bayern im Schuljahr 1990/91 knapp 467.000 Schülerinnen und Schüler eine Grundschule, so wird mit einem Anstieg dieser Zahl auf knapp 548.000 zum Schuljahr 1999/2000 gerechnet und mit einem Wiederabsinken auf rund 417.000 im Schuljahr 2010/11 (= 31,4%). Dies bedeutet, daß im Jahr 2000 die Schülerzahl an bayerischen Grundschulen um 81.000 über, zehn Jahre später aber um 50.000 unter der des Jahres 1990 läge. Im Sekundarbereich I entspricht die Schülerzahlenentwicklung in Bayern in der Tendenz der für die alten Länder insgesamt aufgestellten Prognose - Anstieg bis zum Jahr 2003 und anschließender Rückgang. 10 An den nordrhein-westfälischen Grundschulen wird im Schuljahr 1998/ 99 die höchste Schülerzahl erreicht (837.410), die dann bis 2010 kontinuierlich auf 680.030, d.h. um 23%, und in den Folgejahren weiter absinken soll. 1 1 Für die Schulen des Sekundarbereiches I wird nach dem Höchststand der Schülerzahlen im Schuljahr 2003/04 ein Rückgang um rund 16% bis 2015 prognostiziert, in Bayern hingegen für die gleichen Schularten im gleichen Zeitraum ein Rückgang von mehr als 25%. Die Zahlen verdeutlichen somit auch, daß sich bei allgemein ähnlichen Entwicklungstendenzen in einzelnen Ländern nicht unerhebliche Unterschiede finden können. Hinsichtlich der neuen Länder geht die K M K davon aus, daß die niedrigsten Schülerzahlen im Primarbereich im Jahr 2002 zu erwarten sind, danach sollen sie bis 2015 kontinuierlich ansteigen. In den Schulen der Sekundarstufe I wird mit der niedrigsten Schülerzahl im Jahr 2008 und einem anschließenden Wiederanstieg gerechnet, und für die Schulen der Sekundarstufe I I werden zunächst bis 1999 steigende Schülerzahlen prognostiziert, die ab 2000 und bis zum Jahr 2012 rückläufig sein werden. 12 Es ist darauf hinzuweisen, daß im Bereich der zum Abitur führenden Bildungsgänge aufgrund der in der DDR geltenden starren Zulassungsregelungen seit Anfang der neunziger Jahre ein erheblicher Nachholbedarf bestand. Die Übergangsquoten zu den wieder eingerichteten Gymnasien - bzw., je nach Bundesland, gymnasialen Oberstufen - näherten sich schnell den westdeutschen an und überstiegen diese zeitweise. So lagen sie zeitweise bei 50% der Alters10 Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst (Anm. 3), S. 18-19 (Tab. 1). 11 Vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Anm. 4), Tab. 1.1.1. 12 Vgl. Sekretariat der KMK 1997 (Anm. 1), S. 18 ff.
Hans-Werner Fuchs
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jahrgänge. Daraufhin gab es in den betroffenen Ländern z.T. intensive Bemühungen um eine Reduzierung der Übergangsquoten, die mittlerweile wieder auf durchschnittlich 40% eines Altersjahrganges zurückgingen. Das Interesse an Abiturbildungsgängen ist aber nach wie vor groß, und so könnte der Faktor „Bildungsgangwahl" dafür ausschlaggebend sein, daß die genannte Prognose - rückläufige Schülerzahlen in der Sek I I ab dem Jahr 2000 - der Realität möglicherweise nicht standhält. Der exemplarische Blick auf den Grundschulbereich in den beiden bereits genannten neuen Ländern zeigt, daß in Brandenburg im Jahr 2000 voraussichtlich rund 16.000 Kinder ihre Schullaufbahn beginnen werden; zum Schuljahr 1994/95 wurden noch 38.500 Kinder eingeschult. Der Rückgang beträgt knapp 60%. Danach wird ein langsamer Anstieg erwartet, so daß zum Schuljahr 2014/15 die Zahl von rund 20.000 Erstklässlern erreicht sein soll. Das gleiche Bild zeigt sich entsprechend zeitversetzt beim Übertritt in die Sekundarstufe I: Die Prognosen deuten auf einen zunächst langsamen, ab dem Schuljahr 2003/04 rapiden Rückgang der Schülerzahlen von derzeit rund 38.000 auf ca. 19.000 im Schuljahr 2005/06 hin, dem ein langsamer Wiederanstieg folgen soll. 1 3 In Sachsen-Anhalt sinkt die Zahl der neu eingeschulten Kinder von rund 140.000 (Schuljahr 1995/96) auf knapp über 60.000 zum Schuljahr 2002/ 03, dann soll die Talsohle erreicht sein. Für die allgemeinbildenden Schulen im Sekundarbereich wird ein Rückgang von ca. 225.000 Schülerinnen und Schülern im Schuljahr 1995/96 auf etwa 100.000 Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2008/09 prognostiziert. 14 Die genannten Zahlen gelten für die anderen neuen Länder mit Ausnahme Berlins analog. Zu berücksichtigen ist, daß die Durchschnittswerte nur bedingt auf die Situation vor Ort im Bereich einzelner Schulträger übertragbar sind. I I I . Folgen der Schülerzahlenentwicklung für den zukünftigen Lehrkräftebedarf Was bedeutet die Entwicklung der Geburtenraten und der Schülerzahlen für den künftig zu erwartenden Bedarf an Lehrerinnen und Lehrern in den allgemeinbildenden Schulen? Führ hat in seiner Schrift „Deutsches Bildungswesen seit 1945" 1 5 darauf hingewiesen, daß nach Berechnungen der B L K aufgrund der in den alten Ländern bis zum Jahr 2005 steigenden Schülerzahlen mehr als 95.000 Lehrerstellen neu geschaffen werden müß13
Vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 1997 (Anm. 7), Bl. 2, Diagramm 3, Tab. 1. 14 Vgl. Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt (Anm. 8), Grafik 3. 15 Vgl. Führ, Chr.: Deutsches Bildungswesen seit 1945. Neuwied 1997.
Bildungsentwicklung und Lehrerbedarf im Osten und Westen Deutschlands
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ten, wollte man die Schüler-Lehrer-Relation des Jahres 1992 halten. Im weiteren merkte er an, daß sich daraus allerdings nicht zwingend ableiten ließe, wieviele Lehrerstellen im Prognosezeitraum tatsächlich neu geschaffen würden. 16 In der Tat belegen Äußerungen aus den Kultusministerien, daß diese weder willens noch in der Lage sind, im genannten Umfang Personal neu einzustellen. Die Modellrechnungen der B L K liefern aber einen allgemeinen Anhalt für mögliche Bedarfe 17 . Ermittelt wurde der Lehrkräftebedarf auf der Basis dreier Rechnungsvarianten (vgl. Tab. 3). Die erste Rechnungsvariante basiert auf der Annahme einer gleichbleibenden Schüler-Lehrer-Relation auf dem Stand 1992 (16,8 zu 1 im Durchschnitt aller allgemeinbildenden Schularten). Unter dieser Annahme wäre aufgrund der in den alten Ländern bis zum Jahr 2005 ansteigenden Schülerzahlen die Neueinstellung von etwa 96.000 Lehrerinnen und Lehrern zusätzlich zum Ersatz ausscheidender Lehrkräfte erforderlich. Ab 2005 sinkt der Lehrkräftebedarf wieder, er bliebe aber im Jahr 2010 immer noch um rund 47.000 Vollzeiteinheiten über dem Bestand von 1992. Variante 2 der B L K kann als Kompromißlösung angesehen werden. Hier wurden die in Variante 1 errechneten Zuwächse halbiert und die Veränderungen in der Lehrkräfteversorgung auf dieser Basis nochmals durchgerechnet. Das nicht überraschende Resultat wäre eine - sich indes in Grenzen haltende - Verschlechterung der bestehenden Schüler-Lehrer-Relationen. In Variante 3 ging die B L K davon aus, daß zukünftig lediglich die ausscheidenden Lehrkräfte ersetzt würden. Die Folge wäre eine mittelfristig deutliche Verschlechterung der Schüler-Lehrer-Relation des Jahres 1992. Gingen die Länder nach dieser Variante vor, läge der jährliche Einstellungsbedarf im Zeitraum 1996-2000 bei etwa 15.300 Lehrerinnen und Lehrern. Ein Halten der Schüler-Lehrer-Relation des Jahres 1992 (Variante 1) führte hingegen zu einem jährlichen Einstellungsbedarf von 28.100 Lehrkräften. Im Zeitraum 2001-2005 betrüge die Differenz nur noch etwa 4.000 Stellen (24.300 gegenüber 28.300). 18 Die Vorstellungen der Finanzminister der Länder weichen jedoch erheblich von diesen Berechnungen ab. Die Modellrechnungen der BLK, so das Votum der Länderfinanzseite zum BLK-Bericht, „folgen der allgemein verständlichen Logik der Erhaltung von Besitzständen und entsprechen nicht der von allen öffentlichen Bereichen geforderten Logik einer möglichst effizienzsteigernden Einpassung in die Notwendigkeiten des öffentlichen Gesamthaushaltes (...). Eine starke Ver16
Vgl. ebenda, S. 251 f. Daneben hat auch die Kultusministerkonferenz Berechnungen zum Lehrkräftebedarf bis 2010 auf der Basis der Rechnungsvarianten „Konstante Schüler-LehrerRelationen von 1993" und „Konstante Gesamtstellenzahl von 1993" vorgenommen; vgl. hierzu Sekretariat der KMK 1995 (Anm. 1). 17
18
Vgl. B L K (Anm. 1), S. VII.
5 Schäfer/Sroka
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änderung im Altersaufbau der Bevölkerung und deren langfristig sinkende Zahl sind jedoch aus heutiger Sicht bis zum Jahre 2030 anhaltende Rahmenbedingungen. (...) Eine darauf antwortende Rückführung der SchülerLehrer-Relation - insgesamt - auf den Standard des Jahres 1980 muß nicht gleichbedeutend sein mit einer Verschlechterung der UnterrichtsversorM 19
gung .
Tabelle 3 Entwicklung der Schüler- und Lehrerzahlen unter Zugrundelegung verschiedener Schüler-Lehrer-Relationen (SLR) insgesamt (alte Länder) 20 Lehrer in Tausend Jahr
Schüler in Tausend
Prognose
bisherige Entwickung SLR 92 (16,8)
1975
12.300
500.5
1980
11.751
561.7
1985
9.869
551.2
1990
9.049
541.7
1992
8.936
532.1
SLR 80 (20,9)
SLR 75 (24.6)
532.1
1995
9.406
559.9
450.0
382.4
2000
10.199
607.1
488.0
414.6
2005
10.373
617.4
496.3
421.7
9.600
571.4
459.3
390.2
2010
Die Länderfinanzminister hoffen hingegen, daß „bei entsprechendem Führungsverhalten Knappheit als Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen in der Regel Kreativität in Richtung einer Leistungssteigerung auslöst". 2 1 Konkret würde eine Rückführung der Schüler-Lehrer-Relation auf den Stand des Jahres 1980 bedeuten, daß noch nicht einmal jede freiwerdende Lehrerstelle nachbesetzt werden müßte. Unter Zugrundelegung dieser Annahme könnte die Lehrkräftezahl von 532.100 im Jahr 1992 auf 496.300 19 20 21
Ebenda, S. XIII. Quelle: ebenda, S. 86. Ebenda, S. XIII f.
Bildungsentwicklung und Lehrerbedarf im Osten und Westen Deutschlands
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im Jahr 2005 und auf 459.300 im Jahr 2010 sinken. Die Konsequenzen eines solchen Vorgehens für den Lehrkräftenachwuchs liegen auf der Hand. In den neuen Ländern herrscht aufgrund der aufgezeigten demographischen Entwicklung, aber auch aufgrund der Folgen der bildungspolitischen Transformationsprozesse eine gänzlich andere Situation vor. Kennzeichen sind hier der bis zum Jahr 2010 stetig sinkende Lehrkräftebedarf - schon heute besteht ein erheblicher Lehrkräfteüberschuß im Grundschulbereich sowie ein gleichzeitiger und z.T. erheblicher Lehrermangel in bestimmten Fächern, insbesondere den Sprachen (alte und neue Sprachen außer Russisch), Kunst, Musik und Religion sowie Politischer Bildung/Sozialkunde. Somit besteht hier die Notwendigkeit zur Personalreduzierung und zur Neueinstellung von Lehrkräften gleichermaßen.
Tabelle 4 Schülerzahlen der neuen Länder nach Bildungsbereichen (in Tausend)22 Bildungsbereich Primarbereich Sekundarbereich I Sekundarbereich II allgemeinb. Schulen
1992
1995
2000
2005
2010
917
919
595
628
631
1.290
1.333
1.281
898
886
114
132
143
139
89
103
162
158
117
Sekundarbereich II berufl. Schulen/Vollzeit*
83
Sekundarbereich II berufl. Schulen/Teilzeit*
351
398
501
486
341
Sonderschulen
101
95
79
64
64
2.856
2.980
2.761
2.373
2.128
Schulen insgesamt * einschl. Kollegschulen
Gleichzeitig befinden sich die ostdeutschen Länder in einer noch schwierigeren Finanzlage als die westdeutschen Länder, welche durch die von den Finanzministern angestrebte Personalreduzierung geringfügig abgemildert würde. Nimmt man als mittelfristige Zielgröße die von den Länderfinanzministern vorgeschlagene Schüler-Lehrer-Relation der alten Länder von 22
5*
Quelle: ebenda, S. 97, Anlage 15b.
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1980 (20,9 zu 1) als Basis einer Modellrechnung, so würde aufgrund der demographischen Entwicklung der Lehrkräftebedarf in den neuen Ländern von 182.500 im Jahr 1992 auf 101.800 im Jahr 2010, somit um rund 45% absinken. Schon jetzt ist der Druck auf die ostdeutschen Länder zur Angleichung der hier günstigeren Schüler-Lehrer-Relation - 15,6:1 im Jahr 1992 im Vergleich zu 16,8:1 in den alten Ländern - immens (vgl. Tab. 5). Im Gegensatz zu den alten Bundesländern sind die neuen Länder in der aus Sicht der Administration günstigen Lage, ihre Lehrerschaft nicht nahezu vollständig verbeamtet zu haben. Bedarfsbedingte Kündigungen sind somit prinzipiell möglich, und es wird von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht. Bereits jetzt ist erkennbar, daß Neueinstellungen von Lehrkräften in den ostdeutschen Ländern mittelfristig fast nur in den genannten Mangelfächern erfolgen werden. Tabelle 5 Entwicklung der Schüler- und Lehrerzahlen unter Zugrundelegung verschiedener Schüler-Lehrer-Relationen (SLR) insgesamt (neue Länder) 23 Jahr
Schüler in Tausend
Lehrer-Prognose (in Tausend) SLR 1992 der SLR 1992 der SLR 1980 der SLR 1975 der neuen Länder alten Länder alten Länder alten Länder 1 : 15,6 1 : 16,8 1 : 20,9 1 : 24,6
1992
2.856
182,5
1995
2.980
191,0
177,4
142,6
121,1
2000
2.761
177,0
164,3
132,1
112,2
2005
2.373
152,1
141,3
113,5
96,5
2.128
136,4
126,7
101,8
86,5
2010
Einen zusammenfassenden Überblick über die Faktoren, welche sich auf die Bedarfe an Lehrerinnen und Lehrern für die Schularten und -stufen des allgemeinbildenden Schulwesens der alten und neuen Länder und auf ihre Veränderung auswirken, gibt Tabelle 6. Nicht berücksichtigt sind jene Entwicklungen, die zu der Gleichzeitigkeit von Lehrkräfteüberschuß und -mangel in den neuen Bundesländern führten; sie sind die Folge einer spezifischen historisch-politischen Konstellation und können nicht verallgemeinert werden. 23
Quelle: ebenda, S. 96, Anlage 15a.
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Tabelle 6 Lehrkräftebedarf Auswirkungen auf den Lehrkräftebedarf haben: Sonstige Faktoren
Demographische Entwicklung
Veränderungen im Schulwesen
Geburtenentwicklung
- Verweildauer im Schulwesen - Schulwahl- und Bildungsgangentscheidung - Entwicklung der Schülerströme - Schüler-Lehrer-Relation Inhaltliche Veränderungen- Wochenstundendeputat - Neue Fächer (z.B. - Altersaufbau der LehInformatik, Ökologie, rerschaft („BestandsSprachen) entwicklung ") - Wegfall von Unter- Aufgabenerweiterung richtsangeboten (auch (z.B. sozialpädagog. befristet) Betreuung) - Finanzielle Rahmenbedingungen
Wanderungsbewegung - Kinder deutscher Muttersprache - Kinder nichtdeutscher Muttersprache
Strukturelle/organisatorische Veränderungen - Neue Schularten oder Bildungsgänge - Binnendifferenzierung - Erweiterte Selbstgestaltungskompetenzen (Autonomie)
I V . Handlungsstrategien der Länder angesichts anhaltender Haushaltsenge Nach der Präsentation von Daten, die einen allgemeinen Anhalt hinsichtlich der zu erwartenden Entwicklung der Schülerzahlen und des Lehrkräftebedarfs in den alten und neuen Bundesländern geben sollten, verbleibt die Beantwortung der Frage, wie die Kultus- und Bildungsadministrationen der Länder Lehrkräftebestand und -bedarf unter den gegebenen demographischen und finanziellen Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen beabsichtigen. Mit Blick auf die alten Länder kann zunächst festgestellt werden, daß eine kurzfristige und nachhaltige Absenkung der Lehrerzahl, wie sie die Länderfinanzminister in ihrem Votum zum Bericht der B L K vorgeschlagen hatten, nicht zu erwarten ist. Hingegen sollen zumindest der derzeitige Bestand an Lehrkräften gehalten und die Stellen ausscheidender Lehrerinnen und Lehrer nachbesetzt werden. In einigen Ländern ist vorgesehen, die Lehrkräftezahl in bestimmten Fächern oder Schularten geringfügig zu erhöhen. Erkennbar ist aber auch, daß es zu einer Erhöhung der Stellenzahlen
Hans-Werner Fuchs
70
analog zum Schülerzahlenanstieg gemäß Variante 1 der BLK-Modellrechnung - Halten der SLR des Jahres 1992 - nicht kommen wird. Hingegen wird versucht, in der Phase sich erhöhender Schülerzahlen - die je nach Schulart zwischen 2000 und 2008 enden soll - mit einer Mischung aus personellen und strukturell-organisatorischen Maßnahmen zu reagieren und sich die Möglichkeit einer Absenkung der Lehrerzahl bei wieder sinkenden Schülerzahlen offen zu halten. Das konkrete Vorgehen auf Länderebene soll am Beispiel der Länder Baden-Württemberg und Bayern verdeutlicht werden: Mit Pressemitteilung vom 6. Mai 1997 teilte das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg mit, daß in der kommenden Legislaturperiode alle rund 10.000 frei werdenden Lehrerstellen wieder besetzt und zusätzlich 1.600 neue Stellen geschaffen werden sollen. 2 4 Dies entspricht einem Einstellungsvolumen von 2.900 Lehrerinnen und Lehrern pro Jahr. Zur Dekung des Mehrbedarfs aufgrund sich erhöhender Schülerzahlen wäre allerdings die zusätzliche Einstellung von 7.700 Lehrkräften erforderlich. Somit verbleibt eine Differenz von 6.100 Stellen. Von diesen sollen 2.600 Stellen - präzise: das Äquivalent einer entsprechenden Zahl von Vollzeitlehrereinheiten - durch Erhöhung der Klassenfrequenzen erbracht werden. Zudem wurde das Lehrdeputat von Gymnasiallehrern mit Beginn des Schuljahres 1997/98 um eine Unterrichtsstunde erhöht; dies erbringt ein Äquivalent von 1.200 Stellen. Für die Lehrkräfte an Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschulen wird zum Schuljahr 1998/99 ein sogenanntes „Vorgriffsstundenmodell" eingeführt. Lehrerinnen und Lehrer im Alter zwischen 30 und 49 Jahren sollen fünf Jahre lang je eine Unterrichtsstunde mehr erteilen. Dies wird als „Ansparphase" bezeichnet. In einer sich für weitere fünf Jahre anschließenden „Karenzphase" leisten die Lehrkräfte ihr Normalsoll, um in der dann einsetzenden „Rückzahlungsphase" eine Unterrichtsstunde pro Woche weniger zu arbeiten. Auf diese Weise soll das Äquivalent von 1.300 Stellen erbracht werden. Das noch verbleibende Fehl von 1.000 Stellen soll durch „organisatorische Maßnahmen" ausgeglichen werden. Insbesondere will das Kultusministerium hierzu „die Gruppengrößen optimieren, die Mittelstufe des Gymnasiums neu strukturieren sowie das Bildungsangebot benachbarter Schulen verstärkt aufeinander abstimmen". 25 Das Anspar- und Rückzahlungsmodell wird nicht nur in Baden-Württemberg praktiziert, sondern u. a. auch in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie in Bayern, dort unter der Bezeichnung „Arbeitszeitkonto".
24 Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg: Zukunftschancen für die junge Generation wichtigste landespolitische Aufgabe. Land schafft in dieser Legislaturperiode zusätzlich 1.600 Lehrerstellen, Pressemitteilung Nr. 61 v. 6.5.1997. 25
Ebenda.
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A m Beispiel Bayerns kann gezeigt werden, mit welchen organisatorischen Maßnahmen Lehrkräftebestand und -bedarf aneinander angeglichen werden sollen. Neben einer generellen Erhöhung der Klassenfrequenzen und der Stundendeputate der Lehrer - in Bayern, aber auch in NordrheinWestfalen mit Ausnahme der an Hauptschulen Tätigen - wurden und werden Stunden in den Stundentafeln gestrichen. Der Wahlunterricht und die Zahl der Leistungskurse in der gymnasialen Oberstufe werden reduziert, zudem werden die Leistungskurse von sechs auf fünf Wochenstunden gekürzt. Die Mindestgruppengröße im Wahlpflichtbereich wird von 12 auf 14 Schülerinnen und Schüler erhöht. Reduzierungsstunden für Lehrer, z.B. für die Betreuung des Kartenraumes oder der Schulbibliothek, werden zusammengestrichen. Des weiteren wird in den Fächern Religion und Ethik an die Bildung von Unterrichtsgruppen gedacht, deren Größe den sonstigen Klassengrößen entsprechen soll, was nichts anderes bedeutet als die (Wieder-) Einführung klassenstufenübergreifenden Unterrichts. Welche Einsparungen erbringt ein solches Vorgehen? Im dargestellten Fall führt in Bayern z.B. die Reduzierung des Heimat- und Sachkundeunterrichts um eine Unterrichtsstunde in der 4. Grundschulklasse zur Einsparung von rund 430 Stellen; die Verminderung des Sportunterrichts in der Hauptschule um eine Stunde spart 60 Stellen ein. 2 6 A m exemplarisch dargestellten Vorgehen einzelner Länder wird deutlich, wie die Administrationen versuchen, die vorfindlichen Probleme zu lösen. Zwar variieren die jeweils verfolgten Problembewältigungsstrategien im Detail, aber es ist nicht zu erkennen, daß eines der Länder gegen den Trend beispielsweise in der Lage wäre, die Zahl vorhandener Stellen dauerhaft zu erhöhen. Die finanzielle Situation bleibt, wie dargestellt, zumindest mittelfristig sehr angespannt. Wo heute angesichts steigender Schülerzahlen Stellen neu geschaffen werden, geschieht dies, wie in Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen, im Vorgriff auf künftige Einstellungen oder mit dem ausdrücklichen Vermerk der Befristung. Ungewissheit herrscht, wenn es um die Einschätzung der Berufschancen von Studierenden in Lehramtsstudiengängen geht. Der zukünftige Lehrkräftebedarf variiert ganz erheblich nicht nur je nach Bundesland, sondern auch nach Schulart oder -stufe sowie nach der studierten Fächerkombination. Generalisierende Aussagen können daher nur mit Zurückhaltung getroffen werden. Auch die Länderadministrationen selbst stellen Aussagen zum künftigen Lehrkräftebedarf stets die Unsicherheitsfaktoren gegenüber, mit denen solche Prognosen behaftet sind. Hierzu zählen z.B. die Zahl möglicher Altbewerber in den jeweiligen Fächern oder die Entwicklung auf dem 26
Vgl. Hoderlein, der weitere Beispiele auflistet. Hoderlein, J.: Finanznot Kienbaum - Schulnot? Sparmaßnahmen an Bayerns Schulen. In: Schulreport, (1996) 2.
72
Hans-Werner Fuchs
Arbeitsmarkt für die Einstellungschancen von Berufsschullehrern. Absehbar ist, daß es aufgrund der Altersstruktur der Lehrerschaft in den kommenden etwa zehn Jahren zu einer überdurchschnittlich hohen Zahl von Pensionierungen kommen wird. Sofern es bei diesbezüglichen Ankündigungen bleibt und zumindest die Stellen ausscheidender Lehrkräfte nachbesetzt werden, resultiert hieraus ein nicht unerheblicher Nachwuchsbedarf für alle Schularten. Cum grano salis haben Lehramtsanwärter für berufsbildende Schulen und Sonderschulen noch am ehesten Aussicht, zukünftig in den von ihnen studierten Fächern unterrichten zu können. Zwei Beispiele illustrieren die Situation in den alten Ländern: In Baden-Württemberg haben vor allem Studierende der Studiengänge Diplom-Handelslehrer und Diplom-Gewerbelehrer gute Chancen auf spätere Übernahme in den Schuldienst. Unterbelegt sind die Fächer Sport, Musik und Bildende Kunst für die Lehrämter an Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien. Für das Lehramt an Gymnasien sind aber auch einige Fächer weit überbelegt, u.a. Deutsch, Geschichte, Französisch und Englisch. 27 In Hessen ist die Lage für Lehramtsanwärter an allgemeinbildenden Schulen derzeit als ungünstig zu bezeichnen. Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber im Bereich Hauptschulen und Realschulen übersteigt das Stellenangebot um das Zehnfache, und die durchschnittliche Einstellungsquote für gymnasiale Lehrämter beträgt derzeit 5%. Hiervon unterscheidet sich die Situation im Grundschulbereich. Dort betrug die Einstellungschance im Jahr 1996 durchschnittlich 36%, wobei zwischen den Fächern eine nicht unerhebliche Schwankungsbreite bestand. 28 Der in den kommenden Jahren entstehende Mehrbedarf an Grundschullehrkräften soll durch die zunächst befristete Übernahme thüringischer Lehrerinnen und Lehrer gedeckt werden. Ein entsprechendes Programm läuft bis zum Jahr 2001; 250 thüringische Grundschullehrerinnen und -lehrer erhalten die Möglichkeit einer Tätigkeit an hessischen Grundschulen. 29 Ein vergleichbares Programm existiert zwischen Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Hinsichtlich der Übernahmechancen im Bereich der Haupt- und Realschulen wird in Hessen mittelfristig mit einer geringfügigen Entspannung gerechnet. Ein abschließender Blick auf die Situation in den neuen Bundesländern zeigt die erheblichen Unterschiede im Vergleich zu den alten Ländern auch 27
Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg: Berufsziel Lehrer/Lehrerin. Einstellungschancen für den öffentlichen Schuldienst. Informationsblatt des Kultusministeriums. Stuttgart, Juli 1997. 28 Vgl. Hessisches Kultusministerium: Prognose zum Lehrerinnen- und Lehrerbedarf in Hessen ab 1997. Wiesbaden, Dezember 1996. 29 Vgl. Verwaltungsabkommen zwischen dem Freistaat Thüringen und dem Land Hessen über die Fortbildung und den Einsatz Thüringer Grundschullehrerinnen und -lehrer in Hessen v. 17.03.1996.
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in dieser Hinsicht, was wiederum exemplarisch verdeutlicht werden kann. Unter Annahme einer gleichbleibenden Schüler-Lehrer-Relation - Basis ist das Jahr 1994 - würde in Sachsen der Bedarf an Grundschullehrkräften von 1994 bis zum Schuljahr 2002/03 von 10.430 auf rund 4.000 absinken. 30 In Brandenburg führt der Geburtenrückgang dazu, daß im Schuljahr 1998/99 in einem knappen Drittel der Grundschulen weniger als 15 Schüler pro Jahrgang eingeschult werden. Dies galt bislang als Richtwert für die Einführung selbständiger Jahrgangsklassen. 31 Die geschilderte Entwicklung gilt analog für die anderen neuen Länder. Die Geburtenentwicklung und die in ihrer Folge diskutierten und teilweise bereits umgesetzten Maßnahmen wie die Schließung von Schulen, die Erweiterung der Schuleinzugsbereiche oder die Wiedereinführung klassenstufenübergreifenden Unterrichts haben erhebliche Auswirkungen auf den derzeitigen und zukünftigen Lehrkräftebedarf. Neueinstellungen erfolgen derzeit fast nur noch in Mangelfächern sowie für einige Lehrämter an berufsbildenden Schulen, wo auch in den ostdeutschen Ländern vergleichsweise hoher Bedarf besteht. Im Gegensatz zur Situation in Westdeutschland betrifft die demographische Entwicklung in den neuen Ländern nicht nur den Lehrkräftenachwuchs, sondern auch die angestellten Lehrkräfte selbst. In Brandenburg wurde ein „60%+X" genanntes Modell für die im Primarbereich Tätigen entwickelt, mit Hilfe dessen - ähnlich wie in den Jahren 1991/92 - bedarfsbedingte Kündigungen vermieden werden sollen. Vorgesehen ist ein Sockel von 60% der bisherigen Arbeitszeit mit der Möglichkeit zur Aufstockung bei Bedarf. Aufgrund der Alternative „bedarfsbedingte Kündigung" hat wie schon 1991/92 die Mehrzahl der betroffenen Lehrkräfte ihrer erneuten Rückstufung in Teilzeitarbeitsverhältnisse zugestimmt. 32 In MecklenburgVorpommern existiert ein vergleichbares Konzept „50+X", das sich auf die Lehrkräfte aller Schularten erstreckt und mit Hilfe dessen erreicht werden soll, den mittelfristig als notwendig angesehenen Abbau von rund 11.000 Vollzeitstellen zu erleichtern. Hier wird die Reduzierung des Lehrkräftebedarfs von derzeit 19.500 Stellen auf ca. 8.500 Stellen im Jahr 2010 als notwendig erachtet, wobei pädagogische Verbesserungen in der Unterrichtsversorgung bereits einkalkuliert sind. 33 30
Vgl. Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Prognose zur Schülerzahlenentwicklung und zum Lehrerbedarf. Stand: 27.10.1994 (Typoskript); Sächsisches Staatsministerium für Kultus (Hrsg.): Sicherheit durch Teilzeit. Dresden, März 1997, S. 4 ff. 31 Vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Pressemitteilung v. 30.10.1995; Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (Hrsg.): Situation und Entwicklung der Kleinen Grundschulen im Land Brandenburg. Potsdam 1996. 32 Information des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg mit Schreiben an den Verfasser v. 07.10.1997.
74
Hans-Werner Fuchs
In allen neuen Ländern wird Teilzeitbeschäftigung in großem Umfang eingeführt, wird versucht, Lehrkräfte soweit fachlich geeignet, aus allgemeinbildenden an berufsbildende Schulen zu versetzen, wird für den vorzeitigen Ruhestand und die freiwillige Auflösung von Arbeitsverträgen geworben, werden Neueinstellungen auf das unumgänglich Notwendige begrenzt. Die Kündigung aufgrund mangelnden Bedarfs gilt als letzte, aber praktizierte Möglichkeit, um die vorgesehene Personalreduzierung zu erreichen. Eine Ausnahme ist allenfalls das Land Berlin insoweit, als hier versucht wird, auf bedarfsbedingte Kündigungen zu verzichten und zwischen den Bezirken einen Personalausgleich herbeizuführen. In den ostdeutschen Ländern wird versucht, parallel zur Lehrkräftereduzierung jährliche Einstellungskorridore zu schaffen, um langfristig einen ausgeglichenen Altersaufbau zu erreichen. Die genannten Zielgrößen sind aber denkbar gering. So ist z.B. in Mecklenburg-Vorpommern an die Neueinstellung von jährlich 120 Lehrerinnen und Lehrern für die allgemeinbildenden Schularten gedacht; Einstellungen kommen indes nahezu ausschließlich in den genannten Mangelfächern in Frage. 34 Es bleibt festzuhalten: Die Entwicklung der Lehrkräftezahlen wird sich auch zukünftig stärker am Kriterium anhaltender Haushaltsenge als an allen anderen Kriterien orientieren, seien sie bildungspolitischer, pädagogischer, ökonomischer oder sonstiger Natur. Weder die nachhaltige Einnahmenerhöhung bei den öffentlichen Haushalten noch die mögliche Umsteuerung vorhandener Ressourcen dürften mittelfristig realistische Perspektiven darstellen. Und auch wenn in letzter Zeit wieder häufiger auch medienwirksam auf die Bedeutung des Faktors Bildung für die Zukunftssicherung des Standortes Deutschland verwiesen wird, finden sich kaum Hinweise darauf, daß diese Erkenntnis in praktische Politik umgesetzt würde.
Literatur Bayerisches Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst (Hrsg.): Schüler- und Absolventenprognose 1996. Modellrechnung bis zum Jahr 2020. München, August 1996. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (Hrsg.): Langfristige Personalentwicklung im Schulbereich der alten und neuen Länder. Bonn, September 1994. Führ, Chr.: Deutsches Bildungswesen seit 1945. Neuwied 1997. 33
Information des Kultusministeriums Mecklenburg-Vorpommern mit Schreiben an den Verfasser v. 30.10.1997; vgl. Kultusministerium Mecklenburg-Vorpommern (Anm. 5), S. 1. 34 Information des Kultusministeriums Mecklenburg-Vorpommern (Anm. 33).
Bildungsentwicklung und Lehrerbedarf im Osten und Westen Deutschlands
75
Hessisches Kultusministerium: Prognose zum Lehrerinnen- und Lehrerbedarf in Hessen ab 1997. Wiesbaden, Dezember 1996. Hoderlein, J.: Finanznot - Kienbaum - Schulnot? Sparmaßnahmen an Bayerns Schulen. In: Schulreport, (1996) 2, S. 3-5. Information des Kultusministeriums Mecklenburg-Vorpommern mit Schreiben an den Verfasser v. 30.10.1997. Information des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg mit Schreiben an den Verfasser v. 07.10.1997. Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt: Stellenentwicklungskonzept des Kultusministeriums für die Allgemeinbildenden Schulen und die Berufsbildenden Schulen gemäß Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplanes für das Haushaltsjahr 1994 (Nachtragshaushaltsgesetz 1994) § 2, Abs. 2, Unterabs. 2. Magdeburg. Kultusministerium Mecklenburg-Vorpommern: Informationsbroschüre 1 zum Personalkonzept - Lehrkräfte. Schwerin, Februar 1996. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Pressemitteilung v. 30.10.1995. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (Hrsg.): Situation und Entwicklung der Kleinen Grundschulen im Land Brandenburg. Potsdam 1996. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (Hrsg.): Modellrechnungen zur Entwicklung der Schülerzahlen, des Lehrkräftebedarfs und Lehrkräftebestands. Vorab Veröffentlichung. Potsdam, August 1997. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg: Berufsziel Lehrer/Lehrerin. Einstellungschancen für den öffentlichen Schuldienst. Informationsblatt des Kultusministeriums. Stuttgart, Juli 1997. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg: Zukunftschancen für die junge Generation wichtigste landespolitische Aufgabe. Land schafft in dieser Legislaturperiode zusätzlich 1.600 Lehrerstellen, Pressemitteilung Nr. 61 v. 6.5.1997. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen: Vorausberechnung der Schülerzahlen bis zum Jahr 2020/21 und der Schulabgängerzahlen bis zum Jahr 2021/22. Düsseldorf, August 1997. Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Prognose zur Schülerzahlenentwicklung und zum Lehrerbedarf. Stand: 27.10.1994 (Typoskript). Sächsisches Staatsministerium für Kultus (Hrsg.): Sicherheit durch Teilzeit. Dresden, März 1997. Sekretariat der Kultusministerkonferenz (Hrsg.): Sicherung der Leistungsfähigkeit der Schulen in einer Phase anhaltender Haushaltsenge. Bericht der Kultusministerkonferenz vom 29.09.1995. Bonn.
76
Hans-Werner Fuchs
Sekretariat der Kultusministerkonferenz (Hrsg.): Vorausberechnung der Schüler- und Absolventenzahlen 1995 bis 2015. Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz Nr. 141. Bonn, August 1997. Verwaltungsabkommen zwischen dem Freistaat Thüringen und dem Land Hessen über die Fortbildung und den Einsatz Thüringer Grundschullehrerinnen und -lehrer in Hessen v. 17.03.1996.
Professionelle Anpassungsleistung oder Identitätskrise der Lehrerschaft in den neuen Bundesländern? Zu einigen empirischen Annäherungen an die Fragestellung Von Hans Döbert Der Beitrag geht auf der Grundlage empirischer Befunde dem vielerorts diskutierten Problem nach, wie eine Lehrerschaft, die ihre Ausbildung, berufliche Sozialisation und praktischen Erfahrungen überwiegend in der DDR gemacht hat, die gravierenden Veränderungsprozesse im Bildungsbereich, die innere Reformierung der umstrukturierten und erneuerten Bildungsinstitutionen bewältigt. Handelt es sich dabei überwiegend um einen identitätsbedrohenden Umbruchprozeß oder um einen Prozeß formaler Anpassung, wirken hier begünstigende Effekte der DDR-Lehrerbildung nach, oder sind es Spezifika, Entwicklungsmuster des Lehrerberufs und seines Gegenstandes generell? Die Aufklärung dieser und weiterer Fragen beinhaltet neben dem Informationsgewinn und dem Effekt der möglichen Ableitung fundierter Konsequenzen für Steuerungsprozesse im ostdeutschen Schulwesen sowie für Fort- und Weiterbildung ostdeutscher Lehrerinnen und Lehrer auch ein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse: Sie ist ein Beitrag zur Analyse von Bildung und Schule im Transformationsprozeß der neuen Bundesländer - focussiert auf die Personengruppe der Lehrerinnen und Lehrer. Auf scheinbar gleicher - zugegebenermaßen recht lückenhafter - Datenbasis werden derzeit sehr unterschiedliche Interpretationen vorgenommen. So wird einerseits vermutet, daß es sich bei der „Transformation der Lehrerrolle" nicht um ein einfaches „Anpassungslernen", sondern um tiefe biographische Brüche handelt. 1 Im Gegensatz dazu wird von „berufsspezifischer Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen"2 gesprochen.
1
Vgl. Tillmann, K.-J.: Stellungnahme zu dem Projekt „Transformation der Lehrerrolle". In: Benner, D./Merkens, H./Schmidt, F. (Hrsg.): Bildung und Schule im Transformationsprozeß von SBZ, DDR und neuen Ländern. Freie Universität Berlin 1996, S. 218. 2 Vgl. Döbert, H.: Lehrerberuf und Lehrerbildung. Entwicklungsmuster und Defizite. In: Zeitschrift für Pädagogik. 37. Beiheft. Weinheim/Basel 1997, S. 352.
Hans Döbert
78
I. Notwendige begriffliche Klärungen Nach herrschendem Begriffsverständnis wird unter Anpassung der Prozeß oder das Ergebnis des Prozesses, durch den zwischen den Fähigkeiten, Bedürfnissen, Erwartungen und Zielen des Individuums einerseits und den von der sozialen Umwelt an das Individuum gerichteten Anforderungen andererseits sowie den ihm von der Umwelt gebotenen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung ein „Gleichgewicht" hergestellt wird, verstanden. Obwohl in der Literatur oft nur die Konformität des Individuums mit den Zielen, Normen usw. der Umwelt als Anpassung bezeichnet wird, sind auch Formen abweichenden Verhaltens als Arten individueller Anpassung zu fassen. In diesem Sinne wird beispielsweise als innovatorische Anpassung das Bestreben des Individuums gefaßt, seine Umwelt gemäß den eigenen Zielen und Möglichkeiten zu verändern. Maßstab für eine gelungene Anpassung ist der Grad der Behauptung des Individuums in seiner Umwelt. 3 Der Begriff der Identität ist hauptsächlich von drei Theorietraditionen geprägt: von der Psychoanalyse, der kognitivistischen Entwicklungspsychologie und dem symbolischen Interaktionismus. Identität ist die Bezeichnung für das dauernde innere Sich-Selbst-Gleichsein, die Kontinuität des Selbsterlebens eines Individuums, die im wesentlichen durch die dauerhafte Übernahme bestimmter sozialer Rollen und Gruppenmitgliedschaften sowie durch die gesellschaftliche Anerkennung als jemand, der die betreffenden Rollen innehat bzw. zu der betreffenden Gruppe gehört, hergestellt wird. Dieses psychoanalytisch-sozialpsychologische Verständnis liegt den meisten soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Identitätstheorien zugrunde. Diese unterscheiden zwischen persönlicher, sozialer und Ich-Identität. Der vorübergehende oder dauernde Verlust der Identität, etwa nach dem unerwarteten Verlorengehen einer beruflichen Stellung oder einer anderen individuell bedeutsamen sozialen Rolle, durch das Scheitern eines Lebensplanes oder der Ablehnung durch eine dem Individuum wichtige Bezugsgruppe, wird als Identitätskrise oder Identitätsverlust bezeichnet. Individuen in Identitätskrisen oder mit Identitätsverlust wissen in der Regel nicht (mehr), „wer sie sind und wohin sie gehören". 4
3
Vgl. Lexikon zur Soziologie. Hrsg. von Fuchs-Heinritz, W./Lautmann, R./ Rammstedt, O./Wienold, H. Opladen 1994, S. 41-42. 4 Vgl. Enzyklopädie Erziehungswissenschaft. Hrsg. von Lenzen, D. Stuttgart 1986, Bd. 9.2., S. 304f ff.
Professionelle Anpassungsleistung oder Identitätskrise der Lehrerschaft?
79
I I . Ausgewählte Befunde empirischer Untersuchungen 1. Methodologische und forschungsmethodische
Vorbemerkungen
Die strukturelle, inhaltliche und personelle Neuordnung des Schulwesens in den ostdeutschen Bundesländern war Anlaß für eine Reihe von Untersuchungen zur Situation der Lehrerinnen und Lehrer. Das forschungsleitende Interesse dieser Untersuchungen war vor allem darauf gerichtet, wie Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Ausbildung und berufliche Sozialisation in der DDR erhalten haben, mit der Transformation der Lehrerrolle zurechtkommen, welche Probleme und spezifischen Belastungen sich für sie stellen und welche Bewältigungsstrategien sie nutzen.5 Die Möglichkeiten eines systematischen West-Ost-Vergleichs wurden allerdings noch nicht genutzt, wenn von Untersuchungen innerhalb Berlins 6 abgesehen wird, die sich nicht umstandslos für die Bundesrepublik generalisieren lassen. Für die Interpretation der Befunde derzeit vorliegender Untersuchungen ist zu beachten: - Die Untersuchungsergebnisse - gerade zur Zufriedenheit ostdeutscher Lehrerinnen und Lehrer - sind in hohem Maße davon abhängig, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Region die jeweilige Untersuchung durchgeführt wurde. So zeigen Untersuchungen gleich zu Beginn der äußeren Schulreform in den Ländern eine ausgesprochene Verunsicherung von Lehrern. Befragungsergebnisse zu dieser Zeit sind entscheidend durch Existenzangst, Sorge um Weiterbeschäftigung und Unzufriedenhei5 Vgl. Döbert, H ./Rudolf, RJ Seidel, G.: Lehrerberuf - Schule - Unterricht. Einstellungen, Meinungen und Urteile ostdeutscher Lehrerinnen und Lehrer. Forschungsbericht. Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung. Frankfurt/M. 1995; Hoffmann, A./Chalupsky, J.: Zwischen Apathie und Aufbruchseuphorie. Lehrerinnen in der DDR in der Ubergangszeit. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. In: Pädagogik und Schule in Ost und West, (1991) 2, S. 114— 119; Hoyer, H.-D.: Lehrer im Transformationsprozeß. Weinheim/München 1996; Hübner, P.: Innovationsbereitschaft Berliner Lehrerinnen und Lehrer unter Berücksichtigung von Arbeitszeit und Arbeitsbelastung. Berlin 1994; ders.: Die Vereinigung des Berliner Schulsystems und das Problem zweier pädagogischer Berufskulturen. In: Böttcher, W. (Hrsg.): Die Bildungsarbeiter. Situation - Selbstbild - Fremdbild. Initiative Bildung, Bd. 2. Weinheim/München 1996, S. 202-220; Schimunek, F.-P.: Wandel durch Annäherung? Zur Sicht Erfurter Lehrer auf den Umbruch des Bildungswesens in Thüringen. In: Forschungsgruppe Schulstrukturwandel in Thüringen: Schulstrukturwandel in Thüringen. Ergebnisse einer Befragung von Schülern, Eltern und Lehrern in der Stadt Erfurt. Erfurt. Pädagogische Hochschule 1993, S. 49-72; ders.: Einstellungen zum Lehrerberuf. Trends bei Lehrern und Lehrerstudenten in der DDR und im neuen Bundesland Thüringen von 1975 bis 1993. In: Rudolf, R./Döbert, H./Weishaupt, H.: Empirische Lehrerforschung in der DDR. Erfurter Studien zur Entwicklung des Bildungswesens, Bd. 3. PH Erfurt 1996. 6 Vgl. Hübner (Anm. 3) 1994 u. 1996.
Hans Döbert
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ten mit Rahmenbedingungen weitergeführter Arbeitsverhältnisse der Lehrerinnen und Lehrer geprägt. Solchen Befunden geradezu konträr gegenüber stehen Untersuchungsergebnisse Mitte der 90er Jahre von Lehrerinnen und Lehrern, die z.B. schon verbeamtet wurden oder sich beruflich sicher wähnen. In diesen zeigt sich eine hohe Zufriedenheit. Von Bedeutung für die Interpretation von Untersuchungsbefunden sind auch landes-, regional- oder schulstufenspezifische Probleme. So haben sich beispielsweise Brandenburger Grundschullehrerinnen und -lehrer trotz weitgehend gesicherter beruflicher Perspektive wenig zufrieden angesichts der tariflichen Veränderungen (80% von 85% des Einkommens der übrigen Brandenburger Lehrer wegen Lehrerüberhang) geäußert. - Stichproben werden überwiegend als Zufallsstichproben, zum Teil geschichtet, bzw. als willkürliche Klumpenstichproben gezogen. Sie beziehen sich aber meist nur auf ein Bundesland oder noch kleinere regionale Einheiten. Deshalb lassen sie keine repräsentativen Rückschlüsse auf die Situation der Lehrer in den ostdeutschen Ländern insgesamt zu. - Bezüglich der Befragungsgebiete zeigt sich ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Kaum Untersuchungen gibt es im nordostdeutschen Raum (Mecklenburg-Vorpommern) sowie für Sachsen-Anhalt. Eine Häufung von Untersuchungen ist für Brandenburg und Thüringen feststellbar. Die Transformation der Lehrerrolle in den neuen Bundesländern hat ihre Vorgeschichte: die Veränderungen in der Lehrerschaft noch in der DDR selbst. Bei der Interpretation der Untersuchungsbefunde ist daher auch zu beachten, daß die „Wende" in nicht wenigen Köpfen der „staatstragenden" und der ideologischen Harmonisierung der DDR-Gesellschaft verpflichteten Berufsgruppe der Lehrer bereits vor 1989 begonnen hatte. 2. Veränderungen
innerhalb der Lehrerschaft
in der DDR
Obwohl in der DDR eine beachtliche Anzahl empirischer Untersuchungen zu verschiedenen Facetten des Lehrerberufs durchgeführt wurden, 7 liegen kaum wissenschaftlich aussagefähige Befunde zur tatsächlichen Situation von Lehrerinnen und Lehrern, zu ihren Einstellungen, zu ihrer Berufszufriedenheit und zu ihren Problemen vor. Das Fehlen direkt interpretierbarer Befunde macht die Reanalyse von Untersuchungen, die in der DDR durchgeführt wurden, erforderlich. Zudem liefern neuere empirische Untersuchungen in der Lehrerschaft der ostdeutschen Bundesländer, die einen Rückblick auf die Lehrertätigkeit in der DDR enthalten, interessante Einblicke.
7
Vgl. Rudolf/Döbert/Weishaupt
(Anm. 3).
Professionelle Anpassungsleistung oder Identitätskrise der Lehrerschaft?
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In einer von uns 1993/94 in Berlin, Brandenburg und Sachsen durchgeführten Untersuchung 8 zeigte sich, daß es bei einer beachtenswerten Zahl von Lehrerinnen und Lehrern (ca. 15%) bereits zu DDR-Zeiten kritische Bewertungen von Schule und Schulpraxis gegeben hat. So gab es bei den Befragten auf die vorgegebene Antwortmöglichkeit „Das Bildungs- und Schulwesen in der ehemaligen DDR hat sich insgesamt bewährt. Man hätte im Prinzip nichts ändern brauchen" nur eine Nennung (von 289). Zu ähnlichen Feststellungen kommt Büchner, 9 der 118 ostdeutsche Lehrer befragte, wie sie den Wechsel der Schulsysteme in der Interaktion mit Schülern, Kollegen, der Schulleitung und den Eltern erlebt haben und welche Fortbildungsbedürfnisse sie daraus ableiten. Auf die Frage, was von dem alten (DDR-)Schulsystem hätte bewahrt werden sollen, weil es sich bewährt hat, gab es nur eine Nennung „alles, bis auf die Lehrpläne im Fach Staatsbürgerkunde". Schimunek 10 konnte auf der Grundlage in der DDR unveröffentlichter eigener Untersuchungen aus den Jahren 1984, 1986 und 1988 sowie durch die Reanalyse11 von Lehrerbefragungen aus den Jahren 1975 bis 1993 - bei Verweis auf die methodischen Probleme des Vergleichs von Untersuchungsergebnissen verschiedener Untersuchungen und unterschiedlicher Fragebogen - zeigen, daß die Lehrerschaft bereits vor 1989 in sich sehr differen8
Vgl. Döbert/Rudolf/Seidel (Anm. 3). In die Untersuchung wurden Lehrerinnen und Lehrer aller in den drei Ländern vorhandenen Schulformen des öffentlichen allgemeinbildenden Schulwesens (ohne Sonder- bzw. Förderschulen) einbezogen. Eingesetzt wurden insgesamt 1.040 Fragebogen, davon in Berlin ca. 480, in Brandenbrug ca. 320 und in Sachsen ca. 240. Die unterschiedliche Größe der Stichprobe in Berlin, Brandenburg und Sachsen erklärt sich aus dem Bestreben, nach Möglichkeit Lehrerinnen und Lehrer von vier Schulen je Schulform und Land einzubeziehen. Es wurde ein standardisierter Fragebogen mit überwiegend geschlossenen Indikatoren entwickelt, in dem aber auch offene Antwortmöglichkeiten vorgesehen waren. Die Items wurden zum größten Teil aus eigenen Vorarbeiten gewonnen. Einige Instrumente wurden in Kooperation mit einer analogen Untersuchung des Instituts für Allgemeine Erziehungswissenschaft und Empirische Bildungsforschung der PH Erfurt (Weishaupt/Zedler) entwickelt und abgestimmt. Für den Problemkreis Lehrerzufriedenheit wurde auf anderweitig genutzte und bewährte Instrumente zurückgegriffen. Von den 289 für die Stichprobe auswertbaren Fragebogen waren etwa zwei Drittel von Lehrerinnen und ein Drittel von Lehrern ausgefüllt worden. Die erhobenen Daten wurden hinsichtlich folgender Differenzierungsaspekte analysiert: Territorium, Schulformen, Schulwechsel bei Neugestaltung des Schulwesens, Fächerkombination, Geschlecht, Alter. 9 Vgl. Büchner, G.: Umstellungsprobleme und Fortbildungsbedürfnisse von Lehrern aus den neuen Bundesländern. In: Gruppendynamik, 24 (1993) 4, S. 332. 10 Vgl. Schimunek (Anm. 3), 1993 u. 1996. 11 Ein interessanter Nebenbefund der genannten Reanalyse, auf den zurückzukommen sein wird, ist übrigens, daß Unterstufenlehrer eine positivere Einstellung zum Lehrerberuf zeigten als die Mittel- und Oberstufenlehrer (vgl. ders. 1996, S. 193f f.). 6 Schäfer/Sroka
82
Hans Döbert
ziert war und Lehrerinnen und Lehrer zu wesentlichen Fragen der Entwicklung des DDR-Bildungswesens eine recht kritische Meinung hatten. So wurden in den erwähnten Untersuchungen der 80er Jahre in Diskussion um Veränderungen im Schulwesen der DDR von Lehrern solche Bereiche genannt wie weitgehende Entideologisierung des Unterrichts, größere Meinungsfreiheit in der Schule, Reduzierung der Gängelung der Lehrer, mehr Freiräume für die Unterrichtsgestaltung, offenere, weniger stoffüberfrachtete Lehrpläne, freierer Zugang zum Abitur u.a. 1 2 Diese Kritiken - in der Regel dem vorgegebenen politischen Rahmen angepaßt und als „Verbesserungsvorschläge" deklariert - trafen in ihrer Substanz jedoch schon Säulen „realsozialistischer Bildungspolitik". Nach Hoyer 1 3 zeigte sich in den 80er Jahren in der DDR eine zunehmende Tendenz einer allgemeinen Abkehr von den ehemals allgemeinverbindlichen pädagogischen Grundsätzen der Bildung und Erziehung in der DDR-Schule ab (vgl. Tab. 1). Tabelle 1 Individueller Bedeutungswandel von pädagogischen Grundsätzen (in Prozent/n = 701) Pädagogische Grundsätze:
bis 1989
1993
Umsetzung des Lehrplanes
90,3
73,3
Individuelle Förderung
89,1
82,6
Einheit von Bildung und Erziehung
84,0
75,4
Lernkollektiventwicklung/-förderung
72,1
52,8
Bewertung und Zensierung
88,2
82,6
Durchsetzung von Unterrichtsdisziplin
94,2
93,2
Lernmotivierung der Schüler/-innen
95,9
94,4
Förderung der Selbständigkeit/Eigenverantwortung der Schüler/-innen
92,5
96,9
Besondere Förderung von leistungsversagenden Schüler/-innen
85,2
74,4
Verbindung von unterrichtlicher und außerunterrichtlicher Arbeit
62,8
31,8
Einheitlich handelndes Pädagogenkollektiv
76,6
67,4
12 13
Vgl. ders., 1993, S. 54. Vgl. Hoyer (Anm. 3).
Professionelle Anpassungsleistung oder Identitätskrise der Lehrerschaft?
83
Scheuch u.a. 1 4 haben von 1985 bis 1994 Langzeituntersuchungen zur Entwicklung der Gesundheit von Lehrern und Erziehern in der DDR und in Ostdeutschland durchgeführt. Es sind dies die einzigen längsschnittartigen Unternehmungen, die - wenn auch unter dem Zugang der Lehrergesundheit gewonnen - über einen Zeitraum von zehn Jahren die Bedürfnisse, das Belastungserleben, die Arbeitszufriedenheit und die Zukunftserwartungen von Lehrern und Erziehern analysiert haben. Die Befragungen wurden unter Einsatz desselben Methodeninventars 1985 in Dresden (Studie Dresden I, η = 659) sowie als Fortsetzung 1985-1988 in Dresden, Berlin und Bützow (n = 1.252) und 1990/91 in Dresden (Studie Dresden II, η = 289) sowie als Fortsetzung 1992-1994 in Sachsen (n = 788) durchgefühlt. Ab 1993 wurden - als Teil der Fortsetzungsuntersuchung 1992-1994 - wieder 330 Dresdner Lehrer aus Grund- und Mittelschulen sowie Gymnasien untersucht. Für vergleichende Betrachtungen der Personengruppe der Lehrer zu den drei Studienzeitpunkten 1985, 1990/91 und 1993/94 wurde die Bezeichnung Studie Dresden I I I eingeführt. Einige ausgewählte Ergebnisse sollen nachfolgend skizziert werden. Die Bedürfnisse der Lehrer und Erzieher vor und nach der „Wende" zeigt Tabelle 2. Zum direkten Vergleich werden in Tabelle 3 die Ergebnisse der Bedürfnisliste der Studie Lehrer Dresden I I I dargestellt. Insgesamt läßt sich feststellen, daß für die zu den drei Studienzeitpunkten befragten Pädagogen essentielle Bedürfnisse in ihrer Bedeutung und hierarchischen Struktur auch auf dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen relativ stabil bleiben. 15 Befunde zur Arbeitszufriedenheit 16 1985 bis 1988 sind in Tabelle 4 dargestellt. Und ebenfalls nachfolgend im direkten Vergleich sind die Ergebnisse der Untersuchungen von 1993/94 in Tabelle 5 wiedergegeben. Obwohl in der Bewertung der einzelnen Items deutliche Unterschiede sichtbar sind, fällt doch insgesamt die erstaunliche Kontinuität hinsichtlich der Arbeitszufriedenheit vor und nach der „Wende" auf. Ein interessantes Teilergebnis ist, daß die Grundschullehrer nach der „Wende" am zufriedensten sind.
14
»Scheuch, K./Vogel, H./Haufe, E. (Hrsg.): Entwicklung der Gesundheit von Lehrern und Erziehern in Ostdeutschland. Ausgewählte Ergebnisse der Dresdener Langzeitstudien 1985-1994. TU Dresden 1995. 15 Vgl. dies., S. 44. 16 Näheres zu Problemstellung, Methodik und Ergebnisse der Untersuchungen siehe Scheuch/Vogel/Haufe (Anm. 12), S. 45f ff. 6*
Hans Döbert
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Tabelle 2 Bedürfnisliste - Lehrer Dresden I Differenz Bedeutung (B) - Verwirklichung (V) • = V • = B-V Rangplätze der Differenzen [ Erholung und Schlaf I geful^
sein
^
I
.. , _
1 4
1
1 Gesundheit erhalten Ü Ü ^ g g ^ g g l l 1 mich nicht ausgeliefert fühlen K S S ^ l B i 1 zufrieden mit meinem Leben sein f f 1 zufrieden mit meiner Arbeit sein h^^ffl^ii^^ J J I Ergebnis eigener Arbeit sehen wollen I mich geborgen fühlen I harmonisches Familienleben ^ Β 1 1 ^ 1 3 [ Einschätzung meiner eig. Leistung erhalten Käü^ "il I durchschauen können, was um mich geschieht Ι vorausplanen können 1 l zu viele Reize vermeiden Kl^rSjli.ifl^MI^ ^ I sinnvolle Arbeit leisten p f 'TS I körperliche Betätigung RS^lBll ι Liebe und Zuneigung JgSgP^ l gutes Klima im Arbeitskollektiv fc ^ K y H ^ f j I selbst entscheiden können jlSIISi
17 19 9 22
[Erfolgreich sein
21
P r i l l i l i ^
[ Vertrauen geschenkt bekommen
J
I Geselligkeit " [ Konflikte vermeiden I l von anderen unterstützt werden [ Selbstachtung behalten [ Freundschaft I Anerkennung finden l berufliche Weiterentwicklung l materielle Sicherheit ' beliebt sein I körperlichen Schmerz vermeiden 1 gute Ernährung ~ 1 meine Meinung durchsetzen können I Verantwortung übernehmen ! gegenwärtige L.-umstände beibehalten ι wenig getadelt werden 2
3
11 1 6
14 18 15 10 5 1 2
2 9
Ι gebraucht werden
1
3 8 7 6
4
5
6
20
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23 25 34 26 37 35 24 38 31 36 33 30 10
Professionelle Anpassungsleistung oder Identitätskrise der Lehrerschaft?
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Tabelle 3 Bedürfnisliste - Lehrer Dresden I I I Differenz Bedeutung (B) - Verwirklichung (V) • = V • = Β - V Rangplätze der Differenzen 1 Erholunq und Schlaf 2 gefühlsmäßig^ausgeglichen sein 3 keinen Ärqer haben 4 Gesundheit erhalten 5 mich nicht ausgeliefert fühlen 6 zufrieden mit meinem Leben sein 7 zufrieden mit meiner Arbeit sein 8 Ergebnis eigener Arbeit sehen wollen 9 mich geborgen fühlen 10 harmonisches Familienleben 11 Einschätzung meiner eig. Leistung erhalten 12 durchschauen können, was um mich geschieht 13 vorausplanen können 14 zu viele Reize vermeiden 15 sinnvolle Arbeit leisten 16 körperliche Betätigung 17 Liebe und Zuneigung 18 qutes Arbeitsklima 19 selbst entscheiden können 20 erfolgreich sein 21 gebraucht werden 22 Vertrauen geschenkt bekommen 23 Geselligkeit 24 Konflikte vermeiden 25 Sexualität 26 von anderen unterstützt werden 27 Selbstachtung behalten 28 Freundschaft 29 Anerkennung finden 30 berufliche Weiterentwicklung 31 materielle Sicherheit 32 beliebt sein 33 körperlichen Schmerz vermeiden 34 gute Ernährung 35 meine Meinung durchsetzen können 36 Verantwortung übernehmen 37 gegenwärtige L.-umstände beibehalten 38 wenig getadelt werden 1
2
3
4
5
6
MSÊÊÊÊÊÊÊÊÊÊ WÊÊBÊÊKÊÊ 1 { H H I H • H • H m
• • H•M P f f l B HHHHR HRB WÊÈÊÊÊÊÈ $
• M B U M S H f l K HBM M M I m^m &SBKË t
WÊÊÊ Η jdB
• Β
1
•
•
1 I I 7
8
-0,01 9
10
Hans Döbert
86
Tabelle 4 Arbeitszufriedenheit von Lehrern 17 1985-1988 (1 = sehr unzufrieden, 7 = sehr zufrieden)
Zufriedenheit
mit
Möglk. d. Erziehg. Lernmotiv, d. Sch. Verhältnis zu Eltern Niv./Effekt. d. Arbeit Wirksamk. des Vorg. mat. Ausstattung Freizeitumfang Disziplin d. Schüler fachl.-inhaltl. U.-Niv. Org. v. Sch.-betrieb Erfolgserlebnisse Verh. zu Sch.-Ieitung Auswirkg. auf Gesù. Fähigk. d. Schüler Achtg. in Öffentlichk. Verhältn. zu Kollegen Bewältig, von Probi. Möglk. d. Pers.-entw. nervi. Belastung Möglk. selbst. Arbeit Skalen-MW _1
2
3
4
5
6
7
— Dresden 85/86 ^Bützow85 w Berlin 87/88
17
Erfaßt wurden Lehrer aus den Untersuchungen in Dresden, Berlin und Bützow.
Professionelle Anpassungsleistung oder Identitätskrise der Lehrerschaft?
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Tabelle 5 Arbeitszufriedenheit von Dresdner Lehrern 1993/94 (1 = sehr unzufrieden, 7 = sehr zufrieden)
Zufriedenheit
mit
Möglk. d. Erziehg. Lernmotiv, d. Sch. Verhältnis zu Eltern Niv./Effekt. d. Arbeit Wirksamk. des Vorg. mat. Ausstattung Freizeitumfang Disziplin d. Schüler fachl.-inhaltl. U.-Niv. Org. v. Sch.-betrieb Erfolgserlebnisse Verh. zu Sch.-Ieitung Auswirkg. auf Gesù. Fähigk. d. Schüler Achtg. in Öffentlichk. Verhältn. zu Kollegen Bewältig, von Probi. Möglk. d. Pers.-entw. nervi. Belastung Möglk. selbst. Arbeit Skalen-MW 1
2
3
4
• Grundschule ^Mittelschule
5
6 Gymnasium
7
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Hans Döbert
3. Empirische Befunde zur Befindlichkeit in den neuen Bundesländern
von Lehrern
Im folgenden sollen einige ausgewählte Befunde unserer Lehreruntersuchung dargestellt werden, da wir insgesamt über einen methodisch gesicherten Datensatz verfügen, der - mit den genannten Einschränkungen - eine wissenschaftlich solide Interpretation zuläßt. Die Befunde werden durch die erwähnten Untersuchungen von Scheuch u.a., Hübner, Schimunek u.a. gestützt. Hinsichtlich der allgemeinen beruflichen Zufriedenheit zeigt sich:
Abbildung 1 : Zufriedenheit mit der beruflichen Situation (1 = zufrieden, 5 = unzufrieden)
Uneingeschränkt zufrieden werten 20,5% der Befragten mit der Wertungsmöglichkeit 1 ihre berufliche Lage. Bei aller gebotenen Zurückhalten könnte man als Quintessenz aus den vorliegenden Befunden schlußfolgern, daß die von uns befragten Lehrerinnen und Lehrer mit wesentlichen Aspekten ihrer neuen beruflichen Situation im Kern zufrieden sind. Nimmt man die Ergebnisse der Wertungsmöglichkeiten 1 und 2 („zufrieden" und „eher zufrieden") so kommt man zur Feststellung, daß etwa zwei Drittel der Lehrerinnen und Lehrer in den von uns untersuchten Ländern zufrieden mit ihrer Arbeit und der beruflichen Situation im allgemeinen sind. Auf die Frage, wie die Lehrerinnen und Lehrer ihre Fähigkeiten einschätzen, mit den neuen Anforderungen im Schulbereich fertigzuwerden, wurde wie folgt geantwortet:
Professionelle Anpassungsleistung oder Identitätskrise der Lehrerschaft?
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Abbildung 2: Bewältigung der neuen Anforderungen (allgemein) (1 = sehr gut, 5 = sehr schlecht)
keine Belastung 6,41%
sehr große Belastung 12,41%
eher geringe Belastung 17,62%
große Belastung 26,23%
teils-teils 37,34% Abbildung 3: Subjektive Belastung durch mangelndes Interesse der Schüler an Schule und Unterricht (1 = sehr große, 5 = keine)
D i e Werte zeichnen ein optimistisches B i l d v o n den Einstellungen der Lehrer hinsichtlich ihrer Fähigkeit, die anstehenden neuen Anforderungen erkannt zu haben und sie zu bewältigen. 66,8%, genau z w e i Drittel der be-
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sehr große Belastung 7,81 %
Abbildung 4: Belastung durch mangelnde Disziplin der Schüler (1 = sehr große, 5 = keine)
fragten Lehrer, sehen ihre aktuelle Situation optimistisch und meinen, die Probleme, die sich ergeben, sehr gut oder eher gut zu bewältigen. Diese Werte korrespondieren mit den Werten, die für die Zufriedenheit der Lehrer in den neuen Ländern ermittelt wurden. Allerdings lassen sich einschränkend zwei Problembereiche identifizieren (vgl. Abb. 3 und 4), die für nicht wenige Lehrerinnen und Lehrer erheblichere subjektive Belastungen darstellen. Das Problem „mangelnde Disziplin" ist für viele Lehrer der von uns untersuchten Schulen eine Belastung. Dabei ist nicht untersucht worden, was die Befragten unter „mangelnder Disziplin" verstehen. Es ist zu vermuten, daß sich dahinter sehr viele unterschiedliche, auch im Laufe der Zeit schon gewandelte Vorstellungen verbergen. Ein Viertel hat offensichtlich mit dem Problem „Disziplin im Unterricht" Schwierigkeiten, erlebt dieses als sehr starke oder eher starke Belastung. Auf die Frage, ob sich die Lehrerinnen und Lehrer durch ihre bisherige Ausbildung hinreichend auf die heutigen Anforderungen ihres Berufes vorbereitet fühlen, ergab sich folgende Antwort Verteilung:
Professionelle Anpassungsleistung oder Identitätskrise der Lehrerschaft?
zuweniq 7,4%
91
nein 0,8%
überwiegend 45,3% Abbildung 5: Bewertung der bisherigen Ausbildung als hinreichend für heutige Anforderungen (1 = ja, 5 = nein)
Die Struktur dieser Werte offenbart, daß eine klare Mehrheit unter den Lehrern der Meinung ist, ihre Ausbildung sei hinreichend für heutige Anforderungen. 22,2% fühlen sich uneingeschränkt gut vorbereitet, 45,3% weiten ihre Ausbildung als überwiegend ausreichend. Nur ein Anteil von 7,4% der Befragten fühlt sich durch die Ausbildung „zu wenig" vorbereitet. In engem Zusammenhang mit der Bewertung der Ausbildung steht der Bedarf an Fort- und Weiterbildung (vgl. Tab. 6). Die Bewertung bereits erlebter Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen wird relativ zurückhaltend und unsicher vorgenommen. Die beste Bewertung bisher erlebter Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen erhielten solche zu curricularen Fragen (54,2%). Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen mit pädagogisch-psychologischen Themenprofilen werden wenig positiv bewertet (nur 17% gute und sehr gute Nennungen).
I I I . Resümee und Folgerungen Der Beitrag war dem Problem nachgegangen, wie es um die ostdeutschen Lehrerinnen und Lehrer im Transformationsprozeß des Bildungswesens in den neuen Bundesländern steht. Gibt es die vermutete Identitätskrise, oder vollziehen sie überwiegend eine berufsspezifische Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen? Das Fazit versucht eine vorläufige Antwort.
92
Hans Döbert
Tabelle 6 Bedarf an Fort- und Weiterbildung Rangreihe
Bewertung
Inhaltlicher Aspekt
1
Juristische Fragen des Lehreralltags
sehr wichtig: 43,1% 44,2% wichtig: 78,3% Insgesamt:
2
Inhaltlicher Bedarf in bestimmten Unterrichtsfächern
sehr wichtig: 27,4% 36,7% wichtig: 64,1% Insgesamt:
3
Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern
sehr wichtig: 20,4% wichtig: 32,2% Insgesamt: 52,6%
4
Umgang mit Disziplinverstößen
sehr wichtig: 13,3% 35,8% wichtig: 49,1% Insgesamt:
5
Umgang mit leistungsstarken Schülern
sehr wichtig: 12,2% 32,9% wichtig: 45,1% Insgesamt:
6
Bewertung und Zensierung
sehr wichtig: 13,5% wichtig: 30,6% 44,1% Insgesamt:
7
Fachdidaktische Fragen der Unterrichtsgestaltung
sehr wichtig: 13,4% 29,3% wichtig: 42,7% Insgesamt:
8
Fragen eines richtigen Erziehungsverhaltens
sehr wichtig: wichtig: Insgesamt:
9
Umgang mit leistungsschwachen Kindern
sehr wichtig: 6,3% 30,0% wichtig: 36,3% Insgesamt:
10
Probleme des individuellen Eingehens auf die Schüler
sehr wichtig: 10,4% 29,9% wichtig: 40,3% Insgesamt:
1. Differenzierte
6,4% 30,7% 37,1%
Situation der Lehrer
Die insgesamt vorliegenden Daten zeigen, daß die Situation der ostdeutschen Lehrerinnen und Lehrer im Transformationsprozeß ausgesprochen differenziert ist. Einiges sei hervorgehoben:
Professionelle Anpassungsleistung oder Identitätskrise der Lehrerschaft?
93
- Scheinbar sind die Grundschullehrerinnen und -lehrer der zufriedenste Teil der ostdeutschen Lehrerschaft. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Nebenbefund der eingangs genannten Reanalyse von Schimunek, wonach Unterstufenlehrer eine positivere Einstellung zum Lehrerberuf haben. Eine der wesentlichen Gründe scheint also zu sein, daß sie offensichtlich in ihrer früheren wie jetzigen Tätigkeit die wenigsten Probleme als belastend erleben, sie werten die vollzogenen Veränderungen sehr positiv, machen deutlich, daß die Umgestaltung des Schulwesens für sie im wesentlichen Verbesserungen und Erleichterungen erbracht hat und daß die Freude über die Arbeit mit den Kindern auch ungünstige Rahmenbedingungen mildert. Besonders große Probleme erleben offenbar die Lehrer an den Gesamtschulen. Sie haben die höchsten Werte bei der kritischen Beurteilung der Bewältigung des Problems der Förderung leistungsschwacher Schüler, ebenso wie bei der Frage des Umgangs mit erziehungsschwierigen Schülern. Aus dieser Personengruppe kommen zudem die höchsten Werte hinsichtlich der Einschätzung mangelnder Disziplin. Andererseits scheint sich hinter diesen Befunden zugleich ein höheres Problembewußtsein dieser Lehrerinnen und Lehrer zu verbergen. Die Befunde der Lehrerinnen und Lehrer von Gymnasien sowie Realund Hauptschulen liegen hinsichtlich der reflektierten Probleme und ihrer Bewältigung zwischen denen der Grundschul- und denen der Gesamtschullehrer. - Die Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Schule wechselten, werten kritischer, polarisierter und differenzierter als ihre Kollegen, die in ihren vertrauten Lehrerkollegien verblieben sind. Der Wechsel macht eindeutig problembewußter und den neuen Anforderungen gegenüber aufgeschlossener. Auch wenn der Wechsel in ein anderes, in der Regel neugebildetes Lehrerkollegium vielfach als Einschnitt in die berufliche und soziale Entwicklung empfunden wird, hat er sich doch größtenteils als positive Veränderung für die betroffenen Lehrerinnen und Lehrer erwiesen. - Lehrerinnen bzw. ältere Lehrer schätzen die reale Bedeutung der DDRPädagogik für ihre gegenwärtige Praxis höher ein als ihre männlichen Kollegen bzw. jüngere Lehrer. Diese wiederum erkennen dafür offensichtlich deutlich bewußter als ihre Kolleginnen die Qualität der neuen Anforderungen und deren Konsequenzen für das eigene Handeln. Letztere meinen auch, die neuen Anforderungen besser bewältigen zu können. 2. Schulpraktische Ausbildung versus theoretisches Verständnis Die ermittelten Werte machen deutlich, daß die überwiegende Mehrzahl der Lehrer nach wie vor vom praktischen Wert ihrer in der DDR erhaltenen Ausbildung grundsätzlich überzeugt ist. Nur eine geringe Anzahl ist der
94
Hans Döbert
Meinung, daß die Ausbildung nicht oder zu wenig ausreicht, um aktuelle Probleme des Schulalltags zu bewältigen. Das Hauptproblem jedoch ist, daß viele Lehrer in den untersuchten Bundesländern den völlig anderen theoretisch-konzeptionellen und fachdidaktischen Anspruch an Schule und Unterricht, an Umgang mit nunmehr auch anders sozialisierten Schülern bisher offenbar (noch) nicht voll erfaßt haben. Für sie hat sich weithin nur ein Austausch bestimmter Inhalte und Methoden vollzogen. Es scheinen viele Lehrer nur mit einer geringfügigen Modifzierung ihrer praktischen Arbeit auf die grundsätzlich veränderten Anforderungen zu reagieren. Vermutlich spielen dabei auch Defizite hinsichtlich einer breiten theoretischen, vor allem allgemeinpädagogischen Fundierung und Durchdringung pädagogischen Handelns eine Rolle. Gerade dies zeigt quasi im „Großexperiment", daß die betont berufspraktische Ausbildung in der DDR den ostdeutschen Lehrerinnen und Lehrern durchaus hilft, mit den veränderten Bedingungen ihrer Berufsausübung fertig zu werden, eine weitgehende Anpassung an objektive Notwendigkeiten zu vollziehen und brauchbare Bewältigungsstrategien für die neuen Herausforderungen zu entwickeln. Das vorgenannte Hauptproblem verweist besonders auf die Notwendigkeit des Erlernens einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Problemen schultäglicher Realität in der Lehreraus- und -fortbildung. Mehr noch: ein theoretisch begründetes Verständnis von Pädagogik und dem Lehrerberuf, von wesentlichen Kategorien und Begriffen erweist sich für die Entwicklung pädagogischer Handlungskompetenz als unverzichtbar. 3. Berufs spezifische Anpassung Alle genannten Untersuchungen liefern insgesamt keine Hinweise darauf, daß die Transformation des Bildungswesens in den neuen Bundesländern als identitätsbedrohender Umbruchprozeß - von nicht näher quantifizierbaren Ausnahmen abgesehen - erlebt wurde. Die Befunde sprechen eindeutig für eine relativ schnelle Anpassung an veränderte Bedingungen. Ostdeutsche Lehrerinnen und Lehrer haben eine berufsspezifische (professionelle) Anpassungsleistung vollzogen, auf die sie durch die betont berufspraktische Lehrerausbildung in der DDR scheinbar weitgehend vorbereitet waren. Als Bewältigungsstrategie für neue Herausforderungen dominiert (noch?) das Zurückgreifen auf Bekanntes und Gewohntes. Man kann daher vermuten, daß viele pädagogische Vorstellungen und Verhaltensweisen aus der Zeit der DDR-Schule als Bekanntes und Gewohntes (besonders der Unterrichtsund Erziehungsstil) in das neue Schulsystem in den ostdeutschen Ländern übertragen wurden. Damit soll nicht negiert werden, daß es vielerorts eine neue pädagogische Diskussion um eigene neue Schulkonzepte und -profile, Unterrichtsstile u. ä. gibt.
Professionelle Anpassungsleistung oder Identitätskrise der Lehrerschaft?
4. Künftige
95
Identitätskrise?
Alle Prognosen und Hochrechnungen zur Entwicklung der Schülerzahlen in den neuen Bundesländern verweisen darauf, daß auf Grund extrem sinkender und für 15 bis 20 Jahre sehr niedriger Schülerzahlen das bisher entstandene Schulnetz und viele Schulstandorte kaum zu halten sein dürften. Hinzu kommt, daß eine demographisch determinierte Kontraktion (die in Schnelligkeit und Ausmaß die bekannte ost- und westdeutsche Schrumpfungsphase der 70er und 80er Jahre in den Schatten stellt) in eine vom Verhalten der Eltern und Schüler verursachte expansive Bildungsbeteiligung hineinwächst. Das hat Auswirkungen auf die Standortsicherung allgemeinbildender Schulen (insbesondere kleiner Grundschulen, Hauptschulen und Hauptschulbildungsgänge; aber auch die neuen Schulformen der Sek. I sind in ihrem Bestand gefährdet), auf Schulaustattung sowie Lehrerstellen. Lehrerinnen und Lehrer werden vor völlig neue Herausforderungen, etwa fehlende Arbeitsplatzgarantie, veränderte Arbeitszeitmodelle, weite Fahrwege zur Schule, jahrgangsübergreifenden Unterricht, Bedarfskündigungen usw. gestellt. Diese vermutlich sehr viel tiefgreifendere, kompliziertere und neue Lösungen erfordernde Phase der äußeren und inneren Schulreformen in den neuen Bundesländern wird etwa ab dem Schuljahr 1998/99 beginnen. Der eigentliche, gravierende Veränderungen mit sich bringende Umgestaltungsprozeß im ostdeutschen Schulwesen steht also erst an. Möglicherweise entsteht damit die reale Gefahr einer Identitätskrise für viele Lehrerinnen und Lehrer in den neuen Bundesländern.
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Hans Döbert
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Professionelle Anpassungsleistung oder Identitätskrise der Lehrerschaft?
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7 Schäfer/Sroka
Divergente und konvergente Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern in Berlin. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung aus dem Jahr 1996 Von Axel Gehrmann Jürgen Raschert zum 60. Geburtstag Ich freue mich auf die Zeit, in der im Streit um Utopien das eine Deutschland für das andere nicht mehr herhalten kann, in der sich nicht mehr alle Tatenlust westdeutscher Utopisten auf das Brachland DDR richtet, weil ihnen die eigene Kultur unvollkommen geraten ist. Monika Mar on im Februar 1990
I.
Die Institution Schule in der politischen Vereinigung
Die Geschwindigkeit der politischen „Wende" auf dem Boden der ehemaligen DDR hat die Akteure in Ost wie West überrascht und überwältigt. In kürzester Zeit brachen Institutionen zusammen, deren Verfaßtheit auf Dauer gestellt schien. Die Sozialwissenschaften haben diesen Prozeß weder vorausgesehen noch von Beginn an kritisch-systematisch begleitet. Eher hielten am Anfang Intellektuelle, Künstler und Literaten die Reflexion über den Weg von „Wir sind das Volk" hin zu „Wir sind ein Volk" aufrecht. Dabei sahen die „realistischen" unter ihnen keine Alternative zum bundesdeutschen Verfassungsstaat, verbaten sich aber schnell die Vorstellung, alles müsse auf dem Boden der ehemaligen DDR selbstverständlich dem Muster in der alten Bundesrepublik folgen. Ein Beitrag Monika Marons im Nachrichtenmagazin Der Spiegel aus dem Februar 1990 kann dafür gleichsam paradigmatisch herangezogen werden. In ihm kritisiert sie westliche wie östliche Romantiker, die der Nischengesellschaft in der DDR nachtrauerten, und beschreibt „die Arroganz des Satten, der sich vor den Tischmanieren eines Ausgehungerten ekelt" 1 . Damit zielte sie auf die von Stefan Heym vorgetragene Kritik an den Noch-DDR-Bürgern, die gänzlich dem Konsumrausch verfallen schienen. Sehr wohl konnte auch Maron nicht bedingungs1
7*
Maron, M.: Die Schriftsteller und das Volk. In: Der Spiegel vom 12.2.1990.
100
Axel Gehrmann
los mit den neu gewonnenen Freiheiten konform gehen, doch sah sie dies als ein Übergangsphänomen, das auch durch neu wachsendes Selbstbewußtsein in andere Bahnen zu lenken wäre. 2 Nach der Euphorie 1989/90 brach mit dem Einigungsvertrag die alte bundesdeutsche Judikatur über die neuen Bundesländer und Ost-Berlin herein. Eine in vierzig Jahren gefügte Institutionengesellschaft erweiterte sich territorial um ein Fünftel, und was Maron voraussah, trat ein: die Tatenlust westdeutscher Aufbauhelfer richtete sich auf das Brachland DDR. Zu den Utopisten unter ihnen zählten auch Erziehungswissenschaftler und Soziologen aus der Bundesrepublik Deutschland, die sich noch kurz vor der politischen Vereinigung im Jahr 1990 mit ostdeutschen Kollegen darüber einig waren, daß der Versuch gelingen könnte, Elemente des DDR-Volksbildungswesens zu erhalten und mit den Erfahrungen aus 40 Jahren Schulentwicklung in den alten Ländern innovativ zu verschmelzen. 3 Schon kurz danach blieb von diesem Ansatz nichts mehr übrig. Aus Innovation wurde institutionell vermeintlich Inkorporation und habituell loyale Anpassung an das Neue und - wenn es gut ging - kritische Distanz und Wohlwollen dem Wandel gegenüber, wenn man ersten Erfahrungsberichten glauben schenken wollte. 4 Mittlerweile gehört die deutliche Scheidung zwischen institutionentheoretischer und akteurstheoretischer Perspektive im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Transformationsforschung aber zum anerkannten Standard. Zu ihrer ersten grundlegenden Einsicht zählt „die Verabschiedung der Illusion (...), der Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft lasse sich als ein linearer Prozeß auffassen, dessen Telos mit der alternativlosen Bereitschaft der relevanten politischen und ökonomischen Akteure festgelegt sei, westliche Institutionen und Praktiken zu übernehmen bzw. zu adaptieren" 5. Für das Schulsystem in den neuen Ländern heißt dies heute, die institutionelle Abkehr vom alten zentralstaatlichen Schulsystem ist nicht in den alten bundesrepublikanischen kooperativen Föderalismus mit seinem überkommenen vertikal gegliederten Schulsystem gemündet. Vielmehr zeigt sich, daß sich, bis auf den Ostteil Berlins, in den fünf neuen Bundesländern sehr unter2
Vgl. dies.: Zonophobie. In: Kursbuch, 109. Berlin 1992, S. 91-96. Vgl. Berliner Bildungsrat: Stellungnahme zu Struktur- und Organisationsproblemen bei der Zusammenführung der Schulsysteme beider Teile Berlins. Juni-Dezember 1990. Berlin 1991; Meier, Α.: Inkorporation statt Innovation. Die Verwestlichung des ostdeutschen Bildungssystems. In: Kemper, H./Rau, E. (Hrsg.): Formation und Transformation. Spuren in Bildungsforschung und Bildungspolitik. Frankfurt/M. 1995, S. 157-172. 4 Vgl. Dudek, P./Tenorth, H.-E. (Hrsg.): Transformationen der deutschen Bildungslandschaft. Lernprozeß mit ungewissem Ausgang. In: 30. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik. Weinheim/Basel 1993. 5 Ettrich, F.: Editorial. In: Berliner Journal für Soziologie, 6 (1996), S. 445-448. 3
Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern in Berlin
101
schiedliche, den regionalen Gegebenheiten angepaßte Schulsysteme entwikkeln, die nur in bezug auf die Abkehr vom Einheitsschulsystem miteinander vergleichbar sind. Diese Abkehr von etwas Altem hin zu etwas Neuem können wir als Transformationsprozeß beschreiben, wobei der Endpunkt der Entwicklung nicht sichtbar ist und unabsehbar bleibt, wie die Akteure diesen teilweise schmerzlichen Übergang habituell bewältigen bzw. bewältigen werden. Bisher können wir nur einen fast „lautlosen" Prozeß konstatieren, wenn andere gesellschaftliche Subsysteme zu einem Vergleich herangezogen werden. Die Schulsysteme in den neuen Bundesländern werden heute weiter mit einem Personal, das zu einem Großteil aus dem alten politischen System stammt und die erste institutionelle Transformation miterlebte, unter erschwerten Bedingungen umgebaut. Diese zweite institutionelle Transformation ist gekennzeichnet durch Probleme, die der demographische Wandel in den Schulen mit sich bringt, durch die Abwanderung von Familien und der damit einhergehenden Ausdünnung des Lehrkörpers. Dieser weitere Rückschnitt des Bestandes bzw. die einhergehende Entprofessionalisierungsdiskussion in den neuen Bundesländern auf der Basis finanzieller Restriktionen kann letztlich der Beginn genau der gleichen Prozesse in den alten Bundesländern werden, denn auch hier zeigen sich Tendenzen, das Schul- bzw. Bildungssystem umzubauen. So hätten die Lehrerinnen und Lehrer in den neuen Bundesländern ihren Kolleginnen und Kollegen eine „Wende" voraus, die bewältigt wurde, und eine zweite gemeinsam in Aussicht, „das eine Deutschland kann für das andere Deutschland nicht mehr herhalten" 6 . Der vorliegende Beitrag möchte Ergebnisse der größten Berliner Lehrerbefragung nach der Vereinigung aus dem Jahr '96 referieren und zeigen, daß die zunächst in der Öffentlichkeit unterstellte Unterschiedlichkeit in den habituellen Konzepten ost- und westdeutscher Lehrerinnen und Lehrer nur sehr eingeschränkt aufrecht erhalten werden kann. Dies zeigt sich in Berlin allein schon daran, wie selbstverständlich die Westberliner Schulstruktur in den Ostteil der Stadt übertragen wurde (Kap. II.) und wie ähnliche Orientierungen in ersten empirischen Untersuchungen zu konstatieren waren (Kap. IV.). Dabei soll an dieser Stelle auch auf die Probleme der Transformationsforschung insgesamt aufmerksam gemacht werden (Kap. III.). Kapitel V., VI. und VII. präsentieren prägnante Ergebnisse aus dem DFG-geförderten Projekt „Die Transformation der Lehrerrolle in den neuen Bundesländern" im Rahmen der Berliner Forschergruppe „Bildung und Schule im Transformationsprozeß von SBZ, DDR und neuen Ländern" in bezug auf Wertorientierungen von Lehrerinnen und Lehrern, als auch ihre 6
Vgl. Maron (Anm. 1).
102
Axel Gehrmann
Erfahrungen in den Kollegien unterschiedlicher Schularten vor Ort. Diese Ergebnisse münden in eine Zusammenfassung, die konvergente und divergente Erfahrungen und Einstellungen Berliner Lehrerinnen und Lehrer offenlegt und prospektiv wendet (Kap. VIII.). I I . Die Schulentwicklung in Berlin seit der Vereinigung Schon vor der Vereinigung Berlins beauftragte die damalige Westberliner Senatorin für Schule, Berufsbildung und Sport, Sybille Volkholz, und der Ostberliner Stadtrat für Bildung, Dieter Pavlik, im April 1990 einen „Berliner Bildungsrat" zur Analyse der zukünftigen Schulentwicklungsplanung, der die Aufgabe haben sollte, „mit unabhängigem Rat die Berliner Bildungs- und Schulpolitik bei dem schwierigen Geschäft der Zusammenführung der Schulsysteme beider Teile Berlins und der Entwicklung eines zukünftigen einheitlichen demokratischen Bildungswesens in ganz Berlin zu unterstützen"7. Vom 11.05.1990 bis zum 14.12.1990 tagte dieses Gremium insgesamt neunmal und verabschiedete vier Stellungnahmen zur Entwicklung der Primarstufe/Grundschule, zur Entwicklung der Sekundarstufe I und II, zur Reform der Lehrerbildung und zur Lehrerfortbildung. Die Stellungnahme zur Entwicklung der Sekundarstufe I und I I sah dabei insbesondere die Umwandlung von Polytechnischen Oberschulen in Gesamtschulen vor. Hauptund Realschulen sollten nach der Vereinigung beider Stadthälften nicht eingerichtet werden, auch eigenständige Gymnasien mit einer integrierten Sekundarstufe I und I I nicht. Eigenständige Sekundarstufen-II-Schulen und gymnasiale Oberstufen an Gesamtschulen sollten den gymnasialen Bildungsgang abdecken. Obwohl schon im Berliner Bildungsrat gegen diese Option votiert wurde, weil insbesondere „ein Rahmenkonzept, das Alternativen zur Gesamtschule systematisch einbezieht" fehlte 8 , organisierte die zuständige Senatsverwaltung ihre Schulnetzplanung auf der Basis der Empfehlungen. 135 Gesamtschulen waren im Oktober 1990 in der Planung vorgesehen und ca. 25 Gymnasien. Nach der Abwahl der SPD-AL-Koalition im Dezember 1990 wechselte jedoch die Perspektive. Schon im April 1991 waren 12 Hauptschulen, 30 Realschulen, 41 Gymnasien und 54 Gesamtschulen geplant. Bis zum Juni 1991 hatte sich diese Gewichtung jedoch verschoben: 8 Hauptschulen, 24 Realschulen, 46 Gymnasien und 54 Gesamtschulen sollten zum 1. Gesamtberliner Schuljahr eröffnet werden. 9 Schließlich begann das erste 7
Berliner Bildungsrat (Anm. 3), S. 1. Roeder, P. M.: Zur Empfehlung des Bildungsrates zur Sekundarstufe. In: Berliner Bildungsrat (Anm. 3), S. 27. 8
Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern in Berlin
103
Gesamtberliner Schuljahr nach der Vereinigung mit 55 Gesamtschulen, 48 Gymnasien, 25 Realschulen und 8 Hauptschulen im Ostteil Berlins. Die erste Oktoberstatistik der Berliner Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport brachte 1991 schon hervor, daß insbesondere die Akzeptanz des Gymnasiums nach 40 Jahren Polytechnischer Einheitsschule überhaupt nicht gelitten hatte. 36,2% der Schüler im 7. Altersjahrgang waren von ihren Eltern dort angemeldet worden (West 40,0%). Die „führende" Schulart im Ostteil der Stadt wurde trotzdem zunächst die Gesamtschule. 49,6% der Eltern votierten für sie (West 28,1 %). Nach zweijähriger Erfahrung mit den neuen Schularten und ihren Zertifikaten hatten sich die Gesamtberliner Schulverhältnisse im Oktober 1993 fast egalisiert, wenn hinzugerechnet wurde, daß die unterschiedliche Annahme der Hauptschule vor allem dem im Ostteil der Stadt nicht vorhandenen Klientel ausländischer Schülerschaft geschuldet war (Gymnasium Ost: 41,0% - West: 41,1%; Realschule Ost: 23,6% - West: 19,9%; Hauptschule Ost: 4,5% - West: 12,1%). Insbesondere die Gesamtschule hatte unter diesem Anpassungsprozeß zu leiden. Sie verlor absolut in zwei Schuljahren 37,6% ihrer Schülerschaft im 7. Altersjahrgang und wurde damit auf 30,9% reduziert (West: 26,9%). Wie die Analyse der Entwicklung in den einzelnen Ostberliner Bezirken zeigen konnte, variierte dieser Verlust aber erheblich, und zwar zwischen 12,4% (Lichtenberg) bis 55,1% (Treptow) in zwei Jahren. Eine Berliner Einzelfallstudie im Bezirk Treptow konnte zeigen, daß einzelne Gesamtschulen bis zu 80% ihres Klienteis verloren hatten. 10 Diese Verluste resultierten unter anderem aus dem schon in der Bundesrepublik bekannten creaming-effect, wonach einzelne Gesamtschulen in einer viergliedrigen Konkurrenzlage zu anderen Schularten mit erheblichen Akzeptanzproblemen zu leben haben, so sie nicht ein nach außen sichtbares Profil entwickeln. 11
9 Schmidt, W.: Die Neustrukturierung der allgemeinbildenden Schulen in den neuen Bundesländern. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, (1991) B. 37/38, S. 38. 10 Vgl. Gehrmann, Α.: Schule in der Transformation. Eine empirisch-vergleichende Untersuchung an vier Gesamtschulen im Berliner Bezirk Treptow (1991— 1993). Frankfurt/M. 1996. 11 Vgl. ders.: School Quality in the Process of Reunification: Four former East Berlin Schools and their Transformation (1991-1993). In: Heyting, F. u.a. (Hrsg.): Educational Studies in Europe. Amsterdam and Berlin compared. Providence/Oxford 1997, S. 138-153.
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Axel Gehrmann
I I I . Die Transformation der Lehrerrolle in den neuen Bundesländern Mit dem Ende der DDR und der politischen Vereinigung im Oktober 1990 verbindet sich auch der langsame Beginn einer sozialwissenschaftlichen Analyse dieser gesellschaftlichen Wandlung in den neuen Bundesländern. Der dabei zu beschreibende Prozeß wurde schnell als Transformation bezeichnet. 12 Doch dieser Begriff hat bis heute „kaum präzise theoretische Kontur gewonnen" 13 . Für Erziehungswissenschaftler und ihren historischen Focus auf Schule und Unterricht konturierte sich deshalb wohl nicht umsonst schnell das Konstrukt „Kontinuität und Wandel" heraus. D.h., unabhängig von der Kenntnis über die „realen" Verhältnisse in der ehemaligen DDR ließ sich vermuten, daß der Übergang von einem zentralstaatlichen Bildungssystem hin zu einem föderalen dem üblichen Muster der Bildungsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert folgen wird: das staatliche Schulsystem wird zu unterschiedlichen politischen Umbrüchen still und selbstverständlich von einem in das andere Gesellschaftsmodell übertragen, und dies gelingt nur, weil sowohl das alte System strukturell im neuen weiterleben kann (Staatlichkeit der Schule, amtliche Lehrpläne, direktorale Leitung, Einbindung von Zensuren und Zeugnissen in ein Berechtigungswesen) 14 als auch das neue System schon im alten mitangelegt war (heute: Differenzierung von Einzelschulen, Individualisierung der Bildungsgänge und Curricula). Diese schulsystemische Egalisierung brach sich aber schnell im gegenseitigen persönlichen Kontakt von Lehrerinnen und Lehrern untereinander im Zuge der Öffnung der Grenzen. 15 Immer wieder berichteten Einzelne von Erfahrungen in den Schulen des anderen, an die nicht angeknüpft werden wollte und für die auch kein Verständnis aufgebracht werden konnte. Aus institutionell noch akzeptierter Ähnlichkeit wurde habituell Varianz. Die 12
Vgl. Kollmorgen, R.: Auswahlbibliographie zur theoretischen Transformationsforschung (1989 bis April 1994). Unter Mitarbeit von H. Harnack und W. Kühnemuth. In: Berliner Journal für Soziologie, 4 (1994), S. 400-428. 13 Tenorth, H.-E.: Kindheit, Jugend und Bildungsarbeit im Wandel. In: Tenorth, H.-E. (Hrsg.): Kindheit, Jugend und Bildungsarbeit im Wandel. Ergebnisse der Transformationsforschung. 37. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik. Weinheim/ Basel 1997, S. 10. 14 Tillmann, K.-J.: Staatlicher Zusammenbruch und schulischer Wandel. Schultheoretische Reflexionen zum deutsch-deutschen Erziehungsprozeß. In: Dudeck/ Tenorth (Anm. 4), S. 31. 15 Z.B.: Büchner, G.: Umstellungsprobleme und Fortbildungsbedürfnisse von Lehrern aus den neuen Bundesländern. Ergebnisse einer Befragung. In: Gruppendynamik, 24 (1993), S. 321-338; Tillmann (Anm. 14); Scharf, W.: Go East. Grenzerfahrungen eines „Westberliner" Lehrers in Brandenburg 1992-1995. In: Erziehung und Unterricht, 145 (1995), S. 701-707.
Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern in Berlin
105
Stunde der Empirie war angebrochen und die Fragestellung lag offen zu Tage: Gibt es unterschiedliche Einstellungen zu Schule und Unterricht bei Lehrerinnen und Lehrern in Ost und West? Wenn nein, wie kommt dies zustande ? Wenn ja, wie folgt der institutionellen Transformation auch die habituelle? Die Richtung war dabei auch vorgezeichnet, von Ost nach West nämlich: Die Debatte um die Transformation der Lehrerrolle war eröffnet. Ursprünglich bezeichnet Transformation in der Soziologie einen Prozeß, in dem ein gegebenes System „vom Ausgangspunkt in einen angebbaren, unter bestimmten Voraussetzungen gesetzmäßig zu erfassenden Folgezustand übergeht" 16 . Für die Lehrer- und Schulforschung über die Entwicklung in den neuen Bundesländern hieße dies nachzuzeichnen, wie das alte habituelle Konzept der Lehrerinnen und Lehrer in der DDR ausgeprägt war und unter welchen Bedingungen es sich hin zum westlichen Konzept wandelt. Dabei müßte genau definiert sein, welches professionelle Selbstverständnis im Westen tatsächlich vorliegt. Vergleichende Pädagogen aus dem Westen waren vor der politischen Vereinigung nicht in der Lage, empirisch die Lehrerrolle in der DDR zu ermitteln, noch lag ungefiltertes Material aus der DDR selbst vor. 1 7 Die Definitionsversuche westlicher Provinienz über Lehrerrolle und Lehrerprofessionalität sind schließlich bis dato Legende, ohne zu allgemein akzeptierten Einschätzungen zu gelangen. Damit lag von Beginn an im Dunkeln, was eigentlich unter welchen Bedingungen gewandelt wird und in welchen Zeithorizonten dies geschieht. Die These von Kontinuität und Wandel konnte jenes Manko gleichsam überdecken, denn um sie zu prüfen, hätte bei gleicher Population eine Längsschnittuntersuchung (zu Zeitpunkten t! - t x ) stattfinden müssen, die genötigt gewesen wäre ti noch zu DDR-Zeiten festzulegen. In gleichen Abständen über die Wende von 1989 wäre sie fortzuführen gewesen. IV. Das Projekt In der Projektgruppe 5 „Die Transformation der Lehrerrolle in den neuen Bundesländern" der Berliner DFG-Forschergruppe „Bildung und Schule im Transformationsprozeß von SBZ, DDR und neuen Länder" begann ab Ende 1994 der Versuch nachzuzeichnen, ob die Umstellung von einem zentralstaatlichen Bildungssystem hin zu einem föderalen mit Konkurrenzlagen einzelner Schulen und Schulformen (institutionelle Transformation), der 16
Fuchs, W. u.a. (Hrsg.): Lexikon der Soziologie. Köln 1978, S. 791. Vgl. Meier, Α.: Theorie und Empirie der bildungssoziologischen Forschung in und aus der DDR. In: Bertram, H. (Hrsg.): Soziologie und Soziologen im Übergang. Beiträge zur Transformation der außeruniversitären soziologischen Forschung in Ostdeutschland. Opladen 1997, S. 443^74. 17
106
Axel Gehrmann
Übergang von einer partikularen Orientierung der Lehrerinnen und Lehrer zum einzelnen Schüler hin zu einer universalen im PARSONSschen Sinne, die insbesondere Leistung legitimiert {habituelle Transformation), zu einer Veränderung oder Verfestigung der alten Berufsrolle bei Lehrerinnen und Lehrern in den neuen Ländern führt. Berlin wurde dabei als Ort einer ersten Untersuchung für eine vergleichende Analyse gewählt, weil hier bereits mit dem 1. August 1991 die beiden ursprünglich geteilten Schulsysteme unter den rechtlich institutionellen Vorgaben des Westberliner Schulgesetzes zu einem einheitlichen großen regionalen Schulsystem zusammengeführt und dabei die Ostberliner Schulorganisation entsprechend umgebaut wurde. Damit wurden zugleich auch die östlichen und westlichen Berufskulturen der Lehrerinnen und Lehrer in einem Schulsystem wirksam. 18 Unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Hübner bemühte sich die Gruppe, 19 zunächst einen allgemeinen Eindruck zur Forschungslage über Lehrerinnen und Lehrer in der DDR und den neuen Bundesländern zu gewinnen, um auf dieser Basis hypothesenprüfend mit eigenen quantitativen Untersuchungen die Fragestellung zu bearbeiten. Ausgangspunkt dafür bot auch eine Studie zu Arbeitszeit und Arbeitsbelastung Berliner Lehrerinnen und Lehrer aus dem Jahr 1994. 20 Die Vorstudie 21 erbrachte drei zentrale Ergebnisse: 1. Die Analyse empirischer Untersuchungen aus der Bildungsforschung im Rahmen der Transformation hatte darauf verwiesen, daß die Frage nach divergenten bzw. konvergenten Einstellungen im Ost-West-Vergleich dazu Anlaß gab, eher von Ähnlichkeiten zu sprechen, wenn globale Wertorientierungen und Muster abgefragt werden, und Unterschiede offenkundiger werden, wenn die Nahbereiche der täglichen Arbeit vorzustellen sind. 22 2. Die bis dato vorgelegten Forschungsergebnisse konnten zeigen, daß der „Wandel der Berufsrolle der Lehrer in der ehemaligen DDR (...) nicht auf eine allgemeine, für alle geltende Grundstruktur in der Transformation 18
Vgl. Hübner, P.: Schulpolitische Grundorientierungen und Reformbereitschaft von Lehrerinnen und Lehrern im Integrationsprozeß des Berliner Schulsystems. In: Benner, D./Merkens, H./Gatzemann, T. (Hrsg.): Pädagogische Eigenlogiken im Transformationsprozeß von SBZ, DDR und neuen Ländern. Berlin 1996, S. 84-121. 19 Neben dem Autor selbst waren mit unterschiedlicher Intensität und in unterschiedlichen Phasen auch beteiligt: A. Schulz, H. J. Vogler und M. Werle. 20 Hübner, P.: Innovationsbereitschaft Berliner Lehrerinnen und Lehrer unter Berücksichtigung von Arbeitszeit und Arbeitsbelastung. (Manuskript). Berlin 1994. 21 Gehrmann, A./Hübner, P./Werle, M.: Die Transformation der Lehrerrolle in den neuen Bundesländern. Vorstudie zu Professionalisierung und Schulentwicklung für eine qualitative wie quantitative Erhebung im Ost-West-Vergleich. Berlin 1995. 22 Ebenda, S. 69.
Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern in Berlin
107
rückführbar (ist)" 2 3 , in der Transformation nicht von der einzigen Lehrerrolle gesprochen werden kann, die sich ändert. Vielmehr soll auf die Lehrerrolle in einer Schulart aufmerksam gemacht werden, die sich verändert, weil der „Wandlungsprozeß (...) von den Akteuren in unterschiedlicher Weise angenommen (wurde). Es gibt eine Varianz in bezug auf alte und junge Lehrer, Frauen und Männer, alles bei deutlichen Schulformunterschieden und einzelschulischen Ausprägungen u24. 3. Die empirische Schulforschung in Deutschland hat seit den Arbeiten von Fend u.a. immer wieder gezeigt, daß die Einzelschule und die Schulart, in der Lehrer unterrichten, einen deutlichen Einfluß auf die Güte von Schulleistung und beruflicher Zufriedenheit besitzt. 25 Zwar gab es auch deutliche Kritik an diesem Ansatz 26 , doch gehört diese Perspektive heute „ja zu den gesicherten Befunden" 27 . Auch in den neuen Bundesländern wirkte diese Dimension. 28 23
Ebenda. Ebenda; vgl. dazu auch die Berliner Arbeiten von Riedel, K. u.a.: Schule im Vereinigungsprozeß. Probleme und Erfahrungen aus Lehrer- und Schülerperspektive. Frankfurt/M. 1994; Gehrmann (Anm. 10). 25 Vgl. Rutter, M. u.a.: Fünfzehntausend Stunden. Schulen und ihre Wirkung auf die Kinder. Weinheim/Basel 1980; Fend, H.: Gesamtschule im Vergleich. Bilanz der Ergebnisse des Gesamtschul Versuchs. Weinheim/Basel 1982; ders.: „Gute Schule schlechte Schule". Die einzelne Schule als pädagogische Handlungseinheit. In: Die Deutsche Schule, 78 (1986), S. 275-293; ders.: Schulkultur und Schulqualität. In: Leschinsky, A. (Hrsg.): Die Institutionalisierung von Lehren und Lernen. Beiträge zu einer Theorie der Schule. 34. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik. Weinheim/ Basel 1996, S. 85-97; Baumert, J.: Auf dem Wege zur neuen Dreigliedrigkeit? Zur Differenzierung des Sekundarschulangebots in Berlin (West). In: Hessisches Institut für Bildungsplanung und Schulentwicklung (Hrsg.): Sekundärschulen unter Konkurrenzdruck - Fallstudien aus dem viergliedrigen Schulsystem. Wiesbaden 1986, S. 79-102; Aurin, K. (Hrsg.): Gute Schulen - worauf beruht ihre Wirksamkeit? Bad Heilbrunn 1990; ders, (Hrsg.): Auffassungen von Schule und pädagogischer Konsens. Fallstudien bei Lehrerkollegien, Eltern- und Schülerschaft von fünf Gymnasien. Stuttgart 1993; Tillmann, K.-J.: Was ist eine gute Schule? Hamburg 1989; Terhart, E. u.a.: Berufsbiographien von Lehrern und Lehrerinnen. Frankfurt/ M. 1994. 26 Rolff, H. G.: Schulentwicklung als Entwicklung von Einzelschulen? Theorien und Indikatoren von Entwicklungsprozessen. In: Zeitschrift für Pädagogik, 37 (1991), S. 865-886. 27 Ternorth, H.-E.: Die professionelle Konstruktion von Schule - Historische Ambivalenz eines Autonomisierungsprozesses. In: Leschinsky (Anm. 25), S. 286. 28 Vgl. Forschungsgruppe Schulstrukturwandel in Thüringen: Schulstrukturwandel in Thüringen. Ergebnisse einer Befragung von Schulen, Eltern und Lehrern in der Stadt Erfurt. Erfurt 1993; Döbert, H ./Rudolf, RJ Seidel, G.: Lehrerberuf - Schule Unterricht. Einstellungen, Meinungen und Urteile ostdeutscher Lehrerinnen und Lehrer. Forschungsbericht. Frankfurt/M. 1995; Hoy er, H.-D.: Lehrer im Transformationsprozeß. Berufliches Selbstverständnis, soziale und professionelle Kompetenz von ostdeutschen Pädagogen im Wechsel der Schulsysteme. Weinheim/München 1996. 24
Axel Gehrmann
108
Für die eigene Untersuchung in Berlin konstruierten wir deshalb u.a. Items, die eher der Dimension globale Weitorientierungen und Einstellungen folgten, um so zu prüfen, ob diese tatsächlich keine signifikanten Unterschiede ergeben, und Items, die eher den Nahbereich der Tätigkeit vor Ort und die Berufsbiographie problematisierten, um so vermeintliche Unterschiede in Ost und West herauszuarbeiten: Globale Wertorientierungen
und Einstellungen
Selbstkonzept von Lehrerinnen und Lehrern • berufliche Zufriedenheit • Kritik an Politik und Verwaltung Professionelles
Selbstverständnis
• partizipatorische Gestaltungsmerkmale • Öffnung und Selbständigkeit von Schule • reformpädagogische Orientierung von Unterricht u. Lernen • gegliedertes versus integriertes Schulartenverständnis Werte strukturen • Disziplinorientierung • Erziehungshaltung • Bildung als Bürgerrecht • Beharrungsvermögen/Konservatismus
Nahbereiche der Berufstätigkeit
vor Ort/Berufsbio
Kooperation und Kommunikation im Kollegium • individuelle Isolationsgefühle • Zukunftsübereinstimmung/Gemeinsamkeit • Desintegrationsempfinden Bedeutung der Schulleitung • pädagogische Schulleitungsorientierung • Managementorientierung des Schulleiters • inkonsistentes Leitungsverhalten
graphie
Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern in Berlin
109
Probleme bei der täglichen Unterrichtsarbeit • einzelschulische Leistungsorientierung • positive schulische Beratungssituation • indifferente Leistungsanforderungen Berufsbiographie • Partnerschaft • Studiendauer/andere Tätigkeiten • Standortmobilität Im folgenden werden jeweils beispielhaft konvergente und divergente Einstellungen und Erfahrungen Berliner Lehrerinnen und Lehrer vorgestellt. An anderer Stelle hat die Projektgruppe über Einzelergebnisse zu den Nahbereichen 29 und den globalen Weitorientierungen berichtet 30 , deren Essenz hier repliziert wird. 3 1 Tabelle 1 macht darauf aufmerksam, daß konvergente Einstellungen und Erfahrungen von Lehrerinnen und Lehrern in beiden Teilen Berlins nicht selbstverständlich an Weitorientierungen rückgebunden sind bzw. Nahbereiche nicht an divergente. Es finden sich sowohl Weitorientierungen, die keine signifikanten Unterschiede zwischen Ost und West hervorbringen als auch Nahbereiche und vice versa. 32 Tendenziell ist über alle Schularten die berufliche Zufriedenheit gleich verteilt, genauso wie die Kritik an Politik und Verwaltung. Die Öffnung der 29
Vgl. Gehrmann, AJHübner, P.: Sozialer Wandel statt Transformation? Über den Zusammenhang von beruflicher Zufriedenheit und schulinternen Wirkungsmechanismen bei Lehrerinnen und Lehrern im vereinigten Berlin. In: Tenorth (Anm. 13), S. 375-393. 30 Dies.: Lehrerberuf und sozialer Wandel. Ausgewählte Ergebnisse einer Berliner Lehrerbefragung 1996. In: Berliner Journal für Soziologie, 7 (1997), S. 307-330. 31 Datenbasis ist eine über Einzelschulen in beiden Teilen Berlins gezogene Zufallsstichprobe von 3025 Lehrerinnen und Lehrern. Die Nettostichprobe lag bei 433 in West- und 414 in Ostberlin. Die vorliegenden Daten basieren auf Faktorenanalysen in den Teilgebieten und neu konstruierten Variablen mit Items ab einer Faktorenladung von 0,6. Die in die Variablen eingegangenen alten Items wurden einer Reliabilitätsprüfung unterzogen (Cronbachs Alpha 0,6). Die Befragten konnten sich in der Regel auf einer Skala von 1 (trifft völlig zu) bis 5 (trifft gar nicht zu) entscheiden. Werden zum Beispiel drei Items mit diesem Verfahren zu einer Variablen aufaddiert, ergibt sich in der Darstellung eine Summe zwischen 3 (trifft völlig zu) und 15 (trifft gar nicht zu). 32 Die Daten beziehen sich hier jeweils auf Teilauszählungen in den Schularten (Grundschule [G], Gesamtschule ohne [O] und mit Oberstufe [O/OG] sowie Gymnasium [OG]).
Nahbereiche
globale Wertorientierungen
I Nahbereiche
I
Divergente Einstellungen / Erfahrungen
• indifferente Leistungsanforderungen · Berufsbiographie • Disziplinorientierung
„Zwischenwelt" konvergenter bzw. divergenter Einstellungen / Erfahrungen
• berufliche Zufriedenheit · individuelle Isolationsgefühle · Bildung als Bürgerrecht · Zukunftsübereinstimmung/ • Kritik an Politik u. Verwal- · Desintegrationsempfinden · Beharrungsvermögen/KonGemeinsamkeit tung · positive sch. Beratungsservatismus · päd. Schulleitungsorientie• Partizipation situation · gegliedertes versus integrierrung • Öffnung von Schule tes Schularten Verständnis · Managementorient, des • reformpäd. Orientierung Schulleiters • Erziehungshaltung · Inkonsistentes Leitungsverhalten • einzelschulische Leistungsorientierung
globale Wertorientierungen
!
Konvergente Einstellungen / Erfahrungen
I
Tabelle 1
Konvergente und divergente Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern in Berlin
110 Axel Gehrmann
Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern in Berlin
111
Schule in ihr nachbarschaftliches Umfeld wird gewünscht und stärkeren Mitspracherechten von Eltern und Schülern das Wort geredet, genauso wie der Verstärkung des projektorientierten Lernens bzw. der Verstärkung des überfachlichen Unterrichts. Die Erziehungshaltung ist gegenüber dem Schüler gleich offen im Antwortkontext. Bezeichnend ist die Perspektive, daß es die von Ostberliner Lehrerinnen und Lehrern als alte DDR-Erfahrung positiv gewürdigte kollektive Orientierung des Lehrerkollegiums nicht mehr zu geben scheint. Individuelle Isolationsgefühle und Desintegrationsempfinden sind in allen Schularten im Vergleich gleich verteilt, werden die Lehrer an Gesamtschulen mit gymnasialen Oberstufen einmal nicht einbezogen, die ein ganz besonderes Klientel in der Transformation ausmachen. Sie stehen da als isolierteste und desintegrierteste Lehrergruppe mit der geringsten beruflichen Zufriedenheit. Dieses Muster findet sich auch in den divergenten Einstellungen wieder. Ostberliner Gesamtschullehrer halten ihre Schulleitungen und Schulleiter für weniger engagiert als ihre Kollegen anderer Schularten in der Region. Gleichzeitig schätzen diese insgesamt ihre Leitungen besser ein als ihre Kollegen im Westteil der Stadt. Sichtbar ist auch, daß gerade im Ostteil der Stadt Pädagogen ihre einzelne Schule für leistungshomogener halten als ihr westliches Pendant. Daß globale Orientierung nicht selbstverständlich mit Konvergenz einhergeht, beweist das Segment Bildung als Bürgerrecht und Schulartenverständnis. Hier ist noch am ehesten von einem Gegensatz auszugehen, denn Ostberliner Kollegen geben einem offenen Bildungssystem nicht ihr Plazet. Während es im Westen nicht möglich ist, Einheitlichkeit und Differenzierung gemeinsam zu denken, ist dies im Osten ganz im früheren Sinne selbstverständlich. Neben einer gemeinsamen Schule bis Klasse 10 wird ein selektives System für die „besseren und begabteren" Schüler favorisiert.
V. Konvergenz Berufszufriedenheit Im Gegensatz zur Darstellung der Lehrerarbeit in der Öffentlichkeit und den eigenen berufsbezogenen Kognitionen (nicht empirisch) wurde bei Befragungen immer wieder deutlich, daß die befragten Lehrerinnen und Lehrer im Durchschnitt zu über 60% angaben, sie seien mit ihrer derzeitigen beruflichen Situation durchaus zufrieden. Terhart et al. prüften dies für ihre Population niedersächsischer Lehrerinnen und Lehrer über die fünferskalierte Aussage: Mit meiner gegenwärtigen Berufs situation bin ich insgesamt - sehr zufrieden (1) bis gar nicht zufrieden (5). In der verbalisierten Umset-
112
Axel Gehrmann
zungsform für die Darstellung der Skala hieß dies für die Autoren, daß 8,9% der Befragten sehr zufrieden mit ihrer beruflichen Situation waren und 54,9% zufrieden, 24,3% kreuzten den Wert 3 an, 9,7% waren nicht zufrieden und 2,2% gar nicht zufrieden. 33 Für unsere Berliner Befragung wollten wir diese Werte im Ost-West-Vergleich prüfen, modifizierten leicht die Fragestellung, um in der Diktion unseres Fragebogens zu bleiben und gaben ein fünferskaliertes Antwortmuster vor. Die Frage lautete dann: Alles in allem, wie zufrieden sind Sie mit Ihrer derzeitigen beruflichen Situation? - sehr zufrieden (1), durchaus zufrieden (2), kann ich nicht sagen (3), eher unzufrieden (4), sehr unzufrieden (5). Zunächst stellten wir im Ost-West-Vergleich fest, daß 71% aller befragten Ostberliner Lehrerinnen und Lehrer mit ihrer derzeitigen beruflichen Situation durchaus zufrieden bzw. sehr zufrieden waren (West 72,9%). Der Mittelwert lag im Ostteil der Stadt bei 2,42 (Stdv. 0,95) und im Westteil bei 2,39 (Stdv. 0,97), signifikant wurde dieser Unterschied nicht. D.h., Ostund Westberliner Lehrerinnen und Lehrer insgesamt schätzten ihre berufliche Zufriedenheit ähnlich ein, obwohl gerade die Ostberliner Lehrerinnen und Lehrer nach wie vor erheblichen Umstellungsprozessen ausgesetzt sind und die Befragung zu einem Zeitpunkt stattfand, als das Berliner Bildungswesen von den größten öffentlichen Protesten seit der Wende begleitet wurde (Frühjahr 1996). Wir verfolgten sodann die Spur der schulformbezogenen Unterschiede. In Tabelle 2 zeigt sich, daß die Spannweite der Zustimmung zu großer Zufriedenheit bzw. deutlicher Zufriedenheit zwischen 52,4% bei Gesamtschullehrern an Schulen ohne Oberstufe im Westteil der Stadt und 86,2% bei Gesamtschullehrern mit gymnasialer Oberstufe auch im Westteil schwanken konnte. Der Mittelwertvergleich über die Region Ost-West brachte nur signifikante Unterschiede in bezug auf die Gruppe der Unterrichtenden an Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe. Der Fragebogen prüfte auch fünferskaliert mit zwei Items, ob sich u.a. die Einschätzung über die Bildungspolitik in Berlin regional unterschied: 7. Mit der Schulpolitik in den letzten fünf Jahren bin ich zufrieden; 2. Die neue Organisation der Schulverwaltung hat sich bewährt Die Projektgruppe erwartete extreme Ablehnung gegenüber der politischen Entwicklung und wollte diese vor dem Hintergrund der allgemeinen Berufszufriedenheit aufzeigen: 76,9% der Ostberliner Lehrerinnen und Lehrer waren mit der Schulpolitik in den letzten fünf Jahren wenig bzw. gar nicht zufrieden und sogar 84,4% der Westberliner. Die Einführung des neuen Landesschulamtes in 33
Vgl. Terhart u.a. (Anm. 25), S. 124.
Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern in Berlin
113
Tabelle 2 Alles in allem, wie zufrieden sind Sie mit Ihrer derzeitigen beruflichen Situation? Schulart/Region %
sehr durchaus zufrieden zufrieden 1 2
kann ich nicht sagen 3
eher unzufrieden 4
sehr unzufrieden 5
Ost
7,7
70,6
7,0
13,3
1,4
West
15,5
58,2
6,7
18,6
1,0
Ost Gesamtschule ohne OG West
4,2
52,1
4,2
39,6
0,0
0,0
52,4
0,0
38,1
9,5
Ost Gesamtschule mit OG West
6,4
51,1
6,4
36,2
0,0
3,4
82,8
10,3
3,4
0,0
Ost
13,1
58,6
11,1
14,1
3,0
West
7,4
67,4
5,3
17,9
2,1
Grundschule
Gymnasium
Berlin hatte sich nach Ansicht von 82,2% der Ostberliner Lehrerinnen und Lehrer überhaupt nicht bzw. wenig bewährt, 92,0% der Westberliner Lehrer meinten dies. Beide Items zeigten im Mittelwertvergleich signifikante Unterschiede bei übereinstimmenden Standardabweichungen. Eine schulformbezogene Varianz ließ sich auch feststellen: A m kritischsten gegenüber der Schulpolitik sind im Mittel und auch absolut die Westberliner Gymnasiallehrer und ihre Kollegen an Ostberliner Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe. Zu 88,3% bzw. 85,1% gaben sie an, mit dieser wenig bzw. gar nicht zufrieden zu sein (West: Grundschule [G] 81,0%, Hauptschule [OH] 92,0, Realschule [OR] 86,2, Gesamtschule ohne Oberstufe [O] 81,0, Gesamtschule mit Oberstufe [O/OG] 82,8; Ost: G 73,9, OH 80,0, OR 80,9, Ο 79,2, Gymnasium [OG] 74,2). Konklusion 1 Die berufliche Zufriedenheit ist in beiden Stadthälften gleich verteilt und übertrifft dabei noch die Werte der Untersuchung von Terhart et al., die absolut (ohne Schulformvarianz) eine Zufriedenheit von 63,8% (sehr zufrieden bzw. zufrieden) ermittelten. Berliner Lehrerinnen und Lehrer sind ins8 Schäfer/Sroka
114
Axel Gehrmann
gesamt zu über 70% mit ihrer derzeitigen beruflichen Situation sehr bzw. durchaus zufrieden. Die Unterschiede in Teilpopulationen sind nur für die Lehrer an Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe signifikant. Der Abweis der schulpolitischen Entscheidungen über die letzten fünf Jahre in der Stadt bei der Gesamtpopulation wirkt sich dabei überhaupt nicht auf die berufliche Zufriedenheit aus, zumindest in dem ermittelten Fragerahmen. Selbstbezogene Kognitionen, die Zufriedenheit mit der beruflichen Rolle und die Einschätzung der schulpolitischen Entscheidungen durch Administration und Politik werden deutlich getrennt gehalten. Dabei gibt es keine Ost-West-Unterschiede. Kooperation und Kommunikation im Kollegium Das Themengebiet Kooperation und Kommunikation im Kollegium wurde mit 17 Items abgedeckt, die insbesondere auf integrative und kommunikative Elemente bzw. deren Gegenteil im Kollegium abhoben, um so eine mehr oder weniger kooperative und kommunikative Interaktionsstruktur in den einzelnen Schularten abbilden zu können. In den Extremen hatte die Projektgruppe dabei die Terhartschen vier Muster kommunikativer Beziehungen in einem Kollegium vor Augen, die er einmal heuristisch über Lehrerzimmer erhoben hatte. Demnach gibt es Schulen, in denen es zugehe wie in „Wallensteins Heerlager" 34 , welche, in denen wehe ein „geschäftsmäßiger W i n d " 3 5 , welche, in denen der hinzukommende Gast „schon beim Eintreten eine gewisse Beklommenheit angesichts der Grabeskälte, die einem entgegenschlägt" 36 , spürt, und letztlich solche, deren Lehrerzimmer „ständig" leer seien 37 . „Wallensteins Heerlager" stand dabei für uns als kommunikativer und integrierender Stil, „Leere" für genau das Gegenteil. Dabei ist uns bewußt, „daß Kooperation über das Notwendigste hinaus, (...) noch nicht ausreichend praktiziert w i r d " 3 8 und im Schulalltag auch in vermeintlich „guten Schulen" in der Regel unterdeterminiert bleibt. Tabelle 3 macht zunächst darauf aufmerksam, daß es, bis auf die Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe, keine signifikanten Unterschiede in bezug auf individuelle Isolationsgefühle und Desintegrationsempfinden zwischen den beiden Stadthälften in den Schularten gibt. Unterschiede werden jedoch bei Zukunftsübereinstimmung und Gemeinsamkeit im Ost-West-Vergleich signifikant. D.h., in den Ostberliner Kollegien besteht eine deutli34
Terhart, E.: Kommunikation im Kollegium. In: Die Deutsche Schule, 79 (1987), S. 440. 35 Ebenda. 36 Ebenda, S. 441. 37 Ebenda. 38 Aurin (Anm. 25) 1993, S. 134.
Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern in Berlin
115
Tabelle 3 Kooperation und Kommunikation im Kollegium Indices
Schulart
Ost
West
sig. ρ > 0,05
Mean
Stdv
Mean
Stdv
G 0 O/OG OG
10,40 10,94 9,28 9,94
2,60 2,65 2,51 2,58
10,80 11,76 10,97 9,35
2,53 1,92 2,26 2,64
Zukunftsübereinstimmung/ Gemeinsamkeit (koopera)
G 0 O/OG OG
7,84 8,33 10,09 8,64
2,44 1,89 1,69 1,60
8,67 8,80 8,62 9,64
2,06 2,33 1,40 1,79
Desintegrationsempfinden (antkoop2)
G 0 O/OG OG
6,72 6,13 5,04 6,19
1,88 1,66 1,97 1,58
6,49 5,48 6,69 5,83
1,93 1,86 0,98 1,86
Individuelle Isolationsgefühle (iso)
_ -
0,004 -
0,001 -
0,000 0,000 -
0,000 -
1. iso: Im Grunde arbeitet jeder für sich und nimmt von den Schwierigkeiten des anderen kaum Kenntnis; Als Lehrer/in muß man mit seinen Problemen selbst fertig werden; Wenn man mit Kollegen/innen über die eigenen Unterrichtsprobleme spricht, hat man häufig das Gefühl, daß man der/die einzige ist, der/die solche Probleme hat. (Individuelle Isolationsgefühle) 2. koopera: Meine Kollegen/innen sind sehr zufrieden, daß sie an dieser Schule arbeiten können; Im Kollegium unserer Schule herrscht eine große Übereinstimmung darüber, wie unsere Schule in Zukunft aussehen soll; Bei Veranstaltungen außerhalb des Unterrichts beteiligen sich sehr viele Kollegen/innen. (Zukunftsübereinstimmung/Gemeinsamkeit) 3. antkoop2: In unserer Schule gibt es mehrere Gruppen von Kollegen/innen, die eher selten miteinander kooperieren; Wenn sie eine Alternative hätten, würden manche Kollegen/innen unsere Schule lieber heute als morgen verlassen. (Desintegrationsempfinden)
chere Homogenität über den status quo an den Schulen und die zu antizipierende Zukunft. Die Schulen verstehen sich stärker als Handlungseinheiten. Was dies konkret heißt, muß an dieser Stelle noch offen bleiben. Konklusion 2 Das Muster im Vergleich über die ermittelten Gemeinsamkeiten kann für den Ostteil lauten: In Grundschulen und Gesamtschulen ohne gymnasiale Oberstufe besteht eine stärkere Übereinstimmung und Zufriedenheit bezüglich der Kooperation im Kollegium als an Gymnasien. Gesamtschulen mit 8*
116
Axel Gehrmann
gymnasialer Oberstufe fallen aus diesem Vergleich vollkommen heraus. In ihnen gibt es das größte Desintegrationsempfinden und die geringste Zukunftsübereinstimmung bzw. Gemeinsamkeit in den Kollegien. Die Erklärung dazu lautet im übrigen: Ostberliner Gesamtschullehrer an Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe haben deshalb die größten Desintegrationsempfindungen, weil sie sich im Gegensatz zu ihren Kollegen in Schulen ohne gymnasiale Oberstufe noch nicht auf ihr neues Klientel eingelassen haben bzw. akzeptieren, daß nur zwischen ca. 1-12% ihrer aufgenommenen Schüler überhaupt eine gymnasiale Empfehlung nach Klasse 6 besitzen. Ihr berufliches Selbstverständnis orientiert sich am Gymnasiallehrer, ist aber mit den beruflichen Anforderungen der Schulart, zumindest so wie sie sich im Ostteil Berlins bisher ausprägte, eher inkommensurabel. Dies wird in den Kollegien dabei nicht diskutiert. Im Westteil hingegen zeigt sich, daß insgesamt bei geringerer Variationsbreite in den einzelnen Schularten, Désintégrations- und Isolationsgefühle stärker ausgeprägt sind als im Ostteil der Stadt (aber nicht signifikant davon verschieden). Insbesondere die Gymnasiallehrer fühlen sich am deutlichsten isoliert, in eher desintegrierten Kollegien arbeitend und mit der geringsten Zukunftsübereinstimmung ausgestattet. Doch es wird auch klar, daß ihnen insbesondere die Gesamtschullehrer an Schulen ohne gymnasiale Oberstufe nahestehen. Diese Identitätsschwierigkeiten werden sich dabei aber nicht aus der gleichen Quelle speisen, so die These. Gesamtschullehrer zweifeln wohl eher an ihren Schulen und dem damit verbundenen Klientel, während Gymnasiallehrer an sich selbst und ihren Kooperations- und Kommunikationsbeziehungen in den Kollegien zweifeln, eine Tendenz, die sich insbesondere durch die starke fachwissenschaftlich-individuelle Option dieser Gruppe erklären läßt. V I . Divergenz Bedeutung der Schulleitung Schon früh hat die bundesdeutsche Erziehungswissenschaft darauf aufmerksam gemacht, daß für die Entwicklung eines kollegialen Klimas an einer Schule die Art und Weise wichtig zu sein scheint, „in welcher ein Schulleiter mit der Spannung von rechtlich fixierten Weisungs- und Kontrollrechten und faktischen Realisierungsmöglichkeiten umgeht" 39 . Trotzdem blieb der Schulleiter lange Zeit eher ein „marginal man" der Schulfor39 Baumert, J.: Apekte der Schulorganisation und Schul Verwaltung. In: MaxPlanck-Institut für Bildungsforschung. Projektgruppe Bildungsbericht: Bildung in der Bundesrepublik Deutschland. Daten und Analysen. Bd. 1. Entwicklungen seit 1950. Reinbek 1980, S. 668.
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schung. 40 Erst die Arbeiten zur Qualität und Güte von einzelnen Schulen in den 1980er Jahren brachten ihn mit in den Mittelpunkt der Analyse. 41 Insgesamt zeichneten alle bisherigen Analysen eine ähnliche Perspektive: Die rechtliche Stellung des Schulleiters im bundesdeutschen Bildungssystem und seine faktisch eingeschränkten Einflußmöglichkeiten in den Unterrichtsalltag hinein verweisen ihn darauf, „den strukturellen Machtmangel durch Überzeugungskraft, persönlichen Einfluß und eine enge Bindung des Kollegiums an Normen einer gemeinsamen Schulkultur abzugleichen" 4 2 . Die Bedeutung der Schulleitung im Ost-West-Vergleich erbringt die größte Variationsbreite in den von uns ermittelten drei Themengebieten Kooperation, Schulleitung und Probleme bei der täglichen Unterrichtsarbeit, den hier sogenannten Nahbereichen der täglichen Berufsarbeit vor Ort. Die neu konstruierten Variablen sind im Ost-West-Vergleich signifikant in den Schularten voneinander verschieden (vgl. Tabelle 4). Konklusion 3 Insgesamt heißt dies, daß in den Ostberliner Grundschulen und Gymnasien deutlich mehr aus den Schulleitungen bzw. von den Schulleitern selbst für die interne Kommunikation nach Ansicht der Lehrerinnen und Lehrer getan wird als in den Vergleichsschularten im Westteil der Stadt. Die beiden Gesamtschularten bringen dabei jedoch das Gegenteil hervor. Hier wird das Schulleitungs- bzw. Schulleiterhandeln deutlich positiver eingeschätzt als im Ostteil der Stadt. Dies dürfte auf die mit der Schulart verbundenen stärkeren Koordinationsnotwendigkeiten und die längeren Erfahrungen mit dieser Arbeit im Westen zurückgehen. Auch hier zeigt sich dabei wieder der Unterschied zwischen den Gesamtschulen mit und ohne Oberstufe im Ostteil Berlins. Das Schulleitungshandeln wird an den Schulen ohne Oberstufe konsistenter eingeschätzt als an denen mit Oberstufe. Einstellungen zur Schul- und Bildungspolitik bzw. Reformbereitschaft Das letzte hier vorzustellende Themengebiet galt hypothetisch als Indikator dafür, daß die institutionelle Transformation der Basisinstitution Schule 40 Vgl. Döring, Ρ. Α.: Der Schulleiter zwischen Kultusadministration und Schulpädagogik. In: Twellmann, W. (Hrsg.) Handbuch Schule und Unterricht. Bd. 2. Die Schule als Institution und Organisation. Düsseldorf 1981, S. 195. 41 U.a. Baumert, i./Leschinsky, Α.: Berufliches Selbstverständnis und Einflußmöglichkeiten von Schulleitern. Ergebnisse einer Schulleiterbefragung. In: Zeitschrift für Pädagogik, 32 (1986), S. 247-266; Aurin (Anm. 25) 1990. 42 Baumert/Leschinsky (Anm. 41), S. 247.
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Tabelle 4 Bedeutung der Schulleitung Indices
Ost
Schulart
West
sig. ρ > 0,05
Mean
Stdv
Mean
Stdv
Pädagogische Schulleitungsorientierung (paedd)
G 0 O/OG OG
6,51 7,43 9,81 8,00
2,56 2,53 2,26 2,37
7,65 6,81 6,45 9,11
2,70 2,42 1,90 2,46
0,000
Managementorientierung des Schulleiters (mand)
G 0 O/OG OG
8,74 9,06 11,72 9,26
3,23 3,30 2,84 2,76
10,53 8,71 8,97 10,43
2,98 2,70 2,34 3,08
0,000
Inkonsistentes Leitungsverhalten (uneind)
G 0 O/OG OG
7,76 7,50 5,72 7,46
1,72 1,85 1,76 1,63
7,25 8,29 7,85 6,98
1,82 0,90 1,20 1,70
0,009 0,023 0,000 0,047
-
0,000 0,002 -
0,000 0,006
1. paedd: Die Schulleitung ist an einer guten Zusammenarbeit im Kollegium sehr interessiert und unterstützt sie nachhaltig; In unserer Gesamtkonferenz besprechen wir pädagogische Probleme unserer Schule; An unserer Schule arbeiten alle Hand in Hand. (Pädagogische Schulleitungsorientierung) 2. mand: Hier weiß der Schulleiter immer, was gerade unter den Schülern diskutiert wird; Unser Schulleiter hat eine konkrete Vorstellung darüber, wie unsere Schule in naher Zukunft aussehen soll; Wenn ich meinen Schulleiter sprechen will, ist er für mich da; Mein Schulleiter ist immer mal wieder im Schulgebäude unterwegs. (Managementorientierung des Schulleiters) 3. uneind: Unsere Schulleitung ist sich oft uneinig; Pädagogische Probleme besprechen wir hier weniger mit der Schulleitung. (Inkonsistentes Leitungsverhalten)
so selbstverständlich von den Akteuren umgesetzt worden ist. Die Projektgruppe vermutete, daß sich u.a. schon unter den Vor-Wende-Bedingungen partizipatorische Elemente in der Lehrerschaft ausprägten, die gekoppelt waren an reformpädagogische Tendenzen in den alten Bundesländern bzw. an die reformpädagogische Idee überhaupt. Diese Elemente brauchten mit der Wende nur noch ans Tageslicht gefördert zu werden und waren damit gleichsam der Bodensatz der institutionellen Transformation. Die Items wurden sowohl an alte reformpädagogische Ideen gekoppelt als auch an neue, die erst in den letzten Jahren nach der Wende öffentlich diskutiert werden. Insgesamt 26 Items bilden dieses Segment der Befragung. 43
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Zunächst fällt in Tabelle 5 auf, daß zwei von fünf schul- und bildungspolitischen Programmatiken in Ost und West gleichermaßen geteilt werden. Reformpädagogische Bemühungen der Öffnung von Schule nach außen und innen sind in der Lehrerschaft über die Regionen im Auskunftsrahmen Konsens, nimmt man einmal die Grundschullehrer davon aus. Auch hier zeichnen sie im Westteil noch offener als im Ostteil der Stadt. In den Fragehorizonten „Mitsprache" und „integrative Schulkonzepte" sind bis auf die Gesamtschullehrer alle Ostberliner Lehrkräfte signifikant von ihren Kollegen im Westteil verschieden. Sie sind insgesamt mitspracheorientierter und mehr auf schulformintegrative Bildungspolitik aus. Dabei zeigt sich in beiden Stadthälften, daß die Gymnasiallehrkräfte am deutlichsten diese Perspektive ablehnen. Die „Integrationsfans" kommen dabei im Osten nicht aus den beiden Gesamtschularten und im Westen nur aus den Gesamtschulen ohne gymnasiale Oberstufe. Den deutlichsten Unterschied über die fünf Variablen markiert die Einstellung zu einer stärkeren Differenzierung der Schulformen, der Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf 12 Jahre und der Einrichtung von besonderen Schulen für hochbegabte Kinder. Alle Ostberliner Lehrerinnen und Lehrer betonen diese bildungspolitische Prämisse stärker als ihre Berufsgenossen im Westteil der Stadt, obwohl sie sich auch stärker für integrative Konzepte aussprechen. Es wurde schließlich anhand einer Korrelationsmatrix geprüft, wie die einzelnen Variablen miteinander zusammenhängen. Dabei zeigten sich interessante Befunde: Im Westteil der Stadt korreliert die Variable „Schulformselektivität" mit fast r - -0,30 mit der Variablen „Schulintegration", wohingegen im Ostteil der Stadt nur ein Zusammenhang von r - 0,07 besteht, der nicht signifikant ist. D.h., Integrationstendenzen und Selektivitätstendenzen schließen sich hier überhaupt nicht aus, ganz im Gegensatz zum Westteil der Stadt. Wer hier für integrative Schulelemente stimmt, ist deutlicher für Mitbestimmung, einzelschulische Autonomie und Öffnung der Schule nach außen und innen als im Ostteil Berlins, aber keinesfalls für Selektivität der Schulformen.
43 Auch hier wurden über die Regionen und Schularten im einzelnen Faktorenanalysen gerechnet und damit Komplexitätsreduzierungen erreicht. Die Befragten konnten jeweils fünferskaliert entscheiden zwischen „sehr wichtig" (1) bis „ganz unwichtig" (5). Das Eingangsstatement des Fragebogens lautete: Häufig werden in der schulpolitischen Diskussion Veränderungen gefordert. Welche der hier aufge führten Veränderungen sind für sie bedeutsam?
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Tabelle 5 Einstellungen zur Schul- und Bildungspolitik bzw. Reformbereitschaft Indices
Schulart
Ost
West
sig. ρ > 0,05
Mean
Stdv.
Mean
Stdv.
Differenzierung der Schulformen (schulselek)
G 0 O/OG OG
9,89 10,13 9,57 10,58
2,31 2,42 2,45 2,45
12,31 13,10 12,55 12,14
2,70 3,43 2,67 3,24
0,000 0,002 0,000 0,000
Integrative Schulkonzepte (schinteg)
G 0 O/OG OG
11,73 12,96 13,68 13,83
2,78 2,22 2,82 2,83
12,79 12,05 14,90 15,84
3,56 2,56 3,45 3,21
0,002
Eltern-SchülerMitsprache (elschmit)
G 0 O/OG OG
5,44 5,08 5,39 5,45
1,54 1,38 1,36 1,71
6,03 5,70 6,14 6,34
1,59 1,81 1,87 1,81
0,001
Selbständigkeit der Einzelschule (schselbst)
G 0 O/OG OG
6,79 6,02 6,60 6,76
2,04 1,70 2,20 2,00
6,47 5,95 7,17 7,35
1,92 2,28 2,74 2,32
G 0 O/OG OG
12,78 12,50 13,02 13,48
3,02 2,63 3,24 2,85
11,51 11,25 13,64 14,40
3,15 3,32 3,29 3,54
Pädagogischer Bezug (paedbez)
-
0,000 -
0,049 0,001 -
0,000 -
1. sc hülse lek Die Einrichtung von besonderen Schulen für hochbegabte Kinder; Die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf 12 Jahre; Die stärkere Differenzierung der Schulformen; Die deutlichere Festschreibung eines Kanons der Fächer in der Oberstufe. (Differenzierung der Schulformen) 2. schinteg Die Ersetzung der Zeugnisse durch verbale Beurteilungen; Die Abschaffung der Hauptschule; Eine gemeinsame Schule für alle Schüler bis Klasse 10; Die Einführung der Ganztagsschule. (Integrative Schulkonzepte) 3. elschmit Die Stärkung der Mitspracherechte der Eltern; Die Stärkung der Mitspracherechte der Schüler. (Eltern-Schüler-Mitsprache) 4. schselbst Die Öffnung der Schule und die stärkere Berücksichtigung außerschulischer Lernorte; Die größere Selbständigkeit der Einzelschule; Die stärkere Betonung der Individualität von Einzelschulen. (Selbständigkeit der Einzelschule) 5. paedbez Die Differenzierung des Unterrichts; Die Verstärkung des überfachlichen Unterrichts; Die Integration von behinderten Schülern; Der stärkere lebensweltliche Bezug des Unterrichts; Die Verstärkung des projektorientierten Lernens. (Pädagogischer Bezug)
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Konklusion 4 Die Einschätzungen in bezug auf die Öffnung von Schule nach außen und innen und die verstärkten Mitsprachemöglichkeiten der Abnehmer der Dienstleistung Schule (Schüler, Eltern), alte reformpädagogische Forderungen, die gerade in Zeiten einer modernisierenden Veränderung in Deutschland immer wieder betont wurden, sind heute in beiden Teilen Berlins bei den hier Unterrichtenden gleich verteilt. Damit gibt es ein deutlich konvergierendes Potential, das jedoch insofern vorsichtig zu bewerten ist, als die Items denen der Variable Erziehungshaltung (libi) nahe kommen. Möglicherweise sind sie einfach zu global, als daß man ihnen als Lehrer nicht zustimmen könnte. Zustimmung muß also nicht selbstverständlich auch Konvergenz meinen. Ohne Frage spaltet die Frage nach selektiven und integrativen schulpolitischen Konzepten die Populationen am deutlichsten im Rahmen der hier vorgestellten Variablen. Im Westteil Berlins ist es unmöglich, Schulformselektivität und Schulformintegration zusammenzudenken, wohingegen dies im Ostteil der Stadt zur selbstverständlichen programmatischen Ausstattung der Lehrerinnen und Lehrer aller Schularten gehört. Der negative Zusammenhang ist im Westteil mit fast r = -0,30 besonders hoch, während er im Osten bei r - 0,07 verschwindend gering ausfällt. Der Mythos der Einheitsschule mit der Polytechnischen Oberschule (POS) bis Klasse 10 in der DDR in Verbindung mit dem Mythos der „Leistungsschule" EOS von Klasse 11-12 beflügelt anscheinend nach wie vor das professionelle Selbstverständnis der Pädagogen. Damit ist z.B. die Einschätzung, daß die EOS eine hochselektive Schule in der DDR gewesen ist (insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren), noch nicht breit vertreten. Einheitlichkeit schiebt sich hier nach wie vor vor Differenzierung. Der Konflikt der DDRBildungspolitik lebt in der neuen Bundesrepublik weiter. Oder anders: Ostberliner Lehrerinnen und Lehrer präferieren eine differenzierte gemeinsame Schule für alle Schüler bis Klasse 10, die sich profiliert, Projekte organisiert, gute Kontakte in das Wohnumfeld pflegt und entweder eine darauf aufbauende Schule für wenige, die das Abitur vergibt bzw. parallel zu ihr eine Schule für „hochbegabte" Kinder.
V I I . „Zwischenwelt" divergenter bzw. konvergenter Einstellungen/Erfahrungen - Die Berufsbiographie In der Berufsbiographie sah die Projektgruppe hypothetisch eine divergente Erfahrung zwischen Ost- und Westberliner Lehrerinnen und Lehrern voraus, da damit ein persönlicher Nahbereich angesprochen und eher traditionalere Erziehungshaltungen und Praktiken antizipiert wurden. Dennoch
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war diese Perspektive auch schon gebrochen, weil fast alle Frauen in der Deutschen Demokratischen Republik in irgendeiner Form berufstätig waren und damit der traditionellen Frauenrolle entrieten. Die Divergenzhypothese lautete trotzdem: Ostberliner Lehrerinnen und Lehrer sind häufiger verheiratet (bzw. partnerschaftlich gebunden) und haben mehr Kinder zu versorgen als ihre im Kolleginnen und Kollegen. In bezug auf Vergleich älteren Westberliner ihren beruflichen Werdegang und die Möglichkeiten in der DDR sind sie immobiler als ihre Kolleginnen und Kollegen gewesen, was sich auch in der geringeren Anzahl von Schulen niederschlägt, in denen sie bisher unterrichtet haben. Frauen machten von der Möglichkeit, die Tätigkeit zu unterbrechen, im Ostteil öfter Gebrauch als ihre Geschlechtsgenossinnen im Westteil der Stadt. Konklusion 5 Der Divergenzhypothese war eine deutlich traditionale Konnotation unterlegt, wonach Ostberliner Lehrkräfte stärker gebunden und immobiler sind bzw. waren, als ihre Westberliner Kollegen. Die Hypothese ist abzuweisen. Zwar sind deutlich mehr Personen im Ostteil der Stadt in irgendeiner Form familial gebunden (85,5% zu 75,2%), doch geht dies nicht mit einer stärkeren Kindorientierung einher, was zu vermuten gewesen wäre. Vielmehr haben alle Ostberliner Befragten signifikant weniger Kinder als die Westberliner (1,69 zu 1,87) und die befragten Frauen im Ostteil weniger als ihre Geschlechtsgenossinnen im Westteil (1,69 zu 1,87). Diese Tendenz ebnet sich ein, wenn nach Frauen in Partnerschaften und Kinderzahl differenziert wird (Ost 1,73, West 1,84). Daß Männer in beiden Teilen mehr Kinder zu versorgen haben als Frauen, ist dabei nichts Besonderes (2,01 West und 1,73 Ost). Diese Gesamttendenz findet sich auch in der Fragestellung über die Unterbrechenshäufigkeit und Dauer wieder. Weder haben Ostberliner Lehrkräfte insgesamt signifikant häufiger unterbrochen (32,7% zu 30,9%) noch länger (1,79 Jahre zu 3,66 Jahre beim 1. Mal bzw. 1,50 zu 2,46 beim 2. Mal). Frauen im Ostteil unterbrachen sogar entweder nur halb so lang wie ihre Geschlechtsgenossinnen (1,73 zu 3,89 Jahre) bzw. nur ein Drittel so lang in ausgewählten Populationen (Grundschullehrerinnen 1,62 zu 4,45 Jahre). Auch bezüglich der beruflichen Mobilität kann die Divergenzhypothese nicht aufrechterhalten werden. Der Anteil derjenigen, die den Lehramtsberuf als ihre erste Wahl angaben, ist fast gleich verteilt (Ost 80,5%, West 84,8%). Immobilität zeigt dies nicht. Die unterschiedliche Dauer einer anderen Tätigkeit im Westteil Berlins (5,26 Jahre zu 3,49 Jahre) genauso wie die unterschiedliche Möglichkeit, ein anderes als das Lehramtsstudium zu
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beginnen und auch abzuschließen (14,4% zu 3,4%), falsifiziert dies auch nicht, denn die objektiven Möglichkeiten dafür lagen im Bildungssystem der DDR faktisch nur sehr eingeschränkt vor. Das unterschiedliche Alter der Teilpopulationen (Ost-n = 41,7; West-n = 45,6 Jahre) wird durch den unterschiedlichen Studienbeginn und das unterschiedliche Studienende für das Lehramt bestätigt (Ost-n-Beginn = 18,87 Jahre; West-n-Beginn = 20,58 Jahre - Ost-n-Ende = 23,20 Jahre; West-nEnde = 26,31 Jahre). Dies liegt an der nicht vollakademisierten Unterstufenlehrerausbildung in der DDR, zu der das Abitur nicht Voraussetzung war, und der Verschulung aller Studiengänge im Hochschulsystem der DDR. Hier von Divergenz zu sprechen ist möglich, aber so lange faktisch banal, als man diese „systemische Komponente" nicht thematisiert. Wird sie hingegen eingerechnet, ließe sich vermuten, daß der Einfluß auf wesentlich jüngere Menschen für die politischen Verantwortlichen in der DDR leichter fallen mochte als in späteren Lebensphasen. Für die „Wende" könnte dies aber auch als Vorteil ausgeschlagen sein. Ostberliner Lehrerinnen und Lehrer waren jung genug, sie biographisch offen anzugehen. Die Häufigkeit der Schulstandorte, an denen der Unterricht bisher ausgeübt worden ist, unterscheidet sich hingegen signifikant in Ost und West, aber nicht, wie vermutet, dahingehend, daß Ostberliner Lehrkräfte tendenziell an weniger Schulen unterrichtet haben als ihre Kollegen im Westteil der Stadt. Vielmehr sind es sogar mehr Schulen, an denen die Einzelnen unterrichteten (2,88 Schulen zu 2,07 Schulen). Der Unterschied würde aber eingeebnet, wenn wir nach dem Schulwechsel nach der politischen Wende gefragt hätten. Leider taten wir dies nicht. Wir können nur vermuten, daß über 50% der Lehrkräfte ihren Standort gewechselt haben. Rechnen wir also den dem Umbruch geschuldeten Standortwechsel ein, so können wir sagen: In beiden Teilen Berlins unterrichten Lehrerinnen und Lehrer in 17 Unterrichtsjahren mehr als ein Jahr an zwei Schulen bar der politischen Ordnung, in der dies geschah. V I I I . Zusammenfassung Die Einstellungen und Erfahrungen West- und Ostberliner Lehrerinnen und Lehrer sind sich in Teilen ähnlicher als in der Öffentlichkeit immer wieder kolportiert worden ist. Ähnlichkeiten binden sich dabei nicht allein an globale Wertorientierungen und Unterschiede, sondern auch an die Nahbereiche der täglichen Arbeit in der einzelnen Schule vor Ort, wie sie von der Forschergruppe definiert worden sind. Berufszufriedenheit, Berufsbiographie, Isolationsgefühle in den Kollegien und eine allgemeine reformpädagogische Orientierung im bezeichneten Untersuchungsrahmen sind in beiden Teilen Berlins gleich verteilt. Insbesondere im Gymnasium gibt es
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die deutlichsten Angleichungsprozesse, gefolgt von der Grundschule. Die Gesamtschullehrer im Ostteil Berlins unterscheiden sich am nachhaltigsten von ihren Westberliner Kolleginnen und Kollegen. Dabei vermitteln die Unterrichtenden an Schulen mit gymnasialer Oberstufe im Ostteil der Stadt die negativsten Ergebnisse. Die Ergebnisse können jetzt auch darüber Aufschluß geben, warum die institutionelle Transformation so „geglückt" ist: im Ostteil der Stadt fanden schon zu Zeiten der alten DDR Modernisierungsprozesse im Schulsystem statt, die mit der „Wende" nur noch öffentlich gemacht werden mußten. Sie boten die Anschlußmöglichkeit an die neuen Bedingungen unter der westlichen Judikatur. Gleichzeitig wurde diese Option biographisch unterstützt. Lehrerinnen und Lehrer waren jung genug, mit offenem Auge die neuen Aufgaben als Chancen zu sehen und zu bearbeiten. Im „Wendejahr" 1989 waren sie im Durchschnitt ca. 35 Jahre alt. Noch sieben Jahre nach der Vereinigung zeigt sich aber auch ausgeprägterer Konservatismus und Disziplindruck im Ostteil der Stadt. Diese könnten gleichsam auch dafür verantwortlich sein, daß letztlich Alternativen zum bundesdeutschen Schulsystem gar nicht in die Möglichkeit gerieten und selbstverständlich den Präliminarien der Vereinigung gefolgt worden ist. Die Untersuchung bestätigt damit noch einmal, zwischen institutioneller und habitueller Transformation zu unterscheiden, institutionentheoretische und akteurstheoretische Perspektive nicht außer acht zu lassen. Die zunächst selbstverständliche Akzeptanz des westlichen Schulmodells ist habituell gebrochen, worauf insbesondere die schulpolitische Grundorientierung der Lehrerinnen und Lehrer in beiden Teilen Berlins hinweist: Ostberliner Lehrer präferieren eine gemeinsame Schule bis Klasse 10 bei gleichzeitigem Wunsch nach stärkerer Differenzierung für die „Leistungsspitzen", während alle westlichen Kollegen ein „gemäßigtes" gegliedertes System befürworten würden, das eine individuellere Option betont. Damit ist bis heute nicht ausgemacht, ob der institutionellen Transformation auch die habituelle folgt, denn die Ostberliner Lehrkräfte haben mit diesem Selbstkonzept sowohl das Ende der DDR „gemeistert" als auch die „Wende" vollzogen. Sie gehen damit in eine zweite Transformation, die jetzt in den neuen Bundesländern beginnt und gekennzeichnet ist durch strukturelle Anpassungen eines neu etablierten Systems an ein unter fiskalischen Bedingungen zurückgeschnittenes. Lehrerinnen und Lehrer in den neuen Bundesländern haben damit ihren Kollegen im Westen eine „Wende" voraus. Was an Rückschnitten auf dem Boden der neuen Länder schon bewältigt und akzeptiert wurde, kann jetzt vielleicht in den Westen überspringen - beginnt die Transformation der Lehrerrolle in der neuen Bundesrepublik?
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Einphasigkeit versus Zweiphasigkeit. Anstöße zur Reform der Lehrerausbildung. Erfahrungen aus den alten und neuen Bundesländern Von Friedrich W. Busch Vorbemerkungen Das Thema bedarf einer auf meine Person bezogenen Vorbemerkung. Ich war für den bisher (konzeptionell wie finanziell) umfangreichsten Versuch zur Reform der Lehrerausbildung in Deutschland (mit)verantwortlich. Es ist dies der „Modellversuch zur einphasigen Lehrerausbildung (ELAB)", der in der Zeit von 1974 bis 1982 an der Universität Oldenburg durchgeführt wurde - vom Bund und vom Land Niedersachsen insgesamt mit ca. D M 12 Mio. gefördert. Von 1976 bis 1979, also in den für den Modellversuch entscheidenden Jahren, war ich Vizepräsident der Universität Oldenburg. Zu meinen Aufgaben gehörte die Durchführung des Modellversuchs in der Universität und seine politische wie konzeptionelle Vertretung gegenüber der Landespolitik und den Einrichtungen der Region. 1 Darüber hinaus war ich als Gründungsdekan von Februar 1991 bis Juli 1993 in Dresden tätig. Hier hatte ich nicht nur die Fakultät Erziehungswissenschaften an der Technischen Universität Dresden aufzubauen, sondern zeitlich vorhergehend - die Pädagogische Hochschule Dresden aufzulösen und in die Universität Dresden zu integrieren. 2 Das Integrationsvorhaben hing neben anderem vor allem auch mit dem bildungspolitisch bedeutsamen Beschluß der Sächsischen Staatsregierung zusammen, die künftigen Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen in Sachsen an Universitäten auszubilden. Vor diesem Hintergrund und von der Tatsache ausgehend, daß die Lehrerinnen in der ehemaligen DDR, zumindest seit der letzten Reform der Lehrerausbildung in der DDR im Jahre 1982, einphasig ausgebildet wurden, er1
Vgl. Busch, F. W.: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Der Modellversuch zur Einphasigen Lehrerausbildung zwischen Engagement und Bürokratie. In: Fichte, W. u. a. (Hrsg.): Dokumente zur Einphasigen Lehrerausbildung. Bd. 4: Theorien und Praxis. Oldenburg 1981, S. 285-309. 2 Vgl. Busch, F. W. (Hrsg.): Wege entstehen beim Gehen. Erziehungswissenschaft in Dresden. Dresden 1993. 9 Schäfer/Sroka
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gibt sich auch die Formulierung meines Themas. Da es mir dabei nicht nur um die Lehrerausbildung in den neuen Bundesländern geht, sondern um die gesamte Lehrerausbildung in Deutschland nach der Vereinigung, ist Grundsätzliches zu den Konzepten der Lehrerausbildung zu sagen, die mit den (Fach-)Termini Einphasige Lehrerausbildung bzw. Zweiphasige Lehrerausbildung umschrieben werden. Und da damit nicht nur und auch nicht in erster Linie strukturelle Merkmale gemeint sind, müssen die dahinter stehenden inhaltlichen Konzepte vorgestellt und analysiert werden. Die strukturellen Merkmale von Einphasigkeit und Zweiphasigkeit sind schnell auf den Punkt gebracht. - Zweiphasigkeit der Lehrerausbildung meint eine Lehrerausbildung, die an Universitäten/Wissenschaftlichen Hochschulen beginnt und die fachwissenschaftliche/fachdidaktische Ausbildung - ergänzt durch erziehungsund sozialwissenschaftliche Elemente - umfaßt und einen berufsfähigen Lehrer entläßt (1. Phase) und die fortgesetzt und ergänzt wird durch die vorwiegend berufspraktische Ausbildung in den Studienseminaren, getrennt nach Schulformen und dann auch nach Fächerkombinationen (2. Phase). - Einphasigkeit der Lehrerausbildung meint eine Lehrerausbildung, die an Universitäten/Wissenschaftlichen Hochschulen stattfindet und sowohl die fachwissenschaftlich/fachdidaktische Ausbildung als auch die berufspraktische Ausbildung umfaßt und nach Abschluß der Ausbildung den berufsfertigen Lehrer entläßt. Nach diesen Vorbemerkungen werde ich im folgenden behandeln: 1. Das Modell und den Modellversuch Einphasige Lehrerausbildung in Oldenburg. 2. Die Lehrerausbildung in der DDR. 3. Die Lehrerausbildung nach der Vereinigung in den neuen Bundesländern. 4. Empfehlungen für eine fortzusetzende Debatte über die Reform der Lehrerausbildung in Deutschland. I. Das Modell und der Modellversuch ELAB 1.1. Es ist zunächst in Erinnerung zu rufen, daß die Entwicklung des Modells ELAB in die Zeit fiel, als in Deutschland die allgemeine Kritik am Bildungswesen ihren Höhepunkt erreichte: Das war Mitte der 60er Jahre. Diese Kritik lief darauf hinaus, eine umfassende Reform des Bildungswesens mit einer generellen Reform der Lehrerausbildung zu verbinden. Diese Forderung ist zu sehen vor dem Hintergrund des damals offensichtlich konsensfähigen Ziels der Bildungspolitik: Schaffung eines Bildungswesens, das
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die Chancengleichheit verwirklicht und die Demokratisierung unserer Gesellschaft vorantreibt. Sollte die Qualifikation der Lehrer dem Rechnung tragen, dann mußten Veränderungen mindestens in folgenden Punkten angestrebt werden: • Eine Verbindung der theoretisch-wissenschaftlichen Ausbildung der Lehrer mit der berufspraktischen. D.h. die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Ausbildungsanteile orientieren sich stärker an der berufspraktischen Anwendung. • Eine gleichrangige wissenschaftliche Universität. D.h. die Ausbildung für in den ersten Semestern - nicht mehr feldern (Grundschule, Hauptschule, schule, Gymnasium).
Ausbildung aller Lehrer an einer alle Lehrämter erfolgt - zumindest getrennt nach den späteren EinsatzRealschule, Sonderschule, Berufs-
• Erziehungs- und gesellschaftswissenschaftliche Grundlegung der Ausbildung. D.h. die anzueignenden berufspraktischen Fertigkeiten und Fähigkeiten werden in den Gesamtzusammenhang der gesellschaftlichen Verantwortung des Lehrers gestellt. Vor allem die Erörterung neuer Möglichkeiten einer Theorie und Praxis besser verbindenden Ausbildung führte - mit Blick auf die Lehrerausbildung - zur Forderung nach einem „einphasigen und integrierten Ausbildungsmodell". Damit sollte sowohl eine organisatorische wie eine inhaltliche Veränderung der Lehrerausbildung verbunden sein. Sie richtete sich auf eine Aufhebung der traditionell in zwei Phasen aufgeteilten Lehrerausbildung mit dem zeitlichen Nacheinander von theoretisch-wissenschaftlicher Ausbildung durch ein Hochschulstudium (1. Phase) und der berufspraktischen Ausbildung durch ein Referendariat (2. Phase). Eine Aufhebung der zwei Phasen mußte eine völlig andere Konzeption der gesamten Ausbildungsformen zur Voraussetzung haben. Das Land Niedersachsen bot zu Beginn der 70er Jahre an, an den neu gegründeten Universitäten in Oldenburg und Osnabrück (hier allerdings erheblich eingeschränkter und letztlich ohne Modellcharakter, weswegen Osnabrück hier keine besondere Berücksichtigung findet) ein solches Reformmodell der Lehrerausbildung zu entwickeln und über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren als Modell zu erproben. Auf Antrag des Landes Niedersachsen übernahm das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft in Bonn die finanzielle Förderung bis zum Jahre 1979, dem Jahr, in welchem die ersten Studentinnen und Studenten ihre einphasige Ausbildung abschließen sollten; das Land Niedersachsen verpflichtete sich, eine Anschlußfinanzierung zu gewähren. 1.2. Da sich Bund und Land schnell über die finanziellen Rahmenbedingungen eines Modellversuchs zur Lehrerausbildung einigten - so etwas war *
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in den 70er Jahren immerhin noch möglich - , erhielt u.a. die Universität Oldenburg den Auftrag, Grundsätze, Ziele und Planungsrahmen für den Modellversuch ELAB zu entwickeln und ab 1974 durchzuführen. Die Grundsätze sahen u. a. vor: - Alle Lehrer werden gleichrangig und gemeinsam ausgebildet. - Die Lehrerausbildung orientiert sich an Schulstufen und stufenübergreifenden Funktionen. - Die Ausbildung umfaßt Studien in Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften, Fachwissenschaft und Fachdidaktik sowie berufspraktische Studien. Die einzelnen Komponenten werden eng aufeinander bezogen. Das Studium wird problembezogen, interdisziplinär und praxisbezogen organisiert und in Projekten und Kursen realisiert. - Die Lehrerausbildung wird in Formen des forschenden und genetischen Lernens durchgeführt. - Die berufspraktische Ausbildung wird nicht mehr als Referendariat oder in einer zweiten Phase (abgetrennt und außerhalb der Hochschule) institutionalisiert, sondern einphasig an der Hochschule mit dem Ziel, die berufsfertige Lehrerin, den berufsfertigen Lehrer nach fünf Jahren Ausbildung zu entlassen. 1.3. Das Oldenburger Modell der Lehrerausbildung ging von der Analyse des Berufsfeldes und damit von der Funktionsbestimmung des Lehrers aus. Und zwar deshalb, weil sich Anforderungen an eine wissenschaftliche Ausbildung, die zugleich auf eine praktische Handlungskompetenz gerichtet sind, nur aus den Qualifikationsanforderungen in der Berufspraxis erschließen lassen. Eine wesentliche Voraussetzung dazu bildete mithin die unmittelbare Einbeziehung der berufspraktischen Ausbildung von Lehrern in die Hochschulausbildung und die damit zusammenhängende Entwicklung neuer Studiengänge. Die Qualifizierung des berufsfertigen Lehrers zielte daher darauf ab, im Verlauf der Ausbildung zunehmend Probleme der Berufspraxis zu erkennen und Lösungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Organisation von Lernprozessen in der pädagogischen Berufspraxis zu erarbeiten. Mit dem Begriff „Pädagogische Berufspraxis" gemeint:
sind folgende Bereiche
- Institutionen des Ausbildungsbereiches (Hochschule, Schule als verwaltete Institutionen, als Arbeitsplatz, als Lern- und Lehrort), - Lehr- und Lernprozesse in diesen Institutionen (Studium, Unterricht), - außerschulische, die Handlungskompetenz des Lehrers mitprägende soziale Bezugssysteme (Arbeitswelt, Schulträger, Eltern, Interessenverbände).
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Die Qualifizierung zum berufsfertigen Lehrer sollte daher in der systematisch-wissenschaftlichen Beschäftigung und Auseinandersetzung mit den benannten Praxisfeldern erfolgen. \ 1.4. Alle Planungen zur Realisierung der einphasigen Ausbildung waren auf Gleichwertigkeit mit der herkömmlichen zweiphasigen Ausbildung angelegt. Das betraf sowohl die Dauer der Ausbildung als auch die Gewichtung und die Qualität der Studienelemente. D.h. die einphasige Ausbildung umfaßte - Studien im erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich, - Studien in zwei schulfachbezogenen Schwerpunkten im fachwissenschaftlichen Bereich, - berufspraktische Studien und Tätigkeiten. Die Ausbildung selbst wurde in drei Studienabschnitte gegliedert. Im ersten Studienabschnitt (1.-3. Semester) wurde Fragestellungen und Methoden aus dem Bereich der Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften Vorrang eingeräumt. Den Studierenden sollten Orientierungskriterien für die Struktur und die gesellschaftliche Funktion des Ausbildungssektors (Hochschule und Schule) vermittelt werden. Anhand wissenschaftstheoretischer Reflexionen und praktischer Erkundungen sollten die Studierenden exemplarisch Probleme im schulischen und außerschulischen Bereich erfahren und verarbeiten. Dieses machte auch erste Kontakte mit den gewählten Fachwissenschaften notwendig. Der zweite Studienabschnitt (4.-7. Semester) rückte die Fachwissenschaft und die Fachdidaktik der beiden gewählten Fächer in den Vordergrund. Er zielte auf eine fundierte fachwissenschaftliche Qualifikation des zukünftigen Lehrers und damit auf den Erwerb spezifischer fachlicher Kenntnisse unter Einbeziehung erster praktischer Unterrichtstätigkeiten ab. Der dritte Studienabschnitt (8.-10. Semester) Schloß die Ausbildung ab. In diesem Studienabschnitt sollten die erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen schulstufenbezogen angewendet und vertieft werden, indem der Student eine längere Phase der praktischen Erprobung durchführte. In diesen letzten drei Semestern der Ausbildung waren die Studierenden den Referendaren der zweiphasigen Ausbildung finanziell gleichgestellt. Aus diesem Grunde wurden sie in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis übernommen. Allen drei Studienabschnitten waren als integrierte Bestandteile längere Praxisphasen zugeordnet, die studienabschnittsspezifische Schwerpunkte aufwiesen und mindestens 440 Stunden Unterricht zu Ausbildungszwecken innerhalb von mindestens 36 bis 39 Wochen umfaßten.
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1.5. Zu den Besonderheiten, die die Anliegen und Ziele des Modells ELAB verwirklichen helfen sollten, gehörten das Projektstudium und die sogenannten Kontaktlehrer. Das Projektstudium war das bestimmende Strukturmerkmal des Modells. Es wurde davon ausgegangen, daß die Verbindung von theoretisch-fachwissenschaftlicher und berufspraktischer Ausbildung sich nicht auf eine additive Aneinanderreihung unterschiedlicher Lehr-, Lern- und Ausbildungsformen stützen kann, sondern eine Studienorganisation voraussetzt, die diese Verbindung überhaupt erst ermöglicht. Die hochschuldidaktische Ausbildungsform, die diesem Anspruch entsprechen konnte - so die Auffassung der Oldenburger Planer - , war das in Projekten organisierte Studium. Konsens bestand darin, daß sich die Durchführung von Projekten am Prinzip des forschenden Lernens orientieren mußte. Danach sollen Lehrende und Studierende gemeinsam an Forschung, Lehre und Lernen beteiligt sein, da Wissenschaft Prozeß und Vollzug der Forschung und Reflexion ist und wissenschaftliche Ausbildung u.a. Teilnahme an der Wissenschaft bedeutet. Ziel der Projektarbeit war somit nicht nur die Aneignung von Wissen und Fertigkeiten, sondern ebenso auch die Untersuchung und Veränderung der Formen, in denen diese Aneignung geschieht. Wissenschaftliche Erkenntnis richtet sich damit auch auf die in diesem Prozeß sich abspielenden Lernund Lehrverhaltensweisen der Beteiligten. Eine Kombination von vier Merkmalen kennzeichnete das in Oldenburg realisierte Projektstudium. - Projekte richteten sich auf möglichst realistische Probleme aus der angestrebten pädagogischen Berufspraxis, - sie bearbeiteten komplexe und ungelöste Problemstellungen oder entdeckten sie neu als ungelöste, - sie wurden von Lehrenden und Studierenden selbst initiiert und organisiert und - sie fanden in Gruppen statt, die Beteiligten nahmen daran als Partner der Gruppe in der jeweils zweckmäßigen Form teil. 1.6. Die Ausbildung zum Lehrerberuf ist ohne die Mitwirkung der Schulen nicht denkbar. Das galt auch für den Modellversuch ELAB. Die Mitarbeit und Beteiligung von Schulpraktikern sollte sich allerdings nicht darauf beschränken, den Zugang zum Berufs- und Praxisfeld Schule zu ermöglichen, sondern gerade auch Planung und Durchführung der Fragestellungen der Projekte zusammen mit den Lehrenden und Studierenden sichern. Die sogenannten Kontaktlehrer stellten im Modell ELAB das entscheidende Bindeglied zwischen berufspraktischer Ausbildung in der Schule und theoretisch-fachwissenschaftlicher Ausbildung an der Universität dar. Von
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der Aufgabenstellung her übten die Kontaktlehrer Ausbildungsfunktionen aus. Sie waren denen der Fachleiter in der zweiphasigen Ausbildung gleichwertig, nicht jedoch gleichartig, da die Kontaktlehrer im dienstrechtlich-formalen Sinne den Fachleitern nicht gleichgestellt waren. Kontaktlehrer waren einerseits Lehrer, andererseits von der oberen Schulbehörde auf Zeit beauftragte Mitarbeiter der Universität. Sie wurden für ihre Mitarbeit nicht bezahlt, sondern erhielten als Entlastung eine wöchentlich 10-stündige Unterrichtsverlagerung. 1.7. Dem Modellversuch ELAB standen drei Einrichtungen zur Seite, die seine Durchführung beobachteten und unterstützten. Die Gemeinsame Kommission fur Lehrerausbildung (GKL) war ein vom Senat der Universität geschaffenes Beratungsgremium für alle mit der Planung und Durchführung des Modellversuchs auftretenden Fragen und Probleme. Diese Kommission wurde aus Vertretern aller an der Lehrerausbildung beteiligten Fachbereiche gebildet. Die G K L erarbeitete Vorschläge - zur Koordination der Studienordnungen und Studienpläne für die Lehrerausbildung und die Lehrerfortbildung, - zur Einführung und Aufhebung von Studiengängen, - zur Eingliederung und Organisation der schulpraktischen Studien in Studiengänge, - zur Studienberatung. Sie koordinierte im Rahmen der Beschlüsse des Senats auch das Studienangebot für die Lehrerausbildung und ordnete die Zusammenarbeit mit Einrichtungen der zweiten Phase der herkömmlichen Lehrerausbildung. Das Zentrum für pädagogische Berufspraxis (ZpB) war eine zentrale Einrichtung der Universität, die eng mit der G K L zusammenarbeitete. Aufgabe des Zentrums war es, für die organisatorische und inhaltliche Abwicklung des Modellversuchs Sorge zu tragen. Von zentraler Bedeutung war die Vorgabe von Rahmendaten für Erkundungs- und Unterrichtsvorhaben. Ferner organisierte das Zentrum die schulpraktischen Studien in Absprache mit den Lehrenden und den Kontaktlehrern. Es beriet die Studenten in den einzelnen Studiengängen, wirkte bei der Werbung und Benennung der Kontaktlehrer mit und versuchte eine prozeßbegleitende Auswertung von Projekten. Der Gesprächskreis Schule und Universität (GSU) war für die Kooperation zwischen Schule und Universität, der Nahtstelle des Modellversuchs, verantwortlich. Im Gesprächskreis arbeiteten Vertreter der Universität (Hochschullehrer, wissenschaftliche Mitarbeiter, Kontaktlehrer, Studenten, Planer) mit Vertretern der regionalen Schulbehörden und der Schulen zusammen. Ziel der gemeinsamen Arbeit war es, im Hinblick auf die organisatorischen Konsequenzen für die Schul- und Unterrichtspraxis zu realisier-
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baren und nach Möglichkeit einmütigen Vereinbarungen und Regelungen zu kommen. Zu den wichtigsten Ergebnissen ihrer Arbeit gehörte die Verabschiedung von Vereinbarungen, die die Zusammenarbeit zwischen Schule und Universität ermöglichten und die organisatorische Durchführung der unterrichtspraktischen Phasen regelte. Der Vollständigkeit halber ist abschließend zur Darstellung des Modellversuches ELAB zu erwähnen, daß diese - aus der Sicht des zuständigen Kultusministers (Werner Remmers) im Jahre 1984/85 ausgelaufen ist und nicht verlängert wurde, - dagegen aus Sicht der Universität Oldenburg, vertreten durch mich als Vizepräsidenten, im Jahre 1979/80 abgebrochen wurde. Mit zwei Hinweisen will ich den „Zynismus" der damaligen niedersächsischen Landesregierung im Zusammenhang mit dem Abbruch von ELAB verdeutlichen. 3 Ein halbes Jahr vor der absehbaren Konsolidierung der Ausbildungskapazitäten (Studierende im Verhältnis zu Kontaktlehrerinnen und Hochschullehrerinnen) wurde der Abbruch politisch verfügt. Ein halbes Jahr nach der Abbruchsentscheidung wurde im Juli 1980 die Ausbildungsund Prüfungsordnung für die einphasigen Studiengänge erlassen. Die politische Entscheidung fiel gegen das einmütige Votum der Universitätsgremien, die auf einer weiteren Erprobung im vorgesehenen Zeitrahmen (also bis 1984/85) und unter vertretbaren Bedingungen sowie auf einer angemessenen Auswertung der bisherigen Erfahrungen bestanden. Es lag offensichtlich in der Logik der damaligen niedersächsischen Bildungspolitik, daß diese Entscheidung gerade zu dem Zeitpunkt gefällt wurde, als das Reformmodell für die Beteiligten in Schule und Hochschule zu einer tragfähigen Alternative wurde. Im Blick auf meine weiteren Überlegungen möchte ich als Resümee aus dem bisher Gesagten festhalten: Die Einphasige Lehrerausbildung bleibt der alternative Ansatz zur Zweiphasigen Lehrerausbildung, weil in ihr die Universität zu den Schulen und umgekehrt die Schulen zur Universität in ein neuartiges produktives Verhältnis eintreten, das durch keine - wie auch immer geartete - Reform der zweiphasigen Lehrerausbildung erschlossen werden kann.
3 Vgl. Spindler, D.: Neue Erfahrungen unter veränderten Ausbildungsstrukturen an der Universität Oldenburg. Zur Einführung der Einphasigen Lehrerausbildung. In: Bayer, M./Beck, J. (Hrsg.): Alternativen in der Lehrerausbildung. Reinbek 1982, S. 291-297.
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I I . Die Lehrerausbildung in der DDR Ein kurzer Rückblick zumindest auf die Lehrerausbildung in der DDR ist erforderlich, um vor dem Hintergrund der Kürzel Einphasigkeit und Zweiphasigkeit die angestrebten Konsequenzen diskutieren zu können. Was in der vorhandenen Literatur nicht diskutiert und/oder inhaltlich nicht sorgfältig untersucht wurde, ist die Kennzeichnung der Lehrerausbildung in der DDR - zumindest seit der letzten Reform im Jahre 1982 - als einphasige Lehrerausbildung. Sie war dies nur der Form, nicht aber dem Inhalt bzw. dem Prinzip nach. Die in zwei unterschiedlichen Institutionen zum Lehrer für die Unterstufe (1.-4. Klasse) und zum Fachlehrer/Diplomlehrer (5.-10. bzw. 12. Klasse) Ausgebildeten schlossen ihr Studium an Instituten für Lehrerbildung bzw. an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen zwar als berufsfertige Lehrer ab, es folgte nach dem Studium also kein sogenanntes Referendariat, keine zweite Phase, dennoch trug das Konzept der Ausbildung kaum konstitutive Merkmale von Einphasigkeit. Allein die institutionelle Trennung der Ausbildung zum Unterstufenlehrer und zum Fachlehrer/Diplomlehrer widerspricht dem Prinzip Einphasigkeit. Statt mit Einphasigkeit würde ich die Lehrerausbildung in der DDR mit Einheitlichkeit kennzeichnen. Alle künftigen Unterstufenlehrer wurden an Instituten für Lehrerbildung (IfL) in den Fächern Deutsch und Mathematik sowie in einem Wahlfach (Werken, Körpererziehung, Kunsterziehung, Musik und Schulgartenunterricht) ausgebildet. Daneben waren Marxismus-Leninismus, Pädagogik, Psychologie, Entwicklungspsychologie, Russisch, Sprecherziehung, Sport sowie Arbeit mit audiovisuellen Unterrichtsmitteln Gegenstand von Pflichtveranstaltungen. Zum praktischen Teil der Ausbildung gehörte der Nachweis politisch-pädagogischer Tätigkeit, verschiedene schulpraktische Übungen, ein Praktikum in Feriengestaltung, ein „kleines" Schulpraktikum von vier Wochen und schließlich das „große" Schulpraktikum von 15 Wochen im letzten Studienjahr. In diesen Ausbildungsgang waren theoretische und schulpraktische Ausbildungselemente in gewisser Weise integriert. 4 Die Diplomlehrerausbildung, die sowohl an Universitäten als auch an den zuletzt vorhandenen acht Pädagogischen Hochschulen erfolgte, erstreckte sich auf die Ausbildung in zwei Unterrichtsfächern, die vielfältig, aber nicht beliebig miteinander kombiniert werden konnten, wobei die einzelnen Hochschulen auf jeweils bestimmte Fachkombinationen festgelegt waren. Die Studienpläne umfaßten (neben der Zwei-Fächer-Ausbildung) zu4 Vgl. Hörner, W.: Bildung und Wissenschaft in der DDR. Ausgangslage und Reform bis Mitte 1990. Bonn 1990, S. 30.
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sätzlich obligatorische Ausbildung in den Grundlagen des Marxismus-Leninismus, in Sport und Russisch und einer Ausbildung im Bereich der Zivilverteidigung, ferner Sprecherziehung und Technik der Arbeit mit audiovisuellen Unterrichtsmitteln. Der Bereich des nichtfachbezogenen Grundlagenstudiums nahm knapp 20% des gesamten Stundenvolumens ein, während weitere 20% für die erziehungswissenschaftliche Ausbildung vorgesehen waren. 5 Eine bemerkenswerte Besonderheit bildete das 1982 eingeführte 5. Studienjahr. Für die Diplomlehrer war es das sogenannte große Schulpraktikum, das - im Idealfall - die Lehrveranstaltungen an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen mit der selbständigen Erteilung des Fachunterrichts sowie mit der Übernahme von Aufgaben eines Klassenleiters verband. Im großen Schulpraktikum wurden auch arbeits- und bildungsrechtliche Kenntnisse vertieft und die Studierenden in die Beratung und Lösung pädagogischer Fragen durch das „Pädagogenkollektiv" einer Schule einbezogen. Nach bestandener Abschluß- (IfL) bzw. Diplomprüfung (Universität/PH) wurden die Absolventen gemäß einem vom Ministerium für Volksbildung geleiteten Verteilungsprozeß im Zusammenwirken mit den Ausbildungseinrichtungen an ihrer ersten Arbeitsstelle eingesetzt. In den ersten beiden Jahren der unmittelbar nach dem Studium begonnenen Berufstätigkeit wurden die Absolventen durch erfahrene Mentoren betreut. Wenn auch nicht institutionalisiert, so kam dieser zweijährigen Betreuung doch eine ähnliche Funktion zu wie den Vorbereitungsdiensten in den Ländern der Bundesrepublik. Bezieht man in diese kursorische Darstellung der Lehrerausbildung in der DDR noch die in den späten 80er Jahren einsetzenden Reformüberlegungen mit ein, so kann man sie auf der strukturellen Ebene als Weg zur Angleichung an die Lehrerausbildung in der Bundesrepublik bezeichnen. So sollte die Ausbildung der Lehrer der Unterstufenklassen auf Hochschulniveau angehoben werden; für die Fachlehrer sollte die obligatorische Fächerverbindung wegfallen, die späteren Unterrichtsfächer sollten also frei wählbar sein; für die Lehrer der Klassen fünf bis zehn und der Abiturstufe sollte ein gemeinsames zweijähriges Grundstudium eingeführt werden, die Spezialisierung und damit die Entscheidung für eines der beiden Lehrämter sollte auf die Zeit nach dem Grundstudium verschoben werden; schließlich sollte die Studienzeit etwa V3 je Unterrichtsfach und V3 für das erziehungswissenschaftliche Grundlagenstudium betragen. Neu sollte ferner werden, nach
5 Vgl. Schmidt, G.: Lehrerbildung und Lehrerschaft in der DDR. In: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Materialien zur Lage der Nation. Vergleich von Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik. Köln 1990, S. 530 f.
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dem Studium eine mindestens einjährige Vorbereitungszeit (Referendari at) folgen zu lassen, die unter der Verantwortung der Organe der Bildungsverwaltung stattfindet. Mit diesem Schritt und der damit verbundenen Reduzierung der Ausbildung auf vier Studienjahre wäre dann die Zweiphasigkeit der Lehrerausbildung eingeführt und ein weiterer struktureller Unterschied zur Bundesrepublik aufgehoben worden. 6 I I I . Die Lehrerausbildung nach der Vereinigung in den neuen Bundesländern Ich habe an anderer Stelle 7 und für den Gesamtzusammenhang „Bildungswesen nach der Vereinigung" die These vertreten, daß es im wiedervereinigten Deutschland auf der ganzen Linie zu keiner Erneuerung des Bildungswesens gekommen ist, somit auch die Chancen, die mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten zur Reform im Bildungswesen durchaus vorhanden waren, nicht genutzt wurden. Die von mir vertretene These, die in keiner Weise mit einer Art „Schuldzuweisung" an die in den neuen Bundesländern für Bildung und Ausbildung, Hochschule und Lehrerbildung inzwischen Verantwortlichen verbunden ist, trifft auch für die Lehrerbildung zu; d.h. mit dem Abschluß der Umstrukturierung im Hochschulwesen (u.a. Auflösung der IfL, Integration von PHs in Universitäten oder in neu gegründete Fakultäten), mit der Wahrnehmung der sich aus dem Prinzip des Föderalismus ergebenden Verantwortungsmöglichkeiten und vor allem mit der Einflußnahme auf Politik und Bildungspolitik durch Parteien und/ oder Koalitionen folgt auch die Lehrerausbildung in allen neuen Ländern dem Prinzip der Zweiphasigkeit und - in der Regel jedenfalls - den damit verbundenen strukturellen wie curricularen Vorgaben. Keine Reform also, keine Reformansätze oder Reformbemühungen in den neuen Ländern nach der Vereinigung? Diese Frage ist zu verneinen, denn da gibt es im Lande Brandenburg seit dem Wintersemester 1993/94 Das Potsdamer Modell der Lehrerbildung. 8 Ob es allerdings eine „Tatsache ist, daß über kein offenes Modell einer Reform der Lehrerbildung in den letzten Jahren so viel diskutiert, vor Ort nachgesucht, international angefragt und in den Kritiken der Fachwelt überwiegend anerkennend und ermutigend geschrieben worden ist wie über das ,Potsdamer Modell 4 ", 9 will ich hier nicht untersuchen. Jedenfalls ist die 6
Vgl. Hörner (Anm. 4), S. 32 f. Vgl. Busch, F. W.: Hochschulerneuerung nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten? In: Kwartalnik Pedagogiczny, 39 (1994) 2. 8 Edelstein, W ./Herrmann, U.: Potsdamer Modell der Lehrerbildung. In: Zeitschrift für Pädagogik, 30. Beiheft (1993), S. 199-200. 7
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Lehrerbildung in Potsdam ein Ausbildungskonzept, das den auf Grund der Veränderungen von Schule gestiegenen Anforderungen an die Lehrerschaft entspricht. Zudem greift es „Impulse einer erziehungswissenschaftlich-psychologisch und sozialwissenschaftlich auf Professionswissen von Lehrern orientierte Ausbildung" auf, die in der Bundesrepublik Anfang der 70er Jahre, also zu Zeiten des Oldenburger Modellversuchs ELAB, diskutiert wurden. Es ist gekennzeichnet durch eine „integrierte und stufenübergreifende Ausbildung in den erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Grundlagenfächern wie in den Fachwissenschaften" und auf die „Professionalisierung der pädagogisch-didaktischen Handlungskompetenz des Lehrers" gerichtet. 10 Ich orientiere mich im folgenden an einer zusammenfassenden Darstellung der „Komponenten" der Potsdamer Lehrerausbildung und der während des Studiums verbindlichen „Praktika", wie sie Tosch nach dem offiziellen Dokument 11 formulierte. Wesentliches Kennzeichen der Lehrerausbildung in Potsdam ist die modulare Struktur. Die untereinander vernetzten Komponenten werden nicht ausschließlich in Jahrgangs- oder Semesterblöcken angeboten, sondern sind in allen Phasen des Studiums verfügbar. Das Studium der zukünftigen Lehrer verbindet in flexibler Weise und in unterschiedlichem Umfang fachwissenschaftliche, erziehungswissenschaftliche und schulpraktische Komponenten. • Die fachwissenschaftliche Komponente stellt das Studium zweier Unterrichtsfächer dar. In ihnen wird der größte Teil der Lehrerqualifikationen eines insgesamt 140 bis 170 Semesterwochenstunden (SWS) umfassenden Studiums absolviert. Die beim Fach angesiedelten fachdidaktischen Studien umfassen etwa 10% der für das jeweilige Fach vorgesehenen SWS. Fachdidaktische Studien sollen zudem die Brücke zu erziehungswissenschaftlichen Komponenten darstellen. • Die erziehungswissenschaftliche Komponente setzt sich mit 30 SWS aus Studien in Pädagogik (12 SWS), Psychologie (12 SWS) und Sozialwissenschaften (6 SWS) zusammen und ist im Prinzip für alle Lehramtsstudiengänge gleich. Für anregend halte ich den modularen Aufbau der erziehungswissenschaftlichen Komponente. In den drei beteiligten Disziplinen wird nämlich 9
Tosch, F.: Lehrerbildung in Potsdam. Ein Modell auf dem Prüfstand zwischen Hoffen und Realität. In: Deutsche-Lehrer-Zeitung (DLZ), DLZ-Special 39/49, vom 2. Oktober 1997, S. 23. 10 Ebenda. 11 Vgl. Universität Potsdam: Potsdamer Modell der Lehrerbildung. Vorgelegt von der Strukturkommission Lehrerbildung des Gründungssenats der Universität Potsdam. Potsdam, den 1. September 1992 (Manuskriptdruck).
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das Lehrangebot inhaltlich und zeitlich strukturiert: Es beginnt mit einer professionsorientierten Einführung (Modul 1), ihr folgt eine erziehungswissenschaftliche Kompetenzerweiterung (Modul 2) und wird fortgesetzt mit einer forschungs- und professionsbezogenen Profilierung (Modul 3). Darin eingebettet sind sechs Praktika in unterschiedlichen pädagogischen Handlungsfeldern. Sie haben zum Ziel, die notwendige Theorieaneignung mit der zunehmend eigenständigen Gestaltung und theoriegeleiteten Reflexion pädagogischer Praxis im gesamten Studienverlauf der 1. Phase zeitlich aufeinander abgestimmt miteinander zu verbinden und bilden damit die dritte Modellkomponente. Denn verbindlich für alle Lehramtsstudiengänge sind - ein dreiwöchiges, betreutes Hospitationspraktikum, - ein semesterbegleitendes bzw. im Block zu absolvierendes Praktikum in einem selbstgewählten pädagogisch/psychologischen Handlungsfeld, - ein einwöchiges, betreutes, psychodiagnostisches Praktikum in Verantwortung der Psychologie, - ein semesterbegleitendes, fachdidaktisches Tagespraktikum für jedes Unterrichtsfach (Gruppenhospitation und erste eigene Unterrichtsversuche), und - jeweils vierwöchige Unterrichtspraktika im ersten und zweiten Fach bzw. ein sechswöchiges Blockpraktikum in beiden Fächern in der vorlesungsfreien Zeit. Aber auch auf das Konzept einer veränderten Lehrerbildung in Potsdam (ich vermeide den Begriff Modell, weil ich ihn als nicht zutreffend für das Konzept der Lehrerbildung in Potsdam ansehe), trifft heute schon zu, was nach zehn Jahren ELAB in Oldenburg festgestellt werden mußte: Es droht der Entzug der Zustimmung durch die bildungspolitisch Verantwortlichen. Noch sind nicht einmal alle Studienordnungen formuliert, geschweige verabschiedet und genehmigt, da sieht der Entwurf des Hochschulentwicklungsplanes für die Universität Potsdam vor: keine Professuren mehr für die Fachdidaktiken, Abzug der Grundschulpädagogik und Reduzierung der von den Planern auf ein qualitativ notwendiges Minimum berechneten Pädagogikprofessuren. Eine der entscheidenen Fragen angesichts von ELAB in Oldenburg und des Potsdamer Konzepts lautet für mich: Ist die Lehrerbildung in Deutschland, die in den vergangenen 50 Jahren und gemessen am internationalen Umfeld eigentlich auf eine vorzeigbare Erfolgsgeschichte zurückblicken kann, grundlegenden Reformen nicht zugänglich, weil sie in überkommenen Strukturen und Problemen steckenbleibt, weil sie eine „staatlich gesteuerte Beamtenausbildung mit ihrer typischen Phasentrennung" ist und „fast ausschließlich den traditionellen Schulformen verhaftet" bleibt? Und weil
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sie sich immer weiter „von der Lösung ihres Dauerproblems, einer geglückten Verbindung von Theorie und Praxis, von Hochschule und Schule, von Ausbildung und Beruf, von Reform und Tradition, von Aufgeschlossenheit und Routine" 1 2 entfernt? In dieser zugespitzten Form vermag ich dieses Fragebündel nicht zu beantworten - erst recht nicht im Rahmen eines Vortrages. Stattdessen greife ich auf fünf Vorschläge oder Empfehlungen zurück, die ich in Auswertung meiner Oldenburger Erfahrungen, aber auch in Beobachtung internationaler Entwicklungen und unter Berücksichtigung der Herausforderung an Schule und Lehrerausbildung heute entwickelt habe und bei Diskussionen über die Reform der Lehrerausbildung auch im Ausland (Helsinki/Finnland und Lowicz/Polen) zur Diskussion stellen konnte. 13 Ich stelle sie auch hier zur Diskussion, und sie könnten eine Überleitung zu den Ausführungen des Kollegen Schulz (Leipzig) darstellen, der ja nach mir über „Die Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland" sprechen wird.
I V . Vorschläge und Empfehlungen für eine fortzusetzende Debatte über die Reform der Lehrerbildung in Deutschland Bei einer diesbezüglichen Aufgabe - Empfehlungen zu formulieren - ist im Auge zu behalten bzw. zu beachten, daß es kein allgemeingültiges Ausbildungskonzept geben kann. Lehrerausbildung geschieht immer im nationalen, bei föderal verfaßten Ländern (wie z.B. Deutschland) sogar im regionalen Kontext, ist also auch in diesem Rahmen zu verwirklichen. Meine Vorschläge bzw. Empfehlungen versuchen allerdings auch, regionale und nationale Begrenzungen und Beschränkungen zu überwinden. Sie wollen dialogfähig sein im Sinne der europäischen Dimension für das Bildungsund Hochschulwesen. Den fünf Vorschlägen will ich die Argumente voranstellen, die mich 1992/1993 bei meiner Aufgabe geleitet haben, die universitäre Lehrerausbildung im Bundesland Sachsen und an der Technischen Universität in Dresden durch Integration der Pädagogischen Hochschule in die Universität organisatorisch wie inhaltlich möglich zu machen und zugleich auch die 12 Otto, H.: Eiertanz um Reformprojekte. Die Schönheitsfehler einer Erfolgsgeschichte. In: Deutsche-Lehrer-Zeitung (Anm. 9), S. 17. 13 Vgl. Busch, F. W.: Brauchen wir heute (noch) eine akademische Lehrerausbildung? Videovortrag (aus Bremen) bei den Festlichkeiten der 20-jährigen akademischen Lehrerbildung an der Universität Helsinki am 14.10.1994. In: Kansanen, P. (Hrsg.): Diskussionen über einige pädagogische Fragen. Helsinki 1995, S. 29-45; ders.: Czy potrzebujemy dzisiaj (jeszcze) akademickiego ksztalcenia nauczycieli. In: Bogusz, J./ Knap, A. (Red.): Wyzsze szkolnictwo niepanstwowe w systemie edukacji narodowej. Warszawa 1996, S. 121-130.
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Entscheidung für eine Fach-zu-Fach-Integration (unter Einschluß der Fachdidaktiken) zu begründen. Die Argumente lauteten: 1. Die universitäre Ausbildung für alle Lehrämter muß eine wissenschaftliche Ausbildung sein. Lehrerinnen sollen wissenschaftlich fundiertes Wissen vermitteln und die Weiterentwicklung des Wissensstandes in ihren Fächern verfolgen können. Art und Umfang fachwissenschaftlicher Ausbildung ergeben sich aus dem Stand der Fachwissenschaften und den Erfordernissen der jeweiligen Schulart. Lehrerinnen müssen als Vermittlerinnen von Fachwissen über fachdidaktische Kompetenzen verfügen, mit deren Hilfe sie Kriterien für die Auswahl von Inhalten und Vermittlungsstrategien entwickeln können. Deshalb wird die fachwissenschaftliche Ausbildung um fachdidaktische Qualifikationen ergänzt werden müssen. Um dieses zu ermöglichen, ist eine Struktur erforderlich, die die Fachdidaktik von Anfang an in den Integrationsprozeß einbezieht. 2.
In der akademischen Lehre ist die Vermittlung von Lehrstoffen immer wieder neu zu hinterfragen. Aktuelle Forschungsergebnisse der Fachwissenschaft, der Forschungen zur Fachdidaktik und die Rückkoppelung aus den aktuell gehaltenen Lehrveranstaltungen zwingen zu ständiger Neugestaltung von Lehrveranstaltungen. Um hohe wissenschaftliche Ansprüche zu sichern, muß dabei die volle Breite der entsprechenden Forschung direkt Einfluß auf die Lehre nehmen können.
3.
Um Besonderheiten, die bei der Vermittlung von Fachwissen für die Lehrämter bestehen, gebührend zu berücksichtigen, sollten in den Bereichen der Fachwissenschaften auch Professuren ausgewiesen sein, die sich schwerpunktmäßig der fachwissenschaftlichen Ausbildung von Lehramtskandidaten verpflichtet fühlen. Darüber hinaus muß die Fachdidaktik durch eigene Professuren Berücksichtigung finden. Auf diese Weise kann sowohl einer befürchteten Randstellung der Lehrerausbildung wie der Fachdidaktik vorgebeugt werden. Auf jeden Fall müssen Fachdidaktikerinnen mit den Fachwissenschaftierinnen besonders eng zusammenarbeiten.
4.
Bei jeder anzustrebenden Organisationsform muß aber die Nähe von Fachwissenschaft und Fachdidaktik gesichert sein. Bei einem den aktuellen Erfordernissen entsprechenden Schulunterricht darf die Kette Fach/Fachwissenschaft-Fachdidaktik-Schule nicht unterbrochen sein. 14
Mit diesen Argumenten vor Augen formuliere ich nun die Vorschläge bzw. Empfehlungen für ein Lehrerbildungskonzept, das in der Lage ist oder 14 Vgl. Busch, F. W.: Konzeption und Stufenplan der Fakultät Erziehungswissenschaften. In: Ders. (Anm. 2), S. 271-288.
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sein könnte, künftige Lehrerinnen so auszubilden, daß sie ihren vielfältigen Aufgaben in der Schule gewachsen sind. Erster Vorschlag: Das Prinzip Einphasigkeit verwirklichen Überblickt man die vielfältigen Diskussionen zur Reform der Lehrerausbildung, dann steht zu recht das Theorie-Praxis-Problem im Zentrum des Interesses. 15 Auch im Ausbildungsalltag an den Stätten der Lehrerbildung spielt dieses Problem eine zentrale Rolle. Es geht dabei vor allem um die Frage, wie die Theorie, also die fachwissenschaftliche Ausbildung (in der Regel in zwei Unterrichtsfächern) mit der Praxis, also der Einübung im Umgang mit Schule und in das Unterrichten, besser und enger zu verbinden ist. Die Antwort auf diese Frage, die in der Bundesrepublik durch den eben vorgestellten Modellversuch an der Universität Oldenburg, 16 in manchen europäischen Ländern aufgrund tradierter Ausbildungsstrukturen gefunden wurde, lautet: unmittelbare Einbeziehung der berufspraktischen Ausbildung der künftigen Lehrerinnen in die fachwissenschaftliche Ausbildung an den Hochschulen. Die hiermit verbundene Qualifizierung berufsfertiger Lehrerinnen zielt damit auch darauf ab, im Verlaufe des Studiums zunehmend Probleme der künftigen Berufspraxis für Lehrerinnen zu erkennen und Lösungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Organisation von Lernprozessen in der pädagogischen Praxis zu erarbeiten. Die in unmittelbarer Beobachtung gemachten Erfahrungen werden als „Fragen an die Theorie" zurück in die Lehrveranstaltungen gebracht. Diese Zusammenlegung von sonst getrennt vorgenommener fachwissenschaftlicher und berufspraktischer Ausbildung bezeichne ich mit dem Prinzip Einphasigkeit. Es erfährt seine konsequente Ausprägung, wenn es darüber hinaus schulform- und schulstufenübergreifend realisiert wird, d.h. wenn innerhalb des Studiums und der Ausbildung nicht nach Schulformen (Grundschule, Hauptschule, Gymnasium etc.) getrennt gearbeitet wird. Zweiter Vorschlag: Berufs- und Erziehungspraxis frühzeitig integrieren Dies ist praktisch die didaktische Konsequenz des ersten Vorschlages; die Betonung liegt auf dem Wort frühzeitige Integration. Bei diesem Vorschlag handelt es sich nicht um eine grundsätzlich neue Erkenntnis, sondern vielmehr um die positive Erfahrung, daß für den gesamten Studienverlauf und 15
Buchberger, F./Busch, F. W.: Guest Editorial. The Role of the Practical Element in Initial Teacher Education. In: European Journal of Teacher Education, 11 (1998) 1 und 2/3. 16 Vgl. u.a. Busch (Anm. 1).
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für alle Lehrämter die planmäßige Umsetzung der Theorie in quantitativ und qualitativ wachsende Praxisanteile vorzusehen ist. Die frühzeitige Begegnung mit der (Schul-)Praxis ist deswegen konzeptionell so bedeutsam, weil bei der schrittweisen Beobachtung der Schulund Unterrichtswirklichkeit und den dabei gesammelten unterrichtspraktischen Erfahrungen Fragen aufkommen (werden), die als Fragen an die Theorie in den Lehrveranstaltungen gemeinsam zwischen Lehrenden und Studierenden zu behandeln und zu beantworten sind. Formen und Dauer der Praxiskontakte sind natürlich dem Studienverlauf anzupassen. Sie beginnen mit der Beobachtung kleinerer Ausschnitte der Schule und des Unterrichtes und führen zur Planung und Durchführung von ersten Unterrichtsvorhaben, für die eine kleinere Gruppe von Studierenden gemeinsam verantwortlich ist und die sowohl durch Hochschullehrer wie durch pädagogisch besonders befähigte Lehrerinnen angeleitet und betreut werden. Die selbständige und eigenverantwortliche Unterrichtstätigkeit über einen längeren Zeitraum und in den von den Studierenden gewählten Unterrichtsfächern steht logischerweise am Ende der Ausbildung. Die frühzeitige Begegnung mit der Schulpraxis hat darüber hinaus auch die Funktion einer Überprüfung der vom Studierenden getroffenen Berufswahl. Die fehlende Eignung zum Lehrerberuf sollte nach Möglichkeit nicht erst am Ende des Studiums festgestellt werden. Dritter Vorschlag: Das Studium der Pädagogik/Erziehungswissenschaft gleichberechtigt neben die fachwissenschaftlichen Studien stellen Betrachtet man die gesamte Tätigkeit des Lehrers und stimmt man überein in der Feststellung, daß der Lehrer/die Lehrerin Wissensvermittlerln und Erzieherin ist, und daß dies untrennbar miteinander verbunden ist, dann wird eigentlich ohne weitere besondere Herleitung klar, daß ein angemessener erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlicher Anteil zum Studium zukünftiger Lehrerinnen dazu gehört. Denn - einer These Klafkis folgend - , „(muß) Lehrerbildung ... Lehrerstudenten und bereits ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer dazu anregen und befähigen, für allgemeine, übergreifende Ziele der Erziehung und in ihrem Rahmen über Ziele der Schule nachzudenken, sich kritisch und argumentierend mit diesem Problemkreis auseinanderzusetzen". 17 Das mag wie eine Selbstverständlichkeit klingen, 17
Klaßi, W.: Lehrerausbildung in den 90er Jahren. Wissenschaftsorientierung und pädagogischer Auftrag. In: Hübner, P.: Lehrerbildung in Europa vor den Herausforderungen der 90er Jahre. Beiträge zum 12. Kongreß der Vereinigung für Lehrerbildung in Europa (ATEE) vom 7.9. bis 11.9.1987 an der Freien Universität Berlin. Berlin 1988, S. 34. 10 Schäfer/Sroka
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scheint es mir aber nach fast 25j ähriger Tätigkeit in der Lehrerbildung und in der Auseinandersetzung um die Planung und Realisierung erziehungswissenschaftlicher Anteile in der Lehrerbildung nicht zu sein. Einmal, weil z.B. solche Fragen wie die, ob schon im Schulunterricht „Schlüsselprobleme der gesellschaftlich-politischen Existenz der Menschheit in unserer geschichtlichen Epoche im ganzen und der einzelnen Nationen und Gesellschaften im besonderen eine Rolle spielen oder nicht und von welcher Schulstufe ab man das für sinnvoll und möglich hält", 1 8 einer Antwort bedürfen. Dann aber auch, wenn man es für notwendig ansieht, daß Lehrerinnen und Lehrer „selbständig denkende und beurteilende Personen sein müssen", da sie ja auch jungen Menschen „zu selbständigem Denken, Urteilen, Handeln verhelfen sollen". Und schließlich, weil „die Fähigkeit zum Innovieren eine Grundqualifikation des Lehrers" sein muß. 1 9 Ich bin mir darüber im klaren, daß die Aufgabe, angehende Lehrerinnen in ihrer Ausbildung zu kritisch-argumentativer Zielreflexion zu befähigen, nur die allgemeine und übergeordnete Ebene der erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Studienanteile benennt. Die notwendige Differenzierung für die einzelnen Studienabschnitte und - damit verbunden - die Umsetzung in ein „pädagogisches Curriculum" ist von den für die erziehungswissenschaftliche Ausbildung verantwortlichen Hochschullehrern gemeinsam vorzunehmen. Es dürfte einsichtig sein, daß die Themen für pädagogische bzw. erziehungs- und gesellschaftswissenschaftliche Lehrveranstaltungen sich nicht aus den „Vorlieben" des einzelnen Hochschullehrers ergeben dürfen, sondern aus der Beantwortung der Frage: Welches sind die notwendigen Inhalte eines Pädagogik-Studiums - in einem konkreten Zeitabschnitt, also etwa in der zweiten Hälfte der 90er Jahre? Vierter
Vorschlag: Neue Lehr- und Lernformen erproben
Die mit dem Prinzip Einphasigkeit beschriebene Einbeziehung der Praxis in die fachwissenschaftlich-theoretische Ausbildung hat m.E. eine neue Organisationsform des Lehrens und Lernens zur Voraussetzung. Ich nenne sie das in Projekten organisierte Studium. Projekte sind - und hier berücksichtige ich die eigenen mehrjährigen Erfahrungen mit dieser Lehr- und Lernform und wiederhole damit eine Passage aus meinem ersten Punkt - durch verschiedene Merkmale gekennzeichnet. - Projekte richten sich auf möglichst realistische Probleme aus der pädagogischen Berufspraxis; 18 19
Ebenda. Ebenda, S. 35 f.
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- in Projekten werden komplexe, ungelöste oder von Studierenden neu entdeckte Problemstellungen schulischer oder unterrichtlicher Arbeit bearbeitet; Projekte - werden von Hochschullehrern und Studierenden gemeinsam initiiert und organisiert; - sie finden in überschaubaren Gruppen statt und - sie dauern in der Regel 2 Semester. Die Erprobung dieser Lehr- und Lernform kann sicher noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Übereinstimmung besteht jedoch darin, daß sich die Durchführung von Projekten am hochschuldidaktischen Grundsatz des forschenden Lernens orientieren muß. Das Lernen in Projekten „überschreitet die Grenzen von Alltagslernen und schulischem Lernen" genau so, wie es die Grenzen von Schulformen und Fächern und von Schule als Ort institutionalisierten Lernens überschreitet. Das Lernen in Projekten geht aus „von Lebenszusammenhängen und gesellschaftlichen Problemfeldern, die als komplexe Lernbereiche mit Handlungsbedarf betrachtet werden". 20 Fünfter
Vorschlag: Mit der Schule eng zusammenarbeiten.
Die Ausbildung zum Lehrerberuf ist ohne die Mitwirkung der Schule nicht denkbar. So wie erfahrene Ärzte an der Ausbildung des Ärztenachwuchses mitwirken, müssen erfahrene Lehrerinnen an der Ausbildung von Lehrern mitwirken. Diese im Grundsatz unstrittige Erkenntnis hat aber immer wieder Fragen nach dem angemessenen Zeitpunkt, dem Umfang sowie der Kompetenz dieser Mitwirkung provoziert und unterschiedlich beantworten lassen. Ich sagte schon, daß wir in Oldenburg im Zusammenhang mit der Durchführung des Modellversuches zur Lehrerausbildung eine besondere Form der Zusammenarbeit von Universität und Schule entwickelt haben: die persönliche Kooperation von Hochschullehrern mit einer besonderen Gruppe von Lehrerinnen, die wir Kontaktlehrerinnen nennen. Die Kontaktlehrerinnen stellen also im Konzept einer reformierten Lehrerausbildung das entscheidende Bindeglied zwischen der berufspraktischen Ausbildung in der Schule und der fachwissenschaftlich-theoretischen Ausbildung an der Universität dar.
20 Steiner, W.: Projekte mit Lehrern. Ein Bericht und 3 Thesen. In: Zeitschrift für Pädagogik, 40 (1988) 6, S. 25 f. 10*
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Ich mache mir keine Illusionen und denke nicht etwa, daß eine Umsetzung meiner fünf Vorschläge quasi automatisch die Probleme einer zeitgemäßen Lehrerausbildung lösen wird. Das Verhältnis von Theorie und Praxis z.B. wird stets ein komplexes Verhältnis bleiben. Die notwendigen Inhalte pädagogischer Studien werden stets neu zu bedenken und zu bestimmen sein. Ich bin allerdings der Überzeugung, daß sich aus meinen Überlegungen zur Lehrerausbildung zwei Aufgaben als zentrale Aufgaben einer jeden Lehrerausbildung ergeben: Wissenschaftlichkeit und Berufspraxisbezug. Die inhaltliche und die organisatorische Verbindung dieser beiden Aufgaben haben mich einerseits zur Formulierung der eben vorgetragenen Vorschläge geführt, und sie lassen mich andererseits zum Schluß zu vier Feststellungen kommen, die ich nicht mehr im einzelnen kommentiere, aber genau so zur Diskussion stelle, wie meine gesamten Überlegungen. - Erstens: Nicht jeder kann Lehrerin/Lehrer werden. Voraussetzung für den Lehrerberuf ist eine bestimmte Einstellung zum Beruf, die sich durch das Verhältnis zum Kind, zum Heranwachsenden ausdrückt. - Zweitens: Unabdingbare Voraussetzung zur Aufnahme eines Lehrerstudiums (für alle Lehrämter) ist das Abitur, die Hochschulreife, weil Wissenschaftspropädeutik die entscheidende Voraussetzung für ein Studium ist. - Drittens: Das Lehrerstudium in einer zweiphasigen Durchführung muß mindestens 8 Semester, also 4 Jahre (oder 180 bis 200 Semester-Wochenstunden) umfassen, weil Studium als Teilhabe an Wissenschaft auch Zeit braucht. - Viertens: Notwendig ist heute eine wissenschaftliche (also eine akademische) Lehrerausbildung. Die als notwendig angesehene wissenschaftliche Ausbildung ist - derzeit - nur an Universitäten zu realisieren.
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Flexibilisierung der Lehrerlaufbahnen Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland Von Dieter Schulz Vorbemerkung In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten wurde die Lehrerausbildung an den Hochschulen in den Ländern der (alten) Bundesrepublik unter kaum zu beschreibenden Überlastquoten gestaltet. Die Überlastungsquoten waren zugleich ein hinreichendes Argument, die Qualität der Ausbildung den überbordenden Quantitäten unterzuordnen. Die parallel erfolgenden Kapazitätsberechnungen bezüglich der Personalstellen durch die jeweilige Kultusadministration waren dabei immer , höchst ignorant. Gegenwärtig ist der Zeitpunkt erreicht, da die fiskalisch gesteuerten Bedarfszahlen und die sich in Konsequenz deutlich absenkenden Immatrikulationszahlen in allen Hochschulen aller Bundesländer deutlich kleiner werden. Das Vermassungsphänomen - hervorgerufen durch die hohen Studentenzahlen - kann es folglich nicht mehr sein, welches eine qualitativ hochwertige Lehrerbildung verhindert. Somit scheint es grundsätzlich richtig, daß Formen der Lehrerbildung verstärkt einer Neubewertung zugeführt werden. Es ist nicht zu übersehen, daß die Lehrerbildung ein Politikum ersten Ranges ist, denn sämtliche Formen und institutionelle Regelungen der Lehrerbildung in Geschichte und Gegenwart beruhen auf politischen und gesellschaftlichen Prämissen. So trifft das jeweilige Bundesland als monopolistischer Träger der Lehrerbildung aufgrund der spezifischen Bedürfnislage unterschiedliche Entscheidungen. Bei Lehrermangel stellt man z.B. DiplomPhysiker ohne pädagogische Ausbildung in den gymnasialen Schuldienst ein, oder man betraut Hausfrauen nach kurzer Einweisungszeit mit der Arbeit z.B. an Grundschulen. Bei einem Überangebot an ausgebildeten Lehrern tritt man für die „Polyvalenz" der Lehrerbildung ein und fordert den Abbau der Berufsbezogenheit, um sie bei nächster Gelegenheit durch die gleichen Politiker wieder als fehlend zu beklagen. Auch die Parteien nehmen je nach ihrer Programmatik unterschiedlich Einfluß. Es liegt folglich nahe, daß sich die betroffenen Institutionen (Universitäten, aber auch die noch bestehenden Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg) zu Wort melden und divergierende Voten vorbringen. 1 Selbst die zahlreichen Lehrerverbände haben äußerst unterschiedliche Vorstellungen von einer Re-
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form der Lehrerbildung. Es überrascht deshalb nicht, daß Veröffentlichungen über Probleme und Entwicklungen der Lehrerbildung mitunter publikumswirksame Titel tragen, wie z.B. „Neue Lehrer braucht das Land" oder „Die Misere der Lehrerbildung". 2 Wer mich kennt, weiß, daß ich in den zurückliegenden Jahren unbeirrt gegen dieses modernistische, sich geradezu chamäleonartig gestaltende Regieverhalten staatlicher oder anderer Planungsstrategen argumentiert habe. Diese Art von Sendungsbewußtsein hat sich stets als kontraproduktiv erwiesen, weil es sich nie an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientierte. Es muß aber auch unbestritten eingeräumt werden, daß es keine eindeutige Antwort auf die Frage gibt: „Wie lernt man Erziehung und Unterricht". Es gibt auch keinen allgemein akzeptierten Studienplan, nach dem künftige Lehrer von theoretischen Einsichten über ein solides Berufswissen zu einem fundierten pädagogischen Handeln kommen. Deswegen sind, wie auch die historische Entwicklung zeigt, in institutioneller und inhaltlicher Hinsicht verschiedene Möglichkeiten der Lehrerbildung denkbar. Bestimmte Vorzüge eines Modells müssen stets mit Nachteilen erkauft werden. Dabei stellt sich jeweils die Frage, die sich nur nach dem Prinzip einer verantwortlichen Güteabwägung beantworten läßt: Unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen kann die Schule mit welchen Nachteilen am besten leben? Wir haben in den beiden zurückliegenden Tagen und auch am heutigen Vormittag - teils erinnernd, teils neu reflektierend - unterschiedliche Modelle der Lehrerbildung vorgestellt bekommen. Immer wieder zeigt sich aber in den Diskussionen zur Lehrerbildung unter Fachleuten und in der Öffentlichkeit - aber auch in den Analysen der Prüfungsordnungen der einzelnen Bundesländer - eine Fixierung der Argumentationen vorrangig zu folgenden sechs Ebenen. Sie betreffen: - Studiendauer, Berufsbezug, Dauer und Art der Schulpraktischen Studien/ Praktika; - Umfang und Art der erziehungswissenschaftlichen Studien; - Art und Anzahl der Begleitfächer (z.B. Soziologie, Philosophie); - Anzahl der Fächer und Umfang der fachwissenschaftlichen Studien; - qualitative und quantitative Berücksichtigung der Fachdidaktik; - Beachtung der Schularten und der Schulstufen.
1
Vgl. Beckmann, H.-K.: Lehrer oder Sozialagent - Irritationen über den Lehrerberuf und die Lehrerausbildung. In: Aurin, K./Wollen weber, H. (Hrsg.): Schulpolitik im Widerstreit. Brauchen wir eine neue Schule? Bad Heilbrunn 1997, S. 129 ff. 2 Vgl. Struck, P.: Neue Lehrer braucht das Land. Darmstadt 1994.
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Diese wenigen Hinweise spiegeln die gravierenden Schwierigkeiten, vor denen ich mich befinde, wenn ich dem thematischen Auftrag der Veranstalter unserer Fachtagung gerecht werden soll, „Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland" aufzuzeigen. Daß es im Rahmen der begrenzten Zeit nur möglich sein wird, eine Auswahl von Entwicklungsabsichten und Entwicklungslinien aufzuzeigen, ist unstrittig. Ich beschränke mich im weiteren auf drei Entwürfe: 1. auf die Überlegungen der „Strukturkommission Lehrerbildung 2000" des Landes Baden-Württemberg, 2. auf die Vorstellungen der „Sachverständigenkommission Lehrerbildung" des Landes Nordrhein-Westfalen, 3. auf die Empfehlungen der „Arbeitsgruppe Lehrerbildung" der HRK. Während ich an den Papieren zu den Positionen 1 und 3 zum Teil aktiv mitgearbeitet habe, kann ich zu den Vorstellungen der „Sachverständigenkommission Lehrerbildung" nur als ehemaliger Nordrhein-Westfale Stellung nehmen. Als Letztes gestatten Sie mir im Sinne einer unbestritten breiter als gewöhnlich angelegten Vorbemerkung, auf die scheinbar wenig auffällige und dennoch differenzierende Begrifflichkeit von Lehrerbildung und Lehrerausbildung hinzuweisen. In den Geistes- und Sozialwissenschaften sind Begriffe oft „Kampfbegriffe"; das gilt auch und insonderheit für die vorgenannten Begriffe. 3 Der ältere von ihnen ist der der Lehrerbildung. Er zielt auf ein geschichtliches Standortbewußtsein, auf Verantwortung und auf eine pädagogische Haltung, die Kinder und Jugendliche soweit führt, bis sie „selbst ihren Lebensweg zu wählen imstande sind." 4 (Wir nennen dieses heute „Selbständigkeitserziehung" im Verständnis eines die einzelne Schülerbiographie begleitenden Prozesses. Diese Selbständigkeit/Mündigkeit ist nicht jedoch gleichzusetzen mit dem Geschenkritual am Ende einer feierlich anmutenden Abitur-Entlaßrede: „Ab morgen darfst Du selbständig sein!"). Dem Begriff der Lehrerbildung gegenüber macht der Begriff der Lehrerausbildung deutlich, daß Erziehung und Unterricht einen Lehrer erfordern, der fachkundig seine Berufsaufgabe erfüllt. Angesprochen ist damit der Prozeß der Professionalisierung des Lehrerberufs. Je nach der geistigen und gesellschaftlichen Situation wird der eine oder andere Begriff gebraucht. Beide Aufgaben sind zwingend nötig und dürfen aus meiner Sicht nicht gegeneinander ausgespielt werden. 5
3
Vgl. Beckmann (Anm. 1), S. 133. Litt, Th.: Führen oder Wachsenlassen. Das Wesen des pädagogischen Denkens. Leipzig 1927, S. 42. 5 Vgl. Beckmann (Anm. 1), S. 129. 4
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Das Suchen nach Formen der Flexibilisierung der Lehrerlaufbahnen darf nicht gleichzusetzen sein mit dem Abwägen von historisch differenziert verwendeten Begrifflichkeiten. Es kann aber auch nicht bedeuten, den mitunter allzu oberflächlichen tagespolitischen Bedarfsargumentationen sogmäßig zu folgen, d.h. historisch Gewachsenes zu vernachlässigen, um lediglich situativ wirkende populistische Verbalformulierungen zu treffen. I. Lehrerberuf und Lehrerausbildung - Kritik zwischen Professionalisierung und Entprofessionalisierung Die Tatsache, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt Lehrer auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt sind - vorrangig aus fiskalischen Gründen - stellt Erreichtes vordergründig bereits wieder in Frage. Die Diskussion ist erneut von den Begriffen „Professionalisierung" einerseits und „Polyvalenz" andererseits getragen. Auch unsere Diskussionen in den zurückliegenden zwei Tagen war hiervon nicht frei, zumindest nicht immer trennscharf. Während „Professionalisierung" die Ausrichtung eines Studiums auf einen Beruf, einen Tätigkeitsbereich oder ein Tätigkeitsfeld beinhaltet, welches mehrere Berufsbereiche umfaßt, besteht die einzige ernsthaft zu diskutierende Alternative zum tätigkeitsfeldbezogenen Studium in der Forderung nach „Polyvalenz" bzw. „Entprofessionalisierung". Diese Begriffen zielen auf die Ausrichtung der Studiengänge auf mehrere Berufe oder Berufsbereiche. Vordergründig, eine unkritische Öffentlichkeit aufgrund der Schlichtheit der Argumentation gleichsam aus dem Stand überzeugend, scheint damit eine wirksame Lösungsformel gefunden worden zu sein. Tatsächlich aber zeigen die bisherigen Versuche, „polyvalent" bzw. „entprofessionalisiert" ausgebildete Lehrer in außerschulische oder schulisch erweiternde Tätigkeitsfelder zu vermitteln, keine oder nur sehr geringe Erfolgschancen. Damit entlarvt sich der Trugschlußcharakter der Idee: Arbeitsmarktspielräume/Arbeitsmarktprobleme werden unstatthaft mit notwendiger Berufsqualifikation verquickt. Derartig oberflächliche Argumentationsketten ähneln einer alles und sofort erlösenden Stammtisch-Pädagogik; sie sind niemals das Ergebnis qualifizierter Analysen. Lassen Sie es mich anders formulieren: Die der Arbeitsmarktkrise angepaßte Neuorientierung in der Lehrerbildung mag den öffentlichen Arbeitgeber, d.h. den Staat, entlasten, im Einzelfall die Schwerpunktorientierung der Studierenden möglicherweise verändern, vielleicht auch zu neuen/zu erweiterten Tätigkeitsfeldern führen - nur zu einer qualitativen Lehrerbildung trägt dieser Richtungswechsel nicht bei. Im Gegenteil! Vielmehr gilt es unter der Maxime der Optimierung des Schul- und Bildungswesens unbeirrt, den Professionalisierungsprozeß auszubauen; denn Kinder und Jugendliche benötigen für ihre erziehliche und berufliche Entwicklung den am besten
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ausgebildeten Lehrer und nicht ein Ausbildungschamäleon, das sich je nach Arbeitsmarktbedürfnissen am geschicktesten anpassen, manipulieren oder gar verstecken läßt.
I I . Reform der Lehrerbildung Unabhängig von den nachfolgend zu reflektierenden Details aktueller Reformkonzeptionen darf - gleichsam den gemeinsamen Bestand sichernd in Kurzform auf fünf generell geltende Positionen verwiesen werden: 1. Seit den 50er Jahren ist institutionell und inhaltlich eine Annäherung der verschiedenen Studien- und Ausbildungsgänge für die verschiedenen Schularten in allen Alt-Bundesländern festzustellen, wenn auch unterschiedliche, schulartspezifische Anforderungen erhalten bleiben. (Anmerkung: die neuen Bundesländer haben sich nahezu unauffällig eingereiht) Jede Lehrerbildung muß sich aber - wie wir wissen - an den schulartübergreifenden Berufsaufgaben des Lehrers orientieren, die sich entsprechend den Fixierungen des Deutschen Bildungsrates kurzfassen lassen mit den Aufgabenfeldern „Unterrichten, Erziehen, Beurteilen, Beraten, Innovieren und sich Fortbilden". Das Unterrichten und Erziehen ist aufgrund des Erkenntnisstandes eine wissenschaftlich fundierte Tätigkeit geworden und nicht mehr das Endprodukt eines erfolgreich durchlaufenen und handwerklich orientierten Meister-Lehrlings-Ausbildungsrituals. Das gilt für die fachwissenschaftlichen Grundlagen des Unterrichts ebenso wie für die Auswahl der Ziele, der Inhalte, der Methoden und Medien, aber auch für die erzieherischen Aufgaben. 2. Allgemeiner Grundsatz ist, daß die Lehrerbildung für alle Schularten durch vier Elemente bestimmt ist: erziehungswissenschaftliche, fachdidaktische, fachwissenschaftliche und Schulpraktische Studien; die Gewichtung der genannten Elemente und ihre inhaltliche Ausgestaltung ist allerdings strittig. 3. Zwar bestehen in der Lehrerbildung der alten und der neuen Bundesländer trotz des bereits betonten Konsens aus mehreren Gründen noch Unterschiede, auch wenn ich diese aus zeitlichen Gründen hier nicht weiter verfolge. Dennoch gibt es zahlreiche Gemeinsamkeiten: u.a. bezogen auf die Entkonfessionalisierung, fachliche Spezialisierung, Verwissenschaftlichung, Ausdehnung der Studiendauer, Zweiphasigkeit der Ausbildung und zum Teil einer Verstärkung des Stufenbezugs. 4. Ein internationaler Vergleich der Lehrerbildung zeigt zunächst ein sehr differenziertes Bild. Allerdings nimmt in den vergleichbaren hochindu-
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strialisierten Staaten der EU die Tendenz zu, die Lehrerbildung den Universitäten zu übertragen. 5. Zur Bewältigung der zukünftigen Berufsaufgaben müssen Lehrer aller Schularten eine Vielzahl von Kompetenzen besitzen: u.a. kulturelle, pädagogische, beratende, beurteilende, fachwissenschaftliche, didaktische und berufspraktische. Für alle Kompetenzen gilt unstrittig: wissenschaftlich fundiertes Wissen ist eine grundlegende Voraussetzung für ein reflektiertes Handeln als Lehrer und Erzieher. Somit hat ein Lehrerstudium - unabhängig von einer bildungspolitisch besonders akzentuierten Konzeption - folgende drei generell geltende Ziele anzustreben: - Erwerb von einschlägigen Kenntnissen und Einsichten, die auf Forschung beruhen; - Aneignung wissenschaftlicher Methoden auch im Blick auf die sachgemäße Einschätzung von Veröffentlichungen; - Aufbau einer Haltung, die von Offenheit und Kritikfähigkeit, von polarem Denken und geistiger Weite bestimmt ist. Ich komme im folgenden auf drei Bemühungen zu sprechen, die aufgewiesenen Probleme einzukreisen bzw. diese zu regulieren. 1. Strukturkommission Lehrerbildung 2000, Baden- Württemberg Der Ministerrat des Landes Baden-Württemberg hatte bereits am 10. Dezember 1990 die Einsetzung einer „Strukturkommission Pädagogische Hochschule 2000" festgelegt. Noch bevor die eigentliche Arbeit aufgenommen wurde, wurde auf Beschluß der Landtagsfraktionen von CDU und SPD im Mai 1992 der Auftrag mit der neuen thematischen Diktion „Strukturkommission Lehrerbildung 2000" erweitert. In 15 Sitzungen (inklusive Unterkommissionen und diverser ergänzender Anhörungen waren es insgesamt 52 Arbeitstagungen) wurde in der Zeit vom 2.10.1991 bis zum 6.7.1993 ein hochdifferenzierender Bericht mit dem Titel „Lehrerbildung in Baden-Württemberg" erarbeitet. Auch hier kann ich in der gebotenen Kürze nur auf einige Empfehlungen in Auswahl verweisen. 6 Wie Sie wissen ist Baden-Württemberg das einzige Bundesland, in dem noch Pädagogische Hochschulen existieren. Diesem Faktum, dem durch ein Gesetz des Landtages noch zusätzliche Bestätigung (PHG) verliehen wurde, hatte die Kommission zu entsprechen, auch wenn sie aufgrund der Reform6
Vgl. Anlage 1.
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bedürftigkeit der Pädagogischen Hochschulen im allgemeinen und der Lehrerbildung im besonderen den zur Zeit geltenden gesetzlichen Vorgaben mit differenzierten Optionen für die künftige Entwicklung zu begegnen versuchte. Die Kommission unterscheidet in ihrem Abschlußbericht u.a. zwischen „Allgemeinen Empfehlungen" und „Spezifischen Empfehlungen". Ohne die zahlreichen Details auflisten zu wollen und zu können, verweise ich in Auswahl 1. auf die Empfehlungen zum Lehramt an Grund- und Hauptschulen; hier insonderheit auf die postulierte Überschneidung der zu berücksichtigenden Jahrgangsstufen mit dem Ziel eines inhaltlichen Verständnisses für die gegenseitige Arbeit und einer prospektivischen Flexibilität des Personaleinsatzes (Grundschule: Jahrgangsstufen 1 bis 6/Hauptschule: 3 bis 10). 2. auf die Fixierung von Fachdidaktik und Schulpraktischen Studien im Lehramt an Gymnasien. Vor dem Hintergrund des diesbezüglichen Vakuums in den bestehenden Rechtsvorgaben zur Gymnasiallehrerausbildung hat diese Option heftigste allgemein bildungspolitische, aber auch verbandspolitische Diskussionen hervorgerufen. Im einzelnen will ich nur auf die generellen Aussagen zum „Lehramtsstudium" verweisen. 7 Sicherlich läßt sich über die eine oder andere Position trefflich streiten, wenngleich allen klar sein dürfte, daß die Zielaussagen der Kommission mit dem politischen Willen des Auftraggebers und seinem Durchsetzungsvermögen nicht kongruent sind. Das hat sich nach der Vorlage des Berichts, dessen Erstellung mit einem respektablen Kostenaufwand von ca. 2 Millionen D M verbunden war, sofort in der sich anschließenden politischen Diskussion des Landtages und der zuständigen Ministerien und der allgemeinen Schuladministration gezeigt - auch in den Lehrerverbänden. Die Kommission war mit ihren Vorschlägen eben nicht windschnittig; sie verhielt sich eigenständig und sah sich ausschließlich der intendierten qualitativen Veränderung verpflichtet. 8 2. Sachverständigenkommission Lehrerausbildung Nordrhein-Westfalen Auch hier möchte ich mir erlauben, Ihnen einige ergänzende und weiterführende Akzente in Form eines Auszuges und einer Übersicht der Argumentationsstruktur der Sachverständigenkommission in einem Papier inklusive einer Strukturskizze zum zukünftigen Verlauf der Ausbildung vorzule7
Vgl. ebenda. Vgl. im Detail: Strukturkommission Lehrerbildung 2000: Lehrerbildung in Baden· Württemberg. Abschlußbericht Band 1 und 2. Stuttgart 1993. 8
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gen. 9 Bemerkenswert und somit hervorzuheben scheinen mir hier folgende Ausgangspositionen, die in ihrer inhaltlichen Bewertung durchaus deutliche Parallelen zur „Strukturkommission Lehrerbildung 2000" des Landes Baden· Württemberg besitzen. Auch die „Sachverständigenkommission N R W " stellt fest, daß zwar im Zuge der Reformbemühungen der 70er Jahre einerseits der Anschluß der gesamten Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer an das Wissenschaftssystem erreicht wurde. Andererseits sei damit jedoch eine zunehmende Entfernung zur Berufspraxis, besonders zur schulischen Praxis eingetreten. 10 „Diese Praxisferne kennzeichnet nicht nur das Hochschulstudium, sondern prägt auch die seminaristische Ausbildung während des Vorbereitungsdienstes." 11 Und mit konturierter Kritik am Referendariat, die an Deutlichkeit kaum zu steigern ist, heißt es weiter: „Die dort vornehmlich gepflegte Einübung in eine fachbezogene Unterrichtslehre genügt keinesfalls dem Anspruch einer umfassenden Vorbereitung auf die heutige pädagogische Berufspraxis". 12 Die vorliegenden 14 „Strukturmerkmale der Lehrerausbildung" der Sachverständigenkomission 13 besitzen eine durchaus beachtenswerte Analysequalität zur aktuellen Situation der Lehrerbildung in NRW. Auch wenn damit unstreitig nicht alle Problemfelder verdichtet eingefangen werden konnten, so verdeutlichen sie, daß die „Lehrerinnen und Lehrer für die Schule von morgen heute für eine Schule von gestern ausgebildet werden". Dem kritischen Befund wird eine ebenso differenzierte Struktur für ein „Zukunftsmodell der Ausbildung" zugeordnet. 14 Dieses „Zukunftsmodell" erfährt seine Tragfähigkeit vor einem neuen Lehrerbild. Hier mache ich auf die Anmerkung von Herrn Kollegen Zymek aufmerksam, der seine Schwierigkeiten mit dem „neuen" Berufsbild eines Lehrers artikulierte. Auch ich sehe in diesem Zusammenhang manches Fragewürdige. So formuliert die Sachverständigenkommission: „ A n erster Stelle steht eine umfassende didaktische Kompetenz, die Fähigkeit, Lernumgebungen zu schaffen, in denen andere sich Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen können, die sie nicht oder nur mit geringer Wahrscheinlichkeit im Alltag ohne professionelle Unterstützung erwerben. Lehrerinnen und Lehrer können durchaus auch Fachgebiete ,lehren 4, auf denen sie selbst nicht kompetent, das heißt Fachleute, sind. Voraussetzung ist, daß unter ,Lehren 4 verstanden wird: geeignete Be9
Vgl. Anlage 4. Einzelaussagen vgl. in: Gemeinsame Kommission für die Studienreform im Lande Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Perspektiven: Studium zwischen Schule und Beruf. Neuwied 1996. 11 Ebenda, S. 61. 12 Ebenda, S. 62. 13 Vgl. Anlage 2. 14 Vgl. Anlage 3: „Fundamente für ein Zukunftsmodell der Ausbildung"/„Bausteine für ein Zukunftsmodell". 10
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dingungen dafür schaffen, daß Lernende sich Fähigkeiten aneignen, die möglicherweise beide - Lehrende und Lernende - nicht haben. Dieser Voraussetzung liegt die Beobachtung zugrunde, daß ein großer Teil aller Lernprozesse - auch im Rahmen des institutionalisierten Lernens - autodidaktisch erfolgt. Daß darin ein bisher kaum erschlossenes Potential für den Erwerb beruflicher Kompetenzen liegt, zeigt sich in der Berufstätigkeit von Lehrerinnen und Lehrern; signifikante Lernprozesse sind dort mit persönlichen Erfahrungen verbunden und autodidaktisch gelenkt." 15 Auch wenn ich in Anbetracht der Zeit nur verkürzt zitiere, so muten doch die zugehörigen weiteren Ausführungen an, als könnte die Summe der „sollte-Formulierungen" die neue Lehrerpersönlichkeit ausbildungsstrategisch schlechthin provozieren oder gar produzieren. „Hintergrund und Medium, in dem sich didaktisches und pädagogisches Handeln vollzieht, ist die Persönlichkeit der Lehrerin und des Lehrers. Die personalen Kompetenzen äußern sich nicht nur darin, daß Lehrerinnen und Lehrer sich ihrer Rolle als Identifikations- bzw. Bezugsperson bewußt sind und diese reflektiert wahrnehmen bzw. verantwortungsvoll ausgestalten, sondern auch in der Fähigkeit, kompetent mit den eigenen Kräften hauszuhalten und den Umständen entsprechend im Interesse der Kinder und Jugendlichen für ihr eigenes Wohlergehen zu sorgen ... Erst auf diese Weise wird produktiv, daß Lehrerinnen und Lehrer das Curriculum sind und in diesem Sinne dafür einstehen, die Sachen zu klären und die Person zu stärken." 16 Gestatten Sie mir vor einer zusammenfassenden Würdigung noch auf die „Empfehlungen der Arbeitsgruppe Lehrerbildung" der HRK aufmerksam zu machen. 3. Arbeitsgruppe Lehrerbildung,
Hochschul-Rektoren-Konferenz
Mir ist bewußt, daß ich mich hier nur auf Tendenzielles beschränken darf, da der zur Zeit vorliegende Entwurf der „Arbeitsgruppe Lehrerbildung" seitens des Präsidiums der HRK noch nicht abschließend beraten werden konnte. Dieses wird voraussichtlich erst im Februar 1998 erfolgen. Aus diesem Grunde verzichte ich auch auf Auszüge in einer ergänzenden Tischvorlage bzw. einer gesonderten Anlage; ich bitte um Ihr Verständnis. Da aber in der Öffentlichkeit über das noch nicht verabschiedete HRKPapier mehr spekuliert als sachlich berichtet wird, sei wenigstens auf den Anlaß, auf den Auftrag und die Diskussionsstruktur der Arbeitsgruppe verwiesen. Grundlage war das Positionspapier der HRK vom 16.10.1995 zu „Abitur - allgemeine Hochschulreife - Studierfähigkeit", das mit Blick auf 15 16
Gemeinsame Kommission (Anm. 10), S. 66. Ebenda.
11 Schäfer/Sroka
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die geknüpften Anforderungen an das Abitur auch Fragen zur Lehrerbildung aufgeworfen hat. Daß die Ausführungen keine Länderspezifika thematisieren können, begründet sich vor allem aus dem Selbstverständnis und der Funktion der HRK. Dennoch werden eindeutige Positionen u. a. zur Rolle der Fachdidaktik und der Erziehungswissenschaft, zum Berufspraxisbezug und zum Verhältnis der Ausbildungsphasen formuliert. Dieses erfolgt nicht nur im Sinne einer profunden Bestandsanalyse. Vielmehr werden bzw. wurden vor dem Hintergrund der Rahmenvereinbarungen der K M K zu den einzelnen Lehrämtern (unter dem Datum vom 28.2.1997 aktualisiert) durch die Arbeitsgruppe detaillierte Empfehlungen (z.T. in Variationen ausgewiesen) entwickelt. Es verlangt die Disziplin als Mitglied dieser Arbeitsgruppe, es bei diesen inhaltlich-strukturellen Hinweisen zu belassen. Es wird aber hieraus bereits deutlich, daß sich in den Diskussionen auch dieses Gremiums sehr ähnliche, ja geradezu kongruente Problemfelder zu den soeben referierten Ansätzen bündeln. Die Besonderheit - und somit sicherlich ein qualitativer Unterschied - ist jedoch darin gegeben, daß es sich im Gegensatz zu den beiden angesprochenen Kommissionsarbeiten der Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen hier um einen Versuch handelt, notwendig erkannte Reformen in der Lehrerbildung von den Universitäten ausgehend und somit von ihnen initiiert, also durch den Handlungsträger selbst erkannt, in Angriff zu nehmen. Dieses scheint mir aus vielerlei Gründen effizienter zu sein als Reformen von oben. Diese Vorgehensweise verhindert institutionelle Abwehrstrategien, die trotz objektiv gegebener und erkannter Probleme und Schwächen sich nur positiv rechtfertigen können. Oder anders formuliert: verordneter Institutionen-Kannibalismus - argumentativ verbrämt mit sog. fiskalischen Sachzwängen - kann nie das Innovationspotential in sich vereinen, das wirklich qualitativ angelegte Reformen von innen heraus bewirken. 17 I I I . Tendenzen und Perspektiven des Lehrerberufs und der Lehrerbildung aus realistischer Sicht Die Kürze der Zeit gestattete es mir lediglich, einen Streifzug durch ausgewählte Kommissionsentwürfe vorzunehmen, um so mögliche Flexibilisierungsansätze der Lehrerlaufbahnen und Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland wenigstens in Ansätzen transparent werden zu lassen. Ihre Realisierung (oder auch ihre Nicht-Realisierung) werden wir alle in den folgenden Jahren unter dem Anspruch einer sich hierauf entwickelnden qualitativ zu gestaltenden Lehrerbildung aufmerksam zu begleiten haben. 17 Man vgl. die praktizierten Strategien von Bildungspolitikern im Zusammenhang der sog. „Kienbaum-Studien" in ausgewählten Bundesländern.
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Bei allem Abwägen von Positionen - und mögen sie noch so rhetorisch geschickt und auf den ersten Blick euphorisch ansteckend anmuten - bei allem Abwägen von Positionen müssen wir als Insider der Lehrerbildung aber auch eines selbstkritisch festhalten: der Einfluß universitärer Studiengänge auf die Einstellungen und Haltungen der Lehrer ist - folgen wir einschlägigen Studien - relativ gering. Der „Rückfall" in erlebtes oder beobachtetes Lehrerverhalten aus der eigenen Schulzeit ist im Lehrerberuf nicht selten anzutreffen. Ich könnte es auch anders formulieren: Das Studium allein hilft relativ wenig bei der Klärung der Berufsaufgaben, aber es stärkt das Standesbewußtsein. Mir geht es an dieser Stelle nicht darum, ein eigenes Resignieren zu offenbaren oder die „berufsständische Klagemauer" neu anzustreichen und mit besonders strahlendem Weiß gleichsam werbewirksam auf meine eigenen Positionen aufmerksam zu machen. Niemand würde es wagen, mit der Ausbildung von Medizinern oder Juristen so umzuspringen, wie dieses in der Öffentlichkeit mit der der Lehrer geschieht. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nochmals an die einleitend angesprochenen Begründungszusammenhänge von Professionalisierung und Polyvalenz bzw. Entprofessionalisierung. Reformhektik/Reformeuphorie - wie wir sie mit der Konstituierung diverser einschlägiger Kommissionen zu neutralisieren bzw. zu kanalisieren versuchen, bringen im Endeffekt keine qualitativen Veränderungen. Die Lehrerbildung darf auch nicht vorrangig oder ausschließlich der Stärkung des Standesbewußtseins dienen, sondern sie muß ausschließlich der Professionalisierung dienen; denn Schule und Gesellschaft benötigen unstrittig den Fachmann für Unterricht und Erziehung. Für mich unaufgebbar sind die bereits genannten vier Elemente der Lehrerbildung: erziehungs wissenschaftliche, fachdidaktische, schulpraktische Studien und das Studium der Bezugswissenschaften, wobei m.E. ein ausgewogenes Verhältnis der genannten Elemente durch eine Veränderung der fachwissenschaftlichen Studien erreicht werden muß. Daß heißt für mich 1. keine Parallelität zu den Diplomstudiengängen, dafür aber eine Verstärkung von Grundlagen- und Überblicksvorlesung; 2. Öffnen der vielfach rigiden, scheinbar qualitätssichernden Prüfungsordnungen. Stattdessen müßten den einzelnen Universitäten durch Experimentierklauseln eigene inhaltliche und institutionelle Lösungen ermöglicht werden. Normierungen haben unbestritten zunächst gute Absichten; aber das allein reicht nicht aus. Denn so wenig wie wir den normierten Schüler als pädagogisches Endprodukt anstreben, so wenig können wir in der Lehrerausbildung den „Lehrer von der Stange" ernsthaft wollen. 11*
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Um an dieser Stelle zugleich möglichen Mißverständnissen entgegenzuwirken, sei auch betont: die von mir einerseits nachdrücklich angemahnte Professionalisierung des Lehrerberufs hat auch deutliche Grenzen. Einmal liegen diese - wie wir wissen - im Charakter des „pädagogischen Bezugs", der ein technologisches Verständnis ausschließt. Zum anderen liegen die Grenzen in den beteiligten Wissenschaften und in der pädagogischen Forderung, daß sich der einzelne Lehrer als Person in Erziehung und Unterricht einbringen muß. Ein weiteres: die bestehende Zweiphasigkeit der Lehrerbildung erfordert personell und institutionell eine Verstärkung der Beziehung zwischen Universität und Studienseminar. Von diesem Wechselspiel, das einzig und allein von den Inhalten gesteuert werden darf und nicht von personenbezogenen Egoismen oder gar hypertrophen Selbsteinschätzungen, werden vorrangig die gewünschten berufsqualifizierenden Impulse ausgehen.
Literatur Aurin, K./Wollenweber, H. (Hrsg.): Schulpolitik im Widerstreit - Brauchen wir eine „andere Schule"? Bad Heilbrunn 1997. Bayer , M ./Carle, U./Wildt, J. (Hrsg): Brennpunkt Lehrerbildung. Strukturwandel und Innovationen im europäischen Kontext. Opladen 1997. Bildungskommission NRW: Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft. Denkschrift der Kommission beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen. Neuwied/Kriftel/Berlin 1995. Buchen, S. u.a. (Hrsg): Jahrbuch für Lehrerforschung, Band 1. Weinheim/München 1997. Gemeinsame Kommission für die Studienreform im Lande Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Perspektiven: Studium zwischen Schule und Beruf. Neuwied/Kriftel/ Berlin 1996. Glumpier, E./Rosenbusch, H. S. (Hrsg.): Perspektiven der universitären Lehrerbildung. Bad Heilbrunn 1997. Nicklis, W. S.: Versuch einer Theorie der Lehrerbildung und der Gestaltwandel der Universität. In: Europäische Hochschulschriften, Reihe XI, Pädagogik, Band 359. Frankfurt a.M. 1988. Schröter, U.: Der gesellschaftliche Umbruch aus der Sicht ostdeutscher Lehrerinnen und Lehrer. Berlin 1995. Struck, P.: Neue Lehrer braucht das Land. Darmstadt 1994. Strukturkommission Lehrerbildung 2000: Lehrerbildung in Baden-Württemberg. Abschlußbericht, Band 1 und 2. Stuttgart 1993. Ulshöfer, R.: Kurskorrekturen in der gymnasialen Bildungspolitik und Lehrerausbildung. Plädoyer für die Weiterführung der deutschen Gymnasialpädagogik in einem kooperativen Bildungssystem. Nagold 1996.
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Anlagen Anlage 1: Strukturkommission Lehrerbildung 200018 Zum Lehramts Studium 1. Die geistig-gesellschaftliche Situation in der Gegenwart hat die Erfüllung der Aufgaben von Erziehung und Unterricht sehr viel schwerer gemacht. Die Lehrerbildung muß diese Schwierigkeiten aufdecken, berücksichtigen und Hilfen zu ihrer Bewältigung bieten. 2. Zur Zeit werden Veränderungen des Fächerkanons, die Betonung des fächerübergreifenden Unterrichts, die Vermittlung von überfachlichen Kompetenzen gefordert. Ein berufsbezogenes Studium muß diese Entwicklung berücksichtigen. Die Vorbereitung auf einen fächerübergreifenden Unterricht erfordert auch institutionelle Konsequenzen (z.B. Institute für Didaktik der Sprachen, Institute für Didaktik der Naturwissenschaften). Erziehungswissenschaftliches
Studium
1. Die Kommission empfiehlt, von den derzeitigen ergänzenden Studienfächern die Pädagogische Psychologie obligatorisch mit der Erziehungswissenschaft zu verbinden. Von den übrigen ergänzenden Studienfächern sollte eines gewählt werden. In diesem Zusammenhang wird die Erprobung der „Medizinischen Kinderheilkunde für Lehrer" als neues ergänzendes Studienfach empfohlen. 2. Die in allen Schularten zunehmenden Erziehungsprobleme müssen im erziehungswissenschaftlichen Studium für alle Lehrämter thematisiert werden. Die Kommission schlägt vor, daß durch Lehraufträge die Lernbehinderten- und Verhaltensgestörtenpädagogik in allen Lehramtsstudiengängen Berücksichtigung findet. 3. Wesentliche Teile des erziehungs wissenschaftlichen Studiums gehören in das Studium für alle Lehrämter und müssen auf der Grundlage von Forschung gelehrt werden. Deshalb darf sich dieser Studienanteil generell nicht verschlechtern; der Aufbau eines wirklich erziehungswissenschaftlichen Studiums im Ausbildungsgang für Gymnasiallehrer muß zielstrebig verfolgt werden. Fachdidaktische
Studien
1. Ein neues Verständnis von Fachdidaktik geht weit über den Bereich der Unterrichtsfächer hinaus: Didaktische Fragen gewinnen in wachsendem Maße gesellschaftliche Bedeutung für die Vermittlung von Alltagswissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen. 2. Aus diesen Gründen und wegen der Intensivierung der fachdidaktischen Lehre bedarf die fachdidaktische Forschung einer besonderen Förderung; das gilt auch 18 Auszüge aus dem Abschlußbericht, vgl. Strukturkommission Lehrerbildung 2000 (Anm. 8).
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für „Schlüsselthemen", die sich nicht einer speziellen Fachdidaktik zuordnen lassen (z.B. Umwelt, Frieden, Medien). 3. Wie beim erziehungs wissenschaftlichen Studium sind die großen Unterschiede im Studienumfang der Fachdidaktik nach Schularten sachlich nicht gerechtfertigt. Bei der Ausbildung der Lehrer für berufliche Schulen bedarf die Fachdidaktik dringend des Ausbaus und der Weiterentwicklung. Im Studium der Gymnasiallehrer ist zunächst nur ein erster Einstieg in die Probleme der Fachdidaktik möglich. Studium der Bezugswissenschaften 1. Das Studium der Bezugswissenschaften kann nur zu sinnvollen Ergebnissen führen, wenn innerhalb der immer begrenzten Zeit die Zielsetzung der Lehrerbildung beachtet wird. Deshalb kann die Auswahl der Stoffe nur im Horizont der Fachdidaktik getroffen werden. 2. Die Berufsorientierung der Lehrer erlaubt nur eine begrenzte Durchlässigkeit zwischen Lehrer- und Diplom- und Magisterstudiengängen. Dabei ist die jeweilige Fachstruktur maßgebend. 3. Der vorfachliche und fächerübergreifende Unterricht verlangen die Einbeziehung von Einzelelementen verschiedener Bezugswissenschaften. Deren Koordination ist Aufgabe des Fachdidaktikers. 4. Das Studium der Bezugswissenschaften setzt in einer Reihe von Fächern in unterschiedlicher Weise Fachpraxis voraus, die auch künftig vermittelt werden muß. Schulpraktische
Studien
1. Statt einer bloßen Berührung mit der Schulpraxis empfiehlt die Kommission eine Vertiefung der Praxisbegegnung durch Schulpraktische Studien. Das bedeutet, daß in der Schule und im Unterricht vorrangig studiert werden muß. Dabei ist nicht die Anzahl der Praktika Gütemaßstab, sondern die Art der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung. 2. In den Schulpraktischen Studien werden in der Lehre vermittelte Theorien und Konzepte exemplarisch erprobt und geprüft. Dies ist Voraussetzung für den Aufbau einer kritischen und reflexiven Kompetenz. So dienen sie sowohl der Theorie als auch der Praxis. 3. Die Studierenden erwerben eine begrenzte Handlungskompetenz, die in der zweiten Phase der Lehrerbildung vertieft und gefestigt wird. 4. Für den Erfolg der Schulpraktischen Studien ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Hochschule, Schule und Schulverwaltung unersetzliche Voraussetzung. 5. Die Erziehungswissenschaftlichen Fakultäten benötigen aus Gründen von Lehre und Forschung vielfältige Beziehungen zur Schule und anderen pädagogischen Institutionen in unterschiedlicher Intensität. Vergleichbar mit dem Klinikum der Medizinischen Fakultät ist eine besonders enge Beziehung zu einer Auswahl pädagogischer Institutionen in Universitätsnähe erforderlich.
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Anlage 2: Sachverständigenkommission NRW 1 9 Strukturmerkmale
der Lehrerausbildung
1. Die strikte Ausdifferenzierung in unterschiedliche und laufbahnrechtlich voneinander abgeschottete Lehrämter ist hochgradig inflexibel und entspricht weder den heutigen noch künftigen Anforderungen der Schule und an die Schule. 2. Die unterschiedliche Regelstudienzeit der einzelnen Lehrämter führt zu einer unbegründeten Staatshierarchie und Besoldungsdifferenzierung. 3. Die tatsächliche Studiendauer liegt insbesondere in den Studiengängen für die Sekundarstufenlehrämter signifikant über der Regelstudienzeit. 4. In allen Lehramtsstudiengängen stehen das Fachstudium, das erziehungswissenschaftliche Studium und die schulpraktischen Studien weitgehend unverbunden nebeneinander und werden von den Studierenden als desintegriert wahrgenommen. 5. Zwischen der ersten Phase (Hochschulstudium), der zweiten Phase (Referendariatsausbildung) und der dritten Phase (Schulpraxis und berufsbegleitende Fortund Weiterbildung) herrscht weitgehend Sprachlosigkeit. Aus der Sicht der Zielgruppen stehen die Ausbildungsinstanzen ebenso zusammenhanglos nebeneinander, wie die Ausbildungsphasen unverbunden aufeinander folgen. 6. Die Studiengänge der verschiedenen Lehrämter sind weder zielgruppengerecht differenziert, noch stehen sie - trotz formaler Integration der Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten - in einem durchdachten und abgestimmten curricularen Zusammenhang. 7. Das Studienvolumen in den Fachwissenschaften ist selbst beim Lehramtsstudiengang für die Sekundarstufe II mit zur Zeit ca. 60 SWS so gering, daß eine Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt mit Absolventinnen und Absolventen von Diplom- bzw. Magisterstudiengängen nicht unterstellt werden kann. Die Studienvolumina in den weiteren Unterrichtsfächern beim Lehramt Primarstufe (ca. 20 SWS) können erst recht keinen wissenschaftlichen Zugang zu einem Fachgebiet eröffnen. Zudem lassen die Lehrinhalte der Fachstudien nur selten Bezüge zu einem Lehramt erkennen. 8. Der Begriff der Fachdidaktik wird weitgehend inhaltsleer verwandt; häufig wird er mißverstanden als Unterrichtstechnologie, Richtlinienerkenntnis oder ähnliches. Die fachdidaktischen Studien werden in der Regel der zentralen Aufgabe der Fachdidaktik nicht gerecht, fachliche und pädagogische Aspekte in Lehramtsstudiengängen zu vermitteln. 9. Als „fünftes Rad am Wagen" verfehlt das erziehungswissenschaftliche Studium seine Aufgaben als identitätsbildender Bezugspunkt für das professionelle Selbstverständnis von Lehrerinnen und Lehrern. 19
Aus: Gemeinsame Kommission (Anm. 10).
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10. Die Schulpraktischen Studien haben als Randerscheinungen im Ausbildungsbetrieb Hochschule bestenfalls Alibifunktion. In ihrem heutigen Zuschnitt sind sie meist weder tauglich für eine erste Selbstüberprüfung von Eignung und Neigung für den Lehrerberuf, noch bieten sie hinreichend Gelegenheit zur Reflexion von Praxiserfahrungen. 11. Es findet so gut wie keine Vorbereitung auf die außerunterrichtliche, das gesamte Schülerleben betreffende Praxis und ihre Verbindung mit der schulischen Praxis als pädagogischem Handlungsfeld statt. 12. Das studienabschließende Prüfungswesen ist im Sinne eines umfassenden Überprüfungsanspruchs dermaßen aufgebläht, daß von einer Prüfungslastigkeit des Studiums gesprochen werden muß. Dabei stehen Studium und Prüfungen häufig beziehungslos nebeneinander. 13. Die Professionalisierung vollzieht sich im wesentlichen im Rahmen der Berufsausübung als autodidaktischer Prozeß. 14. Im europäischen Vergleich handelt es sich bei der bundesdeutschen Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer um einen Sonderweg.
Anlage 3: Sachverständigenkommission NRW Fundamente für ein Zukunftsmodell
der Ausbildung
1. Eine professionelle Perspektive auf die Berufstätigkeit 2. Professionalisierung im Medium wissenschaftlichen Lernens 3. Zur Vermittlung von wissenschaftlichem Wissen und Handlungswissen in einem dualen System Bausteine für ein Zukunftsmodell 1. Gemeinsame wissenschaftliche Grundlegung des Unterrichtens und Erziehens 2. Fachwissenschaftliche Kompetenz 3. Ein-Fach-Lehrer - Einfachlehrer? 4. Eigenständige Studiengänge 5. Der Stellenwert der Fachdidaktik 6. Berufswissenschaftliche Ausbildung 7. Fachübergreifende Orientierung - Projektstudium 8. Zum Theorie-Praxis-Verhältnis 9. Praxisphasen als Lerngelegenheiten 10. Vorbereitung auf schulische und außerschulische Praxis 11. Integration der Lernstränge 12. Personale Kompetenzen
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13. Kompatibilität der Studiengänge 14. Studierbarkeit 15. Gemeinsamkeiten und Abgrenzung der Ausbildungsgänge 16. Die zweite Phase der Ausbildung 17. Fort- und Weiterbildung 18. Vernetzung der Lernorte 19. Umgestaltung des Prüfungssystems 20. Orientierung der Ausbildung an den anderen Bundesländern und der Entwicklung in Europa
•
BerufswahlentScheidung Beratung
Schule
Nach 1. Semester: Studien- und Berufsberatung obligatorisch
Einführung in fachwissenschaftliche, erziehungswissenschaftliche und berufswissenschaftliche Grundlagen
AbschlußHauptstudium
•
Berufstätigkeit
•
Berufstätigkeit Berufstätigkeit Vorbereitungs(Anfangssemester dienst phase) Teilnahme an Aus- und FortBegleitung bildung des Obligatorische Vertiefende Prüfungsvorbe- Möglichkeit BerufsnachStudien- und Studien in reitung unter des Erwerbs Wuchses Berufsberatung allen drei Bedidaktischen oder Teilreichen Aspekten erwerbs eines Teilnahme an weiteren eigener FortAbschlußreleModuls bildung vante Teilelemente im Sinne studienbegleitender Prüfungen
Erste Phase = Universität
Studienbeginn mit PraxisaufHauptphase enthalten des GrundPraxishalbjahr studiums
^
Zweite Phase
Verlauf der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer
Anlage 4: Sachverständigenkommission Lehrerausbildung, Nordrhein-Westfalen
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Verfasser und Herausgeber Prof. Dr. Jens-Rainer Ahrens Universität der Bundeswehr Hamburg, Institut für Gesellschaftswissenschaften Prof Dr. Friedrich
W. Busch
Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Erziehungswissenschaft 1 Dr. habil. Hans Döbert Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung, Forschungsstelle Berlin Dr. Hans-Werner Fuchs Universität der Bundeswehr Hamburg, Fachbereich Pädagogik Dr. Axel Gehrmann Freie Universität Berlin, Institut für Schulpädagogik und Bildungssoziologie Prof. Dr. Hans-Peter Schäfer Universität Hamburg, Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft Prof. Dr. Dieter Schulz Universität Leipzig, Erziehungswissenschaftliche Fakultät Siegesmund Schulz Schulrat, Schulamt der Stadt Schwerin Dr. Wendelin Sroka Universität Leipzig, Zentrum zur Erforschung und Entwicklung pädagogischer Berufspraxis Dr. Walter Thomas Leitender Regierungsschuldirektor, Landesinstitut für Mecklenburg-Vorpommern für Schule und Ausbildung