Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht [5 ed.] 3825247546, 9783825247546


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German Pages [370] Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
1 Einleitung: Was können Sie in diesem Buch lesen?
2 Das Tagebuch: Begleiter des Forschungsprozesses
3 Entwicklung eines Ausgangspunktes für die Forschung
4 Nähere Klärung des Ausgangspunktes
5 Sammlung von Daten
6 Analyse von Daten
7 Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien
8 Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen
9 Aktionsforschung und Schulentwicklung
10 Aktionsforschung in der Lehrerbildung
11 Lesson Studies und Learning Studies
12 Ein Blick hinter die Kulissen
13 Epilog
Verzeichnisse
Index
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Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht [5 ed.]
 3825247546, 9783825247546

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Dieses Arbeitsbuch, das in seiner Neuauflage durch Kapitel über Praxisforschung in der Lehreraus- und -fortbildung sowie über Lesson and Learning Studies ergänzt wurde, möchte diese Prozesse mit praktischen Handlungsanregungen, Beispielen und Methoden­ vorschlägen unterstützen. Mit seinen vielfältigen praxisorientierten Anregungen für eine reflektierte Weiterentwicklung von Schule, Unterricht und Lehre wendet es sich an Studierende, Referendare und Lehrkräfte und regt zu forschendem Lernen in der Lehreraus- und -weiterbildung an.

Dies ist ein utb-Band aus dem Verlag Klinkhardt. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

ISBN 978-3-8252-4754-6

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Herbert Altrichter Peter Posch | Harald Spann

Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht 5. Auflage

Altrichter | Posch | Spann

»Aktionsforschung ist die systematische Reflexion von Praktikern über ihr Handeln in der Absicht, es weiterzuentwickeln« (John Elliott). Im Kontext zunehmender wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Anforderungen an Bildungseinrichtungen eröffnet Aktionsforschung die Möglichkeit, eingespielte Routinen des Lehrens und ­Lernens an Schulen, Hochschulen und ­anderen Bildungs­orten zu überdenken und professionelles ­Handeln weiterzuentwickeln.

Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht 5. A.

Schulpädagogik

28.03.18 09:42

utb 4754

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol Waxmann · Münster · New York

Herbert Altrichter, o. Univ.Prof., Dr., Linz School of Education, Johannes Kepler Universität Linz. Schwerpunkte: Schulentwicklung und Governance des Bildungswesens, Lehrerbildung. Peter Posch, o. Univ.Prof. i. R., Mag. Dr., Alpen-Adria Universität Klagenfurt. Schwerpunkte: Aktionsforschung, Lehrerfortbildung, Lesson und Learning Studies. Harald Spann, Mag. phil. Dr. phil. Dr. phil., Hochschulprofessor, Pädagogische Hochschule Oberösterreich. Schwerpunkte: Fachdidaktik Englisch, Englischlehrerbildung.

Herbert Altrichter Peter Posch Harald Spann

Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht 5., grundlegend überarbeitete Auflage

Verlag Julius Klinkhardt "AD(EILBRUNNs

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben zu diesem Buch und der Reihe „Studientexte Bildungswissenschaft“ sind erhältlich unter www.utb-shop.de

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 2018.I. © by Julius Klinkhardt. Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Kay Fretwurst, Spreeau. Umschlagfoto: © Dirk Krüll, Düsseldorf. Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart. Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg. Printed in Germany 2018. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem alterungsbeständigem Papier. utb-Band-Nr.: 4754 )3".    

Inhalt

1

Einleitung: Was können Sie in diesem Buch lesen? .......................................................9 1.1 Motive von Aktionsforschung .............................................................11 1.2 Charakteristika von Aktionsforschung ................................................13 1.3 Aufbau und Gebrauch des Buches ......................................................18 1.4 Getting started: Forschung und Entwicklung in Gang bringen ...........20

2

Das Tagebuch: Begleiter des Forschungsprozesses ............................................................25 2.1 Warum Tagebuch schreiben? ...............................................................25 2.2 Tagebücher haben Tradition ...............................................................26 2.3 Anregungen für das Schreiben von Tagebüchern .................................27 2.4 Die eigene Forschung beginnen ..........................................................40 M 1 Der erste Arbeitsvorschlag: Tagebuch ..........................................41 M 2 Aufwärmen und Muskeln-Spielen-Lassen ...................................42 M 3 Schriftliches Nachdenken ...........................................................43

3

Entwicklung eines Ausgangspunktes für die Forschung ..........................45 3.1 Was sind Forschungsausgangspunkte? .................................................45 3.2 Finden von Ausgangspunkten .............................................................53 M 4 Brainstorming: Finden von Ausgangspunkten .............................54 M 5 Eine Methode, um einige Ausgangspunkte eine Zeitlang parallel zu überlegen ...................................................................55 3.3 Gesichtspunkte für die Auswahl eines Ausgangspunktes .....................56 M 6 Auswahl eines Ausgangspunktes ..................................................56

4

Nähere Klärung des Ausgangspunktes ......................................................60 4.1 Vom „ersten Eindruck“… ...................................................................60 4.2 … über die Aktivierung zusätzlichen Wissens … ................................63 4.3 … zur Formulierung einer eigenen praktischen Theorie ......................66 4.4 Methodische Vorschläge zur näheren Klärung von Forschungsausgangspunkten ...............................................................73 M 7 Analysegespräch in einer Gruppe ................................................74 M 8 Gespräch mit kritischen FreundInnen .........................................78 M 9 Graphische Rekonstruktionen ....................................................80

6

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Inhalt M 10 Eine Geschichte aus Karten ......................................................82 M 11 Drei Listen: Merkmale – Bedingungen – Handlungsmöglichkeiten .........................................................82 M 12 Von Kategorien zu Hypothesen ................................................83 4.5 Entwicklung oder Forschung? .............................................................87 4.6 Zielklärung und Entwicklung von Erfolgsindikatoren ........................90 M 13 Ziele konkretisieren und Erfolgsindikatoren formulieren ..........91 M 14 Einige Anregungen zur Entwicklung von Erfolgsindikatoren ....95

5

Sammlung von Daten ................................................................................97 5.1 Erfahrungen machen und Daten sammeln ..........................................97 M 15 Schlüsse ziehen und Argumente aufbauen (Die Leiter des Schließens) .....................................................100 5.2 Gütekriterien von Aktionsforschung .................................................103 5.3 Sammlung bereits vorliegender Daten ..............................................111 M 16 Dossier ...................................................................................112 M 17 Spurensicherung .....................................................................113 5.4 Beobachtung und Dokumentation von Prozessen .............................114 M 18 Einstimmung auf Beobachtungen ...........................................117 M 19 Anekdoten ..............................................................................119 M 20 Aufzeichnungen bei nachträglicher Themenwahl ....................120 M 21 Beobachtungsprofil .................................................................121 M 22 Unterrichtsprotokoll ...............................................................124 M 23 Schattenstudie ........................................................................125 M 24 Teilweise Transkription von Aufzeichnungen ..........................129 M 25 Transkriptionsregeln ...............................................................129 5.5 Interview und Gespräch ....................................................................133 M 26 Vorbereitung eines Interviewleitfadens ....................................135 M 27 Erste Interviewversuche ..........................................................140 M 28 „Standardfragen“ zur Unterrichtsanalyse .................................141 M 29 Übung zum Interviewen .........................................................143 5.6 Die schriftliche Befragung ................................................................149 M 30 Schülertagebuch .....................................................................159 5.7 Eine kombinierte Methode: die Triangulation ..................................160 M 31 Triangulation ..........................................................................160

6

Analyse von Daten ...................................................................................163 6.1 Aus Daten Sinn gewinnen ................................................................163 M 32 Übung zur Datenanalyse ........................................................170 6.2 Konstruktive Analysemethoden ........................................................175 M 33 Datenresümees verfassen ........................................................175 M 34 Kategorien bilden und Daten kodieren ...................................175

Inhalt

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M 35 Theoretische Notizen schreiben ..............................................178 M 36 Zählen ....................................................................................179 M 37 Metaphern bilden ...................................................................180 6.3 Kritisch-prüfende Analysemethoden .................................................183 M 38 Prüfung von Thesen ...............................................................184 M 39 Kommunikative Validierung ...................................................186 6.4 Komplexe Methoden ........................................................................187 7

Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien ........................207 7.1 Praktische Handlung als Teil der Forschung ......................................207 7.2 Was sind Handlungsstrategien? .........................................................210 7.3 Wie finde ich möglichst viele, auf meine Situationsdiagnose passende Handlungsstrategien? .........................................................215 M 40 Individuelles Brainstorming ....................................................218 7.4 Wie wähle ich aus den verfügbaren Alternativen die zu erprobenden Handlungsstrategien aus? .............................................218 M 41 Gedankliches Überprüfen von Handlungsalternativen ............218 M 42 Kluge-Ideen-Konzentrations-Methode ...................................220 7.5 Wie konkretisiere ich die Handlungsstrategie und wie mache ich mich mit ihr vertraut? .................................................................227 7.6 Wie kann ich den Erfolg der erprobten Handlungsstrategien überprüfen und die mit ihnen gemachten Erfahrungen festhalten? ......228 M 43 Zeitplan .................................................................................229

8

Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen .............................236 8.1 Welchen Sinn hat die Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen? ...................................................................................236 8.2 Die drei Grundfragen bei der Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen: Was, wie, an wen? ................................................239 8.3 Schriftliche Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen ......245 M 44 Cross Case Analysis: Ein Lehrerteam erstellt einen Übersichtsbericht ...................................................................249 8.4 Das Schreiben ...................................................................................252 M 45 Was heißt Schreiben für Sie? ...................................................254 M 46 Flexibilität beim Schreiben .....................................................255 M 47 Schriftliches Erklären ..............................................................255 M 48 Vom Interview zur Textcollage ................................................264

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Aktionsforschung und Schulentwicklung ..............................................267 9.1 Zwei Beispiele ...................................................................................267 9.2 Aktionsforschung in Unterrichtsentwicklung und Schulentwicklung: Gemeinsamkeiten und Unterschiede ................................................269

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Inhalt 9.3 Einstieg und Klärung der Situation ...................................................276 M 49 Muster einer Vertraulichkeitsvereinbarung in Lehrergruppen ........................................................................283 9.4 Sammlung von Daten .......................................................................285 M 50 SWOT-Analyse ......................................................................286 9.5 Analyse von Daten ............................................................................288 M 51 Gesichtspunkte bei der Gestaltung einer Feedback-Konferenz ...............................................................288 9.6 Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien ....................289 M 52 Planung von Entwicklungs- und Evaluationsvorhaben ...........290 M 53 Arbeitsplanung für das Projekt ...............................................291

10 Aktionsforschung in der Lehrerbildung .................................................292 10.1 Aktionsforschung von LehrerbildnerInnen .......................................293 10.2 Aktionsforschung in der Erstausbildung von LehrerInnen ................295 10.3 Fortbildung professioneller PraktikerInnen .......................................300 11 Lesson Studies und Learning Studies ......................................................305 11.1 Lesson Studies ..................................................................................305 M 54 Planung, Beobachtung und Diskussion einer Forschungsstunde ...................................................................307 M 55 Regeln für die Durchführung einer Lesson Study ...................311 11.2 Learning Studies ...............................................................................314 12 Ein Blick hinter die Kulissen ..................................................................326 12.1 Die Wurzeln der Aktionsforschung ...................................................326 12.2 Eine Konzeption für Innovationen im Schulwesen ...........................327 12.3 LehrerInnen als Mitglieder einer Profession ......................................328 12.4 Professionelles Handeln ....................................................................329 12.5 Der Wertbezug pädagogischer Handlungen ......................................337 12.6 Die soziale Situierung professionellen Handelns ...............................337 12.7 Aktionsforschung von PraktikerInnen als Forschung ........................340 12.8 Die Iterativität von Aktionsforschung ...............................................342 12.9 Ein Beispiel: Die Sache mit den Hausübungen .................................343 13 Epilog .......................................................................................................348 Verzeichnisse ..................................................................................................349 Literaturverzeichnis ...................................................................................349 Index .........................................................................................................366 Abbildungsverzeichnis ................................................................................368

1 Einleitung: Was können Sie in diesem Buch lesen?

Wie können wir den Leserinnen und Lesern, die gerade dieses Buch aufschlagen, vermitteln, was uns selbst an diesem Buch wichtig ist, was uns dazu gebracht hat, über einen längeren Zeitraum, den man ja durchaus mit weniger anstrengenden Dingen verbringen hätte können, Mühe in seine Ausarbeitung zu stecken? Das ist wohl der Stoßseufzer der meisten Autorinnen und Autoren, wenn sie vor ihrem durch langes Ausfeilen ansehnlich (oder zumindest umfangreich) gewordenen Manuskript sitzen und nun den letzten Stein darauf setzen sollen: die Einleitung, die schon alles sagt und trotzdem motiviert, weiter zu lesen. Wir haben beschlossen, die Sache so anzugehen: Wir erzählen Ihnen von einer Erfahrung, die uns selbst die Bedeutung und das Potential einer Forschung, die Lehrerinnen und Lehrer zur Weiterentwicklung ihrer Praxis betreiben, vor Augen geführt hat. Vielleicht wollen Sie dann, wie wir damals, mehr darüber wissen. Anlässlich eines Englandaufenthaltes lernten zwei der Autoren die Arbeiten von Lehrerinnen und Lehrern kennen, die am Projekt „Teacher-Pupil Interaction and the Quality of Learning“ der Universität von East Anglia (vgl. z.B. Ebbutt/Elliott 1985) mitarbeiteten. An diesem Projekt beteiligten sich Lehrende, die an der Frage interessiert waren, was es bedeutet, einen Inhalt zu „verstehen“, und wie fachliches Verständnis im Unterricht gefördert werden kann. Sie untersuchten diese Frage im eigenen Unterricht, tauschten Erfahrungen aus, schrieben Berichte über ihre Arbeit, versuchten Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszufinden, zu erklären und neue Handlungsstrategien auszuprobieren. Eine Lehrerin (Marshall 1986) erhielt z.B. anhand von Beobachtungen und Interviews mit ihren Schülerinnen und Schülern deutliche Hinweise auf ein Phänomen, das sie „Aufschieben des Lernens auf später“ nannte, wobei „später“ sich auf die Zeit unmittelbar vor Prüfungen bezog. Sie fand auch heraus, dass ein Drittel der Schülerinnen und Schüler beim Lernen für die Prüfung mit der eigenen Mitschrift wenig anfangen konnte. „Gelernt“ bedeutete für viele, einen Inhalt wiedergeben zu können, gleichgültig ob er verstanden wurde oder nicht. Die Lehrerin fand u.a. auch Hinweise darauf, dass die Qualität des Lernens für Prüfungen höher war, wenn SchülerInnen sich bereits während des Unterrichts ein grundlegendes Verständnis eines Sachverhalts erwarben. Beim Erfahrungsaustausch über ihre Beobachtungen mit den Kolleginnen und Kollegen zeigte sich, dass das untersuchte Phänomen weit verbreitet zu sein schien. Gemeinsam wurde versucht, Erklärungen dafür sowie erfolgreiche Handlungsstrategien, mit dieser Problematik umzugehen, zu finden und zu überprüfen.

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Einleitung: Was können Sie in diesem Buch lesen?

Auf ähnliche Weise wurden zahlreiche andere Aspekte des „Verstehens“ im Unterricht (so z.B. auch der Zusammenhang zwischen der Art der Lehrerfragen und dem Verständnis der Schülerinnen und Schüler) untersucht und Verbesserungsmöglichkeiten in der Form von Hypothesen über mögliche Zusammenhänge zwischen Lehrer- und Schülerverhalten und der Entwicklung von tiefer gehendem Verständnis ausgearbeitet. Die am Projekt beteiligten Lehrerinnen und Lehrer haben ihre Untersuchungen dokumentiert, zu Studien ausgearbeitet und veröffentlicht.



Wenn wir heute, Jahre danach, den starken Eindruck, den diese Arbeiten auf uns machten, zu erklären versuchen, dann hat er wohl in folgenden Merkmalen seine Ursache: • Uns gefiel, dass Lehrpersonen sich nicht bloß als „Anwender eines von der Wissenschaft produzierten Wissens“ ansahen, sondern dass sie selbst forschten, selbst Wissen über Berufsprobleme produzierten und dabei zu durchaus bemerkenswerten Ergebnissen kamen. Bei ihrer Entwicklungsarbeit griffen sie zwar von Fall zu Fall auf Hilfe von außen zurück (z.B. auf Lehrerfortbildung oder Beratung durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler), doch ließen sie sich im Gesamten gesehen nicht die Initiative aus der Hand nehmen. • Üblicherweise glauben Lehrkräfte, dass ihr Wissen und ihre Erfahrung vielleicht noch für ihre spezielle Situation einen gewissen Wert haben, doch kaum irgendjemand anderen, seien es Kolleginnen und Kollegen, sei es die weitere Öffentlichkeit, interessieren könnten. In diesem Fall waren wir nun gerade davon beeindruckt, dass es Lehrpersonen gelungen war, die notorische Geringschätzung von Lehrerwissen zu überwinden, eigene Erfahrung aufzuarbeiten und damit an die Öffentlichkeit zu treten. Diese Lehrkräfte verstehen sich als „forschende Lehrerinnen und Lehrer“ und sind mit diesem Selbstverständnis nicht allein. Wenn man das englische Bildungswesen bereist, dann trifft man an Schulen, an Lehrerfortbildungsinstitutionen und an Universitäten immer wieder auf Personen und Teams, die in vergleichbarer Weise arbeiten. Man trifft so häufig auf sie, dass manche von einer „Lehrerforschungsbewegung“ sprechen. In dieser Tradition der englischen „Aktionsforschung“ steht unser Buch. Es will zum einen auf die vielfältigen Ideen und Vorschläge, die von der englischen Aktionsforschung entwickelt wurden, im deutschen Sprachraum aufmerksam machen und natürlich auch auf die Erfahrungen, die wir selbst in der Zwischenzeit in der Zusammenarbeit mit Lehrerinnen und Lehrern aller Schulstufen erworben haben. Zum anderen sollen in dieser Neuauflage auch jene Potentiale für Professionalisierung in den Vordergrund gerückt werden, die sich durch Aktionsforschung in Teams und professionellen Gemeinschaften in den Kontexten der Lehreraus- und –fortbildung entfalten können (vgl. besonders Kap. 10 und 11). Im englischen Sprachraum werden die Begriffe „action research“, „teacher research“ und „practitioner research“ weitgehend synonym verwendet, und auch wir werden manchmal von „Lehrer-, Praktiker- oder Praxisforschung“ sprechen. Die Traditi-

Motive von Aktionsforschung

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on der „Handlungsforschung“, die sich in den 1970er und 1980er Jahren in den deutschsprachigen Ländern entwickelt hatte, ist nicht in allen Zügen identisch mit der englischen (vgl. dazu Kap. 12 und Altrichter/Gstettner 1993). Wir schreiben im Folgenden hauptsächlich über Aktionsforschung im Schulsystem, beschränken uns jedoch nicht darauf, weil wir mittlerweile auch auf Erfahrungen aus anderen pädagogischen Bereichen, insbesondere der Lehrerbildung, zurückgreifen können (vgl. Altrichter 2006; Altrichter/Aichner 2006). Viele der folgenden methodischen und forschungsstrategischen Überlegungen haben zudem – wie die internationale Erfahrung zeigt (vgl. McTaggart 1997; Bridges/Meyer 2000; Kemp 2000; Noffke/Somekh 2009)  – auch für die Forschung professioneller Praktikerinnen und Praktiker in anderen Praxisbereichen Bedeutung, wie z.B. im Management, in der sozialen Arbeit, in Pflegeberufen usw. (vgl. van der Donk/van Lanen/Wright 2014).

1.1 Motive von Aktionsforschung Die einfachste und kürzeste Definition von Aktionsforschung lässt sich in Anlehnung an John Elliott (1981a, 1), einem der bekanntesten englischen Exponenten dieser „Bewegung“, geben: „Aktionsforschung ist die systematische Untersuchung beruflicher Situationen, die von Lehrerinnen und Lehrern selbst durchgeführt wird, in der Absicht, diese zu verbessern“1.

Diese lapidare Definition benennt sogleich eines der wesentlichen Motive, Aktionsforschung zu betreiben. Es besteht darin, die Qualität der Arbeit in einem Praxisbereich, in unserem Fall: des Lehrens und Lernens, und die Bedingungen, unter denen Lernende und Lehrpersonen arbeiten, zu verbessern. Kurz: Aktionsforschung soll Lehrkräften und Lehrergruppen helfen, Probleme der Praxis selbst zu bewältigen, Innovationen durchzuführen und selbst zu überprüfen. Die bisherigen Erfahrungen mit Aktionsforschung haben gezeigt, dass Lehrende dazu in der Lage sind und dabei auch zu bemerkenswerten Ergebnissen gelangen. Diese Lehrerinnen und Lehrer haben aber nicht nur Forschungs- und Entwicklungsarbeit für ihre Schule geleistet, sondern dabei auch ihr Wissen und ihre berufliche Kompetenz ausgeweitet. Und sie haben ihr Wissen an KollegInnen, SchülerInnen, Eltern und in schriftlicher Form auch an eine breitere Öffentlichkeit weitergegeben. Sie haben damit gezeigt, dass Lehrkräfte wertvolle Beiträge zur Wissensgrundlage ihres Berufs liefern können. Damit aber nicht genug: Diese Lehrpersonen haben auch demonstriert, dass sie in eigener Verantwortung in der Lage sind, Probleme zu bewältigen, ohne auf Weisungen von außen zu warten. Sie haben „professionell“ gehandelt, indem sie sich nicht allein auf ihre beruflichen Routi1 Alle Zitate aus englischsprachigen Quellen werden in der Übersetzung der Verfasser wiedergegeben.

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Einleitung: Was können Sie in diesem Buch lesen?

nen beschränkt haben, sondern daran gegangen sind, in Auseinandersetzung mit schulischen und gesellschaftlichen Entwicklungen neue Sichtweisen ihrer beruflichen Arbeit zu verwirklichen. Diese Lehrerinnen und Lehrer waren „normale“ Lehrpersonen. Es waren „reflektierende Praktikerinnen und Praktiker“ (vgl. Kap. 12.4), die die schönen Seiten ihres Berufs stärken und weiterentwickeln wollten und die sich mit den problematischen Seiten ihres beruflichen Alltags nicht abgefunden, sondern sich darüber Gedanken gemacht und nach Lösungsmöglichkeiten gesucht haben. Sie hatten Interesse daran, ihr Handeln nicht erstarren zu lassen, sondern ihre Stärken weiterzuentwickeln und Schwächen zu überwinden, Neues aufzugreifen und zu erproben. Mit unserem Buch wollen wir reflektierende Praktikerinnen und Praktiker ermutigen, selbst untersuchend und gestaltend dort anzusetzen, wo sie etwas verbessern möchten: im Unterricht und in anderen Lernprozessen, in der Beziehung zu SchülerInnen, Studierenden, KollegInnen, Eltern, schulexternen Gruppen und der Schulverwaltung. Wir möchten ihnen einfache Methoden zugänglich machen, mit denen sie ein genaueres Bild einer Situation gewinnen können, mit denen sie Handlungsstrategien entwickeln können, die eine Verbesserung erwarten lassen, und wieder überprüfen können, was die ganze Mühe gebracht hat. Wir möchten auch dazu ermutigen, die eigene Erfahrung nicht bei sich zu behalten, sondern mit anderen auszutauschen und damit dem eigenen Denken und Handeln Öffentlichkeit zu verleihen. Auch dafür haben wir in diesem Buch einfache, mit Beispielen illustrierte Anregungen zusammengestellt. Wir glauben, dass dieser Austausch unter Kolleginnen und Kollegen sowie die Information der Öffentlichkeit über die eigenen Leistungen dazu beitragen können, das Selbstbewusstsein der Berufsgruppe zu erhöhen und ihre Leistungsfähigkeit und Berufszufriedenheit zu verbessern. Schließlich möchten wir mit dem Buch Lehrpersonen als Berufsgruppe dazu anregen, ein professionelleres Verständnis ihrer Arbeit zu gewinnen und sie zu ermutigen, die Gestaltung der Schule, das Auffinden und Bearbeiten von Problemen in zunehmendem Maße selbst in die Hand zu nehmen. Der rasche gesellschaftliche Wandel, den wir erleben, enthält für die Weiterentwicklung der Schule eine große Chance, wenn sie sich davon nicht überrollen lässt, sondern die Herausforderung annimmt, die Kultur des Lehrens und Lernens an der Schule selbst dynamischer zu gestalten. Das heißt aber, dass Lehrkräfte und Schulleitungen individuell und gemeinsam sich mit dem Funktionieren ihrer Institution, mit ihren Stärken und Schwächen forschend auseinandersetzen, Zukunftsperspektiven entwickeln und sie in Handlungen und Strukturen übersetzen.

Charakteristika von Aktionsforschung

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1.2 Charakteristika von Aktionsforschung Wie geht nun diese Aktionsforschung vor sich? Was sind ihre charakteristischen Merkmale2? (1) Forschung der Betroffenen: Aktionsforschung ist Forschung, die von Personen betrieben wird, die von einer sozialen Situation direkt betroffen sind. Im Falle der sozialen Situation „Unterricht“ sind dies zunächst einmal die Lehrerinnen und Lehrer, weil sie berufliche Verantwortung dafür tragen. Wenn auch die Initiative für Aktionsforschung in der Regel von Lehrpersonen ausgehen wird, so können sie in den meisten Fällen kaum eine einigermaßen tragfähige Verbesserung der Situation erreichen, wenn sie nicht andere „Betroffene“ – je nach dem erforschten Problem werden das Schülerinnen und Schüler, Eltern, die Schulverwaltung, die Gemeinde usw. sein – zur Mitarbeit gewinnen. (2) Fragestellungen aus der Praxis: Aktionsforschung setzt an Fragen der schulischen Praxis an. Praktikerinnen und Praktiker formulieren Fragestellungen aus ihrer eigenen Erfahrung, die sie als bedeutsam für ihre Berufstätigkeit ansehen (und sie arbeiten nicht an solchen, die vielleicht gerade in der wissenschaftlichen Diskussion en vogue sind). Eine Folge dieser ‚Problemorientierung‘ ist, dass die meisten Fragestellungen in der Aktionsforschung interdisziplinär sind, weil sich praktische Probleme üblicherweise nicht an Fachgrenzen halten. Des Weiteren zeigt sich, dass bei der Bearbeitung komplexer praktischer Probleme die Spezifität des Kontextes besonderes Augenmerk erfordert. Den AktionsforscherInnen geht es zunächst einmal um situatives Verstehen und nicht sogleich darum, allgemeine Aspekte der Situation heraus zu präparieren. (3) In-Beziehung-Setzung von Aktion und Reflexion: Aktionsforschung arbeitet mit einem Repertoire an einfachen Methoden zur Untersuchung und Weiterentwicklung von Praxis, die ein vertretbares Verhältnis von Aufwand und Erfolg aufweisen. Das Wesentliche an der Aktionsforschung sind jedoch nicht die einzelnen Methoden. Vielmehr liegt es darin, dass das Handeln in der Praxis und das Schlüsse-Ziehen aus der Handlungserfahrung, dass also Aktion und Reflexion eng und immer wieder aufeinander bezogen werden. Beide werden dadurch gewinnen: dem Handeln werden durch die Reflexion neue Möglichkeiten eröffnet, und die Reflexionsergebnisse werden durch das Handeln einer Überprüfung unterzogen. Praktisch funktioniert das so: Über einen längeren Zeitraum betreiben Praktikerinnen und Praktiker am Ort ihrer Praxis Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu ihrer Fragestellung, wobei sie immer wieder Reflexions- und Aktionskomponenten in Beziehung bringen (vgl. Abb. 1): Auf die eigene Praxis zurückblickend versuchen sie, eine Erklärung der abgelaufenen Situation, eine 2 vgl. dazu Elliott 1985; Altrichter 1990; Altrichter/Feindt 2008; Noffke/Somekh 2005; Altrichter/ Aichner/Soukup-Altrichter/Welte 2013; Altrichter/Feindt/Zehetmeier 2014.

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Einleitung: Was können Sie in diesem Buch lesen? „praktische Theorie“, zu entwickeln. Von jeder praktischen Theorie kann man auch nach vorne schauen und Ideen für nachfolgende Handlungen entwickeln. Der Kreislauf von Aktion und Reflexion endet nicht damit, dass neue Ideen für das praktische Handeln formuliert wurden. Praktikerinnen und Praktiker stehen in der Regel unter Handlungsdruck und werden daher diese Aktionsideen in die Tat umsetzen müssen. Sie werden auch direkt die Auswirkungen ihrer Handlungen (die indirekt ja auch die Auswirkungen ihrer Reflexion, ihrer praktischen Theorien sind), zu spüren bekommen: Dies sollte ein guter Grund für die Fortsetzung der Reflexion und für die Weiterentwicklung der ursprünglichen praktischen Theorie sein. Gerade die Tatsache, dass die Reflexion von Praktikerinnen und Praktikern in ihren alltäglichen Handlungen wurzelt, erlaubt es, eine praktische Theorie einer Serie von Überprüfungen auszusetzen und sie dabei gleichzeitig weiterzuentwickeln und zu verfeinern.

Informationssammlung (Daten, Feedback)

Interpretation und Auswertung (praktische Theorie)

Aktion

Konsequenzen: Aktionsideen und Handlungsstrategien

Aktion

Reflexion

Abb. 1: Der Kreislauf von Reflexion und Aktion

Aktionsforschung bietet Praktikerinnen und Praktikern theoretische und methodische Hilfen, damit solche Reflexion-Aktions-Kreisläufe, die auch im Alltag ‚natürlich‘ ablaufen (vgl. z.B. Morocutti 1989, 77) systematischer, reflexiver und auf einer besseren Informationsbasis erfolgen können. Indem Aktionsforschung Reflexion und Aktion  – oder in anderen Worten: Forschung und Entwicklung, Theorie und Praxis  – in längerfristigen Zyklen integriert

Charakteristika von Aktionsforschung

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und in Beziehung setzt, nimmt sie eine besondere Haltung zu dem in den Wissenschaften immer wieder diskutierten Theorie-Praxis-Verhältnis ein: Die Entwicklung ‚praktischer Theorien‘ ist ein integraler Bestandteil praktischer Entwicklungsarbeit, die ihrerseits Gelegenheit zur Prüfung solcher Theorien bietet (vgl. Noffke/Somekh 2005, 89f; Altrichter et al. 2005a). (4) Längerfristige Forschungs- und Entwicklungszyklen: Aktionsforschungsprozesse sind längerfristig und zyklisch. Der Kreislauf von Reflexion und Aktion ist eigentliche eine hoffentlich nach ‚oben‘ führende Spirale, wie Abb. 2 versinnbildlicht, und er wird bei der Weiterentwicklung der Praxis und der Theorien darüber einige Male durchlaufen (vgl. Kap. 12.8). AktionsforscherInnen führen häufiger Zwischenanalysen durch, statt große Mengen an Daten anzusammeln. Bei diesen Zwischenbilanzen werden oft Fragestellungen, die sich ja aus der bis dahin entwickelten ‚praktischen Theorie‘ ergeben, präzisiert und umformuliert sowie die nächsten Forschungsschritte festgelegt.

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Abb. 2: Längerfristige Forschungs- und Entwicklungszyklen

(5) Konfrontation unterschiedlicher Perspektiven: Ein wesentliches Merkmal von Aktionsforschung besteht weiters darin, verschiedene Perspektiven auf die zu untersuchende Situation zu sammeln und miteinander zu konfrontieren (vgl. Prengel 2003, 603ff). Die ForscherInnen werden ermutigt, ihre eigenen Wahrnehmungen z.B. mit solchen von SchülerInnen oder externen BeobachterInnen zu vergleichen. Etwaige ‚Diskrepanzen‘ sind Nahrung für die Reflexion; sie bilden oft besonders anregende Ausgangspunkte für die Weiterentwicklung von praktischen Theorien und Handlungsstrategien (z.B. die Diskrepanz zwi-

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Einleitung: Was können Sie in diesem Buch lesen?

schen dem Selbstbild einer Lehrerin und der ‚distanzierteren Perspektive‘ einer Audioaufnahme; vgl. Kap. 5.2.1). (6) Einbettung der individuellen Forschung in eine professionelle Gemeinschaft: Die Aktionsforschung einzelner Lehrpersonen ist meist in die Kommunikation einer Gruppe eingebettet. LehrerforscherInnen stellen in kollegialen Gruppen inhaltliche und methodische Forschungsprobleme zur Diskussion, bitten Kolleginnen und Kollegen um kritische Rückmeldung und um konkrete Hilfen (z.B. bei der Durchführung eines Schülerinterviews). Gesprächspartner sind meist forschende LehrerkollegInnen („kollegiale Supervision“). Die Lehrergruppe wird so zum Mikrokosmos einer professional community, die von der Aktionsforschung analog zur scientific community konzipiert wird (vgl. Altrichter 2002). Von Fall zu Fall werden WissenschaftlerInnen und LehrerfortbildnerInnen von außen zur Beratung als „kritische FreundInnen“ – hinzugezogen, ohne sich aber die Verantwortung und Kontrolle über Richtung und Dauer des Vorhabens von ihnen abnehmen lassen. Diese ‚kritisch-freundliche‘ Zusammenarbeit in kollegialen Gruppen kann der Forschungsarbeit einzelner Lehrkräfte eine neue Qualität verleihen und soll zum Aufbau einer professionellen Gemeinschaft der Berufsgruppe beitragen und auf sie vorbereiten. Berufliche Kommunikation und Kooperation in dieser Qualität scheint gegenwärtig in den Lehrerzimmern deutschsprachiger Schulen zu selten vorhanden zu sein, wird aber von den Aktionsforscherinnen und-forschern als entscheidende Bedingung für qualitätsvolle Arbeit im Bildungswesen angesehen (vgl. Kap. 12.6). (7) Vereinbarung ethischer Regeln für die Zusammenarbeit: Die Kontrolle über Beginn, Verlauf und Beendigung eines Forschungsprozesses über Unterricht liegt bei den forschenden Lehrpersonen, auch wenn sie mit externen ForscherInnen, Verwaltungspersonen usw. zusammenarbeiten. Die PraktikerInnen haben ja auch die Konsequenzen ihrer Handlungen zu tragen, weil ihnen keine externe Instanz ihre professionelle Verantwortung abnehmen kann. Dieses Prinzip wird durch Übereinkunft in einem ethischen Code abgesichert (vgl. Kap. 5.2.3). Die Weiterentwicklung pädagogischer Situationen verändert die in ihnen geltenden Regeln. Durch die Vereinbarung ethischer Prinzipien sollen die verschiedenen Rollen, Bedürfnisse und Grenzen so klargelegt werden, dass es für alle Beteiligten eines Aktionsforschungsprozesses, aber vor allem für die jeweils Schwächeren, eine gewisse Orientierungssicherheit und eine Basis für die Diskussion von Meinungsverschiedenheiten gibt (vgl. Noffke/Somekh 2005, 90). So enthält ein ethischer Code typischerweise eine Reihe von Prinzipien, wie z.B. das Prinzip der Aushandlung, demzufolge die Vorgangsweise bei der Gewinnung und Interpretation der Ergebnisse mit anderen direkt Betroffenen der erforschten Situation (wie z.B. SchülerInnen, Eltern, KollegInnen von der Nebenklasse usw.) zu vereinbaren ist. Ein weiteres ethisches Prinzip ist

Charakteristika von Aktionsforschung

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Vertraulichkeit, demzufolge Daten solange Eigentum der Personen bleiben, die sie zur Verfügung gestellt haben, bis diese ihre Verbreitung ‚autorisiert‘ haben. (8) Veröffentlichung von Praktikerwissen: Elliott (1991) ist überzeugt, dass PraktikerInnen über Berufswissen verfügen, das für andere Lehrkräfte ebenso interessant ist wie für pädagogische ForscherInnen. Sein Konzept der Aktionsforschung zielt darauf, das pädagogische Wissen einzelner Lehrpersonen aus seiner privatistischen Isolation zu befreien. Aktionsforschung regt die PraktikerInnen an, die bei der Erforschung der eigenen schulischen Praxis gewonnenen Erfahrungen z.B. in Fallstudien, in Fortbildungskursen oder in anderen Medien zu formulieren, zu veröffentlichen und einer kollegialen Diskussion auszusetzen3. Dafür gibt es drei Gründe: Erstens ist die Teilnahme an einer ‚professional community‘ ein Mittel, um individuelle Einsichten auf ihre Brauchbarkeit und ihren Gültigkeitsbereich zu überprüfen und Hinweise für deren Weiterentwicklung zu bekommen. Zweitens macht sie praktisches Wissen KollegInnen zugänglich und verbreitert damit die Wissensbasis des Lehrerberufs. Schließlich drückt die Teilnahme an öffentlichen Diskussionen auch eine wichtige bildungspolitische Idee aus: Für eine konstruktive Weiterentwicklung des Bildungssystems ist es notwendig, dass Praktikerinnen und Praktiker ihre Ansichten und ihr Wissen öffentlich zum Ausdruck bringen, dass sie verständliche, gut begründete Argumente und Beispiele aus ihrer Praxis anbieten können und dass sie den Fragen und Anliegen der Öffentlichkeit gegenüber offen und darauf vorbereitet sind, auf glaubwürdige Weise Rechenschaft über ihre und ihrer Institution Arbeit abzulegen. (9) Wertaspekte pädagogischer Tätigkeit: Für die Aktionsforscherinnen und –forscher ist die Wertbasis ihrer Tätigkeit besonders bedeutsam, und zwar aus folgendem Grund: Handlungen in pädagogischer Praxis können selbst als pädagogische Werte – eben in der konkreten Gestalt einer Handlung angesehen werden (vgl. Elliott 1991; vgl. Kap. 12.5). Unsere Aktionen sind Ausdruck unserer Wertvorstellungen: Entweder wurden sie als bewusster Versuch geplant, um bestimmte Werte durch ein spezifisches Handlungsarrangement zu fördern. Oder sie sind nachträglich daraufhin analysierbar, welche Werte hinter ihrer Verwirklichung stehen und zu welchen Werten ihre Folgen beitragen. In Abb. 3 ist diese Wertbasis als Block in der Mitte der Graphik eingezeichnet, der auf alle Phasen sowohl der pädagogischen Tätigkeit als auch der Forschungstätigkeit einwirkt (vgl. den Komplex D in Abb. 3). Durch Reflexion können die Beziehungen zu den verschiedenen Phasen des Kreislaufes von Aktion und Reflexion erhellt werden. (10) Ziele von Aktionsforschung: Aktionsforschung ist typischerweise durch ein doppeltes Ziel gekennzeichnet: Es wird gleichzeitig Erkenntnis ( als Ergeb3 Eine große Zahl von Fallstudien, die aus Lehrerforschung hervorgegangen sind, finden Sie auf IMSTWIKI https://www.imst.ac.at/imst-wiki/index.php/Spezial:Unterrichtsmaterialiensuche; 5.8.2017.

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Einleitung: Was können Sie in diesem Buch lesen? nis von Reflexion) und Entwicklung ( als Ergebnis von Aktion) angestrebt (vgl. Kap. 4.5). Sie will sowohl die untersuchte Praxis als auch das praktische und wissenschaftliche Wissen über diese Praxis weiterentwickeln. Aktionsforschung hat weiters den Anspruch, mit den bestehenden Bedingungen der Lehrerarbeit vereinbar zu sein sowie durch die Art und Weise ihrer Gestaltung die pädagogischen Ziele der Schule zu fördern (vgl. Kap. 5.2). Sie versteht sich aber auch als Beitrag zur Weiterentwicklung dieser Ziele und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen an der Schule.

1.3 Aufbau und Gebrauch des Buches Dieses Buch wurde in der Absicht geschrieben, Leserinnen und Leser mit Aktionsforschung bekannt zu machen. Wir stellen diesen Erfahrungsbereich auf zwei Ebenen vor: • Einesteils haben wir praktische Vorschläge zur Erforschung und Innovation des Unterrichts aus dem Fundus der Aktionsforschung zusammengetragen. Wir verwenden viele beispielhafte Ausschnitte aus der Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern. Dennoch enthält dieses Buch keine „ganze Fallstudie“ aus der Feder einer Lehrerin oder eines Lehrers. Wenn Sie konkrete Ergebnisse forschender Lehrkräfte kennen lernen wollen, finden Sie solche in den in der Zwischenzeit in großer Zahl veröffentlichten Fallstudien. Die mit einem * gekennzeichneten Werke des Literaturverzeichnisses enthalten Fallstudien forschender Lehrpersonen. • Anderenteils wollen wir auch den theoretischen Hintergrund der Aktionsforschung vorstellen, der die methodischen Vorschläge zusammenhält und ihnen erst Sinn gibt. Wir tun dies von Fall zu Fall bei der Erläuterung einzelner Forschungsschritte sowie zusammenfassend in Kapitel 12, das einen Blick hinter die theoretischen Kulissen erlaubt. Dieses Buch enthält jedoch weder eine detaillierte Analyse der grundlegenden Konzepte der englischen Aktionsforschung noch eine wissenschaftstheoretische Rechtfertigung der Tätigkeit forschender Lehrpersonen. Leserinnen und Leser, die daran Interesse haben, seien auf Elliott (1985; 2009), Altrichter (1990), Somekh (2006) oder Altrichter/Feindt (2008) verwiesen. Dieses Buch wendet sich primär an Lehrpersonen und Schulleitungen, die sich für Unterrichtsentwicklung engagieren wollen. Es wendet sich weiters an Lehrende in der Lehreraus-, Fort- und Weiterbildung, die durch entsprechende Kursgestaltung Unterrichtsinnovation fördern wollen. Erst in zweiter Linie ist dieses Buch für jene geschrieben, die sich über Aktionsforschung informieren wollen. Den sinnvollsten Gebrauch von diesem Buch können unserer Einschätzung nach jene machen, die sich selbst auf einen Aktionsforschungsprozess einlassen. Sie können aus den Anre-

Aufbau und Gebrauch des Buches

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gungen und Vorschlägen Nutzen ziehen, sollten sie aber auch kritisch prüfen und weiterentwickeln. Der Aufbau des Buches beruht auf folgender Idee: Nach dieser Einleitung (Kap. 1) folgt der Hauptteil des Buches (Kap. 2-8), der Anregungen, Beispiele und Übungen bietet, die den Einstieg in verschiedene Phasen von Aktionsforschung erleichtern sollen. Die Anordnung dieser Kapitel folgt einem ‚idealen Verlauf‘ von Aktionsforschungsprozessen (vgl. Abb. 3). In Kapitel 2 werden Vorschläge gemacht, wie ein Tagebuch, das unserer Erfahrung nach ein guter Einstieg in einen Aktionsforschungsprozess ist, angelegt und genutzt werden kann. Das 3. Kapitel beschreibt, wie aus einer ersten Idee ein brauchbarer Ausgangspunkt für die eigene Forschung entwickelt werden kann. Im 4. Kapitel werden Anregungen und Hinweise vorgestellt, die helfen sollen, den einmal gewählten Forschungsausgangspunkt zu präzisieren. In den beiden folgenden Kapiteln wird eine Fülle von Methoden ausgebreitet, die die „Klärung der Situation“ vertiefen können: durch die Sammlung von Daten (Kap. 5) und durch deren Analyse (Kap. 6) kann die Auseinandersetzung mit der untersuchten Situation intensiviert werden. Kapitel 7 bietet Anregungen, wie aus der Klärung einer Situation Konsequenzen für neue Handlungen gezogen werden können. Ein besonderes Anliegen der Aktionsforschung besteht in der Verbreitung des Wissens und der Erfahrungen von Lehrerinnen und Lehrern, die an der Weiterentwicklung von Unterricht und Schule arbeiten. Dies ist das Thema des 8. Kapitels. Die folgenden Kapitel thematisieren einige Einsatzbereiche für Aktionsforschung. Die typische Aktions-Reflexions-Spirale ist auch in Projekten der Schulentwicklung deutlich sichtbar und tatsächlich haben in manchen Schulen Lehrerinnen und Lehrer mit Aktionsforschungskompetenzen wertvolle Beiträge zur Weiterentwicklung und Evaluation ihrer Schule leisten können. Was Aktionsforschung zu Fragen der Schulentwicklung zu sagen hat, wird in Kap. 9 angesprochen (vgl. dazu auch Altrichter/Messner/Posch 2006). Kap. 10 wendet sich der Lehrerbildung zu und zeigt anhand von konkreten Anwendungsbeispielen auf, welchen Beitrag Aktionsforschung in der Aus- und Fortbildung von (angehenden) Lehrpersonen leisten kann. Im Zentrum von Kap. 11 steht die Beschäftigung mit den Lesson and Learning Studies. Dabei handelt es sich um eine Form von teambasierter Aktionsforschung, deren Bedeutung in europäischen Ausbildungskontexten gegenwärtig zunimmt (vgl. Gierlinger et al. 2016; Cajkler/Wood 2016; Soto Gómez et al. 2016; Munthe et al. 2016). Kap. 12 bildet den inhaltlichen Abschluss des Buches. In ihm werfen wir schließlich einen „Blick hinter die Kulissen“ und stellen einige der theoretischen Argumentationen vor, die für die Entwicklung einer von PraktikerInnen betriebenen Aktionsforschung bedeutsam waren.

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Einleitung: Was können Sie in diesem Buch lesen?

Im Verlaufe der Zusammenarbeit mit Lehrergruppen und Schulen sind verschiedene Ideen zur Gestaltung von praxisbezogenen Forschungsprozessen, Vorgangsweisen in kniffligen Situationen und Designs für die Zusammenarbeit von Lehrerteams entstanden. Wir haben viele davon in dieses Buch aufgenommen und dabei versucht, die einigermaßen abgrenzbaren methodischen Vorschläge so knapp und verständlich zu formulieren, dass die entsprechenden Passagen leicht als Arbeitsunterlagen in Kursen und Lehrveranstaltungen benutzbar sind. Zur besseren Auffindbarkeit sind diese methodischen Vorschläge vom übrigen Text abgehoben, nummeriert (M 1-M 55) und im Inhaltsverzeichnis ausgewiesen.

1.4 Getting started: Forschung und Entwicklung in Gang bringen Forschen lernt man, indem man forscht. Die Kompetenzen, die Lehrerinnen und Lehrer für ihre Aktionsforschungs- und Entwicklungsarbeit benötigen, basieren auf Fähigkeiten, die auch im beruflichen Alltag wichtig sind: Beobachtung, die Bereitschaft, hinzuhören und hinzuschauen, Informationen zu sammeln und möglichst vorurteilsfrei auszuwerten, Entscheidungen unter Bedingungen unvollständiger Information treffen, in Unterrichts- und Erziehungssituationen handeln, Alternativen sehen, aus der Auseinandersetzung mit SchülerInnen, KollegInnen, Eltern usw. lernen. Die Anregungen in diesem Buch bieten hoffentlich Hinweise dafür, diese Kompetenzen zu pflegen, zu verfeinern und weiterzuentwickeln und dabei auch manchmal zu neuen Erkenntnissen vorzustoßen. Forschen lernt man, indem man forscht. Doch wie anfangen? Jeder Aktionsforschungsprozess hat sein eigenes Gesicht. Dennoch lassen sich typische Schritte skizzieren (vgl. Abb. 3), deren Reihenfolge und Gewichtung sich manchmal ändert, deren Grundstruktur aber charakteristisch für Aktionsforschung bleibt. Für die Einstiegsphase eines Aktionsforschungsprojekts sind folgende Aktivitäten charakteristisch (vgl. Bereich A in Abb. 3): 1. Einen Ausgangspunkt für die Forschung und Entwicklung festlegen Der Forschungsprozess setzt ein mit dem Erkennen einer Fragestellung und der Bereitschaft, daran zu arbeiten. Einige Ideen für die Gestaltung dieser Forschungsphase finden Sie in Kapitel 3 dieses Buches. 2. Die ersten Forschungsaktivitäten dokumentieren Es macht Sinn, die ersten Forschungsüberlegungen und tastenden Handlungsschritte zu dokumentieren, weil in ihnen oft viele, nicht immer unbedingt in die gleiche Richtung weisende, vielleicht aber später nützliche Ideen enthalten sind. Als Werkzeug dafür bietet sich das Forschungstagebuch an, das wir in Kap. 2 genauer beschrieben haben.

Getting started: Forschung und Entwicklung in Gang bringen

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3. Die Unterstützung von Forschungspartnerinnen und –partnern suchen Aktionsforschung zieht großen Nutzen aus der Unterstützung und der Herausforderung, die sich aus einer Gruppe ‚kritischer Freunde‘ ergeben. Wann immer möglich, sollten Sie sich einer solchen Gruppe von Kolleginnen und Kollegen versichern, die ebenfalls an der Weiterentwicklung ihres Unterrichts arbeiten. Hinweise für die Arbeit in kollegialen Gruppen finden Sie immer wieder in den verschiedenen Kapiteln dieses Buches, so z.B. das Analysegespräch (M 7) in Kap. 4 oder die Kluge-Ideen-Konzentrations-Methode (M 42) in Kap. 7. Viele andere Methoden lassen sich sowohl in Einzelarbeit als auch in der Gruppe durchführen. 4. Den Ausgangspunkt näher klären Ist einmal die Entscheidung für einen Untersuchungsbereich und eine Fragestellung gefallen, so wird das inhaltliche Verständnis über dieses Forschungsfeld und die Vorgangsweise zu seiner weiteren Bearbeitung schrittweise verfeinert (vgl. Kap. 4): durch Nutzung und Analyse von Informationen, die entweder schon vorliegen oder relativ leicht gewonnen werden können, versucht man ein ‚erstes Bild‘ der Untersuchungssituation explizit zu machen, um weitere Forschungsund Entwicklungsschritte konzipieren zu können. Im Zuge dieser ersten Recherchen kann sich der ursprüngliche Ausgangspunkt durchaus ändern, was vielleicht manchmal frustrierend wirkt, aber meist ein Zeichen von Entwicklung und Dazulernen ist. Wenn wir selbst ein Aktionsforschungsprojekt oder einen Fortbildungskurs beginnen, so schlagen wir als ersten Einstieg in einen Aktionsforschungsprozess oft vor, ein Forschungstagebuch anzulegen (M 1) und darin die Übung „Schriftliches Nachdenken“ (M 3) zu einem Impuls wie „Ich als LehrerIn“ oder „Mein Unterricht und seine weitere Entwicklung“ durchzuführen. Daran könnten sich Übungen zur ersten Formulierung eines Forschungsausgangspunktes – wie z.B. M 6 – anschließen. Arbeitet man in einer Gruppe, so bietet sich an, die Formulierung des möglichen Ausgangspunktes in einem „Analysegespräch“ (M 7) zu überprüfen. Arbeitet man allein, so kann dies vielleicht durch eine „Graphische Rekonstruktion“ geschehen (M 9). Dies mündet schließlich in eine eventuelle Umformulierung des Forschungsausgangspunktes und in eine Idee, welche Forschungs- und Entwicklungsschritte als nächste gesetzt werden sollen. In manchen Aktionsforschungsprozessen erfolgt die Weiterarbeit gleichsam von der „Aktionsseite“ her, indem neue Unterrichtsideen realisiert und überprüft werden (siehe Schritt 7), in anderen steht zunächst – gleichsam von der „Reflexionsseite“ her – eine genauere Untersuchung und Analyse der bestehenden Situation im Mittelpunkt (also Schritt 5 und 6).

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Einleitung: Was können Sie in diesem Buch lesen?

A Einstieg: Entwickeln eines Ausgangspunktes für die eigene Forschungs- und Entwicklungstätigkeit, kollegiale Gruppe, Tagebuch

B Datensammlung: Sammlung von Erfahrungen, Daten, Dokumenten usw. über die ‚Aktion‘

F Aktion: Handlungen in komplexen Situationen werden gesetzt (manchmal als Umsetzung von ‚Plänen‘, manchmal spontan)

D Ziele und Bewertungskriterien: Unsere ‚Theorie der Praxis‘ enthält Vorstellungen über Werte und Ziele, die in Aktionen, aber auch in Daten und Handlungskonsequenzen eingehen.

C Interpretation: Man macht sich einen Reim auf die erfahrene Praxis, auf die gesammelten Informationen und ihre ‚Überraschungen‘ und baut (implizit oder explizit) eine ‚praktische Theorie‘.

E Konsequenzen: Konsequenzen für die kurzund langfristige Weiterarbeit werden gezogen, Handlungspläne werden erstellt.

G Formulierung und Verbreitung der Erfahrungen: Ideen und Erfahrungen werden durch Publikationen, Fortbildung usw. der professionellen Gemeinschaft und der Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt

Abb. 3: Der Kreislauf von Reflexion und Aktion und der Aufbau des Buches

Getting started: Forschung und Entwicklung in Gang bringen

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5. Daten sammeln Kapitel 5 zeigt eine Reihe unterschiedlicher Methoden, mit denen man sich Informationen über Praxissituationen und über deren Wahrnehmung durch die Beteiligten beschaffen kann. Dafür kommen Beobachtungen, Gespräche, Interviews, die Analyse vorliegender Dokumente, aber auch andere Arten von Datensammlung in Frage (vgl. Bereich B in Abb. 3). Der Vergleich von Informationen aus verschiedenen Quellen und die Diskussion der verwendeten Methoden sind lohnende Gegenstände für Gespräche in kollegialen Forschungsgruppen. 6. Daten analysieren Die Analyse und Interpretation der Erfahrungen und Daten, die im Zuge der Unterrichtsentwicklung anfallen (vgl. Bereich C in Abb. 3), gehört zu den faszinierendsten, anfänglich aber auch schwierigsten Teilen des Aktionsforschungsprozesses. Dabei erfolgt ein Rückgriff auf die „praktische Theorie“ der Forschenden, vor allem auf ihre Werthaltungen (vgl. Bereich D in Abb. 3), weil die Interpretation der Bedeutung von Handlungen immer wieder auf die pädagogischen Werte verweist, die in der jeweiligen Situation verwirklicht werden sollen. Typischerweise finden es Neulinge im Forschungsfeld besonders schwer, das Bedeutsame und Überraschende in ihren Daten zu ‚sehen‘. Kapitel 6 bietet einige Methoden und Strategien, die dies unterstützen sollen. Wiederum können ‚kritische Freunde‘ und kollegiale Gruppen den Prozess des Interpretierens und Sehens von alternativen Deutungen sehr unterstützen. 7. Handlungsstrategien entwickeln und diese in die Praxis umsetzen Neue Vermutungen über und Einsichten in die eigene Praxis wollen in die Tat umgesetzt werden. Als Konsequenz werden verschiedene Handlungsstrategien entwickelt (vgl. Bereich E) und schließlich in der Praxis erprobt (vgl. Bereich F). Kapitel 7 liefert einige Anregungen, wie dabei vorgegangen werden kann. In aller Regel kann nicht erwartet werden, dass neue Handlungsstrategien ein Problem sofort auf zufriedenstellende Weise lösen. Daher werden diese auf ihre Wirkungen und Nebenwirkungen untersucht, damit aus den Erfahrungen gelernt werden kann und die Handlungsstrategien selbst verbessert werden können. Damit tritt der Forschungsprozess in eine neue Phase der Situationsklärung, die schließlich wieder in eine Erprobung der dabei entwickelten Handlungskonsequenzen mündet (vgl. den Kreisprozess zwischen Bereichen B und F in Abb. 3). 8. Erkenntnisse und Erfahrungen veröffentlichen Forschung ist nach Stenhouse (1985) „systematische Untersuchung, die veröffentlicht wird“. Auch wenn ein Entwicklungsprojekt für Sie persönlich sehr lohnend war, wird es erst dadurch zu einem Aktionsforschungsprojekt, wenn Sie die Erfahrungen und Ergebnisse Anderen zugänglich machen (Bereich G

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Einleitung: Was können Sie in diesem Buch lesen? in Abb. 3). In Kapitel 8 diskutieren wir verschiedene Arten, wie professionelle Praktikerinnen und Praktiker ihr Wissen beispielsweise in Fortbildungsveranstaltungen und in schriftlichen Fallstudien – veröffentlichen können und warum dies auch zum Nutzen der Berufsgruppe ist. Tatsächlich wird ein Entwicklungsprojekt in der Praxis nie „abgeschlossen“ sein, weil alle Einsichten neue Fragen und Ideen für Handlungsstrategien hervorrufen, und ein weiterer Forschungszyklus beginnen könnte. Wir halten es aber für wichtig, Endpunkte zu setzen (wie immer vorläufig sie sich langfristig erweisen mögen), um die bis dahin gewonnenen Erkenntnisse zu formulieren und zur Diskussion zu stellen. Und auch weil niemand „permanent“ seine gesamte Tätigkeit erforschen kann: Phasen systematischerer Reflexion und Weiterentwicklung werden sich in normaler beruflicher Praxis mit Phasen routinierter Tätigkeit abwechseln. Unsere Erfahrung zeigt allerdings, dass diejenigen, die – unterstützt von einer kollegialen Gruppe von LehrerforscherInnen – eigenen Unterricht erforscht und weiterentwickelt haben, irgendwann wieder den Wunsch haben werden, ihr Verständnis der Situationen, in denen sie handeln, weiter zu vertiefen.

2 Das Tagebuch: Begleiter des Forschungsprozesses

Das Tagebuch ist eines der wichtigsten Werkzeuge von forschenden Lehrerinnen und Lehrern. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht ein Ausschnitt aus einem solchen Tagebuch. Ausgehend von diesem werden Anregungen für das Verfassen und die Nutzung von Forschungstagebüchern gegeben. Den Abschluss bilden einige Übungen, die das Anlegen eines Tagebuchs erleichtern sollen.

2.1 Warum Tagebuch schreiben? In vielen Fallstudien, die Lehrerinnen und Lehrer über ihren Unterricht ausgearbeitet haben, spielen Aufzeichnungen in Tagebüchern eine wichtige Rolle4. Bei der Durchführung und Betreuung von Aktionsforschung hat sich das Forschungstagebuch, in das Beobachtungen, Gedächtnisprotokolle, Gedankensplitter, Pläne usw. eingetragen werden, mehr und mehr in den Vordergrund gespielt. Wir erklären uns die häufige Verwendung solcher Tagebücher durch forschende Lehrpersonen durch folgende Merkmale: • Tagebuchschreiben knüpft bei einer alltäglichen Fertigkeit an, die viele LehrerInnen ausüben oder schon einmal ausgeübt haben. Insofern erscheint Tagebuchschreiben „einfacher“ und „vertrauter“ als beispielsweise die Durchführung eines Interviews. Zudem ist es üblicherweise mit einem geringeren organisatorischen Aufwand als die meisten anderen Forschungsmethoden verbunden. Eine Tagebucheintragung kann immer erfolgen, wenn Papier und Zeit vorhanden sind, während man für ein Interview zumindest einen einigermaßen auskunftswilligen Gesprächspartner und mehr oder weniger durchdachte Fragen benötigt. • Ins Forschungstagebuch können auch Daten, die mit anderen Forschungsmethoden gewonnen wurden, eingetragen werden. So könnten beispielsweise die Notizen, die sich durch eine „unstrukturierte Beobachtung“ (vgl. Kap. 5.4) ergeben, oder die Beschreibung der Bedingungen, unter denen ein „Interview“ (vgl. dazu Kap. 5.5) durchgeführt wird, ins Tagebuch aufgenommen werden.

4 Vgl. die mit * gekennzeichneten Fallstudien im Literaturverzeichnis.

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Das Tagebuch: Begleiter des Forschungsprozesses

• Kurze Gedächtnisprotokolle und Gedanken zum Forschungsgegenstand kann man häufig, u.U. täglich, in seinem Tagebuch festhalten. Durch diese Kontinuität kann ein Tagebuch eine Qualität erlangen, die es über andere Forschungsmethoden hinaushebt: Es wird zum Begleiter des eigenen Forschungs- und Entwicklungsprozesses und hält alle Forschungs- und Veränderungsaktivitäten zusammen; in ihm ist die Entwicklung der Vorstellungen und Einsichten über die verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses hinweg dokumentiert; aus ihm können die Wege und Irrwege des Lernens erschlossen werden.

2.2 Tagebücher haben Tradition „Schreiben mit dem Ziel, sich selbst zu erkennen, Fehler zu korrigieren, Leiden zu artikulieren und abzubauen, gibt es seit der Entstehung der europäischen Hochkultur“ (Werder 1986, 4). Von den „Confessiones“ des Augustinus bis zu den unzähligen Aufzeichnungen anonymer Verfasserinnen und Verfasser reicht die Reihe jener Tagebücher, in denen die eigene Person und die sie umgebenden Bedingungen erforscht werden. In philosophischer oder literarischer Intention veröffentlichte Werke ragen als seltene Inseln aus dem Meer der privaten Texte hervor, deren Reflexionen in die Person hinein und wieder in den Alltag hinaus unveröffentlicht bleiben. Solche Tagebücher assoziieren wir auf den ersten Blick eher mit Begriffen wie „Selbstreflexion“, „Introspektion“ und „Literatur“, seltener mit „Forschung“. Das heißt jedoch nicht, dass „introspektive Tagebücher“ nicht zu wichtigen Überlegungen führen könnten oder weniger „streng“ wären: Elias Canetti (1981) hat das Selbstgespräch im Tagebuch sogar als „Dialog mit dem grausamen Partner“ bezeichnet. Aktionsforschung kann auch von literarischen und selbstreflexiven Tagebüchern lernen. ForscherInnen, die eine klare Sicht der Dinge und eine disziplinierte Interpretation anstreben, können wie alle anderen Menschen den „sieben Sünden des Gedächtnisses“ (Schacter 2001) unterliegen. Drei davon: Vorurteil, Verzerrung und fehlerhafte Zuordnung bereiten Forschungsvorhaben Probleme. Diese „Sünden“ sind nicht von vornherein vermeidbar, aber sie können identifiziert und berücksichtigt werden; das Forschungstagebuch kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Einsteins Beobachtung, dass man ein Problem nicht auf jener Ebene lösen kann, auf der es entstanden ist, trifft auch auf die Forschung zu: Man muss auf eine neue Ebene wechseln, um ein Problem zu lösen bzw. eine neue Perspektive darauf zu gewinnen. Das Führen eines Forschungstagebuchs ist nicht nur eine Gedächtnisstütze, sondern auch ein Prozess zur Generierung neuer Perspektiven und zur Herstellung von Beziehungen. Tagebücher, in denen ForscherInnen die Früchte ihrer täglichen Beobachtungen in einem Forschungsfeld festhalten, haben auch in verschiedenen anderen Wissenschaftsdisziplinen eine zentrale Stellung; so beispielsweise in der zoologischen Feld-

Anregungen für das Schreiben von Tagebüchern

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forschung (vgl. De Vores (1970) Tagebuch mit Verhaltensbeobachtungen an Affen) oder in der ethnologischen Forschung (z.B. Malinowski 1982). Auch qualitativsoziologische Feldforschung, die durch teilnehmende Beobachtung und Gespräche mit SchlüsselinformantInnen tiefere Einsichten in das alltägliche Funktionieren von Institutionen (vgl. für ein frühes Beispiel die Gewerkschaftsstudie von Webb/ Webb 1894) und von sozialen Subkulturen (vgl. beispielsweise die berühmten Studien aus der Chicago Schule: Whyte 1955; Cressey 1932) gewinnen will, macht intensiven Gebrauch von Forschungstagebüchern. Einesteils werden darin die durch teilnehmende Beobachtung sowie durch Gespräche und Interviews im Feld gewonnenen Daten festgehalten und gelegentlich mit erläuternden Zeichnungen oder Fotografien versehen. Andererseits finden in ihnen schriftliche Reflexionen der Forschungsmethoden und der eigenen Forscherrolle statt (vielleicht ähnlich dem Selbstgespräch des Ethnologen in der Fremde; vgl. Malinowski 1982). Schließlich werden Ideen und Gedankensplitter notiert, aus denen sich nach und nach die Theoriestücke entwickeln, die dann zur Interpretation der Daten herangezogen werden. Glaser/Strauss (2010) haben betont, dass die begleitende Analyse, die während solcher Datensammlung unweigerlich geschieht, aktiv für die Weiterführung der Forschung genützt werden sollte: Aus meinen vorläufigen Analyseergebnissen erkenne ich, welche Daten ich noch benötige, um die Lücken meines Forschungsgebäudes aufzufüllen sowie die Zwischenergebnisse einer weiteren Überprüfung auszusetzen. Das Forschungstagebuch wird dabei zu einem „Terrain für Entdeckungen und für Kreativität, das sich zu einer heuristischen Landkarte entfaltet, die ForscherInnen bei ihren Gesprächen mit den Fakten zeichnen“ (Holly/Altrichter 2011). Von der qualitativ-soziologischen Feldforschung inspiriert, hat sich eine mit vergleichbaren Methoden vorgehende qualitative Schulforschung entwickelt, deren frühe Beispiele Philip W. Jacksons (1991) „Life in Classrooms“ und das in Kooperation zwischen einem Lehrer und einem Forscher entstandene Buch „The Complexities of an Urban Classroom“ (Smith/Geoffrey 1968) sind.

2.3 Anregungen für das Schreiben von Tagebüchern Unsere teils leid-, teils freudvolle Erfahrung ausbeutend5, wollen wir in diesem Abschnitt Ideen und Anregungen für das Gestalten von Tagebüchern vorstellen (vgl. auch Holly 1997; Fischer 2003; Holly/Altrichter 2011). Die folgenden 25 Tipps sollen Ihnen die Führung und Verwendung dieses wichtigen Forschungsinstruments erleichtern. 5 Wertvolle Hinweise für unsere Tätigkeit haben wir aus den Büchern von Schatzman/Strauss (1973, 100ff) und Bogdan/Biklen (2002) geschöpft.

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Das Tagebuch: Begleiter des Forschungsprozesses

2.3.1 Allgemeine Anregungen für das Schreiben von Tagebüchern (1) Tagebuchschreiben ist eine persönliche Angelegenheit. Wer Tagebuch schreibt, wird mit der Zeit einen persönlichen Stil entwickeln, aus dem er/sie optimalen Nutzen ziehen kann. Prüfen Sie daher auch die folgenden Anregungen in diesem Sinne. (2) Tagebücher sollten einigermaßen regelmäßig je nach Art der zu untersuchenden Fragestellung geschrieben werden (z.B. immer nach der Stunde, in der das neue Unterrichtskonzept ausprobiert wird; in der man mit der „schwierigen Klasse“ zusammengetroffen ist usw.). Damit das Tagebuchschreiben nicht im Strudel der alltäglichen Notwendigkeiten versinkt, ist es oft sinnvoll, sich bestimmte Zeiträume für diese Aufgabe zu reservieren – und vielleicht diese Zeiten sogar in den Terminkalender einzutragen. Diese „regelmäßigen Tagebuch-Termine“ können dann durch unregelmäßige Eintragungen aktueller Szenen, Erlebnisse und Ideen ergänzt und erweitert werden. (3) Von Personen, die es nicht gewohnt sind, wird Tagebuchschreiben oft als mühsam empfunden. Manchmal müssen auch anfängliche Durststrecken überwunden werden, bevor man zum ersten Mal das Erlebnis persönlichen Gewinns durch diese Tätigkeit hat. Bei der Abschätzung, ob die Übung den Aufwand lohnt, sollten ihre Nebeneffekte nicht unberücksichtigt bleiben: Regelmäßiges Abfassen von Tagebucheintragungen und Gedächtnisprotokollen erhöht in der Regel die Qualität und die Geschwindigkeit eigener schriftlicher Äußerungen (vgl. Bogdan/Biklen 2002). Uns selbst ist das Tagebuchschreiben oft dann leichter gefallen, wenn wir mit einer Forschungspartnerin oder einem Forschungspartner zusammenarbeiteten, der oder dem wir Passagen aus unseren Texten vorlesen und mit denen wir über diese sprechen konnten. (4) Das ändert aber nichts daran, dass Tagebücher private Produkte sind. Die Entscheidung, Teile daraus anderen Menschen zugänglich zu machen, sollte immer bei den VerfasserInnen bleiben. Dies muss besonders bei Projekten, Kursen und Lehrveranstaltungen immer wieder betont werden, weil sonst Gruppendruck zur Veröffentlichung nach dem Motto „Ich habe etwas gesagt, jetzt musst du auch!“ entstehen kann. (5) Diese Privatheit macht es auch leichter, bei der Abfassung von Eintragungen literarische und orthographische Maßstäbe außer acht zu lassen. Selbst-Zensur stört in aller Regel den freien Fluss der Gedanken; sie kann, wenn nötig, später einsetzen, wenn die Erfahrungen der eigenen Forschungstätigkeit veröffentlicht werden. (6) Wir verwenden für unsere Tagebucheintragungen dicke Hefte (über 40 Blatt). Die Heftform erleichtert das Mitverfolgen des eigenen Lernweges. Manche ForscherInnen und Forscher machen ihre Notizen auf losen Blättern, die sie dann unter verschiedenen Gesichtspunkten ordnen können. Andere nutzen die neuen Medien für ihre Tagebuch- und Feldnotizen: PC, Notebook oder Tablet können zur Führung eines ‚e-Tagebuchs‘ genutzt werden und die gespeicherten Informatio-

Anregungen für das Schreiben von Tagebüchern

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nen für die spätere Verwendung sehr praktikabel bereithalten; Weblogs können als projektinterne Tagebücher und Kommunikationsmedien genutzt werden. (7) Wir lassen neben unseren Eintragungen jeweils einen breiten Rand (oder kaufen gleich ein Heft mit Korrekturrand). In diese Spalte können Änderungen und Ergänzungen sowie Querverweise auf andere Stellen des Tagebuches oder andere Daten eingefügt werden. Dieser Rand ist besonders bei der Analyse der Tagebuchdaten sehr nützlich (vgl. auch Kap. 6): Während des ganzen Forschungsprozesses können hier Anmerkungen (meist in Form einzelner Worte oder Sätze) notiert werden, die die Bedeutung und Interpretation der jeweiligen Tagebuchstelle für die eigene Forschungsabsicht anzeigen. Sollen eine Zwischenbilanz eigener Erfahrungen gemacht oder die vorliegenden Daten für eine Veröffentlichung aufbereitet werden, so kann der Rand für die Kodierung (vgl. M 34) und die Zuordnung von Datenbeispielen zu einzelnen Kapiteln der entstehenden Arbeit benutzt werden. Analytische Anmerkungen zu Tagebucheintragungen und vorläufige Kodierungen tragen wir mit Bleistift ein, wodurch sie leichter ins Auge springen (wenn für den sonstigen Text beispielsweise Tinte oder blauer Kugelschreiber verwendet wird). Außerdem: Was radiert werden kann, ist vorläufiger, kann leichter verändert werden. (8) Es ist hilfreich, wenn Sie Ihre Tagebucheintragungen gut strukturieren. Jede Eintragung sollte durch folgende Angaben eingeleitet werden: • Datum des Ereignisses (Datum der Niederschrift, wenn diese an einem anderen Tag geschehen ist). • Ort, Klasse, Gegenstand und ev. andere in Hinblick auf die Untersuchungsabsicht wichtige Merkmale. Wenn diese Angaben in immer gleicher Weise graphisch angeordnet werden, fällt schnelle Orientierung leichter. Ebenfalls erleichternd für schnelle Orientierung und für die Datenanalyse wirken sich Absätze, Überschriften, Subüberschriften und Unterstreichungen aus, die die Struktur einer Eintragung verdeutlichen. Auch die Nummerierung von Absätzen und Überschriften erweist sich oft als praktisch. Auf den ersten oder letzten Seiten des Heftes kann ein Inhaltsverzeichnis angelegt werden, das das Wiederfinden bestimmter Daten erleichtert. Dazu ist es nötig, das Forschungstagebuch mit Seitenzahlen zu versehen. (9) Alles, was hilft, die Situation besser zu verstehen und sie später zu rekonstruieren, kann in das Tagebuch eingetragen werden: „Beobachtungen, Gefühle, Reaktionen, Interpretationen, Reflexionen, Ahnungen, Hypothesen und Erklärungen“ (Kemmis et al. 1982, 40). Am häufigsten werden derartige Beobachtungen und Reflexionen in Form von „Gedächtnisprotokollen“ in Tagebüchern auftauchen. Ins Heft können auch Dinge, die für den Forschungsprozess von Belang sind, eingeklebt werden: Gedanken, die man unterwegs auf einem kleinen Zettel notiert hat, Fotografien und Zeichnungen, Kopien von Dokumenten,

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Arbeiten von Schülerinnen und Schülern usw. Oft ist es sinnvoll, Forschungsaktivitäten und die durch sie gewonnenen Daten (z.B. Transkription einer Unterrichtsstunde oder eines Interviews), die aus Platz- und anderen Gründen nicht direkt in das Heft eingefügt werden können, durch eine Tagebuchnotiz zu dokumentieren. Elektronische Tagebücher, in die ‚Fundstücke‘ und Dokumente eingescannt werden können, bieten hier besondere Flexibilität. Auf diese Weise enthält ein Tagebuch Eintragungen sehr unterschiedlichen Charakters. Das entspricht unserer alltäglichen Art, uns mit Problemen auseinanderzusetzen, birgt aber auch einige Gefahren. Beispielsweise halten wir es für in der Regel ungünstig, wenn Forschung nicht mehr als Pendeln zwischen Beobachtung und Interpretation stattfindet, sondern die Seite der Interpretation, Wertung und Spekulation übergewichtig wird. Aufgrund ihres praktischen, in die Zukunft gewandten Interesses sind forschende Lehrpersonen oft gefährdet, genaue Beobachtung zu vernachlässigen. Daher ist es sinnvoll, bei den einzelnen Tagebuchstellen jeweils klar zu machen, ob sie eher Beobachtungen oder eher Interpretationen darstellen (Beim Umgehen mit der nicht ganz scharfen Grenze zwischen Beobachtung und Interpretation kann die „Leiter des Schließens“ helfen; vgl. M 15). In vielen Fällen empfiehlt es sich, das Tagebuch von Zeit zu Zeit in einer vorläufigen Zwischenanalyse durchzuarbeiten (vgl. Kap. 6). Diese zeigt, ob sich Beobachtungen und Interpretationen in einer sinnvollen Balance befinden, welche der gestellten Forschungsfragen man schon beantworten kann und welche Daten noch benötigt werden. Oft werden dabei die ursprünglichen Fragestellungen schärfer gefasst, verändert oder ganz neu formuliert. Auf diese Weise ist die Planung der nächsten Forschungs- und Veränderungsschritte in begründeter Weise möglich; außerdem schützt man sich davor, von einer bis ans Ende eines Untersuchungsvorhabens aufgestauten Datenflut ertränkt zu werden. Einem Forschungspartner oder einer Kollegin Passagen aus seinem Tagebuch vorzulesen, hat oft fördernde Wirkung auf den weiteren Forschungsprozess (vgl. M 8). Das Gespräch über Erfahrungen, das Nachfragen nach ihren genaueren Bedingungen kann den Beteiligten tiefere Einsichten in die Feinstruktur pädagogischer Situationen vermitteln. Dies besonders dann, wenn der Weg von den Spekulationen über Erklärungen und Hintergründe von Situationen immer wieder zurück zu den Beobachtungen gefunden wird. Schließlich enthalten Tagebücher eine große Zahl anschaulicher Situationsbeschreibungen und Dokumente. Sie bilden einen Steinbruch von Beispielen, mit deren Hilfe pädagogische Sachverhalte in schriftlichen Arbeiten leichter verdeutlicht werden können. In Kursen und Lehrveranstaltungen können solche Fallbeispiele das Material abgeben, an dem TeilnehmerInnen selbständig und erfahrungsnah lernen können.

Anregungen für das Schreiben von Tagebüchern

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2.3.2 Ein Beispiel Der folgende Ausschnitt stammt aus einem Tagebuch eines Hochschullehrers und enthält Aufzeichnungen über eine Lehrveranstaltung. Diese wurde ausschließlich von nebenberuflich studierenden Lehrpersonen besucht. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten einen Aspekt ihres Unterrichts untersuchen und als Produkt ihres Lernens eine Fallstudie über ihre Untersuchungstätigkeit schreiben. Links neben dem Text wurde ein Rand freigelassen. In diesen wurden bei einer ersten Durchsicht des Tagebuches (in einer „vorläufigen Zwischenanalyse“) verschiedene Stichworte und Hinweise notiert, die in Anschluss an das Beispiel näher erläutert werden (in Abschnitt 2.3.4). Nachbereitung: 4. Sitzung vom 30. April

TN1: geeignete Forschungsprobleme

 6.5.

1. Am Beginn haben die TN (TeilnehmerInnen) über ihre jeweiligen Forschungsfragestellungen berichtet: • für Astrid ist das Problem schon (nach eineinhalb Monaten) „gelöst“. ? Soll ich da enttäuscht sein?? Ich bin es!! • Beate hat die Schülerin, mit der sie sich eingehender beschäftigen wollte, „mehr oder weniger aufgegeben. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll“. Waren das ungeeignete Probleme (bei Astrid zu „leicht“, bei Beate zu „schwer“) oder nehmen es die TN nicht so ernst, dass durch längerfristige Arbeit an einem Problem auch ein „Produkt“ erstellt werden soll? Ich muss nachfragen, ob sie ihre bisherigen Überlegungen und ihre bisherige Arbeit dokumentiert haben; sonst sollten sie aus der Erinnerung ein Protokoll der Schritte machen, die sie bisher durchgeführt haben: Welche vorhergehenden Überlegungen haben welche späteren beeinflusst? 2. Die Darstellung der Ergebnisse ihrer ersten Untersuchungsschritte durch Clara war so interessant, dass allein die „Situationsdarstellung“ eine dreiviertel Stunde dauerte. Dabei ergab sich unter anderem eine interessante Diskussion zu dem Fragebogenergebnis, dass zwar der Großteil der S (SchülerInnen) sagte, die Lehrerin würde sie verstehen, gleichzeitig aber recht viele wollen, dass ihnen die Lehrerin mehr zuhört. Eine andere Lehrerin erzählt in diesem Zusammenhang recht affektiv, wie „die S mit jedem Blödsinn kommen“ (z.B. „was die Tante gestern gesagt hat“ usw.), oft sogar „Sachen erfinden“, nur um mit ihr in Beziehung zu kommen, Körperkontakt aufnehmen.

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Das Tagebuch: Begleiter des Forschungsprozesses

TN2: Lehrer als „Beziehungsbergwerk“  nächste LV

? Die Lehrerin als ausbeutbares Bergwerk für die Beziehungswünsche der S, die vielleicht von den Eltern nicht mehr so erfüllt werden?? (…) 3. Beobachtung: Am Ende der Lehrveranstaltung muss ich immer noch mit einigen TN individuelle Angelegenheiten regeln (Termine ausmachen, Buch empfehlen, Arbeitsblatt geben usw.). Hängt das mit den unterschiedlichen Themen der TN zusammen? Weil ihnen ihre Anliegen so individuell vorkommen, fragen sie nicht in der LV, wenn alle dabei sind?? 4. Vielleicht wäre es für eine solche Lehrveranstaltung besser, wenn die TN nicht individuelle Themen formulierten, sondern ihre Themensuche innerhalb eines einheitlichen Rahmenthemas erfolgen müsste. Eine Möglichkeit, dies zu Beginn der Lehrveranstaltung zu organisieren: • 3 Rahmenthemen vorgeben • alle versuchen dazu persönliche Problemsituationen zu assoziieren • Auswahl des Rahmenthemas nach zwei Kriterien: • möglichst alle TN sollen zu dem ausgewählten Thema eine Problemsituation assoziiert haben → welche Rahmenthemen fallen weg? • Welches Rahmenthema von den übrig bleibenden TN erscheint der größeren Anzahl von TN wichtig?

lieber nicht!

MN1: Tagebuch

5. Ich überlege, ob sich aus den gerade jetzt in der Lehrveranstaltung verfolgten Fällen ein übergreifendes Rahmenthema herausarbeiten lässt. Zwei Möglichkeiten fallen mir ein: • Was zehrt an der Substanz von LehrerInnen? Warum? Und wie kann ich damit umgehen? • Verstehe ich die SchülerInnen? Verstehen die S mich? 6. Beobachtung: Heute fällt mir das Tagebuchschreiben zum ersten Mal wieder leichter: weil ich es sofort nach der LV gemacht habe? Oder weil mich die Aussicht, das Geschriebene jemandem vorlesen zu können, beflügelt? Oder unter Druck setzt?

An diese Aufzeichnungen über eine Lehrveranstaltungssitzung schließt sich im Tagebuch der Bericht über ein nicht für die Untersuchung geplantes Gespräch mit einem Lehrer an, dessen Inhalte dem Autor als relevant für das Forschungsinteresse erscheinen.

Anregungen für das Schreiben von Tagebüchern

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Zufälliges Treffen mit Werner am 7. Mai (Café am Alten Platz)

TN3: Verträglichkeit Nützlichkeit der Forschung TN4: ethisch = praktisch

Werner erzählt, dass er seinen S seine Fallstudie zu lesen gegeben hätte. Er hat ihnen vorher nichts darüber gesagt. Sie waren zuerst „wie vor den Kopf gestoßen“, dass er sie hinter ihrem Rücken beobachtet hätte. Nachher waren sie richtig „begeistert“. (Warum? Kann mich nicht mehr erinnern.) Die passiven S wurden sogar eine Zeitlang deutlich aktiver in ihrer Mitarbeit (das war das Thema der Fallstudie), aber die Beteiligung wird jetzt – nach einem Monat – wieder schwächer. ?? Wie kann Forschungsarbeit direkter nutzbar werden? ?? Wie kann Forschung Teil des Unterrichts werden? Man könnte das auch als Beispiel dafür interpretieren, dass die Umgehung von ethischen Regeln praktische Probleme mit sich bringt, dass man sich durch „hinterrücks Forschen um mögliche praktische Effekte bringt“??

2.3.3 Anregungen für „beschreibende Passagen“ in Tagebüchern Beschreibende Passagen (auch Memos oder Gedächtnisprotokolle genannt) sind, wie das Beispiel illustriert, die am häufigsten auftauchende Textart in Forschungstagebüchern. Ein Memo entsteht beim Versuch, sich Erfahrungen in zeitlich begrenzten Situationen (z.B. Beobachtungen einer Unterrichtseinheit) zu vergegenwärtigen und niederzuschreiben. Oft ist das Memo die einzige Möglichkeit, ohne großen Aufwand Daten über eigene Praxis zu sammeln. Manche forschende LehrerInnen befürchten aber, dass ihnen nach einer selbst unterrichteten Stunde nicht genügend und zu ungenaue Erinnerungen zurückbleiben würden. Bogdan/Biklen (2002) schlagen folgende Regeln zur Verbesserung der Qualität von Erinnerungen vor: (14) Je eher nach dem Ereignis das Memo ausgeführt wird, desto besser. (15) Es empfiehlt sich, vor der Niederschrift mit niemandem über die Beobachtungen zu sprechen, da Erinnerungen durch Gespräche in nicht immer nachvollziehbarer Weise weiterverarbeitet werden. (16) Die Chronologie des Beobachteten ist in der Regel der beste Ordnungsgesichtspunkt für die schriftliche Aufzeichnung. Man erzwinge nicht „Vollständigkeit“; Vergessenes kann später hinzugefügt werden. (17) In manchen Situationen ist es möglich, schon während des zu beobachtenden Handlungsablaufes Stichworte zu notieren, auf die sich die spätere schriftliche Ausarbeitung stützen kann: z.B. bei Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit; bei Schülerberichten an die Klasse, bei denen die Lehrperson nicht eingreift; oder wenn sie selbst nicht unterrichtet und KollegInnen, PraxisstudentInnen usw. beobachtet.

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Das Tagebuch: Begleiter des Forschungsprozesses

(18) Allgemein gilt auch, dass Zeit und Muße dem „Sich Erinnern“ förderlich sind. Halten Sie sich nach Unterrichtseinheiten, zu denen Sie ein Memo anfertigen wollen, einen bestimmten Zeitraum ohne Störungsgefahr frei. Erfahrungsgemäß wird der Zeitbedarf häufig unterschätzt. Mit dem Niederschreiben der Beobachtungen und Gedanken zu einer Unterrichtsstunde kann man üblicherweise leicht eine weitere Stunde füllen; weniger als eine halbe Stunde sollte nicht veranschlagt werden. Memos werden primär in der Absicht verfasst, abgelaufene Vorgänge zu beschreiben und zu dokumentieren. Und doch sind diese „Beschreibungen“ immer wieder mit „Interpretationen“ durchsetzt. Beschreibende Passagen umfassen Beobachtungen von Handlungen, Beschreibungen von Ereignissen, Rekonstruktionen von Dialogen, Gesten, Betonungen und Gesichtsausdrücken, Portraits von Personen, ihrer äußeren Erscheinung, ihres Redeund Handlungsstils, Beschreibungen von Räumlichkeiten und ihrer Ausstattung usw. Das Verhalten der beobachtenden Person selbst sollte dabei nicht ausgespart bleiben. In den beschreibenden Passagen ist das Detail der Zusammenfassung, das Spezifische dem Allgemeinen, die Beobachtung eines Handlungsablaufes dessen Bewertung vorzuziehen. Wo immer möglich, sollen Personen wörtlich (z.B. gekennzeichnet durch doppeltes Anführungszeichen), sinngemäß (einfaches Anführungszeichen) oder paraphrasiert zitiert werden. Die Worte und Phrasen, die einer Person, Gruppe oder Institution eigentümlich sind, sollen möglichst genau wiedergegeben werden. 2.3.4 Anregungen für „interpretierende Passagen“ in Tagebüchern Neben beschreibenden Passagen und in geringerem Umfang sind in Tagebüchern auch interpretierende Passagen enthalten: Interpretationen, Gefühle, Problemüberlegungen, Spekulationen, Ideen, Ahnungen, Erklärungen von Beobachtungen, Bewusstmachung eigener Vorannahmen und Vorurteile, Entwicklung von Theorien usw. Interpretierende Prozesse ergeben sich sowohl während der Niederschrift von Erfahrungen als auch beim nachträglichen Durcharbeiten des Geschriebenen, wenn einzelne Beobachtungsnotizen, Gedanken usw. nochmals durchdacht werden. Wenn Sie im Alltag einen Text fertig gestellt haben, lesen Sie ihn oft nachher noch einmal durch. Dabei entdecken Sie einesteils Fehler. Andererseits wird Ihnen beim Durchlesen oft klarer, welche Aussagen wichtig und welche nebensächlich sind, als es beim Aufschreiben selbst der Fall war. Sie entdecken neue Zusammenhänge zwischen Gedanken und vielleicht weiterführende Begriffe und Ideen. Offene Fragen und Dinge, die Sie noch tun wollen, werden Ihnen deutlicher. Die im Text ausgedrückten Gedanken finden oft eine durchsichtigere Ordnung. Etwas Ähnliches geschieht, wenn Sie ein Gedächtnisprotokoll „noch einmal durchlesen“ oder „analysieren“, wie Wissenschaftler in diesem Falle gerne sagen.

Anregungen für das Schreiben von Tagebüchern

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„Wissenschaftliche Analyse“ erfordert ebenfalls ein „nochmaliges Durchlesen“ von vorliegenden Daten und bezweckt ihre Ordnung, Interpretation und Prüfung in Hinblick auf das Untersuchungsinteresse (vgl. dazu genauer Kap. 6). Wir haben oben (in der Anregung 11) empfohlen, die eigenen Tagebucheintragungen von Zeit zu Zeit durchzulesen und einer „vorläufigen Zwischenanalyse“ zu unterziehen. Die wichtigsten Ergebnisse einer derartigen vorläufigen Analyse besprechen wir im Folgenden unter drei Überschriften: • Theoretische Notizen: Erklärungen für die untersuchte Fragestellung und für vermutete Zusammenhänge zwischen den untersuchten Phänomenen fallen auf und werden für die weitere Forschungsarbeit festgehalten. • Methodische Notizen: Überlegungen zu den verwendeten Methoden und Ideen für alternative methodische Vorgangsweisen werden notiert, um die eigene Forschungskompetenz weiterzuentwickeln. • Pläne: Beim analysierenden Durchlesen kommen einem immer wieder Ideen für die alternative Gestaltung und Verbesserung des eigenen praktischen Handelns in den Sinn. 2.3.4.1 Theoretische Notizen Forschen besteht nicht nur aus Beobachtung; vielmehr kommt es auch darauf an, sich auf seine Beobachtungen einen „Reim zu machen“, sie in einen Zusammenhang zu bringen. „Theoretische Notizen“ im Tagebuch versuchen die vielfältigen Ideen, die in diesem Zusammenhang aufsteigen, zu dokumentieren und so vor dem Vergessenwerden zu retten. Sie sind gelegentlich in Gedächtnisprotokolle (als deren „interpretierende Passagen“) eingelassen, wie im Beispiel (in Abschnitt 2.3.2) geschehen: Hier hat der Forscher seine „Theoretische Notiz“ durch das Kürzel „TN“ und einen Schlüsselbegriff für die Analyse hervorgehoben. „Theoretische Notizen“ entstehen aber auch während des analysierenden Durcharbeitens von Daten, während des Nachdenkens oder Sprechens über das Forschungsvorhaben oder als „plötzlicher Einfall“ unterwegs usw. Miles/Huberman (1984, 70f ) nennen eine Reihe von Anlässen für die Anfertigung „Theoretischer Notizen“: • nähere Klärung eines Begriffes, einer Idee (vgl. TN1 im Beispiel von Abschnitt 2.3.2) • Verknüpfung verschiedener Beobachtungen und Informationen • Ideen für die Interpretation von Beobachtungen • Erinnerung an eine verfolgenswerte Idee, an eine Überraschung oder ein Rätsel (vgl. TN3 in Beispiel 2.3.2) • tiefer gehende Diskussionen verschiedener Daten und deren Anordnung um einen Begriff • Verbindung zwischen den eigenen Erfahrungen und den Begriffen einer bestehenden Theorie • Formulierung einer neuen Hypothese

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Das Tagebuch: Begleiter des Forschungsprozesses

• Formulierung einer Metapher, die verschiedene Beobachtungen verknüpft (vgl. TN2 im Beispiel des Abschnitts 2.3.2) • Gewahrwerden eigener, bisher nicht bewusster Vorannahmen und Ausformulierung ihres theoretischen Gehaltes. Praktisch kann empfohlen werden: (19) „Theoretische Notizen“ mit Datum, Überschrift und einem kennzeichnenden Schlüsselbegriff in der Randspalte zu versehen (vgl. das Beispiel in 2.3.2). (20) Den Bezug zu Beobachtungsdaten, für die bzw. anlässlich derer die „Theoretische Notiz“ entstanden ist, jeweils klar zu machen. Eventuell kann dieser Bezug noch qualifiziert werden (z.B. als „unsicher“, „noch zu überprüfen“) bzw. können Ideen für Querbezüge notiert werden (z.B. Hinweise auf andere Aufzeichnungen). (21) Miles/Huberman (1984, 71f ) schlagen vor, der Formulierung „Theoretischer Notizen“ die Priorität vor anderen Tätigkeiten (wie Beobachten, Protokollieren, Analysieren usw.) zuzugestehen. Taucht eine theoretische Idee auf, sollen andere Aktivitäten unterbrochen und jene – möglichst unzensiert, auch wenn sie phantastisch oder gewagt klingt – niedergeschrieben werden. 2.3.4.2 Methodische Notizen „Methodische Notizen“ dokumentieren die Selbstbeobachtung von Forschenden, z.B. • unter welchen Umständen habe ich bestimmte Forschungsinstrumente eingesetzt, • welche Rolle habe ich im Feld gespielt, • welche Erfahrungen habe ich mit bestimmten Forschungsmethoden und strategien gemacht (vgl. MN1 im Beispiel des Abschnitts 2.3.2), • welche Entscheidungen für den weiteren Verlauf habe ich getroffen und warum, • welche Forschungsschritte muss ich noch setzen, • in welchen Konflikten und ethischen Dilemmas habe ich mich befunden usw. (22) Es empfiehlt sich daher, solche Überlegungen in „methodischen Notizen“ festzuhalten. Die Forschung selbst zu erforschen, mag als zu luxuriös, zu kompliziert oder als erster Schritt zum Wahnsinn (als Folge unendlicher Selbstbespiegelung) erscheinen. In Maßen ausgeführt, lassen sich jedoch gute Gründe für „Methodische Notizen“ nennen: • pragmatische: Ganz unbeabsichtigt schleichen sich in Gespräche über die eigene Forschung und in Gedächtnisprotokolle Beobachtungen über die eigene Methode ein. Im Beispiel (Abschnitt 2.3.2) ist eine solche Eintragung durch das Randkürzel MN1 gekennzeichnet.

Anregungen für das Schreiben von Tagebüchern

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• wissenschaftstheoretische: Forschungsmethoden sind auch von ihren Einsatzbedingungen abhängig. Daher ist es wichtig, die mit Forschung gemachten Erfahrungen zu sammeln, zu ordnen und für die weitere eigene und fremde Tätigkeit nutzbar zu machen. • didaktische: Schließlich hat die Reflexion und Ordnung methodischer Erfahrung bei der Weiterentwicklung von Unterricht besondere Bedeutung für Lehrerfort- und -ausbildnerInnen, BetreuungslehrerInnen in schulpraktischen Phasen usw., die diese Erfahrung KollegInnen und Studierenden zugänglich machen wollen. 2.3.4.3 Notieren von Plänen Nahezu automatisch ergeben sich aus dem Protokollieren von Beobachtungen und dem Nachdenken über Daten Ideen darüber, • wie man es anders machen könnte, • wie man es nächstes Mal machen möchte, • was man diese Stunde vergessen hat und während der nächsten unbedingt nachholen muss, • was man schon immer einmal ausprobieren wollte, • worüber man sich noch genauere Gedanken machen möchte und wozu man noch weitere Informationen benötigt usw. Pläne im Tagebuch zu notieren, bezweckt, den sprudelnden Ideenstrom möglichst systematisch für die eigene Praxis nutzbar zu machen. Das Tagebuch wird zur Gedächtnisstütze; es erinnert an Vorhaben, die erst in zeitlicher Distanz verwirklicht werden sollen. Und es erlaubt die Überprüfung, ob sich ein Vorhaben während seiner Realisierung – gleichsam „unter der Hand“ – verändert hat oder ob es noch den ursprünglichen Intentionen entspricht. Einige praktische Anregungen dazu: (23) Wie auch sonst im Alltag ist es ratsam, sich nicht zu viele „Pläne“ vorzunehmen, deren Nicht-Realisierung dann Gefühle der Frustration und des Versagens hervorrufen könnte. Andererseits sollen entstehende Ideen nicht zu früh durch das Verdikt „unrealisierbar“ unterdrückt werden (vgl. dazu auch Kap. 7). (24) Wir kennzeichnen „Pläne“ in der Randspalte durch ein spezielles Symbol , das abgehakt werden kann, wenn der beabsichtigte Plan ausgeführt wurde (vgl. das Beispiel in Abschnitt 2.3.2). Dieses Symbol, dem bei zeitlich fixierten Plänen ein Datum hinzugefügt werden kann, erleichtert die schnelle Orientierung, welche Absichten noch unverwirklicht sind, und die Selbsteinschätzung hinsichtlich des Verhältnisses von realisierten und nicht realisierten Vorhaben.

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Das Tagebuch: Begleiter des Forschungsprozesses

2.3.5 „Schriftliches Nachdenken“ Wenn man Tagebücher studiert, findet man nicht nur Texte, die klar abgegrenzte Situationen detailreich beschreiben, wie es Gedächtnisprotokolle üblicherweise tun. Man stößt auch auf Texte, in denen allgemeiner, grundsätzlicher und oft recht tiefgehend „schriftlich nachgedacht“ wird, wobei der Brennpunkt der Überlegungen nicht mehr eine spezifische Situation, sondern das eigene Handeln in längeren Zeitabschnitten ist. „Schriftliches Nachdenken“ und andere kreativ-introspektive Methoden können auch in der Aktionsforschung einen wertvollen Beitrag zum Durcharbeiten eines Sachverhaltes und bei der „Hebung unausgesprochenen inneren Wissens“ (das wir aufgrund unserer Handlungserfahrung zwar haben, über das wir aber im Normalfall nicht direkt und bewusst verfügen können; vgl. Kap. 4.2) leisten. Besonders bei wiederkehrend problematischen und unklaren Situationen kann „schriftliches Nachdenken“ hilfreich sein, z.B. bei • Situationen, die die Lehrperson schon öfter erlebt hat, die ihr aber noch unklar sind, • Situationen, in denen immer wieder Schwierigkeiten und Konflikte auftreten, • Situationen, die – obwohl keine offensichtlichen Konflikte auf der Handlungsebene deutlich werden  – von der Lehrperson doch immer wieder als persönlich belastend erlebt werden; z.B. Dilemmas, ethische Ziel- oder Wertkonflikte, schwierige Entscheidungssituationen, „Fallen, in denen man sich immer wieder gefangen sieht“, usw. (vgl. auch Kap. 6.5.2). • Schwierigkeiten mit einzelnen SchülerInnen oder Schülergruppen, deren Gründe unklar sind. Wie Gedächtnisprotokolle enthalten auch Texte, die bei „schriftlichem Nachdenken“ entstanden sind, „eher beschreibende“ und „eher interpretierende Passagen“. Weil sich derartiges Nachdenken aber in der Regel auf längere Zeiträume bezieht, tritt das beschreibende Element oft in den Hintergrund. Dadurch entsteht die Gefahr, beim Flug der Gedanken den Boden unter den Füßen zu verlieren. Aus diesem Grund ist es wichtig, immer wieder die Beziehung von „schriftlichem Nachdenken“ zur Beobachtung realer Abläufe herzustellen. (25) Konkrete Anregungen für ihr eigenes „schriftliches Nachdenken“ finden Sie in M 3. Im Folgenden bringen wir ein besonders originelles Beispiel, in dem eine Lehrerin einer Integrationsklasse ihre Pausenerfahrungen durch „assoziatives, schriftliches Nachdenken“ formuliert (Bergk 1987, 2ff):6 „… besonders die Art, wie meine 12 Schülerinnen und Schüler in der Pause die Nähe bzw. Distanz zueinander – auch zu mir – veränderten, brachte mich auf Ideen, wie ich ihnen – auch mir im Unterricht besser gerecht werden könnte. Wenn ich dies nun an den Beispielen von drei Kindern zeige6, so beschreibe ich keine Personen oder Situationen, sondern das, was sich bei den Beobachtungen damals mir ‚eingedrückt‘ hat: Eindrücke, sub6 In unserem Ausschnitt wird nur eines der drei Beispiele mitgeteilt.

Anregungen für das Schreiben von Tagebüchern

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jektive Bilder, vom eigenen Wahrnehmen- und Lernen wollen ebenso geprägt wie von dem, was sich tatsächlich abspielte. Um diese Bilder möglichst authentisch zu reproduzieren, gehe ich in den folgenden Schritten vor: a) In Form von Clustern (Methode Rico 2004; vgl. auch Pickworth Farrow 1984, 57-66) breite ich die Assoziationen aus, die mir beim Gedanken an das Kind kommen. Dies ist das Material für die nächsten Schritte (ohne dass jedoch jeder Einfall aufgearbeitet wird). b) Ich skizziere die mir verbliebenen Eindrücke von einer typischen Pausensituation mit dem Kind. c) In dieser Pausensituation zeige ich meinen Anteil an dem Geschehen auf, soweit er mir bewusst geworden ist (…). d) Der Vergleich mit der Situation im Unterricht zeigt dann, welche Ansatzpunkte für Veränderungen hier durch die Pausenbeobachtungen sichtbar wurden. e) Abschließend beschreibe ich in groben Zügen die Entwicklung im Laufe des Schuljahres, insbesondere meine Versuche, das Beobachtete zu verstehen und daraus zu lernen. Winfried, mein überanstrengtes Spiegelbild a) Assoziationen: Kettenkarussell

anstrengend

Gewusel um ihn

Maske

gut für die Klasse

ruhender Pol

eine Nummer zu groß streng

gerade halt dich gerade

gleichbleibend strahlend immer nur lächeln Die Sonne

Sarastro

kreist um ihn

Zusammenhalt

gut, dass er da ist reiß dich zusammen

aufrecht armer Junge

b) Pausensituation: Winfried steht im Mittelpunkt und lächelt, sehr strahlend. Kleinere Kinder hängen sich an ihn, ziehen ihn herum. Er lacht: ‚Ihr zerreißt mich noch!‘ Wie eine Mutter, an der die Kinder zerren. Die Gleichaltrigen rangeln um seine Aufmerksamkeit. Er verteilt sie rundum, spricht Urteile oder lacht über den Unsinn, den jemand vor ihm aufführt. Was er sagt oder lacht, gilt. Er ist der ruhende Pol – um ihn herum ist großer Wirbel. Er scheint mit dem Wirbel nichts zu tun zu haben. Und doch entsteht dieser durch die Konkurrenz um seine Zuwendung.

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Das Tagebuch: Begleiter des Forschungsprozesses

c) Mein Anteil: Ich setze ihn noch auf den Thron. Es ist so bequem. Wenn ich für Ordnung sorgen muss, brauche ich nur in Winfrieds Nähe laut mein Missfallen auszudrücken. Er hat sofort die passenden tadelnden Worte. Der/die Übeltäter/in ist beschämt, der Fall erledigt. ‚Gut, dass er da ist!‘ fällt mir immer wieder zu Winfried ein. Aber es strengt ihn auch an. Er wird nicht nur körperlich hin- und hergezerrt. Sein Lächeln nach allen Seiten kommt mir manchmal maskenhaft vor. Es ist mit einer gewissen Distanziertheit verbunden. Er ist für alle da. Aber könnte auch er sich einmal an jemanden hängen, der oder die für ihn da wäre? Mir fällt die Ähnlichkeit mit meiner eigenen Rolle auf. Aufrecht sein und für alle da sein, das muss ich auch immerzu, und es strengt mich an! d) Vergleich mit der Situation im Unterricht: Von Winfried gehen selten Unterrichtsstörungen aus. Aber viele Kinder haben ihm – auch im Unterricht – viel zu sagen und zu zeigen. Das stört mich, wenn ich selbst etwas sagen und zeigen will. Hier wiederholt sich also die Pausensituation, aber hier gefällt sie mir nicht. Winfried strengt es auch hier an. Er kommt nicht zu seinem eigenen Text, Bild, Matheproblem. Er kann sich nicht konzentrieren und arbeitet langsamer als seine Nachbarn, die in der Pause so um ihn werben, überflügeln ihn im Unterricht und hindern ihn noch, seine Rückstände aufzuholen. Winfried ist über seine Lernschwierigkeiten tief betrübt. Zweimal passiert es, dass er anfängt, still vor sich hinzuweinen. e) Die Entwicklung im Laufe des Schuljahres: Winfried führte mir ein typisches Lehrerproblem vor Augen, indem er Anteile meiner Rolle übernahm: Die urteilende, wertende Instanz zu sein, höhlt aus und schafft Unruhe rundum. Die Mitschüler/innen sogen aus Winfried die Bestätigung, die sie sich bei größerem Selbstbewusstsein durch eigenständigeres Arbeiten, Selbstkontrolle und -beurteilung viel besser selbst geben könnten. Helfen konnte ich Winfried am besten, indem ich allen anderen zu einem mehr selbstbestimmten Lernen verhalf (…). In dem Maße, wie ich gleichsam vom Richter- und Meisterthron stieg und allen Kindern einen geräumigen Meistersessel einrichtete, konnte auch Winfried von seinem Thron herabsteigen und unter den anderen Platz nehmen. Der Anfang war schwierig. Die Klasse war auf hierarchische Strukturen und Frontalunterricht eingestellt. Winfried saß vorn und in der Mitte, seiner ‚Aufgabe‘ als ‚Zweitlehrer‘ und ‚Mutter‘ gemäß. Meine Versuche mit Partner- und Gruppenarbeit scheiterten zunächst daran, dass besonders die Jüngeren sich nicht gegenseitig als Partner anerkannten, sondern suchten, von Winfried Rückmeldung zu bekommen. Erst als die Gruppen selbständiger wurden und Winfried auch räumlich weit aus dem Zentrum gerückt war, kam er allmählich zur Ruhe – ich ebenso“. 

2.4 Die eigene Forschung beginnen Aktionsforschung kann man auf unterschiedliche Arten kennen lernen. Man kann theoretische und methodische Informationen darüber lesen (das bietet dieses Buch). Oder man kann versuchen, nachzuvollziehen, wie es andere Lehrerinnen und Lehrer gemacht haben. Dazu können die Beispiele in diesem Buch sowie die Fallstudien, auf die wir im Literaturverzeichnis durch ein * verwiesen haben, dienen.

Die eigene Forschung beginnen

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Der Königsweg ist aber, Aktionsforschung selbst durchzuführen und zu erproben. So wäre wohl auch die sinnvollste Art, dieses Buch zu lesen, seine Verwendung als Werkzeug- und Ideenkasten für die eigene Forschungstätigkeit. Die Methodendarstellungen (M), die sich um detaillierte Beschreibung der Arbeitsschritte bemühen, sollen die Verwendung des Buches als Arbeitsunterlage in Fortbildungskursen, Lehrveranstaltungen und Projekten erleichtern. Diese Arbeitsvorschläge haben sich aus unserer Beratungstätigkeit für Aktionsforschung ergeben. Eine wichtige Erfahrung dabei war, dass zu wenige Anregungen oft dazu führten, dass forschende Lehrpersonen angesichts der komplexen Aufgabe, einen Aspekt eigenen Unterrichts zu erforschen, weiterzuentwickeln und in einer Fallstudie zu dokumentieren, herumirrten, keine sinnvollen Anfangspunkte fanden und im Blick auf das ‚große Endergebnis‘ – keine kleinen Teilerfolge erlebten. Eine andere Erfahrung geht jedoch in die Richtung, dass sich diese Art von Forschung nicht genau vorstrukturieren lässt und dass jede Aktionsforscherin und jeder Aktionsforscher einen  – der eigenen Fragestellung und Arbeitssituation entsprechenden – Forschungsweg finden muss. Zu viele und zu genaue Arbeitsaufträge behindern die Entwicklung dieses Weges und drängen forschende LehrerInnen auf eine „ideale (oder Durchschnitts-)Forschungsbahn“, die oft ihrer spezifischen Situation nicht gerecht wird. M 1 Der erste Arbeitsvorschlag: Tagebuch Legen Sie für die gesamte Dauer Ihrer Forschungsarbeit ein Tagebuch an. Dafür empfehlen wir z.B. ein Heft mit Korrekturrand mit einer Stärke von über 40 Blatt. In dieses können Sie alle Ihre Beobachtungen und Erfahrungen mit Handlungen, die Sie innerhalb Ihres Forschungsvorhabens setzen, eintragen. Alle Ideen und Überlegungen, die Ihnen anlässlich Ihrer Forschungstätigkeit in den Sinn kommen – seien sie positiver, ambivalenter oder negativer Natur –, können für den weiteren Verlauf Ihrer Arbeit wichtig sein, sollen doch auf ihrer Grundlage Weiterentwicklungen und Verbesserungen erprobt werden. Die Eintragung aller Erfahrungen, auffälliger Ereignisse und Ideen in dieses Forschungstagebuch soll verhindern, dass diese wertvollen Informationen im Verlaufe der Projektarbeit wieder verloren gehen. Das Tagebuch wird sich nur dann zum wertvollen Forschungsinstrument entwickeln, wenn Sie es einigermaßen regelmäßig benützen. Wenn Sie feststellen sollten, dass Sie während einer Woche keine einzige Eintragung notiert haben (und diese Woche keine Urlaubswoche war), so überprüfen Sie, • ob Sie sich für das Tagebuchschreiben einen einigermaßen störungsfreien Zeitraum in der Woche reservieren können • ob Tagebuchschreiben für Ihre Forschungsabsicht angemessen ist. Lassen Sie sich aber durch die Durststrecken, die erfahrungsgemäß oft am Beginn des Tagebuchschreibens stehen, nicht zu früh entmutigen. Weitere Anregungen für die Gestaltung von Tagebüchern finden Sie in Abschnitt 2.3.

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Das Tagebuch: Begleiter des Forschungsprozesses

Unser zweiter Arbeitsvorschlag hat sich aus der Erfahrung ergeben, dass ein zu langes Warten auf die erste Forschungsaktivität oft Frustrationen mit sich bringt. Daher empfehlen wir oft, noch bevor mit der Erarbeitung eines Forschungsausgangspunktes begonnen wird, eine kleinere Forschungsaufgabe auszuführen, gleichsam zum Aufwärmen und Muskeln-Spielen-Lassen. Dadurch ergeben sich erste Eintragungen ins Forschungstagebuch (das einem dann nicht mehr so weiß entgegenstarrt) und oft auch das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Die Forschungstätigkeit kommt so in Gang, wenn auch noch nicht auf eine spezifische Untersuchungs- und Veränderungsabsicht ausgerichtet. Gelegentlich legen diese kleinen Übungen, deren Inhalt scheinbar zufällig gewählt wurde, jedoch die Fäden zu den später gewählten Forschungsausgangspunkten hin. M 2 Aufwärmen und Muskeln-Spielen-Lassen Für den Fall, dass Sie noch über keine feste Untersuchungsabsicht verfügen („Das und genau das will ich unbedingt machen!“), führen Sie bitte im Verlaufe der nächsten Woche eine der folgenden fünf Übungen durch: 1. Wählen Sie eine Unterrichtsstunde der folgenden Woche aus. In Ihr Forschungstagebuch schreiben Sie ein Gedächtnisprotokoll über deren Verlauf, in das Sie auch alle Gedanken einfügen, die Ihnen während des Schreibens und Nachdenkens in den Sinn steigen. 2. Fertigen Sie eine Audioaufnahme einer Unterrichtsstunde an; wählen Sie daraus fünf Minuten aus, die Sie wörtlich transkribieren (vgl. dazu M 24 und M 25). Anschließend schreiben Sie in eine Spalte, die Sie neben der Transkription für Kommentare freigelassen haben, alle Assoziationen, die Ihnen bei den jeweiligen Textstellen ins Bewusstsein treten (Es geht hier also nicht um die „richtige“ Interpretation des jeweiligen Ereignisses). 3. Notieren Sie alle Assoziationen, die Ihnen zum Wort „LehrerIn-Sein“ einfallen, in Form eines Clusters (für die genauere Vorgangsweise vgl. M 3). 4. Schneiden Sie in der folgenden Woche täglich einige Worte, Sätze oder Bilder aus der Zeitung aus, die Ihnen spontan gefallen oder intuitiv im Zusammenhang mit Ihrer beruflichen Tätigkeit zu stehen scheinen. Am Ende der Woche fertigen Sie aus Ihren Sammelergebnissen eine kleine Collage an. Dabei können Sie natürlich kleine Ergänzungen durch handgeschriebene Worte und selbst gezeichnete Bilder vornehmen (nach Werder 1986, 119). 5. Stellen Sie sich vor, dass BewohnerInnen von einem fremden Stern von der linken, oberen Ecke unbemerkt in Ihr Arbeits- oder Klassenzimmer eindringen: Beschreiben Sie in einem kurzen Text, was diese sehen und denken würden.

Die eigene Forschung beginnen

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Als Abschluss der Aufwärmübung schlagen wir vor: • Für EinzelarbeiterInnen: Lesen Sie das Ergebnis Ihrer Übung nach ein paar Tagen wieder durch. Schreiben Sie als Interpretation einen Satz, der den Eindruck, den der Text auf Sie macht, treffend und knapp wiedergibt. • Für Zusammenarbeit in der Gruppe: Die Übungsergebnisse können in der Gruppe vorgelesen werden (Achtung auf Freiwilligkeit!). Die jeweiligen AutorInnen erläutern ihr Arbeitsergebnis in kurzen Worten; die anderen TeilnehmerInnen können nachfragen, sollten aber auf Interpretation verzichten M 3 Schriftliches Nachdenken „Schriftliches Nachdenken“ ist eine Möglichkeit, eigene Handlung zu reflektieren und sich „unausgesprochenes Wissen“ (vgl. Kap. 4.2 und 12.4.1) zugänglich zu machen. Der folgende Vorschlag basiert auf den Überlegungen von Rico (2004) und umfasst folgende Schritte: 1. Zu einem Anstoß wird in entspannter Atmosphäre assoziiert; die spontan aufsteigenden Gedanken werden in Stichworten festgehalten. Nehmen Sie die folgende Fragenliste als „Anstoß“: - Welche Freuden und Probleme habe ich in meinem Beruf? - Was würde ich nächste Woche gerne tun? - Was würde mir die Arbeit entscheidend erleichtern? - Was war meine größte berufliche Enttäuschung? - An welche Schülerin/welchen Schüler erinnere ich mich am liebsten zurück? Warum? Beantworten Sie nicht jede Frage für sich, sondern schreiben Sie alle aufsteigenden Gedanken nieder. (Sie können natürlich auch andere „Anstöße“ verwenden: Situationen, die Ihnen schon lange am Herzen liegen, wie das die Lehrerin im Beispiel des Abschnitts 2.3.5 getan hat; ein Bild, einen Text, einen Traum oder ein Musikstück usw.) 2. Aus dieser ersten Assoziationsliste wird ein Kernwort ausgewählt und in die Mitte eines leeren Blattes geschrieben. 3. Alle Assoziationen, die sich zu diesem Kernwort ergeben, werden sodann als Wortketten notiert, die vom Kernwort in verschiedener graphischer Anordnung (linear, verzweigt) ausgehen. Kernwort plus Wortketten nennt Rico (2004) Cluster. Ein solcher Cluster kann beispielsweise folgendermaßen aussehen (vgl. auch das vollständige Beispiel in Abschnitt 2.3.5):

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Das Tagebuch: Begleiter des Forschungsprozesses ruhender Pol

strahlend

immer nur lächeln

kreist um ihn

Zusammenhalt

Die Sonne streng Sarastro gerade

aufrecht

4. Sind die wichtigsten Assoziationsketten notiert, so erfolgt in einem nächsten Schritt ein geistiges Umschalten von der bildhaften freien Assoziation zum Erkennen von Mustern und zum Ordnen. Angeregt durch den Cluster und dessen Elemente nutzend soll ein Text verfasst werden. Je nach Ihrer Lust kann dieser Text eher sachlich sein oder stärker kreative Elemente betonen (vgl. die Texte b – e im Beispiel des Abschnitts 2.3.5). 5. Später kann der so entstandene Text noch überarbeitet, anderen (z.B. KollegInnen) vorgelesen und mit ihnen besprochen werden.

3 Entwicklung eines Ausgangspunktes für die Forschung

Der erste Schritt eines Forschungsprozesses besteht im Finden und Formulieren eines geeigneten Ausgangspunktes für das Vorhaben, auf das man sich einlassen will. An welcher Fragestellung aus meiner Praxis lohnt es sich, eine Zeitlang zu arbeiten? Ist deren Bearbeitung meinen Kräften und Möglichkeiten angemessen? Habe ich auch eine faire Chance auf Erfolg? So lauten einige der Fragen, vor denen forschende Lehrerinnen und Lehrer zu Beginn stehen, und dazu will das folgende Kapitel einige Anregungen und Hinweise geben.

3.1 Was sind Forschungsausgangspunkte? Wie schauen sinnvolle Ausgangspunkte für Aktionsforschung aus? Wie kommen Lehrerinnen und Lehrer zu solchen Forschungsausgangspunkten? Werfen wir einen Blick auf den Beginn einer Fallstudie: „Es handelt sich um eine 1. Klasse der 3jährigen Haushaltungsschule, in der ich Deutsch unterrichte, mit 30 (bzw. seit Sommersemester 28) Schülerinnen. Die Klasse gilt bei den Lehrern als leistungsschwach und undiszipliniert, d.h. man kann nicht – wie sonst in unserer Schule üblich – erwarten, dass die Mädchen tatsächlich Hausübungen schreiben, mitarbeiten, sich mit dem Stoff beschäftigen, auf Ermahnungen reagieren usw. Andrerseits sind sie durchaus herzlich und offen; es gibt zahlreiche Problemkinder (triste Familienverhältnisse). Ich habe erst einmal eine (3.) Klasse dieses Schultyps gehabt, verfüge also über recht wenige Erfahrungen. Mein Unterrichtsstil ist eher ‚locker‘, d.h. ich versuche mit den Schülerinnen einen gewissen Konsens zu erreichen – sie wissen dann, welche grundsätzlichen Anforderungen ich stelle und akzeptieren sie; ich räume ihnen soweit wie möglich ein Mitspracherecht bei der Unterrichtsgestaltung ein, versuche ihnen auch sonst entgegenzukommen; es gibt relativ viel gemeinsame Reflexion über den Unterricht. Die (bei uns) üblichen Umgangsformen (Aufstehen, wenn der Lehrer kommt; um Erlaubnis fragen vor dem Verlassen der Klasse) usw. ersetze ich schrittweise durch freiere Formen… Diese ‚Methode‘ hat bei dieser Klasse sehr schlecht funktioniert. Die Disziplinlosigkeit ist besonders nach Weihnachten viel größer geworden. Auch andere Lehrer beklagten sich in diese Richtung. Um die nachfolgenden Überlegungen richtig einzuordnen, muss ich betonen, dass die Klasse vielen Lehrern Probleme verursachte. Äußerungen von Kolleg(inn)en:

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Entwicklung eines Ausgangspunktes für die Forschung ‚Ich mag gar nicht in diese Klasse gehen, es ist schrecklich!‘ ‚Sie sind lästig, das ist kein lustiges Arbeiten, sie (Namen) können sich für nix begeistern, müssen immer stören.‘ ‚Da gibt’s welche, die haben die Arbeit pausenlos sabotiert, die sind laut und lästig.‘ ‚Heute wollten sie überhaupt nichts mehr tun, obwohl ich mich redlich bemüht habe.‘ (Tagebuch 22.4., 5.5., 16.6.)

Diese Situation war eine Herausforderung für mich im doppelten Sinn: Einerseits ärgerte ich mich und wollte die Ursache dieses Ärgers beseitigen; andererseits empfand ich diese Lage auch als Bewährungsprobe für einen demokratischen Unterrichtsstil. Sollte ich durch Disziplinierungsmaßnahmen Ruhe und Ordnung erzwingen oder sollte ich vielleicht mit gewissen Modifikationen bei meinem Stil bleiben? Für mich kam aus Gründen der Persönlichkeit wie auch aus prinzipiellen Überlegungen nur der 2. Weg in Betracht. Als ich mich für eine Fallstudie über diese Klasse entschloss, formulierte ich daher diese Problemstellung: 1) ‚Ich ärgere mich, dass sie den Unterricht stören. Wieso tun sie das? 2) Wie weit beeinflusst mein Verhalten das Schülerverhalten? 3) Sie akzeptieren autoritäres Verhalten und nützen lockeres aus, wie kann ich ihnen das erlebbar und veränderbar machen?‘“ (Wintersteiner 1989, 60f) 

Was sind nun die wichtigsten Merkmale von Ausgangspunkten für die Aktionsforschung? Solche Ausgangspunkte haben eine Entwicklungsperspektive: In einem Bereich, der der forschenden Lehrperson wichtig ist, will sie eine praktische Situation (z.B. Mitarbeit in der Klasse) verbessern und eigene Kompetenzen weiterentwickeln. Ausgangspunkte haben auch eine Erkenntnis- oder Forschungsperspektive: Forschende LehrerInnen wollen eben jene praktische Situation, deren Bedingungen, ihre Handlung darin und deren Wirkungen besser verstehen, eben um sie in eine produktive Richtung weiterentwickeln zu können. Diese ‚doppelte Zielsetzung‘ ist ein Charakteristikum von Aktionsforschung (vgl. Kap. 1.2) und wird sich im Folgenden in einigen Merkmalen des Aufbaus von Praxisforschungsprojekten niederschlagen. Forschungsausgangspunkte setzen typischerweise bei der Erfahrung von Diskrepanzen an, bei • Diskrepanzen zwischen Plänen und Erwartungen über den Unterrichtsablauf einerseits und der schließlich eingetroffenen Realität („Diese ‚Methode‘ hat bei dieser Klasse schlecht funktioniert“) • Diskrepanzen zwischen der derzeitigen Situation und einer allgemeinen Wertvorstellung oder einem Ziel („Die Schülerinnen und Schüler akzeptieren autoritäres Verhalten und nützen lockeres Verhalten aus“ – was den Wertvorstellungen der Lehrperson widerspricht) • Diskrepanzen zwischen der Art, wie verschiedene Personen ein und dieselbe Situation sehen (Eine Lehrerin fragt sich: „Was von mir als Unterstützung gemeint ist, empfinden SchülerInnen als Drängen und Druck. Warum?“)

Was sind Forschungsausgangspunkte?

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Auch im Alltag machen solche Diskrepanzerlebnisse, wird man sich ihrer erst einmal bewusst, nachdenklich. Aktionsforschung setzt an solchen Punkten der Nachdenklichkeit ein, versucht sie vor dem Vergessenwerden im Trubel der alltäglichen Arbeit zu bewahren und zum Brennpunkt der Weiterentwicklung des Unterrichts und unseres Wissens darüber zu machen. Welche Quellen für die Entdeckung von Ausgangspunkten für die eigene Forschung und Entwicklung bieten sich nun für PraktikerforscherInnen an (vgl. Abb. 4)? a) Eigene Erfahrungen in Schule und Unterricht: An erster Stelle stehen hier sicherlich die eigenen Beobachtungen und Erfahrungen im Unterricht und in der sonstigen schulischen Arbeit, durch die LehrerInnen Ideen ebenso wie Gründe („Mit dieser Klasse muss ich noch zwei Jahre dreimal in der Woche zurechtkommen. Es lohnt sich, hier genauer hinzuschauen und eine Weiterentwicklung energisch zu betreiben!“) für Entwicklungsarbeit gewinnen. Ausgangspunkte können dabei durchaus aus unterschiedlichen Erfahrungen abgeleitet werden, z.B. aus Erfahrungen der • Stärke: Dabei ist beispielsweise an folgende Fälle gedacht: Lehrerinnen und Lehrer möchten eine viel versprechende Idee ausprobieren, eine Stärke ausbauen oder eine alltägliche Verpflichtung überlegter und ökonomischer erledigen. • Schwierigkeit: Lehrkräfte wollen eine schwierige Situation verbessern, ein Problem lösen, einen Mangel (etwa an Materialien usw.) ausgleichen. • Unklarheit: Forschende Lehrpersonen beginnen ihre Arbeit oft bei großen und kleinen „Rätseln“, die gar nicht eindeutig positiv oder negativ, erfreulich oder belastend sind, die sie aber besser verstehen und durchschauen wollen. Sie beginnen ihre Arbeit auch bei Überraschungen, die sie im Verlaufe des Unterrichtsalltags erleben, ohne dass sie sich ihre Ursachen genauer erklären könnten, von denen sie aber meinen, dass sie Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Situation im Unterricht böten (vgl. Dadds 1985). Wahrscheinlich enthält jeder aus der beruflichen Realität gegriffene Ausgangspunkt Merkmale aller drei Typen in unterschiedlicher Mischung: Im obigen Beispiel ist der Lehrer mit der Mitarbeit seiner SchülerInnen unzufrieden (‚Schwierigkeit‘); er hat jedoch genug Vertrauen zu seinem Unterrichtsstil, um ihn nicht sofort zu verändern (‚Stärke‘); ihm ist unklar, wie weit sein eigenes Handeln zum störenden Schülerverhalten beiträgt (‚Unklarheit‘). Solche Überlegungen zeigen im Übrigen, dass Aktionsforschung, auch wenn Begriffe wie „Diskrepanzen“, „Probleme“ usw. oft am Beginn von Forschungs- und Entwicklungsprojekten stehen, nicht bloß für Situationen geeignet ist, die „negativ und problematisch“ für die beteiligten Lehrkräfte sind. Aktionsforschung ist keineswegs nur bei Schwierigkeiten, Krisen oder Katastrophen sinnvoll, vielmehr können auch gute Ideen für die Erneuerung erprobt oder eigene Stärken weiterentwickelt werden. Insgesamt ist die Strategie der PraxisforscherInnen also ressour-

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Entwicklung eines Ausgangspunktes für die Forschung

cen- und entwicklungsorientiert; sie zielt auf die Entdeckung von Stärken und Potentialen der Beteiligten sowie auf die Pflege und Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten. b) Schulprogramme und Entwicklungsnotwendigkeiten der Schule: Neben den persönlichen Beobachtungen von einzelnen Lehrkräften und Lehrergruppen sind auch Themen, die die gesamte Schule (oder größere Teileinheiten; z.B. Fachgruppen, Abteilungen) betreffen, ‚Kandidaten‘ für Forschungs- und Entwicklungsarbeit durch PraktikerInnen. So können die Versprechungen, die in Leitideen, Schulprogrammen, Entwicklungsplänen und Schulprofilen formuliert sind (vgl. Krainz-Dürr et al. 2002; Philipp/Rolff 1999), reflektierte Entwicklungsarbeit notwendig machen, für die Aktionsforschung ein praktikables Modell bietet. Aber auch aus Beschwerden, Rückgang der Schülerzahlen, Entwicklungen im regionalen Umfeld der Schule usw. können Fragen und Chancen entstehen, die systematische Recherche, Forschung und Entwicklung angezeigt erscheinen lassen (vgl. Kap. 9).

Schulprogramme und Entwicklungsnotwendigkeiten der Schule

Ergebnisse von Feedback und Evaluationen

eigene Beobachtungen und Erfahrungen

Woher können Ausgangspunkte kommen?

Neugier und „theoretische Interessen"

Teilnahme an Entwicklungsprogrammen und Fortbildung

Abb. 4: Mögliche Quellen für Forschungsausgangspunkte

c) Ergebnisse von Feedback und Evaluationen: Auch persönliche Feedbacks, die Lehrpersonen von SchülerInnen oder anderen Bezugsgruppen einholen, können wichtige Impulse für weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeit setzen. Gleiches gilt für Ergebnisse aus schulischer Selbstevaluation, aus kontinuierlichem

Was sind Forschungsausgangspunkte?

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Qualitätsmanagement, aus externen Evaluationen oder Lernstandserhebungen, aus dem Vergleich mit anderen Schulen („Benchmarks“), die Fragestellungen, die eine genauere Untersuchung nötig machen, oder Hinweise, die Entwicklungsarbeit angezeigt erscheinen lassen, aufwerfen können (vgl. Altrichter/Messner/Posch 2006). d) Teilnahme an Entwicklungsprogrammen und Fortbildungslehrgängen: Ideen und Impulse für weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeit von PraktikerInnen werden auch durch Initiativen verschiedener zentraler und regionaler Institutionen geboten, die durch Entwicklungsprogramme, Wettbewerbe, spezifische Förderungen bestimmte didaktische und schulische Innovationen anregen wollen (vgl. Rösner 2001): Wenn beispielsweise qualitätsvoller Naturwissenschaftsunterricht (vgl. Krainer/Rauch/Altrichter 2001; Rauch/Krainer 2008; Rauch/ Kreis 2009) oder kooperatives offenes Lernen (vgl. Wittwer et al. 2004) gefördert werden soll, ist offenbar reflektierte Entwicklungsarbeit von PraktikerInnen nötig, und dafür kann Aktionsforschung eine praktikable Strategie anbieten. Auch Fortbildungsangebote können Ideen für praktische Entwicklungen in Unterricht und Schule liefern und selbst als Unterstützungssystem für reflektierte Entwicklungsarbeit von PraktikerInnen organisiert sein (vgl. Altrichter/Posch 1998; Altrichter 2010). e) Neugier und „theoretische Interessen“: Gute Ideen für Unterrichts- und Schulentwicklung müssen jedoch nicht unbedingt eigenen Erfahrungen (wie in a und b) entstammen oder durch externe Instanzen in Umlauf (wie in d) gebracht worden sein. Sie können sich auch aus der Beobachtung von KollegInnen, aus Kontakten mit anderen Berufsfeldern oder aus einer Lektüre ergeben haben. Die Neugier, ob, was bei Kollegen X funktioniert oder durch Forscherin Y herausgefunden wurde, auch bei mir Sinn macht, und das Interesse, die Ideen anderer Leute besser zu verstehen und in Handlung umzusetzen, können wichtige Triebfedern für reflektierte Entwicklungsarbeit sein. Gerade im Kontext der Lehrerbildung stellen sich viele potentielle Ausgangspunkte für forschende Entwicklungsarbeit (vgl. genauer in Kap. 10): Studierende können ihre Kompetenz zu reflektierter didaktischer Praxis erproben; Hochschullehrenden ermöglicht Aktionsforschung ein Ausprobieren und Weiterentwickeln von (fach-) didaktischen Modellen, die mit Lehramtsstudierenden in der Praxis der tertiären Lehre auf ihre Relevanz hin untersucht und weiterentwickelt werden. In letzter Zeit sind einige gute Aufbereitungen aktueller Forschungsergebnisse vorgelegt worden, aus denen sich viel versprechende Ideen für die Weiterentwicklung von Unterricht gewinnen lassen (vgl. Helmke 2015; Meyer 2016). In Abb. 5 findet sich eine Kurzfassung wesentlicher Ergebnisse der Schulqualitätsforschung als Anregung für forschende Weiterentwicklung (vgl. Fend 1998; Altrichter/Gußner/Maderthaner/ Schlosser 2009).

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Entwicklung eines Ausgangspunktes für die Forschung Welche Merkmale von Schulen tragen dazu bei, dass Schülerinnen und Schüler anregende Bildungserfahrungen machen? In Schulqualitätsstudien, u.a. in der bahnbrechenden Studie Fünfzehntausend Stunden von Michael Rutter et al. (1979), wurden mehrere Merkmale guter Schulen identifiziert, von denen im Folgenden einige zusammengestellt werden: • Hohe Wertschätzung von Lernen, Wissen und Kompetenz sowie Orientierung an hohen, allen bekannten fachlichen und überfachlichen Standards • Grundhaltung: Erfolgserwartung (statt „Vermeidung von Misserfolg“) • klar strukturierter Unterricht, in dem wenig Zeit für sachfremde Tätigkeiten aufgewendet wird, • wertschätzende Beziehungen und positives Schulklima mit Engagement für SchülerInnen • Mitsprache und Verantwortungsübernahme durch SchülerInnen • zielbewusste, kommunikations- und konsensorientierte Schulleitung • Zusammenarbeit und Entwicklung gemeinsamer Wertvorstellungen im Kollegium. • wenig Fluktuation sowohl im Lehrkörper als auch in der Zusammensetzung der Lerngruppen, • transparente, stimmige und 'berechenbare' Regeln; Aushandlung und konsequente Handhabung von Regeln • Reichhaltiges Schulleben und vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten für LehrerInnen und SchülerInnen • Einbeziehung der Eltern in das schulische Geschehen • Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Vorgaben und Herausforderungen – Qualitätsevaluation, Weiterbildung und Schulentwicklung mit dem Schwerpunkt auf Lernen und Unterricht

Abb. 5: Merkmale guter Schulen

Welche Inhalte lassen sich durch Aktionsforschung bearbeiten? Im Allgemeinen können alle beruflichen Situationen, die Lehrende klarer sehen und verändern wollen, als potentielle Ausgangssituationen angesehen werden. Dazu ein paar konkrete Beispiele von Fragestellungen, die von Lehrpersonen untersucht wurden7: • eine Lehrerin, die schon einige Jahre neue Formen der Elternarbeit anscheinend erfolgreich praktiziert hatte, versuchte, sich ein genaueres Bild davon zu verschaffen, wie diese Arbeit von den betroffenen Eltern wahrgenommen wurde (Kaser o.J.); • ein Deutschlehrer, der eine schwierige Klasse in einer berufsbildenden Schule übernommen hatte, untersuchte Zusammenhänge zwischen dem Schülerverhalten und seinem Unterrichtsstil (Wintersteiner 1989); • eine Lehrerin untersuchte an ihrer Schule mehrere Initiativen, um den Unterricht stärker auf die Bedürfnisse von Integrationskindern abzustimmen (Leopoldseder 2004); 7

Werke, die Fallstudien von aktionsforschenden Lehrerinnen und Lehrern enthalten, sind im Literaturverzeichnis durch ein Sternchen * gekennzeichnet.

Was sind Forschungsausgangspunkte?

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• eine Lehrerin untersuchte die Auswirkungen des Laborunterrichts in Biologie und Chemie in einer 4. Klasse und den dazu nötigen Aufwand (Steininger 2002); • ein Physiklehrer realisierte ein Unterrichtskonzept, in dem Diskrepanzen zwischen den Alltagsvorstellungen der SchülerInnen und physikalischen Konzepten besondere Beachtung fanden, und untersuchte, ob und inwieweit damit ein „tieferes Verständnis“ erzielt werden konnte (Stütz 1999); • eine Lehrerin untersuchte in einer Sekundarstufe II die Auswirkungen individueller Schwerpunktsetzung im Physikunterricht durch SchülerInnen auf Arbeitshaltung und Lernerfolg, um eine sinnvolle Balance zwischen Vorgaben und Freiräumen zu finden (Höfert 1996); • ein Lehrer untersuchte ein neues Modell der Leistungsbeurteilung an seiner Schule, in dem versucht wurde Lernziele gemeinsam mit den SchülerInnen zu formulieren und offene Lernformen mit Selbstkontrolle des Lernerfolgs zu verbinden (Stern 1996); • eine Lehrerin untersuchte Auswirkungen selbständiger Schülerarbeit in Verbindung mit „Puzzleunterricht“. Die Studie berichtet über Ergebnisse, Pro und Contras, Beobachtungen von KollegInnen, Schülermeinungen etc. (Pfeiler 2002); • in einer Untersuchung wurden die Lernmethoden der SchülerInnen einer Klasse erfasst und die Auswirkungen einer Fragensammlung (mit allen wesentlichen Themen des jeweiligen Teststoffs) auf ihre Lernmethoden untersucht (Vollhofer 2005); • eine Lehrerin versuchte in ihrer Klasse die Klarheit und Verständlichkeit ihrer Arbeitsaufträge weiterzuentwickeln (Engleitner 2006); • anhand ihrer Tagebuchnotizen, eines Fragebogens für Eltern und KollegInnen, Fotos und Rückmeldungen der SchülerInnen (1. Klasse Grundschule) erörterte eine Lehrerin die Frage, wodurch sich der Mehraufwand einer umfassenden mündlichen Leistungsrückmeldung rechtfertigen würde (Pramhas 2006); • ein Hochschullehrer für Musikpädagogik beschäftigte sich in seinen Lehrveranstaltungen mit den Wirkungen des Sprechens über ein Musikstück vor dem Hören (Hametner 2017). 

Diese Beispiele stammen von ganz verschiedenen Stufen des Bildungswesens. Von der Grundschule bis zur Universität liegen Fallstudien von forschenden Lehrpersonen vor; aber auch für andere Bereiche des Bildungswesens (wie z.B. Kindergärten und Einrichtungen der Erwachsenenbildung) und für soziale Dienste (z.B. Sozialarbeit, Krankenpflege) haben wir keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Aktionsforschung zu lohnenden Erfahrungen und Veränderungen führen kann. Die Beispiele demonstrieren auch, dass sowohl Fallstudien mit eher didaktischen, die Gestaltung des Unterrichts betreffenden Schwerpunkten, als auch solche mit eher erzieherischen und die Beziehung zu SchülerInnen betreffenden Fragestellungen geschrieben wurden. „Wissensvermittlung“ kann ebenso ein Thema sein wie „Disziplinprobleme“, aber auch die Gestaltung von sinnvollen Kontakten zu den Eltern und der schulischen Umwelt kann zu einem Ausgangspunkt für Aktionsforschung werden.

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Entwicklung eines Ausgangspunktes für die Forschung

Ein Merkmal haben jedoch fast alle bisher genannten Beispiele gemeinsam: Die Forschungs- und Veränderungsaktivitäten betreffen den Handlungsbereich eines Lehrers oder einer Lehrerin. Dieses Buch macht tatsächlich an vielen Stellen den Eindruck, als wären es einzelne Lehrerinnen und Lehrer, die durch ihre individuelle Aktionsforschung wichtige Veränderungen in Gang bringen könnten. Dieser Eindruck ist einesteils durchaus gewollt, weil es unserer Meinung eben der Initiative vieler einzelner professioneller Berufstätiger bedarf, um nachhaltige Entwicklungen im Schulwesen in Gang zu bringen und aufrecht zu erhalten. Für Entwicklung braucht es eben auch individuelle Energie. Auf der anderen Seite wird diese Botschaft durch das Medium „Buch“, das sich nun einmal an individuelle LeserInnen richtet, möglicherweise etwas übertrieben: Es kommt nicht nur auf die engagierten EinzelkämpferInnen an. Qualitätsvolle Berufstätigkeit erfordert auch, so meinen die englischen AktionsforscherInnen, die Bereitschaft und Fähigkeit einzelner Berufstätiger eigene Einsichten und Praktiken ihrer jeweiligen professionellen Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen und damit gleichzeitig an deren Wissen zu überprüfen (vgl. Stenhouse 1985, 144). Die Potenziale, die sich in einer professionellen Gemeinschaft durch die Zusammenarbeit von engagierten Lehrpersonen in forschenden Entwicklungsprojekten entfalten können, werden im Rahmen von Lesson und Learning Studies offenkundig, wo Teams von LehrerInnen und ForscherInnen den Unterricht gemeinsam planen, durchführen und evaluieren (vgl. Kap 11). Die Bedeutung der professionellen Gemeinschaft kommt auch im Rahmen von Schulentwicklungsprozessen zum Tragen, wo aktuelle bildungspolitische Entwicklungen ein koordiniertes Vorgehen von Lehrergruppen oder des ganzen Kollegiums bei der Weiterentwicklung und Evaluation ihrer Schule erfordern. Kapitel 9 beschäftigt sich mit einigen Fragen, die bei Aktionsforschung in Prozessen der Schulentwicklung auftreten. Jedenfalls gibt es in der Zwischenzeit eine Reihe von interessanten Beispielen von Schulentwicklung durch Aktionsforschung: • Eine Lehrerin untersuchte die erstmalige Durchführung von zwei Projekttagen an ihrer Schule anhand von Gedächtnisprotokollen, einer schriftlichen Befragung und Interviews mit SchülerInnen und beteiligten LehrerInnen. Die Ergebnisse der Studie führten zu einer Institutionalisierung der Projekttage an der Schule (Leopoldseder 2005) • Eine Gruppe von vier Lehrkräften studierte Prozesse und Auswirkungen von vier Schwerpunktbereichen (Sprachen, Technik, Medien, Kreativität) an ihrer Schule, die ab der siebten Schulstufe eine Vertiefung des Unterrichts ermöglichen sollten. Mittels unterschiedlicher Methoden erhoben sie, wie SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern diese Vertiefung erlebten und machten Vorschläge zur weiteren Verbesserung der Schwerpunkte und ihrer Rahmenbedingungen (Abu Zahra et al. 2004).

Finden von Ausgangspunkten

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• Ein Lehrer untersuchte den steinigen Weg von einer als schulweit gedachten Initiative zur Weiterentwicklung der methodischen Kompetenz von LehrerInnen an einer Höheren Technischen Lehranstalt zu einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter, die sich schließlich auf die Erprobung von Puzzle-Unterricht konzentrierte – mit dem Ziel einer Ausstrahlung auf die gesamte Schule (Kimbacher 2005). 

3.2 Finden von Ausgangspunkten Hat sich eine Lehrperson entschlossen, sich auf einen Aktionsforschungsprozess einzulassen, so hat sie entweder a) ein Entwicklungsinteresse oder eine ganz bestimmte Fragestellung im Sinn, die sie unbedingt angehen möchte, b) viele verschiedene Fragestellungen/Entwicklungsinteressen, von denen sie nicht wirklich weiß, mit welchen sie beginnen soll, oder c) überhaupt keine konkrete Fragestellungen oder Entwicklungsinteressen, die sich zur Untersuchung aufdrängen. Die in den folgenden Abschnitten 3.2 und 3.3 gesammelten Hinweise und Ideen sind vor allem für die Fälle b) und c) gedacht. Allerdings kann es auch im Fall a) – besonders dann, wenn Sie zum ersten Mal auf diese Art forschen – sinnvoll sein, Ihre eigene Fragestellung vor dem Hintergrund möglicher Alternativen auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen. Lehrerinnen und Lehrern, mit denen wir zusammenarbeiten, schlagen wir in der Regel vor: • Zunächst einmal mehr als einen Ausgangspunkt zu formulieren; • diese potentiellen Ausgangspunkte über einen gewissen Zeitraum hinweg nebeneinander stehen zu lassen und in der Praxis zu beobachten; • nicht zu wenig Zeit für die Suche nach Forschungsausgangspunkten zu verwenden. Üblicherweise wird die Leichtigkeit und Geschwindigkeit, mit der man eine sinnvolle Fragestellung findet, überschätzt. Bis eine der vielen interessanten Fährten, denen man im Rahmen seines Unterrichts folgen könnte, wirklich zu der Fragestellung wird, die bedeutungsvoll für die eigene Tätigkeit und klar formulierbar ist, kann schon etwas Zeit vergehen. Der benötigte Zeitaufwand wird bei verschiedenen Personen sehr unterschiedlich sein. In Lehrveranstaltungen, die vier Monate dauern, reservieren wir die ersten beiden Wochen für die Suche nach Forschungsausgangspunkten; doch auch innerhalb zeitlich eng begrenzter Vorhaben (wie es z.B. Lehrveranstaltungen oder manche Lehrerfortbildungskurse sind) sollte Gelegenheit für individuelle Variation bestehen. Ihre persönliche Suche nach Forschungsausgangspunkten könnte durch folgende Übungen erleichtert werden.

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Entwicklung eines Ausgangspunktes für die Forschung M 4 Brainstorming: Finden von Ausgangspunkten Um schrittweise einen Ausgangspunkt für Ihre eigene Forschung zu finden, könnten Sie zunächst allein ein Brainstorming durchführen: 1. Denken Sie an Ihre eigene Praxis: - Welche Idee wollten Sie schon lange einmal ausprobieren? - Welche Stärke Ihres Unterrichts oder Ihrer Schule wollen Sie weiterentwickeln? - In welcher Situation gibt es viele Unklarheiten, über die Sie schon längst einmal in Ruhe nachdenken wollten? - Welche Situation bereitet Ihnen Schwierigkeiten, so dass Sie den Wunsch haben, besser mit ihr zu Recht zu kommen? - Welche Ziele des Schulprogramms Ihrer Schule erfordern weiterführende Entwicklungsarbeit? - Welche Schwäche oder Einseitigkeit Ihrer Schule wollen Sie durch eine verbesserte Praxis verändern? - Welche Rückmeldungen von SchülerInnen oder anderen Bezugspersonen bzw. welche Informationen aus Evaluationen müssen genauer untersucht werden? Welche legen weiterführende Entwicklungsarbeit nahe? Lassen Sie Ihre Gedanken möglichst frei fließen und schreiben Sie Ihre ersten spontanen Assoziationen in Stichworten nieder (z.B. in Ihr Forschungstagebuch). Nehmen Sie sich dafür etwa 6-8 Minuten Zeit! 2. Die Ideen, die Ihnen beim Brainstorming gekommen sind, haben wahrscheinlich ohnehin schon die folgende Form. Vielleicht aber regen Sie die folgenden unvollständigen Sätze noch zu weiteren Ideen für Forschungsausgangspunkte an:

• • • • • • •

• Ich würde gerne … verbessern. • Einige SchülerInnen/Eltern/KollegInnen sind nicht gerade glücklich über … Was kann ich tun, um diese Situation zu verändern? Ich bin ganz verblüfft über … … ist eine Quelle des Ärgernisses. Was kann ich hier tun? Wenn ich …, bin ich hinterher fix und fertig. Ich ärgere mich ständig über … Ich habe die Idee …, die ich gerne in meiner Klasse ausprobieren würde. Wie kann die Erfahrung … (einer Kollegin, aus der Literatur usw.) auf meine Situation angewandt werden? Unserer Schule tät es gut, wenn wir Lehrkräfte eine Entwicklung in Richtung … in Gang brächten (nach Kemmis et al. 1982, 18). 

3. Wenn Sie schon ein Tagebuch zu führen begonnen haben, sollten Sie Ihre bisherigen Eintragungen durchlesen und prüfen, ob sich daraus zusätzliche Ideen für Forschungsausgangspunkte ergeben.

Finden von Ausgangspunkten

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4. Sie können die Darstellung Ihrer potentiellen Ausgangspunkte inhaltsreicher machen (und damit gleichzeitig eine erste Situationsanalyse unternehmen), wenn Sie für jeden Ausgangspunkt die wichtigsten Merkmale der Situation skizzieren: - Was läuft in dieser Situation ab? - Welche Akteurinnen und Akteure setzen welche Handlungen? - Welche Rahmenbedingungen sind für das Verständnis dieser Situation besonders wichtig? 5. Versuchen Sie die Ergebnisse dieser Situationsskizze auf den Punkt zu bringen, indem sie für jeden Ausgangspunkt eine möglichst präzise Frage formulieren. M 5 Eine Methode, um einige Ausgangspunkte eine Zeitlang parallel zu überlegen Unsere Empfehlung ist, sich nicht sofort für einen Ausgangspunkt zu entscheiden, sondern eine Zeitlang verschiedene Möglichkeiten im Sinn zu behalten und sie an der täglichen Erfahrung auf ihre Brauchbarkeit zu überprüfen. Das könnten Sie beispielsweise auf folgende Weise tun: 1. Wählen Sie aus der Liste möglicher Ausgangspunkte, die Sie während des Brainstormings erstellt haben, jene drei bis fünf Situationen aus, die Ihnen am interessantesten erscheinen. 2. Schreiben Sie für jede dieser Situationen das Interesse, das Sie an ihr haben, auf eine DIN-A6-Karte. Karte A: Ich interessiere mich dafür, ob ich mich verschiedenen Schülerinnen und Schülern in meiner Klasse in einem unterschiedlichen zeitlichen Karte B: Maß zuwende. Und ob diese Ich bin daran interessiert, ob die Buben meiner Unterschiede gerechtfertigt sind oder Klasse mehr Gesprächszeit bekommen als verändert werden sollten. die Mädchen. Wenn das so ist, möchte ich herausfinden warum und wie ich das ändern könnte.

Quelle: modifiziert nach Developing Teaching 1984, 12

3. Am Ende jedes Tages der folgenden Woche nehmen Sie Ihre Karten zur Hand und mischen sie durch. Verwenden Sie ca. drei Minuten dazu, auf den Schultag zurückzublicken und alle Aspekte durchzudenken, die in Hinblick auf jenes Interesse, das auf der ersten Karte notiert ist, von Belang sind. Machen Sie darüber in Stichworten Notizen auf diese Karte oder in Ihr Forschungstagebuch. 4. Verwenden Sie hernach jeweils eine Minute, um die restlichen Karten in gleicher Weise durchzudenken und etwaige Stichworte zu notieren.

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Entwicklung eines Ausgangspunktes für die Forschung

3.3 Gesichtspunkte für die Auswahl eines Ausgangspunktes Wie kann ich aus den vielen Entwicklungsinteressen und Fragen, die mir einfallen, wenn ich an die eigene Praxis denke, einen Ausgangspunkt für einen Forschungsprozess auswählen? Gibt es bessere und weniger geeignete Ausgangspunkte? Wie kann ich die geeigneten herausfinden? 8

M 6 Auswahl eines Ausgangspunktes Zur Überprüfung der von Ihnen in Betracht gezogenen Ausgangspunkte können Sie folgendermaßen vorgehen8: 1. Gehen Sie die bisher formulierten Ausgangspunkte nach folgenden Kriterien durch. Halten Sie Ihre Einschätzung jedes Ausgangspunktes in Hinblick auf diese Kriterien in Stichworten fest. a) Handlungsspielraum: Stammt die in Betracht gezogene Ausgangssituation aus meinem eigenen Handlungsfeld? Kann ich in dieser Sache wirklich etwas tun? Habe ich einen Handlungsspielraum und Einflussmöglichkeiten? Oder bin ich hier sehr von anderen Personen und Instanzen abhängig? Wären andere Betroffene voraussichtlich bereit, mit mir zusammenzuarbeiten? Müssten sich primär andere Personen ändern, damit eine Verbesserung der Situation erreicht werden kann? b) Bedeutsamkeit: Wie wichtig ist diese Situation für mich und meine berufliche Lage, wie wichtig für meine SchülerInnen und für die Schule? Ist der Ausgangspunkt auch in erzieherischer Hinsicht lohnend – betrifft er wichtige pädagogische Intentionen? Wird mich diese Situation voraussichtlich noch in einigen Wochen interessieren? Bin ich bereit, eine gewisse Energie in die Beschäftigung mit dieser Situation zu investieren? Habe ich bezüglich dieser Situation den deutlichen Wunsch, zu Veränderung, Verbesserung, Weiterentwicklung oder erhöhter Klarheit beizutragen? c) Bearbeitbarkeit: Schaffe ich es überhaupt zeitlich, dieses Vorhaben anzugehen? Oder müssen zu viele vorbereitende und begleitende Arbeiten gemacht werden, um die Sache überhaupt in Gang zu bringen? Ist es wahrscheinlich, dass ich mich überfordere? Kann ich mit Unterstützung von Seiten der Schulleitung und der KollegInnen rechnen? Wählen Sie am Beginn keine „zu große“ Fragestellung. Im Zweifelsfall entscheiden Sie sich eher für das kleinere, relativ begrenzte Vorhaben. Es ist im Allgemeinen günstiger auf – wenn auch kleinen – Erfolgen aufzubauen, als aufgrund von Misserfolgen seine Ansprüche reduzieren zu müssen. Ausweiten können Sie Ihre Arbeit später immer noch! 8

vgl. Brown et al. (1982, 1f ) und Hopkins (2014, 47f )

3.3

Gesichtspunkte für die Auswahl eines Ausgangspunktes

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d) Verträglichkeit: Wie verträglich sind die Fragestellungen und Entwicklungsinteressen, die ich für meine Forschungsarbeit überlege, mit meiner sonstigenTätigkeit? Wie verträglich sind sie mit den Entwicklungsprioritäten meiner Schule? Gibt es Dinge, die ich ohnehin machen muss? Wie gut passt die in Aussicht genommene Forschung zu meinen Unterrichtszielen? Kann ich einzelne Forschungsaktivitäten auch direkt in den Unterricht einbauen (z.B. Interviews zwischen SchülerInnen, Gruppengespräche usw.)? Im Zweifelsfall entscheiden Sie sich eher für jenen Ausgangspunkt, der thematisch zu den Dingen passt, die Sie ohnehin im Unterricht vorhaben.

2. Wählen Sie einen Ausgangspunkt aus, der am ehesten diesen Kriterien entspricht. Das Ergebnis wird nicht immer eindeutig sein, sondern manchmal in einem Abwägen von Vor- und Nachteilen bestehen. Wir meinen jedoch, dass der Prozess des Abwägens selbst eine wichtige Hilfe für das Herausfinden jener Fragestellung sein kann, die Ihrer persönlichen Situation am besten entspricht. 3. Versuchen Sie diesen Ausgangspunkt möglichst anschaulich in Ihrem Forschungstagebuch festzuhalten. Die Formulierung eines Ausgangspunktes für die Unterrichtsentwicklung hat in der Regel vier Elemente (nach Kintner 1986, 8ff; vgl. auch Kemmis et al. 2014, 98f.): (i) Kurzbeschreibung der Situation: Was läuft in dieser Situation ab? Welche AkteurInnen setzen welche Handlungen? Welche Bedingungen sind besonders wichtig für das Verständnis der Vorgänge innerhalb der Situation? (ii) Eine Frage, die Ihr Erkenntnisinteresse andeutet: Was möchte ich herausfinden? Welche Zusammenhänge möchte ich besser verstehen? Welche Fragen über meine Unterrichtsführung usw. möchte ich beantworten? (iii) Eine Entwicklungsrichtung, die Ihr Handlungsinteresse andeutet: Was möchte ich ausprobieren? Was möchte ich verändern/verbessern? In welche Richtung soll die Entwicklung gehen, damit sie für mich, die SchülerInnen und andere Betroffene sinnvoll ist? (iv) Welchen Schritt will ich als nächsten setzen? Was will ich tun, um die Situation besser zu verstehen? Mit welchen Personen könnte ich Kontakt aufnehmen? Was könnte meine nächste Handlung sein, die mir dazu verhilft, eine Entwicklung in eine konstruktive Richtung einzuleiten? Was hier vielleicht sehr kompliziert geklungen hat, ist in Wahrheit eine relativ einfache Angelegenheit, wie die folgenden Beispiele für Forschungsausgangspunkte zeigen (nach Kemmis et al. 1982):

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Entwicklung eines Ausgangspunktes für die Forschung  Die Schülerinnen und Schüler scheinen während Gruppenarbeiten eine Menge

Zeit zu vergeuden (= i). Was tun sie genau? Welche produktiven und welche unproduktiven Tätigkeiten kommen häufig vor? Verhalten sich verschiedene Schülergruppen unterschiedlich? (= ii) Wie kann ich den Anteil aufgabenorientierter Tätigkeit während einer Gruppenarbeit vergrößern? (= iii) Ich möchte einmal mit Kollegin B. sprechen, die im Ruf steht, sehr abwechslungsreiche und effektive Gruppenarbeiten zu machen. (= iv)  Die SchülerInnen sind mit den Methoden, die zur Leistungsbeurteilung angewendet werden, unzufrieden. (= i) Was genau stört sie? Welche Argumente haben sie dafür? (= ii) Wie kann ich mit ihnen gemeinsam die Prüfungsmethoden so verbessern, dass beide Parteien zufrieden sind? (= iii) Ich möchte Kollegen M. bitten, einige Interviews mit Schülerinnen und Schülern der 4. Klasse zu diesem Thema zu führen. Vielleicht kann ich dadurch ihre Unzufriedenheit besser verstehen; möglicherweise tauchen dadurch schon Ideen für die Weiterentwicklung auf. (= iv)  Viele Eltern wollen ihren Kindern, aber auch der Schule helfen, indem sie das Hausübungsschreiben überwachen. (= i) Was können wir tun, um ihre Hilfe produktiver zu machen? (= iii) In welchen (produktiven und unproduktiven) Formen läuft diese Hilfe ab? Ich möchte zunächst einmal herausfinden, auf welche Art genau die Eltern das Hausübungsschreiben unterstützen. (= ii + iv) 

Anhand eines Fallbeispiels sollen einige Schwierigkeiten, die sich bei der Beurteilung von Ausgangspunkten ergeben können, dargestellt werden: Astrid ist Teilnehmerin der universitären Lehrveranstaltung „Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht“. Nach etwa der Hälfte des Semesters will sie ihre Forschung aufgeben, weil sie keine sinnvollen Handlungsmöglichkeiten mehr sieht und die Situation sie „ganz krank macht“. Werfen wir einen Blick auf die Formulierung ihres Ausgangspunktes, um die Brauchbarkeit der eben genannten Gesichtspunkte (siehe M 6) einer ersten Prüfung zu unterwerfen: Astrid unterrichtet in einer 2. Grundschulklasse. Sie will sich mit dem Fall eines Mädchens beschäftigen, das ihr nun schon im zweiten Schuljahr Sorgen bereitet. Sie formuliert als Fragestellung: „Wie kann ich mit dem Mädchen X in einer für beide Seiten produktiven Weise umgehen?“ Dieser Satz scheint einen verheißungsvollen Ausgangspunkt für Aktionsforschung zu umschreiben: • Die Situation stammt aus dem Handlungsfeld der Lehrerin; der Handlungsspielraum erscheint zunächst groß, spielt sich doch ihr Umgehen mit dem Mädchen X zum größten Teil innerhalb des Klassenzimmers ab (Kriterium a aus M 6). • Es wird ein Veränderungswunsch ausgedrückt, nämlich der produktivere Umgang mit dieser Situation; das Problem scheint sehr bedeutsam zu sein, trägt Astrid ihre Erzählungen mit großer Emotionalität und Lebhaftigkeit vor (Kriterium b). • Die Bearbeitbarkeit scheint gegeben: aus dem komplexen Geschehen in der Klasse wird nur die Beziehung zu einer Schülerin herausgehoben (Kriterium c). • Außerdem könnte die Fragestellung ganz gut mit der sonstigen Arbeit der Lehrerin verträglich sein, da sich das Problem auch schon jetzt „ohnehin täglich stellt“ (Kriterium d).

3.3

Gesichtspunkte für die Auswahl eines Ausgangspunktes

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In den Gruppensitzungen der Lehrveranstaltung berichtet Astrid über ihre Forschung, die aus Memos über Interaktionen mit dieser Schülerin bestehen. Erst nach und nach wird klarer, dass die Lehrerin sich in der ersten Schulstufe eine Zeit lang stark mit dem Kind beschäftigt hatte und dabei zur Auffassung gekommen war, es wäre „weder körperlich noch geistig reif". Diese ihre pädagogische Diagnose, die im Normalfall zu Maßnahmen sonderpädagogischer Förderung führt, wird jedoch beinahe von allen Bezugspersonen – vom Vater der Schülerin über die Schulärztin bis zum Direktor – abgelehnt, nur der Schulpsychologe teilt die Ansicht der Lehrerin. Astrid schreibt: „Ich wandte mich also an einige Personen, von denen ich Hilfe erhoffen konnte. Leider hatte ich mich sehr getäuscht, denn niemand wollte ein Problem sehen“. Die Lehrerin hatte die Hoffnung auf eine Verbesserung des Umgangs mit dieser Schülerin schon vor längerer Zeit aufgegeben; die Frage, die ihr offensichtlich noch Sorgen bereitete, ihr „tatsächliches Thema“, scheint ein anderes gewesen zu sein: „Wie kann ich meine pädagogische Diagnose in dieser Institution durchsetzen?“ Ihr Veränderungswunsch besteht also nicht in Hinblick auf die „klasseninterne Situation“, sondern auf die Verhältnisse in der Institution. Obwohl ihr das Problem sehr bedeutsam erscheint (Kriterium b), billigt sich die Lehrerin selbst hier kaum Handlungsspielraum zu und berichtet über viele leidvolle Erfahrungen in diesem Zusammenhang: Man könnte beinahe sagen, sie sehe sich nicht als Handelnde in diesem Feld, sondern als Behandelte, sehe es nicht als ihr Handlungsfeld an (Kriterium a). Die Arbeit, die Astrid schließlich am Ende des Semesters vorlegt, passt zu dieser – retrospektiven  – Analyse: Sie gleicht einer „Dokumentation eines Leidensweges der Lehrerin“ und beschreibt anschaulich und berührend „Historisches“. Sie enthält aber kaum neue Erklärungen der Situation, die nicht schon zu Beginn des Prozesses da gewesen wären. Und sie formuliert auch keine neuen Strategien zur Bewältigung der Problemsituation: Bei einem ähnlichen Fall würde Astrid „denselben Weg gehen wie dieses Mal“, dabei aber versuchen ihre „Ziele noch hartnäckiger zu verfolgen und durchzusetzen“. Die Arbeit schließt mit den Worten: „Vor allem aber glaube ich, dass dieser Fall einmalig ist und sich in dieser Art kaum wiederholen wird“. 

Anhand dieses Fallbeispiels lassen sich einige Merkmale von Aktionsforschungsprozessen verdeutlichen: • Was als Ausgangspunkt formuliert wird, ist eine erste Sichtweise der Situation, die sich im Verlaufe des Forschungsprozesses sehr wahrscheinlich verändern wird (vgl. Brown et al. 1982, 3). Aktionsforschung versucht das Dogma der fixen Hypothese, die während eines traditionellen empirischen Forschungsprojekts nicht angetastet werden darf (vgl. dazu Cronbach 1975), zu vermeiden und auch innerhalb des Forschungsprozesses für weiterführende Informationen offen zu sein. Gerade die Entwicklung dieser ersten Sichtweise der Situation ist ein wichtiger Indikator für das Lernen forschender Lehrerinnen und Lehrer. • Was als Ausgangspunkt formuliert wird, bewegt sich häufig zunächst an der „Oberfläche des Problems". Erst eine genauere Klärung der Problemsituation und eine Weiterentwicklung des „ersten Eindrucks“ eröffnen den Blick auf tiefer liegende Zusammenhänge und neue Handlungsmöglichkeiten. Dafür will das folgende Kapitel einige Anregungen anbieten.

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4 Nähere Klärung des Ausgangspunktes

Die erste Darstellung der Ausgangssituation ist so etwas wie ein „erster Eindruck“. In diesem Kapitel stellen wir einige Anregungen zusammen, die dazu verhelfen könnten, vom ersten Eindruck zu einer tiefer gehenden Darstellung, zu einer eigenen ‚praktischen Theorie‘ über die zu untersuchende Situation voranzuschreiten.

4.1 Vom „ersten Eindruck“… Eine Begebenheit, die John Elliott anlässlich eines Vortrages berichtete, soll als Einstieg in das Thema dienen. Das Humanities Curriculum Project9 sollte 14-16jährigen Schülerinnen und Schülern kontroversielle Themen aus dem Bereich der Human- und Sozialwissenschaften (wie z.B. Krieg und Frieden, Beziehungen zwischen den Geschlechtern, Arbeit usw.) nahe bringen. Die Unterrichtsstrategie, die innerhalb dieses Projekts erprobt wurde, bestand aus zwei zentralen Ideen: • LehrerInnen sollten von der Informationsrolle entlastet werden und als „neutrale Diskussionsleiter“ die Lernenden bei ihren Diskussionen unterstützen. • Ausschnitte aus Fachliteratur, Belletristik, Zeitungen usw. sollten verschiedene Positionen illustrieren und die SchülerInnen zu Diskussionen anregen. Eines Tages wurde Elliott, der Mitarbeiter in diesem Projekt war, in eine Schule gerufen: Es gäbe Probleme mit den Materialien. Die Schülerinnen und Schüler würden diese Materialien zwar lesen, es käme aber keine Diskussion zustande. Der Lehrer vermutete, dass die Texte zu schwierig seien. Die Lernenden, so seine Diagnose, könnten diese Texte einfach nicht verstehen. Um diesem Problem abzuhelfen, war der Lehrer nach und nach von der Unterrichtsstrategie des Humanities Curriculum Project ab- und dazu übergegangen, den SchülerInnen den Inhalt der Materialien durch Kurzvorträge zu erklären. Als Elliott von dieser Situation erfuhr, schlug er dem Lehrer vor, zusätzliche Informationen zu sammeln, um diese Situation besser verstehen zu können. Der Lehrer suchte sechs seiner Schülerinnen und Schüler aus, mit denen Elliott folgendes Interview führte: Interviewer (I): Was haltet ihr eigentlich von dieser neuen Art Unterricht? SchülerInnen (S): Mögen wir nicht!

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Für eine genauere Darstellung des Projekts vgl. Humanities (1983) und Posch et al. (1982).

Vom „ersten Eindruck“…

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I: Und was gefällt euch daran nicht? S: Diese Arbeitsblätter, diese Materialien mögen wir nicht. Die gefallen uns überhaupt nicht! I: Sind sie zu schwer? Und was gefällt euch dabei nicht? S: Nein, nein, wir verstehen sie schon. I: Könnt ihr sie wirklich alle verstehen? S: (etwas indigniert) Natürlich! I: Und wo liegt dann die Schwierigkeit? S: Die Schwierigkeit ist, dass wir überhaupt nicht mit dem übereinstimmen, was in den Papieren steht. I: So, ihr seid also anderer Meinung. Aber dann könnt ihr das in der Klasse ja sagen, dass ihr anderer Meinung seid. S: Oh nein, das kann man nicht. I: Warum nicht? S: Der Lehrer würde das nicht wollen. I: Warum das? S: Weil der Lehrer dieselbe Meinung hat wie diese Papiere. I: Wie wisst ihr das eigentlich, welche Meinung der Lehrer hat? S: (die SchülerInnen schauen ganz verwundert ob dieser Frage) Der Lehrer würde uns diese Papiere doch nicht geben, wenn er nicht mit dem übereinstimmte, was da drin steht, nicht wahr? (nach Elliott 1986). 

An dieser Geschichte sind mindestens zwei Aspekte bemerkenswert: Der erste ist so trivial, dass man ihn immer wieder vergisst: Was sich eine Lehrperson zu einem Thema denkt, was sie sagt und tut, können die SchülerInnen ganz anders auffassen. Die Tatsache, dass Intentionen und Handlungen von LehrerInnen erst vermittelt über Wahrnehmung und Interpretation durch SchülerInnen wirksam werden, kann besonders dann zu misslichen Situationen führen, wenn man Neues einführen will, wie es im obigen Beispiel geschah. SchülerInnen interpretieren die Vorgänge im Klassenzimmer auf der Basis ihrer Erfahrung mit Schule und Lehrpersonen. Will man neue Unterrichtsideen verwirklichen, will man die Rollen der Beteiligten verändern und tut man dies überfallsartig und ohne Erklärung, so hat man eine faire Chance zu scheitern. Die Einführung neuer Unterrichtsideen setzt die Veränderung der Wahrnehmungs- und Handlungsroutinen von LehrerInnen und SchülerInnen voraus. Dies ist meist ein längerfristiger Prozess, in dem sich alle Beteiligten erst die neuen Regeln bewusst machen müssen, sie erkunden und ihre Tragfähigkeit erproben müssen. Die zweite Botschaft dieser Geschichte  – und die soll uns im Folgenden weiter beschäftigen – lautet etwa so: Die erste Beschreibung, die jemand von einer Situation gibt, muss noch nicht den Kern der Sache treffen; auch dann nicht, wenn die Geschichte einigermaßen stimmig klingt und aus ihr neue Handlungsstrategien abgeleitet werden können. Manchmal stützt sich unser „erster Eindruck“ auf „gewohnte Erklärungen“ und „altbewährte Vorurteile“.

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes

Wenn es um die Weiterentwicklung der Situation in Schule oder Klassenzimmer geht, lohnt es sich, die Qualität des „ersten Eindrucks“ zu überprüfen und so eine sicherere Basis für die weitere Arbeit zu schaffen. Folgende Fragen können dazu dienlich sein: • Vernachlässigt der ‚erste Eindruck‘ vorliegende Informationen? Oft ergibt ein erster Eindruck gerade darum ein so stimmiges Bild, weil wir Daten, die an sich vorliegen oder leicht gewinnbar wären, nur selektiv nutzen und dabei Informationen, die unserem Bild der Situation widersprechen, allzu leicht übersehen. Vielleicht – so könnten wir unsere anfängliche Geschichte weiterspinnen – hatte der Lehrer schon einmal Hinweise darauf bekommen, dass die SchülerInnen mit der inhaltlichen Tendenz der verwendeten Materialien nicht übereinstimmten, hatte sie aber für unwichtig gehalten, da sie sich nicht in sein Bild der Situation einfügten, deren zentrales Element die „zu hohe Schwierigkeit der Texte“ war. • Enthält der ‚erste Eindruck‘ vage, mehrdeutige Begriffe? Oft übernimmt die ‚erste Geschichte‘ Begriffe aus der Alltagssituation, deren Mehrdeutigkeit gerade ein Faktor bei der Entstehung des Problems war. So ist aus der obigen Anekdote ersichtlich, dass man bei der Bearbeitung der Problemsituation nicht weitergekommen wäre, hätte man es bei der Erklärung „Die SchülerInnen mögen die Texte nicht“ belassen. „Nicht-Mögen“ ist ein mehrdeutiger Begriff. Der Lehrer erklärt „Nicht-Mögen“ mit der Schwierigkeit der Texte. Beim Interview ergibt sich eine andere Deutung des Begriffs: „Nicht-Mögen wegen Ablehnung der inhaltlichen Tendenz der Texte“. • Bleibt der ‚erste Eindruck‘ an der Oberfläche? Die erste Darstellung einer Situation besteht gelegentlich aus einer reichhaltigen Beschreibung verschiedener Ereignisse und Handlungen, ohne dass ihr möglicher innerer Zusammenhang angegeben und erklärt werden könnte. Man könnte sagen, dass eine solche Darstellung zwar die „Oberflächensymptome“ wiedergibt, sich aber zu keiner „Tiefeninterpretation“ vorwagt. Zu den Oberflächensymptomen gehören alle Beobachtungen und beobachtungsnahen Interpretationen, die sich auf das Problem beziehen, z.B. „Die SchülerInnen diskutieren nicht“. Zur Tiefeninterpretation gehören Interpretationsmuster, die geeignet erscheinen, viele Beobachtungen zu erklären und in Beziehung zueinander zu setzen, z.B. „Die SchülerInnen gehen davon aus, dass Texte, die der Lehrer austeilt, seine Meinung ausdrücken. Wenn sie mit der inhaltlichen Tendenz dieser Texte nicht übereinstimmen, diskutieren sie nicht, weil sie dem Lehrer nicht widersprechen wollen.“ Beide Ebenen hängen zusammen: Um ein Problem deutlich zu fassen, kann auf die Tiefeninterpretation nicht verzichtet werden, weil sie erst Zusammenhänge stiftet und weil vielfach nicht die Ereignisse selbst, sondern die Interpretationen und Phantasien, die sich daran knüpfen, etwas zum Problem werden lassen. Andererseits aber kann die Zuverlässigkeit von Interpretationen nur anhand der Oberflächensymptome geprüft werden (vgl. dazu M 15).

… über die Aktivierung zusätzlichen Wissens …

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• Wird im ‚ersten Eindruck‘ einer Erklärung vertraut, ohne sie mit konkurrierenden Erklärungsmustern zu konfrontieren? Die Geschichte aus dem Humanities Project illustriert recht deutlich, worauf diese Frage zielt. Der erste Eindruck, gespeist aus Voreinstellungen und Erfahrungen, ergibt ein augenscheinlich stimmiges Bild, dass nämlich die Ursache für die missliche Situation in der Schwierigkeit der Materialien zu suchen wäre. Dieses wird nicht mehr weiter bezweifelt und nicht mehr vor dem Hintergrund potentieller Alternativen – wie der „inhaltlichen Ablehnung der Texte durch die SchülerInnen“ – auf seine Erklärungskraft befragt. Handlungsprobleme und Diskrepanzerlebnisse sind nicht angenehm. Im Allgemeinen versucht man sich ihrer möglichst rasch zu entledigen. Indem Aktionsforschung vorschlägt, die raschen, ‚ersten Eindrücke‘ einer genaueren Prüfung zu unterziehen, verlangsamt sie die Problemlösung in der Hoffnung, dadurch die Chance auf verlässlichere Ergebnisse zu erhöhen.

4.2 … über die Aktivierung zusätzlichen Wissens … Um etwaigen Kurzschlüssen unserer ersten Formulierung eines Forschungsausgangspunktes auf die Spur zu kommen, schlagen wir vor, eine gewisse Zeit für die nähere Klärung des Ausgangspunktes zu verwenden. Was geschieht nun während einer „näheren Klärung des Forschungsausgangspunktes“? Allgemein kann man diese Phase durch zwei Prozesse beschreiben: • Einesteils versuchen sich forschende LehrerInnen zusätzliches Wissen zugänglich und für ihre Überlegungen fruchtbar zu machen. • Andernteils (und meist mit dem erstgenannten Prozess verbunden, gleichsam in einem Arbeitsgang geschehend) wird der „erste Eindruck“, die erste Formulierung des Forschungsausgangspunktes, durch dieses „zusätzliche Wissen“ einer Anfrage ausgesetzt, kritisiert und gegebenenfalls weiterentwickelt oder verändert. Im Fallbeispiel vom Beginn dieses Kapitels wurden dem Lehrer zusätzliche Informationen zur Ausgangssituation durch Interviews mit SchülerInnen zugänglich gemacht. Deren Ergebnisse stellten die erste Situationserklärung in Frage und boten eine alternative Deutung an. Neben Interviews steht uns eine Reihe von Wegen, zusätzliches Wissen zu erschließen, offen: a) Aktivierung unausgesprochenen Wissens: Wenn Sie in einer Situation handeln, bleibt Erfahrung zurück. Diese kommt in den Handlungsroutinen zum Ausdruck, ist aber nicht immer bewusst und der Reflexion zugänglich (vgl. Kap. 12.4.1). Durch verschiedene Maßnahmen kann versucht werden, dieses Wissen dem eigenen Nachdenken zugänglich zu machen:

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes

• Aktivierung unausgesprochenen Wissens durch Introspektion: Memos oder Tagebucheintragungen (vgl. Kap. 2) können zur Formulierung neuer Merkmale und Zusammenhänge einer Situation führen, die dem „ersten Eindruck“ verborgen geblieben sind. • Aktivierung unausgesprochenen Wissens durch Gespräche und Befragtwerden: Das „Geschichtenerzählen“ führt die Introspektion um einen Schritt weiter, verlangt es doch, eigene Erfahrung so zu ordnen, dass sie „erzählbar“ wird. Besonders wertvoll für die weitere Situationsklärung ist es jedoch, wenn die ZuhörerInnen beim Entstehen der Geschichte sich aktiv beteiligen dürfen; wenn sie Fragen stellen, um zusätzliche Informationen bitten und ihr vorläufiges Verständnis der Situation mitteilen dürfen. Das „Analysegespräch“, wie es in M 7 näher beschrieben wird, versucht mittels einiger einfacher Regeln eine solche Gesprächssituation herzustellen. Ein „Gespräch mit einem kritischen Freund“ (vgl. M 8) kann LehrerInnen, denen keine Kollegengruppe zur Verfügung steht, in ähnlicher Weise nützlich sein. • Aktivierung unausgesprochenen Wissens durch Ordnen des bewussten Wissens: Wie man Wissen ordnet und die dabei verwendeten Kategorien als Suchschema für das Auffinden und Formulieren neuer Informationen verwendet, wird in M 10 und M 11 dargestellt. Auch die Herstellung graphischer Schemata lädt dazu ein, die vorhandene Erfahrung auszuformulieren und macht gleichzeitig „Lücken“ deutlich (vgl. M 9). • Aktivierung unausgesprochenen Wissens durch „Lesen der eigenen Handlungen“: An zwei Beispielen soll verdeutlicht werden, was unter diesem mysteriösen Titel gemeint ist: Angelika ist Mitglied einer Gruppe von Primarschullehrpersonen, die ihren Unterricht in Richtung „Offenes Lernen“ umgestalten wollen. Sie erzählt, dass sie in die vielen Materialien, die sie verwendet, eine bessere Ordnung bringen will, um nicht mehr so viel Zeit für Wegräumen und Wiederfinden dieser Materialien zu verbrauchen. Während für sie als Zielperspektive „Ordnung“ einen sehr hohen Stellenwert hat, tauchen in der Schilderung ihrer tatsächlichen Handlungen immer wieder Passagen auf, in denen sie beispielsweise Arbeitsblätter nicht wieder in die dafür vorgesehene Mappe, sondern „irgendwohin“ (z.B. auf ein Fensterbrett im Klassenzimmer) legt und nicht nutzt. Im Gegensatz zur bewusst ausgedrückten Zielperspektive scheint ihre Handlung zu sagen: „Ordnung ist mir nicht so wichtig!“ Barbara macht im gleichen Schulversuch häufig arbeitsteilige Gruppenarbeiten, mit deren Ergebnissen sie in der Regel sehr zufrieden ist. Nicht zufrieden ist sie jedoch damit, dass der Informationsaustausch zwischen den Gruppen nicht klappt, weil oft zu wenig Zeit für eine Phase wechselseitiger Präsentation bleibt oder die SchülerInnen dafür schon zu müde wirken. Der Vorschlag einer Kollegin, die Präsentation am jeweils folgenden Morgen durchzuführen, und ihr intuitives Widerstreben dagegen machen Barbara klar, dass ihre bis dahin realisierte Unterrichtsstrategie zu sagen schien „Die Präsentation der Ergebnisse ist das ‚Letzte‘, ein ‚Zeitpolster‘, auf den im Zweifelsfall verzichtet werden kann!“ und auch, dass ein Abgehen von dieser Strategie – trotz anders lautender bewusster Zielformulierungen – gar nicht so einfach sein würde. 

… über die Aktivierung zusätzlichen Wissens …

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Lesen einer Handlung geht davon aus, dass ein Wissen in der Handlung steckt, das bisher ignoriert wurde, weil es mit vertrauten Bedeutungen und Zielperspektiven nicht in Einklang steht. Man kann sich dieses Wissen zugänglich machen, indem man die Handlung gleichsam naiv „liest“, d.h. von den gewohnten Bedeutungen und Zielperspektiven, die man einer Handlung unterlegt, absieht und die Handlung noch einmal anschaut, als ob sie etwas Fremdes wäre: sich dumm stellt, um klüger zu werden. Manchmal formulieren forschende LehrerInnen Ausgangspunkte und Zielperspektiven, die in diametralem Gegensatz zu ihrer bisherigen, oft tief verwurzelten Handlungspraxis stehen. Dieser Gegensatz bleibt unentdeckt, wenn das in der Handlung steckende Wissen nicht bewusst wird. In solchen Fällen wären ‚neue Handlungsstrategien‘ zur Verbesserung der Situation (z.B. ein verbessertes Ordnungssystem oder neue didaktische Maßnahmen bezüglich der Präsentation der Gruppenergebnisse) nicht einfach realisierbar, weil sie in einem unausgesprochenen Widerspruch zur gewohnten Handlungspraxis stehen. b) Einholen zusätzlicher, in der Situation vorliegender Informationen: Man kann sein bisheriges Wissen über die Situation, die man gerne weiterentwickeln möchte, auch dadurch überprüfen und verbessern, dass man zusätzliche Informationen erhebt – etwa durch eine nochmalige Beobachtung der Situation oder durch Interviews mit anderen beteiligten Personen. Grundsätzlich steht dafür das gesamte Inventar der Datensammlungsmethoden zur Verfügung, denen ein eigenes Kapitel gewidmet ist (vgl. Kap. 5). c) Erklärung ähnlicher Situationen durch Nicht-Beteiligte: Um alternative Erklärungen der zu erforschenden Situation zu entdecken, bieten sich an: • Befragungen von KollegInnen hinsichtlich ähnlicher Situationen; • Lesen dem Thema entsprechender Literatur, wie sie in Fachzeitschriften und -büchern vorliegt. Fremde Erklärungen können Ansatzpunkte für unser eigenes Nachdenken liefern (womit wir wieder auf Weg a wären) oder die Einholung zusätzlicher Informationen stimulieren (Weg b). Wichtig ist, dass solche Erklärungen den Status von Hypothesen und nicht den von verbindlichen Handlungsanweisungen haben. Insofern gilt für Erklärungen aus der Literatur oder von erfahrenen KollegInnen nichts anderes als für Erklärungen, die auf eigenem Wissen basieren (Weg a) oder aus dem Studium zusätzlich eingeholter Daten entstanden sind (Weg b): Sie sind hypothetisch; sie sind Anregungen für Forschung und Entwicklung, nicht deren Beendigung. d) experimentelles Eingreifen in bestehende Situationen: „Einer der besten Wege, die Welt zu verstehen, besteht im Versuch, sie zu verändern“, sagte Kurt Lewin (zit. nach Argyris et al. 1985, xii). Durch das Einführen von Änderungen, durch die Erprobung neuer Handlungen und die Beobachtung ihrer Resultate vertieft sich oft unsere Sichtweise der Situation, in der wir stehen. Einige Hinweise, die in diesem Zusammenhang nützlich sein könnten, finden sich im Kap. 7.

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes

4.3 … zur Formulierung einer eigenen praktischen Theorie Die „nähere Klärung des Forschungsausgangspunktes“ führt dazu, ein dichteres Bild der zu untersuchenden Situation, eine praktische Theorie über sie zu zeichnen. Mit „praktischer Theorie“ bezeichnet Elliott (2005, 28f; vgl. 12.4) die Wissensbasis, die PraktikerInnen in einer konkreten Handlung benutzen. Diese muss nicht von vornherein bewusst und verbal ausdrückbar sein, sondern kann auch als „unausgesprochenes Wissen“ vorliegen. Im ersten Unterkapitel besprechen wir einige Merkmale solcher Bilder, im zweiten werden einige Strategien beschrieben, die bei ihrer Gestaltung von Bedeutung sind. 4.3.1 Elemente und Zusammenhänge Welche Fragen werden während einer „näheren Klärung des Forschungsausgangspunktes“ gestellt? Üblicherweise erfolgt die klärende Arbeit in zwei Bereichen: a) Formulierung von Elementen der praktischen Theorie In die komplexe Situation des Forschungsausgangspunktes versuchen wir eine Ordnung hineinzubringen. Es geht uns einmal darum, die wichtigsten Elemente der zu erforschenden Situation zu identifizieren, sie von den weniger wichtigen abzugrenzen und möglichst anschaulich zu beschreiben. Wir fragen uns: • Was geschieht in dieser Situation? • Welche Ereignisse, Handlungen, Situationsmerkmale sind von Bedeutung? • Welche Personen setzen welche Handlungen? Versuchen wir, uns eine solche Klärung der Situation an einem Beispiel zu verdeutlichen. Ein Forschungsausgangspunkt könnte lauten: SchülerInnen scheinen während des Unterrichts ziemlich viel Zeit zu vergeuden. Wie kann ich das Ausmaß ihrer ‚aufgabenorientierten Tätigkeit‘ erhöhen?

Der erste Teil dieses Ausgangspunktes, der die Situation beschreibt (vgl. M 6), wird genauer untersucht: • Was machen SchülerInnen tatsächlich, wenn sie „Zeit vergeuden"? • Welche SchülerInnen vergeuden Zeit? • Gibt es unterschiedliche Formen, in denen sich „Zeit Vergeuden“ manifestiert? • Vergeuden verschiedene SchülerInnen Zeit mit ähnlichen oder sehr verschiedenen Tätigkeiten? • Was sollen sie eigentlich statt „Zeitvergeuden“ tun? • Gibt es typische Phasen im Ablauf einer Unterrichtsstunde, im Tagesablauf, gibt es typische Themen, bei denen am meisten „Zeit vergeudet“ wird? (nach Elliott 1981a, 5)



… zur Formulierung einer eigenen praktischen Theorie

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Die Suche nach wichtigen Elementen für die praktische Theorie darf sich nicht bloß auf das Geschehen in der Situation beschränken, sondern muss auch die Rahmenbedingungen berücksichtigen, in die die Situation eingebettet ist. Aktionsforschung findet ja nicht in einem Labor statt, in dem sich die ForscherInnen ihre Rahmenbedingungen weitgehend selbst schaffen können. Lehrpersonen forschen in der Schulrealität. Ihr eigenes Tun ist in ein Umfeld von Interessen und Handlungen anderer Personen eingebettet. Ihre Forschungs- und Veränderungshandlungen haben ihrerseits Auswirkungen auf andere. Als Leitfragen für die Klärung der Rahmenbedingungen können dienen: • Welche anderen Personen sind von meinen Forschungs- und Veränderungshandlungen betroffen? • Mit wem muss ich verhandeln, um mir Handlungsmöglichkeiten zu sichern bzw. sie zu erweitern? • Welche Merkmale der Institution, in der ich arbeite, sind für die zu erforschende Fragestellung von Belang? • Welche allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Erwartungen bestehen hinsichtlich meiner Fragestellung? b) Formulierung von Zusammenhängen der praktischen Theorie Solche Fragen führen schrittweise zu einem zweiten Aspekt der Situationsklärung: Uns interessieren nicht nur einzelne Merkmale der Situation, sondern auch deren Zusammenhang. Es geht uns nicht nur um Analyse, sondern auch um Synthese, es geht darum, die eigenen Vorstellungen über die Beziehung zwischen den wesentlichen Faktoren, die eigene Erklärung der Situation uns bewusst zu machen: • Wie kommt es zu dieser Situation? • Welche wichtigen Zusammenhänge zwischen Merkmalen, Faktoren, Handlungen usw. gibt es meiner Meinung nach? • Wie schaut meine persönliche Erklärung der Situation aus? Solche Erklärungen lassen sich in Sätzen wie den folgenden formulieren: • Je länger eine Phase dauert, in der immer die gleiche Arbeitsform verwendet wird, desto eher tendieren SchülerInnen dazu, aus dem Unterricht geistig auszusteigen und „Zeit zu vergeuden“ – weil ihre Konzentrationsfähigkeit begrenzt ist. • Äußerungen wie „gut“, „interessant“, „richtig“ usw., mit denen LehrerInnen Schülerideen kommentieren, können verhindern, dass alternative Ideen von SchülerInnen formuliert und diskutiert werden – weil sie solche Äußerungen als Gutheißen der zuvor geäußerten Meinung interpretieren, was sie davon abhält, weiter nachzudenken. • Wenn LehrerInnen selbst Meinungen zu kontroversiellen Themen ausdrücken, dann werden die Lernenden in der Regel nicht bereit sein, die Themen zu diskutieren und zu bewerten – weil sie meinen, dass Lehrende solche Interventionen mit einem ‚Wahrheitsanspruch‘ formulieren (vgl. Elliott 1981a, 6).



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Nähere Klärung des Ausgangspunktes

Solche Sätze formulieren Beziehungen zwischen einzelnen Merkmalen einer Situation (z.B. zwischen Lehreräußerungen und dem Diskussionsverhalten der SchülerInnen); dabei ist eine mögliche Erklärung dieser Beziehung ausformuliert oder mitgedacht (in unseren Beispielen nach den Gedankenstrichen festgehalten). Solche Sätze werden in der wissenschaftlichen Literatur üblicherweise Hypothesen genannt, und es gibt keinen Grund, von diesem Brauch in der Aktionsforschung abzugehen. Hypothesen bringen Teile des praktischen Wissens, der praktischen Theorie des Handelnden zum Ausdruck (vgl. Kap. 12.4.2). Einige Merkmale solcher Hypothesen sind für die praktische Forschungsarbeit beachtenswert: • Hypothesen müssen nicht richtig sein. Wie der Name schon sagt, formulieren sie eine vermutete Erklärung. • Eine Hypothese wirft Licht auf einen Aspekt einer komplexen Situation; sie ist nicht ihre vollständige Erfassung. Da Hypothesen unter spezifischen Situationsbedingungen untersucht wurden, bleiben auch bestätigte Hypothesen in neuen Situationen überprüfungsbedürftig (vgl. Cronbach 1975, 125). • Hypothesen geben die Beziehung zwischen bestimmten Situationsbedingungen und Handlungsmöglichkeiten an. Da Hypothesen Handlungsmöglichkeiten formulieren, können sie als Grundlage für Handlungsplanung und -ausführung genommen werden (vgl. Kap. 7). 4.3.2 Typische Sichtweisen bei der Formulierung praktischer Theorien Unserer Erfahrung nach gibt es einige typische Sichtweisen bei der Erklärung schulischer Situationen, die auch in die Formulierung praktischer Theorien Eingang finden. Sie sind wie Brillen, die wir mit Regelmäßigkeit in bestimmten Situationen aufsetzen, oft ohne dass wir ihrer gewahr würden. Wir wollen hier nicht suggerieren, dass es möglich wäre, völlig ohne Brille – völlig unbeeinflusst von Erklärungstendenzen und theoretischen Voreinstellungen – wahrzunehmen. Wir meinen aber, dass es hilfreich ist, auf diese Erklärungstendenzen ein wachsames Auge zu haben, weil sie häufig unbemerkt auftreten und unseren Erklärungen einen Drall in eine ganz bestimmte, von mehreren möglichen Richtungen versetzen. Wir schlagen also vor, bei der näheren Klärung des Ausgangspunktes sich diese Tendenzen von Fall zu Fall bewusst zu machen und ihnen zumindest zeitweise gegenzusteuern durch provokante Fragen wie: Kann es auch anders gewesen sein? Kann ich mir die Situation auch auf andere Weise erklären? Einige dieser „typischen Erklärungstendenzen“ sind im Folgenden dargestellt: a) Fördernde und hemmende Kräfte Häufig tendieren wir bei Situationsbeschreibungen dazu, viele negative Aspekte der Situation aufzuzählen. Es ist zwar zu erwarten, dass eine Analyse Zusammenhänge aufdeckt, die als negativ empfunden werden: Der Leidensdruck ist ja oft der un-

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mittelbare Anlass dafür. Für die Bewältigung des Problems ist dies jedoch zu wenig. Dazu ist es sinnvoll, auch jene Merkmale (Oberflächensymptome und Tiefeninterpretationen) herauszuarbeiten, die sich in der als belastend empfundenen Situation positiv auswirken, die z.B. dazu beitragen, dass die Situation nicht noch schlimmer ist oder die für den Betroffenen eine Art Halt darstellen. Diese fördernden Kräfte, die neben den hemmenden eine Situation bestimmen, sind jene, auf die man für die Veränderung der Situation „bauen“ kann. Die Unterscheidung zwischen fördernden und hemmenden Kräften ist auch deshalb zweckmäßig, weil sich manchmal bei genauer Betrachtung herausstellt, dass etwas, das an der Oberfläche als belastend erscheint, in Wahrheit auf eine versteckte Stärke hinweist (z.B. auf die Fähigkeit, auch mit einer chaotisch anmutenden Situation fertig zu werden). Eine Möglichkeit, sich die Übersicht zu erleichtern, besteht darin, hemmende und fördernde Merkmale einander gegenüberzustellen10 (vgl. Abb. 6). hemmende Kräfte

fördernde Kräfte

z.B. das Gefühl in einem von Grund auf morschen Gebäude zu sein

z.B. „… das ich anfangs halblächelnd als Scherz tolerierte“ (d.h. in der Lage sein, etwas als Scherz zu akzeptieren)

Abb. 6: Aussagen über fördernde und hemmende Kräfte aus der Beschreibung einer Unterrichtssituation (vgl. Posch 1985, 17f )

b) LehrerInnen als „Verursacher“ oder als „Schachfigur“ Man kann zwei gegensätzliche Selbstbilder unterscheiden: Das „Verursacher“Konzept, in dem sich Individuen als Ursache ihrer Handlungen erleben, und das „Schachfigur“-Konzept, in dem sich Personen durch äußere Umstände zu Handlungen getrieben sehen – gleichsam sich selbst als Schachfigur sehen, die von einer über ihnen stehenden, mächtigeren Hand bewegt wird (vgl. DeCharms 1998). Aktionsforschung legt nahe, besondere Aufmerksamkeit auf die Formulierung von Handlungsmöglichkeiten für forschende Lehrerinnen und Lehrer selbst zu verwenden und fördert damit – manchmal unbemerkt – die spezifische Perspektive, dass alle Handlungen und auch alle Veränderungen bei der Lehrperson beginnen. Diese Sichtweise ist einerseits durchaus sinnvoll, weil Aktionsforschung ja LehrerInnen befähigen soll, durch eigene Handlung eine Situation zu verändern. Nähme man aber nur diese Sichtweise ein, würde das Verständnis von Situationen, die fast im10

Eine Methode, fördernde und hemmende Kräfte bearbeitbar zu machen, ist die Kräftefeldanalyse (vgl. Altrichter/Messner/Posch 2006, 140 ff.)

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mer mehrfach bedingt und nicht nur durch die Handlung von LehrerInnen bestimmt sind, erschwert. Es empfiehlt sich daher von Fall zu Fall die gelegentlich doch etwas anmaßende Perspektive des „Verursachers“ einer kritischen Anfrage auszusetzen: In welchen Punkten habe ich welche Handlungsmöglichkeiten? Wo traue ich mir zu, sie auszunützen? Wo werden die Vorgänge vornehmlich von anderen Personen bestimmt? Andererseits gibt es viele Personen, auch LehrerInnen, die sich immer wieder als abhängig von äußeren Mächten verstehen und dazu tendieren, ihren eigenen Beitrag zur Situation und ihre Handlungsmöglichkeiten zu unterschätzen. Für diese bedeutet Aktionsforschung eine Relativierung ihres Selbstbildes, zielt sie doch gerade darauf ab, das Ausmaß der Handlungsmöglichkeiten von PraktikerInnen zu erkunden und in Richtung größerer professioneller Autonomie zu verändern. c) Kausale und systembezogene Sichtweise Noch ein Gesichtspunkt, der eigentlich die Gedanken der beiden vorigen Abschnitte weiterführt, kann dazu beitragen, den Ausgangspunkt näher zu bestimmen. Fördernde und hemmende Bedingungen stehen ja nicht beziehungslos nebeneinander, sondern in einem Zusammenhang, der „kausal“ oder „systembezogen“ gesehen werden kann. Die kausale Sichtweise braucht nicht näher erklärt zu werden, weil sie jedem vertraut ist. A ist Ursache von B. Schüler X stört den Unterricht, weil er weiß, dass er dafür Anerkennung von den MitschülerInnen bezieht. Die SchülerInnen sind nicht mehr freiwillig bereit, mitzuarbeiten, weil sie von meiner autoritären Vorgängerin gewohnt waren, nur auf Zwang zu reagieren. Der Vorteil dieser Sichtweise besteht darin, dass sie klare Verhältnisse zu schaffen scheint und eine Konfliktsituation vereinfacht. Sie erleichtert auch ihre moralische Interpretation, indem sie die Möglichkeit gibt, Schuld zuzuweisen (dem Schüler, der Kollegin, den Eltern oder auch sich selbst). Kausale Interpretationen haben aber auch ihre Probleme. Eines besteht darin, dass Situationen vielfach bedingt sein können, dass z.B. die Ursache des störenden Verhaltens eines Schülers nicht allein im betreffenden Schüler liegen muss, sondern auch bei vorangegangenen Ereignissen, an denen andere SchülerInnen, Eltern, ja auch die betreffende Lehrperson beteiligt gewesen sein können. Das Verhalten des Schülers ist demnach zumindest teilweise als Reaktion auf vorausgehende Ereignisse zu sehen. Diese Überlegung kann zur Vorsicht vor raschen Schuldzuweisungen mahnen. Sie ist aber kein grundsätzlicher Einwand gegen eine kausale Betrachtungsweise, sondern besagt nur, dass etwas, das vordergründig als Ursache erscheint, auch selbst wieder verursacht sein kann. Auf einer grundsätzlicheren Ebene liegt eine andere Überlegung. Angenommen, eine junge Lehrerin betritt erstmals eine neue Klasse: Sie wird wahrscheinlich etwas aufgeregt sein und instinktiv oder bewusst daran interessiert sein, die Kontrolle in der Klasse zu gewinnen. Dieses Bewusstsein wird sich in ihrem Auftreten ausdrü-

… zur Formulierung einer eigenen praktischen Theorie

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cken. Gleichzeitig wird sie aber auch jede Regung von Seiten der SchülerInnen sensibel wahrnehmen, auf ihre Bedeutung prüfen, und diese Interpretation wird wieder in ihr Verhalten einfließen. Sehen wir uns die Schülerinnen und Schüler an: Sie sitzen (oder stehen) gespannt in der Klasse, vielleicht skeptisch erwartungsvoll, und sind daran interessiert, vor dieser Lehrerin einzeln und als Gesamtheit zu bestehen. Dieses Bewusstsein wird sich in ihrem Verhalten ausdrücken. Gleichzeitig werden sie jede Regung der Lehrerin sensibel aufnehmen und auf ihre Bedeutung prüfen. Diese Interpretation wird in ihr Verhalten einfließen. Eine Unruhe einiger SchülerInnen interpretiert die Lehrerin als Gefährdung ihrer Stellung vor der Klasse. Das zaghafte Auftreten der Lehrerin interpretieren die SchülerInnen als Verunsicherung. Geht nun die Unruhe der Lernenden auf das Auftreten der Lehrenden zurück oder deren zaghaftes Auftreten auf die Unruhe der SchülerInnen? Dies lässt sich hier gar nicht beantworten, weil beides bejaht werden kann: Den SchülerInnen wird meist die erste Interpretation, der Lehrerin die zweite plausibel erscheinen. Man kann aber nicht feststellen, was zuerst war und damit als Ursache eher in Frage kommt. Bei dieser Sichtweise ist die Ursachenfeststellung zwar möglich, aber letztlich willkürlich. Was bleibt aber, wenn man auf die Suche nach Ursachen und Verursachern verzichtet? Es bleibt eine systembezogene Sichtweise (z.B. Selvini-Palazzoli 1991; Simon 2012; Willke 2006). Was heißt das? Bei dieser Sichtweise wird eine Klasse als System angesehen, bei dem jedes Mitglied der Klasse (die SchülerInnen und die Lehrperson) mit jedem Beziehungen unterhält. Jeder beeinflusst die übrigen Mitglieder und wird von diesen wieder beeinflusst. Eine Veränderung im Verhalten eines Mitglieds führt zu einer Veränderung im gesamten System. Jedes Verhalten kann man als Information für andere ansehen, die diese beeinflusst und zugleich Ergebnis von Einflüssen ist. Auch das „Nichtverhalten“ (z.B. das Schweigen von MitschülerInnen, wenn eine Schülerin den Unterricht stört), kann in diesem Sinn als Rückmeldung und damit als Information für den Störenfried, die Lehrperson und alle anderen SchülerInnen angesehen werden. Der amerikanische Psychologe Jerome Bruner (1974, 121) hat das damit Gemeinte sehr prägnant umschrieben: „Situationen haben einen Aufforderungscharakter, der sehr wenig mit den Motiven, die wirksam sind, zu tun zu haben scheint …“. Ein System ist ein Netz von gegenseitigen Beziehungen (Erwartungen, Verhaltensweisen, Wahrnehmungen), in das auch die Lehrperson eingebunden ist. Das Bild eines Netzes mit lebendigen Fäden erleichtert ein wenig das Verständnis. Ein bestimmtes Verhalten eines Schülers oder einer Lehrerin wird mitgetragen von allen anderen Fäden des Netzes und beeinflusst alle übrigen Fäden. Der Bewegungsspielraum eines Fadens ist aber begrenzt, soll das Netz nicht zerreißen. Es gibt längere Fäden und kürzere und es gibt Knoten im Netz. Das sind jene Stellen, an denen Fäden zusammenlaufen. Eine Klassensituation wird demnach „getragen“ vom gesamten Netz, wenn auch manche Teile des Netzes mehr, andere weniger daran beteiligt sein können.

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes

Was bringt die systembezogene Sichtweise? Sie ermöglicht es, andere Fragen zu stellen. Nicht die Suche nach Ursachen und Schuldigen eines Ereignisses steht im Vordergrund, sondern Fragen wie: Welche „Fäden“ (z.B. Erwartungen anderer SchülerInnen und LehrerInnen) sind an einem Ereignis (z.B. der Störaktion einer Schülerin) beteiligt? Welche Funktion erfüllt das Verhalten der störenden Schülerin für andere (auch für LehrerInnen)? Was sind „neuralgische Punkte“ (Knoten, bei denen viele Fäden zusammenlaufen) in einem Ereignis? Die systembezogene Sichtweise bringt noch etwas Anderes, Wichtigeres als neue Fragen: Sie kann zu einer nüchterneren, weniger emotionell belasteten und damit vielleicht auch gerechteren Einstellung zu Klassensituationen und störenden Schülerinnen und Schülern verhelfen, weil sie den Blick über den konkreten Anlass z.B. einer Störung auf das Umfeld der Störung (zu dem auch die Lehrpersonen gehören) weitet. Die gegenseitige Abhängigkeit der Elemente eines Systems führt zu einer Art Gleichgewicht (Spannungszustand des Netzes), zu dem die ruhigen und die unruhigen SchülerInnen in gleicher Weise beitragen. Die Aktionen einer störenden Schülerin können geradezu die „Normalität“ der „braven“ SchülerInnen bedingen und umgekehrt. Schließlich bietet diese Sichtweise auch einige Anregungen, ein Problem klar zu fassen. Durch die Informationen, die von den Elementen des Systems (SchülerInnen und LehrerInnen) zu einem Vorfall abgegeben werden, wird das System im Gleichgewicht gehalten. Es kann durch diese Rückmeldung aber auch verändert werden. D.h. es ist z.B. wichtig zu wissen, welche Informationen den ‚Störenfried‘ bestätigen (Informationen von SchülerInnen, aber auch von LehrerInnen) und welche dies nicht tun. Ein Beitrag zur Lösung kann eine Einflussnahme auf den Informationsfluss sein (etwa indem Meinungen von SchülerInnen zum Zug kommen, die bisher nicht geäußert werden konnten oder indem die Lehrperson sich deutlich über ihre Wahrnehmung einer Situation äußert).11 Eine wichtige Aufgabe der Analyse besteht darin, die „Knoten“ zu finden, bei denen jene Fäden zusammenlaufen, die für einen Vorfall besondere Bedeutung haben. Dazu gehören jene SchülerInnen, deren Reaktionen für die störende Schülerin sehr wichtig sind, oder Ereignisse, bei denen die Beziehungen, die den Vorfall „tragen“ und damit erst möglich machen, besonders deutlich werden (z.B. ein Ereignis, bei dem die Lehrperson SchülerInnen – aus Schülersicht – beleidigt oder herabgesetzt hat). d) Ganzheitliche und analytische Sichtweise Wir haben in diesem Kapitel eine Reihe von Hinweisen für eine „nähere Klärung des Forschungsausgangspunktes“ gegeben. Derartigen „klärenden“ Aktivitäten 11

Vgl. die Überlegungen zu „aktivem Zuhören“ und „Ich-Botschaften“ bei Gordon (2012).

Methodische Vorschläge zur näheren Klärung von Forschungsausgangspunkten

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wohnt selbst eine bestimmte Tendenz inne. Wenn wir Situationen und Probleme „klären“ und analysieren, verfahren wir notgedrungen selektiv und reduktionistisch (vgl. genauer Kap. 6.1). Wir reduzieren die Komplexität, der wir uns in der Schule gegenübersehen, auf einige wenige, besonders wichtige Merkmale, die dann in einfachen Zusammenhängen gesehen werden. Daraus ergibt sich oft ein recht übersichtlicher „Mechanismus der Wirklichkeit“. Dieser Tendenz muss während des Forschungsprozesses von Fall zu Fall gegengesteuert werden. Es sollte vermieden werden, das „reduzierte und mechanisierte Modell“ nach und nach mit der Handlungsrealität in eins zu setzen, die ja viel reicher als unser Modell ist. Folgende Maßnahmen können zu einer solchen Gegensteuerung geeignet sein: • Die formulierten Hypothesen nicht voneinander isolieren, sondern immer wieder in ihrem Zusammenhang sehen. • Weiters empfiehlt es sich, die spezifischen Situationsbedingungen, für die die Hypothese zunächst formuliert wurde, nicht aus dem Auge zu verlieren, indem man von Fall zu Fall fragt: Unter welchen Bedingungen gilt die Voraussage meiner Hypothese? Unter welchen gilt sie nicht mehr?

4.4 Methodische Vorschläge zur näheren Klärung von Forschungsausgangspunkten Bevor wir nun Methoden und Übungen zur „näheren Klärung von Forschungsausgangspunkten“ vorstellen, wollen wir Ihnen noch einige Erfahrungen mit dieser Forschungsphase aus unserer eigenen Tätigkeit mitteilen: 1. Die „nähere Klärung der Ausgangssituation“ sollte nicht nur nebenher erledigt werden; sie ist Teil des Forschungsprozesses, sollte aber auch nicht übertrieben werden. Die „Klärung der Situation“ ist letztlich Aufgabe des gesamten Forschungsprozesses; wollte jemand vollkommene Klarheit über alle Bedingungen der Situation, bevor er eine Handlung setzt, so käme er nie zum Handeln. „Der Prozess der Analyse ist ein endloser, aber im Rahmen von Aktionsforschung muss er um der Handlung willen unterbrochen werden. Und der Zeitpunkt für eine solche Unterbrechung sollte dann sein, wenn man hinreichend Vertrauen in die formulierten Hypothesen hat, so dass sie die Handlung anzuleiten erlauben“ (Elliott 1981a, 7).

2. Der Zeitraum, der für Maßnahmen zur „Situationsklärung“ investiert wird, kann sehr unterschiedlich sein. Er wird von der Komplexität der zu erforschenden Fragestellung, vom Ausmaß an Erfahrung und vorangegangener Reflexion, von der Zugänglichkeit wesentlicher Informationen, von der Verfügbarkeit von Erklärungsmustern und Theorien zur Erschließung der Situation usw. abhängen. Die folgende Faustregel kann hier ein gewisser Trost sein: Der Gesamtaufwand, der in einem Forschungsprozess für müßiggängerische Reflexion, wie z.B. „Situationsklärung“, aufgewandt wird, ist immer ungefähr gleich. Wenn man in

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes

frühen Phasen der Forschung daran spart, muss man später investieren und umgekehrt. 3. Auch wenn man in frühen Phasen viel Mühe auf eine tiefgehende Situationsklärung verwendet, wird sich das einmal erreichte Ergebnis im Verlaufe der weiteren Forschung wieder verändern, nicht weil die Situationsklärung ‚falsch‘ war, sondern weil die eigene Forschung Fortschritte macht. Forschenden LehrerInnen geht es ja nicht um die bloße Bestätigung einmal gewonnener Einsichten, sondern um eine Weiterentwicklung, Vertiefung und Differenzierung. Alle Handlungen, sowohl solche, die sich primär als Unterrichtshandlungen verstehen, als auch jene, die eher als Forschungsaktivitäten aufzufassen sind, können neue Einsichten eröffnen – gleichgültig, ob sie am Beginn oder eher gegen Ende eines Forschungsprozesses erfolgen. Sie zu vernachlässigen und zu verdrängen – wie es gelegentlich in wissenschaftlicher Forschung geschieht, die auf die Bestätigung ihrer zu Beginn gesetzten Hypothesen aus ist12 – ist für PraktikerInnen langfristig unökonomisch. Verdrängtes wird sich der Lehrperson früher oder später wieder aufdrängen und ihre Arbeitssituation sowie die ihrer SchülerInnen belasten. 4. Gelegentlich ist die „Situationsklärung“ sogar bereits das wichtigste Ergebnis eines Forschungsprozesses. Ein gutes Beispiel dafür gibt eine Fallstudie von Piber (1988). Das Interview mit einer als schwierig erlebten Schülerin führte zur Aufklärung eines Missverständnisses und zu einer neuen Einschätzung der Situation durch die Lehrerin. Durch dieses „Anders-Sehen“ entspannte sich das Verhältnis zwischen Lehrerin und Schülerin, was wiederum ein verändertes Umgehen miteinander erlaubte. Man kann sagen, dass sich in diesem Fall durch die „Situationsklärung“, durch das dadurch angeregte „Anders-Sehen“ der Sachlage, die Situation selbst geändert hat, ohne dass systematisch neue Handlungsweisen erprobt worden wären. Im Folgenden werden einige konkrete Methoden zur „näheren Klärung des Forschungsausgangspunktes“ aus unserer praktischen Arbeit vorgestellt. 4.4.1 Gespräche M 7 Analysegespräch in einer Gruppe Dieses Verfahren erlaubt es, sich wichtiger Merkmale von Situationen, die erforscht werden sollen, bewusster zu werden und das Verständnis ihrer Zusammenhänge zu vertiefen. Es setzt voraus, dass die Situationsanalyse nicht individuell, sondern in einer Gruppe durchgeführt wird. Beim Analysegespräch wird eine Situation auf folgende Weise analysiert: 12

vgl. die Argumentationen bei Cronbach (1975) und Glaser/Strauss (2010).

Methodische Vorschläge zur näheren Klärung von Forschungsausgangspunkten

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1. Falldarstellung: Die Person, die einen Fall analysieren möchte, schildert der Gruppe den Sachverhalt so, wie sie ihn aktuell sieht. Die Falldarstellung soll kurz sein; wir schlagen max. 5 Minuten vor. Sie kann beispielsweise durch eine Visualisierung auf einem Flipchart-Poster unterstützt werden. 2. Fragen: Anschließend an die Falldarstellung besteht die Aufgabe der übrigen TeilnehmerInnen darin, durch Fragen ein umfassendes und möglichst stimmiges Verständnis der Situation aufzubauen. Dabei haben sich einige Regeln bewährt:  Nur Fragen: Alle Fragen sind erlaubt. Es ist aber auch erlaubt, keine Antwort darauf zu geben („Darauf weiß ich jetzt nichts.“ „Das muss ich noch überlegen.“ „Das möchte ich in diesem Kreis nicht sagen!“)  Keine eigenen Anekdoten: Äußerungen über ähnliche Erfahrungen sollten vermieden werden. Mit dieser Regel soll eine Konzentration auf die Situation des/der Berichtenden erreicht werden.  Kritische Äußerungen (auch in Fragen verkleidete) sollten nicht zugelassen werden. Diese Regel, die vor allem am Beginn eines Gesprächs wichtig ist, soll bei der berichtenden Person den Eindruck vermeiden, sie müsse sich verteidigen.  Lösungsvorschläge sind nicht erlaubt: Diese Regel soll sicherstellen, dass die Suche nach einem tiefer gehenden Verständnis des Problems nicht durch die viel weniger mühevolle Sammlung von (mehr oder minder passenden) Rezepten gestört wird. Zur Analyse einer Situation haben sich vor allem drei Arten von Fragen als geeignet erwiesen:  Fragen zur Konkretisierung einer Bemerkung, z.B. die Bitte, ein Beispiel zu schildern oder über einen Vorfall detaillierter zu berichten.  Fragen zum gedanklichen (theoretischen) Hintergrund, z.B. die Bitte um Begründung einer Maßnahme, die getroffen wurde. Fragen zur Systemerweiterung, z.B. die Bitte, auf die Rolle von Personen  oder Ereignissen einzugehen, die etwas mit dem Fall zu tun haben könnten. 3. Ein/e Gesprächsleiter/in beobachtet die Einhaltung dieser Regeln. • Er/sie kann auch selbst Fragen stellen, ohne sich dadurch in den Vordergrund zu spielen und die Fragerunde zu dominieren. • Normalerweise sollten „Kettenfragen“ (eine Person stellt nach einer Antwort weitere Zusatzfragen) vermieden werden, um „Verhör-Situationen“ zu vermeiden. Dadurch ist die Chance auch größer, dass das Ergebnis als eine Gruppenleistung erfahren wird. • Auch sollte man der Tendenz, ‚lange Begründungen‘ vor jeder Frage zu geben, entgegenarbeiten („Jede/r darf jede Frage stellen. Begründungen sind dafür nicht notwendig!“)

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes • Die Fragephase sollte nicht zu früh abgebrochen werden (Vorschlag: mindestens 20 bis 30 Minuten), weil sich unserer Erfahrung oft erst nach 10 bis 20 Minuten, in denen die Oberfläche des Falles abgesucht wird und die „Fragenden“ ihren eigenen Bildern nachgehen, das Gespräch an Tiefe gewinnt. 4. Für den Abschluss des Verfahrens bieten sich verschiedene Alternativen an: • Die Standard-Version besteht darin, den/die „Fallbringer/in“ um eine abschließende Äußerung mit dem Tenor „Was mir nach diesen Fragen durch den Kopf geht …“ zu bitten. Diese Version betont Eigentümerschaft und Situationskontrolle der FallbringerInnen, denen keine „guten Tipps“ von außen gegeben werden. Sie ist besonders in „fragilen Situationen“ und bei großer Abwehr gegenüber externer Intervention angebracht. In anderen Situationen kann die Irritation durch andere Perspektiven sinnvoll sein bzw. der/die Fallbringer/in gerade an den Interpretationen und Handlungsideen der „Fragenden“ interessiert sein. Dafür sind folgende Vorgangsweisen geeignet: • Nach Ende der Fragephase bietet der/die Gesprächsleiter/in dem/der Fallbringer/in an, selbst eine Frage an alle oder ausgewählte TeilnehmerInnen zu stellen. • Nach Ende der Fragephase bittet der/die Gesprächsleiter/in alle TeilnehmerInnen um ein kurzes Blitzlicht zum Impuls „Was mir nach dieser Fragerunde durch den Kopf geht …“ Bei sehr stark lösungsinteressierten und stabilen „FallbringerInnen“ könnten folgende Settings angemessen sein: • Der/die Gesprächsleiter/in bittet nach Ende der Fragephase alle TeilnehmerInnen um eine kurze Äußerung zum Thema „Mein nächster Schritt in dieser Situation wäre …“ • Nach Ende der Fragephase bittet der/die Gesprächsleiter/in die TeilnehmerInnen (außer den/die Fallbringer/in) sich jeweils in verschiedene Perspektiven von AkteurInnen der geschilderten Situation hineinzudenken (z.B. Eltern, betroffene und nicht betroffene SchülerInnen, SchulleiterIn; diese Perspektiven können durch Karten mit entsprechenden Aufschriften sichtbar gemacht werden). Nach einer kurzen Überlegungsphase geben die einzelnen TeilnehmerInnen bekannt, welchen ‚nächsten Schritt‘ sie sich aus ihrer speziellen Perspektive wünschen würden. Der/die Fallbringer/in hört zu und macht sich Notizen. Danach gibt er/sie ein Abschlussstatement, das nicht mehr diskutiert wird. • Alle TeilnehmerInnen diskutieren eine Zeit lang ihre Sichtweisen des Falles und Optionen für nächste Schritte. Der/die Fallbringer/in klinkt sich für

Methodische Vorschläge zur näheren Klärung von Forschungsausgangspunkten

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diese Zeit aus dem Gespräch aus, hört der Diskussion zu und macht sich Notizen. Nach der Diskussion gibt der/die Fallbringer/in ein Abschlussstatement, das nicht mehr diskutiert wird. Erfahrungen: Solche Analysegespräche haben sich als fruchtbares Mittel zur Vertiefung des Verständnisses eines Problems herausgestellt, wobei vor allem der Zusammenhang der an einem Problem beteiligten Faktoren und neuralgische Punkte („Knoten“) sichtbar werden, an denen Lösungsmöglichkeiten ansetzen können. Wir haben bei der Leitung von Analysegesprächen immer wieder festgestellt, dass nach einer „Durststrecke“ von 10 bis 20 Minuten, in denen die Oberfläche abgesucht wird, das Gespräch an Tiefe gewinnt und für alle Beteiligten zu einer menschlich und intellektuell bereichernden Erfahrung werden kann. Die menschliche Bereicherung ergibt sich aus dem Ernst, dem Mitgefühl und auch der persönlichen Betroffenheit, die entstehen kann. Auch die Erfahrung, durch gute Fragen etwas zum Verständnis beitragen zu können, spielt dabei eine Rolle. Die intellektuelle Bereicherung ergibt sich aus der Erkenntnis von Zusammenhängen zwischen Beobachtungen, Annahmen, Bewertungen, die zwar zunächst nur die Situation einer Kollegin oder eines Kollegen erhellen, die aber mittelbar auch etwas für das eigene Selbstverständnis bringen. Den größten Gewinn aus einem Analysegespräch zieht meist die Person, deren Fall bearbeitet wird. Abgesehen von der Beziehung zu den KollegInnen, die sich in einem solchen Gespräch entwickelt, wird ihr die Situation klarer und differenzierter bewusst. Dies kann auch auf dramatische Weise erlebt werden, wenn sich ihre Problemsicht durch das Gespräch wesentlich verändert und ihr selbst Lösungsansätze bewusst werden. Gleichzeitig bringt aber eine differenzierte Sichtweise oft auch eine emotionelle Entlastung mit sich. Die Rolle von GesprächsleiterInnen ist nicht immer einfach, weil sie auf die Einhaltung von Regeln achten müssen, die in alltäglichen Gesprächen nicht üblich sind und daher von den TeilnehmerInnen leicht „vergessen“ werden. Sie sollten jedoch auf regelwidrige Äußerungen aufmerksam machen, um zu verhindern, dass das Gespräch an der Oberfläche hängen bleibt. Manchmal kann es auch erforderlich sein, Fragen nicht zuzulassen, die zu „tief“ greifen, bei denen die mit der Antwort mitschwingende persönliche Betroffenheit größer sein könnte als das Vertrauen, das sich in der Gruppe entwickelt hat. Eine zu große Betroffenheit und emotionale Beteiligung steht auch der Analyse im Wege, weil sie meist von der systembezogenen Sichtweise weg und zu einer einseitigen kausalen Interpretation hinführt (bei der die Ursachen unter Umständen nur mehr in der eigenen Person gesucht werden).

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes Im Verlauf der Analyse sollten Fortschritte in drei Bereichen gemacht werden: • Die Situation, in der das Problem auftritt, sollte geklärt werden (Kenntnis der Oberflächensymptome). • Es sollte ein Verständnis für „positive“ wie „negative“ Ursachen und Bedingungen entstehen, die vermutlich an der analysierten Konstellation beteiligt sind (Verbesserung der Tiefeninterpretation). • Ein Bewusstsein davon, was anders sein könnte, sollte (im Handeln und im Denken) entstehen. Dabei ist die Plausibilität und Stimmigkeit der Erkenntnisse für die betroffene Person wichtiger als die „objektive“ Stringenz der Argumente. M 8 Gespräch mit kritischen FreundInnen Sollten Sie keine Kollegengruppe zur Verfügung haben, die willens ist, sich an einem Analysegespräch zu beteiligen, so können sie Ähnliches auch mit einer Einzelperson durchführen, mit der Sie ein gutes Gesprächsklima und eine gewisse Vertrauensbasis haben. Sicherlich werden Gespräche mit Kolleginnen oder Kollegen nicht nach so strikten Regeln, wie für Analysegespräche vorgesehen, ablaufen. Dennoch kann es auch in solchen Konstellationen sinnvoll sein, auf eine Gesprächsdisziplin zu achten, die jener von Analysegesprächen ähnelt: Wenn ich eine Kollegin oder einen Kollegen dabei unterstützen will, seine Situation zu klären, so ist es sinnvoll, mich eine Zeitlang auf das Erfassen der fremden Situation zu konzentrieren und • nur Informationsfragen, die das eigene Verständnis erhöhen sollen, zu stellen, sowie • auf Kritik und Lösungsvorschläge zu verzichten, um den Reflexionsprozess der Kollegin oder des Kollegen nicht zu behindern oder in eine bestimmte Richtung zu drängen.

Gespräche mit KollegInnen haben in der Aktionsforschung einen wichtigen Stellenwert (Altrichter 2002). Das gilt nicht nur für die in diesem Kapitel besprochene Phase der Situationsklärung, sondern für den gesamten Forschungsprozess. Die GesprächspartnerInnen sollen dabei kritische Freunde sein. Das heißt, sie sollen sich in die Situation des Gegenübers einfühlen können und ihm mit Sympathie gegenüberstehen, gleichzeitig aber auch bereit und in der Lage sein, informationsreiche und ehrliche Rückmeldung zu geben. LehrerInnen, die in einem kleinen Team forschen, arbeiten wahrscheinlich unter günstigeren Bedingungen als einzelne. In Lehrveranstaltungen und Fortbildungskursen regen wir die Bildung von Forschungstandems oder -triaden an. Die PartnerInnen solcher Kleingruppen verfolgen jeweils eine eigene Forschungsfragestellung, stehen einander aber als „kritische Freunde“, als erste Ansprechpartner zur Aussprache über Forschungserfahrungen und zur Hilfe bei der Datensammlung (Unterrichtsbeobachtung, Interviews usw.) zur Verfügung.

Methodische Vorschläge zur näheren Klärung von Forschungsausgangspunkten

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4.4.2 Graphische Darstellungen Üblicherweise entstehen Theorien aus einer verbalen Darstellung der Situation, die dann nach und nach bis auf einzelne Sätze, die die wesentlichsten Aspekte der Situation (die Hypothesen eben) wiedergeben sollen, abgemagert werden. Miles/Huberman (1984, 21f ) haben an erzählenden Texten (und anderen daraus abgeleiteten sprachlichen Formen der Theoriedarstellung) kritisiert, dass sie die menschlichen Informationsverarbeitungsfähigkeiten überfordern und gerade darum simplifizierende Interpretationen nahe legen. Sie plädieren für den verstärkten Einsatz von graphischen Daten- und Theoriendarstellungen. Während narrative Texte, die ihre Information entsprechend der sequentiellen Struktur der Sprache organisieren, nur schwer nicht-sequentielle Ereignisse übersichtlich mitteilen können, erlauben Graphiken die Darstellung vieler Informationen und ihres Zusammenhanges in einer strukturierten, schnell zugänglichen und kompakten Form. Miles/Huberman (1984, 33) geben einige allgemeine Ratschläge für das Anfertigen von graphischen Darstellungen: • Beschränken Sie die Graphik, wann immer möglich, auf eine DIN A4-Seite. • Rechnen Sie mit einigen Wiederholungen, Veränderungen und Modifizierungen. Oft sind einige Anläufe für die Herstellung einer befriedigenden graphischen Darstellung nötig. Die Graphik soll keine Zwangsjacke für die Forschung sein, sondern stellt so etwas wie einen Plan des gerade erforschten Gebietes dar. Zweck der Forschung ist es gerade, zu einer Weiterentwicklung dieser Pläne beizutragen. • Vermeiden Sie risikolose Darstellungen. Wenn die Elemente einer praktischen Theorie nur sehr allgemein definiert sind und alles mit allem in wechselseitigen Beziehungen zusammenhängt, dann besteht die Gefahr, dass die Theorie zwar leicht bestätigt werden kann, aber keinerlei Erklärungswert mehr hat. Besser ist es, seine Vorstellungen in möglichst konkreter und eindeutiger Weise auszudrücken. Je genauer eine praktische Theorie formuliert ist, desto hilfreicher wird sie für unsere weitere Arbeit. • Verwenden Sie die graphische Darstellung für Ihre Weiterentwicklung. Praktische Erfahrungen, fremde Theorien und Forschungsergebnisse können in die Graphik eingetragen werden. Sie wird dadurch zu einem Hilfsmittel der Entdeckung von Parallelen, Überlagerungen, Widersprüchen und Lücken und regt zu Verfeinerungen, Veränderungen und Spezifizierungen des Geltungsbereiches an. Im Folgenden wird ein konkreter Vorschlag zur Gestaltung solcher graphischer Darstellungen angeführt. Viele weitere Beispiele finden sich in Miles/Huberman (1984). Der angeführten Methode ähneln „Problem mapping“ (Easton 1992), „Weingartner-Appraisal-Legetechnik“ (Schlottke/Wahl 1983), „subjektive Pfadanalyse“ (Feldmann 1982) und „Heidelberger Legetechnik“ (Scheele/Groeben 1988).

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes

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M 9 Graphische Rekonstruktionen Graphische Rekonstruktionen dienen der näheren Klärung der Situation, aber auch zur Datenanalyse im Allgemeinen (vgl. Kap. 6). Vorgehensweise: 1. Lesen Sie die Daten durch (z.B. Ihre erste Beschreibung der Ausgangssituation). 2. Schreiben Sie die wichtigsten Merkmale der Situation, wichtige Ereignisse und Handlungen, die in Ihren Daten vorkommen, auf kleine Karten (Karteikarten)13. Schreiben Sie danach die wichtigsten Rahmenbedingungen der Situation ebenfalls auf Kärtchen. Sie sollten v.a. zu Beginn nicht zu viele Kärtchen haben, weil ihre Aufgabe sonst zu unübersichtlich wird; 8-16 Kärtchen sind in der Regel ideal. (Wenn bei dieser Tätigkeit neue Themen auftauchen, die in Ihrer ersten Schilderung des Ausgangspunktes keine Rolle gespielt haben, können Sie diese ohne weiteres auch auf Karten schreiben). 3. Versuchen Sie nun, die Art der Beziehung zwischen den Kärtchen zum Ausdruck zu bringen. Dazu können Sie weitere Kärtchen mit Beziehungssymbolen verwenden. Am häufigsten werden wahrscheinlich die folgenden gebraucht: A

B

B folgt zeitlich auf A

A

B

A bewirkt B

A

B

A

Ind.

B

Wechselwirkung zwischen A und B B ist Indikator für A

Die grundlegende Idee der graphischen Rekonstruktionen ist: Da man die wesentlichen Elemente graphisch (und nicht in einem Redestrom) repräsentieren muss, ist es notwendig, sich zu beschränken, Prioritäten zu setzen, knapp und klar zu sein. Das kann dazu verhelfen, die wichtigen Züge einer Situation herauszufinden. Die Arbeit mit den verschiebbaren Kärtchen erleichtert das Durchspielen verschiedener Konfigurationen so lange, bis Sie eine gefunden haben, die die Ausgangssituation zufriedenstellend rekonstruiert. 4. Wenn Sie eine Darstellung der Ausgangssituation gefunden haben, die Sie wirklich zufrieden stellt, halten Sie sie in Form eines graphischen Diagramms fest. Heben Sie dieses Diagramm auf. Sie können im weiteren Verlauf Ihrer Forschung feststellen, in welchen Punkten sich Ihre Anschauungen ändern. Sie können das Diagramm auch dazu verwenden, neue Handlungen, die Sie erproben wollen, in Ihrer persönlichen Theorie, die durch das Diagramm dargestellt wird, 13

Viele unserer methodischen Vorschläge lassen sich auch computerbasiert umsetzen. So würde sich für diese Übung z.B. die Verwendung von OneNote anbieten.

Methodische Vorschläge zur näheren Klärung von Forschungsausgangspunkten

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zu lokalisieren: An welchen Elementen meiner Theorie setzen Innovationshandlungen an? Warum gerade dort und nicht an anderen Stellen? Ein Beispiel: Es stammt aus der Untersuchung einer Statistiklehrveranstaltung an einer Universität. Die Kursleiterin beschrieb die Ausgangssituation, die sie erforschen wollte, folgendermaßen: Die Studentinnen und Studenten stellen keine Fragen. Letztes Jahr haben sie gefragt und da war alles unproblematisch. Aber wenn sie keine Fragen stellen, dann weiß ich nicht, ob sie es verstanden haben. Wenn sie ihre Probleme artikulieren würden, könnte ich es noch einmal und besser erklären. 

In einem späteren Gespräch wurde die Sichtweise der Situation von der Hochschullehrerin folgendermaßen differenziert: Der Lehrprozess zerfällt in zwei Teile: Die Hochschullehrerin meint, dass ihre Erklärungen während der ersten Phase meist nicht sehr verständlich sind. Aber auch wenn die StudentInnen die Erklärungen nicht verstehen (und in der Folge auch die Rechenbeispiele nicht richtig lösen), so geben diese doch das Material ab, aus dem die Fragen entstehen, die den Ausgangspunkt für die zweite Phase des Lehrprozesses bilden. In dieser Phase sind die Erklärungen der Hochschullehrerin viel besser, weil sie sich auf spezifische Aspekte des Stoffes konzentrieren kann. Wenn StudentInnen keine Fragen stellen, so glaubt sie nicht, dass sie alles verstanden haben. In diesem Fall hat sie aber auch keine Chance, mit ihren besser verständlichen Erklärungen der zweiten Phase zu beginnen; so ist es auch unwahrscheinlich, dass StudentInnen den Stoff verstehen. Das ist für sie frustrierend (vgl. Altrichter 1985a). 

Auf der Basis dieser Aussagen wurde die graphische Rekonstruktion in Abb. 7 erstellt.

1. Phase

S: verstehen in der Regel die Erklärung nicht voll

L: erklärt ein Thema

S: machen selbstständig ein Übungsbeispiel und haben dabei Schwierigkeiten

S: stellen Fragen 2. Phase

ja L: erklärt das Thema spezifischer und besser

Abb. 7: Graphische Rekonstruktion

nein

S: verstehen die Erklärungen

S: haben nichts gelernt

S: haben das Thema gelernt

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes

4.4.3 Ordnen von Erfahrungen Graphische Schemata zielen darauf ab, die Erfahrungen, die für einen Forschungsausgangspunkt vorliegen, auszuformulieren, sich die vorhandenen Voreinstellungen bewusst zu machen und „Lücken“ zu entdecken. Derselbe Zweck kann auch mit anderen Methoden erreicht werden. M 10 Eine Geschichte aus Karten Versuchen Sie über einen bestimmten Zeitraum hinweg (z.B. je nach Fragestellung ein bis drei Wochen) praktische Situationen zu beobachten, die für Ihren Forschungsausgangspunkt von Bedeutung sind. 1. Beschreiben Sie jede dieser Situationen möglichst genau auf einer DIN A5 Karte. 2. Am Ende dieses Zeitraumes nehmen Sie alle diese Karten her und lesen sie durch. 3. Versuchen Sie eine allgemeine Erklärung der beobachteten Situationen schriftlich zu formulieren. 4. Überprüfen Sie diese Erklärung, indem Sie für jede einzelne Karte folgende Fragen beantworten: Lässt sich die auf dieser Karte beschriebene Situation mit den Begriffen meiner allgemeinen Erklärung darstellen? Wie? Wenn die ursprüngliche Situation dadurch stark entstellt oder allgemein-konturlos wird: Welche Veränderungen und Präzisierungen müssen an der Erklärung angebracht werden? M 11 Drei Listen: Merkmale – Bedingungen – Handlungsmöglichkeiten Eine Fallstudie von Kaser enthält ein einfaches, aber wirkungsvolles Instrument zur Ordnung eigener Erfahrungen. Die Autorin erstellte zur näheren Klärung ihrer Forschungsfragestellung („Eine schwierige Klasse“) drei Listen, mit deren Hilfe sie entsprechende Erfahrungen und Ideen ordnete. Die erste dieser Listen trug die Überschrift „Merkmale der zu erforschenden Situation“. Ein Ausschnitt daraus sieht so aus: „Maßnahmen, die sich in den Jahren vorher als wirksam erwiesen haben, zeigen in dieser Klasse keine Wirkung. Auf die Klasse zugeschnittene Erziehungsmaßnahmen fruchten nur sehr langsam, Änderungen sind nicht beständig. • Beispiel: ‚Schweigetage‘, die mit den Kindern ausgehandelt wurden, sollen den Wert von Ruhe bewusst machen. Alle Kinder waren begeistert, wünschten sich bald wieder einen Schweigetag, brüllten jedoch am Tag darauf genauso unbeherrscht wie vorher. Andere Klassen waren durch diese Maßnahme dauerhaft ruhiger geworden. • Beispiel: ‚Wir bekämpfen den Schweinehund‘ – diese Aktion sollte zu mehr Selbstbeherrschung führen, eigenes Verhalten bewusst machen. Große Begeisterung war vorhanden und starke Bereitschaft sich vom ‚Schweinehund‘ nicht beherrschen zu lassen, langfristig war aber kaum eine Änderung festzustellen“ (Kaser 1985, 2).

Methodische Vorschläge zur näheren Klärung von Forschungsausgangspunkten

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Die zweite Liste sammelte „Vermutete Bedingungen und Einflüsse“, z.B.: • „Es gibt in den Familien kaum Situationen, in denen den Kindern ausreichend zugehört wird, die Familie gemeinsam aktiv ist. Geschichten, die den Kindern wichtig sind, müssen in der Schule erzählt werden. Viele Kinder haben echte Probleme innerhalb der Familie (Scheidung, Krankheit, …). • Die Schüler haben ein Bewegungsdefizit: Wohnungen in Wohnblöcken, übermäßiger Fernsehkonsum, Schulweg im Auto … Bewegungs- und soziale Bedürfnisse können nur in der Schule befriedigt werden“ (Kaser 1985, 3). Unter der Frage „Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es, um die Situation zu verbessern?“ wurden auf der dritten Liste alle Ideen für eine Veränderung der Situation notiert, z.B.: • „Schüler verstärkt in die Gestaltung von Unterricht einzubeziehen, war ein Versuch die Aufmerksamkeit zu steigern, die Ablenkungen zu verringern. Zuerst machte ich es eher gefühlsmäßig, zuletzt führte ich eine gezielte Aktion durch (…). Die Beschäftigung mit dieser Problematik regte mich an, mich mit Literatur zu dem Thema zu befassen. • Im Vorjahr bearbeitete ich in einer Lehrveranstaltung Disziplinschwierigkeiten. In  einer Seminararbeit befasste ich mich intensiv mit einem besonders schwierigen Schüler. Das brachte eine dauerhafte und gründliche Verbesserung dieses konkreten Einzelproblems“ (Kaser 1985, 5). 

Eine derartige Vorgangsweise regt dazu an, die eigene Erfahrung systematisch abzusuchen, um das zu untersuchende Phänomen möglichst umfassend zu beschreiben und sich vorhandene Voreinstellungen bewusst zu machen. Sie bietet weiters die Möglichkeit, die erreichte Situationsklärung einer Überprüfung auszusetzen, indem Querverbindungen zwischen den drei Listen hergestellt werden, z.B. auf folgende Weise: Welche Einflüsse sind meines Erachtens für welche Merkmale ausschlaggebend? Welche anderen Merkmale kann ich noch nicht erklären? Welche weiteren Einflüsse gibt es? M 12 Von Kategorien zu Hypothesen Die „klassische Methode“ der Forschung, um eigene Vorerfahrungen zu einem Thema bewusst zu machen und zu ordnen, ist die Formulierung von Hypothesen. Am Ausgangspunkt steht zumeist eine wenig strukturierte Menge von Informationen (Erfahrungen, angelesenes Wissen oder Daten). Bei der Bearbeitung dieser Informationsmenge wird versucht, sie zu ordnen, indem „wichtige Faktoren“ bzw. Kategorien identifiziert und von „unwichtigen“ geschieden werden und indem Zusammenhänge zwischen diesen Kategorien explizit gemacht werden. Im Unterschied zur graphischen Rekonstruktion (vgl. M 9) wird das Ergebnis der Analyse allerdings nicht bildhaft, sondern sprachlich ausgedrückt.

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes Im Folgenden wird die Vorgangsweise bei der Hypothesenformulierung in Schritte aufgegliedert und an einem Beispiel verdeutlicht (vgl. auch die praktischen Hinweise zur Datenkodierung in M 34): 1. Vergegenwärtigen Sie sich zunächst Ihre Vorerfahrungen zur fraglichen Situation (wie sie z.B. in Ihrem Forschungstagebuch, in schon erhobenen Daten, als angelesenes Wissen oder auch im Gedächtnis vorliegen). Das folgende (nur ausschnitthaft wiedergegebene) Gedächtnisprotokoll hat ein Lehrer im Anschluss an die Betrachtung einer Videoaufnahme einer seiner Unterrichtsstunden angefertigt. Es soll als Beispiel für die Vorerfahrungen des Lehrers dienen. Die aufgenommene Stunde zeigt wieder einmal das von mir beklagte Phänomen: In dieser Klasse kommt keine Diskussion zustande, die durch die Schülerinnen und Schüler selbst für einige Zeit am Leben gehalten wird. Selbst wenn ich Fragen stelle oder provozierende Meinungen formuliere, gibt es üblicherweise nur wenige Reaktionen und dann ist das Thema wieder erledigt. (…) Bei der Beobachtung habe ich ein Muster bemerkt, das viermal wiederkehrte: Zuerst wird das – durchaus kontroversielle – Diskussionsthema präsentiert (Beim ersten Auftreten des Musters geschah dies durch das Arbeitspapier, das alle zu lesen hatten, die übrigen Male durch eine von mir gestellte Frage). Dann gibt es ein bis drei Schülerwortmeldungen zu dieser Frage. Danach formuliere ich meine Ansicht zu dieser Frage. Darauf melden sich jeweils nur mehr ein bis zwei Schüler zu Wort (in einem Fall überhaupt keiner mehr). Flaut die Diskussion nach meinem Statement ab? 

2. Schreiben Sie alle auftauchenden „Kategorien“ untereinander auf eine Liste. Dazu müsste man eigentlich wissen, was eine „Kategorie“ ist. Das ist nun leider schwer allgemein zu erklären, doch es sei versucht (vgl. auch M 34): • Eine „Kategorie“ ist ein meist durch ein Hauptwort (samt Ergänzungen) umschriebener Begriff, der für einen „Text“ aufschlüsselnde Kraft hat; d.h. mit seiner Hilfe kann im Text Ordnung gemacht werden. • Die Ordnung entsteht dadurch, dass mehrere, ev. sprachlich unterschiedlich formulierte Phänomene unter diesem Begriff zusammengefasst werden. • Durch die Formulierung als „Kategorie“ werden im Sinne der Fragestellung als wichtig erachtete Phänomene von „unwichtigen“ (die eben nicht als „Kategorie“ formuliert werden) unterschieden. Vielleicht ist es einfacher, sich den Begriff „Kategorie“ anhand von Beispielen zu eigen zu machen. Wir schlagen Ihnen als Übung vor, den oben zitierten Text durchzulesen und eine Liste mit Kategorien anzufertigen, die für das Verständnis der beschriebenen Situation bedeutsam sein könnten und die im Text bereits enthalten sind (also: keine „Tiefeninterpretationen“ des Textes in dieser Übung).

Methodische Vorschläge zur näheren Klärung von Forschungsausgangspunkten

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Meine Kategorienliste: ______________________________________________________ ______________________________________________________ ______________________________________________________ ______________________________________________________ Wir selbst haben diese Übung auch durchgeführt und dabei folgende Kategorienliste erstellt: Klassendiskussion (entstanden aus: „In dieser Klasse kommt keine Diskussion zustande …“) Lehrerfrage (entstanden aus: „Selbst wenn ich Fragen stelle oder provozierende Meinungen formuliere …“) Präsentation des Diskussionsthemas (entstanden aus: „… wird das – durchaus kontroversielle – Diskussionsthema präsentiert …“) Schüler-Äußerung zu kontroversiellem Thema (entstanden aus: „gibt es üblicherweise nur wenige Reaktionen …“, „… gibt es ein bis drei Schülerwortmeldungen …“ und „melden sich jeweils nur mehr ein bis zwei Schüler zu Wort“) Abflauen der Diskussion (entstanden aus: „Flaut die Diskussion …“) Lehrer-Äußerung zu kontroversiellem Thema (entstanden aus: „… formuliere ich meine Ansicht zu dieser Frage.“) 

Wenn Sie selbst eine sprachlich oder inhaltlich abweichende Liste erstellt haben, müssen Sie noch nichts „falsch“ gemacht haben. Vielleicht sehen Sie eine andere Ordnung in die Situation hinein, als wir das taten. Wer „recht hat“, zeigt sich letztlich erst an der Brauchbarkeit (d.h. an der „aufschlüsselnden Kraft“) einer Kategorie für die weitere Forschung. Auf jeden Fall ist es aber nützlich, abweichende Lösungen verschiedener Personen (also z.B. Ihre und unsere) genauer zu analysieren, um unterschiedliche Blickrichtungen, die sich gerade in den größeren Abweichungen ausdrücken, besser zu verstehen. Wenn Sie dazu Gelegenheit haben, diskutieren Sie diese Abweichungen mit Ihren „Forschungspartnern“. 3. Ist die Liste der Kategorien fertig gestellt, überprüfen Sie dieses Zwischenprodukt: • Gibt es „Kategorien“, die dasselbe Phänomen beschreiben und leicht zu einer Kategorie zusammengefasst werden können? • Gibt es „Kategorien“, die als spezifische Ausprägungen eines gemeinsamen Überbegriffs (der entweder schon in der Liste enthalten sein kann oder erst ihr hinzugefügt werden muss) zu verstehen sind?

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes Beispielsweise ist „Abflauen der Diskussion“ nur ein anderes Wort für „Nachlassen der Schüler-Äußerungen zu kontroversiellem Thema“. Wir belassen die allgemeinere Kategorie „Schüler-Äußerungen …“ und streichen „Abflauen der Diskussion“ aus unserer Liste. 

4. Beim Lesen der Daten und bei der Erstellung der ersten Kategorienliste tauchen üblicherweise Ideen über Zusammenhänge dieser Kategorien auf, die jetzt ausformuliert werden sollen. Stellen Sie eine Liste von Hypothesen her, die die vermuteten Zusammenhänge zwischen diesen Kategorien angeben. Üblicherweise werden Hypothesen in einer „Wenn-Dann“-Form formuliert. Nehmen Sie probeweise zwei Kategorien aus Ihrer eigenen Kategorienliste und versuchen Sie, einen möglichen Zusammenhang als Hypothese zu formulieren. Meine Hypothese: ______________________________________________________ ______________________________________________________ ______________________________________________________ ______________________________________________________ Eine Hypothese, die wir unter Verwendung unserer Kategorienliste aufgestellt haben, lautet z.B.: Wenn mehr „Lehrer-Äußerung zu kontroversiellem Thema“, dann weniger „Schüler-Äußerung zu kontroversiellem Thema“. 

Oder in etwas eleganterer sprachlicher Form: Wenn die Lehrperson selbst häufiger Meinungen zu kontroversiellen Themen ausdrückt, dann nimmt die Häufigkeit der Schüler-Reaktionen zum kontroversiellen Thema ab. Oder etwas weniger präzise, aber praxisnäher als Frage formuliert: Schränke ich durch Äußerung meiner Sichtweisen zu einem kontroversiellen Thema die Bereitschaft der SchülerInnen ein, sich selbst an der Diskussion zu beteiligen? 

Hypothesen kann man auch als Interpretationen oder Erklärungen bezeichnen. Mit ihrer Hilfe wird nicht nur Ordnung in die Daten gebracht, sondern es werden auch Zusammenhänge sichtbar und zumindest grundsätzlich verständlich gemacht. Unser gesamtes Handeln beruht in diesem Sinne auf Hypothesen, wobei allerdings die meisten uns gar nicht als solche bewusst werden, sondern sich in den „selbstverständlichen“ Alltagsroutinen verstecken. Aktionsforschung bietet die Möglichkeit, die Vertrauenswürdigkeit von Hypothesen zu erhöhen, indem sie einem Prüfprozess unterzogen werden.

Entwicklung oder Forschung?

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5. Überprüfen Sie die nun vorliegende Hypothesenliste nach folgenden Kriterien: • Welche „Kategorien“ tauchen in den Hypothesen nicht oder kaum auf? Warum nicht? (Haben Sie zu diesen Kategorien keine „theoretische Vorstellung"? D.h. wissen Sie nicht, was sie eigentlich bedeuten? Lassen sich nur triviale Zusammenhänge formulieren? Lassen sich nur Zusammenhänge formulieren, bei denen kaum eine Chance besteht, sie zu untersuchen bzw. zu überprüfen?) • Zu welchen Hypothesen haben Sie bereits viele Erfahrungen (Belege? Beispiele?) und welche sind eher spekulativ? • Was müssen Sie noch in Erfahrung bringen, d.h. welche Daten benötigen Sie noch, um die Hypothese zu überprüfen. Welche Unterrichtshandlungen sind noch nötig, um zu diesen Daten zu kommen?

4.5 Entwicklung oder Forschung? Durch die Klärung der Fragestellungen schält sich nach und nach heraus, welchen Schwerpunkt Ihr Vorhaben hat: 1 Entwicklung: Wenn nach Ihrer ersten Situationsklärung  – im Sinne von M 6  – Aussagen über Entwicklungsrichtungen, die Ihr Handlungsinteresse andeuten (z.B. Wie kann ich den Anteil aufgabenorientierter Tätigkeit während einer Gruppenarbeit vergrößern?), im Zentrum Ihrer Aufmerksamkeit stehen, dann ist Ihr Vorhaben schwerpunktmäßig ein Entwicklungsprojekt. Die Bewegung von Ihrer Situationseinschätzung (Ihrer ‚praktischen Theorie‘) über (ev. neue) Aktionsideen zur Handlung in Ihrer Praxissituation steht hier im Mittelpunkt (vgl. Abb. 8). Der nächste Schritt nach der ersten Klärung des Ausgangspunktes besteht dann darin, jene Handlungsstrategien zu entwickeln und festzulegen, von denen Sie sich eine Weiterentwicklung der Situation erwarten. (vgl. dazu die Hinweise in Kap. 7). Wenn die Handlungsstrategien überprüft werden sollen, rücken Forschungsinteressen in den Vordergrund: die Handlungsstrategien werden dann als Hypothesen angesehen, die anhand von Daten überprüft werden können. 2 Forschung: Wenn zunächst – im Sinne von M 6 – Fragen, die Ihr Erkenntnisinteresse andeuten (z.B. Welche produktiven und welche unproduktiven Tätigkeiten von SchülerInnen kommen in meinen Englischstunden häufig vor? Verhalten sich verschiedene Schülergruppen unterschiedlich?) im Vordergrund stehen, dann hat Ihr Projekt einen Schwerpunkt in Richtung Forschung und Erkenntnis. Dabei werden Informationen über Praxis gesammelt und nach verschiedenen theoretischen und praktischen Gesichtspunkten interpretiert. Wie in Abb. 8 angedeutet, steht dann die Bewegung von der Aktion über die weitere Informationssammlung zur Interpretation aller verfügbaren Informationen in einer ‚praktischen Theorie‘ im Mittelpunkt des Interesses. In diesem Fall besteht der nächste Schritt von PraxisforscherInnen nach ihrer ersten Klärung des Ausgangspunktes darin,

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes festzulegen, welche zusätzlichen Informationen mit welchen Methoden erhoben und interpretiert werden sollen (vgl. dazu Kap. 5 und 6). Auf der Grundlage des dabei gewonnenen Verständnisses lassen sich dann neue Handlungsmöglichkeiten entwickeln und Entwicklungsinteressen befriedigen. Bei Vorhaben des Typs „Forschung“ kann man zwei Herangehensweisen unterscheiden: In eher explorativen Projekten steht das bessere Verständnis von Praxissituationen im Zentrum der Bemühungen. Wenn Sie eine Praxissituation nicht nur verstehen, sondern auch vor dem Hintergrund von Zielvorstellungen und Erfolgskriterien beurteilen wollen, dann hat Ihr Projekt evaluativen Schwerpunkt (vgl. Altrichter/Messner/Posch 2006). Die für Forschung typische Bewegung von der Aktion über die Informationssammlung zur Interpretation dieser Informationen wird bei Evaluationen durch eine wertende Einschätzung des Verhältnisses zwischen den Zielen und der Praxis ergänzt. Fragen der Angemessenheit und Wirksamkeit von bestehender oder innovativer Praxis stehen dann im Vordergrund. 2 Forschung

Informationssammlung (Daten, Feedback)

3. Zielklärung

Aktion

3. Zielklärung

Ziele und Bewertungskriterien

3. Zielklärung

3. Zielklärung

Konsequenzen: Aktionsideen und Handlungsstrategien

1 Entwicklung

Abb. 8: Entwicklung und Forschung im Aktions-Reflexions-Kreislauf

Interpretation und Auswertung (praktische Theorie)

Entwicklung oder Forschung?

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3 Zielklärung: Sowohl in Entwicklungs- als auch in Forschungsprojekten taucht früher oder später die Frage auf, welche Ziele und Werte die untersuchten oder weiterzuentwickelnden Phänomene repräsentieren und wie diese vor den pädagogischen Wertvorstellungen der AkteurInnen zu rechtfertigen sind. Handlungen in pädagogischer Praxis sind Verkörperungen pädagogischer Werte in konkreter, interaktioneller Gestalt, sagt John Elliott (1991; vgl. Kap. 1.2 und 12.5). Aus dem ergibt sich, dass in unserer alltäglichen Praxis ohnehin Ziele und Werte enthalten sind. Oft sind uns diese allerdings nicht oder nur zum Teil bewusst. Dies fällt in normal ablaufender Praxis nicht weiter auf, kann aber dann deutlich werden, wenn • wir oder andere Interaktionspartner mit der gegenwärtigen Handlungspraxis unzufrieden sind, was an einer Diskrepanz zwischen den von uns angestrebten und eventuell auch öffentlich proklamierten Zielen und jenen, die unseren realen Handlungen implizit sind, liegen kann. • wir mit KollegInnen und anderen Beteiligten kooperative Entwicklungsarbeit betreiben wollen. Dabei zeigt sich gar nicht selten, dass KollegInnen auf einer verbalen Ebene über Zielformulierungen zwar übereinstimmen, aber unterschiedliche Wege zu ihrer Verwirklichung im Sinn haben, und dass KollegInnen, denen andere Ziele und Werte wichtig sind, auf durchaus ähnliche Handlungsstrategien zurückgreifen wollen. • wir selbst oder andere unsere Praxis evaluieren wollen: Dies erfordert, dass derzeit gängige und mögliche Ziele und Erfolgsindikatoren explizit gemacht und jene Ziele – und die ihnen zugeordneten konkreten Erfolgsindikatoren – festgelegt werden, die für die kommende Evaluation gültig sein sollen. Überall dort, wo es sich nicht um eine Selbstevaluation handelt, die im Wesentlichen im Handlungsfeld einer Person bleibt (also z.B. bei einer Schulevaluation, die mehrere oder alle Mitglieder der Schule betrifft; oder bei einer ‚externen Evaluation‘, die von externen Instanzen durchgeführt wird), ist die Einigung über gültige Ziele und Erfolgsindikatoren nicht nur eine Frage untersuchungstechnischer Qualität, sondern auch eine solche von sozialer Qualität und Gerechtigkeit, die sauber gestaltete Aushandlungsprozesse erfordert (vgl. Altrichter/ Messner/Posch 2006, 26f und 87ff). In allen diesen Fällen ist eine bewusste Zielklärung notwendig, d.h. die impliziten Ziele pädagogischer Praxis und die Hoffnungen, die eventuellen Neuerungen unterlegt sind, müssen explizit gemacht werden – und zwar so konkret, dass die Beteiligten wissen, an welchen konkreten Handlungen, Prozessen, Merkmalen, Ergebnissen usw. diese Ziele beobachtet und evaluiert werden sollen. Wenn Ziele und Werte so konkret formuliert wurden, dass sie für die Beobachtung und Evaluation von Praxis verwendet werden können, dann sprechen wir von Indikatoren oder – v.a. bei Evaluationen – von Erfolgsindikatoren. In Kap. 4.6 stellen wir Ihnen zwei Methoden vor, die wir mit

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes

Lehrergruppen verwendet haben, um eine Übereinstimmung über zu evaluierende Ziele und die ihnen zugeordneten Erfolgsindikatoren zu erarbeiten. Praxisforschungsprojekte – so unsere Behauptung – werden immer sowohl forschende als auch entwickelnde als auch zielklärende Aktivitäten umfassen. Wozu dann diese Unterscheidung? Zunächst ist es einmal gut zu wissen, was unsere aktuellen Interessen sind und worauf man gerade sein besonderes Augenmerk lenken soll. Längerfristig – so die Grundidee der Aktionsforschung – werden in einem Praxisforschungsprojekt jedoch immer alle diese Momente enthalten sein: Man will die eigene Praxis besser verstehen, um sie produktiv weiterentwickeln zu können. Man will eigene Entwicklungen in Gang bringen und Handlungsinteressen umsetzen. Und man will diese im Hinblick auf die angestrebten Ziele und Erfolgskriterien begleitend reflektieren und erforschen, um einerseits die ‚Logik‘, die hinter der neuen Situation steht, zu verstehen und andererseits auch zu fragen, ob die eigenen Hoffnungen durch die Neuerung erfüllt wurden und dies auch von den Interaktionspartnern so erlebt wird. Womit beginnen, wie in Aktionsforschungsprozesse einsteigen? Hier gibt es keine allgemeine Regel. Ob der erste Schritt Ihrer forschenden Unterrichtsentwicklung eher forschenden, entwickelnden oder zielklärenden Charakter hat, hängt von Ihrer speziellen Situation und Ihren Interessen ab (vgl. Kap. 9.3.3 und Abb. 34), und verschiedene Wege können zum Ziel führen. Die Planung und Konzeption von Praxisforschungsprojekten im Sinne der englischen Aktionsforschung geschieht auch nicht ‚mit einem Schlag‘ zu Projektbeginn, sondern schrittweise: Nach den ersten Forschungs- oder Entwicklungsschritten erfolgt eine Zwischenanalyse, in der bisherige Erkenntnisse und Entwicklungen zusammengesehen werden. Auf ihrer Basis wird dann entschieden, was der nächste Schritt im Projekt sein soll und ob dieser eher ‚forschend‘, eher ‚entwickelnd‘ oder eher ‚zielklärend‘ sein wird. Schrittweise Projektplanung heißt nicht, dass alles ad hoc entschieden wird, und sie muss nicht ‚unsystematisch‘ sein: Sie geht von einer zu Beginn explizierten Frage- und/oder Entwicklungsrichtung aus. Diese kann sich wohl im Verlaufe des Forschungs- und Entwicklungsprozesses ändern; sie tut das aber nicht dauernd, einem unruhigen Oszillieren gleich, sondern zu den speziell hervorgehobenen Punkten der Zwischenanalysen. Diese können eben auch ergeben, dass das – bis dahin erarbeitete und z.T. durch das Projekt produzierte – Wissen eine Veränderung der Frage- und/oder Entwicklungsrichtung nahe legt.

4.6 Zielklärung und Entwicklung von Erfolgsindikatoren Wie vorgehen bei der Zielklärung und der Formulierung von Erfolgsindikatoren? Im Folgenden finden Sie zwei Methoden, die wir in den vergangenen Jahren mit verschiedenen Lehrergruppen und in Schulentwicklungsprojekten erprobt haben.

Zielklärung und Entwicklung von Erfolgsindikatoren

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Wichtig erscheint uns – noch einmal – der Hinweis, dass es bei allen Evaluationsprojekten, bei denen mehrere Personen betroffen sind, nicht nur um eine klare und ‚technisch saubere‘ Formulierung von Zielen und Erfolgsindikatoren geht, sondern auch darum, dass in diesen Formulierungen, die Ansprüche und Sichtweisen der unterschiedlichen betroffenen Gruppen und Personen in sozial fairer und den pädagogischen Zielen der Schule angemessener Weise zum Ausdruck kommen. Auf die sozialen Aspekte von Zielklärung können wir im Rahmen dieses Buches nicht weiter eingehen; weitere Hinweise dazu finden Sie in Altrichter/Messner/Posch (2006, 92-135). M 13 Ziele konkretisieren und Erfolgsindikatoren formulieren Auf welche Weise können Ziele konkretisiert und Qualitätsindikatoren formuliert werden? Der folgende Vorschlag zeigt einige wichtige Schritte auf: Wenn eine Person, eine Gruppe oder Schule die Ist-Situation in einem ihrer Arbeitsbereiche überprüfen will, muss sie • Zielperspektiven und Wertvorstellungen erarbeiten (Stichwort ‚Ziele‘), • sich darüber klar werden, welche Merkmale des schulischen Lebens den Zielperspektiven entsprechen (würden) (Stichwort ‚Realisierungen‘), • festlegen, woran man erkennen kann, dass und inwieweit diese Merkmale tatsächlich vorhanden sind (Stichwort ‚Indikatoren‘), • Instrumente kennen, mit denen dies festgestellt werden kann (Stichwort ‚Instrumente‘). Im Folgenden wird der Prozess, in dem sich eine Schule mit ihrer Qualität auseinandersetzen könnte, am Beispiel des Themas „Klassen- und Schulklima“ illustriert. 1. Schritt (Ziele): Worin bestehen meine/unsere Zielsetzungen? Hier geht es um die Formulierung wesentlicher Zielsetzungen, die die pädagogische Arbeit leiten sollen. Solche Zielsetzungen sind im praktischen Handeln oft implizit enthalten und können durch ‚Lesen eigener Handlungen‘ (vgl. Kap. 4.2) herausgearbeitet werden. Didaktische und andere schulische Innovationen sind mit bestimmten Zielen und Erwartungen verbunden; für ganze Schulen finden sich diese oft in den Leitideen von Schul- oder Qualitätsprogrammen. Im Hinblick auf das Thema „Klassen- und Schulklima“ könnte eine solche Zielsetzung folgendermaßen lauten: 0. Wir bemühen uns um ein Schulklima, in dem sich LehrerInnen und SchülerInnen wohlfühlen und zu hohen Leistungen angeregt werden. 

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes 2. Schritt (Realisierungen): Was wird getan bzw. was muss geschehen, um diesem Ziel zu entsprechen? Neben den Leitzielen, die oft für die ‚gesamte‘ pädagogische Arbeit Orientierungscharakter haben, werden üblicherweise konkrete Maßnahmen – hier ‚Realisierungen‘ genannt – entworfen, die spezielles Potential für die angestrebten Ziele haben sollen – z.B. Unterrichtsarrangements und -methoden, curriculare Angebote (z.B. Informatik-Schwerpunkt, zusätzliche Förderangebote usw.), außercurriculare Angebote (z.B. eine von einer Schülergruppe angeregte Vortragsreihe zur politischen Bildung, eine Schulgalerie usw.) oder bestimmte ‚Regeln‘, die das Verhalten in zielrelevanten Situationen (z.B. bei Prüfungen, bei Rückmeldungen auf Schülerarbeiten usw.) orientieren sollen. In unserem Beispiel könnten beispielsweise folgende Realisierungsmöglichkeiten erarbeitet werden: 1. LehrerInnen und SchülerInnen begegnen einander mit Respekt und Wertschätzung. 2. Die Regeln für die Arbeit in der Schule werden gemeinsam erstellt und getragen. 3. Fehler werden auch als Lernchancen gesehen. 4. Die Schulräume werden unter Mitarbeit der SchülerInnen sorgfältig gestaltet und in gemeinsamer Verantwortung betreut. 

3. Schritt (Erfolgsindikatoren): Woran kann man erkennen, dass die Zielsetzungen verwirklicht werden? Sodann werden konkrete und beobachtbare Merkmale gesucht, aus denen abgelesen werden kann, ob die angestrebten Ziele auch verwirklicht wurden. Einige Beispiele dafür:

1.1 1.2

2.1 2.2 3.1 4.1

0.1 Die Schule hat ein – verglichen mit Schulen ihres Typs – überdurchschnittlich gutes Schulklima. 0.2 SchülerInnen zeigen bei Leistungsüberprüfungen überdurchschnittlich hohe Werte. Im Umgang zwischen LehrerInnen und SchülerInnen gibt es – in der Wahrnehmung der Betroffenen – keine Abwertungen. Es gibt in der Schule allgemein bekannte Verfahrensweisen, mit denen Konflikte zwischen LehrerInnen und SchülerInnen auf eine Weise gelöst werden, die die Würde aller Beteiligten wahrt. Die Hausordnung wurde in einem demokratischen Prozess formuliert. Die schulischen Regeln gelten für alle Gruppen in gleicher Weise. Es gibt schriftliche Arbeiten, die von den Lehrenden kommentiert und von den SchülerInnen weiterbearbeitet werden. Jede Klasse hat ein eigenes ästhetisches Ambiente. 

Bei der Konkretisierung von Zielen ist die Gewinnung geeigneter Indikatoren der schwierigste Teil. Je präziser die Erfolgsindikatoren sind, desto einfacher sind Auswahl und Einsatz geeigneter Evaluationsverfahren und desto größer ist die

Zielklärung und Entwicklung von Erfolgsindikatoren

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Chance auf verwertbare Ergebnisse der Evaluation. Allerdings: Je präziser (und damit besser messbar) der Erfolgsindikator ist, desto weniger vom Inhalt des ursprünglichen Ziels deckt er zumeist ab (d.h. in der technischen Sprache der Evaluation: desto weniger ‚Validität‘ – Gültigkeit für das eigentlich zu messende Phänomen – kommt ihm zu). Da Validität aber zu den wichtigsten Qualitätsmerkmalen eines Indikators gehört und ein Indikator, der wesentliche Aspekte des Ziels nicht zum Ausdruck bringt, wertlos ist, muss ein vernünftiger Abgleich zwischen Validität und Präzision gefunden werden. Einige Anregungen zur Entwicklung von Indikatoren finden Sie in M 14. 4. Schritt (Instrumente): Mit welchen Instrumenten kann man das feststellen? Im letzten Schritt wird schließlich festgelegt, mit welchen Instrumenten der Datensammlung relevante Informationen für die gewünschten Indikatoren erhoben werden können. Als Methoden zur Beobachtung dieser Indikatoren kommen in unserem Beispiel die folgenden in Frage:

zu 2.1 zu 2.2 zu 3.1 zu 4.1

zu 0.1 Schulklima-Test zu 0.2 TIMSS-Vergleichsaufgaben zu 1.1 und 1.2 Gespräche mit SchülerInnen und LehrerInnen Gespräch mit den Schülervertretern Beobachtungen Umfrage bei den SchülerInnen Besuch der Klassen

Diese Vorgangsweise soll zwei wichtige Botschaften vermitteln: • Erstens: Bei derartigen Analysen geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Erarbeitung eines Qualitätsbegriffs, der die Auseinandersetzung mit den Zielen der Beteiligten und der Schule erfordert. Dies ist ein dynamischer Prozess, bei dem jeder der vier Schritte jeden anderen Schritt beeinflussen kann. Die Diskussion von Indikatoren (3. Schritt) kann z.B. durchaus Rückwirkungen auf die Formulierung und das Verständnis der ‚Realisierungen‘ (2. Schritt) oder der Ziele (1. Schritt) haben. Der bei dieser Auseinandersetzung erfolgende Bewusstseinsbildungsprozess ist dabei nicht weniger wichtig als das Ergebnis, das von Schule zu Schule durchaus verschieden sein kann. • Zweitens: Diese Vorgangsweise signalisiert, dass Evaluationsüberlegungen bei einer Konkretisierung der Ziele und nicht bei der Beschaffung von Erhebungsinstrumenten beginnen sollten. Unserer Erfahrung nach trägt das Zurückverschieben der Methodenfrage insofern Früchte, als viele Methodenentscheidungen angesichts gut präzisierter Erfolgsindikatoren recht leicht zu treffen sind. Andererseits: wenn die Erfolgskriterien nicht klar sind, wird die Wahl geeigneter Überprüfungsmethoden zu einem Hasardspiel.

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes

Was beim Prozess der Zielklärung herauskommen kann, zeigt das folgende Beispiel einer schulinternen Verständigung über Qualitätsansprüche (vgl. Abb. 9). Dem Ziel sind Realisierungen und Indikatoren zugeordnet, wobei Instrumente zur Überprüfung in Klammern gesetzt den Indikatoren angefügt sind. Ziel: Im schülerzentrierten Unterricht sollen die SchülerInnen entsprechend ihren individuellen Begabungen, Fähigkeiten, Neigungen, Bedürfnissen und Interessen bestmöglich gefördert werden. Das Lehrerteam trägt dem durch entsprechende Planung und konkrete Umsetzung des Unterrichtes in allen Fachgegenständen Rechnung. Realisierungen

Indikatoren

1. Es gibt regelmäßig leistungsdifferenzierte Angebote

• SchülerInnen können von einfachen bis zu komplexen Aufgabenstellungen auswählen • SchülerInnen haben die Möglichkeit eine quantitative Auswahl zu treffen • SchülerInnen stehen zur Erreichung ihrer Lernziele individuelle Zeitgefäße zur Verfügung (Analyse von Unterrichtsmaterialien; Schüler-Interviews)

2. LehrerInnen geben genaue Leistungsanforderungen bekannt

• SchülerInnen können darüber Auskunft geben, wo sie leistungsmäßig stehen • SchülerInnen wissen, welche Leistung sie für welche Note erbringen müssen (Schüler-Interviews)

3. Es gibt interessensdifferenzierte Angebote

• Die Interessen und Anliegen der SchülerInnen werden fallweise zum Thema des Unterrichts • SchülerInnen planen und gestalten den Unterricht mit • SchülerInnen bringen in den Unterricht eigenes Material ein (Unterrichtsbeobachtung; Schüler-Interviews)

4. Im Unterricht werden die Lehr-, Lern- und Sozialformen bewusst variiert

• SchülerInnen verfügen über eine Palette von Kompetenzen und Methoden, die sie einsetzen und anwenden können, z.B.: • Feedback geben an MitschülerInnen • Diskussionen moderieren und leiten • […] (Unterrichtsbeobachtung)

5. LehrerInnen treten aus ihrer Rolle der reinen „Wissensvermittler“ heraus und sind Lernorganisatoren und -helfer

• SchülerInnen gehen selbstbewusst an ihre Aufgaben • SchülerInnen können ihre Arbeit selbständig organisieren und durchführen • SchülerInnen verwenden verschiedene Informationsquellen • Es gibt eine positive und lustbetonte Arbeitsatmosphäre (Unterrichtsbeobachtung) Quelle: Gekürzt und ergänzt nach Hiebler et al. (2001, 104-109).

Abb. 9: Qualitätsthema „Schülerzentrierter Unterricht“

Zielklärung und Entwicklung von Erfolgsindikatoren

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M 14 Einige Anregungen zur Entwicklung von Erfolgsindikatoren Wie schon erwähnt, gehört die Entwicklung von Erfolgsindikatoren (auch als Erfolgskriterien bezeichnet) zu den schwierigeren Aufgaben bei der Konkretisierung von Zielen. Im Folgenden werden fünf Arten von Indikatoren unterschieden, denen jeweils typische Erhebungsinstrumente entsprechen (eine ausführliche Darstellung finden Sie in Altrichter/Messner/Posch 2006, 81-85). Typische Arten von Erfolgsindikatoren InputIndikatoren

• Wurden die erforderlichen Voraussetzungen für die Realisierung eines Vorhabens geschaffen?

Typische Instrumente • Checkliste

• Wurde das Vorhaben realisiert?

• Checkliste

ProzessIndikatoren

• Entspricht die Qualität des Prozesses den Erwartungen?

• Beobachtung • Interview, • [Fragebogen]

OutputIndikatoren

• Entspricht die Qualität des Ergebnisses bzw. des Produkts den Erwartungen?

• • • •

Test Beobachtung (der Präsentation etc.) Interview [Fragebogen]

OutcomeIndikatoren

• Welche längerfristigen (nachhaltigen) Wirkungen treten auf?

• • • •

Nachtest Beobachtung (der Praxis etc.) Interview Fragebogen

AkzeptanzIndikatoren

• Wie sinnvoll erscheint das Vorhaben?

• Einzel- bzw. Gruppeninterview

• Wie werden Prozess bzw. Produkt • Fragebogen akzeptiert?

Abb. 10: Arten von Erfolgsindikatoren

Einige Erfahrungen bei der Entwicklung von Indikatoren: • LehrerInnen, die sich mit der Entwicklung von Neuerungen beschäftigen, neigen dazu, zunächst intuitiv ‚Bausteine‘ des Entwicklungsprojekts (meist Inputoder Prozessindikatoren) als Erfolgsmerkmale anzusehen, und formulieren seltener explizit ergebnisbezogene Erfolgsindikatoren. • Beispielsweise kann es in einem Entwicklungsprojekt, das durch ein Methodentraining das Ziel „Die SchülerInnen sollen lernen, selbständig zu arbeiten“ anstrebt, wichtig sein, dass • das Methodentraining tatsächlich in der geplanten Form durchgeführt wird, • Vereinbarungen über Arbeitsformen und -bedingungen zwischen LehrerInnen und SchülerInnen erfolgen,

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Nähere Klärung des Ausgangspunktes • LehrerInnen sich in bestimmten Abständen zu Reflexionssitzungen treffen, in denen sie den Verlauf der bisherigen Arbeit einschätzen und ev. neue Schwerpunkte setzen, • diagnostische Hilfsmittel entwickelt werden, die erlauben, SchülerInnen konkrete und anschauliche Rückmeldungen in Hinblick auf ihren Lernstil zu geben usw. • Alle diese Dinge sind wichtige ‚Bausteine der Innovation‘ und bilden (wahrscheinlich) die Voraussetzung dafür, dass das Projekt seine Wirkungen entfalten kann. Auf der anderen Seite ist in den meisten Fällen die Realisierung dieser ‚Bausteine‘ noch nicht identisch mit dem Eintreten der erhofften Ergebnisse bzw. Wirkungen. So wichtig es also sein kann, zu überprüfen, ob wichtige ‚Bausteine‘ einer Innovation auch tatsächlich realisiert wurden (hier: Finden die geplanten Lehrertreffen tatsächlich zu den vereinbarten Terminen im geplanten Zeitumfang statt?) und so wichtig es sein kann, dass sie in der erwünschten Qualität auch umgesetzt werden (hier: Werden die Lehrertreffen nicht nur durchgeführt, sondern erlauben sie auch inhaltsreiche Gespräche und führen sie zu unterrichtsrelevanten Konsequenzen?), so wichtig ist es, explizit zum „eigentlichen“ Ziel zurückzugehen: Wenn es lautet „Die SchülerInnen sollen lernen, selbständig zu arbeiten“, dann mögen Methodentrainings für SchülerInnen, die Erstellung von Vereinbarungen oder diagnostische Hilfen wichtige Schritte sein, auf deren Umsetzung man im Sinne materieller ‚Zwischenergebnisse‘ der Innovationsarbeit stolz sein kann, sie sind aber kein Ergebnis im Sinne des Zieles, welches Kompetenzen bei den SchülerInnen verspricht. Erfolgsindikatoren, die das im Ziel angedeutete Ergebnis betreffen (meist Kompetenzen und Einstellungen bei den SchülerInnen) sollten daher nicht vergessen werden. • Es empfiehlt sich, zunächst eher in Art eines Brainstormings Ideen für Indikatoren zu sammeln, noch ohne Rücksicht auf ihre Brauchbarkeit. Erst in einem zweiten Schritt sollten jene (wenigen14) Indikatoren ausgewählt werden, die als gute Hinweise auf das zu evaluierende Ziel angesehen werden können. Für die Reduzierung der Zahl der Indikatoren kommen u.a. folgende Gesichtspunkte infrage: • Aussagekraft im Hinblick auf die Ziele (Validität ist das wichtigste Kriterium). • Nützlichkeit für die Weiterentwicklung des Vorhabens • Plausibilität für die Bezugsgruppen • Praktikabilität angesichts vorhandener Ressourcen (und sonstiger Aufgaben) • Erst anschließend an die Bestimmung der Indikatoren ist es sinnvoll, jene Erhebungsinstrumente auszuwählen, die zur Feststellung des jeweiligen Indikators am besten geeignet erscheinen. Die in der Abbildung angeführten Hinweise können dabei helfen (vgl. genauer im Kap. 5). In Übungssituationen in Fortbildungskursen empfehlen wir drei Indikatoren auszuwählen; für die Erstellung eines Designs für eine schulische Selbstevaluation lässt sich natürlich keine genaue Zahl angeben. Es ist jedoch meist sinnvoll, nicht zu viele Erhebungsinstrumente parallel einzusetzen (vgl. Kap. 5).

5 Sammlung von Daten

In diesem Kapitel geht es um die Frage, wie forschende Lehrpersonen zum „Material“ ihrer Reflexionen, zu den Daten kommen. Bereits in den Kapiteln über das „Forschungstagebuch“ und das „Finden einer Ausgangssituation“ wurden einzelne Methoden der Datengewinnung vorgestellt. Dieser Abschnitt des Buches beschäftigt sich etwas systematischer mit diesem Thema. Zu Beginn wird mit einigen allgemeinen Überlegungen in den Begriff der Datensammlung eingeführt. Sodann werden vier Kriterien diskutiert, an denen die „Güte von Aktionsforschung“ überprüft werden kann. Schließlich werden einige Arten der Datensammlung vorgestellt.

5.1 Erfahrungen machen und Daten sammeln Dass wir im Alltag geschickt zu handeln vermögen, beruht auf Erfahrungen. Erfahrungen sind gedeutete Ereignisse aus unserer Handlungsumgebung, die wir für die Planung, Durchführung und Bewertung von späteren Handlungen benutzen. Manche werden bald nach ihrem Auftreten vergessen, andere werden als „Wissen“ (als ‚praktische Theorie‘ über spezifische Situationen) im Gedächtnis gespeichert und können für spätere Handlungen wieder abgerufen werden. Nicht nur die eigenen, auch die Erfahrungen fremder Leute, die wir durch Lesen, Lernen, geistiges und physisches Nachmachen aufnehmen, können uns bei der Handlungsgestaltung nützlich sein. Auch die verschiedenen Variationen empirischer Forschung (und Aktionsforschung verstehen wir als eine davon) beruhen auf Erfahrung. Sie legen traditionell großen Wert auf tiefer gehende Reflexion und Nachprüfbarkeit von Erfahrungen. Nachprüfbar sind Erfahrungen aber nur, wenn sie nicht einmalig sind, sondern dem Forscher oder der Forscherin selbst und auch anderen Personen immer wieder zugänglich sind. Die Nachprüfbarkeit kann auf verschiedene Weise gegeben sein: (a) wenn das Ereignis, auf das sich die Erfahrungen beziehen, wiederholbar ist, (b) wenn das Ereignis von den Forschenden unabhängige Spuren hinterlassen hat, die von diesen und von anderen Personen untersucht werden können, (c) wenn die Erfahrung der ForscherInnen von ihnen selbst objektiviert wird, das heißt z.B. in eine schriftliche Fassung gebracht wird, die von anderen und von ihnen selbst unabhängig von Zeit und Ort des Ereignisses eingesehen werden kann.

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Sammlung von Daten

Da die Wiederholung von Ereignissen (vgl. a) aufwendig und meist gar nicht möglich ist, und außerdem Reflexionsprozesse oft mehr Zeit erfordern, als während des Ablaufes eines Ereignisses zur Verfügung steht, ist Forschung besonders auf „indirekte“ Zugänge zu Ereignissen (vgl. b und c) angewiesen, auf „Daten“. Daten haben zwei wesentliche Merkmale: • sie sind materielle Spuren oder Objektivierungen15 von Ereignissen und damit in einem physischen Sinn gegeben („Datum“), also hergebbar, aufbewahrbar und vielen zugänglich; • sie werden von den Forschenden als relevant, aussagekräftig im Sinne der Fragestellung, die sie untersuchen, angesehen. Was als Datum gilt, entscheiden also letztlich die Forschenden aufgrund ihrer Beschäftigung mit dem Thema. Wenn sie Schülerfehler untersuchen, werden die schriftlichen Arbeiten ihrer SchülerInnen oder eine Audioaufzeichnung ihrer mündlichen Beiträge wichtige Daten sein; wenn sie Gruppenarbeiten durchführen und ihre Auswirkungen untersuchen möchten, werden Gedächtnisprotokolle von Beobachtungen, Aufzeichnungen von Gesprächen mit SchülerInnen über ihre Arbeit und die Produkte der Gruppenarbeit wichtige Daten sein. Drei Eigenschaften von Daten sind zu bedenken: • Als materielle Spuren oder Objektivierungen von Ereignissen repräsentieren Daten nie die Ereignisse in ihrer Gesamtheit, sondern immer nur in Ausschnitten: Die Tonaufzeichnung „konserviert“ verbale Äußerungen in dem vom Mikrophon erfassten Bereich für den Zeitraum, in dem die Aufnahme läuft; der Fragebogen erfasst jene Äußerungen über Ereignisse, die die Befragten zu den Fragen geben. Im Prozess, in dem etwas zum Datum wird, entweder indem es hergestellt wird (z.B. Fotos, Interviewtranskripte, Memos) oder indem es als Datum ausgewählt und im Sinne der Forschungsfragestellung für relevant erklärt wird (z.B. Arbeiten der SchülerInnen, Klassenbuch, Schülerbeschreibungsbögen, Schulordnung) werden bestimmte Züge der Wirklichkeit als wichtig hervorgehoben, andere hingegen vernachlässigt. Dies erfolgt z.T. absichtlich und ergibt sich aus der Interpretation der Forschungsfragestellung und der Auswahl der Methoden durch die Forschenden; z.T. erfolgt es unabsichtlich und ergibt sich aus besonderen, den BeobachterInnen unbewussten Vor-Urteilen, aus den unbemerkten oder in Kauf genommenen Einseitigkeiten der Methoden oder aus Beschränkungen der Forschungssituation (z.B. kann es stundenplantechnisch unmöglich sein, einen bestimmten Schüler zu interviewen). • Was als Datum hergestellt oder ausgewählt wird, unterliegt Deutungsprozessen der Forschenden. Das Ausmaß, in dem die ForscherInnen selbst deutend an der Herstellung von Daten beteiligt sind, kann sehr verschieden sein. Es ist sehr gering, wenn 15

Objektivieren bedeutet ‚etwas zu einem (materiellen) Objekt machen‘.

Erfahrungen machen und Daten sammeln

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die Forschenden bereits vorliegende Spuren von Ereignissen (z.B. die Rundschreiben eines Schulleiters) zu Daten erklären, weil sie für ihre Forschungsfrage aussagekräftig erscheinen. In dem Maße, in dem sie selbst ihre Erfahrungen mit Ereignissen in Daten umformen, erhöht sich ihr deutender Anteil an den Daten. Beim Memo wird z.B. ein Ereignis beobachtet, interpretiert (d.h. „auf den Begriff gebracht“) und schließlich schriftlich festgehalten. Daten, die auf diese Weise entstehen, sind von den Forschenden „gedeutete Ereignisse“, d.h. sie rekonstruieren die Ereignisse auch wenn sie sie nur beschreiben mit Hilfe der ihnen schon verfügbaren Begriffe (= Bedeutungen). Insofern sind Erfahrungen, die die Forschenden selbst „aufhebbar“ machen und zu Daten objektivieren, mit ihrer Theorie „beladen“. • Schließlich sind Daten wegen ihres materiellen Charakters statisch. Sie entkleiden Ereignisse ihrer dynamischen Qualität und können sich im Unterschied zu diesen nicht mehr weiterentwickeln (z.B. das Foto einer Pausensituation). Lassen Sie uns diese drei Merkmale an einem Beispiel aus der Aktionsforschung veranschaulichen. Nehmen wir an, wir haben uns entschlossen, eine Unterrichtsstunde z.B. mit einem digitalen Aufnahmegerät aufzuzeichnen. In der Wahl dieser Datensammlungsmethode drückt sich schon eine bestimmte Sicht der untersuchten Situation aus: z.B. dass diese als sprachliche Interaktion verstanden wird und dass für ihr Verständnis Gesten oder unausgesprochene Gedanken der Beteiligten weniger bedeutsam sind. Mit dem Aufstellen des Aufnahmegerätes wird ein bestimmter Ausschnitt aus der Wirklichkeit gewählt und damit als bedeutsam für das Verständnis der Situation gekennzeichnet: Wird das Gerät so platziert, dass man den Lehrer oder die Lehrerin durchgehend hören kann, oder aber so, dass v.a. eine bestimmte Schülergruppe im Vordergrund steht? Selbst das Gerät verkörpert eine spezifische „Beobachtungstheorie“. Je nach der Richtcharakteristik des Mikrophons hört man gesprochene Worte z.B. in einem näheren oder weiteren Umkreis, wodurch die beobachtete Wirklichkeit auf sehr unterschiedliche Weise „zubereitet“ wird. Was wir schließlich mit dem Gerät eingefangen haben, können wir zwar zu verschiedenen Zeiten wieder und wieder anhören, doch kann sich beispielsweise das Verhältnis zwischen LehrerIn und SchülerIn, das durch die Audiodaten „aufhebbar“ gemacht wurde, in der Zwischenzeit weiterentwickelt haben, sodass unsere auf diesem Datenmaterial beruhenden Analyseergebnisse vielleicht historisch interessant, für die aktuelle Situation aber unwesentlich geworden sind. 

Wir fassen zusammen: Daten sind die typischen Zugänge der Forschung zur untersuchten Realität. Wir nehmen sie als Repräsentanten der Wirklichkeit, doch sind sie nicht die Wirklichkeit selbst, sondern ihre Spuren. Sie werden immer unter einer bestimmten Perspektive ausgewählt oder konstruiert, sind also wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß „theoriebeladen“. Dies wäre noch nicht besonders beunruhigend, wenn wir uns die Theorien (die Vor-Urteile), die bei der Gewinnung und Auswahl der Daten beteiligt sind, zur Gänze bewusst machen und damit unsere eigenen Anteile daran erkennen würden. Nun deutet aber alles darauf hin, dass wir uns nur einen Teil jener theoretischen Perspektiven, die in die Konstitution von Daten und damit in den Forschungsprozess eingehen, zu Bewusstsein bringen kön-

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Sammlung von Daten

nen, während ein anderer Teil als „natürliche Interpretationen“ unser Forschungshandeln unbemerkt mitsteuert. Die praktischen Konsequenzen dieser Überlegungen sind gering und weitreichend zugleich: • Erstens ergibt sich aus der Tatsache, dass wir unsere Einsichten auf Daten aufbauen, die immer zum Teil noch unentdeckte theoretische Vorannahmen enthalten, die Verpflichtung zur Bescheidenheit, d.h. die Verpflichtung, den vorläufigen und hypothetischen Charakter unserer Einsichten deutlich zum Ausdruck zu bringen. • Zweitens ergibt sich aus dieser Tatsache auch die Verpflichtung, unsere Einsichten zu überprüfen und weiterzuentwickeln (vgl. dazu Kap. 5.2). M 15 Schlüsse ziehen und Argumente aufbauen (Die Leiter des Schließens) Ein Hilfsmittel, um sich den Sicherheitsgrad von Daten zu vergegenwärtigen, ist die „Leiter des Schließens“ (Argyris et al. 1985, 56ff). Diese Leiter besteht aus drei Sprossen, die man – wie dies ja auch bei einer normalen Leiter empfehlenswert ist – am besten nacheinander besteigen sollte. Jede Sprosse der Leiter symbolisiert Daten einer bestimmten Qualität. Das Kriterium zur Unterscheidung der Stufen ist das Ausmaß an intersubjektiver Prüfbarkeit der Daten. Die erste Stufe der Leiter symbolisiert Daten, die als relativ „eindeutige“ Repräsentationen von Ereignissen angesehen werden können, weil sie der Beobachtung zugänglich sind. Ob der Lehrer die in Abb. 11 zitierte Äußerung wirklich gemacht hat oder nicht, ist z.B. anhand einer Audioaufzeichnung überprüfbar. Auf der zweiten Stufe steht jene Bedeutung des Satzes der ersten Stufe, die in unserem Kultur- und Sprachraum von (beinahe) jedem verstanden werden würde. So gehen wir beim Beispiel in Abb. 11 davon aus, dass die Äußerung des Lehrers „Hans, Deine Leistung ist katastrophal“ in unserem Kulturkreis allgemein als Tadel empfunden würde. Die dritte Stufe enthält „individuelle“ Interpretationen, d.h. solche, über die wegen der vielen Zusatzannahmen keine Einhelligkeit erwartet werden kann. Diese sind aber gerade darum interessant, weil sie eine „spezielle Theorie“ der Situation zum Ausdruck bringen, über die sich – wenn sie entsprechend mit Argumenten unterlegt wird – weiter zu diskutieren und zu forschen lohnt. Von Stufe zu Stufe steigt die Wahrscheinlichkeit, dass verschiedene Beobachter dasselbe Ereignis verschieden deuten. Damit vermeidbare Unterschiede bei der Deutung von Ereignissen gering gehalten werden, geben Argyris et al. (1985) folgende Empfehlung: • Beginnen Sie bei der Überprüfung der Sicherheit Ihrer Daten auf der untersten Sprosse der Leiter bei Sachverhalten, die beobachtbar und der intersubjektiven Prüfung zugänglich sind. • Deuten Sie die Beobachtungen auf der zweiten Sprosse und vergewissern Sie sich, dass sie für andere Personen dasselbe bedeuten.

Erfahrungen machen und Daten sammeln

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• Durch die beiden ersten Stufen der Leiter haben Sie (relativ) „harte Daten“ erhalten. Gehen Sie erst jetzt zur dritten Sprosse über, um weitere Interpretationen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Umgekehrt: wenn Sie mit einer Interpretation auf der obersten Stufe konfrontiert werden (z.B. „er hat ihn völlig überfahren“), • versuchen Sie, Auskünfte über die erste Stufe (was wurde gesagt oder getan?) zu erhalten, und • stellen Sie fest, ob die Bedeutung der Daten auf der zweiten Stufe von anderen geteilt werden kann. • Erst dann ist eine prüfende Auseinandersetzung mit Interpretationen der dritten Stufe sinnvoll.

"Die Äußerung des Lehrers ist wenig einfühlsam"

3

Stufe der Bedeutung des Satzes für einen bestimmten Hörer

"Der Lehrer tadelt Hans"

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Stufe der kulturellen gemeinsamen Bedeutung

Der Lehrer sagt zum Schüler: „Hans, deine Leistung ist katastrophal."

1

Stufe relativ eindeutig beobachtbarer Daten

Abb. 11: Die Leiter des Schließens

Mit der Leiter des Schließens kann man sich auch bewusst machen, was es heißt, plausible Argumentationen aufzubauen. Diese müssen die PartnerInnen, die diese Argumente verstehen sollen, bei gemeinsam beobachtbaren Daten „abholen“, und schrittweise klar machen, über welche Schritte der Deutung man bei seiner speziellen Argumentation, bei seiner speziellen „Theorie der Situation“ angelangt ist. Zusammenfassend erfüllt die Leiter des Schließens drei Aufgaben (Argyris et al. 1985, 247): • Sie erlaubt es, in begründeter Weise von Daten eines konkreten Falles zu abstrakteren Interpretationen aufzusteigen und diese zu überprüfen. • Sie erlaubt es, die Beziehung allgemeiner Interpretationen zu konkreten Daten aufzuzeigen. • Sie ist eine Hilfe bei der Reflexion des Handelns, weil sie es ermöglicht, die Interpretationen, die das Handeln leiten, bis zu den Ereignissen, von denen sie ausgegangen sind, zurückzuverfolgen.

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Sammlung von Daten

Methoden der Datensammlung sind typische Muster von Forschungshandlungen, die es erlauben, • bestimmte (einem Forschungsinteresse entsprechende) Erfahrungen zu machen (manchmal müssen dazu Ereignisse erst hervorgerufen werden wie z.B. beim Interview, manchmal muss nur die Aufmerksamkeit auf sie gerichtet werden) und • diese Erfahrungen (in einem materiellen Sinne) aufhebbar zu machen (als auf Papier festgehaltene Sätze, als Audioaufzeichnung, als Videoaufnahme usw.). Man könnte sagen, dass die typische Form des Erfahrungen-Machens der Forschung das Sammeln von Daten ist. Allerdings lässt dieser Gesichtspunkt keine scharfe Grenze zwischen Forschungs- und Alltagshandeln zu, und zwar aus folgenden Gründen: • Daten (als materielle Spuren und Objektivierungen von Ereignissen) haben zwar im Forschungsprozess einen zentralen Stellenwert, doch sind die Ergebnisse der Forschung nicht allein und vielleicht nicht einmal vorrangig von den Daten abhängig, sondern auch von bewusst formulierten Theorien wie auch von den individuellen nirgends als Daten nachprüfbaren – Erfahrungen der ForscherInnen und den kollektiven, nicht weiter reflektierten Selbstverständlichkeiten ihrer Zunft. In ähnlicher Weise stützt sich auch das Alltagshandeln auf eine Mischung aus bewusstem und aktuell unbewusstem Wissen. • Auch im Alltag wird mit Daten gearbeitet. Klassenarbeiten werden in Hefte geschrieben, die dann abgesammelt, in Ruhe studiert werden und auch anderen Personen zugänglich sind. In Bankfragen wird das Wissen von SchülerInnen geprüft, die Ergebnisse dieser Prozedur werden in einem Katalog festgehalten. Uns ist wichtig, zu betonen, dass Datensammlung nicht das alltägliche ErfahrungenMachen ersetzen kann, sondern auf ihm aufbaut und es dort unterstützen soll, wo dies nützlich ist: wo wir schwierige Situationen, in denen uns befriedigende routinierte Handlungen schwerfallen, besser verstehen und bewältigen wollen, wo wir unser praktisches Wissen überprüfen, weiterentwickeln und KollegInnen zugänglich machen wollen (vgl. Kap. 10.3). Es gibt nun eine Vielzahl von Methoden der Datensammlung. Wir haben versucht, sie in diesem Kapitel in eine gewisse Ordnung zu bringen. Eine Möglichkeit zur Unterscheidung ergibt sich daraus, dass manche Daten schon vorliegen (z.B. Arbeiten von SchülerInnen oder ein Lehrbuchtext), andere erst hergestellt werden müssen. In letzterem Fall muss entweder ein ohnehin ablaufender Prozess festgehalten werden (z.B. durch Audioaufzeichnung einer Stunde oder durch Niederschrift von Beobachtungen, die während der Stunde gemacht wurden) oder der Prozess, der festgehalten werden soll, muss erst gestaltet werden (z.B. durch ein Interview). Eine andere Unterscheidungsmöglichkeit bietet die Form, in der Daten vorliegen bzw. hergestellt werden. Sie führt zur Gliederung in akustische Daten (z.B. eine digitale Tonaufzeichnung), visuelle Daten (z.B. Fotos), audiovisuelle Daten (z.B.

Gütekriterien von Aktionsforschung

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Videoaufzeichnung) und schriftliche Daten (Transkripte, Niederschriften, Aufsätze usw.). Es gibt kein Ordnungsschema, das alle Aspekte berücksichtigt. Wir haben daher eine pragmatische Gliederung gewählt, die überschaubare Methodengruppen zusammenfasst: Sammlung vorliegender Daten (in Kap. 5.3), Beobachtung und Dokumentation von Prozessen (Kap. 5.4), Interview und Gespräch (Kap. 5.5), schriftliche Befragung (Kap. 5.6) sowie ein Beispiel für eine Methodenkombination in Kap. 5.716. Bevor wir jedoch konkrete Methoden der Datensammlung vorstellen, soll noch in Kap. 5.2 die allgemeine Frage, wovon „Güte der Forschung“ abhängt, angesprochen werden.

5.2 Gütekriterien von Aktionsforschung Nach welchen Gesichtspunkten sollen nun Forschungsentscheidungen getroffen und Datensammlungsmethoden ausgewählt werden17? Was als „Qualität“ empfunden wird, hängt verständlicherweise von den Zielen der Forschungsbemühungen ab. Für Aktionsforschung sind vier Zielbereiche bestimmend: • die Weiterentwicklung der untersuchten Situation (Praxis) im Sinne aller von ihr Betroffenen, • die Weiterentwicklung des Wissens der am Forschungsprozess Beteiligten über die untersuchte Situation, • die Weiterentwicklung des professionellen Wissens der Lehrerschaft und • die Weiterentwicklung der erziehungswissenschaftlichen und (fach)didaktischen Forschung. Wir nennen im Folgenden drei Kriterienbereiche für die Güte von Aktionsforschung: • Erkenntnistheoretische (epistemologische) Kriterien beziehen sich auf die Güte der Befunde. • Pragmatische Kriterien beziehen sich auf die Verträglichkeit mit der Praxis • Ethische Kriterien beziehen sich auf die Vereinbarkeit mit den pädagogischen Zielen und den Grundsätzen humaner Interaktion. Die durch diese Kriterien gestellten Probleme lassen sich nicht in einem Untersuchungsplan zu Beginn der Forschung abschließend lösen, sondern stellen sich während des Forschungsprozesses immer wieder. Sie haben eher den Charakter von Fragen, die den Verlauf des Forschungsprozesses begleiten.

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Weitere Forschungs- und Evaluationsmethoden finden Sie z.B. in Somekh/Lewin (2005); Lamnek (1995); Altrichter/Messner/Posch (2006); Burkard/Eikenbusch (2000); Schratz/Iby/Radnitzky (2000); Friebertshäuser/Langer/Prengel (2013). Wir verstehen Gütekriterien nicht bloß als Maßstäbe, die an Datensammlungsmethoden angelegt werden, sondern als bedeutungsvoll für den gesamten Forschungsprozess.

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Sammlung von Daten

5.2.1 Erkenntnistheoretische Kriterien: Sicherung der Güte der Befunde durch Hinzuziehung alternativer Perspektiven und durch Erprobung in der Praxis Wird im Forschungsprozess dafür Sorge getragen, dass die Ergebnisse mit Perspektiven anderer Beteiligter oder anderer ForscherInnen konfrontiert werden? Lassen Sie uns einen kleinen Umweg machen, um das Kriterium „Hinzuziehung alternativer Perspektiven“ zu begründen. In der traditionellen empirischen Forschung werden üblicherweise Objektivität, Reliabilität und Validität als zentrale Gütekriterien angesehen. Das Kriterium der Objektivität verlangt, dass eine zweite Beobachterin desselben Phänomens dasselbe feststellt wie ihr Vorgänger. Reliabel wird ein Forschungsprozess genannt, wenn Beobachtungen eines Ereignisses zu zwei verschiedenen Zeitpunkten dasselbe feststellen. Von Validität schließlich spricht man, wenn durch die verwendeten Methoden und die Gestaltung der gesamten Forschung tatsächlich das erforscht wurde, was man zu erforschen beabsichtigte. Praktisch wird Validität auf verschiedene Arten (kriterienbezogene, Inhalts- und Konstruktvalidität) überprüft, die jedoch alle darauf hinauslaufen, dass ein und dasselbe Phänomen (oder sehr ähnliche Phänomene) durch unterschiedliche Forschungsprozesse untersucht und die Ergebnisse miteinander verglichen werden.18 Allgemein kann man sagen, dass die üblichen Gütekriterien empirischer Forschung alle auf dem Gedanken der Wiederholung (Replikation), auf dem Vergleich der Sichtweisen beim wiederholten Betrachten eines Ereignisses, beruhen. Indem „über einen Forschungsprozess ein zweiter darüber gelegt wird“19, versucht man, die Güte der Forschung und damit die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der produzierten Ergebnisse nachzuweisen. Diskrepanzen zwischen den „zwei Forschungsprozessen“ werden als „mangelnde Güte“, Übereinstimmung hingegen als „Güte“ interpretiert. Auch für Aktionsforschungsprozesse sind diese Gütekriterien bedeutsam. Allerdings können manche der in der traditionellen Forschung entwickelten Prüfungsprozeduren in der Aktionsforschung kaum angewandt werden, und zwar • aus praktischen Erwägungen (vgl. auch Abschnitt 5.2.2): Hochentwickelte Validitätsprüfungsverfahren erfordern einen Aufwand, der von forschenden LehrerInnen kaum zu erwarten ist. Selbst die Hinzuziehung einer zweiten Beobachtungsperson, um die Objektivität zu erhöhen, würde in manchen Fällen auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen. • aus prinzipiellen Erwägungen: Reliabilität ist in der Aktionsforschung nur in einem sehr eingeschränkten Sinn möglich (was allerdings auch für viele andere 18 19

Diese Argumentation wird ausführlicher in Altrichter (1986a, 133f ) entwickelt. Bei der Objektivitätsprüfung werden die Beobachtungen einer zweiten Beobachtungsperson, bei der Reliabilitätsprüfung eine zweite Beobachtung zu einem anderen Zeitpunkt und bei der Validitätsprüfung ein methodisch unabhängiger Forschungsprozess über den ursprünglichen „darüber gelegt“.

Gütekriterien von Aktionsforschung

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empirische Forschungssituationen gilt). Komplexe Situationen sind instabil (vgl. Kap. 12.4), sodass es zu verschiedenen Zeitpunkten gar keine vergleichbaren Situationen zu beobachten gibt, weil sich die Situation in der Zwischenzeit ja weiterentwickelt hat. Außerdem arbeitet Aktionsforschung der Stabilität von Situationen geradezu entgegen, indem sie Handlungsstrategien zu ihrer Veränderung entwickelt (vgl. Kap. 7). Kommen wir wieder zurück zum Gütekriterium „Hinzuziehung alternativer Perspektiven“, von dem dieser Abschnitt handeln soll. Dieses, so unsere Behauptung, entspricht der zentralen Idee traditioneller empirischer Gütekriterien, dass nämlich die Qualität von Forschung dadurch zu steigern ist, dass „über einen Forschungsprozess ein zweiter darüber gelegt wird“, um Diskrepanzen zu entdecken. Forschende LehrerInnen können Schwächen ihres bisherigen Forschungsvorgehens entdecken und seine Güte steigern, wenn sie es mit „anderen Perspektiven“ der erforschten Situation konfrontieren und dabei entdeckte Diskrepanzen durch weitere Forschung zu erklären versuchen. Dies hängt mit folgenden Überlegungen zusammen: Realität ist für Alltagsmenschen wie für ForscherInnen nicht pur zu haben, sondern immer nur von einem Standpunkt aus. Und Forschungsmethoden sind dabei Instrumente, um spezifische Perspektiven zu erschließen. „Unsere durch Standort und Wahrnehmungsmodus bedingte Perspektive ermöglicht und begrenzt zugleich unsere Erkenntnisse. Jenseits perspektivischer Begrenztheit und ohne das Bemühen um freilich immer vorläufig bleibende Entgrenzungen ist keine Erkenntnis möglich.“ (Prengel 2003, 611) Jede Beschreibung ist perspektivisch verfasst, ist notwendigerweise eine „perspektivische Komposition von Elementen aus einem unendlich fakten- und facettenreichen Lebenszusammenhang, der als solcher nicht zur Darstellung gelangen kann“ (Hermann 1987, zit. nach Prengel 2003, 603f ). Die „Hinzuziehung alternativer Perspektiven“ kann nun diese prinzipielle Perspektivität nicht aufheben und uns ein „vollständiges Bild“ verschaffen. Wohl aber kann die Konfrontation unterschiedlicher Perspektiven dazu führen, „Einseitigkeiten“ der bisherigen Sichtweise zu entdecken und die eigene „praktische Theorie“ über die untersuchte Situation weiterzuentwickeln und ein Stück weit umfassender zu machen (vgl. weiter unten). Praktisch kommen als alternative Perspektiven vor allem folgende in Frage: • Perspektiven anderer Personen: Die Sichtweise einer Situation (wie sie beispielsweise nach der „näheren Klärung des Forschungsausgangspunktes“ oder nach ersten Datensammlungs- und -analyseaktivitäten vorliegt) wird mit den Sichtweisen anderer, bisher nicht berücksichtigter Personen konfrontiert. Dafür kommen sowohl betroffene, in der fraglichen Situation direkt oder indirekt mitagierende Personen (z.B. SchülerInnen, SchulleiterIn, Eltern usw.) als auch relativ unbeteiligte Personen (z.B. externe BeobachterInnen) in Frage.

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• Perspektiven durch andere Forschungsmethoden: Zur selben Situation wird ein weiterer, methodisch unterschiedlicher Forschungsprozess durchgeführt: z.B. kann eine Unterrichtsbeobachtung durch Schülerinterviews ergänzt werden (vgl. Kap. 5.7). • Perspektiven aus der Untersuchung anderer, aber ähnlicher Situationen: Schließlich können auch Sichtweisen, die über andere, aber vergleichbare Situationen entwickelt wurden, zur Entdeckung von Schwächen in unserem Forschungsprozess führen. Als Quellen für solche alternative Situationserklärungen kommen Erzählungen von KollegInnen, die wissenschaftliche und berufspraktische Literatur sowie die eigene Erfahrung in anderen Situationen in Frage. Diskrepanzen zwischen verschiedenen Perspektiven können im Wesentlichen zwei Ursachen haben: • Sie können auf methodische Schwächen und Täuschungen zurückzuführen sein. Beispielsweise kann unsere eigene Beobachtung der Mitarbeit eines Schülers von der Beobachtung durch eine externe Beobachterin abweichen. Die angemessene Reaktion in solchen Fällen scheint uns eine zweifache zu sein: Der Fehler sollte korrigiert oder – wenn nicht klar ist, welche Daten verlässlicher sind – bei der Interpretation berücksichtigt werden (z.B. durch die Formulierung der Unsicherheit, durch das Anbieten alternativer Interpretationen). Zweitens sollte aus den Erfahrungen gelernt werden, d.h. das persönliche Inventar von ForschungsFaustregeln sollte erweitert werden. • Wenn Diskrepanzen nicht durch Forschungsfehler erklärt werden können, so sind sie möglicherweise durch in der Situation tatsächlich vorkommende unterschiedliche Perspektiven verursacht (vgl. Kap. 3.1). Die angemessene Reaktion auf derartige Diskrepanzen ist die Weiterentwicklung unserer praktischen Theorie: Sie muss letztlich auch erklären können, warum ein und dieselbe Situation unterschiedlich gesehen wird. Dieser Sachverhalt soll durch das folgende Beispiel veranschaulicht werden: Eine Lehrerin stellt am Beginn einer Stunde Wiederholungsfragen. Auf Befragen erläutert sie ihre Intention: Sie sollen die SchülerInnen dazu anregen, über den Stoff nachzudenken und Querverbindungen zu entdecken. Mit den Ergebnissen dieser Wiederholungsfragen ist die Lehrerin jedoch nicht zufrieden: Ihr kommt vor, dass sich in den Antworten zuwenig „Nachdenken“ äußert, von „entdeckten Querverbindungen“ ganz zu schweigen. Bei einem Gruppeninterview wird eruiert, dass SchülerInnen die Wiederholungsfragen als Prüfungssituation erleben. In dieser wollen sie „möglichst richtige“, d.h. für sie auch: „möglichst die vermutete Lehrermeinung widerspiegelnde Äußerungen“ geben. Ein „Querdenken“ wird durch die Prüfungssituation eher behindert als gefördert.

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Im geschilderten Fall wird man die Ursache der Diskrepanz zwischen der Lehrer- und Schülersicht ein- und derselben Situation nicht in der Forschungsmethode suchen. Sie besteht zunächst einmal „tatsächlich“. Man wird versuchen, die Existenz der diskrepanten Situationserklärungen in der praktischen Theorie der Situation zum Ausdruck zu bringen, indem man z.B. sagt: • Die Lehrerin interpretiert die Situation im Sinne ihrer aktuellen Handlungsmotivation. • Die SchülerInnen nehmen diese Handlungsmotivation der Lehrerin in dieser Situation aber nicht wahr, sondern interpretieren ihr Handeln vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Sozialisationserfahrungen. • Daher kommt es zum beobachteten „Missverständnis". • Eine angemessene Reaktion darauf besteht wahrscheinlich nicht darin, dass die Lehrerin ihre Intentionen bloß besser erklärt. Wenn sie die Sozialisationserfahrungen ihrer SchülerInnen ernst nimmt, so muss sie mit längeren Umlernprozessen rechnen. 

Für Bammé/Martens (1985, 27) gibt es zwei Möglichkeiten der Überprüfung von Theorien: „Kritik“ und „Praxis“ (oder in der Sprache der AktionsforscherInnen „Reflexion und Aktion“; vgl. Kap. 12.4). Der „Kritik“ waren die vorhergehenden Passagen gewidmet. Für die Güte unserer theoretischen Einsichten spricht aber auch, wenn diese erlauben, das praktische Handeln zu verbessern. Da zum Selbstverständnis von Aktionsforschung die „Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien“ dazugehört, ist diese Güteprüfung im Standardrepertoire von forschenden LehrerInnen enthalten (vgl. Kap. 7). Die entsprechende Prüffrage lautet hier: Wird im Forschungsprozess dafür Sorge getragen, dass die Ergebnisse im praktischen Handeln erprobt und evaluiert werden? 5.2.2 Pragmatische Kriterien: Verträglichkeit mit der Praxis Sind Forschungsprozess und Untersuchungsinstrumente so gestaltet, dass sie von professionellen PraktikerInnen ohne übermäßigen zusätzlichen Zeitaufwand für die Weiterentwicklung ihrer Praxis genutzt werden können? Forschungsdesigns und einzelne Untersuchungsinstrumente werden nur dann zu qualitätsvollen Aktionsforschungsprozessen beitragen, wenn sie • mit dem Unterricht praktisch und zeitökonomisch verträglich sind: d.h. die Forschung darf den Unterricht nicht verdrängen; • mit der beruflichen Situation von LehrerInnen praktisch-zeitökonomisch verträglich sind: Forschen soll auf der „praktischen Reflexion“ aufbauen und sie, wo förderlich, ein Stück weit verfeinern. Das Erlernen und Durchführen von Forschung darf aber nicht so aufwendig sein, dass LehrerInnen daraus ein „zweiter Beruf“ erwächst. Das Bemühen um praktische Verträglichkeit in der Aktionsforschung drückt sich auf zweifache Weise aus:

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• Es wird große Mühe darauf verwendet, Forschungsstrategien und Einzelinstrumente zu entwickeln, die leicht verständlich, einfach handhabbar, ohne großen Zeitaufwand einsetzbar und dennoch anregend für die forschende Weiterentwicklung der Praxis und der Theorien darüber sind. Natürlich ist auch hier nicht zu erwarten, dass einfachste Instrumente differenzierteste Reflexionen ermöglichen. Allerdings weisen herkömmliche Methodologien häufig eine sprachliche Kompliziertheit und methodische Differenziertheit auf, die für forschende Lehrerkräfte in keinem sinnvollen Verhältnis zum Ergebnis stehen, sodass den Bemühungen um Erhöhung der praktischen Verträglichkeit ein weites Feld offensteht. • Die „praktische Verträglichkeit“ kann auch erhöht werden, wenn Forschungsstrategien entwickelt und eingesetzt werden, die zugleich Unterrichtselemente sind. Ein Gespräch mit einer Schülerin kann z.B. zugleich eine Lern- oder Beratungssituation für die Schülerin und Gelegenheit zur Sammlung von Informationen in Hinblick auf die Forschungsfragestellung sein. Ein mathematisches Problem, das SchülerInnen zu zweit bearbeiten, kann zugleich der Verbesserung ihrer fachlichen Kompetenzen dienen und einem Lehrer Daten über spezielle Schwierigkeiten dieser SchülerInnen liefern. Das Schreiben eines Tagebuches kann eine sinnvolle Lernsituation im Deutschunterricht sein; auf der Basis der Tagebucheintragungen können SchülerInnen inhaltsreichere Rückmeldungen über Fragen, die LehrerInnen interessieren, geben. 5.2.3 Ethische Kriterien: Vereinbarkeit mit ethischen Grundsätzen Ist der Forschungsprozess mit den pädagogischen Zielen vereinbar und entspricht er den Grundsätzen humaner Interaktion? Bei der Aktionsforschung heiligt der Zweck nicht die Mittel. Forschung ist ein Eingriff in soziale Situationen; viele Untersuchungsinstrumente sind „reaktiv“ (d.h. sie veranlassen die untersuchten Personen zu Handlungen, die sie sonst nicht getan hätten); die Forschungssituation ist selbst eine Lernsituation. Daher legen forschende LehrerInnen großen Wert darauf, dass ihre Forschungstätigkeit auch ethischen Gütekriterien entspricht. Dieser Gedanke lässt sich auf zwei Ebenen erläutern. 1. Zunächst soll das Forschen mit den pädagogischen Zielen der untersuchten Situation verträglich sein, darf ihnen nicht entgegenarbeiten. Sie sollen womöglich nicht nur langfristig, sondern auch aktuell durch die Forschungsaktivitäten gefördert werden. Beispielsweise wäre Datensammlung mit Leistungstests, die auf individueller Konkurrenz basieren, mit einem Unterricht unverträglich, der sich gerade bemüht, kooperatives Verhalten von SchülerInnen aufzubauen. In ähnlicher Weise würde verdeckte Unterrichtsbeobachtung dem Ziel, offene Kommunikation zwischen LehrerInnen und SchülerInnen zu fördern, widersprechen. 

Gütekriterien von Aktionsforschung

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2. Aktionsforschung geht davon aus, dass eine tiefer gehende und nachhaltige Veränderung von Praxis letztlich nur in Zusammenarbeit der von dieser Praxis Betroffenen und nicht gegen ihren Willen geschehen darf. Insofern soll die Forschungsstrategie selbst auf demokratischen und kooperativen menschlichen Beziehungen aufbauen und zu ihrer Weiterentwicklung beitragen.20 Dass viele Forschungsdesigns keinen Beitrag zum Aufbau von demokratischer und kooperativer Verantwortung leisten können, hat Chris Argyris (1972) eindrucksvoll dargestellt. Aktionsforschung versucht dies zu vermeiden und geht dabei praktisch folgendermaßen vor: Die Forschungsaktivitäten orientieren sich an ethischen Prinzipien. Eine zentrale Stellung haben dabei die folgenden: a) Aushandlung21: Forschungs- und Veränderungsaktivitäten dürfen nicht ohne Wissen und gegen den Willen der davon Betroffenen durchgeführt werden. Das setzt voraus, dass die von der Forschung betroffenen Personen (z.B. die SchülerInnen) zunächst über Intentionen und geplantes Vorgehen aufgeklärt werden. Sollte das vorgeschlagene Forschungsdesign (z.B. die Methoden der Datensammlung) nicht akzeptiert werden, so müssen alternative Vorgangsweisen gemeinsam ausgehandelt werden. Wie wird dieses Prinzip praktisch verwirklicht? Beispielsweise werden am Beginn der Forschung die SchülerInnen über die Untersuchungsabsichten informiert und um Mitarbeit gebeten. Betrifft die Forschung andere KollegInnen oder die gesamte Schule, so werden die KollegInnen und der Direktor bzw. die Direktorin unterrichtet. Bei jeder Datensammlungsaktivität werden Information und Bitte um Kooperation wiederholt. Beispielsweise sagen wir SchülerInnen vor einem Interview, was mit den Daten geschehen soll. Nach Beendigung bitten wir die Gesprächspartner, das Gesagte noch einmal zu überdenken und zu überlegen, ob die gesammelten Daten weiterverwendet werden dürfen. Stimmen sie dem nicht zu, so sollte ihrem Wunsch ohne Abänderungsversuche entsprochen werden: Dies kann sich beispielsweise darin ausdrücken, dass die Tonaufzeichnung gelöscht wird. Unserer Erfahrung nach kommt es allerdings sehr selten vor, dass SchülerInnen bei einem Vorhaben, das für LehrerInnen und SchülerInnen wichtig ist und bei dem sie explizit um Kooperation ersucht wurden, ihre Mitarbeit verweigern. Meist haben sie sogar großes Interesse daran, dass ihre Sichtweise berücksichtigt wird. Wer sind nun die „Betroffenen“? Wir arbeiten absichtlich mit diesem etwas vagen Begriff, um damit anzudeuten, dass „die von Forschung Betroffenen“ 20

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Wenn die grundlegenden pädagogischen Ziele, wie sie in den Schulgesetzen der verschiedenen Schulsysteme oder in Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (vgl. UN 1948) erläutert sind, ein Ausdruck einer Orientierung auf demokratische und kooperative menschliche Beziehungen sind, dann fallen die beiden getrennt angeführten Gesichtspunkte zusammen. Tun sie das nicht, dann wird Lehrerforschung sich in einem Feld von Widersprüchen bewegen. Englische Aktionsforscher verwenden den Begriff „negotiation“.

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Sammlung von Daten zu Forschungsbeginn nicht immer eine fest umschriebene Gruppe sind. Zwar gehören die direkten Interaktionspartner in der erforschten Situation fraglos zu den „Betroffenen“ (z.B. die SchülerInnen bei der Untersuchung einer Fragestellung aus dem Unterricht), doch werden weitere „Betroffene“ oft erst durch die Forschung selbst entdeckt (z.B. ein Kollege, der die Klasse in einem früheren Jahr unterrichtet hat). b) Vertraulichkeit: Aktionsforschung geht davon aus, dass die Daten Eigentum jener Personen sind, die sie zur Verfügung gestellt haben. Daher müssen sie vertraulich behandelt werden und dürfen nicht ohne deren Einverständnis an Dritte weitergegeben werden. Insbesondere dürfen Forschungsberichte und Fallstudien nicht veröffentlicht werden, ohne dass die von der Forschung Betroffenen Gelegenheit hatten, ihre Stellungnahme zum Bericht abzugeben. Wenn in einem Forschungsbericht bestimmte Personen klar identifizierbar sind, so muss ihre Zustimmung zur Veröffentlichung eingeholt werden. Eine Anonymisierung der Daten durch Weglassen oder Verändern der Namen der Untersuchten genügt bei der Untersuchung konkreter Fälle in der Regel nicht. Sie schützt, wie Walker (1985, 24) bemerkt hat, eher die ForscherInnen, während die handelnden Personen für Eingeweihte oft leicht erkennbar bleiben. c) Kontrolle der Forschung durch die Betroffenen: Dieses ist ein weiteres ethisches Prinzip der Aktionsforschung, das für die Zusammenarbeit zwischen PraktikerInnen und Externen (z.B. WissenschaftlerInnen, die die Forschungs- und Veränderungsarbeit durch Beratung unterstützen), aber auch zwischen LehrerInnen und SchülerInnen von großer Bedeutung ist. Lawrence Stenhouse (1975) hat überzeugend argumentiert, dass die Verantwortung für und die Kontrolle über den Gang praxisbezogener Forschung und Veränderung jene haben sollen, die von ihr primär betroffen sind und die ihre Ergebnisse am eigenen Leib zu verspüren haben. Das ethische Prinzip der „Kontrolle“ verpflichtet externe BeraterInnen (die ja über mehr methodische Erfahrung verfügen und daher oft schneller und überzeugender Verfahrensvorschläge und theoretische Analysen anbieten können) darauf, durch ihre Tätigkeit die Forschung der Betroffenen zu unterstützen, nicht aber zu dominieren.

Daher legen wir in Lehrveranstaltungen, Lehrerfortbildungskursen und Projekten, in denen WissenschaftlerInnen und forschende LehrerInnen zusammenarbeiten, den Teilnehmenden zu Beginn einen ethischen Code vor, der diskutiert und ev. modifiziert wird und die Rechte und Pflichten aller Beteiligten absteckt. Manche externe BeraterInnen schließen mit den forschenden LehrerInnen, mit denen sie zusammenarbeiten, einen Vertrag ab, der Ziele und Form der Kooperation festhält (z.B. Day 1984; Strittmatter 1998). Auch wenn die Betroffenen zu Beginn über die Forschung informiert wurden und wenn eine Form von Zusammenarbeit sogar in einem Vertrag vereinbart wurde,

Sammlung bereits vorliegender Daten

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können Meinungsverschiedenheiten und Konflikte im weiteren Verlauf der Forschung auftauchen. „Aushandlung“ bleibt daher als Aufgabe im gesamten Forschungsprozess bestehen. In Konfliktfällen muss „Aushandlung“ Vorrang vor einem Bestehen auf etwaigen vertraglichen Übereinkünften haben (vgl. Johnson 1984, 10). Ethische Überlegungen werden von manchen als für die heutige Wissenschaft höchst notwendig, von anderen als ungerechtfertigte Hindernisse für den Fortschritt erachtet. Von den meisten aber werden sie als unabhängig von den auf Erkenntnis gerichteten Bestrebungen der Wissenschaft angesehen. Uns ist es wichtig zu betonen, dass wir hier eine deutlich abweichende Meinung vertreten. Zumindest für einen Wissenschaftstyp wie Aktionsforschung, der den Weg von einem praktischen Problem über dessen Analyse bis zur verändernden Handlung in einem einheitlichen Prozess integrieren will, sind forschungsethische Erwägungen auch höchst praktisch und förderlich für den Fortschritt der Erkenntnis. Wir wollen dieses Argument durch ein Beispiel erläutern: Argyris und Schön (1992, 68ff und 87ff) unterscheiden zwei idealtypische „Verhaltenswelten“: In der ersten („Modell I“) wird dem Spiel von „mystery and mastery“ (etwa: Geheimniskrämerei und Überlegenheit) gefrönt. Die AkteurInnen versuchen jeweils einseitig, die Kontrolle und Initiative über die Situation zu behalten und enthalten ihren PartnerInnen ‚sicherheitshalber‘ Informationen vor. „Modell II“ sieht hingegen Handeln und Problemlösen als eine gemeinsame Aufgabe der Betroffenen an, bei der alle PartnerInnen Einfluss auf die Entwicklung der Situation nehmen können und Zugang zu allen benötigten Informationen bekommen. Forschung basiert auf der Zugänglichkeit von Informationen und kann sich dort nicht entwickeln, wo wichtige Daten vorenthalten oder verfälscht werden. Spielen die Forschenden selbst das Spiel von „mystery and mastery“, so fördern sie diese Haltung auch bei den PartnerInnen, was auf lange Sicht ihrer Forschung abträglich ist. Insofern trägt eine ethische Gestaltung der Forschung auch dazu bei, dass ihre Grundlagen nicht zerstört werden. Man kann also sagen, dass ethische Forderungen gleichzeitig epistemologische Forderungen sind, d.h. dem Erkenntnisprozess dienen.

5.3 Sammlung bereits vorliegender Daten Forschende LehrerInnen können oft auf eine Fülle bereits vorliegender Materialien zurückgreifen, die als Daten infrage kommen. Diese sind Spuren vergangener Ereignisse, die in irgendeiner Weise für ihre Fragestellungen aussagekräftig erscheinen. Am wichtigsten sind schriftliche Dokumente, z.B.: • schriftliche Produkte von SchülerInnen: Ergebnisse häuslicher und schulischer Arbeit (Aufsätze, Übungsarbeiten, Prüfungsarbeiten etc.), aber auch die Schülerzeitung, Graffiti an den Wänden oder auf den Bänken;

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Sammlung von Daten

• schriftliche Ergebnisse der Arbeit der LehrerInnen: selbst erstellte Arbeitsblätter, Unterrichtsvorbereitungen, Korrekturen von Schülerarbeiten, Lehrerkatalog, Hefte für die ‚ständige Beobachtung der Mitarbeit‘ usw.; • sonstige Dokumente und Materialien: Klassenbuch, Schülerkartei, Briefe von Eltern, Hausordnung, Rundschreiben, Schulzeitung, Verordnungen, Lehrbücher, Literatur usw. Neben diesen schriftlichen Dokumenten gibt es aber auch andere, nicht schriftliche Spuren vergangener Ereignisse: z.B. der Zustand der Klasse, nachdem die SchülerInnen sie verlassen haben und bevor der Reinigungsdienst in Aktion getreten ist, der optische Zustand von Heften, Abnutzungserscheinungen am Mobiliar usw. Die beiden folgenden methodischen Vorschläge sollen Möglichkeiten der Nutzung bereits vorliegender Daten illustrieren. M 16 Dossier Ein Dossier ist eine systematische Zusammenstellung von Materialien unter bestimmten Gesichtspunkten (Brennan 1982; vgl. auch den Portfolio-Ansatz z.B. bei Brunner/Schmidinger 2006; Bräuer/Keller/Winter 2012), z.B.: • Von einer Schülerin oder einem Schüler, für dessen Entwicklung sich die Lehrperson interessiert, werden alle, die besten oder nach dem Zufall ausgewählte Arbeiten gesammelt. • Alle SchülerInnen werden veranlasst, selbst eine Auswahl aus ihren schulischen Arbeiten zusammenzustellen. • Eine Klasse dokumentiert ihre Arbeit und entscheidet mit der Lehrperson darüber, was in das Dossier aufgenommen wird. • Eine Lehrperson sammelt Arbeiten, die ihr thematisch, wegen ihrer Qualität oder bestimmter Mängel interessant erscheinen (z.B. eine pro Woche). Derartige Dossiers eignen sich für verschiedene Untersuchungs- und Veränderungsinteressen. Die folgenden Beispiele sollen dies illustrieren: Eine Englisch-Lehrerin möchte die wichtigsten Fehler der leistungsmäßig schwächsten SchülerInnen untersuchen, um Hinweise auf mögliche Ursachen und Unterrichtsmaßnahmen zur Vermeidung solcher Fehler zu erhalten. Sie sammelt von den betreffenden SchülerInnen die Haus- und Schulübungshefte ein und listet die Fehler der letzten Wochen übersichtlich nach Fehlerart und Häufigkeit auf. Bei der Durchsicht dieser Liste findet sie bereits Hinweise auf mögliche Ursachen. Sie verteilt die Übersicht an die SchülerInnen und bespricht sie mit ihnen, um ein genaueres Bild spezifischer Ursachen und Verbesserungsmöglichkeiten zu gewinnen. Ein Deutsch-Lehrer führt mit seinen SchülerInnen (7. Schulstufe) ein Umweltprojekt durch, bei dem diese u.a. Märchen verfassen, Leserbriefe schreiben, einschlägige Zeitungsartikel sprachlich analysieren usw. Er sammelt das gesamte Material, das dabei entsteht, und erweitert in der Auseinandersetzung damit sein Verständnis des Entwicklungsprozesses der SchülerInnen im Verlauf dieses Projekts. 

Sammlung bereits vorliegender Daten

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Über die engeren Untersuchungs- und Veränderungsinteressen der Lehrperson hinaus sind Dossiers auch für andere Zwecke verwendbar: • als Unterlage zur Vorbereitung von Gesprächen mit SchülerInnen, Eltern oder Kollegen über die Arbeit einzelner SchülerInnen oder der Klasse; • als Datengrundlage für eine Klassenkonferenz zur Besprechung der Arbeit der SchülerInnen und der Möglichkeiten, sie zu verbessern (z.B. durch Koordinierung von Unterrichtsaktivitäten); • als Anregung und Grundlage für SchülerInnen, ihre Arbeit zu reflektieren und sich ihrer eigenen und anderer Ziele des Lernens sowie der Kriterien für den Lernerfolg bewusster zu werden. Es ergeben sich dadurch interessante Möglichkeiten, die SchülerInnen in den Forschungsprozess einzubeziehen. Ein unmittelbarer Nebeneffekt solcher Materialsätze scheint die Erhöhung der Sorgfalt zu sein, mit der SchülerInnen ihre Arbeiten ausführen; • Eltern, die Zugang zum Materialsatz ihrer Kinder haben, sind besser in der Lage, deren tatsächliche Leistungen, Fortschritte und Schwierigkeiten einzuschätzen. M 17 Spurensicherung Die Nutzung vorhandener Daten wird oft durch den Umstand erschwert, dass diese zur alltäglichen Selbstverständlichkeit geworden sind. Man sieht sie so oft, dass man sie nicht mehr bemerkt. Sie erscheinen zu banal, um noch ernsthaft beachtet zu werden. In dieser Situation könnte Sherlock Holmes ein guter Lehrmeister sein. Das Geheimnis seiner Methode besteht im Wesentlichen darin, im Unauffälligen, weil Gewohnten, den Hinweis, das Besondere zu sehen: Dr. Watson hatte gerade eine von zwei nebeneinander liegenden, zum Kauf angebotenen Arztpraxen erworben und zeigte sie seinem Freund. Noch bevor sie das Haus betreten hatten, beglückwünschte ihn Sherlock Holmes zu seiner Wahl. Er hatte entdeckt, dass die Stufen, die zur neuen Praxis von Watson führten, viel ausgetretener waren als jene der benachbarten Praxis. Im folgenden Beispiel wird die Spurensicherung in der Aktionsforschung illustriert: Ein Lehrer, den das sorglose Umgehen von SchülerInnen mit der schulischen Einrichtung störte, wollte dieses Phänomen genauer untersuchen. Die erste Frage, die er sich stellte, betraf das Erscheinungsbild dieser Sorglosigkeit. Wo tritt sie auf? Wie zeigt sie sich? Er begann in „seiner“ Klasse und sah sich die Bänke der einzelnen SchülerInnen an, den Boden, die „Gestaltung“ der Wände. Er begutachtete die Gänge, Abnutzungserscheinungen an den Fensterbänken, Graffiti. Er fotografierte, was er sah, und fotografierte auch Gegenbeispiele, die auf Sorgfalt schließen ließen. Diese Dokumente verwendete er, um mit den SchülerInnen seiner Klasse ins Gespräch zu kommen. Nicht um zu „predigen“, sondern um ihre Sicht kennen zu lernen und Genaueres über die Situationen zu erfahren, in denen diese Sorglosigkeit auftrat. Zugleich tauchten weitere Vermutungen über mögliche Zusammenhänge auf, z.B. mit der Art der Sanktionierung sorglosen Verhaltens: so wurde etwa bei älteren SchülerInnen vieles übersehen, was bei jüngeren Schüler--

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Sammlung von Daten Innen bestraft wurde. Er zog als einschlägiges Dokument auch die Hausordnung und andere schriftliche Äußerungen der letzten Zeit zu dieser Frage heran. In Interviews versuchte er, von einzelnen SchülerInnen mehr über die Beweggründe ihres Verhaltens herauszubekommen. Bei diesem Beispiel dienten Spuren vergangener Ereignisse als Indizien, um etwas über den spezifischen Charakter eines Phänomens zu erfahren.



Gegenüber Daten, die durch den Forschungsprozess erst hergestellt werden müssen, haben bereits vorliegende Daten einige Stärken: Es wird ihnen meist höhere Glaubwürdigkeit zugesprochen, weil sie unabhängig von den forschenden Aktivitäten entstanden sind. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sie meist mit wenig Zeitaufwand gesammelt werden können. Manchmal erfordert ihre Entdeckung allerdings detektivische Kleinarbeit. Schließlich geben sie Hinweise auf Ereignisse, die mit anderen Methoden unter Umständen gar nicht zugänglich sind: so ist z.B. die häusliche Arbeit der SchülerInnen der Beobachtung normalerweise nicht zugänglich. Bereits vorliegende Daten haben aber auch einige Nachteile: Sie enthalten meist wesentlich mehr Informationen, als benötigt werden. Ihre Analyse kann daher sehr zeitaufwendig sein. Weiters sind die Daten zwar unbeeinflusst vom Untersuchungsprozess entstanden, aber nicht unbeeinflusst von anderen Bedingungen, die oft nicht mehr genau rekonstruiert werden können. Das erschwert ihre Interpretation. Ähnliches gilt für Fehler, Auslassungen, Vorurteile, ja bewusste Irreführungen, die in solchen Dokumenten enthalten sein können: es ist schwer, sie zu entdecken und bei der Interpretation zu berücksichtigen, weil ihr Entstehungszusammenhang nicht mehr klar ist. Es ist daher besonders wichtig, diese Methode mit anderen Methoden der Datensammlung zu verbinden.

5.4 Beobachtung und Dokumentation von Prozessen Die Prozessbeobachtung ist etwas ganz Alltägliches. LehrerInnen könnten nicht handeln, ohne sich immer wieder zu vergewissern: Was ist das für eine Situation, in der ich handle? Was „verlangt“ die Situation von mir? Was passiert, wenn ich handle? Entwickelt sich die Situation im Sinne meiner Erwartungen? Diese Beobachtungen sind im Normalfall weitgehend intuitiv und ganzheitlich, seltener absichtlich und gezielt. Sicherheit im Handeln erfordert einen „Blick für die ganze Situation“ (eine Art intuitives „Sehen“ im Unterschied zum gezielten „Hinschauen“), damit sich das Handeln in sie wie selbstverständlich einfügen kann. Wenn das Handeln nicht mehr befriedigt und Lehrpersonen mehr über eine Situation erfahren möchten, reicht dieses „Sehen“ meist nicht aus, weil sein ganzheitlicher Charakter auch gewisse Schwächen hat. Dazu gehören:

Beobachtung und Dokumentation von Prozessen

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• Diffusität: die Aufmerksamkeit ist breit gestreut, Details gehen verloren; • Vorurteilsbehaftetheit: die aufgenommene Information wird mit minimaler Reflexion für das Handeln verwertet. Dadurch entsteht ein unkontrollierter Einfluss von Vorurteilen und die Gefahr, „zu sehen, was man sehen will“. • Flüchtigkeit: die Beobachtungen sind nur für kurzfristige Verarbeitung im Bewusstsein verfügbar. Für eine Überprüfung ihrer Verlässlichkeit sind sie nicht stabil genug. Gezielte Prozessbeobachtung hat den Zweck, diese Schwächen zu mildern. Sie verringert die Diffusität des Sehens, indem sie davon ausgeht, dass etwas Bestimmtes zu einem bestimmten Zweck beobachtet werden soll. Sie verringert die Vorurteilsbehaftetheit des Sehens, indem sie der „Wirklichkeit“ Gelegenheit gibt, den Vorurteilen zu widersprechen. Schließlich kompensiert sie die Flüchtigkeit des Sehens durch vielfältige Methoden, Beobachtetes festzuhalten. Der Preis dafür ist allerdings eine Verminderung der ganzheitlichen Sicht von Situationen. Prozessbeobachtung sollte daher das intuitive „Sehen“ nicht ersetzen, sondern es ergänzen und korrigieren. Wir geben im Folgenden Anregungen zu vier Arten der Beobachtung und Dokumentation von Prozessen: Direkte Prozessbeobachtung, Tonaufzeichnung, Bilddokumentation und Videoaufzeichnung. Weiterführende Hinweise zu den verschiedenen Beobachtungsarten finden sich beispielsweise in Sanger/Kroath (1998), Beck/Scholz (1995), Grell (1995, 131ff), Galton (1994), Lamnek (1995, Bd. 2, 498ff) de Boer/Reh (2012) und Altrichter/Messner/Posch (2006, 178ff). 5.4.1 Direkte Prozessbeobachtung Bei der direkten Prozessbeobachtung wird auf technische Hilfsmittel verzichtet. Sie lässt sich dem in der methodischen Literatur üblichen Begriff „teilnehmende Beobachtung“ zuordnen. Üblicherweise sind teilnehmende BeobachterInnen hauptberufliche ForscherInnen, die sich auf soziale Situationen einlassen, um sie zu untersuchen. Forschende LehrerInnen hingegen sind hauptberuflich LehrerInnen und nur nebenbei BeobachterInnen. Wenn sie ihren Unterricht systematisch beobachten wollen, übernehmen sie eine zweite Aufgabe, die manchmal mit ihrer ersten Aufgabe, dem Unterrichten, zusammenfällt, manchmal aber auch mit ihr in Konflikt geraten kann. Vor allem, wenn der Unterricht volle Aufmerksamkeit verlangt oder wenn die Lehrperson emotional stark involviert ist, wird es schwer, jene Distanz zum eigenen Tun aufzubringen, die für eine Beobachtung des Geschehens notwendig ist. Der Druck, auf technische Hilfen auszuweichen (z.B. auf eine Audioaufzeichnung) oder auf Prozessbeobachtung überhaupt zu verzichten, ist daher groß. Andererseits gibt es in vielen Unterrichtsstunden Phasen, die Zeit für eine mehr oder minder ausführliche Beobachtung lassen, z.B. Gruppenarbeiten, Wochenplanarbeit, Präsentationen durch SchülerInnen usw.

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Die wichtigste Leistung von BeobachterInnen besteht in der Sensibilität für das, was beobachtet wird. Beobachten erfordert die Bewältigung eines an sich unlösbaren Dilemmas: Realität ist einerseits das, was aus den Begriffen der Beobachtenden rekonstruiert wird; andererseits hat Realität ihren „eigensinnigen“ Charakter, der den Rekonstruktionsversuchen auch widerstehen kann. „Lösbar“ ist dieses Dilemma nur durch einen „doppelten Blick“: sich der eigenen Annahmen und Erwartungen möglichst so bewusst sein, als käme es nur auf sie an und so sensibel für die Situation sein, als wäre sie völlig neuartig (vgl. Kap. 12.4.2). Die Versuchung, „klare Verhältnisse“ im Sinne der eigenen Vorannahmen in eine Situation „hineinzusehen“, ist vor allem für unter Handlungsdruck stehende Lehrpersonen groß. Trotz dieser Schwierigkeiten glauben wir, dass direkte Prozessbeobachtung durch LehrerInnen großes Potential zur Gewinnung von Erkenntnissen enthält, weil sie an die komplexen Prozesse des Lehrens und Lernens und an den Zusammenhang, in dem diese stehen, relativ nahe heranzukommen erlaubt. Aus diesen Gründen lohnt es sich zu überlegen, wie trotz der Schwierigkeit, Unterrichten und Beobachten zu verbinden, die Beobachtung von Unterrichtsprozessen ermöglicht bzw. erleichtert werden kann. (1) Vorbereitung von Beobachtungen Jede Beobachtung trifft eine Auswahl aus dem Strom der Ereignisse. Damit diese Auswahl nicht dem Zufall überlassen wird, sind Vorüberlegungen nötig: • Was soll beobachtet werden: Ist es der Ablauf eines bestimmten Ereignisses, ist es eine Schülerin, ist es ein bestimmtes Verhalten eines Schülers, sind es Aspekte des eigenen Verhaltens? Je enger begrenzt der Gegenstand der Beobachtung ist, desto genauer kann sie erfolgen. Die Genauigkeit auf die Spitze treiben wollen, birgt jedoch eine andere Gefahr: Je enger man den Gegenstand der Beobachtung eingrenzt, desto größer ist die Chance, dass die Ergebnisse nur einen kleinen, vielleicht relativ unbedeutenden Teil der ursprünglichen Fragestellung betreffen. • Warum wird beobachtet: Mit welchen Annahmen und Erwartungen erfolgt die Beobachtung? Beobachten ist kein bloßes Registrieren, sondern auch ein theoretisches Rekonstruieren einer Situation und ihrer Merkmale. Die Annahmen und Erwartungen der BeobachterInnen sind das theoretische Werkzeug, mit dem diese Rekonstruktion erfolgt, sind seine „Vor-Urteile“. Das Bemühen um Objektivität bei der Beobachtung besteht nicht darin, Vor-Urteile zu vermeiden, sondern diese, soweit das möglich ist, kennen zu lernen, damit der eigene Anteil an einer Erkenntnis abgeschätzt und bei der Interpretation berücksichtigt werden kann. • Wann und wie lange wird beobachtet: Gerade für beobachtende Lehrpersonen ist es wichtig, sich vorher zu überlegen, in welchen Zeiträumen im Unterricht sie der Beobachterrolle Aufmerksamkeit widmen können. Der folgende Vorschlag enthält eine einfache, in vielen Situationen verwendbare Methode, Beobachtungen vorzubereiten, die Sensibilität zu erhöhen und diese im Sinne der eigenen Fragestellung zu orientieren.

Beobachtung und Dokumentation von Prozessen

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M 18 Einstimmung auf Beobachtungen 1. Notieren Sie sich zunächst den Themenbereich, zu dem Sie Beobachtungen durchführen wollen (z.B. „Mitarbeit der SchülerInnen“). 2. Halten Sie fest, was Sie im Rahmen dieses Themenbereichs gerne sehen würden (Was wären für Sie z.B. befriedigende Anzeichen von Mitarbeit?). 3. Schreiben Sie nieder, was Sie voraussichtlich beobachten werden (z.B. „Von sich aus wird – wenn überhaupt jemand – nur A eine Frage stellen“). Versuchen Sie dabei, Ihre Erwartungen möglichst verhaltensnahe zu formulieren (z.B. „B wird ihre Antwort herausrufen, ohne vorher aufzuzeigen“ statt: „B wird sich wieder unmöglich benehmen“). 4. Wählen Sie aus Ihren Erwartungen jene aus, die Ihnen im Sinne Ihres Themenbereiches am interessantesten erscheinen und deren Beobachtung Ihnen in der vorgesehenen Stunde durchführbar erscheint. 5. Überlegen Sie sich, wie Sie Ihre Beobachtungen während und/oder nach der Unterrichtsstunde festhalten können. (2) Festhalten des Beobachteten Das Hauptproblem bei der direkten Beobachtung besteht darin, das Beobachtete für die spätere Bearbeitung festzuhalten. Dies kann während der Beobachtung und/oder nachher geschehen. Wir werden im Folgenden beide Möglichkeiten näher ausführen. Festhalten von Beobachtungen während der Beobachtung  Während des Unterrichts ist Zeit ein knappes Gut für LehrerInnen. Eine Möglichkeit, bei minimalem Zeitaufwand selbst Beobachtungsdaten festzuhalten, besteht in der Verwendung von Schemata mit vorformulierten Kategorien. Jedes einschlägige Ereignis wird der jeweils zutreffenden Kategorie zugeordnet und dabei festgehalten. Ein Beispiel: Eine Lehrerin vermutet, dass sie SchülerInnen in bestimmten räumlichen Sektoren der Klasse mehr Aufmerksamkeit widmet als anderen. Sie möchte ihren „Aktionsraum“ einerseits kennen lernen und andererseits erweitern. Sie nimmt sich vor, jene SchülerInnen, die sie von sich aus aufruft, zu registrieren und auch festzuhalten, ob sich die betreffenden SchülerInnen vorher selbst gemeldet haben oder nicht. Sie fertigt sich einen Sitzplan an und macht zum jeweiligen Schülernamen das zutreffende Zeichen (etwa „+“ für „aufgerufen nach vorheriger Meldung“ und „-“ für „aufgerufen ohne vorherige Meldung“). Auf dem Bankspiegel wird auf diese Weise nach und nach ihr Aktionsraum sichtbar. Bereits während der Beobachtung fällt ihr auf, dass manche SchülerInnen tatsächlich weniger zum Zug kommen als andere. Sie reagiert auf diese Erkenntnis, indem sie ihre Aufmerksamkeit weiter zu streuen versucht. Dies verfälscht zwar das letztlich vorliegende Ergebnis (im Sinne einer Abbildung des Status quo), dient aber dem Ziel, dessentwillen sie die Beobachtung ja gemacht hat.



Die wesentlichen Elemente von Beobachtungsschemata werden am angeführten Beispiel sichtbar:

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Sammlung von Daten

• Kategorien, die einander ausschließen: z.B. Aufruf mit bzw. ohne vorherige Meldung; • Ein Schema, auf dem die Beobachtungen so festgehalten werden können, dass sie nachher verwertbar sind; • Regeln für das Festhalten der Beobachtungen: im konkreten Beispiel wird an der betreffenden Stelle des Bankspiegels ein Zeichen gemacht, wann immer ein Aufruf erfolgt. Die im obigen Beispiel verwendeten Kategorien können rasch und mit einem Minimum an Interpretation auf den beobachteten Sachverhalt bezogen werden. Dies sind wichtige Voraussetzungen, um zuverlässig Beobachtungen festhalten zu können, ohne dass der Ablauf des Unterrichts allzu sehr gestört wird. Ein weiteres Beispiel: Ein Lehrer möchte die Beteiligung seiner SchülerInnen im Unterricht untersuchen, um Hinweise zur Verbesserung der Mitarbeit zu gewinnen. Er entwickelt ein Schema, um sich einen genaueren Überblick zu verschaffen. Für jede einschlägige Schüleräußerung wird auf der zutreffenden Zeile ein Strich gemacht.  Schülerantwort

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Schülerinitiierte Feststellung

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Schülerinitiierte Frage

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Bei einfachen Beobachtungsaufgaben können auch SchülerInnen dafür gewonnen werden, Daten in ein Schema einzutragen: Eine Deutsch-Lehrerin ersucht z.B. einen ihrer Schüler, während zehn Unterrichtsstunden jede Äußerung aller SchülerInnen auf einer Namensliste mit einem Strich zu registrieren. Anschließend stellt die Lehrerin die Ergebnisse der Beobachtung als Tabelle dar. Die Zahl der Äußerungen je SchülerIn in diesen zehn Stunden schwankt zwischen 12 und 107. Mit jenen drei SchülerInnen, die die geringste Zahl von Äußerungen aufweisen, führt sie in ihrer Sprechstunde Einzelgespräche, um den Ursachen auf die Spur zu kommen und Wege zur Intensivierung der Mitarbeit zu entwickeln.



Es gibt in der Literatur (vgl. Hook 1995) eine Vielzahl von Instrumenten für die direkte Prozessbeobachtung. Wir glauben aber, dass forschende LehrerInnen in den meisten Fällen gut daran tun, sich ein Schema in engster Abstimmung auf den Zweck und den Gegenstand ihrer Beobachtung selbst zu gestalten. Die in der Literatur verfügbaren Beobachtungsschemata sind durchwegs nicht für beobachtende Lehrpersonen konzipiert, sondern für BeobachterInnen, die sich ganz auf ihre Aufgabe konzentrieren können und zudem Forschungsinteressen nachgehen, die nicht den Handlungsinteressen ihres „Gastgebers“ entsprechen müssen. Die Beobachtungssysteme sind daher meist sehr umfangreich und nicht auf die spezifischen Vorannahmen forschender Lehrpersonen abgestimmt. Mit selbst konstruierten Schemata sind diese Nachteile vermeidbar. Aller-

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dings liefern sie, wie die beiden Beispiele zeigen, relativ karge Informationen. Sie bieten nur erste Übersichten, die durch weitere Forschungsaktivitäten ergänzt werden müssen (z.B. durch nachträgliche Gedächtnisprotokolle der beobachteten Stunde). Festhalten von Beobachtungen nach der Beobachtung  Aufzeichnungen nach der Beobachtung sind im Allgemeinen für LehrerInnen praktikabler, um Wahrnehmungen festzuhalten, auch wenn damit gerechnet werden muss, dass einige Details nicht mehr erinnert werden können. In den meisten Fällen wird die Lehrperson nicht sofort nach einer Beobachtung in der Lage sein, ihre Erfahrungen niederzuschreiben. Es empfiehlt sich in diesem Falle, die wichtigsten Beobachtungen zumindest stichwortartig (z.B. in Form eines Datenresümees; vgl. M 33) festzuhalten, sodass eine spätere ausführlichere Darstellung auf diese Gedächtnisstütze zurückgreifen kann. Zu den wichtigsten Methoden für die nachträgliche Aufzeichnung von Beobachtungen gehören ‚Memos‘ oder Gedächtnisprotokolle (vgl. Kap. 2.3.3). Wenn sich die nachträglichen Aufzeichnungen nicht auf Einzelereignisse beziehen, sondern eine Fragestellung über einen längeren Zeitraum verfolgen, bekommen sie tagebuchartigen Charakter (vgl. dazu Kap. 2). Im Folgenden sollen einige weitere Methoden skizziert werden. M 19 Anekdoten Eine Anekdote ist eine Geschichte über ein auffälliges, überraschendes Ereignis. Das folgende Beispiel stammt von einer Lehrerin einer 1. Grundschulklasse:22 Im Sprachheilkurs versuchte eine Kollegin mit der Schülerin Brigitte Sätze zum Thema „was auf dem Tisch steht“ zu bilden. Eine auf einer Abbildung befindliche Kaffeekanne bezeichnete Brigitte immer wieder als „Kaffeeschale“. Sie konnte das Wort „Kaffeekanne“ auch nicht aussprechen. Die Kollegin versuchte über den Begriff „Gießkanne“ zu „Kaffeekanne“ zu kommen; es misslang. Dann fragte ich: „Habt ihr so etwas nicht zu Hause?“ Br: Wohl, aber wir brauchen das nicht, das ist nur für Besuch. I: Und wenn Besuch kommt, wer nimmt die Kanne dann aus dem Kasten? Br: Nur die Mama, damit nix passiert.

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Schön langsam gelang es uns, über die im Raum befindliche Gießkanne (Da ist Wasser drinnen zum Blumengießen), über die Teekanne (wie heißt es dann, wenn wir da Tee hineingeben?) zur Kaffeekanne zu kommen. Endlich konnte sie auch dieses Wort aussprechen. Aber „Milchkanne“ war für sie wieder etwas Anderes. Sie konnte die Analogie (Eine Kaffeekanne ist ein Gefäß, in das Kaffee hineingegeben wird; eine Milchkanne ist ein Gefäß, in das Milch hinein gegeben wird) nicht sehen, weil sie unter Milchkanne etwas ganz Konkretes verstand; und zwar ein sehr großes Gefäß, in das daheim die Milch geleert wird, bevor sie zum Milchauto gebracht wird.  Mit freundlicher Genehmigung von N. Zimmermann

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Sammlung von Daten Die Beobachtungen, die zu einer Anekdote führen, sind nicht geplant, sondern stellen sich durch überraschende Erfahrungen „von selbst“ ein. Das Gefühl der Überraschung entsteht, wenn Erwartungen nicht eintreffen, wenn es „besser“ oder „schlechter“ oder überhaupt ganz anders kommt, als man es sich vorgestellt hat. Insofern hebt die überraschende Erfahrung eine Szene aus dem vertrauten Strom der Ereignisse heraus. Die Überraschung lässt eine Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität sichtbar werden, die für die Weiterentwicklung unseres Handelns und der praktischen Theorie, die ihm zugrunde liegt, bedeutsam werden könnte (vgl. die Ausführungen über Diskrepanzen in Kap. 3.1). Das Niederschreiben einer überraschenden Szene als Anekdote entreißt eine Situation dem Vergessen und erlaubt es, sie später genauer zu untersuchen und (vielleicht mit SchülerInnen oder KollegInnen) zu besprechen. Anekdotenschreiben ist nicht schwierig und daher gut geeignet, erste Erfahrungen mit der genauen Beschreibung von Situationen und Verhaltensweisen zu sammeln. Es braucht dazu auch keine besonderen Vorüberlegungen. Eine Anekdote sollte folgende Elemente enthalten: • Ort, Datum, Zeit, beteiligte Personen; • Hinweise auf den Rahmen, in dem das beschriebene Ereignis stattfand; • das Geschehen sollte in erzählender Form wiedergegeben werden; wichtige Äußerungen (Feststellungen, Antworten, Fragen) der Hauptbeteiligten sollten möglichst wörtlich zitiert werden, um die Authentizität und Unmittelbarkeit der Situation zu erhalten. Die Abfolge der Handlungen, ihre Kontinuität sollte im Rahmen der allgemeinen Beschreibung des Kontexts nachvollziehbar werden; • allfällige Ideen, die das eigene, spontane Verstehen der Situation ausdrücken. Diese sollten von der Beschreibung des Geschehenen deutlich abgehoben werden. M 20 Aufzeichnungen bei nachträglicher Themenwahl Im Unterschied zu Anekdoten wird bei dieser Methode die Niederschrift der Beobachtung durch bewusst formulierte Fragestellungen gesteuert. 1. Notieren Sie auf (etwa zehn) Karten Themenbereiche, zu denen Sie Daten sammeln möchten (z.B. Aufmerksamkeit der SchülerInnen, Verhalten des Schülers A usw.). 2. Am Ende des Schultages nehmen Sie die zwei bis drei obersten Karten aus dem Paket und schreiben zu jedem der gezogenen Themenbereiche eine einschlägige Beobachtung in Ihr Forschungstagebuch. Der Zeitaufwand, der für das Nachdenken und Niederschreiben erforderlich ist, muss 10-15 Minuten nicht übersteigen.

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3. An den folgenden Schultagen nehmen Sie die jeweils nächsten 2-3 Karten, bis Sie zu allen Themenbereichen eine Aufzeichnung haben. Dann beginnen Sie wieder von vorne, wobei die Karten auch neu gemischt werden können. Das Besondere an dieser Methode besteht darin, dass systematische und zufällige Elemente der Beobachtung kombiniert werden. Indem die Lehrperson weiß, dass mehrere Themenbereiche zur Niederschrift in Frage kommen, nicht aber welche es sind, erhöht sich ihre Sensibilität für Beobachtungen. Im Laufe der Zeit werden sich Beziehungen zwischen Beobachtungen herauskristallisieren. Einzelne Themenbereiche werden als unergiebig ausgeschieden, andere wiederum, z.B. durch Aufgliederung bereits bestehender, neu aufgenommen (vgl. Hook 1995, 132). M 21 Beobachtungsprofil Beim Beobachtungsprofil werden Aufzeichnungen nach zwei Gesichtspunkten geordnet, die sich möglichst eng an die Forschungsfragestellung(en) anlehnen. Das Beispiel in Abb. 12 wurde von einer Lehrerin angefertigt, die ihre Gestaltung von Rollenspielen genauer untersuchen wollte. Das Profil enthält als ersten Ordnungsgesichtspunkt eine Zeitachse, die in diesem Fall nach Unterrichtsphasen definiert ist (vor der Stunde, Anfang, Proben usw.). Die Vertikale enthält einige Kategorien, mit denen die verschiedenen Aktivitäten, die sich während der Rollenspiele ereignen, eingefangen werden sollen. 

Beobachtungsprofile sind einfache Beobachtungsschemata, die sich LehrerInnen entsprechend ihrer spezifischen Fragestellung selbst konstruieren können. Derartige Profile erleichtern die Aufzeichnung von Beobachtungen nach der Unterrichtsstunde, weil die leeren Felder der Matrix dazu anregen, die Erfahrung unter dem jeweiligen Gesichtspunkt abzusuchen. Beobachtungsprofile können aber auch als Hilfsmittel bei der „Beobachtung durch Dritte“ verwendet werden: Durch die Vorgabe eines Profils kann die Lehrperson ihre HelferInnen auf die Gesichtspunkte, die ihr wichtig sind, hinweisen. Außerdem können Profile auch als Analyseschema bei der Analyse von Unterrichtstranskripten und Interviews verwendet werden (vgl. M 34).

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Abb. 12: Beobachtungsprofil (gekürzt nach Walker/Adelman 2003, 22f )

Bewegung zu dem Platz, wo gesprochen wird. Bewegung weg davon, um Rat und Material zu holen

Fluktuieren, um mit Freunden zu sprechen. Ankommende suchen Plätze. Rausgehen, um Geräte zu holen.

Bewegung der SchülerInnen

Eher statisch. Kinder sitzen

Viele sitzen auf Tischen, Hauptsächlich in der Überall! Einschließlich aber einige benützen Mitte des Raumes. Kasten Tische für ihre Arbeit Einige benützen Tisch, um Arbeit fortzusetzen

20 wirklich beteiligt, Alle außer 3-4 6-7 nicht beteiligt. Rest unruhig oder halb beteiligt

Sehr hoch

Benützter Raum

Anzahl der beteiligten SchülerInnen

Niedrig, aber Murmeln

Eher hoch

Lärmniveau

Hoch

Niedrig

Niedrig

Konzentrationsniveau

Aushelfen mit Ideen und bei Problemen mit den Geräten. Informationen geben. Widerstrebende S zu Aktivitäten ermutigen

Einige hören zu. AnSehr damit beschäftigt, dere flüstern unruhig. ihre Ideen vorzubereiten Andere setzen schriftliche Arbeiten ruhig fort.

Informelles Plaudern. L-S-Gespräch, um Einige Aktivitäten zur das Verständnis der Vorbereitung der Geräte jeweiligen Rollen sicherzustellen

Proben

Aktivität der Nehmen Platz. ReSchülerInnen den, Fragen, was in der Unterrichtseinheit passiert. Gehen herum. Langsames Eintreffen der Kinder.

Meine Aktivität

Anfang S zum Äußern neuer Ideen ermutigen. Bei der Vorbereitung einer Abstimmung über eine Idee für die nächste Woche helfen

Diskussion

Etwas dichter

Alle

Mäßig

Hoch

Auf Spieler beschränkt Wenig, wenden sich (wechselnd). Bewegung, an mich um OHP- Leinwand zu sehen.

Bühne = Mitte des Raumes. Bewegung in den Pausen

Alle

Extrem niedrig

Sehr hoch

Gespanntes Beobachten. Ruhiges, kontrolliertes, Stellen ihre Ideen, schau- aber lebhaftes Interesse spielerisch dar. Benützen und Äußern von Beiträgen mich, um Ideen zu bestätigen. Handeln nach den schriftl. Botschaften

Beobachten. Hilfe mit Geräten und bei Fragen. Ins Spiel eingreifen durch schriftliche Botschaften an bestimmte Leute

Spiel

Fluktuieren

Umher- gehen

-

Eher hoch

Niedrig

Einige bringen Geräte zurück. Einige helfen beim Aufräumen. Herumlaufen und Abbruch der Aktivität

Achtgeben, dass Geräte zurückgestellt und der Raum sauber verlassen wird. Mit halbem Ohr auf andere Ideen hinhören

Aufräumen

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vor der Stunde

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Beobachtung und Dokumentation von Prozessen

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(3) Beobachtung durch „Dritte“ So paradox dies auch klingen mag, für die meisten LehrerInnen, die den Unterrichtsprozess beobachten wollen, besteht ein Problem darin, dass sie schon zuviel wissen. Beobachtung erfordert eine gewisse „Naivität“, einen „fremden Blick“ (Rumpf 1986), eine Fähigkeit, das Unerwartete und Ungewöhnliche im Alltäglichen und Normalen zu entdecken. Dazu ist eine gewisse Distanzierung von der Situation, zu der man selbst gehört, Voraussetzung. Jede Situation in der Klasse kann aus mehreren Perspektiven gesehen werden: • aus der Perspektive der Lehrperson: Aus dieser Perspektive wird eine Situation zu ihrer persönlichen (wenn auch nicht alleinigen) Leistung. Sie beurteilt sie (und damit auch sich) an ihren Erwartungen als mehr oder weniger erfolgreich. • aus der Perspektive der SchülerInnen: Sie sind PartnerInnen oder KontrahentInnen bei der Gestaltung der Situation. Ihr Denken und Handeln sind gestaltende Elemente der Situation, und • aus der Perspektive von Dritten: Sie wollen die Situation miterleben und verstehen, ohne jedoch direkt eingebunden zu sein. Informationen aus der Perspektive der SchülerInnen oder Dritter erleichtern die Distanzierung der forschenden LehrerInnen von der Situation. Eine dritte Person, die zur Beobachtung herangezogen wird – eine Kollegin oder ein schulexterner kritischer Freund – kann eine neue Sicht des Geschehens im Klassenzimmer eröffnen, weil ihre „blinden Flecken“ der Wahrnehmung (wahrscheinlich) andere sind als jene der Lehrperson. Außerdem kann eine nicht unterrichtende dritte Person genauer und mehr beobachten, weil sie mehr Zeit zur Verfügung hat und nicht unter Handlungsdruck steht. Der Beobachter oder die Beobachterin hat damit Zugang zu Informationen, die forschenden LehrerInnen nicht ohne weiteres verfügbar sind und die auch belastend sein können. Es empfiehlt sich daher, für die Beobachtungsaufgabe eine Person zu wählen, der man vertraut. Wenn diese Voraussetzung gegeben ist, sollten sich forschende LehrerInnen nicht mit trivialen Kommentaren zufrieden geben, sondern die Beobachtenden veranlassen, detailliert zu schildern, was sie gesehen haben. Wenn forschende LehrerInnen von vornherein spezielle Fragen oder Vermutungen formulieren (z.B. was tut A im Verlauf der Stunde? oder: Ich vermute, dass A, wenn an der Tafel gerechnet wird, nur den Text abschreibt) fällt es den BeobachterInnen leichter, ihre Aufmerksamkeit auf jene Sachverhalte zu konzentrieren, die den Forschenden wichtig sind. Ersuchen Sie die Beobachterin oder den Beobachter, Ihnen die Beobachtungen so rasch wie möglich in schriftlicher Form zu geben, sehen Sie sich diese Aufzeichnungen in Ruhe an und überlegen Sie, was Sie noch zusätzlich erfahren möchten. Die schriftliche Form regt dazu an, Beobachtungen in eine Ordnung zu bringen. Wenn Sie mit den BeobachterInnen über einzelne Beobachtungen sprechen wollen, halten Sie eine gewisse Distanz und vermeiden Sie, sich für Dinge, die Ihrer Meinung nach „schlecht“ waren, zu entschuldigen oder sie zu erklären. Wenn Ihre

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Wahrnehmung von jener der BeobachterInnen abweicht, lassen Sie sich in keine Streitgespräche ein (sondern geben Sie höchstens kommentarlos Gegenbeispiele). Die Regeln des Analysegesprächs (vgl. M 7) können auch hier hilfreich sein. M 22 Unterrichtsprotokoll Grell/Grell (2001) haben Vorschläge zur Gestaltung schriftlicher Berichte über Unterrichtsbeobachtungen (Unterrichtsprotokolle) ausgearbeitet. Zur Abschreckung zunächst ein negatives Beispiel eines Unterrichtsprotokolls (nach Grell/ Grell 2001, 296ff): 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Guter Einstieg! Schüler sind motiviert. Ablenkung durch Lehrer. Fragen nicht wiederholen! Immer dieselben kommen dran! Tafelschrift. Interessante Aufgabe. Leerlauf vermeiden! Stillarbeit kontrollieren! Hausaufgabe wirkt künstlich!



Warum ist dies kein gutes Unterrichtsprotokoll? Es enthält zwei Werturteile (1, 6), drei Vorschriften (3, 7, 8), zwei Interpretationen (2, 9), ein Stichwort (5) und nur zwei sehr ungenaue Beobachtungen (4, 6). Über die Stunde selbst erfährt man praktisch überhaupt nichts. Worauf sollten Sie achten, wenn Sie ein brauchbares Unterrichtsprotokoll schreiben wollen? (modifiziert nach Grell/Grell 2001, 297): a) Beschreiben Sie, was geschieht, und zwar so genau wie möglich: • was LehrerInnen und SchülerInnen wörtlich sagen • was LehrerInnen und SchülerInnen tun (z.B. „der Schüler A weint“ statt: „der Schüler A ist traurig“; „Schülerin B macht den Fehler x in ihrem Heft“ statt „Schülerin B kann es nicht“; z.B. welche Aufgaben gestellt werden, was SchülerInnen an die Tafel schreiben, mit welcher Seite des Buches gearbeitet wird usw.) b) Verwenden Sie für häufig auftretende Wörter Abkürzungen (L = LehrerIn, S = nicht identifizierte SchülerInnen, bei identifizierten SchülerInnen die ersten beiden Buchstaben ihres Namens, T = Tafel, HA = Hausaufgabe). Verwenden (oder zeichnen) Sie einen Bankspiegel mit den abgekürzten Namen oder Nummern für alle SchülerInnen zur leichteren Identifizierung. c) Lesen Sie nach der Beobachtung Ihr Protokoll noch einmal sorgfältig durch, um Fehler zu korrigieren, Unklarheiten zu beseitigen und Ergänzungen anzubringen. Mögliche Ergänzungen sind: • wie einzelne Ereignisse auf Sie gewirkt haben (freundlich/unfreundlich, ermutigend/entmutigend) • welche Ideen Ihnen gekommen sind, wie man es anders machen könnte.

Beobachtung und Dokumentation von Prozessen

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d) Intensive Beobachtung eine ganze Stunde hindurch ist sehr anstrengend. Es empfiehlt sich daher, Phasen größerer mit solchen mit geringerer Konzentration abzuwechseln (etwa 5 Minuten intensive Beobachtung mit zahlreichen Notizen, dann 5 Minuten eher kursorisch zusammenfassende, knappere Notizen). Die Phasen der Konzentration können auch inhaltlich definiert sein (etwa eine Gruppenarbeit genau, den Rest kursorisch beobachten). e) Zweckmäßig ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen eher beschreibendem und eher interpretierendem Berichten (vgl. Kap. 2.3.3). Eher beschreibendes Berichten stellt das Verhalten so dar, „wie es ist“, also was gesagt und getan wurde mit so wenig Erklärung, Bewertung und Beurteilung wie möglich. Diese Art des Berichtens ist auf der „Leiter des Schließens“ auf der untersten Stufe angesiedelt (vgl. M 15). Eher interpretierendes Berichten lässt erkennen, wie ein Verhalten auf den Beobachter gewirkt hat, welche Empfindungen es bei ihm auslöst, wie er es verstanden hat etc. f) Eine praktische Hilfe, im Unterrichtsprotokoll die beschreibende Darstellung nicht zu vergessen, besteht darin, das verwendete Blatt zu knicken, die linke Seite ausschließlich der Beschreibung zu widmen und nur auf der rechten Seite Interpretationen, gefühlsmäßige Reaktionen und Kommentare einzutragen. M 23 Schattenstudie Die Mitarbeit von BeobachterInnen eröffnet eine interessante Möglichkeit, Entwicklungen genauer zu studieren. Ein Beispiel dafür ist die „Schattenstudie“. Bei der Schattenstudie konzentriert sich die Beobachtung auf bestimmte Personen(gruppen) und erstreckt sich über einen längeren Zeitraum. Dabei wird eine Schülerin, eine Schülergruppe oder auch die forschende Lehrperson selbst für einige Zeit von BeobachterInnen als „Schatten“ begleitet und beobachtet. So beobachtete Robinson (1984) ein Kind während seiner ersten drei Schultage jeweils im Zeitraum von 20 Minuten vor Beginn des Unterrichts bis 20 Minuten nach Ende des Unterrichts und machte detaillierte Aufzeichnungen über den Tagesablauf in der Schule. Sein Resümee: Das Kind wollte von der ersten Minute an mit der „Arbeit“ anfangen, wurde aber hauptsächlich zu administrativen Tätigkeiten und zu fader repetitiver Arbeit veranlasst, was seinen Enthusiasmus rasch abkühlte. Robinson meint dazu verallgemeinernd: „Die Entfremdung beginnt, sobald SchülerInnen in der Schule ankommen“. Die Ergebnisse der Studie bewogen den Schulleiter und die betroffenen LehrerInnen, den Schulanfang an dieser Schule neu zu gestalten.



Bei einer Schattenstudie sollten die BeobachterInnen den beobachteten Personen (z.B. einer Schülergruppe) so nahe wie möglich sein, ohne als Teil der Gruppe gesehen und in deren Arbeit hineingezogen zu werden.

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5.4.2 Tonaufzeichnung Tonaufzeichnungen mit analogen oder digitalen Aufnahmegeräten halten die akustischen Merkmale eines Prozesses fest. Gegenüber der Beobachtung geht dabei einiges an Information verloren: der situative Rahmen, in dem ein mündlicher Austausch erfolgt, und alle nicht-akustischen Signale (Bewegungen, Gesichtsausdruck, Gesten usw.). Das akustische Material wird jedoch genauer festgehalten, als dies bei der direkten Prozessbeobachtung je möglich ist. Hopkins (2014) nennt zwei Nutzungsmöglichkeiten von Tonaufzeichnungen: • Aufzeichnung ganzer Unterrichtseinheiten zur allgemeinen Orientierung und besonders zur Gewinnung von Fragestellungen für die weitere Untersuchung. • Aufzeichnung zeitlich eng begrenzter, sorgfältig ausgewählter verbaler Interaktionen (z.B. einer Prüfung, einer Wiederholung, einer Gruppenarbeit usw.) zur Untersuchung bereits gewählter Fragestellungen. (1) Ein Beispiel: Tonaufzeichnung einer Partnerarbeit Nachdem ein Lehrer drei Mathematikstunden dem Thema „Bewegungsaufgaben“ gewidmet hatte, wollte er untersuchen, wie SchülerInnen sich gedanklich mit solchen Problemen auseinandersetzen. Die gemeinsame Arbeit von zwei SchülerInnen an einschlägigen Aufgaben wurde mit einem Aufnahmegerät aufgezeichnet. Eine der Aufgaben lautete: Peter hat einen 16 km langen Weg vor sich. Seine Geschwindigkeit beträgt 4 km/h und er geht um 8 Uhr los. Peters Großvater ist eine halbe Stunde vor Peter losgegangen, weil er nur halb so schnell gehen kann. Wo wird Peter ihn einholen?



Im Folgenden wird ein Ausschnitt aus der Partnerarbeit wiedergegeben, an der ein leistungsmäßig „besserer“ (Anton) und ein „mittlerer“ Schüler (Bernhard) beteiligt waren.23 Be: An: Be: An: Be: An: Be: An: Be: An: Be: An: Be: An:

23

Hm schwer ha? Also Peter und Großvater und Peter v, t und s. Geschwindigkeit von Peter war 4, der Großvater geht die Hälfte, also 2, die Zeit ist x eine halbe Stunde vor Peter () Großvater ist x, der Peter ist normal x; der Peter ist x+ x+? +30 also plus 1/2, plus 1/2 () und die Strecke? 16 Des weißt ja net! Is s Wieso? Du weißt ja die Strecke net, wo er ihn einholt. Aber die Strecken, die der Großvater Wo wird Peter ihn einholen? Des wiss mer net. Oder weißt du das? Ich weiß des net. (5 Sek.) Hm. Da muss i nachdenken. Sag einmal du was!

Im Transkript werden Zeichen verwendet, die in M 25 erklärt werden.

Beobachtung und Dokumentation von Prozessen

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Be: An: Be: An:

Des stimmt net. Die Strecken is 16. Woher willstn das wissen? Die Strecke ist immer 16. Des steht ja schon da. Schau, warum steht dann da: wo wird Peter ihn einholen? Also die Strecke, wo er ihn einholt, die Zeit müsst ma genauer bestimmen. Hm. (5 Sek.) Überlegen wir jetzt. Oder weißt, was wir noch rechnen könnten? Rechnen wir einmal aus, wie lang – ja genau – rechnen wir einmal aus, wie lang der Peter braucht, bis er die 16 Kilometerstunden, 16 Kilometer, zurückgelegt hat. Das ham wir schon. Jetzt rechnen wir aus, wieviel der Großvater, ja der muss die doppelte Zeit Be: 16. Der Peter braucht vier Stunden, der Großvater braucht 8 Stunden An: Genau. Ja, ja. Be: mhm An: und da Dingsda, der Peter und der Großvater () Geschwindigkeit is 4 und 2. Die Zeit Be: Äh ist t. Die haben wir ja, die Zeit. An: Die Zeit, bis er ihn einholt, wissen wir jetzt a schon. 8 Stunden der Großvater, also der Peter braucht 4 Stunden, 7 1/2 Stunden braucht der Großvater. Be: Er ist eine halbe Stunde früher weggegangen. () An: Und die Strecken is 16 km gewesen. So: wann hat er ihn eingeholt? Nach 4 Stunden, also nach vier Stunden hat ihn der Peter eingeholt gehabt. Be: Den hätt er auch früher schon eingholt ghabt. An: Na, nach 4 Stunden hat er ihn eingholt. Schau, das ist A und das ist B. A und B. 16 km (An zeichnet). Hälfte ist 8 km und da auch 8 km. Jetzt schauen wir amal, ob er ihn vor die 8 oder nach die 8 km eingholt hätt. Also wenn er 8 km geht, geht der Peter 2 Stunden. Der Großvater geht 4, 3 1/2 Stunden (unverständliches Gemurmel). Be(?): Aha. An: Also 8 km ist dann gleich dem Großvater seine Strecke und (dem) Peter seine Strecke. Na, sie gehen ja nicht entgegen. Wenn sie gegeneinander gegangen wären, hätt mas gfunden () 2 Stundenkilometer, Zeit ist eine halbe und die Strecke ist dann Be: 2 x 1/2 ist An: s = v mal t. 2 mal 0,5 ist Be: 2 An: () 6 Minuten. 6 Minuten braucht er für a halbe Stund. Aber das stimmt net. 6 km geht er in aner halben Stund. Be: 1 km An: Wenn er da 18 geht Be: 1 km geht er in einer halben Stunde

Wir raten LeserInnen, das Transkript ein zweites Mal zu lesen, damit deutlich werden kann, welcher Reichtum an Informationen in ihm enthalten ist. Wir haben zur Illustration einige besonders auffallende Schwierigkeiten der beiden Schüler zusammengestellt (Näheres über die Analyse solcher Texte bietet Kap. 6): • Die Schüler versuchen erst gar nicht, sich klar zu werden, worum es bei dieser Aufgabe eigentlich geht. • Sie konzentrieren sich stattdessen auf irrelevante Angaben (z.B. die Länge der gesamten Strecke) und lassen sich davon anregen, Routinen („Weißt Du, was

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Sammlung von Daten man noch rechnen könnte?“) durchzuspielen, ohne zu prüfen, ob sie für die Aufgabenstellung etwas bringen. Es gelingt ihnen nicht, Schritte der Aufgabenlösung auseinander zu halten, sodass sie immer wieder auf dieselben, bereits als unbrauchbar erwiesenen Lösungswege zurückfallen. Die begriffliche Unterscheidung von Zeit, Weg und Geschwindigkeit (zumindest der Zusammenhang zwischen Bedeutung und Symbol) scheint Schwierigkeiten zu bereiten („Großvater ist x, der Peter ist normal x“). Der Hausverstand wird in manchen Passagen ziemlich zurückgedrängt: „6 km geht er in einer halben Stund". Hausverstand und Formelkenntnis (Logik und Schema) scheinen sich gegenseitig zu behindern.

Aus diesen wenigen Andeutungen dürfte deutlich werden, dass solche Aufzeichnungen einen Einblick in das Denken von SchülerInnen im Umgang mit schulischen Aufgaben geben können. Sie eröffnen zudem Möglichkeiten zur Bewältigung der sichtbar gewordenen Probleme: z.B. könnte ein solches Transkript den SchülerInnen selbst zur Analyse vorgelegt und mit ihnen besprochen werden. SchülerInnen könnten ihre eigenen Strategien genauer unter die Lupe nehmen und selbst Verbesserungen suchen. Zweckmäßigere Strategien des Herangehens an solche Probleme (vgl. Polya 1995) könnten vorgestellt und von den SchülerInnen an neuen Aufgaben erprobt werden. Erfahrungsgemäß verändert das Wissen der SchülerInnen, dass eine Audioaufzeichnung gemacht wird, die Situation meist nur kurzfristig. Mit einer gewissen Zurückhaltung der SchülerInnen muss allerdings zunächst gerechnet werden. Auf die Frage, was die aufgezeichnete Stunde von anderen unterscheidet, sagen die SchülerInnen nicht selten: „Es ist ruhiger als sonst". Das Ausmaß, in dem eine Situation durch eine Audioaufzeichnung verändert wird, hängt bei älteren SchülerInnen auch stark davon ab, wie sie darauf vorbereitet wurden, d.h. welche Bedeutung sie der Aufzeichnung beimessen und wieweit sie damit einverstanden sind. Nach der Aufnahme sollte möglichst sofort ein Datenresümee mit Ort, Zeit, Klasse, Thema geschrieben werden (vgl. M 33), um später mühelos Zugriff zum Datenmaterial zu haben. (2) Anregungen zur Transkription von Audioaufzeichnungen Die Audioaufzeichnung von Klassenunterricht oder der Arbeit einer Schülergruppe ist mithilfe eines digitalen Aufnahmegerätes meist problemlos möglich und kostet praktisch keine zusätzliche Zeit. Die Schwierigkeiten beginnen erst beim Versuch, die gewonnenen Informationen zu nutzen. Erfahrungsgemäß muss eine Aufzeichnung zwei- bis dreimal angehört werden, um sinnvoll verwertet werden zu können. Noch wesentlich mehr Zeit ist für die schriftliche Fassung (Transkription) einer Audioaufzeichnung erforderlich. Zeitsparend wirken Fußtasten, mit denen die

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Wiedergabe der Tonaufzeichnung gesteuert werden kann. Wegen des Zeitaufwandes24 kommen Transkriptionen nur für kurze Ausschnitte in Frage, wenn nicht im Rahmen von Projekten oder durch Institute finanzielle oder personelle Hilfe zur Verfügung gestellt wird. Diese Schwierigkeiten schränken die Praktikabilität von Tonaufzeichnungen wieder ein. Daher sollte diese im Allgemeinen sehr aufschlussreiche Methode der Datensammlung gezielt eingesetzt werden, sodass der Aufwand, der für das Abhören und allenfalls Transkribieren von Passagen erforderlich ist, überschaubar bleibt. M 24 Teilweise Transkription von Aufzeichnungen Eine ökonomische Form der Bearbeitung von Unterrichtsaufzeichnungen besteht darin, ausgewählte Stellen zu transkribieren. Dabei kann in folgenden Schritten vorgegangen werden: 1. Erstes Anhören der Audioaufzeichnung in voller Länge, um einen Gesamteindruck zu gewinnen. 2. Beim zweiten Anhören der Aufzeichnung werden geordnete Notizen angefertigt: Einzelne Szenen, Phasen des Unterrichts werden durch Stichworte charakterisiert. Beginn und Ende der entsprechenden Audiosequenzen werden notiert, um die Stellen schnell auffinden zu können. Durch diesen Vorgang wird eine Ordnung in die verfügbaren Daten hineingebracht, die der eigenen Fragestellung entspricht. 3. Auf der Basis dieser Notizen werden die für die Fragestellung relevanten Szenen ausgewählt und voll transkribiert. Es besteht die Tendenz, den ersten und manchmal auch den zweiten dieser drei Schritte unter Zeitdruck wegzulassen, weil sie noch „zu nichts Verwertbarem“ führen. Diese „Ersparnis“ kann aber nachträglich viel Zeit kosten und die Qualität der Arbeit senken. Die ersten beiden Schritte sind die eigentlich konstruktiven Leistungen. Sie stiften Ordnung und machen damit eine sinnvolle Beschränkung des hohen Transkriptionsaufwandes möglich. M 25 Transkriptionsregeln Die folgende Übersicht umfasst einige gängige Regeln, mit deren Hilfe versucht wird, möglichst viele Merkmale einer Tonaufzeichnung auf ökonomische Weise schriftlich zur Geltung zu bringen. Wir haben nur die wichtigsten ausgewählt, die für fast jedes Transkript von Bedeutung sind (nach Andelfinger/Voigt 1984, 26): 24

Auch Spracherkennungsprogramme sind (derzeit) nicht in der Lage, die Aussagen unterschiedlicher SprecherInnen in Realsituationen in befriedigender Weise zu transkribieren. Allerdings kennen wir KollegInnen, die – mit Kopfhörer mitgehörte Interviews oder Situationen – selbst noch einmal in das Spracherkennungsprogramm eingeben.

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Sammlung von Daten L LehrerIn Ka „Karl“ (identifizierter Schüler) S nicht identifizierter Schüler SS mehrere SchülerInnen (unv.) unverständlich (Zählen wir die 3 hinzu?) vermuteter Wortlaut bei schwer verständlicher Passage (Lachen) Zusammenfassung von Passagen, sinngemäße Ergänzung bzw. Charakterisierung nicht-sprachlicher Vorgänge, der Sprechweise oder des Tonfalls durch den Transkribierenden (?) Unsichere Zuschreibung (…) Auslassung durch den Transkribierenden (5 Sek.) bzw. () Pause von 5 Sekunden bzw. von unter 5 Sekunden dieser auffällige Betonung dieser gedehnt

5.4.3 Fotografie „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Diese Wendung ist zwar zumindest was den Wert von Bildern für die Untersuchung von Unterrichtssituationen anlangt reichlich übertrieben. Dennoch werden mit Fotografien Daten erfasst, die der Beobachtung zwar zugänglich, aber meist noch flüchtiger sind und noch leichter übersehen werden, als dies bei mündlichen Äußerungen der Fall ist. (1) Welchen Wert hat die Fotografie für forschende LehrerInnen? Fotos holen eine Geschichte gewordene Situation in die Gegenwart zurück (vgl. dazu Bogdan/Biklen 2002, 102ff und 139ff). Sie bieten damit eine Gelegenheit, sich selbst und anderen (z.B. SchülerInnen) wieder einen relativ ganzheitlichen Eindruck der Situation zu vermitteln.

Abb. 13: Fotografie einer Klassensituation

Beobachtung und Dokumentation von Prozessen

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Das Foto in Abb. 13 stammt aus einem Unterrichtsversuch, bei dem der Lehrer den SchülerInnen Gelegenheit gab, durch Überlegen selbst auf die Lösung einer Bewegungsaufgabe zu kommen. Obwohl auf dem Bildausschnitt nur elf SchülerInnen zu sehen sind, zeigt er vier verschiedene soziale Formen von Selbstorganisation bei der Auseinandersetzung mit dem Problem: einen Einzelarbeiter, die Zweiergruppe, die sich mit dem Lehrer berät, die Dreiergruppe, die „Traube“ von SchülerInnen, die sich um den Klassenbesten schart. Diese soziale Vielfalt entstand quasi „von selbst“; sie ist als spezifische „Antwort“ der SchülerInnen auf die Schwierigkeit des mathematischen Problems zu verstehen, durch die der zeitliche und organisatorische Spielraum gestaltet wurde, der vom Lehrer offen gelassen wurde. Das Foto wurde von einem der Autoren aufgenommen, der den Unterricht beobachtete und anschließend SchülerInnen interviewte. Im folgenden Ausschnitt kommentiert ein Schüler die im Bild dargestellte Szene: „Es haben sich Gruppen gebildet und die haben selber entschieden … sonst, wenn sich jemand nicht auskennt in der Klasse, dann sitzen wir da und warten, bis der Herr Professor das erklärt und so haben wir schon ziemlich alle nachgedacht darüber“ (Posch 1986a, 304).

Fotos können forschenden LehrerInnen in mehrfacher Hinsicht dienlich sein: • als Erinnerungshilfe bei der Prozessbeobachtung: Fotos lassen den Gesamteindruck einer Situation wieder entstehen. • Anhand von Fotos können in Ruhe die nicht-verbalen Details sozialer Situationen studiert werden. • Fotos können Fragen und Ideen provozieren und damit das Finden einer Ausgangssituation erleichtern. Fotos haben vor allem in Zusammenhang mit anderen Datenquellen (besonders Interviews und Unterrichtsaufzeichnungen) ihren Wert und können zugleich weitere Daten erschließen. Wenn ein Ereignis anhand von Fotos mit SchülerInnen besprochen wird, können dabei selbst wieder wertvolle weitere Daten gewonnen werden. Daher können Fotos auch gute Ausgangspunkte für Interviews abgeben. Vor allem jüngere SchülerInnen lassen sich durch die Konkretheit des Bildes zu Erklärungen und Erzählungen anregen. Fotos können auch ein geeignetes Medium für die Erforschung ihrer Schulumwelt durch Schülerinnen und Schüler sein (vgl. Schratz/Steiner-Löffler 1997). Auch wenn Fotografieren im Zeitalter von mit digitalen Kamerafunktionen ausgestatteten Mobiltelefonen und Tablets mittlerweile zum Alltag der Kinder und Jugendlichen gehört, kann der Einsatz der Fotografie in der Klasse ebenso wie jener von anderen technischen Medien der Datenerfassung mit Störungen verbunden sein. Diese sind aber nur geringfügig, wenn die Lehrperson selbst fotografiert, die SchülerInnen das Fotografieren akzeptieren und sich daran gewöhnt haben. Eventuelles Misstrauen von SchülerInnen gegenüber dem Fotografiertwerden wird vermindert, wenn die Fotos den SchülerInnen nachher zugänglich gemacht und

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Sammlung von Daten

eventuell mit ihnen besprochen werden. Es ist auch möglich, SchülerInnen dafür zu gewinnen, selbst Aufnahmen (z.B. mit dem eigenen Handy) zu machen; allerdings sollten Lehrerforscher diesen vorher ihre Zielsetzung ausführlich erläutern. (2) Technische Anregungen Digitale Kameras (als Einzelgeräte, auf Mobiltelefonen oder Tablets) haben im Allgemeinen ausreichende Qualität für Unterrichtsaufnahmen und erlauben es zudem, die Bilder sehr rasch nach der Aufnahme am Computer anzusehen. Wichtiger als technische Feinheiten sind Vorkehrungen, um das fotografische Material später nutzen zu können. Möglichst bald nach der Aufnahme sollte ein Datenresümee (vgl. M 33) angefertigt werden, in dem neben den üblichen Angaben auch die beim Fotografieren gemachten Beobachtungen und die Situation, in der fotografiert wurde, festgehalten werden. Eine solche Kontextinformation (Ort, Zeit, Gegenstand, Thema) ist für die Interpretation unbedingt nötig, weil Situationen im Bild nur punktuell (ohne das „Vorher“ und „Nachher“ zu erfassen) festgehalten werden. 5.4.4 Videoaufzeichnung Vordergründig betrachtet, vereinigt die audiovisuelle Dokumentation (z.B. mit digitalem Camcorder, Tablet oder Mobiltelefon) die Vorteile der auditiven und visuellen Dokumentation und weist noch zusätzlich jenen des bewegten Bildes auf. Sie vereinigt allerdings auch beider Nachteile. Die Vorteile bestehen vor allem darin, dass Ton und Bild synchron in realer Zeit ablaufen. Dadurch wird eine relativ ganzheitliche Rekonstruktion der aufgenommenen Situation möglich, allerdings aus der Perspektive der Kamera gesehen. Die Abfolge des Geschehens in der Zeit kann Bedingungen und Auswirkungen bestimmter Ereignisse deutlicher sichtbar machen als andere Methoden. Muster im eigenen Verhalten und im Verhalten der SchülerInnen werden erkennbar, vor allem solche, an denen verbales und nicht-verbales Verhalten beteiligt sind (Für die Analyse verbaler Muster ist die Audioaufzeichnung besser geeignet). Schließlich kann man mit Video-Dokumenten anderen Personen (z.B. SchülerInnen) eine erlebte Situation anschaulich illustrieren und leicht mit ihnen darüber ins Gespräch kommen. Diesen Vorteilen stehen allerdings einige Probleme gegenüber. Da Videoaufnahmen oft mit einer deutlich sichtbaren Apparatur (z.B. Stativ) verbunden sind, wird ihnen viel Aufmerksamkeit entgegengebracht, was sich störend auf die Klassensituation auswirken kann. Wenn die Kamera nicht von einer eigenen Person geführt wird, sondern die ganze Zeit statisch auf einen Ausschnitt gerichtet ist, ist die Störung geringer. Bei häufigerer Verwendung gewöhnen sich SchülerInnen aber auch an diese Form der Datensammlung. Aus Videoaufzeichnungen Nutzen zu ziehen, kostet viel Zeit. Eine sorgfältige Analyse, bei der man sich auf das Wesentliche im Sinne der Fragestellung konzentriert, erfordert mehrmaliges Abspielen der Aufnahme. Noch zeitaufwendiger und tech-

Interview und Gespräch

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nisch ziemlich umständlich ist die Transkription von Ausschnitten (vgl. M 24 und M 25). Bild und Ton enthalten eine Fülle von Informationen. Daher muss auch viel Irrelevantes angesehen werden. Falls man Wert darauf legt, dass die Kamera auf Ereignisse im Verlauf des Unterrichts (durch Nahaufnahmen, Schwenks) flexibel reagiert, ist eine kameraführende Person (z.B. SchülerIn) erforderlich. Für diese ist die Versuchung meist groß, sich dabei weniger von den Forschungsinteressen der Lehrperson als von den Konventionen der Fernsehprogramme leiten zu lassen. In vielen Fällen genügt eine fix aufgestellte Kamera, die auf einen größeren Ausschnitt der Klasse gerichtet ist, auf eine Schülergruppe oder auf einen Schüler, dessen Arbeit die Lehrperson näher untersuchen möchte. Ein Problem stellt bei Videoaufzeichnungen der Ton dar. Die Reichweite der Kameramikrophone ist für die Aufzeichnung von Klassenunterricht häufig zu gering. Oft ist ein hochwertiges Zusatzmikrophon nötig, das je nach Forschungsinteresse aufgestellt wird, z.B. bei Klassenaufnahmen möglichst in der Mitte der Klasse, bei Aufnahmen einer Schülergruppe am Arbeitstisch der Gruppe. Nach Durchführung einer Aufzeichnung sollte das Videomaterial sofort am Computer abgespeichert und die Dateien beschriftet (Ort, Zeit, Gegenstand, Untersuchungsthema) werden. Wichtig ist ferner, dass zeitnah ein Datenresümee (vgl. M 33) angefertigt wird. Die ethischen Gesichtspunkte, die bei allen Dokumentationen zu beachten sind, gelten hier in erhöhtem Maße, weil die private Sphäre umso stärker verletzbar ist, je ganzheitlicher und authentischer sie rekonstruiert wird (vgl. Kap. 5.2).

5.5 Interview und Gespräch Interviews wie auch schriftliche Befragungen (vgl. Kap. 5.6) sind eine Weiterentwicklung des alltäglichen Gesprächs. Wie dieses bieten sie Zugang zu Informationen, über die Interviewpartner verfügen. Ihr besonderer Wert besteht darin, dass sie Gedanken, Einstellungen, Haltungen erschließen, die „hinter“ dem aktuellen Verhalten stehen. Verhalten und seine materiellen Spuren sind mehrdeutig. Das Verhalten eines Schülers, das eine Lehrerin als störend erlebt, kann für den Schüler etwas Anderes bedeuten als für die Lehrerin. Die mündliche und schriftliche Befragung bietet einen direkteren Zugang zu dem, was sich der Schüler „dabei denkt“, als andere Methoden. Dabei sind allerdings die Grenzen dieses Zugangs nicht aus dem Auge zu verlieren. Die Befragung bringt (im Idealfall) nur das ans Licht, was Befragte denken, d.h. ihre Interpretation eines Geschehens zum Zeitpunkt und unter den Bedingungen der Befragung. Auch wenn sie die Wahrheit sagen, d.h. den Frager oder die Fragerin nicht irreführen wollen, werden sie etwas „verschweigen“, weil ihnen in der Regel nicht alle Gründe ihres Verhaltens bewusst sind.

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5.5.1 Das Gespräch als „Beziehung“ zwischen Personen Interviews sind Gespräche, deren Zweck es vor allem ist, Sichtweisen, Interpretationen, Bedeutungen kennen zu lernen, um das Verständnis einer Situation zu verbessern. Die wichtigste Voraussetzung für das Gelingen von Interviews besteht darin, dem Interviewpartner deutlich zu machen, dass die Informationen, die man von ihnen erwartet, bedeutsam in zweifacher Hinsicht sind: • Für den/die InterviewerIn: Die Interviewten geben Informationen preis, weil sie erleben, für jemanden dadurch eine wichtige Rolle zu spielen. • Für die Interviewten: Die Interviewten glauben, durch ihre Mitteilungen etwas an ihrer eigenen Situation zu verbessern. Wie lassen sich günstige Voraussetzungen für Interviews schaffen? Watzlawick et al. (2000) haben zwei Ebenen der Kommunikation unterschieden: die inhaltliche Ebene und die Beziehungsebene. Diese Ebenen beeinflussen einander: die Beziehung, die zwischen zwei Personen besteht (z.B. gegenseitiges Vertrauen), beeinflusst das Verständnis dessen, was gesagt wird (des Inhalts). Die Interpretation des Gesagten wirkt sich umgekehrt auch auf die Beziehung aus. Der Interviewer oder die Interviewerin haben im begrenzten Ausmaß Einfluss auf die Gestaltung beider Ebenen. Wenn LehrerInnen SchülerInnen interviewen, kann durch den Zusammenhang von Inhalts- und Beziehungsebene ein Problem entstehen: Beide Seiten bauen nicht erst beim Interview eine Beziehung zueinander auf, sondern haben bereits auf vielfältige Weise Einstellungen zueinander (zwischen Vertrauen und Misstrauen, Zuneigung und Ablehnung) erworben. Dieser Beziehungsrahmen ist die Ausgangssituation für das Interview. Er beeinflusst zunächst die Art und Weise, wie eine Schülerin die Äußerungen des Lehrers und der Lehrer die Äußerungen der Schülerin versteht. Wenn die Schülerin den Lehrer als jemanden erlebt, der an ihren Beiträgen nur insofern Interesse hat, als sie das widerspiegeln, was zu lernen war und was der Lehrer ohnehin bereits weiß, wird sie kaum glauben, dass es in der Interviewsituation anders ist: dass der Lehrer wirklich etwas wissen möchte, das er noch nicht weiß, dass er z.B. die persönlichen Gedanken der Schülerin kennen lernen will. Diese Schwierigkeit kann verringert werden, wenn für Interviews eine dritte Person (z.B. KollegIn) eingeladen wird, die die Schülerin oder den Schüler noch nicht kennt und die als „unbeschriebenes Blatt“ eher in der Lage ist, erst in der Interviewsituation eine Beziehung zur SchülerIn aufzubauen25. In unklaren oder schwierigen Beziehungssituationen können Interviews durch Dritte notwendig sein, um einen Zugang zum Denken von SchülerInnen zu eröffnen. Letztlich sollte aber die for25

Streng genommen sind auch „neutrale“ InterviewerInnen nicht wirklich neutral. Sie werden von SchülerInnen zunächst unter „die Erwachsenen“ eingeordnet und jene Barriere überwinden müssen, die SchülerInnen aus ihrer Alltagserfahrung mit Erwachsenen aufgebaut haben, z.B. aus der Erfahrung, dass Erwachsene nur selten wirklich wissen wollen, wie Kinder (oder Jugendliche) eine Sache sehen.

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schende Lehrperson soweit kommen, selbst Interviews mit ihren SchülerInnen zu führen. Auch wenn Aktionsforschung meist von einem Forschungsinteresse von LehrerInnen ihren Ausgang nimmt, sollte daraus im Laufe der Zeit ein gemeinsames Vorhaben von LehrerInnen und SchülerInnen entstehen. Wir schlagen dies nicht nur aus ethischen Gründen vor, sondern auch aus der Erfahrung, dass das Verstehen und die Weiterentwicklung einer Situation an Qualität gewinnen, wenn sie zu einem gemeinsamen Anliegen von LehrerInnen und SchülerInnen werden. 5.5.2 Vorbereitung des Interviews Das Ziel eines Interviews besteht darin, von einer Person (oder mehreren) etwas zu erfahren, das einem wichtig ist und das man noch nicht weiß. Man sollte sich daher genau überlegen, was und warum man wie erfragen möchte. Ergebnis der Überlegungen ist ein Leitfaden für das Interview, in dem die Themen notiert sind, zu denen man etwas erfahren möchte, und ihre mögliche Abfolge im Interview (vgl. die Hinweise in M 26). Es empfiehlt sich auch, wichtige Fragen oder solche, die sensible Themen betreffen, auszuformulieren26, um sie sorgfältiger durchdenken zu können. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie beim Interview auch streng in dieser Form gestellt werden, weil das Eingehen auf die Interviewpartner und die spezielle Situation andere Fragestrategien nahelegen können. Doch auch in diesem Fall war die Vorbereitung des Leitfadens wahrscheinlich nicht vergeblich, weil sie eine Gelegenheit zur gedanklichen Antizipation von Interviewinhalt und -situation geboten hat. M 26 Vorbereitung eines Interviewleitfadens Die Vorbereitung eines Interviewleitfadens kann sich an folgenden Gesichtspunkten orientieren: 1. Fragen formulieren Quellen für Fragen: • Brainstorming zu Entwicklungs- und Forschungsinteressen (ev. ‚externe Personen‘ einbinden) • Vorhandene Notizen aus dem bisherigen Entwicklungsprozess durchsehen • Dokumente und Literatur durcharbeiten 2. Bisher gefundene Fragen gruppieren, gewichten und reduzieren • Struktur – Überschriften • Haupt- und Nebenfragen • Notwendiges – Verzichtbares 3. Sequenzieren und wichtige Passagen formulieren • Welche Abfolge der Fragen ist günstig? (Aufwärmen, offene Fragen zuerst, Wichtiges nicht an den Schluss verschieben) 26

Gesichtspunkte für die Formulierung von Fragen finden sich in Kap. 5.6.

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Sammlung von Daten • Einstieg (Zweck des Interviews, Ethik, Aufwärmen) • Ausstieg (Dank, Vereinbarungen) • ‚kritische‘ Fragen (eher gegen Ende des Interviews) 4. Materialien vorbereiten • graphische Aufbereitung des Interviewleitfadens  – gut strukturiert als überschaubare Checkliste • ev. Vorbereitung von ‚Anschauungsmaterial‘ (z.B. Zeitleiste, Dokumente, Bilder) • Vorbereitung und Test von Geräten (z.B. Überprüfung des Akkustandes und der vorhandenen Speicherkapazität bei digitalen Aufnahmegeräten) 5. Test des Leitfadens • an Personen, die den später zu interviewenden Personen ‚vergleichbar‘ und bereit sind, ausführliche Auskunft über Schwächen der Fragestrategie zu geben • Überarbeitung

In der Sozialforschung werden unterschiedliche Typen von Interviews differenziert (z.B. Lamnek 1995, Bd. 2, 68ff; Flick 2007), die sich vor allem danach unterscheiden, wie viel Freiheit dem Interviewpartner bei der Gestaltung der Antworten gelassen wird. Wir beschränken uns in diesem Kapitel auf die Besprechung „offener“ Interviews. Im Gegensatz zu den „strukturierten“ geben sie den Befragten Spielräume zur freien Darstellung ihrer Situation und ihrer Überlegungen. Hron (1989, 119) unterscheidet zwei Formen offener Interviews: fokussierte und narrative. Für forschende LehrerInnen kommen vor allem fokussierte Interviews infrage: das sind Interviews, bei denen Wahrnehmungen und Deutungen bestimmter Ereignisse (z.B. von Situationen in einer Unterrichtsstunde = der Fokus) erfragt werden. Die Übergänge zum noch offeneren narrativen Interview sind allerdings fließend. Beim letzteren fehlt auch die durch den Fokus vorgegebene Struktur. Vorgegeben ist nur ein breiter thematischer Impuls (z.B. „Wie SchülerInnen in offenen Lernformen lernen“), der von den Befragten selbständig entwickelt wird. Die Auswahl der Interviewpartner hängt davon ab, welche Problemstellung die Lehrperson untersuchen möchte. Für manche Fragen ist es wichtig, mehrere Personen zu interviewen, die sich unter bestimmten Gesichtspunkten unterscheiden (z.B. leistungsstärkere und -schwächere, angepasste und weniger angepasste SchülerInnen usw.). Für manche Fragen sind Einzelinterviews geeigneter, für andere Gruppeninterviews: Die Beziehungssituation von Gruppeninterviews ähnelt der alltäglichen, in der SchülerInnen miteinander reden; der soziale Druck zum Reden ist für den Einzelnen durch die Anwesenheit anderer etwas geringer und das Erzählen wirkt ansteckend. SchülerInnen, die von anderen wegen ihrer (vielleicht ungeschickten) Formulierungen belächelt oder verspottet werden könnten, sollten aber besser allein interviewt werden. Die Auswahl von Ort und Zeit für das Interview hängt ebenfalls von der Fragestellung und den Möglichkeiten der Lehrerforscher

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ab. Gute Interviewmöglichkeiten bestehen in einer Sprechstunde, wenn die SchülerInnen für die Zeitdauer des Interviews vom Unterricht freigestellt werden können. Wenn der Unterricht es erlaubt (z.B. bei selbständiger Schülerarbeit), kann auch während des Unterrichts interviewt werden. Kürzere Gespräche finden ja auch während der alltäglichen Arbeit statt. 5.5.3 Interviewführung (1) Der Anfang Am Anfang ist es wichtig, die Gesprächspartner um Mitarbeit zu bitten und den Zweck des Interviews zu erklären. Eine solche Information (die nicht viel Zeit in Anspruch nehmen muss) ist aus mehreren Gründen zu empfehlen: • aus ethischen: es ist nicht vertretbar, die Mitteilungen von Befragten für Zwecke zu verwenden, die ihnen nicht bekannt sind, • aus inhaltlichen: wenn Interviewpartner wissen, worum es geht, sind sie eher in der Lage, die Informationen zu liefern, die im Interview benötigt werden, • aus motivationalen: wenn sich die Interviewpartner als „MitarbeiterInnen“ der Forschung fühlen, sind sie eher bereit, ihre Überlegungen zur Verfügung zu stellen. Jedenfalls sollten SchülerInnen die Interviewsituation von anderen Situationen direkter Kommunikation mit LehrerInnen unterscheiden können. Wenn SchülerInnen das Interview als eine Art von Prüfung wahrnehmen, werden sie voraussichtlich nur jene Antworten geben, von denen sie glauben, dass die Lehrperson sie hören will. Wir raten, Interviews mit einem Aufnahmegerät aufzuzeichnen. Man bekommt dadurch authentisches Material und kann sich besser auf die Aussagen der Interviewpartner konzentrieren, weil man nicht durch Mitschreiben abgelenkt ist. Wenn eine Audioaufzeichnung nicht möglich ist, erleichtern Notizen während des Interviews die ausführliche Niederschrift, die unmittelbar danach erfolgen sollte. Auch ein geteiltes Blatt, auf dessen einer Hälfte Stichworte und auf der anderen Hälfte wörtliche Zitate notiert werden, kann die nachträgliche Rekonstruktion erleichtern. (2) Das Zuhören Um etwas mitzuteilen, sind zwei Personen nötig: eine, die sie erzählt, und eine, die sie versteht. Um etwas über eine komplizierte Situation mitzuteilen, ist zudem eine bestimmte Haltung beim Zuhören erforderlich: Einfühlungsvermögen, disziplinierte Phantasie, Sympathie, Aufmerksamkeit, Geduld, Distanz, Gefühl für Wahrheit und Bereitschaft, zu sehen (vgl. Bedford in MacDonald/Sanger 1982). Das Zuhören ist beim Interview genauso wichtig wie das Fragenstellen. Die nichtverbalen Botschaften, die durch die Art des Zuhörens vermittelt werden, sind für die Interviewten ebenso wie die Fragen, die gestellt werden, Hinweise darauf, ob

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sie als InformantInnen ernst genommen werden. Ein Ernstnehmen der oder des Interviewten zeigt sich in der Regel an folgenden Verhaltensweisen: • Gedankengänge werden nicht unterbrochen. • Pausen werden als natürliche Phasen des Nachdenkens akzeptiert. Dies erfordert eine Umorientierung, weil im Unterrichtsalltag Pausen häufig anders interpretiert werden. • Alle Äußerungen werden angenommen, auch solche, die den eigenen Erwartungen nicht entsprechen. Da LehrerInnen im Unterrichtsalltag oft gewohnt sind, solche Äußerungen nicht zu tolerieren, ist „neutrale Aufmerksamkeit“ besonders schwierig. Aber auch das Gegenteil erfordert Übung: Freudige Zustimmung dort zu vermeiden, wo Interviewpartner Erwartungen bestätigen. Beides, Zustimmung zu und Missbilligung von Äußerungen – auch wenn sie auf weniger leicht kontrollierbare nicht-verbale Art zum Ausdruck kommen – können den Befragten den Eindruck vermitteln, dass die FragerInnen gar nicht wissen wollen, was sie wirklich denken, sondern nur ihre eigenen Einschätzungen bestätigt bekommen wollen. Es besteht dann die Gefahr, dass die Interviewten diesen Wunsch erfüllen: sie sagen nur mehr das, was von den FragerInnen voraussichtlich positiv bewertet wird, auch wenn sie raten müssen. Die Wertschätzung und Anerkennung, die die InterviewerInnen den Befragten zollen, sollte sich also nicht auf den Inhalt des Gesagten beziehen, sondern auf die Bereitschaft, von ihren Gedanken etwas mitzuteilen. (3) Das Fragen Die Fragen sollen den Befragten deutlich machen, worüber die InterviewerInnen etwas hören möchten. Sie sollen helfen, den „gedanklichen Raum“ der Interviewten auszuloten. Die folgenden Anregungen dienen diesem Zweck. Für den Verlauf des Interviews ist der Anfang sehr wichtig, weil er eine instabile Situation darstellt, in der sich das Verständnis der „wahren Intentionen“ des Interviews in den Interviewten erst herauskristallisiert und eine Beziehung aufgebaut wird. Eine gute Möglichkeit, den Befragten gegenüber das Interesse an ihren Meinungen auszudrücken, besteht darin, ein Thema oder eine Beobachtung mitzuteilen und sie um Stellungnahme dazu zu bitten, also etwa: „Wie siehst Du das? Was meinst Du dazu?“ Die direkte Ansprache („Wie siehst Du das?“) ist in diesem Zusammenhang wichtig, weil sie die Interviewpartner daran erinnert, dass die ForscherInnen an ihrer Meinung interessiert sind. Vor allem am Anfang des Interviews sollten „offene“ Fragen gestellt werden. Offene Fragen geben den Interviewten Spielraum bei der Gestaltung ihrer Antwort und übertragen ihnen die Verantwortung, den Inhalt, über den sie berichten, selbst zu strukturieren. Wenn man den Befragten das Thema nennt und sie bittet, dazu etwas zu sagen, sind sie frei, zu entscheiden, welche sprachliche Gestalt sie ihren Gedanken geben. Es ist dies ein Hinweis für sie, dass es auf ihre Gedanken ankommt, und damit ein Ausdruck von Wertschätzung.

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Geschlossene Fragen (das sind solche, bei denen die Antwortmöglichkeiten schon vorgegeben sind) können den Interviewten „sagen“, dass nicht das Interesse an ihren Gedanken im Vordergrund steht, sondern das Bestätigen bzw. Nichtbestätigen vorgegebener Erwartungen bzw. dass die InterviewerInnen an näheren Ausführungen kein Interesse haben. Geschlossene Fragen haben nur dann ihren Sinn, wenn die Fragenden genau wissen, welche Antworten auf eine Frage möglich sind, und wenn es darum geht, die eigenen Interpretationen zu überprüfen. Wenn aber solche Fragen (z.B. Ja/Nein-Fragen) das Interview eröffnen, kann durch sie das ganze Gespräch zu einem oberflächlichen „(kurze) Frage (kurze) Antwort“-Spiel werden. Die Offenheit kann aber auch zu weit gehen. Wenn z.B. ein ganzes Bündel von Inhalten in eine Frage verpackt wird, kann dies zwar sehr offen erscheinen, von den Interviewten aber als Aufforderung zur Oberflächlichkeit angesehen werden und zum Eindruck führen, dass die InterviewerInnen vieles, aber nichts genau interessiert. Es ist daher empfehlenswert, in einer Frage nur ein Thema anzusprechen. Zu jedem Thema sind eher beschreibende und eher interpretierende Äußerungen möglich. Durch die Art der Interviewführung sollte eine Balance zwischen diesen angestrebt werden. Allerdings ist dabei meist eine zeitliche Verschiebung erforderlich: Am Anfang eines Interviews ist es oft leichter, sachlich beschreibende Informationen zu erhalten, weil für persönlich interpretierende Äußerungen erst eine Vertrauensbasis aufgebaut werden muss. Die Fragen sollten nicht suggestiv formuliert sein. Die Fragenden sollten den Interviewten die Antworten nicht in den Mund legen. Suggestive Fragen wirken sich oft negativ auf den weiteren Verlauf des Interviews aus, weil sie die Glaubwürdigkeit der Interviewintention unterminieren. Je jünger die befragten SchülerInnen sind, desto sensibler und aufnahmebereiter sind sie für Suggestionen (z.B. „Meinst Du nicht auch …?“). Die Übertragung der Erwartungen der Fragenden auf die Interviewten (u.U. ohne dass dies beide Seiten bewusst wahrnehmen) ist eine der am weitesten verbreiteten „Fallen“ beim Interview. (4) Das Nachfragen Das Nachfragen (Sondieren) ist ein Mittel, das Interesse der InterviewerInnen an einem genauen Verständnis des Gesagten auszudrücken. Sie wollen Details genauer wissen, scheinbar Widersprüchliches aufklären usw. Dazu gibt es viele Möglichkeiten: • Äußerungen der Gesprächspartner so wiederholen, wie man sie verstanden hat, um zu prüfen, ob das eigene Verständnis dem der Befragten entspricht („aktives Zuhören"; vgl. Gordon 2012). Dies ist auch dann wichtig, wenn die Interviewten Schwierigkeiten haben, sich auszudrücken. • Um Konkretisierung oder Illustrierung durch ein Beispiel bitten. • Nach Ursachen, Gründen oder Zwecken fragen. • Widersprüche (vorsichtig) zum Thema machen und um Aufklärung bitten. • Situationen graphisch ausdrücken lassen (z.B. durch eine Zeitlinie).

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Nachfragen kann widersprüchliche Beziehungsbotschaften ausdrücken. GenauerWissen-Wollen kann einerseits als Anerkennung, andererseits als Zweifel am bisher Gesagten verstanden werden. InterviewerInnen sollten deutlich machen, dass ihr Interesse weder auf das Aufdecken von Fehlern noch auf das Bestätigen eigener Vorurteile, sondern auf Verstehen gerichtet ist. 5.5.4 Nach dem Interview Die wichtigste Aufgabe nach dem Interview besteht darin, die Daten für die weitere Verarbeitung vorzubereiten. Wenn das Interview nicht aufgezeichnet wurde, sollte sofort eine möglichst wörtliche Rekonstruktion der wichtigsten Äußerungen der Interviewpartner niedergeschrieben werden. Wenn ein Mitschnitt des Interviews gemacht wurde, sollte dieser beschriftet werden (Thema des Interviews, Interviewpartner, Zeit, Ort). Anschließend sollte ein Datenresümee (vgl. M 33) angefertigt werden. Schließlich ist es oft nötig, einige Ausschnitte aus dem Interview wörtlich zu transkribieren (vgl. M 24 und M 25). 5.5.5 Einige Anregungen zum Erlernen des Interviewens Interviewen ist weniger eine Technik als eine Einstellungssache und insofern gar nicht so leicht erlernbar. Was kann man selbst unternehmen, um diese Fähigkeit zu entwickeln? Wir raten Ihnen, Interviewtranskripte zu studieren und die gegenseitige Einflussnahme von InterviewerIn und Interviewten zu untersuchen. Auch die Analyse von aufgezeichneten Radio- und Fernsehinterviews kann helfen. Am wertvollsten sind die Vorbereitung, Durchführung und Analyse eigener Interviewversuche. Einige Anregungen dazu enthält M 27. M 27 Erste Interviewversuche 1. Schreiben Sie sich stichwortartig Themen oder Fragen auf, die Ihnen zu Ihrem Unterricht einfallen: erfreuliche und weniger erfreuliche Erfahrungen, Hoffnungen und Befürchtungen, Wünsche und Pläne. 2. Bitten Sie eine/n Ihrer SchülerInnen aus einer höheren Klasse (falls Sie die Wahl haben), mit dem/r Sie eine gute Beziehung haben und der/die bei Ihnen auch fachlich gute Leistungen erbringt, zu einem Gespräch in Ihre Sprechstunde. Holen Sie die Zustimmung der Lehrperson ein, deren Unterricht dadurch teilweise versäumt wird. 3. Nehmen wir an, Sie interviewen einen Schüler: Erklären Sie ihm, dass Sie Ihren Unterricht untersuchen und weiterentwickeln möchten und dass Sie dazu auch in Erfahrung bringen wollen, wie SchülerInnen den Unterricht erleben. Sagen Sie ihm, dass Sie das Gespräch aufnehmen möchten, um nicht mit-

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schreiben zu müssen, und dass die Tonaufzeichnung niemandem außer Kollegin NN, mit der Sie in dieser Angelegenheit zusammenarbeiten, zugänglich gemacht wird. Erzählen Sie dem Interviewpartner in ein paar Sätzen, wie Sie persönlich den Unterricht in dieser Klasse erleben. Bringen Sie ein oder zwei Erlebnisse aus einer der letzten Stunden, die erfreuliche und unerfreuliche Merkmale hatten. Bitten Sie den Interviewpartner zu sagen, wie er den Unterricht erlebt. Intervenieren Sie nicht, solange der Schüler redet, und lassen Sie Pausen zu. Wenn er aufhört, greifen Sie auf, was er gesagt hat, und bitten ihn um Details (oder um ein konkretes Beispiel aus einer der letzten Stunden). Falls Sie neue Fragen einbringen: Fragen Sie z.B., welche Ziele Sie seiner Meinung nach im Unterricht anstreben, wie er zu diesen Zielen steht, oder welche Schwierigkeiten er (oder andere SchülerInnen) im Unterricht haben. Bedanken Sie sich am Schluss beim Schüler und fragen Sie ihn, welche SchülerInnen Sie seiner Meinung nach noch zu dieser Frage interviewen sollten. Schreiben Sie kurz auf, wie Sie das Interview erlebt haben, z.B. was Ihnen am Gesprächsverlauf aufgefallen ist. Hören Sie sich die Tonaufzeichnung in einer möglichst entspannten Situation mehrmals an. Versuchen Sie, sich einzuhören auf die Wirkung ihrer Interventionen auf den Schüler und auf die Wirkungen der Äußerungen des Schülers auf Ihr Verhalten. Machen Sie sich Notizen über Ihre Beobachtungen (nicht über die guten Vorsätze, die dabei kommen werden!). Vergleichen Sie diese Aufzeichnungen mit den ersten Notizen gleich nach dem Interview (Sind jetzt neue Gesichtspunkte aufgetreten?). Jetzt empfiehlt sich auch, die Anregungen zum Interviewen in diesem Kapitel nochmals kritisch durchzugehen und mit Ihren ersten Erfahrungen zu vergleichen. Eine wertvolle Ergänzung kann es sein, einem/r befreundeten Kollegen/in das Interview mit der Bitte um Eindrücke und Rückmeldungen vorzuspielen. Wahrscheinlich wird zu diesem Zeitpunkt Ihre Sensibilität bereits um einiges größer sein als die der KollegInnen. Trotzdem fallen Unbeteiligten oft Dinge auf, die einem selbst entgangen sind. Laden Sie den/die nächste Schüler/in zu einem Interview ein und lesen Sie sich Ihre Notizen zum ersten Interview vorher nochmals durch.

M 28 „Standardfragen“ zur Unterrichtsanalyse Die folgenden Fragen können für Unterrichtsbeobachtungen oder für Interviews, die z.B. „kritische Freunde“ mit LehrerInnen und SchülerInnen in folgenden Situationen führen, nützlich sein:

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Sammlung von Daten • wenn in Interviews ein offener Einstieg in ein Gespräch über Unterricht gesucht wird, • wenn der eigene Unterricht ohne klare Fragestellung einer ersten „Exploration“ unterzogen werden soll, aus der dann eine konkrete Untersuchungsfragestellung entwickelt werden soll, • wenn erste Interviewerfahrungen gemacht werden sollen. „Standardfragen“ an LehrerInnen vor einer Unterrichtseinheit 1. Welche Ziele verfolgen Sie mit dieser Unterrichtseinheit? 2. Welche Schwierigkeiten erwarten Sie in dieser Unterrichtseinheit? Diese Fragen können auch, geringfügig umformuliert, LehrerInnen nach einer Unterrichtseinheit zur Rekapitulation der Erfahrung vorgelegt werden. Mit vergleichbaren Fragen können auch Interviews mit SchülerInnen oder ProzessbeobachterInnen durchgeführt werden (vgl. die Triangulation in Kap. 5.7): „Standardfragen“ an SchülerInnen 1. (z.B. zu den „Zielen“:) Worum ist es dem Lehrer/der Lehrerin heute gegangen? Was wollte er/sie heute erreichen? 2. (z.B. zu den „Schwierigkeiten“:) Welche Schwierigkeiten hat es in dieser Stunde gegeben? Hat es Phasen gegeben, in denen Du Dich nicht ausgekannt hast, in denen Dir langweilig war? Trotz ihrer Einfachheit bieten diese Fragen unserer Erfahrung nach einen guten Ausgangspunkt für tiefer gehende Gespräche über Unterricht, weil sie offen formuliert sind und damit dem Gesprächspartner ein weites Feld für das Suchen und Formulieren einer Antwort offenlassen. Außerdem ermöglichen sie in sehr unterschiedlichen Situationen einen sinnvollen Einstieg in ein Gespräch.

5.5.6 Fehlerquellen beim Interview Ein grundlegendes Misstrauen gegen das Interview geht auf die Beobachtung zurück, dass Personen manchmal etwas Anderes sagen, als sie tun, tun wollen oder getan haben. Wenn man einmal von der absichtlichen Irreführung absieht, gibt es eine Reihe von möglichen Ursachen für diese Diskrepanzen: u.a. selektive Erinnerung, Erinnerungsverklärung, Rationalisierung, Schwierigkeit des Themas, Persönlichkeit und Status der InterviewerInnen, das Vorhandensein eines Aufnahmegerätes sowie allgemein der soziale und räumliche Rahmen, in dem das Interview stattfindet, der sich möglicherweise von den üblichen Handlungsbedingungen unterscheidet. Einige dieser Probleme lassen sich vermindern: • Innere Widersprüche in den Äußerungen weisen darauf hin, dass sie von verschiedenen, miteinander nicht harmonisierten Bedeutungsstrukturen stammen.

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Wenn sie zum Gegenstand des Gesprächs gemacht werden, lassen sie sich manchmal auflösen. • Pausen, die während des Redens auftreten, weisen darauf hin, dass nachgedacht oder etwas ausgelassen wird. Durch nicht zu rasches, vorsichtiges Nachfragen, das nicht das Nachdenken sofort unterbricht, kann versucht werden, der Erinnerung nachzuhelfen. • Die Nachfrage nach Details ist ein besonders wichtiges Mittel, um Verzerrungen zu vermindern („Was hast Du getan?“, „Was hast Du gesagt?“). Aufgrund ihres Hintergrundwissens kann es leicht passieren, dass LehrerInnen SchülerInnen zu rasch „verstehen“ und meinen, auf die Nachfrage nach Details verzichten zu können. • Diskrepanzen lassen sich auch dadurch verringern, dass Interviewdaten mit anderen Daten (z.B. Beobachtungen) konfrontiert bzw. Situationsdarstellungen verschiedener Personen miteinander verglichen werden (vgl. dazu Kap. 5.7). Der Grund für Verzerrungen kann aber auch tiefer liegen: die Befragten sind einfach nicht sicher, was bestimmte Situationen für sie bedeuten und was ihrem Verhalten zugrunde liegt. Dann kann das Interview für sie die erste Gelegenheit sein, sich über einen Sachverhalt klarer zu werden. In diesem Fall wird nur deutlicher sichtbar, was in aller Regel gilt: Das Interview dient nicht nur der Sammlung von Daten, sondern ist für den Interviewten eine mehr oder weniger bedeutsame, mehr oder weniger bewusst erlebte Lernsituation. Es schafft einen Rahmen, in dem die Interviewten veranlasst werden, über ein Thema nachzudenken und Erfahrungselemente zu einem tiefer gehenden Verständnis zu verbinden. Datensammlung kann dadurch zur Veränderung von Sichtweisen und damit indirekt auch von Situationen beitragen. M 29 Übung zum Interviewen Intention: Der folgende Text ist ein längerer Ausschnitt aus einem InterviewTranskript. Die Analyse dieses Beispiels soll LeserInnen anregen, sich einige Strategien und Probleme der Interviewführung bewusst zu machen. Vorgeschichte des Fallbeispiels: Eine befreundete Englischlehrerin rief eines Tages einen der Autoren an, es gäbe Probleme mit einer 7. Klasse Gymnasium (11. Schulstufe), die sie plötzlich von einem erkrankten Kollegen übernehmen hatte müssen. Besonders mit einer sehr guten Schülerin (Karin) käme sie nicht zurecht. Ich vereinbarte ein Gespräch mit der Lehrerin in einem Café. Bei diesem Gespräch erzählte sie, dass sie zunächst nur an eine kurzfristige Supplierung gedacht hatte und daher auch ohne irgendwelche Übergänge bzw. Abstimmungen in die Klasse gegangen und unterrichtet habe. Es stellte sich jedoch nach kurzem heraus, dass der Kollege ernster erkrankt war und nicht mehr in die Klasse zurückkehren würde. Bald hatte sie den Eindruck, wegen ihres Unterrichtsstils von den SchülerInnen

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Sammlung von Daten weniger geachtet zu werden, als sie es gewohnt war: „Sie glauben, bei mir müsse man nichts tun“. Recht bald zeigten sich zunehmende Spannungen mit Karin. Die Lehrerin hatte den Eindruck, dass das Mädchen ihre Art zu unterrichten und auch sie selbst als Person ablehnte und dies vor allem auf nonverbale Art und durch passiven Widerstand zum Ausdruck brachte. Nach einigen Wochen eskalierte die Situation und die Lehrerin hatte zunehmend den Eindruck, von der Schülerin „verachtet“ zu werden. Sie fühlte sich nicht in der Lage, die Situation mit der Schülerin direkt anzusprechen und so schlug ich vor, als „kritischer Freund“ die Schülerin zu interviewen, um Hintergründe des Konflikts in Erfahrung zu bringen und die Vermutungen der Lehrerin zu überprüfen. Ich schlug vor, eine Stunde zu beobachten, um einen Eindruck von der Atmosphäre zu gewinnen. Anschließend würde ich zunächst drei SchülerInnen ihrer Wahl (es sollten jedoch SchülerInnen mit unterschiedlichen Leistungen sein) und dann Karin allein zu interviewen. Wir vereinbarten den Termin und einige Details. Bei meinem Unterrichtsbesuch stellte mich die Lehrerin den SchülerInnen vor und erklärte kurz meine Rolle: Sie hätte mich eingeladen, einige SchülerInnen zu interviewen und Näheres über ihre Einschätzung des Unterrichts in Erfahrung zu bringen. Im Anschluss an den Unterricht bat sie zunächst die drei SchülerInnen zum Interview. Dieses Interview dauerte nur etwa 10 Minuten und hatte primär den Zweck, einige Vergleichsmöglichkeiten zu erhalten. Die Schülerin Karin war für die Zeit des Interviews vom nachfolgenden Unterricht dispensiert worden. Ich erklärte ihr nochmals den Zweck des Interviews (d.h. auch den Auftrag der Lehrerin) und fragte die Schülerin, ob ich das Interview aufzeichnen dürfte. Sie stimmte sofort zu und schien von Anfang an großes Interesse daran zu haben, ihre Sicht der Lehrerin mitzuteilen. Das Interview mit der 17jährigen Schülerin dauerte ca. 20 Minuten. Der folgende Ausschnitt stammt aus diesem Interview. Vorgangsweise: 1. Lesen Sie bitte das Unterrichtstranskript durch. Analysieren Sie das Interview in Hinblick auf die (eher „technische“ Seite der) Interviewstrategie z.B. nach den folgenden Fragen: • Welche Arten von Fragen wurden gestellt? • Wie haben sich unterschiedliche Fragen auf das Antwortverhalten ausgewirkt? • Welche Interpretationen könnten den Interviewer zu einzelnen Fragen veranlasst haben? • Wodurch wurde die Beziehung zur Interviewpartnerin aufrechterhalten? 2. Im Anschluss finden Sie die Selbstreflexion des Interviewers über sein Interviewverhalten sowie eine Analyse der unterschiedlichen verwendeten Interventionstypen, die Sie mit Ihrer Analyse vergleichen können.

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I: Was ist eigentlich anders im Unterricht von Frau Prof. P.? K: Es gibt Unterschiede, und zwar die, dass beim Herrn Prof. A. er vorne gesessen ist und Wissen in uns hineingestopft hat und wir sind eigentlich nur drinnen gesessen und haben entweder zugehört oder geschlafen; also es war nicht wichtig, ob man jetzt aufpasst oder nicht, nur dass man halt nicht stört; und jetzt müssen wir eben über Probleme nachdenken und eigene Antworten suchen und auch diskutieren; … ich finde es schon besser, wie es jetzt ist, aber Leute, die z.B. wenig gern reden und trotzdem viel wissen, die kommen überhaupt nicht zu Wort, weil sie sich von selber nicht melden und die Frau Prof. P. fragt eigentlich keinen einzelnen, sondern so allgemein in die Masse hinein und da melden sich immer die gleichen eigentlich; es sind immer so zwei, drei, die sich immer melden und die anderen sind ruhig, denken schon mit, aber sie sagen halt nichts dazu, das ist auch irgendwie falsch. Ich meine, irgendwie ist es besser, aber ich weiß nicht. I: Und wenn du an dich persönlich denkst? Wie empfindest du den Unterschied? K: Ja, das ist so, ich habe den Prof. A. gern gemocht und er mich auch, ich war eigentlich seine Lieblingsschülerin sozusagen und deswegen ist das nicht so objektiv von mir aus, aber ich finde es schon recht gut, weil ich rede ziemlich gerne und diskutiere und so, aber ich glaube, wenn ich das nicht täte, täte ich es nicht so gut finden, weil es zählt eigentlich nur, ob jemand gut reden kann und gern redet oder nicht. Ich meine, man lernt schon zu denken und was herauszufinden, aber es wäre vielleicht besser, wenn sie doch manchmal einen einzelnen fragen täte und sagen, Ulli, was sagst du jetzt oder so. I: Die Frau Prof. P. hat bei einem Vorgespräch auch gesagt, für die meisten Schüler bedeutet Lernen, etwas Auswendiglernen, damit man es bei der Prüfung wiedergeben kann und wenn man z.B. verschiedene Texte zu einem Thema bringt und darüber diskutiert, dann wird das eigentlich nicht so richtig ernst genommen. Wie würdest du das sehen? K: Ja, das kann schon sein. Ich meine, von mir aus eigentlich nicht. Ich habe die Texte von Herrn Prof. A. vielleicht ernster genommen; ich meine, ja, ich habe sie ernster genommen, weil ich sie nachher können hab müssen, aber ich habe sie gelernt und dann wieder vergessen, also ich habe sie dann im Kurzzeitgedächtnis für einen Tag oder zwei gespeichert gehabt, aber dann habe ich sie wieder vergessen. Und so, wie sie es eben bringt, wenn sie Fragen stellt, muss man sich gleich mit dem Text beschäftigen; dasitzen und nichts tun, ist ja auch fad. Ich meine, beim Prof. A. hat man nicht aufpassen müssen, weil die Texte sind eh’ im Buch gestanden, die er vorgetragen hat und lernen hat man sie sowieso müssen; also aufpassen tu ich persönlich mehr. I: Also würde das stimmen, dass ihr Unterricht nicht so ernst genommen wird? K: Nein, eigentlich nicht. Ich meine, es ist ärger, wenn man sich bei Herrn Prof. A. mit einem Text nicht beschäftigt, wei1 das wirkt sich auf die Schularbeit stark aus und bei der Frau Prof. P. (kann man) die Fragen, die sie bei Schularbeiten stellt, auch so beantworten eigentlich, so aus Erfahrung oder einfach die Meinung hinschreiben, das geht auch; also man muss sich nicht unbedingt damit beschäftigen, aber man tut es trotzdem. I: Und wenn du versuchst, so Revue passieren zu lassen, was du gelernt hast früher in Englisch und jetzt, welche Unterschiede lassen sich feststellen?

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K: Ja, auf jeden Fall hat der Herr Prof. A. mehr Wert auf Aussprache gelegt; bei der Frau Prof. P. kann man sich da mehr Fehler erlauben, ich glaube halt, es kommt nicht so auf die Aussprache drauf an und sie bessert nicht so viel aus, weil ihr die Meinungen wichtiger sind und bei ihm hat man eben exakt reden müssen, so ganz genau und ja kein s vergessen und so. I: Und hast du den Eindruck, dass du damals mehr gelernt hast, mehr Fortschritte gemacht hast im Englischen als jetzt oder jetzt mehr oder gibt’s da keinen Unterschied? K: Ja, ich habe jetzt vielleicht gelernt, einen Text selber zu lesen und auch zu verstehen und wichtige Punkte herauszuarbeiten, was ich beim Hr. Prof. A. überhaupt nicht habe lernen müssen. Und dort habe ich, ja was habe ich gelernt, ja, ich glaube, die Aussprache habe ich dort besser gelernt, aber so, ich weiß nicht, ich habe mich mit seinen Texten nie so richtig nachher noch beschäftigt oder darüber nachgedacht und das tue ich jetzt eben. Also jetzt ist sicher mehr draus geworden. I: Sie hat bei einem Vorgespräch gesagt, dass so der Eindruck besteht bei den Schülern, für Englisch müsse man nichts tun. K: Ja, das stimmt schon eigentlich. I: Aber wie verträgt sich das dann mit deiner Äußerung, dass du trotzdem den Eindruck hast, dass du allerhand hinzulernst? K: Ja, wenn ich daheim etwas auswendig lerne für Hr. Prof. A., dann ist das eigentlich so, als wenn ich nicht lernen würde, weil das vergiss ich dann gleich wieder; jetzt muss man zu Hause nichts tun, die Hausübung ist so minimal, die kann man in der Schule auch noch abschreiben oder so, aber in der Stunde, da lernt man eben schon mehr, (sich) über Probleme, wie z.B. Drogen oder Sport, auf Englisch auszudrücken. I: Wo warst du besser, leistungsmäßig, damals? K: Ja, beim Prof. A. I: Warum? K: Ja, ich weiß nicht, ich habe ihn seit der ersten (Klasse) gehabt und ich habe schon immer gewusst, was er jetzt geben wird zur Schularbeit, ich habe ihn schon genau gekannt und er hat mich auch ziemlich gern gehabt, wir haben uns echt gut verstanden und da habe ich eben vor der Schularbeit die Sachen auswendig gelernt, die ich gewusst habe, die kommen sicher und jetzt weiß ich das eben nicht so und manchmal verstehe ich den Text auch nicht so genau, aber mir tut es eigentlich nicht leid, dass es jetzt so ist, echt nicht. I: Und mit dem Gernhaben ist da ein Unterschied? Hast den Eindruck, dass er dich lieber gehabt hat? K: Ja das ist so, bei der Frau Prof. P. habe ich den Eindruck, dass da alle ziemlich gleichwertig sind, also ich glaube nicht, dass sie so den einzelnen sieht; sie denkt sich wahrscheinlich, ja, der hat gute Ideen oder so, aber im Grunde genommen ist der einzelne eigentlich egal. I: Egal in welchem Sinne? K: Ich meine das nicht im negativen Sinne, aber, ich weiß nicht. I: Es ist niemand so hervorgehoben? K: Ja, mehr so, genauso; wie sie die Fragen so an die Masse richtet, an alle, dann zeigt

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das ja, dass sie an Antworten interessiert ist, egal von wem, und er hat z.B. immer seine Leute gehabt, z.B. auch mich, die er da gefragt hat. Es war ein bisschen leichter, zu brillieren? Ja. Ist dir sonst noch was aufgefallen, was du für wichtig erachtest? Nein, also ich möchte nur, dass sie nicht glaubt, dass Leute, die sich nicht melden oder so, dass die nichts wissen oder nicht interessiert sind, aber manche haben einfach Angst, zu reden und haben es nicht so gelernt und deswegen sind sie ruhig und schauen irgendwie uninteressiert drein und so. Woher kommt die Angst vorm Reden? Eben, weil sie beim Prof. A., glaube ich, nie zu reden gelernt haben; der hat immer die gefragt, die sowieso reden haben können und die anderen, da war nur die Schularbeitsnote wichtig. Und in den anderen Gegenständen lernen wir auch nicht so richtig, unsere Meinung zu vertreten, finde halt ich und (da) hat man eben Angst, dass man irgendwas Falsches oder Blödes sagt; ja vielleicht in unserer Klasse ist es auch so, dass man nicht soviel sagen will, weil die anderen gleich sagen, sei ruhig und so. Da ist man gleich ein Streber…

Selbstreflexion des Interviewers: Im Folgenden hat der Interviewer selbst sein Interview kommentiert: Aufgrund der Vorgespräche mit der Lehrerin hatte ich den Eindruck gewonnen, dass eine Ursache der Probleme im Unterricht in dem sehr raschen und mit den Schülern nicht thematisierten Übergang von einem Lehrer (bzw. Unterrichtsstil) zum anderen gelegen sein könnte und dass für das Verhalten Karins noch ein weiterer, vielleicht persönlicher Grund vorliegen könnte. In diesem Kommentar möchte ich einzelne Interventionen und ihre Auswirkungen etwas näher erläutern. Die Ziffern beziehen sich auf die Zeilennummer des transkribierten Interviewausschnitts: 1 Diese eher auf Fakten bezogene, offene Frage hat die Schülerin angeregt zu erzählen. Was ich nicht bedacht hatte, war, dass damit notgedrungen auch der frühere Lehrer ins Gespräch „herein gezogen“ wurde und damit ein ethisches Problem entstand (das zu einer späteren Rücksprache der Lehrerin mit diesem Lehrer führte). Mit dieser Frage versuchte ich, die Schülerin als Person stärker zu in14 volvieren. Die Frage war etwas riskant, erschien aber vertretbar, weil ich den Eindruck hatte, bereits eine tragfähige Beziehung zur Schülerin aufgebaut zu haben. Ihre Antwort hat bereits einen deutlichen Hinweis auf den persönlichen Charakter des Problems gegeben. Mit dieser Frage verließ ich wieder die persönliche Ebene, um das allge23 meinere Problem nicht aus dem Auge zu verlieren und das Vertrauen der Schülerin nicht zu sehr zu strapazieren. Ihre Bereitschaft, zu erzählen, versuchte ich nun dadurch anzuregen, dass ich selbst etwas erzählte (nämlich eine der Beobachtungen, die mir die Lehrerin beim Vorgespräch mitgeteilt hat) und Karin um Stellungnahme dazu bat. Dies führte in der Folge

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zu einer relativ differenzierten Reflexion der Schülerin über die beiden Unterrichtsstile und ihre Vor- und Nachteile. Die Schülerin erkannte offenbar auch das Dilemma, dass der ungewohnte Freiraum zwar das Nichtstun ermöglichte, aber auch zur eigenständigen Auseinandersetzung herausforderte. Die kurze geschlossene Frage nach ihren Leistungen bei den beiden Lehrern brachte zunächst nur eine kurze Antwort. Mein Interesse an Details wurde Karin erst durch die nachfolgende Frage nach dem Warum vermittelt. Ihre Antwort darauf führte wieder zurück auf eine persönliche Ebene. Mit dieser Frage versuchte ich, die Schülerin noch auf der persönlichen Ebene zu halten. Ihre Antwort darauf liefert eine sehr wichtige Information und eine gewisse Bestätigung der anfänglichen Vermutung. Etwas verschlüsselt kommt zum Ausdruck, dass sie sich durch die neue Lehrerin weniger beachtet und anerkannt fühlte, als durch den früheren Lehrer, und dass sie den Schritt zur selbständigen Gestaltung des Lernens einerseits begrüßte, andererseits aber als Verlust von Sicherheit empfand. Das war eher eine Verlegenheitsfrage, die langsam den Abschluss des Interviews vorbereiten sollte. Ihre Antwort darauf zeigte aber mehr noch als manche Hinweise vorher, dass die Schülerin ihrer Lehrerin etwas mitteilen wollte, das sie ihr direkt offenbar nicht sagen konnte. Hier wird deutlich, dass sie den Interviewer als Medium verwendet, um die offenbar auch für sie belastende Beziehung zu ihrer Lehrerin zu verändern.

Analyse nach Interventionstypen: Beim Interview wurden mehrere Arten von Interventionen verwendet. Sie werden im Folgenden durch Angabe der entsprechenden Zeile des Transkripts illustriert. • offene Fragen: u.a. 1, 14, 23, 45, 62 (von Karin aber als geschlossen interpretiert), 65, 75, 89. • geschlossene Fragen: u.a. 38, 52, 73, 84 • eine Beobachtung erzählen und um Stellungnahme bitten: 23, 62 • Widersprüche ansprechen: 65 • um Präzisierung bitten: 89 • ein gewonnenes Verständnis überprüfen: 95 (mit suggestiver Tendenz) „Nachgeschichte“: Wie ist die Geschichte ausgegangen? Am Ende des Interviews habe ich Karin nochmals gefragt, ob ich den Interviewmitschnitt der Lehrerin übergeben dürfe. Sie stimmte zu, und ich habe der Lehrerin diesen sofort ausgehändigt. Ein paar Tage später traf ich die Lehrerin wieder, und sie teilte mir mit, dass sie in der Nacht nach meinem Vorgespräch zwar kaum schlafen konnte, dass aber das Interview eine Entspannung der Situation eingeleitet hat und sie zunehmend gelöster diese Klasse betreten hat.

Die schriftliche Befragung

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5.6 Die schriftliche Befragung Die schriftliche Befragung ist eine Art formalisiertes Interview. Der wichtigste Unterschied zum Interview besteht darin, dass der Fragende auf die Antworten der Befragten nicht unmittelbar reagieren kann. Präzisierungen der Frage oder Nachfragen sind nicht möglich. 5.6.1 Beispiel eines Fragebogens Roger Pols (o.J., 16) verwendete einen einfach gestalteten Fragebogen, um zu untersuchen, wie seine etwa zehnjährigen SchülerInnen mit einer anspruchsvollen Gruppenarbeit zurechtkamen. Bitte unterstreiche die Antwort, die Du geben willst. Wenn Du nicht sicher bist, unterstreiche jene Antwort, die Deiner Meinung am nächsten kommt. 1. Wie viel von dieser Stunde hat Dir gefallen?

alles/manches/nichts

2. Wie viel glaubst Du, gelernt zu haben?

nichts/etwas/viel

3. Wie viel hast Du verstanden?

das meiste/manches/nichts

4. Hast Du die nötigen Texte und Materialien gefunden?

ja/nein

5. Haben Dir andere SchülerInnen geholfen?

viel/ein wenig/nicht

6. Haben Dich andere SchülerInnen behindert?

stark/etwas/gar nicht

7. Hat Dir der Lehrer geholfen?

genug/nicht genug?

8. War die Stunde

lang genug/zu lang/ nicht lang genug?

9. War die Stunde

langweilig/interessant?

10. Hast Du etwas gebraucht, das Du nicht finden konntest?

ja/nein

11. Von woher hast Du Hilfe bekommen?

vom Lehrer/aus der Gruppe/ von jemand anderen

12. War für Dich die Arbeit

leicht/schwer/gerade richtig?

13. Schreibe alles auf, was Dir das Lernen schwer gemacht hat. 14. Schreibe alles auf, was Dich in dieser Stunde gefreut hat.

Abb. 14: Fragebogen zur Gruppenarbeit

Ziel des Lehrers war es, die Einschätzung der Arbeit und ihres Erfolges sowie der Arbeitsbedingungen (Materialien, Zeit, Hilfeleistungen durch LehrerInnen und MitschülerInnen, Störungen) von den SchülerInnen zu erfahren. Kurzfristig wollte er sich mit Hilfe der Daten die Planung der nächsten Stunde erleichtern. Länger-

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fristig wollte er feststellen, ob und welche Veränderungen sich bei längerer Gruppenarbeit einstellen. Er ließ den Fragebogen nach jeder Gruppenarbeit ausfüllen (ca. 5 Minuten). Für die anschließende quantitative Auswertung benötigte er eine halbe Stunde. Eines der Ergebnisse seiner Untersuchung war z.B.: „Zuerst gaben 63 % der SchülerInnen an, ein wenig bei der Arbeit behindert zu werden und niemand gab an, ‚stark‘ behindert zu werden. Am Ende wurde diese Antwort aber von 16 % gewählt“ (Pols o.J., 18).

Der Lehrer kommentiert dieses Ergebnis: „Wenn sie ihren eigenen Ideen überlassen werden, sind einige Kinder nicht in der Lage, ohne Anleitung zu arbeiten und fangen zu stören an. Sie brauchen daher eine Führung – in einer großen Klasse ist aber nicht zu vermeiden, dass manche Kinder warten müssen“ (ebenda).

Eine der langfristigen Schlussfolgerungen des Lehrers war, für die leistungsschwächeren Kinder spezielle Hilfen (genauere Anweisungen mit entsprechendem Material) bereitzustellen als eine Art Auffangnetz für den Fall, dass sie selbst mit der Aufgabenstellung nicht zurechtkamen. 5.6.2 Anregungen zur Gestaltung und Verwendung von Fragebögen Während Interviews oft als schwierig, zeitraubend und schwer organisierbar angesehen werden, gelten Fragebögen als rasch und einfach zu entwickelnde und problemlos administrierbare Instrumente der Datensammlung. Dieser verbreitete Eindruck trügt. Die Brauchbarkeit eines Fragebogens hängt zunächst entscheidend von der Qualität der Fragen ab, da ein Rückfragen und Präzisieren kaum möglich ist. Selbst wenn die Fragen zufriedenstellend formuliert sind, d.h. wenn die AdressatInnen sie so verstehen, wie der/die Autor/in sie verstanden wissen möchte, und in der Lage sind, sie zu beantworten, ist der Erkenntnisgewinn durch einen Fragebogen oft wesentlich geringer als erwartet. Der Grund besteht darin, dass mit zunehmender Strukturierung des Erhebungsinstruments die Aussagen formaler und inhaltsärmer werden. Trotz dieses grundsätzlichen Problems kann ein Fragebogen auch forschenden LehrerInnen eine Hilfe sein. Die folgenden Anregungen sollen dazu beitragen, dieses Instrument möglichst wirksam zu nutzen (vgl. Hook 1995, 159ff; Burkard 1995; Specht 2001). (1) Die Arbeit an der Ausgangssituation Der wichtigste Grundsatz lautet: Die Methoden folgen den Fragestellungen und nicht umgekehrt! Die Arbeit, die vor der Entwicklung des Fragebogens zur Reflexion des zu untersuchenden Problems aufgewendet wird, spart viel Zeit und Mühe bei der Interpretation der Daten. Forschende LehrerInnen sollten sich möglichst detailliert überlegen, wozu sie Antworten der SchülerInnen brauchen, welche sie erwarten und was sie mit ihnen voraussichtlich anfangen können. Je präziser sie

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bereits vor der Konstruktion des Fragebogens wissen, was sie wollen, desto stärker strukturiert kann der Fragebogen sein. Umgekehrt: Je vager die Vorüberlegungen sind, desto offener müssen die Fragen sein und desto schwieriger und zeitraubender ist die Auswertung. In jedem Fall empfiehlt sich, bereits bei der Formulierung der Fragen die Auswertung mitzuplanen, weil sonst leicht ein „Datenfriedhof“ entsteht, wenn man nicht weiß, was mit den vielen Daten geschehen soll. Sollen die ausgefüllten Fragebogen qualitativ oder quantitativ ausgewertet werden? Soll der Fragebogen online27 oder als Papier-und-Bleistift-Test vorgegeben werden? Wer kodiert die Daten und sorgt für die Datenaufnahme am Computer? Mit welchen Programmen28 wird ausgewertet? Das sind einige der Fragen, die bereits vor der Arbeit am Fragebogen selbst geklärt werden sollten. (2) Zur Konstruktion von Fragen Es ist oft hilfreich, sich von Beispielen inspirieren zu lassen. Nicht immer muss man einen Fragebogen selbst konstruieren. Beispielsweise gibt es zum oft untersuchten Thema „Schul- und Klassenklima“ standardisierte Tests für verschiedene Schulstufen (vgl. Eder 1998; Eder/Mayr 2000). Auch für viele andere Themen, die Lehrpersonen interessieren, sind gut ausgearbeitete und oft für bestimmte Zielgruppen standardisierte Instrumente käuflich29 oder im Internet30 zugänglich. Wenn kein wirklich bewährtes Instrument vorliegt, das sich gut für die eigene Untersuchungssituation eignet, ist es besser, ein maßgeschneidertes Instrument für die konkrete Situation und Fragestellung zu konstruieren, als einfach etwas zu übernehmen, das „ungefähr passt“. Die Erfahrung zeigt, dass Fragebögen, durch die sich die Befragten sowohl vom Inhalt, als auch von der Formulierung her angesprochen und „verstanden“ fühlen, weniger Abwehr auslösen. Dies wird im Allgemeinen zumeist dann der Fall sein, wenn das Instrument auf die spezifische Situation der Befragten zugeschnitten ist.

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Für kleinere Untersuchungen sind Plattformen für online-Befragungen kostenlos zugänglich, z.B. https://www.surveymonkey.de/; https://www.limesurvey.org/de/. Für größere Untersuchungen stehen zahlreiche kostenpflichtige Lösungen zur Verfügung, z.B. http://www.unipark.com/ Einfache quantitative Auswertungen können mit Tabellenkalkulationsprogrammen (wie Excel) durchgeführt werden; das gebräuchlichste Programmpaket für quantitative Untersuchungen ist SPSS (Statistical Package for the Social Sciences; vgl. http://www.spss.com/de/). Für die Auswertung qualitativer Daten vgl. Kap. 6. Ein Überblick über deutschsprachige Tests im Handel findet sich unter http://www.testzentrale. de/. Online-Testverfahren sind unter der Adresse http://www.zpid.de/redact/category.php?cat=82 zugänglich. Im Internet finden sich Sammlungen von schulbezogenen Befragungsinstrumenten z.B. http:// www.unterrichtsdiagnostik.de/; http://www.sqa.at/.

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a) Entscheidungen über den Inhalt • Ist die Frage oder das Statement, zu dem eine Stellungnahme erwartet wird, wirklich notwendig? In welcher Weise sind die zu erwartenden Antworten zur Lösung des Problems nützlich? Wenn nicht vorweg genau überlegt wird, was erfasst werden soll, besteht erhebliche Gefahr, dass unbrauchbares Datenmaterial erzeugt wird und gerade die wichtigen Informationen fehlen. • Deckt die Frage oder das Statement das Thema ab? Sind weitere Informationen (und damit Fragen) nötig, um die Antwort im Sinne der Fragestellung interpretieren zu können? Wenn man Informationen über einen komplexen Sachverhalt (z.B. Zufriedenheit mit dem Unterricht) erwartet, ist es notwendig, sich vorher genau zu überlegen, worin Unterrichtsqualität besteht und woran Zufriedenheit mit dem Unterricht erkannt werden kann, d.h. welche unterschiedlichen Indikatoren für „Zufriedenheit mit dem Unterricht“ es gibt (z.B. die Erklärungen des Lehrers sind verständlich, die Lehrerin geht auf Fragen der SchülerInnen ein, der Lehrer ist hilfsbereit …). Eine solche „theoretische Dimensionierung“ des untersuchten Sachverhalts ermöglicht es, aussagekräftigere Fragen zu formulieren als einfach zu fragen: „Wie zufrieden bist Du mit dem Unterricht?“ Fragen, die sich auf diese Indikatoren (bzw. Dimensionen) beziehen, erlauben es, unterschiedliche Facetten eines Gegenstandsbereichs zu erfassen, die dann bei der Auswertung zusammengefasst werden können. • Besonders wichtig ist, dass eine Frage bzw. ein Statement nur eine Aussage enthält. Enthält es zwei oder mehr Aussagen, sind Ablehnungen nicht eindeutig zu interpretieren, weil unsicher ist, welcher der Aussagen sie gelten. (Beispiel: Wird das Item „Ich arbeite gerne an dieser Schule, weil ich hier viele Kollegen sehr schätze“ abgelehnt, ist unsicher, ob der Befragte ungern an der Schule arbeitet, ob er hier keine geschätzten KollegInnen hat, oder ob beides der Fall ist). • Haben die Befragten die zur Beantwortung der Fragen nötigen Informationen? Wenn dies bezweifelt werden muss, ist keine brauchbare Antwort zu erwarten. b) Entscheidungen über die Formulierung der Fragen bzw. Items • Kann die Formulierung missverstanden werden? Sind die verwendeten Ausdrücke für die befragte Altersgruppe leicht verständlich? Unklare Formulierungen führen oft zu uninterpretierbaren oder nichtssagenden Ergebnissen. Die Fragen sollen, wenn möglich, im vertrauten Wortschatz der Befragten formuliert sein. Komplexe, schwer verständliche Sätze sollen vermieden werden. Ein professioneller Fragebogen besteht meist überwiegend aus Items, die den kritischen (aber fachlich nicht versierten) LeserInnen übersimplifizierend erscheinen. In der Summe führen aber gerade solche Instrumente zu validen und zuverlässigen Ergebnissen. • Ist die Formulierung suggestiv? Wird durch die Formulierung der Frage eine bestimmte Antwort nahegelegt?

Die schriftliche Befragung

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• Reizt die Formulierung zum Widerspruch oder zur Ablehnung? Emotional besetzte Ausdrücke können sich beispielsweise auf die Gültigkeit der Antworten negativ auswirken. • Zielt die Frage eher auf die Beschreibung objektiver Sachverhalte oder auf die Mitteilung subjektiver Stellungnahmen (Meinungen, Einstellungen), z.B. „Denke an den gestrigen Schultag. In welchen Gegenständen hast Du gestern Hausübungen bekommen?“ oder „Fühlst Du Dich durch Hausübungen überlastet?“ Fragen nach subjektiven Informationen sollten durch Fragen nach objektiven Informationen ergänzt werden. Z.B. kann die Frage „Wie zufriedenstellend war die Gruppenarbeit für Dich?“ durch die Frage, was konkret gemacht wurde, ergänzt werden. • Ist eine direkte oder eine indirekte Frageweise angemessener? Bei direkten Fragen wird eine persönliche Meinungsäußerung der Befragten zu einem Sachverhalt erbeten, z.B. „Wie hat Dir die Stunde gefallen?“ Bei indirekten Fragen werden die Befragten nicht direkt nach ihrer Meinung gefragt, sondern um ihre Reaktion auf die Meinung anderer Personen oder auf vorgegebene Situationen gebeten (vgl. Friedrichs 1990, 201f ), z.B.: „Franz und Peter reden über eine Gruppenarbeit. Franz sagt: ‚Bei Gruppenarbeit tue ich nie etwas, weil die anderen die Arbeit machen‘. Wie siehst Du das?“ Auch Fragen, die sehr persönliche, vertrauliche oder tabuisierte Themen betreffen, oder Themen, bei denen die persönlichen Interessen oder der soziale Druck groß sind, verleiten dazu, wenn überhaupt, dann jene Antwort zu geben, die wahrscheinlich erwartet wird bzw. der eigenen Situation nützt. Bei derartigen Themen kann es zweckmäßig sein, eine projektive Frage (Was denken Deiner Meinung nach die meisten SchülerInnen über die neue Schulordnung?) der direkten Frage (Was hältst Du davon?) voranzustellen. c) Entscheidungen über die Form, in der die Antwort erfolgt • Sollte die Frage besser zum Ankreuzen einer oder mehrerer Vorgaben, zu einer Kurzantwort (wenige Worte) oder zu einer frei formulierten Antwort auffordern? Oft sind Kombinationen geschlossener und offener Fragen möglich, z.B. „Arbeitest du lieber allein, mit einem/r Mitschüler/in oder in einer Gruppe? Warum arbeitest Du lieber in der von Dir angekreuzten Form?“ • Wenn eine Auswahlantwort verlangt werden soll, wie viele Alternativen sind zweckmäßig? Alle gewählten Alternativen sollten im Sinne der Fragestellung aussagekräftig sein. • Wenn unter mehreren Vorgaben zu wählen ist, sind diese trennscharf und umfassen sie alle wichtigen Möglichkeiten? Ausdrücke wie „gewöhnlich“, „gut“ usw. sind mehrdeutig und schwer zu interpretieren. • Ist die Reaktion, die von den Befragten verlangt wird, eindeutig beschrieben? Ist z.B. klar, ob eine oder mehrere Alternativen angekreuzt werden sollen?

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Sammlung von Daten

Das folgende Beispiel weist mehrere Mängel auf (vgl. Hook 1995, 171).

b) c) d) e)

„Welche der folgenden Aussagen über das Projekt kommt Deinen Gedanken am nächsten? a) Ich hatte mit Dingen zu tun, die mir neu waren Es erweiterte mein Wissen über das Thema Ich konnte mein Arbeitstempo selbst festlegen Ich konnte alle meine Fähigkeiten gebrauchen Die praktische Anwendung nützlicher Fertigkeiten war erforderlich“

Es ist möglich, dass diese Vorgaben die Gedanken von SchülerInnen gar nicht berühren. Sie könnten das Projekt z.B. als Katastrophe erlebt haben, ohne dass dies bei den Antworten deutlich würde. Andererseits haben manche Vorgaben so ähnliche Bedeutungen, dass die Befragten unter ihnen nicht klar unterscheiden können. d) Entscheidungen über die Abfolge der Fragen • Wird die Antwort auf eine Frage vom Inhalt vorhergehender Fragen beeinflusst? • Ermöglicht die Abfolge der Fragen ein langsames Vertrautwerden mit der Thematik des Fragebogens? Am Anfang sollten Fragen nach objektiven Informationen (Faktenfragen zu Situationen und Verhaltensweisen) stehen. Erst später, wenn sich die Befragten auf die Situation eingestellt haben, sollten Fragen nach subjektiven Informationen (Einstellungen, Gefühlen usw.) folgen. (3) Einige Beispiele für Frageformen (1) Kreise die gewählte Antwort ein: Die Lehrerin hat Interesse an meiner Arbeit Richtig Falsch (2) Kreuze die zutreffende Antwort an: Die Lehrerin stellte mir   keine Fragen   wenige Fragen   viele Fragen (3) Kreuze die Antwort an, die Dir am ehesten entspricht: Wenn Dir die Lehrerin bei einer Projektarbeit die Wahl ließe, würdest Du   vorziehen, allein zu arbeiten   vorziehen, mit 1 Mitschüler/in zu arbeiten   vorziehen, mit mehr als 1 Mitschüler/in zu arbeiten   unentschieden sein

Die schriftliche Befragung (4) Zutreffendes bitte unterstreichen: Ich verstand, was die Lehrerin uns erklärte fast immer/häufig/etwa zur Hälfte/selten/fast nie (5) Kreise die Zahl ein, die Deiner Meinung am nächsten kommt 1 = kommt sehr selten vor 2 = kommt manchmal vor 3 = kommt öfters vor 4 = kommt sehr häufig vor Die Lehrerin hat Humor 1 2 3 4 (6) Im Folgenden findest Du eine Liste von Aussagen. Kreuze an, welche von Dir stammen könnte. Diese Aussage könnte Ich bin oft mutlos in der Schule

von mir stammen 

nicht von mir stammen 

(7) Liest Du regelmäßig Zeitschriften?  JA  NEIN Wenn JA, schreibe ihre Titel auf: …………………………………………… (8) Wie lange hast Du gestern nach der Unterrichtszeit für die Schule gearbeitet?  0-1 Stunden  2-3 Stunden  4-5 Stunden  mehr als 5 Stunden Oder: Trage die Arbeitszeit in Stunden in das Kästchen ein (9) Stelle Dir folgende Situation vor: Karin liest einen englischen Text vor. Immer wenn sie einen Aussprachefehler macht, lachen einige SchülerInnen. Was geht in Karin vor? …………………………………………………………………………… (10) Schreibe nieder, was Du außerhalb der Schule am liebsten tust: ……………………………………………………………………………

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Sammlung von Daten

Die Beispiele (4) und (5) sind Varianten einer Frageform („Skalen“), die besonders häufig verwendet wird, wenn Meinungen, Einstellungen, Befindlichkeiten usw. erfasst werden sollen. Dabei werden Ist-Aussagen formuliert, die die Befragten auf einer Skala beantworten. Häufig werden fünfstufige Skalen verwendet (z.B. trifft genau zu/trifft eher zu/unentschieden/trifft eher nicht zu/ trifft überhaupt nicht zu). Die Vorgabe einer Mittelkategorie („Unentschieden“ oder auch „weiß nicht“) erleichtert zwar das Ausweichen vor einer klaren Stellungnahme. Ihr Fehlen kann zu Unwillen führen, etwa wenn die Befragten zu einer Entscheidung gezwungen werden, zu der sie keine Meinung haben. Ja/ nein Fragen wie z.B. (7) sind bei der Abfrage faktischer Informationen u.U. geeignet, sonst aber eher problematisch, weil sie wenig Information bieten und oft Widerwillen erregen. Wenn konkrete Sachverhalte erhoben werden (z.B. tägliche Arbeitszeiten außerhalb der Unterrichtszeit, Frage 8), ist es sinnvoller, die Frageform zu verwenden und als Antwortkategorien sinnvolle Einheiten (z.B. 0-1/2-3/4-5/mehr als 5 Stunden) vorzugeben. Solche zu finden, kann aber erhebliche Mühe kosten und mit Vorversuchen verbunden sein. Es ist oft besser, gar keine Antwortkategorien vorzugeben, sondern die Antwortenden eine Zahl („tägliche Arbeitszeit in Stunden“) in ein Kästchen schreiben zu lassen und später die Aufteilung in einzelne Klassen aufgrund der empirischen Verteilung vorzunehmen. Fragebögen sollen Fragen unterschiedlichen „Schwierigkeitsgrades“ enthalten. Als „Schwierigkeitsgrad“ bezeichnet man den Anteil an (vermuteten) Zustimmungen. Es sollen also Items enthalten sein, denen ein großer Teil der Befragten zustimmen kann (z.B. „Wenn eine Unterrichtsstunde gelungen ist, gehe ich oft mit einem Gefühl der Zufriedenheit aus der Klasse“), aber auch solche, die einen „harten Test“ für den zu erfassenden Gegenstand darstellen (z.B.: „Am Morgen in meine Klasse zu kommen, ist für mich jeden Tag ein Augenblick freudiger Erwartung“). Wenn zu „leichte“ oder zu „schwierige“ Fragen zu sehr dominieren, gibt es eine große Gruppe von Befragten mit gleichen Antworten, zwischen denen kaum differenziert werden kann (Ceiling-Effekte). Neben positiv formulierten Fragen (die z.B. Zufriedenheit ausdrücken) sollten auch negativ formulierte (die z.B. Unzufriedenheit ausdrücken) aufgenommen werden. Damit soll die Entstehung schematischer Antwortmuster ebenso vermieden werden wie der Eindruck von Manipulation durch die Fragestellung. Vor dem Einsatz sollte ein Fragebogen getestet werden. Dies kann bei einer kleinen Gruppe von Befragten erfolgen, u.U. auch nur bei einer Person, die bei der Bearbeitung begleitet wird. Sehr wertvoll kann auch die Überprüfung durch einen erfahrenen Fragebogenkonstrukteur sein.

Die schriftliche Befragung

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5.6.3 Vor- und Nachteile der Verwendung von Fragebögen mit eher geschlossenen Fragen Der Fragebogen kann ein nützliches Instrument in der Hand forschender LehrerInnen sein. Seine wichtigsten Vorzüge sind: Die Verteilung an SchülerInnen, Eltern, KollegInnen usw. ist relativ einfach. Das Ausfüllen pro Frage benötigt relativ wenig Zeit. Die Fragen können von einer größeren Anzahl von Personen in einem kurzen Zeitraum  – u.U. sogar gleichzeitig (in der Klasse, bei einem Elternabend)  – beantwortet werden, was gute Chancen für umfassende Untersuchungen bis zur Möglichkeit von repräsentativen oder Totalerhebungen bietet. Der unpersönliche Charakter geschlossener Fragen und die Möglichkeit ihrer anonymen Beantwortung erleichtert die Offenheit bei der Bearbeitung. Der soziale Druck, der auf den Antwortenden lastet, ist geringer als bei Interviews. Das Nachdenken über Fragen fällt daher manchmal leichter. Allerdings sollten auch die Nachteile von Fragebögen im Sinn behalten werden: • Es gibt keine sichere Kontrolle, ob die Fragen so verstanden werden, wie die forschende Lehrperson sie verstanden wissen möchte. Dieses Problem lässt sich etwas mildern, wenn ein Fragebogen vor dem Einsatz an einer kleinen Gruppe getestet wird, durch ein oder mehrere Interviews geprüft wird oder wenn verschieden formulierte Fragen zum selben Inhalt gestellt werden. Es muss auch damit gerechnet werden, dass Fragebögen von manchen nicht ernst genommen werden, u.a. deshalb nicht, weil sie nur sehr wenig von dem abbilden, was den Antwortenden wichtig ist. Dies kann auch auf eine eher formale Weise zum Ausdruck kommen, indem z.B. bei „ja/nein“ oder „wahr/falsch“-Vorgaben eher das „ja“ bzw. „wahr“ angekreuzt wird oder indem extreme Vorgaben von vornherein vermieden werden. • Es ist möglich, dass die Antwort auf eine Frage durch Faktoren verzerrt wird, die den Antwortenden gar nicht oder nur zum Teil bewusst sind. Einstellungen und Gefühle sind mit dem Selbstbild und der Selbsteinschätzung einer Person eng verbunden. Dies kann zur mehr oder weniger bewussten Tendenz führen, bei den Antworten ein positives Bild der eigenen Person zu zeichnen oder zumindest negative Eindrücke zu vermeiden. • Vor allem wenn Fragebögen nicht anonym ausgefüllt werden, kann es dazu kommen, dass die Befragten die vermuteten Erwartungen der Fragesteller bestätigen (z.B. wenn LehrerInnen Informationen über den eigenen Unterricht erfragen). Diese Probleme gelten zwar auch für das Interview, sind aber dort durch den persönlichen Kontakt zwischen InterviewerIn und Interviewten leichter erkennbar. Eine wichtige Möglichkeit, die angeführten Nachteile zu verringern, besteht darin, die AdressatInnen für die Ziele der Untersuchung zu gewinnen. Wenn es den forschenden LehrerInnen gelingt, z.B. den SchülerInnen ihre Ausgangssituation verständlich zu machen und sie mit ihrem Interesse anzustecken, kann der Frage-

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Sammlung von Daten

bogen sehr verlässliche Daten liefern und zugleich zur Veränderung einer Situation beitragen. Der Fragebogen kann auch dazu dienen, die Aufmerksamkeit der SchülerInnen auf bestimmte Fragen zu lenken, die dann weiter untersucht werden. 5.6.4 Die schriftliche Befragung mit eher offenen Fragen Je offener die Fragen sind, desto leichter kann die Befragung selbst zu einem Element des Unterrichts werden. Schüleraufsätze können z.B. als Befragungen mit offener Fragestellung angesehen werden. Nach einer unerfreulichen Auseinandersetzung mit seinen Schülerinnen wegen mangelhafter Leistungen bei einem Projekt hatte ein Deutschlehrer die Hausaufgabe gestellt, Erfahrungen mit dieser Stunde niederzuschreiben. Die dabei entstandenen Texte waren die wichtigste Datenquelle des Lehrers bei seiner Untersuchung der Vorfälle dieser Stunde. Die folgenden drei Ausschnitte stammen aus den Aufsätzen der Schülerinnen: „Er (gemeint: der Lehrer) brüllte fast. Er fragte jeden einzelnen, was er an dem Projekt gearbeitet hatte. Ich sagte: ‚Fragen‘ … ‚Welche genau?‘ Natürlich konnte ich mich nicht mehr ganz genau erinnern und sagte nichts. Er meinte (laut) dann: ‚Na? … Ah, das ist jetzt wohl ganz eine neue Methode: nichts sagen und beleidigt sein‘. Ich war sehr wütend, zumal ich gar nicht beleidigt war. Aber ich schluckte meine Wut hinunter und sagte nichts und war extra beleidigt … Am liebsten hätte ich ihm meine Meinung ins Gesicht gesagt.“ (Alexandra). „Zuerst hatte ich eine ungeheure Wut. Wie konnte er nur so mit uns reden … Er schimpfte mit uns und sagte, dass wir ein hinterhältiges Pack wären, und noch vieles mehr. Dem werde ich es schon noch zeigen … Doch nach und nach wurde mir klar, dass auch wir an unserem Konflikt schuld waren, nicht nur er …“ (Kerstin). „Wütend wurde ich, als wir dargestellt wurden, als wären wir die größten Volltrottel dieses Jahrhunderts; … dass wir charakterlos, faul, hinterhältig, falsch, gemein und noch x Sachen wären; dass wir nie in eine Firma kommen werden, weil wir alle ja sooo charakterlos sind. Natürlich sahen wir ein, dass wir nicht richtig gehandelt hatten, doch musste man uns deswegen drohen, uns nicht aufsteigen zu lassen?“ (Sabine).

In seiner Auseinandersetzung mit diesen Aufsätzen schrieb der Lehrer u.a.: „Ich war überrascht über die Worte, die ich aus der Sicht meiner Schülerinnen gebrauchte. Es ist mir selbst nicht aufgefallen, dass ich manche dieser Worte verwendete. Ich war auch überrascht, wie persönlich die Schülerinnen meine Worte nahmen und welche Emotionen sie auslösten. Ich ‚wollte‘ durchaus Betroffenheit auslösen und sie vielleicht auch verletzen. Ich fühlte mich schließlich auch durch ihre Inaktivität verletzt. Tatsächlich habe ich aber eher ohnmächtige Wut ausgelöst und viele Schüler wohl in eine Situation gebracht, in der sie sich gegen mich wenden mussten, da manche meiner Ausdrücke offenbar wesentliche Elemente ihres Selbstwertgefühls infrage stellten …“ (Schindler 1987).



Die schriftliche Befragung

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M 30 Schülertagebuch Eine Möglichkeit, kontinuierlich Daten über Schülerwahrnehmungen zu sammeln, ist das Schülertagebuch. Eintragungen in ein solches Tagebuch erfolgen gleichsam als Antworten auf offene Fragen, z.B. „Was hast Du heute erlebt?“ oder: „Was hat Dich heute in der Schule zum Nachdenken gebracht?“ Eine Grundschullehrerin verwendete in einer ersten Klasse das Schülertagebuch gleichzeitig als Hausaufgabe für ihre SchülerInnen und als Datenquelle für die Untersuchung ihres Unterrichts. Sie trat dabei auch in einen Dialog mit manchen Kindern, indem sie zu Tagebucheintragungen kurze Bemerkungen schrieb. Abb. 15 zeigt einen Ausschnitt aus einem solchen Tagebuch.

Abb. 15: Schülertagebuch

Die Lehrerin schreibt über ihre Erfahrungen: „Die Schultagebücher gaben mir Auskunft darüber, wie viel Kinder leisten können, wenn sie sich nicht starr an die Themen eines Buches halten müssen. Das Mitteilungsbedürfnis der Kinder war enorm, und auch Kinder der ersten Schulstufe waren in der Lage, sich schriftlich mitzuteilen. Die Kinder achteten bei den Schultagebüchern darauf, • Wörter zu einer sinnvollen Geschichte zusammenzusetzen und aufzuschreiben (diese Geschichten entsprangen dem Erlebnisbereich der Kinder) • diese Wörter richtig zu schreiben bzw. auf die richtige Schreibweise zu überprüfen • den von ihnen verfassten Text sinngestaltend zu lesen, d.h. auf Betonungen Wert zu legen u.ä. • die Tagebucheintragungen in einer gefälligen und sauberen Schrift durchzuführen, da die Tagebücher untereinander ausgetauscht wurden. Weiters bemühten sich die Kinder, interessante und spannende Geschichten zu schreiben, da sie diese den Mitschülern und mir vorlasen“ (Strauss 1987, 82f ).



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Sammlung von Daten

5.7 Eine kombinierte Methode: die Triangulation Wir haben schon darauf hingewiesen, dass für die Untersuchung vieler Fragestellungen Kombinationen verschiedener Datensammlungsmethoden besonders geeignet sind. Eine typische Methodenkombination ist die „Triangulation“ (vgl. Elliott/ Adelman o.J.; Somekh 1983; Flick 2004b). M 31 Triangulation Im Rahmen von Aktionsforschung besteht Triangulation meist aus der Verbindung von Beobachtung und Interview, wobei zu ein und derselben Situation Daten aus drei Perspektiven („Ecken“) gesammelt werden, z.B.: • aus der Perspektive der Lehrperson (z.B. durch Interview) • aus der Perspektive einzelner SchülerInnen (z.B. durch Interview) • aus der Perspektive von neutralen Dritten (z.B. durch Beobachtung). Ein Beispiel: Eine Lehrerin wollte eine neue Art des Unterrichtens von englischer Literatur in einer 7. Klasse einer höheren Schule (17jährige SchülerInnen) erproben und auswerten. Nachdem sie ihre Handlungsstrategie (eben die Literaturunterrichtseinheit) entwickelt hatte, lud sie einen „kritischen Freund“ dazu ein, sie bei der Auswertung des Unterrichtsversuches zu unterstützen. Es wurde beschlossen, eine „Triangulation“ durchzuführen, wobei in folgenden Schritten vorgegangen wurde: 1. Der „kritische Freund“ führte ein Gespräch mit der Lehrerin, bei dem ein Satz konkreter Fragen für die nachfolgenden Interviews und Unterrichtsbeobachtungen entwickelt wurde (Zum Einstieg in das Gespräch wurden die „Standardfragen“ aus M 28 verwendet). 2. Während der Durchführung der Unterrichtseinheit führte der „kritische Freund“ eine Unterrichtsbeobachtung auf der Basis des zuvor entwickelten Fragensatzes durch („1. Ecke des Triangels“). Perspektive des „Dritten"

Lehrerperspektive

Abb. 16: Die drei Ecken der Triangulation

Schülerperspektive

Eine kombinierte Methode: die Triangulation

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3. Nach Ende der Unterrichtseinheit führte der „kritische Freund“ Interviews mit zwei SchülerInnen, die die Lehrerin ausgewählt hatte, durch („2. Ecke des Triangels“). Die Fragen, die er dabei stellte, waren sinngemäße Abwandlungen des ursprünglichen „Fragensatzes“. 4. Nach Ende der Unterrichtseinheit wurde schließlich auch ein Interview mit der Lehrerin mit analogen Fragen durchgeführt („3. Ecke des Triangels“). 5. Auf diese Weise entstanden drei Datensätze: die Sichtweise der beiden SchülerInnen, jene der Lehrerin (jeweils als teilweise transkribierte Interviews) und das Protokoll des Beobachters. Die Daten wurden geordnet und so zu einer Unterlage aufbereitet, dass die drei Sichtweisen zu ein und derselben Frage jeweils nebeneinander standen und leicht verglichen werden konnten. 6. Im geschilderten Beispiel fand sodann ein Gespräch zu dieser Unterlage zwischen der Lehrerin und dem „kritischen Freund“ statt, in dem auffällige Widersprüche zwischen den verschiedenen Sichtweisen thematisiert und Konsequenzen für eine Weiterentwicklung des Literaturunterrichts überlegt wurden (vgl. Altrichter 1985b).



Das Wesentliche an der Triangulation ist die Gelegenheit zum kontrastierenden Vergleich unterschiedlicher Berichte zum „selben“ Sachverhalt. Die Berichte können wie im obigen Beispiel durch Interviews und Beobachtung, aber auch auf andere Weise (z.B. durch schriftliche Äußerungen) zustande kommen. Durch den Vergleich der Perspektiven können Unterschiede, Widersprüche und Diskrepanzen entdeckt werden. Diese sind Ansatzpunkte, um die Interpretation einer Situation (die „praktische Theorie“) weiterzuentwickeln und besser durch Erfahrung zu stützen (vgl. Kap. 3.1). Wenn hingegen die unterschiedlichen Perspektiven übereinstimmen, d.h. eine Situation ähnlich interpretieren, nimmt man an, dass sich die Vertrauenswürdigkeit dieser Interpretation erhöht hat. Die Vorteile der Triangulation bestehen darin, dass • ein „dichteres“, ausgewogeneres Bild einer Situation entsteht; • die Widersprüchlichkeit vieler Situationen sichtbar wird, wodurch tiefer gehende Interpretationen angeregt werden; • die problematische und erkenntnisfeindliche „Hierarchie der Glaubwürdigkeit“ durchbrochen wird, weil Perspektiven rangunterschiedlicher Personen gleichwertig nebeneinander gestellt werden. Unter „Hierarchie der Glaubwürdigkeit“ wird die tief verwurzelte Annahme verstanden, dass der jeweils Höhergestellte glaubwürdiger ist als die rangniedrigere Person: LehrerInnen glaubwürdiger als SchülerInnen, SchulleiterInnen glaubwürdiger als LehrerInnen usw. Die Triangulation zeigt regelmäßig, dass SchülerInnen wesentliche, situationserhellende Informationen liefern können, die LehrerInnen nicht bekannt sind, auch wenn sie glauben, ihre SchülerInnen zu „kennen".

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Sammlung von Daten Die Methode hat aber auch Nachteile: • Sie wird von vielen LehrerInnen als bedrohlich erlebt. Es gehört offenbar ein gewisses Selbstvertrauen dazu, die eigene Wahrnehmung von einer Situation, für die man sich verantwortlich fühlt (und die man dadurch gleichsam als „Stück von sich selbst“ empfindet), mit Fremdwahrnehmungen zu konfrontieren und damit in Frage zu stellen. Dabei wird die Fremdwahrnehmung neutraler BeobachterInnen allem Anschein nach wesentlich weniger bedrohlich erlebt als jene der eigenen SchülerInnen. John Elliott (1978) schlägt daher vor, dass LehrerInnen, die erste Forschungserfahrungen machen, nicht mit der Triangulation beginnen, sondern zuerst weniger belastende Methoden der Datensammlung anwenden, z.B. freie Beobachtungen, die im Forschungstagebuch festgehalten werden, oder Tonaufzeichnungen von Unterricht. • Ein weiterer Nachteil dieser Methode ist auch der dazu erforderliche Aufwand: Ein/e Beobachter/in muss eingeladen werden, und Daten aus drei Quellen sind erforderlich. Allerdings ist dieser Aufwand auf einen relativ kurzen Zeitraum beschränkt.

6 Analyse von Daten

Wie lässt sich aus Daten Nutzen ziehen? Wie lassen sich Daten so verarbeiten, dass das Verständnis der eigenen Situation (die praktische Theorie) klarer, differenzierter und vertrauenswürdiger wird und zur Verbesserung des Handelns beiträgt? Auch dieses Kapitel ist wie das Kapitel über Datensammlung eine Art Werkzeugkasten. Es enthält eine Auswahl von Analysemethoden, mit deren Hilfe aus Daten Sinn gewonnen werden kann.

6.1 Aus Daten Sinn gewinnen Menschen sind Bedeutungssucher. Sie können ziemlich schnell oft chaotischen Ereignissen einen Sinn zuschreiben. Dies ist eine unserer wichtigsten Fähigkeiten. Sie hilft uns, die Welt in Zusammenhängen und Ereignisse vorhersagbar zu erleben. Die ständige Verbesserung dieser Fähigkeit ist zugleich die Verbesserung unseres Gefühls, in unserer Umwelt zu Hause zu sein. Sehr alte Beispiele für das Bedürfnis der Menschen nach Sinn sind Mythen. Von den Ureinwohnern Australiens stammt der folgende Mythos: „Walu, die Sonne geht jeden Abend in das Meer hinunter und wird zu Warrukay, dem großen Fisch, sodass sie unter Munadha, der Erde, schwimmen und wieder an den richtigen Ort für den Morgen zurückkommen kann“ (Isaacs 1980, 144).

Die Sonne, die für Menschen, die an einer Küste wohnen, täglich im Meer versinkt und am anderen Ende der Welt wieder aus dem Meer steigt, muss ja irgendwie im Wasser auf die andere Seite gekommen sein. Was lag dem magischen Denken näher, als anzunehmen, dass sie dies nur in Gestalt eines großen Fisches bewerkstelligen konnte. Dieser Mythos war Ergebnis eines „Analyseprozesses“, bei dem Beobachtungen ausgewählt, zueinander in Beziehung gesetzt und interpretiert wurden. Die Erklärung erschien den Menschen plausibel: sie fügte sich in ihr Weltverständnis ein, bestätigte und erweiterte es zugleich; es erschien ihnen gefühlsmäßig stimmig und gab ihnen Sicherheit. Auch im folgenden alltäglichen Beispiel wird Ereignissen Sinn zugeschrieben: Während Lehrerin A unterrichtet (z.B. etwas erklärt), beobachtet sie die Situation in der Klasse. Besonders sorgfältig nimmt sie das Verhalten einiger schwächerer SchülerInnen wahr, u.a. jenes von Hans, von dem sie aufgrund früherer Erfahrungen wenig Interesse erwartet. Es fällt ihr z.B. auf, dass Hans sie aufmerksam ansieht und eine ver-

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Analyse von Daten

nünftige Frage stellt. Der Eindruck, den die Lehrerin gewinnt, verdichtet sich und wird von Interpretationen und Gefühlen begleitet: z.B. „Hans arbeitet mit“; „er dürfte heute seinen guten Tag haben“; „vielleicht habe ich ihn früher doch unterschätzt“. Die Lehrerin ist sich aber nicht ganz sicher: „Ist er wirklich bei der Sache? Oder tut er nur so? Immerhin schreibt er nichts auf“. Sie möchte es genauer wissen und stellt Hans eine Bankfrage, die er beantworten können müsste, wenn er wirklich zugehört hat. Hans kann die Frage beantworten und die Lehrerin wirft ihm einen anerkennenden Blick zu …



Eine Funktion der Analyse besteht darin, Erklärungen zu finden, die in das eigene Vorverständnis „passen“ und die daher gefühlsmäßig plausibel erscheinen: Man versucht sich, „einen Reim auf die Situation zu machen“. Die Lehrerin im obigen Beispiel sucht nach einer Interpretation der Situation, die ihr so stimmig erscheint, dass sie ihr Sicherheit beim Handeln gibt. Allerdings verdient nicht jede plausible Erklärung das Vertrauen, das man ihr schenkt. Sie kann auch ein Produkt der eigenen Vorurteile und Wünsche sein, das einer genaueren Überprüfung nicht standhält. Eine weitere Funktion der Analyse liegt daher auch darin, Erklärungen zu überprüfen und einer Bewährungsprobe zu unterziehen. Was am Ende eines Analyseprozesses plausibel erscheint, unterscheidet sich daher oft von den Annahmen, die am Anfang dieses Prozesses stimmig erschienen. In der oben zitierten Szene werden wesentliche Tätigkeiten sichtbar, die während einer Analyse geschehen: • Ereignisse werden wahrgenommen. • Die Fülle der einlangenden Eindrücke wird reduziert. Die Lehrerin schenkt z.B. dem Verhalten schwächerer SchülerInnen mehr Beachtung als anderen Dingen. • Eindrücke werden geordnet und zu einem stimmigen inneren Bild, zu einer Theorie der Situation strukturiert. Die Lehrerin bringt verschiedene Beobachtungen (z.B. dass Hans sie aufmerksam ansieht und eine recht vernünftige Frage stellt) in einen Zusammenhang. • Das Bild von der Situation wird interpretiert: Die Lehrerin zieht Schlussfolgerungen: „Hans arbeitet mit"; „er dürfte heute seinen guten Tag haben"; „vielleicht habe ich ihn doch unterschätzt". • Das Bild der Situation wird kritisch geprüft. Aus den wahrgenommenen Ereignissen wird nicht nur ein Bild konstruiert, sondern dieses wird auch kritischen Fragen ausgesetzt. Dieser kritisch-prüfende Teil der Analyse begleitet den konstruktiven. Im obigen Beispiel geschieht dies durch Fragen („Tut er nur so?“), durch Beobachtungen, die dem zunächst gewonnenen Verständnis zu widersprechen scheinen („Er schreibt nicht mit“), und durch eine konkrete Handlung (die Bankfrage). Alle diese Tätigkeiten laufen nicht säuberlich getrennt voneinander ab, sondern sind eng miteinander verwoben und ermöglichen LehrerInnen die gedankliche, gefühlsmäßige und handelnde Bewältigung von alltäglichen Situationen. Der Vorteil einer solchen alltäglichen Analyse in der Situation besteht darin, dass sie erlaubt, ein gewon-

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nenes Verständnis sofort zu nutzen und es im Handeln zu verwerten (z.B. Hans Anerkennung zu zollen). Ihr Nachteil besteht darin, dass sie sehr schnell geschehen muss. Sie kann daher nur eine sehr beschränkte Menge von Informationen verarbeiten und nur wenige Prüfprozesse enthalten. Für die Bearbeitung größerer Diskrepanzen zwischen den Erwartungen von LehrerInnen und ihren Eindrücken von der Situation reicht sie daher oft nicht aus. Dazu ist mehr Distanz vom Ereignis notwendig und eine gewisse Zeit, in der man sich auf die analytischen Tätigkeiten konzentrieren kann. Sobald man sich vom Strom der Ereignisse lösen will, um Zeit für eine sorgfältige Analyse zu gewinnen, werden Daten wichtig, weil sie der Erinnerung nachhelfen: Durch die Daten lassen sich Erinnerungen reichhaltiger und plastischer rekonstruieren (etwa wenn eine Tonaufzeichnung des Unterrichts angehört wird) und daher leichter einem kritischen Vergleich aussetzen, der Korrekturen ermöglicht. Durch die Analyse von Daten und direkten Erfahrungen soll Sinn gewonnen werden, ein differenzierteres Verständnis der untersuchten Situation, eine „neue“ praktische Theorie, entstehen, die die bereits verfügbare weiterentwickelt. Wer analysiert, strukturiert sein Daten- und Erfahrungsmaterial auf neue Weise, arbeitet an einer praktischen Theorie. In diesem Sinne bedeuten Analysieren, Theoretisieren und Strukturieren dasselbe. Ein einfaches Beispiel: An einer höheren Schule wurden die Anmeldezahlen zu zwei neuen Unterrichtsangeboten ausgewertet. Bei einer Besprechung der Ergebnisse wird festgestellt, dass nur bei einem Angebot die Erfolgskriterien erreicht wurden: „In Hinblick auf das Angebot B haben wir eine Anmeldequote von 35% erwartet; tatsächlich wurden unsere Erwartungen enttäuscht: Das Angebot wurde nur von 22% der SchülerInnen angenommen. Für das Angebot A, für das wir eine ebenso hohe Anmeldequote erwarteten, haben sich hingegen 55% der SchülerInnen eingetragen.“



Wenn in einer Erhebung auffällige Diskrepanzen zwischen den Zielen bzw. Erwartungen (wie sie am konkretesten in den Erfolgsindikatoren formuliert werden; vgl. z.B. die Vorgangsweise in M 13) und der Ist-Situation auftreten, dann verlangt dies zweierlei: • Erstens nach einer Erklärung: Warum ist das so? Wie lässt sich dieses Ergebnis interpretieren? • Zweitens (meistens) nach Maßnahmen zur Verbesserung der Situation: Wie können wir die Situation in eine produktive Richtung weiter entwickeln? Ausgangspunkt für eine Analyse ist also eine erste Bewertung der Datenlage. Wenn Erfahrungen bzw. Erhebungsergebnisse (Daten) den Erwartungen nicht entsprechen, ist eine Analyse der Daten angezeigt, d.h. die Suche nach einer plausiblen Erklärung für die Diskrepanz zwischen Erfolgskriterien und der Situation, wie sie sich in den Daten spiegelt. Bei einer Datenanalyse suchen wir nach Erklärungen (Hypothesen). Im beruflichen Alltag geschieht dies zumeist, ohne viel nachzudenken. Im obigen Beispiel könnte eine „schnelle“ Erklärung darin bestehen, dass

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Analyse von Daten

Angebot B von den SchülerInnen als „schwieriger“ empfunden wird als Angebot A und dass die enttäuschende Anmeldezahl damit zusammenhängt. Aber stimmt diese Erklärung? Gibt es Befunde, die diese Erklärung stützen? Wenn diese fehlen, welche anderen Erklärungen gibt es? Benötigen wir noch weitere Daten, um eine zutreffende Erklärung zu finden? Ohne eine plausible Erklärung sind Entscheidungen über geeignete Methoden zur Verbesserung der Situation ein Hasardspiel. Vielleicht liegt ein Grund dafür, dass manche schulischen Initiativen im Sand verlaufen und mit der Zeit eine depressive Stimmung („es geht nichts weiter“) entsteht, darin, dass zu wenig Zeit investiert wird, um zutreffende Erklärungen für problematische Situationen zu finden. Im folgenden Beispiel sollte die Bedeutung einer sorgfältigen Analyse noch deutlicher werden: Ausgelöst durch Beschwerden von Eltern hatte sich eine Grundschule mit dem Übergang in die Sekundarstufe auseinander gesetzt und festgestellt, dass ein gewisser Prozentsatz von Kindern erhebliche Probleme hatte, den Leistungsansprüchen in der aufnehmenden Schule zu genügen, was sich auch in Schulunlust bis hin zu „physischen Symptomen“ ausdrückte, Eine erste Interpretation dieser unbefriedigenden Situation war schnell gefunden: Es ist der „Kulturschock“ beim Übergang. Die weiterführende Schule hat einen ganz anderen Arbeitsstil, der von einer Minderheit von Kindern offenbar schwer verkraftet wird. Erst nach Interviews mit LehrerInnen der aufnehmenden Schule und längeren Überlegungen tauchte noch eine andere Erklärung auf: Das „Programm“ der Grundschule und die Anforderungen der weiterführenden Schule könnten mangelhaft aufeinander abgestimmt sein, was bei manchen Kindern zu Problemen führen könnte. Je nachdem welche dieser beiden Interpretationen zutrifft, sind unterschiedliche Maßnahmen Erfolg versprechend: Trifft die erste zu, muss etwas unternommen werden, um den „Kulturschock“ zu mildern (z.B. durch Schnupperbesuche). Trifft die zweite Interpretation zu, müssen in Zusammenarbeit mit LehrerInnen der Sekundarschule die Programme besser abgestimmt werden. Es ist also keineswegs gleichgültig, welche Interpretation gewählt wird, weil die oft aufwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in hohem Maße davon abhängen, wie die Situation erklärt wird.



Datenanalyse bedeutet also, • aus vorhandenen Informationen (Daten, Vorwissen und sonstige Informationen) • solche Erklärungen für erklärungswürdige Situationen entwickeln, • die gut durch die vorliegenden Informationen argumentierbar sind. Im Einzelnen ist eine Analyse durch folgende Einzelprozesse charakterisierbar (vgl. Abb. 17; Miles/Huberman 1984; Mayring 2015): (1) Daten „lesen“, d.h. sich die verfügbaren Informationen bewusst machen: Was wissen wir über die Situation? Die verschiedenen verfügbaren Informationen (aus Beobachtungen, Gesprächen etc.) werden „gelesen“, um sich Ereignisse und Erfahrungen, für die sie stehen, zu vergegenwärtigen: Was wurde getan? Was wurde gesagt? Was hat sich wirklich abgespielt?

Aus Daten Sinn gewinnen

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(2) Daten „reduzieren“, d.h. relevante Informationen auswählen: Wesentliches wird von Unwesentlichem unterschieden und komplexe Sachverhalte werden vereinfacht. Zusammengehöriges wird zusammengefasst, wobei soweit dies möglich ist die im Datenmaterial bereits verwendeten Begriffe benützt werden. Kurz: es werden aus dem Datenmaterial jene Informationen zusammengestellt, die im Sinne der Fragestellung bedeutsam erscheinen. Praktisch kann dies dadurch geschehen, dass z.B. aus einem Beobachtungsprotokoll oder einer Interviewaufzeichnung jene Passagen gekennzeichnet bzw. herausgeschrieben werden, die dem Untersuchenden bedeutsam erscheinen.

Daten lesen

Daten reduzieren

Daten sammeln

Weitere Forschungshandlungen

Interpretationen kritisch prüfen

Zusammenhänge aufbauen

Daten explizieren

Daten strukturieren und kodieren

Abb. 17: Prozesse bei der Analyse (modifiziert nach Miles/Huberman 1984, 23)

(3) Daten „explizieren“, d.h. sich die Bedeutung der vorliegenden Informationen bewusst machen: Manche Daten (z.B. Interviewaussagen, Beobachtungen) scheinen für sich zu sprechen, manche sind nur aus dem Kontext verständlich, bei anderen (z.B. Metaphern; vgl. M 37) bieten sich verschiedene Interpretationsmöglichkeiten an. In der Datenanalyse stellen sich ForscherInnen also die Frage: Was bedeuten die Einzelaussagen im Kontext der untersuchten Situation und in Hinblick auf unsere Untersuchungsinteressen? Die Bedeutung, die einzelnen Daten im Rahmen des Erkenntnisinteresses gegeben wird, wird mit Hilfe des eigenen Vorverständnisses, mit Hilfe von allgemein zugänglichem Wissen (wie man es in Lexika, Handbüchern und in der Fachliteratur findet), durch den Vergleich und die Herstellung von Zusammenhängen innerhalb der Daten und ev. durch zusätzliche Untersuchungen rekonstruiert und explizit ausgesprochen. (4) Daten strukturieren und „kodieren“, d.h. Informationen ordnen und begrifflich fassen: Das Datenmaterial wird ‚strukturiert‘, indem Einzeldaten (z.B. eine Interviewaussage) verschiedenen Kategorien zugeordnet werden. Dabei werden ‚zusammengehörende‘ Einzeldaten zusammengefasst, indem sie unter schon formulierten Kategorien subsumiert oder in neu formulierte Kategorien gebündelt werden.

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Kategorien sind allgemeinere Begriffe oder Aussagen, mit denen das jeweilige Datenmaterial (z.B. Interviewaussagen) geordnet und beschrieben werden kann (vgl. genauer in M 34). Im obigen Beispiel waren u.a. die Begriffe „Leistungsansprüche“, „Schulunlust“, „physische Symptome“, „Schulkultur“ Kategorien zur Beschreibung der von der Grundschule gesammelten Informationen. Der Sinn dieses Schritts besteht darin, vom konkreten Datum etwas Distanz zu gewinnen, es aus einer allgemeineren Perspektive zu sehen und damit – gleichsam vis à vis anderen Informationen – besser zu „verstehen“. Da einem allgemeineren Begriff (einer Kategorie) zumeist mehrere ausgewählte Daten zugeordnet werden können, entsteht eine geordnete und „interpretierte“ Struktur der Daten. Die praktischen Schritte bei Kategorienbildung und Kodierung werden in M 34 genauer erläutert. (5) Zusammenhänge aufbauen, d.h. Annahmen formulieren, die die einzelnen Begriffe in plausible und durch Daten belegbare Beziehungen bringen: Welche Kategorie hängt wie mit welcher anderen Kategorie zusammen? Die gefundenen Aussagen sind „Hypothesen“, d.h. Vermutungen über Zusammenhänge zwischen den untersuchten Phänomenen, die oft sprachlich als WennDann-Beziehungen ausgedrückt werden. Zusammenhänge können auch mit Kategorien gefunden werden, die nicht aus dem Datenmaterial, sondern aus anderen Erfahrungen bzw. aus der Literatur stammen. In den meisten Fällen lässt sich nicht nur eine Hypothese bilden, sondern es gibt mehrere plausible Zusammenhänge, die miteinander konkurrieren. Im obigen Beispiel wurden zwei konkurrierende Hypothesen gefunden: „die Kulturunterschiede zwischen der Grundschule und der weiterführenden Schule und der abrupte Übergang führen bei manchen Kindern zu Leistungsabfall“ und „Unterschiede in den Leistungsansprüchen zwischen Grundschule und weiterführender Schule führen zum Leistungsabfall“. (6) Die Interpretationen und den Analyseprozess überprüfen: Wie vertrauenswürdig sind die Ergebnisse der einzelnen Analyseschritte? In einer Art Selbstvergewisserung wird z.B. gefragt, inwieweit die Daten die gewünschten Informationen enthalten, ob bei der Reduktion tatsächlich nur Unwesentliches wegfällt, ob die Kodierungen (die Kategorien) das ihnen zugeordnete Datenmaterial klar zum Ausdruck bringen und vor allem ob die bei der Analyse aufgebaute Interpretation die Daten zufriedenstellend erklärt bzw. welche der Hypothesen dem Datenmaterial am besten entspricht. Es ist durchaus möglich (und gar nicht so selten), dass sich bei solchen Prüfprozessen herausstellt, dass eine Entscheidung zwischen konkurrierenden Hypothesen mit dem verfügbaren Datenmaterial nicht möglich ist und noch weitere Informationen gesammelt werden müssen. Es kann auch vorkommen, dass mehrere Hypothesen ausreichende Plausibilität besitzen. Im obigen Beispiel stellte sich heraus, dass die zweite Hypothese einen größeren Erklärungswert besaß (d.h. von den Daten stärker gestützt

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wurde) als die erste, dass aber auch die erste Hypothese so weit plausibel war, sodass Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von beiden Hypothesen ausgingen. Auch Interpretationen, die plausibel erscheinen, bleiben Hypothesen. Sie sind zwar „Erkenntnisse“, die einen Prüfprozess überstanden haben und dadurch als vertrauenswürdige Grundlagen für Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Situation erscheinen. Trotzdem bleiben sie Annahmen, die auch aufgegeben werden können, wenn sie durch weitere Befunde in Frage gestellt werden und sich bessere Hypothesen konstruieren lassen. Die eben genannten ‚Prozesse einer Datenanalyse‘ wurden in der sprachlichen und graphischen Darstellung der Deutlichkeit wegen als unterscheidbare Schritte wiedergegeben. Tatsächlich sollte man sie sich allerdings eher als Aspekte oder Teilprozesse der umfassenderen Tätigkeit des Analysierens und Interpretierens vorstellen, die nicht immer fein säuberlich hintereinander folgen, sondern oft ineinander greifen und einander hervorbringen: So ist ‚Lesen‘ selbst eine ‚strukturierende und explizierende Tätigkeit‘, Strukturierung ist nicht ohne Bedeutungsexplikation und Reduktion des Materials vorstellbar, usw. Die Schritte 1 bis 5 werden auch als konstruktiver Teil der Analyse bezeichnet: Aus verfügbaren Informationen konstruieren wir Antworten auf unsere Fragestellungen. Wir konstruieren Sinn, indem wir Modelle („praktische Theorien“) entwerfen, welche die untersuchten Ereignisse miteinander und mit anderen Erfahrungen verbinden und die im Rahmen unseres Erkenntnisinteresses plausibel erscheinen. Der Gebrauch des Wortes „konstruieren“ soll bewusst machen, dass „Interpretationen“ notwendigerweise „über“ die Datenbasis hinausgehen, also mehr aussagen, als in den Daten enthalten ist, indem sie auf Vor-Wissen und andere verfügbare Informationen (wie z.B. bereits bestehende Theorieangebote) zurückgreifen. Es handelt sich dabei um vorläufige Annahmen über Zusammenhänge (Hypothesen), um „Konstruktionen“. Deshalb müssen seriöse Interpretationen neben einem „konstruktiven“ Teil immer auch einen kritisch-prüfenden Teil enthalten, bei uns als Schritt 6 dargestellt. In diesem wird gleichsam noch einmal innegehalten und zurückgefragt, wie tragfähig die bisherigen „Konstruktionen“ waren. Kritisch-prüfende Tätigkeiten erfolgen oft Seite an Seite mit konstruktiven Tätigkeiten. Zuweilen ist aber auch eine spezielle Phase der Forschung schwerpunktmäßig der Prüfung gewidmet. Die Gütekriterien der Forschung, wie sie in Kap. 5.2 dargestellt wurden, bieten Orientierungspunkte für den kritisch-prüfenden Teil der Analyse. In der Forschung von PraktikerInnen erfolgt die kritische Prüfung von Interpretationen und Forschungsprozessen häufig folgendermaßen:

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Analyse von Daten

• LehrerInnen ziehen bei der Analyse ihrer Daten „kritische Freunde“ hinzu. Das sind KollegInnen oder ‚dritte Personen‘, die die evaluierte Situation nicht „zu gut“ kennen und die bereit sind, auf etwaige ‚Kurzschlüsse‘ im Argumentationsnetz und alternative Interpretationsmöglichkeiten hinzuweisen; • LehrerInnen stellen die Ergebnisse ihrer Datenanalyse (ähnlich dem wissenschaftlichen Vorgehen der „kommunikativen Validierung“) betroffenen InteraktionspartnerInnen (z.B. SchülerInnen) zur Diskussion (vgl. M 39). Auch hier können Einwände gegen Interpretationen sowie alternative Interpretationsmöglichkeiten auftauchen, die weiter führen. Sind die bei diesem Analyseprozess gewonnenen Theorien „wissenschaftlich“? Ist die analytische Tätigkeit von LehrerInnen „Forschung“? Eine scharfe Grenze zwischen wissenschaftlicher und alltäglicher Analyse lässt sich nicht ziehen. Je systematischer die Analyse erfolgt (d.h. je mehr sie auf dem bereits verfügbaren theoretischen und methodischen Wissen aufbaut), je selbstkritischer sie durchgeführt wird (d.h. je sorgfältiger geprüft wird und abweichende Daten und Interpretationen berücksichtigt werden) und je kommunikativer sie ist (d.h. je mehr sie auf das Öffentlichmachen von Prozess und Ergebnissen eingestellt ist), desto eher verdient sie den Namen „Forschung“. Die Ergebnisse des Analyseprozesses bleiben dennoch grundsätzlich vorläufig, „hypothetisch“ und bedürfen der weiteren Überprüfung durch Reflexion und praktische Erprobung. Wir werden im Folgenden einige Methoden vorstellen, die forschende LehrerInnen bei der Sinngewinnung aus Daten unterstützen sollen (vgl. Mayring 2015; 2016; Friedrichs 1990, 376ff; Lamnek 1995, Bd. 2, 197ff). Zunächst werden elementare Methoden der konstruktiven und kritisch-prüfenden Analyse beschrieben, die eine Art Grundausstattung von forschenden PraktikerInnen darstellen, ohne dabei die in den Kapiteln 2, 3, und 4 bereits beschriebenen Analysemethoden zu wiederholen. Abschließend werden zwei komplexere Methoden vorgestellt, die Elemente aus dieser Grundausstattung kombinieren: die Musteranalyse und die Dilemmaanalyse. Zuvor bieten wir Ihnen eine kleine Übung zur Datenanalyse an. M 32 Übung zur Datenanalyse Intention: Wir haben die folgende Übung in verschiedenen Lehrgängen und Projekten verwendet, um das Problembewusstsein für die Komplexität von Datenanalyse weiterzuentwickeln. Voraussetzung ist die Bereitschaft der TeilnehmerInnen, sich auf eine ‚unzureichend definierte Situation‘ einzulassen. Gerade dieses Merkmal macht sie Alltagssituationen ähnlich, in denen man üblicherweise auch angesichts einiger Leerstellen arbeiten muss; dadurch enthält sie aber auch einige ‚Fallen‘, an denen man eigene Interpretationsneigungen erkennen kann. Die Übung kann sowohl in Einzelarbeit als auch in kleinen Gruppen von etwa drei Personen (deren Ergebnisse in einer Diskussion verglichen werden können) durchgeführt werden.

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Zunächst werden die Situation (Punkt 1) und die Aufgabe, die wir Gruppen vorlegen (Punkt 2), dargestellt, sodann werden mögliche Interpretationen zur Diskussion gestellt (Punkt 3). (1) Darstellung der Situation: Evaluation „Alternative Lernformen im Deutschunterricht“ Ausgangslage: Ein Klassenlehrerteam versuchte in den vergangenen vier Jahren alternative Lernformen im Deutschunterricht umzusetzen. Das Ziel dabei war die „bestmögliche kognitive und soziale Entwicklung jedes Einzelnen im gemeinsamen Klassenverband zu gewährleisten“.31 Ziele/Fragestellungen der Evaluation: „Da alternative Lernformen in der Planung, Gestaltung und Durchführung sehr, sehr zeitaufwendig sind, und auch die Planung … und Gestaltung teilweise beträchtliche finanzielle Mittel dem Team abverlangt – die Schule stellt dafür kein Budget zur Verfügung! – stellten wir uns zwischendurch immer wieder die Fragen: (1) Lohnt sich der enorme Aufwand? (2) Was bringen die alternativen Lernformen wirklich? (3) Wie beurteilen Eltern und SchülerInnen am Ende der 8. Schulstufe diese alternativen Methoden?“ Methoden: Fragebogen an etwa 14jährige SchülerInnen der 4a (12♀, 11♂) während einer Stunde im „Sozialen Lernen“; Fragebogen an Eltern dieser SchülerInnen bei einem Elternsprechtag Ergebnisse: Im Folgenden sind einige ausgewählte Ergebnisse dieser Evaluation abgedruckt. Mit „E“ gekennzeichnete Fragen stammen aus dem Elternfragebogen, mit „S“ gekennzeichnete aus jenem an die SchülerInnen. Die Zeile nach dem Statement, zu dem sich die Befragten äußern sollten, gibt jeweils die Antwortmöglichkeiten wieder; die Zeile „Ergebnis“ die Reaktionen in absoluten Zahlen. E2. Mein Eindruck ist, dass mein Sohn/meine Tochter Alternative Lernformen im Deutschunterricht in diesen 4 Jahren sehr schätzen gelernt hat 1 2 3 4 5 eher ablehnt Ergebnis: 7 4 4 1 1 S2. Die Alternativen Lernformen im Deutschunterricht in diesen 4 Jahren habe ich sehr schätzen gelernt 1 2 3 4 5 lehne ich eher ab Ergebnis: 3 5 12 3 0 31

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Zitate aus dem Originalmaterial.

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Analyse von Daten E3. Informationen im Rahmen von Elternabenden über Alternative Lernformen im Deutschunterricht fand ich informativ und sinnvoll 1 2 3 4 5 überflüssig Ergebnis: 8 8 1 0 0 S3. Dass die Eltern über diese Alternativen Lernformen bei Elternabenden fallweise informiert wurden, fand ich sinnvoll 1 2 3 4 5 überflüssig Ergebnis: 9 7 3 4 0 E4. Alternative Lernformen sind eine gute Möglichkeit, den unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen von SchülerInnen gerecht zu werden. stimmt 1 2 3 4 5 stimmt nicht Ergebnis: 11 5 1 0 0 S4. Alternative Lernformen sind eine gute Möglichkeit, den unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen von SchülerInnen gerecht zu werden. stimmt 1 2 3 4 5 stimmt nicht Ergebnis: 5 5 10 2 0 E7. Bei Alternativen Lernformen kann jeder Schüler/jede Schülerin sein/ihr Lerntempo selbst bestimmen. Das ist sinnvoll, vernünftig und wichtig stimmt 1 2 3 4 5 stimmt nicht Ergebnis: 15 0 1 1 0 S7. Bei Alternativen Lernformen kann jeder Schüler/jede Schülerin sein/ihr Lerntempo selbst bestimmen. Das ist sinnvoll, vernünftig und wichtig. stimmt 1 2 3 4 5 stimmt nicht Ergebnis: 10 3 3 4 1 E8. Bei Alternativen Lernformen hat der Schüler/die Schülerin die Möglichkeit, selbst die Schwerpunkte (Lernziele) für die einzelne Deutschstunde aus dem Gesamtprogramm auszuwählen, die er/sie machen will. Das fördert u.a. Lernbereitschaft und Arbeitsklima. stimmt 1 2 3 4 5 stimmt nicht Ergebnis: 7 9 1 0 0 S8. Bei Alternativen Lernformen hat der Schüler/die Schülerin die Möglichkeit, selbst die Schwerpunkte (Lernziele) für die einzelne Deutschstunde aus dem Gesamtprogramm auszuwählen, die er/sie machen will. Das fördert u.a. Lernbereitschaft und Arbeitsklima. stimmt 1 2 3 4 5 stimmt nicht Ergebnis: 7 4 8 3 1 E9. Alternative Lernformen fördern (fordern) gemeinsames Arbeiten der SchülerInnen in einem viel höheren Ausmaß als der traditionelle Unterricht, was wichtig für die Zukunft ist. stimmt 1 2 3 4 5 stimmt nicht Ergebnis: 10 5 2 0 0

Aus Daten Sinn gewinnen S9.

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Alternative Lernformen fördern (fordern) gemeinsames Arbeiten der SchülerInnen in einem viel höheren Ausmaß als der traditionelle Unterricht, was wichtig für die Zukunft ist. stimmt 1 2 3 4 5 stimmt nicht Ergebnis: 5 9 2 3 2

(2) Aufgabe Mit diesen Informationen sollen Sie zwei Fragen beantworten: 1. Wie lautet Ihre Interpretation der vorgelegten Daten? 2. Wie lassen sich die Fragen des Lehrerteams beantworten? Lesen Sie die folgenden Absätze erst, nachdem Sie Ihre eigenen Antworten auf diese Fragen ausformuliert haben! (3) Mögliche Interpretationen Bei der Bearbeitung dieser Übung wurden von verschiedenen Teilnehmergruppen folgende bedenkenswerte Überlegungen vorgebracht: Ausgangsfeststellungen und Methodenkritik: • Es haben alle 23 SchülerInnen geantwortet, jedoch nur 17 Eltern. Gibt es Informationen darüber, ob die fünf fehlenden Eltern spezielle, von den anderen Eltern abweichende Meinungen vertreten? • In einer Reihe von Items werden zu viele Themen verpackt, sodass die Interpretation schwer fällt: Beispielsweise wird in den Fragen 7, 8 und 9 jeweils eine Tatsachenfeststellung („SchülerInnen können ihr Lerntempo selbst bestimmen“) mit einer Bewertung („das ist sinnvoll“) verbunden und gleichzeitig abgefragt. Es ist nicht klar, welchem Teil der Aussage die Befragten zustimmen. • Die Items sind jeweils in eine – „positive" – Richtung gepolt, was zu Antworttendenzen in diese Richtung führen kann. • Es ist nicht klar, was die LehrerInnen, die die Untersuchung gemacht haben, als Erfolg ansehen würden. Erste Interpretationen: • Die Eltern stimmen den Items jeweils relativ stark zu; unentschieden oder skeptisch zeigen sich maximal zwei Eltern. • Die Rückmeldung der Eltern ist günstiger als jene der SchülerInnen. Was ist der Bezugspunkt für ihre Einschätzung? Ihre eigenen Erwartungen, Informationen, die sie von den SchülerInnen bekommen haben, Rückmeldung als Anerkennung der Arbeit der LehrerInnen. • Die Einschätzungen der SchülerInnen streuen stärker als die der Eltern. Machen verschiedene SchülerInnen unterschiedliche Erfahrungen oder gefallen ihnen die alternativen Lernformen unterschiedlich gut – kommen sie unterschiedlich gut mit ihnen zurecht? Sind SchülerInnen dieser Unterrichtsform

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Analyse von Daten schon eher müde, während Eltern sie „abstrakter“ oder längerfristiger sehen und „im Prinzip“ schätzen? • Im Allgemeinen findet sich die Einschätzung der Mehrheit der SchülerInnen „im positiven Bereich". Relativ starke Abweichungen von dieser positiven Grundtendenz gibt es bei den Items 4 („Alternative Lernformen sind eine gute Möglichkeit, den unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen von SchülerInnen gerecht zu werden“) und 8 („Bei alternativen Lernformen hat der Schüler/die Schülerin die Möglichkeit, selbst die Schwerpunkte (Lernziele) für die einzelne Deutschstunde aus dem Gesamtprogramm auszuwählen, die er/sie machen will. Das fördert unter anderem Lernbereitschaft und Arbeitsklima“). Weiterführende Interpretation und mögliche Konsequenzen: • Die Fragen 1 und 2 der LehrerInnen sind mit den vorliegenden Daten nicht beantwortbar, weil die Erfolgskriterien der Lehrer nicht genannt werden. • Die Beurteilung der „alternativen Methoden“ durch die Eltern scheint den Erwartungen der LehrerInnen in dem Sinn zu entsprechen, dass die Eltern die Ziele der alternativen Lernformen als wichtig erachten. Von den SchülerInnen finden sich „gemischtere Urteile". • Die Information über alternative Lernformen wird von den Eltern offenbar geschätzt. Sie scheint dazu zu führen, dass sich die Eltern sehr positiv über die Ziele und Grundsätze alternativer Lernformen äußern. Da ein gewisses begleitendes Grundverständnis der Betroffenen bei der Einführung von Innovationen notwendig ist, kann die Elterninformation als erfolgreich eingeschätzt werden. • Vielleicht ist das auch eine mögliche Antwort auf Frage (1): Man kann annehmen, dass die Elternabende ihre Funktion gut erfüllt haben. Der „Aufwand für die Elterninformation“ hat sich wahrscheinlich gelohnt, weil die Eltern eine hohe Zustimmung zu den Zielen der alternativen Lernformen zeigen und offenbar bereit sind, die Innovation weiter zu stützen. Da die Loyalität der Betroffenen zu Innovationen ein kritischer Punkt in der Implementation von Innovationen ist, sollten sie weiter gepflegt werden. • Die SchülerInnen zeigen ein differenzierteres Meinungsbild: Sie reagieren nicht durchgehend enthusiastisch auf die Fragen zu alternativen Lernformen, jedoch auch nicht durchwegs ablehnend. Es gibt jedoch eine offenbar über Einzelmeinungen hinausgehende kritische Gruppe. Aus den Daten ergeben sich erste Hinweise auf mögliche „kritische Punkte“ (den Bedürfnissen gerecht werden, Lernziele auswählen), die jedoch weiter erkundet werden müssen. Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit (z.B. durch Zurückspielen und Besprechen der erhobenen Informationen) nähere Hinweise von SchülerInnen zu bekommen.

Konstruktive Analysemethoden

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6.2 Konstruktive Analysemethoden M 33 Datenresümees verfassen Um einen ersten Überblick darüber zu bekommen, was die Daten im Hinblick auf die Forschungsfragestellung bieten, und später raschen Zugang zum Datenmaterial zu haben, ist es hilfreich, möglichst unmittelbar nach der Sammlung von Daten (Audioaufzeichnung, Beobachtungsprotokoll, Dokument) das Material durchzusehen bzw. anzuhören und eine Zusammenfassung (Resümee) der wichtigsten Aussagen anzufertigen (vgl. dazu Miles/Huberman 1984, 50ff). Welche Informationen sollte das Datenresümee bieten? Es sollte Antworten auf folgende Fragen enthalten: 1. In welchem äußeren Rahmen (Kontext) wurden die Daten gesammelt? Warum wurden sie gesammelt, warum gerade in dieser Situation, warum mit der gewählten Methode? 2. Was sind die wichtigsten Sachverhalte, die in den Daten zum Ausdruck kommen? Was war überraschend? 3. Zu welchen Forschungsfragen sagt das Datenmaterial am meisten aus? 4. Welche neuen Fragen, Sichtweisen, Annahmen, Ideen legt das Datenmaterial nahe? 5. Welcher nächste Schritt der Datensammlung, der Datenanalyse oder des Handelns erscheint im Lichte des Materials am zweckmäßigsten? Es empfiehlt sich, die Antworten auf die Fragen mit kurzen Hinweisen auf die zutreffenden Stellen des Datenmaterials (einer Tonaufzeichnung, eines Protokolls oder Transkripts) zu versehen, damit diese bei Bedarf später leicht wieder gefunden werden können. Auch nach der Sammlung bereits vorliegenden Datenmaterials (z.B. Schülerhefte, Zeitungsartikel) sind solche Resümees zweckmäßig. Ein Datenresümee sollte aus Gründen der Übersichtlichkeit auf einem Blatt Papier (u.U. beidseitig) Platz finden. M 34 Kategorien bilden und Daten kodieren Eine wichtige Methode zum Bearbeiten von Daten ist ihre begriffliche Fassung (Verschlüsselung, Kodierung). Stellen Sie sich einen Raum vor, in dem viele Spielsachen herumliegen. Sie haben sich die Aufgabe gestellt, diese zu ordnen. Sie werden wahrscheinlich zuerst herumgehen und sich die Sachen ansehen. Je nach Ihren Interessen und den Merkmalen der Spielsachen werden Ihnen dann Einteilungsgesichtspunkte (Kategorien) einfallen: z.B. Farbe, Größe, Form, äußerer Zustand, Altersgruppe, für die sie geeignet erscheinen usw. Schließlich werden Sie einen Ordnungsgesichtspunkt auswählen und die Spielsachen sortieren. Ähnliches geschieht, wenn ForscherInnen Datenmaterial, z.B. Textstellen, ordnen möchten. Sie formulieren Kategorien, die im Sinne ihrer Fragestellung wichtig sind, und die zugleich etwas vom Inhalt des Textes zum Ausdruck kommen

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Analyse von Daten lassen.32 Mithilfe dieser Kategorien sortieren sie das Datenmaterial, indem sie ihm, z.B. einzelnen Textstellen, die jeweils zutreffende Kategorie zuordnen. Diese Tätigkeit nennt man Kodieren (oder Kategorisieren). In der Literatur werden zwei Wege beschrieben, die zu Kategorien führen. Beim deduktiven Weg formulieren ForscherInnen aufgrund ihres theoretischen Vorverständnisses, vor allem aufgrund ihrer Fragestellungen, Schlüsselbegriffe, mit denen dann das Datenmaterial auf einschlägige Stellen abgesucht wird. Die Entwicklung der Kategorien erfolgt also vor der Durchsicht des Datenmaterials. Beim induktiven Vorgehen erfolgt die Formulierung der Kategorien während und nach der Durchsicht des Datenmaterials. Für die Aktionsforschung dürfte die Mischung beider Methoden am günstigsten sein. Man sollte alles nutzen, was an begrifflichem Vorverständnis schon vorhanden ist, aber zugleich offen sein für die Überraschungen, die das Datenmaterial bereithält (vgl. Altrichter/Posch 1989). Da die induktive Methode weniger üblich ist als die erste, werden wir sie kurz darstellen. Sie lässt sich in sechs Schritte gliedern:33 1. Lesen Sie den zu kodierenden Text (z.B. das Transkript eines Interviews) durch. Unterstreichen oder markieren Sie jede Stelle, die Ihnen im Sinne Ihrer Fragestellung aussagekräftig (interessant, überraschend, unerwartet) erscheint. Am Ende dieses ersten Durchgangs haben Sie eine grobe Vorstellung vom Inhalt des Datenmaterials und markierte Textstellen. 2. Beim zweiten Durchgang durch den Text suchen Sie nur mehr die unterstrichenen Textstellen auf und formulieren zu jeder Stelle eine Kategorie, d.h. einen Schlüsselbegriff, der den Inhalt dieser Stelle in Kurzform zum Ausdruck bringt. 3. Schreiben Sie die Kategorien nacheinander auf ein eigenes Blatt Papier (das „Kategorienblatt“). 4. Geben Sie zu jeder Kategorie Ihres Kategorienblatts die Textstelle(n) an, auf die sie sich bezieht. Dies geschieht durch folgende Angaben: - Kurzbezeichnung des Textes, den Sie kodieren - Seitennummer des Textes - Randnummer der markierten Textstelle: jede markierte Textstelle, der Sie eine Kategorie zuordnen, erhält am Rande der Seite, auf der sie steht, eine fortlaufende Nummer, die auf jeder neuen Seite wieder mit 1 beginnt. Beispielsweise bedeutet die Angabe „BP 1/2/1“ in Abb. 18, dass Sie im Beobachtungsprotokoll Nr.1 auf Seite 2 mit der Randnummer 1 eine Textstelle finden, die zur entsprechenden Kategorie zugeordnet wird. Streng genommen ist bereits die Beschreibung eines Sachverhalts eine Art Kodierung eines Ereignisses durch Sprache (vgl. Friedrichs 1990, 377). Für die hier in ihrer Papier und Bleistift-Variante beschriebenen Schritte gibt es auch Computer-Programme. Für die Auswertung qualitativer Daten (vgl. Kuckartz 2016) sind im deutschen Sprachraum v.a. die Programme atlas.ti (siehe http://www.atlasti.de) und MaxQDA (siehe http:// www.maxqda.de) gebräuchlich. Unter www.QCAmap.org findet sich eine open access Applikation für die Durchführung qualitativer Inhaltsanalysen.

Konstruktive Analysemethoden

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5. Schreiben Sie eine Kurzbezeichnung jeder Kategorie auch an den Rand der Textstelle im Datenmaterial, auf die sie sich bezieht. Beispielsweise steht die Kurzbezeichnung „AS“ in Abb. 18 für die Kategorie „Arbeitsstrategie“. Abb. 18 enthält einen Ausschnitt aus der zweiten Seite des Beobachtungsprotokolls Nr.1 (= BP 1) über die Arbeit einer Schülergruppe, die mathematische Aufgaben zu lösen hatte. In diesem Protokoll wurde die interessierende Textstelle durch Unterstreichen markiert und am Rand kodiert. Auf einem gesonderten Kategorienblatt ist die kodierte Textstelle einer Kategorie zugeordnet. Beim Kodieren treten Sie in ein reflektierendes Gespräch mit dem Text ein. Sie prüfen, ob die Kategorien den Aussagen des Textes und Ihren Interessen entsprechen und verändern sie, wenn dies nicht der Fall ist. Wegen der zu erwartenden Änderungen ist es daher besser, die Kodierung mit einem Bleistift vorzunehmen. Am Ende des zweiten Durchgangs durch den Text verfügen Sie über ein Kategorienblatt, auf dem alle Kategorien vermerkt sind, die Sie den verschiedenen markierten Stellen Ihres Textes zugeordnet haben. Auf diesem sind bei jeder Kategorie eine oder (meist) mehrere Nummernkombinationen ersichtlich, die das rasche Auffinden der entsprechenden Textstellen ermöglichen. Außerdem steht im Text am Rand jeder markierten Stelle neben der Randnummer die Kurzbezeichnung der zutreffenden Kategorie.

Kategorienblatt Arbeitsstrategie 2 Beobachtungsprotokoll Nr. 1 „… Auffällig war, dass die SchülerInnen nur Aufgabe 1 des gesamten Arbeitsblattes durchgelesen haben und danach sofort zu arbeiten begonnen haben, ohne zu wissen, was noch kommt und ohne einen Zeitplan für die Arbeit zu machen. Weiters, sie gehen bei der Berechnung nicht arbeitsteilig vor …

Abb. 18: Beispiel für eine Kodierung

1 AS

BP

1/2/1

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Analyse von Daten 6. Ordnen Sie die Kategorien, indem Sie zusammengehörige Begriffe gruppieren. Anregungen für die Ordnung ergeben sich sowohl aus Ihrer Fragestellung als auch aus dem 2. Schritt. Ergebnisse dieses Schrittes sind eine Struktur der Kategorien und meist auch Vermutungen über Zusammenhänge zwischen einzelnen Kategorien (vgl. die weiterführenden Hinweise zur Hypothesenbildung in M 12). Noch einige praktische Hinweise zur Kodierung:  Datenmaterial sollte so rasch wie möglich kodiert werden, solange die direkte Erfahrung mit dem Ereignis noch frisch ist. Außerdem kann das Kodieren wertvolle Gesichtspunkte für den weiteren Verlauf des Forschungsprozesses bringen.  Kategorien sind Kristallisationspunkte des Denkens, „Schlüssel“-Begriffe. Die Zeit, die Sie verwenden, um daran zu arbeiten, ist gut investiert. Bei der Entwicklung und Prüfung der ersten Kategorien empfiehlt es sich manchmal, probeweise einen kurzen Text dazu zu schreiben; damit prüfen Sie, wie gut Sie mit diesen Begriffen umgehen können. Aus manchen Kategorien ergibt sich eine Fülle von gedanklichen Assoziationen und Handlungsmöglichkeiten. Andere hingegen bleiben steril.  Wir halten es für einen Vorteil, wenn in der Aktionsforschung (im Unterschied zur klassischen empirischen Forschung) Betroffene selbst die Kodierung vornehmen, weil sie als in der Situation Handelnde wesentliche Hintergrundinformationen über das untersuchte Ereignis besitzen, die Außenstehenden nicht zugänglich sind. Allerdings kann das implizite Wissen alltäglicher „Selbstverständlichkeiten“ auch zu „blinden Flecken“ führen. Wir empfehlen daher, Kategorien und ihre Struktur mit „kritischen FreundInnen“ zu besprechen, die durch ihre Rückmeldung helfen können, eingefahrene Wahrnehmungsmuster bewusst zu machen.

Manche Autoren (z.B. Miles/Huberman 1984, 60) empfehlen, die verwendeten Kategorien durch eine explizite Definition begrifflich genauer zu bestimmen. Eine Definition bringt das jeweils vorliegende theoretische Verständnis der Kategorie (wenn erforderlich unter Zuhilfenahme der Fachliteratur) zum Ausdruck und verleiht ihr gegenüber dem Datenmaterial mehr Gewicht und Eigenständigkeit. Wir halten Definitionen vor allem dann für zweckmäßig, wenn sie im Verlauf der Arbeit im Lichte der Daten und des eigenen Erkenntnisfortschritts weiterentwickelt werden. M 35 Theoretische Notizen schreiben An den verschiedensten Stellen des Forschungsprozesses – bei der Formulierung der Fragestellung ebenso wie bei der Analyse der Daten – kommen einem immer wieder Ideen in den Sinn, die von theoretischer Relevanz für die Fragestellung sind: was bestimmte Daten bedeuten, wie man sich einen Sachverhalt erklären könnte, wie

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man einen wichtigen Begriff definieren könnte usw. Man wird solche Ideen nicht vergeuden: Auch wenn man sich noch nicht auf jenem Punkt des Forschungsprozesses befindet, an dem man sie eigentlich „braucht“, wird man sie in Form einer „Theoretischen Notiz“ festhalten und aufbewahren. Theoretische Notizen helfen, von den Phänomenen auf eine begriffliche Ebene zu gelangen, Begriffe zu verfeinern oder zu erweitern, Beziehungen aufzudecken und einen roten Faden zu finden. Das Schreiben erfordert nicht mehr als ein paar Minuten und ist ein rascher Weg, Gedanken, die im Verlauf der Forschung entstehen, einzufangen. Theoretische Notizen sollten zu den unmittelbar befriedigenden Seiten des Forschens gehören, weil sie Zugang zu eigenen, vielleicht bisher verschlossenen Ideen bieten. Theoretische Notizen sollten immer datiert werden und mit einem entsprechenden Stichwort gekennzeichnet werden, damit sie rasch auffindbar sind. Auch ein Verweis auf Daten, die zur Notiz Anlass gegeben haben, kann die Arbeit erleichtern. Näheres über diese wichtige und zeitsparende erste Form der Analyse finden Sie in Kap. 2.3.4. M 36 Zählen Forschende LehrerInnen beschäftigen sich mit komplexen Problemen praktischen Handelns in konkreten Klassen und Schulen. Quantitative Daten haben nicht den Stellenwert wie in der klassischen empirischen Sozialforschung, weil sie oft von der komplexen Struktur der Praxis zuwenig abbilden. Trotzdem haben quantitative Merkmale in unserem Denken große Bedeutung. Wenn wir sagen, dass etwas „wichtig“ ist, „bedeutsam“ ist oder „sich wiederholt“, sind wir oft durch Zählen, Vergleichen und Gewichten zu diesem Urteil gekommen. Häufig ist intuitives Zählen eine Voraussetzung für das Bilden von Kategorien. Es ist heilsam, sich den engen Zusammenhang zwischen unseren Urteilen und quantitativen Aspekten unserer Erfahrung ins Bewusstsein zu rufen und bewusst auf das Zählen zurückzugreifen, wann immer das zweckmäßig ist und Aufwand und Erfolg in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. In den folgenden Situationen kann das Zählen wertvolle Dienste leisten, a) wenn man rasch eine erste Übersicht über ein Ereignis oder über eine Datenmenge erhalten will. Für diesen Zweck nützt man den Umstand aus, dass Zahlen wesentlich leichter handhabbar sind als Worte. In der Untersuchung von Morocutti (1989) ging es um die Beteiligung der SchülerInnen in ihrem Unterricht. Um eine erste Übersicht zu erhalten, zählte sie die freiwilligen Wortmeldungen der SchülerInnen und stellte fest, dass fast nur Buben redeten. Das war eine wichtige Entdeckung für sie, die der Untersuchung eine neue Wendung gab, auch wenn die Zahlen nichts darüber aussagten, warum die Buben wesentlich mehr redeten als die Mädchen.

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Analyse von Daten b) wenn man Vorurteile entdecken möchte. Diese Funktion ist besonders wichtig, weil das intuitive Moment in der Aktionsforschung große Bedeutung hat. Es gibt Augenblicke, in denen einem „ein Licht aufgeht“ und die Fäden zusammenzulaufen scheinen. Das Problem besteht nur darin, dass man sich auch irren kann. Vielleicht wurden Beobachtungen, die den eigenen Erwartungen entsprachen, überbewertet und Daten, die nicht ins Konzept passten, übersehen. In solchen Situationen kann der Rückgriff auf das Zählen gute Dienste leisten, um die Verlässlichkeit unserer Intuitionen auf die Probe zu stellen. c) wenn man feststellen will, ob Ergebnisse, die sich an Daten von nur wenigen (oder nur einer) Personen herauskristallisiert haben, breitere Gültigkeit haben. M 37 Metaphern bilden (1) Metaphern übertragen Bedeutungen Eine Metapher ist eine Übertragung von Bedeutungen aus einem (meist anschaulicheren) Erfahrungsbereich auf einen anderen (meist abstrakteren) Erfahrungsbereich. Ein „Sündenbock“ war z.B. ursprünglich (nach Moses 3/16) der mit den Sünden des israelitischen Volkes beladene und in die Wüste gejagte Ziegenbock. Bereits seit dem 18. Jahrhundert wird dieses Bild übertragen auf eine Person, die für die Schuld anderer büßen muss. Es bräuchte viele Worte, um das zu umschreiben, was mit dieser Metapher über die Situation von Außenseitern an Assoziationen mitgemeint ist. Metaphern spiegeln die Entstehung unserer Sprache. Ursprünglich hatte die Sprache nur Worte für sinnlich wahrnehmbare Dinge. Wenn man einen abstrakten Begriff bezeichnen wollte, musste man den Namen einer sinnlich wahrnehmbaren Sache auf diesen übertragen (vgl. Reiners 1961, 317). Im obigen Satz wird dieser Prozess noch in mehreren Wörtern sichtbar: Begriff, bezeichnen, übertragen. Wenn die Bezeichnung einer Sache übertragen wird, müssen beide etwas gemeinsam haben, das einen Vergleich zulässt. Auch dies ist in den obigen Beispielen ersichtlich. Interessant wird eine Metapher aber erst durch die Bedeutungselemente und „atmosphärischen“ Nebenbedeutungen (Konnotationen), die mit übertragen werden. Durch sie wird die Metapher zu einer neuen Art, etwas zu sehen, zu einer neuen Perspektive, die an einen Sachbereich angelegt wird. (2) Metaphern sind „generativ“ Wer in einer Lehrperson eine „gestrenge Richterin“ sieht, wird ihr anders gegenübertreten als jene, die in ihr ein „wandelndes Lexikon“ oder einen „väterlichen Freund“ sehen. Dieser „generative“ (d.h. neue Bedeutungsgehalte hervorrufende) Charakter von Metaphern (Schön 1979) soll am Beispiel von zwei konträren Metaphern des Lernens näher erläutert werden.

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a) Lernen als „Abbilden“ von Bedeutungsgehalten Diese Metapher vermittelt die Vorstellung, Lernen könnte so ähnlich wie die Aufnahme von Bildern auf einem Filmstreifen funktionieren: das Linsensystem der Kamera entspräche den Sinnesorganen; das Speichermedium dem Gehirn; Begriffe würden sich aus Überlagerungen immer wiederkehrender Bildelemente ergeben usw. Die Metapher des „Abbildens“ überträgt eine bestimmte Sichtweise auf den Prozess des Lehrens und Lernens: SchülerInnen werden z.B. als passiv „aufnehmend“ und Lehrende als aktiv „gebend“ gesehen. Die Sichtweise „generiert“ auch Normen für das Handeln: • SchülerInnen sollen aufmerksam sein, damit der Informationsfluss von der Lehrperson zu ihnen nicht unterbrochen wird. Die Sicherung der Disziplin wird dabei zu einer wichtigen Aufgabe des Lehrens. • Selbständige Handlungen der SchülerInnen sollen unterbunden werden, weil die Lehrenden über die Informationen verfügen und daher nur sie in der Lage sind, zu bestimmen, was zu geschehen hat. • Die Darbietung der Inhalte muss in mehreren Wiederholungen erfolgen, damit sie sich im Gedächtnis „einprägen“ können. LehrerInnen haben die Aufgabe, die Informationen entsprechend aufzubereiten. • Fehler sind zu vermeiden, weil jeder Fehler unauslöschbare Spuren hinterlässt. Lehrpersonen sollen möglichst gesicherte (fehlerfreie) Informationen anbieten. b) Lernen als „Konstruieren“ von Bedeutungsgehalten Diese Metapher vermittelt die Vorstellung, dass die Lernenden selbst ihren Lernprozess gestalten und aus Erfahrungen mithilfe ihrer Vorkenntnisse neues Wissen „bauen“. Bei dieser Metapher ähnelt das Lernen der Photosynthese, bei der körperfremde anorganische Stoffe von der Pflanze selbst mithilfe des Chlorophylls und des Lichtes in körpereigene organische Stoffe synthetisiert werden. Unter dieser Perspektive werden die Lernenden zu aktiven KonstrukteurInnen ihres Wissens. Sie „verstehen“ einen Sachverhalt, indem sie ihn mit ihren Mitteln nachbauen. Daraus ergeben sich verschiedene Anregungen für das Handeln von LehrerInnen und SchülerInnen: • LehrerInnen sollen die Lernenden dort „abholen“, wo sie „stehen“, weil ja deren Vorkenntnisse das Baumaterial für neues Wissen sind. • LehrerInnen sollen die Lernenden zum selbständigen Handeln ermutigen, damit sie ein Maximum aus ihren Möglichkeiten herausholen. • LehrerInnen sollen auf die Lerninteressen der Lernenden eingehen, weil sie die für den Lernprozess nötige Energie bereitstellen. • LehrerInnen sollen eine Vielfalt von Lernaktivitäten zulassen, weil die Voraussetzungen der Lernenden sehr verschieden sind. • Fehler sind für den Lernprozess kein Unglück, sondern bieten eine Gelegenheit, Lernstrategien zu prüfen und weiterzuentwickeln. LehrerInnen sollen die SchülerInnen zur Selbstkontrolle anregen und sie dabei unterstützen. Beide Metaphern, Lernen als „Abbilden“ und Lernen als „Konstruieren“ rufen völlig verschiedene, z.T. sogar gegensätzliche Handlungskonsequenzen hervor: Wenn sich eine Schülerin im Unterricht ihrem Nachbarn zuwendet und ihn etwas fragt, so kann dies im Lichte der einen Metapher eine unwillkommene Störung des Unterrichts, im Lichte der anderen eine sinnvolle Lernaktivität sein.



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Analyse von Daten (3) Metaphern bereichern den Forschungsprozess Die Suche nach Metaphern und ihre Analyse können für forschende LehrerInnen in mehrfacher Hinsicht von Nutzen sein: Sie erweitern ihren Horizont und ermöglichen ein reichhaltigeres Verständnis beruflicher Situationen. Man kann Metaphern als unterschiedliche Zugänge zur Realität sehen, als Spiegel, die unterschiedliche Facetten ein und derselben „vielflächigen“ Wirklichkeit reflektieren. Je mehr Facetten sichtbar sind, desto tiefer gehend könnte das Verständnis von Situationen sein, weil jede dieser Facetten unterschiedliche Aspekte der Wirklichkeit hervorhebt. Die Metapher „Lernen als Abbilden“ betont z.B. eher das Angebot an Informationen im Unterricht und lässt die Verarbeitungsprozesse der Lernenden im Dunkeln. Die Metapher „Lernen als Konstruieren“ betont mehr die Dynamik der Auseinandersetzung der SchülerInnen mit dem Lehrstoff und blendet die kulturellen Vorgaben für diese Auseinandersetzung aus. Metaphern erleichtern die Kommunikation über komplexe Sachverhalte, weil sie in wenigen Worten eine Fülle von Informationen übermitteln. Sie sind – obwohl selbst aus Worten bestehend – die „Bilder“ der Sprache. Die Metapher des „Abbildens“ löst z.B. zahlreiche Assoziationen aus, die nicht eigens mitgeteilt werden müssen, weil sie aus anderen Erfahrungsbereichen schon vertraut sind. Wegen der Unschärfe bildhafter Sprache können sich aber auch Missverständnisse ergeben. Unterschiedliche Erfahrungswelten führen auch zu unterschiedlichen Assoziationen. Dies gilt vor allem für die Gefühle, die von Metaphern ausgelöst werden. Metaphern haben eher heuristischen Charakter und können die analytische Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial nicht ersetzen. Sie können aber neue Analysen anregen und dadurch neue Impulse für Forschung und Entwicklung bieten. Beispielsweise wurden Unterrichtsversuche mit problemorientiertem Unterricht durch die Bekanntschaft mit der Metapher „Lernen als Konstruieren“ angeregt (vgl. Posch 1986b; vgl. das anregende Beispiel eines durch eine Metapher ausgelösten Entwicklungsprozesses bei Schön 1983, 184ff). Metaphern erschließen neue Handlungsstrategien. „Normal“ und selbstverständlich erscheinen Handlungsstrategien meist nur im Lichte der zugrunde liegenden generativen Metapher. Sobald man diese wechselt, treten andere Handlungsstrategien in den Vordergrund. Bei der Abbildungsperspektive des Lernens ist es z.B. selbstverständlich, dass LehrerInnen den Unterricht selbst bis ins Detail gestalten. Wird jedoch das Lernen als konstruktiver Prozess gesehen, würde dieses Verhalten eher überraschen. Die Kenntnis des generativen Charakters von Metaphern kann für forschende LehrerInnen eine Hilfe sein, eine gewisse Distanz zu den scheinbaren Selbstverständlichkeiten des Alltags zu gewinnen und undogmatisch darauf zu reagieren. Wenn sie wissen, dass sie die Wirklichkeit nur durch die „Brille“ von Metaphern (schon wieder eine Metapher!) sehen können, fällt es ihnen auch leichter, diese zu wechseln und sich damit neue Handlungsstrategien zugänglich zu machen.

Kritisch-prüfende Analysemethoden

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(4) Der Weg zu Metaphern Nach Reiners (1961, 335) sind nur jene Metaphern „gut“, die sich „aufdrängen“. Wer sie aktiv sucht, wird sie seiner Meinung nach nicht finden: „Gute Metaphern werden nicht ausgedacht, sie kommen in blitzartiger Eingebung“. Miles/Huberman (1984, 221f ) geben einige Hinweise, dieser Eingebung etwas nachzuhelfen: a) Ein guter Weg zu Metaphern ist spielerisches Umgehen mit Daten, z.B.: Wenn ich nur zwei Wörter hätte, um diese Situation zu beschreiben, welche würden es sein? b) Das spielerische Umgehen kann durch Gespräche gefördert werden, wenn sie eine gelöste Atmosphäre bieten, die zu neuen, ungewohnten Sichtweisen einlädt. Metaphern führen zu einer radikalen Reduktion von Daten. Sie sollten nicht zu früh gesucht werden, da sie sich sonst auf zu wenige Erfahrungen und Daten beziehen und Perspektiven vortäuschen, von denen man aufgrund selektiver Wahrnehmung u.U. nur mehr schwer loskommt.

6.3 Kritisch-prüfende Analysemethoden Immer wieder tauchen beim Analyseprozess „Erkenntnisse“ auf: neue Sichtweisen bekannter Sachverhalte, neue Zusammenhänge usw. Wie kann man die Verlässlichkeit solcher Einsichten prüfen und Gütekriterien für die Forschung (vgl. Kap. 5.2) zur Geltung bringen? Wie lässt sich vermeiden, auf eine zunächst plausible, aber letztlich nicht tragfähige Erklärung hereinzufallen? Es gehört zum Forschen dazu, gewagte Hypothesen zu formulieren und damit das Risiko einzugehen, Unrecht zu haben; zum Forschen gehört aber auch das Bemühen, Fehleinschätzungen aufzuklären – im Wissen, dass dies nie ganz möglich sein wird und dass jede Erkenntnis eine vorläufige bleibt. Ein Prüfprozess sollte aus zwei Tätigkeiten bestehen: sich vergewissern, was alles für die Richtigkeit einer Erkenntnis spricht, und sorgfältig sondieren, was dagegen spricht. Bei der ersten Tätigkeit (progressive Fokussierung) werden alle Fälle (z.B. Textstellen) gesucht, die das Analyseergebnis stützen. Bei der zweiten (regressive Fokussierung) werden Fälle gesucht, die dem Analyseergebnis widersprechen und dadurch die Grenzen seines Geltungsbereiches sichtbar machen. Beide Tätigkeiten sind wichtig, um die Verlässlichkeit von Erkenntnissen zu verbessern. Beide tragen im Allgemeinen auch zu deren Weiterentwicklung bei: die erste zu einer Erweiterung und Anreicherung, die zweite zu ihrer Einschränkung und Abgrenzung, damit aber auch zu ihrer begrifflichen Schärfe und Klarheit. Eine wichtige Voraussetzung für diesen Prüfprozess besteht darin, dass die Erkenntnisse so klar formuliert sind, dass sie durch die Daten nicht nur bestätigt, sondern

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auch widerlegt werden können. Das setzt voraus, dass Interpretationen über die „Leiter des Schließens“ (vgl. M 15) Beobachtungsaussagen zugeordnet werden können. Die in den Daten repräsentierte Wirklichkeit muss eine Chance erhalten, „zurückzureden“, auch wenn forschende LehrerInnen zunächst daran interessiert sind, ihre Annahmen bestätigt zu finden, einesteils um ihren Aufwand möglichst gering zu halten, andernteils um das Vertrauen in ihre Handlungsstrategien zu erhalten. Die Sensibilität gegenüber Daten, die die eigenen Annahmen nicht nur bestätigen, sondern auch in Frage stellen und dadurch zu erneuter Reflexion anregen, ist längerfristig aber eine wichtige Voraussetzung für die Berechtigung des Vertrauens in die eigene praktische Theorie. Wir verstehen unter dieser Sensibilität nicht eine Verleugnung der eigenen Überzeugungen und Urteile. Dies ist für LehrerInnen nicht möglich (und auch für hauptberufliche ForscherInnen eine Illusion). Wohl aber verstehen wir darunter die Bereitschaft, einen Schritt zurückzutreten, sich die eigenen Annahmen im Lichte der Daten anzusehen und gegenüber abweichenden Belegen offen zu sein. Das Prüfen von Analyseergebnissen ist nicht in erster Linie eine Frage der Anwendung bestimmter Verfahren. Wichtiger ist eine Haltung intellektueller Redlichkeit, das Bemühen, sich selbst und anderen nichts vorzumachen. LehrerInnen stehen (ebenso wie WissenschaftlerInnen) unter Erfolgsdruck, besonders dann, wenn sie etwas Neues ausprobieren und evaluieren. Das Gefühl, vor der eigenen Unsicherheit und der Skepsis der anderen bestehen zu müssen, ist eine Bedrohung der Bereitschaft, auch unangenehme Analyseergebnisse zu akzeptieren. Trotzdem ist es eine unverzichtbare Voraussetzung für die professionelle Weiterentwicklung. Die Prüfung der Verlässlichkeit von Analyseergebnissen ist grundsätzlich nicht abschließbar. Daher gibt es auch keine absolute Verlässlichkeit. Dennoch besteht Anlass zu einem Abschluss, wenn sich zeigt, dass weitere Daten, also die Hinzuziehung alternativer Perspektiven, weder im positiven noch im negativen Sinn Neues bringen. Wenn diese Situation eintritt, spricht man von „Sättigung“ (vgl. Glaser/Strauss 1967, 16). Daneben gibt es natürlich so etwas wie eine pragmatische Grenze durch die Handlungsnotwendigkeiten, unter denen LehrerInnen stehen. Da die Forschung im Dienste des Handelns steht, hat man nicht immer Zeit, die Sättigung abzuwarten. Außerdem wird der Prüfprozess mit der Beendigung der Datenanalyse nicht abgebrochen, sondern im Handeln weitergeführt (als „Erprobung durch Praxis“, vgl. Kap. 7). M 38 Prüfung von Thesen Im Folgenden wird als Beispiel eine Methode vorgestellt, die diesen grundsätzlichen Überlegungen folgt. Stearns et al. (zit. nach Miles/Huberman 1984, 72) schlagen vier Schritte zur Formulierung und Prüfung von Behauptungen vor: 1. Auf Karten werden Sätze geschrieben (ein Satz pro Karte), die nach Meinung der ForscherInnen jeweils ein wichtiges Analyseergebnis zum Ausdruck bringen. Die Sätze werden entweder aus dem Gedächtnis (aus der Forschungserfahrung) nie-

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dergeschrieben, Unterlagen (z.B. dem Forschungstagebuch) entnommen oder sie stammen aus den bei der Datenkodierung entwickelten Hypothesen (vgl. M 12). 2. Die Sätze werden nach inhaltlicher Zusammengehörigkeit in Gruppen geordnet. 3. Die Sätze (Karten) einer Gruppe werden übersichtlich aufgelegt, damit allfällige Beziehungen zwischen einzelnen Aussagen deutlicher sichtbar werden. 4. Jede Karte wird anhand des verfügbaren Datenmaterials geprüft. Es wird jeweils untersucht, inwieweit und unter welchen Bedingungen der Satz berechtigt ist, was für ihn und was gegen ihn spricht. Er wird anhand des Datenmaterials und der Erfahrungen der ForscherInnen inhaltlich angereichert, modifiziert, illustriert, auf andere Sätze bezogen usw. Wenn dies für die einzelnen Sätze durchgeführt wird, kann schrittweise eine detailreiche, am Datenmaterial abgesicherte Studie entstehen. Das folgende Beispiel stammt aus einer Untersuchung über die Betreuung von StudentInnen beim Schulpraktikum. Von den beteiligten BetreuungslehrerInnen, HochschullehrerInnen und StudentInnen wurden Erfahrungsberichte geschrieben und bei einem Wochenendseminar in kleinen Arbeitsgruppen ausgewertet. Die Auswertung ging auf folgende Weise vor sich: Alle TeilnehmerInnen übernahmen die Aufgabe, zunächst ihre Erfahrungen in drei Thesen auf Karten niederzuschreiben (vgl. Schritt 1). Nachdem die Karten geordnet (Schritt 2) und in Beziehung gesetzt worden waren (Schritt 3), wurden in Erfahrungsberichten einschlägige Belege + und Gegenbelege  – gesucht und herausgeschrieben. Nach Prüfung der jeweiligen Belegsituation wurden schließlich Vorschläge für die weitere Gestaltung des Schulpraktikums formuliert. Der folgende Ausschnitt stammt aus dem schriftlichen Ergebnisbericht einer der Arbeitsgruppen: These: „Das Finden einer eigenen Fragestellung für eine Fallstudie ist in den ersten Tagen der Lehrveranstaltung ‚Einführungsphase‘ zu früh, da die StudentInnen zu sehr mit den Grundproblemen des Schulpraktikums beschäftigt sind“. Belege und Gegenbelege: (die Quellenangaben beziehen sich auf die für die Analyse herangezogenen Erfahrungsberichte bzw. Fallstudien = FS). + Behauptung einer Studentin: „Ich sah zu Beginn des Semesters wenig Sinn darin, eine Fallstudie verfassen zu müssen.“ + FS 22/1 „Fallstudie über meine Unfähigkeit, eine Fallstudie zu schreiben“. Aus dieser Fallstudie sollen beispielhaft folgende Zitate die Behauptung stützen: 1. „Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, worüber ich schreiben werde.“ 2. „Was könnte ich bloß als Fallstudie verwenden? Wieso fällt mir überhaupt nichts ein?“ 3. „Ich habe überhaupt keine Idee, ich erfinde einfach was.“

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Analyse von Daten + FS 20/6 Das gesamte Kapitel „Von der Schwierigkeit der Studentinnen, ihre Fragestellung zu formulieren“ (stützt die These; d. Verf.). ‒ Behauptung eines Betreuungslehrers: „(…) durch eine Fallstudie werden Probleme im Unterricht wesentlich bewusster gemacht“. ‒ FS 20/7 „Die Fallstudie strukturiert Unterrichtsbeobachtungen, -versuche und -besprechungen und wurde mir in dieser Funktion zu einem willkommenen Instrument, den Dschungel der Beliebigkeit vor allem im Reden über Unterricht zu verlassen“ (Altrichter et al. 1987, 52f ).



M 39 Kommunikative Validierung Kommunikative Validierung ist eine Methode, um sich der Gültigkeit einer Interpretation durch Kommunikation mit den Betroffenen zu vergewissern: Eine Einigung bzw. Übereinstimmung zwischen Interviewten und InterpretInnen wird als Hinweis auf die Gültigkeit der jeweiligen Interpretation angesehen (vgl. Huber/Mandl 1982, 32). Eine Lehrperson verwendet diese Methode, wenn sie z.B. ihre Interpretation einer Schüleräußerung der betreffenden Schülerin vorlegt. Wenn die Schülerin die Deutung teilt, wird das als Argument für die Gültigkeit der Interpretation angesehen. Von manchen AutorInnen wird die Methode in einem etwas weiteren Sinn verstanden (z.B. Köckeis-Stangl 1982): Kommunikative Validierung liegt auch vor, wenn die Interpretationen von ForscherInnen mit den Erfahrungen der von der Analyse Betroffenen bzw. den Interpretationen anderer Personen aus dem Forschungsfeld verglichen werden, etwa wenn die Analyseergebnisse einem oder mehreren KollegInnen gegeben werden mit der Bitte um schriftlichen oder mündlichen Kommentar. Auch hier gilt das Ausmaß an Übereinstimmung als Hinweis auf die Gültigkeit der Analyseergebnisse. Wie in allen anderen Fällen ist jedoch auch die mittels Kommunikativer Validierung erworbene ‚Sicherheit‘, eine höchst vorläufige, kann sich doch die Zustimmung zur Interpretation auch aus ungleicher Machtverteilung in der Gesprächssituation, aus geteilten kulturellen Vorurteilen usw. ergeben haben. Abweichende Interpretationen müssen das Analyseergebnis umgekehrt nicht prinzipiell entwerten, fordern jedoch dazu heraus, sich mit den Unterschieden in den Interpretationen auseinanderzusetzen und sie zu erklären (vgl. dazu das Beispiel in Kap. 5.2.1). Die Methode der Triangulation, die wir in Kap. 5.7 beschrieben haben, kann ebenfalls als eine Prüfmethode angesehen werden, weil sie dabei hilft, alternative Wahrnehmungen und Interpretationen von Ereignissen miteinander zu vergleichen.

Komplexe Methoden

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6.4 Komplexe Methoden Im Folgenden werden zwei Methoden näher erläutert, die vor allem für die Analyse von Unterricht geeignet erscheinen: die Musteranalyse und die Dilemma-Analyse. 6.4.1 Musteranalyse (1) Was sind Muster? Muster sind regelhafte, immer wieder ähnlich ablaufende Handlungen. Diese Definition bietet eine erste Annäherung (vgl. Ireland/Russell 1978). Ein tiefer gehendes Verständnis soll anhand des folgenden Textes vermittelt werden. Es handelt sich um die Transkription eines längeren Ausschnittes aus einer Unterrichtsstunde (Deutsch, 10. Schulstufe) an einer Berufsbildenden Höheren Schule. Der Lehrer, der in dieser Klasse auch Geschichte unterrichtet, hat den SchülerInnen ein Arbeitsblatt ausgeteilt, auf dem frühe deutsche Literatur damaligen geschichtlichen Ereignissen (die im Unterricht schon behandelt worden sind) gegenüber gestellt wird. In diesem Transkript sind einige Muster nicht allzu schwer erkennbar. Vielleicht gelingt es Ihnen, das eine oder andere spontan zu identifizieren. Transkription einer Unterrichtsstunde (18.4.1986)34

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L: So, zuerst einmal gibt es neue Arbeitsblätter (Es folgen ca. 4 Minuten lang Hinweise auf Schularbeit und Hausübung). So! () Und jetzt werden wir uns ein bissl mit Literatur beschäftigen, aus dem Grund habe ich Euch etwas ausgeteilt. Und zwar sind wir parallel zu Geschichte, und das ist fein, dass wir da parallel sind. Ihr bekommt jetzt zu jedem Literaturgebiet von mir immer solche Arbeitsblätter präsentiert, immer auf der linken Seite steht drauf, was an literarischen Dingen in dieser Epoche passiert ist. Ich habe immer unterstrichen jene Dinge, die Ihr Euch besonders merken sollt, ja. Lauter Arbeit, die ihr eigentlich erledigen hättet sollen. Auf der rechten Seite stehen dann jene Dinge, die für diese Zeit charakteristisch sind. Da hätte ich gleich eine Frage: Was für Dinge werden auf der rechten Seite alle angeführt, wer kann mir das erklären, was da alles präsentiert wird? Ja, Bernhard? Be: Geschichtliche Fakten L: Also, historische Fakten! Steht sonst noch was oben? Etwas Besonderes? SS: (unv.) L: Also nicht nur historische Ereignisse, kulturelle Ereignisse SS: Jahreszahlen, religiöse Ereignisse, Dichtungen L: Ja, auch; es lässt sich daraus ein System ableiten! Da haben wir einenTeil S: Zuerst Jahreszahlen L: Zuerst nur historische Fakten

Transkription einer Tonaufzeichnung von Sorger (1989, 101-105).

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dann Kultur () dann ist Kunst dann Kunst. Das wird auf jedem der Blätter immer so ähnlich präsentiert sein. Das ist klar. Links Literatur, die deutsche Literatur. Auf der rechten Seite historische Ereignisse, kulturelle Ereignisse, Kunst, Musik und Literatur außerhalb der deutschen Literatur, falls etwas vorhanden ist, ja? Wir haben uns in letzter Zeit in Geschichte mit den Germanen beschäftigt; und diese Germanen, haben wir gesagt, das wisst ihr ja eigentlich schon alles, die haben an und für sich was nicht gehabt? Um das zu tun, was man normalerweise tun kann, wenn es um Literatur geht, Clara? keine Schrift, ja? Ja, sie haben also keine Schrift gehabt. Das bedeutet also, dass irgendjemand u.U. sagen könnte, Moment, wenn keine Schrift vorhanden, kann es auch keine Literatur haben. Könnte man theoretisch so sagen, ja? () Die Germanen haben aber trotzdem eine Literatur gehabt, obwohl sie keine Schrift gehabt haben, weil die Literatur sich nicht nur auf das schriftlich Aufgezeichnete bezieht, sondern überhaupt auf das, was mit Sprache geschieht; das ist Literatur im Prinzip, im weiteren Sinne. Und daher haben die Germanen auch Literatur gehabt. Diese germanische Literatur ist, wenn sie keine Schrift hatten, wie dann für uns interessant geworden? Wahrscheinlich () Walter? (Keine Antwort) Wenn die keine Schrift gehabt haben, dann geht normalerweise Literatur, die nicht schriftlich aufgezeichnet ist, geht ja verloren, theoretisch, könnte ich mir vorstellen? () Rudolf? Mündliche Überlieferung Mündliche Überlieferung, ja, richtig. Das ist ein wesentliches Merkmal. Mündliche Überlieferung und erst dann, als man sozusagen in der Lage war, als jemand Interesse daran gehabt hat, schriftlich aufzuzeichnen, erst dann wurde diese germanische Literatur aufgezeichnet, ja? Daher Begriff altgermanische Dichtung, das bedeutet soviel wie Literatur oder Geschichten, Erzählungen und andere Dinge, die wir kurz dann näher kennen lernen werden. Das sind also Dinge, die lange Zeit mündlich überliefert worden sind und erst in einer sehr sehr späten Zeit aufgezeichnet worden sind, und zwar könnt’s euch merken, die sind aufgezeichnet worden, so das erste Mal so etwa im 8. Jhd. n. Chr.; entstanden ist diese altgermanische Literatur aber schon etwas früher. Ja? Das betrifft die altgermanische Literatur, d.h. eine Literatur, die zuerst nur mündlich überliefert worden ist und dann etwa im 8. Jhd. schriftlich aufgezeichnet worden ist, teilweise schriftlich aufgezeichnet worden ist. Nun, wovon wird denn diese altgermanische Literatur gehandelt haben? Von Helden…Kämpfen…von Göttern. Von Helden, Kämpfen, Göttern; es wird also eher jene Sache besonders behandelt, die eben die Germanen betroffen hat. Daher wird diese Literatur von welchen Gedanken oder von welchen Überlegungen besonders durchsetzt worden sein? Maria? () Hans? () Karla?

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Ka: Ja, von der Kultur L: Ja, wie schaut diese germanische Kultur aus, die kennen wir ja schon etwas? Ka: Kriegerisch und bäuerlich L: Bäuerlich-kriegerisches Weltbild! Gut! Also solche Dinge, die diese Germanen da betroffen haben, wir haben schon gesagt von () Kriegen, von bäuerlichen Dingen oder von Ereignissen, die sie betrafen, gut. Und da gibt es verschiedene Gruppen solcher Literatur, die da angeführt sind auf der linken Seite; die erste Gruppe von Literatur, die die Germanen da verfasst haben, ist die so genannte Ritualdichtung, was könnte das bedeuten, was könnte man darunter verstehen? Christine? () Paula? Pa: Bräuche bestimmen L: Bräuche bestimmen, das wäre möglich, das wäre unter Umständen möglich. Was heißt denn Ritual? S: Vielleicht hat es mit Ritter zu tun? (Schüler lachen) L: Ja, wenn man’s falsch schreibt schon! (SchülerInnen lachen) Annemarie? An: Also Ritual, das war im Mittelalter. Da sind mehrere zusammen, die müssen kämpfen oder etwas tun (weiteres unv.). L: Gut. Und den Begriff Ritual gibt es also heute nicht mehr? Werner? We: Es ist ein Brauch. L: Ja, es ist ein Brauch, und zwar ein Brauch, der sich worauf meistens bezieht? S: Auf die Götter L: Auf die Götter oder eine bestimmte religiöse Handlung. Ein Ritual ist dann eine Handlung, die nach bestimmten gesetzmäßigen Vorstellungen abläuft. D.h., es weiß jeder normalerweise ganz genau, was er in einer bestimmten Phase zu tun hat, ja? Das kennt ihr eh wahrscheinlich, es gibt solche Rituale z.B. auch im täglichen Leben gibt’s so genannte Rituale, könnt Ihr so was anführen? Veronika () Sandra? Sa: Die tägliche Mahlzeit L: Ja, die tägliche Mahlzeit. Wie läuft so eine tägliche Mahlzeit ab, zum Beispiel? () Da gibt es ja ein Ritual, stimmt ja! Stimmt ja! Vollkommen richtig! Sa: Man wartet, bis alle etwas haben. L: Man wartet einmal, bis alle etwas haben und dann? Ha: Tischgebet L: Ja, dann Tischgebet unter Umständen (SchülerInnen lachen). S: Jeder sagt Mahlzeit. L: Und dann sagt ja jeder Mahlzeit, net? Und dann löffeln alle erst ein, net? Das heißt, es gibt ein Ritual; richtig, zuerst isst man Suppe, dann das Fleisch und dann erst den Salat. In anderen Kulturen ist das umgekehrt. S: Bei den Italienern Spaghetti zuerst

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Ja, richtig. Das ist ein Ritual, da ist der Salat Vorspeise, es gibt verschiedene Rituale () Und dann hat Hans schon gesagt, das Tischgebet, z.B. das war natürlich witzig gemeint, () womöglich. Ha: Na. L: Net witzig, okay. Ich habe gedacht, witzig. Hab i mi täuscht. Jetzt wissen wir unter Umständen auch, was Ritualdichtung ist. Gebete oder Sprüche oder Formeln, die im Zusammenhang mit religiösen Handlungen der Germanen eben präsentiert worden sind. Und das ist im Prinzip auch Literatur, ja? Ist das klar? Weil es kann sich unter Umständen reimen; wenn sich’s reimt dann geht’s halt zumindest in Richtung Kunst und Literatur. Also das ist die Gruppe. Die Germanen haben also, das ist eh logisch, das brauchen wir uns im Prinzip ja gar nicht allzu sehr zu merken, die haben auch so genannte Ritualdichtung gehabt, also eine Literatur oder Dichtung, die ihre Gebete oder kultischen Handlungen begleitet hat. Das waren so kleine Gebete und Sprüche, z.B. könnte das auch sein, man hat das ja gefunden teilweise auf so genannten Waffen oder Gerätschaften stehen halt solche Sprüche oben, das kennt’s ihr auch wahrscheinlich S: (unv.) L: Ja, richtig, auf Schwertern steht was oben, ja, das diesen Waffen oder diesem Gerät besondere Fähigkeiten verleiht. Das war also Ritualdichtung. Das gibt’s bei den Germanen. Dann eine zweite Gruppe von Literatur, die bei den Germanen sehr häufig vertreten war, ja, das ist die so genannte Zauberdichtung, das sind so genannte Zaubersprüche, das sind also meistens kurze Sprüche, die welche Absicht verfolgt haben? Martha? () Edith? () Rudolf? Ru: Also, die Leute etwas glauben lassen! L: Ja, das verstehe ich nicht ganz! Da komme ich nicht mit. Wie ist das gemeint? Ru: Z.B. Zauberei hat mit Wahrsagen etwas zu tun. L: Das ist also ein Spruch, den ich dann spreche, damit die Leute mir glauben, dass es Zauberei gibt, oder wie? Ist das so gemeint? Das glaube ich aber nicht, dass das so gemeint ist mit dem Zauberspruch. S: Man hat so Sprüche gesagt, wenn man einen Kranken heilte, oder so. L: Ja, richtig. So ein Zauberspruch mit Abrakadabra, Simsalabim und was weiß ich noch. S: Dämonenbeschwörung L: Ja, Dämonenbeschwörung, richtig! Da gibt’s also Zaubersprüche. Da merken wir uns da (unv.) das sind die so genannten Merseburger Zaubersprüche. In der nächsten Stunde werd ich so was mitbringen, dann schauen wir uns an, wie so a Zauberspruch ausschaut.

Welche Muster haben Sie entdeckt? Ein sehr einfaches, häufig auftretendes Muster besteht in der schematischen Abfolge von Lehrer- und Schüleräußerungen: Jeder

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Lehreräußerung folgt eine Schüleräußerung, jeder Schüleräußerung eine Lehreräußerung. Man könnte es als das L-S-L-Muster bezeichnen. L: Ja, wie schaut diese germanische Kultur aus, die kennen wir ja schon etwas? Ka: Kriegerisch-bäuerlich L: Bäuerlich-kriegerisches Weltbild! Gut! (TR1, 71-74)35

An diesem Beispiel lassen sich einige Merkmale von Mustern aufzeigen: a) Muster reduzieren Daten. Aus dem gesamten Datenmaterial werden Daten ausgewählt, die das Muster miteinander verbindet. Dadurch werden bestimmte Daten hervorgehoben; andere, die mit dem Muster in keinem Zusammenhang stehen, treten in den Hintergrund. Selbst die ausgewählten Daten werden nur unter einem bestimmten Blickwinkel, der sich aus dem Muster ergibt, betrachtet. b) Muster ordnen Daten. Sie bringen Ordnung in das Datenmaterial. Die Ordnung wird „gefunden“ und zugleich „hineininterpretiert“, d.h. sie hängt sowohl von Merkmalen des Datenmaterials als auch vom Vorverständnis, von den Erwartungen, Begriffen (der „Theorie“) dessen ab, der Muster sucht. Muster sind Ausschnitte aus dem dichten Netz der Zusammenhänge, die sich im Datenmaterial herstellen bzw. auffinden lassen. c) Muster interpretieren Daten. Sie sind Vermutungen (Hypothesen) über die Unterrichtsrealität:  Mit jedem Muster ist die Vermutung verbunden, es könnte sich um eine Regelhaftigkeit handeln, die bedeutsame Aspekte des Unterrichts kennzeichnet.  Mit jedem Muster ist die Vermutung verbunden, es könnte auf tiefer liegende Sachverhalte (z.B. Einstellungen zu SchülerInnen, LehrerInnen, Rollenverständnis usw.) verweisen und damit Schlüssel zu einem besseren Verständnis von Unterricht sein.  Mit jedem Muster ist auch die Vermutung verbunden, dass es Wirkungen hat, dass es Botschaften vermittelt, durch die Sachverhalte (Einstellungen usw.) beeinflusst werden. Auf einer etwas allgemeineren Ebene betrachtet sind Muster „Selbstverständlichkeiten“, „Routinen“, die das Gewebe des (Unterrichts)Alltags durchziehen. Muster sind vermutlich nur in geringem Maße aus bewusst und absichtlich gesetzten Handlungen „gebaut“, sondern werden häufiger von unausgesprochenem, in Handlungsroutinen verborgenem Wissen gesteuert. (2) Worin besteht die Analyse von Mustern? Wir werden die Analyse von Mustern an diesem Beispiel erläutern. Gegenstand der Analyse ist das bereits zitierte Transkript. Zu diesem Dokument hat ein Gespräch mit dem Lehrer stattgefunden. Zudem hat der Lehrer in einer Fallstudie (Sorger 1989) erste Reflexionen über diese Unterrichtsstunde angestellt. 35

Die Quellenangabe bezieht sich auf das oben zitierte Transkript Nr.1, Transkriptzeilen 71-74.

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Phase 1: Worin besteht das Muster? Aus welchen Elementen ist es zusammengesetzt und welche Beziehungen bestehen zwischen ihnen, sodass das Muster im Fluss des Geschehens als Einheit erkennbar ist? In welchem Zusammenhang stehen Muster untereinander? Es ist zweckmäßig, sich in dieser ersten Phase auf die Beschreibung von Mustern zu beschränken und zu versuchen, möglichst detailreich Elemente und Beziehungen der zunächst meist intuitiv vermuteten Muster herauszuarbeiten. Tiefeninterpretationen sollten erst dann einsetzen, wenn eine Basis von Daten hergestellt wurde, über die Übereinstimmung erzielt werden kann (z.B. durch M 15). Ein Muster wurde oben bereits angedeutet. Wir nannten es das L-S-L-Muster. Es besteht darin, dass die Äußerung einer Schülerin oder eines Schülers in zwei Lehreräußerungen eingebunden ist. Sehen wir uns dieses einfache Muster etwas genauer an: L:

Daher wird diese Literatur von welchen Gedanken oder von welchen Überlegungen besonders durchsetzt worden sein? Maria? () Hans? () Karla? Ka: Ja, von der Kultur (TR1, 67-70)

Es fällt auf, dass die Antwort der Schülerin in einem Stichwort erfolgt und dass dieses der Frage des Lehrers komplementär ist, d.h. sich in die Lücke, die seine Frage offen lässt, einfügt. Die Frage des Lehrers verlangt einen (unter Umständen nur aus einem Wort bestehenden) die Äußerung des Lehrers ergänzenden Satzteil. Und den gibt die Schülerin. Nennen wir dieses Muster „Satzergänzungsmuster“ (vgl. Abb. 19). Es findet sich im Transkriptausschnitt 5mal (32f, 42-45, 67f, 90f, 134f ). Eine Variation davon ist das „Aufzählmuster“, bei dem SchülerInnen durch die Fragestellung veranlasst werden, einen oder mehrere Begriffe zu nennen.

L: Frage

S: Satzergänzung oder Aufzählung

L:

Abb. 19: Satzergänzungs- oder Aufzählmuster

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L: Nun, wovon wird denn diese altgermanische Literatur gehandelt haben? SS: Von Helden…Kämpfen…von Göttern…(TR1, 64-65).

Auch hier passt die Kurzantwort der SchülerInnen zur Frageform des Lehrers. Das Aufzählmuster findet sich im Transkript ebenfalls mehrmals (11f, 64f, 98f, 104f ). Die Verbreitung beider Muster lässt vermuten, dass sie ziemlich stabil sind. Die folgende Passage gibt einen Hinweis darauf: L:

(nachdem er den Aufbau eines Arbeitsblattes erläutert hat): Da hätte ich gleich eine Frage: (…) wer kann mir das erklären, was da alles präsentiert wird? Ja, Bernhard? Be: Geschichtliche Fakten L: Also, historische Fakten! Steht sonst noch was oben? Etwas Besonderes? (TR1, 12-16).

Die erste Frage des Lehrers verlangt nach einer Erläuterung von Inhalten des Arbeitsblattes durch den Schüler. Dieser interpretiert sie allerdings im Sinne des Aufzählmusters. Und der Lehrer gibt ihm in seinem Kommentar und in der nächsten Frage mit dieser Interpretation Recht. Die beiden Muster bleiben also stabil, auch wenn die Fragen des Lehrers einmal in eine andere Richtung weisen: Z.B. könnte die folgende Frage eine Einladung zum Argumentieren sein: L:

Wenn die keine Schrift gehabt haben, dann geht normalerweise Literatur (…) ja verloren, theoretisch, könnte ich mir vorstellen? (TR1, 46-48)

Dennoch ist die Antwort des Schülers wieder nur ein Stichwort: „mündliche Überlieferung“ (49). D.h. er interpretiert die Frage des Lehrers im Rahmen des Satzergänzungsmusters. Versuchen wir, unser L-S-L-Muster in einem nächsten Schritt weiter zu differenzieren, indem wir genauer betrachten, wie der Lehrer auf die Satzergänzungen oder Aufzählungen der SchülerInnen reagiert. L: We: L: S: L:

(…) Und den Begriff Ritual gibt es also heute nicht mehr? Werner? Es ist ein Brauch Ja, es ist ein Brauch, und zwar ein Brauch, der sich worauf meistens bezieht? Auf die Götter Auf die Götter oder eine bestimmte religiöse Handlung. Ein Ritual ist dann eine Handlung, die nach bestimmten gesetzmäßigen Vorstellungen abläuft! D.h., es weiß jeder normalerweise ganz genau, was er in einer bestimmten Phase zu tun hat, ja? Das kennt ihr eh wahrscheinlich, es gibt solche Rituale z.B. auch im täglichen Leben gibt’s so genannte Rituale, könnt ihr so was anführen? Veronika () Sandra? Sa: Die tägliche Mahlzeit L: Ja, die tägliche Mahlzeit. Wie läuft so eine tägliche Mahlzeit ab, zum Beispiel? () Da gibt es ja ein Ritual, stimmt ja! Stimmt ja! Vollkommen richtig! (TR1, 90-104).

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Aus dem obigen Ausschnitt können wir schon eine Hypothese über die Fortsetzung des Satzergänzungsmusters entwickeln. Eine richtige Schülerantwort wird vom Lehrer bestärkt, indem er die Schülerantwort wiederholt (90, 93, 102). Daran schließt sich eine weitere Lehrerfrage. Manchmal schiebt sich zwischen die Bestärkung der Schülerantwort und die neue Frage noch ein Informationsblock, der den Gang der inhaltlichen Argumentation weitertreibt (z.B. 95-100). Tatsächlich findet sich diese Abfolge (vgl. Abb. 20) an vielen anderen Stellen des Textes. Wir können unsere Argumentation bei der Durchsicht des Transkriptes noch etwas differenzieren: Die Bestärkung der Schülerantwort erfolgt zwar nicht immer durch wortidente Wiederholung (wie z.B. 50, 66), sondern manchmal auch durch paraphrasierende Wiederholung (z.B. 15, 74) oder mit einem „Ja, richtig“ (z.B. 71, 115, 149). Wir vermuten, dass diese Variationen äquivalente Funktionen haben, und fassen sie daher unter dem Überbegriff „Bestärkung“ zusammen. L: Frage

S: Satzergänzung oder Aufzählung

manchmal

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L: bestärkt Schülerantwort (durch Wiederholung, Paraphrasierung oder „ja" manchmal

L: gibt Information

Abb. 20: Das ausdifferenzierte L-S-L-Muster

Wir könnten unsere Analyse nun mit der Frage fortsetzen, wie der Lehrer auf falsche Schülerantworten reagiert. Überraschenderweise finden wir solche kaum im Transkript. Der allergrößte Teil der Antworten wird vom Lehrer akzeptiert und bestärkt. Nur drei Stellen lassen sich als „Nicht-Akzeptieren der Schülerantwort“ interpretieren. In einem Fall (42-45) gibt der gefragte Schüler keine Antwort, der Lehrer wiederholt daraufhin die Frage sinngemäß, macht sie durch eine zusätzliche Erläuterung leichter („enger“) und fragt einen anderen Schüler (46-48). In einem zweiten Fall (83f ) reagiert ein Schüler mit einem Witz, worauf der Lehrer einen „Gegenwitz“ macht und sich an eine andere Schülerin wendet, ohne die ursprüng-

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liche Frage zu wiederholen. In einem dritten Fall (142f ) sagt der Lehrer „Ja, das verstehe ich nicht ganz“ auf eine Schülerantwort und bittet um weitere Erläuterung. Die Datenbasis ist also zu dünn und uneinheitlich, um ein weiteres Muster für den Fall „falscher“ Schülerantworten zu formulieren. Wenn man dieses Transkript (wie auch manches andere) in einem Kurs analysiert, so gelingt es TeilnehmerInnenn oft schon nach der Hälfte des Textes das L-S-LMuster so differenziert zu formulieren, dass sie viele Lehrer- und Schüleräußerungen im Rest des Transkripts voraussagen können. Diese „Prognosetauglichkeit“ weist zunächst einmal darauf hin, dass tatsächlich ein Muster gefunden wurde, das für das Handeln spezifischer LehrerInnen und SchülerInnen kennzeichnend ist. Dass das eigene und fremde Handeln in manchen Fällen so leicht prognostiziert werden kann, ist aber oft auch eine aufrührende, manchmal sogar erschreckende Erfahrung für die TeilnehmerInnen. Wer möchte schon gerne vorausberechenbar sein? Wer ist damit zufrieden, dass sein Verhalten mit mechanischer Verlässlichkeit abläuft? Derartige regelhafte Muster sind zumeist das Ergebnis von durch Erfahrung eingespielten, unbewussten Routinen bei LehrerInnen und SchülerInnen. Dass Verhalten routiniert ist, muss keineswegs negativ bewertet werden (vgl. Bromme 1985). Es kann aber weitergefragt werden, wie weit diese Routinen mit unseren Zielen und Werten vereinbar sind und welche Auswirkungen sie haben. Phase 2: Was bedeutet das Muster? Was kommt darin zum Ausdruck, z.B. an Erwartungen von SchülerInnen und LehrerInnen, an Fähigkeiten, an Hoffnungen oder Befürchtungen? Diese Fragen gehen von der Annahme aus, dass Muster Oberflächensymptome tiefer liegender Zusammenhänge sind. Sie führen daher etwas weiter vom Datenmaterial weg und erfordern Interpretationen. Was bedeutet die Einbindung von SchülerInnen in den Gedankenfluss des Lehrers, die durch das L-S-L-Muster zum Ausdruck gebracht wird? Zunächst heißt das, dass der Lehrer den Prozess der inhaltlichen Auseinandersetzung der SchülerInnen steuert. Seine wichtigsten Steuerungsinstrumente sind seine Fragen an die SchülerInnen und seine Kommentare zu ihren Antworten. Wenn man sich das Transkript ansieht, scheint es dem Lehrer darauf anzukommen, dass die SchülerInnen jene Begriffe äußern, die in seine Vorstellungen passen: Er stellt die Fragen so eng, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass SchülerInnen im Sinne seiner Erwartungen antworten. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler diese Erwartungen enttäuscht oder keine Antwort kommt, ignoriert er das und stellt die Frage erneut und zum Teil etwas modifiziert. Beispiele bieten die Passagen 32-48 und 83-88. Auch dort, wo er Fragen nach dem Alltagsverständnis des Begriffs Ritual stellt, erwartet er offenbar von den SchülerInnen nur Stichworte: „Auf die Götter“, „Die tägliche Mahlzeit“, „Tischgebet“.

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Welche Erwartungen könnten diesen Mustern zugrunde liegen? Der Lehrer selbst äußerte sich dazu auf folgende Weise36: „Ich brauche Stoff zum Prüfen.“ „Wenn sie Angst haben, gefragt zu werden, passen sie auf.“ „Die Prüfungsnote soll einsichtig sein (…). Ich tue mir immer schwerer, Noten zu geben.“ „(Wegen der geringen Stundenzahl, d. Verf.) muss der Unterricht rationell sein.“ „Die Schüler sind zufrieden, weil das Risiko (bei der Prüfung zu versagen, d. Verf.) gering ist (…). Wenn ich Texte prüfe, habe ich Angst, dass Schüler versagen.“ „Was mir wichtig ist (dass sie mit Texten umgehen können; d. Verf.), möchte ich von Prüfungssituationen abgrenzen.“ (MS, 2f )

Aus diesen wenigen Äußerungen lassen sich einige Vermutungen über die Bedeutung dieser Muster für den Lehrer formulieren: • Er glaubt, dass sie eine gerechte und die SchülerInnen nicht sehr belastende Prüfung ermöglichen. • Er glaubt, dass Disziplin und Mitarbeit der SchülerInnen dadurch gefördert werden. • Er glaubt, dass diese Art von Unterricht von ihm erwartet wird und rationell ist. Bei der Interpretation von Mustern geht es um Stimmigkeit und Plausibilität. Hier entscheidet sich, ob es sinnvoll ist, von einem Muster zu sprechen. Es empfiehlt sich, die einschlägigen Transkriptstellen mehrmals zu lesen und auf dabei aufsteigende Assoziationen und Ideen zu achten. Sie können wertvolle Hinweise darauf geben, was ein Muster für LehrerInnen und SchülerInnen bedeutet, wie wichtig es ist, wie sehr es in das berufliche Selbstverständnis eingebunden ist. Dabei sind undifferenziert negative Bewertungen von Mustern, die den LehrerInnen selbst oder anderen nicht gefallen, problematisch, weil sie selten berechtigt sind und nicht weiterführen. Bevor eingespielte Muster verändert werden können, muss ihre Bedeutung und vielfache Verflochtenheit im System des Handelns (vgl. Kap. 4.3.2) zumindest partiell verstanden werden. Phase 3: Wie wirkt sich das Muster aus? Welche Einstellungen, Fähigkeiten werden durch das Muster wahrscheinlich gestärkt? Welche Belege gibt es zugunsten bzw. gegen Vermutungen über Auswirkungen? Über die Auswirkung der Muster auf die SchülerInnen ist aus dem Datenmaterial nur wenig erschließbar. Jene SchülerInnen, die sich meldeten, haben sich offensichtlich auf das Muster eingelassen, beherrschen es gut und scheinen es dem Lehrer 36

Das folgende Material stammt aus einem ‚Memo‘ über ein Gespräch mit diesem Lehrer. Es wird als „MS“ zitiert.

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sogar von sich aus aufzudrängen (vgl. TR1, 12-14 und 46-50). Die Mehrzahl der SchülerInnen äußerte sich allerdings nicht, sodass es denkbar ist, dass einige SchülerInnen das Muster nicht übernahmen, sich nicht meldeten oder schwiegen, wenn sie aufgerufen wurden. Der Lehrer interviewte drei SchülerInnen zu seinem Frageverhalten. Ihren Antworten (vgl. Sorger 1989) ist u.a. zu entnehmen: • Durch sein Frageverhalten ist den SchülerInnen relativ klar, was von ihnen erwartet wird. • Die SchülerInnen fühlen sich in den Unterricht einbezogen („wenn auch nur dadurch, dass er dabei ertappt werden könnte, geistig abwesend zu sein“). Für diese SchülerInnen bieten die Muster offenbar einen klaren Orientierungsrahmen für die Prüfung, sowohl was den Stoff, als auch was die Form anlangt, in der die Prüfung erfolgt. Versuchen wir, uns einige weitere Gedanken über mögliche Auswirkungen des L-S-L-Musters zu machen: • Wie wirkt es sich auf die Atmosphäre in der Klasse aus? Trifft die Annahme des Lehrers zu, dass die SchülerInnen zufrieden sind? Sind es alle? Worauf stützt er die Annahme? Im Transkript ist zu erkennen, dass von den SchülerInnen sich mindestens sechs beteiligt haben und dass mehrmals SchülerInnen gleichzeitig etwas sagen. All das sind Hinweise darauf, dass SchülerInnen diesen Unterricht akzeptieren. Wie viele es sind, kann den Daten nicht entnommen werden. Ein gewisser Hinweis auf die Atmosphäre ist auch der Anteil der SchülerInnen, die von sich aus, also ohne persönliche Aufforderung, Fragen des Lehrers beantworten. Er liegt bei knapp 70%. • Wie wirkt es sich auf das Lernen aus? Sehr viel schwieriger ist es, aus dem Material festzustellen, was SchülerInnen dabei lernen. Aus der Sicht des Lehrers werden die SchülerInnen dadurch angemessen auf die Prüfungen vorbereitet, d.h. sie lernen das, was er bei den Prüfungen verlangt. Transkripte von Prüfungssituationen liegen nicht vor. Es hat aber den Anschein, dass die beiden Fragemuster bei der Prüfung wiederkehren, sodass diese Art von Unterricht als Einübung auf die Prüfung angesehen werden könnte. • Wie wirken sie sich auf das Lehren aus? Die Lehrmethode, die dem Muster entspricht, könnte man als „enge Führung“ bezeichnen. Der Lehrer bestimmt die Aufgabenstellung, indem er die Fragen stellt; er bestimmt das inhaltliche Angebot und die Art seiner Verarbeitung durch die Form seiner Fragen und er überprüft die Qualität der Schülerantwort durch seine Kommentare, die ihm zugleich die Möglichkeit eröffnen, dosierte zusätzliche Informationen zu geben. Eine Stärke dieser engen Führung besteht darin, dass die zusätzlichen Informationen auf die Schüleräußerungen abgestimmt werden können. Eine weitere Stärke ist die Strukturähnlichkeit von Unterricht und Prüfung. Sie erleichtert den Schüler-

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Analyse von Daten Innen das Lernen für und das sich Einstellen auf die Prüfung. Eine Schwäche besteht darin, dass der Wissenserwerb für SchülerInnen zu einem Beantworten vorgegebener Fragen wird. Der Beitrag dieser Art von Unterricht zur Förderung von Selbständigkeit dürfte eher gering sein.

Jedes Muster hat mehrere Wirkungen. Die Wirkung eines Musters hängt wesentlich von der Situation, in der es auftritt, und von den spezifischen Merkmalen der einzelnen Beteiligten ab. Es ist daher empfehlenswert, sich in einem Gedankenexperiment mehrere mögliche Wirkungen zu überlegen, sodass der Blick nicht auf die erste nahe liegende Wirkung fixiert wird. Welche Wirkungen tatsächlich eintreten, lassen sich manchmal im Transkript, oft aber erst in weiteren Beobachtungen feststellen. Phase 4: Inwieweit entsprechen das Muster und seine vermuteten Wirkungen den Erwartungen? Werden kurzfristige Erwartungen enttäuscht (z.B. die SchülerInnen reagieren nicht wie erhofft)? Werden längerfristige Erwartungen nicht erfüllt (z.B. die Auswirkungen des Handelns entsprechen nicht den angestrebten Zielen)? Im Gespräch über das Unterrichtstranskript sagte der Lehrer beispielsweise: „Ich mache es (das L-S-L-Muster; d. Verf.) nicht gern“.

Offenbar schweben dem Lehrer Zielvorstellungen für seinen Unterricht vor, denen durch dieses Muster nicht entsprochen wird. Worin bestehen sie? Wünscht er sich, dass die SchülerInnen über das begriffliche Faktenwissen hinauskommen, mehr Zusammenhänge verstehen? Stört ihn, dass bei diesem Muster das Lernen mehr am Interesse, die Prüfung zu bestehen, als an inhaltlichen Interessen orientiert sein könnte? Die Fallstudie (vgl. Sorger 1989) hilft hier weiter: „… kamen erst meine wahren Probleme zum Vorschein, dass ich aufgrund des Notengebenmüssens prüfbaren Stoff präsentieren muss, ich die Schüler aber über die Anforderungen nicht im Unklaren lassen will, dass die Ziele meines Faches und auch die Vorstellungen von den Aufgaben meines Faches ganz woanders liegen und ich mich nur dem Zwang der Verhältnisse beuge“.

Aus dieser Äußerung ist zu entnehmen, dass der Lehrer sich eher im Banne von Sachzwängen fühlt und nicht zu jenen Zielen kommt, die ihm „eigentlich“ für seinen Unterricht vorschweben (vgl. Kap. 6.4.2). In dieser Phase der Analyse ist die Reflexion über diese Ziele, aber auch über die Sachzwänge, wesentlich. Aus ihr können sich jene Perspektiven ergeben, die einen Schritt weiterführen. Phase 5: Wenn Muster nicht den Erwartungen entsprechen: Welche neuen Handlungsstrategien müssen entwickelt werden? Auf welchen Stärken kann aufgebaut werden, um den Unterricht weiterzuentwickeln?

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Ein Weg zur Entwicklung neuer Handlungsstrategien besteht darin, die Ansätze von Mustern, die den Erwartungen potentiell besser entsprechen, zu identifizieren und auszubauen. L: Ja, sie haben also keine Schrift gehabt. Das bedeutet also, dass irgendjemand u.U. sagen könnte, Moment, wenn keine Schrift vorhanden, kann es auch keine Literatur haben. Könnte man theoretisch so sagen, ja? (TR1, 35-37)

Diese Frage (ähnlich 46ff) verweist beispielsweise auf eine andere Handlungsstrategie, die allerdings von den SchülerInnen wegen der Stabilität der Aufzähl- und Satzergänzungsmuster nicht „verstanden“ bzw. angenommen wurde. Sie zielt auf ein Argumentationsmuster, das die SchülerInnen einlädt, mit dem Lehrer in einen Prozess der Argumentation über fachliche Sachverhalte einzutreten. Ein weiteres Beispiel bietet die Passage, bei der der Lehrer zurückfragt, um die Äußerung eines Schülers besser zu verstehen. L:

(…) Zaubersprüche, das sind also meistens kurze Sprüche, die welche Absicht verfolgt haben? Martha? () Edith? () Rudolf? Ru: Also, die Leute etwas glauben lassen! L: Ja, das verstehe ich nicht ganz! Da komme ich nicht mit! Wie ist das gemeint? (TR1, 138-142)

Auch hier zeichnet sich ein anderes Muster ab, das allerdings vom Lehrer selbst nicht beibehalten wird. Nennen wir es das Rückfragemuster. Beide Ansätze für Handlungsstrategien sind Hinweise auf Möglichkeiten, die Beschränkung auf das L-S-L-Muster zu überwinden. Beide Muster räumen dem eigenständigen Denken der SchülerInnen einen höheren Stellenwert ein und eröffnen damit Wege in Richtung auf andere Unterrichtsziele. Weiterführende Überlegungen zur Entwicklung von Handlungsstrategien finden sich in Kap. 7. Die Musteranalyse ist ein kreativer Prozess, bei dem LehrerInnen vermittelt durch ein Transkript in ein „Gespräch“ mit ihrer Unterrichtswirklichkeit treten. Wesentlich bei der Musteranalyse ist nicht das Auffinden vorgegebener Muster, sondern der Sinnstiftungsprozess, bei dem die persönliche Bedeutung einer Situation herausgearbeitet wird. Andererseits ist die Interpretation nicht nur eine subjektive Angelegenheit, weil die Daten (das Transkript) eine Bezugsbasis darstellen, die nur für bestimmte Muster Belege liefert und damit intersubjektive Verständigung ermöglicht. Zum Abschluss noch ein eher amüsantes Beispiel eines Musters, über das John Elliott (pers. Mitt.) berichtet hat: Bei einer Unterrichtsbeobachtung stellte er fest, dass die SchülerInnen fast die ganze Stunde eifrig alles mitschrieben, was von der Lehrerin gesagt bzw. auf der Tafel festgehalten wurde. Im Anschluss an die Stunde interviewte Elliott eine Gruppe von SchülerInnen. Interviewer (I): Was habt Ihr da alles aufgeschrieben? SchülerInnen (S): Das wissen wir nicht.

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Analyse von Daten I: S: I: S: I: S:

Ihr habt die ganze Zeit fleißig geschrieben. Ja, aber wir wissen nicht, was wir aufgeschrieben haben. Warum macht Ihr das, wenn Ihr dabei nichts lernt? Nein, wir lernen nie während der Stunde. Wozu schreibt Ihr dann alles auf? Das ist für das Lernen vor der Prüfung.



Elliott nannte dieses Muster „Leave learning for later“. 6.4.2 Dilemma-Analyse 6.4.2.1 Dilemmas im Unterricht Der Begriff „Dilemma-Analyse“ wurde von Richard Winter (1982) geprägt. Der Dilemma-Analyse liegen folgende Annahmen zugrunde: • Die individuelle und soziale Realität steckt voller Widersprüche. Winter (1982, 168) geht davon aus, dass „soziale Organisationen auf allen Ebenen (von der Schulklasse bis zum Staat) aus (aktuellen oder potentiellen) Interessenkonflikten bestehen, dass Persönlichkeitsstrukturen gespalten und verwickelt sind, dass die Vorstellungswelt des Individuums systematisch ambivalent (…) ist; dass Motive konfus, Ziele widersprüchlich und Beziehungen mehrdeutig sind, und dass die Gestaltung des praktischen Handelns unaufhörlich von Dilemmas überhäuft wird“. • Spannungsverhältnisse, Widersprüche, Dilemmas sind allgemeine Strukturen. Sie manifestieren sich aber in individuellen Äußerungen und sind damit der Analyse zugänglich. • Die Bewältigung komplexer Situationen fällt leichter, wenn die in ihnen verborgenen Widersprüche und Spannungsverhältnisse sichtbar gemacht, dadurch der Aufmerksamkeit zugänglich und (z.B. im Gespräch) bearbeitbar werden. Die Dilemma-Analyse besteht aus der Suche nach und Formulierung von Widersprüchen und Spannungsverhältnissen sowie aus deren Bearbeitung. Dabei werden die Widersprüche als zentrale Ansatzpunkte für das Verständnis von Situationen und für die Entwicklung von Handlungsstrategien angesehen. Wir möchten im Folgenden an einem Beispiel illustrieren, wie Dilemmas aus Texten herausgearbeitet werden können. Wir haben den Deutschlehrer, von dem das Unterrichtstranskript aus Kapitel 6.4.1 stammt, interviewt und ihn gebeten, sich über grundlegende Auffassungen von Unterricht zu äußern. Wir stellen im Folgenden einen kurzen Ausschnitt aus diesem Interview vor37. Vielleicht gelingt es Ihnen beim Lesen, Spannungsverhältnisse in den Aussagen zu entdecken. „Ich habe jetzt ja wieder Wiederholungsprüfungen gehabt. Bei der Vorbereitung der Fragen ist mir das alles wieder klarer geworden, da habe ich mir eben gedacht, ja, was mache ich jetzt. Ich 37

Das Transkript wird unter INTS zitiert. Der Ausschnitt wurde aus Gründen der besseren Verständlichkeit leicht bearbeitet.

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könnte natürlich jetzt sozusagen vom Faktenvermitteln und Faktenabprüfen mehr oder minder total weggehen und eben nur mehr mit Texten arbeiten und dann sozusagen eigentlich eine qualitative Auslese von vornherein treffen. Und da fängt mein soziales Empfinden irgendwie an. Dann sagt man, ich würde nur Eliten heranzüchten. D.h. derjenige, der gut denken kann, der gut kombinieren kann, derjenige, der mich eigentlich nicht braucht als Lehrer, wenn man es genau nimmt, der das ja sowieso lernen würde, der würde dann bevorzugt werden und der andere würde von vornherein unter den Rost fallen. Diese Dinge muss ich ja mitberücksichtigen und mir sind eigentlich diejenigen, die meiner Hilfe bedürfen, denen ich helfen kann, dass sie einen größeren geistigen Horizont bekommen, die sind mir die wichtigeren als diejenigen, die ohnehin einen großen geistigen Horizont haben. Und von daher kommt aber auch die Prüfung oder das Betonen von Fakten, sodass sie die Klippe überwinden können. Damit schränke ich aber wiederum die Möglichkeit ein, dass sie selbst tätig werden“ (INTS, 3f).

Wir sehen folgende Spannungsverhältnisse in den Äußerungen des Lehrers: Einerseits möchte er vom Faktenvermitteln und Faktenprüfen ganz weggehen und nur mehr mit Texten arbeiten. Andererseits müsste er dann von vornherein eine qualitative Auslese treffen und sich den Vorwurf gefallen lassen, nur Eliten heranzuzüchten und die zu bevorzugen, die ihn eigentlich gar nicht brauchen. Einerseits soll das Abprüfen von Fakten denjenigen helfen, die mit dem Bearbeiten von Texten die „Klippe“ nicht überwinden können. Andererseits schränkt er damit wieder die Möglichkeiten dieser SchülerInnen ein, selbst tätig zu werden.



Im Folgenden werden einige weitere Beispiele für Dilemmas vorgestellt, die wir aus dem etwa eine Stunde dauernden Gespräch entnommen haben: Einerseits möchte ich erreichen, dass die SchülerInnen Texte mit kritischen Augen betrachten, dass sie sich Texten und damit Problemen unserer Zeit und Gesellschaft öffnen, dass sie demokratisch denkende Menschen werden, und dies erfordert, dass sie Autoritäten kritisch betrachten, selbständiger und eigenständiger im Denken werden, eigene Gedanken entwickeln. Dazu lesen und analysieren wir Texte. Andererseits wähle ich die Texte aus und enge dadurch sehr stark ein und unterdrücke die Selbständigkeit, weil ich mich auch einer Autorität beuge, dem Lehrplan und der Autorität des Zeugnisses. Ich muss die Vorschriften einhalten, SchülerInnen könnten ja die Schule wechseln oder andere LehrerInnen bekommen, die auf bestimmten Inhalten aufbauen müssen. Einerseits muss ich beurteilen. Andererseits möchte nicht ich der Beurteilende sein, sondern die SchülerInnen sollen selbst ihre Arbeit einschätzen können. Einerseits wollen die schwächeren SchülerInnen etwas, woran sie sich halten können. Andererseits empfinden das die besseren SchülerInnen eher als Belastung, weil sie andere Leistungen haben, mit denen sie sich profilieren können und selten in die Situation einer echten Prüfung kommen.



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Wir haben auch ein Interview ausgewertet, das mit drei SchülerInnen dieses Lehrers durchgeführt wurde. Dabei zeigten sich Widersprüche zwischen den Äußerungen des Lehrers und der SchülerInnen und Widersprüche der SchülerInnen untereinander, z.B. Einerseits möchte der Lehrer durch Faktenfragen eher den Schwächeren eine Chance geben. Andererseits scheinen gerade diese Fragen eher als Strafe, Kontrollmaßnahme oder Peinlichkeit denn als Chance empfunden zu werden. Einerseits sagen die SchülerInnen, sie würden nur aufpassen, wenn der Lehrer Fragen stellt, weil es ihnen „peinlich“ ist, dabei erwischt zu werden, etwas nicht zu wissen. Andererseits sagen sie, dass der Unterricht viel interessanter ist, wenn man „selber denkt und draufkommt“.

6.4.2.2 Vorgehen bei der Dilemma-Analyse Phase 1: Dilemmas finden Es ist nicht allzu schwer, Dilemmas zu finden. Die folgende Übersicht von Berlak/ Berlak (1981) zeigt, dass sie fast „auf der Straße liegen“. a) Dilemmas in der Rolle von LehrerInnen Reichweite der Verantwortung Einerseits bedeutet Erziehung für LehrerInnen, das „ganze Kind“ zu sehen und damit Verantwortung für große Bereiche seiner Entwicklung zu übernehmen. Andererseits bedeutet Erziehung für LehrerInnen, das Kind als „SchülerIn“ zu sehen und damit nur für begrenzte Bereiche seiner Entwicklung Verantwortung zu haben. Zeitliche Kontrolle der Schüleraktivität Einerseits wird von LehrerInnen erwartet, dass sie Beginn und Dauer der Schüleraktivitäten selbst festlegen und kontrollieren. Andererseits wird von LehrerInnen erwartet, dass sie den SchülerInnen die Einteilung ihrer Zeit überlassen. Kontrolle von Inhalt und Art der Schüleraktivitäten Einerseits wird von LehrerInnen erwartet, dass sie Inhalt und Art der Schüleraktivitäten kontrollieren. Andererseits sollen sie den SchülerInnen die Entscheidung überlassen, was sie auf welche Weise lernen. Kontrolle der Leistungsstandards Einerseits sollen die LehrerInnen den SchülerInnen die Leistungsstandards vorgeben. Andererseits sollen sie den SchülerInnen erlauben, selbst Standards zu setzen und ihre Einhaltung zu kontrollieren.

b) Dilemmas in der Unterrichtssituation Kulturelle versus persönliche Bedeutung von Wissen Einerseits wird Wissen als angesammelte kulturelle Tradition angesehen, deren Wert unabhängig vom Wissenden besteht.

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Andererseits wird Wissen als persönliches Wissen angesehen, dessen Wert von der subjektiven Einschätzung des Einzelnen abhängt. Wissen als Produkt versus Prozess Einerseits wird Wissen als Produkt (geordnete Information, Fakten, Theorien, Verallgemeinerungen) angesehen. Andererseits wird Wissen als Prozess (wie kritisches Denken, Probleme lösen) angesehen. Wissen als objektive Wahrheit versus soziale Konstruktion Einerseits wird Wissen als objektive, unabhängig vom Menschen bestehende Wahrheit angesehen, die nur „gefunden“ werden muss. Andererseits wird Wissen als vorläufiges Ergebnis politischer und sozialer Einflüsse angesehen, das vom Menschen „konstruiert“ wird. Intrinsische versus extrinsische Motivation Einerseits muss der Anreiz von „innen“ kommen, damit gelernt wird; d.h. SchülerInnen müssen selbst lernen wollen. Andererseits muss der Anreiz von „außen“ kommen, damit gelernt wird; d.h. SchülerInnen werden durch äußere Bedingungen zum Lernen veranlasst. Ausgehen vom Wissen um Einzelheiten versus Ausgehen vom Ganzen Einerseits wird angenommen, dass das Beherrschen der Einzelheiten zur Beherrschung des Ganzen führt. Andererseits wird angenommen, dass das Lernen eine aktive, ganzheitliche Konstruktion von Bedeutungen ist, in deren Rahmen Einzelheiten ihren Sinn gewinnen. Gleichbehandlung versus Differenzierung Einerseits sollen alle SchülerInnen gleich behandelt werden. Andererseits sollen alle SchülerInnen als unverwechselbare Personen mit speziellen sozialen, intellektuellen und körperlichen Fähigkeiten und Interessen behandelt werden. Individuelles versus soziales Lernen Einerseits wird das Lernen als individuelle Anstrengung des Einzelnen angesehen. Andererseits wird das Lernen als soziale Interaktion zwischen Personen angesehen. SchülerIn als Mitmensch versus SchülerIn als KlientIn Einerseits sollen SchülerInnen als Mitmenschen angesehen werden, mit denen LehrerInnen durch ein gemeinsames Band der Menschlichkeit verbunden sind. Andererseits werden Kinder als KlientInnen, als EmpfängerInnen professioneller Dienstleistungen – von Zeit, Energie, Wissen, Fertigkeiten – betrachtet.

c) Gesellschaftliche Dilemmas Eigenwert der Kindheit versus Kindheit als Vorbereitung auf das Erwachsenenleben Einerseits wird die Kindheit als besondere, für sich wertvolle Periode im Leben eines Menschen angesehen und angenommen, dass Kinder die Welt anders wahrnehmen, dass sie anders kommunizieren und anders lernen als Erwachsene. Andererseits werden Kinder nur als graduell von Erwachsenen verschieden gesehen und die Zeit der Kindheit als Vorbereitung auf das Erwachsenenleben angesehen.

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Analyse von Daten Gleiche versus ungleiche Verteilung institutioneller Ressourcen Einerseits sollen alle Kinder denselben Anteil an den Ressourcen erhalten. Andererseits „brauchen“ manche Kinder mehr als andere. Gesamtgesellschaftliche versus subkulturelle Identität Einerseits sollen Kinder ein einheitliches Verständnis sozialer Definitionen, Symbole und Werte erwerben. Andererseits sollen Kinder eine Identität als Mitglieder einer Subgruppe erwerben, die sich von anderen in Bräuchen, Sprache und Werten unterscheidet.

Bei der Dilemma-Analyse erfolgt die Reduktion, Ordnung und Interpretation von Daten mittels einer Brille, die nicht Gemeinsamkeiten, sondern Gegensätze sucht. Diese Suche ist etwas einfacher bei Daten, die die soziale Realität eher interpretieren (z.B. Interviewdaten), als bei Beobachtungsdaten, weil in der Reflexion Spannungsverhältnisse eher sichtbar werden. Phase 2: Dilemmas formulieren und charakterisieren Als Form, in der Dilemmas formuliert werden können, bietet sich die sprachliche Struktur des „einerseits – andererseits“ an, die mit den obigen Beispielen bereits illustriert wurde. Wie kann ich ein Dilemma so darstellen, dass ich Perspektiven für das weitere Umgehen damit gewinne? Wir glauben, dass die folgenden pragmatischen Gesichtspunkte dabei eine gewisse Hilfe bieten. Wir werden sie durch Beispiele aus dem bereits zitierten Interview illustrieren: a) Ist das Dilemma „lösbar“? Viele Dilemmas bringen widersprüchliche Merkmale von Situationen zum Ausdruck, die unvermeidlich sind und durch Handeln nicht beseitigt werden können. Dazu gehört der Widerspruch zwischen Freiheit (z.B. beim Lernen eigene Wege zu gehen) und Bindung (z.B. an vorgegebene Regeln und Wissensstrukturen). Einerseits soll das Abprüfen von Fakten demjenigen helfen, der mit dem Bearbeiten von Texten die „Klippe“ nicht überwinden kann. Andererseits schränkt der Lehrer damit wieder die Möglichkeiten dieser SchülerInnen ein, selbst tätig zu werden.

Dieses Dilemma ist nicht lösbar, weil die Intervention des Lehrers notwendigerweise mit einer Einschränkung des Handlungsspielraums von SchülerInnen verbunden ist. b) Hängt das Dilemma mit der Unüberschaubarkeit und Komplexität einer Situation zusammen? Viele Dilemmas entstehen dadurch, dass in Situationen gehandelt werden muss, in denen viele Bedingungen unklar und ihre Zusammenhänge nur teilweise bekannt sind.

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LehrerInnen, die in erster Linie die schwachen SchülerInnen fördern möchten, haben im Allgemeinen nur ungenügende Kenntnisse über die Schwächen der einzelnen SchülerInnen und über deren Ursachen. Außerdem wissen sie oft nur wenig darüber, wie sich ihre Maßnahmen (Abprüfen von Fakten, Verzicht auf die Auseinandersetzung mit Texten usw.) individuell auswirken. c) Wird das Dilemma als emotional belastend erlebt? Die emotionale Belastung ergibt sich oft daraus, dass LehrerInnen glauben, Anforderungen erfüllen zu müssen, mit denen sie sich nicht identifizieren können. Einerseits muss er Noten geben, weil dies so vorgeschrieben ist. Andererseits hat er kein Vertrauen in Noten, weil sie SchülerInnen abhängig machen.

Phase 3: Dilemmas bearbeiten Der Sinn der Bearbeitung eines Dilemmas besteht darin, es zu lösen, wenn dies möglich ist. Wenn es sich als unlösbar herausstellt, dann muss eine befriedigendere Form des Umgehens mit dem Dilemma gefunden oder zumindest eine gewisse Entlastung erreicht werden. Bereits beim Gespräch über ein Dilemma kann es zu Lösungsansätzen kommen: Im zitierten Interview (INTS) misstraut der Lehrer einerseits den Noten, weil sie SchülerInnen von ihm abhängig machen. Andererseits weiß er, dass er Noten geben muss. Im Verlauf des Interviews kristallisieren sich Formen eines befriedigenderen Umgangs mit diesem Dilemma heraus: • von vornherein Beurteilungskriterien festlegen, die es den Geprüften erlauben, selbst nachzuvollziehen, warum sie eine bestimmte Note bekommen, • Arbeiten inhaltlich kommentieren, • die beurteilten Arbeiten mit den betroffenen SchülerInnen besprechen.



Wozu kann die Dilemma-Analyse dienen? Der folgende Abschnitt bietet dazu einige Gesichtspunkte. 6.4.2.3 Zur Funktion der Dilemma-Analyse Die Bedeutung der Formulierung und Bearbeitung von Dilemmas dürfte vor allem in den folgenden Funktionen liegen: Aufwertung von Minderheitenauffassungen: Ansichten, die tabuisiert sind oder aus anderen Gründen (z.B. weil diejenigen, die sie vertreten, nur wenig Macht besitzen) nicht diskutiert werden, können in Dilemmas sprachlichen Ausdruck erhalten. Indem die „beiden Seiten der Medaille“ gleichberechtigt nebeneinander gestellt werden, wird die übliche „soziale Hierarchie der Glaubwürdigkeit“ eingeebnet (vgl. Kap. 5.7). Sie zeigen auf eine nicht bedrohliche Art Probleme auf und machen sie dadurch diskutierbar und der rationalen Analyse zugänglich.

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Minderheitenauffassungen kann man nicht nur als soziale Phänomene verstehen. Auch in uns selbst gibt es Meinungen, denen wir üblicherweise weniger Bedeutung beimessen oder die wir verdrängen, die sich aber oft trotzdem unterschwellig auswirken. Auch solchen ‚Minderheitenauffassungen‘ verleiht die Dilemma-Analyse Gewicht und erleichtert es daher, sich auf sie einzulassen und sie näher auf ihre Bedeutung zu untersuchen. Entlastung durch Differenzierung: Die Dilemma-Analyse bietet eine Alternative zur Suche nach eindeutigen Lösungen, die ein Spannungsverhältnis nach einer Richtung und auf Kosten der anderen auflösen würden. Wenn die Berechtigung konträrer Perspektiven akzeptiert und als Bereicherung empfunden werden kann, führt dies auch zu einer emotionalen Entlastung. Es wird Energie frei, um nach einer subjektiv befriedigenderen Form des Umgehens mit Dilemmas zu suchen. Erarbeitung von Ausgangspunkten für Gespräche: Winter (1982) verwendete Dilemmas, um dem Gespräch zwischen SchulpraktikantIn, BetreuungslehrerIn und SupervisorIn eine egalitäre Note zu geben und den Perspektiven der StudentInnen in gleicher Weise Geltung zu verschaffen wie jenen der ranghöheren Personen. In ähnlicher Weise könnten Dilemmas auch das Gespräch mit SchülerInnen, Eltern und außerschulischen Interessengruppen sowie innerhalb des Kollegiums anregender und produktiver gestalten, indem sie das zu besprechende Thema klar zum Ausdruck bringen.

7 Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien

Aktionsforschung geht es nicht nur darum, Wissen über Phänomene der Schulpraxis zu entwickeln und anzusammeln, sondern auch und ganz wesentlich darum, dieses Wissen für eine Verbesserung des Lernens und Lehrens in den Klassenzimmern nutzbar zu machen. Der Versuch, die durch die eigene Aktionsforschung gewonnenen Sichtweisen in Aktionsideen und praktische Handlungen umzusetzen, stellt gleichzeitig auch eine Überprüfung des bisher erworbenen Wissensstandes dar: Bewährt sich meine Theorie über die Praxis an eben dieser oder muss sie weiterentwickelt, modifiziert oder verändert werden? Praktisch stellen sich forschenden LehrerInnen auf dieser Stufe folgende Fragen: • Wie finde ich sinnvolle Handlungsstrategien, die zu meiner Theorie der Situation passen und geeignet erscheinen, Verbesserungen einzuleiten? • Wie wähle ich aus den verfügbaren Alternativen die zu erprobenden Handlungsstrategien aus? • Wie mache ich mich mit den zu erprobenden Handlungsstrategien vertraut? • Wie kann ich den Erfolg der realisierten Handlungsstrategien überprüfen und damit gemachte Erfahrungen festhalten?

7.1 Praktische Handlung als Teil der Forschung Eine Lehrerin, die neue Formen des Literaturunterrichts im Fach Englisch erproben wollte, stieß auf das Nebenergebnis, dass eine Reihe von SchülerInnen eine Hausübung, die im Rahmen des Unterrichtsprojekts gegeben wurde, als interessant und anregend bezeichneten. Dies war eine Überraschung für sie, weil sie bis dahin gedacht hatte, SchülerInnen würden Hausübungen im Allgemeinen als lästige und mühevolle Pflicht, die mit geringstmöglichem Aufwand erledigt wird, ansehen. Sie blieb jedoch nicht bei dieser Überraschung stehen, sondern versuchte, diese aktiv für eine Verbesserung ihres Unterrichts zu nutzen. Wenn – so überlegte sie – Schülerinnen und Schüler manche Hausübungen doch als anregend und herausfordernd empfinden und mit Überlegung erledigen, so lohnt es sich, auf die Formulierung von Hausübungen mehr Aufmerksamkeit zu verwenden. Ausgehend von einer Analyse dieser „erfolgreichen Hausübung“ und daran anschließenden weiterführenden Überlegungen erstellte sie eine Liste von „Bedingungen an-

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Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien

regender Hausübungen“, die sie in den folgenden Wochen als Hilfe bei der Formulierung von Hausaufgaben heranzog. Die Lehrerin hatte also versucht, die „Erweiterung ihrer Sichtweise“ praktisch nutzbar zu machen, hatte versucht, sie in Handlungsstrategien umzusetzen, die zu einer Verbesserung der Situation des Lernens führen sollten. Bei der Realisierung dieser Handlungsstrategien erlebte sie nun Erfolge, aber auch manche Misserfolge, die wiederum dazu Anlass gaben, ihre „erweiterte Sichtweise“, ihre „neue Theorie der Situation“, die sich in der Liste von „Bedingungen anregender Hausübungen“ niederschlug, neu zu bedenken: Wo hatte sie zu kurz gedacht? Welche Bedingungen hatte sie noch nicht in Betracht gezogen? Welche alternativen Handlungsstrategien wären möglich? Solche Überlegungen mündeten schließlich in eine Weiterentwicklung und Differenzierung ihrer ersten Sichtweise der Situation, in eine verbesserte Liste von „Bedingungen anregender Hausübungen“ (vgl. Altrichter 1985b).



Aktionsforschung ist Forschung von PraktikerInnen für die Praxis. PraktikerInnen – wie an dem oben dargestellten Fallbeispiel ersichtlich – genügt es im Allgemeinen nicht, Theorien über eine Situation zu entwerfen; sie wollen auch die Situation entsprechend ihrer Einsichten verändern und damit die eigenen Arbeitsbedingungen und jene ihrer SchülerInnen verbessern. Soll die Energie, die sie in ihre Forschung investieren, vor der Zeitökonomie beruflichen und außerberuflichen Lebens einigermaßen vertretbar sein, so muss sie in der Regel über eine Erhöhung individueller Bewusstheit und über eine Vermehrung angesammelter Theorien und Einsichten hinaus zu konkreten Verbesserungen der Praxis führen. Das Nachdenken über Situationen des Berufsalltages, die Sammlung von sie betreffenden Daten und deren Analyse dienen dazu, diese Situationen befriedigender zu verstehen und in der Folge besser in ihnen handeln zu können. Die Erprobung von Handlungsstrategien ist jedoch mehr als praktische Nutzanwendung von Forschungsergebnissen, sie ist selbst Teil des Forschungsprozesses. Handlungsstrategien entwickeln bedeutet, aus der bis dahin gewonnenen Situationseinschätzung, aus den vorläufigen Analyseergebnissen, die Konsequenzen zu formulieren. Die Erprobung dieser Handlungsstrategien stellt darum wieder eine Überprüfung der Konsequenzen unserer Analyse und damit auch eine mittelbare Überprüfung unserer bisherigen Situationseinschätzung dar (vgl. Kap. 5.2.1). Erfolg, teilweiser oder ganzer Misserfolg der sorgsam entwickelten Handlungsstrategien lassen Rückschlüsse auf die Angemessenheit unserer bis dahin entwickelten Theorie zu und zeigen Punkte auf, an denen sie weiterentwickelt und differenziert werden muss. Aktionsforschung ist u.a. durch eine enge Verbindung von Reflexion und Aktion gekennzeichnet (vgl. Kap. 12.4). Diese drückt sich nicht zuletzt dadurch aus, dass die Nutzung der Reflexionsergebnisse zur Verbesserung der Praxis und damit die Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien als integrale Bestandteile des Forschungsprozesses angesehen werden. Relative Sicherheit und Begründetheit ihrer Ergebnisse erreicht Aktionsforschung nicht durch die strenge Anwendung bestimmter Methoden oder durch die scharfsinnige Analyse mit Hilfe bestimmter

Praktische Handlung als Teil der Forschung

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theoretischer Konzepte, sondern gerade durch ihren iterativen (sich wiederholenden) Charakter (vgl. Kap. 12.8): Indem Reflexion immer und immer wieder in Aktion umgesetzt wird und – umgekehrt Aktion immer wieder reflektiert wird, können längerfristig Reflexionsergebnisse und Aktionsrepertoire erweitert, differenziert und verbessert werden. Man hört gelegentlich, dass Forschung eine „unendliche, nicht abschließbare Aufgabe“ wäre. Trifft dies auch auf Aktionsforschung zu? Für alltägliche professionelle Reflexion gilt dies zweifellos. Aktionsforschung ist eine Systematisierung und Intensivierung dieser alltäglichen Reflexion. Sie konzentriert sich in zeitlich begrenzten Phasen auf Fragestellungen, die als besonders bearbeitenswert erscheinen. Sie wird pragmatisch zu einem Ende gebracht, auch wenn manchmal noch viele Fragen offen und untersuchungsbedürftig sind, • weil die PraxisforscherInnen mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden sind, • weil sie anderes zu tun haben, wofür sie ihre Energien benötigen, • weil sie ganz einfach eine Erholungspause brauchen, sich eine Phase verminderter Aktivität wünschen. Elliott (1984a, 75) hat in einem Vergleich zwischen Aktionsforschung und traditionellen Untersuchungen die Handlungsstrategien der ersteren in Analogie zu wissenschaftlichen Hypothesen beschrieben: Wie traditionelle ForscherInnen Hypothesen als konkrete Konsequenz ihrer bis dahin entwickelten Theorie formulieren, so entwerfen forschende LehrerInnen Handlungsstrategien auf der Basis und als Konsequenz ihrer praktischen Theorie. Deren Umsetzung in die Praxis entspricht wiederum dem Hypothesentesten traditioneller Forschung. In der Tat könnte man die Erprobung von Handlungsstrategien als „Feldexperiment“ verstehen. Das Wort „Experiment“ hat im Bereich der Erziehung oft keinen guten Klang. Einesteils werden „Experimente mit Kindern“ und damit zugleich viele Ansätze schulischer Erneuerung als etwas generell Unverantwortliches dargestellt. Solche Argumente gehen davon aus, dass es einen relativ genau umschreibbaren Kanon von Handlungsmöglichkeiten gäbe, die über längere Zeit hinweg das Wohl aller Kinder mit einer gewissen Sicherheit zu fördern in der Lage wären. Eine Analyse der Situation gegenwärtiger Erziehung zeigt jedoch, dass solche Argumente auf mindestens drei Fehleinschätzungen aufbauen: Einmal sind die (gegenwärtigen und künftigen) Lebensbedingungen unserer Kinder keineswegs stabil oder langfristig prognostizierbar; um für eine sich – heute immer rascher – verändernde Welt zu bilden, muss sich auch die Schule und die Lehrerarbeit in ihr verändern können. Zum zweiten ist nicht für alle Kinder das Gleiche gut. Dies ist an sich eine Trivialität; ihr entsprechend zu handeln, ist schon keine mehr, denn leider (oder Gott sei Dank) kann üblicherweise nicht mit einem Blick von außen erkannt werden, was für ein bestimmtes Kind gut ist. Solche Diagnosen erfordern eine gewisse Zeit, in der Lehre-

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rInnen gleichsam „tastend“, bestimmte Handlungen erprobend – eben doch „experimentierend“ – agieren, um aus diesen Interaktionen mehr über das spezielle Kind zu erfahren. Und es wird im Weiteren gut für dieses Kind sein, wenn diese LehrerInnen von Fall zu Fall bereit sind, ihre ursprüngliche Diagnose in Frage zu stellen und damit für Entwicklungen des Schülers (oder der Schülerin) offen zu sein. Das bedeutet wiederum, seiner eigenen Diagnose gegenüber „experimentell“ eingestellt zu sein. Unser dritter Punkt ist eigentlich eine Verallgemeinerung des zweiten. Da ein guter Teil der Praxis von LehrerInnen gerade durch Komplexität, Zielkonflikte und Dynamik gekennzeichnet ist (vgl. Kap. 12.4), kann vielen Situationen gerade nicht ein relativ genau umschreibbarer Satz von Handlungsmöglichkeiten zugeschrieben werden. In solchen Situationen werden PraktikerInnen zu „ForscherInnen“, wenn sie ihre verantwortlich gesetzten Handlungen als Hypothesen betrachten, aus deren Überprüfung sie mehr über sich, ihre SchülerInnen und die Institution, in der sie arbeiten, erfahren können (vgl. Schön 1983). Die Wahl stellt sich also nicht zwischen „Experimentieren oder nicht“, sondern nur zwischen „bewusstem Experimentieren, bei dem Erfahrungen verantwortungsvoll verarbeitet werden“ und „unbewusstem Experimentieren“. „Alles beim Alten zu belassen“, ist jedoch eindeutig eine Art „unbewussten Experimentierens“. Auf der anderen Seite werden aber auch von wissenschaftlichen AutorInnen viele Bedenken gegen „Experimente im Erziehungswesen“ vorgebracht. Dabei werden Einwände gegen Laborexperimente der experimentalpsychologischen Tradition, denen u.a. Manipulation der Subjekte und mangelnde Aussagekraft für reale Situationen durch eingeschränkte und rigid kontrollierte Untersuchungsbedingungen angelastet werden, auf Experimente insgesamt verallgemeinert. Mit Mollenhauer/ Rittelmeyer (1977, 184) meinen wir dagegen, dass „Experimentieren“ – im Sinne des verantwortlichen „Erprobens von Erziehungsformen“ – „für jede nicht-ritualisierte Erziehungspraxis grundlegend“ ist.

7.2 Was sind Handlungsstrategien? Bisher wurde mehr oder weniger kryptisch von „Handlungsstrategien“, „Aktionsideen“ oder „Handlungskonsequenzen“ gesprochen, ohne dass konkret gesagt wurde, was man sich darunter vorzustellen hätte. Anhand einiger Beispiele soll der Begriff der „Handlungsstrategie“ etwas klarer gemacht werden. Im Fallbeispiel vom Beginn dieses Kapitels hat die Lehrerin versucht, sich die „Bedingungen anregender Hausübungen“ klarzumachen und daraufhin eine „Handlungsstrategie formuliert“, nämlich auf neue Weise Hausaufgaben zu geben. In einer anderen Fallstudie (vgl. M 31; Posch 1985, 55ff) fühlte sich eine Lehrerin, die eine Klasse neu übernommen hatte, zunächst durch das Verhalten einer Schülerin besonders ge-

Was sind Handlungsstrategien?

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stört. Sie empfand es als abweisend und fühlte sich nicht respektiert. Dabei bemerkte sie auch, wie sich bei ihr selbst eine Abneigung gegen die Schülerin breit machte. Die Beziehung zwischen beiden schien sich zu einem offenen Konflikt aufzuschaukeln. Durch ein Interview, das ein externer „kritischer Freund“ mit dieser Schülerin führte, erfuhr sie jedoch Überraschendes und lernte die Schülerin anders einzuschätzen. Die Äußerungen des Mädchens ließen die Vermutung (und Angst) der Lehrerin, dass ihre Person und ihr Unterricht gering geschätzt würden, unberechtigt erscheinen. Damit verlor ihre negative Einstellung dem Mädchen gegenüber die Grundlage. Ihr Interaktionsstil änderte sich und die Situation entkrampfte sich. Oder in den Worten der Lehrerin: „Karin sehe ich jetzt mit anderen Augen und ich finde auch besser Zugang zu ihr. Ich spreche sie direkt an, wenn ich etwas von ihr will und sie sich nicht freiwillig meldet. Dadurch ist sie zu mehr Mitarbeit aktiviert und scheint mehr Freude und Interesse am Unterricht zu haben. Sie ist immer noch ruhig, aber das diagnostiziere ich jetzt nicht mehr als Gleichgültigkeit gegenüber dem Unterrichtsgeschehen, sondern als ihre Charaktereigenschaft. Ich versuche beim ‚Ansprechen‘ sie jetzt nicht hervorzuheben, sondern beziehe sie in den Kreis der Schüler ein, die ich sonst auch direkt anspreche, die sich allerdings aus Leistungsschwäche nicht melden. Sie ist jetzt sowohl bei den Gruppenarbeiten als auch bei den Diskussionen viel aktiver und ist bereit, ihre Meinung auch unaufgefordert als Unterrichtsbeitrag zum Ausdruck zu bringen“ (Posch 1985, 60). Das dritte Beispiel stammt aus dem Versuch einer Hochschullehrerin, ihre Lehrveranstaltung „Statistik für Sozialwissenschaftler“, mit der sie unzufrieden war, zu untersuchen (Altrichter 1985a). Nach einer ersten Erhebungsphase, stellte sich die Situation, die sie bearbeiten wollte, ungefähr folgendermaßen dar (vgl. Abb. 21)38:

L: erklärt ein Thema (1)

Strategie (5)

L: rechnet ein Beispiel an der Tafel vor (2)

S: rechnen selbstständig ein Übungsbeispiel (3)

S: haben in der Regel Verständigungsprobleme (4)

L: Frustration, Reaktivität (6)

Abb. 21: Ausschnitt aus der graphischen Rekonstruktion „LV ‚Statistik‘“

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Aus Gründen der Übersichtlichkeit geben wir im Folgenden nur einen Teil der Situationsanalyse und nur einen Ausschnitt aus der graphischen Rekonstruktion wieder (vgl. dazu die Darstellung in M 9).

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Wenn sie ein neues Thema einführt, erklärt sie es zunächst in Worten (1), rechnet selbst ein Beispiel an der Tafel vor (2) und lässt dann die Studierenden selbständig ein Übungsbeispiel rechnen (3). In diesem „ersten Durchgang“ haben die StudentInnen aufgrund der Menge und Schwierigkeit des Stoffes Verständnisprobleme (4). Bemerkt sie selbst während des Erklärens Unklarheiten an ihren Ausführungen oder fallen ihr an den StudentInnen Zeichen von Unverständnis auf, so steigen Gefühle der Frustration hoch und sie versucht sofort, darauf zu reagieren (6). Dadurch wird aber die Sequenz ihres Lehrens oft sprunghaft und noch weniger verständlich. In einem Interview sagt sie dazu: „Mein Verhalten ist sehr ‚reaktiv‘: Wenn irgendetwas Unvorhergesehenes auftaucht, wenn irgendein Zeichen des Unverständnisses auftaucht, reagiere ich gleich darauf und gehe von meinem Plan ab. Ich müsste lernen, solche Dinge schon wahrzunehmen und zu speichern, aber mich nicht sofort von meinen Vorstellungen abbringen zu lassen“ (Altrichter 1985a, 30).

Auf der Basis dieser Analyse der Situation formulierte die Hochschullehrerin schließlich u.a. folgende Handlungsstrategie (5): Eine Atempause machen: Die Lehrveranstaltungsleiterin nahm sich vor, immer dann ‚eine Atempause zu machen‘, wenn sie den Eindruck hatte, dass ihre Erklärungen zu nervös, sprunghaft und in der Folge nicht verständlich würden. Dadurch hoffte sie zu vermeiden, in eine nervöse Hetze hineinzutreiben. Während dieser Atempause wollte sie überlegen, ob es wirklich notwendig wäre, die vorbereitete Sequenz ihrer Erklärungen zu verlassen. Mit dieser Strategie wollte sie den von ihr als unangenehm und hinderlich für das Lernen der Studierenden erlebten „Zirkel der Reaktivität“, das rasche, unreflektierte Reagieren auf kleinste Abweichungen vom geplanten Gang des Lehrens, durchbrechen. Dass dieser ‚gute Vorsatz‘ vielleicht gar nicht so leicht bzw. auf sehr unterschiedliche Weise verwirklicht werden kann, soll weiter unten (vgl. Kap. 7.3) besprochen werden. Wenn die Handlungsstrategie aus der praktischen Theorie entwickelt wurde, dann muss auch gezeigt werden können, an welcher Stelle der praktischen Theorie sie ansetzt. Abb. 21 verdeutlicht dies: Die Handlungsstrategie (in kursiver Type) wurde in der graphischen Rekonstruktion der praktischen Theorie eingezeichnet, um ihren „theoretischen Ort“ zu lokalisieren.



Lassen Sie uns anhand dieser Beispiele einige Merkmale von Handlungsstrategien herausarbeiten: • Handlungsstrategien bezeichnen Handlungen, die forschende LehrerInnen zur Veränderung der Situation und ihrer Rahmenbedingungen planen und realisieren. Im Falle der Weiterentwicklung von Unterricht werden das oft ‚didaktische‘ oder ‚erzieherische Handlungen‘ sein. Durch das Wort ‚Handlungsstrategie‘ soll jedoch keineswegs nahe gelegt werden, dass Weiterentwicklung und Handlungskonsequenzen in jedem Fall nur aus ‚direkter Handlung‘ der Lehrperson in der untersuchten Situation bestehen müssten. Vielmehr kommen auch durchaus ‚indirekte Handlungen‘, die sich z.B. auf Rahmenbedingungen der eigenen Arbeit beziehen und oft die Abstimmung mit anderen InteraktionspartnerInnen erfordern, in Frage, z.B.:

Was sind Handlungsstrategien?









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• Veränderungen der Arbeitsorganisation (z.B. Änderung des Stundenplans, Schaffung von Zeiträumen für fachübergreifende Planung etc.), • Entwicklung alternativer Angebote (neue Kurse, Schwerpunktprofile, neue außerunterrichtliche Angebote), Einstellen von Angeboten, • Aufbau neuer Kompetenzen bei den Lehrkräften durch Fort- und Weiterbildung, die individuell oder gemeinschaftlich (z.B. in der Fachgruppe, Projektgruppe, im Kollegium, durch Nutzung schulexterner Fortbildungsangebote etc.) erfolgen kann, • Organisation kollegialer Praxisberatung zur Stützung von Entwicklungsprozessen, • Gestaltung bildungspolitischer Stellungnahmen (z.B. um auf ungünstige Rahmenbedingungen der Arbeit hinzuweisen). Handlungsstrategien orientieren sich zunächst an den Zielen der forschenden LehrerInnen. Sie werden gesetzt, um die Qualität einer Situation zu erhalten oder zu erhöhen. Sie werden als erfolgreich angesehen, wenn die erhofften Effekte eintreten, ohne dass unerwartete negative Nebenwirkungen zu beobachten sind. Längerfristig werden sie jedoch nur erfolgreich bleiben können, wenn Ziele und Wege – im Sinne des ethischen Codes der Aktionsforschung (vgl. Kap. 5.2.3) – mit anderen Betroffenen ausgehandelt wurden und für sie akzeptabel sind. Handlungsstrategien sind typischerweise eng verbunden mit der praktischen Theorie, die die Lehrperson bis dahin von der untersuchten Situation erarbeitet hat. Dies wird besonders deutlich in der graphischen Rekonstruktion des zuletzt zitierten Fallbeispiels. Diese gibt die Problemsicht der Hochschullehrerin zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder; die Handlungsstrategien, die die Lehrerin einsetzen will, kann man ebenso in der graphischen Rekonstruktion lokalisieren. Überhaupt sind graphische Rekonstruktionen nicht nur Hilfsmittel zur Entwicklung von Handlungsstrategien, sondern auch zu ihrer Überprüfung geeignet. Sie zeigen recht rasch, an welchen Punkten der Problematik man nicht ansetzt (dies führt zur Frage: Warum nicht? Sind dadurch Nebeneffekte zu erwarten?) bzw. ob man Handlungsstrategien entworfen hat, für die man in der praktischen Theorie keinen Platz findet. Dies deutet manchmal an, dass man eine ad-hoc-Strategie aus dem Hut der Routine gezaubert hat, die gar nicht mit der erarbeiteten Problemanalyse rechtfertigbar ist. Öfter jedoch zeigt eine derartig „freischwebende Strategie“ an, dass die Problemanalyse noch unvollständig ist: In der Handlungsstrategie drückt sich ein intuitives Wissen um die Situation aus, das wir vordem noch nicht explizit ausdrücken konnten. Seine Reflexion hilft, neue Elemente für unsere praktische Theorie zu entdecken. Aus ihrer engen Verbindung mit der Situationsanalyse (die wir in Kap. 3 und 4 besprochen haben) ergibt sich: Handlungsstrategien sind vorläufige „Anworten“ auf die Fragestellung der PraxisforscherInnen, „versuchsweise Lösungen“ des Problems, an dem sie arbeiten. Damit sind sie auch von theoretischer Relevanz, weil von den Erfahrungen, die man mit ihnen macht, wieder zurück auf die bis dahin erreichte Theorie der Situation geschlossen werden kann.

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• Handlungsstrategien können auf unterschiedlich große Veränderungen ausgerichtet sein: Während sich beispielsweise eine Lehrerin entschloss, ihren gesamten Arbeitsstil in Richtung „Schüler gestalten den Unterricht mit“ zu verändern (vgl. Kaser 1985), hat die Hochschullehrerin im eben zitierten Fallbeispiel ihren Arbeitsstil im Wesentlichen gleich belassen, jedoch durch einige zusätzliche Handlungen modifiziert. • Handlungsstrategien können unterschiedlich neuartig sein: Wir verwenden häufig Begriffe wie „Veränderung“ oder „Verbesserung“, die in manchen Leserinnen und Lesern möglicherweise die Vermutung aufkommen lassen, als Handlungsstrategie könnte nur bestehen, was einen deutlichen und radikalen Bruch mit bis dahin bestehender Praxis umfasst. Dem ist nicht so. Die Problemanalyse und die Erforschung der Situation können durchaus und in manchen Fällen auch sinnvollerweise in eine Bestärkung der bisherigen Einschätzung und der aus dieser herrührenden Handlungsstrategien münden. In manchen Fällen ändern sich die äußerlich sichtbaren Handlungen kaum, wohl aber die Sichtweise und die Einstellung, die hinter ihnen steht: Die Lehrerin „sieht die Schülerin mit anderen Augen“, wird durch deren Reaktionen nicht mehr provoziert und kann in entkrampfter Weise ihre „normalen Handlungen“ setzen (vgl. Posch 1985, 55ff). In anderen Fällen sind jedoch die auf der Basis der Problemanalyse entworfenen Handlungen auf deutliche Weise neuartig für die handelnde Lehrperson. • Wenn wir auch das Wort „Problemlösung“ verwendet haben, wollen wir damit nicht den Eindruck erwecken, jedes schulische Problem und jede offene Frage des Unterrichts könnten auf befriedigende Weise „gelöst“ werden. Bei manchen schulischen Problemen zeigt sich bei der Analyse, dass wichtige Faktoren außerhalb der Einflussmöglichkeiten von Lehrpersonen liegen (z.B. die häusliche Situation von SchülerInnen, organisatorische Bedingungen des Schullebens, die von einzelnen LehrerInnen nicht verändert werden können). Eine Bewältigung des Problems bedeutet in diesem Fall nicht, es zum Verschwinden zu bringen, sondern oft, dass eine andere Einstellung aufgebaut wird, mit der die persönliche Belastung in Grenzen gehalten werden kann. Eine solche Einstellungsänderung ist oft Voraussetzung dafür, zunächst als zu geringfügig erscheinende Veränderungsmöglichkeiten wahrnehmen zu können. • Wir verwenden das Wort „Handlungsstrategie“ auch, um folgende Aspekte anzudeuten: • Komplexe soziale Situationen verändert man nicht durch einen Eingriff, komplexe soziale Probleme löst man nicht durch eine Handlung. Vielmehr soll auf der Grundlage der Situationsanalyse eine Strategie mehrerer aufeinander abgestimmter Einzelhandlungen entworfen werden. Die Veränderungsstrategie in komplexen Systemen besteht im „Schaffen von Konstellationen anstelle von Eingriffen“ (Vester 1997, 86).

Wie finde ich passende Handlungsstrategien?

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• Außerdem sollte man sich von einmaligen Handlungen nicht eine sofortige Lösung erwarten. Veränderung ist meist ein längerfristiger Prozess, in dessen Verlauf jene, die Veränderung anstreben, mit den vielen in Bewegung gekommenen Einzelelementen des Systems umgehen und ihr Handlungskonzept immer wieder abstimmen und modifizieren müssen. Handlungen ‚strategisch‘ planen heißt darum, sich darauf einzustellen, dass man aus der „ersten Welle“ der Veränderungsstrategie manches lernen wird, das in der „zweiten Welle“ berücksichtigt werden muss und zu einer Weiterentwicklung der Handlungsstrategie führt (vgl. Kemmis et al. 1982, 24). • In komplexen Situationen haben Handlungen Nebenwirkungen, die zu Beginn nicht immer abgeschätzt werden können. Es muss daher immer wieder geprüft werden, ob auch die nicht-beabsichtigten Wirkungen des Handelns vertretbar sind. Es geht also nicht nur um die Frage „Habe ich das bekommen, was ich wollte?“, sondern auch um die zweite Frage „Will ich, was ich bekommen habe?“ (vgl. Schön 1983, 141ff; Argyris et al. 1985, 218f ). Im Folgenden wollen wir einige Anregungen und methodische Hinweise für eine Reihe von praktischen Fragen geben, die sich bei der Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien ergeben.

7.3 Wie finde ich möglichst viele, auf meine Situationsdiagnose passende Handlungsstrategien? Woher kommen nun passende Handlungsstrategien? Die wichtigste Quelle ist die Klärung der Situation, eben die Problemanalyse, die wir durch den Forschungsprozess unternehmen und die uns zu einer (neuen) Situationseinschätzung führt. Einen Sachverhalt zu durchschauen, das Netz seiner Bedingungen sichtbar zu machen, bietet nicht nur ein neues Bewusstsein einer Situation, eine neue, vielleicht souveränere, weniger belastete Einstellung dazu, sondern auch eine Fülle von Anregungen, was man in dieser Situation anders machen könnte. Eine zweite wichtige Quelle ist die Datensammlung. Schon während der Datensammlung zur näheren Klärung der Ausgangssituation können sich Hinweise aufgedrängt haben, sie kann aber auch speziell zur Suche nach Handlungsstrategien genutzt werden. Zu erfahren, wie SchülerInnen einen Sachverhalt sehen, kann den Lösungsansatz beinhalten (vgl. das Fallbeispiel am Beginn dieses Kapitels), ja sogar das Gespräch mit einem Schüler oder einer Schülerin kann die Lösung des Problems sein (vgl. Posch 1985, 34ff). Eine dritte wichtige Quelle sind die Zielvorstellungen der Lehrperson. Was soll anders sein? Wie müsste die Beziehung aussehen, damit sie sie (und die betroffenen SchülerInnen) befriedigt? Wie müsste der Unterricht gestaltet sein, um LehrerInnen wie

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SchülerInnen das Gefühl sinnvoller Leistung zu geben? Das Nachdenken darüber, was man sich eigentlich wünscht, ist bereits ein Element der Situationsklärung. Es wird im Verlaufe der Arbeit an der Bewältigung der Situation immer wichtiger. Im Zuge der Situationsklärung und Datensammlung werden die Zielvorstellungen konkreter, realistischer und treten in immer engeren Zusammenhang zum Wissen um die Situation, in der man sich befindet, und um deren Bedingungen. Eine vierte Quelle schließlich sind Anregungen von außen, z.B. aus dem Gespräch mit KollegInnen, Informationen darüber, wie andere mit ähnlichen Problemen zurechtgekommen sind, und Lösungsvorschläge aus der Literatur. Diese vierte Quelle haben wir absichtlich erst als letzte genannt, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass sie dann am nützlichsten ist, wenn auch die anderen Quellen intensiv genutzt werden. Kein Rat einer erfahrenen Kollegin und kein noch so gutes Buch ersetzen die Analyse der eigenen Situation, die genaue Kenntnis ihrer Bedingungen und eine klare Vorstellung darüber, was man selbst anstrebt. Aber beide können wertvolle Ideen bringen, wenn sie nicht unvorbereitet auf einen niederprasseln, sondern auf fruchtbaren Boden fallen: d.h. wenn man schon über die Grundlage einer Situations- und Lösungseinschätzung verfügt, die durch von außen kommende Anregungen erweitert oder modifiziert werden kann. Von außen kommende Ideen werden dann eingebaut, sie bleiben keine Fremdkörper, sondern können zu Teilen des eigenen Konzepts werden. Außerdem ist es oft recht schwer, aus dem Wust von Internet-Informationen oder aus pädagogischer Literatur jene Anregungen herauszufinden, die für die eigene Situation passen. Hier ist im Vorteil, wer über Zugang zu KollegInnen verfügt, die sich durch die jeweiligen pädagogischen Wellen gekämpft haben, oder zu „kritischen FreundInnen“ aus Fortbildungseinrichtungen, Universitäten usw. Interessante Hinweise, weil sie ganz deutlich aus der Perspektive praktizierender Lehrpersonen formuliert sind, können Lehrer-Tagebücher und Fallstudien anderer forschender LehrerInnen bieten. Solche Fallstudien sind im Literaturverzeichnis durch ein Sternchen gekennzeichnet. Die Entwicklung von Handlungsstrategien ist eine konstruktive, kreative Leistung, die mit der Persönlichkeit der Lehrperson und den besonderen Bedingungen der Situation, in der sie steht, verwoben ist. Der Weg, der zu Handlungsstrategien führt, kann aus diesem Grund auch sehr unterschiedlich sein. Folgende Anregungen können vielleicht die Suche nach Handlungsstrategien erleichtern: • Bei der Suche nach Handlungsstrategien, die für eine gegebene Situation passen, sollte man sich nicht nur mit einer Idee begnügen. Nur wenn man mehr als eine Alternative vor sich sieht, hat man die Möglichkeit der Wahl und kann Entscheidungen treffen. In manchen Fällen ist es sogar wichtig, möglichst viele Alternativen zusammenzutragen: je größer die Zahl unterschiedlicher Lösungsmöglichkeiten, desto höher ist die Chance, dass einem ungewöhnliche Lösungen in den Sinn kommen, die es erlauben, „aus dem Feld des Üblichen zu gehen“ und damit möglicherweise neue Bewegung in die Situation zu bringen.

Wie finde ich passende Handlungsstrategien?

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• Beim Zusammentragen von Alternativen sollte man nicht zu sehr an ihre Durchführbarkeit denken. Zunächst dienen solche Ideen zur Erweiterung des Bewusstseins. Sie vermitteln neue Sichtweisen und den Eindruck, dass man sich Lösungen zumindest vorstellen kann. Dies kann einen wichtigen Impuls für konstruktives Denken geben. Gedanken über das, was eine Handlungsstrategie leisten kann, welche Möglichkeiten in ihr stecken, sind zunächst wichtiger als Gedanken über Schwierigkeiten (die bei jedem Lösungsansatz vorhanden sind): Das ermöglicht eine Konzentration auf innere Stärken und gibt Hoffnung. Man sollte also eine Alternative nicht zu schnell verwerfen, bloß weil einem eine Schwierigkeit dazu einfällt. • Bei „Verbesserung der Situation“ und „Problemlösung“ denken geprüfte Mitglieder unserer Kultur (so auch wir) zumeist an die Eliminierung von Übeln. Es gibt aber auch andere Herangehensweisen. Die systembezogene Sichtweise (vgl. Kap. 4.3.2) hat uns gelehrt, dass man in vielen Fällen Verbesserungen auch durch Betonung von Stärken und durch die Berücksichtigung und Nutzung von ohnehin in Systemen ablaufenden Prozessen erreichen kann. Es lohnt von Fall zu Fall zu überlegen: Welche Stärken gibt es in der vorliegenden Situation und wie kann ich sie weiter fördern? Welche Prozesse laufen ab, die ohnehin in Richtung „Verbesserung der Situation“ und „Lösung des Problems“ deuten, und wie kann ich sie stärken? • Manchmal drängen sich Handlungsstrategien förmlich bei der Situationsanalyse auf, manchmal aber muss man sie suchen. Bei solcher Suche nach Handlungsstrategien ist die Gruppe der einzelnen Lehrperson oft überlegen. Sie kann eine Fülle von Anregungen aus der unterschiedlichen Erfahrung der Beteiligten zugänglich machen. Außerdem ist das Sammeln und Diskutieren von Ideen zu einem Problem etwas, das nicht nur der betroffenen Lehrperson etwas bringt, die diese Ideen braucht. Es kann für alle Beteiligten eine Bereicherung darstellen. Bei der Suche nach Handlungsstrategien können verschiedene Methoden einen Beitrag leisten: Unserer Erfahrung nach können graphische Rekonstruktionen (vgl. M 9), die im Verlaufe der Forschung angefertigt wurden, wichtige Hilfsmittel für die Identifizierung möglicher Handlungsstrategien sein. Wie aus dem oben zitierten Fallbeispiel (vgl. Abb. 21) erkennbar, können jedes Element und jede Beziehung zwischen Elementen zum Anlass einer Frage werden: Kann ich hier eingreifen? Mit welchen Handlungsstrategien könnte ich an diesem Punkt eine Verbesserung der Situation erreichen? Auch Metaphern, die bei der Datenanalyse entwickelt wurden (vgl. M 37), können auf neue Ideen für Handlungsstrategien hinführen. Brainstormings (vgl. M 4) erlauben die Sammlung möglichst vieler unterschiedlicher Ideen verschiedener Personen. Auch Analysegespräche (vgl. M 7) können zur Sammlung von Handlungsoptionen genutzt werden, die an eine gründliche Situationsanalyse anschließen.

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Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien M 40 Individuelles Brainstorming Steht einem keine Gruppe von KollegInnen zur Verfügung, die sich mit der eigenen Untersuchungssituation beschäftigen will, so kann man auch ein individuelles Brainstorming durchführen. Dies ist eine Variante des „schriftlichen Nachdenkens“ (vgl. Kap. 2.3.5). Man reserviert sich dafür einen Zeitraum (etwa 15 Minuten), in dem man ungestört ist, und legt sich Papier bereit. Sodann notiert man alle Assoziationen, die einem zu der Frage „Was könnte ich in der Situation X tun?“ einfallen. Wichtig ist dabei, sich von den Assoziationen „tragen“ zu lassen, keine als „unrealistisch“ oder „nur spaßig“ zu zensurieren. Die Überlegung der Qualität der Assoziationsergebnisse erfolgt erst nach der Übung, nicht während ihres Verlaufes.

7.4 Wie wähle ich aus den verfügbaren Alternativen die zu erprobenden Handlungsstrategien aus? Bei der Situationsanalyse und beim Suchen von Handlungsstrategien kann sich plötzlich die Entscheidung für eine bestimmte Alternative aufdrängen; man erlebt, wie sich die Sicht der Situation durch diese Alternative verändert und klärt, so als wäre diese Lösungsidee nichts Fremdes, sondern bereits selbstverständlicher Teil des Handelns geworden. Meist ist der Weg zur Entscheidung für eine bestimmte Handlungsstrategie aber nicht durch solche intuitive Klarheit geprägt, sondern bedarf sorgfältigen Abwägens. Alternativen müssen auf ihre Brauchbarkeit für die betroffene Lehrperson und die spezifische Situation geprüft werden. M 41 Gedankliches Überprüfen von Handlungsalternativen Die Entscheidung für eine Handlungsstrategie ist ein sehr individueller, auf spezifische Bedingungen zugeschnittener Prozess, bei dem subjektive Einschätzungen eine oft wichtigere Rolle spielen als objektive oder vorformulierte Kriterien. Dennoch könnten die folgenden Gesichtspunkte in vielen Fällen eine gewisse Hilfe bieten: a) Wie nützlich ist die Handlungsstrategie? Wird sie das Problem lösen? Für wie lange? Könnte sie zusätzliche positive Auswirkungen haben? Könnte sie negative Nebenwirkungen haben? Diese Fragen sollten anhand der Problemanalyse und der Kenntnis der Situation beantwortet werden können. Es kann sich aber auch herausstellen, dass dazu zusätzliche Informationen erforderlich sind. Dabei wird deutlich, wie viele Entscheidungen (einfach aus Zeitmangel) in relativ großer Unsicherheit getroffen werden müssen. Es ist gut, sich vor Augen zu halten, dass nie alle Bedingungen einer Handlung bedacht werden können und daher Unsicherheiten und Fehler

Wie wähle ich die zu erprobenden Handlungsstrategien aus?

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unvermeidlich sind. Dieses Bewusstsein sollte dazu ermutigen, Probleme nicht zu verdrängen oder zu verleugnen, sondern als Merkmal des Berufs zu akzeptieren und damit bearbeitbar zu machen. b) Wie praktikabel und durchführbar ist die Handlungsstrategie? Welche Freiheitsspielräume hat die Lehrperson bei der Verwirklichung der Lösungsidee? Was kann sie selbständig unternehmen und wofür braucht sie das Wohlwollen, die Unterstützung oder die Mitarbeit anderer? Eine Idee kann zwar sehr nützlich, aber in der Situation, in der die Lehrperson steht, undurchführbar sein. Sie kann zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Sie kann die Mithilfe anderer Personen (z.B. KollegInnen) verlangen, die dazu nicht bereit sind. Sie kann Kosten verursachen, die nicht aufzubringen sind oder in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen der Idee stehen. Es kann sein, dass die Lehrperson nicht über die für ihre Realisierung nötigen Kenntnisse verfügt. Nach diesem Kriterium ist jene Lösungsidee die beste, für deren Verwirklichung Lehrerinnen den größten Freiheitsspielraum haben und am wenigsten von anderen Personen oder Strukturen abhängig sind. Deswegen muss sie aber nicht „nützlich“ (im Sinne von Kriterium a) oder akzeptabel für andere Betroffene (Kriterium c) sein. c) Wie gut kann die Handlungsstrategie von der Lehrperson, von den SchülerInnen und von anderen Betroffenen akzeptiert werden? Eine Idee kann nützlich und durchführbar sein, aber sie kann der betroffenen Lehrperson nicht „liegen“, weil sie z.B. nicht als Person hinter der Idee stehen und sich nicht für sie gefühlsmäßig stark machen kann. Gerade bei der Bewältigung von Beziehungsproblemen, aber auch bei vielen didaktischen Fragen ist das Gefühl, sich mit einer Idee voll identifizieren zu können, zunächst wichtiger als die „objektive“ Qualität der Idee. Dieses dritte Kriterium macht die Entscheidung für eine Handlungsstrategie zu einem sehr individuellen, persönlichen Vorgang. Die Lösung pädagogischer Probleme erfordert auch, dass die „andere Seite“, die Schülerinnen und Schüler sich damit identifizieren können, dass sie der Lösung zustimmen und zu ihr beitragen. Dies wird im Allgemeinen nur möglich sein, wenn die gewählte Handlungsstrategie auch den SchülerInnen erweiterten Handlungsspielraum und Verantwortung zuweist. Die Gruppe der nicht direkt betroffenen ‚kritischen FreundInnen‘, so sagten wir zuvor, kann einer forschenden Lehrperson bei der Suche nach Handlungsideen sehr dienlich sein. Dies gilt aber in der Regel nicht für die Entscheidung, welche der Handlungsideen erprobt werden sollte. Diese Entscheidung sollte von jenen gefällt werden, die von der Situation auch tatsächlich betroffen sind. Die forschende Lehrperson, die eine Situation aus dem eigenen Unterricht bearbeitet, kann sich dieses Auswahlproblem nicht von KollegInnen oder „ExpertInnen“ abnehmen lassen.

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Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien

„Externe“ haben oft originelle Ideen, die Situationen, in die man sich schon lange verbissen hat, in einem neuen Licht erscheinen lassen; sie haben aber in aller Regel ein geringeres Wissen über das Geflecht von Kleinigkeiten und deren Geschichte, die das Handeln in der Klasse beeinflussen. Außerdem müssen „Externe“ nicht die Konsequenzen ihrer Ratschläge tragen („Wer die Folgen nicht zu tragen hat, kann gut raten“). Anders liegt der Fall, wenn sich eine Gruppe von LehrerInnen ein gemeinsames Projekt vorgenommen hat, wenn sie Forschung und Entwicklung unter einer gemeinsamen Zielvorstellung betreiben will. In diesem Fall wird die Auswahl der zu verwirklichenden Handlungsstrategie eine Gruppenentscheidung sein (vgl. Kap. 9). Ein interessantes Verfahren, das die kreative Suche nach vielen Handlungsideen mit einer Phase der Auswahl und Prioritätensetzung kombiniert, wird im Folgenden vorgestellt. 39 M 42 Kluge-Ideen-Konzentrations-Methode Kurzcharakterisierung: Diese Methode ist eine stark strukturierte Vorgangsweise für die Entscheidungsfindung in Gruppen. Sie gibt allen Gruppenmitgliedern die gleiche Möglichkeit, Ideen zu äußern, sie verhindert, dass sich die Gruppe in Einzelaspekte „verbeißt“, fördert eine größere Anzahl von Ideen zu Tage und erlaubt raschere Entscheidungsfindung als andere Vorgehensweisen (als z.B. die unstrukturierte Gruppendiskussion). Der ursprüngliche Name dieser Methode lautet Nominelle Gruppen-Technik (NGT), weil die in diesem Verfahren arbeitende Gruppe nur nominell (dem Namen nach) eine Gruppe ist; tatsächlich werden ihre Interaktionen von der Leiterin oder vom Leiter – entsprechend vorgegebener Regeln – strikt kontrolliert. Diese Methode kann als Weiterentwicklung des „Brainstormings“ (vgl. M 4) verstanden werden: Gegenüber Letzterem können bei dieser Methode mehr TeilnehmerInnen Ideen beitragen; außerdem wird eine Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativen getroffen. Vorgangsweise Ein Kluge-Ideen-Konzentrations-Prozess setzt sich aus folgenden Phasen zusammen: 1. Erklärung der Methode und Bekanntgabe der Phasen (ca. 5 Minuten) Der Zweck der Methode und ihre Phaseneinteilung (mit Zeitangabe) werden dargestellt. 39

Darstellung der Methode nach Delbecq et al. 1975; O’Neil/Jackson 1983; Elliott 1981b; McCormick/James 1983, 160f & 240; Hegarty 1977. Hilbert Meyer (2015, CD-Rom, Kap. 4) verwendet für diese Methode den Namen „Kluge-Ideen-Konzentrations-Methode“, mit dem der wichtigste Nutzeffekt dieses Verfahrens benannt wird. Wir danken ihm für diese Idee sowie für die Erlaubnis, hier seine Illustrationen (Abb. 22, 23 und 24) zu verwenden.

Wie wähle ich die zu erprobenden Handlungsstrategien aus?

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Je nach Zusammensetzung der Gruppe können die Hintergründe der Methode, ihre Vor- und Nachteile verschieden ausführlich dargestellt werden. So kann zum Beispiel auch ein Arbeitspapier zur Vorgangsweise ausgegeben werden. Unserer Erfahrung nach ist für die meisten Gruppen ein Flipchart-Plakat, auf der die einzelnen Phasen und die dafür vorgesehenen Zeiträume vermerkt sind, nützlich.



2. Bekanntgabe und Präzisierung der Fragestellung (5 Minuten) Die Leitfrage40, die in der Regel von GruppenleiterIn und einem Planungsteam vor der Sitzung vorbereitet wurde, wird bekannt gegeben. Sodann sollte eine gewisse Zeit für die TeilnehmerInnen zur Verfügung stehen, in der sie etwaige Unklarheiten beseitigen können. Ergibt sich bei diesem Gespräch die Möglichkeit, die Fragestellung klarer zu formulieren, sollte sie genutzt werden. Das Gespräch sollte an dieser Stelle nur die Formulierung der Fragestellung betreffen; inhaltliche Beiträge zur Frage selbst sollen von der Leitung konsequent auf später verschoben werden. 3. Individuelle, schriftliche Beantwortung (7 Minuten) In stiller Einzelarbeit schreiben die TeilnehmerInnen alle Antworten auf, die ihnen auf die gestellte Leitfrage einfallen. Wir ersuchen die TeilnehmerInnen, ihre Ideen in Form von Stichworten oder kurzen Aussagen zu notieren, in jedem Fall längere Beschreibungen und Darstellungen zu vermeiden. Die individuelle Arbeit in Ruhe ist in dieser Phase besonders wichtig; unbeeinflusst von anderen sollen die Teilnehmenden möglichst viele ihrer Ideen zu Papier bringen.



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4. Zusammentragen der Antworten (15-35 Minuten) Reihum werden die TeilnehmerInnen gebeten, jeweils nur eine Antwort ihrer Liste bekannt zu geben. Die Diskussionsleitung hält die Äußerungen in Stichworten möglichst wörtlich auf einem großen Plakat fest. In dieser Phase sind keine Bewertungen, Interpretationen oder Diskussionen über die Äußerungen erlaubt. Die Reihum-Sammlung wird solange fortgesetzt, bis alle Ideen der TeilnehmerInnen auf dem Plakat festgehalten sind (wer keine Antworten mehr auf seiner Liste stehen hat oder dessen Antworten von anderen TeilnehmerInnen sinngemäß vorweggenommen wurden, darf passen). Ein mögliches Layout solcher Plakate (die GruppenleiterInnen schon vor der Übung oder in Phase 3 vorbereiten können) zeigt Abb. 22: In der Mitte werden die Äußerungen in Stichworten festgehalten, die in der linken Spalte durchnummeriert werden. Die rechten beiden Spalten nehmen in Phase 7 die Bewertungen der Vorschläge und letztlich die Rangreihung auf.

vgl. die Beispiele in Abschnitt „Einsatzbereiche“ dieser Methodendarstellung.

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Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien

Abb. 22: Layout eines Ideen-Plakates (aus Meyer 2015, CD-Rom, Kap. 4)

Die Dauer dieser Phase hängt stark von der Art der Fragestellung sowie von der Größe und dem Einfallsreichtum der Gruppe ab. Die Phase sollte nicht vorzeitig abgebrochen werden, sondern so lange ausgedehnt werden, bis alle Äußerungen aufgenommen wurden. Bei Zeitmangel ist es besser, von vornherein eine begrenzte Anzahl von (z.B. 3) Sammlungsrunden vorzusehen, als zu einem für die TeilnehmerInnen nicht vorhersehbaren Zeitpunkt (z.B. wenn die Gruppenleitung den Eindruck hat, die geäußerten Ideen würden ‚unergiebiger‘) abzubrechen. Durch die strikte Reihum-Struktur dieser Phase haben alle TeilnehmerInnen die gleiche Chance, ihre Beiträge in der Gruppe zu äußern und gehört zu werden eine Chance, die in unstrukturierten Gruppen üblicherweise nicht in dem Maße besteht.



5. Klärung der Äußerungen (ca. 15-45 Minuten) In dieser Phase soll eine Klärung der gesammelten Äußerungen erfolgen. Das Gespräch sollte so lange fortgesetzt werden, bis alle TeilnehmerInnen jede der am Plakat vermerkten Äußerungen in befriedigender Weise verstehen. In dieser Phase können auch Wiederholungen eliminiert bzw. überlappende Äußerungen zusammengefasst werden. Unklare Äußerungen können neu formuliert werden. Wenn möglich, sollten auch sehr allgemeine Äußerungen konkretisiert werden, weil ihnen leichter zugestimmt werden kann als konkreten. Diese Veränderungen sollen jedoch nur vorgenommen werden, wenn jene Person, die die Äußerung gemacht hat, zustimmt; kann sie das nicht, sollen (vermeintliche) Wiederholungen und Überlappungen auf dem Plakat verbleiben. Bewertungen (z.B. ob die Antwort X überhaupt zugelassen ist und auf der Liste stehen darf) sind in dieser Phase nicht erlaubt und werden vom/von der GesprächsleiterIn nicht akzeptiert. Diese Phase macht oft bewusst, welcher Ideenreichtum in einer Gruppe steckt. Der/die ModeratorIn kann den Prozess stimulieren, indem sie selbst Fragen nach dem Hintergrund (Warum ist das wichtig?) und nach Konkretisierungen (Was wäre Ihr erster Schritt, um diese Sache in Gang zu bringen?) stellt, ohne jedoch auf einer exakten Beantwortung zu insistieren.



Wie wähle ich die zu erprobenden Handlungsstrategien aus?

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6. Individuelle Auswahl und Reihung (7 Minuten) Die TeilnehmerInnen werden gebeten, das Plakat, das die Äußerungen der Gruppe zusammenfasst, individuell zu studieren, dann jene fünf Äußerungen, die ihrer Meinung nach die wichtigsten Hinweise in Hinblick auf die zuvor gestellte Frage geben, auszuwählen und für sich aufzuschreiben. Sodann werden die ausgewählten Äußerungen individuell nach Wichtigkeit gereiht. Die wichtigste Äußerung erhält „5 Punkte“, die am wenigsten wichtige „1 Punkt“ usw. 7. Zusammentragen der Reihungen (10 Minuten) Reihum werden die TeilnehmerInnen gebeten, die fünf Äußerungen, die sie ausgewählt haben, und die ihnen zugeordneten Punktwerte mitzuteilen. Diese Punktwerte werden auf dem Hauptplakat an entsprechender Stelle festgehalten (Zu diesem Zweck ist es hilfreich, wenn die Gruppenleitung z.B. während der stillen Tätigkeit der TeilnehmerInnen in Phase 6 – alle Äußerungen durchnummeriert). Haben alle TeilnehmerInnen ihre Bewertungen mitgeteilt, werden die Punkte je Äußerung addiert. Die sechs Äußerungen mit den meisten Punkten werden anschließend durch ihre Rangplätze gekennzeichnet. 8. Diskussion und Interpretation der Ergebnisse (30+ Minuten) Sodann erfolgt eine freie Diskussion über das Ergebnis dieser Prozedur und über Konsequenzen, die man aus diesen Ergebnissen ziehen könnte. Durch den Kluge-Ideen-Konzentrations-Prozess wird ein breites Problem in Einzelaussagen zerlegt. Dadurch kann der größere Zusammenhang, in dem die Einzelaussagen stehen, leicht aus dem Blick geraten. Aufgabe von Phase 8 ist es nicht zuletzt, dieser Gefahr der Elementarisierung entgegenzuarbeiten.







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Das Gespräch kann sich dabei um folgende Fragen drehen: • Hinsichtlich welcher Äußerungen gibt es hohe Übereinstimmung in der Bewertung, hinsichtlich welcher gibt es Divergenzen? Warum gibt es gerade hinsichtlich dieser Äußerungen Übereinstimmung? Haben die GruppenteilnehmerInnen eine übereinstimmende Vorstellung davon, was wichtig ist, oder sind diese Aussagen etwa so allgemein, dass alle leicht zustimmen können, oder geben sie etwa allgemein geteilte Vorurteile wieder? Warum gibt es hinsichtlich anderer Äußerungen unterschiedliche Auffassungen in der Gruppe? Hängt das mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen, unterschiedlichen Arbeitsstilen, unterschiedlicher Sensibilität einzelner, unterschiedlichen Vorstellungen über pädagogische Ziele usw. zusammen? Fallen durch das Abstimmungsergebnis Minderheitenmeinungen (Aussagen, die wenigen Personen sehr wichtig sind) unter den Tisch? Wie kann damit umgegangen werden? Verdienen die „Spitzenreiter“ das Gewicht, das sie durch diese Vorgangsweise erhalten haben? Welche Konsequenzen können aus dem Ergebnis gezogen werden?



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Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien

Abb. 23: Eintragen von Bewertungen (aus Meyer 2015, CD-Rom, Kap. 4)

Hinweise für die Durchführung Gruppengröße: Die optimale Gruppengröße für Kluge-Ideen-Konzentrations-Prozesse beträgt acht bis zehn Personen. Liegt die Teilnehmerzahl weit über diesem Wert, kann die Gruppe entsprechend geteilt werden, sodass mehrere solcher Prozesse parallel durchgeführt werden. Die Ergebnisse der parallelen Gruppen können in einem weiteren Abstimmungsvorgang (analog Schritt 6-8) integriert werden. Raumgestaltung: Die Gruppenmitglieder sitzen in einem Halbkreis. Die Flipchart, auf der die Ideen notiert werden, sowie eine Tafel oder freie Wand, auf die die voll beschriebenen Flipchart-Blätter aufgehängt werden, sind von allen Teilnehmern einzusehen.

Abb. 24: Raumanordnung (aus Meyer 2015, CD-Rom, Kap. 4)

Wie wähle ich die zu erprobenden Handlungsstrategien aus?

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Rolle der Gruppenleitung: Die Moderatorin oder der Moderator eines solchen Prozesses soll den Informationsfluss in der Gruppe ordnen und die Entwicklung von Ideen fördern, indem er/sie strikt auf die Einhaltung der Regeln achtet, ohne den TeilnehmerInnen die Freude an der Arbeit zu verderben. Er/sie selbst sollte keine inhaltlichen Äußerungen zu der Fragestellung abgeben. Folgende Regeln werden empfohlen (vgl. O’Neil/Jackson 1983, 132): • Die Ideen der TeilnehmerInnen nicht re-interpretieren. • Den Wortlaut der Teilnehmer-Äußerungen verwenden. • Keine eigenen Ideen einwerfen. Sie sind kein/e TeilnehmerIn. • Dies ist keine Debatte. Lassen Sie nicht zu, dass TeilnehmerInnen einander herausfordern oder angreifen. • Geben Sie den TeilnehmerInnen Zeit nachzudenken. • Versuchen Sie die Resultate nicht zu interpretieren. Suchen Sie nicht nach „Mustern". Einsatzbereiche: Die Kluge-Ideen-Konzentrations-Methode kann eine hilfreiche Vorgehensweise sein, • wenn eine Gruppe entscheiden will, an welchem Projekt ihre Mitglieder gemeinsam arbeiten wollen (Finden eines Ausgangspunktes für ein Gruppenprojekt). Beispiel für eine Leitfrage: Eine Gruppe von LehrerInnen, die zur Weiterentwicklung ihrer Schule beitragen will, stellt sich folgende Frage: Worin bestehen die Stärken und Schwächen der gegenwärtigen Situation an der Schule?



• wenn eine Gruppe verschiedene Interessen und Sichtweisen sowie mögliche Entwicklungsrichtungen innerhalb eines gemeinsamen Ausgangspunktes identifizieren will (Nähere Klärung der Ausgangssituation). Beispiel für eine Leitfrage: Bei der ersten Erhebung der „Stärken und Schwächen der Schule“ stellte sich heraus, dass viele KollegInnen die „mangelnde Zusammenarbeit“ als belastend erleben. Folgende Leitfrage wird daher formuliert: Was sind die wichtigsten Ursachen für die „mangelnde Zusammenarbeit“ an unserer Schule?



• wenn eine Gruppe für eine gegebene Situation eine große Zahl von Handlungsund Lösungsmöglichkeiten eruieren und sich danach für eine gemeinsame Handlungsstrategie entscheiden will (Entwicklung von Handlungsstrategien). Beispiel für eine Leitfrage: Welche Handlungen und organisatorischen Maßnahmen tragen zu einer intensiveren und befriedigenderen Zusammenarbeit bei?



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Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien Die Kluge-Ideen-Konzentrations-Methode ist nicht nur für Aktionsforschung, sondern auch für Entscheidungsprobleme in Gruppenarbeiten anderer Art geeignet, z.B. in der Arbeit von Kommissionen und von Gruppen, die Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien entwickeln. Mit dieser Methode können auch „strukturierte Gruppeninterviews“ geführt werden. Weniger empfehlenswert erscheint uns diese Vorgehensweise, wenn es nicht in erster Linie um Entscheidungsfindung geht, sondern sich einzelne TeilnehmerInnen die Expertise einer Gruppe für eine persönlich relevante Fragestellung zunutze machen wollen, z.B.: • Wie schätzt ihr folgende Situation ein? • Wie würdet ihr in der Situation X handeln? • Was haltet ihr für die wichtigsten Entwicklungsprobleme im Fremdsprachenunterricht der Unterstufe (ich will nämlich einen Forschungsausgangspunkt aus diesem Bereich wählen)? Mögliche Probleme und Nachteile der Kluge-Ideen-Konzentrations-Methode: • Ihre strikten Regeln können bei manchen TeilnehmerInnen Widerstand hervorrufen. Dieser kann möglicherweise vermindert werden, wenn der explorierende Charakter der Übung betont wird. • Die Regeln verändern die Dynamik der Gruppe. Werden bei einer beginnenden Gruppe bestimmte Phänomene (z.B. Machtkämpfe) unterdrückt, können sie später wieder hochkommen. • Wie bei allen Abstimmungsverfahren besteht die Gefahr, dass Minderheitenansichten unter die Räder kommen. Daher sollte besonders dann, wenn eine Gruppe mit dem Ergebnis des Prozesses weiterarbeiten will, darauf geachtet werden, dass eine Formulierung des Ergebnisses gefunden wird, zu der alle GruppenteilnehmerInnen stehen können. • Manche TeilnehmerInnen klagen darüber, dass sie ihre tatsächliche Meinung durch die beschränkte Anzahl von Punkten, die sie vergeben können, nicht differenziert genug wiedergeben können. • Die Formulierung der ersten Leitfragestellung ist äußerst wichtig und manchmal auch schwierig. Fällt sie zu eng aus, wird das Denken der Gruppe in ungebührlicher Weise begrenzt. Wird sie zu weit formuliert, so können sich Schwierigkeiten durch zu unterschiedliche Interpretation der Fragestellung durch einzelne TeilnehmerInnen ergeben. Im Zweifelsfall sind jedoch eher „zu weite Fragestellungen“ vorzuziehen. • Die hier praktizierte Methode, Gruppenentscheidungen herbeizuführen, verleitet leicht dazu, Antworten und Lösungen zu akzeptieren, weil die „meisten KollegInnen dieser Meinung sind" – ungeachtet dessen, ob die Gruppenlösung auch für die eigene Person und Arbeitssituation passend ist.

Wie konkretisiere ich die Handlungsstrategie?

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• An die Leitung einer solchen Gruppe werden hohe Anforderungen gestellt. Die Leitungsrolle ist nicht immer angenehm, weil auf die Einhaltung der Regeln geachtet werden muss, ohne durch zu rigides Ordnungshüten den TeilnehmerInnen die Lust an der Arbeit zu nehmen. Bei Arbeitsgruppen, die sich ein längerfristiges inhaltliches Ziel gesetzt haben, ist es meistens nicht günstig, wenn die jeweilige Gruppenleitung auch die Rolle der Moderation des KlugeIdeen-Konzentrations-Prozesses übernimmt, da sie inhaltlich nichts zur Entscheidungsfindung beitragen darf.

7.5 Wie konkretisiere ich die Handlungsstrategie und wie mache ich mich mit ihr vertraut? In Kapitel 7.2 wurde als Beispiel einer Handlungsstrategie „eine Atempause machen“ genannt. Wie kann sich diese Strategie nun konkret im Unterricht ausdrücken? • Die Lehrerin könnte, wann immer sie den Eindruck gewinnt, dass die Lernenden Verständnisschwierigkeiten haben und sie die Tendenz zu einer schnellen Reaktion verspürt, sich einen „geistigen Stopp-Befehl“ geben. Sie unterbricht den Unterricht für eine Atempause, in der sie nachdenkt, ob und in welcher Form eine Reaktion sinnvoll erscheint. Problematisch bei dieser Strategie ist vermutlich, dass es in einer durch Stress gekennzeichneten Situation schwer ist, Ruhe zu bewahren und die Pause zum Nachdenken zu benutzen. • Die Denkpause wird den StudentInnen angekündigt und kurz begründet. Der oben genannte Nachteil kann auch hier eintreten; zusätzlich entsteht eine Zeitphase, die für die Lernenden arbeitsmäßig undefiniert ist. • Die Lehrerin könnte eine Frage stellen (oder die an sie gerichtete Frage „zurückspielen“), um die StudentInnen zu beschäftigen und sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. Nachteilig ist, dass die Lernenden in Bezug auf die wahren Absichten der Lehrerin getäuscht werden und dass diese ihre Aufmerksamkeit nicht voll auf das Nachdenken konzentrieren kann. • Die Lehrerin unterbricht den Arbeitsfluss und formuliert das von ihr wahrgenommene Problem: „Ich habe den Eindruck, dass einige von Ihnen Verständnisprobleme haben. Trifft das zu?“ Ein Nachteil dieser Strategie könnte sein, dass sich der Druck, sofort zu reagieren, erhöht, wenn mehrere Studierende über Verständnisprobleme berichten. Außerdem ist es oft schwierig und zeitaufwendig, mit einer größeren Gruppe von StudentInnen gemeinsame Lösungsvorschläge zu entwickeln. Das Beispiel zeigt, dass es für forschende LehrerInnen meist notwendig ist, die erste Idee einer Strategie handlungsmäßig zu konkretisieren und Vor- und Nachteile einzelner Alternativen zu überlegen. Um eine Handlungsstrategie realisieren zu können, muss man sich zunächst mit ihr vertraut machen – in Bezug auf die gefühlsmäßige Verträglichkeit (Passt diese

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Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien

Handlungsstrategie zu mir? Traue ich mir ihre Verwirklichung zu?) und auf die erforderlichen Fähigkeiten (Kann ich das? Habe ich die Handlung in meinem Repertoire?). Im Folgenden werden einige Möglichkeiten genannt, sich mit Handlungsstrategien vertraut zu machen: • Die naheliegendste Möglichkeit ist wohl, die kommende Situation zu antizipieren und gedanklich durchzuspielen. Solches „mentale Training“ (mit dem sich viele SportlerInnen auf Bewegungsabläufe vorbereiten) kann zur Übung einfacher, relativ abgeschlossener Handlungen beitragen. Schwieriger ist es wohl, sich damit auf komplexere Interaktionsabläufe einzustellen; immerhin kann gedankliches Durchspielen neuer Situationen, wenn es konsequent durchgeführt wird, auf bis dahin nicht bedachte Bedingungen und Folgeerscheinungen der Handlungsstrategie aufmerksam machen (vgl. die anschauliche Fallstudie über Unterrichtsplanung von Kordesch/Fanzoj 1989). • Man könnte die zu erprobende Handlungsstrategie auch vorher ausprobieren, in der Schule oder zu Hause im „Trockentraining“. Wir haben z.B. mit einer Physiklehrerin gearbeitet, die besonders wichtige Experimente am Vortag alleine erprobte. Ein Ausprobieren könnte auch in einer anderen Klasse erfolgen, in der man sich unbefangener zu experimentieren getraut. • Der Besuch bei KollegInnen, die die interessierende Handlungsstrategie schon verwirklichen, und die Aussprache mit ihnen können helfen, ein klareres Bewusstsein über die Möglichkeiten und Grenzen einer Handlungsstrategie zu gewinnen. • Durch thematisch entsprechende Lehrerfortbildung könnte man sich eingehender mit bestimmten Handlungsstrategien vertraut machen. Leider ist jedoch Lehrerfortbildung üblicherweise nicht so schnell abrufbar, dass man sie flexibel in eigene Forschungsprozesse einbauen könnte. Das Sich-Vertraut-Machen mit einer neuen Handlungsstrategie kann in der Regel nicht so lange weitergeführt werden, bis man sich „sicher“ fühlt. Wer eine grundsätzlich experimentierende Einstellung zu seinem Tun hat, für den ist es leichter, auch in der Realsituation Neues auszuprobieren. Die Realisierung einer neuen Handlungsstrategie ist selbst eine „Erprobung“, von der nicht zu erwarten ist, dass alles gleich voll befriedigend klappen wird, von der wir aber sehr wohl erwarten, dass wir aus ihr für den Aufbau einer neuen Kompetenz lernen werden.

7.6 Wie kann ich den Erfolg der erprobten Handlungsstrategien überprüfen und die mit ihnen gemachten Erfahrungen festhalten? Die wichtigste und interessanteste Prüfung einer Handlungsstrategie erfolgt jedoch nicht durch gedankliches Überprüfen (wie in M 41) oder durch einen Abstimmungsvorgang in einer Gruppe (wie in M 42), sondern durch ihre Realisierung in

Wie überprüfe ich den Erfolg der Handlungsstrategie?

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der Praxissituation. Um aus der Erfahrung der Realisierung möglichst gut lernen zu können, ist es wichtig, sich frühzeitig zu überlegen, welche Daten für diesen Zweck gesammelt und analysiert werden sollen. Diese Evaluation der Realisierung unserer Weiterentwicklungsideen bedeutet den Einstieg in eine neue ‚Schleife‘ der AktionsReflexions-Spirale (vgl. Abb. 2). Prinzipiell kommen dafür alle bereits in Kap. 5 und 6 vorgestellten Datensammlungs- und Datenanalysemethoden in Frage. Die Erstellung eines Zeitplanes kann helfen, diese komplexe Aufgabe der Abstimmung von Handlungsstrategien und Forschungsaktivitäten durchzudenken und vorzubereiten. M 43 Zeitplan In vielen Fällen ist es günstig, sich spätestens vor der Realisierung der ersten Handlungsstrategie einen genauen Zeitplan über die anfallenden Arbeiten zu machen, neigt man doch nur zu leicht dazu, sich unrealistisch viel vorzunehmen und dann vom Ende des Schuljahres überrascht zu werden. Das folgende Beispiel eines Zeitplanes stammt von einem Physiklehrer, der die Fragestellung bearbeitete: „Meine SchülerInnen lernen Physik, indem sie sich auf das Wiedererinnern von Fakten konzentrieren. Vom Prozess des Forschens, der diesen Fakten vorangegangen ist, scheinen sie jedoch keine Vorstellung mitzubekommen“ (vgl. Kemmis et al. 1982, 11 & 30). Stufe

Datum

Handlungsplan fertigstellen

24. Apri bis 1. Mai

1. Realisierung der Handlungsstrategie

4. bis 15. Mai

2 Wochen = 4 Stunden

Datensammlung

Kommentar Schauen, dass Audioaufnahmegerät verfügbar ist. Mit X Raumtausch vereinbaren

- Audioaufnahme: 20 Minuten der Physikstunde der 4B (beide Stunden in der Woche) - Impressionen in Tagebuch schreiben in der darauffolgenden Freistunde - 3 Schüler interviewen

Auswertung der Daten

1 Woche

Revision des Handlungsplanes

8. bis 10. Juni

2. Realisierung der Handlungsstrategie

2 Wochen wie oben, nur ohne 10. bis 26. Juni Audioaufnahme

usw.

*)

Mündlicher Bericht an alle Physiklehrer am Freitag, den 5. Juni

*) Anmerkung: Wenn Sie hier meinen, dass der Kollege – aufgrund eines überraschend hereingebrochenen Schuljahresendes – nicht mehr die Früchte seiner Bemühungen ernten konnte, so täuschen Sie sich in diesem Fall: Der Kollege ist Australier und befindet sich im Juni gerade in der goldenen Mitte seines Schuljahres.

Abb. 25: Zeitplan

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Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien

Wenn eine Handlungsstrategie nicht zum erwarteten Ergebnis geführt hat, so kann dies verschiedene Gründe haben: • Es kann an der Realisierung der Handlungsstrategie liegen: Wenn sie für die Lehrperson ungewohnt war, wurde sie vielleicht nicht sicher genug oder anders ausgeführt als geplant. • Es kann an der Konzeption der Handlungsstrategie liegen: Es wurde vielleicht eine zu kurze Wirkungszeit vorgesehen oder die SchülerInnen wurden auf die Veränderung nicht oder zu wenig vorbereitet. • Die Analyse der Situation kann fehlerhaft sein: Vielleicht wurde das Problem zu eng konzipiert und es müssen weitere Faktoren in der eigenen praktischen Theorie berücksichtigt werden. Vielleicht waren die eigenen Vorurteile stärker als die Daten, sodass ein „reflektierendes Gespräch mit der Situation“ nicht in ausreichendem Maß entstehen konnte; vielleicht wurden alternative Interpretationen nicht beachtet und Schlussfolgerungen zu voreilig gezogen. • Es kann an der Datensammlung liegen: Wurden wichtige Datenquellen nicht beachtet? • Es kann an der Problemdefinition liegen: War das festgestellte Problem nicht das „eigentliche“ Problem? Hat sich das Problem (die eigenen Zielsetzungen, die Situation oder beides) inzwischen verändert? Die Überprüfung des Erfolgs von Handlungsstrategien setzt Erfolgsindikatoren voraus (vgl. dazu genauer Kap. 4.6). Wann war eine Handlungsstrategie „erfolgreich“? Dann, so könnte man formulieren, wenn sie 1) zu einer (in der Regel beabsichtigten) „Verbesserung der Situation“ geführt hat, 2) ohne dass unbeabsichtigte negative Nebenwirkungen eingetreten sind, die die positive Wirkung entwerten, 3) und ohne dass diese „Verbesserung“ nur kurzfristig ist, d.h. nach unerwartet kurzer Zeit wieder verschwindet. Mit dieser Bestimmung haben wir das Problem jedoch nur auf den vagen Begriff „Verbesserung der Situation“ verschoben. Was LehrerInnen, SchülerInnen oder Dritte als Verbesserung ansehen, ist sehr unterschiedlich und hängt von den Zielen und Werten ab, die ihr Handeln leiten. Abb. 26 illustriert dies an einigen Beispielen. Worin unterscheiden sich diese Verbesserungen? Ziele/Werte

Forschungs- und Handlungsstrategien

1. Beispiel Der explizite Wunsch einer Lehre- Interview mit der rin, von einer Schülerin anerkannt Schülerin durch einen zu werden und die sich aus ihrer „kritischen Freund“. Sicht langsam aufschaukelnde gegenseitige Abneigung abzubauen (Posch 1985)

Verbesserungen

Die aus dem Interview gewonnene Erkenntnis, dass die Schülerin die Lehrerin schätzt und die Befürchtung daher nicht berechtigt war. Wahrscheinlich Verbesserung der Lernsituation für die Schülerin.

Wie überprüfe ich den Erfolg der Handlungsstrategie? Ziele/Werte 2. Beispiel Zunächst: Der explizite Wunsch einer Lehrerin, die sprachliche Beteiligung aller SchülerInnen am Unterricht zu intensivieren Später: Durch das Ergebnis der Auszählung werden implizite Werthaltungen bewusst; einerseits die Vorliebe, mit Buben zu arbeiten; andererseits das Gefühl einer Verpflichtung, der (gesellschaftlichen) Sprachlosigkeit der Frau gegenzusteuern (Morocutti 1989). 3. Beispiel Das „allgemeine“ Interesse einer Lehrerin, SchülerInnen zu möglichst intensiver Auseinandersetzung mit dem Fach zu veranlassen (Altrichter 1985b) 4. Beispiel Eine Hochschullehrerin möchte auf Äußerungen von Verständnisproblemen bei StudentInnen während einer Lehrveranstaltung überlegter reagieren (Altrichter 1985a) 5. Beispiel Eine Gruppe von vier LehrerInnen evaluiert den Ersatz der bisher üblichen Form der Leistungsbeurteilung (Zeugnis) durch Portfolios und andere Informationen (Abu Zahra et al. 2004). 6. Beispiel Das Interesse einer Gruppe von LehrerInnen, an der Schule nach mehreren Misserfolgen wieder Projekttage unter dem Motto „Interessen wecken – Begabungen entdecken“ durchzuführen (Leopoldseder 2005). 7. Beispiel Das Interesse eines Hochschullehrers, eine Lehrveranstaltung im Bereich fremdsprachlicher Literatur durch die gezielte Auswahl professionsbezogener Texte für zukünftige EnglischlehrerInnen zu verbessern. (Spann 2014a).

Forschungs- und Handlungsstrategien

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Verbesserungen

Aufruf nur jener SchülerInnen, die sich von sich aus im Verlauf einer Unterrichtsstunde meldeten. Auszählung der Schülermeldungen anhand einer Audioaufzeichnung der Stunde. Die Erfahrung, über bisher im Ergebnis: Fast alle WortmelDunkeln liegende Wertvorsteldungen kommen von Buben. lungen Bescheid zu wissen und damit die Freiheit zu haben, sich bewusst für die eine oder andere Variante zu entscheiden. Entwicklung einer persönlichen ‚geschlechtssensiblen‘ Didaktik Die SchülerInnen erhalten „offene“ Hausaufgabenthemen, die persönlich zu gestalten sind.

Die (überraschende) Feststellung der Lehrerin, dass SchülerInnen die Hausaufgaben anregend finden. Die inhaltliche und sprachliche Qualität der Arbeiten nimmt zu.

In „kritischen“ Situationen (d.h. wenn Verständnisschwierigkeiten auftauchen) legt sie eine Atempause ein, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.

Das Bewusstsein, auf Verständnisprobleme souveräner und gelassener zu reagieren. Verständlichere Erklärungen für die Studierenden.

Die alternative Form der Leistungsüberprüfung wird in der 5. bis 7. Schulstufe versuchsweise umgesetzt und mittels unterschiedlicher Methoden (vor allem Interviews und SWOT-Analysen) evaluiert.

Vorschlag zur Einführung eines Leistungsbeurteilungskonzepts an der Schule, der vom Schulforum angenommen wird.

Durchführung der Projekttage und Interviews sowie schriftliche Befragung der SchülerInnen und LehrerInnen vor und nach der Durchführung der Projekttage.

Positive Resonanz bei SchülerInnen und LehrerInnen, Vorschläge zur Modifikation des Konzepts und Entscheidung, im darauffolgenden Jahr die Projekttage zu wiederholen.

Schriftliche und mündliche Befragungen der Studierenden zum Verlauf der Lehrveranstaltung, Verwendung von Forschungstagebuch, Tonaufzeichnungen und Texten von Studierenden

Positive Rückmeldungen der Studierenden und Vorschläge zur Neukonzeption zukünftiger Lehrveranstaltungen

Abb. 26: Beispiele von Verbesserungen im Unterricht

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Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien

• Die Ziele und Werthaltungen, die erst erlauben, etwas als Verbesserung oder Fortschritt zu betrachten, können mehr oder weniger explizit sein. In Fall 1 (vgl. Abb. 26) liegt ein klar formuliertes Interesse der Lehrerin vor. Verbesserung heißt hier: „Ich bekomme, was ich mir wünsche“. In Fall 3 wird der Lehrerin ihr Interesse durch die für sie überraschende Entdeckung erst bewusst. Verbesserung heißt hier: „Mir gefällt das, was ich bekomme“. • Die Ziele und Werthaltungen, auf die die Lehrerin Wert legt, können sich im Laufe eines Forschungsprozesses verändern. In Fall 2 liegt zu Anfang ein explizites Interesse vor, das im Verlauf der Untersuchung in den Hintergrund tritt, weil bisher unbeachtete Werthaltungen plötzlich wichtig werden. • Manche Verbesserungen haben einen eher prozesshaften Charakter, manche eher einen produkthaften. In Fall 4 fühlt sich die Lehrerin beim Einlegen einer Atempause wohler und souveräner. In Fall 3 stehen eher die Ergebnisse der Handlungsstrategie, die höhere Qualität der Hausaufgaben und das Interesse der SchülerInnen, im Mittelpunkt. • Manche Verbesserungen beziehen sich in erster Linie auf die emotionale Situation von LehrerInnen oder SchülerInnen (wie in den Fällen 1 und 4); andere haben mehr „Erkenntnischarakter“ (Fall 2), wieder andere betreffen eher Leistungen (Fall 3). • Manche Verbesserungen umfassen neue Initiativen im eigenen Unterricht (z.B. die praktische Erprobung eines neuen fachdidaktischen Konzepts in einem Lehrerbildungskontext wie im Beispiel 7). Andere Neuerungen betreffen die gesamte Schule oder größere Bereiche davon (eine neue Form der Leistungsbeurteilung im Beispiel 5, die Neueinführung von Projekttagen in Beispiel 6). Die Mehrzahl der oben angeführten Verbesserungen sind nicht spektakulärer Art, sondern haben eher subtilen Charakter. U.E. ist diese geringe Auffälligkeit ein häufiges Merkmal von Verbesserungen im Unterricht: LehrerInnen und/oder SchülerInnen fühlen sich ein wenig wohler und/oder lernen ein wenig qualitätsvoller als zuvor. Was als Verbesserung angesehen wird, hängt auch davon ab, wer darüber urteilt. Was einer Lehrerin oder einem Lehrer als Verbesserung erscheint, muss den SchülerInnen noch nicht als Verbesserung erscheinen. Was von diesen als Verbesserung begrüßt wird, muss den Werthaltungen anderer Personen (z.B. bestimmter Interessengruppen) oder den in Vorschriften gegossenen Werten des Staates noch nicht entsprechen. Wir möchten vier Ebenen unterscheiden, um die Vielfalt der Kriterien, unter denen etwas als Verbesserung gesehen werden kann, deutlicher sichtbar zu machen. a) Die individuelle Ebene der forschenden Lehrperson Die Beispiele 1-4 und 7 aus Abb. 26 illustrieren diese Ebene. Einzelne LehrerInnen versuchen, eine ihnen bedeutsam erscheinende Situation durch Handlungsstrate-

Wie überprüfe ich den Erfolg der Handlungsstrategie?

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gien zu verbessern, wobei zunächst im Wesentlichen ihre persönlichen Werthaltungen bestimmen, worin die Verbesserung besteht. Neben diesen individuellen Interessen von forschenden LehrerInnen, Situationen, die sie nicht zufrieden stellen, zu verändern, besteht auch ein kollektives, gesellschaftliches Interesse daran, dass LehrerInnen unmittelbare Verantwortung für ihr Handeln und damit auch für dessen Weiterentwicklung übernehmen. b) Die Ebene der Betroffenen Aktionsforschung geht davon aus, dass eine tragfähige Gestaltung sozialer Praxis nur in Zusammenarbeit der von dieser Praxis Betroffenen geschehen kann. Dafür gibt es sowohl ethische, theoretische als auch pragmatische Gründe (vgl. Altrichter 2004). Aus ethischen Überlegungen (vgl. Kap. 5.2.3) folgt die Verpflichtung forschender LehrerInnen, sich mit den Betroffenen um eine gemeinsame Bewertung von Situationen zu bemühen, sie mit ihnen „auszuhandeln“. Aus theoretischen Gründen (vgl. z.B. die Reaktanztheorie; Gniech/Grabitz 1978) ist es zweckmäßig, die Betroffenen einzubeziehen, weil der Erfolg des Handelns in vielen Fällen auch von deren Bereitschaft zur Mitarbeit abhängt. Wer dabei jeweils als Betroffener gelten kann, ist vorweg nicht immer eindeutig und vollständig festlegbar. Sicher gehören jene dazu, mit denen in der erforschten Situation interagiert wird und auf die sich die Handlungsstrategien in erster Linie auswirken: in den meisten Fällen sind dies die Schülerinnen und Schüler. Andere Personen, z.B. Eltern oder KollegInnen, werden oft erst im Verlauf des Forschungsprozesses als ‚Betroffene‘ entdeckt: Bei einem Interview mit einer Schülerin brachte diese z.B. erst während des Gesprächs einen anderen Lehrer ins Spiel, der damit zum Betroffenen wurde. Auch für die mittelbar Betroffenen gelten der ethische Code und die Überlegung, dass, langfristig gesehen, auch ihr Wissen und Handeln zum Erfolg einer Handlungsstrategie beitragen. c) Die Ebene der professionellen Gemeinschaft Die Bewertung des Handelns ist nicht nur eine Angelegenheit des Handelnden und der unmittelbar und mittelbar Betroffenen, sondern betrifft auch die Lehrkräfte als Berufsgruppe insgesamt (vgl. auch Kap. 12.3). Ein Merkmal von Professionalität besteht darin, dass die Leistungen des Einzelnen im Urteil der FachkollegInnen „bestehen“ können. Damit ist die Auseinandersetzung mit dem Handeln der Lehrperson nicht mehr nur eine individuelle Sache, sondern auch eine der professionellen Gemeinschaft. Sie beginnt, wenn LehrerInnen beim Gespräch über das eigene Tun ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihre beruflichen Wertvorstellungen einbringen und dabei entfalten (vgl. Kap. 12.6). Wenn solche Gespräche über den engen Kreis einer Kollegenbeziehung hinausgehen, führen sie längerfristig zu einem gemeinsamen Bestand an Wissen und Wertvorstellungen, der die Angehörigen einer Berufsgruppe miteinander verbindet und von anderen Gruppen unterscheidet.

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Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien

Diese professionelle Dimension zeigt sich im Bewusstsein, dass LehrerInnen als Berufsgruppe in der Gesellschaft die Verantwortung für einen Aufgabenbereich übernommen haben. Diese professionelle Verantwortung erfordert sowohl Kompetenz als auch eine „Berufsethik“ (d.h. ein reflektiertes Bewusstsein pädagogischer Zielsetzungen und die Bereitschaft, die mit der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung verbundenen Aufgaben eigenständig zu erfüllen und die Spielräume, die dafür beansprucht werden, zu rechtfertigen). Damit eine solche professionelle Gemeinschaft entsteht, ist Solidarität nach außen und Kritik nach innen, d.h. eine kontinuierliche berufsinterne Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln und den handlungsleitenden Theorien und Werthaltungen erforderlich, um diese guten Gewissens nach außen vertreten zu können. Beides ist derzeit oft erst in Ansätzen vorhanden. Je schwächer diese entwickelt sind, desto stärker wird von anderen gesellschaftlichen Interessengruppen vorgegeben, was LehrerInnen zu tun haben. d) Die Ebene der Öffentlichkeit Mit „Öffentlichkeit“ bezeichnen wir das Insgesamt der gesellschaftlichen Gruppierungen und Interessengruppen. Die Vielfalt an Interessen, die mit der Schule verbunden werden, spiegelt sich einerseits in der rechtlichen Normierung durch Gesetze, Verordnungen und Erlässe und in der speziellen Organisationsstruktur der Schule, andererseits aber auch und nicht weniger spürbar in den Äußerungen und Interventionen der Interessengruppen, wobei vor allem die Medien eine gewichtige Rolle spielen. Was als Verbesserung gilt, ist nicht zuletzt Ergebnis der Auseinandersetzung zwischen den vier Ebenen, die sich teilweise überschneiden, von denen aber jede eine gewisse Legitimität ihrer Einflussnahme für sich beanspruchen kann. Wir glauben allerdings, • dass wegen der Komplexität der Unterrichts- und Erziehungsprozesse Spielräume für die Lehrertätigkeit nötig sind, die wiederum ein hohes Maß an Wissen, Entdeckungsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein erfordern, • dass dazu eine intensive berufsinterne Kommunikation und Auseinandersetzung nötig ist, die sowohl die Interessen der Lernenden als auch allgemeinere gesellschaftliche Interessen berücksichtigt, • dass dieser dynamische Prozess der Selbstvergewisserung und kontinuierlichen Entwicklung von einer professionellen Gemeinschaft getragen werden sollte. Die gesellschaftlichen Interessengruppen und der Staat sollten diesen Prozess herausfordern und stützen. Sie sollten ihn aber nicht durch eine Vielzahl von Einschränkungen ersetzen. Sie lösen damit zwar kurzfristig einige Probleme (z.B. Missstände an Schulen). Langfristig verhindern sie dadurch aber die Entwicklung der

Wie überprüfe ich den Erfolg der Handlungsstrategie?

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Schule zu einer Institution, die produktiv auf die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung antworten kann. Entscheidungen darüber, was als Verbesserung, als Erfolg oder Misserfolg angesehen werden kann, sind Urteile über komplexe Situationen, die in einem vielschichtigen sozialen Prozess zustande kommen. Nicht zuletzt deshalb ist es nur selten möglich, in uneingeschränktem Sinn von Erfolg oder Misserfolg zu sprechen. Nur wenn man nicht genau genug hinsieht, werden je Erfolge auftreten, die nicht auch negative Nebenwirkungen haben, oder Misserfolge, in denen nicht auch Ansätze von Stärken und positiven Entwicklungen stecken. Dieser Sachverhalt sollte einerseits Mut geben, auch dann an der Weiterentwicklung der beruflichen Situation zu arbeiten, wenn die Erfolge nur gering erscheinen; andererseits sollte er zur Vorsicht und Skepsis mahnen, wenn über großartige Verbesserungen berichtet wird. Aktionsforschung ist eine „Kunst des Möglichen“, die nicht auf einen vordefinierten Idealzustand abzielt, sondern hilft, die in einer Situation liegenden Möglichkeiten zu erkennen und Handlungsstrategien zu realisieren, die den zum jeweiligen Zeitpunkt verfügbaren Wertvorstellungen in höherem Maße entsprechen als frühere. Damit wird der zyklische Charakter von Aktionsforschung angesprochen. Die Erprobung von Handlungsstrategien mündet in das alltägliche praktische Handeln, in eine neue „Ausgangssituation“ für Reflexion und damit vielleicht in einen neuen Zyklus der Forschung und Entwicklung. Für die Untersuchung der „neuen Ausgangssituation“, die durch die Erprobung der Handlungsstrategien entstanden ist, sind daher die Hinweise in Kap. 4 von Bedeutung. Diese neue Ausgangssituation wird oft neue Fragen enthalten, auch wenn diese manchmal nur dadurch entstehen, dass eine Verbesserung das Anspruchsniveau hebt und dadurch weitere Entwicklungsmöglichkeiten erkennen lässt. Eine neue „Schleife“ in der Spirale beruflicher Entfaltung ist erreicht.

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8 Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

Den Abschluss eines Aktionsforschungsprozesses bildet die Darstellung der Erfahrungen und Ergebnisse sowie deren Mitteilung an interessierte Personen, wie BerufskollegInnen, SchülerInnen, Eltern, Schulbehörde usw. In diesem Kapitel soll zunächst begründet werden, warum die Kommunikation der eigenen Erfahrungen an andere eine wichtige Phase von Aktionsforschung ist. Sodann werden mögliche Formen der Darstellung eigener Forschungsergebnisse und mögliche AdressatInnen dafür besprochen. Abschließend werden einige Gedanken und Vorschläge zur gebräuchlichsten Darstellungsform, nämlich zum schriftlichen Bericht, formuliert.

8.1 Welchen Sinn hat die Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen? Haben Sie sich auch schon gewundert, dass pädagogische Bücher immer von Leuten geschrieben werden, die noch nie oder schon lang nicht mehr unterrichtet haben? Geht es Ihnen auch so, dass Sie bei Lehrerfortbildungskursen immer wieder Ideen von KollegInnen hören, die für Sie interessant und hilfreich sind und von denen Sie sich wünschen, sie schon früher gekannt zu haben? Im Lehrberuf gibt es keine Tradition der Darstellung und Kommunikation des beruflichen Wissens, der eigenen Erfahrung und des eigenen Nachdenkens nach außen. Dies ist unseres Erachtens ausgesprochen abträglich für die Reflexion über berufliche Praxis, für den professionellen Status von LehrerInnen und damit in letzter Konsequenz für die Qualität der Bildungspraxis. Wir werden im Folgenden zwar nur für die Darstellung und Kommunikation von Wissen, das durch Aktionsforschungsprozesse erarbeitet wurde, sprechen, doch meinen wir, dass die vorgebrachten Behauptungen auch für Erfahrungswissen von LehrerInnen gelten, das auf andere Weise erarbeitet wurde. Lassen Sie uns die Argumente im Einzelnen ausführen: a) Darstellung und Kommunikation schützt Lehrerwissen vor dem Vergessenwerden „Auf dem kurzen Weg zwischen Klassenraum und Lehrerzimmer destruiert der ‚normale‘ Lehrer unablässig seinen wertvollsten Besitz, seine Erfahrungen“ (Gürge 1979, 46).

Welchen Sinn hat die Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen?

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Dieses Zitat aus dem Tagebuch eines Lehrers verdeutlicht auf drastische Weise die Geringschätzung, die viele Lehrpersonen ihrer eigenen Erfahrung und ihrem in beruflicher Praxis erarbeiteten Wissen entgegenbringen. Die zentrale Zielsetzung von Aktionsforschung ist es, Lehrerinnen und Lehrern Zutrauen zum eigenen praktischen Wissen zu geben und ihnen für das Lernen aus ihrer Erfahrung und für die Weiterentwicklung ihres professionellen Wissens praktikable Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Die Aufbereitung eigenen Wissens erleichtert das Lernen aus der Erfahrung. Wer Erfahrung aufbereitet und mitteilt, • verringert individuelles Vergessen und verankert Erfahrung tiefer im Gedächtnis • verringert kollektives Vergessen und schafft die Voraussetzung, dass Erfahrung der Berufsgruppe erhalten bleibt und bearbeitbar wird. b) Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen erhöht die Qualität der Reflexion über die Praxis Die Aufbereitung eigenen Wissens erfordert Nachdenken, Ordnen der Gedanken, das Bemühen um Belege und bietet oft zusätzliche Einsichten. Lehrende lernen beim Lehren oft mehr als Lernende beim Lernen. Sein Wissen explizit zu kommunizieren, durch Schreiben, als Erzählung oder durch Lehrerfortbildung, ist Arbeit an der eigenen praktischen Theorie. Es ist auch Voraussetzung für Rückmeldung und Kritik und eröffnet die Möglichkeit, von anderen Personen Anregungen zu beziehen und das eigene Wissen weiterzuentwickeln. Es ist damit eine wichtige Maßnahme innerschulischer Qualitätssicherung und eine Voraussetzung für die Schulentwicklung. c) Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen ist für den professionellen Umgang mit SchülerInnen, Eltern und KollegInnen erforderlich LehrerInnen können sich nicht damit begnügen, eine Dienstleistung anzubieten, ohne sich darum zu kümmern, wie diese verstanden und aufgenommen wird. Die meisten Lehrerhandlungen, und erst recht innovative, bauen darauf, dass die Betroffenen mitmachen können und wollen. Dies erfordert aber eine verstehbare und überzeugende Mitteilung der Absichten. Indem die Aufbereitung eigenen Wissens dazu beiträgt, eine professionelle Sprache zu entwickeln und zu pflegen, leistet sie indirekt auch einen Beitrag zur Verbesserung der Kommunikation mit SchülerInnen, Eltern und KollegInnen. Professionelle Kommunikation • verbreitet Wissen über die Bedingungen des Lehrens und Lernens und macht die GesprächspartnerInnen dadurch fähiger, selbst einen konstruktiven Beitrag zu leisten. • fördert ihre Bereitschaft zur Mitarbeit: Betroffene (SchülerInnen, Eltern) werden als PartnerInnen ernst genommen, was die Chance erhöht, dass sie ebenfalls Verantwortung übernehmen. • erleichtert der Berufsgruppe, einen aktiven Beitrag zur Heranbildung beruflichen Nachwuchses zu leisten. BetreuungslehrerInnen sollten z.B. LehrerIn-

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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen nen sein, die fähig und bereit sind, als „reflektierende PraktikerInnen“ ihr Wissen einer kritischen Anfrage auszusetzen und auf Grund von Erfahrungen weiterzuentwickeln. Dazu gehört die Fähigkeit, über die eigene praktische Theorie auf differenzierte Weise zu kommunizieren (vgl. Schön 1983; Altrichter/Fichten 2005; Altrichter/Wimmer 2014). In diesem Sinn ist Schreiben ein essentielles Merkmal professioneller Tätigkeit.

d) Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen stärkt das berufliche Selbstbewusstsein Die Aufbereitung eigenen Wissens schafft Zutrauen zur eigenen Tätigkeit und verhindert geistiges Stehenbleiben. Dadurch bauen Lehrkräfte an einer gemeinsamen professionellen Wissensgrundlage; sie hinterlassen dadurch professionelle Spuren, die ihnen und anderen zugutekommen und die LehrerInnen miteinander verbinden (Elliott 1985). Sein berufliches Wissen zu kommunizieren trägt zur Überwindung der beruflichen Isolation bei und ist ein wesentlicher Beitrag zur Hebung des beruflichen Selbstbewusstseins. e) Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen verbessert das gesellschaftliche Ansehen Die Selbsteinschätzung der LehrerInnen ist üblicherweise um einiges schlechter als die Fremdeinschätzung. Dies ist ein starkes Indiz für das relativ geringe Selbstbewusstsein der Berufsgruppe. U.E. besteht ein Zusammenhang zwischen der niedrigen Selbsteinschätzung von LehrerInnen und ihrer geringen Präsenz bei der öffentlichen Diskussion über inhaltliche Fragen des Bildungswesens auf der einen Seite und ihrer Selbstbeschränkung auf das Wirken im Klassenzimmer andererseits. Wenn LehrerInnen sich am Aufbau einer berufsspezifischen Wissensbasis beteiligen, erhalten sie die Möglichkeit zur aktiven Mitgestaltung der öffentlichen Diskussion über Bildungsfragen und zur verständlichen und nachvollziehbaren Darstellung der Leistungen, die an Schulen erbracht werden. Sie werden dadurch weniger von der Medienberichterstattung abhängig, weil sie das Lehrerbild in der Gesellschaft mitgestalten können. Dies wird nicht nur zur Verbesserung der subjektiven Selbstwahrnehmung der LehrerInnen beitragen, sondern auch ihre Expertise in Schul- und Unterrichtsfragen öffentlich zur Geltung bringen. f) Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen erweitert die berufliche Autonomie Die rechtliche Autonomie von Lehrpersonen ist relativ gering, die faktische Autonomie hingegen relativ groß. Das schafft Unsicherheit. Viele fühlen sich ohnmächtig, oft ohne dass es dafür entsprechend handfeste Gründe gibt. Wenn LehrerInnen sich in der berufsinternen und öffentlichen Diskussion engagieren, dabei professionelle Kompetenz demonstrieren, schaffen sie eine Voraussetzung dafür, dass berufliche Spielräume auch öffentliche Anerkennung erhalten, weil das Vertrauen in ihre Kompetenz gestärkt wird.

Grundfragen bei der Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

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Es kann auf diese Weise gezeigt werden, dass LehrerInnen zur Selbstkontrolle der Qualität ihrer Arbeit bereit und fähig sind und dass direkte staatliche Kontrolle oder misstrauische Einschränkung der beruflichen Spielräume nicht erforderlich ist. All das ist ohne intensive Kommunikation über die Wissensgrundlagen des eigenen Tuns nicht vorstellbar. g) Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen ermöglicht begründete bildungspolitische Einflussnahme Eigene Erfahrungen aufzubereiten und mitzuteilen, macht den KommunikationspartnerInnen klar, wo man steht und dass man gute Gründe dafür hat. Ohne die Bedeutung rationaler Argumente in der öffentlichen Diskussion überschätzen zu wollen, meinen wir doch, dass sich die Position von LehrerInnen in der bildungspolitischen Debatte verbessern würde, wenn sie kontinuierlich mit gut gestützten Erfahrungsberichten über professionelle Probleme präsent wären.

8.2 Die drei Grundfragen bei der Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen: Was, wie, an wen? Auf welche Weise kann die Kommunikation von Lehrerwissen geschehen? Bei der Wahl des Darstellungs- und Kommunikationsmodus kann die Abwägung der folgenden Gesichtspunkte dienlich sein (vgl. Abb. 27): • Was: Welcher Inhalt (Ergebnisse, Erfahrungen, Handlungsstrategien usw.) soll dargestellt und kommuniziert werden? • An wen: An welche AdressatInnen soll sich die Kommunikation wenden? • Wie: In welcher Darstellungsform soll die Kommunikation erfolgen? Bisher war der „Inhalt“ im Mittelpunkt unserer Darstellung. Im Folgenden beschränken wir uns auf die beiden letztgenannten Fragen. Was? Inhalt

Wie? Form

An wen? AdressatInnen

Abb. 27: Drei Grundfragen bei der Kommunikation von Lehrerwissen

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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

8.2.1 Mögliche AdressatInnen von Aktionsforschung LehrerInnen unterschätzen im Allgemeinen die Interessantheit ihrer Erfahrungen und sehen daher nur einen sehr eingeschränkten Kreis potentieller AdressatInnen. Um hier den Blick zu weiten, machen wir in Aktionsforschungskursen folgende Übung, die wir auch Ihnen vorschlagen (Die Ergebnisse, die die TeilnehmerInnen eines Kurses produzierten, werden anschließend zum Vergleich mitgeteilt): Übung: AdressatInnen von Aktionsforschungsberichten Sie haben sich nun einige Zeit mit einer Frage aus Ihrer beruflichen Praxis beschäftigt und dabei bestimmte Erfahrungen gemacht und einige Einsichten formuliert: Für wen könnten Ihre Forschungserfahrungen und -ergebnisse interessant sein? ______________________________________________________________ ______________________________________________________________



Vergleichen Sie nun weiter unten die Antworten auf diese Übung von TeilnehmerInnen eines Aktionsforschungskurses! Welche potentiellen AdressatInnen haben Sie nicht in Betracht gezogen? Liegt das am speziellen Inhalt Ihres Forschungsvorhabens, an spezifischen oder weise beschränkten Kommunikationsabsichten oder sind Ihnen bestimmte AdressatInnen schlicht nicht in den Sinn gekommen? Können Sie bei sich eine bestimmte Tendenz beim „Vergessen potentieller AdressatInnen“ feststellen z.B. alles, was sich an „Öffentlichkeit“ außerhalb der Schultore befindet, oder die SchülerInnen? Kommen die „vergessenen AdressatInnen“ wirklich nicht in Frage oder sind sie nur ungewohnt als mögliche AnsprechpartnerInnen? Antworten auf die Übung: AdressatInnen von Aktionsforschungsberichten Ich selbst, LehrerkollegInnen der eigenen Schule oder anderer Schulen oder in Fortbildungskursen, SchülerInnen, Eltern, DirektorIn, Schulaufsicht, WissenschaftlerIn, BeurteilerIn des Kurses, in dem wir uns gerade befinden, Medien, „Öffentlichkeit“.



8.2.2 Formen der Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen Oft wären ein und dieselben Ergebnisse für mehrere Adressatengruppen interessant, doch ist nicht für alle die gleiche Darstellungsform angemessen. Beispielsweise könnte man die „Öffentlichkeit“ über eine interessante Form des Projektunterrichtes, der an der Schule erprobt wurde, durch einen Leserbrief oder durch einen Kurzartikel in der regionalen Zeitung informieren. Für LehrerkollegInnen, die sich auf ein ähnliches Vorhaben einlassen wollen, wird jedoch ein Leserbrief zu knapp und erfahrungsarm sein. Werfen wir daher einen Blick auf unterschiedliche Darstellungsformen, die uns zur Verfügung stehen. (1) Die Einbindung anderer Personen in den Forschungsprozess Wenn andere Personen in den Forschungsprozess einbezogen und um Mitarbeit gebeten werden, so müssen ihnen die Forschungsintentionen ebenso wie bisherige

Grundfragen bei der Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

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Ergebnisse und Erfahrungen mitgeteilt werden, sonst könnten sie ja nicht sinnvoll tätig werden. a) Die Einbindung der SchülerInnen Baker et al. (1986) untersuchten die Auswirkungen von Gruppenarbeit bei „besseren“ und „schlechteren“ SchülerInnen. Zur Datengewinnung verwendeten sie eine Videokamera. Die Aufzeichnungen wurden mit beiden Schülergruppen besprochen. Einige Resultate aus der Sicht der LehrerInnen: • das Selbstvertrauen der schwächeren SchülerInnen nahm zu, • die Wahrnehmung einzelner SchülerInnen, dass sie keine Fragen stellten, änderte ihr Frageverhalten, • die LehrerInnen stellten fest, dass sie die besseren SchülerInnen bevorzugt betreuten. Die ersten beiden Ergebnisse wären vermutlich ohne die Einbindung der SchülerInnen in den Forschungsprozess nicht erzielt worden. b) Die Einbindung von „kritischen Freunden“ Wenn wir von LehrerInnen eingeladen werden, sie bei der Datensammlung für ein Unterrichtsvorhaben zu unterstützen, so spielt sich u.a. Folgendes ab: In einem Gespräch zu Beginn des Vorhabens erläutern sie ihre jeweilige Fragestellung und ihre bisherigen Überlegungen. Danach werden Ideen für sinnvolle erste Forschungsschritte entwickelt. Dabei wird üblicherweise nicht nur von außen kommenden „kritischen FreundInnen“ klarer, worum es den betreffenden LehrerInnen geht, sondern auch diesen selbst. Als „kritische FreundInnen“ und GesprächspartnerInnen von forschenden LehrerInnen haben sich auch – obwohl das vielleicht auf den ersten Blick manchem befremdlich erscheinen wird – LehrerstudentInnen und Lehrpersonen in der zweiten Phase der Ausbildung (Referendariat, Unterrichtspraktikum) bewährt, wenn die Zusammenarbeit sinnvoll vorbereitet wurde und in entlasteter Atmosphäre geschehen konnte (vgl. Wilhelmer 1989; Fichten et al. 2003). c) Kooperative Forschung Von kooperativer Forschung sprechen wir, wenn mehrere Lehrkräfte (aus einer oder mehreren Schulen) bei der Untersuchung einer oder mehrerer Fragestellungen zusammenarbeiten und dabei einander ihre Erfahrungen und Ergebnisse zur Diskussion stellen und wechselseitig kommentieren. Im Projekt „Forschendes Lernen in der Lehrerbildung“ (vgl. Altrichter 1987) konnte beispielsweise gezeigt werden, dass LehrerInnen, die in Dreiergruppen einen periodischen Erfahrungsaustausch pflegen und ihre Forschungsergebnisse und -probleme offen diskutieren, nur wenig Unterstützung durch externe ExpertInnen benötigen.

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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

(2) Besuchtwerden und Auskunftgeben In einer amerikanischen Studie wurden mehrere Methoden zur Verbreitung von Unterrichtsideen und Handlungsstrategien verglichen. Die mit Abstand wirksamste Methode bestand darin, interessierten LehrerInnen unmittelbaren Zugang zu KollegInnen zu ermöglichen, die an der Durchführung und Untersuchung von Innovationen in ihrem Unterricht arbeiteten (Glaser et al. 1966). Keine andere Form von Öffentlichkeit (abgesehen von der direkten Mitarbeit an Innovationen) eröffnet einen so ganzheitlichen Eindruck vom Denken und Handeln von LehrerInnen wie die vorübergehende Teilnahme an deren Unterricht und Gespräche über ihre Erfahrungen. (3) Kollegiale Lehrerfortbildung Verschiedene Formen kollegialer Fortbildung von LehrerInnen haben wir in Altrichter et al. (2006, 268ff) ausführlicher vorgestellt: An einer Schule untersuchte eine Gruppe von LehrerInnen Konflikte zwischen SchülerInnen unterschiedlicher ethnischer Gruppen und präsentierte die Ergebnisse bei einer von der Schule organisierten Veranstaltung vor LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern (vgl. Kap. 9.1).



In diesem Beispiel einer „reflektierenden Schule“ sind die forschenden LehrerInnen denn auch bald dazu übergegangen, ihre Ergebnisse den KollegInnen in seminaristischen oder werkstattartigen schulinternen Lehrerfortbildungskursen mitzuteilen. Lehrpersonen, die ihren Unterricht in der Art „reflektierender PraktikerInnen“ untersuchen und sich Kompetenzen in der Darstellung und Kommunikation des dabei erarbeiteten Wissens erwerben, eignen sich dadurch auch Qualifikationen an, die für LehrerfortbildnerInnen zentral sind. Programme wie „LehrerInnen berichten aus der Praxis“ (Posch 1996), „Pädagogik und Fachdidaktik für LehrerInnen“ (Krainer/Posch 1996b; Altrichter 2010) bieten Rahmenbedingungen für forschende LehrerInnen, die eigenen Erfahrungen für KollegInnen fruchtbar zu machen. Weitere Schritte sind ‚Rufmodule‘, mit denen einzelne LehrerInnen reflektierte Erfahrungen in bestimmten Bereichen auch anderen Schulen zur Verfügung stellen (vgl. Messner/Krall 1998). (4) Graphische Präsentationsformen Manchmal können Forschungserfahrungen auch graphisch als Diagramm, Tabelle, Karikatur usw. aufbereitet werden. Wenn es gelingt, ein überraschendes oder provozierendes Ergebnis auf diese Weise darzustellen, so bietet gerade die kurze Form eine gute Chance, dass die Mitteilung (z.B. am schwarzen Brett des Lehrerzimmers) wahr- und vielleicht sogar zum Gesprächsanlass genommen wird.

Grundfragen bei der Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

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(5) Audiovisuelle Präsentationsformen Noch wenig bekannt als Medien zur Verbreitung von Lehrerwissen und auf ihre Auswirkungen kaum untersucht, sind Fotos, Filme (Internet, DVD), Tonbildschauen und Tondokumente über Forschungsprozesse (vgl. die Beispiele in Reusser/Pauli 2003; Jungwirth/Stadler 200441). Für die Kommunikation mit SchülerInnen und Eltern können audiovisuelle Präsentationsformen wertvolle und anschauliche Ausgangspunkte für Gespräche bereitstellen. Für diesen Zweck wie für die Kommunikation mit BerufskollegInnen meinen wir, dass es für forschende LehrerInnen, die ja keine professionellen Medien herstellen müssen, ein vergebliches Streben wäre, „die Bilder (oder Tondokumente) für sich sprechen zu lassen“. Sinnvoller, als viel Mühe auf die Erstellung perfekter Medien zu verwenden, erscheint es, weniger perfekte Produkte in einen Gesprächsprozess mit den AdressatInnen einzubetten. Beispielsweise haben wir recht gute Erfahrungen bei der Präsentation neuer Unterrichtsformen mittels eines grob geschnittenen Videofilmes ohne Ton gemacht: Dieser wurde von einer an diesem Unterricht beteiligten Lehrerin „live“ kommentiert. Diese Lehrerin stand den ZuschauerInnen nach Ende der Videosequenz für weitere Gespräche zur Verfügung. (6) Ausstellung Eine Ausstellung über die eigene Unterrichtsarbeit vorzubereiten, erfordert die Reflexion und Aufbereitung von Erfahrungen mit einem Blick darauf, welchen AdressatInnen was mitgeteilt werden soll. Im Rahmen eines Fortbildungsprogrammes wurden LehrerInnen z.B. angeregt, zu Beginn des ersten Seminars Unterrichtserfahrungen auf Plakaten zu dokumentieren und einander vorzustellen (vgl. Altrichter/Posch 1998, 248f ). Auf diese Weise können auch Ergebnisse des Unterrichts und der schulischen Entwicklungsarbeit anderen SchülerInnen, Eltern und anderen stakeholder-Gruppen der Schule vorgestellt werden. (7) Praktische Handlung Eine Form, Forschungserfahrungen und -ergebnisse darzustellen und zu kommunizieren, besteht darin, sie in praktische Handlung umzusetzen. Das kann sich einesteils in der Konzeption und Realisierung von Handlungsstrategien ausdrücken, die, wie wir in Kap. 7 erläutert haben, eine konkrete Konsequenz aus der bis dahin gelaufenen Reflexion sein sollen. Andererseits kann Forschungserfahrung auch zu politischer Aktion in einem weiteren Sinn führen, wenn Strukturen, die durch die Forschung als hinderlich erkannt wurden, durch Engagement in der bildungspolitischen Diskussion verändert werden sollen. 41

http://www.timssvideo.com/timss-video-study

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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

(8) Internetbasierte Forschungsnetzwerke Für die überregionale Kommunikation unter forschenden LehrerInnen haben internetbasierte Forschungsnetzwerke eine große Bedeutung, weil sie einen schnellen Zugriff auf die Einsichten regional entfernter KollegInnen zu den unterschiedlichsten Fragen der Unterrichts- und Schulentwicklung erlauben und ermöglichen, eigene Projekte in der professional community weltweit sichtbar zu machen und zu diskutieren. Dazu einige Beispiele: • Collaborative Action Research Network (CARN): http://www.carn.org.uk/ Eine wichtige englischsprachige Website ist jene des Collaborative Action Research Network (CARN). CARN möchte nicht nur forschende LehrerInnen bei der Durchführung ihrer Projekte unterstützen, sondern zielt auch auf die theoretische und methodische Weiterentwicklung von Aktionsforschung. Auch werden regelmäßig Tagungen von LehrerforscherInnen veranstaltet. • TeacherResearch.net: http://www.teacherresearch.net/ Auch diese englischsprachige Website gibt Einblicke in Aktionsforschung im Rahmen der Lehrerbildung. • Action Research Communities for Language Teachers: http://www.ecml.at/ECML-Programme/Programme2016-2019/Professionallearningcommunities/tabid/1868/language/en-GB/Default.aspx Diese speziell für Sprachenlehrerinnen und -lehrer interessante Website findet sich auf der Homepage des „European Centre for Modern Languages of the Council of Europe“ (ECML). • Practitioner Research in Music Education (PRiME): https://easwebsite.wordpress.com/prime/ PriME, eine Special Focus Group der „European Association for Music in Schools“, wendet sich an MusikpädagogInnen und -didaktikerInnen, die ihre musikpädagogische Praxis auch durch Aktionsforschung untersuchen möchten. (9) Schriftliche Darstellung Schriftliche Darstellung von Lehrerwissen ist nur eine spezifische Form des Mitteilens von Erfahrungen. Wir haben auch einige Zweifel, ob sie für die Verbreitung von Lehrerwissen an KollegInnen in jedem Fall die geeignetste ist. Dessen ungeachtet wird gegenwärtig auf diese Weise am häufigsten (und am deutlichsten sichtbar) über Aktionsforschung berichtet. Dabei können schriftliche Mitteilungen (auch in digitaler Form) sehr unterschiedlichen Umfang und sehr verschiedenartige Form annehmen: von Leserbriefen in den regionalen Medien, Kurzmitteilungen am schwarzen Brett des Lehrerzimmers, Kurzartikeln in einer Lehrerzeitung bis zu längeren Berichten, die sich um eine umfassendere Darstellung der gewonnenen Einsichten bemühen. Wegen der gegenwärtig herausragenden Stellung von schriftlichen Berichten werden wir uns in einem eigenen Abschnitt mit einigen Gesichtspunkten ihrer Gestaltung beschäftigen.

Schriftliche Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

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8.3 Schriftliche Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen 8.3.1 Formen schriftlicher Berichte Die gebräuchlichsten Formen der schriftlichen Darstellung von Erfahrungen aus Aktionsforschungsprozessen sind Fallstudien und Übersichtsberichte. a) Fallstudien Fallstudien sind schriftliche Berichte, in denen PraktikerInnen über einen Fall ihrer Praxis Mitteilung machen: über ihre Fragestellung und deren Hintergrund, über den Prozess ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeit, über deren Ergebnisse wie über weiterführende Handlungsideen und offene Fragen42. Man kann nun die Informationen, die in Fallstudien mitgeteilt werden, nach unterschiedlichen Gesichtspunkten anordnen: (1) Anhand der Chronologie des Forschungsprozesses vorgehen: Die einfachste und sicherste Art eine Fallstudie zu schreiben, ist Schritt für Schritt die eigenen Erfahrungen und Ergebnisse in der Abfolge mitzuteilen, in der sie sich tatsächlich ereignet haben. Eine Hilfe für das Schreiben (ebenso wie für das spätere Lesen) ist es, den Ablauf der Forschungsschritte durch eine Graphik zu verdeutlichen (vgl. Abb. 28). Die chronologische Darstellungsform ist nicht immer die interessanteste, weil ja der gesamte Verlauf der Forschung ungeachtet ihrer Höhe- und Tiefpunkte mitgeteilt wird. Manchmal sind Zusammenhänge durch die zeitliche Anordnung der Argumente schwerer darstellbar. Außerdem verleitet die chronologische Darstellungsform gelegentlich dazu, sich auf bloße Beschreibung zu konzentrieren und zu zurückhaltend bei der Analyse und Interpretation zu sein.

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Die schriftliche Mitteilung von Ergebnissen in „Fallstudien“ ist eine Konsequenz der gesamten methodologischen Orientierung von Lehrerforschung. Terhart (1985, 285f ) kennzeichnet Fallstudien-Forschung im Gegensatz zu traditionellen empirischen Forschungsstrategien durch folgende Merkmale: Fallstudien richten sich auf einen Fall (traditionelle empirische Studien untersuchen viele Fälle). Diesen analysieren sie intensiv mit möglichst vielen unterschiedlichen Fragestellungen (vgl. auch Yin 2014; Flick 2004a, 253f; Horstkemper/Tillmann 2004, 300ff), während traditionelle empirische Forschung die vielen Fälle selektiv entsprechend einer vorab definierten Fragestellung untersucht (vgl. dazu auch Petermann/Hehl 1985).

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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen Lehrer

Beobachter

SchülerInnen

(1) hat eine Untersuchungs-/Erprobungsabsicht

VOR dem Unterricht

(2) führt ein Interview mit L: Präzisierung der Absicht als Fragen

L

WÄHREND des Unterrichts

(3) beobachtet den L anhand der Fragen

(4) interviewt vom L ausgewählte SchülerInnen anhand der Fragen

SSS

NACH dem Unterricht

(5) interviewt den L anhand der Fragen

L

(7) interpretiert diese Unterlage (v.a. Diskrepanzen) und entwickelt neue Handlungspläne

(6) fertigt eine Unterlage an, in der er die Lehrer-Sicht (5), die Schüler-Sicht (4) und die Beobachter-Sicht (3) zu den Fragen gegenüberstellt

SPÄTER

Abb. 28: Ablaufschema eines Forschungsprozesses

(2) Eine Studie von einer These her aufbauen: Manche forschende LehrerInnen stellen nicht den gesamten Forschungsprozess dar, sondern greifen aus ihm eine oder mehrere Thesen heraus, die sie für besonders mitteilenswert halten, und diskutieren diese ausführlicher. Das Schreiben einer Studie ist dann die Fortsetzung des Analyseprozesses, durch den die zentralen Thesen und die sie stützenden und illustrierenden Daten herauspräpariert wurden. Beispielsweise haben wir eine neu eingeführte universitäre Lehrveranstaltung über Aktionsforschung ausgewertet. Im Bericht darüber haben wir nur einige, für die Weiterentwicklung dieses Lehrveranstaltungstyps besonders interessante Themen herausgegriffen, dazu Thesen formuliert und diese anhand der Daten ausführlicher erörtert. Ein Beispiel für eine These dieser Studie ist:

Schriftliche Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

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• Ungleichzeitigkeit der Forschungsprozesse: Die Tatsache, dass sich einerseits die Forschungsprozesse der LehrveranstaltungsteilnehmerInnen verschieden rasch und methodisch unterschiedlich entwickeln (und es auch sollen), dass aber andererseits für eine sinnvolle Gruppenberatung eine gewisse Gleichzeitigkeit der Forschungsprozesse wünschenswert wäre, führt zu Abstimmungsproblemen in der Lehrveranstaltung.



Derartige thesenorientierte Darstellungen sind besonders für umfangreiche und komplexe Forschungsvorhaben geeignet. Sie entsprechen auch gut der Entwicklungsintention von forschenden LehrerInnen, die sich ja immer auf bestimmte Schwerpunkte richtet und meist nicht alles auf einmal verändern will. Allerdings wird für LeserInnen oft der „Lernweg“ nicht mehr so gut sichtbar. Auch sollte erklärt werden, warum bestimmte Themen für eine intensivere Analyse ausgewählt wurden und andere nicht. (3) Ein Phänomen von verschiedenen Seiten beleuchten: Bei dieser Darstellungsweise wird eine Szene, ein Phänomen oder ein kurzer Ausschnitt aus den Daten herausgegriffen – in der Erwartung, dass dieser „Erfahrungssplitter“ LeserInnen zu weiterführenden Gedanken anregen wird. In der anglo-amerikanischen qualitativen Evaluationsforschung sind sogenannte Porträts oder Vignetten beliebt. In ihnen wird ein Phänomen (z.B. wie eine bestimmte Lehrstrategie den SchülerInnen nahe gebracht wird) möglichst detailliert und mit möglichst wenig Analyse und Interpretation beschrieben. Die Idee dabei ist, dass sich LeserInnen anhand dieser Darstellung selbst ein Urteil über den beschriebenen Sachverhalt bilden können und nicht von den Einschätzungen der AutorInnen abhängig sind (vgl. Walker 1985, 164). Solche Texte können anregende Gesprächsanlässe abgeben. Sie sind aber immer auch analytisch, ohne dass dies in der Textgestaltung deutlich zum Ausdruck kommt (die AutorInnen versuchen ja ihre Darstellungsperspektive möglichst wenig wirken zu lassen). Dadurch wird es für LeserInnen schwerer, die Aussagen kritisch nachzuvollziehen. Wir haben mit einer Darstellungsform experimentiert, die von einer Szene aus dem Datenmaterial ausgeht und diese möglichst anschaulich beschreibt. Es wird jedoch nicht auf ihre Analyse verzichtet; sie wird vielmehr von verschiedenen analytischen Perspektiven her beleuchtet. Die Szenen bilden dabei einen Kristallisationspunkt, um den herum ein „Hof von Bedeutungen“ angelegt wird, der LeserInnen anregen soll, das besprochene Phänomen für ihre eigene Praxis durchzudenken. Beispielsweise haben wir in dem Aufsatz „Pausen – eine hochschuldidaktische Entdeckung“ nur zwei kurze Szenen einer Unterrichtsbeobachtung aus der Fülle des Materials einer längeren Untersuchung herausgegriffen und sie mit unterschiedlichem Material konfrontiert: Mit Definitionen aus pädagogischen Lexika, mit lerntheoretischen Erwägungen, mit eigenen Erfahrungen aus der Lehrerfortbildung und mit einer Geschichte aus Brechts „Me-ti“ (Altrichter 1984).



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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen Ein potentieller Nachteil dieser Darstellungsform ist, dass die Anregungsfunktion gegenüber der Absicht der exakten Mitteilung übergewichtig wird. Erfolgreich sind solche Phänomendarstellungen, wenn sie so anschaulich und anregend sind, dass LeserInnen sich tatsächlich für eine Zeitlang auf das Überdenken einer Sache einlassen.

(4) Die Forschungserfahrungen auf die Hauptaussagen kondensieren: Eine Alternative zu umfänglicheren Berichten stellt der Versuch dar, die Erfahrungen des Forschungsprozesses auf einige wenige Hauptaussagen zu „kondensieren“. Beispielsweise können LehrerInnen die Ergebnisse ihrer Forschungsbemühungen in einer gut gegliederten schriftlichen Kurzdarstellung zusammenfassen, die mit ein bis zwei Seiten knapp genug ist, um am Schwarzen Brett des Konferenzzimmers angeschlagen und von KollegInnen gelesen zu werden (vgl. Platten 1986, 12). Eine extreme Form der Reduzierung stellen Hypothesenlisten dar. Elliott (1976, 35ff) versuchte die wichtigsten Ergebnisse eines Aktionsforschungsprojektes auf ihren begrifflichen Kern zu reduzieren und als Hypothesen zu formulieren. Die „Kürze“ dieser Darstellungsformen bringt Vor- und Nachteile: Einerseits ist es gar nicht so einfach, längere Forschungsprozesse kurz und doch nicht undifferenziert darzustellen. Gelingt die „Anstrengung des Begriffes“, und kann man seine Hauptergebnisse in verständlicher Sprache und klar strukturiert wiedergeben, so ist allerdings eine wichtige Leistung vollbracht. Kondensierte Formen sind zwar kurz genug, um gelesen zu werden, aber oft zu „abgemagert“, um noch für die LeserInnen anschaulich zu sein. Außerdem werden beim Reduktionsprozess meist belegende Daten und weiterführende Vorschläge ausgeschieden, sodass die LeserInnen nicht mehr wissen, wie bestimmte Aussagen gestützt sind und was aus ihnen folgt. Im Endbericht eines Aktionsforschungsprojektes haben wir versucht, die Forschungserfahrungen auf die Hauptergebnisse zu „reduzieren“, jedoch die Nachteile des „Verzichts auf Belege“ und „mangelnder Anschaulichkeit“ zu vermeiden. Methode 38 in Kap. 6 hat diese Vorgangsweise vorgestellt. b) Übersichtsberichte Weitergehende Überlegungen sind nötig, wenn nicht bloß eine Einzelperson „ihren“ Fall darstellt, sondern ein Lehrerteam oder die Mitglieder eines Projekts einen Übersichtsbericht anfertigen wollen, der die übereinstimmenden und widersprechenden Ergebnisse aus verschiedenen Forschungsprozessen und verschiedenen Fällen zum Ausdruck bringen soll. Elliott (1984a) hat für diesen Zweck die folgende Vorgehensweise erprobt.

Schriftliche Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

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M 44 Cross Case Analysis: Ein Lehrerteam erstellt einen Übersichtsbericht Kontext: Nach achtzehn Monaten Projektarbeit hatten die beteiligten forschenden LehrerInnen etwa dreißig Fallstudien im Rahmen des Projektthemas „LehrerInnen-SchülerInnen-Interaktion, Qualität des Lernens und Leistungsbeurteilung“ fertig gestellt. Nun sollte ein Übersichtsbericht über übereinstimmende und widersprechende Ergebnisse in den verschiedenen Fallstudien (cross case analysis) angefertigt werden. Vorgehensweise: 1. Der Projektkoordinator las alle Fallstudien und erstellte eine Liste von „Themen“, die darin auftauchten. Ein solches Thema war z.B. „Wirkungen und Implikationen von Schülerangst, Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen, Interesse und Motivation auf die Qualität des Lernens“ (Ebbutt o.J., 17).

2. Sodann wurde eine dreitägige Tagung veranstaltet, bei der alle ProjektteilnehmerInnen mitwirkten. 3. Nach einer Diskussion der „Themenliste“, bei der einige Themen zusammengefasst und andere ausgeschieden wurden, bildeten sich arbeitsteilige Gruppen zu einzelnen dieser „Themen“. 4. Diese Gruppen lasen jeweils die für ihr Thema wichtigen Fallstudien. 5. Aufgrund der Leseerfahrungen und der dabei gemachten Notizen sollte jede Gruppe schließlich ein „kurzes analytisches Papier“ mit folgenden Inhalten erstellen: • Hypothesen, die übereinstimmende und widersprechende Resultate aus den Fallstudien in jeweils einem Satz formulierten; • Kommentare, die jede Hypothese erläuterten und Verweise auf belegende und illustrierende Stellen in den Fallstudien enthielten (vgl. die ähnliche Vorgangsweise in M 38). 6. Nach Ende der Tagung wurden diese „kurzen analytischen Papiere“ von einzelnen ProjektlehrerInnen zum Ausgangspunkt genommen, um Übersichtsberichte zum jeweiligen „Thema“ zu schreiben, die das von den ProjektteilnehmerInnen erarbeitete Wissen darstellen sollten. Diese Übersichtsberichte wurden in einem Buch gesammelt veröffentlicht (Ebbutt/Elliott 1985). „Das Buch und die darauf bezogenen Hypothesen repräsentieren den Beitrag der ProjektlehrerInnen zum Aufbau eines professionellen Wissensschatzes über die Praxis des Lehrens. Es wird, so hoffen wir, als Quelle von Einsichten und Strategien fungieren, die andere LehrerInnen untersuchen werden, wenn sie über ihre Lehrpraxis nachdenken“ (Elliott 1984a, 77).

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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

8.3.2 Gesichtspunkte für die Gestaltung schriftlicher Berichte Nehmen wir einmal an, Sie haben sich nach Überlegung des Inhalts und der potentiellen AdressatInnen für das Abfassen eines schriftlichen Berichtes entschieden. Sie stehen nun vor der Wie-Frage (vgl. Abb. 27): Wie die Sache angehen, welche Gesichtspunkte bei der Abfassung einer solchen Studie beachten? Nun ist es erfahrungsgemäß leider so, dass man dazu fast so viele unterschiedliche Auskünfte erhält, wie viele Leute man zu Rate zieht. Natürlich gibt es immer wieder Überschneidungen, die aber in vielen Fällen geringer sind, als man sich rationellerweise wünschen würde. Besonders misslich ist das für StudentInnen, deren Arbeiten ja von den jeweiligen AuftraggeberInnen beurteilt werden und die sich oft für jede neue Arbeit einem anderen Geschmack anpassen müssen. Was wir Ihnen im Folgenden mitteilen, sind unsere geschmacklichen Präferenzen. Gewiss werden wir sie begründen, doch glauben wir nicht, dass unsere Begründungen viel stichhaltiger sind als jene, die andere für ihre Präferenzen abgegeben. Wenn Sie in Hinblick auf die Beurteilung Ihrer schriftlichen Berichte nicht von externen Instanzen abhängig sind, so raten wir Ihnen, einen eigenen Gestaltungsstil, der Ihnen entspricht und für LeserInnen durchschaubar ist, zu entwickeln. Vielleicht ist es hilfreich für die Formulierung von eigenen Gesichtspunkten für das Verfassen von schriftlichen Berichten, wenn Sie die Kriterien, die Sie selbst an Texte stellen, formulieren, indem sie überlegen: Wie muss ein Text ausschauen, den ich gerne lese? Was hat mich bei den letzten beiden Texten, die ich gelesen habe, angesprochen und was nicht? Vielleicht ist aber auch für Sie die Auseinandersetzung mit fremden Geschmäckern, z.B. unserem, anregend. a) Ist die Darstellung durch Daten gestützt und nachvollziehbar? Ist die Argumentation sprachlich klar genug, dass sie von LeserInnen, die den spezifischen Fall nicht aus eigener Anschauung kennen, leicht verstanden werden kann? Werden Behauptungen argumentiert und glaubwürdige Belege aus den Daten angeboten? (In Kap. 8.4.3 werden einige konkrete Hinweise für das Schreiben gegeben. Für die hier gestellten Fragen könnten beispielsweise die Hinweise (6) Der „rote Faden“  – Hauptteil, (7) Einleitung, (8) Schluss, (10) Belegen, (11) Zitieren, (14) Gliedern von Bedeutung sein). b) Werden widersprechende Daten und alternative Interpretationen mitgeteilt? Werden nur Argumente und Belege für die eigene Meinung angeboten? Oder werden auch Widersprüche im Datenmaterial und andere mögliche Interpretationen klar gemacht? Werden mögliche Fehlerquellen diskutiert? Werden Vergleiche zu Erfahrungen anderer KollegInnen oder zu Ergebnissen aus der Literatur gezogen? Ist die Studie eher „anregend“ (Werden LeserInnen zum Nachdenken über ihre eigene Praxis angeregt?) oder „abschließend“ (Werden Ergebnisse bestimmt und nicht mehr bezweifelbar formuliert?)?

Schriftliche Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

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Wenn man eine Studie schreibt, dann wünscht man sich, klare Ergebnisse vorweisen zu können. Wenn man Handlungsstrategien erprobt, dann hofft man einen Erfolg berichten zu können. Forschenden LehrerInnen geht es da im Allgemeinen nicht anders als akademischen ForscherInnen. Vielleicht wirkt sich der Handlungs- und Erfolgsdruck, unter dem LehrerInnen besonders dann stehen, wenn sie Pioniere auf ihrem Gebiet im Kollegium sind, gelegentlich als eine starke Tendenz in Richtung „Eindeutigkeit und Erfolg“ aus. In solchen Situationen sollte man sich die Gefahr, sich selbst und andere durch „Eindeutigkeits- und Erfolgsmeldungen“ zu täuschen, vor Augen halten. Wenn die Kommunikation von Lehrerwissen auch der Selbstdarstellung der Person und der Profession dient, so sollte sie dieser Funktion nicht primär und ausschließlich gewidmet sein. Auch beim Berichten bleibt als vorherrschendes Ziel von Aktionsforschung bestehen, dass sie der Verbesserung der Praxis und der Reflexion über diese dienen soll. Für die Erreichung dieses Zielbereiches aber haben Diskrepanzen, Widersprüche und ungeglättete Stellen in den Berichten ihre Funktion. Sie stellen viel besser als glatte Erfolgsmeldungen Ausgangspunkte für das eigene Weiterlernen und jenes der LeserInnen dar (vgl. Kap. 3.1). c) Wird der Kontext, in dem die Forschung und ihre Ergebnisse stehen, klar gemacht? Werden die speziellen Merkmale der untersuchten Situation sowie die Rahmenbedingungen der Forschung dargestellt? Werden die eigenen Einschätzungen über die spezifischen Bedingungen und die Reichweite der erarbeiteten Einsichten mitgeteilt? Werden die eigenen Voreinstellungen transparent gemacht? Ergebnisse von Aktionsforschung können nicht auf neue Situationen 1:1 übertragen werden, sondern nur als mehr oder weniger begründete Hypothesen das Denken in neuen Situationen anregen (vgl. den schönen Satz von Stenhouse (1985, 42) „Forschung gebrauchen heißt selbst forschen“). Damit LeserInnen aber sinnvoll fremde Erfahrungen für ihren Kontext weiterdenken und zur Formulierung neuer Hypothesen verwenden können, müssen sie ein gewisses Bewusstsein der allgemeinen und spezifischen Merkmale des ursprünglichen Falles haben. d) Ist die sprachliche Gestaltung verständlich, anschaulich und ansprechend? Trägt die sprachliche und formale Gestaltung dazu bei, dass LeserInnen den Text gerne lesen oder müssen sie sich durchkämpfen? Ist er durchschaubar strukturiert? Ist die sprachliche Gestaltung anschaulich (vgl. Kap. 8.4.3)? Gibt es spannende und ansprechende Passagen? Werden Beispiele und sprachliche Bilder (vgl. M 37) verwendet? Werden anregende Ideen mitgeteilt? Leider sind Forschungstexte von ihren AutorInnen oft so verfasst, als geschähe Lesen als eine Art Buße für im Alltag zweifellos begangene Untaten. Vielfach sind eine Reihe überraschender Hürden und Torturen verborgen. LehrerInnen haben in der Regel nicht so viel Masochismus, um der Autorin oder dem Autor

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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen auf allen verschlungenen Pfaden zu folgen. Daher ist es für Berichte über Aktionsforschung, die sich an KollegInnen wenden, ausgesprochen wichtig, einige Mühe auf eine verständliche und ansprechende sprachliche und formale Gestaltung zu verwenden.

e) Ist die Darstellung ethisch vertretbar? Wurden die Tatsache der Veröffentlichung und ihre spezifischen Aussagen mit den Betroffenen ausgehandelt? Wurde die Rückmeldung der Betroffenen als Informationsquelle genutzt? Werden Mitteilungen, die auf der Basis der Vertraulichkeit gegeben wurden, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht? Ethische Überlegungen haben wir bereits in Kap. 5.2.3 angesprochen. Sie stellen sich am Endpunkt eines Aktionsforschungsprozesses, bei der Darstellung und Kommunikation des dabei erarbeiteten Wissens, noch einmal in aller Schärfe. f ) Enthält die Darstellung auch Analysen oder ist sie weitgehend beschreibend? Werden Interpretationen und Erklärungen für die dargestellten Phänomene formuliert? Werden beobachtete Merkmale in einen Zusammenhang gebracht? Werden Schlüsse für das Handeln gezogen? Werden weitere Forschungsfragen aufgezeigt? Gerade beim Schreiben seiner ersten schriftlichen Berichte ist man oft zu zurückhaltend bei der Formulierung von Analyseergebnissen und Interpretationen, weil man das Risiko des Irrtums möglichst gering halten will. Dagegen ist aber zu sagen, dass es der Aktionsforschung ja darum geht, das Schul- und Unterrichtsgeschehen besser zu verstehen, um das Handeln in der Praxis weiterzuentwickeln. Dies ist nun einmal nicht ohne spezifische Erklärungen, ohne „praktische Theorien“ möglich. Insofern sollten durchaus auch gewagte Interpretationen und Schlussfolgerungen vorgetragen werden, wenn sie plausibel und für das eigene Handeln relevant erscheinen. Das Risiko des Irrtums ist glücklicherweise meistens von der Chance des Weiterlernens begleitet.

8.4 Das Schreiben 8.4.1 Warum ist Schreiben so schwer? „Hindernisse für forschende LehrerInnen waren erstens die Schwierigkeit des Schreibens über die eigene Praxis und zweitens die Vorbehalte der LehrerInnen, ob sie irgendetwas Lohnendes zu sagen hätten. Viele LehrerInnen haben seit ihrer Ausbildungszeit keine längeren Texte mehr geschrieben, sodass das Bewusstsein ihrer Schreibfähigkeit wieder aufgebaut werden muss. LehrerInnen scheinen auch sehr skeptisch hinsichtlich der Fähigkeit ihrer KollegInnen zu sein, wichtige Aussagen über ihre Profession zu machen“ (Wakeman 1986b, 90).

Warum ist Schreiben so schwer?

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Auch wir machen immer wieder die Erfahrung, dass LehrerInnen, die den Forschungsprozess selbst durchaus als lohnend erlebt haben, vor dem Aufschreiben ihrer Erfahrungen zurückscheuen und seinen Sinn nicht einzusehen vermögen. Einige Gründe für dieses oft gebrochene Verhältnis von LehrerInnen zum Schreiben sollen im Folgenden angeführt und gleichzeitig zu einem Plädoyer für das Schreiben genutzt werden. a) Schreiben ist schwer. Oft merkt man beim Verfassen eines schriftlichen Berichtes, dass man Gedanken, die beim Nachdenken oder in einem Gespräch schon klar und begründbar erschienen, nicht zu Papier bringen kann, weil man Lücken in der Argumentation entdeckt, weil manche Begriffe doch zu unscharf sind, weil neue Zusammenhänge auffallen usw. Schreiben bedeutet eben nicht bloß das Mitteilen von schon fertigen Analyseergebnissen, sondern ist selbst Analyse. Es ist Weitertreiben alltäglicher Analyse unter verschärften Bedingungen, weil man den Gedanken, die in uns arbeiten, eine Gestalt geben muss. Diese liegen dann bei aller Beteuerung der Vorläufigkeit als „unser Produkt“ materiell vor und können von anderen geprüft werden. Gerade diese Schwierigkeiten sind jedoch das Symptom dafür, dass wir unseren Forschungserfahrungen durch schriftliche Formulierung eine neue Qualität der reflexiven Durchdringung verleihen. b) Wie auch im obigen Zitat ausgedrückt, ist die Distanz vieler forschender LehrerInnen zum Schreiben ein Ausdruck ihrer geringen Wertschätzung eigenen Erfahrungswissens und damit Ausdruck mangelnden individuellen und kollektiven professionellen Selbstbewusstseins. Viele LehrerInnen glauben, dass ihre täglichen Erfahrungen und das Wissen, das sie sich bei ihrer Berufstätigkeit erarbeiten, für niemand anderen als für sie selbst wichtig sein könnten. Sie sind dann regelmäßig überrascht, wenn sie bei Praktikerforschungsprojekten und -tagungen auf großes Interesse bei KollegInnen stoßen. In der Aktionsforschung wird viel Mühe auf die Förderung der auch schriftlichen Verbreitung von Lehrerwissen gelegt, weil ein wichtiges Ziel gerade darin besteht, das professionelle Selbstbewusstsein der Lehrerschaft zu stärken sowie Lehrerfortbildung und praxisbezogene Forschung und Entwicklung nicht vollständig einer professionsexternen Expertenschicht zu überlassen. c) Ein Teil der Distanz zum Schreiben rührt daher, dass Lehrpersonen die Fähigkeit zum Verfassen längerer Texte sicher zum Erstaunen für manchen Außenstehenden im Berufsalltag nicht brauchen und daher nicht üben. Dies hängt wohl damit zusammen, dass es für die Karriere im Lehrberuf im Allgemeinen völlig unerheblich ist, ob man seine Berufstätigkeit untersucht und schriftliche Studien darüber veröffentlicht oder nicht. Auch sind die räumlichen und zeitlichen Arbeitsbedingungen in der Regel einer tiefer gehenden Reflexion der eigenen Tätigkeit und ihrer schriftlichen Formulierung nicht förderlich. Lehrerzimmer sind oft eher ablenkungsreiche Wartesäle als Orte, wo längerfristiges konzentriertes Arbeiten möglich ist. Wenn die Analysen von Stenhouse (1975)

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und Schön (1983) stimmen und der professionelle Status von Berufstätigen mit ihrer Fähigkeit, ihre Praxis zu reflektieren, weiterzuentwickeln und dies in der Öffentlichkeit auch sichtbar zu machen, zusammenhängt, dann wäre es Aufgabe der Berufsorganisationen, auf eine Berücksichtigung derartiger professioneller Qualifikationen bei Ausbildung und Aufstieg sowie auf die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen in der Arbeitsgestaltung (z.B. Zeit für Reflexion in der Wochenarbeitszeit, Gelegenheit zum Austausch von Erfahrungen) hinzuarbeiten. Im Rahmen von Aktionsforschungsprojekten wird schon jetzt versucht, LehrerInnen günstigere Rahmenbedingungen für die Reflexion ihrer Berufstätigkeit (z.B. Organisation von Aussprachegruppen, Beratung und Hilfestellung durch „kritische FreundInnen“, Bereitstellung praktikabler Forschungsinstrumente) zur Verfügung zu stellen. d) Ein Teil der Distanz zum Schreiben ergibt sich wohl auch daraus, dass es fraglich ist, ob diese traditionelle Form wissenschaftlicher Mitteilung auch in jedem Fall die sinnvollste Art der Verbreitung von Lehrerwissen innerhalb der Profession ist. Wir teilen diese Skepsis, meinen aber, dass forschende LehrerInnen, solange nicht überzeugende Alternativen gefunden sind, auch diese Form der Mitteilung üben sollten. Alles läuft darauf hinaus, nach Wegen zu suchen, uns das schwierige Geschäft des Schreibens leichter zu machen und unsere Schreibfertigkeiten weiterzuentwickeln. Dazu wollen die folgenden Anregungen beitragen. 8.4.2 Vorschule des Schreibens Wenn in Projekten, Fortbildungskursen und Lehrveranstaltungen Zeit dafür vorgesehen ist, die Problematik des Schreibens anzusprechen, so könnten folgende Fragen und Übungen zu einem positiven Einstieg beitragen: M 45 Was heißt Schreiben für Sie? 1. In dieser Übung soll in Einzelarbeit (ca. 15 Min.) ein kurzer Text verfasst werden, der folgende Fragen behandelt: • Wenn Sie zurückdenken, auf welches der von Ihnen jemals verfassten Schriftstücke sind Sie besonders stolz? Warum? • Was war das letzte Schriftstück, das Sie geschrieben haben? Welche Art von Schriftstücken haben Sie im letzten Jahr am häufigsten verfasst? • Was macht Ihnen beim Schreiben Schwierigkeiten, was macht Ihnen Spaß dabei? • Beantworten Sie auf der Grundlage dieser Antworten die folgende Frage möglichst in einem Satz: Was heißt Schreiben für Sie?

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2. Partnerarbeit (20 Min.): Die PartnerInnen tauschen ihre Texte aus, lesen sie und besprechen Überraschungen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten. 3. Plenum (20-30 Min.): Interessante oder kontroversielle Punkte der Partnerarbeit werden mitgeteilt. Üblicherweise wird in dieser Phase klar, dass auf die eine oder andere Weise jeder mit Schreibschwierigkeiten kämpft (oder gekämpft hat). Förderlich kann es sein, wenn der oder die VeranstaltungsleiterIn ebenfalls ihre Position zum und Schwierigkeiten mit dem Schreiben in anschaulicher Form darstellt. M 46 Flexibilität beim Schreiben Ein Hindernis für viele Schreibende ist es, dass sie nicht in der Lage sind, „Sackgassen“ aufzugeben. Mit der folgenden Übung (nach Gibbs o.J., 54f ) soll die Erfahrung vermittelt werden, dass es immer mehr als einen Weg gibt, eine Sache zu beschreiben, und damit eine subjektive Grundlage für Flexibilität geschaffen wird. 1. Einzelarbeit: Die TeilnehmerInnen sollen ein Ereignis schriftlich darstellen, von dem alle persönliche Erfahrung haben (Gibt es ein solches nicht, kann ein Text gelesen und danach in Einzelarbeit beschrieben werden). 2. Nach etwa zehn Minuten unterbricht der oder die KursleiterIn die Arbeit und bittet die TeilnehmerInnen, das gleiche Ereignis noch einmal, aber in vollkommen anderer Form darzustellen. 3. Partnerarbeit: Die PartnerInnen tauschen ihre Texte aus, lesen sie und besprechen die unterschiedlichen Herangehensweisen. 4. Plenum: Wichtige Erfahrungen der Partnerarbeit werden mitgeteilt. Lassen sich typische Strategien identifizieren? M 47 Schriftliches Erklären Üblicherweise ist es recht schwer, Ereignisse, Prozesse und Handlungsstrategien Personen zu erklären, die keine direkte Erfahrung mit der zu erklärenden Sache haben. Die folgende Übung bietet Gelegenheit, die dazu nötigen Fähigkeiten in einer einfachen Situation zu üben (nach Gibbs o.J., 44f ). 1. Einzelarbeit (10 Min.): Schreiben Sie möglichst genaue schriftliche Instruktionen für den Weg von … bis … (z.B. vom Seminarraum bis zur Bahnstation am Kursort) auf. 2. Partnerarbeit (10 Min.): Die PartnerInnen vergleichen ihre Texte und kennzeichnen die besten Elemente. 3. Gruppenarbeit von 4 Personen (ca. 20 Min.): Die Texte werden verglichen. Eine Gruppenlösung, die die besten Elemente vereint, wird erstellt.

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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen 4. Plenum: Zunächst werden die Gruppentexte verlesen. Dann wird jede Gruppe gebeten, die stärksten und schwächsten Aspekte ihrer Instruktion zu benennen. • Hilfreiche Aspekte solcher Erklärungen sind üblicherweise: Bietet die Instruktion eine allgemeine Übersichtsorientierung, sodass NutzerInnen die Richtung, in die sie gehen müssen, im Groben identifizieren können, sowie die Teile der Instruktion, die sie nicht benötigen, überspringen können? • Ist die Instruktion klar gegliedert? • Sind in der Instruktion „Prüfpunkte“ eingebaut, an denen NutzerInnen erkennen können, ob sie sich noch auf dem richtigen Weg befinden (z.B. „Hier sollten Sie bei einem Brunnen vorbeigehen“)? • Das Schreiben von Instruktionen ist ein Balanceakt. Wenn die (logischen) Schritte zu groß sind, verlieren sich die NutzerInnen, wenn sie zu klein sind, langweilen sie sich und werden unaufmerksam. Ob Schritte zu groß oder zu klein sind, hängt vom jeweiligen Vorwissen der NutzerInnen ab.

Auch M 3 kann eine sinnvolle Übung im Rahmen einer „Vorschule des Schreibens“ sein (vgl. Rico 2004; Werder 1986). 8.4.3 Eine Kiste voll Tipps für das Verfassen schriftlicher Berichte Vielleicht können die folgenden Überlegungen für Sie von Hilfe sein, wenn Sie vor dem Verfassen eines schriftlichen Berichtes über Ihre Forschungserfahrungen und -ergebnisse stehen. (1) Den großen Weg in kleinen Schritten gehen Betrachten Sie das Schreiben nicht als gewaltiges Unternehmen, das noch vor Ihnen liegt, sondern als kontinuierlichen Prozess, der in Schritten erfolgt. Die ersten Schritte haben Sie zudem schon hinter sich: die Aufzeichnungen im Forschungstagebuch, die Datenresümees, Ihre Analyseergebnisse, Ihre Kommentare usw. (2) Nicht gleich perfekt Erwarten Sie nicht, sofort ein druckreifes Manuskript zu schreiben. Gestehen Sie sich zu, dass es sich bei dem, worüber Sie brüten, um einen Entwurf handelt, der noch überarbeitet wird. Diese Einstellung verringert ein wenig den Druck beim Schreiben. (3) Rückmeldungen suchen Wenn immer möglich, sollten Sie den ersten Entwurf jemand anderem, z.B. einem Kollegen oder einer Kollegin, zum Lesen geben und Rückmeldung erbitten. Je genauer Sie diesen KollegInnen die Fragen nennen, zu denen Sie einen Kommentar wünschen, desto konkreter wird das Feedback sein. Beim Anhören von derartigen Rückmeldungen ist es in der Regel nicht empfehlenswert, sich zu rechtfertigen und

Warum ist Schreiben so schwer?

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eventuelle „Fehleinschätzungen“ ins rechte Licht zu rücken. Versuchen Sie eher so viele Informationen wie möglich von Ihrem Gegenüber zu bekommen, die Sie dann in einer ruhigen Stunde überlegen und für die Weiterentwicklung Ihres Textes wie Ihrer Schreibfähigkeit verwenden können. (4) Äußere Bedingungen Um Gedankengänge zu entwickeln und zu Papier zu bringen, sind eine entspannte Atmosphäre und ein Arbeitsort, an dem man relativ ungestört ist, sehr förderlich. Manche Aktionsforschungsprojekte setzen z.B. am Ende der Forschungsphase ein „Schreibwochenende“ an, das LehrerInnen in der Atmosphäre eines Kursortes Zeit und Ruhe zum Schreiben sichert, jedoch es auch erlaubt, bei Bedarf Gespräche mit KollegInnen und externen BeraterInnen zu führen (vgl. Pickover 1986, 32). (5) Unterlagen und Arbeitsmittel Vor Beginn des Schreibens sollen am Arbeitsort alle benötigten Unterlagen und Arbeitsmittel vorbereitet werden, also insbesondere • die verschiedenen Daten, Aufzeichnungen über Analyseideen und Handlungsstrategien, Skizzen und Zitate, die bereits gesammelt wurden usw., • wichtige Unterlagen und Bücher, die Sie voraussichtlich benötigen werden (z.B. Wörterbuch, pädagogisches Lexikon, Fallstudien von KollegInnen zum gleichen Thema, ein Buch, das Sie bei der Arbeit angeregt hat), • die scheinbar selbstverständlichen Dinge, wie Computer, Schreibgeräte und alle ‚Werkzeuge‘, die Sie zur Erstellung des Manuskripts benötigen. (6) Der „rote Faden“ Hauptteil Bevor man das erste Wort aufs Papier setzt, ist es wichtig, sich den Gang der Argumentation, und wie sich diese in der Struktur des schriftlichen Berichtes niederschlagen soll, zu überlegen. Dazu wird man sich in der Regel die Fragestellung der eigenen Untersuchung vergegenwärtigen und die Analyseergebnisse noch einmal durchlesen. Meist ist es hilfreich, eine schriftliche oder graphische Skizze der Argumentation anzufertigen: Was sind meine Hauptthesen und wie folgen sie aufeinander? „Cluster“, wie sie in M 3 vorgestellt wurden, können dabei den Start erleichtern. Letztlich geht es bei dieser vorbereitenden Arbeit darum, sich selbst eine Vorstellung des „roten Fadens“ der Arbeit zu erarbeiten, entlang dessen LeserInnen bei der Lektüre (hoffentlich mit Gewinn) voranschreiten werden. Woraus dieser „rote Faden“ letztlich besteht, wird sehr von Thema, Darstellungsform und Ergebnissen der Studie abhängen: die Chronologie der Ereignisse, die schrittweise Aufklärung einer provozierenden These, die Übertragung einer Metapher auf verschiedene Bereiche usw. Ganz allgemein kann man zur Struktur einer wissenschaftlichen Arbeit nicht viel mehr als die lapidare Auskunft geben, dass sie aus einer Einleitung, einem Hauptteil und einem Schluss besteht. Im Hauptteil wird die zentrale Argumentation der Arbeit

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entfaltet, es werden die Haupterfahrungen und -ergebnisse mitgeteilt, es wird gleichsam der „rote Faden“, den man sich bei der Vorbereitung gesponnen hat, abgewickelt. (7) Einleitung Die Einleitung eines schriftlichen Berichtes hat ganz allgemein die Funktion, LeserInnen auf den kommenden Text einzustimmen und ihnen die Orientierung zu erleichtern. Dazu können die folgenden Informationen hilfreich sein (vgl. Rückriem et al. 1995, 238). • Welche Fragestellung wird in der Arbeit untersucht? (Eventuell ist es auch sinnvoll, das Thema einzugrenzen, indem formuliert wird, welche Aspekte der Fragestellung nicht erforscht werden). • In welchem Kontext wurde die Untersuchung durchgeführt? Auf welche Informationen und Methoden stützt sie sich? • Welche Bedeutung hat das Thema für den Autor oder die Autorin? Welche könnte es für LehrerkollegInnen und LeserInnen haben? • Welchem Aufbau folgt die Arbeit? Bei der Erstellung eines Konzeptes für eine zu schreibende Arbeit geben sich AutorInnen selbst vorläufige Antworten auf derartige Fragen. Andererseits werden sich im Prozess des Schreibens manche dieser Antworten verändern bzw. klarer formuliert werden können. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen und eine Einleitung zustande zu bringen, die wirklich orientierende Funktion für LeserInnen hat, ist es wahrscheinlich am angemessensten, 1. vor Beginn des Schreibens bei der Konzepterstellung einige Stichworte für die Einleitung festzuhalten und im Verlaufe des Schreibens auftauchende weitere Ideen in dieses Stichwort-„Archiv“ zu notieren, und 2. die Einleitung selbst aber erst nach Fertigstellung der Arbeit auszuformulieren. (8) Schluss Der Schlussteil einer Arbeit ist, wenn auf ihn Mühe verwendet wird, eine sehr leserfreundliche Einrichtung, weil er die Hauptargumente der Studie noch einmal zusammenfasst. Insofern gibt der Schluss auch AutorInnen die Gelegenheit, noch einmal zu betonen, worauf es ihnen ankommt. Welche Aussagen könnte also der Schlussteil enthalten? • Welche Hauptergebnisse hat die Untersuchung der eingangs aufgeworfenen Fragestellung erbracht? • Welche Schlussfolgerungen für das praktische Handeln wurden gezogen und mit welchem Erfolg erprobt? • Welche Fragen sind offen geblieben bzw. wurden neu entdeckt? • In welchen größeren Zusammenhang lassen sich die untersuchte Fragestellung bzw. die erarbeiteten Ergebnisse einordnen?

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(9) Wichtige Begriffe definieren Die meisten schriftlichen Berichte arbeiten mit einer überschaubaren Zahl von „zentralen Begriffen“, die in Hypothesen, praktischen Theorien oder graphischen Rekonstruktionen an prominenter Stelle stehen und im Verlaufe der Arbeit immer wieder vorkommen. Wenn Sie sich in einem Aktionsforschungsprozess eine Zeit lang sehr intensiv mit einer Fragestellung beschäftigt haben, so sind Sie mit diesen Begriffen vertraut geworden. Deren oft vielleicht sehr spezifische und pointiert gedachte Bedeutung ist Ihnen klar, was für LeserInnen nicht unbedingt gelten muss. Es lohnt sich daher, zu überlegen, welche dieser „zentralen Begriffe“ explizit definiert werden müssen. Graphische Darstellungen (vgl. M 9) sind geeignet, den Zusammenhang verschiedener Begriffe zu veranschaulichen. (10) Argumente mit Daten belegen Beim Abschluss eines Forschungsprozesses können forschende Lehrpersonen auf eine größere Zahl von Erfahrungen und Daten zurückblicken, an denen sie ihre Argumentation entwickelt haben. Beim Schreiben des Berichtes sollte auf diese Erfahrungen und Daten immer wieder zurückgegriffen werden, um die Hauptargumente durch (wörtliches) Zitieren, (sinngemäßes) Paraphrasieren oder Verweis auf die Daten zu belegen oder zu illustrieren (siehe dazu auch die folgende Anregung 11). Wir erleben es immer wieder, dass forschende LehrerInnen in schriftlichen Berichten Zitate aus ihrem Datenmaterial einfügen, jedoch deren Quelle nicht angeben. Aus Gesprächen haben wir den Eindruck gewonnen, dass sich dieser Umstand weniger durch Nachlässigkeit erklärt, sondern vielmehr durch eine Geringschätzung des eigenen Datenmaterials, mit dem man nicht viel Aufhebens machen will. Dies ist jedoch eine falsche und irreführende Bescheidenheit. Eine ökonomische Möglichkeit eigenes Datenmaterial zu belegen, besteht z.B. darin, in einem Anhang, in einem methodischen Teil der Arbeit oder in einer Fußnote eine Liste der verwendeten Daten anzubieten, dort Kurzbezeichnungen für den jeweiligen Datentyp zu definieren und mit diesem Kürzel fortan zu zitieren, wie es im folgenden Beispiel geschehen ist. Die Arbeit stützt sich auf folgende Quellen: • eine Unterrichtsbeobachtung der Stunde vom 10.11. durch Kollegen X, der mir ein schriftliches Protokoll übergab (zitiert als „UB“) • drei transkribierte Interviews nach eben dieser Stunde, und zwar eines mit einem sehr aktiven Schüler (=INT1), eines mit einer sehr passiven Schülerin (=INT2) sowie eines mit einer in Hinblick auf ihre Aktivität unauffälligen Schülerin (=INT3). Aus diesen Daten wird durch Angabe der jeweiligen Kurzbezeichnung sowie der Seitennummer der Originaldaten zitiert. „INT1, 12“ bedeutet also: Die zitierte Stelle befindet sich im Transkript des Interviews mit dem sehr aktiven Schüler auf Seite 12.



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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

(11) Zitieren formal Beim Verfassen einer Arbeit wird man sich auf eigene Daten sowie von Fall zu Fall auf fremde Argumente aus der Literatur stützen. Das Zitieren ist eine alte wissenschaftliche Tradition: Es erlaubt die Nachprüfbarkeit von Daten und von Verweisen auf fremdes, aus der Literatur übernommenes Gedankengut. Für AutorInnen selbst ist der Beleg hilfreich, wenn sie für eine Korrektur oder eine weiterführende Arbeit auf die Originalquellen zurückgreifen wollen. Es gibt sehr unterschiedliche Traditionen der formalen Gestaltung von Zitaten, die z.B. in Franck/Stary (2011) minutiös dargestellt sind. Zentral beim Zitieren unabhängig von der letztlich gewählten Form ist jedoch in jedem Fall, • dass die Form des Zitierens innerhalb einer Arbeit einheitlich ist und • dass sie LeserInnen eine rasche Identifizierung der Quelle ohne detektivischen Aufwand erlaubt. Wir gehen dabei so vor: Der Beginn und das Ende von wörtlichen Zitaten werden durch ein Anführungszeichen angezeigt. Sie können zusätzlich noch graphisch z.B. durch Einrücken oder eine andere Schrifttype hervorgehoben werden. Nach Ende des Zitats wird in runder Klammer die Quelle so zitiert, dass sie in einem Literaturverzeichnis oder im Falle von Daten in einem Datenverzeichnis (siehe dazu Anregung 10) eindeutig identifizierbar ist. Beispielsweise bedeutet (Gudjons 2003, 12),

dass die zitierte Stelle dem im Literaturverzeichnis enthaltenen Buch: Gudjons, H.: Frontalunterricht neu entdeckt. Klinkhardt: Bad Heilbrunn 2003.

u. zw. von Seite 12 entnommen wurde. Auslassungen in Zitaten sollen eigens gekennzeichnet werden (u. zw. durch drei Punkte …). Ergänzungen in einem Zitat werden in Klammer gesetzt und mit dem Zusatz „der Verf.“ (oder mit den Initialen des Verfassers) versehen, z.B.: „Diese Anschauung … erscheint uns heute (2017, d. Verf.) nicht mehr aktuell“.

(12) Erfahrungen „zitieren“ Beim Niederschreiben kommen einem gelegentlich Erfahrungen in den Sinn, die eine wichtige bekräftigende, modifizierende oder entkräftende Funktion hätten, jedoch nicht als Daten objektiviert vorliegen. Wir halten es für sinnvoll, auch solche Erfahrungen zu „zitieren“, indem man z.B. ein nachträgliches Gedächtnisprotokoll anfertigt oder zumindest die Art der Erfahrung durch einen Hinweis kennzeichnet, z.B.: „Diese Annahme wird durch die Erfahrungen bei einem Rollenspiel in der 1c relativiert, bei dem sich folgendes zutrug: …“.

Dadurch, dass sie bewusst „zitiert“ werden, gehen Erfahrungen reflektierter in den Bericht ein, als über den „üblichen Umweg“ durch das Vorverständnis der ForscherInnen.

Warum ist Schreiben so schwer?

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(13) Verständliche Textgestaltung Wenn es um Texte geht, dann ist „wissenschaftlich“ beinahe ein Synonym für „schwer verständlich“. Gewiss rührt die Schwierigkeit mancher wissenschaftlicher Aufsätze daher, dass sie es mit komplizierten Inhalten zu tun haben. Öfter allerdings ergibt sie sich bloß aus unüberlegter oder gewollt extravaganter Sprachgestaltung. Langer et al. (2002) nennen vier Merkmale der Verständlichkeit, die helfen können, die formale Gestaltung von Texten zu verbessern (vgl. Abb. 29). Optimal verständliche Texte haben folgende Merkmale: • Sie sind sprachlich einfach formuliert (Wertung „++“ auf der Skala „Einfachheit vs. Kompliziertheit“). • Sie sind gut gegliedert (Wertung „++“ auf der Skala „Gliederung-Ordnung vs. Ungegliedertheit-Zusammenhanglosigkeit“). • Sie haben ein mittleres Maß an Kürze: Eine zu kurze Mitteilung eines Sachverhaltes ist ebenso schwer verständlich wie eine zu weitschweifige (Wertung „+“ oder „0“ auf der Skala „Kürze-Prägnanz vs. Weitschweifigkeit“). • Das Optimum an „anregenden Zusätzen“ hängt von der Ausprägung u.a. des Merkmals „Gliederung-Ordnung“ ab: Je besser ein Text gegliedert ist, desto eher erhöhen anregende Zusätze (wie Beispiele, rhetorische Fragen, wörtliche Zitate, direktes Ansprechen der LeserInnen, witzige Formulierungen) die Verständlichkeit. Sicher wäre die Welt der Lesestoffe recht eintönig, würde jeder Text nach dem gleichen Muster gestrickt. Eine solche Anleitung können die von Langer et al. formulierten Merkmale aber gar nicht darstellen. Für forschende LehrerInnen können sie vielmehr einen Anlass zur Reflexion eigenen Schreibens bieten, bei der man vielleicht an der einen oder anderen Stelle Verbesserungsmöglichkeiten entdeckt. Einfachheit

++

+

0

-

--

Kompliziertheit

einfache Darstellung

komplizierte Darstellung

kurze, einfache Sätze

lange, verschachtelte Sätze

geläufige Wörter

ungeläufige Wörter

Fachwörter erklärt

Fachwörter nicht erklärt

konkret

abstrakt

anschaulich

unanschaulich

Gliederung – Ordnung

++

+

0

-

--

Ungegliedertheit Zusammenhanglosigkeit

gegliedert

ungegliedert

folgerichtig

zusammenhanglos, wirr

übersichtlich

unübersichtlich

gute Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem

schlechte Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem

der rote Faden bleibt sichtbar

man verliert oft den roten Faden

alles kommt schön der Reihe nach

alles geht durcheinander

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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen Kürze – Prägnanz

++

+

0

-

--

Weitschweifigkeit

zu kurz

zu lang

aufs Wesentliche beschränkt

viel Unwesentliches

gedrängt

breit

aufs Lehrziel konzentriert

abschweifend

knapp

ausführlich

jedes Wort ist notwendig

vieles hätte man weglassen können

Anregende Zusätze

++

+

0

-

--

Keine anregenden Zusätze

anregend

nüchtern

interessant

farblos

abwechslungsreich

gleichbleibend, neutral

persönlich

unpersönlich

Abb. 29: Vier Dimensionen der Verständlichkeit (Langer et al. 2002)

(14) Möglichkeiten der Gliederung von Texten Lassen Sie uns noch einige Gedanken zum Merkmal „Gliederung-Ordnung“ äußern. In der sprachlichen Formulierung und in der äußeren Gestaltung der Texte soll sich ja die innere Ordnung unserer Gedanken, die Folgerichtigkeit unserer Argumentation, der „rote Faden“ ausdrücken. Einige Möglichkeiten, die Geordnetheit unserer Argumentation zu kommunizieren, werden im Folgenden angeführt (vgl. Rückriem et al. 1995, 77): • Bestimmte sprachliche Formulierungen, wie • einerseits, andererseits • sowohl, als auch • zunächst, dann, schließlich • erstens, zweitens, drittens • Hervorhebungen im Text, wie • Unterstreichung • Sperren • Großbuchstaben • Kursivdruck • Fettdruck • andere Schrifttype • Gliederung des Textes durch • Absätze • eingerückte Textteile • unterschiedliche Zeilenabstände (z.B. alle Zitate aus Daten werden „einzeilig“ geschrieben) • Aufzählungspunkte, Spiegelstriche, Sternchen, 1., 2., 3.

Warum ist Schreiben so schwer?

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• Textteile, die LeserInnen die Ordnung der Argumentation kommunizieren, wie • Einleitungen, die LeserInnen auf den Gang der Argumentation vorbereiten, • rekapitulierende Passagen oder Schlussteile, die die wesentlichen Argumente zusammenfassen, • sprachlich explizit ausgedrückte Übergänge von einem Argument zum nächsten (z.B. „Damit komme ich zu meiner dritten These“), • graphische Skizzen der Argumentationsstruktur. (15) Beispiele erzählen Eine spezifische Art von „anregenden Zusätzen“, die bei der Gestaltung von schriftlichen Texten für LehrerkollegInnen besonders wichtig ist, sind Beispiele aus der eigenen Erfahrung. Jürgen Henningsen (1982) hat anschaulich dargestellt, dass wir auch in alltäglichen Gesprächen, wenn wir uns auf einer abstrakteren Ebene nicht zu einigen vermögen, Beispiele zu erzählen beginnen. Damit gehen wir gleichsam einen Schritt zurück in der Hoffnung, dass sich durch Prüfung des Phänomens auf einer konkreteren Ebene ein gemeinsames Verständnis herstellen lässt (vgl. M 15). Elliott (1984b) hat LehrerInnen als „pragmatische SkeptikerInnen“ charakterisiert. Solche würden neue Ideen und Vorschläge für Veränderungen zunächst auf der Basis einer „Ethik der Praktikabilität“ einschätzen. Darauf müsste auch die Kommunikation von pädagogischen Ideen Rücksicht nehmen: „Wenn Veränderungsvorschläge eine Chance darauf haben sollen, unter den normalen Umständen der Entscheidungsfindung in Schulen umgesetzt zu werden, dann müssen sie 1. klar darstellen, auf welche Weise diese Veränderung erreicht werden soll, 2. Beispiele anbieten, wie diese Vorgangsweisen in einem typischen Klassenzimmer umgesetzt werden könnten, 3. die Art und Weise klar machen, wie diese Vorschläge von LehrerInnen auf der Basis ihrer eigenen Einschätzung der spezifischen Situation adaptiert und modifiziert werden können, und 4. Beispiele für die Vorteile anbieten, die LehrerInnen als Nutzen ihrer Anstrengungen, die sie in den Umsetzungsprozess stecken, erwarten können“ (Elliott 1984b, 159f ).

Damit wird nicht behauptet, dass LehrerInnen kein Interesse an der ethischen und theoretischen Legitimation pädagogischer Strategien hätten, sondern nur, dass Neuerungen zunächst einigermaßen praktikabel erscheinen müssen, bevor man sich weiter mit ihnen beschäftigt. Daher sollte auch in schriftlichen Berichten Mühe darauf verwendet werden, die praktische Umsetzung pädagogischer Ideen und deren Konsequenzen möglichst anschaulich mitzuteilen.

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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen M 48 Vom Interview zur Textcollage Fällt es schwer, mit der schriftlichen Formulierung einer Fallstudie zu beginnen, so könnte der folgende methodische Vorschlag hilfreich sein (modifiziert nach Prideaux/Bannister o.J.): 1. Bitten Sie eine Kollegin oder einen „kritischen Freund“, mit Ihnen ein Interview über Ihren Forschungsprozess zu führen. Üblicherweise fällt es leichter Sachverhalte, die noch nicht verschriftlicht werden können, mündlich auszudrücken. Dies vor allem dann, wenn wir GesprächspartnerInnen haben, die uns durch ihr Interesse an der Sache genaue Erklärungen abnötigen. 2. Transkribieren Sie das Interview oder Teile davon (vgl. M 24). 3. Markieren Sie die Textteile, die wichtige Aussagen zu Fragestellung, Forschungsprozess und Kontext enthalten. Schneiden Sie diese Passagen aus und versuchen Sie sie in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. 4. Stellen Sie Ihre Fallstudie nun aus diesen ausgeschnittenen Textteilen zusammen. An manchen Stellen wird es notwendig sein, Zwischentexte zu schreiben, die die Zitate aus dem Interview erläuternd verbinden. Solche „Zwischentexte“ sind aber üblicherweise leichter schriftlich zu formulieren als der Haupttext.

Zum Abschluss dieser „Kiste mit Werkzeugen und Tipps zum Schreiben“ noch zwei Anregungen, die sich nicht auf den Prozess der Arbeit an einer Aktionsforschungsstudie beziehen, sondern auf das Produkt: auf den formalen Aufbau einer Studie und auf die Frage, welche Merkmale eine gute Studie auszeichnen. Sie fassen viele der oben angeführten Tipps zusammen, gehen aber in einigen Fällen auch über sie hinaus. Abb. 30 bietet eine systematische Übersicht über einige Gesichtspunkte für den formalen Aufbau einer Fallstudie. Nicht alle der in Fragen gekleideten Gesichtspunkte sind für jede Fallstudie relevant. Es hängt jeweils von den Zielen und dem Adressatenkreis ab, welcher Aufbau am zweckmäßigsten erscheint. Die zentralen Teile der Gliederung ähneln sich jedoch in jeder Fallstudie.

Warum ist Schreiben so schwer? Einleitung • Ausgangspunkt/Fragestellung: Über welchen Aspekt meiner Tätigkeit möchte ich mehr wissen? Warum? Welches Ziel möchte ich erreichen? • Grundlagen: Auf welches Vorwissen/welchen Vorerfahrungen kann ich aufbauen? • Hypothesen/Vermutungen: Welches Ergebnis erwarte ich aufgrund meiner Vorkenntnisse? • Kontext: Welche Information über Rahmenbedingungen (über die Schule, die Klasse(n), in der die Untersuchung erfolgt, die SchülerInnen usw.) ist zum Verständnis der Studie erforderlich? • Methoden: Woher stammen die Informationen? Mit welchen Methoden habe ich Daten gesammelt? Warum habe ich diese Methoden gewählt und welche Erfahrungen habe ich damit gemacht?

Ergebnisse • Was habe ich herausgefunden? • Wie vertrauenswürdig sind die Ergebnisse? Diskussion • Wie interpretiere ich die Ergebnisse? Welche anderen Interpretationen wären denkbar? • Was bedeutet meine Interpretation in Hinblick auf meine Forschungsfrage(n)? Wie wirkt sie sich auf meine Sicht der Dinge aus? Inwieweit entspricht sie meiner Vermutung? Oder gibt es Überraschungen? Schluss/Zusammenfassung/Ausblick • Worin bestehen die wichtigsten Ergebnisse, was habe ich daraus gelernt? Welche Konsequenzen ziehe ich für mein praktisches Handeln? • Welche neuen Fragen sind aufgetaucht? Literatur Liste der verwendeten Bücher, Zeitschriftenartikel, Daten, Dokumente etc. Anhang Alles, was den Lesefluss hemmen würde, aber für das Nachvollziehen des Forschungsprozesses wichtig ist (z.B. Fragebögen, Fotos, Auszüge aus Transkripten …).

Abb. 30: Möglicher Aufbau einer Fallstudie

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Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen

Abb. 31 fasst die wichtigsten Fragen zusammen, die zur Überprüfung einzelner Abschnitte einer Studie verwendet werden können. Es handelt sich um eine Art Checkliste, die einzelne Qualitätsmerkmale in Erinnerung rufen soll. Einleitung • Werden Situation und Geschehen plastisch und lebendig beschrieben? • Können LeserInnen anhand der Fragestellungen nachvollziehen, was herausgefunden werden soll? • Werden begriffliche und theoretische Vorkenntnisse (samt Quellenangaben) kurz umrissen? • Wird die Darstellung des Kontexts auf das beschränkt, was für das Verständnis unbedingt nötig ist?

Methoden

• Werden durch die methodische Vorgangsweise unterschiedliche Perspektiven erfasst?

Ergebnisse

• Werden die Ergebnisse genau dokumentiert (z.B. wörtliche Zitate, Tabellen, Diagramme) und gut verständlich dargestellt?

Diskussion • Werden Interpretationen und Bewertungen als solche deutlich gemacht und nachvollziehbar argumentiert? Sind die Interpretationen durch die Daten belegt? • Können LeserInnen eigene Schlüsse ziehen? Schluss/Zusammenfassung/Ausblick • Wie plausibel sind die persönlichen Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen?

Abb. 31: Qualitätsmerkmale einer Studie

9 Aktionsforschung und Schulentwicklung

Sind die allgemeine Forschungs- und Entwicklungsstrategie von Aktionsforschung und ihre Methoden auch für die Schulentwicklung verwendbar? Ausgehend von zwei Beispielen werden in diesem Kapitel Unterschiede und Gemeinsamkeiten von ‚unterrichtsbezogener‘ Aktionsforschung und von Schulentwicklungskonzepten erörtert. Sodann werden einige Gesichtspunkte für die Gestaltung des Einstiegs in Prozesse der Weiterentwicklung von Schulen diskutiert sowie einige Methodenvorschläge für weitere Phasen von Schulentwicklung gemacht.

9.1 Zwei Beispiele An einer mittelgroßen englischen Comprehensive School (500 SchülerInnen, 33 LehrerInnen) gab es Konflikte zwischen SchülerInnen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, die zum Teil zu Gewalttätigkeiten führten (Wakeman 1986a). Auf Initiative des Schulleiters wurde in einer Konferenz beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen: Zunächst sollten die aktuelle Situation, das Erscheinungsbild der Konflikte und mögliche Ursachen genauer untersucht werden. Eine Gruppe von Lehrerinnen und Lehrern war bereit, systematisch Informationen über die Situation zu sammeln, Beobachtungen festzuhalten, Schülerinnen und Schüler zu befragen und teilweise sogar Eltern um ihre Erfahrungen und Sichtweisen zu ersuchen. Nach einigen Monaten stellte diese Gruppe ihre Befunde in einer Schulversammlung zur Diskussion, zu der neben dem Kollegium auch viele Eltern und SchülerInnen gekommen waren. Einer der Autoren hatte den Schulleiter kurz vorher kennen gelernt und seine Befürchtungen vor dieser öffentlichen Präsentation der Untersuchungsergebnisse miterlebt. Es war die erste große selbst initiierte Entwicklungsinitiative an dieser Schule. Umso größer war die Überraschung und Erleichterung, als der Bericht mit großer Aufmerksamkeit und Anerkennung aufgenommen wurde und die Bereitschaft spürbar wurde, einzelne Maßnahmen, die sich aus der Recherche ergeben hatten, gemeinsam zu tragen. Aus diesem mutigen Anfang entwickelte sich an der Schule eine Tradition, Probleme oder Entwicklungsinteressen durch Aktivierung der Expertise innerhalb des Kollegiums selbst zu bearbeiten. Bei größeren Problemen erstellten Mitglieder des

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Aktionsforschung und Schulentwicklung

Lehrkörpers Studien, in denen sie die Probleme analysierten, verschiedene Perspektiven dazu zusammentrugen und Lösungsvorschläge entwickelten. Zum Beispiel wurden u.a. folgende Themen auf diese Art bearbeitet: Rituale in der Schule, Innere Differenzierung, Evaluation eines neuen Zehn-Tage-Stundenplans usw. An diesem Beispiel lassen sich einige Merkmale der Verbindung von Schulentwicklung und Aktionsforschung erkennen: • ein Problembewusstsein ist an der Schule vorhanden, • ein Klima grundsätzlicher Anerkennung von Engagement und Respekt für Personen (für SchülerInnen und LehrerInnen), • ein Schulleiter oder eine Schulleiterin, der/die strategische Initiativen ergreift, • ein Mandat des gesamten Kollegiums, • sorgfältige Recherchen, aus denen sich Vorschläge ergeben, • Einbeziehung vieler Personen in den Prozess. Das zweite Beispiel stammt aus einem eigenen Projekt (vgl. Altrichter/Posch 1996; Krall et al. 1995): Eine österreichische Privatschule, die Modellschule in Graz, hatte in der Oberstufe einen so genannten Lehrer-Schüler-Vertrag eingeführt. In diesem wurden die Pflichten der SchülerInnen festgehalten und die Sanktionen definiert, die bei Nichterfüllung des Vertrages in einer Stufenleiter bis zum Ausschluss führten. Von der Lehrerkonferenz wurden offenbar schon länger bestehende Probleme (u.a. häufiges Fernbleiben, Zuspätkommen, Mängel bei den Hausaufgaben) als Anlass für diese Initiative genommen und einstimmig folgende Vorgangsweise beschlossen: Allen SchülerInnen der Oberstufe wurde ein Exemplar des Vertrages mit den Pflichten und Sanktionen zur Unterschrift vorgelegt. Jeder, der an der Schule bleiben wollte, musste diesen Kontrakt unterschreiben. Die Erfahrungen mit dem Vertrag wurden von einem LehrerInnenteam ein Jahr lang begleitend untersucht, wobei ein ganzes Spektrum von Methoden angewendet wurde: Beobachtung, Interviews, Fragebogen, statistische Aufzeichnungen der Auswirkungen auf die Zahl der Absenzen usw. (vgl. Erker et al. 1993). Durch diese Untersuchung wurden die Probleme, die vor allem wegen der „überfallsartigen“ Einführung des Vertrages entstanden waren, rechtzeitig sichtbar und besprechbar. • So hatten z.B. vor allem jene SchülerInnen den Vertrag als Vertrauensbruch empfunden und dagegen opponiert, die sich in der Vergangenheit ohnehin an die Regeln gehalten hatten. Diese Reaktion und der damit verbundene Widerstand waren von den LehrerInnen überhaupt nicht erwartet worden. • Es wurde von vielen SchülerInnen als Zumutung empfunden, dass der Vertrag nicht auch die Pflichten der LehrerInnen in ähnlicher Weise wie die Pflichten der SchülerInnen präzisierte. • Es zeigte sich auch bald, dass mehrere LehrerInnen (teils wegen der ablehnenden Schülerreaktionen, teils aus Bequemlichkeit) vor einer konsequenten Durchset-

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zung der Vertragsinhalte (vor allem der Mitteilung von Verstößen) zurückscheuten, sodass das gesamte Unternehmen langsam im Sande zu verlaufen drohte. Diese Untersuchung und die damit verbundene kontinuierliche Information und Reflexion über die Reaktionen der SchülerInnen dürften ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass der Vertrag sein erstes Jahr trotz größter Turbulenzen überlebte. Der Forschungsprozess hatte offenbar einen Bewusstseinsstand und eine gegenseitige Erwartungshaltung geschaffen, die auch jene LehrerInnen zum Weitermachen bewog, die wegen dieser Widerstände aufgeben wollten. Und er führte schließlich auch zu einer intensiven Kommunikation mit den SchülerInnen. Die Folge war eine Modifikation des Vertrags und eine Einbindung der SchülerInnen in eine gemeinsame Verantwortung für den Ordnungsrahmen der Schule. Die beiden Beispiele zeigen zwei sehr unterschiedliche, in gewisser Hinsicht fast konträre Ansätze der Schulentwicklung: Während die erste Schule zuerst die IstSituation untersucht, Pilotversuche durchgeführt und dann in einem gemeinsamen Beschluss Maßnahmen vorbereitet hat, erfolgte an der zweiten Schule zuerst eine Strukturveränderung (die Einführung des Vertrages), die dann begleitend auf ihre Auswirkungen untersucht wurde.

9.2 Aktionsforschung in Unterrichtsentwicklung und Schulentwicklung: Gemeinsamkeiten und Unterschiede Neben diesen beiden Beispielen ließen sich noch zahlreiche weitere anführen (vgl. Hruska 1997; Krainer et al. 1997; Krainz-Dürr 1999; Krainz-Dürr et al. 2002; Posch 2003). Sie zeigen, dass Aktionsforschung nicht nur für die Unterrichtsentwicklung, sondern auch für Schulentwicklungsprozesse Bedeutung haben kann und auch tatsächlich für beides eingesetzt wird. Umgekehrt haben in Konzepten der Organisationsentwicklung Überlegungen zur Diagnose der Ist-Situation und zur Evaluation von Entwicklungsstrategien immer einen zentralen Stellenwert gehabt (vgl. Altrichter/Helm 2011), wobei häufig implizit oder explizit auf Ideen der Aktionsforschung Bezug genommen wurde. So findet sich in dem klassischen Buch über Organisationsentwicklung von French/Bell (1990, 110ff) ein Kapitel über Aktionsforschung, in dem folgende Ähnlichkeiten zwischen Aktionsforschung und Organisationsentwicklung aufgewiesen werden: „Beide sind Varianten der angewandten Sozialwissenschaft, beide sind handlungsorientiert, beide basieren auf Daten, beide verlangen die enge Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern der Organisation und beide sind problemlösende soziale Interventionen.“ (a.a.O., 123)

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Aktionsforschung und Schulentwicklung

Am Anfang unserer eigenen aktionsforscherischen Explorationen stand allerdings die Arbeit mit einzelnen LehrerInnen und sich freiwillig zusammenfindenden Gruppen ‚Gleichgesinnter‘, die sich mit Fragen ihres eigenen Unterrichts, mit den Beziehungen zu ihren SchülerInnen und mit fachdidaktischen Themen beschäftigten und dort sinnvolle Weiterentwicklungen erreichen wollten. Das war die eigentliche Domäne der frühen Aktionsforschung sowohl in England als auch bei uns. Wir bezeichnen dieses Muster im Folgenden als unterrichtsbezogene Aktionsforschung. Wir haben aber bald gesehen, dass manche Unterrichtsinnovationen die herkömmlichen Grenzen der „Privatheit“ des Unterrichts sprengen. Vor allem zwei Entwicklungen haben zur Erweiterung der Perspektive beigetragen: • In vielen europäischen Ländern wurde in den vergangenen Jahren eine Politik der ‚Schulautonomie‘, ‚Teilautonomie‘ oder ‚Dezentralisierung‘ proklamiert und in unterschiedlich weit gehendem Maß auch umgesetzt (vgl. Altrichter et al. 2005b). Diese Politik eröffnete Schulen erweiterte Selbstgestaltungsmöglichkeiten, die sie für standortspezifische Schulprogramme, Schulentwicklungsmaßnahmen sowie veränderte Modelle der Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung nutzen konnten. Während früher der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit auf Fragen des gesamten Bildungssystems lag, wurde nun die Einzelschule als Ort und ‚Motor der Schulentwicklung‘ angesehen (vgl. z.B. Rutter et al. 1979; Purkey/Smith 1983; OECD 1989; Rolff 1993; Fend 1998). Die eigene Arbeitssituation in Unterricht und Schule selbst gestalten – das war es ja, was viele LehrerInnen ursprünglich dazu animiert hatte, an Projekten der Aktionsforschung teilzunehmen. Und so war es kein Wunder, dass viele von ihnen sich auch in Schulentwicklungsvorhaben engagierten. Dabei brachten sie einerseits ihre Erfahrungen aus ihren ‚unterrichtsbezogenen Entwicklungsprojekten‘ ein, andererseits stellten sie neue Fragen an die Aktionsforschung. • Auf der anderen Seite ist auch bei politischen EntscheidungsträgerInnen und bei der Bildungsverwaltung der Bedarf an Informationen über das Funktionieren des Gesamtsystems gestiegen (z.B. an welchen Stellen Entwicklungsinitiativen und neue Impulse notwendig sind, wie man Standorte, die aus der Bandbreite akzeptabler Leistungen herausfallen, frühzeitig entdecken kann, ob die Schulabschlüsse vergleichbarer Schulen tatsächlich gleichwertig sind, usw.). Daher gehören Fragen der Qualitätsevaluation und -entwicklung sowie insgesamt der ‚Steuerung‘ des Bildungssystems zu den Brennpunkten der bildungspolitischen Diskussion (vgl. Posch 2002; Altrichter et al. 2005b; Altrichter/Maag Merki 2016). Beide Entwicklungen haben zum Anspruch an die Schule geführt, sich als lernende und sich entwickelnde Organisation zu verstehen (vgl. Marx/van Ojen 1993; Senge 1996; Meyer 1997, 113ff; Schratz 1995; Fullan 1999). Wodurch zeichnet sich eine lernende Organisation aus?

Aktionsforschung in Unterrichtsentwicklung und Schulentwicklung

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(1) LehrerInnen, SchulleiterInnen, SchülerInnen und andere Mitglieder der Organisation setzen sich mit gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen auseinander und mit den Anforderungen, die von rechtlicher Seite und von Seiten des Umfelds (Eltern, Wirtschaft, kulturelle Institutionen) an die Schule gestellt werden. Sie entwickeln selbst Leitvorstellungen und gemeinsame Zielperspektiven für ihre berufliche Arbeit. (2) Die gegenwärtige Praxis der Organisation, ihre Stärken und Schwächen werden untersucht und reflektiert. Die Ergebnisse werden gemeinsam interpretiert und Konsequenzen für die Weiterentwicklung der Schule formuliert (z.B. Konzeption neuer Angebote und Innovationsprojekte, Veränderung von Organisationsstrukturen, Maßnahmen der Fortbildung usw.). Die Weiterentwicklung der Schule wird als kontinuierliche und gemeinsame Aufgabe gesehen. (3) In einer lernenden Organisation übernehmen die MitarbeiterInnen nicht nur Verantwortung für ihren engeren Aufgabenbereich, sondern beteiligen sich auch an der Gestaltung der gesamten Organisation im Bewusstsein, dass auch die Qualität ihrer individuellen Arbeit von vielen strukturellen Faktoren beeinflusst wird (d.h. es wird „systemisch“ gedacht). (4) Als fundamentale Lerneinheit der Organisation werden nicht Einzelpersonen, sondern überschaubare Teams gesehen, in denen Verantwortung geteilt wird und „Dialog“ als Voraussetzung gemeinsamen Lernens möglich wird. Das Lernen und die Weiterentwicklung dieser Teams werden durch entsprechende Arbeits- und Entscheidungsstrukturen auf der Ebene der Gesamtorganisation koordiniert. Viele dieser Akzentsetzungen sind für die Aktionsforschung nicht neu: Die Idee, dass Organisationsentwicklung die Erforschung organisationaler Praxis brauche und das Grundkonzept der Aktions-Reflexions-Schleifen (hier im Gewande von Entwicklungs-Evaluations-Schleifen) stehen bei Aktionsforschung wie bei der Entwicklung zur lernenden Organisation im Zentrum. Donald Schön, der das für Aktionsforschung inspirierende Konzept der ‚reflektierenden PraktikerInnen‘ entworfen hat (vgl. dazu Kap. 12), ist auch Mitautor eines der einflussreichsten Bücher zum Thema (vgl. Argyris/Schön 1996). Das Lernen von Organisationen wird dort durchaus in Analogie zu den Aktivitäten „reflektierender PraktikerInnen“ konzipiert. Die weitergehende Frage ist allerdings, wie aus dem Lernen von Einzelpersonen und Gruppen ‚organisationales Lernen‘ wird. Dafür müssen individuelle Forschungs- und Entwicklungsergebnisse so in die ‚praktischen Theorien‘, die Mitglieder über ihre Organisation haben, und in die ‚Artefakte‘ einfließen, die das Gedächtnis der Organisation darstellen (wie z.B. Regelungen, Akten, Organisationsabläufe, Raumverteilungen usw.), dass sich das Verhalten der Organisation insgesamt ändert (vgl. a.a.O., 16f ).

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Aktionsforschung und Schulentwicklung

Für Praxis und Theorie der Aktionsforschung ergeben sich bei der Verlagerung der Aufmerksamkeit von der Unterrichtsentwicklung zur Schulentwicklung einige Akzentverschiebungen und neue Herausforderungen: Unterschiedliche Typen von Gruppen: An ‚unterrichtsbezogenen Aktionsforschungsprojekten‘ nehmen typischerweise einzelne LehrerInnen teil, die ihren eigenen Unterricht weiterentwickeln wollen. Sie finden sich freiwillig in Gruppen ‚Gleichgesinnter‘ zusammen, die einander zu den jeweils unterschiedlichen Themen ihrer eigenen Entwicklungsarbeit Feedback und Hilfe geben. Bei Schulentwicklungsprozessen sind zumeist Gruppen tätig, die sich einem gemeinsamen Projekt widmen, dazu recherchieren und Vorschläge ausarbeiten. Im Vergleich zu den oben genannten ‚Gruppen Gleichgesinnter‘ sind diese in Hinblick auf die besprochenen Themen überschaubarer und homogener. Allerdings: der Freiwilligkeitsgrad der Teilnahme ist zumeist recht unterschiedlich und manchmal höchst unklar. Auch die Autorschaft für Erkenntnisse und die Verantwortung für die Umsetzung von Vorschlägen kann in einer solchen Gruppe diffuser bleiben. Die Aushandlung einer klaren und von den Beteiligten akzeptierten Arbeitsorganisation ist im zweiten Typ schwieriger zu erreichen und zugleich eine wichtigere Voraussetzung für konstruktive Arbeit. Von der unmittelbaren zur mittelbaren Betroffenheit: Während bei ‚unterrichtsbezogener Aktionsforschung‘ LehrerInnen jeweils Themen untersuchen, die ihre Praxis direkt betreffen und den beruflichen Alltag unmittelbar prägen, kann sich das Erkenntnis- und Entwicklungsinteresse bei Schulentwicklungsprozessen durchaus auch auf Themen beziehen, die für viele Beteiligte „weiter weg liegen“ und abstrakter sind (z.B. die Leistungsstandards in den einzelnen Fächern, die Schulpartnerschaft, die Information und Kommunikation im Kollegium) oder allgemeinere organisatorische Rahmenbedingungen betreffen (z.B. Lehrfächerverteilung, Vertretungsregelung, Hausordnung). In solchen Fällen bezieht sich das Interesse nicht mehr auf Situationen, in denen das eigene Handeln eine dominante Rolle spielt, sondern auf Situationen, die dieses Handeln zwar beeinflussen, bei denen der eigene Anteil aber wesentlich geringer ist bzw. in manchen Fällen überhaupt keine nennenswerte Bedeutung hat. Das bedeutet aber auch, dass sich der Forschungsprozess und die Ideen für Weiterentwicklung in hohem Maße auf „fremdes Handeln“ beziehen (vgl. dagegen das Kriterium ‚Handlungsspielraum‘ in M 6): Andere Personen als die ForscherInnen müssen sich in manchen Fällen ändern, damit Entwicklung in Gang kommt. Begleitende Erforschung der sozialen Struktur: Schon in der ‚unterrichtsbezogenen Aktionsforschung‘ war ein bedeutsames Prinzip, die Auswirkungen der eigenen Forschungstätigkeit auf andere Betroffene zu beachten: Forschungsethische Regeln sollten dafür eine gewisse Orientierung geben (vgl. Kap. 5.2.3). Ihre Angemessenheit in der konkreten Situation war ein Gegenstand der begleitenden Reflexion (vgl. Elliott 1991). Wie wir in Kap. 9.3.1 noch genauer ausführen wollen, wird

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die Klärung der ‚sozialen Bedeutung‘ von Forschungsthemen, -vorgehen und -ergebnissen in Schulentwicklungsprozessen noch bedeutsamer (vgl. Altrichter/Posch 1996). Bei Schulentwicklungsvorhaben ist also nicht nur das ‚sachliche Thema‘ zu untersuchen; auch die soziale Struktur der Organisation und die Auswirkungen der ‚sachbezogenen‘ Forschungs- und Entwicklungshandlungen auf sie sind gleichsam begleitend zu erforschen. Bedeutung expliziter Kommunikation und systematischer Planungs- und Entscheidungsprozesse: Aus einem Aktionsforschungsprozess können auf zwei Ebenen Konsequenzen bzw. Schlussfolgerungen gezogen werden: Einerseits können sich Konsequenzen „unwillkürlich“ und gleichsam von selbst aus der Praxis eines Untersuchungs- und Entwicklungsprozesses ergeben: Durch das Miterleben des Forschungsprozesses, durch Ideen, die beispielsweise bei Interviews aufgeschnappt wurden, oder im Zuge der kollegialen Reflexion über Sachverhalte verändert sich die Perspektive, unter der Praxis gesehen wird (vgl. das Beispiel in M 29). Andererseits ergibt sich aus der Datensammlung und -interpretation zwar oft ein klares Bewusstsein über Differenzen zwischen Ergebnissen und Zielvorstellungen; mögliche Handlungskonsequenzen müssen jedoch erst durch systematische Planungs- und Entscheidungsprozesse erarbeitet werden. Der erste Typ des Entstehens von Konsequenzen ist auch in Schulentwicklungsprozessen feststellbar (z.B. können durch die intensivere Kommunikation, wenn gemeinsam recherchiert und über Ergebnisse diskutiert wird, sich die Einstellungen zwischen InteraktionspartnerInnen verändern, wodurch sich weitere z.B. kollegiumsbezogene Entwicklungsmaßnahmen erübrigen). Der zweite Typ wird jedoch bedeutend häufiger sein: Durch die größere Anzahl betroffener Personen wird die explizite Information über Forschungsergebnisse und die explizite Aushandlung weiterer Entwicklungsschritte mit allen Beteiligten zu einer höchst bedeutsamen und auch aufwendigen Aufgabe. In der ‚unterrichtsbezogenen Aktionsforschung‘ kann das ethische Prinzip der ‚Aushandlung‘ von Vorgangsweisen und Interpretationen mit den direkt Betroffenen (z.B. SchülerInnen) meist durch face-to-face-Interaktionen in überschaubaren Gruppen verwirklicht werden. Bei organisationsbezogener Aktionsforschung ist die Zahl der Betroffenen hingegen viel größer und ihre Struktur unübersichtlicher. Die Planung und Realisierung von Konsequenzen wird dabei zu einem komplexen sozialen Prozess der Diskussion, der gegenseitigen Abstimmung und Aushandlung. Explizitheit und Transparenz der Kommunikation müssen den Großgruppen im öffentlichen Raum angemessen sein, z.B. durch öffentlich zugängliche Protokolle (für deren Zur-Kenntnisnahme vielleicht noch aktiv geworben wird), durch Vereinbarungen in Form schriftlicher Kontrakte usw. Dieses Merkmal kommt beispielsweise auch in der höheren Bedeutung früher Zielklärungsprozesse bei Schulentwicklungsvorhaben zum Ausdruck. Die ‚unterrichtsbezogene‘ Aktionsforschung einzelner LehrerInnen kann durchaus mit dem

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Studium einer konkreten Situation, mit dem „Lesen“ der eigenen Handlungen und ihrer Auswirkungen (vgl. Kap. 4.2) beginnen. Zielvorstellungen werden oft erst dann Gegenstand der Reflexion, wenn sich eine längerfristige Unzufriedenheit mit den Handlungen und ihren Auswirkungen abzeichnet oder wenn Widersprüche zwischen Handlungserwartungen und Beobachtungen auftreten. Organisationsbezogene Schulentwicklungsprozesse beginnen hingegen häufig mit einer Formulierung von Zielen, wohl um sich zunächst einer gemeinsamen (wenn auch meist sehr allgemein gehaltenen) Wertgrundlage für die weitere Arbeit zu versichern und um der Untersuchung der Ist-Situation eine gewisse Orientierung zu geben. Zudem ist die Heterogenität der Zielvorstellungen naturgemäß größer, wenn Personen aus unterschiedlichsten Handlungskontexten an einem Prozess beteiligt sind, zumal die Ziele der Schule ja selbst Widersprüche enthalten. Berücksichtigung unterschiedlicher Ebenen schulischer Tätigkeit: Früher hat man gerne gesagt, eine Schule wäre so gut wie ihre LehrerInnen. Aus der Schulqualitätsforschung weiß man heute, dass es an manchen Schulen leichter ist, eine gute Lehrerin zu sein als an anderen (vgl. Rutter et al. 1979, 139). Die Gegenüberstellung von ‚unterrichtsbezogener‘ und ‚schulentwicklungsbezogener‘ Aktionsforschung soll jedoch nicht nahe legen, in Schulentwicklungsprozessen wäre Schulentwicklung statt Unterrichtsentwicklung angesagt. Schulen weisen eine Mehr-Ebenen-Struktur auf (vgl. Abb. 32; Sirotnik 1994, 2832; Benz 2004, 127). Diese Mehr-Ebenen-Struktur sollte sich auch in der Konzeption und Umsetzung der Entwicklungsmaßnahmen einer Schule niederschlagen, sodass neben der Weiterentwicklung auf der Ebene ‚Unterricht‘ auch unterrichtsübergreifende Aspekte (wie die unterrichtsbezogene Organisation der Schule, die Schulleitung, die Entscheidungsfindung im Kollegium, die Elternarbeit usw.) in den Blick von Forschung und Entwicklung genommen werden. Perfektionismus führt auch hier leicht zur Überforderung. Daher empfiehlt sich eine Beschränkung auf zum gegebenen Zeitpunkt strategisch zentrale Ebenen und Fragestellungen. Eine solche Überlegung steht wohl auch hinter der Zwei-EbenenStruktur des „Formativen Qualitätsevaluations-Systems“ des Schweizerischen Lehrerverbandes LCH (vgl. Strittmatter 1997a). Dort wird argumentiert, dass es gerade Stärke der deutschsprachigen Länder wäre, „dass sich die einzelne Lehrperson in hohem … Maß für den Lernerfolg ihrer SchülerInnen zuständig fühlt“ (Strittmatter 1997b, 23). Dies dürfe man bei der neuen Aufmerksamkeit auf die ‚Einzelschule‘ nicht verlieren. Daher wird eine Balance von folgenden Elementen angestrebt: • Individualfeedback: Einzelne LehrerInnen holen auf verschiedenen Wegen Feedback zu ihrer eigenen Unterrichtstätigkeit ein. Diese Rückmeldungen werden in kleinen selbst gewählten Gruppen unter Einhaltung von Vertraulichkeitsvereinbarungen (vgl. M 49) besprochen und interpretiert. Konsequenzen für die Weiterentwicklung werden erarbeitet. Aus diesen ‚Qualitätsteams‘ müssen keine

Aktionsforschung in Unterrichtsentwicklung und Schulentwicklung

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Einzelergebnisse an das Kollegium oder die Schulleitung berichtet werden, wohl aber zusammengefasste Daten und Weiterentwicklungsabsichten. • Schulqualitäts-Recherchen: Es werden aber auch übergreifende Aspekte des schulischen Angebots untersucht. Solche Recherchen können von der Steuergruppe der Schulentwicklung, von speziell dafür eingerichteten task forces oder von der Schulleitung betrieben werden. Ebenen

beispielhafte Fragestellungen

Person

Gelingt es, einzelne LehrerInnen dazu anzuregen, sich auf verschiedenen Wegen Feedback zu ihrer eigenen Unterrichtstätigkeit zu holen?

Klasse

Gelingt es, die Leistungsergebnisse im naturwissenschaftlichen Lernbereich und das Sozialverhalten der Klasse 5a weiterzuentwickeln?

Team

Sind LehrerInnen bereit, ihre Erfahrungen in selbst gewählten Gruppen oder schon bestehenden Substrukturen der Schule zu besprechen und für eine Abstimmung und Weiterentwicklung ihrer Tätigkeit auszuwerten? (vgl. dazu auch Kap. 11.)

Schule

Werden unterrichtsübergreifende Aspekte der Schulstruktur (Schulklima, außerunterrichtliche Angebote, die schulinterne Arbeitsorganisation, die Effektivität des Managements, das Führungsverhalten usw.) untersucht?

Umfeld

Werden die Beziehungen zum Umfeld der Schule (zur Gemeinde, zu Zubringer- und Abnehmerinstitutionen usw.) untersucht?

Abb. 32: Mögliche Ebenen der Erforschung und Entwicklung

In Schulentwicklungsvorhaben wird es in der Regel sinnvoll sein, dass unterrichtsbezogene und organisationsbezogene Untersuchungs- und Entwicklungsvorhaben eng miteinander verschränkt werden und sich gegenseitig ergänzen. Eine Beschränkung auf Unterrichtsentwicklung läuft Gefahr, die Rahmenbedingungen von Qualität zu vernachlässigen, und bleibt oft eine isolierte Initiative besonders engagierter Minderheiten. Eine Beschränkung auf Organisationsentwicklung läuft Gefahr, sich vom Kern schulischer Tätigkeit, vom Unterricht und dem Lernen der SchülerInnen, zu entfernen und die Beschäftigung mit organisatorischen Fragen zum Selbstzweck werden zu lassen. Aktionsforschung hat einiges anzubieten, um beide Gefahren zu vermeiden. In den folgenden Abschnitten werden einige Gestaltungsgesichtspunkte diskutiert und ausgewählte Methoden vorgestellt, die uns für Aktionsforschung in Schulentwicklungsprozessen geeignet erscheinen. Damit sollen erste Bezüge für jene AktionsforscherInnen hergestellt werden, die sich vermehrt mit Fragen der Schulentwicklung konfrontiert sehen, ohne dass dabei der Anspruch bestünde, alle we-

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sentlichen Phänomene der Schulentwicklung abzuhandeln. In dem Band „Schulen evaluieren sich selbst“ (Altrichter/Messner/Posch 2006) haben wir in umfassenderer Weise versucht, Schulentwicklung aus der Perspektive von Selbstevaluation und Aktionsforschung zu thematisieren: Wie in diesem Buch, das sie gerade in Händen halten, wird auch in „Schulen evaluieren sich selbst“ versucht, praktikable und zugleich gut begründete Strategien für Schulentwicklung zur Diskussion zu stellen und in der Praxis erprobte Methoden dafür aufzuzeigen.

9.3 Einstieg und Klärung der Situation 9.3.1 Klärung der sozialen Ressourcen und Aufbau einer Struktur für die Schulentwicklung Die Einstiegsphase in Aktionsforschungsprozesse wurde in diesem Buch in den Kapiteln ‚Tagebuch‘, ‚Entwicklung eines Ausgangspunktes für die eigene Forschung‘ und ‚Nähere Klärung des Ausgangspunktes‘ besprochen. In ihnen ging es um dreierlei: • um eine emotionale (‚einstellungsmäßige‘) Klärung: Woran will ich arbeiten? Was ist mir wichtig? Was traue ich mir zu? • um eine intellektuelle Klärung: Um welche Merkmale, Aspekte, Fragen geht es? Welche Zusammenhänge, Voraussetzungen und Folgen erwarte ich? Welche Informationen brauche ich? • und schließlich damit verbunden auch um eine Klärung der vorhandenen materiellen und immateriellen Ressourcen: Welche Informationen habe ich eigentlich schon? Welche Informationen liegen irgendwo anders schon vor oder sind im Prinzip leicht zugänglich? Wer kann mich unterstützen? Welche zeitlichen, materiellen und finanziellen Hilfen kann ich aktivieren? Bei Schulentwicklungsprojekten geht es um sehr ähnliche Fragen. Pragmatisch gesprochen, stehen drei Arten von Aktivitäten im Vordergrund: • die Herausarbeitung von Themen, denen sich der Schulentwicklungsprozess widmen soll (z.B. Kommunikation in der Schule, Schulklima, Entwicklung erweiterter Lernformen, organisatorische Verbesserungen bei Vertretungsregelung und Stundenplangestaltung usw.); • die Gewinnung gemeinsamer Zielperspektiven, die der weiteren Arbeit Orientierung geben sollen; • der Aufbau einer sozialen Struktur für die weitere Arbeit, z.B. die Bildung von Arbeitsgruppen zu den gewählten Themen und die Einrichtung einer Koordinationsgruppe (oder Steuergruppe), die für operationelle Entscheidungen und für die Organisation des Informationsflusses zuständig ist.

Einstieg und Klärung der Situation

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Auch bei unterrichtsbezogenen Aktionsforschungsprojekten sind solche sozialen Klärungsprozesse nötig und sie werden auch vom ethischen Code der AktionsforscherInnen gefordert (vgl. Kap. 5.2.3). Diese Klärung der sozialen Ressourcen beschränkt sich meist auf eine durchaus überschaubare Aushandlung von Forschungszweck und -vorgehen mit den direkt betroffenen SchülerInnen und KollegInnen. In Schulentwicklungsprojekten wird diese Aufgabe jedoch meist umfangreicher und diffiziler. Die Projekte sind ‚größer‘, mehr Personen sind betroffen, und man wünscht sich mehr ‚MitstreiterInnen‘, die die Untersuchungs- und Entwicklungsarbeit voranzutreiben helfen. Werfen wir einmal einen Blick auf die ‚Packliste‘, die Hans-Günter Rolff und Wilfried Schley (1997, 15f ) beginnenden SchulentwicklerInnen empfehlen: Packliste für einen guten Anfang in der Schulentwicklung 1. Menschen, die etwas wollen: Bereitschaft 2. Ein Ziel, das reizvoll ist und Energien weckt: konkrete Vision 3. Ein System, in dem sich etwas bewegen lässt: Überschaubarkeit 4. Eine Handlungsperspektive, die Veränderungen ermöglicht: Gelegenheit zu persönlicher Urheberschaft 5. Angst vor dem, was geschehen wird, wenn nichts geschieht: Angst zweiter Ordnung 6. Erwartungen anspruchsvoller Eltern, gesellschaftlicher Interessengruppen und qualitätsbewusster Administrationen: externe Herausforderung 7. Ideen, Modelle, Ressourcen und Beratung von außen: externe Unterstützung 8. Zeitgefäße, Reflexionsrahmen und Kooperationsnetze: Rahmenbedingungen 9. Bedürfnis, sich weiterzuentwickeln und Fehlertoleranz: Lernbereitschaft 10. Bereitschaft zum allmählichen Hineinwachsen in neue Strukturen und Systeme, zum schrittweisen Entwickeln neuer Arbeits- und Kooperationsformen: langer Atem Quelle: leicht modifiziert nach Rolff/Schley (1997, 15f )

Nicht zufällig stehen hier ‚Menschen‘ an erster Stelle. Wenn die MitarbeiterInnen einer Organisation kein produktives Verhältnis zu dem ‚Veränderungsprojekt‘ fassen können – was auch einschließt: zu sich selbst mit den eigenen Stärken und Schwächen, mit den eigenen (Veränderungs-)Wünschen und (Beharrungs-)Bedürfnissen und zu ihren KollegInnen, die vielleicht anderes wollen – dann wird Entwicklung in einer Organisation eine mühsame und energieverschleißende Sache mit höchst (un-)gewissem Ausgang. Darauf weist auch die folgende Aufstellung

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von Problemen, Fehlern und Fallen von Anfangssituationen in der Schulentwicklung hin – im Gegensatz zur vorhergehenden Packliste eine Liste von Dingen, die Sie auf jeden Fall vergessen sollten, auf Ihre Reise mitzunehmen. Fallstricke in Anfangssituationen • Tunnelblick: Die richtige Lösung bereits fertig im Kopf haben: Lösungsfixierung führt zum Tunnelblick. • Mangelnde Beziehungsbalancen: „… die Neuerer sind unter sich, die Skeptiker sind abgekoppelt, die Schulleitung nimmt eine neutral vermittelnde Position ein und spannt sich nicht als Lokomotive vor den Zug.“ • Kaltstart: Temporeicher Beginn, obwohl viele der Beteiligten noch gar nicht warm geworden sind. • Zu viel Gepäck an Bord: Es gibt zu viele und zu hohe Erwartungen, die nicht explizit ausgesprochen und nicht in eine Prioritätenreihung gebracht wurden. „Die Beteiligten holen dann zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Argumente aus dem Sack, um zu sagen, was jetzt gerade nicht geschieht …“ • Samen auf gefrorene Erde streuen: Bei fest gefügten und eingespielten Verhältnissen ist das Feld noch nicht bereit; „ein Prozess des Auftauens, des allmählichen Einlassens und Schmelzens von bestimmten Positionen“ ist erforderlich. • Sache vor Beziehung: Alle haben vernünftige Ideen, nur leider misstrauen sie einander. Es wird versucht, persönliche Differenzen mit sachlichen Argumenten zu überdecken, sodass jene ‚unter dem Teppich‘ weiter schwelen. „Das Fachliche, Rationale und Konzeptionelle muss im Persönlichen wurzeln: Kontakt vor Inhalt.“ • Feuerwerk: „Zuviel wird gleichzeitig angefackelt … Wege entstehen beim Gehen, wer jedoch ohne Ziel geht, dreht sich im Kreis und bleibt letztlich auf der Stelle.“ • Problemeinigkeit bei unterschiedlicher Sprache und Wahrnehmung: „Es ist leichter, sich über ein Problem zu verständigen, als über angestrebte Lösungskonzepte.“ Durch einen Prozess der Reflexion der Situation zu einer gemeinsamen Sprache und Denkweise finden, zu einem „gemeinsamen Denkraum mit Optionen und Lösungsalternativen, der Bewegungsspielräume bietet.“ Quelle: leicht modifiziert nach Rolff/Schley (1997, 19ff)

Wenn eine Initiative zur Schulentwicklung gesetzt werden soll, dann lässt sich das nicht lange ‚geheim‘ halten. Und sie lässt sich auch nicht lange ‚klein‘ halten in dem Sinn, dass nur beschränkte Teile der Organisation von den Entwicklungsprozessen betroffen sind.

Einstieg und Klärung der Situation

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„Veränderst Du einen Teil, aktivierst Du das Ganze. Selbst wenn ein Prozess freiwillig von einer Initiativgruppe begonnen wird, hat er Rückwirkungen, Reaktionen aus dem gesamten System zu erwarten.“ Aus dieser Erkenntnis heraus ist der folgende ‚erste Leitsatz der Schulentwicklung‘ entstanden (vgl. auch Kap. 4.3.2): „Fasse das Ganze in den Blick, wenn Du einen Teil erfolgreich bewältigen willst.“ (Rolff/Schley 1997, 14) Anfangssituationen erzeugen Bewegung, Unruhe, Gerüchte, Gegenreaktionen. Und gerade darum erfordern sie von ihren InitiatorInnen Klarheit und eine durchschaubare soziale Struktur, in der die ersten Schritte erdacht, besprochen und beschlossen werden können. In Schulentwicklungsprojekten wird diesem Umstand oft dadurch Rechnung getragen, dass schon in der Vorbereitungsphase eine Steuergruppe der Schulentwicklung installiert wird (vgl. Hanzer 1997). Diese Steuergruppe stellt sozusagen eine verkleinerte Abbildung – oder besser: Rekonstruktion – des Makrokosmos ‚Organisation‘ dar: Sie soll einesteils alle wichtigen Tendenzen, Stärken und Einflüsse einer Schule (bzw. die dahinter stehenden Personen und Gruppen) repräsentieren, auf der anderen Seite aber so klein sein, dass sie als Gruppe arbeitsfähig ist und dass face-to-face-Interaktionen und persönliche Verantwortungsübernahme möglich sind. Gesichtspunkte bei der Zusammensetzung einer Steuergruppe • Formelle EntscheidungsträgerInnen: Schulleitung, AdministratorIn, Abteilungsvorstände, PersonalvertreterInnen, VertreterInnen von bestehenden Gremien der Schule und von ev. eingerichteten ‚Substrukturen‘ (z.B. Jahrgangsteams, Abteilungen, Fachgruppen) usw. • Informelle EinflussträgerInnen: ‚einflussreiche Persönlichkeiten‘, MeinungsmacherInnen, VertreterInnen von Interessengruppen usw. • Vielfalt und Repräsentativität: Eine Gefahr besteht darin, nur die ‚Gleichgesinnten‘  – die ‚Engagierten‘, die ‚Fortschrittlichen‘, die der Schulentwicklung oder der Schulleitung gewogenen KollegInnen – in diese Steuergruppe einzuladen. Dadurch gehen erstens Energien für den Entwicklungsprozess verloren. Zweitens finden Ausgeschlossene ohnehin früher oder später ihre Wege, auf die eine oder andere Weise mitzumischen. • Gruppengröße: Diese sollte – je nach Größe der Schule – etwa 5-10 Personen betragen, um face-to-face-Interaktionen und eine gewisse Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten. • Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung und zur konkreten Mitarbeit

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Oft wird gesagt: Schulentwicklung ist eine Führungsaufgabe. Das stimmt, wenn mitbedacht wird, dass in funktionierenden Organisationen Führung ‚generalisiert‘ wird (vgl. OECD 1994); d.h. es werden Gelegenheiten geschaffen, dass viele Organisationsmitglieder an den Führungsaufgaben teilhaben, ihren Ideenreichtum einbringen und Verantwortung übernehmen können. In diesem Sinne ist die Steuergruppe eine ‚entwicklungsbezogene, erweiterte Schulleitung‘. Sie trifft sich zu vereinbarten Zeitpunkten und hat folgende Aufgaben: • Animation und Beteiligung der Betroffenen: Am Anfang müssen Impulse gesetzt werden, die die Meinungsbildung über die Richtung der Weiterentwicklung stimulieren und Energien mobilisieren. Durch realistische Zielsetzungen, Zwischenbilanzen sowie durch das Öffentlichmachen (und Feiern) von Erfolgen soll ein Bewusstsein über die Fortschritte und das noch zu Leistende aufrechterhalten werden. • Koordination und Management des laufenden Entwicklungsprozesses: Die verschiedenen Teilinteressen von Einzelnen und Gruppen müssen einesteils unterstützt und andernteils wiederum in das Gesamtinteresse der Schule eingebunden werden. Dazu gehört auch die Entscheidung, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Weise die Schulgemeinschaft, die Gesamtgruppe des Kollegiums und ev. andere Bezugsgruppen in die Entscheidungsfindung über die Umsetzung einzelner Initiativen eingebunden werden sollen: Welche Ideen sind so weit ausgereift, dass sie in die Tat umgesetzt werden können? Auf welche Weise kann deren Realisierung unterstützt werden? • Aufbau eines verlässlichen und transparenten Informationsflusses: Wie können die Mitglieder des Kollegiums und andere Bezugsgruppen in ökonomischer Form über die Vorgänge der Schulentwicklung auf dem Laufenden gehalten werden? In Schulen wird oft über mangelnde Information geklagt. Gerüchte entstehen überraschend leicht. Wenn Veränderungen anstehen, ist die Möglichkeit, Zugang zu den wichtigen Informationen zu erhalten, besonders bedeutsam. Am schwarzen Brett, auf einer eigenen ‚Schulentwicklungs-Litfasssäule‘, im schulinternen Intranet oder im Konferenzzimmer können ‚Zwischenberichte‘ veröffentlicht werden, in einer Konferenz können Gruppenergebnisse präsentiert werden. Die Steuergruppe erscheint als der besonders aktive, gleichsam ‚operative Kern‘ des Schulentwicklungsprojekts; sie wird aber nur dann langfristig erfolgreich sein, wenn sie ihre Tätigkeit als eine Art ‚Meta-Aktivität‘, als eine rahmenbezogene, ermöglichende, anstoßende versteht – und nicht glaubt, alles selbst erledigen zu müssen. Wenn eine Steuergruppe planende und organisatorische Aufgaben zum Anstoß eines Schulentwicklungsprozesses übernimmt (z.B. durch Vorbereitung einer Pädagogischen Konferenz; vgl. Altrichter/Rasch 1997), besteht die Gefahr, dass sich das Gesamtkollegium und andere Betroffene zunehmend aus dem Nachdenken über die weitere Schulentwicklung ausklinken. Und es besteht eine weitere Gefahr, dass

Einstieg und Klärung der Situation

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nämlich übergroße Hoffnungen und Erwartungen auf diese Gruppe projiziert werden (vgl. Rolff/Schley 1997, 18). Diese können im Falle des Scheiterns in ebenso weit gehende Kritik umschlagen, im Gelingensfall in Phantasien, dass eine kleine Gruppe nun die Macht übernommen hätte. Um das zu verhindern, sollte die Arbeit der Steuergruppe rückgekoppelt werden: • Klare Informationen über einzelne Planungsschritte und über Feedbackmöglichkeiten an das Kollegium sind unabdingbar. • Meinungserhebungen und Umfragen können zur Vorbereitung von Gestaltungsalternativen sinnvoll sein. • An wichtigen Meilensteinen sollten offene Diskussionen und formelle Entscheidungen über inhaltliche und organisatorische Fragen stattfinden. Die Phase des Einstiegs in Schulentwicklung (oder in einen neuen Zyklus von Entwicklungsaktivitäten) soll nicht nur ein ‚sachliches‘ Ergebnis erbringen. Sie soll auch zur Vertrauensbildung beitragen und allen Beteiligten eine gewisse Orientierungssicherheit bieten. Ein akzeptiertes Wechselspiel zwischen strategischen Entscheidungen im größeren Kreis und gestaltender, organisierender und umsetzender Arbeit in der kleineren Steuergruppe zielt langfristig auf das Sichtbarmachen von Verantwortung und Einfluss sowie auf die explizite Übertragung von ‚Mandaten‘ ab, die u.E. wesentliche Voraussetzungen für längerfristige Schulentwicklung sind. Schulg

Projektgruppe

Abb. 33: Projektgruppenstruktur

emeinschaft

SchulleiterIn Steuergruppe

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Letztlich wird eine klare und akzeptierte Verteilung von Verantwortung und Handlungsspielräumen angestrebt. Sie kommt z.B. im ‚Blumenmodell‘ einer Projektstruktur (vgl. Abb. 33) zum Ausdruck. In dieser werden nach der Einstiegsphase Projektgruppen eingerichtet, die planerische und gestaltende Arbeit zu verschiedenen Entwicklungsbereichen leisten, über die zuvor Übereinkunft erzielt wurde. Diese Tätigkeiten werden durch eine Steuergruppe (in der jede Projektgruppe vertreten ist) koordiniert und mit anderen schulischen Aktivitäten in Beziehung gesetzt. Bei wichtigen strategischen Weichenstellungen wird eine Beauftragung durch jenes Gremium, das die Schulgemeinschaft am besten repräsentiert (z.B. durch das Kollegium oder ein Schulpartnerschaftsgremium), gesucht. 9.3.2 Spielregeln klären Wann immer mehrere Menschen und Gruppen zusammenarbeiten, ist es günstig, die ‚Spielregeln zu klären‘. Die Verantwortlichkeiten der einzelnen beteiligten Personen und Strukturen sollten ebenso explizit festgelegt werden wie die Kriterien, denen die verschiedenen Prozesse (z.B. Informationsweitergabe, Antragsrechte, Datenerhebung, -analyse und -einsicht, Veröffentlichung) genügen müssen. Solche Übereinkünfte zwischen den verschiedenen internen und externen Beteiligten eines Schulentwicklungsprozesses werden oft in schriftlichen Kontrakten festgehalten (vgl. Strittmatter 1998). AktionsforscherInnen sind solche Überlegungen nicht neu. Sie haben ja nicht das Interesse, einen Ist-Zustand distanziert zu diagnostizieren, sondern wollen einen konstruktiven Beitrag zur Weiterentwicklung ihrer beruflichen Situation leisten. Dies hat sich in der unterrichtsbezogenen Aktionsforschung in der Formulierung von sog. ‚ethischen Codes‘ niedergeschlagen (vgl. dazu Kap. 5.2.3). Aus Erfahrungen mit Aktionsforschungsprozessen haben sich folgende zentrale ethische Normen herauskristallisiert: • Während der gesamten Forschungsarbeit sollte auf ihre möglichen positiven und negativen Auswirkungen auf andere Personen geachtet werden. • PraktikerInnen, deren Aktivitäten in Klassen Gegenstand von Beobachtungen und Interviews sind, sollen volle Kontrolle über die Verwendung der Informationen haben, die sie bereitstellen. • SchülerInnen und ihre VertreterInnen sollen Zugang zu Daten haben, die von ihnen stammen (z.B. Interviews). Sie sollen die Möglichkeit bekommen, diese zu verändern oder zurückzuziehen. • Die Anonymität der SchülerInnen soll normalerweise in allen Stadien der Forschung garantiert werden. Namen dürfen nur verwendet werden, wenn die Betroffenen bzw. soweit erforderlich: die Eltern dem zustimmen. • Schriftliche Berichte dürfen nur veröffentlicht werden, wenn diejenigen, die direkt von der Forschungsarbeit betroffen sind, die Zustimmung dazu gegeben haben.

Einstieg und Klärung der Situation

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Es empfiehlt sich, Regeln dieser Art bereits zu Beginn des Schulentwicklungsprojekts gemeinsam festzulegen und als wichtigen Bestandteil der Forschungs- und Entwicklungsarbeit ernst zu nehmen. Wenn ein Schulentwicklungs- oder Qualitätssicherungsprojekt das Einholen von Feedback durch einzelne LehrerInnen vorsieht und zu diesem Zweck Lehrergruppen gebildet werden, die einander beim Einholen und Analysieren von Informationen unterstützen (etwa indem sie sich gegenseitig für Unterrichtsbeobachtungen und Rückmeldung zur Verfügung stellen) empfiehlt es sich, in jeder dieser Gruppen eine Vertraulichkeitsvereinbarung zu treffen (vgl. das Beispiel in M 49). M 49 Muster einer Vertraulichkeitsvereinbarung in Lehrergruppen Die Mitglieder der Qualitätsgruppe vereinbaren für ihre Zusammenarbeit von __________ bis ________ folgende Vertraulichkeits- und Zusammenarbeitsregeln: 1. Für die Zusammenarbeit im Team üben die Mitglieder größtmögliche Offenheit nach innen und absolute Diskretion nach außen. 2. Der/die einzelne Lehrer/in bestimmt den Grad der Diskretion in allen sie betreffenden Angelegenheiten. Dieser wird von den übrigen Mitgliedern ausnahmslos respektiert. 3. Die Qualitätsgruppe legt im Voraus einvernehmlich die Evaluationsthemen und die Verfahren der Untersuchung und des Kollegialfeedbacks fest. Diese können für die ganze Gruppe Gültigkeit haben oder auf die Bedürfnisse einzelner LehrerInnen ausgerichtet sein. 4. Die Berichte der Qualitätsgruppe an die Steuergruppe sind grundsätzlich anonymisiert und setzen das ausdrückliche Einverständnis aller Mitglieder voraus. Im Verlaufsbericht wird festgehalten, was wie von wem untersucht wurde, und im Ergebnisbericht wird beschrieben, welche Konsequenzen gezogen und welche Aspekte bzw. Problematiken ermittelt wurden, die für die ganze Schule von Bedeutung sein könnten, ohne Namen zu nennen. 5. Falls es im Laufe der Arbeit zu unüberwindbaren Problemen in der Zusammenarbeit kommt, wird über einen möglichen Austritt eines/r Lehrer/in aus der Gruppe gemeinsam beraten und eine konsensuale Lösung angestrebt. 6. Die Diskretionspflicht erlischt nicht mit dem Austritt aus einer Gruppe oder der Auflösung der Gruppe (keine üble Nachrede!). 7. Die Qualitätsgruppe reflektiert und beurteilt regelmäßig die Teamqualität ihrer Zusammenarbeit. Unterschriften: ___________________ Quelle: leicht modifiziert nach Anton Strittmatter und Elgrid Messner

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9.3.3 Welchen Einstieg wählen? Unserer Erfahrung nach gibt es für Schulentwicklungsprojekte übrigens ebenso wie für ‚unterrichtsbezogene‘ Aktionsforschung drei Einstiegspunkte (vgl. Abb. 34): (1) Zielperspektiven – ‚Visionen‘ entwickeln: Ein Einstiegspunkt besteht darin, sich mit den anderen Mitgliedern der Organisation über Fragen wie die folgenden auseinanderzusetzen: Welche Ziele wollen wir anstreben? Welches Bild von unserer Schule und ihren Angeboten soll uns leiten? Welchen Prinzipien soll unsere Arbeit genügen?

Zielperspektiven – ‚Visionen‘ entwickeln

Evaluation – Bestandsaufnahme der bisherigen Praxis durchführen

Entwicklungsschritte setzen – neue Handlungen ausprobieren

Abb. 34: Drei Einstiegspunkte in Schulentwicklungsprozesse

(2) Evaluation – Bestandsaufnahme der bisherigen Praxis durchführen: Entwicklungsarbeit kann auch mit einer Diagnose der Ist-Situation beginnen: Es wird gleichsam eine ‚Bilanz‘ der bisherigen Praxis in einem oder mehreren Bereichen der schulischen Arbeit gezogen. Diese soll Stärken und Schwächen sowie Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung und Absicherung der gegenwärtigen Arbeit aufzeigen. (3) Entwicklungsschritte setzen – neue Handlungen ausprobieren: Entwicklungsarbeit kann aber auch mit einem Innovationsprojekt beginnen: Gute Ideen für neue Unterrichtsformen, Aufgabenverteilungen, Kooperationen usw. sind entweder von Mitgliedern des Kollegiums ausgearbeitet oder beispielsweise aus einem Lehrfortbildungskurs, einer Studienreise, durch Lektüre usw. ‚importiert‘ worden und sollen nun in die Praxis umgesetzt werden.

Sammlung von Daten

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Erfolgreiche Entwicklungsprojekte brauchen längerfristig alle drei Elemente: die Umsetzung neuer Ideen (3), die Reflexion der eigenen Praxis (2), sei es jene, die sich aus der Verwirklichung von Innovationsideen ergeben hat, oder die ‚laufende Alltagspraxis‘, sowie eine Vergewisserung darüber, welche Ziele und Werte hinter der eigenen Praxis stehen und durch sie gefördert werden (1). Wir haben jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass einer dieser Einstiegspunkte gegenüber den anderen zu favorisieren wäre, eher Erfolg brächte usw. Unserer Erfahrung nach passen die verschiedenen Einstiege unterschiedlich gut für verschiedene Personen und Organisationen. Es ist nicht so wichtig, an welchem Punkt begonnen wird. Es ist allerdings sehr wichtig, sich den Fragen, die mit den drei Einstiegspunkten verbunden sind, im längerfristigen Verlauf des Entwicklungsprozesses einmal zu stellen. Ein erster Einstiegspunkt in Schulentwicklung kann also durch Prozesse der Zielklärung geschehen, also gleichsam von der Spitze von Abb. 34 her. Auch wenn man sich schon auf die allgemeinen Leitideen eines Schulprogrammes, eines Schulentwicklungsplanes, eines Schulprofils (vgl. Holtappels 2004) oder auch nur auf die Ziele eines konkreteren Entwicklungsvorhabens geeinigt hat, ist das Ergebnis oft ähnlich abstrakt wie die Zielformulierungen in den staatlichen Lehrplänen. Dies bringt nicht nur viele offene Fragen und „Missverständnisse“ bei der Planung und Umsetzung von Entwicklungsvorhaben mit sich; dadurch bleibt auch offen, an welchen Situationen man erkennen kann, ob diese Leitmotive tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden oder nicht. Für unterrichtsbezogene wie auch für organisationsbezogene Aktionsforschung ist es wichtig, die eigenen Entwicklungsbemühungen zu beobachten, zu interpretieren und für weitere Handlungen auszuwerten, kurz: zu evaluieren43. Bei einer Evaluation kann jedoch die Frage „Woran erkenne ich nun genau, ob dieses Ziel erreicht wurde?“ nicht ausgespart werden. M 13 „Ziele konkretisieren und Erfolgsindikatoren formulieren“ kann auch in Schulentwicklungsvorhaben für die Konkretisierung allgemeiner Zielvorstellungen verwendet werden. In Altrichter/Messner/Posch (2006, 54-86) finden Sie weitere Überlegungen und Arbeitsmethoden zur Zielklärung in Schulentwicklungsprozessen.

9.4 Sammlung von Daten Für die Datensammlung in Schulentwicklungsprozessen, sei es in Phasen der ‚Bestandsaufnahme‘ einer Ist-Situation oder der Evaluation von einmal in Gang gesetzten Entwicklungsmaßnahmen, stehen Evaluationsinstrumente und -methoden aus mindestens drei Quellen zur Verfügung: 43

Auch in den meisten anderen Schulentwicklungskonzepten sind Phasen der Diagnose der Ausgangssituation und der Evaluation von Entwicklungsvorhaben vorgesehen (vgl. Altrichter/Helm 2011).

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• Erstens bietet sich der Werkzeugkasten der sozialwissenschaftlichen Forschung an: Beobachtungen, Befragungen durch Interviews, Gruppeninterviews und Fragebögen, Tests sowie die Auswertung vorliegender Daten und Dokumente, wie sie in Kapitel 5 ausführlich besprochen wurden. • Zweitens werfen die verschiedenen Rückmeldungsinstrumente, wie sie LehrerInnen zum Einholen von Feedback verwenden, auch für Schulevaluationen interessante Informationen ab. Auch die Einladung von Externen (z.B. LehrerInnen, Eltern oder SchülerInnen einer anderen Schule, ExpertInnen) und deren Rückmeldungen können wichtige Anhaltspunkte für Schulevaluation und -entwicklung liefern. • Schließlich sind verschiedene Moderationsverfahren wie sie aus Gruppenworkshops und Supervision bekannt sind, für die Erhebung, Reflexion und Auswertung von Evaluationsdaten wichtig. Über die Grundlagen von Gruppenmoderation kann man sich z.B. in Klebert et al. (2006) informieren. Weitere in Schulentwicklungsprozessen erprobte Verfahren aus dieser Kategorie sind das Analysegespräch (vgl. M 7), die Kollegiale Fallberatung (vgl. Priebe 1998) oder die Methode ‚Filmszene‘ (vgl. Höfer 1997) ebenso wie die im Folgenden vorgestellte SWOT-Analyse (vgl. M 50). In den Büchern von Altrichter/Messner/Posch (2006) sowie Burkard/Eikenbusch (2000) finden Sie eine Einführung in Evaluationsinstrumente, die von den Bedürfnissen der Schulentwicklungspraxis ausgehen. M 50 SWOT-Analyse Einsatzbereich: einfaches Analyseschema zur (Selbst- oder Gruppen-)Analyse einer Organisation Schritte: 1. Denken sie an ‚Ihre Schule‘, wie sie derzeit ist, z.B. • an die Leistungen, die sie für Schülerinnen und Schüler und etwaige andere InteressentInnen erbringt, • an die internen Beziehungen in Ihrer Schule und die Organisation der anfallenden Arbeiten, • an das Bild, das die Öffentlichkeit von Ihrer Schule hat, • an andere wichtige Aspekte der Schule. Tragen Sie die gegenwärtigen Stärken (strengths) und Schwächen (weaknesses) ‚Ihrer Schule‘ in die entsprechenden Felder des SWOT- Schemas ein (vgl. Abb. 35). 2. Denken Sie an die ‚Umgebung der Schule‘, an die oft raschen und dynamischen Entwicklungen im Umfeld der Schule, • bildungs-, gesellschafts-, regionalpolitische Entwicklung, • soziale und kulturelle Entwicklung, • demographische Entwicklung, • technologische Entwicklung usw.

Sammlung von Daten

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Welche Gelegenheiten (opportunities) und Bedrohungen (threats) ergeben sich aus diesen Entwicklungen für Ihre Schule? Tragen Sie diese in die entsprechenden Felder des SWOT- Schemas ein (vgl. Abb. 35). strengths

weaknesses

opportunities

threats

Abb. 35: SWOT (Situationsanalyse)

Zu den wichtigsten Erfahrungen aus der Phase der Untersuchung der Ist-Situation zählen: • Es entsteht eine ‚fragende Grundhaltung‘ und vermeintliche ‚Selbstverständlichkeiten‘ werden teilweise relativiert. • Die Ausarbeitung von Themen, Fragen und Erhebungsinstrumenten erhöht die Kommunikation untereinander und führt in manchen Fällen zu einem gemeinsamen Bewusstsein über das, was an der Schule wichtig ist. • Die erste Phase ist nicht selten mit einer Aufbruchsstimmung verbunden, die (zu) weit gehende Erwartungen auf rasche Änderungen nährt und gelegentlich zu aufreibenden ‚Maximalprogrammen‘ (umfangreiche Erhebungen aller möglichen Gesichtspunkte; Innovationen auf vielen Ebenen) führt. • Andererseits können sich bereits in dieser Phase einige subtile klimatische Änderungen zeigen, die sich vor allem aus der intensiveren Kommunikation ergeben. Allerdings: Frustration und Befriedigung bzw. Stolz über das Geleistete liegen oft eng nebeneinander. • Ein Problem bei der Analyse der Ist-Situation ist die Koordination zwischen verschiedenen Arbeitsgruppen und deren gegenseitige Abstimmung. Wenn z.B. jede Gruppe einen Fragebogen verteilt, wird die Bereitschaft, Informationen bereitzustellen, schnell überstrapaziert. Ein weiteres Problem ist die u.U. erdrückende Fülle an Informationen, die bei unkoordinierten und ehrgeizigen Erhebungen zusammenkommt und die es schwer macht, den für eine sinnvolle Datenanalyse notwendigen Überblick zu behalten.

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9.5 Analyse von Daten Daten führen noch nicht automatisch zum Nachdenken derjenigen, die ‚es eigentlich angehen sollte‘. Bei Projekten der ‚unterrichtsbezogenen‘ Aktionsforschung sind die LehrerInnen und die SchülerInnen, die der untersuchte Unterricht ‚eigentlich angeht‘, auch die treibenden Kräfte der Konzeption und Umsetzung der Untersuchungen. Schulentwicklungsprojekte betreffen jedoch meist eine größere Gruppe von Personen. Hier bedarf es „wohlüberlegter schulinterner Strategien zur Verbreitung und Vermittlung“ von Evaluationsdaten. „Als wirksam hat es sich erwiesen, die pädagogisch verantwortlichen Gremien und Personen schon in die Planung, Durchführung und Auswertung der Untersuchungen einzubeziehen.“ (Messner/Huber-Söllner 1989, 226) Die Verständigung über die Bedeutung der erhobenen Informationen, die Interpretation der Ergebnisse und die Ausarbeitung von Konsequenzen sollte so erfolgen, dass alle jene mitwirken können, die zu den Evaluationsergebnissen stehen und die Weiterentwicklung tragen sollen. Eine solche kommunikative Analyse der Ergebnisse kann in einer Feedback-Konferenz im Kollegium durchgeführt werden (vgl. M 51). M 51 Gesichtspunkte bei der Gestaltung einer Feedback-Konferenz • Teilnahme möglichst aller durch die Evaluation betroffenen Organisationsmitglieder (Kollegium oder betroffene Teilgruppe? SchülerInnen? Eltern? externe Bezugsgruppen?) • Genügend Zeit (z.B. ganztägige Konferenz) • Wechsel zwischen Arbeit in kleinen Gruppen (z.B. Interpretation von Ergebnissen, Entwicklung von Handlungsalternativen) und Arbeit im Plenum, bei der Interpretationen verglichen, Alternativen diskutiert und Beschlüsse gefasst werden. • Analyse der Erhebungsergebnisse, z.B. nach folgenden Leitfragen (nach Burkard 1995, 14): • Welche ‚Stärken‘ der Schule, bestimmter Teilbereiche, bestimmter ‚Angebote‘ usw. lassen sich aufgrund der Evaluationsergebnisse formulieren? Was hat sich bewährt? Was darf nicht aufgegeben oder vernachlässigt werden? • Welche ‚Schwächen‘ und ‚Entwicklungsbereiche‘ der Schule, bestimmter Teilbereiche, bestimmter ‚Angebote‘ usw. lassen sich aufgrund der Evaluationsergebnisse formulieren? • Was hat sich nicht bewährt, sollte aufgegeben oder neu angegangen werden? • Welche Ziele wurden erreicht? Welche Ziele wurden nicht erreicht? • Was sind besonders überraschende/erfreuliche/ärgerliche Ergebnisse? • Welche Ergebnisse können wir uns nicht erklären? • Wo besteht aufgrund der Ergebnisse Handlungsbedarf? • Zusammentragen und Vergleich der Einschätzungen: Identifizierung von übereinstimmenden und abweichenden Bewertungen.

Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien

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• Erarbeitung von Feldern, in denen Weiterentwicklung notwendig ist: z.B. in thematischen Arbeitsgruppen, die jeweils eine ‚Machbarkeitsstudie‘ über mögliche Entwicklungsschritte durchführen. • Konkrete Vereinbarungen und Entscheidungen über weitere Ziele, Handlungsschritte, Termine und Verantwortlichkeiten.

9.6 Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien Bedeutsamer als die Frage, wer die Daten mit welchen Instrumenten erhebt, ist die Klärung der weiteren Verwendung der Ergebnisse: • An wen dürfen welche Ergebnisse weitergegeben werden und welche müssen als ‚schulintern vertraulich‘ angesehen werden? • Verbleiben Daten und Ergebnisbericht an den Schulen und werden sie dort als Grundlage interner Steuerung verwendet? • Geht der Bericht an die Behörde und setzt dieser Sanktionsmechanismen (etwa Ressourcenzuteilung) oder Maßnahmen der Systemsteuerung in Gang? • Werden schulbezogene Daten veröffentlicht? Zentrale Funktion von Erhebungen und Analysen in Schulentwicklungsprozessen ist ihre Verwendung als Grundlage für Entwicklungsvorhaben. Wenn über Konsequenzen von Evaluationen in Schulentwicklungsprozessen diskutiert wird, dann kommen im Allgemeinen folgende in den Sinn: • Formen individueller und gemeinschaftlicher Weiterbildung, • kollegiale Praxisberatung, • Veränderungen der Organisation der Arbeit, • Entwicklung neuer Angebote, • bildungspolitische Initiativen. Die Gestaltung von Planungsprozessen unter Beteiligung einer großen Zahl betroffener Personen ist alles andere als einfach, wenn es nicht zu einem Ausufern von Idee und Gegenidee und einer nachfolgenden deprimierenden Ideenvernichtung kommen soll. Wir haben in solchen Situationen mit der Kluge-Ideen-Konzentrations-Methode gute Erfahrungen gemacht (vgl. M 42). Für die Planung der Weiterentwicklungsmaßnahmen werden oft aus dem Projektmanagement bekannte Techniken und Planungsschemata (vgl. z.B. Heintel/Krainz 2000; Philipp 1992, 93ff) verwendet, die allen Betroffenen Entscheidungen und Verantwortlichkeiten bewusst machen sollen (vgl. M 52; für Moderationsideen siehe z.B. Klebert et al. 2006). Unsere Version des gängigen Rasters für die Aktionsplanung in Projekten in M 53 versucht die Beziehung von Aktions- und Reflexionskomponenten klar zu legen und kann gleichzeitig als Checkliste dafür dienen, ob für die verschiedenen Entwicklungshandlungen entsprechende Evaluationsmaßnahmen vorgesehen sind.

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Nichts desavouiert Evaluationen mehr als ihre Folgenlosigkeit. Untersuchungen, aus denen keine Konsequenzen für die Weiterentwicklung der Organisation abgeleitet und umgesetzt werden, verschleißen die Mitarbeitsbereitschaft im Kollegium. SchülerInnen treten Selbstevaluationsbögen bald ziemlich ernüchtert entgegen, wenn sie keine Folgen dieser Evaluationstätigkeit ‚spüren‘. Die Auswertung von Evaluationsdaten und die Erarbeitung von Perspektiven für die Weiterarbeit, ihre Umsetzung und Erprobung sind daher keine Sache, die man ein paar internen oder externen SpezialistInnen überlassen sollte, sondern müssen als zentrale Merkmale einer ‚lernenden‘ Organisation angesehen werden. M 52 Planung von Entwicklungs- und Evaluationsvorhaben Im Folgenden wird ein möglicher Aufbau eines Plans für ein Entwicklungs- und Evaluationsvorhaben skizziert. Seine Überschriften sollen auf zentrale Entscheidungsfelder hinweisen: • Thema des Vorhabens: Worum geht es? • Entwicklungsziele: Welche kurz- und mittelfristigen Ziele werden verfolgt? • Bisherige Aktivitäten: Was haben wir bereits unternommen im Hinblick auf die Entwicklungsziele? (Wenn noch nichts unternommen wurde: Wie sieht die Ausgangssituation aus?) • Einschätzung der bisherigen Ergebnisse: Was haben wir bereits erreicht? Was haben wir nicht erreicht? Welche Nebenwirkungen sind aufgetreten? (Auch wenn bis dahin keine systematischen Erhebungen durchgeführt wurden, liegen Erfahrungen und in vielen Fällen auch Belege über die Auswirkungen der bisherigen Maßnahmen bzw. über die Ausgangssituation vor: Beobachtungen, Protokolle etc.) • Interpretation der bisherigen Ergebnisse: Wie lassen sich die bisherigen Erfahrungen erklären, was folgt aus ihnen für das weitere Handeln und vor welchen Herausforderungen stehen wir? • Vorhaben für die nächste Zeit: Welche Initiativen werden wir ergreifen? • Erfolgskriterien bzw. Indikatoren für jedes Vorhaben: Was wäre ein Erfolg im Hinblick auf die Entwicklungsziele? Zusammentragen und Vergleich der Einschätzungen: Identifizierung von übereinstimmenden und abweichenden Bewertungen (vgl. M 13) • Methoden der Evaluation für jedes Erfolgskriterium: Mit welchen Methoden/ Instrumenten wird der Erfolg festgestellt? • Aktionsplan (vgl. auch die Version in M 53) Aktionsplan: Aktion

Verantwortlich f. Durchführung

Zeit

Verantwortlich f. Evaluation

Ressourcen

Nr.

Was? Tätigkeiten Evaluationshandlung Entwicklungshandlung (‚Aktion‘) (‚Reflexion‘)

Wer? Kontakte, Helfer

Welche Voraussetzungen?

Womit? Materialien

Wann, wie lang? Zeitplan Wo? Ort

Entwicklung und Erprobung von Handlungsstrategien

M 53 Arbeitsplanung für das Projekt ___________________________

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10 Aktionsforschung in der Lehrerbildung

Die Lehrerbildung ist in allen deutschsprachigen Ländern in Bewegung gekommen (vgl. Terhart 2000; Bastian et al. 2005; Feyerer et al. 2014). Dies hängt unter anderem mit der Reorganisation der Studienlandschaften im Sinne der BolognaLeitlinien sowie mit steigendem Druck von außen und der Kritik an der berufsorientierten Qualifikation von LehrerInnen zusammen (vgl. Oser/Oelkers 2001), die durch den PISA-Schock in den deutschsprachigen Schulsystemen nicht kleiner geworden ist. Schließlich spielen dabei auch innerwissenschaftliche Entwicklungen eine Rolle, z.B. die professionstheoretische Reformulierung des Lehrerhandelns (vgl. Combe/Helsper 1996; Bastian et al. 2000; Beck et al. 2001; Helsper 2001; 2007; Baumert/Kunter 2006; Feindt/Altrichter 2009), durch die die Bedeutung der Ausbildung reflexiver Kompetenzen von LehrerInnen ins Bewusstsein gehoben wurde, sowie der große Aufschwung einer empirischen Lehrerbildungsforschung, der in den letzten Jahren auch die deutschsprachigen Länder erreicht hat (Blömeke et al. 2010; Kunter et al. 2011; Bauer et al. 2010; Schmidt et al. 2011). Aktionsforschung, die als Variante Forschenden Lernens in der Lehrerbildung auf Erkenntnisproduktion, Professionalisierung und Schul- und Unterrichtsentwicklung zielt (Fichten/Meyer 2014, 11ff.), kann einen wichtigen Beitrag zur Qualitätsverbesserung der Aus- und Fortbildung (angehender) Lehrpersonen leisten. In diesem Kapitel wenden wir uns der Frage zu, wie und in welchen Lehrerbildungskontexten Aktionsforschung ihre Professionalisierungspotenziale entfalten kann. Ausgehend von konkreten Beispielen aus der tertiären Praxis möchten wir aufzeigen, in welchen Ausbildungssettings Studierende, LehrerInnen und Lehrende an Universitäten und Hochschulen Aktionsforschung zum Zwecke ihrer Professionalisierung einsetzen können. Im ersten Abschnitt geht es zunächst um Aktionsforschung in der eigenen Lehre von LehrerbildnerInnen. Anschließend werden mögliche Einsatzformen von Aktionsforschung in der Erstausbildung von LehrerInnen erörtert. Der letzte Abschnitt ist schließlich der Fortbildung professioneller PraktikerInnen durch Aktionsforschung gewidmet. Einen grafischen Überblick über die Beispiele in diesem Kapitel bietet Abb. 36:

Aktionsforschung von LehrerbildnerInnen LehrerbildnerInnen an Hochschulen und Universitäten

Studierende in der Erstausbildung

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Professionelle PraktikerInnen in der Fortbildung

Forschungs- und Entwicklungsfeld Hochschulunterricht (tertiäre Lehre)

schulischer Unterricht (im Rahmen der schulpraktischen Ausbildung)

schulischer Unterricht (im Rahmen der eigenen Berufspraxis)

Beispiele Forschungs- und Entwicklungsprojekt zur Literaturdidaktik: „Englischsprachige Literatur als Fall“ (vgl. Kap. 10.1)

• Einübung von Fallverstehen (10.2.1) • Mitwirkung in angeleiteter Projektforschung (10.2.2) • Teamforschung im engeren Sinn (10.2.3) • Reflektierende Praktika (10.2.4) • Qualifizierungsarbeit (10.2.5)

Fortbildungs-Lehrgang zur Weiterentwicklung der Qualität des Lehrens und Lernens: „Pädagogik und Fachdidaktik für LehrerInnen (PFL)“ (10.3)

Abb. 36: Beispiele von Aktionsforschung in der Lehrerbildung

10.1 Aktionsforschung von LehrerbildnerInnen LehrerbildnerInnen an Universitäten und Hochschulen können einen Beitrag zur Aktionsforschung nicht nur leisten, indem sie Projekte von Studierenden initiieren und sie während der Durchführung ihrer Forschungsvorhaben (z.B. im Rahmen von Qualifizierungsarbeiten) begleiten. Das Potenzial von Aktionsforschung als Forschungsstrategie kommt speziell dann zum Tragen, wenn sie ihr Forschungsinteresse auf ihren Hochschulunterricht und auf (fach)didaktische Fragestellungen ihres Gegenstandsbereiches richten. Wie das folgende Beispiel zeigt, bedarf es nicht immer eines schulischen Forschungsfeldes. (Fach)didaktische Entwicklungsarbeit und Theoriebildung können ihren Ausgangspunkt auch in der tertiären Lehre nehmen, wo LehrerbildnerInnen selbst als forschende Lehrende ihre eigene Lehrveranstaltung durch Aktionsforschung weiterentwickeln und einen Beitrag zur fachdidaktischen Modellbildung leisten. Ein Beispiel: „Englischsprachige Literatur als Fall“ Einer der Autoren stellte in seiner Literaturlehrveranstaltung für Englischlehramtsstudierende Folgendes fest (vgl. Spann 2014a): Während die StudentInnen seines Kurses im Allgemeinen mit eher geringerem (als dem von ihm erwarteten) Engagement an den Unterrichtsgesprächen über ausgewählte literarische Texte teilnahmen, zeigten sie bei der

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Beschäftigung mit englischsprachiger Literatur, die konkrete Bezüge zu Schule und Unterricht aufwies und sie als künftige LehrerInnen ansprach, deutlich größeres Interesse und mehr Beteiligung. Diese Diskrepanzerfahrung (vgl. Kap. 3.1) weckte sein Forschungsinteresse. Er setzte sich zum Ziel, ein Unterrichtsmodell zu entwickeln, das die Interessen der angehenden Englischlehrpersonen stärker berücksichtigte. Das Modell sollte bei der Auseinandersetzung mit literarischen Texten einerseits literarisches Verständnis fördern und andererseits den inhaltlichen Interessen am „Lernen für das LehrerIn-Sein“ entgegenkommen. In einem ersten Schritt wurden theoretische Überlegungen aus der Kasuistik (Arbeiten mit Fällen) und aus der Rezeptionsästhetik zu einem Ablaufmodell einer „literarischen Textfallbehandlung“44 zusammengeführt: In deren Verlauf lasen die Studierenden u.a. einen schul- und unterrichtsbezogenen literarischen Text, der bei ihnen Zweifel, Erstaunen, Widersprüche oder berufsbezogene Irritationen (z.B. Verärgerung über ein im Text beschriebenes Schüler- oder Lehrerverhalten) hervorrufen und sie in weiterer Folge zur Reflexion über beruflich relevante Themen anregen sollte (vgl. Spann 2014b, 150ff). Die Frage für den Hochschullehrer war nun, ob und wie sich dieses theoretisch begründete Modell in der Praxis der Lehrveranstaltung bewähren würde: Würde es seine Erwartungen erfüllen und gleicherweise zu einem beruflichen Selbstverständnis und zum literarischen Verständnis der Studierenden beitragen? Welche literaturdidaktischen Phänomene, Prozesse und Probleme würden sichtbar werden? Aus diesem Interesse entstand ein zweiphasiges Aktionsforschungsprojekt. In zwei aufeinanderfolgenden Studienjahren führte der Autor mit insgesamt fünf Studierendengruppen (N = 65) derartige literarische Textbehandlungen durch und untersuchte diese mittels qualitativer Datenerhebungsmethoden (u.a. Forschungstagebuch, schriftliche und mündliche Befragungen der Studierenden, Tonaufzeichnungen). Die Ergebnisse der Untersuchung zeichneten ein ambivalentes Bild: Während die Studierenden die Arbeit mit literarischen Textfällen mehrheitlich als Beitrag zur Reflexion über berufliche Sachverhalte schätzten, war der literarische Gehalt zu sehr in den Hintergrund getreten. Dazu trugen u.a. auch einige Aufgabenstellungen bei, die den Studierenden für die literarische Beschäftigung mit dem Text zu wenig Raum geboten hatten. Bei der Entwicklung von neuen Handlungsstrategien für die Durchführung von literarischen Textfallbehandlungen in den folgenden Semestern galt es daher besonderes Augenmerk auf die Wahrung der Balance zwischen berufs- und literaturdidaktischen Interessen zu legen. Wie die Untersuchungsergebnisse nahelegten, können bei Gelingen dieses Balanceakts literarische Textfallbehandlungen eine interessante professionsbezogene Ergänzung zu den eher ‚traditionellen‘ Literaturlehrveranstaltungen im Curriculum angehender EnglischlehrerInnen darstellen.



Der eben dargestellte Fall ist ein Beispiel einer fachdidaktisch orientierten Aktionsforschung, bei der oft das Bedürfnis nach Innovationen in Lehre oder Unterricht den Ausgangspunkt bildet. Beispiele dafür liegen neben der Musikdidaktik (Hametner 2017) und Mathematikdidaktik (vgl. Krainer 1996; Krainer/Posch 1996a) insbesondere aus der Fremdsprachendidaktik vor, wo schülerbezogene Ansätze des empowerment und des aktiven Lernens Anlass dafür waren, auch die Modelle der Aus44

In diesem Fall handelte es sich um eine methodisch-didaktische Synthese von fallorientierter Professionsdidaktik (vgl. Steiner 2004) und fremdsprachlicher rezeptionsästhetischer Literaturdidaktik (vgl. Delanoy 2002).

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und Fortbildung und die Ansätze zur Förderung von Innovationen im Unterricht zu überdenken (vgl. Legutke 1994, 1998; Ehlers/Legutke 1998; Delanoy 1994, 1995a, b, 1996; Hermes 1996, 1997). Warum Aktionsforschung als Forschungsstrategie für die Fremdsprachendidaktik relevant ist, begründet Schocker-von Ditfurth (2011, 215) zum einen damit, dass diese „gegenstandsangemessen scheint“, zum anderen mit ihrem kooperationsfördernden Potenzial: Eine Zusammenarbeit zwischen Schule und Hochschule würde den Entwicklungsinteressen beider Seiten entsprechen und Aktionsforschung einen erprobten Weg darstellen, „diese Kooperation als respektvollen Dialog anzulegen“ (Schocker-von Ditfurth 2011, 222). Fachdidaktische Aktionsforschung findet auch Anregungen in internationalen Kooperationen, wie z.B. im Netzwerk für aktionsforschende SprachenlehrerInnen innerhalb des European Centre for Modern Languages of the Council of Europe45 oder in der musikdidaktischen Forschungsgruppe PRiME („Practitioner Research in Music Education“)46.

10.2 Aktionsforschung in der Erstausbildung von LehrerInnen Die Frage, wie LehrerstudentInnen in der 1. Phase der Lehrerbildung unterstützt werden können, professionelle Lehrerkompetenzen zu erwerben, die sowohl praktisches Können als auch Fähigkeiten zu dessen Reflexion und Weiterentwicklung umfassen, ist in den letzten Jahren verstärkt Gegenstand von Konzeptentwicklung und Umsetzungsbemühungen geworden47. Die dabei entwickelten Ansätze treten unter verschiedenen Namen auf, wie forschendes Lernen, forschende, forschungsorientierte oder reflexive Lehrerbildung. Einige unterschiedliche Organisationsformen ‚forschungsorientierter Lehrerbildung‘ sollen im Folgenden anhand von Beispielen dargestellt werden (Vgl. Altrichter/Mayr 2004). 10.2.1 Distanzierte Einübung von Fallverstehen Distanzierte Einübung von Fallverstehen soll die angestrebten professionellen Reflexionsfähigkeiten durch Analyse und Bearbeitung berufsrelevanter Fälle aufbauen. Um die Selbstverständlichkeiten praktischer Routine zu hinterfragen, dürfen diese Übungen in Fallverstehen nicht unter praktischem Handlungsdruck geschehen, sondern müssen in distanzierten, handlungsentlasteten Situationen erfolgen (vgl. z.B. Beck et al. 2000). Ein interessantes und gut dokumentiertes Realisierungsmodell stammt von Dick (1994; 2003). In diesem arbeitet je eine Lehrerstudentin 45 46 47

vgl. www.ecml.at/actionresearch vgl. https://easwebsite.wordpress.com/prime/ vgl. z.B. die Sammelbände von Roters et al. (2009); Feyerer et al. (2014); Eckert/Fichten (2005); Obolenski/Meyer (2003); Dirks/Hansmann (2002); Beck et al. (2000); Altrichter/Fichten (2005); aber auch international vgl. Zeichner (2003); Catelli et al. (2000).

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oder ein Lehrerstudent mit einer erfahrenen Lehrperson über vier Monate zusammen. Die Aufgabe der Studierenden besteht darin, ein „narratives Porträt dieser Expertenlehrperson“ zu erstellen. Die Arbeit ist insofern ‚distanziert‘, als die Studierenden keine direkte Verantwortung für den zu analysierenden Unterricht haben. Durch reflexive Konversationen mit den BerufsexpertInnen über Unterricht sollen die Studierenden einen Fall von Lehrerwissen und -können verstehen und dabei das „breit angelegte, übergreifende Erfahrungswissen der ‚Expertenlehrer‘“ mit ihren eigenen Voreinstellungen und ihrem didaktisch-akademischen Wissen konfrontieren (Dick 1994, 16). Für Dick (1994, 50) sind die Studierenden in der forschungsorientierten Lehrerbildung aktiv Handelnde, deren Chancen zur (Eigen-)Kontrolle und Veränderung ihres Handelns und seiner Handlungsbedingungen in dem Maße steigen, wie sie sich über Handlungshintergründe und -konsequenzen klar werden. 10.2.2 Teilverantwortliche Mitwirkung in angeleiteter Projektforschung Hier arbeiten zumeist kleine Teams von LehrerstudentInnen unter Anleitung von professionellen WissenschaftlerInnen an Analyse- oder Forschungsprojekten zu schulrelevanten Themen, die entweder von der Hochschule (z.B. Analyse von Schulprofilen, Lernstandsdiagnosen; vgl. Schneider/Wildt 2001) oder von Partnerschulen (z.B. Fragestellungen aus Schulentwicklungsprozessen bei Bastian et al. 2002; 2003; Reh/Schelle 2000) genannt werden. Derartige Forschungswerkstätten sollen „Strukturorte der Reflexivität“ eröffnen, in denen „fremde Praxis“ entlastet vom Handlungsdruck erforscht werden kann, wodurch Strategien und Kategorien erworben werden sollen, die später bei der Reflexion eigener Praxis benötigt werden. Die Arbeitsweise kann am Hamburger Modell der Forschungswerkstätten erläutert werden (vgl. Bastian et al. 2003, 156ff): Die zweisemestrige Sequenz beginnt damit, dass sich die Studierenden unter Betreuung von zwei TutorInnen und einem Hochschullehrer inhaltlich und forschungsmethodisch auf ihre Arbeit vorbereiten. Sodann werden Forschungsteams aus zwei Studierenden gebildet. Diese nehmen Kontakt mit ausgewählten Schulen auf und handeln mit LehrerInnen überschaubare Forschungsfragen aus (vgl. Bastian et al. 2002, 133), die zumeist aus Schulentwicklungsprozessen stammen (z.B. „Schülerrückmeldung im Unterricht“). Während des zweiten Semesters werden diese Themen meist in qualitativen Forschungsdesigns in Absprache mit den LehrerInnen, aber ohne Arbeitsbelastung für sie bearbeitet, wobei ein Erfahrungsaustausch zwischen den Forschungsteams in der Gesamtgruppe der Forschungswerkstatt erfolgt. Daran schließt sich die Verschriftung der Projektergebnisse, die die Studierenden als Examensarbeit einreichen, sowie ein Rückmeldegespräch mit den beteiligten Lehrkräften. Der Anspruch an die Studierenden besteht im „Herausarbeiten von typisierbaren Bildern und Mustern aus den untersuchten Prozessen der jeweiligen Schule“. Der Anspruch an die beteiligten WissenschaftlerInnen besteht darin, das lokale Wissen der Einzelstudien

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„mit dem Theoriediskurs in Beziehung zu setzen und es fallübergreifend nutzbar zu machen“ (Bastian et al. 2002, 134). Derart sollen Studierende nicht nur Forschung erlernen, sondern durch Forschung auch spätere praktisch-professionelle Handlungskompetenz entwickeln: Durch die eigenständige Forschung sollen die „Integration von Theoriewissen, Praxiswissen und methodengeleiteten, systematischen Reflexionen“ und „reflexive Lernprozesse in Gang gesetzt werden, die zu einer Entwicklung von didaktischer und methodischer Kompetenz sowie von Beratungs-, Kommunikations- und Teamkompetenz führen“ (Bastian et al. 2003, 153). 10.2.3 Team-Forschung Das Setting der Team-Forschung stellt eine weitere hochschuldidaktische Variante ‚forschender Lehrerbildung‘ dar (vgl. Feindt 2000; 2007; Fichten et al. 2003; Meyer 2003; Vogt/Templin 2003; Fichten/Meyer 2014). Charakteristisch ist, dass die zu untersuchenden Fragestellungen von mitwirkenden LehrerInnen formuliert werden und aus ihrer Praxis stammen. Die teilnehmenden LehrerstudentInnen ordnen sich je nach Interesse (und Sympathie) der einen oder anderen Forschungsfrage zu. Danach wird die Arbeit an den Forschungsfragen in kleinen Teams bestehend aus je einer Lehrperson und einigen Lehrerstudierenden weitergeführt (Eingrenzung der Fragestellung, Verfassen eines Exposés, Kontaktaufnahme zum Feld), während im Plenum alle Forschungsteams gemeinsam in wissenschaftstheoretische, methodologische und forschungspraktische Grundlagen der Team-Forschung eingeführt werden. Danach durchlaufen die einzelnen Teams die klassischen Phasen von Forschungsvorhaben: Datenerhebung, -aufbereitung und -auswertung. In dieser Zeit stehen die mitwirkenden Hochschullehrerinnen für forschungspraktische Beratung zur Verfügung. Die Resultate werden zunächst an einem Präsentationstag den anderen Forschungsteams vorgestellt, um sodann in den betroffenen Schulen rückgemeldet zu werden. Der Anspruch besteht, dass die Ergebnisse der Forschungsteams zu einer Weiterentwicklung der Praxis führen. Damit zielt Team-Forschung auf die Weiterentwicklung schulischer Praxis, die Generierung neuer Erkenntnisse und die Professionalisierung der Beteiligten. Eine besondere Ausprägung eines aktionsforschungsbasierten Team-Forschungssettings stellen die Professionalisierungsmodelle der Lesson Studies und Learning Studies dar (vgl. Kap. 11). 10.2.4 Reflektierende Praktika Im Rahmen von reflektierenden Praktika (vgl. Altrichter/Aichner 2006; Altrichter 2003; Altrichter/Soukup-Altrichter 2014), die integraler Bestandteil des Lehrerbildungsprogramms sind, wählen Studierende eine – meist unterrichtsbezogene – Fragestellung aus, die für die eigene (zukünftige) Berufstätigkeit von Bedeutung ist. Zu dieser Fragestellung sammeln sie Informationen durch Unterrichtsbeobachtungen bei anderen Lehrpersonen, durch Gespräche mit LehrerInnen und SchülerInnen, durch Literaturstudium sowie durch eigene Unterrichtsversuche, zu denen sie gezielte Rück-

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meldungen einholen (lassen). Diese Arbeit wird in mehrfacher Weise unterstützt und begleitet: Einesteils sind die Studierenden Teil einer kleinen Gruppe, die aus zwei bis drei Studierenden und einer betreuenden Lehrperson besteht und ‚kollegiale Beratung‘ für die anfallenden unterrichtlichen und forschungsmethodischen Probleme bieten soll. Anderenteils nehmen alle Gruppen an etwa monatlichen universitären Begleitveranstaltungen teil, bei der weitergehende inhaltliche und methodische Probleme angesprochen werden. Die Erfahrungen ihres Entwicklungsprojekts bereiten die Studierenden in einer Fallstudie auf, die zunächst in der kollegialen Gruppe und später in der Begleitveranstaltung der Diskussion einer „professionellen Bezugsgruppe“ ausgesetzt wird. 10.2.5 Aktionsforschung im Rahmen von Qualifizierungsarbeiten Lehramtsstudierende studieren mit dem Ziel, „Mitglieder einer Profession“ (vgl. Kap. 12.3) zu werden. Es ist auf den ersten Blick daher auch nicht verwunderlich, dass sie den Beitrag der schulpraktischen Studienanteile in der Regel als bedeutsamer einschätzen als die ‚theoretisch-wissenschaftliche‘ Orientierung des Studiums: „Ich möchte LehrerIn werden, nicht WissenschaftlerIn!“ (Börnert et al. 2014, 43). Wie die Erfahrungen der Autoren zeigen, ist die berufsbezogene Relevanz des Themas studienabschließender Qualifizierungsarbeiten wie Bachelor- oder Masterarbeiten wichtig – frei nach dem Motto ‚Ich möchte mich mit etwas beschäftigen, das mir auch für meine zukünftige Praxis etwas bringt‘. Aktionsforschung eröffnet den Lehramtsstudierenden im Rahmen einer Qualifizierungsarbeit daher ein weites Untersuchungsfeld, in dem sie sich mit dem eigenen Unterricht und theoretischen Wissensbeständen reflexiv auseinandersetzen können. Ein Beispiel: Erprobung einer fachdidaktischen Strategie Ein Lehramtsstudent (Englisch und Kunst) ging in seiner Bachelorarbeit der Frage nach, wie in einer (nicht-gymnasialen) Sekundarstufenklasse Englisch und Kunst fächerübergreifend unterrichtet werden können, sodass SchülerInnen zum kreativen Schreiben eines Gedichts angeregt werden. Er gliederte seine Arbeit in zwei Teile: Im ersten Teil setzte er sich mit dem Thema „Vom Bild zum Gedicht im fächerübergreifenden Unterricht Bildnerische Erziehung und Englisch“ aus theoretischer Perspektive auseinander. Hier beschäftigte er sich zunächst mit den methodisch-didaktischen Aspekten seiner fachdidaktischen Strategie. Dabei ging es um Aspekte fächerübergreifenden Unterrichts, die Verwendung geeigneter Sozialformen und Fragen zum Wortschatzerwerb und zur Bildanalyse. Ausgehend von diesen theoretischen Überlegungen entwickelte der Student eine Unterrichtsstrategie, die es SekundarstufenschülerInnen ermöglichen sollte, anhand von Bildimpulsen englischsprachige Kreativtexte zu verfassen. In der Folge erprobte er in einer Klasse diese Strategie im Rahmen von zwei Unterrichtssequenzen, die sich primär in ihrer Sozialform (Plenum/Einzelarbeit bzw. Partnerarbeit), aber auch im verwendeten Material unterschieden. Er erhob dabei Daten in Form von Schülerprodukten (hier: von SchülerInnen verfasste Gedichte), Beobachtungs- und Feedbackbögen. Im abschließenden Teil seiner Arbeit dokumentierte er sein Unterrichtsprojekt und unterzog es auf Basis der gewonnenen Daten einer kritischen Analyse. Trotz grund-

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sätzlicher Zufriedenheit mit der Qualität der produzierten Gedichte betonte er u.a. die Notwendigkeit von zukünftigen Verbesserungen seines Modells: „Die Resultate, die aus den zwei Testdurchgängen dieses Modells hervorgehen, variieren sehr stark, weil das Modell strukturell auf zwei Arten umgesetzt wurde. Zudem tauchten unterschiedliche Probleme auf […] Diese sind mitunter konzeptionelle Probleme, die eine Reflexion benötigen, um das theoretische Modell zu verbessern.“ (Heise 2013, 57) Welche Reflexionsprozesse bei der Entwicklung von Handlungsstrategien an der Schnittstelle von Theorie und Praxis ausgelöst werden können, führt der folgende Textausschnitt sehr anschaulich vor Augen. Angesichts der eher geringen Kooperationsbereitschaft seiner SchülerInnen während des Projekts sieht der Student einen Widerspruch zu Thesen aus dem fachdidaktischen Diskurs: „Aus den Beobachtungen und der subjektiven Wahrnehmung des Verfassers geht kaum hervor, dass die Schüler und Schülerinnen kooperativ miteinander gearbeitet hätten. Auch aus den Ergebnissen des Feedbackbogens lässt sich eine eindeutige Tendenz ablesen, dass für das durchgeführte Kreativprojekt Einzelarbeit erwünscht gewesen wäre. Dies widerspricht den wissenschaftlichen Aussagen zum Schreiben von kreativen Texten.“ (Heise 2013, 59) Er belässt es jedoch nicht bei dieser Feststellung, sondern leitet daraus eine Handlungsstrategie ab, die sich von den ihm bekannten „wissenschaftlichen Aussagen“ unterscheidet: „Statt die Arbeitsschritte think-pair-share einzuhalten, müsste man die Partnerphasen reduzieren und nur zu Beginn kooperativ vorgehen. Es ergäbe sich eine neue Variante des Modells, die die ersten zwei Phasen vertauscht (pair-think-share). Zu zweit würden Schüler und Schülerinnen Bilder betrachten und Wörter sammeln, jedoch in einer Einzelphase Gedichte schreiben, also muss man dem think noch write als weiteres Element hinzufügen.“ (Heise 2013, 59)

Dieses Beispiel zeigt, dass der Student bei der Durchführung seiner Studie die folgenden Schritte vollzog: 1. Er setzt sich zunächst unter Heranziehung facheinschlägiger Literatur mit der Fragestellung auseinander. 2. Er entwickelt im Lichte dieser Auseinandersetzung eine Unterrichtsstrategie. 3. Er erprobt diese Strategie in der eigenen Unterrichtspraxis. 4. Er sammelt dabei Daten, die ihm eine kritische Analyse dieser Strategie ermöglichen. 5. Er beschreibt auf Basis dieser Daten Problemfelder, die bei der Verwendung dieser Strategie sichtbar wurden. 6. Er entwickelt neue Handlungsstrategien für die zukünftige Verwendung in der Praxis. Die Erprobung einer theoriebasierten fachdidaktischen Strategie bildet hier den Untersuchungsfokus der Bachelorarbeit. Diese inhaltliche Ausrichtung weist starke Ähnlichkeiten zu jener Grundform auf, die Vetter et al. (2014, 124) in Bezug auf Masterarbeiten als „theoriegestützte Reflexion und iterative Entwicklung des

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eigenen Unterrichtsverhaltens“ bezeichnen. Eine weitere Verwendungsmöglichkeit für Aktionsforschung im Rahmen von Qualifizierungsarbeiten besteht auch darin, Unterrichtsmaterialien theoriegestützt zu entwickeln, diese in der eigenen Unterrichtspraxis zu erproben und weiterzuentwickeln. Die Grenzen zur obengenannten Verwendungsform sind nicht trennscharf, der Untersuchungsfokus liegt hier jedoch stärker auf den im Verlauf der Arbeit konzipierten und in der Praxis verwendeten Unterrichtsmaterialien. Im Unterschied zu forschenden Lehrpersonen an Schulen, die Umfang und Zeitrahmen ihrer Untersuchung weitgehend selbst bestimmen können, sind Studierende bei aktionsforschungsbasierten Qualifizierungsarbeiten üblicherweise an die zeitlichen und curricularen Rahmenbedingungen des Studiums und – für ihre Feldkontakte – der schulpraktischen Anteile gebunden. Dies stellt Studierende zum einen vor ein beträchtliches Maß an Planungsungewissheit („Bekomme ich die Klasse, die ich brauche?“, „Wie lange habe ich sie zur Verfügung?“). Zum anderen schränkt der begrenzte (und daher oft recht kurze) Zeitrahmen die Entfaltung iterativer Potenziale von Aktionsforschung ein, sodass Studierende nach Durchlauf eines Zyklus zwar neue Handlungsstrategien entwickeln und in ihrer Arbeit auch verschriftlichen, diese jedoch nicht mehr auf ihre Praxisrelevanz überprüfen können. Wie wir bereits in Kap. 4 näher ausgeführt haben, kommt in der Aktionsforschung den kollegialen Gesprächen ein wichtiger Stellenwert zu. Dies ist insbesondere auch bei Untersuchungen der Fall, die Studierende als Teil einer Qualifizierungsarbeit machen. Besonders wichtig ist hier die Funktion der Ausbildungslehrperson als critical friend, der die Studierenden während des gesamten Forschungsprozesses nicht nur durch kritisch-konstruktive Rückmeldungen unterstützt (und in schwierigen Phasen durch guten Zuspruch ermuntert!), sondern ihnen auch bei der Sammlung von Daten im und außerhalb des Unterrichts behilflich ist. Aktionsforschung im Rahmen von Bachelorarbeiten muss sich nicht auf den Unterricht eines einzelnen Studierenden beschränken. Studierende können auch in größeren Forschungsprojekten von Hochschullehrenden partizipieren. Urban-Woldron (2013, 234) berichtet beispielsweise von einem Projekt, bei dem 27 Bachelorarbeiten mit individuellen Aktionsforschungsprojekten in ein größeres Forschungsprogramm zum naturwissenschaftlichen Sachunterricht eingebettet wurden.

10.3 Fortbildung professioneller PraktikerInnen Wie wir in unserem „Blick hinter die Kulissen“ in Kap. 12 näher ausführen werden, gibt es verschiedene Theorien, die sich mit dem Handeln professioneller PraktikerInnen beschäftigen. Ihre Botschaften für Weiterentwicklung der Qualität professioneller Praxis und der Kompetenzen der darin arbeitenden Menschen kann man folgendermaßen zusammenfassen:

Fortbildung professioneller PraktikerInnen

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• Sowohl die Unsicherheit angemessener Handlung in komplexen Situationen als auch ihr prinzipiell prekärer Wertbezug erfordern die Reflexion der Handlung und die Fähigkeit und Bereitschaft, Handlung aufgrund dieser Reflexionsergebnisse weiterzuentwickeln sowie den eigenen Zielen, KlientInnen und Berufsneulingen gegenüber zu begründen. • D.h. aber auch, dass kompetentes professionelles Handeln in komplexen Situationen typischerweise nicht ohne begleitende Lernprozesse erfolgen kann. Und umgekehrt: Professionelles Lernen benötigt Handlungserfahrung in komplexen Praxissituationen. Professionelles Handeln und professionelles Lernen geschehen so gesehen im gleichen Handlungszug. Sie sind vielleicht graduell als ‚Akzente‘ spezifischer Handlungen unterscheidbar, nicht aber als unterschiedliche Handlungen. • Indem professionelles Lernen in praktischen Situationen geschieht, die ihrerseits als reflexions- und weiterentwicklungsbedürftig angesehen werden, gehen Prozesse der Wissens- und Könnensentwicklung mit solchen der Entwicklung der praktischen Situation einher. • Prozesse der Wissens-, Könnens- und Praxisentwicklung sind weiters mit Prozessen der Identitätsentwicklung verwoben. • Diese Prozesse spielen sich im Medium einer ‚Praxisgemeinschaft‘ ab, die gerade dadurch charakterisiert ist, dass ihre Mitglieder  – meist informell, aber dennoch real engagiert an der Wissens-, Praxis- und Identitätsentwicklung zusammenwirken. Nicht alle diese Theoriestücke waren schon ausformuliert, als John Elliott daran ging, auf der Grundlage seiner Erfahrungen in Curriculumprojekten Konzepte zur Fortbildung professioneller PraktikerInnen zu entwickeln. Wenn „Forschung im Kontext der Praxis“ wesentliches Merkmal professioneller Kompetenz ist, dann, so hören wir Elliott folgern, muss professionelle Fortbildung auf dieser Fähigkeit aufbauen und zu ihrer weiteren Entwicklung beitragen. Kurz gesagt: Professionelle Fortbildung geschieht durch die Erforschung und Veränderung eigener Praxis, oder – wie es Elliott ausdrückt – durch Aktionsforschung. Diese Idee wurde von Elliott in einer Reihe von stark beachteten Projekten auch praktisch verwirklicht (vgl. Elliott/ Adelman o.J.; Elliott 1984a; Elliott/Ebbutt 1986). In der Folge hat sich im angloamerikanischen Raum ein Sektor der Lehrerfortbildung entwickelt, der sich auf die Philosophie und Praktiken von Aktionsforschung beruft (vgl. z.B. Hollingsworth 1997; Zeichner 2003). Welche Gestaltungsmerkmale charakterisieren eine Fortbildung für reflektierende PraktikerInnen? Wir wollen einige Merkmale am Beispiel des Lehrgangs „Pädagogik und Fachdidaktik für LehrerInnen“ (PFL) darstellen (vgl. Krainer/Posch 1996b; Altrichter/Posch 1998; Posch et al. 2009; Altrichter 2010):

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• Längerfristigkeit: Jeder Lehrgang umfasst zwei Jahre. In ihrem Verlauf finden drei einwöchige Seminare und fünf sog. „Regionalgruppen“ statt (vgl. Abb. 37). • Lernort Schulpraxis: Neben den distanzierteren Situationen, wie sie Seminare und Regionalgruppen bieten, wird die ‚Zeit zwischen den Seminaren‘, also der Lernort ‚eigene Schulpraxis‘, explizit in die Konzeption des Lehrgangs hereingenommen. • Ausgangspunkt berufliche Herausforderungen: Der Ausgangspunkt für und der Einstieg in die Fortbildungsarbeit sind aktuelle berufliche Herausforderungen in der Wahrnehmung der TeilnehmerInnen und nicht die aktuellen Fragen der jeweiligen Wissenschaftsdisziplin. PraktikerInnen wählen eine Fragestellung aus ihrer eigenen Praxis, die sie als einigermaßen bedeutsam für ihre Berufstätigkeit ansehen (vgl. Kap. 3.1 und 12.4.2). • Forschung und Entwicklung: Die zentrale Aufgabe der TeilnehmerInnen besteht darin, in den Seminaren ein Entwicklungsprojekt für den eigenen Unterricht zu konzipieren, dieses in der ‚Zeit zwischen den Seminaren‘ umzusetzen, mit Hilfe von kollegialer Beratung durch ‚Regionalgruppen‘ begleitend zu erforschen und die Erfahrungen in einer Fallstudie aufzubereiten. Welchen Themen widmen sich forschende LehrerInnen in solchen Lehrgängen? Sie versuchen beispielsweise ‚Offenes Lernen‘ in ihrer Englischklasse zu realisieren (vgl. Suschnig 1994), Formen innerer Differenzierung weiterzuentwickeln (Siebenhofer 1994), ihr Frageverhalten im Unterricht zu untersuchen (Sorger 1989) oder ihre Strategien, SchülerInnen zu aktiver Kommunikation im Englischunterricht zu veranlassen, zu verbessern (Morocutti 1989). Sie reflektieren ihre Praxis anhand eigener Tagebuchaufzeichnungen, Schülerinterviews, Beobachtungen eingeladener KollegInnen usw. (vgl. Kap. 5) und entwickeln daraus neue Handlungsideen (vgl. Kap. 7). Auf diese Weise sind in den PFL-Lehrgängen inzwischen über 300 Fallstudien entstanden, die – nach einer Überarbeitung aufgrund kollegialen Feedbacks im Lehrgang  – als Beitrag der LehrgangsteilnehmerInnen zum Berufswissen von Lehrpersonen veröffentlicht wurden. • Kollegiale Fortbildung: Die teilnehmenden LehrerforscherInnen werden dazu angeregt, die Erfahrungen, die sie in ihren Entwicklungsprojekten machen, als kollegiale Fortbildung in einem Mini-Workshop aufzubereiten und den anderen TeilnehmerInnen während des nächsten Seminars zu präsentieren. Durch diese Aufgabe, die durch Beratung in der Regionalgruppe unterstützt wird, sollen Qualifikationen in Hinblick auf kollegiale Fortbildung herausgefordert und weiterentwickelt werden. • Stützsystem und Aufbau einer ‚professional community‘: Durch die Seminare und die Regionalgruppen ist die Aktionsforschung einzelner LehrerInnen in eine Beratungsstruktur eingebettet. Diese bietet Gelegenheit zum Gespräch über inhaltliche und methodische Forschungsprobleme, zu kritischer Rückmeldung und zu konkreten Hilfen (z.B. bei der Durchführung eines Schülerinterviews). PartnerInnen im Beratungsprozess sind einerseits forschende LehrerkollegInnen („kolle-

Fortbildung professioneller PraktikerInnen

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giale Supervision“), andererseits auch „Externe“ (z.B. WissenschaftlerInnen oder LehrerfortbildnerInnen), die als „kritische FreundInnen“ den Forschungsprozess unterstützen. • Die Lehrgänge werden jeweils durch ein interdisziplinär zusammengesetztes Team von KursleiterInnen (aus der Fachdisziplin, die dem jeweiligen Unterrichtsfach entspricht, aus der Fachdidaktik, der Schulpraxis und der Pädagogik) konzipiert und umgesetzt. Diese treten einesteils als ‚traditionelle FortbildnerInnen‘ auf, die durch Vortrag und vorbereitete Lernsituationen ‚didaktische Impulse‘ geben. Sie übernehmen anderenteils auch die Rollen von ModeratorInnen von Lehrerarbeitsgruppen und von BeraterInnen der Entwicklungsprojekte der TeilnehmerInnen. In jedem Fall liegt die „Kontrolle über Beginn, Steuerung und Beendigung eines Forschungsprozesses“ bei den forschenden LehrerInnen, die ja auch die Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu tragen haben. Dieses Prinzip wird durch die Übereinkunft über einen ethischen Code abgesichert (vgl. Kap. 5.2). Weiters wird darauf Wert gelegt, bei den Seminaren jeweils eine anregungsreiche Arbeitsumgebung zu schaffen (z.B. mit Buchausstellung, Arbeitsunterlagen, Kopiermöglichkeit für Papiere und Tonaufzeichnungen usw.). Didaktischer Impuls: Offenes Lernen   U-Entwicklung durch Aktionsforschung eigenes Entwicklungsprojekt 

Seminar 1

Entwicklungsarbeit an der eigenen Schule  Projektarbeit

RG

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Regionalgruppe: Beratung der Entwicklungsprojekte, aktuelle Themen

kollegiale Fortbildung   Impulse: Offenes Lernen, Schulentwicklung  eigenes Entwicklungsprojekt

Seminar 2

RG RG

Seminar 2

Abb. 37: Struktur des Lehrgangs PFL

kollegiale Fortbildung   Institutionalisierung von Neuerungen

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Aktionsforschung in der Lehrerbildung

Das PFL-Programm wurde bereits mehrfach evaluiert. Bei einer externen Evaluation zeigten sich folgende Effekte (Müller et al. 2010): • Deutlicher Anstieg des Interesses an und der Kompetenz zur Reflexion der eigenen Praxis • Anstieg der Kompetenz zu unterrichten und sich an Schulentwicklungsprozessen zu beteiligen • Zunahme an Kompetenz in den Bereichen fachdidaktisches und pädagogisches Theoriewissen, Management und Evaluation, Methoden der Lernförderung. • Erhöhung der Sensibilität in Bezug auf individuelle Unterstützung von SchülerInnen im Unterricht (durch Vergleich der Videoanalysen). Konzepte, die dem eben vorgestellten Lehrgang ähneln, sind auch als Stützsysteme zur Verbreitung von Unterrichtsinnovationen (z.B. von Individualisierung oder von kooperativem offenem Lernen) im Schulwesen verwendet worden (vgl. Wittwer et al. 2004). Die Übergänge zwischen praxisbezogener Lehrerfortbildung und wissenschaftsorientierter Weiterqualifikation sind fließend, wie sich am Beispiel der ‚award-bearing courses‘ zeigen lässt, die englische Universitäten anbieten: Manchen der teilnehmenden PraktikerInnen geht es dabei – abgesehen von den damit meist verbundenen beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten – primär um die reflektierte Entwicklung von Praxis, während andere auch einen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs leisten wollen und können. Manche englische Universitäten werden diesen unterschiedlichen Orientierungen dadurch gerecht, dass sie auf formal gleichem Niveau zwischen ‚professionellen‘ und ‚wissenschaftlichen‘ Graden unterscheiden, z.B. zwischen M.Ed. (Master of Education) und M.A. (Master of Arts).

11 Lesson Studies und Learning Studies

Lesson Studies und Learning Studies kann man als Varianten von Aktionsforschung ansehen; wie Aktionsforschung beruhen sie auf der Reflexion und Weiterentwicklung des Unterrichts und der professionellen Zusammenarbeit von Lehrerteams. Lesson Studies sind eine über hundert Jahre alte japanische Tradition der Entwicklung und Analyse von Unterricht. Sie ist erst vor wenigen Jahren durch ein Buch von Stigler und Hiebert (1999) und indirekt wohl auch durch die Leistungen der japanischen SchülerInnen beim ersten PISA-Test im Westen bekannt geworden. Das Konzept der Learning Studies wurde erst seit Ende der Neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts entwickelt (Lo/Marton 2012, S. 8). Die zugrundeliegende Theorie, die Variationstheorie, ist nur wenig älter. Im deutschen Sprachraum sind die Learning Studies noch nicht wirklich angekommen, auch wenn sie mancherorts bereits Forschungsinteresse geweckt haben (Gierlinger/Spann/Wagner 2016). Beide, Lesson und Learning Studies, haben überzeugende Belege für die Wirksamkeit von Aktionsforschung bei der Verbesserung des Lehrens und Lernens erbracht.

11.1 Lesson Studies Lesson Studies sind die in Japan am weitesten verbreitete Form der Entwicklung von Professionalität im Lehrberuf (Fernandez/Yoshida 2009). Gruppen von drei bis sechs Lehrpersonen wählen ein Thema und bereiten gemeinsam eine Stunde vor. Eine Lehrperson unterrichtet sie, die anderen beobachten und sammeln Daten. Nach einer gemeinsamen Analyse der Daten wird das Unterrichtsdesign verbessert, und eine andere Lehrperson der Gruppe unterrichtet die verbesserte Version in einer anderen Klasse. Der Prozess wird wieder beobachtet und anschließend analysiert. Oft folgt darauf ein dritter Zyklus; die Erfahrungen werden schriftlich festgehalten und anderen Lehrkräften zur Verfügung gestellt. In mehreren Ländern haben Lesson Studies bereits Eingang in Lehrerbildung und Schulpraxis gefunden, so in den USA, in Kanada und in Australien (Hart et al. 2011). Seit einigen Jahren werden sie auch im deutschen Sprachraum rezipiert (z.B. Kullmann 2012; Knoblauch 2014). Ostasiatische Länder haben begonnen, Lesson Studies im Rahmen der Lehrerbildung zu institutionalisieren, so Indonesien (Hendayana 2015) und Singapur (Lee/Lim-Ratnam 2015).

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Lesson Studies und Learning Studies

11.1.1 Ablauf einer Lesson Study Folgende Schritte sind für die Durchführung einer Lesson Study charakteristisch: Schritt 1: Planung der Forschungsstunde auf der Grundlage übergeordneter Ziele (Lee/ Lim-Ratnam 2015). Die Planung einer Forschungsstunde erfolgt im Lehrerteam und orientiert sich zumeist an übergeordneten Bildungszielen, auf die sich die Schule für einen gewissen Zeitraum geeinigt hat. Bei diesen Zielen stehen nicht nur Leistungsziele im Mittelpunkt, sondern auch Einstellungen zum Lernen, zur Schule und zu den MitschülerInnen (z.B. Lernmotivation, Verantwortung, Initiative, selbständiges Denken). Die Reflexion dieser allgemeinen Ziele gilt als wichtig, weil sich die Ziele der Forschungsstunde auf sie beziehen müssen. Die Planung des Unterrichts beginnt meist bei der Überlegung, wie andere Lehrkräfte dasselbe oder ähnliche Probleme bearbeiten und geht von mehr oder weniger standardisierten Fragen aus (Lewis 2002; Ermeling/Graff-Ermeling 2014, 183; Lewis et al. 2009), z.B.: • Was sollen die Schülerinnen und Schüler am Ende der Stunde verstehen? Welche Belege werden uns während und nach der Stunde helfen, den Fortschritt der SchülerInnen und den Zusammenhang zwischen Unterricht und Lernen zu überprüfen? Wie können sie gewonnen werden? • Welche Voraussetzungen und Erfahrungen können wir bei den Lernenden voraussetzen? Was werden die meisten SchülerInnen schon wissen und von welchen Annahmen werden sie ausgehen? Welche Fehlvorstellungen erwarten wir? • Welche Kombination und Anordnung von Lernaktivitäten werden ihnen helfen, dem Ziel näher zu kommen (Hypothesenbildung)? Wie wird jede einzelne Aktivität auf der vorhergehenden aufbauen und wie wird sie die künftigen vorbereiten? Worin bestehen die speziellen Aufgaben der Lehrkraft und der SchülerInnen, damit jede Aktivität am besten zum gewünschten Ergebnis beiträgt? Die Lesson Study Gruppe versucht auch vermutete richtige und fehlerhafte Antworten der SchülerInnen vorweg zu nehmen und mögliche Reaktionen der Lehrenden darauf zu besprechen (Lee/Lim-Ratnam 2015, 47). Manchmal werden Unterrichtssequenzen in der Lehrergruppe auch durchgespielt, so als ob sie in der Klasse unterrichtet würden (Dudley 2015, 17). Das detaillierte Unterrichtskonzept wird schriftlich ausgearbeitet und umfasst die Lernziele, ihren Zusammenhang mit übergeordneten Zielen, geplante Aktionen der Lehrperson, erwartete Reaktionen der Lernenden sowie Überlegungen zur Evaluation der Stunde. Dieses Dokument soll drei Funktionen erfüllen: • Unterlage für den Unterricht sein, • die Kommunikation innerhalb des Teams erleichtern und • Orientierung für die Sammlung und Analyse von Daten bieten.

Lesson Studies

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Erstes Treffen der Lesson Study Gruppe: Was soll verbessert werden? 1. Lesson Study Zyklus Gemeinsame Planung der 1. Forschungsstunde (FS1)

FS1 wird unterrichtet und beobachtet

Schülerinterviews

Diskussion der FS1 und erste Pläne für die FS2

2. Lesson Study Zyklus Diskussion der FS2 und erste Pläne für die FS3

Schülerinterviews

FS2 wird unterrichtet und beobachtet

Gemeinsame Planung der FS2

3. Lesson Study Zyklus Gemeinsame Planung der FS3

FS3 wird unterrichtet und beobachtet

Schülerinterviews

Diskussion und Zusammenfassung gemeinsamer Erkenntnisse

Schriftliche Fassung der Erkenntnisse und Planung einer öffentlichen Forschungsstunde

Abb. 38: Ablauf einer Lesson Study (nach Dudley 2014, 5)

M 54 Planung, Beobachtung und Diskussion einer Forschungsstunde (1) Teilen Sie Ihren SchülerInnen mit, dass Sie sie beim Lernen besser unterstützen möchten: Aus diesem Grund werden andere LehrerInnen in der Stunde anwesend sein, die den Unterricht beobachten und sich Notizen machen. Sagen Sie den SchülerInnen auch, dass Sie später mit ihnen über die Ergebnisse sprechen werden. (2) Die Arbeitsphasen von drei „FallschülerInnen“ (die üblicherweise SchülerInnen mit überdurchschnittlichen, durchschnittlichen und unterdurchschnittlichen Leistungen repräsentieren) sollten möglichst genau beschrieben und beurteilt werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die Zeile „Am Ende dieser Stunde können die SchülerInnen …“ in Abb. 39 möglichst genau ausgefüllt wird. 3) Die BeobachterInnen haben die Aufgabe, die Aktivitäten der FallschülerInnen zu unterschiedlichen Zeitpunkten während der Stunde festzuhalten sowie Übereinstimmungen, Diskrepanzen und kritische Ereignisse zu notieren.

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Lesson Studies und Learning Studies Sofern sich gemeinsame Muster (z.B. alle FallschülerInnen missverstehen etwas auf die gleiche Weise) finden lassen, werden diese in der Spalte „Muster/ Probleme“ eingetragen. Fach: ___________ Lernfokus: ___________ LehrerIn/BeobachterIn: ___________ Was genau ist das Ziel dieser Forschungsstunde? Am Ende dieser Stunde können die SchülerInnen ______________________________ und dies zeigt sich darin, dass ______________________________________________ Wie soll das Lernen und Lehren in der Forschungsstunde gestaltet werden? Wir hoffen ___________________________________________ zu verbessern. Ist-Stand der Leistungen der SchülerInnen und Erfolgskriterien Beschreiben Sie, was die SchülerInnen am Ende der Stunde können/wissen sollen

Muster/ Probleme

Was können Sie tatsächlich beobachten?

FallschülerIn C: _____________ Erfolgskriterium für den Lernfokus: Welches Verhalten erwarten Sie von FallschülerIn C?

Was können Sie tatsächlich beobachten?

FallschülerIn B: _____________ Erfolgskriterium für den Lernfokus: Welches Verhalten erwarten Sie von FallschülerIn B?

Was können Sie tatsächlich beobachten?

FallschülerIn A: _____________ Erfolgskriterium für den Lernfokus: Welches Verhalten erwarten Sie von FallschülerIn A?

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Unterrichtsphase

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1. Phase … (ungefähre Dauer) 2. Phase … (ungefähre Dauer) Schlussphase … (ungefähre Dauer) Welchen Fortschritt haben sie gemacht und worin zeigt er sich? Erste Überlegungen

Abb. 39:Planungsmatrix für Lesson Studies (nach Dudley 2014, 11)

Schritt 2: Durchführung und Beobachtung des Unterrichts Eine Lehrperson der Gruppe führt den Unterricht durch; die anderen Gruppenmitglieder beobachten den Unterricht und die Lernaktivitäten ausgewählter

Lesson Studies

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SchülerInnen unterschiedlicher Leistungsniveaus (der „FallschülerInnen“). In manchen Fällen wird der Unterricht auch für die spätere Analyse und Diskussion aufgezeichnet. Nach dem Unterricht sollten die FallschülerInnen sobald wie möglich interviewt werden. Dudley (2014, 12) schlägt dazu folgende Fragen vor: • Was hat dir in der Stunde am besten gefallen? • Was hast du gelernt? (Was kannst du jetzt tun, was du vorher nicht tun konntest? Was kannst du besser tun? Wie ist es besser?) • Welches Element des Unterrichts war für dich am besten? • Wenn derselbe Unterricht nochmals wiederholt würde, was würdest du verändern? Warum würdest du das verändern? Dudley (2014, 12) hat festgestellt, dass die Schüler/innen „beginnen, sich mit dem Lernprozess zu identifizieren, sie fühlen sich dafür verantwortlich und werden auch unterstützt. Es ist erstaunlich, denn … sie beteiligen sich, indem sie uns helfen, ihnen beim Lernen zu helfen. Incredible stuff!“ Schritt 3: Analyse und Diskussion der Beobachtungen Beobachtungen und Ergebnisse werden ausgetauscht und die Forschungsstunde wird möglichst zeitnah (nicht mehr als 24 Stunden später) im Lesson Study Team (manchmal auch mit anderen LehrerInnen) besprochen, wobei besonders auf Hinweise geachtet wird, die das Verständnis der SchülerInnen betreffen. Dudley schlägt für die Nachbesprechung folgende Fragen vor (vgl. Abb. 40). Auf der Grundlage dieser Diskussion wird das Unterrichtskonzept revidiert. FallschülerIn A

FallschülerIn B

FallschülerIn C

Welchen Fortschritt hat jede/r SchülerIn gemacht? War dies ausreichend? Wie sieht es mit den anderen SchülerInnen aus, die durch die FallschülerInnen repräsentiert werden? Wie hilfreich war die Vorgangsweise im Unterricht? Welche Überraschungen gab es? Welche/r Aspekt/e der Unterrichtsmethode könnte/n beim nächsten Mal geändert werden, um den Fortschritt der FallschülerInnen zu vergrößern? Was sollten wir beim nächsten Mal ausprobieren?

Abb. 40:Dokumentation der Diskussion der Forschungsstunde (nach Dudley 2014, 14f.)

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Lesson Studies und Learning Studies Schritt 4: Unterricht auf der Basis des revidierten Unterrichtsplans Dieselbe oder (meist) eine andere Lehrperson unterrichtet den revidierten Unterrichtsplan in einer anderen Klasse, wobei ausgewählte SchülerInnen wieder von den beteiligten Lehrkräften beobachtet werden bzw. auch nach dem Unterricht interviewt werden. Manchmal wird bereits beim zweiten Durchgang eine „Open Lesson“ durchgeführt, zu der auch andere LehrerInnen als BeobachterInnen eingeladen werden (Ermeling/Graff-Ermeling 2014). „Offene Forschungsstunden“ werden meist moderiert (z.B. durch ein Mitglied des mittleren Managements der Schule). Schritt 5: Neuerliche Analyse und Diskussion der Beobachtungen und Ergebnisse Es erfolgt erneut eine Analyse und Diskussion der Beobachtungen und Ergebnisse sowie die Entwicklung von weiteren Verbesserungen. Es werden bis zu drei Zyklen durchgeführt. O’Shea et al. (2015, 62) plädieren für einen vollen Zyklus von drei Forschungsstunden, da „der Gewinn an Qualität beim zweiten und mehr noch beim dritten Zyklus wesentlich größer ist als bei der ersten Forschungsstunde“. Schritt 6: Weitergabe der Erfahrungen Ein wesentlicher Teil einer Lesson Study besteht in der Weitergabe der Erfahrungen und Erkenntnisse. Diese kann auf verschiedene Weise erfolgen: durch strukturierte Diskussion mit KollegInnen, durch Präsentationen (z.B. im Kollegium) und durch Veröffentlichung einer Fallstudie (z.B. im Intranet), in der neben den Unterrichtsplänen und Materialien auch Ziele, Motive, Schülerleistungen und Herausforderungen bekannt gemacht werden (Fernandez et al. 2001). Manche japanischen Schulen bringen in jedem Jahr kleine Broschüren heraus, in denen sie Forschungsstunden und deren Ergebnisse für die Eltern zugänglich machen. In anderen Schulen werden die Ergebnisse in Form von Displays auf den Gängen ausgestellt (O’Shea et al. 2015, 62). Nach Dudley (2015, 20) wirkt sich die Weitergabe von Erfahrungen auf die Qualität der Lesson Studies positiv aus (vgl. dazu auch Kap. 8).

11.1.2 Rahmenbedingungen von Lesson Studies Lesson Studies (konaikenshu) sind in der japanischen professionellen Kultur tief verankert. JunglehrerInnen werden durch die Teilnahme an einer Lesson StudyGruppe in den Lehrberuf eingeführt. Dabei bildet sich offenbar eine Identität, die Lesson Studies als selbstverständliches Merkmal des Berufs erscheinen lässt (Murata 2011).

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Enge Zusammenarbeit in Teams zur Weiterentwicklung der Qualität des Lehrens und Lernens ist in Japan so selbstverständlich, dass sie offenbar gar nicht als besondere Herausforderung thematisiert wird. Dies ist anders in anderen asiatischen Ländern, besonders aber in westlichen Ländern, die durch individualistischere kulturelle Traditionen gekennzeichnet sind. Um in diesen Ländern die Einführung der Lesson Studies zu erleichtern, wurden einige Merkmale der japanischen Lesson Studies besonders betont: Sie sollen der Sorge von LehrerInnen begegnen, Objekte kollegialer Kritik zu werden, und dazu beitragen, dass ein Klima gegenseitigen Vertrauens entsteht (Dudley 2015, 6ff.; Lee/Lim-Ratnam 2015): 1. Der Unterricht wird gemeinsam geplant und „gehört“ damit nicht der einzelnen Lehrperson, sondern dem Team. Auftretende Schwierigkeiten sind daher kein individuelles, sondern ein gemeinsames Problem.

2. Die Beobachtungen und die Sammlung von Daten konzentrieren sich in erster Linie auf das Lernen (vor allem der „Fallschüler/innen“) und nicht auf das Lehren.

3. Was als Problem in der Gruppe einmal erkannt worden ist, darf nicht weiter kritisiert werden.

4. Das wichtigste Kriterium für die Qualität einer Lesson Study ist der Reichtum an Lernerfahrungen, die sie vermittelt. Eine Learning Study gilt als ein Labor für gemeinsame Forschung und als Beitrag zum Berufswissen der Lehrerschaft.

Abb. 41: Merkmale einer Lesson Study

Dudley (2014, 7) hat Verhaltensregeln vorgeschlagen (siehe M 55), die den Mitgliedern einer Lesson Study Gruppe helfen sollen, zu gemeinsamen Erwartungen und guten Arbeitsbeziehungen zu finden. Die Idee ist, dass diese Regeln vor der gemeinsamen Arbeit besprochen und ähnlich der Vertraulichkeitsvereinbarung in M 49 von allen Gruppenmitgliedern unterzeichnet werden. M 55 Regeln für die Durchführung einer Lesson Study • Alle Mitglieder der Lesson Study Gruppe sind als Lernende gleich, ohne Rücksicht auf Alter, Erfahrung, Kompetenz oder Dienstalter an der Schule (oder darüber hinaus). • Alle Beiträge werden grundsätzlich mit Wertschätzung behandelt. Sie können analysiert, angezweifelt oder bestritten werden; ihr Autor darf aber nicht lächerlich gemacht werden, wenn er einen Vorschlag riskiert.

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Lesson Studies und Learning Studies • Wir unterstützen jede Lehrperson, die eine Forschungsstunde hält, beobachten gewissenhaft und zeichnen auf, was SchülerInnen sagen und tun. • Wir verwenden die für Lesson Studies üblichen Planungsinstrumente, Interviewleitfäden und Vorgaben für den gegenseitigen Austausch. • Bei der Diskussion der Forschungsstunden werden neben den Beobachtungen auch die Schülerarbeiten und Interviewkommentare verwendet. • Die Diskussion nach der Forschungsstunde beginnen wir für jeden Fallschüler mit dem Vergleich zwischen unseren Vorhersagen und den Ergebnissen der Beobachtung. • Wir werden einander zuhören, auf Diskussionen aufbauen, Vorschläge machen, Hypothesen bilden, Ideen näher ausführen und überprüfen sowie unsere Verantwortung gegenüber den Unterrichtszielen, unseren FallschülerInnen und unseren Beobachtungs- und sonstigen Forschungsdaten wahrnehmen. • Wir werden unser neues praktisches Wissen so genau und lebendig wie möglich mit unseren KollegInnen austauschen, damit sie daraus Gewinn ziehen und es selbst erproben können. • Wir werden unsere Ziele und Ergebnisse unseren SchülerInnen auf angemessene Weise zugänglich machen, wie es ihrem Alter und Entwicklungsstand entspricht. Ihre Sichtweisen, Ideen und Perspektiven werden mit gleicher Wertschätzung behandelt. [Unterschrieben und datiert von den Mitgliedern der Lesson Study Gruppe.]

Lesson Studies werden in Japan stark unterstützt: von der Schulleitung (durch Vorsorge für Stundenentfall), von der zentralen Schulverwaltung und in vielen Fällen auch von den Kommunen, was ein Hinweis auf die große Wertschätzung ist, die ihnen entgegengebracht wird. Finanzielle Beiträge ermöglichen den LehrerInnen auch, ExpertInnen zur Unterstützung ihrer Arbeit einzuladen (z.B. MitarbeiterInnen von Universitäten oder karenzierte Lehrkräfte). Die Aufgaben dieser „kritischen Freunde“ sind sehr unterschiedlich und können von der Hilfe bei der Sammlung und Analyse von Beobachtungen oder Interviews mit SchülerInnen bis zu theoretischen Inputs reichen. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass eine Lehrperson mehr als einer Lesson Study Gruppe angehört. Die Intensität, in der Lesson Studies durchgeführt werden, ist sehr unterschiedlich. Der durchschnittliche Zeitaufwand für eine Lesson Study liegt zwischen etwa 10 bis 15 Stunden verteilt auf drei bis vier Wochen und ca. 25 Stunden verteilt auf zwei Monate (Ermeling/Graff-Ermeling 2014, 174; Fernandez 2002, 394). In dieser Zeit erfolgen gemeinsame Unterrichtsplanung, Unterrichtsdurchführung, Evaluation, Reflexion und Dokumentation in bis zu drei Zyklen. In einem japanischen Modell werden zwei Forschungsstunden pro Monat vorbereitet, beobachtet und untersucht (Saito 2012, zit. in Lee/Lim-Ratnam 2015, 44).

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Lesson Studies haben eine günstige Kosten-Nutzen-Relation. Dudley (2014, 17f.) hat gezeigt, dass ein Lesson Study Team, das aus drei LehrerInnen besteht und drei Forschungsstunden hält, sechs Vertretungsstunden benötigt, wenn Vorbereitung und Nacharbeit in der unterrichtsfreien Arbeitszeit stattfinden. Dieser Vertretungsaufwand entspricht etwa jenem der Entsendung von zwei LehrerInnen in einen eintägigen Fortbildungskurs, hat aber wesentlich stärkere Auswirkungen nicht nur auf die Mitglieder des Lesson Study Teams, sondern auch auf andere LehrerInnen, die aus ihren Erfahrungen Nutzen ziehen können. 11.1.3 Wirksamkeit von Lesson Studies Lesson Studies werden von vielen LehrerInnen als außerordentlich hilfreich für die professionelle Entwicklung angesehen. Fernandez/Yoshida (2009, 17) illustrieren dies mit der Einschätzung von drei Mathematik-Lehrpersonen: „Die Entwicklung einer guten Unterrichtseinheit ist eine ideale Sache. Das Beste daran ist jedoch die Gelegenheit, über Unterricht zu reflektieren und den eigenen Unterricht zu überdenken. Einen Ort zu haben, an dem alle zusammenkommen und über Unterricht ernsthaft diskutieren, ist eine außerordentlich wichtige Erfahrung“.

Es gibt bereits zahlreiche systematische Evaluationen dieses Ansatzes außerhalb Japans, die ein durchwegs positives Bild zeichnen, vor allem was die Leistungen der Lernenden anlangt (z.B. Cheung/Wong 2014; Waterman 2011). Als bedeutsame Effekte von Lesson Studies für die Lehrenden werden u.a. die Vermittlung eines tieferen Verständnisses der Lernprozesse und Lernvoraussetzungen der SchülerInnen, eine realistischere Einschätzung der eigenen Kompetenzen und in der Folge ein starkes Interesse an professioneller Weiterentwicklung genannt. Recherche und gemeinsame Reflexion ermöglichen LehrerInnen offenbar, das Lernen mit „den Augen der Lernenden“ (Hattie 2009, 22) zu sehen. Lesson Studies werden als wirksamer eingeschätzt als Monitoring-Systeme und Systeme der Selbstevaluation, weil diese durch die Fokussierung auf messbare Ergebnisse wesentlich weniger qualitative Informationen über den Lernprozess bieten (O’Shea et al. 2015, 65). Als wichtige Hemmnisse für die Wirksamkeit von Lesson Studies werden u.a. fehlende Zusammenarbeit, ungenügende Flexibilität in der Struktur des Arbeitstages, ungenügender Raum im Lehrplan für tiefergehendes Lernen, Vertretungsprobleme und mangelnde fachdidaktische Expertise genannt (vgl. White/Southwell 2003; Lewis et al. 2009; Wood 2015, 7). Allerdings hat sich inzwischen eine Vielzahl von Varianten von Lesson Studies entwickelt, sodass Evaluationsergebnisse nur bedingt generalisierbar sind. Lesson Studies entsprechen in hohem Maße den bereits gut abgesicherten Ansprüchen an eine erfolgreiche Fortbildung und professionelle Entwicklung von LehrerInnen (Wood 2015; Darling-Hammond et al. 2009; Lipowsky 2004; Müller et al. 2009):

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• Fortbildung muss kontinuierlich, intensiv und verbunden mit der Praxis erfolgen. • Sie muss sich auf das Lernen der SchülerInnen konzentrieren. • Sie muss sich an den Prioritäten der Schulentwicklung orientieren. • Sie muss auf starken Arbeitsbeziehungen unter den Lehrpersonen aufbauen.

11.2 Learning Studies Während es sich bei den Lesson Studies um eine genuine Entwicklung des ostasiatischen Raums handelt, sind Learning Studies eine von vielen Innovationen, die ursprünglich in Europa konzipiert, dann im Fernen Osten umgesetzt und weiter entwickelt wurden und nun langsam zurück nach Europa zu kommen scheinen. Ihr theoretischer Kern, die sogenannte „Variationstheorie“, wurde in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts von Ference Marton entwickelt, damals Professor an der Universität Göteborg in Schweden (Marton/Booth 1997). Die pädagogische Umsetzung seines Ansatzes wurde von Ference Marton, Mun Ling Lo und anderen an der University of Hong Kong ausgearbeitet und evaluiert. Sie adaptierten das japanische Lesson Study Konzept, entwickelten ein didaktisches Rahmenkonzept auf der Grundlage der Variationstheorie und nannten es „Learning Study“. Wegen dieses Adaptionsprozesses haben Lesson Studies und Learning Studies viele Gemeinsamkeiten. Beide Ansätze • basieren auf der Zusammenarbeit von Lehrpersonen, • beruhen auf der wiederholten Analyse und Revision von Unterrichtsstunden („Forschungsstunden“), • verfolgen das Ziel, das Lernen von Lehrpersonen und SchülerInnen zu verbessern • und folgen einem ähnlichen (zyklischen) Aufbau. Learning Studies unterscheiden sich von Lesson Studies jedoch in einem wesentlichen Punkt: Während die Reflexion der an einer Lesson Study beteiligten LehrerInnen von den jeweiligen subjektiven Theorien und Erfahrungen geleitet wird, die die LehrerInnen einbringen, liegt den Learning Studies eine spezielle Theorie des Lehrens und Lernens zugrunde: die Variationstheorie. 11.2.1 Das theoretische Fundament: die Variationstheorie Die Variationstheorie stammt aus der phänomenographischen Forschung. Die Phänomenographie ist ein empirischer Forschungsansatz, mit dem herausgefunden werden soll, wie Phänomene erlebt werden. Durch phänomenographische Forschung soll beschrieben werden, auf welch unterschiedliche Weisen Personen einen Gegenstand oder ein Phänomen wahrnehmen, erleben, begrifflich fassen und ver-

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stehen (Marton 1986, 31; Marton/Pang 2008, 535). Aus phänomenographischen Studien ergaben sich mehrere Erkenntnisse, die der Variationstheorie zugrunde liegen (Marton et al. 2004): • Jedes Phänomen hat verschiedene Aspekte (Größe, Form, Funktionen). • Wenn zwei Personen ihre Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte richten, werden sie das Phänomen unterschiedlich erleben. Lernen wird demnach als Veränderung (Variation) der Art und Weise betrachtet, wie ein Phänomen oder Gegenstand des Lernens gesehen, erlebt oder verstanden wird. • Worauf die Aufmerksamkeit gerichtet wird, wird von den Einstellungen und Vorerfahrungen der Person beeinflusst sowie vom Kontext und seinem Aufforderungscharakter, in dem sich die Person befindet. Wenn Lehrende daher wollen, dass Lernende einen Gegenstand des Lernens so wahrnehmen, wie sie selbst ihn wahrnehmen, müssen sie zuerst die „natürlichen“ Arten der „Wahrnehmung“ der Lernenden (die Präkonzepte) und die Unterschiede zu ihrer eigenen Sicht herausfinden. • Wir können uns eines einzelnen Merkmals eines Phänomens nur bewusst sein, wenn wir uns der Unterschiede (der Variation) zwischen den Merkmalen bewusst sind: Ohne wahrgenommenen Unterschied kann es keine Erkenntnis geben; und es müssen mindestens zwei voneinander verschiedene Dinge gleichzeitig wahrgenommen werden, damit ein Unterschied wahrgenommen werden kann. Zuerst muss also durch Nicht-Beispiele ein Kontrast erlebt werden, bevor durch Beispiele eine Verallgemeinerung erfolgen kann. „Wenn eine Lehrperson den SchülerInnen beibringen will, was ein Dreieck ist, hilft es nicht, ihnen verschiedene Arten von Dreiecken zu zeigen, sondern sie muss ihnen eher zeigen, was nicht ein Dreieck ist, indem er/sie es mit anderen geometrischen Figuren (z.B. mit einem Rechteck oder Fünfeck) vergleicht. So werden die SchülerInnen die kritischen Merkmale von Dreiecken (Seitenzahl und Winkelsumme) beim Vergleich mit Nicht-Beispielen erkennen. Erst anschließend macht es Sinn, den SchülerInnen positive Beispiele, d.h. unterschiedliche Arten von Dreiecken, zu zeigen.“ (Lo 2015, 87).

Diese phänomenographischen Befunde bilden die theoretische Grundlage für zwei wesentliche Elemente einer Learning Study: den Lerngegenstand als Ausgangspunkt des Lernens und den kritischen Aspekten bzw. Merkmalen dieses Lerngegenstands, die durch kontrastierende Beispiele erkannt werden. Lerngegenstand: Lernen ist immer auf etwas,auf ein Phänomen, einen Gegenstand, eine Fertigkeit, bestimmte Aspekte der Wirklichkeit gerichtet (vgl. Lo/Marton 2012, 8). Lernen soll die Art, wie dieses „Etwas“ gesehen wird, verändern, sodass ein besseres Verständnis oder bessere Handlungsmöglichkeiten entstehen. Dieses „Etwas“ wird als Lerngegenstand bezeichnet. Ein Lerngegenstand kann ein Inhalt, eine Fähigkeit oder eine Werthaltung sein, die die Lernenden erwerben sollen, z.B. Kompetenz beim Aufsatzschreiben, Verständnis für den Zusammenhang von Angebot und Nachfrage

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bei der Preisbildung, Entwicklung von Empathie für Personen anderer Kulturen, usw. Zwei Unterscheidungen sind in diesem Zusammenhang wichtig: a) Die Unterscheidung zwischen dem direkten und dem indirekten Lerngegenstand (Lo 2015, 29 u. 52): Das Konzept ‚direkter Lerngegenstand‘ bezieht sich auf den Inhalt, die Thematik, den Sachbereich, der im Unterricht vermittelt werden soll. Mit ‚indirekter Lerngegenstand‘ wird die Fähigkeit (Kompetenz, Fertigkeit, Werthaltung) bezeichnet, die durch das Lernen des direkten Lerngegenstands entwickelt werden soll. Der indirekte Lerngegenstand soll die Aufmerksamkeit auf die langfristigen Ziele des Unterrichts richten, von deren Wahl in hohem Maße die Qualität der Lernergebnisse abhängt. b) Die Unterscheidung zwischen intendiertem, realisiertem und erlebtem Lerngegenstand (Lo 2015, 33f.; Marton et al. 2004; Pang/Marton 2003): Der intendierte Lerngegenstand ist das Ergebnis der Unterrichtsplanung, also die konkreten (schriftlich fixierten) Intentionen der Lehrkraft, die im Unterricht – je nach den Reaktionen der Lernenden – oft modifiziert werden müssen. Der realisierte Lerngegenstand ist das Ergebnis der Umsetzung des Plans, also die konkrete Unterrichtspraxis. Er bietet den SchülerInnen den ‚Raum‘, etwas zu lernen, er macht das Erlernen einer Sache ‚möglich‘. Was die SchülerInnen jedoch tatsächlich gelernt haben, hängt davon ab, was sie während der Unterrichtsstunde erlebt haben, d.h. vom erlebten Lerngegenstand. Was gelernt werden kann, muss nicht identisch mit dem sein, was tatsächlich gelernt wird. SchülerInnen können dieselbe Situation qualitativ unterschiedlich erleben, wodurch für jeden Lernenden unterschiedliche Erfahrungen mit demselben Lerngegenstand entstehen und damit Unterschiedliches gelernt wird. Kritische Merkmale: Um einen Lerngegenstand auf bestimmte Weise zu sehen, muss sich der Lernende bestimmter Aspekte bzw. Merkmale des Lerngegenstands gleichzeitig bewusst sein. Anders gesagt: welche Aspekte der/die Lernende gleichzeitig erkennt und wie diese Aspekte zusammenhängen, bestimmen, wie er oder sie den Gegenstand sieht, erfährt oder versteht. Weil diese Aspekte für das Sehen bzw. für den angestrebten Lernprozess kritisch sind, werden sie als „kritische Aspekte“ eines Lerngegenstands bezeichnet48. Wenn Lernende einen Lerngegenstand genau 48

Kritische Aspekte und kritische Merkmale werden in diesem Text als austauschbar behandelt. Streng genommen ist dies allerdings nicht richtig (Lo 2015, 67f.). Kritische Aspekte sind Dimensionen von Variation, während kritische Merkmale die Ausprägungen der jeweiligen Dimension sind. Kritischer Aspekt ist z.B. der Begriff „Farbe“, während kritische Merkmale ihre Ausprägungen „rot“, „grün“, „gelb“ usw. sind. Jede Ausprägung kann aber selbst zu einem kritischen Aspekt (einer Dimension von Variation) werden. Z.B. wird die Farbe „rot“ zu einem kritischen Aspekt, wenn die kritischen Merkmale die unterschiedlichen Arten von „rot“ sind, wie „zinnoberrot“, „purpurrot“, „karminrot“ usw. Kritische Aspekte und kritische Merkmale hängen eng zusammen. Für die Gestaltung von Variationsmustern ist diese Unterscheidung allerdings nicht von großer Bedeutung, sodass sie hier vernachlässigt wird.

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so sehen sollen wie der/die Lehrende, müssen die Lernenden ihre Aufmerksamkeit auf dieselben Merkmale richten können wie sie. Da jeder Gegenstand viele Merkmale hat, müssen die Lernenden ihre Aufmerksamkeit auf jene Merkmale richten, die für die jeweilige Art des Sehens kritisch sind. Kritisch ist ein Merkmal eines Lerngegenstands, das notwendig ist, damit im Bewusstsein des Lernenden eine Bedeutung entsteht (Wood 2015, 8). Anders ausgedrückt: Kritische Merkmale sind genau deshalb kritisch, weil Lernende damit Probleme haben (können) und verschiedene Lernende können verschiedene Probleme haben. LehrerInnen müssen also wissen, wie Lernende einen Gegenstand verstehen und welches Vorverständnis erforderlich ist, wenn sie ihre Art, den Gegenstand oder das Phänomen zu sehen, verändern wollen (Lo/Marton 2012, 9). Ausgangspunkt für den Unterricht muss also der Lerngegenstand sein. 11.2.2 Ablauf einer Learning Study Eine Learning Study läuft meist in folgenden Schritten ab: 1. Bildung des Learning Study Teams und Wahl eines Unterrichtsthemas 2. Festlegung des vorläufigen Lerngegenstands und Reflexion • von Unterschieden im Verständnis des Lerngegenstands und seiner Bearbeitung im Lehrerteam • der vermuteten Unterschiede in den Lernvoraussetzungen der SchülerInnen 3. Festlegung des endgültigen Lerngegenstands • nach Entwicklung und Durchführung eines Eingangstests zur Überprüfung der Vorkenntnisse und/oder von Interviews mit ausgewählten SchülerInnen 4. Identifikation kritischer Aspekte und Merkmale (Dimensionen der Variation und ihrer Ausprägungen) des Lerngegenstands 5. Design der Forschungsstunde • Gestaltung der Variationsmuster • Einbettung der Variationsmuster in ein methodisches Konzept • Design der Relevanzstruktur 6. Durchführung des Unterrichts • Beobachtung und/oder Aufzeichnung des Unterrichts • Post-Test und/oder Interviews mit ausgewählten SchülerInnen 7. Analyse der Ergebnisse und Design der 2. Forschungsstunde (es werden bis zu drei Zyklen durchgeführt) 8. Reflexion der Gesamtergebnisse der Learning Study 9. Dissemination der Ergebnisse Die folgenden Schritte beschreiben zentrale Elemente einer Learning Study, wobei der Schwerpunkt auf die Schritte 1 bis 5 gelegt wird, weil diese sich vom Lesson Study Konzept unterscheiden.

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1. Schritt: Das Learning Study Team Nach Ellen Zhang49 besteht ein Learning Study Team im Allgemeinen aus zwei bis sechs LehrerInnen, die dasselbe Fach auf derselben Schulstufe unterrichten. Jedes Gruppenmitglied trägt seine Expertise zur Arbeit der Gruppe bei und alle Mitglieder haben denselben Status. Bei der Bildung eines Teams wird auch gleich ein Thema vereinbart, wobei meist Themen bevorzugt werden, die erfahrungsgemäß im Unterricht Probleme bereiten. Für eine Learning Study sind bei einem Zyklus von drei Forschungsstunden ca. 10 bis 12 Wochen erforderlich, wobei die gemeinsame Arbeitszeit etwa eine Stunde pro Woche beträgt (Lo 2015, 37). 2. und 3. Schritt: Vom vorläufigen zum endgültigen Lerngegenstand Nach der Wahl eines Themas für die Learning Study wird zunächst ein Lerngegenstand ausgewählt. Dieser Lerngegenstand gilt als vorläufig, weil der endgültige Lerngegenstand erst in Kenntnis der Voraussetzungen der Lernenden festgelegt werden kann. Der vorläufige Lerngegenstand ist oft das Ergebnis intensiver Reflexion der Mitglieder der Learning Study über ihr eigenes Verständnis des Lerngegenstands und über die unterschiedlichen Formen, in denen dieser unterrichtet wird. Dazu kommen Annahmen über die wahrscheinlichen Voraussetzungen, die die SchülerInnen mitbringen werden. Das endgültige Lernobjekt lässt sich erst aufgrund eines diagnostischen Eingangstests oder nach Gesprächen mit SchülerInnen formulieren. 4. Schritt: Identifikation kritischer Aspekte oder Merkmale des Lernobjekts Die Identifikation der kritischen Merkmale eines Lerngegenstands gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Lehrpersonen. Marton/Runesson (2015, 107f.) unterscheiden potentielle und aktuelle kritische Merkmale: • Potentielle kritische Aspekte (bzw. Merkmale) betreffen den Lerngegenstand und sind daher verallgemeinerbar. Sie sind Ergebnisse fachlicher und fachdidaktischer Analysen des Lerngegenstands. Viele wurden von LehrbuchautorInnen, Fachleuten für Lehrplanentwicklung und LehrerInnen bereits identifiziert. Viele müssen allerdings erst von den LehrerInnen selbst durch Austausch mit KollegInnen, durch Diskussion und Literaturstudium herausgefunden werden. • Aktuelle kritische Aspekte beziehen sich auf Merkmale, die bestimmte Lernende noch nicht erkannt und daher noch zu lernen haben. Diese müssen vom Lehrerteam erst empirisch herausgefunden werden, weil sie die konkreten SchülerInnen betreffen. Dies kann durch Interviews mit den SchülerInnen vor dem Unterricht geschehen, durch diagnostische Tests oder auch durch Beobachtungen, bei denen den Schülerinnen und Schülern aufmerksam zugehört wird, um herauszufinden, wie diese den Lerngegenstand sehen (zu den Methoden vgl. Lo 2015, 75ff.). 49

Persönliche Mitteilung an P.P. (2016)

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„Unseres Erachtens sind kritische Aspekte Schlüsselelemente des Lernens. Der Erfolg von Bemühungen, anderen beim Lernen zu helfen, hängt in hohem Maße davon ab, dass die kritischen Aspekte gefunden werden und der Unterricht auf sie abgestimmt wird.“ (Marton/Runesson 2015, 107).

Die Bemühungen um die Identifikation kritischer Merkmale verweisen auf die zentrale Bedeutung des Feedbacks vom Lernenden zum Lehrenden. Hattie (2009) hat in seiner Metaanalyse herausgefunden, dass diese Art von formativem Feedback die wichtigste Einzelmaßnahme zur Verbesserung des Lernens darstellt. Erst eine genauere Kenntnis der Voraussetzungen der Lernenden ermöglicht es, die kritischen Merkmale und damit den „endgültigen“ Lerngegenstand festzulegen. Weil die Voraussetzungen der Lernenden sehr verschieden sein können, ist dies keine einfache Aufgabe. Manchmal können kritische Merkmale des Lernobjekts sogar erst im Verlauf des Unterrichts angesichts von Äußerungen der Lernenden entdeckt werden. 5. Schritt: Planung der Forschungsstunde Gestaltung und methodische Einbettung der Variationsmuster: Wenn Lerngegenstand und kritische Merkmale geklärt sind, besteht die Aufgabe des Teams, Variationsmuster zu gestalten, die zu den erwarteten Lernergebnissen führen. Diese Muster beschreiben, wie Lernende mit kritischen Aspekten des Lernobjekts konfrontiert werden. Kritische Aspekte können erkannt werden, wenn sie variieren, während nicht kritische Aspekte unverändert bleiben. Wenn Lernende zwei oder mehrere kritische Aspekte erkennen müssen, besteht die wirksamste Strategie darin, die Lernenden zunächst einen nach dem anderen erkennen zu lassen und erst anschließend beide gleichzeitig zu variieren (Lo 2015, 96). Ein Variationsmuster zeigt an, was in Bezug auf die kritischen Aspekte oder Merkmale eines Lerngegenstands unverändert bleibt und was verändert wird (Marton/Pang 2008, 539; Lo/Marton 2012, 10). Das bereits am Beginn von Kap. 11.2.1 kurz angesprochene Beispiel lässt sich nun näher ausführen: Nehmen wir an, der Lerngegenstand besteht darin, ein Dreieck als solches zu erkennen (d.h. es von anderen geometrischen Figuren zu unterscheiden). Die Lehrperson könnte den Schülerinnen und Schülern viele Dreiecke auf Papier, Tafel, PowerPoint etc. vorgeben, auf jedes einzelne zeigen, als „Dreieck“ benennen und dabei hoffen, dass die Lernenden die charakteristischen Merkmale eines Dreiecks erkennen. Die Lehrperson lässt dabei das fokussierte Merkmal „Dreieck“ unverändert und variiert andere nicht fokussierte Aspekte (z.B. Größe, Art des Dreiecks, Farbe). Der Variationstheorie zufolge ist dies jedoch nicht der beste Ansatz. Vielmehr sollte die Lehrperson das Gegenteil tun, nämlich den fokussierten Aspekt (geometrische Figur) variieren und den nicht fokussierten Aspekt (verschiedene Arten von Dreiecken) invariant halten, etwa indem sie ein Dreieck mit einem Rechteck, einem Fünfeck, anderen Vielecken, zwei parallelen Geraden, zwei sich schneidenden Geraden oder einer Pyramide vergleicht. Dabei wird eine

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„Variationsdimension“ eröffnet, d.h. ein Begriff (in diesem Fall „geometrische Figuren“), der mehrere Ausprägungen hat, von denen eine das Dreieck ist. Die Ausprägung Dreieck (ein Unterbegriff zu geometrische Figuren) kann dadurch zu anderen Ausprägungen in Kontrast gesetzt werden, wodurch die unterscheidenden Merkmale des Dreiecks (Seitenzahl und Winkelsumme) wahrnehmbar werden. In der Terminologie der Variationstheorie bedeutet dies, dass der fokussierte Aspekt (die geometrische Form) variiert wird, wohingegen die nicht fokussierten Aspekte (also z.B. die Arten von Dreiecken) unverändert bleiben. Es ist zumindest eine andere Ausprägung der Variationsdimension (geometrische Figur) erforderlich, damit die Schülerinnen und Schüler einen Unterschied wahrnehmen können. Bedeutung leitet sich primär von Unterschieden ab. Nicht variiert

Variiert

Dose

Geometrische Figur

Kritisches Merkmal, das erkannt werden soll Merkmale von Dreiecken

Abb. 42: Variationsmuster

„Zu einer neuen Bedeutung kann man nicht durch Induktion vorstoßen, sondern durch Kontrast.“ (Marton/Pang 2013, 25) Kontrastierungen helfen den Lernenden, ein bestimmtes Phänomen, einen Begriff oder einen Aspekt zu erkennen und ihn von seinem Kontext und anderen Phänomenen, Begriffen oder Aspekten abzugrenzen. Variationsmuster müssen durch Lehr- und Lernaktivitäten im Klassenraum zur Geltung gebracht werden. Die Variationstheorie ist mit fast allen Methoden des Lehrens und Lernens kompatibel, wie kooperatives Lernen, IT-unterstützte Lernformen, Projektunterricht usw. Kap. 11.2.3 bietet ein Beispiel für die Einbettung von Variationsmustern in das methodische Konzept einer Learning Study. Motivation: Aufbau einer „Relevanzstruktur“ Die Variationstheorie verwendet einen besonderen Motivationsbegriff: Lernende werden motiviert, wenn zwischen dem Lerngegenstand und den Lernenden eine „Relevanzstruktur“, d.h. eine Beziehung, aufgebaut wird. Der Lerngegenstand muss den Lernenden relevant erscheinen, d.h. er muss für sie Sinn ergeben und Bedeutung haben. Wenn Lernende einen Zusammenhang zwischen ihrer alltäglichen Lebenserfahrung und dem Lerngegenstand sehen, wird dies ihr Verständnis und ihre Reaktion auf den Lerngegenstand beeinflussen. Wenn sie hingegen das Lernobjekt als für sie bedeutungslos ansehen, werden sie kaum zum Lernen motiviert sein (Lo 2015, 116f.) Die bisherigen Arbeiten über Learning Studies bieten nur wenig Information darüber, wie eine solche Relevanzstruktur aufgebaut werden kann. Es gibt jedoch einige indirekte Hinweise (Lo 2015, 210; vgl. dazu kritisch Posch 2015): So sollen die intuitiven Zugänge der Lernenden ernst ge-

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nommen werden – und zwar nicht nur deshalb, weil sie helfen, kritische Merkmale des Lerngegenstands zu finden, sondern auch um Wertschätzung und Respekt für die Lernenden zum Ausdruck zu bringen. Auch die Anregung, den Lernenden die Möglichkeit zu geben, selbst ihr Verständnis des Lerngegenstands zu beschreiben, beeinflusst – obwohl die Intention primär kognitiver Art ist – die Motivation, weil Lernende dadurch Einfluss auf den Lernprozess nehmen können. Die Schritte 6-9 im Learning Study Prozess ähneln jenen der Lesson Studies; sie sind auch typisch für Aktionsforschung und werden in den anderen Kapiteln des Buches ausführlich behandelt: • Die Forschungsstunde wird durchgeführt, die Lernaktivitäten der SchülerInnen werden beobachtet, die Leistungen überprüft und einige SchülerInnen werden interviewt. • Unter Heranziehung verschiedenster Analysemethoden (vgl. Kap. 6) wird das gewonnene Datenmaterial analysiert und auf Basis dieser Analyse die Unterrichtsstunde revidiert (vgl. Kap. 7). • Die revidierte Stunde wird in einer anderen Klasse mit Beobachtung und Analyse unterrichtet. Gewöhnlich gibt es zwei bis drei Zyklen. • Schließlich werden die Ergebnisse der Studie zusammengefasst, dokumentiert, ausgetauscht und oft auch publiziert (vgl. Kap. 8). 11.2.3 Eine Learning Study in der Praxis: Einführung des Begriffs „Kondensation“ Wie sieht die Einbettung von Variationsmustern in das methodische Konzept einer Learning Study in der Praxis aus? Das folgende Beispiel beschreibt den Unterricht des Begriffs „Kondensation“ in einer dritten Grundschulklasse (leicht gekürzt nach Lo 2015, 81ff. und 131ff.).50 Thema des Unterrichts waren die drei Aggregatzustände des Wassers. Nachdem das Thema Verdampfung bereits behandelt worden war, kam das Thema „Kondensation“ an die Reihe. Die Lehrerin hat dazu zwei kritische Merkmale identifiziert: • Wasserdampf kondensiert, wenn er auf eine kalte Oberfläche trifft; • Es gibt unsichtbaren Wasserdampf in der Luft. Im Unterricht sollten die SchülerInnen zwei Coladosen beobachten, von denen eine in der Klasse stand (bei Raumtemperatur) und die andere aus dem Kühlschrank genommen wurde. Bald konnten die SchülerInnen beobachten, dass sich auf der kalten Dose Wassertropfen bildeten, während die andere trocken blieb. Die Lehrerin fragte die Kinder nach den möglichen Gründen. Alle waren der Meinung, dass Temperatur dabei eine Rolle spielte. Folgendes Variationsmuster war ausgewählt worden. 50

Das Buch von Mun Ling Lo (2015) bietet eine große Anzahl von Beispielen von Learning Studies für fast alle Unterrichtsgegenstände und Altersstufen.

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Lesson Studies und Learning Studies

Nicht variiert

Variiert

Dose

Temperatur der Dose: Raumtemperatur vs. kalt

Kritisches Merkmal, das zu erkennen war Wassertropfen fanden sich nur auf der kalten Dose

Abb. 43: Variationsmuster

Die Lehrerin fragte weiter: Woher kommen die Tropfen? Erwartet wurde die Antwort, dass sie aus der Luft kommen, weil ja in den Stunden zuvor das Thema Verdampfung behandelt worden war. Mehrere SchülerInnen meinten aber, die Tropfen kämen aus dem Kühlschrank; andere nahmen an, sie seien aus der Dose gesickert. Die Lehrerin hörte den SchülerInnen ruhig zu, reagierte dann aber sofort. Um die erste Behauptung zu entkräften, trocknete sie die Tropfen auf der kalten Dose. Wenig später hatten sich wieder Tropfen gebildet. Nachdem diese Prozedur mehrmals wiederholt worden war, waren alle Schüler der Meinung, dass die Tropfen nicht aus dem Kühlschrank gekommen sein konnten. Um die zweite falsche Behauptung zu entkräften, leerte sie den Inhalt der Dosen aus und trocknete die Oberfläche. Trotzdem bildeten sich Tropfen auf der kalten Dose. Das Variationsmuster sah hier wie folgt aus: Nicht variiert

Variiert

Dose

Dose mit/ohne flüssigen Inhalt

Kritisches Merkmal, das zu erkennen war Wassertropfen bildeten sich auf der leeren kalten Dose, also können sie nicht von der Flüssigkeit in der Dose kommen.

Abb. 44: Variationsmuster

Das schien die SchülerInnen vorerst zu überzeugen. Die Lehrerin hatte dieses kritische Merkmal erst aufgrund der Äußerungen der SchülerInnen entdeckt. Ein nachträgliches Interview mit drei SchülerInnen zeigte aber, dass sie sich dennoch nicht vorstellen konnten, dass die Wassertropfen aus der Luft kommen. Als Reaktion darauf veränderte das Team den Unterrichtsplan, um die SchülerInnen die gleichzeitige Variation von Kondensation/keine Kondensation und mit Luft/ohne Luft erfahren zu lassen. In der zweiten Forschungsstunde nahm die Lehrerin eine kalte Coladose, wischte die Wassertropfen von ihrer Oberfläche ab und wickelte die Dose in eine Schicht Küchenpapier, eine Schicht Plastikfolie und noch eine Schicht Papier. Nach einer Weile war die äußerste Schicht Papier feucht geworden, die innere aber trocken geblieben (vgl. Abb. 45).

Learning Studies Nicht variiert

Variiert

Die kalte Dose

Das kalte Papier ist/ ist nicht in Kontakt mit der Luft.

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Kritisches Merkmal, das zu erkennen war Nur das Papier, das mit Luft in Kontakt ist, wird nass. Daher müssen die Wassertropfen aus der Luft kommen.

Abb. 45: Variationsmuster

Nun forderte die Lehrerin ihre Klasse auf, dieses Ergebnis zu erklären. Die Schülerinnen und Schüler konnten nun erkennen, dass das Papier, das in Kontakt mit der Dose war, trocken geblieben war, während das äußere Blatt, das nicht in Kontakt mit der Dose war, nass war. Anhand dieser Versuchsanordnung konnte auch die Frage beantwortet werden, ob die Wassertropfen von der Flüssigkeit im Inneren der Dose stammen konnten. Die Tropfen mussten aus der Luft kommen. Auch im Interview mit den drei SchülerInnen waren alle der Meinung, dass Wasser kondensiert, wenn die Temperatur sinkt, und dass sich dann Wassertropfen bildeten. Als sie gefragt wurden, woher die Wassertropfen kommen, sagten alle, dass sie aus der Luft kämen. Als jedoch die Forscherin fragte, ob sie wirklich glaubten, dass Wasserdampf in der Luft ist, lautete eine Antwort: „Ich glaube nicht, dass Wasserdampf in der Luft ist. Wenn Wasser in der Luft wäre, wären wir ja alle in der Luft schon ertrunken!“

Auf die Frage, was mit dem Wasser passiert, wenn es Luft wird, meinte ein anderer Schüler: „Es wird zu Wasserstoff, weil der leicht ist und schweben kann.“

Das kritische Merkmal war vielen also immer noch nicht klar. Diese Unklarheit zeigt, dass ein wichtiges kritisches Merkmal im Unterricht noch keine Rolle gespielt hat, nämlich was mit dem Wasser passiert, wenn es verdampft. Dabei müsste sich der Unterricht mit folgenden Fragen beschäftigen: • Was ist der Unterschied zwischen Wasser in gasförmigem und flüssigem Zustand? • Luft ist eine Mischung aus verschiedenen Gasen; Wasserdampf ist nur eines von ihnen. • Warum kann eine Temperaturänderung bei Wasser eine Veränderung seines Aggregatzustandes bewirken? An diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig es für den Erfolg des Unterrichts ist, die Sichtweisen der Lernenden zu verstehen und ernst zu nehmen. Wenn Lehrpersonen die Präkonzepte und Lernschwierigkeiten der Kinder nicht kennen lernen und nicht auf sie eingehen, dann muss damit gerechnet werden, dass die SchülerIn-

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Lesson Studies und Learning Studies

nen einen Widerspruch zwischen dem angebotenen Wissen und ihren subjektiven „Theorien“ zugunsten der letzteren auflösen. 11.2.4 Wirksamkeit von Learning Studies „Die Learning Studies verbessern das Lernen spezifischer Lerngegenstände auf Seiten der Schülerinnen und Schüler. Zudem fördern sie die professionelle Weiterentwicklung der Lehrkräfte, verbessern die Zusammenarbeit zwischen ihnen und helfen, eine Lernkultur zu fördern, die eine Entwicklung der Schule als Learning Community unterstützt.“ (Lo 2015, 194). Das ist ein ziemlich starker Anspruch. Was ist davon einlösbar? Welche Erfahrungen mit Learning Studies wurden bisher gemacht? Elliott (2004; vgl. auch Elliott 2015, 160ff.) hat zwei große Learning Study Projekte, an denen zahlreiche Schulen in Hong Kong teilgenommen haben, evaluiert. Seine Schlussfolgerung: Die Evaluation hat überzeugende Nachweise erbracht, dass sich der Prozess positiv auf das Lernen der LehrerInnen und der SchülerInnen auswirkt. Das Learning Study Konzept fokussiert auf die Realisierung neuer pädagogischer Rollen und entfaltet in dieser Hinsicht enormes Potential. Bis 2013 wurden etwa 1000 Learning Studies durchgeführt. Sie haben bisher fast alle Fächer und Altersstufen betroffen, wobei allerdings Mathematik und die naturwissenschaftlichen Fächer leicht dominieren. Die wichtigsten quantitativen Ergebnisse der Studien bis 2013 haben Marton und Pang (2013, 26) zusammengefasst (vgl. auch Cheung/Wong 2014; Elliott 2015): • In fast allen Studien waren die Leistungen der SchülerInnen nachher besser als vorher. Das mag als selbstverständlich erscheinen, ist es aber nicht. In vielen Schulstunden lernen die SchülerInnen gar nichts, jedenfalls nicht das, was die LehrerInnen erwarten. • Lernende mit schlechteren Voraussetzungen lernen gewöhnlich am meisten. Es erhöht sich also nicht nur der Durchschnitt, es verringert sich auch die Differenz. Dies ist nach Lo (2015, 39) nicht überraschend, weil ein wesentliches Merkmal einer Learning Study ja darin besteht, die Ursache von Lernschwierigkeiten zu identifizieren, sodass gezielt Wege gefunden werden können, den Lernenden zu helfen, diese Schwierigkeiten zu überwinden. • Der Lernfortschritt wurde auch nach einem längeren Zeitraum noch festgestellt und ist in vielen Fällen größer geworden, was die Autoren auf einen inhaltspezifischen Effekt des „Lernen Lernens“ zurückführen. Offenbar lernen die SchülerInnen auch selbst, kritische Merkmale von Lerngegenständen zu identifizieren (Holmqvist et al. 2008). • Die Ergebnisse nationaler Tests haben sich bei SchülerInnen von LehrerInnen, die an Learning Studies teilgenommen haben, verbessert. Das heißt, dass auch der „normale“ Unterricht dieser LehrerInnen positiv beeinflusst worden ist.

Learning Studies

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• Bei systematischen Vergleichen zwischen Lesson und Learning Studies haben Learning Studies wesentlich besser abgeschnitten als Lesson Studies (vgl. Marton/Pang 2006, 2008; Pang 2010; Pang/Marton 2003; 2005; 2007). • Beim Vergleich der drei Zyklen von Learning Studies wurde festgestellt, dass der dritte meist besser als der zweite ist und auch der zweite bessere Ergebnisse als der erste erzielt. Das war zwar zu erwarten. Überraschend war aber, dass die stärkste Verbesserung beim Übergang vom zweiten zum dritten Zyklus erfolgte. Ein ähnlicher Befund wird auch über Lesson Studies berichtet (O’Shea et al. 2015, 62). Trotz dieser Hinweise auf Wirksamkeit sind die Variationstheorie und ihre Anwendung in Learning Studies noch „work in progress“. Wenn Learning Studies durchgeführt werden, geht es nicht nur um eine Anwendung der Variationstheorie, um Unterricht weiterzuentwickeln. Auch die Theorie selbst ist noch Gegenstand der kritischen Analyse und Weiterentwicklung (Hanfstingl et al. 2018). Ein wichtiges, möglicherweise sogar das wichtigste Qualitätsmerkmal von Learning wie auch Lesson Studies haben Elliott/Tsai (2008, 571) formuliert: „Die Vermittlung des kulturellen Erbes ist kein einseitiger Prozess. Sie verlangt von den LehrerInnen, sich auch selbst als Lernende zu verstehen, wenn sie sich auf den kreativen Prozess einlassen, kulturelle Inhalte als Lerngegenstände den Lernenden nahezubringen.“

Bodenständiger hat es Hattie formuliert: „Die stärksten Wirkungen auf das Lernen treten dann auf, wenn Lehrende ihren eigenen Unterricht zum Gegenstand des Lernens machen.“ (Hattie 2009, 22) Lesson und Learning Studies sind eine internationale „Bewegung“ zur Weiterentwicklung des Lehrens und Lernens geworden. Die „World Association of Lesson Studies“ (WALS; www.walsnet.org/) ist ein internationales Netzwerk zur Förderung von Forschung und Praxis zur Verbesserung der Qualität des Lernens. Jährlich findet eine internationale Konferenz statt. Seit 2012 erscheint das International Journal for Lesson and Learning Studies (IJLLS; www.emeraldinsight.com/ijlls.htm) mit theoretischen Beiträgen und Fallstudien aus der Praxis. Im Jahre 2015 ist das erste Standardwerk über Learning Studies auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Lernen durch Variation  – Implementierung der Variationstheorie in Schule und Bildungsforschung“ (Lo 2015) erschienen.

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12 Ein Blick hinter die Kulissen

Am Ende dieses Buches, das mit praktischen Beispielen und methodischen Vorschlägen für Aktionsforschung gefüllt ist, laden wir Sie ein, mit uns einen Blick hinter die theoretischen Kulissen dieser Forschungsrichtung zu werfen. Dabei versuchen wir, einige Gedankengänge und Begründungen vorzustellen, die für die Entwicklung einer von PraktikerInnen betriebenen Aktionsforschung bedeutsam sind.

12.1 Die Wurzeln der Aktionsforschung In der anglo-amerikanischen Literatur51 wird die Entstehung des Konzepts ‚Action Research‘ v.a. auf folgende Quellen zurückgeführt: John Collier (1945) versuchte in seiner Funktion als Beauftragter für Indianerfragen der Vereinigten Staaten zwischen 1933 und 1945 eine sozial bewusste, praxisbezogene Form einer angewandten Anthropologie zu betreiben, um die Lebensumstände der Indianer zu verbessern. Jacob L. Moreno, ein Arzt, Sozialphilosoph, Poet und Erfinder von Konzepten, wie Soziometrie, Psychodrama, Rollenspiel usw., könnte als erster Begriffe wie ‚Interaktions- oder Aktionsforschung‘ verwendet haben und auf Prinzipien, wie teilnehmender Beobachtung, Forschungsbeteiligung von betroffenen Laien und sozialer Verbesserung als Forschungsziel, bestanden haben (vgl. Petzold 1980; Gunz 1996). Am häufigsten jedoch wird Kurt Lewin als Begründer der Aktionsforschung genannt, die für ihn eine „vergleichende Erforschung der Bedingungen und Wirkungen verschiedener Formen des sozialen Handelns und eine zu sozialem Handeln führende Forschung“ (Lewin 1953, 280) ist. Seit Mitte der 40er Jahre dieses Jahrhunderts versuchte er diesem Forschungstyp in Projekten, beispielsweise zur Verbesserung von Intergruppenbeziehungen oder zur Veränderung der Ernährungsgewohnheiten im 2. Weltkrieg (vgl. Lewin 1988), konkrete Gestalt zu geben. Lewins Aktionsforschung wurde sehr rasch im amerikanischen Bildungswesen rezipiert, vielleicht weil Lewin selbst auch in der Erziehung tätig war, vielleicht aber auch weil sie dort auf Strömungen der progressive education traf, die wie Action Research Orientierungen in Richtung demokratischer Beteiligung der Betroffenen 51

vgl. Kemmis 1988; Noffke 1989; 1994; Deakin University 1988.

Eine Konzeption für Innovationen im Schulwesen

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und sozialer Gerechtigkeit aufwies. So hatte John Dewey schon 1929 (zit. nach Kemmis 1988, 31) über die Bedeutung wissenschaftlicher Ergebnisse für die Erziehung geschrieben: „Sie mögen in anderen Feldern ‚wissenschaftlich‘ sein, aber nicht im Bildungswesen solange sie nicht erzieherischen Zwecken dienen, und ob sie das wirklich vermögen, kann nur in der Praxis herausgefunden werden.“ In den fünfziger Jahren ließ jedoch das Interesse an Aktionsforschung in Nordamerika nach (vgl. Kemmis 1988, 33ff) und wurde später eher in den Randbereichen der anerkannten Sozialwissenschaften gepflegt (vgl. Sanford 1970, 5; Neumann 2005). Aus der Kritik an top-down-Curriculumreformen entstand in den 1970er Jahren in England und Australien eine Bildungsreformbewegung, die wieder unter den Bezeichnungen action research oder teacher research firmierte und in den 1980er Jahren auch auf das europäische Festland und auf Nordamerika ausstrahlte. In Projekten der Curriculum- und Unterrichtsentwicklung (vgl. Kap. 1) wurde versucht, zu einer reflektierten Entwicklung der Bildungspraxis durch die ‚Betroffenen‘ beizutragen. Gleichzeitig sollte das dabei anfallende Wissen über Praxis für den professionellen Wissensschatz der PraktikerInnen und für die Erziehungswissenschaft aufbereitet werden.

12.2 Eine Konzeption für Innovationen im Schulwesen Die Spuren, die englische LehrerforscherInnen zurückgelassen haben, führen zumeist zu Lawrence Stenhouse zurück. Dieser war Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität von East Anglia in Norwich und starb 1982. Er war der Initiator und die treibende Kraft des Humanities Curriculum Project (HCP).52 Die vor diesem Projekt vorherrschende Strategie der Unterrichtsinnovation war jene des sog. „Research, Development and Dissemination (RDD)“-Modells: Auf der Basis wissenschaftlichen Wissens („Research“) entwickelten ForscherInnen neue Unterrichtskonzepte und -materialien und testeten sie in Vorversuchen („Development“). Erschienen sie ausgereift, wurden sie an PraktikerInnen weitergegeben („Dissemination“) und sollten von ihnen möglichst intentionsgetreu und genau verwirklicht werden. In derartigen Projekten musste jedoch immer wieder festgestellt werden, dass, was an den Orten der Praxis tatsächlich geschah, oft sehr weit von den Absichten der WissenschaftlerInnen, die die Lehrmaterialien entwickelt hatten, entfernt war. Die übliche Erklärung, die im RDD-Modell für derartige Phänomene geboten wurde, war, dass die Curricula von den PraktikerInnen eben inkompetent umgesetzt worden seien oder dass diese als „steinzeitliche Obstruktionisten“ die Neuerungen hintertrieben hätten. 52

Das HCP wurde 1967 begonnen und zielte auf ein groß angelegtes Sozialerziehungscurriculum (vgl. Humanities 1983; Elliott 1988; Posch et al. 1982).

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Ein Blick hinter die Kulissen

Stenhouse (1975) erklärte diese Situation nun in anderer Weise: Das, was als Verzerrung oder Veränderung durch die PraktikerInnen erschien, sei Ausdruck ihrer „pragmatischen Skepsis“ (Doyle/Ponder 1976) und damit eigentlich eines Impulses des Infragestellens, Modifizierens, Genauerwissenwollens – kurz: eines Impulses zur Forschung. Wenn man eine Neuerung einführen will, so sollte man nicht versuchen, diese pragmatische Skepsis zu umgehen oder auszuschalten, sondern sie konstruktiv einbeziehen: Qualität bei der Verwirklichung einer neuen Entwicklung würde eben nicht dadurch erzielt, dass PraktikerInnen – vielleicht anderswo bewährte – Ideen 1:1 umsetzen. Vielmehr müssten sie die Passung der Neuerung auf die spezifischen Verhältnisse in ihrer Praxis genau beobachten, evaluieren und diese Neuerung entsprechend ihrer Beobachtungen weiterentwickeln. Bei Innovationen sollten PraktikerInnen daher nicht mehr bloß als ausführende Organe von vorab verfertigten Produkten angesehen werden, sondern als MitarbeiterInnen im Entwicklungsprozess – die Idee „LehrerInnen als ForscherInnen“ war damit geboren (vgl. Stenhouse 1975, 142ff; Elliott 1988).

12.3 LehrerInnen als Mitglieder einer Profession Die Idee von „LehrerInnen als ForscherInnen“ ist nicht bloß ein strategischer Einfall, um Neuerungen reibungsloser durchzusetzen, sondern geht von einem anderen Selbstverständnis des Lehrberufs aus. Stenhouse sieht Lehrpersonen als Mitglieder einer Profession an. Unter „Profession“ wird im Allgemeinen ein Syndrom von beruflichen Merkmalen und Handlungsmöglichkeiten verstanden, „das vor anderen ausgezeichnet ist durch eine typische Kombination zumeist monopolisierter Chancen auf spezifische, überwiegend nicht-manuelle Arbeit mit überdurchschnittlichen Erwerbschancen, überdurchschnittlichen Prestige- und Autoritätschancen sowie überdurchschnittlichen Qualifikationserwartungen“ (Hesse 1972, 69). Welche „überdurchschnittlichen“ Qualifikationen werden von Mitgliedern einer Profession erwartet? Für Stenhouse erschöpft sich professionelle Qualifikation nicht darin, eine postsekundäre Bildungsstätte aufgesucht und dort Wissen aufgenommen zu haben, sondern sie muss auch die Fähigkeit umfassen, selbst ein der spezifischen Arbeitssituation angemessenes Wissen erzeugen und angesichts praktischer Anforderungen weiterentwickeln zu können. „Kurz gesagt, das hervorstechende Merkmal des Professionellen ist die Kapazität für autonome berufliche Weiterentwicklung durch systematisches Studium der eigenen Arbeit, durch das Studium der Arbeit anderer LehrerInnen und durch die Überprüfung pädagogischer Ideen durch Forschung im Klassenzimmer“ (Stenhouse 1975, 144).

Professionelles Handeln

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12.4 Professionelles Handeln Stenhouse’s Vorstellungen vom professionellen Handeln können durch die Forschungen von Donald A. Schön, ehemals Professor am Massachusetts Institute of Technology, fundiert werden. Er baut seine Argumentation folgendermaßen auf (vgl. Altrichter 2000): Professionelle Praxis wird üblicherweise nach einem „Modell technischer Rationalität“ rekonstruiert. Nach dieser Sichtweise besteht qualifizierte praktische Handlung aus geschickter Anwendung theoretischen Wissens, mit dessen Hilfe Problemlösung in der Praxis betrieben wird. Dabei werden drei Voraussetzungen gemacht: 1. Für konkrete praktische Probleme (z.B. wenn Schwierigkeiten mit einem Schüler auftreten oder wenn die Lehrerin vor der Aufgabe steht, ein neues mathematisches Verfahren einzuführen) gibt es allgemeine Lösungen. 2. Diese Lösungen können als Theorien außerhalb der Praxis entwickelt und PraktikerInnen vermittelt werden. 3. Diese Theorien können als allgemeines Wissen in der Praxis angewendet werden und sind geeignet, die konkreten Probleme zu lösen. Die Wissensgrundlage, auf der professionelle PraktikerInnen arbeiten, besteht nach dieser Vorstellung aus allgemeinem Wissen, das mit wissenschaftlichen Methoden gewonnen wurde, spezialisiert, disziplinär begrenzt (z.B. die Profession der PsychologInnen stützt sich auf eine Wissensbasis, die sich von jener anderer Professionen unterscheidet) und standardisiert ist (d.h. für uniforme Probleme der Profession wird eine Standardmenge an Wissen benötigt; vgl. Schön 1983, 23f ). Dieses technisch-rationale Denken löst die Produktion von Wissen vom Kontext ab, in dem es verwertet und im Hinblick auf seine Auswirkungen bewertet werden kann. Das hat nach Schön zu drei Spaltungen geführt: • Die Spaltung von Mittel und Zweck: Die Zwecke werden als eine außerhalb der Rationalität liegende Größe und als gegeben angesehen. Die Mittel hingegen gelten als wertfrei und der Rationalität zugänglich. • Die Spaltung von Wissen und Handeln: Nur das Handeln habe auf Konsequenzen zu achten. Der Erkenntnisprozess sei davon unabhängig und diene nur der Wahrheitssuche. Die Verantwortung des Erkennenden beschränke sich auf die methodisch einwandfreie Gestaltung des Erkenntnisprozesses. • Die Spaltung von Forschung und Praxis: WissenschaftlerInnen stellen sich außerhalb des untersuchten Feldes: sie erforschen nicht sich, sondern die „anderen“. Die Menschen, die sie untersuchen, werden für sie zum Gegenstand der Erkenntnis: z.B. zur Versuchsperson, zum Fall. Das technisch-rationale Denken hat zu einer gewaltigen Erweiterung des Wissens und der Handlungsmöglichkeiten des Menschen geführt. Dies geschah nach Ar-

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Ein Blick hinter die Kulissen

ranz (1988) vor allem durch die Fähigkeit des Menschen, sich Informationen zugänglich zu machen (z.B. Elektronenmikroskop), zu speichern (z.B. Bildplatte), zu verarbeiten (z.B. Computer) und zu verwerten (z.B. Roboter). Arranz nennt die dabei entstandenen technischen Möglichkeiten „kognitive Prothesen“ oder, unter Verwendung einer Analogie aus der Tierwelt, „künstliche Tentakeln“. Er meint nun, dass diese „Tentakeln“ immer komplexer und verflochtener werden, sodass ihre Steuerung zunehmend schwieriger wird. Sie entwickeln ein Eigenleben, das von ihren SchöpferInnen immer weniger verstanden und kontrolliert werden kann. Während bis in die Fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine Vorstellung professioneller Praxis entsprechend dem Modell „Technischer Rationalität“ vorherrschend war, tauchen seither zunehmend Zweifel daran auf. Die Kritik setzt einesteils daran an, dass weitreichende Krisenerscheinungen nicht gelöst werden konnten und dass umgekehrt neue gravierende Probleme als „unerwartete Nebeneffekte“ professioneller Berufstätigkeit entstanden sind. Andererseits hat sich auch eine Vertrauenskrise ergeben, weil trotz der proklamierten altruistischen Ethik sehr deutlich Eigeninteressen der Professionen sichtbar wurden (vgl. Schön 1983, 37ff). Nach Schöns Analyse wurzeln diese Probleme in einer einseitigen Dominanz technischer Rationalität. Wissensanwendung und instrumentelles Problemlösen setzen nämlich ein Bild von Praxis voraus, das durch unzweifelhafte Ziele und stabile institutionelle Kontexte charakterisiert ist. Gerade diese Voraussetzungen sind vielleicht bei einfachen und repetitiven Arbeiten gegeben; für die meisten, professionelle Expertise herausfordernden Praxissituationen sind sie jedoch nicht erfüllt. So zeichnet sich die berufliche Situation von LehrerInnen durch u.a. folgende Merkmale aus (vgl. Bassey 1980, 21; Schön 1983, 14): • Komplexität: Die Handlungssituation in einer Klasse wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Eingriffe an einer Stelle dieses Systems haben daher viele Wirkungen. Wenn ein Begriff (z.B. „Energie“) erklärt wird, assoziiert jeder Schüler und jede Schülerin in Nuancen etwas anderes. Er oder sie muss ja den Begriff aus den Bedeutungen, über die er/sie bereits verfügt, rekonstruieren. • Einzigartigkeit: Keine Situation gleicht völlig einer anderen. LehrerInnen erleben immer wieder, dass Unterrichtssituationen, die in einer Klasse zu einem befriedigenden Ergebnis geführt haben, in einer anderen Klasse plötzlich nicht mehr wieder herstellbar sind. • Instabilität: Die Ereignisse in der Handlungssituation befinden sich in ständigem Wandel, gleich einem Fluss, in den man nicht zweimal an derselben Stelle steigen kann. Was heute noch gut gegangen ist, kann wenig später in derselben Klasse schon Schwierigkeiten bereiten. • Ungewissheit: In komplexen Situationen ist es unmöglich, sich dauernd alle bedeutsamen Faktoren und deren aktuelle Ausprägungen bewusst zu halten: Vieles von dem, was in der Unterrichtssituation geschieht, ist nicht oder nur oberfläch-

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lich der Beobachtung zugänglich und bleibt in seinen Auswirkungen auf die Situation unbestimmt. • Wert- und Interessenkonflikte: In praktischen Handlungssituationen stoßen verschiedene Interessen und Wertorientierungen aufeinander. Dies gilt nicht nur zwischen den Handelnden, sondern innerhalb einer Person. So finden sich LehrerInnen immer wieder in verschiedenen Dilemmas, z.B. zwischen Fördern und Auslesen, zwischen Bindung und Freiheit, zwischen Tiefe und Breite usw. (vgl. Kap. 6.4.2). Situationen, die diese Merkmale haben, schränken die Möglichkeiten eines Wissenschaftsverständnisses stark ein, dessen Ziel die Produktion allgemeinen Wissens ist, das in der Praxis nur angewendet werden muss, um gute Ergebnisse zu erzielen. In solchen Situationen muss technische Rationalität durch Wissensproduktion an der „Peripherie“ ergänzt werden, wo im Sinne von Arranz die „Tentakeln“ einander ins Gehege kommen können. Es wird „lokales Wissen“ nötig, das die Steuerung komplexer Systeme erst ermöglicht. Außerdem ist in solchen Situationen die Hauptaufgabe der PraktikerInnen nicht die „Problemlösung“, weil das „Problem“ als solches gar nicht eindeutig vorliegt. Es muss durch den nicht-technischen Prozess der „Problemdefinition“ geschaffen werden, der solcherart erst die Voraussetzung für das Wirksamwerden technischer Expertise schafft (vgl. Schön 1983, 39ff). Gesucht wird also eine zutreffende Beschreibung komplexer praktischer Tätigkeit. Aufgrund der Analyse einiger Fallstudien professioneller Tätigkeit (z.B. architektonisches und technisches Design, psychotherapeutisches Gespräch, Entwicklung des Transistors usw.) formuliert Schön schließlich drei typische Formen des Zusammenspiels von Wissen und Handeln in der Praxis. 12.4.1 Handlungstyp I: Handlung auf der Basis unausgesprochenen Wissens-in-der-Handlung In den einfachen, ruhig fließenden Situationen beruflicher Praxis wird auf der Basis unausgesprochenen Wissens-in-der-Handlung agiert. „Unser Wissen ist normalerweise unausgesprochen, implizit in den Mustern unseres Handelns und in unserem Gefühl für das Material, mit dem wir umgehen“ (Schön 1983, 49).

Charakteristisch für diese Art des Wissens ist, • dass in ihm nicht zwischen Denken und Handeln getrennt wird (es gibt geschickte praktische Handlungen, die nicht vorher durch intellektuelle Operationen geplant und vorbereitet werden), • dass sich Handelnde oft nicht bewusst sind, wo und wie sie dieses Wissen erworben haben, • und dass Handelnde üblicherweise nicht ohne weiteres in der Lage sind, dieses Wissen verbal zu beschreiben. Und doch können die Handlungen nicht ohne

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Ein Blick hinter die Kulissen Wissen erfolgt sein. Die Geschicktheit, Situationsangemessenheit und (flexible) Regelhaftigkeit solchen Handelns lässt auf eine vorderhand unausgesprochene Wissensbasis schließen: Wir wissen mehr, als wir auszusprechen vermögen.

Das wichtigste Beispiel für den Handlungstyp I ist die Routine. Routinen sind (interne oder externe) Operationen, die (a) durch häufige Wiederholung entstanden sind, (b) eine relativ hohe Geschwindigkeit des Vollzuges haben und (c) wenig bewusste Steuerungsprozeduren vom Handelnden erfordern (vgl. Bromme 1985). Routinen wurden in der pädagogischen Literatur oft als minderwertig im Vergleich zu bewussten, geplanten und kreativen Handlungen angesehen. Es wurde oft empfohlen, den Anteil der ersteren zugunsten der letzteren zurückzudrängen. Diese Betrachtungsweise ist sicher zu einfach, haben doch Routinen auch positive Effekte. So führen sie zu einer gewissen Stabilität des Lehrerverhaltens, die es SchülerInnen erlaubt, Erwartungen auszubilden und ihr Verhalten im Unterricht darauf einzurichten. So sind Routinen die Voraussetzung für die zeitlich parallele Verfolgung mehrerer Ziele, was ja gerade die typische Anforderung an das Lehrerhandeln ist (z.B. etwas erklären, auf die Mitarbeit achten, eine Schülerin besonders beobachten usw.). Das stärkste Argument für eine Neueinschätzung der Bedeutung von Routinen ist aber aus den Forschungen zum Expertenwissen ableitbar. Dabei stellte man überraschenderweise fest, dass z.B. weniger erfolgreiche LehrerInnen mehr Aspekte bei einer Entscheidung, vom geplanten Verlauf des Unterrichts abzuweichen, abwägen als erfolgreiche. Überhaupt zeigte sich auch bei „ExpertInnen“ in anderen Berufsbereichen, dass sie gegenüber weniger erfahrenen und weniger erfolgreichen Berufstätigen weniger Worte brauchen, um ein Problem zu definieren und zu lösen (vgl. die Zusammenfassung von Untersuchungen zum Expertenwissen bei Bromme 2014). Bromme (1985, 187) meint nun, dass diese Ergebnisse durch die hohe Bedeutung von Routinen im Expertenhandeln erklärbar wären. Routinen zeigen nicht „die Abwesenheit von Wissen, sondern die besondere Qualität der Wissensorganisation“ an; sie sind „Verdichtungen aufgabenrelevanten Wissens“. Eben durch die in ihnen geschehende Verknüpfung von „Konzepten zur Problemwahrnehmung, Informationen über Lösungsbedingungen und Lösungsschritten“ kann rasch, mit minimaler bewusster Handlungskontrolle und dennoch geschickt gehandelt werden (a.a.O., 185). Handlungen des Typs I können nicht aus dem Begriff „professionelles Handeln“ ausgeschlossen werden. Routiniert ablaufendes, auf unausgesprochenem Wissen beruhendes Handeln stellt die Basis kompetenter Lehrertätigkeit dar. Es ist die typische Organisationsform des Handelns in durch Erfahrung einfach gemachten,

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störungsfreien Situationen. Dort allerdings, wo Störungen und Probleme im Handlungsablauf auftreten und wo neuartige, komplexe Situationen bewältigt werden sollen, wird ein anderer Handlungstyp zusätzlich notwendig. 12.4.2 Handlungstyp II: Reflexion-in-der-Handlung Bei Handlungsproblemen genügt das unausgesprochene Wissen-in-der-Handlung nicht mehr; Reflexion-in-der-Handlung wird nötig. „Wenn jemand in der Handlung reflektiert, wird er zu einem Forscher im Kontext der Praxis. Er ist nicht von den Kategorien etablierter Theorie und Technik abhängig, sondern konstruiert eine neue Theorie des spezifischen Falles. Sein Forschen beschränkt sich nicht darauf, Mittel zu überlegen, die von einer vorhergehenden Übereinkunft über Ziele abhängen. Er trennt Mittel und Ziele nicht, sondern bestimmt sie interaktiv, wenn er eine problematische Situation definiert. Er trennt Denken nicht vom Tun, bahnt sich nicht schlussfolgernd seinen Weg zu einer Entscheidung, die er dann in eine Handlung umformen muss. Da sein Experimentieren eine Form praktischer Handlung ist, ist die Verwirklichung seiner Reflexionsergebnisse in seine Forschung eingebaut“ (Schön 1983, 68f ).

Diese „Forschung im Kontext der Praxis“ muss nicht unbedingt „ins Medium der Worte“ (a.a.O., 56) übersetzt werden: Sie kann unverbalisiert in der Handlung stattfinden, sie kann als bildhafte Reflexion durch Skizzen geschehen oder auch teilverbalisiert durch „Vormachen und Kommentieren“, wie das oft bei der Ausbildung praktischer Fähigkeiten geschieht (vgl. Schön 1987). Den konkreten Verlauf einer Reflexion-in-der-Handlung hat Schön durch das Bild einer „reflektierenden Konversation mit der Situation“ zu fassen versucht. Die typischen Phasen eines solchen Gesprächs von PraktikerInnen mit der Situation sollen an einem einfachen Beispiel, das wir aus Kap. 6.1 wiederholen, dargestellt werden: Während Lehrerin A unterrichtet (z.B. etwas erklärt), beobachtet sie die Situation in der Klasse. Besonders sorgfältig nimmt sie das Verhalten einiger schwächerer SchülerInnen wahr, u.a. jenes von Hans, von dem sie aufgrund früherer Erfahrungen wenig Interesse erwartet. Es fällt ihr z.B. auf, dass Hans sie aufmerksam ansieht und eine vernünftige Frage stellt (1). Der Eindruck, den die Lehrerin gewinnt, verdichtet sich und wird von Interpretationen und Gefühlen begleitet: z.B. „Hans arbeitet mit“; „er dürfte heute seinen guten Tag haben“; „vielleicht habe ich ihn früher doch unterschätzt“ (2). Die Lehrerin ist sich aber nicht ganz sicher: „Ist er wirklich bei der Sache? Oder tut er nur so? Immerhin schreibt er nichts auf“ (4). Sie möchte es genauer wissen und stellt Hans eine Bankfrage, die er beantworten können müsste, wenn er wirklich zugehört hat. Hans kann die Frage beantworten und die Lehrerin wirft ihm einen anerkennenden Blick zu (6) ...



(1) Reflexion-in-der-Handlung beginnt mit dem Erleben einer Diskrepanz zwischen den Erwartungen, die man hinsichtlich des Ablaufs einer Situation, ausgesprochen oder unausgesprochen, hegt, und dem realen Ablauf dieser Situation. Erst aufgrund einer Überraschung, einer Unzufriedenheit oder eines Scheiterns wird eine Situation überhaupt als definitionswürdig, weil nicht routiniert lösbar, angesehen.

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Ein Blick hinter die Kulissen In unserem Beispiel stößt die Lehrerin auf etwas Unerwartetes: der anscheinend anders eingeschätzte Hans stellt eine „vernünftige Frage“.

(2) Die „erste Problemdefinition“ erfolgt durch Analogieschlüsse und „Benennen“. Die eigene Erfahrung bietet PraktikerInnen ein Repertoire an Beispielen, Bildern, Interpretationen und Handlungen. Beim Versuch der Problemdefinition sehen sie die neue Situation in Analogie zu einer anderen, bereits bekannten; sie „benennen“ sie dementsprechend und versuchen, die Konsequenzen zu ziehen, die sich aus dieser Benennung des Problems ergeben,. In unserem Beispiel definiert die Lehrerin die aktuelle Situation als „Hans arbeitet mit“ und zieht augenscheinlich auch eine längerfristige Definition des Schülers als „schwächer und wenig interessiert“ in Zweifel (vgl. „vielleicht habe ich ihn früher doch unterschätzt“).

(3) Die nächsten Handlungsschritte von reflektierenden PraktikerInnen stellen nun eine Verwirklichung der ersten Problemdefinition dar. Diese Stufe ist in unserem obigen Fallbeispiel nicht explizit ausgedrückt. Man kann sich jedoch vorstellen: Die Lehrerin behandelt Hans im Folgenden als „Schüler, der mitarbeitet“ und nicht als „schwächeren, wenig interessierten Schüler“. Das kann z.B. heißen, ihr „Mitarbeits-Rundblick“, den sie hin und wieder durch die Klasse streifen lässt, um die Beteiligung der SchülerInnen festzustellen, bleibt seltener auf Hans hängen.

(4) Gleichzeitig stellt die handelnde Verwirklichung der ersten Problemdefinition aber auch eine experimentelle Prüfung (ein „Rahmenexperiment“) dar. Bei dieser wird untersucht, wie weit auf der Basis der ersten Problemdefinition befriedigend gehandelt werden kann oder neue Diskrepanzen zwischen Erwartung und Realität auftreten. Die Bankfrage, die die Lehrerin unseres Beispiels Hans stellt, kann als Experiment zur Überprüfung ihrer Problemdefinition gedeutet werden.

(5) Bei einem solchen Rahmenexperiment wird die hypothetische Definition in konsequenter Weise der gegebenen Situation übergestülpt. Gleichzeitig müssen die Handelnden aber auch offen sein für die unerwarteten Konsequenzen, die sich aus ihrem Experiment ergeben können. Sie müssen darauf hören, wie die Situation auf ihre Versuche, sie nach dem Bild ihrer Definition zu formen, antwortet. In einem doppelten Blick verbinden sie für eine Zeitlang konsequentes Eintreten für ihre Situationsdefinition einerseits mit deren kritischer Erforschung auf der anderen Seite. „Stehe zu Deiner Definition und stelle sie kritisch in Frage“ lautet die Empfehlung, die Argyris et al. (1985, 258) den forschend Handelnden auf ihren Weg mitgeben. „Der Forscher versucht, die Situation nach seiner Definition zu formen, gleichzeitig muss er sich aber für das Zurücksprechen der Situation offen halten“ (Schön 1983, 164). „Durch die unerwarteten Effekte der Handlung spricht die Situation zurück“ (a.a.O., 135).

Professionelles Handeln

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Obwohl die praktische Situation aktiv in das Korsett der von den AkteurInnen ausgedachten Ordnung gezwängt wird, sind derartige Rahmenexperimente keine bloßen „sich selbst erfüllenden Prophezeiungen“, weil komplexe berufliche Situationen üblicherweise nicht vollständig manipulierbar sind. Da dieser „doppelte Blick“ eine Haltung ist, die „hinter“ Handlungen steht, kann ihr keine konkrete Lehrertätigkeit unseres Beispieles zugeordnet werden.

(6) Von den Ergebnissen derartiger Rahmenexperimente hängt die Bewertung der Brauchbarkeit der Problemdefinition und der aus ihr entwickelten praktischen Handlungen ab. Lässt sich befriedigend handeln, so gilt die problematische Situation als gelöst. In manchen Fällen werden die Erfahrungen, die bei diesem Prozess von Reflexion-in-der-Handlung gemacht werden, als „praktisches Wissen“ gespeichert. Tauchen neue Diskrepanzen zwischen Erwartung und Realität auf, so erfolgt der Einstieg in einen neuen Prozess von Reflexion-in-der-Handlung. Unser Fallbeispiel nimmt ein einfaches für die Zwecke dieser Erläuterung fast zu einfaches Ende: Die Antwort, die Hans auf die Bankfrage gibt, wertet die Lehrerin als Bestätigung ihrer Problemdefinition. Hätte der Schüler keine Antwort gewusst oder wäre seine Entgegnung unerwartet scharfsinnig ausgefallen, hätte die Lehrerin möglicherweise ein weiteres „Diskrepanzerlebnis“ gehabt und wäre in einen neuen Prozess von Reflexion-in-der-Handlung eingestiegen.

Typisch für Reflexion-in-der-Handlung und – wie wir weiter unten noch zeigen werden – letztlich auch für Aktionsforschung ist die enge Beziehung von Reflexions- und Aktionskomponenten der eigenen Tätigkeit: Aus der Reflexion der eigenen Aktion wird die zugrunde liegende praktische Theorie erarbeitet. Mit praktischer Theorie bezeichnet Elliott die Wissensbasis, die PraktikerInnen in einer konkreten Handlung benutzen. Diese muss nicht von vornherein bewusst und verbal ausdrückbar sein, sondern kann auch als „unausgesprochenes Wissen“ vorliegen. Im Prozess der Reflexion-in-der-Handlung wird die praktische Theorie zumindest teilweise bewusst gemacht und führt zu einer neuen Problemdefinition einer konkreten Situation. Aus dieser können Ideen für das Handeln entwickelt werden. Deren Realisierung wird wiederum ausgewertet und die Erfahrungen, die dabei gemacht werden, werden zur Weiterentwicklung der praktischen Theorie genutzt usw. Aktions- und Reflexionskomponenten werden somit immer wieder in Beziehung gebracht und bilden einen Kreislauf (vgl. Abb. 1 in Kap. 1.2) 12.4.3 Handlungstyp III: Reflexion-über-die-Handlung „Unausgesprochenes Wissen-in-der-Handlung“ ist also der normale Aggregatzustand des Wissens von hochqualifizierten PraktikerInnen in einfachen Anforderungssituationen. Reflexion-in-der-Handlung setzt ein, wenn sich die Handelnden komplexeren Problemen gegenüber sehen. Derartige Reflexion geschieht im Hand-

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Ein Blick hinter die Kulissen

lungsverlauf und kommt nicht selten vor; sie muss nicht unbedingt verbalisiert werden. Solange beim Handeln keine Probleme auftreten, bringt es keine pragmatischen Vorteile, das Wissen, das hinter der eigenen Handlung steht, explizit auszudrücken (Argyris/Schön 1996, 14). Zwei Gründe machen jedoch die Fähigkeit, eigenes Handlungswissen zu ordnen, ausdrücklich und verbal zu formulieren, sich von seiner Handlung zeitweise zu distanzieren und über sie zu reflektieren, zu einem wichtigen Merkmal professioneller Kompetenz: • Wissen wird analysierbar und reorganisierbar: Bewusstmachung verlangsamt und verunsichert, was vordem eingespielt war; es erleichtert aber auch die Veränderung seiner Struktur (vgl. auch Cranach 1983, 71). • Wissen wird mitteilbar: Das hinter professioneller Tätigkeit stehende Wissen kann für andere Personen transparent gemacht und mit ihnen besprochen werden. Als Handlungen des Typs III bezeichnen wir nun solche, bei denen die Reflexion aus dem Handlungsfluss heraustritt, sich von ihm distanziert, ihn vergegenständlicht (z.B. als „Daten“; vgl. Kap. 5.1) und sich auf diese vergegenständlichte Form der Handlung richtet. Wir nennen diesen Handlungstyp in Anschluss an Schön (1983, 276f ) Reflexion-über-die-Handlung. Diese Fähigkeit ist ein konstituierender Bestandteil professioneller Kompetenz, weil sie die Basis zur Erfüllung dreier Aufgaben schafft, die sich Mitgliedern einer Profession stellen: • Reflexion-über-die-Handlung ist die Grundlage für die Bearbeitung besonders komplexer Handlungsaufgaben und für die Lösung besonders schwieriger Handlungsprobleme. Das Zurücktreten aus dem Handlungsfluss bietet ja ganz neue Möglichkeiten, sich mit Problemen, in die man sich verrannt hat, auseinanderzusetzen und die eigenen Handlungsgrundlagen zu reorganisieren. Beispielsweise kann das Erleben einer Diskrepanz Anlass dazu sein, sich das bis dahin „unausgesprochene Wissen“, das in routinierten Handlungen steckt, bewusst zu machen, um es explizit auf Fehlannahmen zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Viele der Übungen in diesem Buch zielen darauf, das eigene „unausgesprochene Wissen“ zu aktivieren (vgl. bes. Kap. 4.2). • Reflexion-über-die-Handlung schafft erst die Möglichkeit für einen geordneten sprachlichen Ausdruck des Wissens, das der eigenen Handlung zugrunde liegt. Dies ist die Voraussetzung für eine zweite Aufgabe, die Schön professionellen PraktikerInnen gibt, nämlich jene, Neulinge der Profession in ihre Tätigkeit einzuführen und die professionelle Erfahrung der nachfolgenden Generation weiterzugeben. • Die Fähigkeit zum sprachlichen Ausdruck professionellen Wissens ist auch eine notwendige Voraussetzung für die Erfüllung einer dritten Aufgabe, der sich professionelle PraktikerInnen nicht entziehen können: Sie müssen in der Lage sein, ihr Wissen und ihre Handlungen KlientInnen und ProfessionskollegInnen zur Diskussion zu stellen, es dabei zu begründen und einer kritischen Prüfung auszusetzen.

Die soziale Situierung professionellen Handelns

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Lassen Sie uns zusammenfassen: Vom professionellen Handeln kompetenter PraktikerInnen werden alle drei Handlungstypen erwartet. Im Zentrum steht die Kompetenz zur Reflexion-in-der-Handlung, mit der komplexe professionelle Situationen ökonomisch bearbeitet werden. Sie ist jedoch in nicht (mehr) reflektierte Handlungsselbstverständlichkeiten (Handlungstyp I) eingebettet und muss durch Reflexion-über-die-Handlung ergänzt werden, soll ein größeres Problem gelöst oder das eigene Wissen im Gespräch mit KollegInnen, KlientInnen oder in die Profession neu aufzunehmenden Personen formuliert werden.

12.5 Der Wertbezug pädagogischer Handlungen Bisher wurde professionelles Lernen unter den Begriffen Reflexion und Aktion abgehandelt. Für John Elliott, Mitarbeiter von Lawrence Stenhouse im Humanities Curriculum Project und später ebenfalls Professor an der Universität von East Anglia (Norwich, UK), sind praktische Handlungen Verkörperungen pädagogischer Werte in konkreter Gestalt. Im Rückgriff auf die aristotelische Ethik versteht er Wertvorstellungen als notwendigerweise unscharf und offenendig sowie einer (von mehreren möglichen) Konkretisierung durch Handlung bedürftig (vgl. Elliott 1998, 157). Im pädagogischen Kontext sind alle Handlungen (nicht nur jene, die sich intentional als wertbezogene verstehen) als – explizite oder implizite – „Interpretationen pädagogischer Werte“ aufzufassen; oder anders ausgedrückt: Handlungen müssen sich daraufhin befragen lassen, welche pädagogischen Werte sich in ihnen ausdrücken. Aus der prinzipiellen Unsicherheit dieser ‚Übersetzungsleistung‘ von den allgemeineren Werten in konkrete Aktionen ergibt sich die Verpflichtung, die Beziehung zwischen konkreter Handlung und pädagogischen Werten zu reflektieren. Professionalität im Lehrberuf bedeutet, diese Werthaftigkeit pädagogischer Handlungen anzuerkennen und zu reflektieren. Daraus leitet sich auch eine Begründung von Aktionsforschung als Element professioneller Praxis ab: In ihr wird nicht nur Wissen erworben, nicht nur die instrumentelle Effizienz von Handlungsmustern für die Erreichung vorgegebener Ziele untersucht, sondern eben auch die Passung zwischen konkreten Handlungen und pädagogischen Werten. „Indem LehrerforscherInnen über ihre Lehr-Lern-Strategien im Lichte von Zielen und Prinzipien reflektieren, fragen sie auch, ob diese Strategien eine valide (gültige) Interpretation dieser Ziele sind.“ (Elliott 1998, 157)

12.6 Die soziale Situierung professionellen Handelns Bis zu diesem Punkt könnte professionelle Handlung als reflektierter individueller Handlungsvollzug verstanden werden. Wir haben jedoch schon in Kap. 1 die Ein-

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Ein Blick hinter die Kulissen

bettung der individuellen Forschung in eine professionelle Gemeinschaft als wichtiges Charakteristikum von Aktionsforschung genannt. Auch in der Praxis von Aktionsforschung spielt die Zusammenarbeit von forschenden PraktikerInnen eine wichtige Rolle (vgl. Bruce/Easley 2000). Bei den meisten Aktionsforschungsprojekten und bei Beispielen forschungsorientierter Lehrerbildung sind Gruppen von PraktikerInnen an den Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten beteiligt (besonders deutlich bei den Lesson und Learning Studies in Kap. 11). Im Wesentlichen werden folgende Begründungen für die Arbeit in Forscher-Gruppen genannt: • Unterstützung bei Forschungsplanung und -durchführung: Gruppen bieten einen sozialen Kontext für Gespräche über Forschungskonzepte, -schritte und -ergebnisse und dienen damit der gegenseitigen Unterstützung. Sie erleichtern auch die konkrete praktische Hilfe bei einzelnen Forschungsschritten (z.B. bei der Durchführung von Interviews mit SchülerInnen). • Verbreitung von Lehrerwissen: Ein wichtiges Ziel der AktionsforscherInnen besteht darin, LehrerInnen anzuregen, ihre Erfahrungen, Konzepte und Ergebnisse zu verbreiten und dadurch zum Aufbau eines gemeinsamen „Wissensschatzes der Profession“ beizutragen (vgl. Kap. 8). Das kollegiale Gespräch in der Praktikergruppe ist ein erster Schritt zur Verbreitung solchen Wissens in der professionellen Gemeinschaft. In der vertrauten Gruppe können Erfahrungen, Fallstudien, Ideen für Fortbildungssettings vorgestellt und durchgespielt werden, um sich dadurch auf eine Präsentation in der „größeren professionellen Gemeinschaft“ (z.B. in einem Lehrerfortbildungskurs, im Kollegium der eigenen Schule usw.) vorzubereiten. • Aufbau einer professionellen Gemeinschaft: Durch die „kritisch-freundliche Zusammenarbeit“ in kollegialen Gruppen können Schritte zum Aufbau einer „professionellen Gemeinschaft der Berufsgruppe“ gesetzt werden. Eine solche scheint in den deutschsprachigen Ländern gegenwärtig kaum entfaltet, wird aber (nicht nur) von AktionsforscherInnen als entscheidende Bedingung für qualitätsvolle Arbeit im Bildungswesen angesehen. • Forschungskritische Instanz: AktionsforscherInnen sehen die Lehrergruppe auch in Analogie zur scientific community: Das letzte Kriterium für die Wissenschaftlichkeit und Akzeptierbarkeit von Forschungsergebnissen ist beim Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn (1978) ein sozial-historisches, nämlich die Bewährung der Forschungsergebnisse und der dahinter stehenden Strategien in der kritischen Diskussion der Gemeinschaft der WissenschaftlerInnen, der scientific community. In ähnlicher Weise, so meinen die AktionsforscherInnen, müssen sich die Ergebnisse der Lehrerforschung in der informierten Diskussion einer Gemeinschaft der Professionellen, einer professional community, bewähren. In den kollegialen Gesprächen erhalten einzelne LehrerforscherInnen die Chance, sich eventueller Kurzschlüsse, Alternativen und Stärken ihrer Entwicklungsarbeit bewusst zu werden.

Die soziale Situierung professionellen Handelns

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Die professional community ist demnach ein wichtiger Ort für das Nachdenken, Weiterentwickeln und Lernen von professionellen PraktikerInnen. Professionelles Lernen ist also nicht bloß ein individueller Vorgang, ist nicht allein intellektuelle oder praktische Weiterentwicklung, sondern wird begleitet durch einen Prozess des Sich-Reibens an und Sich-Aufgehoben-Fühlens in einer sozialen Gemeinschaft. Mit Hilfe der Theorie des Situierten Lernens von Lave und Wenger (1991) kann die Bedeutung sozialer Bezüge für professionelles Handeln und Lernen deutlich gemacht werden (vgl. Altrichter 2002). In dieser Theorie werden folgende Merkmale von Lernprozessen betont: • Lernen heißt Sich-Einlassen auf die Welt: Lernen ist Tun, ist Handeln, ist eine Art, in der sozialen Welt zu sein, nicht bloß eine Art, Wissen über sie aufzubauen. • Lernen ist situiert: Ohne konkreten Ort kann man sich Lernen nicht vorstellen. Lernen braucht ein Einlassen auf bestimmte soziale Situationen, es schöpft aus ihnen und es ist in einem gewissen Sinne auch an sie gebunden. • Lernen geschieht in und durch Praxisgemeinschaften: Der primäre Ort des Lernens ist nicht der individuelle Geist, sondern sind die Prozesse der „Ko-Partizipation“ in einer ‚community of practice‘ (vgl. Lave/Wenger 1991, 98). Primäre AkteurInnen des Lernens sind nicht Einzelpersonen, sondern gleichsam eine Gemeinschaft. • Lernen geschieht in sozial strukturierten Situationen: Durch seine soziale Situierung enthält Lernen „unweigerlich widersprüchliche Interessen“ (Lave 1991, 74). „Die soziale Struktur dieser Praxis, ihre Machtverhältnisse, und ihre Bedingungen für Legitimität definieren die Möglichkeiten des Lernens.“ (Lave/Wenger 1991, 33) • Lernen ist Identitätsbildung in Praxisgemeinschaften: Der Erwerb von Fähigkeiten ist mit Prozessen der Identitätsentwicklung (in der und durch die Mitgliedschaft in einer Praxisgemeinschaft) verbunden; beide Elemente – das Lernen von Fähigkeiten und die Entwicklung von Identität – sind Teil ein und desselben Prozesses (vgl. Lave 1991, 65). Ohne Partizipation gibt es keine Basis für Identität – Personen und Gemeinschaften konstituieren einander (vgl. Lave 1991, 74). • Lernen geschieht im Modus der „legitimierten peripheren Partizipation“: Das einigermaßen kompliziert klingende Konzept der legitimate peripheral participation verwenden Lave und Wenger, um den besonderen Modus des Lernens in Praxisgemeinschaften zu beschreiben: • Für Lernen ist Partizipation in einer Praxis notwendig. • Lernenden muss gestattet sein, zumindest temporär eine periphere Rolle einzunehmen, eine Position, die sich durch „Zurückgenommenheit von Handlungsdruck“ auszeichnet und dadurch eine „kognitive und emotionale Distanz zur Unmittelbarkeit der Praxis“ (Clases et al. 1996, 239) ermöglicht. • Damit Lernen geschieht und sich entfalten kann, müssen der Zugang zum Praxisfeld und die spezifische Zurückgezogenheit (in der ‚Peripherie‘) legitimiert und anerkannt sein.

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Ein Blick hinter die Kulissen

• Eine Praxisgemeinschaft ist die Bedingung der Bedeutsamkeit handlungsbezogenen Wissens: Professionelles Wissen ist situiert und macht nur in bestimmten Kontexten, nämlich jenen, die durch die „Praxisgemeinschaft“ umschrieben werden, Sinn. Für den Erwerb, die Verfeinerung und die Weiterentwicklung professionellen Wissens braucht es daher die Einbettung in entsprechende ‚Praxisgemeinschaften‘. „Eine Praxisgemeinschaft ist eine intrinsische Bedingung für Existenz von Wissen, weil sie den Interpretationshintergrund bietet, der nötig ist, um ihr Erbe zu verstehen. Daher stellt die Partizipation in einer kulturellen Praxis, in der jegliches Wissen existiert, ein epistemologisches Prinzip des Lernens dar.“ (Lave/Wenger 1991, 98)

12.7 Aktionsforschung von PraktikerInnen als Forschung Wie in Kap. 10 und 11 bereits näher ausgeführt, kommt der Aktionsforschung als Aus- und Fortbildungsmodell ein besonderer Stellenwert zu. Dies ist aber nicht ihre einzige Bestimmung. Nach Vorstellung der englischen AktionsforscherInnen soll Aktionsforschung an eigener Praxis folgenden Zielen dienen: 1. der Fortbildung der PraktikerInnen, die durch Reflexion und Aktion an Fragen ihrer Praxis ihre „praktischen Theorien“ und ihre Handlungskompetenz weiterentwickeln; 2. der Verbesserung der erforschten Praxis, deren Qualität ja durch neue Handlungsstrategien längerfristig weiterentwickelt werden soll; 3. der Erweiterung des kollektiven Wissens der Profession, indem individuelles praktisches Wissen formuliert und als zu prüfende Hypothese in eine Diskussion innerhalb der Berufsgruppe eingeführt wird; 4. der Weiterentwicklung der erziehungswissenschaftlichen Forschung. Diese Zielbeschreibung zeigt, dass Elliott und seine MitarbeiterInnen Aktionsforschung nicht bloß als ein Modell für die Fortbildung professioneller PraktikerInnen ansehen, sondern darüber hinaus auch als Beitrag zur Weiterentwicklung erziehungswissenschaftlicher Theorie. Zwei Motive sind dabei von Ausschlag gewesen: • Aufgrund seiner Erfahrungen z.B. im Humanities Curriculum Project hielt Elliott (1988, 16ff) die üblichen hierarchischen Beziehungen zwischen WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen für ungünstig und ungerechtfertigt. Aktionsforschung tritt in diesem Sinne mit dem Anspruch einer Demokratisierung der Wissenschaft auf. Sie stellt jene, die üblicherweise nur Forschungsobjekte sind, gleichberechtigt neben die WissenschaftlerInnen. • Dass betroffene PraktikerInnen von der Forschung als reflektierende Subjekte behandelt werden und in ihr gleichberechtigt mitwirken können, sieht er als eine notwendige Voraussetzung der Relevanz der Erziehungswissenschaft für die von ihr

Aktionsforschung von PraktikerInnen als Forschung

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erforschte Praxis. Innovation der Praxis könne nur mit den PraktikerInnen und nicht gegen sie oder sie umgehend geschehen – dies war schon das Argument von Stenhouse. Damit erziehungswissenschaftliche Theorie überhaupt Bedeutung für pädagogische Praxis gewinnen kann, muss sie im Selbstverständnis und in den Kategorien von PraktikerInnen wurzeln (was nicht heißt: die Praxis unkritisch zu perpetuieren). Was Dörner (1983, 24f ) an der alltagspsychologischen Relevanz der Psychologie moniert, gilt auch hier: Die empirische Erziehungswissenschaft ist zu schnell und zu ihrem Nachteil zu einer abstrakten Kategorienbildung fortgeschritten, deren Relevanz von PraktikerInnen nicht mehr eingesehen werden kann und tatsächlich auch oft nicht gegeben ist. Derartige Motive, auch wenn sie von vielen geteilt würden, reichen zur Begründung des wissenschaftlichen Charakters von Aktionsforschung nicht aus. Dazu sind stichhaltige wissenschaftstheoretische und methodologische Argumente erforderlich. So wird beispielsweise mit folgenden Aussagen versucht, der Aktionsforschung Wissenschaftlichkeit abzusprechen: • PraktikerInnen wären in ihr Handeln zu sehr involviert, als dass sie die für Forschung charakteristische kritische Distanz aufbringen könnten. • Die Gütekriterien traditioneller Forschung könnten in „Laienforschung“ nicht erreicht werden. • Aktionsforschung führe zu Einzelaussagen und nicht, wie traditionelle Forschung, zu allgemein gültigen Aussagen. Wir haben an anderen Stellen (vgl. Altrichter 1986a; 1990) diese Argumente geprüft und sind dabei – kurz zusammengefasst – zu folgendem Ergebnis gekommen: • Diese Einwände (mangelnde Distanz, Gütekriterien, Verallgemeinerung) thematisieren tatsächlich kritische Punkte, an denen sich die Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit von Forschungsergebnissen entscheidet. ForscherInnen, die die Qualität ihrer Forschungsprojekte erhöhen wollen, tun gut daran, diesen Punkten ihr Augenmerk zuzuwenden. • Es gibt keine Forschungsdesigns, die diese kritischen Punkte von vornherein aus der Welt schaffen könnten. Am Beispiel des Begriffes „Validität“ haben wir gezeigt, dass auch die Qualitätsprüfung traditioneller Forschung zu relativen und vorläufigen Ergebnissen führt (vgl. Altrichter 1986a, 133f ). • Für Aktionsforschung ist die Situation nicht grundsätzlich verschieden. Auch sie muss sich diesen kritischen Punkten im Forschungsprozess stellen. Sie tut dies, wie wir im Abschnitt über „Gütekriterien der Forschung“ (vgl. Kap. 5.2) zu zeigen versuchten, z.T. auch mit durchaus vergleichbaren Mitteln. • Aus den in der Aktionsforschung verwendeten Methoden und aus der Tatsache, dass sie von „nebenberuflichen ForscherInnen“ betrieben wird, kann man daher nicht schlüssig auf ihre mangelnde Qualität schließen. Vielmehr werden Aktions-

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Ein Blick hinter die Kulissen forschungsergebnisse in gleicher Weise wie Produkte anderer Forschungsrichtungen in Qualitätsprüfungsprozeduren (z.B. mit Hilfe der Gütekriterien der Forschung) und in der kritischen Diskussion der interessierten (wissenschaftlichen und professionellen) Öffentlichkeit daraufhin geprüft, ob sie reflektiert und sauber gewonnen wurden und ob sie für weitere Forschung und weiteres praktisches Handeln Anregung bieten.

12.8 Die Iterativität von Aktionsforschung Wenn für LehrerInnen, die „nebenberuflich“ Aktionsforschung betreiben, die gleichen Kriterien gelten sollen wie für hauptberufliche WissenschaftlerInnen, so scheinen sie zunächst in einer ungünstigen Position zu sein, können sie doch im Allgemeinen nicht so viel Zeit, Mühe und Gedanken auf methodisch aufwendige Prüfarrangements verwenden. Dem steht jedoch ein Vorteil forschender LehrerInnen gegenüber, auf den wir abschließend hinweisen wollen. Alle wesentlichen Arten der Qualitätsprüfung von Forschung lassen sich auf zwei Ideen zurückführen (vgl. Kap. 5.2; Bammé/Martens 1985, 27): auf Kritik (Untersuchung der logischen Stimmigkeit des Aufbaus der eigenen Forschung, der Stimmigkeit der formulierten Aussagen und der Stimmigkeit der eigenen Aussagen mit jenen anderer ForscherInnen) und auf Praxis (experimentelle Prüfung der Ergebnisse der Forschung). Traditionelle Forschung ist in zeitlich begrenzte Phasen aufgeteilt: in eine Phase des Praxiskontakts, auf die die Phase des Rückzugs in die Forschungsinstitution folgt, in der die Erfahrungen reflektiert und analysiert werden. Das ist ihre Stärke, weil viel Mühe auf diese Phase distanzierter Kritik verwendet werden kann. Darin liegt aber auch ihre Schwäche, weil die Überprüfung durch Praxis eine zeitlich beschränkte und diskontinuierliche ist (vgl. Altrichter 2004). Bei Aktionsforschung wird nicht strikt zwischen Phasen der Aktion und des Rückzugs aus ihr zwecks Reflexion getrennt. Reflexion geschieht ja zum Teil in der Handlung; distanziertere Reflexion-über-die-Handlung ist nicht auf bestimmte Forschungsphasen beschränkt. In ihren Handlungen gewinnt die Reflexion der AktionsforscherInnen immer wieder praktische Form, die sich unter den alltäglichen Bedingungen des Klassenzimmers bewähren muss. Erleben sie neue Diskrepanzen zwischen den (auf ihrer praktischen Theorie beruhenden) Erwartungen und der Handlungsrealität, so ist damit ein Einstiegspunkt in einen neuen Prozess der Weiterentwicklung ihrer Theorien und ihrer Praxis gegeben. In diesem Sinne ist ihre Praxis eine Prüfung ihrer bisherigen Forschung. Diese ist weniger auf ein vordefiniertes Ziel gerichtet, dafür aber längerfristig und kontinuierlicher als in herkömmlicher Forschung. Forschende PraktikerInnen müssen nicht von einer auf wenige Variablen abgemagerten Hypothese ausgehen, die es zu bestätigen oder

Ein Beispiel: Die Sache mit den Hausübungen

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zu widerlegen gilt, sondern sie untersuchen die Konsequenzen ihres Handelns, und zwar sowohl die beabsichtigten als auch die Nebenwirkungen. Argyris et al. (1985, 218f ) haben diesen Unterschied folgendermaßen verdeutlicht: PraktikerInnen stellen sich nicht die Frage „Haben wir die Ziele, die wir uns gesteckt haben, erreicht?“, sondern die scheinbar vagere Frage „Gefällt uns, was wir bekommen?“. Damit eröffnen sie sich nicht nur den Zugang zum komplexeren Wirkungsgefüge ihrer Handlungen einschließlich der Nebenwirkungen (die Verantwortung dafür können sie als PraktikerInnen nicht ausklammern), sondern sie beziehen auch ihre Wertvorstellungen in den Reflexions- und Veränderungsprozess mit ein. In einem bestimmten Sinn ist die Forschung von PraktikerInnen auch strenger, weil sie mit den Fehlern ihrer Reflexion leben müssen und sie als „Zurücksprechen der Situation“ (vgl. Kap. 12.4.2) ganz existenziell zu spüren bekommen, während traditionelle ForscherInnen die Möglichkeit haben, sich durch Wechsel ihres experimentellen Feldes oder ihres Forschungsthemas diesen Konsequenzen zu entziehen (vgl. Altrichter 1993). Wir bezeichnen diese Eigenschaft von Aktionsforschungsprozessen, dass nämlich Reflexionsergebnisse immer wieder praktische Gestalt gewinnen und diese praktische Gestalt immer wieder Anlass für neue Reflexion und Weiterentwicklung der praktischen Theorie sein kann, mit dem etwas exaltiert klingenden Wort Iterativität: Durch die Wiederholung der Bewegung von Aktion zur Reflexion und wieder zurück zur Aktion usw. (vgl. Abb. 1) werden nach und nach Schwächen der praktischen Theorie entdeckt und brauchbare Handlungsstrategien entwickelt. Durch dieses Merkmal gewinnt das Handeln reflektierender PraktikerInnen Qualität. Und durch eben dieses Merkmal werden Aktionsforschungsprozesse einer häufigen Qualitätsprüfung ausgesetzt. In der Zwischenzeit haben sich unsere Gedankenflüge in etwas abstrakte Höhen geschwungen, sodass vielleicht schon unklar ist, wo ihre Verbindung zu den schweren Gewichten besteht, die uns im Alltag am Boden der Praxis halten. Darum möchten wir Ihnen im Folgenden ein Beispiel vorführen, an dem der iterative Charakter reflektierter alltäglicher Praxis deutlich wird.

12.9 Ein Beispiel: Die Sache mit den Hausübungen Im Laufe eines Schuljahres ergeben sich an einzelnen Schulen immer wieder Konstellationen von der „lästigen Kleinigkeit“ bis zum Problem, das sich immer wieder störend bemerkbar macht, die einzelne LehrerInnen nicht in individueller Anstrengung schnell bereinigen können. Im Folgenden wird ein Beispiel (vgl. Altrichter/ Maxlmoser 1988) dargestellt, in dem ein Lehrerteam in gemeinsamer Arbeit eine Verbesserung der Situation entwickelt.

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Ein Blick hinter die Kulissen

Ein Klassenlehrer wird mit einem schulischen Problem konfrontiert („Finden eines Ausgangspunktes“) Die Eltern einer zweiten Klasse einer Sekundarschule klagen dem Klassenvorstand (Klassenlehrer) immer wieder folgendes Leid: Ihre Kinder hätten zu wenig Freizeit, weil sie trotz der langen Unterrichtsdauer (an drei Tagen bis 16 Uhr) zu viele Hausübungen zu erledigen hätten. Gleichzeitig hört der Klassenvorstand aber von seinen KollegInnen, dass die SchülerInnen dieser Klasse Hausübungen schlampig oder gar nicht erledigen. Der Klassenlehrer versucht, sich ein genaueres Bild von der Situation zu verschaffen („Klären der Situation Sammeln und Analysieren von Daten“) In dieser Situation sind augenscheinlich viele der Beteiligten unzufrieden, es werden jedoch verschiedene Gründe für diese Unzufriedenheit gesehen. Nach Absprache mit dem Direktor beschließt der Klassenlehrer, sich ein klareres Bild von der Situation zu verschaffen. Er studiert den Stundenplan und den Busfahrplan Der Stundenplan (vgl. Abb. 46) ist für die SchülerInnen extrem ungünstig. Besonders Kinder, die den Förderunterricht (FU) besuchen, leiden unter der langen täglichen Schulzeit. Bedingt durch die teilweise weite Anfahrt und Heimfahrt mit dem Schulbus beträgt die Abwesenheitszeit am Montag, Dienstag und Mittwoch bis zu 10,5 Stunden. Die reine wöchentliche Aufenthaltszeit in der Schule (die Mittagspausen eingeschlossen) beträgt im Schnitt 39 Stunden. Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

1. Einheit 7.30-8.20 2. Einheit 3. Einheit 4. Einheit 5. Einheit 6. Einheit

FU

7. Einheit

Chor

8. Einheit 9. Einheit 15.10-16.00

FU FU

Abb. 46: Stundenplan der 2. Klasse

Er erhebt die Anzahl der Hausübungen, Tests, Prüfungen und Schularbeiten im Verlauf von zwei Wochen Der Klassenvorstand stellt fest, dass es keine Seltenheit ist, dass gerade an „langen“ Schultagen (bis 16 Uhr) in allen Hauptgegenständen Hausübungen gegeben werden. Zusätzlich zu den

Ein Beispiel: Die Sache mit den Hausübungen

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Hausübungen erwächst eine Belastung durch die Häufung von Realienfächern an manchen Tagen, wenn für Tests, Kurzübungen und mündliche Prüfungen gelernt werden muss (vgl. Abb. 47 und 48). 3 2 1 Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Abb. 47: Anzahl der Hausübungen in der 2. Leistungsgruppe

Die KollegInnen entwickeln eine Lösung für die Situation und erproben sie („Entwickeln und Prüfen von Handlungsstrategien“) Da eine Änderung des Stundenplanes kurzfristig nicht möglich ist, versucht der Klassenvorstand seine – in der entsprechenden Klasse unterrichtenden KollegInnen für die Problematik zu interessieren. Er legt zunächst den FachkoordinatorInnen die Ergebnisse der Untersuchung – kondensiert in einigen knappen Graphiken (vgl. Abb. 47 und 48 als Beispiele) vor. Diese werden dann in den Fachteams besprochen. Leistungsgruppe 2

Hausübungen

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

E

E+M+D

M+D

E+D

E+M+D

Tests und Kurzübungen

GS

mündliche Prüfungen

2

Schularbeit

D

1

2

Abb. 48: Hausübungen und Leistungsfeststellungen in der 2. Leistungsgruppe (1. Woche)

In diesen Gesprächen tauchen Widerstände gegen die Erhebung und Zweifel an der Gültigkeit ihrer Ergebnisse auf. Letztlich überwiegt jedoch die Betroffenheit über die Situation, die bis dahin den Beteiligten in dieser Klarheit nicht bewusst gewesen war. In der Folge werden Maßnahmen zur Verbesserung der Situation entwickelt. a) Die Klassenvorstände der betreffenden Schulstufe erarbeiten eine grobe Stundenplanübersicht (vgl. Abb. 48). Dabei stellt sich heraus, dass Dienstag und Donnerstag die neuralgischen Tage sind, weil an ihnen alle drei Hauptgegenstände unterrichtet werden und der Unterricht in den drei Stammklassen jeweils relativ spät (15.10 Uhr bzw. 16.00 Uhr) endet. b) Die Klassenvorstände und FachkoordinatorInnen erarbeiten folgendes Übereinkommen: Am Dienstag und Donnerstag soll darauf geachtet werden, dass nicht in allen Hauptgegenständen Hausübungen gegeben werden, und zwar soll am Dienstag die Deutsch- und am Donnerstag die Mathematikhausübung entfallen.

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Ein Blick hinter die Kulissen

c) Klassenkonferenzen werden einberufen, in denen dieses Übereinkommen vorgelegt und über die gleichmäßige Verteilung der Prüfungsbelastung in den Realienfächern gesprochen wird. Es gelingt in diesen Besprechungen nicht, zu einer einheitlichen Regelung mit jenen LehrerInnen zu kommen, die Realien unterrichten. Wohl aber wird in den Konferenzen in tiefer gehender Weise über Sinn und Funktion von Hausübungen nachgedacht und ein erhöhtes Bewusstsein für Belastungen von SchülerInnen geschaffen. d) Außerdem wird der Direktor ersucht, bei der Erstellung von Stundenplänen künftig darauf zu achten, dass der Unterricht für die Klassen einer Schulstufe weitgehend zum gleichen Zeitpunkt endet. Die Erfahrungen werden ausgewertet und diskutiert („Formulieren und Verbreiten von Erfahrungen“) Die kurzfristigen Maßnahmen a)-c) führen dazu, dass SchülerInnen über eine Verringerung der schulischen Belastung an Nachmittagen berichten. Im Kollegium wird häufiger über Art und Ausmaß von Hausübungen sowie über die organisatorische Einbindung von Übungsphasen in den Unterricht gesprochen. Dadurch wird das Problembewusstsein hinsichtlich der Hausübungen vertieft, ohne dass eine vollkommen einheitliche Sicht dieser Problematik erreicht wird. Eine Erhebung zu Beginn des neuen Schuljahres zeigt, dass auch die Verwirklichung der Intentionen der längerfristigen Maßnahme d) bei der Stundenplanerstellung des folgenden Jahres in akzeptablem Umfang gelungen ist.



Was haben diese LehrerInnen getan? Eigentlich nichts Besonderes. Sie haben sich mit einem schulischen Problem, so wie es immer wieder auftreten kann, in ernsthafter Weise beschäftigt. Sie haben keine Sofortlösung aus dem Ärmel gezaubert, sondern sind gleichsam einen Schritt zurückgetreten. Sie haben sich die Sache genauer angesehen und haben einige zusätzliche Informationen, die ihnen nicht unmittelbar präsent waren, eingeholt. Dann haben sie sich zusammengesetzt und versucht eine Lösung zu erarbeiten, die allen Betroffenen gerecht wird. Sie haben die veränderte Situation noch eine Zeitlang beobachtet, um herauszufinden, ob sie den Erwartungen entspricht oder ob andere Maßnahmen getroffen werden müssen. An diesem Beispiel lässt sich die Iteration zwischen Aktion (A) und Reflexion (R) gut sichtbar machen: A: Der Klassenvorstand spricht mit Eltern und LehrerInnen der Klasse über ihre Erfahrungen und hört unterschiedliche Einschätzungen von Eltern („Schüler sind überlastet“) und LehrerInnen („Schüler sind schlampig und unverlässlich“). R: Das Nachdenken über diese Informationen lässt Fragen entstehen: nach der Richtigkeit der Auffassungen, nach möglichen Ursachen. A: Zunächst besorgt er sich weitere Daten über die Situation, um selbst ein Bild zu gewinnen. Er studiert Buspläne und Stundenpläne, um die Zeit der Abwesenheit der SchülerInnen von zu Hause kennen zu lernen. R: Es entwickelt sich ein erstes Bild einer problematischen Situation (hohe zeitliche Ansprüche an die SchülerInnen an bestimmten Tagen).

Ein Beispiel: Die Sache mit den Hausübungen

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A: Er beschafft sich weitere Daten über die Ansprüche an die SchülerInnen (die Verteilung von Hausübungen, Tests, Prüfungen und Schularbeiten im Zeitraum von zwei Wochen). R: Die Problematik wird klarer: ungleiche Verteilung der Belastungen und z.T. Kumulation fachlicher und zeitlicher Belastungen. A: Der Klassenvorstand wird wieder aktiv. Er informiert die FachkoordinatorInnen über den Sachverhalt, indem er die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung übersichtlich darstellt. R: Es entsteht eine gemeinsame Reflexion über die Situation. Kontroversen entstehen (z.B. über die Stichhaltigkeit der Daten); mit der Zeit entwickelt sich eine Sichtweise, die es erlaubt, den nächsten Schritt gemeinsam zu unternehmen. A: - Alle Klassenvorstände erarbeiten eine Übersicht über zeitliche und fachliche Belastungen. - Klassenvorstände und FachkoordinatorInnen schließen ein Übereinkommen zur Neuverteilung und Einschränkung der Hausaufgaben. - Klassenkonferenzen werden einberufen, um auch in den Realienfächern zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Belastungen zu gelangen. - Der Direktor wird um entsprechende Konsequenzen bei der Gestaltung späterer Stundenpläne ersucht. R: Aus diesen Handlungen entsteht ein noch breiteres, z.T. kontroversielles Verständnis der Situation und eine teilweise veränderte Praxis. A: Es werden weitere Daten eingeholt (u.a. Erfahrungen von SchülerInnen), um die getroffenen Maßnahmen zu prüfen.

Am Beispiel dieser Lehrerinitiative wird deutlich, wie der beständige Wechsel zwischen Reflektieren und Handeln zu einem vertieften Verständnis eines Problems und zu praktikablen Verbesserungen führen kann. Es illustriert außerdem, wie ein Forschungsprozess „Kreise ziehen“ kann. Der Klassenvorstand, von dem die Idee ausgegangen ist, hat immer mehr Lehrpersonen (FachkoordinatorInnen, andere Klassenvorstände, FachlehrerInnen) in den Prozess gemeinsamer Reflexion über die durch Daten griffig gewordene Situation einbezogen. Aus einer individuellen Problemsicht musste ein kollektiver Bewusstseinsbildungsprozess hervorgehen, damit die Basis für eine Veränderung geschaffen werden konnte. Schließlich zeigt dieses Beispiel, dass Aktionsforschung an alltäglichen Problemen ansetzt und in die Berufstätigkeit von LehrerInnen integriert werden kann, denen die Weiterentwicklung ihres Handelns und Wissens, der Arbeitsbedingungen an ihrer Schule sowie der Professionalität ihres Berufes ein Anliegen ist.

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13 Epilog

Dies sind die Zeilen, die die Leserin oder der Leser zuletzt lesen wird. Sie werden dann das Buch schließen und sich im Sessel zurücklehnen. Welche Dinge werden ihnen noch eine Weile im Sinn bleiben? Welche Ideen werden ihnen aufsteigen, nachdem sie das Buch zur Seite gelegt haben? Dies sind die versonnenen Gedanken der Autoren, wie sie vor den letzten Seiten ihres Manuskripts sitzen. So weit konnten sie gehen und ihre Art des Arbeitens und Forschens erklären, die für sie in mancher Hinsicht zu einer Lebens- und Wahrnehmungsweise geworden ist. Das Buch ist aber noch nicht fertig. Es kann nichts Abschließendes über Aktionsforschung aussagen, weil dieser Ansatz erst im Kontext konkreter Handlungen und Wertvorstellungen einzelner PraktikerInnen seine besondere Form gewinnt. Ein wichtiges Kapitel muss also noch geschrieben werden – durch Sie, die Leserinnen und Leser – ein Kapitel über die Weiterentwicklung Ihrer eigenen Praxis und damit auch über die Weiterentwicklung des pädagogischen Wissens im Bildungswesen.

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Dieser Titel enthält eine oder mehrere Fallstudien aktionsforschender Lehrerinnen und Lehrer.

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Index Analyse 35, 129 Analysegespräch 64, 219 Ausgangspunkt für die eigene Forschung 60 Aushandlung 109, 275

Hausübungen 346 Heterogenität 276 Hypothese 170, 185 Hypothesen 59, 65, 68, 193, 211, 253, 261

Beobachtung 27, 114, 288 Beobachtungsschemata 118 beschreibend vs. interpretierend 30, 34, 100, 126, 141, 155, 254 Betroffene 109, 180, 221, 235 Betroffenheit 274 Brainstorming 219

internetbasierte Forschungsnetzwerke 246 Interpretation 34 Interview 27, 135, 266, 288 Introspektion 26, 64 Iterativität 211, 344

Daten 98 Datenanalyse 29, 217, 255, 290 Datensammlung 93, 97, 217, 287 Diagnose 271 Dilemma-Analyse 202 Diskrepanz 63, 89, 106, 121, 253, 335 Distanz 343 Dokumente 30, 111, 288 doppelter Blick 336 Ebenen schulischer Tätigkeit 276 Einstiegspunkte 286 Entwicklung 90, 286 Erfolgsindikator 90, 232 Erkenntnis 90 ethischer Code 108, 135, 254, 279, 284 Evaluation 231, 272, 286 Experiment 65, 211 Fallstudie 247, 251 Feedback-Konferenz 290 Feldforschung 27 fördernde und hemmende Kräfte 68 Fortbildung 230, 342 Fortbildung, kollegiale 244 Fotografie 132 Fragebogen 151, 288 Gedächtnisprotokoll 26, 29, 33, 120 Gespräch 64 Gewalt 269 graphische Darstellungen 64 Gütekriterien 103, 185, 343 Handlungsspielraum 274 Handlungsstrategien 184, 209, 212, 245, 291, 339

Kategorie 117, 169, 177 KlientInnen 338 Kodierung 29, 177 Kommunikation 275 Kommunikation von Lehrerwissen 253 Konsequenzen 275 Kontrakte 284 Kooperation von Lehrpersonen 316 kritische Freunde 23, 64, 125, 172, 180, 218, 221, 243, 256, 266 Learning Study 316 Learning Study, Ablauf 319 LehrerInnen als ForscherInnen 330 Lehrer-Schüler-Vertrag 270 Lehrerwissen 24, 340 lernende Organisation 272 Lesson Study, Planungsinstrument 310 Methodische Notizen 36 Modell technischer Rationalität 331 Moderation 288 Musteranalyse 189 Nebenwirkungen 217, 232, 237 neue Medien 28 Neulinge 338 Nominelle Gruppen-Technik 222 Oberflächensymptome 62, 69, 197 Objektivität 104 Öffentlichkeit 236, 242 Organisationsentwicklung 271 Perspektivität 105, 124 Pläne 37 Planungs- und Entscheidungsprozesse 275 Praktikabilität 221, 265

Index praktische Theorie 66, 68, 171, 211, 214, 254, 261, 337 Problemdefinition 336 Profession 235, 255, 330 Professionalität 339 professionelle Gemeinschaft 236, 340 RDD-Modell 329 reflektierende PraktikerInnen 273 Reflexion-in-der-Handlung 335 Reflexion-über-die-Handlung 337 Reflexion und Aktion 107, 210, 333, 335, 337, 342 Reliabilität 104 Replikation 104 Ressourcen 278 Routine 193, 197, 334 Rückmeldungsinstrumente 288 Sättigung 186 Schreiben 254 schriftliches Nachdenken 38, 43 Schulautonomie 272 Schulentwicklung 269 Schüleraufsätze 160 Schulleitung 282 Schulprofil 287 Schulprogramm 91 Situiertes Lernen 341 soziale Struktur 274 Steuergruppe 281

Struktur 278 systembezogene Sichtweise 219 Tagebuch 25, 41, 57, 64, 122, 161, 164, 258 Team 284 Teams 273 Theoretische Notizen 35, 181 Theorie der Aktionsforschung 328 Tiefeninterpretationen 62, 69 Tonaufzeichnung 127 Transkription 130 Triangulation 162, 188 unausgesprochenes Wissen 63 Unterrichtsinnovation 329 Unterrichtsprotokoll 125 Validität 104 Verallgemeinerung 343 Vertraulichkeit 110 Videoaufzeichnung 134 Werte 232, 339 Wissen-in-der-Handlung 333 Wissenschaftstheorie 343 Ziel 286 Zielklärung 89, 90, 275 Zielperspektiven 273 Zwischenanalyse 30, 35, 90

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Abbildungsverzeichnis Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.

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Der Kreislauf von Reflexion und Aktion........................................................................... 14 Längerfristige Forschungs- und Entwicklungszyklen......................................................... 15 Der Kreislauf von Reflexion und Aktion und der Aufbau des Buches ............................... 22 Mögliche Quellen für Forschungsausgangspunkte ........................................................... 48 Merkmale guter Schulen................................................................................................... 50 Aussagen über fördernde und hemmende Kräfte aus der Beschreibung einer Unterrichtssituation (vgl. Posch 1985, 17f ) ...................................................................... 69 Abb. 7: Graphische Rekonstruktion .............................................................................................. 81 Abb. 8: Entwicklung und Forschung im Aktions-Reflexions-Kreislauf ......................................... 88 Abb. 9: Qualitätsthema „Schülerzentrierter Unterricht“ ................................................................ 94 Abb. 10: Arten von Erfolgsindikatoren ........................................................................................... 95 Abb. 11: Die Leiter des Schließens ................................................................................................ 101 Abb. 12: Beobachtungsprofil (gekürzt nach Walker/Adelman 2003, 22f ) ..................................... 122 Abb. 13: Fotografie einer Klassensituation .................................................................................... 130 Abb. 14: Fragebogen zur Gruppenarbeit ....................................................................................... 149 Abb. 15: Schülertagebuch ............................................................................................................. 159 Abb. 16: Die drei Ecken der Triangulation .................................................................................... 160 Abb. 17: Prozesse bei der Analyse (modifiziert nach Miles/Huberman 1984, 23) ......................... 167 Abb. 18: Beispiel für eine Kodierung ............................................................................................ 177 Abb. 19: Satzergänzungs- oder Aufzählmuster............................................................................... 192 Abb. 20: Das ausdifferenzierte L-S-L-Muster ................................................................................ 194 Abb. 21: Ausschnitt aus der graphischen Rekonstruktion „LV ‚Statistik‘“ ...................................... 211 Abb. 22: Layout eines Ideen-Plakates (aus Meyer 2015, CD-Rom, Kap. 4)................................... 222 Abb. 23: Eintragen von Bewertungen (aus Meyer 2015, CD-Rom, Kap. 4) .................................. 224 Abb. 24: Raumanordnung (aus Meyer 2015, CD-Rom, Kap. 4) ................................................... 224 Abb. 25: Zeitplan ......................................................................................................................... 229 Abb. 26: Beispiele von Verbesserungen im Unterricht ................................................................... 231 Abb. 27: Drei Grundfragen bei der Kommunikation von Lehrerwissen ........................................ 239 Abb. 28: Ablaufschema eines Forschungsprozesses ....................................................................... 246 Abb. 29: Vier Dimensionen der Verständlichkeit (Langer et al. 2002)........................................... 262 Abb. 30: Möglicher Aufbau einer Fallstudie .................................................................................. 265 Abb. 31: Qualitätsmerkmale einer Studie...................................................................................... 266 Abb. 32: Mögliche Ebenen der Erforschung und Entwicklung ..................................................... 275 Abb. 33: Projektgruppenstruktur .................................................................................................. 281 Abb. 34: Drei Einstiegspunkte in Schulentwicklungsprozesse ....................................................... 284 Abb. 35: SWOT (Situationsanalyse) ............................................................................................. 287 Abb. 36: Beispiele von Aktionsforschung in der Lehrerbildung ..................................................... 293 Abb. 37: Struktur des Lehrgangs PFL ........................................................................................... 303 Abb. 38: Ablauf einer Lesson Study (nach Dudley 2014, 5) .......................................................... 307 Abb. 39:Planungsmatrix für Lesson Studies (nach Dudley 2014, 11) ........................................... 308 Abb. 40:Dokumentation der Diskussion der Forschungsstunde (nach Dudley 2014, 14f.) .......... 309 Abb. 41: Merkmale einer Lesson Study ......................................................................................... 311 Abb. 42: Variationsmuster ............................................................................................................ 320 Abb. 43: Variationsmuster ............................................................................................................ 322 Abb. 44: Variationsmuster ............................................................................................................ 322 Abb. 45: Variationsmuster ............................................................................................................ 323 Abb. 46: Stundenplan der 2. Klasse .............................................................................................. 344 Abb. 47: Anzahl der Hausübungen in der 2. Leistungsgruppe....................................................... 345 Abb. 48: Hausübungen und Leistungsfeststellungen in der 2. Leistungsgruppe (1. Woche) .......... 345

Dieses Arbeitsbuch, das in seiner Neuauflage durch Kapitel über Praxisforschung in der Lehreraus- und -fortbildung sowie über Lesson and Learning Studies ergänzt wurde, möchte diese Prozesse mit praktischen Handlungsanregungen, Beispielen und Methoden­ vorschlägen unterstützen. Mit seinen vielfältigen praxisorientierten Anregungen für eine reflektierte Weiterentwicklung von Schule, Unterricht und Lehre wendet es sich an Studierende, Referendare und Lehrkräfte und regt zu forschendem Lernen in der Lehreraus- und -weiterbildung an.

Dies ist ein utb-Band aus dem Verlag Klinkhardt. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

ISBN 978-3-8252-4754-6

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Herbert Altrichter Peter Posch | Harald Spann

Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht 5. Auflage

Altrichter | Posch | Spann

»Aktionsforschung ist die systematische Reflexion von Praktikern über ihr Handeln in der Absicht, es weiterzuentwickeln« (John Elliott). Im Kontext zunehmender wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Anforderungen an Bildungseinrichtungen eröffnet Aktionsforschung die Möglichkeit, eingespielte Routinen des Lehrens und ­Lernens an Schulen, Hochschulen und ­anderen Bildungs­orten zu überdenken und professionelles ­Handeln weiterzuentwickeln.

Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht 5. A.

Schulpädagogik

28.03.18 09:42