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German Pages 289 Year 1860
Land und Leute in der
alten und neuen Welt. H.262
Reiſeſkizzen von
Franz Lö h e r. Erfter Band
Zweite Ausgabe.
Göttingen. Georg H. Wigand. 1860.
;
amaiting I n h a I t.
I. Ein Tag in einer engliſdien Seeſtadt II. Im Innern von England III. Nordwales
esi
IV. V. VI. VII.
Ueber das atlantiſche Meer Erſte amerikaniſche Eindrüde Qudſon, Mohawk, Trenton , Geneſſee Am Niagara
VIII, Obercanada IX. Ontarioſee und St. Lorenzſtrom X. Champlain- und Georgs-See XI. Neuengland XII, Baltimore •
allall
XIII. Loſes Volk in Amerika und anderswo XIV . Waſhington .. XV . Amerikaniſche Staatsmänner + + XVI. Am Susquehanna
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I. Ein Tag in einer engliſchen Seeſtadt.
Man an ſtellt häufig das brittiſche Volk unter dem Bilde einer edlen ſtarken Dogge bar, der Engländer aber fönnte eher ein pflugtüchtiges Roß von feſten Sinochen und Muskelkraft in ſein Wappen nehmen . Arbeit oder Langeweile! das wäre in Eng land auch der ſeligen Götter Loos. Sowie man den Fuß an die engliſche Süſte ſetzt, weht uns ein ernſter männlicher Geiſt entgegen , der das Schwächliche nicht mag im Denken und Thun ; ringsum erhebt ſich eine gediegene Pracht, das Volk ſieht geſcheidt, kräftig , wohlgefleidet aus , das Innere feiner Häuſer eröffnet eine Fülle von Wohlleben . Aber nach und nach über kommt den Nichtengländer ein unruhiges und unbehagliches Gefühl, er glaubt ſich in einer ungeheuren Fabrik , wo das Sauſen und Knarren der rieſigen Maſchinenräder das Ohr ermüdet. Steht die Maſchine einmal ſtill, ſo umſchattet ihn gleich die Langeweile, die langſam mit bleiernen Flügeln über das Land zieht. Will man ihr aus den prunkvollen Sälen entfliehen , ſo ſingt ſie draußen wieder ihr eintönig Lied zwi fchen Buſch und Wieſengrün. Der einzige geſchäftsloſe Zeit punkt , wo ſie verſchwindet, iſt die geſegnete Minute , wenn das Tiſchtuch abgehoben wird und die Flaſche umhergeht. Gewiß haben die Engländer ein Recht darauf , ſo ſtolz zu ſein und ſich und ihre Inſel ſo hodyzuachyten. Löher, Land und Leute. I. 1
Sie ſind
2 ein kernhaftes Volk , höchſt verſtändig und ausdauernd im Ge ſchäft, warmherzig und zuverläſſig in der Freundſdjaft. Was fie denken , iſt ſolide , und was ſie ſchaffen , hat alles einen tüchtigen Zuſchnitt. Sie haben einen klaren Blick für die Dinge dieſer Erde und ſind Meiſter barin , ihren eigenen Hausſtand und den ihres Volkes groß und reich zu machen. Aber es fehlt bent engliſchen Leben ein Hauch vom griechiſchen Genius, der Sic tieferen Harmonien
im Weltall vernimmt und auch durch die täglichen Gewohnheiten unſeres Daſeins eine ſtille Muſik durchtönen läßt. Der Engländer thut nichts und denkt nichts als für einen praktiſchen Zweck, damit iſt ein guter Theil von dem weggeſtrichen , was wir Andern Poeſie , Wiſſenſdaft, Gemüth nennen . Audy der gebildete Engländer will bloß kennen , um gleich zu fönnen , die himmliſche Duſt am Erkennen , das ſtolze Gefühl , irgendwic etwas ins Weſen der Dinge ein zubringen , iſt ihm Nebenſache. Die Frauenwelt in England lieſt und ſtudirt eifriger als in Deutſchland , aber ſie thut es Hauptſächlich nur, um das Gelernte im Lebert zu verwerthen . Kurzum das engliſche Leben im Großen und im Kleinen läuft darauf hinaus , an jedes Ding gewiſſe Hebel anzuſetzen , um eine Frucht für den täglichen Gebrauch herauszudrücken. Da die Engländer alles in der Natur behandeln , als wäre keine Seele barilt, ſo muß man ſich billig darüber wundern , daß ſie noch nicht ernſtlicher in dem Fache arbeiteten , durch be ſtimmte dyemiſche Miſchungen , die ſie bem menjdlichen Geiſte beibringen , beſtimmte geiſtige Kräfte und Neigungen zu er zielen. Wir Deutſdye legen in ein Ding auch da gerne Seele hinein , wo wir beſſer thäten , es gleich dem Engländer friſch weg anzubeißen und zu gebrauden. Wenn der Deutide arbeitet , hat er in der Regel noch allerlei Vögel auf dein Dache, der Engländer arbeitet mit jeder Faſer feiner Kraft geradeſten Weges auf ſein Ziel los. Namentlich in neiterer Zeit , wo durch die Eroberungen im
3 Welthandel, ſowie durch die geiſtige Zuftrömung vom Continent her , auch in England die Stände zerſetzt werden , wo ein un ruhiges Streben , reich zu werden und in die Höhe zu ſteigen, auch dort in die mittlern und untern Klaſſen gedrungen iſt, arbeitet der Engländer doppelt eifrig . Iſt aber die Geſchäfts ſtunde aus , dann will er volle und ganze Ruhe; die zwiſchen Arbeit und Ruhe ſchwebende angenehme Thätigkeit, das heitere Spiel des Geiſtes und der Glieder, mag oder kennt er nicht. Sein gerühmter Comfort iſt merkwürdig fdweigſamer Natur. Wenn dieſer des Engländers höchſtes nur darin , förperlich ſich angenehm nicht durch das Mindeſte berührt zu gar nicht ſelten denſelben Mann , der
Glück iſt, ſo beſteht es 31 befinden und geiſtig werden . Ja man trifft in ſeiner Werkſtatt ober
auf ſeiner Arbeitsſtube in Feuer und Thätigkeit
war , eine
Stunde nachher verſunken in eine Art von trübem Halb ſchlummer. Haben ſich darin ſeine Kräfte wieder geſammelt, ſo tritt die Langeweile eint , und gegen keinen Feind iſt der Engländer wehrlofer. Auch wenn er das beſte Herz von der Welt hat, verſteht er es doch nur ſelten, ſich harmlos und un gefeſſelt zit vergnügen . Aber nad) jedem unglücklichen Ver ſuche, ſich zu heiterer Geſelligkeit aufzuſchwingen , geht er ficher mit neuer Leidenſchaft an ſein Geſchäft. In den Stunden daher, wo das Lebent anderswo nur einen nüchternen Anſtrich hat , iſt in den engliſchen Städten voller Aſchermittwoch. Auch in unſern Städten ſieht es im Hoch ſommer des Morgens früh , wenn das erſte zitternde Licht ſich unter das Dunkel miſcht, leer und übernächtig aus. Aber kaum iſt der letzte Nachtſchwärmer ſingend hinter einer Haus thür verſchwunden, ſo erheben ſchon die Lerchen und Droſſeln in den Vogelbauern und die Finken auf den Bäumen ihr Frühlieb , und der Wind, der fich draußen mit dem friſchen Duft der Wieſen- und Feldblumen beladen , Roſen auf den Fenſterbänken .
ſpielt mit den
Zu der Zeit herrſcht in den 1 *
4 Straßen einer engliſchen Großſtadt nichts , gar nichts als graue Dede. Keines Vogels Stimme klingt durch das unheimliche Schweigen, nirgends erhellt ſich friſches Grün, auch die Bäume auf den umgitterten Plägen ſtehen da wie todtes angemaltes Holz , und die Morgenluft wird in den tiefen langgewundenen Straßen zum Grabeshauche. Die Häuſer ſtarren wie breite Gefängniſſe in die Höhe , jede Thür , jeder Hof iſt eiſern ver riegelt. Doch dort , in einem Winkel, krümmt und ſtreckt ſich etwas , es iſt ein zerlumpter frländer, der auf den Steinen hier ſein Nachtlager ſuchte. An der benachbarten Ecke lehnt ein Polizeimann ernſt und ruhig wie eine Bildſäule. Der Mann hat ſich in dem wirren Durcheinander von Pracht und Elend , für welches er täglich den Bahnwärter macht, einen philoſophiſchen Gleichmuth angewöhnt. Der erſte Sonnenſtrahl zuckt durch die Straßen , und mit ihm kommen Karren auf Farren , welche die Früchte der Um gegend herführen zum Verkehr der landbeherrſchenden Stadt. Ihnen begegnen einzelne Schaaren von Arbeitern , welche zur Fabrik eilen ; keiner ſingt oder lacht, ſie haben ein hartes Tage werk vor ſich. Allmälig erſcheinen an den Hausthüren vier ſchrötige Hausfnedite, Dienſtmägde ſchlüpfen zum Bäcker, Lehr burſchen recen noch ſchläfrig die Arme, alte Raufmannsdiener mit Glazföpfen , die große Familie, aber kleinen Verdienſt haben , und dünne Schreiber in ſchäbigen Röcken eilen auf ihren Schemel. Dieſe Leute ſehen aus, als hätten ſie zu viel gearbeitet und zu wenig geſchlafen. Schweigend gehen ſie an einander vorüber, auch die Bekannten grüßen ſid) nur flüchtig mit den Augen.
Nicht gerade Sorge und Gram, aber Gleich
muth over feſter Wille, mit dem Schickſal zu ringen, ſteht auf ben Geſichtern. Luſtig iſt nur die Menge von Straßenbuben , welche auf einmal , als hätte man ſie aus zahlloſen Säcken ausgeſchüttet, in den Straßen zappeln , ſchreien und rennen . Man begreift nicht , woher ſie plötzlich in folder Anzahl
-5 kommen ; ſie ſind der lebende Beweis , wie weit Armuth und wildes Leben unter dem ärmeren Volfe ſich verbreitet. Die Sonne ſteigt in ruhiger Majeſtät empor über den
finſtern Häuſerwällen , eben will ſie ihr goldnes Strahlennetz darüber werfen, da bräunt und trübt ſich ihr helles Licht in der unabfehlichen Reihe von Rauchwolken , welche diefer unge heure Dunſtheerd ausſtößt. Jetzt fetzen ſich vor jeder Haus thüre zahtloſe Bürſten und Wedel in Bewegung. Was nur zit waſchen und zu pußen iſt, Fenſter , Treppen, Thürklopfer, alles wird mit Waſſerfluthen übergoſſen ; denn es muß rein und glänzend ſein , wenn die Herren der Stadt erſcheinen. Wir flüchten uns aus dieſer wäſſerigen Stunde in die Häuſer. Da ſitzt das reiche und wohlhäbige England und frühſtückt. Und welches Frühſtück! Maſſen von Speiſen und Getränken , alle folide und wohlfchmedend, dampfen und glänzen auf ſchnee weißen Tiſchtüchern. Es macht ſchon Appetit , die Leute ſo tapfer eſſen zu ſehen , und nod; angenehmer iſt der Gedanke, daß doch eine große Anzahl Familien , verhältniſmäßig mehr als in andern Ländern , ſich an ſo nahrhafter Koſt in Hülle und Fülle etwas zu Gute thut. Wenn die Leute nur fröhlicher dabei ausjähen ! Sie ſcheinen auch die Gaben Gottes ernſt und förmlich, kaum mit ein paar halblauten Worten , zu ge nießen . Aber wie nett und behaglich haben ſie es um ſich her in ihren Häuſern und Stuben , wie paßt und ſchließt da alles in einander. Da iſt auch nicht das geringſte Geräth , das nicht in ſeiner Art vollendet wäre.
Des Engländers Haus
weſen geht am Schnürchen wie ein Uhrwerk; es wird ihm unbehaglich, wenn irgendwo ein Rädchen nicht glänzt oder ein greift. Seine Vorliebe für das Regelrechte allein würde ihm den gewohnten Comfort in ſeinen Wohnungen noch nicht ſchaf: fen , aber das Wetter draußen iſt jede Woche ſechs Tage wiberwärtig. Weil ſein Klima ſo naßkalt, ſo launig und verdrießlich iſt , muß er ſich im nothwendigen Gegenſatze
6 wenigſtens das Innere ſeiner Wohnung recht behaglich richten.
ein
Wir treten wieder auf die Straße. Weldjes Gewühl treibt ſich darin auf und nieder. Man meint , die ganze Stadt ſei auf der Straße. Alles bewegt ſichy haſtig, aber anſtändig und wohlgefleidet und in beſter Ordnung durcheinander. Fuhrwerke jeder Geſtalt ziehen daher in endloſen Reihen ; bird das Land volk und durch Schaaren von Leuten , welche ihre Waare aus rufen , drängen ſich jetzt junge Männer und Frauen im ge ſchmackvollſten Anzuge; vor den Läden breiten Handlungsdiener Waaren aus, erſt die Lebensmittel, dann Kleidungsſtoffe, endlich die Curisſachen . Das Wollen der Wagen , das Rennen und Rufen der Leute vermehrt ſich zuſehends und bald geht durch die Straßen jenes eigenthümliche Brauſen , jener dumpfe Don ner , die in großen engliſchen Städten das Riefenartige des raſch ſid, fortwälzenden Verkehrs bezeichnen. Wer zum erſten mal in eine ſolche Hauptſtraße fornmt, erſchricft faſt vor dic ſem glänzenden Getümmel; ſein erſter Gedanke iſt, der Men = ſchenſchwall mit all den prachtvollen goldglänzenden Wagen und prächtigen Roſſen konime gerade von einem feſtlichen Auf zuge zurück, und er will warten, bis die Fluth vorüber. Aber ſo rollt ſie unaufhörlich jeden Tag hin und her , vom Morgen bis zum Abend und wer keine ſtarken Nerven hat, kann darin ohnmächtig werden. Das ſind jetzt die Herren Englands,
welche am
ſpäten
Vormittage auf ihre Geſchäftsſtuben fahren, wo die zahlreichen Diener und Schreiber ſie ſchon erwarten. Alle dieſe Geſichter tragen den nationalen engliſchen Zug. Dieſer liegt zunächſt in dem Geſchäftsmäßigen , das auch den Cord anhängt , in jener Miſchung von Rechnungsgeiſt, Stolz und Klugheit, verbunden mit einer gewiſſen beſtändigen Furcht, daß man in Verlegen Aber nicht heit gerathe und ſeine Würde nicht genug wahre .
A
7 badurch allein erhalten die engliſchen Geſichter bas nationale Gepräge , darin brückt ſich noch mehr das Bewußtſein aus, daß Feber das hat , was man in England Charakter nennt. Um eines Engländers Charakter, ſowie andere Eigenheiten und Vorzüge dieſes Volkes zu erklären , muß man an die beiden Hauptfaktoren des engliſchen Volksganzen denken.
Der eine iſt
der Aſſociationsgeiſt, der in jeder Arbeitshütte, ſo gut wie im Parlament die Köpfe regiert. Offenbar hat cr feine Rüſtig keit eben ſo aus einer Beimiſchung von ſchottiſchem und irlänt diſchem Clansgeiſte gezogen , als aus altfächſiſchent Corpora tions- und normänniſchem Lehnsweſen . Der andere Faktor iſt der hohe Adel , der an ſich zwar Jedem erreichbar iſt, gleich wohl aber dem ganzen Volfe ſeine förmlich anerkannten und erlauchten Häupter giebt, um welche es ſich in althergebrachter Weiſe in verſchiedenen Gliederungen abſtuft. Den Charakter des Engländers formt und bildet nun zuerſt ſeine Heimath mit ihren inſulariſchen Sitten und Gebräuchen ; er kann aus dieſen Anſichten und Gewohnheiten - als er aus ſeiner Haut heraus kann.
ſo wenig wieder heraus, Die Frage, ob er Spa
nier, Franzoſe oder Ruſſe werden wolle, lautet für ihn gerade ſo, als ob er Indianer werden ſolle. Die deutſche Sitte und Denkweiſe würde er noch am erſten annehmen, wenn wir als Die zweite Färbung er Volk nicht ſo ſchwächlich aufträten. hält ſein Charakter durch die politiſche oder firchliche Partei, der er angehört. Auch die Kirche iſt hier vorab nur Partei ſache, ſie iſt bloß deshalb eine Macht, weil ein Verein von Menſchen gewiſſe Sätze und Formen durchführen will. Bei den erſten Worten ſpürt man die harten Nanten und Spitzen, welche bem Engländer ſeine Partei angeſchliffen hat. Dann iſt es ferner die Mode , welche ihn preßt und ſtreckt, bügelt und zügelt, eine Macht,
deren eiſerne Tyrannei unerklärlich
wäre, wenn ſie ihre Kraft nicht aus dem in England allge genwärtigen Aſſociationsgeiſte, ſowie daraus zöge, daß der Adel
8 felbſt die Trachten , ſowie im Stillen die Sitten und Mei nungen beherrſcht.' Endlich den Hauptſtempel erhält des Eng länders Charakter durch das , wofür ihn die Geſellſchaft hält, in welcher er verkehrt. Mag ſich ſein innerer Menſch noch ſo ſehr dagegen ſträuben , er muß es dulden , daß ihm die Mei nung der Andern die Schellen anhängt , an deren Ton man ſchon von weitem hört, wofür und wie viel er gilt. Zuletzt verwechſelt er ſein Ich mit ſeinem öffentlichen Charakter, denkt nicht mehr daran , daß er noch ein anderer Menſch ſein fönne, und zieht als eingeſpanntes Roß geduldig mit am Wagen der öffentlichen Meinung . Will er das nicht, ſo bleibt ihm Nichts übrig, als den Sonderling zu machen, und dann wird er gleich ein arger Sonderling, weil er mit dem Siappzaum der Geſell idyaft audy (cfort jedes befahrene Geleiſe darin verliert. Gc rade dies Gefühl, daß er ſich im offenen Gegenſatz zu den Anderen befindet, bringt den Sonderling zu immer ſeltſameren Einfällen. So wandeln die Leute in England gleichſam als fertig gemachte Charakterbilder umher. Nur in den unteren Klaſſen iſt die Noth verflachend darüber gefahren , noch weiter unten bei den Irländern ſind die Charakterzüge des Einzelnen ganz verwüſtet , als Volk haben ſie ein Naturell, als Einzelne laufen ſie nur ſo mit in der großen Heerde. Die meiſten Engländer ſind nun zwar innerlich unfrei, zu rein humanem Denken und Leben erheben ſich nur wenige Auserwählte, aber eben ſo gewiß iſt es, daß in England das Volksganze an Tüch tigkeit eben ſo viel gewinnt, als der Einzelne an innerer Frei heit verliert. Jedenfalls ſind die Engländer ſicher davor , ein breit fließender Volfsbrei zu werden , in welchem der Einzelne nach ſchwächlichen Launen lebt und das Ganze ſich nach dem Willen der Polizei richtet. Der Engländer will ſogar lieber ein guter Ehemann , ein guter Matroſe , ein guter Rechtsan walt ſein, als ein guter Menſch . Doch folgen wir nun den Herren Englands , den Lorbe,
9 ben Prälaten ,
Richtern ,
Aerzten und Raufherren zu
ihren
Tagesgeſchäften. Der Lord geht zu Geſellſchaften und Vergnügungen, welche wie Alles in England einförmig ſind , aber im größten Maß ſtabe angelegt. Er ſcheint auch dahin die Geſchäftsmiene feines Landes mitzunehmen. Beſſer ſteht es ihm an , wenn er mit feinen Genoſſen politiſche Berathungen hält; denn er weiß dabei des Volkes Beſte wundervoll mit den Vortheilen für ſeine Klaffe zu verbinden . Doch vielleicht fährt auch der edle forb zu ſeinem Advokaten oder Mäfſer , um ein Handelsge ſchäftchen mitzumachen. Seitdem die neuere Induſtrie cine fo foloſſale Geldmacht geſchaffen , daß ſie mit jedem Jahre mehr vom alten großen Grundbeſitz verzehrt, denkt auch der hohe Abel ernſtlich daran , wie er ein ſtilles Bächlein von den Geld quellen des Handels und der Börſe zur Befrudytung auf ſeine Güter leite. Den Brälaten , bes Pords jüngeren Bruder, begleiten wir zu ſeinem Chorſitze in die Kirche.
Dieſe iſt mit
Teppichen und Polſterſtühlen ausgeſchinückt und läßt nur wenig kahlen Raum für die Armen offen. Der Chorgeſang tönt nicht ſelten lieblich, wenn ſich die zarten Hellen Kinderſtimmen hineinmiſchen. Die Liturgie und die Prieſterkleidung ſind halb katholiſch. Weil aber mitten in der katholiſchen Umgebung der katholiſche den Kopf ſtalten in beſteht in
Altar fehlt , ſo ſieht das Ganze aus , als hätte es verloren . Doch das Geiſtige iſt ja bei ſolchen An England Nebenjache, die Hauptſtärke der Staatskirche den Dienſten , die ſie dem Abel imd ſeinen Söhnen
durch ihre Pfründen und Würden leiſtet.
Mancher Adelige,
heißt es, hege deshalb auch Wahlverwandtſchaft zur katholiſchen Kirche, weil er vermuthe, fie werbe ſtaatsmäßig ſeinem Stande wieder aufhelfen ; die Kirchengüter freilich , auf deren Raub fein Vorfahr vielleicht die Macht der Familie gründete, denkt er nach wie vor zu behalten. — Mit dem Richter treten wir in die Gerichtsſäle und erbauen uns an den feinen , ſcharf.
10 marfirten Köpfen der
engliſchen Juriſten ,
welche
auf
dem
ſchwarzſeidenen Staatsmäntelchen und von dem ehrwürdigen Glanz der weißen Perrücke umfloſſen ſich um ſo ſchärfer ab zeichnen . Die Akten der engliſchen Furiſten ſind höchſt dünn, ihre Geſetzbücher zahllos und verworren , aber alte Erfahrung, Verſchmilztheit, gewandte Rede und geſunder Menſchenverſtand belfen überall wieder in das Fahrwaſſer. Allgemach ſieht man jedoch auch in England die Nothwendigkeit ein , voin Feſtlande, namentlich von Preußen her, Einrichtungen anzunehmen , welche den Prozeßgang vereinfachen. Der Oberrichter hat immer ein höchſt vornehmes Ausſehen , aber auch die Volksmenge in eng liſchen Gericytshöfen iſt voll Ernſt und Würde, es iſt kein Zu hörer da , der ſid, nidyt durchaus anſtändig benähme. Einen tiefern Blick in das engliſche Volfsleben würde aber Jemand thun, der einen vornehmen Arzt begleiten fönnte in die hohen glanzvollen Häuſer des Abels , wo man frank iſt, weil der vollſte Beſitz des irdiſchen Guts feinen Neiz mchr bietet , und in die nicht minder prächtigen Wohnungen des reichen Bür gerſtandes, ber kerngeſund wäre, wenn er nicht die leidenſchaft liche Begierde hätte , vornehin zu ſein in Ton und Umgang . Der Fremdling würde ſtaunen über die gediegene Pracht, welche franzöſiſchen Firniß verſchmäht , und über den Reidythum an ausgeſuchyten Genüſſen, die ein einziges engliſches Haus bietet . Wundern aber würde er ſich vielleicht, wie mancher engliſchen Familie von altererbten Reichthümern in unſern raſchen Tagen der Boden unter den Füßen verſinkt, wenn auch ihr Silberge ſchirr allein noch ſo viel werth ſcheint , als bei uns ein an ſehnliches Rittergut. Aber wir haben auch die Herren des Handels und der Gewerbe auf ihren Geſchäftsſtuben zu beſuchen. Weld) Ge wühl von Kräften arbeitet da in einander , kunſtvoll geregelt wie ein Räderwerk, welche raſtloſe eiſerne Thätigkeit ſucht die Schätze aus allen Ländern nach den engliſchen Städten her
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11 überzulocken.
Der Handel der Engländer zieht ſeine
um die ganze ſeine Furchen Gewerbe ſind gegangen, bis
Erde, ſo ſicher und regelmäßig, wie der Pflüger über den Acker. Der Welthandel und das große im Laufe der Geſchichte von Volk zu Volk über ſie jetzt im rieſigſten Maßſtabe an England ge
Linien
kommen ſind, das ſie feſthält und ausbeutet mit allen Künſten und allen Ränken . Kommt ein Deutſcher in dieſe Werkſtätten des engliſchen Großhandels, wie weit ſcheint ihm da die Zeit zurückzuliegen, wo Deutſchlands und Italiens Städte den Han del beherrſchten. Und doch hielten einſt unſere Hanſebürger nidyt allein die drei nordiſchen Königreiche, ſondern aud ) Eng land unter ihrer Scheere ; mußte ihnen doch ſelbſt noch die ſtolze Eliſabeth
die fündigſten Privilegien zu Englands Nach
theile zugeſtehen , damit ſie deutſdie Kriegsſchiffe zum Schube gegen die ſpaniſche Armada geliehen erhielt. Doch die meiſten Deutſchen leſen nicht mehr die Geſchichte der Hanſe , ſie be achten es kaum , daß faſt jedes Dampfſchiff, welches von Ham burg nach Hull geht , Wolle und Matroſen aus Deutſchland nach England ausführt. Man begnügt ſich mit der Vorſtellung, die Entdeckung der neuen Länder und Sceivege ſei das Schick fal geweſen , welches den deutſchen Welthandel bracy legte. Allerdings lagerte ſich deſſen Goldſtrömung jetzt in den Küſten ländern des atlantiſchen Oceans ab, während ſie früher aus Aſien über das Mittelmeer und Italien zu den Deutſchen fam . Aber dieſe Veränderung der Handelswege alleiit hätte die deutſchen Kaufleute und Seefahrer nicht gehindert , auch den überſeeiſden Handel z11 behaupten. Die Schiffe Fugger's, deſſen Haus damals das war , was jetzt das Rothſchild'ſche, ſegelten in allen Meeren , die Welſer eroberfen und koloniſirten für ſich allein Venezuela, die Häfen Bed Hanſeſtädte faßten damals die ſtärkſte Flotte auf der Welt. Mit ſolchen Mitteln hätten die deutſchen Städte ihren Rang zur See wohl be Haupten können .
Das Uebel lag nur darin, daß ſie, überfüllt
12 mit Schätzen, bei Ablauf des Mittelalters erſt läſſig wurden , dann lange Jahre hindurch furchtbare Kriegesnoth erduldeten , und endlich ihre friſche Spannkraft ganz verloren, als ſie un= ter die fürſtliche Landesherrſchaft kamen. Der Welthandel hat immer nur da fein reiches Füllhorn ausgegoſſen , wo entweder auf Grund freier Verfaſſungen oder durch die Gunſt kluger Könige das Bürgerthum fich frei und kräftig bewegen konnte. Der Fremde in England will aber Tags über nicht bloß Börſen und Fabriken ſehn , ſondern auch Muſeen und Kirchen, welche die hohe Kunſt geziert hat. Da findet er ſich aber ſehr getäuſcht. Von Jahr zu Jahr holt zwar engliſches Gold Kunſt ſchäße aus allen Ländern zuſammen , aber ſie verſchwinden in den Häuſern der Reichen . Das wäre an ſich noch kein Nach theil. Denn int öffentlidyen Muſeen unter dem Lärm der Be ſucher , umdrängt von der Menge der Gemälde und Statuen, wie ſelten grüßt uns da jene ſtille Stunde der Weihe, wo uns aus dem Kunſtwerke auf einmal ein ſeliger Geiſt anblickt. Aber das iſt ein übles Ding in England, daß ein Kunſtwerk der öffentlichen Kenntniß gar zu ſehr entzogen wird ,
ſobald
eine Privatwohnung es aufnimmt. Die Städte wollen ſich iegt zwar ben Anſchein von Kunſtbildung geben und ridytent Muſeen ein , die Ausſtattung bleibt aber für engliſche Verhält = niſſe meiſt wahrhaft ärmlich . Die wenigen Engländer, welche dieſe öffentlichen Kunſthallen beſuchen, ſehen gerade ſo aus, als fämen ſie bloß deshalb ber , weil die Mode es ihnen vor ſchreibt, und als berechneten ſie im Stillen, wieviel der Alter thumsplunder im Handel werth ſei.
Gewiß giebt es in Eng=
land nicht wenige hochgebildete Männer, welche an edler, reiner Kunſt ſich entzügen , aber die Kunſtſeele des Volkes bleibt ſtockdürr. Alles, mas techniſch iſt, haben die Engländer zur erdenklichen Vollendung gebracht, die Kunſt aber iſt nichts Techniſches. Man muß es bem ewig dunkeln Regenhimmel und den ſtreng zugemeſſenen Formen und Anſichten , in welchen
13 die ſchöne Humanität eingeſchnürt wird , zuſchreiben , daß die Engländer ſelbſt jegt noch ſo unfruchtbar ſind an großen Ma lern, Bildhauern und Tondichtern .
Zu allen Zeiten , wo ein
Volk die Höhe ſeines Ruhms und ſeiner Reichthümer erlangt hatte, blühten bei ihm auch die Künſte auf, nur den engliſchen Steinkohlenrauch ſcheinen die himmliſchen Schweſtern für im mer zu fliehen . Die baare Wirklichkeit im Kleinen nachzubil ben, häusliche Scenen , kleine Landſchaftsſtücke, Porträts, der gleichen gelingt den Engländern vortrefflich ; aber verſuchen ſie das Naturleben oder geſchichtliche Ideen im Großen künſtleriſch darzuſtellen , ſo ſtockt ihnen das ſchöpferiſche Genie oder geräth auf abenteuerliche Abwege. Die Landſchaften malen ſie wie Halbwilde, welche den Farbenreichthum und den geheimniſvollen Zauber der Natur recht breit aufgetragen lieben, und auf ihren Geſchichtsgemälden ſchreiten die Geſtalten einher ſteif und ge rade , mit höchſt ausdrucksvollen Geſichtern , wie die langen unbehülflichen Helden und Heldinnen auf ihren Schaubühnen . Die Erfindungsgabe der Engländer iſt überhaupt gar nicht ſo lebhaft; das Meiſte, was ſie in ihren Fabriken jetzt ſo ſolide und ſtählern bereiten , ließen ſie ſich erſt von andern Völfern vorerfinden , und um für ihre Waaren ein geſchmackvolles Aus ſehen zu erhalten , müſſen ſie das Formtalent von Deutſchen und Franzoſen beſolden . Außerordentlich reich aber ſind die engliſchen Städte an Bibliotheken und an Sammlungen von Naturalien , künſtlichen Maſchinen und allerlei Nurioſitäten .
Das brittiſche Muſeum
in London iſt eine Halle , in der man durch alle Naturreiche wandeln , aus allen Bölferjahrhunderten die merkwürdigſten Zeugniſſe überſchauen kann . Da iſt Alles ſo großartig, ſo ge drängt voll , daß acht Tage faum hinreichen , unter dieſen un ermeßlichen Naturſchätzen ſich nur obenhin zurecht zu finden ; ein Naturkundiger , ein Freund der Kulturgeſchichte hat dort Jahre lang den reichſten Genuß. Auch die alten Kirchen ſind
14 nach der Weiſe des Mittelalters nicht bloß dem Gottesdienſte, ſondern auch nationalen Erinnerungen geweiht. Und darin zeigen die Engländer Achtung vor ſich ſelbſt und Achtung vor den großen Männern ihres Volkes . In welch anberm Lande ſteht ſolch ein Weſtmünſterdom , in deſſen erhabener Stille unter hohen Gewölben die Dichter und Helden des Landes ruhn ? Mit warmer Theilnahme ſickt man dort zwiſchen den Säulen und Denkmalen die Mütter init ihren Knaben umher wandeln . Geſchichte, nicht Kunſt , ſieht man aud) auf den engliſchent Straßen . Den Denkmalen , welche zur geſchichtlichen Erinne rung errichtet wurden , iſt zwar insgemein irgend etwas Ge ſchmackloſes angehängt, aber ſie erfüllen hier , wo das Volk ſich fühlt, vollſtändig ihren Zweck. Beſonders häufig werden ſolche Denkmale, feit die Engländer nach der Beſiegung Na polcons ſid) auf dem Gipfel der Macht wiſſeit. Den cifernen Herzog haben ſic ſchon bei Lebzeiten vergöttert in Denkmalen, die ſie ihm halbbutzendwciſe gleichſant vor der Naſe aufſtellten , und mit unvergleichlicher Unverſchämtheit nehmen ſie den ganz zen Ruhm der Niederwcrfing oes gewaltigen Korſen für ſich allein in Bedlag . Wie leicht wiegt ihnen gegen ihren Wellington bas Verdienſt von Blücher, York, Bülow und den Andern ! Daß bei Waterloo, wie in Spanien , das cngliſche Herr zu einem guten Theile auch aus deutſchen Regimentern beſtand , wird kaum irgendwo crwähnt.
Gegenwärtig ſtellt eine Stadt nach der
andern Statuen der Sönigin Victoria auf , Name und Perſon treffen gerade jcgt glücklich zuſammen , um in der Bildſäule der Königin das ſtolze Bild Englands aufzurichten . Der Enga länder thut darin ſeinem Volks-, wie ſeinem Unterthanengefühle recht etwas zu Gute. Aber wenn ſich die Straßen ſeiner Städte auch nicht mit ſolchen Denkmalen ſchmückten, es bliebe ihnen dennoch
ein
geſchichtlicher Charakter
ſtätig Erinnerungen und Idcen erweckt.
aufgeprägt ,
der
Englands Gegenwart
15 ſteht noch mit tauſend lebendigen Wurzeln in und
auf ſeiner
Vergangenheit. Bei uns Deutſchen iſt die Herrlichkeit frühe rer Jahrhunderte in den Wüſteneien verſunken , die uns der dreißigjährige Krieg hinterließ , und mandjes ſchon verklungene Sage , was früher leibhaft lebte. Auf der engliſchen vom Meer umhegten Inſelfeſte aber hat ſich das Mittelalter mit ſeinen tüchtigen Geſtaltungen wie mit ſeinen Gebrechen erhal ten , und die neue Zeit hat das ihrige nicht minder ſolide daran und dazwiſdicn gebaut.
Dic Engländer ſind auch viel
zu geſcheidt, als daß ſie den Roſt des Alterthums wegkratzen follten , ſie entziehen vielmehr die Ruinen und alten Denkmale der zerſtörenden Hand der Zeit und den den der Gewinnſucht.
nod frecherit Hänt
Sie denken nicht daran , ihren Stätten
das faſernenmäßige Ausſchen zu geben , welches das Zeitalter der Cäſaren und Beamten bezeicnct. Lieber laſſen ſie ihre alten Häuſer klein und groß durch einander hängen und ſtehen , wenn auch der geſchickteſte Polizeimann verzweifeln muß , dies Sewirre burch zuſtöbern. Mit derſelben Sorgfalt für die Werfe der Geidyichte habent die engliſchen Schriftſteller jedes Blättchen tarin durchgeforſcht, jeden tüchtigen Mann vortheilhaft in's Licht geſtellt. Unſere deutſchen Geſchichtsforſcher ſind vielleicht nocy fleißiger und ge wiſſenhafter bei der Arbeit, aber wie viel fehlt daran, daß das Volk auch bei uns jedes Sapitel ſeiner Geſchichte mit Fleiß und Verehrung lieſt, wie der Engländer die ſeinige. Der Grund liegt nicht bloß darin , daß unſere Geſchichtskenner viel zu gelehrt und gedankenvoll , und viel zit wenig fließend , naiv und geſchmackvoll ſchreiben. Der Grund liegt tiefer. Die Engländer und Franzoſen haben im ſelben Grade und zur ſel ben Zeit, als Deutſchland in verſchiedene Staaten aus einan der ging , ihre Volkskräfte zu einem Staatsganzen geeinigt. Deshalb ſtand ihnen die Weltbühne weit offen , als die Deut ſchen
nach dem
dreißigjährigen Kriege ſich
mit zerſchlagenen
16 Gliedern zurückzogen. Seit jener Zeit iſt auch die engliſche und franzöſiſche Literatur , inſoweit ſie Geſchichte und Geſell (daft betrifft, in den Vordergrund getreten . Die meiſten Ge bildeten in Deutſchland ſind ſelbſt mit dem Familienleben eines Mannes , der in der franzöſiſchen oder engliſchen Geſellſchaft einmal eine Rolle ſpielte , vertraut, aber ſo mancher ſeiner deutſchen Zeitgenoſſen , dem er vielleicht nicht das Waſſer reichte, iſt kaum oberflächlich gekannt. Meinte doch jüngſt einer unſerer wirklichen Dichter wunderswelche ſpitze Wahrheit ent teckt zu iſt eine es ſich ſagen .
haben , als er den Ausſpruch that: die deutſche Geſchichte ewige Krankheitsgeſchichte. Man ſollte meinen, er hätte in den Kopf geſetzt, einmal etwas recht Albernes zu Es iſt doch zu wunderlich, daß das arme ſeit achtzehn
Jahrhunderten immerfort kranke Volk noch kein einzigesmal ge ſtorben iſt. Engliſche und franzöſiſche Geſchichtſchreiber haben aber für ihre Helden zur Zeit nicht nur den Ruhm und das Intereſſe des Erfolges voraus , ſondern es begünſtigt ſie noch ein anderer Vortheil. Ihre Hauptgeſdyichte hat ſich Jahrhun derte lang auf kleinem Raume und audy ſpäter immer nur von einem einzigen Mittelpunkte aus bewegt. Sie läßt ſich daher in allen ihren Sliederungen , rund und klar überſchauen und dramatiſch behandeln.
lins Deutſchen leuchtet dieſer Vortheil
bei der Geſchichtſchreibung zunächſt nur für die Einzelgeſchichten unſerer Länder und Fürſtenhäuſer ein , aber auch dieſen Ein zelgeſchichten klebt etwas Unfertiges an , weil ſie ſich von der allgemeinen deutſchen Volksgeſchichte nicht loslöſen laſſen. Letztere hat wohl noch größere dramatiſche Kraft, als die engliſche und franzöſiſche Geſchichte, ihre Darſtellung erfordert aber auch be deutende Kräfte. So lange indeſſen ſcheint es, dürfen wir eine ächte deutſche Volksgeſchichte noch nicht erwarten , ſo lange un ſere Juriſten und Staatsmänner ſich noch mit der Bearbeitung der Landes- und Verfaſſungsgeſchichten begnügen und die deutſde Volksgeſchichte Männern philologiſcher Bildung überlaſſen .
17 Doch verlaſſen wir die Straßen und Pläte in den engli ſchen Städten, wo die Geſchichte uns aus allen Ecken anblickt, und erfriſchen wir uns in der ewig jungen Natur. Aber wo follen wir hin ? Wir müßten ja ſtundenweit fahren , um zu grünen Hügeln und freier Ausſicht zu kommen . Rings um die Stadt iſt immer nod ) halbe Stadt, Fabriken , Häuſer, Gärten, jedes lockende Plätzchen umgittertes Eigenthum . Wir wenden uns daher zum Hafen oder Fluſſe . Dort in sem belebendent Hauch der Strömung hoffen wir auf Nühlung. Aber auch da iſt alles beſetzt von Zoll- und Werfhäuſern , Zimmerpläßen , Waarenſchoppen im Trinkbuben . Für bloße prachtvolle Ein faſſung der Ufer hat inan kein Geld, jede Stelle wird einfach prak tiſdy verwandt, deshalb hat der Strand ein bloß geſchäftsmäßiges Ausſehen , und die fühlenden Lüfte ſind geſdhwängert mit Theer und Sohlengeruch) und den Ausdünſtungen der Waaren aller Weittheile.
Aber in dem Volfe , das ſich hier umhertreibt, in den Matroſen, ſteckt Naturfriſches. Das ſind noch die Leute in England , die nicht alles crſt flug und trocken beredinent, ſondern gleich aus der wilden luſtigen Natur . heraus , nach Paumen und Einfällen , nach plötzlichem Gefühl und Antrieb handeln , ſingen und ſpringen. Fit andern Ländern umhegen Wald und Scbirge und Haideland den Volksſchlag , der hart und einfach in Auſichten und Bedürfniſſen , aber friſch und naturkräftig in Gefühl und That iſt, aus deſſen Schooße fidy daher unmerklich die Stoffe crſetzen , welche im übrigen Volke die feinere Bildung abnußt. Für England erzieht einen ſolchen Volksſtamm das Meer mit ſeiner Odde und Erhabenheit , mit ſeinem luſtigen Wellenſpiel und ſeinen finſtern Stürmen . Vom Meere her weht unaufhörlich über England hin eine Luft, welche aud die Geiſter kräftigt, fie verjagt den Staub und Dunſt der Geſchäftsſtuben , welcher die Lebensfäfte eintrodknen will. Der Engländer ahnt und weiß es , daß auf den wei ten Fluthen , welche ſeine Fuſel umgeben , ihm eine unverſieg Löher, Land und Leute. 2
18 lidhe friſche Kraft zuſtrömt. Die Matroſen , dieſe wilden Eichenherzen , ſind im ganzen Lande die Volkslieblinge, und man freut ſich über ihre Wildheit wie Streiche.
über ihre närriſchen
Bei unſerer Rückkehr ſcheint das Junere der Stadt feſtlich aufgeſchinückt. Es iſt Spätnadymittag, bald erſcheinen Eng= lands Herren in Pradyt und Schimmer init ihren Damen . ilm dem Raſſeln der gold- und ſilberbedeckten Wagen zu entgehen , biegen wir aus ciner Straße , wo das Volfsgcoränge zwiſchen weithin glänzenden Läden und ſtolzen Paläſten daherbrauſt, ab ist eine Nebengaſſe. Ein paar enge Durchgänge und wir glauben uns plötzlic) int cin ganz anderes Cand verſetzt.
Aus
den kleinen bachlückigen Häuſeri längt obert und imten an vorgeſtrecktcit Stangen zerriſſene Wäſche: das ſind die ausge: hängten Fahncit des Elends, es lungert imd ſchlendert hier vor jeder Thüre. Vielleicht iſt in der ganzen Straße kein Einziger,e der mehr als ein halbes øende trägt . Der arme Deutſche arbeitet ( ieber bis auf's Blut, che er ohne Democ ginge; der arme Franzoſe bürſtet ſeincit Rock und knöpft ihn feſt zu, um ſeine Dürftigkeit darunter zu verdecken ; der Engländer , wenn er einmal liederlich iſt, verfäuft auch den letzteit Heller und fümmert ſich nicht, was für Lumpen er trägt. Jedodi ſind es nicht bloß Engländer, welche in die armen Stadtviertel zu rückgeſtoßen ſind, auch Frland haufet da. Arin Paddy findet ja hier noch ein Paradies im Vergleiche zu den oumpfen Erd höhlen auf feinen heimiſchen Mooren . Frland übervölkert die engliſchen Proletarierſtädte , das iſt ſeine Nade an England, diefes hat noch viel zu ſchaffen , che es aus dem irländiſchent Teige Brod backt. Dody arm Paddy behält auch in hart arbeitenden Herrenlande ſeine Windigkeit und ſeilte luftigen Einfälle. Er iſt ein geſchwätziges ſchelmiſches Herſchen , das aus lauter närriſchen , gutherzigen , tobſüchtigen Caunen zu be ſtehen ſcheint, und das unter den Püffen und Tritten der
19 Armuth noch einen Witz macht, weil das Lachen ciumal in ſeiner Natur ſitzt. Vielleicht ruft uns ein alter Bettler ein Witzwort nach , das die ganze Straße hinab an Thüren und Fenſtern von abgchärinten , aber lachenden Geſichtern wieder holt wird, uns aber deſto
ſchneller flüchten macht.
Doch nun
koininen wir erſt recht in die Höhlen und Saylıpfwinkel des Elends und des Laſters hinein. Es ſtiert uns an , wohin wir blicken , fo roh und gräßlid ), daß uns das Herz fräſtelt. In N'oth und Waſſendunſt balgen ſich nacte Ninter , gelb braune Weiber , die ihre Blöße nicht mehr verlyüllen fönnen , grinſen uns an , und an den finſtern Fenſterlödern erſcheinen kleide Männer, deren Blicke nichts weniger als Vertrauen
erweden .
Hier regnet es nicht mehr Witze, aber Flüche und Sdeltworte. Wir eilen weg chne aufzuſchen, aber wir verlieren uns nur immer tiefer in bas Durdycinander von dunfeln Gäßdien und verfalle nen Wohnungen, bis cin höflicher Polizeimann uns die Deffnung zeigt, durch weldie wir wieder auf eine Hauptſtraße gelangen . Wir athmen auf und bemerken balt , wie in die Straße Denn ſobald die Däminerung ihre noch viel gefüllter iſt. erſten Schatten zwiſchen die Häuſer wirft, idylicben ſich die Gedäftszimmer. Shre Bewohner erſcycinen in ſauberer Kleidung zum Luſtwandeln , andere cilen in die Vorſtädte zu ihren Familien und netten Gartenhäuſern . Reichgeſchmückte Frauen grüßen einander und treten hier und da cin zum Kaufen.
Alles auf der Straße hat das Ausſchen des Wohl
anſtändigen, ja Würdigen. Aber ſdon miſdyt ſich zerſtreut ein Streifen anderen Volks barunter, nach und nach wird daſſelbe dichter : andere Kleider, andere Manieren und Geſichter, andere Sprache, man ſollte meinen, es wäre cin ganz anderer Volfs ſtamm . Das ſind die Arbeiter aus den Docks, aus den Fabri ken , aus den Kellern und Dachſtuben , wo ſie die langen Stunden des Tages ſich abgemüht haben . Es wird dunkler, die Gaslampen entzünden ſid ), die Schaufenſter ſtrahlen im 24
20 hellſten Glanze . Nun iſt die lebhafteſte Zeit auf der Da zeigt ſich Pracyt, Anmuth , Heiterkeit, vermiſcht mit dem Elend . Prunkende Karroſſen , ſtattliche Reiter , Fungen , fröhliche Matroſen , ehrenfeſte Bürger und ziehen vorüber.
Straße. ſchreien rufende Frauen
Große Wagen , von oben bis unten bedeckt mit
ellenlanger Schrift, fahren langſam einher , um Anzeigen von Vergnügungsgärten , Bärenhetzen oder auch politiſchen Verjamin (ungen gleichſam mit Gewalt imter die Leute zu bringen. Die völlig affenmäßig herausgeputzten Siutſcher und Bedienten auf den herrſchaftlichen Wagen ſcheinen faſt einen ähnlichen Zweck zu haben , als ſollten ſie auf ihre Scbieter aufmerkſam machen. Wieviel breite, trotzige Geſicyter und wieviel männlidie Züge, wic aus Eiſen geſdymicdct, treten uns nun entgegen . Hier und da ſtiehlt ſid) auch ein unvergleichlides Spitzbubengejicht da zwiſchen , England hatte von jeher ſeine ganz gründlichen Spitz buben . Aber audy welchy reiden Zauber von wundervollen Frauengeſtalten ſchen wir hier auf wenigen Schritten , und wie mandes cole ſchöne Antlitz, in deſſen großen ſtillen Augen ſid) Herzensgüte wic Nlughcit ausdrücft. Manche Frau , die über reid ) gekleidet durch die Straßen fährt , ſucht mir die Stätten auf, ivo man der Armuth Hülfe fdjafft. Aber ſehr bald ändert ſich die Scene auf
der Straße .
Die Vornehmen ſind auf einmal verſchwunden, ſie ſind fort zu Theater, Geſellſdaft und Familie, nur hin und wieder eilt noch Einer ſchnellen und leiſen Schrittes vorbei, mit zugefnöpftem Rocke , als fürchte er einen Griff in die Bruſttaſche. Die großen Lurusläden ſdließen ſich nach und nac ), mir die kleinen bleiben offen , um die minder Reichen anzuziehen. Denn dic Straße wimmelt jetzt von jener ärmeren Bevölkerung. Doch wir gehen zunädiſt mit Denen , weldic dic Straße verlaſſen . Es winken uns die erleuchteten Theater und andere Vergnügungshallen. Wenige große Bühnen ausgenommen , auf denen die ausgezeichnetſten europäiſchen Künſtler im Herrlichen
21 Einklang wirken, kommt man in den übrigen Theatern nur zu= ſammen, um recht zu lachen. In Deutſchland wird vielleicht auf der ganzen Erde am meiſten gelacht: will man aber hören, was ein hauserſchütterndes Gelächter iſt , muß man zu den Engländern kommen , ſie lachen dafür auch um ſo ſeltener. Es iſt gar nicht möglich , tollere Späſſe im raſcheſten Durch einander zu ſehen , als in den engliſchen Poſſen und Panto mimen . Andere Stücke werden in einer gewiſſen grindberben Art gegeben, der Deutſche möchte ſie manchmal gemein nennen . Die Helden (dyreien wie Kapitäns in Sturme und die Hel dinnen ſchreiten aus wie verkleidete Wadtmeiſter, und wenn es zu zärtlichen Scenten kommt, geben ſic fich auf der Bühne einen Kuß , der burdy's ganze Saus ſchallt. · Auch die engliſchen Schauſpieler fönnen den Naturfehler ihrer Landsleute , den Mangel an natürlicher Anmuth , nicht überwinden . So lange der Engländer ſeinen Geſdımack noch nicht auf Reiſen gebildet hat, könnte man von ihm beinah ſagen, daß er immer am wei teſten von dem entfernt iſt, was ihm als das heißeſte Ziel ſeiner Wünſche vorſchwebt, nämlich auch in liebenswürdiger Leichtigkeit des Benehmens den Gentleman darzuſtellen . Seine tägliche Morgenarbeit beſteht in langſtündigent Studien auf dem Ankleidezimmer , um die feine Glätte des Gentleman her auszubringen , aber wenn er draußen erſcheint, ſtolpert er wie der über der eigenen Würde Sdywergewicht. — Außer den Theatern bieten vorzüglich die öffentliden Gärten einen Reich thum von Genüſſen . Herrliche Landſchaften ſind darin mit einer Kunſt und Täuſchung nadygebildet, welche an Zauberei gränzt. So tritt man nur ein paar Scritte von der Straße in einen Garten und befindet ſich auf einmal zwiſchen fühlen Gebirgsſchluchten , auf dem Sce ſchwanken die Waſſerlilien, ein Sturzbach pläſchert hinein , dahinter erhebt der Montblanc ſeine Schneegipfel ; ein paar Schritte weiter führt ein grünbelaubter Gang, der mit Glanz und Duft aus dem Harem eines Paſcha
22 hierher verſetzt ſcheint, eine Höhe hinauf; da trauert ein
Mar
mortempel in Ruinen zwiſchen Lorbeergebüſch und wilden Re ben , man glaubt ſich auf halbödem Hügel unter griechiſchen Himmel ; auf der andern Seite führt der Weg wieder hinab und bei einer Wendung plötzlich in die Adelsberger Höhle mit ihren ſeltſamen Tropfſteingeſtalten . Das alles iſt mit höchſt künſtleriſchen Geſchick naturgetreu dargeſtellt und der Eindruck wundervoll. Nun zurück zum Hauſe, dort winken ſchöne Speiſe ſäle , erfüllt von Muſik, imd ein Säulenrundgang , in welchem die berühinteſten Bildfäulen der alten und neuen Kunſt in vor züglider Nachbildung aufgeſtellt ſind. In der Mitte tönt eine Orgel voll Herrlichen Wohllauts, leider wird ſie ſchlecht geſpielt. Einige Stufen führen von hier ſcheinbar auf einen Thurm , von welchem man London in Mondbeleuchtung ſieht, Sie Gas und Ladenlichter in den Straßen, die Themſe mit den Schiffent, auch Regen und ziehende Wolfen ſind auf das täuſdiendſte nachgeahnt. In einen andern Garten der Art hat man dicht neben einander die prächtigſten wilden Thiere , eine feenhafte ftalypſogrotte, mehrere Muſikbanden , Theater im Grünen , Feuerwerk und zum Schluß in rieſenhaften Ilnıriſjen den Ve ſu
und den Ausbruch ſeiner Gluthen . Jeden Abend wandeln Tauſende von geputzten und heitern Menſchen dirrdy dieſe Gärten .
Andere Anziehungspunkte des Abends ſind politiſche Verſamm lungen , wo die Redegewalt zur Bewunderung hinreißt oder Abendſchulen, wo man ſich entſetzt über dic Verwilderung der Armenkinder , oder polytedyniſdhe Anſtalten , nicht minder groß artig , wie in den Gärten , für Vergnügungen , iſt in dieſen für öffentliche Belehrung in jeder Kunſt und Lehre der Natur wiſſenſchaft geſorgt . Der Fremde findet ſich aber in der Regel ſchon nach weni gen Wochen vereinſamt in den engliſchen Großſtädten, er rech net ſeine Genüſſe zuſammen und findet ſie ebenſo einförmig als maſſenhaft. Auch in den Clubs , deren Häuſer auf das
23 Behaglichſte eingerichtet ſind , kann er oft lange ſuchen , ehe eine Geſellſchaft ihn recht zuſagt. Derſelbe Raufmannston, welcher bei uns nur die eigentlichen Handelsſtädte beherrſcht, bringt in England in jeden Kreis hinein , ſelbſt die Gedanken ſcheinen dort im ſelben Augenblick als ſie entſtehen gleich ihren Markt preis anzunehmen.
Hat der Gaſt aber unter Engländern das
Glück , daß ſie ihn als guten Bekannten ſchätzen , ſo kann er auch ſicher in ihrer Freundidaft herbergen . Werden ſie dann einmal fröhlid ), jo iſt ihre Interhaltung ſo offen , gerabcaus und fernhaft, daß man ſelbſt von Grund des Herzens mitlacht . Man iſt unter Männern , die ſicher ſind, daß keiner dem an dern weder durd, Streiten , noch durch übergroße Zärtlichkeit eine unangenehme Minute macht, die einander aber recht herz lich achten und vergnügen wollen . llnd wie wohl wird es erſt dem Fremden des Abends , wenn er das Glück hat , in eine Familie eingeführt zu ſein , in welder ſich altengliſche Gedie genheit mit moderner Bildung vereinigt. Da muß er ſich wohl aufgehoben fühlen und insbeſondere verehren das feſte ruhige Walten , den kräftigen Geiſt und die herzgeivinnende Freund lid )feit der engliſchen Frauen. Dody wir cilen 311 den Schlußſcenen auf der Straße. Sic wimmelt jetzt am ſpäten Abend von jenem dunkleren Volke, un ter welches uns am Nachmittag der Zufall führte. Aus all ſeinen Häuſerhöhlen iſt es jetzt auf die Straße geſtiegen und herrſcht sort ohne Mitbewerber. Zahlloſe Hübfdhe Mädchen treiben ſid) lachend umher, denen sic freche Begehrlichkeit aus jeder Miene ſieht. Mit ihnen ſtehen und gehen alte und junge Weiber , zerfreſſen von Schmutz und Noth . Andere Frauen winden ſich ſchüchtern und bekümmert, mit bleichen Geſichtern , an den Häuſern hin , in ärmlicher, aber anſtändiger Kleidung. Dieſe ſind die Arbeiterfrauen, welche am Abend von den Män nern etwas Geld erhielten und jetzt zum Bazar cilen , um le bensmittel zu kaufen. Wir folgen ihnen zur glasbedeckten
24 Kaufhalle. geputzt ſtehen in der Fleiſch
Wie glänzt da Alles , wie ſind die Waaren aus
und lachen den Käufer an , und davor mit verlangenden Blicken und Hand hin und her, bis ſie endlich gefunden habent, um welches ſie nun
die armen Frauen wenden die Pennies ein ſchlechtes Stück zu feilſchen wagen .
Doch vielleicht dürfen ſie ſidy einnal einen guten Tag machent und verweilen vor den beſſeren Staufläden . Durdy niedliche Anordnung der mannidyfaltigen Farfen und Formen der Waaren , durch geſchickte Miſchung von Lichtern und Nufſätzen , von (Grün und Blumen , wird ein ſolcher Laden zu ciner Art liunſtwerk. Doch wer auch hier einen Blick hinter die Bühne warf , ſah viclleicht, wie die Rokosnüſſe glänzend gebürſtet , die Ananas und Aepfel bemalt, die Nelche in den prangenden Blumen ſträußen durc ) fünſtliche Mittel ſteif gemacht wurden . Es ſieht Alles ſo locfend und faftig aus , aber das Obſt idyneckt wie aufgebunſen , der hellrothe Schinken iſt halb verrottet, das Miehl hat cinen Zujatz von Kreide . Dic Armen fönnen nur billige Waaren faufent, ſic bekommen auch halb vergiftete . Wir verlaſſen den Bazar wieder. Welches Menſchengewoge, welches Schreien und Lärmen itun überall. Wer ſich nicht vor ſieht, wird aus dem Wege geſtoßen. Es dauert eine Weile, che man ſidy in dieſes Treiben hineinfindet und dic einzelnen Grup pen unterſcheidet. An den hellſtrahlenden Schnapspaläſten, welde die Straßenecen einnehmen, lärmen fröhliche Irländer in Lumpen , man kennt ſie gleich an ihrem zutraulichen nediſchen Wefen . Durch ſie hindurdy bahnt ſich ein Zug jaudyzender hüte ſchwingender Matroſen den Weg . Hier ſteht ein Straßenprediger und betet und ſingt und ruft vor ciner Schaar, die ihn mit finſtern oder ungläubigen Mienen umgiebt. Dort ſingt ein Weib zur Drehorgel und bietet in den allerderbſten Ausdrücken ihre Balladen an , die Geſchichten von jungen verfolgten Lieben den und gehängten Räubern. Ein Maler in ſeiner Bude ver heißt jedes Portrait in fünf Minuten, ein Gudfaſtenmann ruft
25 ſeine Wunder aus , ein Taſchenſpieler läßt durch ſeine Gläſer in die Zukunft blicken. Ein anderer Mann lockt zu ſeinem Schießſtande hin . Hier iſt alle Abend Jahrmarkt. Das Volk drängt ſich vor den ſchimmernden Säben voll Eßwaaren , Gin gerbeer, Bisquits und Büchern mit großen Holzſchnitten ; hun gernde Kinder umlagern einen Keſſel, in welchem Speiſen ge fotten werden ; an den Eden im Dunkeln lauert ein Haufe alter Weiber mit ſchmutzigen Körben , hier und da lehnt an einem Hauſe ein einzelner Mann in zerriſſener Kleidung und Die Gruppen zichen , ſtarrt wie blödſinnig zum Himmel. wechyfeln und drängen ſich weiter. Durch all das Treiben ( chlüpfert fortwährend die Mädchen, welche auf die zudringlichſte Weiſe Verdienſt ſuchen , die Knaben , welche ihren kleinen Sram von Apfelſinen, Nüſſen, Badwerk, Feuerzeug vor ſich her tragen und ausrufen , die Bettelweiber , welche ungeſtaltete Kinder zeigert, die Polizeidienter, welche Teiſe und behende überall ge genwärtig ſind . Das Ganze macht niemals den Eindruck eines Volfes , das ſich harınlos vergnügt und einen guten Abend macyt , es iſt eine wilde fredye Cuſt , als wollten die armeit Menſchen mit Gewalt ihr Elend vergeſſen.
Es iſt, als wenn
etwas Beängſtigendes in der Luft läge . Die Nacht rücft heran , die Männerrotten werden dichter, die Sdnapshäuſer zahlreicher umlagert, die Frauen und Mäd chen fdylagen und ſtoßen ſich dazwiſchen unher. Man Þiegt in eine Nebenſtraße ein , dort zeigen ſich nur ein paar trübe Laternen , der ungeſunde Qualm ſchlägt einem entgegen , aus den Tanzſtuben ſchallt Muſik, Gefreiſch und Gelächter. Der Schnaps wirkt, Halbtrunkene ziehen umher, es entſteht Schlä gerei, die flinken Polizeidiener ſind bei der Hand und ſchleppen einen Gefeſſelten zur Wache. Sträubt er ſich noch , ſo wird er gleich kreuzweis auf eine Leiter gebunden , daß Arm und Bein ihm brechen wollen , in Deutſchland würde er fortgezerrt, in England iſt man auch in folchen Dingen praktiſcher und
26 brutaler. An der Straßenecke in der Nähe liegt eine alte Frau am Boden , ſie wird aufgerichtet und erzählt , ſeit wie vielen Tagen ſie hungere, imd die Mädchen treiben ſich lachend und dyreiend vorbei, fie denken nicht daran , daß ſie ihr einſtiges Loos vor ſich ſehen.
im
Nach und nach verliert ſich das Volk in die finſtern Gaſſen Winfel hinein , die Hauptſtraßen werden ſtiller, die Nacht und
der Sdilaf laſſen all den Wirrwarr und Jammer verſtummen. Nur die Schnapspaläſte und Apotheken ſtrahlen noch ihre Lichter durch die Straßen, nur alte zerlumpte Frauen ſuchen noch von einzelnen Schaaren junger Peute, welde lärmend von Gelagen Heimkehren , etwas Bettelbrod zu gewinnen , und weichen mit den ſpärlichen Nachtwanderern den Karroſjen aus, welche dann und wann über die Straßen donnerit, in Englands Stolz imd Schönheit von Feſt zu Feſt zu bringen .
II . Im
Innern von England.
Die Franzoſen haben jetzt ihr Land jo ziemlich abgeholzt, der Regen wäſcht auf ihren Bergen bas (Weſtein bloß und ihre Ebenen dehnen ſid, in einförmiger Breite. Frankreid, ſicht heutzutage abgelebt, greifenhaft aus , ſcine Pocjic hat cinen weiten Weg zu machen , wenn ſie ſich aus den glatten Wänden der Geſellſdhaftsſäle flüchten will in die kräftigende Naturfriſche noch ungebrochener Forſten . Auch die Engländer haben ihren Walt arg verwüſtet. Wo einſt Robin Hood und ſeine Sach fen , als ſie von den normänniſchen Herren außer Recht und Frieden geſetzt wurden , sen Hirſch jagten in der Sicherheit tiefer Waldgründe, da
rauchen
jetzt die Schylote der Fabriken
und kann der Pflüger auf dem Felde von weitein die Kirch : thürme ſehen . Aber wo in England Ser hallende Wald ver ſchwunden iſt, da blüht jetzt ein Garten.
In welcher Richtung
man im Innern von England auc rciſet , immer ſcheint tic Gegend feſttäglich geputzt, überall lacht ſie is niett imd freund lich ins Auge. Es iſt ein fortlaufendes Geminde von grünen Hecken, farbigen Feldſtreifen , ſchimmernden Flüßchen und thau glänzenden Hügeln , zahlloſe hellfarbige Häuschen ſind dazwi fchen geſtreut, und ein Dorf nach dem anderen gruppirt ſich maleriſch , halb von Baumgrün verdeckt , i cine altersgrauc Kirche oder um einen Hügel , von deſſen Spiße ephenumrankte Schlöſſer niederſchauen.
Die duftenden Weißdornblüthen und
28 die wilden Roſen hängen über die Pantwege , der ſorgfältigſte Anbau ziert die Felder, und auf den ſaftgrünen Wieſen weidet prächtiges Vieh in fichern Umzäumungen.
Die Bewohner der
Dörfer ſcheinen Städter , welche aufs Land gezogen ſind, ſo ſchmuck und reinlich ſehen ihre Wohnungen aus , ſelbſt die kleinſte Hütte umzieht ſich, mit Jasmin und Roſenbüſchen . Der deut ſche Bauer will den Düngerhaufen vor Augen haben , weil er an ſeiner Ausdehnung die Größe und Fruchtbarkeit ſeines Grund und Bodens mißt; in England wird jener für Aug' und Naſe unangenehme Stoff ſeitab auf dem Felde niedergelegt und mit Reiſig überdeckt . Eigenthümlich iſt dieſer Fuſel die außerordentliche Menge von Landſitzen , die in jedem crdenklichen alt- und neumodigen Styl gebaut ſind , Bergſchlöſſer , gothiſcc Hallen und Burgen, grie chiſche Tempel imd mittelalterliche Abteien . Walter Scott's romantiſche Bilder haben , wie es ſcheint , hier und da einem Engländer den Kopf verwirrt, ſo daß er feine Ruhe hatte , bis er in abenteuerlich bethürmter und bezinnter Behauſung wohnte . 3m Ganzen aber herrſd)t der normänniſche Bauſtyl vor , der ein tüchtiges und würdiges Gepräge hat , in ſeinen Formen aber noch nicht genug vergeiſtigt iſt; er gleicht einem kräftigen Pflanzenwuchs, welcher noch nicht zur Blüthe gelangte. Sieht man im Innern von England verhältniſmäßig ſo wenig öde Stridie , dagegen ſo lyäufig die Gegend dicht beſetzt mit weit läufigen Fabrikanlagen , wohlhäbigen Dörfern und zahlreichen ſtolzen Land- und Edelſiten , jeden von einem Parfgewoge oder doch von grünen Raſenplätzen und blanken Nieswegen um geben , ſo erhält man eine lebhafte Vorſtellung von den uns geheuren Reichthümern , welche auf dem kleinen Erdfleck dieſer Inſel zuſammengehäuft ſind . Der Reiz ber engliſchen Landſchaft wird dadurch erhöht, daß ſie ſo häufig ſich in Wolfen und Nebel einhüllt. Wenn ſie wochenlang klarer Sonnenſchein bedeckte , ſo würde ſie bei
29 aller Anmuth body zuletzt crmüden .
Denn die Ausſidyt bleibt
immer eng begränzt, mächtige Berggeſtalten erheben ſich nicht, das Ganze zieht ſich auf und ab und in leiſen Wellungen fort, welche nur durch freundliche Hügel und allerliebſte Thälchen unterbrochen werden . Weil aber zehnmal des Tages ein dunk Yer Regenguſ fommt , ſo ſieht die Landſchaft, wenn der nädyſte Sonnenſtrahl über ſie hinſpielt, immer wieder friſd) und neu verjüngt aus.
Die Engländer benutzen außerdem die natürlid;c
Scenerie mit großem Geſdrick, Baumgruppen dienen dazt, mit ihrem reichen vielſchattirten Grün hier ſchöne Punkte hervorzit Heben , dort nackte Stellen zu verdecken . Es wird dadurch sic Täuſchung erweckt, als wäre noch eine großartige Natur bu hinter. Und ſo reiſet man durd Wolfenſchleier immer wieder zu nett immbüſchten Ausſichten , die Größeres ahnen laſſen , bis man zuletzt am
Miccre ſteht , wo die Jufel zu Ende iſt.
Da
giebt es bloß Fiſcherdörfer, welche der Matroſenerzeugung we gen angelegt ſcheinen , Möven und Felſen und das endlos flu thende Meer, und wenn man ſich daran ſatt geſcheit hat , wen det man wieder um zu den Hecken , dem parfartigen Baumgrün und den niedlichen Hütten und Landſitzen , an denen ſich das Auge ſo lange ſättigen muß, bis der Wagen in cine alte Stadt hinein raſſelt. Die licblichſte Gegend
kann mo burd
grundloſc
Wege ,
durdy die ewige Qual von Pappelwänden zu beiden Seiten der Straße, burc) mürriſche Nutſcher und naßfalte Wagen verbor ben werden . Das iſt in England nie der Fall . Dic Wege ſind wie getäfelt und maleriſc) an den Höhen hingeführt, ſtatt in unaufhörlich gerader Linie die Sandſchaft zu durchidneiden .
I
Die Nutſdier ſind wollmal ſo ausbündig grob , daß man ih nen • gern zuhört , denn es iſt Salz und Würze in dieſer Grot
1, n ei
Wagen. Auch die Dorfwirthshäuſer ſind behaglich eingerichtet, die Menge der großen und kleinen Strüge lacht den Eintretenden
heit , aber ihr Thun iſt immer ganz ſo zweckmäßig wie ihre
30 an in gefälliger Aufſtellung. Der Engländer trinkt aus Ziun und Steingut und bewahrt die Getränke in feſten Krügen auf, das zerbrechliche Glas liebt er nicht. Diefe Wirthshäuſer ha ben den großen Vorzug , daß ihr Juncres fauber und reinlich iſt, wenn auch noch ſo klein . Die Reinlichkeitsliebe iſt für den Engländer höchſt werthvoll, sciut cin Bolt redctub handelt ftolzer und anmuthiger ,
weil
es ſaubere Nleider
und reine
Hemden hat. So ganz unredyt hatte Der nicyt, welcher einmal ſagte : man fönne die politiſche Tüchtigkeit eines Volkes nach ter Menge Seifc abineſjen, weldc cs verbrande. Wenn vicle Deutiche nur etwas von bein Wein- und Biergelde , welches ſie täglich ausgeben , auf ſaubere Wäfde verwendetent, ſo würde das ganz im Stillen gute Früchte tragen . In ſonſtiger leib lider Erquicfung iſt dagegeit ein engliſdes Wirthshaus viel är : mer als ein deutſdies . Dic Getränke, Ale , Porter , gebrannte Waſſer und brandige Weinc amit allen ihren Miſchungen find mehr auf Anregung und Erivärming bci fcuchtem Wetter berechnet , als auf Erfriſchung im Kühlung. lind nun gar der ewige Säſe und Schinker. Roh oder gekocht oder gebraten , aber allema! Schinkert. Nur für die beiden Hauptınahlzeiten des Tages kann man darauf rechnen , daß der Tiſdh gut be ſtellt wird , mit der einzigen Ausnahme, daß man das Fleiſch häufig nicht zerreißen kann , iveil es noch halb roh iſt. Das Volf in England hat ein friſches Ausſehen , der Re gen begießt es oft genug iind die Seeluft umſtreicht fortwäh = rend die Wangen . Heberail crblickt man das feſte tüchtige enga liſche Geſicht, Züge.
aber keineswegs häufig
geiſtvolle oder darfe
Eher könnte man ſagen , der Engländer ſieht ſehr dumin
aus, wenn er nicht ſehr Flug ausſieht.
Mittelgut ſcheint es in
dieſem Volfe nicht viel zu geben. Die Aerzte ſind entweder höchſt gediegen oder ausgemacyte Charlatans , die Prediger Männer gewaltigen Worts oder
die
langweiligſten Predigtableſer, die
Schauſpieler geniale Künſtler oder die ſchrecklichſten Schreihälſe.
31 Nur beſchränkte Juriſten und ſchlechte Kaufleute ſind in Eng land ſelten. Wenn man länger dort reiſet, macht ſich auch ein Unterſchied zwiſchen zwei Raſſen bemerklich . Die ſächſiſche tritt auf in kurzen ſtämmigen Figuren mit breiten , faſt vier ecfigen Geſichtszügen , die andere Raſſe ſcheint aus normänniſch fächſiſcher - iriſcher Miſchung hervorgegangen , der Sörper iſt ſchlanker und die Geſichtsfarbe reinter, die Ilmriſſe des Ropfes ovaler , Haar und Augen haben dunkleren Glanz, und zwiſchen der leichtgewölbten Stirn und den langrunden Wangen nichmen Dicſe feinere fich Mund und Nafc fein und niedlich aus. Geſichtsbildung und die hocygewadyfenen Geſtalten ſind vorzngs weiſe ein Erbtheil [ cs Adels , der auch mit fluger Borſidyt darauf hält , ſid, mit langen ſtattlichen Bedienten und hübidyn Hausmädchen zu umgeben . Auch nach den Grafid /aften wech felt hin und wieder das Ausſehen des Volkes , in einigen Ge genden zeigen ſich mehr (dwärzliche Nöpfe, in andern mehr ge röthete Geſichter init Hellerer Haarfärbung. Eigenthümliche Landestrachten giebt es nicht mehr , alles kleidet ſich ſtädtiſch , und das einfacyſte Farinerkind hat Gejdymack darin . Mit Ver gnügen ſiekt man in einigen Gegenden ſo viele ſchlanke voll buſige Mädchen auf der Wiefe arbeiten , jede in kleidſamer Tracht, welche die ſchönen Formen vortljeilhaft heraushebt. Insbeſondere gewinnen aid) die Landmädchen iir England durch die unnachahmlich niedliche Weiſe, wie ſie ihren Hut aufſetzen. Dabei benehmen ſie ſich mit fo jungfräulichem Stolze, jeder Miann inuß gegen fic achtungsvoll und artig ſein. Im Ganzen jedoch möchte keine Gegend Englands einen ſo durchgängig ſchönen Volksſchlag aufweiſen, wie der Schwarzwald, Friesland, einige Striche im Berner Oberlande oder in Weſtfalen und noch anderswo in Deutſchland. Vorzüglich auf dem Lande entfaltet ſich der engliſche Volfs charakter in ſeiner ſchönen Gediegenheit.
Die Stadt iſt dem
Engländer der Tummelplatz der Geſchäftsleute, der Gaſtwirthe
32 und Schauſpieler , aber auf dem Lande genießt er Freiheit und Behagen. Auch der Kaufmann und Beamte , der kein Gütchen draußen hat , ſucht wenigſtens ſein Wohnhaus in den Gärten , welche meilenweit jede größere Stadt umgeben und Land und Stadt gefällig in cinander überführen . Da iſt ſein Daheim ,“ das wonnigſte Plätchen , welches für ihn die Erde hegt , ein unfriedeter heiliger Ort , wo er Athem ſchöpfen und in der Liebe und Pflege feiner Familie ruhen kann. Wer in England auf kein Daheim ichr hofft , der Senft daran , fid) eins bei dem Todtengräber zu beſtellen . Gewiß das Schönſte und Beſte, was die Engländer haben , iſt ihr Familienleben auf dem Lande, da geben ſie ſid) einfady, warm and offen und von Grund aus wahrhaft. Die Wahrhaftigkeit iſt eine Tugend, weldic für ſichy allein ſchon ein Velf adelt . Sic würde den Engländern noch viel ſchönere Früchte bringen , wenn ſie auch ſo weit ginge, daß nicht jede Familic Jahvaus Jafrein an der inglüdlichen Sidyt litte, vor nehmer , reicher und glücklicer zii ſcheinen , als ſie es wirklich iſt . Ju mern scó engliſchen Hauſes iſt es für den Frem ben auffallend ſtill imd ruhig, man hört feinen Cant. Dicle El tern laſſen Sie sinder im Hinterhauſe allein ſpeiſen, auch dann niod ), wenn sie Mädden den im blühendſten Backfijchalter ſtehen , jedoch in die Welt noch nidyt eingeführt ſind. Das Benehmen der Familienmitglieder unter einander iſt ſchlicht und natürlidy , wird aber audy Surdy althergebrachte Negeln geleitet. Die Kinder bezeugen wahre Ehrerbietimng nicht nur den Eltern , ſondern auch dem älteren Bruder und der älteren Schweſter. Mander Deutſcje möchte ctwas mehr Zärtlichkeit und leichten Frohſinn iin engliſchen Familienleben vermiſſen , dagegen erhält es durd, ſeine ſtrenge Ordnung eine gewiſſe Würde, welche wohlthätig auf die Feſtigung und Harmonic des Charakters einwirkt, und die Innigkeit iſt dadurch nicyt ausgeldloſſen. Eine ſehr weſent liche Färbung empfängt die häusliche Sitte bei den Engländern durch die Religion . Außerhalb der Familie ſieht man bei ihnen
33 vom Chriſtenthum wenig mehr als ſteifen Kirchenprunk imt Seftenweſen , die Religion wohnt in den Häuſern , dort gießt ſie ihre himmliſchen Schätze aus und kräftigt und regelt das Reben . Aus dieſem religiöſen Sinne fließt auch aufrichtiges Mitgefühl für fremde Leiden . In England herbergt viel menſch liches Elend , aber dort iſt auch ächter Wohlthätigkeitsſinn zu Hauſe , der wahrhaft zu helfen , nicht aber die Noth ſügneriſch zu verhüllen ſucht. Die Strone der engliſchen Familie iſt die Hausfrau. Mit vollſtem Recht wird die Schönheit und Häuslichkeit der Eng Länderinnen geprieſen. Es ſind edle ſtolze Geſtalten , gedanken= voll blickt das ſchöne Haupt uns an , mit den dunkeln Locken über der hohen , ſchneeig reinen Stirn ; ein leichter Franzoſe wird bange vor dieſen großen treuen Blicken und rädyt ſich durch die Bemerkung , daß man unter den Engländerinnen hochmüthige Naſen in Menge , niemals aber feine Anmuth und Grazie fehe. Ein wenig ſteif iſt die engliſche Schönheit, das iſt wahr , und etwas von dieſer Steifheit ſcheint ſich auch dem Geiſte mitzutheilen . Die Frauen gehen ſonſt viel leichter auf fremde Eigenthümlichkeiten ein als Männer, aber den Eng länderinnen ſcheint geradezu die Gabe zu fehlen , etwas gut oder ſchön zu finden , was ihren ſtarren nationalen Sitten und Anſichten widerſpridit. Indeſſen iſt man ihnen ſchon dafür dankbar, daß ſie mit ſo aufrichtigein Wunſcc, ſich belehren zu laſſen, zuhören. Denn eine Engländerin will nicht blos unter halten ſein , ſie will auch lernen und wiſſen . Die Frauen in England leſen ſehr viel und denken gründlich über das Gele ſene nach. Schon dadurch üben ſie einen bedeutenden Einfluß auf die Literatur, denn wer für Frauen ſchreibt, befleißigt ſich eines Flaren und geſdomackvollen Stils . Nicht weniger Enga länderinnen ſind ſelbſt Meiſter des Stils , cin anſehnlidyer Theil des Inhalts der Wochenſchriften fließt aus ihrer Feder. Weil die Frauen in England ſich ſo viel geiſtig beſdhäftigen , 3 Löher, land und Leute. I.
34 ſo nähen , ſticken und wirthſchaften ſie audy weniger zu Hauſe. Es iſt dem Deutſchen ſchon das etwas werth , nicht ewig in zarten Händen jenes Geiſt und Gedanken einſpinnende Werkzeug zu fe hen, welches für das nächſtniedrigſte Kleidungsſtück arbeitet. Die Häuslichkeit der Engländerin iſt nicht ſo leicht und lieblich, wie die ciner Deutſchen , es miſcht ſich zu viel ſchweres Pflichtge fühl hinein , aber wohl kommt auch die lyäusliche Sorgfalt der Engländerin aus dem Herzen . Dieſe iſt ſtarf und chrlich in der Treue , mit welcher ſie das Beſte ihrer Familie wirkt, ſie licbt ihren Mann gerade nicht mit unendlicher Zärtlichkeit, aber Beibc würden c8 unter ihrer Würde halten , falſch oder heftig gegen einander zit fçiut . Eine engliſche Che hat cinen bauer haften Grund, auf welchen
Nulc und Glück, Chre und Wohl
ſtand gedeiljen ; jedody ſielt der Deutſche ſie leicht etwas zu roſig an, denn er ſelbſt hat leider zu wenig Form und Halt in ſeinem Thun , und deshalb imponirt ihm ein Verhältniß , ſobald es ſich in feſten würdigen Formen darſtellt, ſo ſehr, daß er jedenfalls auch den föſtlichſten Gehalt darin crwartet. Die wandelloſe Stille und Ruhe in ſeiner Familie ſichert ſich der Engländer auch dadurch, daß er all ſein Beſitzthunt ciſern umgittert. Das Prinzip des Sondereigenthums iſt auf ſeiner Inſel auf die Spitze getrieben . Nicht bloß in den Städten, wo jedes Fleckchen Boden fo koſtbar iſt, ſondern auch im Funern des Landes ſtößt man ſich an den Marken und Jetes Mauern des Eigenthums auf Schritt und Tritt . Stücden Feld oder Anger oder Wald iſt eingehegt und ab gepfält .
Wer
kein Eigen
hat oder nicht zur Miethe wohnt,
kann ſeinen Fuß nirgends hinſetzen , als auf die Landſtraße. Die Völker zeigen ihren Charakter vorzugsweiſe in der Art und Weiſe, wie ſie das Grundeigenthum auffaſſen . Der Slave zäunt ſich nur ein kleines Stück ab , der Romane nimmt die beſten Plätze und umgiebt ſie mit Mauern als ſein Allein cigenthum , Beide bekümmern ſich nicht viel um das, was frei
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35 liegen bleibt : der Germane aber theilt ſämmtlichen Grund und Boden in Sonder- , Gemeinde- oder Staatseigenthum . Wäh rend jedoch der Deutſche von ſeinem Felde wie von ſeinem Walde für ſich ſelbſt nur den Hauptertrag verlangt und beibes ſonſt zu Federmanns Nutzen und Vergnügen offen läßt , kann man in England keinen Schmetterling fangen , der von der Landſtraße wegfliegt, und keine Waldeskühlung genießen ohne Erlaubniß des Beſikers. It Deutſchland haften in der hu manen Geſittung des Volkes noch Rechte und Reſte von Ge ſammteigenthum , in England iſt bereits jedes Plätzchen fuß weiſe abgemeſſen und vertheilt. Offenbar hängt mit dieſer ſcharfen Eigenthumsabgrenzung auch zuſammen , daß hier jede Lebensäußerung geordnet und gemeſſen, das ganze Volk ſtrenge eingeſchult, und der Charakter des Einzelnen feſt, hart, ja in mancher Beziehung unbarmherzig iſt. Man läßt jedermann ſein Maß von Recht und Anſehen , fordert aber auch vont Jedermann das Gleiche für ſich, gleichſam bis an die Zähne ver ſchanzt. 3m nothwendigen Gegenſatz zu den Gittern und Schranken des Eigenthums, welche in England auf Weg und Steg dem Wanderer entgegenſtarren , hat ſich auch ein Proletariat ent wickelt, das in ſo ſcharfen Umriſſen und zugleich ſo maſſenhaft Der Arme iſt bort zehnfach ſich nirgendwo wieder findet. ärmer als bei uns, und das engliſche Sprüchwort » Armuth iſt nechtſchaft" hat eine furchtbare Wahrheit, weil dein Beſita loſen gar kein Recht bleibt , als das nackte leben. Zahlloſe arme Leute wandern in England von Ort zu Ort, beren Nacht lager hinter der Hede iſt. Sie haben nirgends einen Heerd, welcher ſie an die Erde und an Verwandte und Nachbaren knüpft. Aus Noth und aus Grimm gegen die Rechte der Bes fißenden werden ſie zu Verbrechern , und haben ſic dazu den erſten verhängnißvollen Schritt gethan , ſo verharren ſie in der Regel auf der Verbrecherbahn , weil die Schande in ihrer 3*
36 Bruſt alles beſſere Selbſtgefühl auslöjdt.
Der engliſche Ar
beiter wird von ſeinem Dienſtherrn und deſſen Aufſehern nicht viel anders als wie ein Stück Maſchine behandelt, das ſchwei gen und arbeiten muß . Dafür greift aber unter den Arbeitern in den Städten ein trotziger Sinn immer mehr um ſich, zu gleich mit dem klaren Bewußtſein ihrer imſichern Lage . Wenn ſie der Herr entläßt, ſo ſind ſie völlig brodlos und wiſſen fich gar nicht mehr zu helfen. Denn meiſt ſind die engliſchen Fabrikarbeiter mir auf eine einzige Sache eingeſchult, die ſie höchſt vortrefflich herzuſtellen wiſſen , in allen übrigen Dingen bleiben ſie unglaublich unwiſſend. Ueberhaupt lebt das arme Volk in England in ciner geiſtigen Dumpfheit , wie man ſie kaum unter Waſſerpolaken und Slovaken antrifft. Die Volks bildung in den mächtigſten und reichſten Pande der Erde kanun ſich noch nicyt entfernt vergleichen mit den mannigfachen Kennt niſſen und Geſchicklichkeiten, in welchen auch die unteren Klaſſen in Sadjen, Thüringen, den Main- und Rheinlanden und faſt im ganzen nördlichen Deutſchland erzogen ſind. Vielleicht kann ein volles Viertel der Erwachſenen in England nicht leſen und nicht ſchreiben. Auch von ſonſtigen Anregungen , welche auf Geiſt und Gemüth heilſam einwirken fönnten , fließt ihnen viel weniger zu, als gleich Armen auf dem Feſtlande; Ausbrüche von Rohheit ſind daher häufig. Bei Volksfeſten fallen öffent lich Scenen von Gemeinheit vor , welche anderswo unmöglich wären ; unter den Franzoſen, Spaniern und Italienern bewahrt auch der gemeine Mann den äußern Anſtand, der ärmſte Deutſche aber hat noch einen Reſt von Gemüth und Scam gefühl. Wo anders als in England ſieht man auf den Straßen berauſchte Dirnen ? Zahlreiche Haufen ſtellen hier zum Pro letariat auch die ländlichen Arbeiter, welche feinen Grundbeſitz, höchſtens ein Häuschen haben. In dieſen ſtädtiſch und rein= lich eingerichteten Hütten ſieht man ſie ſigen , wenn das Feld ſie nicht beſchäftigt, unthätig, ſtarfſeibig und gutmüthig. Selbſt
37 in der Nähe großer Städte giebt es ihrer genug, deren Den ken und Wiſſen nicht viel weiter geht, als ihre tägliche Ausſicht. In ſeinem Benehmen iſt der engliſche Landarbeiter langſam und ſchwerfällig, er ſcheut die Anſtrengung und behütet ſeinen leih vor Fährlichkeit; er hat wenig feuriges Blut, wenn er aber zu arg gereizt wird , und nicht mehr anders kann , dann ſchlägt er los und hält auch aus im Schlagen. Sonſt hört man ſie ſelten laut werden . Des Abends kommen ſic manch mal im Wirthshauſe zuſammen , ſchweigend mit gefurchten Stirnen ſeben ſie ſich hin, man ſollte meinen, ſie dächten etwas ganz Beſonderes ; ganz allmählig kommt ein flüſterndes Geſpräch in den Gang , wie ein ſchlechtgeöltes Rad. Nur wenn eine Ballade geſungen wird , weiß faſt jeder einige Bruchſtücke davon. Dieſe Liebhaberei für Balladen ſcheint der letzte Fun ken poetiſchen Gefühls . in dieſen nüchternen phantaſielofen Leuten. In Deutſchland gebent , neben den alten Volksliedern und Kirchenmelodien von einfacher Kraft und Schönheit, die Drehorgeln den untern Klaſſen Singſtoff. In den " fünf neuen Liedernu des Leierkaſtenmannes ſitzt nicht ſelten mehr poetiſche Kraft als unter dem Deckel manches Goldſchnittbüdyleins voll Gedichte. Die engliſchen Balladenmacher aber arbeiten gleich ſam ins Große, und es kommt ihnen dabei zu Statten , daß ihre Vorbilder , die alten engliſchen und ſchottiſchen Balladen , im Bolfe bekannt und beliebt ſind. Wo viel Lidyt iſt, muß viel Schatten ſein , denkt man in England gern und vergißt die dunkeln Sdaaren der Beſitzlo ſen über das helle goldene Licht, welches ſich über ſo weite Räume im Innern des Landes verbreitet, wo um prachtvolle Schloß- und Abteiruinen ſich die freundlichſten Landſitze und Farmhäuſer brängen. In all den Wohnungen iſt es ſo nett und reinlich , es iſt für jedes Lebensbedürfniß ſo ausreichend geſorgt und die Behaglichkeit ſo zu ſagen in großen Stücken zugeſchnitten, daß ſelbſt im Vergleich mit den geſegnetſten Ge
38 genden des Feſtlandes bas engliſche Volt immer noch etwas vornehmer und reicher erſcheint. Eine beſonders kräftige Er ſcheinung iſt der engliſche Pächter und Grundbeſitzer, der ſelbſt Arbeiter halten kann. Er wohnt nicht in einem alten ehrwür digen Bauernhofe, ſondern ſeine Anſiedlung iſt wie eine kleine Fabrif, Feld und Hof und Garten ſind nach der Schnur an gelegt , und alles iſt auf das Zweckmäßigſte ausgedacht, um recht viel forn und Vieh und Cbſt zu machen . Ein ſolcher Farmer würde in der häuslichen Einrichtung einer Familie, dic bei uns ſchon recht in der Wolle zu ſitzen glaubt , nod ) genug Lücken finden , die ihm unerträglich wäreit. Das luſtige Altengland" nimmt auch im Innern der brit tiſchen Inſel jetzt reißend dynell Abſchied , die Feſtlandsſitten verdrängen das Inſulariſdye, gerade ſo wie im vorigen Jahrhun dert und ſchon früher das luſtige Altdeutſchland mit ſo manchem fröhlichen Gebrauche in Familie, Dorf und Stadt verſchämt und flüchtig wurde, weil die Leute ſich nach franzöſiſcher Lebensart unthaten . Jene engliſchen Farmer aber und die zahlreichen gleich wohlhäbigen Handwerker in den Städten , die Gaſtwirthe auf dem Cande , die reichen Fiſcher und Lootſen an der See , die Faktoren und Schachtmeiſter in den Fabriken und Bergwerken, dieſe Männer mit ihren friſchen rothen Geſichtern und ihrent derben Selbſtgefühl, mit ihrem guten Humor und ihrer Kraft füche bilden immer noch ein gutes Stück vom luſtigen Alteng land , wenn auch die Töchter bereits deutſche Muſik klimperit und franzöſiſche Romane leſen . Dieſe mittlern Volksklaſſen ſind auch die Hauptabnehmer der Hunderttauſende von Nummern, welche die Herausgeber der Wochenſchriften für Unterhaltung und Belehrung jeden Sonnabend in's Land ſchicken .
Darin
werden die neueſten Ergebniſſe der Naturwiſſenſchaften dem Volke in verſtändlicher Weiſe dargelegt. Es ſammelt ſich das durch im Mittelſtande ein Schatz von allerlei Kenntniſſen an . Die Wiſſenſchaft iſt in England nur in den Orforder Collegien
39 vornehn , ſonſt drückt ſie überall and dem Farmer und Hand werker die Hand. Tägliche politiſche Blätter werden dagegen in England viel weniger als in Deutſchland geleſen. Wollen aber die Zeitſchriften einen Leſerkreis gewinnen , ſo müſſen ſie fräftige Hausmannskoſt geben, geſpickt mit engliſdem National gefühl, vorkommenden Falls auch mit läſterungen auf Nicht engländer. Romanhelden , die nur den luftigen Hintergrund der freien Menſchlichkeit haben oder lediglich aus ihren Her zensabgründen ganze Welten hervorzaubern, ſind nicht im ( e ſchmacke der Engländer. Auf jedem Blatte ihrer Literatur ſteht das große engliſche Id ), ſie hat realen engliſchen Boten , die wirkliche (Seſellſchaft und die wirkliche Seſdichte Englands mit all ſeinen Eigenheiten beſdıränfen und färben den Heri zont des Sdhriftſtellers, aber deren Zeichnungen gewinnen da= durch Leib imd Leben, ihre Gedanken werden ſcharf und klar. Zwiſchen den letztbezeichneten Klaſſen und dem Abel befindet ſich ein anderer Volkstheil in ewiger Spannung und Unruhe. In Kleidung und Benehmen iſt der engliſche höhere Bürger ſtand förmlich, im Geſpräch fühl und wortfarg. In der Zeit nicht pünktlich zu ſein , cridyeint den Herren ebenſo unanſtät dig , als ein nicht ſauber gebürſteter Gut. Ein bisctyeit geniale Nachläſſigkeit kann ſic todt ärgern , und doch möchten ſie ſich gern eine gewiſſe vornchme Einfachheit angewöhnen . Strenge Selbſtbeherrſdung und Behutſamkeit in Wort und Mienen iſt ihnen zur andern Natur geworden , aber in ihrem Geſichte ſteht auch immer ein Zug von Aengſtlichkeit, ob ſie all die zahlloſen Kleinigkeiten bei Beſuchen , im Geſpräch und an der Tafel, welche in tig ſind , gehörig giebt es weniger welche ſich im
ihren Augen vornehm und ſo unendlich wich in Acht nehmen . Nirgendwo auf der Welt natürliche Heiterkeit, als bei dieſen Männern, Uebrigen durch männliche Gebiegenheit des
Charakters, burdy Zuverläſſigkeit und gründliche Geſchäftskemt niß ſo vorzüglich auszeichnen .
Der höhere Bürgerſtand zer
40 theilt ſich in England in eine Menge von einzelnen Kreiſen neben einander, welche durch eine tiefe Kluft getrennt ſind. Nur die Mitglieder jeden Kreiſes verkehren unter ſich , und als neuen Genoſſen nehmen ſie nur Den auf , der unzweifelhaft ihr beſtimmtes Maß von Reichthum erworben und zugleich ſeinen Charakter, nämlid) eine gewiſſe Stufe in der öffentlichen Meinung bewahrt hat. Geld und Gut giebt Macht und iſt Macht, deshalb iſt ein rechter Engländer in ſeinem Denken ſo real, den Werth, den cin anderer für ihn hat, nach deſſen Reichthum abzumeſſen, das Haben iſt hier auch Sein. Einent verarmten Lord geht er ſtill aus dem Wege ; hohe Wiffent ſchaft, cin blendender Geiſt, ein überſtrömend edles Gemüth ſind ilm aller Achtung werth , im Grunde ſeines Herzens jedoch gleichgültig; denn zu ſeinem Comfort bedarf er ſolcher Dinge nidyt, und gegen die Gefahr, welche ihm überſprudelnde Röpfe bringen könnten , (dützt er ſich durch Geſetze. Dichter und Künſtler ſind durch die entzückende Macht ihres Genies an dersio die Lieblinge der Götter und Menſchen , der Engländer ladet ſie erſt dann zu Tiſche , wenn ſie ſich durch die Gunſt des Adels oder durch die goldenen Früchte ihres Geiſtes legi timirt haben . Die ſchönſten Blüthen engliſchen Lebens entfalten
ſich auf
den Landſißen der Gentry), jener zahlreichen Familien , welche wie durch Reichthümer, ſo auch durch feine Bildung und Muße beglückt ſind und
ſich dem Erbadel, mit welchem ſie durch
Herkunft, Verbindungen und Lebensweiſe zuſammenhängen, zu nächſt anſchließen. Ihnen iſt in England ohne Frage das be neidenswertheſte Loos gefallen. Der Kreis aber , in welchem ſich die Macht und die Ideen des engliſchen Volfs gipfeln , die Geſellſchaft, welcher ſich alle Köpfe zuwenden und nach welcher ſich alle Geiſter richten , wird nur durch den Erbadel gebildet. England hat einen Adel , deſſen Ähnen noch jung ſind , und es Keinem verwehren , ſich zu gleicher Höhe zu er
41 heben . Dies hilft wenigſtens dazu , den Urſprung jener eigen thümlichen Macht des engliſchen Adele zu erklären , die ſid) geiſtig noch viel mehr fühlbar macht, als ſie äußerlich in Staat und Geſellſchaft hervorragt. Der engliſche Abel iſt wirklich) burchlauchtig , er gießt in der Meinung der Engländer über Alles einen Glanz aus , was ſeine Hände berühren . Soweit die Lichter ſichtbar ſind , welche des Abends die Fenſter eines adligen Schloſſes erhellen , ſoweit gilt die Umgegend für vor nehm. Das Urtheil, welches die adligen Streiſe über ein Buch, einen Vorfall, einen Mann fällen, dringt mit unwiderſtehlicher Macht in die Köpfe der übrigen Ycute hinein. Eine Familie erhält ſchon dadurch höheren Glanz ,
daß ihr Baupt in Gc
ſchäften mit Adligen verkehrt, und Leute, welche die Großſtädte ihres Landes nicht nennen können , wiſſen die vornehmſten Adelshäupter und die ſchönſten Adelsdamen an den Fingern herzuzählen. Ein Nichtadliger , der im Vollbeſitz des Reich thumes mit Pferd und Wagen und Dienerſchaft es dem Adel gleichthun wollte ,
würde durch den
ärgerlichſten Spott und
Klatſch ſo gepeinigt, daß er bald die Flügel wieder einzöge. Der Engländer will einmal, daß ſein Vandesadel inantaſtbar ſei, und erboßt ſich nidyt barüber , daß auf der hohen Schule zu Orford ein Farinersſohn faum Aufnahme findet. Fetes Volk umgiebt irgend etwas , was gerate ſeinem Lande cigen thümlich iſt, mit beſonderer Verehrung, das eine dic Religion und Prieſterſchaft, das andere Münſte und Wiſſenſchaften und deren Träger , das dritte ſein Veer und deſſen Führer. Der Engländer verehrt ſeinen Abel als das lebendige Wahr zeichen der brittiſchen Größe. Der ganze Verlauf der engli jchen Geſchichte von den fächſiſchen Thans und wälſchen Clanshäuptlingen und normänniſchen Lehnsbaronen bis zu den einſt revolutionären , jetzt geſeggebenden Lords im
engliſchen
Oberhauſe hat bewirkt , daß dem Engländer die Ehrfurcht vor ſeinem Abel angeboren wird . Der Germane verſteht ſich zu
42 organiſiren , dadurdy hat er über den Südländer , der mehr natürliche, aber weniger nachhaltige Fähigkeiten beſitzt, ein ent ſchiedenes Uebergewicht. Auf welcher Machthöhe ſtand nicht Deutſchland im Mittelalter durch die lebenvolle Gliederung ſeiner Korporationen und Genoſſenſchaften . Die engliſche Na tion hat ſidy nocy jetzt von unten nadı oben, aber frei von innen heraus zu einem gewaltigen Volksganzen organiſirt ; dieſe Glie derung bedarf in der Weiſe , wie ſie ſich geſchichtlich einmal geſtaltet hat, eines oberſten , feſtſtehenden , unverrückbaren Strei ſcs, deſſen Geltung imbedingt anerkannt wird . Dieſen Kreis Weil aber das Aufſteigen zum Abel Nic bildet der Adel. mand unmöglich iſt, ſo fließt aus dieſer lebendigen Gliederung auch das inrubige Streben nach oben , welches in England bis in die unterſtei Nreiſe hinabreidt. Das engliſche Volk flimmt gleichſam im dichten Gewühl einen Berg hinan ; Jeder ſucht ſeinem Vintermann auf den Kopf zu treten , um ſich mit deſto mehr Wucht und Länge auf den Vorderniam zu werfen, damit er deffen Platz einnehne. Den Gipfel , ivo die Adelshäupter ſtrahlen in reinem Sonnenlicht, erreichen zwar nur die Wenig ſten , aber das raſtloſe Ringen der Uebrigen hält des ganzen Landes Sräfte in Spannung und dem Volksganzen kommen die Reichthümer zu Gute, welche die Einzelnen anhäufen um ſich ſelbſt empor zu ſdwingen . Der Adel Englands iſt nun in der That auf das Reichſte mit all den Gütern ausgeſtattet , welche den Menſchen auf dieſer Erde zu erreichen erlaubt iſt. Das Auge des Nünſtlers erfreut ſich an den ſchönen Menſchengeſtalten, die der engliſche Abel in Menge darſtellt neben einer Höhe und feinen Glätte weltmänniſcher Bildung, welche durch gründliche Kenntniß und Uebung der Naturwiſſenſchaften wie der Staatskunſt einen fräftigeren Gehalt, und durch unmittelbare Anſchauung der Län der und Völker auf Reiſen über den halben Erdball ihre Voll endung erhielt. Was irgenwo auf der Welt an Geiſt und
43 Schönheit, an höchſter Bracht und Sunſt, an ächter Humanität wie an verſchrobenen Geiſtern , an Edelmuth wie an Grimm und Berworfenheit in gehärteten Charakteren anzutreffen , das möchte in ben engliſchen Adelskreiſen ſeine zahlreichen Vertreter haben. Dem Fremden würde ſchon das allein für längere Zeit anziehend ſein, hier die merkwürdigen Verkleidungen und Schlupflöcher zu beobadyten , welche der engliſche Nationalſtolz und Nationaldünkel, ſowie jener Geiſt der Läſterung 31 Hülfe nimmt, der allen Völkern germaniſcher Abſtammung , int vor züglichſten Grabe aber den Engländern angeboren ſcheint. Und wo kann es einen anmuthigeren Wohnſitz geben , als einen ad ligen landſitz in England ? Es liegt etwas unendlich Heimi ſches in den hohen alten Bäumen , welche das Herrenhaus umrauſden, von denen jeder ſo ſchön iſt, daß man ihn malen möchte. Und imter den chrwürdigen weitäſtigen Bäumen ſpie len Häschen , Faſanen und Rehe durch die Büſde und über den faminetgrünen Raſen. In Frankreich glaubt man , durdy dieſe ſtolzen Wohnungen , welche ſid halb im dunkeln Epheit, halb in Blumen und Ge büſch verbergen , idleidie insgeheim die Furcht vor Erſchütte rungen des Handels und ver maßloſem Aufruhr. Der cuga liſche Abel hegt andere Meinung.
Zivar ſind in das Netzwerf,
welches er über ganz England zeg , um deſſen Arbeit , Ruim und Schätze für ſeinen Stand auszubeuten, in den letzten fünf und zwanzig Jahren große Löcher geriſſen, aber immer iſt es noch ſo weit angelegt und ſo fein und feſt gedreht , daß noch mancher Goldfiſch darin Hängen bleibt. Handelskriſen , ſo denkt der reiche Engländer, ſind natürlich, und England wird gute Abſatzquellen verlieren , aber es wird ſich auch nene er öffnen , das Meiſte ſeiner Erzeugniſſe verzehrt es ja felbſt, und mit ſeinem ungeheuren Uebergewichte im Handel wird es noch lange der fremden Mitbewerbung den Rang ablaufen . Aufruhr des Proletariats wird nicht ausbleiben, aber er wird
44 ziellos wieder zergehen , denn die Arbeiter bilden kein großes planmäßig kämpfendes Heer, ſondern ſie ſind getrennt in ein zelne Haufen , ihre Vereinigung aber wird der wohlbewehrte Arm des Geſetzes und die ſtarke Macht der Pächter und klei nen Grundbeſiter verhindern. Sind die aufſtändiſchen Banden zerſprengt und die Anführer in Botanybai, ſo iſt die Luft wie der auf lange Zeit gereinigt. Ja , England wird Stöße be kommen und tüchtige , aber es wird ſie ſchon aushalten : das iſt die Meinung der Grundbeſißer in England und deshalb machen ſie ſich nicht große Sorge um die Zukunft. Shrer Anſicht neigt inan ſich um ſo mehr zu, je länger man, entfernt von den großen Städten , im Innern des Landes verweilt, wo ſtatt der Wogen des Proletariats, welche dort die Paläſte um branden , die ruhige feſte Stärke der Landbevölkerung hervor tritt. Der gemeine Mann in England hat viel Geduld , er arbeitet und leitet und wartet , ob es nicht mit ihm beſſer werde, er beſitzt auch mehr praktiſdien Verſtand , mchr Schwer fälligkeit, und weniger feurige Phantaſie, als ſeine Genoſſen in Frankreich. Deshalb läßt er ſich zu gewagten Aufſtänden ſo leicht nicht fortreißen. Er hegt aber noch einen andern feſten Hort in ſeinem Innein, fein Nationalgefühl. Auch der ärmſte Engländer iſt nody ſtolz auf ſein Land , und das iſt nicht der Stolz des Lafaien, der ſid , brüſtet, weil er. einem großen vor nehinen Hauſe angehöre. Fi des Engländers Nationalgefühl wurzelt vielmehr die Achtung vor ſeines Landes Geſetzen und Einrichtungen , und dicſe angeborne Scheu und Furcht, ſich an ſeinem Lande zu verſündigen , macht den Aufruhrgebanken ſchon ehe er zur That wird innerlich ohnmädytig . Das Nationalge fühl ſeiner Söhne iſt für England noch ein beſſeres Bollwerk, als all bie hölzernen Wälle ſeiner ſtolzen Flotten .
III . Jordwales.
Nach den geräuſchvoilen Wodjen , welche idy im Arbeits gewühl der engliſchen Städte zugebracht hatte , lechzte ich nach Wald und Einſamkeit. Nordmales wurde als das Land der hohen Gebirgsromantik geprieſen , ich fuhr alſo von London nach Liverpool mit dem Abendzuge , der in fünf Stunden von einem Ende der Englandsinſel zum andern raſſelt. Zwiſchen Liverpool und den Bergen von Wales iſt cine Pandzinge von ein paar Stimden Breite von Meer und Strom
umfloſſen ,
ich dachte ſie quer zu durchſdyneiden , und ließ mich über den Meerarm , River Merſey , welder Liverpool die Schiffe zu führt , überſetzen nach Birkenheab auf dem andern Ilfer. Die Rhede bietet eine pracytvoúc Waſſcrſicht, voll von ſchlanken Schiffen und dennoch blank und weit , drüben glänzen die Hü gel von Grün und weißen Pandhäuſern . Auf der Dampffähre ließ ſich das ſchottiſche Pibrok hören , es klingt ächt gäliſch, findiſch fröhlich und frech.
Es waren auch vier junge Eng
länder da , ſichtlich aus den höchſten Kreiſen , denn ſie fuhren hernach vierſpännig weiter und von prachtvoller Livree bedient; ſie fielen mir auf wegen ihres feinen und leichten Weſens, wel ches die nationale engliſche Steifheit ganz abgeſchüttelt hatte, jedoch konnten ſie es nicht laſſen , ſchallend mit den Füßen den Takt zum Bibrok zu ſtampfen . Auf dem höchſten Punkte von
46 Birkenhead labte ich mich an der Stille, welche midy hier end lich wieder umgab , und an der Ausſicht da unten , wo der Dampfwagen zwiſchen den häuſerbedeckten Hügeln einherbrauſte und die Schiffe auf der breiten hellen Rhede fuhren. Die Ebbe umzog dieſe mit einem dunkeln Streifen zwiſchen Meer und Land , ſo weit nämlich das Waſſer von Lande zurücktrat. Jenſeits ſtreckte ſich die unabjehlice , vom Rauche meiſt ver hüllte Seeſtadt hin. Dann ging ich hügelauf hügelab in die kleine Halbinſel hinein , ergötte mid) an der niedlichen Landſchaft, die jedoch bald einförmig wurde, ſah in die Häuſer und lernte Mancherlei vom Leben des engliſchen Landvolkes kennen . Häufig ſpazirte ein hübſches Kind mit dem Buche in der Hand im Grünen umher , freilich auch manche aufgeputzte alte Fungfer , denn England iſt das Land, wo die Jungfrauen alt werden wie ge räucherte Fiſche. Der Gang der Engländerinnen iſt feſt und aufrecht, jedoch nicht anmuthig , und erinnert wohlmal , wenn das Selbſtbewußtſein der Dame nicht durch Geiſt und Leben unterſtützt wird , an den ehrbaren Gang der weißen Gänſe. Die freundlichſten Landhäuſer ſtanden auf allen Höhen ſo be haglich als es ſich nur denken ließ. Auch der gemeine Land mann wohnt in netten Steinhäuschen , wenn ſie auch nur ein Strohdach haben . Es iſt ſehr beſchränkt darin , aber alles blank und zierlich , wie bei Kindern . Ein Kämmerchen iſt an dem andern , in jedem aber weiß man Putzwerk anzubringen . Dazu muß ſich namentlich das Hausgeräth hergeben ; das fei nere , oder wenn man nichts anderes hat , auch wohl Muſchel und Quarz glänzt auf dem Kaminſimſe, eine Menge Zangen, Feuerſtecher , Schüppen , Krüge und dergleichen bekleidet die Wände , leere Flächen in der Stube kann man nicht leiden. Es liegt etwas Heimiſches
in dieſer Sitte,
denn
auch
das
Hausgeräth gehört zu unſerer Gemüthlichkeit, aber in England macht es zu oft die Stube der Küche- ähnlich und dient gleich
47 wohl nur zum Brunfe. In alten Bürgerfamilien Deutſchlands iſt etwas Aehnliches üblich , aber da läßt man body nur das Silber- und Zinngeſchirr und die Ehrengeſchenke glänzen . an .
Mit meiner Wanderung auf gut Glück kam ich aber übel Der Fremde in England , namentlich wenn er zu Fuße
und von den Hauptſtraßen abgeht, muß um ſein Nachtquartier erſt lange unterhandeln , ſonſt bekommt er keins. Der Eng= länder iſt mißtrauiſch gegen Die , welche er nicht fennt.
Ich
fragte drei- oder viermal um Herberge an , jedesmal entſtand lange Berathung , ich mochte ihr Ende nicht abwarten und mußte zuletzt in der Nacht noch einen guten Theil Weges zu= rückwandern. Dabei ſah ich hin und wieder einen alten Manit zwiſchen den Zäunen ſchwanken, welcher des Brandi am feuch ten Abend zu viel genommen hatte. Die Engländer ſingen nicht bei dem Trinken wie die Deutſchen und lärmen audy nicht dabei , wie die Frländer , aber ſie trinken jeden Abend, wenn ſie es haben können , faſt ebenſoviel wie die Schweden am Sonnabend , zu welcher Zeit es unter den Skandinaven nicht ſo leicht ſein ſoll , einen ganz nüchternen Mann aufzufinden. Ich erhielt endlich nicht weit hinter Birkenhead in einem Pri vathauſe eine gute Aufnahme . Tags darauf ging meine Wanderung noch weiter zurück, um auf der Eiſenbahn nach Cheſter zu konumen .
England iſt
das Land der Heckenreiter und Strauchdiebe, allwärts giebt es dichte Hecken , Gebüſch , Gräben und ſonſt allerlei Verſtecke. Es regnete häufig ; Luft und Wetter auf dieſer Inſel ſind die meiſte Zeit ſo wie bei uns nach langem Regen . Cheſter iſt eine von Englands altberühmten Städten. Wenn man von Liverpool bahin fomimt , erinnert man ſich an den Gegenſat zwiſchen den prächtigen Hamburg, der lebenvollen Welthandelsſtadt, und Lübeck, welches wie eine königliche Witwe trauert in ſtiller Zurückgezogenheit. Der Hafen Cheſter's ver fandete, und Handel, Volksgewühl und Pracht zogen nach Liver
48 pool .
Auf den Plätzen von Cheſter ſtehen zwar nicht ſo viele
alterthümlich ſchöne Gebäude, wie in Lübeck, dort wohnt auch kein Andenken an eine Zeit , wo die Stadt eine ſtolze Herrin von Land und Meer geweſen wäre, gleichwie einſt die deutſche Hanſeſtadt. Aber durch die dunkeln Thore tritt man gleichſam wieder ein in lang vergangene Zeiten , Cheſter hat eine große Geſchichte gehabt und lebt noch von den alten Erinnerungen. Mit dem deutſchen Mittelalter verknüpft ſich auch das Denk mal Kaiſer Heinrichs IV. Es geht hier die Sage , der Viel verfolgte habe ſein unſelig Haupt bis hierher an die wälſche Küſte getragen , und die Bürger von Cheſter hätten aus Mit leid und Ehrfurcht den hohen Gaſt auf das Beſte beherbergt, den einſt die erhabenſte Krone der Chriſtenheit ſchmückte. Wirklicy ſtcht noch in der Rathedrale von Cheſter des Naiſers Grabmal, wohl geziert und in Ehren gehalten, während unſere Geſchichts vücher melden , er ſei in Lütticły geſtorben und in Speier bei geſetzt. Das tragiſche Schickſal , welches ſein Leben ſo unheil voll zerrüttete , ſcheint auch noch das Anbenken an den Ort verwirren zu wollen , wo feinc müden Gebeine die Ruheſtätte fanden. Der altehrwürdige Dom von Cheſter reiht ſich den Stathedralen an , welche in ſo vielen engliſchen Städten mit ihren Thürmen , Säulenhallen , Schnörkeln und Winkeln der aufwachſenden Fugend gleichſam in die Seele hineinwachſen. Auch eine ſtattliche Burg erhebt ſich hier, und in unſerer Zeit durfte die Markthalle nicht ausbleiben . Burg , Dom , Markt halle Fehlen faſt keiner der alten Städte Englands. Aus der kriegeriſchen Zeit der Lehnsbarone ſtammen die Burgen , aus der Zeit kirchlicher Herrlichkeit, wo England die Perle der päbſtlichen Krone war und den Peterpfennig nach Rom zahlte, die Kathedralen , und jetzt baut jede Stadt ihre Markthalle ſo weiträumig und prachtvoll, als hätten ſie ſich das Wort gege ben , das Zeitalter des engliſchen Welthandels folle darin wür dig dargeſtellt werden .
Cheſter iſt auffallend regelmäßig gebaut,
49 die Straßen kreuzen ſich in großen und kleinen Vierecken. Auf der breiten Stadtmauer läuft rings um die Stadt ein gebahnter Fußweg, ein Spaziergang hier oben bietet eine reiche Abwechslung von Anſichten allerlei alter und neuer Baulich feiten . Noch merkwürdiger ſind die Sallerien über den Straßen . Wie in vielen alten Städten , hatte jebes Haus unten nach der Straße hin eine offene Halle, welche durch Säulen geſtützt wurde, hinter denen ſich die Schauläden befanden. Dieſe Hallen bil deten einen fortlaufenden bedeckten Gang. Weil aber die Stadt auf weichem Felsgrunde ſteht, ſo ſind in der Länge der Jahr hunderte die Straßen allmählidy tief ausgefahren wie Hohlwege, und die Häuſer mit ihren Hallen oben am Rande ſtehen ge blieben . Später wurden dann auch unten an der Straße Ocff nungen für framläden in den Feljen hineingehöhlt. So geht man jetzt über dieſen Läden oben treppauf treppab von einer Gallerie in die andere und ſicht unter ſich in den tiefen Straßen die Wagen fahren. In England achtet man um ſo lieber auf ſolche Eigenthümlichkeiten , als die neueren engliſchen Städte ſonſt nur ein langweiliges Einerlei von Häuſern zeigen , von denen das eine wie das andere gebaut iſt , jedes nett und ſauber, aber ſelten eines , das ſich durch Größe oder Schönheit aus zeichnet. Von Cheſter, wo man unter dem ärmeren Volke ſchon etwas von den wälſchen Gurgeltönen vernimmt, fuhr ich nach Flint dem Geſtade entlang. Anfangs regnete es ſtark, das Boot wurde faſt überſchwemmt und tanzte vor dem Winde über die ſchäumenden Fluthen. Nach und nach wurde es lichter und das Meer glatter, die vier Ruderer, unterſtützt von Wind und Segel, ließen das Schiffden fliegen. Sie waren fröhlich und Wohlauf und äfften die wälſche Sprache nach. Jedes Boot, das in der Abendſtille vorbeifam , wurde angerufen und gab Antwort. Die Luft war bunkel und feucht , das Waſſer helt am Ufer gingen Fiſcherböte ihrem ſtillen Geſchäfte nach. Bom Löher, land und Leute.
50 linken Ufer ſchrillte dann und wann ein Klang aus den Werk ſtätten herüber, in detten hier Schiffe und eiſerne Dampfboote gebaut werden ; etwas weiter erhoben ſich endlich die grünen Verge, deren erſter Anblick nach ſo langen Ebenen mich ſchon um Mittag entzückt hatte. Dann zeigte ſich Flint. Die breite Burgruine von der Fluth beſpült , die Schiffe und Böte , die alterthümlichen Häuſer und Hütten weithin zerſtreut, das Holz werk am Strande, allerlei Volk dazwiſdyen, hochragend im Hin tergrunde das Gebirge, das alles, von Ruhe und feuchtem Glanze umſchloſſen , machte einen wunderbaren Eindruck. Die Seele ging mir auf. All die Land- und Seeräuberromantik hob ſich aus ihren bunkeln Gründen hervor: hier die ewige Meeres fluth), am Geſtade die Forts , von denen herab die normänni ſchen Herren die Wälſchen bezwangen , bort die tiefen
Berg
dylucyten, aus denen die Weißmäntel hervorbrachen. Weil es eben Ebbe war, ging man über eine Strecke Meeresboden zum Lande, die Seekrebschen ſchlüpften mir unter den Füßen weg . Das Caſtle fun war vortrefflich , angefüllt von See- und Handelsleuten, und dennoch ſauber und gemächlich eingerichtet für andere Reiſende. Hier am Eingange des Gebirges , wel dyes jetzt der Lieblingsplatz der engliſchen Touriſten iſt, war man ganz auf ſie eingerichtet. Zur Nacht reichte man mir un gefordert Sdilafmütze und ein feines Nachthemde. Der Staffee war ſo gut , wie bei uns an Brunnenorten , was für England viel ſagen will, und die mancherlei Fiſchgerichte wirklich föſtlich. Ich unterhielt mich des Abends lange mit einem Schiffskapi tän aus Memel, einem Bommer, deſſen Eltern und Verwandten immer Schiffer geweſen, er war in dieſem Berufe mit ſeinen Gedanken und Anſichten ſo feſt gewachſen, wie ein Großbauer auf ſeinem Hofe. Sein Schiff, welches Holz geladen hatte, lag am Ufer und hatte Gebrechy. Ich lernte von dem Kapitän mancherlei über die Städte und Frachten der Oſtſee, über den Sund und die preußiſde und engliſche Rhederei. Das End
51 ergebniß der Unterhaltung war ,
daß unſere Schiffsleute von
der Oſtſee ebenſo wie die von der Nordſee wohl fühlten, was ſie init ihren Kräften für ſtattliche Leute ſein könnten, wenn das Land und die Regierung den deutſchen Seehandel mehr unterſtügten . Am Morgen beſuchte ich das preußiſdie Schiff und ſtöberte dann am Strande umher nach Seegewädyſen. Muſchelſucher gingen weit vom Ufer mit ihren Körben in der See, denn der Strand iſt hier ſehr flach ; es ſieht von ferne ſeltſam aus, man meint, die Leute wandelten
auf dem Meere.
Die Burgtrüm
mer von Flint erheben ſich mächtig auf Felfen , welche die Um die alten Zinnen Fluth ſeit Jahrhunderten auswäſcht. ſtreiften die Wolken , von denen die Bucht umſäumt war , und durch ſie hindurch ſchnitt hin und her das weiße Mövenge fieder. Zu Zeiten wurde das Gebirge durdy Sonnenblicke grün erhellt. Die Beſatzung in der Burg muß ehemals von vieler Gefahr umdrängt geweſen ſein, denn das Schloß war überaus ſtark befeſtigt.
Die beiden Landſeiten des Vierecks waren durch
drei gewaltige Thürme beſchirmt und von tiefen Gräben um zogen, die beiden andern Seiten vom Meere beſpült. Vor dem Eingange erhob ſich noch ein ſtärferer Thurm , in welchem ſich drei Rundgänge über einander befanden, ſo daß zuletzt noch in der Mitte des Thurmes ein Vertheidigungsort blieb . Dieſer Thurm ſteht durch einen unterirdiſchen Gang mit der Burg in Verbin = dung, und audy unten war der breite Burgberg nod) mit Graben und Wallmauer umgeben .
Jetzt iſt ein Gefängniß auf dieſer
Höhe. An einen Trümmerreſt lehnte ſich eine Geſellſchaft Engländer, wahrſcheinlich Badegäſte, die Flint häufig beſuchen ; ſie fangen , beteten und plauderten mechſelweiſe, indem ſie auf das Meer ſtarrten. Flint hat bedeutende Fabriken , die einen argen Rauch über den Ort verbreiten. Auch hier fand ich in
!
der größten Fabrik , in welcher Vitriol , Bleiweiß u. ſ. w . be reitet wurde, einen Deutſchen als Vorſteher. Das war mir chon öfter in England vorgekommen .
52 Gegen Mittag ging ich voll Erwartung in's Wälſche binein . Der Weg zog ſich eine Zeit lang an der Küſte hin , auf der einen Seite folgten ſich angenehm bebaute Anhöhen , auf der an dern glänzte der Meerbuſen. So ein Gang zwiſchen dem Berg grün der Küſte und der leuchtenden friſchen See macht das Herz fröhlich. In den kleinen Ortſchaften umſchwärmte mich oft ein Haufen neugieriger und jubelnder Kinder , denn Bart und Reiſchut erwecken noch immer in England Aufſehen . Wie es ſcheint, brauchen die Engländer ihre auffallende Reiſetracht nur in der Fremde, in der Heimath kleiden ſie ſich gleich wie der fein bürgerlich). Bald ging es von der Nüſte ab , ein dunkles Thal hinauf, da war ich auf einmal mitten im Ge birge, ſah wieder bebüſqyte Berglehnen , unten die weidenden Rinder , eben den klaren Aether , und hörte wieder Waſſer plätſchern und Vögel ſingen. In Holywell war der Freitags markt und die Wälſchen dort in Maſſe verſammelt. Durch gängig ſind es dicke, kurze Menſchen, wie ein Beutel, der auf zwei Beinen läuft , ſind immer luſtig und verliebt , und wie Kinder neugierig und zutraulich. Der Engländer läßt ſich ſein Urtheil von ſeiner Partei zurecht machen , cr folgt gefügig der öffentlichen Meinung und iſt in ſeinem Denken und innern Gefühl weit weniger ſelbſtſtändig und eigenherriſch als der Deutſche. Auch die Zeitungen der Engländer ſind nichts als derbe Parteiblätter, jedes Wort darin
iſt vom
Parteiintereſſe
eingegeben und außer dieſem ihnen alles andere gleichgültig. Aus dem Kampfe dieſer ſchroffen Parteiintereſſen entwickeln ſich die großartigen Maßregeln für das Land und das gerade wegs praktiſche Handeln der Einzelnen . Der Wälſche dagegen läuft immer mit dem Troß , bei ihm iſt die öffentliche Mei nung eine Windfahne, bald herrſcht die eine Gruppe vor, bald die andere. So ſah ich auch hier die Leute gruppenartig zu= ſammenſtehen und mit Händen und Füßen agiren. Shre Sprache klingt unangenehm , als hätten ſie einen Stnochen im
53 Gaumen , fie gurgeln alles heraus, noch viel ſchlimmer als die Schweizer. Dies wälſche Volk, das einſt faſt ganz Europa beſetzt hatte, iſt noch immer merkwürdig genug . dieſen Beuteligen Leuten mag unter der Kappe
Wieviel von einer andern
Volksart in der Welt umherlaufen . Ihre reine Nationalität freilich iſt überall, in Spanien und Frankreich, in England und Schottland in die höchſten Gebirge zurückgedrängt, und ihre Eigenthümlichkeit muß täglich mehr vor der eindringenden ger maniſchen Kraft verbleichen . Bon Holywell ſchlug ich den Fußweg über das Gebirge ein . Auf der Höhe war eine weite Ausſicht über die Bai und auf die ringsum ſich thürmenden Berge, die hie und da eine Burgkrone trugen. Ueber eine Hochebene und durch Frucht reiche Thäler kam ich nach Caerwys , welches unter einem hohen Berge liegt und jetzt eben anfängt, fein mittelalterlich ſchwärzliches Kleid etwas zu lüften. Wenn die wälſchen Städte nur auch aus ihrem alten Schmutze herausfämen. Wenn an nichts anderem , fo würde man ſchon an der Abweſenheit der engliſchen Sauberkeit merken , daß man in Wales iſt. Ich fand indeſſen in Caerwys gutes engliſches Ale und ging dann ohne Weg imb Steg nach Denbigh. In Nordwales iſt es angenehm zu Fuß zu reiſen , bald hat man die Straße ein breites Thal hinab , mit weiter Ausſicht im Hintergrunde, bald geht der Fußweg wieder über klare Hügel und durch tiefe Schluchten, welche von Gebüſchen überdeckt ſind, überall aber kann man mit einiger Anſtrengung und Kletterei leicht auf die Berge und Fodye kommen , und jedesmal ſieht man ſich durch eine friſche Ausſicht belohnt. Zur Linken lag mir ein Berg wie er ſein muß , am Fuße Fruchtfelder und Gärten , darüber ein Waldgürtel mit Wäſſern und Mühlen , weiter oben alles glatt und rund wie ein Regel, und auf dem Gipfel zackiges Felsgeſtein, und eine weite Ausſicht, halb in finſtere Gebirgs ſchluchten , halb in lichte Breiten. Ich überjah von der Höhe
54 dieſes Berges den Meerbuſen, welchem entlang ich gekommen , und die Halbinſel , auf der Birkenhead liegt , auch der andere Meerbuſen ſchimmerte herüber. Auf der einen Seite ſtand Hochgebirge, nach den beiden andern Richtungen zogen ſich tiefe, breite Thäler, von mächtigen Höhen umſchloſſen, hinter denen noch anſehnlichere Ruppen emporragten. Die Ausſicht abwärts in die bebauten Thäler hatte viel ähnliches mit der im Erzge birg gewöhnlichen . Oben waren nur Berghämmel und Geier. Es gab einen kleinen Sturm , und ich ſah von einer Felſen höhlung aus gemüthlich hinab auf die dunkeln, regnenden Wol ken unter mir , auf die Streiflichter , welche die gegenüberlie genden Höhen erhellten, und endlicy flimmerte der Regenbogen an den grünen Gebirgswänden. Herunter wand ich mich durch Gärten und Parks wieder auf die Straße, ſie führte nun an derthalb Stunden lang durch eine Thalmulde , welche den reichen Thälern in Tyrol und in den ſüdlichen Alpenabhängen glich , ſo ſtolz die Berge , ſo hod) gewölbt waren die Bäume, ſo üppig die Stauden und Pflanzen, und dazwiſchen die Land häuſer weiß und niedlich. Es muß übrigens in Wales Geiſter geſchichten in Menge geben , man kommt gar zu häufig an Plätzen vorbei, welche entſchieden dafür paſſen , an himmelhohen Erlen in ſchwarzen Schluchten , am Quellenſprudel auf heim lichen Wieſen , an ſturmumrauſchten Felsgeſtalten und an reißenden oder tiefſchleichenden Flüſſen . Wo eine dunkle Natur gewalt an einſamen Stellen Macht über den Menſchen ge winnt , da Geiſt vor .
ſtellt ſich das Volk ja gern
einen unheimlichen
Die Nacht blieb ich in Denbigh und bekam zum Nachteſſen außer Thee und Schinken , gedörrtem Fleiſch und dreierlei Butterbrod noch den allervortrefflichſten Berghammel , nicht minder preiswürdigen friſchen Lachs , Krebſe , die einem Prä laten ins Herz gelacht hätten, und kleine Muſcheln, die ich noch nicht kannte.
55 In Denbigh war des anderen Tages ebenfalls Markt und die Straße mit Menſchen bejäet. Ich ſtieg zu den überaus ſchönen Burgtrümmern hinauf. Dieſe bedecken die ganze Stirn eines Felsberges , der ſich mitten in dem weiten Thale erhebt, vortrefflich zu Seſſen Ueberwachung geeignet. Höfe, Hallen und Gemädter kann man ſich noch deutlich vorſtellen , namentlich nimmt ſich die Kapelle in ihren Trümmerbogen gut aus. Die Ausſicht iſt nach allen Seiten anziehend , wenn auch nicht ab wechſelnd.
Hier oben wird alle Fahr das Preisſpielen der
wälſchen Barden oder Harfner gehalten ; ich möchte es nicht anhören , denn der Geiſt der Muſik ſcheint die Wälſchen nicht zu ſeinen lieben Sindern zu zählen. Nach Llanſannan waren es nur zehn Meilen, aber es war ichwüle Luft und kein Haus zur Erquicfung am Wege. Es ging bergauf, bergab, aber immer höher, bis ich an einer ab: ſchüſſigen Bergwand wieder niederſtieg in eine tiefe Schlucht, unter dem üppigen Baumgrün, welches ſie bedeckte, plätſcherten die Bäche. Id hatte jetzt den zweiten Höhenzug überſtiegen. Planſannan lag etwas weiter in der Scludit hinauf. Dort aß ich zu Mittag , bekam aber wieder den leidigen Schinkert mit Eiern , die ewige Reiſekoſt in Großbritannien. Nach ein paar Stunden Ruhe wanderte ich , ohne Aufhören hoch hinan und wieder ſteil hinabſteigend, die zwölf Meilen nach Llanwrſt. Das iſt ein recht wälſches Wort, welches den Erfindern dieſer gaumerſchütternden Sprache ein Anderer nicht leicht nadyſpricht. Auch ſcheinen ſie ihre Ortſchaften ſämmtlich um Burgen ober Kirchen angelegt zu haben, mit Caer (Burg) oder Lan (Kirche) fangen die meiſten wälſchen Ortsnamen an , hin und wieder auch mit Cwm (Thal) und Craigh (Berg). Die ſteinernen Häuschen der Wälſchen nehmen ſich in ihrem Sdymuße von außen nicht unmaleriſch) aus , ſind aber inwendig nicht ſelten reinlich und behaglich , wenn ſie auch eigentlich nur eine Santa mer bilden .
Ueberhaupt hält man eine Hausflur, ohne weldje
56 der Deutſche kein Häuschen baut, in England nicht für nöthig Unten die ſtammer , unter dem Dache die Schlafſtätte, neben dem Häuschen das Ställchen für das Vieh und born ein Miſts chen, das ſind die Wohnſtätten hier. Alles, Häuschen und Ställs chen und Zaun und Pfahl ſind weiß überkalkt. Ich hatte mich darauf gefreut, in Wales tiefe hallende Bergwälder zu finden, jah aber nur dürftigen Wald , das Baumgrün in den Thülern war aber deſto üppiger. Ueber den Thalſchluchten hängt ein ewiges Halbbunkel, und die Sonne war noch nicht ganz unter , da umhüllte alles ſchon ein geiſterhaftes Zwielicht. Noch eine Höhe hinan , und zwar mit einem Wälſchen , der mich ſeine Sprache lehrte, -- und nun lag vor mir das ſich höher und höher thürmende Gebirge mit ſeinen unzähligen Kuppen.
Den
Haken des Snowdon hatte ich ſchon länger geſehen. Das Ge birge iſt ſchwarzblau , unten grün und ſteigt ziemlich ſenkrecht und maſſenhaft. Leider liegt Llanwrſt ganz am Fuße deſſelben , und ich mußte wieder eine gute halbe Stunde ſteil bergab. Am Morgen weckten mich die Sonntagsglocken. Fd früh ſtückte im Gaſthofsgarten , deſſen Bäume ſich in den vorbei brauſenden Conway tauchten. Ringsum prangten die hohen Bergwände in grünem Schmucke, beglänzt von einer hellen Sonne. Der Glockenklang lief an ihnen hin und her in wei chem und hallendem Schwunge. Ich war jetzt mitten in Nord wales und ſtöberte in den Bilderbüchern ſeiner Vorzeit, welche man mir ſehr gefällig aus verſchiedenen Häuſern brachte. Die Nordwälſchen , etwa 400,000 an der Zahl, ſind ein un= vermiſchter Reſt der alten Britten. Südwales wurde immer ſchnell erobert und nahm die Sitten der Eindringlinge gefügi ger an , jegt iſt es bereits halb engliſch; nicht ſo Nordwales, hier iſt das Volk härter und hängt hartnäckiger an der Weiſe ſeiner Väter. Es ſtand früher unter Häuptlingen , welche ei nem oder mehreren Oberherren aus der fürſtlichen Familie des Landes folgten, oft mit Gewalt dazu genöthigt. Gegen Römer
4
57 und Sachſen hielten ſich die Nordwälſchen tapfer und unbe zwungen . Wilhelm der Eroberer aber, dieſer harte und fühne Mann , leitete die anwohnenden Barone an , mit den Wälſchen Häuptlingen in Familie oder Feindſchaft anzubinden, und ſtück weiſe vorbringend, ſtückweiſe durch Burgen ſich ſchirmend, das Land für ſich ſelbſt zu erobern , gerade ſo wie es die Deut fichen gegen die Slaven machten. Dieſen Markgrafen (Lords Marchers) geſtattete Wilhelm noch mehr Selbſtſtändigkeit als ſeinen übrigen Vaſallen . Ueberhaupt ließ er , um ſtatt einer Volksherrſchaft eine Fürſtenherrſchaft zu gründen , ſeinen Ba ronen freie Hand nach unten hin, ſuchte ſie aber an ſich ſelbſt durch Intereſſe, Furcht und Verwickelung zu feſſeln. Die Wälſchen aber erhoben ſich wiederholt, wo immer nur ein fühner Häuptling unter ihnen aufſtand. Der letzte dieſer Für ſten war der große Llewyn. Er ſammelte noch einmal die ganze Kraft ſeines Landes, jedoch König Eduard I. ſchlug ihn in einer blutigen Schlacht im Falre 1282, in welcher Llewyn und die Blüthe des Volfs den Tod fand. Llewyns Bruder und Nachfolger David wurde gefangen und hingerichtet.
Seit
dieſer Zeit blieb Nordwales unter engliſcher Botmäßigkeit, aber ſeine Nationalität mußte man ihm laſſen. Die Wälſchen waren in den beiden lezten Jahrhunderten ziem lich unbekannt, ſie kümmerten ſich nicht um England und die ſes ſich nicht um ſie, nur ganz allmählich ſiedelte ſich bei ihnen etwas Engliſches an . In unſeren Tagen aber erfriſchen ſich in allen Ländern die Nationalitäten , anbrerſeits jedoch werben die geiſtig ſtärkern von ſelbſt eindringlicher, da ſind denn auch in Nordwales Sprache und Sitten der Vorvordern wieder mit Vorliebe gehegt und gefördert. In kurzer Zeit entſtanden eine Menge wälſcher Buchdruckereien , die alten Bardenwettſtreite in Caerways wurden wieder ins Leben gerufen und eine Lite ratur angebaut , in welcher man ſich beſtrebt, reines Wälſch zu ſchreiben. Indeſſen lernt der Gebildete doch immer mehr Eng
58 liſch, und bei dem beſten Willen , gut wälſch zu bleiben , nimmt er mit engliſcher Sprache auch Englands Geiſt und Sitten an. Die öffentlichen Inſtitutionen ſind ja hier die felben wie im übrigen England. Audy hat der Naturſchatz der wälſdjen Berge , der erſt ſeit den letzten dreißig Fahren redyt gehoben wird, dem Lande zwar viel Verdienſt und gute Stra Ben gebracht, der wälſchen Eigenthümlichkeit aber ſtarken Ab bruch gethan . Es ſind das die feinförnigen , dunkelſchwarzen Schiefertafeln , welche in ungeheuren Miengen zu Tage geför: dert und glatt geſchliffen von hier ſelbſt bis nach Ame rifa und Neuholland gehen . Wo auf der Erde ein Stoff ent deckt wird , surd, welchen ſich Brod und Geld gewinnen läßt, da ſtrömen jetzt die Menſchen gleidy in Maſſen zu. Die Er öffnung der großartigen Schieferbrüche hat Händler und Ar beiter aus ganz England herbeigczogen , welche bis tief in dic Gebirge hinein engliſche Sprache und Sitten einheimiſch ma chen. Das Wälſche kann nicht mehr anders , als jährlich einbüßen und muß ſich endlich auf die verſteckten Thäler zu rückziehen. Noch aber giebt es nicht bloß arme Gebirgsdörfer, ſondern auch reiche Farmer , die kein Wort Engliſch verſtehen. Und auch außerhalb ihrer Berge hängen die Wälſchen noch ſo ſehr an der Sprache ihrer Heimath , daß wo ihrer eine An zahl in einer Stadt zuſammen iſt , ſie viel darum thun , unt einen Prediger in ihrer Sprache zu erhalten . In Liverpool wird in vielen Sapellen wälſch gepredigt. Tich ging in den Straßen von Llanwrſt umher, und kam auch in die Kirche, welche caſtellartig erbaut iſt. Ein freundlicher Herr öffnete mir ſogleich die Thür zu dem Kirchſtuhl, in wel chem er mit ſeiner Familie ſaß; es wurde wälſch vorgebetet und gepredigt. Durch die offenen Kirchthüren ſchimmerten die Leichenſteine des Kirchhofs und das hellgrüne Gebirge , und man hörte das Hauſchen des dicht vorbeiſtrömenden Conway. Dann ſang ein lieblidher Kinderchor; es waren ganz dieſelben
59 Melodien , welche ich als Kind mitgeſungen , jetzt hörte ich ſie wieder in dieſem wälſchen Erdwinkel und rührend ſchön. Ini Umherſchlendern machte ich noch manche Bekanntſchaft. Der Abſtich der wälſchen Art gegen England iſt ſehr merklicy. Die Wälſchen ſind herzlich , gaſtfrei, zutraulich und höflich, mit einem feinen Anſtande grüßen ſie , indem ſie die Hand Gegen Engländer , die unter ihnen ein zum Hute erheben . Gewerbe anfangen , ſollen ſie jedoch ſich verſd) loſſen halten und ſie gern ein rrenig placken. Ihre Ehrlichkeit und Religiö ſität wird ſehr gerühmt , theologiſchen Streit lieben ſie außer Die Bibelfand ich in ordentlich und lernen gern leſen. ganz armen Berghütten . Verbrechen ſind in Wales etwas Scl tenes , dies Volk hat noch zuviel natürliche Güte und Armuth , auch aus Armuth iſt es ehrlich. Dabei ſind die Wälſchen ſehr Ihre ſparſam und darin den Frländern ſehr unähnlich . Sprache iſt wie alle Urſprachen voll unendlicher Biegungen und grandios im Ausdrucke. Die öffentlichen Zuſammenfünfte werden mit Reden , Muſik, Hin- und Herlaufen und vielem Eſſen und Trinken gefeiert. Insbeſondere bei Hochzeiten und Leichenmahlen und Fahrmärkten laſſen ſie etwas darauf gehen, aber in der Regel giebt es dabei auch blutige Köpfe. Denn der Wälſche wird leicht jälzornig , dann iſt er hartnäckig und fdhlägt wild darein . Auch vom Kiltgange erzählte man mir ; wahrſcheinlich hält man die Ehe , wenn ſie in der Familie ge ſchloſſen iſt, auch ohne die Kirche für vollzogen . Familienleben herrſcht bedeutſam vor, Alle ſind miteinander verwandt und vers ſchwägert, und wiſſen die Verwandſchaftsgrade genau aufzu Es iſt ein haushälteriſches Volk , das ſeine Freude zählen . hat am Lieben und am Zuſammenſein und Herumſtreiten. Zu Pferde ſah ich die Männer immer nur im wilden Fager . Die Mädchen ſind nicht beſonders ſchön , auch ein wenig zu offenherzig mit ihren Reizen , aber ſie haben glänzende Augen und ein natürliches, anmuthiges Benehmen.
60 Von Llanwrſt flug ich den Fußpfad ein nach Capel Currigh, der übers wilde Gebirge führt. Jetzt kam ich endlich wieder in den wehenden Wald. Wie that der Bruſt die grüne Friſche wohl und der würzige Hauch des Laubes und der Bergfräuter. Ich verſenkte mich recht in die Waldesnacht und blickte durch die Bäume nach den ſtillen lauſchigen Pläßchen , wo die Wäſſerchen blinken
und die Sonne ihr Strahlengold
durch die fühlen Schatten verſtreut. Je höher ich ſtieg, deſto weiter und farbenvoller lag hinter mir das ſchöne Thal von Llanwrſt, das der bramme Conwavy durchſtrömt, und als ich oben kam , da umragten mich in einſamer Größe die fahlen Berggipfel mit ihren Felſenhörnern , und aus den waldigen Tiefen ſchaute hier und da ein heller See herauf. So im Gebirge wandern , dem Wind entgegen zu ſteigen , der über die Joche herabrauſcht, und oben in der klarſten Luft zu ruhen und hinab zu ſchauen auf dic wogenden Wälder und bebauten Fluren, und dann wieder hinein in die heimlichen Waldthäler, wo um den Sec düſtere Felſen ſtarren oder die Quellen ſickern , - fo Tage lang , fein Mahl in der Taſche, umher zu wan bern , feinen Menſchen als den Hirten , kein Thier als etwa Bergziegen und Geier zu ſehen , -- bas iſt eine reine und hohe Puft.
Dian verſenkt ſich da in das wunderbare Weben und
Wirken der Natur und unbewußt gleitet unſer Geiſt in ihre geheimen Tiefen. An ſolch einem einſamen Tage denkt und lernt man mehr , als wochenlang in den Städten . Man iſt da nicht einſam , die großen Geiſter der Natur wandern und raſten mit uns. Unſere Seele ſchafft fortwährend ernſte und döne Gebilde, und wie wir den Lauf des Waſſers durch die Thäler und im Geiſte feinen Urſprung in den Adern der Berge verfolgen , ſo dringen wir nachdenkend ein in die einfachen und erhabenen Geſetze des Weltalls. Mein Weg führte mich oben um einen Gipfel herum längs eines Sees hin. Vom Ende des lettern ging es bergab über
61 ſteinige Strecken , wallende Bergmoore , blühende Haiden, burch Felsídluchten neben kleinen Waſſerfällen vorbei. Immer öffneten fidy, wo ein Edfelfen ſich abrundete, herrliche Ausſich ten in farbenreiche Gebirgskeſſel, aus deren Gründen Fichten wäldchen in ſpärlidhen Streifen heraufflimmten, ſonſt war alles nacktes Gebirge. Ganz oben trifft man unter Felsüberhängen oder in einer Vertiefung Hirtenhäuſer, roh von Steinen zuſam mengelegt. Auch auf dieſen Höhen ſind die Räume noch auf engliſche Weiſe bezirkt ; weil aber die Mauern roh und niedrig aufgerichtet ſind, ſo vermehren ſie nur den wilden Anſtrich der Gegend . Der Snowdon mit ſeinem Stranze von zackigen Ber gen ſtarrte mir immerfort in düſterer Erhabenheit entgegen . Heller Sonnenſchein , ſtahlfräftige Luft und zwiſchendurch ein Regenſdauer hielt Bruſt und Glieder allzeit friſd ). Ich fah endlid das Thal von Capel Currigh und ſtieg eine halbe Stunde durch allerlei Budwerk ſchnell hinunter, Unten fand ich um auf die jenſeitige Straße zu kommen . aber einen reißenden Bergſtrom , und die Karte zeigte , daß ober- und unterhalb meilenweit keine Brücke zu finden , ſelbſt wenn ich durch das Ufergeſtrüpp bis dahin durchdringen könnte. 3d hing alſo meine Kleider im Bündel geſchnürt über den Nacken und ſchritt wie St. Chriſtoph durch den Strom . Allein der Waſſerbrang war zu ſtark und der felſige Grund zu glit ſchig , als daß ich nicht bald bis an den Hals hineintauchte. Jetzt hatte ſich aber mein Kleiderbündel voll Waſſer geſogen und hing mir am Halſe wie ein Eimer Waſſers, ich verſuchte es hinüber zu ſchleudern, warf aber zu kurz, und in der Haſt, es wieder aufzufangen, verlor ich allen Grund, und der wilde Strom trieb und ſchlug mich an die Felſen , daß es krachte, mein Bündel ſchwarnm mir nach. Als ich endlich das gewann und die Kleidung trocknen wollte, drang auch kein Men Sonnenſchein in dieſe felſige buſchüberhangene Tiefe. mußte das naſſe Zeug daher wieder anziehen und kletterte
Ufer bis 30 eben
62 in der unbehaglichſten
Stimmung über
die Mauer auf die
Landſtraße, als ein Wälſcher in ſeinem gebrochenen Engliſch mir gefällig zurief: " Herr, hier iſt ein feiner Waſſerfall... Fd hatte Waſſerfall genug gehabt. In der That nahm ſich aber der eine halbe Stunde weiter oben ſtürzende Schwalben fal fehr hübſch aus . Ein eiliger Marſch , Thee und Brandy bradyten mich bald in Capel Currigh warm zu Bette. Dieſer Platz hat jetzt einen ſogenannten vornehmen Gaſt hof, denn hier ſammelt ſich alles, was zum oder vom Snow don kommt. Wenn man aber die Zurüſtungen ſieht zu einer Snowdonfahrt, ſollte man meinen , es ginge zum Himalatya. Nordwales läßt ſich indeſſen gemächlich und ohne Gefährde in wenigen Tagen durchwandern und man braucht dazu weder Führer noch Weg und Steg. Es giebt einige finſtere ſchreck hafte Partien , aber man iſt gleich darauf wieder unter Mien fchen . Man kann ſich auch auf den Höhen überall frei um fchen , denn es fehlen die weithin wogenden dunkeln Bergwälder. Das Gebirge iſt meiſt kahl , dagegen überſdyüttet von allerlei Farben des Erdreichs und der Felſen , und zeichnet ſich vor allen andern aus durch die Menge von Kuppen und das Durcheinander der ſeltſamſten und wildeſten Formen . Man hat häufig ein wahres Gewirre von abenteuerlichen Berggeſtalten um ſich her. Hier ſcheinen ſie wie furchtbare Rieſen, kämpfend mit fliegenden Zackenkronen durch einander zu ſpringen , dort ſtehen ihre ſonnigen Häupter ſtill gruppirt um die höchſte Suppe, gleich als hielten ſie eine weiſe Berathung. Da in den gekrümmten Sdyluchten der Weg bald vor bald rückwärts 0 geht, und man die Berge daher bald von dieſer bald von jener Seite erblickt, ſo wechſeln ſie bei jedem Schritte ihre Gruppen und Geſtalten, und gerade das giebt ihnen den eigenthümlichen Anſchein von Leben und Bewegung. Ich blieb im Gaſthofe faſt bis zum andern Mittag und hatte ein herzliches Geſpräch mit ein paar Engländern.
Sie
waren gebildete und aufrichtig freundliche Männer. So habe ich fie ſo häufig gefunden, obgleich ſie Anfangs ſcheut an ſich halten . Gegen Fremde ſind ſie gern des Zwanges enthoben , den ſie ſich unter einander in ihrem Lande auflegen , deſſen kleiner Raum mit tauſend Rückſichten und Aengſtlichkeiten wie mit Skandalmachern und Spitbuben überfüllt iſt. Man muß nur ruhig abwarten , bis ſich ungeſucht ein offener Gegenſtand zur Unterhaltung findet, dann iſt der Engländer bald freundlich. Unſer Geſpräch, drehte ſich um die verſchiedenen Nationalitäten , es wurde dabei manches freimüthig herausgeſagt. Der Eng länder fühlt ſich in Deutſchland anmuthig berührt durch unſer humanes, ideenreiches und harmlos geſelliges Leben, der Deutſche in England fühlt ſich abgeſtoßen durch das förmliche , einge ſchnürte und kalte Weſen der Leute. Der Deutſche iſt geneigt, das Denken und Thun des Engländers für ſeelenlos zu halten , und dieſer benkt ſich jedes deutſche Haus voll von Muſik und Poeſie und tiefer Wiſſenſchaft. Aber der Engländer fann fich nimmer ausſöhnen mit ſoviel Schwäc»lichem und ewig Duld famen in unſerm lande, er verinißt in der weichmüthigen deut fchen Sittlichkeit einen Zuſatz von engliſchem Stahl , während umgekehrt der Deutſche Achtung bekommt vor der ſtraffen Haltung und dem männlichen Schaffen der Engländer. Dieſe ſehen uns ungefähr wie einen jüngern Bruder an , der die guten Eigenſchaften der Familie hat, aber etwas Enthuſiaſt iſt, flötet und dichtet, und trotz feines ſtillen Hochmuthes doch nicht dazu kommt , ſich einen tüchtigen Hausſtand zu ſchaffen , ber ihm Reſpekt unter den Leuten macht. Man erzählte mir auch mehrere Beiſpiele , wie ſehr es jetzt in England Mode wird, Deutſch zu lernen , und wie viele höchſt geſchickte Deutſche in den Fabrikſtädten ſich niederließen , engliſche Frauen nehmen und bedeutende Geſchäfte gründen . Aber ſo geht es den Deutſchen.
In der Fremde machen ſie großartige Unterneh
mungen in Handel und Gewerben : in der Heimath fühlen ſie
64 ſich beengt und niedergehalten durch zahlloſe große und kleine Hinderniſſe. Auf dem
Wege zum Snowdon hört ſchon in der Nähe von
Capel Currigh das Gehölz auf und man befindet ſich in einem ächten Hochgebirgsthale , vor ſich den zackichten Kranz der Snowdonberge, zu beiden Seiten ungeheure öde Felſenwände, bethürmt mit ſchwarzen Blöcken, zwiſchen denen in kryſtallenen Güſſen das Waſſer niederrauſcht. Das Haupt des Snowdon fah nur dann und wann aus dem Nebel heraus . Die Walli ſerinnen mit ihren dunkeln breitfrämpigen Männerhüten mach ten das Heu auf den dürftigen Bergwieſen , es wurde in feſte Haufen gebracht, mit Matten überdeckt und mit einem kleinen Steinwal umzogen , zum Schutze vor dem Winde.
Die
Fahr
ſtraße windet ſich bis zur Waſſerſcheide und geht dann nach Lanberris hinunter, der Steig zum Snowdon führt links über Steingcröll, Felszacken und glitſchigen Anger in einen Bergkeſſel yinein und dann am obern Rande von drei Seen hin, von denen der folgende immer höher liegt als der vorige. Nachdem ich den erſten See , weil feine Fähre zum Ueberholen da war , müh ſelig umwandert hatte, ſuchte ich auf Geradewohl meinen eige nen Weg in die Höhe. Zwei Stunden kletterte ich in dieſer grauenhaften Bergwüſte hinauf, rings umſtarrt von ſteilen nack ten Felsbergen , um weldie ſich die Wolken jagten und aus deren Nilüften das Waſſer brauſete, zu Füßen die Reſſel , mit den Seen ſchwarz wie die Nacht, hinter mir, wenn der Wol kenſchwall zerriß, die Ausſicht auf die wildeſten Felsthäler und einen Bergrücken über dem anderen .
Nichts war zu hören als
1 das Hallen imd Seufzen des Windes , das Stürzen der Wäſ ſer und zu Zeiten von unten herauf ein klägliches Blöken der Bergſchafe. Quarzſtreifen und Bäche zwiſchen dem Geſtein , Silberflocken gleich, wetteiferten an ſchimmernder Weiße. Der Wind war ſo ſtark, daß ich mich mehrmal platt hinlegen und an Geſtein feſt halten mußte. Oben kam ich in einen dicken
65 Nebel, daß ich nicht drei Schritte weit ſehen konnte. Es war ein ſchauriges Gefühl , auf einer Felszacke einen Augenblick raſtend dicht unter ſich einen qualmenden Wolkenkeſſel , über und um ſich weiße Wolken , und außerdem nichts als ſeine Felsſpite
zu ſehen ,
gleichſam als hinge
man in der Luft.
Endlich war ich ganz oben , nämlich auf dem ſchmalen Grat. Wenn die Heren hier tanzen wollten , ſie fänden keinen Platz dazu , ſie müßten denn von einer Zacke zur andern ſpringen, anders giebt es hier nichts . Der Nebel war ſo dick als wenn er ſich mit der Hand zuſammenballen ließe, und der Wind ein Meiſterſtück im Pfeifen und Orgeln. Ich wanderte der fante auf und ab , ein wenig Nichtvorgeſehen und Windſtoß fönnte einen wohl mit zerſchmetterten Knochen in
gab auf ein der
Tiefe begraben . Der alte Herr Snowdon that mir ſo wenig als tauſend Andern den Gefallen , ſeine Nebelkappe nur ein Weilchen zu lüften . Man ſoll von hier aus die Küſten bis Liverpool, ſelbſt Frland , und landeinwärts bis York ſehen. Ich begab mich endlich auf den Rückweg nach Llanberris. Dieſer iſt ein Kinderſpiel gegen die Bergfahrt auf der anderen Seite. Hier ſtürbt ſich der Snowdon zwar ebenfalls felfenge rade rechts und links hinab , aber man geht doch auf grünem Anger, der allmälig auf einem breiten, welligen Gebirgsrücken hinabläuft. Zwei Touriſten pilgerten mir ſchweißbedeckt entge gen , und nach kurzen Worten vorüber und in die Wolken hinein .
Jest machte der Wind hier und da einen Riß in den
Wolfenqualm , und ich ſtand betroffen über die majeſtätiſche Schönheit der Ausſicht. Wo nur ein Stückchen blauer Himmel durch eine Deffnung des Nebels blickte, eilte ich hin, oft wurde die Ausſicht ſchnell wieder geſchloſſen, oft hatte ich ſie minuten lang , es war ein
ewiges Vorhang auf und Vorhang nieder.
Aber um nur einige Fetzen dieſer Ausſicht zu erhafchen, möchte man ſich gern den ganzen Tag mit Wind und Wolfen herum ſchlagen . Mit der Ausſicht vom Rigi und den ihm benachbar 5 Löher, land und Leute I.
66 ten Höhen hat ſie viele Aehnlichkeit , freilich fehlt Wald und Gletſcherkette, dafür ſind hier aber das ſchimmernde unendliche Meer, das friſdie Eiland Angleſea , die ſeltſamſten Bergformen und die prachtvollſten Steinfarben . Ein ungeheurer Berg iſt wohl von unten bis oben mit Streifen und Schattirungen von Roth und Gelb, Blau und Grün, Grau und Weiß übergoſſen . Dabei ſtrecken ſich die felſigen Glieder ſo ſchlank und doch ſo rieſenhaft aus den reinen Höhen hinunter in die hellgrünen Thäler, durch welche die Bäche ihre ſilbernen Fäden ziehen , und tauchen ſid) ſo annuthig in die Seen , welche von der Sonne gefüßt wie funkelnde Spiegel den Thalbreiten eingelegt ſcheinen. Man wird des Hinabſchauens gar nicht müde, mit jedem Schritte, nad jeder Seite ändert ſich die großartige Bühne. Das Gebilde dieſer Berge ſtellt ſich ctwa bar wie ein feſtgewordener Wellenſturin des Oceans . Der Snowdon war der Gipfel ser hod /aufgethürmten Woge , hier brach ſie zuſammen und es bildeten ſich nach der einen Seite der tiefe Bergkeſſel mit den
Felſenjacken oben, und weiterhin die Berg
linien , welche ich die Tage vorher überſtiegen ; auf dieſer an deren Seite ſtrömte die flüſſige Maſſe in mehreren Zügen zu rück, zwiſchen denen ſich gleichſam grüner Meeresgrund auf bedt. Es wurde Abend und ich eilte nun hurtig hinunter. Schaarent von Steinklötzen und Hämmeln ſetzten vor mir her Die Bergichafe ſind häßliche Thiere, die Abhänge hinab. und man ſollte nicht glauben , daß ſie unter ihrem ſchmutzigen Fell ſo leckeres Fleiſch tragen ; aber es befommt Wildgeſchmack, weil ſie das ganze Jahr hindurch frei auf den Bergen weiden . Die beiden Seen von Llanberris mit den Trümmern der Dolbadarnburg verdienen die Vorliebe der Touriſten , ſo fühl, ſo ſchimmernd und doch ſo gewaltig ſind dieſe Felſengründe. Der große Llewyn mit ſeinen erſchlagenen Helden , welche ſo viel gekämpft bei den Päſſen von Llanberris gegen die Bedrän
67 ger ihrer Heimath , ruhen hier in majeſtätiſcher Grabſtätte. Auch der Waſſerfall von Ceunant Mawr iſt ein anziehendes Naturſpiel. Den See hinab geben noch die Felſentrümmer das Geleit , man blickt von der Straße in tiefe Schieferbrüche hinein , bald ſiedeln ſich Häuschen mitten zwiſchen die Felſen an und vermindern etwas die Debe , welche jetzt überaus traurig wird .
Der Mond ging auf und beglänzte die weißen
Nebelgeſtalten , welche lautlos über das Gewäſſer zogen wie die Geiſter der Erſchlagenen . Die Wellen des Secs erhuben bei den Windſtößen ein Klaggeflüſter. Mit dem Ende des Sees iſt man auf einmal aus den Bergen heraus , und es eröffnet
ſich der
Blick auf das Meer:
Es geht über eine
Brücke und zur Seite eines rauſchenden Fluſſes nach Caernar von , wo ich nicht lange vor Mitternacht ankam . Der Weg führte gerade auf die alte Burg zu , welche ſich vor dem Meere erhob, ſchwarz und drohend, vom bleichen Mondlicht umfloſſen. Die Eingänge ſtanden offen , und ſo müde ich war , trat ich doch ein wenig in die Ruinen hinein . Wind und Wellen ſeufzten und raſſelten um die alten Thürme. Nach einigem Herumwan dern traf ich noch Leute , welche mich freundlich in das Caſtle Frin brachten. Dort fand ich , nach dem reichen aber anſtrens genden Tage herzlich müde , Ruhe und Erquickung. Caernarvon liegt ſchön gebettet an dem kryſtallenen Grün des Menavy, ſo heißt das ſchmale Meerwaſſer, welches Wales von der Inſel Angleſea trennt.
Gegenüber ſind buſchige An
Höhen , im Rücken die Snowdonberge. Im Hafen war ein kleiner Sturm , welcher tas klare , grüne Waſſer zit weißen Schaumwellen auftrieb und ein großes Seeſchiff ſchaukelte, das Caernarvon iſt die Hauptſtadt von zum Kalfatern balag. Nordwales und hat deshalb auch die Hauptburg , welche den weſtlichen Eingang des Menat bewacht. Die Trümmer der ſelben , auf deren Erhaltung man gut Acht hat , gehören zu dem Schönſten , was man in dieſer Art haben kann . Es iſt 5*
68 ein Sechseck , an jeder Ecke ein kleines Thurmſchloß für ſich. Von dem höchſten , dem Adlerthurm , hat man eine treffliche Ausjidt. In dieſer Burg wurde bekanntlich der erſte Prinz von Wales geboren. Sein ſchlauer Vater verſprach den Wäl ſchen einen Fürſten , der in ihrem Lande geboren ſei und kein Wort Engliſch könne, und als ſie freudig einem ſolchen zu fol gen verſprachen , holte er ihnen ſein eben gebornes Söhnlein mit den wälſden Worten : mid dyn , D. h . Dies iſt euer engliſchen Wappen rich Mann . Davon ſoll das Motto in dients herrühren . Mir fiel dabei ein , daß als Saiſer Sigis mund England beſuchte, der engliſche König mit ſeinen Großen ihm bis an das Schiff ins Meer entgegenritt und ſich feierlich zu ſeinem Baſallen und Diener erflärte, jedoch ſich alle faijer liche Gerichtsbarkeit in ſeinem Lande verbat. Caernarvon iſt, wie alle wälſchen Städte , ziemlich ſtill und haushälteriſch , ſie haben meiſt kleine, bürgerliche Häuſer , nur in den ſchlechtern Straßen findet man Alterthümlicjcs. Jetzt iſt hier ein Haupt hafen für die Verſchiffung der Schiefertafeln und zugleid) der Sammelplatz für die engliſchen Touriſten , welche zu ihrem Lieblingsberg, dem Snowdon , wallfahrten. Die Lettern ver mehren ſich in Caernarvon faſt ebenſo ſehr wie die Schiefer tafeln , denn es iſt jetzt große Mode in England , romantiſche Parthien aufzuſuchen . Auch dieſe Mode iſt vom Feſtlande herübergekommen , das engliſche Volk ſelbſt erzeugt keine neue Moden imb Sitten mehr , vielmehr läßt es ſich barin mit jedem Jahre ſtärker vom Feſtlandc beherrſchen . Umgefehrt (dyicht
auch England nicht bloß ſeine Sports , fondern auch
einiges von ſeinen alten guten Moden , wie nämlich ein Volk denken und handeln müſſe , auf's Feſtland. Jene rührigen Touriſten tragen viel dazu bei , daß die engliſche Kultur jetzt bis in die einſamſten wälſchen Thäler hinein lect. Bald wird es in ganz England keinen Ort mehr geben ohne ſtädtiſche Sitten und Einrichtungen , nur etwa die Fiſcherdörfer am kah
69 ſem Meeresſaume ausgenommen , jene Matroſenneſter , wo die jungen Burſchen auf's wilde Meer fahren , gerade wie andere Leute ſpaziren gehn . Des Nachmittags ſchlug ich den Rückweg nach Liverpool ein über Bangor am Menay hin. Dieſe Straße bietet manche Schönſicht, welche durch die vielen kleinen Schiffe belebt iſt, die Schiefer tragen . Ueber den Uferweg ſtürzen hin und wie der Waldbäche, luſtige Boten
von der zaubervollen luſt
im
Gebirge. Aber den ganzen Weg entlang war fein trockenes Plätzchen zu finden, denn es regnete alle Augenblicke, das ver birbt einem in England oft die ſchönſteu Ausſichten . Die Engländer ſind wahrlich genügſam in Bezug des ſchönen Wet= ters ; wenn ich des Tages nur dreimal naß wurde , hieß es : vein ſchöner Tag Heute !" Uebrigens geben die dicken Wälſchen neben dem niederen Volke in England, bei dem man die Sör perbreite allenfalls auf das Biertrinken ſchieben könnte , ben Beweis , daß nicht die feuchte Luft allein die Engländer ſo lang ſtreckt.
Das Wälſche war in dieſer Gegend wieder ſtark
mit engliſchen Wörtern untermiſcht. Ich hörte es zuletzt in einer armen Hütte, als Haus- und Familienſprache lautet es nicht übel. Offenbar haben die Franzoſen , weldjes Volf ge genwärtig am meiſten wälſche Beimiſchung hat , ihre Naſen ( aute von den Wälſchen , ihren Ahnen mütterlicher Seite . Auf halbem Wege nach Bangor war eine kahle Höhe mit Schieferbrüchen , aus welcher die Wagen auf einer Eiſenbahn an Ketten herab kamen . Ich eilte hinauf, es war die letzte Höhe , die ich auf lange Wochen beſtieg. Der Ocean wurde jeßt mein Feld, der nur Tiefen hat, wunderbare, unerforſchte. Noch einmal erfriſchte ich mich an der lebenskräftigen reinen Luft , in der die Gedanken ſo lichtſchnell ſind und ſo feſt wer den wie Kryſtall. Noch einmal ließ ich die Blicke ſchweifen über das grüne Eiland Angleſea , und in das ſich thürmende Gebirge , welches mit ſeinen tiefen Schluchten mich angähnte.
70 Id nahm
Abſchied von ihm , von ſeiner finſtern Romantik und ſeinen blühenden Thälern. Nach wenigen Jahrzehnten wird das Naturvolk dieſes Gebirges gründlich zerſetzt und von
engliſchen Geiſt und Weſen bewältigt ſein. Aber bis die Engländer ſo weit kamen , hat es fie blutige , jahrhundertlange Kämpfe gekoſtet. Die alten Nordwälſchen haben manchen Enga länder mit zerſchlagenem Schädel in ihren Bergen beſtattet. Nech jetzt liegt etwas Unheimliches auf jenen Bergſchluchten mit ihren ſchwarzen Seen . Es heißt , der finſtere Geiſt des Gebirges ſei zornig, daß ſeine Altäre nicht mehr rauchen , und fordere alljährlich ein junges Blut zum Opfer. Ich hörte bar über folgende Sage . Auf den Bergen weidete ein Hirten mädchen , welches wie die Morgenröthe friſch war und wild wie der Vogel in den Lüften. Ein engliſcher Lorb auf der Jagd jah fie , ihre Anmuth ergriff ihn und auf ſein inniges Werben folgte ſie ihm auf ſeine Burg . Weil er aber ver langte , taß ſie ihrer Heimath Sitten und Glauben aufgeben und ihm dienen ſollte als ſeine Magd , entfloh ſie wieder zit ihren Bergen. Er ſetzte ihr nach , und bis hoch in's Gebirge ging die wilde Fagb , fie rangen lange mit einander und er faßte ihr flatterndes Haar , ſie mit ſich fortzureißen. Da rief ſie laut um Hülfe , und im Nu überfiel ſie eine Sturmwolfe und riß beide hinunter in den dunkeln See . Von dem Mäd: dycn hörte man niemals wieder , den Lord aber fand Ufer mit ſtieren Augen und verrückten Sinnen , denn ben furchtbaren Rächer des Gebirges geſehen . Bangor liegt gar hübſch zwiſchen grünen Höhen , Die Bai. Es iſt eine alte Stadt in neuen Kleidern
man am er hatte vor ſich und voll
von Wirthshäuſern. Nachdem ich mir das hier ausgezeichnete Ale hatte gut ſchmecken laſſen , ſtieg ich über Mauern und Pforten den mittlern Hügel hinauf und genoß eine ſchöne Ausſicht auf die Bai und das Bangorthal. Ein engliſcher Großhändler baute hier ein gothiſches Schloß, das berühmte Bennrhynkaſtle,
71 in welchem der reichſte normaniſche König , wenn er wieder auflebte , ſtaunend ſagen würde : ſo etwas ſah ich niemals we der in gediegener Pracht noch in der Kunſt meiner Zeit. Ein noch ſtolzeres Werk iſt die Hängebrücke , welche Angleſea mit dem Feſtlande verbindet.
Ihre außerordentliche Größe ſchwin
bet zwar in der weiten Meeresumgebung zuſammen , aber wenn man darüber geht und das Sauſen des Wintes in den viel fadyen feinen Verſchlingungen der Eiſendrähte kein Ende nehmen will , wenn man unter ſich die beinaſteten Schiffe ſieht, dann erſt merkt man das Rieſenartige dieſes Bauwerks, welches ſich doch ſo leicht und zierlich darſtellt. Nach beiden Seiten hat man von der Brücke eine hübſche Flußanſicht mit niedrigen Felſen ufern . Aber prachtvoll wird die Bai , je weiter man auf der anderen Seite der Meerenge kommt, ein herrlicher Park reiht ſich an den anderen und immer ſchimmert dazwiſchen bas herrliche friſche Meergrün , in welches ſich weiter hinab die mächtigen Felsberge eintauchen. Dieſe Bai von Beauma ris gehört gewiß zu den ſchönſten auf der Erde. Sie hat die farbigen , maſſenhaften Felsgeſtade und die würzige Luft cines italieniſchen Golfs , und gleichwohl Nebel und Stürme des Nordens. Ein ſeltſam geſtaltetes Felsgebirge, welches bis weit in's Meer hineingeht , hat Aehnlichkeit init Capri im Golf von Neapel. Das Waſſer war kryſtallhell und wechſelte in pracht vollen Farben. Beaumaris iſt ein vornehmes Seebad, und der Aufenthalt hier zählt zu den angenehmſten in England. Die Burgruine ſtellt ſich prächtig tar. Die mächtigen Thürme und Zinnen der Dochburg ſind durch ein gleichgebautes niedriges Viereck von Mauern und Thürmen eingeſchloſſen . Das Meiſte iſt wohlerhalten und der Epheu hat ſeine dunkelgrüne Hülle dar über gebreitet. Um zehn Uhr fuhren wir die ſchimmernde Bai hinab . Die Einſichten rechts in die Bergthäler ſind wundervoll. Links ſieht man die Feuerſchiffe und den hellweißen Leuchtthurm mit
72 ten in den Fluthen.
Jener capriähnlicher Felsberg, Ormes
head , wimmelte von Seegevögel aller Art , und es war ſchön anzuſehen , wie die bonnernden Wogen den Felſen hinanſtürm ten und die weißen Möven ſo rubig barüber hin und her flatterten . Um ſchnell zu fahren, ließ der Capitain ſtark arbei ten, das Dampfſchiff tauchte dann mit dem rechten , dann mit dem linken Borde tief in's Waſſer, und dieſe Bewegung machte uns jammt und ſonders ſeekranf. Es gab eine Fülle ber crbärmlichſten Scenen . Dafür fuhren wir bereits um drei Uhr Nachinittags in den Merſay cir. Ganze Züge von Schiffen verfündigten die Nähe der Welthandelsſtadt Liverpool.
IV.
Ueber das atlantiſche Meer.
Zur Reiſe nach Amerika hatte ich mir in Liverpool das gute Segelſchiff " die Southkarolina ausgeſucht. Es machte ſeine Fahrten in der Regel als Poſtſchiff zwiſchen Newyork und Charleſton und hatte deshalb eine prächtige Kajüte mit luftigen Man ſaß in den letztern zwar nicht Kämmerchen nebenan . wie in einer Kapelle , aber lag fody darin auch nicht einge ſchichtet gleich Häringen in der Tonne. Die große Stajüte zählte nur acht Paſſagiere, das war ein weiterer Vortheil und verſprad ruhige Stunden und freien Spaziergang auf dem Fn einem überfüllten Saale wird ſdhon ein einziger Deck. Abend drückend , - die Gefangenſchaft auf dem Schiffe aber dauert wochenlang, und kann man hier nicht auf das Deck in friſche Luft entfliehen , ſo werden Augen, Naſe und Ohr gar zu reichlich ergögt durch allerlei häusliche Freiheiten der Mit reiſenden . Dergleichen Seefreuden hatte ich auf Dampfſchiffen bereits vollſtändig genoſſen , ſammt jenem hölliſchen Gemiſch von Gerüchen , wie ſie ſich etwa Morgens in einer jahrelang von Tabadsraud und Bierdünſten durchſäuerten Wirthsſtuben luft vereinigt finden, wenn man ſich noch die ſchweren Dünſte von Steinkohlen und Seewaſſer hinzubenkt. Wer Zeit hat und in ſeinem Innern etwas Brauſepulver gegen die Langeweile mit ſich führt, wird gleich mir dem dunſtigen , gewähligen
74 ewig raſſelnden Dampfer ein ſtilles reinliches Segelſchiff vor ziehen. Das Schiff war bereits aus den Docks gewunden und lag
an der Hafenſpige, als wir des Nachts hinaufſtiegen und zum erſtenmal unſer Bettchen zurecht legten. Am frühen Morgen umſchwärmten uns nochmal die Boote , aus welchen Frauen mit Apfelſinen , Tabacf, Zuckerwerk und Seife zum Verkaufe an Bord kamen . Kapitain und Matroſen ſchritten ruhig burch den Lärmen gleid) ernſten Seebeherrſchern. Endlich wurde das Verdeck klar gemacht , das Zwiſchendeckvolf hinunterge wieſen in die Luken , die Matroſen begannen ihre Arbeit nach dem Takte ihrer Geſänge , die ſelbſt bei luſtigen Stellen wie mühſelig hervorgeſtoßen lauten . Das Schiff hob ſeine weißen Flügel und ſchwebte langſam den Menaiſtrom hinab in die See. Schon kamen uns ſo viele Dampfſchiffe entgegen , daß ſie. mit ihren graubraunen Rauchwolken die Ausſidyt verdunkelten . Wenn die weißen Segelſchiffe in den Rauchſtreifen traten , den ein Dampfer dicht auf dem Waſſer hinter ſich her ſchleppte, ſah es recht geſpenſtiſch aus, etwa wie in Weſtfalen Wald und Hof vom Harrauch verſchleiert werden. An der Mün bung des Mienai blitzte noch der Leuchtthurm mit veränderlichem Feuer , dann ließen wir das Feuerſchiff hinter uns , endlich auch ein kleines feſtgemachtes Boot mit einem Glockenſtuhl, aus welchem , nur von den Wellen bewegt , die Glocke ihre Warnungstöne über die Flächen ſchallen läßt , als zöge aus der Tiefe eine unſichtbare Hand das Glockenſeil. Wir fahen In der jetzt im matten Lichte unzählige große Segelſchiffe. Ferne ſcheint ein ſolches Schiff wie ein alter grauer Thurm im Nebel zu ſtehen , kommt es näher und ſieht man noch nicht die Leute darauf, gleicht es einem fabelhaften Ungeheuer, das ſeinen einſamen Weg durch die Fluthen ſucht. Der Wind gab uns tüchtige Stöße ; das Schiff ſegelte ſcharf auf der Seite an der Küſte hin , dann und wann theilten ſich die Wolken
75 und ließen umſchäumte Klippen und dahinter dunkle Gebirgs wände ſehen . Erſt am andern Morgen lenkten wir nach Irland hin, jedoch nur ein ſtahlgrauer Streifen ſeiner Küſte kam in Sicht. Als auch das letzte Stückchen Europas hinter die Fluthen ſank und nun ringsum nichts als das öde Weltmeer : da wurde es mir auf einmal doch etwas ſchwer um's Herz . Die Heimath ſtieg vor meinen Blicken auf mit den freundlichen Städten und Flüſſen , die grünen duftigen Wälder , die alte Vaterſtadt und die Lindenſchatten , wo halbdunkle Mädchenaugen ſo tief in's Herz ſich ſtahlen und ſüße Worte wie Wohllaut weckend in die Seele fielen. Ich dachte , du biſt doch ein rechter Narr , daß du bidy wochenlang willſt in dieſem hölzernen Nerker auf der wilden See ſchaufeln laſſen , bloß um Urwälder und Indianer zu ſehen, und könnteſt es daheim in deinem hübſchen Zimmer und unter deinen Freunden ſo gut haben ; bort laben ſie ſich jetzt an Kirſchen und Maiwein , und dir rerwandelt ſich hier der lockendſte Biſſen , während du ihn zum Munde führſt, in Galle und Ekel. Ich war nahe daran , die ganze Reiſe zu verwünſchen , denn die Seefrankheit fing an mein Gemüth mit dunklen Saiten zu beziehen . Dieſe Meerswächterin hat mir noch auf jeder Seereiſe ein mehr oder minder zärtliches Stelldichein gegeben ; denn ich hatte ſchon auf unſern Studentengelagen immer das Unglück, wie ich es zu meiner Schande geſtehen muß, frühzeitig zu den Stillgeworbenen in der Todtenkainmer gebettet zu werden . In deſſen der ſchrecklichſte Katzenjammer am andern Morgen , ſo deutlich er auch einen Vorgeſchmack von der Seekrankheit giebt, hatte doch noch die roſigen Lichtblicke , die ein guter Witz in die Tiefe des Elends hinabfallen ließ , aber die Seekrankheit wäſſert und knetet das arme Fleiſch und Bein des Menſchen ſo durcheinander, als wenn ſie die Seele aus dem ſchmutzigen Zeuge herauswaſchen wolle. Man ſieht nichts, rein gar nichts
76 vor ſich als der Seefahrt langgedehnte Mühſal. Andere See franke ſollen zuletzt kein anderes Gefühl mehr haben , als ob das Waſſer immer höher an die Seele ſtiege und anſchwellend im nächſten Augenblicke das ſchwach flimmernde Lebenslämp chen ganz erſticke. Bis zu dieſem Leidensabgrunde hat mich indeſſe die Seekrankheit niemals untergetaucht. Ich behielt im Gegentheil immer eine kleine helle Stelle im Kopfe, wo es unaufhörlich dachte, dichtete und ſich über den armſeligen Plun der des übrigen Menſchen luſtig machte. Dafür blieb ich auch mehr als eine Woche in dieſem Zuſtande und erinnere mich deutlich noch der innern Wuth , welche mich ergriff , wenn ich eben mit Noth mich auf's Verdeck dreppte und der Rapitain mir fröhlich zurief:
wir gingen vorwärts wie mit Dampfu.
Ach ich hätte einen Theil meines Lebens darum gegeben , wären wir im Sturme nach dem Lande zurückgeflogen . Der Ocean iſt Herrlich , aber die Menſchen haben noch nicht das Fahrzeug erfunden, ſeiner gewaltigen Erhabenheit froh zu wer den ohne zu ächzen. Wie ſoll man auch in dieſen ſchaukelnden Nußſchalen voll widerlicher Gerüche nicht frank werden ? So bald man ihrer gewohnt iſt, heilt der Obem des Meeres wun derbar kräftig . Während der zweiten Hälfte meiner Seefahrt fühlte ich mich jeden Morgen wie neu verjüngt , ein köſtli ches Gefühl von Friſche und Lebenskraft zog mir durch die Glieder, ich konnte ohne Ermattung den ganzen Tag leſen und ſchreiben , aß aber auch wie ein Wolf. Ich muſterte
nun allmählig
meine Schiffgenoſſen.
Der
Kapitain war ein Frländer geweſen und obwohl entſchieden amerikaniſirt, war cr doch ein warmherziger fröhlicher Mann geblieben , ber manchen launigen Einfall zum Beſten gab . Die beiden Steuermänner zeigten ſich als ziemlich gebildete Leute , die mit Logarithmen gut zu rechnen verſtanden , wenn gleich die mathematiſchen Grundfäße derſelben ihnen böhmiſche Dörfer waren . Insbeſondere an dem jungen Steuermann
77 bemerkte ich zuerſt, welcher Vaterlandsſtolz und welcher feurige Geiſt dieſe Amerikaner treibt und wie ſie für ſich und für ihr Land nach den höchſten Dingen ſtreben. Ein junger Rauf mann aus den Sklavenſtaaten entwickelte dagegen amerikaniſche Flegelei in verſchiedenen Schattirungen , ein Menſch, der trok ſeiner Jugend ſchon ein Abgrund von Schlechtigkeit war. Ein Kentuckier , Profeſſor der Chemie , hatte unſern Liebig beſucht und hielt ihn für den größten Mann der Welt. Thn begleiteten ſeine Frau und zwei Töchterchen , letztere wurden ſo lange gegen meinen Schnurrbart aufgchett, bis ich dieſe den Amerikanern damals noch anſtößige Zierde eines Morgens in's Meer warf und dafür die bedungene Belohnung Holte. Auch zwei junge engliſche Kaufleute gingen nach Amerika , um dort ihr Glück zu machen , waren aber vollgepfropft von den lädjer lichſten Vorurtheilen gegen die neue Welt. Der eine wolite ſogar die Leute zu Cincinnati , was den Amerikanern viel zu lachen gab, das Schweineſtechen lehren. Nicht blos Franzoſen , auch Engländer aus den mittleren Ständen ſind häufig in ben albernſten Vorſtellungen über andere Völker befangen . Ich konnte einem ſolchen es einmal eben nur wahrſcheinlich machen , daß die Preußen auch Deutſche ſeien. Der liebſte Schiffsge noſſe war mir ein junger Erbe aus Newyork , der von ſeiner europäiſchen Reiſe zurückfam . Er hatte von uns Deutſchen die Idee gefaßt, wir lebten poetiſch in den Tag hinein . Auch gab er nächſt ſeinem Lande dem unſrigen den Preis ächt weib licher Anmuth , und wir gingen mit einander manches deutſche Paradiesgärtlein wieder burch , wo die lieblichen Mädchenblü then ſo dicht und friſd wadyſen wie Maiglöckchen nach dem Regen. Mein Freund war der Anſicht, daß zwiſchen dem Feuer der Südländerinnen , der feinſtudirten Coquetterie der Franzöſinnen und der ſteifen Schönheit der engliſchen Ladies die deutſchen Frauen eine glückliche Mitte hielten. Aber barf ich es wieder ſagen ? -- er meinte auch, die deutſden Mädchen
78 ſeien die leichtgläubigſten, und viele deutſche Frauen hätten bei all ihrer Seelengüte doch keinen feſten eigenen Charakter und hielten Männer und Söhne zurück , wo es etwas Großes zu wagen gälte. Wir gaben beide zu, daß man unter den Frauen in England vorzugsweiſe vollendete Schönheitsformen ſähe, freilich ſei dort die ätheriſche Blüthe in den vornehmen Stän den häufig ſchwindſüchtig, und in den untern laſſen die Schön heit einem faſt gewiſſen Verderben ausgeſetzt. Von den Fran zöſinnen war mein Freund am wenigſten erbaut, er erklärte ſie ſogar fammt und ſonders für wölfiſch. In Frankreich, meinte er , ſeien die Männer ſanfter als die Frauen . Die ſtolznackigen und gluthäugigen Töchter Staliens und Spaniens würde er hochrühmen , wenn untabeliche Schönheit in ihrem Lande reichlicher ausgeſtreut ſei und nicht ſchon ſo frühzeitig ſich in die Umriſſe orientaliſchen Alterthums verſteckte. Hier konnte ich ihn wieder faſſen , denn von dem Schickſale ſeiner Landsinänninnen , allzufrüh verblühen zu müſſen , hatte ich ſchon Einiges erfahren . Er entſdlüpfte mir aber behend und ge wandt mit tauſend Ausflüchten, wie es Amerikaner faſt immer thun , wenn eine ſchwache Seite ihres Landes zur Sprache kommt. Anziehend war mir das Thun und Treiben der Matroſen . Sie arbeiten immer langſam , taktmäßig , aber ſicher und ge ſchickt, auch mit rohem Geräth.
So bärenmäßig ſie auftreten,
ſo klettern ſic body im Tauwerk gelenk und behende wie Eid ) hörnchen . Die Hälfte unſers Schiffsvolkes litt an Folgen von Ausſchweifungen . Denn wenn Matroſen nach langem Pökel Fleiſcheſſen auf der See an's land kommen , ſtürzen ſie ſich in das wildeſte Luſtleben. Die Seeluft aber macht ſie ſogleid) wieder friſch und munter. Sie führen im Grunde ein recht arm- und mühſelig Leben auf dem Waſſer, aber zur Entſchä digung haben ſie den wilden Reiz der Gefahr, im Hafen vollſte Freiheit und Mützen voll Geld und dazu den Stolz, Seemann
79 zu ſein. Unſere Mannſchaft war eine vollſtändige Völkerſamm lung. Außer den Amerikanern befanden ſich hier Deutſche, Engländer, Dänen und auch ein Franzoſe. Wer iſt der beſte Matroſe ?. fragte ich den Kapitän . Reiner beſſer als der Deutſche. Dieſe Antwort habe ich oft von Seeoffizieren ge hört. Der deutſche Matroſe iſt ſo geſchickt und ſicher auf der See , als der engliſche, aber nicht, wie dieſer in der Regel, ein Säufer , ſondern nüchtern und anſtändig. Als ein beſon derer Vorzug der deutſchen Matroſen wurde gerühmt, daß fie auf warme und trockene Kleidung und überhaupt auf die Pflege ihres Körpers halten und gute Haushälter ſind . Der Enga länder iſt darin ſchlottriger und unſauberer ; er tritt breit und feſt auf und ſtirbt gewöhnlich auf oder an der See , während der Deutſche ſich in der Mitte des Mannesalters gern in ſeine Heimath zurückzieht. Der Däne nnd Norweger wird als Ma troſe nicht weniger gerühmt ; manche ziehen aber den ruhigen und reinlichen Holländer allen übrigen vor. Die hübſcheſten Bur ſchen ſind offenbar die Südländer , aber weder zähe noch zu= verläſſig. Wenn man außer der Mannſchaft auf deutſchen Schiffen einmal all die deutſchen Steuerleute und Matroſen zählen könnte, welche auf fremden Schiffen dienen, würde man ſich verwundern, wie viel Schiffsvolk unſere Küſtenländer liefern. Das Zwiſchendeck des Schiffes war vollgeſtopft mit Aus wanderern aus Frland. Als ihre Heimath verſchwand, ſahen ſie gleichgültig darein , - keine Thräne war zu bemerkent. Ihre Geſänge waren eintönig und traurig. Wenn ſie aus den Luken des Zwiſchendecks heraufſtiegen , zeigte ſich unter den Hunderten auch nicyt ein einziges erträgliches Geſicht, zu den meiſten ſchien die Kartoffel das Modell abgegeben zu haben . Bei ihrer Küche auf dem Verdeck entſtand zehnmal des Tages Gefreiſch und Balgerei, bis die Matroſen mit Flüchen und Schlägen dazwiſchen führen. Aber all dies arme gutmüthige Volk Frlands hatte doch jetzt die frohe Ausſicht, in Amerika
80 ſich wieder herauszufüttern und in ſeinen Kindern dem fremden Lande einſt tüchtige Bürger zu geben. Deutſchland war dies mal im Zwiſchendeck nur durch Handwerksburſchen vertreten, deren ja ſo viele unter Mühen und Noth mit unverwüſtlichem Wandermuth durch die ganze Welt fahrten. Die Anzahl der Leute aus den niedern Klaſſen, welche Deutſchland jährlich aus bloßer Abenteuerluſt verlaſſen , iſt außerordentlich. Die Ge folge wären noch immer da , aber die Gefolgsführer fehlen . Auch eine arme polniſche Judenfamilie mit zahlreichen Spröß lingen wollte nach Amerika. Wenn auch ihre Sprache wie ihr Aeußeres Deutſchland wenig Ehre machte , ſo lag doch etwas Rührendes in ihren Worten : " teitſche Leit fein die beſte » . Der Arme findet ſich wohl bei uns , während der reiche ſtolze Ausländer uns mit unſerer Gutmüthigkeit wie einen weichen Volfsbrei anſieht. Die erſten vierzehn Tage durch lag der Wind ſteif in un ſern Segeln und unaufhaltſam flog das Schiff durch die dun feln weißüberſchäumten Wellen .
Nur kurze Sonnenblicke waren
uns vergönnt , deſto öfterer aber peitſchten Regen und Wind und Wellen über das Verdeck. Einmal war drei Tage lang die Lufe des Zwiſchendecks geſchloſſen und aus dem Dunſtſtall da unten drang nur verworrenes Geſchrei herauf, ein Zeichen , wie unbarmherzig das arme Volk in dem engen gräulichen Raume mit all ſeinem ſchmugigen Geſchirr durcheinander ge worfen wurde. Das waren trübſelige Tage . 3m ganzen Schiffe faſt kein Plätden , das nicht naß und kalt war , im Bette konnte man ſich mit dem beſten Willen nicht feſthalten, und auf dem Verdecke mußte man kriechen oder ſich an's Tau werk klammern , um von den Sturzwellen nicht weggeſchleudert zu werden . Kapitain und Steuerleute aber waren wohlgemuth , denn es ging friſch voran ; am ſechszehnten Tage hatten wir den St. Patrick , der eine Woche früher abgeſegelt war , ſchon eingeholt. Dann legte ſich der Wind, der Himmel wurde klar.
81 Mit Schmut überzogen , ſchleppten nun Männer, Frauen und Rinder aus dem Zwiſchendeck ihr Bettwerk an die Sonne, um es zu trocknen und zu reinigen . Es folgte eine Reihe heiterer Tage, der Morgen war kalt und nervenſtählend, den Tag über wurde geſpielt, geplaudert, geſungen und entſetzlich gegeſſen, und des Abends verwandelten wir öfter unſer weißes geräu miges Verdeck zum Tanzplatz. Einmal überraſchte uns dabei ein Gewitter, der Donner fiel mit ſeltſamen Gepraſſel auf das Meer , als wenn er darauf zerplatte. Auch der Sonnenunter gang war wunderbar ſchönt. Das Meer wogte in der Ferne wie der glänzendſte Metallfluß, bis der Gluthball ganz hinab getaucht war.
Wenn dann alles ſchlafen Steuermann das Deck langſam
gegangen und nur noch der auf und abſdyritt, begann meine
ſchönſte Zeit auf dein Schiffe. Soweit der Mond entfernt ſtand, ſoweit glänzte vom Bordc burdy bas Meer bis zum Horizonte ein zitternder breiter Silberſtreif, und rings auf den unermeßlichen Tiefen Tag ein erhabenes Sdyweigen , das nur die kielaufrauſdenden Wellen unterbrachen . Der Ocean wogt noch wie eine der urweltlichen Gewalten , ſelbſt in ſeiner ma jeſtätiſchen Ruhe liegt etwas Nieſenlaumiges. Das Gefühl der Sicherheit mitten auf den balınloſen Gewäſſern hat einen ganz eigenen Reiz, und die ruhige häusliche Ordnung auf dem Fahr zeuge , das wie ein lebendes Weſen , dem Druck am Steuer und der Segelrichtung gehorchend, feinen Weg durch die Fluthent geht, macht einem das Schiff lieb und Heimathlich. Wer ein mal eine längere Secreiſe gemacht hat , verſteht wohl die Zu neigung, welche die Mannſchaft für ihr Schiff hat, und warum ſie es ſo
gern mit Flaggen und Farben bräutlich ſchmückt. Dieſes ſchlanke Bauwerf von Holz , Eiſen und Hanf läßt ſie ſtolz nach allen Zonen fahren und ſie mitten in der Meeres wüſte geſellig bei einander fein ; aber es muß audy ihr Leben ſchüßen , und ſie hängen ihm an , als wenn es eine Seele Löher, land und Leute. I. 6
82 hätte.
Ich kenne wenige Töne , in welchen ſo eigen Luſt und
Grauen gemiſcht ſind , als wenn man Nachts, aufgeweckt burdy das Raſſeln und Pfeifen des Windes im Tauwerk und durdy das Kommandowort des Steuermanns, umvillführlich aufhorcht und dann in ſeinem Bettfämmerchen hört, wie die Wellen leiſe anflatſchen an die Schiffsplanfen , deren wenige Zell uns von der naſſen Tiefe und ihren lingchcuern ſcheiden. Es iſt ein leiſes Mahnen, wie leicht und ſpielend Sas ringsuin wogende Weltall dies kleine Menſchen - 3d ), das jo keck denkt und ſchafft, wieder auslöſchen kann . Bei ſtillem Wetter pflegte ich mich vor dem Schlafengehen in einem Kübel Seewaſſer zu baben . Zu Zeiten ſchien cs wic flüſſiges Feuer zu leuchten und bedeckte mich beim Baben über und über wie mit knitternden Funken. Das Waſſer war dann auch weicher und ſchleimartiger , als wenn es nicht leuchtete. Dem Kapitän gefielen freilich, dieſe heitern ruhigen Tage weniger als uns , und er zeigte verbrießlich auf der Scefarte die Menge der kleinen Zickzacks, welche das Schiff wegen Mangels hinreichenden Windes fahren mußte. Ohne Zweifel. wird aber auch für Segelſchiffe die Reiſe über den atlantiſchen Dcean bald beträchtlich kürzer werden . Die Amerikaner ſind eifrig baran, auf der ganzen Linie zwiſchen Liverpool und New york die Strồmungen der See imd des Windes, die Schwere oder Leichtigkeit des Waſſers und ſeine Tiefe und Wärme genau zu erforſchen und aufzuzeichneit. Sie werden danach die Linie feſtſtellen , auf welcher ein Schiff von Wind und Wellen am wenigſten Widerſtand und am meiſten Förderung zu erwarten hat. Durch ſolche Wind- und Stromkarten iſt idon jetzt die Reiſe von Newyork um das Cap nach Californien faſt um das Drittel gegen früher verkürzt. Am vierundzwanzigſten Tage unſerer Reiſe waren wir auf den Neufundlandsbänken. Das Meer iſt hier nicht tief und der Golfſtrom treibt nach dieſer Gegend eine Menge von
1
83 Gewürm , Seegewächſen und kleineren Fijden, ivelde im ſonnen durchwärmten Waffer und im ſdylaminigen Mecresboden ſich wohl ſein laſſen. Da ſie aber den größeren Fiſchen reichliche Nahrung geben, fo haben dieſe hier ihren Sanımelplatz. ganze Waſſer ſchien lebendig zu fein.
Das
Schon unterwegs hatten
mich die Sprünge der größeren Fiſche, welche ſtundenlang das Schiff begleiteten , unterhalten , hier aber raudten ſicben bis acht auf einmal durch die Fluthen , bald zeigten ſich die ſchwar zen Floſſen , bald der klotzige Norf. Am Abend ſah es ans, als wären rings im Meere Springquellen , ſo brauſten und glänzten Waſſerſtrahlen in der Luft, welche dieſe Seeingethüme aufwarfen.
Rings am
Horizont vertheilt ,
ließen
fid )
über
zwanzig Segel zählen. Wir waren kaum nody hundert Meilen vom Lande, wenn gleich es noch nicht zu ſehen war , ſo ſchickte es uns doch ſchon einen Schmetterling. Er flatterte langſam über die Wellen, bis er ſich ermüdet ins Sdiff ſetzte Wie das und von den jubelnden Kindern erhaſcht wurde. kleine bunte Ding
einem
ſofort Wald- und Blüthenduft
zu
Sinnen rief , es kam wie ein Vote zu uns , daß hinter dem ewigen Seegewoge ſich bald das grüne Geſtade erhebe. Der Wind aber ſchlief nun ganz ein . Drei Tage lang hatten wir milben blauen Himmel, und wenn die Sonne in voller Glorie ins Meer geſtiegen war , erhob der Mond fein glühendes Antlitz aus den ſchimmernden Wellen . prachtvolles Nordlicht.
Einmal erfreute uns audy ein
Erſt ſtiegen langſam weiße Strahlen
aus dem Meere den Horizont hinauf , allmählig verdichteten ſie ſich zu einem weiten leuchtenden Halbrund, das ſich in jedein Augenblicke veränderte, bald wie Eisfelder und Gletſcher ſtarrte, bald wie Lichtwolken wallte. Dann ſchoſſen Strahlen nach unten und oben , breit und ſchmal, und in der Mitte bil dete ſich ein Gürtel in den Farben des Regenbogens, der im unaufhörlichen Wechſel blieb. So ſtand das herrliche Schau ſpiel über den dunklen Wogen, bis einzelne Sternbilder hindurch 6*
84 funkelten und die Strahien nach und nach erblichen.
Am an
dern Morgen wimmelte es auf dem Waſſer von Seegevögel, das darüber hinflatterte und ſich auf dem Wellenſpigen wiegte, während hie und da ein ſchwarzes Seeungeheuer emporrauſchte und wie ſchnaubend dazwiſchen einherfuhr. Mittags ſahen wir Sable Fsland , das wic eine Suppe ſich auf der Seefläche erhob ; als wir aber in der Entfernung von einer Stunde vor beifuhren, war es nur eine niedrige Sanddüne mit einzelnen Hügeln.
Gleichwohl brachte das kleine Eiland eine rechte Labung
für die Augen ; nachdem ſie länger als vier Wochen durch die ewig rollenden Wogent crmüdet waren , bot ſich doch wieder etwas Feſtes, auf dem der Blick zu ruln vermochte. Ich konnte nicht aufhören , mit dem Fernrohr die Windungen der ſpärlich bewachſenen Dünen zu verfolgen, zwiſchen denen hier und dort einc Fiſdyerhütte hervorſdjautc. Eine Seefahrt bietet manchen Vergleich mit dem Wechſel gange bcs Ccbens . Manchmal geht es rüſtig mit vollen Se geln vorwärts und man glaubt das nahe Ziel ſchon zu erblicken , dann komnien große und kleine Zwiſchenfälle, man muß laviren und kann trotz aller Anſtrengung nicht weiter. In der erſten Zeit glaubte man auf dem Schiffe, wir würden die ſchnellſte Fahrt haben, dann hielt ſchlechter Wind uns wochenlang auf, und nun überfiel uns nahe am Hafen cine Windſtille, und dauerte fünf volle Tage . Die See war ſpiegelglatt, die Luft drückend dwül , jeder fühlte bas Widerſinnige, auf dem Meere gefangen zu liegen , ohne ſich rühren zu können. Der Nebel wurde ſo dicht, daß man immer nur Theile des Schiffes fah. Ein anderes idwankte bidt neben uns aus den Dunſtwolken hervor und wieder hineint , wie der fliegende Holländer. Des Abends ſchien der Mond cinen bleichen niedrigen Bogen in die Nebelſchleier.
lächerlich genug ſtellte ſich
auch noch ein an
derer Nothſtand ein , die Tabaksnoth. Der Kapitän wurde ganz verbrießlich , nie bekam ich ein freundlicheres Geſicht voit
.
85 als ba ſid, auf dem Grunde meines Koffers nod) ein paar Cigarren fanden. Endlich kam wieder Helle und friſdier Wind. Welch ein freudiges Leben verbreitete ſich auf einmal ihm ,
über das ganze Fahrzeug , als am andern Tage die lange Das Zwiſchendeck Küſtenlinie von Longisland vor uns lag . kam in ſeinen beſten Kleidern hervor und warf die alten Lum peit und Geſchirre ins Meer. Wir freizten noch einen ganzen Tag in weiten Strichen an den niedrigen Eilanden hin und nahmen dann den Cootfen an Bord . Mit der einen Hand ſchüt telte er dem Scapitän die Hände, mit der andern reichte er die Zeitungen , über welche alles heißhungrig herfiel. Die Einfahrt zur Newyorker Bai wurde durch die vielen Schiffe bezeichnet, welche dort ein und aus fdwärmten, wie Bienen vor der Deff nung ihres Norbes. Vom Lande wehte Blüthenduft, es war Die Leuchtthürme ſtrahlten gleich eine ganz föſtliche Luft. vollent niedrigen einſamen Sternen , ter Mond erſchien im Glanze, und es begann Abend und Nadit ſo ſchön, wie ich ſie jemals erlebt habe. Langſam zog das Schiff in die ſtillen Buchten hinein, aus deren Gebüſch weiße Landſitze hervorſchim Dampfſchiffe und leichte Segel ſchwebten lautlos ait merten. den ſtillen Ufern hin , aus der Ferne hörte man Glockenflang und Hundebellen . Wie jugendlich grün , wie glückverheißend erſchien mir tas gelobte Cand !
V. Erſte amerikaniſche Eindrücke .
Es war ein heller Sonntagsmorgen , als ich die Bai von Newyork hinauffuhr. Die Wogen hoben und ſenkten ſich in weiten ſtillen Schwingungen und ſpiegelten das reinſte Licht blan des Himmels. Die Menge der großen und kleinen Se gel , alle ſo weiß und zierlid , und die Reihe der Landhäuſer, alle ſo ſchimmernd zwiſchen Buſdygrün , überfäcten durch ihren Witcrfdein die weite Bucht mit Glanzſtreifen . Wir hielten auf die Spitze des Dreiecks zu , welches die äußere Bai bildet, und liefen dort in eine engere Straße ein . Wie ſehnſüchtig ſchaute ich über die Ufer weg . Nach den einförmigen Tagen der Seefahrt winkt das Land fo jugendlich ſchön , ſo heimiſch aus den Wellen hervor. Ich meinte, nie hätte icy ſo friſches Grün, ſo reinc milde Himmelsbläuc geſehen . Wir traten in die innere Bai hinein , zu beiden Seiten Inſelforts mit blendend weißen Wal len, vor uns ein See, umkränzt von ſonnigen heitern Ortſchaften. Aber welch Gewimmel von Schiffen und was für thurmartige Fahrzeuge ſchwebten über den Fluthen ! Hinter dem Gewirr der Maſten und Segel erhob ſich die helle Häuſermaſſe der Weltſtadt im ſpitzen Dreieck, zu beiden Langſeiten ergießen ſich breite Ströme, ihre Ufer ſind eingefaßt von einem dunkeln Rande , den zahlloſe Schiffe bilden , auf der Dreiecksſpitze ſchwimmt halb im Meer ein grüner Park mit einem Fort
1
87 darin .
Schon mitten zwiſchen den Schiffen
ſchaute ich mich
raſch noch einmal um , herrliches glänzendes Leben auf allen Seiten , aber Berge , und ſtolzaufſtrebende Geſtade nirgends . Nach den Schilderungen der Amerikaner hatte ich hochprangende Golfs , wie im mittelländiſchen Meere , erwartet , ich fah nur ein überaus anmuthiges Geninde von Baien und Buchten , Flüſſen und Mecrengen und weiterhin einige grüne Anhöhen und Dünen , ganz in der Ferne etwas Bergwald , - aber ladyento und freundlich war jeter Anblick, für den heimkehrenden See fahrer iſt er paradicſiſd ). Wir wanden uns durch die Schiffe und icl eilte erwartungs voll in die Straßen hincin . Sie waren mendenſecr, cs herrſchte Sonntagsſtille. Die Sonne lag glühend zwiſchen den Häuſern und warf einen Scatten ſo dicht und ſo ſcharf abgeſchnitten, caß ich wohl merkte, das war nicht mehr die milde Some Deutſch lands. In der Nähe des Hafens ſahen die Schoppen, Waaren häuſer und Wohnungen wic verbraucht oder vernachläſſigt aus ; als ich in die beſſern Straßen kam , wunderte id) mich auch da über die leichte Bauart der zierlichen Häuſer. Prachtvolle Gebäude waren ſelten , cin cinförmiges Straßenviereck folgte auf das andere. Ich durchſchritt eine breite unabſehlich lange Straße und wunderte mich nicht wenig, als ich hörte, dies ſci der weltberühmte Vroad way. Aus einer Siirche, die obwohl nur von Holz doch wie ein griedrijder Tempel gebaut war , kamen feierlich) Sdaaren von ſchwarzen, braunen und gelben Menſchen , ihre Tracht war weiß oder grellbunt, fie ſcritten cinher gleich einer aufgeputten Heerde großer Affen . Nach und nach waliten aus den andern Bet häuſern weiße Scute hervor , lich von Herren geführt. Menſchen Kleidung. mit ſcharf nicht, aber
die
geſchwätigen Damen zier:
Faſt alle dieſe Weißen waren ſchlanke
von jugendlichem Neußern und in geſchmackvoller Und welche Menge von niedlichen Frauengeſichtern blickenden Augen , eine edle hohe Schönheit ſah ich die eine war immer hübſcher als die andere.
88 Frohen Sinnes erreichte ich das Haus eines Freundes aus Deutſchland und nach herzlichem Willkommen mußte ich mich an die Mittagstafel ſetzen . Es ſtanden da viele Gerichte, die mir neu waren , allerlei Gemüſe und Früchte, wilde Trut hälne und geſottene Auſtern. Unter tauſend Fragen verflog der Nachmittag. Bei aller deutſchen Herzlichkeit ſchien mir doch. der Ton der Unterhaltung merkwürdig kurzab und gemeffen , ohne Umſchweife wurde jebes Ding bei dem rechten Namen genannt. Von politiſchen und andern öffentlichen Zuſtänden des Landes redcte man mit derſelben Gewißheit und Gewohn heit des Mitherrſchens, wie man bei uns etiva von der Ein richtung cines Kaſino ſpricht. Auch das amerikaniſche Haus weſen mußte ich ſeheit, die Einrichtung war ſehr einfach, aber höchſt zweckmäßig , wenige Zimmer , aber jedes prächtig und behaglid ). Dem Wiegeſtuhl konnte ich meinen Beifall nicht verſagen. Des Abends machten wir einen Spaziergang durch dic Stadt . Auf den Straßen war ( 8 noch ſtill und feſttage lich , auf den Flüſſen aber gingen Dampfer ab und zu , deren Verdeck dicht beſetzt war. Ich hörte, daß darauf hauptſächlich Deutſche ſeien , die geborenen Amerikaner aber den Sonntag nur in den Kirchen oder ruhig in ihren Häuſern zubrächten. Wir traten in ein Clubhaus. Hicr fonnte ſich das Herz eines Feinſchmeckers crfreuen an wilden Enten von unübertrefflichem Wohlgeſchmack , an handgroßen Auſtern , die noch von See waſſer tröpfelten , und an den herrlichſten Pfirſichen und Melonen . Der Champagner war wohl ſehr theuer, aber ſicher nid )t über See gekommen . Am andern Morgen ſaly id) mich in meinem Gaſthofe um. Mein Ziminer war ein wenig größer als ein Schiffskämmerchen und ebenſo einfach beſtellt. Als ich aber die Reihe der hoch räumigen , prunkend ausgeſtatteten Säle des intern Stocks durchwanderte, welcher allen
Bewohnern des
Gaſthauſes zu
geineinſchaftlichen Geſellſdhafts-, Leſe- und Speiſezimmern dient,
89 da glaubte ich irgend eine ſozialiſtiſche Idee verwirklicht. Der Einzelne hat nur das Nothdürftige , die Gemeinſchaft alles in Pracht und Fülle. Die große Eßglocke, die ſoldatiſche Pünkt lichkeit und Ordnung der Aufwärter, die außerordentliche Menge von Gäſten und Beſuchern, ihr uniformes Leben und Ausſehen , das läßt einen amerikaniſchen Gaſthof wie cinc idealiſirte fa ſerne erſcheinen , in welcher die Damen den Vortritt haben . Nach einem Frühſtück, welches aus höchſt kräftigen Speiſen in Süß und Sauer beſtand , vertiefte ich mich in die Menge der tiſchgroßen Zeitungen. Eine jede glich einer überreich beſetzten Tafel, an welcher audy der ärgſte Murrkopf etwas finden mußte, was ihn zum Lachen bracyte oder zum Denfen anregte. Die Roſt iſt nur etwas berbe, es ſchici mir , als wenn der amerikaniſche Schriftſteller, wo er in ſeiner Rede heißen Pfeffer braucht, dieſen auf dem Feuer gern noch heißer macht. Gleich bei den erſten Artikeln merkt man , daß ſo nur für ein Volf geſchrieben wird , in welchem jeder Einzelne vor allem und jebem unterrichtet ſein und über Religions- und Staatsſachen , in Gewerbe imd in Wiſſenſchaften ſein Wort mitſprechen will . Feder Stoff wird in den Zeitungen ſo neckiſch vorgetragen , und zugleich ſo klar und natürlic ), baß man ſich dafür intereſ firt, wenn man auch kein Wort davon glaubt. Ehe man ſelbſt es weiß , denkt man halb ainerikaniſd) und nimmt Theil an dem friſd lebendigen , wageluſtigen Geiſte, der dies ſelbſther riſche und ſelbſtſüchtige Volk bewegt. Als ich wieder in die Straßen kam , waren ſie überfüllt von rollenden Wagen und eiligen Menſchen .
Es bot ſich nicht,
wie in europäiſchen Großſtädten , ein Anblick dar von ſtolzer Pracht und Vornehmheit , mit ſchwarzen Streifen von Elend und Noth durchzogen, ſondern es war ein jugendliches und an ſtändiges Volt von der Art unſerer mittlern Stände , welches hier Haus und Straße einnahm . Jedermann war gut geflei det , die Menge geputzter Damen viel größer als in irgend
90 einer Königsſtadt, ein Fraitenzimmer in grober Tracht oder von plumpen Formen gar nicht zu ſehen. Selten zeigte ſich eine feine elegante Haltung, aber auch nichts Steifes . Die ineiſten Männer trugen ſid, recht bequein , faſt lotterig , ſdyſent kerten im Gehen, und eilten vielfach grüßend, den Kopf etwas nach vorit gebeugt , haſtig an einander vorüber.
Das Ganze
fah unſerm Jahrmarktstreiben ähnlid) . Die Ladenbeſitzer hatten ihre Waaren bis weit in die Straße hinein aufgeſtapelt. Auf großen zweirädrigen Karren kam
Ballen
auf Ballen .
Dazwi
ſchen raſſelten bunt und glänzend bemalte Omnibus, Wägelchen wie von biegſamen Gußeiſenſtäbchen gemacht, halbcffcne Kutſchen mit fdywarzen Bedienten , und Reiter , die möglichſt berb und ſchlecht zu Pferde ſaßen . Die vielen gelben , bramen und ſchwarzen Menſchen unter den übrigen ſind für den Europäer etwas ganz Fremdartiges. Aber trotzdem , daß nirgends nung gehalten wurde , bewegte ſich doch alles friedlich und freundlich durcheinander, ohne Schreien und Lärmen, gleichwohl ſahen nicht wenige gerade ſo aus , als würden ſie jedem , der ihnen nicht gleich aus dem Wege ginge, ein Loch in den Kopf ſchlagen . 311 beiden Seiten der Straße auf der breiten Stein lage drängten ſidy die Fußgänger vorſichtig und beſcheiden , auf dem Fahrwege fan es wohl mal zu Gezänk, aber höchſt felten zu Rolheiten. Unter dieſem Volke war unverkennbar Selbſt adtung bis unter die ärmſten Peute verbreitet, jeder ſudyte anſtändig zu erſcheinen und das Nöthige dazu zu erraffen. In keinem Lande ſah ich jemals foviel junge Leute, das ganze amerikaniſche Volk ſchien noch dieſſeits der Vierzig zit ftehen. Haufen von Burſchen, welche an den Straßenecken oder vor den Gaſthäuſern ſich ſammelten , fannen augenſcheinlich auf nichts an deres, als wie ſie ihrem Uebermuthe Luft machten. Auffallend war mir auch, daß die Leute einander ſo ähnlich fahen. Das war hier wirklich ein eigenthümlich amerikaniſches Geſicht, welches auf den meiſten Schultern faß , von länglich eckiger Form, die
91 Farbe gelb und bräunlich), und felten fehlte ein beſonderer Zug von Kraft , Laune und Verſchmiştheit. Und welches Wohlleben überal !
Auf den Märkten fauften
Frauen , welche am dürftigſten ausſahen , fette Truthühner. Die Maurer auf dem Gerüſte tranken fünſtliches Mineral waſſer. Genüſſe , welche ſich bei uns nur die Mittelklaſſen verſchaffen können , ſind hier Gemeingut.
In Häuschen , die
nur Stube und Kammer hatten , ſah man den Teppich durch die Hausthür und die Geräthſchaften nett und niedlich aufge ſtellt. Das einzige Elend, welches ſichtbar wurde , ſchienen die Einwanderer mit zu bringen . Es lehnten an den Häuſern deutſơe Mädchen mit langen Zöpfen und von ungefdhladytem Neußern , welche angſthaft in das bunte fremde Gewühl ſtarr ten . Mander Amerikaner ging mit Blicken vorbei, die deutlicy ausdrückten , daß ihm dieſes Volk ſo widerwärtig ſei wie Halb wilde. Elend , das ſich öffentlich zeigt , hält der Amerikaner für ſchamlos oder ſtumpfſinnig. Dieſe erſten amerikaniſchen Eindrücke verſtärkten ſich in den folgenden Tagent. 3d ſah hier wirklich ein neues Volk : wo gab es ſonſt noch ein Land , in welchem die große Maſſe jo lebhaft , ſo gebildet , ſo wohlverſehen mit Wohnung , Nleidung, Speiſe und Trank ? wo ein Volf , welches ſo friſch und frei ſich fühlt und bewegt ? Kraft und Ungeſtüm iſt in allem was es anfängt, ſtrenge bei der Arbeit , iſt es waghalſig in ſeinen Unternehmungen und Hoffnungen . Mit redytem Eroberungs geiſt geht es ohne Bedenken darauf los , alles Mögliche in's Werk zu ſetzen. Fluth von neuen wie Reichthümer ſeltſame religiöſe
Gleich in den erſten Tagen ſtrömte mir eine Ideen zu : ſoviel Neues ſah und hörte icy, zu erwerben , ein Volk in Marſch zu ſetzen , Anſichten zu verwirklichen , ſozialiſtiſche Auf
gaben praktiſch zu löſen und Grundübel der Menſchheit zu heilen . Und dabei dieſe köſtliche belebende wohlriechende Luft, dieſer wundervol klare Himmel ! In der amerikaniſchen Atmo
92 ſphäre webt etwas , das anregend durch alle Lebensgeiſter dringt. Schon als ich der Küſte der neuen Welt mich näherte, entzückten mich das Fugendfriſche, die kräftige Heiterkeit und dic Wohlgerüche der Luft. Ich wurde nicht müde, den Wider idein des klaren Himmels an den Häuſern und auf dem Waſſer, und die grandioſen Wolkenmaſſen zu bewundern . Ver ( dyweigen darf id) aber nicht , daß id) einen Freund , der mir wollene Interfleider anrietly , crſt auslachte und zwei Tage nachher ſeinen Rath befolgte .
Nachmittags waren wir in Glüh
hitze in die Bai hinausgefahren, und als wir Abends wieder kamen , ſchnob cin eiſiger Wind durch die Straßen , daß man vor Nälte zitterte . llnd gleichwohl ſtand faſt täglich in den Zeitungen , daß Menſchen am Sonnenſtidy plötzlichy todt nieder gefalien . Alimählig machte ich noch andere Erfahrungen .
Es ſchien
mir , als wenn im amerikaniſden Volfe zu viel Springfedern ſteckteil und zu wenig ſolider Gehalt. Die Menſchen waren von ciner unaufhörlichen Unruhe ergriffen und famnen nicht zum ruhigen heitern Lebensgenuß. Audy fiel mir nach und nach das Krankhafte und Schwächliche in's Auge , das ſich unter dem jugendlichen Aeußern verbarg. Man ſieht es den Leuten an , daß ſie zu raſch leben . Die Männer ſind ſchmäch tig , von faſt weiblichen Formen . Fahle Geſichter auf dünnem langen Halſe ſind häufig, im Ganzen jedoch haben die Männer wenn audy kein gefälliges, doch auch kein häßliches Ausſehen , ein Wuchs aber, der von Kraft und Jugend (dywillt, läßt ſich unter Amerikanern kaum entdecken . Die Frauen ſind , wie weltbe kannt, allerliebſt, ſie haben ſchlanke feine Figuren und die nied lichſten kleinen Hände und Füßchen . Ueber die ſchmalen Ge ſichtchen verbreitet ſich ein zauberiſcher Glanz und keine Spa nierin kann funkelndere Augen haben. Allein Perlenzähne und anmuthige Körperfülle ſind auch bei den ſchönſten Amerikane rinnen faſt ebenſo ſelten , als ein Reſt von blühender Schön
93 heit , der noch jenſeits der verhängnißvollen Zahl der hohen Zwanzig haften bliebe.
Der Amerikaner weiß jede Bewegung aus einem männlichen Anſtandsgefühl wohl zu beherrſchen, bei längerer Bekanntſchaft aber entdeckt man , daß er gleichwohl empfindlicher und reiz þarer iſt als ein Europäer. Ohne Zweifel liegt für ſeine ewige innere Unruhe und Reizbarkeit ein Hauptgrund in dem Landesklima , der ſchroffe Witterungswedyfel und die vorherr ſchend ſcharfe trockene Luft machen das Blut raſcher pulſiren. Vielleicht leitet die Anhänger der Pflanzenfoſt in Amerika ein richtiges Gefühl auf die Enthaltſamkeit von Fleiſch und Blut der Thiere. Der Europäer merkt auch bereits in den erſten Stunden ſeiner Ankunft , daß im hieſigen Leben eine gewiſſe Triebfeder mit ganz anderer Kraft , als in Europa , geſchäftig iſt. Hier geben nicht höhere Stände den Ton an , der ſich durch das übrige Volk fortpflanzt. Auch iſt es nicht der Druck einer geſchidytlichen Vergangenheit oder eine ererbte Volksneigung für Krieg und Seefahrt , Kunſt und Religion , was dem Streben der Amerikaner Farbe und Richtung giebt . Deutlich hört mant durch alles , was der Amerikaner redet oder thut , das ewige Tiktak durch : mad Geld ! mady Geld ! Wo bei uns in poli tiſchen , kirchlichen , fünſtleriſchen oder literariſchen Dingen die Idee den Vorrang hat und in zweiter Linie der Geldpunkt zur Beachtung kommt , da ſind in Amerika , ſobald der erſte Ge danke zu irgend einem religiöſen oder ſonſtigen Unternehmen entſpringt, ſofort auch im Kopfe feines Urhebers Idee und Geldpunkt innig mit einander verwachſen . Für rein ſittliche Zwecke, für Volksbildung , für religiöſe Inſtitute geſchieht in Amerika vielleicht noch mehr als in Europa , allein man weiß nicht, wo dabei das Geldgeſchäft aufhört und der ſittliche Zweck anfängt. Zum gemeinen Beſten , oder ſei es auch nur zur Befriedigung einer Laune , hat der Amerikaner eine großartige
94 Manier des Geldausgebens , aber er ſieht in dem Zeitſtrome, der während ſeiner Lebensdauer an ihm vorüberrauſcht, nichts als das Goldblinken und ſitzt unabläſſig am Ufer , um jede vorüberrinnende Minute in Goldförnchen zu ſtempeln. Und wer das nicht mitthut, der iſt ihm läſtig oder ein Gegenſtand des Mitleides. Endlich kam es mir auch ſo vor , als wenn
im
Schooße
der amerikaniſchen Bildung gar manches furiofe Fraut wüdyſe. Bauſtile aller Zeiten und Länder ſah ich auf die fühnſte Weiſe durch einander gemengt , und ſo gefällig und zweckmäßig die Wohn- und Bethäuſer ſich darſtellten , ſo regelmäßig war bent meiſten größern Gebäuden irgend ein Bauungethümn angehängt, gleich wie den ruſſiſchen Kirchen die Zwiebelkuppel. Feder geborne Amerikaner ſchien mir über hieſige Zuſtände ebenſo flar als praktiſch zit ſprechen : kam aber die Rede auf tiefer liegende Sdätze der allgemeinen Bildung , jo ſtieß man bei den meiſten entweder auf ſteinigen Boden , oder der Amerikaner wich, dem geraden Gedankengange zur Seite aus, um irgend ein Mißgewächs aus eigenen Ideenſchatze zu Tage
zu fördern.
Ich begriff nun , wie einige unſerer hier angeſiedelten Lande leute zu einer Anſicht gelangten, die mir höchſt unſinnig erſchien. Sie meinten , die Natur des Landes bringe es mit ſich , daß alles hier ausarte , was von Europa herüberkomme , und ſo bald die europäiſche Zuſtrömung aufhöre , werde die amerika niſche Welt rettungslos wieder verwildern . Alle andern ſahen bagegen in die amerikaniſche Zukunft wie in lauter blühende Obſtgärten hinein. Ich erfreute mic, einſtweilen an der Gegen wart , in dieſer hatte ich bereits ſoviel Neues und Anziehendes geſehen , daß ich ſchon in der erſten Woche beſchloß, meine Reiſe durch die Vereinigten Staaten , welche nur auf zwei Monate feſtgeſetzt war , auf ein halbes Jahr auszudehnen .
VI . Hudſon , Mohawk , Trenton , Geneſſee.
Wer wochenlang die grauc Dede des Meeres und darauf die dunſtige Hitze Newyorks erduldet hat , sein iſt eine Fahrt den Hudſon hinauf eine föſtliche Erquickung. Das Auge taucht durſtig in dieſe Fülle von (Grüit, in dieſe Felſenwildniß hinein , die der ſtolze Strom durchglänzt. Sein tiefes Rauſchen miſdt ſich mit dem langentbehrten Wohllaut des wogenden Waldes, fein reiner Haudy kräftigt noch dic Wohlgerüche, die aus den Thalwindungen herüber ſtrömen . Dieſe würzige Luft erinnert an das Duften von Italiens Gärten , aber es iſt etwas Wil des , Gluthvolles darin , das man in Europa nur in den uns bewohnten Bergſtrichen des Sibens aufſuchen darf. Newyork erhebt ſich deſto höher und ſchimmernder , je weiter man ſich entfernt, als Augenpunkt des hellen Flußthales, das rechts eine lange umbüſchte Felſenkette , links anmuthige Hügelreihen einfaſſen. Doch gerne läßt man die glänzende Stadt hinter fich, das Paradies der Feinſchmecker iſt ſie gewiß und auch der beſte Ort, um den Wachsthum und die Städte und Reiche gründende Macht der Welthandels kennen zu lernen , aber es iſt nicht inöglic ), mitten in dem reißenden Wirbel der Geſchäfte in Newyork eine einzige ſtille Stunde des Nachdenkens zu ge winnen . Dieſe Stadt giebt dem Fremden gleich bei ſeinem
96 Eintritte in Amerika einen , man inödyte ſagen , gewaltſanien Eindruck deſſen, was dieſes Land vorzugsweiſe auszeichnet und groß macht, das iſt das raſt- und ſchrankenloſe Schaffen in allem , was die Erzeugniſſe der Erde und die Ideen des Men dengeiſtes verwerthen kann . Der Fremde verlangt aber in Amerika nod nach andcrm , nad) der großartigen Natur. Ilnd beſſer fann er in jie nidyt eingeführt werden , als durch die herrliche Bergwildniß, die ihn bei Stonypoint aufnimmt. Bis dahin gleicht der Hudſon einem Sce , auf weldiem ſidly ganze Schaaren von Schiffen ausbreiten , hier aber iſt man auf cinmal wie in cinem tiefen Hochthal. Der Fluß ſcheint nur hineingeſchüttet zu ſein , ſo friſch und rieſig ſteigen die grünent Berge aus ſeinen Wellen auf und gipfeln ſidy, oft genug ilyre nackten Felſenglieder zeigend , fühn über einander, der Blick verliert ſich in die zahlloſen Schluchten und Frrthüler, und die Sonne überſtrahlt mit ihrem reinſten lichte Höhen , die wohl ſelten von Menſchen beſtiegen werden . Mit mehr Geſchmack und Einſidit hätte man die Bildungsſtätte der fünftigen Kriegs führer nicht wählen können , als in Weſtpoint, mitten in dem Zauber ciner erhabenen , nody jungfräulich wilden Gebirgswelt, umgeben von den zerſtörten Bollwerken der Feinde , sein ein zigen ſpärlichen Trümmergrau , das Amerika aufzuweiſen hat. Nichts geht über das Vergnügen, bei Wald und See dicha teriſch thätig zu ſein ; nach dieſem Genuſſe ſchätze idy am Höch ſten , in ſchöner Natur der behaglichen Ruhe und des Gedan kenſpiels zu pflegen , wenn ich gut geſpeiſt habe . Dieſer Genuß wurde mir ſo vollkommen , als id) es nur wünſchen konnte. Der Dampfer führte einen guten Tiſd ), und Fluß und Ulfer blieben immer ſūön . Die verſdiedenſten Landſchaftsbilder folgten raſch auf einander, oft crgoß ſich der Hudſon zu einem breiten klaren See , und ging's wieder in eine Thalenge hin ein , ſo hatte man hinter ſich felſige Gebirgsvorſprünge ind Dazwiſchen die herrlicyſten Fernſichten . Wo die llfer breit und
97 niedrig wurden , ſchoben ſich die Landzungen in den Fluß , be : deckt mit geputzten Städtdien und Landſitzen . Idy konnte nicht vom untern Verdcde weg , obwohl vor dem Winde zu Zeiten eine Spritzwelle ſtäubend in die Höhe flog . Es war ein heller Herbſttag , ein rechter Jagdtag , wie man in dieſer Jahreszeit in Deutſchland ſagt, um Rebhühner und arme Baſen zu ſchießen , wenn man nämlich die Erlaubniß vom Staate ſich erkauft hat , dieſem lachenden Erben all der reichen Stifte und Capitel und Städte . Früher forinte inan in Deutſchland nur jagen , wenn man einer dieſer Zinnngen oder dem Utd angehörte oder Freunde Sarunter hatte, jetzt kann bereits jeder für ſein Geld ſich das Jagtvergnügen verſdaffen . Der allein herrſchende Staat hat die Berechtigungen und Freihciteit wieder eingezogen , welche vor Alters Volfseigcnthum
warcit , jid) in
Laufe der Zeit aber unter einzelne Perſonen und Stände zer: ſplittert hatten. Amerika brauchte ſolchen Streislauf nicht durch zumachen. Es hat an den llfern ſeiner Flüſſe feine Burger und Dome, hier waltet die junge, weite Natur, mb barin der Menſch in ſeiner Freiheit , denn das Land hat Ueberfluß für Alle. Wo die menſdlichen Wohnungen in die Gehölze Hinein geſäet ſind, da überwiegen ſie doch niemals den Eindruck ciner ſich ſelbſt noch gebietenden Natur. In Europa iſt ailer Boden zerſtücft und verbraucht: ſo weit man ſieht, iſt von der Mens Ichenhand die Erde geknechtet, in Amerika erſcheinen noch immer die Werke des Menſchen, groß oder klein, wie verloren in der ringsum wogenden Wildniß. Dies iſt auch scr eigenthümliche Reiz des Hudſonthales. Es iſt wie ein friſches Heldengedicht, welches das Volk ſelbſt geſungen hat , die Spradje iſt nicht immer dichteriſch gewählt , aber es iſt die Sprache eines jun gen , ſtarken Volkes , der laut der Natur , der oft wie der Donner hallt in majeſtätiſcher Schönheit. Der Rhein iſt un endlich ſchöner als der Hudſon , der deutſche Fluß gleicht dem Werke einer Dichterſeele, die ihre wundervollen Offenbarungen Löher, land und Leate . I. 7
98 klar und beſonnen den Menſchen giebt. Aber es hängt ſich auch viel Trauer und Dede an die Geſtade des Rheines, und manche ſeiner Burgtrümmer erſcheinen im rechten Lichte erſt, wenn der Sturin und der Regen ſie peitſcht. Die Catskillberge crhoben ſich in prachtvoller Bläule gegen Ende der Fahrt, maſſenhafter als das Siebengebirge, aber zu entfernt vom Ilfer und nicht gezackt genug, um den grandioſen Eintruck des Drachenfelfen zu machen . Sie erinnern cher an beit Schwarzwald, wenn man ihn vom Rheine aus ſicht, und wenn man einmal einen Vergleich haben will , ſo möchte die Elbe von Torgau bis in Böhmen hinein den richtigſten Ver gleid , für den Hudſen liefern. Aber die Elbe iſt ſo enge und hat nur ſpannenlange Dampfboote, und hier die amerikaniſchen ! wie ſtolz und gewandt theilen ſie die Fluthen, ſie tragen ganze Gebäude ſtromauf ſtromab , in der Fernte erſcheinen ſie wie weiße Forts mit Thürmen . Und doch wie zierlich und koſtbar iſt die innere Einrichtung , ſolche weite glänzende Säle läßt feint Ein rheiniſches anderes Volf auf dem Waſſer ſchwimmen . Dampfſchiff iſt dagegen cin nictlicher Kahn , ein franzöſiſches ein großes Rauch- und Schmugbecken , und ein engliſches cin Staatszimmer voll Langeweile . Das amerikaniſche Dampfſchiff gleicht ſeinen Landsleuten ; das Aeußere fönnte angenehmere Pinien und Formen haben , das Innere aber iſt ganz danach , um ſchnell zu gehen und viel zu faſſen , und dabei iſt es drinnen weit und luftig, durchflogen von allerlei Wind und Plänen. Amerika hat ungeheure Räume auf dem Erdboden und in der Zukunft vor ſich, der Geiſt gewöhnt ſich in dieſem Lande daran , das Weite und noch Unverſuchte zu durchmeſſen . In Europa hat jeder Winkel ſeinen Herrn und jedes Ding ſein Maaß von vorn herein ; wer nicht viel Einbildungskraft hat , wird durch die Enge und durch den Druck der Gegenwart felbft engherzig und muß ſich ſchicken lernen . Aber ſonderbar, eine Rheinfahrt läßt einen wunderbaren Zauber in der Seele zurück , ſteigt man
99 jedoch vom Hudſon , der ſoviel Hodyromantik auffdyloß , wieder an das Land , ſo denkt man an die Vortheile , welche der prächtige Strom dem Handel gewährt. Die Landſchaftsbilder, welche vorüberflogen , ſind verdrängt durch den Eindruck der Eile des Verkehrs ſtromauf mtb ab, durch die Menge ter fracht belaſteten Dampf- und Segelſchiffe, durch das Marktgewühl an allen Handelspläten . Albany iſt eine ſo nette Stadt als man nur ſehen kann , und in Kuppeln und Säulen ſcheinen ſeine Bewohner ganz ver liebt zu ſein . Da ſie ſchon in ſehr früher Zeit und von Hol ländern gegründet iſt , ſo zeigt dicje Stadt cinzig unter den vielen neu aufwachſenden Städten des Staates Newyork einen gewiſſen geſchichtlichen Charakter und Straßen und Pläße, in denen eine vornehme Ruhe wohnt. Hier findet der Staats mann, Gelehrte und Künſtler Muße zum Arbeiten, und gebil dete Geſellſchaft und herrliche Naturumgebung, ſich darin zu erfri fchen. Auch die Mitglieder der Landesgeſetzgebung ſaßen und beriethen ſich in Ruhe und hielten entloſe Reden . Es wurde gerade über die Nothwendigkeit verhandelt, ein neues Geſetz buch des bürgerlichen Rechts abzufaſſen , damit ded) endlidy, wie ein Redner ſich ausdrückte , ein Recht da ſei , in welchem die Vernunft und die Geſchäfte unſerer Zeit ſich zurecht finden fönnten . Die Vornehmheit gilt aber bloß von den höher gelegenen Theilen Albany's , unten an dem Nanale und Fluſſe herrſcht Die Stadt legt ſich der Lärm von Handel und Gewerbe. breit vor den Hudſon und umfaßt das große Becken des Erie Auf dem letzteren ſtrömcn alle Erzeugniſſe herbei, kanals. welche aus den Feldern , Bergen und Waltungen des unendlich reichen Weſtens hervorgeholt werden . Der Hudſon bietet dafür die ſchnelle Straße bis zum Meer, und auf dem Fluſſe herauf kommt noch Werthvolleres aus den Werkſtätten an beiden Seiten des Oceans . Albany nimmt zugleich die Eiſenbahn 7*
100 auf , welche vom Eriefee neben dem großen Sanal herführt und fidy dann nach een Neuenglandſtaaten hin verzweigt. Deshalb iſt auch die untere Stadt von Fahrzeugen aller Art und von Wirths - und Lagerhäuſern wie umzingelt, und tritt man aus dem Dampfer Heraus- ſo muß man ſich durch eine Maſſe Geſundel durchſchlagen , weldics com curopäiſchen ſicher nicyts nachgiebt. Audy deutſcher Pöbel hatte ſid, hier ange ſietelt. Ich las in ciner Zeitung zwei öffentliche Scheidungs briefe auf einmal . In dem einen zeigte Iemand aus der Um gegend an , er habe ſeine Frau an den Methodiſtenpfarrer für fünf Dollars verkauft , wofür die Gerichtskoſten bezahlt ſeien . " Auf dieſes hin Hat dieſes Weib und ihr Pfaff keinen Anſpruch an mich und ſage ihn , daß er ſich dort nicht ſehen laſſen darf , wo ich mich aufhalte. Ein Anderer erklärte kurz und gut , ſeine Frau fei ihm tveggclaufen und cr werde Seden ab freſden , ter ſie ihm wicdcrbringe. Um Yand und Leute beijer kennen zu lernen , zog ich vor, auf einem Kanalbcete zu fahren. Dies iſt ein langes, ſchmales Fairzeug, welches von Pferden im Trabe gezogen wird . Es enthält einen großen Saal , an deſſen einem Ende die Küche und die Napitänskajüte, und an deſſen anderem Ende bas Schlafzimmer der Frauen ſich befindet. Die Männer ſchlafen im Saale auf einer Art von Hängematten , welche des Abends an den Wänden übereinander aufgehangen werden . Die viert Halbhundert engl. Meilen von Albani) bis Buffalo, welche auf der Eiſenbahn in einem Tage zurückgelegt werden , fährt das Kanalboot in fünf Tagen. Die Unzahl der Boote bei Albany hatte mir ſchon eine Vorſtellung von den ungeheuren Caſten gegebeit, welche auf dem Sianale verſchifft werden . Als uns aber alle drei Minuten ein paar Boote begegneten , alle zehn Minuten das Waſſer ganz mit Booten bedeckt war, alle übervol beladen mit Wuchten von Getreide, Mehl, Metallen, Hölzern , Branntwein, Del, Fleiſch,
101 Fettwaaren, Häuten, Salz, Gyps, und Gewerkswaaren , ta be griff ich , daß dieſer Kanal täglicky ſo viel werth war als die Arbeit von vier Millionen Pferden und noch einer halben Million Menſchen tazu . Die Einnahme überſteigt die Aus gabe bereits um Millionen . Und toch wurde ſein llrheter Clinton anfangs in der Landesgeſekgebung als ein abenteiter licher Plänemacher ausgelacht, ein Redner ſagte : wenn der Kanal gegraben ſei , ſo würden die Thränen über die Koſten das Waſſer hergeben müſſen , ihn anzufüllen. Allerdings war die Beſorgniß gegründet, daß man den Sanal nid)t hinlänglicky ſpeiſen könne , und man inuß ſich über die tüchtigen Dämme, welche bem Kanal das Waſſer zuführen , und über die fühnen Brückenbauten freuen , burch welche er über die Flüſſc hingeht. Trotz der ungeheuren länge iſt die Steigung , welche zu über winden war , gering , und nur an einigen Stellen , namentlich bei Littlefalls umd Pockport, mußten längere Tiefgänge durch felſige Anhöhen gehauen werden . Dieſer Sanal hat aber nicht allein das Verdicnſt, daß er den ganzen Verkehr von der großen Waſſerſtraße der Seen mitten durch den Staat Neuvorf und geradezii auf deſſen Hauptſtadt hingeleitet hat, ſondern er hat andy inermeßlich zur Bevölkerung dieſes Staates beigetragen . Wo er herzicht, ents ſtehen Werk- und Lagerhäuſer und Ortſchaften ; die Art mäht in die Wälder hinein , um Peder zu ſchaffen , denn die Leich tigkeit des Abſazes verdoppelt den Werth der Frucht. Oft iſt kaum ein Waarenhaus crrichtet, ſo wird ſchon ein Hafenplatz daraus , der ſich dann nach dem erſten Anbauer nennt, dieſer giebt nun vielleicht ciner großen Stadt den Namen . So lebte in Rocheſter , als die Stadt ſchon vierzig tauſend Einwohner zählte , noch die Wittwe Rocheſter , deren Mann die erſte Hütte bort baute.
Troja , Shenectady), Utica, Rom, Syracus,
Lions, Lockport ſind andere größere Städte am Kanale, welche von vornherein großſtädtiſch angelegt ſind und unglaublich
102 ſchnell
ſich
vergrößern .
Ganz daſſelbe iſt der Fall bei der
Menge der kleinern Städte , wie Amſterdam , Palatine, Herki mer , Caejoharina , Caruga, Palmyra , Montezuma; an eine ſolche Namenmengerei muß man ſich hier gewöhnen . Und alles das was ſich da anbaut und in die Breite ſtrebt, ſieht ſo nett und friſch, ſo handlich und lebendig aus , als wäre es zum Vergnügen gemacht. Das Volk iſt wie ein Haufen rü ſtiger Burſchen , der ſich in die Wälder ſtürzt und ſich in Umſehen daraus eine Stadt zurecht zimmert, an deren hübſchem Ausſehen er aud) zugleid) ſeine Freude haben will. Dennoch) könnte man einen Preis darauf ſetzen , hier einen Handſchlag nachzuweiſen , der überflüſſig geſchähe. Und dabei leben die Leute in voller Sorgloſigkeit der Jugend .
Geht an dem einen
Orte das Geſchäft nicht, ſo giebt es tauſend andere Pläße, wo man die Woche darauf ein anderes anfängt. Das Land hat Lebensmittel in Hülle und Fülle , wer bic Arme regen fanni, dem iſt das Nothwendige zum Leben gewiß . Ach wieviel arbeitet und ſorgt und duldet man dagegen in der alten Welt. Nichts iſt natürlicher , als daß die Amerikaner eitel ſind und ſoviel Rühmens von ſich ſelbſt machen .
Welcher junge lebensluſtige
Burſch putzt ſich nicht gern und will nicht gern hören , daß die Leute ſagen , wie nett er iſt. Bejahrte Leute aber werden in Amerika ohne Weiteres bei Seite geſchoben . Es ſcheint, als wenn ſie bem jungen Volfe läſtig wären . Die Anrede walter Mann , lautet faſt ſo, als wenn man halb mitleidig halb ver ächtlich ſagte : „ Alter Lump, treib dich noch eine Weile umher und dann macy , daß du von der Welt kommſt... Von Albany zog ſich der Sanal durch ein Waldthal zu einer Hochebene hinauf , auf der ſich die weiteſten Ausſichten darboten , die Bergzüge entlang , über wohlbebaute Landſchaften . Aus dem Hudſonthale traten wir in das des Mohawk hinein , dieſen Fluß begleitete der Kanal über hundert Meilen lang . Das Thal tes Mchawk iſt eine breite Mulde volt der frucht
103 barſten Aecker und hellgewäſſerten Triften . Auf dem Felde war der Mais bereits aufgebunden , und dazwiſchen glänzten die gelben Kürbiſſe ; Aepfel , Pfirſiche und wie
ausgeſchüttet ,
man
Melonen waren
konnte recht darin ſchwelgen .
Die
Mitreiſenden beſtanden zum größten Theile aus amerikaniſchen Landbauern , die aus den Neuenglandſtaaten mit Weib und Kind zum fernen Weſten zogen , ſich dort eine neue Heimath zu gründen. Dieſe ſtanden immer voll Bewunderung und riefen : rſchönes Land, allmächtig ſchönes Land, dreihundert Dollars der Acker !" Mich zog beſonders das Fremdartige der Geſträuche an, welde in üppiger Fülle zwiſchen den Feldern und auf den bebuſchten Anhöhen wuchſen . . Blumen fand ich weit ſeltener und meiſt waren ſie chne Geruch. Walt , Fluß und Thal er ſchienen in Helle ſtarke Farben getaucht, und der blaue Nether umwogte alles ſo leicht und klar , daß ſich jedes Blatt, jede Felsſpitze ſcharf in ihnt abzeichnete. Meilenweit ließen ſich auf den Anhöhen Häuſer und Felſen deutlid) erkennen.
Wenn ſich
Wolken ſammelten, fo zogen ſie nicht erſt grau und verworren umher , ſondern ſie ſtanden auf einmal am Himmel in herr lichen feſten Ilmriſſen , und wenn ich nach einer Weile wieder Hinblickte, hatten ſic ) Maſſen und Farben verändert, ohne daß eine Bewegung darin wahrzunehmen . Seit Italien und Ober bayern hatte ich ſo hellen Himmel, ſo fräftig gefärbte Cand dhaft nicht geſehen.
Die Amerikaner werden gewiß nod) aus
gezeichnete Landſchaftsinaler Haben. Faſt das ganze Mohawkthal war von einein lebendigen Ver
kehre erfüllt. Der Fluß ſelbſt, obwohl in weichen und nicht fehr tiefen Wellen ſich ergießend , trug manchen Rahn , dicht am Ufer zog der gewühlvolle Kanal bahin , auf der andern Seite brauſte das Eiſenroß auf der Eiſenbahn , und dazwiſchen auf den Landſtraßen flogen die Landbauern und Städter in ihren Wägelchen hin und her. Gewiß iſt immer ein ſehr anſehnlicher Die Leich Theil des amerikaniſchen Volkes auf der Reiſe .
104 tigkeit , mit der man hier das Leben nimmt , ſeinen Wohnſitz abbricht und anderswo wieder aufbaut, kennen wir in der alten Welt nicht. Auch die kleinen Städte haben in Amerika gleich ihre Roſthäuſer, welche nie leer ſtehen. Junge Leute, die feit trei Tagen ſich kennen , laſſen ſich trauten und beziehen ein Zimmer in einem Roſthauſe , ein Koffer verſchließt ihre ganze Habe , Ejjen und Bettwäſche giebt das Haus her.
So leben
fie vielleicht Jahre lang und haben nicht mehr Leinenzeug, als ſie zu finderwindeln brauchen .
Einer Deutſchen würde ein
ſolches Leben ohne die Würde und Pflichten der Hausfrau , ohne die Freude reider Ausſtattung des eigenen Heerdes gräu lich fein ; die Amerikanerin fragt: wozu ſoviel Umſtände, wenn man ohne ſie leben kann ? Des Morgens
lagerten ſich gewöhnlic) weiße Nebelmaſſen
breit über das Thal hin, nur einzelne Bauniwipfel und Hügel hoben ſich in ſchwankenden Umriſſen daraus hervor ; man hörte das Leben von allen Seiten von Menſchen und Maſchinen , jah aber nichts , bis ganz in der Ferne die Sonne bleich und dunſtig auftauchte ; dann kam bald ein friſcher Wind und fegte den Nebel weg , und in reinſter Klarheit ſchwebte die Sonne über die helfen Waldhöhen herauf. Beſondern Reiz hatten für mich auch die Abende. Naum fank die Sonne wieder hinter die Thalleinen , ſo warf auf einmal der Himmel ſeinen dun feln Mantel über die Erde, geſtickt mit dem funfelndſten Ster nenlichte und dem goldfarbigen Mond . Die Boote zogen lautlos auf tem Nanale hint, faum Saß ein leijes Plätſdern ſich hören ließ . Licyter blitzten von allen Seiten durch die Bäume , die Bootsleuchten ſdyimmerten in rothen Streifen auf dem Waſſer. Aus den Wältern ſtrich die würzigſte Luft, vermiſcht mit einem ſeltſamen Summen, welches das vielfach wache Leben darin ver fündete ; damn und wann hörte man auch eine Kuhgloce. Dann wechſelten die Töne , es begegneten ſich Boote , das Anrufen und die Trompeten der Bootsführer hallten weit durch
105 die Nacht, bis das Rauſchen der Sayleuſen alles überſchallte. War auch das wieder verſchollen , ſo verfank alles in die alte Stille, um bald mit denſelben Lauten die Nacht von neuem zu unterbrechen . Eines Abends dauerte es inteſſen lange, bis es auf dem Boote ruhig wurde . Auf dem Berbecke wurde Bio line geſpielt , und der Bootsführer und ſeine Gäſte übten ſich in Yankeetänzen ; es war das närriſchſte und geſchmackloſeſte Gedudel , Springen und Beinſdlenkern. Die Amerikaner, welche Tags über immer ſo trocken und wortfarg geweſen , waren jetzt die ausgelaſſenſten Menſchen. Wenn ſie einmal ihren Geſchäftsernſt bei Seite werfen , dann ſind ſie wie wilde Roſſe, die über die Stränge ſchlagen . In der Stajüte aber ſaßen die älterit ernſthaft beiſammen und ſangen Pſalmen aus einem Choralbuche. Licß ich mich mit dieſen in ein Religions geſpräch ein , ſo hatte ich Mühe, damit wieder zu Ende zu kommen ; ihre Beleſenhcit in der Bibel war außerordentlich, das war aber auch ihre ganze Kenntniß. Einer , der viel von den Philoſophen ſprach, gab mir auf die Frage was er darunter verſtehe, zur Antwort : Ein Philoſoph ſei der , welcher die Lichter des Himmels (die Sterne) kenne und das Wetter mache. Mancherlei Seltſamkeiten abgerechnet habe ich übrigens die amerikaniſche Geſelligkeit audy in den untern Claſſen meiſt an ſtändig gefunden ; ſie gerathen wohl mal in heftigen Streit, allein weder mit Wort noch Hand wird einer dabei gekränkt. Auch wurde mir , wenn ich auf der Reiſe nach etwas fragte, freundlich und ausführlich geantwortet. Den jungen Tagedieben aber, von denen ſich in jedem Städtchen einige durch unſaubere Kleidung und freches Benehmen bald zu erkennen geben , thut man wohl aus dem Wege zu gehen . Dieſe haben die Ge wohnheit, den Fragenden , ſtatt ihm Rede zu ſtehen , zum Teufel zu fdhicken , als wenn ſie ſelbſt zur Antwort keine Zeit hätten . Bei Littlefalls wird das Mohawkthal überaus romantiſch .
106 Graue Felſenwände und das dunkle Tannengrün ſchließen es ein und der Fluß ſtürzt ſchäumend über Steinblöcke. Das Städtchen iſt maleriſch zwiſchen Felſen und Gebüſch angeſiedelt. Um die Steigung zu überwinden , folgt hier eine ganze Reihe von Schleuſen dicht auf einander. Das Gewäſſer in den Schleuſen donnerte, der Fluß brauſte und tobte, und der Eiſen bahnzug rauſchte burch das weithinhaltende Felſenthal: es war prächtig. Als das Kanalboot aus einer Schleuſe zur antern über die Gebirgsſcheibe heraufgehoben war , folgten zu beiden Seiten des Sanals liebliche Wicſengründe, bedeckt mit üppigem Vich und umzogen von halbnackten Hügeln . Das Boot zog jetzt ſo ſtill dahin , wie eine holländiſche Trecffdyuyte. Hier hatten ſich ſchon in früheſter Zeit Holländer angeſiedelt. Ihre Familien kennt man noch jetzt heraus an ihrem langſamen Sprechen und Thun , wie an ihrer reinlichen und behaglichen Häuslichkeit. Zwiſchen ihnen wohnen noch zahlreich den Mo hawk entlang die Nachfommen der älteſten deutſchen Einwan derer.
Dieſe, ndie Mohawker,“ ſind als Starrföpfe verſchrien ,
weil ſie ſo lange Zeit ſich ſträubten, engliſch -amerikaniſche Sprache und Bildung anzunehmen . Jetzt find audy ſie kopfüber in den Schmelztiegel geworfen , aus welchem manche Mißgeſtalt her vorkommt . Dic holländiſche Sprache dagegen iſt bereits ganz erloſchen , auch in Albany , einſt der vielgeliebten Start der Holländer, haben dieſe nichts zurückgelaſſen , als den eigenthüm lich ſtillen Charakter der obern Stadt und ein paar holländiſche Bibelit.
Sobald der Kanal die Gebirgsſcheibe hinter ſich hat, tritt er in die unabfehlichen Walbungen , welche noch bis zu den Seen alles Cand bedecken . Dann zieht er ſtundenlang durch
langweilige Forſten ,
hütten errichtet werden . ſenbäume ſtrecken wie zum Himmel.
in
denen
eben
erſt die
Block
Die abgerindeten , vertrockneten Rie verzweiflungsvolt ihre nackten eſte
Sümpfe , verwachſenes Nadelgehölz, kaum an
107 gebrochene Richtungen mit ſchwarzen Baumſtümpfen auf dem Acker ziehen ſich in trauriger Dede neben dem fanal hin . Wenn es dabei den ganzen Tag regnet, dann iſt eine ſolche Kanalfahrt bei der Einförmigkeit in der Rajüte und draußen keineswegs unterhaltend. Deſto lebhafter wird's , wenn wieder ein Städtchen in der Ferne ſchimmert. Dann riefen ſich die Bootsführer zu : ngo the whole hog," wörtlich: ngeh (nimm) die ganze Sau . Dieſen Zuruf , friſchzu mit vollen Kräften loszugehen , hatte ich ſchon in Neuvork öfter auf Straßenpla katen geleſen. Der Amerikaner Sprache iſt überreich an ſol chen Vergleichen und Witzen , welche von den allergewöhnlichſten Dingen hergenommen ſind. Das iſt ihre Geſchäftspoeſie, jedenfalls anſchaulicher Natur. Ein rechtes Yankeegeſpräch iſt nichts als eine Moſaik aus derlei Vergleichen, launigen Stich worten und Rechenerempeln. Auch der Franzoſe , Spanier, Italiener , vor allen der Engländer ſieht nicht ein , warum er nicht durch Redensarten, welche aus dem gemeinen Leben ge griffen ſind, ſeine Unterhaltung kraftvoller machen ſoll. Nur wir Deutſche, welchen eine ganze Menge der treffendſten Sprüch worte zu Gebote ſtehen, ſind belifat in ihrer Anwendung und nehmen ſie lieber aus fremden Sprachen . Mancher vornehme Herr ſagt wohl franzöſiſd ): „revenons à nos moutons, “ aber gewiß nicht auf deutſch. Ich war nun in der Gegend der Waſſerfälle. Von Utika machte ich einen Abſtecher nach den etwa vier Stunden ent fernten Trentonfällen. Es ging eine Anhöhe hinauf , unten breitete ſich ein reiches Thal aus, in welchem das freundliche
Wenn man bei uns zu Waſſerfällen fährt, ſo iſt man in grünen Gebirgen unter fühlen, hallenden Felſen und Wäldern ; davon war hier wenig zu ſpüren. Der Weg geht durch ebenes oder leichthügeliges Land, bis man auf ein mal in das in Felfen und Erte tief eingeriſſene Flußbette Utika ſchimmerte.
hinabſchaut,
in welchem das Geiväſſer von Zeit zu Zeit in
108 Abfäßen herunterſtürzt. Als ich bem hübſchen Städtchen Tren tonville , welches ſich in einem anmuthigen Thale bettet , mich näherte, befam die Gegend einen ſchwadyen Anſtrich von Ge birgslandſchaft , die Häuſer waren mit Schindeln gedeckt, aus den Wäldern fam Harzgerud ), die Sonne aber brannte wie mit glühenden Pfeilen. Das Gaſthaus bei den Fällen , wo des Sommers ſich Familien der geſunden Luft wegen aufhal ten, war ſchon leer. Unter den Bäumen dicht bei dem Hauſe geht auf einmal eine ſteile Treppe tief hinab in einen Felſen ſchlund, in welchem unten das dunkelbraune Waſſer niederbrauſet. Es iſt nicht ein einziger großer Waſſerfall , ſondern man geht an mehreren Abſätzen hinauf, welche das ſchäumende Gewäſſer herabſtürzt. Die ſenkrechten Felſenwände waren ſo hübſch mit Gebüſch und Blumen behangen , als hätte es eine forgſame Menſchenhand gethan . Je weiter id) in der engen Schlucht hinaufſtieg, deſto öder und düſterer wurde der Ort, die Raben oben auf den Felſen fräcyzten , als erwarteten ſie ein Opfer, das ſich unter den Waſſerſtürzen und Felſen zerſdimettern folle . Rieſige halbvermoberte Baumſtämme, Felsblöcke, dicit nieder hangende Flechten und Ranken ließen faum einen Durchgang. Auf einmal ſah ich mitten iin Waſſer auf einem Felſen ein ſchlanfes Fräulein jizen, von oben bis unten in grüne wehende Schleier gehüllt. Auf meinen unwillführlichen Anruf brehte fie ſteif und langſam den Kopf mir zit, gerade wie ein Storch , ohne eine Linie ihrer ſenkrechten Haltung zu ändern . Es war jo lächerlich), daß ich trotz des lieblichen Geſictchens , das aus der Schleierhülle hervorſah, bas Lachen faum verbeißen konnte. Da ich nun auch ein offenes Buch bei ihr fah , obgleich das ſtäubende Waſſer gewiß keinen Buchſtaben darin trocken ließ, mochte ich das Waſſerfräulein im poetiſchen Schwelgen weiter nicht ſtören . Nach Utika zurückgekehrt, fuhr ich bis Rocheſter auf der Eiſen bahn. Sie berührt mehrere Seen, welche noch ihre indianiſchen
109 Namen haben. Nicht lange, ſo werden auch dieſe wohlklingen den Laute irgend einem albernen faſhionablen weidyen müſſen, das iſt jekt ſo Mode. Die armen Fudianer fönnen nicht mehr widerſprechen , die wildeſten ſind ſchon lange nad sem fernen Weſten verbannt, und die Wenigen , welche in dieſer Gegend vereinzelt ſiten geblieben , haben Kleidung und Staatsgeſetze der Weißen angenommen und verzehren auf ihren Farmen die guten Penſionen , welche der Staat für die abgetretenen Län dereien zahlt. Vei Oneitacaſtle wohnte Einer, der drei ma nierliche Töchter hatte, fic laſen md muſicirten und jede befam viele TauſendDollars Ausſteuer. Rocheſter liegt recht zwiſchen Waſſerfällen.
Der Geneſſee
ſtrömt durch die Stadt zum Ontarioſec, fein üppiges Thal iſt weit und breit ſeiner Fruchtbarkeit wegen bekannt , aber auch wegen ſeines Reichthums an Fiebern. Oberhalb und unter halb der Stadt ſtürzt der Fluß über mehrere ſenkrechte Abſätze, welche das Strombette durchſchneiden . Der anzichendſte Punft iſt in Rocheſter ſelbſt, auf der großen Brücke. Dieſe iſt über einen breiten Waſſerfall gebaut , etwas tiefer zieht der Nanal in einer weiten geraden Steinrinne über den Fluß , der linke Uferrand iſt feſtungsartig beſetzt mit mehreren hohen Mühlenge bäuden von Stein , aus welchen einige zwanzig anſehnlidje Sturzbäche auf einen grünen Abhang niederpraſſeln und gleich ebenſoviel Strömen weißer Milch weiter ſchicßen . Rocheſter hat, wie mehrere andere amerikaniſche Städte, einen Urwaldo hügel ſich zum Friedhofe umgewandelt. Auf dieſem Mount Hope oder Hoffnungsberg ruhen die Tobten noch halb unter Urwaldsſdatten , und die Lebenden werden dort erfreut durch eine herrliche Rundſicht. Von Rocheſter aus nahm icy wieder das Kanalboot, um die Werke bei Podport zu ſehen, von deren Großartigkeit ich ſo viel reden hörte.
Indeſſen beſtanden ſie nur darin,
daß der
Kanal eine ziemlich lange Strecke durch Felſen gehauen war.
110 Ueberhaupt iſt der Sanal , wie ſo viele ähnliche Arbeiten in Amerika , großartiger durch ſeine Ausdehnung , als durch ein zelne Rieſenbauten. Die Amerikaner halten ihn freilich für das größte Wunderwerf , und ich mußte unwillkührlich lachen , als mir ein Eingeborner an dem Tage , an welchem ich das Jahr vorher auf der Eiſenbahn von Lüttich nach Köln fuhr, bei Lockport ſagte: ein jo allmächtiges Werk, wie der Eriekanal ſei, habe die alte Welt nicht aufzuweiſen . Zwei Stunden von Buffalo crſtreckt ſich am Ranale hin Ebenezer , die große Anſiedelung deutſcher Separatiſten. Sie haben ſich erſt vor wenigen Jahren dort angebaut und haben jetzt ſchon mehrere Tauſend Aecker urbar und eine reiche vor züglich geordnete Wirthſchaft. Eigenthum und Arbeit, welche nicht zum nächſten Gebrauch dienen , ſind bei ihnen gemein ſchaftlich. Natürlich fehlt es auch nicht an religiöſen Schwär mereien. Die Deutſchen nennen ſie deshalb ſpöttiſch die Inſpi rirten, die engliſchen Amerikaner, welche an derlei Verzückungen felbſt überreich ſind , ſprechen mit großer Achtung von den preußiſchen Anſiedelungen , weil ſie das außerordentlich raſche Gedeihen vor Augen fehen . Ueberhaupt mehren ſich in den Uferlanden des Erie und Ontario die deutſchen Anſiedelungen fehr ſchnell. Sie ziehen ſich manchmal meilenweit durch die Wälder. Auch die Städte am Eriekanal , dieſer großen Heer ſtraße der Auswanderung nach dem Weſten , vergrößern ſich von Tag zu Tage durch deutſche Einwanderer. Der Eine findet hier , der Andere dort Arbeit , Freunde oder Geſchäftsgelegen heit, oder jie müſſen bleiben, weil ſie unterwegs um ihr Geld geprellt ſind. Dann miethen ſie ſich ein, taglohnen, und helfen ſich durch Fleiß und Sparſamkeit weiter, bis ſie mit dem Er werbe ſich ein Häuschen bauen oder weiter nach dem Weſten wandern . Die Vermögenderen gehen gleich möglichſt weit nach ben weſtlichen Prairien und Waltungen . Mit Jagdhüten und langen Bärten, welche das Erſtaunen der Amerikaner erregen ,
111 ſieht man ſie den ganzen Kanal entlang, ſie wollen in die reine Naturwildniß hinein und nehmen häufig ein Vermögen mit, das ihnen daheim den anmuthigſten Wohnſitz verſchaffen fönnte. Es ſcheint wirklich im Menſchen noch ein Reſt von uranfäng lichen Neigungen zu ſtecken, zu Zeiten überfällt ihn mitten im Schooße der Civiliſation das Heimweh nach der Freiheit der Wildniß. Die letztere kann man übrigens auch hier , nur ein paar Meilen von der Straße, noch aus erſter Hand haben, der nördliche Theil vom Neuyorkſtaate iſt noch heutzutage Halbe Wildniß . Bald hinter Ebenezer ſchimmert einem der "Eriefee entges gen wie ein helles Meer . Welche friſche Lebenskraft weckt doch jedesmal der Anblick des Meeres in der Bruſt. Erſt ſeit drei Wochen hatte ich die Mühen der Seefahrt hinter mir und ſchon jubelte ich wieder, als id ) nach den tunfeln Wäldern von neuem endloſe Waſſerfläche fah. — Buffalo ,
der andere
Endpunkt des Kanals , iſt bereits cine prächtige Stadt voll großhändleriſcher Thätigkeit und ausgeſtattet mit allem Lurus Fort und fort bauen und aller Verterbniß großer Stärte. ſich rings um ſie her die hübſchen weißen Häuſer in die grüne Flädje hinein. Doch nimmt man ſich kaum Zeit , in Buffalo ſich uinzuſehen - der Niagara iſt zu nahe !
VII .
Im
Niagara.
Es war zu Anfang Oktobers , als icy in Buffalo ankam , und es begann nach ser quälenden Hitze der lctzten Wochen eine Ncile lichter Tage vell Milde und Mühle. Freunde in Neuvork hatten mir geſagt , daß id) den erſten Anblick tcs Niagara jedenfalls von der Canabaſcite ſuchen müſſe , auch hatten ſie mir Cliftonhouſe, einen Gaſthof, gerade dem großen Falle gegenüber, cmpfohlen. Ich ging daher auf ein Dampf boot , welches an der Canadaſeite anlegte. Nur mit Mühe und manchem Aufenthalt konnte es ſich aus dem Gedränge von Schiffen und Booten in Hafen von Buffalo hervorar beiten . Der Ericfee ſtrahlte hellblau, auf ſeinem Spiegel ließ der friſche Morgenhauch kaum eine Welle zittern. Es iſt ein föſtliches Gefühl, die Scele erhebt ſid) ahnungsvoll, wenn man einem lange erſehnten großartigen Anblick entgegen geht. Wir bogen ein in den Ausfluß des Eriefee zum Ontario, rechts das amerikaniſche, links das canadiſche Ufer. Beide waren ſo niedrig , das Waſſer blieb ſo klar und ruhig , wie in einem ſtillen See , man merkte kaum , daß es ſtrömtc. Nur ein dumpfes Donnern ließ ſich allmählig hören , wie bei uns an Sommerabenden , wenn ganz in der Ferne ein Gewitter auf ſteigt. Als wir weiter zogen zwiſchen den ziemlich platten
113 Ufern , zeigte man mir eine Art Nebelſäule vor uns , gleich ſtehenden wirbelnden Wolken . Das ſind die Fälle, hieß es. Das Dampfboot landete und wir kamen auf eine Pferdeeiſen bahn , die nicht ſchlechter ſein konnte. Der Wagen ging aus den Schienen und wir mußten neben den Fällen anhalten. Ich ſah ſeitwärts durch die Bäume auf die obern Ränder eines Keſſels ,
in
welchen
ungeheure Waſſermaſſen hineinſtrömten .
3ſt das der Niagara ? . fragte ich etwas enttäuſcht. Endlich nahm uns ein Omnibus auf , und ſowie er auf dem Platze vor dem Cliftonhouſe anhielt , ſprang ich heraus, ſtand befangen einen Augenblick dieſer rauſchenden Gewalt und Majeſtät gegenüber und rannte dann , Gepäck und alles vergeſſend, nach den Fällen hin. Es war herrlich , unend lich, dieſes Wogen, Stürzen, Donnern, Lichtglänzen und Wol kenwirbeln , ein lebenvolles Schauſpiel , das urplötzlich mit Lichthelle in Geiſt und Seele dringt. Und dennoch , ich ver wünſchte die amerikaniſche Prahlſucht: ſie hatte mir von meilen weiten Fällen , von gebirgshohen Felſengehängen geſprochen. Dergleichen ſah ich nun allerdings nicht, und ich mußte mich erſt wieder von ſolchen Vorſtellungen befreien und mich in die eigenthümliche Madyt und Schönheit deſſen , was ich vor mir und um mich hatte , vertiefen.
Aber nun wurde
auch das
Ganze ſo durchaus anmuthig, ja friedlich ſchön bei aller Ge walt und donnernden Größe , daß die fröhlichſte dichteriſche Stimmung mich überkam. Unſäglich ſchöne und heitere Ge bilde wogten mir durch die Seele, und zwiſchendurch zog doch etwas ſo Feierliches, Erhabenes, als hörte ich fortwährend aus der Ferne die ſtarken Akkorde einer Rieſenorgel. dh ſtreifte umher ron einem zum andern , es gab ſo viel Verſchiedenes und Eigenthümliches hier zu ſehen und zu ſtudiren.
Es wurde
Abend , und nody ſchien es mir , als hätte ich nur den Vor hang gelüftet von allen den Wundern dieſer Waſſerwelt, ich beſchloß , längere Zeit hier zu verweilen . 8 Löher, land und Leute I.
114 Nun war mir aber der große Gaſthof mit ſeinem unauf hörlichen Gewirre von Wagen und Fremden und Gepäckträgern zuwider. Außerdem , weil er den Fällen gegenüberliegt, leuchtet und donnert der wogende Waſſerſturz durch alle Fenſter und Thüren herein. Man kann aber nicht immer hohen Feſttag haben und bedarf von Zeit zu Zeit der Ruhe und Stille, um ſich wieder zu ſammeln in ſo großartig bewegter Umgebung. Ich begab mich daher auf die Wanderung , um mir etwas weiter von den Fällen eine möglichſt einſame Wohnung zu ſuchen .
Und ich konnte es gar nicht beſſer treffen.
Etwa zehn
Minuten Wegs von den Fällen entfernt iſt eine Anhöhe, Lundy Lane genannt, ein hoher Holzthurm iſt auf ihr errichtet, ähn lich wie auf dem Brocken und andern Bergen in Deutſchland ; man ſieht von dieſer Höhe die Scen und den ſie verbindenden Zug des Niagaraſtroms ſammt der weiten Waldebene rings umher. Nicht weit von dem Thurme ſtand etwas zurück, zwichen Buſchgrün und Baumſchatten ein niedliches Haus mit einer Vorhalle, hinter demſelben ſtreckte ſich Gehöft und Garten. Dort erhielt ich auf eine Woche eine hübſche ſtille Wohnung, Morgens ein engliſdhes Frühſtück mit Eiern , Schinken , Beef ſteak und einer Fülle köſtlicher Pfirſiche , Aprikoſen , Me Lonen und anderer Früchte, Nachmittags fünf Uhr außer dieſem noch ein Gericht Fiſche und Gemüſe , und Abends ſpät Thee oder Grog. Das Eſſen war ſchmachaft zubereitet und der Braten hatte endlich einmal wieder eine Brühe, in welcher weder zu viel Gewürz, noch zu viel Waſſer war. Die Ame rikaner nehmen ſich niemals die Zeit , gut zu kochen , aber ſie ſind darin große Narren , weil das Stückchen Zeit am Koch heerde verwendet , ihnen die vielen Tage erſparen würde , welche die Kur ihres ewig kranken Magens koſtet. Hausherr und Frau aber waren Engländer, ehrenwerthe Leute, etwa wie die wohlhabenden Farmer im Innern Altenglands. Auch die engliſche Höflichkeit in ihrem Hauſe gab eine angenehme Ab
115 wechſelung nach dem unruhigen , häufig ſchmutigen Treiben in den amerikaniſchen Gaſthöfen . Geſellſchaft leiſteten mir dann und wann die beiden Kinder meines Wirthes, ein junges Mäd chen , noch ein rechter neugieriger Backfiſch , und ein kecker Anabe, ber Das Juwel welche mir tiefen Augen
jedoch ſchon etwas in die Yankeenatur umſchlug. im Hauſe aber war eine Anverwandte , Mary, den Tiſcy deckte, eine hohe ſchlanke Geſtalt mit und ſchwarzen Locken . Selten ſah ich ſie lächeln,
aber das wenige, was ſie ſagte, verrietly Gehalt und Gemüth ; ſie hatte etwas Stilles und Wohlthucides in ihrem Weſen und ein vorzügliches Geſchick, das weißc Tiſchzeug maleriſch mit friſchen und eingemachten Früdyten zu beſetzen . Ich blieb die Woche über da , durchſtrich beobachtend das
ausgedehnte Gebiet des Niagara, machte Ausflüge zu benach barten Farmern und Indianern , hatte manchmal intereſſante Geſellſchaft, und will nun erzählen, was ich ſah und lernte. Wahrſcheinlich waren in der Urzeit nur ſtarke Stromſchnellen, wo jetzt die Fälle brauſen, und dieſe ſind in ihrer jetzigen Ge ſtalt das allmählige Werk von Jahrtauſenden. Die ganze Waſſermaſſe, welche ſich weit, weit im Nordweſten in tauſend Flüſſen und kleinen Seen anſammelt , findet ſich zuletzt ver einigt im Obern See, und geht von da burch tiefe Durchläſſe in den Huronſee, aus dieſem in den Erie- und Ontarioſee, bis ſie im St. Lorenzſtrom zum Meere ausfließt. Jeder dieſer Seen liegt etwas tiefer als der vorige, und ſo ſteht auch der Spiegel des Ontario 334 Fuß unter dem des Erie. Der Durch laß zwiſchen beiden iſt der Niagaraſtrom , etwa ſechs Stunden lang. An einen toſenden Gebirgsſtrom , den grüne Berge und him melanſtrebende Felſen umragen , iſt daher gar nicht zu denken . Die Gegend erſcheint eben wie ein Teller und der Niagara fließt in ſeinem Bette , welches er im Kalkſtein ausgeſchliffen hat, ruhig weiter. Etwa in der Mitte des Weges aber neig ſich die Ebene zum Ontarioſee hin , unmerklich zwar für den 8*
116 Wanderer , für den Fluß aber mußte dadurch ſogleich eine Stromſcynelle entſtehen . Die Neigung der Ebene dauert etwa anderthalb Stunden lang, dann geht es auf einmal ſteil hin unter ein paar hundert Fuß tief, in einer Ausdehnung von vielen Meilen quer über den Strom weg . Steht man unten vor dieſem Abſturz, ſo ſieht er aus wie ein Bergzug ; nähert man ſich ihm von oben, ſo ſcheint alles ziemlich eben, man be merkt kaum eine leichte und wellenförmige Erhöhung , auf der man herauffommt, bis man auf einmal dicht vor der Senkung ſteht. Auf dem Samme der Anhöhe ſtarren hie und da Fels bänke, beren linie man weithin verfolgen fann, zu Tage. Durdy dieſes Riff mußte der Strom hindurch und dann den fühnen Satz in die Tiefe machen, mit dem er den größten Theil der Höhe, um welche der Ontarioſee tiefer liegt als der Eriefee, auf einmal Herabſprang. Der Waſſerfall mag daher in der Urzeit ein noch viel gewaltigeres Anſehen gehabt haben. Nun beſtehen aber das Bette und die Ufer des Fluſſes cuf der ganzen Strecke, auf welder das Waſſer von der Höhe des einen Seeſpiegels zu der des andern abſchüſſig niedergeht, aus klüftigem , etwa ſiebzig Fuß mächtigem Kalkſtein , unter welchem Mergelſchiefer liegt. Das Waſſer drang daher in alle Fugen und Spalten der Kalkſteinſchichten ein und locerte und ſpülte in deren weicheren Unterlage, dem Mergelſchiefer ; die zurückpralienden Wogen ſchlugen unten mit ungeheurer unabläſſiger Gewalt an die Felfen , von welchen
ſie herabge
ſtürzt waren : durch ſolche Gewalt wurde erſt der unten lie gende Mergelſchiefer und dann eine Lage Salkſtein nach der anderit interwühlt , losgebrochen , herabgeſtürzt, zertrümmert und aufgelöſt, und ſo rückten die Fälle immer weiter nach dem Erieſee hinauf. Es entſtand daher allmählig das jetzige Tief thal, welches von jener Senkung des Bodens bis zu dem nun mehrigen Orte der Fälle , in einer Länge von anderthalb Stunden in den felſigen Grund eingeriſſen iſt, auf deſſen Bo
117 dem nun der Strom einherbrauſt. Bei meinen Wanderungen durch die amerikaniſchen Waldebnen habe ich ſpäter an Flüſſen und Bächen ganz ähnliche Erſcheinungen und dieſelben Formen von Waſſerfällen , wie am Niagara , im Kleinen beobachtet. Man denke ſich in irgend einer ebenen waldbewachſenen Ge gend eine tiefe Schlucyt, welche eine halbe Viertelſtunde breit und faſt zwei Stunden lang iſt, an deren obern Ende cin mächtiger Waſſerſtrom plötzlich anderthalbhundert Fuß hin inter fällt und am anderen Ende ganz ruhig wieder heraus kommt, und man kann ſich eine Vorſtellung von der Dertlichkeit des Niagara machen . Vielleicht hat nach einigen Fahrtauſen ten der Strom fein Bette immer weiter hinauf ausgebrochen, bis zwiſchen dem Erie- und Ontarioſee nichts mehr übrig iſt, als eine lange tiefe Schlucht, in der ein mächtiger Strom ichnell vorwärts drängt. Die Menſchen , welche in jener fernen Zeit ſich hoffentlich der Maſſe nady in beſſeren Umſtänden be finden, als heutzutage, werden dann in Büchern leſen von der Herrlichkeit der Niagarafälle und ſich die Stellen zeigen , wo vor Zeiten der Strom hinabſtürzte; aber ſie werden bedauern , daß ſie das herrliche Schauſpiel nicht mehr haben, an welchem wir uns erfreuen . Beim Ausgang aus dem Eriefee fließt das Waſſer ſtill und klar etwa fünf Meilen lang, dann trennt es ſich vor einer breiten Inſel (Grand Island), welche es in zwei Armen um= fließt. Am Ende der Inſel treffen beide Ströme breit auf einander, ihre ſeitab getriebenen Wellungen verbreiten ſich weit in die beiden Ufer hinein, in der Mitte aber ſtrömt die Waf ſermaſſe um ſo ſtärker vorwärts . Bald darauf beginnt die ſchiefe Ebene , auf deren Höhe ſich der Strom wieder theilt vor
der Ziegeninſel ,
einem
kleinen
waltigen
Felseilande.
Gerade oberhalb vor dieſer Inſel, wo das Gewäſſer fich trennt, bleibt ein breieckiges Stück todtes oder ſtilles Waſſer, deſſen Seitenlinien von der Strömung auf beiden Seiten ſcharf
118 abgeſchnitten ſind.
Der ſtärkſte Strom iſt auf der Canada feite ; er ſchießt toſend und ſchäumend immer raſcher und raſcher auf der geneigten Fläche hernieder , bis er am Ende der Fnſel , 158 Fuß tief, in einen Felſenkeſſel fällt, deſſen weites Halbrund von einem Ende zum andern faſt 2000 Fuß mißt. An der amerikaniſchen Seite hat ſich die Strömung in mehrere Arme zertheilt, welche brauſend und pfeilſchnell um und durch die Inſel eilen, um ſich zuletzt dicht neben einander von gleicher Höhe herabzuſtürzen. Da ſie aber erſt um die Inſelſpitze herum müſſen, fo fallen ſie nicht in gleicher Linie, ſondern faſt im rechten Winkel mit dem Hauptſtrom , zugekehrt mit ihrer ganzen Breitfeite von 800 Fuß dem jenſeitigen Ufer. Die Ausdehnung der Inſel zwiſchen beiden Fällen beträgt 1400 Fuß, ſo daß man vom Ende des Canadafalles bis zum äußerſten Guſſe des amerikaniſchen eine weit gekrümmte Linie von mehr als 4000 Fuß mißt. Koinmt man alſo von unten auf dem Strome herauf , ſo befindet man ſich in einem langen Tiefthale, zu beiden Seiten zerklüftete Felswände von 160 Fuß Höhe ; vor ſich hat man den großen Fall , welcher Hufeiſenfall genannt wird , weil er über die im Halbrund ausgebrochenen Felſen herabſtürzt; rechts, an der Canadaſcite ſtarrt das nackte finſtere Geſtein , dieſem links gerade gegenüber , an der amerikaniſchen Seite , iſt die Felſenwand wie mit einem breiten weißen Schleier durch den andern Fall verhangen , welcher näher betrachtet ſich noch in eine Menge Ströme zertheilt. Zwiſchen dieſem und dem Huf eiſenfall ſieht man das Stück der grünbewaldeten Ziegeninſel, an deren äußerſtem Ende nach dem großen Falle zu mitten im Waſſer , jedoch durch eine Brücke mit der Inſel verbunden , ein ſteinerner Thurm ſteht. Hoch auf beiden Ufern erblickt man nichts als Baumgrün und einige heile Häuſer, welche wie Thürme daraus hervorragen .
Der amerikaniſche Fall links
praſſelt auf,gewaltige Felsblöcke Herab , der große Hufeiſenfall
119 ſcheint dagegen in eine furchtbare Kluft hineinzuſtürzen. Zwi ſchen beiden und von einem Ufer zum andern ſchäumt und brodelt die wildeſte Fluth , um ſo ſtärker , als der von der amerikaniſchen Seite herab ſtürzende Strom den vom großen Falle herwirbelnden Wogen in die Flanke fällt; es iſt daher etwas weiter unten ein mächtiger Anprall der Wogen an der Canabaſeite zu bemerken , dem fofort der Rückfdlag an die amerikaniſche Seite folgt. Dicht vor beiden Fällen wogt und rollt hin und her ein Wolfenknäuel, welcher oben in der Luft wie durchſichtiger grauer Dunſt, unten über dem kochenden, Schaummaſſen aufſchleudernden Waſſer wie dichtgeballter dinee weißer Nebel erſcheint. Darüber ſchwebt und tanzt der weite Regenbogen , welchen der Wolkendunſt jede Sekunde auszu löſchen droht , um ihn nur bunter und flamniger zu machen. Wendet man ſich nun auf dem Strome um , ſo ſieht man ein weites Tiefthal entlang , in welchem die ganze Waſſermaſſe eine gute Stunde lang fortfchießt, rauſdiend und fchäumend mit ſtarkem Gefälle, bis zum Wirbelpfuhl. Das Felsgeſtade zu beiden Seiten bilden jähe Abſtürze, hier zerklüftet, dort aus gewaſchen ; häufig ragt und hängt das Geſtein in allerlei Platten und Zacken hoch über
dem Strombett.
Ueber die
dunkle Felsſchlucht ſchwingt ſich jetzt, ziemlich weit von den Fällen, leicht und zierlich die Drahtbrücke in einer Höhe von 230 Fuß über dem Strome und mit 800 Fuß Spannung. Vor dem Wirbelpfuhle ſcheint unter dem Waſſer das letzte Riff zu ſein, über welches die Fluth fällt , um in einem ungeheuren Keſſel in tauſend Wirbeln umherzukreiſen . Aus dieſem fließt dann der Strom ruhig und glatt ab , in verhältniſmäßig niedrigen Ufern , bis zum blanken Seeſpiegel bes Ontario . Das Gefälle vom Wirbelpfuhle bis dahin beträgt auf der Strecke von zehn engl. Meilen nur noch ungefähr drei Fuß. :
Man ſieht, daß im Gebiete der Niagarafälle mehrere ein
zelne Theile des gewaltigen Ganzen für ſich beſonders zu be
120 trachten ſind. Wollte ich ſie alle ſchildern, ſo würde ein Buch bazu kaum ausreichen. Das Vornehmſte ſind die Strom ſchnellen vor dem großen Falle mit der Feuerquelle, die obere Anſicht von dem Tafelfelfen, die Anſichten von unten im Tief thale, der Gang hinter dem großen Hufeiſenfall, die Strom ſchnellen und Fälle der Ziegeninſel auf der amerikaniſchen Seite , die Regenbogen , die Wolkenſäulen , bas Farbenſpiel, der Schallwechſel und endlich der Wirbelpfuhl mit der Teu felshöhle. Als der erſte weiße Mann vor noch nicht zweihundert Fah ren den Niagara erblickte, beſchrieb er noch einen dritten Fall , der dem amerikaniſchen faſt gegenüber vom Canadaufer nieder donnerte, ſo daß man vor ſich und rechts und links die Fluthen ſtürzen und wirbeln ſah. Fener Weiße war der Pater Henne pin , einer von den frommen Jeſuiten , welche mit den deutſchen Herrnhutern allein es verſtanden , die Kinder der Wildniß zu lehren und zu erziehen. Die andern Amerikaner haben in den Indianern nie etwas anderes erblickt, als reißende Waldthiere, die zu verfolgen und zu verderben ſeien. Schon lange ſind die Chippewas und die andern ſtreitbaren Indianer verſchwun den , welche hier ihre herrlichſten Jagdgründe hatten, das ſtolz rauſchende Dampfſchiff jagte ihre Rähnlein vor ſich her , fort fort von den großen Seen und Flüſſen , und weiter immer weiter die verſteckten Waldflüßchen hinauf, an deren Ufern das arme gehetzte Volk noch eine Weile jagt und hungert, bis auch die lezten kampflos klaglos verkümmern und vergehen , wie die Bäume im Urwald , welche der Sturm entwurzelt hat.
Ein
unabwendbar traurig loos ! aber wer möchte dieſe ſebenvolle Gegenwart, wo hunderte von Städten an den Seen aufblühen , die der Niagaraſtrom verbindet, wieder vertauſchen gegen jene ernſte Walböde , aus beren Dunkel nur dann und wann ein Jagdtrupp íchweigſamer Indianer trat, um am Niagara zum großen Geiſte zu beten ? Jeigt kommen täglich Tauſende hierher,
121 Geiſt und Gemüth zu erheben an den herrlichen Naturſpielen dieſer Stätte, von denen ich jekt Einzelnes näher bezeichnen will. Wenn man von den Fällen am Canadaufer eine gute Vier telſtunde hinaufgeht, ſo kommt man an eine Stelle , wo dicht am Waſſer brennbares Gas aus der Erde ſteigt. Es iſt ein geſchloſſenes Häuschen darüber gebaut, in beſſen Umkreis man Hier iſt die beſte noch auf zwanzig Scritte das Gas riedit. Wäre am Stelle, um die Stromſchnellen zu überſchauen . Niagara nichts als dieſe Stromſchnellen, der Ort würde gleich wohl weit und breit berühmt ſein . Man kann ſie nur dem Die Täuſchung wird um ſo ſtürmenden Meer vergleichen. vollkommener, weil man bei jenem Gashäuschen etwas niedrig ſteht, der Strom hier am breiteſten und das gegenüberliegende Ufer größtentheils öde iſt. Wenn man die ungeheure Waſſer maſſe und ein ſo ſtarkes Gefälle auf eine ſo kurze Strecke fidh denkt, ſo kann man ſich vorſtellen , welche Sätze die Wogen machen. Im tollſten Jubel kommen ſie hergeſchoſſen wie un bändige Rieſenroſſe mit fliegenden weißen Mähnen , ſchäumend, brüllend, hochaufſprühend. Auf einigen Stellen im Fluſſe be harren die Wirbel und brechenden Wogenkämme mit dumpfen Gurgeln; wahrſcheinlich ſind dort im felſigen Bette Klüfte und Spalten. Mir war dieſe Stelle am Gashäuschen überaus lieb geworden ; es war ſo einſam , ja ſchaurig da ; niemals kam ein Beſucher hier herauf; man ſieht dort auch nichts von Häu Die weite , ruhelos ſern , nur Sturmmeer und Walbufer. wogenbe Fläche, das einförmige Klingen und Rauſchen der Fluthen erweckte mir immer die Ahnung des Unendlichen, des uferloſen , ewig wellenden Weltalls. Wenn der Mond gerade über dieſen unabſehlichen Feldern von ſprühenden Wellen auf ſtieg , konnte kein Bild mehr düſtere Erhabenheit darſtellen . Auf dem Rückwege trat ich wohl in die Tuchfabrik ein , welche nahe vor den Fällen liegt. Dieſe eine Fabrik kann
122 dem gewaltigen Eindruck des Ganzen noch keinen Eintrag thun ; unangenehm aber wird es ſein , wenn , wie wahrſcheinlich, mehrere Fabriken und Werkhäuſer hier errichtet werden , um bie Waſſerkraft zu benügen . In jener Tuchfabrik, deren Be figer mir befreundet geworden , arbeitete auch eine Schwarz wälderin , ein ſchönes blaſſes Mädchen ; fie mochte, obwohl bereits ſtädtiſch gekleidet, ihre langen Haarflechten noch nicht verbergen und mußte manch ſpöttiſches Wort darüber hören. Als ich vom Schwarzwald ſprach, den ich ſo gut kannte, floſſen ihr langſam die Thränen über die Wangen. Wo iſt in Ame rifa ein deutſches nicht ganz rohes Mädchen zu finden, welches bei all dem guten Eſſen und Trinken , den ſchönen Kleidern und der größeren Achtung , beren es ſich hier erfreut, doch nicht wehmüthig dächte an das fröhliche und gemüthvolle Leben in Deutſchland ? Je näher dem Falle, deſto mehr ſenkt ſich das Felfenbett, und das Waſſer ſchießt mit unglaublicher Gewalt vorwärts. Dem Sturze nahe, ſammelt es ſich zu einem einzigen feſten Strom , es läßt gleichſam alle Capriolen , um ſich zu ſeinem Meiſterſtück zu rüſten . Auf der Kante des Halbrunds ſcheint es noch einmal zu ſtocken, als ſäumte es den Sprung zu wa gen, und ſenkt ſich dann in ruhiger Majeſtät und doch in einer unendlich anmuthigen Bewegung ſteil hinunter.
Die Natur
hat ja überall über ihre gewaltigſten Gebilde , über die Glet ſcher am Alpenjoch , über die Bergrieſen der Jungfrau und des Montblanc, noch ein Lächeln feiner Anmuth gegoſſen. Je länger man an den Niagarafällen verweilt, deſto gewiſſer zieht ein heiterer Frieden durch das Gemüth. Es giebt einige finſtere Partien da , aber das Ganze iſt je großartiger deſto lieblicher. Kein anderer großer Katarakt bietet auch ſo bequeme Ge legenheit, mitten in das Getümmel der Gewäſſer hinein zu ſehen. Der Tafelfelfen neigt ſich weit über , ganz dicht vor
123
dem Falle, oben glatt wie eine Tafel, der größte Theil ragt frei in die Luft hinein. Bei den meiſten Felsabſtürzen hier kehrt die Erſcheinung wieder, daß ſie durch das Treiben der Wogen in einer Krümmung von oben nach unten ausgebrochen ſind ; der hohe Rand des Stehengebliebenen ragt weit über deſſen Fuß hinaus. Man kann ſich dieſes Ueberhangen der oberen Platten leicht erklä ren , wenn man ſich erinnert, daß das urſprüngliche Bette des Stromes vor Zeiten auch hier, wie noch jet oberhalb der Fälle, zunächſt eine Lage Kalkſtein war , welche ihrerſeits wieder auf weicherem Mergelſchiefer ruhte. Das von oben zwiſchen den Kalkſteinſchichten eindringende Waſſer ſucht ſeinen Weg nach unten durch den Schiefer , welcher der freſſenden und wegs ſpülenden Kraft des Waſſers nicht ſo vielen Widerſtand als der Kalkſtein entgegenſtellt. Die herabſtürzenden Wogen aber greifen unten am Felſen bei ihrem Rückprall ebenfalls wieder den Schiefer an und waſchen ihn von unten nach oben immer tiefer aus. Die feſtere Kalkſteinmaſſe bleibt nun ſo lange über der ausgewaſchenen Höhlung überhängend liegen , als noch ſo viel Schiefermaſſe da iſt, um den Schwerpunkt jeder einzelnen noch nicht geſpaltenen Kalkſteinplatte zu tragen . Ver liert legtere dieſe Stütze, ſo bricht ſie ab, neigt ſich oder ſtürzt ganz hinunter , und das alte Spiel des Waſſers beginnt dann von neuem zunächſt gegen den Mergelſchiefer. Wo das Meer Felsgeſtade hat , hat man dieſelbe Erſcheinung. Die unauf hörlich ſich an den Felſen brechenden Wogen bröckeln und waſchen unten Höhlungen aus , das obere Geſtein verliert da durch ſeinen Halt und ſtürzt nach, und die immer wieder dar über rollenden Wogen zermalmen nach und nach bie hineinge ſtürzten Blöcke. So erinnert man ſich noch aus dieſem Fahr hundert, aus den Fahren 1818 und 1828 , großer Felſen ſtürze im Niagarabette. Ein Theil des Tafelfelfens iſt einige Zeit nach meinem Beſuche
eingeſtürzt, und es kommt das ganze Ufer entlang
124 Häufig vor , daß Felsblöcke fich loslöſen und mit Bäumen und Geſträuch in den Abgrund ſtürzen. Das Gehen und Verweilen zu nahe am Rande iſt deshalb nicht ohne Gefahr, namentlich bei dem Wirbelpfuhl und zwiſchen dein Cliftonhouſe und dem Falle. Die deutſche Polizei , wenn ſie am Niagara wäre , hätte hier natürlich längſt ſchon ein ſchützendes Geländer gezogen und damit auch die belohnendſten Blicke in die Tiefe des Waſſer ſturzes abgeſchnitten . Sieht man vom Tafelfelfen auf die niederſchießenden Wogen, ſo iſt das Waſſer oben herrlich grün und die lichte Sonne ſpiegelt ſich in dem ſteilen Waſſerwall; etwas tiefer ziehen hin und her weiße Schaumſtreifen , unten iſt alles ſchimmernd weiß, zerſplittert in Millionen von Güſſen, Tropfen und Bläschen ; den Fuß ewig die weißen Schaumwolken , wälzen. Man ſieht deutlic), daß das Waſſer hinabeilt, nicht rund
des Wogenſturzes umhüllen welche ſich über einander die Felſenkante, über welche ausgeſchweift, ſondern etwa
wie in drei Viereckſeiten ausgebrochen iſt. Blickt man über den Fall weg nach ſeinem andern Ende, wo der Thurm ſteht, ſo ſcheinen die Leute auf dieſem merkwürdig klein , und daran erkennt man erſt recht, welche ungeheure Waſſermaſſe herab ſtürzt. Ein genaues Maß giebt einem
das Auge hier niemals; es
iſt wie in den Alpen oder auch in der Peterskirche, alle Höhen und Entfernungen erſcheinen viel kleiner als ſie wirklich ſind. Die Natur hat ſchon dafür geſorgt, daß der Menſch durch keine Größe zu ſehr überwältigt wird : ſie verkleinert ihm dafür ſein Augenmaß.
Ich kann auch nicht ſagen , daß
es mir wie ſo vielen Reiſebeſchreibern erging , denen vor der donnernden Größe des Niagara ber Athem ſtodte , als hätten ſie keine eigenen Gedanken mehr und könnten in einem fort bloß ſtaunen und anbeten. Ich meine immer , daß die Phan taſie des Menſchen ſich noch viel ſtolzere und ſchönere Gebilde erſchafft, als dieſer Waſſerfall barbietet; die Natur hat auch
125 noch gar keine Dame ſo ſchön gemacht, wie die mediceiſche Venus und manche gemalte Madonna. Bei dem Cliftonhouſe geht es einen ſteilen Weg hinunter zum Strome unterhalb der Fälle. Hier unten bekommt man am erſten einen Begriff von der ungeheuern Breite und Höhe des Abgrundes, in welchen bas Waſſer ſtürzt. Ein beſchwer licher Weg führt an der Canabaſeite unter den Felfen her über Blöde und ſcharfes Geſtein bis zum großen Falle. Der Waſſerdunſt , welcher überalihin weht und ſprüht , läßt hier unten nichts mehr trocken . Je näher am Falle , deſto wü thender ſchlägt und praſfelt die Brandung zwiſchen die Fels blöcke; kaum ſieht man einen Augenblick in den Wogenaufruhr hinein , ſo fliegt einem ſchon der gierige weiße Giſcht um die Füße. Wer irgend fann , muß aber jedenfalls dieſen Weg machen , wenigſtens ſo weit , um tem amerikaniſchen Falle gerade gegenüber zu ſtehen und die Verſdlingungen der fal lenden Ströme und Güſſe zu betrachten . Ein Dampfſchiff fährt über die vielbewegten Wogen zum andern Ufer. Viel intereſſanter iſt es , auf einem kleinen Boote überzuſetzen. Die kleine Nußſchale wird in dem bro belnden Steffel hin und hergeſd leudert, jeden Augenblick ſcheint es ,
als müſſe ſie verſchlungen oder an den Uferfelſen zer
brochen werden , indeſſen man hält das Steuerruder ſteif, ichießt von einer Wirbelkante zur andern , und die Sache iſt ohne beſondere Gefahr. Auf einem kleinen niedrigen Boote, welches tief zu den Füßen der Fälle auf Stromesmitte ſchau felt, hat man gerade die beſte Gelegenheit, möglichſt das ganze Landſchaftsbild in ſich aufzunehmen. Der Nheinfall bei Schaff hauſen iſt unvergleichlich graziöſer, aber von weitem angeſehen giebt
auch
der Niagara
ein
volles ſchönes Landſchaftsbild.
Oben auf der Höhe des Falles iſt freilich alles eben ; erhüben ſich zu beiden Seiten der Fälle ein paar ſtolze Berge , ſo würde das Ganze viel bedeutender erſdicinen , ſo aber kan
126 man die Höhe der Fälle nur gegen die Aetherhöhe darüber abmeſſen. Hierin liegt ein Grund , weshalb die Abbildungen des Niagara immer entweder einen geringen oder einen falſchen Eindruck machen . Ein gemalter Waſſerfall hat außerdem der Natur der Sache nach immer etwas Todtes. Will man aber die Niagarafälle malen , ſo muß es von unten, möglichſt vom Strome aus geſchehen . Felfenthale ,
Man iſt dann wie in einem tiefen
die Waſſerfluthen
ſcheinen
von der Hochebene
eines Gebirges herabzukommen , die Gaſthöfe, Mühlen nnd andere Häuſer auf beiden Ufern heben ſich wie weiße Thürme auf Berges Höhe aus dem Waldgrün hervor. Recht faßlich ſind jedoch immer nur Theile des großen Ganzen , vergebens ſucht man nach einem Standpunkt in der Nähe , um beide Fälle zugleich in's Auge zu nehmen , und betrachtet man nur den einen , während der andere daneben bonnert , ſo bleibt immer ein Gefühl, als faßte man das Ungeheure nur von einer Seite auf. 0 Es fährt auch ein niedliches Dampfſchiff, ndie Nebelmaid, mitten auf dem Strom bis nahe an die Fälle heran. Man muß nur den Regen, der von allen Seiten ſtiebt, nicht ſcheuen und auf dem Verdeck Stand halten. Dann iſt es ein wun derbarer Anblick, wenn man ſo nahe vor den Fällen hinſtreicht, vor ſich die Wolken und das Glänzen des großen Falles , vor dem freilich bald darauf das Schiff umwendet. Das Unglück iſt nur, daß in der Nähe der Fälle der feine Waſſerſtaub die Augen blendet und man zuletzt in Nebel gehüllt gar nichts mehr ſieht. Vielleicht die fabelhafteſte Fahrt, die einer auf dieſer Erde machen kann, iſt die hinter den großen Fall. Ich habe vorher bemerkt, daß die oberen Ränder des Felſens etwas über deſſen Fuß hervorragen , und da nun die ganze Waſſermaſſe in einem feſten dichten Strom ſteil herabſtürzt, ſo bleibt unten zwiſchen dieſem und dem innern Felſen ein Zwiſchenraum , in welchen
127 man mit einiger Vorſicht wohl eindringen kann . Gefährlich iſt es gerade nicht, nur wer ſchwache Nerven oder keine guten Augen hat, darf den Gang nicht wagen. Die Ausrüſtung dazu geſchieht in einem Hauſe oben auf der Canabaſeite, indem man alle Kleidung ſammt Hemd und Schuhzeug ablegt und Facken und Beinkleider von waſſerdichter Leinewand bekommt. Auf einer Wendeltreppe ſteigt man aus dem Hauſe zum Strome hinunter und flettert dann mühſam über und durch die Fels brocken , zwiſchen Geſtein und kochendem Waſſer , dem Führer nach. Es kommen aber bald ſo viele Sturzbäder von oben herab, daß man am ganzen Leibe trieft, und ich fand es be quemer, mid des widerwärtigen Matroſenanzugs ganz zu ent ledigen ; nur die groben Filzpantoffeln zog ich wieder an , weil das Geſtein unter den Füßen zu ſcharf war. Die Waſſerſtürze kamen immer ſtärker und bald waren wir ganz hinter dem Waſſerſchleier. Dieſer läßt nur ein falbes Licht durch und man fühlt anfangs einen eigenen Schauer, als fchreckte die Natur des Menſchen zurück, ſich ſo mitten in ein Element zu wagen , in welchem ſie nicht leben kann. Wir gingen eine ziemliche Strecke hinter dem Waſſer weg ; ein fal îcher Tritt würde einen freilich in den gähnenden Abgrund reißen , aber , wie bei allen ſolchen Gelegenheiten, man nimmt ſich eben in Acht und bleibt heil und geſund. Endlich ließ das ſtürzende Waſſer keinen Durchpaß mehr. Da ſtanden wir nun , mit den Händen uns am Geſtein haltend , das Geſicht zugekehrt der ungeheuern wirbelnden Waſſerwand dicht vor der Naſe. Der Athem wurde mir beklemmt und wir gingen etwas rückwärts und ſuchten einen breiteren Platz zum Stehen. Streckt man die Hand oder den Stod hinein in den ſtürzenden Waſſerſchwall, ſo werden ſie ſofort von ihm niedergeſchlagen. Man ſteht offenbar auf einem vorſpringenden Felsrande, vor und unter welchem ſich noch ein weiter tiefer Seſſel aushöhlt, in den das Waſſer fällt, ſonſt müßten die Wogen , da wo ſie
128 niederpraſſeln ,
ſtärker zurückprallen.
Das
Geſtein
an
der
Felswand hinter dem Waſſer iſt ziemlich locker und ich ſchlug mir mit leichter Mühe Stücke zum Andenken ab. Als wir wieder an die freie Puft kamen , fühlte ſich die Bruſt erleichtert und holte tief Athem . Das Sturzbad bekam übrigens vortreff lid) und es war mir , als ſei ich jetzt mit dem alten Niagara viel vertrauter geworden . Manche ziehen die amerikaniſche Seite der canadiſchen vor . Erſtere hat auch wirklich mehr Abwechſelung und Mannigfal tigkeit, die andere aber bietet einen obgleich immer gleichmä ßigen , body auch immer gleich erhabenen Anblick. Man ſieht auf der amerikaniſchen Seite die Fälle immer nur von der Seite , ſei es oben oder unten , niemals bieten ſie dem Auge die volle Breitſeite car wie auf dem Canabaufer. Wer von diefem herüber kommt und an der amerikaniſchen Seite anlan det , tritt aus dem Boote gleich nahe an das eine Ende des amerikaniſchen Falls , der breit längs dem Ufer hinabſtrömt. Man kann auch hier unten ganz nahe zu ihm heran , ſelbſt dahinter ; er praſfelt aber zum Theil erſt auf Felsblöcke nicht gleich in das tiefe Waſſer; deshalb iſt Jeder, der ſich nähert, gleich durch und durch naß und überflogen von und Waſſerblaſen. Die Höhe des Ufers beſteigt man
und ihm Luft nun
auf Treppen , kann ſich aber auch hinauf ziehen laſſen. Die amerikaniſche Induſtrie hat eine bedeckte, ziemlich ſteile Rutſch bahn angelegt ; an der einen Seite gehen darin die Karren an Seilen herunter , an der anderen hinauf. Oben wird man überraſcht durch das geſchäftige Treiben im Städtchen ,
eine
Menge
von Gaſthöfen ,
Verkaufsladen,
Werkſtätteh und Mühlen tritt uns von allen Seiten entgegen. Die Entfernung vom cngliſchen Gebiete iſt ſo klein und der amerikaniſche Geiſt iſt auch auf der andern Flußſeite heimiſch; dennoch merkt man ſofort den grellen Abſtich des erregten amerikaniſchen Lebens gegen das ernſtere und geſegtere Weſen
129 der canadiſchen Bevölkerung unter Englands Oberherrſchaft. Das amerikaniſche Städtchen an den Fällen Heißt eigentlich Mancheſter , wird aber gewöhnlich Niagara genannt. Dieſen indianſchen Namen , in welchem das ruhig Majeſtätiſche der Waſſerfälle klangvoll wiedertönt , haben aber die Amerikaner in ein ſchnarrendes Neiägärä verwandelt , in welchem der Ton die zweite Silbe trifft und die beiden letzten ganz kurz nachfallen. Es verhält ſich die amerikaniſche Ausſprache des Worts gegen die indianiſche wie Mühlradraſſeln gegen das ſtolze Rauſchen des Waſſerfalls. Die Amerikaner haben über haupt eine ganz vorzügliche Geſchicklichkeit darin, für alle Worte die möglichſt häßliche Betonung zu finden . So verwandeln ſie das römiſche Capitol in Cäppittel," dei hallenden Feld ruf General- in Dſchöneräl,“ den Ton natürlich immer auf der erſten Sylbe und die beiden letzten halb verſchluckt. Die Amerikaner kommen täglich in ganzen Schwärmen hierher , aber die meiſten halten ſich in der Regel nur ein
paar Stunden auf und verbringen den längſten Theil dieſer kurzen Zeit mit der Berechnung , wie viele Mühlwerke der Niagara treiben könnte. Ihre größte Freude iſt , daß die Waſſerkraft ihres Niagara vierzigmal alle Waſſerkräfte in Eng land überſteigen und der vereinigten Waſſerkraft auf Erden, ſofern dieſe zu Werken benugt wird, gleichkommen ſoll. O allmächtige Waſſerkraft !" iſt ihr gewöhnlicher Ausruf, wenn ſie zum erſtenmal zum Niagara kommen . Als id) gegen Einige zufällig äußerte , ich ſei ſchon drei Tage hier und wolle noch länger verweilen , und ſie ſich überzeugten , daß kein Geſchäft dahinter ſtecke, ſahen ſie midy mit ſeltſamen Blicken an, als ob ich nicht recht geſcheidt wäre. Deutſche kommen, obgleich die große Einwandererſtraße nahe vorbeiführt, verhältniſmäßig fel ten hierher. Auch die Gebildeteren unter ihnen haben in den crſten Wochen bereits ſo viele Noth und Enttäuſchung erfahren, daß ſie den Niagara auf eine beſſere Zeit und Stimmung 9 Löger, Land und Leute. I
130 verſchieben und möglichſt ſchnell
dem
Weſten
und der Ruhe
zueilen. Die Engländer, die aus Canada herreiſen, verweilen längere Zeit. Mait unterſcheidet ſie bald an ihrem ruhigent und vornehmen Weſen ; gewöhnliche Engländer, welche bloß ter Mode wegen, oder um billiger zu leben, in Europa reiſen, imd gerade an den ſchönſten Punkten erſt recht unausſtehlich werden , verſteigen ſich nidyt bis nach Amerika. Vom Städtchen Niagara iſt ein Theil mitten zwiſchen das Gewirre ser Stromſchneien gebaut, die in unzählichen Arment, wie geſaymolzenes , hellleuchtendes Metall hernieder ſchießen . Mehrere Mühlen haben ſich daran hingeniſtet, um die Waſ ſerkraft zu benützen. Thre Pochwerke raſſeln und klopfen nach äffend in den Wogendonner hincin , gleidwie Kinder , die mit ſchwachyer Stimme hineinſdreien in ein brauſendes Glockenge fäute. Weiter hinauf beſteht das ganze Städtchen aus großen und kleinen Gaſthöfen und Läden von allerlei Kramn, mit wel chem ſid, jeder Beſucher hier zum Andenken verſorgt. Am beliebteſten ſind die indianiſchen Merkwürdigkeiten . Ich kaufte etwas bei einem Juwelier und Optikus, er war ein Jude und ein luſtiger Mann und gab auf die Frage , ob er gute Ge chäfte in Amerika mache , zur Antwort : Nun ich ſag wie die Andern ,
aus
einem
Amerikaner fann man zwei Juden
machen und dann bleibt noch ein Chriſt übrig.
Auffallend
iſt es wirklidy, daß Juden , die in Europa raſch und gewandt ausgedehnte Geſchäfte ins Leben rufen , vor dem großartigen Internehmungsgeiſt der Amerikaner ſich gleichſam gelähmt fühlen und in folcher Menge nur Hauſirer und Kleiderhändler werden . Vielleicht fühlen ſie auch, daß viele Amerikaner ins gehein noch unduldſamer ſind, als Europäer. Auf langen Brücken, die zwiſchendurch kleine Felsinſeln 311 Abſätzen haben , kommt man auf und durch die Ziegeninſel. Thr Beſitzer, nebenbei bemerkt ein Amerikaner, der noch mit
131 Luſt und Liebe an ſeine Heidelberger Studienzeit denkt, läßt ſich Brückengeld bezahlen, es iſt zwar wenig, bringt ihm aber jährlich viele tauſend Dollars ein . Auf jenen kleinen Inſeln und Brücken hatte ich immer meine Freude an dein lebendigen Waſſer , welches in hundert Abſätzen ſchäumend und giſchend daherbrauſt. Die Ziegeninſel hat jetzt zwar Beſucher in Menge und einige parkähnliche Gänge , aber ſie iſt zum Glück groß genug , um ſich ihre wundervollen wilden Reize jo bald 11od) nicht verderben z11 laſſen .
Es ſteht noch ächter Irwald da
und fein finſteres und helles Gemiſch von rieſigen grünenden , erſtorbenen oder am Boden faulenden Bäumen , dazwiſchen dic zahlloſen Flüſſe, hier um
ewig
überſtrömte Felsblöcke
und
Baumſtämme ſchäumend, dort dunkel überhangen von bemoog ten Felſen, düſtern Cypreſſen und greiſen Flechyten, unter wel chen das Waſſer friſch glänzend hervorbricht, das alles giebt dem Orte noch den erhabenen Anſtrich wilder Natur : es iſt eine ſchäumende, ſtrömende Waſſeriviiſte, eingefaßt und durch zogen von über Walbung . Hier wohnte auf einer Landſpitze unter den dunkeln hohen Bäumen vor Jahren ein Einſiedler , Franz Abbot hieß er, wenn die ganze Geſchichte nicht eine Yankee - Erfindung iſt. Seine kleine Hütte ſtand Angeſichts der breiten Stromſchnellen . Niemand kannte ihn, er ſprach, mit feinem und floh Alle, die ſich ihm nähern wollten ; von einfachen Lebensmitteln ließ er ſich immer Vorraih für einige Tage bringen . Man ſah ihn oft in dunkler Nacht nody unſtät umherſchweifen und endlich war er verſchwunden ; in ſeiner Hütte fant man einige latei niſche, engliſche, deutſche und franzöſiſche Bücher, meiſt philo ſophiſchen Inhalts , vom Manne ſelbſt ſah oder hörte mant niemals wieder. Vielleicht kam er dem Strom oder Abgrund in einer finſtern Nacht zu nahe, vielleicht ſtürzte er ſich ab ſichtlich hinein , weil er auch hier den Frieden nicht finden konnte.
Wer in den tofenden Abgrund hineingeräth , iſt zer 9*
132 malmt, die Strudel reißen ihn auf tiefem Grunde mit ſich fort bis in den Bodenloſen Wirbelpfuhl. Man kann auch an den amerikaniſchen Fall ganz dicht heran oder vielmehr in ihn hineinkommen und ſenkrecht von oben auf das ſtürzende Waſſer hinabſehen. Dann zeigt ſich, daß auch hier der obere Felsrand in mehreren Bogen neben einander ausgebrochen iſt. Von der Ziegeninſel geht man auf langer Brücke, unter welcher die Fluth fortſauſt, bis zu dem Thurme, der nahe an die diesſeitige Zinke des großen Hufeiſenfalls gebaut iſt. Die ſer Fall rauſcht dann zur Seite , und man blickt tief in ſeine Strudel und Wolken hinein . Die prächtig glühenden Farben des ſtürzenden Waſſers nehmen ſich von hier am beſten aus . Sieht man davon weg den Fluß hinauf, ſo wogt bort die wild bewegte Breite der Stromſchnellen. Wendet man ſich um , ſo chimmert rechts Sie weiße wogige Waſſerwand des amerikani den Falles und man ſchaut weit hinab in bas tief eingeriſſene Flußbette , wie in einen ungcheuern Hohlweg , deſſen Ränder oben bewaldet ſind, und deſſen Grund hier zu breiten Buchten in das Geſtade hineingehöhlt, dort wieder enger von Felsvor ſprüngen zuſammengedrängt iſt. Die Stellung auf dem Thurme mitten zwiſchen den Wogen iſt einzig ; ich konnte mich immer nur ſchwer davon trennen , ſo oft ich auch da geweſen war. Es gab aber noch manches Einzelne an den Fällen , was herrlich oder merkwürdig zu beobachten war . Da hier zwei jo gewaltige Waſſerfälle nahe bei einander ſind , von denen der eine gegen den andern faſt im rechten Winkel liegt, und beide fo viele Millonen Dunſtfügelchen gegen einander in die Lüfte ſtäuben , fo fehlen auch niemals , ſobald nur die Sonne ſcheint , die herrlichſten Regenbogen . Sie ſchweben in verſchiedenen Stellungen gegen einander, und wenn die Luft ſtill und die Sonne recht hell iſt, ſpannt ſie wohl, einen mächtigen Bogen von einem Fall zum andern , deſſen
133 Farben auf dem grünen Hintergrunde der bewaldeten
Ziegen
inſel noch prächtiger Flammen . Einige feinfühlende Amerikaner wollten daher dieſe Inſel, weil ſie mitten zwiſden dem Spiel der Regenbogen liegt, die Frisinſel nennen . Sie möchten gern den alten hausbackenen Namen Ziegeninſel aus der Herr lichkeit dieſes Gebietes vertreiben . Das wird aber nicht eher gelingen, als bis es einmal einem geſchickten Manne einfällt, dieſe Angelegenheit zur Nationalſache zu machen ; dann wird es ſofort für unanſtändig gelten , das Ziegenwort nur in den Mund zu nehmen . Längerer Betrachtung iſt auch die Wolfenſäule werth , welche unaufhörlich über dem großen Falle ſteht. Ganz in der Nähe bemerkt man ſie eben nur an der grauen , dicken , wirbelnden Luft ; ſo wie man ſich etwas entfernt , erſdeint ſie als Wolke höher und höher , bis ſic ſid, einfugt in die Wolkenhöhe tcs Himmels, ein gewaltiger Herold . Wenn aber die Sonne nicht ſcheint und die Luft fälter iſt, ſo wogt und ſteigt über den Fällen ein ganzes Heer von Wolken . An regnigten Tagen iſt der weite Reſſel beinahe vollſtändig veit weißen und grauen Wolfen überwallt. Dann ſcheint das vorſpringende Stück der Ziegeninſel in der Luft zu ſdhweben . Aber ſelbſt beim heliſten Wetter, und auch dicht am Falle, giebt das Wolfenſpiel, wel ches ſich um den Fuß des Hufeiſengewäſſers zieht , eine ſtets wechſelnde Augenweide. Es iſt ein raſtloſes Wälzen und Tan zen von milchweißen Nebelballen ; alle Augenblicke meint man, ſie öffneten ſich einmal imd ließen bis auf den Grund ſehen , aber mit jeder Sekunde crzeugt ſich ein neuer Wirbel von unzähligen kleinen Wolfen . Gewiß ſind nun die Fälle am
ſchönſten , wenn rings der
Himmel blau und klar iſt und die Sonne ihre glänzenden Strahlen ungebrochen niederſendet. Es kann gar kein herr licheres Grün geben, als dann auf der Höhe des Hufeiſenfalls ſchimmert, auf mattem Untergrunde von Blau und Purpur,
134 und immerfort wie von zartweißen Schneeflocken überweht. Aber man muß das ungeheure Schauſpiel auch zu verſchiedenen Tageszeiten und unter wechſelnden Beleuchtungen fehen. Mor gens früly ſcheinen die Ströme kräftiger, aber ruhiger , gleich ſam ſelbſtbewußter; Abends meint man , jedes Wellchen beeile ſich), immer raſcher zu laufen , um ſich den andern fröhlich nadzuſtürzen . Der amerikaniſche Fall erſcheint, ſobald ihm die Sonne gegenüberſtelyt, wie ein breites Gewand mit unzähligen wirbelnden Silberſternen . Köſtlich iſt ſein Anblick , ſpiegelt ſich darin die Abendſonne; dann ſchimmert oben Surdy die breite Waſſerwand cin ſanftes roſiges Licht , welches gemach zum glülenden Roth ſich verſtärkt. Es erinnerte mich immer lebhaft an das Alpenglühen am höchſten Joche, wenn den jungfräuliden Schnee Roſengluth anhaucht ; ſo weiß wie dort der Schnee , iſt hier der Milchſchaum im Waſſerfalle. Zu Zeiten ſah es ganz ſo aus, wie am ſchönen Roſenlawigletſcher, wenn die Sonne darauf ſtrahlt und zwiſchen die grünen und blauen Lichter tes Eiſes bas brennende Noth ſtreut. Oft dachte ich dabei auch an die Eisfelder, deren abendliches Strah len auf wüſtem Mecre jo herrlich gedhildert wird . Wird der Abend dunkler, ſo legen ſich ſchwarze Schatten über die gähnende Tiefe , eine Menge von weißliden Wolken zieht unten hin und her , nur der Samm der Waſſerfälle leuchtet noch eine zeitlang im trüben Weiß . Je weiter die Nadt vor rückt, deſto höher erheben ſich die Wolken , bis ſie zuletzt dent Abgrund und ſeine Ulfer bedcafen . Dann wird es ganz ſtill bei den Fällen, das gewaltige Hauſden ſcheint die Stille noch vernehmlicher zu machen , und inan fühlt leiſe den Boden unter den Füßen zittern . Unwilführlich empfindet man etwas wie Scheu und Befangenheit vor dem feierlichen Walten der Na tur, tas Menſchending kommt einem vor wie ein Bläschen , wie ein Aetherwölfchen im unendlichen Raume. Der Mond ſteigt über die Baumwipfel , aber kaum durchzieht er mit ein
135 paar Silberſtreifen das Wolfengewühl über den Fällen ; es iſt zu dicht und fängt ſeine Strahlen Wolfen vermag cr mit bräunlichem
auf , nur die Umriſſe der Licht zu umjäumen. Oft
auch bilden ſie einen Hof um den Mond , deſſen innere Ränt der röthlich angehaucht ſind. Einmal ging ich in tiefer Nacht hin, als es ctivas regnete .
Da war von den Fällen nichts zu ſehen als Beere von wallen den Wolken, die weithin über die Bäume zogen . Der Abgrund fchien mit ſeinem fumpfen Raſſen und Toben nur ſchwere Dünſte zu brauen . Es war etwas Geſpenſtiſches in dieſer Szene , oder als träte id) in die finſtere Werkſtätte der Ele mente, und wäre mir nidyt jeder Schritt an den Fällen bekannt geweſen, ſo hätte ich leicht ein Unglück haben fönnen . Schlug der Wind die Wolfen auf mich nieber, ſo wurde ich im Augen blick durchnäßt.
Am Morgen aber , wo in Amerika ohne das Zwiſchenſpiel der Dämmerung der volle Lichtglanz auf einmal eintritt, war es herrlich zu ſehen, wie das ſiegreiche Licht und die ſchnell folgende Wärme die anfämpfenden Wolken ver brängten und ſie bis unten zu dem Fuß der Fälle nieder zwangen . Das Seltſamſte war mir immer der Wechſel in den Tönen .
Von dem Stürzen der ungeheuren Waſſerwucht iſt die
Luft fortwährend in Bewegung, und je nadidem nun der Wind leiſe darüber hinſtreift , bald hierhin , bald dorthin fährt , die Schallwellen von beiden Fällen ſanft vermiſcht oder ungeſtüm und ſtoßweiſe durch einander wirft , ſpielt er mannigfaltige , immer gewaltige Töne. Sie wechſeln auch nach den verſchie benen Stellungen und Entfernungen , die man zu den Fällen einnimmt. Wenn ich in den Wäldern auf der canadiſchen Seite oder auf der Ziegeninſel umher ſtreifte , lauſchte ich oft unwillkürlich. Meiſt klingt es wie dumpfes Donnern , dann wieder wie helles Raſſeln , oft als wenn Geſchütze gelöſt wür ben oder ingehcure Stampfmühlen arbeiteten, und dann wieder
136 wie ſtilles, erhabenes Rauſchen . Geht man an der Canada ſeite oben am Ufer gerade auf die Fälle zu, ſo hört man erſt Brauſen , Sann Gurgeln und ſtürmiſches Pfeifen , und bei dem Falle ſelbſt eintöniges Rauſchen, aber als wenn dahinter noch bumpfes Brüllen und Brobeln wäre . Auf der amerika niſden Seite lautet es dagegen wie verhaltenes Grollen, wel ches, wenn man näher kommt, jich zu rauhem Gebrüll verſtärkt, bis ganz nahe das eine gewaltige Rauſchen alles übertönt. Saß ich Abends unter der Halle meiner Wohnung, ſo erſcholl feierlich die Stimme des Fluſſes in der Ferne wie endloſes Waldesrauſchen ; wachte ich Nadits auf, ſo hörte ich ſtoßweiſe Donnern und Brüllen . So beobachtend und mich erfreuentd all des Herrlichen , was die Natur hier in ſo reicher Fülle zuſammen gehäuft, ſtieg ich zwiſchen den Fällen und ihrer Umgebung umher .
Die Gegend
felbſt iſt eben , faſt nüchtern , die Hügel ſind faum merkbar, auch dic nächſte Walbung auf der canadiſchen Seite iſt ein förmig ; aber dahinter beginnt bald die großartige Pradht der Irwälder. Der Anbau iſt bereits ſtattlid) vorgeſdritten und man findet eine Menge wohlhabender Farmen und geſchmack Obercanada gilt für außerordentlich volle kleine Landſitze. geſund , da die Gegend wie eine Art Halbinſel zwiſchen dem Erie- und Ontarioſec immer von friſdien Seewinden beſtrichen wird. Viele entfliehen daher im Hochſonimer der ſtädtiſchen Fieberluft, um hier die heiljame Friſde und Reinheit der Luft zit genießent. Beſonders anziehend war es , ganz auf der Uferhöhe der canadiſchen Seite zu wandern und zu ſehen , wie die breite, wogende Maſſe gegenüber ſchneeweiß und waſſerblau durch die grünen Bäume und Büſche ſchimmerte. Stundenlang habe ich da an ſchönen Nachmittagen gelegen unter den hohen Lebens eichen , Nuß- und Kaſtanienbäumen , und habe geträumt, um wogt von unendlichen Ideen und Gebilden . Eines Nachmittags
137 ſetzte ſich dort ein Canadier zu mir , er war franzöſiſcher Ab kunft und wußte Atala und Réné auswendig. Das war mir ganz neu , in Amerika dieſer melancholiſchen Poeſie wieder zu be gegnen. Er lieh mir den Band, und ſo ſehr mich auch man ches wieder anſprach , zumal in dieſer wilt erhabenen Natur, ſo ſchien es mir doch , als wenn mit einem ziemlichen Theil ſeiner Phraſen und Klagen der gute Chateaubriand ein altes Weib wäre. Wie hatte ich einſt bei dieſer Leidensgeſchichte der jungen Wilden geweint. Jetzt widerſtand mir die ganze Atala, weil auf die zauberhaften Sdilderungen Hauch einer unreinen Phantaſie legt .
ſich doch der
Wochenlang in einſam
blühender Wildniß ruht ein Indianermädchen am Buſen ihres Geliebten und verzehrt ſich und ſtirbt vor unerfülltem Ver langen, weil ſie geſchworen hat Nonne zu werden . Und mit welch fühnen Strichen hat der franzöſiſche Dichter die ameri kaniſche Waldnatur geinalt. Da ſteht neben der Waldherr ſcherin Magnolia ein Nebenbuhler, die Palme, die neben ihr Teiſe weht mit ihren grünen Fächern . Des Nachts , wwenn der Genius der Lüfte ſein blaues Haupthaar ſchüttelt, welches duftet vom Hauch der Fichten , athmet man den ſchwachen Ambragerudy, den die Krokodile aushauchen, gelagert unter den Tamarinden der Flüſſe. Aber am Ende der Baumgänge ſieht man Bären wandeln , welche von
Trauben trunken ſind.
Schwerlich hat im ganzen Bereich der Vereinigten Staaten ber wanderluſtigſte Jäger jenen Palmenſtolz, den krokodiliſchen Ambrageruch und die beſoffenen Bären wahrgenommen . Die Abende bradyte ich , da das Wetter meiſt milde war, gewöhnlich unter der Halle meiner Wohnung zu , wohin die freundlichen Wirthe mir den Theetiſch jetzten . Es war da ein heiniſches Pläßchen. Die kleinen Buben aus den umliegenden Häuſern famen Abends , um auf dem offenen Scheitel des Hügels , der rings mit Wald umzogen iſt, zu ſpielen. Wenn ich ihnen zuſah , wanderten meine Gedanken über das Meer
138 zurück , zu den Spielplägen meiner Vaterſtadt.
Das Hallen
des Niagara, welches durdy die Abendſtille herüber tönte, miſchte ſich mit der tiefen ſtarfen Lauten , welche das Streifen des Windes in den Wäldern unter mir hervorbrachte. Wie viele Jahrtauſende erſcholl nun ſchon dieſe gewaltige Naturſtimme! Vor hundert und vor zweihundert Jahren ſahen Reiſende die Fälle nicht an ihrer jetzigen Stelle , ſondern weiter unten. Indem das Waſſer leiſe in jedem Moment etwas vom Ge ſtein abreibt und wegwäſcht, rücken die Fälle in jedem Jahre un faſt cinen Fuß weiter. Alſo hat ihre Wanderung von den Höheit von Queenstown bis zu dem Platze , wo ſie jetzt niederſtürzeit, ſchon über dreißigtauſend Jahre gewährt. Was iſt gegen eine ſolche Zeit die Sternſchnuppenfürze eines Menſchenlebens ! Aber noch weiter müſſen wir hier in die Urzeit hinaufſteigen . Die Flächen zu beiden Seiten der Nia garaufer ſind mit tiefem Sand , Kies und allerlei Geſchieben bedeckt und darin finden ſich Muſcheln und Abdrücke von Thie ren, welche noch jetzt oberhalb der Fälle im Niagaraſtrom und im Erieſce leben. Dies zeigt an , daß früher die tiefe Schlucht, in welcher das Waſſer jetzt fortſtrömt, noch gar nicht beſtand, ſondern die Gewäſſer des Ericſees breit flutheten bis an den Kamm der Höhen von Queenstown und dort ſich erſt allmäh lig einen Durchgang Vrachen. Welch ungeheure Zeiträume, bis burdy die vereinte Kraft des freſſenden und
anprallenden
Waſſers längs dem Sturze , der reibenden Rollſteine und Sandförner auf dem Grunde des Flußbetts , der allmähligen Verwitterung der Felſen auf chemiſchem Wege, burd) eindrin gende Mooſe , durch ſpaltenden Froſt all das Geſtein zerſtört und das jetzige zwei- bis dreihundert Fuß tiefe Flußthal ein geriſſen und ausgeſchliffen war ! Denkt man dieſe Zeiten durch, ſo iſt man wie verſenkt unter die dunkeln Schatten und Rieſengeſtalten der Urwelt. Man ſieht den Kampf der Elemente, wie die Stoffe ſich ſcheiden ,
139 ungeheure Gebirgskeſſel entſtehen, fruchtbare Erten ſich bildent . Aus bent warınen Erdenſchooß feiinte bann , vom Lichte geweckt, allerlei Gewäche Hervor und hob ſich immer mächtiger bis zu den Waldrieſen . Dann kamen die höheren Bildungen der Thierwelt, von den umförmlidien Geſtalten , die nod ) ſchwer fällig zur Erde gebeugt ſind, bis zu den leichteren und beweg ſicheren , und endlich entſtand das Menſchenbild , die ſchönſte Geſtalt auf der Erde , dieſes wellige , leic; te Weſen , dem die Seele aus den Augen und jeder Beweging blickt , in welchem der geſchärfte Inſtinkt zum Verſtand geworden, deſſen ſelbſtbe wußter Geiſt endlich die Geſchichte der Schöpfung nach denkt, die Natur ſelbſtſchöpferiſch nachahint und bezwingt . Die Natur aber hat ihr Höchſtes vollendet in einem Weſen , das ſtatt ihrer Neues ſchafft; ſie ſelbſt bringt nur noch das Gewöhnliche hervor, was einmal da iſt und nach Fahreszeit und Klima ſid) forterzeugt. Vollſtändig Neues erzeugt die Erde nicht mehr, fondern nur noch Vermiſchungen und Abarteit . Der Menſch war anfangs nocty befangen von der Natur. Als ein Nachklang der Urgeſchichte , wo die Naturfräfte noch gewaltig rangen und gährten , entſtand in ſeiner Einbil bungskraft die Götterwelt mit ihren Schlachten und Ber: wandlungen. Bei den älteſten , wie jetzt noch bei niederen Völkeren , herrſcht darin noch viel Thieriſches vor , denn im Thierleben ſtand dem Menſchen das dunkle Naturleben leibhaft vor Augen . Mit ſeiner fortſchreitenden Bildung wurde aud) ſeine Einbildungskraft heller und freier; die Germanen ſchufen ihre Rieſengötter, die in Wolfen wandelten , die Griechen dich teten ihre lieblich klare Götterwelt. Höhere Geiſter und Völker kamen zum Bewußtſein der Einen großen Naturgewalt , des Weltgeiſtes , Gottes , und dieſe Erkenntniß ſchreitet immer weiter über den Erdball , und in ihrem Gefolge die Kultur, und die Völfer, die ſich ihr nicht beugen wollen oder können, verſchwinden . Die geiſtig freieren und kräftigeren Völker ver
140 drängen die übrigen , dieſe müſſen Art und Sitte von jenen annehmen oder verkümmern . Die Indianer ſterben aus . Der franzöſiſche Canadier , einſt fo lebendig an dieſen Ufern , iſt auf ſich ſelbſt zurückgedrängt und hat als Volk wenig Bebeutung mehr. Den Engländern , Schotten , Frländern , Deutſchen , Franzoſen , allen die herkommen ſich anzuſiedeln , fitt das neue Miſchlingsvolk, die Amerikaner , auf der Ferſe, welches ſtür miſch und erobernd vorwärts bringt. Aber wenn einmal der Niagara , dieſer Zeiger der Weltuhr , ein paar hundert Fuß weiter gerückt iſt, wird dann nicht auch das engliſch amerikaniſche Volk , ſo wie es jetzt iſt und ſein will , flüchtig vorübergerauſcht ſein , werden ſich dann nicht in ſeinem unge heuern Gebiete neue ſelbſtſtändige Staaten und Volksarten ge bildet haben ? Wird dann der Deutſche der neuen Welt auch ſeinen Theil daran haben ?
Oder ſind die Deutſchen hier ewig
nur dazu verdammt , mit ihren Knochen und mit ihrem Geiſt, mit ihrem Blut und ihrem Gemüth andere aufſtrebende Völker zu düngen und für ſich ſelbſt keine andere Zukunft zu haben , als ſie den Slaven in den jetzt deutſden Landen jenſeits der Elbe geworden iſt ? was
Auch hier am Niagara wurde mir dieſe letzte Frage , und darum und daran hängt , wieder vorgeführt . Eines
Abends kam eine kleine Geſellſchaft gebildeter Deutſchen zu mir herauf ; wir hatten uns am Tage bei den Fällen geſehen . Ihre amerikaniſchen Hoffnungen mußten bereits auf niedrigen Grad geſunken ſein, obgleich ſie kaum einen Monat im Lande waren . Dem alten Vater wollte vor Wehmuth das Herz ſpringen, wenn er der Heimath gedachte, und auch die Söhne meinten, Deutſch land ſei das ſchönſte Land der Erde, aber ſein Volk fönne ſich niemals wieder erheben und werde langſam untergehen . Ver gebens wurde dieſer Anſicht entgegengeſtellt: unſer Volf habe bloß durch eigene Kraft nach dem ſiebenjährigen Kriege wieder einen wahrhaft großen geiſtigen Aufſchwung genommen ; ſeitdem
141 blühe ihm auf allen Feldern des Wiſſens die reichſte Aernte und ſtehe es den übrigen Völkern an geiſtiger Freiheit und Bildung voran ; es habe von jeher einen Zug zum Auseinander gehen gehabt und doch noch immer zuſammengehalten ; jetzt aber ſei das Einheitsgefühl und das politiſche Bewußtſein in ganzen Volke ſo lebendig geworden, wie niemals ſeit dem Mit telalter , und alle Kräfte in Deutſchland nähmen bewußt oder unbewußt dieſe Richtung ; die neueſte Geſchichte der Franzoſen, Spanier , Italiener habe doch ſicher nichts vor der deutſchen voraus. Dieſe Thatſachen ſchienen aber bei meinen Gäſten nicht ins Gewicht zu fallen , ſie blieben dabei , das deutſche Bolt ſei eine unbehülfliche Maſſe, die nur durch Trägheitsge fühl noch beſtehe. Wie oft bin ich im Ausland dieſem jam mervollen Geſtändniß des eigenen Ohnmachtgefühls begegnet ! Eine Meile vor Queenstown kommt man aus den Waltungen
heraus und überſieht auf einmal eine weite herrliche Gegend zu ſeinen Füßen . Man ſteht hier oben am mehrgebaditen plöglichen Abſturz des Bodens . Unten zieht ſich das helle Flußthal bis zum glänzenden Ontario, zu beiden Seiten dehnen ſich grüne, weitgeſtreckte Hügelwellen, zwiſchen denen die weißeit Städtchen hervorſchimmern. Auf der Anhöhe ſteht General Brooks Denkmal. Es war eine mehr als hundert Fuß hohe Thurinſäule , von der herab die Ausſicht noch ſchöner war. Canadiſche Inſurgenten oder amerikanifche Burſche, die Sache iſt nicht ermittelt, begingen den Bubenſtreich , ſie bei Nacht zu ſprengen ; ſie iſt jetzt alſo ein zwiefaches Denkmal. Die feind lichen Truppen trafen im letzten Kriege an den Niagaraufern mehrmal auf einander; auch der Platz vor meiner Wohnung auf dem Hügel zu Lundylane war einſt ein Schlachtfeld. Auf dem Wege nach Queenstown hinab bietet ſich ein ſchöner Blick auf den breiten , ſteilen Höhenwalt und das enge dunkle Niagara thal hinauf und den hellen Strom hinunter , der ſich von hier an
breit und klar zwiſdien niedrigen Ufern ergießt.
Seine
142 Wellen ſind bereits wieder ſo leicht und niedlich, als hätten ſie niemals über die Felſen und durch den Wirbelpfuhl hindurdy müſſen . Queenstown gegenüber liegt das eben Lewistoit. Auf halbem Wege zu
den
Fällen
ſo
freundliche
zurück kommt man an
den Wirbelpfuhl. Er hat in der That etwas Grauenhaftes, wenn man ihn von oben ſicht. Das Waſſer ſchießt blaugrün, in breiten brauſenden Wirbeln freiſend und ſich ausdehnend, in der tiefen Felsſchlucht dahin.
Es hat hier ein mcilenweites
Nund in das Geſtade hineingeriſſen. Steht man oben ant Rande des Felſenkeſſels, ſo ſtrecken unten aus ſenkredyter Tiefe die Bäume ihre Wipfel herauf. Das llfer iſt üppig mit Gras und Gebüſch bewachſen , aber wirklich gefährlich zu begehen, Denn ſehr leicht löſct ſid, bas locere (Veſtein und Erfreid) ab und ſtürzt ein paar hundert Fuß tief zwiſchen die Baum wipfel. Ein abſchüſſiger Weg führt hinunter zum Grunde des Neſſels . Dort iſt man wie in der Unterwelt. llngehcurc Bäume, umhangen von rieſigem Flechtwerk, umſtehen die weiten Waſſerwirbel . Schlamm und Sümpfe und ein furcht bares Gewirr von modernden Stämmen hemmen den Eintritt in das feuchte Walddunkel. Ringsum ſtarren die düſtern Felſen ſcheinbar bis an die Wolken. Den breit vortretcnden Koloß nannten die Indianer den Manitufelſen . Weiter hin gähnt das Teufelsloch , cine finſtere Höhle , in welche die Wegen hineinſchlagen . Gern ſteigt man aus dieſer Ticfe wieder hin auf in den lichteren Urwald , der hier ſich in aller und Fülle ausbreitet.
Pracht
Oben am Wirbelpfuhl fall ich eine ficine, aber nette Farm und ging hinein , um etwas z11 eſſen . Ich wurde überraſcht durch das holländiſch reinliche Durcheinander in der Stube, ich fand in der Küche hellgeſdeucrte Seſſel, außerdem einen vortrefflichen Milchfeller und das ganze Haus voll Näſe. Auch an tem ruhigen , langſamen Weſen der Leute war gleich zu
143 erkennen ,
daß ſie holländiſcher Abkunft waren .
Man wird
überhaupt noch auf lange Jahre hinaus im weiten Gebiet der Vereinigten Staaten an Hauseinrichtung , Sitten und Benehmen der Leute merken können , ob ſie von Yankees, Virginiern und Kentuckiern , von pennſylvaniſden Deutſden , Kreolen ind fran zöſiſchen Canadiern, oder von neuen Einwanderern aus Europa abſtammen. Etwa drei Stundert von den Fällen wohnen noch Sie ſtammen aus den Carolinas und wurden Tuscaroras . von den fünf Nationen der hieſigen Indianer als die ſechſte aufge nommen . Shre Ortſchaft beſteht aus einer Anzahl roher Hütten, welche im Buſchwerk zerſtreut ſind, und einigen größeren Farmen. Die meiſten Wohnungen ſind noch immer nur Barackert, zu wel chen Wind und Regen freien Zugang haben ; Birkenrinde dient zur Thür und zum Vordache, und im Innern herrſcht die voll ſtändigſte Zigeunerwirthſchaft. Der erſte Indianer , auf den ich traf , fauere dicht vor ſeiner Thür bei einem Feuer ; er hatte ſich einen Heerd von ein paar rohen Steinen zuredit gemacht und einen Kreuzſtock darüber geſtellt , an welchem ſein Topf hing . Aus dieſem ragte ein mächtiges Stück Fleiſch hervor und der Schaum , der herauslief, löſchte Das Feuer halb aus ; der Alte aber blieb unbeweglich und gab mir , als ich ihn anſprach und anrührte, weder ein Wort noch eine Miene. Darauf kam einer, welcher eine rothe Soldatenjacke trug , die er ohne Zweifel von einem Engländer jenſeits des Stromes erhandelt hatte ; er lachte mir freundlich zu wie ein gezierter Held ; da ſeine Jacke ſo ſchön war , glaubte er ſtatt der Beinkleider ſich mit einer windigen Schürze begnügen zu fönnen .
Bald ſah ich noch einige andere
Männer , welche ziemlich vollſtändig in Landestracht gingen, jedoch ſaß das Zeug allen ſchlotterig und die Röcke waren ſo lang , daß ſie auf der Erde ſchleppten . Auch einige Weiber famen einher geſdritten , und dies ſah wirklich maleriſch aus : ſie gehen ruhig , ſtolz und gerade ; über den Kopf haben ſie
144 eine Decke gezogen , das ſchwarze Unterkleid hat unten weiße Franſen und Borten , und darüber tragen ſie eine Tunika von heller Farbe. Es herrſchte tiefe Stille in der gingen lautlos vorüber . Ich trat Bewohner zeigten ein ſcheues oder verkrochen ſich unter die Bank von boten jedesmal geſtickte Mocaſſins
Ortſchaft und die Menſchen in einige Hütten ein ; alle finſteres Weſen, die Kinder Flechtwerf, und die Weiber und Körbchen zum Kaufe
an . Nirgends zeigte ſich unter den Frauen und Mädchen eine anziehende Geſtalt, ſie waren alle breit und dick mit har ten Geſichtszügen. Unter den Männern aber gab es einige wahre Hünen. Dies arme Volk war ganz verfümmert und ſo unreinlich in ſeinen räicherigen Hütten, daß mir die Luſt ver ging , darin eine Nacht zuzubringen . Endlid) wurde mir das Haus des Predigers gezeigt , und dieſer gute Mann gab mir freundliche Herberge, da es mittler weile ſpät geworden war.
Am andern Morgen führte er mich
zuerſt zur Kirche . Da ſie oben an der hier durchlaufenden jähen Senkung der Gegend ſteht, ſo hat man unter ſich viele Meilen weit ein grünes Meer unabſehlicher Waltung ; in der Ferne ſchimmert der See, ein ganz eigener wundervoller Anblick. Die Indianer ſingen in der Kirche Halb engliſch, halb indianiſch , und beim Prediger ſteht ein alter Indianer, der Satz für Sat dein Volke dolmetſcht. Wir beſuchten nun einige ſogenannte Chiefs oder Häuptlinge , welche eine beſſere Ackerwirthſchaft haben und ungefähr die Rolle der Friedens richter ſpielen . Sie ſprechen dürftig engliſch , jedoch war nur einer von reinem indianiſchem Blute, und als der Prediger mir erzählte, daß manche. Indianer bei Streitigkeiten bereits vor das ordentliche Gericht gehen , rief Jener , der ſich ſonſt ſchweigfam verhielt , mit rauher Stimme : „ Das weiße Volk hat ſie verdorben ! Einer der Häuptlinge hatte eine niedliche Weiße zur Frau, welche auf der wohleingerichteten Farm fleißig
145 wirthſchaftete ; ſie erröthete etwas als der Halbindianer ſie als ſeine gute Frau vorſtellte. Die Sprache dieſer Indianer iſt wohltönend. und hat eine Menge feiner Liſpellaute. Sie ſprechen ſehr lebendig , und wenn ſie aufhören , verziehen ſie den Mund noch eine Weile. Die Regierung behandelt ſie noch immer als ein fremdes, felbſtſtändiges Volk und hat ihnen gewiſſe Land ſtriche (Reſerves) als Eigenthum gewährt ; ſo wie ſie ſich ver mindern , kaufen Geſellſchaften mit Erlaubniß der Regierung dieſe Landſtriche an. Ein Theil der Tuskaroras war vor kurzem von hier nach dem nördlichen Wisconſin gezogen , aber meiſt umgekommen. Auch die Zurückgebliebenen werden nach und nach verſchwinden , ſie zehren an einer bunfeln Sehnſucht nach fernen Wäldern und Prairien , und wenn ſie Whiskt fönnen , trinken ſie ohne Aufhören . Nachdem ich mich nun an all dem
Herrlichen ,
haben
was die
Niagarafälle barbieten, geſättigt hatte , verließ ich die mir theuer gewordene Gegend. Gerade ein Fahr ſpäter kam ich von meinen weſtlichen Wanderungen über die Seen nach Buffalo zurück und ſah den Niagara wicter. Noch einmal durchſtrich ich die dunkeln , von Felfen und Cedern überhangenen Gänge auf der Ziegeninſel , noch einmal ſtand ich an den einſamen ,. rauſchenden Stromſchnellen und überließ mich wieder der vollen Majeſtät des Anblicks der Fälle auf der Canadaſeite. Mit langen Schritten eilte ich auch hinauf zu meinem lieben Lundylane. Die Familie erfannte mich von weiten und nahm mich herzlich auf.
Mein Wirth war durch gute Spekulationen
dreimal reicher geworden. Das ſchöne Mädchen faß als junge Frau viele hundert Meilen von ba in einer Waldfarm , aber der Badfiſch vom vorigen Jahre trat mir entgegen in dem Reitz und Stolz einer amerikaniſdien Jungfrau. Solche ſchnelle Veränderung iſt landesüblich. Ich trank im Hauſe ein gutes Glas Wein und kam zu ſpät wieder auf die amerikaniſche Seite; der Eiſenbahnwagen nach Buffalo war ſchon abgefahren. föher, Land und Leute, 1. 10
146 Da beſuchte ich den alten Italiener mit ſeiner deutſchen Ehe hälfte, die hier ſchon lange ein Lager von Raritäten halten und den meiſten durchziehenden Gäſten einen Eichenſtock von der Ziegeninſel verkaufen . Auch der Alte ſprach etwas deutſch, es fanden ſich noch zwei dort anſäſſige Landsleute hinzu , und ſonderbar genug verbradyten wir den Abend mit Geſpenſterge ſchichten , in welche der alte Niagara hinein donnerte. Am andern Morgen war das ganze Flußthal bedeckt mit dichten hellweißen Wolken , welche hin- und herwaliten , und von den Fällen war wenig zu ſehen . Mir aber iſt der Niagara in der Seele ſtehen geblieben , wie ein flüſſig Hochgebirge.
VIII. Obercanada.
Das Canada -Dampfboot , der Admiral, rauſdte in den hellweiten Ontario hinaus , und ich betrachtete ein paar india niſche Frauen, welche furchtſam in ihre Decken gehüllt zwiſchen Mehl- und Auſternfäſſern kauerten, armes mißachtet Volf. Der wilde Ausruf jenes greiſen Häuptlings der Tuskaroras, das weiße Bolt hat uns verdorben , - tönte mir noch in den Ohren . Da hörte ich ein altfränkiſches Deutſch leſen und wurde mit ein paar Bennſylvaniern bekannt, die ſich mit An dacht in ein Haus- und Hülfsbüchlein vertieft hatten. Sie waren bei ihren Verwandten in der pennſylvaniſchen Heimath geweſen und erzählten mir von ihrer neuen Anſiedelung ober halb Toronto'8 ſo viel Herrlichkeiten , daß es mir einfiel , mit ihnen zu gehen . Wir famen mit dem Dunkelwerden in Toronto an , das fich wie eine breite Lichterreihe am See hinzog. Die Stadt war noc , vor wenigen Jahren unbedeutend , jeßt fann ſie ſich bereits mit den ſchönſten Städten des Binnenlandes meſſen. Man ſagte , daß hier jedes Jahr dreihundert neue Backſtein Das bedeutendſte der Stadt aber häuſer gebaut würden . ſcheint die prächtige Markthalle , der umwohnenden Bauern täglich
in welche die kleinen Wagen eine außerordentliche Fülle 10 *
148 von Feld- und Waldfrüchten abliefern . Es wurde an mehrern Fahrzeugen gebaut, um dieſen Ueberfluß weiter nach dem Meere zu bringen .
Toronto erfreut ſich eines vortrefflichen
Hafens , den eine lange ſandige Halbinſel bildet , welche ſich neben der Stadt hinſtreckt. Vom See aus nimmt Toronto ſich nicht beſonders aus , da es weder Thürme und hervor ragende Gebäude hat, noch hoch liegt. Seine Ausfuhr beſteht hauptſächlich in Getreide, Schiffs- und Bauholz, Theer, Ahorn zucker und Pelzwerk. Die Ufer des Huronſees und des Obern Sees ſind von Feldbau, Gewerben und Handel der Menſchen noch nicht belebt , ſie haben deshalb auch noch keine Stadt, welche für die Geſchäfte und Intereſſen der Menſchen dort den Ton angäbe. Auf dem Gebiete des Michiganſees ſtreiten Milwaukee und Chicago um dieſen Vorzug , im Bereiche des Eriefees ſtelt Buffalo obenan, Detroit jedoch, Cleveland, Toledo beeifern ſich , ihm nachzufolgen. Auf dem Ontarioſee aber iſt Toronto dic imbeſtrittene Herrſcherin, wie auf dem obern St. Lorenz es Montreal iſt und auf dem untern Queber. Die Stadt des Ontario hat ihren frühern einfachen Namen
York , mit dem ſtolzen ins Gehör fallenden Indianernamen Toronto , vertauſcht, weil wie die Landesverſammlung ſagte, es der Yorks zu viele gäbe. In den Freiſtaaten wird dagegen nicht ſelten der indianiſche Name gegen einen neumodiſchen um getauſcht. Aber das merkwürdig ſchnelle Wachsthum der Stadt, ihr lebhafter Verkehr, ihre gewagten Spekulationen und maß loſen Handelsunternehmungen ſind ganz nach der Weiſe der Amerikaner, das heißt der Bewohner der freien Staaten . Denn ſobald Toronto als ein wichtiger Verkehrsplatz erkannt wurde, ſtrömten amerikaniſche Geſchäftsleute dorthin und wurden ihr Ton und ihre Art und Weiſe zu leben und Geſchäfte zu betrei ben überwiegend. Das Volf in Canada iſt indeß in ſeinen untern Schichtert von der reißenden Strömung des amerikaniſchen Lebens be
149 reits ergriffen , auch die Starrheit der obern Geſellſchafts kreiſe kann ihm nicht lange mehr widerſtehen . Zur Zeit aber iſt in Toronto jener alte vielberufene Familienbund mächtig , der Familycompact , deſſen Mitglieder Aemter und Einkünfte des Staates fleißig für ſich ausnützen Ihr beſter Ankergrund iſt die engliſch -biſchöfliche Kirche , id gegen dieſe ſchärft ſich nun der Eifer der Oppoſition. Aber unverkennbar hat die Stadt noch eine ſolide engliſche Grundlage: die Häuſer ſind feſter gebaut, das Leben auf den Straßen iſt geordneter, der Geſchäftsverkehr nicht ganz ſo ſtürmiſch und unſicher als in den amerikaniſchen Städten. In Toronto iſt auch , obwohl die Stadt ebenfalls einen ſehr bedeutenden Theil ihrer Bevölke rung aus Emporkömmlingen und ſelbſtgemachten Leutenu be kommen hat , mehr Bildung und europäiſche Geſelligkeit an fäſſig, als in den Städten auf der andern Seite des Ontario. Man findet ſich dort in den Häuſern der Engländer nach Eng land verſeßt; Officiere, Dandies , Damen in den neueſten Londoner Moden leben ganz auf engliſchem Fifß ; jedoch reiten und fahren die Damen mehr und wilder , als ſie es in den Städten des Mutterlandes thun würden . Auf dem Markte und am Hafen wogt amerikaniſches Leben , raſtlos und beweg lich, und aus allen Sorten von Bildung und Selbſtgefühl zu fammengeſett. In der Hauptſtraße dagegen zeigen ſidy Sol baten und lange ſteife Ueberröcke mit vornehmen engliſchen Geſichtern. Aber auch Frländer in Lumpen, zerbrochene Fen ſterſcheiben , gebrechliche Perſonen erinnern daran , daß man nicht mehr in den Freiſtaaten iſt, wo Armuth und Elend die Deffentlichkeit ſcheut. Die Hochſchule in Toronto iſt gut ein gerichtet und in Canada berühmt; aber die ganze Rechtswiſſen ſchaft zählt nur einen Profeſſor und die ganze Theologie noch einen mehr. Das kommt einem Europäer ſo dünn vor , wie der Gehalt mancher Wiſſenſchaft, ſo weit ſie auf amerikaniſchem Boben gewachſen iſt.
Das ſtattliche Gerichtshaus Toronto's
150 vereint mehrere Richter , die einen guten Namen im Lande haben und es ſich etwas foſten laſſen , in den zähen Wirrwarr des altengliſchen Rechts Manier hineinzubringen. Meine pennſylvaniſchen Freunde ließen mir Zeit, midy in Toronto umzuſehen , denn ſie fanden unter den Farmern auf dem Marfte in Toronto eine Menge von Sandsleuten , welche alle herbeifamen , im ctwas von ihrem Mutterlande Pennſyl vanien und den dortigen Verwandten zu hören . Erſt ſpät Nadymittags fuhren wir ins Land hinauf. Einige Meilen weit war die Gegend gut angebaut und die Hügelreihe mit den Ausſichten auf den See blieb immer gleich reizend . Dann aber ſchien alles wic begraben in den Wäldern. Die waren eben erſt durdygchauen und die Bauinſtämme beiden Seiten wüſt burcheinander, ſelten kam eine Blockhütte zum Vorſchein . Fichten und Gedern bildeten
Straßen lagen zu ärmliche mit den
Sclingpflanzen , die ihre Stämine umhüllten , ein undurch dringliches Di & idyt, fcin Ton wurde laut, als das dumpfe Wo gen der endloſen Wälder. Hier ſah ich zuerſt den prachtvollen Farbenſchmuck, mit welchen die Natur im Herbſte ihr grünes Haar überhängt. Wo die Straßen ſich freuzten und die Abend foune ihre rothen lichter über die langen Baumreihen goß, konnte der Blick ſich nicht ſättigen. Der ganze Wald ſtrahlte in Oluth . Das war nicht die Farbe des Erbleichens und Ab ſchiednehmens, ſondern eine ädyte ſtehende Fahrszeitfarbe , die faſt ebenſoviel Sraft und Raum hat , als das Frühlingsgrün. Die amerikaniſchen Wälder haben das voraus, daß ſie zweimal im Jahre ſicky umkleiden und beidemal prächtig. Der rothe Blätterſchmud ſitzt im Herbſte noch ſo feſt und üppig an den Zweigen, als der grüne im Frühjahr. Das Ueble war nur, daß man dieſe herbſtliche Waldherrlichkeit nicht ruhig genießen konnte. Denn die Wege blieben ſchrecklich). Man bekommt die Seekrankheit nicht bloß auf Schiffen , ſondern auch bei Wüſten reiſen auf dem heftig die Glieder hinundherwerfenden Kameel,
1 151 aber ein Fuhrwerk
auf amerikaniſchen Waldwegen iſt nocy ſchlimmer als Seeſchiffe und Kamcelc . Unaufhörlich geht es in die Tiefe und wieder in die Höhe , aus einem Straßenloch fällt der Wagen ins andere , und man wird gewiegt und ge ſchüttelt und geworfen nad allen Seiten . Springt man nun aus dem Wagen heraus , ſo verſinkt man unglaublich raſch bis über die Sinie , und Roth und Waſſer laufen einem hinterliſtig in alle Taſchen . Indeſſen iſt ſchon der Anfang einer Straße in dieſen Wäldern erfreulid ), und man muß die Sorgfalt der Regierung , meilenweite Strecken furch Ueberlegung mit Bohlen fahrbar zu machen, anerkennen . Abends, etwa ſechs Wegſtun ben von Toronto, kamen wir aus den Wäldern heraus , und ſo weit das Auge reichte, dehnten ſich ſchöne helle Felder und ſtattliche Gehöfte , untermiſcht mit Waldſtreifen . Der Anblick war dem Pennſylvaniens ähnlicy ; jedod, fann Canada noch nicht ſo viel prächtige Scheunen und Wohnungen haben , und alles ſieht noch ſo neu aus , geworden .
als wäre es
eben
im
Walde fertig
Ich war jetzt im berühmten Markham Townſhip , beffen Aecker unter die fruchtbarſten gerechnet werden .
Ein Sachſe,
Namens Erhardt , ſiedelte ſich vor ungefähr fünfzig Jahren hier in der Wildniſ an ; die erſte Zeit mußte er von ſeiner Flinte leben , denn es nahm adit Tage hinweg , um nach To ronto zu fahren. Zehn Jalre ſpäter kamen die deutſchen Mennoniten aus Pennſylvanien herüber, welche den fruchtbaren und waſſerreichen Platz bald ausgefunden hatten ; man ſagt, der deutſche Pennſylvanier habe eine noch viel feinere Spür naſe für guten Boden , als der Yankee. Das Land war in da maliger Zeit wohlfeil zu bekommen , das gute für wenig Geld und das geringere oder kleinere Strecken faſt umſonſt.
Die
erſten Anſiedler haben jetzt alle große und reiche Haushaltun gen , ihre Kinder mit den ſtets noch kommenden Zuzüglern aus der Verwandtſchaft haben Markham
mit
den benachbarten
.
152 Townſhips bevölkert, und den Waldboden zu einer wahren Korn- und Obſtfammer gemacht. Es ſind ehrenwerthe Leute , dieſe Pennſylvanier , und von ſo tüchtigem Stoffe, daß wenn die Bildung ſie einmal mehr durchdrungen hat, ſie ein dauern des und wohlhabendes Bürgerthum darſtellen können. Daß die Pennſylvanier Deutſchen bis jetzt in mancher Bildung zu rückgeblieben , ja oft ſogar ſich hartnäckig der Annäherung ber ſelben widerſetzten, davon war nicht eine Unfähigkeit, geiſtigere Stoffe in ſich aufzunehmen , Urſache, ſondern ihre Abneigung vor allem , was ihnen als engliſch- amerikaniſdy und fremd zu= kam , ſowie ihre Entfernung von dem Heerde ihrer vaterländi ſchen Bildung. 3d befand mich wohl unter dieſen Landsleuten ; ſie famnen mir vor wie cin Stück deutſches Leben aus verwidenen Jahr hunderten , das hier in die canadiſchen Wälder geflüchtet war. Meine Begleiter hatten mnich zu dem Angeſehenſten ihrer Gegend gebracht, und ich wurde freundlich in ſeinem Hauſe aufgenommen. Mein Wirth war ein ruhiger ſtattlicher Mann , vom Morgen bis zum Abend thätig und überlegend, er hatte ſchon faſt ſechshundert Ader unter dem Pfluge, und feine beſte Freude war ſein Hirſchgarten . Nahe bei ſeinem Gehöfte hielt er nämlich ein Stück Wald eingefriedigt und darin an dreißig Stück Edelwild , die auf ſein Anlocken aus den Büſchen rannten, und die Aepfel aus den Taſchen ſuchten ; bis das Hundert voll ſei, wollte er keins davon abſtehen . Als ich ihm erzählte, daß das nur Rehe ſeien und die Hirſche in Deutſchland viel größer wären , überlegte er hin und her , ob er nicht ein paar von dieſen großen Hirſchen ſich verſchreiben könnte. Sein Hof war wie eine der großen Bauernwirthſchaf ten in Niederſachſen , lebendig wie ein Bienenſtock und alles darin vollauf. Die vortrefflichen Truthähne wurden in den Kohltopf geſteckt wie Hammelfleiſch. Die Fülle des Obſtes war nicht mehr zu verzehren, und jede Woche fuhr zweimal ein
4.
153 Wagen mit Mehl und Waizen nach Toronto zum Verkaufe. Zum Eſſen fanden ſich in der Regel einige Gäſte ein , und eine Art Kuhhorn rief die eigenen Leute aus den Feldern und Scheunen herbei. Was das Haus verbrauchte , wurde ſelbſt darin geſchafft. Man webte wollene Zeuge und hatte den Schneider dafür auf dem Tiſche, und die Bärendecken auf dem Kirchenwagen waren von ſelbſt erlegten Thieren. Die Haus mutter ſchaffte unabläſſig mit ihren Mägden, und machte keinen Unterſchied zwiſchen ihren eigenen Kindern und angenommenen armen Waiſen. Wenn ſie ihre Verwandtſdaft aufzuzählen an fing, konnte ſie damit nicht zu Ende kommen, ſo viele Brüder und Schweſtern , Schwäger und Schwägerinnen hatten im Umkreiſe von ein paar Stunden eigene Höfe. Solcher ausgebreiteten Familien ſind viele da , das beſte land in der Nachbarſchaft iſt bereits von ihnen eingenommen , und ſie haben noch Geld und Verſtand genug , ſich auch das weiter entlegene allmählig zu verſchaffen. Durch dieſe Ver wandtſchaft , noch mehr aber durch ihre religiöſe Verbindung, hangen die Pennſylvanier hier enge zuſammen , und haben nicht viel mit den übrigen Anſiedlern zu thun . Unter allen Reli gionsparteien ſtellen vielleicht dieſe Mennoniten das altchriſtliche Gemeindeleben noch jebt am treueſten dar. Nie habe ich auf richtigere Frömmigkeit, nie liebevollere Gemüther gefunden. Wo einer von ihnen ins Unglück kommt, helfen ihm ſofort die Ge meindeglieder wieder auf. Streitigkeiten werden vor kirchlichen Richtern ausgeglichen ; daß einer vor das Gericht ginge , wäre unerhört. Ihre religiöſe Verſammlung geſchieht überaus ein fack , die Prediger ſind Bauern wie die übrigen , aber ſie ſprechen nie ohne felbſt gerührt zu ſein . Der Kirchengeſang gefiel mir dagegen nicht, weil ſie vor lauter Demuth kaum den Mund aufmachen. Mancher Verhandlung wohnte ich bei ; unter Zuziehung von Predigern und Nachbarn konnte bei dieſen ver träglichen Leuten alles nur im Frieden abgehen. Die Menno
154 niten und Tunker bilden
zwei Drittel der hieſigen Deutſchen ;
unter ihnen wohnen die Plattdeutſchen , die eine eigene prote ſtantiſche Kirche haben. Endlich giebt es ſogar eine deutſche anglikaniſche Kirche , gegründet von einem jener in Amerika nicht ſeltenen Herren , die ſich aus katholiſchen zu proteſtanti fchen Geiſtlichen umwandelten . Die engliſch ſprechende Bevöl ferung, Jrländer und Amerikaner, ijt in Markham bei weitem geringer als die deutſche, und wird hier wie überall von den Pennſylvaniern mehr und mehr ausgekauft. Die Deutſchen freuen ſich, wenn ſie wieder einen Frländer über die Gränze geſchickt haben . Wo ein paar von den Söhnen der Sdyma ragdinſel zuſammenſitzen, da ſingen und trinken ſie ganze Nächte durc ), ſo lange Whisky ta iſt, und der eine iſt immer ſchmutzi ger und lieberlider als der andere. Aus den zerbrochenen Scheiben wehen die Pumpen , und durch die Löcher in den Hauständen trottirt das berſtige Vieh ein und aus. Die Mädchen haben gewöhnlich keinen andern Brautſchap , als die Kinder , die ſie ſchon auf dem Arme tragen , und das iſt dem Bräutigam nicht unlieb , weil eine Hand mehr im Hauſe nüşen kann . Wenn der Irländer aber einzeln zwiſchen kräfti gen Nachbarn wohnt , ſo wird er in der Regel nad einiger Zeit ein nüchterner und fleißiger Hauswirth. Anfangs geſchieht bas aus bloßem Nachahmungstalent, ſpäter unterwirft er ſidy ſtillſdyweigend der Zucht, die ſeine Umgebung auf ihn ausübt. In ſid, allein findet er weder Antrieb, noc ) Ausdauer , und böſes Beiſpiel erweckt im Nu alle ſeine leichtſinnigen Launen. Die Gegend der oben genannten Townſhips beſteht aus breiten langgezogenen Hügelwellen , deren Anſteigen faum zu bemerken iſt. Das Klima iſt dem der nördlidyſten Theile Neu englands ähnlich , allein im Sommer anhaltend heißer und im Winter anhaltend fälter, unbeſtändig bleibt das Wetter nur ein paar Tage lang. Die Einwohner rühmten ihr Land als äußerſt geſund, Fieber verlieren ſich auf Neubrüchen bald, das
155
-
gegen ſchien Schwindſucht nicht ſelten zu ſein .
Das Nlima
muß ſcharf angreifen , die Söhne der Anſiedler waren zwar ſchlanke Burſden , aber ebenſo durchgängig ſchwach gebaut. Der Landbau wird gerade wie in Pennſylvanien betrieben, Mais baut man wenig , wendet aber viele Sorgfalt auf die Obſtbaumzucht, Trauben kommen jedoch nicht fort. Das vor züglichſte land iſt nur noch aus zweiter Hand zu kaufen, toch iſt deſſen noch genug . Neue Einwanderer wurden ſehr ge wünſcht, beſonders wenn ſie zugleich, Schulmeiſter oder Muſi kanten wären . Die Anſiedlung iſt ſehr leicht. Wer von Hauſe aus nichts hat, dient ein paar Jahre bei einem andern , züch tet ſich dabei jung Vich an , und mit dem Erlös ſeines Jahr: Ichns fauft er ſich Land und macht ſeine erſten Einrichtungeit . Geduldige, verſtändige und arbeitjame Leute haben jedenfalls hier mehr Wahrſcheinlichkeit, zu mäßigem Wohlſtande zu ge langen, als in Europa, aber, tas ſah ich allmählig ein , wer bort irgendwie crträglich leben kann , iſt cin Narr , wenn er nach Amerika geht, es ſei denn, er wolle ſich für die Zukunft ſeiner Kinder opfernt. Adyt Tage lang blieb ich bei meinen freundlichen Wirthen und ritt und jagte in der Gegend umher.
Wenn mir auch
keiner von den Hirſchen und Bären, Wölfen und Füdyſen zum Schuß fam , weldic nody in Menge in dieſen ingehcuren Wal dungen Herbergen , ſo hatte id) vor der Flinte body immer Schaaren von Waltvögeln , welche nimmer ruhig flatterten, ſchrieen und einander verfolgten. Hier in Obercanada kam ich auc) zuerſt auf den Gedanken , die frühere deutſch -amerikaniſche Geſchichte näher kennen zu lernen . Die Mennoniten , unter denen ich verkehrte, waren Nachkommen der Deutſchen, welche mit William Penn hcrüber gefommen, und ſie hatten über die Erlebniſſe in Amerika Mancherlei in Sagen und Schriften aufbe wahrt. Namentlid, die Brediger hatten viel Merkivürdiges aufgezeichnet. Um eine Handſchrift zu erhalten, machte ich einmal einen
156 langen Ritt. Sie ſollte ſich im Hauſe des Schwiegervaters meines Wirths finden , der eine Stunde entfernt wohnte. Nie vergeſſe ich das ehrwürdige Bild dieſes Greiſes. Er war faſt hundert Jahre alt und gehörte zur Gemeinde der Tunker, jener kindlich harmloſen Leute , die ſelbſt den Thieren liebevolle Pflege ſchenken . Vor der Halle ſeines Hauſes ſaß er im Armjeſjel, umfloſſen von mildem Sonnenſchein , ſein lang und ſilberweiß herabwallender Bart miſchte ſich mit den goldenen Locken eines kleinen Mädchens, das lachend und jauchzend auf feinen Schooß wollte ; eine andere Urenfelin ſtand ihm zu Häupten und verſcheuchte die Fliegen. Dieſe beiden Urenkel hatte er ſich als die liebſten ausgewählt aus der Schaar ſeiner Kinder und Kindeskinder, neun Gehöfte der Seinigen konnte er in der Nachbarſchaft zählen, ein paar davon erhoben ihre Giebel über die nahen Baumwipfel. Nun harrte der Greis mit wahrer Freudigkeit auf ſeinen Tod, ſeine Stimme war ſo leis und rein wie ein zitternder Silberklang, aus jedem Worte wehte heiterer Frieden. Mit innerer Andacht hörte ich die Erzählung ſeines mühevollen gottinnigen Lebens , und als ich ſchieb , war mir als müßte ich um ſeinen Segen bitten .
Noch lange , als ich
wieder die einſamen Waldwege ritt, vernahm ich dieſe leiſe milde Stimme, welche mir über Schickſal und Erdenleben beſſere Offenbarung gab , als einſt Schelling's Philoſophie. Das Büchlein , welches ich zu holen kam , ſollte auf einer andern Farm ſein, aber der Zweite hatte es dem Dritten und dieſer dem Vierten geliehen. Endlich fand ich es bei einem luſtigen Ehepaar , welches in den Fünfzigern ſtand , ſeine Kinder verſorgt hatte und ſich nun am heißen Grog eine Güte that. Ich mußte mittrinken und mitlachen und hörte in einer Viertelſtunde eine ganze Reihe heiterer Geſdichtchen , wie ſich dieſer und jener in Anſiedelungsſorgen und auf Brautwerbung lächerlich angeſtellt hatte. Auf meiner Frrfahrt nach dem Buche war ich nun bis an die Außenpoſten der Niederlaſſung
157 gekommen, und da ich hörte , daß einer der Pennſylvanier, welche ich auf dem Dampfſchiffe getroffen , nur noch eine halbe Stunde weit wohne, dachte ich dort Herberge zu nehmen. Nach dem mein Pferd im Dunkeln einigemal in Sümpfe und über Baumſtämme geſtürzt, ſah id, endlich glücklich das Licht aus dem Blockhauſe ſchimmern . Da hörte ich ein Lied ſingen nach der Melodie des Studentenlictes : Runtgejang und Reben ſaft lieben wir ja alle !", aber der Gefang ging in ſo eigen langgezogenen Weiſen , daß die Sänger unmöglich flotte Bur ſchen geweſen ſein konnten . Und was war es ? Mein Penn ſylvanier ſaß mit ſeiner Familie ganz andächtig bei dem Choralbuche und fang nad jener Melodie : O bu fromme Chriſtenheit, freue dich in Ehren !“ Die ganze Liederſamm lung hatte ſich unſere (uſtigſten Studentenmelodien angecignet, jeder ein froinmes Sdwänzchen angchängt und einen geiſtlichen Text untergelegt . Später habe ich dieſen muſikaliſchen Ge ſchmack noch oft in Amerika bewundert. Von meinem Gaſtfreunde hörte ich, daß er mit den übrigen , init weldicn ich in dieſe Gegend gekommen, aus Pennſylvanien eine Erbſchaft geholt habe , welche des andern Tages bei dem Haupterben rechtlich ſolle getheilt werden . Ich ritt alſo mit ihm hin , um den Hergang anzuſehen. Die Entfernung betrug gegen drei Stunden, und wir famen an zahlloſen Stellen vorbei, wo Art und Feuer in den Wald einfraßen , um Raum für Farmen zu ſchaffen . Nacy allen Seiten hin crhoben ſich über dem Waldmeere Rauchſäulen , ein Zeichen , wie lebhaft das Anſiedelungswerk hier vor ſich ging . Ehe noch die Blockhütte fertig ſtand, wurde ſdon zwiſden den Bauinſtümpfen gepflügt und gefäet. Aber ringsum , auch dicht bei den älteren Anſie belungen, gähnte der finſtere IIrwald . Staunend maß ich die Rieſenhöhe ser Cetern und Fichten , deren Wipfel in den höch ſten Acther hineinzuragen ſcheinen ; Bäume von zweihundert Fuß Höhe ſind hier nicht ſelten. Bei dem Haupterben trafen
158 wir mehrere Familien beiſammen und drei Prediger. Unter Rath und Vorſitz der Lettern wurde nun den Tag über die Sache in aller Ruhe verhandelt, zu Zeiten wurden die Frauen hinzugerufen , um Zeugniß abzulegen . Als es zum Abendeſſen ging, waren alle Anſprüche auf das friedlidiſte geſchlichtet, und es blieb nur zu bedauern , daß ſtatt eines Glaſes Wein oder Punſch ein Ge bräu aus warmem Waſſer und geröſteten Erbſen gegeben wurde, welches den Namen Kaffee führte. Am andern Morgen ritt ich zu meinem Hauptquartier zurück, und da noch mancherlei unter wegs mich anzog , wurde es Abends ſpät , als ich wieder an langte. Mein Erſcheinen erregte Aufſehen , einige wurden verlegen , andere lachten. Endlich erfuhr ich, daß erſt die Dienſtleute , dann die Söhne, und als ich am dritten Tage nicht wiederkam , der Hausherr ſelbſt gebacht hatten, ich ſei, wie bergleichen in Amerika ſo gewöhnlich, mit ſeinem ſchönen Pferde, welches gut zweihundert Dollars werth war, in die weite Welt geritten . Nur die Frauert , und beſonders warm die alte Mutter, hatteir meine Partei genommen , und die Sache war gerade lebhaft verhandelt worden , als ich in die Stube trat. Nun aber war es rührend , wie die , welche mich in Verdacht gehabt, ihr Unredyt wieder gut zu machen ſtrebten.
Ein Kinecht
brachte mir am andern Morgen das Pferd auf's ſchönſte ge putzt und geſattelt , was der Reiter hier zu Lande ſonſt ſelber beſorgt. Als ich abreiſete , mußte id) zu all den Herzlichen Wünſchen noch ſoviel Obſt und Kuchen auf den Weg nehmen, daß ich damit in Toronto Hätte zu Markte ſtehn können .
IX. Ontarioſee und St. Lorenzſtrom .
Mitte Oktobers herrſchte in dieſen nordöſtlichen Gegenden bereits eine ſolche Kälte wie bei uns an einem hellen December tage. Als ich Toronto verließ und wieder auf den Ontarioſee kam , begriff id voliſtändig die Fürſorge meiner Neuyorker Freunde, welche mir angerathen hatten , mich für den Ausflug hierher mit warmen Winterkleidern zu verſehen. Es war auf dem See als wenn die Luft bumpf vor Nälte murrte, und es hielt fortwährend jenes eigenthümliche Dunkel an , welches bei uns der Vorbote von ſtarkem Sdyneefall iſt.
Der See glänzte
weithin wie ein Silberteller. Das ſüdlidie Ufer war nicht zu ſehen , das nördliche zeigte dann und wann in der Ferne be waldete Höhen . Ram das Schiff näher , ſo ſal man am ca nadiſchen Ufer Sanddünen und kleinen Wald , tas amerika niſche iſt dagegen vidt am See gleich hoch bewaldet. Bald waren wir mitten auf dem See und ſahen wiederum nichts als Himmel und Waſſer ; aber die kurzen Wellen und der eigenthümliche Landgeruch belehrten audy einen , der kein See waſſermatroſe iſt, aber einmal die See befahren hat , daß man ſich hier auf Süßwaſſer befinde. Die Luft auf der See hat etwas Schweres und Salziges , auf einige zehn bis zwölf Seemeilen Landnähe iſt ſie dagegen reiner , trockner , und alte
160 Matroſen wollen darin einen Erd- und Baumgeruch ſpüren. So groß aber die amerikaniſchen Binnenſeen ſind , fo arm ſind ſie an herrlichen Geſtaden ; man muß gänzlich auf die Gebirgs-Landſchaften verzichten, von denen in Europa die Seen fo häufig umragt ſind . Der Abend dunkelte bald heran , der Himmel blieb wolkenlos , aber es war als wenn er mit ſeinem Nebelgrau fich kalt und ſchwer herniederſenkte. Die Menſchen auf dem Schiffe ſuchten ihre Ruheſtellen, der Wind pfiff ſtoßweiſe um die Maſten und hohen Rauchfänge , das Boot aber brautſte weiter auf der ſtillen dunkeln Waſſerfläche. Es waren einige Compagnien engliſche Soldaten auf dem Schiffe, meiſt verſoffene harte Geſichter, Leute in den vierziger Jahren, mit Spielern und Pfeifern, Weibern und Kindern und Sack und Bad . Die Tochter und Gouvernante der Familie des Oberſten ſpazirten auf dem Verdeck umherub tanzten und lachten . Die einſilbige Steifheit , welche dem eniropäi fchen Reiſenden auf den amerikaniſchen Dampfidiffen ſo wiber wärtig iſt, war hier auf dem engliſch - canadiſchen Schiffe ver fdwunden. Vor dem Sdílafengehen wurden die Soldaten in Reih und Glied auf dem Verbecke gemuſtert , auf das Stem mando zum
Abtreten
flatſchten
ſic alie zugleid, in die Hände.
Shr Anblick verſeizte mich zurück in die Zeiten des ſiebenjäh rigen Krieges, wo die Regimenter aus angeworbenten Soldaten beſtanden , die aus dein Dienen ihr ordentlich Handwerk machten. In der Nacht konnte ich vor Kälte nicht ſchlafen, umd als ich Morgens früh aufſprang, mir Bewegung zu maden, lagen wir vor Kingston . Die Stadt breitet ſich maleriſch an einer Hügelbany, der Waldwuchs auf ihren Höhen iſt jedoch ſpärlich. Auf den Hügelſpitzen, welche in den See hinein treten, erheben fich helweiße Forts und ein Leuchtthurm . Die neue Markthalle in Kingston iſt ein großartiges Gebäude und in ſo reinem Stil, wie man ihn in den Vereinigten Staaten nur höchſt ſelten ſieht.
161 Auch in dieſer Markthallenmobe wird England hier nachgeahmt. Die Stadt liegt am Ausfluffe des St. Lorenzſtromes und des großen Rideau - Kanals , ihr Handel iſt daher lebhaft, und ſie macht für einen Theil der Waaren, weldie den St. Lorenz hinauf- oder hinabgehen , den Stapelplatz. Sie iſt jetzt nicht bloß Regierungsſit , fonderit aucy, wie das benachbarte Safets Harbour für die amerikaniſdie, der Haupthafen für die brittiſche Flotte auf den Seen und hat geräumige Naſernen für ein paar An den Befeſtigungen wurde noch gebaut, und es hatte alles das Anſehen als könnte es bald wictcr zum Kriege koininen , jedenfalls muß England ſeine Städte ſchützen gegen Handſtreiche vom andern Ufer her. Auf der gegenüber liegenden amerikaniſchen Seite war ebenfalls ein keckes Fort zu ſehen , und hier wie am andern Ende des Sees bei
tauſend Mann .
dem Ausfluſſe des Niagara wehen die engliſche und ame rikaniſdie Flagge auf entgegengeſetzten Ufern ſich einander ins Angeſicht. Bemerkt man folche Anſtrengungen der Engländer, Canada zu behaupten , ſo denkt man unwillfürlich an die ſonderbare Lage, in welcher ſich, England dieſer Provinz gegenüber befindet. Mate riellen Vortheil bringt ſie ihm durchaus nidt, die Canadier ſchicken weder ihre eigenen Produkte wohlfeiler nad ) England als anders mohin , noch kaufen ſie engliſche Produkte theurer als dies andere Länder tun , ſie ſelbſt aber haben Vortheile dort für ihren Bauholzhandel. Es gehen zwar engliſche Waaren nach Canada, ohne den Schutzzoll der Vereinigten Staaten zahlen zu müſſen , dagegen ſind die Ausgaben , welche England für die Verwaltung, Behauptung und Verbeſſerung der Canadas machen muß , beträchtlich. Verhältnißmäßig mehr als in den Freiſtaaten geſchieht in Canada für Kanäle , Häfen , Eiſen bahnen und zwar auf Anregung und theilweiſe auch auf Koſten der engliſchen Regierung. Die wirkliche Herrſchaft Englands iſt aber dort nur gering anzuſchlagen . Die regierende Macht 11 Löher, Land und Leute. I,
162 der Provinzen liegt in ihrem einheimiſchen Parlamente, dieſem ſind die Miniſter verantwortlich; die Befezung der Kolonial ſtellen hängt hauptſächlich von ihm ab , und ſeine Beſchlüſſe treten in Kraft, wenn der Gouverneur, den die Krone ernennt, ihnen nicht ſofort die Beſtätigung verſagt. Trotzdem läuft England fortwährend Gefahr , durch die Canadier mit den Vereinigten Staaten in Srieg zu gerathen , denn bei allen Streitigkeiten mit den Amerikanern , - und der Anlaß zu ſolchen bietet ſich auf einer ſo weiten und ungewiſſen Gränze und bei einem ſo eigenmächtigen und auf ſeine Anſprüche ſo eiferſüchtigen Volke, wie die Amerikaner es ſind, febr leicht bar, foll England init ſeiner ganzen Macht für die Canadier eintreten , ohne daß es einmal das Recht hat , ſie zur Beſtrei tung der Kriegskoſten zu beſteuern. Dieſe Mißverhältniſſe treten je länger deſto ſtärker hervor, und es fehlt nicht an Stimmen in England, welche es für das Beſte halten , die Canadas ganz aufzugeben . Die engliſche Regierung ſcheint aber daran nicht zu denken , ſie weiß die politiſchen Vortheile zu ſchätzen , welche aus der Behauptung des Landes cntſtehen . Die zweitauſend Meilen lange Gränze, mit welcher ſich die beiden Provinzen an die Vereinigten Staaten anſchließen , bietet zahlloſe Punkte dar , um engliſche Waaren nach Belieben in die Vereinigten Staaten einzuführen oder einzuſdininggeln . Die Amerikaner vermögen daher durch hohe Schutzölle dem engliſchen Handel nicht allzuviel zu ſchaden , die Engländer aber können eben auf jener langen Strecke die amerikaniſche Induſtrie überwachen , und dem Auffommen der Fabriken , insbeſondere auch in den weſtlichen Staaten , Abbruch thun. Im Fall eines Krieges mit den Vereinigten Staaten aber bietet der Beſit der Canadas den Engländern die Gele genheit, auch zu Lande den Amerikanern zu ſchaden, was ſonſt kaum möglich wäre , und es iſt dann ſchon ein Vortheil , den Feind in ſeinem eigenen Lande angreifen zu können . Geriethe
163 dagegen Ober- und Untercanada in die Hände der Amerikaner, fo würden auch Neuſchottland und Neubraunſchweig, von allen Seiten von Amerikanern umringt , dieſen nicht lange mehr widerſtehen können , auch die pelzreichen Länder der Hudſonsbah Compagnie würden ihnen zuletzt anheimfallen . Damit wäre dann der Herrſchaft Englands in Nordamerika überhaupt ein Ende geinacht. Daß die Amerikaner darnach trachten , die Eng= länder ganz vom amerikaniſchen Continent zu vertreiben , ver hehlen ſie ſelbſt keinen Augenblick; der ſchöne Hafen von Halifar und der Alleinbeſitz der Neufundlandfiſchereien und der Pelz länder erſcheinen ihnen als hödiſt wünſchenswerthe Dinge. Die ſchon einmal beſiegten Engländer möchten Canada gern ſo lang als möglich halten , und wär's aud ) bloß, um die Länderſucht der Amerikaner einzudämmen ; es iſt daher die Behauptung dieſer Provinzen für England auch ein empfindlicher Ehrenpunkt. Die Amerikaner aber werden mit jedem neuen Jahr einen neuen Zankapfel finden, den ſie England zuwerfen, und ſo oft man des gegenſeitigen kommerziellen Vortheils wegen , denn England und Amerika ſind für einander die beſten Kunden, ſich wieder verträgt , ſo iſt es doch ſehr möglich , daß endlich auch den Engländern die Geduld reißt und die Ufer des St. Lorenz noch einmal vom Kriegsgetöſe wiederhallen . Dieſer Strom iſt gewiß einer der ſchönſten auf der ganzen Erde. Er unterſcheidet ſich zu ſeinem Vortheile von ſeinen nordamerikaniſchen Brüdern , denn er hat klares friſches Waſſer, große langgezogene Wellen und ſehr häufig maleriſche Ufer. Das Gewirr von treibenden , oder im Flußbette feſtgehaltenen Baumſtämmen , die kurzen hochfluthigen Wellen , die Menge von rohrbuſchigen Inſeln , die vielen gelben Schlammbänke und Untiefen , dieſe Eigenheiten der amerikaniſchen Flüſſe fehlen dem St. Lorenz . Er ſtrömt immer ruhig , ſtolz und unhemmbar, ſeine Geſtade verlieren niemals den wilden Reiz aber er ſelbſt verliert nie das Helle und Majeſtätiſche. Als 11 *
164 wir vom Ontarioſee in den St. Lorenz hineinfuhren, war mir deshalb dieſer Strom eine freudige Ileberraſchung. Eine lange Strecke freilichy umgab ihn nur nietriges Felfeuufer , von Menſchen und ihrem Anbau war nichts zu erblicken , wir fuhren wie in öder Wildniſ. Selten einmal zeigte ſich eine arme halb verfallene Blockhütte, und wo ein Städtchen ſich blicken ließ, ſtand cs auf nackten , ſteinigen Boden, eingeſchloſſen von ſpärlich bebüſchten Felshängen und anſteigender Walding. Bedeutender nehmen ſich aus Ogdensburg auf der amerikaniſchen und gegenüber Prescott auf der canariſchen Seite , da hat der Strom cin belebtes Anſehen. Audy cin Engländer kann nicht verkennen , wie viel frcundlicher die amerikaniſche Stadt aus ſieht, als die gegenüberliegende canadiſche. Bei Prescott be ginnen bereits die Stromſchnellen , doc) ſind die Dampfſchiffe jetzt ſo feſt und zugleich ſo leicht gebaut, daß ſic darüber weg gchen. Man merft aber an dem Ernſt und Eifer, den Siapi tän und Schiffsleute annehmen , ſobald es in die Stromſchnellen geht, daß die Fahrt hindurdy niody nicht ohne alle Gefahr iſt. Nun kam der See der tauſend Inſeln. Ob es gerade
ſo viele ſind , weiß ich nicht , gewiß hat ſie feiiter gezählt, denn das wäre eine mühſame Arbeit. Ein paar Meilen weit ergießt ſich der Strom zwiſchen einer Unzahl von kleinen und großen Shelbrocken , rings uinher ſieht man nichts als dieſe waldbewachſenen Felsbänke , die cinc ſieht der andern ähnlich, und es gehört ein ſcharfes Auge dazu , eine hinter ilinen ver borgene Flotille aufzufindeit. Hier hatten sie amerikaniſchen Kaperboote, welche den Engländern ſo manchen Streich) ſpielten , ihre ſichern Verſtecke, und noch lebt Mancher drüben , der Der Rhein davon romantiſche Geſchichten erzählen kann . oberhalb Straßburg hat auch eine Inſelmenge, die Rheininſeln dort zeigen Schlamm und niedriges Weidengebüſch , dieſe St. Wer einmal Lorenz - Inſeln nur Felſen und ſtolze Bäume. längere Zeit durch die Schären der ſchwediſchen und finniſchen
165 Küſten gefahren iſt , kann ſich den See von tauſend Inſeln lebhaft vorſtellen. Aber die Schären ſind wechyfellos nur mit Tannen bekleidet , das Meer iſt wenn es nidyt arg ſtürmt, ruhig
zwiſchen ihnen.
Die St. Lorenz- 3nſeln dagegen tragen
den mannigfaltigſten Baumwuchs, und der Strom umrauſcht ſie ohne Aufhören . Die tiefe Einöde, welche ſie umgiebt , der Wechſel von ftarrenden rothen und braunen Felsufern , das Waldgewoge von allerlei Bäinen , einige Felſen wie von einander geriſſen und mit tiefen Klüften , in weldie fas Waſſer hineinſchäumt , andere nur mit Mocs und Binſen überwachſen , andere wieder wie bloße Waldbüjdel oder wie rieſenhafte Sträuße und Tafelauffäße emporragend, das ſtolz fluthende Waf ſer, hier ein Kormoran unbeweglich von einem Nſte ins Waſſer ſchauend , fort ein fildender einſamer Reiber , ofer cin Flug wilder Enten aufrauſchend, dergleichen fort und fort ſich wieder Holend , machte einen eben ſo inelancholiſchen als großartigen Eindruck. Immer wieder famien neue Inſeln und neue Felfenge ſtalten . Noch nach hundert Jahren wird der Reiſende auf dieſem See der tauſend Juclu ſich in einer noch unberührten wilteit Wald- und Stromlandſdyaft Amerikas glauben .
Es unterhielt
mich, Piſtolenſchüſſe abzufeiern; foß ich in die Luft vorwärts, ſo war der Rinall matt und ſofort verſchlungeni, zielte ich gegen einen Felſen , ſo gab es manchmal ten merkwürdigſten fra chenden Wiederhall. Endlich wurden die Inſeln ſeltener, und nun fanden ſich zu beiden Seiten hübſch bebaute Uferlehnen , abwechſelnd mit nacten Haiden und Mooren. Die Gegend zwiſden dem St. Lorenz imd dem Ottawa iſt ſehr fruchtbar, aber ſie theilt bereits das Schickſal fo mancher Landſtriche in Amerika : man hat das Fett des Landes zu ſchnell abgeſchöpft, ohne für die Nachbildung von anderm durch Dün gung und Pflege des Bodens zu ſorgen . Die Waizengegend rückt immer weiter nach Weſten , wo der Boden durch den Raubbau noch nicyt ausgeſogen iſt.
Unter den Bauernhäuſern
166 zeigte ſich manches alt und ſteinern, auch die bloß von Balken aufgeführten waren viel beſſer als die amerikaniſchen Block Häuſer ; hin und wieder kam auch ein Landhaus in altfranzöſiſcher Art, mit einem Garten von regelrechten Baumgängen , Guck häuschen , Buchsbaumlauben und Statuen . " Alles hatte euro päiſchen Anſtrich , man meinte ganz aus Amerika heraus zu fein. Im Sommer namentlich muß hier am fühlenden Strome herrlich wohnen ſein . Es iſt ein merkwürdiges Stück Mittel alter in dieſe Gegend verpflanzt, welches ſich hier im Norden Amerikas theilweiſe erhalten hat , während es in Europa ab kam . Der franzöſiſche König verlieh , als Canada ihm noch gehörte, große Landſtrecken ( Seigneuries ) an Adelige als Lehen unter der Nebenbedingung , bei jeder Veräußerung ihm ein Fünftel des Grundwerthes zu zahlen . Die Seigneurs geben den größten Theil ihres Landes wieder in kleinen Bauernlehen aus , die Uebernchiner (Habitans) zahlen davon eine Grund rente an Geld , Korn , Schweinen , Gänſen und dergleichen, und geben ein Zwölftel tes Kaufpreiſes bei Beſitzveränderungen, weldie nicht durch Erbgang geſchehen ; der Seigneur hat außer dem freies Jagd- , Fiſcherei- und Holzungsrecht, fogar der Mühlenbannind das Vorkaufsrecht iſt ihm vorbehalten . Gleichwohl leben die Habitans recht vergnügt ; es iſt ein gut herziges , genügſames und gaſtfreics Volk. Sie arbeiten nidyt mehr als ſie gerade müſſen , und wenn der Winter mit den Schlittenfahrten kommt, dann kutſchiren ſie von einem Hauſe zum andernt und zehren darauf los , ſo lange Küche und Keller vorhält. Sie ſind eben ſo ſehr dem Auswandern , als Neuerungen und Verbeſſerungen abhold, und liefern den leben digen Beweis , wie glücklich ein Volk ſein kann , das Prieſter und Gutsherrn kindlich folgſam iſt , ſich nicht quält mit Leſen und Schreiben , nicht einmal mit Denken , am wenigſten mit politiſchen
Verhandlungen.
Um ihre Häuschen geſellig
bei
einander zu haben , theilen die Kinder das väterliche Gut der
167 länge nach, auf jedem ſchmalen landſtreifen ſteht nahe dem Fluſſe oder der Straße eine Hütte. Der größte Wunſch der franzöſiſchen Canadier ſcheint ein Haus voll Kinder zu ſein , mit achtzehn Jahren wiegen die jungen Männer ſchon ihre Sprößlinge, und die Mädchen fangen in einem Alter ſchon zu heirathen an , wo bei uns noch kein Mädchen weiß , wie das eigentlich zugeht. Aber trok ihrer Kindermenge werden die guten Leute von ihren energiſchen Nacybarn verdrängt und überflügelt. Weil ſie aus ihrer trägen und einförmigen Lebens art ſich nicht gern
aufſtören laſſen , ſich mit dem einfachſten
groben Hausgeräth , auch wohl mit Sdimutz und lumpen be helfen , mit ihren zottigen Pferdchen immer noch nach der Väter Weiſe nur ihr Gütchen beſtellen , ohne ihre Umſtände durch Handel und Induſtrie zu verbeſſern , ſo werden ſie jedes Fahr ärmer , gerathen in Schulden und müſſen endlid, ihr väterlich Erbe meiden , um tiefer in die Wälter zu ziehen oder an den Flüſſen Bootsleute zu werden . Unſere Schiff & geſellſchaft bot ein ſeltſames Gemiſch. Das Oberdeck war ganz nach europäiſcher Art. Im Unterdeck aber machten ſich vorzüglid, geltend die engliſchen Soldaten in ihren rothen Uniformen, ſie ließen ſich die Zeit bei Trinken, Karten und Würfeln nicht lang werden, und zwiſchen ihnen trieben ſich ein paar freche Dirnen umher. Dann kamen die franzöſiſchen Cana dier aus der niederen Volksklaſſe, feſte, gelbe Geſichter ; dieſe Reute ſehen meiſt trübe aus, wenn man ſie aber anſpricht, werden ſie lebhaft und zeigen gefällige Manieren . Es war mir wie der etwas neues, auf eine ſolche Menge von artigen und doch ungebildeten Leuten zu treffen , nachdem ich längere Zeit unter den Amerikanern geweſen. Franzöſiſche Canadier aus den höhern Ständen waren ebenfalls da, und ſchienen lieber unten mit ihren Landsleuten , als oben in der Kajüte unter den Eng ländern zu verkehren ; ſie erſchienen halbmodiſch gekleidet, hatten aber bei aller äußern Feinheit doch etwas Freches und Unge
168
ſtümes in
ihrem Betragen , und einige tranken mehr Brannt
Intereſſant waren mir beſonders die Sie ſind ſeit alter Zeit franzöſiſch - canadiſden Bootsleute. als das beſte Schiffsvolk bekannt, der wilde Strom iſt ihr Die Leben ; es ſind kurz gebaute , aber hartſehnige Leute. kurzen Thonpfeifen legen ſie nur auf Augenblicke ab ; wie im Sarze heißt es bei ihnen : mitoch ſo und ſo viel Pfeifen Arbeit... wein als die Soldaten .
Sic trugen meiſt ein Lederwams, rothe Müßen , auch wohl cinen rothen Shawl um den Leib , und wenn ſie ihre braunen Mäntel alatten mit der Kapuze über den Kopf, ſahen ſie aus wie Mönche oder wie Banditen . Ai meiſten aber hatten ſie mit Indianern Aehnlichkeit ; ihre Geſichtsfarbe iſt faſt ebenſo ſchwärzlic ), ilir immer ſchwarzes Haar hat denſelben ifre Mienen ſind ſo düſter, eigenthümlichen Bleiglanz in wie bei den Wilden . Früher ivaren fic purch ganz Nordamerika zerſtreut , ebenſo gleichgültig gegen Klima und Gefahren , wie Ju nencrer Zeit iſt ihnen faſt nur Fluß- und Waldthicre . die Jagd auf Pelzthiere und Büffel geblieben, und in größerer Menge finden ſid) ilire Ortſchaften nur noch bei den Gewäſſern In neuen Ländern ſchafft die Natur ſolche des Obern Sees . Spielartent Ser Völker und verwiſcht ſie wieder. Dann waren ferner auf dem Schiffe Yankces, kurze gewandte Leute, welche ihre Augen überall hatten , breite unbehülfliche Schotten, fr länder mit unverwüſtlichem Sdmutz und Humor, ruhige grob gehauene Engländer. Die deutſche Sprache war durch mehrere Soldaten und durch Juden vertreten . Man kann immer dar auf recynen, Deutſche in fremden Länderu unter den Soldaten zu finden , der Deutſche bleibt ja der ewige Landsknecht; nach ihnen kommen die deutſchen Fuden , darauf deutſche Aerzte und Kaufleute , ſpäter Handicrfer und zuletzt deutſche Ackerbauer. Auf unſerm Schiffe fehlten natürlich auch die Indianer nicht, ſie halten ſich in Untercanada noch ziemlich zuſammen , und ſind beſonders gegen die franzöſiſchen Canadier zuthunlid) ; dieſe
169 wiffen auch am beſtent mit ihnen umzugehen .
Der Indianer
in Canada iſt fröhlicher und arbeitſamer als in den Vereinig ten Staaten, erſt nach und nach überſchleicht ihn das traurige Die Indianer Gefühl des Verkümmerns und Ausſterbens. auf dem Schiffe trugen ſid, faſt eben ſo wie die ärmern Ca nadier, aber ſie waren gleicky fennbar an ilyren glitzernden un ſtäten Blicken ,
ſtolzen Bewegungen und dem
Verziehen der
Geſidytsmuskeln beim Sprechen . Ilnter den incianiſdien Frauen fiel mir ein beſonders niedlidics ( eſidytyeit auf, im jdwarzen Sanımetfleid und eine Decke von glänzeulocin ſchwarzem Tuch über dem Kopf. Ihre Hände und Füße waren von äußerſt feinen Formen , doch war crſidytlich), saß auch ſic fdon in Kälte und Sonnenbrand hatte arbeiten müſſen. Dieſe Völker miſdung auf dem Schiffc , tic Geräthfdaften und Maaren aller Art , die Rohlenfeuer , bei denen man ſich wärmte , der tunkle Abend auf sem Streine, cie finſterit Pren Wälrer am Ufer, alles das latte ctivas Abenteuerlidics. Scion bald nad) drei Uhr wurde sie Yuft funkel, wie bei uns im Winter, wenn die Dämmerung anfängt. Es war mir immer als wären wir auf einer Expedition hed) im Norcen begriffeit, und die Phan taſie malte mir Bilter vor ren treibenden Eisfeltern , von Kämpfen der Matroſen mit Wallfiſden und weißen Bären , von tiefverſchneiten Hütten auf unwirthbaren Geſtaden . Des Abends las id) noch lange in sen verſchiedenen enga liſchen und franzöſiſden Zeitungen der Canadas. Die lettern ſind meiſt von eingewanderten Franzoſen geſchrieben, ihre cana diſchen Landsleute würden zu viel engliſdye ind indianiſche und ganz eigenthümlich canadiſche Worte und Wendungen einmiſchen, auch in mancher Bezichung ſich noch in een zopfigen Rebens arten aus des vierzchnten Pudwige Zeit austrüden . Die Canadazeitungen ſprechen ſo frei und offen wie die amerikani
fchen , aber nicht ſo luſtig, auch haben ſie etwas mehr Gehalt und viel weniger Gemeinheit.
Ganz aber ſcheint mir ihnen
170 das jugendliche und ſtolze Nationalgefühl der Amerikaner ab zugehen , welches die ganze Welt erbeuten möchte. Auf die mächtigen Fortſchritte der Union fiel nicht ſelten ein hämiſcher Seitenhieb : die Freiheit , hieß es , ſei bort eine Gaſſendirne, in Canada aber eine anſtändige Göttin . Daß die Yankees in Ober- oder Untercanada beliebt feien , läßt ſich durchaus nicht ſagen .
Der Canadier fühlt im Gegentheil dem Yankee gegenüber etwas von europäiſchem Stolze in ſich. Bei all dem iſt nicht zu verkennen, daß die Canadas ſich doch nur als eine Art Anhängſel zur Union wiſſen und dorthin , nicht nach England, ihr Antlitz wenden . Daß ihr Land ſich früher oder ſpäter den Freiſtaaten anſchließen müſſe, iſt eine Meinung, die unzählige Bekeiner zählt und ganz offen erörtert wird. Insbeſondere ſind für den Anſchluß die ehrgeizigen jungen Scute, welche ebenſo gern Präſidenteit werden wollen, wie ihre Genoſſen in den Freiſtaaten . Am andern Vormittage kamen wir in die Stromſchnellen. Rings ſah man wieder Inſeln, und die llfer ſchimmerten über die weite Waſſerfläche oft nur cben herüber. Es war wie cine See, die hohl geht nach dem
Sturme.
Segelſchiffe fönt
nen die Stromſchnellen nicht hinunter , aber das Dampfſchiff durchſchnitt ſic majeſtätiſch . Ging es an der einen Seite über eine Untiefe, fo wurde raſch auf die andere Seite ein Kaſten mit allerlei altem Eiſen geſchoben , um dieſe niederzudrücken und die andere Seite zu erleichtern . War die Wellenbewegung rechts oder links zu ſtark, ſo rollte der Räderkaſten hin , um das Gewicht des Schiffes bort zu vermehren. Der Steuer mann mußte ſcharf aufmerken , um den Brandungen an den Felfen auszuweichen , denn das Schiff ( choß mit geflügelter Eile über die Wellenlämme. Einige Stunden lang wurde, während wir den St. Franzſee, eine Strombreite, durchſchnit ten, Luft und Himmel klarer, und da erſchienen in den Hori zont hinein ragend die hellgrünen Kuppen der Vermontberge,
171 als hätte eine Künſtlerhand ſie ſo hübſch gruppirt und mit der hellen Farbe bekleidet. Auf dein Strome zeigten ſich mehrere unabſehbare Flöße, mit Bretterhütten und Flaggen ſtöcken beſett ,
an
denen Wimpel luſtig im
Winde flatterten,
was ungemein zur Belebung der Landſchaft beitrug. Nach Tiſche wurde icy mit einem franzöſiſchen Canadier in ein Religionsgeſpräch verwickelt, welches ſehr bald mehrere Theilnehmer fand . Die Canadicr crörterten dieſe Gegenſtände mit vielem Feuer, aber ganz in der ſcholaſtiſchen Weiſe, wie nian ſie ehedem öfter von Geiſtlichen hörte, die nod ) von den alten Feſuiten erzogen waren .
Weil ich öffentliche Geſpräche der
Art nicht liebe, ſudyte ich mich unbemerkt zurückzuziehen, jedoch mein Hauptgegner folgte mir und hielt mich noch eine halbe Stunde lang oben auf dem Verdecke feſt, bis wir beide vor Froſt zitterten. Indeſſen benalni er ſich darauf den ganzen Nachmittag freundlich und achtungsvoll. Gegen halb vier Uhr landeten wir auf der Inſel vor Montreal. Es zieht ſich hier ein Waſſerfall, la Chine genannt, burc dic ganze Breite tcs Stromes und zwingt dic Dampf ſchiffe anzulegen. Eine Anzahl höchſt altmodiſcher Kutſdien ſtand am Ufer , und es baucrte lange , bis darin die ganze Geſell ſchaft untergebracht war. Gegenüber lag ein indianiſches Dorf, ringsum waren nur Waſſer und nicdrige Zuſcl- und Uferſpitzen zu ſehen . Der Wind wehte kalt und fdyneidend, auch die Sutſcher hatten ihre Napuze über den Kopf , und ich begriff, daß dieſe Landestracht, welche ich ſpäter an Röcken und Män teln vielfad, angebracht fand , recht angemeſſen iſt. Endlich ging es die zwei Stunden weit zur Stadt. Lange ſteinerne Bauernhäuſer , Obſtgärten mit Mauern , das Glockengeläute, welches die Stille burchtönte , tas alterthümliche Anſehen der Stadt und die finſtern Straßen verſeşten mich nach Europa und ins vorige Jahrhundert zurück. Im großen Ottawahotel fand ich jedoch amerikaniſde Unruhe bei euro
172 päiſchem Comfort, und das Durcheinander von engliſchen und franzöſiſchen Worten, von amerikaniſchen umd canadiſchen Ge bräuchen im Gaſthof ſpiegelte deutlich den Uebergangszuſtand ab, in welchem ſich hier Land und Leute befinden. Glücklicher Weiſe war der nächſte Tag cin Sonntag. Ich freute midy wie ein Sind, einmal wieder recht volles Glocken geläute zu hören , und als ich am Morgen aus dem Fenſter ſaly, meinte ich , Amerika läge weit hinter mir ; ſo heimathlid zeg die Sonntagsfeier durch die Straßen , nirgends das Froſtige des amerikaniſchen Sonntags. Die Nirdengänger nickten Be kannten in die Fenſter und begrüßten lachend und derzend die ihnen Begegnenden , europäiſche Rutſchen mit geputzten Damen rollten vorüber, und die altmodiſden rauchenden Schorits ſteine erinnerten gar zu lebhaft an die Sonntagsſchmäuſe mit lieben Freunden und Verwandten . Mein erſter Gang war zum Dome. Es iſt ein prachtvolles cbäude, zu welchem die Bauneiſter die Pläne der Stathetra len von York , Canterburiy imd Rouen benutzt haben . Seine andere Kirche in Nordamerika kann ſich mit ihm meſſen, es ſoll zehntauſend Menſchen faſſen können . Seine grandioſen Maſſen crſcheinen aber in zu einfachen Formen , ctwas gothiſcher Sdymuck würde ſie viel herrlicher ins Auge fallen laſſen. Das Innere war dunkel wie eine ungcheure Grabeskirdye, und angefüllt von Menſchen . Es crſchienen ba alle möglichen Trachten vereinigt, vom irländiſchen Lump and canadiſchen Bauer bis zum Lepelz ten Bürger, engliſchen Officier und zur franzöſiſchen Modedame. Die Landſcute ſtanden und faßen zuſammen in maleriſden Gruppen, über welche ſich durch die farbigen Hodyfenſter ein mat tes, roſiges Licht ergoß . Die muſikaliſche Meſſe hätte ein beſſeres Orcheſter nöthig gehabt, aud) der Geſang fam mir ein wenig bäuriſch vor , und der Prediger auf der Kanzel geberdete ſich ſo heftig und herausfordernd , daß man ſich kaum überzeugte, er predige über die Liebe. Was iſt die Liebe ?w ricf cr.
173 „Beſteht ſie im Beten ? Nein, im Kirchenbauen, in Hoſpital Beſteht ſie in Seufzen und bauen . Was iſt die Liebe ? Händeringen ? Nein , im Brodbaden und den Armen geben. Ein Chriſt ohne Liebe iſt ein Geſchöpf ohne Herz, dieſes kann nicht leben für die Erde, jener nicht für den Himmel. Wollt ihr nicht lieben, ſo ſeid ihr für die Hölle reif. Die canadi fchen Damen , als ſie ſich zu den Ausgangspforten brängten , traten auf wic geputzte Pariſerinneit, ſie ſind etwas zu tief gefärbt, mit vollem ſprechendein Wunde, aber die Augen ſind feurig , und jede Bewegung und Geberte verräth eine füdliche Gluth . Aus einer andern Kirche marichirten Soldaten hervor mit überaus jd ledyter Muſik. Der Platz in der Nähe hieß ganz europäiſc Paradeplatz. Auf sem budenbeſetzten Markt platze crhob ſich eine Nelſonsſäule, angeblich ein Geſchenk ber canadiſchet Beivinderinnent des Sechelden . Wer aus den Vereinigten Staaten koinmt, kann ſich nicht ſogleich gewöhnent an Häuſer aus grauen Brucyſteinen aufgeführt, an gewun dene und winflidye Straßct, Trottoirs, alte Burghöfe, mit eiſernen Fenſtergittern , und an die auffallend vielen Be dachungert von bleich ein Zink. Am Quai wie überall in der Stadt wurde viel gebaut , um
ihr
ein
modernes Anſehert zu
geben ; Montreal iſt ganz ist demſelben Uebergange begriffen, wie die alten europäiſchen Städte, jedoch wird nod ) eine lange Zeit darüber hingehen , ehe Montreal ſein hartes und finſteres Ausſehen verliert. Am Quai lager Seeſchiffe in Menge ; fünfhundert Meilen von der See fönnen Schiffe mit fünfzehn Fuß Tiefgang hier dicht am Ilfer anlegen , löſchen und einladen . Die kleinen Flußboote, welde die Erzeugniſſe der ganzen Umgegend hierher bringen und Fabrifwaaren mitnehmen , waren unzählig. Mont real hat ben Haupthandel für beide Canadas und eine höchſt betriebſame Bevölkerung, aber auch einen Pöbel, fo roh, ruch los und leidenſchaftlich, wie man ihn nicht ſchlimmer findet in
174 Marſeille oder Rouen . Vorzüglich der Holzhandel beſchäftigt eine große Anzahl dieſer Leute auf den weiten Holzhöfen mit Fahren und Zurichten des Holzes. Nachmittags ſah ich ſie haufenweiſe vor den Schenken lärmen und zechen. Es giebt viele Tauſende von Holzfällern , welche Monate lang tief in den Wäldern ein rauhes, aber luſtiges Leben führen. Flinte, Meſſer und Brandyflaſche ſind ihnen ebenſo ſtändig zur Hand als die Art. Bei Streitigkeiten liefern ſie ſich Schlachten, von denen die Wälder wiederhallen , und bei Gelagen ſind ſie ſo wild und verſchwenderiſch , daß ſie an einem Sonntag den Verdienſt eines Vierteljahres verjubeln. Es ſind die Matroſen der Ilrwälder . Sie burchziehen ganz brittiſd) Nordamerika und beleben die Wälder bereits bis zu den Gewäſſern des Obern Miffiſſippi. Mic intereſſirte beſonders auch der Pelzhandel, der in Mont real cinen Hauptſit lyat, und ich beſuchte zwei Pelzläden , in weldien die koſtbarſten Waaren in Fülle aufgehäuft lagen . Es war auch manches Pelzwerk dazwiſchen, welches vom Leip ziger Markt herüber gekommen . Eine der hier anſäſſigen Pelzhändlergeſellſchaften hat an dreitauſend Waldläufer (Cou reurs de bois) im Solde , franzöſiſche Canadier , welche, um Pelzthiere zu erlegen und Häute von den Indianern einzuhan deln, unglaubliche Reiſen und Gefahren beſtehen. Montreal liegt am Abhange eines Berges, der mit ſeinen ſtattlichen Maſſen in die Straßen hinabſchaut. 3d, dachte ihn geraden Weges zu erſteigen , kam aber übel an . Es traten mir ſo viel Felsbänke, Sümpfe, Sclingfraut und didtverwor renes Gebüſch in den Weg , daß ich erſt nach mehrſtändiger Arbeit, zerriſſen und blutend an Händen und Geſicht, auf ſeinem Gipfel anlangte. Hier oben war es eiſig kalt, aber eine un endliche Ausſicht. Man ſieht in die Straßen von Montreal hinein , auf ſeine bleichen Zinkdächer , Pläte , Spaziergänger, Kutſchen, auf die Schiffe am llfer, die Boote auf dem Strome, und auf das Arſenal auf der Inſel .mitten im Waſſer.
Fen
175 ſeits des Stromes erſtreckt ſich eine ſchimmernde Ebene , der Garten von Canaba , bis an die blauen Bergmaſſen , welche den Horizont umfäumen. Wendet man ſich nach der entgegen gelegten Seite , fo verſchwinden die kleinen Häufer am Fluſſe in den endloſen Waltungen und Sandſteppen. Was aber dieſe unermeßliche Ausſicht vor allem herrlich macht, das ſind die Ströme und Seen des St. Lorenz , welche von allen Seiten hell aufglänzen. Ich hätte mein Reiſeglück geſegnet , wenn es mir hier oben einen halben Tag milden Sonnenſchein gegönnt hätte ; fo aber mußte ich mich freuen , daß ich dort ein Haus fand , in weldem ich mich wieder erwärmen und erquicken konnte. Bei den Beſuchen , die ich in Montreal madyte , fand ich beſtätigt, was man von dem eigenthümlichen Charakter der Canada-Franzoſen erzählt. Es läßt ſich gewiß heiter bei ihnen leben . Ihre Bildung iſt zwar durchaus einheimiſches Gewächs, aber aus dem was ſie wiſſen, machen ſie alles mögliche. Seit einiger Zeit ſind die wiſſenſchaftlichen Anſtalten in Montreal vermehrt, und denkt dieſe Stadt wie Toronto ein Hauptſitz der Wiſſenſchaften zu werden . Die Geſellſchaft der Canadier iſt lebendig , bewegt ſich in angenehmen Formen , und hat nidyts Steifes oder Geziertes. Die Frauen ſchienen mir bedeutender als die Männer ; man ſagt ſie ſeien ſchlau , gewandt , feurig, könnten nicht leben ohne Putz und Intrigue, id hätten ein be ſonderes Wohlgefallen daran , zu ſticheln und Bekannte ſcharf durchzuhecheln in der gutmüthigſten Weiſe , als wenn ſich das Die Männer ſind im ganzen träge ſo von ſelbſt verſtände . und zurückhaltend, aber einmal angeregt, ſollen ſie eben ſo jäh zornig und kräftig, als grauſam und rachſüchtig ſein. Es wird beiden Theilen nachygeſagt, daß ſie noch eitler wären als ihre europäiſchen Vorfahren , und bei jeder Beleidigung außer ſich geriethen . Ich ſprach auch einige in Montreal anſäſſige Deutſche, darunter einen alten vornehmen Arzt, der ſo vollſtändig cana
176 difirt war ,
daß er nur mit Mühe und Aerger noch ein paar
deutſche Worte hervorbrachte. Dieſe canadiſche Nation , denn ſie nennen ſich ſelbſt la nation canadienne , hat in ihrer Cage manche Aehnlichkeit mit den Pennſylvanier- Deutſchen. Wie dieſe, waren die Franzoſen in Canada eine ſo lange Zeit von ihrem Mutterlande abge ſchnitten , daß ihnen deſſen Zuſtände und Literatur fremd ge worden ſind . Auch bei ihnen hat ſic ), wie bei den Pennſylvanier Deutſchen, eine ſonderbare Sprache gebildet, ein alterthümliches Franzöſiſch mit Engliſdem und Indianiſchent gemiſcht.
Sie
ſtehen jetzt ganz vereinzelt, und ſind überall umzingelt und durchſetzt von den Engliſdeit. Wären die letztern ihnen nicht zu übermächtig, fo inödten ſie nod ; auf eine lange Zeit hinaus ein eigenes und nicht inkräftiges Volk bilden . Jetzt aber ſind für ſie die Energie , die Kenntniſſe und Scapitalien der Eng länder imiderſtehlicy, and drängen ſie raſch auf allen Punkten zurück. Ihr geiſtiges Leben hat viel zit wenig ſchöpferiſche Kraft in fidy ſelbſt, und ſo müſſen ſie auch ihre geiſtige Nah rung von den Engländern annehmen. In den Städten ( ernen die Siinder franzöſiſch -canadiſcher Abkunft ineiſt ſchon engliſch ſprechen ; bawider fann es nichts mehr helfen , daß einzelne Wohiyabende ihre Kinder auf eine Zeitlang nach Frankreich chicken. Das geiſtige Uebergewidyt der Engländer macyt ſich aber gerade beshalb fühlbarer , weil die Canadier wirflidy in einem auffallenden Grade in der Bildung zurückgeblieben ſind. Unter dem Landvolke iſt noch jetzt die Kunſt des Leſens und Schreibens ſehr ſelten , ſelbſt mehrere Sdyullehrer und Schul vorſteher ſollen weder das eine noch das andere verſtehen . Bei den Franzoſen in der Louiſiana iſt es darum nicht beſſer be ſtellt. Geſellige Bildung haben ſie auch dort beibehalten, aber das Bücherleſen ſchien ihnen dort wie hier eben ſo anſtrengend als überflüſſig. Die Gaſtfreiheit, der geſellige Takt, die ewige Vergnügungsſucht, die Scheu vor energiſchem Denken und Ver
177 beffern ihrer Umſtände, die Lüſternheit und Rachſucht ſind bei den Franzoſen ber Louiſiana noch heimiſcher als bei ihren Landsleuten in Canada , welche in ihrem nordiſchen Klima weniger erſchlafft ſind als jene im heißen üppigen Süden. Die ſchlechten
Charakterzüge
wie
die
guteit
eines Volkes treten
immer in das hellſte Licht, wenn es vom Mutterlande ent fernt in fremde , neue
Länder verſetzt wird , wo alles weit
und offen iſt, Sitte und Zudit der Heimath die Menſchen nicht mehr zurückhält, und die fremde Natur alle ihre Eigenſchaften her auslodt. Die Franzoſen haben in ihren Colonien den ſchlimmſten aller Mängel gezeigt, nämlich einen Mangel an Energie, prak tiſchem Verſtand und Ausdauer ; ihre geſelligen Sitten ſind tagegen überall liebensivürdig geblieben , ſelbſt wo ſie lieber ſeidene Lumpen als ein reinliches Hemde tragen. Würden nun die Canadas an die Union übergehen , ſo miöchten die franzöſiſchen Canadier gleidy ihren Landsleuten in der Louiſiana rajder von dem Looſe ereilt werdent , mit ihrer Nationalität zu vergehen. Sie ſchließen ſich deshalb jetzt mehr an die engliſche Regierung an , und werden von ihr zum Theil mehr begünſtigt als ſelbſt die engliſchen Bewohner der Canadas . Denn die letzteri benfent ernſtlich an die Union , ſeit dem die fornzölle fielen und das canadiſche forn in England feinen beffern Markt mehr hat, als welches von anderit Ländern dorthin eingeführt wird ; bagegen bieten die Vereinigten Staaten ihrer Induſtrie und ihrem Handel reelle Vortheile. Die Po litik der engliſdhen Regierung ſucht deshalb nun auch eine Stüke in den franzöſiſchen Canadiern, während ſie nach dem Aufſtande der Regteren bas engliſche Element auf alle Weiſe förberte. Ueber haupt ſcheint das Syſtem der engliſchen Regierung ſchon lange in Bezug auf die Canadas ein Schaukelſyſtem ; fie läßt dieſe Provinzen möglichſt frei fchalten und walten , und ſich durch Handelsverträge oder ſonſtwie Vortheile von der Union ver ſchaffen ; aber die engliſche Regierung verfolgt unverrückt bas föher, Land und Leute. I. 12
178 eine Ziel, den Beitritt der Canadas zu den Vereinigten Staaten wenigſtens noch ſo lange hinzuhalten , bis, was die Engländer erwarten , durch die Sklavenfrage die Union zerriſſen wird und dann ſich die Neutenglandſtaaten mit den Canadiern ver einigen . Die Tour auf den Montrealberg war mir ſchlecht bekom men : id) war durch und durch erfältet , das Dampfboot nad ) Quebeck ging nur des Nachts ab und bot kein warmes Zimmer. Ich gab daher die Reiſe nac) Quebeck auf , was mir ſpäter leid that , denn Quebeck ſoll herrlich liegen wie ein Gibraltar auf ſeinem Nap unter Felsklippen und hohen Bergwäldern. Das Dampfſchiff ſetzte mich über nach La Prairie. Die Ueber fahrt dauert lange, der eine Meile breite Strom iſt voll reißen der Wirbel und Stromſchnellen, gegen weldie die Räder ächzend und ſchnaubend ankämpfen . Man verweilt aber gern , weil ringsum das helle, rauſchende Waſſer und der herrliche Rück blick auf Montreal mit ſeinen Thürmen und ſeinein Hochberge erfreut. Die Eiſenbahn führte uns weiter nach St. Johns . Junge Advokaten und Saufleute aus Montreal ſaßen im Wa gen wie Eisbären in ihre Büffelröcke, Kapuzen und Fauſthand ſchuhe eingehüllt, die Sdnapsflaſche aber war zwiſchen ihnen in unaufhörlicher Wanderung. Auf der Strecke zwiſchen La Prairie und St. Johns wohnt ein Ueberreſt einer merkwür digen Volksart, welche raſch ihrem Verſchwinden entgegengeht. Es ſind Nachkominen der franzöſiſchen erſten Anſiedler auf der Halbinſel
Neubraunſchweig ,
welche
damals
Akadien
hieß.
Durch die Engländer wurden die armen Franzoſen von dort mit fürchterlicher Härte vertrieben , und ein Theil wandte ſich hierher. Es iſt ein rohes , trübſinniges , aber förperkräftiges Volk, welches zu Zeiten hart arbeitet, ſonſt aber noch gern umherſchweift. Die Amerikaner verachten dies akadiſche Volk und halten es für faul und beſchränkt. St. Johns iſt ein Hauptort der Akadier und hat aus älterer Zeit einen hohen Kirch
179 thurm und ein Fort, welches harte Belagerungen beſtand . Nod) jekt iſt es ein wohlbewaffneter Gränzpoſten. Dort ſah ich die legten rothröckigen Soldaten , denn auf dem Dampfboote ging es jetzt in den Unionsſtaat Vermont hinein . Die Gränze bil
1
det die Linie des fünfundvierzigſten Grades. Sie läßt den Amerikanern Pläße offen , deren Beſitz ihnen ausgezeichnete Vortheile gewähren würde, wenn es einmal wieder zum Kriege mit England käme. So klug die Engländer ſind , haben ſic doch bei Verträgen mit Amerikanern vor deren Geſchicklichkeit und Ungeſtüm in der Regel ben Nürzern gezogen .
12 *
X. Champlain-
und
Georgs = See .
Vermont, Staat der grünen Berge ! ſo heißt der mittlere der vier nördlichſten unter den Vereinigten Staaten, ein ſchöner Name, und keinen paſſenderen hätte man finden können . Der Staat beſteht wirklich aus Berggruppen , hier ein Haufen und dort ein Haufen , und jedesmal betten ſich weiche bebaute Tha ler bazwiſchen . Und dieje Perge haben wirklich ein auffallend helles Grün , ſchon von weitem erkennt man ſie daran , bis über ihre Gipfel wogt und rauſcyt ser friſche grüne Wald . Vermont's Stolz aber ſind ſeine Seen, auf deren immer klarem Spiegel fich die Bergränder abzeichnen . Der bedeutendſte iſt der Champlain und faſt ſo herrlich wie ein See im Hochge birge.
Wunderbare Schönheit aber
entfaltet der benachbarte
Georgsſee. Des Reiſenden Erinnerung wandert gern nach diefen Plätzen zurück, man trifft ja auf den weiten Flächen der Bereinigten Staaten verhältniſmäßig ſo wenige Stellen, denen die Natur den ewigen Stempel hoher Schönheit und Anmuth aufgedrückt hat. Die Bruſt des Amerikaners aber bebt freu dig, wenn er den Namen Champlain hört. Er benkt nicht an den Naturzauber des Sees, ſondern an die Thaten , welche ſich an ſeinen Geſtaden und auf ſeinen Wellen begaben. In den Kriegen mit England war bort ſtets ein Tuminelplatz der
181 Streifcorps. Gegen eine europäiſche Scylacht und die Summe von Heldenthaten , welche ſie verſchlingt, nahmen ſich zwar die meiſten Kriegsvorfälle in Amerika wie kleine Scharmügel aus ; aber es iſt das Zeichen eines jugendlichen und ſtrebenden Vol kes , daß es ſich ſo genau audy die kleinen Glanzpunkte ſeiner Geſchichte merkt. Der Champlainſee hat nach dem St. Lorenz hin einen Aus fluß, welcher vielerlei Namen führt und gewöhnlich St. John Sonie man Vermont ſich nähert, oder Sorelſtrom heißt . nimmt dieſer Strom
an Breite zu, und da eine Landzunge ſid)
tief zwiſchen die beiden nördlichen Seebuchten ſtreckt und darauf in derſelben Richtung ſich langgerehnte Inſeln folgen , ſo ge langt man auf den See, während man noch immer auf einer Strombreite zu ſein glaubt ; nur das Waſſer iſt klarer und ruthiger geworden .
Die Nähe der Vereinigten Staaten ſcheint
folchen Einfluß auszuüben , daß Felder und Wohnungen der Canadier nahe der Gränze ein freundlicheres Ausſehen ge winnen . Da zahlloſe Sandſpitzen in den See hineingeht, ſo kommt man alle Augenblick in ein neues Waſſerbecken zwiſchen neue Windungen der Ufer. Da wo letztere oder die Inſelit enger zuſammenrücken ,
erſcheinen Felſen in allen Farben, am
meiſten grünrotly und blau , und
oben darauf dunkles Nadel
holz , auf deſſen dichtem Gezweig der Schnee ſich fräuſelte. Die Berge erhuben ſich rings in prächtigen Maſſen , aber ſie blieben zu ferii, als daß man ſie das Geſtade des Sees Hätte nennen können . Es war etwa wie wenn man auf dem Rheine die Vogeſen und den Schwarzwald ſieht. Ein höchſt mannich faltiger Pflanzenwudis entfaltete ſich ſchon an der obern Hälfte des Sees , breitblätterige Sumpfpflanzen und hoch darüber rieſige Sykamoren mit hangenden Schling- und Flechtgewächſen , auf den Fuſeln und Ufertheilen farbiges Moos , blühender Ginſter , Knüppeleichen und Zwergtannen , und auf einigen Punkten ſtolze Gruppen von ſchöngeſchwungenen Waldbäumen
182 und finſtern hochragenden Tannen und Fichten. Südlicher hinab hörte der Sdynee auf, und Berge und Waldungen traten näher zum Ufer. Alles war überhaucht von den feurigen Farben des ame rikaniſchen Herbſtes, und ich genoß auf dieſen Seen ein paar Herbſttage ſo ſchön als ſie irgendwo auf der Welt zu haben ſind. Bei uns nehmen die Bäume, wenn die Winterſchauer ſich nähern , eine bleiche traurige Farbe des Verwelkens an , nur wenn die Herbſtſonne recht kräftig durch unſere alten Eichen- , Budien- und Birken - Waldungen oder auf Naſtanien bäume ſtrahlt, erwecft fic hier und da braunes mb rothes Glänzen längs der Baumwipfel. In Amerika aber haben die Blätter nod ) zu viel Säfte , und wenn die falten Nachtfräſte das Caubdicfidit zu diucll überfallen; bann verdichtet ſich das Peben darin , che c$ verſcwindet , zur ſtärkſten Farbe , zum Roth. Als wären blutige Wolfen über die Wälder gczogeit und als ſpiegelte ſich die Sonnc in Millionen rother Thau tröpfchen , ſo ſieht es aus.
Dic amerikaniſchen Maler haben
cs ſidy viel Farbe koſten laſſen , jenes eigenthümliche Wälder roth ihres Landes treulichy Darzuſtellen. Es machen aber ſchon die rothen Däder einem Maler Mühe, wenn ſie ihm nicht die Harmonie feines Gemäldes ſtören ſollen , und man kann ſich daher vorſtellen , welche rothe Kledereien jene Anfänger in der Malerkunſt liefern . Der beſte amerikaniſdie Landſchaf ter, Durant in Newyork, bringt nur ſehr vorſichtig in ſeinen hübſchen Waldgruppen bas Herbſtroth an . Aber man kann nicht zweifeln , daß ein tüchtiger Maler auch das eigenthümliche Rothglänzen der amerikaniſchen Wälder geiſtvoll auffaſſen und ohne grelle Töne wiedergeben kann . Allerliebſt nehmen ſich die Städtchen aus, welche vom See ufer anſteigen. Sie ſind ſo ſäuberlich weiß und der Seeſpiegel iſt ſo hell , daß man an Mädchen denkt, die ihren weißen
183 Staat gern
im Spiegel betrachten .
Der erhabenen
Ruhe,
welche auf dem See herrſcht, thun dieſe Ortſchaften keinen Eintrag. Die Waſſervögel, die Reiher , Kraniche und Waf ſerhühner ſchlichen ſtill durch die Sumpfpflanzen und Binſen am Ufer , auf den Felsſpitzen ſaßen unbeweglich die Habichte und Fiſchadler oder ſchwammen hecy in der Luft. Auch ein Scjuß, der dann und wann aus den Felſen zum See nieder hallte, ſtörte die Ruhe nicht. Nur einmal wurde der Frieden der Natur in furiofer Weiſe unterbrochen. Wir fuhren unter einem Felſen her , deſſen Abdachung mit kurzem Graſe bedeckt abſchüſſig vom Walde zum Sce nicberging . Auf einmal brady oben grinzend und ſchreiend eine Heerde Schweine aus den Bäu men hervor, machte wie bedonnert am Felsrande Halt, und ſuchte nun durdy die lächerlichſten Bewegungen die Wendung wieder nach dem Walde zu gewinnen. Zweien mißglücte es und ſie polterten ſchreiend ins Waſſer. Der Jäger , welcher die be waldeten Bergufer durchſtreift, verwünſcht oft genug die borſti gen Thiere, ſie grunzen und ſtören überall, und fönnen laufen So lange die Amerikancr noch in den Wäl wie Hunde. bern ſtecken , werden ſie immer von Schweinen umringt ſein . Je feiner ein Volt wird , deſto mehr verfdwinden bei ihm Ich hatte auf die Schweine und leider auch die Wälder. meinen Wanderungen in Amerika das Sdyweinefleiſch bald überſatt. Schon in England hatte ich einen Vorgeſchmack davon, und ich mußte noch oft an einen alten Italiener denken , der inir in London ſagte : Schneide Sie mich auf , wenn ich nit halb ſchon bin Schweinefleiſch.. Nachmittags hörten wir eine Stunde lang in den Bergen Baum auf Baum niederkrachen ; es waren Wallnußbäume, welche man , um das Nußſammeln bequem zu haben , gleich niederhaut. Die herrlichſten Bäume müſſen deshalb in den Grund. Wo ein Baum liegt , denken die Leute , kann ein anderer daneben liegen.
Noch ſind freilich die ſchönen Nuß
184 bäume in dieſen Wäldern zahllos ,
aber wenn die Waldver
wüſtung ſo fortgeht, werden ſie doch mit der Zeit aufhören, und dann hören auch die Nüſſe auf. Doch daran denkt der gewöhnliche Amerikaner nicht. Indianer und Waldbäume ver tilgt er fdyonungslos , als wenn er einen angeerbten Haß da gegen hätte. Burlington iſt der Glanzpunkt und die lebhafteſte Stadt des Champlain. Ein Gewirre von Caps und Landzungen ſtreckt ſich vor der Stadt durch den Sce , und als wenn noch nicht waſſerumfloſſenes Land genug da wäre, prunken auch nocy zahlloſe Felsinſeln mit prädytigen Fichten, die hoch, in die Lüfte ſtreben . Da der See mit ſeinen Zu- und Alflüſſen cinen ſo anſehn. lichen Landſtrich durchſchncidet , hält er auch ſeine eigenen Han Delsfahrzeuge. Es ſind kleine, feſte Boote init dreieckigem Segel , aber zugleich für Ruder eingerichtet. Burlington inacht nun den Stapelplatz für die Ilmgegend, von da gchen die Produkte und Waaren entweder durch den Champlain und Sorel zum St. 10. renz, oder ebenfalls zu Waſſer über Whitchall auf dem Kanal bis Albanty, wo ſie der Hudſon aufnimmt. Mit den neuen Häuſern in Burlington waren auch neue Kirchen im Entſtehen . Zu Beiträgen für dieſelben wurden die Einwohner förmlich gepreßt , und man crzählte mir tarüber eine fdmrrige Geſchichte. Zu einem Schottländer , und bekanntlich iſt Sparſamkeit eine Nu tionaltugend der Schotten , fam eine Frau und ſetzte ihn zut, mehr zu geben zum Unterhalt der Kirche und des Pretigers . Frauen machen hier in ſolchen Dingen die beſten Geſchäfte, der Schotte erklärte aber auf ihr Andringen : er fönne durch aus keinen Cent mehr aus ſeinem Haushalt entbehren. Nun gut , ſagte ſie, raſirt Ihr Euch ſelbſt ? . 1 Nein .. Was koſtet Euch die Woche der Barbier?. Vicr Sents . - " Dann lernt Euch ſelbſt ſcheeren und gebt das Geld dem Prediger .11 Richtig , das macht des Fahr8 ctwas über zwei Dollars ; ich bin jedoch zu alt zum Lernen , will Euch
185 aber was ſagen , wenn euer Prediger kommen will mich zu ſcheeren , ſoll er die vier Cents wöchentlich haben ... Wenn das Dampfboot von Burlington wieder in den See hinauswendet , hat man zum erſtenmal offenes Waſſer von gehöriger Weite vor fich, aber nad; einiger Zeit verengt ſich das Becken wieder zu einem breiten Fluſſe. Die Berge rücken jetzt näher, und bei Crownpoint bilden ſie eines der erhabenſten Landſchaftsbilder. Ringsum ſteigen ſie an wie ein Amphitheater von ungeheurer Ausdehnung , ihre Zacken hoch oben in der Wolkenhöhe tief ausgeſchnitten wie Nieſenkronen. Bald glänzen über den See die weißen Baſteien von Ticonderoga ; näher gekommen ſieht man , daß die Feſtung in Ruinen liegt.
Aber
ſo wie ſie jetzt iſt in ihrer Verlaſſenheit, die noch ſtehenden Mauern und Thürme und Schießſcharten überdeckt von Sdyutt und Geſtrüpp , die Wälle überſchattet von hohen Akazien , ge währt es einen düſterſchönen , zumal in Amerika ſeltenen An blick. Ticonderoga's Wälle wurden vor Zeiten mit Blut über ſtrömt: die Engländer machten ſich auf langem Umwege eine Bahn bis zum gegenüberliegenden Berg Defiance , brachten Kanonen hinauf imd ſchoſſen die Feſtung zuſammen . Auch auf dein Independenceberg und andern nahen Bergen , ſo wie bei Crownpoint und Plattsburg , ſieht man noch Reſte von Batteriewällen und kleinen Forts, die Zeugen, wie viel Schweiß und Blut einſt in dieſen Buchten und Engpäſſen vergoffen wurde. Auf dem See lieferten ſich die Flottillen von kleinen Kriegsfahrzeugen ebenfalls heftige Rämpfe, und die Amerikaner, welche dabei ganz in ihrem Elemente waren , verrichteten be wunderungswürdige Thaten. Die Knaben der Umgegend unterſuchen noch täglich alle Buchten und verfallenen Feſtungswerke , und wenn man ſie über die alten Kriegsgeſchichten reden hört, ſollte man meinen, ſie hätten jeden Schuß treffen ſehn , ſo genau unterrichten ſie
186 ſich über das Verdienſt ihrer Vorfahren.
Es iſt ein rauhes,
kräftiges Geſchlecht, welches zwiſchen Vermonts Bergen und Hügeln wohnt; Viehzucht, Feldbau und Holzhandel ſind faſt das einzige Gewerbe der Männer, und ganz beſonders ſind jie der Jagd zugethan . An ihren Bergen ſteht treffliches Wild, jeder kann jagen , und wer fich die ſauern Gänge berg auf bergab durch Dickicht und Sumpf nicht verdrießen läßt, fann immer noch einen guten Schuß thun. Denn, eine Merk würdigkeit in Amerika , das Geſetz gewährt im Staate Ver mont dem Rothwild eine Hegezeit. Den Farmern in andern Staaten koinmt ein ſolches Geſetz vor wie ein unerträglicher Eingriff ins Eigenthum ; was ich auf meinem Grundſtücke finde, denken ſie, bas gehört mir , und das kann keiner mir wieder nehmen .
Dafür wird es auch nicht mehr lange dauern , daß
ſie keinen Hirſchkopf inehr zu ſehen bekommen ; die grünen einſamen Höheit von Vermont aber werden vielleicht noch hun= dert Jahre und darüber einen hübſchen Stand von Rothwild hegen . Das junge Volk, ſelbſt alte Leute ziehen von hier in Menge nad, dem Weſten , dort das beſte land einzunehmen, Einwanderer aber verſteigen ſich ſelten bis hierher. Deshalb nimmt die Volksmenge in Vermont wenig zu und läßt dem Wilde ſeine Waldſchluchten und verſteckten Thalbäche. Vermont wird noch lange ſeinen Stidynainen , daß es erſt ein zukünftiger Staat feir , behalten .
Man lebt in dieſer Gegend noch mit Wald
und Natur zuſammen , jeder Bube denkt an Jagd , Fiſchfang, Waldhonigſuchen , Nüſſeklopfert und Ahornzucerfochen . So großartig wie in Canada ſind dort iſt dieſes Vergnügen
hier freilich die Jagden nicht,
etwas Wildes
und Gefahrvolles
und die Jagdzüge gehen vor ſich im großen europäiſchen Stile. Dieſe Yankees aber betreiben die Sache viel einfacher bloß von der praktiſchen Seite . Gar herrlich ſind hier die Wälder.
Man gewöhnt ſich in
Amerika bald an Einförmigkeit der Menſchen , Sitten und
187 Landſchaften : der amerikaniſche Wald macht davon eine Aus nahme , er iſt höchſt mannigfaltig an prächtiger Gruppirung und Miſchung , wie an Arten der Bäume. Es giebt dreißig oder vierzig verſchiedene Eidyenarten ; Nadelhölzer , Wallnuß umb Ahornbäume zeigen ebenfalls einen Reichthum von ver ſchiebenen Laub- und Aſtforment. Zwiſchen deitt mancherlei Grün dieſer ſtolzen hochgeſchwungenen Bäume ſind eingemiſcht dunkles Nadelgehölz, bleiche Silberpappeli , glührother Sumach , ſchlanke weiße Birkenſchäfte , ſanftgrüne Platanen , zitterndes Eichenlaub und hundert andere Baumarten . Die beſte Freude vom amerikaniſcher Walde hat mait freilich , ſo lange man an Rande oder auf lichten Stellen bleibt, wo ſidy das vielfarbige Waldgewoge dem Auge barbietet, die reine durchſichtige Luft läßt weithin die Wipfel und Laubſchattirungen unterſcheiden . Das Innere des Waldes iſt gar nicht ſo freundlich . Selten weht uns duftige Friſche entgegen , buntfarbige Spechte und andere Waldvögel ist ſchillernden Farben flattern in Mienge, aber es fehlt der fröhliche Vögelſchlag , nur hier und da zeigt fich liebliches lintergebüſch und ein Moog ind Blumenteppich, beſäet mit funfelnden Sonnenſtrahlen. Bei dem Eintritt in das Walódunkel umfängt uns vielmehr eine düſtere Erhabenheit. Der Boden iſt bedeckt mit ſchwarzem Mober , und in furcht: baren Wirrwar liegen über einander Baumſtämme, Aeſte ind Wurzelſcheiben , überwuchert von Sumpf- und Kletterpflanzen. Das alles kann nicht ſo ſchnell vermodern , als der junge Aus dlag ſchon wieder durchbricht und das Alte zur Seite ſchiebt. Hier ſieht es aus , als hätte eine grimme Schlacht unter den Waldrieſen gewüthet, fo furchtbar ſind die Bäume durcheinander geworfen, greiſe Stämme liegen mit verborrten Neſten zwiſchen dem grünen Gezweige der noch ſtehenden, und laſſen bleiche Trauer : flechter niederhangen . Dort neigen ſich die Bäume über einen gelbſchäumenden Waldbach mit ihren Wipfeln gegenein ander , wilde Reben ſchlingen ſich hinüber und herüber , und
188 weit hinauf eröffnet ſich eine Folgenreihe von grünen hodhräu migen Grotten . Das iſt überall ein ſo eignes Leben und Wirth ſchaften der Bäume und Gewächſe, ſo ganz eine Welt für ſich, daß der Menſch ſich darin fremd und klein fühlt. Dieſe un Scheuren Wälder blühten und vergingen und wuchſen wieder Jahrtauſende lang, die Natur that ſich in ihnen allein genug, ſie dachte nicht an die paar ſtreifenden Indianer, deren Lager auf Tagreiſeſtrecken einmal ein Baum beſdattete. Nur höchſt mühevoll tringt man weiter in die Wardestiefe , die Natur fcheint den Weg verbauen zu wollen turd) didyte Geflecyte von Zweigen, Wurzeln und Neben und Verhack von Baumſtämmen , welche faſt bis oben zwiſchen die Aleſte reichen . Man kann ſie nicht umgehen , weil ihre Verfettung zit ausgedehnt und mit Zweigen und Gebüjd zit ſehr verflochten iſt : will man ſie aber überſteigen , fo bridit auf einmal, wenn man chen auf cinem
rieſigen Stamme ſteht, die Rinde ein, welche die innere
Verweſung des Baumes noch verbarg , man verſinkt bis an die Bruſt in Wuſt und Moser , in ein Gewimmel von Käfern und Würmerit. Man gelangt namentlich in den Ceder forſten auf Stellen , wo die Dunkelheit ſo zunimmt, daß man nur wenige Schritte weit ſehen kann, der bleiche Tagesſchimmer verliſcht ſchon oben zwiſchen dem dichten Gezweige, che er in die naßfalte Tiefe herunterfällt. Gern weicht man aus dieſen unheimlichen Orten an lichtere Stelien zurück, wo ſich hoch oben über dem laub- und äſtebesco ten Boden das dichtgrüne Zweigbach verbreitet und ſich weite Säulengänge aufthun , in denen die Reben ſo frei in der Luft ſchwebend bis an die höchſten Aeſte reichen, daß man ſich nur den ken kann, ſie ſind gleichzeitig mit den wachſenden Bäumen in die Höhe geſtiegen . Aber audy hier fehlt noch viel bis zu der Anmuth und blühenden Herrlichkeit der deutſchen Haine. Die amerika niſche Landſchaft iſt gar ſelten von dem heitern Leben, dem Kilang und Duft erfüllt, wie die europäiſche , viel eher trägt ſie das
189 Gepräge des Ernſtes und der Kraft. Raſch und unbarmherzig werden Leben und Geſtalten verzehrt , um der andrängenden Fülle neuen Wachsthums Plat zu machen . In der europäiſchen , namentlich mitteleuropäiſchen Landidyaft herrſchen die ſanften Töne vor , es liegt , möchte man wohl ſagen , etwas Duld fames und Mildes darint , was Geiſt und Gemüth wohlthuend anregt. Die amerikaniſche Landſchaft hat viel hellere Lichter und dunklere Schatten , c$ treten Farben und Formen ener giſcher , maſſenhafter auf, aber auch greller und eintöniger. Ganz eigen iſt ihr aber das Sdyweigjame. Je mehr Ort ſchaften und Städte ſich anſiedelni, je länger ſie das Land an bauen , deſto freundlicher und lieblicher wird es werden , deſto Felebter auch von Singvögeln , Blumen und Schmetterlingen. Aber ich zweifle , ob die amerikaniſche Landſchaft jemals den Adel und die milde Schönheit der europäiſchen erreichen und ob ſie jemals den Charakter des Schweigſamen und nigert ganz verlieren wird.
Eintö
Das herrlichſte Landſchaftsbild in den Vereinigten Staaten, wundervoll wie es die Erde nur ſelten barbietet, iſt der Gcorgsſee. Er hängt bei Ticonderoga burch einen tiefen Durchlaß mit dein Champlainſee zuſammen , das Waſſer ſtürzt ſich ſchäumend hinab , die Felſen ringsum prangen in allerlei Farben und Waldgrüit . Reiner der an den Gcorgsíce kommt , kann ſich des madytvollen Eindrucks erwehren , den die eigenthümlich wilde Größe und Schönheit des Ortes auf ihn macht. Das Waſſer iſt ſo wundervoll klar, daß man die Fiſche und Muſcheln tief auf feinem Grunde ſieht, und die kleinſte Blüthe und rothe Beere , welche an den Felſen hängt , mit jedem Blättchen ſich abſpiegelt. Die Gebirge aber erheben ſich ringsum hoch und ernſt, eine Felswand iſt auf die andere, ein Pik über den an dern gethürmt , durchbrochen von finſtern Sayluchten , weithin bedeckt von wallenden Wäldern. Wer auf der Reiſe von Mün chen nach Innsbruck die ſtille Majeſtät des Achenſees geſchaut
190 hat , ber wird am Georgsſee im Staate Newyork etwas ähn liches wieder finden. In dieſem fpiegeln ſich zwar nicht die Hochalpen des ewigen Schnees , aber tauſend Fuß hohe Ge birge in ſeltſamen Spitzen und Zacken , und glatte ungeheure Felshänge und zahlloſe Waldbüſche auf felſigen Eilanden. Eine erhabene Trauer liegt über den See ausgegoſſen . Ueberaus pracytvoll war das Farbenprangen der Wälder, als die Sonne ſich neigte, um mit ihren Strahlen hinter die Bergfuppen zit verſinken. Kräftige Schatten fielen über die Berge , es fliin = merte dazwiſchen bläulich oder dunkelröthlich, ſo weit die Schat ten reichten, inmittelbar neben der Schattenlinie aber glänzte und funkelte der weite Waldmantel des Gebirges vom tiefſten Dunkelroth bis zum brennenden Gold. Als die Sonne unter ging, ſchwebte noch einen Augenblick ein herrliches Tiefblau über der Landſchaft, dann aber wogten die dunkeln Schatten plötz lich aus allen Waldſdyluchten hervor und See und Gebirg lagen auf einmal in Nacht verborgen. Caldwell am Ende des Sees wimmelte von Gäſten aus bem nahen Babe Saratoga ; denn wer bürfte bort es wagen , ſich der Mode, einen Ausflug an den Georgsſee zu machen , zu entziehen ? In Saratoga ſieht man nicht allein die Langeweile handgreiflich, ſondern es ideint auch zum guten Ton zu ge hören, Langeweile zur Schau zu tragen . Ein paar Sommer wochen hier zuzubringen , galt früher als höchſt faſhionable . Jeßt aber ſtrömt alles da zuſammen, was Geld und Zeit hat, und vor ſolchem Zuſtrömen der großen Maſſe iſt die ausge wählte Geſellſchaft in Amerika beſtändig auf der Flucht. Von dem einen Orte vertrieben giebt ſie ſich im nächſten Jahre ihr Stelldichein an einem andern ,
aber kaum verlautet nach
einiger Zeit , wo die feinſten Leute ſich treffen , ſo richtet ſich dorthin die allgemeine Jagd nach Vornehmheit. Saratoga in= deſſen behält die Anziehungskraft ſeiner Heilquellen und ſeiner herrlichen Umgebung, und daher ſammelt ſidy dort mit jedem
191 Jahre wieder etwas von der
beſten
Geſellſchaft.
Ihr Ton
bat allerdings etwas Bornehmkühles , aber darin beſteht auch hauptſächlich das Ariſtokratiſche, alles übrige ſcheint weder ſehr fein noch beſonders glanzvoll zu ſein.
Gewiß haben auch die
Gäſte von Saratoga den frühern wilden Namen " Huricanſeen in den faſhionabeln , Georgsſeen verwandelt. In der Umgegend ſind noch mehrere klare Seen wie Diamanten ausgeſtreut in die grünen Wälder, und man kann darauf redynen , ſie jeden Sommer belebt zu ſehen von niedlichen Amerikanerinnen . Dieſe kleiden ſich zu einer ſolchen Landpartie allerliebſt, das Hütchen kann gar nicht reizender ſtehen , und ihr Wiegen und Nicken des Kopfes von feinem Künſtler hübſcher gedadyt werden.
XI.
Neuengland.
„Laßt mich in meinem eigenen Lande , in meinem lieben Neuengland bleiben , in dem Lande der hellen Feuer und ſtar fen Herzen , in dem Lande der Thaten und nicht der Worte, in dem Lande der Früchte und nicht der Blumen , in dem Lande, das oft beleidigt und dennoch ſtets geachtet wird, deſſen Schulriement aufzulöſen die Völfer der Erde nicht werth find .. Die liebenswürdige Schriftſtellerin , der dieſe etwas hochſtelzige Rede entſchlüpfte , ſudyt ſie zwar als einen natürlichen Erguſ der Vaterlandsliebe zu entſchuldigen , wie ſie jedermann wohl einmal empfinde. Aber es ſpricht ſich darin in der That jene eigenthümlich warme Anhänglichkeit der Neutengländer an ihre Heimath, ſowie jene nationale Eitelkeit aus, welche mit großer Empfindlichkeit veriniſcht iſt. Judeſſen haben die Neuengländer wirklich ein Recht dazu, auf ihr Land ſtolz zu ſein, ſie können ihren Stichnamen Yankee lächelnd als Ehrennamen führen. Hat ſich doch dieſer Name allen übrigen Amerikanern ange hängt, haben ſie doch ſämmtlich von den Neuengländern , den Bewohnern der ſieben kleinen Staaten in Norden, die hervor ſtechendſten Züge in ihrem Charakter angenommen . Seit den letzten vierzig Jahren, in welchen die Amerikaner ſich zu einem ſo rieſenhaften Aufſchwung erhoben ,
ruht zwar der Schwer
193 punkt ihrer Macht und Politik in denjenigen ihrer Staaten, welche am meiſten europäiſch ſind und vorzugsweiſe auch von Deutſchen beſiedelt, nämlich in Newyork , Pennſylvanien und Ohio , aber ſeit denſelben vierzig Jahren hat Neuengland mit ſeinen Söhnen das ganze Gebiet der Union überſtrömt, fie mit ihrer Raſtloſigkeit und zähen Rraft haben überall in erſter Linie den Handel und die Gewerbe hervorgerufen , Schulen und Kirchen gegründet, und die Kanzeln und Richterſtühle be fetzt. Wo irgend in den Vereinigten Staaten Bedeutendes in Geſchäften, in Politik und Kirche unternominen wird, da ſtecken in der Regel auch ein paar Yankees dahinter. Wie ſie dem Neuyorker Holländer , dem Pennſylvanier Deutſchen, dem alt engliſchen Virginier, dem franzöſiſchen und ſpaniſdien Kreolen in den jüdlichen Staaten ſeinc nationale Eigenthümlichkeit zer reiben und zerſetzen : ſo werden ſie auch Cuba und Merico nach Yankeeweiſe amerikaniſiren. Auch dort werden ſie die alten ſteinernen Städte mit ihren leidyten Häuſern und Waaren läden anfüllen und die ſtolzen Dome mit ihren zahlreiden Kirchlein umringen . Ihrem hartnäckigſten Gegner, bem reichen Pflanzer in den ſüdlichen Staaten , der Cavalier iſt weil er Sklaven unter ſeiner Hetzpeitſdie hat , verſeken die Yankees dadurch den ſchärfſten Stoß , daß ſie ungeſtüm die Aboli tioniſtenfache verfechten. Mag der Südländer den Yankee noch ſo gründlich haſſen, mag er nod; ſo eifrig Dämme gegen deſſen Vordringen aufführen , er fürchtet ſich dennoch in Geheimen , daß er vor ihm die Segel ſtreiden müſſe, weil der Yankee ihm den Boden unterwühlt, auf welchem die amerikaniſche Baronie des Südländers beruht. Der Fremde aber findet in den Neuenglandſtaaten noch ein gutes Stück von dem Amerika des vorigen Fahrhunderts, dort kann er den amerikaniſchen Charakter, dies eigenthümliche Gewächs im großen Völfergarten , mit Muße ſtudiren. Denn nach Neuengland iſt die neuere europäiſche Einwanderung am Pöher , Land und Leute. I. 13
194 wenigſten vorgedrungen , und die alten Sitten haben dort in dem feſten Verbande der Gemeinden wie in den zurückgezogenen ſtillen Thälern feſte Wurzeln geſchlagen . Die Bewohner der Neuenglandſtaaten entfernen ſich unter den übrigen Amerikanern am weiteſten von den Anſichten und Gewohnheiten, in welchen der Europäer erzogen iſt, nirgends ſtößt dieſer auf ſo viel ſoziale Eigenheiten , die ihm unverſtändlich oder verſdroben vorkommen : nirgends ſcheint ihm das Volk ſo kalt und trocken von Gemüth. Aber wenn er die Vereinigten Staaten vollſtändig durchwan dert hat, wird er gern zugeſtehen, daß im ädyten Yankeelande ein waceres tüchtiges Volk wohnt, welches ſittlichen Halt und geiſtige Regſamkeit hat , und in ſeinem Denken und Thun ebenſo innerlidy geordnet iſt , wie in ſeinen Gemeinden Ruhe und Frieden vorherrſd )t. Der äußere Anblick des Landes nimmt ſehr zu Gunſten feiner Bewohner ein . Von welcher Seite man auch hinein koinmt , immer überraſcht uns die lebhafte Anmuth der Land ſchaft. Waldgrün wogt über kleine Hügel und Felsberge, und netzt ſich in den ſonnigen Thälern an hellen Flüßchen. Und ſoweit der Blick reichen mag, ſind in das Grün die niedlichſten Städtchen und Häusdyen hineingefäet mit hellweißen Wänden und grünen Fenſterläden . Es erinnert das an die freundlich ſten Gegenden in Altengland, jedoch iſt in Amerika das Wald grün kräftiger, die Lichtbläue des Aethers viel glänzender. Die Wohnungen ſind zwar klein , aber ſo nett und nietlich , als hätte ein kindlicher Geſchmack ſeine Freude daran . Während im Weſten und theilweiſe auch in den ſüdlicheren Staaten die Anſiedlungen ſich nur erſt wie Striche und Punkte im Urwald meere ausnehmen , ziehen ſie ſich durch Neuengland in fort währender Verfettung. Gleichwohl iſt der Boden lange nicht ſo fruchtbar wie im übrigen Amerika, in weiten Strichen ſieht das Geſtein durch die dünne lockere Erdkrume.
Deſto
forg
fältiger aber iſt der Anbau , und die Luft würde vorzugsweiſe
195 geſund und kräftig zu nennen ſein , wenn die ſcharfen Winde, welche die Bruſt angreifen , hier nicht ſo gewöhnlich wären . Ueberblickt man die außerordentliche Anzahl der kleinen Wohn ſitze in Neuengland , ſo begreift man , woher die Menge der Yankees kommt, welche in jeder Anſiedlung des weiten Unions gebietes rührig ſind , ohne daß ihre Heimath entvölkert wird. Die jungen Yankees müſſen fort, denn die kleinen Güter in Neuengland find bei der raſchen Vermehrung der Kinderzahl nach und nachy ſo häufig getheilt und dadurdy ſo winzig ge geworden, daß die nachwachſenden Geſchlechter in der Heimath die nährende Stätte nicht mehr finden, wo ihr Grabſtein einſt neben der Kirche zit ſtehen käme , in welcher ſie getauft ſind. Erſt weit ab vom Meere, wo im Innern des Landes die Berge anſteigen, vermindert ſich die Anzahl der Gütchen , bis endlichy die letzten Schneidemühlen und Jagdhütten ſich tief in den ein Dort ſtürzen raſche Berg ſamen Gebirgsthälern verlieren. ſtröme und rauſchen dunkle Seen durch noch unberührte Wälder. Dort in den Hochlander führen die Bewohner noch jetzt das einfache harte Leben der erſten Anſiedler. Ueberhaupt merkt man in Neuengland ſehr bald , daß das Volk hier noch viel Altgewohntes in ſeinem Weſen feſthält. Die Unruhe , welche ſid) ſonſt in den amerikaniſchen Städten und Ortſchaften auf und ab treibt, ſdlägt hier leiſere Wellen. Das Eigenthum liegt nicht mehr ſo offen wie dort, die Gärtent haben nicht ſelten feſte Mauern . Große ſteinerne Gebäude enthält das Land aud) jetzt noch ſpärlich , obgleich es feit brittehalb Jahrhunderten beſiedelt iſt. Aber zwiſchen den leich ten niedlichen Häuſern und Gärten und auf den reinlichen Feldwegen bewegen ſich die Leute in heiterer Ruhe , nie hört man Fluchen und Sdireien.
Auch
dem
Reiſenden bezeugen
die Leute in Neuengland eine gewiſſe ernſte Höflichkeit, und ſtatt ainerikaniſch wortfarg zu ſein, ſprechen ſie wohl ſelbſt der Fremden an und ſuchen ihn in der Geſchwindigkeit über allerlei 13 *
196 auszuholen, was zu wiſſen nüßlich ſein könnte , gleichwie ein guter Haushälter jedes Stückchen Eiſen , das er am Wege findet, aufhebt. Unſer Poſtvagen hält in einer der zahlreichen Städte Neu englands . Wo in der Welt fann es zierlichere hübſchere Dert chen geben ? Es wird dem Fremden faſt ängſtlich in dieſer außerordentlichen Sauberkeit, er fürchtet, unwillkürlich die ſtrenge Ordnung der Leute zu verlegen . In dieſen Städten hört er zu ſeiner Verwunderung aud) von den umliegenden Dörfern reden , denn nirgends zeigte ſich ihm etwas wie ein Dorf, höchſtens Anfänge zu kleinen Städten . Dorf (Village) heißt aber jede Gemeinde , beren Mitglieder ihre niedlichen Wohnungen in einem weiteren Umkreiſe ſtehen haben. Den Mittelpunkt des Dorfes bildet der Platz, wo mehrere breit wändige Gebäude mit hohen Fenſtern , dic Nirchen der ver ſchiedenen Sekten , die Saufläden und Gaſthäuſer, das Gefäng niß und die Bank beiſammen ſtehen . Auch Surch Niederſachſen ſind ſoldie weit ausgetehnte Dorfſchaften verbreitet , in denen jeder Bauer einzeln auf ſeinem Gehöfte wohnt. Aber wo iſt hier in Neuengland etwas Bäueriſches in Kleidung und Be nehmen der Leute zu finden ? Es ſind ſtädtiſche Dörfler, ihre Häuschen ſtädtiſch eingerichtet, ihre Bildung die merkwürdigſte Vereinigung der Anſichten und des Benehmens der wohlhaben deren Klaſſen in unſeren Städten mit der naiven Unwiſſenheit unſeres Landvolfs .
Dieſe Neuengländer Dörfler lefen eifrig
in Zeitungen, ſitzert in ihren Verſammlungen ernſtlich zu Ge ridt über die Landespolitik, verfolgen mit ſcharfen Blicken den Gang des Großhandels, und beweiſen ihre Religionsſätze frei aus der Bibel ſo leicht und gewandt wie ein Prediger oder Advokat. Aber ſie mähen und pflügen auch wie Bauern und meinen, Europa ſei beſetzt von Wibliſchen Königen und Minechyten , und die Indianer halten ſie für natürliche Kinder Satans, die Yankees aber an Wiſſenſchaft wie an Heiligkeit für das Muſter
197 volk ber Erde.
Sie würden nicht glauben , daß der Mond
nichts als eine freundliche Nachtlaterne ſei, aber über die Kunſt, ſich mit Mondbewohnern in direkte Verbindung zu ſeßen , wür den ſie gläubig eine Vorleſung anhören . Mehr noch als im übrigen Amerika ſind in Neuengland diejenigen Familien ge ehrt, deren Vorfahren einſt in der Geſchichte Amerikas glänz ten , und den Ortſchaften den Namen gaben , aber das Innere auch dieſer Familien unterliegt einer öffentlichen Neugier und Klatſcherei, welche für den europäiſchen Geſchmack unerträg lich wäre. cin .
Treten wir nun eines Abends in eine ſolche Landwohnung Der Neuengländer ſpricht zwar gern in bibliſcher Weiſe
vom Schatten des Feigenbaumes , inter weldem der Frieden wohne, aber ſein Haus läßt er gleichwohl ſchattenlos. Schon ſeine Vorfahren haben in den beſtbeſiedelten Gegenden eine ſolche Verwüſtung im Urwalde angerichtet, daß das Holz theuer und ſtarke lange Bäume felten geworden . Der Yankee braucht zu ſeinem Geſchäfte kein Plätzchen im fühlen Baumſchatten . Audy das Gärtchen bei den Haufe ſcheint mit Blumen und Raſenplätzen mehr zum Beſchauen da , als um ſich darin zu ergehen . Vor und im Hauſe iſt alles geräuſchloſe Stille, kein Flattern und Schreien des Hühnerhofes, kein Hundegebell und Pferdegewieher ; ſelbſt die kleinen Buben, wenn ſie ſich einmal balgen , geben ſich die Püffe ohne viel Worte , das Geſchrei gehört ja nicht zur Sache , und daß Schimpfen unanſtändig und Selbſtbeherrſchung rühmlich ſei , weiß ſdon der Knabe. Der Hausherr tritt dem Anfömmling mit ruhigem Anſtande entgegen , nimmt ihn ſcharf auf's Korn und fragt nach ſeinem Begehr. Es bedarf nur einer geringen Empfehlung, um einer wohlwollenden Aufnahme für ein paar Tage ſicher zu ſein, jedes neuengliſche Haus hat ſein Gaſtzimmer in beſter Qrd nung. Gleich das erſte Geſpräch , das unſer Wirth langſam und vorſichtig anknüpft, lehrt uns, welch ein ſpiter erfinderiſcher
198 Verſtand den Mann regiert. Er bleibt immer ruhig und heiter und ſteckt voll von witzigen Einfällen , in welchen ſich in der Regel Luſt an Verſchlagenheit und fühnen Sprüngen des Ver ſtandes äußert. Es iſt das der eigenthümlich trocne Yankee ſpaß, begleitet mit einem kurzen Lachen , der die feinen luſtigen Betrügereien im Handel, die Yankeetricks, ausheckt, welche über Neuenglands Gränzen hinaus als berber Humbug auftreten . Ein Blick ins Innere des Hauſes läßt gleich erkennen , wie einfach und ordentlid ), nüchtern und reinlich es darin zugeht. Die Neuengländer verlieren keine müßige Minute, ſie ſind ſtreng arbeitende Leute. Ein Volk aber das arbeitet wird groß ; ein Volk das vorzugsweiſe , ſei es geiſtig oder ſinnlich, genießen will, kommt früher oder ſpäter auf die Lotterbahn und wird von ſeinem arbeitſamen, inzwiſchen reich gewordenent Nachbar ausgefauft ,
es muß
ihm
zuletzt ſeine Söhne und
Töchter wie ſeine Güter ind Habe cinverleiben . Die wenigſten Familien in Neuengrand find reich, aber ſie arbeiten und fraren jedenfalls ſoviel zuſammen , daß ſie anſtändige Wohnung und Kleidung haben und daß ſie die Erziehungskoſten für die Kinder beſtreiten fönnen. Der höchſte Ehrgeiz der Eltern iſt, daß die Söhne Prediger und Advokaten werden , und daß die Töchter franzöſifdy und deutſch lernen und in den Damen akademien und im Umgange mit vornehmen Familien eine feinere Bildung erhalten. Von erwachſenen Kindern finden wir daher höchſtens eine oder die andere feingeputte Tochter zu Hauſe , und dieſe hat ſicher ein Buch in der Hand , die andern Töchter ſind auf Beſuch oder wirken in Schulen oder in Vereinen, welche ſich mit Miſſionen , Volfsbildung und öffent licher Wohlthätigkeit beſchäftigen. Die Söhne ſtehen im Ge ſchäft bei Kaufleuten oder lernen die erſten Fadhregeln bei Advokaten , Predigern und Aerzten , um ihre Bildung ſpäter burch ein Jahr auf einer Hochſchule vollſtändig zu machen . Es giebt in Neuengland manches ſchlichte Haus, aus dem vier
199 oder fünf Söhne als Prediger oder Juriſten Hervorgingen, welche im Oſten , Süden und Weſten der Union thätig ſind. Gegen Abend verſammelt ſich das junge Volk, welches noch nicht ausgeflogen iſt , im elterlichen Hauſe. Die Dämchen , nett gekleidet, erſcheinen in niedlichen Wägelchen, die ſie ſelbſt fahren , oder auch zu Roß mit anmuthiger und ſicherer Hal tung , lauter ſchlanke zierliche Figuren mit ſanfter weißrother Geſichtsfarbe, Scnen zur Schönheit nur Fülle und Rundung der Glieder fehlt. Die jungen Männer kommen zwiſchen den Hecken hervor ernſten und geſetzten Weſens , ſie rechnen im Stillen ein Geſchäft aus oder ſtudiren auf eine paſſende Anrete. Vor dem Abendtiſche ſpricht der Vater cin Gebet. Das ſehr reichliche ländliche Eſſen wird mit vielen Taſſen warmen Gies tränks begleitet, an deſſen Farbe und Geſchmack kein Europäer unterſcheiden kann , ob es Thce oder Kaffee ſein ſoll. Obgleich an vielen freundlichen Rückſichten und Artigkeiten man wohl merkt, daß die Hausgenoſſen einander Herzlich gut ſind , ſißen ſie dennod ſtill um den Tiſch, ohne Scherzen und ohne Neckerei. Was heute für Wetter geweſen, und morgen höchſt wahrſcheinlich ſein wird, daß des Nachbars Sohn aus Californien geſdricben, oder daß eine Verwandte in Boſton eine gute Stelle gefunden , dergleichen wird mit faſt verhaltener Stimme mitgetheilt. Nachy dem Abendtiſche folgt wieder ein kurzes Gebet, dann wird das Kapitel aus der Bibel laut geleſen , welches gerade an der Reihe iſt, das heilige Budy geht iin Kreiſe um , jeder lieſt ein paar Verſe und giebt es dem Nachbar. Reine verfängliche Stelle wird ausgelaſſen , frommen Herzen verehrt. Nach
dem
jedes Wort
der Bibel
wird
aus
Abendgebet kommen die jungen Männer der
Nagybarſchaft, den Töchtern Bücher oder Neuigkeiten zu bringen, die Meinungen über die letzte Predigt auszutauſchen , oder eine kleine Fahrt zu Wagen oder zu Pferd zu beſprechen. Das Völfchen hat volle Freiheit und braucht nicht erſt lange
200 die Eltern zu befragen. Noch weniger fiele es ihm ein , zu ſeinen Ausflügen eine ältere Dame als Ehrenwache zu bitten . Dennoch wird in dieſem unbeſchränkten Verkehr der jungen Reute nicht einen Augenblick der Anſtand oder das ſtrengſte Sittlichkeitsgefühl beleidigt. Wenigſtens kann man in Neuengs Yand überall und entſchieden darauf rechnen , während anderswo dieſe amerikaniſche Freiheit auch wohl der Deckmantel fein fou für mancherlei Ilnrühmliccs. Sobald nun die Anbeter, welche hier Beaus heißen, guten fühlen ſich die jungen Mädchen wie auf dem Throne. Man kann nichts lieblicheres, lebhafteres, Uebermü thigeres ſehen , als cine Schaar amerikaniſcher Mädchen , um geben von ihren Anbetcrit . Gewöhnt, ſchon von ihren Brüdern bedient zu werden , wiſſen ſie jetzt ihrer fecken Launen und Neckereien fein Maaß. Nicht ſie werden von den Männern, Abend ſagen ,
ſondern die Männer werden von ihnen unterhalten, und dieje nige iſt, wenn ſpäter zum Klavier getanzt wir , die gefeiertſte, welche am geſchickteſten im Geſpräd, Angelhäfchen auszuwerfen weiß , um einen recht großen Streis von Verehrern um ſich zu feſſeln . Dicje jungen Damen wollen die furze Blüthezeit ihrer Jugend recht ausgenießen, und fyaben auch volle Muße dazu. Denn ihre Häusliche Arbeit iſt des Vormittags raſch abgethan, fie putzen und ordnen Zimmer und Hausgeräth, was ſie firen nennen. Darauf kleiden ſie ſich auf das zierlichſte, wo möglich in Seide und Spitzen, gehen aus oter nehmen ein Buch oder eine Stickerei zur Hand. Muſik , Naturwiſſenſchaften , neuere Sprachen ſind dieſen Landmädchen unentbehrlichy, mögen ſie nun viel oder wenig davon verſtehen . In keinem Lande der Welt herrſcht in jedem Hauſe cine ſo unermüdliche Lernbegierde, manches Dorf läßt ſich im Winter Jemand zu wiſſenſchaftlichen Vorleſungen aus der Stadt fommen , die Koſten deckt man vorher durch Unterzeichnung. An gewiſſen Abenden iſt das ganze Land eine Schulſtube. Vor allem eifrig im lernen ſind
201 die jungen Mädchen , denn einer jeden ernſtliches Streben geht dahin , burch Kenntniſſe wie durch würdiges Weſen den Rang einer Dame einzunehmen. Und in der That weiß ein Yankeemädchen, welches der reiche Pflanzer als Braut in ſeine ſüdliche Heimath holt , bort ihren Platz als vornehme Dame wohl auszufüllen . Der Europäer freilich glaubt manchmal, wenn er den lerneifer der jungen Damen ſieht, ſie fämen alle eben aus einer Lehrerinnenſchule oder bereiteten ſich vor als Zöglinge darin einzutreten . Aber obgleich die Yankeetöchter alle ſo hoch ſtreben , geben ſie ſich gleichwohl ſo einfach wahr und verſtändig, ſie haben ſo kluge helle Augen und fragen den Fremdling ſo wißbegierig und theilnehmend aus über feine re ligiöfen Anſichten und was ſeine Mutter im Topfe hatte und was ſein Vater alles in den Büchern und in den Sternen las. Man muß ihnen gut werden . Und wie manches fromme Herz iſt darunter, welches unabläſſig im ſtillen Ringen begriffen iſt, um ädyt chriſtlich zu werden , ſeine ſelbſtſüchtigen Neigungent abzutödten , und die Nebenmenſchen zu guten Chriſten zu er ziehen. Hübſch tanzen aber können ſie nicht, ihre Bewegungen bleiben immer im edigen Springen oder im Wiegen und Sdpleifen ſtecken , der ſchöne Tanz, das leichte ſanfte Wogen der Anmuth , wird noch von wenigen Amerikanerinnen verſtanden . Wie nun die jungen Mädchen feinen heftigeren Wunſch habent, als ſtets damenhaft ( ladylike ) zu erſcheinen , ſo laſſen die jungen Männer es ſich etwas foſten , in Charakter und Auf treten feine und ehrenwertle Männer ( gentlemanlike ) zu ſein. Auch ſie arbeiten ganz ernſtlich an der Veredlung des innern Menſchen , und in der That giebt es in Neuengland vielleicht ſehr wenige ſchlecht denkenbe oder boshafte Menſden . Aber die angeborne Gewohnheit, bei dem hochherzigſten Entſchluſſe ſofort im Geiſte auch den Koſtenplan und den reinen Nutzen genau zu überrechnen , läßt im Yankee den Gentleman zehn Schritte hinter dem Handelsman zurück bleiben. Außerdem
202 iſt durch das kirchliche und Gemeindeleben dem jungen Manne eine ganze Reihe von Pflichten von Fugend auf ſo hart und feſt eingeprägt, daß er vor lauter Pflichten nicht dazu komint, auch einmal etwas aus reinem Edelmuthe zu thun. Ja es ( dyeint faſt , als hätten die meiſten Yankees nur aus purem Pflichtgefühl ein Weib genommen , und als liebten ſie in den ihrem Herzen theuerſten Perſonen nicht den lebendigen Menſchen , wie er einmal iſt mit all ſeinen Eigenheiten , ſondern bloß die Eigenſchaften , welche ſeinen Pflichten entſprechen. Der Yankee würde es für eine arge Sünde halten , irgend Femand etwas Ucbles zu wünſchen oder den Heller nicht herauszugeben , den er ſelbſt für ungerecht hält : aber ſo lange er ſeine Pflicht thut, nimmt er auch alles Gute mit, was nebenher für ihn abfällt, und erfreut ſich des Segens ſeiner gerechten Spekulationen, wenn auch zu ſeiner Betrübniß wohl viele Leute dadurch Bettler werden . Im gewandten Auftreten aber muß der junge Yankee entſchieden ſeinen Landsinänninen den Vorrang laſſen. Er überwindet nieinals das cige, das von einem zum andern Springende im Denken und Benehmen. Trotz ſeiner höchſt zarten Empfindlichkeit weiß er ſich zwar meiſterhaft zu beherr fchen , aber da ilm jener feine Tackt nicht inwohnt , der ſich bei tieferer Bildung des Herzens und Geiſtes von ſelbſt kund giebt , ſo muß der junge Mann ſich auf die hergebrachyten Regeln der Geſellſchaft verlaſſen , weldje ihm bis ins Sileinſte vorſchreiben , wo er den Arm zu bieten , und wo er den Hut zu nehmen hat. Mancher amerikaniſche Jüngling erinnert in der Geſellſchaft an einen Automaten , in welchem das Räder werk ſorgſam aufgezogen und wohl eingeölt iſt. Wenn aber auch den jungen Yankees die Gabe fehlt, mit freier leichter Anmuth durch's Leben zu gehn , ſo ſind ſie doch durchgängig Männer, welche im Stande , raſch einen großen Entſchluß zu faſſen und raſch ihn auszuführen. Im Felde bei der Arbeit oder des Abends unter ſeinen Freunden fält einem von ihnen
203 ein gutes Geſchäft ein , welches in Dtaheiti oder in Rußland auszurichten , und vielleicht iſt er ſchon am nädyſten Morgen auf dem Wege dahin. Und was für widrige Wellen ihm auch entgegenſdylagen , er hält ſich immer oben wie ein Kork , bis er im Hafen iſt. Vorzugsweiſe in den Neuengland - Familien macht ſich ein Charakter merklich , der ſich ſchon in England , viel ſchärfer und häufiger aber in Amerika findet. Es ſind dies die vielbeſchäftigten , vielwiſſenden , vielregierenden Damen jenſeits der Vierzig, welche halb Mannweib halb Nonnc ſind und nebenbei in aller Leute Töpfe gucken. Faſt jede Familie in Neuengland hat eine ſolche Tante oder Hausfreundin aus der Nachbarſchaft, welche jedes Viertel- oder Halbjahr ſich einſtellt und mit klarem Geiſt und männlichem Wort wichtige häusliche Fragen beantwortet, deren Entſcheidung für ſie aufgeſpart iſt. Ordnung und Entſchieden heit in Haus und Familie, das iſt es was dicſe Dainen lieben, fung und Alt vertraut ihnen und fürchtet ſie zugleich. Sie ſind denn auch die Frauen , durch welche die Prediger ſich ebenſo fördern als leiten laſſen , welche die Präſidentinnen und Sekretärinnen ſind und die Reden halten und Anträge ſtellen in den zahlloſen kirchlichen und wohlthätigen Vereinen, an denen ſich die geſammte Frauenwelt Neuenglands mit ſoviel Eifer und oft mit ſo rührender Aufopferung betheiligt . Auch den Ruhm muß Federinann den Frauen Neuenglands
zugeſtehen,
daß ſie ausgezeichnete Hausmütter ſind. Es umringt ſie ſchon in jungen Jahren gewöhnlid) eine zahlreiche Familie , und es kommt noch jetzt vor , daß Drillingsgeburten in den Zeitungen ſelyr ausgezeichnet werden , gleichwie vor Zeiten , als auch in Neuengland der Wald raſch Anſiedler brauchte. Sobald aber die Kinderzahl ſich mehrt, verſchwinden die jungen Frauen faſt ganz in das Innere ihrer Häuſer und machen keine Anſprüche mehr darauf , durch Geiſt und Schönheit zu glänzen , ja ſie erſcheinen in der Geſellſchaft neben ihren kecken lebensfrohen
204 Töchtern gedrückt und kleinlaut. Sie leben und denken jest nur für ihre Kinder , deren Pflege und Verhätſcheln ihnen keine Stunde Ruhe läßt . In allen Geſchäften des Hausſtan des ſtehen ihnen die Männer treulich zur Seite.
Dieſe geben
äußerlich nie ein zärtliches Gefühl kund, aber immer ſind ſie recht thätige und ſorgſame Familienväter. Das Familienleben in Neuengland hat ſo viel ſchöne Seiten , daß die Neuengländer, welche in den andern Staaten angeſiedelt ſind, mit kindlicher Rührung daran zurück denken . Im Schooße der Familie herrſcht eine leichte angenehme Harmonie , welche auf geregelter Thätigkeit und gegenſeitigem Sidgewährenfaſſen beruht. Die Blutsverwandten haben wirklich herzliche Zu neigung für einander , jedoch bleiben ſie auch darin ruhig und ernſt. Rohheiten oder Wuthausbrüche wären ganz unmöglich , aber man vernimmt auch ſelten ſolche Worte, welche warm und lebendig aus dem Herzen kommen , noch ſeltener ſieht man eine Liebkoſung .
Selbſt wenn ſie wärmer werden , beobachten ſie
noch die den Amerikanern zur andern Natur gewordene Zurück= haltung , als könnten ſie ihr Gefühl nicht äußern oder als ſchämten ſie ſich deſſelben . Der Grund iſt eine ſcheue Rückſicht auf das Wohlanſtändige , und eine zarte gegenſeitige Achtung, welche ſich gleichſam fürchtet, durch zu lebhafte Aeuße rung der Empfindung in die des Andern einzugreifen und beſjen durchaus ſelbſtſtändiges Denken und Fühlen an ſich zu feſſeln. Das Menſdenherz verlangt aber danach , ſein Lieben und ſein Sehnen und ſein Trautern auszuſtrömen , und wo ihm das fortwährend verſagt wird , da zieht es ſidy auf ſeine ſelbſtſüch tigen Gefühle zurück. Nirgend nimmt wohl ein Vater zartere Rückſicht auf die Empfindungen ſeiner Tochter und beſchafft mit mehr Sorgfalt die Mittel für ihren Lurus , als in Neu england , aber nirgendwo haben Söhne und Töchter ſo wenig tieferes Pflichtgefühl für ihre Eltern, als bort. Die Familien bande ſind daher auch leicht zerreißbar.
Sowie Jemand in
205 ſeinem unabhängigen Gefühl fich verletzt glaubt, denkt er gleich daran auszuſcheiden , und Eltern und Geſchwiſter laſſen ihn ohne daß es zur Erklärung kommt ruhig ziehen , wenn auch mit gekränktem Herzen. Daß aber die Amerikaner wohl fühlen, was ihrem Familienleben abgeht, zeigt ſich auch in den Briefen, welche mehrere von ihnen aus Deutſchland ſchickten . Hier ſcheint ihnen ein Himmel voll häuslicher Seligkeit aufzugehen . Sie können nicht genug beſchreiben , wie es darin ſo lieblich und ſonnig ſei, und ſehen ein , daß dies föſtliche und dauernde Glück nicht bloß aus gegenſeitiger Achtung und Fürſorge, ſondern auch aus inniger Zuneigung und Pietät hervorgehe. Daß aber durch das amerikaniſche Familienleben ein fühler Hauch weht, hat noch einen beſonderen Grund. Die kirc ;liche und bürgerliche Gemeinde ſieht gar zu gern von der Straße bis ins Innerſte des Hauſes hinein , und ſeine Bewohner wagen nicht recht, die Fenſter vor neugierigen Blicken zu verhangen . Der Neuengländer denkt bei ſeinen täglichen Geſchäfteit wie bei beſondern Vorfällen ebenſo ſchnell an die Gemeinde, als an ſeine Familie, und hat eint empfindliches Gefühl für alles, was im Umkreiſe der Gemeinde vorgeht . Wir die Gemeinde," ſagt er mit nicht geringerem Selbſtgefühl als vormals die deutſchen Reichsſtädter. Denn die Gemeinde iſt eine Macht fo frei und unabhängig
und ſo nadydrücklich wirkſam , daß er ebenſo ſtolz
auf ſie iſt , als er ſich ihr gern unterwirft. Auch der Staat kann ihm in ſeine Gemeinde nicht eingreifen, fie muß vielmehr erſt dem Staate ihre Hülfe ſeihen. Daher wirkt der Gemein geiſt Wunder. Ein Nachbar will den andern in fühnen Unter nehmungen ,
eine
Gemeinde
die
andere
in
genteinnützigen
Anſtalten überbieten , und für lettere giebt derſelbe Kaufmann ohne Bedenken Tauſende her, der am Feierabend ſelbſt ſeinen Zaun flickt, um ein paar Cents zu ſparen. Nur durch den (ebendigen Gemeingeiſt ſind die kleinen Banken möglich, welche in Menge ebenſo wie eigene Zeitungen für Ortſchaften be
206 ſtehen , welche nod nicht zweitauſend Einwohner haben . Dieſe Ortsbanken leben durch den perſönlichen Credit, den die Ger meindeglieder einander gewähren , weil ſie wohl einſehen , daß die Bank, welche die Erſparniſſe aufnimmt und zu vernünftigen Unternehmungen die Gelder hergiebt , das Kapital der Ge ineindeglieder zehnfach größer und zehnfach arbeitſamer macht: Semeinde aber iſt für den Neuengländer nicht bloß der
bürgerliche, ſondern auch der kirchliche Verband. Nicht jeder iſt Kirchenmitglied , der in einer beſtimmten Stonfeffion geboren und erzogen worden , ſondern nur derjenige Erwachſene, der nach reiflicher Ueberlegung unter Bekenntniß ſeiner Sünden und mit dem Geläbniſſe, ſtreng firchlich zu leben , öffentlich und feierlich in eine firchliche Gemeinde aufgenommen wird . Er tritt dadurch gleichſam in ein förmliches und ſtändiges. Ver tragsverhältniß, das feine wohlverbrieften Rechte und Pflichten hat und ſeine Mitglieder genau von denen abſcheidet, welche nidit in dieſem Bunde ſtehen . Ju feinem andern Sante iſt die kirchliche Gemeinde der bürgerlichen ſo vollſtändig gleichge bildet, und nirgends ſtehen beide mit einander in ſo lebendiger Wechſelwirkung. Kirchenälteſter oder Diakon iſt ein ebenſo gäng und gäber Titel als Squire oder Oberſt, und giebt noch mehr Anſehen in der Gemeinde. Freiwillig zwar, aber darum nidyt minder kraftvoll unterſtützen ſich Kirche und Staat gegen ſeitig. Am Tage des öffentlichen Danffeſtes, den die politiſche Behörde bezeichnet, ſind die Kirchen aller Bekenntniſſe gefüllt. Man wird auch kaum einen Prediger finden, der politiſch nicht ächt konſervativ wäre und nicht einen tiefgehenden politiſchen Einfluß ühte , wenn er ſelbſt auch niemals zum Abgeordneten gewählt wird . Für die Neuengländer iſt die Bibel das Ge ſetzbuch für das bürgerliche wie für das religiöſe Leben , aber barin ſind ſie einzig , daß ſie ſowohl mit den Anſichten des alten Teſtamentes als mit den Lehren des neuen Bundes ſich geiſtig genährt und erfüllt haben ,
althebräiſche und chriſtliche
207 Denkungsart verſchmelzen ſie zu einer neuen , welche eben nur die Denkungsart der Yankees iſt. Dieſe müßten , wenn ſie aufrichtig fein wollten , geſtehen , daß die Mormonen, abgeſehen von deren ſonſtigen Einrichtungen , das Fdeal der Verſchmelzung bürgerlichen und kirchlichen Lebens darſtellen , welches den Vor fahren der Neuengländer vorſchwebte.
XII.
Baltimore.
Was ir cinem Lande einmal Mode geweſen , das ſpukt nody lange nach unter allerlei Geſtalten . manchmal auf den Gedanken kommen , es
Man ſollte dabei gingen die Geiſter
der lange Geſtorbenen nocy umher und ſetzten ſich feſt in der Giebt es in Deutſdyland nicht jetzt anwadyſenden Jugend. noch Charaktere, wie unſere alten Reitergenerale und fahrenden Landsknechte, wie die grimmen Untervögte und die Vielgelehr ten , welche ſtatt der Folianten nunmehr endloſe Bandreihen ſchreiben ? Stolziren nicht in England noch die raufluſtigen Lords und die närriſchen alten Damen umher aus der Zeit inſulari ſcher Beſdränktheit , in Nußland die furchtbaren Fwans und die Diplomaten
biyzantiniſcher Färbung ,
in Frankreich und
Südeuropa die Condottieris und Hidalgos , die eiſernen Mönche generale und Netzerriditer ? In Amerika laufen ganz offenbar die Geiſter der Indianer und Judianerjäger, der ſtarrköpfigen Puritaner und abenteuernden Handelsleute aus der erſten Anſiedlungszeit nocy jetzt umher , wenn ſie auch Fracks und ſchwarzſeidene Weſten tragen. Woher will man ſonſt dieſe ſeltſamen Sektengeſchichten, dieſe tolle Wageluſt in Handel und Gewerbe, dieſe unzerſtörliche Neigung der jungen Burſchen zu gewaltthätigen Streichen und Straßengerechten erklären ? Das
209 indianiſch ſchweigſame Wefen der Amerikaner fönnte freilich auch davon herrühren, daß ſie beſtändig mit Unterleibsleiden geplagt ſind, weil ſie fo haſtig und ſoviel ſdylechtgefochte Sachen eſſent. Aber auch ihr merkwürdiger Wandertrieb erinnert an die In dianer. Gleichwie dieſe frei und unſtät durch ihr uncrineßliches Gebiet zogen und hier und sort raſteten , wo die Wälder voll Wild und die Flüſſe voll Fiſche waren , jo reiſt der Amerikaner immer wanderluſtig , immer mit leichtem Gepäck hierhin und dorthin , wo
ihm
gute Dollars - Jagdgründe winken .
Wohin
dies Neiſevolk nur kommt, da ſind gleich raſch und zahlreich Reiſepferde und Reiſewagen da, Dampfidiffe und Eiſenbahnen. Von Philadelphia nach Baltimore gingen täglich mehrere Dampf ſchiffe und mehrere Züge auf der Eiſenbahn , und jedesmal war alles dicht beſetzt. Dies nie
ablajſende
Zuſtrömeit von
Reifenben läßt Sie
Schiffseigner es wagen , ſolche Trümpfe gegen einander aus zuſpielen , daß der eine Wochenlang für cin Viertel des Fahr Preiſes oder für gar nichts fährt, um den andern matt zu legen . So fuhr ich den ganzen Tag auf dem Champlainſee für einen halben Dollar und hatte noch zwei Mahlzeiten obenein . Dabei war der Stapitain nichts weniger als grimmig auf ſeinert Mitbewerber, ſondern beide riefen ſich die luſtigſten Sachent zu , als die Schiffe einander vorüber führen. Der Amerikaner freut ſich, wenn er Mitbewerber ſieht, weil dann erſt die rechte Puſt in ihm erwacht, ſeine Straft und ſeinen erfinderiſchen Geiſt anzuſtrengen , um bem Gegner einen Streich über den andern zu ſpielen. Nie zerfrißt ihn der Neid das Herz, jene häßliche Untugend , die leider auch manchem hieſigen Deutſchen ſeine beſten Stunden verbittert. Neu iſt bein Europäer aber das Vertrauen , welches jedermann auf den Dampfſchiffen genießt. Dort wie in den Gaſthöfen miſcht man ſich unter die Hunderte von Gäſten, bezahlt vielleicht erſt im Weggehen und giebt ſelbſt an, wie lange man verweiſt und was man verzehrt hat . Löher, Land und Leute. I. 14
Wie
210 oft haben mir Leute , denen ich ganz unbekannt war , ohne weiteres Reitpferde und Bücher geliehen . Wie mancher unſerer Landsleute, der hier zaghaft ein Geſchäft anfing, hat ſich ſchon gewundert, ſo leicht großen Kredit zu finden. Dies Vertrauen zieht ſich durch tauſend große und kleine Dinge des täglichen Lebens und weil es darauf beruht, daß man jedermann Selbſt achtung zutraut, ſo wird es verhältniſmäßig ſelten mißbraudt. Wenn anvertrautes Geld ſo häufig durch Bankerotte verloren geht , ſo iſt hundertmal eher leichtſinniges Spekuliren baran Schuld , als betrügeriſdie Abſicht. Auch in Europa findet jeder anſtändige Menſch Vertrauen , aber daß es ſich in Amerika für jedermann ſo natürlich von ſelbſt verſteht, wie Selbſtachtung und Selbſtſtändigkeit, daß man turd feine andere Polizei im täglichen Verkehre behindert iſt als dadurch , daß einer den andern ebenſo als freien Bürger reſpektirt wie ſich
ſelbſt ,
daß Oeffentlichkeit und
allgemeine
Theilnahme für unzählige Dinge herrſcht, welche in Europa gewiſſen Berufsklaſſen vorbehalten ſind , daß Gaſthöfe und Dampfidiffe, öffentliche Aufzüge und Verſammlungen ſo rieſen hafte Umriſſe haben , und daß der Amerikaner dies alles in Europa nicht ſo wiederfindet, das ſind Gründe , warum er es in Europa nicht aushalten kann . In ſeinem Lande ſtößt man fich noch nicht an die ſteinerne Gegenwart der Geſdyichte, bort iſt alles noch im flüſſigen Werden und Wachſen , und wo die Wirklichkeit noch nüchtern , malt die Phantaſie dicht dayinter die großartigſte Zukunft . Ein Amerikaner, der nicht ganz grobe Nerven hat, fühlt ſich durch das politiſche Treiben ſeines Sandes täglich angewvidert, aber ſtündlich fühlt er auch , daß er mit Herrſcht, während er in europäiſchen Ländern ſich von politiſchen Mächten umgeben glaubt, die heimlich wirken und dem Einfluß der Bürger ſich entziehen. Das amerikaniſche Leben erwächſt aus dem ungeheuren Drängen des Verkehrs , der in kürzeſter Friſt unüberſehliche Länderſtrecken mit Städten und Anſiedelungen
211 bedeckt.
Dieſer raſtloſe Verkehr aber beruht recht eigentlich
auf der ſchrankenloſen Freiheit aller, dieſe iſt ſein Nerv und den wollen ſich die Amerikaner nicht unterbinden laſſen , wenn auch noch ſo viele berſtende Dampfſchiffe in die Luft gehen . In ſolches Treiben iſt der Amerikaner mit Herz und Leben hineingewachſen , anderes verſteht und genießt er nur halb. Ich erinnere mich allein von Wheaton , der lange Zeit in Berlin Geſandter war, und hin und wieder von einem einſamen Gelehrten in Amerika, gehört zu haben , daß ſie wohl für immer in Deutſdyland leben inöchten. Andere gebildete Amerikaner, welche ebenfalls Europa beſucht hatten, räumten gern ein , wie viele Vorzüge das europäiſche Leben vor dem ihrigen habe, aber ſie kamen zuletzt wieder darauf zurück , ſie fönnten es dort auf die Länge nidyt aushalten. Es ſei bei uns alles fo hübſch und fein und würdig , aber nicht weit und groß , nicht offen und frei genug. Bei ihnen fühle ſich jedermann innerlich gehoben, weil man auf ſeinen Rechtsſinn und auf ſeine eigene Kraft vertraue, in Europa werde der Menſa, leicht ſchwach und kleinlich , weil er ringsumher ſo viel Sdyranken und Bahn wärter und ängſtliche Fürſorge ſehe . Wenn dennoch in Ame rifa die Spitzbuben zahlreich gedeihen, ſo muß die Schuld wohl daran liegen , daß die Menſchennatur überhaupt ſchadhaft iſt. Von Philadelphia nach Baltimore zog ich das Dampfboot vor , welches den breitwelligen Delaware hinabfuhr die Stadt entlang, man ſah in ihre winkelrechten Straßen hinein, welche durch die vorliegenden Schiffe halb verdeckt waren. Puch dieſe machtvolle Stadt theilt mit den meiſten amerikaniſchen Groß ſtädten ben Mangel einer prächtigen Lage. Auf niedrigem und ebnem Ufer tauchen ſie langſam auf wenn man ſich nähert, und verſchwinden ebenſo gemach am Horizonte , wenn man die Bai oder den Fluß wieder hinabfährt. Aber die Seeſtädte fämmtlid) ſind herrlich bedacht mit Baien und Flüſſen , in deren Ufergewinden
ſich höchſt liebliche Landſchaftsbilder abzeichnen . 14 *
212 Die netteſten Landhäuſer zwiſchen allerlei Grün belebten die Ufer des Delaware. Obwohl es mitten iin November war, ſtrahlte die Sonne dochy zu Zeiten glühend heiß ; ſobald jedoch Welfen ſie verdeckten , wehte es winterkalt. Gegen Abend wurde das Wetter überaus milde. Der breitfluthende Strom rauſdte und rauſdte , und über die jdyimnternde Waſſerfläche ſpannte die Sonne in Sinfen einen Bogen vom reinſten Golde. Bald glänzten vom Ufer her durch das Dunkel zerſtreute Lichter, und die Sterne wurden ſo klar, daß ſie den Fluß mit blitzenden Streifen überzogen. Vor wann der Schatten eines Unſer Dampfboot war Obwohl viele Südländer
die Lichter am Ufer trat dann und ſtill vorüberziehenden Segels. ſehr winzig , aber hübſch eingerichtet. darauf waren , die ſich freier gehen
laſſen als die Leute aus den nördlichen und mittleren Staaten, war doch wenig von den nationalen Unarten des Tabakfauens, Speiens und Füße in die Luft Streckens wahrzunehmen. Die Engländer haben davon ein entſetzliches Geſchrei gemacht, aber das Uebel hundertfad) übertricben . Nie habe id) in gebildeter Geſellſchaft arg Widerwärtiges der Art geſehen . Die Herren lieben zwar ihr Tabafröllchen zwiſchen den Zähnen zu preſſen , aber es wäre unmerklich, wenn ſie nicht ſo oft in das Kamin feuer ſpuckten.
Wenn aber in Gaſtſtubeit, auf Dampfſchiffen
und öffentlichen Wagen einige rohe Sitten auffällig werden, ſo muß man nicht vergeſſen, daß an ſolchen Orten in Amerika die niedern Volksklaſſen überall unter die Höhern gemiſcht ſind. Mit mehr Recht, als über ihre unziemlichen Gewohnheiten , fönnte man ſich darüber wunderit, daß alle dieſe Leute ſich im Uebrigen ſo anſtändig kleiden und benehmen . Das Fleine Dampfboot ging während der Nacht auf einem Kanale ans bem Delaware in die Cheſapeakbai, deren ganz
herrliche Geſtade mnich am Morgen überraſchten. Sie dehnt ſich wie ein großer See zwiſchen Wald- und Felshügeln. Als wir in den Hafen von Baltimore einfuhren , erwachten eben
213 Schiffe und Häuſer unter dem Kuſſe der Morgenſenne.
Die
Stadt iſt faſt ſo hübſch wie Philadelphia , und bei weitem nicht ſo langweilig , weil ihre Straßen ſich über Hügel heben und fenfen und nach allen Seiten Ausſidyten barbieten . Aber man ſieht hier viel mehr Schwarze auf den Straßent, denn Maryland iſt ein Sflarenſtaat , und wo die Schwarzeit ſind , ta giebt es auch Sdnintz und Pumpen . Auch in Baltimore iſt das Stadthaus auf cinem hohen Punkte angelegt, eine hübſidie Vorſicht der Amcrifaner. Die Ausſicht vom Boſtoner Statthauſe iſt ſchöner, weil ſich dort mehr Scebuchyten , Inſeln und Landſpitzen entfalten ; von dem Stadthauſe in Philadelphia blickt man in das anmuthige Thal , das der Sduyfill cröffect ; Der Baltimorer Numdblick gewährt angenehme Gegenſätze von Häuſergruppcii , Meer und Waldung, lettere ſteigt rings dic Anhöhen hinauf. Anſprechend iſt andy bas Plätzden auf dem Bundeshügel, man ficht fort in die Schiffe im Werften hineint und über Baici imb Ortſchaften weg nach den Walthügelit. Den weiteſten lieberblick aber erhält man ron der Höhe des Waſhingtondenkmals , in welchem eine lange Wendeltreppe emporführt. Das Denkmal ſteht würdig und gebictend cben in der Stadt , iſt aber wieder nichts anderes , als cine faſt zweihundert Fuß hohe Säule , auf welcher der große Feltherr zu tanzen ſcheint. Sein Geſicht iſt ausdrudsvoll freundlich, und ſeine Kleidung beſteht in einem Waffenrock , welder ter Natürlichkeit wegen oben ſchief ſitzt und unten weit alſteht, und in einem breit dahinter gefältelten Mantel. Von der Obe Visfen- und Säulenform fönnen die Amerikaner einmal nicht ablaſſen, die nackten Maſten , welche Freiheitsbäume vorſtellen, ſtehen auf allen Straßen , und hin und wieder fehlen auch nicht hohe Vogelſtangen , auf welchen der amerikaniſche Adler haftet. Den Bürgern von Baltimore , welche bei der letzten Vertheidigung ihrer Stadt gegen die Engländer ruhm voll fielen , iſt ebenfalls auf einem hohen Straßenpunkte eine
214 Säule geſetzt, die aus einem Bündel von Stäben beſteht, oben eine Siegesgöttin und auf den Bändern , welche die Säulen umſchlingen , die Namen der Vaterlandsvertheidiger trägt.
Weniger zeigt ſeine Kuppel geſchmackvoll, dieſer Stadt,
ſich amerikaniſche Phantaſie im katholiſchen Dome, iſt dem Pantheon nachgebiltet und das Innere auch mit ſchönen Gemälden geſchmückt. In wo Cord Baltimore die erſte katholiſche Gemeinde
im brittiſchen Nordamerika gründete, iſt die katholiſche Bevöl kerung noc jeßt reich und mächtig. Hier reſidirt auch der Erzbiſchof. Wirklich hübſch iſt nahe bei dem Dome die Uni tarierkirche , eine luftige ritterliche Halle. Italien iſt lange nicht ſo reich an Sirdyen als dieſes Land, und dabei ſind ihre Bauformen höchſt mannigfaltig, bald mittelalterliche Schlöſſer, griechiſche Säulenhallen , ägyptiſche Mauſoleert , bald Bürger häuſer , lange Scheunen , Reitbahnen, bald Kuppeln und nor manniſche Abteien , nicht ſelten auch ein Gemiſch aus allem dem . Sehr viele ſind ſo gebaut, als habe man daran gedacht, daß ſie audy einnial zu Redchallen und Theatern dienen könnten . Unſere Zeit entwickelt ja überhaupt mehr und mehr eine neue Baufunſt darin , daß für den Verkehr im Großen aus Holz, Eiſen und Badſtein Gebäude errichtet werden , welche leicht und (uftig hodyweite Räume um pannien . Wie jede größere amerikaniſche Stadt , ſammelt ſich auch Baltiinore ein Muſeum zuſammen von allerlei ſchönen oder merkwürdigen Dingen, die Natur und Menſchen in irgend einem Erdwinkel gefdjaffen haben . Hat man in verſchiedenen Ländern die reichſten Muſeen und darin die mannigfaltigen Gebiete der Natur burchgewandert, ſo muß man ſich endlich doch ge ſtehen , daß das große Einerlei ewig wiederkehrt. Die Natur wirft ihre Blumen- und Farbenſtriche auf dem Meeresgrunde faſt gerade ſo , nur wäſſriger und falfiger, als im Walde. Pflanzen und Steine können ebenſo fiſchdumm , ſo affig oder ſo flüggig ausſehen , wie die Thiere , und wieder ebenſo ſchön
215 oder finſter, wie irgend etwas auf der Welt. Es ſind eben immer dieſelben Stoffe und Kräfte dieſes Erdballes in jedem Dinge das baran hängt , in einander gemiſcht. Und der Menſch , in welchem ſich all das Fliegende nnd Raubſüchtige, das Ruſtige und Alberne, bas Kluge und Schöne, was es auf der Erde giebt , am mädytigſten und am feinſten wiederfindet, er wil nimmer ſid, mit all dem Naturreichthum abfinden laſſen , ihn treibt cs raſtlos , ſich noch unendlich Gewaltigeres und Erhabeneres auszuſinnen , als er hier zu ſehen bekommt. In Amerika beſchränkt der Menſch ſich einſtweilen noch auf zweierlei, wie er ſich nämlicy turch bürgerliche Einrich tungen und Gelderwerb tas irdiſde Leben möglichſt frei und forglos , und wie er durch die geheime Bebelkraft des Sektenglaubens den Sprung in das Himmliſche möglichſt leicht und ſicher machen könne. Siunſt- und Naturgenüſſe ſtchen hier ſehr in zweiter Linie, in erſter fommt das Studium ren ſozialen Anſtalten und vom
Betriebe ber Geſchäfte.
Zu all
dergleichen Anlagen genießt man den freieſten Zutritt , ſelbſt wo vor einer Fabrik „ Eintritt verboten , ſteht, reicht die kleinſte Bitte oder Empfehlung an den Juhaber hin , daß er ſich ſelbſt das Vergnügen macht , den wißbegierigen Fremden umherzu führen.
In einem Gebäude jaly id ), wie ganze Häuſergerüſte
von Balfen und Sparren an bis zum Fenſter- und Kamingeſims zurecht geſchnitten wurden , gerade wie bei uns der Schreiner eine Bretterbude zuſchneiden würde.
In ciner andern Fabrik
ließ die Dampfmaſchine den rohen Fettſtoff durch allerlei Ver wandlungen gehen, bis er als Scife und als Talg- und Stearin lichte wieder hervorkam. Was in Europa die getheilte Hand arbeit in verſchiedenen Werkſtätten anfertigt, das wird hier in einer eiuzigen Fabrik gleich für Hunderte und Tauſende fertig. Es iſt nicht gerade ſolide und kunſtidyön, aber niedlich und prak tiſch und erfüllt vollſtändig den Zweck, ſofort zum Gebrauch zu dienen . Baltimore legt ſich jetzt mehr wie ſonſt auf Gewerbe .
216 Früher hatte die Stadt einen
umfangreichen Seehandel, na
mentlich während der langwierigen europäiſchen Kriege , wo die ncutralen Amerifaner ihre Taſchen füllten mit europäiſdem Gelde. Damals war hohe Fluthzeit für den Handel von Boſton , Philadelphia , Baltimore , Charleſton . Später trat allmählig Ebbe cin , weil der Großhandel fich nad Newyork und Newors leans hinzog. Denn dieſe beiden Stifte ſind einmal ſo Herr lid ) zum Handel gelegen , daß jene andern die Mitbewerbung aufgeben müſſen, trotz aller ynſtrengungen , Kanäle und Eiſen Fahnen , welche ſie ausgedacht haben, in die Handelsſtrömung Indeſjen wird nad) und nach das ſich wieder zuzuwenden . stüdyſte Hinterland aller dieſer Städte ſo reichlidy angeſiedelt, daß bloß durch dasjenige , was es erzeugt und berarf , ihr Handel ſich wieder hebt. In den Anatomiejälen der Maryland - Univerſität ſah ich itur Negerkörper, aber von außerordentlider Stärke und vellen cetem Ebenmaaß der Glieder . Einige Studenten ſdynitteit Dizvan herum auf ſo ifeine Weiſe , wie ſie cinem deutiden Mediziner ein Gräuel wäre. Auch einer Vorleſung über Bo tauit wohnte ich bei , welche ber Profeſſor feinen mer als hundert Zuhörerit recht unterhaltend machte. Die Studenten ſaßen, den Hut auf sem ſtopfe, im Halbkreiſe auf aufſteigenden Bänken, cinige bemerkten ſich ein paar Worte ins Taſchenbuch und die Hälfte aß Aepfel. Vielleicht gab es viclc unter den jungen Männern , welche die Studienkoſten ſich mit Cigarren inachen oder im Handel erwarben, denn das nimmt in Amerika keinem Anſehen und Achtung . In Baltimore ſcheint überhaupt viel Sinn für Künſte und Wiſſenſchaften zu leben , und insbeſondere auch heitere Bildung und Ocjelligkeit. Die Bewohner der nördlichen und ſüdlichen Staaten vereinigen hier ihre angenehmeren Eigenſchaften . Viel leidyt hängt damit zuſammen , daß Baltimore die glückliche Stadt iſt , in welcher die lieblichſte amerikaniſche Schönheits
217 blütle ſich entfaltet. Nod reizendcre ( ieſichtchen, als zu Now : york und Philadelphia beleben hier des Nadmittags tic Straßen, und es ſchien inir als wenn ſie in (sang und Anzug anmu thiger und weiblicher wären als dort , und in Geſellſchafteit nicht immer ſo ätherhaft ſcheinen wollten , als lebten ſie bloß vom Champagnerſdraum und vom Dufte der Früchte. Aber es betrübt das Auge des Menſd;cnbeobadytcrs , daß auch hier ſo häufig die Schönheit der Geſtalt nichts iſt, als das trügeriſdic Erzeugniß von Toilettenkiinſten. Böſe Zungen jasjen den ameri faniſchen Damci nach), daß einige Opium nälyinen , irenn ſie in Geſellſchaft gingen , un glänzcute lugen zu befoinmen , das glaube ich aber nicht, tas hat mir der Neid der Engländcr crfuntcn. Nur cines iſt mir unbegreiflic), wie nämlich gebildete Damen, die body in fid) jelbſt cinc inverſiegliche Quelle von Ideen und Unterhaltung finden könnten , tagtäglid) ron écr Pcidenſchaft cr griffen werden , aus einem Modeladen in een andern zu wandern , bloß um die prächtigen Stoffe und neuen Putzjacen zu ſehen. Dod, vielleicht wellen ſic jich nur crſreuen an fer unübertreff lichen Gewandtheit der Saufleute, weldie den Paties die bunten Waaren vorlegen , und an der Adung und Artigkeit , welche Damen überall umgicbt, wo ſie nur erſcheinen. In Amerifa fönnen die Männer mit Reciit jagen : wir ſind die Herren Ter Schöpjung, die Frauen aber : rund wir die Sirene ... Dieſe Hochacitung für die Frauen , welche sic amerikaniſchen Männer in tauſend Fleinen Dienſtleiſtungen an scul Tag legen, iſt ein Juwel unter ihren Vorzügen und hält mandyer unlie benswürdigen Eigenſdjaft das Gleichgewicht. Jeses Volk fönnte in dieſer Beziehung niech viel von ihnen lernen . Freilich hat die amerikaniſche Frauenverehrung auch etwas konventionellen Beigeſdıınack. Es iſt eine Huldigung, welche mehr dem zarten Geſchlecht in Bauſch und Bogen geweiht wird , als ächter Weiblichkeit, vor dcren Sternenglanz und ſtiller Hoheit ſich der Mann verehrend beugt.
218 Zu Baltimore's Ruhm , mit dem anmuthigſten Schönheits kranz geſchmückt zu ſein , geſellt ſich leider auch ber böſe Ruf ſeiner Rowdies .
Der Stadtrath erklärte einmal ,
er könne
dieſe wilden Burſchen nicht mehr bändigen , und ſah es gern, daß die Bewohner einiger Stadttheile eine geheime Polizei bildeten, um einander gegen Brandſtifter und Hauseinbrecher zu ſchüßen. Ein arges Rowdieſtück fiel nicht lange nach meiner Anweſenheit vor. Ein Dampfboot mit faſt tauſend Menſchen
an Bord hatte von Baltimore eine Vergnügungs
fahrt nach Annapolis gemacht , mehrere ſeiner Gäſte hatten dort Unfug getrieben und die Leute in eine gereizte Stimmung verſetzt. Bei der Abfahrt flog vom Dampfſchiffe einem , der am Ufer ſtand, eine Citronenſchale an den Kopf, ein Schwarzer antwortete init einem Backſteine und traf eine Frau , ſogleich ſtreckte ein Büchſenſchuß ihn nieder.
Nun entſpann ſich ein
hitziges Gefecht. Bierflaſchen und Backſteine, Büchſen- und Piſtolenſchüſſe flogen vom Boot auf's Ufer , und vom Ufer auf's Boot, eine Menge Menſchen ſtürzten blutend zuſammen, die Frauen und Kinder rannten fdyreiend und in Todesangſt auf dem Schiffe umher und wurden endlich unten zwiſchen den Maſchinenwänden geborgen. Der Kampf Sauerte faſt eine halbe Stunde , denn das Dampfſchiff war auf den Grund gefahren, und eben war es wieber flott, als ein Kanonenſchuß ihm nachdonnerte, der jedoch zum Glück ins Waſſer ging. Ein zweiter noch ſchlimmerer Abſchiedsgruß war ihm zugedacht von einer Landſpige , an welcher c8 vorbei mußte. Die stanone dort war ſchon geladen, gerichtet, und ſollte eben abgebrannt werden , als einige Milizoffiziere die gräßliche That verhinderten. Einige Tage lang wiederhallte die Entrüſtung in allen Zeitungen , eine Woche ſpäter war die Sache ſo gut wie vergeſſen .
XIII. Lores Volk in Almerika und anderswo .
In jedem
Lande gab es von jeher eine Klaſſe, weldic ſichy
Auflchnen gegen die öffentlidie Ruhe be in unaufhörlichem findet und auf den Straßen und Plätzen das ſtändige Trieb .werf der Bewegung biltet. Ihre breite Maſſe wächſt ihr zu aus dem niedern Volke, das von der Hand in den Mund lebt, aber ihre Angehörigen reichen auch in die oberſten Geſellſchafts ſchichten hinein . Der gemeinſame Grundzug dieſer Art Leute der Hang zum Müziggeheit, die Abneigung gegen ein ernſtes Geſchäft, welches täglich die beſten Stunden vom Manne fordert, und daneben das Verlangen nach Wechſel und Aufregung. Sie wollen cbeit loje Vögel bleiben , cs widerſtrebt ihrer Natur ſich feſtſchmieden zu laſſen. Dic innere Iluruhe treibt ſie auf die Straßen, unter das Volksgewoge, tort müſſen iſt
ſie ſich ſehen laſſen und von ſich reden machen. Verwirrung zu ſtiften , allerlei Streiche zu üben , zu raufen und zu lärmen und Muth und Witz zu zeigen , iſt die Luſt ihres Lebens. Herzhafte und launige Stücke lieben ſie am meiſten , und bei ihrer ärgſten Gewalthätigkeit fehlt ſelten ein Zug von Groß muth . Jedes Vergnügen treiben ſie gleich bis in die äußerſten Spißen , wo es in Widerwillen überſchlägt, und ihre Stunden theilen ſich daher häufig zwiſchen Aufregung
zum Uebermaaß
220 und gründlichem Efel an der ganzen Welt.
In ihrem äußern
Erſcheinen haben ſie immer etwas Leichtes, Natürliches , auch Pottriges , und wenn ſie auch von feinſter Erziehung her ſind , cient fie body etwas sarin rohkräftig aufzutreten . Regelmäßig Vilten ſich unter ihnici Sdaaren mit Anführern, die cine cina bringlide Macht üben , und die Meinung der Genoſſen hat größere Gewalt iber den Willen , als das beredteſte Ficheit der Familien und die beſſere Einſicht . Je locfcrer die Staatsverfaſſung , je berregter bas äffent Vidie Leben in einem Lande iſt, un fo cinflußreicher treibt ſicky dies Völklein in ihm hin und her ; jedoci, auch ter ärgſte Druck von cben , die nafcwcifcſte Polizei , wird es nie ganz tedt machen . Es fann allen Parteien angchören , in jeder Meibt co ſeinem Charakter getrci , nicht fonſervativ zu ſein. Wocin laucs Nlima hinzukommt, fchwillt dicſc Volfsart zu Waſſen an, dort iſt ſic aber auch inciſtens träge. Man hat verídyicrenc Namen für dieſe fonderbaren Leute, feine und gemeine, aber Surdy jedeit wird immer nur ein Bruchtheil von ilinci bezcichnet, und auch dieſer ſtets nur bei einem beſtimmten Volfe. Den cs verſteht ſid) von ſelbſt, daß gerade ilyre Klaſic sie nationalen Inarten ihres Volkes am vollſtändigſten in ſich aufnimmt und am meiſten keck und ferg los an den Tag legt . Ein kurzer Ueberblick wird uns auch von dieſer Seite die Bolfscharaktere vorführen .
in
ihrer Verſchiedenheit
Am laitoſten tritt das bezeichnete Element zu Tage bei den Rufen. Vorhanden iſt es aber ; auf den ruſſiſchen Dörfern fammelt ſich um den Wagen des Neijenden gleich ein Käuf Tein Gaffer, welche ſich mit allerlei Spitzreden und Gaufeleien erheitern. Das ruſſiſche Volk iſt nicht ohne Laune , aber die jungen Burſchen habent feinen Muth cinen rechten Streich zu wagen , man würde ſie bald ausfindig machen und als Refruten einſtellen, dann hat der Spaß . ein Ende.
Die eiſerne Zucht,
221 welche auf dem ganzen Volke liegt, hält den Uebermuth nieder, er macht fidy luft iit kleinen Schelmereien und diebiſchen Streichen, bei deren Ausführung der Thäter ſidy leicht wieder ins Dunkle verfriedyen kann . Hat der gemeine Ruſſe einmal Geld und Muth , ſo geht er zum nächſten Branntweinladen , läßt ſidy für ſeinen ganzen Reichthum auf einmal in einen Becher cyütten , und trinkt ihn audy ſofort in einem Zuge hinunter.
Dann wankt er ſtillſelig
ſo weit als die Beine
ihn tragen wollen , fällt hin wo er gerade zu liegen kommt, und bleibt in Nothy und Regen liegen , bis die Frauen ihn holen, oder bis er am Abend oder andern Morgen den trau rigen Rauſch ausgedlafen hat. Die vornehme ruſſiſche Jugend (deint ebenſowenig Anlage als Freiheit zu haben , in Geſell ſchaft auf Streiche auszugchen ; was von der Art vorkommt, ſieht auf ein Haar aus , als hätte man den Geſchmack dafür von anderswoher mitgebracht. Deſto ſtärfer findet ſidy jenes Element bei den Polent , jedoc) madhyt es ſich bei ihnen weniger auf den Straßen als in den großen Geſellſchaften und an öffentlichen Vergnügungs orten bemerklich , da aber auch breit, ſtürmiſch und roh genug. Der Pole bei Wein und Sameraden iſt gleich fertig z11 allen Dingen in der Welt; irgend ein Antrieb fliegt plötzlich durch eine ganze Geſellſchaft, man ſchreit und lärint und drängt ſich und ſchiebt ſich , und wenn es ohne brüderliche Gewalttätigkeit abgeht, kann man von Glück jagen . Im Bolen ſteckt unverwüſtlich etwas vom flotten Burſchen , nicht gerade Geiſt und Witz, aber ein angeborner Hang, in Geſellſchaft luſtig zu leben , zu wagen und ſich zu ruiniren. Freilich, die letzten zwanzig Jahre haben ſeinen fröhlichen Muth gewaltig gedämpft. Die übrigen Slawen ähneln zu ſehr den Ruſſen , ſie ſind in Unterdrückung aufgewachſen und ihre jungen Leute können ſich zu einem entſchloſſenen Streiche luſtiger Art nicht recht erheben. Dies geht bis in die Neugriechen hinein. Sie
222 ſtellen zwar ſtets einen beträchtlichen Theil müßigen Volkes auf die Straße, aber es bleibt eben nur müßig, vergnügt ſich mit Reden und Lachen , ſucht einander anzuführen und einen kleinen Verdienſt aufzuſchnappen. Bei Dorf- und Familien feſten aber , wo es nod; manchen Aufzug gibt , wird von den Burſchen häufig eine nediſche Geſchichte aufgeführt. Die Erziehung des jungen Türfen iſt viel zu ſtrenge und zu ſehr darauf bedacht , in ihm das Gefühl ſeiner Würde zu erwecken und ſtrengen Auſtand in Gang, Wort und Miene hervor zurufen, als daß er ſich jemals der Deffentlichkeit Preis gäbe. Sein ganzes Leben iſt außerdem mehr auf die ſtillen Räume ſeiner Wohnung eingerichtet. Tritt er ins Volk , ſo iſt er entweder voll Ruhe und gemeſſenen Ernſtes, oder grob und unverſchämt. Bei den andern Orientalen iſt das öffentliche Leben, ſo fehr es ſich auch auf den Straßen bewegt , doch noch ärmer an Gehalt , es iſt wie bei den Türfen der genoſſenſchaftliche Trieb bei ihiten zu fdywady. Sie liegen alle gern müßig in der Sonne und hören und bedenken mit Behagen ein wiţiges Wort oder einen ſchlauen Handel; aber immer iſt es nur der einzelne, der ſeine Streiche macht und dem ein Sdwarm nachläuft. Bei all den vorgenannten Völkern , beren politiſches Lebent für gewöhnlicy in gleichmäßiger dumpfer Rule
dahin gcht,
kommt zu Zeiteit eine plötzliche Erregung vor ; dann rennt alles mit, macht in Unzahlrohe und luſtige Streiche, aber bald läßt die Spannung wieder nach und die Maſſe kehrt zu ihrem cinförmigen Daſein zurück. Wir wenden uns zu den nordeuropäiſchen Völkern. Bei ihnen iſt es zu kalt , als daß man gewohnt wäre , fich viel auf den Straßen umher zu treiben . Aber die Anlage , kecke Geſchichten mit Freunden und Genoſſen zu unternehmen, iſt da, ſie vertheilt ſich nur in kleine Kreiſe und Verſammlungen. Es ſind die jungen Burſchen , welche Sonntags ſo lange vor
223 der Kirche ſtehen , bis der Prediger die Liturgie ſchon ange fangen hat, und dann unten in der Nirche nahe bei der Thür bleiben , um nachher zu Unfug jidh gleich wieder zuſammenzi finden ; auf den Hochzeiten und Fahrmärkten ergehen ſie ſich in tollen Späßen , und in den Spinnſtuben an den langen Winterabenden erſchrecken ſie die Mädchen . In den Städten fehlt es nid)t an einer Schaar junger Leute , welche Streiche aushecken, an ſchönen Abenden , wenn es dunkel geworden, von cinent Hauſe zum andern ihr Weſen treiben , und in Geſell ſchaften , und vornchmlid) da , wo itod öffentliche Aufzüge her Die Hauptſtädte haben ihre ſtändigen Haufert vont Matroſen , Siarrenführern , Aufladern , Handlangern und dergleidyen , weldie zu einem Handſtreich it gebracht ſind , den Ton angebeit.
Maſſe immer bald anzuwerben ſind. Charakteriſtiſch iſt es, taß in sen jungen Burſchen und Männern, wenn ſie öffentlid) zuſammentreffen , jich) cin unbändiger Hang funtgibt zu einer tüchtigen Rauferei; bei den romanijden Sölferit licht inan dafür mehr das Zungengefedyt mit heftigent (Gebärdenſpiel. In Deutſchland treffen wir auf dieciben Charakterzüge, wie im germaniſdien Norden , es iſt aber bei uns mehr Leben darin. Der scorporationstrick, welder ſich im deutſchen Mittelalter zu fo berrlichen Blüthyen entfaltete, iſt noch immer int inſernt Volfe regſan ; hätte er freien Naum fid) zu ent wickeln , ſo würde er zwar crſt ned ) ein paar Flegcljahre burdmachen , dann aber ſich entſchieden zum Landesbeſtent her vorthun. Bezeidinend für die Deutſchen , welche die Dinge des wirklichen Lebens gern in Maaß und Ordnung bringen, iſt că, daß ſie ihrer gebildctern Fugend Ort und Zeit beſtimmt angewieſen haben , wo ſie ſich austoben ſoll; das ſind die drei Jahre auf den Univerſitäten , wo der jugendliche Uebermuth eine Art Zunftredyt hat. Scyriebc man alles zuſammen , was in einem Jahre auf deutſchen Univerſitäten an ſchelmiſchen , oft derben , oft genialen Streichen ausgeführt wird , ſo möchte
224 noch jetzt cine hübſde Sammlung herauskommen . Kein anderes Volk hat ſich einer ſolchen Einrichtung zu erfreuen. Insbe ſondere ſind es die Verbindungen der Studenten , in welchen der genoſſenſchaftliche Geiſt auch in fröhlicher , manchmal hu moriſtiſcher Weiſe ſich ausläßt, itid mag einer auch manches gegen dieſe Vereinigungen , wie ſie jetzt beſtehen , einzuwenden haben, ſo kann man doch nicht ableugnen , daß ſie eine Schule ſind für den Charakter und eine Quelle von heiterem Leben und dauernden Freundſchaften. Was außerhalb der Univerſi täten von den jungen Leuten , wo eine Schaar von Neferendarien , Offizieren , Architekten , Forſt- und Bergleuten , jungen Kauf leuten und vorzüglich von Künſtlernt und Handwerksburſchen beiſammen iſt, an luſtigen Streiden , an (ärmenden Geſell daften und Aufzügen aufgeführt wird , mag für die Jahres cyronik jeter Stadt noch immer einen Beitrag liefern . Im Ganzen aber ſind wir Deutſche eben ein bürgerliches Volf, jene Gedidyten bleiben bei uns in den Gränzen beſtimmter Sîrciſe und greifen
nicht in das ganze Volt hinein , man be
theiligt ſich nur eine Zeitlang Saran und nimmt Abſchied da von, ſobald mait ins Amt oder Geſchäft fommt. Die unruhige Menge von begüterten Müßiggängern, welche ſich in den Städten der romaniſchen Länder anhäuft , ſich unter das Volk miſcht und täglich nach Neuem begierig iſt, findet ſich in Deutſchland nicht , es ſei denn ein Häuflein Litcrater . Quch haben wir nicht jene dicht gedrängten Volksinaſſen , weld )e ſich am liebſten auf den Straßen umtreiben und bloß von dem kleinen Ver dienſt leben, den ihnen die Stunde abwirft. Zwar ſtellt auch in Deutſchland jede größere Stadt davon ihre Haufen auf, beſonders Hamburg, Köln, Wien, Berlin, Breslau, München, Danzig, aber es herrſcht ſelbſt bei dieſen nicht ein ſolches un ruhiges, müßiggängeriſches Treiben, wie bei ihren Genoſſen im Weſten und Süden von uns. Der Deutſche, auch wenn er arm iſt, ſtrebt doch vor allem erſt nach einem Stückchen Grund
225 und Boden und nach einem feſten bürgerlichen Geſchäfte, und hat er das , dann iſt er auch ein Mann , der Straßenſtreiche, wenigſtens für
gewöhnlich ,
unter ſeiner Würde hält.
Im
Mittelalter , wo in den deutſchen Städten eine ſo mächtige, wohllebige und freie Bürgerſchaft und die Tage ohne Vergleich viel bewegter waren , als in jetziger Zeit , gab es auch junge und ältere Leute aus den gebildetern Ständen genug , welche mitten in den beweglichen Volksmaſſen verkehrten . In den Fahren 1848 und 1849 zeigten ſich ähnliche Erſcheinungen, fie traten aber bald wieder aus der Deffentlichkeit zurück. Die Holländer haben noch einen Reſt des regen und rüſtigen lebens , wie ſie es vor zwei Jahrhunderten kannten, in ihren Städten und Dörfern bewahrt ; die unteren Volks klaſſen haben den Humor und das Selbſtgefühl aus jener Zeit nocy nicht ganz verloren . Man muß nur einmal ein Volks feſt in Holland, wie den Rotterdamer Fahrmarkt, mitmachen , um zu erfahren wie viel Witz und luſt noch in dieſem Volke ſteckt. Die Matroſen ſind dort , wie in allen Handelsſtädten, zu Raufereien und Streichen aller Art jede Stunde bereit, und der junge holländiſche Kaufmann , was man auch ſonſt über ſeine Neigungen und Genüſſe von nicht ſehr geiſtiger Natur ſagen mag , hat wenigſtens noch nicht ganz den eng bürgerlichen Zuſchnitt, wie in vielen deutſchen Städten . Unter den deutſchen jungen Raufleuten bilden die von iſraelitiſcher Herkunft in der Regel einen anſehnlichen Theil und dieſe find von Natur zaghaft, was freilich nicht zu verwundern. England beſitzt eine wahrhafte Ariſtokratie , und dieſe hat ihre regelmäßigen monatelangen Zuſammenfünfte in London. Hier ſtellt ſich daher auch eine bedeutende Anzahl junger reicher Müßiggänger ein , welche Zeit und Geld zu allerlei Dingen haben, und bei den Vorzügen ihrer geſellſchaftlichen Stellung geneigt ſind, alles Mögliche fich zu erlauben. Dem Sport iſt ein guter Riot verwandt , Boren eine Lieblingsbeſchäftigung, 15 Löher, Land und Leute. I.
226 und der periodiſch ſich erneuernde Wahlkampf eine Aufforde rung , Kraft und Heberinuth auch auf der Straße zu zeigen . Als des Nachts nod) die Degen auf den Gaſſen klirrten, ſegte es unter den jungen Mitgliedern der ariſtokratiſchen Parteien nicht ſelten Gefechte mit allerlei Kriegsliſten ; dieſe Zeit iſt nun vorbei und eine Sdyaar junger Gentlemen vergnügt ſich jetzt wohl , wenn ſie Nachts aus Clubs und Geſellſchaften foinmen, mit Lärnten und Schreien , Laterneneinwerfen , Thür flopferabdrehen und ſchließlichem Nachtwächterklopfen , es gilt davon bas bekannte Goethe'lche Wort : wenig Witz und viel Bchagen . Die jungen Saufleute und Schreiber ahmen ihnen darin gern nach , ſo ſteif ſie auch bei Tage den Kopf zwiſchen den ſteifen Hemdfragen halten . Die Menge der abhängigen Leute, welche von der Sporting -Liebhaberei der jungen Adeli gert leben , ſind für dieſe ein ſtets gefügiges Mittel, ſich mit der Volksmaſje in Berührung zu ſetzen . Bei Aufzügen und De monſtrationen , wie z . B. für Koſſuth und gegen den Pabſt, befinden ſich die Anſtifter nicht ſelten in den Reiben der jünge ren Ariſtokratie. Das engliſche Volk in Maſſe hat keine Neigung für Lärm und Leben auf den Straßen , aber die außerordentliche Menge, welche auf der Inſel vom kleinen und ungewiſſen Verdienſt lebt, ſtellt täglid, Heere von ſolchen Leuten, welche nur eines Antriebs bedürfen, um auf und ab zu rennen und Unfug zu treiben ; die in England merkivürdig zahlreichen Gilden der kleinen Straßenbuben ſind dabei immer am erſten zur Hand. Am bewegteſten iſt dieſes Volk des Abends mit dem Dunfelwerden , namentlidy des Sonnabends, wo die Fabrik arbeiter die Wochenlöhnung empfangen , bei den Wahlſdylachten , und in der Nähe der Standlager der Matroſen . Man kennt das Volt in England immer nur theilweiſe, wenn man es nicht auch einmal einen ganzen Abend bis in die Nacht hinein auf den Straßen geſehen hat. 3mmer ſtärker ſchwillt die Bevölkerung,
welche in folcher
3
227 Weiſe Verdienſt und rohe Aufregung ſucht, in England an durch das wälſche und gäliſche Element, welches noch in Groß britannien herbergt. Da iſt zuerſt der Frländer , jedes Jahr kommt er zahlreicher über den Kanal herüber. Er gehört durch und durch zit dem leichten Volke, init dem wir uns hier beſchäftigen : trinken , raufen , lieben , das ſind alle ſeine Ge danken , für Nahrung Kleiding und Wohnung thut er mur das Allertürftigſte , er hat ſtete Caune ſtets Zeit zu unnützen In ſeiner Heimath giebt es kaum irgend eine Zu Streidyen. ſammenkunft auf Straßen und Plätzen , wo nicht die Menge ein paarmal wild hin und herwogt und die Schilelas, die Schlagſtöcke, auf den Köpfen tanzen. Zunge, ich hab dich ſo lieb , ich möchte dich gleic) niederſchlagen , iſt ſeint brüter Der licher Zuruf , wenn ein Jrländer recht fröhlich iſt. Schotte hat zivar auch einen ſtarken Zug dieſer Art in ſeinem Charakter, früher liebte er felir die Clansraufereien , aber in der neitern Zeit iſt er zit induſtriös, zu geizig und kleinlich ge worden , als daß er ſich ſo leicht die Zügel fchicßen ließe . Der Walliſer iſt ein ähnlicher Menſch , jedoch wird ſein Naturell immer ſtiller , der Angelſachſe hat ihn zu Hart bear beitet. Sieht man ihn aber in ſeinem Heimathlande auf Fahr märften und den andern mancherlei Volksfeſten, weldie ſich in den Bergen von Nordwales noch crvalten haben , ſo merkt man leicht die Neigung, Nutel zu bilden ud iin Ruder blind Es iſt hier, wie bei dem Frländer und Schotten, nicht die Genoſſenſchaft, welche nady Art der germaniſchen Völker ein Abenteuer crſt gehörig überlegt und dabei jeden zu Worte fommen läßt , ſondern C8 iſt vorzugsweiſe immer ter Einzelne, dem auf einmal einfällt , den übrigen etwas vorzu tanzen oder ihnen ſonſt einen Antrieb zu geben , und dem dann die übrigen jubelnd und ſchreiend, einer den andern über Aehnliche Züge findet man bei den laufend , nadyfolgen. mitzulaufen .
Gascognern in Frankreich und den Basken in Spanien. 15 *
228 Doch alle dieſe Völkerſchaftsreſte haben für ſich allein keine politiſche Geltung mehr, ſie bedeuten nur dadurch noch etwas, daß ihre Art zu wirthſchaften in den Völkern fortlebt, welche aus der Vermiſchung mit ihnen hervorgegangert ſind.
Das iſt nun vorzugsweiſe der Fall bei den Völkern roma niſcher Zunge , bei denen das milde Klima dem angeboriten Hange zum müßigen Schlendern entgegenkommt, Der Franzoſe eilt , wo immer ihn etwas Neues Lockt, auf die Straße und giebt ſich ohne viel Nachdenken dem An trieb hin, der bort auf einmal alle Leute befällt. Das Stich wort für den Tag , für die Stunde ' kommt , man weiß nicht wie, irgendwoher geflogen, und plötzlich iſt es in aller Munde, und Stimmen und Hände ſind geſchäftig es auszudrücken . Der Auflauf, die Revolution, überfällt die Leute wie ein Schwindel, alles eilt und drängt, irgend ein Reſultat zu ſehen , und iſt es erreicht, folgt erſt das Bedenken . Ich weiß nicht wer von ihnen einmal ſpottend ſagte : die Franzoſen ſind wie die Affen , die emſig und eifrig von Aft zu Aſt ſteigen und, ſind ſie oben auf des Baumes Wipfel, das Geſäß weiſen . Man muß über den Vergleich lachen , aber ein wenig Wahrheit iſt darin. Leichtblütiges Volk , welches irgend einen Gedanken , einen Wunſch , etwas das gleichſam in der Luft ſchwebt, auffaßt und den erſten Ruf ausſtößt, findet ſich immer auf den öffentlichen Pläßen, in den Kaffeehäuſern , auf den Straßen. Das iſt zu nächſt die große Menge junger Leute aus den wohlhabenden Fa milien , welche die Gewohnheit haben , den beſten Theil des Tages ſich an öffentlichen Orten aufzuhalten , ſowohl die eigentlichen Nichtsthuer, als Studenten , junge Advokaten , Künſtler, Aerzte und die Zahl der Publiziſten . Das ledigloſe Umherſchlendern währt bei den jungen Männern in Frankreich länger als in Deutſchland, weil ſie einmal an die Vorſtellung gewöhnt ſind, daß eine Familie auch ein Haus machen oder doch viel brauchen muß , und daher erſt dann ernſtlich daran denken , den eigenen
229 Heerd zu errichten, wenn die Einfünfte ſchon ſicher und nicht mehr klein ſind. Auf dieſe gebiltete Klaſſe , welche in den franzöſiſchen Städten einen auch dem Durchreiſenden auffälli gen Theil der Bevölkerung ausmacht, hören die viel zahlreicheren Haufen von alten und jungen Handwerkern , Fabrikarbeiterit und Handlangern, welche cbenfalls zum cigenen Geſchäfte nicht kommen können oder die Feſſeln des Hausſtandes ſcheuen . Der Pariſer Gamin wie der Parijer Flancur hat ſeine Sdyat tirungen an allen Orten , auch auf den Dörfern hält fid ſtets ein Häuflein zuſammen, meldes ten Ton angiebt. Die Mehr zahl beſteht zwar aus jüngeren Leuten , aber ein nicht kleiner Theil gehört auchy tem reiferen Alter an . Bemerkenswerth iſt, taß bei den Franzoſen dieſe Art Leute weniger Sarauf aus geht, ſich unter einander Streidhe zu ſpiclen , als ſie unwillführ Yich ſtets die Neigung hat , vor die Oeffentlichkeit zu treten und die ganze Bevölkerung der Stadt oder tcs Dorfes zu er regen . Der Drang, ſich ſehen zu laſſen, iſt bei dem Franzoſen einmal etwas Nationales . Bei den Spaniern iſt zwar die Zeit der Mantel - und Degcuſtücke, weldie dic Abende und Nädyte unter den Balkons ſpielten , vorbei, die jetzigen Spanier legen ſich crtentlich dar auf, ein konſtitutionelles bürgerliches Volk zu ſein . Aber die alte Abenteuerluſt iſt keineswegs ganz erſtorben , ser Held und Matador findet inimer noch leidt die Schaaren , die ihm nach ziehen, und ſeitdem die bürgerlichen Kriege ſie nicht mehr be chäftigen , ſind es die politiſchen Reibungen. Es giebt in Spanien noch überall cine zahlreiche Nlaſſe Menſchen , welde zwar nicht ganz ſo ſorglos wie ihre Genoſſen in Italien in den Tag hineinleben , jedoch ihre Bedürfniſſe von einem un glaublich kleinen und ungewiſſen Verdienſt ſich verſchaffen . Dieſes Volk ſteht auf der Lauer und horcyt, wo eine öffent liche Bewegung, ein Auflauf, ein Handgemenge im Anzug iſt. Wo der Italiener noch lacht und zujieht, da ſpringt der Spas
230 nier ſchon zu und ſchlägt dazwiſchen. Auch die ſtehende Figur der alten ſpaniſchen Romane , der arme Hidalgo, fehlt nicht, er iſt ebenfals etwas Nationales bei den Spaniern , weil dort Armuth und Stolz ſo häufig zuſammen ſind, der Hidalgo hat heutzutage einen ſchäbigen Frack angezogen, ſeinen maleriſchen Filzhut aber hat er behalten . Vornehmlich ſind die Stunden ain Abend, wo die Dunkelheit ſo ſchnell hereinbricht, die Zeit wo ſich die Geſchichten auf der Straße anſpinnen , welche die ruhigen Bürger in Angſt verſetzen und wohl noch hin und wieder in blutige Fagden mehrere Gaſſen hinab ausarten. Die Portugieſen haben eine Menge feinen und großen Geſindels, welches ſich auf den Straßen uinhertreibt, neugierig und wisſpielend , unruhig und händelſüchtig ; aber ſo oft es aud) mit der Polizei an cinander geräth , Mannesmuth ſitzt nicht viel darin . Es begnügt ſich mit der erſten beſten Auf regung, welche ſchnell wieder vorübergeht, empfangene Streiche rädyt man dort heimlich ) und im Dunkeln . 3it feinem Sante Europas aber mehrt ſich die unruhige Beröiferung , welche von crnſten Banden des Familien- und Geſchäftslebens nicht umfaßt wird , ſo ſehr als in Italien. Fhre Sdjaaren nehinent zit ſowohl durch Nachfommen des alten Adels , als durch Söhne aus angeſehenen Bürgerfamilien , fei es , daß ſie in der Revolution ihre Stellung verloren haben , oder daß ihnen als politiſch Mißliebigen die Acinter verfdloſſen ſind, oder daß ſie ſelbſt aus Haß gegen die jetzt Regierenden ſich davon ausſdhließen . Jede Stadt , ja faſt jeder große Fa milienfreis beherbergt einige von ihnent, alte und junge Männer gehören dazu, ſie leben in unaufhörlicher Haſt und Spannung, und wie alle politiſch Unglücklichen und Verfolgten ſind ſie unter einander durd, Parteiungen verbittert. Die heiteren forg loſen Geſellſchaften von Frauen und Männern , welche ſich in Italien auf eine ſo leichte und natürliche Weiſe das Leben an muthig zu machen wiſſen und zu zahüoſen Entriguen Anlaß
231 geben, ſind zwar noch da in dem ſonnigen Lande , aber durch ihr freundliches Behagen ídlingt ſich hindurch jener andere finſtere Reigen. Wie maſſenhaft aber das Volk der Gondo liere , Laſtträger , Bergamasken , Lazzaronis , Fiſcher und wie die geringen Leute weiter heißen, ſich unter jene Anführer ſtellt und zu welchen Sdyritten es fid hinreißen läßt , iſt bekannt genug geworden. Ohne Vergleich zahlreichcr, und beweglicher als in den franzöſiſchen Städten und Dörfern iſt dieſe Volfs art in den italieniſchen Ortſchaften zuſammen : am Strande, auf den Bläten , vor den Kirchen , an den Gaſthäuſern ſieht man vom früheſten Morgen bis in die Nacht eine Anzahl ſtehen , die Jacke über die Schultern geſchlagen warten ſie auf Arbeit und neue Dinge. Noch ſchneller als die Franzoſen ſind ſie mit Spott- und Witzreten bei der Hand , und wenn Ser Fremde die Ortsmundart verſtände, ſo würde er von ihnen eine Menge von kurzen treffenden Bemerkungen und fecken Witzen hören , in denen jedoc) mehr luſtiger Muth als Bos heit iſt. Von altersher hat jeder Ort eine ſolche ſtehende, aus dem jungen Anwuchs ſich immer erneuernde Brüderſchaft, deren Mitglieder zuſammenhalten , wo irgend etwas auf der Straße zu thun iſt, jedoch wenn die Noth an den Mann kommt, auch leicht ausreißen . Wir verſetzen uns nun nach Amerika . Dort iſt das rechte Sand für die ſchlechteſte Sorte der Peute , die wir hier fdildern . Das ganze Südamerika , Merico und Cuba beber bergen eine unglaubliche Maſſe Geſindels , welches Tag und Nacht auf den Straßen liegt. Die heiße Luft , welche die Thätigkeit des Geiſtes und der Glieder lähmt, die Leidytigkeit, jich Lebensunterhalt zu gewinnen , die Miſchung aus europäi ſchein , indianiſchem und negeriſchem Blute , die Lockerheit der bürgerlichen Geſchäfte, das Zuſtrömen lediger und roher Bur ſchen aus Europa , das ſind die Urſachen , weshalb dort ſich
232 das Geſindel häuft. Die Familien, mit Ansnahme der großen Grundbeſiter und der europäiſden Kaufleute in den See ſtädten , ſind gar nicht ſo feſt in ihrem Vermögen wie in Europa ; es iſt ſehr leicht, dort ein neues Geſchäft anzufangen, aber noch viel leichter, das Erworbene wieder zu verlieren . Die Leidenſchaft , welde in jenen Ländern für das Spiel herrſcht, trägt ſich auch in die Geſchäfte über. Die Miſdjung aber mit Indianerblut, welche trotz des Abläugnens in nidyt wenige Familien hinein reicyt, wirkt noch nach, auch wenn ſie im Weißen ſchon ganz verflüdytigt ſcheint ; in Südamerika geben auch wohlhabendere kleine Grundbeſitcr ihren Stindern ſchwarze Ammen , das kann nicht ohne Einfluß auf Geiſtes und Gemüthsart der Siinder bleiben . Es liegt bekanntlich wil ben Völfern recht in der Natur , id ) uidyt ſtändig zu beſchäf tigen , ſondern hin und her zu lettern , halb träumeriſch zli leben und zwiſchendurch einmal ſid , gewaltſam aufzuregen. Ja wenn man ſicht , wie idynell der yang zum indianiſchen Müßig gang und zum ſinnlichen eben ſchon in den Kindern ber ein= gewanderten Europäer auffeimt, jo us inant nothwendig auf eine innere Umwandlung
der geiſtigen
und leiblichen Natur
ſchließen , wodurch ſich jenes dunkle , Heiße Blut erzeugt , das für gewöhnlid , träg und trübe wallt, aber zu Zeiten Feuer und Funken ſprüht. Nidyt aus ſchlechten Staatsverfaſſungen --- denn dieſe ſind and sort oft vortrefflich und ſolid ausge dacht - fondern aus der aufrühreriſchen Natur der einheimi ſchen Bevölkerung entſpringt die Reihe von Revolutionen , die in jenen Ländern periodiſch wiederkehrent. Es geht nicht anders, auch unter den Formen der freieſten Staatsverfaſſung muß dort ein ſcharfes Regiment die Maſſen des Sejindels nieder halten ; hat jenes eine Zeit gedauert, wird durch) neuen Aufrulr ein anderes wieder an ſeine Stelle geſetzt. Es wird noch eine ſehr lange Zeit vergehen, bis ſich feſte und durchweg geordnete Zuſtände herſtellen. In Braſilien , wo die großen Grundbes
233 ſitzer noch hinlängliche Macht üben , und in den Seeſtädten, wo europäiſche Kaufleute eine wachſame Polizei befolden , iſt verhältniſmäßig die öffentliche Ordnung noch am meiſten ge fichert. Rein Land der Welt aber weiſt ſo mächtige und organiſirte
Banden auf, deren Hauptquartier die Straße und deren Haupt geſchäft Unruhſtiften iſt , als die Vereinigten Staaten von Nordamerika . Nachdem wir bisher von den ſlawiſden und orientaliſchen Völkern zu den germaniſdien , celtiſchen, rontaniſdien Völkern und endlich zu den Miſchungen der letztern im frühern ſpaniſchen Amerika fortſchritten , fanden wir von Land zu Land bag loſe Volk ſtärker vertreten : mit den freien Staaten Nordamerikas , wo es ipt vollſten Flore iſt, haben wir unſere Skizzen zu ſchließen. Die beidert Hauptflaſſen , in welche es dert zerfällt, ſind Rowdies und Loafers, Unterarten werden wir ſpäter bemerken . Beide unterſcheiden ſich von ähnlidem Vorfe in andern Ländern dadurch , daß ſie nicht lumpig , ſondern wenigſtens halbwegs anſtändig gekleidet geheil, daß Gebildetere aus den crſten Frei fen der Geſellſchaft ganz mit ihnen verwachſen ſind , daß ſie in ben öffentlichen Angelegenheiten einen wohl organiſirten Einfluß üben , auf den Straßen entſdieben die Herrſchaft haben , mb ungeſcheut und ineiſt auch imgeſtraft die wildeſten Streide und Verbrechen begehen. Man muß den Grund zu ihrem ſo ausgedehnten Anwachſen zunächſt im irländiſchen Charakter ſuchen ; von den früheſten Anſiedelungen an ſind bei weitem mehr Frifdie als Engländer nad Nordamerika gekommen und haben das Müßiggängeriſche , Ungeſtüme und Rohe , das in ihrem Charakter liegt, dort eingebürgert. Die elterliche Zucht im Hauſe iſt bei den Nordamerikanern faſt Null zu nennen , der Drang und die Leichtigkeit, ſich öffentlich hervorzuthun, führt frühzeitig auf die Straßen , die lockere Staatsverfaſſung und die ſchwache Polizei laſſen dann die Maſſen wohlgekleideten
234 Geſindels Raum gewinnen. Nicht bloß Aermere , welche die tägliche regelmäßige Arbeit ſcheuen , ſondern auch Söhne aus alten und begüterten Familien gerathen in ſeine Reihen. Der junge Amerikaner hat nämlich , da ſeine Studienzeit bald ab gethan iſt, noch ein paar Jahre frei, ehe er Frau und Geſchäft bekommt; dieſe Zwiſchenzeit wendet er häufig zu nichts ande rem an , als daß er umherſtreift, ſich in jederlei öffentlichen Angelegenheiten, in den Verſammlungen, Gerichtshöfen, Wirths Häuſern zu ſchaffen macht , und mit dabei iſt, wo es etivas auf der Straße zu thun giebt. So ſammeln ſich denn in den verſchiedenen Stadtbezirken die Befannten dieſer Art Tags über in den Sdcufzimmern , auf den Segelbahnen , in den Auſterfellern und Spielhöllent und Abends an den Straßeneden . Ein Hauptquartier bilden auch die Spritzenhäuſer.
Um bei den täglich
ausbrechenden
Feuersbrünſten gleich bei der Hand zu ſein, haben ſich ſtändige Feuercompagnien , meiſt aus Freiwilligent, gebildet , von denen eine Anzahl inmer im Spritzenhauſe Wache hält. Sobald das Feuerzeichen tönt , laſſen ſie ihre Gloce challen , dann eilen die ſie über ſieht ein aus , als
andern herbei , und raſſelnd, läutend, brüllend ſtürzen die Straßen zum Feuerplatze ; namentlid) bei Nacht ſolches Rennen und Läuten mit Fadeln und Paternen fäme eine Schaar aus der Hölle . Solde Sammel
plätze wiederhallen nun von rohen Witzen und Gelächter , und dabei werden die Streiche ausgehect : ſo wie ein Plan gefällt, ſtürzt auch gleich die ganze Bande fort ihn auszuführen . Bald iſt es ein öffentlicher Aufzug mit Bannern und Schießen , um irgend einen Mann oder ein Tagesereigniß zu feiern , bald gilt es eine Verſammlung zu ſprengen , einem mißliebigen Wirthe das Haus zu ſtürmen , einer andern Feuercompagnie ein offenes Gefecht zu liefern, balb über Deutſche, welche ſich etwa zu
einem
Feſte im Freien vereinigt haben , herzufallen ,
bald audy einem Hauſe voll Freudenmädchen , in welchem ter
235 eine
oder andere ſid, beleidigt hielt , das Dach abzudecken.
Sie legen auc) wohl mal ein tüchtig Feuer an, jedoch bloß in Spaß oder Arbeit zu haben . Beſonders gern ſuchen ſie deutſche Schenkwirthe heim , und dieſe ſind in manchen Stadt theilen ſchon gewohnt, wenn ein ſolcher Burſch in den laten tritt , mit dein geforderten Glas Brandy auch die geladenen Piſtolen von der Wand zu nehinen . Das Unabhängigkeitsfeſt und der Neujahrstag ſind die Zeiten , wo ſich dies Volk in ſeiner ganzen Verwegenheit briſtet. Dann verfällt es in wahre Tobſucht , aber nicht in Zchutel ſeiner Frevelthaten wird im Gefängniſſe gebüßt. Es giebt eine Menge grundſchändlicher Menſchen tarunter, aber bei weitem die meiſten freven nur aus Luſt am Lärnicit und Kaufen, aus Brahlſucht und lieber muth . Es iſt das wilte Aufſdäitmen der Jugend in einem jungen reichen Lande, den ſich ungezügelte Leitenſchaft und Verbrecheit zugeſellent. Biele Rowsies und Loafers benehmeit jid ſehr häufig als sie gutherzigſten Leute, manche ihrer Streiche zeugen von Luſt umd Lame und es fehlen bei ihnen nicht Züge von Edelmuth , Brüderlichkeit und Aufopferung für einander in Gefahr , und wenn ilyr Stolz aufgeregt iſt, opfern ſie ſidy auch zuin gemeinen Beſten . Iſt einer verhaftet oder verurtheilt, jo ſtellen die andern die Bürgſchafts- oder Strafjuminen. Daß ſie tapfer wären , kann man gerade nidyt ſagen , wo ſic nicht die Uebernacht haben , reißen ſie aus. Weitit aber ihr Land von einem äußern Feinde angegriffen würde , würde ſich gleich ein guter Theil von ihnen in eifrige Matroſen und Sol Daten verwandeln . Die ärgſteit dieſer Burſchen , die Kowbies , bilteit unter den übrigen beſondere kleine Kameradſchaften , welche Frevel jeder Art treiben, nicht etwa mit Witz und Schlauheit, ſondern roh und gewalttätig ; Erpreſſung , blutige Raufcreien , Raub und Einbruch , Nothzudyt, Mord ſind Dinge, welche bei ihnen gar nicht ungewöhnlich ſind . Auch auf den großen Dampf
236 ſchiffen , vorzüglich im Weſten , haben ſie ihr Weſen, da ſpielen die Neger und Farbigen mit ihnen wohl unter einer Decke. Tags über ſpielen , trinken und fluchen ſie im Schenkzimmer, leeren heimlich die Roffer der Reiſenden oder ſchaffen ſie auch ganz bei Seite . Ohne Meſſer und Piſtolen mit drehenden Läufen gehen fie nicht aus , im Weſten und Süden führen ſie auch das Bowiemeſſer.
Der däniſche und dwediſche Burſch
braucit mit Vorliebe einen guten Eichenſtock , der deutſche Student den blanken Sdläger , der Engländer die Fauſt, der Franzoſe den feinen Stoßdegen , der Italiener den tückiſchen Doldy, bei den amerikaniſchen Burſdien hat das breite Meſſer Zuneigung gefunden . In den Städten treiben ſich die Row dies hauptſächlich vom Dunfelwerden bis zur Mitternacht um her ; nicht immer aus Raubſucht, auch bloß aus Muthwillen ſdlagen ſie ruhige Leute nieder , die ihnen begegnen . In den Theatern befindet ſid) oben hinter der Galcrie ein Schenk zimmer , wo ſie mit ilren Dirnen ſich luſtig madjen. Boyu ( Junge , Burſche) iſt das Lieblingswort, mit dem ſie ſich an reden ; bort Botys ( darfe Burſden ) ſind die jüngern , welche noch gewiffe Manieren haben und mehr aus Liebhaberei, aus Raubluſt die Sache mitmachen ; Fighters (Raufer) heißen diejenigen , deren Handwerk barin beſteht, Händel zu ſuchen , Geld zu erpreſſen , von den deutſchen Wirthen Getränke ſich gewalthätiger Weiſe zu nehmen ; " Nillers . ( Todtſchläger) ſind die rohen und ſtarken Menſden , welche recht eigentlich auf blutige Händel ansgehen und den Gewinn , den ihnen Spiel und Scurkerei nicht eingebracit haben , durch Raub und Mord ſuchen . Die Rowdies erſcheinen bald in der einen , bald in der andern Stadt auffälliger imd zahlreicher, und ſind dann auf einmal bis auf die kleine ſtändige Schaar wieder verſchwunden , ſie machen große Reifen und kennen die Nam hafteren der Brüderſchaft und die Dertlichkeit in allen größern Städten .
237 Das ganze übrige Straßengeſindel bezeichnet man mit dem Ramen Loafers. Dies ſind die Herumtreiber, welche fic) ir gendwie Geld und Vergnügen zu machen ſuchen. Wo etwas zu ſehen , zu ſprechen , zu lärmen giebt , da ſind ſie die erſten dabei , und ihre größte Freude iſt ein Maſſenaufzug mit viel Lärm und Spektakel. Die ruhigſten ſind die loungers 11, (Müßiggänger) , vermögende Leute, welche kein Geſchäft haben und ſich die Zeit vertreiben wollen . Weil ihnen für geiſtige Beſchäftigung Geſchmack und Kenntniſſe fehlen , fo bleibt ihnen nichts übrig als an den Orten , wo Leute ſich verſammeln , Zerſtreuung zu ſuchen .
Schärfer in ihrem Weſen , jedoch noch
vornehm , ſind die „ Bladlegsu (Sdywarzbeinige), ſo genannt, weil ſie ſchwarze Beinkleider tragen ; ſie ſind eine rohe Karri fatur des europäiſchen Dandy , Lion oder Flaneur , und die Hauptleute in den Spielhöllen und andern ſchlechten Häuſern, machen des Nachts auch wohl einige Rowdyſtreiche. Was in den großen Städten manchmal eine kleine Schaar junger Kaufleute und Advokaten an einem einzigen Abend für wilde Stücke ausführt , davor würde man in Europa erſchrecken ; ſie rennen aus einem Schenk- und Freudenhauſe ins andere, trinfen überall und machen Unfug jo arg und berb es nur angeht . Ihre einzige Sorge iſt, der Polizei nicht in die Hände zu fallen , weil ihre Namen dann in die öffentlichen Blätter kämen ; ihnen iſt die Polizei gefährlich , nicht aber den ſtändigen Rowdies. Die untere Klaſſe der Loafers , welche eigentlich ſo genannt werden , iſt außerordentlich zahlreich, ſie ſind unſere Bummler , Ekenſteher , Stromer , aber ſie unter fdheiden ſich von ihren europäiſchen Brüdern dadurch , daß ſie raſtlos beſchäftigt ſind, wenn auch nur immer mit Nichtigkeiten. Sie tragen lieber alte Filzhüte als fappen , und ſind im Aeußern keineswegs ſauber ; der Rowdy liebt die Wachstuchkappe, fleidet ſich jedoch nicht ſchlecht; merkwürdig aber bei Beiben iſt, daß ſie gern die Hoſen unten umkrempen . Zu den Loafers
238 der niedrigſten Sorte gehören auch die Runners" ( Ausläufer ), welche durd) Liſt oder Gewalt die Einwanderer gleich von den Schiffen in die Wirthshäuſer und zu den Agenturen für die Reiſebeförderung ziehen , wo ſie auf das ſchamloſeſte betrogen werden. Es fragt nun ein Europäer: aber giebt es denn keine Hülfe gegen ſolche Banden ? kann man nicht wenigſtens den Row dies das Handwerk legen ? Nein , ohne ſtehende Heere iſt das niemals vollſtändig möglicy, und cher erträgt der Amerifaner, daß bes Alende ſcine Straßen ſicher ſind , als daß er die Koſten und die Gefahr übernähme, welche mit ſtehenden Heeren verbunden ſind. Er ſagt in ſeiner Weiſe : lieber wolle er Raufer und Müßiggänger aus Liebhaberei sulten , als ſie patentiren und in Ilniforin ſtecken , denn der Schaden und die Noſten , welche ſtehende Heere dem Lande brädyten , würde größer ſein als alle Einbuße durch die Nowdyſtreiche . Zu Zeiten nehmen nun die Newdies und mit ihnen das Häuſer ſtürmen , die Brände und die lInſidyerheit auf den Straßen ſo überhand, daß die Polizei dagegen ſo gut wie machtlos iſt; man crträgt das lebel , bis es ſich von ſelbſt wictor ändert, oder die freiwillige Miliz, worunter namentlich die Deutſchen zählen , auf den Platz tritt . Auch zit einer ſchärferen und zahlreicheren Polizei will der Amerikaner fid) nicht verſtehen , cr habt nidyts mehr als ein immer ſichtbares Eingreifen der Polizei und ineint : der Now dies könne ſich jeder Mann crivelren oder ihnen wenigſtens aus dem Wege gehen, gegen eine europäiſche Polizei aber gebe es keine Abwehr, und wenn man alles in allem redyne, werde die letztere mehr Leben und Gewinn im Beginnen ſcion unter drücken , als die Rowdies zerſtörten . Hält man ihm das Bei ſpiel Englands entgegen , ſo meint er wieder : England ſei ein altes Land , das fühle nicht mchr die Mißſtände , welche ſich in einem ſo jungen und ſo freien kräftigen Volke von ſelbſt
239 erzeugten . Ueberhaupt ſucht der Amerikaner das Rowdy - Uebel eher zu vertuſchen und es mit Jugendſtreichen und Ueberfülle von Muth und Kraft zu entſchuldigen, als daß er es in ſeiner ganzen Größe eingeſtände. Eine Hauptſache iſt aber, daß die politiſchen Parteien, wie ſie jetzt einmal geworden, ihre hartnäckigen Wahlkämpfe ohne die Rowdies und Loafers gar nicht führen könnten , dieſe ſind die Leute , welche die Politik der Partei häupter dem Volke mundgerecht machen , die Stimmberechtigten zuſammenwerben und herbeiholen , die Gegenpartei zurück ſchrecken , Wahlkaſten zertrümmern , kurz hin und wieder das Volk terroriſiren. Es iſt nicht ſo ſelten , daß Rowdies für ihre Hülfe bei den Wahlen init großen und kleinen Aemtern belohnt werden , gerade in der niedern Polizei finden ſie ihre Stellen und ſind dann geneigt, ihren alten Kameraden durd, die Finger zu ſehen . Treibt aber das Straßenvolt feine Rohheiten zit arg, ſo heißt es bei dem Amerikaner regelmäßig, es häufe ſich an aus den hungrigen und ungebildeten Sdwärmen der Ein wanderer. Das iſt aber ſo unwahr, daß man die Rowdies nur einmal recht anzuſehen oder ihnen zuzuhören braucht, um zu wiſſen , daß ſie ächte eingeborne Landesſühne ſind. Unter den Loafers fammeln ſich Eingewanderte idon eher, namentlich Irländer. Das Rowdy- und Loaferweſen iſt im Ganzen recht eigentlich aus den amerikaniſchen Zuſtänden hervorgegangen. Wir haben idyon vorher bei Südamerika Gründe dafür be zeichnet, ähnliche wirken auch in den Vereinigten Staaten , in dieſen aber kommt das volle ungebändigte Strafts- und Frei heitsgefühl dazu. Frevel , die in andern Ländern das Dunkle ſuchent , treten hier wo alles öffentlich iſt, auch frecher auf und ſchärfer ans Tageslicht. Wie politiſche und ſoziale Un freiheit und Erwerbsmangel in andern Ländern Maſſen ge drückten Volkes hervorbringt, welche in Armuth, Nummer und Bangigkeit ihre Tage hinbringen , ſo erzeugt die amerikaniſche Freiheit und die Leichtigkeit, ſich das Nöthige zum Unterhalte
240 zu verſchaffen , eine Menge müßiggängeriſchen Volfes , welches zu jedem Unfug aufgelegt iſt. Solches Volk gab es in allen neu beſiedelten Gegenden , wo das Land ſo weit , die Polizei ſo ſchwach iſt und die rohe Kraft ſo viel gilt. Fekt treten in Californien die " Hounds . mit Piſtolen im Gürtel auf , zu Ende dieſes Jahrhunderts hatten die Piraten auf den weſtlichen Flüſſen noch ihre ſichern Verſtecke, noch früher herbergten auch in den Seeſtädten Sie gewalthätigſten Banden . Sie nahmen ab, je mehr anſtändige Leute ihren Abſcheu dagegen ausdrückten, gleichwie die ſtehenden Krankheiten ſich minderten , als nüch ternes und reinliches Leben allgemeiner wurde.
XIV .
Waſhington .
Die vierzig engliſche Meilen von Baltimore nach Waſhing ton fuhr ich in anderthalb Stunden . Der Wagen raſſelte, die Schienen ziſchten und ſchrien , die Räder ſprangen auf und ab , aber immer ging es reißend vorwärts . Zudem war es dunkler Abend , und ich konnte die Bilder von dem nicht ver ſcheuchen , was ich ſchon an zerlöcherten Brücken und empor ſtehenden Schienen auf amerikaniſchen Eiſenbahnen geſehen hatte. Man wird zwar in Amerika balb etwas gleichgültig gegen ſein bischen Leben , aber diesmal freute ich mich doch, als wir glücklich in Waſhington waren . Daß dieſe Stadt ſeltſam ausſieht, iſt bekannt. Ueberblickt man ſie von der Höhe des Kapitols , ſo ragen hier und dort, weit von einander , Staatsgebäude auf, hoch und machtvoll als wären ſie für Rieſen gebaut , und dazwiſchen in den meilen ( angen Straßen ſucht das Auge zwiſchen kleinen Wohnungen und Schuppen oder in weiten Häuſerlücken umher. Es ſtehen dort zwar genug ſtattliche Wohnhäuſer , aber ſie verſchwinden ganz gegen die Größe der öffentlichen Gebäude und in der Weite der Straßen und Plätze. Das Ganze nimmt ſich aus, als habe man ſich nach einer Feuersbrunſt eben dürftig wieder angeſiedelt, und ſei nun Pöher , land und Lente. I.
erſt mit den paar großen Häuſern 16
242 fertig geworden , zum Zeichen , was die ganze Stadt werden foüle. Dieſe wird aber unfertig bleiben , der Handel, auf deſſen Goldſtröme ſicher gerechnet wurde, hat ſie links liegen laſſen , und Könige, die durch ihr Machtwort Reſidenzen ſchaffen , giebt es in Amerika nicht. Die Rattenburg in Raffel macht einen ähnlichen Eindruck des Großartigen und Unvollendeten wie dieſe Bundesſtadt, welche die Amerikanerndie Stadt der weiten Alleen , niennen , um damit zu ſagen , es gäbe mehr Straßen Sort als Häuſer. Was aber an Staatsgebäuden ſteht, das iſt alles majeſtä tiſch aufgerichtet , würdig der Größe des Bundesſtaats , der weite Länder und Meere beherrſcht. Eine ſtolzere Säulenhalle als vor dem Schatfammergebäitde
giebt es nur noch in den
Ruinen der griechiſch=ſiciliſden Städte . Das Kapitol iſt eines der prachtvollſten Bauwerke auf der Welt ; im Einzelnen ſtört zwar, namentlich in den Aufſätzen der Seitenflügel, manches Unharmoniſche, aber das Ganze hat ein ſtolzes und gewaltiges Anſehen ,
und man hätte dafür keine gebie
tendere Anhöhe finden können , als auf der es ſteht. Aus den Fenſtern der Kongreßfäle ſtreift das Auge über dunkle Wald höhen und über die ſpärlich bebaute Küſte hinweg auf die glänzende Bai. Von der Kuppel des fiapitols iſt die Ausſicht beſonders herrlich. Am Abend , wenn die felſige, halböde Küſtenlandſchaft durch die dunkeln Schatten noch einſamer wird und nur das Abendroth noch auf den Gewäſſern funkelt, über ſchleicht den Beſdauer ein Gefühl von Größe und Wehmuth . Die friſche Ausſicht auf die Bai aber , welche man von allen Höhepunkten der Stadt hat , bleibt den ganzen Tag reizend. Waſſer, Waldgrün, Himmelsbläue erhält das Herz heiter, und die reine Luft , welche von der See herüber weht, die Bruſt geſund. In der Sommerhitze iſt indeſſen auch Waſhington mit Fiebern heimgeſucht. Das Innere des Kapitols iſt bei weitem
nicht ſo hell und
243 hoch , als man es ſich draußen vorſtellt, der untere Theil ſcheint zu Gruftkapellen angelegt. Der Repräſentantenſaal iſt prächtig , aber doch behaglich eingerichtet ; jedes Mitglied hat ſeinen eignen Søreibpult mit Kaſten und Schloß vor ſich. Es fieht dort etwas verbraucht aus, wie in den meiſten öffent lichen Räumen, wo Amerikaner wirthſchaften . Der Saal der Senatoren, deſſen Decke von joniſchen Marmorſälen getragen wird , zeichnet ſich aus durch eine edle Einfachheit.
Die Zu
ſchauergallerien ſind verhältnißmäßig enge gegen den Raum für die Berichterſtatter der Zeitungen ; dieſe ſollen ja dem ganzen Volke alles treulich wiedergeben, ſelbſt die unermeßlich langen Reden ,
welche hier Ohren und Wände ermüden .
Bei feier
lichen Gelegenheiten aber geſtattet man auch Zuſchauern den Eintritt in den innern Saal , gerade wie in der Paulskirche, als der Reichsverweſer eingeführt wurde. Von ängſtlicher Bo lizei iſt keine Spur zu ſehen , ohne daß die Würde der Verjainmlung darunter litte . Aber die Zuhörer , wie die Ab geordneten ſelbſt, ſtören die Stille nie durch Klatſchen oder Mißfallszeichen . Vor den Augen haben die Vertreter des Vol kes Darſtellungen der wichtigern Ereigniſſe und Perſönlichkeiten im Feld und Parlament, auf welche ſich die nationale Größe gründet.
Die Portraits auf Oberſt Trumbulls Schlachtgemälde
fehen uns an als wenn ſie lebten ; ſie ſollen wirklichy treu ſein, der Oberſt hatte miterlebt was er darſtellte. Da ihm aber Stellung und Ausdruck der einzelnen Perſonen vorgeſchrieben wurde , gleich, wie Leute , die von der Kunſt wenig verſtehen, zum Maler ſagen, " lieber Maler, male mir," ſo war auch an künſtleriſche Auffaſſung nicht zu denken . Es geht durch all die Kunſtwerke, welche man in Waſhington ſieht, der ſtolze Ge danke : wir ſind die freien Männer von ganz Amerika.
Was
aber den Kunſtwerth betrifft, ſo könnte man beinahe ſagen : nur was Nichytamerikaner gemacht haben , iſt gut. Die ein heimiſchen Künſtler ſahen es einfach als ein Recht an , 16 *
daß
244 man ihnen die Kunſtwerke in der Nationalſtadt übertrage, nicht weil ſie große Meiſter, ſondern weil ſie ächte Landesjöhne ſeien , ja ſie hielten es wohl gar für ſchädlicher, daß eines fremden Künſtlers Hand ein Nationalwerk vollende, als daß ein eingeborner Künſtler es verunſtalte. Hat ein ächter Ame rikaner nach fremden Muſtern den reinſten Plan zu einem Kunſtwerk entworfen , ſo ſcheint ihn zulegt jedesmal ein häß licher Robold in den Nacken zu' ſtoßen , daß er auch von ſeinen eigenen Fdeen etwas hinzuthun müſſe , und dann wird irgend etwas daran verändert oder angehängt, was fo feltſam iſt, daß man ſich des Lachens nicht enthalten kann , wenn das Werk fertig iſt. So hängt auch
dem Kapitol
und den meiſten übrigen
Staatsgebäuden in Waſhington etwas Kurioſes an , was die Harmonie ſtört , man überſieht es jedoch vor dem mächtigen Eindruck , den das Ganze macht. Bange aber wird jeder Fremdling, wenn ihm ſolche Bauungethüme entgegentreten, wie das tortenartig aufgewundene Gebäude des großen Smith fon'ſchen Inſtituts , oder die Kaſtenform des Generalpojtamts, das iſt jedenfalls rein amerikaniſch. Noch mehr ſpaßhaftes Unglück verfolgte die einheimiſchen Künſtler bei ihren Statuen . Das amerikaniſche Volk hatte vom Jupiter gehört ; nun mußte es doch einen Jupiter für ſich allein haben , alſo 'wurde der gute Waſhington , der ſich nicht über das Maaß eines wahr haft edeln , verſtändigen , ausdauernden Mannes erhebt,
zum
Privat- Jupiter , Domeſtic Jupiter nennen ſie ihn . Greenough ſetzte ihn nun nach dem Vorbilde des olympiſchen Jupiters in foloſſaler Ausdehnung auf einen Seſſel, aber nicht in einen Tempel, ſondern in den Park. Der weiße Marmor iſt ſehr ſchön , jedoch nicht viel beſſer behandelt , als hätten unſere Künſtler untern Ranges aus Sandſtein eine große Gartenfigur zugehauen. Waſhington reicht mit der Rechten ein Sdwert chen dar und weiſt mit der Linken zum Himmel , als wollt er
245 ſagen : "Hier nehmet tas Schwert und Gottes Rache trifft euch, wenn ihr es unrecht brauchet. Das kann man ſich allen falls aus der Ferne geſehen tabei benken , obgleich man auch da nicht recht begreift, warum Waſhington eigentlich ſo viel lächelt und warum er ſo viel nackt iſt. Kommt man aber näher, ſo meint man, er käme eben aus dem Bade und fragte freundlicy frohend : „ kommt denn keiner mid ) zu raſiren ? Auf der großen Treppe zum Kapitol ſteht Berſifo's Columbus. Der Seeheld macht einen Seiltänzerſaħ , indem er mit einem Hur rah die kleine Kugel in die Höhe hebt , welche die gefundene zweite Erdhälfte vorſtellen ſoll, und dabei ſtemmt er ganz na türlich die linke Hand auf den Hintern Körpertheil. Nun aber ſchleicht ſich nocy cine Indianerin um ihn herum als ſagte ſie: Gott behüte uns vor einem ſolden Menſchen . Sie hat einen förmlich vertrchten Leib und ſieht von hinten ganz al fcheulich aus, als hätte ſie Eile tem Columbus ein Opfer ganz eigener Art darzubringen, wie ein Hündchen an einem Stein bilde. Dergleichen Zeug iſt nod; viclerlei aufgeſtellt. Das Gerichtshaus in Waſhington war damals voligedrängt von Zuhörern : es wurde eine Verführungsgeſchichte verhandelt, in welcher hochſtehende Männer ſpielten ; der beleidigte Gattte hatte im Zorn
den
Verführer ſeines Weibes aufgeſucht und
niedergeſchoſſen , und die öffentliche Meinung gab ihm Recht. Die Sache dauerte mehrere Tage und zog eine große Menge an, welche der Enthüllung von Geheimniſſen lauſchte, die ein wildes Gemälde ron Leidenſchaft entrollte. Aber keinen Augen blick wurde die Ruhe und Würde des Gerichtshofes geſtört. Ich vertiefte mich unterdeſſen in die mancherlei Schätze des Patentamtes , welche in einem Gebäude von reinen Formen aufgeſtellt ſind.
Bunt durcheinander zeigen ſich hier die Mo
delle zu all ten Maſchinen und Induſtrieerzeugniſſen , für welche die Erfinder ſich eilig ein Patent aus Waſhington holer und wäre es auch nur eine neue Art von Rattenfallen. Das
246 Patentamt hat aber nicht bloß die eingereichten Modelle, deren bald zwanzigtauſend ſein mögen , einzuregiſtriren , ſondern es verfolgt auch mit Eifer und zum größten Nußen des Landes die Aufgabe, alle Fortſchritte in Handel und Ackerbau, in Technik und Gewerben zu merken und jährlich zu veröffentlichen. Darin wird es nicht bloß durch Civil- und Militär -Beamte unterſtüßt, ſondern auch durch Private , welche aus bloßem Intereſſe für des Landes Ruhm und Vortheil ihre Aufzeichnungen und Vorſchläge einſchicken . Ebenſo erhält die Nationalſternwarte von Bürgern der Vereinigten Staaten freiwillige Zuſendungen aus allen Meeren und Länderit über naturwiſſenſchaftliche Wahrnehmungen. Rein Rapitän im fernen Polarmeere , kein Wanderer im Felſengebirge, der nicht, wo ihm etwas Wiſſens werthes auffällt, dabei an die Sternwarte in Waſhington oder an das dortige Shmitſon'ſche Inſtitut denkt, welches nach dem Willen ſeines Stifters auf großartige Weiſe Vermehrung und Verbreitung des Wiſſens unter den Menſchen zu ſeinem Ziele Alles das iſt ein Zeichen , wie warm und lebendig
nimmt.
das Gemeingefühl dies große Volt durchſtrömt, und wie thätig auf allen Punkten ſeine Glieder mitwirken zum Beſten ihres Landes . Ein beſſerer Raum als der Modellkammer iſt dem ſoge nannten Nationalmuſeum gewidmet. In dieſem findet man zu Vergnügen und Belehrung etwas von allen merkwürdigen und Hübſchen Sachen auf der Erde. Da ſind zuerſt Glas kaſten mit dem Geſchmeide engliſcher Königinnen , koſtbare Säbel und Flinten , welche Admiräle und Präſidenten von orientaliſchen Fürſten erhielten und der Verfaſſung gemäß hier abgaben, Waſhington's Kleidung und Feldgeſchirr, unter welchem außer dem Theegeräth alles höchſt einfach iſt, Jackſon's Feld herrnzeug aus der Schlacht bei Neuorleans , Waſhington's Oberfeldherrnbeſtallung , die Urſchriften von Staatsverträgen mit amerikaniſchen und europäiſchen Mächten , an denen man
247 die Staatsſiegel und die Unterſchriften bekannter Sönige und Miniſter vergleichen kann. Das Merkwürdigſte unter dieſen iſt die Urſchrift der Unabhängigkeitserklärung.
Man ſchrieb
damals nicht ſehr fein in Amerika , und ſieht noch an den halbverblichenen Schriftzügen der Unterzeichner , wie bedächtig und wohlbewußt, von welch ungeheuren Folgen dieſer Schritt fei , fie ihren Namen ſchrieben . Freilich , als zum erſtenmal die öffentliche Unabhängigkeitserklärung im Kongreſſe gefordert wurde, waren viele Mitglieder in großer Seelenangſt, wie man aus den Berichten damaliger Zeit noch deutlich entnehmen kann ; aber der Mannesſtolz ſtählt ſich im Kampfe. Dann ſind ferner da eine Menge indianiſcher Merkwürdigkeiten , Schädel, Götzen, Waffen und Putzſachen. In ſeinen Göttern und in ſeines Leibes Ausſtaffirung legt jedes Volk zuerſt an den Tag , was es in ſeinem Sinne am liebſten ſein möchte. Der Neuſeeländer drückt sarin fein häßlich Gefräßiges , der Malaye ſein Katzen- und Tigerartiges aus , der nordamerika niſche Wilde ſchätzt Eigenſchaften der vorzüglichern Raubthiere, die Indianer des ſtillen Ozeans zeigen ſich als ein freundliches und geſchicktes Völkchen . Auch einige hübſche Nachbildungen italieniſcher Madonnen ſind im Saale aufgehängt; beſonders gefiel mir eine mit dem ruhenden Kinde , man ſieht den wei den Schlaf über ſein Geſicht fließen. Ein deutſcher Künſtler, Bettridy,
hat ein paar nicht ſchlechte Bildſäulen hingeſtellt;
ſeine Waſhington - Statue iſt unter den zahlloſen Bildniſſen dieſes Vaters der Freiſtaaten noch eine der wenigen , welche von vernünftiger Auffaſſung zeugen ; freilich muß auch hier der edle Feldherr ſeinen Mantel hinter ſich ausbreiten, als ſtände er in einer großen Seemuſchel. Des Präſidenten Amtswohnung , das weiße Haus , zeigt ſich einfach und freundlich, aber nicht ohne Würde. Es gleicht Wohnung eines vornehmen Mannes , der in edlern Ge
nüſſen und in ausgewählter Geſellſchaft lebt.
Außer den Tagen,
248 wo der Präſident ſeine Säle dem Strome der Beſucher öffnet, hatte damals Polk noch kleinere Geſellſchaftsabende. Die Prä ſidentin ſaß wie eine Königin von einem Halbkreiſe bildhübſcher und lebhafter Frauen umgeben . Weil ihre religiöſe Anſicht dagegen war , gab es zu ihrer Zeit keine Bälle im weißen Hauſe. Der Präſident unterhielt ſich einfach und zwanglos in cinem Kreiſe von Männern, die ihn mit hoher Achtung imm gaben . Er ſchüttelt zwar jedem, der ihm vorgeſtellt wird, die Hand, er geht auch wieder, wenn ſeine Zeit aus iſt, zum Volke zurück und nimmt vielleicht wie jeder andere Abgeordnete Platz im Kongreſſe , aber nicmals gab es einen amerikaniſchen Prä ſidenten , der nicht ſofort , als er in das weiße Haus einzog, die Würde und das Benehmen eines Fürſten mit dem Be wußtſein zu verbinden wußte, daß er nur der erſte Bürger in ſeinem Volke ſei. Den höhern Staatsbeamten, deren einige ich auch in ihreit Amtszimmern beſuchte , iſt eine gewiſſe Beamtenwürde nicht fremd , ſo einfach und freundlich auch ihr Benehmen iſt. Es iſt eine oft gemachte Erfahrung , daß der Beamte , ſobald er einige Zeit in Waſhington geweſen, konſervativ wird. Bei der Unterhaltung mit Fremden hören die Amerikaner von höherer Bildgung, und es giebt ihrer viele eben ſo hochgebildete als humane Männer in Waſhington , ruhig zu, verbindlich aufmerkend und mit feinen unbewegten Geſichtszügen ; wenn ſie darauf ihre eigene Meinung ſagen, dann wird Wort und Ausdruck lebendig bis zum Handeinſchlagen. Ohne unaufhörliches Hervorheben der Schlagworte und ohne heftige Geberben der Hände und des Kopfes fönnen überhaupt wenige Amerikaner ſprechen. Das nationale Hochgefühl der Amerikaner merkt man beſonders lebhaft unter den Mitgliedern der Bundesregierung. Einer der Herren ſagte mir — es war gerade im mexikaniſchen Kriege, ich müſſe eilen ihr Land zu ſehen , denn ſonſt würden ſie noch ſo viel dazu erobern, daß die Reiſe zu lang würde. Ich
249 ſehe noch den kurioſen Blick , mit
dem
mir ein Unterſtaats
ſekretär die Fächer zeigte , welche mit den Höflichkeitsſdireiben europäiſcher Fürſten gefüllt waren. Uniformen und Thürſteher erblickt man in Waſhington faſt gar nicht. Auch auf der Werfte der Kriegsmarine gingen die Aufſichtsbeamten in gewöhnlicher , manchmal zerſumpter Klei bung . Aber dennoch merkt man balb, daß die Stadt ein Re gierungsſit iſt. Die Wagen rollen reichbeſpannt und mit hübſch gekleideten Kutſchern , nicht bloß die Schwarzen , auch die Weißen ſind höflicher als anderswo, und ſtatt der raſtlos drängenden Geſchäftsleute zeigt ſich hier eine Menge ſorgfältig gekleideter Männer , welche ſcheinbar nichts zu thun haben . In Waſhington brandet das amerikaniſche Leben , welches ſo weite Wellen ſchlägt; die Staatsgeſchäfte wie die Vergnügungen , die Leidenſchaften wie die Kämpfe haben hier einen großartigen Zuſchnitt. Man erzählt wilde Dinge von Liebe und Leiden ſchaft , von Spielhöllen , von koloſſalen Beſtechungen . Mit demſelben Ungeſtüm , demſelben Unternehmungsgeiſt, die der Amerikaner im Handel zeigt , werden hier die Staatsſachen betrieben, es ſind eben nur Geſchäftsſtreiche im Großen. Wer einmal im Kongreß ſißt, fann mit ſeiner Stimme und ſeinem Einfluſſe anſehnliche Geldgeſchäfte machen . Mit den Zügen fahrender Frauen und Mädchen ſtellen ſich daher gleich 311 Anfang der Sitzungen auch ein Heer von Aemterjägern und andere ein , welche hier ihren Vortheil ſuchen. Die Stellen jägerei kann in der Welt nicht ärger ſein als in Waſhington, weil eben weder Geburt noch Eramen noch langer Dienſt An rechte zu einem Amte geben . Wer aber Dollars hat, lat Freunde . Auch darin, caß man auf ſolche Art ein Amt gewinnen muß, und nicht bloß in der nativiſtiſchen Abneigung gegen Deutſche liegt der Grund, weshalb deutſche Amerikaner verhältniſmäßig ſo gut wie gar nicht zu Waſhington in Staatsdienſten ſind. Die Rongreßmitglieder laſſen ſich in den Sigungen von Bagen
250 bedienen , dieſe find artig gekleidete Knaben aus den vornehmern Familien der Stadt , gewiß ein hübſches Ehrenamt, wenn bie Sinaben nur nicht täglich einen Dollar dafür nähmen. Der eine flußreichſte Deutſche in Waſhington, zugleich einer der geiſtvollſtent Publiziſten in Amerika, öffnete mir in ſeinem Zimmer zum Spaß ſeinen großen Wandſchrank, mit Erſtaunen ſah ich darin eine ganze Apotheke von allerlei gebrannten Waſſern. Einige Reprä fentanten und Senatoren, namentlich aus den Südſtaaten, liebten dergleichen im Vorbeigehen bei einem guten Freunde zu neh men , der dann geſprächsweiſe allerlei Nützliches hörte. Die großartige Deffentlichkeit, welche in Amerila herrſcht, die Spannung , mit der alle jedem Charakter oder Ereigniß von Belange folgen , ſind natürlich
in
Waſhington erſt recht
an der Tagesordnung , dort , wo die geſcheidteſten Köpfe aus dem ganzen Lande zuſammenſtrömen , wo immer auf hoher Bühne gehandelt wird, nach welcher das ganze Volk hinſdaut. Der Wit geht hier nict auf leiſen Socfert, ſondern ihm ant wortet ein tauſendfacher Wiederhall, und wird einer aus dem Sattel gehoben , ſo folgt ihm nach ein homeriſches Gelächter. Hier in Waſhington, wo die amerikaniſche Laune unerſchöpflich iſt an mächtigen Streichen, könnte allenfalls ein amerikaniſcher Punch geſchrieben werden . Es blieb mir immer räthſelhaft, waruin die Amerikaner gar nichts hervorbringen , was bem engliſchen Bundy jich vergleichen fönnte , da die öffentliche Spannung auf alles was im Volfe vorgeht, bei ihnen viel lebhafter iſt als in England , und das Talent, Sachen und Charaktere lächerlic) zu maden, ihnen gar nicht abgeht. Aber vielleicht fehlt den Amerikanern der Humor , der mit einem Nuge lacht und mit dem andern weint , und der künſtleriſche Blick ihrer Zeichner iſt noch nicht geübt genug . Ihre Karri faturen ſind allegoriſch oder eintönig , oder ſo unbehülflich, daß ſie den Figuren müßten lange Zettel aus dem Munde hängen laſſen , damit man deren Abſichten verſtehe. In Major
251 Downing's Briefen, den beiden Slicks und andern humoriſtiſchen Schriften iſt indeſſen ein guter Anfang gemacht. Die europäiſche Diplomatie ſcheint ſich in Waſhington ſelbſt nicht recht heimiſch zu fühlen, ſie hat ihre Wohnungen in dem ſtillen , hübſch gelegenen Georgetown , eine halbe Stunde von der Stadt, am friſchen Potomak. Dort bietet ſich den ganzen Fluß hinauf eine Fülle von Anſichten , welche einen eigenthüm lich wilden Reiz haben . Die Ufer des Fluſſes ſind Felshüger, meiſt nact oder nur init kurzem Gehölz bedeckt , das breite klare Gewäſſer ſchäumt um die Felsvorſprünge oder um die Blöcke, welche in ſeinem Bette liegen . Etwa drei Stunden weiter hinauf ſind die Fälle des Potomak , der Fluß ſchießt breit hinunter , in mehreren einzelnen Fällen ſchäumend, von denen einige an dreißig Fuß hoch ſind. Um die Schifffahrt möglich zu machen , iſt mit großen Koſten ein Kanal nebenher geführt, von dem bei Georgetown ein Arm auf einer Brücke über das breite ſteinige Bette des Fluſſes geleitet iſt. Von dem Leben und Treiben aber auf den Kanälen iin Neuyorkſtaat oder auch nur in Pennſylvanien war hier wenig zu ſehen , Fluß und Kanal (chienen recht einſam . Auf dem Potomak trieben ſich ganze Schaaren von jenen wilden Enten , welche Canvaß Black Ducks heißen und ihres föſtlichen , unübertrefflichen Geſchmacks wegen in Menge ſelbſt nach Europa verſandt werden . Auf der Straße , welche jenſeits des Potomak nach Virginien hinein führt , begegnete mir ein Frachtfuhrmann, der eine Brille und ein Bärtchen trug und deutſche Studentenlieder ſang ; im Chor der Univerſitätsbrüder hatte er wohl nicht daran gedacht, daß die Erinnerungen aus dem Commersbuche ihn einſt am Potoe mak in dieſem Aufzuge erheitern würden. Uebrigens hatte er ſich in ſein Geſchick ergeben , war ſchon weit im Lande umhers gekommen und würde mir noch manches erzählt haben , wenn nur ſeine Pferde hätten ſtill halten wollen , dieſe aber ver ſtanden nur amerikaniſche Flüche und Hiebe. Auf der Marine
252 werfte zu Waſhington waren mir zwei keineswegs nett gekleidete Handlanger gezeigt , welche deutſche Officiere geweſen ſein ſollten , der eine ſchien dem Branntweinsgift bereits unrettbar verfallen zu ſein . Solch deutſches Elend begegnet einem in Amerika auf allen Wegen und Stegen. In Georgetown , fo nahe bei Waſhington, iſt ein Jeſuiten haus und ein Nonnenkloſter , obgleid) ſchon lange im beſten Gedeihen ſcheinen ſie ihrer Blüthezeit erſt entgegenzugehen . Von der Höhe des Jeſuitenhauſes ſind die Ausſichten ſehr anziehend. Das Thal hinab glänzt der breite Fluß zwiſchen grünen Inſeln imb Ufern , in der Ferne ziehen dunkle Höhen , ſtromaufwärts öffnet ſich ein tiefes Flußthal mit hübſchen Hügeln und Ufer vertiefungen hinter einander. Auch einen Weinberg ſieht man , der in guten Fahren ſeine ſiebenhundert Galionen ziemlichen Getränfs den Jeſuiten abgeben ſoll. Dieſer waren ſieben , brei darunter Prieſter , in ihrem Gymnaſium faſt anderthalb hundert Koſtſchüler, deren jeder nur anderthalbhundert Dollars zahlte . Die Kinaben faßen in den Klaſſen ringe um ihren Lehrer , der in ſeiner Jeſuitenkleidung mit der viereckigen Müße recht väterlich ausſah . Die Namen der Klaſſen , die Unterrichtsweiſe , die Klaſſiker mit den ausgemerzten anſtößi gen Stellen , kurz die ganze Einrichtung war vollſtändig ſo, wie früher in den Jeſuitenſchulen in Deutſchland. Die Zucht iſt ſtrenge, die Schüler ſchliefen und ſtudirten in großen Sälen zuſammen , dort jeder hinter ſeinem Vorhange , hier jeder an ſeinem Pulte . Erlaubniß zum Ausgehen wurde nur alle vier zehn Tage ertheilt; wenn ſie öffentlich zuſammen erſchienen , waren ſie alle gleich gekleidet in blauem Tuche. Muſeum, Sternwarte uud Bibliothek der Anſtalt waren bereits mit dem Nothwendigſten verſehen. Auf dem Muſeum ſah ich eine Medaille, auf welcher die Herzogin von Berry der Mutter gottes ein weinendes Kind , Heinrich V. , darbrachte mit der Unterſchrift; beſchirme die Hoffnung und den Schut Frank
253 reichs..
Unter den Schülern waren auch viele Nichtkatholiken ,
kein Wunder, da in den Vereinigten Staaten Anſtalten fo ſelten ſind, welche ſich im ſtrengen und regelmäßigen Lehrplan mit den Jeſuitenſchulen meſſen dürfen . Was könnte bort nicht ein deutſches Gymnaſium leiſten ?
Noch aber ſtehen ſeinem
Gedeihen zu viele Hinderniſſe im Wege . Auffallend war mir aber bei meinen
Streifereien um
Waſhington , daß ſchon hier die Gegend lange nicht ſo belebt und angebaut war als in den nördlicheren Staaten. Im Felde liegen eine Menge ärmlicher Hütten , aus welchen Neger in Lumpen hervortreten und demüthig ſchon von weitem grüßen . Aus dem Benehmen der meiſten darunter blickt ein unverwüſt licher Zug von Affennatur hervor. Bei manchem rieſenhaften Kerl muß man ſich wundern , welch winziger geiſtiger Funken Dieſe Fleiſch- und Knochenmaſſe durchirrt. Ebenſo unverkenn bar aber, wie der Anbau des Landes ärmlicher wird, werden die Menſchen geſelliger und offener, ſobald man von Pennſyl vanien nach Maryland und Virginien hinein kommt. Man fühlt, hier wird leichter und heiterer gelebt, es iſt nicht mehr bas ſtrenge raſtloſe Arbeiten wie in den nördlicheren und mitt leren Staaten, nicht das ſcharfe Selbſtgefühl, welches dort bei jedem, ſelbſt bei dem Farbigen, ſeine Kanten zeigt. Das liegt nidit allein in der wärmeren wohllüſtigeren Luft, ſondern viel inehr darin , daß es in den ſüdlichen Staateit Geſinde giebt, welches die Arbeit thut und die andern bedient. Freilich be ſteht dies Geſinde nur aus Sklaven , und es iſt vielleicht der Schluß nicht ganz unrichtig, daß, ſoweit ſolches Geſinde unter dem europäiſchen ſteht, im Durchſchnitt auch um ebenſo viele Grade die Humanität der feinern Herzens- und Geiſtesbildung in den Sklavenſtaaten unter der europäiſchen ſteht.
XV. Amerikaniſche
Staatsmänner .
Die Vereinigten Staaten ſind das Land , in welchem die öffentliche Meinung die Gedanken der Menſchen regiert und keinen Herrſcher neben ſid leidet. Wo jeder Landwirth und Geſchäftsmann täglich ſeine Zeitung lieſt und überdenkt, wo jede Anſicht und jeder irgendwie bekannte Mann unaufhörlich von einem Ende des ungeheuren Gebietes bis zum andern öffentlich und rückſichtslos burchgeſprochen wird , wo die Wahlen und Aemter des kleinſten Fleckens von den Schwingungen der Politik im großen Bundesſtaate abhängig ſind, kurz wo man fortwährend in einer politiſchen Aufregung lebt, wie ſie noch vor ein paar Jahren Deutſchland aufregte , in einem ſolchen Lande und bei ſo bewegten Zuſtänden müſſen die Männer, welche über den Volksſtrom bis an die Bruſt hervorragen und ſeinem Wellenſchlag zu gebieten und zu widerſtehen wiſſen, wahrlic) crprobte ſturmfeſte Charaktere fein mit ſcharfem weit ſichtigem Auge. Europäiſche Staatsmänner erheben ſich , wenn ſie durch lange Uebung gelernt haben , auf dem glitſchigen Eſtrich der Höfe feſt zu ſtehn. Hat in ſeltenern Fällen die Volksgunſt ſie auf einmal emporgetragen, dann gerathen ſie leicht ins Schwan ken , ſobald ſie eben auf jener Hofglätte ſich halten ſollen. Die
255 amerikaniſchen Staatsmänner haben dagegen ein antikes Ge präge, eine innere Sicherheit und Ruhe bei tiefer Leidenſchaft, bei großer Abhängigkeit von der Volksgunſt. Fedoch gehen ſie nicht, wie die meiſten Staatslenker im Alterthum , aus Fac milien -Ariſtokratien hervor, an welche ſich allerlei Volk anhängt; ſie müſſen ſich vielmehr durch eigene Mittel von der Pike an aufſchwingen und haben durch langwierige Proben ihren Platz erſt zu verdienen . Nur durch die Fülle und Energie ihres Geiſtes erheben ſie ſich, dann aber ſtehen ſie auch feſt in ihrer inneren Stärke und in der unzerſtörbaren Anerkennung, welche das amerikaniſche Volk ihnen widmet. Es iſt ebenſo unmög lich, daß dieſes ein Verdienſt nicht anerkenne , als daß es den verdienten Mann auf längere Zeit abbanke. In amerikaniſchen Staatsmännern findet man nicht gerade einen Hang zu den erhabenen Fbeen des Perikles, ihre Anſichten und Wünſche haben vielmehr einen großhändleriſchen Zuſchnitt: es iſt ge nueſiſche oder venetianiſche Politik, überſetzt ins Demokratiſche, und ausgedehnt über weite Länder und Meere. Darin beſteht die Bedeutung und Größe der amerikaniſchen Staatsmänner , daß ſie Führer des ganzen Volkes ſind und nicht Führer einer vornehmen Partei. Shre Aufgabe iſt nicht, einige wenige einflußreiche Perſönlichkeiten geſchickt zit behandeln und feine Künſte in den tonangebenden Zirfeln anzuſpinnen, ſondern jie haben eine wogende Volfsmaffe zu bewegen. An dieſe den rechten Hebel anzuſetzen und deſſen Wucht durch alle Mittel zu verſtärken , - den Gedanken herauszuhorchen und auf ihr Banner zu ſchreiben , der in dieſer Maſſe noch dunkel gährt , auftauchende neue Ideen , welche eine thatſächliche Macht hinter ſich haben, zu ergreifen und mit den Intereſſen ihrer bisherigen Partei zu vermitteln, — das iſt ihre Aufgabe und ihre Kunſt. Verfolgen wir in Kürze die Laufbahn eines ſolchen Mannes. Um den Fuß auf die erſte Stufe zu ſetzen , muß er ſich
256 durch Dick und Dünn erſt bis dahin burchdrängen .
An den
unterſten Stufen klebt am dickſten Unrath , die meiſten ſcheuen davor zurück , andere bleiben darin ſtecken . Ein zartes Ge müth , welches ſich auf die öffentliche Wettbahn der Politik wagt , iſt im Nu aufgerieben. Es gehören eiſerne Nerven, raſtloſe Thätigkeit und vor allem ein berbes Selbſtgefühl dazu, damit der angehende Staatsmann ſich ſeinen Weg nur erſt eröffne. Das allgemeine Wahlrecht iſt es , wodurdy er ſich empor arbeiten muß . Man mag baſſelbe für das eine oder andere Volk unpaſſend finden , viele mögen es auch im Prinzip ver werfen , aber jeder , der Amerika kennt , wird zugeſtehen müſſen, daß gerade vermittels des allgemeinen Wahlrechts das Volk der Vereinigten Staaten zu ſeiner jebigen Höhe politiſcher und auch geſelliger Bildung , zu ſeiner täglich großartigeren Der bren Bedeutung in Handel und Gewerbe geſtiegen iſt. nende Wetteifer , der Trieb zuin Lernen und Erfinden , zum Erobern von Macht und Gütern iſt Fruckt des allgemeinen Wahlrechts , welches jeden jungen Amerikaner auf die gleiche Stufe mit allen übrigen ſtellt und zu jedem ſagt : verſuche deine Kraft, du fannſt alles das erreichen , wodurch andere Das entzündet in der Bruſt des ärmſten Fungen groß ſind. den Ehrgeiz und die Werdeluft, und regt eine Menge von Kräften auf , welche ſich fonſt in Kleinlichen verzehrt hätten. Gerade unter den bedeutenderen Männern in den Vereinigten Staaten giebt es ſo viele , deren erſte Jugend von Armuth und Dunkel bedrückt war. Sie wurden ſelbſtgemachte Leuten ( ſelfmade men ), Autodidakten, welche das was ſie unter Mühen und Nachdenken gelernt haben , auch ſofort praktiſch zu ver werthen wußten . Das allgemeine Wahlrecht erfüllt gerade für Amerika , dieſes Land der Gleichförmigleit , vollſtändig ſeine Beſtimmung : es häuft die meiſten Stimmen nur auf diejenigen , welche den andern ſo hoch über die Köpfe hervorragen , daß
257 ſie weithin geſehen werden können . Die erſte Durchführung dieſes Wahlſyſtems mag auch in Amerika manches feltfame Reſultat hervorgebracht haben , auch jetzt kommt wohl noch einer aus den weſtlichen Staaten in den Kongreß, der ein beſſerer Bärenjäger als Redner iſt; aber nachdem dieſe Wahl ordnung einmal organiſirt und hundertfach gelernt und erprobt iſt , kann von einem Zufall bei Kopfzahlwahlen dort gar nicht mehr die Rede ſein . Stimmen erhält nur der , welcher ſich hervorgethan hat, und je höher das Amt iſt, zu welchem er vorgeſchlagert wird, deſto mehr muß er ſich in niederen Aemtern als ein geſcheidter und praftiſcher Mann ſchon be fannt gemacht haben. Es iſt möglid ) , daß zufällige Strömungen und Ereigniſſe im öffentlichen Leben, plötzlich entſtehende Spal tungen in den Parteien , oder ein geſchickter Theaterſtreich in der eilften Stunde cinem Namen die meiſten Stimmen zu wenden , welchen keine der Parteien vorher gewollt hat. Aber unmöglich iſt es , daß dieſer Mann zu bein Ainte unfähig ſei, denn es kann überhaupt gar keiner barai benfen, nur auf die Liſte zu kommen , als wer bereits einen bekannten Namen hat, und einen ſolchen erringt man
in Amerika , wo die Ab
ſtammung von berühmten Männern kein Recht, ſondern bloß die Pflicht giebt, ebenfalls nach Auszeichnung zu ſtreben, allein dadurch , daß man ſeine perſönliden Fähigkeiten wirflid, an den Tag gelegt hat. Es fällt dem Fremben auf, daß die Amerikaner alle ihre öffentlichen Charaktere ſo richtig zu beurtheilen wiſſen und deren häusliches wie öffentliches Leben fo genau beſprechen : es iſt ein gut Theil äckt amerikaniſcher Neugierde dabei. Die puritaniſche Gemeindeverfaſſung, in welcher das Kirchliche mit dem Politiſchen enge verſchmolzen und das Auskundſchaften des Innern der Familien eine Pflicht von Kirchenbeamten , das öffentliche Sündenbekenntniß aber an der Tagesordnung war , hatte früher ein gewiſſes Spionirſtyſtem im Lande einheimiſch 17 föher, Land und Leute. I,
258 gemacht; im allgemeinen Wahlrecht findet daſſelbe gewiſſer maßen noch jeßt eine Art von Berechtigung. Der Amerikaner will den Amtsbewerber, dem er ſeine Stimme geben ſoll, von innen und von außen kennen , und wer vor dieſer frechen Oeffentlichkeit ſchwach wird, der iſt nicht ſein Mann . Zwei Klaſſen vorzugsweiſe ſchicken ihre Mitglieder in die geſetzgebenden Verſammlungen : die Advokaten und die größern Grundbeſiger , die übrigen haben mit ihren Geſchäften , mit Handel und Gewerbe zu viel zu thun . Der Staufmann , der Fabrikant , der Arzt muß eine beſondere Liebhaberei an der Politik haben , oder es muß ſich für ihn um eine Geldfrage handeln, wenn er ebenfalls als Kandidat auftreten ſoll. Hatte einer aber ſchon in früher Jugend Neigung für das öffentliche Leben , dann iſt er in der Regel auch Advokat geworden ; als ſolcher iſt er ſchon ſeiner Stellung nach darauf angewieſen, Vertreter und Sprecher der anderit zu ſein . Auch die öffent lichen Blätter ſammeln ihre Hauptfräfte unter den jüngern oder ältern Rechtsverſtändigen . Außerhalb der Städte iſt es der wohlhabendere Grundbeſitzer, dem ſeine Farm ſchon etwas mehr einbringt , als er für ſeine Familie braucht, ein Mann, welcher Zeit und Neigung verfechten. Die reichern eine ſtille und unabläſſige gemeinem Intereſſe. Sie
hat , die öffentlichen Intereſſen zu Gutsbeſitzer entwickeln überhaupt Thätigkeit in den Fragen von alt vorzüglich genießen einer inverrück
baren Selbſtſtändigkeit, überdenken auf ihren ruhigen Höfen das was dem Lande wahrhaft gedeihlich iſt , und gehen auch in der Politik am meiſten ehrlich zu Werke. Die drei großen Gliederungen des amerikaniſchen Staats (ebens , die Gemeinde, der Staat , die Union , bedingen auch das allmählige Aufſteigen des Staatsmannes. Erſt wenn er in der untern Gliederung merkbar thätig geweſen iſt , eröffnet fich ihm in der höhern eine Ausſicht. Das erſte Amt von Bedeutung iſt gewöhnlich bas des
259 Friedensrichters, des Squire .
In dieſem wird man den Mit
bürgern bei den täglichen kleinen Rechtshändeln bekannt , und ſie haben Gelegenheit , den Witz und die Urtheilskraft, die ſchnelle Auffaſſungs- und Redegabe , die perſönliche Ehrenhaf tigkeit und Tüchtigkeit eines Mannes kennen zu lernen . giebt aber noch mehrere andere öffentliche Stellen in der Stadt oder dem Ortsbezirk, Townſhip , welche ähnliche Vortheile bieten . Dahin gehört die Wirkſamkeit als Stadtrath , als Aufſeher über die Schulen , über die Wege , die Umlage der Steuern . Um zu dergleichen Aemtern gewählt zu werden , iſt es unbedingt nothwendig, daß man bereits eine ausgebreitete perſönliche Be kanntſchaft hat, wie man ſie als Notar und Rechtsanwalt, als Schriftſteller über praktiſche Angelegenheiten , durch die Wirk ſamkeit in Vereinen , durd, Erfindungen und geſdyeidte Unter nehmungen , oder ſonſt wie durch lebhaften perſönlidien Verkehr erwirbt. Man fdyließt ſich dann einer Partei an , damit man auf ihre Liſte kommt. Die Zeitungen dieſer Farbe tragen einige Wochen vor der Wahl die Namen der aufgeſtellten Ran= didaten an ihrer Spitze , und bringen faſt täglid) große oder kleine Artikel und Winke über beren Vorzüglichkeit. Die Blätter der Gegenpartei beſprechen eben ſo freimüthig das Gegentheil. Es iſt unglaublicy, was da alles hervorgeſucht wird, um einen Charakter anzuſchwärzen oder ſtrahlen zu machen . Iſt der angehende Staatsmann durch dieſes erſte Fege Feuer glücklich hindurch, und merkt er nach einigen Jahren der Amtsführung, daß er zahlreiche Freunde hat, die auf ihn etwas halten, und daß die öffentliche Meinung ſich mit ihm beſchäf tigt, ſo wagt er den weiteren Schritt, er tritt auf als Kandidat für das Unterhaus ſeines Staates. Jetzt ſind ſchon größere Anſtrengungen nöthig : denn je mehr ihn mitwählen ſollen, in deſto weiteren Kreiſen hat er ſich im vortheilhaften lichte zu zeigen. Vielleidt muß er umherziehen im Wahlbezirke , von einer Verſammlung zur andern, und insbeſondere ſich an den 17 *
260 Gerichtstagen des County einfinden .
Dann hält er donnernde Reder aus dem Stegreife , init feurigen Worten und über ſchwänglichen Phraſen ſucht er die Farmer für die Zwecke ſeiner Partei und nebenbei für ſich ſelbſt zu gewinnen. Es liegt etwas ungemein Spannendes und Lebhaftes in der Weiſe, wie die Amerikaner öffentlich zu einander ſprechen : der Redner fährt mit zahlloſen Gründen raſch nach einander auf die Zu hörer ein , einen Keil treibt er ſchnell nach dem andern , um cinzudringen in das Herz und in den Verſtand ; Thatfachen führt cr ins Feld , nicht Phraſen , die Ehre des Landes und des Volfes geht immer voran , gleich dahinter kommt das Geld intereſſe der Einzelnen . Wer es verſteht, beides geſchickt zu verflechten und mit ebenſoviel Glorie als blankem Dollarglanz zu umhüllen, über die Gegenpartei cin rechtes Hagelwetter ause zugießen , durch ſprühende Witzfunken das Gelächter zu erregen, der hat gewonnen Spiel. Die Menge von Neben , welche ein Kandidat bei folch einem einzigen Wahlzuge hält, könnten mit dent, was in den Zeitungen über ihn geſagt wird , Bände an füllen. Natürlich giebt es noch viele andere Mittel, welche die Wahlfandidaten aller Länder kennen und brauchen. Eigent liche Beſtechungen ſind in den Vereinigten Staaten weniger anzubringen , weil jeder Einzelne ſeine eigne Meinung hat und die Wähler in Maſſe doch nicht beſtochen werden können , aber welche Künſte bei Parteioperationen nur erdenklidy ſind, die werden in Amerika andy angewandt, gleichviel was die Moral dazu ſagt. 3m Repräſentantenhauſe fann der Gewählte ſich nun dem ganzen Staate vernehmlidy machert , jedes Wort , welches er ſpricht, wird geleſen und erörtert. Da kommt es darauf an , gute Geſetzvorſchläge zu machen, vor allem Improvements 8. i . Landesverbeſſerungen, als da ſind Kanäle, Eiſenbahnen, Häfen, Wege , Dampfſchiffiinien , Bergwerksarbeiten und dergleichen anzuregen und zu unterſtützen ,
zweckmäßige Verbeſſerungen
261 im Geldumlauf, im Bauweſen , in Schulſachen , in der Be ſteuerung, in der Landesverfaſſung vorzubringen , kurz ſich als einen Mann von geſunden und feſten Prinzipien , praktiſchen Kenntniſſen , von wachſamem Geiſt und gewandter Rede zu zeigen . Dabei lernt Ser junge Abgeordnete immer ſelbſt, was unmittelbar neth tiyut ind wie cin Ding anzugreifen iſt, jeder von ſeiner Partei ſtellt ilm zur Nete , aber er ſcrut auch von jedein . Es iſt natürlic), daß auf folchem Wege jich fenntniß reiche, praftijd bewährte Männer beranbilten. Bit ciner cin paar Jahre mit Erfolg Nepräſentant geweſen , fo richtet er feine Blicke auf das Oberhaus ſeines Staates , er wirt Senator. Und wenn er vielleicht auch ſchon init sem crcißigſten Falre in den Senat tritt , jo überfüllt inn tech feine fliegende Hitze inchr , cr hat Mäßigung und Beſcumcubcit scíerut, ſeine Reden und Vorſchläge verrathen den geivicgten , vielerfahrenen Mann . ilm dieſe Zeit lyat er ſid, auch bereits ciniem ter berülmten Häupter ſeiner Partei enger angeſchloſſen , in deſſen (icjcllſchaft cr häufig crjdcint, und turdy ben cr in die feinere Politik, int fic Zuſtände im Bccürfuific ser ganzen Linien , ſowie in die Künſte und Fraftifen der Partei cingerciht wird . Mit einein fold )en gefeierten Namen wird der ſeinige zuſammen genannt, und durch die Miſſionen , welche er in deſſen und der Partei Dienſte erfüllt, wird er ſänell in orr Union perſönlich bekannt. Faſt alle bercutenteren Staatsmänner der Gegenwart waren einſt Sdyüler , Freunde , Begleiter der alten Heimgegangenen Gründer und Bildner ses großen Bundesſtaates.
Vont Einzelſtaat zir Union bleibt noch der letzte große Schritt zu thu . Es muß ciner ſchon cine wichtige Stellung in der Partei cinnchment, cr muß bereits hinlänglicy Thaten und Charakter gezeigt haben , er muß auch von allen Seiten gründlich beleuchtet ſeint , che er bei den Wahlen für den Kon greß zu Waſhington als Kandidat auftreten kann .
262 Um hierbei durchzudringen, bedarf es neuer und umfaſſen der Anſtrengung. Dann meffen die Parteien ihre Kräfte gegen einander, dann iſt das über den ganzen Staat verbreitete Net ihrer Eingeweihten in lebhafter Schwingung; Korreſpondenzen , große und kleine Beſprechungen insgeheim, öffentliche Verſamm lungen, prunkende Maſſenaufzüge, Lärmen und Geſchrei der Parteiblätter , das alles iſt einige Wochen lang in raſtloſer fieberhafter Thätigkeit. Jede Partei faßt in kurzen , deutlichen Sätzen zuſammen , was ſie will und was ſie für erreichbar hält; dahinter folgt die Liſte der Männer, zu deren Wahl ſie die Mitbürger einladet. Kleine, crſt jüngſt erſtandene Parteien fönnen noch nicht daran denken , Männer ihrer Anſichten für ſich allein durchzubringen ; ſie machen daher cinen Vertrag mit einer andern Partei, die ihnen am nächſten ſteht. Das Abkom men geht dahin , daß die kleine Partei für die Liſte der großen ſtimmt, jedoch muß dieſe entweder cinen von den Männern der kleinern Partei auf den Wahlzettel jetzen oder ein Kan didat muß ſich auf einen oder andern der Sätze verpflichten , in weldien die jüngere Genoſſenſchaft ihre Willensmeinung aus geſprochen hat. Kommt nun der Wahltag , ſo iſt alles auf ſeinem Plage. In den Hauptorten jedes Bezirk ſitzen die Führer und Ver trauensmänner der Parteien , folgen geſpannten Blickes den Bewegungen und Zufällen der Wahlſchlacht, ſchicken hierhin und dorthin ihre Offiziere, um die Säumigen anzufeuern und ins Treffen zu führen und die Künſte der Gegner auszuwittern. Im rechten Augenblick wird ein fühner Handſtreich gemacht, der die Gegner verblüfft und ihre Anſchläge vereitelt , oder es wird mit ihnen noch während der Wahl ein Kompromiß abge ſchloſſen . Auf den Straßen ſind die Freibeuter der Parteien im Gange, alles zur Wahl heranzuholen ; vor dem Wahlhauſe unter den wehenden Fahnen ſtehen andere, ihre Liſten den ein gehenden Wählern in die Hand zu brüden ; bei den Wahl
263 urnen aber fißen Vertraute , welche der Gegenpartei auf die Finger paſſen . Wir haben in Deutſchland in der jüngſten Zeit ähnliche Wahlaufregungen gehabt, und ein Fremder mußte ſich unwillkürlich darüber wundern , wie ſchnell und praktiſch ſich auch bei uns die verſchiedenen Parteien in das Wahlge triebe hinein fanden : bei den Amerikanern iſt daſſelbe ſchon feit langer Zeit wohl durchgeübt und feſt organiſirt, und die Wahlagitation iſt bei ihnen um ſo heftiger ind zugleich um ſo verſchmitzter, als von dem Parteiſiege nicht bloß der Sieg der Grundſätze, ſondern unmittelbar auch Geld gewinnen und eine Menge von Aemtern für die Generale und Offiziere der Partei, ſowie andere materielle Fragen für die übrigen Parteigenoſſen abhängen. Die ſiegende Partei gewinnt auf Zeit den Staat. Man denke ſich in Deutſchland etwa die Freihandels- und die Schutzzollpartei in einen Wahlkampf gegen cinander treten, von deſſen Ausgange wirklich, das Siegen oder Unterliegen ihrer Forderungen abhinge, und man kann ſich lebhaft das brennende Intereſſe bei einer amerikaniſchen Wahl vorſtellen . Des Abends am Wahltage werden die Stimmen gezählt, dann iſt alles in Haft und Erwartung. Vor dem Hauptquartier der Bar teien und vor den Zeitungshäuſern werden die Zahlen der abge gebenen Stimmen groß und glänzend ausgehängt, alle paar Minu ten kommt hier eine Siegesnachricht, dort eine Niederlage hinzu. Aber noch wartet man, ob nidit andere Ortſchaften und Staaten den Ausſchlag geben , man macht Wetten auf den Ausgang der Wahl , und iſt endlid, bas inzweifelhafte Ergebniſ ta , dann jubeln die Sieger und erfüllen die Straßen vor ihren Ver ſammlungshäuſern mit ſchrecklichem Gedränge und Gejdrei und feierit cine tolle freie Nadit. Die Beſiegten aber gehen ſtill und ärgerlich nach Hauſe und denken ſchon daraut, welche Lehren ſie aus dem Hergange bei dieſer Wahl zu ziehen haben, um bei der nächſten beſſere Kräfte ins Feld zu ſtellen. Am andern Morgen iſt alles wieder ſo ſtili, wie ein ruhiges Meer
264 nach dem Sturme, von der ganzen ungeheuren Bewegung iſt keine Spur mehr zu erblicken , die Geſchäfte gehen wieder ihren gewöhnlichen Gang, und Zeitungen und Gedanken richten ſich nach und nach darauf, wie die Gewählten ihr Wahlmani feſt ausführen werden . In Waſhington ſteht nun der Kongreßmann auf der Hoch cbene der Politik. Er überblickt das ganze lebendige Getriebe der politiſchen und induſtrieilen Fragen im großen Inionsge biete , in iveldyein ſid, jo viele Vorläufer fünftiger Völker und Staaten umbertummeln , fo viele Neime religiöſer und ſozialer Neubildungen didyt neben cinander aufſchicßen . Er überſchaut den weiten Sontinent von Amerika, welchen das Volk der Ver einigten
Staaten
im
Stillen
als ſein alleiniges Erbtheil be
trachtet. In allen Staaten Amerikas ſind ſeine Agenten befliſſen , ben politiſchen Einfluß der Vereinigten Staaten auf mehr realen Grundlagen zu vergrößern , als die Agenten der curopäiſchen Staaten es vermögen. Fort und fort werden in Nord- Mittel- und Süd - Winerifa nicite Märkte imb Plätze für die internehmende Thätigkeit der Leute aus den
Vereinigten
Staaten crobert , und nach dieſen die mächtigen Ströme des Reichthums hingeleitet, welche in den verſd,iedenen amerikani chen Ländern entſpringen. Die Gefandten der letztern haben von Jahr zu Jahr bedeutendcre Intereſſen in Waſhington zu vertreten und finden hier den Mittelpunkt aller amerifaniſchen Politik. Denn das iſt ber namerikaniſche Gedanke, den Sef ferſon und nach ilıin der große Clay in ſeiner Schärfe
aus
bildeten, daß jegliche europäiſche Herrſchaft aus Amerika her auszukehren ſei. Der Kongreßmann zu Waſhington blickt aber weiter über den ungeheuren indiſchen Ozean hinweg nach deſſen zahlreichen Inſelgruppen , nach China und nad Japan ; überall ergeben ſidy bort neue reiche Gebiete für die Beuteluſt ſeiner Landsleute, ungeheure Tuinmelplätze für ihre Marine .
Kühler
ſchweift ſein Auge über den andern Ozean nach Europa : dort
265 iſt für ihn ſchon alles beſetzt, dort knüpft er die werdende Ge ſchichte ſeines Landes nicht mehr an .
Er ehrt in Europa den
alten Sit hoher und feiner Bildung , aber er läcyelt über die Kämpfe in dieſem Bienenſtock, der noch nicht ſo groß iſt wie das jetzige Gebiet der Union , weil er ſie eben nicht verſteht, weil er in den Fürſten bloß für ihre Familien beſorgte Män ner, in den Völkern Schaaren chne feſten Charakter ſielt. In Waſhington , wo die gebildetſten und gewandtciteit Amerikaner zuſammenſtrömen , fann man es aus der Unterhaltung leicht heraushören , wie ſtolz im hech ſie ſich dünfeit über den Euro päer, und wie ſelten bei ihnen bas tiefere Verſiuneniſ unſerer geiſtigen Slämpfe und der Geſdyichte derſelben zu finden. Ach tung haben ſie nur für die Engländer, eine kleine mitleidige Zuneigung für dic Dcutſchen , Neugier für die Franzoſen, aber großes Fritereſſe nehinen ſie an dem gewaltigen Auſdywellen Rußlands. Wer unter der Nepräſentanten zu Waſhington ſeinen Platz ausfüllt , wer feine Stimme dort verncimlid) imd cindringlicky macht, der iſt ſicher ein ganzer Mam . All die viclfachen Intereſſen und Parteien ist der Union
branden
und wühleit
bort um ihn her , es ſind entidylofiene fampfgeſtählte Männer, welche ſie vertreten . Ein Menjdinit bloß oberflächlichem Schim mer , ohne innere unverſieglidye Hülfsmittel, ein Wohler Kopf, dem bloß kleine Entriguen und angenehme Manieren zu Ge bote ſtehen , komint dort gar nicht auf. Gewiß ſpielt auch bort die Intrigue ihre Rolle, aber ſie ſchleicht nidit immer wie die Kate im Dunkeln , ſondern ſpringt aus dem Verſtecke wie ein Tiger auf ſeine Beute . Da ſiegt man nicht durd, das Anein anderfetten endloſer kleiner Pläne, ſondern wenn intriguirt wird , dann geſchieht es auch mit einem Ungeſtüm und nach großem Maaßſtabe; wenn beſtochen wird, dann handelt es ſich auch gleich unt Hunderttauſende. Leidenſchaft und Seelengröße, Verſchmitztheit und Bürgertugend ſtehen dort gegen einander
266 mit blankem Schilde und offenem Viſir.
Der einzelne Mann
ragt für ſich allein um ſo höher , weil ihm nicht ein
Fürſten
hof , der über ihm ſteht, den Halt gibt, ſondern weil er auf eine Partei ſich ſtüßt, die unter ihm ſteht. Aber er gründet ſich auch nicht in der Weiſe bloß auf ſeine Partei, daß dieſe ihn nadı wechſelnder Laune bei den Füßen faſſen und ſogleich aus ſeiner Höhe wieder herunter ziehen fönnte. Die Partei iſt zwar die nächſte Unterlage für ſeine Stellung, aber das ganze Volk bleibt immer der Grund, in welchem ſeine Bedeu tung wurzelt. Deshalb iſt es nicht ſo ſelten , daß berühmte Abgeordnete auch ihrer eigenen Partei gegenüber unbeugſame Energie beweiſen , weil ſie nicht bloß ihr, ſondern der Sache dienen wollen . Weil ſie ſelbſt ſich ſo ſicher fühlen , deshalb ſuchen ſie einander auch nicht neidiſch zu verkleinern . Mant mag den amerikaniſchen Staatsmännern alle puniſchen Liſten und alle Geldgedanken der Lombarden vorwerfen , es giebt vielleicht ſittliche Ungeheuer darunter , aber kleinlich ſind fie niemals. Sie ſuchen einander durch fühne Schachzüge aus dem Felde zu ſchlagen , aber ſie erkennen offen das Verdienſt und Talent ihres Gegners an und geben ihm nicht ſelten eine ſchöne Gelegenheit , jid) neu zu bewähren . Hat einer eine Anzahl fahre hindurch im Repräſentanten hauſe mit Anſehen und Erfolg die Futereſſen der ganzen Union verfochten , ſo ſteigt er durch das Vertrauen der ange ſehenſten Männer des Staates , sem er angehört , gewöhnlich in den Senat der Union hinauf. Hier hat er insbeſondere die Rechte und den Vortheil ſeines Staates im großen Bundes ganzen wahrzunehmen, deſſen Handel zu ſchüßen, Eiſenbahnen Dahin zu lenken und deſſen beſondere Intereſſen und Einrich tungen zu vertreten . Auf dieſer Höhe angelangt , können ſich die amerikaniſchen Staatsmänner mit Recht als die Vornehmſten in der Union und insbeſondere als die Häupter der Einzelſtaaten betrachten ,
267 deren Erwählte ſie ſind. Ihr Einfluß in den letztern iſt außer ordentlich , ein einziger ſolcher Mann hält vielleicht die ganze Partei aufrecht; nach ſeinem Rath und Willen werden die Aemter vergeben , er entſcheidet in den Vorberathungen nicht felten über die Wahl des Gouverneurs. An feinen Namen knüpfen ſich die bedeutendſten Unternehmungen in ſeinem Staate ; die Geſellſchaften , die zu ſolchem Zwecke zuſammentreten , er ſuchen ihn zuerſt, ſie mit dem Anſehen ſeiner Perſönlichkeit zu unterſtützen. Solche Männer ſind in der That die Berather ihres Volks , noch auf ihrem Sterbebette drängt man ſich ehr erbietig herbei, ihre legten Rathſchläge zu vernehinen und dem ganzen Volke bekannt zu machen , das ſie tief ins Herz gräbt. Wo ſie erfdheiten , zollt man ihnen öffentlich Hodjach tung ; jedes geehrt und Achtung iſt freie Dank
Dampfſchiff mit dem ſie reiſen , fühlt ſich dadurch macht es in den Zeitungen bekannt , und dieſe im fo ehrenvoller und aufrichtiger , weil ſie der freier Mitbürger iſt , weil ſie bloß aus der Aner:
kennung der tüchtigen Perſönlichkeit und Verdienſte hervorgeht. Die Führer der öffentlichen Meinung können dann auchy nicht umhin ein Haus zu machen , ſelbſt wenn ſie die Zurück gezogenheit im Schooße der Familie und in der einfachen Bes ſchäftigung des Landlebens lieben ſollten. Ganz von ſelbſt wird ihr Haus das Stelldichein für die bedeutendern Männer der Nachbarſchaft und der Sammelpunkt für die höhere Geſell daft. In den Zeitungen wird beſonders gern erwähnt, was bei ihnen vorgeht. Sie richten ſich dann gewöhnlich prächtig ein und die amerikaniſche Gaſtfreundſchaft erſcheint bei ihnen im glänzendſten Lichte. Die Folge dieſes Lebens rim hohen Style ſind nicht ſelten finanzielle Verlegenheiten . Es kommt nun auch wohl vor , baß ſich um einen ſolchen Mann eine rein perſönliche Partei bildet , welche fein Anſehen bloß zu ihren Gunſten ausbeutet , oder er kann ſich nicht an ders helfen und muß die Popularität, von der er zeitweiſe ab
(
268 hängt , vor den Kopf ſtoßeit , indem
er etwas thut , was man
bei ihm zu Hauſe nicht ſo anſicht wie zu Waſhington. Dann gewinnen die Gegner Oberwaſſer, und das Ende iſt, daß die Landesvertretung ihn crſucht, ſein Mandat für Waſhington niederzulegen . Was fängt er bann an ? Zieht er ſich etwa gefränkt zurück, indem cr dimollend auf ſeine Verdienſte und ſeine verfannte Nedlichkeit hinweiſt ? Das fällt ihin nidyt cin . Nun crſt crhebt er ſich in ſeiner ganzen Stärke und Sciſtesfraft, er internimit cs , sie ganze Canbcsvertretung zit ändern , to tup the ſtate , wie der Sunſtarstruck heißt. Er läßt veit ten Männern und Blättern ſeiner Partei die nöthige
Aufregung
verbreiten
im
Berſalnılungen berufen,
dann burchzieht er den Staat wie ein Feldherr mit ſeinem Gefolge ; an jedem Orte tyält er ſeine Donnernden Redent, ivorin er ſiciyer feiit Blatt vor den Mund nimmt, und giebt zuletzt der öffentlichen Meinung einen gewaltigen Umſchwung, das Volk brücft der geſetzgebenden Berſammlung des Staates fein Mißtrauen aus, und die nächſte Wahl bringt cine Mchr heit nach jenes Fülirers Sinne in die Landesvertretung. Viel leicht aber hat ſeine Partei ausgcípicit, der Streich iniffingt ihm, nur , dann wartet er cinc Leſondere Empfindlichkeit einen gelegenern Zeitpunkt al , er weiß bedy, daß ſeine Thaten , Ta lente und Hülfsmittel feinen Mitbürgern unvergeßlich ſind, und daß cs nicht ſehr lange währen wirr , bis man ſie wieder in Anſpruch nimmnt. Feder der Vereinigten Staaten hat ein paar ausgezeichnete Männer aufzuweiſen , in welchen ſich die Politik,
die eine der
großen Parteien in der Union verfolgt , für den Einzelſtaat konzentrirt; ihre Namen ſind in die Geſchyichte dieſes Staates verflochten , ihre Thätigkeit iſt bei faſt allen größern Unter nehmungen und Entwicklungen beffelben merkbar. Namen dieſes Flanges ſind Scott, Caß, Douglas, Benton , Buchanan , Houſton, Fillmore, Foote, Seward , Corwin , Maſon , Craw
269 ford , Graham , Hale , Crittenden , Kusk , Dickenſon , Chaſe, Im Weſten Sumner, Richardsſon und noch viele andere. ſind es häufig Männer , welche gleichſam mit ihrem Staate erſt aufgewacyſen und groß geworten ſind , indem ſie früher für geringe Auslagen großen Sandbeſitz oder durch induſtrielle Unternehmungen Reichthümer erwarben . In deit ältern Staaten des Oſtens gingen ſie dagegen aus den Reihen der Advokaten oder aus den angeſehenerit ältern Familien der größern Grund beſiger hervor , letteres beſonders in den füdlichen Staaten. Solche Männer ſind dann in der ganzen linion wohl bekannt , und ihr Name tritt gleich hervor , ſobald von ihrem Staat die Rede iſt. Sie bleiben zwar in unaufhörlicher perſösilicher Berührung mit allem Volfe , in ihren Häuſern aber herrſcht ariſtokratiſches Gefühl und eine gewiſſe Vornchmtheit der Sitten , wie in ihren exkluſiven Sreiſen cine fühle, großartige Anſchau ung der Dinge. Nur unter ihnen werden die Präſidenten , Miniſter und Feldherren der linion , die Gouverneure der Einzelſtaaten ge wählt. Sie ſind es, die zuletzt die großen Fragen entſcheiden, von denen das Wohl der Union abhängt. Und dabei iſt für die meiſtent, ſo ſehr ſie auch ihren Privatvortheil ſudjen , bis jetzt doch immer noch die Einheit , Ehre und Wohlfahrt des großen Ganzen, des Bundesſtaats, Leiter und Antrieb geweſen . Wenn ſie in jüngeren Jahren init feurigem Eifer die maß loſen Forderungen des Volksgeiſtes vertheidigten , jetzt im ge reifteren Alter haben ſie eine Senntniß der Dinge und Men ſchen gewonnen , welche ſie zurückhaltend und beſonnen macht. jyre Rede ſprüht und donnert nicht mehr, aber es iſt praf tiſche Schärfe und Klarheit barin . Ganz gewiß werden die Herren zu Waſhington an allen Enden der Welt rückſichtslos das amerikaniſdie Intereſſe zu fördern ſuchen , aber noch ſind die Heißſporen ſelten unter ihnen , welche für bloßen Ruhm oder um andern Völkern zu helfen ſich in europäiſche Kriege
270 ſtürzten. Es geſchieht wohl , daß die Volksſtimme durchaus jemand zum Präſidenten will , der noch nicht die Schule der Staatsmänner von unten auf durchgemacht hat , der aber bein lande durch eine nationale That , insbeſondere durch Kriegs ruhm , vorleuchtete. So wurde der alte General Taylor ge wählt, obgleich er ſelbſt geſtand , daß er bloß Soldat ſei und von der Politik nichts verſtehe. Er zeigte ſich auch , als die Sklavenfrage brannte und die Inion zu ſprengen drohte, nicht ganz dem Amte gewachſen , welches die Dankbarkeit ſeiner Mitbürger dem Beſieger der merikaniſchen Horden aufgedrängt hatte. Fälle dieſer Art ſind indeſſen nur Außnahmen , der Regel nach hat nur der zu den höchſten Stellen Ausſicht, der fdyon ſehr lange in ſeiner Partei gedient hat. Da zu dieſen Aemtern immer nur auf eine kleine Zahl von Fahren gewählt wird, die Herr ſchaft zwiſchen een großen Parteien aber wediſelt oder doch dic Möglichkeit des Wecyſels niemals in dic Ferne gerückt iſt, ſo wird auch für hervorragende Männer niemals die Ausſidyt abgeſchnitten, in die höchſten Aemter zu gelangen und dadurch ihren Namen mit dem Ruhme und der Geſchichte der Union für immer zu verknüpfen. Das giebt ihrem Einfluß und ihrer Kraft eine niemals nachlaſſende Spannung und Lebhaftigkeit. Wer aber von ihnen mit ſo heher Macht ind Ehre amtlid ) bekleidet wird, der verräth auch nichts mehr vom Emporkömm
4
ling, der iſt keinen Augenblick verlegen , was er zu thun und wie er ſich zu benehmen hat. Dieſe Männer gingen durch eine große Schule , kein Ereigniſ , keine Intrigue, keine Per
1 fönlichkeit macht ſie mehr befangen. Sie fühlten ſich ſchon lange als die Vorderſten , als die Fürſten des Volkes , durch die Macht ihrer Perſönlichkeit und durch die Herrſchaft und Künſte ihrer Partei. Die drei Rieſengeiſter unter den amerikaniſchen
Staats
männern ſind in den legten Jahren raſch nach einander zur Ruhe gegangen , Calhoun , Clay , Webſter. Der erſte war
1
271 der Mann des Südens , ein Charakter wie aus Erz gehauen , der nie einen Zou zur Seite wich. Man konnte ihn haſſen ſeiner ſtarren Eigenſudyt wegen , man konnte zittern vor den furdytbaren Schlägen die er austheilte ,
und vor den unge
heuren Kämpfen , die der eine Mann aufwühlte : aber bewun dern mußte man ihn. Calhoun war der Ariſtokrat aus den Sklavenſtaaten , der auf ſeinen weiten von Schwarzen bebauten Beſigungen von Jugend auf lernt Herr zu ſein , der klaſſiſche Bildung und Vornchinheit vereinigt mit all sein wilden Feuer des Südens. Das eigentliche Yankceland lat nie ſolche Cha raktere hervorgebracht. Es iſt beſchämend für das übrige land , aber Thatſache , daß die meiſten großen Staatsmänner aus den Sklavenſtaaten kamen . In Zukunft werden ſie vielleicht aus dem Weſten hervorgehen. Webſter, der große Geſetzaus leger," war Arvokat durch und durchy, inerſchöpflid) an Hülfs mitteln , fein Geiſt und Wort allezeit blank und darf wic cin Degen . Aber Webſter , der Neuengländer, ſchnallte den Stahlharniſch nur um ,
während Calhoun , der Südländer,
das Erz in ſich ſelbſt hatte. Der edelſte unter den Dreien 14 war zweifellos der geniale Clai), ber große Frictensſtifter, ein weitſchauender , vielſchöpferiſcher Geiſt. Sein Herz ſchlug am wärmſten für die Wohlfahrt und Größe cos allen gemein famen Bundesſtaates , vor ſeinem Seelenadel beugte ſidy jeter Gegner. Clay war aus Virginien , aber im weſtliden Atentucky groß geworden .
Alle drei Männer crreichten nach einem
raſt
loſen und thatenreichen Leben ein hohes Alter. Als ſie ſtarben , war jedes Herz in der Union bewegt , keiner dachte mehr an Parteien, das Volk, das ganze Volk trauerte um ſeine großen Todten , und ſchmückte ihre Stirn mit Lorbeerkränzen. Un ſterblich aber lebt und wirkt fort , was ſie ausgefäet an be fruchtenden Gedanken .
XVI. Am
Susquehanna.
Von Waſhington fuhr ich über Baltimore nach Pennſyl vanien hinein . Bis nad Baltimore war eine angenehme Ab wechſelung von Acker und Waldgrund und dazwiſchen mancher hübſche Blick in ein kleines helles Flußthal. Die Fahrt auf der Eiſenbahn in cas lebendige Baltimore hinein und ſofort wieder hinaus hatte ihren eignen Reiz. Wie voll Gewühl und Geräuſch waren die Straßen dieſer Stadt des Großhandels im Abſtich gegen das ſtille Waſhington , der Stadt der Diplo matie nach großem Zuſchnitt. Auffallend aber ändert ſich der Charakter des Landes , fo wie man ins Pennſylvaniſche fährt : man glaubt in ein neu angeſiedeltes Deutſchland zu kommen . Die Häuſer zeigen ſich zwar nac) amerikaniſcher Art weiß und niett, einige auch luftig gebaut mit Säulchen und kleinen Vorhallen ; aber der zierliche Holzbau iſt verſchwunden , die Gebäude ſind feſt und ſteinern. Die Aecker ſind auf das ſorgfältigſte angebaut, Wald ſcheint nur noch des Nußens wegen gezogen , der Urwald iſt hier lange bemeiſtert. Wagen , Ackergeſchirr, Pferde, Rindvieh wer den tüchtiger, maſſiver; audy die Kleidung der Leute verliert den ſtädtiſchen Anſtrich. Selbſt in den langen Wagen der Eiſenbahn merkte man ein ruhigeres geſetztes Weſen und
273 kräftigere Geſtalten. Die engliſche Sprache herrſchte vor, aber nicht wenige ſpradjen Pennſylvaniſch - Deutſch , und von den übrigen , welche Engliſch ſprachen , mußten viele von deutſcher Abkunft ſein , weil ſie mit den alten Leuten, welche nur Deutſch rebcten , fid) unterhielten . Es ging in Hinauf, welche einförmig ſind. ſtillen Fluß und
einem der unzähligen amerikaniſchen Flußthäler ſich recft angenehm ausnehmen , aber überall Der Mond ſtieg empor und glänzte über den die feuchtſchimmernden Anhöhen. Dabei wehte,
obwohl im November, cine milde und würzige Luft. Von den Bauereien hörte man Hähne und Gänſe, was mir in Amerika lange nicht vorgefonici war. Die Nacht blieb id) in York. Am andern Tage war cs Sonntag , ich fuhr auf der Eiſenbahn die zwölf Meilen bis Columbia. Die Wege zwiſchen den Feltern waren von laut ſprechenden Leuten im Sonntagspute belebt, auf den Straßeit und Plätzen der Städtchen und vor den Gehöften ſtanden oder ſchlenderten junge und alte Männer in knappen Jacken oder langen chrbaren Röcken , die kurze Pfeife in Munte. Sant ein Hübſches Mädchen vorbei , jo wurde luſtig gegrüßt und angerufen . Pralle Jungen mit Zipfelmützen riefen dem Wa genzuge nach . Inwillkührlich wurde man an den Sonntag auf den Dörfern in D cutſdyland erinnert. Die Eiſenbahn war aber wieder recht amerikaniſd). Ich ſtand auf dem Vorplate bei den Heizern. Der Zug brauſete auf und ab , bald hing der Wagen auf der einen , bald auf ter andern Seite ; ob cine witcrſpänſtige Sdiene an einein Ende ctiras in die Höhc ſtand , fümmerte nicht , es ging flott darüber weg . Man muß ſid) wundern , daß dennoch ſo wenig Unglück geſchiclyt. Von Bahnbeamten iſt wenig zu ſehen , ihnen eine Uniform zu geben , würde der Amerikaner gar zu lächerlich finden. Große Bahnhöfe ſucht der Europäer ver gebens. Wozu den Lurus ? fragt der Amerikaner, ein paar Löher, Land und { cute. 1. 18
274 wohlfeile Holzſchuppen thun dieſelben Dienſte. Er will raſch voran, alles übrige iſt ganz und gar Nebenſache. Uebrigens kann man in Amerika Teicht Eiſenbahnen anlegen. Der Bau koſtet nicht viel , der Boden wird gern umſonſt hergegeben , Holz und Eiſen ſind wohlfeil, des meiſt ebenen Landes wegen ſind keine großen Kunſtbauten nöthig , auch die Erhaltung der Bahn fordert geringe Ausgaben. Am Susquehanna hielt der Zug . Auf der andern Seite des Fluſſes lag Columbia . Ueber eine unendlid , lange bedeckte Holzbrücke wurden die Wagen von Pferden gezogen. Die Brücke war bedeckt und von beiden Seiten mit Brettern zuge ſchlagen , vom Fluſſe daher nichts zu ſehen , und das wenige Licht, welches den langen Sunkeln Gang erhelfte , fam haupt ſächlich aus den großen Löchern im Fußboden. Durch dieſe fah man auf der Brücke den Strom , ſtatt zur Seite, unter ſeinen Füßen . Die Amerikaner beſitzen in ſolchen Dingen eine Nach läſſigkeit, wie Kinder , die am Rande des Brunnens ſpielen, oder auch wie Goldjäger , die auf einem Baumſtamme verwe gen über den Abgrund klettern , wenn ſie nur raſch zu den Schätzen dahinter kommen . Endlich kamen wir aus der Brücke heraus , und mich entzückte die prachtvoúſte Fluß landſchaft. Das weite blinkende Gewäſſer des Susquehanna fluthet aus hohem Thale heran und ergießt ſich dann breit hinein zwiſchen die blauen Berge . Sanäle mit Booten münden ein und aus. Man iſt wie in einer Waſſerwelt. Die majeſtätiſche Schönheit der Gegend hielt mich feſt. Ich war zudem im Herzen des pennſylvaniſch - deutſchen Landes, des Garten von Amerika , in den Nurſery -Counties (Mutter ländchen) von Lancaſter und Lebanon , von welchen aus die Pennſylvanier- Deutſchen ſich über ſo weite Strecken ausgedehnt haben. Ich beſchloß daher ein paar Tage zu verweilen. Man hatte mir von einem pennſylvaniſchen Doktor geſagt, der viele Bücher habe und die alten Landesgeſchichten kenne. Da ich mir
275 einmal vorgefekt hatte, mit legtern mich bekannt zu machen , ſo ſchlug ich den Weg nach ſeiner Wohnung ein , zum Städtchen Waſhington, welches drei Meilen weiter im Flußthale lag. In der vortrefflichſten Reiſelaune ging ich den donnernden und ſchäumenden Susquehanna entlang , er ſchlägt ſeine Wogen um zahlloſe Felſeninſeln , und muß noch dazu in ſeiner halben Breite über ein Wehr hinabſchäumen , welches ſein Waſſer den Kanälen zuführen ſoll. Von dem Doktor und ſeiner Familie wurde ich freundlich auf genommen , und auf ihr Zureden blieb ich ein paar Tage in dem gaſtlichen Hauſe.
Er ſelbſt war
ein
ferniger und gebildeter
Mann, wohlhabend dazu und gut bekannt mit den Geſchichten und Zuſtänden ſeines Landes. Auch ein welterfahrener Frank furter mit einer Frau von ſeltener Schönheit war auf einige Zeit hierher verſchlagen und kam des Abends zum Whiſt. Eines Nachmittags fand ſich eine größere junge Geſellſchaft ein, und wir tanzten und ſpielten , bis Mitternacht vorbei war. Der amerikaniſche Contretanz wird auf dem Lande mit einer merkwürdig freien Grazie von den Damen mehr gegangen als getanzt, es ſieht furios aus, man findet ſich aber leicht hinein . Sonſt verging die Zeit mir ſchnell mit Studien über die deutſch -amerikaniſche Geſchichte und mit Ausflügen in die nächſte Umgegend. Nicht Das Herrlichſte blieb inmer der Susquehanna. zehn Schritte vom Hauſe fluthete er bahin , breit , ſtolz und glänzend . Drüben gipfelte ſich das Geſtabe wolkenartig in die Höhe. Trat man vor die Hausthür , ſo überſah mau tas weite lichte Flußthal ; rieſige weiße Stykamoren ſtanden das Ufer entlang und klatſchten mit ihren lang herabhängenden Zweigen ins Waſſer ; Steinblöcke , modernde Baumſtämme und Geſtrüpp zogen einen Wall gegen die Wellen . Dann und wann plätſcherte ein Rahn herüber, lang, ſchmal und ſpitz wie ein Indianerkanoe; ein Mann ſteht hinten im Fahrzeug und 18 *
276 ſtößt es fort, es iſt fo leicht, daß die kleinſte Welle es hebt. Wer darin nicht das genaueſte Gleichgewicht einzuhalten ber ſteht, ſchlägt unfehlbar mit dem Kahne um . Hinter dem Hauſe war eine Anhöhe , von dieſer herab erſchien bas Flußthal wie ein See zwiſchen hohen Bergen ausgebreitet. Einen Schuß Weges weiter ragte in den Strom hinein der berühmte Trea tyfelſen, auch Blue Rock genannt, eine lange Felſenplatte, von welder aus ſich auf und ab die Ausſicht über den Fluß dar bot. Auf dieſem Felſen wurden vor Alters die Verträge ( Treaties) mit den Indianern geſchloſſen , bort rauchten die Häuptlinge die Friedenspfeife mit den Weißen und verkauften ihnen das ſchöne Land. Ich wurde nicht müde , an
dem
Fluſſe hin und her zu
ſtreifen. Das unaufhörlid) ſidy umſetzende Wetter, die haſtigen Wolfenzüge , die jid , auf der weiten blanken Waſſerflädie ſpie gelten , der ſich immer wiederholende Wechſel von hellſter Landſchaft und dunkeln Stürmen, tes Abends wieder der ganze Himmel in rother Gluth , welche Fluß und Geſtade mit Purpur übcrgoß , – dies Wetter- und Farbenſpiel gab immer neue Schönheit . Der November ging zu Ende : am Sonntag war Sonnenhitze , am
Montag bunkles ,
faltcs Regenwetter , ai
Dienſtag Vormittags lachender Sonnenſchein, Mittags plötzlich eiſiger Sturmt, und am Abend Schnee, am Mittwoch arger Scneeſturm , am Donnerſtag helles Januarwetter, die folgen den beiden Tage war es wieder mild und freundlicy . Rebhaft in der Erinnerung iſt mir noch ein Abend. Ich ritt die An höhen hinter dem Hauſe hinauf und befand mich bald in einem Gewinde von Hügeln und Thälern , dazwiſchen anmuthige Schluchten und Waldplätzchen. Ueberall ragten die geräumigen Gehöfte der Pennſylvanier - Deutſchen durch die Bäume, und beſonders merkbar die hohen ſteinernen Scheunen. Es war heimathlich wie bei uns in Weſtfalen , wenn der Winterabend herein bunkelt und das Heerdfeuer freundlich in Nacht und
.
277 Kälte hinausleuchtet , öffnet. Dann ritt bei einer Waldecke ; über die beſpülten Baumſtämmen und
ſobald hier
und
da
eine
Thür
ſich
ich den Fluß hinab , der Weg hörte auf eine Weile ging es noch am Strande hin Felſen , bis die natürlichen Verhaue von der Sturm und das Schneegeſtöber , wel
dhes Fluß und Berge mit grauem wallendem Mantel überhing, mir die Rückkehr aufnöthigten . Der Sturm wurde bald ſo furchtbar, daß er mir das Geſicht zerfetzte und das Gewäſſer hochauf ſchleuderte. Žit Begleitung meincs vielkundigen Gaſtfreundes machte id) Ausflüge nach den Höfert und Stätten der Umgegend . Pennſylvanien iſt ein Land voll blühenden Segens. Getreide und Obſt, fohlen und Eiſen werden in ungcheuren Maſſen erzeugt. Nordamerikas natürliche Reichythümer überbieten alles , was man davon bisher in den reidyſten Ländern der Erde fannte . Sie haben einen Maßſtab wie ſeine Riefenſtröme. Das Rohlengebiet in den Vereinigten Staaten iſt zwölfmal fo groß als in ganz Europa , Eiſen , Kupfer , Blei , Gold , Salz lagern hunderte von Meilen weit, in dichten Majien zu Tage ſtehend, ſo daß ſie mit leichter Mühe gehoben werden fönnen . Und noch ſind alle dieſe Schätze eben erſt angebrochen . Wenn man ſich dieſe unermeflichen Strecken von fruchtbarſten
Ge
treideboden, von wogenden Wäldern voll des herrlidyſten Bau holzes , dieſe weit ausgedehnten Berge von Eiſen , welches alle Werkzeuge der Induſtrie hergicbt, dieſe gar nicht zu erſchöpfenden Kohlenlager, welche den Menſchen Feuering geben , verſtellt und ſich denkt, was aus allem dem erſt noch geſchaffen werten kann , — wenn man dazu dieſes ungeheure Gebiet turchzogen ſicht von den herrlichſten Waſſerſtraßen und einer Menge vont Eiſenbahnen und Stanälen, und belebt von einem
athemlos vor
dringenden , überall cas Nützliche aufgreifende Volke : dann erhebt ſich vor unſern geiſtigen Blicken eine Zukunft des Gebeihens , des Handels und der Gewerbe in ſo koloſſalen
278 Umriffen , als fühe man die weiten Straßen der Bundesſtadt Waſhington mit den Rieſengebäuben beſett, für welche ſie angelegt ſind. Die deutſchen Pennſylvanier hat ihr günſtiger Stern in der ſchönſten Theil dieſes Landes geführt und ſie haben es mit der liebevollen Sorgfalt angebaut und geſchmückt, mit welcher der Deutſche ſich ſeine Wohnſtätte heimiſch zu machen weiß. Dieſe pennſylvaniſchen Großbauern haben unter alten Ackerbauern auf der Erde das beneidenswertheſte loos gezogen . Im Beſit ſtolzer Gehöfte, reicher Heerden , ſchöner Ländereien und Forſten , umgeben von Fülle und Segen , in Eintracht mit ihren Nachbarn , haben ſie im Hauſe Glück und Frieden , brave Frauen und ein Dutzend Kinder, und brauchen ſich außer dem Hauſe vor ſeinem zu bücken . Herren ich oft, fcheidte fauber,
Sie fühlen ſich als die
des Landes . In amerikaniſchen Geſellſchaften hörte ſie ſeien zwar Muſterwirthe im Feldbau und als ge Gewerbsleute zu rühmen, aber auch ungebildet und un voli Geiz und Starrſinn. Es iſt wahr, jie ſtecken volt
von mancherlei Vorurtheilen ,
ſie verſtehen nicht die Feinheit
des Städters mit den Eigenſchaften des Vaiters zu verbinden , ſind ſchwer in Bewegung zu ſetzen und zäher und kleinlicher, als die andern Amerikaner , wo es darauf ankommt , die Bil dungsmittel zu fördern, insbeſondere ſetzen ſie dem überfirnißten , hochſtrebenden , alles mit ſich fortreißenden Amerikanterthum breite Stirnen entgegen. Aber ſie bewahren auch das deutſche warme und biedere Gemüth, die fröhliche Geſelligkeit, die Re ligion des Herzens , und den ausdauernden haushälteriſchen Sinn, der ſie wohlhabend gemacht hat . Wo ich nur hinkam , wurde ich auf ihren Höfen und in ihren Städteu herzlich und gaſtfrei aufgenommen, überall ſah ich ruhige beharrliche Thär tigkeit und Wohlſtand auf dauernden Grundlagen. Mehrere traf ich in der Geſchichte ihrer Vorfahren wohlbewandert, man zeigte mir die Wahlſtätten , wo jene einſt mit den Indianern
279 gekämpft, und bei mancher Großfarm ſtanden auf dem Fried hofe der Familie die Grabſteine der erſten Anſiedler unter den zahlreichen Denkmalen ihrer Nachkommen . Man ſagt in Amerika, die Deutſchen für ſich allein kämen nicht ſo raſch fort, als wenn ſie an den amerikaniſchen Nach baren ihre Lehrer und Treiber hätten . Allerdings kommen die Deutſchen , wenn ſie bloß auf einander angewieſen ſind, langſamer aus den erſten Arbeiten und Nöthen der Wildniſ heraus , aber ihr Gedeihen geht dann auch ſicherer vor ſichy. Die deutſchen Pennſylvanier aber haben , was ſie geleiſtet, nur durch ſich und ohne Hülfe und Lehre der übrigen Amerikaner geſchaffen . Mitten unter dieſen und in einer fremdartigen Natur haben ſie die Sitten und Gebräuche aus ihrer alten Heimath , ſelbſt Mandies vom bäuerlichen Güterweſen mit Leibzucht und Kötterrecht hierher verpflanzt. Man kann ſic nur den Siebenbürger Sachſen vergleichen . Jetzt freilich ſind ſie in raſcher Umwandlung begriffen , Spracje , Sitten und Anſichten der engliſd) redenden Amerikaner bringen bis in die entlegenſten Ortſchaften, wo früher alles deutſch war . Dieſe Pennſylvanier haben , verlaſſen von ihrem Mutterlande, ſo lange und ſo beharrlich für die Aufrechthaltung ihrer Natio nalität gekämpft, ſie waren nahe daran , einem großen Theile von Pennſylvanien auch in Gerichten und geſebgebenden Ver ſammlungen deutſche Sprache zu geben . Was hätte hier ge deihen können , wenn Deutſchland ſeine frühere Seemacht be halten und ſeine überſeeiſchen Anſiedlungen kräftig unterſtüßt hätte . Ein reichblühendes Neudeutſchland init lebhaftem Handels verkehr mit dem Mutterlande, und mit Flotten ihn zu beſchützen. Es läßt ſich gar nidit ermeſſen, welchen mächtigen Einfluß das auf den Gang der Geſchichte und auf Deutſchlands Zuſtände gehabt hätte. Wenigſtens wäre doch ein Platz auf der weiten Erde außerhalb Deutſchlands gewonnen , wo die deutſche Sprache mehr geweſen wäre , als die geliebte Mundart in Freundes
280 und Familienfreifen und die Fundgrube für die Gelehrten aller länder. Doch es war Deutſchlands Unglück, daß zur felben Zeit und im ſelben Grade, als ſeine innere Zerriſſen heit ſich erweiterte , auch das Ausſtrömen ſeiner Söhne und Töchter nach fremden Ländern ſeinen Fortgang nahm . Seit jener Zeit wurde bei unſerm Volke die Sehnſucht nach der Fremde zu einer Krankheit. In allen Zonen ſuchte man das geträumte Paradies. Es iſt gut, daß jetzt alle Sandſtriche auf der Erdkugel durchforſcht und mit ihrem Inhalte bekannt wer den , dann bleibt nur der Mond übrig , wohin der Deutſdje ſich init ſeinem Sehnen und ſeiner Wunderſucht flüchten kann. Wie bedeutend das Engliſdamerikaniſche bem teutſchen Weſen in Pennſylvanien zuſetzt, zeigte ſich mir auch in Sdule und Sirche. Die Sinder in den Landſchulen wurden halb deutſch, halb engliſd) unterrichtet, der Schullehrer ſelbſt ſprach in der Regel ein ſchändlides Deutſch , und die Kinder laſen lieber in den englifdien als in den deutſchen Büchern ; von den letztern kommt ihnen freilic) nur das ſchlechteſte Zeug in die Hände . Mehrere Knaben ſprachen indeſſen beſſeres Deutſch als ihr Schulmeiſter , ud antworteten auf die ihnen vorge legten Fragen geſcheidt und aufgeweckt. Das Syſtem , nach weldjem der Staat alle Schulkoſten trägt, welches anfangs bei nicht Wenigen heftigen Widerſpruct fand , verbreitet ſich jetzt ſchnell durch das ganze Cand. Im Städtchen Waſhington trieben gerade die Methodiſten ihr Wefen . Seit drei Wochen wurde jeden Abend im Bet haus gepredigt, gebetet und geſungen . 3d ging eines Abends ebenfalls hin . Die Prediger thaten ihr Beſtes, und beklamirten und ſchrien in allen Tönen, aber umſonſt fragten ſie ein über das anderemal : "Iſt denn keine Seele bekehrt, will gar keine Seele zu uns kommen , daß die Gnade auf ſie herabkomme ? Aber nein , keine arme Seele fand ſich dieſen Abend , obgleich ein Prediger während des legten Gefanges eine Frau ganz ins
281 beſondere aufs Korn
genommen
hatte und
ihr nicht wenig
zuſetzte, um die gehoffte öffentliche Wirkung hervorzubringen . Auch ſie wollte nicht auf das Armeſünderbänkchen , um ein öffentliches Sündenbekenntniß abzulegen und den Durchbruch der Gnade zu verkünden . Wem aber dieſes Heil widerfährt, deſſen Anſehen ſteigt ſofort, und zugleich damit die Sundſchaft in ſeinem Gewerbe. eingetrungen . Dem
So weit iſt das Methodiſtenweſen bereits Terte der firchlichen Geſänge waren die
luſtigſten deutſchen Studenteninelorien untergelegt. Die jungen Märcyen ladyten und liebäugelten , während ſie niederknicten, und einige Burſchen betrugen ſidy keineswegs ſchamhaft. Während im obern Theile des Bethauſes die gräßlichſten Be ſchwörungen wieterhallten , ſchien das Halbdunkel des untern Thcils den Platz zu Stelldicheins abzugeben. Der Susquchaina war mir jo licb geworten , daß ich beim Abſchiede von meiner freundlichen Wirthen vorzog, ſtatt auf der Eiſenbahn , zu Waſſer in einem Stanalboote weiter zu reiſen. Das Boot geht auf dem Kanale didyt am Rande des Fluſſes hin . Es wurde Winter , die Boote waren ſelten, und die Bootsführer riefen ſich zu : Wann gehts zu Haus Die Fluflandſchaft war wirklich im ich komme morgen an !. ſcrm Rheine zu vergleichen . Feljen , wie der Lurley , ließen Das Thal weitete ſich ab ſich von der Fluth umſtrömen . und zu , und der Fluß ſchäumte bard über Sandbänke und Felsblöcke , bald floß er wieder glatt und ruhig . Tags über Herrſchte helles Froſtwetter , der Abend kam mild und tuftig hernieder, und ging über in die reinſte Mondnacht. Ich hatte ein wenig geſchlummert , als wir anlandeten ; als ich nun aus dem Boote trat, ſtand ich befangen vor der ſtillen Erhabenheit dieſer Mondlandſchaft. Weithin glänzte das Gewäſſer , von einem hellgrauen Bergfranze umzogen ; man wußte nicht, ob die Sterne mehr am Himmel oder mehr im Waſſer funkelten . Am andern Morgen brachen wir vor dem Frühſtück auf,
282 als alles noch vom
Monde beſchienen war.
ſo eiſiger Wind , daß
Aber es pfiff ein
ich nur dann und wann den Stopf aus
der Kajüte hervorſtreckte, um die prächtigen Felſenpartien mit den breiten Hellen Thalkrümmungen abwechſeln zu ſehen. Der Fluß war ( ebendig von wilden Enten , welche flatterten , unter: tauchtert und hin und her ſchoſſen. In Middletown fanden wir endlich ein warmes Frühſtück.
Das Städtchen ſcheint wie
Columbia zwiſchen lauter Waſſerwege hingeſetzt. Die Gegend an dieſem pennſylvaniſchen Kanal iſt tauſendmal ſchöner als am Erickanal , auch ſind die Häuſer hier ſtattlicher und
die
Waldungen ſchon lange in Adergärten verwandelt , während der Eriekanal noch abwechſelnd durch Wildniß zieht. Aber dennoch hat der Newyorker Kanal bem pennſylvaniſchen, welcher früher neben dem Miſſiſippi und den Seen die Haupt waſſerſtraße zum Weſten war, den Vorrang abgewonnen. Am Yetztern muß man die Läden und Raſthäuſer in den größern Ortſchaften ſuchen, an Eriekanal ſtehen ſie bei jeder Schleuſe, umgeben von einein Getümmel von Booten , Pferden und Reiſenden. Es kann aber vaniſche Sanal nach einer loſen Booten bededt ſein der Alleghanies nur erſt jener Volksmaſſe erhalten
nicht fehlen , daß auch der pennſyl Reihe von Jahren wieder von zahl wird. Wenn die Staaten jenſeits einen bedeutenderen Bruchtheil von haben , die ſie ernähren können , ſo
wird auch die Kanäle und Eiſenbahnen , welche von den See ſtädten zwiſchen Newyork und Neworleans über die Alleghanies nach dem Weſten gehen , der lebendigſte Verkehr beleben. Durch dieſe fünſtlichen Eiſen- und Waſſerſtraßen , welche be reits von mehreren Seehäfen in das Herz des Weſtens führen, verbinden ſich die öſtlichen Staaten mit den weſtlichen . Der entfernteſte Weſtbewohner erhält durch ſie eine direkte raſche Strömung ſeiner Erzeugniſſe und ſeiner Gedanken nach dem Dſten. Dieſe Straßen ſind Bänder , welche die Staaten der Union auch dann noch zu einem gewaltigen Ganzen zuſammen
283 klammern , wenn ſich ſchon verſchiedene Staatengruppen mit eigenen Regierungen unter ihnen gebildet haben . Eiſenbahnen , Kanäle und elektriſche Telegraphen eilen in dieſem Lande den Ortſchaften und Städten voran, und je größer das Unionsge : biet wird , deſto mehr vervielfältigen ſich die Mittel , durch welche die Entfernungen überwältigt werden und die Gedanken mit Blitesſchnelle von einem Ende zum anderit fliegen . Nachmittags kamen wir nach Harrisburg, einer hübſchen Stadt , die noch viel werden kann . Auch hier führte wieder eine ewig lange und von allen Seiten bereckte dunkle Brücke über den Susquehanna.
Die Ausſidyt vom
jenſeitigen Ulfer
war großartig . Eine hohe, ſteile Gebirgswand, in tiefes Blau getaucht, legt ſich vor den Strom , dieſer ergießt ſich in ſchim mernder Breite und welt ſeine ſtillen Wogen im kleine, hübſde Inſeln , bis er einen ſchmalen Paß durch die Berge findet. Drüben zicht ſich das freundliche Harrisburg hin mit ſeinem weitblickenden Staatenhauſe. Gern hätte ich die Waſſerſtraße weiter verfolgt , aber es ging kein Boot mehr, weil der Dezember nahe war ; ich mußte daher den ſüdlichen Weg über die Aleghannics mit der Eiſen bahn und Poſtfutſche einſchlagen .
VM
Druc yon H. Hotop in Caſſel.