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German Pages 809 [815] Year 1889
LEHRBUCH DER S P E Z I E L L E N
PATHOLOGIE UND THERAPIE MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER THERAPIE.
FÜR STUDIERENDE UND ÄRZTE VON
DR. THEODOR v. JÜRGENSEN, O
Ö. PROFESSOR P E R MKOtüIN UNI) VORSTAND DER POLIKLINIK AN DER UNIVERSITÄT TÜBINGEN.
ZWEITE. VERBESSERTE UND VERMEHRTE AUFLAGE.
LEIPZIG, VERLAG
VON V E I T 1889.
&
COMP.
Das Recht der Herausgabe von Obersetzungen vorbehalten.
Druck von A u g u s t P r i e s in Leipzig.
MEINEN LEHRERN
RUDOLF H E I D E N H A I N UND
LOTHAR MEYER WON DENEN ICH NATURWISSENSCHAFTLICH SEHEN UND DENKEN LERNTE.
DEM GEDÄCHTNIS AN
CARL BARTELS DER MICH AN DAS KRANKENBETT FÜHRTE.
Vorwort zur zweiten Auflage. Abgesehen von den Änderungen, welche der Fortschritt unseres Wissens bedingte, und von denen, welche durch weitere eigene Erfahrung notwendig wurden, enthält diese Auflage Erweiterungen einiger zu kurz behandelter Abschnitte (z. B. Peritonealtuberkulose) und gänzlich neue Abschnitte. So sind die THOMSEN'sche Krankheit, die c e n t r a l e K i n d e r l ä h m u n g und die L ä h m u n g e n der K e h l k o p f m u s k e l n aufgenommen. Endlich noch die k r y p t o g e n e t i s c h e S e p t i k o p y ä m i e , und zwar wesentlich nach eigenen Beobachtungen. Ich habe geglaubt, diese Krankheit etwas eingehender abhandeln zu dürfen, weil ich deren Vorkommen für ein häufigeres halte, als man es wohl annimmt, und weil eine frühzeitige Diagnose für den Kranken von großer Bedeutung ist. Der Umsicht des Herrn Verlegers ist es gelungen, das Buch durch die Wahl eines etwas größeren Formats auf dem bisherigen Umfang zu erhalten. Auch die Übersichtlichkeit hat, wie mir scheint, gewonnen. T ü b i n g e n , Ende März 1859.
Th. Jürgensen.
Inhalt. I. Krankheiten des Nervensystems. Erkrankungen der peripheren Nerven.
§ 1. §1 2. | 3. § 4. § 5. § 6. § 7. § 8. § 9. § 10. § 11. § 12. § 13. § 14. § 15. § 16. | 17. § 18. § 19.
§ § § § § § §
20. 21. 22. 23. 24. 25. 26.
§ 27. § 28. § § § § § § § § §
29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37.
§ § § § § § §
38. 39. 40. 41. 42 43. 44.
Einleitende Bemerkungen Funktionsstörungen der sensiblen Nerven im allgemeinen . . Die Neuralgie Neuralgie des Trigeminus Neuralgien des Halses, Rumpfes und der oberen Extremitäten Neuralgien der Beckengegend und der unteren Extremitäten Viscerale Neuralgien . . • Gelenkneuralgien Anästhesie Funktionsstörungen der motorischen Nerven im allgemeinen Krampf Krämpfe im Gebiete von Gehirnnerven Krämpfe im Gebiete von Rückenmarksnerven Beschäftigungskrämpfe (Schreibekrampf u. s. w.) . . . . . Lähmung Facialislähmung Andere Lähmungen Neuritis Neubildungen an den Nerven Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
Allgemeine Bemerkungen Erkrankung der Rückenmarkshäute im allgemeinen, Hyperämie . : . . . . Blutungen in und zwischen die Rückenmarkshäute Blutungen in das Rückenmark selbst Entzündung der Dura mater spinalis . Entzündung der weichen Häute des Rückenmarkes Tumoren des Rückenmarkes und seiner Häute. Langsame Kompression des Rückenmarkes Anämie des Rückenmarkes Funktionelle Störungen des Rückenmarkes im allgemeinen. Spinalirritation, Neurasthenia spinalis Erschütterung des Rückenmarkes Akute aufsteigende Paralyse Traumatische Verletzung des Rückenmarkes. Halbseitenläsion Akute Myelitis Chronische Myelitis Multiple Sklerose des Rückenmarkes und Gehirns . . . . Tabes dorsalis Spastische Spinalparalyse Systemerkrankungen der motorischen Sphäre. Allgemeines . Poliomyelitis anterior acuta, subacuta und chronica Progressive Muskelatrophie. Amyotrophia spinalis (DUCHENNE--AR AN) . . . . Dystrophia muscularis progressiva (ERB) Thomsen'sche Krankheit (nach ERB) Amyotrophische Lateralsklerose Chronische progressive Bulbärparalyse Akute Bulbärparalyse Höhlen- und Spaltbildungen im Rückenmark: Spina bifida
Seite
1 1 3 9 10 12 14 15 15 18 19 20 21 22 23 30 32 33 35
36 39 41 42 43 43 45 47 48 49 50 51 52 54 56 59 64 65 66 69 71 72 73 74 77 77
VIII
Inhalt. Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
§ § § § § § § § §
45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53.
Allgemeines '. Allgemeinerscheinungen bei Hirnkrankheiten Herderscheinungen bei Erkrankungen bestimmter Teile des Gehirns . . . Erkrankungen der Dura mater Anämie des Gehirns Hyperämie des Gehirns Ödem des Gehirns Entzündung des Gehirns und seiner weichen Häute. Encephalomeningitis . . Cerebrale Kinderlähmung (Hemiplegia centralis spastica) (HEIKE); Poliencepha-
§ § § § § §
54. 55 56. 57. 58. 59.
Umschriebene eitrige Gehirnentzündung; Himabsceß Chronischer Hydrocephalus Geschwülste des Gehirns und seiner Häute Gehirnblutungen Gehirnerweichung durch Thrombose und Embolie Sinusthrombose
¡
litis a c u t a (STRÜMPELL )
. . .
§ § | | § | § § §
¡ § I § § § § § § § § § § § § § § §
78 81 82 85 87 88 90 94
100
101 103 105 108 115 118
Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.
§ 60. Allgemeines 61. Migräne und verwandte Formen des Kopfwehs . . . .
62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73.
Seite
Basedowsche Krankheit Hysterie Katalepsie Hypochondrie Eklampsie Epilepsie Nachtschrecken Tetanus Tetanie Chorea Paralysis agitans II. Krankheiten Muskelzittern; Athetose
•
des Blntes nnd allgemeine Ernährungsstörungen.
119 121
123 125 130 130 134 136 141 141 145 146 149 150
74. Allgemeines
152
75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92.
153 158 161 162 165 167 169 171 171 173 175 176 180 184 185 188 194 196
Akute Anämie Chronische Anämie Perniciöse Anämie. Chlorose Leukämie Pseudoleukämie und chronisches Rückfallsfieber Hämorrhagische Diathese; Hämoglobinurie Hämophilie Morbus maculosus Werlhofii Skorbut . . . Addison'sche Krankheit Gicht Rachitis Osteomalacic Skrofulöse Diabetes mellitus Diabetes insipidus Fettleibigkeit III. Infektionskrankheiten.
93. Allgemeines 94. Syphilis Örtliche durch Syphilis hervorgerufene Erkrankung. Haut und Schleimhaut Haare, Nägel Knochen, Gelenke, Muskeln Verdauungskanal . . Leber Milz Nieren
198 200 205 207 207 208 208 208 209
Inhalt.
§ 95. S 96. § 97. § 98. § 99. § 100.
§ § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § §
101. 102. 103. 104. 105. 106. 10?. 108. 1C9. II). 111. 112. Iii. 114. 113. IIS. 117. 118. 119. 120. 12123. 123. 12-. 125. 126. 127. m. 12i. 13(.
Geschlechtsteile . . Kehlkopf Nase Lunge Herz und Blutgefäße Nervensystem Sinnesorgane Hereditäre Syphilis Verlauf des Syphilis überhaupt Schanker Tripper Tuberkulose im allgemeinen Allgemeine, akute Miliartuberkulose Tuberkulöse Lungenschwindsucht Tuberkulose anderer Organe Der Centraiorgane Der Lymphdrüsen Der Knochen und Gelenke Der Haut Der Harnwege . . . . Der weiblichen Geschlechtsorgane Der männlichen Geschlechtsorgane Lepra • Eotz Aktinomykose Akute Infektionskrankheiten. Allgemeines Abdominaltyphus Pest Fleckfieber Rückfalltyphus Kryptogenetische Septikopyämie . . . . . . Poeken Vaccination Varicellen Scharlach Erysipelas Masern Eöteln Keuchhusten Grippe Genuine Pneumonie Parotitis epidemica Diphtherie Ruhr Cholera indica Gelbes Fieber Malaria Epidemische Cerebrospinalmeningitis . . . . . . Akuter Gelenkrheumatismus Trichinose Milzbrand Wutkrankheit
IX Seite
•
. . . .
. . . .
.
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' .
•
209 209 209 209 210 210 212 212 214 220 224 231 235 239 251 251 251 252 252 252 252 252 253 254 255 256 258 274 275 278 280 294 301 304 306 313 317 323 324 328 330 343 345 352 355 364 366 374 377 382 385 387
IY. Krankheiten der Kreislauforgane. Krankheiten des Herzens. § § § § § § § § § § §
131 132 133 134 135 136
Allgemeines Insuffizienz des Herzens . . . . Hypertrophie und Dilatation des Herzens . . . Endokarditis Myokarditis Schlußunfähigkeit der Klappen und Verengerungen der Öffnungen am Herzen im allgemeinen 137 Insuffizienz der Aortenklappen 138 Verengerung der Aortenmündung 139 Schlußunfähigkeit der Mitralis 140 Verengerung des linken venösen Ostiums 141. Schlußunfähigkeit der Tricuspidalis
390 391 402 408 417 418 421 423 424 427 428
X
Inhalt.
§ 142. § 143. § 144.
§ § § §
145. 146. 147. 148.
§ 149. § 150.
Die sonstigen Fehler an Ostien und Klappen des rechten Heizens; Bildungsfehler des Herzens überhaupt Neubildungen und Parasiten im Herzen Neurosen des Herzens; Herzklopfen Angina pectoris Krankheiten des Herzbeutels. Perikarditis Ergüsse in den Herzbeutel Verwachsungen des Herzens mit dem Herzbeutel Perikarditis externa u n d schwielige Mediastinoperikarditis Krankheiten der Arterien. Arteriosklerose und Atherom Aneurysmen der Aorta
. . .
Seite 431 432 432 435 437 442 443 445 446 449
Y. Krankheiten der Atmungswerkzeuge. § 151. § 152 § 153.
Katarrhe der Atmungswerkzeuge. Allgemeines Katarrhe der Nasenschleimhaut . . ' Katarrh der Kehlkopfschleimhaut Akuter Kehlkopfkatarrh hei Erwachsenen Akuter Kehlkopfkatarrh bei Kindern; Pseudokrup . . . Chronischer Kehlkopfkatarrh . . . . ' § 154. Lähmungen der Kehlkopfmuskeln Hysterische Lähmungen § 155. Krup § 156. Ödem der Glottis. Perichondritis laryngea . ' . Ödem der Glottis Perichondritis laryngea § 157. Spasmus glottidis § 158. Neubildungen im Kehlkopf § 159. Katarrh der Trachea und der Bronchien Akuter Katarrh der Trachea und der gröberen Bronchien Akuter u n d subakuter K a t a r r h der feineren Bronchien mit der in ihrem Gefolge auftretenden Bronchopneumonie Chronischer Bronchialkatarrh § 160. Fibrinöse Bronchitis , § 161. Bronchiolitis exsudativa (CURSCHMANN) § 162. Heufieber § 163. Verengerung u n d Verschluß der Bronchien mit ihren Folgen . . . " . . . . Atelektase und Bronchopneumonie. Allgemeines Verengerung der Trachea und der größeren Bronchien Atelektase und Bronchopneumonie . . . § 164. Bronchialasthma § 165. Interstitielle Pneumonie (Cirrhose) und Erweiterung der Bronchien . . . . § 166. Emphysem u n d verwandte Zustände § 167. Lungenödem § 168. Hypostatische Vorgänge in der Lunge § 169. Blutungen aus den Atmungswegen (Hämoptoe) § 170. Embolische und thrombotische Vorgänge in der Lungenärterie, hämorrhagischer Infarkt, Absceß § 171. Lungenbrand . . . . . § 172. Neubildungen und Parasiten in der Lunge § § § §
173. 174. 175. 176.
Krankheiten der Pleura. Pleuritis Hydrothorax und H ä m a t o t h o r a x Pneumothorax Neubildungen und P a r a s i t e n in der Pleura
453 459 461 461 462 464 465 472 474 480 480 480 481 482 483 484 485 488 492 493 493 494 494 495 496 497 501 507 512 514 515 519 522 524 524 538 539 543
VI. Krankheiten des Mundes und des Rachens. § 177. § § § § §
Allgemeines Stomatitis katarrhalis 178. Pflanzliche Parasiten in der Mundhöhle, Soor 179. Aphthen 180. Mundfäule 181. Noma 182. Therapie der Mundkrankheiten
.
544 544 546 548 549 550 551
Inhalt. §j §; §• §•
XI
183. Angina 184- Retropharyngealabsceß 185. Glossitis 1S6. Angina Ludovici
. •.
Seite
552 557 558 559
VII. Krankheiten der Verdauungswerkzeuge. Erkrankungen der Speiseröhre.
§ § § §
187. Entzündung der Speiseröhre 188 Verengerung der Speiseröhre 189. Erweiterung der Speiseröhre 190. Zerreißung der Speiseröhre
560 560 561 563
Krankheiten des Magens und Darms.
§ § § § § § § § § § § § § § § S § § §
191. Verdauungsstörungen überhaupt 192. Verdauungsstörungen. Dyspepsie, Magenkatarrh J193. Schwere Formen der Magenentzündung 3194 Erweiterung des Magens 1195. Einfaches Magengeschwür Duodenalgeschwür 3196. Bösartige Neubildungen im Magen 3197. Magenblutung 1198. Kardialgie 1199. Diarrhöe 200. Diarrhöe im Kindesalter 2201. Follikularkatarrh 202. Entzündungen in der Fossa iliaca 2(03. Proktitis und Periproktitis 2204. Stuhlverstopfung 2(05. Verengerung und Verschließung des Darms 2(06. Neubildungen im Darm 2(07. Darmblutungen 2(08. Kolik 2109. Kntozoen im Darm
563 564 577 578 582 588 588 591 593 594 599 6Ö1 603 607 609 613 616 618 620 621
VIII. Krankheiten des Bauchfells. § 2310. Hydrops ascites § 2111. Peritonitis S 212. Tuberkulose des Bauchfells; andere Neubildungen
626 628 634
IX. Krankheiten der Leber und der Gallenwege. § § § § § § § § §
213. 211.4. -2115. 21.6. 217. 218. 21'9. 2210. 221.
§ 222.8 223. 5} 224. § 225. § 226. § 227.
Allgemeines. Abweichungen der Größe und der Form der Leber Gelbsucht Hyperämie der Leber Verlegung der Pfortader . • Eitrige Entzündung der Pfortader • Suppurative Hepatitis Akute Leberatrophie Interstitielle Leberentzündung Einfache Leberatrophie. Fettleber. Amyloidleber Amyloidleber Leberkrebs Echinokokkus der Leber Katarrh der Gallenwege Gallensteinbildung Anderweitige Erkrankungen der Gallenwege und der Gallenblase Erkrankungen des Pankreas
.
. . . .
.
639 641 644 647 649 650 654 657 660 661 662 665 667 668 674 674
X. Krankheiten der Milz. § 228. Allgemeines § 229. Akute Milzerkrankungen § 280. Chronische Milzschweilungen. Neubildungen. Parasiten
676 677 679
XI. Krankheiten der Harnwerkzeuge. Krankhelten der Nieren und der Harnleiter. § § § § § § § § § § § § § | § § § § §
231. 232. 2ä3. 234. 235. 236. 237. 238. 239. 240. 241. 242. 243. 244. 245. 246. 247. 248. 249.
Morbus Brightii. Allgemeines Albuminurie. Blut im Harn Harncylinder Hydrops bei Nierenkrankheiten Urämie Verhalten des Herzens bei Nierenkrankheiten Akute Nephritis Chronische (parenchymatöse) Nephritis Chronische interstitielle Nephritis (Schrumpfniere) Amyloide Entartung der Nieren Kreislaufstörungen in der Niere Nierenveränderungen während der Schwangerschaft Eiterherde in der Niere, Nephritis suppurativa Geschwülste und Parasiten in der Niere Form- und Lageveränderungen der Nieren. Wanderniere Perinephritis Nephrolithiasis Pyelitis und Pyelonephritis Öydronephrose
§ § § §
250. 251. 252. 253.
Entzündung der Harnblasenschleimhaut Blasenkrampf und Blasenlähmung Enuresis nocturna Neubildungen und Parasiten in der Blase
Seite
081 082 685 686 688 691 092 097 702 705 707 708 708 709 712 713 714 718 719
Krankheiten der Harnblase. 721 725 725 727
XII. Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane. § 254. § 255. § 256.
Krankhafte Samenverluste Impotenz Männliche Unfruchtbarkeit
-728 732 733
XIII. Krankheiten der Haut. § § § | § § § § § § § § § § § §
257. 258. 259. 260. 261. 262. 263. 264. 265. 266. 267. 268. 269. 270. 271. 272.
Erkrankungen der Talgdrüsen Lupus erythematosus Anomalien der Schweißabsonderung. Ephidrosis Erytheme Herpes Psoriasis Lichenes Pityriasis Ekzema Pustulöse Hautentzündungen. Impetigo. Ekthyma Prurigo und Pruritus Pemphigus Pigmentanomalien Erkrankungen der Haare Ichthyosis Skleroderma der Erwachsenen Sklerem der Neugeborenen § 273. Elefantiasis Arabum § 274. Dermatomykosen. Favus Herpes tonsurans § 275. Tierische Parasiten Scabies Erntemilbe, Gerstenmilbe Läuse • Flöhe; Wanzen; Dipteren § 276. Neubildungen in der Haut Anhang: Rezeptformeln Register Berichtigungen
:
.
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734 737 739 740 743 745 747 748 748 753 754 756 '758 759 759 760 761 761 762 763 764 764 766 766 767 768 769 774 798
I. K r a n k h e i t e n des Nervensystems. Erkrankungen der peripheren Nerven. § 1. Einleitende Bemerkungen. D i e E r k r a n k u n g e n der p e r i p h e r e n N e r v e n gehen in der Minderzahl mit erkennbaren anatomischen Störungen einher, für die klinische Betrachtung ist daher die Änderung der Funktion maßgebend. Ohne materielle, wenn auch flir uns nicht nachweisbare, Änderungen kann diese trotzdem nicht stattfinden; in dem abnorm fungierenden Nerven müssen entweder Abweichungen seiner chemischen Zusammensetzung oder solche in der Lage seiner Elementarteile, molekulare Verschiebungen, gegeben sein. Physiologische Erfahrung lehrt, daß an dem morphologisch gleich erscheinenden normalen Nerven beide Möglichkeiten vorkommen: Änderung der chemischen Zusammensetzung wird durch das Auftreten saurer Reaktion in dem ermüdeten Nerven dargethan, Änderung in der molekularen Anordnung wird durch den galvanischen Strom herbeigeführt, welcher, den elekt^otonischen Zustand erzeugend, ein abweichendes Verhalten der Erregbarkeit und der Leitung bedingt. Qualitativ verschiedene Eigenleistungen sind den peripheren Nerven, einfachen Leitungsbahnen zwischen Peripherie und Centrum, nicht zugeteilt — diese sind an die Endorgane gebunden, für die Nervenstränge kommt wesentlich nur ein Mehr oder Minder ihrer Erregbarkeit und damit auch ihrer Leistungsfähigkeit in Betracht. § 2. Funktionsstörungen der sensiblen Nerven im allgemeinen. Die Funktionsstörungen der sensiblen Nerven zeigen sich daher als Steigerung (Hyperästhesie) oder als Verringerung (Anästhesie) ihrer normalen Leistung. Neben diesen ist die Parästhesie zu nennen. Man versteht darunter eigenartige Empfindungen (Taubsein, Ameisenkriechen, Brennen, Jucken) im Gebiete eines sensiblen Nerven, welche nicht durch äußere Reize hervorgerufen werden, sondern scheinbar spontan auftreten. Wahrscheinlich liegt ein erhöhter Erregungszustand in dem betreffenden Nervengebiete vor und die Parästhesie ist nur eine, in besonderer Weise zum Ausdruck gelangende Form der Hyperästhesie. A l s Auslöser der parästhetischen Empfindungen kann man Ernährungsvorgänge oder Durchleitung normaler Reize an der betroffenen Stelle betrachten. Wenn eine Empfindung vorhanden ist, muß auch ein Reiz, der dieselbe veranlaßt. gegeben sein. Bei der Parästhesie kann dieser nur durch Vorgänge im Innern des Nervensystems erzeugt werden, da eine Erregung von außen fehlt. V. J i i r g e n s e n . Spez Path. u. Ther. II. Aufl
1
2
Krankheiten der peripheren Nerven.
Die Parästhesie macht sich mehr oder minder anhaltend bemerkbar. An- und Hyperästhesie hingegen kommen unmittelbar gar nicht zum Bewußtsein, es bedarf dazu eines äußeren Reizes. Wirkt dieser ein, dann zeigt es sich, daß seine Stärke nicht in dem erfahrungsgemäß richtigen Verhältnis zu der von ihm wachgerufenen Empfindung steht. Sobald die Erregung eines centripetal leitenden Nerven, einerlei ob derselbe ein sensibler im engeren Wortsinne oder ein sensorischer ist» eine gewisse Größe erreicht, löst sie das Allgemeingefiihl Schmerz aus. Bei welcher Reizstärke Schmerz auftritt, ist im wesentlichen durch individuelle Bedingungen beherrscht. Ursprüngliche Anlage und Erziehung wirken miteinander; namentlich die letztere vermag die Grenze für Schmerzempfindung erheblich zu verschieben. Aus der Thatsache, daß eine Abweichung im normalen Empfinden vorhanden ist, läßt sich trotz des Fortbestehens des Gesetzes der isolierten Leitung ein Schluß auf den Sitz der bedingenden Ursache nicht ziehen. Am ehesten gelingt das noch bei der stärkeren zum Schmerz führenden Erregung, indes immerhin mit gewissen Einschränkungen. Hier kommt in Betracht: 1. Es kann die Reizung so stark werden, daß sie gleichzeitig mit oder kurz nach der Schmerzempfindung Veränderungen in den Centraiorganen herbeiführt, durch welche das Bewußtsein schwindet: Anämie des Gehirns mit Ohnmacht. 2. Das Oesetz der excentrischen Projektion, welches bestimmt, daß, einerlei, an welcher Strecke seines Verlaufes ein sensibler Nerv gereizt wurde, die Empfindung davon an das periphere Ende seiner Bahn verlegt wird, macht sich geltend. Daher ist es ohne weiteres nicht möglich, sich ein Urteil aus der Schmerzwahrnehmung, eigener oder fremder, darüber zu bilden, wo im Verlauf des Nerven der Erreger einwirkt. —• Dazu kommt, daß eine Erregung auf dem Wege von der Peripherie zum Hirn — wahrscheinlich geschieht das innerhalb der grauen Substanz des Rückenmarkes —, auf benachbarte Bahnen überspringend, auch diese in den Erregungszustand versetzt — Irradiation. Wiederum wird die Empfindung davon an die Peripherie verlegt. 3. Sensible Leitungen werden erst allmählich durch vielfachen Gebrauch zu ihrer ganzen Feinheit entwickelt. Für die inneren Organe sind dieselben normal so wenig ausgebildet, daß eine pathologische Reizung ihrer empfindenden Fasern wenigstens anfangs nicht mit sicherer Lokalisation einhergeht; später kann das durch Übung erworben werden. — Gleiches gilt für alle Nervenbahnen jüngerer Kinder und solcher Erwachsenen, deren Nervenleben überhaupt wenig zur Entwickelung gelangte. Die Beschaffenheit des Schmerzes wird verschieden charakterisiert, meist nach Erinnerungsbildern benannt oder vergleichend bezeichnet (bohrend, klopfend, brennend, stechend). Heftigere schmerzauslösende Erregung sensibler Nerven vermag außer der Beteiligung anderer durch Irradiation betroffener sensibler Fasern auch auf vasomotorische, sekretorische, motorische Bahnen überzuspringen; dies geschieht innerhalb der centralen Leitungsbahnen des Gehirns oder des Rückenmarkes. Mit Schmerz kann daher Wechsel der Gesichtsfarbe, allgemeines Erblassen oder Rotwerden der Haut, vermehrte Absonderung von Thränen, Speichel, Harn, verstärkte Peristaltik mit Gas- oder Kotentleerung verbunden sein. Ebenso können sich Störungen im Muskelapparat hinzugesellen.
Neuralgie.
§ 3.
3
Die Neuralgie.
Unter den Erkrankungen der sensiblen Nerven nimmt die N e u r a l g i e die erste Stelle ein. Eine bestimmte Definition derselben läßt sich nicht geben, das Hauptsymptom ist Schmerz, der gewisse Eigentümlichkeiten darbietet. Man darf von Neuralgie nur reden, wenn Schmerz 1. sich auf die Bahnen eines oder mehrerer sensibler Nerven beschränkt, wenigstens vorwiegend und anhaltender innerhalb derselben verläuft; a O 2. nicht dauernd in gleicher Stärke auftritt, sondern zeitweilig ganz aussetzt, oder doch sich sehr abschwächt; 3. spontan erscheint, oder mindestens nach Dauer und Stärke in grobem Mißverhältnis zu der Intensität des bekannten ihn auslösenden Reizes steht. Von geringerer Bedeutung sind einige andere zur Charakteristik des neuralgischen Schmerzes verwertete Verhältnisse. Es werden hervorgehoben die große Heftigkeit des Schmerzes, die Wahrnehmung derselben nicht allein an der peripheren Ausbreitung, sondern auch im Verlauf der ergriffenen Nerven, Folgezustände durch Überspringen der Erregung auf vasomotorische, sekretorische, motorische Fasern, endlich das Beschränktsein etwaiger anatomischer Veränderungen auf das Nervensystem und das Ausbleiben ernsterer Rückwirkungen auf den Gesamtorganismus. Alle diese Merkmale sind nicht konstant bei Neuralgien, daher von der Charakteristik auszuschließen.
Ätiologisch sind prädisponierende und unmittelbar wirksam werdende (Gelegenheits-)Ursachen zu trennen. Prädisponierend sind: 1. Die besondere durch Vererbung übertragene Anlage des Nervensystems, welche mit dem Namen der neuropathischen Konstitution (§ 60) bezeichnet wird, läßt leichter Neuralgie entstehen und macht dieselbe schwerer heilbar. 2. Das Lebensalter hat einen gewissen Einfluß. Kinder und Greise erkranken selten, die größte Häufigkeit der Neuralgie fällt (mit ungefähr 7 0 ° 0 ) auf das 20. bis 50. Jahr. 3. Allgemeine Ernährungsstörungen, ganz besonders Anämie. 4. Einflüsse, welche die Widerstandsfähigkeit des Körpers und des Geistes abschwächcn. Es gehört hierher alles Verkehrte in der Erziehung und der Lebensführung, Verweichlichung und rasche Abnutzung, ungenügende Ausspannung bei fortdauernd hohen Ansprüchen an die Hirnthätigkeit, ebenso das mimosenhafte Sichabschließen bei jeder unliebsamen Berührung mit der Außenwelt. Die beiden Geschlechter sind den verschiedenen Ursachen in wechselndem Grade preisgegeben; alles in allem ist keine vorwiegende Belastung des einen oder anderen erkennbar. Als Gelegenheitsursachcn sind anzuführen: 1. Mechanische Einwirkungen auf das Nervensystem durch äußere Gewalt, Geschwulstentwicklung, Übergreifen von Entzündung aus der Nachbarschaft. Selbst in diesen Fällen kann eine Neuralgie ohne nachweisbare anatomische Veränderung auftreten. 2. Verschiedene, ganz im allgemeinen als Gifte zu benennende Krankheitserreger, organische, wie die Malaria, mineralische, wie Blei, Quecksilber. 3. Erkältung hat für die Entstehung der Neuralgie eine hervorragende Bedeutung. Freilich" sind wir nur imstande, aus der zeitlichen Aufeinanderfolge zwischen der Schädlichkeit und ihrer Wirkung einen Schluß auf die Kausalität zu ziehen; allein durch die große Häufigkeit des Vorkommens scheint derselbe gestattet. 1*
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Krankheiten der peripheren Nerven.
Die Entstehung der Formen von Neuralgie, bei welchen nicht unmittelbar Stamm und periphere Ausbreitung des Nerven erkranken, sondern wo sie nur als Leiter einer anderswo ausgelösten heftigen Erregung thätig sind, muß besonders erwähnt werden. — Es ist dabei zu trennen: 1. Erregung einer sensiblen Bahn durch Erkrankung ihrer selbst oder der Nachbarschaft an einem Punkte, wo dieselbe schon in die Centraiorgane eingetreten ist; das hier zu sagende gehört in die Lehre von den Krankheiten des Rückenmarks und des Gehirns. Diese Formen werden als symptomatische Neuralgien bezeichnet. Von manchen wird übrigens die gleiche Benennung gebraucht, wenn eine in der Nachbarschaft eines Nerven während seines Verlaufes außerhalb der Centraiorgane gesetzte pathologische Störung diesen in Mitleidenschaft zieht. 2. Von entfernten Punkten aus kann ein Reiz zum Centrum fortgeleitet, innerhalb desselben aber auf andere Bahnen übertragen werden, so daß diese allein oder doch vorwiegend befallen erscheinen, während der ursprüngliche Ort der Erregung dem Bewußtsein entrückt wird — sympathische Neuralgien. Am häufigsten finden sich dieselben bei Erkrankungen innerer Organe — Ovarien, Uterus, Leber — und solchen des Auges. Der ursprünglich leidende Teil braucht nicht notwendig von anatomisch nachweisbaren Störungen betroffen zu sein, funktionelle reichen unter Umständen hin, um die sympathische Neuralgie zu erzeugen. — Von anatomischen Veränderungen, welche bei der Neuralgie vorhanden sein müßten, ist nichts bekannt — sie können selbst bei der schwersten fehlen. Die Inkonstanz der anatomischen Befunde liefert die beste Stütze für jene Anschauung, welche in molekularen Veränderungen die Ursache der Neuralgie sieht. Gewöhnlich e n t w i c k e l t sich die Neuralgie allmählich. Es stellen sich zuerst Vorboten ein; allerlei Parästhesien, Gefühl von Hitze oder Kälte, Druck und Spannung, mit einer unbehaglichen Empfindung verknüpft, zeigen sich im Gebiete der ergriffenen Nerven. Alles steigert sich, hin und wieder tritt ein kurzdauernder, blitzartig den betreffenden Teil durchzuckender Schmerz auf. Derselbe wird stärker und hält länger an, so daß er in dem voll ausgebildeten. Anfall bleibend, an- und abschwellend freilich, aber während dessen ganzer Dauer erhalten ist. Diese schwankt innerhalb der Grenzen von Sekunden, Stunden und Tagen; allein in so langgedehnten Anfällen handelte es sich doch meist um Gruppen von Einzelattacken, welche durch so kurze Zwischenräume voneinander getrennt sind, daß sie dem Bewußtsein zunächst als geschlossene Einheit erscheinen. — Der Nachlaß geschieht meist wiederum nach und nach, die Pausen zwischen den heftigsten Steigerungen des Schmerzes werden länger, dieser selbst wird schwächer, endlich klingt er in ein unbestimmtes Wehgefühl aus. Dasselbe kann ganz schwinden, es bleibt nur die Empfindung, daß nicht alles in Ordnung ist; vielleicht kommt auch diese kaum zum Bewußtsein, eine vollständig freie Pause schiebt sich ein. Oder aber, und das ist wohl die Regel, nur ein verhältnismäßig ruhiger Zeitraum trennt einen Anfall von dem nächsten. Bei sehr heftigen Neuralgien, namentlich wenn dieselben etwas länger gedauert haben, kann der Schmerz in kürzester Zeit, in Bruchteilen der Sekunde zur vollen Höhe ansteigen. Das periphere Gebiet der leitenden Nervenfasern ist ganz oder zum Teil, mindestens während der Dauer des Anfalls, ergriffen, Ausstrahlung auf andere sensible wie motorische Bahnen fällt dagegen nur mit dessen größter Stärke zu-
Neuralgie.
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sammen; vasomotorische und sekretorische Erscheinungen können früh, vielleicht im ersten Einleitungszeitraum sich zeigen, andere Male treten auch sie erst auf der Höhe des Paroxysmus ein. Von Einzelheiten ist zu erwähnen: Der Schmerz ist meist so ausgedehnt und heftig, daß die Annahme nahe gerückt wird, es handle sich nicht um Reizung eines oder mehrerer Punkte der peripheren Ausbreitung des Nerven, sondern um solche an Stellen, wo eine größere Menge von Fasern dicht beisammen liegt. Das kann innerhalb der Centren, aber auch an dem Stamme geschehen, welcher die von der Peripherie aufsteigenden Nervenfäden vereinigt. — In einer nicht kleinen Zahl von Fällen ist der ergriffene Nerv in seinem ganzen „ Verlauf", oder doch in einem Teil desselben schmerzhaft, wenigstens solange der neuralgische Anfall dauert, manchmal auch in der Zwischenzeit; die Kranken können dann seine Lage richtig bezeichnen. — Noch häufiger finden sich bestimmte Stellen des Nervenlaufes (Druck-Schmerzpunkte, Points douloureux), welche, mehr während des Anfalls als außerhalb desselben, gegen Druck empfindlich sind. Meist tritt dort der Nerv der Oberfläche näher, ruht auf harter Unterlage, erleidet bei dem Durchsetzen von Spalten oder Höhlen eine gewisse Spannung, oder er ist wenigstens durch Drücken von außen leichter in solche zu bringen. Im ganzen sind in etwa der Hälfte aller Fälle von Neuralgie Druckpunkte vorhanden, sie finden sich öfter bei den Erkrankungen jener Nerven, welche für die genannten Bedingungen anatomisch günstiger gelegen sind. — Die Dornfortsätze der Wirbel, durch deren Intervertebrallöcher leidende Spinalnerven austreten, sind häufig gleichfalls gegen Druck empfindlich (Apophysenpunläe). Das periphere Ausbreitungsgebiet des ergriffenen Nerven zeigt nicht selten auch außerhalb der Anfalle objektiv, wenn auch nur mit feineren Hilfsmitteln nachweisbare, Änderungen: in frischen Fällen Hyperästesien, meist in der Form einer größeren Empfindlichkeit, so daß leichtere Reize schon Schmerzen erzeugen (HyperalgesieJ, in älteren Anästhesie. Irradiationen finden in verschiedenen Richtungen statt: gleichzeitig auf weitere Äste des leidenden Nerven, anderseitig auf den entsprechenden, oder auf räumlich weit entfernt liegende, ja von einem anderen Teil des Centrainervensystems entspringende (z. B. Trigeminus und Intercostalnerven). Nicht mit Irradiationen zu verwechseln sind die durch die Fortpflanzung der angenommenen molekularen Veränderung auf andere Äste der ursprünglich ergriffenen Nerven oder auf neue Gebiete bedingten Ausbreitungen der Krankheit. Diese zeigen sich unter dem ausgeprägten Bilde wahrer Neuralgie in eigenen wohlcharakterisierten Anfällen. Bei den motorischen Erscheinungen sind die Reflexübertragungen von stark gereizten sensiblen auf motorische Fasern zunächst zu erwähnen. Sie kennzeichnen sich dadurch, daß sie zeitlich mit der sensiblen Reizung zusammentreffen — also während des Anfalls auftreten. — Neben ihnen finden sich noch andere. Es kommt vor, daß die mit sensiblen in gleichem Stamme verlaufenden motorischen Fasern bei Neuralgien sich verändert zeigen, dauernder, auch außerhalb des Anfalls. Meist sind anfangs Reiz-, später Lähmungserscheinungen da; beide können hohe Grade erreichen. Daß hierbei die molekulare Störung auch motorische Nervenfasern ergreife, dürfte mindestens unerwiesen sein. Gewöhnlich sind nachweisbare anatomische Schädigungen, welche den gemischten Stamm als Ganzes betreffen, zugegen.
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Trophische Störungen stellen sich nur bei langdauernden und schwereren Neuralgien ein. Es handelt sich meist um Atrophie der Haut, des Fettgewebes, der Muskeln; die willkürlich herbeigeführte Ruhe des leidenden Teiles dürfte von ausschlaggebender Bedeutung für deren Zustandekommen sein. Seltener finden sich Hypertrophien der genannten Teile, an denen auch Haare, Haut und Knochen teilnehmen können. — Entzündungen der Haut mit Geschwürsbildung kommen wohl nur bei tiefgreifenden anatomischen Veränderungen (echter Neuritis) vor. Warum die Neuralgie in Anfällen auftritt, ist noch nicht sicher erklärt. Man kann mit einem gewissen Recht darauf hinweisen, daß auf eine stärkere Erregung Ermüdung folgt, und daß der ermüdete Nerv in seiner Erregbarkeit herabgesetzt ist. So könnte bei gleicher Reizstärke doch die Wirkung ausbleiben. Übrigens ist es nicht allein denkbar, sondern für bestimmte Formen sicher, daß die erregende Ursache selbst diäkontinuirlich wirkt — es gehören hierher die typischen, eine bestimmte Tagesstunde einhaltenden, mit ganz reinen Intermissionen auftretenden Neuralgien, welche nicht ausschließlich durch die Einwirkung der Malaria entstehen.
Das Allgemeinbefinden wird nur durch die Heftigkeit des Schmerzes, durch Schlaflosigkeit, vielleicht auch durch verminderten Appetit gestört. Immerhin können sehr bedeutende Beeinträchtigungen desselben stattfinden, im ganzen ist das freilich selten. Der Verlauf der Neuralgie ist häufig ein chronischer. Nicht oft kommt spontane Heilung nach Tagen oder Wochen vor, meist gehen Monate darüber hin. Bei langer Dauer reden wir vom Habituellwerden der Neuralgie. Solches kann erfolgen, obgleich die veranlassende Ursache der Erkrankung nicht mehr wirkt. Man muß hier annehmen, daß die molekulare Änderung in dem ergriffenen Nerven eine gewisse Selbständigkeit erreicht hat und nun als eigentümliches Leiden fortbesteht. — Viele Neuralgien rezidivieren um so leichter, je länger sie gedauert und je schwerer sie auftreten. Die Diagnose hat namentlich die charakteristischen Merkmale des Schmerzes zu berücksichtigen, welche ausreichen, um rein symptomatisch die Neuralgie zu erkennen. Die genauere Bestimmung des Ortes im Nervenverlauf, der erkrankt ist, läßt sich nur durch Berücksichtigung aller Erscheinungen, welche das gegebene Krankheitsbild bietet, treffen — allgemeine Regeln lassen sich in Kürze dafür nicht aufstellen. Die Prognose ist für die reinen, auf Molekularveränderung oder wenig erheblichen anatomischen Störungen beruhenden Neuralgien nicht ungünstig; um so besser, je früher die Behandlung beginnt. Symptomatische und sympathische Neuralgien unterliegen der gleichen prognostischen Beurteilung, wie die Grundleiden, welche sie erzeugten. Jede habituell gewordene Neuralgie ist prognostisch ernst zu nehmen — ihre Heilung erfordert mindestens viel Zeit, und es drohen Recidive. Die Therapie hat verschiedenartige Angriffspunkte. Lebensweise und Ernährung sind den Sonderbedingungen gemäß zu regeln. Es gehört genaues Eingehen auf die Gewohnheiten des Leidenden zu den ersten und notwendigsten Erfordernissen für eine vernünftige Umgestaltung der Lebensordnung. — Störungen einzelner Organe müssen sorgfältig aufgesucht und behandelt werden: die Geschlechtsthätigkeit und die Verdauung geben am häufigsten Veranlassung zum Eingreifen. Als das zu erstrebende Ziel ist im allgemeinen hinzustellen, daß ein richtiges Verhältnis zwischen Nervensystem und Gesamtorganismus zustande komme, nicht alles im Nervenleben aufgehe, wie das für die Kopfarbeiter und viele Frauen der besseren Klassen bei unseren Zuständen oft genug geschieht.
Neuralgie.
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R«gere, bis zu den Grenzen der Ermüdung gesteigerte Muskelarbeit, die dadurch in manchen Fällen ohne weiteres gestattete Zufuhr grösserer Mengen von Nahrung, ist ein wichtiges Hilfsmittel. Geistige Beschäftigung kann selten ganz verboten werden, nur muß sich dieselbe auf anderen als den gewohnten Gebieten bewegen, mehr Zerstreuung als Arbeit sein. Vollkommene geistige und körperliche Ruhe ist meist nur für kurze Zeit hochgradig Erschöpften zu empfehlen. Ausreichender Schlaf gehört zu den Haupterfordernissen; gelingt es nicht, denselben ohne Medikamente herbeizuführen, dann sind die Brompräparate geeignet; Opiate müssen hier vermieden werden. Die Diät werde so gewählt, daß neben reichlicher Blutbildung ein gewisses, nicht zu großes Maß von Fettansatz möglich ist. Alkoholika sollen aicht zu sehr gescheut werden — man individualisiere und vergesse nicht, daß dieselben ein gutes Sparmittel, für manche ein ausgezeichnetes Schlafmittel sind. Starker Thee und Kaffee sind unbedingt zu meiden, der Tabakverbrauch jedenfalls erheblich zu beschränken. — Es kommt so viel, man kann sagen fast alles, auf die Bedingungen des Einzelfalles an, daß die Aufstellung ganz bestimmter Regeln zu nichts führen würde. Die frischen Neuralgien bei gut genährten, kräftigen, hereditär nicht belasteten Leuten bedürfen keiner Allgemeinbehandlung, alle anderen fordern sie. Die Entfernung der Ursache einer Neuralgie gelingt nur in einer kleineren Zahl von Fällen, nicht immer ist sie von durchschlagendem Erfolg, da die molekularen Änderungen selbständig geworden sein können (habituelle Neuralgie). Außer operativen Eingriffen, durch welche Fremdkörper, Geschwülste u. s. w. aus der Nähe von Nerven entfernt werden, kommt die innere Behandlung der Malaria, der Lues, der Chlorose und anderer Formen der Anämie in Betracht, vielleicht ist auch die Diaphorese bei frischen auf Erkältung zurückzuführenden Neuralgien eine kausale Methode. Unter den eigentlichen Heilmitteln steht die Elektrizität oben an. Als Grundsatz gilt, womöglich die Stroms am Orte der Erkrankung selbst wirken zu lassen. — Eine wissenschaftliche Darlegung der für die W a h l der einzelnen Methoden maßgebenden Gründe ist nicht möglich. Es handelt sich um einfache Erfahrungsthatsachen, und diese ergeben gegenwärtig, dass jedes Verfahren, wenn es nur nicht physikalisch geradezu thöricht ist, Erfolge haben kann. — Im ganzen dürfte der konstante Strom vorzuziehen sein. Wenn die Ortlichkeit es erlaubt, wenn unerwünschte Nebenwirkungen auf Sinnesorgane, Gehirn und Rückenmark nicht zu fürchten sind, wende man nicht zu schwache Ströme an. Der leidende Nerv soll in seiner ganzen Ausdehnung durchflössen, etwaige Schmerzpunkte sollen besonders berücksichtigt werden. Befeuchtete, nicht zu kleine Elektroden, die Anode auf den Nerven, während mit der Kathode an einem indifferenten Körperteil geschlossen wird; erst wenn das versagt, die umgekehrte Anordnung der Pole, oder aber beide dem Nervenlauf aufgesetzt, so daß ein absteigender Strom durchgeht zum Vermeiden von Stromschwankungen mittels Ein- und Ausschleichens. Das sind die üblichen Regeln. — Der Umstand, daß auch der induzierte Strom mittels feuchter Elektroden eingelassen und den kranken Nerven in größerer Ausdehnung durchfließend Erfolge gehabt hat, also kurz dauernde, ihre Richtung wechselnde, heftig erregende Ströme von Nutzen gewesen sind, zeigt, daß jene Vorschriften nur bedingte Gültigkeit haben. Als indirekte Wirkung der Elektrizität ist vielleicht die starke Hautreizung, wie sie mittels der trockenen Metallelektroden herbeigeführt werden kann, zu betrachten. Beide Stromarten finden in
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diesem Sinne Verwendung. Man hat weiter versucht: Galvanisation des Sympatkicus, langdauernde schwache Kettenströme, allgemeine Faradisation. — Neuerdings ist empfohlen worden, Chloroform durch eine eigens konstruierte Elektrode (Diffusionselektrode, ADAMKIEWICZ), welche die Anode des konstanten Stromes bildet, an Ort und Stelle zur Wirkung zu bringen. Diese Methode dürfte eine Zukunft haben. Innere Mittel leisten unter Umständen etwas, in seltenen Fällen alles. Zunächst ist zu bemerken, daß bei den typischen Neuralgien, auch wenn sie nicht von Malaria abhängig sind, um so eher, je regelmäßiger dieselben auftreten, eine ganz wie die der Intermittens durchgeführte Behandlung (s. § 125) mit Chinin und Arsen in der Regel hilft. Es giebt eine leider sehr kleine Zahl von Fällen, selbst langdauernden und schweren, bei denen nach dem Gebrauch eines bestimmten Arzneimittels alle Symptome mit einem Schlage für immer schwinden. Jeder Anhaltspunkt für die Wahl des hilfreichen Mittels fehlt — man muß einfach probieren. Dafür können in Betracht kommen: Jodkalium in üblicher Dosis, arsenige Säure, Atropin — beide nützen bisweilen erst nach großen, durch langsames Ansteigen ermöglichten Gaben, Sublimat — nur in kleinen Mengen zu versuchen, Terpentinöl, Chinin — von beiden nicht zu wenig. Salieylsäure und ihr Natriumsalz in großen Tagesgaben (6 bis 15 g), noch mehr Antipyrin und Antifebrin ('/ 2 —1 g P r o dosi) bewähren sich öfter. —
Die Opiate sind in vielen Fällen unentbehrlich. Sie finden zu verschiedenen Zwecken Anwendung, zunächst als Palliativmittel. Dann muß die Regel festgehalten werden, daß man mit möglichst kleinen Mengen auszukommen suche. Die örtliche Einverleibung in der Nähe des ergriffenen Nerven, bei welcher unmittelbare Einwirkung auf denselben geschieht, bietet hierfür die besten Bedingungen — 0,01 g Morphium subkutan genügt meist. — Manchmal scheint durch diese Form der Darreichung mehr erzielt werden zu können. Bisweilen wird im Verlauf einer Neuralgie die Erregbarkeit des ergriffenen Nerven so hochgradig vermehrt, daß ein außerordentlich geringer Reiz — oberflächliche Berührung der Haut, ein leiser Luftzug u. s. w. — schon einen heftigen Anfall auslösen kann. Das die Erregbarkeit an Ort und Stelle herabsetzende Morphium bringt hier den Nerven zur Ruhe, hindert die Wirkung der peripheren Reize, vermindert die Gefahr des Habituellwerdens der Neuralgie und ermöglicht einen normalen Ablauf der Ernährungsvorgänge in dem erkrankten Teil. So wird freilich nicht unmittelbare Heilung gebracht; aber immerhin sind die Bedingungen für deren Zustandekommen günstigere geworden. — Es liegen Beobachtungen vor, nach welchen das Morphium als direktes Heilmittel betrachtet werden kann. Man begann mit 0,02 g, stieg, diese als Einzelgabe festhaltend, auf 0,1 g und verminderte dann wieder allmählich herabgehend die Menge. So sind selbst veraltete, schwere Formen beseitigt worden. — Seltener ist als schmerzstillendes Mittel Atropin subkutan versucht — 0,5 mg sollte die größte Dosis für den Anfang sein; man ist bis auf 5 mg gestiegen. Die ableitende Methode hat bei frischen Fällen manchmal Erfolge. Das Verfahren der „fliegenden" Vesikatore kann, natürlich nicht wohl bei Trigeminusneuralgien, sonst überall in Frage kommen. Man bestreicht die Haut in dem ganzen Verlaufe des ergriffenen Nerven mit Pausen von einem halben bis zu mehreren Tagen in der Breite von 5—8 cm mit Collodium cantharidatum und wiederholt wenn nötig das Ganze. Veratrin (Salbenform, R. Nr. 71) ist bei den an oberflächlich gelegenen Nerven auftretenden leichteren Erkrankungen ein gutes Mittel, welches nur Rötung, keine Entzündung der Haut hervorruft. — In schwersten Fällen griff man sogar zum Glüheisen.
Neuralgie des Trigeminus.
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Als letztes Mittel ist der operative Eingriff zu nennen. Die Resektion von Nervenstücken brachte in etwa 95°l0 vorübergehend mehr oder minder langdauernde Besserung, in nur 3 °,0 Heilung. Ob dieses Verhältnis durch die neuerdings aufgekommene Nervendehnung mit oder ohne Resektion besser wird, kann nur die Erfahrung lehren. § 4.
Neuralgie des Trigeminus.
D i e N e u r a l g i e d e s T r i g e m i n u s (Prosopalgie,,
Gesichtsschmerx,
Tic
doulou-
reux) umfaßt meist nur einen Ast oder Teile desselben; der Häufigkeit nach absteigend geordnet folgt das Ergriffensein mehrerer Aste, das ganze Gebiet einer, endlich beider Seiten. Ätiologisch ist die neuropathische Konstitution als disponierende Ursache besonders hervorzuheben. Malarianeuralgien, typische Formen überhaupt betreffen meist den Quintus. — Weiber leiden mehr als Männer — man giebt ein Verhältnis von 3 zu 2 an. Das mittlere Lebensalter ist am stärksten befallen, aber auch während der Senescenz tritt nicht gerade selten Gesichtsschmerz auf, Kinder erkranken nur in äußerst geringer Zahl. Als Gelegenheitsursachcn sind Erkältung. Anämie, Erkrankungen der Knochen an oder in den vielen Kanälen, welche die Trigeminusäste zu passieren haben, anzuführen. Neuerdings hat man mit Recht auf Erkrankungen des Mittelohrs als Entstehungsursache aufmerksam gemacht. Caries der Zähne wird häufiger beschuldigt, als es berechtigt ist, aber sie erzeugt thatsächlich oft genug den Gesiclitsschmerz. Der Anfall zeigt alle Eigentümlichkeiten des neuralgischen; die Gesichtsschmerzen gehören wohl zu den heftigsten Schmerzen, welche überhaupt der Mensch zu erdulden hat. Das Überspringen auf andere Nervenbahnen ist bei der Trigeminusneuralgie etwas sehr Gewöhnliches. Sensible Irradiationen auf nicht befallene Zweige der leidenden oder solche der anderen Seite, ferner auf Cervicalnerven finden sich bei den schweren Anfallen nahezu regelmäßig. Ausnahmsweise erstrecken sich dieselben weiter auf den Plexus brachialis oder die Intercostalnerven. — Unter den vasomotorischen Begleiterscheinungen sind Vermehrung der Thränen- und Speichelabsonderung häufig, auch die Nasenschleimhaut secerniert manchmal stärker. Für diese Teile liefert der Trigeminus unmittelbar sekretorische Fasern oder vermag solche reflektorisch zu erregen. An der leidenden Gesichtshälfte zeigen sich die Gefäße während eines stärkeren Anfalles immer, manchmal auch vor demselben verändert: Rötung und Schwellung mit deutlich pulsierenden Arterien und gefüllten Venen sind dann wahrzunehmen. Nicht selten, am häufigsten bei den typischen Formen, bleibt anhaltend über die ganze Ausdehnung der befallenen Stelle verbreitet ein leichtes Odem. Dasselbe ist zur Zeit des Anfalls am stärksten, schwindet ganz aber erst, wenn die Krankheit geheilt ist. Tiefer greifende Ernährungsstörungen der Haut, der Muskeln, des Auges gehören zu d e n S e l t e n h e i t e n .
Reflektorische
Erregimg
motorischer
Nerven,
b e s o n d e r s des
Facialis, aber auch der anderen vom Hirn entspringenden, ist ganz gewöhnlich. Die Verbreitung des Schmerzes läßt den ergriffenen Ast erkennen. Man findet also: Erster Ast (Neuralgia ophthalmica): Schmerz in der Gegend der Stirn, der Augenhöhle, der Nase. Isoliert erkrankt in typischer Weise der Supraorbitalis. — Sehmerzpunkte sind: Supraorbitalpunkt in der Gegend des Foramen supraorbitale, seltener solche im Verlaufe dieses Zweiges; Trochlearpunkt am inneren Augenwinkel. Nicht häufig kommen Nasal-, Palpebral-, Ocularpunkte vor.
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Krankheiten der peripheren Nerven.
Zweiter Ast (NeurcUyia supramaxillaris): Schmerz in der Gegend der Wange, des Oberkiefers und seiner Zahnreihe. Isoliert wird die Infraorbitalneuralgie mit Schmerz an der Oberlippe, dem unteren Augenlide, der Seitenfläche der Nase beobachtet. Schmerzpunkte sind: Infraorbitalpunkt — Austritt des lnfraorbitalis aus dem Knochenkanal; Malarpunkt am Jochbein — Subcutaneus malae; seltener Labial-, Alveolar-, Gaumenpunkte. Dritter Ast (Neuralgia inframaxitlaris): Schmerz in der Wangenschleimhaut, dem Zahnfleisch, der unteren Zahnreihe, der Zunge, dem Kinn, dem äußeren Ohr bis zur Schläfe. Isoliert erkrankt der Mentalis: Haut des Kinnes und der Unterlippe, seltener die unteren Zähne und deren Umgebung. — Schmerzpunkte: Punkte vor dem Ohre (Auriculotemporalis), am Kinn (Austritt des Mentalis aus seinem Kanal). Alveolar- und Labialpunkte sind seltener, Schmerzpunkte neben den Dornfortsätzen der oberen Halswirbel kommen vor. Verlauf, Dauer, Prognose der Trigeminusneuralgie überhaupt sind den bereits im allgemeinen Kapitel besprochenen Schwankungen unterworfen. Auch über die Behandlung ist besonders kaum noch zu berichten. Butylchloral hat so wenig wie Akonit den Hoffnungen entsprochen, welche man wegen ihrer eigentümlichen Beeinflussung des Trigeminus auf sie setzte. Chirurgische Eingriffe sind überwiegend häufig an den nur sensible Fasein führenden Trigeminuszweigen ausgeführt — der geringe Erfolg derselben gilt ausdrücklich für dieses Nervengebiet. Besondere Erwähnung verdient die Form der Gesichtsschmerzen, welche als epilepsieartige, auch wohl konstitutionelle Neuralgie beschrieben wird. Ausgezeichnet ist sie durch furchtbar heftige Anfälle, welche spontan oder durch gekannte, von der Peripherie oder vom Centrum (Gemütsbewegung) stammende Erregung ausgelöst, urplötzlich sich einstellen. Ihre Dauer schwankt zwischen 10 Sekunden und höchstens 1 Minute, aber sie wiederholen sich rasch, in schwersten Fällen so oft, daß nur wenige freie Augenblicke dem Kranken gewährt sind; in leichteren können Pausen von Monaten sich einschieben. Konvulsivische Zuckungen sämtlicher Muskeln der ergriffenen Gesichtshälfte begleiten oft die Anfälle. — Fast stets ist hereditäre Belastung vorhanden; der unmittelbare Übergang in Epilepsie und eigentliche Psychosen war vereinzelt nachweisbar. Die Prognose ist immer eine schlechte; von sehr erfahrenen Ärzten wird die Möglichkeit dauernder Heilung ganz geleugnet. Linderung schaffte der Gebrauch von Opiaten in größten Gaben, mit denen man rasch so lange steigen muß, bis entschiedener Nachlaß der Schmerzen zu bemerken ist. — So kam man binnen 14 Tagen auf 3,6 g Morphium pro die. Sehr beachtenswert ist, daß diese ungeheuren Mengen gut vertragen werden, solange die Neuralgie besteht, mit deren Nachlaß verliert sich auch die Toleranz. § 5. Neuralgien des Halses, Rumpfes und der oberen Extremitäten. Cervico-occipitalneuralgie tritt im Gebiet des Plexus cervicalis, der vier oberen Cervicalnerven, auf. Schmerz kann also sich zeigen in der Hinterhauptgegend bis zum Scheitel und Ohr, in der Haut des Nackens und Halses bis zur Schlüsselbein- und Wangengegend. Schmerxpunkt ist ein Occipitalpunkt, entsprechend der Austrittsstelle des Occipitalis major in der Mitte zwischen Processus mastoides und Dornfortsätzen der oberen Halswirbel, mitunter erweisen auch diese selbst sich empfindlich, oder die Haut in ihrer Umgebung. Caries und Periostitis der Hals Wirbelsäule sind häufig Veranlassung der Erkrankung — darauf ist besonders zu achten, wenn der Schmerz doppelseitig auftritt. Als charakteristisches Symptom dieser Neuralgie wird angeführt, daß die Kranken während des Anfalls Nacken und Kopf steif halten, weil sie jede Bewegung ängstlich vermeiden. Irradiationen auf Trigeminuszweige, den Plexus brachialis und die Intercostalnerven kommen öfter vor; auch motorische fehlen nicht. Cervico-brachialneuralgie umfaßt das Gebiet des Plexus brachialis, also die vier unteren Cervical- und den ersten Dorsalnerven. Schmerzhaft kann sein die Haut der Schulter und der ganzen oberen Extremität. Beschränkung auf Einzeläste ist selten und scheint nur bei ganz umschriebenen peripheren Ursachen vorzu-
Neuralgien des Halses, Rumpfes und der oberen Extremitäten.
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kommen: die Gemeinsamkeit der Erkrankung hat in der engen Verbindung der einzelnen Nerven untereinander ihren anatomischen Grund. Schmerzpunkte sind: Axillarpunkt, der Lage des Plexus selbst entsprechend; Humer alpunkt, hinten am Oberarm dem Axillaris angehörend; Radialpunkt an der Umschlagstelle des Nerven am Oberarm und vor dem Handgelenk, Medianpunkt in der Ellenbeuge, Ulnarpunkt am inneren Condylus und wiederum vor dem Handgelenk. Mechanische Einwirkungen sind wohl die häufigsten Ursachen dieser Neuralgie; zu erwähnen ist aber ihr Vorkommen neben Angina pectoris und neben Lebererkrankungen. Besonderheiten der Symptome sind nicht zu bemerken; es wird Gewicht darauf gelegt, daß die Anfälle manchmal nachts auftreten. Da verhältnismäßig häufig wirkliche Entzündung am Nerven infolge äußerer Gewalt sich einstellt, sind die mehr der Neuritis zukommenden trophischen Störungen entsprechend oft zu finden. Dorso-intercostalneuralgie kommt innerhalb des Verbreitungsbezirkes der zwölf Dorsalnerven vor; es kann daher schmerzen die Haut des Stammes bis zur Symphyse resp. bis zur Crista ilei. Erkrankung im Gebiet des fünften bis neunten Paares ist am häufigsten; gewöhnlich ist nur die vordere Ausbreitang vom Perforans lateralis an beteiligt, die linke Seite wird mehr als die rechte ergriffen. — Schmerzpunkte sind: Vertebralpunkt, der Austrittsstelle aus dem Foramen inter•vertebrale entsprechend; Lateralpunkt, ungefähr in der Mitte zwischen Wirbelsäule und Sternum, dem Austritt des Ramas perforans lateralis entsprechend; Sternalpunkt am Sternum resp. Rectus abdominis, wiederum der letzten Teilung des Nerven —• Ramus perforans anterior — entsprechend. Ätiologisch ist darauf hinzuweisen, daß Erkrankungen der Wirbelsäule und des Rückenmarks nicht selten mit Intercostalneuralgie einhergehen, namentlich bei doppelseitiger ist sehr genau darauf zu achten. Ebenso wird diese Neuralgie neben Leiden des Magens häufig, weniger oft mit denen anderer Organe des Bauches zusammen beobachtet. Unter den Symptomen ist zu bemerken: Irradiationen finden besonders gegen den Arm hin statt: die anatomischen Verbindungen mit dem Plexus brachialis machen das leicht erklärlich. Unter den nicht seltenen trophischen Störungen kommt verhältnismäßig oft Herpes zoster vor. Um den Schmerz erträglicher zu machen, nehmen die Kranken während des Anfalls eine eigentümliche Körperhaltung an: sie beugen sich gegen die leidende Seite und atmen möglichst oberflächlich. Auch außerhalb des Anfalles trifft man willkürliche Beschränkung der Atmung; dieselbe kann sogar eine leichte Cyanose hervorrufen. —• Die Diagnose hat eine etwaige Erkrankung der Wirbelsäule und des Rückenmarks sowie seiner Häute, der Pleura, des Magens sorfältig zu berücksichtigen. Die Möglichkeit folgenschwerer Irrtümer ist kaum bei einer anderen Neuralgie so nahe gerückt. — Verwechslungen kommen nach mehreren Richtungen vor. Die bei einfacher Neuralgie verhältnismäßig häufige Hyperästhesie der Haut über den Dornfortsätzen verleitet Wirbelcaries anzunehmen andererseits läßt die eines der genannten tieferen Leiden begleitende Neuralgie dieses bei ungenügender Untersuchung übersehen. — Auch die isolierte neuralgische Erkrankung der Brustdrüse {Mastodynie, irritable breast), welche mitsamt der sie bedeckenden Haut von den Dorsalnerven aus versorgt wird', ist genauer Diagnose bedürftig. Es kommen mit der Neuralgie zusammen Geschwülste (Fibrome, Neurome) vor, die, bösartige Neubildungen vortäuschend, operatives Einschreiten zu verlangen scheinen. — Das Leiden findet sich selbst bei Männern; anämische Zustände sollen seine'fintstehung begünstigen, mechanische Insulte gelten als Gelegenheitsursachen. — Die Anfälle können sehr heftig werden, besonders lästig die seitlich stark ausstrahlenden Schmerzen; die
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Haut der Brustdrüsengegend ist gewöhnlich auch außerhalb der Anfälle in hohem Grade empfindlich. Bei Weibern bewirken die Menses in der Regel Verschlimmerung. — Das Leiden ist hartnäckig. § 6. Neuralgien der Beckengegend und der unteren Extremitäten. Das Gebiet der den Plexus cruralis (lumbalis) zusammensetzenden vier oberen Lumbalnerven wird nicht gerade häufig neuralgisch ergriffen; die Erkrankung des ganzen Plexus ist sehr selten. — Man kann unterscheiden: 1. Lumboabdominalneuralgie; betrifft die „kurzen" Äste des Plexus; a) Ilio-hypogastricus, die Haut an der Hüfte versorgend; b) Jlio-inguinalia, versieht den äußeren oberen Teil des Oberschenkels, dem Tensor fasciae latae und Sartorius entsprechend, ebenso die Haut am Möns Veneria; c) Lumbo-tnguinalis, welcher in der Haut des Oberschenkels an der vorderen und inneren Seite bis etwa zur Mitte und dem Schenkelkanal sich ausbreitet; d) Spermaticus externas, der die Haut am Leistenkanal, Möns Veneris, an der inneren Fläche des Skrotum resp. der Labia majora und des Oberschenkels innerviert. Bei den vielen Anastomosen der einzelnen Aste untereinander ist eine genaue Lokalisation meist nicht möglich. Schmerzpunkte finden sich: Lumbarpunkte in der Lendengegend neben der Wirbelsäule; Iliacalpunkt auf der Mitte der Crista ilei; Abdominalpunkte an dem untersten Teil der Linea alba. — Irradiationen auf die Intercostalnerven und in die Beckengeflechte sind häufig; außerdem kommt Krampf des Oremasters und der Blase, Priapismus und sogar in seltenen Fällen Ejakulation vor. 2. Cruralneuralgie, die „langen" Äste umfassend: a) Cutaneus femoris lateralis, versieht die hintere und seitliche Schenkelfläche bis zum Kniegelenk. Schmerzpunkt an der Austrittsstelle des Nerven aus dem Becken oberhalb der Spina ilei anterior superior etwas nach außen vom Sartorius; b) Cruralis, versorgt die Haut der vorderen und inneren Seite des Oberschenkels, dann (Saphenus) innere und vordere Fläche des Knies, sowie die innere Fläche des Unterschenkels und des Fußrandes. Schmerzpunkt: Leistengegend an der Austrittsstelle des Nerven, nach außen von der Arterie; hart an der inneren Seite der Kniescheibe, dem Austritt des Saphenus entsprechend; etwas nach vorn vom Malleolus internus. — Diagnostisch wichtig ist die Verbreitung der Schmerzen auf das Saphenusgebiet am Unterschenkel und Fuß. Irradiationen auf die übrigen Teile des Plexus cruralis kommen oft vor; c) übturatorius, geht zur Haut an der inneren Fläche des Oberschenkels bis zum Kniegelenk. Wegen der allerdings sehr seltenen Fälle von Hernia obturatoria ist die Erkrankung dieses Astes von praktischer Wichtigkeit. Da alsdann der Hauptstamm in seinem Verlaufe durch den Canalis obturatorius mechanische Insulte erfährt, sind gleichzeitig Parästhesien der Haut und Paresen der Adduktoren meist vorhanden. Als unmittelbare Veranlassung wird neben Erkältung und starker Muskelarbeit Druck von harten Kotballen und von benachbarten Geschwulstmassen genannt. A n Häufigkeit kann sich die Neuralgie im Gebiete des Plexus sacralis mit der des Trigeminus messen; sie hat dadurch eine große praktische Bedeutung. — Der Plexus sacralis setzt sich aus dem fünften Lumbal- und den fünf Sacralnerven zusammen. Sein sensibles Gebiet umfaßt: a) „kurze" Nerven. Besonders zu nennen ist der Pudendo-haemorrhoidalis, welcher Haut und Schleimhaut des Dammes, der äußeren Genitalien und des Afters versorgt, hierbei übrigens so ausgiebig mit den Ästen aus dem Lumbalplexus und den sympathischen Geflechten anastomoisiert, daß es bei Neuralgien in dieser Gegend kaum zu bestimmen ist, welche Nerven beteiligt sind. — Gesondert können auftreten: Neuralgia penis: Schmerz im Gliede mit der Eichel, daneben manchmal sexuelle Erregung; Neuralgia scrotalis oder labialis-, urethrales mit Harndrang und Schmerz bei der Entleerung. Bei der Neuralgia spermutica werden Hoden und Samenstrang ergriffen, sie sind gleichzeitig gegen Druck äußerst empfindlich (irritable testis); bei jüngeren Männern ist halbseitiges Auftreten das Gewöhnliche. Weitaus wichtiger ist diesen seltenen Erkrankungen gegenüber b) die im Gebiete der „langen" Nerven auftretende Neuralgie, die eigentliche Ischias. Die in Betracht kommenden Aste sind: a) Cutaneus posterior, welcher versorgt: teilweise die Haut über dem Tuber ischii und am obersten Teil der inneren Schenkelfläche, die seitliche Fläche des Skrotum oder der großen Labien, des
Neuralgien der Beckengegend und der unteren Extremitäten.
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Gefäßes, die Rückseite des Oberschenkels und darüber hinaus bis zur Mitte der Wade. — ß) Ischindicus mit seinen Asten Peroneus und Tibialis. Peronealgebiet ist die Vorderfläche des Unterschenkels und des Fußrückens, Tibialgebiet die Rückseite des Unterschenkels und die Sohlenfläche des Fußes, beiden gemeinschaftlich die Gegend des Kniegelenks, dieses selbst und die Außenseite des Fußes. Übrigens sind die Verbreitungsbezirke beider Teilstämme durch zahlreiche Anastomosen untereinander verbunden und nicht streng systematisch getrennt. — Schmerzpunkte sind: über dem Kreuzbein die Gegend der Spina ilei posterior superior, oder die Haut über den Foramina sacralia; Mitte zwischen Tubor ischii und Trochanter major (Stamm des Ischiadicus); Mitte der Kniekehle (dem Verlaufe des Peroneus entsprechend); Capitulum fibulae (Peroneus), Malleolus in- und externus. Das Peronealgebiet wird weitaus am häufigsten ergriffenÄtiologisch ist zu bemerken, daß die Erkrankung bei Männern entschieden häufiger ist und besonders während der dem Erwerb gewidmeten Lebenszeit sich einstellt; hereditäre Belastung tritt bei der Ischias sehr zurück. Unter den Gelegenheitsursachen spielt Erkältung eine große Rolle, daneben kommt mechanische Einwirkung, sei es eine unmittelbar auf den Nerven geübte, sei es eine den Blutlauf in den großen Venenplexus des Beckens störende, in Betracht. Es ist eigens darauf hinzuweisen, daß länger dauernde Anhäufung von Kot im Dickdarm nicht selten Veranlassung zur Ischias giebt; gleiches kann der schwangere Uterus, selbstverständlich auch jede andere Geschwulst bewirken, welche die entsprechende Lage hat. — Von den Symptomen ist zu erwähnen, daß wirkliche Intermissionen der Anfälle recht häufig fehlen, es nur zu Remissionen kommt. Der Versuch, das kranke Bein zu bewegen, ruft sehr gewöhnlich den Anfall wach; ungestraft kann die Bewegung fast stets nur mit äußerster Vorsicht ausgeführt werden. Ebenso wird die Entleerung des Mastdarmes, besonders wenn stärkeres Pressen damit verbunden ist, vielen Kranken zum Auslöser eines Anfalls. — Die Ivon Ischias Heimgesuchten nehmen in der Regel eine Haltung ein, bei welcher jeder Zug an dem Nerven thunlichst vermieden wird. In schweren Fällen bedienen sich die Kranken zum Gehen der Stöcke oder gar der Krücken. — Nächtliche Anfälle sind nicht selten. Irradiationen auf die vorderen Zweige des Plexus sacralis oder Aste des Lumbalis sind häufig. Ebenso Parästesien, Hyperästesien; in veralteten Fällen machen dieselben manchmal sehr hochgradigen Anästesien Platz. — Muskelzuckungen auf der Höhe des Anfalls sind gewöhnlich und können sich bis zu krankhaften Erschütterungen des ganzen Beines steigern. Bei irgend längerer Dauer der Ischias kommt es zur Muskelatrophie, welche allerdings selten sehr hochgradig wird. — Vasomotorische Erscheinungen leichteren Grades sind ganz gewöhnlich. — Die Dauer der Ischias ist nach Wochen zu berechnen, der Verlauf durch erhebliche Schwankungen ausgezeichnet; die Neigung zu Recidiven schwindet nur sehr allmählich. Die Prognose ist verhältnismäßig günstig, selbst langdauernde schwere Fälle gelangen noch oft zur Heilung. Es ist das wohl vorwiegend darauf zurückzuführen, daß die Ischias selten auf allgemeiner konstitutioneller Grundlage ruht. — Uber die Behandlung ist zu erwähnen: Man sorge bei allen Formen der Ischias für regelmäßigen, weichen Stuhl; salinische Abführmittel und Ricinusöl sind empfehlenswert. Es wird so der Kranke vor einer wichtigen Gelegenheitsursache der Anfälle geschützt und dem Habituellwerden der Neuralgie wird entgegengearbeitet. — In frischen Fällen können örtliche Blutentziehungen — Schröpfköpfe auf die Kreuzgegend und (mit passenden
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Krankheiten der peripheren Nerven.
Abständen) auf die Haut oberhalb des Nerven in seinem Verlaufe, ebenso dort applizierte fliegende Yesikantien — von entschiedenem Nutzen sein. — Der galvanische Strom hat gerade bei der Ischias öfter einen fast zauberhaften Erfolg; es kommt vor, daß das Übel trotz monatelanger Dauer durch einmalige Anwendung desselben auf Nimmerwiederkehr schwindet. Am besten setzt man die Anode mit breiter Platte über dem Kreuzbein auf, folgt mit der gleichfalls plattenförmigen, nicht zu langen Kathode dem Verlaufe des Nerven und berücksichtigt dabei besonders noch die Schmerzpunkte. Stärkere Ströme werden öfter gut ertragen; die Dauer der Sitzungen sei nicht zu kurz, dieselben können mehrmals täglich wiederholt werden. — Die Nervendehnung 'auf unblutigem Wege muß noch weiter erprobt werden. — Als Speeificum gilt das Terpentinöl in größeren Dosen (10—20 g den Tag) und das Jodlcalium. Ob das als Coccygodynie bezeichnete Leiden — Schmerz in der Gegend des Steißbeins, welcher bei Druck auf dasselbe oder Verschiebung sich verschlimmert — als eine Neuralgie des Coccygeus zu betrachten sei, ist zweifelhaft. Wahrscheinlicher handelt es sich um entzündliche Veränderungen an dem Knochen oder in dessen Umgebung. Verletzung des Steißbeines bei schweren Geburten ist die häufigste Veranlassung der Erkrankung; ihre Behandlung fällt der operativen Chirurgie zu. § 7. Viscerale Neuralgien.
Das den visceralen Neuralgien Gemeinsame soll kurz zusammengestellt werden. Der Name giebt die genügende Definition; es handelt sich um anfallsweise auttretende Schmerzen in einem der großen Eingeweide: Herz, Magen, Darm, Leber, Nieren, Ovarien, Uterus, oder ihren Ausführungsgängen, wo solche vorhanden. Anatomische Veränderungen können da sein oder fehlen. Das Charakteristische liegt in der Art, wie der Anfall auf das Qcmeingcfühl zurückwirkt; mit wirklichen Schmerzen ist die Empfindung des Vernichtetwerden, Bangigkeit, Todesangst verbunden, welche im Bewußtsein den eigentlichen Schmerz zurücktreten lassen. Dieser hat gewöhnlich einen etwas unbestimmten Charakter und wird nicht leicht lokalisiert; dazu mögen die vielfachen Irradiationen beitragen. — Die Innervation des Gefäßsystems ist stets gestört; in den schwereren Anfällen sind die Arterien stark zusammengezogen, der Puls wird klein, hart, gespannt, die Körperoberfläche erscheint kühl. Das Verhalten des Herzens selbst ist verschieden: Zu- und Abnahme der Schlagfolge, Unregelmäßigkeit kommt vor. Alles das wechselt im Verlaufe des Anfalls, der oft mit verlangsamtem Puls beginnt. — Auch die Atmung ist nicht selten arrhythmisch. •— Motorische Erscheinungen, gewöhnlich krampfhafte Zusammenziehungen der glatten Muskulatur des ergriffenen Organs oder seiner Ausführungsgänge, fehlen nicht — reflektorisch erregtes Erbrechen ist sclir häufig, seltener Tenesmus. — Sekretorische Störungen sind oft vorhanden: reichlicher Schweiß, verminderte Absonderung des Speichels, ebensolche des Harns; diese letztere wird dann gegen das Ende des Anfalls, selten während desselben, telir vermehrt. — Es kommt häufig zu einem den Anfall einleitenden Schüttelfrost und zu hohen Temperaturen — 40 0 und mehr. In seltenen Fällen kann der Tod während des Anfalls in tiefem Collaps erfolgen. — Wirkliches Verständnis der Pathogenese eines Anfalls von visceraler Neuralgie ist uns noch versagt. Sicher dürfte nur sein, daß der Sympathicus und seine Verbindung mit den Centrrn im verlängerten Mark, und daneben ganglionäre Apparate wesentlich in Betracht kommen. Für die Behandlung sind allgemeine Regeln kaum zu geben; es
Viscerale Neuralgien. Gelenkneuralgien. Anästhesie.
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ist aber darauf hinzuweisen, daß meist unbedingte Ruhe im Bette notwendig ist, und daß das Opium und seine Präparate nicht zu entbehren sind. § 8.
Gelenkneuralgien.
Eine Sonderstellung gebührt den G e l e n k n e u r a l g i e n . Sie finden sich in überwiegender Häufigkeit bei den zur Hysterie Neigenden oder daran Leidenden vor, sind also viel häufiger bei Frauen anzutreffen. Was für die Ätiologie der Hysterie (§ 63) gilt, trifft auch hier zu. Indes giebt es eine nach den Beobachtungen mancher Arzte nicht kleine Zahl von Fällen, welche nicht in diese Kategorie gehören. — Als Gelegenheitsursachen sind in erster Linie Kontusionen und Distorsionen, überhaupt die Einwirkung einer mechanischen Gewalt leichterer Ali auf die Gelenke anzusehen; daneben kommen heftige gemütliche Erregungen in Betracht. — Unter den Symptomen tritt Schmerz hervor, welcher der Hauptsache nach auf das leidende Gelenk beschränkt bleibt, sich bei dessen Gebrauche sehr verstärkt, anfallsweise auftritt, meist nachts aufhört. Irradiationen auf das Gebiet der beteiligten Nerven können sich zeigen. Druckempfindlichkeit des Gelenks im ganzen, mehr noch der dasselbe bedeckenden Haut, Schmerzpunkte, gewöhnlich den bei den Neuralgien der betreffenden Nerven auftretenden entsprechend, sind regelmäßig vorhanden. Da Bewegung Schmerz macht, wird das ergriffene Gelenk möglichst ruhig gehalten, gewöhnlich in gestreckter Stellung; auch passive Bewegungen sind durch spastische Muskelkontrakturen erschwert, ausgiebig oft nur in der Chloroformnarkose möglich. Bei den Meisten findet sich ein ausgeprägtes Gefühl von Muskelschwäche; es kann wirkliche Atrophie der Muskeln sich ausbilden. Vasomotorische Erscheinungen bis zum Odem der Haut kommen vor; Krampf und Kontraktur in den Muskeln des kranken Gliedes ebenso. — Am häufigsten werden Knie- und Hüftgelenke befallen, übrigens ist keines der anderen sicher. — Der Verlauf ist selten ein rascher, meist schwankend und wechselvoll, wie bei der Hysterie überhaupt. Noch nach langer Dauer ist Heilung möglich. Die Prognose ist daher fast nie eine unbedingt schlechte, immerhin ist sie mit großer Vorsicht zu stellen. — Die Diagnose hat vor allem die Entscheidung zu treffen, ob ein entzündliches Gelenkleiden da ist, was unter Umständen von vornherein nahezu unmöglich erscheint. Dann geht aus der Nutzlosigkeit einer gegen die Entzündung eingeleiteten Behandlung: der absoluten Ruhe, Blutentziehung, Eis u. s. w. vielleicht hervor, daß es sich nicht um eine solche handeln könne. — Die Therapie ist in den meisten Fällen nach den für die Hysterie maßgebenden Grundsätzen zu leiten. Es kommt alles darauf an, daß sich der Kranke von der thatsächlich vorhandenen Gebrauchsfähigkeit seines Gelenks überzeugt und man ihn dazu bringt, daß er seinen Willen wieder gehörig auf die bewegenden Muskeln einwirken läßt. — Elektrizität und Massage können von Nutzen werden. Fehlt die neuropathische konstitutionelle Grundlage, dann ist wie bei jeder anderen Neuralgie zu behandeln. § 9.
Anästhesie.
A n ä s t h e s i e , Verminderung oder Aufhebung der normalen Leistung sensibler Nerven, kann an denen der Haut alle oder nur einzelne der von ihnen vermittelten Wahrnehmungen betreffen. Von Empfindungsqualitäten unterscheiden wir:
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Krankheiten der peripheren Nerven.
1. Raumsinn, welcher den Ort kennen lehrt, an welchem ein Reiz zur Einwirkung kam. Seine Prüfung geschieht durch zwei abgestumpfte Zirkelspitzen, welche gleichzeitig mit wechselndem Abstand auf die Haut gesetzt werden. Man bestimmt die kleinste Entfernung, .welche dieselben voneinander haben müssen, um noch gesondert als zwei Spitzen gefühlt zu werden. — Für viele Zwecke genügt die Berührung der Haut mit einem stumpfen Körper; der zu Untersuchende hat dann bei geschlossenen Augen den Ort der Berührung anzugeben. 2. Drucksinn, welcher über die Belastung eines bestimmten Teiles der Haut Auskunft giebt. Man prüft gewöhnlich in ausreichender Weise, indem man bei festgestelltem Körperteil die betreffende Hautstelle mit einer während der Versuchsdauer liegenbleibenden Platte bedeckt, auf diese nacheinander verschieden schwere Gewichte bringt und nun angeben läßt, ob größere oder geringere Belastung vorhanden sei. Ein Stück Holzspan als Deckplatte und die Geldmünzen unserer Währung genügen meist. 3. Temperatursinn, welcher uns über Wärmeschwankungen unterrichtet. Man bringt verschieden temperierte Gegenstände, die das gleiche Wärmeleitungsvermögen besitzen müssen, auf die Haut und läßt angeben, ob die Empfindung von warm oder kalt sich zeigt. Am besten nimmt man Reagenzgläser, die mit Wasser gefüllt werden. — Anhauchen oder Anblasen aus verschiedener Entfernung und mit wechselnder Kraft ausgeführt, ruft ziemlich erhebliche Unterschiede in der Wahrnehmung von Wärmeempfindung hervor, die von dem Gesunden leicht auseinandergehalten werden. — Auch dieses Verfahren ist brauchbar. 4. Schmerzempfindung. Um grobe Unterschiede festzustellen, reichen die rohen Methoden: Kneifen, Nadelstiche, ein stärkerer Induktionsstrom u. s. w. Genauer untersucht man, wenn man Empfindungs- und Schmerzminima bei dem Durchtritt elektrischer Ströme bestimmt. Da aber gleichzeitig Stromstärke und Leitungswiderstände zu berücksichtigen sind, außerdem eine nicht ganz geringe Intelligenz des Untersuchten erforderlich ist, bleibt dieses Verfahren Ausnahmefällen vorbehalten. 5. Das von den Nerven der Muskeln vermittelte Muskelgefühl kann unabhängig von den Störungen der Hautnerven vermindert sein. Es giebt uns Auskunft über den Grad, bis zu welchem die Muskeln kontrahiert oder zu kontrahieren sind, um einen Widerstand zu überwinden (Kraftsinn). Man prüft, indem man in den Beutel eines um den betreffenden Körperteil zweckentsprechend befestigten Tuches Gewichte legt und dieselben nach ihrer Schwere abschätzen läßt. — Da man unser Bewußtsein über Lage und Stellung der Glieder von dem Muskelsinn ableitet, prüft man denselben ferner so, daß man bei geschlossenen Augen des Untersuchten eine seiner Extremitäten in eine bestimmte Lage bringt und ihn nun anweist, die andere von sich aus in die gleiche zu versetzen. Die Anästhesie herbeiführende Störung kann auf der ganzen Strecke von dem durch den Reiz getroffenen peripheren Teil bis zu den die Empfindung zum Bewußtsein bringenden Centren gelegen sein. Demgemäß hätten wir zu unterscheiden: Anästhesie durch Störung a) der peripheren Aufnahmeorgane, b) der eigentlichen Nervenleitung, c) der Leitung im Rückenmark und Gehirn, d) der die Empfindung zum Bewußtsein bringenden Centren. — Allein die Forschung ist nicht weit genug gediehen, um im gegebenen Falle Sicherheit darüber zu geben, wo der Sitz des Übels zu suchen ist. Wir stecken noch in den Anfängen; bleibt es doch zweifelhaft, ob die Qualitätsunterschiede der sensiblen Reizung auf
Anästhesie.
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gesonderte periphere Aufnahmeorgane für den Raum — den Drucksinn u.s.w., zurückzuführen sind, ob dieselben isolierte oder gemeinschaftliche Leitungsbahnen benutzen, endlich ob getrennte Auffassungsorgane im Gehirn für jede einzelne bestehen. Die in gewissen Fällen mögliche Erkenntnis des Ortes, an- welchem die •Schädlichkeit eingreift, muß daher ihre Gründe aus dem Ganzen des Krankheitsvorganges entnehmen, und wir sind vorläufig auf eine mehr empirische Betrachtungsweise angewiesen. Periphere Anästhesien können hervorgerufen werden: 1. durch einmalige oder dauernde Einwirkung von Temperaturunterschieden; es bleibt dahingestellt, ob diese an sich wirksam geworden sind, oder 2. durch Beschränkung der Blut xu fuhr. Diese allein genügt. 3. durch örtlich- einwirkende Narkotika, besonders Opiate, soAvie Cocain und Munittel. Lcitungsanäxthesien entstehen au den peripheren Nerven durch Traumen, dann durch die Einwirkung der Erkältung — sogenannte rheumatische Formen, sehr oft auf echter Neuritis beruhend. Im Rückenmark und Gehirn sind es mannigfache, bei den Erkrankungen dieser Organe genauer zu besprechende Vorgänge, welche an den Stellen, wo sie die sensiblen Leitungen treffen, dieselben zu unterbrechen vermögen. — In den Aiifnahmeurgancn des Gehirns kommt es zu anatomisch keineswegs immer nachweisbaren Störungen, die verhindern, daß eine Empfindung zur Perzeption gelangt. Man sieht dies im Gefolge der verschiedensten Erkrankungen. Daß dabei die Hirnrinde beteiligt sei, wird mit gutem Recht angenommen. — Die durch Anästhesie hervorgebrachte Abnahme der Leitung braucht ohne weiteres nicht zum Bewußtsein zu kommen. Bei intelligenten, auf sich achtenden, mit feinerem Gefühl, d. h. geübterem, ausgestatteten Menschen geschieht das allerdings in kürzester Zeit, selbst wenn der Ort, an dem sich die Anästhesie zeigt, ein so zu sagen abgelegener, und ihre Ausdehnung eine beschränkte ist. Bei weitverbreiteter, fast vollständiger Anästhesie, an welcher die Sinnesnerven teilnahmen, beobachtete man ein höchst merkwürdiges Verhalten. Fa zeigte sich, daß die willkürliche Bewegung nur durch ständige Kontrolle der centripetal leitenden Nerven möglich war, weiter, daß mit dem Wegfall jeder zum Gehirn aufsteigenden Erregung auch daa Bewußtsein aufhörte und Schlaf eintrat.
Neben Anästhesie begegnet man öfter anderweitigen Erscheinungen, die vorzugsweise auf Einwirkungen der pathologischen Störung, welche die Nachbarschaft der ergriffenen Teile des Nervensystems treffen, zurückzuführen sind. Zum kleineren Teil aber sind es wirkliche Ausfallempfindungen; so kann ein anästhetisch gewordener Teil zu fehlen scheinen und nur unter Mitwirkung höherer Sinne, besonders des Auges, gebrauchsfähig bleiben, in gewollter Weise zur richtig bemessenen Bewegung veranlaßt werden. — Selbstverständlich ist das Gebiet dieser Begleiterscheinungen schwer zu umgrenzen. In den sensiblen Nerven zeigen sich allerhand Parästhesien ; es kann in einem und demselben Verbreitungsbezirke trotz vollkommen erloschenen Leitungsvermögens das Allgemeingefühl Schmerz auftreten (Anaesthesia dolorosa). Lähmungen, seltener Krämpfe in benachbarten Muskeln, vasomotorische und trophische Symptome in den kranken Teilen sind recht gewöhnlich; ebenso Störungen der Reflexe, welche oft wichtige diagnostische Schlüsse gestatten. Ist eine Unterbrechung zwischen dem Orte der Erregung und dessen Übertragung auf motorische Bahnen für die centripetale Leitung gegeben, so wird die Reflexbewegung schwach oder gar nicht ausgeführt. Verstärkung v. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. II. Aafl.
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Krankheiten der peripheren Nerven.
derselben kann anderseits erfolgen, sobald die cerebralen Hemmungen ausgeschaltet sind. — Diagnose, Prognose und Therapie der Anästhesie sind durch die Möglichkeit bedingt, nicht nur deren Anwesenheit, sondern ihren Sitz und ihre Ursache zu erkennen. Hin und wieder kann man rein symptomatisch behandeln müssen. Es wird dann versucht, durch die Einwirkung stärkerer Reize das ergriffene Nervengebiet in einen Zustand erhöhter Erregung zu versetzen. Dabei liegt der allgemeine Satz zu Grunde, daß mit vermehrter Thätigkeit eines Organs auch bessere Ernährung desselben sich einzustellen pflegt. Die im Hirn und Rückenmark vorhandenen Störungen sind freilich auf diese Weise nur sehr mangelhaft zu beeinflussen. — Hauptsächlich findet die Elektrizität in den verschiedensten Formen Anwendung; daneben mehr oder minder starke Hautreize. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die so herbeigeführte arterielle Fluxion zur Haut und die Änderungen in der Blutverteilung, welche sie begleiten, wesentliche Einflüsse üben. § 10. Funktionsstörungen der motorischen Nerven im allgemeinen.
Die am m o t o r i s c h e n N e r v e n a p p a r a t auftretenden Störungen zeigen sich allgemein betrachtet als eine Verstärkung oder Herabsetzung der Muskelthätigkeit — Krampf (Hyperkinese) und Lähmung (Akinese). Veränderungen an irgend einem Punkt auf der ganzen Strecke: von den dem Willen unmittelbar zugänglichen Teilen des Gehirns durch die Leitungsbahnen in ihm, im Rückenmark, in den peripheren Nerven bis zu deren Endigungen in den ausführenden Organen, den Muskeln, vermögen solche Einwirkungen zu entfalten. Störung der Reflexbewegung kann in allen Teilen der Bahn, welche sensible mit motorischen Nerven durch die Vermittelung von Ganglienzellen verbindet, des Reflexbogens, eintreten; kundgeben muß sich dieselbe immer an den Muskeln. — Es handelt sich um ein Mehr oder Minder der Norm gegenüber, um gesteigerte oder verringerte Erregbarkeit und Fähigkeit zur Leitung. W o immer die Störung ihren Sitz haben mag — ihr Erfolg zeigt sich in der Stärke der geschehenden Auslösung von Bewegung. Gleiches gilt für die von den Centraiorganen ausgehende Reflexhemmung. Die von den Physiologen gefundenen Gesetze der Reflexvorgänge gelten im ganzen auch für pathologisches Geschehen. — W i r unterscheiden zwischen Haut- und Sehnenreflexen. Hautreflexe können durch elektrische, thermische, mechanische Reizung wachgerufen werden, Sehnenreflexe nur durch letztere. Beide sind an den unteren Extremitäten, überhaupt an den unteren Abschnitten des Körpers leichter zu erzeugen, als an den oberen. Sie brauchen nicht in gleicher Richtung sich zu ändern, eines kann verstärkt, das andere vermindert sein. Unter den Hautreflexen sind zwei, schon ihrer besonderen Benennung wegen, noch in Sonderheit anzuführen: Kremasterreflex — Reizung der Haut an der inneren Schenkelfläche führt zur Zusammenziehung des Kremasters und infolgedessen zum Aufsteigen des Hodens an der betreffenden Seite; Bauchdeclienreflex — Kontraktion der Bauchmuskeln bei Reizung der über ihnen ausgebreiteten Haut. Die wichtigsten Sehnenreflexe sind: Patellarreflex (Kniephänomen); ein bei schlaff herunterhängendem oder erschlafft und horizontal gestützt liegendem Unterschenkel auf das Ligamentum patellae geführter kurzer Schlag mit der Ulnarseite der Hand oder dem Perkussionshammer führt zur Streckung des Unterschenkels. — Achillessehnenreflexe (Fußphänomen); ergreift man — auch hier muß
Funktionsstörungen der motorischen Nerven. Krampf.
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Erschlaffung der Muskeln des zu Untersuchenden vorhanden sein — den vorderen Teil der Fußsohle mit der flachen Hand, bringt dann durch plötzlichen Druck den Fuß rasch in Dorsalflexion und erhält ihn in dieser, so tritt sofort ein rhythmisches, klonisches Zucken des Fußes ein, bedingt durch Zusammenziehung der Wadenmuskeln. Dasselbe hält mindestens so lange an, wie der Druck auf die Sohle. Ist die Erregbarkeit eine sehr gesteigerte, dann genügt ein geringer Reiz, um langdauerndes, sich auf beide Beine ausdehnendes Zucken zu erzeugen — man hat diese Form als Spinalepilepsie bezeichnet. — An den oberen Extremitäten wird noch am ehesten von der Sehne des Triceps aus ein Reflex hervorgerufen. Von den Fascien und vom Periost aus können ebenso Bewegungen ausgelöst werden, welche zu den Sehnenreflexen gestellt werden. — Unmittelbare Schlüsse auf Sitz und Veranlassung des Grundleidens aus den doch nur quantitative Abweichungen darbietenden Veränderungen der motorischen AusfühO o rungsorgane, der Muskeln, dürfen wir nicht ziehen. Um darüber ins klare zu kommen, müssen die anderweitigen Erscheinungen im gegebenen Falle berücksichtigt werden. § 11.
Krampf.
K r a m p f tritt in einzelnen Muskeln oder in einer größeren Anzahl, manchmal vielleicht in allen auf. — W i r unterscheiden zunächst tonische und klonische, Formen. Bei tonischem Krampf verharrt der Muskel längere Zeit in dauernder Zusammenziehung, bei klonischem wechselt diese rasch mit Erschlaffung. — Als eigene Klasse werden koordinierte Krämpfe getrennt: Zusammenziehungen einer im physiologischen Zusammenwirken regelmäßige Bewegungen ausführenden Gruppe von Muskeln ohne Zuthun des Willens, vielleicht gegen denselben (Zwangsbeivegungen). — Als Unterabteilungen sind zu nennen für die klonischen Krämpfe: Zittern, Spasmen — starke, aber mit Erschlaffung wechselnde Zusammenziehungen einzelner Muskeln oder ganzer Muskelgruppen. W e n n sich dieselben über einen größeren Teil des Körpers ausbreiten, spricht man von Konvulsionen. Als einfachste Form des tonischen Krampfes stellt sich der Crcimptis dar, welcher in dem bekannten Wadenkrampf seinen Typus hat. Crampi entstehen wohl meist durch die periphere Einwirkung chemischer Reize •— ungewohnte Anstrengung der befallenen Muskeln mit Anhäufung von Ermüdungsstoffen in denselben und Wasserentziehung durch ausgiebige Diarrhöen geben am häufigsten dazu Veranlassung. — Ausgedehnte, den größten Teil der Muskulatur treffende Krämpfe, die sich in Anfällen einstellen, bezeichnet man als Tetanus. — Verweilen Muskeln längere Zeit — Monate und Jahre — im Zustand der Verkürzung, dann spricht man von Kontraktur. Dieselbe geht meist mit Störung der Ernährung in den ergriffenen Muskeln einher. Krampf ist der Ausdruck gesteigerter Thätigkeit in den ergriffenen Muskeln. E r kann entstehen durch Verstärkung der die Zusammenziehung auslösenden Reize oder durch vermehrte Erregbarkeit der betroffenen Muskeln. Beides kommt vor, unter pathologischen Bedingungen ist letzteres wohl das häufigere. Da ein Krampf keineswegs regelmäßig mit Atrophie der Muskeln oder mit Leitungsstörungen verbunden, ist es wahrscheinlich, daß einfache molekulare Veränderungen, um ihn hervorzurufen, ausreichen. Dieselben können ohne bleibende Folgen schwinden, wie es bei der Neuralgie wahrscheinlich auch geschieht — sie können aber auch länger anhaltend zum „Habituellwerden" des Krampfes führen. 2*
Krankheiten der peripheren Nerven.
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•— Die Krampferregung kann auf direktem und indirektem Wege zustande kommen. Bei der direkten wirkt die pathologische Störung auf einen Punkt, welcher irgendwo in oder zwischen der Peripherie imd den Bewegung auslösenden Centraiorganen gelegen ist, bei der indirekten handelt es sich um die eine sensible Reizung zuführenden und übertragenden Reflexapparate. Möglicherweise können iiuch die Hemmungsvorrichtungen, welche der Umsetzung von sensibler Erregung in Bewegung entgegenwirken, getroffen sein. — Es geht aus allem hervor, daß sehr verschiedenartige Veranlassungen zu Krämpfen führen — eine allgemeine Betrachtung hat sich daher innerhalb weiterer Grenzen zu bewegen. — Die ätiologischen Bedingungen werden immerhin in zwei Gruppen unterzubringen sein: mechanische und chemische Reize, Störung der Blutverteilung, Änderungen in der Zusammensetzung des Blutes, anatomische Vorgänge der verschiedensten Art — das Wesentliche für die drei letztgenannten Dinge ist doch immer der Reiz mechanischer oder chemischer Natur — wäre die eine. Die andere wird von der ererbten oder erworbenen Anlage des Nervensystems, seiner größeren oder geringeren Widerstandsfähigkeit gegen Schädlichkeiten gebildet. Wissenschaftliches Verständnis wie erfolgreiches praktisches Eingreifen verlangt volle Würdigung dieses, des individuellen Faktors. — Die Begleiterscheinungen des Krampfes sind meist von dessen veranlassender Ursache abhängig. Gewissermaßen eigenartig dürften sein: 1. Mitbewegungen, durch centrale Irradiation auf benachbarte oder physiologisch beigeordnete Muskeln bedingt; — 2. Schmerz innerhalb der länger und stärker zusammengezogenen Muskeln. — Derselbe hat eine eigentümliche Beschaffenheit, die den meisten aus eigener Wahrnehmung (Wadenkrampf) genugsam bekannt ist, und entsteht wahrscheinlich in den sensiblen Muskelnerven zum Teil durch mechanische Pressung, zum Teil durch die wegen der erschwerten Blutströmung angehäuften ermüdenden Substanzen. Er ist am stärksten, solange der Krampf anhält, überdauert denselben aber als dumpfes Wehgefühl; — 3. durch Druck auf bestimmte Punkte gelingt es manchmal Krämpfe hervorzurufen, oder aber vorhandene zum Schwinden zu bringen. Wahrscheinlich werden diese Auslösungen oder Hemmungen indirekt bewirkt. — Prognose und Therapie der Krämpfe hängen ganz von der diagnostischen Einsicht, welche im gegebenen Falle möglich war, ab. — Therapeutische Bemerkungen haben sich wiederum sehr allgemein zu halten. Für viele Fälle gilt das über die Behandlung der Neuralgien Bemerkte, vielleicht für die meisten. Wo das Grundleiden zu beseitigen ist, wird man Erfolge haben, wo dasselbe nicht erkennbar sich zeigt, kann dem Herumtappen hier und da etwas gelingen, das dem glücklichen Arzte Lohn, dem denkenden kaum Befriedigung bringt. Bein symptomatisch kommt Elektrizität in allen Formen, ebenso das ganze Heer der „Nervina" in Betracht. — Meist sind Krämpfe der Behandlung weit weniger zugänglich als Neuralgien. § 12.
Krämpfe im Gebiete von Gehirnnerven.
Die von den motorischen Ästen des Trigeminus versorgten Muskeln liefern, beiderseitig von tonischem Krampf ergriffen, das Bild der Kieferklemme (Trismus). Wenn dieselbe nicht als Teilerscheinung der allgemeinen Neurose Tentanus auftritt, handelt es sich gewöhnlich um reflektorische Vorgänge von den sensiblen Asten des gleichen Nerven (Periostitis, Zahnnerven), seltener von entlegeneren aus erregt. Auch nach Erkältungen sieht man Trismus, welcher dann als rheumatischer bezeichnet wird und eine gewisse Selbständigkeit beanspruchen mag.
Kiämpfe im Gebiete von Gehirn- und Rückenmarksnerven.
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Die Zusammenziehung der Ga.umuskeln, welche dem Einfluß des Willens vollkommen entzogen sind, erschwert oder verhindert die Bewegung des Unterkiefers gegen den Oberkiefer, beide sind meist fest gegeneinander geprellt, dadurch ist die Einführung von Nahrung gehindert. Die Umrisse der ergriffenen Muskeln treten stark hervor, wodurch der Ausdruck des Gesichtes ein sehr eigentümlicher wird. Selten beschränkt sich die Erkrankung auf eine Seite oder auf einzelne Muskeln. — Als klonische Krämpfe dieses Gebietes sind zu erwähnen: das Zusammenschlagen der Zähne im Fieberfrost und das Zähneknirschen. Letzteres kommt bei Gesunden manchmal während des Schlafes vor, bei Hirnkranken, besonders bei den an Encephalomeningitis Leidenden, ist es, wenn es sich im Koma zeigt, diagnostisch nicht ohne Bedeutung. — Wo eine kausale Behandlung möglich — Erkrankung des Kiefers und der Zähne — ist diese einzuschlagen. Gegen die „rheumatischen" Formen nützen öfter örtliche Hautreize, vielleicht auch Elektrizität und Opiate. Im Bereich des Facialis treten Krämpfe auf, welche fast den ganzen Verbreitungsbezirk des Nerven umfassen (Tic convulsif) oder sich auf einzelne Aste beschränken. Nur für einen Teil der Fälle nachweisbare Entstehungsursachen sind Erkältung, Trauma, oder solche Hirnleiden, bei denen das Centrum des Nerven oder aber er selbst während seines Verlaufes im Gehirn betroffen wird; seltener hat die Störung im peripheren Verlauf des Stammes oder seiner Aste ihren Sitz. Reflektorische Erregung vom Trigeminus aus kommt gleichfalls vor. Bei dem auch auf andere Nervengebiete verbreiteten Krampf der Gesichtsmuskeln — dem eigentlichen Tic convulsif — zeigen sich im launenhaftesten Wechsel Zusammenziehungen bald dieses, bald jenes Muskels, ein wildes, tolles Durcheinander von Grimassen. — Gewöhnlich handelt es sich um eigentliche Anfälle, minutenlang dauernd, von längeren oder kürzeren Ruhepausen unterbrochen. Es sind klonische Krämpfe; die Herrschaft des Willens über die im Anfall beteiligten Muskeln ist während der freien Zeit gewöhnlich nicht aufgehoben. — In schweren Fällen finden sich Ausstrahlungen auf andere motorische Gebiete, meist solche der Nachbarschaft; sensible, vasomotorische, trophische Störungen pflegen zu fehlen; Druckpunkte sind nur ausnahmsweise vorhanden. — Die tonische Form tritt meist halbseitig auf und ist sehr selten. Sie ist durch maskenhafte Starre des Gesichts ausgezeichnet, dessen mimischer Ausdruck durch die stärkeren der in Kontraktion befindlichen Muskeln bedingt wird. Unter den partiellen Krämpfen im Facialisgebiet stehen die den Orbicularis palpebrarum treft'enden an Wichtigkeit, wohl auch an Häufigkeit obenan. — Dieser Krampf — der Blepharospasmus — ist ein tonischer, meist reflektorisch erregter, der zum Schließen des Auges führt, von sehr wechselnder Dauer, Minuten bis Monate anhaltend. Gewöhnlich liegt eine Erregung sensibler Trigeminusäste zu Grunde, wie sie durch Erkrankung der Conjunctiva und Cornea herbeigeführt wird; es genügt j a schon die Einwirkung eines Fremdkörpers auf die Aufienfläche des Bulbus, um krampfhaften Lidschlufl hervorzurufen. Aber auch von ganz entfernten Stellen, welche durch spinale Nerven versorgt werden, kann reflektorisch Blepharospasmus entstehen. Man findet in der Regel Druckpunkte — primäre an den bei Trigeminusneuralgien üblichen Orten, sekundäre (induzierte), von welchen aus der Krampf gelöst werden kann, irgendwo sonst; manchmal genügt eine kräftige Einwirkung auf dieselben, um wie mit einem Schlage die lang verschlossenen Lider zu öffnen. — Auch klonischer Lidkrampf (Nictitatio), unwillkürliches Blinzeln, kommt vor, hat jedoch nur geringe Bedeutung. — Der Verlauf ist meist ein sehr langwieriger. — Bei der Behandlung sind die Druckpunkte als Angriffsstellen für elektrische Einwirkung oder für die subkutane Morphiumanwendung besonders zu berücksichtigen. — Krampf im Gebiete des Accessorius (Mm. cucullaris und sternocleidomastoideus) zeigt sich in verschiedenen Formen, klonisch, wenn beide Seiten ergriffen sind, als Kopfschütteln und Kopfnicken; bei halbseitigem Krampf des Cucullaris wird der gegen die kranke Seite geneigte Kopf rückwärts gebeugt, bei solchem des Sternocleidomastoideus is-t der Kopf schief gestellt, das Kinn weicht nach der gesunden Seite hin ab, der Kopf ist an der kranken Seite der Schulter genähert. — Tonischer Krampf ist meist auf den Sternocleidomastoideus beschränkt und zur Kontraktur gesteigert (Torticollis, Caput obstipum spasticum}.
§ 13. Krämpfe im Gebiete von Rückenmarksnerven. Krampf im Gebiete der Cervical- und Brachialnerven kann einzelne oder mehrere Muskelgruppen befallen, klonisch oder tonisch sein. Bemerkenswert sind die meist tonischen Kontraktionen der tiefen Nackenmuskeln (Nackenstarre), als Begleiterscheinung von Meningoencephalitis sehr häufig und hier diagnostisch von Wert.
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Krankheiten der peripheren Nerven.
Krämpfe der 'Respirationsmuskeln: klonischer Zwerchfellkranipf (Singultus), oft vom Magen oder Darm reflektorisch erregt und dann von geringerer Bedeutung, aber auch ein das nahe tödliche Ende anzeigendes Symptom bei Infektionskrankheiten und Kachexien. — Tonischer Krampf des Zwerchfells ist sehr selten; er führt unter einem äußerlich dem Bronchialasthma ähnlichen Bilde zu schwerster Atemnot. — Klonischer Inspirationskrampf betrifft alle der Einatmung dienenden Muskeln; die rasch und plötzlich einströmende Luft ruft durch Reibung laute Geräusche, fernhin hörbar, hervor, die Exspiration ist ungehindert. Meist bei Hysterischen. Ebenso der Nieskrampf, Wein- und Lachkrampf, Gähnkrampf, Hustenkrampf, welcher oft in gleichsam bellende Laute überspringt. •— Letztere Krampfformen finden sich auch bei jüngeren Kindern. — Fast immer handelt es sich um Gruppen von Anfällen verschiedener Dauer, die nicht selten nahezu periodisch an- und abschwellen. Die im Gebiete des Plexus lumbalis und sacralis sich zeigenden Krämpfe gehören öfter einem allgemeinen Leiden als Teilerscheinungen an; sie sind für die Praxis von geringerer Bedeutung. § 14.
Beschäftigungskrämpfe.
Eine besondere Stellung nehmen die B e s c h ä f t i g u n g s k r ä m p f e ein. Man rechnet hierher: Schreibekrampf (Mogigraphie), Klavier-, Violinspielkrampf, NähIrampf (Schuster-, Schneiderkrampf) und andere mehr. Gemeinsam ist folgendes: immer liegt die Unmöglichkeit vor, die mannigfaltigen Koordinationen, welche bei der Ausführung der betreffenden komplizierten Muskelthätigkeit von nöten, zustande zu bringen. Vereitelt wird die gewollte Bewegung durch eine nicht gewollte, unwillkürliche, welche gleichzeitig innerhalb der normal zusammenwirkenden Muskelgruppen zustande kommt. — Eine selten fehlende veranlassende Ursache ist die zu lange fortgesetzte Ausübung der betreffenden komplizierten Muskelthätigkeit; mit je größerer Anstrengung dieselbe geschieht, desto eher kann sich Störung der Koordination einstellen. Begünstigend für diese wirkt daher gezwungene Körperhaltung, die Benutzung ungeeigneter Werkzeuge — beim Schreiben z. B. der Gebrauch zu harter Federn oder zu dünner Federhalter. Soviel bekannt, tritt hinter diesem ätiologischen Moment jedes andere weit zurück. Das Wesen dieser Erkrankungsformen ist keineswegs klar. Am wahrscheinlichsten bleibt, daß für die betreffenden Fertigkeiten sich bei deren Einübung Koordinationscentren ausgebildet haben, in denen nun molekulare Veränderungen auftreten. In einigen Fällen mag es sich um Ermüdung der ausführenden Nerven und Muskeln handeln. Nachweisbare gewebliche Störungen sind äußerst selten. Sobald man auf Einzelheiten eingeht, bieten die Symptome erhebliche Verschiedenheiten dar. Man hat daher bestimmte Formen getrennt: 1. Spastische Form, tonische oder klonische wirkliche Krämpfe in einzelnen Muskeln. 2. Tremorartige Form — eigentliches Zittern. 3. Paralytische Form — es tritt eine auf die Dauer der Ausführung der betreffenden Bewegung beschränkte Lähmung in bestimmten, der Koordinationsgruppe angehörenden Muskeln ein. Diese Form gehört natürlich streng genommen nicht zu den Krämpfen, muß aber hier erwähnt werden. Zunächst sind diese Erfahrungen der Beobachtung des bestgekannten und häufigsten, des Schreibekrampfes, entnommen; allein sie kehren bei den anderen wieder. Fast immer entwickelt sich das Übel langsam und allmählich; einmal vorhanden, zeigt es sich äußerst hartnäckig. Bemerkenswert ist, daß ein Ubergreifen auf anderweitige feinere Koordinationsvorgänge vorkommen kann.
Beschäftigungskrämpfe. Lähmung.
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Den Anfang macht Müdigkeit, Spannung, Steifheit in den zusammenwirkend e n Muskeln während ihres Gebrauchs; sobald derselbe unterbrochen wird, verliert sich alles in kurzer Zeit. Die Kraft jedes einzelnen der beteiligten Muskeln ist selten vermindert. Sensible Störungen sind ebenso ungewöhnlich; unter den liier und da zu beobachtenden Parästhesien treten die Empfindungen von Hitze oder Kälte, wohl auf vasomotorischer Anomalie beruhend, in den Vordergrund. Abweichungen in der Reaktion gegen den elektrischen Strom kommen vor, sind aber nicht konstant. Die Behandlung hat mit einem für Monate gültigen Verbot der betreffenden Beschäftigung zu beginnen. Wird dieselbe wieder gestattet, dann ist sie dem Ausübenden so bequem wie nur immer möglich einzurichten. — Die Elektrizität h a t nur vereinzelte Erfolge: man wählt den galvanischen Strom; neben peripherer kann centrale Behandlung sich von Nutzen erweisen. Neuerdings hat die kunstgerecht ausgeführte Massage schöne Ergebnisse aufzuweisen. § 15. Lähmung. Wenn der vom Willen ausgehende Reiz die von jenem zur Zusammenziehung bestimmten Muskeln gar nicht, oder doch nicht in dem beabsichtigten Grade zur Bewegung veranlaßt, reden wir von L ä h m u 11 g(Akinesia,Paralysis) oder S c h w ä c h e (Paresis). Nach dem Angriffsorte der lähmenden Ursache wird geschieden: 1. Leitungslülimung. Dieselbe kann irgendwo in dem Ganzen des Gebietes, welches sich von den im Hirn liegenden, unmittelbar vom Willen erregten Centren bis zu den Nervenendigungen in den Muskeln erstreckt, auftreten, die veranlassende Ursache kann also im Gehirn, dem Rückenmark oder in den peripheren motorischen Nerven ihren Sitz haben. Die ganze Gruppe wird auch als die der neuropathisehen Lähmung bezeichnet. 2. Muskellähmung, hervorgerufen durch Veränderungen in diesen, den ausführenden Organen selbst. Nachweisbare anatomische Störungen brauchen bei Lähmungen nicht vorhanden zu sein. Da kleinste Giftmengen (Curare, Atropin u. s. w.) vorübergehend Lähmungen zu erzeugen vermögen, ist es wahrscheinlich, daß molekulare Änderungen ausreichen können. Diese treten dann je nach der Art des Giftes in den verschiedenen Teilen des Nervensystems oder in den Muskeln auf. — Andere Gifte (Ergotin, Blei u. s. w.) vermögen gröbere materielle Änderungen herbeizuführen, in deren Gefolge Lähmung entsteht. Bei den nach Infektionskrankheiten (Typhen, Diphtherie u. s. w.) entstehenden Lähmungen sind bald gewebliche Verletzungen vorhanden, bald fehlen sie. Mehr als alle anderen sind die nervösen Organe auf regelmäßige Versorgung mit leistungsfähigem Blute augewiesen — vollständiger Abschluß der Zufuhr bedingt unmittelbare Aufhebung ihrer Funktion, etwas länger dauernder führt zur geweblichen Vernichtung. So dürfte am ehesten ein Anhalt gewonnen sein, um zu verstehen, wie Erkältungen, eine Erschöpfung durch anhaltenden, nicht von ausreichenden Ruhepausen unterbrochenen Gebrauch der Muskeln, dann die plötzlichen Gewaltwirkungen eines übermächtigen psychischen Reizes zu vorübergehenden oder gar dauernden Lähmungen führen können. E s bleibt j a möglich, daß primäre molekulare Veränderungen mit im Spiele, wahrscheinlicher ist es,
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Krankheiten der peripheren Nerven.
daß nutritive Störungen, veranlaßt durch manchmal reflektorisch ausgelöste Abweichungen in der Blutverteilung, zu beschuldigen sind. Gröbere anatomische Störungen stellen sich nach Gewebstrennung, nach Quetschung, Zerrung, Pressung ein. Von außen kommende Gewalteinwirkung kann zu diesen ebenso führen, wie die Entstehung von Neubildungen in den nervösen Apparaten selbst oder in deren Nachbarschaft. Dabei ist nicht ausschließlich an Neoplasmen im engeren Wortsinne zu denken, Wucherung und Schrumpfung von Bindegewebe, Erguß und Resorption von Blut, Gefaßenveiterungen sind in gleicher Weise thiitig. Man unterscheidet noch eine andere Art, die Beflexlahmungcn, indem man annimmt, daß ein peripherer Reiz sich centralwärts fortpflanzend in den Centren funktionelle oder gar anatomische Veränderungen hervorzurufen imstande ist. Dabei brauchen die Zwischenbahnen nicht notwendig in eine anatomisch nachweisbare Mitleidenschaft gezogen zu werden. Abgesehen von der central aufsteigenden Entzündung der Nerven (§ 18) kann daran gedacht werden, daß eine durch das Eingreifen der Vasomotoren bedingte centrale Ischämie mit ihren Folgen dabei beteiligt ist. Das klinische Bild der Lähmung gestaltet sich je nach dem Sitz, der Ausdehnung und der Art der veranlassenden Ursache äußerst verschieden. Wenn auch bisweilen schon aus dem Verhalten der Lähmung selbst ein Rückschluß auf ihre Entstehungsweise möglich wird, häufiger ist doch das Ganze des Krankheitsbildes dazu erforderlich. In erster Linie ist stets die Verbreitung der Lähmung zu berücksichtigen: Einzelne Nervenzweige oder Muskeln, die von einem ganzen Nervenstamme versorgten motorischen Organe, dann die einem Plexus angehörenden, endlich die zu einem komplizierten Bewegungsmechanismus zusammengeordneten Nerven können ergriffen sein. Es kann halbseitige Lähmung (Hemiplegie) oder doppelseitige (Paraplegie) bestehen. — Neben diesem aber ist das Verhalten der sensiblen Nerven, der Reflexvorgänge, der vasomotorischen und trophischen Erscheinungen als nicht minder wesentlich zu beachten. Sensible Störungen kommen in allen Formen neben Lähmung vor — das Genauere darüber gehört in die Lehre von den Krankheiten des Gehirns und Rückenmarks. Zu bemerken ist, daß bei gemischten Nerven, welche an einem Punkte ihres gemeinschaftlichen Verlaufes von einer Schädlichkeit getroffen sind, die motorischen Fasern schwerere Folgeerscheinungen darbieten, als die sensiblen; diese können ganz normal arbeiten, während jene geradezu funktionsunfähig geworden sind. Die Reflexe im Bereiche der Lähmung sind aufgehoben, wenn [die Leitung zwischen der empfindenden, der bewegenden Faser mit ihren Muskeln und den übertragenden ganglionären Apparaten im Rückenmark oder Hirn unterbrochen ist. Diese Unterbrechung kann natürlich an jedem Teil der Leitung gescheheil. Wird z. B. der Stamm des Ischiadicus durchschnitten, dann hört für die unterhalb gelegenen von ihm versorgten Teile jeder Reflex auf; ebenso, wenn das Rückenmark in der Höhe des Abgangs der betreffenden Nervenwurzeln zerstört würde. — Die Reflexe bestehen fort und sind — durch Leitungsstörung in der abwärtssteigenden Hemmung — gar verstärkt, wenn der Reflexbogen selbst unversehrt, und nur der Einfluß des die Bewegung auslösenden Willens durch höher oben — centralwärts — gelegene Störung ausgeschaltet ist. So z. B. bei Quertrennung des Rückenmarkes. Hier vermag der Wille nicht mehr die unterhalb
Lähmung.
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der Trennungsstelle liegenden Nerven zur Auslösung von Bewegungen zu veranlassen, wohl aber kann periphere Reizung der sensiblen Nerven die mit diesen in Reflexapparaten zusammentretenden motorischen in den Zustand der Erregung versetzen und so Bewegung erzeugen. Vasomotorische Störungen sind bei allen Formen der Lähmung nichts Ungewöhnliches. Anfangs besteht meist Erweiterung der arteriellen Gefäße, vermehrte Blutzufuhr, starker Turgor, objektiv nachweisbar gesteigerte Wärme. Nach einiger Zeit sieht man das Gegenteil: Erschwerung des Blutabflusses, venöse Stase, Kälte, manchmal einen geringeren Grad von Odem. Dann ist auch eine verminderte Widerstandsfähigkeit der Haut gegen äußere Schädlichkeiten vorhanden: Erfrierungen sind nicht selten, ebenso oberflächliche Entzündungen ohne nachweisbare Veranlassung oder auf Reize hin, welche bei dem Gesunden zu ähnlicher Wirkung nicht ausreichen. Schwerere trophische Veränderungen finden sich bei den zur Lähmung führenden Ilirnleiden nicht gerade häufig. Eine Ausnahme macht die Erkrankung der grauen Nervenkerne in der Medulla oblongata bei der Bulbärparalyse — ihr folgt Muskelatrophie. Unter den Erkrankungen des Rückenmarkes schließt sich die progressive Muskelatrophie mit dem Untergang der großen Ganglienzellen in den grauen Vordersäulen der genannten unmittelbar an. Ebenso die Kinderlähmung — die akute Poliomyelitis — bei der sogar Knochen und Bänder im Wachstum zurückbleiben. Wir haben guten Grund zu der Annahme, daß bei den genannten Leiden die der Ernährung vorstehenden Centren selbst in mehr oder minder weitem Umfang vernichtet sind. —• Eine Leitungsunterbrechiing zwischen diesen Centren und den zu ernährenden Organen ist vorhanden, sobald irgendwo das Rückenmark schwerere Veränderungen in der Richtung seines Dickendurchmessers erfahren hat. Die unterhalb der Verletzungen gelegenen Teile, soweit dieselben nicht von höher oben entspringenden Nerven versorgt werden, zeigen alsdann Störungen ihrer Ernährung. Atrophie der Muskeln, ganz besonders aber äußerste Empfindlichkeit der Haut gegen jede Schädlichkeit, so daß ungemein leicht schwere, tiefgreifende, sehr rasch sich ausbreitende Entzündung mit bald folgender Gangrän auftritt. Bei Trennung peripherer gemischter Nerven findet regelmäßig gleiches statt; hier ist die Verbindung mit den Centren ja vollkommen unterbrochen. Ernährungsstörungen zeigen sich unter diesen Umständen nicht selten gleichfalls an der Epidermis und den ihr angehörenden Gebilden, den Haaren und Nägeln. Ob die Verbindung zwischen Nerv und Muskel einerseits, ihren trophischen Centren andererseits erhalten oder aufgehoben sei, verrät sich durch das histologische Verhalten und durch die Reaktion gegen den elektrischen Strom. Beide sind in gleicher Weise verändert, einerlei ob die multipolaren Ganglien oder Centraiorgane vernichtet oder die peripheren Leitungsbahnen zerstört wurden. —• Am klarsten und einfachsten treten die Erscheinungen nach der DurchschneidungO der Nervenstränge ein. Die UntersuchungO lehrt: O Histologisch. Das von dem Punkte der Durchschneidung central gelegene Nervenende wird wenig in Mitleidenschaft gezogen. Der peripher gelegene Nerv zeigt zunächst Trübung und Zerfall der Markscheide in immer kleiner werdende Abschnitte, die zu Myelintropfen zusammenfließen, schließlich durch Resorption ganz schwinden. Auch der Achsencylinder geht zu Grunde. An den zugehörigen Muskeln tritt Atrophie auf: Undeutlichwerden der Querstreifung, Vermehrung
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Krankheiten der peripheren Nerven.
der Muskelkerne, wachsartige Degeneration, Wucherung des interstitiellen Gewebes nach vorhergegangener Einwanderung weißer Blutkörperchen; später Schrumpfung des neugebildeten Bindegewebes, vielleicht Fetteinlagerung. — Die Regeneration des Nerven erfolgte vom centralen Stumpfe aus. Die von dort neugebildeten Achsencylinder (aus Teilung der alten hervorgegangen) senken sich allmählich, den früheren Bahnen folgend, in die Endorgane ein und nehmen nach und nach die normale Bildung an. Auch der jetzt wiederum mit dem Centrum in Verbindung getretene Muskel gewinnt seinen alten Bau zurück und wird funktionstüchtig. Verhalten gegen den elektrischen Strom. Im Normalzustand gelingt es mittels des induzierten (faradischen) Stromes die Muskeln sowohl durch unmittelbare Reizung, wie durch solche von ihren Nerven aus zur Zusammenziehung zu bringen. Die gleichnamigen Muskeln der beiden Seiten erfordern ungefähr die nämliche Stromstärke, um die erste schwache Kontraktion und bei Vermehrung des färadischen Reizes Tetanus zu zeigen. — Bei der Anwendung des dauernd in annähernd gleicher Stärke fließenden galvanischen Stromes tritt ein bestimmtes Gesetz hervor — das Zuckungsgesetz des motorischen Nerven und des Musleds. Man wendet, um dessen Herrschaft für den gegebenen Fall festzustellen, verschiedene Stromstärken an und läßt unmittelbar durch eine feuchte Elektrode nur den für die Prüfung maßgebenden Pol auf den zu untersuchenden Teil wirken; man setzt daher die zweite feuchte (die „indifferente") Elektrode an einem entfernten Teil des Körpers auf. — Normal findet sich: a) Schwacher Strom: Zuckung des geprüften Muskels bei Kathodenschluß, d. h. wenn der Stromkreis geschlossen wird, während die Kathode (Pol, an welchem der negative Strom austritt) dem zugehörenden motorischen Nerven aufliegt, so zuckt der Muskel, bei der Öffnung des Stromes zuckt er nicht. Der positive Pol — die Anode — ruft dem Nerven aufliegend weder bei Öffnung noch bei Schließung eines gleichstarken Stromes Muskelzuckung hervor. b) Mittelstarker Strom: Stärkere Muskelzuckung bei Kathodenschluß. Eine schwächere Zuckung tritt jetzt an der Anode soivohl bei dem Öffnen, als bei dem Schließen des Stromes ein. c) Starker Strom: An der Kathode bei dem Schluß Tetanus, bei dem Öffnen eine schwächere Zuckung; an der Anode bei dem Öffnen wie beim Schließen lebhafte Zuckung, aber kein Tetanus. — Bei direkt dem Muskel aufliegenden Elektroden ist das Verhalten das gleiche. — Ist der motorische Nerv von dem der Ernährung vorstehenden Centrum getrennt oder ist diese selbst zerstört, dann gilt das Zuckungsgesetz nicht mehr. Nerv und Muskel gehen nicht länger parallel, sie verhalten sich dem elektrischen Reiz gegenüber verschieden. a) Der Nerv. Von diesem aus kann einige Zeit nach der Verletzung weder der faradische, noch der galvanische Strom Zuckungen in dem zugehörenden Muskel wachrufen. Bei Durchschneidung des Nerven ist die Erregbarkeit nach längstens zwei Wochen erloschen, sie nimmt von Anfang bis zum Ende gleichmäßig und beständig ab; zuerst an der Stelle der Verletzung, dann gegen die Peripherie allmählich sich ausbreitend, stellt sich Erregbarkeitsverminderung ohne qualitative Änderungen des Zuckermodus ein. b) Der Muskel. Seine Erregbarkeit gegen den faradischen Strom wird ungefähr
Lähmung.
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in gleicher Zeit wie die des Nerven vernichtet. Dagegen nimmt die Erregbarkeit gegen den galvanischen Strom nur kurze Zeit — etwa eine Woche lang — ab, steigert sich dann aber wieder und bietet zugleich erhebliche qualitative Änderungen dar. Zunächst tritt an die Stelle der blitzartig rasch sich vollziehenden Zuckung, die der quergestreiften Muskelfaser eigen, eine lang ausgezogene träge. Weiter zeigen sich folgende Abweichungen von dem normalen Zuckungsgesetze: An der Kathode nimmt die Schließungszuckung an Stärke ab, die Offnungszuckung dagegen zu, so daß vollständige Umkehrung der Verhältnisse eintritt. Der Anodenschluß ruft ganz zuletzt noch eine schwache Zuckung hervor, bleibt auch diese aus, dann gelingt es nur noch durch Wendung eines starken Stromes (VOLTAsche Alternativen) Reaktion zu erhalten. — Die erhöhte galvanische Erregbarkeit des Muskels hält nach der Durchschneidung seines motorischen Nerven drei bis acht Wochen an. — Das Ganze des Vorganges an Nerv und Muskel nennt man Entartungsreaktion. Dieser Name ist durchaus zutreffend, da die histologischen Veränderungen mit denen der elektrischen Erregbarkeit parallel verlaufen, aus diesen daher auch ein Rückschluß auf jene gezogen werden kann. Eben das nämliche gilt für die Verhältnisse bei der Regeneration. Dabei ist nur zu bemerken, daß zu einer Zeit, in welcher sich für früher gelähmte Muskeln bereits der Willensreiz als wiederum wirksam erwies, diese Muskeln vom Nerven an dem Ort der Leitungsunterbrechung oder unterhalb desselben elektrisch nicht zur Kontraktion zu bringen sind. Wohl aber gelingt das, sobald der elektrische Reiz oberhalb dieses Punktes einwirkt. Es stellt sich also in dem regenerierten Nerven die Fähigkeit, Erregung zu leiten, früher her, als diejenige, selbst unmittelbar erregt zu werden. — Es ist wahrscheinlich, daß die anfängliche Erregbarkeitsabnahme in Nerv und Muskel mit der sich gegen die Peripherie ausbreitenden, die Muskelzweige bis zu den Endplatten hin treffenden Degeneration der Nerven zusammenfällt. Die Steigerung der galvanischen Erregbarkeit im Muskel, wie die Änderung des Zuckungsgesetzes dürfte mit der durch das Auftreten der wachsartigen Degeneration gekennzeichneten Umgestaltung seines feineren Baues zusammentreffen. Experimentell ist nachgewiesen, daß die Abnahme der Muskelerregbarkeit gegen die faradischen Wechselströme nur durch deren kurze Dauer bedingt ist.
Unter den verwickelten Verhältnissen pathologischer Störung tritt die Entartunssreaktion nicht immer in voller Schärfe zu Tage. Es bedarf manchmal sehr D O sorgfältiger Untersuchung, um deren Vorhandensein oder Fehlen mit Sicherheit festzustellen. — Eine unter den vorhandenen Abweichungen wird als partielle Entartungsreaktion besonders benannt: der Nerv regiert gegen faradische und galvanische Reizung nahezu normal, der zugehörige Muskel aber zeigt verminderte faradische, gesteigerte galvanische Erregbarkeit, bei letzterer die träge Zuckung und qualitativ die gleichen Veränderungen, wie bei der vollständigen Entartungsreaktion. — Die Untersuchung weist nach, daß in diesem Falle die Nervenapparate geweblich unverändert erscheinen, dagegen eine Vermehrung der Muskelkerne auftritt. — Experimentell ist festgestellt, daß nach geringerer mechanischer Gewaltwirkung Störungen der elektrischen Erregbarkeit auftreten können, welche ohne erkennbare gewebliche Veränderungen in den betroffenen Nerven- und Muskelgebieten verlaufen (GBÄBER, klin. Institut zu München). Hier ist, wie bei den oben genannten Giften (S. 23), an molekulare Änderungen zu denken. Die Haltung eines mit Muskeln versehenen Körperteiles ist bedingt durch die Komponente, welche aus dem verschieden gerichteten Zuge aller auf denselben
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Krankheiten der peripheren Nerven.
«inwirkenden Muskeln sich ergiebt. Fällt ein Teil der Muskeln aus, dann wird die Zugrichtung eine andere, und der betreffende Körperteil nimmt eine veränderte Haltung an. Jeder Muskel ist zwischen seinen Ansatzpunkten so befestigt-, daß er etwas über das seinem Tonus entsprechende Längenmaß hinaus gespannt ist, sein Antagonist hindert ihn daran, sich auf die seinem Tonus entsprechende Länge zusammenzuziehen. Der Tonus aber ist eine Teilerscheinung der Lebensvorgänge, er ist wie diese von der Ernährung abhängig. Der gelähmte, minder gut ernährte, schlaffe Muskel vermag dem gut ernährten, nicht gelähmten nicht mehr den früheren Widerstand zu leisten, daher überwiegt die Zugrichtung des letzteren. Wieweit auf diesem Wege allein ausgiebige Stellungsveränderungen herbeigeführt werden könnten, ist kaum zu sagen, da noch andere und stärker wirkende Kräfte sich geltend machen. Zunächst ist der Einfluß der durch den Willen erfolgenden Zusammenziehung der an dem betreffenden Gliede befestigten nicht gelähmten Muskeln zu erwähnen. Ein Muskel vermag sich aktiv nicht auszudehnen, nach vollendeter Zusammenziehung wird derselbe unter normalen Verhältnissen durch den Zug seiner Antagonisten oder durch die Schwere zu der ursprünglichen Länge zurückgeführt. Handelt es sich um Muskeln, welche dem Einfluß der Schwerkraft nach dieser Richtung hin nicht unterworfen sind und deren Antagonisten gelähmt wurden, dann verharrt der Muskel nach seiner Zusammenziehung in einer Lage, bei welcher seine Endpunkte einander genährt bleiben. Im Laufe der Zeit nimmt dieses Kürzerbleiben mehr und mehr zu. N u n lehrt aber die Erfahrung, daß der Muskel überall die Fähigkeit besitzt, bei dauernder Annäherung seiner Insertionspunkte sich nutritiv zu verkürzen, d. h. durch Schwinden von Muskelsubstanz ungefähr um so viel kürzer zu werden, als die Insertionspunkte bleibend einander genähert waren. — Nach welcher Richtung in letzter Instanz die Lageabweichungen vor sich gehen, hängt von der Eigenschwere der gelähmten Glieder und ihrer häufig abnormen Belastung bei der Benutzung mehr noch, als von dem Verhalten der nicht gelähmten Muskeln ab. Im Mittelpunkt steht immer die Näherung der Insertionspunkte und die in deren Folge entstandene nutritive Verkürzung. Ihr können sich im späteren Verlauf anderweitige anatomische Störungen anreihen: Atrophien, fettige Entartung, Bindegewebswucherung in den abnorm fungierenden und abnorm genährten Muskeln. Durch Schrumpfung des neugebildeten Bindegewebes kann dann noch eine weitere Kraft zur W i r k u n g gelangen. Es ist Sache der Analyse des Einzelfalles, festzustellen, wie sich aus der Kombination dieser verschiedenartigen Kräfte die vorliegende Kontraktur —• man bezeichnet sie als paralytische — entwickelt hat. Bei den Lähmungen, welche aus Erkrankungen der Centraiorgane hervorgegangen sind, kommen außer den paralytischen auch neuropathische Kontrakturen in Betracht. Dieselben enstehen durch abnorme Reizung der Muskeln, sei es, daß eine solche unmittelbar von den erkrankten Centren ausgehe oder, von der Peripherie durch Erregung sensibler Nerven herstammend, in den Centren reflektorisch auf die Bewegungsorgane übertragen werde. •— Sind die Muskeln eines gelähmten Gliedes verkürzt, dann sind auch die passiven Bewegungen desselben nach der von den verkürzten Muskeln beherrschten Richtung nicht frei, weil dabei der von ihnen der Dehnung entgegengesetzte Widerstand überwunden werden muß. Soweit die Verkürzung der Muskeln durch eine von ihren Nerven übermittelte Erregung berührt wird, redet man, einerlei ob der ursprüngliche Reiz, vom Centrum ausgeht, oder aber ob er, nachher reflektorisch übertragen, von der
Lähmung.
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Peripherie herkommt, von spastischen Lähmungen. Mit ihnen werden die Kontrakturen jeder Art, die paralytischen nicht ausgenommen, zusammengefaßt, um den Gegensatz zu den schlaffen Lähmungen bestimmt auszusprechen, d. h. zu jenen Lähmungen, wo ein von den Muskeln ausgehender Widerstand bei passiven Bewegungen des gelähmten Gliedes überhaupt nicht vorhanden ist. Die Diagnose der Lähmungen muß in erster Linie den Ort aufsuchen, an welchem die lähmende Ursache seßhaft ist. Dies gelingt keineswegs stets, es ist sogar für einzelne Erkrankungen (z. B. Bleilähmung) noch nicht einmal durch die anatomische Untersuchung aufgedeckt. Immerhin lassen sich einige allgemeine Anhaltspunkte aufstellen: I. Keuropcithische
Lähmungen.
1. Lähmungen durch Leitungsunterbrechungen der motorischen Nerven hervorgerufen —• periphere Lähmungen: Beschränkung auf einen bestimmten Nerven mit den von ihm erregten Muskeln; ist derselbe ein gemischter, dann gleichzeitige Veränderungen der Sensibilität in seinem Bezirke und vasomotorische Erscheinungen. Trophische Störungen mit Entartungsreaktion, mit ganzer oder partieller. Die Reflexbewegungen sind vermindert oder fehlen. 2. Spinale Lähmungen: Gewöhnlich symmetrisch von unten nach oben aufsteigende doppelseitige Lähmung (Paraplcgie). Sensibilität geändert, Reflexbewegungen normal oder gesteigert, seltener aufgehoben. Vasomotorische und trophische Störungen können fehlen, sind aber öfter zugegen. Blase, Mastdarm, männliche Genitalien häufig o in Mitleidenschaft ogezogen. o 3. Cerebrale Lähmungen. Gewöhnlich nur eine, und zwar die der Verletzung im Hirn entgegengesetzte Seite betreffend (Hemiplegie), die obere mehr als die untere Extremität ergriffen, Beteiligung der von Hirnnerven versorgten Muskeln. Sensibilität normal, Reflexe vielleicht erhöht, jedenfalls nicht herabgesetzt. Deutliche vasomotorische Erscheinungen, aber die Ernährung der gelähmten Muskeln meist unverändert. II. Myopatliischc
Lähmungen.
Beschränkung auf einzelne Muskeln; frühzeitige, oft der Lähmung vorausgehende Atrophie, fibrilläre Zuckungen. So etwa wird die schematische Charakterisierung der Lähmungen lauten müssen. Für die Diagnose ist jedoch das Ganze des jeweiligen Krankheitsbildes maßgebend, besonders sind auch die ätiologischen Verhältnisse jedesmal eingehend zu würdigen. Die Prognose kann nur für den Einzelfall gestellt werden. — Die Therapie, vermag bisweilen durch Entfernung der Ursache (kausal) zu wirken, sei es durch chirurgisches, sei es durch medikamentöses Eingreifen (Syphilis) oder durch BesserungO der allgemeinen Ernährung. o O — Wieweit eine solche kausale Beeinflussung O den übrigen Methoden zukommt, welche bei der Behandlung von Lähmungen angewandt werden, dürfte im allgemeinen kaum zu beantworten sein; in manchen Fällen wirken auch sie wohl sicher in diesem Sinn. — Hier ist in erster Linie die Elektrizität zu nennen. Durch ihre unter dem Namen der katalytischen zusammengefaßten Wirkungen mag es in Gehirn und Rückenmark, hin und wieder auch bei peripherem Sitz gelingen, die Ursache der Lähmung unmittelbar zu befestigen; dabei handelt es sich um den galvanischen Strom. Er und der faradische gelangen aber noch unter anderen Voraussetzungen zur Anwendung. — Man will von ihrer erregenden Wirkung Nutzen ziehen. — Von klarem Einblick in das Wesen dessen, was geschieht, sind wir noch weit entfernt.
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Krankheiten der peripheren Nerven.
Unter den hypothetischen Vorstellungen, welche hierbei möglich, dürfte folgende die haltbarste sein: Die von dem elektrischen Strom auf einen gelähmten Nerven geübte starke Erregung entfaltet genügende Kraft, um Leitungshemmungen zu beseitigen, welche für den schwächeren Reiz des Willens unüberwindbar sind; waren diese Hemmungen aber einmal weggeschafft, dann kann auch der schwächere Willenreiz sich wieder geltend machen. Unmittelbare Anknüpfung an die Molekularhypothese über die elektrische Konstitution des Nerven würde für diese Auffassung keine Schwierigkeiten haben. — Wieweit die „erfrischende" Wirkung galvanischer Ströme, die von ihnen erzeugte Erhöhung der Erregbarkeit therapeutisch in Betracht zu ziehen, muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist zu erwägen, daß mit funktioneller stets auch nutritive Reizung einhergeht.
Die Anwendung der Elektrizität geschieht am besten unmittelbar auf den gelähmten Teil; ausnahmsweise ist reflektorische Erregung von den sensiblen Nerven her in Betracht zu ziehen. —• Den faradischen Strom läßt man durch feuchte, erwärmte Elektroden gehen, eine schmälere steht über dem Nerven an der Stelle, wo derselbe der Oberfläche möglich nahe liegt, die andere breitere über dem zugehörigen Muskel. Handelt es sich um Lähmung größerer Muskelgruppen, dann empfiehlt es sich oft, die Nervenelektrode direkt auf den Stamm des Nerven wirken zu lassen. — Der galvanische Strom wird gleichfalls durch feuchte, erwärmte Elektroden zur Haut geleitet. Man läßt die Anode während der ganzen Dauer der Sitzung über dem Nerven stehen, während die breitflächige Kathode über den zu erregenden Muskel auf- und abwärts bewegt wird. Außer dieser „labilen" kommt auch die „stabile" Methode — beide Elektroden bleiben unbewegt — zum Gebrauch. Bei der gleichen Stromstärke werden ausgiebigere Zuckungen durch Stromwechsel (Volta'sehe Alternativen) hervorgerufen. — Da die Haut die größten Leitungswiderstände darbietet, müssen die Elektroden erwärmt und mit nicht zu schwacher Kochsalzlösung getränkt werden. Auch Reibung der Haut, um dieselbe blutreicher zu machen, kann von Vorteil sein. Badekuren (Wildbäder, Solen), anderweitige Anwendung des Wassers, von den systematisch ausgebildeten hydrotherapeutischen Prozeduren bis zu einfachen Seeoder Flußbädern herunter, können unter Umständen nützen. Es handelt sich dabei wohl im wesentlichen um indirekte Einwirkung auf die Blutströmung in den gelähmten Teilen, welche durch Reflexvorgänge von der Haut zu beeinflussen ist. Die hautreizenden Einreibungen, früher mehr als jetzt gebräuchlich, dürften ebenso zu beurteilen sein. Massage und Heilgymnastik können unmittelbarer die Cirkulation und mit ihr die ErnährungO begünstigen. D o Quecksilber und Jod kommen unter den inneren Mitteln dann in Betracht, wenn es sich um Syphilis handelt. Das viel empfohlene Strychnin hat öfter geschadet, als genützt. § 16.
Facialislähmung.
Periphere Facialis lähmu «^entsteht verhältnismäßig häufig durch Einwirkung niederer Temperatur und ist so ein sicheres Beweismittel dafür, daß Erkältung zur Lähmung führen kann. Kalte, in stärkerer Bewegung sich befindende Luft (Zug), welche auf eine von reichlichen Blutmengen durchströmte, also verhältnismäßig warme Gesichtshaut trifft, vermag das am ehesten. Auch mechanische Einflüsse kommen in Betracht. Es ist praktisch von Bedeutung, daß eine gehörige Ohrfeige genügt, um Facialislähmung hervorzurufen; durch den Druck der Geburtszange kann das gleiche bewirkt werden. Weitere Ursachen sind: Otitis interna mit Caries des Felsenbeines, vielleicht auch Katarrh des Mittelohres — der
Facialislähmung.
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Nerv wird bei beiden Formen in den Bereich der Entzündung hineingezogen; ferner Kompression des langgestreckten, enge Kanäle durchsetzenden Nerven an irgend einem Punkte seines Verlaufes. Die Syphilis giebt am häufigsten Veranlassung dazu. — Centrah Facialislähmung entsteht durch alle im Gehirn auftretende Krankheitsvorgänge, welche den Kern des Nerven oder seine intracerebralen Leitungsbahnen treffen. Die von der Lähmung befallenen Muskeln des Gesichts sind, weil sie dem Willenseinfluß entzogen werden, schlaff, ihre Antagonisten sind dagegen gespannt. Daraus ergiebt sich ein je nach der Ausdehnung der Lähmung wechselndes Symptomenbild. Bei doppelseitiger vollständiger Lähmung wird das Gesicht zur starren Maske ohne jeden Ausdruck: bei halbseitiger ist eine Verzerrung nach der gesunden Seite hin vorhanden. Im einzelnen ist zu bemerken: Das Auge kann nicht mehr geschlossen werden, da der vom Oculomotorius versorgte Levator palpebrae superioris über den Orbicularis das Ubergewicht hat, es fehlt der Lidschlag, die Thränen rinnen die Backe herab; die unbedeckt dem Reiz der Luft ausgesetzten Konjunktiven röten sich, sie können sich sogar ernstlich entzünden. Die Stirn ist glatt, runzellos, die eingesunkenen Nasenflügel erweitern sich bei dem Atmen nicht mehr, die Backe wird durch den Strom der Exspirationsluft gebläht, Ausspeien, Pfeifen, Blasen gelingt nicht recht, bei dem Essen gleiten die Speisen leicht zwischen Zähne und Wange. Auch die Sprache ist durch erschwerte Aussprache der Lippenbuchstaben undeutlicher. Der Schiefstand bei halbseitiger Lähmung tritt besonders während der willkürlichen Bewegung der gesunden Seite hervor. — Nicht immer beteiligt sich das Gaumensegel; ist es gelähmt, dann hängt es an der befallenen Seite tiefer. Das Verhalten der Uvula ist ein sehr wechselndes; sie ist bald nach der gesunden, bald nach der kranken Seite verzerrt. — Sind die in der Chorda tympani verlaufenden Trigeminus fasern mit getroffen, dann treten Änderungen des Geschmackes auf, subjektive Empfindungen, die häufig als metallische bezeichnet werden, verminderte Fähigkeit der vorderen Zungenteile, saure, süße, salzige Substanzen zu unterscheiden. Bisweilen nimmt auch die Speichelabsonderung ab, so daß der Mund trocken wird. Die Bewegungen der Zunge sind ungestört. — Das Riechvermögen kann durch E r schwerung des raschen, stoßweißen Einziehens von Luft, des Schnüffeins, vielleicht auch durch die Trockenheit der ungenügend von Thränen benetzten Naseno o Schleimhaut beeinträchtigt werden. — Das Hören ist unter Umständen unmittelbar durch die Facialislähmung beeinflußt: es tritt Feinhörigkeit auf, bedingt durch das Ubergewicht des vom Trigeminus innervierten Tensor tympani über den dem Facialisgebiet angehörenden Stapedius; hierdurch können die Schwingungen des Trommelfells besser auf das Labyrinthwasser übertragen werden. Wenn der dem Facialis benachbarte Acusticus gleichfalls von der Lähmungsursache betroffen wird, kommen selbstverständlich auch in ihm Leitungsstörungen u. s. w. zur Entwicklung. — Je nach dem Sitz der Lähmung gestalten sich die Reflexe verschieden, sie fehlen bei der peripheren.—Vasomotorische Erscheinungen sind selten, trophische häufig. Das elektrische Verhalten bietet nach Sitz und Art der Lähmungsursache ein sehr wechselvolles Bild; es gilt dafür alles im vorigen Paragraphen Bemerkte. Bei den langdauernden schweren Facialislähmungen entwickeln sich in späterer Zeit sekundäre Kontrakturen in den gelähmten Muskeln, zugleich tritt große Neigung zu Mitbewegungen auf. Das Gesicht wird auf der kranken Seite wieder
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Krankheiten cler peripheren Nerven.
mehr gespannt, es graben sich allmählich Furchen in dasselbe ein — wahrscheinlich handelt es sich um trophische Veränderungen in den Muskeln. Die Häufigkeit und Ausdehnung der Mitbewegungen, ebenso die spontanen Zusammenziehungen der vorher gelähmten Muskeln werden auf einen abnormen Reizzustand in dem verlängerten Mark bezogen, dessen Wesen vorderhand allerdings noch ganz unklar ist. Die Diagnose hat zunächst zu entscheiden, ob centrale oder periphere Lähmung vorliegt. Bei der centralen ist meist der Frontalis und Orbicularis oculi frei, das Auge kann daher geschlossen werden. Die Reflexerregbarkeit ist unversehrt, die elektrische nur um ein weniges verändert. Für den peripheren Sitz gilt: Alle Zweige sind befallen, das Auge kann auch während des Schlafes nicht geschlossen werden, die Reflexerregbarkeit aufgehoben, Entartungsreaktion in mehr oder minder ausgesprochener Weise; später Muskelatrophie, vielleicht sekundäre Kontraktur an der gelähmten Seite. — Der Sitz der peripheren Lähmung ist manchmal durch Berücksichtigung der Verteilung auf die einzelnen vom Stamme abgehenden Nerven sehr scharf zu bestimmen; sobald weitere Hirnnerven betroffen sind, gelingt das auch wohl für die centrale. Man hat guten Grund zu der Annahme, daß bei den scJnoeren rheumatischen (Erkältungs-) Formen der Stamm des Facialis innerhalb des Canalis Fallopiae ergriffen wird. Derselbe vermag hier nicht auszuweichen, unterliegt daher durch seine eigene entzündliche Schwellung einer erheblichen Kompression, welche vielleicht gar wirkliche Entartung im Gefolge hat. Eine solche kann sich sehr hoch nach oben erstrecken, sie erreicht jedoch nur selten die Schädelbasis. — Bei den leichten Formen erkrankt der Nerv außerhalb des knöchernen Kanals, findet schwellend geringen Widerstand und hat nur die Folgen einer leichten Entzündung zu tragen.
Verlauf und Prognose richten sich nach den Bedingungen des Einzelfalls. — Bei den durch Erkältung und durch äußere Gewalt hervorgebrachten peripheren Lähmungen giebt das elektrische Verhalten guten Aufschluß: am Ende der ersten Woche festgestelltes annähernd normales Verhalten läßt baldige vollständige Genesung erwarten, bei partieller Entartungsreaktion ist immerhin noch Heilung, aber eine erst nach Monaten eintretende vorauszusagen; voll ausgeprägte Entartungsreaktion zu dieser oder einer etwas späteren Zeit giebt eine zweifelhaftere Prognose, die Heilung erfolgt im günstigsten Falle sehr viel langsamer. Für die Behandlung steht, wenn nicht kausal eingegriffen werden kann, die Elektrizität obenan. Man verfährt am besten so, daß man die Anode eines nicht zu starken galvanischen Stromes auf die Fossa auriculo-mastoidea der kranken Seite, die Kathode auf die der gesunden aufsetzt und einige Minuten lang den Strom durchleitet; dann wechselt man die Stromesrichtung und schließt wiederum für gleiche Zeit. Um die Muskeln zur Zusammenziehung zu bringen, bedient man sich der labilen Kathodenreizung. — Auch der faradische Strom hat Erfolge; es ist wahrscheinlich, daß die reflektorische Erregung vom Trigeminus aus dabei von Bedeutung ist. § 17. Andere Lähmungen. Zungenlähmung ist als Symptom centraler Erkrankung nicht selten, sie kommt halboder doppelseitig vor. Seltener trifft man dieselbe peripher bedingt und dann meist nur an einer Seite. — Bei halbseitiger Lähmung weicht die hervorgestreckte Zunge durch die Wirkung des Genioglossus nach der kranken Seite hin ab; wegen erschwerter Bildung der Zangenlaute wird die Sprache undeutlich, das Kauen und Schlingen ist gestört. Bei doppelseitiger Lähmung sind diese Erscheinungen in weitaus höherem Grade wahrnehmbar.
Lähmungen.
Neuritis.
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Serratuslähmung, meist peripher durch mechanische Einwirkung auf den motorischen Nerven, den Thoracicus longus (aus dem Plexus brachialis), entstanden In der Ruhe ist durch die Antagonisten (Rhomboidei, Levator scapulae, Cucullaris) das Schulterblatt der kranken Seite etwas gehoben und steht mit seinem inneren Rande ein wenig ab. Abduziert kann der Arm nur bis zur Horizontalebene gehoben werden; läßt man ihn nach vorwärts heben, dann zeigt sich, daß der innere Rand der Scapula flügeiförmig vom Thorax absteht. liadialislähmung wird meist durch mechanische Einwirkung auf den Nerven an seiner Umschlagstelle im unteren Drittel des Oberarms hervorgerufen. Gewöhnlich findet eine Quetschung während des Schlafes statt, wenn Hand und Arm während desselben als Kopfkissen dienten, oder sonstwie die Last des Körpers zu tragen hatten. Weiter ist zu erwähnen, daß, die Bleilähmung in der Regel zuerst im Radialisgebiet (Extensor digitorum) sich zeigt. Bei der Lähmung des Stammes stehen Hand und Finger in Beugestellung, der Daumen ist adduziert, der Vorderarm kann nicht supiniert werden. Oft ist gleichzeitig im Radialisgebiet Anästhesie vorhanden. Zwerchfelllähmung: Am häufigsten myopathisch durch das Ubergreifen von Entzündung aus der Nachbarschaft (Pleuritis, Peritonitis), dann je nach der Ausdehnung des primären Leidens beiderseitig oder halbseitig; seltener kommt sie von den Nerven aus zustande und ist dann eher halbseitig. Auch Erkrankung des oberen Halsmarks kann zur Zwerchfelllähmung führen, deren Ausbreitung von dem Sitz der Störung und ihrer Ausdehnung abhängig ist. — Bei doppelseitiger Lähmung wird das Zwerchfell durch den vom Bauch her wirkenden Atmosphärendruck in den durch die Thätigkeit der anderen Inspiratoren innerhalb des Thorax entstandenen luftverdünnten Raum hinaufgeschoben; es sinkt bei der Exspiration zurück. So entsteht eine an der Lageveränderung der Leber bei den beiden Respirationsphasen zu verfolgende Umkehr der normalen Bewegung. — Der Ausfall des wichtigsten Atmungsmuskols führt da/.u, daß bei irgend giößerem Atmungsbedürfnis (Fieber, stärkeren Bewegungen) hochgradige Atemnot sich einstellt. § 18.
Neuritis.
W i e w e i t sich die pathologische B e d e u t u n g der echten Nervenentzündung, der N e u r i t i s , erstreckt, ist g e g e n w ä r t i g n o c h nicht mit B e s t i m m t h e i t z u s a g e n . N a m e n t l i c h bestehen darüber Meinungsverschiedenheiten, ob eine an den peripheren Nerven ablaufende Entzündung Ritckwirkang auf die Centren zu üben vermag ? E s wird sogar v o n m a n c h e n angenommen, daß die centralwärts gerichtete Ausbreitung der entzündlichen V o r g ä n g e sprungweise g e s c h e h e n könne, so daß g e w e b l i c h normal erscheinende Zwischenräume zwischen den primär und sekundär erkrankten Teilen eingeschaltet sind (Neuritis migrans ascendens). Für diese Möglichkeit läßt sich eine physiologische Erfahrung geltend machen. Übung des Tastsinnes an der einen hat gesteigerte Schärfe dieser Empfindungsqualität an der anderen Hand im Gefolge; das kann doch nur durch Vermittelung der Centren geschehen. Nun ist es wohl denkbar, daß diese Centren unter besonders günstigen Bedingungen durch periphere Reizung in einen Zustand von Ernährungsstörung versetzt werden, der bis zu nachweisbaren Gewebsveränderungen gedeihen kann. Ist doch eine enge Verbindung zwischen funktioneller und nutritiver Reizung unabweisbar. — Weiter steht fest, daß nach halbseitigen, durch Neuritis herbeigeführten Motilitätsstörungen die korrespondierenden Muskeln der anderen nicht unmittelbar beteiligten Seite gleichfalls solche darbieten können. Auch hier ist die Annahme centraler Vermittelung kaum zu vermeiden. — Bei dem durch überstarke Nervenreizung (Einschnürung bei Gefäßunterbindung) hervorgerufenen Tetanus endlich dürfte es sich gleichfalls um die Fortpflanzung einer peripheren Erregung auf die Centraiorgane handeln, welche dadurch schwer funktionell gestört werden. Daß diese funktionelle Störung nicht anatomisch zum Ausdruck gelangt, ist aus dem raschen Ablauf des ganzen Vorganges wohl verständlich. Die experimentellen Prüfungen der Frage haben noch nicht zu eindeutigen Ergebnissen geführt. — Erkrankung der Blase und der Genitalien scheint ganz besonders die auf die Centren sich fortpflanzende Neuritis zu veranlassen. W i r d durch eine hochgradige E n t z ü n d u n g T r e n n u n g eines N e r v e n von seinen nutritiven Centren bewirkt, so verfällt das peripher g e l e g e n e E n d e der Entartung. Ob hierbei gleichfalls echte E n t z ü n d u n g auftritt, ist für die Sache selbst ohne v J u r g e n s e n , Si>ez. Path. u. Ther. II Aufl
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Krankheiten der peripheren Nerven.
Bedeutung; immerhin mag man mit einigem Recht für das Ganze des Geschehens den Namen Neuritis descendens gebrauchen. In neuerer Zeit ist eine eigene Krankheitsform als multiple Neuritis beschrieben worden, bei welcher in wechselnder Ausbreitung eine Reihe von gemischten Rückenmarksnerven — daneben aber auch von solchen des Gehirns — ergriffen ist. Es wird versucht, das als infektiös betrachtete Leiden mit dem in tropisch oder subtropisch gelegenen Teilen Ostasiens endemisch vorkommenden Übel — Beriberi, Kak-ke u. s. w. genannt — zusammenzustellen, welches durch ein Miasma entstehen soll. Vorderhand ist eine einheitliche Charakteristik der europäischen multiplen Neuritis kaum zu geben. Als Ursachen der Neuritis müssen zweifellos gelten: 1. Mechanische Einwirkung, Ubergreifen von Entzündung aus der Nachbarschaft, Druck und anderweitige Störung durch Geschwülste jeder Art; dann auch Erkältung. 2. Die durch Infektion mittelbar oder unmittelbar hervorgerufenen Einwirkungen auf die Nerven. Bei der Lepra handelt es sich sicher um Ansiedelung ihres Bacillus; für Variola, Diphtherie, Typhus ist das Verhalten nicht aufgeklärt; es ist wohl möglich, daß manchmal direkt parasitäre Einwanderung statthat, andere Male aber wird nur indirekt durch die allgemeine Ernährungsstörung die Schädigung bedingt. Das gleiche gilt von der Syphilis. Tieferes Eindringen in die Pathologie der Neuritis wird besonders dadurch erschwert, daß bisher eine feste Grenze zwischen wirklicher Entzündung und einfacher Degeneration nicht aufgefunden wurde. Dadurch wird das anatomische wie das klinische Bild unklar. Anatomisch findet man bei wahrer Entzündung Rötung, Schwellung, Trübung des weicher erscheinenden Nerven, in dessen bindegewebigem Gerüste sich eine Exsudation von Flüssigkeit mit einer wechselnden Menge von weißen, in schweren Fällen auch von roten Blutkörperchen zeigt. Umgewandelt kann der Blutfarbstoff an Ort und Stelle liegen bleiben. Bei höheren Graden der Entzündung beteiligt sich die Nervensubstanz selbst: Zerfall eines Teiles der Markscheide, später auch der Achsencylinder, welcher dann zu Untergang der peripher gelegenen Fasern führt. Endlich kommt es zur Vermehrung des Bindegewebes. Der Nerv kann dabei im ganzen oder nur an einzelnen Stellen knotig aufgetrieben sein (Neuritis nodosa), er kann auch in der Bindegewebswucherung untergegangen erscheinen (Neuritis interstitialis prolifera). Ob es zulässig, degenerative Prozesse ohne weiteres auf vorhergegangene Entzündung zu beziehen, auch wenn unverkennbare Spuren einer solchen fehlen, dürfte zweifelhaft sein. Als Symptome der akuten Neuritis in gemischten Nerven werden angegeben: Mit Frierer eingeleitetes, wohl nur ausnahmsweise hohes Fieber, Schmerz, von dem ergrifienen Nerven ausgehend, heftig, durch jede Lageveränderung des betroffenen Teiles vermehrt, oft ausstrahlend. Durch Druck auf den entzündeten Nerven in seinem Verlaufe, welchen manchmal eine Rötung der bedeckenden Haut bezeichnet, wird der Schmerz beträchtlich gesteigert. Im Ausbreitungsbezirke finden sich gewöhnlich Hyperästhesien und Parästhesien. Motorische Erscheinungen fehlen anfangs oder lassen sich wegen der mit jeder Bewegung verknüpften Schmerzhaftigkeit nicht feststellen. Drückt das ergossene Exsudat stärker auf den Nerven, dann lassen Anästhesie und Parese, vielleicht auch vollständige Paralyse nicht lange auf sich warten.
Neuritis. Neubildungen an den Nerven.
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Vasomotorische und trophische Störungeil der Haut, Herpes zoster, Ödeme, vermehrte Schweißbildung treten nicht ungewöhnlich als Begleiterscheinungen auf'. — E s kann im Laufe einiger Wochen Genesung erfolgen, oder aber der Überg a n g in. chronische Neuritis sich vollziehen. Diese kommt auch selbständig und dann anfangs mit wenig bestimmten Erscheinungen vor. Konstant findet sich Schmerz, der ununterbrochen in dem leidenden Nerven empfunden wird, aber zeitweilig sich steigert, förmliche Anfalle macht, namentlich nachts, und auf andere Bahnen ausstrahlen kann. Parästhesien anfangs, später Anästhesien sind gewöhnlich zugegen; ebenso zuerst, aber nicht immer, motorische ßeizerscheinungen, nachher Lähmungen. Oberflächlich gelegene Nerven können deutlich geschwollen sein, sie sind gegen Druck sehr empfindlich. Das elektrische Verhalten ist sehr verschieden, es richtet sich nach der Stärke und nach der Dauer der Entzündung; das gleiche gilt für die trophischen Veränderungen der Muskeln, der Haut und ihrer Gebilde. — Verlauf und Dauer der chronischen Neuritis sind nicht vorher zu bestimmen. — Die Therapie der akuten Form kann bei dem Ergriffensein oberflächlich gelegener Nerven von örtlichen Blutentziehungen, Hochlagerung des leidenden Teiles, Auflegen von Eis mit Vorteil Gebrauch machen; bei heftigen Schmerzen sind Morphiumiiijcltionen in die Nähe des entzündeten Nerven anzuwenden. Bei der chronischen Neuritis empfehlen sich, wenn der kranke Nerv nicht zu tief liegt, Ableitungen auf die Haut (faradischer Pinsel, Collodium cantharidatum). E s muß davor gewarnt werden, das letztere unmittelbar der den Nerven bedeckenden Haut aufzustreichen, da tiefer greifende Entzündung folgen kann. — Die katalytischen Wirkungen des galvanischen Stromes sind selbst in veralteten Fällen noch manchmal von gutem Erfolg. A u c h auf rein symptomatische Indikation hin findet derselbe vielfach Anwendung. § 19. Neubildungen an den Nerven. Die N e u b i l d u n g e n an den Nerven bestehen meist aus Bindegewebe verschiedener Zusammensetzung, bald ärmer, bald reicher an zelligen Elementen, mehr oder weniger Gefälle einschließend. Sie gehen aus dem bindegewebigen Gerüst hervor, beteiligen nur mittelbar die Nervensubstanz, indem sie durch Druck Ernährungsstörungen, die bis zur Atrophie fähren können, hervorrufen. Es gehören hierher die Fibrome, welche vereinzelt oder verbreitet auftreten, knotenförmige oder größere Strecken eines Nerven umfassende Anschwellungen bilden; ebenso kommen Myxome und Lipome, seltener Sarkome vor. — Neben diesen Neuromata spuria genannten Geschwulstbildungen findet sich das Neuroma verum. Es besteht zum vielleicht größeren Teile aus neuentstandenen Nervenfasern, möglicherweise auch aus Ganglienzellen; eine gewisse Menge von Bindegewebe fehlt nicht. — Carcinome greifen von der Nachbarschaft her über. — Unter den bekannten geschwulstbildenden Infektionen sind auch noch Lepra, Tuberkulose, Syphilis zu nennen. Die Symptome hängen im wesentlichen davon ab, ob der betroffene Nerv während der Geschwulstentwicklung Ernährungsstörungen erfährt und mechanischen Einwirkungen ausgesetzt ist. Das hängt von der Schnelligkeit und Massigkeit der Entwicklung des Neoplasma, seiner Neigung zum Zerfall, der Beteiligung der ernährenden Gefäße und von der Möglichkeit, dem Druck auszuweichen, ab. Es können daher Neubildungen erscheinungslos entstehen, oder aber die schwersten Störungen im Gefolge haben. Reizungen und Lähmungen, manchmal im bunten Wechsel, bleiben im letzteren Fall nicht aus. Die Prognose hängt ganz von der Art und der Verbreitung der Neubildung ab. Zu bemerken ist, daß das echte Neurom, ursprünglich gutartig, nach seiner operativen Entfernung örtlich recidivieren kann. Die Therapie kann durch chirurgische Eingriffe, oder durch die Anwendung spezifischer Mittel (Syphilis) vielleicht die Ursache des Leidens unmittelbar beseitigen; wo das nicht möglich ist, hat sie Linderung der Beschwerden anzustreben.
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Krankheiten des Ruckenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Hänte, sowie des verlängerten Markes. § 20.
Allgemeine Bemerkungen.
Trotz der bedeutenden Fortschritte, w e l c h e die N e u z e i t in der Erkenntnis des B a u e s und der Thätigkeit des Rückenmarkes unter normalen w i e unter pathologischen B e d i n g u n g e n g e m a c h t hat, bleiben nicht unerhebliche Lücken unseres W i s s e n s . E s g e l i n g t nicht immer, aus den beobachteten Störungen sichere Rückschlüsse auf Sitz und W e s e n der dieselben veranlassenden Ursache zu ziehen; genaue klinische B e o b a c h t u n g des Einzelfalls mit nachfolgender anatomischer U n t e r s u c h u n g ist für die Bereicherung unserer Kenntnisse hier noch mehr als sonst v o n Bedeutung. A u c h die P h y s i o l o g i e kann so v o n der P a t h o l o g i e Belehrung empfangen. D a manche Rückenmarkskrankheiten außerordentlich langsam verlaufen u n d zunächst das L e b e n nicht gefährden, fehlt es besonders an anatomischen B e f u n d e n für die Anfangsstadien. W e i t e r ist Übereinstimmung darüber, w a s als echt entzündlicher, w a s als degenerativer V o r g a n g zu betrachten, noch nicht erreicht. S o stößt denn auch eine streng systematische Darstellung auf Schwierigkeiten, und es ist sehr w o h l möglich, daß unsere jetzige A n s c h a u u n g i m Laufe der Zeit n o c h wesentliche Ä n d e r u n g e n erfahrt. Das Rückenmark ist das Verbindungsorgan für die Nervenleitungen zwischen dem Gehirn und der Hauptmasse des Körpers, es führt centripetale. aufsteigende, von der Peripherie zum Centrum leitende Fasern und centrifugale, absteigende, vom Centrum zu der Peripherie führende. Durch Zwischenverbindungen, die im Rückenmark selbst gelegen sind — wir sehen die graue Substanz, besonders die in ihr enthaltenen Ganglien als solche an —, kann innerhalb des Rückenmarks centripetale sensible Erregung in centrifugale motorische ausgesetzt werden (Reflexbewegung). Die Bahnen für die aufsteigende sensible Leitung führen von der Peripherie aufwärts durch die Hinterwurzeln in die ganze Substanz, welche in ihrem ganzen Umfang leitungsfähig ist. Von hier treten sie in die Hinterstränge, wohl auch in einen Teil der Seitenstränge — man nimmt an, daß die Schmerzempfindung ausschließlich durch die graue Substanz geleitet wird, die lokalisierte Tastenempfindung in weiterem Sinne (Temperatur-, Druck-, Tastsinn u. s. w.) hingegen durch die weiße, sei es nun, daß dabei die Hinter- oder die Seitenstränge vorzugsweise beteiligt sind. — Verlangsamung der Empfindungsleitung wird durch Verkleinerung des Querschnittes der grauen Substanz bei gleichzeitiger vollkommener Quertrennung der Hinterstränge herbeigeführt. Die sensiblen Bahnen werden schon im Bückenmark selbst gekreuzt, sehr bald, nachdem sie die hinteren Wurzeln durchsetzt haben. — Der Verlauf der sensiblen Fasern im Hirn ist wenig gekannt. Man glaubt mit einiger Sicherheit annehmen zu dürfen, daß die sensiblen Bahnen durch die Großhirnschenkelhaube und die hinteren Abschnitte der inneren Kapsel — Carrefour sensitif wird der betreffende Teil genannt — zur Rinde gehen. Der Scheitellappen, und zwar der mehr nach hinten gelegene Teil desselben, stellt die Endstation dar. Die Bahnen für die absteigende motorische Leitung haben ihren Ursprung in der Rinde der Scheitellappen, durchsetzen die innere Kapsel, in deren hinterem Teil sie, aber vor dem Carrefour sensitif, liegen. Von hier aus gehen sie in den Großhirnschenkelfuß über, passieren die Brücke in ihrer vorderen Hälfte und treten zur Pyramide zusammen. In dieser erfolgt eine Kreuzung, welche meistens die Hauptmasse der Leitungsfasern betrifft. Die gekreuzten Fasern steigen dann durch die Seitenstränge abwärts, treten in die graue Substanz ein, setzen sich in Verbindung mit den multipolaren Ganglien der Vordersäulen, durch deren Achsencylinderfortsatz sie zu den vorderen Wurzeln und von da aus weiter an ihren Bestimmungsort gelangen. — Ein anderer — meist der kleinere — Teil der motorischen Leitung verläuft ungekreuzt im inneren (medianen) Teil des Vorderstranges. Die Reflexbahnen gehen von der Peripherie zu den Hinterwurzeln, von diesen müssen dann weitere Verbindungen nach den Vorderwurzeln führen. Die Ganglien der grauen Substanz
Allgemeine Bemerkungen.
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sind mit größter Wahrscheinlichkeit als Vermittler dieser Überleitung anzusehen. Da von jeder Stelle der Peripherie aus allgemeine Reflexkrämpfe entstehen können, müssen im Rückenmark sehr vollständige Leitungsbahnen hierfür vorhanden sein. — Vom Gehirn absteigende reflexhemmende Fasern sollen, und zwar gekreuzt, im Vorderstrang verlaufen. — Weniger gekannt ist die Bedeutung des Rückenmarks für die Ernährung von Nerven, Muskeln, Knochen, Sehnen. Man redet von trophischen Centren und nimmt an, daß solche für die sensiblen Nerven in den Ganglien der hinteren Wurzeln (Spinalganglien) für die Bewegungswerkzeuge in der grauen Substanz, wahrscheinlich in den multipolaren Ganglien der Vordersäulen sich befinden. Die Centren für Haut, Nägel u. s. w. sucht man wieder mehr im hinteren Teile des Rückenmarks, vielleicht sind sie gleichfalls in den Spinalganglien gelegen. — Centren für die Gefäßnerven, verengernde wie erweiternde, finden sich überall in der grauen Substanz. Dieselben stehen mit dem Hauptcentrum in der Medulla oblongata in Verbindung; von diesem selbst laufen absteigend Fasern durch die Seitenstränge und treten in den vorderen Wurzeln aus.
Für manche Formen der Erkrankungen des Rückenmarks hat man in neuerer Zeit eingehenderes Verständnis dadurch zu gewinnen gesucht, daß man, an entwicklungsgeschichtliche und pathologisch-anatomische Befunde anknüpfend, die Lehre von den Systemerkrankungen aufstellte. — Es hat sich gezeigt, daß die einzelnen Leitungsbahnen die Umhüllung ihrer Achsencylinder mit der Markscheide in verschiedenen Perioden der fötalen Entwicklung erfahren, so zwar, daß die mit der gleichen physiologischen Funktion betrauten — systematisch gleichwertigen — ziemlich zur nämlichen Zeit mit der Markscheide versehen werden. Es scheint hierdurch embryologisch festgestellt, daß die zeitliche Differenzierung der formativen resp. nutritiven Vorgänge im Nervengebiet hier mit der funktionellen Differenz der Nervengattungen Hand in Hand geht. Die pathologische Anatomie hat in ähnlicher Weise gelehrt, daß Erkrankungen des Rückenmarks, welche sich in dessen Längsrichtung ausbreiten, oft nur diejenigen, oder doch vorwiegend diejenigen Fasern ergreifen, welche entwicklungsgeschichtlich zusammengehören und mit bestimmten Leitungsaufgaben betraut sind — daß sich solche Erkrankungen somit auf eine bestimmte Kategorie, auf ein einzelnes System von Nerven beschränken. Indem man nun die an Einzelfallen intra vitam beobachteten Symptome, je nach der vorwiegenden Beteiligung dieser oder jener Nervengattung, dieses oder jenes Systems, zu bestimmten Krankheitsbildern zusammenstellte, schien eine topographische Diagnose ermöglicht zu sein. Die hierbei supponierten Thatsachen mußten natürlich mit den anderweitig sichergestellten Ergebnissen der Forschung im Einklang stehen. Nun läßt sich aber, bei aller Anerkennung der Berechtigung dieser Methode, doch nicht verhehlen, daß in Wirklichkeit die Mehrzahl der chronischen Rückenmarksleiden sich dem Schema nur gezwungen fügt und nicht auf den systematisch begrenzten Raum des Quer schnitts beschränkt ist; wenigstens gewiß nicht im späteren Verlauf des Leidens. Die Anhänger der Lehre waren daher genötigt, kombinierte Systemerkrankungen aufzustellen, bei denen mehrere Systeme nebeneinander, wenn auch nicht gleich zeitig ergriffen sein sollen. Damit ist ein allmählicher Übergang zu der älteren Doktrin eingeleitet, welche die heute hier untergebrachten Zustände in die große Gruppe der diffusen Myelitis einreihte. — Zu bemerken ist, daß durch die Aufstellung von Systemerkrankungen mittelbar schon über das Wesen des Vorganges, welcher sie entstehen ließ, etwas ausgesagt ist. Es wäre schwer mit unseren heutigen pathologischen Anschauungen über die Entzündung vereinbar, daß ein entzündlicher Prozeß bei der gegebenen Anordnung des Blut- und Lymphstromes im Rückenmark sich auf einen bestimmten Teil des Querschnitts beschränken
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
sollte. Man muß daher annehmen, daß es sich um eine primäre nicht entzündliche Ernährungsstörung handelt, in deren Folge die befallenen Teile zu Grunde gehen; etwaige Wucherungen von Bindegewebe werden als sekundäre Erscheinungen gedeutet. — Bei doppelseitigen Erkrankungen gleichwertiger Systemfasern —• und die finden sich ja fast immer — kann man kaum umhin, eine spezifische Anziehung zwischen dem Krankheitserreger und bestimmten Systemen anzunehmen. Das hätte übrigens, da solche spezifische Anziehungen zwischen Pflanzengiften, wie z. B. Atropin, Digitalis u. s. w., und einzelnen Teilen des Nervensystems sicher bestehen, keine Schwierigkeit. Der Blutweg müßte als Vermittler des Gifttransportes an Ort und Stelle betrachtet werden — man kommt so allmählich zu Folgerungen, die für die infektiöse Natur der Systemerkrankungen reden würden. Den Systemerkrankungen stehen diejenigen gegenüber, ivelcke sich über einen mehr oder minder großen Teil des Querschnittes verbreiten und die in diesem gelegenen, mit ganz verschiedenen Aufgaben betrauten Teile in Mitleidenschaft ziehen. Echte Entzündungen werden meist so verlaufen, allein es ist nicht ausgeschlossen, daß bei primären Ernährungsstörungen sich Zerfallsprodukte bilden, welche, in den Gewebsflüssigkeiten gelöst und mit ihnen sich verbreitend, schädlichen Einfluß auf bisher unversehrte Organteile üben und so Entzündung oder Entartung hervorrufen. — Die Erscheinungen bei transversaler Erkrankung zeigen denen bei systematischer gegenüber ein wechselvolleres Bild, da mehr und verschiedene Organteile, Leitungsbahnen und andere ergriffen werden. Für die Bestimmung des Sitzes der transversalen Erkrankung in der Längsachse des Rückenmarkes ist zu verwerten: Leitungsunterbrechung in den Bahnen, welche den Ort der Verletzung passieren; Reizoder Lähmungserscheinungen, Änderungen der Reflexe in den Nerven, deren Wurzeln in der Höhe der Verletzung liegen. Vielleicht sind auch die Funktionsstörungen von automatischen Centren zu benutzen, welche im Rückenmark an bestimmten Stellen liegen. Die wichtigsten von diesen sind: Centrum für die Pupillenerweiterung im unteren Hals- und obersten Brustmark bis zum dritten Brustwirbel. Centrum für Kotentleerung im Lendenmark, ebendort das für die Harnentleerung, für die Erektion und Ejakulation, für den Gebärmechanismus. — Sitzt die Störung im oberen Halsmark, dann können die in der Medulla oblongata gelegenen Centren in Mitleidenschaft gezogen werden.
Bei Leitungsunterbrechungen, auch wenn dieselben nicht innerhalb des Rückenmarkes stattfinden, treten in diesem Veränderungen auf, welche man als sekundäre Degenerationen bezeichnet. Sie finden sich: 1. bei Erkrankungen des Gehirns, and zwar bei allen denjenigen, welche den Zusammenhang zwischen den der Bewegung dienenden Teilen der Hirnrinde, der Capsula interna und den Pyramiden unterbrechen. Hier tritt absteigende Entartung der motorischen Rückenmarksbahnen auf, dann auch solche der direkten Pyramidenbahn in. dem inneren medianen Abschnitt der Vorderstränge, sowie der gekreuzten in dem hinteren mehr nach außen gelegenen Teil der Seitenstränge. Die obere Grenze dieser Degeneration ist die Capsula interna, nach unten geht sie, allmählich an Umfang abnehmend, bis in das Lendenmark. Die Entartung der direkten Vorderstrangbahnen ist selbstverständlich auf der gleichen Seite wie die Hirnverletzung, die der gekreuzten Seitenstrangbahnen auf der entgegengesetzten. Welche dieser beiden Bahnen stärker degeneriert, hängt von der individuell verschiedenen Menge der Fasern ab, die gekreuzt oder ungekreuzt verlaufen; in der überwiegenden Mehrzahl sind die Seitenstränge in weitaus ausgedehnterem Maße beteiligt.
Allgemeines. Erkrankung der Rückenmarkshäute.
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2. Bei Erkrankungen des Rückenmarkes finden sich absteigende wie aufsteigende Degenerationen. Erstere beschränken sich auf die jenseit der Leitungsunterbrechung gelegenen motorischen Bahnen, die aufsteigenden betreffen die Hinterstränge, vorwiegend die an der hinteren Längsfurche gelegenen Göll'sehen (zarten) Stränge, dann den nach hinten liegenden äußersten schmalen Saum der Seiten.stränge, welcher die direkten Kleinhirn-Seitenstrangbahnen führt. Nach oben sind sie für die Göll'sehen Stränge bis in die Corpora restiformia, für die Seitenstränge bis ins Kleinhirn zu verfolgen. 3. Bei Erkrankungen der hinteren Wurxeln trifft man aufsteigende Degenerationen der Hinterstränge, dicht oberhalb der Leitungsunterbrechung in deren ganzer Ausdehnung, höher oben nur innerhalb der Götschen Stränge. Als allgemeine Regel erweist sich also: absteigende Entartung bei Leitungsuaterbrechung motorischer, aufsteigende bei solcher sensibler Bahnen. •— Wahrscheinlich ist für die Entstehung der Degenerationen die Abtrennung von den trophischen Centren der befallenen Teile notwendig. Die anatomischen Veränderungen sind bereits im Laufe der zweiten Woche nach der Leitungsunterbrechung nachweisbar; sie bestehen anfangs in Zerstörung des normalen Gefuges der Nervenfasern, ausnahmsweise (absteigende Degeneration) auch der Ganglienzellen, bald treten reichliche Mengen von Körnchenzellen auf Später findet mar viel Bindegewebe und Corpora amvlacea. Innerhalb der ersten 2—3 Monate sieht das Mark an den entarteten Stellen weiß, undurchsichtig ans und fühlt sich weicher an; später ist es grau durchscheinend, zuletzt härter, eingesunken. Die Symptome der sekundären Degeneration sind sehr wenig bestimmt; für die aufsteigende sind solche nicht bekannt, mit der absteigenden bringt man Spasmen und Kontrakturen der Muskeln, sowie Zunahme der Sehnenreflexe in Verbindung. § 21.
Erkrankung der Rückenmarkshäute im allgemeinen, Hyperämie.
Die Symptome der E r k r a n k u n g der R ü c k e n m a r k s h ä u t e sind meist nicht auf diese beschränkt. Es ist ja das Ganze — das Rückenmark samt seinen Umhüllungen •— von starren Knochenwänden umgeben, außerdem schließt sich die Pia nicht nur eng an das Mark an, sondern dringt auch mit zahlreichen Fortsätzen in dasselbe ein: endlich findet noch eine Versorgung aus gemeinschaftlichem Gefäßsystem statt. — Daraus folgt: 1. Sobald die Raumbeengung durch irgend ein Krankheitsprodukt, einerlei wo dasselbe entstand, einen gewissen Grad erreicht hat, müssen sich mechanische (Druck-)Wirkungen auf den gern ren Inhalt des Wirbelkanals geltend machen. 2. Jeder Krankheitserreger, welcher auf dem Blut- oder Lymphwege zum Rückenmark gelangt, kommt mit diesem selbst und mit seinen Häuten in Berührung. Ebenso die unter dessen Einfluß entstandenen pathologischen Produkte, sofern dieselben gelöst werden können, sei es innerhalb vorgebildeter Gefäßbahnen, sei es durch Diffusion. Die anatomisch gebotene Trennung der pathologischen Vorgänge im Rückenmark selbst von denen in seinen Häuten ist daher klinisch nur in beschränktem Maße durchzuführen; bei einigen Zuständen gebietet sich geradezu gemeinschaftliche Betrachtung. Dahin gehört Hyperämie; man definiert dieselbe mit Recht als vermehrte Bhitfulle der innerhalb des WirbelJcanal* gelegenen Gebilde. — Ob
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
überhaupt gesteigerte Blutfülle allein pathologische Erscheinungen hervorzurufen vermag, ist zweifelhaft. Bei aktiver, fluxionärer Hyperämie ist durch das stark entwickelte Yenennetz Gelegenheit zum Abfluß in reichlichem Maße gegeben. Selbst bei den passiven (Stauungs-) Hyperämien scheinen die Abzugskanäle auszureichen, denn auch wenn sonst hochgradige Blutanhäufungen innerhalb der Venen sich finden (Herzinsufficienz), fehlen die Störungen vollständig, welche die Hyperämie des Rückenmarks herbeiführen soll. Es ist wahrscheinlicher, daß, wenn es zu pathologischen Erscheinungen kommt, immer ein Entziindungsrei,i vorhanden ist, vielleicht ein sehr geringer, der nur ausreicht, um die Gefäß Wandungen für das Plasma durchgängiger zu machen. — Mustert man die Entstehungsursachen, so finden sich manche, welche am ehesten mit dieser Anschauung im Einklang zu bringen sind. So die aktive entzündliche Hyperämie im Beginn der Meningomyelitis, diejenige bei Vergiftungen mit Kohlendunst, bei schweren Infektionen, besonders der Variola, auch diejenige nach Verletzungen, welche mittelbar oder unmittelbar den Rückenmarkskanal trafen. Unter den vielen anderweitigen als Veranlassung beschuldigten Ursachen muß kritisch sehr aufgeräumt werden: die unterdrückten Fußschweiße, Hämorrhoidal- und Menstrualblutungen u. s. w. spielen immer noch eine Rolle, ohne daß der Schatten eines Beweises für ihre Wirksamkeit erbracht wäre. Die anatomische Untersuchung mußte sich bisher damit begnügen, den Blutgehalt des Markes und seiner Häute festzustellen, eine schwierige Aufgabe. Die Symptome des herkömmlichen Krankheitsbildes sind vorwiegend Reizerscheinungen: Schmerz im Rücken, besonders im Kreuz, dann in den Gliedern, allerlei Parästhesien, seltener „Gürtelgefühl", d. h. die Empfindung, als ob ein drückender Reif den Körper in bestimmter Höhe umspannt. Diese der sensiblen Sphäre angehörenden Erscheinungen sind häufiger als solche in der motorischen: Muskelzucken und Gliederzittern. Später kann es zu leichten Lähmungserscheinungen kommen: Anästhesie und Paresen. Alle Störungen sind doppelseitig; sie beschränken sich auf die untere Körperhälfte oder steigen, in dieser beginnend, erst später nach oben. Fieber soll fehlen, Pulsanomalien hingegen will man beobachtet haben. Es werden als charakteristisch eine gewisse Flüchtigkeit und ein rascher Wechsel der Symptome angegeben. — Das Leiden soll häufiger langsam als plötzlich entstehen — die Dauer desselben von Tagen bis zu Monaten schwanken, Genesung soll der gewöhnliche Ausgang sein. Indes wird eingeräumt, daß sich auch stärkere Entzündung herausbilden kann. Da nur quantitative Unterschiede diffetialdiagnostisch zu verwerten sind, wird man sein Urteil anfangs sehr zurückhaltend abgeben müssen. — Für die Therapie ist zunächst Ruhe des gereizten Organs zu empfehlen. Man schicke die Kranken ins Bett und lasse sie dort die ihnen zusagende Lage annehmen — die Seitenlage soll der auf dem Rücken meist vorgezogen werden. Funktionelle stärkere Reizung — besonders der Coitus — ist unbedingt zu vermeiden. Wenn ausgesprochene Reizerscheinungen und Druckempfindlichkeit der Wirbelsäule zugegen sind, mache man an dem leidenden Ort eine Blutentziehung (10—12 Schröpfköpfe bei dem Erwachsenen) und lege nachher einen Eisbeutel auf. Für reichliche Stuhlentleerung ist von Anfang Sorge zu tragen.
Hyperämie
§ 22.
Blutungen in und zwischen die Rückenmarkshäute.
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Blutungen in und zwischen die Rückenmarkshäute.
Mit dem Namen H ä m a t o r r h a c h i s faßt man alle in und zwischen die Rückenmarkshiiute erfolgenden Blutergüsse zusammen. — Von prädisponierenden Gefäßerkrankungen ist wenig bekannt, es sei denn, daß man die bei Infektionskrankheiten (Pocken sind besonders zu nennen) und bei hämorrhagischer Diathese beobachteten Fällen hierher ziehen will. Die häufigste Gelegenheitsursache bilden Verletzungen durch direkte (Verwundung) oder indirekte Gewalt (Erschütterung durch Sturz auf den Rücken, auf die gestreckten Füße u. s. w.). Auch entzündliche Wirbelerkrankungen, schwere Krampfzustände (Tetanus), endlich das Heben bedeutender Lasten sind anzuführen. Innerhalb des Wirbelkanals kann es ferner durch Senkung des in die Schädelhöhle ergossenen Blutes zur Anhäufung desselben kommen. — Das ganze Leiden gehört zu den selteneren. Anatomisch werden getrennt: 1. Blutungen zwischen Dura und Wirbelkaiial — die häufigsten. Nur wenn beträchtliche Extravasate vorhanden sind, kommt es zum Druck auf das Mark; 2. Blutungen zwischen Dura und Arachnoidea, die meist durch Herabfließen vom Schädel entstehen, weiter verbreitet und frei beweglich sind; 3. Blutungen in die Arachnoidea, seltener von ernsten Folgen für das Mark selbst. — Die bei schweren Blutungen geschehende Durchtränkung des Rückenmarks mit Blut und die ihr folgende Erweichung erstreckt sich wohl auch auf die austretenden Nervenwurzeln. In den nicht unmittelbar tödlich endenden Fällen dieser Art treten die bekannten Veränderungen am Extravasat und in dessen Umgebung (rote, gelbe Erweichung) auf. Die Symptome entwickeln sich meist in kurzer Zeit; man findet plötzliches Zusammenbrechen des Erkrankten, der über Schmerzen klagt und zuerst die Herrschaft über einen mehr oder minder großen Teil seiner Muskeln verloren hat; das Sensorium bleibt frei. Bei langsamerer Entstehung sind die Schmerzen unbedeutender, und die Lähmung bildet sich allmählicher aus. Die als Vorboten aufgeführten Störungen haben mit den Blutungen selbst nichts zu thun. — Ist der Insult vorüber, dann zeigen sich vorwiegend Reizerscheinungen. Auf die in der motorischen Sphäre wird diagnostisch das größere Gewicht gelegt: Muskelzuckungen, Spannungen, Gliederzittern. Gleichzeitig neben anderweitigen excentrischen Wahrnehmungen heftige Schmerzen in dem peripheren Verbreitungsbezirke der Nerven, deren Wurzeln von der Blutung betroffen sind, besonders aber im Rücken in der Höhe der ergriffenen Stelle. Die Wirbelsäule wird steif gehalten, da jede Bewegung mit viel Schmerz verbunden ist. Aufregung und Schlaflosigkeit gesellen sich hinzu. — Im späteren Verlaufe treten sensible wie motorische, meist unvollständige Lähmungen auf. — Fieber fehlt anfangs ganz, es bleibt auch später mäßig. Die Ausbreitung der nervösen Störungen wird von Sitz und Umfang der Blutung bedingt. Der Verlauf ist oft günstig; die Wiederherstellung kann im Laufe einiger Monate erfolgen. Einige Tage nach der Blutung zeigt sich manchmal ein Wiederaufflackern der Erscheinungen, abhängig von dem Eintritt der reaktiven Entzündung. — Der tödliche Ausgang kann bei hohem Sitz der Blutung durch Lähmung der Centren im verlängerten Marke, überhaupt durch ihre Massigkeit und die dann unvermeidliche Beteiligung des Rückenmarkes eintreten. Die Behandlung ist die gleiche wie die im vorigen Paragraphen empfohlene.
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
§ 23. Blutungen in das Rückenmark selbst. Aus praktischen Gründen sollen die B l u t u n g e n in das R ü c k e n m a r k s e l b s t — Spinalapoplexie — im unmittelbaren Anschluß besprochen werden; auch sie gehören zu den selteneren Erkrankungen. Die Ätiologie ist im wesentlichen die gleiche, wie die der Blutungen in die Rückenmarkshäute. Zu erwähnen ist, daß bei Menschen, welche längere Zeit unter höherem Luftdrucke sich befanden (Caisson-Arbeiter) und danach ohne genügenden allmählichen Übergang wieder dem gewöhnlichen Atmosphärendruck ausgesetzt werden, Blutungen eintreten. — Es wird hervorgehoben, daß nicht das höhere Alter vorzugsweise befallen wird, vielmehr die größte Häufigkeit auf das 20.—40. Lebensjahr trifft. Das hängt wahrscheinlich mit dem öfteren Vorkommen der Verletzungen zu dieser Zeit zusammen. Anatomisch unterscheidet man' 1. den hämorrhagischen Herd, meist länger als breit, öfter sogar, die grauen Säulen zerstörend, sich über beträchtliche Strecken ausdehnend. Das Markgewebe ist zertrümmert, seine Umgebung blutig imbibiert. Die sekundäre Erweichung, welche gewöhnlich sich anschließt, vermag nach oben und nach unten weiter zu gehen. Zerfall der Nervenelemente, das Auftreten von Körnchenzellen, Wucherung des Bindegewebes zeigt das an. 2. die hämorrhagische Infiltration (entzündliche Hämorrhagie). Diffuse Blutergießung in das Gewebe der grauen Substanz, bald auf einzelne Teile derselben beschränkt, bald sie fast in ihrer ganzen Ausdehnung einnehmend; das Blut ist wie mit dem Gewebe verschmolzen. Echte entzündliche Veränderungen erstrecken sich weit über die infiltrierten Teile hinaus. Die von dem zerstörten Teile ausgehenden Nerven geraten bald in den Zustand degenerativer Atrophie, die den motorischen unter ihnen zugeteilten Muskeln ebenfalls. — Das Ganze wird mit größerem Recht zu der Myelitis gestellt und als hämorrhagische Form derselben bezeichnet. Ausnahmsweise ist auch die weiße Substanz der Hinterstränge der Sitz der Blutung (LEYDEN). Reine Fälle, wie die nach Verletzungen, zeigen eine in sehr kurzer Zeit sich entwickelnde, also apoplektiform auftretende Lähmung derjenigen sensiblen und motorischen Nerven, welche im Bereich und unterhalb der betroffenen Stelle abgehen; vasomotorische Störungen fehlen gleichfalls nicht, die Temperatur der Haut an den gelähmten Teilen kann beträchtlich erhöht sein. Zuerst etwa vorhandene Schmerzen verlieren sich in kurzer Zeit. Die Lähmung ist gleich anfangs in voller Ausbildung vorhanden — sie kann später allerdings durch die sekundären Vorgänge noch größere Ausdehnung gewinnen. Reflexe sind je nach dem Sitze der Blutung vorhanden oder fehlen. Blase und Mastdarm zeigen sich, wenn nicht schon von Anfang, doch bald gelähmt. Meist findet man doppelseitige Lähmung — ausnahmsweise wurde halbseitige beobachtet, dann traten die Erscheinungen der „Halbseitenläsion" ( § 3 1 ) auf. — Der hämorrhagischen Infiltration, deren Symptome die nämlichen, gehen die der Myelitis eigentümlichen Zeichen (§ 32) voraus. — Im Verlauf entwickelt sich neben Atrophie der Muskeln meist rasch Decubitus und Blasenlähmung. Wenn nicht — bei hohem Sitz — durch Beteiligung der Atmungscentren der Tod erfolgte, wird derselbe meist durch septische Infektion herbeigeführt. Die Diagnose der Spinalapoplexie ist durch Fehlen von Reizerscheinungen bei plötzlich auftretenden, vollständigen sensiblen wie motorischen Lähmungen
Blutungen.
Entzündung der Rückenmarkshäute.
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und unversehrtem Bewußtsein gesichert. Der spätere Verlauf zeigt die Symptome einer Leitungsunterbrechung, die, mit schweren trophischen Störungen verbunden, sich gewöhnlich über die ursprünglich befallenen Teile hinaus verbreitet. Die Prognose ist bei irgend erheblicher Blutung eine sehr ungünstige. Wie lange das Leben gefristet wird, hängt zumeist von der auf die Pflege verwendeten Sorgfalt ab. Die Hauptaufgabe der Behnndlunq ist daher eine prophylaktische: sie hat Vermeidung von Blasenkatarrh und Decubitus anzustreben. Nur in leichteren Fällen würde vielleicht gegen die nach Ablauf der Grundprozesse zurückbleibenden Lähmungen die Elektrizität nützen können. § 24.
Entzündung der Dura mater spinalis.
D i e E n t z ü n d u n g d e r D u r a m a t e r s p i n a l is {Pachymen>npitis spinalis) tritt an zwei verschiedenen Orten auf: 1. an der äußeren Fläche der Dura, zwischen ihr und dem Wirbelkanal — meist durch Überstreifen entzündlicher Vorgänge aus der Nachbarschaft (Caries, Decubitus, Vereiterungen der Rückenmuskeln oder des Psoas u. s. w.), vielleicht auch primär entstehend (Pachymeningitis spinalis externa1: 2 an der inneren Fläche der Dura, zwischen ihr und der Arachnoidea welche mit der Pia oft an der Entzündung teilnimmt. Es wird unterschieden zwischen: • a) einfacher Pachymeninqitis interna iPachymeningitis interna hypertrophical BindeTewebswucheruug nach entzündlichen Veränderungen, am stärksten a.n der hinteren Fläche. Meist zeigt sich der untere Teil der Halsanschwellung ergriffen. Es werden ätiologisch beschuldigt Erkältung, feuchte Wohnungen und dergleichen. b) Hämorrhagische Pachymeninqih's interna ("Hämatom) Mit dem Hämatom der Dura cerebralis zusammentreffend, anatomisch und ätiologisch gleichwertig Csiehe § 48). Das Kranlcheitsbild setzt sich aus den Svmptomen einer mehr oder minder rasch verlaufenden Leptomeningitis mit Kompression, Einschnürung des Rückenmarkes und der Nervenwurzeln sowie nachfolgenden Degenerationen zusammen, im ganzen also anfangs Reizungsspäter Lähmungserscheinungen, welche letzteren sich langsam entwickeln. Die Behandlung hat. falls nicht das Grundleiden besondere Anzeichen liefert, im allgemeinen wie bei Meningitis zu verfahren. § 25.
Entzündung der weichen Häute des Rückenmarkes.
Die E n t z ü n d u n g der w e i c h e n H ä u t e des R ü c k e n m a r k e s (Leptomeninrjitis spinalis) wird allerdings herkömmlich als eigene Krankheit geschildert, kann aber — wenigstens in ihrer akuten Form — darauf nur bedingt Ansprach erheben. Denn es findet sich wohl immer eine Beteiligung des Rückenmarkes selbst, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle aber gleichzeitig Entzündung des Hirns und seiner Häute. So sind denn auch die ätiologischen Momente die nämlichen: das Gift der epidemischen Cerebrospinalmeningitis, das der Tuberkulose sind die häufigsten veranlassenden Ursachen: — seltener sind es andere Infektionskrankheiten : Pvämie, genuine Pneumonie, Rheumarthritis acuta, ulceröse Endokarditis u. s. w. Dazu gesellen sich dann, auf das Rückenmark beschränkt bleibend, Traumen jeder Art, Erkältungen und das Ubergreifen von entzündlichen Vorgängen aus der Nachbarschaft. — Aus diesen Gründen ist ein Krankheitsbild der reinen Leptomeningitis spinalis kaum zu entwerfen, wohl aber ist es möglich, die Symptome hervorzuheben, welche eine Beteiligung der Meningen des Rückenmarkes erkennen lassen. — Diese sind: 1. Rückenschmerz, an der ergriffenen Stelle lokalisiert, bei Druck auf die Dornfortsätze, bei Berührung derselben mit einem heißen Schwamm zunehmend.
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bei versuchten Bewegungen des Körpers und irgend erheblichen Erschütterungen desselben sich steigernd. Der Schmerz strahlt peripher in das Gesamtgebiet der von dem kranken Teil abgehenden sensiblen Nerven ans und ist meist von wechselnder Stärke. 2. Steifigkeit der Wirbelsäule, durch Kontraktur der Muskeln hervorgerufen, oft auf den kranken Teil beschränkt, jedenfalls dort am stärksten. 3. Muskelspanmingen an den Extremitäten, manchmal auch Zuckungen einzelner Muskeln oder ganzer Muskelgruppen, mit Schmerz verbunden. 4. Hyperästhesie der Haut, der Muskeln, der Gelenke, der Knochen, durch große Schmerzhaftigkeit bei leiser Berührung sich kundgebend. Es ist wahrscheinlich, daß alle diese Symptome nicht nur von der Entzündung der Meningen bedingt sind, viel eher ist anzunehmen, daß entzündliche Reizung der vorderen und hinteren Wurzeln, vielleicht auch des Rückenmarkes selbst an ihrer Entstehung Anteil habe. Immerhin gestatten sie den Schluß, daß Leptomeningitis vorhanden ist. Die chronische Meningitis spin,alis geht öfter aus der akuten hervor. Ferner entwickelt sie sich bei allen pathologischen Vorgängen langsamen Verlaufs, welche im Wirbelkanal ihren Sitz haben und mit entzündlichen oder anderweitigen Ernährungsstörungen einhergehen; so bei Erkrankungen des Rückenmarkes selbst, bei Neubildungen, bei Entzündungen an der Wirbelsäule u. s. w. Es ist wahrscheinlich, daß der Alkoholismus das Leiden im Gefolge haben kann. — Man findet anatomisch Trübungen und Verdickungen der Pia und Arachnoidea, Verwachsungen derselben untereinander und mit der Nachbarschaft, venöse Hyperämie, Vermehrung der Spinalflüssigkeit. Daneben im Marke selbst in verschiedener Ausdehnung sklerotische Herde, Bindegewebswucherungen, sekundäre Degenerationen. — Auch in dem KrankheitsbiWe der chronischen Spinalmeningitis tritt die Beteiligung des Rückenmarkes stark hervor.— Langsam zunehmend zeigt sich eine gewisse Steifigkeit im Rücken mit reißenden, ziehenden Schmerzen und Parästhesien, mehr an den unteren, als an den oberen Extremitäten. Dieselben erscheinen schwer und weniger dem Willen unterthan. Motorische Reizerscheinungen, Zucken und Zittern in einzelnen Muskeln oder Gruppen von solchen fehlen nicht. Später wird Schwäche und Lähmung deutlicher, es bildet sich eine Paraplegie aus, welche trotz großer Schwankungen in ihrem Verlauf entschieden progressiv ist. Blase und Mastdarm pflegen sich zu beteiligen. Die sensible Sphäre ist bis zuletzt weniger ergriffen als die motorische. — Die Dauer kann sich bis auf viele Jahre ausdehnen. Genesung ist möglich, sie bleibt aber oft nur eine unvollkommene; Recidive sind häufig. Der Tod wird durch weitere Ausbreitung auf das Rückenmark, noch öfter durch Cystitis, Decubitus, Marasmus herbeigeführt. — Die Prognose ist immer mit Zurückhaltung zu stellen. — Die Behandlung der mehr selbständig (nach Traumen, Erkältung) auftretenden akuten wie der chronischen Form bewegt sich noch meist innerhalb der Bahnen der Antiphlogose im älteren Sinne. Bei kräftigen Leuten werden im Beginn der Erkrankung oder bei Steigerungen der schon länger bestehenden örtliche ausgiebige Blutentziehungen mit Recht empfohlen. Später, d. h. wenn der Zustand schon ein mehr stationärer geworden ist, macht man Gebrauch von den „fliegenden Vesicantien" (§ 3), welche gute Dienste leisten. In schweren Fällen griff man zum Glüheisen, das strich weis längs der Wirbelsäule zur Einwirkung gebracht wurde. — Dem galvanischen Strom muß, wenn die ersten Wochen der Erkrankung
Leptomeningitis. Tumoren. Langsame Kompression.
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vorüber sind, eine große Wirkung zuerkannt werden. — Innerlich gab man Jodkalium [ ß Nr. 42]. — Die Wildbäder sollen in vielen Fällen nützen, sind aber stets mit Vorsicht zu gebrauchen. — Die Allgemeinbehandlung darf nicht vernachlässigt werden: kräftige Ernährung, Vermeidung stärkerer funktioneller Reizung des Markes — allzu angestrengter Körperbewegung, des Coitus u. s. w. — ist geboten. — In späteren Stadien kommt alles auf gute Pflege des Gelähmten an. § 26.
Tumoren des Rückenmarkes und seiner Häute. des Rückenmarkes.
Langsame Kompression
Die T u m o r e n i n n e r h a l b des W i r b e l k a n a l s , einerlei woher sie iliren Ursprung nehmen, werden am besten wieder zusammen besprochen. Außer Erkrankungen der Wirbelsäule (Caries mit oder ohne Absceßbildung, luetische Prozesse, Bildung von Exostosen) handelt es sich um Geschwülste. Die Rückenmarkshäute, besonders die Dura beteiligende Formen sind: Carcinom, metastatisch oder von der Wirbelsäule übergreifend, Sarkom in allen seinen Arten, Myxom, Lipom, Neurom. Weiter finden sich syphilitische und tuberkulöse Geschwulstbildungen; es kommen von Parasiten Echinococcus, ganz vereinzelt auch Cysticercus cellulosae vor. Intramedullär ist nach dem Tuberkel am häufigsten das Gliom gefunden worden; im übrigen entwickeln sich die gleichen Neubilduugen wie in den Häuten. Abgesehen von den durch das Grundleiden bedingten Veränderungen zeigt die anatomische Untersuchung meistens an der betroffenen Stelle des Rückenmarkes Verwachsung und Verdickung der Häute, Entzündung der austretenden Nervenwurzeln, das Mark selbst ist entzündlich geschwellt, weicher später wie die Wurzeln atrophisch, platt, verdünnt, härter. Im ganzen handelt es sich bei der langsamen Kompression um anämische Nekrose neben etwaigen entzündlichen Vorgängen, die ja keineswegs notwendig vorhanden sein müssen. Sekundäre Degenerationen bleiben in schwereren Fällen nicht aus. — Rückbildung soll, wenn die veranlassende Ursache aufhört, vorkommen, wird aber immerhin nur eine beschränkte sein, sobald wirkliche Zerstörung nervöser Elemente eingetreten ist. Man nimmt freilich selbst für diese an, daß teilweise Regeneration erfolgen könne. Die Erscheinungen des Leidens lassen in zwei zeitlich aufeinander folgende Gruppen sich trennen: 1. Symptome
von den außerhalb
des Markes
gelegenen
Teilen.
Die durch
das
Grundübel herbeigeführte Entzündung greift auf die Umhüllungen des Rückenmarkes und die austretenden Nervenwurzeln über; sie ruft Reizungserscheinungen hervor. Zuerst zeigen sich solche meist in der sensiblen Sphäre: Rückenschmerz an der betroffenen Stelle mit Steifigkeit der Wirbelsäule, die gegen Druck empfindlich ist; nicht selten wird auch die bedeckende Haut hyperästhetisch. Neuralgiforme Anfälle, Parästhesien, Gürtelempfindung, später vielleicht Anästhesien, und, wenn trophische Störungen sich hinzugesellen, Exantheme treten auf. Bald folgen Erscheinungen der motorischen Sphäre: Zuckungen, Krämpfe, Kontrakturen in Muskeln; nicht lange, und Lähmungen, in beschränkten Gebieten kommen hinzu; die von ihnen befallenen Muskeln werden oft atrophisch und verlieren ihre elektrische Erregbarkeit. Die Reflexe haben an diesen Teilen aufgehört. Betroffen werden von sensiblen wie von motorischen Nerven nur diejenigen, welche auf der von dem Krankheitsvorgang ergriffenen Höhe aus dem Rückenmark austreten. Es handelt sich für jetzt wesentlich eben um Erkrankung der Nervenwurzeln. —
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Entwickeln sich Geschwülste vom Kückenmark selbst central, dann fehlen meist die Erscheinungen dieses ersten, auch als „prodromales" bezeichneten ¡Stadiums. 2. Symptome com. Marke selbst. Am meisten charakteristisch ist die motorische Luhmung, bei welcher anfangs die Muskeln weich und vollkommen schlafl' erscheinen. Sie tritt im Laufe weniger Tage oder, das Gewöhnlichere, einiger Wochen auf, geht meist der sensiblen voraus und erscheint als Paraplegie, bei der die unteren Extremitäten dem Einfluß des Willens entzogen sind. Seltener zeigen sich andere Formen. Von diesen sind zu nennen: l'araplegia cervicalis: die oberen Extremitäten werden zuerst gelähmt, die unteren bleiben noch frei. Bedingung ist der Sitz im oberen Teil des Markes ; die Bahnen der Leitung zu den Armen liegen am oberflächlichsten und werden zunächst betroffen: Eine andere Entstehungsart dieser Lähmung ist dadurch möglich, daß schon im ersten Stadium die motorischen Wurzeln, aus denen,der Plexus brachialis hervorgeht, ergriffen werden. — ¡Spinale Hemiplegie, wenn eine Hältte des Kückenmarkes vorwiegend erkrankt. Es kann dabei zur Entwicklung der „Halbseitenläsion" (§ 31) kommen.
Die Zeichen der sensiblen Lähmung sind minder stark entwickelt, die Anästhesie pflegt keine vollständige zu sein. Übrigens sind auch während dieses Stadiums oft noch Schmerzen vorhanden, welche mehr in einem starken Wehgefühl mit den Empfindungen von Brennen, Drücken, Bohren bestehen und keine ausgesprochenen neuralgieartigen Erscheinungen machen. Auch Parästhesien fehlen nicht. — Steigerung der Befiexthätigkeit ist ein sehr gewöhnliches Vorkommen; sie bleibt nur aus, wenn die großen Ganglienzellen, welche die Umsetzung der sensiblen in motorische Erregung vermitteln, zerstört sind, für die unteren Extremitäten also bei schweren Erkrankungen des Lendenmarkes. Die Unterbrechung der Leitung in den vom Gehirn absteigenden reflexhemmenden Fasern erklärt die Zunahme der Reflexe. Die von den Sehnen ausgelösten sind noch mehr als die von der Haut entstehenden gesteigert; es kann zu vollständigem ausgedehnten Reflexkrampf kommen. — Vasomotorische Störungen sind im allgemeinen seltener, trophisehe lassen manchmal lange auf sich warten. — Blase und Mastdarm fungieren, wenn nicht gerade das Lendenmark zusammengequetscht wurde, längere Zeit normal, oder doch wenigstens leidlich. — Das Krankheitsbild wird durch das Auftreten der sekundären Degenerationen geändert; auf sie, speziell auf die in den Seitensträngen sich entwickelnden, führt man die motorischen Reizerscheinungen zurück, welche in den gelähmten Muskeln sich zeigen. Diese, bisher schlafl', werden, nachdem Spannungen, Zuckungen, Starrwerden vorausgegangen, in den Zustand dauernder Kontraktur versetzt, während die Reflexerregbarkeit noch eine weitere Steigerung erfährt. Anfangs sind es meist die Streckmuskeln, später die der Beugung dienenden, an welchen diese Änderung beobachtet wird. — Selbst jetzt noch ist Heilung möglich und tritt, wenn die Kompression, wie in den meisten Fällen, durch Wirbelcaries bedingt war, thatsächlich oft genug ein. Im ungünstigen Falle bilden sich neben allgemeinem Marasmus Decubitus und Oystitis aus, an deren Folgen die Kranken zu Grunde gehen. Die Diagnose gewinnt durch den Nachweis des Grundleidens wesentliche Stützpunkte. Für die Beteiligung des Rückenmarkes ist die Reihenfolge der Erscheinungen, namentlich das zu Anfang der Erkrankung vorhandene Beschränktbleiben der Störungen auf die in nahezu gleicher Höhe das Mark verlassenden motorischen und sensiblen Fasern beweisend. Bei rasch sich entwickelnder Erkrankung — Carcinomen — wird auf die außerordentliche Heftigkeit der früh sich zeigenden Schmerzen besonders aufmerksam gemacht.
Langsame Kompression. Anämie des Rückenmarkes.
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D i e Prognose, ist w e s e n t l i c h durch das Grundübel bedingt; ist dieses heilbar, dann können auch trotz jahrelanger Dauer die L ä h m u n g e n zurückgehen. D i e Behandlung hat bei der durch W i r b e l c a r i e s hervorgerufenen Compression eine nicht undankbare Aufgabe. A b s o l u t e Bettruhe bei passender Lagerung, w e l c h e so lange fortzusetzen ist, bis alle Zeichen entzündlicher R e i z u n g vers c h w u n d e n sind — das kann Monate und Jahre dauern —, daneben reichliche E r n ä h r u n g und sorgfältige Krankenpflege i m w e i t e s t e n Sinn ist hier das erste u n d w i c h t i g s t e Erfordernis. Man wird so m e h r erreichen, als durch j e d e innere Medikation oder die vielgepriesenen A b l e i t u n g e n , w e l c h e v o m Vesikator bis zum G l ü h e i s e n sich erstrecken. — Syphilitische E r k r a n k u n g ist natürlich durch J o d u n d Quecksilber anzugreifen (§ y4). — W e n n die ersten Zeichen wiederhergestellter Leitung auftreten, kann m a n auf die Wirbelsäule direkt den galvanischen S t r o m zur A n w e n d u n g bringen, allein das muß m i t großer Vorsicht geschehen. — F ü r die symptomatische, Therapie öffnet sich ein weites F e l d . § 27.
Anämie des Rückenmarkes.
A n ä m i e d e s R ü c k e n m a r k e s wird durch mehr oder minder vollständige, in wechselnder Zeit sich entwickelnde Unterbrechung der Zufuhr normal beschaffenen Blutes hervorgerufen; sie entsteht auch bei regelmäßigem Kreislauf, wenn ein krankhaft verändertes Blut das Organ durchströmt. — Die erste Form bietet ausgeprägte Symptome dar, welche mit den experimentell herbeigeführten identisch sind, die zweite hingegen dürfte aus dem Gesamtbilde der funktionellen Störungen, welche eine mangelhafte Blutnnschuiig erzeugt, nur schwer rein herauszulösen sein. Verlegung des Anrtenstammes fuhrt zur Anämie aller jenseit des Hindernisses abgehender Aste —• der thrombotische Verschluß, wie die auf experimentellem Wege (Siensow'scher Versuch) erzeugte Kompression der Bauchaorta oberhalb des Abganges der Lumbalarterien, lallt daher die charakteristischen Zeichen für die Funktionsunfähigkeit des von der Blutzufuhr ausgeschlossenen Teiles des Rückenmarkes auftreten. Indes ist zu bemerken, daß gleichzeitig den zum nämlichen Gefäligebiet gehörenden Nerven und Muskeln das Blut entzogen wird. Wohl geht zuerst die Erregbarkeit des Rückenmarkes, allein bei längerer Dauer der Unterbrechung auch diejenigen der Muskeln und Nerven verloren. — Der Verschluß kleinerer Gefäße bleibt wegen der reichlichen KollaterdlVerbindungen im Rückenmark meist ohne Folgen. — Von einigen wird angenommen, (Uli auf reflektorischem Wege ein ausgedehnter Krampf der Arterien im Marke entstehen könne, stark genug, um wirkliche Ernährungsstörungen mit Lähmungserscheinungen zu bedingen. Diese Anschauung ist jedoch keineswegs über alle Zweifel erhaben. — Was überhaupt Anämie bewirkt, kann auch die des Rückenmarkes im Gefolge haben; aulier starken Blutverlusten, aulier der Veränderung in der Blutmischung durch Infektionskrankheiten wird unter den Ursachen noch besonders die Chlorose genannt. — Hascher Verschluß der Bauchaorta fuhrt zu vollständiger sowohl sensibler wie motorischer Lähmung der unteren Körperhälfte; die Reflexe sind erloschen, Blase und Mastdarm sind gleichfalls gelähmt. So lehrt das Ergebnis der Tierversuche wie auch das der seltenen Beobachtungen am Menschen. — Selbst wenn es gelingt, den Verschluß ganz oder doch zum Teil wieder aufzuheben, so bleiben trotzdem immer noch je nach Dauer und Grad der Verminderung der Blutzufuhr wechselnde Störungen in dem betroffenen Gebiete zurück, zum Teil durch Veränderungen im Mark, zum Teil durch solche in Nerven und Muskeln veranlagt. Hält die Verlegung an, dann entwickelt sich bald Muskelatrophie, mit Verlust der elektrischen Erregbarkeit, hernach Decubitus und Gangrän. — Beobachtungen über den Verschluß höher nach oben gelegener Aortenabschnitte liegen nicht vor. — Allmähliche Verminderung der Blutströmung in der Abdominalaorta geht mit allerlei Parästhesien, dem Gefühl von Schwere in den Beinen und leichter Ermüdung derselben einher. Ähnliches ist bei allen anämischen Zuständen zu erwarten, tritt aber in dem Krankheitsbilde meist nicht eigenartig genug hervor, um darauf eine Diagnose zu gründen. Im allgemeinen scheinen bei diesen Zuständen die Lähmungserscheinungen der motorischen Nerven zu überwiegen; sie folgen der allgemeinen Regel für Rückenmarkslähmungen, indem sie von unten nach oben
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aufsteigen. —Bezüglich der Reflexlähmungen wird darauf hingewiesen, dal! ihre Erscheinungen je nach der Stärke des den Gefäßkrampf auslösenden peripheren Reizes wechseln. Die Diagnose des Verschlusses der Bauchaorta hat keine Schwierigkeiten. Sie bietet so bezeichnende Symptome, daß ein Irrtum oder ein Übersehen kaum vorkommen kann. Für die anderen Formen ist die größte Zurückhaltung geboten. — Die Prognose richtet sich nach dem Grundleiden. — Die Behandlung steht bei dem wirklichen Verschluß der Aorta vor unlösbaren Aufgaben; in den übrigen Fällen ist dieselbe gegen die veranlassenden Ursachen zu richten. § 28.
Funktionelle Störungen des Rückenmarkes im allgemeinen. Neurasthenia spinalis.
Spinalirritation,
B e i einigen Erkrankungen, deren S y m p t o m e bestimmt für ein Rückenmarksleiden sprechen, f e h l e n anatomische Befunde. Man ist daher genötigt, dieselben als funktionelle zu bezeichnen, worunter selbstverständlich gemeint ist, daß materielle Veränderungen zwar vorhanden, daß sie aber durch unsere h e u t i g e n Hilfsmittel nicht nachweisbar sind. In erster Linie werden hierher g e z ä h l t die unter den N a m e n Neurasthenia spinalis und Spinalirritation gangbaren S y m p t o m e n k o m p l e x e . A l l e s dabei A u f tretende wird in letzter Instanz auf eine „Schwäche" des Rückenmarkes b e z o g e n , diese definiert man, v o n Einzelheiten bald dies, bald j e n e s m e h r hervorhebend, als größere Erregbarkeit mit größerer Er schöpf barkeit. Damit ist nicht viel gesagt. E s bleibt für viele F ä l l e dunkel, ob denn wirklich eine w e s e n t l i c h e unmittelbare B e t e i l i g u n g des Rückenmarkes selbst stattfindet. Ü b e r h a u p t dürfte es fraglich erscheinen, ob es' für die E i n s i c h t in das Geschehen und die Behandl u n g vorteilhaft ist, aus einem vielgestaltigen Krankheitsbilde, w e l c h e s so ziemlich alles umfaßt, w a s am Körper von f u n k t i o n e l l e n Störungen v o r k o m m e n kann, gerade die nervösen S y m p t o m e hervorzuheben und gesondert zu betrachten. Mindestens überflüssig aber ist es, zwei verschiedene N a m e n f ü r S y m p t o m e n k o m p l e x e weiter zu führen, die sich kaum anders als dadurch unterscheideil, daß die Spinalirritation v o r w i e g e n d bei W e i b e r n , die N e u r a s t h e n i e m e h r bei Männern auftritt. Zum Beweise mögen die üblichen Characteristica der beiden Zustände nebeneinander gestellt werden (nach Erb). Spinalirritation. Neurasthenia spinalis. Ätiologie: Disponierend: hereditäre BelaDisponierend: hereditäre Belastung, justung, erstes bis dreißigstes Lebensjahr. Weibgendliches und mittleres Lebensalter. Männliches Geschlecht. Veranlassende Ursachen: liches Geschlecht.— Veranlassende Ursachen alles den Körper Schwächende, schlechte Erdie gleichen, nur wird auf sexuelle Excesse nährung, Überanstrengung jeder Art, besongrößeres Gewicht gelegt, ders funktionelle Störung der Centraiorgane. Symptome: Allmähliche Entwicklung, Allmähliche Entwicklung, Gefühl großer leichter Rückenschmerz, anfangs nur bei beErmüdung, namentlich in den Beinen, bei sonderen Veranlassungen, später bei geringAnstrengung Muskelschmerz und Steifheit, in fügigen Ursachen; derselbe tritt während der keinem Verhältnis zu der wirklich geleisteten ganzen Krankheitsdauer auf. — DruckernArbeit stehend. — Rückenschmerz, nicht sehr pfindlichkeit eines Teiles der Wirbelsäule mit heftig, aber wechselnd. Brennen in der Haut Hyperästhesie der bedeckenden Haut. Neudes Rückens mit Empfindlichkeit der Dornralgiforme Schmerzen überall am Körper, auch fortsätze gegen Druck. Neuralgiforme, meist Visceralneuralgien — Parästhesien , selten nicht besonders heftige Schmerzen, seltener Anästhesie. — Große Müdigkeit, leichte ErParästhesien. Namentlich Klagen über kalte schöpf barkeit in der motorischen Sphäre, aber Hände und Füße; Störungen der sexuellen keine eigentlichen Lähmungen. Fibrilläre, Funktionen, besonders in der Form reizbarer auch vollständige Zuckungen der Muskeln, Schwäche. bis zur Chorea sich steigernd. Vasomotorische Seltener Funktionsstörungen in den Störungen, namentlich Kälte der Hände und vegetativen Organen; doch kommt Dyspepsie
Funktionelle Störungen des Rückenmarkes. Füße. — Dann Funktionsstörungen in der vegetativen Sphäie- Aufstoßen, Erbrechen, Herzklopfen, Krampfhusten, Blasenkrampf, reichliche Absonderung des blassen Harns. Psycliische Reizbarkeit, Verstimmung, ,Schlaflosigkeit.
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und Neigung zur Verstopfung vor. — Abnähme der Ernährung. — Schlaflosigkeit, Schreckhaftigkeit, weinerliche Stimmung. Mit dem Gefühl schweren Krankseins ist Neigung zu hypochondrischer Verstimmung verbunden.
Der Verlauf ist bei beiden ein langsamer, schleppender, es werden häufige Recidive beobachtet; dennoch ist meist der Ausgang ein günstiger.
Die Diagnose,, soweit dieselbe in bestimmter Rubrizierung und Benennung der Krankheit besteht, wird in vielen Fällen dem subjektiven Belieben des Arztes überlassen bleiben. Zunächst ist es geradezu Sache der Gewöhnung, wie sie durch speziellere Beschäftigung mit diesem oder jenem Teil der inneren Medizin entsteht, ob man mehr auf dieses oder jenes Zeichen bei nervös Leidenden Gewicht legt. Was der eine Dyspepsie mit nervösen Erscheinungen nennt, bezeichnet der andere vielleicht als Neurasthenie mit Dyspepsie — beide mit gleichem Recht. Es kommt ein weiterer Umstand hinzu: die Spinalirritation enthält so viel Züge des Bildes der Hysterie, die spinale Neurasthenie wiederum so viele der Hypochondrie, daß es zweifelhaft erscheinen kann, wohin der konkrete Fall gehört. — Darauf kommt übrigens viel weniger an, als auf die rechtzeitige Unterscheidung dieser Zustände von schweren Rückenmarksleiden während ihrer Entwicklung. Hier wird mit Recht hervorgehoben, daß bei Neurasthenie und Spinalirritation objektiv nachweisbare Symptome entweder ganz fehlen, oder mindestens in einem entschiedenen Mißverhältnis zu den Klagen der Kranken stehen. Die Behandlung hat sich ganz nach den im Einzelfalle gegebenen Bedingungen zu richten, sie muß öfter eine psychische sein, neben welcher sorgfältigste Regelung der Lebensweise und der Ernährung einherzugehen hat. Narcotica sind thunlichst AU meiden. — Die Anwendung der Elektrizität hat gute Erfolge aufzuweisen. Man benutzt sowohl den galvanischen wie den faradischen Strom nach den durch die besonderen Verhältnissen gegebenen Anzeigen. § 29.
Erschütterung des Rückenmarkes.
Zu den funktionellen Störungen des Rückenmarkes gehören auch die durch E r s c h ü t t e r u n g (Kommotion) desselben hervorgerufenen Krankheitserscheinungen. — Die häufigsten Gewaltwirkungen sind: Ein Fall, bei welchem das Rückenmark mittelbar durch die steifgehaltenen Arme und Beine, oder vom Gesäß her, oder aber unmittelbar durch das Aufschlagen des Körpers auf den Rücken getroffen wird. Alles das kann durch das Zusammenstoßen von Bahnzügen oder deren Entgleisung vorkommen. Es soll unter solchen Umständen oft schon das plötzliche Aufhören der raschen Bewegung, in welcher sich der Körper befand, zum Zustandekommen einer Erschütterung des Rückenmarkes ausreichen. Den nämlichen Einfluß hat eine starke elektrische Entladung wie die bei dem Blitzschlag. — W a s sonst von Ursachen angeführt wird, ist zweifelhaft. — Das Wesen der Erschütterung wird in molekularer Störung des Nervengefüges gesucht. Diese bedingt zunächst keine anatomisch nachweisbaren Veränderungen; ob solche sich später unter den geänderten Verhältnissen ohne weiteres entwickeln, oder aber ob es dazu noch einer sonstigen Veranlassung bedarf, ist nicht zu entscheiden. Man beobachtet verschiedene Symptomenbilder: v J u rge lisen, Spez Patli u Tlier. II. Auf!
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
1. Vollständige Lähmung aller Glieder, der Blase und des Mastdarmes, vollkommene Anästhesie, die Atmung und der Puls unregelmäßig, schwach, die Körperoberfläche kühl und bleich — der Tod kann nach Stunden oder Tagen eintreten, übrigens ist rasche Genesung nicht ausgeschlossen. Bei diesen mit ausgeprägten Shockerscheinungen einhergehenden Fällen ist häufig gleichzeitig Hirnerschütterung vorhanden. Diese verrät sich durch das aufgehobene Bewußtsein. 2. Anfangs geringfügige Erscheinungen. Nachdem der erste Schreck vorüber, scheint alles ziemlich in Ordnung, allein allmählich stellt sich Schwäche, namentlich in den Beinen, Schmerz und Steifigkeit im Rücken ein, dazu sensible Störungen, excentrische Schmerzen, Parästhesien, Anästhesien, ebenso periphere Kreislaufanomalien, Veränderungen in der Blutverteilung, sogar Unregelmäßigkeiten der Herzthätigkeit. Es gesellt sich hierzu Blasen- und Genitalschwäche, Abnahme der cerebralen Leistungsfähigkeit, Abnahme der Ernährung. Der Verlauf bietet Schwankungen dar, am häufigsten aber ist die langsame progressive Verschlimmerung bis zum tödlichen Ende. Genesung oder wenigstens sehr erhebliche Besserung ist übrigens nicht ganz ausgeschlossen. Von englischen Ärzten wird dieser Form, die nach Eisenbahnunglück besonders oft beobachtet wurde, der Name „Railway-spine" im engeren Wortsinne beigelegt. Natürlich kommen noch anderweitige Krankheitsbilder vor, allein es genügt die Anführung dieser, die hauptsächlichsten Varianten enthaltenden. Entwickeln sich länger dauernde schwere Störungen, die zum Tode führen, dann bleiben anatomische Veränderungen — Entzündungen des Markes und seiner Umhüllungen — nicht aus. — Bei der Festsetzung der Diagnose hat man besonders darauf zu achten, ob wirklich die Erschütterung die einzige nachweisbare Ursache der Erkrankung bildet.— Der schleichende und tückische Verlauf fordert zu großer Zurückhaltung bei der Prognose auf. Die Therapie muß, wenn Zeichen von Shock vorhanden sind, in erster Linie durch Aufrechterhalten der Herz- und A tmungsthätigkeit für den Fortbestand des Lebens Sorge tragen. Entzündlichen Erscheinungen ist mit Blutentziehungen und Anwendung von Kälte — beides örtlich — entgegenzuwirken. — Bei langsamer Entwicklung tritt die Therapie der Myelomeningitis in ihr Recht. Es ist besonders hervorzuheben, daß auch bei günstigem Verlaufe jede stärkere funktionelle Reizung des Rückenmarkes lange Zeit vermieden werden muß. § 30.
Akute aufsteigende Paralyse.
Als a k u t e a u f s t e i g e n d e P a r a l y s e (Kuß maul-Land ry'sehr Paralyse) wird eine seltene Krankheitsform bezeichnet, bei der das Bild schwerster, unter Mitbeteiligung des verlängerten Markes häufig tödlich verlaufender motorischer Lähmung sich rasch entwickelt, ohne daß die i/rob-atiatomisr-lic Intersuchung irgend eine Störung aufzufinden vermöchte. Neuerdings liegen indes Erfahrungen vor, welche beweisen, daß als anatomische Grundlage des klinischen Bildes eine multiple aufsteigende interstitielle Neuritis vorhanden sein kann; das Rückenmark selbst wird hier nicht in Mitleidenschaft gezogen. Die Entstehung ist vollkommen im Dunkeln; einigermaßen wahrscheinlich dürfte es sein, daß es sich um eine Infektion handelt; man hat Milzschwellung gefunden. — Oft ist ein Prodromalstadium vorhanden: allgemeines Unbehagen, geringes Fieber, allerhand Parästhesien, Schmerzen, Gefühl von Schwäche — dies kann bis zu mehreren Wochen
Akute aufsteigende Paralyse.
Traumatische Verletzung des Rückenmarkes.
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anhalten. — Bezeichnend für die eigentliche Krankheit ist die Entwicklung einer von den Beinen imfsteigenden Lähmung
—
nur selten
geht dieselbe in umge-
kehrter Richtung —, bei welcher Sensibilitätsstörungen sehr in den Hintergrund treten, mehr subjektiv als objektiv nachweisbar vorhanden sind, Atrophie der Muskeln und Veränderungen ihrer elektrischen Erregbarkeit fehlen, Blase und Mastdarm unversehrt bleiben. Die Reflexerregbarkeit scheint anfangs erhalten zu sein, nimmt aber wohl später ab. Das Gehirn wird nicht in Mitleidenschaft gezogen. — Die Lähmung schreitet in kürzerer oder längerer Zeit fort, die Respiration geht nicht mehr ungehindert von statten, es stellen sich die Erscheinungen der bulbären Lähmung (§ 42) ein. Schon nach zwei Tagen kann der Tod erfolgen, das Maximum der Dauer bis zum letalen Ausgange betrug sechs Wochen — im Mittel werden acht bis zwölf Tage angegeben.
Genesung, und zwar vollstän-
dige, ist trotz bereits entstandener Atmungsbeschwerden nicht selten beobachtet.
§ 31.
Traumatische Verletzung des Rückenmarkes.
Die t r a u m a t i s c h e n
Verletzungen
Halbseitenläsion.
des Jiiictenmarkfs
entstehen durch
direkte Verwundungen mittels der verschiedenen Waffen und indirekt durch solche mechanische Gewalt, welche Frakturen oder Luxationen von W i r b e l n im Gefolge hat; fast stets ist eine Erschütterung des Markes damit verbunden. —
Anatomisch
ist zu bemerken, daß wenigstens bei dem Menschen eine Regeneration der in den abgetrennten Teilen verlaufenden Nervenstränge, welche zur Wiederherstellung der Leitung führte, nicht nachgewiesen ist. Es bleibt bei der Bildung einfachen Bindegewebes, das sich als Narbe einschiebt. — Durch die Verletzung wird Leitungsunterbrechung mit den ihr entsprechenden Störungen der Bewegung
und
Empfindung herbeigeführt. Zu dieser andauernden Schädigung treten zwei andere vorübergehend hinzu: die Erscheinungen der Kommotion im Anfang, namentlich durch zeitweiliges Aufhören der Reflexe ausgezeichnet, später die Zeichen reaktiver Entzündung.
Letztere folgen meist ziemlich bald und bieten fast immer das
Bild einer je nach den Bedingungen des Einzelfalles mehr oder minder stürmisch verlaufenden Myelitis transversa (§ 32). Temperaturerhöhung bis zu 44
Bei Verletzung des Halsmarkes kann
bei solcher des Brustmarkes Temperaturvermin-
dernng bis 30 0 sich zeigen. Durch Verwundungen wird derjenige Symptomenkomplex am ehesten in seiner ganzen Reinheit hervorgerufen, welchen man als Halbseitenläsion
(Brown-Sequard'-
sche Spinallähmung) bezeichnet. Diese tritt ein, wenn auf eine Hälfte des Markes beschränkte Quertrennung desselben stattfand. — Halbseitige Kompression durch Geschwülste, degenerative Prozesse, Entzündungen u. s. w. ruft selbstverständlich das gleiche hervor. — Die Erscheinungen
nach einer solchen Quertrennung sind:
An der Seite, welche der Verletzung des Maries
entspricht, ist Lähmung
der moto-
rischen und vasomotorischen (Temperatursteigerung) Nerven vorhanden, daneben allgemeine Hyperästhesie, von welcher nur der Muskelsinn nicht betroffen wird. Dieser ist meist vermindert. —• An der unverletzten Seite ist die Bev:egungsfähi.gkeit
unge-
stört, hingegen ausgesprochene Anästhesie aufgetreten. Diese Veränderungen erstrecken sich bis zur Höhe der Verletzung. hyperästhctischen Haut
findet
Oberhalb der mit der Verletzung gleichseitigen
sich ein schmaler Gürtel anästhetischen Gebietes,
manchmal über demselben wieder ein noch kleinerer hyperästhetischer R i n g ; oberhalb der entgegengesetzten anäifheticchen
Seite ist eine schmale hyperästhetische 4*
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
Zone vorhanden. Die Reflexe sind an der motorisch gelähmten Seite bald gesteigert, bald schwächer, an der~sensibel gelähmten meist normal. Die Muskulatur der motorisch gelähmten Seite wird atrophisch und verliert die Erregbarkeit für den faradischen Strom, beides in wechselnder Stärke. Die Thätigkeit der Blase, des Mastdarmes, ebenso die Geschlechtskraft des Mannes pflegt, wenn auch nicht sehr beträchtlich, vermindert zu sein. Bisweilen stellt sich Gürtelgefühl und in dem einen oder dem anderen Bein Empfindung von Schmerz ein. Das Krankheitsbild ist physiologisch größtenteils verständlich: die Kreuzung der motorischen Nervenfasern, welche als Pyramidenbahnen in den Seitensträngen verlaufen, geschieht schon im verlängerten Mark und ganz oben im Rückenmark; ebenso die Kreuzung der vasomotorischen Fasern. Beide Nervengattungen werden also von einer halbseitigen Querdurchschneidung des Rückenmarkes stets unterhalb ihrer Kreuzung, auf der Seite der von ihnen versorgten Körperhälfte getroffen. Im Gegensatz hierzu findet die Kreuzung der centripetal leitenden sensiblen Fasern für jeden von der Peripherie kommenden Nervenstamm schon sehr bald nach dessen Eintritt in das Rückenmark statt •— derart, daß bei einer halbseitigen Quertrennung des Markes die unterhalb derselben eintretenden Empfindungsnerven der verletzten Seite immer schon gleichsam ausgewichen und in die unversehrte Markhälfte gelangt sind, während, eben infolge dieser Kreuzungsart, die Fasern der anderen Körperhälfte von der Verletzung getroffen werden. Nur der für den Muskelsinn bestimmte Teil der sensiblen Leitungsbahnen verläuft ungekreuzt durch das Mark und muß deshalb jedesmal auf der Seite der Verletzung unterbrochen sein. Die Anästhesie der gürtelförmigen Partie oberhalb der motorischen Lähmung kommt durch die Trennung der unmittelbar an der Verletzungsstelle eintretenden, noch ungekreuzten sensiblen Fasern zustande. Unerklärt bleibt nur die Hyperästhesie an einzelnen Gegenden. Die Erkennung der Höhe, in welcher die Marktrennung stattfand, bietet kaum Schwierigkeiten, solche können vielleicht nur dann sich zeigen, wenn die Cervicalanschwellung betroffen wurde. Die Therapie aller traumatischen Erkrankungen ist im allgemeinen die der Myelitis. § 32.
Akuie Myelitis.
A k u t e M y e l i t i s entsteht im Gefolge von Verletzungen und durch Übergreifen von Entzündung aus der Nachbarschaft. Es ist wahrscheinlich, daß, abgesehen von dem Gifte der epidemischen Cerebrospinalmeningitis, auch die anderer Infektionskrankheiten ausnahmsweise im Rückenmark einen geeigneten Boden finden können; so bei septischen Erkrankungen, namentlich den im Wochenbett auftretenden, bei Pocken, seltener bei Typhus, vielleicht bei der Syphilis. In vereinzelten Fällen wird wohl mit Recht heftige psychische Erregung, vielleicht auch Erkältung als Urheber der Myelitis beschuldigt. Immerhin sind das Ausnahmen; es bleibt ein Rest von Fällen, deren Entstehung unaufgeklärt ist. Anatomisch unterscheidet man zunächst nach der Ausbreitung: Poliomyelitis (Myelitis centralis) — Ausgangspunkt die graue Substanz. Verbreitung auch in die weiße kann folgen, — Myelitis transversa — der ganze Querschnitt ist betroffen, — Myelitis peripherica — die äußeren Schichten sind vorzugsweise beteiligt. Seltener finden sich durch das ganze Organ zerstreute Herde — Myelitis
Halbseitenläsion. Akute Myelitis.
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disseminata, oder ein kleinerer engbegrenzter — Myelitis circumscripta. — Die Längenausdehnung der Herde wechselt sehr erheblich. Man trennt verschiedene Stadien: 1. Hyperämie mit beginnender Exsudation. Schwellung, verminderte Konsistenz, auf dem Durchschnitt setzen sich die beiden Substanzen weniger deutlich voneinander ab, stärkerer Blutgehalt, vielleicht Blutergüsse. Das Mark quillt über den Querschnitt vor. Mikroskopisch zeigt sich: Die Gefäße, besonders die Venen, durch Blut ausgedehnt, von ausgetretenen weißen und roten Blutkörperchen umgeben, ihre Wandung verdickt, kolloides Exsudat in der Nachbarschaft. Die Neuroglia ebenso verändert, ihre Zellen mit mehrfachen Kernen. Körnchenzellen treten auf. An den Nervenfasern die Markscheide im Zerfall begriffen, die Achsencylinder oft enorm geschwellt, stellenweise kolbig aufgetrieben, gleichfalls körnig zerfallend. Ebenso verhalten sich die Ganglien. 2. Fettiger Zerfall und Resorption. Der Name gelbe und weiße Erweichung bezeichnet gut das sich darbietende makroskopische Bild, die Änderungen der Farbe, wie die der Konsistenz gleichmäßig berücksichtigend. —• Mikroskopisch: Gefäße verdickt, sehr kernreich, von Körnchen/,eilen durchsetzt, fettig entartet. Auch die Nervenbestandteile in fettiger Entartung begriffen wie das bindegewebige Gerüst. Besonders bezeichnend ist die überall vorhandene Menge von Körnchenzellen. 3. Ausgänge. Narbenbildung, Abnahme des Umfanges, Zunahme der Konsistenz des erkrankten Markes, in dessen Gewebe auch Höhlenbildung mit Ansammlung von Flüssigkeit auftreten kann. Die Wucherung des Bindegewebes erstreckt sich nicht selten über die erkrankte Stelle in die Nachbarschaft hinaus. — Mikroskopisch: Im wesentlichen Wucherung von Bindegewebe, viele Deiters'sehe (Spinnen-)Zellen in demselben, die Gefäße verdickt, erweitert, Corpora amylacea in reichlicher Menge. Man nimmt an, daß durch schmale, dunkelrandige Nervenfasern, die sich finden, Wiederherstellung der Leitung erfolgen kann. Meningen und Nervenwurxeln nehmen meist an der Entzündung teil. — Sekundäre Degenerationen stellen sich nach einiger Zeit immer ein. Periphere Nerven und die ihnen zugehörenden Muskeln, soweit sie mit dem Krankheitsherde in Beziehung stehen, werden im späteren Verlauf der Erkrankung öfter antrophisch. Ein klinisches Krankheitsbild ist nur in allgemeinen Umrissen zu entwerfen. Tritt das Leiden als selbständiges auf, dann kann ein übrigens ganz unbestimmtes Prodromalstadium vorhergehen, andere Male ist der Anfang ein plötzlicher mit Schüttelfrost und Fieber, oder ohne solches. Reizerscheinungen der sensiblen Nerven in allen Formen sind manchmal zu Beginn vorhanden, seltener solche der motorischen — die Beteiligung der Meningen macht sich hier vorwiegend geltend. Charakteristisch sind die Lähmungen, welche Empfindung wie Bewegung, besonder* aber diese treffen. Die auf dem befallenen Teil des Querschnitts liegenden Leitungsbahnen werden unterbrochen, und alles, was innerhalb derselben verläuft, wird mehr oder minder funktionsuntüchtig. Zu bemerken ist, daß erfahrungsgemäß die motorische Lähmung zeitlich der sensiblen vorausgeht; diese pflegt auch nicht ganz so hochgradig zu werden. — Die Reflexerregbarkeit ist durchaus verschieden; je nachdem die reflexhemmenden Fasern von dem die Übertragung vermittelnden Centrum abgetrennt sind, oder dieses Centrum selbst zerstört wurde, erscheint dieselbe vermehrt oder bis zum Erlöschen vermindert. — Störungen der Harnentleerung finden sich sehr häufig, anfangs handelt es sich
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
meist um mehr oder minder vollständige Lähmungen des Detrusor — also erschwerte Entleerung —, später um solche des Sphincter vesicae — also Inkontinenz. Fast das gleiche ist das Verhalten bei der Defäkation, anfänglicher Stuhlverstopfung folgt Lähmung mit dem Unvermögen, den Stuhl zurückzuhalten. Unter den trophischen Störungen ist das Auftreten von brandigem Decubitus besonders bemerkenswert. Nur durch äußerste Sorgfalt und peinlichste Reinlichkeit ist derselbe vielleicht zu vermeiden. Von anderen wird behauptet, daß sich ganz unabhängig von äußeren Einflüssen Druckbrand entwickeln kann. Wahrscheinlich handelt es sich dabei immer um Zerstörung trophischer Centren innerhalb des Markes. Von einer solchen dürfte auch die manchmal sehr rasch sich vollziehende Muskelatrophie abzuleiten sein. Verlauf und Ausgang sind wiederum sehr wechselnd. Der Tod kann in wenig Tagen eintreten und wird dann meist Atmungslähmung herbeigeführt, welche bei Unterbrechung der Phrenicusbahnen erfolgt. Auch septische Infektion, von dem Decubitus oder einer Cystitis ausgehend, vermag im Laufe einiger Wochen, bei langsamerem Verlauf vielleicht erst nach Monaten das tödliche Ende zu bewirken. — Der Übergang in die chronische Form ist nicht selten. Genesung mit mehr oder minder hochgradiger Einbuße an Bewegungs- und Empfindungsvermögen ist öfter zu beobachten, vollständige Heilung nur in äußerst wenig Fällen. — Die Prognose ist daher immer eine sehr zweifelhafte. Bei der Behandlung sind örtlich ausgiebige Blutentziehungen und Kälte — Eisbeutel, am besten die langen Chapman'sehen, — im akuten Stadium zunächst angezeigt. Man hat auch von den Gegenreizen bis herauf zum Glüheisen Gebrauch gemacht — ein in Betracht der dringenden Gefahr immerhin erlaubter Eingriff. Die jenseit des akuten Stadiums liegenden therapeutischen Maßnahmen sind die gleichen, wie die bei der von Haus aus chronischen Myelitis. § 33. Chronische Myelitis. Wie viel von dem, was unter dem Namen der c h r o n i s c h e n M y e l i t i s zusammengefaßt wird, echter Entzündung, und wie viel Ernährungsstörungen im weiteren Wortsinne angehört, ist gegenwärtig nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Die Bildung der Gruppe ist eine wesentlich von klinischen Gesichtspunkten aus vorgenommene; als maßgebend betrachtet man dabei die langsame, fieberlose Entwicklung und ebendenselben Verlauf der hier eingereihten Krankheitszustände. Manche der früher anstandslos hierher gerechneten zeigen so eigenartige Bilder, daß sie ausgeschieden werden mußten •— die Systemerkrankungen (§ 20). Was übrig ist, fällt unter die Myelitis transversa und ruft je nach Sitz und Ausbreitung der Erkrankung verschiedene Erscheinungen hervor. — Diese Formen sollen zunächst besprochen werden. Als prädisponierend wird neuropathische Konstitution (§ 60), körperliche und geistige Uberanstrengung, dann auch die Syphilis angeführt. Zum Ausbruch soll das Leiden besonders durch Erkältung kommen, namentlich wenn solche einen ermüdeten Körper trifft. Man will so das verhältnismäßig häufige Auftreten bei Soldaten nach den Feldzügen erklären. — Die Entwicklung der chronischen aus der akuten Form läßt die für diese angegebenen Entstehungsursachen auch hier zur Geltung gelangen. Anatomisch ist zu bemerken: Die für die akute Myelitis gebräuchlichen Bezeichnungen bezüglich des Sitzes und der Verbreitung werden ebenfalls für die
Chronische Myelitis.
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chronische gebraucht. Makroskopisch kann, selbst bei erheblichen Strukturveränderungen, alles normal erscheinen, gewöhnlich aber ist das Rückenmark an den kranken Stellen dünner und härter, grau, mit einem mehr oder minder ausgesprochenen Stich ins Gelbe. Erweichungen sind seltener. Meningen und Nervenwurzeln können teilnehmen.—Mikroskopisch findet man: Umwandlung der Gerüstsubstanz, an deren Stelle feinfaseriges, fibrilläres Bindegewebe, Verdickung der Gefößwandung bei gleichzeitiger Verengerung des Lumens, streckenweise Ausbuchtungen; Körnchenzellen und Corpora amylacea in wechselnder Menge und Verteilung, Nervenfasern und Ganglienzellen angeschwollen, gequollen bis zum vollständigen Zerfall atrophisch; nicht selten ist auch Höhlenbildung vorhanden. Ob eine Trennung der parenchymatösen — von den nervösen Elementen ausgehenden — und der interstitiellen, dem bindegewebigen Gerüst entspringenden Entzündung geboten, steht noch dahin. Daß bei der innigen Verbindung beider Gewebsel emente sehr bald ein Übergreifen von dem einen auf das andere stattfinden muß. unterliegt keinem Zweifel. Die Erkrankung entsteht schleichend und allmählich. Leichtere sensible Störungen pflegen sie einzuleiten: dieselben treten in verschiedener Form, meist zuerst an den unteren Extremitäten auf,' ohne nachweisbare äußere VeranlassungO kommend und gehend. Ebenso ist es mit den bisweilen den sensiblen voraus sich meldenden motorischen Störungen, die als Schwäche und Ermüdung der Beine erscheinen. Schon früh nehmen Blase und Mastdarm teil — es ist Erschwerung des Harnlassens wie der Stulilentleerung da. Auch die Geschlechtskraft der Männer läßt nach. Dann allmähliche Zunahme aller Symptome, die der motorischen Lähmung treten mehr in den Vordergrund, unter den sensiblen überwiegt die Anästhesie. So kommt es zur Paraplegie. Die zu einer Zeit meist gesteigerten Reflexe an den von der Lähmung ergriffenen Teilen erlöschen nach und nach, Reizerscheinungen in denselben — Zuckungen, Kontrakturen — hören auf; die Muskeln werden allmählich atrophisch. — Die Rückwirkung auf das Allgemeinbefinden ist, abgesehen von etwaiger gar wohl begreiflicher psychischer Depression des Kranken, keine besonders nachteilige; auch die Ernährung wird wenig beeinträchtigt. Erst mit den Enderkrankungen, dem Decubitus und der Cystitis, ändert sich das. Der Ausf/anfj in wirkliche und vollständige Genesung ist im ganzen nicht häufig, öfter jedoch werden durch mehr oder minder vollständigen Stillstand der Erscheinungen trügerische Hoffnungen erweckt. Die Recidive, von denen viel gesprochen wurde, dürften sich in der Mehrzahl auf diese Weise erklären. In der Regel kommt es nach Jahren zum tödlichen Ausgang. Die Prognose ist demgemäß eine ungünstige; freilich wird dem Kranken eine längere Lebensfrist gegönnt. Die Therapie hat, es sei denn, daß Syphilis vorliegt, eine undankbare Aufgabe. — Regelung der Lebensweise, möglichst gute Ernährung, Fernhalten aller Schädlichkeiten, von denen ein ungünstiger Einfluß speziell auf das Rückenmark zu erwarten ist, sorgfältigste Pflege der des Gebrauchs ihrer Glieder teilweise Beraubten, den Gefahren des Decubitus und der Cystitis Ausgesetzten — das ist dauernd im Auge zu behalten. — Die Anwendung der Elektrizität, besonders des auf den Erkrankungsherd selbst wirkenden galvanischen Stromes, verspricht noch am meisten; es gilt als Regel, daß kurzdauernde Sitzungen mit nicht zu starken Strömen längere Zeit wiederholt werden sollen. Faradisation der dem Willen entzogenen Muskulatur kann — falls keine Entartungsreaktion vorhanden — der Ernährung der Muskeln zu statten kommen; wird die Leitung später wiederher-
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, ßowie des verlängerten Markes.
gestellt, dann sind dieselben wenigstens nicht atrophisch geworden. — Auch von sachkundiger Hand geleitete Wasserkuren haben Erfolge zu verzeichnen. Unter den Bädern werden von maßgebender Seite die Soolbäder weitaus bevorzugt, dabei aber dringend zur Vorsicht gemahnt: man soll nicht höher als 30° C. mit der Temperatur gehen und nur kurze Zeit baden lassen. — Von Medikamenten werden Seeale cornutum (0,3—0,5 g zweimal täglich) und in kleineren Dosen gleichzeitig dargereichte Belladonnapräparate empfohlen. — Die auf die Dauer kaum zu umgehende Anwendung des Morphium muß solange wie möglich hinausgeschoben werden — man denke immer daran, daß es sich um Jahre des Gebrauchs handelt und Morphinismus droht. § 34.
Multiple Sklerose des Rückenmarkes und Gehirns.
Die m u l t i p l e S k l e r o s e ist in der Regel nicht auf das Rückenmark beschränkt, sie zieht auch das Gehirn in Mitleidenschaft. Es handelt sich bei dieser Erkrankung um die Bildung von Herden innerhalb des ganzen Nervensystems, besonders aber des centralen, welche in willkürlicher Ausbreitung größere oder kleinere Teile desselben einnehmen, anatomisch durch Vermehrung des interstitiellen Bindegewebes und Untergang der nervösen Elemente ausgezeichnet sind. Ätiologisch ist bekannt: In seltenen Fällen fand man hereditäre Belastung, beide Geschlechter scheinen annähernd gleich häufig ergriffen zu werden, das 20. bis 35. Jahr scheint die größte Disposition zu bieten, Kinder erkranken selten, ältere Leute nur ganz ausnahmsweise. Unter den Gelegenhsitsursachen nennt man mit Recht Verletzungen der Centralorgane und Infektionskrankheiten; ausreichende Beweise für die Wirksamkeit von Schwangerschaft, Erkältungen, geistiger und körperlicher Uberanstrengung sind nicht beigebracht. Anatomisch findet man: In allen Teilen des Gehirns und seiner Nerven, des Rückenmarkes und seiner Nervenwurzeln zeigen sich Herde von verschiedener Form und einer Größe, die von dem makroskopisch nicht mehr wahrnehmbaren, bis zu 10 und mehr Centimetern in allen Zwischenstufen schwankt. Gewöhnlich ist die Konsistenz des erkrankten Gewebes vermehrt, seltener vermindert — in diesem Falle denkt man an relativ frische Prozesse. Die Herde ragen über die gesundgebliebenen Teile hervor oder senken sich darunter. Auf dem Durchschnitt erscheinen sie grau bis graugelb, auch grau und weiß gefleckt, manchmal nach Einwirkung des Sauerstoffs der Luft leicht rötlich, glatt, matt-glänzend; sie können zusammenfließen und dann, namentlich im Gehirn, sich über weite Strecken ausdehnen. — Sekundäre Degenerationen fehlen fast immer. Mikroskopisch sieht man die derberen Herde aus einem dichten Geflechte feiner Bindegewebsfasern bestehen, Kerne, reichliche oder spärliche, sind darin eingebettet, Nerven fehlen im Innern vollständig, finden sich aber verändert oder normal am Rande. Die Gefäßwände sind sehr häufig hyalin verdickt, die Adventitia kann mit Rundzellen durchsetzt sein. — Die weicheren Herde bieten im ganzen das gleiche Bild dar, nur ist das Maschenwerk weiter — die gefleckten Herde enthalten Fettkörnchenzellen und Detritus. — Vom anatomischen Gesichtspunkte aus muß eine mehrfache Entstehungsweise der sklerotischen Herde als möglich angenommen werden: nicht entzündliche Ernährungsstörung des Glia-
Chronische Myelitis. Multiple Sklerose.
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oder Nervengewebes, multiple Entzündung, Entwicklungsstörungen werden als primäre Erkrankungen genannt. Gewöhnlich entsteht die Krankheit langsam, seltener anscheinend plötzlich. Je nach dem Sitz der ersten Herde treten verschiedene Symptome auf. Wenn es sich um Hirnlokalisntion handelt, findet man Kopfweh, Schwindel, Störungen im Gebiete von Hirnnerven, psychische Anomalien, auch wohl Lähmungen, welche rasch und mit manchmal recht stark ausgesprochener Annäherung an das Bild einer Apoplexie sich ausbilden. Wurde das Rückenmark zuerst ergriffen: Unsicherheit des Ganges, der feineren Koordinationen an den Händen, leichte Ermüdung, allerlei Störungen in der sensiblen Sphäre, vielleicht auch viscerale Neuralgien. — Es vergeht gewöhnlich eine erhebliche, durch vielfaches Besser- und Schlechterwerden gekennzeichnete Zeit, ehe die entwickelte Krankheit bleibende charakteristische Zeichen liefert. Unter den Bewegungsstörungen ist dann das sogenannte Intentionsxittern eine der häufigsten: die vom Willen in Tliätigkeit zu setzenden Muskeln werden ruckweise zur Zusammenziehnng gebracht, so daß ein mehr oder minder heftiges Zittern eintritt: die Richtung der ausgeführten Bewegung im ganzen ist die beabsichtigte. Es kommt so immerhin eine gewisse Regelmäßigkeit zustande, welche diese Form der Tnnervationsstörung leicht von der hei Chorea auftretenden unterscheiden läßt Die Richtungslinie bei dem Tntentionszittern der multiplen Sklerose weicht von der normalen gradlinigen oder bogenförmigen dadurch ab, daß sie einen in Absätzen entstandenen, freilich mit verschieden großen Radien versehenen Kreisbogen bildet, während bei der Chorea eine durchaus unregelmäßige Linie beschrieben wird. — Je stärker die Willensanspannung wird, desto mehr nimmt bei der multiplen Sklerose das Zittern zu — in der Ruhe verschwindet dasselbe. Dadurch ist ein tiefgreifender Unterschied gegen die Zustände bei der Paralysis agitans gegeben, wo das in der Ruhe bestehende Zittern durch Willensanstrengung wenigstens zeitweilig aufgehoben werden kann.
Welche Herderkrankung dem Intentionszittern zu Grunde liegt, ist fraglich; die Behauptung, daß es bei rein spinalen Formen fehle, scheint unrichtig. Auf ähnliche Ursachen dürfte das, wenn auch nicht jedesmal auftretende, doch keineswegs allzu seltene Skandieren leim Sprechen zu beziehen sein. Es löst sich dabei eine Silbe nach der anderen nur langsam von den Lippen, die Sprache ist überaus eintönig. Ferner gehört hierher das Umschlagen der Stimme bei stärkerer Anstrengung: mannigfaltige Anomalien hei der Inspiration, durch rasches Lufteinströmen bedingtes Jauchzen oder ähnliche Laute — alles das übrigens nicht gerade häufig. Sämtliche hierher gehörige Erscheinungen sind auf die objektiv nachweisbare Störung in der Innervation der Kehlkopfmuskeln zurückzuführen. — Nystagmus, oft zu beobachten, gehört in die gleiche Kategorie. — Im späteren Verlauf verhalten sich die Zitterbewegungen verschieden: sie können verschwinden, oder sich sehr verstärken, sogar während des Schlafes andauern. — Lähmungen, Ataxie, Kontrakturen entwickeln sich an den Beinen häufiger als an den Armen. Die Kontrakturen können sehr stark werden, sie scheinen oft durch die gesteigerte Reflexerregbarkeit der Sehnen, ein sehr häufiges Symptom, bedingt zu sein; es kann so das Bild der spastischen Spinalparalyse (§ 36) zustande kommen. —• Die Hautreflexe bleiben lange normal. — Sensible Störungen treten in vielen Fällen zurück, fehlen indessen nicht so häufig, wie behauptet wurde. Sie zeigen sich in der verschiedensten Weise, als Gürtelempfindung, als Parästhesien oder Anästhesien. Blase und Mastdarm bleiben lange unversehrt; auch der Decubitus stellt sich erst spät ein. Desgleichen fehlen trophische Veränderungen
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
der Muskulatur lange, die elektrischen Verhältnisse sind normal bis zu den letzten Zeiten. — Von den Sinnesorganen fand man vorzugsweise das Auge ergriffen: Sehschwäche, indessen keineswegs hochgradige, manchmal mit Reizerscheinungen, Funkensehen und dgl., verbunden. Es kann zur Atrophie des Opticus kommen. — Gehör, Geruch, Geschmack sollen weniger oft in Mitleidenschaft gezogen sein — eine Behauptung, die möglicherweise durch nicht so häufige und eingehende Untersuchung, als sie dem Auge gewidmet wurde, zu erklären ist. Störungen der Psyche sind, wenn auch in geringerem Maße, recht oft vorhanden. Sie äußern sich dann in der Form leichter Abweichungen, welche vielleicht nur den mit dem früheren Wesen des Kranken genau Vertrauten bemerkbar werden. Übrigens kann es zur Entwicklung echter Psychosen kommen, tritt doch eine typische Form der Krankheit geradezu unter dem Bilde der progressiven Paralyse der Irren auf. — Schwindelanfälle sind in allen Stadien des Leidens eine häufige Erscheinung. Apoplektiforme Anfälle — man schätzt deren Häufigkeit auf 20 °'0 —• unterbrechen den einförmigen Gang der Krankheit. Mit oder ohne Vorboten stellt sich dann Koma ein unter gleichzeitiger, selbst bis 41 0 anwachsender Temperatursteigerung, Zunahme der Pulsfrequenz und Rötung des Gesichts; eine Körperhälfte wird dabei gelähmt. Nach einigen Tagen verliert sich mit schwindendem Fieber zunächst das Koma, dann allmählicher die Hemiplegie. War die Hemiplegie ganz ausgeblieben, wie es bei diesen Zufällen manchmal, wenngleich nur sehr selten geschieht, dann ist außer dem Koma nur eine vorübergehende allgemeine Verschlimmerung, namentlich der schon früher vorhandenen Lähmungen zu beobachten. — Nach solchen schweren Gehirnerscheinungen tritt fast immer eine Zunahme der Krankheit überhaupt auf. Da es sich bei der multiplen Sklerose, soweit uns bis heute bekannt ist, um eine regellose Verbreitung der einzelnen Herde auf das Gesamtgebiet des Nervensystems handelt — nur im Gehirn scheinen bestimmte Teile vorzugsweise befallen zu werden: Umgebung der Seitenventrikel, Balken, Streifenhügel, Pons, Großhirnschenkel, Nucleus dentatus —, so wird einzig der Satz unbedingte Gültigkeit beanspruchen können, daß die Symptome des Einzelfalles durch die in ihm bestehenden Herderkrankungen bedingt sind. Erfahrungsgemäß darf weiter gesagt werden, daß eine Beschränkung der Krankheit nur auf das Gehirn oder nur auf das Rückenmark selten ist. So findet sich denn meistens ein Krankheitsbild, in welchem die vorstehend geschilderten Züge mehr oder minder vollständig ausgeprägt auftreten. — Eine genauere Erklärung der Einzelsymptome ist mir dort möglich, wo unsere physiologischen Kenntnisse weit genug fortgeschritten sind, um die Funktionsstörung des betroffenen Teiles gesondert erkennen und deuten zu können. Das aber ist nur in sehr beschränktem Maße der Fall; für vieles fehlt noch jedes Verständnis. So sind z. B. auch die apoplektiformen Anfälle vollkommen rätselhaft.
Die multiple Sklerose ist eine langsam, aber stetig fortschreitende Erkrankung, welche wohl immer zum tödlichen Ende führt. Stillstand und Scheinbesserung können freilich bis zu jahrelanger Dauer sich einschieben. Man hat raschen Verlauf innerhalb ein bis zwei Jahren, ebenso sehr zögernden auf 20 Jahre sich erstreckenden gesehen — beides selten, gewöhnlich rechnet man 5 bis 10 Jahre. Der Tod kann in einem Anfalle erfolgen, meist aber tritt er wie bei den übrigen chronischen Rückenmarksleiden infolge von Marasmus, Decubitus oder Cystitis auf. — Die Prognose ist somit eine unbedingt schlechte. Die Diagnose hat sich zunächst die Aufgabe zu stellen, Herderkrankung an verschiedenen Teilen des Nervensystems aufzufinden. Man kommt so zu dem Nachweis, daß an räumlich getrennten Abschnitten sich pathologische Vorgänge
Multiple Sklerose. Tabes dorsalis.
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vollziehen. Das Auftreten mehrerer, öfter bei dem Ganzen der Krankheit beobachteter Symptome — Intentionszittern, Sprachstörung, Nystagmus, relatives Unversehrtbleiben der Sensibilität, apoplektiforme Anfalle — leitet dann weiter, die Zusammenfassung und Einreihung des Ganzen unter ein bekanntes Krankheitsbild gestattend. — Es kann natürlich vorkommen, daß in einem früheren Stadium nur die einer bestimmten Lokalisation entsprechenden Zeichen sich finden und daher eine örtlich beschränkte Krankheit angenommen werden muß, bis dann erst die weitere Beobachtung vollen Aufschluß giebt. Manchmal kann sogar bis zur Sektion alles dunkel bleiben. — Die Differentialdiagnose gegenüber der Paralysis agitans ist durch die Form des Zitterns gesichert; weiter ist zu bemerken, daß diese eine Krankheit des vorgeschrittenen Lebensalters ist (vgl. § 72). Von einer wirksamen Therapie ist leider nicht zu reden. Man empfiehlt arsenige Sciwe und Silbersalpeter, die Anwendung der Bäder, der Hydrotherapie, des
Galvanismus wie bei chronischer Myelitis. § 35.
Tabes dorsalis.
Die T a b e s d o r s a l i s ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen des Rückenmarkes überhaupt, unter den systematischen nimmt sie unbestritten die erste Stelle ein. — Ätiologisch ist bekannt, daß Männer häufiger als Weiber befallen werden, und daß das dritte bis fünfte Lebensjahrzehnt besonders ausgesetzt ist. Neuropathische Disposition scheint nicht von erheblichem Einfluß, Übertragung durch Vererbung ist jedenfalls sehr selten. Als unmittelbar veranlassend führte man, indes ohne ausreichenden Grund, Erkältungen, geistige und körperliche Uberanstrengung, sexuelle Ausschweifungen an. Neuerdings tritt unter den Ursachen mehr und mehr die Syphilis in den Vordergrund. Wenn auch die statistischen Angaben der einzelnen Forscher sehr weit auseinandergehen, wird es doch immer wahrscheinlicher, daß bei einem nicht kleinen Teil der Tabiker in der That die Syphilis das Leiden unmittelbar hervorgerufen hat. Freilich liegt oft eine lange Zeit, Jahrzehnte zwischen der syphilitischen Ansteckung und der Entwicklung der Tabes, freilich können anderweitige Zeichen von Lues ganz fehlen, und der Beweis muß, da auch anatomische Belege nicht zu erbringen sind, rein statistisch geführt werden. Es ist daher nicht zu verwundern, daß die ganze Anschauung noch keine allgemeine Billigung gefunden hat. — Von akuten Infektionen wird die Diphtherie als unmittelbare Veranlassung zur Tabes genannt, die anderen sollen mehr mittelbar deren Entstehung begünstigen. — Nach Vergiftung mit Mutterkorn ist in einer verhältnismäßig beträchtlichen Zahl von Fällen echte Tabes auch anatomisch nachgewiesen; denkbar wäre es, daß andere Gifte gleiches zu bewirken vermöchten. Anatomisch zeigt sich: Verkleinerung und Verhärtung im Rückenmark, im wesentlichen auf die Hinter stränge beschränkt, welche graugelb verfärbt erscheinen.
Der obere Lenden- und der Brustteil des Markes sind meist am stärksten befallen; nach oben und unten von ihnen werden die Veränderungen geringer. Auch die hinteren Wurzeln sind an den erkrankten Abschnitten ähnlich verändert, die vorderen hingegen unversehrt. Ferner ist die Pia mit der Dura verwachsen, verdickt, oft auch stärker pigmentiert; die Spinalflüssigkeit ist vermehrt. — Auf gehärteten und gefärbten Durchschnitten sieht man die Verteilung der Entartung: Im Lendenmark sind die vordersten Abschnitte der Hinterstränge meist frei, alles andere
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
ist degeneriert; im Brustteil ist die Entartung nahezu eine vollständige; im Halsteile kommt öfter Beschränkung auf die Götschen Stränge, den innersten der hinteren Längsfurche zunächst gelegenen Teil, vor. In der Höhe der Striae acusticae verschwindet die Entartung. — Am Stamme des Opticus und der Nerven, welche die Augenmuskeln versorgen, besonders des Oculomotorius, findet sich die gleiche Degeneration, andere Hirnnerven werden kaum betroffen. — Die grauen Hintersäulen nehmen fast immer teil, auch die Seitensprünge sind in nicht seltenen Fällen mit ergriffen. Alle Veränderungen treten symmetrisch auf, die beiden Rückenmarkshälften sind meist auch in der annähernd gleichen Stärke ergriffen. — Mikroskopisch zeigt sich Atrophie der Nervenfasern bis zu völligem Schwund, das Bindegewebe vermehrt, die Gefäßwandungen verdickt, Körnchenzellen und Corpora amylacea. Die zeitliche Entwicklung soll sich so vollziehen, daß zunächst das Nervengewebe degeneriert, erst später die Wucherung des Bindegewebes stattfindet; mit eigentlicher Entzündung hat die Tabes nichts zu thun. Es ist bei dieser Darstellung der Verteilung der Degeneration das Bild der langdauernden Fälle zu Grunde gelegt, wie es am häufigsten sieh bei den Sektionen zeigt. Hier ist von einer Beschränkung des Krankheitsorganes auf die Hinterstränge nicht zu reden. Dem gegenüber hat man sich auf den Befund bei relativ frischen Fällen gestützt, für diese strengste Einengung auf die Hinterstränge und nicht einmal auf das Ganze derselben behauptet. Solange das Minische Bild der Tabes rein sei, handle es sich nur um die Hinterstränge, neber diesen freilich auch um die Hintersäulen und die hinteren Wurzeln; immer aber seien es funktionell zusammengehörige Fasern, die in solchen Fällen erkranken. Daß später auch andere Teile des Rückenmarkes, namentlich der Seitenstränge sogar der Vordersäulen erkranken können, wird nicht in Abrede gestellt; allein dann sei auch das klinische Bild ein anderes geworden. Indessen darf schon die „reine" Tabes nicht als einfache Systemerkrankung angesehen werden, sie gehört zu den kombinierten. Unter fortdauernder Einwirkung derjenigen Schädlichkeiten, welche zunächst sich auf die Hinterstränge beschränken, kann der ursprünglich nnr in diesen angefachte Krankheitsvorgang auch in anderen Systemen zur Entwicklung gelangen. Nie geschieht das durch Obergreifen entzündlicher Vorgänge von dem ersterkrankten auf die später mitbeteiligten Abschnitte; denn Entzündung ist überhaupt nicht vorhanden, sogar die Meningen bleiben anfangs ganz frei. Es läßt sich gegen diese vom Standpunkte der Anhänger der Systemerkrankungen gegebene Deutung kaum etwas wesentliches einwenden. Sie giebt das zu, was zugegeben werden muß: die Tabes ist eine kombinierte Systemerkrankung.
Die Symptomatologie der Tabes zeigt ein ziemlich geschlossenes Bild. — Langsame Entwicklung ist die Regel, nur ganz vereinzelte Ausnahmen kommen vor. Der Übersichtlichkeit halber kann man verschiedene Stadien unterscheiden. Erstes Stadium (einleitendes, neuralgisches). Störungen der sensiblen Nerven zunächst und am häufigsten derer der unteren Gliedmassen, seltener wohl auch der oberen, eher noch der am Rumpf walten vor; unter ihnen nehmen die lancinierenden Schmerzen einen hervorragenden Platz ein, da sie sehr früh und sehr konstant sich zeigen: urplötzlich treten heftige Schmerzen auf, welche blitzartig den ergriffenen Teil durchzucken und zu Anfällen sich vereinen, deren Dauer von Minuten zu Tagen sich erstreckt. Gleichzeitig kommt es zu allerhand Parcisthesien: An den Füßen das Gefühl von Taubsein, die Empfindung, als ob der Kranke auf Wolle ginge, Ameisenkriechen, Gürtelgefühl. Bemerkenswert ist, daß an diesen Parästhesien häufig das Uluaryebiet teilnimmt. — In einer nicht kleinen Zahl tritt früh Lähmung von Augenmuskeln auf, sich durch Schielen, Doppeltsehen, Schwindel verratend. Abducens und Oculomotorius sind gewöhnlich, nicht häufig der Trochlearis betroffen. Seltener ist Sehnervenatrophie, welche meist zur Erblindung führt. Leichte Ermüdung
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Talles dorsal ís.
der Beine, Unsicherheit des Ganges, Schwanken bei geschlossenen Augen und in der Dunkelheit, geringe Blasenschwäche, Obstipation und Abnahme der männlichen Potenz gehören zu den ziemlich konstanten und frühen Zeichen. — Wichtig ist das Fehlen der Sehnenreflexe — ein freilich nicht unbedingt pathognomonisches Symptom, da es in einzelnen Fällen ausbleibt, aber immerhin von hohem diagnostischen Wert, weil es in der großen Mehrzahl der Erkrankungen frühzeitig vorhanden ist. — Die Hautreflexe sind durchauswechselnd in ihrem Verhalten. Z u den weniger
häufigen
E r s c h e i n u n g e n g e h ö r e n viscerale
Neuralgien,
unter
denen die des Magens (Crises gastriques) obenan stehen, eigenartige Erkrankungen der Gelenke und der Knochen, cerebrale Symptome: Kopfweh und leichtere psychische Anomalien. — Allmählich, meist erst im Laufe von Jahren, vollzieht sich der Ü b e r g a n g zum zweiten Stadium,
dem ataktischcn.
In diesem herrscht die als
Ataxie bezeichnete Koordinationsstörung. Sie tritt vorwiegend an den Beinen auf und giebt dem Gang ein ganz charakteristisches Gepräge: die Beine werden hoch emporgehoben mit viel mehr Muskelkraft, als notwendig wäre, die Fersen stampfend auf den Boden gesetzt, beide Füße weit voneinander entfernt, so daß die Unterstützungsfläche möglichst groß wird. Frühzeitig wird der Stock zur Hilfe genommen. Das Auge kontrolliert die Bewegungen — wird es geschlossen oder durch Dunkelheit an seiner Thätigkeit gehindert, dann ist der Gang noch unsicherer, als er es schon war, die Kranken stürzen nun leicht zusammen. Auch das Aufstehen vom Sitz ist nicht mit der normalen Sicherheit auszuführen, die Arme müssen dabei mithelfen. Obgleich die gut ernährten Muskeln zu groben Kraftäußerungen voll befähigt sind und ihr elektrisches Verhalten keine wesentlichen Anomalien darbietet, tritt doch leicht Ermüdung ein. — Diese als lokomotorische Ataxie bezeichneten Erscheinungen stellen sich zuerst ein; bei höheren Graden des Übels wird auch das Stehen schwer oder unmöglich, namentlich wenn man durch Zusammensetzen der Fersen die Unterstützungsfläche verkleinert und die Augen schließen läßt — statische Ataxie. — Erfet später breitet sich, den Kranken mehr und mehr des Gebrauches seiner Glieder beraubend, die Ataxie nach oben aus — nur selten werden die Arme schon früh ergriffen. — Gewöhnlich kommt es erst in diesem Stadium zu der spinalen Myose: die Pupillen sind dauernd eng, sie reagieren nicht mehr auf Lichtreiz, wohl aber noch bei der Akkommodation. Die sensiblen Störungen dauern fort, nehmen an Stärke zu, auch das Muskelgefühl zeigt sich geändert. Die Kranken haben die Empfindung für die Lage der Beine verloren und wissen nur durch die Augenwahrnehmung, wo sich dieselben befinden. Passive Bewegungen werden bei Ausschluß der Sehkontrolle nach Richtung und Umfang schwer geschätzt. — Blasen- und Geschlechtsschwäche nehmen zu. — So kommt, wiederum erst nach Verlauf von Jahren, unter Abnahme der bis dahin guten Ernährung das Endstadium, — auch das paralytische genannt — heran. Septische Infektion von brandig gewordenem Decubitus oder von einer Cystitis aus führt den Tod herbei. Wie jede Einteilung in Stadien hat auch diese ihr Willkürliches; manche Zeichen, die hier in dem ersten untergebracht sind, werden von anderen in das zweite verwiesen. Bs kommen in den Einzelfällen nicht unerhebliche Schwankungen der Zeitfolge vor, im allgemeinen aber trifft die Darstellung zu.
Von Einzelerscheinungen
ist zu erwähnen:
Die lancinierenden Schmerzen sind wahrscheinlich auf Reizung der hinteren Wurzelfasern während ihres Verlaufes in den Hintersträngen zu beziehen. Vielleicht
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
kommen die „äußeren Bänder", welche zuerst erkranken, dabei wesentlich in Betracht, so daß das frühe und konstante Auftreten der Erscheinung seinen anatomischen Grund fände. Die meist erst nach geraumer Zeit folgenden objektiv nachweisbaren Störungen der Sensibilität erstrecken sich selten auf alle Empfindungsqualitäten (§ 9) zugleich.. So kann der Temperatursinn gut erhalten sein, während der Raumsinn, der Drucksinn u. s. w. schwer beeinträchtigt sind. Abgesehen von einfacher Abnahme zeigen sich auch Verkehrtheiten der Sinnesempfindungen: so das Gefühl, als ob 3—5 Zirkelspitzen die Haut berührten, während es doch nur eine ist (Polyästhesie), so im Gebiet der Schmerzensempfindung, daß ein schwacher Reiz Schmerz erzeugt, während stärkere und starke das nicht thun. Ebenso trifft man eine Verspätung der Empfindungsleitung für den Schmerz. — Eine Abnahme der Empfindlichkeit gegen den faradischen Strom zeigt sich schon früher. — Wenigstens in den vollentwickelten Fällen ist auch der Muskelsinn nicht selten gestört. Das Verhalten der Anästhesie hat zu vielfachen Erörterungen geführt. Einerseits wurde behauptet, daß dieselbe ein regelmäßiges Symptom wäre, in vollentwickelten Fällen kaum vermißt werde; andererseits wurde und von der Mehrzahl der Beobachter, der große Wechsel in der Stärke und Ausbreitung der Unempfindlichkeit hervorgehoben, ja, in einer freilich kleinen Zahl von Fällen, sogar ihr Fehlen nachgewiesen. Die Frage hat dadurch theoretische Bedeutung gewonnen, daß man die Ataxie in unmittelbare Beziehung zu der Anästhesie brachte, quantitativen Parallelismus der beiden annehmend. Es sollte die Ataxie dadurch entstehen, daß die Verbindung zwischen den Koordinationscentren und den von der Peripherie centripetal die Empfindungen leitenden Fasern unterbrochen wäre. Dem gegenüber steht die, wie es vorderhand scheint, besser gestützte Auffassung, daß die Ataxie der Tabiker auf eine Störung der von den koordinatorischen Centren abwärts steigende Fasern, während dieselben das Rückenmark durchsetzen, beruhe. Übrigens muß bemerkt werden, daß eine alle Erscheinungen erklärende Theorie der Ataxie noch nicht zu geben ist. Das Fehlen der Sehnenreflexe wird von den meisten als ein niemals ausbleibendes Zeichen bei typischer Tabes hingestellt. Es ist das entschieden zu weit gegangen. — Für den „Patellarreflex" (Auslösung der Zuckung im Quadriceps bei mechanischer Reizung des ligamentum patellae) bezieht man die Erscheinung auf Erkrankung der mittleren Abschnitte in den Hintersträngen des Lendenmarkes. — Neuerdings ist man mehr auf die meist in der Frühperiode der Tabes vorkommenden Erkrankungen der Knochen und der Gelenke aufmerksam geworden. — Als anatomische Grundlage darf eine rarefizierende Ostitis betrachtet werden; je nachdem von dieser mehr die Epiphysen oder Diaphysen befallen werden — ersteres ist das weitaus häufigere — treten Erkrankungen der Knochen oder der Gelenke auf. — In zwei Drittel der Fälle ist nur ein Gelenk ergriffen — vorwiegend das Knie (46 u 0 ), dannHüfte undSchulter (zusammen etwa 24 °,0), endlich alle anderen, auch die kleinen. — Durchaus eigenartig sind die Erscheinungen: ohne jede nachweisbare äußere Veranlassung oder auf eine ganz geringfügige hin stellen sich schmerzlos und ohne Entzündung große seröse Ergüsse in die Gelenke ein, oft nicht auf diese beschränkt, sondern von dem periartikulären Gewebe aus eine ganze Gliedmasse unförmig anschwellen lassend. Trotzdem kann die Gebrauchslahigkeit wenig notleiden. Im weiteren Verlauf ist ein nahezu vollständiger Rückgang mit geringer Funktionsstörung möglich — dann aber sind Rezidive häufig.
Tabes dorsalís.
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Oder in kurzer Zeit, immer jedoch schmerzlos, folgt eine erhebliche Zerstörung des Gelenks; nur ganz ausnahmsweise sah man dabei Eiterbildung. — Das ergriffene Gelenk wird zum Schlottergelenk, Luxationen sind häufig. Auch Spontamfrakturen der erkrankten Röhrenknochen sind nicht selten — dieselben heilen ras>ch mit starker Kallusbildung. — Trophische Störungen: Malum perforans pedis, Geschwürsbildungen auf der Haut, Ausfallen der Haare und der Zähne — sind bei Tabikern, freilich seltener, beobachtet. Sie werden, wie die Gelenk- und Knochenleiden, auf das Erkranken peripherer, zu den ergriffenen Teilen in Beziehung stehender Nerven bezogen. — Kommt es zu eigentlicher Lähmung und zu Atrophie der Muskeln, dann sind die Seitenstrangbahnen in den Krankheitsprozeß hineingezogen. Besondere Beachtung verdienen die Erscheinungen an den Augen. Neben Lähmungen der Augenmuskeln und Koordinationsstörungen derselben, welche eine eigentliche Form des Nystagmus, den ataktischen, hervorrufen, ist das Verhalten der Pupillen von Wichtigkeit. Der Ausfall ihrer Reaktion gegen das Licht ist dasi durchgehende Zeichen; im Anfang der Erkrankung können sie erweitert sein, später sind sie gewöhnlich eng. Dabei ist die Reaktion bei der Akkommodation bis zum letzten Ende der Krankheit gewöhnlich erhalten. Ein unmittelbarer Zusammenhang dieser Erscheinungen mit der Hinterstrangveränderung fehlt sicher, ob aber die dieselben bedingende anatomische Störung im Halsmark oder in der Medulla oblongata zu suchen sei, steht noch dahin. Die Atrophie des Opticus wurde bereits erwähnt; sehr selten sind die Erkrankungen anderer Hirnnerven. — Es ist noch auf die Beziehungen der Krankheit zu der progressiven Paralyse der Irren hinzuweisen, welche als recht nahe erscheinen. Tabes kann sich sowohl mit der progressiven Paralyse zusammen vorfinden, stellt also nur eine Teilerscheinung derselben dar, als auch eine Entwicklung der Paralyse nach längerem Bestehen reiner Tabes möglich ist. Die Tabes gehört zu den langsam, aber in der weitaus überwiegenden Mehrzahl progressiv verlaufenden Krankheiten. Jahrelange Stillstände kommen wohl vor, aber nur ganz ausnahmsweise wirkliche Heilung. Bei dieser handelt es sich nicht um anatomische Restitution; was vernichtet war, bleibt vernichtet. Allein es hat sich gezeigt, daß trotz ziemlich ausgedehnter nahezu das ganze Mark beteiligender Veränderungen die funktionellen Störungen fast vollständig zurückgehen können. Die Prognose ist dennoch eine im ganzen schlechte. Die Diagnose der vollentwickelten Krankheit hat keine Schwierigkeiten. Es ist aber von der größten Wichtigkeit, namentlich jetzt, wo der Zusammenhang mit syphilitischer Infektion günstigere therapeutische Aussichten eröffnet, dieselbe so früh wie möglich zu stellen. Dafür sind eine Reihe von Symptomen zu verwerten: luncinierende Schmerzen, Fehlen der Sehnenreflexe, Pupillenstarre, Analgesie in der besonderen Form, Schwanken bei Augenschluß kommen freilich jedes für sich auch mit sonstigen Erkrankungen vor, finden sich aber zwei oder mehrere derselben zusammen bei einem Kranken, welcher außerdem anderweitige Zeichen eines chronischen Rückenmarksleidens bietet, dann genügt das für die Diagnose der Tabes. Die Behandlung der Tabes wird mit der Möglichkeit ihres Ursprungs aus syphilitischer Infektion zu rechnen haben. Mit Berücksichtigung der bis jetzt vorliegenden Erfahrungen hätte man sich dabei nicht auf solche Fälle zu beschränken, für welche durch die Anamnese oder durch noch gegenwärtige Erscheinungen der
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
Syphilis ein beweisender Anhalt gegeben ist — auch da, wo nur ein einfaches Ulcus jemals vorhanden war, müßte diese Thatsache als genügende Anzeige zur antisyphilitischen Behandlung gelten. Bei der Ungefährlichkeit einer vernünftig geleiteten Quecksilberkur wird man vom Standpunkte des Praktikers dieser Anschauung zustimmen können. Es wäre also dann eine regelrechte Anwendung von Quecksilber und Jod wie bei der Lues durchzuführen (§ 94). Wieviel dadurch wirklich erreicht werden kann, muß weitere Erfahrung entscheiden. — Die Elektrizität hat immerhin beachtenswerte Erfolge aufzuweisen.- Man benutzt zur unmittelbaren Einwirkung auf die erkrankten Markteile den galvanischen Strom; gleichzeitige Galvanisation des Sympathicus wird von hervorragender Seite empfohlen. Stromstärke und Dauer der Sitzungen müssen je nach dem Einzelfall festgestellt werden, im allgemeinen ist vor zu heftigen Eingriffen zu warnen, jedenfalls muß man zuerst schwächere Ströme wählen und nur allmählich steigen. Die Benutzung großer Elektroden ist dabei dringend zu empfehlen. — Neuerdings hat man den früher mehr zur Bekämpfung von Einzelsymptomen gebrauchten faradischen Strom als Heilmittel für das Ganze der Krankheit verwertet: Pinselungen der Haut, auch wohl allgemeine Faradisation — weitere Erfahrungen sind abzuwarten; gegen heftigere Schmerzen leistet die Methode als Palliativmittel zweifellos gute Dienste. Die früher hochgepriesenen indifferenten Thermen (Wildbad, Gastein u. s. w.) sind etwas in den Hintergrund getreten. Man muß mit ihnen vorsichtig sein — andertägiger Gebrauch der Bäder, Dauer nicht über 15 Minuten, Temperatur nicht über 26 0 R. Gleiches gilt für die Soolbäder (Rehme, Nauheim), welchen größere Wirksamkeit zugeschrieben wird. Von einer zweckmäßig geleiteten Kaltwasserkur, bei der jeder stärkere Eingriff vermieden und streng individualisiert wird, sah man manchmal gute Erfolge. Unter den inneren Mitteln wird noch am meisten das Argentum nitricum benutzt — nicht mehr als in maximo 0,1 g tagüber, im ganzen bis 12 g. Jedenfalls sei man bei dieser vorzugsweise für frische Fälle passenden Medikation vorsichtig und verliere während derselben den Kranken nicht aus den Augen (Argyrose). Lebensweise und Diät zu regeln bleibt eine wichtige Aufgabe. Die Sorge für den Stuhlgang der meist zur Verstopfung neigenden Kranken darf nicht versäumt werden. — Die veralteten Falle sind direkten Eingriffen unzugänglich, man sehe hier einzig auf Erleichterung der Beschwerden und zweckmäßige Lebensordnung. Es soll nur kurz einer besonderen sehr seltenen Form der Tabes, der Friedrich'sehen, erwähnt werden, welche, ohne aus dem Rahmen des Gesamtbildes herauszutreten, Eigentümlichkeiten bietet: hereditäre Belastung mit vorwiegender Beteiligung des weiblichen Geschlechtes, Anfang zur Zeit der Pubertät. Lancinierende Schmerzen, Störung der Haut- und Muskel Sensibilität treten sehr zurück oder fehlen ganz. Hingegen zeigen sich schon früh motorische Symptome, namentlich Ataxie, welche sich rasch auf die Arme, die Muskeln der Augen, sogur auf die der Sprachwerkzeuge ausbreitet. Die Sehnenreflexe fehlen auch hier. Die Blasenschwäche stellt sich erst später ein. Das Leiden ist von ungewöhnlich langer Dauer. — Man dachte bei dieser Form an eine angeborene Entwicklungshemmung. Nach den bekannten Sektionsbefunden handelt es sich um eine kombinierte Systemerkrankung: Degeneration der llinterstranggrundbündel und GoWscheu Stränge, sowie der Pyramiden- und Kleinhirnseitenstrangbahnen. § 36.
Spastische Spinalparalyse.
Ein eigenartiges Krankheitsbild wird mit dem Namen der s p a s t i s c h e n S p i n a l p a r a l y s e belegt. Die Entstehungsursaclien der reinen Formen liegen
T a b e s dorsalia.
Spastische Spinalparalyse.
Systeiuerkr ankungen der motorischen Sphäre.
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vollständig im Dunkeln. Bemerkenswert ist, daß allerdings die meisten Fälle zwischen dem 30. und 50. Jahre beobachtet sind, daß aber auch schon das Säuglingsalter ergriffen werden kann. Möglicherweise ist die Syphilis als Urheberin zu beschuldigen. A l s Symptom kommt die Erkrankung neben anderen, anatomisch deutlicher gekennzeichneten Hirn- und Rückenmarksleiden vor: so neben chronischem Hydrocephalus, leichter Kompression des Rückenmarkes im Hals- oder Brustteil, transversaler Myelitis im Hals- oder oberen Brustmark, multipler Sklerose, Hydromyelus u. s. w. Aus theoretischen Erwägungen (s. § 41) kam man zu der Annahme, daß eine Sklerose der Seitenstränge die Erscheinungen bedinge — anatomische Befunde solcher „reinen" Formen sind nur vereinzelt vorhanden und selbst diese vielleicht nicht ganz einwurfsfrei. Die Erscheinungen der Krankheit sind sehr eigenartig. Es handelt sich um eine meist von unten nach oben — seltener in umgekehrter Richtung — fortschreitende Lähmung ohne Atrophie der Muskeln, mit früh auftretenden, starken motorischen Reizerscheinungen, Muskelzuckungen bis zur starren tetanischen Kontraktur, hervorgerufen und bedingt durch die überaus gesteigerte Erhöhung der Sehnenreflexe. Die Reflexe von der Haut sind, wenn überhaupt, nur unerheblich geändert, sensible und trophische Störungen fehlen oder sind unbedeutend, Blase und Mastdarm, die Geschlechtsthätigkeit bleibt unversehrt, niemals tritt Ataxie auf, das Gehirn und seine Nerven fungieren normal. —• Selten zeigt sich die Krankheit anfangs auf eine Körperhälfte beschränkt — auch dann wird bald die andere ergriffen. Besonders charakteristisch erscheint bei diesen Kranken der Gang (spastischer Gang). Die Fußspitzen werden zur Stütze genommen, die Beine sind stärker aneinandergepreßt, schwer zu spreizen; kleine hüpfende Schritte mit starker Vornüberbeugung des Körpers, große Neigung zum Stolpern und Fallen nach vorn. — Parese der Muskeln und Zunahme der Sehnenreflexe erklärt die Eigentümlichkeiten dieser Gangart zur Genüge. Der Verlauf ist ein langsamer, die Dauer nach Jahrzehnten zu bemessen. In einer verhältnismäßig nicht kleinen Zahl von Fällen tritt erhebliche Besserung oder Genesung ein. Für die Behandhing werden außer der Anwendung der Elektrizität langdauernde Bäder von 26 0 R. empfohlen. Bei syphilitischer Infektion wäre eine dieser entsprechenden Therapie einzuleiten. § 37. Systemerkrankungen der motorischen Sphäre. Allgemeines.
Als Systemerkrankungen der motorischen Sphäre läßt sich eine Gruppe aussondern, die gemeinschaftliche Eigentümlichkeiten darbietet. — Anatomisch ist der Sitz der Störung in den Vordersäulen der grauen Substanz, besonders in deren Ganglien gefunden; klinisch ist gemeinsam: 1. Lähmung und Atrophie der ergriffenen Muskeln, welche fast stets (freilich unsymmetrisch verteilt) b e i d e n Körperhälften angehören. 2. Die Sensibilität nicht oder doch nur ganz vorübergehend beteiligt. 3. Die Reflexe herabgesetzt oder ganz vernichtet. Dies ist jedoch nicht unbedingt zutreffend und gilt mehr für die akut verlaufenden als für die chronischen Formen. 4. Keine trophischen Störungen der Haut, Ausbleiben von Decubitus. 5. Blase und Mastdarm bleiben frei. V. J u r g e n s e n ,
Spez
Path. u. Ther.
II. Aufl
5
(56
Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
Zunächst gehören hierher die Poliomyelitis anterior in ihren verschiedenen Formen und die progressive Muslcelatrophie. Zu ihnen steht in enger Beziehung die amyotrophische Lateralsklerose, ebenso wieder diese zur progressiven Bulbärparalyse. Auch die letztere muß dieser Gruppe zugesellt werden. Bei ihr treten die nämlichen anatomischen Veränderungen an den Ganglien der grauen Kerne jener motorischen Nerven auf, die aus dem verlängerten Mark entspringen. Diese Kerne aber sind biologisch vollkommen den Ganglienanhäufungen in den Vordersäulen der grauen Substanz des Rückenmarkes gleichwertig. Poliomyelitis anterior acuta, subacuta und chronica.
Zu den häufigeren Erkrankungen des Rückenmarkes gehört die P o l i o m y e l i t i s a n t e r i o r a c u t a (akute atrophische Spinallähmung; spinale Kinderlähmung). Ätiologisch muß zunächst die große Prädisposition des Kindesalters hervorgehoben werden. Das erste bis dritte Lebensjahr wird überwiegend häufig befallen (in etwa sechs Siebentel aller Fälle), auch noch das vierte nimmt öfter teil; schon in der zwölften Lebenswoche ist das Leiden beobachtet worden. Im späteren Kindesalter ist die Disposition nicht erheblich größer als bei dem Erwachsenen; die Erkrankung muß hier als eine seltene bezeichnet werden. — Hereditäre Belastung ist nicht nachweisbar, Geschlecht und Konstitution sind ohne Einfluß. — Gelegenheitsursachen sind nicht mit Sicherheit anzugeben: man führt Erkältung, stärkere Muskelarbeit, das Zahnen an. Es ist bemerkenswert, daß im Gefolge von Infektionskrankheiten — besonders akuten Exanthemen — Kinderlähmung auftreten kann. Bei der anatomischen Betrachtung sind die relativ frischen von den älteren Fällen zu trennen. Der früheste Befund ist zwei Monate nach dem Krankheitsbeginn erhoben. — Es steht fest, daß ein euLiündlicher Vorgang statthat, welcher im wesentlichen auf die grauen Vordersäulen beschränkt ist und den Untergang von dort gelegenen multipolaren Ganglienzellen im Gefolge hat. Dieselben sind in den frischen Fällen geschrumpft, mit Pigment gefüllt, haben einen Teil ihrer Fortsätze verloren; einige sind ganz zu Grunde gegangen. Die zugehörigen Nervenfasern in den vorderen Wurzeln und weiter abwärts sind ebenso atropiscli oder vollkommen zerstört. Die Gefäße sind verdickt, teilweise fettig entartet: reichliche Mengen von Fettkörnchenzellen zeigen sich eingestreut. Auch ein Teil der Vorderseitenstränge ist in Mitleidenschaft gezogen. — Meist ist jetzt noch der makroskopische Befund ein sehr wenig ins Auge fallender. — Anders wenn längere Zeit verstrichen ist. Dann trifft man Abnahme des Umfangs am Rückenmark beschränkt auf dessen vorderen Teil. Mikroskopisch ist nachzuweisen: Zunahme des interstitiellen Bindegewebes, mit Untergang der Nervenelemente in den Vordersäulen, den Vorderseitensträngen, den Vorderwurzeln; größere Mengen von Corpora amylacea. Alles ist am stärksten in der Lenden- und Halsanschwellung, im Brustteil nur hier und da entwickelt. Eine unregelmäßige Verbreitung ist die Regel, ebenso zeigt sich die Ausdehnung wechselnd, man traf neben kleinsten Herden solche von 3 cm Länge. — In den, übrigens wenig untersuchten, peripheren motorischen Nerven fand man Atrophie, die zugehörigen Muskeln sind mehr oder minder entartet, im Zustande fettiger Degeneration und Infiltration. — An den Knochen der gelähmten Glieder zeigte sich neben verdünnter Rindenschicht eine Vermehrung des Fettgehaltes der Marksubstanz.
Poliomyelitis anterior acuta, subacuta und chronica.
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Bei dem gegenwärtigen Stande unserer Erkenntnis erscheint aus der Atrophie der multipolaren Ganglien in den Vordersäulen, die auch mit der Ernährung der Knochen, Sehnen und Bänder zu thun haben, das Krankheitsbild verständlich. Die Symptome sind ziemlich bestimmt: einerlei ob Vorboten — Schmerz, Verstimmung, Schreckhaftigkeit — auftraten, oder ob sie, wie in den meisten Fällen, fehlten, stellen sich Erscheinungen eines mit Fieber verbundenen Hirnleidens ein: Kopfschmerz, Unbesinnlichkeit, Delirien, Krämpfe. Nachdem dies einige — immer nur kürzere — Zeit gedauert hat, folgt mehr oder minder ausgebreitete Lähmung im Gebiete von Spinalnerven, welche im Laufe weniger Stunden, höchstens einer Woche ihren Höhepunkt erreicht, dann bald teilweise oder ganz zurückgeht. Blasenlähmung scheint, wenn überhaupt, nur anfangs da zu sein; sie verliert sich rasch. Die Sensibilität ist vollkommen erhalten. Es kann nach einigen Monaten vollständige Genesung eintreten — temporäre Spinallähmung. Allein meist erfolgt nur teilweise Besserung. In den Muskeln, die gelähmt bleiben, entwickelt, sich binnen kurzer Zeit hochgradige Atrophie mit den Erscheinungen der Entartungsreaktion. Die bedeckende Haut wird kühl und cyanotisch, die Reflexe von ihr erlöschen wie die von den Sehnen. Dabei ist die Sensibilität ungestört, Decubitus kommt nicht zustande. Aber die Entwicklung der Knochen vollzieht sich in den gelähmten Gliedern nicht mehr normal, sie werden atrophisch und bald auch difform; da3 Wachstum der gesunden Glieder geht hingegen in regelmäßiger Weise vor sich. —• Die Funktionen aller Körperteile, besonders auch die des Gehirns, erleiden keine Störung, das Leben wird nicht bedroht und in seiner Dauer nicht beeinträchtigt. — Die hier und da beobachteten Abweichungen von diesem häufigsten Verlauf sind im ganzen nicht sehr erheblich. Die Hirnerscheinungen und Fieberbewegungen zu Anfang können fehlen oder doch nur angedeutet sein, dann tritt die Lähmung scheinbar ganz unmotiviert auf. — Bei Erwachsenen sind cerebrale Symptome in der Regel wenig ausgeprägt, was vielleicht eben durch das vorgeschrittene Lebensalter zu erklären ist. — Daß der ausgewachsene Körper mit seinen vollentwickelten Knochen und Bändern weniger schwere sekundäre Veränderungen erleidet als der des Kindes, ist wohl verständlich. In betreff der Einzelerscheinungen und ihrer etwa möglichen Erklärung ist zu erwähnen: Die Himer scheinungen und das Fieber im Anfang der Erkrankung finden keine befriedigende Deutung. Letzteres wird als ein durch örtliche Entzündung hervorgerufenes kaum angesehen werden können, für die ersteren fehlt es ganz an einer halbwegs annehmbaren Erklärung; — es sei denn, daß man mit der nicht abzuweisenden Möglichkeit rechnet, die akute Poliomyelitis entstehe durch Infektion. Lülumtng und Atrophie von Muskeln steht im Mittelpunkt des Krankheitsbildes. Besonders charakteristisch ist, daß sie nicht progressiv sind, auf rasche Entwicklung folgt rascher Rückgang. Es ist anzunehmen, daß anfangs Ernährungsstörungen infolge der entzündlichen Prozesse über ein weitaus größeres Gebiet, als es der wirkliche Entzündungsherd ist, sich ausdehnen; mit dem Freiwerden des Blutlaufes, bilden sich dieselben dann wieder zurück. — Es können nahezu alle Körpermuskeln beteiligt sein, bei dem Erwachsenen sah man sogar den Bereich des Facialis ergriffen. In vielen Fällen erscheint die Ausbreitung der Lähmung als eine willkürliche, welche sich nicht an die gewöhnlichen Schemata für die vom Rückenmark herrührenden bindet. Ein Bein und der Arm der entgegengesetzten Seite, eine Halbseite, ja häufiger noch einzelne Muskeln eines 5*
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Krankheiten des Rüekenmaikes und seiner Häute, sowie dos vcrlängeiten Malkes.
sonst freien Gliedes sind gelähmt, oder es sind auch wohl in einem gelähmten Glied einzelne Muskeln frei geblieben. Immerhin werden häufiger die unteren Gliedmaßen ergriffen. — Hat man Gelegenheit, die Entwicklung der Lähmung zu verfolgen, dann zeigt es sich, daß bald die der Arme auf diejenige der Beine folgt, bald umgekehrt die Arme zuerst und später die Beine gelähmt werden. — In etwa zwei Dritteln der Fälle ist dauernd nur ein Glied befallen, meist eine untere Extremität; übrigens ist gewöhnlich auch daran etwas von nicht oder doch nicht ganz gelähmten Muskeln aufzufinden. — Die Besserung schreitet öfter von dem Centrum zur Peripherie, z. B. vom Oberarm auf die Hand, fort. Soweit sie von selbst sich vollzieht, hat sie nach 2—3 Monaten das meiste, nach dreiviertel Jahren alles, was erreichbar ist, erzielt. Abmagerung der gelähmten Muskeln ist schon nach einigen Wochen merkbar, damit pflegt, wenigstens bei dem Erwachsenen, Druckempfindlichkeit verbunden zu sein. Die Atrophie scheint sich noch schneller als nach Durchschneidung von Nerven auszubilden, sie wird sehr hochgradig; seltener tritt Fettwucherung in den Muskeln auf, wodurch jene verdeckt werden kann. Vollkommen diesen Erscheinungen parallel gehend bildet sich die Entartungsreaktion aus; fast ebenso verhält es sich mit den Veränderungen der Haut. Knochen, Knorpel und Bänder folgen erst später. Difformitäten an den gelähmten Gliedern kommen durch verschiedene Ursachen zustande: Wirkung der Schwere in der Ruhe, dann der bei dem Gebrauch eines Gliedes auf demselben lastende Druck, Zug der unversehrt gebliebenen, ihrer Antagonisten entbehrenden Muskeln, endlich auch verschieden große Wacbstumswiderstände — das sind die hauptsächlichsten Bedingungen, welche zur Erklärung der sehr vielgestaltigen Verbildungen heranzuziehen sind (vgl. auch § 15 Kontrakturen). A m häufigsten beobachtet man die verschiedenen Formen des Spitzund Klumpfußes, dann Skoliosen. Uber den Verlauf ist nur noch zu bemerken, daß in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Beobachtungen es bei einem Anfall und seinen Folgen bleibt. Die Prognose ist quo ad vitam, wie bereits erwähnt, eine durchaus günstige; wie sie sich hinsichtlich der Gebrauchsfähigkeit gelähmter Glieder stelle, ist jedesmal erst nach Jahresfrist zu sagen. — Die Diagnose ist im Beginn der Erkrankung, solange nur Hirnerscheinungen und Fieber vorliegen, kaum zustellen, sobald jedoch die Lähmungen sich einfinden und die Muskelatrophie beginnt, bleibt kaum ein Zweifel möglich. Die Behandlung des Anfangsstadiums wird bei der hier noch herrschenden Unsicherheit der Diagnose nur eine symptomatische sein können. — Gegen die Lähmung leistet eine jahrelang mit äußerster Konsequenz durchgeführte elektrische Behandlung das meiste. Es kommt hauptsächlich der galvanische Strom in Betracht. Mittels desselben ist centrale Einwirkung auf die erkrankten Teile des Rückenmarkes, sowie -periphere Einwirkung auf die gelähmten Muskeln zu üben. Man beginne mit beiden Anwendungsarten so früh wie nur irgend möglich, zunächst sich für die centrale Behandlung der schwachen Ströme bedienend, die durch große Elektroden eingeleitet werden. Dann kann man nach und nach die Stromstärke steigern, darf aber wie bei jeder centralen Galvanisation nicht über ein vorsichtig bestimmtes Maß hinausgehen. Auch bei älteren Fällen ist elektrische Einwirkung auf das Rückenmark zu versuchen. — Die periphere Behandlung soll in erster Linie bessere Ernährung der Muskeln herbeiführen. Da diese mit der
Poliomyelitis anterior acuta, subacuta und chronica. Progressive Muskelatrophie.
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Muskelzusammenziehung Hand in Hand geht, suche man Kontraktionen der gelähmten Teile auszulösen, steigere die Stromstärke so weit, wie es die erhaltene Sensibilität erlaubt, und bediene sich der im einzelnen F a l l als die wirksamste erscheinende Methode. In den schweren Fällen gelingt es oft nur durch W e c h s e l der Stromrichtung fVoltci'sehe Alternativen) Zuckungen zu erhalten. Eine der Heilung nahekommende Besserung ist zwar sehr selten, aber doch zweifellos beobachtet; irgend welcher Erfolg tritt bei genügender Ausdauer selbst in veralteten Fällen ein. E s gelingt dann einzelne Muskelbündel, die wegen mangelnden Gebrauchs atrophisch geworden waren, aber noch mit den Centren in Verbindung standen, wiederherzustellen. Bei der eigentümlichen Verbreitung der Lähmung ist nie von vornherein zu sagen, wieviel gerettet werden kann; es ist nicht selten mehr, als man zu hoffen wagte. Daher ist der Versuch der Heilung immer zu machen, denn der schlechteste Muskel ist für den Kranken mehr wert als die beste Maschine. Der Gebrauch von Bädern, der Massage und Heilgymnastik ist von weit geringerem .Nutzen. — Um Folgezustände zu verhüten und die gelähmten Glieder thunlichst gebrauchsunfähig zu machen, sind die Hilfsmittel der Orthopädie. heranzuziehen. Friedrich, Hessing (Orthopädische Heilanstalt in Göggingen bei Augsburg) leistet gerade bei der Kinderlähmung durch die von ihm genial konstruierten Apparate Dinge, die für den, der sie gesehen hat, bewundernswert sind. — Die orthopädische Behandlung ist am besten früh zu beginnen, die elektrische kann j a mit derselben verbunden werden. — Der Gebrauch innerer Mittel kann füglich unterbleiben. Aller Wahrscheinlichkeit nach kann die der Poliomyelitis anterior acuta zu Grunde liegende anatomische Veränderung sich unter der Einwirkung verschiedener noch wenig gekannter Schädlichkeiten — möglicherweise gehört das Blei hierher — auch langsamer ausbilden — man redet dann von Poliomyelitis subacuta oder chronica. Im Krankheitsbilde herrscht Lähmung und Atrophie der ergriffenen Muskeln mit ganz oder nur teilweise (Mittelform) ausgesprochener Entartungsreaktion vor. Die Reflexerregbarkeit geht verloren, die Sensibilität ist objektiv unversehrt, subjektiv kann es zu Perästhesien und leichteren Erscheinungen sensibler Reizung kommen. Meist breiten sich die Störungen von unten nach oben aus, der Tod kann unter den Zeichen bulbärer Lähmung eintreten. Gewöhnlicher aber ist Besserung, die, freilich mit Untergang von Muskelsubstanz, selbst bis zur nahezu vollständigen Genesung führt. Die Krankheit ist im ganzen selten. Weitere Untersuchungen müssen ergeben, ob eine primäre Neurits imstande ist, ein Krankheitsbild hervorzurufen, welches so ziemlich vollständig mit dem der verschiedenen Formen von Poliomyelitis acuta übereinstimmen würde. Vorderhand scheint der Gegenstand noch nicht genügend durchforscht zu sein, um ein sicheres Urteil zu gestatten. § 38.
Progressive Muskelatrophie. Amyotrophia spinalis (Duchenne-Aran).
Die Ätiologie der p r o g r e s s i v e n M u s k e l a t r o p h i e weist einige bemerkenswerte Thatsachen auf: Heredität kann sehr deutlich werden, die Erkrankung kann durch viele Generationen sich forterben, wobei selbst einzelne Glieder derselben übersprungen werden. Die durch Vererbung Belasteten können schon früh befallen werden — im ganzen ist das 30.—50. Lebensjahr am stärksten disponiert; höhere Altersstufen bleiben fast ganz verschont. Männer erkranken etwa fünfmal häufiger als Frauen; wahrscheinlich hängt das mit dem stärkeren Gebrauch der Muskeln bei jenen zusammen. F ü r diese Annahme spricht, daß unter der Gesamtmasse der Kranken die Handarbeiter in hohem Prozentsatz vertreten sind, ferner, daß sich an gewohnheitsgemäß stark gebrauchten, manchmal auch an nur kurz überangestrengten Muskeln zuerst das Leiden gezeigt hat. — Als Gelegenheits-
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
Ursachen werden wie so oft auch hier Erkältungen, Verwundungen u. s. w. beschuldigt. Die mit den heutigen Hilfsmitteln sorgfältig ausgeführte anatomische Untersuchung ergieht, daß bei der progressiven Muskelatrophie Untergang (Schrumpfung, Pigmentdegeneration) multipolarer Ganglienzellen in den Vorderhörnern regelmäßig vorkommt, welcher nicht der Kontinuität nach, sondern herdweise auftritt. Das Bindegewehe ist dabei gewuchert, die vorderen Wurzeln und die peripheren motorischen Nerven sind atrophisch. Das gleiche gilt von den Muskeln. Sie zeigen verschmälerte Fasern, die ihre Querstreifung erhalten haben, neben anderen, die sich im Zustande körniger, fettiger oder wachsartiger Degeneration befinden; ihr Bindegewebe ist gewuchert, vielleicht von reichlicherem Fettgewebe durchsetzt. Über den inneren Zusammenhang dieser Befunde sind die Ansichten geteilt, ebenso darüber, ob entzündliche oder degenerative Vorgänge sich abspielen. Man ist nicht einig, ob das Leiden im Rückenmark oder in den Muskeln primär lokalisiert, ob dieses oder jenes erst sekundär in Mitleidenschaft gezogen ist. Die weitere Möglichkeit, daß gleichzeitiges Ergriffensein geschehe, ist neuerdings erörtert, worden.
Neben diesen als charakteristisch betrachteten Vorgängen hat man außer Herden in anderen Abschnitten des Rückenmarks auch Teile des Sympathicus erkrankt gefunden. Auf solche früher stärker hervorgehobenen Veränderungen legt man jetzt mit Recht wenig Gewicht; es sind zufällige Komplikationen, nichts anderes. Die Krankheit entwickelt sich äußerst langsam. Zuerst werden — in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle — die oberen Extremitäten ergriffen, die rechte häufiger als die linke. Unter den einzelnen Muskeln sind bevorzugt: die Interossei, die Muskeln des Daumenballens, besonders Opponens und Adduktor; nicht häufig wird der Deltoideus befallen, noch seltener irgend ein anderer Körpermuskel. — Allmählich greift das Leiden weiter, meist von der Peripherie zum Centrum aufsteigend, so daß nacheinander Hand, Vorderarm, Oberarm, Schulter erkranken; ähnlich steigt es vom Fuß zum Oberschenkel an. Gleichmäßigkeit wird indessen bei dem Weiterwandern nicht eingehalten, ein oder mehrere Muskeln des betroffenen Gliedes zeigen sich fast immer verschont, es können sogar Gruppen von Muskelbündeln innerhalb eines bereits erkrankten Muskels unversehrt bleiben, besonders in denjenigen, welche von mehreren verschiedenen Nerven aus versorgt werden. — Symmetrisches Erkranken der beiden Körperhälften ist die Regel, doch werden sie nicht gleich stark beteiligt. Lange Zeit ist in den schließlich ganz dem Untergang geweihten Muskeln ein Teil der Fasern normal beschaffen, der andere in verschiedenen Graden der Entartung begriffen. — Ganz frei bleiben in den reinen Fällen die vom Gehirn aus innervierten Muskeln; die des Halses, das Zwerchfell, die geraden Bauchmuskeln werden selten und dann erst spät befallen. — Charakteristisch sind spontan oder durch geringfügige äußere Veranlassung hervorgerufene fibrilläre Zuckungen in den erkrankten Muskeln. Es zeigen sich dabei Kontraktionen einzelner Muskelbündel, in der Form einer Welle sich ausbreitend oder auch nur zu beschränkten Erhebungen führend. Alles vollzieht sich in kurzer Zeit, so daß man von „Muskelblitzern" reden kann. Bewegungen des^von dem Ganzen des Muskels beherrschten Körperteiles finden nicht statt. Eigentliche krampfhafte Zusammenziehungen eines Muskels oder einer funktionell einheitlichen Gruppe sind äußerst selten. — Die elektrische Untersuchung weist in schwer erkrankten Muskeln Entartungsreaktion _nach: der Übergang zu dieser von der einfach verminderten Erregbarkeit gegen beide Stromarten vollzieht sich übrigens sehr allmählich, so daß es einer äußerst sorgfältigen Prüfung bedarf, um
Amyotrophia spinalis (Uuchenne-Aran). Dystrophia muscularis progressiva (Erb).
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sichere (Ergebnisse zu bekommen. Man behalte stets im Auge, daß eine der Menge nach wechselnde Anzahl von normalen Pasern neben den untergehenden sich findet, und daß das Ergebnis der elektrischen Reizung eine Summe bildet, zu welcher normale wie atrophische Fasern ihre Addenden liefern. Da die motorischen Nerven lange Zeit erregbar bleiben, muß man sie bei der Untersuchung thunlichst meiden: die von ihnen aus angesprochene Gesamtmenge von Fasern würde nur quantitative Abweichung erkennen lassen. — Atrophie der erkrankten Muskeln ist das am meisten hervorstechende Symptom, welches allerdings dem Unkundigen durch Fettwucherung in denselben verdeckt werden kann. Bleiben Antagonisten verschont, dann fehlen die sekundären Kontrakturen nicht; wohl um häufigsten sieht man die Krallenhand. Sensible, vasomotorische, auch trophische Störungen der Nachbarschaft erkrankter Muskeln, namentlich der Gelenke, kommen vor, sie sind indessen kaum von größerer Bedeutung. — Geringes Fieber soll im Anfang der Erkrankung auftreten können. Die Komplilcation mit Bulbärparalyse, erst spät sich hinzugesellend, kann das tödliche Ende herbeiführen; dieses wird sonst durch die Krankheit selbst nicht gerade häufig bedingt. — Dennoch ist die Prognose immer eine bedenkliche und Heilung kaum zu erwarten. Bei der Diagnose ist zu berücksichtigen, daß die traumatische oder die sogenannte rheumatische Neuritis vielleicht ein ähnliches Krankheitsbild schaffen kann, gleiches geschieht in selteneren Fällen auch wohl durch Tumoren, verbreitete Myelitis u. s. w. Hält man sich an die charakteristische Verteilung der Muskellähmungen und die Art ihres Auftretens, dann auch daran, daß im wesentlichen nur Erkrankung der motorischen Sphäre besteht, so wird man meist rasch zum richtigen Urteil gelangen. Für die Behandhmg ist der elektrische Strom als zuverlässigstes aller bekannten Mittel in ähnlicher Weise wie bei der Poliomyelitis anterior in Anwendung zu bringen — es scheint, daß bisweilen wenigstens das Fortschreiten der Krankheit dadurch gehemmt werden kann. § 39.
Dystrophia muscularis progressiva (Erb).
Neuere Untersuchungen haben gelehrt, daß von dem im Vorstehenden besprochenen Krankheitsbilde erhebliche Abweichungen vorkommen, welche bisher nicht ihrer vollen Bedeutung nach gewürdigt worden sind. Sie bilden für sich eine Gruppe, die passend unter dem Namen der Dystrophia muscularis progressiva (EKB) zusammengefaßt wird. Es gehört hierher das früher als getrenntes beschriebene: die wahre und die Pseudohypertrophie der Muskeln, sowie die hereditäre und juvenile Form der progressiven Muskelatrophie. Ätiologisch ist die noch in höherem Grade ausgesprochene Heredität, dann der Umstand hervorzuheben, daß das Leiden in der Kindheit, jedenfalls im jugendlichen Alter beginnt. — Das männliche Geschlecht ist stärker belastet. Anatomisch handelt es sich um eine Muskelatrophie, die entweder gleich als solche auftritt, oder aus einer wahren Hypertrophie hervorgeht. — Gleichzeitig ist Wucherung des interstitiellen Bindegewebes mit mehr oder minder starker Schrumpfung desselben und eine manchmal außerordentlich hochgradige Einlagerung von Fett in die erkrankten Muskeln vorhanden. — Mikroskopisch zeigt sich daß in vollentwickelten Fällen der größere Teil der Muskelfasern einfach atrophisch ist — die Querstreifung ist erhalten —, ein anderer Teil aber wirklich hypertrophisch ist; fettige Entartung tritt nur ausnahmsweise auf. — Soweit ein Urteil möglich, scheint die Wucherung des Bindegewebes mit der Muskelatrophie zusammen schon früh, die massige Fetteinlagerung, wenn sie überhaupt vorhanden ist, erst später sich einzustellen. — Die motorischen Nerven und das Rückenmark, speziell dessen graue Vordersäulen erscheinen bei der Untersuchung mit unseren gegenwärtigen Hilfsmitteln nicht verändert.
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
Die Entwicklung der Krankheit geschieht äußerst langsam und schleichend, bald an der oberen, bald an der unteren Körperhälfte beginnend. Charakteristisch ist zunächst die Verteilung des Leidens auf bestimmte Muskeln. An der oberen Extremität und dem Stamme zeigen sich befallen: Pectoralis major und minor, Cucullaris, Latissimus dorsi, Serratus anticus maj o r , Rhomboidei, Sacrolumbalis und Longissimus dorsi, ferner am Oberarm zunächst die Beuger Biceps und Brachialis internus, erst später der Tríceps, am Unterarm der Supinator longus. — Frei bleiben ganz oder lange Zeit: Sternocleidomastoideus, Coracobrachialis Teres, Deltoides, Supra- und Infraspinatus. Die drei letztgenannten sind häufig hypertrophisch. Die Muskeln des Vorderarmes, besonders aber die kleinen Muskeln der Hand bleiben sehr lange verschont. An der unteren Extremität werden befallen: Glutaei, Quadriceps, das Peroneusgebiet, speziell der Tibialis anticus; frei bleiben Sartorius und die Wade, welche nicht selten deutlich hypertrophisch wird. — Die Kranken bieten namentlich durch die atrophischen Oberarme bei stark entwickeltem Deltoideus und muskelkräftigem Vorderarm, sowie durch den atrophischen Oberschenkel und Podex bei stark entwickelter Wa de ein höchst eigentümliches Bild. Der Schwund der Rückenmuskeln bedingt eine besondere Körperhaltung: der Bauch ist vorgestreckt, der Oberkörper zurückgebeugt — der Gang ist watschelnd. Das Aufrichten aus liegender Stellung wird in eigentümlicher Weise ausgeführt — die Kniee werden als Stützpunkte für die Arme verwendet, nachdem vorher sich der Kranke auf alle Viere gestellt hat — man hat den Vorgang als an sich selbst Heraufklettern bezeichnet. — Die Sehnenreflexe sind erhalten oder verlieren sich mit dem Untergang der betreffenden Muskeln. — Fibrilläre Zuckungen fehlen, ebenso die Entartungsreaktion. Vollkommen normal sind die Sensibilität, die Sphinkteren, das Gehirn — die Gesamternährung des Körpers leidet nicht. Der Verlauf ist ein sehr zögernder, längere Zeiten des Stillstandes können sich einschieben; es wurde eine Krankheitsdauer von 38 Jahren schon beobachtet. Durch das Leiden selbst scheint der Tod nur äußerst selten, vielleicht gar niemals bedingt. Die Komplikation mit Bulbärparalyse ist nicht beobachtet. — Die Prognose ist nicht allein quoad vitam gut; es scheint sogar, daß durch eine geeignete Behandlung — Elektrizität, Massage u. s. w. — dauernde Besserung möglich ist. § 40. Thomsen'sche Krankheit (nach Erb). Die Thomsen'sche Krankheit wird am besten hier angereiht. Es handelt sich um ein seltenes, wenigstens mittelbar durch Vererbung übertragbares, in einzelnen Familien gehäuft und durch viele Geschlechtsfolgen wiederkehrendes Leiden der die willkürliche Bewegung ausführenden Teile. — Früh, sogar schon in der Wiege zeigen sich die ersten Erscheinungen; in den belasteten Familien, welchen nicht selten eine neuropathische Konstitution ihrer Mitglieder eigen ist, mehr bei Knaben als bei Mädchen. — Die bisherigen anatomischen Untersuchungen haben sich auf kleine Muskelstückchen beschränken müssen, welche meist dem Lebenden entnommen waren. ERB fand darin: enorme Hypertrophie aller Fasern mit reichlicher Kemvermehrung, undeutliche Querstreifung, geringe Zunahme des interstitiellen Bindegewebes mit Einlagerung einer körnigen Substanz. Die Centralorgane solcher Kranken sind bisher nicht untersucht. — Das Leiden verrät sich dadurch, daß die vom Willen in den Erregungszustand versetzten Muskeln — die von dem Hirn aus innervierten sind ebenso wie die mit dem Rückenmark verbundenen befallen — zu einer länger dauernden tonischen Zusammenziehung veranlaßt werden, als es beabsichtigt w a r ; sie erschlaffen nicht unmittelbar, sondern bleiben noch eine Weile starr und damit dem Einflüsse des Willens entzogen. Schmerz ist mit dieser Kontraktion nicht verbunden. Werden die Muskeln eine Zeit lang wieder und wieder durch den Willen zur Erregung gebracht, dann verliert sich allmählich ihre Starre; jetzt können die vorher gehinderten Bewegungen frei und ungezwungen ausgeführt werden. — Die Muskeln der Kranken sind hypertrophisch, dennoch ist die grobe motorische Kraft vermindert. — Eigenartig wie gegen den Willensreiz ist auch das Verhalten der Muskeln gegen die mechanische und die elektrische Erregung. Das Ganze wird von EBB als myotonische Reaktion bezeichnet. Schematisch zusammengefaßt zeigt sich:
Thomsen'sc.he Krankheit. Amyotrophische Lateralsklerose. Mechanische Erregung
Ort der Erregung
Induktionsstrom
Normale Wirkung, aber Normale oder Strömen erhöhte Erregbar- bei stärkeren träge, langdauernde Zukeit. sammenziehung der Muskeln. Nur wenn mit einzelnen Off'nungsschlägen gereizt wird, kurze, blitzähnliche Zusammenziehungen.
Nerv.
Erhöhte Erregbarkeit, aber die Kontraktionen treten langsam und träge auf, sie halten indes lange an. Muskel
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Etwas erhöhte Erregbarkeit; langsame, träge, tonische Kontraktionen. Bei fortdauernder Erregung mittels feststehender Elektroden in einzelnen uer der so erregten musnem Muskeln unregelmäßige wogende Kontraktionen.
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Konstanter Strom Die Wirkung normal oder ein wenig herabgesetzt. Das normale Zuckungsgesetz in Geltung. Die Muskelkontraktionen kurz, nicht nachdauernd, — nachdauernde sind nur bei labiler Reizung vom Nerven aus zu erzielen.
Erhöhte galvanische Erregbarkeit mit Änderungen des Zuckungsgesetzes : Anodenschluß gleich stark oder stärker als der Kathodenschluß.— Alle Zuckungen träge, tonisch, lange anhaltend und den sie auslösenden Reiz überdauernd. Örtlich unter der dem Muskel selbst aufliegenden (Reiz-) Elektrode Bildung von Dellen und Furchen in dem Muskel. Bei stabiler Einwirkung rhythmische wellenförmige Kontraktionen in dem l gereizten Muskel.
Bei den Kranken werden diese Erscheinungen stärker nach verschiedenen, aber, wie es scheint, zeitlich und individuell wechselnden Einflüssen. Als solche sind bekannt: längere Muskelruhe, aber auch starke körperliche Anstrengung, wie anhaltendes Stehen, extreme Temperaturen der Luft, akute Erkrankungen, ganz besonders indes psychische Erregung. Namentlich nach dieser kann die Muskelstarre so ausgebreitet und so bedeutend werden, daß die Kranken umfallen und des Gebrauches ihrer Glieder zeitweilig beraubt sind. Die Sehnenreflexe sind nicht verstärkt. — Das Leiden beschränkt sich auf die genannten Störungen, alle anderen Körperteile bleiben unberührt, aber es hält, bald stärker, bald schwächer auftretend, das ganze Leben lang an und stört den Ergriffenen immerhin erheblich. — Gewisse Berufsarten. besonders der Militärdienst, sind damit unvereinbar. Eine Entscheidung darüber zu treffen, wo der ursprüngliche Sitz des Übels zu suchen sei, ob im Muskelsystem, ob in den Centraiorganen, ist vorderhand unmöglich. •«- Eine irgend Nutzen bringende Behandlung kennt man nicht. § 41. Amyotrophische Lateralsklerose. Die Ätiologie der a m y o t r o p h i s c h e n L a t e r a l s k l e r o s e hat wenig sicheres zu verzeichnen: daß zwischen dem 25.—50. Lebensjahre die meisten Fälle vorkommen, ist eigentlich alles, was zu sagen wäre. Anatomisch findet sich Degeneration der Seitenstränge, über das ganze Rückenmark ausgedehnt, Atrophie und Schwund der Ganglienzellen in den Vorderhörnern und den motorischen Kernen der Medulla oblongata. Die Entartung befällt die Pyramiden- und, wenn solche vorhanden, auch diejenigen Vorderstrangbahnen, in denen motorische Fasern ungekreuzt verlaufen; sie ist nach oben bis zur Brücke und in die Großhirnschenkel verfolgt worden. — Die Atrophie der Ganglienzellen betrifft hauptsächlich den vordersten Teil der Vorderhörner; in dem verlängerten Mark sind am häufigsten die Kerne des Facialis, Hypoglossus und Accessorius befallen — übrigens können auch die des Abducens und des Trigeminus in Mitleidenschaft g e z o g e n werden. — D i e entsprechenden Nervenwurzeln und die peripheren Nerven sind mit den zugehörigen Muskeln gleichfalls im Zustande der
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Krankheiten des Bückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
Degeneration. — Wahrscheinlich handelt es sich um primäre herdweis auftretende Degenerationen im oberen Gebiete der motorischen Bahnen, die Pyramidenbahnen entarten sekundär. E s sind für diese A r t des Vorganges einzelne anatomische Belege vorhanden. — Außer diesen sich streng auf das motorische System beschränkenden Erkrankungen kommen solche vor, welche noch andere Teile des Rückenmarkes — z. B. der Hinterstränge — ergreifen. Dann aber haben wir es mit einer kombinierten Systemerkrankung zu thun. Die Krankheit beginnt mit Schwäche in den Armen, zuerst in einem, dann in dem anderen; sehr bald stellt sich Atrophie der Muskeln und Zunahme der Sehnenreflexe ein. Nach verhältnismäßig kurzer Zeit, höchstens einem Jahre, meist früher zeigen sich die nämlichen Erscheinungen in den Beinen. E s folgen nach wiederum einem bis höchstens zwei Jahren die Symptome der Bulbärparalyse; welche dem Leben ein Ende macht. — Das Leiden setzt sich also aus drei Teilen zusammen: der progressiven Muskelatrophie, der spastischen Spinalparalyse und der progressiven Bulbärparalyse: die beiden ersten treten nebeneinander auf und verlaufen nebeneinander, die letzte entwickelt sich zum Schluß. Demgemäß ist auch die Muskelatrophie nach A r t und Verteilung die nämliche wie bei der progressiven Form, Typus DUCHENNE-ABAN: die kleinen Handmuskeln werden ergriffen, fibrilläre Zuckungen stellen sich ein, es tritt Entartungsreaktion an den Muskeln auf; daneben zeigt ein verschont gebliebener Teil der Fasern in denselben Muskeln normales Verhalten. — Die Symptome der spastischen Spinalparalyse sind ebenso voll ausgeprägt vorhanden, vor allem die Steigerung der Sehnenreflexe, welche schon sehr früh auftritt und auch an den Muskeln des Oberarms und Unterarms nachgewiesen werden kann. A n den Beinen geht die Entwicklung der spastischen Erscheinungen denen der Lähmung zeitlich voraus, sie überwiegen dort auch im späteren Verlauf; der „spastische Gang" zeigt sich in kurzer Zeit. Meist sind Reflexkontrakturen an Armen und Beinen zugegen, sie können aber fehlen. Alle Erscheinungen von Seiten der Sensibilität, der Ernährung, der Blase und des Darmes bleiben aus; die Reflexe von der Haut sind normal. — Die Bulbärparalyse bietet keine nennenswerten Abweichungen von ihrem gewöhnlichen Bilde dar. Die Muskelatrophie erklärt sich aus der Entartung der Ganglien in den Vorderhömern, die bulbären Erscheinungen aus der Zerstörung der Ganglienanhäufungen in der Medulla oblongata, zur Deutung der spastischen Erscheinungen bleibt nur die Degeneration der Seitenstränge übrig. Auf diesen Gedankengang stützt sich die Aufstellung, welche für die spastische Spinalparalyse als anatomische Unterlage die Seitenstrangdegeneration forderte.
Nach den bisherigen Erfahrungen ist die amyotrophische Lateralsklerose eine Krankheit, welche innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit zum Tode führt, ihre Prognose ist daher absolut schlecht. V o n einer wirksamen Therapie ist nichts bekannt. § 42. Chronische progressive Bulbärparalyse. Unter den Krankheiten des verlängerten Markes nimmt die c h r o n i s c h e p r o g r e s s i v e B u l b ä r p a r a l y s e die erste Stelle ein. Ätiologisch ist nur bekannt, daß die Krankheit in jüngeren Jahren — diesseit der Dreißiger — selten ist, dann auch, daß dieselbe mehr Männer als Frauen befällt. — Erkältung, Überanstrengung u. s. w. sollen nach vereinzelten Beobachtungen Gelegenheitsursachen werden können. Der Beziehungen zur amyotrophischen Lateralsklerose und zur progressiven Muskelatrophie ist in den vorhergehenden Paragraphen gedacht.
Amyotrophische Lateralsklerose. Chronische progressive Bulbärparalyse.
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Anatomisch findet man, daß degenerative Atrophie der in dem verlängerten Mark gelegenen grauen Kerne vom Hypoglossus und Facialis (diese am häufigsten und am stärksten ergriffen), vom Accessorius, Vagus, Glossopharyngeus, seltener vom Abducens und dem motorischen Teil des Trigeminus vorhanden ist. So gut wie nie beteiligt sich der A custicus. — Der Hypoglossus scheint immer den Anfang zu bilden. Die Wurzeln der ergriffenen Nerven sind deutlich atrophisch, ebenso ihre weitere periphere Verbreitung mit den zugehörigen Muskeln. Mikroskopisch zeigen sich Schwund oder Schrumpfungen der großen Ganglienzellen, die kernlos und mit Pigment gefüllt angetroffen werden, Bindegewebswucherungen, Verdickungen der Gefäßwände, wielleicht auch Fettkörnchen gesellen sich hinzu. In den Nerven und Muskeln sind die gleichen Zustände einfacher Entartung mit Untergang der charakteristischen Gewebsbestandteile, ferner ist nengebildetes Bindegewebe und Fett vorhanden. Das Leiden entwickelt sich langsam aus unscheinbaren Anfängen, leichten Störungen der Artikulation, neben welchen Beschwerden beim Kauen und Schlingen gleichzeitig, oder doch wenig später sich einstellen; bald kommt auch eine etwas vermehrte Speichelabsonderung zustande. — Monatelang hat es dabei sein Bewenden. — Mit dem weiteren Fortschreiten der Krankheit nehmen diese Erscheinungen zu, das Sprechen, Kauen und Schlingen gelingt immer unvollkommner, es tritt Verschlucken ein. Bald folgt die Beteiligung des Facialis mit seinen unteren Asten: die Fähigkeit, den Mund zu spitzen, zu pfeifen, ein Licht auszublasen, geht zugleich mit den mimischen Bewegungen der unteren Gesichtshälfte verloren; das Gaumensegel hängt schlaff herab, die Sprache wird näselnd, beim Essen gelangt ein Teil des Genossenen durch die Nase wieder nach außen. Reichliche Speichelmengen sammeln sich im Munde und können nicht verschluckt werden; sie fließen nach außen ab oder müssen mit Tüchern entfernt werden. — Die gelähmte Zunge und die Lippen zeigen beständige fibrilläre Zuckungen. — Mehr und mehr steigern sich die Beschwerden; endlich hört für den Kranken die Möglichkeit, sich durch die Sprache verständlich zu machen, ganz auf, jeder Versuch zum Schlingen geht mit Anfällen von Atemnot — durch Verschlucken bewirkt — einher. Lähmung der Kaumuskeln, vielleicht auch des vom Abducens versorgten Rectus externus stellt sich ein, Störung der Atmung und der Herzthätigkeit tritt auf. Unter den Erscheinungen hochgradiger Abmagerung geht endlich der Kranke einem langsamen Hungertode entgegen, wenn nicht eine Bronchitis oder Schluckpneumonie dem Jammer vorher ein Ende machte. — Dabei bleibt die Intelligenz erhalten, die sensiblen Nerven fungieren ungestört, ein Teil der Muskeln, Blase und Mastdarm sind unversehrt. Von Einzelerscheinungen ist zu erörtern: Sprachstörung, meist das erste Symptom, zeigt sich, dem frühen Ergriffenwerdendes Hypoglossus und der daraus hervorgehenden Zungenlähmung entsprechend, anfangs in der Schwierigkeit, gewisse Buchstaben auszusprechen, bei deren Bildung die Zunge wesentlich beteiligt ist. So unter den Vokalen das I, unter den Konsonanten R, Sch, dann später S, L, K, G, T, zuletzt D und N. — Die Lähmung des Facialis, soweit sie die Lippen betrifft, bewirkt den Ausfall von 0 und U, später von E; dann den der Konsonanten P, F — hierfür ist übrigens auch die Lähmung des Gaumensegels von Bedeutung — weiterhin von B, M, W. — Das Näseln der Stimme ist durch die Lähmung des Gaumensegels bedingt. —
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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.
Die im späteren Verlauf erfolgende Lähmung des Accessorius giebt durch Parese der Stimmbänder und der Kehlkopfmuskeln Veranlassung zur Schwäche und Eintönigkeit der Sprache. Kaum, und Sehlingen werden von verschiedenen Seiten her beeinträchtigt. Die Zungenlähmung hindert die Fortbewegung des mangelhaft gebildeten Bissens, die Entfernung der über den Zahnrand in die Backentaschen gelangten Speiseteile; die Lähmung der Lippenmuslceln macht den Schluß des Mundes, die der Kaumuskeln das Kauen selbst unmöglich. — Der komplizierte, von verschiedenen Nerven beherrschte Schlingakt wird später namentlich durch die Lähmung der Schließmuskeln des Larynxeinganges erschwert; sogar die Muskulatur der Speiseröhre (Vagus) kann ihren Dienst versagen. Die Lähmung der unteren Facialisäste thut sich außer den Orbicularis oris betreffenden Störungen — Unfähigkeit zum Mundspitzen, Pfeifen u. s. w. — in sehr auffallender Weise durch das Erlöschen der mimischen Bewegungen im unteren Gesichtsteil kund. Dies giebt einen ausgesprochenen Gegensatz zu den lebhaften Bewegungen in der oberen Gesichtshälfte, der für die Krankheit etwas Pathognomonisches hat. — Warum nur die unteren Aste des Facialis ergriffen werden, ist noch nicht aufgeklärt. Ebensowenig ist die in einer Anzahl von Fällen deutliche Vermehrung der Speichelabsonderung in ihren Ursachen erkannt. Unter den Atmungsstörungen treten zuerst solche der Exspiration hervor. Das hängt wohl mit der Stimmbandlähmung zusammen, welche die Spannung der im Thorax angesammelten Luft nicht zu der Höhe kommen läßt, die für das Husten, Niesen, Schnäuzen u. s. w. erforderlich ist. Nachher, wenn die Atmungscentren selbst in die Entartung hineingezogen sind, können Dyspnoe und anderweitige Beschwerden sehr hochgradig werden. Daß die Entstehung von Entzündung in den Luftwegen durch den mangelhaften Verschluß des Kehlkopfes im höchsten Grade begünstigt wird, bedarf keiner weiteren Ausführung. — Unmittelbare Störung in der Innervation des Herzens ist nicht häufig. Atrophie derjenigen Muskeln, deren Kerne zerstört wurden, geschieht genau in der gleichen Weise wie bei der progressiven spinalen Muskelatrophie; auch fibrilläre Zuckungen und Entartungsreaktion gestalten sich wie bei jener. Das Verhalten der Reflexe ist ein wechselndes; häufiger sind sie vermindert, so daß starke Reizung der Rachenschleimhaut motorisch unbeantwortet bleibt, andere Male sind sie erhalten. An den Gesichtsmuskeln sollen nicht selten sogar erhöhte Sehnenreflexe auftreten. Die Dauer des unaufhaltsam zum Tode führenden Übels wird auf ein bis fünf Jahre angegeben. Stillstände für Monate sind nur im Anfang etwas häufiger. — Die Prognose ist also eine absolut schlechte. Differentialdiagnostisch kommt die multiple Sklerose, besonders aber die Bildung von Geschwülsten in Betracht, falls durch dieselben ein Druck auf die Medulla oblongata ausgeübt wird. Die einleitenden Erscheinungen sind dann andere, vorwiegend Reizsymptome: Kopfweh, Schwinde], Erbrechen, epileptiforme Anfälle; es zeigen sich Störungen im Acusticus oder im sensiblen Teil des Trigeminus. Lähmungen der Glieder, vielleicht mit Kontrakturen, aber ohne Muskelatrophie können auftreten. Bei einer Kompression, welche die Wurzeln der Bulbusnerven auf beiden Seiten trifft, soll die Diagnose unter Umständen unmöglich werden. — Es ist endlich auch an die Möglichkeit zu denken, daß central gelegene Ursachen ein ähnliches Krankheits-
Chronische und akute Bulbärparalyse. Höhlen- und Spaltbildungen im Rückenmark.
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bild her vorrufe u können. — Die Thmqiic muß sich, und zwar mit recht wenig Aussicht auf Erfolg, auf den Versuch beschränken, mittels des galvanischen Stromes Stillstand zu erzielen. Außerdem fallen ihr symptomatische Aufgaben zu, unter denen Sorge für ausreichende Ernährung die hervorragendste ist. § 43.
Akute Bulbärparalyse.
Auch plötzlich kann Bulbärparalyse entstehen — jedoch im ganzen sind das seltene Fälle. — Es gehören hierher: 1. Blutungen in der Medulla oblongata und der Brücke, Embolie und Thrombose im tiebiete der Vertebralarterien, der Spinales anteriores, der Basilararterie. Neuerdings sind Fälle bekannt, wo der Sitz der Störung in der Leitung von der Hirnrinde bis zu den Kernen sich befand. Die Symptome sind durch einen mehr oder minder plötzlichen, jedenfalls scharf abgegrenzten Krankheitsanfang eingeleitet, der unter dem Bilde des apoplektischen Insultes auftreten kann. Außer den spezifischen Bulbärlähmungen des Hypoglossus, Accessorius, Facialis u. s. w., aus denen die Störungen der Sprache, des Kauens und Schlingens hervorgehen, zeigen sich nicht selten eigentümliche Verteilungen der Lähmungen überhaupt, welche durch Unterbrechungen der Pyramidenbahnen hervorgerufen sind. Gewöhnlich ist die Lähmung halbseitig, dabei kommt es vor, da(i der Facialis auf der einen, die Körpermuskeln auf der anderen Seite gelähmt sind (Hemiplegia alternans.) Dies findet seine Erklärung darin, dal! der Herd an einer Stelle liegt, wo noch nicht die Kreuzung der Facialis-, wohl aber bereits die der Pyramidenfasern stattgefunden hat; die Facialislähmung ist alsdann gleichseitig mit dem Herde, die der Glieder anderseitig. — In seltenen Fällen — Sitz des Herdes in der Pyramidenkreuzung selbst — kann die obere Extremität der einen, die untere der anderen Seite gelähmt sein (Hemiplegia cruciata). Weiter kann es vorkommen, dal! eine vollständige Lähmung aller vier Extremitäten auftritt. — Störungen der Atmung uud des Kreislaufs, vorübergehende Eiweiliund Zuckerausscheidung sind, wenn auch nicht eben häufig, beobachtet. — Der Tod kann bereits im ersten Anfall erfolgen; die Prognose gestaltet sich bei den durch Blutung bedingten Fällen besser als bei denjenigen, welchen Thrombosen zu Grunde liegen. Die Behandlung ist dieselbe wie bei den betreffenden Erkrankungen des Gehirns. 2. Disseminierte Myelitis mit Herdbildung in der Medulla oblongata — als akute entzündliche Bulbärparalyse bezeichnet, eine sehr seltene Erkrankung. Kopfschmerz, Schwindel, Er brechen, Singultus, Beschwerden beim Schlingen und Sprechen, abnorme Sensationen, Schwächegefühl — alles sehr rasch, vielleicht mit geringem Fieber, auftretend, zeigen den Beginn des Leidens an. Dann Lähmungen bald dieses, bald jenes von der Medulla oblongata aus innervierten Gebietes, subjektive Störungen der Sensibilität, objektive der Motilität in den Gliedern; bisweilen nehmen auch Blase und Mastdarm teil. Unter den Erscheinungen der Atmungslähmung erfolgt in kurzer Zeit der Tod. § 44.
Höhlen- und Spaltbildungen im Rückenmark; Spina bifida.
Als angeborene Anomalie findet sich eine Erweiterung des Centralkanals im Rückenmark mit Anhäufung von Flüssigkeit in demselben —• Hydromyelus congenitus —. Der Hohlraum liegt in der Mitte des Rückenmarkes, seine Wandungen sind von Cylinderepithel ausgekleidet. — Gewöhnlich fehlen selbst bei ziemlich erheblichen Erweiterungen alle Symptome. — Als Syringomyelie bezeichnet man Spalt- und Höhlenbildungen im Rückenmark, welche meist hinter dem Centralkanal in der grauen Kommissur liegen, manchmal übrigens auch auf die Hinterhörner und Hinterstränge übergreifen; sehr selten finden sich dieselben in den Vorderhörnern, der vorderen Kommissur und den Seitensträngen. Sie können in jeder Höhe vorkommen und sind ausnahmsweise auch im verlängerten Mark beobachtet. Ihr Inhalt besteht aus klarer Flüssigkeit oder hyaliner Gallerte. Man nimmt an, daß es sich ursprünglich um kongenitale Entwicklungshemmung im Mark handelt, durch welche das Gliagewebe zu Wucherungsvorgängen disponieit ist. Durch Zerfall desselben entsteht alsdann der Hohlraum, welcher stets von feinfaserigem, mit Zellen durchsetztem Gliagewebe umgeben ist. — Das Symptomenbild der Syringomyelie richtet sich ganz nach dem Sitz und der Ausdehnung der Höhlen und ist daher nicht einheitlich darzustellen. — Der Verlauf ist ein sehr langsamer, die Prognose unbedingt ungünstig.
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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
Bei der Spina bifida handelt es sich um eine partielle Erweiterung der Dura mater, welche meist mit Spaltbildung der Wirbelsäule verbunden ist und mit Flüssigkeitsansammlung einhergeht. Durch den Spalt tritt die fluktuierende Geschwulst an die Oberfläche, schiebt die H a u t , mit der sie manchmal verwachsen ist, vor sich her und kann so bis zur Größe eines Kinderkopfes gelangen. Gewöhnlich ist der Sitz am unteren Teil der Wirbelsäule. — Die W a n d u n g der Geschwulst wird meistens von der Dura und Arachnoidea gebildet, seltener nimmt die Pia teil; ihr Inhalt unterscheidet sich nicht wesentlich von der Cerebrospinalflüssigkeit. — Das Rückenmark selbst ist meist unversehrt, Verwachsung desselben mit der Geschwulst kann allerdings eine Zerrung nach der Längsrichtung zur Folge haben. — Kleinere Mengen von Flüssigkeit rufen keine Erscheinungen hervor; durch Verödung einer engen Verbindungsöffnung mit dem Wirbelkanal und dessen Inhalt kann die Geschwulst zu der geringen W ü r d e eines lästigen Anhängsels herabsinken. Mit der Zunahme der Flüssigkeit — nur in der kleineren Zahl der Fälle bleibt dieselbe von gleicher Menge — treten Drucksymptome vom Rückenmark her ein: Lähmung der Beine, der Blase und des Mastdarms, Decubitus. Durch Insulte k a n n Entzündung der inneren Geschwulstwand herbeigeführt werden, Meningitis macht dann dem Leben ein Ende. Gleiches geschieht nach dem Bersten des Sackes; strömt dabei die Flüsigkeit rasch ab, so kommt es manchmal zu Krämpfen u n d schnellem Kollaps. — Die Prognose ist im allgemeinen keine günstige. — Die Diagnose wird durch Sitz und Art des Tumors meist schon gegeben sein. Besteht, wie das gewöhnlich der F a l l , die Verbindung mit dem Wirbelkanal, dann läßt sich aus der Geschwulst ein mehr oder minder großer Teil der Flüssigkeit nach dem Kanal hin verdrängen. Bei den in diesem Sinne angestellten Versuchen muß m a n , wenn dieselben überhaupt nötig sind, sehr vorsichtig verfahren. — Die Therapie ist im wesentlichen eine chirurgische: Kompression mit Punktionen hat noch die besten Erfolge gehabt.
Krankheiten des Gehirns und seiner Häute. § 45.
Allgemeines.
Bau und Bildung des Gehirns sind in ihren Grundzügen bekannt. Mit welchen Aufgaben alle Einzelteile des großen Organs betraut sind, ist nur mit einer gewissen, bald größeren, bald kleineren Wahrscheinlichkeit zu sagen; während in betreff der einen Stelle nahezu Sicherheit gegeben ist, kann bezüglich einer anderen fast vollständiges Dunkel herrschen. Bei dieser ungenügenden physiologischen Unterlage muß die Pathologie darauf verzichten, immer klare allseitig verständliche Krankheitsbilder vorzuführen, oft ist sie auf einfache Erfahrungsthatsachen angewiesen, welche sich der Deutung derzeit noch entziehen. Das bei dem Erwachsenen und dem älteren Kinde von einer starren Knochenkapsel umschlossene Gehirn stellt eine festweiche Masse dar, nicht so fest, daß irgend eine mechanische Einwirkung auf die von ihr betroffene Stelle eng beschränkt bliebe, nicht so weich, daß eine solche Einwirkung wie bei Flüssigkeiten sich ohne weiteres auf das ganze Organ auszudehnen vermöchte. — Einen, freilich begrenzten, Schutz gegen plötzliche starke Vermehrung des Blutdruckes gewährt die Anwesenheit der Cerebrospinalflüssigkeit, welche in den Rückenmarkskanal, der durch Dehnung seiner Bänder etwas erweitert werden kann, auszuweichen vermag. Weit mehr ist die außerordentlich reiche Ausstattung mit Lymph- und Blutgefäßen imstande, diesen Flüssigkeiten raschen Abzug in den allgemeinen Kreislauf zu gestatten und so Drucksteigerungen zu verhüten oder doch rasch auszugleichen. Dafür ist auch die Art, wie sich das venöse Blut bewegt, von großer Wichtigkeit. Innerhalb des Sinus fließt dasselbe nicht nur unter höherem Druck als anderswo, es wird geradezu in pulsatorische Bewegung gesetzt, so daß sich die venösen Blutleiter stoßweise, der eindringenden arteriellen Welle synchron entleeren. Die
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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
Bei der Spina bifida handelt es sich um eine partielle Erweiterung der Dura mater, welche meist mit Spaltbildung der Wirbelsäule verbunden ist und mit Flüssigkeitsansammlung einhergeht. Durch den Spalt tritt die fluktuierende Geschwulst an die Oberfläche, schiebt die H a u t , mit der sie manchmal verwachsen ist, vor sich her und kann so bis zur Größe eines Kinderkopfes gelangen. Gewöhnlich ist der Sitz am unteren Teil der Wirbelsäule. — Die W a n d u n g der Geschwulst wird meistens von der Dura und Arachnoidea gebildet, seltener nimmt die Pia teil; ihr Inhalt unterscheidet sich nicht wesentlich von der Cerebrospinalflüssigkeit. — Das Rückenmark selbst ist meist unversehrt, Verwachsung desselben mit der Geschwulst kann allerdings eine Zerrung nach der Längsrichtung zur Folge haben. — Kleinere Mengen von Flüssigkeit rufen keine Erscheinungen hervor; durch Verödung einer engen Verbindungsöffnung mit dem Wirbelkanal und dessen Inhalt kann die Geschwulst zu der geringen W ü r d e eines lästigen Anhängsels herabsinken. Mit der Zunahme der Flüssigkeit — nur in der kleineren Zahl der Fälle bleibt dieselbe von gleicher Menge — treten Drucksymptome vom Rückenmark her ein: Lähmung der Beine, der Blase und des Mastdarms, Decubitus. Durch Insulte k a n n Entzündung der inneren Geschwulstwand herbeigeführt werden, Meningitis macht dann dem Leben ein Ende. Gleiches geschieht nach dem Bersten des Sackes; strömt dabei die Flüsigkeit rasch ab, so kommt es manchmal zu Krämpfen u n d schnellem Kollaps. — Die Prognose ist im allgemeinen keine günstige. — Die Diagnose wird durch Sitz und Art des Tumors meist schon gegeben sein. Besteht, wie das gewöhnlich der F a l l , die Verbindung mit dem Wirbelkanal, dann läßt sich aus der Geschwulst ein mehr oder minder großer Teil der Flüssigkeit nach dem Kanal hin verdrängen. Bei den in diesem Sinne angestellten Versuchen muß m a n , wenn dieselben überhaupt nötig sind, sehr vorsichtig verfahren. — Die Therapie ist im wesentlichen eine chirurgische: Kompression mit Punktionen hat noch die besten Erfolge gehabt.
Krankheiten des Gehirns und seiner Häute. § 45.
Allgemeines.
Bau und Bildung des Gehirns sind in ihren Grundzügen bekannt. Mit welchen Aufgaben alle Einzelteile des großen Organs betraut sind, ist nur mit einer gewissen, bald größeren, bald kleineren Wahrscheinlichkeit zu sagen; während in betreff der einen Stelle nahezu Sicherheit gegeben ist, kann bezüglich einer anderen fast vollständiges Dunkel herrschen. Bei dieser ungenügenden physiologischen Unterlage muß die Pathologie darauf verzichten, immer klare allseitig verständliche Krankheitsbilder vorzuführen, oft ist sie auf einfache Erfahrungsthatsachen angewiesen, welche sich der Deutung derzeit noch entziehen. Das bei dem Erwachsenen und dem älteren Kinde von einer starren Knochenkapsel umschlossene Gehirn stellt eine festweiche Masse dar, nicht so fest, daß irgend eine mechanische Einwirkung auf die von ihr betroffene Stelle eng beschränkt bliebe, nicht so weich, daß eine solche Einwirkung wie bei Flüssigkeiten sich ohne weiteres auf das ganze Organ auszudehnen vermöchte. — Einen, freilich begrenzten, Schutz gegen plötzliche starke Vermehrung des Blutdruckes gewährt die Anwesenheit der Cerebrospinalflüssigkeit, welche in den Rückenmarkskanal, der durch Dehnung seiner Bänder etwas erweitert werden kann, auszuweichen vermag. Weit mehr ist die außerordentlich reiche Ausstattung mit Lymph- und Blutgefäßen imstande, diesen Flüssigkeiten raschen Abzug in den allgemeinen Kreislauf zu gestatten und so Drucksteigerungen zu verhüten oder doch rasch auszugleichen. Dafür ist auch die Art, wie sich das venöse Blut bewegt, von großer Wichtigkeit. Innerhalb des Sinus fließt dasselbe nicht nur unter höherem Druck als anderswo, es wird geradezu in pulsatorische Bewegung gesetzt, so daß sich die venösen Blutleiter stoßweise, der eindringenden arteriellen Welle synchron entleeren. Die
Allgemeines.
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Einmündung der kleineren Venen des Hirns 'in die von starren Wänden umschlossenen Blutleiter, welche zudem noch mit den Venen des Schädels und der Kopfschwarte kommunizieren, sowie der Mangel an Venenklappen gestatten raschen Austausch von Blut zwischen arteriellem und venösem Gebiet und umgekehrt. Hierzu kommt noch, daß die perivasrularen Lymphräume, Subduml- und Subarachnotdealrcntm und die Ventrikel mit dem Lymphgebiet des Halses in Verbindung stehen, so daß rascher Abfluß auch von dieser Seite her gesichert ist. Ausgiebig ist die Versorgung mit arteriellem Blut: durch die Arteria cerebri anterior und media (Fossae Sylvii) direkt aus der Carotis interna, durch die Arteria cerebri posterior aus der Vertebralis (Subclavia). Diese Gefäße gehen in ihrer gröberen Verästelung zahlreiche Anastomosen miteinander ein; die Hauptverbindung der Stämme wird durch die Arteriae communicantes anteriores und posteriores hergestellt. Aber der Umstand, daß die Arterien der Großhirnganglien Endarterien sind, d. h. in ihrer feineren Verästelung keine Anastomosen bilden, kann unter pathologischen Bedingungen verhängnisvoll werden, da bei Unterbrechung des Kreislaufes in einem dieser letzten Zweige das ganze Hinterland desselben dauernd außer Ernährung gesetzt wird und zu Grunde gehen muß. Die Rinde des Großhirns ist günstiger gestellt, ihre Arterien anastomosieren auch in den feinen Verzweigungen. Das Gehirn istLeitungs- (siehe § 20) und selbstthätiges Organ für Empfindung und Bewegung. Man nimmt jetzt an, daß der Hirnrinde die letztere Funktion zukommt; dort sammeln sich an bestimmten, für die einzelnen Thätigkeiten verschiedenen Abschnitten die Eindrücke, welche von peripherer oder centraler Reizung ausgehen, so daß jeder dieser Abschnitte einen besonderen Mittelpunkt bildet, dessen Erregung das Ganze einer Bewegung oder Empfindung auslöst. Die Fähigkeit der einzelnen Teile in der Hirnrinde als Centraiorgane für zusammengesetzte Bewegungen oder Empfindungen zu dienen ist durch die ursprüngliche Anlage bedingt, eine enterbte, allein es bedarf der Übung, um diese Fähigkeit auszubilden, die Gentren gebrauchsfähig zu machen. — Man hat die Sache auch so ausgedrückt: Die Hirnrinde wird der Sitz von Erinnerungsbildern, sowohl Bewegungsvorstellungen als sensorischen Empfindungsvorstellungen. Sind diese einmal gewonnen, dann bedarf es nur der Anregung des Willens, um das Ganze des Bildes, wie es ursprünglich aufgenommen und am bestimmten Orte niedergelegt war, wieder ins Leben zu rufen, die Bewegung oder Empfindung wieder zu erzeugen. Umstritten ist die Frage, ob nur ein bestimmter Teil des Gehirns und außer ihm Icein anderer imstande ist, zum Centrum für eine bestimmte Thätiglieit zu werden? Man möchte darauf für jetzt antworten: Es ist durchaus wahrscheinlich, daß niemals eine Ganglienzelle als Centrum für eine bestimmte Thatigkeit prädestiniert ist, immer wird es sich hierbei um eine Mehrzahl von Ganglienzellen handeln. — Von dieser Mehrzahl kann eine die andere vertreten. Es mag von zufälligen Bedingungen abhängig sein, welche Einzelzelle bei der ersten Einübung mit einem bestimmten Bruchteil der Aufgabe betraut wurde, die der Gruppe gestellt ist; jede hätte den Bruchteil übernehmen können, eine hat es gethan. Dadurch ist die Möglichkeit, daß eine andere bei der sie treffenden Anforderung diese Arbeit leiste, sie übernehme, nahegelegt; also wäre Vertretung innerhalb der Gruppe, des Systems thunlich. Wieweit räumlich aber solche Vertretungsmöglichkeit sich erstreckt, ist eine andere Fräse. Die AusdehnungO der Territorien,' welche für bestimmte Zwecke als O
so
Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
Centren dienen, scheint sehr verschieden zu sein. Ungenügende Kenntnis der einschlagenden Verhältnisse hat dazu geführt, daß man einerseits jede umschriebene Centrenbildung im Gehirn leugnete, andererseits durch scharf abgegrenzte Lokalisation sich zu weit vorwagte. Im ganzen scheint der vordere Teil der Hirnrinde den motorischen, der hintere den scnsorischen Thätigkeiten zugewiesen zu sein. Bei jener Form der Aphasie, wo die Erinnerung an die Bewegungen verloren gegangen ist, welche zur Artikulation notwendig sind, der „motorischen", findet man gewöhnlich die dritte Unke Stirnwindung geschädigt, aber es ist sicher, dali auch da, wo die gleiche Stirnwindung rechts betrofl'en wurde und die linke unversehrt blieb, Aphasie auftritt. Meist verhält es sich so, dali Rechtshändige bei Zerstörung der linken dritten Stirnwindung, Linkshändige bei Zerstörung der entsprechenden rechten aphasisch werden. Man kann nicht wohl umhin, anzunehmen, dall durch Übung der betreffenden Großhirnhemisphäre, wie alle sonstigen feineren Koordinationen, so auch die zum Sprechen erforderlichen ausgebildet sind. Aber die andere minder geschulte Hemisphäre kann durch Übung ebenfalls zur vollen Entwicklung dieser Fähigkeit gebracht werden. Dali ein Rechtshändiger mit der linken Hand das Schreiben — einen der kompliziertesten Koordinationsmechanismen— zu erlernen vermag, ist bekannt, ebenso steht es fest, dali motorische Aphasie, daß „sensorische" Worttaubheit, hervorgerufen durch Untergang des „Hörcentrums" im Schläfenlappen, sich verlieren kann, sobald die entsprechenden Teile der anderseitigen Hemisphäre genügend eingeübt weiden. — Diese Beispiele für das Prinzip der Lokalisation im Gehirn und für die Vertretungsmöglichkeit der Einzelteile von Systemen unter sich mögen genügen. W a s für die in unmittelbarer Beziehung zu dem W i l l e n und der bewußten Empfindung stehenden Hirnteile gilt, dürfte auch für die mit ihnen verbundenen Leitungen seine Gültigkeit behaupten. Nicht eine Nervenfaser, mehrere vermitteln die Verbindung zwischen Centrum und Peripherie, jede vermag zu leiten und schon im Rückenmark finden sich wahrscheinlich verschiedene Bahnen, von denen bald die eine, bald die andere, wohl stets die besser geübte, vorzugsweise benutzt wird. E s ist durchaus wahrscheinlich, daß auch innerhalb des Gehirns Unterbrechungen in der Leitung durch Einschiebung von gewöhnlich nicht oder wenig benutzten Wegen bis zu einem gewissen Grade wieder ausgeglichen werden können. Man unterscheidet bei den Symptomen von Hirnerkrankung zunächst allgemeine Erscheinungen und Herderscheinungen. Die allgemeinen Erscheinungen weisen auf eine Störung des Organs als ganzes hin, sie können durch jeden Krankheitserreger, welcher das Gehirn trifft, unabhängig vom engeren Sitz der Erkrankung ausgelöst werden und bieten eine gewisse Einförmiglxit dar. Die Herderscheinungen hingegen setzen voraus, daß ein bestimmter Hirnteil getroffen wurde, der mit einer gewissen Funktion betraut ist, sie sind also so mannigfaltig wie diese Funktionen selbst. Durch die Störung der Funktion geben sie sich kund. Ist dieselbe vernichtet, dann redet man von Anfallssymptomen. Die von einer Schädlichkeit im Gehirn hervorgerufenen W i r k u n g e n brauchen sich nicht auf den unmittelbar betroffenen Teil zu beschränken, sie können vielmehr sich darüber hinaus in verschieden weiter Ausbreitung fortpflanzen. — E s sind hier zwei Dinge zu trennen: 1. Die Gewalt der Störung kann so bedeutend sein, daß sie die Funktionsfähigkeit des Gehirns unmittelbar, ganz vernichtet — dann tritt der Tod ein — oder dieselbe doch zum größeren Teil aufhebt, ohne daß immer materielle Änderungen nachweisbar wären. W i e nach einer Durchtrennung des Rückenmarkes zuerst die Reflexe erloschen sind, kann auch nach der Einwirkung starker mechanischer Gewalt auf das Gehirn ein ähnlicher Zustand — man hat ihn passend als Etonnement cérébral (Hirnerstarrung) bezeichnet — sich entwickeln.
Allgemeines
Allgemeinerscheinungen bei Hirnkrankheiten.
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2. Ernährungsstörungen, seien es nun entzündliche oder andere, greifen über den von der ursprünglichen Schädlichkeit betroffenen Raum hinaus und ziehen einen mehr oder minder großen Teil der Nachbarschaft für eine Zeit in Mitleidenschaft. So •/. B. das Odem, welches einen Herd echter Entzündung umgiebt und während seiner Dauer die schwersten funktionellen Störungen hervorzurufen vermag, aber in verhältnismäßig kurzer Zeit wieder zurückgeht. Man muß daher auch unter den von lokalisierten Einwirkungen abhängigen Erscheinungen wiederum zweierlei unterscheiden: direkte Herdsymptome — in dem angeführten Beispiel wurden solche von dem Entzündungsherd selbst geliefert — und indirekte, liier von dem Odem herrührende. Für die Diagnostik der Hirnerkrankungen sind diese Thatsachen von erheblicher Bedeutung. Bei plötzlich einbrechenden Schädigungen — bei mechanisch von außen einwirkenden oder durch Kreislaufstörungen hervorgerufenen — hat man vorübergehende und bleibende Symptome zu unterscheiden; das gelingt natürlich erst nach Ablauf einer gewissen Zeit. — Man darf die vorübergehenden Erscheinungen von den Fernwirkungen der krankheiterregenden Ursache ableiten, es tritt dabei kein Untergang von Geweben ein, und es bedarf nur der Ausgleichung von Kreislaufstörungen oder von molekularen Verschiebungen, um die Funktion wiederherzustellen. Sind Centren oder Leitungen vernichtet, dann redet man von Ausfallssymptomen; dauernd werden dieselben nur, wenn durch das Fehlen präformierter Ergänzung des Verlorengegangenen die Möglichkeit der Stellvertretung nicht gegeben, oder wenn die gegebene nicht benutzt — durch Übung nicht zum Ersatz gewöhnt werden kann. — Eine rasch einsetzende, wenn auch räumlich sehr beschränkte Störung kann so an einem lebenswichtigen Centrum, wie z. B. dem „Noeud vital" auftretend, raschen Untergang bedingen. Bei langsam entstehenden Schädigungen kann mit dem Untergang eines Hirnteils die Einübung des stellvertretenden zeitlich bis zu dem Grade mit der Erkrankung parallel gehen, daß Ausfallssymptome ganz fehlen; so kann es kommen, daß eine bedeutsame Stelle im Gehirn, welche mit einer wichtigen Thätigkeit betraut ist, sich in weit vorgeschrittener Zerstörung befindet, ohne daß davon nach außen hin durch irgend ein Zeichen Kunde gegeben wurde. Diese Verhältnisse sind es, welche so oft die Lokaldiagnose, bei Hirnerkrankungen unsicher machen. Am ehesten darf man eine solche stellen,' wenn es sich O um vollkommene oder teilweise Aufhebung der Leitung in Nervenbahnen bekannten Verlaufs handelt. Erstreckt sich die Aufhebung auf mehr als einen Nerven und treffen die Bahnen der gelähmten nur an einem bestimmten Orte zusammen, dann wird die Lokalisierung des Krankheitsprozesses diagnostisch mit größerer Wahrscheinlichkeit möglich. Immer ist aber daran festzuhalten, daß unsere Kenntnisse lange nicht ausreichen, um alle Kombinationen von Gehirnstörungen bezüglich der Ortlichkeit ihres Ursprungs zu analysieren. § 46. Allgemeinerscheinungen bei Hirnkrankheiten. Von Allgemeinerscheinungen bei Gehirnkrankheiten kommt vor: 1. Störung des Sensorium und der Intelligenz. Man unterscheidet hinsichtlich der ersteren nur quantitativ: Benommenheit, Schlafsucht, Sopor, Koma. E s handelt sich also um einen mehr oder minder stark entwickelten Zustand von Unbesinnlichkeit und Unfähigkeit sich mit der Außenwelt in Verbindung zu setzen. v. J u r g e n s e n , Spez. Patli. u Ther.
II Aufl
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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
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— Die Intelligenz kann in doppelter Weise geschädigt sein: sie kann einfach abgenommen haben, von den leichtesten Störungen des Gedächtnisses oder der Fähigkeit zu kombinieren bis zu dem vollentwickelten Blödsinn hin; oder sie kann gefälscht sein, d. h. nicht in der Wirklichkeit vorhandene Dinge als wirkliche betrachten und mit diesen arbeiten. Es gehören hierher die verschiedenen Formen der • Delirien. 2. Kopfschmerz, wohl immer auf das Ergriffensein der Dura mater zurückzuführen; seine Stärke und die Art seines Auftretens wechseln in hohem Grade. 3. Übelsein und Erfrechen. Der Brechakt selbst ist durch den Mangel an Vorboten, seine Unabhängigkeit von der Füllung des Magens und Störungen der Magenverdauung sowie durch plötzliches, gewaltsames Eintreten ausgezeichnet. Man spricht mit Recht von cerebralem Erbrechen. 4. Schwindel, beständig oder in Anfällen, von leichteren Erscheinungen bis zum Hinstürzen; das Bewußtsein bleibt dabei erhalten. 5. Krämpfe in der Form epileptischer Anfälle verschiedenen Charakters. Seltener sind tetanische und den choreatischen sich nähernde Formen; ebenso Athetose. ö. Störungen der vegetativen Funktionen: Änderungen der Körperwärme, als Steigerung oder Verminderung derselben, können auftreten, haben aber nichts Charakteristisches. — Der Puls zeigt nicht selten Abweichungen, nimmt an Häufigkeit zu oder ab und wird unregelmäßig; ebenso ändert sich seine Spannung. Ein langsamer, aber gespannter Puls wird als Pulsus cephalicus bezeichnet. — Ähnlich wie mit dem Puls verhält es sich auch mit der Atmung. — Anhaltende und hochgradige Stuhlverstopfung tritt bei manchen Fällen von Gehirnleiden auf; Blasenstörung — meist in der Form der ßetentio urinae — ist gewöhnlich mit U nbesinnlichkeit verbunden, hat übrigens nichts Bezeichnendes. Keine der genannten Erscheinungen ist an sich ein Beweis, daß eine Erkrankung des Gehirns im engeren Wortsinne vorliegt; sie können in ihrer Gesamtheit durch Intoxikation — z. B. durch die mittels Alkohols — hervorgerufen werden, gewinnen jedoch ebenso unter Umständen die Bedeutung von Herderscheinungen. § 47.
Herderscheinungen bei Erkrankungen bestimmter Teile des Gehirns.
Die wichtigsten H e r d e r s c h e i n u n g e n sind nach den Beobachtungen am Menschen (entnommen aus NOTHNAGEL, Topische Diagnostik der Gehirnkrankheiten) : 1. Kleinhirn. Charakteristisch ist Schwindel und taumelnder, schwankender Gang — beides übrigens nicht konstant und nicht ausschließlich den Cerebellarerkrankungen zukommend. 2. Crura cerebelli. Wenn der Zusammenhang mit dem Kleinhirn nicht vollkommen aufgehoben ist, zeigen sich bei Erkrankungen, welche Reizwirkungen zu üben vermögen, Zwangslagen und Zwangsstellungen des Rumpfes, des Kopfes und der Augen, Wälzen um die Längsachse des Körpers, Schwindel mit der Neigung nach einer Seite zu fallen. Indes liefern nur die Crura media diese Zeichen; die vorderen und hinteren geben gar keine. Als wirklich pathognomonisch werden genannt: vollständige Umdrehungen um die Körperachse und jene Stellung der
Herderscheinungen bei Erkrankungen bestimmter Teile des Gehirns
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Augen, bei welcher das eine Auge nach unten und aiul.ien, das andere nach oben und innen gerichtet ist, und beide unbeweglich sind. 3. Brüche. Wechselständige Lähmungen: die motorischen und sensiblen Nerven der Extremitäten sind auf der dem Herde entgegengesetzten Seite getroffen, Trigeminus, Abducens, Facialis, Hypoglossus auf der gleichen Seite; übrigens brauchen nicht alle diese Hinmerven befallen zu sein. — Meist ist der Facialis auch in seinen nboi-c.ii Asten gelähmt und kann Entartungsreaktion zeigen. — Mit dem Brückenherde gleichseitige Lähmung der Glieder kommt isoliert niemals vor, hingegen in seltenen Fällen eine solche aller vier Extremitäten. Blutung und Embolie sind bei ihrem Einsetzen öfter von epileptiformen Krämpfen begleitet. 4. Verlängertes Mark. Die Verletzung der Nervenkerne liefert die besten Zeichen: Erschwerung der Sprache, des Schlingens, Atmungs- und Kreislaufsstörungen (vgl. § 42). 5. Großhirnschenke). Lähmung der Extremitätennerven, des Facialis, Hypoglossus, Trigeminus auf der dem Herd gegenüberliegenden Seite, gleichzeitige Lähmung rles Oculomotorius, welche alle Aste desselben befallt und ,*.)tr selben Zeit mit den anderen Lähmungen auftritt. 6. Vierhiigel. Keine ganz charakteristischen Symptome. Werden die rordereu Hügel verletzt, dann folgt Abnahme des Sehvermögens bis zur Blindheit. Das Zeichen darf .jedoch nur verwertet werden, wenn es akut auftritt, der Augenspiegelbefund negativ ist und noch andere Erscheinungen einer Herderkrankung vorhanden sind. — Verletzung der hinteren fl/igel kann mit Lähmung des Oculomotorius einhergehen. Dieselbe gewinnt diagnostischen Wert, wenn doppelseitig gleichwirkende Aste befallen sind und keine alternierende Extremitätenlähmung vorliegt. Sehhügel. Charakteristische Zeichen sind nicht bekannt. Vermuten darf man eine Erkrankung desselben, wenn Sehstörungen — gekreuzte Amblyopie oder gleichseitige laterale Hemiopie --- neben eigenartigen motorischen Reizerscheinungen — halbseitiges Zittern, Hemichorea, Athetose — vorhanden sind. — Motorische Lähmungen gehören nicht zu den Symptomen der Sehhügelerkrankung. Streifenhügel. Ausgedehntere Zerstörungen rufen stets eine Lähmung an den dem Herde entgegengesetzten Kurperhälften hervor, an welcher teilnehmen: die unteren
Facialisäste, Arm und Bein, in geringerem Grade die Rumpfmuskeln, seltener dauernd der Hypoglossus. In den gelähmten Teilen tritt nachher öfter Kontraktur auf. Damit die Hemiplegie bleibend werde, ist Beteiligung
der inneren Kapsel
erforder-
lich. Auf Linsen- oder Schwanzkern beschränkte Herde können vollständige Rückbildung der Lähmungen zeigen. Besteht neben der motorischen Lähmung und an der gleichen Seite mit ihr eine Ilemianästhesie — meist sind dabei die Haut- und Sinnesnerven beteiligt—, dann ist der hinterste Abschnitt der inneren Kapsel erkrankt. — Vasomotorische Störungen an den gelähmten Teilen weisen gleichfalls auf den hinteren Abschnitt der inneren Kapsel hin. — Kleine Herde können selbst bei dem Sitz in der inneren Kapsel ohne dauernde Lähmungen vorhanden sein. Das Centrum ovale bietet keine diagnostisch verwertbaren Zeichen. Hirnrinde. Es ist hier zunächst der Sprachstörungen im allgemeinen zu gedenken. Abgesehen werden soll dabei von den Erschwerungen bei der Artikulation, wie sie durch Lähmung im Gebiete des Hypoglossus und Facialis erzeugt werden (vgl. § 42). Vielmehr handelt es sich um diejenigen Sprachstörungen, welche von 6*
Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
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den Rindencentren ausgehen, mit welchen das Vermögen zu sprechen auf das Innigste verknüpft ist. Wir unterscheiden: 1. Centrum
im hinteren
Abschnitt
der dritten Stirnivindung
— bei den Rechts-
händigen, also der überwiegenden Mehrzahl aller Menschen, an der linlceti Seite gelegen, bei Linkshändigen an der gleichen Stelle der rechten Seite. — Mit seiner Zerstörung schwindet die Fähigkeit, die feinen Koordinationen vorzunehmen, welche zum Sprechen erforderlich sind; die motorischen Erinnerungsbilder dieser Thätigkeit sind verloren gegangen. Die Artikulationsnerven sind unversehrt, das Verständnis für die Sprache ist erhalten. Öfter ist schriftlicher Verkehr möglich. Das Ganze wird als motorische (ataktische) Aphasie bezeichnet. 2. Centrum
in der ersten Schläfenwindung,
g e w ö h n l i c h gleichfalls links.
Mit
seiner Zerstörung schwindet die Fähigkeit, die Sprache zu verstehen, die betreffenden sensorischen Erinnerungsbilder sind verloren. Die Laute werden gehört, aber sie sind bedeutungslos und machen den Eindruck einer vollkommen fremden Sprache. Die Kranken selbst vermögen zu reden, verwechseln aber die Wörter. Man nennt diesen Zustand sensorische (amnestische) Aphasie, auch wohl Worttaubheit. E s w i r d weiter a n g e n o m m e n , daß die beiden genannten Centren unmittelbar durch eine besondere Leitungsbahn miteinander in Verbindung gesetzt sind, u n d m a n
verlegt dieselbe mit Wahrscheinlichkeit in die Gegend der Insel; ihre Verletzung soll durch Verwechselung der Wörter bei dem Sprechen gekennzeichnet sein. Motorische Aphasie erlaubt demnach den Schluß auf Verletzung der dritten Stirnwindung, sensorische den auf Verletzung der ersten Schläfenwindung; Mischformen sprechen für Erkrankung an beiden Orten. Zu bemerken ist, daß in einigen, freilich sehr seltenen Fällen motorische Aphasie mit einem anderswo gelegenen Rindenherd und nicht nachweisbar Versehrter dritter Stirnwindung zusammen vorkam. Unbedingt sicher ist also auch dies Zeichen nicht. Noch weniger aber ist es die sensorische Aphasie.
Es findet sich bei Rindenerkrankung auch mehr oder minder hochgradige Unfähigkeit zum Schreiben oder Lesen — diese Störungen lassen sich jedoch nicht auf einen bestimmten Herd zurückführen. Das gleiche gilt von dem manchmal (bei Aphasischen) vorhandenen Ausfall der optischen Erinnerungsbilder, bei welchem trotz vollkommen erhaltenen Sehvermögens vertraute Dinge des Alltagslebens nicht mehr erkannt werden. Schst'&rungen — Hemianopsie und unilaterale — die auch ohne örtlich nachweisbaren Grund bei Hirnkrankheiten auftreten, weisen im allgemeinen auf den Occipitallappen hin. Motorische Störungen von einer Rindenerkrankung aus werden auf Herde in den Gyri centrales und dem Lobulus praecentralis, die sogenannte „motorische Region", bezogen. Charakteristisch werden die von hier ausgehenden Lähmungen nur dann, wenn sie als isolierte auftreten, so diejenige des Facialis, des Hypoglossus, des Armes, seltener des Beines, oder eine Lähmung des Armes und des Beines, endlich des Armes und des Facialis. Man nennt derartige Lähmungen Monoplegie)i. — Bestimmter wird der Hinweis auf einen Rindenherd, wenn sich Beizerscheinungen hinzugesellen. Solche kommen in verschiedenen Formen vor: Zuckungen, beschränkt auf einzelne Muskelgebiete, die dann später gelähmt werden, oder zuerst Lähmung, nachher Zuckung; endlich, nachdem bereits Lähmung eingetreten, wirklich epileptische Anfälle. Dieselben beginnen regelmäßig in den gleichen Muskelgruppen und breiten sich von diesen über den ganzen Körper aus. — Zu beachten ist
Erkrankungen der Dura mater.
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übrigens, daß Heinipleyion, die sich in nichts von den gewöhnlichen durch Herde im Streifenhügel erzeugten unter scheiden,bei Rindenerkrankung gleichfalls beobachtet wurden.
Ammonshorn, Claustrum, äußere Kapsel haben bei ihrer Erkrankung nichts Charakteristisches. A l s ein Zeichen, das auf E r k r a n k u n g der Wand des vierten
Ventrikels
mög-
licherweise hindeutet, wäre Diabetes insipidus und mellitus zu nennen. Natürlich hat dasselbe nur dann Bedeutung, wenn anderweitige Hirnerscheinungen vorhanden sind, namentlich Herdsymptome, die auf Brücke und verlängertes Mark zu beziehen sind. § 48.
Erkrankungen der Dura mater.
Entzündung der Dura cerebralis kann durch direkte Verwundung und durch Fortpflanzung aus der Nachbarschaft hervorgerufen werden; für letzteres ist die Caries des Felsenbeines besonders zu nennen. — Ein nicht infektiöser Entzündungserreger, wie er aus unbekannten Gründen während der Schwangerschaft und im Greisenalter häufig thätig wird, ruft einfache bindegewebige Wucherung und Verdickung, umschriebene oder auf größere Strecken ausgedehnte, hervor. Ob damit irgend welche pathologische Erscheinungen verbunden sind, ist fraglich. Anders, sobald durch Infektion eiterige Entzündung zustande kommt. Diese greift auf die weichen Häute und das Gehirn selbst über, so daß ein zusammengesetztes Krankheitsbild entsteht, in welchem der Anteil der Dura mater jedenfalls sehr zurücktritt. Die anatomische Trennung in Pachymeningitis externa und interna hat klinisch keine Bedeutung. — Bei Traumen und jenen Entzündungen, welche mit der Bildung größerer Mengen von Eiter einhergehen, kann teils durch diese, teils durch etwa ergossenes Blut raumbeschränkender Druck auf das Gehirn geübt werden, welcher alsdann neben derMeningoencephalitis sich geltend macht.
Als selbständige Krankheit tritt die P a c h y m e n i n g i t i s h a e m o r r h a g i c a i n t e r n a , auch wohl schlechthin Haematoma durae matris genannt, auf. — Ihre Entstehungsursachen sind nur ungenügend gekannt. —• Man führt als solche an: Alkoholismus, chronische Nierenleiden, Blutkrankheiten, besonders die pernieiöse Anämie, endlich jene Herz- und Lungenübel, mit denen venöse Hyperämie einhergeht. Recht häufig wirken als Veranlasser Kopfverletzungen und Hirnerkrankungen, vorzugsweise die progressive Paralyse. In seltenen Fällen sah man auch im Verlauf oder nach Ablauf von Infektionskrankheiten hämorrhagische Pachymeningitis entstehen. — Eigenartig ist die Verteilung auf das Lebensalter. Bis zum 30. Jahre sind nur 12 %, vom 30. bis 60. etwa 44°' 0 , jenseit des 60. wiederum 44 °/0 der Gesamtzahl beobachtet — also eine sehr starke Belastung der höheren Altersklassen. — Es erkranken etwa dreimal soviel Männer als Frauen. Die anatomische Betrachtung zeigt anfangs einen feinsten Belag der Innenfläche an der Dura, bestehend aus geronnenem Fibrin mit wenig eingesprengten weißen Blutkörperchen und hervorgegangen aus entzündlicher Ausschwitzung der Gefäße. Diese Schicht wird allmählich von Blutgefäßen durchsetzt, welche, weit und dünnwandig aus der Dura hervorsprossend, sehr leicht ihren Inhalt in die durch Bildung von Bindegewebe an Umfang zunehmende Membran ergießen. Anfangs kommt es noch zur Resorption der kleineren Extravasate, später nicht mehr. — Es können so Geschwülste von sehr bedeutender Größe sich bilden, welche endlich aus schwartenartig verdicktem Bindegewebe und mehr oder minder verändertem Blute zusammengesetzt sind. — Verwachsungen mit der Arachnoidea kommen nur selten vor. — Lieblingssitz der Hämatome sind die Scheitelbeine in ihrer ganzen Ausdehnung; in etwa 44% wurde nur eine, in etwa 56°/0 wurden beide Hirnhälften betroffen. Die Hirnsubstanz zeigt eine der Mächtigkeit der ihr aufliegenden Geschwulst entsprechende Kompression und Blutleere.
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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
Von anderer Seite wird der erste Anfang des Prozesses auf direkten, nicht durch Entzündung hervorgerufenen Blutaustritt zurückgeführt.
Da die Erscheinungen im wesentlichen von der Größe und der Wachstumsgeschwindigkeit der Geschwulst, hier von der Menge des austretenden Blutes abhängen, zudem häufig noch anderweitige Störungen vorhanden sind, ist ein wechselvolles Krankheitsbild zu erwarten. — Kleinere Hämatome machen gar keine Symptome; liegt wie bei der progressiven Paralyse gleichzeitig Schwund des Gehirns vor, dann ist das auch bei ziemlich beträchtlichen, namentlich solchen, die eine geringere Tiefenausdehnung haben, möglich. Im allgemeinen darf man sagen, daß Erscheinungen von Raumbeengung des Schädelinhalts, Hirndruck anhaltend, ferner apoplektiforme Anfälle vorhanden sind: diesen gesellen sich dann zeitweilig Reizsymptome hinzu. — Kopfweh von wechselnder Stärke, bisweilen mit dem Gefühl eines sich im Kopfe hin- und herbewegenden Körpers, nie auf einen bestimmten Ort beschränkt, ist eins der konstantesten Zeichen. — Gleichfalls sind öfter zugegen: Abnahme der Intelligenz und der Sinnesschärfe, leichte Ermüdung, große Neigung zum Schlaf. — Den Verschlimmerungen geht manchmal vorher eine größere Erregbarkeit der Sinnesnerven, subjektive Empfindungen vom Auge und Ohr. Der eigentliche Anfall kann plötzliches Aufhören jeder willkürlichen Bewegung mit einer bis zum Koma gesteigerten Benommenheit, halb- oder beiderseitige Lähmung mit und ohne Beteiligung von Hirnnerven herbeiführen. Die Hirnnerven können an einer oder an beiden Seiten gelähmt sein; ist Hemiplegie vorhanden, dann sind sie es an der gleichen oder an der entgegengesetzten Seite der Körperlähmung. Auch Kontrakturen fehlen nicht. — Vom Auge sind wichtige Zeichen nicht selten zu entnehmen: Pupillenenge (Reizsymptom vom Oculomotorius), vielleicht einseitige Stauungspapille: hingegen fehlen Ptosis und Strabismus. Der Puls ist häufig verlangsamt und unregelmäßig, erst gegen das Lebensende steigt er möglicherweise. — Das Ergriffensein der Hirnrinde, welche ja zunächst dem Druck ausgesetzt ist, verrät sich durch Störungen feinerer Koordinationen (Aphasie ist beobachtet) und durch Monoplegien — dies überdauert meist länger den eigentlichen durch die Blutung herbeigeführten Insult und gleicht sich, wenn überhaupt, erst langsam aus. Einigermaßen ist die Diagnose zu stellen, wenn die größeren Blutungen in längeren Zwischenräumen erfolgen. Man hat dann auf kurzdauernde Reizerscheinungen — Kopfweh, Erregung der Sinnesnerven, vielleicht Delirien — denen bald Druckerscheinungen folgen, das Hauptgewicht zu legen. Falls nicht in tiefem Koma der Tod eintrat, so kommt es zu einer Besserung, welche freilich niemals vollständig wird. Eine stärkere Verminderung der intellektuellen Fähigkeiten ist nach jedem Anfall bemerkbar, Kopfweh, Schlafsucht, Pupillenge bleiben, dagegen bilden sich die Lähmungen zum größten Teil zurück. Durch dieses Verhalten bekommt das Krankheitsbild seine Eigentümlichkeit; gewisse Hirngeschwülste können allerdings ähnliches hervorrufen. Der Verlauf ist namentlich zeitlich schwer zu bestimmen und schwankt sehr im Einzelfall. Tod im apoplektifbrmen Anfall ist der gewöhnliche Ausgang, nur äußerst selten sah man wirkliche Genesung. Die Prognose ist daher immer eine sehr trübe. — Erfolge der Thenipie sind kaum zu verzeichnen. Es kann sich nur darum handeln, Gelegenheitsursachen der Blutung zu verhüten und die eingetretene möglichst unschädlich zu machen. Was hier zu thun, ist bei der Behandlung der Hirnblutung (§ 57) erwähnt.
Pagymeningitis haemorrhagica.
Anämie des Gehirns.
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Von Neubildungen kommen in der Dura vor: Sarkome in allen Formen, die häufigste Geschwulst; Enchondrome, Osteome, Fibrome, am seltensten sind Lipome und metastatisch Carcinome. Infektiösen Ursprungs: Sj'philitische und tuberkulöse Geschwülste. — Eine zutreffende Schilderung der durch sie bedingten Erscheinungen lädt «ich mit wenig Worten nicht geben. § 49.
Anämie des Gehirns.
Das Gehirn verträgt weniger als die anderen Organe ungenügende Versorgung mit sauerstoffhaltigem Blute. Dem Eintritt von A n ä m i e folgt in kurzer Zeit Funktionsstörung. sei es nun Reizung oder Lähmung. Hirnanäinic kann hervorgerufen werden: 1. durch beträchtlichen allgemeinen Blutverlust : 2. durch Änderungen in der Blutverteilung, welche die zum Hirn fließenden Mengen erheblich vermindern. Hierher gehören die auf nervösem Wege entstandenen Änderungen des Gefaßtonus. So die Verengerung der Hirnarterien durch Reflexaktion von der Psyche oder anderswo her. — Erschrecken, heftiger Schmerz rufen z. ß. Erblassen und Ohnmacht hervor; die Erweiterung anderer Gefäßgebiete, z. B. Shok bei Stoß gegen den Bauch, dessen Wirkung dem Klopfversuch analog ist; 3. durch vorübergehende oder dauernde Verlegung der zuführenden Gefäftstamme: 3. durch ungenügende Herxthatigkcit. welche den arteriellen Druck nicht auf ausreichender Höhe zu halten vermag. — Begünstigend wirkt hier schlechte Blutmischung und länger bestehende Herzschwäche. Dabei ist aber zu bemerken, daß immerhin eine gewisse Gewöhnung eintritt, welche, sobald diese Zustände länger gedauert haben, eine Anpassung des Hirns an die nun einmal vorhandenen Bedingungen mit sich bringt. Als Gelegenheitsvrsarheu wirken: 1. rascher Übergang aus der Rückenlage in die aufrechte — hier kommt die Schwere als ein die Widerstände im Gebiete der aufsteigenden Aorta plötzlich steigernder Faktor in Betracht; — 2. rascher Temperaturabfall bei einem längere Zeit Fiebernden. Die Temperatursteigerung selbst wirkt als Reiz auf das Herz, wird dieser dem durch die Krankheit geschwächten Herzen in kürzerer Zeit entzogen, dann vermindert sich dessen Leistung nicht selten so sehr, daß akute Hirnanämie folgt (Krisen bei Pneumonie, Erysipel, Recurrens u. s. w.). Alles, was Abnahme des Sauerstoffs in dem das Hirn durchströmenden Blute bedingt, kann dessen ungenügende Versorgung mit geeignetem Blute herbeiführen. So Vergiftung mit den verschiedensten Substanzen; einerlei, wo dieselben ihren Angriffspunkt haben. Schwächung der Herz- und Atmungsthätigkeit kommt indirekt oder direkt schließlich doch zustande. Man thut jedoch wohl daran, diese Verhältnisse nicht bei der Hirnanämie zu besprechen, sondern an dem alten sie ausschließenden Brauch festzuhalten.
Anatomisch findet man außer der die Blutarmut anzeigenden Blässe nichts. Die Symptome der Hirnanämie richten sich nach der Plötzlichkeit des Eintritts und dem absoluten Maße der Blutverminderung. — Schwinden des Bewußtseins — Ohnmacht — ist mit irgend bedeutender rasch auftretender Hirnanämie in der Regel verbunden. — In kurzer Zeit entstandene, aber erst nach und nach sich ausgleichende Gehirnanämie — z. B. die infolge stärkeren allgemeinen Blutverlustes — zeigt, nachdem die ersten Erscheinungen vorüber, ein Bild, in welchem verminderte absolute Leistungsfähigkeit — Schwäche — von zeitweise sich verstärkenden Reizsymptomen begleitet ist: Schlafsucht, Hinfälligkeit, sowie Unfähigkeit, irgend nachhaltig zu denken, Sinneseindrücke aufzunehmen und richtig zu
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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
deuten, Bewegungen auszuführen; daneben aber ein großer Grad von Erregung: Kopfweh, Ideenflucht, Hallucinationen von Auge und Ohr, Unruhe der Glieder, welche bis zum Delirium sich steigern kann. Anämisches Delirium, Delirium ex inanitione, Delirium des Collapsus sind synonyme Bezeichnungen dieses Zustandes, der hin und wieder mit dem Säuferwahnsinn eine gewisse äußere Ähnlichkeit aufweist. — Der Tod kann im Koma oder während eines solchen Erregungszustandes plötzlich eintreten. Genesung erfolgt langsam mit Besserung der Blutmischung und der Herzthätigkeit (siehe § 75). Verlauf und Prognose sind ganz von den veranlassenden Ursachen abhängig, ebenso die Behandlung, welche sich nach den im Einzelfall gegebenen Bedingungen zu richten hat. Es bleibt nur übrig darauf hinzuweisen, daß horizontale Lagerung des Körpers, Entfernung der die Atmung hemmenden Kleidungsstücke, Reizung sensibler Hautnerven durch Besprengen mit kaltem Wasser, Reizung der Nasenschleimhaut durch Ammoniak bei der Ohmnacht zunächst vorzunehmen sind. § 50.
Hyperämie des Gehirns.
Daß die Blutmenge im Gehirn zunehmen und damit H y p e r ä m i e desselben auftreten kann, unterliegt keinem Zweifel; welche pathologische Bedeutung aber dieselbe hat, ist eine andere Frage. —• Man unterscheidet wie tiberall aktive (fluxionäre, arterielle) von passiver (Stauungs-, venöser) Hyperämie. Venöse Hyperämie zeigt sich bei allen Vorgängen, welche dem Abfluß des Venenblutes aus dem Schädel abnorme Hindernisse bereiten. So namentlich bei jenen Herz- und Lungenkrankheiten, die eine Entleerung der oberen Hohlvene in das rechte Herz erschweren. Es gehören hierher der verbreitete Katarrh feinerer Bronchien, besonders bei Emphysematikern, die Herzinsuffucienz mit ungenügendem Schluß der Tricuspidalis, hochgradige Pleuraergüsse, Lungenverdiclitungen akuter Entstehung, Stenosen der Luftwege, atmunghemmende Ergüsse in den Bauchraum: endlich alles, was bei der Atmung heftigere Schmerzen macht. — Die inspiratorisch ungenügend entleerten Jugularvenen, welche, bei jeder heftigeren Exspiration (Husten) stark anschwellen, lassen keinen Zweifel über die Berechtigung des Schlusses zu, daß auch ihr Hinterland im Gehirn mehr venöses Blut als normal enthält. — Anders steht es mit der Ätiologie der arteriellen Hyperämie. Man führt als Ursachen an: 1. Verstärkung der Herzthätigkeit soll raumbeengende Fluxion zum Gehirn bedingen können. — Das ist nicht richtig, da mit vermehrtem Zufluß arteriellen Blutes vermehrter Abfluß des venösen und verstärkte Lymphströmung einhergeht. Diesen durch den Versuch festgestellten Thatsachen gegenüber muß die frühere Auffassung verlassen werden, welche übrigens auch mit dem für alle anderen Organe Geltenden in unbedingtem Widerspruche steht. Man nahm an, daß durch einfache Yennehrung des arteriellen Drucks, wie sie durch gesteigerte Herzthätigkeit herbeigeführt wird, im ganzen Schädel Druckzunahme erzeugt werde. DieCerebrospinalflüssigkeit, aus den die Arterien umgebenden Lymphräumen durch die stärkere Füllung der Arterien verdrängt und in den Subpialraum getrieben, sollte die Kapillaren des Gehirns zusammenpressen, so deren Anämie und dadurch Funktionsstörungen in den von ihnen versorgten Teilen herbeiführen. Zugleich sollte der Blutdruck im Inneren der Arterien stark genug sein, um deren Elastizität und Muskeltonus so weit zu überwinden, daß der volle Arteriendruck auf dem Hirn ruhe.
2. Eine auf nervösem Wege herbeigeführte Erschlaffung der Hirnarterien — Erweiterung derselben durch Nachlaß des Muskeltonus — wird ferner als Ursache
Hyperämie des Gehirns.
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arterieller Hyperämie genannt. Auch dadurch soll wieder der ganze arterielle Blutdruck auf den Schädelinhalt übertragen und die nämliche Störung des Kapillarkreislaufes herbeigeführt werden können. Versuche haben gelehrt, dafl nach Einwirkung des als gefäßmuskellähmend bekannten Amylnitrits ein wirklich vollkommenes Aufhören des Tonus zweifelhaft ist. Es ist durchaus unwahrscheinlich, daß irgend ein anderes Agens in gleicher oder auch nur annähernd gleicher Stärke wie das Amylnitrit auf die Gefäßmuskeln zu wirken vermag. — Weiter hat es sich bei denselben Versuchen herausgestellt, daß schon recht erhebliche Volumzunahme des Gehirns auftreten kann, ohne daß irgend eine Beeinträchtigung der intellektuellen Verrichtungen des feinsten Reagens auf Störung der arteriellen Blutströmung im Hirn sich zeigt. — Es ist endlich die Elastizität der Gefäßwandung ganz außer Rechnung geblieben — schon sie allein setzt der einfachen Übertragung des Blutdruckes auf das Hirn nicht unbeträchtliche Widerstände entgegen.
Es ist dies eine kurze Zusammenfassung der Erklärungsversuche, welche unternommen wurden, um die in der älteren Krankheitslehre einen so hervorragenden Platz behauptende „Gehirnhyperämie" in die heutige hinüber zu retten. Die ganze ältere Auflassung krankt an dem mehr oder minder deutlich hervortretenden Irrtum, daß erhöhter arterieller Blutgehalt eines Organes ohne weiteres vermehrte Thätigkeit desselben bedinge, schon an sich als Reiz wirke. Man hat den richtigen Satz, daß gesteigerte Funktion mit vermehrtem Zufluß arteriellen Blutes verbunden ist, einfach umgekehrt und sich so ein bequemes, aber mit den Thatsachen nicht zu vereinbarendes Dogma zurecht gemacht. Auch die neueren Kommentare dürften dasselbe nicht zu stützen vermögen.
Sieht mau die Thatsachen unbefangen an, dann bemerkt man bald, daß neben der angenommenen, niemals bewiesenen arteriellen Hyperämie immer noch eine oder die andere Schädlichkeit vorhandin ist, welche allein genügt, um die Funktionsstörungen '. u erklären, welche man der Hyperämie zur Last legte. Dasselbe gilt von der venösen Hyperämie. Bei dieser ist ein sauerstoffarmes, an Kohlensäure reiches Blut vorhanden, von dem lebensnotwendigen Gase zu wenig, von dem schädlichen zu viel. — Man beschuldigte den Alkohol, auch wohl den Tabak, daß sie durch arterielle Fluxion zum Gehirn schädlich wirkten, vergaß aber dabei ihre unmittelbar toxischen Eigenschaften. Ebenso ging es mit den Infektionskrankheiten, die doch durch Temperatursteigerung und toxische Wirkung das Hirnleben schon ausreichend zu stören vermögen. — Es steht fest, daß bei Kindern, deren Hirn bekanntlich leichter aus dem Gleichgewicht zu bringen ist als das der Erwachsenen, selbst unvollständig ausgebildete Infektionen kurzer Dauer mit manchmal recht schweren Hirnerscheinungen einhergehen. Sogar wenn unter diesen Umständen starke Erhebungen der Temperatur sich zeigen, reden manche dennoch von aktiver Gehirnhyperämie. Auf sie führen viele auch die zeitweilig eintretenden mit Aufregung verbundenen Zufälle bei notorisch Geisteskranken zurück, namentlich wenn gleichzeitig ein kongestioniertes Gesicht sich zeigt. Es wäre aber doch zu bedenken, daß die Rötung des Gesichts auch eine Folge primärer psychischer Erregung sein kann, und daß die Abweichungen der Hirnthätigkeit unter solchen Bedingungen ganz und gar unbekannt sind. — Manches von den sogenannten arteriellen Gehirnhyperämien gehört zur Epilepsie und ist bereits ausgeschieden, so die „apoplektische Hirnkongestion"; Aufhebung des Bewußtseins von längerer oder kürzerer Dauer bildet ihr Hauptsymptom. Daß bei vollkommen unversehrten Gefäßwandungcn Vermehrung der Blutmenge im Gehirn krankhafte Erscheinungen herbeizuführen vermöchte, muß als durchaus fraglich bezeichnet werden. Anders ist es, wenn die Gefäßwand durchlässig wird, sei es nun wegen länger dauernder Anhäufung venösen Blutes, oder aber weil im Blute ein Entzündungserreger sich findet. In beiden Fällen sind
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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
pathologische Erscheinungen vorhanden, aber in beiden Fällen auch Ödeme, also eine greifbare anatomische Störung. — Die klinischen Erscheinungen, aus denen man auf Gehirnhyperämie schließen will, sind unbestimmter Art; sie sollen sich von denen der Anämie wenig entfernen, sogar, wie einige meinen, ganz mit ihnen zusammenfallen. — Bei der venösen Hyperämie zeigt sich eine meist ziemlich allmähliche Abnahme des bewußten Hirnlebens: Schlafsucht, langsames Denken, Sprechen, Sichbewegen und Empfinden: schließlich tiefe Betäubung. Gegen das Ende pflegen Atmungs- und Herzerscheinungen — Cheijne-Stokes'sches Phänomen — sich einzustellen. Man findet in der Leiche 'starke Blutfüllung der Venen, wird aber auch das Hirnödem selten vermissen — Für die arterielle Fluxion wird angegeben: Schwindel, Kopfweh, Eingenommensein des Kopfes, übergroße Erregbarkeit auf psychischem Gebiet und auf dem der Sinnesnerven, besonders des Opticus und Acusticus; Schlaflosigkeit, Unfähigkeit zur Arbeit: Neigung zum Erbrechen und zur Verstopfung. Manchmal soll das Gefühl fliegender Hitze, starkes Klopfen der Carotis und ihrer Aste, auch Rötung des Halses und Kopfes vorhanden sein. Sogar Zuckungen in einzelnen Muskeln, allgemeine Krämpfe, Lähmungen bis zur Hemiplegie hinauf werden als Symptome der arteriellen Fluxion bezeichnet. — Anatomisch braucht bei dem etwa erfolgten Tode — auch davon werden Beispiele berichtet — starke Gefaßinjektion nicht vorhanden zu sein, sie ist es aber doch manchmal, und die mikroskopische Untersuchung vermag dann vielleicht den Beginn entzündlicher Veränderungen aufzudecken. Übrigens ist der Leichenbefund wenig geeignet, über die während des Lebens bestehende Blutmenge und Blutverteilung im Hirn Auskunft zu geben. Nimmt man alles zusammen, dann erscheinen weder die Symptomatologie noch die anatomische Untersuchung genügend, um dafür Gewähr zu bieten, daß eine ohne Gefäßveränderung einhergehende Blutfülle, besonders die sogenannte aktive arterielle Hyperämie, als Sonderwesen bestehend, wirklich Erscheinungen veränderter Hirnthätigkeit hervorruft. Man thäte wohl daran, diesen Namen ohne Inhalt zu streichen. § 51. Ödem des Gehirns.
Auch das G e h i r n ö d e m hat in früherer Zeit eine bedeutendere Rolle in der Pathologie gespielt, als mit den Thatsachen vereinbar ist. Man war zu sehr geneigt, nachweisbare anatomische Veränderungen ohne weiteres auch als die veranlassenden Ursachen der beobachteten Erscheinungen anzusehen. Bei dem Hirnödem erscheint solche Schlußfolgerung um so bedenklicher, als gerade hier die Zahl und Bedeutung der neben demselben vorhandenen Bedingungen, welche ebenfalls Hirnstörungen herbeizuführen vermögen, keine geringe ist. — Zunächst muß die Frage erledigt werden, ob der nach dem Tode gefundene Feuchtigkeitsgehalt auch im Leben vorhanden war, ob derselbe nicht etwa in der Agonie, vielleicht erst später zugenommen hat? Darüber Allgemeingültiges auszusagen ist unmöglich — auch für den Einzelfall dürfte ein begründetes Urteil schwer fallen. — Bei Atrophie des Gehirns tritt ranmausfüllend Flüssigkeit in die geschlossene Schädelkapsel. Dieser Hydrops ex vacuo findet sich regelmäßig, und er muß aus physikalischen Gründen auftreten neben jedem Gehirnschwund, z. B. dem bei Dementia
paralytica.
— Ob in der T h a t auch
b e i schweren
Zehrkrankheiten
oder
im späteren Verlauf der akuten Infektionen eine so starke Abnahme der Gehirnmasse statthat, daß raumausgleichender Hydrops nötig wird, mag dahingestellt
Hyperämie und Ödem des Gehirns.
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bleiben. Man will das nach solchen Leiden in der Leiche nicht selten zu findende Hirnödem auf diese Weise erklären. Doch ist nicht zu vergessen, daß bei dem Verhungern das Gehirn unter allen Organen den geringsten Gewichtsverlust erleidet, und daß bei jenen Erkrankungen Bedingungen gegeben sind, welche der Ernährung der Gehirngefäße nicht gerade günstig scheinen. Für die Entstehung des Hirnödems aus größerer Durchlässigkeit der Gefäße spricht hier überdies ziemlich entscheidend der Umstand, daß auch an anderen Körperteilen, z. B. an den Knöcheln, sich Ödeme zeigen, welche sicher nur so erklärt werden können. Keinesfalls ist über die pathologische Bedeutung des Hirnödems nach jenen Erkrankungen irgend sicheres auszusagen. Weiter finden sich Ödeme des Gehirns, welche man als durch Erschwerung des venösen Abflusses hervorgerufene betrachten muß — sogenannte Stauungsödeme. Die im vorhergehenden Abschnitte genannten, neben der venösen Hyperämie bestehenden Bedingungen machen sich auch hier geltend. Die Entstehung dieser Ödeme erklärt sich nach den experimentell festgestellten Thatsachen: Längere A n h ä u f u n g eines an Sauerstoff armen, zur Ernährung der Gefäßwandung unzureichenden Blutes innerhalb der Gefäße ruft sie hervor. Kapillaren und kleinere Venen sind hauptsächlich beteiligt, aus ihnen tritt Plasma und eine gewisse Zahl roter Blutkörperchen aus, die sich bei ungenügender Lymphströmung in den Geweben anhäufen. Neben dem mechanischen Druck, welchen zweifellos die ausgetretene Flüssigkeit auf das Gehirn übt, kommt in Betracht: geschwächte Herzkraft mit verminderter Geschwindigkeit und vermindertem Druck des Blutes; diese führt arterielle Anämie herbei. Gleichzeitig stellt sich Anhäufung der auf das Gehirn giftig wirkenden Kohlensäure ein. — Also auch hier liegen neben dem Odem anderweitige schwere Schädlichkeiten vor. Für die Entstehung des sogenannten akuten kongestiven Odems ist es durchaus notwendig anzunehmen, daß ein Entzündungserreger die Gefäßwandungen durchlässiger gemacht habe. Denn niemals genügt einfache Fluxion, um Ödeme zu erzeugen. Der Entzündungserreger, welcher thätig ist, schädigt aber noch anderes als die Gefäße. Meist — wahrscheinlich immer — ist er infektiöser Natur, hat Temperaturerhöhung und unmittelbare Störung der Hirnernährung im Gefolge. Letzteres dürfte für die Cerebrospinalmeningitis, wo sich das entzündungserregende Gift wesentlich im Gehirn und Rückenmark, resp. in deren weichen Häuten ablagert, unbestritten sein. Aber es gilt wohl ebenso für die schweren Formen anderer Infektionen — der akuten Exantheme, des Typhus, der Pneumonie — , welche mit erheblichen, nicht aus der Temperatursteigerung allein zu verstehenden Hirnerscheinungen einhergehen. W e n n auch unzweifelhafte Zeichen anatomischer Schädigung hier meist — nicht immer — fehlen, so scheint doch mehr und mehr der Nachweis möglich zu werden, daß die jene Krankheiten erzeugenden Mikroorganismen im Hirn und seinen Häuten gleichfalls einen allerdings minder günstigen, dennoch aber nicht ganz unfruchtbaren Keimboden finden. A u c h die im Hirn selbst entstandenen örtlich umschriebenen Krankheitsherde — Blutergüsse, Erweichungsherde, Geschwülste — vermögen wie der Hirnabsceß Ödeme, zunächst umschriebene, hervorzurufen, welche man ziemlich allgemein als entzündliche auffaßt. Alles in allem liegt also für das akute endzündliclieÖdem ebenfalls kein Grund vor, dessen mechanische Wirkung allein für das pathologische Geschehen verantwortlich zu machen. —
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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
Der Versuch hat hier neuerdings Thatsachen erhoben, mit welchen die älteren Anschauungen nicht vereinbar sind. Es zeigt sich: 1. daß bei dem, durch Eintreiben erwärmter Kochsalzlösung in den Subdural- oder Subpialraum beträchtlich erhöhten Hirndruck sehr bedeutende Mengen dieser Flüssigkeit resorbiert wurden, obgleich der auf dem Hirn lastende Druck dessen Kapillaren und Lymphgefäße auf einen engeren Raum zusammengepreßt hatte; 2. daß Zunahme der Thätigkeit des Herzens — Vermehrung der von demselben gelieferten lebendigen Kraft — ausreicht, um bis dahin wirksame Druckwerte für das Hirn unwirksam, nicht mehr störend, werden zu lassen. 3. Nicht ohne Bedeutung für das Verständnis ist es, daß bei Verdünnung der Blutmasse die Cerebrospinalflüssigkeit selbst, welche als echtes Sekret aufgefaßt werden muß, in vermehrter Menge abgeschieden wird. — Die folgende Vorstellung dürfte als die für jetzt am besten gestützte erscheinen: Ansammlung von Flüssigkeit in dem Hirn und seinen Häuten setzt das ganze von starren Wandungen umschlossene Organ unter höheren Druck. Dieser kann erst von dem Augenblick an schädigend auf die Gehirnthätigkeit wirken, wo weder der Abfluß der Cerebrospinalflüssigkeit in die durch Dehnung der Bänder etwas erweiterte Höhle des Wirbelkanals, noch die Resorption durch Kapillaren und Lymphgefäße genügt, um die Flüssigkeit zu entfernen. Kommt aber der Druck auf solche Art zur Geltung, dann erschwert er den Kreislauf im Hirn, zunächst in den am wenigsten Widerstand bietenden Kapillaren und feinen Venen. Es kann so arterielle Anämie herbeigeführt werden, und alle Symptome des Hirndruckes sind nichts Anderes als Zeichen solcher Anämie. — Wesentlich für die Entstehung von Hirndruck ist das Verhalten des Herzens. Genügt dessen Kraft, um trotz der vermehrten Widerstände Blut in einer für die Ernährung ausreichenden Menge durch das Gehirn zu treiben, so bleiben die Druckerscheinungen aus, sie entwickeln sich bei ungenügender Herzthätigkeit in einem der so herbeigeführten Anämie entsprechendem Grade. Es ist daher nicht die absolute Höhe des auf dem Hirn lastenden Druckes, sondern dessen Verhältnis zu dem Blutdruck in den Hirnarterien maßgebend. So erklärt es sich, wie bei dem durch verhinderten Abfluß entstehenden venösen Stauungsödem, welches fast mit verminderter Herzarbeit einhergeht, weitaus geringere Druckwerte gleiches Ergebnis haben, wie die meist mit gesteigerter Herzthätigkeit verbundene starke Kompression bei akut entzündlichem Ödem. — Eine Bestimmung der absoluten Höhe des Druckes, welcher auf dem Hirn lasten muß, damit Erscheinungen auftreten, hat aus den angeführten Gründen keine Bedeutung. — Beiläufig mag noch darauf hingewiesen werden, daß durch besondere nervöse Mechanismen im Gefolge von Hirndruck zeitweilig auch Erhöhung des Blutdruckes auftritt — also ein Schutzmittel gegeben ist, welches wenigstens vorübergehend die Folgen der verlangsamten Strömung des Blutes durch das Hirn zu mindern vermag. In der Leiche zeigt sich bei stärkerem Hirnödem: Abplattung der W i n d u n g e n , Verdrängung der Cerebrospinalflüssigkeit aus dem subarachnoidealen Gewebe, Anämie der Hirnoberfläche; die Substanz des Organs ist reich an Flüssigkeit, feuchtglänzend, breiig-weich, leicht zerfließend, w e n i g Blut enthaltend. Ergüsse in die Ventrikel in wechselndem U m f a n g sind oft vorhanden. — D i e ergossene Flüssigkeit enthält auch in minder hochgradigen Fällen rote und weiße Blutkörperchen. — Die Symptome, welche man bei dem Hirnödem beobachtet, werden durch den Druck der ausgetretenen Flüssigkeit hervorgerufen. Dieser wirkt unmittelbar, indem er Zerrung der von der Schädelkapsel umschlossenen Gebilde herbeiführt; größer aber ist seine mittelbare W i r k u n g : die Anämie des Gehirns durch Zusammenpressung seiner Kapillaren. Die so durch Odem des Gehirns hervorgerufenen Erscheinungen sind erfahrungsgemäß: 1. Schmerzen, bei rascher einsetzendem Druck sich früher als irgend etwas Anderes zeigend. Dieselben werden w o h l durch Zerrung der von Fasern aus allen Trigeminusästen versorgten, sehr empfindlichen Dura, möglicherweise auch durch anämische Reizung der die Empfindung vermittelnden Hinterteile hervorgerufen. 2. Abnahme des Bewußtseins bis zum vollständigen Aufboren desselben — durch die Hirnanämie unzweifelhaft bedingt. —
Ödem des Gehirns.
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3. Krämpfe, beschränkte oder ausgebreitete, werden durch Anämie einzelner Rindencentren oder des Krampf centrums imHirnstamme herbeigeführt. Sie können übrigens auch erst nach Aufhören der eigentlichen Kompression eintreten, also mit Schwankungen in der arteriellen Zufuhr verbunden sein. 4. Pulsverlangsamimg durch Reizung der Vaguscentren, wieder anämischen Ursprungs. Im weiteren Verlauf kann durch deren Lähmung Pitlsbeschleunigung zustande kommen; die sehr häufige Unregelmäßigkeit des Pulses deutet auf wechselnde Blutzufuhr zu den Centren hin. 5. Unregelmäßigkeiten der Atmung bis zu ausgebildetem Cheyitn-Stokes'schen Phänomen; fast konstant vorhanden. Der feinere Mechanismus dieser Erscheinung ist noch nicht bekannt; wahrscheinlich handelt es sich außer unmittelbaren, von der Änderung in der Blutzufuhr abhängigen Erregbarkeitsänderungen der Atmungscentren noch um reflektorische Vorgänge, welche diese unmittelbar beeinflussen. 6. Erweiterung und verlangsamte ungenügende, Reaktion der Pupillen geht einigermaßen der Schwere des Hirndrucks parallel und deutet auf einen immerhin beträchtlichen Grad desselben hin. Genaueres über die Einzelheiten bei dem Vorgange ist nicht bekannt. 7. Stauungspapill eund Neuritis optica. Die ophthalmoskopische Untersuchung zeigt das intraokulare Sehnervenende geschwellt, die Netzhautnerven sind stark geschlängelt, die Arterien hingegen auffallend schmal und dünn. Ist gleichzeitig Neuritis oder Neuroretinitis vorhanden, dann erscheint die Eintrittsstelle des Sehnerven und seine nähere Umgebung hyperämisch getrübt, es können Exsudate und kleine Blutungen erkennbar werden. — Der Zwischenraum zwischen innerer und äußerer Sehnervenscheide hängt unmittelbar mit dem Arachnoidealraum zusammen, bei vermehrtem intrakraniellen Druck tritt daher Flüssigkeit aus dem letzteren zwischen die beiden Seiten, wodurch Odem der inneren Scheide und der von ihr in den Sehnerven eindringenden bindegewebigen Fortsätze bedingt wird. Auch der venöse Rückfluß wird gehemmt. Enthält die eingedrungene Flüssigkeit Entzündungserreger, dann rufen dieselben auf ihre Umgebung wirkend Neuritis oder Neuroretinitis hervor. Für die Diagnose des Hirndrucks ist das Zusammentreffen dieser Erscheinungen maßgebend — jede einzelne derselben kann auch anderweitig erzeugt werden. Sie genügen aber, wie aus dem oben Gesagten erhellt, lediglich, um die Anwesenheit von Hirndruck erkennen zu lassen; will man Hirnödem als dessen Veranlassung hinstellen, dann bedarf es im einzelnen Falle weiterer, namentlich anamnestischer Erwägungen. ö o Für die Therapie gilt unbedingt die Regel, daß jede Schwächung des Herxens, mit welcher Abnahme des Drucks in den Hirnarterien einhergehen muß, schädlich irirlf. Aderlässe, das früher bei dem akuten kongestiven Odem übliche Verfahren, sind daher verboten. Anderweitige therapeutische Maßnahmen richten sich ganz nach den Aufgaben des Einzelfalles. Daß die Herzarbeit dabei keine Abschwächung erleide, ist stets zu beachten. Nach dieser Richtung hin haben die neueren experimentellen Untersuchungen Anhaltspunkte gegeben, welche nicht vernachlässigt werden dürfen.
Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
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§ 52. Entzündung des Gehirns und seiner weichen Häute. Encephalomeningitis. Entzündungen der weichen Hirnhäute beschränken sich kaum je auf diese. D a s Hirn selbst, in erster Linie seine Rinde zeigt sich mindestens funktionell, g e w ö h n l i c h auch nachweisbar g e w e b l i c h beteiligt. Die Ursache liegt darin, daß die Blutvers o r g u n g eine gemeinschaftliche ist und die enge Nachbarschaft eine Übertragung entzündlicher V o r g ä n g e außerordentlich b e g ü n s t i g t , ja kaum vermeidlich macht. Es ist daher im Grunde, stets eine Meningoencephalitis oder, wenn man die Benennung nach der Wichtigkeit der Teile bilden will, eine Encephalomeningitis vorhanden. Sehr verschiedene Veranlassungen führen zur Entzündung der nächsten Umhüllungen des Gehirns; manche dieser Erkrankungen liefern selbständige geschlossene Bilder, denen sich, sobald das Gehirn in Mitleidenschaft gerät, die von dessen Entzündung abhängigen Zeichen zugesellen. Alsdann tritt die Hirnerkrankung in den Mittelpunkt des Ganzen. Um ihn gruppieren sich die Symptome des Grundleidens, bald diesen, bald jenen feineren Zug hinzufügend, aber nie das Ganze beherrschend. — Für eine kurze Darstellung ist es daher notwendig, die der Encephalomeningitis in Sonderheit zukommenden Erscheinungen in den Vordergrund zu stellen und von diesen eine möglichst scharf abgegrenzte Schilderung zu geben. Allein auch so sind noch Schwierigkeiten vorhanden, welche eben durch jene stets vorhandene Ausbreitung des Prozesses auf das Gehirn und durch seine Verteilung über das Gehirn wesentlich bedingt sind. Man hat sich mehr schematisierend dadurch zu helfen gesucht, dal! man, die Erkrankung an der Konvexität von der an der Basis trennend, für jede ein gesondertes Bild zu entwerfen versuchte. Will man aber an der Wirklichkeit festhalten, dann ist solche Trennung nur in sehr beschränktem Maße möglich. Denn sowenig die Entzündung isoliert die weichen Hirnhäute ergreift, sowenig beschränkt sich dieselbe ausschlielilich auf die Konvexität oder auf die Basis. Es handelt sich eben stets um verbreitete Erkrankung, welche allerdings bald mehr die Oberfläche, bald mehr die Basis befällt, aber keine strenge räumliche Scheidung im Sinne jener Einteilung festhält; ist doch sogar ihre Ausbreitung auf das Rückenmark nicht selten. V o n ätiologischen
M o m e n t e n ist anzuführen:
A . Infektion durch spezifische Krankheitserreger. Zu nennen sind hier: 1. D a s Gift, w e l c h e s die epidemische Cereprospinalmeningitis hervorruft. Dabei ist zu bemerken, daß sich, w e n i g s t e n s in einigen Gegenden auch sporadisch zeitw e i l i g zu Gruppen g e h ä u f t , Fälle zeigen, die nicht w o h l auf eine andere, als j e n e spezifische E n t s t e h u n g s u r s a c h e zurückzuführen sind (siehe § 126). 2. D a s Gift der Pyämie
und
Septikämie.
3. Außer diesen k ö n n e n sich auch andere Krankheitserreger, w e l c h e für g e w ö h n l i c h i m Hirn und seinen H ä u t e n keine Gewebsstörung bedingen, ausnahmsw e i s e dort einnisten und echte E n t z ü n d u n g erzeugen. W a h r s c h e i n l i c h ist das bei allen Erregern von Infektionskrankheiten möglich, freilich nicht gerade häufig. 4. D e r Tuberkelbacillus (vgl. § 100). Bei allen diesen F o r m e n erfolgt die E i n w a n d e r u n g des Krankheitserregers auf dem W e g e des Blutstroms. B. Fortleitung eines entzündlichen, aus der Nachbarschaft.
infektiösen
oder nicht infektiösen
Pro-tesses
Hier sind besonders die i n f o l g e von Verwundung oder Entzündimg des Felsenbeines, des Ohres, der Nase, s o w i e die i n f o l g e von Panophihalmie auftretenden E n c e phalomeningiten zu nennen. N e b e n ihnen k o m m e n die E n t z ü n d u n g s v o r g ä n g e in der Nachbarschaft intracerebraler H e r d e — die von Abscessen, Blutergüssen, Tumoren — fortgeleiteten in Betracht, s o w e i t solche die Oberfläche des Gehirns erreichen. — N i c h t ganz verständlich ist die E n t s t e h u n g eiterbildender Entzündung, w e l c h e sich bisweilen an einfache Hirnerschütterung anschließt.
Entzündung des Gehirns und seiner weichen Häute. Encephalomeningitis.
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Man kann daran denkt n, dali durch die Erschütterung vielleicht eine verminderte Widerstandsfähigkeit in den betroffenen Teilen herbeigeführt wird, welche so der Einwirkung der allgemein verbreiteten die gewöhnliche Wundeiterung bedingenden Mikroben leichter zugänglich würden.
Von pradisponiercutleii Ursachen ist zu erwähnen, daß gewinne Kruiikheiten, chronische wie akute, eine verhältnismäßig größere Neigung zeigen, sich mit Encephalomeningitis zu verbinden. So der chronische Morbus Brightii, so die zur Zeit einer Epidemie von Cerebrospinalmeningitis herrschende Pneumonie. — Von Einfluß ist entschieden das Lebensalter. Im ganzen nimmt tlie Häufigkeit mit den Jahren ab; die Verteilung der einzelnen ätiologisch verschiedenen Formen auf die Altersklassen ist übrigens eine sehr verschiedene. — Wieweit Gelegenheitenrmchen von Bedeutung sind, läßt sich im ganzen schwer sagen. Es ist nicht unmöglich, daß stärkere direkte Erhitzung des Kopfes als solche wirkt. Anatomisch zeigen sich alle Stadien der Entzündung, von den Gefäßen ausgehend und von da sich auf die Nachbarschaft fortpflanzend. Meist verbreitet sich die Entzündung über ein zusammenhängendes ¡Gebiet — ein Hauptherd mit peripher allmählich sich vermindernder Stärke, oder größere gleichmäßig erkrankte Flächen; auch diese sind niemals ganz scharf von der Umgebung geschieden, in langsamem Ubergang fließen die Grenzen zwischen gesundem und krankem zusammen. — Wenn bei der Einschleppung des Entzündungserregers durch die Blutbahn Zerstreuung desselben in verschiedene benachbarte Kapillaren stattgefunden hat, können in diesen anfänglich getrennte Herde entstehen, welche übrigens gewöhnlich in nicht zu langer Zeit sich vereinigen. Das Exsudat unterscheidet sich manchmal nur durch einen etwas höheren Gehalt an Eiweiß von der Gewebs(Cerebrospinal-)flüssigkeit und kann nur sehr spärliche geformte Elemente enthalten. Es ist das ein leichter Grad der Entzündung im anatomischen Sinne; aber man findet bei den in kürzester Zeit zum tödlichen Ende führenden Entzündungen gerade am häufigsten diese Beschaffenheit des Exsudats. — Außerdem kommen alle übrigen Formen der entzündlichen Ergüsse vor: großer Gehalt an Fibrin, an Eiterzellen, die Intercellularflüssigkeit dabei vermindert, Beimischung von roten Blutkörperchen. Das in den Räumen der Arachnoidea und Pia sitzende Exsudat erscheint namentlich nach längerem Bestand oft dickflüssig, salzig; kommt Heilung zustande, dann treten schwartig verdickte Membranen auf, welche mit der Nachbarschaft eng verwachsen sind. — Die Rmdensvbstanz des Gehirns ist an den von der Entzündung betroffenen Teilen entweder serös durchfeuchtet, mit spärlichen, zunächst um die Gefäße gelagerten Eiterkörperchen durchsetzt — Meningoencephalitis — oder sie nimmt in höherem Grade an der Entzündung teil — Encephalomeningitis. Man findet dann Herde roter und weißer Erweichung in den verschiedenen Stadien der Entwicklung, vielleicht auch Abscesse. Der Inhalt der Ventrikel ist oft vermehrt und getrübt wie die ganze Cerebrospinalflüssigkeit. Die Chorioidealplexus nehmen an der Entzündung teil, ebenso das Ependym, welches einer sich weit in die Nachbarschaft erstreckenden Erweichung verfallt. Ist starke Ansammlung von Flüssigkeit in den Ventrikeln vorhanden, dann kann Abplattung der Hirnoberfläche und Verdrängung der subarachnoidealen Flüssigkeit stattfinden. Für die Krankheitsbeschreibung sind die Grundformen der raschen und der allmählichen Entwicklung zu unterscheiden; die Entstehungsursache darf dabei unberücksichtigt bleiben.
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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
1. Akuter Verlauf. Keine oder nur geringe Vorboten, vielleicht etwas Kopfweh, Erbrechen, dann Bewußtlosigkeit, rasch bis zum tiefsten Koma sich steigernd. Gewöhnlich, aber nicht ausnahmslos während desselben Krämpfe, allgemeine oder auf einzelne Muskeln beschränkte, unter den Erscheinungen des Hirndrucks der Tod nach wenigen Stunden oder höchstens Tagen. So kann die epidemische Cerebrospinalmeningitis, aber auch — freilich ganz außerordentlich selten — eine auf Tuberkelinfektion beruhende verlaufen. 2. Chronischer Verlauf. Allgemeines Unbehagen, welches sich als Launenhaftigkeit, mürrisches Wesen, Abschließen gegen die Außenwelt zeigt. Hin und wieder Verschlimmerung, meist mit leichten Erhöhungen der Körperwärme und Kopfweh oder mindestens Eingenommensein des Kopfes. Zunächst leidet die Ernährung gar nicht, oder doch nur höchst unbedeutend. Bisweilen kommt es zum Erbrechen, welches scheinbar unmotiviert, plötzlich, mit allen Eigentümlichkeiten des central erregten (§ 46) sich einstellt; auch Verlangsamung des Stuhlganges läßt nicht lange auf sich warten. Indem der Kopfschmerz stärker und anhaltender wird, steigern sich sämtliche Beschwerden im Laufe von Wochen oder Monaten. Klagen über Schlaflosigkeit oder häufige Unterbrechung des Schlafs werden laut, das Bedürfnis nach Ruhe macht sich geltend; Kinder verlangen ins Bett, Erwachsene ziehen sich mehr und mehr aus gewohnter Gesellschaft und von gewohnter Arbeit zurück, die Abweichungen im seelischen Verhalten treten immer deutlicher hervor. Ganz allmählich bildet sich leichtes Benommensein aus, der Kranke verfällt in Schlummersucht. Es gelingt jetzt noch leicht, ihn zu erwecken, er findet sich auch zurecht; aber er ist froh, wenn man ihn in Ruhe läßt — Kinder geben das durch unwilliges Geschrei kund. Nun kommt leichte Nackenstarre hinzu, ebenso Hyperästhesie der Haut und der Muskeln, vereinzelte Zuckungen der Gesichtsmuskeln, Zähneknirschen, Zusammenfahren ohne äußere Veranlassung, auch wohl krampfhafte Kontraktionen der Muskeln eines Gliedes. Im Laufe von weiteren Tagen oder Wochen stellen sich alle Zeichen des Hirndrucks ein. Das Bewußtsein schwindet mehr und mehr, nur das vom Greifen nach dem Kopf begleitete Stöhnen, die Längsfaltung und Runzelung der Stirnhaut weisen auf die fortdauernden Kopfschmerzen hin. Der Puls ist verlangsamt und unregelmäßig, die Pupillen reagieren schlecht, die eine ist weiter als die andere ; Strabismus kommt zum Vorschein, der Lidschlag hört auf, es entwickeln sich Konjunktivitis, vielleicht schwerere Formen der Augenentzündung, Keratitis und Irititis bis hinauf zur Panophthalmie. Gleichzeitig ist die Reflexerregbarkeit vernichtet, die Glieder hängen wie tote Massen am Körper, nur die Schwere regelt die Lage des Körpers im Bett. — Uberall, wo Hautstellen gedrückt wurden, röten sich dieselben; fahrt man mit dem Nagel leicht über die Oberfläche der Haut hin, dann erheben sich nach kurz dauerndem Erblassen die getroffenen Stellen mit länger anhaltender Rötung über die Umgebung — Taches cérébrales. — Der Harn wird unfreiwillig entleert, der Stuhl ist noch mehr angehalten als bisher. — Der Bauch zeigt sich gleichmäßig weich, es ist, als ob man auf ein Luftkissen drücke; dabei können die Därme noch von Gas ausgedehnt sein, aber gleichmäßig, keiner mehr als der andere. Erst spät und lange nicht immer wird der Leib eingezogen. Die Atmung ist weniger regelmäßig, sehr gewöhnlich finden sich mindestens Andeutungen des Cheyne-Stokes'sehen Phänomens. Dabei leidet die allgemeine Ernährung schwer; man sieht, wie von einem Tag zum anderen die Kranken mehr und mehr verfallen, wie die Gesichtszüge selbst bei Kindern
Entzündung des Gehirns und seiner weichen Häute. Encephalomeningitis.
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spitzer, greisenhaft werden. Klonische Krämpfe, einzelne Zuckungen oder förmliche tetanische Anfälle treten auf, der Nacken krümmt sich mehr und mehr, das Erbrechen dagegen wird, wenn es nicht ganz ausbleibt, jedenfalls viel seltener. — Die Körperwärme kann hoch oder niedrig, vielleicht gar subnormal sein, sie ist nie regelmäßig über die Tageseinheit verteilt. — Gegen das tödliche Ende kann — jedoch nur in seltenen Fällen — für kurze Zeit das Bewußtsein wiederkehren. Meist geht jetzt der Puls in die Höhe, die Atmung wird höchst unregelmäßig, wirklich aussetzend, etwa vorhandene Krämpfe lassen nach, und unter den Erscheinungen der bis zum Äußersten verminderten Hirnthätigkeit erlischt das Leben. Dies Bild ist von der tuberkulösen Form hergenommen, welche an der Hirnbasis stark lokalisiert ist und mit Erguß in die Ventrikel sich verbindet. Allein es liefert zugleich eine Ubersicht alles dessen, was bei den langsamer verlaufenden Prozessen überhaupt vorkommt. Es sind im Vorhergehenden die Extreme akuter und chronischer (vielleicht richtiger subakuter) Encephalomeningitis dargestellt; zwischen ihnen finden sich in der Natur zahlreiche Übergänge. Je nachdem die Zeichen der Reizung oder Lähmung mehr entwickelt sind, dieser oder jener Hirnteil sich stärker ergriffen zeigt, wechselt das Bild, so daß die Krankheit unter verschiedenen Masken erscheinen kann. Nur die hauptsächlichsten dieser Verschiedenheiten sollen hier kurze Erwähnung finden. — Überwiegen der psychischen Symptome: Irrereden. Delirien bis zu Wutanfällen, gesteigerte Eiregung mit Hallucinationen und Illusionen verbunden, Schlaflosigkeit und Muskelzittern, so daß akutes Delirium oder Säuferwahnsinn vorgetäuscht wird. Dann wieder typhöse Erscheinungen: Fieber mit dauerndem Benommensein und stillen Delirien. Auch An- und Abschwellen der Krankheitszeichen kommt vor, bisweilen für eine Zeit in so regelmäßigem Wechsel, daß Malaria vorhanden zu sein scheint. Alles gilt vorwiegend für die rascher sich ausbildenden, die Konvexität stark in Mitleidenschaft ziehenden Prozesse. Ganz anders verlaufen die langsam, besonders an der Hirnbasis lokalisierten Formen. Wegen ihrer sehr allmählichen Entwicklung kommen Reizerscheinungen, Kopfweh ausgenommen, nicht recht zustande, dagegen werden nach und nach einzelne Hirnnerven gelähmt, Druck auf die Umgebung stellt sich ein, so daß die Annahme, es handele sich um einen Hirntumor, nahe gerückt erscheint.
Von Einxäsymptomm verdienen besonderer Erwähnung: Reiz- wie Lähmungserscheinungen müssen mit großer Vorsicht gedeutet werden, wenn es sich um die Feststellung eines bestimmten Sitzes des Krankheitsherdes handelt; das gilt selbst für die isolierte Lähmung eines einzigen Hirnnerven. Man ist niemals sicher, ob es sich nicht um indirekte Herderscheinungen handelt (§ 45). Auch aus der Schwere der Hirndruckerscheinungen ist ein Schluß auf die Größe der Ventrikularergüsse nicht zulässig. Die Lähmungen können, soweit sie Hirnnerven betreffen, durch Übergreifen der Entzündung auf deren an der Basis gelegene Stämme hervorgerufen werden, ebenso auch dadurch, daß diese durch den das Ganze des Schädelinhalts treffenden Druck gegen ihre knöcherne Unterlage gepreßt werden. Andererseits kommen Lähmungen von der Rinde her in der Form von Monoplegien, seltener kommen Lähmungen von den Stammganglien aus zustande. Im letzteren Fall handelt es sich um gewöhnliche Hemiplegien, veranlaßt durch Erweichungsherde, die aus Gefäßverschluß hervorgegangen sind; der Druck des Exsudats auf die Arterien hatte denselben bewirkt. — Von den Hirnnerven ist außer den Augenmuskeln am häufigsten der Facialis in seinem unteren Abschnitt betroffen, übrigens meist nicht sehr erheblich, Parese ist häufiger als Paralyse. Zu bemerken ist, daß die Lähmungen sehr gewöhnlich wechseln, daß dieselben kommen und in kurzer Zeit wieder verschwinden können. |
v. J i i r g e n s e i i , Spez Patli u. Ther. II. Auf!
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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
Das vollständige Aufhören der Reflexe, wie es bei voll entwickeltem Koma nahezu konstant ist, weist darauf hin, daß auch das Rückenmark nicht unversehrt geblieben ist. Man könnte geneigt sein, dies auf einfachen Druck zu beziehen; denn daß innerhalb des Wirbelkanals die Cerebrospinalflüssigkeit unter höherer Spannung steht, wenn eine solche im Schädel vorhanden, ist sicher. Daneben aber dürften doch auch wirklich entzündliche Veränderungen des Rückenmarkes und seiner Häute recht wesentlich in Betracht kommen. Solche wurden wiederholt nachgewiesen und sind wohl häufiger, als man es annimmt. — Nicht ohne Bedeutung ist hierfür auch die bei langsamer verlaufenden Encephalomeningiten häufige Thatsaclie, daß die Reflexerregbarkeit an der einen unteren Extremität stärker als an der anderen hervortritt; es hat dabei durchaus den Anschein, als ob es sich um eine wirkliche Steigerung handelt. Die ergriffene Seite bleibt gewöhnlich dauernd in dem gleichen Zustande, bis die Reflexe überhaupt erlöschen. — Auch die Hyperästhesie von Haut und Muskeln dürfte mit dem Rückenmark in Beziehung zu setzen sein. Die Erscheinungen am Auge sind nach manchen Seiten hin wichtig. Zunächst ist das Verhalten der Augenmuskeln von Bedeutung, Strabismus in verschiedenen Formen und Ptosis sind sehr gewöhnlich. Oculomotorius und Abducens werden am häufigsten gelähmt. — Früh erkrankt manchmal der Opticus; die Augenspiegeluntersuchung weist dann Stauungspapille, Neuritis oder Neuroretinitis nach. — Der allgemeinen Tuberkulose mit Beteiligung des Schädelinhalts mehr eigen, als der einfach tuberkulösen Encephalomeningitis, ist das Auftreten von Chorioidealtuberkeln. — Es wird noch darüber gestritten, ob die mit Zerstörung des Auges endenden Entzündungen, welche zuerst als unbedenklich erscheinende Konjunktivitis auftreten, lediglich auf das Erlöschen der sensiblen Thätigkeit des Quintus zurückzuführen seien, mit welcher auch der reflektorisch entstehende Lidschlag aufhört, so daß Fremdkörper von der Augenoberfläche nicht mehr entfernt werden und liegen bleibend als Entzündungserreger wirken. Eine andere Auffassung geht dahin, daß in der Bahn des Quintus trophische Fasern verlaufen, deren central geschehende Zerstörung den pernieiösen Verlauf jedenfalls in hohem Grade begünstigt. Der Puls kann, namentlich bei der tuberkulösen Form, schon sehr früh, ehe wesentliche Krankheitszeichen hervortreten, Unregelmäßigkeiten darbieten; man muß aber minutenlang beobachten, um das zu bemerken. Später verhält er sich wie bei dem Hirndruck überhaupt. Sein starkes Ansteigen bei dem Herannahen des tödlichen Ausganges ist nicht ohne praktische Wichtigkeit. Das Verhalten der Temperatur hat bei allem Wechsel doch etwas Charakteristisches. Es ist das die — durch mindestens zweistündige Messung festzustellende — Unregelmäßigkeit der Verteilung über die Tageseinheit. Man findet stets unmotivierte Exacerbationen oder Remissionen — manchmal für Stunden, andere Male für Tage. — Bei den tuberkulösen Erkrankungen, besonders der Kinder, kann dieses tagweise Schwanken schon monatelang dem Ausbruch vorhergehen. — Die absolute Höhe der Körperwärme ist eine sehr veränderliche, sie liegt zwischen 4'2° und 34°. — Diese extremen Werte kommen namentlich gegen das Lebensende vor; auch postmortale Steigerung kann in hochfebrilen Fällen sich zeigen. — Praktisch ist von Bedeutung, daß dem Ausbruch von Konvulsionen nicht selten Temperatursteigerung vorhergeht, durch deren Bekämpfung jene verhütet oder die entstandenen abgeschwächt werden können.
Entzündung des Gehirns und seiner weichen Häute. Encephalomeningitis
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Der rasche Buckgang der Ernährung beruht gewiß zum größten Teile auf' verminderter Zufuhr von Wasser und festen Substanzen. Allein möglich wäre auch, daß bei der schweren Störung im Centraiorgane durch das Aufhören der von diesem geübten Oberleitung aller Lebensvorgänge die Oxydationen sich mit größerer Schnelligkeit als normal vollziehen. Indes fehlt es hier an Untersuchungen. — Ilirndruck (§ 51) nimmt wenigstens im späteren Verlauf eine hervorragende Stellung unter den Symptomen ein. Wechselnde Stärke der Entzündung, die mit ihr verbundene Zu- oder Abnahme des Exsudates, und die Schwankungen der Herzarbeit sind es, welche das Krankheitsbild in seinem letzten Stadium kennzeichnen. Die Prognose ist bei voll entwickelter Encephalomeningitis unter allen Umständen eine sehr bedenkliche, gewöhnlich ist der Tod zu erwarten. Genesung kommt selbst bei tuberkulösen Formen wenigstens f ü r eine Zeit vor; bei der epidemischen Cerebrospinalmeningitis ist sie am ehesten möglich. Die Diagnose mag in einzelnen Fällen der Erkrankung leicht erscheinen, im ganzen gehört sie zu den schwierigsten. Auch da, wo Encephalomeningitis erkannt wurde, ist keineswegs immer die Veranlassung derselben klar zu stellen, sogar die Obduktion beantwortet in manchen Fällen diese Frage nicht. Erst von der fortschreitenden Entwicklung der Lehre von den pathogenen Mikroben ist tieferes Eindringen in das Wesen der hier wirkenden Störungen zu erwarten. — Zur klinischen Beurteilung prüfe man bei allen auf akute Encephalomeningitis hinweisenden Erscheinungen zunächst, ob nicht eine andere, besonders ob nicht eine Infektionskrankheit vorliegt, welche nur zeitweilig das Gehirn stärker in Mitleidenschaft zieht, sei es nun durch Primärwirkung, sei es sekundär durch plötzlich einsetzende hohe Temperatur, durch Störung des Kreislaufes oder der Atmung. Bei Kindern kommen hier die Anfänge der akuten Exantheme, besonders des Scharlachs, die Pneumonie, vorwiegend die in den Lungenspitzen lokalisierte, endlich die einfache Angina vorwiegend in Betracht; bei Kindern ist auch stets an Reflexwirkung zu denken, welche zeitweilig Hirnanämie herbeizuführen vermag (§ 65: Eklampsie). Bei gleichzeitiger Herz- oder Lungenerkrankung frage man sich weiter, ob nicht ungenügende Versorgung des Gehirns mit sauerstoffhaltigem Blute, Überladung mit kohlensäurereichem vorhanden ist. Bronchitis capillaris mit ihren Folgen giebt dazu, und zwar wiederum im Kindesalter, oft Gelegenheit. Endlich denke man auch an die Möglichkeit, daß Produkte der regressiven Metamorphose im Blute angehäuft sein können (Urämie), oder daß das Blut selbst zu dickflüssig geworden sei (Cholerine, erschöpfende Diarrhöen). Erst wenn alle diese Fragen verneint sind, fasse man die der Möglichkeit einer Encephalomeningitis näher ins Auge. Dabei ist sorgfältiges Abwägen der Gesamtheit aller vorliegenden Erscheinungen, das Diagnostizieren aus dem Vollen das Beste; wer sich auf dieses oder jenes vereinzelte Symptom verläßt — am zuverlässigsten sind noch die ophthalmoskopischen Befunde — wird den Unwert solches Verfahrens bald erkennen. — Der wenig erfahrene Arzt darf sich durch Fehldiagnosen bei der Encephalomeningitis nicht entmutigen lassen, er kann sich damit trösten, daß solche auch dem vielerfahrenen nicht erspart bleiben. — Die T h e r a p i e vermag hier nur in äußerst beschränkter Weise ihren Aufgaben zu genügen. Es ist gut, wenn man sich von vornherein klar macht, daß ein gegen die „Entzündung" unmittelbar gerichtetes Vorgehen nur so weit, wie es ohne Schwächung des Gesamtorgamsmus
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möglich, überhaupt erlaubt ist. Denn damit eine Entzündung sich zurückbilde, muß in die bei derselben beteiligten Gefalle genug und genügend leistungsfähiges Blut gelangen; es darf daher weder das Blut selbst, noch das Herz durch die therapeutischen Maßnahmen geschädigt werden. — Stärkere Blutentziehungen verbieten sich also, geringere sind nur erlaubt, wenn m a n anzunehmen berechtigt ist, einen zugänglichen Ausgangsherd der Entzündung dadurch minder wirkungsvoll zu machen. Das wird nur selten gelingen — „Abteilungen", wie man sie früher in schonungsloser Weise vornahm: Einreibungen des geschorenen Kopfes mit ü n g u e n t u m tartari stibiati, Bedecken desselben mit Vesikatoren u. s. w., sind unbedingt zu meiden. Sie quälen den noch halbwegs besinnlichen Kranken und rufen tiefgreifende Uewebszerstörung hervor; Erfolge solcher Eingriffe h a t man wohl nur bei den zweifelhaften Diagnosen einer vergangenen Zeit gesehen. — Das gleiche gilt von dem Quecksilber, welches nach älterer auch heute noch vielfach befolgter Schulregel als „Antiphlogisticum" von der Haut in der Form der grauen Salbe, gleichzeitig auch innerlich als Calomel in großer, rasche Allgemeinwirkung erzwingender Gabe einverleibt wurde. Der Schaden akuter Quecksilberintoxikation ist hierbei sicher, der Nutzen des Verfahrens gegen Hirnentzündung mehr als fraglich. Harmloser ist das Jodoform-, man ließ dasselbe auf den Kopf pinseln — 1 zu 15 Teilen Kollodium —, innerlich wurde dasselbe gleichzeitig bis zu 0,2 g in Pillenform gegeben. Die von gewissen Ärzten an dies Verfahren geknüpften hochgespannten Erwartungen sind vollständig zu nichte geworden. — Ebensowenig h a t Jodkalium — man stieg bis auf 8 g pro die — sich bewährt. Am
zweckmäßigsten
bleibt ex, sich eines jeden
stärkeren
Eingriffes
zu
enthalten.
Ruhe in der Umgebung des Kranken, möglichst ausgiebige Ernährung, Aufrechterhalten der Herzthätigkeit, gegen die Krämpfe symptomatisches Einschreiten (siehe § 66), das ist das Beste. Eisumschläge oder ein Eisbeutel lindern manchmal das Kopfweh, Morphium vermag Nachtruhe zu schaffen, bei hoher Temperatur kann Aiitipyrese in Frage kommen — immer sind auch der symptomatischen Behandlung die Grenzen sehr eng gesteckt. § 53.
Cerebrale Kinderlähmung (Hemiplegia centralis spastica) (HEINE); Poliencephalitis acuta (STRÜMPELL).
In wechselnder Häufigkeit, an manchen Orten, wie es scheint, recht oft, tritt ein Leiden des Kindesalters a u f , welches m a n , vorderhand wenigstens, mit dem allgemeinen Namen cerebraler Kinderlähmung benennen darf. — Ätiologisch ist zu bemerken, daß ganz vorwiegend Kinder bis zu 3, höchstens bis zu 4 Jahren ergriffen werden, nur ganz ausnahmsweise solche, die älter sind (6 J a h r e ein Fall). — Obgleich hereditäre nervöse Belastung durchaus nicht die Regel bildet, kann möglicherweise die Krankheit angeboren, oder doch bei der Geburt selbst erworben sein. Es wird besonders darauf hingewiesen, daß asphyktisch zur W e l t gekommene Kinder sich in verhältnismäßig großer Zahl unter den Kranken befinden. — Einige denken an die Einwirkung eines spezifischen Giftes, vielleicht des gleichen wie bei der akuten Poliomyelitis anterior (§ 37). — Die Berechtigung die Krankheit — einerlei, welche Entstehungsursache t h ä t i g gewesen — einheitlich darzustellen, liegt vorzugsweise auf dem anatomischen Gebiet: es handelt sich um eine Störung in den motorischen Bezirken der Hirnrinde. Man h a t in diesen bei vollentwickeltem Leiden Narben und Gewebsverluste (Forencephalie) gefunden, welche auf einen entzündlichen Vorgang hinweisen; frische Fälle sind allerdings noch nicht untersucht worden. Allein neben diesen häufigeren, sind auch Beobachtungen mitgeteilt (KAST), in denen es sich um diffuse Sklerose des Hirnmantels oder um einfache Atrophie einer Hemisphäre ohne weitere Degeneration handelte. — Die Krankheit beginnt meist rasch mit Fieber, neben welchem Krämpfe — das konstanteste Symptom — vom Hirn aus erregtes Erbrechen, vielleicht auch Bewußtlosigkeit sich zeigen. Indes können die Erscheinungen sehr unbedeutend sein, vielleicht sogar ganz fehlen. Die Dauer dieses „[nitialstadiums" soll zwischen Tagen und mehreren Monaten sich bewegen. Ob dabei ein tödlicher Ausgang möglich, ist noch ungewiß; meist gehen die Allgemeinerscheinungen rasch zurück. Nun aber ist die Lähmung wahrnehmbar, meist auf eine Körperh ä l f t e beschränkt, das Gesicht frei lassend; höchstens sind die unteren Facialisäste oder die Bewegungsnerven der Augenmuskeln beteiligt. — Außer diesen Hemiplegien kommen Mono-
Cerebrale Kinderlähmung.
Umschriebene eitrige Gehirnentzündung.
Hirnabsceß.
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plegien vor: nur ein Arm oder ein Bein sind getroffen. Andere Male bleibt eine eigentliche L ä h m u n g ganz aus — immerhin sind die Bewegungen an einzelnen Gliedmaßen schwerfällig und unbeholfen. — Die Lähmungen sind ausgesprochen cerebrale: man findet die Erregbarkeit der ergriffenen Muskeln gegen den induzierten Strom unverändert, nichts von Entartungsreaktion. Die gelähmten Glieder sind von gleicher W ä r m e wie die nicht gelähmten, auch an der bedeckenden Haut sieht man keinen Unterschied. Die Sehnenreflexe sind meist beiderseits, mehr aber an der gelähmten Seite verstärkt; an dieser befinden sich die Muskeln schon sehr früh in einem Zustand von gewöhnlich nur leichter Kontraktur. — Die Sensibilität ist kaum geändert — Bei Hemiplegien ist immer der Arm schwerer betroffen als das Bein. — Außer diesen trifft man aber noch anderweitige Störungen: die Muskeln und die Knochen an der gelähmten Seite bleiben im Wachstum zurück, mehr an den Armen (Verkürzung bis zu 6 cm) als an den Beinen; regelmäßiger noch treten in gelähmten Gebieten motorische Reizerscheinungen auf, meist in der Torrn der Athetose und als mehr oder minder heftige Mitbewegungen. Dabei bleibt es nicht einmal immer. Es können sich wirkliche epileptische Krämpfe entwickeln, vielleicht nur örtliche, auf die gelähmten Muskeln sich beschränkende, dann ist das Bewußtsein erhalten; aber auch der große epileptische Anfall kann zustande kommen, immer von den gelähmten Teilen seinen Ausgang nehmend. Alles gehört zu der Rindenepilepsie. — Es kann die geistige Entwicklung gestört sein; auch im Gemütsleben dürfte nicht stets alles in Ordnung sein. — Blase und Mastdarm nehmen mitunter an der Lähmung teil. — Ist der Anfall einmal überwunden, dann ist eine Gefahr für das Leben unter keinen Umständen mehr vorhanden, die Prognose ist daher nach dieser Richtung hin eine gute. — Die Differentialdiagnose gegen die Poliomyelitis anterior ist, abgesehen von den anderen schon für sich bestimmt trennenden Merkmalen, durch das elektrische Verhalten der gelähmten Muskeln gesichert. —• Bei der Behandlung sind namentlich die Hilfsmittel, über welche die Orthopädie gebietet, zu beachten. § 54.
Umschriebene eitrige Gehirnentzündung.
Hirnabscess.
Der G e h i m a b s c e ß kommt nahezu unter den gleichen ätiologischen Bedingungen wie die Encephalomeningitis zustande: Fortleitung einer Entzündung aus der Nachbarschaft und Infektion auf dem Blutwege. — Der Häufigkeit nach stehen direkte Verletzungen des Gehirns mit Eiterung obenan; dann folgen die von kariösen Prozessen, namentlich von solchen des Felsenbeins übergreifenden Entzündungen. Erst in dritter Reihe kommen infektiös metastatische Vorgänge in Betracht. Für sie sind Lungenerkrankungen — Gangrän, putride Bronchitis, auch Pneumonie — nicht selten der Ausgangspunkt. Anatomisch ist die Entwicklung je nach der Entstehungsart eine etwas verschiedene. — Bei traumatischen und aus der Nachbarschaft übergreifenden Entzündungen findet man in der Umgebung des Ursprungsortes anfangs seröse Durchfeuchtung des Hirngewebes, vielleicht auch kleinere Blutergüsse, nachher auf größere Strecken ausgedehnte Emigration weißer Blutkörper, welche sich von den Gefäßen her allmählich in das Gewebe einschieben und dasselbe zum Schmelzen bringen. Bei den metastatisch entstandenen Abscessen treten in dem Verbreitungsbezirk des infizierten Gefäßes enger oder weiter zusammengeordnet entzündliche Hämorrhagien auf, welche in kurzer Zeit sich zu Eiterherden umwandeln. Sehr oft fließen diese, nachdem sie das zwischenliegende Gewebe vernichtet haben, zusammen. — Alle fertigen Abscesse umgeben sich, wenn das Leben erhalten blieb, mit einer allmählich fester und derber werdenden Bindegewebsmembran, welche sie zwar gegen die Nachbarschaft abschließt, aber selbst von ihrer inneren Fläche dauernd Eiter zu erzeugen vermag. Durch diese Membran wird immerhin ein gewisser Schutz gewährt; die nicht mit derselben versehenen rasch wachsenden
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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.
Abscesse greifen unaufhaltsam, das normale Gewebe vernichtend, auf ihre Umgebungen über. — Heilung (Resorption und Narbenbildung) kommt nur bei kleinsten Herden vor. Größere können allerdings Jahre hindurch stationär bleiben; eine in ihnen auftretende irgendwoher erzeugte neue Eiterbildung aber sprengt, sowie sie erheblicher wird, die abschließende Kapsel und führt so rasch den Tod herbei. Einbruch in die Ventrikel oder Durchbrach zur Oberfläche mit folgender ausgedehnter Beteiligung der Meningen an der Entzündung sind keineswegs seltene Ereignisse. — Eine andere Ursache des tödlichen Ausganges ist die in der Umgebung des Abscesses auftretende frische Entzündung, welche sieb meist über weitere Räume ausdehnt. — Der Sitz der traumatischen Abscesse ist von dem Orte der Verletzung bedingt, die aus kariösen Prozessen hervorgegangenen finden sich gewöhnlich im Kleinhirn und im Schläfenlappen, metastatische trifft man meist in den Hemisphären und im Kleinhirn an. Im letzteren Fall kann es durch Druck auf die Vena magna Galeni zum Ventrikularhydrops kommen. — Die Größe der Abscesse kann so bedeutend werden, daß eine ganze Hemisphäre davon eingenommen erscheint. — Der Eiter selbst sieht gelb oder gelbgrün aus und reagiert meist sauer. Das Krankheitsbild bietet große Verschiedenheiten dar; man unterscheidet auch hier passend eine akute und eine chronische Form. — Bei der akuten eitrigen umschriebenen Gehirnentzündung zeigt sich ein Symptomenkomplex, welcher im ganzen wenig von der akuten ausgedehnten Encephalomeningitis abweicht: Kopfschmerz, öfter bis zum Unerträglichen gesteigert, Unruhe, Schläfrigkeit, Einzelzuckungen oder allgemeiner verbreitete bis zu vollständigen tetanischen Anfällen, nachher die sämtlichen Zeichen des Hirndrucks, rascher Verfall und anhaltendes unregelmäßiges Fieber. Nur ganz bezeichnende Lähmungen, welche eine sichere Lokaldiagnose gestatten, erlauben in Verbindung mit anamnestischen Erhebungen möglicherweise die Unterscheidung beider Erkrankungen, oft genug bleibt dieselbe unmöglich. Anders ist es bei chronischem Verlauf. — Nach der Einwirkung eines Trauma war, sobald die Erscheinungen der Kommotion vorübergegangen, scheinbar alles wieder in Ordnung, erst ganz schleichend entwickeln sich die weiteren Störungen. Meist freilich ging das Bild der akuten Encephalomeningitis voraus, allmählich aber schwanden dessen bedrohliche Zeichen, und es folgt nun ein Zeitraum der Latenz, in welchem nicht allzu viel von Symptomen bemerkbar wird. Immerhin ist, wenigstens hier und da, etwas Schwere oder Druck im Kopf, vielleicht auch mehr oder weniger anhaltend Kopfschmerz vorhanden. Schon seltener trifft man Schwindel und zeitweiliges Erbrechen. Es können aber auch während dieser Zeit ernstere Störungen sich zeigen, namentlich ein gewisser Grad von Hirndruck, der sich durch Abnahme der geistigen Frische und der körperlichen Leistungsfähigkeit verrät; dazu Krampfanfälle und unregelmäßiges, manchmal der Intermittens gleichendes Fieber. Selbst Herdsymptome finden sich, wenn der Sitz des Abscesses solche bedingt; im ganzen sind dieselben jedoch nicht so ausgesprochen und so häufig wie bei Tumoren oder Erweichungsherden. Vollständiges Wohlbefindeu, eine „reine" Latenz gehört jedenfalls zu den Seltenheiten. Die Dauer des eben geschilderten Zeitraumes wechselt von Wochen bis zu mehr als 20 Jahren. — Früher oder später kommt es aber zum tödlichen Ausgang, meist so, daß der Absceßinhalt sich in die Ventrikel oder unter die Meningen ergießt, das Bild der akutesten Hirnentzündung hervorrufend. Die Prognose ist daher eine stets ungünstige.
Umschriebene eitrige Gehirnentzündung. Hirnabsceß. Chronischer Hydrocephalus.
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— Der Verlauf ist in den einzelnen Fällen so verschieden, wie die Dauer des Ganzen. Im allgemeinen ist bei dem chronischen Hirnabsceß ein Wechsel von besseren und weniger guten Zeiten häufig zu finden. Für die Diagnose sind die anamnestischen Verhältnisse sehr zu berücksichtigen. Dann kommen die eben erwähnten Eigentümlichkeiten des Verlaufes und, wenn Herderscheinungen vorhanden, die Art und Entwicklung derselben wesentlich in Betracht. In diesem Sinne ist zu beachten: Großhirnhemisphären und Kleinhirn bilden den häufigsten Sitz der Abscesse, Lähmung von Gehirnnerven ist bei ihnen selten, es tritt öfter — wenn Rindencentren ergriffen werden, Lähmung einer oder der anderen Gruppe von Muskeln auf (Monoplegie), aus deren Ganzem erst sich eine Hemiplegie oder gar Paraplegie zusammensetzt. Stauungspapille ist selten, sie kann, wenn sie vorhanden, auf einen Opticus beschränkt bleiben. Bei genauer Untersuchung findet man bisweilen erheblichen Ausfall im Seh- und Hörvermögen. — Das Allgemeinbefinden, besonders scheinbar unmotivierte Fieberbewegung und Rückgang der Ernährung, kann für die Beurteilung von großer Bedeutung werden. — Ob den kurze Zeit nach Verletzungen sich darbietenden Erscheinungen eine Meningealblutung, eine Meningitis oder eine umschriebene Encephalitis zu Grunde liegt, ist manchmal kaum zu sagen, übrigens praktisch ohne Bedeutung. Die Behandlung muß nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Encephalomeningitis eingeleitet werden. Ist es zur Absceßbildung gekommen, danü hat man die Frage in ernsthafte Erwägung zu ziehen, ob der Sitz der Eiteransammlung so genau bestimmt werden kann, daß ein chirurgischer Eingriff möglich wird. § 55.
Chronischer Hydrocephalus.
Bei dem H y d r o c e p h a l u s e x t e r n u s findet sich eine Flüssigkeitsansammlung im Subduralraum. Das Leiden kommt angeboren vor, wohl infolge mangelhafter Hirnbildung, ferner als Ausgang von Pachymeningitis, endlich als Teilerscheinung von Krankheiten, die mit Hirnschwund einhergehen — in diesem Fall handelt es sich um einen durch die Notwendigkeit der Raumausfüllung bedingten Erguß. Die Flüssigkeitsmenge kann gering sein oder auch bis zu vier Liter anwachsen. Falls die Kopfknochen nachgiebig sind, werden sie gedehnt. Druck auf das Gehirn und Atrophie desselben bleiben nicht aus. — Wichtiger ist der H y d r o c e p h a l u s i n t e r n u s : Erguß von Flüssigkeit in die Ventrikel. Es soll hier von dem im späteren Lebensalter auftretenden Hydrocephalus abgesehen werden, welcher infolge von Meningitis oder aber bei Hirnschwund mit Ergüssen unter die Dura und Pia als einfache zur Ausfüllung des leergewordenen Raumes notwendig gewordene Vermehrung der Cerebrospinalflüssigkeit zu deuten ist. Das sind Zustände, welche neben den sie bedingenden Ursachen nur untergeordnete Bedeutung haben. — Weitaus selbständiger ist das Leiden im Kindesalter, wo dasselbe als angeborems oder als erworbenes auftritt. Es beruht im ersten Falle auf primären Bildungsanomalien, kann aber auch selbst bei intrauteriner Ausbildung sekundär durch Entzündung oder durch Behinderung, sei es des venösen Abflusses, sei es der Bewegung der Cerebrospinalflüssigkeit, entstehen. Diese beiden Momente kommen auch zusammen vor, eins das andere bedingend. Erworbener Hydrocephalus ist meist eine Folge von Encephalomeningitis. Man nimmt auch noch eine weitere Entstehungsart desselben an. Bei Weichheit
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der Schädelknochen (Rachitis) sollen interkurrente Erkrankungen — Bronchitis, Pertussis —, welche mit länger dauerndem Husten einhergehen, mittels der durch diesen zeitweilig bedingten Drucksteigerung im Schädel Ventrikularhydrops hervorrufen, welcher nachher eine gewisse Selbständigkeit behauptet. Die bei Rachitis so gewöhnliche Verschlechterung der Blutmischung, mit welcher größere Durchlässigkeit der Gefäßwandung verbunden ist, dürfte für diesen Vorgang gewiß nicht ohne Bedeutung sein. Anatomisch findet man eine mehr oder weniger erhebliche Ausdehnung des Schädels, die Fontanellen breit, die Knochen an ihren Nähten auseinandergedrängt; bisweilen entwickeln sich Schaltknochen. Die Hirnoberfläche ist zu einer oft nur Millimeter dicken Blase ausgedehnt, die Seitenventrikel und der dritte, nicht immer der vierte, sind mächtig erweitert, die unter ihnen gelegenen Teile des Hirnstammes gleichfalls abgeplattet, Kleinhirn, Brücke und verlängertes Mark dagegen meist nur in geringem Grade. Veränderungen des Chorioidealplexus und des Ependyms können fehlen; sind sie vorhanden, dann zeigen sie sich als Verdickungen und Trübungen, auf entzündlichen Ursprung hinweisend. — Man hat in einzelnen Fällen Verlegung des Sinus rectus, der Vena magna Galeni, ferner des Aquaeductus Sylvii gesehen. Auch die durch Verwachsungen herbeigeführte Hemmung des Flüssigkeitswechsels zwischen den Subarachnoidealräumen und den Ventrikeln scheint nicht ohne Bedeutung. — Die ergossene Flüssigkeit ist meist klar, selten enthält sie weiße Blutkörperchen, ihr Gehalt an Eiweiß wechselt. Man sagt, daß ein solcher von mehr als 2,5 pro mille für entzündlichen Ursprung spricht. — Bei dem angeborenen Hydrocephalus kann schon intrauterin eine so bedeutende Vergrößerung des Kopfes eingetreten sein, daß dadurch die normale Entbindung unmöglich ist. Wurde das Kind lebend geboren, dann zeigt sich vielleicht sogleich, jedenfalls nach kurzer Zeit eine unverhältnismäßige Größe und Zunahme des Kopfes; das normal sich vollziehende Wachstum des Gesichtsschädels läßt den Unterschied mit dem Hirnschädel ganz besonders grell hervortreten. Die Haut wird über der großen Knochenkapsel prall gespannt, es erscheinen auf ihr zahlreiche Venennetze, das Dach der Augenhöhle wird herabgedrückt und abgeflacht, bisweilen gar nach unten ausgebuchtet. — Solange die Schädelknochen noch dehnbar sind — als äußersten Termin hierfür betrachtet man das neunte Lebensjahr —, treten auch bei erworbenem Hydrocephalus diese Zeichen auf. Die psychischen Symptome sind von dem Grade der Gehirnatrophie bedingt. In den schwersten Fällen von angeborenem Hydrocephalus kommt es überhaupt nicht zur geistigen Ausbildung, das Kind bleibt auf der Stufe, die es zur Zeit seiner Geburt einnahm. Ebenso kann es bei erworbenen Formen sein: der zur Zeit der Erkrankung vorhandene geistige Besitz bleibt erhalten, wird aber nicht vermehrt. Es finden sich dann alle möglichen Grade unzulänglicher geistiger Thätigkeit vom langsameren Begreifen, zögernder und später Entwicklung bis zum Blödsinn, der mit Unreinlichkeit und mit der Unfähigkeit, die zum Stehen und Gehen erforderlichen Koordinationen zu erlernen, verbunden ist. Bei erworbenem Hydrocephalus wird ausnahmsweise in späterer Zeit noch ein verhältnismäßig befriedigender Grad geistiger Entwicklung möglich. Unter den Sinnen scheint das Gehör selbst in schweren Fällen verhältnismäßig am wenigsten zu leiden. — Muskelatrophie mit oder ohne Kontrakturen in verschiedener Verbreitung und Anfälle von Krämpfen sind nichts Ungewöhnliches. Dauer und Verlauf lassen sich nicht bestimmen. Manchmal macht Verschlim-
Chronischer Hydrocephalus.
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merung einer vorhandenen oder das Auftreten einer neuen Entzündung dem Leben ein Ende, andere Male erreichen Hydrocephalische ein hohes Alter, wenn nicht irgend eine zwischenfallende Krankheit ^ich ihrer oder richtiger ihrer Pfleger erbarmt. Prognostisch ist bei den angeborenen Formen, soweit es sich um die Möglichkeit einer menschenwürdigen Ausbildung handelt, immer mit großer Zurückhaltung zu urteilen. Günstiger sind die erworbenen, falls sie nicht allzu hochgradig werden. Es kann da Stillstand Heilung bedeuten und dann vielleicht die verzögerte Entwicklung rasch nachgeholt werden — indes sei man auch hier nicht zu sicher. — Die Therapie vermag bei erworbenem Hydrocephalus vielleicht in denjenigen Fällen etwas, wo man Rachitis. Hustenkrankheiten und damit verbundene Änderungen der Blutmischung als veranlassende Ursachen betrachten darf; es gilt dann diese zu beseitigen. Meistens jedoch gestaltet sich die Sachlage anders und ungünstiger, und jede Behandlung mit Arzneimitteln ist fruchtlos. Auch chirurgisches Eingreifen hat gerade keine besonderen Ergebnisse aufzuweisen — man versuchte Kompression des Schädels, ohne oder mit Punktion, welcher man sogar Injektion von Jodlösungen folgen ließ. Immerhin darf man sich daran erinnern, daß in der Regel nicht viel zu verlieren, manchmal vielleicht etwas zu gewinnen ist. § 56.
Geschwülste des Gehirns und seiner Häute.
Die G e s c h w ü l s t e des Gehirns und seiner Häute, sogar auch die nach innen vorragenden der Schädelknochen werden schon länger gemeinschaftlich abgehandelt, klinisch betrachtet mit vollem Recht, da eine Sonderung nach dieser Seite nahezu unmöglich erscheint. Ätiologisch läßt sich hier wenig sagen. Männer erkranken öfter als Frauen — annähernd ist das Verhältnis wie 63 zu 47. Das dritte bis sechste Jahrzehnt des Lebens ist am schwersten betroffen, übrigens die Kindheit keineswegs frei —• in dieser Zeit sind die Tuberkelgeschwülste besonders häufig. — Als Gelegenheitsursache wird Verletzung des Kopfes durch Sturz, Wunden u. s. w. angesehen. Anatomisch wären zuerst die hierher gehörigen rerschiedenen Geschwulstformen aufzuzählen; sie bilden eine reiche Musterkarte. Als bevorzugte Form erscheint das aus Wucherungen der Gliazellen entstehende Gliom in seinen wechselnden Entwicklungen — telangiektatisches, myxomatöses, sarkomatöses Gliom. Dann Sarkome — Angiosarkome, Angiomyxome, die Mischform Angiomyxosarkome — und Cholesteatome, Angioma — meist als angeborene betrachtet — sind seltener, noch seltener Fibrome, Chondrome. Lipome. Lymphangiome. Osteome. Auch Carcinome, die primär entstanden, sind nach neueren Anschauungen im Gehirn nicht häufig; metastatisch kommen sie öfter vor. — Gummata und Tuberkelgeschwülste gehören zu den gewöhnlicheren Erscheinungen. — Von Parasiten finden sich Cystirerken und Echinokokken. — Endlich müssen auch hierher gerechnet werden die Aneurysmen der Hirnarterien: im ganzen sind dieselben links häufiger als rechts; am meisten an der Arteria fossae Sylvii und der basilaris. Folgeerscheinung der Entwicklung eines Hirntumors ist Druck auf die Nachbarschaft. Nicht selten ist derselbe hochgradig genug, um die abführenden Lymphund Blutgefäße so zusammenzupressen, daß Hydrops der Ventrikel entsteht; bei direkter Kompression der Gefäße geschieht das in noch beträchtlicherer Weise.
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Bei diesen Vorgängen findet sich regelmäßig verdrängte Cerebrospinalflüssigkeit zwischen den Scheiden des Opticus. Ebenso leiden die Nerven an der Basis Not, sei es, daß sie bei dem Übergang über einen Knochenvorsprung geknickt oder durch angrenzende, wegen vermehrten Blutinhaltes stärker gespannte Gefäße, denen sie nicht ausweichen können, eingeschnürt werden. Weiter kommen in Betracht die sogenannten Reaktionserscheinungen in der Umgebung der Geschwulst. Man trifft hier das Gewebe bis zur Erweichung ödematös, die Odemflüssigkeit blutig gerötet, in nächster Nähe des Tumors in kleinen Herden wenig veränderte rote Blutkörperchen; die Grenzen gegen das Gesunde sind sehr verwischt. Die Symptome der Hirngeschwülste wechseln nach der Natur, der mehr oder minder raschen Entwicklung, dem Sitz des Tumors so sehr, daß kaum zwei einander gleiche Fälle anzutreffen sind. Im allgemeinen wäre hervorzuheben, dali durch die Geschwulst Raum beansprucht und so der Schädelinhalt vermehrt wird. Geschieht das langsam, dann ist bis zu einem gewissen Grade die Ausgleichung der veränderten Bedingungen möglich, so lange nämlich, als bei abnehmender Menge der Cerebrospinalflüssigkeit ausreichende Versorgung mit arteriellem Blute stattfinden kann. Es scheint, dal) auch ein bestimmter Grad von Druck hier ertragen wird — denn es gehört nicht zu den Seltenheiten, daß ein von Geschwulstmassen eingeschlossener, deutliche Druckspuren zeigender Nerv dennoch kein einziges Zeichen gestörter Thätigkeit darbot. So können sich auch wohl Leitungsbahnen und Centren im Hirn selbst verhalten, und ebenso können auch vielleicht, bei langsamer Zerstörung der einen, andere neue ins Leben treten (§ 45). Wir müssen uns vorderhand mit diesen Möglichkeiten begnügen, wenn wir verstehen wollen, daß beträchtliche Tumoren an wichtigen Stellen des Hirns vorhanden sein können, ohne Erscheinungen zu machen. Anders bei rascher Entwicklung, namentlich solcher, welche die cerebrale Blut- und Lymphströmung erschwert; dann bleibt die Wirkung der Druckzunahme im ganzen Schädelinhalt und die der örtlichen Zerstörung in der Umgebung der Neubildung nicht aus. — Aber es gelingt nur manchmal, direkte Folgen von indirekten, Nahe- von Fernwirkungen mit Sicherheit zu unterscheiden, beide sind ja gewöhnlich nebeneinander vorhanden.
Von praktischer Bedeutung ist die Trennung von allgemeinen und Ilcrdsymptomen. Als AUgemeinerscheinungen finden sich bei Hirntumoren: 1. Verminderung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, anfangs mehr auf Unlust des sich krank Fühlenden, zu größeren Anstrengungen nicht Aufgelegten, später auf wirklicher Abnahme des Könnens beruhend. — Schließlich kann es zu den ausgeprägten Erscheinungen des Blödsinns kommen. 2. Kopfschmerz anhaltend, aber in seiner Stärke wechselnd, ohne bestimmte Lokalisation, meist in die Tiefe verlegt, als schweres Leiden empfunden. 3. Krämpfe, Schwindelgefühle, Erbrechen, Ohnmächten, auch apoplektiforme Zufalle, alles nicht regelmäßig, nur hin und wieder auftretend. 4. Die Zeichen des Hirndrucks: Benommenheit bis zum Koma, Pulsverlangsamung und Unregelmäßigkeit der Atmung. Als frühe und sehr gewöhnliche — aber nicht konstante — Erscheinung: Stauungspapille an beiden Seiten mit oder ohne Neuroretinitis. Die Herdsymptome sind viel schwieriger zu charakterisieren. Daß die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Herdsymptomen nicht immer gelingt, wurde bereits erwähnt. Als allgemeinere Anhaltspunkte können dienen: indirekte Druckwirkung vermag besonders die Nerven an der Hirnbasis leistungsunfähig zu machen. Erfahrungsgemäß werden so halb- oder beiderseitig am häufigsten befallen: Olfactorius, Opticus, Abducens und Oculomotorius, dieser meist einseitig und an der Hirnhälfte, in welcher die Geschwulst ihren Sitz hat. — Als
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indirektes Herdsymptom kann Hemiplegie- auftreten. Dieselbe geht aus der Druckwirkung, welche eine Hemisphäre als Ganzes, oder aus derjenigen, die einen Großhirnschenkel trifft, hervor; häufig folgen ihr starke und äußerst schmerzhafte Kontrakturen. Sie ist oft gleichseitig mit dem Tumor, sie schwankt in ihrer Stärke; nicht selten wird später auch die andere Seite des Körpers ergriffen. — Für alle diese Erfahrungstatsachen fehlt eine völlig genügende Erklärung. Die Nervenstumme an der Hirnbasis sind durch ihre Lage auf harter unnachgiebiger Unterlage auch direkten Druckwirkungen in hohem Maße ausgesetzt. Da hierbei, wenn der Druck genügend stark ist, die Leitung zwischen den Kernen und den Muskelendigungen der Nerven unterbrochen wird, zeigen die so entstandenen motorischen Lähmungen die Eigenschaften der peripheren — Entartungsreaktion und Muskelatrophie. — Der Facialis bietet bei seiner Kompression außer diesem Zeichen noch ein anderes: alle seine Aste, auch die oberen, sind getroffen. Ebenso verhält es sich mit dem IJypoglossus, der wegen des engen Raumes, welcher die Nerven der beiden Hälften bei ihrem Austritt aus dem verlängerten Mark trennt, nicht selten doppelseitig ergriffen ist. — Die Störung des Trigeminus hingegen ist meist auf dessen sensiblen Teil beschränkt. Reizsymptome (Neuralgien eines oder mehrerer Aste) pflegen der die Lähmung anzeigenden Anästhesie vorauszugehen, sie können selbst nach deren Eintritt andauern. Im allgemeinen ist noch zu sagen, daß Lähmungen stärker als Reizsymptome im Krankheitsbilde hervorzutreten pflegen; letztere zeigen sich mehr vorübergehend. Es hängt dies wohl wesentlich damit zusammen, daß die Geschwülste bei langsamer und gleichmäßiger Entwicklung keine Gelegenheit zur Erregung geben, welche ja für alle nervösen Elemente an die Einwirkung von Wechselreizen gebunden ist. Stärkere Yolumenänderung, wie sie bei größerem Gefäßreichtum vorkommen kann, das Auftreten entzündlicher Vorgänge in der Umgebung des Tumors führt denn auch zu Reizerscheinungen. Die durch den Sitz der Geschwulst bedingten hauptsächlichen Symptomenkomplexe (vergleiche hierzu auch § 47) sind: 1. Vordere Schädelgrube. Von Nerven werden betrofl'en Olfactorius und Opticus, zuerst ein-, später doppelseitig, erster Ast des Trigeminus, Oculomotorius. Anfangs meist Reizerscheinungen im Gebiet beider Sinnesnerven. 2. Mittlere Schädelgrube. Betroffene Nerven: Opticus, Oculomotorius, Trochlearis, Abducens, Trigeminus. Durch Druck auf den Großhirnschenkel kann Hemiplegie entstehen. Ausbreitung des Tumors von hier auf die hintere Schädelgrube ist nicht selten. 3. Hintere Schädelgrube. Betroffene Nerven: Trigeminus, Facialis, Acusticus, Glossopharyngeus, Vagus, Accessorius; öfter findet sich doppelseitige Abducenslähmung. Reizerscheinungen vom Acusticus (Ohrensausen) und Vagus (Pulsverlangsamung und Erbrechen) sind noch häufiger. Sehstörungen bis zur vollständigen Blindheit auf beiden Augen infolge von Hydrocephalus namentlich von Erguß in den dritten Ventrikel, durch welchen das Chiasma und der Stamm des Nerven komprimiert werden, bilden mit der Stauungspapille oft ein schon frühes Symptom. 4. Großhirnhemisphären. Krämpfe, anfangs auf einige Muskelgruppen beschränkt, allmählich mehr und mehr sich ausbreitend. Monoplegien oder Hemiplegien mit Hemianästhesie, Mono- oder Hemikontrakturen. Störungen des Sehvermögens, Aphasie in beiden Formen, Beeinträchtigung des Hörvermögens — diese letztere bei genauer Untersuchung vielleicht häufiger, als es bisher den Anschein hatte. 5. Kleinhirn. Meist beträchtlicher Hydrocephalus und daher erhebliche Allgemeinerscheinungen; außer Störungen des Sehvermögens auch solche des Gehörs und Geruches. Taumelnder, schwankender Gang, Nackenstarre und Kopfweh, welches vorwiegend im Hinterhaupt seinen Sitz hat (vgl. auch oben unter 3).
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Sind Hirngeschwülste nicht einer spezifischen Therapie zugänglich, dann ist ihr Verlauf vielleicht ein schwankender, Besserungen und Verschlimmerungen zeigender, immer aber schreitet die Krankheit im ganzen stetig dem tödlichen Ausgang zu. — Die Prognose ist daher, mit Ausnahme der auf Lues zu beziehenden Fälle, stets eine schlechte. — Die Dauer wird im Mittel auf ein his zwei Jahre angegeben — übrigens eine recht wertlose Durchschnittszahl. B e i der Diagnose
sind die A l l g e m e i n e r s c h e i n u n g e n
sehr zu
berücksichtigen.
Als konstantestes Zeichen unter ihnen erscheint der Kopfschmerz; sehr hohen diagnostischen Wert haben die Stauungspapille und ebenso die zeitweilig sich einstellenden Anfälle von Krämpfen — diese drei Symptome, gleichzeitig vorhanden, lassen schon einen einigermaßen sicheren Schluß zu. Ohnmächten, Schwindelgefühle, die nicht anderweitig genügend erklärt erscheinen, haben für die Diagnose ähnlichen Wert wie die Krämpfe. Der niemals wirkliche dauerhafte Besserung bringende Verlauf fallt schwer ins Gewicht. Für die Bestimmung des Sitzes sind die Lähmungen und Reizerscheinungen in dem Gebiete der Hirnnerven in erster Linie von Bedeutung. Dem der feineren Anatomie des Gehirns Kundigen und mit dem entsprechenden Kapitel der Pathologie Vertrauten wird oft genug eine genaue Ortsbestimmung gelingen, öfter vielleicht mißglücken; die Sicherheit in der positiven Behauptung pflegt mit der Zunahme persönlicher Erfahrungen bezüglich dieser Erkrankungen nicht zu wachsen. Die Therapie kann nur in denjenigen Fällen etwas ausrichten, bei welchen es sich um Syphilis handelt; man spricht freilich auch von operativen Eingriffen, allein damit hat es wohl noch gute Wege. — Geraten wird bei jedem Tumor eine Quecksilber- oder Jodkur; weil man nicht wissen könne, ob denn nicht doch alte Lues vorliege. Jodlcalium hat, von dieser Möglichkeit abgesehen, in großer Gabe — 4 g täglich andauernd bis zu einem halben Jahre fortgesetzt — eine empirische Indikation, ebenso die arsenige Säure. — Im ganzen tritt die symptomatische, hier lediglich Erleichterung des Kranken anstrebende Behandlung in ihr volles Recht. § 57. Die innerhalb
der geschlossenen
Gehirnblutungen. Schädelkapsel
auftretenden
B l u t u n g e n können
eine doppelte Wirkung haben, zuerst die allgemeine, daß sie Druck auf den ganzen Schädelinhalt üben, dann die örtliche, daß sie die ihnen anliegenden Hirnteile zusammenpressen, vielleicht zertrümmern. Damit das letztere geschehe, muß die Blutung innerhalb der Hirnsubstanz selbst stattfinden. Nur diese Formen sollen hier gesondert besprochen werden, — die anderen sind Folgen einer Verwundung oder der Pachymeningitis haemorrhagica, in vereinzelten Fällen auch einer Ruptur der Meningea media. Sie liefern ein Bild, welches neben den anderen der jeweilig wirkenden Ursache entsprechenden Erscheinungen diejenigen des Hirndruckes hervortreten läßt. Die Ätiologie
der intracerebralen
Blutergüsse
hat zunächst
allgemein
zu v e r -
zeichnen: Männer leiden häufiger als Frauen; die Zeit nach dem vierten Jahrzehnt ist entschieden schwerer belastet — drei Viertel gegen ein Viertel. Wahrscheinlich findet in gewissem Maße hereditäre Beanlagung statt, denn es kommen in einzelnen Familien unverhältnismäßig viele Fälle von Gehirnblutung vor. — Speziell prädisponierend ist eine anatomische Veränderung, die Bildung miliarer
Gehirnblutungen.
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Aneurysmen. Neben dieser gelangen Störungen der Blutmischung mit ihrem die Ernährung der Gefäß wandung schädigenden Einfluß nur in untergeordneter Weise zur Geltung. Auch die Hypertrophie des linken Ventrikels hat nicht ganz die Bedeutung, welche man ihr theoretisch zuschreiben möchte Sind Gefaßernährungsstörungen vorhanden, dann kann dieselbe allerdings verhängnisvoll werden, ohne solche jedoch wohl nur ausnahmsweise. — Als Gelegenheitsursacke wirkt alles, was den Blutdruck zu steigern vermag: starke körperliche Anstrengung, psychische Erregung, Husten, Niesen, Pressen bei der Stuhlentleerung. Bei den drei letztgenannten Thätigkeiten macht sich nicht nur die unmittelbare exspiratorische Steigerung des Aortendruckes geltend, sondern ebensosehr der Umstand, daß gleichzeitig der venöse Abfluß gehemmt ist und somit auch hierdurch der Druck in den kleineren Arterienästen erheblich in die Höhe getrieben werden kann. Anatomisch ist zuerst die prädisponierende Arterienerkrankung zu besprechen. Die Ansichten über deren Bedeutung gehen etwas auseinander: nach der einen finden sich in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von Hirnblutungen miliare Aneurysmen, in der Größe von dem kaum Sichtbaren bis zu der eines Nadelknopfes wechselnd, ebenso an Zahl verschieden. Man trifft sie ausschließlich an den kleinen Arterien des Gehirns und vorzugsweise an denjenigen unter ihnen, welche am häufigsten Sitz einer Blutung werden. Sie sind von verschiedener Konsistenz, weich und leicht zerreißlich oder elastisch, endlich auch fest und hart. Ihr Auftreten ist nicht auf atheromatöse Entartung zurückzuführen: bei dieser handelt es sich um Endarteriitis, bei der Bildung der miliaren Aneurysmen hingegen um diffuse Periarteriitis, welche, von der Adventitia und den die Arterien umhüllenden Scheiden der Pia mater ausgehend, erst sekundär die Atrophie der Muscularis bewirkt. Von anderer Seite wird in Abrede gestellt, daß die Bildung der miliaren Aneurysmen so gewöhnlich der Blutung vorausgehe, vielmehr behauptet, daß sowohl Endarteriitis als einfache Entartung der Muscularis häufig Veranlassung zur Brüchigkeit der betreffenden Arterien geben; — es wird hervorgehoben, daß die als veranlassende Ursache betrachteten periarteriitischen Veränderungen zum Teil erst sekundär entstanden seien. < hn häufigsten werden von der Blutung betroffen die basalen Ganglien, Schwanzkern, Linsenkern und Sehhügel mit ihrer Umgebung, besonders wichtig ist die innere Kapsel. Daß gerade diese Teile so oft ergriffen werden, hängt wahrscheinlich damit zusammen, daß die sie versorgenden Arterien unmittelbare Fortsetzungen des Hauptstammes der Carotis interna und noch von verhältnismäßig großem Durchmesser sind, also einen beträchtlicheren Druck zu tragen haben. In anderen Teilen des Großhirns, in der Brücke, in dem Kleinhirn sind Blutungen schon erheblich weniger häufig — noch seltener in der Medulla oblongata, den Großhirnschenkeln, den Corpora quadrigemina; sonstige Orte kommen kaum in Betracht. Der frische hämorrhagische Herd im Gehirn zeigt zunächst einen meist schon geronnenen Blutklumpen, der die Größe einer Faust erreichen kann. In seiner Umgebung ist die Hirnsubstanz zerrissen, ihre Trümmer mischen sich mit dem ergossenen Blute in seinen äußeren Schichten. Meist ist eine scharfe Abgrenzung des Herdes nicht zu erkennen — ein Ring von erweichter, mit kleinen Blutungen durchsetzter, oft durch diffundierten Farbstoff rot oder gelbrot gefärbter Hirn-
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masse umgiebt den Ort der eigentlichen Zerstörung; entzündliches Ödem kann sich von hier aus über einen mehr oder minder großen Teil des Gehirns verbreiten. Bei größeren Blutergüssen zeigen sich Erscheinungen des Druckes: die betroffene Hemisphäre ist vorgewölbt, ihre Oberfläche abgeplattet und anämisch wie die ganze Hirnmasse. — Durchbruch des hämorrhagischen Herdes in die Ventrikel oder unter die Meningen kommt vor. — Wird der Anfall überlebt, dann verändert sich das extravasierte Blut, es zerfällt ebenso wie die zerstörte Hirnsubstanz und wird der Resorption zugänglich. Bei der Heilung bildet sich entweder eine mit Flüssigkeit gefüllte Cyste, deren Innenwand häufig etwas lockeres Bindegewebe enthält, oder aber es entsteht durch Wucherung und nachherige Schrumpfung des Gliagewebes sowie der Gefäßscheiden eine feste, den Substanzverlust ausfüllende Narbe. Eine mehr oder minder große Menge von umgewandeltem Blutfarbstoff bleibt in beiden Fällen an Ort und Stelle zurück. — Die sekundären Strangdegenerationen (§ 20), welche in manchen Fällen sich zeigen, können sich bis in das Rückenmark fortsetzen. Die Symptome, mit welchen die Hirnblutung verläuft, bieten trotz einzelner unerheblicher Verschiedenheiten im ganzen ein ziemlich gleichförmiges Bild. Es können Vorboten auftreten — Schwindel, Eingenommensein des Kopfes, dumpfe Gefühle von Druck und gehemmter psychischer Leistungsfähigkeit, seltener eigentliche Kopfschmerzen, dazu Schwere in den Gliedern, vielleicht geringe Parästhesien, ebenso merkbarer Nachlaß oder eigentümliche Störungen in der Thätigkeit der Sinnesorgane. Alles in allem ist das Gefühl vorhanden, daß irgend etwas im Körper, besonders im Kopfe nicht ganz in Ordnung sei. Nach längerer oder kürzerer Zeit folgt nun die Aufhebung des Bewußtseins. Diese kann aber auch eintreten, ohne daß solche Zeichen sie angekündigt hätten. Bisweilen urplötzlich — der Kranke fällt hin, ist unbesinnlich, seine Glieder sind schlaff und regungslos. In anderen Fällen schwindet die Besinnung nur allmählich: die Empfindung der mehr und mehr verringerten Herrschaft über Arm und Bein ist noch deutlich vorhanden, das Bedürfnis nach Ruhe macht sich geltend, und der in das Bett Gebrachte verfallt erst nach und nach in einen Zustand von Schlummersucht, die sich bald zur Bewußtlosigkeit steigert; tiefe Betäubung folgt. Der vom „Schlag" Getroffene liegt nun bewegungslos da, das Gesicht ohne Ausdruck, meist gerötet, seltener blaß oder von gewöhnlicher Farbe; die Karotiden klopfen stark, das Herz zieht sich langsam aber kräftig, manchmal unregelmäßig zusammen; die Atmung ist langsam, röchelnd, die Backen werden durch den Exspirationsstoß aufgebläht. Kein Anrufen vermag den Kranken zu erwecken, Reflexe erfolgen selbst auf starke Reize gar nicht oder doch nur zögernd und schwach, alle Gliedmaßen hängen wie eine tote Masse am Körper, nur das geübte Auge vermag vielleicht zu erkennen, welche Gesichtsseite noch ausdrucksloser ist, welche Körperhälfte eine noch vollständigere Erschlaffung ihrer Muskeln zeigt als die andere. Harn und Kot werden nicht gerade häufig ins Bett entleert. So kann im Laufe von Tagen oder Stunden der Tod eintreten, welchem meist stärkere Cyanose mit Aussetzen des Atmens und Unregelmäßigkeit nach CheyneÄtofes'schem Typus vorausgeht. Wendet sich die Sache zum Besseren, dann zeigt sich zuerst bei passiven Bewegungen ein gewisser Widerstand in den nicht gelähmten Muskeln, die Reflexe kehren wieder und verstärken sich nach und nach. Allmählich wird die Betäubung minder tief, es gelingt, den Kranken zu erwecken, welcher nun durch irgend ein Zeichen verrät, daß er für den Augenblick
Gehirnblutungen
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ein freilich nur schwaches Verständnis für die Dinge der Außenwelt gewonnen habe. Das nimmt zu; der Kranke versucht wohl einige Worte zu stammeln, aber seine Zunge ist schwer, und der richtige Ausdruck wird noch nicht gefunden — die Umgebung errät ihu mehr, als daß er sich wirklich verständlich machen könnte. Nach und nach schwindet die Benommenheit, jetzt fühlt der Kranke, daß er halbseitig gelähmt sei; er vermag die ihm noch unterthänigen Muskeln zu bewegen. Aber er ist matt, hat großes Ruhebedürfnis, schlummert viel und wird unwillig, wenn man ihn aufstört und zu längeren Darlegungen seiner Empfindung veranlassen will. Im Laufe einiger Wochen kehrt immer mehr die Besinnung zurück und die geistige Leistungsfähigkeit nimmt zu. Jetzt fängt auch die Lähmung an sich zu bessern, fast immer so, daß zuerst einzelne Muskeln des Beines auf Willensreiz wieder ansprechen, z. B. eine der Zehen wieder bewegt werden kann. Die Besserung beginnt in den unteren Gliedmaßen, sie wird in den oberen auch kaum so vollständig wie in jenen: das Bein wird oft wieder gebrauchsfähig, seltener der Arm und nur in spärlichen Fällen wird die Fähigkeit für die feineren Koordinationen der Handmuskeln zurückerlangt. Bezüglich der Einzelerscheinungen ist zu beachten: Die Allgemeinwirkungen auf das Gehirn werden als apoplektischer Insult bezeichnet. Der diesem zu Grunde liegende Mechanismus ist noch keineswegs ganz aufgeklärt: erfahrungsgemäß steht fest, daß das Bild des Insults bei kleinen wie bei großen Blutungen vorkommt, ebenso daß die Zeit, welche die Herde zu ihrer Entstehung gebrauchen, nicht immer für die Schwere der Allgemeinerscheinungen den Maßstab liefert. Im ganzen darf man aber dennoch sagen, daß, je bedeutender die Blutung ist und je schneller dieselbe erfolgt, desto stärker auch der Insult sich zeigen wird. — Bei großen Blutherden sind es vorwiegend wirkliche Druckerscheinungen, in deren Folge sich Anämie des ganzen Gehirns einstellt. Bei kleinen ist man genötigt auf molekulare Störungen zurückzugreifen; — man machte darauf aufmerksam, wie das aus der zerrissenen Arterie unter der vollen Wucht des in dieser herrschenden Drucks sich ergießende Blut wohl erhebliche mechanische Erschütterung weit über die Grenzen des Extravasats hinaus herbeiführen könne. Die Lähmungen setzen sich aus vorübergehenden (indirekten) und bleibenden zusammen; diese sind durch Vernichtung von nicht funktionell vertretbaren Hirnteilen bedingt, jene erscheinen als Folge des allgemein vermehrten Druckes und der Veränderungen, welche in der Umgebung der zerstörten Abschnitte sich vollziehen. Für die erste Zeit nach dem Insult kommen dessen besondere Wirkungen noch hinzu. Am wichtigsten sind die motorischen Lähmungen; hervorragend ist unter ihnen das typische Bild der Hemiplegie, der halbseitigen, die Körper- und Gesichtsmuskeln an der dem Blutherd gegenüberliegenden Seite betreffenden Lähmung. Dabei sind nicht alle Muskeln gleichmäßig ergriffen: die der Glieder sind stärker gelähmt, alle die des Rumpfes, das Facialisgebiet — ganz vorwiegend dessen unterer Abschnitt — stärker als die anderen vom Gehirn ans innervierten Muskeln, von denen die im Gebiete des Hypoglossus (Abweichung der Zungenspitze nach der gelähmten Seite, durch das Ergriffensein des Genioglossus bedingt) und die von den Bewegungsnerven des Auges versorgten noch am häufigsten sich deutlich als befallen zeigen. Abweichungen
von diesem gewöhnlichen Verhalten sind:
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1. Bluterguß und Lähmung der Extremitäten gleichseitig — mir in sehr seltenen Fällen und da vielleicht durch fehlende Pyramidenkreuzung bedingt. 2. Paraplegie. Zwei Herde, einer rechts, der andere links, übrigens beide an der gewöhnlichen Stelle im Gehirn — oder ein großer Bluterguß in Pons und Medulla oblongata, welcher die hier eng zusammenliegenden Leitungsbahnen beider Seiten trifft. 3. Alternierende Lähmung. Einzelne Muskeln auf der Seite des Blutherdes, andere auf der entgegengesetzten gelähmt — es sind die zugehörigen Nerven oder Leitungsbahnen teils vor, teils hinter ihrer Kreuzung, teils im peripheren, teils im centralen Verlauf getroffen. 4. Nur Hirnnerven sind gelähmt — meist handelt es sich um einen kleinen Herd und ausschließlich um den Facialis. Bezüglich aller dieser Einzelheiten ist übrigens § 47 zu vergleichen.
Das elektrische Verhalten der infolge des Sitzes der Blutung meist central gelähmten Muskeln ist ganz ungeändert, oder doch nur in geringem Grade abweichend und dann die Erregbarkeit eher noch etwas erhöht. Das Verhalten dev Reflexe bei Gehirnblutungen ist noch wenig genau erforscht; nachdem der Insult vorüber, können auf der gelähmten Seite die von der Haut ausgehenden eine Zeit lang ein wenig verstärkt sein; die Sehnenreflexe sind in der Regel und dauernd verstärkt. Später nehmen die Hautreflexe an der gelähmten Seite meist ab. Mitbeivegungen treten recht häufig auf, namentlich beim Ausführen oder Versuchen einer Bewegung durch starken Willensimpuls, einerlei ob derselbe auf die gelähmte oder die nicht gelähmte Seite gerichtet ist. — Es findet sich gewöhnlich, wenn auch nur für einige Tage, eine eigentümliche, oft mit Drehung des Kopfes verbundene Stellung der Bulbi. Der Kopf und die Augen werden dann nach der gesunden Körperhälfte gekehrt, so daß es aussieht, als ob der Kranke über seine nicht gelähmte Schulter schauen wollte (konjugierte Ablenkung der Augen und des Kopfes). Kontrakturen zeigen sich in zwei verschiedenen Formen: Die einen erscheinen gleich anfangs als Folge centraler Reizung, sie vergehen innerhalb nicht zu langer Zeit wieder; die anderen treten erst später auf — zwei Monate nach dem Anfall werden als kürzeste Frist bezeichnet — und sind dann meist bleibend. Diese letzteren sind die häufigeren; sie werden mit noch zweifelhaftem Rechte auf die sekundären Strangdegenerationen bezogen. Gewöhnlich sind Arm und Hand von denselben ergriffen, die Beugestellung überwiegt ganz entschieden; erst allmählich werden diese Kontrakturen starr, anfangs löst sie der Schlaf. — An den gelähmten Gliedern finden sich bisweilen auch Zittern, ataktische, choreatische, athetotische Bewegungen — man spricht geradezu von einer Hemichorea und Iiemiathetosis posthemiplegica (§§ 71 u. 73). — Die Besserung der Lähmung ist längstens in einem halben Jahre zu Ende; wie sie vor sich geht, wurde bereits ausgeführt, es ist nur noch zu erwähnen, daß auch am Facialis ein gewisser, freilich manchmal sehr unbedeutender Grad von Lähmung zurückzubleiben pflegt. Mit der Hemiplegie ist anfangs eine gleichseitige, der Ausdehnung der motorischen Lähmung entsprechende Hemianästhesie verbunden, welche sich in der Regel später ganz oder fast ganz verliert. Bleibende Gefühlslähmung gehört nicht zu den häufigeren Vorkommnissen. Dagegen sind in einer nicht kleinen Zahl von Fällen Parästhesien, Hyperästhesien, oft auch für längere Zeit neuralgieforme Schmerzen in den gelähmten Gliedern vorhanden. — Unter den Störungen der Sinnesnerven sind die des Opticus am besten gekannt. Hemiopie kommt häufiger vor — der Ausfall im Gesichtsfeld trifft dann meist mit der Seite der Körperlähmung zusammen und findet sich an beiden Augen; ist z. B. die linke Körperhälfte
ft ehimblutungen.
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gelähmt, dann wird linksseitiger Ausfall des Gesichtsfeldes rechts und links beobachtet. Die Erscheinung ist anfangs stärker und verliert sich später ganz oder zum größeren Teil. — Wie sich die übrigen Sinnesnerven verhalten, ist noch nicht genauer untersucht. Recht gewöhnlich sind vasomotorische und tropliische Störungen. Erschlaffung der peripheren Gefäße, damit verbundene Rötung und Schwellung der Haut sowie Erhöhung der Temperatur zeigen sich an der gelähmten Seite früh, oft schon im Laufe des ersten Tages und weisen daraufhin, daß auch die vasomotorischen Nerven gelitten haben. Dauernd gelähmte Glieder sind gewöhnlich kalt und blaurot. Schwere tropliische Veränderungen kommen nicht gerade häufig vor; wo sich dieselben zeigen, treten sie meist als Decubitus mit raschem Gewebszerfall nur an der gelähmten Seite auf, gewöhnlich dann über den Glutäen, im Laufe der ersten Woche sich entwickelnd und in der Regel rasch zum Tode führend. Später können sich, gleichfalls an der gelähmten Seite, Gelenkentzündungen ausbilden; ganz ausnahmsweise geschieht das schon in der ersten Woche. — Dauernd gelähmte Glieder erscheinen gewöhnlich nicht besonders abgemagert; hauptsächlich ist das von einer Zunahme des Fettpolsters, welche nicht selten mit Hypertrophie der Haut einhergeht, bedingt. Trat jedoch vor vollendetem Wachstum des Körpers Hirnblutung mit bleibenden Störungen der Bewegung auf, dann sind die gelähmten Glieder regelmäßig im ganzen atrophisch. Das Verhalten der Temperatur zeigt Abweichungen von der Norm: in den auf den Insult folgenden Stunden leichte Verminderung um Bruchteile eines Grades, seltener etwas mehr, nach Ablauf einiger Tage Erhöhung bis gegen 40°. Erfolgt der Tod im Anfall, dann kann die Temperatursteigerung noch bedeutender werden. Nach schwerem Insult kann die Harnausscheidung bemerkenswerte Anomalien darbieten. In den ersten Stunden wird ein dünner Urin in erheblich vermehrter Menge abgesondert. Derselbe enthält anfangs weniger, dann mehr Eiweiß, etwas später tritt auch Zucker auf. Alles hält gegen 24 Stunden an; nachher kann die saure Reaktion des Urins in die alkalische umschlagen. Die intellektuellen Fähigkeiten erleiden meist eine Einbuße. Am stärksten scheint gewöhnlich das Gedächtnis ergriffen; für entlegenere Zeiten erhält sich dasselbe eher noch unversehrt, für die jüngste Vergangenheit ist es indes mehr oder weniger beeinträchtigt. — Auch die Fähigkeit zur raschen Kombination dürfte immer etwas geschädigt werden; bei begabten Kranken wird das nicht stets der optimistisch denkenden Umgebung klar, wohl aber dem ruhigen Beobachter, oft genug auch dem Betroffenen selbst. — Ebenso ist die Gemütsstimmung selten die alte geblieben; ein gewisser Grad von Erregbarkeit, sei es nach der Seite der Zornmütigkeit oder nach der der Weichmütigkeit läßt sich fast regelmäßig bemerken. — In den schwersten Fällen kommt es allmählich zum Schwachsinn oder gar zum Blödsinn. Eine Bestimmung des Sitzes der Blutung dürfte erst dann möglich sein, wenn nicht nur der Insult, sondern auch die von den Veränderungen in der Nachbarschaft abhängigen Störungen vorüber sind — man bezeichnet sechs Wochen als den kürzesten Zeitraum, der hier in Betracht kommt. — Es gelten dabei die für den Nachweis von Herderkrankungen überhaupt aufgestellten Regeln (§ 48). Über den Verlauf ist zu bemerken, daß der Tod im Anfalle selbst unmittelbar durch den Bluterguß, oder später infolge der entzündlichen Veränderungen, welche sich an diesen anreihen, eintreten kann. Auch Lungenerkrankung, am häufigsten v. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. II. Aufl.
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Krankheiten tíos Geliirns und seiner Häute.
eine Mischform von katarrhalischer und hypostatischer Pneumonie, kommt in Betracht. — Übersteht der Kranke den ersten Anfall, dann schwebt er immer noch in Gefahr, einer wiederholten Blutung zu erliegen. Darüber können freilich Jahre hingehen, allein wenn nicht ein anderweitiges Leiden dem Leben ein Ende macht, bleibt eine neue Apoplexie selten aus. — Die Prognose ist stets eine bedenkliche. — Die Diagnose ist auf den ausgesprochenen Insult mit folgender Hemiplegie zu gründen, indes lange nicht immer ohne weiteres möglich. Namentlich die Trennung der Hirnblutung von der Hirnembolie bietet oft nicht zu überwindende Schwierigkeiten. Die Behandlung hätte bei Disponierten zunächst prophylaktisch alles zu verhindern, was die Ernährungsstörung der Gefaßwand begünstigt — eine nicht eben häufig lösbare Aufgabe. Eher schon gelingt es die Gelegenheitsursachen der Blutung minder häufig zu machen und in ihrer Wirkung abzuschwächen — bei Leuten, die einmal einen Anfall überstanden haben, muß das die stete Sorge des behandelnden Arztes sein. Die für solche möglichst eingehend aufzustellenden Lebensregeln haben jähes Ansteigen des Blutdrucks thunlichst zu verhindern. Ist die Blutung eingetreten, dann muß der Kranke ruhig gehalten werden; Versuche, ihn durch Anrufen, oder durch Hautreize zum Bewußtsein zu bringen, sind zu unterlassen. Das Bett ist sorgfaltig herzurichten, jede Faltenbildung des Leintuches zu vermeiden, Verunreinigungen durch Harn oder Kot sind sofort zu beseitigen. Die Bedeckung des Kranken sei leicht, die Temperatur des Zimmers darf nicht zu hoch gehalten werden. Man hat darauf zu sehen, daß alles, was die Atmung beeinträchtigen könnte, fortgelassen wird. Bei gerötetem Gesicht und klopfenden Karotiden lege man einen Eisbeutel auf den Kopf. — Auf die Harnblase ist zu achten, für rechtzeitige Entleerung derselben bei der nicht seltenen Harnverhaltung muß Sorge getragen werden; ebenso ist länger dauernde Koprostase durth Klysmata — Rizinusöl, wenn nötig mit Zusatz einiger Tropfen Krotonöl, ist für diese am besten geeignet (R. Nr. 50) — zu beseitigen. Soll eine Aderlässe gemacht werden ? Hier gehen die Ansichten sehr weit auseinander. Einige der erfahrensten Ärzte, selbst solche, die in minder blutscheuer Zeit, als die heutige es ist, lebten, verwerfen die Venäsektion unbedingt. — Von anderen wird dieselbe befürwortet, weil nach ihr in kurzer Zeit Besinnlichkeit wiederkehre. Man stellt jetzt zumeist die Indikation wie folgt: Turgescierendes Gesicht, lebhaftes Pulsieren der Karotiden, kräftiger Herzstoß, verlangsamter, jedenfalls nicht beschleunigter Puls, der regelmäßig und von mindestens normaler Spannung ist, ruhige, schnarchende Atmung — wenn das bei einem von Haus aus kräftigem, nicht zu alten Menschen, der vom Schlage getroffen wurde, sich zeigt, dann soll man Blut lassen. — Die Ansicht, daß durch die Venäsektion der Blutdruck für eine irgend in Betracht kommende Zeit erheblicher herabgesetzt, dadurch die Fortdauer der Blutung verhindert, die Bedingungen für die Thrombenbildung in dem zerrissenen Gefäß oder für dessen Verschluß mittels des von außen wirkenden Drucks des ergossenen Blutes günstiger gestaltet werden könnten, entbehrt der Begründung. Denn vor so ausgiebigen Blutentziehungen, wie sie hierzu nötig wären, wird allseitig gewarnt. Es handelt sich daher nur um eine empirische Beurteilung. Zu vergessen ist nicht, daß die Blutentziehung bei Apoplektikern ein zweischneidiges Schwert ist; etwas zu viel kann den größten Schaden stiften, da möglicherweise die zum Leben notwendige Blutmenge nicht mehr zu den Centren gelangt. Will man nicht, was wohl das sicherste ist, den
Apoplexie.
Gehirnerweichung durch Thiombose und Embolie
Eingriff überhaupt unterlassen, dann gehe mau jedenfalls nicht über die Grenzen der üben angeführten Indikation hinaus. — Örtliche Blutentziehung am Kopfe wird jetzt allgemein verworfen. — Sogenannte Ableitungen" auf den Darm durch Abführmittel, auf die Haut durch Epispastica sind mindestens nutzlos. — Nicht selten tritt eine ganz andere Aufgabe an den Arzt heran: Wenn die das Hirn durchströmende Blutnienge zu gering wird, sinkt die Erregbarkeit der Medulla oblongata, damit lassen Herzarbeit und Atmung nach; die Folge ist, daß mit dem Absinken des arteriellen Drucks wiederum der Kreislauf im Gehirn erschwert wird, und diese rasch sich vollziehende Wechselwirkung führt zum baldigen tödlichen Ausgang (vgl. § 50). Blaßwerden des Gesichts, kleiner häufiger Puls, Aussetzen der Atmung, Kühlwerden der Körperoberfläche verrät, daß dieser sehr bedrohliche Zustand sich ausbildet. Nun sind Reizmittel am Platz, welche, die Herzthätigkeit steigernd, der Erlahmung der Centren entgegenwirken. Hat man rechtzeitig die Anfänge beobachten können, dann ist das geeignetste Mittel der Kampher (Oleum camphoratum 5 g subkutan, höchstens zweimal den Tag); muß man mit Minuten rechnen, dann ist Äther (1 bis 2 g) subkutan einzuverleiben. "Übrigens finden alle Reizmittel vom Moschus, der gerade hier günstig zu wirken scheint, bis zu den verschiedenen Weinsorten ihre Verwertung. — Von einigen wird nach der Vendsektion der Gebrauch von Reizmitteln empfohlen. Sobald bei nachlassender Herzund Lungenthätigkeit der venöse Kreislauf von stärker kohlensäurehaltigem Blute gefüllt und das rechte Herz dadurch gedehnt wird, könnte dies kombinierte Verfahren am Platze sein. Aber nur wenn die Zeit drängt und zum Abwarten der Wirkung der reizenden Methode allein nicht hinreicht, ist ein solches Vorgehen geboten. Man muß stets im Auge behalten, daß ausreichende Versorgung des Hirns mit arteriellem Blute die Hauptaufgabe der Behandlung bildet. — So sehr auch der Zustand des Apoplektischen zum Eingreifen aufzufordern scheint, so viel dessen Umgebung danach verlangt, ruhiges Abwarten hat sich besser bewährt, als rastlose Vielgeschäftigkeit. — Recht sorgfältige Krankenpflege ist, wenn das Schlimmste vorüber, für die nächste Woche die Hauptsache. — Gegen die zurückbleibenden Lahmungen ist die Anwendung der Elektrizität das beste Mittel. Man bedient sich zur direkten Behandlung des galvanischen Stromes — Leitung quer durch den Schädel, Ansatz der feuchten Elektroden an die hintere Schläfengegend, schwächere Ströme, kurze Sitzungen, vorsichtiges Ein- und Ausschleichen, Beginn etwa drei bis vier Wochen nach dem Anfall. Außer diesem die katalytischen Wirkungen des Stromes benutzenden Verfahren kommt auch Galvanisation des Sympathicus in Betracht. Die gelähmten Muskeln werden, um ihre Atrophie wegen Nichtgebrauchs zu verhüten, mittels des faradischen Stromes zur Zusammenziehung gebracht. Diese Methode scheint bisweilen von erheblichem Nutzen zu sein — leider nicht immer. — Indifferente Thermen — die Bäder dürfen nicht zu hoch temperiert werden — haben nur ausnahmsweise Erfolge.
§ 58.
Gehirnerweichung durch Thrombose und Embolie.
Etwas länger anhaltende Unterbrechung der Zufuhr arteriellen Blutes bewirkt den gewebliehen Zerfall des davon betroffenen Hirnteiles. Embolie und Thrombose geben zum Verschluß der Arterien die meiste Veranlassung, dann oblitterierende Arteriitis, wie sie am häufigsten infolge von Syphilis, aber auch bei jeder chronisch verlaufenden Entzündung vorkommen kann. Es ist das Atherom der Arterien 8*
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Kvanklieiton dos Gehirns und soiner Hüllte.
die Hauptquelle derEncephalomalacie, diese also bei allen jenen Zuständen, welche Atherombildung begünstigten, öfter anzutreffen; hierher gehören: höheres Lebensalter, alles was frühzeitig Abnutzung der Arterien bedingt, in erster Linie der Alkoholismus (s. auch § 149). Damit Gerinnung des Blutes innerhalb der Gefäße eintrete, muß die innere Gefäßhaut ihre Lebenseigenschaften ganz oder wenigstens teilweise eingebüßt haben. Das Atherom wie die obliterierende Arteriitis gehen mit Erhöhung der Widerstände für das die Gefäße durchströmende Blut einher; je enger das ursprüngliche Lumen des ergriffenen Gefäßes war, desto mehr nehmen nach dessen Erkrankung die Widerstände zu. Das innerhalb solcher verengten Arterien fließende Blut, dessen Geschwindigkeit abgenommen hat, findet daher Gelegenheit zum Gerinnen; ebenso tritt die Gerinnung an den Ausbuchtungen erweiterter Abschnitte ein, oder da, wo diese in kurzen Zwischenräumen mit verengten wechseln. Das Endothel der erkrankten Gefäße ist nun wohl niemals ganz unversehrt; dasselbe vermag daher freilich noch die Gerinnung in dem rasch strömenden, nicht aber in dem langsamer bewegten oder nahezu stagnierenden Blute zu hindern. Es ist nicht zu vergessen, daß in den der Vasa vasorum entbehrenden Gefäßen die Ernährung des Endothels von dem sie durchsetzenden Blute unmittelbar besorgt wird — wird daher dieses Blut ungenügend erneut, dann vermindert sich auch die Lebensenergie der Intima und damit zugleich ihre Fähigkeit, das Blut flüssig zu erhalten. — Durch verschiedene Ursachen kann das Blut selbst leichter gerinnbar werden, und manchmal kommt denn auch dieser Umstand für die Entstehung von Thrombosen mit in Rechnung. Ausgangspunkte für Gehimembolien finden sich im linken Herzen, im Gebiete der Arterien des großen Kreislaufes, endlich in den Lungenvenen. Es liefern das Material für die Hirnembolie: Endokarditis an den Mitralklappen wie an denen der Aorta, seltener solche der Herzwandung, ferner Atherom, namentlich das mit Bildung von Aneurysmen einher gehende, in der Aorta, der Karotis, der Basilaris, falls in diesen vorher Thromben sich ablagerten. —• In der Lunge sind es Pneumonieen der verschiedenen Formen, Gangrän, putride Bronchitis, sobald dieselben Gerinnung in den Lungenvenen hervorriefen. War der eingeschleppte Pfropf infiziert, dann kommt es zur Eiterbildung (§ 54). In manchen Fällen läßt sich ein Verschluß der zuführenden Arterien anatomisch nicht nachweisen; es handelt sich dann meist um oblitterierende Arteriitis. Man nimmt hier an, daß die Kapillaren allmählich ungenügende Blutmengen empfangen, und daß so die Erweichung der von ihnen versorgten Hirnteile auch ohne Thrombose unmittelbar eintreten könne, oder aber, daß in den Kapillaren Thrombose vorherging, weil die Wandungen derselben die Gerinnung des Blutes nicht zu hindern vermocht hätten. Die Arterien der Großhirngauglien haben jenseit des Circulus Willisii keine Anastomosen mehr, sie sind Endarterien — eine Verlegung der Strombahn in denselben führt daher unbedingt zum Untergang des von der Blutversorgung abgeschnittenen Hirnteiles — Die Arterien der Hirnrinde sind zwar keine Endarterien, allein auch ihre Verbindungen sind keine sehr ausgiebigen, sie genügen lange nicht immer zur Herstellung eines Kollateralkreislaufs. — Die linke Karotis wird öfter zum Sitz der Embolie als die rechte (5:4); unter den Verzweigungen der Karotis ist die Arteria fossae Sylvii am häufigsten ergriffen. Sehr selten ist das Gebiet der Vertebralis beteiligt.
Gehirnerweichung i lui uh Thrombose und Embolie
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Die Entwicklung des Erweichmigsherd.es scheint sich ziemlich schnell zu vollziehen, in ihren Anfängen ist dieselbe etwa 36—48 Stunden nach dem Verschluß des betroffenen Arterienzweiges nachweisbar. Je nachdem diapedesische Blutung eingetreten war oder nicht, findet man den nekrotischen Abschnitt einfach weiß, gelblich oder rot gefärbt, seine Konsistenz ist vermindert, er enthält zerfallene und entartete Ganglienzellen und Nervenfasern, bald auch verändertes Gliagewebe. Nach Ablauf einiger Zeit zeigt sich Fett in größeren und kleineren Kügelchen, frei und in Körnchenzellen eingeschlossen, noch etwas später ist eine milchig trübe Flüssigkeit vorhanden, die dann nach Resorption der Zerfallsprodukte wieder klarer wird. Eine mit ihr gefüllte Cyste bleibt fast immer zurück, die bei kleineren Herden von einer gewucherten und verdichteten Schicht des Gliagewebes umgeben sein kann. Nicht so bei größeren Erweichungsherden; diese werden in der Regel von einem Ring krankhaft veränderten Gewebes umschlossen, welcher jahrelang fortschreitenden Zerfall zeigt und dadurch sich weiter auszudehnen vermag. Vorboten kommen der Gefäßverschließung als solcher nicht zu. Wohl aber giebt der Zustand, welcher derselben meistens vorhergeht, Gelegenheit zum Auftreten von leichteren Hirnstörungen, die als Warnungszeichen eine gewisse Bedeutung haben: sie weisen auf ungenügenden Kreislauf im Gehirn, vielleicht auf geringfügige im übrigen symptomlos bleibende Gefäßverlegungen hin. Hierher gehören Kopfweh, Schwindelempfindungen, Verminderung der geistigen Leistungsfähigkeit, Erscheinungen, über die manchmal lange vor der Katastrophe geklagt w i r d . — D i e Einschwemmung
eines
Embolus
oder die vollkommene
Verschließimg
einer Arterie durch den Thrombus ist in der großen Mehrzahl der Fälle von einem
Insult begleitet und macht die gleichen Symptome, wie sie bei der Hirnhämorrhagie auftreten: TTemijilegie mit allen Eigentümlichkeiten der cerebralen findet sich hier wie dort. — Ein Krampfanfall, der einem echt epileptischen vollkommen gleicht, kann mit der Bewußtlosigkeit zusammen auftreten, andere Male gehen derselben nur Zuckungen in einem der später gelähmten Glieder, oder in der ganzen Körperhälfte voraus. Wie hier der Insult zustande kommt, ist unklar; man muß sich mit der allgemeinen Annahme begnügen, daß es sich um molekulare Änderungen im Gehirn handele. Meist ist der Insult nicht so heftig, das Koma minder tief und von etwas geringerer Dauer wie bei der Blutung. — Die Entstehung der Krämpfe wird auf Anämie zurückgeführt, man ist geneigt eine solche vorzugsweise in der Hirnrinde anzunehmen.
Die Lähmung verhält sich genau so wie die nach Hämorrhagien. Verhältnismäßig oft sieht man Aphasie, was auf die relative Bevorzugung der linken Arteria fossae Sylvii bezogen wird. — Temperatursteigerungen in den ersten Tagen kommen vor, es soll dagegen die anfängliche Senkung der Körperwärme fehlen. — Der Verlauf unterscheidet sich nach keiner Seite wesentlich von dem nach Apoplexie. Der vernichtete Teil wird zum Ausfallsherd mit allen Erscheinungen eines solchen. Vielleicht vorhandene quantitative Abweichungen in dem Krankheitsbilde genügen zur Stellung einer Differentialdiagnose nicht; diese ist denn auch meist nicht sicher zu begründen. Mit Recht wird namentlich darauf hingewiesen, daß allgemeines Atherom keinen Anhaltspunkt bietet; ebenso gut können sich dabei Thromben irgendwo bilden, welche die Quelle von Embolien abgeben, als auch Arterien im Gehirn durch dasselbe brüchig werden können. Ist bei jugendlichen Kranken ein Fehler an den Klappen des linken Herzabschnittes oder eine frische Endokarditis vorhanden, oder stellt sich eine halbseitige Lähmung
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Krankheiten îles Oehiins und seiner Häute.
nach einer der oben genannten Lungenerkrankungen ein, dann wird man mit größerer Wahrscheinlichkeit an Embolie denken können. — Die Prognose quo ad vitam ist wohl etwas günstiger als bei Hiimorrhagie — aber die Möglichkeit einer Wiederholung liegt bei der Embolie noch näher, so daß das Endergebnis ungefähr auf das gleiche herauskommt. Eine Ausnahme nach dieser Seite machen nur die Embolien nach mehr akut verlaufenden Lungenerkranklingen, mit deren Beendigung die Gefahr einer Hirnembolie gleichfalls zu Ende ist. ITirncrweiclmng im höheren Lebensalter nimmt sehr oft den Ausgang in Blödsinn, giebt also auch nach dieser Seite eine sehr schlechte Prognose. Die Therapie hat im ganzen nach den für die Hirnhämorrhagie entwickelten Grundsätzen zu verfahren; die Herstellung einer ausreichenden Blutversorgung des Gehirns ist die Hauptaufgabe in der Zeit nach dem Anfall — Venäsektion wird hier meist schon wegen des hohen Lebensalters der Ergriffenen noch weniger in Frage kommen. § 59.
Sinusthrombose.
T h r o m b o s e d e r v e n ö s e n S i n u s d e s G e h i r n s tritt als marantische oder als entzündliche auf. Die ersten findet sich am häufigsten bei kachektischeu, durch heftige und anhaltende Durchfälle geschwächten Kindern und hat ihren Sitz meist im Sinus longitudinalis superior. — Durch Übergreifen entzündlicher Vorgänge aus der Nachbarschaft (eiterige Zerstörungen des Felsenbeines, schwere Furunkel im Gesicht, Erysipelas am Kopfe) entsteht die zweite Form. — Qanz ausnahmsweise vermag eine Thrombose von der Cava superior aus sich in die Sinus fortzupflanzen. — Ist der Thrombus infiziert, dann kommt es zur Eiterung in seiner Umgebung, es entsteht septische Encephalomeningit.is neben der durch den Venenverschluß herbeigeführten Störung des Blutlaufes. — Thrombosen verraten sich durch die Behinderung des venösen Abflusses. So findet man bei der Verlegung des Sinus longitudinalis superior, welcher mit der Nasenhöhle und den oberen Scheitelvenen in Verbindung stellt, Nasenbluten, umschriebene Cyanose im Gesicht, stärkere Füllung der vom Scheitel nach abwärts zu den Ohren und der Schläfe verlaufenden Venen. Bei Verschluß des Sinus transversus tritt umschriebenes Odem hinter dem Ohre auf (Kommunikation mit einer Vene des Processus mastoideus; bei dem des Sinus cavernosus sind Augenlider und Konjunktiva ödematös, der Bulbus ist vorgetrieben, der Augenhintergrund zeigt venöse Stase (Verbindung mit der Vena centralis retinae und Vena ophthalmica); außerdem sind Erscheinungen von den benachbarten Nerven: Oculomotorius, Trochlearis, Abducens und dem ersten A s t des Quintus vorhanden. Ist die Jugularis interna oberhalb der Einmündung der externa verschlossen, dann strömt aus dieser das Blut in den nun nur von ihr allein gespeisten gemeinschaftlichen Stamm leichter ab — sie erscheint deshalb der externa der gesunden Seite gegenüber kollabiert. — A l l e hierher gehörigen Erscheinungen gestörten Hirnlebens — es kann sich nur um Zeichen unbestimmter Allgemeinerkrankung handeln — sind durch das Grundleiden stets so verdeckt, daß sie für die Diagnose nicht verwendbar werden. Die Prognose ist ebenso schlecht, wie die Therapie machtlos.
Sinusthiombose. Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.
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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage. § 60.
Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage. Allgemeines.
Eine Anzahl von Erkrank ungen des Nervensystems, für welche anatomische, Grundlagen bisher nicht gefunden sind, wird passend zu einer Gruppe vereinigt. Ätiologisch ist ein nahezu allen Gemeinsames vorhanden: die Erblichkeit. Man muß annehmen, daß besondere Eigentümlichkeiten, welche auf feiner Änderung im Bau der Nervenelemente beruhen, sich aber nur als Abweichung der Funktion kundgeben, durch Zeugung übertragen werden. Die Vererbung zeigt sich in mannigfaltiger Weise. Hervorzuheben ist, daß, ebenso wie den Eltern selbst anhaftende, auch Eigenschaften früherer Generationen mitgeteilt werden können, welche bei den Eltern nicht erkennbar vorhanden zu sein brauchen. Weiter ist darauf hinzuweisen, daß die hereditär erworbene „neuropathische Konstitution" in wechselnder Form unter den Gliedern einer Familie auftritt. Von leichtesten Abweichungen auf körperlichem oder geistigem Gebiete dehnt sich das unheilvolle Vermächtnis bis zu den schwersten Nervenleiden und Psychosen hin. — Die neuropathische Konstitution bedarf einer etwas allgemeineren Erwähnung, namentlich auch deshalb, weil sie in gewissem Sinne ein selbständiges Übel darstellt. Große Empfänglichkeit des Nervensystems für äußere Reize findet man bei derselben häufig. Sinneseindrücke, Gefühle, die bei den meisten Menschen spurlos vorübergehen, machen Auslösungen, welche in keinem angemessenen Verhältnis zu der Stärke des Erregers stehen. Am grellsten tritt das bei den sogenannten Idiosynkrasien hervor. Hier kann ein höchst unbedeutender Reiz länger dauernde, über das Gebiet einfach funktioneller Störung hinausreichende Ernährungsänderangen, sogar echte Entzündung bewirken. Es giebt Menschen, denen z. B. in kleinster Menge genossene Zwiebeln Magendarmkatarrh verursachen, andere, welchen der Duft des Flieders mit Fieber verbundene Hautentzündung bringt. Diese Beispiele lassen sich häufen. W a s so grobsinnlicher Wahrnehmung sich aufdrängt, spielt sich, nur häufig schwerer erkennbar, gleichfalls auf dem Gebiete des Nervenlebens im Hirn- und Rückenmark ab. — Als Mittelpunkt, den sensible Reize jeder Art passieren, um Funktions- oder Ernährungsstörungen auszulösen, kann man in der Mehrzahl die vasomotorischen Centren ansehen, von denen aus die örtliche Blutverteilung geregelt wird. So sind ungezwungen eine Reihe von Erscheinungen zu deuten, welche bei Neuropathischen häufig auftreten: der jähe Farbenwechsel, die Neigung zu Ohnmächten, die plötzliche Steigerung der Absonderung von Schweiß und Harn, letztere unter Umständen mit Inkontinenz verbunden, das blitzschnell wachsende Atmungsbedürfnis mit Erhöhung der Pulsfrequenz, auch wohl mit Unregelmäßigkeit im Herzschlag — von schwereren Zufällen die visceralen Neuralgien, unter welchen Magen- und Darmkrampf die häufigsten sind. — Es darf nicht befremden, daß bei längerer Dauer solcher abnormer Blutverteilung eine Störung der Ernährung sich anreiht, welche besonders durch Einwirkung anderweitiger, an sich vielleicht wiederum geringfügiger Schädlichkeiten bis zu anatomisch nachweisbarer Gewebsstörung gedeihen kann. — Die bleibenden Folgen dieser Veranlagung des Nervensystems für geistiges und körperliches Leistungsvermögen sind im wesentlichen
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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.
von den Einflüssen bedingt, welche durch Übung errungene Gewöhnung hat. Bis zu einem gewissen Grade ist davon auch die Auslösungsstärke der Reize abhängig. Wer dauernd seine Aufmerksamkeit auf die von diesem oder jenem Nervengebiet ausgehende Erregung lenkt, kommt bald zu einer fast unbegreiflich scheinenden Feinfühligkeit: die Übung hat hier die Leitungswiderstände der Nervenbahnen zu sehr geringen Werten herabgedriiekt. Wer hingegen darauf aus war, Willenshemmungen einzuschieben, kann sich unangenehmen Empfindungen zum großen Teil entziehen. Als ein normaler Sphäre entnommenes Beispiel diene der Musiker, dessen Ohr durch leiseste Dissonanz so verletzt wird, daß er, „unwillkürlich" dem Sünder mit Hand und Fuß Einhalt gebietet, und andererseits der Gelehrte, welcher trotz Großstadtlärm und Kindergeschrei seine Gedanken weiterspinnt. — Übung, wie sie durch fremde oder eigene Erziehung erworben wird, kann den reizbarsten Menschen zur vollen Leistungsfähigkeit fuhren, sie kann ihn ebenso zu einer für das Leben nutzlosen Null machen. Es ist sicher nicht richtig, wenn man, wie das öfter geschah, mit dem Begriff der gesteigerten Reizbarkeit den der Schwäche, als etwas unumgänglich Notwendiges verbindend, geradezu von „reizbarer Schwache" sprach und als deren Eigentümlichkeit Unstätheit und Zerfahrenheit nannte. Gewiß ist bei den Nervösen auch hierfür eine gewisse Neigung vorhanden, das aber ist alles. Im Gegensatz zu der genannten Auffassung: Die sich beherrschenden willensstarken Nervösen leisten auf den mannigfaltigsten Gebieten das Höchste, was Menschen gewährt ist. — Eine Gefahr bleibt freilich — die, daß durch Überanstrengung, sei es ein Zuviel auf körperlichem Gebiet, von geistigem Schaffen oder gemütlicher Erregung, Erschöpfung eintritt, welche, zeitweilig die Willenshemmung erschwerend, der ursprünglichen Anlage weiten Raum zur Entwicklung giebt. Man sieht oft genug, wie ein bis dahin allen Forderungen des Lebens vollauf Genügender durch Übermüdung für kurz oder lang Spielball seiner Nerven wird: sogar torpidere Naturen können auf diese Weise leidend werden, man redet daher mit gutem Hecht von erworbener Nervosität neben der angeborenen. — Diese Thatsachen waren jedem erfahrenen Arzte auch damals bekannt, als noch nicht der jetzt modegewordene Name „Neurasthenie" mit übertriebensten Schilderungen der Krankheitserscheinungen von Amerika aus zu Markt gebracht war. Es ist nicht wohl möglich, ein gedrängtes Bild von dem zu geben, was mit dem Aufhören der Willenshemmung bei neuropathischer Konstitution sich zeigt. Man braucht nur darauf hinzuweisen, daß jedes dem Einfluß der Nerven zugängliche Gebiet schwer ergriffen im Vordergrund stehen kann, um einzusehen, daß die allergrößte Vielgestaltigkeit obwalten muß. Zweifellos können Symptome vorhanden sein, welche nahezu mit den durch anatomische Veränderungen bedingten sich decken — man wird daher nicht selten mit der Diagnose zurückhalten und den Verlauf abwarten müssen. Dem kundigen Arzte giebt sich doch meist bald ein Anhaltspunkt, welcher ihn auf den richtigen W e g führt. Genaue Anamnese und genaue Untersuchung sind nie zu unterlassen. — Bemerkenswert ist das eigenartige Verhalten der Körperwarme bei höheren Graden des Leidens. Dieselbe schwankt innerhalb weiterer Grenzen als in der Norm — in kurzer Zeit können Erhebungen auf 39 Senkungen bis 36 0 einander folgen, gleichzeitig Fluxionen zum Hirn und zur Haut subjektiv Fieber vortäuschen. Solches darf indes nur dann angenommen werden, wenn wirklich das Tagesmittel von 37,2 in recto überschritten ist; mitunter bedarf es daher öfterer 2stdgr. Messungen, um diese
Allgemeines
Migräne und verwandte Formen des Kopfwehs.
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That,Sachen festzustellen. — Die Prognose ist immer eine individuelle und hat besonders mit der Frage zu rechnen, ob, wenigstens für eine Zeit, günstigste Bedingungen der Lebensführung herzustellen sind. — Die Behandlung hat daran festzuhalten, daß sie neben körperlicher Kräftigung geradezu erziehliche Aufgaben ins A u g e fassen muß — dieselben sind bereits vorstehend angedeutet, in bestimmter Weise selbstverständlich aber nur für den Einzelfall zu formulieren. — § 61.
Migräne und verwandte Formen des Kopfwehs.
K o p f s e h m e r z in eigentümlicher Form ist bei der neuropathischen Disposition häufig. Die Praxis verlangt hier mehr Ausdehnung in die Breite, als sie das herkömmliche Schema, welches zu sehr der e c h t e n H e m i k r a n i e Raum giebt, gewährt. Immerhin kann man das vollentwickelte Leiden voranstellen. — Unter Hemikranie (Migräne) versteht man anfallsweise auftretende, nur eine Kopfhälf'te einnehmende, meist durch Erbrechen eingeleitete oder davon begleitete, auf ihrer Höhe mit vollkommener körperlicher und geistiger Leistungsunfähigkeit einhergehende Schmerzanfälle, welche, durch mehr oder minder lange Zwischenräume getrennt, jahrelang sich wiederholen. — Ätiologisch ist bekannt: Das weibliche Geschlecht ist stärker ausgesetzt; das bevorzugte Alter reicht vom Eintritt der Geschlechtsfähigkeit bis zu deren Erlöschen, nur ausnahmsweise zeigt sich das Übel schon im Kindesalter. — Der eigentlicha Anfall wird durch sehr verschiedene, für den einzelnen aber ziemlich gleichbleibende Veranlassungen hervorgerufen. So werden Qelegenheitsursachen: die sich vorbereitende Menstruation, Gemütsaufregung, angestrengtere Arbeit jeder Art, Diätsünden, keineswegs häufig in einem Zuviel bestehend, meist etwas nur individuell nicht Erlaubtes betreffend, die Unmöglichkeit, nach dem Mittagessen eine kurze Ruhe zu genießen u. s. w. A u c h Idiosynkrasien machen sich öfter geltend. — Der Anfall kann urplötzlich einsetzen — indes ist das nicht die Regel. Häufiger sind Vorboten: allgemeines Unbehagen, Unruhe, N e i g u n g zum Gähnen, Blässe oder eigentümliche, das Gesicht mißfarbig erscheinen lassende Blutverteilung in demselben, Übelkeit, allmählich zu krampfhaftem Erbrechen sich steigernd, oder unverändert bis zum Ende des Anfalls andauernd. Zunächst unbestimmte Empfindungen an der betreffenden Seite des Kopfes, in wechselnder Zeit bis zu heftigem, stechendem, drückendem, jede Willensthätigkeit nahezu vernichtendem Schmerz ansteigend, welcher nur bei unbedingter Ruhe halbwegs erträglich erscheint. Schlaf ist bis zum Erlöschen des Anfalls versagt. In den schweren Fällen ist jeder Sinneseindruck qualvoll, fast alle Sinne sind abnorm erregbar: Gesicht und Gehör mehr noch als Geschmack und Geruch. W o h l als Irradiation zu deutende Erregung sensibler Nerven, Parästhesie und dergleichen ist nicht selten. E s kann zu allgemeinen Krämpfen kommen. — Die Dauer des Anfalls beträgt von einigen Stunden bis zu einem Tage; es können Gruppen von Anfällen auftreten, welche durch nur kurze und unvollkommene Pausen getrennt sind. Außer Erbrechen zeigt manchmal vermehrte Absonderung von Schweiß, Speichel, Harn das Aufhören an. Große Abgeschlagenheit folgt immer. — Man trennt zwei Formen: 1. Halbseitiger tonischer Krampf der Kopfgefäße, erklärlich durch andauernde Erregung der zu ihnen führenden, vom Sympathicus stammenden Nerven — Hemikrania angiospastica. Außere Zeichen dafür sind: halbseitige Blässe.
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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische (irundlape.
Eingesunkensein und Külte den Gesichts mit objektiv um einen halben Grad verminderter Temperatur des äußeren Gehörgangs. Die Temporalarterie dieser Seite hart, die Pupille erweitert, mitunter vermehrte Absonderung eines zähen Speichels. Gegen das Ende tritt Rötung des Gesichts und der Konjunctiva mit vermehrter Thränenabsonderung ein. — 2. Halbseitige Erweiterung der Kopfgefäße, Lähmung der zuführenden Sympathicusäste — Ilemikrania ctitr/io-parah/lica — verrät sich durch halbseitig stärkere Rötung, Schwellung, Hitze, Zunahme der Temperatur des äußeren Gehörgangs, erweiterte Temporaiis, verengte Pupille. Bei dem Ende des Anfalls läßt die Hyperämie nach. Wenig konstant ist Pulsbeschleunigung bei der ersten, Pulsverlangsamung bei der zweiten Form. — Übrigens ist zu bemerken, daß reine Typen nur ausnahmsweise vorkommen; sogar während eines Anfalls kann diese in jene Form übergehen. Neben der Hemikranie in ihrer vollen Ausprägung finden sich mehr glcichmäßiij verlaufende, nicht in Anfällen auftretende Formen. — Sie verraten ihre Verwandtschaft durch deutliche vasomotorische Erscheinungen, dann dadurch, daß sie mit vereinzelten Anfällen wahrer Migräne abwechseln. Auch hier trifft man große Vielgestaltigkeit an: Trotz langen Schlafes das Gefühl des Nichtausgeruhtseins am Morgen verbunden mit der Empfindung eines tief gelegenen Druckes oder einer Spannung im Kopfe, die Augen gerötet, kleiner erscheinend, die Züge abgespannt. Vormittags wirklicher Schmerz, als klopfend bezeichnet, nicht genauer lokalisiert, nur in die Tiefe verlegt und über den ganzen Kopf verbreitet; häufiger Blässe als Rötung des Gesichts, bisweilen Erbrechen nach vorhergehender Übelkeit. Kann im Laufe des Tages zu Mittag gegessen und etwas geschlafen werden, dann verliert sich gegen Abend gewöhnlich alles. Oft hält der Zustand in wechselnder Stärke wochen- und monatelang an — das im Arbeitsleben des mit dem Kopfe Thätigen Häufigste. Die geistige Schaffenskraft ist dabei fast immer beeinträchtigt, die Gedankenfolge verlangsamt, von Unlustgefühlen begleitet. Nicht selten ist auch die körperliche Leistungsfähigkeit vermindert, übrigens mehr subjektiv, weil die Willensimpulse schwächer sind. Zweifel an dem Arbeitsvermögen, damit trübe, verdüsterte Gemütsstimmung gesellen sich leicht hinzu. Irgend eine geringfügige körperliche Störung fesselt die Aufmerksamkeit; der Ausgangspunkt für schwere Hypochondrie ist so gewonnen. — Mit vielfachen Varianten kehren die Grundzüge dieses Bildes bei ererbter oder durch Uberanstrengung erworbener Nervosität wieder; namentlich in unseren so hohe Forderungen an den einzelnen stellenden Zeiten. — Die Diagnose muß besonders wirkliche Erkrankung des Hirns und solche des Magens berücksichtigen; bei beiden kommt ähnliches vor. Die Prognose hat die neuropathische hereditäre Anlage, ebenso aber auch die Möglichkeit, günstige Außenbedingungen, genügende Erholungszeit zu schaffen, in Rechnung zu stellen. — Beseitigung etwaiger Schädlichkeiten in der Lebensweise ist die erste Aufgabe der Therapie. Man muß, auf jede Kleinigkeit eingehend, ein möglichst vollständiges Bild des alltäglichen Thuns und Treibens seines Kranken zu gewinnen suchen. Danach ist mit besonderer Berücksichtigung der Magen-Darmthätigkeit eine den gegebenen Ernährungsverhältnissen angepaßte Diät, eine Teilung zwischen Ruhe und Arbeit anzuordnen, wobei nicht zu geringes Gewicht auf die pedantische Einhaltung der Zeit zulegen ist. Gleichzeitig vorhandene anderweitige Erkrankung stellt ihre eignen nicht zu vernachlässigenden Forderungen. — Bei Frauen ist auf
Migräne und verwandte Formen de-- Kopfwelis B.iscdow'sche Krankheit.
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die Menstruation zu achten. — Die Darreichung von Arzneimitteln hat ohne diese Vorbedingungen beschränkten Wert; nur bei echter Migräne ist überhaupt wesentliches davon zu erwarten. Es handelt sich um ein Doppeltes: 1. die Häufigkeit und Schwere der Anfälle zu mindern, muß zunächst versucht werden. Dazu gehört lang fortgesetzter Gebrauch der betreffenden Medikamente. Abgesehen von dem bei etwa vorhandener Chlorose zu gebenden Einen kommt eigentlich nur Atnypin und Arsoi in Betracht. Beide sind empirische Mittel, bestimmte Indikationen kaum aufzustellen. Höchstens darf man sagen, daß bei ausgeprägter Anämie der erste Versuch mit Arsen, bei deutlichen vasomotorischen Erscheinungen dagegen mit Atropin zu machen ist. Arsen wird in Tagesmengen von 0,005 g, Atropin in solchen von 0,001g mindestens einen Monat lang gegeben; — tritt Besserung ein, dann ist das betreffende Mittel lange, durch Jahre, fort zu gebrauchen. Erhöhung der Gabe ist gewöhnlich ohne großen Nutzen, es kommt mehr auf die Dauer der Einverleibung an. — 2. Behandlung des ausgebrochenen Anfalls. Bettruhe und Fernhalten aller Erregungen der Sinne ist hier das Notwendigste; ob Kälte oder Wärme, Drücken, Binden des Kopfes oder vollkommene Entlastung desselben ihnen frommt, haben die Kranken meist rasch selbst herausgefunden. — Ist der Schmerz gar zu arg, dann mag eine Morphimninjeldion von 0,015—0,02 g gemacht werden; übrigens sei man damit bis aufs äußerste zurückhaltend. — Manchen nützt Sah'cylscinre (l—2 g), anderen Coffein (mit 0,1 anfangen, bis zu 1 g und höher steigen), noch anderen Bromnatrium (erste Gabe 3 g, dann mit Pausen von 1 , Stunden 1 g, bis höchstens 10 g verbraucht sind). Neuerdings wird Antipgrin und Antifebrin ( ' 2 — 1 g) sehr gelobt. — Alle diese Mittel werden bei den ersten Anzeichen des nahenden Anfalls genommen, keines ist sicher; — Bettruhe bleibt auch bei individuell erprobter Wirksamkeit eines derselben unbedingt erforderlich. •— Das die Gefäße erweiternde Amylnitvit wurde bei der Hemikrania sympatico-tonica zu einigen Tropfen eingeatmet, das sie verengernde Ergotin bei der angioparalytischen Form versucht und selbst außerhalb der Anfalle anhaltend gegeben (0,6 bis 0,9 g täglich in Pillenform). In einer Reihe von Fällen hat die Galvanisation des Halssympathicus entschiedenen Nutzen gebracht. — Die rudimentären Formen sind hin und wieder durch Wasserkuren und elektrische Behandlung zu beseitigen — immer bleibt bei ihnen Regelung der Lebensweise die Hauptsache. § 62.
Basedow'sche Krankheit.
Die B a s e d o w ' s c l i e K r a n k h e i t zeigt in völlentwickelten Fällen doppelseitigen Exophthalmus, Anschwellung der Schilddrüse und Beschleunigung der Herzthatiglieit. In weniger ausgeprägten kann eines oder das andere fehlen, vielleicht nur angedeutet sein. — Meist wird das weibliche Geschlecht zur Zeit der Gebärfähigkeit ergriffen; indessen sind auch Männer keineswegs frei (etwa eins zu zwei wird gerechnet), sie erkranken gleichfalls erst um die Zeit der Pubertät. Vorher ist bei beiden Geschlechtern das Leiden äußerst selten, ebenso jenseit des 50. Jahres. — Hereditäre neuropathische Konstitution spielt entschieden mit, dagegen ist es zweifelhaft, ob die sehr oft vorhandene Änderung in der Blutmischung — Chlorose oder Anämie überhaupt — unter die begünstigenden Gelegenheitsursachen gezählt oder als Folgeerscheinung aufzufassen ist. — Neuerdings hat man, nach dem Erfolg des therapeutischen Eingreifens zu urteilen, mit Recht auch eine Hyperplasie des Schwellgewebes der Nasenmuscheln als eine veranlassende
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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.
Ursache der Krankheit kennen gelernt. — Plötzliche Entstehung des Leidens soll nach starken geistigen oder gemütlichen Aufregungen, seltener noch nach schweren körperlichen Anstrengungen und nach Kopfverletzungen vorkommen. Es dürfte sich häufiger nicht um eine wirklich neue Erkrankung, sondern nur um die rasch eintretende Verschlimmerung einer vorher unbeachtet gebliebenen leichteren gehandelt haben. — Möglicherweise sind auch die Beobachtungen über das Auftreten des Morbus Basedowii nach akuten Infektionskrankheiten in der gleichen Weise zu deuten. — Bei der anatomischen Untersuchung hat man vorzugsweise den Sympathicus berücksichtigt; man fand aber an ihm entweder gar nichts oder keinesfalls etwas, das genügend wäre, um die Krankheitserscheinungen verständlich zu machen. — Reichliche Fettbildung in dem Hintergrunde der Augenhöhle, bisweilen Atherom der Arteria ophthalmica; die Schilddrüsse hypertrophisch; ihre Gefäße stark erweitert, bald mehr die Arterien, bald mehr die Venen — das sind weitere rein sekundäre Befunde. Bei der gewöhnlichen langsamen Entstehung der Basedow'schen Krankheit zeigt sich zuerst Herzklopfen mit Zunahme der Pulsfrequenz, dann Struma, zuletzt Exophthalmus. Damit ist aber nichts anderes gesagt, als daß die Symptome in dieser Reihenfolge sich merkbar gemacht haben und subjektiv lästig geworden sind. — Das Herzklopfen ist öfter mit unangenehmen Empfindungen in der Herzgegend und im Kopfe verbunden; Rauschen und Singen, welches das Einschlafen erschwert, wird nicht selten geklagt. Die Pulsfrequenz kann bis zum Unzählbaren hinaufgehen, sie ist, solange das Leiden besteht, immer über die Norm gesteigert. Hypertrophien und Dilatationen des Herzens kommen vor. Ebenso Erweiterung und Schlängelung, vielleicht auch wirkliches Atherom der Arterien, besonders derer am Kopf, kaum je aber der Karotidenstämme. — Die Struma macht an sich selten erhebliche Beschwerden, wenn rechtzeitig die Halskragen entsprechend weit gewählt werden; auf sich achtende Leute bemerken durch die notwendig gewordene höhere Nummer häufig zuerst, daß ihr Hals dicker geworden ist. — Der Exophthalmus kann sehr bedeutend werden: wirkliche Glotzaugen, die sich so stark aus der Orbita hervordrängen, daß man fast fürchtet, sie fielen heraus. Das Gesicht gewinnt dann einen ganz eigentümlichen Ausdruck, der durch die perlmutterglänzende Färbung der weit vorliegenden Sklera, die mangelhafte Lidverschiebung und Beweglichkeit des Augapfels etwas maskenähnlich Starres bekommt. Das Sehvermögen ist meist ungeschwächt, die Pupillen zeigen keinerlei konstante Veränderungen, dagegen kann es zur Entzündung der Konjunktiva und der Cornea kommen, welch letztere1 in schlimmen Fällen zur Vernichtung des Bulbus führt — das soll öfter bei Männern, als bei Frauen geschehen. Wenn auch nicht geradezu pathognomonisch, ist doch eine Erscheinung sehr konstant und findet sich sogar bei geringeren Graden des Leidens: das obere Augenlid folgt nicht, oder edenfalls nur unvollkommen, dem Bulbus, wenn derselbe die Visierebene verlegend sich nach oben oder unten hebt oder senkt. (Gräfe'sches Symptom.) Bisweilen trifft man noch neben diesen Hauptsymptomen: Erhöhung der Körperwärme ohne sonstige Erscheinungen von Fieber — bis zu 38,8° in axilla. Vermehrte Schweißsekretion, auch wohl auf eine Seite beschränkt. Ernährungsstörungen der Haut: Verdickungen und Entfärbungen. — Nervöse Beschwerden aller Art können mit der Krankheit verbunden sein, indes gleichfalls vollkommen fehlen. Die Ernährung kann ganz normal sein — aber auch bis zur Entwicklung
Iiasodow'solio Krankheit. Hysterio.
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ausgesprochener Kachexie herabsinken. — Daß der Sympathicus vorwiegend bei dem Zustandekommen der Erscheinungen beteiligt ist, dürfte keinem Zweifel unterworfen sein; allein über das Genauere sind wir derzeit noch vollkommen im Dunkeln; eine Theorie der Krankheit ist daher unmöglich. Die Diagnose ist leicht, wenn die Hauptzeichen vom Herzen, von den Augen und von der Schilddrüse beisammen sind, — die genaue Untersuchung deckt gewöhnlich wenigstens Andeutungen der scheinbar fehlenden auf. Das Gräfe'sehe Symptom ist besonders zu beachten. — Verwechslungen sind am ehesten möglich, wenn eine von der Schilddrüse ausgehende oder in deren Nähe gelegene Geschwulst den Halssympathicus in Mitleidenschaft zieht. Der Verlauf ist meist kein gleichmäßiger, Verschlimmerungen wechseln mit Besserungen ab. Gewöhnlich wird von den Kranken der Zustand des Herzens als Maßstab genommen, wohl der richtige, obgleich damit nicht gesagt sein soll, daß mit Nachlaß der Herzpalpitationen auch ohne weiteres Kropf und Glotzaugen zurückgehen müßten. Fast immer handelt es sich um ein chronisches, Jahre dauerndes Leiden. Der Tod kann ganz plötzlich eintreten, er kann durch Herzinsuffizienz oder im Marasmus erfolgen — das letztere ist weitaus das häufigere. — Die Prognose ist im allgemeinen keine günstige. Die Therapie hat wie bei allen allgemeinen Neurosen auf eine gute Ernährung großes Gewicht zu legen und die Lebensweise zu regeln; bei Frauen sind die Genitalfunktionen um so beachtenswerther, als einigemale Schwangerschaft Heilung des Leidens brachte. — Eisen und Arsenik haben bei vorhandener Anämie ihre symptomatische Indikation. Jodpräparate sind nicht von Vorteil, sie beseitigen ebensowenig die Struma, wie die Digitalis die Herzpalpitationen. — Am meisten wirklichen Erfolg hat die lange fortgesetzte Anwendung des konstanten Stromes, der nach verschiedenen Methoden Verwertung findet: Galvanisation des Halssympathicus, der Medulla oblongata und des oberen Teiles vom Halsmark — nicht zu starke Ströme von zwei bis fünf Minuten Dauer, Kathode, am besten zweigeteilt, so daß beide Seiten gleichzeitig hineingezogen werden, über den Halsganglien, Anode auf den Nacken. — Man gebe die Behandlung nicht zu früh auf und beginne mit derselben aufs neue, sobald sich Recidive zeigen. § 63.
Hysterie.
Bei der H y s t e r i e findet sich abnorme Reaktion des Gesamtnervensystems
neben
schwachen Willenshemmungen. — Gröbere Ergebnisse ätiologischer Untersuchung sind: Das weibliche Geschlecht ist in weitaus höherem Maße disponiert; man schätzt die Erkrankungen der Männer nur auf 5 % der Gesamtzahl. Am häufigsten entwickelt sich Hysterie vom Beginn der Pubertät bis zum Ende der dreißiger Jahre, ausnahmsweise auch schon in den Kinderjahren. Erbliche Belastung ist deutlich ausgesprochen; da hysterische Mütter meist schlechte Erzieherinnen sind und durch ihr eigenes Verhalten kein gutes Beispiel geben, wird das Urteil darüber, ob nicht nur Nachahmung vorliegt, sehr erschwert. — Mangelhafte Ausbildung des Willens — das Fehlen von Selbstzucht und Selbstbeherrschung — ist mehr als Ermüdung, die den ausgebildeten Willen zeitweilig lähmt, Hauptbedingung für die Entstehung der Hysterie. Gegen sie treten die körperlichen Störungen zurück, ebenso gemütliche Erregungen. Es ist gewiß, daßnach allen den Körperschwächenden Einwirkungen die ILysterie sich zeigen kann — man nennt mit RechtErkrankung
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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.
des Blutes in erster Linie: allein ein gut geschulter Wille wird auch damit fertig. Ebenso mit jenen Empfindungen, welche von den nicht ganz gesunden Geschlechtswerkzeugen übermittelt werden. Lageabweichungen des Uterus, Reizung, vielleicht Entzündung der Ovarien ist sehr oft bei Hysterischen, noch öfter aber bei Nichthysterischen anzutreffen. Man ging viel zu weit, wenn man auf die Geschlechtswerkzeuge als eigentliche Ursache zurückwollte. Immerhin sind dieselben von hervorragender Bedeutung Es bleibt schlimm genug, daß die einfache Meldung: „das Organ ist da", wie sie von vollkommen gesunden Körperteilen niemals übermittelt wird, gerade von hier aus dem Gehirn zugeht — gar leicht reihen sich Vorstellungen an. Bei Unverheirateten wird das durch Erziehung niedergezwungene Bedürfnis wach, vielleicht dessen unnatürliche malilose Befriedigung herbeigeführt, bei verheirateten Unfruchtbaren kommen Skrupel über verfehlten Ehe- und Lebenszweck. So entstehen mittelbar weitausstrahlende Kreise des Fühlens und Denkens, welche nicht gerade zur Stärkung des Willens beitragen. — Auch unmittelbar kann gleiches geschehen: schlechte die Phantasie verderbende Lektüre u. s w. vermag vom Hirn aus geschlechtliche Erregung wachzurufen. Männliche Hysterie in jüngeren Jahren entsteht oft so; auch für die der späteren kommen manchmal sehr versteckte geschlechtliche Abnormitäten wesentlich in Betracht.
Anatomische Veränderungen, welche der Hysterie eigentümlich wären, kennen wir nicht. Die Entwicklung der Krankheit vollzieht sich stets langsam und allmählich. Plötzliche, durch Einwirkung einer greifbaren Ursache entstandene Ausbrüche erscheinen bei genauer Nachforschung immer als wohl vorbereitet. — Ein Kranklieitsbild der Hysterie ist kaum zu entwerfen — aber es gelingt, die häufigst beobachteten Einzelerscheinungen gedrängt zusammenzufassen. — Vorauszustellen ist das psychische Verhalten. Großer Wechsel der Stimmungen, erklärlich aus den rasch kommenden und gehenden nicht nachhaltigen Erregungen und als Launenhaftigkeit sich äußernd, findet sich bei allen Hysterischen. Da viele ihnen Unlustgefühle verursachende Reize von der gesunden Umgebung nicht gespürt, die Empfindungen der Kranken daher nicht als berechtigte anerkannt, jedenfalls unterschätzt werden, bildet sich bald die Neigung, durch verstärkte Reaktion nach außen die Uberzeugung von der Schwere der erlittenen Schädigung auch den anderen beizubringen — so steigern sich die Hysterischen und übertreiben gewohnheitsgemäß; etwas sehr Gewöhnliches wenigstens für einen Teil des Krankheitsverlaufs. Reicht selbst die blühendste Schilderung der erduldeten Leiden nicht mehr aus, dann muß der Augenschein helfen. Oft genügt halb bewußtes, halb unbewußtes Sichgehenlassen, um durch Unterbrechung der Willenshemmung sensible Reizung in motorische zu übertragen, Krämpfe entstehen zu lassen. Später werden dieselben geradezu absichtlich erzeugt. Das Ganze hat große Ähnlichkeit mit den bei verzogenen Kindern zu machenden Wahrnehmungen. Ist einmal die Schranke durchbrochen, welche bewußtes Handeln von instinktivem trennt, hat die Selbstzucht aufgehört, dann ist meist eine Grenze für die Entwicklung in das Maßlose nicht mehr gesteckt. Jetzt werden die raffiniertesten Täuschungen versucht, kein Mittel, auch das ekelhafteste, mit viel Schmerz verbundene, sittlich verwerflichste wird gescheut, wenn es gilt, Aufsehen zu erregen, die vermeintlich gebührende Beachtung zu finden. — Die Entwicklung kann aber auch nach der anderen Seite hin erfolgen. Ähnlich wie bei Hypnotischen gerät bei Hysterischen durch Ausschaltung gewisser Hirnteile der Körper in einen Zustand, der bei mehr oder minder vollständiger Aufhebung des Bewußtseins ihn zum Automaten macht, ihn zum Spielball äußerer Erregung durch die Sinne, oder innerer von der Psyche ausgehender, aber nicht zur klaren Perception gelangender werden läßt.
Hysterie.
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Die Krämpfe Hysterischer treten meist in der Form von Anfällen auf. Gewöhnlich ist das Bewußtsein soweit erhalten, daß mit den einleitenden Erscheinungen — nicht zu unterdrückendem Gähnen, Singultus, Ructus, oder Auragleichenden Empfindungen — die Notwendigkeit sich aufdrängt, körperliche Schädigung bei ausgebrochenem Anfall y.u vermeiden: die Hysterische sucht und findet einen passenden Ort. Im Anfall sieht man tonische und klonische Krämpfe, vielleicht über alle Muskeln verbreitet. Puls und Atmung brauchen nicht beschleunigt zu sein, meist sind sie es; zeitweiliges Aussetzen der Atmung darf nicht erschrecken. — Die Dauer des Einzelanfalls beträgt einige Minuten; von den zu Gruppen vereinigten können Stunden ausgefüllt sein. Kataleptische Zustände beenden den Anfall häufiger, als sie ihn einleiten. — Man nimmt an, daß zwischendurch cchte epileptische Krämpfe bei Hysterischen auftreten können: Hystero-Epilepsie. — Es soll dabei vorübergehend ein gleicher Zustand des Gehirns, wie er zur Auslösung des epileptischen Anfalls erforderlich, sich ausbilden. Thatsache ist, daß Formunterschiede zwischen epileptischen und hysterischen Krämpfen ausnahmsweise nicht zu finden sind. — Die Chorea magna (Germanorum) gehört gleichfalls hierher. Neben den tollsten Verrenkungen des Körpers findet man bei deren Paroxysmen: Wahrsagen, Reden in fremden Zungen, langdauernde Erstarrung, fast den Anschein des Todes bietend — für den kundigen Arzt ein ebenso dankbares Objekt des auf sicherer Diagnose ruhenden heilenden Eingreifens, wie für den Aberglauben der Masse und für die, welche sich desselben zu bestimmten Zwecken bedienen. — Unter den Krämpfen einzelner Muskelgruppen kann die der Glottisschließer (Spasmus glottidisj vielleicht tödlich werden. Der Globus hystericus — die Empfindung, als ob eine Kugel ab- oder aufsteigend den Schlund durchlaufe — wird, wohl mit Recht-, auf langsame Zusammenziehung der Muskeln dieser Teile zurückgeführt. Bei weiterer Ausdehnung — der Uterus scheine sieh in den Hals efnporzuheben, wird gesagt — mag die glatte Muskelfaser im Unterleib in krampfhafte Kontraktion geraten. Heftigere Visceralneuralgien (§ 7) — Uterin-, Blasen-, Magen-, Darmkrampf u. s. w. — sind keineswegs selten. Das damit einhergehende Erbrechen kann, wenn es längere Zeit sich wiederholt, ernstere Störungen der Ernährung, vielleicht sogar den Tod herbeiführen. Lähmungen glatter und quergestreifter Muskeln finden sich in allen möglichen Formen, von denen einzelner Gruppen bis zur halb- und ganzseitigen; es wäre eine Kombination schwer denkbar, die nicht schon dagewesen. Hervorzuheben ist: Lähmung der Stimmbänder (Aphonie), der Muskulatur des Rachens und der Speiseröhre (Dysphagie, bis zur Unfähigkeit des Schlingens sich steigernd), der Darmmuskulatur (Meteorismus), der Schließmuskeln der Blase, selten des Mastdarms. — Auftreibung des Unterleibs entsteht übrigens oft nur durch willkürlich oder unbewußt verschluckte Luft, welche mit ziemlichem Getöse entleert werden kann; ihre Geruchlosigkeit ist für den Ursprung bezeichnend. — Anomalien der Sekretion: Vermehrung der Absonderung von Thränen, Speichel, Harn, Schweiß sind nicht selten; auch das Vaginalsekret und, unabhängig von physiologischer Nötigung, die Milch kann länger reichlich ergossen werden. — Das Verhalten der Gefuße ist nach Aussagen glaubwürdiger Ärzte in seltenen Fällen ein höchst eigentümliches. Blutbeimischung zu den Thränen und zum Schweiß zeigt sich noch am ehesten; es sollen aber auch Ergüsse von Blut unter die Haut, aus dem Magen, dem Darm, den Lungen vorkommen. Hierher würden die Wundmale der besonders Begnadigten gehören, wobei es immerhin
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fraglich bleibt, ob solche nicht ein wenig Nachilfe erfordern. — Man nimmt an, daß ein Teil der genannten Blutungen für die ausgebliebenen Menses vikariiere; allgemein wenigstens dürfte diese Meinung kaum zutreffen. Störungen der Sinnesempfindungen: Hyper- oder Anästhesie fehlen in keinem irgend ausgesprochenen Falle. Alle höheren Sinne sind meist ungewöhnlich erregbar, echte Idiosynkrasien trifft man sehr gewöhnlich. Die peripheren Nerven sind nicht in dem Grade beteiligt; indessen ist bald dieser, bald jener Punkt der Oberfläche dauernder oder nur sehr vorübergehend schmerzhaft, so daß auf geringfügige Veranlassung hin neuralgieartige Anfälle entstehen können. Durch vielseitige Irradiationen haben dieselben etwas Eigenartiges. — Zu bemerken sind noch: Empfindlichkeit der Wirbelsäule gegen Druck, oft mit Irradiationen im Gesamtgebiet der Rückenmarksnerven (sogenannte Spinalirritation § 28), ferner die selteneren Neuralgien der Gelenke, welche eine Entzündung derselben vorzutäuschen vermögen (§ 8.) — Hochgradigste Anästhesie findet sich zweifellos am ehesten an den Nerven der Haut und der Schleimhäute, bisweilen am Opticus, nicht eben häufig Un den übrigen Sinnesnerven. Man sei mit der Annahme dieser Störung zurückhaltender und vergesse nicht, daß Hysterische unter Umständen sehr heftige Schmerzen ohne sich zu verraten ertragen. — An verschiedenen Orten kann gleichzeitige Hyper- und Anästhesie vorhanden sein, am nämlichen eine auf die andere folgen. — Der Verlauf der Krankheit ist immer ein langwieriger und Wechsel voller; vollständige Heilung kommt vor, aber nicht häufig. — Meist bedroht die Hysterie nicht geradezu das Leben; allein der Tod kann durch sie herbeigeführt werden: Glottiskrampf, hystero-epileptische Anfälle, Manie, Marasmus sind dessen unmittelbare Veranlassung geworden. — Dauernde Lähmungen, welche jahrzehntelang die Kranken an das Bett fesselten, können allmählich anatomische, bleibende Veränderungen hervorrufen, sei es durch sekundäre Kontrakturen der Muskeln, sei es durch Ernährungsstörungen im Gebiete des Nervensystems, die von der Peripherie zum Centrum aufsteigen. Ebenso findet sich Geistesstörung unter den Ausgängen der Krankheit. Delirien, welche aus den Vorstellungskreisen des Individuums ihren Inhalt schöpfen, übrigens häufig religiöser Natur sind, können bei nicht zu öfter Wiederholung noch die Psyche unversehrt lassen. Allein neben ihnen zeigen sich nach Aussage der Irrenärzte Melancholie, eine am meisten der Folie raisonnante entsprechende Form, endlich primäre Verrücktheit; diese eigentlichen Psychosen treten meist um die Zeit des Klimakteriums auf, sie haben eine schlechte Prognose. — So leicht in den gewöhnlichen Fällen die Diagnose ist, so schwer kann sie bei verwickelten Krankheitserscheinungen, namentlich bei den vom Nervensystem ausgehenden werden. Schulregeln sind kaum zu geben. Auch der erfahrenste und unterrichtetste Arzt wird wieder und wieder, trotz aller Ermüdung durch das ewige Klagelied, untersuchen müssen, wenn er sicher gehen und nicht eine hinzugetretene schwerere Erkrankung übersehen will. — Die Behandlung hat zunächst sich mit etwaigen allgemeinen, oder örtlichen, wirklich nachweisbaren Störungen zu beschäftigen. Besondere Beachtung verlangen die Genitalien — aber gerade hier ist darauf zu halten, daß nicht zu viel geschieht. Man sollte sich, wenigstens bei Unverheirateten, zuerst die Frage vorlegen, ob der ganze Apparat einer Untersuchung von nöten, dann nicht jede kleine Lage-
Hysterie
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Veränderung, geringfügige Geschwüre, vielleicht nur einfache Epithelverluste, unbedeutende Leukorrhoe zum Gegenstand spezialistischen Thatendurstes machen. Erfahrene Frauenärzte warnen mit vollem Recht vor dem in einigen Kreisen herrschenden Brauch, welcher die Revision des Uterus mit Zubehör ungefähr auf die gleiche Stufe mit der der Zähne setzt. W e r auf dem Gebiete der Gynäkologie nicht ganz heimisch, thäte besser, Beurteilung und Behandlung der Genitalanomalien Hysterischer dem nelerfahrevcn Facbmanne zu überlassen — es wird sicher mehr durch Übereifer als durch Unterlassung gesündigt. — Daß mitunter etwas, ausnahmsweise alles durch die Beseitigung eines krankhaften Zustandes der Geschlechtsorgane erreicht werden kann, soll dabei gern zugestanden werden; allein selten führt dieser W e g allein zum Ziel. Den Brennpunkt bildet die geistige Einwirkung des Arztes auf die Kranken, oder, um es richtiger zu sagen, die erziehliche Thätigkeit desselben. Hier ist in der Wahl der Mittel der breiteste Spielraum gewährt: von der Ohrfeige, die einem verzogenen Kinde mit einem Male seine zum hysterischen Anfalle emporgeschwollenen Launen austreibt, bis zu der monate- und jahrelang nicht ermüdenden Sorgfalt, die jede Regung der Leidenden studiert, um, ganz sich in deren Empfindungen versetzend, erst Sandkörner, allgemach Blöcke fortzuräumen. Verständnis für fremdes Fühlen, eiserne Konsequenz gegen seine Patienten wie gegen sich selbst, Erfassen des rechten Augenblickes, um weiterzukommen, sei es durch nachgebende Milde, sei es durch unerbittlichen Zwang — das muß von dem Arzte verlangt werden, welcher in schweren Fällen Meister bleiben will. Weder der brutale Grobian, noch der nur mitleidende Gefühlsmensch gehört an das Krankenbett Hysterischer. — Wer als Arzt etwas auf sich hält, muß hier noch eher als sonst zurücktreten, sobald er merkt, daß er das Vertrauen seiner Kranken verloren hat. — Die nicht ganz zu entbehrende ar;.,neiliche Behandlung beschränke man soweit irgend thunlich. Wer an die Medizinflasche glaubt, dem kann dieselbe von psychischem Nutzen sein; es wäre unfruchtbares Prinzipienreiten, wenn man durch Nichtverordnen einer indifferenten, aber für Geruch, Geschmack, Gesicht imponierenden Mischung sich seines Einflusses begeben wollte. Für Arzte, die sich selbst achten, braucht man das „sunt certi deniqve fines" nicht erst zu betonen. Spezifische Mittel giebt es nicht: Asa foetida, Valeriana, Castoreum kann man guten Gewissens zum alten Eisen thun. — Elektrische und Wasserbehandlung finden vielfältige, immer der Eigenart des Falles anzupassende Verwendung. — So verlockend die Opiate, namentlich das subkutan einverleibte Morphium erscheinen, man vermeide dieselben soweit irgend thunlich. Keinesfalls darf man davon anhaltenderen Gebrauch machen — es ist ein mehr als zweifelhafter Gewinn Morphiumsucht für Hysterie einzutauschen. — Stärker wirkende Mittel sind unter allen Umständen anfangs sehr vorsichtig zu dosieren; Idiosynkrasien zeigen sich häufiger. Hat man sich überzeugt, daß solche nicht vorhanden, dann muß man oft die üblichen Gaben steigern, da das Nervensystem der Hysterischen meist träger reagiert. Es ist vorzüglich auf die bekannten physiologischen Wirkungen zu achten (Erweiterung der Pupille nach Atropin u. s. w.)' bleiben dieselben aus, dann gehe man unverzüglich dreister vor. —
V. J u r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther
II. Aufl.
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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.
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§ 64.
Katalepsie.
Die K a t a l e p s i e ist durch abnorme Erregungszustände, welche sich an den willkürlichen Muskeln kundgeben, ausgezeichnet. Sie tritt in Anfällen auf. Während derselben verharren die Muskeln in tonischer Kontraktion, die, vom Willen nicht beeinflußt, länger als gewöhnlich dem Einfluß der Schwere widerstrebend, Ermüdungserscheinungen nur in beschränktem Maße hervortreten läßt. Dagegen sind die Glieder durch jede von außen auf sie einwirkende, etwas stärkere Kraft in beliebige selbst sehr gezwungene Stellungen zu bringen, welche nun wiederum f e s t g e h a l t e n w e r d e n — Flexibilitas
cerea. — Katalepsie
ist mehr Symptom,
als selb-
ständige Erkrankung. Sie findet sich am häufigsten neben Hysterie, dann aber auch bei schweren Hirnstörungen — Meningoencephalitis ist besonders zu nennen — und bei verschiedenen Formen der Psychosen. Ein Zusammenhang mit hypnotischen Zuständen ist unverkennbar. — Der Anfall kann durch stärkere äußere Einwirkung — heftiges Erbrechen z. B. — hervorgerufen werden. Gesellt sich Katalepsie aber zu schwereren Hirnleiden, dann trifft man einen nicht auf äußere Veranlassung rücktührbaren Wechsel mit der Nonn im Laufe von Stunden oder Tagen. — Während der Dauer des kataleptischen Zustandes ist das Bewußtsein vielleicht aufgehoben, jedenfalls getrübt; die Erinnerung an den Anfall ist später geschwunden. Während desselben ist ein erheblicher Grad von Empfindungslosigkeit fast stets da; die Reflexerregbarkeit und die elektrische der starren Muskeln verhalten sich verschieden — Schlüsse aus deren Verhalten dürfen nicht gezogen werden. Die automatischen Funktionen sind öfter gestört, Herz- und Atmungsthätigkeit ist verlangsamt, gar bis zu dem Grade, daß der Tod vorgetäuscht werden kann. Das um so eher, als auch, wenigstens peripher, die Temperatur sinkt. Möglich ist eine derartige Verwechslung nur bei den tagelang anhaltenden Anfallen; gewöhnlich dauern dieselben nur Bruchteile von Stunden. Die Diagnose hat kaum Schwierigkeiten. Es könnte sich nur um Simulation handeln, die allerdings bisweilen mit ebensoviel Schlauheit wie Ausdauer durchgeführt wird. Um richtig zu urteilen, darf man nicht vergessen, daß in den echten Anfällen auf die Dauer ein gewisser Grad von Einwirkung der Schwere sich zeigt, daß ferner nicht immer die Höhe der Erscheinungen, eine wirkliche Flexibilitas cerea erreicht wird. — J'rognose und Verlauf sind wie die Behandlung vom Grundleiden bedingt. Um den Anfall abzukürzen, sind Sinnesreize der verschiedensten Art am geeignetsten. Eine Prise Schnupftabak nützt manchmal mehr als alles Andere. — Verwechslungen mit wirklichem Tode bei lang ausgezogenen Anfallen können, sobald man das Verhalten der Muskeln gegen starke elektrische Reizung, die Wärme der inneren Teile — Rectum, Vagina — in Betracht zieht, nicht vorkommen. Vielleicht ist freilich eine etwas längere Zeit für die Beobachtung erforderlich. § 65.
Hypochondrie.
H y p o c h o n d r i e steht hart auf der Grenze zwischen den Neurosen und den Geisteskrankheiten im engeren Sinne. Definiert wird sie als ,.jene Forin der traurigen
Verstimmung,
wiegend
auf
in welcher die Aufmerksamkeit
die Zustände
des eigenen Korpers
des Kranken,
oder Geistes
anhaltend
geriehtet
ist''
oder vor(Jolly).
—
Sind wirkliche pathologische Veränderungen an dem als erkrankt empfundenen
Katalepsie. Hypochondrie.
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Orte vorhanden, dann redet man von einer ..Hypochondria cum materia ', fehlen sie, von einer „Hypochondria sine iiutlrrin". — Ätiologisch ist anzuführen: Das 20te bis 40te Lebensjahr ist besonders ausgesetzt, Kinder und Greise werden weniger leicht ergriffen. Männer leiden mehr als Frauen. — Klima und Jahreszeit haben manchmal einen sehr ausgesprochenen Einfluß, allein keineswegs in allen Fällen. — Hypochondrie kommt unter den besser Gestellten häufiger vor; begünstigend wirkt die im Sitzen mit anhaltender Geistesthätigkeit zu vollbringende Arbeit. — Erbliche Belastung ist oft nachweisbar; in hohem Grade schadet eine Erziehung, welche Verweichlichung und Wehleidigkeit begünstigte. — Den Ausbruch der Krankheit können herbeiführen: Gemütserschütterung, geistige Ermüdung, eingehendere Beschäftigung mit Krankheitszuständen, seien es schwerere Epidemien, der Verkehr mit Leidenden oder — und das heutzutage leider sehr oft — die Lektüre sogenannter populär-medicinischer Schriften. — Unter den pathologischen Störungen, welche bei der Iiypocho>tdria cum materia vorhanden, sind in erster Linie solche der Unterleibsorgane zu nennen. Es genügen funktionelle Störungen. Das gleiche gilt in verstärktem Grade von der nächsthäufigen Klasse — geschlechtliche Anomalien, mehr geträumte als wirkliche, werden durch die Schandlitteratur der gewissenlosesten Geldmacherei für viele Menschen so gesteigert, daß sie jahrelang deren Sinnen und Denken in Anspruch nehmen. — Weitaus weniger häufig kommen in Betracht: Ernährungsstörung durch Blutverluste, akute Krankheiten, übermäßiger Gebrauch der Genußmittel, des Kaffees und Thees, mehr noch des Tabaks. — Es versteht sich, daß jedes Organleiden mit Hypochondrie verbunden sein kann. Die Leichenöffnung giebt dann über dieses Auskunft, läßt aber das Wesen der Hypochondrie vollständig im Dunkeln. Die Entwicklung der Hypochondrie erscheint so am ehesten verständlich. Gegeben ist die Grundstimmung: Zustände des eigenen Körpers oder Geistes werden in trübem Lichte angesehen; mit derselben ist anhaltende Aufmerksamkeit auf die von den einzelnen Organen ausgehenden Sensationen verknüpft. Durch Übung bildet sich nun der vorher (§ 6U) besprochene Zustand aus, bestimmte Nervenbahnen werden in so hohem Grade leitungsfähig, daß schon eine schwache Erregung starke Auslösungen hervorruft. Mit Recht wird gerade für die Hypochondrie Gewicht darauf gelegt, daß insofern ein Circulus vitiosus gegeben ist, als schwache periphere Reize starke Wirkung auf die abnorm empfindenden Centren ausüben, daß aber diese von sich aus durch Vorstellungen wieder periphere Nerven erregen, so daß der herüber und hinüber fliegende Reiz immer aufs neue Steigerung der Erregbarkeit und der Erregung wachruft. Dadurch muß sich die krankhafte Gemütsstimmung verschlimmern. Am bestimmtesten findet man wohl bei Geschlechtshypochondern dieses Schema wieder: eine erotische Vorstellung, peripher oder central entstanden, steigert sich in kurzer Zeit manchmal so, daß Pollutionen eintreten, darauf folgt dann tiefste Verstimmung. —
Da ein jedes Nervengebiet in den Zustand von Überreizung geraten kann und nach allen Seiten Irradiationen möglich sind, ist, sobald man die gemeinschaftliche Grundlage außer Augen läßt, das Krankheitsbild ein überaus wechselndes; wird diese gewürdigt, dann bleibt ein sehr bestimmtes. — Die psychischen Erscheinungen finden durch traurige Stimmung, Angstempfindungen, größere Reizbarkeit ihren Ausdruck. In den schweren Fällen dreht sich für den Kranken so ausschließlich alles um sein eigenes Ich, daß er für nichts Anderes Sinn hat; es ist in ihm der grobe Egoismus in unverhüllter Form zur Herrschaft gelangt. — 9*
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Die Intelligenz kann dadurch vermindert erscheinen, daß dem in sich vertieften Hypochonder ein für das Verständnis fremden Denkens oder Fühlens ausreichendes geistiges Zusammenfassen nicht möglich ist. Dabei bleibt es oft. Sobald aber dem Kranken natürliche Erklärungen seiner Leiden nicht mehr genügen, sondern Vorstellungen von überirdischen Einflüssen (Verhextsein u. s. w.) oder unmöglichen irdischen (Magnetisiertsein u. s. w.) sich zum Verfolgungswahn verdichtet haben, ist hypochondrische Verrücktheit eingetreten. — Als Symptome der Hypochondrie, die bisweilen zu beobachten sind, werden von den Psychiatern noch angeführt: 1. Scheu der Kranken vor Berührung von Gegenständen oder Personen, durch welche sie angesteckt zu werden fürchten. 2. Griibelsucht: eine unwiderstehliche Neigung nach dem Grund irgend eines Dinges zu fragen. Dabei handelt es sich keineswegs immer um wirkliche Probleme; häufiger kommt zur Erwägung, warum Mensch mit M anfange, ein beliebiger Tisch rund und nicht eckig sei? u. s. w.
Sensibilitätsstörungen, die stets zugegen sind, bilden den Ausgang für die Klagen der Hypochonder. Eigengelühle aller inneren Organe sind oft bis zur peinvollsten Deutlichkeit vorhanden, sie können sich auch bis zu wirklichen Schmerzanfällen steigern. Anästhesie ist seltener und meist räumlich sehr beschränkt. — Bewegungsstörungen: Die häufigen fibrillären Zuckungen in einzelnen Muskeln können zum Krampf derselben anwachsen. Eigentümlich sind Krämpfe der Schlund-, in schweren Fällen auch der Atmungsmuskeln, welche durch die Vorstellung, daß Wutgift einverleibt sei, wachgerufen wurden; so ist unter dem Zutritt allgemeiner Konvulsionen schon der Tod erfolgt. Das ist übrigens nicht oft beobachtet. — Anfälle von Schwache zeigen sich bisweilen. Mit ihnen bringt man die Platxfurcht in Verbindung, welche nicht nur bei Hypochondern vorkommt. Man versteht darunter die plötzlich auftretende, mit Angstgefühlen einhergehende Unmög« lichkeit, eine gewohnte, an sich ganz unbedeutende Leistung auszuführen. So wird — eine der häufigsten Erscheinungsformen — das Uberschreiten einßs freien Baumes durch Schwindelempfindungen, die mit Druck in der Herzgegend, Herzklopfen, Erblassen einhergehen, und denen sich das Gefühl unbedingter Schwäche bei drohender Vernichtung zugesellt, zur unlösbaren Aufgabe. Meist genügt die geringste, an sich unzulängliche fremde Hilfe, ja schon der Gedanke, dal] sie jeden Augenblick zu haben wäre, um sofort alles zu beseitigen. — Der sehr leicht sich wiederholende Zustand ist schwer heilbar. —
Weiter ist der Impotenz zu gedenken, welche psychisch entstanden ist (§ 255), durch fruchtlose Versuche vermehrt, durch einen gelungenen Coitus aber meist dauernd zum Schwinden gebracht wird. — Eigentliche Lähmungen (Para- und Hemiplegien oder Mischformen) sind äußerst selten. — Die glatten Muskeln werden öfter ergriffen. Magen- und Darmträgheit, Hartleibigkeit ist für den Alltagshypochonder der Mittelpunkt seiner Klagen. Störungen der Blutverteilung finden sich dabei häufig, namentlich kalte Hände und Füße. — Es zeigen sich Unregelmäßigkeiten der Gefäßinnervation, streckenweise Erweiterungen und Verengerungen der Arterien, und damit wohl in unmittelbarer Verbindung stehende Sekretionsveränderungen bei allen Hypochondern. Die auf sonstige Veranlassungen nicht zurückzuführenden Schwellungen und Sekretionsanomalien der verschiedenen Schleimhäute finden so eine ausreichende Erklärung, desgleichen die sonderbaren Launen der Magen- und Darmverdauung mit ihren manchmal recht seltsamen Produkten. Akuter Anfang der Hypochondrie ist gewöhnlich auf eine bestimmte Veranlassung zurückzuführen; diese Fälle verlaufen meist rasch und günstig. Allmähliche Entwicklung und chronischer Verlauf bilden die Regel. Dann ist wirkliche
Hypochondrie.
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Heilung selten. Freilich können freiere Zeiten sich einschieben, eine Besserung kann sogar Genesung vortäuschen. Allein gar leicht reiht sich derselben aufs neue Verschlimmerung an, welche die Scheinhrilnng aufdeckt. Für die mit Genesung; endenden Erkrankungen wird eine Dauer von höchstens drei Jahren zur Bedingung gemacht. Der Tod als unmittelbare Folge der Hypochondrie ist nicht häufig (Selbstmord, Marasmus durch schwere Störung der Ernährung), aber es ist nicht zu leugnen, daß eine Verminderung der allgemeinen Widerstandsfähigkeit öfter vorkommt, welche die Entstehung und Entwicklung anderweitiger Krankheiten, besonders der Infektionen begünstigt. — Hereditäre Belastung, Erkranken schon in den Kinderjahren, ebenso ein jenseit der 40ger Jahre beginnendes, sind prognostisch ungünstig. Hypochondrische Verrücktheit wird als unheilbar bezeichnet. — Die Diagnose der hypochondrischen Verstimmung ist leicht. Dagegen bedarf es in vielen Fällen der fortgesetzten genauen Untersuchung, um Sicherheit zu erlangen, ob ein materieller Grund vorliegt. Die Unzuverlässigkeit der Aussagen des Kranken verlangt, daß einzig objektiven Ergebnissen die Entscheidung anheimgegeben werde. Von den Irrenärzten wird mit Nachdruck auf die Möglichkeit der Verwechslung mit beginnender Dementia paralytica hingewiesen; für diese sprechen besonders einzelne Lähmungserscheinungen, welche in der Erschwerung der Aussprache gewisser Konsonanten, wie R, K, L, B, P, zu Tage treten. — Übergänge zur Hysterie undMischformen beider Zustände sind häufig.—
Die B e h a n d l u n g der Hypochondrie muß zunächst auf die Wegräumung etwaiger Schädlichkeiten gerichtet sein. — Störungen der Darmthätigkeit bieten oft das erste Angriffsziel; man halte sich bei diesen, wie bei allen körperlichen Störungen der Hypochonder an die allgemein gültigen Regeln der Therapie, achte aber darauf, daß Idiosynkrasien vorkommen, deren Erkennung durch die tibermäßigen subjektiven Empfindungen der Kranken erschwert ist. — Psychische Beeinflussung kann nicht entbehrt werden. Nur der Arzt wird solche auszuüben vermögen, welcher bei dem ihm vertrauenden Hypochonder die Uberzeugung festhält, daß er seinem Zustand volle Beachtung; zu teil werden läßt. Man darf oder muß sogar den Leidenden über die manqchide objektive Grundlage seiner Empfindungen unterrichten, sollte aber deren subjektive Bealitat niemals in Abrede stellen. — Regelung der Lebensweise durch passenden Wechsel zwischen Arbeit und Erholung, richtig gewählte Diät auch der geistigen, womöglich Ablenkung auf bestimmte für den einzelnen sorgfältig auszuwählende Gebiete — das sind die Hauptaufgaben. —• Bei der schon früh sich verratenden Anlage zur Hypochondrie sollte dem Arzte ein entscheidendes Wort in Erziehungsfrngen und bei der Wahl des Berufs eingeräumt werden; denn hier ist wirkliche Prophylaxis für das ganze Leben noch möglich. — Man scheue sich nicht vor dem Gebrauch der zu bestimmten Zwecken erforderlichen Arzneimittel, hüte sich aber vor Vielgeschäftigkeit und häufigem Wechsel, welcher meist gern gesehen wird. Möglichst bestimmte Vorschriften, die dem Kranken
keine Veranlassung
zum
Ziceifet und, zur
Selbstthätigkeit
geben,
sind
sehr am Platze — man wird damit folgsamere Patienten gewinnen. Aber moralische Entrüstung bleibe fern, wenn man einen Hypochonder trotz aller angewandten Mühe und Sorgsamkeit zu einem Kollegen abfallen oder irgend einem Schwindel huldigen sieht. — Elektrische nnd namentlich gut geleitete Wasserbehandlung können große Erfolge haben. — Stellen sich deutliche Erscheinungen hypochondrischer Geistesstörung ein, dann ist die Frage nach der Überführung des Kranken in die Anstalt nicht zu spät in Erwägung zu ziehen. —
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§ 66. Eklampsie. Nicht habituell werdende, durch das Auftreten von tonischen und klonischen Krämpfen in allen oder einigen Muskelgruppen neben gleichzeitigem Schwinden des Bewußtseins gekennzeichnete An fidle nennt man E k l a m p s i e . Das Bedürfnis der Praxis rechtfertigt gesonderte Besprechung des aus sehr verschiedenen Ursachen hervorgehenden Symptomenkomplexes — eine eigentliche Krankheit ist die Eklampsie
nicht.
Das Kindesalter prädisponiert bis gegen das fünfte Jahr, besonders stark wird das erste heimgesucht. Die sicher vorhandene hereditäre Belastung tritt vor diesem Einfluß zurück. Die Bevorzugung des Kindes dürfte darauf beruhen, daß die Hemmungen der Reflexmechanismen, sich erst allmählich entwickelnd, anfangs nur schwach ausgebildet sind — obgleich auch die Erregbarkeit der Nerven geringer ist als später, überwiegt dennoch der erstgenannte Faktor. — Es ist neuerdings eine nach den Ursachen der Entstehung geordnete zweckmäßige Einteilung gemacht worden, welche von vornherein jene Formen ausscheiden läßt, die als Symptome wohl gekannter Krankheiten oder als Folgeerscheinungen anderweitiger, in gewissem Sinne einheitlicher pathologischer Zustände auftreten. So trennt man: 1. Eklampsia haematogencs. Durch Vermittelung des Blutes, einerlei, ob in diesem entstanden oder nur mit demselben fortgeführt, gelangen Reize zum Hirn. — Die im Kindesalter häufige, später seltenere Erscheinung, daß mit dem plötzlichen Einsetzen einer fieberhaften Erkrankung zusammen Eklampsie auftritt, wäre zuerst zu erwähnen. Rasches Ansteigen der Körperwärme um 3—4 Grade genügt, daneben ist die unmittelbare Einwirkung der eine Infektionskrankheit erzeugenden Schädlichkeit nicht ausgeschlossen. Beides zusammen kommt häufiger vor, als eines für sich allein. — Eigentliche Vergiftung wäre demnächst zu nennen. Für jüngere Kinder kommen Opium und Alkohol in Betracht, welche von gewissenlosen Pflegern zum Einschläfern derselben gebraucht werden. Es sind dann noch die zufälligen Einverleibungen von Tollkirschen, Stechapfelsamen, Schierling anzuführen. — Weiter gehört hierher die Eklampsie, welche bei Nierenerkrankung, bei Diabetes, nach starken Blutverlusten und nach Wasserentziehung (Cholera u. s. w.) sich zeigt. 2. Eklampsia reflectoria entsteht durch Einwirkung von Reizen, welche sensible Nerven treffen. — Es ist in der Deutung des Einzelfalles mit großer Vorsicht zu verfahren. Sowenig in Abrede gestellt werden kann, daß bei Kindern unter Umständen Zahnentwicklung und Zahndurchbruch oder im Darm sich bewegende Spulwürmer einen ausreichenden Reiz auf das Nervensystem zu üben vermögen, so bestimmt muß das für die Mehrzahl der Fälle verneint werden. Öfter noch geben stärkere Anhäufung von Kot im Darm und zahlreiche Oxyuren dazu Veranlassung. Ebenso Fremdkörper in Nase und Gehörgang, Erosionen der Schleimhäute, Ekzem, Herpes, namentlich an den Genitalien, dann länger anhaltende Hautreize jeder Art. — Die nicht mit Nierenkrankheit verbundene Eklampsia gravidarum et parturientium dürfte gleichfalls hierher gehören. 3. Eklampsia symptomatica: durch anatomische Störungen des Gehirns und seiner Hüllen bedingt (Meningitis, Tumoren u. s. w.).
Eklampsie.
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4. Eklampsia idiopatliica: Die ganze Menge der Fälle, für welche eine Entstehungsursache nicht nachgewiesen werden kann. Anatomische Verändernngen, die der Eklampsie als solcher zukämen, kennen wir nicht. — Wenn man den praktischen Standpunkt festhält, hat sich die Darleyung der Symptome auf die beiden hauptsächlichsten: Krämpfe und Bewußtlosigkeit zu beschränken. Zu bemerken ist: Mit seltensten Ausnahmen hält die Bewußtlosigkeit länger als die Krämpfe an, nieist ist in den Zustand dauernder Unbesinnlichkeit hin und wieder ein Krampfanfall eingeschoben. Dieser braucht nicht gleichmäßig und gleichzeitig alle Muskeln zu ergreifen, weitaus am häufigsten wird bald diese, bald jene Gruppe gepackt, Zuckungen wechseln mit Starrwerden. Bei den der hämatogenen Eklampsie angehörenden Formen können solche Krankheitserscheinungen tage-, selbst wochenlang sich zeigen. Bei den reflektorischen, gewöhnlich auch bei den symptomatischen und idiopathischen Eklampsien handelt es sich meist um weitaus kürzere Zeiten: ganz freie Zwischenräume mit getrübtem oder ganz unversehrtem Bewußtsein folgen auf Gruppen v o n Einzelanfällen. Allgemeine tonische Krämpfe mit Schluß der Glottis und Aufhebung der Atmung müssen nach längstens einigen Minuten nachlassen, wenn das Lehen erhalten bleiben soll.
h-ofjuose und Verlauf ist von dem Grundleiden abhängig. Auch bei idiopathischer Eklampsie sind Todesfalle nicht ganz ausgeschlossen. — Die Diar/nose setzt gründliche Untersuchung voraus. Namentlich bei Kindern hüte man sich vor der Anklage gegen Würmer und Zähne — man schließe niemals aus dem Auftreten von Bewußtlosigkeit und Krämpfen ohne weiteres auf eine Meningitis. Nirgendwo muß der Arzt wohl so lange wie hier Lehrgeld zahlen, ehe er die volle Sicherheit seines Urteils gewinnt. Für die Therapie ist wiederum hervorzuheben, daß es sich nur um eine Reihe von Symptomen handelt, die gedeutet werden muß; freilich kann dieselbe an sich hin und wieder Eingreifen verlangen. — Im allgemeinen gilt, daß eklamptiscfw Anfälle eine Kontraindikation leiden rerlangt, nicht liefern,
gegen die Anwendung der Mittel, welche das Grundnamentlich rerbieten sie durchaus nicht den Gebrauch
kalter Bäder. — Man denke daran, daß während des Anfalls Verschlucken leicht möglich ist, gebe daher, um Bronchitis und Schluckpneumonie zu vermeiden, Mittel, welche in größeren Mengen einzuverleiben sind, womöglich per Klysma, klein dosierte durch subkutane Injektion. Während des Anfalles ist Entfernung aller die Atmung hemmenden Kleidungsstücke geboten, Sorge für reine kalte Luft zu tragen, ebenso ist Ruhe in der Umgebung des Kranken notwendig. Ständige Überwachung wird erforderlich, damit Verletzungen und Körperhaltungen, die das Atmen erschweren, vermieden werden. — Liegt ein Grund zum Einschreiten nach bestimmter von dem Grundleiden vorgezeichneter Richtung nicht zu Tage, dann können symptomatische Anzeigen beachtet werden. Zuerst wären warme Bäder (38° C.) mit Frottieren der Haut und gleichzeitigem Auflegen kalter Kompressen auf den Kopf zu nennen. Um die Krämpfe zu mildern, wende man, selbstverständlich nur wenn keine Vergiftung im engeren Wortsinne vorliegt, das rasch wirkende Chloralhydrat an — bei kleineren Kindern bis zu 0,1 g, bei solchen über 5 Jahren bis zu 1,0 g. Erwachsenen kann man 3 g und mehr geben. Das Mittel kommt auch vom Mastdarm aus zur Aufnahme. Die noch schneller wirksamen Inhalationen von Chloroform (am besten ist es,
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dasselbe mit gleichen Teilen Äther zu mischen) müssen vorsichtig geleitet werden. — Bromverbindungen entfalten erst allmählicher ihren Einfluß; dieselben können in nicht zu klein bemessener Gabe manchmal von Nutzen sein. —• Morphium ist bei jüngeren Kindern ganz zu meiden; wenn stärkere Störungen der Atmung vorhanden sind, ist bei seinem Gebrauch für jedes Lebensalter die größte Vorsicht nötig — die lähmende Wirkung des Mittels auf das Atmungscentrum muß im Auge behalten werden. § 67.
Epilepsie.
Zur E p i l e p s i e werden jetzt eine so große Zahl verschieden gearteter Symptomengruppen gerechnet, daß eine alles umfassende Definition kaum zu geben ist. Als Mittelpunkt muß immerhin noch der nachher zu schildernde große Anfall festgehalten werden. Man unterscheidet zweierlei: ein chronisches dauerndes Leiden als Grundzustand, und charakteristische Äußerungen desselben, die nach mehr oder minder langen Zwischenräumen sich zeigen. Ätiologisch ist demnach zu trennen, was den Grundzustand und was dessen Äußerungen hervorruft. — Für ersteren ist die Heredität in hohem Grade maßgebend; nicht nur die vollentwickelte Krankheit, auch neuropathische Disposition der Eltern überhaupt macht sich stark geltend. Man legt auf chronischen Alkoholismus Gewicht; noch mehr: von einem in actu betrunkenen, übrigens normalen Vater soll epileptische Nachkommenschaft erzeugt werden können. — Mit zweifelhaftem Recht wird genannt: Erschöpfung der Eltern durch Excesse in Venere, schlechte Ernährung, Uberanstrengung, besonders geistige, dann Konstitutionsanomalien derselben (Rachitis und Skrophulose). Erworben kann der Grundzustand werden: 1. Durch Verletzung peripherer Nerven, sicher derjenigen, die sensible Fasern, vielleicht auch solcher, die ausschließlich motorische enthalten. 2. Durch Erkrankungen von inneren Organen — die weiblichen Genitalien und das Gehirn sind in erster Linie zu nennen. — Die ältere Einteilung der Epilepsie — idiopathische, sympathische (reflektorische), symptomatische — fügt sich ganz gut in diesen Rahmen. Der Grundzustand äußert sich in Anfällen; deren Entstehung ist nicht selten auf eine bestimmte Veranlassung zurückzubeziehen. Man findet dieselbe in starken psychischen oder gemütlichen Erregungen, heftigen Schmerzen, funktioneller Thätigkeit der Genitalien — Coitus, Menstruation — Störungen der Verdauungsorgane. — Das Lebensalter hat eine gewisse Bedeutung. Hereditäre Formen erscheinen meist vor der Pubertät, das 20 te Jahr wird als äußerster Termin angesehen. Das frühere Alter überwiegt im ganzen: mehr als 60 °/0 aller Fälle zeigen sich bis zum 20ten, weitere 10% bis zum 30ten Jahr, jenseit des 50ten trifft man nur ganz vereinzelte. — Beide Geschlechter werden in nahezu gleicher Häufigkeit ergriffen. — Charakteristische und konstante anatomische Veränderungen sind unbekannt. Der experimentellen Forschung ist es gelungen, wichtige Aufschlüsse über die bei der Epilepsie sich abspielenden Vorgänge zu gewinnen. Zu den Versuchen eignet sich am besten das Meerschweinchen. Dieses Tier bekommt nach leichten Schlägen auf den Kopf einen heftigen Anfall von Krämpfen: nach einigen Wochen ungestörten Befindens treten bei einem so behandelten entweder scheinbar spontan, oder durch leichte Reizung der als epileptogene
Eklampsie. Epilepsie.
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Zone bezeichneten Hautteile — Backe und Vorderseite des Halses, Gebiet des Trigeminus und Occipitalis) — ähnliche Anfälle auf. Die von solchen „künstlich epileptischen" Tieren erzeugte Nachkommenschaft ist erblich bei,ist et; waren beide Eltern epileptisch gemacht, dann blieb in einigen "Versuchsreihen keiner der Sprößlinge frei. Die Epilepsie wird vom Gehirn ans hervorgerufen. Brücke und verlängert es Mark sind die dabei in Betracht kommenden Ortlichkeiten. Es liegen dort Ganglienzellen gehäuft, bei deren (meist reflektorischer) Erregung sämtliche Muskeln des Körpers, auch die von den Gehimnerven versorgten in Kontraktion geraten — Krampfcentrum. Ebenso ist hier jenes vasomotorische Centrum zu suchen, dessen Reizung eine Zusammenziehung der glatten Muskulatur der Arterien, besonders derer des Gehirns bedingt. — Die charakteristischen Erscheinungen des epileptischen Anfalles: Bewußtlosigkeit und Krämpfe, können daher von den genannten Stellen aus hervorgei ufen werden Anämie des Gehirns, wie sie durch Verengerung der zuführenden Arterien bedingt ist, geht ja mit Aufhören des Bewußtseins einher. — Auch von den motorischen Centren der Hirnrinde kann, wenigstens bei Kindern, ein epileptischer Anfall durch stärkere Reizung ausgelöst werden. Derselbe zeichnet sich dadurch aus, daß das von dem unmittelbar getroffenen Centrum abhängige Glied zuerst in Zuckungen gerät, welche sich oft zunächst auf das entsprechende der anderen Seite, später aber auf die gesamte Muskulatur fortpflanzen. Die Bedeutung dieser Thatsachen für die Pathologie wird verschiedenartig beurteilt; es unterliegt indes kaum einem Zweifel, daß man mit der „Rindenepilepsie" zu rechnen hat. — D a s vollausgeprägte
Bild des großen
epileptischen
Anfalls
ist d i e s e s : N a c h d e m
an irgend einem Körperteil eine abnorme Sinnesempfindung (Aura epileptica) wahrgenommen wurde, schreit der erblassende Kranke laut auf, sein Bewußtsein schwindet, die Willensbeherrschung der Muskeln hört auf, er stürzt hin, gewöhnlich nach vorn, sein Körper liegt starr da, die auf das äußerste beschränkte Atmung steht für kurze Zeit ganz still. Nun rötet sich das Gesicht, es färbt sich dunkler und dunkler bis zur tiefsteu Cyanose, die Augen drängen sich aus den Höhlen, dann beginnen heftige Krämpfe, alle Muskeln nehmen daran teil, das wildeste Durcheinander von Bewegungen zeigt sich — „als ob der Teufel mit den Gliedmaßen Ball spiele". Endlich werden, allmählich nachlassend, die Zuckungen schwächer, allein die Unbesinnlichkeit dauert fort. Mit eingenommenem Kopf, abgeschlagen und müde kommt schließlich der Kranke wieder zu sich, hat aber keine Erinnerung an den Vorgang; ein tiefer Schlaf folgt nicht selten. — Von Einzelerscheinungen sind zu nennen: Länger dem Anfall vorausgehende, denselben ankündigende Zeichen sind selten; nur wenige merken an ihnen bekannten psychischen Anomalien, oder, minder häufig noch, an abnormen Erregungen sensibler Nerven, welche bis zu wirklichen Neuralgien sich steigern können, daß derselbe droht. — Die Aura kann durch Erregung von Sinnesnerven, der vasomotorischen und sensiblen (dies beides ist das gewöhnlichste), selten der motorischen hervorgerufen werden; ihre Dauer beträgt von einigen Sekunden bis zu Minuten. — Auf der Höhe des Anfalls ist das Bewußtsein so vollkommen geschwunden, daß die schmerzhaftesten Eingriffe unempfunden bleiben; gleichzeitig ist auch die Reflexerregbarkeit mindestens stark herabgesetzt, vielleicht gar ganz erloschen: von der gereizten Cornea aus kann kein Lidschlag, durch starkes Licht keine Verengerung der Pupillen hervorgerufen werden, Kitzeln der Fußsohlen löst keine oder doch nur schwache Bewegungen aus. — Schwerere Verletztingen kommen bei der unerwarteten Anfangserschlaffung der Glieder und dem Hinstürzen, dann auch bei den mit größtem Kraftaufwand ausgeführten Muskelkrämpfen vor. Zerbeißen der zwischen die Zahnreihen geratenden Zunge ist eine häufige Erscheinung. — Harn, Kot, Samen können im Anfall unfreiwillig entleert werden. Bisweilen enthält der unmittelbar nach dem Paroxysmus
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gelassene Harn Eiweiß und hyaline Cylinder; bei Männern auch wohl Spermafäden. — Atmung und Puls sind immer abnorm, solange der eigentliche Krampf dauert, nicht selten auch noch bis zum Erwachen des Kranken. — Es ist keineswegs ungewöhnlich, daß eine Reihe von Anfällen fast unmittelbar aufeinander folgt. — Die Zeitdauer verhält sich so: Das Stadium der tonischen Krämpfe ist immer das kürzere, es währt höchstens bis zu einer Minute, meist nur Bruchteile derselben. Die klonischen Krämpfe können minutenlang anhalten. — Die HaufigJceit der Anfalle ist großem Wechsel unterworfen — Jahrelange Pausen und tägliches Befallenwerden, das sind hier die Grenzwerte. — Es ist eine gewisse Häufung der Anfälle zu Gruppen nicht selten: man sieht vielleicht im Laufe von Tagen oder von Wochen eine ungewöhnlich große Zahl derselben, und die einzelnen sind nur durch kurze Zwischenräume getrennt, danach tritt wieder für eine Zeit vollständige Ruhe ein. —• Viel schwieriger ist eine kurze Schilderung der Zustände, welche unter dem Namen des kleinen Anfalls vereinigt werden. Zeitweiliges Schwinden oder wenigstens Verdunklung des Bewußtseins, welche die Herrschaft über die Muskeln soweit fortbestehen lassen, daß gewohnte Koordinationen aufgeführt werden können — das dürfte als allgemeinstes Kennzeichen noch am ehesten geltend gemacht werden. Innerhalb des so abgegrenzten Gebietes findet sich die größte Mannigfaltigkeit der Erscheinungen. Von dem nur Augenblicke währenden Abbrechen inmitten eines Satzes, der alsbald ohne Störung zu Ende gesprochen wird, bis zu unbewußt ausgeführten Handlungen, wie die jenes Gerichtspräsidenten, der während der Sitzung nach unverständlichem Gemurmel in das Beratungszimmer ging, dort frei sein Wasser ließ, dann zurückgekehrt unbeirrt die Verhandlungen weiterführte — finden sich alle Übergänge. — Krämpfe einzelner Muskeln können auftreten, angedeutet sind sie wohl stets. Es kommt vor, daß mit nur augenblicklichem Bewußtseinsverlust etwas länger dauernde Krämpfe zusammenfallen. Noch weniger leicht gelingt es, jene Erscheinungsformen der Epilepsie kurz zu erörtern, welche als ,,epüeptoide"' Zufalle und als ,,psychisches Äquivalent" bezeichnet werden. — Eine richtige Abgrenzung des zu der Krankheit Gehörigen hat überhaupt erhebliche Schwierigkeiten. Man begnügt sich damit hervorzuheben, daß bei allen diesen Zuständen, seien sie wie immer geartet, stets ein gewöhnlicher epileptischer Anfall ausbrechen kann. Übrigens macht man aufmerksam auf Schwindelzufälle und allerhand abnorme Sensationen, welche/mit entsprechenden psychischen Erscheinungen verbunden, ein der Hysterie oder Hypochondrie ähnelndes Gesamtbild hervorrufen können. Die Übergänge zu wirklichen Geisteskrankheiten sind deutlich; diese treten an die Stelle der Anfalle, so ein wirkliches „Äquivalent" liefernd. E s sichert kein Einzelsymptom nur die Gesamtheit derselben die Diagnose dieser Psychosen. Man weist besonders darauf hin: Stupor mit charakteristischen Sprachstörungen — vorwiegend Wortkargheit oder vollständiges Schweigen —, rücksichtslose extremste Gewaltthätigkeit neben schweren angsterfüllten Delirien, Erinnerungsdefekte, während eigentlich epileptische Antecedentien fehlen. — Nach großen Anfällen zeigt sich ein ähnliches „postepileptisches" Irresein. Es ist für die Praxis besonders bemerkenswert, daß die schweren maniakalischen Zustände, die dabei auftreten, den Kranken für seine Umgebung äußerst gefährlich werden lassen. Abgesehen von diesen vorübergehend sich in den Verlauf der Epilepsie einschiebenden Geistesstörungen kommt es zu einem allmählichen Nachlassen der
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Epilepsie.
geistigen Fähigkeiten. Gewöhnlich leidet zuerst das Gedächtnis, später die Schärfe des Denkens; Verstimmung, Veränderung des Charakters gesellen sich hinzu, am letzten Ende vollständiger Blödsinn. Das Alles ist keine Notwendigkeit. Epilepsie kann ohne jede Rückwirkung auf die Intelligenz verlaufen; nach neueren Untersuchungen ist dafür sogar die Stärke und Häufigkeit der Anfälle nicht von der früher behaupteten schlimmen Bedeutung. Um das Verhalten des Hirns bei der Epilepsie zu erklären, nimmt man an, dal! abnorm erhöhte Erregbarkeit besonders in der Brücke und dem verlängerten Marke bestehe; diesen Dauerzustand bezeichnet man als „epileptische Veränderung". Der Anfall wird dadurch ausgelöst, dali ein geeigneter Reiz die genannten in diesen Hirnteilen liegenden Centren in Thätigkeit setzt, und zwar ist es wahrscheinlicher, daß Krampf- und vasomotorisches Centrum jedes für sich von diesem Reize getroffen werden, als dal! zunächst das vasomotorische ergriffen und nun sekundär durch die Hirnanämie das Krampfcentrum in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Fortdauer der Unbesinnlichkeit und der Krämpfe in jenem Stadium des Anfalls, wo an die Stelle der Anämie venöse Stase getreten ist, erklärt sich durch die Abwesenheit eines genügend Sauerstoff enthaltenden Blutes im Hirn. Die gleichzeitige hochgradige Cyanose des Gesichts, zum groRen Teil auf Kompression der Jugularvenen durch die krampfhaft zusammengezogene Halsmuskulatur zurückzuführen, lehrt, dail auch im Gehirn Anhäufung venösen Blutes vorhanden sein muß. — Kleinere epileptische Anfälle lassen sich, soweit Störung des Bewußtseins und Krämpfe in Betracht kommen, auf partielle Erregung der beiden Centren beziehen. — Für das Verständnis der Geistesstörungen fehlt jeder Anhalt. Neuerdings hat man, wenigstens für einen Teil derselben, die sehr beachtenswerte Meinung ausgesprochen, daß beides: Epilepsie wie Psychose, auf gemeinsamer neuropathischer Grundlage sich entwickle, nicht aber die letztere unmittelbar von der ersteren abhängig sei.
Die Heilbarkeit der Epilepsie ist zweifellos, aber leider eine sehr beschränkte. Der Tod kann im Aufalle selbst stattfinden. Während heftiger und häufiger, dazu rasch aufeinander folgender Paroxysmen bildet sich ein Zustand aus, welcher tiefstes Koma und Erlöschen des Lebens im Gefolge hat; dabei können Temperatursteigerungen bis zu 42° und mehr eintreten. Öfter noch als mit diesem immerhin seltenen Ereignisse tritt der Tod unmittelbar durch Verletzungen oder durch deren Folgen ein. Gewöhnlich ist der Verlauf der Krankheit ein ausgeprägt chronischer, gute wechseln mit schlechten Zeiten. — Alle empirischen Regeln für die Prognose des Einzelfalls leiden an einer gewissen Unsicherheit. Ganz im allgemeinen darf man freilich sagen, daß mit der Dauer der Krankheit und der Heftigkeit und Häufigkeit der Anfalle die Aussichten auf Genesung geringer werden. — Die
Diagonose
hat
daran
festzuhalten,
Anfall Sicherheit des Urteils gewährt.
daß
nur der volle nt wickelte
epileptische
In der Kinderpraxis sei man auch dann
uoch zurückhaltend; eklamptische Paroxysmen decken sich ja in ihrer Erscheinungsform ganz mit den epileptischen, ob eine „epileptische Veränderung" zugegen sei, kann sich natürlich erst im weiteren Verlauf zeigen. Die Trennung der epileptischen von den hysterischen Krämpfen kann große Schwierigkeiten habeu: für Epilepsie absolut beweisend ist das Erlöschen der Reflexe auf der Höhe des Anfalls, aber trotz bestehender Reflexe kann Epilepsie vorhanden sein. Es kommen Fälle vor, welche berufenen und erfahrenen Beobachtern trotz des Aufgebots alles ihres Scharfsinns zweifelhaft bleiben. Je weiter sich dieselben von dem typischen Bilde entfernen, desto schwieriger wird die Entscheidung. Mit Recht wurde darauf hingewiesen, daß „epileptische" Erscheinungen im Verlaufe mancher Nervenkrankheiten und Psychosen auftreten.
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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.
Für die Behandlung ist die mögliehst genaue Untersuchung des Einzelfalls unbedingt erforderlich. Jede, auch die geringste Möglichkeit einer peripheren Auslösung, die wegzuschaffen wäre, muß wohl beachtet werden. — In nicht wenig Fällen erweist sich das Verhalten der Verdauungsorgane von großer Bedeutung, man erreicht viel, wenn es gelang dieselben zur vollkommen normalen Thätigkeit zurückzuführen. A*n Häufigkeit dürften Anomalien der Genitalien zurücktreten. — Was durch Beseitigung peripherer Reize genützt werden kann, zeigt sich am deutlichsten, wenn unmittelbare Nervenverletzung Grund der Anfälle war — mit der Entfernung von Reizung auslösenden Narben schwanden dieselben nicht selten. Diätetische Behandlung im weitesten Wortsinne, der die Regelung der ganzen Lebensweise umfaßt — ist eine Hauptsache; man muß natürlich durchaus individualisierend vorgehen. Für die Anwendung der Medikamente ist zweierlei auseinanderzuhalten. Man soll sich bemühen, die epileptische Veränderung zu beseitigen, ferner die Zahl und Heftigkeit der Anfälle zu vermindern. — Der ersten Aufgabe wird noch am häufigsten das Atropin gerecht. Man gebe langsam steigend, mit 0,0005 g beginnend bis zu 0,005 vorschreitend, das Mittel iB. Nr. 12), immer die ganze Dosis mit einem Male am Abend vor dem Schlafengehen. Jede Woche erhöht man um ,l 2 oder 1 mg, bis das Maximum erreicht wurde, bleibt auf diesem etwa zwei Wochen stehen und geht nun ebenso langsam zum Ausgangspunkt zurück. — Die Darreichung hat jahrelang fortzudauern — erst wenn jede Störung aufhörte, darf auch sie aufhören. — Wenig empfehlenswert ist anhaltender Gebrauch der Brompräparate. Man sieht danach nicht selten zu tiefe Herabstimmung der Hirnthätigkeit — bis zur Schlafsucht sich steigernde Trägheit, ja geradezu Unfähigkeit zum Denken. Dagegen ist die zweite Aufgabe: Verminderung der Zahl und Heftigkeit der Anfälle — durch Bromsalze manchmal lösbar. Man muß zu den Zeiten, wo die Neigung zu öfter wiederkehrenden Anfällen vorhanden ist, das Brom in großen Mengen geben und damit so lange fortfahren, bis diese Neigung sich verloren hat. Der Erwachsene braucht mindestens 10 g Natrium bromatum täglich, welche auf vier Gaben zu verteilen sind; übrigens hat es kaum Bedenken bis zu 20 g zu steigen. Auch Kinder ertragen das Mittel gut — Idiosynkrasie dagegen ist selten. — Unter den gegen Epilepsie überhaupt angewandten Arzneimitteln sind zu nennen: Zincum oxi/dalum — man begann mit 0.1 g und stieg rasch bis zu so grollen Dosen, wie sie nur immer vom Magen vertragen wurden. (2,88 g pro die wurden schon dargereicht.) Von anderen wird das Zincum lacticum bevorzugt und bis zu 2,4 g gegeben; für beide Zinkverbindungen wählt man die Pulverform. — Argentum nitricum, höchstens 0,1 g pro die. am besten in Lösung. Da langer Fortgebrauch verlangt wird, ist an die Gefahr der Argyrie zu denken. — Ciiprum sulfuricum ammoniatum: Anfangsdosis 0,015 g. Maximum 0,24 g Pillenform, mindestens in 2 Teilen die Gesamtmenge zu geben — Badix artemisiae vulgaris: das frische Pulver der Wurzelfasern zu 1 TheelöfFel voll, sobald sich Vorboten eines Anfalles zeigen, sonst jeden 2. Tag. — Radix valerianae: das frische, gröbliche Pulver in steigenden Gaben, Anfangsdosis 0,6, Maximum 1,20 g 4—6 mal täglich. — Um Anfälle abzukürzen, verwandte man Opium, und seine Präparate, ebenso Chloroforminhalationen — beides nicht zu empfehlen — Es bleibt noch der Elektricität in ihrer Anwendung gegen die epileptische Veränderung zu gedenken. Man schickte schwache konstante Ströme durch die Gegend der Medulla oblongata, ebenso durch den Halssympathicus. Die Frage nach den Erfolgen dieser Behandlung ist noch offen. —
Das Verhalten bei dem Einzelanfall: Ist eine nicht zu kurz dauernde Aura da, dann gelingt es bisweilen durch Umschnürung, Druck u. s. w. an dem von der
Epilepsie. Nachtschrecken. Tetanus.
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Aura durchschrittenen Körperteil den Ausbruch zu verhüten. Sonst beschränke man sich darauf, den Kranken vor schweren Verletzungen zu behüten und lasse den Anfall austoben. — § 68.
Nachtschrecken.
In Kürze ist eines unter dem Namen Nachtschrecken ( P a v o r n o c t u r n u s ) bekannten Zustandes zu gedenken, welcher, äußere Ähnlichkeit mit epileptoiden Zufällen bietend, zur Verwechslung damit Veranlassung geben kann. Vom 2. Jahre bis etwa zur Pubertät beobachtet man bei geistig regsamen Kindern, welche, den Eindrücken der Außenwelt ungewöhnlich zugänglich, dieselben mit lebhafter Phantasie verarbeiten, plötzliches Auffahren aus dem ersten Schlafe, veranlaßt durch Traumgebilde, die ausnahmslos schreckhaften Inhalts sind. Klares Bewußtsein ist zunächst nicht vorhanden, der ganze Körper zuckt und zittert, das Gesicht trägt einen angstvollen Ausdruck. Es kann zu Handlungen kommen, die einer wirklich bestehenden Gefahr gegenüber durchaus zweckmäßig wären. Mit dem Augenblick des vollen Erwachens ist der Anfall als solcher beseitigt; starkes Gähnen geht dem gewöhnlich, der Ausbruch von Schweiß mitunter voraus. Mehrfache Anfälle in einer Nacht, oder einzelne, aber eine Reihe von Nächten hindurch wiederkehrende können sich zeigen; die Dauer des einzelnen beträgt bis zu '/2 Stunde. — Die Prognose ist stets eine gute; die Disposition verliert sich mit fortschreitendem Lebensalter. — Nur bei starker Häufung der Anfälle kann therapeutisches Eingreifen erwünscht werden. Bromnatrium von 0,3—0,6 g bei Kleineren, von 1 g und mehr bei Grölleren 1—1' /2 Stunden vor dem Schlafengehen; warme etwa l / 2 Stunde dauernde Bäder, nach denen unmittelbar das Bett aufgesucht wird, dürften immer ausreichen. — Man hat dafür zu sorgen, daß die Phantasie der Kinder nicht mit Schauergeschichten ¡ingefüllt werde. Das Nachtessen sei mäßig und liege nicht zu kurz vor dem Schlafengehen. Durch Drohung oder Strafe den Anfall abzuschneiden, versuche man niemals; Zureden und Liebkosungen sind vielmehr am Platz. Angstlichen Kindern versage man das Nachtlicht nicht.—
§ 69.
Tetanus.
Der T e t a n u s stellt einen Zustand dauernder tonischer Zusammenziehung eines mehr oder minder großen Teiles der willkürlichen Muskeln dar, neben welcher anfallsweise stärkere Spannung der bereits ergriffenen Gruppen und Ausbreitung des Krampfes auf noch frei gebliebene sich zeigt. — Diese Antälle werden gewöhnlich durch periphere Reizung sensibler oder sensorischer Nerven reflektorisch ausgelöst. — Ätiologisch ist bekannt: Hereditäre Disposition ist, weun überhaupt, nur von untergeordneter Bedeutung. Neugeborene werden besonders häufig ergriffen — der 4. bis 11. Lebenstag ist am stärksten belastet. Männer erkranken öfter als Frauen, wohl deswegen, weil sie mehr Wunden davontragen. lu heißen Gegenden ist Starrkrampf häufiger als in gemäßigtem Klima. Rassenunterschiede sind unverkennbar; von allen am meisten leiden die Neger. Zeitweise Häufung der selteneren Erkrankung wird übereinstimmend berichtet. — Unter den üelegenheitsursachen stehen Verwundungen obenan — Tetanus traumaticiis. Ein fester Zusammenhang zwischen der Art der Verletzung und der Häufigkeit des Starrkrampfes ist kaum auffindbar — er kommt mit den fürchterlichsten Zerstörungen wie mit den geringfügigsten Gewebetrennungen vor; letzteres ist keine Seltenheit. — Vermag man — in der kleineren Zahl der Fälle — eine Gelegenheitsursache überhaupt nicht aufzufinden, dann redet man von einem idiopathischen, glaubt man Erkältung annehmen zu müssen, von einem rheumatischen Tetanus. Es darf nicht bezweifelt werden, daß Herabsetzung der Temperatur an der Körperoberfläche, wie sie durch Wärmeabgabe nach außen bedingt werden kann, bei Verwundeten leichter die Krankheit entstehen läßt; ob diese „Erkältung"
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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.
allein genügt, ist mindestens nicht erwiesen. — Die durch Pflanzengifte, als deren Vertreter das Strychnin genannt werden kann, erzeugten Krämpfe werden als Tetanus toxicus meist auch hierher gerechnet, weichen übrigens schon in ihren Symptomen etwas ab. Es dürfte sich bei dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens empfehlen, daß man an der Erscheinungsform festhaltend den physiologischen Mittelpunkt als einen einheitlichen betrachtet, aber ätiologische Unterschiede annimmt. Gesteigerte Erregbarkeit des Krampfcentrums dürfte immer vorhanden sein, sie liefert diesen Mittelpunkt und kann hervorgerufen werden: 1. Durch ein spezifisches Krankheitsgift, welches meist von einer äußeren Verletzung her, vielleicht auch von (stellenweis des Epithels beraubten?) Schleimhäuten eindringt. Neuerdings sind sehr beachtenswerte Untersuchungen über dieses spezifische Gift bekannt, geworden, welche freilich noch nicht zum Abschluß gekommen sind. Rosenbach fand einen kleinen Bacillus in den Gewebeteilen eines an Wundstarrkrampf Verstorbenen, der, auf Mäuse, Kaninchen und Meerschweinchen übergeimpft, diese an Tetanus zu Grunde gehen ließ. Der Tetanusbacillus war schon früher von Nicolaier in den oberen Erdschichten gefunden und in seiner spezifischen Wirkungsweise erkannt worden. Die Reinzucht des Bacillus ist noch nicht gelungen. — Brieger stellte aus Fleisch, welches bei Gegenwart des Bacillus in Zersetzung übergegangen war, eine organische Base — von ihm Tetanin genannt — dar, deren Einverleibung bei den genannten Tieren gleichfalls zum Tetanus führte. — 2. Durch Erregung peripherer Nerven, wobei es dahingestellt bleibt, ob diese durch unmittelbare Fortleitung dauernder Beizzustände, vielleicht wirklicher anatomischer Veränderungen — Neuritis ascendens — oder aber durch Vermittlung der Vasomotoren zustande kommt. Die Möglichkeit, daß ein nur einmal wirkender, aber starker Reiz, das gleiche nach sich ziehen kann, ist nicht in Abrede zu stellen. — 3. Durch unmittelbare Einwirkung äußerer Gewalt auf das Centrum selbst — Sturz auf das Hinterhaupt u. s. w.
Als einzige einigermaßen konstante anatomische Erscheinung trifft man Hyperämie der Centraiorgane, besonders des Rückenmarks. In diesem sind bei Versuchstieren die spezifischen Bacillen wenn auch nur in geringer Menge nachgewiesen worden. Das Bild der Krankheit bedarf zur vollen Entwicklung meist einer etwas längeren Zeit. Es liegen allerdings vereinzelte Beobachtungen vor, nach welchen starke Reizung eines großen Nervenstammes (Einschluß des Cruralnerven in eine Ligatur) unmittelbar das Leiden in seiner ganzen Schwere hervorrief. — Auch mit einem Schüttelfrost eingeleiteter, akutester (infektiöser?) Tetanus ist gesehen worden. Im Mittel verstreichen bis zum Ausbruch des Wundstarrkrampfes 5 bis 10 Tage nach der Verletzung — ausnahmsweise liegen Wochen zwischen beiden. — In manchen Fällen geht die Empfindung allgemeinen Unbehagens einige Tage den ersten örtlichen Erscheinungen voraus; unbestimmte als rheumatoide, bezeichnete Schmerzen können sich anschließen. Deutlicher verrät die drohende Gefahr eine gewisse Steifigkeit im Nacken und in den Kaumuskeln, von dem subjektiven Gefühl der Spannung begleitet. Diese Beschwerden steigern sich allmählich: die Kiefer können nicht mehr gehörig voneinander entfernt werden, auch die Zunge ist minder beweglich, das Schlingen etwas erschwert, die Nackenmuskeln ziehen sich dauernd zusammen, so daß der Kopf anhaltend etwas nach rückwärts gebeugt ist. Diesen Symptomenkomplex nennt man Trismin. Bald werden auch die Muskeln des Stammes beteiligt, besonders die langen Strecker der Wirbelsäule kontrahieren sich und lassen dieselbe nach vorn konvex vortreten. Die Muskeln des Thorax und des Bauches folgen — die der Extremitäten, namentlich der oberen, können verschont bleiben. Die von den motorisehen Asten des Trigeminus und vom Facialis versorgten Gesichtsmuskeln, die des Nackens, des Schlundes,
Tetanus.
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der Zunge hingegen werden regelmäßig mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen. Es bleibt nun nicht länger bei einfacher tonischer Kontraktion, anfalls'ireisf, zeigen sich klonische Krämpfe, welche den ganzen Körper erschüttern, mit heftigem Schmerz in den Muskeln verbunden sind, und, die Atmung zeitweilig unterbrechend, dem stets besinnlich bleibenden Kranken die äußersten Qualen verursachen. Diese Anfälle werden zum größeren Teile von sensiblen oder Nerven der Sinne aus reflektorisch, zum kleineren durch Ubergreifen des zur Ausführung von Bewegungen erforderlichen Willensreizes auf weitere Bahnen (Mitbcicetjuiuj) hervorgerufen. Sie treten besonders bei dem Versuch zum Schlucken auf. — Im ferneren Verlauf steigert sich die klonische Kontraktion der Muskeln, die Kiefer köunen nur um ein Kleinstes voneinander entfernt werden, der Nacken und Rücken krümmen sich immer stärker nach vorn, die Atemnot wächst und wird auch außerhalb der eigentlichen Anfälle, welche übrigens häufiger und heftiger auftreten, deutlicher. — Veränderungen am Pulse, Ansteigen seiner Frequenz, die bisher einigermaßen der Norm entsprach, Abnahme seiner Füllung, manchmal auch Unregelmäßigkeiten, dann Erhöhung der wenigstens anfangs nahezu unveränderten Temperatur gehen dem Tode voraus. Dieser tritt sehr oft in oder gleich nach einem Krampfanfall, wohl central bedingt, ein. Herzlähmung ist gewöhnlich die unmittelbare Ursache desselben, eigentliche Erstickung kommt kaum zur Beobachtung. — Von Einzelheiten verdient Erwähnung: Schlaf, der freilich spontan nur für kürzeste Zeit sich einstellt, und Narkose machen alle Krämpfe aufhören. — Bei den tonischen Krämpfen, welche ausnahmslos physiologisch zusammengehörige Muskelgruppen ergreifen, überwiegen die stärkeren unter diesen und weisen daher dem betreffenden Körperteil seine Stellung an; die schwächeren Antagonisten können geradezu gedehnt werden. Hieraus erklärt sich die Haltung von Nacken und Rücken, sowie die Hinderung der Ausatmung. Ebenso die eigenartige Mimik des Gesichts. Obere und untere Hälfte desselben zeigen, jede für sich betrachtet, verschiedenartigen Ausdruck: die obere den eines frisch aus dem Schlafe Gestörten noch mit Müdigkeit Kämpfenden, die untere den bei trauriger Stimmung. — Die Reize, welche die klonischen Krampfparoxysmen auslösen, brauchen nicht besonders stark zu sein; es kommt sogar vor, daß schwache von Wirkung sind, wo stärkere solche nicht hatten. Willenshemmung ist möglich, aber nur bis zu einem gewissen Grade. — Der Durst ist außerordentlich quälend neben der Erschwerung von Flüssigkeitsaufnahme findet, sich regelmäßig starke Schweißabsonderung, der Organismus verliert also viel Wasser. Auch über Hunger klagen manche Kranke. Der Harn wird in verminderter Menge ausgeschieden, ist dunkel gefärbt, von hohem spezifischem Gewicht, enthält bisweilen etwas Eiweiß, häufig eine Substanz, welche reduzierende Eigenschaften besitzt, aber sehr selten wirklichen Zucker. Eine vermehrte Harnstoffbildung findet nicht statt. Die Entleerung der Blase ist oft erschwert; ebenso die des Darms. — Als prämortales Symptom tritt eine sehr erhebliche Temperatursteigerung auf — das bei dem Lebenden überhaupt beobachtete Maximum von 44 0 75 in Axilla wurde an einem Tetanischen gemessen. Daß durch die stürmischen Muskelkontraktionen viel Wärme frei wird, dürfte zur Erklärung nicht ausreichen, man wird auf centrale Ursachen zurückgreifen müssen, die freilich vorderhand noch unbekannt sind. — Postmortales Ansteigen der Körperwärme ist sehr häufig und
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auf die ausgedehnte Muskelthätigkeit vor dem Tode und die dadurch eingeleiteten, erst nach Ablauf einer gewissen Zeit beendeten, mit W ärmebildung einhergehenden chemischen Prozesse ohne weiteres zu beziehen. — Der Verlauf des Tetanus ist gewöhnlich ein sehr rascher; mindestens zwei Drittel der Kranken gehen innerhalb der ersten fünf Tage zu Grunde, bis zu etwa zehn Tagen neun Zehntel. Prognostisch ist auf die Stärke und Zahl der Anfälle das Hauptgewicht zu legen; lassen sie nach, dann ist ein günstiger Ausgang möglich; bei nur angedeuteten oder gar vollständig fehlenden eigentlichen Krampfanfällen ist das die Regel. Hiervon ist der Trismus Neugeborener auszunehmen; die Erschwerung des Schluckens und die dadurch hervorgerufene mangelhafte Nahrungszufuhr wird von den Kleinen schwer ertragen. — Die Diagnose bietet meist keine Schwierigkeiten. Besonders zu beachten ist die allmähliche Entwicklung, Trismus und Nackenstarre, welche vor den allgemeinen klonischen Krämpfen eintreten. Strychninvergiftung kommt rascher zu voller Ausbildung, von Anfang an ist dabei die Reflexerregbarkeit bedeutend erhöht, tonische Krämpfe, besonders Nackenstarre und Trismus, sind in den freien Intervallen nicht da; die Extremitäten nehmen stark an den Krämpfen teil. Was die Therapie betrifft, so ist zunächst zu hoffen, daß bei der außerordentlichen Sorgfalt, die heutzutage jeder Wunde zugewandt wird, bei der so weit entwickelten operativen Technik wenigstens der traumatische Tetanus seltener wird. Auch die Pflege der Neugeborenen macht, freilich langsam, Fortschritte zum Bessern; hier handelt es sich vielfach um Besiegung von Vorurteilen, welche in breiten Kreisen wurzeln. Besonders zu beachten ist die Nabelwunde, bei deren Behandlung oft sehr leichtsinnig und roh zu Werke gegangen wird; es könnte nur heilsam sein, wenn ein für allemal auch hier nach antiseptischen Regeln verfahren würde. Ferner muß der Temperatur des Wassers, in welchem Neugeborene gebadet werden, Aufmerksamkeit geschenkt werden; die Anwendung des Thermometers sollte Regel sein; überheiße Bäder sind gefahrlich. — Bei dem bereits ausgekrochenen traumatischen Tetanus gelingt es nur in seltenen Fällen durch unmittelbares chirurgisches Eingreifen noch Hilfe zu bringen. Durchschneidung der vom Orte der Verletzung centripetal leitenden Nerven wäre noch am aussichtsvollsten, hat aber ebenso oft wie die Entfernung des ganzen Gliedes nicht genützt. Für den Erfolg maßgebend ist wohl die Entstehungsursache; er bleibt bei der specitischen lntektion aus, ist dagegen möglich, wenn es sich um Reizübertragung von der Peripherie zum Gentrum handelt. — Im übrigen kann nur von symptomatischer Behandlung die Rede sein. — Schlaf und Nachlaß der Krämpfe zu erzielen, ist ihre Aufgabe. Alle unnötige Erregung des Nervensystems muß unbedingt ferngehalten werden, daher ist für Ruhe in der Umgebung des Kranken, gleichmäßige Temperatur, Verhüten von stärkeren und unerwarteten Eindrücken auf die Sinne zu sorgen. Halb- bis ganzstündige Bäder von Körperwärme, welche möglichst auf gleicher Temperatur gehalten und drei- bis viermal in 24 Stunden wiederholt werden, können in den früheren Perioden von Nutzen sein, sie sind jedenfalls den Kranken angenehm. — Größere Gaben (3 bis 5 g) Chloralhydrat sind am meisten zu empfehlen. Gelingt die Einführung per os nicht, dann wähle man die per rectum. Sind die Krampfanfälle sehr stark, dann lasse man zunächst Chloroform einatmen und benutze die Narkose, um das Klysma beizubringen (ß. No. 20). Die Gesamtmenge für den Tag kann 2U g und mehr betragen; niemals verzettele man die Einzelgaben, weil dabei sehr leicht heftige Erregung sich zeigt. —
Tetanus. Tetanie.
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Die Wirkung des Chloroforms ist sicher, aber von nur kurzer Dauer. — Morphium scheint im ganzen nicht empfehlenswert. — Man wähle von den Brompräparaten niemals die Kaliumverbindung, weil dieselbe, in relativ großer Menge eingeführt und bei der verminderten Harnausscheidung länger zurückgehalten, das Herz schädigen könnte. Will man dieses vielfach empfohlene Mittel anwenden, dann sind Dosen von 15 g pro die als Minimum für den Erwachsenen zu benutzen. — Curare wechselt in seiner Zusammensetzung so sehr, daß die richtige Gabengröße kaum in der Praxis zu finden sein dürfte. —
Eine sehr schwierige Aufgabe ist es, die nötigen Mengen von Nahrung, das JFasser kommt dabei in erster Linie in Betracht, einzuverleiben. Anfangs kann wenigstens Flüssiges geschluckt werden — das Kauen ist sehr früh unmöglich — später muß der Mastdarm aushelfen. Man quäle die Kranken im vorgerückteren Stadien nicht mit unfruchtbaren Versuchen zum Schlingen, die durch das Verschlucken und die dabei entstehende Atemnot doppelt Plage machen. Ist der Durst unerträglich oder handelt es sich darum, dem erlahmenden Herzen beizustehen, dann können mittels der in der Narkose vorzunehmenden subkutanen Injektion immerhin bedeutendere Mengen von Flüssigkeit sowie die erforderlichen Reizmittel zur Aufnahme gebracht werden. Auch vom Mastdarm aus ist das möglich. — Man vergesse bei der Behandlung des Tetanus nie, daß die Erhaltung des Lebens meist unmöglich ist, aber die Leiden der Kranken wesentlich, gemindert werden können und sollen. § 70.
Tetanie.
In Anfällen auftretende tonische Krämpfe bestimmter Muskelgruppen, vorzugsweise der an den oberen Extemitäten, welche mit erhöhter elektrischer, meist auch mechanischer Erregbarkeit der motorischen Apparate einhergehen, nennt man T e t a n i e . Ätiologisch ist bekannt: Die Krankheit kommt im Kindesalter vor, ist aber vom sechzehnten bis etwa zum vierzigsten Jahre am häufigsten. Für Weiber erhöhen Schwangerschaft, Puerperium und Laktation entschieden die Disposition. Gelegenheitsursachen können Erkältung, schwere psychische Erregungen, Darmreize (Entozoen, Koprostasen) und Infektionskrankheiten, einerlei ob dieselben im Darm lokalisiert sind oder nicht, werden. Nach Kropfexstirpationen sah man das Leiden verhältnismäßig häufig. Es scheint manchmal eine fast epidemisch zu nennende Häufung der Krankheitsfälle aufzutreten. — Maßgebende anatomische Veränderungen sind nicht gefunden. Bei der Tetanie sind zwei Dinge zu trennen: Solange die Krankheit währt, ist die elektrische, gewöhnlich auch die mechanische Erregbarkeit der motorischen Nerven und Muskeln auffallend erhöht. Schwache Ströme reichen hin, um die sonst nur den stärkeren und stärksten eigenen Erscheinungen hervorzurufen, ebenso genügt geringfügige mechanische Reizung zur Auslösung kiäftiger Muskelzusammenziehung. Letzteres ist im Gebiet des nicht selten mit ergriffenen Facialis am auffälligsten, es genügt mit dem Finger etwas fester über das Gesicht hinzustreichen, um die sämtlichen vom Facialis versorgten Muskeln zur Zusammenziehung zu bringen. — In nächster Beziehung zu der gesteigerten Erregbarkeit steht das sogenannte Trousseau'sche Phänomen: Druck auf die großen Arterien, meist auch auf die Nervenstämme einer Extremität ruft, höchstens nach einigen Minuten, Zusammenziehung in deren Muskeln hervor, welche mindestens so lange wie der Druck selbst anhält. — Neben diesem Dauerzustand treten nun anfallsweise Krämpfe auf, fast stets symmetrisch an beiden Körperhälften. — Schmerz, seltener Parästhesien in den ergriffenen Teilen leiten sie ein, es folgt Steifigkeit der Muskeln, endlich vollentwickelter tonischer Krampf. — Zuerst, häufig auch einzig, sind die oberen Extremitäten befallen, vorwiegend bald diese, bald jene Gruppe ihrer Muskeln. Dann kommen die unteren an die Reihe — sie werden meist adduziert, im Hüft- und Kniegelenk gestreckt, das Fußgelenk ist plantar flektiert, die Zehen sind eingeschlagen. In schweren Fällen erstreckt sich der Krampf auf die Muskeln des Halses, der Brust, des Rückens und Bauches, sogar die des Kehlkopfes und das Zwerchfell können teilnehmen. Von der Muskulatur des Gesichts ist zunächst die vom Facialis, dann aber auch die vom Trigeminus versorgte und die der Augen ergriffen. — Durch Behinderung der Atmung kann es zu schweren Erscheinungen, in einzelnen Fällen selbst bei v. J u r g e n a e n , Spez. P a t h . u Ther. II. Aufl
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Erwachsenen zum tödlichen Ausgang kommen. Von sonstigen Störungen ist zu erwähnen: ausnahmsweise Temperatursteigerung, Rötung und ödematöse Schwellung der Haut um die Gelenke, häufiger Ausbruch von Schwein, beständig Schmerz in den dem Krampf verfallenen Muskeln, solange dieser anhält. — Die Dauer des Anfalls wechselt zwischen Minuten und Stunden; daß er auch tagelang anhalten soll, wird behauptet, dann aber handelt es sich wohl immer um Gruppen von Anfällen, die freilich nicht durch deutliche Pausen getrennt sind — Mit dem Aufhören des Anfalls verlieren sich fast alle Beschwerden; nur ein gewisser Grad von Muskelsteifheit und Schwäche kann zurückbleiben. — Die einzelnen Attaken sind durch Zwischenräume von Stunden — das Gewöhnliche — aber auch durch solche von Monaten getrennt. Die zu dieser Zeit latente Krankheit ist durch die fortbestehende gesteigerte motorische Erregbarkeit genügend als nicht erloschen gekennzeichnet. — Meistens hält das Ganze nicht länger als einige Monate an. — Die Prognose ist durchschnittlich gut. Ob die Spontanheilung durch therapeutische Maßregeln beschleunigt werden kann, steht dahin. Empfohlen wird der galvanische Strom — Anode stabil auf das Rückenmark und die einzelnen beteiligten Nervenstämme. § 71.
Chorea.
Als Chorea (Veitstanz) bezeiehnen wir einen Zustand, welcher durch das Auftreten unregelmäßiger, nicht oder doch mindestens nicht vollkommen koordinierter Muskelkontraktionen gekennzeichnet ist. Diese schließen sich meist an die vom Willen ausgelösten als Mitbewegungen an, können aber auch davon unabhängig sich einstellen. Fester, traumloser Schlaf macht die Kontraktionen aufhören. Man findet bei den Kranken fast ausnahmslos eine, wenn auch vielleicht nur schwach angedeutete Abweichung des psychischen Verhaltens von der Norm. — Ätiologisch ist bekannt: Hereditäre Belastung kommt wenig in Betracht. Von entscheidendem Einfluß ist das Lebensalter: das Maximum der Krankheitshäufigkeit trifft mit etwa zwei Drittel aller Fälle auf das 7. bis 15. Jahr, die unmittelbar vorhergehenden (bis zum 5.) oder folgenden (bis zum 20.) sind noch verhältnismäßig stark beteiligt, alles außerhalb dieser Grenzen Liegende nur in geringem Grade. — Das weibliche Geschlecht ist nm etwa zwei- bis dreimal häufiger betroffen, als das männliche. Ob wirklich die Chorea eine ätiologische Einheit darstellt, erscheint in sehr hohem Grade zweifelhaft. Wahrscheinlich ist, daß durch verschiedenartige Veranlassungen eine uns in ihrem Wesen unbekannte Veränderung der Centraiorgane hervorgerufen werden kann, welche den Veitstanz veranlaßt. Für die Darstellung der Chorea macht sich die Verschiedenheit ihres Ursprungs in unliebsamer Weise geltend — die hier gegebene Schilderung ist eigentlich nur für die „rein nervösen" Formen zutreffend.
Chorea kommt vor: 1. Mit und neben akutem Gelenkrheumatismus, besonders in den durch Herzerkrankung komplizierten Fällen, aber auch nach anderen Infektionskrankheiten. Auffallend sind bei der Verbindung von Chorea mit akutem Gelenkrheumatismus die starken örtlichen Schwankungen: England und Frankreich weisen viel mehr Kranke als Deutschland auf. Es kann sich um gröbere Veränderungen — Embolien in die Hirngefäße von den erkrankten Herzklappen her handeln. Für die meisten Fälle aber dürfte es wahrscheinlicher sein, daß ein und derselbe Krankheitserreger die akute Rheumarthritis mitsamt der Endokarditis und der Chorea hervorruft; man wird in diesem Sinne also von einer infektiös entstandenen Chorea reden dürfen. Ob das nicht auch für die neben den anderen Infektionskrankheiten auftretenden Formen gilt? —
2. Während der Schwangerschaft, mehr zu deren Anfang als gegen deren Ende, häufiger bei Erstgebärenden; bei Wöchnerinnen selten. (Manchmal infektiösen Ursprungs?)
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Tetanie. Chorea.
3. Durch periphere Nervenerregung. Diese und die vorige Form könnten reflektorisch entstehen. 4. Nach sto'forerpsychischer Erregung; namentlich heftige Angst undErschrecken können dazu führen; dann durch einfache Nachahmung. 5. Als Begleiterscheinung verschiedenartiger Erkrankungen des Gehirns, Tumoren u. s. w. — sogenannte symptomatische Chorea. Das Ergebnis anatomischer Untersuchung ist kein zweifelloses. Vorläufig dürfte wahrscheinlich sein, daß diffuse Ernährungsstörungen, die unter Umständen auch mit geweblichen Veränderungen einhergehen, bei den an Chorea Verstorbenen im Gehirn und im Rückenmark vorkommen können. — N A U W E E C K wies in einem mit Endokarditis verbundenen Falle von Chorea umschriebene Entzündungsherde sowie Blutaustritt in dem Hirn und in der Medulla oblongata nach. Außerdem fanden sich im Rückenmark, von oben nach unten abnehmend, Degenerationen der Nervenfasern — es beteiligt sich an denselben der ganze Rückenmarksquerschnitt, vorwiegend jedoch das Gebiet der Vorder- und der Seitenstränge. — Solche Entartungen sind nur vereinzelt in den übrigen Teilen des Centrainervensystems (innere Kapsel) anzutreffen. — Dies alles bei einem makroskopisch negativen Leichenbefunde.
Die Entwicklung der Symptome findet meist allmählich statt. Einleitend werden Abweichungen von dem gewohnten psychischen Verhalten bemerkt: traurige, mürrische Stimmung, öfter durch Zornausbrüche abgelöst, Unfähigkeit zu anhaltender geistiger Beschäftigung neben körperlicher Ruhelosigkeit. Zugleich leichtere Verdauungsstörungen: Launenhafter Appetit und unregelmäßige Stuhlentleerung. Dem schärferen Beobachter verrät sich schon um diese Zeit das Leiden. Volle Beherrschung der Bewegungen gelingt dem Kranken nicht mehr: hier und da ein unbeabsichtigtes Zucken der Gesichtsmuskeln, blitzschnell vorübergehend, eine gewisse Ungeschicklichkeit bei der Ausführung gut eingeübter Koordinationen — Verschütten flüssiger Speisen, während dieselben mit dem Löffel zum Munde geführt werden, fällt z. B. sehr gewöhnlich zuerst der Umgebung auf. Eine Seite, häufiger die linke, ist besonders ungeschickt (Hemichorea). Darauf mag es wenigstens mit beruhen, daß man erst später auf die ganze Sache achtet. — Die vollausgebildete Krankheit hat den ganzen Körper in Besitz genommen, Gesicht, Rumpf, Glieder beteiligen sich, auch die Muskeln der Zunge, des Kehlkopfes, der Atmung bleiben nicht verschont — immer leidet die zuerst ergriffene Körperhälfte dauernd mehr als die andere. Die glatten Muskeln sind mit sehr seltenen Ausnahmen frei — das Schlingen geht ungestört von statten, Blase und Darm verhalten sich normal. Das Oesamtbild wird ein sehr eigenartiges. Ruhelosigkeit tritt besonders hervor, kein mimischer Ausdruck kann länger festgehalten werden. Freilich bildet ein blödes Aussehen den Grundtypus, aber bald dieser, bald jener Muskel des Gesichts zieht sich zusammen, so daß die stumpfe Einförmigkeit vorübergehend durch das tollste Fratzenschneiden unterbrochen wird. Das Facialisgebiet ist weitaus am stärksten befallen. Auch die Sprache ist erschwert, manchmal durch sonderbare Belllaute unterbrochen. Die Gliedmaßen können nicht stille gehalten werden, bald scheinen sie nur wie von einem elektrischen Schlage durchzuckt, wird aber eine willkürliche Bewegung angestrebt, dann breitet sich die Erregung über weite Bahnen aus, es wird nun der Körper durcheinandergerüttelt, wie ein von einem Kinde am Schnürchen gezogener Hampelmann. Nur nach längerer Zeit gelingt es dem Kranken, auf vielfach sich kreuzenden und schneidenden Umwegen das erstrebte Ziel zu erreichen. — In den schweren Fällen ist Stehen und Gehen, sogar das Liegen unmöglich. —• Besonders zu erwähnen ist: 10*
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Die Pupillen sind meist etwas weiter, der Puls ist beschleunigt. Die sensiblen Nerven verhalten sich in der Regel normal; es kommt übrigens verminderte wie erhöhte Erregbarkeit derselben vor. Öfter noch trifft man in ihrem Verlaufe Punkte, die auf Druck schmerzen, bei Hemichorea nur an der leidenden Seite. Die Reflexerregbarkeit bietet keine Abweichungen dar. — Ermüdungsschmerz in den Muskeln ist selten. — Das Gefühl allgemeiner Schwäche ist bei irgend stärkerer Erkrankung in mehr oder minder hohem Grade immer vorhanden. Damit hängt es wohl zum Teil zusammen, daß eine leichte Abnahme der psychischen Thätigkeit selten vermißt wird. Bei ernsterer Erkrankung entwickelt sich dieselbe stärker, sie braucht auch längere Zeit zur Ausgleichung, so daß sie nach dem Vergehen der eigentlichen Krankheitserscheinungen noch fortbestehen kann. — Die Ernährung leidet nur, wenn die Nahrungszufuhr erschwert wurde und der Schlaf sich länger nicht einstellte — beides kann durch die Bewegungsstörung veranlaßt werden. — Fieber kommt dem Veitstanze als solchem nicht zu, geht aber bei manchen Formen mit den anderweitigen Krankheiten, welche dieselben begleiten, einher. Die Dauer der Krankheit beträgt mindestens Wochen — im Mittel 10—12; Recidive sind häufig. Der Ausgang ist bei Kindern ein meist günstiger, bei Erwachsenen (namentlich sind die Schwangeren gefährdet) steigt das Sterbeverhältnis auf 1;3. Erschöpfung durch die anhaltenden Zuckungen führt am häufigsten zum Tode, seltener Verletzungen hervorgerufen durch heftige Schleuderbewegungen, welche sogar Knochenbrüche veranlassen können. — Als Nachkrankheit sollen in selteneren Fällen echte Psychosen vorkommen. Die Diagnose bietet, wenn sie nur eine symptomatische sein will, kaum Schwierigkeiten. — Die Behandlung hat zunächst etwaige Unregelmäßigkeiten der Lebensweise, die Ernährung einbegriffen, zu berücksichtigen. Der früh gerufene Arzt ist öfter in der Lage, dem Kranken die Schonung zu verschaffen, welche von der unrichtig urteilenden Umgebung dem vermeintlich Launenhaften, Trägen, Ungeschickten oder gar Böswilligen versagt wurde. Schon dadurch kann viel genützt werden. — Für Schlaf zu sorgen ist wesentlich; er unterbricht die Bewegungen und verhindert die Ermattung und Erschöpfung des Nervensystems. Zuerst sind einstündige Bäder von Körperwärme — am besten kurz vor der Schlafenszeit — zu geben. Versagen dieselben, dann ist das Chloralhydrat heranzuziehen — dessen Gabe sei, natürlich den individuellen Bedingungen angepaßt, so bemessen, daß sie ihren Zweck erfüllt, man scheue eine größere nicht. — Chloroforminhalationen sind nach den im vorhergehenden § erwähnten Indikationen anzuwenden. — Unter den Arzneimitteln, welche auf das Ganze, der Krankheit günstigen Einfluß üben, steht die arsenige Säure obenan. Man reiche, langsam ansteigend, Erwachsenen bis 0,015 g pro die, Kindern eine dem Lebensalter angemessene, aber immer relativ größere Dosis — kleine nützen entschieden wenig. — Die sonstigen sogenannten Nervina sind von zweifelhaftem Erfolge. Gleiches gilt von der Hydrotherapie u r d der Elektrizitätsanwendung. — Nach Ablauf der Erkrankung ist ein auf Stärkung der Gesamtkonstitution gerichtetes, für den Einzelfall besonders zu wählendes, Regimen anzuordnen.
Chorea. Paralysis agitana.
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Paralysis agitans.
Bei der P a r a l y s i s a g i t a n s (Schüttellähmung) ist nebeneinander Zittern der willkürlichen Muskeln und Lähmung derselben vorhanden. — Die seltene Krankheit tritt vorzugsweise jenseit der 60ger Lebensjahre auf, bei Kindern sind nur ganz spärliche Fälle beobachtet. — Männer werden öfter als Frauen ergriffen, in dürftigen Verhältnissen Lebende mehr als gut gestellte. Von Gelegenheitsursachen nennt man stärkere psychische Affekte, namentlich Schreck; dann Verletzungen, welche auf das Gehirn wirken konnten. — Anatomische, Veränderungen sind nicht sicher gefunden; es ist nicht einmal klar, ob nur das Gehirn, oder ob auch das Rückenmark Sitz des Leidens sei. — Die Entwicklung ist gewöhnlich eine langsamere, nur hier und da soll durch die eben genannten Veranlassungen plötzliches Entstehen beobachtet worden sein. Meist wird zuerst bemerkt, daß eine der oberen Extremitäten, häufiger die rechte, nicht mehr mit der gewohnten Sicherheit gebraucht werden kann. Das verrät sich bei den mit der Hand ausgeführten feineren Bewegungen am leichtesten — wohl sind solche noch möglich, aber nur durch Aufwendung größerer Willenskraft, es tritt daher auch früher Ermüdung ein. Allmählich breitet sich das Zittern weiter aus: eine Körperhälfte ist meist stärker beteiligt als die andere, selten wird nur die eine oder gar ein einzelnes Glied ergriffen. Übrigens wechselt Ort und Stärke des Zitterns — nach heftigeren psychischen Erregungen kommt es zu förmlichen Anfällen, zeitweise kann andererseits sehr bedeutender Nachlaß auftreten. Die Lähmung — man sagt wohl besser die beschränkte Gebrauchsfähigkeit der zitternden Muskeln wird immer deutlicher. — Später tritt Starre derselben hinzu, welche dauernde Fixation der betreffenden Körperteile zu bewirken vermag. So wird der Kopf gegen die Brust geneigt, der Fuß in die Stellung des varoequinus gebracht; die Vorderarme verharren in leichter Beugung, die Finger können ähnlich wie bei Reumarthritis deformans ihre Gestalt verändern, sogar wirklich subluxiert werden. Freilich ist noch länger mit dem Aufgebote großer Willensanstrengung eine Muskelbewegung an den erstarrenden Gliedern möglich, welche dieselbe vorübergehend in eine andere Haltung bringt, endlich gelingt aber auch das nicht mehr. — In einzelnen Fällen können Zwangsbewegungen — meist Vorwärts*, nur ausnahmsweise Rückwärtslaufen — sich zeigen; man hat dabei beobachtet, daß eine mühsam vom Willen eingeleitete Bewegung nachher nicht mehr gehemmt werden konnte. — Anfangs unterbricht der Schlaf das Zittern, in den späteren Stadien nicht. — Das elektrische Verhalten der Muskeln ist das normale; Sensibilitätsstörung, nicht konstant, kann in verschiedenen Formen auftreten. — Uber Kopfweh und Schwindelgefühl wird öfter geklagt. Daß schwere Verstimmimg bei den ihrer Lage bewußten, mehr und mehr des Gebrauchs der Glieder entbehrenden Kranken auftritt, wird nicht befremden; im übrigen ist das Allgemeinbefinden lange ungestört, Schlaf und Ernährung reichen aus. Erst gegen das Ende wird mit dem allgemeinen Nachlaß das anders, dann nehmen auch die Geisteskräfte ab. Der Tod, im Marasmus, oder durch septische Infektion von Decubitus aus, ist der regelmäßige Ausgang, sichere Heilungen sind nicht bekannt. Die Dauer des Leidens berechnet sich nach Jahren. — Die Differentialdiagnose hat namentlich die multiple Sklerose (§ 34) zu beachten. Es ist darauf hinzuweisen: 1. Sklerose kommt meist im früheren Lebensalter vor.
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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.
2. Das Zittern wird bei der Sklerose durch Willensanstrengung verstärkt, bei der Paralysis agitans hingegen wird es dadurch jedenfalls schwächer, ja vielleicht für eine Zeit ganz unterdrückt. 3. Bei der Sklerose tritt zunächst Lähmung, dann erst Zittern auf, das Umgekehrte ist bei der Paralysis agitans der Fall. 4. Von geringerer Bedeutung ist, daß die Paralysis agitans meist früher an den oberen, die Sklerose an den unteren Extremitäten sich zeigt. Das Zittern der Greise mag solange zur Verwechslung Veranlassung geben, bis es zur Muskelstarre kommt, unterscheidet sich aber eigentlich schon durch seine weite Verbreitung und die starke, frühe Beteiligung der Gesichtsmuskeln. — Gegen Verwechslung mit dem bei Quecksilbervergiftung vorkommenden, sonst nach manchen Seiten recht ähnlichen Zittern schützen die anderweitigen Zeichen dieser Intoxikation. Die Therapie hat mit Sicherheit nicht einmal vorübergehende Erfolge zu verzeichnen. Die Heilwirkung der Elektrizität sowohl, wie die der Hydrotherapie wird von kompetenter Seite stark angezweifelt. Als Palliativmittel wird neuerdings die arsenige Säure gerühmt; man injiziert subkutan einmal täglich V2 Pravaz einer Mischung von ein Teil Liquor kalii arsenicosi mit zwei Teilen Wasser, und setzt dieses Verfahren lange fort. — § 73. Muskelzittern. Das Muskelzittern (Tremor) soll noch kurz besprochen werden. Dabei treten fibrilläre, aber sich nach und nach über ganze Muskeln ausbreitende Zusammenziehungen auf, welche dieselben in mehr oder minder hohem Grade funktionsunfähig machen. — Verminderung des Willenseinflusses ist als eigentliche Veranlassung zu betrachten. Diese verrät sich ja schon bei dem durch heftigere psychische Erregung hervorgerufenen, ganz in das physiologische Gebiet fallenden Zittern. — Die Ergebnisse experimenteller Forschung sind dieser Anschauung günstig: in Muskeln, deren Nerven durchschnitten waren, sieht man einige Tage nach der Operation fibrilläre Zuckungen sich einstellen, welche längere Zeit andauern. — Eine Unterdrückung desZitterns durch starken Willensimpuls ist häufig möglich. Manchem gelingt es, seine geschlossene Hand ruhig zu halten, läßt man aber beide mit gespreizten Fingern ausstrecken, dazu die Zunge, während die Augen einen bald näher, bald ferner gerückten Gegenstand fixieren müssen, dann zittert bald alles. — Andere Male tritt erst bei der Ausführung feinerer Bewegungen das Zittern auf, welches in den nicht bewußt innervierten Gliedern fehlte. — Als Centraiorgan, von welchem allgemeines Muskelzittern ausgeht, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit das Rückenmark angesehen; es ist übrigens das Gehirn mit Sicherheit nicht ausgeschlossen. Man trennt: 1. Zittern bei Zuständen mangelhafter Ernährung — im Greisenalter, während und nach schweren Krankheiten, nach übermäßigen, Erschöpfung bewirkenden Anstrengungen. — 2. Zittern durch Gifte hervorgerufen: Blei, Quecksilber, Alkohol, Kaffee, Thee, Tabak, Opium sind besonders zu nennen. — 3. Zittern als Symptom centraler Störungen. Es soll als einzigste Erscheinung einer hereditären Anomalie vorkommen und als solches vererbbar sein. — Für eine Heinere Zahl von Fällen fehlt jede annehmbare Erklärung. In der Regel findet sehr allmähliche Entwicklung statt. Ist aber einmal Zittern da, dann hält dasselbe lange an und überdauert, wie bei den Intoxikationsformen deutlich zu erkennen ist, die Wirkung der ursprünglichen Schädlichkeit sehr bedeutend. Gewöhnlich beteiligen sich die oberen Extremitäten früh und stark, weniger die unteren, am wenigsten das Gesicht. Von dieser Regel giebt es übrigens vielfache Ausnahmen; die Einzelformen zeigen meist ihre besondere Verbreitung. — Die Therapie hat sehr verschiedene Aufgaben, sie muß, wo es möglich, die Veranlassung beseitigen, dann Aufbesserung der Ernährung anstreben. — Symptomatisch werden die vorher erwähnten Injektionen von verdünnter Lösung arsenigsauren Kaliums gerühmt. —
Paralysis agitans.
Muskelzittern.
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Unter dem Namen Athetose wird ein Symptomenkomplex zusammengefaßt, dessen Haupteigentümlickkeit darin besteht, daß unfreiwillige und durch den Willenseinfluß nicht zu hemmende, langsame, rhythmische, mäßig ausgiebige Bewegungen der ergriffenen Teile beständig sich vollziehen. Manchmal, aber nicht immer, werden dieselben durch den Schlaf unterbrochen. Finger und Zehen führen diese Bewegungen aus, bald sind sie nur auf einer Körperhälfte vorhanden, andere Male werden beide Seiten ergriffen. — Ursprünglich beschränkte sich die Benennung auf diese bestimmten Erscheinungen, allein nachher erweiterte man den Begriff und dehnte denselben auf ähnliche Anomalien im Gebiete der anderen Körpermuskeln, die des Gesichts eingeschlossen, aus — Eine anatomisch nachweisbare Ursache ist nicht bekannt. — Scheinbar tritt die Erkrankung in einzelnen Fällen als selbständige auf, in der großen Mehrzahl aber handelt es sich um ein mit verschiedenen Hirnleiden verbundenes Übel. Nach cerebral entstandener Hemiplegie kommt Athetose auf die gelähmte Seite beschränkt namentlich bei Kindern etwas häufiger vor. — Ubergang in echte Chorea ist beobachtet. — Der Verlauf ist immer ein langdauernder, Heilung hat man nur ausnahmsweise gesehen. Für die Behandlung ist die Anwendung des konstanten Stromes und Darreichung von Arsen empfohlen.
II.
Krankheiten des Blutes und allgemeine Ernährungsstörungen. Krankheiten des Blutes. § 74.
Allgemeines.
D a s Blut ist ein Organ des Körpers, seine normale Funktion ist durch seine normale Zusammensetzung bedingt. — Die Leistungsfähigkeit sämtlicher Körperteile ist von einer ausreichenden, der verschiedenen Thätigkeit jedes einzelnen angemessenen Durchströmung mit Blut abhängig. Tritt ein Mißverhältnis zwischen der Arbeit eines Organs und seiner Versorgung mit Blut ein, dann nimmt die erstere mindestens bis zu dem Punkte ab, wo Verbrauch und Ersatz gleich werden. — Da überall im lebenden Körper Zellenarbeit sich vollzieht, macht sich jede erhebliche Änderung in der Zusammensetzung des Blutes auch überall geltend, am stärksten dort, wo am meisten gearbeitet wird. Krankheiten des Blutes zeigen sieh daher immer als Allgemeinleiden. Das Blut besteht aus Plasma — der Grund- oder Gerüstsubstanz — und Zellen. — Solange der Gefaßquerschnitt und die Triebkraft gleich bleiben, sind die Widerstände, welche das Blut für seine Fortbewegung findet, von seinem Wassergehalt, seiner Dick- oder Dünnflüssigkeit abhängig. Der Wassergehalt wird vorwiegend von den im Plasma enthaltenen kolloiden Albuminaten, besonders dem Serumeiweiß, bestimmt. Wegen ihres hohen Quellungsmaximums vermögen sie bedeutende Mengen Wassers mechanisch an sich zu binden. Ein gewisser Vorrat kolloiden Eiweißes ist daher dem Blute zu seiner passiven Fortbewegung nötig. Damit die Diffusionsgeschwindigkeit krystalloider Substanzen aus Geweben und in dieselben die Zeit einhalte, ist ebenfalls ein in bestimmte Grenzen eingeschlossener Wassergehalt des Blutes erforderlich. Für die normale Thätigkeit des Blutes ist also normale Beschaffenheit seiner Gerüstsubstanz geboten. Das in den roten Blutkörperchen enthaltene Hämoglobin nimmt, mit dem Sauerstoff eine lockere chemische, durch Dissociation trennbare Verbindung eingehend, denselben aus der Luft auf und verteilt ihn an die Einzelorgane. Nur das mit dem Stroma zum roten Blutkörperchen vereinte Hämoglobin ist bleibend leistungsfähig, nur das geweblich unversehrte rote Blutkörperchen lebt und wirkt. Von der Menge der roten Blutkörperchen in der Raumeinheit des Blutes ist dessen Sauerstoffmenge und damit der wesentliche Teil seiner Leistungsfähigkeit bedingt. Pathologische Veränderungen treffen das Ganze des Blutes, oder vorwiegend einen seiner Bestandteile; jede anfangs als Teilerkrankung auftretende Störung erstreckt sich aber bald auf das Gesamtorgan.
Allgemeines.
Akute Anämie.
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Länger dauernde Vermehrung der Menge des Blutes findet sich, wenn durch ungenügende Leistung der wasserausführenden Organe, in erster Linie der Nieren, Wasser im Körper zurückgehalten wird. Mit allen anderen Geweben wird dann das Blut wasserhaltiger. So entsteht eine Retentionshydrämie — Plethora hydraemica, häufiger Plethora serosa genannt. Verminderung der Menge des Blutes mit Eindickung desselben und Eintrocknung der Gewebe einhergehend — Oligaemia sicca — stellt sich nach reichlichen Wasserentleerungen aus Magen und Darm — z. B. bei Cholera — ein. Verminderter Eiweißgehalt des Plasma — Oligaemia hypalbuminosa — folgt, wenn länger mehr Eiweiß dem Blute entzogen als ihm zugeführt wurde (schwere Albuminurie, Masseneiterung, übermäßige Laktation). Meist kommt daneben Blutverdünnung vor. — Verminderung der Blutmengen im ganzen durch Verlust nach außen (Hämorrhagien) — Oligaemia vera — geht bald in einen Mischzustand über, welcher vermehrten Wassergehalt neben Verminderung des Eiweißes und der Blutkörperchen zeigt. Ob, wie man früher annahm, anderweitige Veränderungen sich als Dauerzustände halten können, ist noch nicht ganz sicher. Beobachtungen am Menschen, aus denen man dies schließen zu dürfen glaubt, stehen im Widerspruch zu den Ergebnissen der Versuche an Tieren. —• Es kommen hier in Betracht: 1 Plethora vera: Absolute Vergrößerung des in seiner Zusammensetzung nicht geänderten Blutvolumens •— wahre Hypertrophie des Organs Blut. — 2. Plethora polycythaemica: Absolute Vermehrung der Zahl der roten Blutkörperchen bei gleichbleibendem Volum des Gesamtblutes sollte nach dem Aufhören gewohnter Blutverluste (menstrualer, hämorrhoidaler u. s. w.), ebenso nach Amputationen großer Gliedmaßen sich einstellen. — 3. Plethora hyperalbuminosa: Zunahme der Plasmaalbuminate durch überreichliche Zufuhr vom Magen und Darm. —
Verminderung der Zahl der roten Blutkörperchen in der Raumeinheit des Blutes trägt den Namen Oligocythämie; ist deren Zahl normal, aber die Hämoglobinmenge des einzelnen vermindert, dann ist Oligochromämie vorhanden. — In der Größe (Megalocyten, Mikrocyten) oder mannigfaltig in der Gestalt (Poilcilocyten) veränderte rote Blutkörperchen können so massenhaft auftreten, daß man Mikrocytliäynie und Poikilocythamie als eigene Formen unterschied. — Die Mengenzunahme der weißen Blutkörperchen in der Raumeinheit des Blutes wird als selbständige Krankheit Leukämie, als Symptom Leukocytose genannt. § 75.
Akute Anämie.
In kurzer Zeit sich entwickelnde Verminderung der Blutmenge entsteht meist durch die Verletzung eines arteriellen Gefäßes, seltener durch die einer größeren Vene oder durch den Austritt von Blut aus Kapillaren. Die Erscheinungen nach stärkeren Blutverlusten sind: Blässe der sichtbaren Schleimhäute und der gewöhnlich mit kaltem Schweiß bedeckten Haut. In allen Körperteilen, am deutlichsten im Gesicht, Abnahme der Gewebespannung (Turgor vitalis), Kälte der Oberfläche, am stärksten in den vom Herzen entfernter liegenden Teilen — Nase, Ohren, Händen und Füßen, die zugleich von ihrer im Verhältnis zur Masse ausgedehnten Oberfläche viel Wärme verlieren. Bewußtlosigkeit, welcher Schwindel vorherging, seltener Delirien, tiefe, stockende, unregelmäßige Atemzüge, langsamer, schwacher Herzschlag, manchmal Aufstoßen und Erbrechen. — W e n n der Blutverlust bedeutend genug war, um unmittelbar zum Tode zu führen, treten zum Schluß Krämpfe auf.
154
Krankheiten des Blutes.
Blieb, wenigstens zunächst, das Leben erhalten, dann zeigt sich: Pulsieren der Arterien, Herzklopfen, Klopfen im Kopf, Kopfschmerz, große Reizbarkeit der Sinnesnerven, besonders des Seh- und Hörnerven, welche zu Sinnestäuschungen führen kann, Delirien, unruhiger, durch schwere Träume gestörter Schlaf. Solange der Kranke bei Bewußtsein ist, hat er das Gefühl tiefster Erschöpfung. Atmung und Puls sind stark beschleunigt, dieser ist klein, jene oberflächlich. Die Körperwärme sinkt meist um etwas, sie kann um mehrere Grade tiefer stehen. Der Appetit ist nahezu verschwunden, der Durst dagegen sehr beträchtlich. — War der Betroffene von Haus aus schwach oder durch häufige kleinere Blutverluste schwach geworden, dann ist das Bild insoweit verändert, als anhaltende Schlafsucht, Kältegefühl, unregelmäßiger, seltener verlangsamter Herzschlag in den Vordergrund tritt. Unruhe und Delirien fehlen hier, stellen sie sich ein, dann zeigen sie mit Tympanitis und Erschlaffung der Därme zusammen das nahe bevorstehende Ende an. Bleibt das Leben dauernd erhalten, dann verlieren sich zunächst die Hirnerscheinungen. Der Schlaf ist freilich noch immer etwas gestört, von Träumen, vielleicht von Wahnvorstellungen unterbrochen, allein allmählich wird er ruhiger, tiefer, erquickender. Der Puls wird mit der Atmung weniger häufig. Später stellt sich Appetit ein, und zweckmäßig gewählte Speisen werden ohne Beschwerden verdaut. Das Gefühl der Schwäche und objektive Kraftlosigkeit halten am längsten an. Der Ausgang ist vollständige Genesung oder, in minder günstigen Fällen, chronische Anämie (§ 76) mit allen ihren Folgen. Zu bemerken ist, daß während oder nach stärkeren Blutverlusten Sehstörungen bis zu vollständiger Blindheit auftreten, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl bleibende sind. Dieselben beruhen auf Degenerationen des Opticus und seiner Ausbreitung in der Retina. (ZIEGLEB.) Tierversuche haben gelehrt: Mit dem Blutverlust und nach demselben nimmt die Pulsfrequenz zu, erst nachdem große Mengen Blutes ausflössen, sinkt sie. Der Karotidendruck vermindert sich, während das Blut ausströmt, beträchtlich, sobald aber das Ausströmen aufhört, steigt er in weniger als einer Minute ungefähr bis zur früheren Höhe. Erst bei Annäherung an den Yerblutungstod — dieser tritt nach der Geschwindigkeit der Gefaßentleerung und mit individuellen Bedingungen wechselnd ein, sobald etwa 40 bis höchstens 75% der Anfangsmenge des Blutes entleert waren — bleibt der Karotidendruck tief. — Wie der Druck verhält sich die Geschwindigkeit des Blutes. Die Rückkehr su normalen Werten wird durch zwei Vorgänge ermöglicht. 1. Von den vasomotorischen Centren ausgelöste Verengeruug derjenigen Arterien, welche zu Organen führen, die zeitweilig mit geringen Blutmengen auskommen, ohne daß das Leben gefährdet würde. 2. Die Gewebsflüssigkeit, deren Menge und Spannung mit der innerhalb des geschlossenen Gefäßsystems vorhandenen Blutmenge und Blutspannung parallel läuft, tritt so lange in das entleerte Gefäßsystem über, bis das gestörte Gleichgewicht hergestellt ist. Da die Gewebsflüssigkeit keine roten Blutkörperchen enthält, wird deren Anzahl in der Raumeinheit des Blutes nach der Ergänzung seines Volumens geringer. Weniger ändert sich die Zusammensetzung des Plasma; immerhin hat dasselbe etwas mehr Wasser, vielleicht etwas weniger Albuminate. Die Blutmenge ist bei Verlusten von etwa 25 % nach Ablauf einiger Stunden, bei solchen von 50°/0 und darüber erst nach mehr als 24 Stunden die frühere geworden. Die roten Blutkörperchen sind nach Verminderung von 15 bis 50 % erst innerhalb 7 bis 34 Tagen wieder vollzählig. Der Stoffwechsel verändert sich so: Nach stärkeren Blutverlusten folgt bedeutende Vermehrung des Eiweißumsatzes, gesteigerte Ausscheidung von Harnstoff und Harnwasser, eine weniger erhebliche Verminderung
Akute Anämie.
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des Umsatzes stickstofffreier Substanz, der Kohlensäureausscheidung. Alles hält tagelang an und zeigt sich auch bei den vollkommener Inanition unterworfenen Tieren. Der Magensaft verdaut weniger und ist arm an Säure. Die Absonderung der Galle vermindert sich beträchtlich.
Die Leiche eines an Verblutung rasch zu Grunde Gegangenen bietet außer Blutarmut und einer gewissen Trockenheit sämtlicher Gewebe keine eigenartigen Zeichen. W a r der Verlauf ein so langsamer, daß Zeit für die Entwicklung anatomischer Veränderungen gewährt wurde, dann zeigt sich grössere Durchlässigkeit der Gefäße, wenn auch nicht an geweblichen Störungen, so doch aus denen ihrer Funktion erkennbar; daher Hydrops an den dem Einfluß der Schwere am meisten ausgesetzten, mit größeren Hemmungen des Blutlaufs belasteten Teilen des Körpers, manchmal sogar Austritt von Blut unter die Fläche der Haut, der serösen und Schleimhäute, sowie in die Gewebe, punkt- seltener flächeniormig. — Später kommt es zur fettigen Entartung zunächst bei den größeren Gefäßen von der Intima beginnend und auf die Media übergreifend, in schweren Fällen aber auch an den Kapillaren sich zeigend. Das Herz, zuerst das Endokardium, dann die Muskelschicht nimmt daran teil; auch das Zwerchfell bleibt nicht verschont. Ebensowenig die Nierenepithelien, die Leberzellen, die Schlauchdrüsen des Magens. Verminderter Hämoglobin- also auch verminderter Sauerstoffgehalt des Blutes ist Ursache der fettigen Entartung. Das aus dem Organeiweiß abgespaltene Fett bleibt unverbrannt an dem Orte seiner Entstehung liegen. Bemerkenswert ist, daß die Fettentartung in allen den Organen, welche thätig sein müssen, damit das Leben erhalten bleibe, also in den zur Arbeit anhaltend gezwungenen, vorzugsweise auftritt. Hier wird das Mißverhältnis zwischen Verbrauch und Ersatz am ehesten bemerkbar. Erst wenn längere Zeit, sei es wegen ungenügender Neubildung des Blutes, sei es wegen fortgesetzter Verluste an Blut, die Sauerstoffverminderung sich geltend machen kann, kommt es zu allgemeiner Fettentartung und Fettablagerung. Es ist erwähnenswert, daß nach der Ansicht Sachkundiger der Fettreichtum bei den zur Mast bestimmten Kälbern durch öfter wiederholte kleine Aderlässe außerordentlich gefördert wird. Die Diagnose einer stärkeren Hämorrhagie wird sich auf die bei rascherer Entleerung des Gefäßsystems hervortretenden Erscheinungen zu stützen haben; dieselbe ist sicher, sobald größere Blutmengen nach außen entleert werden. Täuschungen können durch hochgradige Änderungen in der Blutverteilung, wie dieselben durch Shock möglich sind, herbeigeführt werden; so kann es z. B. sich ereignen, daß die Perforation eines runden Magengeschwüres anfangs als innere Blutung sich darstellt. Die Prognose ist in erster Linie davon abhängig, ob es gelingt, der Blutung Herr zu werden, später, ob Regeneration des Blutes durch Aufnahme genügender Nahrung stattfinden kann. Beides wird durch das Grundleiden bestimmt. Nach schweren Hämorrhagien sei man in der Voraussage vorsichtig. Zufälligkeiten können unliebsam eingreifen, so z. B. psychische Erregung mit zeitweilig stärkerer Herzarbeit, gesteigertem Arteriendruck, dadurch gelockertem Thrombus und erneutem Verlust an Blut; ebenso vermag eine Lageveränderung des Körpers, wie plötzliches Aufrichten, den Tod durch akute Hirnanämie in kürzester Zeit herbeizuführen. — Das oben geschilderte Verhalten von Puls und Respiration giebt sichere prognostische Zeichen, ob unmittelbare Lebensgefahr vorhanden.
Krankheiten des Blutes.
156
Nächste Aufgabe der Therapie ist Blutstillung. Solche kann nur mittels Verschluß der Gefaßwunde geschehen, welcher durch die Bildung und Organisation der Thromben zum dauernden wird. Auf unmittelbares Eingreifen — Unterbrechung der Blutbewegung an dem Orte der Verletzung — muß die innere Medizin öfter verzichten. Tamponade mit oder ohne Beiziehung der styptischen Medikamente ist bei Hämorrhagien aus der Nase, aus dem Uterus, hin und wieder noch bei denen aus tieferen Darmteilen möglich, dort wird auch die Berieselung der blutenden Stelle mit Wasser oder Arzneilösungen von bestimmter Temperatur, vielleicht die Verschorfung durch glühendes Metall, gelingen. Unterbindung, Umstechung u. s. w. sind fast immer ausgeschlossen. Meist und gerade bei den schweren Blutungen (Lunge, Magen, Darm) kann es sich nur darum handeln,
die den natürlichen
Heilungsprozeß
begünstigenden
Maßregeln
zu
treffen.
1. Bis zum gesicherten Gefaßverschluß durch einen organisierten Thrombus — für die hier in Betracht kommenden Gefäße sind neun Tage im Maximum dazu nötig — ist die Herzarbeit anf dem geringsten, mit der Fortdauer des Lebens vereinbaren Stande zu halten: stärkerer arterieller Druck könnte Lockerung oder gar Fortspülung des in der Bildung begriffenen Thrombus herbeiführen. Die Hirncentren, die Atmungs- und Herzmuskulatur müssen genügend Blut erhalten — alles andere ist weniger zu berücksichtigen. — Die Durchführung dieses Grundsatzes wird erstrebt durch Beschränkung der Aufnahme von Nahrung, das Wasser eingeschlossen; es darf zur Zeit nur wenig, lieber öfter eine kleine Menge gereicht werden. Tieflegen des Kopfes, Hochlegen der im Notfall durch Bindeneinwicklung zeitweilig eines Teiles ihres Blutes beraubten Gliedmaßen (Autotramsfusion), damit möglichst viel des noch vorhandenen Blutes dem Hirn zur Verfügung stehe und die Schwerkraft auf die Bewegung desselben. zum Gehirn günstig wirke, kann sich als notwendig erweisen. Zeigt sich stärkere Hirnreizung, dann muß man zur Darreichung von Reizmitteln schreiten. — Oleum namphoratum bis zu 5 g ( = 0,5 Kampher), die ganze Menge nicht an einer, sondern an mehreren Stellen unter die Haut der Brust injiziert, bringt am besten den Blutdruck gleichmäßig in die Höhe. — Man warte nicht bis zum Eintritt von Krämpfen, welche, den Blutdruck plötzlich und stark vermehrend, zur Thrombenlösung Veranlassung geben; anhaltende Zunahme der Pulsfrequenz, Aussetzen der Atmung, Andeutungen des CHEYNE-STOKES'schen Phänomens weisen schon auf die Notwendigkeit der Reizmittel hin. — Die Wirkungsdauer des Kamphers ist auf 6—12 Stunden zu veranschlagen, mehr als 2 g pro die sollten nicht verwandt werden, 1 g genügt meist. Droht unmittelbare Lebensgefahr durch Hirnanämie, dann kann man Äther — einige PRAVAZ'sche Spritzen voll — injizieren. Dessen Wirkung geht bald vorüber, sie muß daher durch Kampher festgehalten werden. 2. Zerrung an zerrissenen Gefäßen wird durch Bewegung der Organe, zu welchen dieselben gehören, leicht herbeigeführt. Daher ist möglichste Beschränkung der Bewegung des blutenden Teils geboten. — Hier ist Opium am Platze. Es ist keine tiefe Narkose, nur Ruhe erforderlich. Ein bedeutender Vorteil der Opiate ist in der Linderung des nach größeren Blutverlusten so überaus quälenden Durstes zu suchen; auch der Hunger bleibt erträglich. — So wird die Durchführung der Nahrungsbeschränkung wesentlich erleichtert. Bei drohender Hirnanämie
hat die Anwendung
der Opiate, w e l c h e die E r r e g -
barkeit des Atmungscentrums herabsetzen, ihr Bedenkliches. Man sei überhaupt nach schwersten Blutverlusten damit vorsichtig.
Akute Anämie.
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Die Einverleibung frischen defibrinierten Blutes, das im Körper der gleichen Art lebensfähig bleibt — Transfusion —, vermag den Verlust unmittelbar zu ersetzen. Man kann erst dann zur Transfusion schreiten, wenn mit einiger Sicherheit ein festerer Verschluß der früher blutenden Gefäße angenommen werden darf; ist solcher nicht vorhanden, dann wäre Losspülung des verlegenden Thrombus mit weiterer Einbuße an Blut zu befürchten. Abgesehen von der mit Blutübertragung verbundenen Drucksteigerung überhaupt, ist man vor Schüttelfrost und Tempeiaturerhöhung (bis über 40°) nie sicher. Langsames Einfließen, mehr Eintröpfeln des Blutes ist unter allen Umständen notwendig. Dessen Menge sei nicht zu klein — bis 500 g sind transfundiert worden. — Das Blut kann nicht allein auf die zur Fortdauer des Lebens unmittelbar erforderliche Menge gebracht werden; als prophylaktisch-restaurierende ist die Transfusion erwünscht, wenn in schweren Fällen durch Nahrungsaufnahme eine genügende Ergänzung des Blutes innerhalb der notwendigen Zeit nicht herbeigeführt wird. Man setzt die der Assimilation dienenden Organe durch das neuempfangene Blut in die Lage, mehr von den zugeführten Nahrungsmitteln für den Körper verwertbar zu machen; so wird die Neubildung des Blutes begünstigt und die sekundäre Fettdegeneration beschränkt. — Man hat neuerdings die Transfasion von Blut ganz verwerfen wollen und an deren Stelle die Infusion einer Kochsalzlösung von 0,73% gesetzt. Von anderer Seite (LANDERER) wird entweder der Zusatz von 3 % Rohrzucker zu der genannten Kochsalzlösung, oder deren Mischung mit nicht defibriniertem Menschenblut — 1 Teil Blut und 3 bis 5 Teile Kochsalzlösung — empfohlen. Das Blut gerinnt in dieser Mischung erst nach zwei Stunden. Das absprechende Urteil über die Bluttransfusion gründet sich auf verhältnismäßig spärliche Tierversuche, denen ungezählte, aber sehr viele Erfahrungen bei Menschen gegenüberstehen. Was die genannten Infusionen bieten können, bleibt weiterer Erprobung vorbehalten. Die Bluttransfusion wird in geeigneten Fällen ihren Wert sicher behalten. Sorgfältige Diätetik hat daneben herzugehen. Von dem Zeitpunkte an, wo fester Gefäßverschluß angenommen werden kann, ist reichlicheErnährung geboten. E s kommt darauf an, möglichst viel Eiweiß zur Aufnahme zu bringen, da die Menge der roten Blutkörperchen von der den Körper durchströmenden Eiweißmenge bedingt wird. Die größte Rücksicht ist auf die immerhin noch geschwächte Thätigkeit der Verdauungsorgane zu nehmen; die dargereichte Nahrung muß also derart gewählt werden, daß sie für ihre Assimilation die geringsten Anforderungen stellt. Fett und Kohlenhydrate sind in ausreichender Quantität beizufügen, damit nicht von dem zugeführten oder vorhandenen Eiweiß Fett abgespalten werde. Wein als Sparmittel ist nicht zu vergessen. Drei, höchstens vier Mahlzeiten den Tag, eine jede von annähernd gleicher Stärke, in Zwischenpausen von mindestens vier Stunden sind den häufig wiederholten vorzuziehen; man thut gut, den schwachen Verdauungswerkzeugen die Arbeit so einzurichten, daß ihnen nach derselben ausreichende Ruhe gegönnt ist. Acidum hydrochloricum dilutum — 10 bis 15 Tropfen in soviel Wasser, daß die Zähne nicht stumpf scheinen — während der Mahlzeit genommen gleicht den Säuremangel des Magensaftes aus; Pepsin ist seltener von nöten. Man halte auf genügende Zerkleinerung der festen Speisen durch feines Zerschneiden und gutes Kauen. Wenigstens für den Anfang sind einfachste Nahrungsmittel dringend zu empfehlen. Geschabtes, von Sehnen und Fascien befreites Fleisch braucht roh genossen kaum die Hälfte der Verdauungszeit des gekochten, es kann mit Fleischbrühe von 40 oder auf Bntterbrot — dann nicht zu wenig Salz und etwas Pfeffer — genommen werden und wird bis zu 300 g pro die gut ertragen. Gleiches gilt von dem in dieser Form dargereichten sogenannten Hamburger Rauchfleisch. Frische Butter, feines Weizenbrot, Kindermehl als Brei oder Suppe, aber immer eine halbe Stunde lang mit Wasser gekocht, ebenso die Leguuiinosenpräparate — das alles gestattet bei geringsten Ansprüchen an die Verdauung die größte Zufuhr des Ersatzes. Als Getränk diene während der Mahlzeiten leichter Rotwein — am besten Bordeaux. Man steige bei nicht Gewöhnten allgemeine Alkoholwirkung vermeidend langsam bis auf eine Flasche den Tag. — Der Übergang zu den Erzeugnissen der feineren Küche geschehe allmählich. Wann derselbe erlaubt werden kann, das hängt sehr von der individuellen Verdauungskraft ab. Ein mit sogenanntem ,,guten Magen" Beglückter, dessen Blutverlust nicht
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Krankheiten des Blutes.
mit chronischem Siechtum einhergeht, wird bald von der einförmigen Kost erlöst werden können; im anderen Fall kann dieselbe ein Jahr und darüber fortgesetzt werden müssen.
Längeres Bettliegen, mit welchem geringerer Wärmeverlust und. weniger Muskelund Nerventhätigkeit verbunden ist, ebenso das Fernhalten geistiger und gemütlicher Erregungen — mit einem Wort: Beschränkung unnötiger Ausgaben ist nach schweren Blutverlusten für nicht zu kurze Zeit dringend geboten. Sie giebt den besten Schutz gegen fettige Entartung, welche an den zur fortdauernden hohen Leistung gezwungenen Organen, vor allem an dem Herzen, der Blutarmen so leicht eintritt. Erst wenn die Zusammensetzung des Blutes annähernd die normale geworden, darf der Kranke das Bett verlassen. Man gestatte ihm die Rückkehr zu seiner gewohnten Thätigkeit erst dann, wenn sich seine Kräfte wieder eingestellt haben, und warne ihn vor jeder Überanstrengung. Gebrauch von Eisenpräparaten, deren Nutzen keineswegs feststeht, ist während der Rekonvalescenz auf die Fälle zu beschränken, bei denen eine Störung der Verdauung durch das Medikament ausgeschlossen bleibt. Eisenwässer sind zu vermeiden, da dieselben durch ihre Masse den Magen belästigen. § 76.
Chronische Anämie.
C h r o n i s c h e A n ä m i e wird durch mannigfaltige Umstände bedingt. Man trennt Anhämatosis — mangelhafte Blutneubildung in einem schwererer Schädigung nachweisbar nicht unterworfenen Körper — und Hämophthisis — rasche Aufzehrung des Blutes, bedingt durch erkennbare pathologische Zustände. Solche kaum durchführbare Scheidung ist praktisch von geringerem Werte. — Stets ist daran festzuhalten, Stoffwechsel dieses
daß eine Verschlechterung Organs selbst die Ausgabe
des Blutes nur erfolgt, sobald in dem die Einnahme übertrifft. D e r Grund
einer Anämie läßt sich einzig durch sorgfältige Analyse des Einzellebens feststellen. Diese hat die Stärke der ursprünglichen Anlage — der Konstitution — gebührend zu berücksichtigen: der weniger festgefügte Körper erleidet leichter Einbuße an Blut und gleicht einen erlittenen Verlust schwerer aus. — Mit diesem Grundsatz übereinstimmend finden wir Anämie bei Kindern, Greisen und Weibern häufiger, als bei vollkräftigen Männern. Als unmittelbar die chronische Anämie veranlassend, sind neben der nicht vollständigen Herstellung nach Blutverlüsten zu nennen: 1. Ungünstige Lebensverhältnisse im weitesten Umfang: Mangel an frischer Luft, Bewegung, Licht, Wärme, an Ruhe nach der Arbeit, an Schlaf, endlich an passender Nahrung. Herabstimmung des Gemütes, verringerte Lebensfrische und verminderter Lebensmut fallen mit den genannten Bedingungen zusammen. Die Hauptmasse der Anämien in unserem vielfach „blutarm" genannten Zeitalter dürfte zu dieser Gruppe gehören. 2. Störungen, die ihren Ursprung in den Geschlechtsfunktionen haben. Bei Weibern Menstruatio nimia, zu häufige Schwangerschaften, zu lang fortgesetztes Stillen; bei Männern Exzesse in venere. 3. Eigentliche pathologische Störungen. Die, unmittelbare Schädigung des Blutes als eines selbständigen Organes herbeiführenden Erkrankungen, wie Nephritis mit reichlicher Eiweißausscheidung, anhaltende Masseneiterungen, große Exsudate, hartnäckige Durchfälle, rasch sich entwickelnde Pseudoplasmen, dann jedes Fieber, können von den direkt die Organe der Assimilation treffenden Erkrankungen,
Akute und chronische Anämie.
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welche den Ersatz der verbrauchten Bestandteile des Blutes erschweren, geschieden werden. Letztere (Magen, Darm, Leber) erkranken selbständig, oder werden in der Ausübung ihrer Thätigkeit gehemmt; dieses namentlich dann, wenn ihnen wegen ungenügenden Kreislaufes nicht ausreichend arterielles Blut zuströmt. Die Erkrankung der blutbereitenden Organe und des Blutes selbst werden herkömmlich für sich behandelt. Die Veränderungen in der Zusammensetzung des Blutes sind minder ausgebildet, im ganzen aber die gleichen, wie die im folgenden § besprochenen. Neben Blässe der Körperoberfläche bildet eine, der Hämoglobin Verminderung im Blute entsprechende Herabsetzung der früheren Arbeitstüchtigkeit aller Organe die Grundlage für (las Krankheitsbild jeder Anämie. Geringeren Anforderungen, sei es, daß diese mit fortlaufender kleinerer oder mit kurzdauernder einmaliger größerer Leistung verbunden sind, kann genügt werden; sobald sich dieselben aber steigern, tritt Versagen ein. Die Klagen der Kranken beziehen sich auf die ihnen durch den häufigeren Gebrauch am ehesten leistungsunfähig erscheinenden Teile: Puls und Atmung bleiben in der Ruhe normal, aber sie werden häufiger, sobald durch Bewegung die Bedürfnisse der Muskeln wachsen — Herzklopfen und Atemnot stellen sich dann gleich ein. Den Verdauungswerkzeugen des Blutarmen gelingt die Bewältigung geringerer Mengen einer passend ausgewählten Nahrung, wird ein Diätfehler begangen, dann folgen rasch dyspeptische Beschwerden, mit denen Verstopfung und Diarrhöe, in häufigem Wechsel verbunden sind. — Jede nennenswerte geistige Thätigkeit muß durch Willensanstrengung erzwungen werden, sie endet bald mit Abspannung und Müdigkeit. Gegenüber der Zeit der Arbeit verlangt die der Ruhe größeren Raum; das Schlafbedürfnis ist vermehrt. Dennoch ist meist die nervöse Erregbarkeit gesteigert: vorher kaum empfundene Reize führen bei Anämischen zu Auslösungen, welche im Mißverhältnis zu ihrer Stärke stehen. Man spricht mit gleichem Recht von vermehrter Verletzbarkeit der Gewebe — größerer Neigung zum Erkranken — wie von Empfindlichkeit auf geistigem Gebiete und auf dem des Gesamtnervensystems. Reizbarkeit, Launenhaftigkeit, Neigung zur Dyspepsie, zu Erkältungen, geringere Widerstandsfähigkeit gegen infektiöse Krankheitserreger, schwereres Ergriffensein bei Infektionskrankheiten, das alles kommt Blutarmen zu. Nicht selten finden sich Neuralgien, unter den visceralen die des Magens und des Uterus, unter den peripheren solche im Trigeminusgebiete. — Rückenschmerzen, bei Frauen häufig, mögen zum Teil von den Nerven der Genitalien irradiirte sein, daneben kommt sicher auch die Ermüdung der durch die aufrechte Körperhaltung dauernd zur Thätigkeit gezwungenen Rückenmuskeln in Betracht. — Seltener überwiegt die gesteigerte Erregbarkeit des Gehirns in dem Maße, daß erhebliche Störungen des Schlafs länger vorwalten — die Gesamtleistung des Körpers geht dann fast ganz in dem Wachen auf. Gewöhnlich sind alle Organe weniger leistungsfähig, es kommt aber auch vor, daß Eines seine Thätigkeit auf Kosten des Ganzen unentwegt fortsetzt: häufige Schwangerschaft bei blutarmen Weibern ist nicht ungewöhnlich, blutarme Arbeiter, sei es der Hand oder des Gehirns, braucht man nicht zu suchen. Ziemlich regelmäßig finden sich Geräusche am Herzen, die fast immer mit dessen Systole zusammenfallen und über dem linken Ventrikel und der Pulmonalarterienmündung (zweiter linker Interkostalraum) am lautesten sind (anämische Geräusche § 132). Bei höheren Graden der Anämie hört man an vielen der größeren
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Krankheiten des Blutes.
oberflächlicher gelegenen Arterien ein systolisches Sausen. — Bei Blutarmen hört und fühlt man sehr oft mit großer Deutlichkeit an dem unteren Teil der Vena jugularis ein starkes Schwirren, welches beständig ist, sich aber mit den Atmungsbewegungen verstärkt — Nonnensausen. Seine Entstehung ist darauf zurückzuführen, daß aus dem engeren oberen Teil der Yene Blut in den weiteren unteren einströmt, welcher, da der Stamm der Vene hinter der Articulatio sterno-clavicularis fest angeheftet ist, nicht wie der freie obere Teil seinen Umfang verkleinern kann, wenn die Menge des einströmenden Blutes geringer wird. Das Geräusch hat nichts Pathognomonisches, da es auch, freilich unter anderen Bedingungen, bei Gesunden auftritt. Wenn sich anatomische Veränderungen überhaupt finden, sind dieselben mit denen nach akuter Anämie identisch. Die Diagnose der chronischen Anämie stützt sich objektiv auf die Blässe der Haut und der sichtbaren Schleimhäute, die Insuffizienz der Atmung und des Kreislaufs bei irgend stärkeren Forderungen an die ihnen dienenden Organe. Kopfweh, Abgespanntsein, Mangel an Frische, an Arbeitslust und Arbeitsfähigkeit, Herzklopfen, Atemnot, schlechter Magen, erschwerter Stuhl, Schlafsucht oder Schlaflosigkeit, das sind die gewöhnlichen Klagen der Blutarmen. Es versteht sich, daß mit der Diagnose Anämie nur ein Symptom gekennzeichnet wird, welches auf seine Ursache zurückgeführt werden muß. Die Prognose ist stets von dem Grundleiden bedingt. Wäre man imstande, die erkannten Schädlichkeiten wegzuräumen, dann wäre die Behandlung der Anämie ebenso leicht wie dankbar. Da der Arzt meist mit unabwendbaren Notwendigkeiten zu thun hat, ist seine Aufgabe, gleichgültig welche Lebenskreise in Betracht kommen, oft genug eine wenig lohnende. Die genaue Kenntnis der Lebensverhältnisse des Kranken muß jeder fruchtbringenden Therapie zu Grunde gelegt werden. Man lasse sich eine bis in das kleinste eingehende Schilderung des Alltaglebens geben, welche die Ernährung, die Beziehungen zwischen Arbeit und Rühe, die tägliche Bewegung an der Luft besonders zu berücksichtigen hat. Ist es möglich in dieser Richtung Mißstände zu finden und zu beseitigen, dann hat man meist schon einen wesentlichen Vorteil für den Kranken erreicht. Daß jeder Verlust an Blut vermieden werden muß, ist selbstverständlich. Bei anämischen Frauen halte man, selbst dann, wenn die Menstruation an sich nicht besonders reichlich ist, strengstens darauf, daß die Tage der eigentlichen Blutung absolut ruhig im Bette zugebracht werden. — Das Stillen ist blutarmen Frauen nicht unbedingt zu untersagen; es kommt vor, daß der damit verbundene Eiweißverlust durch regeren Appetit und bessere Assimilation überkompensiert wird. Treten aber die Zeichen der Anämie stärker hervor, dann ist es Zeit Halt zu gebieten. — Das ärztliche Verbot vermag ebenso selten bei Weibern die Wiederkehr der Schwangerschaft, wie bei Männern geschlechtliche Ausschweifungen zu verhüten. Die Therapie der durch nachweisbare pathologische Veränderungen herbeigeführten Anämie ist von der Beseitigung der Grundursache beeinflußt. Für die diätetische und medizinale Behandlung der Anämie als solcher gelten die im § 74 aufgestellten Regeln. Es bleibt nur zu bemerken, daß erfahrungsgemäß manchmal, wenn die Eisenpräparate nicht einschlagen, die arsenige Säure gute Dienste thut. Dieselbe ist von 0,002—0,005 g einmal täglich nach dem Essen zu nehmen (R.Nr. 1).
Chronische und pernicioso Anämie.
§ 77.
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Perniciöse Anämie.
Schwerste Formen der chronischen Anämie werden unter dem Namen p e r n i c i ö s e A n ä m i e zu gesonderter Krankheitsgruppe vereinigt. Dieselbe stellt keine aetiologische, nur eine durch die Erscheinungen der Störungen und durch die anatomischen Veränderungen gekennzeichnete Einheit dar. Es ist daher auch eine scharfe Abgrenzung gegen die chronische Anämie gegenwärtig noch nicht durchführbar. — Immer dürfte es sich um eine wirkliche Organerkrankung des Blutes handeln. Soweit deren Ursachen noch vollkommen unbekannt sind, mag man von idiopathischer essentieller Anämie reden. Allein es ist wohl nur eine Frage der Zeit, daß mehr und mehr unter diesen unbekannten Ursachen aufgeräumt wird. Ein Anfang ist schon gemacht. Abgesehen von der Einwanderung und Ansiedlung des Anchylostomum duodenale, welcher unmittelbar dem Körper seines Wirthes Blut in größeren Mengen entnimmt, kommen andere Darmbewohnende Schmarotzer in Betracht, so in erster Linie der Bothrioeephalus latus. Wie dieser eine schwere Erkrankung des Blutes herbeizuführen vermag, ist freilich noch vollkommen dunkel. Der Beachtung nicht unwert scheint es, daß die Anwesenheit anderer gewöhnlich harmloser Parasiten (Bakterium termo) im Darm in ursächlicher Beziehung zu der pernieiösen Form der Anämie stehen kann. — Unter die bekannten Veranlassungen sind alle jene einzureihen, welche im vorhergehenden § genannt wurden, es dürfte nur die Schwangerschaft besonders hervorzuheben sein. Das Kindes- und Greisenalter ist weniger disponiert. Es scheint, daß nicht alle Gegenden gleichmäßig heimgesucht werden; der Kanton Zürich hat bisher die meisten Fälle geliefert. In der Erscheinungsfarm stellt die perniciöse Anämie nur eine Steigerung der bei Anämie überhaupt sich zeigenden Krankheitszeichen dar. Eigenartig, keineswegs pathognomonisch, sind: 1. Stärkeres Hervortreten der funktionellen Störungen im Kreislauf, namentlich der auskultatorischen Zeichen vom Herzen. 2. Blutungen, besonders häufig in der Retina, bisweilen auch unter die Haut. 3. Fieber, atypisch, stark remittierend, nicht auf nachweisbare Ursachen zurückzuführen; dasselbe räumt gegen das Lebensende tagelang anhaltenden subnormalen Temperaturen den Platz ein. Die allgemeine Ernährung ist äußerst wechselnd: große Abmagerung und leidliche Körperfülle kommen vor. — Die anatomische Untersuchung lehrt, daß die Anzahl der roten Körperchen im Blute und damit dessen Gesamtgehalt an Hämoglobin erheblich vermindert ist (auf ein Zehntel und noch mehr), dabei ist der Hämoglobingehalt des einzelnen roten Körperchens vielleicht größer als in der Norm. Weiter bieten die roten Blutkörperchen erhebliche Schwankungen in der Form und Größe dar. Man findet ganz kleine, fast wie Bruchstücke sich ausnehmende und, diese an Zahl übertreffend, ganz große (Megaloblasten). Auch die Gestaltung zeigt reichen Wechsel; neben der normalen Form sieht man die des Eies, der Birne, der Keule u. s. w. (Poikilocytose). Außerdem kommen kernhaltige rote Blutkörperchen vor. Das Blut ist dünnflüssig, schwächer rotgefärbt, nach einigen sogar braunrot. Die Blutmenge im ganzen scheint verringert und eine wahre Atrophie des Organe* Bht da zu sein. v. J u r g e n n e n , Spez Patli u Ther. II. Auf!
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Krankheiten «les Blutes.
Nicht ganz selten ist das Knochenmark eigentümlich verändert, dunkel-karminrot gefärbt, dein Himbeergelee ähnlich; dasselbe enthält große Mengen kernhaltiger roter Blutkörperchen. — Das meist nur leicht erweiterte Herz ist fettig degeneriert. Die Entartung tritt herdweise stärker auf, die Papillarmuskeln leiden besonders. Die Intima der größeren Arterien und einzelne Kapillarbezirke (Gehirn) werden gleichfalls von fettiger Entartung betroffen. — Bisweilen ist eine Zunahme des Eisengehaltes in der Leber, den Nieren, dem Pankreas anzutreffen; das Metall befindet sich nicht im gleichen organischen Molekularverbande wie bei dem lebenden roten Blutkörperchen, es ist ohne weiteres durch die gewöhnlichen Reagentien (Schwefelammonium) nachweisbar. Der Verlauf der pernieiösen Anämie ist in vielen, aber nicht in allen Fällen ein unaufhaltsam zum Tode führender — „progressive" pernieiöse Anämie ist daher eine nicht unbedingt zutreffende Bezeichnung. — Man rechnet die Dauer der Krankheit von einigen Monaten bis höchstens zu einem Jahre. — Recidive nach Scheinbesserung sind nicht ausgeschlossen; plötzliche günstige Wendung wurde selbst in scheinbar verzweifelten Fällen beobachtet. — Die Prognose ist im allgemeinen zweifelhaft: einzelne Beobachter hatten 80—90 Prozent Tote — jedenfalls nicht ohne weiteres günstig. Gelingt es die veranlassende Ursache ausfindig zu machen und zu beseitigen, dann sind die Aussichten auf Genesung bessere. Das Blut selbst kann trotz schwerer Veränderungen wieder normal werden. Die Diagnose ist zunächst eine ausschließende: Pseudoplasmen, Blutverluste aus schwerer erkennbarer Ursache (z. B. Anchylostomum duodenale) sind, ebenso wie Leukämie, Pseudoleukämie, ADDISONS Krankheit, als nicht vorhanden zu erweisen, ehe man aus der jeder Behandlung trotzenden und andauernden Verschlechterung des Blutes zur positiven Feststellung kommen kann. Für diese ist die in gewissem Zeitabstand wiederholte Zählung der Blutkörperchen und die Bestimmung des Hämoglobingehaltes ausschlaggebend. Nachdem alle Quellen direkter Schädigung verstopft sind, muß die Therapie mittels einer den individuellen Verhältnissen angepaßten Ernährung Wiedererzeugung des Blutes anstreben. Es gelten im allgemeinen die bereits besprochenen Regeln: Verhütung aller unnötigen Ausgaben neben möglichst günstigen Assimilationsbedingungen für die Einfuhr. — Unmittelbarer Ersatz durch Transfusion ist nicht immer ohne Glück ausgeführt. — Nach vereinzelten Erfolgen wären unter den Arzneimitteln als des Versuchs werte die arsenige Säure und der Phosphor in langsam steigender, nicht zu großer Gabe zu nennen. Es ist immer an die Möglichkeit einer vom Darm aus wirkenden, auf dort angesiedelten Parasiten beruhenden Schädigung des Blutes zu denken. Daher kommt wenigstens ein Versuch mit den hier anzuwendenden Mitteln, vor allem mit dem Extraktum filicis aethereum, für schwere, in ihrer Entstehung unklare Fälle in Frage. — § 78.
Chlorose.
Eine eigenartige wirkliche Organerkrankung des Blutes ist die C h l o r o s e (Bleichsucht,). Sie befallt in überwältigender Mehrzahl Weiber, ist in den Kinderjahren sehr selten, stellt sich um die Zeit der Pubertät ein und hält öfter bis zur Vollendung des Wachstums an. Chlorose trifft also meist auf das 12 bis höchstens das. 24. Jahr. Fordauer der Bleichsucht bis zum Erlöschen der weiblichen Fortpflanzungsfälligkeit wird nur in seltenen Fällen beobachtet. Fraglich
Perniciöse Anämie. Chlorose.
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bleibt es, ob ein bis dahin verschonter weiblicher Organismus nach Erlangung seiner Vollreife von Chlorose ergriffen werden kann. — Die spärlichen Erkrankungen des männlichen Geschlechts fallen durchaus mit dem Eintritt derZeugungstahigkeit zusammen. Hin und wieder mag ein die Lebensverhältnisse ungünstig beeinflussendes Moment die schon vorhandene geringere Anlage zur Entwicklung bringen — die eigentlichen veranlassenden Bedingungen sind individuelle, möglicherweise durch Anerbung erworbene. Die Minderzahl der Bleichsüchtigen zeigt Veränderungen anderer Organe als des Blutes. Dieses hat konstant Hämoglobinverminderung o o — in maximo bis etwa ein Fünftel der Norm. Es kann sich um Abnahme des Hämoglobins bei gleichbleibender Zahl der roten Blutkörperchen, um wahre Oligochromämie, handeln, meist ist neben dieser auch wirkliche Verminderung der roten Blutkörperchen — Oligocythämie — vorhanden. Soweit bekannt, ist die Zusammensetzung des Plasma nicht erheblich geändert und die Gesamtmenge des Blutes nicht verkleinert. — In hartnäckigen, die Entwicklungsperiode überdauernden Fällen fand man eine geringere Weite der arteriellen Hauptstämme, besonders der Aorta, daneben kamen hin und wieder Anomalien in der Abzweigung der Arterienäste vor. Gröbere Veränderung dieser Gefäße fehlte, namentlich war auch ihre Elastizität nicht beeinträchtigt, nur die Intima zeigte manchmal eigentümliche, aus ungleichmäßigem Wachstum hervorgegangene Gitterung und ausnahmsweise geringe fettige Entartung. Das Herz kann, mit der zurückgebliebenen Gefäßentwicklung gleichen Schritt haltend, klein sein; es kommt aber neben der häufigeren leichten allgemeinen Dilatation auch wahre Hypertrophie, besonders solche des linken Ventrikels, vor. — Die weiblichen inneren Geschlechtswerkzeuge sind hin und wieder mangelhaft ausgebildet; häufiger als der Uterus, dessen Körper dann kindliche Form zeigt, sind die Ovarien betroffen. Andererseits ist vorzeitige, rege Thätigkeit der normal großen Organe nicht ausgeschlossen. Zwergwuchs (allgemeine Wachstumhemmung) ist in seltensten Fällen mit Chlorose verbunden beobachtet. — Man unterscheidet die kurz dauernden, nur innerhalb der Entwicklungsperiode auftretenden Formen (transitorische Chlorose) von den häufiger wiederkehrenden (recuhvierende Chlorose) oder anhaltenden (habituelle Chlorose). Die letzterwähnten sind seltener. Die Symptome der Chlorose sind im großen und ganzen die gleichen wie die bei chronischer Anämie. — Die Körperfülle der Chlorotischen ist häufiger vermehrt als vermindert. Das Gesicht erscheint blaß, mit einem Stich ins Gelbe, gleichzeitig aber wie gedunsen, entfernt an hydropische Schwellung erinnernd. — Die Schleimhäute sind sehr farblos. Klagen über Herzklopfen und Atemnot hört man besonders häufig: Herz- und Atembewegungen sind wohl auch in der ltuhe meist etwas beschleunigt, sie steigen nach Anstrengungen, selbst nach leichteren recht erheblich. Herz- und Gefäligeräusche sind oft anzutreffen; ob vorübergehend Herzvergrößerung, auf Dilatation beruhend, vorkommt, ist zweifelhaft. Der Appetit kann ziemlich normal sein. Wie bei Schwangeren treten hin und wieder Gelüste (picae) nach ganz sonderbaren, wenig lockenden Dingen auf: Kreide und Essig werden nicht nur von blühenden Mädchen genommen, um mit der vermeintlich dadurch erzeugten Chlorose ein „interessantes" Aussehen zu bekommen; auch hinreichend Bleichsüchtige schwelgen in diesen Genüssen. Die Verdauung braucht nicht erschwert zu sein, indes zeigen sich häufig dyspeptische 11*~
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Krankheiten des Blutes.
Zustände. Neben diesen finden sich kardialgisehe Anfälle, meist vor dem Essen, gewöhnlich durch Nahrungszufuhr gemildert oder aufgehoben. Verlangsamung des Stuhlganges ist sehr oft da. — Die Menstruation ist in irgend einer Weise fast immer gestört. Stärkere Molimina: Kreuzschmerz, nach vorn in die Oberschenkel ausstrahlend, Tenesmus der Blase, unter Umständen heftige Allgemeinerscheinungen, selbst Krämpfe können tagelang der Blutung vorhergehen. Die Periode ist zeitlich unregelmäßig, meist sind die einzelnen Menstruationen durch einen längeren Zwischenraum getrennt, es kann sogar zum vollständigen Aussetzen der Blutung kommen, welche dann erst nach gehobener Chlorose wiederkehrt. Seltener finden sich kurze Intervalle und ungewöhnlich starke Blutverluste. Die Fähigkeit zur Konzeption ist nicht immer aufgehoben, häufig aber ist sie beschränkt. — Fluor albus zeigt sich nicht selten. Gesteigerte Reizbarkeit auf psychischem Gebiete pflegt nicht zu fehlen; Chlorotische haben in ihren Empfindungen mitunter etwas Verschrobenes, und eine gewisse Launenhaftigkeit läßt sich den meisten nicht absprechen. Daß ihr Fühlen und Denken sich mit Vorliebe auf erotischem Gebiete bewege, ist eine durch ofte Wiederholung keineswegs glaubwürdiger gewordene Behauptung. — Große Empfindlichkeit der Vasomotoren, Erröten und Erblassen, soweit davon geredet werden darf, bei der Einwirkung geringfügiger Veranlassungen ist charakteristisch. Damit hängt vielleicht zum Teil die Neigung zu Kopfweh, das in Anfällen auftritt und zu echter Migräne sich steigern kann, zusammen. — Es ist zu bemerken, daß trotz habituellen hochgradigen Müdigkeitsgefühls unter Umständen die absolute Kraftleistung Bleichsüchtiger eine recht erhebliche genannt werden muß; die Arbeit einer gesuchten Tänzerin in einer Ballnacht dürfte nicht gering sein. Berücksichtigung der erwähnten ätiologischen und symptomatologischen Verhältnisse erlaubt unschwer die Diagnose auf Chlorose zu stellen. Wichtig ist es, sich damit nicht von vornherein zu begnügen, sondern auf das Vorhandensein der öfter neben Chlorose sich zeigenden Krankheiten zu untersuchen. Diese sind Ulcus ventriculi und Spitxenerkrankungen der Lunge. Daß beide Leiden sich eine Zeitlang unter der Maske der Bleichsucht verbergen können, steht fest; es ist daher in hartnäckigen Fällen dringend notwendig von Zeit zu Zeit trotz früheren negativen Ergebnisses wieder zu untersuchen. Größere Neigung zur Endokarditis dürfte nur den mit Gefaßhypoplasie verbundenen schweren Chlorosen zukommen. — Die Prognose ist meist günstig; dauernde Heilung bleibt wohl nur dort aus, wo die beschriebenen Entwicklungshemmungen des Blutgefäßsystems vorliegen, denen eine gleiche des Blutes selbst sich anreihen mag. — Sich selbst überlassene Chlorose verläuft schleppend, Naturheilung erfolgt erst spät, die Neigung zu Recidiven ist hier noch größer, als bei der lege artis behandelten. Bei der Behandlung der Chlorose spielt das Eisen eine Hauptrolle; es vermag zweifellos deren Heilung zu bewirken, wo solche überhaupt möglich ist, in dem kleinen Rest der Fälle vermag es mindestens erhebliche Besserung herbeizuführen. Ebenso lehrt die Erfahrung, daß bei nicht wesentlicher Störung der Magen- und Darmthätigkeit das Mittel allein genügend ist. Eisenpräparate werden am besten während und unmittelbar nach den Mahlzeiten genommen, so daß sich die Tagesdosis auf drei bis vier Einzelgaben verteilt. Große Gaben sind den kleineren vorzuziehen, man reiche täglich bis zu 1 g metallischen Eisens; am besten das Ferrum reduct.vm. Ein reines Präparat (89,75% Eisen enthaltend), wie wir es
Chlorose.
Leukämie.
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jetzt in der Pharmakopoe haben, belästigt den Magen wenig und läßt sich als Pulver jeder Speise beimischen, ohne deren Geschmack zu verändern. Auch di e Pilulae ferri carbonici (Ph. Germ.) sind empfehlenswert: da jede 0,025 g Eisen enthält, kann man ohne zu groiie Ansprüche an das Schluckvermögen seiner Patienten zu machen, freilich nur geringere Eisenmengen einführen. Man giebt 10 bis 12 Pillen den Tag. Die Blaud'schen Pillen (R Nr. 31) (in jeder 0,0184 g Eisen) werden in maximo zu 15 Stück den Tag = 0,27(j g Eisen verordnet. — Weitere häufig gebrauchte Präparate haben einen Gehalt an metallischem Eisen: Ferrum carbonicum saccharntum 10%, ohne üblen Geschmack; lacticum 1,9%, oxydatum saccharatum solubile 3%, etwas metallisch schmeckend. Die Eisenlösungen sind wenig empfehlenswert, da sie schlecht schmecken und den Zähnen nicht gut sind. Finden sich erheblichere dyspejitische Störungen, dann thut man wohl daran
vor oder gleichzeitig mit dem Gebrauch des Eisens eine Diät nach § 192 anzuordnen. In schwereren Fällen ist solche immer und nicht selten jahrelang geboten. Zugleich regle man die Lebensweise, gewöhne die Kranken an Bewegung in der Luft, an vernünftige Zeiteinteilung und an richtigen Wechsel zwischen Arbeit und Ruhe; pädagogische Thätigkeit bleibt dem Arzte nicht erspart. Es ist besonders darauf zu achten, dal! etwaige Kardialgien nicht durch den Genuli sehr heilier Flüssigkeit oder starker Alkoholica bekämpft werden, ebenso ist Morphium dabei am besten ganz zu vermeiden. Ulcus ventriculi tritt nach dem erstgenannten, Trunk- oder Morphiuinsucht nach dem letzterwähnten bisweilen ein.
Chlorose verbietet die Ehe nicht, sollte indes vor deren Eingehung beseitigt, mindestens aber erheblich gebessert sein. § 79.
Leukämie.
Die Veränderung des Blutes, bei 'welcher dauernd die Zahl der weißen Körperchen in der Raumeinheit erheblicher vermehrt,.'die der roten und damit auch die Menge des Hämoglobin vermindert ist, bezeichnen wir als L e u k ä m i e . Fastf niemals ist das Blut allein betroffen: die Milz, die Lymphdrüsen, das Knochenmark sind entweder alle zusammen, vielleicht sind zwei von ihnen, vielleicht ist auch nur eines gleichzeitig ergriffen. Man redet daher von Henaler, lymphatischer und medullärer Leukämie oder von Mischformen, welche lienal- lymphatische, lienal-medullare u. s. w. genannt werden. Ob eine primäre Erkrankung der genannten, wie man annimmt, mit der Bildung des Blutes in innigstem Zusammenhang stehenden Organe oder eine solche des Organes Blut selbst vorliegt, ob dann nur sekundär dieses oder jene beteiligt sind, bleibt unentschieden. Die Anschauung, welche Leukämie als ein durch spezifische Infektion bedingtes Leiden betrachtet, ist theoretisch einleuchtend, aber noch nicht erwiesen; sie würde beide Möglichkeiten zulassen. Statistisch-ätioloyisch läßt sich über die seltenere Krankheit wenig sagen: von der achten Woche des Lebens bis zum 70. Jahre ist dieselbe beobachtet, etwa ein Drittel der bekannten Fälle betrafen das weibliche, zwei Drittel das männliche Geschlecht. Bei diesem scheinen die Jahre vom 30.—40., bei jenem das folgende Dezennium stärker disponiert. Als veranlassende Ursachen werden mit zweifelhaftem Rechte Intermittens, Syphilis, chronische Darmkatarrhe, Verwundungen, heftige Erkältung genannt. Die konstante anatomische Veränderung weist bei der Leukämie das Blut auf. Es ist schon bei makroskopischer Untersuchung wenig gefärbt, verdünnt erscheint dasselbe trübe. Ein mehr oder minder grobes Mißverhältnis zwischen roten und weißen Blutkörperchen ist pathognomonisch. Man nimmt an, daß in dem aus den
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Krankheiten des Blutes.
Gefäßen entleerten normalen Blute — viele weiße Zellen gehen ja stets unmittelbar nach der Entleerung zu Grunde — etwa 1 weißes auf 300 bis 350 rote Blutkörperchen kommt. Bei der Leukämie ist im Maximum ein weißes auf zwei rote beobachtet worden. — Der Hämoglobingehalt des Blutes sinkt bis auf ein Viertel der Norm, um ebensoviel nimmt die absolute Menge der roten Körperchen ab; es handelt sich also auch um echfc Oligocythämie. Die farblosen Elemente sind bei der lienalen Form größer, sie gleichen den weißen Blutkörperchen und haben meist mehrfache, häufiger in der Teilung begriffene körnige Kerne; bei der lymphatischen Form sind sie durchschnittlich kleiner als rote Körperchen und mit größeren, einfachen, stärker granulierten Kernen versehen. Das Auftreten kernhaltiger roter Blutkörperchen, für die medulläre Form eine Zeitlang als charakteristisch angesehen, hat nach neueren Erfahrungen solche Bedeutung nicht. — Nach dem Tode trifft man innerhalb der weißen Zellen, an denselben oder frei im Serum die CHARCOT'sehen Krystalle, farblose kleine Oktaeder, manchmal in Spindelform erscheinend, welche aus Eiweiß oder einer demselben nahestehenden Substanz der weißen Körper gebildet sind. Sie kommen im Knochenmark regelmäßig normal vor und haben an sich nichts Spezifisches. Die im leukämischen Blute gelösten Substanzen: Hypoxanthin, Ameisen- und Milchsäure werden als Beweise für vermehrten Milzstoffwechsel betrachtet. Die leukämische Milz ist bei unveränderter Form sehr erheblich — bis um das Sechsfache — vergrößert, ihr Gewicht kann das der Norm um das 15 fache übertreffen. Anatomisch handelt es sich um Hyperplasie, welche zuerst die lymphatischen, später die bindegewebigen Elemente trifft. — Die einzeln bis zur Hühnereigröße anwachsenden, durch Verschmelzung benachbarter aber Geschwülste von Kindskopfgröße bildenden Lymphdrüsen sind in ähnlicher Weise verändert. — Im Knochenmark werden zwei Formen der Störung beobachtet: das Gewebe ist an einigen Stellen gallertig weich, an anderen derber, seine Farbe rötlich, das ganze wie Himbeergelee — lymphadenoide Hyperplasie; oder aber es finden sich ganz weiche, gelbliche, dem Eiter ähnliche Massen — pyoide Hyperplasie. — An allen Orten, wo lymphadenoides Gewebe sich zeigt, kann dasselbe in den Krankheitsvorgang hineingezogen werden. Aber lymphadenoides Gewebe bildet sich bei Leukämischen auch an solchen Stellen, wo es normal nicht vorkommt; man führt hier dessen Ursprung auf metastatische Verschleppung zurück. — Es finden sich: Stomatitis und Pharyngitis leukämica, markige Infiltrationen im Magen und Darm, Lymphome in der Niere. — In etwas über die Hälfte der Fälle ist die Leber vergrößert, manchmal recht bedeutend, teils durch einfache Hyperplasie, teils durcli Lymphombildung. — Seltener traf man die Nebennieren erkrankt; Ruptur derselben mit starker Hämorrhagie kam vor. Retinitis mit oder ohne Blutung ist etwas häufiger. Auch bei der Leukämie ist das Krankheitsbild im wesentlichen das der chronischen Anämie, die gleiche Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, die nämlichen subjektiven Beschwerden. Meist entsteht das Leiden ganz allmählich, gleichmäßig, fieberlos, seltener beobachtet man ruckweise mit Fieber verlaufende Verschlimmerungen; Stillstand für gewisse Zeit kommt beidemale vor. — Gefühl von Spannung, von Druck in der Milzgegend kann die Schwellung des Organs begleitend von aufmerksamen Kranken verhältnismäßig früh bemerkt werden; häufiger noch fällt denselben die Vergrößerung der peripheren Lymphdrüsen auf. Die Knochen, besonders das Brustbein, sind auf Druck empfindlich, bisweilen
Leukämie. Pseudoleukämie und chronisches Riickfiillsiieber.
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etwas aufgetrieben — dies ist aber kein sicheres Zeichen medullärer Leukämie. Bleiben diese eben genannten Organe unbeteiligt, dann fehlt natürlich auch deren Vergrößerung. — Als eigentümlich für Leukämie ist die verhältnismäßige Häufigkeit der Bildungen (in etwa zwei Dritteln der Fälle) zu nennen. Aus der Nase treten dieselben gewöhnlich ein, schon weit seltener aus dem Darm und in das Unterhautbindegewebe oder unter die Epidermis, noch seltener erfolgen sie aus den Harnwegen. Für kleine Hämorrhagien mag eine Verlegung der Kapillaren durch weiße Blutkörperchen mit in Betracht kommen, im ganzen ist auf die schlechte Ernährung der Gefäßwandungen doch wohl das Hauptgewicht zu legen. — Auch Neigung zu hydropischen Ergüssen, ebenso unregelmäßige, 40° kaum erreichende Fieberbewegungen mögen bei der Leukämie öfter als bei den anderen Formen chronischer Anämie vorkommen. — Der mehr Harnsäure enthaltende Urin läßt ein starkes Sedimentum lateritium fallen. — Der Stoffwechsel kann wenig verändert sein; es ist aber eine vermehrte Ausscheidung von Harnstoff, Phosphor- und Schwefelsäure beobachtet. — Die Verlaufsdauer der Leukämie schwankt von wenig Wochen bis zu zehn Jahren. Die Diagnose kann einzig durch die Blutuntersuchung gestellt werden. Die Prognose ist eine recht schlechte, nur vereinzelt wird von Heilung berichtet; ist es schon zur Kachexie gekommen, dann soll das tödliche Ende unvermeidlich sein. Die Therapie versuchte besonders bei den mit starker Vergrößerung der Milz eiuhergehenden Fällen durch Einwirkung auf dieses Organ — große Gaben von Chinin anhaltend dargereicht, Piperin, die Eukalyptuspräparate, dann Duschen und Faradisation der Milzgegend — zu nützen. Die Exstirpation der Milz wurde wenigemale mit durchaus ungünstigem Ergebnis vorgenommen.— Bei allen Formen wandte man Eisen, Arsenik (bis zu mehreren Centigrammen den Tag, lange zu gebrauchen), endlich noch den J'hosphor an. — Die diätetische Behandlung ist nicht zu vernachlässigen. § 80.
Pseudoleukämie und chronisches Rückfallsfieber.
Als P s e u d o l e u k ä m i e (HoDGKiN'sche K r a n k h e i t , Jdenie, malignes
Lymphom)
wird ein Zustand bezeichnet, bei welchem nahezu alles mit der Leukämie übereinstimmt, die Vermehrung der farblosen Elemente im Blute einzig ausgenommen. Das ätiologisch vollständig dunkle Leiden verschont kein Lebensalter, es findet sich am häufigsten zwischen dem 25. und 35. Jahre, und öfter beim männlichen als beim weiblichen Geschlecht. — Die Lymphdrüsen und die Milz sind meist miteinander ergriffen, ausnahmsweise bleibt die letztere verschont. In den Lymphdrüsen nimmt die Menge der zelligen Elemente zu, das Retikulum hat verdicktes, daneben auch neugebildetes Bindegewebe; überwiegt die Neubildung von Zellen, dann redet man von weichem, überwiegt die Neubildung von Bindegewebe von hartem Lymphom. Eine grundsätzliche Trennung darf nicht gemacht werden: anatomisch handelt es sich um quantitative Unterschiede, man sieht nicht nur Ubergänge, beide Formen treten sogar gleichzeitig bei einem und demselben Menschen auf. Die Lymphdrüsen verschmelzen höchstens untereinander, nicht mit der Umgebung; sie können faustgroße Geschwülste bilden. — In der Milz finden sich die nämlichen Veränderungen an den Follikeln, sie können zu Knoten von 2 cm Durchmesser anwachsen; das ganze Organ wird so groß wie bei der Leukämie.
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Krankheiten des Blutes.
Nach Art der bösartigen Neubildungen kommen Metastasen vor, welche das Bindegewebe in formative Reizung versetzen, daneben aber Lymphome heteroplastisch entstehen lassen; Leber, Nieren, Lunge, Thymus werden so ergriffen. Das Blut scheint an Menge abzunehmen, die roten Blutkörperchen finden sich in geringerer Zahl und sind vielleicht minder hämoglobinhaltig; übrigens beobachtet man einmal äußerste Anämie, anderemale kaum erhebliche Veränderungen. Die Krankheit beginnt an den Lymphdrüsen, gewöhnlich denen einer größeren Gruppe, meist am Hals. Allmählich werden mehr Drüsen, nicht immer die in der Richtung des Lymphstroms liegenden zuerst, ergriffen, auch die Lymphdrüsen im Körperinneren beteiligen sich, am meisten die vor der Wirbelsäule gelegenen, am wenigsten die mesenterialen; Schwellung der Milz schließt sich an. — Ausnahmsweise beginnt die Krankheit an einer der inneren Gruppen von Lymphdrüsen und läßt die äußeren auch später frei. Die Drüsen schmerzen meist nicht aut' Druck, eher noch spontan und anfallsweise. Bei der weichen Form kann innerhalb Tagesfrist eine sehr merkliche An- und Abschwellung sich finden. — Das Krankheitsbild gleicht dem der Leukämie. Ein besonderes Gepräge erhält dasselbe nur, wenn geschwellte Drüsen auf Röhrenleitungen — Blut-, Lymph-, Gallen-, Luftwege u. s. w. — oder Nerven Druck üben; an den betroffenen Orten stellen sich alsdann die Erscheinungen erschwerter Wegsamkeit ein. Fieber, Hämorrhagie, Hydrops kommen seltener als bei der Leukämie vor. — Gegen das tödliche Ende wurden Diarrhöen beobachtet. — Die Krankheit verläuft im Mittel rascher als Leukämie — zwei Monate bis drei Jahre sind die bisher bekannten Grenzwerte. — Die Diagnose stützt sich auf die angeführten Krankheitszeichen, differentiell kann dieselbe gegen Leukämie einzig durch die Blutuntersuchung gestellt werden; nur ausnahmsweise kommt noch weiter die Syphilis in Betracht. — Die Prognose • ist immer bedenklich, obgleich Spontanheilung erfolgen kann und die Therapie neuerdings Erfolge aufzuweisen hat. Die arsenige Säure vermag manchmal günstig zu wirken. Man giebt dieselbe innerlich, langsam steigend, bis zu 0,03 g ( = 3 g Liquor kalii arsenicosi) den Tag in geteilter Dosis, immer bei nicht leerem Magen. — Zugängliche Drüsen werden durch parenchymatöse Injektion (ein Teilstrich Pravaz unverdünnten Liquors zwei- bis dreimal täglich in verschiedene Gruppen) unmittelbar in Angriff genommen. — Diese Kur wird monatelang fortgesetzt. — Exstirpation der Drüsen ist fruchtlos; Jod, Chinin, Quecksilber sind mindestens zweifelhaften Nutzens. So bestimmt geschieden die pernieiöse Anämie, die Leukämie und Pseudoleukämie erscheinen, so fehlt es doch nicht an Beispielen, daß eine Form in die andere übergehen kann: pernieiöse Anämie in Leukämie und Pseudoleukämie, Leukämie in Leukocythose, die lienale in die lymphatische Leukämie. Die allseitig große Verwandtschaft der Erkrankungen braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. — Unser gegenwärtiges Wissen über die Bildung des Blutes überhaupt, sowie über die Beziehungen der großen drüsigen Organe und des Knochenmarkes zu derselben gestattet kein tieferes Eindringen in pathologisches Geschehen. Die Annahme eines oder mehrerer, einander nahe stehender spezifischer Krankheitserreger hat unleugbar vieles für sich — sie ist aber vorderhand unerweisbar. Neuerdings wurde man auch in Holland (PEL) und Deutschland (EBSTEIN) auf eine in England schon länger bekannte Form der Pseudoleukämie aufmerksam, welche die gleiche anatomische Unterlage hat, aber sich durch ihre Verlaufsweise auszeichnet. Eigentümlich ist besonders ein in Schüben auftretendes Fieber, dessen Einzelanfälte durch längere fieberfreie Zwischenräume voneinander getrennt sind. Die Fieberanfälle dauern eine oder mehrere Wochen, die freie Zeit ebensolange oder etwas kürzer — es scheinen in den Einzelbeobachtungen nicht unerhebliche Abweichungen vorgekommen zu sein Bei dem Anfall steigt die Körperwänne an den ersten Tagen staffelförmig, sie erreicht um die Mitte des Anfalls ihr Maximum mit mehr als 40
Pseudoleukämie. Hämorrhagische Diathese, Hämoglobinurie.
KjQ
hii.lt dieses einige Tage fest und sinkt dann wiederum staft'elfbrmig ab. Während der folgenden Apyrexie weiden die Weite zunächst subnormal — die Erneuerung des Anfalls zeigt sieh bei normal gewordenen Morgentemperaturen durch eine Zunahme der Abendwärme an. — Örtliche Entzündung (Pleuritis ist beobachtet) vermögen diesen sonst regelmäßigen Typus zu stören. — Die Fieberanfälle sind von bedrohlicher Herzschwäche mit häufigen Pulsen begleitet; auch in der fieberlosen Zwischenzeit bleibt der Puls höher. — Die Milz schwillt, manchmal empfindlich werdend, mit dem Anfall, bei dessen Nachlaß geht ihre Schwellung zwar zurück, aber nicht ganz. Sind dem Getast zugängliche Lymphdrüsen beteiligt, dann zeigt sich an ihnen das gleiche. Bei jedem neuen Fieberanfall wiederholt sich der Vorgang, so daß eine allmähliche aber stetige Zunahme des Umfangs daraus hervorgeht. — Eine Vergrößerung der Leber kann vorkommen. — Die allgemeine Ernährung leidet während des Anfalls schwer not. Zur Zeit des Fiebernachlasses kann bei jetzt regem Appetit und bei guter Verdauung eine Ausgleichung stattfinden, welche aber im Laufe der Zeit mehr und mehr ungenügend wird. Marasmus und Hydrops, vielleicht durch Diarrhöen noch beschleunigt, stellen sich zum Schlüsse ein. Von Heilung wird aus England berichtet — stets aber bleibt die Prognose zweifelhaft. Die Krankheitsdauer betrug in den ungünstig verlaufenden Fällen gegen ein Jahr oder weniger. — EBSTEIN, der mit Recht daraufhinweist, daß, wenn wie öfter die Schwellung äußerer Lymphdrüsen fehlt, die eigenartigen Fieberanfälle und neben ihnen höchstens noch das vieldeutige Verhalten der Milz für die Diagnose in Betracht kommen, schlägt vor, das Ganze als „chronisches Eiickfallsfieber" zu bezeichnen und zu den Infektionskrankheiten zu stellen, obgleich der Nachweis eines Mikroben als Krankheiterregers bisher nicht gelungen ist. — § 81. Hämorrhagische Diathese, Hämoglobinurie.
Die Neigung zu Blutungen bezeichnet man als h ä m o r r h a g i s c h e D i a t h e s e . Weit verbreitete Blutergüsse in die Haut und das Unterhautbindegewebe, unter die Schleimhäute in leichteren, auf deren freie Fläche in schwereren Fällen, welche aus unmittelbar nicht erkennbaren Ursachen oder auf Verletzungen hin erfolgen, die zu der Stärke und Dauer der durch sie hervorgerufenen Blutung in keinem richtigen Verhältnis stehen — das sind die einzigen Merkmale derselben. Man rechnet zu den hämorrhagischen Diathesen im engeren Wortsinne die Hämophilie, den Morbus maculosus Werlhofii, den Skorbut; im weiteren Sinn zählen aber die Fälle, welche im Laufe schwerer Infektionskrankheiten und Vergiftungen (Phosphor, Mineralsäuren u. s. w.) auftreten, hierher. Sehr oft vermögen wir bei diesen ebensowenig wie bei den erstgenannten Formen bestimmte Veränderungen am Blut oder an den Gefäßen nachzuweisen, ja nicht einmal zu sagen, ob jenes oder ob diese erkrankt seien. Andere Male gelingt das; so kennen wir eine Reihe von Substanzen, welche die roten Blutkörperchen auflösen. Das bei der Auflösung frei gewordene Hämoglobin wird dann zum größten Teile unverändert durch die Nieren ausgeschieden; Blutaustritt unter die Haut und auf die Schleimhäute braucht nicht damit verbunden zu sein, findet sich aber keineswegs selten. Man hat nach dem Hauptsymptom die Benennung Hämoglobinurie gewählt, muß aber die Gruppe bei den Krankheiten des Blutes besprechen. Hämoglobinurie tritt bei dem Menschen auf. 1. Nach Einwirkung von Giften, welche auch außerhalb des Körpers die Auflösung der roten Blutkörperchen herbeiführen: Arsen- und Schwefelwasserstoff, Schwefel- und Salzsäure, Kalium chloricum, Pyrogallussäure, Nitrobenzol, Gallensäuren, das Gift der Morcheln. 2. Selten bei schweren Infektionskrankheiten: Scharlach, Typhoid, Diphtherie. Sepsis u. s. w., ebenso bei den hämorrhagischen Diathesen im engeren Wortsinne.
Krankheiten des Blutes.
170
3. N a c h Transfusion des Blutes Verbrennungen der Haut.
einer fremden
Tierart
und n a c h a u s g e d e h n t e n
4. Als selbständiges Leiden in eigentümlicher Form — periodische (paroxysmale) Hämoglobinurie. Der Harn, stets sauer reagierend, erscheint entweder nur leicht blutig oder aber in allen Übergängen bis zum tiefen Schwarzrot geiärbt, er scheidet bei dem Kochen ein festes, braunes Gerinnsel aus und zeigt spektroskopisch die Linien des Oxyhämoglobin und Methämoglobin; dieses letztere ist manchmal (nach Vergiftung mit chlorsaurem Kalium z. B.) in sehr hervorragender Menge zugegen. Nur selten tritt daneben Hämatin auf. In dem Sediment finden sich nicht immer rote Blutkörperchen, dagegen Tropfen des Hämoglobin von verschiedener Größe, die mit Myelintropfen die größte Ähnlichkeit haben. In den Nieren sind diese Tropfen am reichlichsten im Inneren der geraden Harnkanälchen, aber auch in dem der gewundenen und der Glomeruli anzutreffen; das ganze Organ erscheint dadurch dunkelbraunrot, namentlich aber heben sich die geraden Harnkanälchen deutlich von der minder stark gefärbten Umgebung ab. — Meist ist die Ursache der Hämoglobinurie von so schwerer Allgemeinwirkung begleitet, daß sie von sich aus den Tod herbeiführt; die Unterdrückung der Harnabscheidung dürfte mehr auf den Nachlaß der Herzthätigkeit, als auf die mechanische Verlegung der Harnwege in der Niere zurückzuführen sein. Die periodische Hämoglobinurie kommt jedenfalls ganz vorwiegend, wenn nicht ausschließlich, bei dem männlichen Geschlecht in jedem Lebensalter vor. Der Sommer ist die beste Jahreszeit für die Kranken. Dies hängt damit zusammen, daß in der großen Mehrzahl eine Erkältung zur Entstehung des Anfalles Veranlassung giebt; ausnahmsweise hat man denselben auch nach starker Körperanstrengung und nach Exzessen in Baccho et Venere auftreten sehen. — Syphilis ist in einzelnen Fällen als Ursache wahrscheinlich, da mit deren Heilung das Übel schwand. Der Anfall wird durch Allgemeinstörungen, meist in der Art eines intermittirenden Fiebers mit Frieren,'Hitze (über 40°) und Schweiß eingeleitet und begleitet, große Schwäche folgt. Das Hauptsymptom ist die Veränderung des Harns, der vor und nach dem Anfall vollkommen normal erscheint. Das Serum des Blutes hat man während des Anfalles hämoglobinhaltig gefunden. Leber und Milz können zu dieser Zeit vergrößert und wie die Nieren gegen Druck empfindlich sein. — Man hat Urtikariaquaddeln sich während des Anfalles entwickeln sehen. Die Dauer des Anfalles beträgt meist nur einige Stunden, allein es können in kurzen Zwischenräumen mehrere aufeinander folgen; andere Male trennten Jahre die einzelnen. — Unmittelbare Lebensgefahr scheint kaum je herbeigeführt zu werden; die bei häufiger Wiederholung unvermeidliche Anämie kann immerhin zur schweren Schädigung Veranlassung geben. Das und die große Neigung
zu Recidiven
ist bei der Prognose
zu b e r ü c k s i c h t i g e n . — Die
Behandlung
kann durch eine die Vermeidung von Erkältung anstrebende Lebensordnung dem Auftreten von Anfallen vorbeugen; gegen den Anfall selbst vermögen wir nichts, ebensowenig gegen das unbekannte Grundleiden. Nur Lues macht davon eine Ausnahme.
Hämorrhagische Diathese, Hämoglobinurie. Hämophilie. Morbus maeulosus WBRLHOKII. § 82.
171
Hämophilie.
Mit dem Namen H ä m o p h i l i e benennt man eine meist durch Vererbung übertragene dauernde Neigung zu Blutungen. Das männliche Geschlecht ist stärker als das weibliche ergriffen — nach bisherigen Erhebungen kommt ein weibliches auf etwa 13 männliche Individuen. Aber wenn auch das hereditär belastete Weib selbst nahezu ganz verschont sein kann — profuse Menses zeigen sich' bei ihm immerhin —, so überträgt dasselbe dennoch die unheilvolle Anlage auf seine mit einem gesunden Manne erzeugte, leider gewöhnlieh zahlreiche Nachkommenschaft; der männliche Bluter hat dagegen mit einer gesunden Frau meist freibleibende Kinder. Die erste Blutung war in nahezu drei Viertel der Fälle vor Vollendung des zweiten Lebensjahres aufgetreten, ihr äußerster Termin fällt auf das zweiundzwanzigste. Größere Neigung zur Hämorrhagie zeigt sich bei den Blutern um die Zeit der physiologischen Entwicklungsabschnitte (beide Dentitionen, Pubertät.) — Von anatoiuisthm bleibenden Abweichungen ist bemerkt: die größeren Gefäße enger und dünner, die subkutanen oberflächlicher liegend, teilweise Verfettung der Intima an größeren und kleineren Arterien — dieses ist vielleicht Folge, nicht Ursache stärkerer Blutverluste — bisweilen Hypertrophie des Herzens. Das Blut wurde, ehe größere Mengen desselben entleert waren, an Hämoglobin und Kibrinbildnern reich gefunden. — Die Blutung — eine sogenannte parenchymatöse — geschieht aus den Kapillaren und unter hohem Drucke, da in kurzer Zeit große Mengen austreten; sie ist sehr schwer zu stillen. Ein Hämophile soll in elf Tagen 24 Pfund Blut verloren haben. — Vorwiegend (etwa in 50 °/0) ist die Schleimhaut der Nase Sitz der Hämorrhagie; es folgen in weitem Abstand Zahnfleisch und Darm (je etwa mit 12 °/0), dann Lunge, Niere und Magen (je gegen tj°/0.) — Man versuchte eine Deutung des Geschehen so zu geben: wenn eine Überflillung des engen, vielleicht brüchigen Gefaßsystems der Hämophilen, das mit einem hypertrophischen Herzen in Verbindung steht, durch das zeitweise in größeren Mengen neugebildete Blut statthat, dann zersprengt dasselbe die zu stark gedehnten Kapillaren. — Die Diagnose hat etwaige erbliche Belastung zu berücksichtigen und den Mangel anderweitiger Veranlassungen zu hartnäckiger Blutung festzustehen. — Die Prognose ist keine günstige: 60° n der Bluter erliegen vor dem achten Lebensjahre, nur 11 °(U erreichen das zweiundzwanzigste. Nach der Pubertät sind die Aussichten etwas besser; immerhin kann auch im späteren Leben schon eine leichte Verwundung töten. — Die Therapie als Prophylaxis geübt hätte die kaum lösbare Aufgabe vor sich, den Töchtern aus Bluterfamilien das Gebären zn wehren. Jeder Hämophile hat sich vor Verletzung zu hüten und alle Exzesse (örtliche Wallung) zu vermeiden. — Eine entstandene Blutung muß gleich mit allen Hilfsmitteln bekämpft werden; die Kompression, wo solche anwendbar, leistet noch am ehesten Dienste. — Innerlich werden abführende Gaben der Mittelsalze empfohlen. § 83.
Morbus maeulosus Werlhofii.
Die nicht durch Vererbung erworbene, nur vorübergehend den Menschen befallende und gewöhnlich nicht recidivierende Neigung zu Blutungen bezeichnet man als M o r b u s m a e u l o s u s WEBLHOFJI; ein selteneres Leiden, trotz der gang-
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Krankheiten des Blutes.
baren Auaahme, nach welcher das 15. bis 30. Lebensjahr besonders ausgesetzt sein soll, doch wohl häufiger vor der Pubertät sich zeigend. — Ungünstige äußere Verhältnisse, ungenügende Ernährung, schwache Konstitution sind keineswegs notwendige Voraussetzungen. Die Ätiologie ist vollkommen dunkel. Ebensowenig trifft man anatomische Veränderungen — diejenigen etwa ausgenommen, welche nach stärkeren Blutverlusten überhaupt vorkommen — Gefäße, Milz, Lymphdrüsen, Knochenmark, endlich das Blut bieten keine erkennbare Abweichung dar. Die Entwicklung der Symptome gestaltet sich verschieden. Ganz plötzlicher Anfang, oder aber einige Tage lang als Vorboten Abgeschlagenheit, Appetitmangel, Kopfweh, vielleicht geringes Fieber. Mit diesen Erscheinungen zusammen kann in Knie- und Sprunggelenken, seltener in anderen, Schmerz empfunden werden und leichte Schwellung sich einstellen. Umschriebene Blutergüsse in die Haut von wenigen Millimetern bis zur Größe mehrerer Centimeter, anfangs kreisrund, rot bis blaurot, hier und da zusammenfließend, dennoch die Urform erkennen lassend, nur in schwereren Fällen streifenartig und unregelmäßig (Vibices), werden ohne örtlichen Schmerz zu erzeugen am ganzen Körper sichtbar; dichtest gedrängt sind sie an den Beinen. Der ausgetretene Blutfarbstoff erleidet die bekannten Veränderungen; da meist mehrere Eruptionen aufeinander folgen, sieht man später alle Übergänge von Rot, Blau, Grün, Gelb bis zum schmutzigen Braun. An den ergriffenen Teilen ist die Haut inselförmig leicht erhaben, seltener sind ihre oberflächlichen Schichten zu blutigen Bläschen oder Blasen emporgehoben. Der Einfluß äußerer Reize zeigt sich dadurch, daß an den Orten, wo sie wirksam wurden, die erwähnten Veränderungen der Haut hochgradiger ausfielen. — Auch die Schleimhäute nehmen teil: kleine Blutergüsse unter ihre Fläche finden sich im Munde, im Rachen, in der Konjunktiva, Massenblutungen erfolgen am häufigsten aus der Nase oder aus dem Dann, dann aus dem Magen, den Harnwegen, den weiblichen Genitalien, am seltensten aus den Bronchien. Die nicht häufigen Hämorrhagien in das Hirn, die Meningen, die Körperhöhlen — Perikardium und Pleura sind öfter als das Peritoneum davon betroffen — wirken durch Druck örtlich störend. Die bei Kindern sich zeigenden heftigen Reizungen von Magen und Darm führt man mit einigem Recht auf submuköse Blutung zurück. Ganz ausnahmsweise gab diese Veranlassung zur Verschwärung, sogar perforatorische Peritonitis schloß sich ihr an. — Im übrigen und gewöhnlich entsprechen die Symptome der WEBLHOF'schen Krankheit einem durch anderweitige Veranlassung herbeigeführten und gleich ausgiebigen Blutverlust. — Als Komplikation kommt Urticaria vor, besonders neben stärkeren Erscheinungen vom Magen und Darm. Man hat von verschiedenen Gesichtspunkten aus Trennungen versucht, dadurch freilich die Pathologie um Namen, aber nicht um Begriffe bereichert. Rein quantitativ wurde gesondert: Purpura simplex — kleine umschriebene Blutergüsse in die Haut: Purpura hämorrhagica — diese, daneben größere Extravasate und kleine in die Schleimhäute; qualitativ trennt man: Purpura febrilis, non febrilis, rheumatica; bei der letzterwähnten, auch Peliosis rheumatica genannten Form findet sich eine Beteiligung der Gelenke.
Die Erkrankung dauert im ganzen von zwei bis vier Wochen, nach dem Auftreten der Blutungen allein gerechnet aber nur 5 bis höchstens 14 Tage; durch unmittelbar sich anschließende Recidive kann freilich erhebliche Verlängerung eintreten. — Die differentielle Diagnose hat Vergiftung und akute
Morbus maculosus W e r l h o f t i .
Skorbut.
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Infektionskrankheiten (auch im Rekonvaleszenzstadium), ferner Hämophilie, Skorbut, chronische Anämien zu berücksichtigen. Die Prognose ist im allgemeinen nicht ungünstig, aber immerhin insoweit zweifelhaft, als unerwartete Massenblutungen tödlichen Ausgang herbeiführen können. — Die Therapie hat wesentliche Erfolge nicht zu verzeichnen. Prophylaktisch: Vermeidung mechanischer Insulte, stärkerer örtlicher Fluxion — unbedingt Bettruhe. Im einzelnen: keine Drastica, nur milde Abführmittel. Soweit möglich Bekämpfung der Hämorrhagien aus Schleimhäuten. — Die zurückbleibende Anämie wird nach allgemeinen Regeln behandelt; drohende Lebensgefahr wegen akuter Blutleere ist nicht mit Glück durch Transfusion bekämpft worden. § 84.
Skorbut.
Bei dem S k o r b u t ist mit der Neigung zur Blutung eine solche zur Entzündung verbunden. Es handelt sich dabei um eine schwere Schädigung des Gesamtorganismus, um eine allgemeine Kachexie. Die Ätiologie weist auf bestimmte Anomalien der Ernährung hin. In ausgedehnter Verbreitung — epidemisch — entsteht die Krankheit unter Menschen, welche, abgeschlossen lebend, den Genuß gewisser Nahrungsmittel entbehren; unter diesen stehen frische Gemüse, Kartoffeln und Früchte obenan, frisches Fleisch und Milch folgen unmittelbar. Ungünstige Lebensbedingungen überhaupt machen sich neben diesen Beschränkungen in den Nahrungsmitteln geltend: schlechte, feuchte Wohnräume, rauhe Witterung, übermäßige körperliche Anstrengung, geistige Erschlaffung sind mindestens als Hilfsursachen zu nennen. Man sieht den Skorbut am häufigsten auf langfahrenden, schlecht verproviantierten Seeschiffen, innerhalb der Strafanstalten, in belagerten, v o m Verkehr abgeschnittenen Städten. — Eine Folge quantitativ ungenügender Ernährung ist der Skorbut nicht; Hungerjahre, früher in verkehrbeschränkter Zeit durch Mißernten nicht selten, waren von ihm nicht begleitet. — Durchschlagend tritt der individuelle Faktor nicht hervor, auch Starke erkranken, vielleicht etwas schwerer und häufiger freilich die Schwachen. — Kontagiös ist der Skorbut sicher nicht, allein es fragt sich, ob unter den genannten Bedingungen ein Krankheitserreger — vielleicht ein überall verbreiteter Mikrobe — in dem spezifisch geschwächten Menschenorganismus einen ihm günstigen Keimboden findet. Nicht unwahrscheinlich ist es, daß der Ausfall regelmäßiger, wenn auch geringer Zufuhr solcher Kalisalze, welche als integrierende Bestandteile in die Gewebe übergehen können, die eigenartige Störung der Gewebeernährung wesentlich, vielleicht ausschließlich beeinflußt. — Die anatomische Untersuchung weist außer den durch Blutung und Entzündung örtlich hervorgerufenen Veränderungen keine spezifischen pathologischen Bildungen nach. Das Krankheitsbild setzt sich aus allgemeinen Störungen und aus besonderen Lokalsymptomen zusammen. Die allgemeinen Erscheinungen gehen voraus: Erschlaffung, verminderte Leistungsfähigkeit, besonders auch geistige, Niedergeschlagenheit, Herzschwäche und mit dem Gefühl der Bangigkeit verbundenes Herzklopfen, ein kleiner Puls, dann ein ausgesprochenes Bedürfnis nach Schlaf und Wärme, sowie Schwinden der Körperfülle. Daneben Schmerz in den Muskeln, besonders nach etwas größeren Anstrengungen, Abschilferung und unbedeutende, inselförmig auftretende aber weit verbreitete, durch geringen Blutaustritt
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Krankheiten des Blutes. Allgemeine Ernährungsstörungen.
bedingte graubraune Mißfärbung der Haut, das sind die ersten Zeichen des Skorbuts. Im weiteren, sich diesem Vorläuferstadium anschließenden Verlaufe wiegt neben hochgradiger Kachexie die Herzschwäche vor; Albuminurie und Milzschwellung sind nicht regelmäßige Ereignisse. Fieber kann fehlen, es kann aber als unmittelbare Folge der örtlichen Entzündungen sich einstellen. — Unter den eigenartigen örtlichen Erkrankungen ist zuerst die nahezu konstante des Zahnfleisches zu nennen: hämorrhagische Entzündung bis zur hämorrhagisch-diphtheritischen sich steigernd, am frühesten an den Schneidezähnen und am stärksten das zwischen ihnen gelegene Zahnfleisch befallend, schmerzhaft, zu manchmal reichlichen Blutungen Veranlassung gebend, mit fürchterlichem, den faulenden Massen entstammendem Gestank verbunden. Ein Teil der Zähne kann dabei verloren gehen, ja sogar Kiefernekrose sich einstellen. Die übrige Schleimhaut des Mundes bleibt verhältnismäßig verschont. Bemerkenswert ist, daß bei vollkommenem Zahnmangel keine Erkrankung des Zahnfleisches erfolgt. — In zweiter Linie steht die äußere Haut. Von einfachen kleinen Blutungen bis zu handtellergroßen, auf das Korium reichenden Verschwärungen finden sich alle Übergänge, daneben manche besonders benannte Formen von Hautkrankheiten — Petechien, Vibices, Akne, Liehen, Pemphigus. Die Entwicklung der Hauterkrankungen geht öfter von den Haarbälgen aus. Auch die Nägel nehmen teil, sie können ganz abgestoßen werden. — Weitere Veränderungen treffen die Muskeln und das Bindegewebe. Meist werden gleichzeitig und gleichartig beide ergriffen: es bilden sich rasch — dann unter Schmerzen und Fieber — oder langsamer hämorrhagisch-entzündliche Infiltrationen, welche bei günstigem Verlaufe vollkommen resorbiert werden, bei ungünstigem geschwürigen Gewebezerfall veranlassen können; die überliegende Haut nimmt in mehr oder minder hohem Grade teil. Je nach dem Sitz können sich stärkere Funktionsstörungen merkbar machen, besonders wenn der Prozeß in der Nähe von Gelenken verläuft, welche alsdann durch die Erkrankung der Muskulatur in eigentümlicher Lage fixiert werden. Übrigens kommen auch selbständige Gelenkentzündungen — hämorrhagische — vor. In schweren Fällen sieht man Periostiten und Ostiten, besonders häufig an den Tibien und den Rippen, sogar alte Kallusmassen können dabei erweicht werden. Alle die genannten Veränderungen der Haut, der Muskeln u. s w. haben an den unteren Extremitäten ihren Lieblingssitz. Blutungen aus den Schleimhäuten kommen wie bei allen hämorrhagischen Diathesen auch bei dem Skorbut zustande, besonders häufig wieder solche aus der Nase. Hämorrhagische Entzündung des Perikards und der Pleura, weniger oft des Peritoneums trifft man nur in schweren Fällen. Meningealblutung ist selbst dann nicht häufig. Neben Blutungen unter die Konjunktiva findet man Entzündungen am Auge, Iritis, gar Panophthalmie. — Unter den häufigeren Komplikationen werden krupöse Pneumonie, hämorrhagische Infarkte der Lunge, bakteritische Endokarditis, endlich auch Nephritis genannt. — Die Dauer des Leidens ist keine bestimmte, man kann nur sagen, daß genesende wie tödlich ausgehende Fälle stets von längerem Verlaufe gewesen sind. — Die Diagnose hat darauf Gewicht zu legen, daß unter den genannten ätiologischen Bedingungen zuerst Kachexie, dann die besprochenen örtlichen Zeichen einfach hämorrhagischer und entzündlichhämorrhagischer Diathese in weiter Verbreitung auftreten. Für die Differentialdiagnose ist die Erkrankung des Zahnfleisches von hervorragender Bedeutung. — Die Prognose im ganzen ist von der Möglichkeit, geeignete therapeuthische Maß-
Kkorlmt. Atcmson'roIip Krankheit.
175
nahmen durchzuführen, beherrscht; im einzelnen wird sich dieselbe mit der Würdigung der individuellen Widerstandsfähigkeit, namentlich der Herzleistung, zu befassen haben. werden. —
Sie darf stets nur mit einer gewissen Zurückhaltung
gestellt
Therapeutisch handelt es sich um! Entfernung aller vorhin bezeich-
neten Schädlichkeiten.
Sobald dieselben beseitigt waren, hörte die epidemische
Verbreitung des Skorbuts auf; er trat überhaupt nicht auf, wenn die entsprechenden prophylaktischen Maßregeln getroffen waren.
Die Gesetzgebung sorgt jetzt
dafür, daß auf Schiffen genügende Verproviantierung geschafft wird, auch dafür, daß die Insassen der Zuchthäuser ausreichend mit frischen Gemüsen versehen sind. — Spezifische Mittel gegen den Skorbut kennen wir nicht. — Außer dem nach schleuniger Wiederherstellung normaler Ernährung und gesundheitsgemäßer Lebensweise strebenden allgemeinen Vorgehen ist jede örtliche Erkrankung ihrem Charakter gemäß zu behandeln.
Unter allen Umständen ist aber die alte Methodus
antiphlogistica mit ihren eingreifenden, schwächenden Mitteln unbedingt zu vermeiden: Blutentziehung, Quecksilber, Drastica gehören nicht in die Therapie des Skorbuts. Man vergesse nie, daß die Änderung der allgemeinen Ernährung nach der guten Seite auch für die Lokalerkrankungen die Hauptsache ist.
§ 85.
Addison'sche Krankheit.
ÄDDisoN'sehe K r a n k h e i t wird ein Symptomenkomplex genannt, der durch langsam aber unaufhaltsam fortschreitende Entkräftung, Abkujerung von Pigment Männer
durch Anämie
und durch
in die äußere Haut gekennzeichnet ist.
werden häufiger als Frauen ergriffen, die Blütejahre sind besonders
ausgesetzt; bei jüngeren Kindern und Greisen ist das Leiden nicht beobachtet. Die anatomische, Untersuchung aber nicht in allen, Erkrankung
ivtcs in einer entschiedenen Mehrzahl von Fallen, der Nebennieren nach. Meist waren es chronisch
entzündliche Zustände, viele beruhten auf tuberkulöser Infektion. Man fand die Organe vergrößert, ihre Kapsel verdickt, die Oberfläche glatt oder höckrig, auf dem Durchschnitt
käsige
Massen in das harte
bindegewebig
entartete,
öfter
geschrumpfte Gewebe eingelagert. Atrophie mit oder ohne Verkalkung kam vor. — Die Veränderung ist gewöhnlich doppelseitig.
Carcinome und Sarkome, Blu-
tungen in das Gewebe, Gummabildung sind in einigen wenigen Fällen beobachtet worden. Das sympathische Nervensystem — namentlich
das Sonnengeflecht —• wurde bis-
weilen in einem durch Bindegewebswucherung und Erweiterung der Gefäße sich verratenden chronisch entzündlichen Zustande angetroffen. Der Farbstoff ist hauptsächlich in dem Rete Malpighii abgelagert, dringt aber bei schwerer Erkrankung bis zur Cutis vor.
Er scheint große Ähnlichkeit mit
dem der Chorioidea und dem der Nebennieren zu haben. Die Pigmentierung ist an den normal stärker gefärbten Stellen (Warzenhöfe, Genitalien u. s. w.), dann dort, wo äußerer Druck auf die Haut wirkte, am ausgesprochensten, Handteller und Fußsohlen sind in der Regel frei davon. Geringe Verfärbung findet sich auf der Mund- und Lippenschleimhaut in umschriebenen Herden; Konjunktiven und N ä g e l bleiben immer normal. —
Veränderungen
des Blutes sind in nicht eigen-
artiger und für die Einzelfälle wechselnder W e i s e gesehen. Die Entwicklung
des Leidens geschieht langsam, indem von
unmerklichen
Anfängen ans die Zeichen der abnehmenden Leistungsfähigkeit deutlicher werden.
176
Allgemeine Ernährungsstörungen.
Es wird über Entkräftung geklagt, bald treten neuralgiforme Schmerzen in den Hypochondrien, dem Rücken, dem Kreuz, den Gelenken ein. Dyspeptisclie Beschwerden, wechselnd an Stärke, gesellen sich hinzu. Die Muskulatur pflegt früh zu leiden: Atrophie, Zittern, rasche Ermüdung. Daran nimmt das Herz teil: alle Zeichen ungenügender Blutbewegung mit denen gestörter Thätigkeit des Herzmuskels selbst (§ 132) lassen nicht auf sich warten. — Unterdes hat sich die Hautfarbe geändert. Anfangs einfach schmutzig, so daß der Verdacht, es fehle an der nötigen Reinlichkeit, entstehen kann, wird sie später grau und braun, bis zum kupferfarbigen. Dies mit der weißen Sklera zusammen giebt dem Gesicht einen höchst eigentümlichen Ausdruck. Alle Erscheinungen nehmen stetig zu; nicht häufig schieben sich Zeiten längeren Stillstands ein. Der Tod erfolgt in tiefster Entkräftung oder (seltener) mit schwereren Hirnsymptomen (anämische Delirien, Krämpfe, Koma). Ungewöhnlich ist ein akuter Verlauf,, der, sich den Einleitungssymptomen anschließend, ganz plötzlich das Bild einer Infektionskrankheit (Typhoid) bringen kann und mit erheblichen Fieberbewegungen einhergeht. Die nicht unmittelbar tödlich endende Erkrankung geht dann wie gewöhnlich weiter. — Der Ausgang ist wohl immer der Tod; die Dauer wird im Maximum auf einige Jahre angegeben. — Die Verbindung mit Tuberkulose kann je nach deren Lokalisation und Entwicklung das Krankheitsbild mehr oder minder vollständig beherrschen. Über das Wesen der ADDisos'schen Krankheit sind wir ganz im unklaren. Daß die Erkrankung der Nebennieren keine unerläßliche Voraussetzung ist, hat die Anatomie gelehrt. Man kam deswegen darauf, anzunehmen, daß eine Veränderung des Bauchsympathicus (Plexus solaris) die meist durch eine von den Nebennieren übergreifende Entzündung bewirkt werde, das Entscheidende sei. Allein auch diese anatomische Veränderung ist ohne ADDisoN'sche Krankheit gefunden und mit ihr nicht verbunden gewesen. Dann sollten rein funktionelle Störungen des Sympathicus ausreichen können. Bei allen diesen Vermutungen bleibt der hochgradige unaufhaltsame Kraftschwund ebenso unerklärt, wie die Pigmentierung der Haut, also die eigentlichen charakteristischen Symptome sind nicht zu verstehen. —
Die Diagnose ist durch die Hautverfärbung neben der Anämie und dem andauernden Schwund der Kräfte gegeben. Die Therapie kann nur symptomatisch zu Werke gehen. § 86.
Gicht.
Die G i c h t (Arthritis urica) ist eine, in vielen Fällen durch Vererbung übertragene, Konstitutionsanomalie, welche örtlich hauptsächlich an den knorpligen Teilen, besonders denen der Gelenke, eine mit Entzündung einhergehende Anhäufung, vielleicht auch eine bleibende Ablagerung harnsaurer Salze hervorruft. — Sie verschont das Kindesalter fast vollständig und tritt meist erst um das 40. Jahr auf. Männer leiden daran viel öfter als Frauen. An der See ist Gicht häufiger als im Binnenlande. Es wird übermäßiger Ernährung mit Fleisch und reichlichem Genuß konzentrierter Spirituosen neben ungenügender Körperarbeit doch wohl zu ausschließend der bedingende Einfluß zugeschrieben; denn bei ärmlich lebenden, dem Schnaps nicht ergebenen, schwer Arbeitenden kommt gleichfalls Gicht vor. Wenn auch das Wesen der Erkrankung dunkel bleibt, wenn es namentlich ganz unerklärlich ist, warum eine angeborene Konstitutionsanomalie erst so spät sich äußert, ist neuerdings (EBSTEIN) dennoch eine gewisse Einsicht gewonnen: Echte Gichtherde sind anatomisch gekennzeichnet durch Gewebezerstörung (Nekrose), welche aus echter Entzündung hervorgegangen ist. Man findet in den nekrotischen Teilen krystallinisch ausgeschieden saures harnsaures Natron und freie Harnsäure, auch wohl Kalksalze derselben; in der Umgebung trat
ADDisoN'sclie Krankheit.
Gicht.
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reaktive Entzündung auf. Es zeigte sich: Harnsäure, ein echtes chemisches Gift, das als solches nur gelöst zu wirken vermag, kann eine bis zum Untergang der Gewebe führende wahre Entzündung erzeugen. Die ihr preisgegebenen organischen Gebilde leiden umsomehr, ie konzentrierter und je länger das Gift in ihnen thätig war. Man nimmt nun an: Bei gichtischer Diathese ist die Bildung der Harnsäure absolut vielleicht nicht einmal vermehrt, wohl aber findet sich dieselbe örtlich angehäuft, und zwar an Stellen, wo sie normal nicht nachweisbar ist: in den Muskeln und in dem Knochenmark. Auf dem Wege des Saftstroms gelangt sie von hier in die anliegenden, nur langsam von diesem durchspülten Gebilde, vorzugsweise in die Knorpel, freilich nicht in der Form freier Säure, die nahezu unlöslich ist, sondern als neutrales Natronsalz. Dieses ruft, da es länger verweilt, eine mehr oder minder heftige Entzündung hervor. Nahm dieselbe den Ausgang in Nekrose, dann entsteht innerhalb des absterbenden Gewebes eine freie Säure unbekannter Natur, welche das neutrale Salz in das saure oder, ganz sich der Basis bemächtigend, zur Harnsäure umwandelt. Saures harnsaures Natron und freie Harnsäure werden alsbald krystallinisch ausgeschieden und können, nun ungelöst, höchstens mechanisch schaden. — Je weiter herzabwärts der ergriffene Teil liegt, je schwächer also in ihm der Saftstrom fließt, desto größer ist die Möglichkeit solch örtlicher Anhäufung; auch der viel gebrauchte Muskel wird dieselbe weniger leicht geschehen lassen, als der meist ruhende. — Das Ausscheidungsorgan für die Harnsäure sind die Nieren. Bei minder günstigen Bedingungen ihrer Thätigkeit — genuine oder durch chronische Bleivergiftung entstandene Schrumpfung — kann die Harnsäure in der Niere zurückgehalten werden. Sie vermag dann wiederum in dieser Entzündung hervorzurufen, welche zu dem Untergang eines gewissen Teils leistungsfähigen Gewebes führt und dadurch sowohl den Verlauf der Gicht als den der Nierenerkrankung in ungünstigster Weise beeinflußt. — Ohne daß man die näheren Bedingungen nachweisen könnte, vermag sich der gichtische Prozeß ausschließlich in den Nieren zu lokalisieren; diese bieten dann stets die Erscheinungen echter Schrumpfung. — Ist einmal die Ausscheidung der Harnsäure in erheblichem Grade und dauernd erschwert, dann versteht es sich, daß dieses chemische Gift überall, wo es in genügender Stärke und gelöst länger verweilt, Entzündung erzeugen muß. Anatomisch festgestellt ist das für das Herz und die Gefäße, für Magen, Barm und Leber, für das Gehirn und Rückenmark.
A m häufigsten tritt die Gicht in der Form eines wahrhaft typischen Anfalles zuerst auf. Diesem können Störungen der Verdauung, des Allgemeinbefindens, Mißmut, Verdrießlichkeit, wirkliche Fieberbewegungen oder nur subjektiv als solche empfundene Wallungen (örtliche rasch entstehende Hyperämien) vorausgehen. Charakteristisch bleibt die meist nachts erfolgende Lokalisation: urplötzlich den Schlaf unterbrechend stellen sich vorwiegend in dem ersten Gelenke einer großen Zehe die heftigsten bohrenden Schmerzen ein, jede Bewegung derselben ist unmöglich, jede Berührung unerträglich, gleichzeitig zeigen sich Schwellung, Rötung Hitze — kurz alle Kardinalsymptome echter Entzündung. Darauf tags Nachlaß, nachts wiederum Steigerung aller Beschwerden, mit denen Fieber, dessen Remissionen durch reichlichen Schweißausbruch gekennzeichnet sind, Verlust des Appetits, des Schlafs und das Gefühl großer Ermattung verbunden sind. Es wird wenig eines konzentrierten Harnes, in dem die Harnsäure bis zum fast vollständigen Fehlen abgenommen hat, ausgeschieden. — Im Laufe einer Woche schwinden alle Erscheinungen, die Entzündung bildet sich zurück, das Gelenk fungiert wieder normal, nur etwas Abschuppung der dasselbe bedeckenden Haut bleibt noch eine Zeitlang. Manchmal ist jetzt die Empfindung gesteigerten Wohlgefühls vorhanden. — Selten bleibt es bei einem Anfalle, Herbst und Frühjahr pflegen neue zu bringen, und immerhin ist der noch gut daran, dem nur Podagra beschieden wurde. Bei ungünstigerem Verlauf nehmen bald weitere Gelenke teil, am häufigsten noch die der Hand (Ckiragra), dann bald dieses, bald jenes von den anderen. — Kommt es zur weniger heftigen, aber nicht auf ein Gelenk sich beschränkenden, sondern mehrere nacheinander ergreifenden, dabei von dem typischen Anfall abweichenden und durch die immer wiederkehrenden Nenerkrankungen nicht länger zeitlich v. J ü r g e n s e n , Spez. Patli. u Ther. II Aufl
12
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Allgemeine Eviiälmingsstöningen.
bestimmter abgegrenzten gichtischen Entzündung, dann spricht man von atonischer Gicht. Diese bildet den Übergang zu den in weiter Lokalisation verbreiteten Formen, bei welchen immerhin noch vorwiegend die Gelenke leiden. An ihnen, ebenso in den knorpligen Teilen des äußeren Ohres findet man nun nicht schmerzhafte, leicht teigig anzufühlende Knötchen oder Knoten: es sind bleibende Ablagerungen krystallinisch gewordener Harnsäure und ihrer Salze in abgestorbenem Gewebe. Die Gebrauchsfähigkeit der ergriffenen Glieder ward dauernd beeinträchtigt, durch Verdickung der Bänder, der Knorpel, der Sehnenscheiden nicht nur, in schweren Fällen kommt es gar zu Nekrosen, welche mit dem Durchbruch der bedeckenden Haut große Gelenke wie das Knie freilegen. W o h l durch die in diesen Trümmerherden auf das äußerste beschränkte Blutbeweguns; geschieht O
O
o
es, daß solche Eröffnungen J a h r e hindurch ohne Sepsis verlaufen und die Eiterung ganz fehlt; die reichliche Ablagerung von Kalksalzen weist darauf hin, daß hier tote Massen dem Stoffwechsel gegenüberstehen. Mit diesen Zuständen geht eine mehr oder minder hochgradige Störung der Verdauung, also auch der Ernährung fast regelmäßig einher. — Viscerale Gicht — durch die Einwirkung der Harnsäure auf einen oder mehrere der erwähnten inneren Teile erzeugt — reiht sich früher oder später an. Ihre Erscheinungsform wird im gegebenen Falle verständlich, wenn man daran festhält, daß die Harnsäure als aseptischer Entzündungserreger Herde zu bilden vermag, deren Entstehung mit Reizerscheinungen verbunden sein kann, während die fertig gewordenen den Verlust leistungsfähigen Gewebes bedingen. Verlauf und Prognose der Gicht sind im wesentlichen durch die Lokalisationen bedingt: Ist irgendwo Gewebenekrose entstanden, dann fragt es sich, ob das ergriffene Organ den Verlust eines Teiles seiner thätigen Substanz unmittelbar erträgt, oder ob (durch Kompensationen von anderer Seite her) dasselbe in den Stand gesetzt werden kann so weiter zu arbeiten, daß die Fortdauer des Lebens nicht bedroht wird. — Außer den Centraiorganen ist hier die Niere in erster Linie zu berücksichtigen. Bei richtiger Lebensordnung kann ein Arthritiker, welcher nur an Podagra oder Chiragra leidet, zu seinen biblischen Jahren kommen. Die Diagnose hat das hereditäre Moment, die Lebensweise, namentlich aber die so ausgeprägten Merkmale des typischen Anfalles zu berücksichtigen. Auch für atypische und viscerale Formen kommen diese anamnestisch zu erhebenden Thatsachen wesentlich in Betracht. Bei ausschließlicher Lokalisation in den Nieren tritt vielleicht nur der Symptomenkomplex der Schrumpfniere (§ 239) klar hervor, das Grundübel verbirgt sich. Die Therapie hat in erster Linie Beseitigung der Diathese anzustreben. Die Thatsache, daß bei trägen Schlemmern häufiger Gicht auftritt, hat schon lange zur Ordnung der Lebensweise empirische Anhaltspunkte gegeben, welche vom heutigen Standpunkte aus auch wissenschaftlich gut begründet erscheinen. Da es sich herausstellte, daß mit stärkerer Fettleibigkeit die Häufigkeit der Anfälle wächst, die Gefahr atypischer und visceraler Erkrankung näher rückt, ist manchmal für kürzere oder längere Zeit eine Diät wie bei Fettsucht (§ 92) anzuraten. — Im allgemeinen hat man folgendes zu beobachten: 1. Beschränkung der Eiweißzufuhr ist in vielen Fällen geboten; niemals aber darf dieselbe bis zu dem Grade stattfinden, daß die Neubildung des Blutes erschwert würde. Geschähe dieses, dann könnte vielleicht die Menge der Harnsäure vermehrt und dazu ihre Ausscheidung erschwert werden, weil sich jedenfalls die
Gicht.
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Herzarbeit und mit ihr die Geschwindigkeit des Saftstroms bald vermindern müßten. 2. Um für die Ausfuhr der Harnsäure möglichst günstige Bedingungen herzustellen, ist die Anwesenheit nicht zu kleiner Mengen von Alkali in den Gewebeflüssigkeiten erforderlich. Die Harnsäure ist so schwach, daß sie aus ihren Verbindungen durch die meisten anderen Säuren leicht ausgetrieben wird. Es muß daher ein Überschuß von Basis vorhanden sein, damit neben dem etwaigen Bedarf anderer Säuren dennoch genug für die Harnsäure übrig bleibt, um damit das leicht lösliche neutrale Salz bilden zu können. Neben dem Alkali gereichte größere Wassermengen erhöhen zeitweilig den Blutdruck und veranlassen dadurch raschere Bewegung einer größeren Flüssigkeitsmenge durch die Gewebe. — Natürlich dürfen die einzuführenden Substanzen die Ernährung der Gewebe nicht feindlich beeinflussen, ebensowenig den Magen und den Darm. Das beste Mittel — die Lithiumsalxe — wird leider auf die Dauer selten gut ertragen; ebensowenig die Kaliumsalze in starker Gabe. Es bleiben die Natriumverbindungen, besonders die kohlensauren, daneben wohl auch die pflanzensauren, welche ja innerhalb des Körpers zu kohlensauren zerlegt werden. — Natrium bicarbonicum — dreimal täglich ein gehäufter Theelöffel voll in einem halben Liter Wasser von 30°—40° gelöst, 1/2 bis 1 Stunde vor jeder Mahlzeit genommen — wird dauernd gut ertragen. — Diätetisch nützt man in gleichem Sinne durch reichlichere Zugabe von Gemüsen und Obst zu der Tageskost. — Auch die Heilwirkung der gebräuchlichen Bäder — Vichy, Baden-Baden, Wiesbaden, Neuenahr, und anderer — dürfte von diesen Gesichtspunkten aus zu beurteilen sein. Die namentlich bei den schweren Formen häufig vorhandene Neigung zu dyspeptischen Störungen läßt auch Karlsbad, Kissingen, Homburg u. s. w. als unter Umständen den Arthritikern empfehlenswert erscheinen. 3. Durch vermehrte Arbeit der Muskeln wird neben Beschleunigung des Kreislaufes im ganzen, auch in ihnen selbst der Blutstrom stärker. Da nun eben in den Muskeln eine die örtliche gichtische Erkrankung bedingende Anhäufung von Harnsäure auftritt, ist deren Thätigkeit zu steigern. Bei noch zur Bewegung Fähigen wird Gehen, Reiten, Gymnastik zu verordnen sein, war die Eigenthätigkeit schon erheblicher beeinträchtigt, dann müssen passive Bewegungen (Massage etc.) aushelfen. Immer sind die Verhältnisse des Einzelfalls zu berücksichtigen, es ist Maßhalten geboten. Der eigentliche Gichtanfall bedarf besonderer Behandlung. Da eine echte Entzündung vorliegt, sind unbedingte Ruhe, Hochlegen des ergriffenen Gliedes und trockne Wärme (VVatteeinhüllung) vorzuschreiben. Die Diät muß, wenn der Widerwille der ersten Tage gegen Nahrung zu schwinden beginnt, sorgfältig geregelt werden; auf ausreichende Stuhlentleerung ist besonders zu achten. Sind die Schmerzen gar zu groß, dann ist eine Morphiuminjektion von 0,01—0,02 g erlaubt. — Unter den inneren Mitteln steht das Lithium salicylwum obenan. Stündlich oder halbstündlich 1 g, dazu lassse man Vj—1ji Liter eines leicht gewärmten Säuerlings trinken; vermindern sich die Schmerzen, dann werden täglich drei Gaben von je 1 g bis zur vollständigen Heilung weiter genommen. Nach bisherigen freilich nicht ausgedehnten Erfahrungen scheint so eine Abkürzung des Anfalls sicher erzielt werden zu können. Das früher gebräuchliche Colchicum — am besten noch als Vinum colchici von 12 auf 30 Tropfen steigend je viermal täglich zu nehmen — ist jetzt mit Recht verlassen. Sein Nutzen ist zweifelhaft, 12*
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Allgemeine Ernährungsstörungen.
weniger sind es seine unliebsamen Nebenwirkungen, Diarrhöen und Beeinträchtigung der Herzthätigkeit. — Man schicke den Kranken ins Bett, sobald irgend welche Vorboten des Anfalls sich zeigen, und lasse ihn darin, bis das ergriffene Glied vollkommen schmerzlos wurde. Die Behandlung atonischer Gicht muß ebenso wie die der visceralen neben der Beseitigung oder Abschwächung der durch die Diathese hervorgerufenen Anomalien des Stoffwechsels die örtlichen Leiden je nach ihrer Bedeutsamkeit berücksichtigen; allgemeine Regeln sind nicht aufzustellen. § 87.
Rachitis.
Die R a c h i t i s (Englische Krankheit; doppelte Glieder) ist eine dem Kindesalter allein eigene Allgemeinerkrankung, welche durch Wachstumstörung der Knochen, meist auch durch Erkrankung der ersten Wege und der Bronchialschleimhaut gekennzeichnet ist. — Ätiologisch ist sicher festgestellt: Namentlich seitens der Mutter kann die Rachitis übertragen werden, die Frucht kann, in utero erkrankt, mit vollständig abgelaufenem Prozeß (fötale Form) oder mit noch fortbestehendem (kongenitale Form) zur Welt kommen. Syphilis, Tuberkulose, Skrophulose der Eltern mag insofern Bedeutung gewinnen können, als oft schwache, und dadurch zur Erkrankung überhaupt mehr neigende Kinder aus solchen Verbindungen hervorgehen. — Etwa neun Zehntel der Rachitischen wird bis zum dritten Lebensjahre ergriffen — der sechste bis dreißigste Lebensmonat liefert unter diesen wieder die größte Menge — jenseit des fünften Jahres erkrankt nur noch ungefähr ein Fünfzigstel der Gesamtzahl. In kalten und feuchten Gegenden ist die Rachitis häufiger; es steht damit in gutem Einklang, daß schlechtgelüftete und sonnenarme Wohnräume als wahre Brutstätten der Krankheit erscheinen, ebenso, daß dieselbe zu Ausgang des Winters gehäuft auftritt. Mangelhafter Ernährung kommt gleichfalls sicher ein erheblicher Einfluß zu, es läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob das Zuviel oder Zuwenig an einzelnen Nahrungsstoffen den Ausschlag giebt, ebenso gut wäre es denkbar, daß die schlechte Kost auf ganz anderem Wege, z. B. durch die Erzeugung von Magen-Darmstörung, schadete. Als charakteristische anatomische Veränderungen findet man bei der Rachitis: Verdickung der Epiphysen, welche sich dadurch breit gegen die Knochenröhren absetzen; diese sind biegsamer geworden und zeigen sich auf dem Längsschnitt stark gerötet, besonders Periost und Mark sind in hohem Grade mit Blut gefüllt. An den platten Knochen ist das Gefüge unregelmäßig, verdickte wechseln mit dünnen Stellen, welche, an den Schädelknochen pergamentartig geworden, bei Druck förmlich knittern (Kraniotabes): daneben erscheinen die Ränder und die Höcker verdickt; alles ist am Hinterhaupt besonders ausgesprochen. Die mikroskopische Untersuchung ergiebt: An der epiphysären Ossifikationsgrenze fehlt die vorläufige Verkalkungszone vollständig oder es bestehen höchstens da und dort kleine Verkalkungsherde. Dagegen erscheint das Gebiet des wuchernden Knorpels mehr oder minder stark verbreitert und von gefäßhaltigen Markräumen durchsetzt, die sich in vollkommen unregelmäßiger Weise vom Knochenmark aus in den Knorpel einsenken. Hinter der Zone des gewucherten und vascularisierten Knorpels findet sich eine verschieden mächtige Schicht kalkfreien Knochens, osteoiden Gewebes, welche allmählich in den fertigen Knochen übergeht und
Gicht und Rachitis. noch Reste unveränderten
Knorpels
z u n ä c h s t osteoides G e w e b e .
181
einschließt.
Das Periost
der e r k r a n k t e n K n o c h e n b e f a l l e n d e l a k u n ä r e R e s o r p t i o n statt. den S c h ä d e l k n o c h e n b e s t e h e n i m w e s e n t l i c h e n Zerstörung
liefert
ebenfalls
G l e i c h z e i t i g findet eine verstärkte, das g a n z e G e b i e t
des f e r t i g e n K n o c h e n s
s o w i e in
D i e V o r g ä n g e an
ebenfalls
aus einer
der B i l d u n g
einer
gesteigerten
schwammigen,
g e f ä ß r e i c h e n , b i e g s a m e n osteoiden G e w e b e s . — E s findet b e i H e i l u n g der R a c h i t i s in d e n f r ü h e r e r k r a n k t e n T e i l e n r e i c h l i c h e N e u b i l d u n g echten statt.
D i e K n o c h e n sind
ncation).
—
manchmal
A u c h die chemische
bedeutend
Knochengewebes
schwerer, fester, dicker
Z u s a m m e n s e t z u n g ist b e i b e s t e h e n d e r
(Ebur-
Rachitis
f ü r die e r k r a n k t e n K n o c h e n w e s e n t l i c h g e ä n d e r t ; besonders in den n e u g e b i l d e t e n T e i l e n derselben v e r m i n d e r t sich die M e n g e der E r d s a l z e H ä l f t e , damit v e r r i n g e r t sich das absolute,
wie
das
bis u m m e h r als die
spezifische
Gewicht;
man
g i e b t f ü r das erste A b n a h m e bis zu ein A c h t e l der N o r m an. I n den l a n g e n R ö h r e n k n o c h e n n i m m t der G e h a l t an F e t t , in den k n o r p l i g e n T e i l e n der W a s s e r g e h a l t zu. Bei den Versuchen, namentlich denen aus früherer Zeit, Einblick in das Wesen der Rachitis zu gewinnen, ließ man sich wohl in zu hohem Grade von den Ergebnisseil der chemischen Analysen bestimmen. Man nahm an, daß die in den ersten Wegen in überreichlicher Menge gebildete Milchsäure Lösung der Erdsalze aus den Knochen bewirke. Da die Milchsäure, um zu diesen zu gelangen, erst in das alkalische Blut aufgenommen werden muß, dessen saure Reaktion aber niemals nachgewiesen und auch mit dem Fortbestand des Lebens unvereinbar ist, scheint die ganze Aufstellung unmöglich. — Nicht erwiesen ist es, daß in den Knochen der Rachitiker mehr Milchsäure gebildet wird, welche dann freilich am Orte ihrer Entstehung selbst Kalksalze zu lösen imstande wäre. — Man zog auch die Kohlensäure in Betracht, davon ausgehend, daß in Flüssigkeiten, welche einen höheren prozentischen Gehalt derselben besitzen, in der That Kalksalze gelöst werden können. Es sollte nun durch Verbrennung der übermäßig entstehenden Milchsäure und durch die bei Rachitischen so häufig erschwerte Lungenlüftung eine Anhäufung von Kohlensäure wie in allen Geweben, so auch in den Knochen stattfinden. — Bedeutsamer ist, daß in allen entzündeten Geweben die Kohlensäurespannung zunimmt; das ist auch für rachitische Knochen unmittelbar erwiesen. Ob freilich eine genügende Menge dieses Lösungsmittels an Ort und Stelle angehäuft werden kann, ist eine noch nicht zu beantwortende Frage. Selbst wenn das der Fall, so wäre immer noch nicht ausgemacht und von vornherein sogar wenig wahrscheinlich, dal! eine in den organischen Verband des Gewebes eingetretene Substanz sich chemischen Agentien gegenüber ebenso verhält, wie eine außerhalb desselben stehende. — Auf anderer Seite betonte man die verringerte Zufahr der Kalksalze. Aus den sich vielfach widerstreitenden Ergebnissen ausgedehnter Versuchsreihen ist hervorzuheben, daß bei wachsenden Tieren die längere erheblichste Beschränkung der Kalksalze in der Nahrung neben Darreichung kleiner Mengen des das Knochenwachstum spezifisch beeinflussenden Phosphors Rachitis entstehen läßt. Die Möglichkeit, daß bei der Rachitis der Menschen beide Bedingungen: Entziehung eines wesentlichen Bestandteiles des Gewebes neben einer spezifischen Reizwirkung vorkommen, ist weder zu beweisen noch zu verwerfen. Jedenfalls ist daran festzuhalten, daß Störungen des Gewebegefüges in dem wachsenden Knochen der Rachitiker vorkommen, welche einfache chemische Theorien so lange nicht gestatten, bis nachgewiesen ist, daß eine Entkalkung bedingende Substanz gleichzeitig spezifische Reizwirkung üben könne. D i e Enhcicklung
der R a c h i t i s g e s c h i e h t meist so a l l m ä h l i c h , daß selbst v o n
aufmerksamer U m g e b u n g kann.
eine g e n a u e r e Z e i t b e s t i m m u n g n i c h t g e g e b e n
werden
K a t a r r h e der B r o n c h i e n , n o c h h ä u f i g e r S t ö r u n g e n der V e r d a u u n g ,
welche
n a c h l ä n g e r e m B e s t e h e n eine b e u n r u h i g e n d e V e r s c h l i m m e r u n g m e i s t V e r a n l a s s u n g , d e n A r z t zu r u f e n . u n t e r Geschrei u n d G e w i m m e r h a b e
geben
A u f B e f r a g e n erklärt man dann w o h l ,
daß k l e i n e r e K i n d e r s i c h u n g e r n h a b e n a u f n e h m e n l a s s e n , nur
zeigten,
reinigen
daß
man
dieselben
k ö n n e n , daß sie erst
ruhig
g e w o r d e n seien, w e n n m a n sie a u f i h r L a g e r z u r ü c k g e b r a c h t h a b e .
Schon zum
Stehen
selbst
und G e h e n
Befähigte
hätten
diese
Fertigkeiten
verlernt,
das
182
Allgemeine Ernährungsstörungen.
Kriechen sei ihnen unlieb geworden. Man habe aus dem häufigen Stöhnen entnommen, daß die Kinder an Leib weh litten, auch der Bauch sei etwas größer geworden, der schon „immer" vorhandene Durchfall habe sich vermehrt. — Auf solche Aussagen hin wird der kundige Arzt das Kind ganz ausziehen lassen, um nach Veränderungen des Knochengerüsts zu sehen. Die Verdickung der Epiphysen an Hand- und Fußgelenken und an den Rippen (rachitischer Rosenkranz) sind wohl die ersten Erscheinungen, neben ihnen der gespannte und aufgetriebene Bauch; auch ein gewisser Grad von Blutarmut ist meist sichtbar. — In ausgeprägteren Fällen bemerkt man eine eigentümliche Veränderung der Kopfform; das Ovoid ist nicht mehr vorhanden, der Stirnschädel nähert sich in der That mehr der Form des Vierecks (Caput quadratum), die Fontanellen sind breiter, auch jenseit des zweiten Lebensjahres noch nicht geschlossen; der Unterkiefer, überhaupt das ganze Gesicht scheint kleiner, die Entwicklung der Zähne stockt und wird unregelmäßig. Waren schon Zähne zum Vorschein gekommen, dann erscheinen dieselben in ihrer Form verändert, gezackt, vielleicht auch gelbbraun und wie zerraorscht. — Der Brustkasten ist von dem stark aflsgeprägten „Rosenkranz" verunziert, häufig sind die Rippen auch vorn bei ihrem Ansatz an das Sternum wie abgeknickt, dieses selbst ist keilförmig nach vorn getrieben (Peetus carinatum). Die untere Hälfte des Thorax ist zunächst am Bauch erweitert, höher hinauf aber nach innen eingebogen; die Seitenwände erscheinen hier gegen die Mittelfläche hin zusammengeschoben. Der aufgetriebene Bauch erhebt sich über die Ebene der Brust, oft genug sieht man unter seiner dünnen Decke Bewegung des Darms sich deutlich abzeichnen. — In schwereren Fällen hat stets die Ernährung erheblich gelitten, die Haut, des Fettpolsters entbehrend, ist welk, faltig, graugelb, die Muskulatur dürftig, das Haar trocken, struppig, geknickt und gebrochen. Arme wie Beine sind je nach der Gewohnheitslage des Kindes verkrümmt, verbogen, öfter eingebrochen. — Fieberbewegungen dürften ohne Komplikation nicht vorkommen. — Die Fortdauer der Erkrankung verrät sich durch hochgradige Empfindlichkeit gegen Lageveränderungen und halbwegs stärkere Erschütterung, sogar sehr schonende Perkussion ruft Äußerung von Mißbehagen hervor. — Dies das gewöhnliche Bild, welches freilich meist noch durch Bronchitis kompliziert wird. Selten entstellt Rachitis akut, scheinbar spontan, innerhalb kurzer Frist zu ausgeprägtem Krankheitsbilde sich entwickelnd, dann sollen lebhafte Fiebererscheinungen und Zeichen hämorrhagischer Diathese häufiger vorkommen; aber schon nach einigen Wochen erfolgte Heilung. Die bisherigen Beobachtungen betrafen meist gut genährte Kinder im Alter von vier bis sechzehn Monaten. — Öfter, bei größerer Aufmerksamkeit vielleicht recht oft sieht man mit akuten Krankheiten oder in unmittelbarem Anschluß an solche Rachitis auftreten. Diese Formen können schnell heilen, aber auch den gewöhnlichen langsamen Verlauf nehmen.
Eine die Einzelheiten in Betracht ziehende Besprechung hat in erster Reihe das Knochengerüst zu berücksichtigen. Die mannigfaltige Gestaltung seiner Abweichungen versteht sich, sobald man im Auge behält, daß auf ein biegsames Gefüge eine Summe von Kräften einwirkt, welche in ihrer Stärke großem Wechsel unterliegen. Es kommen in Betracht die von der Rachitis selbst bedingten Wucherungen an Knorpel und Bindegewebe, der „Wachstumdruck", durch welchen das neugebildete Gewebe raumverlangend Nachbarteile an die Seite schiebt. Gleiches gilt von den in knöcherner Kapsel eingeschlossenen Organen, welche wachsend ihre durch die Rachitis minder fest gewordene Umhüllung dehnen. Der Zug der elastisch gespannten Muskeln auf ihre Befestigungspunkte, die Eigen-
Rachitis.
183
last des Körpers, der Unterschied zwischen dem Binnendruck und dem der Atmosphäre sind weiter anzuführen. Es gelingt unschwer aus diesen Vorbedingungen ein Verständnis für das Geschehen im Einzelfall zu gewinnen, Kyphose, besonders solche im unteren Teile der Brust- und in der Lendenwirbelsäule, erklärt sich aus dem diese Teile bei aufrechtem Sitzen treffenden Druck, wclcher durch schlecht entwickelte Stützmuskeln ungenügend abgeschwächt wurde. Skoliosen sieht man bei getragenen Kindern (gewohnheitsmäßig benutzt die Wärterin ausschließlich den rechten oder den linken Arm), die an der Brust der Trägerin Stütze suchen. Schädeldifformität ist durch Andrängen des wachsenden Hirns, Wirkung der Eigenschwere auf das nachgiebige Hinterhauptbein, Zug der Muskeln hervorgerufen; neben diesen kommt die oben erwähnte Wachstumsstörung der Knochen in Rechnung. Alle genannten Bedingungen zusammen dürften die Veränderungen am Brustkorb erzeugen. Für die Beckenknochen ist nebeneinander Belastung durch das Körpergewicht und Muskelzug bedingend. Ebenso für die Gliedmaßen, welche nach der Seite der am stärksten entwickelten Muskelgruppen umgebogen erscheinen, bei stärkerem Zug der Schwere und mangelnder Unterstützung durch angemessene Unterlage aber in der allerverschiedensten Weise verknjekt werden.
So häufig Einknickungen an Röhrenknochen sind, so selten ist wirklicher Bruch derselben — das verdickte Periost bildet einen natürlichen festen Verband. Bei länger bestehender Rachitis bleibt das Längenwachstum zurück, sogar bis zum Zwergwuchs. Die unteren Gliedmaßen leiden weitaus stärker als die oberen — man giebt für oben das Mißverhältnis zu ein Dreizehntel, für unten zu ein Drittel an. Die Rachitis ist meist eine sich hinzögernde Krankheit von Monate langer Dauer. Verlauf und Prognose, richten sich nach dem Verhalten dei sogenannten Komplikationen —• Magen-, Darm- und Bronchialerkrankungen —, welche übrigens mit größerem Rechte den eigentlichen Symptomen zuzuzählen sind. Gelingt es, die Verdauungs- und Atmungswerkzeuge leistungsfähig zu erhalten, dann bringt die Rachitis keine unmittelbare Lebensgefahr, sie heilt, freilich Verbildungen von wechselnder Stärke hinterlassend, vollkommen aus. Bedrohlich werden nur: Bronchitis papillaris und Diarrhöe. Die Diagnose ist für den aufmerksamen Arzt nicht schwierig. Nur vor der Verwechslung mit hereditärer Lues, bei der eine ähnliche Erkrankung des Skeletts vorkommt, muß man sich hüten. Die Therapie hätte eine leichtere Aufgabe, wenn sie soziale Mißstände zu ändern vermöchte. Luft, Licht und Wärme zu schaffen, ist immer für die Heilung notwendig, meist unerreichbar. Erlaubt es die Jahreszeit, dann lasse man tagüber die gut eingehüllten Kinder im Freien, nachts scheue man sich weniger vor Zug, als vor stinkender, stauberfüllter Atmungsluft. — Mindestens ebenso wichtig ,ist die Ernährung. Für dieselbe gelten die allgemeinen, bei den mit Diarrhöen einhergehenden Fällen die durch diese Störung bedingten Regeln. Bronchitis ist wie sonst auch zu behandeln. — Sorgfaltige Hautpflege, häufige warme Bäder sind erwünscht. Man lasse Rachitische auf fester Unterlage ruhen — gute Sprungfedermatratzen thun mindestens die gleichen Dienste wie Roßhaare oder Seegras — namentlich vermeide man jede nur teilweise Unterstützung des Körpers. Die Verbiegung der Tibia, welche durch die Schwere des Fußes dann herbeigeführt wird, wenn Kinder auf die bis zur Mitte des Unterschenkels reichenden, für die Aufnahme der Entleerungen bestimmten sogenannten Pißkissen gelegt werden, zeigt leider oft, wie notwendig eine rechtzeitige Warnung für die Pfleger wäre. — Zur Beseitigung der Anämie dürfte eine richtige Diätetik mehr nützen, als die vielgepriesenen Mittel aus der Apotheke, unter welchen Eisen und Leberthran sich besonderer Empfehlung erfreuen.
184
Allgemeine Ernährungsstörungen.
Gegen reichliche Zufuhr von Kalk ist kein triftiger Einwurf zu erheben, vielleicht kann, dadurch manches genützt werden. Den mit Milch genährten Kindern läßt man Aqua calcariae bis zu mehreren hundert ccm. täglich in dieselbe hineinthun. Besser noch ist das Calcium carbonicum praecipitatum, welches dauernd in einer Tagesgabe von etwa 5 g gut ertragen wird, geschmacklos ist, daher jeder Nahrung zugemischt werden kann, zudem die Säure der ersten W e g e bindend vielleicht auch Örtlich günstig wirkt. Weniger zu empfehlen ist das Calcium phosphoricum, welches übrigens in gleichen Dosen angewendet wird. — Der Gebrauch des Phosphors, welcher durch seine spezifische Beeinflussung des Knochenwachstums besonderer Beachtung wert schien, hat nicht den Erwartungen entsprochen. Man gab täglich J/2 mgr. in Pillenform, oder aber in Leberthran gelöst. § 88.
Osteomalacie.
Bei der O s t e o m a l a c i e wird der bereits fertig gebildete Knochen seiner Kalksalzc beraubt. Die chronisch verlaufende seltene Krankheit — nur in einzelnen Gegenden findet sich dieselbe etwas häufiger — ergreift vorwiegend Weiber im Alter von 25 bis 40 Jahren, welche unter dürftigen Ernährungsbedingungen und ungünstigen Wohnungsverhältnissen oft schwanger werden und ihre Kinder länger selbst stillen. Männer werden etwa in der Proportion 1 zu 10 Frauen befallen, Kinder beiderlei Geschlechts nur ganz vereinzelt. — Die anatomische Untersuchung zeigt, daß ein übrigens normal gebildetes Knochengewebe der Kalksalze in mehr oder minder hohem Grade entbehrt. Am stärksten ist die Entkalkurig des Gewebes der Markhöhle, gegen die Peripherie des Knochens nimmt dieselbe allmählich ab. Die unorganischen Bestandteile der Knochen sind im Maximum bis auf ein Drittel der Norm verringert. Bisweilen war auch die organische Substanz chemisch wesentlich verändert: dieselbe lieferte bei dem Kochen keinen Leim. Innerhalb der kranken Knochen ist einige Male freie Milchsäure sicher nachgewiesen. — Das Wesen des Leidens ist bisher keineswegs erkannt. — Man nimmt an, daß der bei der Entwicklung des fötalen Skeletts und während des Stillens thatsächlich vorhandene starke Verbrauch an Kalksalzon neben der aus verschiedenen Gründen verhinderten Zufuhr derselben die innerhalb der Knochen der schwangeren und stillenden Frau abgelagerten Salze wieder in Lösung überfühit. Daß auch Männer erkranken, berücksichtigt diese Meinung freilich wenig. — Wie die Anwesenheit der Milchsäure in den Knochen zu deuten, ob diese unmittelbar oder erst nachdem sie zu Kohlensäure verbrannt ist, als Lösungsmittel der Erdsalze dienen könne, steht noch dahin. Die Krankheit beginnt schleichend, meist mit Schmerzen, die, als in der Tiefe sitzend und als bohrend bezeichnet, sehr heftig werden können und auf Druck zunehmen. Das Becken, die Lendenwirbelsäule, dann die unteren Extremitäten werden zuerst ergrifl'en. Leichtes Ermüden, das Gefühl von Schwäche stellt sich gleichzeitig bei den Kranken ein. Alles andere bleibt ungestört; nur das Fortschreiten des meist schubweise sich ausbreitenden Obels trübt, jedoch nur wenn Fieberbewegungen dasselbe begleiten, zeitweilig das Wohlbefinden. Frauen werden durch jede neue Schwangerschaft schwer geschädigt. — Ausgebildete Fälle zeigen eine charakteristische Yerbildung des Knochengerüstes, welche durch die Wirkung der Eigenschwere und Muskelzug herbeigeführt wird. Die Körperlänge ist vermindert, die Taille verloren gegangen, so daß die Rippen den Darmbeinen unmittelbar aufliegen. Rippen, Schlüsselbeine und Sternum sind ähnlich wie bei der Rachitis verbogen. Das Becken ist nach vorn schnabelförmig ausgebuchtet, seitlich zusammengedrückt, durch das stark hereinragende Promontorium verengt. Verkürzung der Extremitäten durch Verbiegung, sogar Frakturen derselben kommen vor; bei den äußersten Graden der Osteomalacie werden die Knochen so weich, daß sie in jeder beliebigen Richtung geknickt werden können. An den nicht mehr gebrauchten Muskeln findet sich Atrophie, mitunter parenchymatöse Entartung. Der Verlauf der Osteomalacie ist ein sich über Jahre erstreckender. — Die Prognose ist wenigstens bei voller Ausbildung des Leidens eine schlechte. Wenn nicht Zwischenfälle früher ein Ende machen, erfolgt der Tod durch Marasmus. Verhängnisvoll können schwere mit äußerster Lebensgefahr verbundene geburtshilfliche Eingriffe (Kaiserschnitt, durch das verengte Becken bedingt) ebenso bei dem verkrüppelten Brustkasten Lungenerkrankungen, selbst etwas ausgedehntere Bronchitiden werden.
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Rachitis. Ostcomalacio. Skrofulöse.
Die Therapie leistet bei höheren Graden der Krankheit wenig. Darreichung von Kalksalzen — ( L I E B E R M E I S T E R empfiehlt als Tagesgabe, die in vier Einzeldosen mit den Mahlzeiten genommen werden soll, eine Mischung von Calc. phosphoric. und Calc. carbonic. ää 4. Ferr. carbonic. sacchar. 1 bis 2 g) — und ausgiebige algemeine Ernährung (Milch, Lebeithran) kann in leichteren Fällen Besserung, sogar Heilung bringen. Auch der Phosphor ist gerühmt worden. Bei Weibern wäre erneuter Schwangerschaft thunlichst vorzubeugen, das Stillen aber unter allen Umständen zu untersagen. Die Herbeiführung möglichst günstiger Lebensbedingungen ist immer anzustreben. § 89.
Skrofulose.
Wenn auch die genauere Untersuchung mehr und mehr von den Veränderungen, welche früher der Skrofulose zugeschrieben wurden, als dem Gebiete der Tuberkulose angehörende nachweist, so dürfen wir dennoch den klinischen Begriff der Skrofulose nicht fallen lassen. Derselbe ist ein genügend bestimmt zu umschreibender.
D i e S k r o f u l o s e muß
als echte Konstitutionsanomalie
bezeichnet
werden.
Erkennbar ist dieselbe durch die Reaktion der Gewebe gegen äußere Schädlichkeiten; diese zeigt sich darin: 1. Ein zur Einwirkung auf den Körper gelangender Reiz vermag eine weit über seine Stärke hinausgehende Wirkung hervorzurufen. 2. Einmal entstandene pathologische Störungen gleichen sich nur schwer und immer erst in längerer Zeit aus. 3. An dem früher befallenen Orte stellen sich auf geringfügige Veranlassungen hin die vormaligen Erkrankungen wieder ein. 4. Die Lymphdrüsen, in deren Quellgebiet eine Entzündung sich entwickelt, schwellen äußerst leicht an; sie erfahren später häufig bestimmte anatomische Umwandlungen. Diese Thatsachen weisen auf eine nicht näher bekannte funktionelle Schwäche hin, welche durch keine nachweisbare Änderung im Bau der Gewebe gekennzeichnet ist. Ätiologisch ist anzuführen: Die eigenartige Gewebebeschaffenheit kann erblüh übertragen werden. Dazu ist eine skrofulöse Diathese der Erzeuger nicht unbedingt erforderlich, jede andere irgendwie erworbene Schädigung der Konstitution genügt: Tuberkulose, Lues, Trunksucht werden als Veranlasser einer solchen besonders hervorgehoben. — Für die Beteiligung der Lymphdrüsen an den skrofulösen Vorgängen kann in Betracht gezogen werden, daß bei Einzelnen eine die gewöhnliche übertreffende Menge derselben vorhanden, und daß diese Eigentümlichkeit vererbbar ist. — Die skrofulöse Diathese kann aber auch erworben werden. Alle die Ernährung ungünstig beeinflussenden Bedingungen sind dafür verantwortlich zu machen: Mangel an Luft, an Licht, an zweckmäßiger Nahrung, an passendem Wechsel zwischen Ruhe und Arbeit. Das Kindesalter dürfte solchen Schädlichkeiten weniger gewachsen sein. In ihnen sind gleichzeitig die Gelegenheitsursachen für das Zutagetreten der vorhandenen Konstitutionsanomalie reichlichst gegeben. Denn sie liefern die Veranlassungen zu Erkrankungen der Haut, der Schleimhäute des Auges, der Lunge, des Darms. Anatomisch fallen die Primärerkrankungen in das Gebiet einer mehr oder minder hochgradigen Entzündung. Deren Entwicklung ist durch keine besonderen Merkmale ausgezeichnet, ebensowenig bieten die Krankheitsprodukte Eigentümlichkeiten. Auch in den Drüsen zeigt sich zunächst nur echte Hyperplasie, welche, freilich selten, vollkommene Rückbildung erfahren kann. Der häufigere
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Allgemeine Ernährungsstörungen.
Ausgang ist die auf Herde beschränkte oder über das Ganze der Drüse verbreitete Verluisimg. Man sieht auf dem Durchschnitt der immer vergrößerten Drüse die hyperplastischen Teile grau gefärbt, die verkästen gelbweiß und dazu sehr gleichförmig in ihrer Schichtung, so daß bei vollkommener Verkäsung etwas der Schnittfläche einer rohen Kartoffel gleichendes sich zeigt — Verkäsung ist indes nichts der Skrofulöse Eigentümliches — Krebs, länger zurückgehaltener Absceßeiter, besonders aber tuberkulöse Neubildungen sind ihr unterworfen. Allgemeine Bedingung ist nur, daß dem Verkäsenden die Verbindung mit dem Inhalt der Gefäße erschwert und dadurch die Ernährung örtlich ungenügend wird. Die früher schwere Entscheidung, ob käsige Drüsen bei einem Skrofulösen tuberkulös erkrankt seien, wird bei dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens von dem Nachweis abhängig sein, ob sich der spezifische Bacillus darin findet. Es scheint, daß dies fast, vielleicht ganz ausnahmslos der Fall ist. — Das bindegewebige Stroma der Drüse nicht allein, auch die Nachbarschaft derselben nimmt gewöhnlich an der Entzündung teil; fibröse Induration oder eitriges Zerfließen folgt. Der Durchbruch eines skrofulösen Abscesses, welcher zur Heilung kam, durch die Haut, verrät sich an einer ausgedehnten, strahlenförmigen, mit der Umgebung fester verwachsenen Narbe. Das Verhältnis zwischen Tuberkulose und Skrofulose dürfte nach der Entdeckung des Bacillus der Erklärung zugänglich sein. Unversehrte Haut und Schleimhaut hindern sein Eindringen überhaupt, gut ernährte, kräftige (¡ewebe bieten einen ungeeigneten, die Entwicklung und Vervielfältigung des Keimes nicht gestattenden Nährboden. Bei skrofulöser Diathese sind wegen der häufigen und langdauernden Entzündungen diese Schutzdecken an manchen Stellen länger und in größerer Ausdehnung zerstört, die Lymphspalten frei gelegt — so wird dem Tuberkelbacillus der Eintritt ermöglicht. In den weniger widerstandsfähigen, pathologisch veränderten Geweben mit ihrem unkräftigen Zellenleben findet er geeignete Ansiedlungsorte. Mit dieser Anschauung steht es in vollem Einklang, daß bei Skrofulösen diejenigen Drüsen ausschließlich oder doch vorwiegend tuberkulös infiziert sind, welche ihre Lymphe aus dem Quellgebiet der primär erkrankten Teile beziehen. So nach Katarrhen der Bronchien die Bronchial-, Tracheal-, Mediastinaldrüsen, nach Ekzemen des Gesichts die Drüsen am Nacken und am Unterkiefer, nach Nasen- und Rachenkatarrhen die Diüsen der Halsgegend. Die neuerdings viel besprochene Frage, ob der Genuß der Milch perlsüchtiger Kühe „Bauchskrofeln" (käsig-tuberkulöse Mesenterialdrüsen) zu erzeugen vermöge, wird so zu beantworten sein, daß, wenn bei länger dauerndem Darmkatarrh mit solcher Milch das spezifische Gift einverleibt werden kann, der Möglichkeit einer Infektion nichts entgegensteht.— Ist Skrofulose ansteckend? Allgemeine Gewebeschwäche kann natürlich nicht unmittelbar auf einen anders beschaffenen Körper übertragen werden. Die Infektionskrankheit Tuberkulose kann es. Die Frage hat eigentlich nur Interesse, soweit dieselbe die Schutzpockenimpfung berührt. Wenn es immerhin unwahrscheinlich ist, daß durch die Vaccine Tuberkelgift einverleibt und in dem Körper des Geimpften zur Entwicklung kommen kann, so ist es doch geboten, skrofulöse Kinder nicht zu Stammimpflingen zu wählen.
Man hat schon lange einen Habitus skrofulosus als wichtiges Merkmal selbst für die noch nicht zur Erscheinung gelangte Diathese hingestellt; dabei wurde die crethische F o r m : eine zarte, wie durchsichtige Haut, blondes Haar, blaue Augen, große Erregbarkeit besonders im Gefäßsystem, durch leichten Farben Wechsel sich verratend — von der torpiden getrennt. Dieser schrieb man zu: Aufgedunsenes Gesicht, kurzer Hals, schwammige Muskulatur bei ohnehin feistem Körper, aufgetriebener (Kartoffel-) Bauch — alles Zeichen, welche wie die der erethischen Form öfter ohne Skrofulose sich finden. Kommt aber Schwellung der Nase und Oberlippe mit Ekzem und Triefaugen, eine Drüsenkette an dem Hals und dem Unterkiefer hinzu, dann genügt freilich einfaches Hinsehen zur Diagnose. N u r darf dabei nicht vergessen werden: es ist nicht mehr die Neigung zur skrofulösen
187
Skrofulöse.
Diathese, sondern die iu die Erscheinung getretene Diathese selbst, welche so aussei] en macht. Die I'rimürerkrankungen bei Skrofulose sind auch klinisch ohne weitere Besonderheiten. Man trifft an der Haut Ekzem in verschiedenen Formen, Liehen, Geschwüre dem Ulcus rodens sich nähernd (vielleicht schon tuberkulöser Natur) — an dem Auge findet man Blepharadenitis, Konjunktivitis mit Phlyktänenbildung, Keratitis, meist oberflächlich und mit Leukombildung heilend, seltener zu tieferen G e s c h w ü r e n f ü h r e n d . — N e b e n einfacher
Entzündung
des
äußeren
Gehörganges
kommt eitrige des Miltelohrs mit folgender Karies des Felsenbeines vor. — Die Itarhengebilde leiden meist nur an Katarrhen, in der NUNC hingegen bilden siel) nicht selten tiefer greifende Verschwärungen. Bronchitis mit Katarrhalpneumonie, welche häufiger durch Tuberkelinfektion kompliziert wird, Katarrh des Magens und Darms reiht sich an. Ohne heftige Reizerscheinungen verlaufende Entzündung im l'nterhautbindegeicebe, die sich bis auf die Muskeln ausdehnen kann, führt zur Eiterbildung (kalte Abscesse). Gleiches geschieht bei den Erkrankungen der Knochen, namentlich der Wirbel. Außer der gewöhnlichen Ostitis, Periostitis und Karies kommt bei jüngeren Kindern an den Phalangen der Finger und Zehen, seltener an Mittelhand- und Mittelfußknochen eine eigentümliche rarefiziernde Periostitis und Ostitis ossifieans vor. Dieselbe bewirkt schmerzloses langsames Anschwellen der genannten Knochen, welche dadurch ein eigentümliches flaschenartiges Aussehen gewinnnen {Spina bifida). — Mit wenig Schmerz verbundene, allmählich entstehende Schwellung und Entzündung der Gelenke, besonders des Kniegelenks (Tumor albus genu), ist nicht selten. Übrigens spielt bei allen Erkrankungen der Knochen und der Gelenke immer Tuberkulose mit. Der Versuch, bestimmte Entwicklungsperioden der skrofulösen Erkrankung, eine Reihenfolge der EinzelafFektionen aufzustellen, gelingt nicht — nebeneinander kann einfacher Katarrh und schwerstes Knochenleiden, nicht selten dieses vor jenem, beobachtet weiden.
Im Laufe des Lebens kann die skrofulöse Diathese so sehr abgeschwächt werden, daß man von Heilung zu reden berechtigt ist; vor erlangter Pubertät ist das selten. Eine nicht kleine Zahl von Menschen bleibt dauernd skrofulös, allerdings wird die Diathese meist minder wirksam. — Die Prognose ist nur für den Einzelfall zu stellen. Neben der örtlichen Erkrankung ist stets an die Möglichkeit tuberkulöser Infektion, auch, besonders bei lang dauernden Eiterungen, an die amyloider Entartung zu denken. An das Wesen der Konstitutionsanomalien anknüpfend, hat die Therapie zunächst die Aufgabe, die „Schwäche" überhaupt zu bekämpfen. Die individuellen Bedingungen sind allein maßgebend. Bei den feist-gedunsenen Skrofulösen ist eine Diät und Lebensordnung durchzuführen, welche Fettverminderung, Herabsetzung des Wassergehaltes der Gewebe, reichliche Neubildung von Blut schafft. Das ist auf mehr als einem Wege möglich. Die üblichen Verordnungen der Soolbäder und des Aufenthalts an der See führen z. B. eine Beschleunigung des Stoffwechsels herbei, welche in der Regel mit gesteigertem Appetit verbunden ist — wird die den Ersatz bringende Nahrung richtig gewählt, dann kann so manches erreicht werden. Eine spezifische Wirkung ist diesem Vorgehen aber ebensowenig wie den Trinkkuren beizumessen, bei denen besonderes Gewicht auf die sehr geringen Mengen von Jod (und Brom), welche in dem Wasser der bevorzugten Quellen enthalten sind, gelegt wurde. Kreuznach, Öynhausen, Nauheim,
Jaxtfeld,
Reichenhall
sind als Badeorte, die Heilbronner
(Bayern)
Adelheids-
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Allgemeine Ernährungsstörungen.
quelle, zum Trinken besonders besucht. Bei weniger Bemittelten empfehlen sich Kochsalzbäder von 1—3°/0 oder die Mutterlaugen der Soolquellen, welche ca. 30°/0 feste Bestandteile, darunter viel Chlorcalcium enthalten, gleichfalls bis zur 3°/0Lösung mit Wasser verdünnt. Solche Bäder von Körperwärme oder wenig darunter werden täglich, bei Schwächeren zunächst einen Tag um den anderen, und von 10 bis 30 Minuten Dauer genommen. — Die Gefäße an prompte Reaktion auf äußere Reize zu gewöhnen, dürfte das geeignete Mittel sein, um der Entstehung von Entzündung der Haut und Schleimhaut vorzubeugen. Besserung der Blutmischung wirkt günstig auf den Verlauf der entstandenen Entzündung. Beides, Abhärtung und reichliche Blutbildung, muß als Hauptaufgabe für die Behandlung hingestellt werden. — Es kann bei der erethischen Form ein reichlicherer Ansatz von Fett erwünscht sein. Der Leberthran ist gewiß kein Universalmittel gegen Skrofulöse, hat aber als leicht resorbierbares Fett diätetische Bedeutung; man sollte nicht über 30 g pro die hinausgehen, wenn man ihn in diesem Sinne verwerten will. Andererseits ist zu bemerken, daß von vielen Leberthran in großen Mengen — ein Kilo pro Woche — gereicht wird, und daß man selbst schwere Leiden der Knochen u. s. w. bei Skrofulösen danach zur Heilung kommen sieht, freilich nur in Einzelfällen. Hier sind rein empirische Indikationen für das Mittel gegeben, denn weder werden so große Massen resorbiert, noch können, wie man es wohl annahm, Jod oder Brom dabei in genügender Menge aufgenommen werden. Wenn die Verdauungsorgane nicht Einspruch erheben, wäre ein Versuch gestattet — auch bei der torpiden Form. Die früher gepriesene Anwendung des Jod ist jetzt sehr eingeschränkt; besonders die innerliche. Die Jodtinktur wird auf die geschwellte Drüsen bedeckende Haut aufgepinselt, das Unguentuni Jcalii jodati erbsengroß einmal täglich eingerieben, ist dieser vorzuziehen. Ausgedehntere Prüfung verdient der Vorschlag, lösliche Jodsahe von den Orten aus auf die Drüsen zur Einwirkung gelangen zu lassen, deren primäre Erkrankung sie schwellen ließ. Man hat anamnestisch zu erheben, ob z. B. den Vergrößerungen der Halsdrüsen Nasenrachenerkrankung, Ekzeme des Ohrs oder des Gesichts vorhergingen und wendet dann Bepinselungen mit konzentrierten Lösungen der Jodsalze oder jodhaltige Salben auf die ursprünglich erkrankte Stelle an. Manchmal tritt bei diesem Verfahren rasch Heilung ein. — Durch die Entfernung skrofulöser Drüsen auf operativem Wege will man die Gefahr tuberkulöser Allgemeinerkrankung, die aus solchen hervorgehen kann, beseitigen. — Gelenk- und Knochcnerkrankungen bei skrofulöser Diathese erheischen die ernsteste Sorgfalt in der Behandlung. Man lasse lieber Wochen und Monate hindurch nach scheinbar unbedeutenden, wenig schmerzhaften Kontusionen absolute Ruhe des, wenn nötig, durch feste Dauerverbände geschützten Gliedes einhalten, als daß man, diese pedantisch erscheinende und so gescholtene Regel vernachlässigend, die Verantwortung für bleibendes Siechtum und frühen Tod auf sich nehme. § 90.
Diabetes mellitus.
Die chronische Erkrankung, bei welcher anhaltend größere Mengen von Traubenzucker in dem meist reichlich abgeschiedenen Harn erscheinen, nennt man D i a b e t e s m e l l i t u s . — Ätiologisch ist bekannt: Vererbung spielt eine bedeutende Rolle — nicht nur Diabetes der Eltern, auch „neuropathische" Anlage
Skrofulose. Diabetes mellitus.
189
(§ 60) derselben kommt in Betracht. — Männer erkranken etwa 10ü auf 47 Weiber; im Kindesalter ist keine Geschlechtsbevorzugung zu erkennen. — Es sind vom 1. bis zum 95. Lebensjahre Fälle der Krankheit beobachtet; die Hauptmasse trifft auf das dritte bis siebente Jahrzehnt — das erste und die jenseit des siebenten liegenden sind nur wenig belastet. — Die Wohlhabenden, Gutlebenden leiden häufiger, Fettleibigkeit soll besonders disponieren. — Von den als Gelegenheitsursachen bezeichneten Schädlichkeiten: Erkältung, unzweckmäßige Ernährung, Exzesse in Baccho et Venere, eine vorhergehende schwere Erkrankung •— mag diese oder jene einmal mit Recht anzuschuldigen sein; vielleicht eher noch heftige Gemütserregung oder Erschütterung des Körpers durch Sturz aus bedeutenderen Höhen. Zweifellos kann Hirnerkrankung unmittelbar Diabetes veranlassen: dann muß aber der vierte Ventrikel in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Anderweitige Veränderungen der Centraiorgane und des Sympathicus werden als zufällige Befunde in den Leichen der Diabetiker angetroffen und haben zu der Krankheit keine Beziehung. Überhaupt bietet die anatomische Untersuchung nicht viel. Neuerdings wurde auf ein für pathognomisch gehaltenes Zeichen hingewiesen: im Isthmus der HENLE'schen Schleifen in den Nieren zeigen die Zellen eine eigentümliche hyaline Verquellung und sind mit Glykogen gefüllt. Die Nieren sind häufig vergrößert gefunden, wohl aus deren starker Thätigkeit erklärlich — ebenso in manchen Fällen die Leber, Ob den fettigen Entartungen und Atrophien des Pankreas, die bisweilen beobachtet wurden, irgend eine Bedeutung zukommt, steht dahin. Zucker ist in größerer als der normalen Menge in fast allen Körperteilen enthalten, so auch im Blute. Aus diesem kann mitunter Aceton gewonnen werden. Eine Theorie des Diabetes mellitus ist trotz vieler gesicherter Einzelthatsachen nicht zu geben. Es hat den Anschein, daß die Krankheit von mehreren Punkten aus (Gehirn, Verdauungswerkzeuge) hervorgerufen werden kann, so daß besondere Formen zu trennen wären. Der Anfang der Erkrankung ist selten sicher festzustellen. Magerwerden, Abnahme der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, unnatürlicher Durst, sehr häufige Harnentleerung, darüber wird bei voller Ausbildung des Leidens geklagt, ohne daß es gelänge, zu erfahren, wann und wie sich dies alles entwickelte. Weniger regelmäßig sind dyspeptische Beschwerden und die Empfindung, daß der Kopf eingenommen ist; ebenso Heißhunger, welcher nur für kurze Zeit zu stillen ist. — Da ein geschlossenes Krankheitsbild nicht aufgestellt werden kann, ist die Besprechung der Einzelsymptome geboten. Der Harn zeigt charakteristische Erscheinungen: Seine Menge ist fast immer erheblich vermehrt (beobachtetes Maximum 18,5 Liter in 24 Stunden), dabei das spezifische Gewicht erhöht — Maximum 1075. In den schon recht schweren Fällen hat man täglich etwa 5—6 Liter von 1030—1040 spezifischem Gewicht. Der Harn enthält den rechts drehenden Traubenzucker in Mengen, die bis zu 14 Prozent ansteigen können, meist etwa 5—7 Prozent betragen; seine absolute Ausscheidungsgröße ist in maximo 1500 g, gewöhnlich nicht über 300 g täglich. Von den vielen Proben, welche die Gegenwart von Zucker im Harn anzeigen, sollen nur erwähnt werden: 1. Die 'l'ROMMER'sche Probe. Der Harn ist zu filtrieren, etwa vorhandenes Eiweiß zu entfernen — am besten so, daß ein wenig Glaubersalz, dann Essigsäure in nicht zu großem
190
Allgemeine Ernährungsstörungen.
Uberschuß zugefügt, darauf bis zum Kochen erwäimt und das nun ausgeschiedene Eiweil! abfiltriert wird. Zu 10 ccm Harn fügt man 3 ccm Natron- oder Kalilauge, schüttelt durch, läßt dann so viel Tropfen einer sehr verdünnten Lösung von Kupfersulfat zufließen, als es ohne Bildung eines beim Umschütteln sich nicht lösenden Niederschlages thunlich. Hat sich durch zuviel des Kupfersulfats dennoch ein solcher gebildet, so ist davon abzufiltrieren. — Ist Zucker in dem untersuchten Harn vorhanden, dann zeigt sich schon bei dem Zugießen der Kupferlösung eine tiefer blaue Färbung. — Man erhitzt nun. Falls schnell, und ehe die Flüssigkeit noch ins Kochen kommt, ein gelber oder roter Niederschlag sich bildet, dann ist die Gegenwart von Zucker wahrscheinlich — man geht ziemlich sicher, wenn in einer ebenso bereiteten, aber nicht erhitzten Mischung, welche 24 Stunden lang bei Zimmerwärme sich selbst überlassen wurde, gleichfalls ein solcher Niederschlag auftritt. Derselbe besteht aus Kupferoxydul; Zucker hat die Fähigkeit in alkalischer Lösung das Oxyd zu reduzieren. 2. Da eine Reihe anderer im Harn vorkommender Körper die gleiche Eigenschaft besitzen (Harnsäure, Kreatinin u. s. w.), ist zur Bestätigung der TROMMER'sehen Probe noch die durch Gärung vorzunehmen. In Fällen von wirklichem Diabetes wird dieselbe am besten so angestellt: Von Vi Liter vorher filtriertem Harn wird mittels der Senkwage bei bestimmter Temperatur das spezifische Gewicht bestimmt, dann 1 g gut ausgewaschener Bierhefe hinzugefügt, und nun das Ganze gut zugedeckt an einem warmen Orte 24 bis 48 Stunden sich selbst überlassen. Es tritt bei Anwesenheit von Zucker Gärung ein, durch welche derselbe in Kohlensäure und Alkohol zerfällt. Ist das spezifische Gewicht der Flüssigkeit daher nach Ablauf der genannten Zeit und unter den gleichen Bedingungen wie vorher untersucht erheblich vermindert, dann ist die Anwesenheit von Zucker erwiesen. — Diese einfache Methode erlaubt gleichzeitig eine für die Praxis vollkommen ausreichende quantitative Bestimmung des Zuckers. Es bedarf dazu nur einer gut gearbeiteten für eine bestimmte Temperatur, die dann bei dem Versuch natürlich einzuhalten ist, geaichten Senkwage. Man zieht das spezifische Gewicht nach der Gärung von dem vor derselben gefundenen ab, multipliziert die Differenz mit 219 und dividiert mit 1000. Die so gefundene Zahl giebt den Prozentgehalt an Zucker unmittelbar an. Bisweilen k o m m t im diabetischen Harn neben dem Traubenzucker der links drehende Fruchtzucker und Inosit vor — in Einzelfällen trat letzterer ganz an die Stelle des Traubenzuckers. Albuminurie ist mit dem Diabetes stets verbunden, allein die Menge des Eiweißes schwankt innerhalb sehr weiter Grenzen. Bei leichten Formen des Diabetes, w o mit dem Aufhören jeder Zufuhr von Zucker und Kohlenhydraten der Zucker ganz aus dem Harne schwindet, dessen Menge gleichzeitig erheblich abnimmt, kann man vielleicht nur zu dieser Zeit das vorhandene Eiweiß nachweisen. D e n n durch die großen W a s s e r m e n g e n , welche mit dem Zucker ausgeschieden werden, ist das Eiweiß so stark verdünnt, daß es wenigstens durch die üblichen Proben nicht auffindbar wird. — Andererseits kann die Albuminurie so stark in den Vordergrund treten, daß der Diabetes übersehen wird. — Die Albuminurie beruht auf einer anatomischen Veränderung der Nieren, welche von leichtesten Störungen an bis zu parenchymatöser Entzündung und zur Ausbildung einer Schrumpfniere vorhanden sein kann. — Bemerkenswert ist, daß mit der E n t w i c k l u n g einer Schrumpfniere der Diabetes dauernd zur H e i l u n g kommen kann. — Alkohol und Aceton sind häufiger gefunden. E s zeigt sich ferner bisweilen Acetessigsäure, welche den mit Eisenchlorid versetzten Harn burgunderrot färbt. Oxybuttersäure ist endlich gleichfalls nachgewiesen. Harnstoff wird meist in vermehrter Menge ausgeschieden — Maximum 163 g den Tag. Reichliche Zufuhr stickstoffhaltiger Nahrung und vielen Wassers bewirken dies nicht allein; wenigstens für schwere Fälle ist ein stärkerer Verbrauch von Körpereiweiß anzunehmen. Chlor-, Schwefel- und Phonphorsiiure sind ebenso vermehrt; den schweren Fällen scheint größere Knlknusacheiduny eigen zu sein.
Diabetes mellitus.
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Verminderte Leistungsfähigkeit, Schwäche, ist mit jeder irgend stärkeren Zuokerharnruhr über kurz oder lang verbunden. Das zeigt sich nicht nur an der geringeren Arbeitskraft des Kranken, sondern auch an der Widerstandslosigkeit seiner Gewebe gegen alle Schädlichkeiten. Wahrscheinlich hängt eins wie das andere mit den durchaus abnormen Ernährungsbedingungen zusammen, unter welchen der Körper sich bei dem Diabetes befindet. — Wir wissen über den O'esamtxloffwechsel außer dem bereits Erwähnten, daß weniger Sauerstoff aufgenommen, weniger Kohlensäure ausgeschieden wird, ebenso tritt von den Lungen weniger Wasserdampf' aus. Zeitweilig muß sogar von den Geweben Wasser hergegeben werden, um das von den Nieren gebrauchte zu schaffen. Die so entstehende Wasserarmut trägt wohl mit dazu bei, daß die Gewebeschwäche einen hohen Grad erreicht. — Die Kürpertemperatur ist eher vermehrt als vermindert, jedoch nur sehr wenig. Man kann von einer etwas größeren Schwankungsbreite derselben reden, stärkere Spitzen und tiefere Abfälle kommen jedenfalls bisweilen vor, ohne daß übrigens das Tagesmittel wesentlich verändert wäre. — Die Schweißbildung ist gering, der Schweiß ist zuckerhaltig. Die Haut ist trocken und rissig, sie juckt häufig, Furunkelbildung ist nichts Ungewöhnliches, aber sogar Karbunkel und selbst ausgedehnte Gangrän sind beobachtet. — Von den Sinnesorganen leidet am häufigsten das Auge: meist doppelseitige Trübung der Linse, solche des Glaskörpers, Retinitis, besonders hämorrhagische Formen derselben; auch Optikuserkrankung ist nicht selten. Die Verdauungsorgane sind überaus angestrengt: spärliche Erholungspausen bei großen Anforderungen, denn es wird von den Diabetikern viel und häufig gegessen, und starke Verdünnung der Sekrete durch die enormen Wassermengen, das sind die ungünstigsten Bedingungen für ihre Wirksamkeit. Dennoch halten dieselben öfter länger aus, freilich selten ohne vorübergehende kleinere Störungen zu erleiden. Namentlich wenn sehr große Fleischmengen bewältigt werden sollen, zeigen sich dyspeptische Erscheinungen: die Verdauung von Fleisch macht mehr Arbeit als die von Fett oder Kohlenhydraten. — Die Verdauungssäfte sind übrigens wahrscheinlich gewöhnlich nicht zuckerhaltig, nur ausnahmsweise soll es der Speichel sein. Die gemischten Mundflüssigkeiten freilich haben öfter saure Eeaktion — Milchsäure, durch Gärung aus dem Zucker entstanden bedingt das, auf ihre Atzwirkung wird die nicht seltene Karies der Zähne von Diabetikern bezogen. — Die Fäces sind trocken, der Stuhlgang etwas zögernd. Bei Männern ist Impotenz, jedenfalls aber eine Verminderung des Geschlechtstriebes, häufig. Bei Weibern ist, wenn sie überhaupt schwanger wurden, Abortus gewöhnlich. Herz und Gefäße, leiden nicht sonderlich, mehr dagegen die Lungen. Außer chronischer Entzündung mit oder ohne Tuberkulose kommt in ihnen eine durch den Mangel an Gestank ausgezeichnete Form von Brand vor. Man trennt den Diabetes in zwei Gruppen. Bei der leichteren Form schwindet der Zucker ganz aus dem Harn, sobald mit der Nahrung keine Amylaceen und kein Zucker eingeführt wird, bei der schwereren vermindert sich unter diesen Bedingungen wohl dessen Menge, aber er ist nicht ganz fort. — Man nimmt geradezu wesentliche Unterschiede der Gruppen an — wohl mit Unrecht, da aus leichteren Fällen schwere entstehen und umgekehrt schwere Fälle in leichte sich umwandeln können. Übrigens kommen auch ohne Änderungen der Außenbedingungen im Laufe der Erkrankung erhebliche Schwankungen in der Zucker-
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Allgemeine Ernährungsstörungen.
ausscheidung vor. — Fieberhafte Erkrankungen vermindern je nach ihrer Schwere und Dauer die Zuckermengen; in etwas hängt das wohl damit zusammen, daß der Fiebernde oft von seinem eigenen Körper lebt, also wenig zuckerbildende Substanz zur Verfügung hat. — Bei ganz herunter gekommenen Diabetikern schwindet der Zucker fast vollständig aus dem Harn. Man hat die Dauer des Diabetes auf J , 2 —3 Jahre angeschlagen. Dieser Aufstellung liegen hauptsächlich Beobachtungen an dürftig Lebenden zu Grunde, sie ist im ganzen wenig zutreffend. Sicher kann die Krankheit, besonders bei Kindern, in Wochen zum Tode führen, andererseits kann sie aber auch mehr als ein Jahrzehnt ertragen werden. — Der Tod wird durch verschiedene Umstände herbeigeführt; unmittelbar von der Krankheit bedingt ist er, wenn Marasmus sich allmählich entwickelt, oder aber plötzlich schwere Hirnstörung eintritt (Coma diabeticum). Unter diesem Sammelnamen werden verschiedenartige Symptomenkomplexe vereinigt: 1. Nachdem eine stärkere Anstrengung unmittelbar vorher ging, Erlahmung der Herzthätigkeit, Ohnmächten, Bewußtlosigkeit und in w e n i g Stunden das Ende. — 2. Nach einleitenden gastrischen, oder irgendwo auftretenden geringen örtlichen Erscheinungen zeigen sich Gehirnstörungen: a) Kopfweh, Unruhe, Delirien, Angstgefühl bis zur Tobsucht gesteigert, Atemnot, Pulsbeschleunigung, dann Koma. Der Atem riecht eigentümlich obstartig, oder dem Chloroform, vielleicht auch dem Aceton gleich. Dauer des Ganzen von ein bis zu mehreren Tagen, Genesung ist möglich, b) Kopfweh, taumelnder Gang, Schläfrigkeit, bis zum Tode andauerndes Koma — dabei fehlen Angstgefühl und Dyspnoe. Der Atem riecht wie der oben erwähnte, der Harn lärbt sich mit Eisenchlorid burgunderrot, immer Exitus letalis (FRERICHS). — Die Ursache dieser Zuiälle ist unaufgeklärt.
Von erfahrenster Seite wird die Häufigkeit der geschilderten Zustände als eine mit der Schwindsucht, der mittelbar den Diabetiker am öftesten tötenden Erkrankung, gleichwertige angegeben. Die Prognose des Diabetes ist, für die sogenannte schwere Form wenigstens, eine schlechte; ob Heilung derselben möglich, bleibt fraglich. Auch bei der leichten Form, die mitunter soll heilen können, ist eine zweifelhafte Vorhersage geboten; Ubergang derselben in die schwere ist niemals ausgeschlossen. Der Einzelfall ist prognostisch darauf anzusehen, ob die Verdauungsorgane leistungstüchtig sind, und ob die äußeren Verhältnisse dem Kranken eine zweckmäßige Lebensführung gestatten. — Die Diagnose wird durch die Harnuntersuchung zu einer leichten. Zn bemerken ist, daß bei allen Zuständen von Ernährungsstörung, besonders bei scheinbarem Mißverhältnis zwischen der Bedeutung eines nachgewiesenen örtlichen Leidens und dessen Rückwirkung auf die allgemeine Ernährung und den Zustand der Kräfte, die Prüfung des Urins auf Zucker nicht unterbleiben sollte. Man wird dabei nicht selten einen in der Menge nicht besonders von der Norm abweichenden, aber zuckerhaltigen Harn finden. Die Aufgabe der Therapie ist vorwiegend diätetisch zu lösen. Es kommt darauf an, dem Körper seinen starken Verlust zu ersetzen und dabei die Verdauungswerkzeuge möglichst wenig zu belasten, um dieselben solange wie thunlich leistungsfähig zu erhalten — endlich muß die Aufspeicherung des Zuckers in Geweben und Körpersäften vermieden werden. Neben dieser allgemeinen Aufgabe gehen besondere, von dem Einzelfall gestellte einher. — Zufuhr von Amylaceen vermehrt den Zuckergehalt des Harns, ihre Ausnutzung für die Ernährung ist dem Diabetiker versagt — jede Beschränkung ihrer Aufnahme bringt daher Gewinn. So liegt die Sache theoretisch. Praktisch aber verhält es sich doch etwas anders, und hier handelt es sich hauptsächlich darum, ob Brot ganz
Diabetes mellitus.
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zu versagen sei? Das ist nur in schweren Fällen und für kürzere Zeit geboten. Denn die dauernde Entbehrung dieses gewohnten Nahrungsmittels führt zum Ekel und Widerwillen gegen jede Nahrung, wodurch die Hauptaufgabe — Ersatz für Verlorenes zu schaffen — unlösbar wird. Es gelingt nur selten durch Mandel-, Kleber-, Kleienbrot den Ausfall minder fühlbar zu machen; diese Surrogate gehören außerdem nicht zu den leicht verdaulichen. Eher zu entbehren sind die stärkemehlhaltigen Vegetabilien, unter denen die Kartoffel voran zu nennen ist. Kopf- und Endiviensalat, Kresse, grüne Bohnen, Spinat, Gurken, Sellerie, Radieschen, Spargel, die leichteren Kohlarten, endlich die eßbaren Pilze bieten dafür Ersatz und gestatten Abwechslung. Diese wird ebenso durch die wenig Zucker enthaltenden Früchte gewährt; erlaubt sind Erd-, Johannes-, Heidel- und Himbeeren, ferner Pfirsiche, Citronen und Apfelsinen. Mit diesen in passender Zubereitung gereichten Zuthaten werden die Hauptbestandteile der Nahrung des Diabetikers, Fleisch und Fett auch dauernd erträglich. Jede Fleischart sowie Fische und Schaltiere können genossen werden —• die Form der Zubereitung hat für Abwechslung und für möglichst geringe Ansprüche an die Verdauung zu sorgen. Das Weiße der Eier kann unbedingt, das Gelbe nur mit einiger Einschränkung genommen werden. — Unter den tierischen Neutralfetten steht die Butter obenan. Ist sie frisch, dann vermögen selbst geschwächte Verdauungswerkzeuge davon recht viel — 160 g den Tag und mehr — zu bewältigen. Wer sich an den Leberthran gewöhnen kann, mag auch diesen nehmen; in der Volkspraxis muß man öfter davon Gebrauch machen. — Über den Genuß von Milch sind die Akten noch nicht geschlossen. Man muß im Einzelfall ausprobieren. Der Rahm ist nicht zu entfernen. Geronnene Milch wird öfter besser ertragen als frische. — Ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit ist dem Kranken immer zu gestatten; wird dieselbe versagt, dann zeigt sich sofort ein Zustand dauernden Mißbehagens, auch objektiv ist die dabei unvermeidliche Anhäufung von Zucker und anderen die Diffusion innerhalb der Gewebe störenden Stoffen wenig erwünscht. Wasser, für den Wohlhabenden natürliches Sauerwasser, muß die Hauptmasse des Getränkes ausmachen. Fleischbrühe, Aufgüsse von Thee und Kaffee, aber alles nicht zu konzentriert, sind gestattet. Wein muß für den Einzelfall ausprobiert werden — roter leichter Bordeaux ist allen anderen Sorten vorzuziehen. Die Wahl der Zeit für die Aufnahme von Nahrung und von Flüssigkeit ist mit gewissen Einschränkungen den Kranken zu überlassen. Man halte nur darauf, daß nicht genascht werde, sondern jede Mahlzeit einigermaßen ausgiebig sei — so läßt sich am ehesten etwas von wirklicher Ruhe für die Verdauungsorgane erzielen. Wohl verdünnt viel Flüssigkeit, wenn sie mit den festen Speisen zusammen genommen wird, die Verdauungssäfte — aber die nach dem Essen an Zucker reicher gewordenen Gewebssäfte werden andererseits eher davon befreit; man lasse hier dem subjektiven Gefühl des Kranken freien Spielraum. —• Jede Verdauungsstörung ist für den Diabetiker eine bedenkliche Sache, vermag doch nur eine große und verarbeitete Einnahme die hohen fortlaufenden Ausgaben zu decken. Es ist daher besonderes Gewicht auf regelmäßige Thätigkeit von Magen und Darm zu legen. Da für den Diabetiker erhebliche Gefahren aus Kleinigkeiten erwachsen können, sind alle, selbst die unbedeutendsten örtlichen Erkrankungen immer ernst zu nehmen; schon ein Furunkel kann den Tod herbeiführen. — Man warnt mit Recht vor nicht unbedingt nötigen chirurgischen Eingriffen. V. J ü r g e n s e n , Spez
Patli. u Ther
II Aufl
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Allgom oin o Emii.li nuigsstöningcn.
— Der Aufenthalt in einem wärmeren Klima, das weniger Ausgaben von dem Körper fordert, ist dem Diabetiker dringend zu empfehlen. — Sorgfältige Hautpflege, eine dem Einzelfalle angepaßte ausreichende Muskelthätigkeit — die Zuckerausscheidung nimmt bei starker Arbeit ab — dürfen in keiner Lebensordnung für Diabetiker fehlen. — Neuerdings hat man von ausgiebiger Massage eine günstige Einwirkung auf das Allgemeinbefinden gesehen. A r z n e i m i t t e l , welche Heilung brächten, kennen wir nicht. Opium, von dessen Alkaloiden Morphium und Codein, vermag vorübergehend die Zuckerausscheidung zu vermindern. Größere Gaben werden auffallend gut ertragen — so täglich bis zu 2 g Opium, 0,2 g Morphium, 0,4 g Godein. Wenn durch die Rückkehr zu einer an Stärkemehl reicheren Nahrung die Zuckermenge zunimmt, sind diese Mittel besonders am Platze, sie dürfen aber höchstens eine Woche lang fortgesetzt werden. — Die als Sparmittel empfohlene Milchsäure — 5 bis 10 g täglich mit überschüssigem Natrium bicarbonicum in Wasser gelöst — bedarf noch weiterer Prüfung. — Die kohlensauren Natriumsal:.e scheinen mehr günstig auf die Verdauungsorgane zu wirken, als unmittelbar die Zuckerausscheidung zu beeinflussen. Gleiches dürfte für die üblichen Kuren in Karlsbad, Neuenahr, Vichy gelten. — Empirisch kann zur Anwendung kommen: Saiieylsäure — als Natronsalz bis 10 g den Tag in Lösung; Karbolsäure — bis 1,5 g den Tag in Pillen; arsenige Säure — man beginnt mit 0,003 und steigt bis 0,015 g den Tag; Jod — 20—30 Tropfen der Tinktur täglich in starker Verdünnung mit Wasser. Bei dem Gebrauch dieser manchmal nützlichen Arzneimittel vergesse man nie die Hauptsache: die Organe der Verdauung müssen unversehrt bleiben, und sobald irgend eine nennenswerte Störung derselben sich zeigt, welche mit Wahrscheinlichkeit auf das gegebene Medikament zurückzuführen ist, muß dasselbe trotz seiner vielleicht günstigen Wirkung auf die Zuckerausscheidung aufgegeben werden. § 91. Diabetes insipidus.
Als D i a b e t e s i n s i p i d u s bezeichnen wir einen Zustand, bei dem längere Zeit sehr reichliche Mengen eines Harns von niedrigem spezifischem Gewicht auch dann abgeschieden werden, wenn eine entsprechende Vermehrung der Aufnahme von Flüssigkeit nicht stattfand. — Ätiologisch ist wenig Sicheres bekannt. Hin und wieder mag Vererbung vorkommen. Männer erkranken häufiger als Weiber; das Verhältnis ist auf 3 zu 2 zu schätzen. Das mittlere Lehensalter ist besonders ausgesetzt. — Unter den Gelegenheitsursachen werden genannt: heftige Gemütsbewegungen und Erschütterung des ganzen Körpers durch Sturz aus bedeutenden Höhen — die Centraiorgane kommen dabei wohl besonders in Betracht. — Konstante anatomische Veränderungen kennt man nicht. Am häufigsten fand man eine Erkrankung im Gehirn, durch welche die Gegend des vierten Ventrikels in Mitleidenschaft gezogen wurde. — In den darauf untersuchten Fällen enthielt das Blut nicht unerheblich weniger Wasser. — Nach den bisherigen Erfahrungen und Versuchen — Polyurie tritt bei Verletzung des vierten Ventrikels oberhalb oder unterhalb, jedenfalls in nächster Nähe der Stelle, deren Verletzung Zuckerharnen bedingt, auf — ist am ehesten anzunehmen, daß der Diabetes insipidus durch Vermittelung des Nervensystems, die reflektorische Erregung desselben mit eingeschlossen, entsteht. Vermehrte Harnabsonderung und gesteigerter Durst sind die wesentlichen
Diabetes mellitus.
Diabetes insipidus.
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Zcichcn der Krankheit. Die Fälle ausgenommen, wo eine Einwirkung äußerer Gewalt oder heftige Gemütserregung vorliegt, ist die Entwicklung des Leidens eine langsame. — Der Harn wird in noch größeren Mengen als bei dem Diabetes mellitus entleert; man hat schon in 24 Stunden 43 Liter gemessen; es steht sogar fest, daß ein Kranker im Laufe von 24 Stunden mehr Harn entleerte als sein Körpergewicht beträgt. — Das spezifische Gewicht ist niedrig, es sinkt aut 1001, bewegt sich aber meist um 1005 bis 1007; nur in leichten Fällen werden 1012 erreicht. Der Harn erscheint dementsprechend blaß, krystallinische Sedimente kommen kaum vor. Trotz ihrer geringen prozentischen Menge sind die gelösten Bestandteile absolut keineswegs vermindert. Es können bis 70 g Harnstoff ausgeschieden werden, meist sind es allerdings nur gegen 30 g. Die Phosphorsäure, die Schwefelsäure und das Chlor zeigen ein ähnliches Verhalten. Die Ausscheidung von Kalk soll vermehrt sein können. Der Einfluß der Nahrung ist im letzten Grunde maßgebend. — Einige Male sind kleine Mengen Inosits nachgewiesen, man meint, daß derselbe durch den starken Saftstrom mechanisch aus den Geweben fortgerissen sei. — Der Durst steht in geradem Verhältnis zu der Masse des Harns. Nach Aufnahme größerer Flüssigkeitsmengen dauert es länger als bei dem Gesunden, bis die Absonderung der Nieren beginnt, dieselbe hält aber dafür länger an. Der Appetit ist meist gut, die Verdauung wird höchstens durch die gioße Masse der genossenen Getränke etwas gestört. Die Ernährung im ganzen leidet gewöhnlich nicht erheblich not, eine Wasserarmut der Gewebe verrät sich noch am ehesten an der spröden, trocknen, rissigen Haut. — Manchmal wird eine große Toleranz gegen Alkoholika beobachtet — ein Liter Schnaps, 20 Liter Wein den Tag sollen beschwerdelos genossen worden sein. Der Verlauf zeigt in vielen Fällen einen unregelmäßigen Wechsel zwischen Besser- und Schlechterwerden; sogar das Aufhören aller Erscheinungen für eine Zeit kann vorkommen. Dies bewirken besonders fieberhafte Erkrankungen, nach solchen wurde selbst Heilung gesehen. — Bei der Prognose ist namentlich darauf Rücksicht zu nehmen, daß Diabetes insipidus Symptom eines Hirnleidens sein kann; an sich bedroht die Krankheit das Leben nicht sonderlich. —• Die Diagnose hat zunächst den Zuckerdiabetes auszuschließen, dann die Schrumpfniere. Da bei dieser der Eiweißgehalt des Harns äußerst gering werden, vorübergehend sogar ganz fehlen kann, ist manchmal die wiederholte Untersuchung des für Tag und Nacht gesondert aufzufangenden Urins erforderlich. Zum Begriff des Diabetes insipidus gehört die längere Dauer — das genügt, um vorübergehende Mehrausscheidung von Harn, wie sie nach vielem Trinken, nach Krampfanfallen der Hysterischen u. s. w. auftritt, auf ihren wahren Wert zurückzuführen. Als unbedingtes Gesetz für die Behandlung der Krankheit gilt, daß man die Leidenden nach Herzenslust trinken lasse; Wasserentziehung vertragen dieselben durchaus nicht. Die Ernährung sei ausgiebig, man schone die Verdauungswerkzeuge und sorge für gute Hautpflege. — Arzneimittel: Nach manchen Beobachtungen ist Iladix mlerlnnae in großen Gaben von Nutzen, ein aus derselben bereitetes Extrakt wurde bis zu 30 g täglich verordnet. — Opium kann in einer individuell zu bemessenden Gabe, welche aber keine Störungen hervorrufen, namentlich den Appetit nicht schädigen darf, zeitweilig die ärgsten Beschwerden mildern. Mit wechselndem Erfolg wurden versucht: Seeale cornntum und dessen Extrakte, Jaborandi und Pilokctrpin. Karbolsäure. 13*
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Allgemeine Ernährungsstörungen. § 29.
Fettleibigkeit.
F e t t l e i b i g k e i t (Adiposität universalis) nennt man eine Beschaffenheit des Körpers, bei welcher an vielen Orten desselben eine die Norm weit übersteigende Anhäufung von Fett sich einstellt. Ätiologisch ist zu bemerken: Die Anlage zur Korpulenz kann angeerbt, sie kann sogar Stammeseigentümlichkeit sein. Das Alter jenseit der vierziger Jahre ist physiologisch prädisponiert, mehr noch bei Weibern, als bei Männern, was zum Teil wenigstens mit der Abnahme der Gebärfähigkeit zusammenhängen mag. Es ist bekannt, daß die Kastration gleichfalls, und zwar bei beiden Geschlechtern, die Anhäufung von Fett begünstigt. — Körper- und Geistesträgheit, beides manchmal ein Ausfluß des sogenannten „phlegmatischen" Temperaments, die stärkere Zufuhr von Kohlehydraten und Fetten sowie eine solche von alkoholischen Getränken sind ferner zu nennen. In den Leichen der Fettsüchtigen findet man eine reichliche Ablagerung von Fett im Unterhautbindegewebe, in dem Netz mit seinen Annexen, in dem Mediastinum, um die Nieren und in deren Becken, in der Leber, auf dem Herzen, sogar in dessen Muskulatur sich einschiebend (fettige Infiltration). Bei den willkürlichen Muskeln geschieht das gleiche. Besonders hervorzuheben ist, daß eine der Fettmenge, welche das Körpergewicht selbstverständlich absolut erhöht, entsprechende Zunahme der Blutmasse nicht erfolgt; jeder Fettsüchtige hat also auf die Einheit des Körpergewichts bezogen weniger Blut als in der Norm. Die Erscheinungen bei Fettsucht lassen sich aus den erwähnten Befunden ohne weiteres ableiten. Neben relativer Anämie ist die durch mechanische Belastung seitens des Fettes erschwerte Herzthätigkeit und die dadurch gleichfalls gehinderte Atmung zu nennen: Das Herz muß bei jeder Systole einen Teil der frei werdenden lebendigen Kraft aufbrauchen, um die umhüllenden oder eingelagerten Fettmassen in Bewegung zu setzen oder sie zusammenzudrücken. Dem Herabrücken des Zwerchfells werden durch die mit Fett umhüllten, viel Raum für sich beanspruchenden Baucheingeweide und ebenso durch die Bauchdecken größere Widerstände entgegengesetzt. Sollen nun die Körpermuskeln den Fettwanst in Bewegung setzen, so gebrauchen sie mehr Sauerstoff — dieser aber wird ihnen nur dann gewährt, wenn ihre Forderung im Einklang mit der Arbeitsleistung von Herz und Lungen zu bringen ist. Jedes Gehen oder gar das Steigen ist dem Fettsüchtigen daher nur langsam möglich. •— Der erheblichere Muskelanstrengung fast immer begleitende Ausbruch von Schweiß ist für ihn die natürliche Ausgleichung der durch das schlechtleitende Fettpolster bewirkten Wärmestauung. Die Schwäche des Kreislaufs verrät sich an der dauernden Yenenfüllung; neben dem „blauen" Gesicht ist auch die von Stuhlträgheit begleitete und mit ihr eng zusammenhängende Anfüllung der Mastdarmvenen (Hämorrhoiden) ein nicht nur Ärzten bekanntes Symptom der Korpulenz. Die Haut erkrankt namentlich an den von reichlichem Schweiß benetzten Stellen leicht an Intertrigo (Wolf) und an Ekzemen; auch Furunkelbildung stellt sich häufiger ein. — An sich führt die Fettsucht kaum zum Tode — es könnte höchstens an Herzinsuffizienz gedacht werden. Aber bei jedem ernsteren Fieber bildet dieselbe eine keineswegs leicht zu nehmende Erhöhung der Gefahr. — Namentlich sind hier jene Lungenerkrankungen (Pneumonie und ausgebreitete Katarrhe) zu nennen, welche, die Atmungsfläche verkleinernd, dem Herzen und den Respirationsmuskeln eine bei dem relativ
Fettleibigkeit.
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geringen Vorrat an Blut nicht zu bewältigende Arbeitslast auferlegen. Die durch die Fettanhäufung im Unterhantbindegewebe erschwerte .Abgabe von Wärme kommt weniger in Betracht — fiebernde Fett.siichtige haben keineswegs besonders hohe Temperaturen. Die Therapie der Fettsucht kann auf verschiedenen Wegen zum Ziele gelangen. Die Errungenschaften der Ernährungsphysiologie, welche wir in erster Linie V o i t verdanken, haben sich hier in glänzender Weise bewährt. Vor allem muß eine verhältnismäßig reichliche Zufuhr von Albuminaten, mit der eine ausgiebige Neubildung von Blut verbunden ist, verlangt werden. Daneben werden sowohl Kohlenhydrate wie Fette (BANTING-System) oder nur die ersteren (EBSTEiN-System) auf ein möglichst geringes Maß beschränkt. Man will den Körper nötigen, von seinem aufgespeicherten Fett zu dem durch vermehrten Eiweißumsatz überhaupt gesteigerten Stoffwechsel herzugeben — dies wird auch erreicht. — Eine den individuellen Bedingungen angepaßte Vermehrung der Muskelthätigkeit und Regelung der Wasserzufuhr ist mit Recht üblich, und neuerdings bekanntlich durch Ö e t e l und Schweninger zu einer eigenen „Kur" ausgebildet. — Bei diesen wie bei allen zu therapeutischen Zwecken eingeleiteten Änderungen im Stoffwechsel muß das rechte Maß eingehalten und streng individualisiert werden. Über eine Gewichtsabnahme von einem Kilo in der Woche darf man selten hinausgehen; die Kontrollwägung ist nicht zu unterlassen. — Eine gewisse Abwechselung in der Nahrung, hier leicht erreichbar, ist zu gewähren; Verminderung der Leistungsfähigkeit und des Wohlbefindens der Kranken soll bei diesen Kuren nicht eintreten — dyspeptische Störungen geben dazu die gewöhnlichste Veranlassung. Diese sind zu beseitigen, selbst wenn zeitweilig eine Unterbrechung der Kur erforderlich wäre. Man vergesse nie, daß nichts drängt und bringe seine Kranken nicht durch zu gewaltsame Eingriffe herunter. Es liegen Warnungsbeispiele in mehr al^" genügender Menge vor; Herzinsuffizienz mit Hydrops, schwere Magen- und Darmerkrankung, bei Disponierten Tuberkulose der Lungen sah man öfter als Folge forcierter Entfettung. Trinkkuren in Karlsbad, Marienbad, Kissingen, Tarasp und ähnlichen Orten bewirken einen regeren Saftstrom durch die Gewebe und dadurch einen vermehrten Stoffwechsel. Zu ihrer unbestreitbaren Wirksamkeit tragen der Aufenthalt in der Luft und das viele Gehen bei. Die in diesen Bädern zu beobachtende Lebensweise, namentlich die Diät, ist individuell zu regeln; kein Kranker sollte sich auf eigene Faust helfen wollen. Bei akuten Erkrankungen
Fettsüchtiger ist der Aufrechterhaltung
von vornherein volle Sorgfalt zuzuwenden.
des
Kreislaufes
in. Infektionskrankheiten. § 93.
Allgemeines.
Die Blutkrankheiten und die besprochenen konstitutionellen Veränderungen entstehen unter Bedingungen allgemeiner Natur: es handelt sich bei ihnen um Fehler im Bau und in der Bildung der Gewebe, ferner um Abweichungen des Stoffwechsels; das alles ist durch chemische und physikalische Kräfte hervorgerufen. Im ätiologischen Gegensatz zu dieser Gruppe stehen die Infektionskrankheiten. Sie sind durch die Einwirkung eines bestimmten mit Sondereigenschaften ausgerüsteten Etwas auf den lebenden Körper bedingt. Der Krankheitserreger gehört der organischen Natur an, er ist belebt, und, seine Lebenseigcnschaften erzeugen bei dem Menschen die Störungen, welche uns als Krankheiten entgegentreten.
Meist handelt es sich um pflanzliche Mikroorganismen., vorwiegend um Spaltpilze; Schimmel- und Sproßpilze treten an Bedeutung weit hinter diesen zurück, von tierischen Parasiten kommt nur die Trichina spiralis in Betracht. Das Wesen der Infektionskrankheiten ist durch diese Verhältnisse in den Grundzügen klar gelegt: Entwicklung und Bestehen eines Organismus auf Kosten des anderen, so daß man mit Recht von einem Kampf ums Dasein reden mag. — Die neue Anschauung kommt nicht zuletzt der Therapie zu gute, ihre Ziele lassen sich genauer feststellen. Es wird zur Hauptaufgabe, die Lebensbedingungen der den Menschen gefährdenden Mikroben kennen zu lernen, zu erfahren, was ihnen nützlich, was ihnen schädlich ist, wo in der Außenwelt sie zu finden sind, auf welchem Wege sie eindringen. Soweit es nicht schon mit der Lösung dieser Fragen entschieden ist, muß ferner untersucht werden, welche Verhältnisse im Menschenkörper selbst die Invasion und Ansiedlung der Schmarotzer befördern oder hemmen? — Aus allen diesen Dingen ergiebt sich die Möglichkeit einer Prophylaxis im weitesten Sinne. Aber auch die eigentliche Therapie geht nicht leer aus. Für sie ist die Aufgabe gestellt, Stoffe zu finden, welche, ohne den kranken Menschenkörper zu schädigen, dem eingedrungenen fremden Leben ein Ende machen, oder jedenfalls dessen üppige Entfaltung hemmen — es sind das die spezifischen Mittel. Weiter wird es notwendig, die Lebensbedingungen für den Erkrankten so günstig wie nur möglich zu gestalten, ihn in seinem Kampf mit dem Eindringling thunlichst zu unterstützen. Die Pathologie muß lehren, von welcher Seite her der einzelne Krankheitserreger das Leben, den Zusammenhalt des von ihm ergriffenen Organismus bedroht, an welchem Punkte die größte Gefahr vorhanden
Allgemeines.
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ist. Wurde das erkannt, dann sind zweckentsprechende Gegenmaßregeln wenigstens manchmal möglich; wir kommen auf diesem Wege bei den Krankheiten, wo spezifische Mittel fehlen, zu einer Behandlungsweise, welche freilich eine symptomatische, aber eine über die früher so genannte dadurch weit hinausragende ist, daß sie nicht ein beliebiges, vielleicht sehr hervorstechendes, für das Ganze aber minderwertiges Ding bekämpft, sondern dort angreift, wo es notthut. Auch negativ ist der neuen Anschauung ein Vorzug nicht abzusprechen: schwächende Eingriffe, die fast vollkommene Entziehung der Nahrung, die Blutverluste, welche man durch diese oder jene theoretische Anschauung geleitet den Kranken früher erfahren ließ, mußten aufhören, sobald erkannt war, daß es gilt, denselben gegen die Gewalt des in ihm hausenden fremden Lebens zu festigen. Ganz bestimmte Grenzen für die Infektionskrankheiten lassen sich gegenwärtig nicht abstecken. Dal! ein Teil dessen, was heute noch bei den Organkrankheiten untergebracht ist, später einmal hier abzuhandeln sein wird, ist wahrscheinlich. — Eine konsequente systematische Darstellung ist nicht aus diesem Grunde allein unthunlich Es kann vorkommen, dal! eine anatomische und klinische Einheit ätiologisch eine Mehrheit bildet; wie in solchem Falle es mit deren Einreihung zu halten ist, entscheiden Zweckmäiiigkeitsgründe, und das sind subjektive.
Eine Einteilung der Infektionskrankheiten stößt noch auf große Schwierigkeiten. Gewöhnlich trennt man: 1. Kontagiüsc Krankheiten: Der Krankheitserreger bedarf zu seiner Entwicklung des lebenden Körpers, er vermag unmittelbar von dem erkrankten Menschen auf den gesunden überzugehen. 2. Miasmatische Krankheiten: Der Krankheitserreger wird außerhalb des lebenden Körpers erzeugt, er geht von außen, nicht durch Übertragung von einem schon erkrankten Menschen auf den gesunden über. 3. Miasmatisch-kontayiösc Krankheiten: Der Krankheitserreger geht nicht unmittelbar durch Übertragung von einem schon Erkrankten auf den Gesunden über, er bedarf des zeitweiligen Aufenthalts außerhalb des kranken Körpers, um die Fähigkeit zu erlangen, Krankheit bei dem Gesunden hervorzurufen. Ganz abgesehen von den Einzelfragen, was kontagiös, was miasmatischkontagiös sei, ist diese Einteilung prinzipiell nicht mehr durchzuführen, seit GERHARDT gezeigt hat, daß das Gesunden eingespritzte Blut von Malariakranken Wechselfieber zu erzeugen vermag. Damit ist die grundlegende Unterscheidung zwischen Miasma und Kontagium unhaltbar geworden. Die praktische Bedeutsamkeit der Einteilung kann immerhin noch anerkannt werden, obgleich doch darauf hingewiesen werden muß, wie, namentlich in der älteren Litteratur, Angaben genug zu finden sind, daß eine gewöhnlich nicht kontagiöse Krankheit bei schwerem epidemischem Auftreten kontagiös geworden sei. Denkbar wäre es, daß nur die Menge des vorhandenen und zur Aufnahme in den Organismus geeigneten Krankheitserregers den Ausschlag giebt, ob eine Ansteckung von Mensch zu Mensch stattfindet oder nicht. Zu einer Gruppe der Infektionskrankheiten können Syphilis, Tuberkulose, Lepra, Aktinomykose und Rotz vereinigt werden. Sie erzeugen eine anatomisch ähnliche Gewebsveränderung, die Granulationsgeschwülste, sie können alle Organe in Mitleidenschaft ziehen und verlaufen vorwiegend chronisch — Verhältnisse, durch welche sie sich von den meisten anderen Infektionen unterscheiden. Aus Zweckmäßigkeitsgründen werden die übrigen kontagiösen Genitalkrankheiten neben der Syphilis besprochen.
§ 94.
Syphilis.
Die S y p h i l i s (Lustseuche, Lucs vcucvca) ist eine durch ein fixes Kontagium übertragbare, zuerst am Orte der Einverleibung, später auch anderswo im Körper sich zeigende Erkrankung mit eigenartigen Gewebestörungen. Als Krankheitserreger wird ein von LTJSTGAKTEN entdeckter Bacillus betrachtet, welcher zwei bis sieben Mikromillimeter, meist nur 3,5—4,5 lang und etwa 0,25—0,3 dick ist, Sporen bildet und im Inneren der Zellen liegt. — Trotz des vielfach erhobenen Widerspruches scheint die Wahrscheinlichkeit, daß dieser Bacillus der spezifische sei, immer größer zu werden. — E s ist eine noch streitige Frege, ob Syphilis eine „neue", -ganen sollen nur kurz wiederholt werden. Leber: kleinzellige Infiltration des gewucherten Bindegewebes; Volum-
2^4
Infektionskrankheiten.
zunähme (6 % des Körpergewichts gegen 4,6 °/0 in der Norm) kommt wohl nur bei totgeborenen oder rasch abgestorbenen Früchten vor. Auch größere umschriebene gummöse Herde finden sich manchmal. Peritonitis kann vorhanden sein. Pylepblebitis ist in seltenen Fällen beobachtet. — Vom oberen Teil des Dünndarms werden diffuse Infiltrationen und wirkliche Gummabildung berichtet. — Milz, Pankreas, Thymus sind hin und wieder erkrankt gefunden. In der Luiujr hat man die weiße Pneumonie, die gummöse Pneumonie, im wesentlichen lobuläre Formen gefunden. — Alle anderen Organe werden nur sehr selten von hereditärer Lues ergriffen. 5. Wenn die syphilitischen Kinder nicht schon atrophisch zur Welt kamen, leidet ihre Ernährung jedenfalls in kurzer Zeit schwer. Uber den Verlauf der hereditären Lues ist zu bemerken, daß ein großer Teil der mit ihr Behafteten trotz aller Sorgfalt im Laufe der ersten Monate zu Grunde geht. Die Überlebenden entwickeln sich in der Regel langsam, sie sind empfindlich und erkranken leicht an allen möglichen körperlichen und geistigen Übeln. Der erste Ausbruch der Erscheinungen erfolgt bei der ganz überwiegenden Mehrzahl innerhalb der drei ersten. Lebensmonate — nur ungefähr 9 n/0 fällt auf eine spätere Zeit. — Aber — freilich selten — selbst nachdem Jahre ohne irgend in die Augen fallende Störungen glücklich vorübergegangen waren, treten bei den von syphilitischen Eltern Erzeugten ohne nachweisbare Veranlassung plötzlich die bösartigen Symptome der Spätformen auf (Syphilis hereditaria tarda). Verlauf des Syphilis Uberhaupt.
Wie bei allen Infektionen kommt auch bei der Syphilis ein großer Wechsel in der Schwere der Erkrankung vor. Einerseits steht es fest, daß, nachdem die Vorgänge am Orte der Ansteckung abgelaufen sind, eine nur leichte allgemeine Erkrankung folgen kann, welche das Allgemeinbefinden kaum schädigend außer geringfügigen Exanthemen (makulöse Formen) und oberflächlichen Rachenerkrankungen weitere Störungen nicht verursacht. Mit dem Rückgang der allgemeinen Drüsenschwellung ist der Infizierte dauernd genesen. Andererseits aber kann schon anfangs an Ort und Stelle die Sache minder gut gehen; tief zerstörende, oder gar gangränös werdende Verschwärungen sind freilich nicht häufig, allein das primäre Ulcus breitet sich aus, es bleibt lange geöffnet und heilt mit Bildung von Narben, die leicht wieder aufbrechen. Dabei leidet das Allgemeinbefinden erheblich, die Ernährung nimmt ab, namentlich die Blutmischung hat schwere und langdauernde Änderungen erlitten, Die Exantheme werden leicht von Anfang an bullös, die einzelnen Flecken wandeln sich in tiefere, schlecht heilende Geschwüre um, Gummabildung tritt schon früh auf, sie befallt die inneren Organe und richtet erhebliche Zerstörungen an. Die an einer Stelle erfolgte Heilung ist von neuen Erkrankungen an anderen begleitet: ein Recidiv über das andere und in verhältnismäßig kurzer Zeit der Tod im Marasmus oder durch das Versagen eines lebensnotwendigen Organs. — Es sind das die Extreme, zwischen denen alle möglichen Übergänge liegen. Wie weit die Stärke des Giftes von Einfluß auf den Verlauf, ist schwer zu sagen, daß sie aber von Einfluß wird durch das zeitweilig heftigere und mehr Verbreitete Auftreten der Erkrankung — die Epidemie am Ende des 15. Jahrhunderts ist nicht der einzige Beleg dafür — wahrscheinlich. In weitaus höherem Grade macht sich die Konstitution des Erkrankten geltend — je weniger wider-
Syphilis.
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standsfähig jemand durch bleibende oder vorübergehende Ernährungsstörungen ist, desto schwerer verläuft bei ihm die Syphilis. Dadurch wird dann auch im allgemeinen die Prognose, bestimmt, im besonderen richtet sich dieselbe nach der Art und dem Verhalten der örtlichen Erkrankungen. — Eine Angabe über die Größe der Sterblichkeit durch die Syphilis, die halbwegs zutreffend wäre, läßt sich nicht machen. Als unmittelbare Todesursache ist dieselbe in ogrößerem Umfango nur bei den hereditären Formen wirksam, ihre Bedeutsamkeit als mittelbare läßt sich aber nicht einmal annähernd abschätzen. Für die Behandlung der Syphilis verfügen wir über spezifisch wirkende Arxncimittel, welche nur selten den Dienst versagen. Neben deren Gebrauch kommen alle Maßregeln zur Anwendung, durch welche die Widerstandsfähigkeit des Ergriffenen erhöht werden kann. Ehe darauf des Näheren einzugehen, ist die Frage fax Prophylaxis zu besprechen. Der Arzt kann kaum einen anderen Standpunkt als den einnehmen: die Prostitution ist ein notwendiges Übel, der Staat hat dieselbe zu regeln und zu überwachen, denn es ist seine Pflicht, die Verbreitung der ansteckenden Genitalerkrankungen thunlichst zu verhindern. Daß dies in hohem Maße möglich ist, unterliegt keinem Zweifel. Individuelle Prophylaxis ist für den, der bei Prostituierten Befriedigung seines Triebes sucht, nur in sehr beschränkter Weise möglich. Man empfiehlt sorgfältige Waschungen mit einer Lösung von Karbolsäure (1—3%) oder Sublimat (1 pro mille bis 1 pro cent) unmittelbar nach dem Koitus, vorheriges Einölen des Gliedes u. s. w. — lauter in ihrem Erfolg zweifelhafte Mittel. — Eine Frage ist es, ob man, den bereits entstandenen örtlichen Herd so zu beeinflussen vermag, daß die allgemeine Infektion ausbleibtp Die Meinungen gehen auseinander. Es ist theoretisch nicht einzusehen, warum eine gründliche, kurz nach der Ansteckung erfolgende Zerstörung des Giftes in loco nicht unter Umständen dessen Verbreitung sollte aufhalten können — allein praktisch stellt sich die Sache anders. Es müßte ein sonderbarer Zufall sein, wenn man sobald nach einem verdächtigen Koitus durch Untersuchung des Infizierenden über dessen Gesundheitszustand ausreichend unterrichtet wäre, um einen durch solchen Koitus bei dem Infizierten entstandenen leichten Schleimhautriß oder einen oberflächlichen Substanzverlust als Eintrittsstelle des Giftes bezeichnen zu können. Man berichtet nun aber auch von Atzungen, welche, obgleich sie wenige Stunden nach der Infektion vorgenommen wurden, dennoeli nicht dieselbe zu verhindern imstande waren. Soll eine Atzung von Nutzen sein, dann muß dieselbe in die Tiefe greifen; es ist also eine Zerstörung von Geweben und spätere Narbenbildung damit verbunden. Oft genug sind solche Gewebezerstörungen ohne jede Bedeutung für den Kranken, manchmal sind sie es — und eine Sicherheit dafür, daß er selbst nach einer gründlichen Atzung von der Syphilis verschont bleibe, kann dem Angesteckten niemals gegeben werden. Dies will erwogen sein, ehe man sich über die nur für den Einzelfall zu erörternde Frage: Atzen oder Nichtätzen entscheidet. — Ebenso steht es mit der Exstirpation der primären Sklerose, einerlei ob dieselbe sich in ein Geschwür umgewandelt hat oder nicht. Erfolge und Mißerfolge sind verzeichnet; bei zweifelloser Schwellung der Inguinaldrüsen dürfte die Exzision, die natürlich nur bei günstigem Sitz der Erkrankung überhaupt möglich ist, zu unterlassen sein. Jedenfalls hat eine örtliche Behandlung stattzufinden. Bei nicht ulcerierten
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Infektionskrankheiten.
Sklerosen ist große Reinlichkeit ( W a s c h u n g e n mit lauem Wasser mehrmals täglich) und Schutz der erkrankten Stelle durch das Bedecken derselben mit karbolisierter W a t t e ausreichend. Man vergesse nicht, daß es von großem Vorteil ist, w e n n eine Verschwärung verhindert werden kann, und daß diese durch mechanische wie chemische Reizung begünstigt wird. — Ist schon ein Geschwür da, dann suche man dasselbe baldmöglichst zur Heilung zu bringen. Dazu dient das Einpulvern mit Jodoform oder mit Tannin, d a s sorgfältige Bepinseln mit stärkeren Karbollösungen (ein auf zwei Teile Alkohol) oder Borsäure, (ein auf zehn bis f ü n f z e h n Wasser). D i e energischeren Eingriffe dürfen nicht zu oft wiederholt werden, man muß sich dabei nach dem Aussehen des Geschwürs richten und jede unnötige Reizung vermeiden. Große Reinlichkeit ist unbedingt erforderlich, passende Verbände müssen g e g e n mechanische Insulte schützen. Soll die Syphilis überhaupt spezifisch behandelt werden ? Trotzdem mancher Fall ohne arzneilichen Eingriff heilt, muß die Frage unbedingt bejaht werden. Der Nutzen ist nach mehr als einer Seite hin ein zweifelloser. Für den Kranken wird durch die spezifische Behandlung die Dauer seines Leidens abgekürzt, für ihn werden die Aussichten auf Genesung günstiger, für seine U m g e b u n g wird die Gefahr einer A n s t e c k u n g verringert; bei sachgemäß geleiteter Kur kann von einer dadurch herbeigeführten S c h ä d i g u n g keine Rede sein. E s stehen zwei Mittel, Quecksilber und Jod, zur V e r f ü g u n g ; w e l c h e s derselben soll zur A n w e n d n n g k o m m e n ? Im allgemeinen ist zu sagen: Merkur und kein Jod während der Frühperiode, Jod und vielleicht daneben Merkur in der späteren Zeit. Auch hier gehen die Ansichten auseinander. Von manchen wird der Jodgebrauch auf die früheste Zeit ausgedehnt und von dadurch bewirkten Heilungen berichtet, daneben wird freilich zugegeben, daß man in gewissen Fällen dennoch zum Quecksilber habe greifen müssen. Von anderen wird für die Spätperiode der gummösen Erkrankungen das Quecksilber unbedingt verworfen und nur das Jod zugelassen. Wer gröliere eigene Erfahrung hat, wird geneigt sein der vorstehenden Fassung beizupflichten, welche allerdings auf die Starrheit eines Dogma keinen Anspruch macht. Die Verhältnisse des Einzelfalles sind maßgebend. Waren schon größere Mengen von Quecksilber einverleibt, namentlich in der letzten Zeit, dann wird man bei gummöser Erkrankung oft keine Veranlassung finden, das Mittel zu erneuern, wohl aber wird man, wenn bisher keine oder nicht hinreichende Quecksilberkuren stattgefunden hatten, dazu greifen. Bei lichtigem diätetischen Verhalten kann man auch Schwachen und Heruntergekommenen Merkur geben. Die heutigen Methoden brauchen sich nicht die früher vielleicht gebotene Beschränkung aufzuerlegen. Dal! manchmal, wenn das Jod versagte, auch in der Spätperiode eine eingreifende. Quecksilberbehandlung lebensrettend wirkt, wird kein Erfahrener in Abrede stellen. Wann ist mit der Quecksilberbehandlung zu beginnen? Sobald die Diagnose gesichert ist, also schon w e n n indolente Bubonen neben der charakteristischen örtlichen Erkrankung sich zeigen. Wiederum weichen die Anschauungen erheblich ab. Auf der einen Seite wird behauptet, daß eine frühzeitig eingeleitete konsequente Quecksilberkur imstande sei, die Folgen der Infektion so zu beschränken, daß allgemeine Erscheinungen überhaupt ausbleiben. Freilich wird das nur in einer Minderzahl der Fälle erreichbar sein. Dem gegenüber beruft man sich auf die Erfahrung, daß die örtliche Erkrankung durch Allgemeinbehandlung nicht beeinflußt werde, daß bei dem Zuwarten die Folgeerscheinungen nicht schwerer ausfallen, vielmehr dieselben durch Quecksilbergebrauch unter Umständen gesteigert erscheinen, endlich, daß dieser das Auftreten der Recidive begünstige. Man solle daher mindestens so lange warten, bis die Allgemeininfektion eingetreten sei. — In solcher Zurückhaltung scheint eine Inkonsequenz zu liegen. Wenn angenommen wiid, daß Quecksilber ein Gegengift gegen Syphilis, ein spezifisch wirkendes Mittel ist, dann ist nicht einzusehen, warum man mit dessen Anwendung so lange zögert, bis das Gift in noch anderen als den ursprünglich befallenen Teilen sich eine neue Brutstätte gebildet hat. Je früher das Gegengift zur Wirkung gelangt, debto wahrschein-
Syphilis.
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licher ist es doch, daß dasselbe das Gift t i l g t , umsomehr, da dieses nouli auf enge Herde beschränkt ist. Das Gedenken jener Zeit, wo mit der Einverleibung des Merkurs in der That ernstere Schädigung verbunden w a r , weil man über das Maß des Erlaubten hinausging, dürfte bei solchen Warnungen noch nicht ganz erloschen sein. — Versteht man sich zu der frühen spezifischen Behandlung, dann ist auch der Grundsatz durchführbar, daß man das Heilmittel möglichst direkt mit dem zu heilenden Teil des Körpers in Berührung setzen solle.
Wie lange soll die Quecksilberbehandlung fortgesetzt werden? Hier muß je nach den Bedingungen des Einzelfalles geschieden werden. Ist eine Behandlung gleich, anfangs eingeleitet worden, dann ist dieselbe mindestens so lange fortzusetzen, bis alle nachweisbaren Drusenschwellungen zurückgegangen sind. — Recidive sind bei Befolgung dieser Regel entschieden seltener, dauernde Heilungen in einem großen Prozentsatz gesichert. Bei der Behandlung von Spätformen ist man des verhältnismäßig guten Anhaltspunktes beraubt, welchen die Schwellung der Drüsen liefert; immer wird man daran festhalten müssen, daß mit dem Schwinden der Erscheinungen der Syphilis durchaus nicht die Gewähr für eine Heilung der Krankheit gegeben ist. Daher muß das Mittel, welches Genesung brachte, noch längere Zeit auch nach dem Aufhören der Symptome weiter gebraucht werden, und das darf auch geschehen, sobald nur keine Störungen der allgemeinen Ernährung zu befürchten sind. Es kommen im Einzelfall so viel Erwägungen in Betracht, daß man sich mit der Formulierung dieser allgemeinen Regel zu begütigen hat. Seit die Anschauung aufgegeben wurde, daß Speichelfluß zur Ausstoßung des •syphilitischen Giftes erforderlich sei, also herbeigeführt werden müsse, legt man bei Quecksilberkuren mit Recht großes Gewicht auf die Verhütung der Erkrankung der Mundschleimhaut. Sorgfaltige Reinigung der Zahne mit weicher Bürste und unter Benutzung von Zahnpulver (R Nr. 13) mehrmals des Tags, besonders nach jeder Mahlzeit, ist den daran nicht Gewöhnten vorzuschreiben, daneben ist Ausspülen des Mundes und Rachens alle zwei bis drei Stunden mit einer 1— 2°/0 Lösung von chlorsaurem Kalium (R Nr. 40) anzuordnen. Das Rauchen unterbleibt am besten ganz. — Dem eigentlichen Speichelfluß geht stets ein Mundkatarrh voraus, sich durch stärkere Abstoßung des Epithels verratend. Man hat auf diesen sorgfältig zu achten, und wenn er sich zeigt zu erwägen, ob man einige Zeit mit der Einverleibung des Quecksilbers aussetzen, dessen Gabe vermindern oder bei noch sorgfältigerer Mundpflege die bisherige Kur fortsetzen will. Die Entscheidung hängt im wesentlichen von der Form der gegenwärtigen syphilitischen Erkrankungen und ihrer Bedeutung für den Organismus ab. Bis zur Bildung von merkuriellen Geschwüren — dieselben treten am leichtesten an den Umschlagfalten der Schleimhaut und dort auf, wo ein Zahn reizend auf dieselbe wirkt — sollte es nicht kommen. Gegen zu starke Salivation wird Alropin in Dosen von 1 mg abends zu nehmen empfohlen (R Nr. 12). Die besonderen Methoden der Quecksilberbehandlung anlangend, so sind jetzt noch üblich: 1. Schmierkur mit Unguent. hydrargyr. cinereum. Man läßt täglich 1—5 g der Salbe (R Nr. 34) zehn Minuten lang mit mäßig starkem Druck einreiben und die einzelnen Hautteile in bestimmter Reihenfolge vornehmen. So z. B.: Unter-, Oberschenkel, Bauch, Seitenfläche der Brust, Rücken, Arme an einer oder gleichzeitig an beiden Seiten des Körpers, je nachdem man langsamer oder schneller merkurialisieren will. Der eingesalbte Hautteil wird nach 24 Stunden mit Seifenwasser_ gereinigt, resp. ein Bad genommen. Wenn die Haupterscheinungen
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Infektionskrankheiten.
der Kranklieit geschwunden sind, geht man auf 1 höchstens 2 g der Salbe herunter. So kann das Mittel monatelang fortgesetzt werden, ohne Vergiftung zu bewirken. Bisweilen ist die Haut gegen die graue Salbe so empfindlich, daß oberflächliche Entzündungen derselben auftreten — gelingt es nicht, dieselben zu beseitigen, dann muß die Methode verlassen werden. Vorteile derselben sind, rasche Wirkung und Unbelästigtbleiben der Yerdauungswerkzeuge, Nachteile, die Umständlichkeit und die Beschmutzung der Wäsche. In schweren Fällen giebt man nur ungern das vorzügliche Verfahren auf. Neuere pharmazeutische Präparate (Linimente) scheinen die Unzuträglichkeiten der grauen Salbe auf ein sehr geringes Maß zurückzuführen. — Zu bemerken ist noch, daß breite Kondylome mit grauer Salbe bestrichen rasch schwinden. 2. Subkutane Injektionen. Man wählt dazu neuerdings Doppelsalze des Metalls (Quecksilberchlorid-Ghlornatrium R Nr. 35) oder Albuminatverbindungen des Quecksilberchlorids und injiziert mittels der PitAVAz'schen Spritze je 0,01 g der entsprechenden Verbindung täglich an verschiedenen Stellen der Haut, besonders an solchen, welche bei den gewöhnlichen Körperhaltungen keinen Druck auszuhalten haben (Vorderfläche der Brust und Bauch). Auch das unlösliche Queclesilberchlorür (Kalomel) hat man in Glycerin suspendiert von 0,2—0,05 g, mit Pausen von 4 bis 8 Tagen subkutan angewandt. Mehr noch als bei den anderen Präparaten kommt es bei diesem leicht zur Bildung von Abszessen; die Wirkung soll aber eine rasche und nachhaltige sein. Als Vorteile des Verfahrens überhaupt werden "angeführt: genaue Dosierung, Freibleiben des Intestinaltrakts, bequeme, den Kranken wenig belästigende (?) Anwendungsweise — als Nachteile stehen dem gegenüber, daß Abszesse sich trotz aller Vorsicht nicht stets vermeiden lassen, daß die Injektionen immerhin etwas schmerzhaft sind, und daß die Behandlung teuer ist, da der Arzt selbst die Einspritzung vorzunehmen hat, und die benutzten Lösungen o f t , manche gar täglich, erneut werden müssen, weil sich dieselben leicht zersetzen. Es scheint nicht, daß für die große Praxis das Verfahren sich Bahn brechen wird. 3. Innerer Gebrauch von Quecksilbermitteln. Dafür kommen Sublimat und Kalomel wesentlich in Betracht. Ersteres — das ätzende Chlorid — wird in stark verdünnter (1 auf 2000 Wasser verordnet, beim Gebrauch noch mit der fünffachen Wassermenge zu mischen) Lösung, neuerdings wiederum als Doppelsalz mit Chlornatrium, weniger häufig als Albuminatverbindung, die sehr schlecht schmeckt, dargereicht. Ebenso finden die Sublimatpülcn (R Nr. 36) noch vielfach Anwendung. Die Gabe beträgt pro Tag höchstens 0,1, meist genügt die Hälfte 0,05 g, sie wird am besten geteilt und die Einzelgabe nach jeder Mahlzeit gereicht. Es sind dann so viel Albuminate im Magen, daß von einer Atzwirkung des Sublimats nichts zu besorgen ist. — Kalomel — das nicht ätzende Chlorür — findet nach zwei verschiedenen Methoden Anwendung: In kleinen Gaben — 0,05 g in Pillen oder Pulvern dreimal täglich (R Nr. 37) — oder in großen. Man läßt, wenn man die letzteren benutzen will, jetzt (modifizierte W E I N H O L D sehe Kur) 0,5 g je morgens und abends nehmen, oder beginnt mit 0,1 g für für die Einzelgabe, welche erst nach und nach auf 0,5 g erhöht werden. — Sublimat und die kleinen Mengen Kalomel sind in ihrer Wirkung ungefähr gleichwertig; die großen Dosen Kalomel dürfen nur dann gebraucht werden, wenn der Patient unter beständiger ärztlicher Aufsicht sich befindet. Denn erfolgen nicht sehr ausgiebige Darmentleerungen (fehlt es daran, dann muß sofort durch andere Abführmittel nach-
Syphilis.
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geholten werden,, so tritt leicht und plötzlich eine schwere allgemeine Quecksilbervergiftung auf. Man hat die Methode besonders für Fälle empfohlen, wo es sich darum handelt, schnell zu merkurialisieren. Bei/umnlichkrit und Billigkeit kann der inneren Medikation nicht abgesprochen werden; ihre Xochteilc — besonders die Störung der Verdauung — sind bei richtigem Vorgehen nicht so erheblich, daß sie das Verfahren aus der alltäglichen Praxis verdrängen könnten. Die allgemeine Indikation ftir die Behandlung mösen Sputformen zu verlegen.
mit Jod ist in die Zeit der gum-
Man fühlt daneben noch mit nicht unzweifelhaftem Recht an, dal! bei gleichzeitig bestehender ski ofulöser Diathese der Gebrauch des Jods allein, oder neben dem des Quecksilbers, schon in früher Zeit der Syphilis geboten sei. Zweifellos treten manchmal günstige, sogar überraschende Erfolge durch Jod ein. Allein die Bedeutung (ines Spezifikums dürfte dem Mittel kaum zukommen; es wäre sonst nicht zu verstehen, warum dasselbe bei rasch verlaufenden Lokalerkrankungen, wie die syphilitische Iritis, ohne Wirkung bleibt. Man könnte sich am ehesten noch den Einfluß des Jods so erklären, dali dasselbe unter Umständen und vorzugsweise in der Zeit gummöser Neubildungen mehr örtlich wirkt, den isolierten Krankheitsherd aus seiner Vereinzelung, seiner Abschließung gegen das Ganze herauszieht, das syphilitische Gift dem Stoffwechsel zugänglich macht und in diesem der Vernichtung entgegenfühlt. So würde eine Analogie mit der Beeinflussung krankhafter Gewebsstörungen durch Jod überhaupt hergestellt. Thatsache ist jedenfalls, dal! Haut- und Muskelgummata nach direkten Injektionen von Jodsalzen in Lösungen von 1 —ü pro m. in verhältnismäßig kurzer Zeit schwinden.
Man giebt Jodltalium oder Jodnatrium innerlich in einfach wässriger Lösung, die nicht zu konzentriert sein darf — meist 1—2 g den Tag, selten mehr (bis zu 10 g). Die Tagesgabe wird auf 3—4 Einzelgaben verteilt (R Nr. 42). — Die Pillenform ist wenig gebräuchlich. — Subkutane Injektionen sind nicht stärker als 1 auf 500 zu verordnen; manchmal gelingt es, eine mit der Rückbildung zögernde Drüse durch Einspritzung solcher dünnen Lösungen (bis zu 5 g) in ihr Lymphgebiet zum Abschwellen zu bringen. — Heftigerer Jodschnupfen oder Erythembildung auf der Haut giebt keine Kontraindikation gegen das Mittel — meistens vergehen dieselben bei dessen Fortgebrauch. Bei länger dauernder Anwendung der Jodsalze ist auf die unter Umständen sich zeigende Atrophie der Hoden und der Brüste Rücksicht zu nehmen. Sonstige innere Mittel können natürlich zur Erfüllung bestimmter Indikationen, nicht aber gegen die Syphilis als solche Anwendung finden. Die Allgemeinbehandhtng ist einfach nach dem Gesichtspunkte einzurichten, daß die Ernährung des Kranken so gut wie nur immer thunlich aufrecht zu erhalten, namentlich aber seine Blutmischung der Norm möglichst nahe zu bringen sei. Hier liegt der schneidendste Gegensatz gegen die frühere Zeit, welche ihrer ohnehin eingreifenden Quecksilberbehandlung noch Entziehungs-, Schwitz- und Purgierkuren an die Seite setzte. Eine starke Einwirkung auf den allgemeinen Stoffwechsel ( S c m i O T H s c h e Trockendiät oder die Zufuhr reichlicher Mengen von Flüssigkeit, vielleicht auch die Anwendung der Zittmann'sehen Dekokte) ist nur bei ganz besonderen Zuständen notwendig. Meist sind es Spätformen, die einen derartigen Eingriff verlangen. Man sei dabei stets sehr vorsichtig. — Sorge für gute Luft — man fürchte die Erkältung nicht zu sehr — und ausgiebige Bewegung im Freien, falls nicht Lokalaffektionen das verbieten, müssen mit einer für den Einzelfall zu bestimmenden Diät verbunden werden. Im allgemeinen kann man einen verständigen Syphilitiker bei seinen Lebensgewohnheiten lassen, braucht
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den Genuß alkoholischer Getränke nicht zu verpönen und den ständigen Aufenthalt im Zimmer oder im Bett nur unter besonderen Umständen zu verlangen. So wird auch einzig eine Behandlung, die sich über viele Monate erstrecken muß, durchführbar. — Niemals ist es zu versäumen, daß man den an leicht übertragbaren Formen Leidenden auf die Gefahr, welche er für seine Umgebung haben kann, aufmerksam macht. Besondere Besprechung verlangt die Therapie der hereditären Syphilis, zunächst die Prophylaxis. — Darf ein syphilitisch Erkrankter überhaupt heiraten? Man bejahte die Frage, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind : 1. Es müssen seit dem Beginn der Erkrankung mindestens drei bis vier Jahre verflossen sein. 2. Selbst spurweise darf sich während der letzten beiden Jahre die Krankheit nicht gezeigt haben, natürlich darf sie also auch jetzt nicht vorhanden sein. 3. Der Charakter der primären Affektionen darf kein bösartiger gewesen sein. — Leider steht die Entscheidung nur in verschwindend seltenen Fällen bei den Ärzten — oft genug verhindert man nicht einmal, daß ein frisch Angesteckter heiratet und sofort die Krankheit auf seine Frau überträgt. — Für die Ernährung eines mit hereditärer Lues lebend zur Welt gekommenen Kindes ist, wenn irgend thunlich, die Muttermilch zu verwenden. Sehr selten (nur zwei Fälle sind bekannt) wurde eine selbst keine Zeichen der Lues darbietende Frau, welche, von einem syphilitischen Manne schwanger, ein syphilitisches Kind geboren hatte, nachträglich von diesem infiziert, und zwar von ihren wund gewordenen Brustwarzen aus. Ist die Mutter selbst schon erkrankt, dann steht dem Stillen nichts im Wege, sobald genügend Milch vorhanden und die Ernährung der Mutter eine gute ist. Erfahrungsgemäß werden häufiger die Ammen dieser Kinder angesteckt. Soll daher eine solche das Säugegeschäft übernehmen, dann ist derselben unter allen Umständen die Gefahr, welcher sie sich aussetzt, vorher mitzuteilen. — Künstliche Ernährung läßt am leichtesten die Ansteckung anderer Menschen vermeiden, sie ist aber für das Kind weniger günstig. — Die spezifische Behandlung muß bei hereditär Syphilitischen früh eingeleitet werden. Es empfiehlt sich dafür die Anwendung der Sublimatbäder — 2—5 g auf ein Bad von Körperwärme und etwa halbstündiger Dauer. Weniger zweckmäßig sind Kalomel (zweimal täglich 0,01 g) oder Sublimat (zu 0,005 täglich in refracta dosi); sie rufen leicht Verdauungsstörungen hervor. Leider erlaubt die große Empfindlichkeit der Haut bei Kindern selten den Gebrauch der grauen Salbe (0,1 bis 0,5 täglich). — Die Quecksilberbehandlung ist lange fortzusetzen. Da bei Kindern Speichelfluß sehr selten auftritt, muß man das Allgemeinbefinden genau überwachen, um etwaigen Intoxikationen vorzubeugen. § 95.
Schanker.
Der S c h a n k e r (Uhus mollej ist ein durch ein fixes Kontagium übertragbares Geschwür, welches nur örtliche Zerstörungen anrichtet, aber keine Allgemeinwirkungen hat, und auf seinen Träger, wie auf andere Menschen in einer größeren Reihe von Generationen verimpfbar ist. Daß auch für den Schanker ein bestimmtes Kontagium vivum bestehe, ist wahrscheinlich, gefunden ist dasselbe nicht. Man hat durch Versuche festgestellt, daß gutartiger Eiter unter die Haut gebracht ebenfalls imstande sei, Geschwüre zu erzeugen, welche nun ein wiederum impfbares Sekret liefern. Damit ist jedenfalls ein Beweis gegen die Spezifität des Schankervirus nicht erbracht; denn jene
Schanker.
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Ulcerationen sind in ihrer Ausbreitung, ihrer Dauer, ihrer Heilbarkeit von dem echten Schanker sehr verschieden. Freilich ist das nur ein quantitativer Unterschied, allein dieser zeigt sich in so ausgesprochener Weise, daß er zur Begründung der ätiologischen Abgrenzung ausreicht. — Von dem syphilitischen Gift unterscheidet sich das des Schankers vor allem durch seine auf die betroffene ÖrtUchkeit beschränkte Wirkung. Weiter kommt die Schnelligkeit, mit welcher diese Wirkung eintritt, in Betracht — nach längstens drei Tagen hat sich unter den gewöhnlichen Verhältnissen auf der sehr bald nach der Einverleibung des Giftes entzündlich infiltrierten Stelle eine Blase entwickelt, welche platzend das nun rasch weiter greifende Geschwür hinterläßt. Endlich ist das Schankergift auf Warmblüter, wenigstens auf den Affen, übertragbar — das Gift der Syphilis nicht. Gemischte Infektion mittels beider kommt vor — ein zuerst alle Charaktere des Schankers darbietendes Geschwür gewinnt zu der Zeit, wo die Initialsklerose der Syphilis auftritt, mit der Induration seines Grundes deren Eigentümlichkeiten. Starke Verdünnung mit Wasser macht das Schankergift ganz unwirksam. Werden 20—30 Teile Wasser mit einem Teile des Schankereiters gemischt, dann entsteht bei der Impfung erst nach 5—6 Tagen ein kleines und gewöhnlich rasch heilendes Geschwür, es findet also eine erhebliche Abschwächung des Giftes statt. Zumischung von gewöhnlichem Eiter, ebenso von l°/ 0 Kochsalzlösung bis zum Verhältnis 1 zu 700 hat keinen Einflu ß. Außer verschiedenen chemischen Agentien wirkt schon Erhitzung auf 50° C vernichtend. Eintrocknung in dickerer Schicht thut das erst nach längerer Zeit (bis zu 14 Tagen), in dünnerer früher. Alle Teile der Haut und der Schleimhäute, sowie das Unterhautbindegewebe können durch Schankergift infiziert werden — seröse und fibröse Gebilde niemals. Meist finden sich die Schankergeschwüre an den Genitalien. Durch Impfungen ist die Entwicklung des Schankers in ihrem zeitlichen Ablauf bekannt geworden: 12 bis 24 Stunden nach der Einverleibung bildet sich eine umschriebene Hyperämie von Linsengröße aus, die sich am nächsten Tage als Knötchen, von einem roten Hofe umgeben, über die Nachbarschaft erhebt. Während sich die Rötung peripher ausbreitet, tritt auf der Erhebung ein Bläschen auf. Das Bläschen trocknet ein, es bedeckt nun ein Geschwür, welches kreisrund erscheint, scharfe, unterwühlte Ränder, einen mit graugelben Sekret bedeckten speckigen Grund hat und reichlichen Eiter absondert. — Bei der Infektion durch den Koitus richtet sich die Gestalt des Geschwüres nach der Form der mit dem Gifte in Berührung gekommenen Rißstelle, die Bläschenbildung kann ganz fehlen. Auch anfangs ganz unregelmäßige oder stark in die Länge sich ausdehnende Schanker werden bald rundlich. Die Injektion in der Umgebung tritt nach der Bildung des Geschwüres zurück; allein das einmal entstandene Geschwür pflegt sich dennoch in die Tiefe und Breite auszudehnen, umsomehr, je schlaffer die Gewebe sind (Greisenalter, hochgradigere Störungen der Ernährung durch Siechtum.) Mit dem Geschwür etwa in Berührung kommende Nachbarteile werden, sobald ihre Epithelbedeckungen zerstört sind, infiziert. Mikroskopisch findet man Rand und Grund des Schankers in hohem Grade kleinzellig infiltriert, später tritt Zerfall ein, der einen amorphen Detritus hinterläßt. — Die Heilung kommt so zustande, daß sich reichliches Granulationsgewebe bildet, aus welchem die fast stets feste und umfangreiche schrumpfende Narbe hervorgeht. — Die Dauer des Schankers wird im Mittel auf vier bis fünf Wochen angegeben, sein Sekret bleibt aber meist noch etwas länger impfbar, und bis zur vollständigen Heilung vergehen immerhin
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Infektionskrankheiten.
noch etwa zwei bis drei weitere Wochen. — Der Schaala- kann anatomische Veränderungen erleiden, welche ihn für die befallenen Gewebe \ er.störender machen. Es handelt sich dabei um die gewöhnlichen Vorgänge bei diphtherischer Entzündung — man redet dann von phagedänischem Schanker — oder bei der Gangrän. Wenn man will, kann man auch die Neigung des Geschwürs zur Ausbreitung in die Fläche, sein „serpiginöses" Weiterkriechen, hierherzählen. Durch alle diese Vorgänge können sehr ausgedehnte Vernichtungen herbeigeführt, und es kann gar das Leben bedroht werden. Freilich geschieht das letztere selten, und die Prognose ist nach dieser Seite hin eine gute. Eine häufige Folge des Schankers ist die Entzündung der Drüsen, welche die aus dem erkrankten Teil abströmende Lymphe aufnehmen (Bubonen.) Die zuführenden Lymphgefäße sind nicht oft thrombosiert oder entzündet. — Schankerbubonen entwickeln sich rasch, stürmisch, unter heftigen Schmerzen und von Fieber begleitet, oder aber langsamer, und dann mit geringem oder ganz fehlendem Schmerz; diese treten meist erst in späterer Zeit, jene im Laufe der ersten Wochen auf. Man sieht die Haut sich röten und mit der darunter liegenden Drüse verwachsen, in welcher frühestens eine Woche, meist erst drei bis vier Wochen nach dem Beginn ihrer Erkrankung eine so reichliche Menge von Eiter entsteht, daß es zur Bildung eines Abszesses kommt, der nach außen durchbricht. Der vereiterte Bubo stellt oft ein wirkliches Schankergeschwür dar, indessen braucht das nicht zu geschehen. Sitz, der bei Männern häufiger als bei Weibern vorkommenden Bubonen sind dem Sitze des Schankers entsprechend meist die Inguinal- und die oberflächlich gelegenen Schenkeldrüsen. Nicht immer werden die der Seite des Geschwüres entsprechenden Drüsen, manchmal die der anderen ergriffen, eine durch die reichlichen Anastomosen ihrer Lymphgefäße verständliche Thatsache. — Eiterung kann in einer oder in mehreren der erkrankten Drüsen auftreten, die Umgebung, namentlich das Unterhautbindegewebe, kann daran teilnehmen. So entsteht nicht selten eine sowohl weit in die Tiefe als in die Fläche ausgedehnte Verschwärung, ohne daß es zur diphtheritischen oder gangränösen Umwandlung des Geschwüres käme, welche übrigens ebenso wie serpiginöses Weiterkriechen sich auch einstellen kann. Immer erfordert die Heilung der vereiterten und nach außen durchgebrochenen Schankerbubonen lange Zeit, reichliche Narben bleiben stets zurück. Die Differentialdiagnose hat zu beachten: 1. Risse und Schrunden an den Geschlechtsteilen, welche bei dem Koitus entstanden und durch zersetzte Sekrete verunreinigt sind. Der im Vergleich zu der bei Schankerinfektion doch nur leichten Entzündung entsprechend heilen solche Stellen bei einiger Schonung in wenigen Tagen. 2. Herpes progenitalis: Gruppenweis zusammenstehende Bläschen, die platzend seichte Geschwürchen hinterlassen, Heilung in kurzer Zeit (s. § 261). 3. Balanitis bei dem Manne. Eine über die Eichelfläche sich ausbreitende eitrige Entzündung der Schleimhaut, bei welcher reichliches Sekret abgesondert werden und oberflächliche Geschwürsbildung auftreten kann. Man muß manchmal einige Tage abwarten, bis sich die Sache geklärt hat. 4. Syphilitische Geschwüre sind in vielen Fällen sicher, in anderen schwerer oder gar nicht zu unterscheiden. Ist eine genaue Anamnese möglich, dann hilft diese, den Zeitpunkt zwischen Ansteckung und Geschwürsbildung feststellend, bisweilen aus; dabei ist aber nicht zu vergessen, daß auch ein Schanker nach Ablauf
Schanker.
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einiger Wochen sich zum syphilitischen Geschwür umwandeln oder, wenn man den Ausdruck vorzieht, mit diesem verbinden kann. Das syphilitische Geschwür zeigt eine feste, harte Basis, auf welcher eine relativ kleine freiliegende verschwärte Fläche aufsitzt, es liefert wenig, molekular zerfallenen Detritus darstellendes Sekret, hat keine Neigung sich weit auszubreiten, überhäutet sich leichter und bildet wenig Narben; der Schanker dagegen hat eine nur entzündlich infiltrierte, daher viel weniger harte Unterlage, er sondert größere Mengen von Eiter ab, breitet sich eine Zeitlang weiter aus und heilt mit Bildung umfangreicher Granulationen sowie großer strahliger Narben. Hinzu kommt die Drüsenerkrankung: bei der Syphilis eine langsame, schmerzlose und nicht zur Eiterbildung führende Schwellung der Drüsen auf beiden Seiten, bei dem Schanker eine rasch unter Schmerz und mit Fieberbewegungen sich vollziehende Entzündung mit nachheriger Vereiterung, ganz gewöhnlich nur auf einer Seite. Die Probeimpfung, wenn solche ausführbar, liefert sicheren Entscheid; nur der Unkundige kann einen echten Impfschanker mit dem etwa nach der Einverleibung des Sekrets eines syphilitischen Geschwüres auf seinen Träger bei diesem entstehenden Pustelchen ver•
wechseln. Prophylaktisch gilt das bei der Syphilis Bemerkte. Für die Behandlung hat man sich zunächst die Frage vorzulegen, ob man den Versuch machen will, ein abortives Zugrundegehen des Schankers herbeizuführen. Das ist für einen bestimmten Zeitpunkt — höchstens vier bis acht Tage nach der Ansteckung — durch die Anwendung tief wirkende Ätzmittel möglich. Man darf nur solche wählen, deren Einfluß sich nicht auf die von ihnen unmittelbar berührte Stelle beschränkt, sondern etwas darüber hinaus in die Umgebung übergreift — dringt doch auch das Schankergift in die Nachbarschaft des Infektionsherdes vor. Kalium caasticum in der Form des Stiftes auf die Pustel oder das Geschwür aufgesetzt, und wenige Sekunden damit in Berührung, würde den unbedingten Vorzug haben, wenn die nachher entstehenden Narben nicht sehr massig wären. Chlorzink — 1 g mit 0,3 Kalium nitricum zusammengeschmolzen und zu Stäbchen geformt, welche mit Stanniol umhüllt in verschlossenem Glase aufzubewahren sind — macht glattere Narben. Argentum nitricum ist im allgemeinen weniger empfehlenswert; höchstens darf dasselbe in konzentrierter Lösung angewandt werden, Ätzen mit dem Stift ist zu verwerfen, da man nur mit roher Gewaltanwendung durch den alsbald sich bildenden Schorf soweit in die Tiefe und seitlich kommen kann, wie es notwendig ist. —• Zerstörung durch Hitze (Paquelin oder Galvanokauter) ist, wo es anwendbar, immer ein vorzügliches Mittel. Bettruhe, jene Lagerung des Penis, welche die günstigsten Bedingungen für den Kreislauf gewährt (Rückbeugung gegen den Bauch) und kalte Uberschläge sind für die der Atzung folgenden Stunden nötig. — Ist die Zeit für abortives Eingreifen vorüber, dann suche man den Schanker baldmöglichst zur Heilung zu bringen und die Entstehung von Bubonen zu verhindern. Größte Reinlichkeit durch häufiges Baden mit lauem Wasser, dem etwas Kochsalz (ca. '/2 °o) zugesetzt ist, wo es nötig. Einspritzungen unter die Vorhaut, Vermeidung aller mechanischen Reizung, geeignete Lagerung des kranken Teiles — das sind die Bedingungen, welche zunächst erfüllt werden müssen. Bettruhe ist fast unerläßlich. Zum Verband des Geschwüres wandte man früher schwächere Lösungen der Metallsalze, welche nicht eigentliche Ätz Wirkungen haben, an; damit befeuchtete Wattebäuschschen wurden auf den Schanker gelegt. Neuerdings wird das Einpulvern des Geschwürs mit Jodo-
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form von vielen bevorzugt. — Diphther ¿tische oder gaiu/räne Geschwüre werden in ähnlicher Weise behandelt; größere fenchtwarme Uberschläge, die hier mit Recht empfohlen werden, tränkt man im ersteren Falle mit 1 °/0 Lösungen von Kalium chloricum, im letzteren mit Vinum camphoraium. — Die beste Prophylaxis gegen Bubonen besteht in der möglichst geringfügigen Reizung des Geschwüres. Ruhe im Bette ist daher gerade nach dieser Seite hin dringend zu empfehlen. Weiter muß darauf hingewiesen werden, daß rohe und dennoch nicht ausreichende Atzungen des Schankers — namentlich der Höllensteinstift in der Hand Unerfahrener ist gefährlich — nicht selten von Bubonen gefolgt sind. Ist die Drüsenschwellung eingetreten, dann ist neben dem unbedingt erforderlichen Bettliegen der Versuch, durch die Anwendung der Kälte (Eisblase) die Entzündung rückgängig zu machen, immerhin für eine kurze Zeit gerechtfertigt. Man kann gleichzeitig Einpinselungen von Jodtinktur machen oder Kompressen unterlegen, welche in Bleiessig getaucht sind. Häufiger wird der beabsichtigte Zweck nicht erreicht, und überzeugt man sich, daß unter dem Eisbeutel die Bubonen wachsen, dann greife man alsbald zur feuchten Wärme (dicke Kataplasmen, die oft erneut werden). Sobald deutliche Fluktuation vorhanden ist, entleere man den Eiter aus kleiner Öffnung; die Eröffnung durch das Messer ist der Aspiration durch die Kanüle einer Spritze vorzuziehen. Nachher kann leichte Kompression versucht werden. Bei ausgedehnter Vereiterung ist es besser einen größeren Einschnitt zu machen und sofort eine Desinfektion mit Chlorzink, Karbolsäure, Sublimat oder einem der anderen Antiséptica vorzunehmen. — Ein etwaiger spezifischer Charakter des Bubo kommt für die weitere nach den Grundsätzen der Chirurgie zu leitende Behandlung kaum in Betracht. — Schanker und seine Folgezustände verlangen an sich keine besondere diätetische oder medikamentöse Eingriffe — solche lassen sich nur aus den Verhältnissen des gegebenen Falles ableiten.
§ 96.
Tripper.
Der T r i p p e r (Gonorrhoea) ist eine durch einen gekannten spezifischen Krankheitserreger, der zu den fixen Kontagien gehört, hervorgerufene Entzündung gewisser Schleimhäute. Anatomisch erscheint der Tripper als ein mehr oder minder hochgradiger Katarrh, verlangt man für die Diagnose nur diese Grundlage, dann unterliegt es keinem Bedenken, alle katarrhalischen Vorgänge, die sich auf den Schleimhäuten der Genitalien abspielen, als Tripper zu bezeichnen. Dabei wird die Ätiologie freilich eine ziemlich buntscheckige — ein menstruierendes, ein an chronischem Vaginal- und Uteruskatarrh oder an Carcinom des Uterus leidendes Weib vermag dann zu infizieren, freilich überträgt sie nur einen Katarrh. Allein der ganze Verlauf einer so erworbenen Erkrankung machte es wahrscheinlich, daß denn doch bei dem eigentlichen Tripper noch ein besonderes etwas thätig sei, welches sich mindestens durch die Eigenschaft auszeichne, daß es hartnäckige und heftige Entzündung hervorzurufen vermöge. Es ist nun nach neueren Erfahrungen sicher, daß der eigentliche Träger des Trippergiftes ein Mikrokokkus (Gonokokkus, entdeckt von NEISSER) ist. Der Nachweis des Gonokokkus in dem Trippereiter gelingt leicht durch Färbung mit Methylenblau, nach der G K A M schen Methode läßt sich derselbe nicht färben. Man sieht dann teils innerhalb der Eiterkörperchen, teils frei liegende, meist in Haufen zusammengeordnete Diplokokken von Semmelform.
Der Tripper entwickelt sich auf der Schleimhaut der männlichen, seltener auf der der weiblichen Harnröhre, der Eichel, der Scheide, des Cernkaikanals, des Mastdarms, der Blase, der oberen Harnwege und auf den Konjunkticen. Die Ansteckung
Schanker.
Tripper.
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erfolgt gewöhnlich während des Koitus an einem bestimmten Teile der Genitalien, die hier entstehende zunächst umschriebene Entzündung pflanzt sich dann auf ihre Nachbarschaft fort. — Bei dem Manne beginnt der Harnröhrentripper in der Regel ein bis zwei Tage nach der Ansteckung mit den Erscheinungen eines leisen Kitzels im oberen Teil der Harnröhre, meist an deren Mündung, und häufigeren Harndrangs; auf der leicht gewulsteten Schleimhaut der Mündung zeigt sich ein wenig von klarer, fadenziehender Flüssigkeit. Allmählich tritt bei der Entleerung des Urins Brennen und wirklicher Schmerz ein, auch der Wulst an der Harnröhrenmündung schwillt stärker an und rötet sich mehr, dann fließt grün oder gelb gefärbter Eiter aus. Dies alles ist etwa vier bis fünf Tage nach der Ansteckung zustande gekommen. Die Harnentleerung wird nun noch schmerzhafter, sie kann nur langsam stattfinden, so daß ein dünner Strahl, manchmal nur Tropfen austreten. Der Harn ist mit nicht unbedeutenden Eitermengen gemischt, am Tage fließen solche auch ohne Harnentleerung ab, die Wäsche mit gelbgrünen Flecken verunreinigend. Heftige, anhaltende, schmerzhafte Erektionen und der andauernde Harndrang stören den Schlaf; dadurch wird nicht selten eine recht erhebliche Beeinträchtigung der Ernährung und des Allgemeinbefindens hervorgerufen. So hält die Erkrankung einige Wochen an. Die Besserung zeigt sich an der Abnahme der Eiterbildung (weniger und heller werdendes Sekret) — gleichzeitig lassen Schmerz und Harndrang nach. Allmählich beschränkt sich die Absonderung der Schleimhaut so, daß nur in längeren Pausen etwas die Mündung der Harnröhre leicht verklebender Schleim gefunden wird — auch dieser schwindet endlich und in etwa sechs Wochen kann vollkommene Heilung erfolgt sein. — Dieser günstige Verlauf wird nicht selten gestört: Die Entzündung selbst ist eine hochgradigere, durch Bersten von Kapillaren tritt Blut auf die Oberfläche der Schleimhaut (russischer Tripper), oder aber durch Übergreifen der Entzündung auf das Corpus cavernosum urethrae, selbst auf die Schwellkörper des Penis, entstehen in ihnen bis bohnengroße Herde (periurethrale Geschwülste), welche vereitern und durchbrechen, aber auch als schwielige Verdickungen, die regelrechte Erektion hemmend, zurückbleiben können. Weiter kommen Geschwürsbildungen innerhalb der Harnröhre vor, besonders im hinteren Abschnitt, wo die Pars membranacea in die Pars bulbosa übergeht und reichliche Follikelanhäufung sich findet. Solche Geschwüre sind sehr hartnäckig; tiefer greifend und später vernarbend führen sie zu Strikturen. In seltenen Fällen tritt kroupöse Entzündung mit der Absetzung eines fibrinhaltigen Exsudats auf die Oberfläche der Schleimhaut ein. Endlich kann sich die akute in eine chronische Entzündung umwandeln, welche, zeitweilig zu- und abnehmend, jahrelang dauern kann. Daß dabei, wenigstens bisweilen, das Sekret seine infizierenden Wirkungen beibehalten kann, dürfte keinem Zweifel unterliegen. — Die Entzündung dehnt sich auf die Nachbarschaft aus. Am häufigsten und wichtigsten ist die Erkrankung der Samenleiter an ihrer Einmündung in die Harnröhre (Caput gallinaginis in der Pars protastica), welche sich nun auf die Nebenhoden fortsetzt. Es ist hervorzuheben, daß das Vas deferens, trotzdem es doch dem Entzündungserreger als Weg dient, nicht selbst nachweisbar an dem Vorgange teilzunehmen braucht. Das tritt nur in nicht ganz der Hälfte der Fälle ein. Meist ist nur eine Seite, es können aber auch beide beteiligt werden. Die Erkrankung stellt sich erst im Laufe der dritten Woche oder noch später ein; sie beginnt mit Fieberbewegungen. Das Vas deferens zeigt sich geschwellt, spontan am Leistenring, auf Druck überall empfindlich. Die V. J ü r g e n s e n , Spez. Patli. u. Ther. II Aufl.
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Tnfrldionskranltlioiton.
Epididymüis fängt ganz gewöhnlich akut an: die befallene Seite des Hodensackes erscheint größer, man fühlt den äußerst schmerzhaften Nebenhoden an der hinteren unteren Seite als teigige Geschwulst; das Gehen wird dem Kranken schmerzhaft, nicht selten kommt es zur Übligkeit, zum Erbrechen und zu kolikartigen Anfällen. — In den nächsten Tagen nimmt die Schwellung noch zu; während bisher der Hoden vom vergrößerten Nebenhoden noch deutlich getrennt erschien, nimmt auch er jetzt an Umfang zu — Erguß in die Tunica vaginalis propria (akute Hydrocele) — die Haut des Hodensackes wird ödematös und prall gespannt, die Größe des Ganzen kann noch über die einer Mannsfaust hinausgehen. — Etwa zehn bis zwölf Tage nach dem Anfang beginnt die Rückbildung, welche etwa bis zum zwanzigsten Tage beendet ist. Jedoch bleibt meist eine durch Bindegewebswucherung bedingte Verhärtung der Epididymis, nicht selten auch ein Erguß in die Tunica vaginalis propria (chronische Hydrocele) zurück; ausnahmsweise nur stellt sich eine schwerere, zum Untergang der befallenen Teile führende Entzündung ein. Weiter kommt in Betracht: Entzündung der Prostata vom einfachen, kaum eitrigen Katarrh bis zur Vereiterung, Entzündung der Samenblaseken, der Cdwper' sehen Drüsen, der Blase, des Nierenbeckens, ja sogar der Nieren. Sie alle fallen fast stets in die spätere Zeit der Gonorrhoe. Die Entzündung der Schleimhaut von Vorhaut und Eichel — Balanitis — kann freilich durch die Reizung der an diesem Orte in reichlichem Maße angesammelten und zersetzten Sekrete stattfinden, sie geschieht aber nicht selten durch Infektion mit Trippergift. Dabei braucht eine Entzündung der Harnröhre selbst nicht aufzutreten. Die Symptome bestehen nach vorhergehendem Kitzel und Schmerz in einer Schwellung der Eichel und der Vorhaut, bald wird ein massenhaft eiterhaltiges Sekret abgesondert, nicht selten kommt es auch zur Bildung von Geschwüren; namentlich wenn das Abgesonderte nicht von den geschwellten Teilen entfernt wird. Im weiteren Verlaufe können sich Phimose und Paraphimose mit allen ihren Folgen einstellen. Bei dem Weibe erkrankt vorwiegend die Schleimhaut der Genitalien. Man trennt eine Vulvitis von der Vaginitis; durch Fortleitung kann eine spezifische Entzündung der Uterinschleimhaut zustande kommen. — Kitzel, halb Schmerz, halb Geschlechtsgefühl erregend, ist das erste Zeichen an den angesteckten Teilen, bald gesellt sich Brennen bei dem Harnlassen hinzu, durch die Berieselung der entzündeten Schleimhaut mit Urin bedingt, nun wird auch der Schmerz ausgesprochener. Bei dem Vulvartripper stellen sich Schwellung, Rötung, Ödeme, namentlich an den kleinen Schamlippen, und die Absonderung eines bald stärker eiterhaltigen Sekrets ein; in den höheren Graden kommt es zu leichten Blutungen und oberflächlichen Verschwärungen. Die im ganzen unerheblichen subjektiven Beschwerden steigern sich, sobald der Cervicalkanal ergriffen wird, sie bieten aber nichts eigentlich Charakteristisches dar. Erst die Untersuchung mittels des Spiegels sichert die Diagnose der Uterinerkrankung, sie zeigt die Portio vaginalis geschwellt, gewöhnlich an ihrem unteren Teile leicht geschwürig, aus ihrer Mündung quillt gelblich gefärbter, eitriger, fest anhaftender Schleim. — Vulvar-und Vaginaltripper heilen bei einigermaßen zweckmäßigem Verhalten im Laufe weniger Wochen. Allein in sehr vielen Fällen wandelt sich die akute in eine chronische Entzündung um. Das geschieht, wenn vor endgültiger Beseitigung des Übels eine stärkere Reizung der Schleimhaut durch öfter wiederholten Koitus stattfindet — bei der
Ti ipper.
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Lebensweise der meisten tripperkranken Weiber etwas ganz Gewöhnliches. Die Menstruation hat oft eine vorübergehende Verschlimmerung im Gefolge. — Hartnäckig sind die Erkrankungen des Uterus selbst unter allen Umständen, sie führen nicht selten zu einer chronischen Meint is mit allen ihren Folgen. — Als einfaches Erzeugnis des Ubergreifens der Erkrankung auf die Nachbarschaft muß bei Weibern noch die Entzündung der BAHTOLiNi'-sr/ie« Drüsen erwähnt werden; gewöhnlich beteiligt sich nur eine derselben. Durch die Entzündung der im Labium majus gelegenen Drüse schwillt dieses unter heftigen Schmerzen beträchtlich an — nach Ablauf von etwa einer Woche hat sich an und in der Drüse ein Zellgewebsabszeß entwickelt, der, sich selbst überlassen, meist nach der Schleimhautfläche hin durchbricht. — Auch die Ausführungsgänge dieser Drüsen können gesondert befallen werden. Meist ist ihre Erkrankung eine sehr hartnäckige, und ihr Sekret behält seine Ansteckungsfähigkeit lange O O o Zeit. Durch dessen Anhäuf'ung kann es zur Erweiterung und Divertikelbildung in dem Gang kommen. Man rechnet, daß etwa 10% der Trippererkrankungen bei dem Weibe mit dieser Komplikation einhergehen; die Entzündung der Drüse selbst ist viel seltener. In der Harnröhre ist die Trippererkrankung bei dem Weibe weitaus nicht so häufig, wie in den Geschlechtsorganen — angeblich stellt sich die Zahl nur auf 5%. Die Erscheinungen sind die gleichen, aber viel geringere wie bei dem Manne. Neuerdings führt man manche Formen von Pari- und Paramelritis auf die Infektion mit Trippergift zurück; es scheinen dafür sichere Anhaltspunkte vorzuliegen, wenn auch vielleicht diese Art der Entstehung doch etwas zu sehr verallgemeinert wird. — Die beiden Geschlechtern gemeinschaftliche Lokalisation auf der Schleimhaut des Mastdarms kann durch Infektion bei der Päderastie, bei Weibern wohl auch durch das unmittelbare Einfließen des Vaginalsekrets hervorgerufen werden; sie geht mit den Erscheinungen einer mehr oder minder heftigen Entzündung dieses Teils einher. Die Ophthalmia gonorrhoica — praktisch von der höchsten Bedeutung, da sie schwere Zerstörungen hervorzurufen vermag — gehört in das Gebiet der Augenheilkunde. Als Folgezustand des Trippers kommt Drüsenschwellung vor; ihre Entstehungsweise ist eine ähnliche wie die bei dem Schanker. Tripperbubonen sind meist gutartig, sie erreichen keinen großen Umfang und gehen ohne Eiterung zurück. Geschieht das nicht, dann pflegt der Grund in der Konstitution des Kranken zu liegen. Die Thatsache, daß mit Gonorrhoe Gelenkentzündung zusammen vorkommt, und daß diese in nähere Beziehung zu der Trippererkrankung gebracht werden muß, steht fest, ihre Deutung fand Schwierigkeiten. Jetzt hat man Gonokokken in den Gelenkergüssen gefunden, damit ist die Möglichkeit der echten Metastase erwiesen. Gelenkkrankheiten bei Tripper stellen sich meist erst in dessen späterem Verlauf ein; sie sind bei Männern weitaus häufiger als bei Weibern. Es geschieht, daß ein einmal davon Ergriffener bei jedem frischen Tripper eine Gelenkentzündung in den Kauf bekommt. — Ein Kniegelenk ist besonders oft beteiligt — seltener beide, noch seltener ist die Erkrankung von Fuß- oder Handgelenken. Es handelt sich um eine subakut verlaufende, nicht heftige Entzündung mit serösem Exsudat und überwiegend günstiger Prognose. — Beteiligung des Herzens findet nicht statt. 15*
228
Infektionskrankheiten.
Die spitzen Kondylome (C. accuminataj werden gewöhnlich in direkte Beziehung zur Gonorrhoe gebracht, insofern mit einem gewissen Recht, als beides sehr oft nebeneinander vorkommt. Die Ansichten gehen darüber auseinander, ob es eines besonderen Krankheitserregers für das Zustandekommen des spitzen Kondyloms bedarf, oder aber einer eigenartigen Disposition der Gewebe — im letzteren Falle könnte jeder etwas stärkere Reiz zur Entstehung der Wucherung führen. Jedenfalls steht es fest, daß man durch Übertragung von Bruchstücken dieser Neubildung auf die verletzte Schleimhaut der Genitalien dieselbe hier zur Entwicklung bringen kann. — Anatomisch wird das spitze Kondylom zn den entzündlichen fibrösen Papillomen gestellt. Vergrößerung der in die Länge wachsenden und sich gleichzeitig verzweigenden Papillen mit zelliger Infiltration, die an der Grundfläche wie in den hyperplastischen Teilen selbst sich findet, daneben eine Wucherung des Epithelialüberzugs — das sind die feineren geweblichen Veränderungen. Makroskopisch handelt es sich um Linsen- bis nahezu Apfelgroße Wucherungen mit unebener, warziger Oberfläche, die, nach dem Sitz und den äußeren Bedingungen wechselnd, hart und trocken, oder erweicht und feucht erscheint. Je nach den Widerständen in der Umgebung wird das Kondylom hahnenkammförmig, blumenkohlartig, oder es gleicht einem Pilz; dasselbe hat eine große Neigung zur Ausdehnung und zur Wiederbildung an Ort und Stelle. Außer mechanischen Behinderungen treten anderweitige Störungen nicht ein. Lieblingssitze sind bei dem Manne die Glans penis, bei dem Weibe die Labia majora, bei beiden Geschlechtern die äußere Mündung der Harnröhre und die Umgebung des Afters. Der Tripper hat eine große Neigung zum Chronischwerden; einzelne Arzte sind so weit gegangen, daß sie die Möglichkeit der wirklichen Heilung überhaupt leugneten, eine nicht haltbare, maßlos übertriebene Behauptung. Wer einmal einen Tripper hatte, wird bei wiederholter Gelegenheit zur Infektion leichter angesteckt, als ein vorher niemals Erkrankter. Meist gestaltet sich dann aber die Krankheit milder, als nach der ersten Ansteckung. Für die Diagnose kann der Nachweis der Gonokokken von Bedeutung werden. Namentlich dann, wenn die Frage vorliegt, ob ein nach zweifelloser Infektion noch fortdauernder Ausfluß spezifischer oder einfach entzündlicher Art ist. Wiederholte Untersuchungen sind nötig, bei dem Harnröhrenfluß des Mannes geben dieselbe sichere Auskunft. Die bei dem Weibe vorkommende Gonorrhoe ist viel schwieriger zu beurteilen; aus der einfachen Betrachtung der gefärbten Kokken dürfte ein sicherer Schluß kaum zu gewinnen sein, und ob eine Reinkultur gelingt, bleibt fraglich. — Die Prognose ist bei zweckmäßigen Verfahren keine schlechte; immerhin ist zu bedenken, daß allerlei üble Folgen auftreten können. Auf diese mit Nachdruck hinzuweisen, ist Pflicht des Arztes; unter den Laien fehlt meist dafür jedes Verständnis, es wird kaum eine andere Krankheit so sorglos behandelt. Prophylaktische Ratschläge sind auch bei dem Tripper von zweifelhaftem Wert. Empfohlen wird für den Mann möglichst kurzes Verweilen intra vaginam und Urinieren post coitum. — Die Therapie der Urethralgonorrhoe bei dem Manne hat mit der Forderung zu beginnen, daß sich der Erkrankte solange vollkommen ruhig im Bette verhalte, bis wenigstens das akute Stadium abgelaufen, also der rein eitrige Ausfluß in einen schleimigen umgewandelt ist. Will sich der Kranke darauf nicht einlassen, dann ist ihm die Verantwortung für das, was kommen kann, zuzuschieben. Er ist vor jeder unnötigen Körperbewegung zu
Tripper.
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warnen, und es ist ihm das Tragen eines zweckmäßig gearbeiteten Suspensoriums (dasselbe darf nicht auf die Urethra drücken) zu empfehlen. Die Diät soll keine eigentliche Entziehung des zur Nahrung notwendigen bringen, darüber aber auch nicht hinausgehen. Die Menge des Getränkes sei so bemessen, daß kein zu konzentrierter Harn, ebensowenig aber zuviel Harn gelassen werde — eines wie das andere würde Reizung der Harnwege herbeiführen. Bier ist ganz zu meiden, bei Leuten, die sehr an Alkoholika gewöhnt sind, leichter Rotwein noch am ehesten zu gestatten. Für regelmäßigen breiigen Stuhl ist zu sorgen. — Das männliche Glied werde so gelagert, daß der venöse Abfluß aus ihm leicht stattfinden kann (mit dem Rücken gegen die Bauchfläche) und mit häufig zu; wechselnden kalten Umschlägen bedeckt. — Die direkte Behandlung wird am besten durch Einspritzungen in die entzündete Harnröhre ausgeführt, sie beginne so früh wie möglich. Zur Injektion bedient man sich einer gut schließenden Spritze, die etwa 10 g Inhalt hat. Man läßt die zuerst eingeführte Flüssigkeit sofort abfließen und schickt dann gleich eine zweite Menge nach, welche durch Zudrücken der Harnröhrenmündung etwas länger — allmählich steigend bis höchstens zehn Minuten — zurückgehalten wird. Es ist soviel Flüssigkeit einzutreiben, daß die Harnröhre etwas ausgedehnt und so ihre Schleimhaut thunlichst entfaltet wird; die Einspritzungen sind mindestens viermal, höchstens achtmal in 24 Stunden vorzunehmen. Die zu den Einspritzungen verwendeten Substanzen entnimmt man der Gruppe der Adstringentien; fast jeder in diesem Teil der Medizin thätige Arzt hat sein Lieblingsmittel, so daß es fast den Anschein gewinnt, als ob es auf die Beschaffenheit des Adstringens nicht eben sehr ankäme. Festhalten muß man aber an dem Grundsatz, daß niemals eine Konzentration gewählt werde, mit der eigentliche Ätzwirkungen verbunden sind. Unbedingt zu verwerfen ist der Versuch, mit starken Lösungen von Höllenstein (3 °,0 und mehr) den Tripper abortiv zu machen. Von manchen erfahrenen Ärzten wird geraten, nach 8—14 Tagen die Injektionsflüssigkeit zu wechseln. Beliebte Injektionen sind: 1 % Lösung von Zincum sulfocarbolicum oder sulfuricum, letztere zu 0,2 bis 0,5° /0 , Alaun in l° i 0 Lösung, Tannin mit Rotwein, Konzentration 1 —2 °/0. Die Einspritzungen sind auszusetzen bei den ersten Zeichen einer Entzündung des Vas deferens, der Nebenhoden, der Prostata und der Blase. — Innerlich werden von vielen schon in frühen Stadien — die heftigste Entzündung läßt man freilich vorübergehen — Copaivabalsam (täglich 2—8 g, 0,5—0,7 pro dosi, am besten in Kapseln R Nr. 23) und Kubeben (bis zu 20 g des Pulvers, 5 g desExtrakts R Nr. 24), jedes für sich oder beide zusammen gegeben. Man darf nicht vergessen, daß bei deren Gebrauch sich ein umschriebenes Exanthem bilden kann, das schon mit syphilitischem verwechselt worden ist — übrigens gleicht dasselbe mehr der Urticaria als der Roseola, juckt auch stark. Bei dyspeptischen Zuständen werden diese Mittel schlecht ertragen. — Die schmerzhaften Erektionen erfordern eine besondere Behandlung: Bromnatrium — 3 g in V3 Liter Wasser gelöst gegen 5 Uhr nachmittags, dieselbe Gabe unmittelbar vor dem Schlafengehen genommen, wirkt sicherer als das vielgebrauchte Lupulin (1 g abends). Die chronische Gonorrhoe muß an ihrem eigentlichen Sitz behandelt werden, eine möglichst genaue örtliche Diagnose ist daher von nöten. Im wesentlichen kommt es darauf an, festzustellen, ob und wo etwa Geschwürsbildung erfolgte,
230
InfoktionsluiinlilK'ilcn.
und ob dieselbe schon mit Solirunipfungsvorgängen, Strikturen, verbunden ist. Die Untersuchung mit dem Bougie — Schmerz bei der Berührimg der kranken Stellen — Einspritzung von reinem Wasser, das mit Eiter und Schleim, vielleicht auch mit Blut vermischt wieder herauskommt, und die Endoskopie geben liier Aufklärung. Auch wenn noch keine Verengerung eingetreten ist, muß, falls Geschwüre vorhanden sind, eine vorsichtige Erweiterung der Harnröhre durch elastische Bougies vorgenommen werden. Man kann diese mit einem adstringierenden Überzug versehen oder nach ihrer Entfernung eine Injektion folgen lassen ((Jvpriau sulfitricmn 0,5 ° 0 und Argentum nitricum 0,2% wird besonders empfohlen). Daneben werden dann die Balsamica in den höheren Gaben gereicht. Mit Zuhülfenahme des Endoskops ist eine direkte Atzung möglich — man wendet dabei konzentrierte Lösungen von Höllenstein an. Bei Entzündung der Samenleiter und des Nebenhoden* ist strengste Bettruhe unerläßlich; man stützt den Hodensack durch Kissen, giebt ihm eine erhöhte Lage, so daß die Kreislaufbedingungen möglichst günstig werden und bedeckt ihn mit kalten Überschlägen. Injektionen und die Anwendung der Balsamica sind ganz auszusetzen, was um so eher möglich ist, als der Ausfluß aufzuhören pflegt. Besondere Vorteile werden dem HoEANü'schen Verbände nachgerühmt, dessen Prinzip im Immobilisieren des hochgelagerten Hodensackes besteht; dabei ist Bettruhe nicht nötig. — Zurückbleibende Ergüsse und Verhärtungen werden durch Einpinselung von Jodtinktur oder Kompressiv-Verbände behandelt — chronische Hydrocelen fallen der Chirurgie zu. — Die Entzündung der Prostata, der Samenbläschen, der CowpER'schen Drüsen, der Harnorgane ist nach allgemeinen Regeln zu behandeln. — Für die Behandlung des Eicheltrippers muß möglichste Reinlichkeit vorangestellt werden; man sucht außerdem durch nicht zu dünne Lösungen der Metallsalze direkt heilend auf die erkrankten Teile einzuwirken. Tiitt Phimose oder Paraphimose auf, dann ist operatives Eingreifen sehr oft geboten. Die Gonorrhoe der iveiblichen Genitalien verlangt zunächst Schonung derselben und Reinlichkeit, wie sie durch Sitzbäder und Einspritzungen leicht zu erreichen ist. Ist die ärgste Schwellung der Schleimhaut vorüber, dann führe man ein so großes röhrenförmiges Spekulum bis zum Muttermund ein, daß eine möglichst vollständige Entfaltung der vorher durch Einspritzungen von ihrem Sekrete befreiten Vaginalschleimhaut stattfindet, fülle dasselbe mit der gewählten adstringierenden Flüssigkeit und ziehe nun den Spiegel unter leichten Drehbewegungen langsam zurück. So kommen alle Teile der kranken Schleimhaut mit der Flüssigkeit in ausgiebige Berührung. Sehr zweckmäßig ist roher Höh cssig; man kann übrigens die sämtlichen obengenannten Adstringentien verwenden1, nur muß die drei- bis fünffache Konzentration gewählt werden. Nach einer solchen Ausspülung — dieselbe braucht höchstens zweimal täglich vorgenommen zu werden — legt man in die vorher getrocknete Vagina einen so großen Wattetampon, daß deren Wandungen auseinander gehalten werden; dieser muß häufiger erneuert werden, zu Zersetzungen des Sekrets darf es nicht kommen. — Auch bei chronischen Entzündungen der Scheide ist dies Verfahren das beste. Die Entzündungen der Vaginalportion und die des Uterus werden nach den Vorschriften der Gynäkologie behandelt; die Erkrankungen der BARTOLiNi'schen Drüsen nach den Regeln der Chirurgie. Für den Harnröhrentripper des Weibes gilt das für den des Mannes Bemerkte. Nur hat man darauf zu achten, daß die eingespritzte Flüssigkeit nicht in die Blase gelangt. Von manchen werden für
Tripper. Tuberkulose im allgemeinen.
231
die B e h a n d l u n g daher B o u g i e s vorgezogen, w e l c h e m i t den g e n a n n t e n in Salbenforrn g e b r a c h t e n A r z n e i m i t t e l n bestrichen sind. — D i e Gelenkerkr einer i n n e r e n M e d i k a t i o n nicht. — Spil\c und z w a r m i t M i t t e l n ,
Kondylome
anklingen
bedürfen
sind örtlich zu b e h a n d e l n ,
w e l c h e a u c h die B a s i s derselben b e e i n f l u s s e n —
Abtra-
g u n g m i t n a c h f o l g e n d e r A t z u n g der z u r ü c k g e b l i e b e n e n F l ä c h e , oder a u c h Ä t z u n g allein.
M a n w ä h l t die stärkeren Ätzmittel, sorgt aber dafür, d a ß d i e s e l b e n n i c h t
zu t i e f u n d n i c h t auf g e s u n d e Teile übergreifen.
Eisenchlorid,
Quecksilberchlorid
in z w e i u n d m e h r p r o z e n t i g e r Lösung, konzentrierte L ö s u n g v o n Chromsäure besonders e m p f o h l e n .
A u c h Sabiiuipulver
findet n o c h ö f t e r A n w e n d u n g ,
lich w e n n es sich u m K o n d y l o m e m i t feuchter Oberfläche h a n d e l t . die s e h r w i r k s a m e Zerstörung durch Glnhhit-.e
werden nament-
E n d l i c h ist
zu erwähnen. — G e g e n R e c i d i v e
s c h ü t z t a m b e s t e n T r o c k e n - u n d R e i n h a l t e n der k r a n k e n S t e l l e n .
§ 97.
Tuberkulose im allgemeinen.
D i e T u b e r k u l o s e ist e i n e Infektionskrankheit, w e l c h e durch einen Mikrop a r a s i t e n , d e n Bacillus
Kochii
erzeugt wird; anatomisch
ist sie durch K n ö t c h e n -
b i l d u n g e n charakterisiert. Ü b e r d e n Bacillus —
selbst ist b e k a n n t : Derselbe besitzt eine w e c h s e l n d e L ä n g e
' I4 b i s ';2 des B r e i t e n d u r c h m e s s e r s eines roten B l u t k ö r p e r c h e n — 0 , 0 0 1 5 bis
0 , 0 0 3 5 m m — aber eine k o n s t a n t e Dicke.
E r ist n i c h t v o l l k o m m e n gerade, son-
dern z e i g t m e i s t l e i c h t e K n i c k u n g e n oder B i e g u n g e n , s o g a r K r ü m m u n g e n , die A n f ä n g e
einer s c h r a u b e n f ö r m i g e n D r e h u n g .
Der Bacillus
besitzt
k e i n e E i g e n b e w e g u n g e n ; er h a t die Fähigkeit, i m O r g a n i s m u s Dauersporen
wie
durchaus zu bilden.
Nach B A U M G A R T E N ist in der Regel die erste Folge der Bacillenentwicklung in einem Gewebe eine Wucherung der fixen Gewebszellen, welche zur Bildung epitheloider Zellen f ü h r t ; es entstehen so knötchenförmige Herde, in denen die Bacillen teils zwischen den Zellen, teils in den Zellen selbst liegen. Die wuchernden Zellen sind zum größten Teil ein- oder zweikernig, doch treten beim Menschen meistens auch mehr- und vielkernige Zellen, Riesenzellen, auf, welche häufig Bacillen einschließen; innerhalb der Knötchen kommt es gewöhnlich nicht zur Bildung neuer Kapillaren. Zu der Zellenwucherung gesellt sich früher oder später eine entzündliche Alteration der im Erkrankungsbezirke gelegenen Gefäße, derzufolge sich eine Emigration farbloser Blutkörperchen einstellt. Der auf der Höhe seiner Entwicklung angelangte Tuberkel bildet ein grau durchscheinendes zelliges bacillenhaltiges Knötchen bis zu der Größe eines Hirsekornes; weiterhin stellen sich im Centrum beginnende regressive Veränderungen ein, das Gewebe stirbt ab, verfällt der Verkäsung, der Tuberkel wird undurchsichtig, gelblichweiß. In selteneren Fällen schließt sich an die Wucherung und Entzündung Bindegewebsneubildung mit oder ohne Verkäsung an. Reinkulturen ergaben, daß der Bacillus in Rücksicht auf seinen Nährboden sehr wählerisch i s t , und daß derselbe bei einer Temperatur von 32°—33° am besten, bei 28° — 29° und bei 42° gar nicht mehr gedeiht. Impfungen mit bacillenhaltigen Organteilen und von Reinkulturen führen zu übereinstimmenden Ergebnissen, es werden die eigentümlichen Störungen in den Geweben, die charakteristischen Knötchen mit massenhafter Vermehrung der Bacillen durch das eine wie durch das andere erzeugt. Äußerlich gestaltet sich der Gang der Dinge so: die bei der Impfung hervorgerufene Verletzung heilt zunächst, nach Ablauf einer gewissen Zeit tritt in loco afl'ecto eine knötchenförmige Verhärtung auf, welche verschwärend ein käsiges, mit einer trockenen Kruste bedecktes Geschwür zeigt, gleichzeitig schwellen die nächstgelegenen Lymphdrüsen an und gehen allmählich in die käsige Entartung ein. Die Ausbreitung der Infektion über den Gesamtorganismus schließt sich an, sie kennzeichnet sich durch schwere Schädigung der Ernährung. Der Tod tritt bei den Versuchstieren im Laufe von 7—8 Wochen ein. — Als wichtige allgemeine Versuchsergebnisse sind zu bemerken: Die Menge der einverleibten Bacillen ist von entscheidendem Einfluß auf die Schnelligkeit und Ausdehnung, mit welcher die Entwicklung der Krankheit sich vollzieht.
232
Infektionskrankheiten.
Die verschiedenen Tiere zeigen sich in mehr oder minder hohem Grade empfänglich — Meerschweinchen, Kaninchen, Feldmäuse am meisten, viel weniger Hausmäuse, Hunde noch weniger. Dennoch vermögen die letzteren einer größeren mit einem Male unmittelbar in den Kreislauf gebrachten Menge von Bacillen nicht zu widerstehen. — Allgemeinerkrankung trat auf nach der Impfung bacillenhaltiger Substanz oder von Reinkulturen unter die Haut und in die vordere Augenkammer, nach deren Injektion in die Bauchhöhle und in die Venen, endlich nach Einatmung einer stark mit bacillenhaltigem Staub verunreinigten Luft Vom Standpunkte der experimentellen Untersuchungen aus sind die folgenden ätiologischen Anschauungen wohlbegründet; Der Tuberkelbacillus ist ein echter endogener Parasit, der unter gewöhnlichen Verhältnissen nur im lebenden Organismus die zur Erhaltung der Art notwendigen Dauersporen zu bilden scheint. Er ist in Bezug auf seine Lebensbedingungen sehr heikel, entwickelt sich sehr langsam und wird leicht von anderen minder gefährlichen Bakterien verdrängt. — Die Übertragung wird im wesentlichen durch die Sporen vermittelt; dieselben sind sehr haltbar, behaupten ihre Infektionskrankheit in faulendem Sputum bis zu 43, im eingetrockneten bis zu 80 Tagen. Wahrscheinlich gelangen die Sporen in trockenem Zustande, Pflanzenfasern und Bruchteilen von Tierhaaren anhaftend (Leib- und Bettwäsche scheinen am gefährlichsten) in die Luft und werden mit ihr eingeatmet. Ebenso aber können sie, freilich seltener, von Hautwunden und vom Darm aus aufgenommen werden. Als Hilfsmomente sind Epithelverletzungen in erster Linie zu nennen, ferner muß den in den Körper eingedrungenen Bacillen die nötige Ruhe gewährt werden, sie müssen sich also an einem Orte befinden, wo sie ungestört länger verweilen können. — Die Verbreitung der Tuberkulose durch Haustiere scheint von geringerer Bedeutung; das Rind kommt dabei in erster Linie in Betracht. Wohl vermag die Milch perlsüchtiger (tuberkulöser) Kühe Menschen zu infizieren, allein nur, wenn die Milchdrüse selbst tuberkulös erkrankt ist und den Bacillus enthält; auch dann müssen im Darm des Aufnehmenden günstige Entwicklungsbedingungen gegeben sein. Das Fleisch perlsüchtiger Rinder, wenigstens das gar gekochte oder gebratene, seheint von geringerer Bedeutung. Die Verbreitung des Bacillus innerhalb des infizierten Körpers geht frei oder im Inneren von Zellen vor sich. Bei Verbreitung desselben in der nächsten Umgebung kommt es zuerst nur zu örtlichen, dicht um die Infektionsstelle gelagerten Herden. Geraten die Bacillen in den Lymphstrom, dann bilden sich in den nächstgelegenen Drüsen, unter Umständen aber auch in entfernteren, Herde. Durch Vermittlung des Ductus thoracicus, der selbst tuberkulös erkranken kann, aber auch frei bleibt, können die Bacillen in den allgemeinen Kreislauf gelangen, ebenso aus Venen, seltener aus Arterien. In den Blutgefäßen haben sich andere Male selbständige Herde gebildet, oder solche sind aus der Nachbarschaft in dieselben durchgebrochen. Der mit dem Blute kreisende Bacillus entwickelt sich überall, wo er einen passenden Nährboden findet, so kommt allgemeine Infektion, akute Miliartuberkulose zustande. Vom klinischen Standpunkte aus war man nicht allseitig mit diesen Anschauungen einverstanden. Namentlich ist die Thatsache, daß in einer großen Zahl von Fällen — geschätzt auf etwa die Hälfte aller — die Abstammung von tuberkulösen Eltern bei dem später von Tuberkulose Befallenen nachweisbar ist, als ein nicht wohl zu erklärendes Etwas hingestellt worden. Die Deutungsversuche bewegten sich in mehrfacher Richtung. Man nahm direkte Übertragung des Bacillus oder seiner Sporen auf den Fötus durch den Vater— also mittels des Sperma — oder durch die Mutter an. Nachgewiesen ist der Bacillus in den scheinbar gesunden Hoden und in der Prostata tuberkulöser Männer sowie in den Schleimhautfalten der Tuben bei einer tuberkulösen Frau (JANI-WEIGERT). Für eine Infektion des befruchteten Eis von der Placenta aus sprechen gewichtige Gründe (BAUMOARTEN). Die so einverleibten Keime sollen in der Regel lange unentwickelt und nicht schädigend liegen bleiben, erst wenn für sie günstige Lebensbedingungen sich einstellen, erzeugen sie den nun seinen Wirt infizierenden Bacillus. Als Analogie wird das Verhalten bei der hereditären Syphilis herangezogen. Durch Nachweis der Bacillen oder ihrer Sporen bei dem menschlichen Fötus ist diese Hypothese nicht erhärtet. Wohl aber hat man neuerdings in den Körpern ungeborener, von perlsüchtigen Kühen empfangener Kälber den Bacillus und die von ihm bedingten spezifischen Erkrankungen aufgefunden. — Dem gegenüber steht eine Auffassung, welche, die Vererbung einer besonderen Disposition als das Entscheidende ansieht. Anatomisch ist diese freilich nicht nachweisbar, sie zeigt sich nur manchmal durch ein charakteristisches Verhalten des
Tuberkulose im allgemeinen.
233
Gesamtkörpers (Habitus phthisicus), Bau und Bildung des Brustkastens sind davon nur ein Teilglied. Dali solche allgemeine Konstitutionsanomalien bestehen und vererbbar sind, lehrt die Skrofulose; will man die Schwäche eines Organs als möglich beweisen, dann lassen sich mit Fug und Recht die Nerven- und Hirnkrankheiten ins Feld führen: niemand wird imstande sein, die ererbte neuropathische Konstitution als nicht vorhanden zu bezeichnen. Es ist daher gewiß unerlaubt, durch den einfachen liinueis darauf, daß man für die vorwiegende Disposition der von tuberkulösen Eltern Erzeugten zur Infektion mit dem Tuberkelgift eine gewebliclie Anomalie nicht auffinden könne, diese überhaupt in Abrede zu stellen. — Wenig befriedigend dürfte der weitere Erklärungsversuch sein, daß die von tuberkulösen Eltern Geborenen durch den ständigen Verkehr mit diesen angesteckt werden — sogenannte Familientuberkulose. Jedes genauere Eingehen auf die Verhältnisse des Einzelfalles zeigt, daß nur für eine ganz winzige Minderheit diese Möglichkeit überhaupt in Frage kommen kann.
Alles in allem scheint leein Grund vorzuliegen die von der experimentellen Pathologie dargebotenen Erklärungen zurückzuweisen. Ergänzung und nähere Ausführung bedürfen dieselben freilich noch an manchen Punkten. Von allgemeineren ätiologischen Bedingungen ist bekannt: Unbedingte Immunität gegen Tuberkulose findet sich wohl nirgends auf der Erde, wo Menschen und solche Tiere, die dem Parasiten als Wirte dienen können, wohnen. Dagegen scheinen sich je nach den örtlichen Verhältnissen dessen Entwicklungsbedingungen günstiger oder ungünstiger zu gestalten. Als durchgehende Regel ist bisher die bekannt, daß mit der Zunahme der Elevation über die Meereshöhe von einem gewissen Punkte an die Tuberkulose seltener vorkommt, vielleicht auch eine geschehene Infektion besser überwunden wird. — Je mehr gegen Norden die Lage, desto niedriger wird die Grenze der sogenannten Immunität. 6—800 Meter dürfte für Deutschland die ungefähre absolute Höhe sein. Daß die Tuberkulose einer der Hauptfeinde des Menschengeschlechts ist, steht fest — die Abschätzungen darüber schwanken, ob ein Siebentel oder zwei Siebentel der Gesamtsterblichkeit durch diese Krankheit bedingt sei. Man nahm an, daß das zwischen dem 15. und 35. Jahre liegende Lebensalter der Tuberkulose besonders preisgegeben wäre. Genaue Aufstellungen, die nur durch die Benutzung eines alle Gestorbenen umfassenden Sektionsmaterials möglich sind, fehlen für große Menschenmassen und längere Zeiträume. Allein es liegen Zahlen vor, welche Annäherungswerte bieten; wenn dieselben auch nur für Preußen und nur für die Lungentuberkulose (Schwindsucht) gelten, dürften sie, wenigstens für Deutschland, der Wahrheit nahe kommen. Es ergiebt sich daraus: das Minimum der Sterblichkeit an Schwindsucht fällt auf das 5—10. Jahr, von hier geht fortdauernd die Steigerung bis zum 70. Jahre; nach diesem tritt rascher Abfall ein. Bei dieser Rechnung sind die Mortalitätszifl'ern auf die Zahl der in den betreffenden Altersklassen überhaupt Lebenden bezogen.
Männer starben häufiger als Frauen an Schwindsucht. — Aus der gleichen Zusammenstellung geht hervor, daß die Städte mehr als das platte Land zu leiden hatten. Die. individuellen Verhältnisse, anlangend, ist der Grundsatz voranzustellen: Alles, icas die Ernährung und Kraft des Körpers schädigt, begünstigt die Entstehung der Tuberkulose. Es läßt sich dieser Satz dahin erweitern, daß es erlaubt scheint, die Entwicklung der Bakterien mit der Widerstandsfähigkeit der zunächst betroffenen Gewebe in Beziehung zu setzen — einen örtlichen Kampf zwischen dem Parasiten und den ihm als Nährboden dienenden Zellen anzunehmen. So kommt also ein doppeltes in Betracht: örtliche und allgemeine Ernährung. Es wird verständlich, wie es geschehen kann, daß für die tuberkulöse Erkrankung der Lungen ein Katarrh der feineren Bronchien bei einem sonst kräftigen Menschen genügt, um dem eingedrungenen Parasiten eine ihm zusagende Brutstätte zu bereiten. Denn nicht allein die Eingangspforte ist dabei durch die Epithelverletzung geöff-
234
Infektionskrankheiten.
net, aucli die Ernährimgsverhältuisse der subepithelialen Gewebsschichten sind so verändert, daß ihre Lebensenergie zur Besiegung der fremden nicht ausreicht. Ähnlich
w i r k e n Mißbildungen
am
Thorax
und
Verwachsungen
der
Pleurablätter
untereinander — es wird die Blutbewegung innerhalb der Lunge beeinträchtigt, vielleicht wird auch durch die minder ausgiebigen Bewegungen derselben die Alisiedlung der Bacillen begünstigt.
Gleiches
geschieht,
sobald überhaupt
die
Blut-
uud Säftemischung eine der Gewebsernährung ungünstige, oder der Kreislauf ein ungenügender wird; dann sinkt überall die Fähigkeit der Zellen, ihre Eigenthätigkeit parasitärer gegenüber zu behaupten. Wir sehen daher, daß bei Ungunst der
hygieinischen
heiten
und
nach
und
Ernährungsbedingungen,
stärkeren
Blutverlusten,
daß
nach
akuten
nach der Schwangerschaft,
Infektionskrankbesonders wenn
dieselbe zu oft sich erneut, nach zu lange fortgesetztem Stillen, nach eingreifenden
Störungen
der
Verdauung,
u n d w ä h r e n d des
Bestehens einer
Blul-
krankheit wie Chlorose — die Möglichkeit an Tuberkulose zu erkranken für den dadurch Geschwächten näher gerückt wird. (Uber das Verhalten zur Skrofulöse siehe § 89.) Geschieht es doch gar nicht selten, daß ein geheilter, seit Jahren stillstehender tuberkulöser Krankheitsprozeß bei der Einwirkung einer der genannten Bedingungen aufs neue angefacht wird. Manchmal ist jede andere Deutung als die eine ferner liegende, daß mit dem Sinken der Widerstandsfähigkeit des Körpers der bereits länger in ihm verweilende Bacillus nun die für seine Massenentwicklung günstigen Bedingungen gewann. Besonderer Erwähnung verdient das Verhalten des Herfens. Es ist sicher, daß das Herz von großem Einfluß auf Entstehung und Verlauf der Tuberkulose, in erster Linie der in den Lungen lokalisierten ist; je größer die Heizleistung, desto
ungünstiger
gestalten
sich b e i
sonst
g l e i c h e n V e r h ä l t n i s s e n die
Lebensbedin-
gungen für den Bacillus. Mit dem Nachlaß der Herzarbeit, wie er durch muskuläre Degeneration herbeigeführt wird, flackert recht oft die Krankheit auf, ein langsamer Verlauf wird zu einem stürmischen, oder die latente Tuberkulose wird zu einer manifesten. Wiederum liegen Beobachtungen vor, daß eine sich im Laufe der Tuberkulose aus anderen Gründen entwickelnde Herzhypertrophie zu dem Stillstand dieses Leidens führt. — Daß Herde im Organismus bestehen, welche die Aussaat für die neue Erkrankung lange Zeit abgeschlossen enthalten, im günstigen Augenblick aber dieselbe frei werden lassen, ist eine Thatsache, mit der man ätiologisch stets zu rechnen hat. Es scheint solche Herdbildung so langsam und allmählich sich vollziehen zu können, daß bestimmte Krankheitserscheinungen ganz fehlen, oder doch mit den durch einen langwierigen Katarrh herbeigeführten sich bis zum Verschwinden decken. Daher ist man niemals imstande mit Sicherheit auszusagen, ob jemand tuberkelfrei sei oder nicht; oft genug auch nicht, wann und wo er infiziert wurde. Bei Kindern gewinnen diese Tuberkelherde — meist Lymphdrüsen, nicht nachweisbar im Körperinnern gelegen — für die praktische Medizin eine sehr große Bedeutung; aber auch bei den Erwachsenen kommen sie wesentlich in Betracht. Anatomisch ist dem Gesagten noch im allgemeinen hinzuzufügen: Der Bacillus erregt Wucherung und Entzündung, welche je nach seiner Menge und Verbreitimg diffus oder in kleineren Herden (Knötchen) auftritt. Die durch den Bacillus erzeugten Knötchen gehen aus den gewucherten fixen Zellen und aus weißen Blutkörperchen, welche ausgewandert sind, hervor. Gcfäßneubildung stellt sich niemals ein,7 vielmehr beginnen schon frühzeitig; Prozesse,' im wesentlichen D o degenerative o
Tuberkulose im allgemeinen. Allgemeine, akute Miliaituberkulöse.
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Koagulationsnekrose, wodurch das Gewebegefüge zerstört wird, schollige Gewebetrümmer sich bilden und um Ende alles in eine amorphe käsige Masse übergeht. — Wird diese nach außen entleert, dann bildet sich ein Geschwür mit der entschiedenen Neigung zur Ausbreitung. Das ist eine Folge der Infektion seiner Umgebung, welche durch die neu entstandenen Bacillen vermittelt wird. Von dem t u b e r k u l ö s e n H e r d e k a n n eine Weiter Verbreitung des Giftes durch dessen
Fortführung
innerhalb der vorgebildeten Kanüle (Bronchien, Darm n. s. w.) oder durch dessen Aufnahme in die Lymphgefäße und in die Blutgefäße stattfinden; endlich kann unmittelbares
Übergreifen
auf die Nachbarschaft
geschehen.
Nicht alle Gewebe des Körpers sind in gleichem Grade geeignet, einen dem
Bacillus
: usagenden Nährboden abzugeben: am wenigsten wohl die Muskeln, dann die Schleimhaut des Magens, des Duodenum und der größeren Gallengänge, ebenso die der Harnröhre. — Sehr disponiert sind Kehlkopf und Bronchien, besonders die feineren, einzelne Abschnitte des Darms, die Pleura, das Peritoneum, der Urogenitalapparat, die weichen Hirnhäute, Leber und Gehirn. — Heilung kann vorübergehend
oder dauernd
zustande
kommen
u n d z w a r auf' verschiedenen W e g e n : E i n e
reichliche Entwicklung von Bindegewebe mit nachheriger narbiger Schrumpfung schließt den tuberkulösen Herd zeitweilig oder bleibend von dem Verkehr mit dem Organismus ab; durch Entleerung nach außen können die Käsemassen mit den in ihnen enthaltenen Dauersporen ganz entfernt, durch Ablagerung von Kalksalzen die zurückgehaltenen zum unschädlichen Fremdkörper umgewandelt werden. Ist dieser oder jener Vorgang nicht zum Ende gediehen, ist der umschließende Bindegewebswall nicht hinlänglich dauerhaft geworden, dann bleibt die Möglichkeit einer erneuten Verschleppung des Giftes mit Bildung frischer Herde, es kommt zu einer Selbstinfektion, sei es einer örtlich beschränkten, sei es einer allgemeinen. Der Nachweis des Bacillus gelingt durch Färbung. Man nimmt dieselbe am besten auf die von G A B B E T angegebene Weise, welche sehr rasch sichere Ergebnisse liefert, vor. Die in Betracht kommenden haltbaren Lösungen sind: I. Fuchsin 1,0 Teil II. Methylenblau 1,0 Teil Alkohol absolut. 10,0 Teile Acid. sulfuric. conc. 25,0 Teile Wässrige 5 °/0 Carbolsäurelösg. 100 Teile. Destilliertes Wasser 75,0 Teile Das zu untersuchende Objekt, am häufigsten handelt es sich ja um Sputum, wird auf ein Deckgläschen gebracht, in dünner Schicht ausgestrichen, man läßt dasselbe antrocknen und zieht dreimal durch die Flamme einer Spirituslampe. Das so vorbereitete Präparat wird 2 Minuten lang mit der Lösung 1 im Uhrschälchen in Berührung gelassen, danach mit kaltem destillierten Wasser abgespült. Sofort bringt man dasselbe für eine Minute in ein mit Lösung II gefülltes Uhrglas. Nach dem Abspülen ist das Präparat fertig. Die Untersuchung ist an dem frischen oder dem in Xylolkanadabalsam eingetrockneten Objekt vorzunehmen (ABBEsehen Beleuchtungsapparat; Ölimmersion). Die Bacillen erscheinen rot, die übrigen Mikroorganismen und Zellkerne blau. — § 98.
Allgemeine, akute Miliartuberkulose.
Die allgemeine a k u t e M i l i a r t u b e r k u l o s e ist die Form, in welcher sich die infektiöse Natur der Krankheit am reinsten und ausgesprochensten zeigt. — Ätiologisch ist zu bemerken: Die Verteilung über das Lebensalter geht einigermaßen mit der der Tuberkulose überhaupt parallel. Weitaus am häufigsten handelt es sich um Selbst Infektion: d. h. es war von alters her ein tuberkulöser Herd im Körper vorhanden, von dem nun die Aussaat des Giftes stattfindet. Im Kindesaltcr sind es g a n z g e w ö h n l i c h die Drüsen,
welche die
abströmende
Lymphe
der
236
Infektionskrankheiten.
Atmungsiverkzeuge aufnehmen, die Bronchial-, Mediastinal- und Tracliealdrüsen, seltener die in der Bauchhöhle gelegenen. Bei dem Erwachsenen tritt ein solcher Ort der Wahl nicht so bestimmt hervor, immerhin darf man auf die Häufigkeit älterer tuberkulöser Veränderungen in der Lunge hinweisen. Als Gelegenheitsursachen sind alle mit Schwächung des Gesamtkörpers einhergehenden Zustände, bei Kindern ganz besonders die mit heftigen und langdauerndeu Bronchiten verbundenen Infektionskrankheiten Keuchhusten und Masern anzuführen, bei Erwachsenen übernimmt der Abdominallyphus deren Rolle. Es scheint durch schwerere Schleimhautentzündungen in vielen, wohl in den meisten Fällen die Entwicklung der akuten Miliartuberkulose aus denjenigen älteren Herden, welche in dem gleichen Lymphgebiete gelegen sind, außerordentlich gefördert zu werden. Das mag mit der regeren Strömung der Lymphe von der entzündeten Fläche her zusammenhängen; indes läßt sich Genaueres über das Wie des Geschehens kaum angeben. Der Leichenbefund weist zahllose miliare Tuberkel nach, welche über den Körper in weiter Ausdehnung zerstreut sind und bei den nicht ganz stürmisch verlaufenden Fällen verschiedene Altersstufen zeigen, also eine wiederholte Aussaat der Bacillen beweisen. — Lunge, Pleura, Leber, Milz und Nieren sind fast immer von Tuberkeln durchsetzt; namentlich bei Kindern sind auch die Meningen häufig und schwer ergriffen. In der Chorioidea scheint die Bildung von Knötchen vorzugsweise dann stattzufinden, wenn bei der allgemeinen Aussaat der Bacillen die Meningen stärker bedacht wurden und sich in ihnen eine tuberkulöse Entzündung entwickelt hat. — Der sonstige Befund betrifft die mit der Tuberkelentwicklung einhergehende Entzündung an den ergriffenen Organen; obenan steht auch hier die Bronchitis mit ihren Folgeerscheinungen; die Milz zeigt das Verhalten wie bei jeder akuten Infektion (§ 104). Die Krankheit entsteht bisweilen ziemlich, in selteneren Fällen ganz akut; sie wird dann durch einen Schüttelfrost eingeleitet, welchem sich gleich schwere Erscheinungen, besonders solche vom Hirn aus, anreihen. Meist aber gehen Tage, selbst Wochen vorauf, wo Ermüdung, Kräfteschwund, leichtere Fiebererscheinungen mit etwas Bronchialkatarrh vorhanden sind, möglicherweise auch ein wenig Seitenstechen oder ein kleines Pleuraexsudat auftritt. Schon früh fallt das häufige Atmen der Kranken auf, für welches die Lungenuntersucliung keinen recht genügenden Grund zu entdecken vermag, ebenso die durch Temperatursteigerung nicht erklärte erheblich gesteigerte Pulsfrequenz. Das ausgeprägte Krankheitsbild trägt die Züge eines schweren weitverbreiteten Katarrhs der feineren Bronchien: Hochgradige Cyanose, stark vermehrte Atmung, bei meist fehlender subjektiver Dyspnoe, Husten, der wenig oder gar kein Sputum herausbefördert, dazu eine Benommenheit des Sensoriums, die von Tag zu Tag sich steigert, und mit raschem, sehr erheblichem Verfall der Kräfte verbunden ist. Fieber ist immer zugegen, aber von sehr wechselndem Charakter. Abweichungen werden durch die Beteiligung der Meningen, namentlich durch die echte Entzündung derselben herbeigeführt. Die Erscheinungen von den Lungen können dadurch fast ganz in den Hintergrund gedrängt werden, und nicht selten ist das bei Kindern so, viel weniger häufig geschieht es bei Erwachsenen. Andere Male vermischen sich die Symptome der Bronchitis und der Meningitis. Wiederum kann sich als beherrschende Erscheinung der Krankheit das Fieber hervorthun, sei es für eine Zeit oder für die ganze Dauer. Leichtere Meningealerkrankung wird dann wenig ins Auge fallen, da die von ihr bedingten allgemeinen Erscheinungen sich den gleich-
Allgemeine, akute Miliartuberkulose.
237
wertigei) des Fiebers hinzugesellen. So kommt manchmal ein Symptomenkomplex heraus, der schwer in seine Komponenten zerlegbar ist. Der Tocl — wohl der einzige Ausgang der Krankheit — kann daher von manchen Seiten herbeigeführt werden. Von Einzelerscheinungen ist zu bemerken: Die Bronchitis bedingt dadurch, daß Tuberkulose sie hervorrief, keine eigenartigen Erscheinungen; sie hat Kollapse der Lungen, Hypostasen, bronchopneumonische Herde im Gefolge, durch heftige Hustenbewegungen entstehen fast immer Lungenblähungen. Trockenes Rasseln in weitester Ausdehnung neben schwachem oder fast ganz verschwundenem Vesikuläratmen, das ist der konstante physikalische Befund. In seltenen Fällen hört und fühlt man ein eigentümliches weiches Reiben — von der respiratorischen Verschiebung der Pleuratuberkel herrührend. Der Auswurf ist gering, glasig, bisweilen aber innig mit Blut durchsetzt, so daß er dem bei genuiner Pneumonie ähnlich wird. Bacillen sind darin lange nicht immer, stets nur in spärlicher Zahl nachweisbar. Die Steigerung der Atmungsfrequenz zu einer Zeit, wo die Bronchitis noch wenig ausgesprochen ist, wird vielleicht mit Recht auf unmittelbare Reizung der Vagusfasern in der Lunge durch die sich entwickelnden Tuberkeln zurückgeführt. Die Hirnerscheinungen sind in vielen Fällen ganz die der Meningitis (s. § 52), in anderen unbestimmter Natur. E s m u ß geschieden werden z w i s c h e n d e r Tuberkulose
der Meningen
u n d i h r e r tuber-
kulösen Entzündung. Die erste ruft heftige Reizerscheinungen, unter denen die allgemeinen Konvulsionen obenan stehen, hervor, der Tod erfolgt zu früh, unter seltenen Umständen schon in einigen Tagen, um eitrige Entzündung zur Ausbildung gelangen zu lassen. Die Obduktion weist alsdann nur ganz wenige mit bloßem Auge sichtbare Knötchen nach. — Außer durch die Entwicklung von Tuberkeln wird das Hirn durch die Veränderungen der Blutmischung — die starke Anhäufung von Kohlensäure in demselben ist in die erste Reihe zu stellen — und vielleicht auch durch das Fieber geschädigt, bei voll ausgebildeter Erkrankung kommt es im Hirn zu Änderungen in der Blutverteilung, auch wohl zu Ödemen. — Das Verhalten des Fiebers ist ein sehr wechselndes; ein irgend bestimmter Typus findet sich nicht, vielmehr herrscht eine Regellosigkeit, die so weit geht, daß auch der Gang der Tageskurve nicht immer eingehalten wird. Es dürfte alles damit zusammenhängen, daß die Aussaat der Bacillen in zeitlich und der Menge nach verschiedenen Schüben geschieht — mit jedem derselben geht eine seiner Bedeutung entsprechende Fieberbewegung einher, außerdem wird ein bestimmter Fiebergrad durch die örtlichen Entzündungsherde dauernd unterhalten. Temperaturen bis zu 42° bei anhaltendem, nur wenig remittierendem Fieber können vorkommen, ebenso hohe können hin und wieder bei stark remittierendem, oder nahezu intermittierendem Fieber auftreten. Gewöhnlich ist die Steigerung mäßiger — ein Mittel von etwa 39° wird nur vorübergehend durch Erhebungen auf 40° unterbrochen. — Antipyretica und unmittelbare Wärmeentziehungen haben nur geringeren und rasch sich verlierenden Einfluß auf die Körperwärme. — Die schwere Schädigung des Allgemeinbefindens, eine ganz konstante Erscheinung, ist in manchen Fällen nur hypothetisch durch Einflüsse der Infektion als solcher, d. h. durch Veränderungen, welche mit der Massenentwicklung des Bacillus einhergehen, zu erklären. In anderen kommen die Abweichungen in der Blutmischung und Blutverteilung, die Temperatursteigerung, die Abneigung der Kranken gegen Nahrungsaufnahme wesentlich in Betracht.
238
Infektionski ankheiten
Der Verlauf ist ein stätig oder mit Unterbrechungen — Nachlässen, nicht Stillständen — dem tödlichen Ende zueilender. Die mittlrre Dauer der Krankheit wird auf drei bis vier Wochen geschätzt, jedoch kommen Schwankungen von wenig Tagen bis zu einigen Monaten vor. — Die schubweise geschehende Ausbreitung der Tuberkulose zeigt sich lange nicht immer in unzweifelhafter Deutlichkeit, vielmehr kann der Fortschritt zum Schlimmen in einer von T a g zu Tag allmählich sich steigernden Weise stattfinden —• Typhusmaske. Andere Male wechselt, mit der Aussaat des Bacillus gleichen Schritt haltend, eine erhebliche Verstärkung der Krankheitserscheinungen mit Nachlässen — immer ist von wirklichem Besserwerden keine Rede. — Es sollen freilich Fälle beobachtet sein, welche zur Heilung gekommen sind. Undenkbar wäre das nicht, allein ein strenger Beweis der Thatsache dürfte kaum erbracht sein, und praktisch ist daran festzuhalten, daß die Prognose der akuten Miartuberkulose eine absolut schlechte ist. — Die Diagnose ist mit Sicherheit nur zu stellen, wo der Augenspiegel Chorioidealtuberkel nachweist, oder der Bacillus zu finden ist. Neuerdings hat man denselben auch im Blute gesehen. Empfohlen und ausgeführt wurde die Punktion der Milz mittels der PBAvAz'scheu Spritze, in dem so entleerten Safte waren, wenn auch nicht immer, Bacillen zu finden. Genaue Anamnese, das frühzeitige Auftreten einer Vermehrung der Atmungs- und Pulsfrequenz ohne örtliche zur Erklärung ausreichende Befunde, die starke Cyanose, der unaufhaltsam fortschreitende Verfall der Kräfte, die bei häufig wiederholter Messung sich zeigende Unregelmäßigkeit der Körperwärme geben oft ausreichenden Anhalt. Für die Differentialdiagnose ist Folgendes zu beachten: Es kommen, sehr selten, Fälle vor, welche in allem dem Bilde einer akuten Miliartuberkulose gleichen, wo aber bei der Leichenöffnung wohl die weit verbreiteten örtlichen Entzündungen, besonders die der Bronchien, nur keine Tuberkelbacillen, überhaupt keine Mikroorganismen zu finden sind. Möglicherweise gehören dieselben zu der Krankheitsgruppe der septischen Infektion (§ 109). Noch seltener ist miliare Karcinose der Lunge von einem versteckten oder auch von einem nachweisbar gewordenen Krebsherde aus durch Metastase entstanden, nur im letzteren Fall kann man diagnostisch mit dieser Möglichkeit rechnen. Alte Leute mit Emphysem, Atherom und Insuffizienz des Herzens erkranken bisweilen unter Erscheinungen, welche durch die Annahme eines Katarrhs der feineren Bronchien vollständig erklärlich sind, ein hämorrhagischer Infarkt der Lungen führt vielleicht zum raschen Ende — die hier vorhandene akute Tuberkulose kann höchstens vermutet werden. Bei solchen alten Leuten kommt ferner, wenn auch selten, ein Krankheitsbild zustande, welches mit dem einer sich nicht oder nur langsam lokalisierenden genuinen Pneumonie täuschende Ähnlichkeit hat. Wenn man nicht vom Anfang selbst beobachtet hat, ist es manchmal unmöglich, der Verwechslung mit Abdominaltyphus zu entgehen. Bei dieser Krankheit können die positiven diagnostischen Zeichen sehr wenig ausgesprochen sein, nur die zeitliche Aufeinanderfolge derselben giebt den Faden in die Hand — kommt nun in späterer Periode ein Typhusfall mit hochgradigem Katarrh der Bronchien und dessen Folgeerscheinungen, mit längst atypischem Temperaturgang, mit abgeschwollener Milz, mit nicht mehr bestehenden oder überhaupt nicht vorhanden gewesenen Darmsymptomen zur Beobachtung, dann ist die Täuschung auch für den Erfahrensten kaum zu vermeiden. Uberhaupt handelt es sich bei der Beurteilung der akuten Tuberkulose oft um lediglich quantitative Abschätzungen darüber, ob die nachweisbaren
Allgemeine, akute Miliartuberkulose. Tuberkulöse Lungenschwindsucht.
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örtlichen Veränderungen sich als zur Erklärung der allgemeinen Erscheinungen genügend erweisen. — Dabei hat dann die subjektive Meinung das letzte Wort. Von einer Behandlung kann nur insofern die Rede sein, als symptomatische Aufgaben vorliegen In Füllen, wo die. Differentialdiagnose gegen Typhim nicht sicher ,ru stellen ist, sollte immer dessen Therapie eingeleitet werden; es ist nicht in Abrede zu stellen, daß hin und wieder jemand den diagnostischen Fehlgriff seines Arztes mit dem Leben büßen muß. § 99.
Tuberkulöse
Lungenschwindsucht.
T u b e r k u l ö s e L u n g e n s c h w i n d s u c h t ist unter den durch das Gift hervorgerufenen örtlichen Erkrankungen die wichtigste. In den Lungen siedelt sich der Bacillus am häufigsten an, freilich beschränkt er sich meist nicht auf dieselben, vielmehr werden noch andere Organe, der Darm sehr gewöhnlich, oft auch der Kehlkopf beteiligt — allein die Lungen stehen im Mittelpunkt des Krankheitsbildes. W a s über die Ätiologie der Tuberkulose überhaupt gesagt wurde, gilt für die Lungenschwindsucht ohne Einschränkung. — Besonderer Erwähnung bedarf der sogenannte Habitus phthisicus, welcher bei hereditär Belasteten recht häufig angetroffen wird. Freilich gehen die Meinungen darüber auseinander, ob durch diesen Habitus nur die Disposition verraten, oder ob derselbe ein Zeichen schon begonnener Erkrankung sei — indes die letztere Auffassung dürfte kaum haltbar sein. — Zarte Oberhaut, ein reich entwickeltes, namentlich am Gesicht und am Brustkasten stärker durchscheinendes Venennetz bei wenig gefärbten Schleimhäuten, ein langer Hals, schräg gestellte, von dem Brustbeinansatz als dem höchsten Punkte gegen die Schultern hin sich neigende Schlüsselbeine, die Schulterblätter leicht abstehend, der Brustkasten lang, flacher, wenig gewölbt, seine untere Öffnung schmal, die Schlüsselbeingruben eingesunken, auch bei tiefer Einatmung sich nicht gehörig hervorwölbend, die Interkostalräume flach, die Muskulatur im ganzen schwach entwickelt, nur die respiratorischen Hilfsmuskeln Sternokleidomastoideus und Cucullaris etwas stärker hervortretend, als ob sie beständig ein wenig angespannt wären. Dabei ein leicht erregbares Gefaßnervensystem und Herz (Erröten und Erblassen, Herzklopfen auf geringfügige Veranlassungen hin), endlich eine nicht unerhebliche Abnahme der vitalen Lungenkapazität, das sind die wesentlichen Zeichen des phthisischen Habitus. Es setzen sich dieselben aus verschiedenen Gruppen zusammen, aus der Anämie und Herzschwachheit, und aus der mangelhaften Entwicklung der Muskulatur, welche besonders die der Brust und des Schultergürtels betrifft. Hinzu gesellt sich weiter noch eine geringere Widerstandsfähigkeit der Gewebe gegen äußere Schädlichkeiten. Allgemeine Ernährungsschwäche trifft also mit geringerer Leistungsfähigkeit der Lunge zusammen, welche in der Verminderung der vitalen Kapazität ihren Ausdruck findet. — Es kommen, wenn auch nicht regelmäßig, noch emderweitige Abweichungen vor: frühzeitige Verbildungen der ersten Rippe (Verknöcherung ihres Knorpels in sehr jugendlichem Alter) sind vielleicht weniger von Bedeutung als erblich erworbene Kleinheit des Her\ens mit oder ohne Aplasie der großen Oefiiftstiimme. Als Qelegenheitsursachen sind hauptsächlich die Bronchialerkrankungen mit ihren Ausgängen in Bronchopneumonie und Schrumpfung zu betrachten. Pleuritis tritt an Bedeutsamkeit hinter jene zurück, noch mehr eine mechanische Verletzung
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Infektionskrankheiten.
des Brustkorbs (sogenannte traumatische Phthisis). Natürlich muß der Bacillus vorhanden sein, wenn er eindringen soll — aber man hat demselben mit Recht Ubiquität zugeschrieben. Die anatomische Untersuchung lehrt zunächst die wichtige Thatsache kennen, daß vorwiegend die Lungenspitzen, und zwar Inheiden Seiten, ergriffen sind; Kinder machen hiervon insofern eine Ausnahme, als bei ihnen der erste Krankheitsherd öfters an beliebigen anderen Stellen der Lunge sich vorfindet. Warum die Spitzen so ganz besonders disponiert sind, ist nicht mit voller Sicherheit zu erklären. Als Grund giebt man an, daß die Ausdehnung derselben bei der Inspiration eine wenig ausgiebige sei, weil die durch die herabhängenden Arme bedingte Belastung des Thorax besonders auf diesen Teil der Lunge wirke, ebenso daß Hustenstöße den beweglichen Inhalt der Bronchien leicht nach oben schleudern. Durch das erste wurden die Bedingungen für ein längeres Verweilen des eingedrungenen Bacillus an dem einmal betroffenen Orte gerade in den Spitzen günstige, durch das zweite wurde dessen Eindringen von anderen Teilen der Lunge her, selbst von solchen, in welchen er noch nicht einmal zur wirklichen Ansiedelung gelangt zu sein braucht, befördert. Die anatomische Beschreibung der tuberkulösen Lungenschwindsucht kann sich auf kurze Andeutungen beschränken: Entzündete, verdickte und verwachsene Pleura, in lobulären Herden oder durch deren Zusammenfließen auch in größerer Ausdehnung verdichtete, ödematöse, entzündete oder geschrumpfte Lunge, von größeren oder kleineren, einzelstehenden oder zusammengeflossenen, geschwürigen oder der Ausdehnung von Bronchien entstammenden Hohlräumen durchsetzt, überall Tuberkelherde von kleinsten isolierten grauen miliaren Knötchen oder gelben verkästen Knoten von der Größe einer Linse bis zu der eines ganzen Lungenlappens. Das bindegewebige Gerüst stets im Zustand der Wucherung, zum Teil in deren ersten Anfangen, zum Teil zu Centimeterdicken mehr oder weniger pigmentierten narbigen Strängen umgewandelt. Die Bronchien ausnahmslos entzündlich verändert, in ihnen Tuberkel von dem Beginn ihrer Entwicklung bis zur Bildung von größeren Käseherden oder Geschwüren. Alle diese Zustände gewöhnlich von den Spitzen nach abwärts allmählich abnehmend, daneben noch eine Erweiterung der unversehrten Alveolen und Bronchien. Wichtiger ist die genauere Verfolgung der Entwicklung des Krankheitsvorganges. Man kann unterscheiden (ZIEGLEE): 1. Metastatische tuberkulöse Lungenerkrankung: akute allgemeine Miliartuberkulose oder örtliche, die zur Bildung einzelstehender vielleicht nur eines verkäsenden Knotens führt, die letztere befällt vorzugsweise das Kindesalter. 2. Tuberkulöse Lymphangoitis von benachbarten Herden — Lymphdrüsen, Wirbeln — ausgehend. 3. Tuberkulöse primäre Bronchopneumonie, isoliert in knotenförmigen Herden oder mit Bronchitis und deren Folgen auftretend, dann Mischformen liefernd, bei welchen einfache und spezifische Erkrankungen örtlich getrennt nebeneinander verlaufen. Sie entsteht durch Aufnahme der Tuberkelbacillen mit der Atmungsluft, und es erfolgt die Infektion am häufigsten auf diesem Wege. Die Ausbreitung der Erkrankung geschieht stets in gleicher Weise: Vergrößerung des primären Herdes durch Fortschreiten der Wucherung und der zelligen Infiltration unter Bildung von epitheloiden und Riesenzellen. Dann Erkrankung der benachbarten Lymphgefäße, in ihnen die Entwicklung von Tuberkeln,
Tuberkulöse Lungenschwindsucht.
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die auch iu den aufnehmenden Drüsen und in der Pleura erfolgen kann. Von diesen neuen Herden unmittelbare Fortpflanzung auf das zwischenliegende Gewebe. Weiter Durchbruch in die Bronchien, Aspiration in bisher freie Teile der Atmungswerkzeuge, Alveolen oder Bronchiolen, dort wiederum Ansiedelung der Bacillen mit ihren Folgen. Zu jeder Zeit ist die Möglichkeit offen, daß von den Lymphoder Blutwegen aus erneute, allgemeine oder mehr beschränkte Aussaat geschieht. Erkrankung von Blutgefäßen — namentlich Arterien — kann zum Durchbruch derselben führen, dann folgen Hämorrhagieu, oder zur Verdickung ihrer Wandung mit örtlichen Kreislaufstörungen Veranlassung geben. — Durch Zusammenfließen der bronchopneumonischen Herde kommt es zu ausgedehnteren Verdichtungen in der Lunge. Je nachdem der käsige Zerfall oder die Wucherung eines später schrumpfenden Bindegewebes überwiegt, stellt sich geschwürige Zerstörung oder Narbenbildung ein. — Von dieser Gestaltung ist die unmittelbare Gefahr bedingt; sie wird um so geringer, je mehr die Entwicklung des Bindegewebes die Oberhand gewinnt. Als Einzelformen werden, zunächst von vorwiegend anatomischem Wert, unterschieden: Bronchopneumonia tuberculosa nodosa — Voraussetzung ist das Hineingelangen bacillenhaltiger Massen in den Bronchialbaum mit Aspiration in dessen feinere Verzweigungen. Bei rascher Verbreitung auf diesem Wege bildet sich die Bronchopneumonia tuberculosa miliaris, durch schnellen Verlauf, bei langsamer die Bronchopneumonia nodosa chronica indurativa, durch zögernden ausgezeichnet und mit erheblicher Vermehrung von Bindegewebe in der Umgebung der tuberkulösen Herde einhergehend. Endlich wird noch die Bronchopneumonia nodosa caseosa getrennt — rasch verkäsende Herde bis zur Erbsengröße, die leicht zerfallen. Übrigens kommen diese Zustände oft nebeneinander vor, sie sind es besonders, die von der Spitze her nach abwärts fortschreiten. Bronchopneumonia tuberculosa lobularis caseosa tritt als Folgezustand auf, indem sich von einzelnen bereits tuberkulös erkrankten Teilen die Infektion auf die Nachbarschaft fortpflanzt, dabei weniger zu Bindegewebswucherungen als zu Verkäsungen mit nachträglichem Zerfall führend. Das Aussehen der Lunge auf der Schnittfläche — graurote, glatte, leimartige Infiltration — hat die Benennung als gelatinöse Pneumonie bedingt. Ist ein ganzer Lappen in dieser Weise erkrankt, dann redete mari auch von Desquamativpneumonie, die mit Unrecht als eigenartige und als lobäre betrachtet wurde. Genauere Untersuchung lehrt immer, daß die Veränderungen in den einzelnen Abschnitten nicht gleichzeitig entstanden sind, sondern aus einzelnen lobulären Herden hervorgingen. Die Pleura nimmt hier in hohem lirade stets teil. Überwiegt stellenweis die Wucherung des Bindegewebes, dann liegt eine Cirrhosis nodosa tuberculosa vor; neben den anderen chronischen tuberkulösen Lungenerkrankungen zeigt sich dieselbe stets. Ohne solche trifft man sie schon nicht zu oft, übrigens ist es schwer zu entscheiden, wieweit bei den häufigen Indurationen der Lungenspitze, welche an sich nur die Heilling entzündlicher Prozesse anzeigen, tuberkulöse Infektion seiner Zeit mitspielte.
Geschwürsbildung vollzieht sich durch das Absterben käsig gewordener Lungenteile, sie führt zur Entstehung von Hohlräumen (Kavernen), die vereinzelt zur Entwicklung gelangten, aber nachher häufig zusammenfließen und so bis zur Größe eines ganzen Lungenlappens anwachsen können. In ihnen scheinen die Lebensbedingungen für den Bacillus besonders günstig; auch ursprünglich bronchiektatische Kavernen (§ 165) können nachträglich in tuberkulöse sich umbilden — sehr gewöhnlich sind beide Formen nebeneinander vorhanden — Durchbruch in die Pleurahöhle findet häufiger von kleineren peripher gelegenen Käseherden der Lunge, als von den größeren meist mit dicker Pleuraschwiele bedeckten Kavernen statt; Luftaustritt (Pneumothorax) ist davon die gewöhnliche Folge. Der Kehlkopf erkrankt häufiger durch sekundäre Infektion, welche von dem bacillenhaltigeu Sputum der tuberkulösen Lungen vermittelt wird, als primär, v. J u r g e n s e n , Spez. Patli. u Tber
II. Aua
1Ü
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Infektionskrankheiten.
Die Herde entwickeln sich subepithelial, gelangen zur Geschwürsbildung und breiten sich in die Nachbarschaft aus, tiefer greifend bedingen sie Zerstörung der Knorpel. Die untere Seite und die Ränder der Epiglottis sind mehr der Sitz ausgebreiteter Granulationen, die Stimmbänder mehr der von Geschwüren. Übrigens findet ein sehr großer Wechsel statt. — Katarrhe fehlen nie. Im Darm kommt die Tuberkulose neben der in den Lungen sehr häufig vor; sie entsteht wohl in der Mehrzahl der Fälle durch unmittelbare Ansiedlung der in verschluckten Sputis enthaltenen Bacillen. Sie befällt besonders die dem Lymphsystem angehörenden Teile, solitäre Follikel und Plaques, und geht in ihrer Ausdehnung deren Verbreitung einigermaßen parallel. Anfanglich treten die erkrankten Teile, noch teilweise von Epithel bedeckt, über die Umgebung hervor, später lassen sie zerfallend ein Geschwür zurück, das bald nach allen Seiten um sich greift, harte, infiltrierte Ränder zeigt, größer werdend gürtelförmig das Darmlumen umgiebt und an der Serosa sehr oft von einem Kranz kleiner Knötchen eingefaßt ist; solche finden sich auch, grauweiß oder gelblich gefärbt, am Geschwürsgrunde. Durch das Zusammenfließen benachbarter Geschwüre können sehr unregelmäßige Gestaltungen entstehen und große Flächen in den Zerfall hineingezogen werden. Die Neigung zu heilen ist sehr wenig ausgesprochen; durch die bei dem großen Gewebsverlust unvermeidliche Neubildung reichlicherer Mengen von Bindegewebe mit nachfolgender narbiger Schrumpfung entstehen Verengerungen an den betroffenen Abschnitten des Darms, die recht hochgradig werden können. — Gewöhnlicher indes geht die Zerstörung weiter und tiefer, so daß, wenn nicht der Tod vorher ein Ende machte, Durchbrüche des Darms erfolgen; übrigens gehört das keineswegs zu den häufigen Vorkommnissen. — Katarrhe des Darms können vollständig fehlen, oft genug sind sie vorhanden. Von sonstigen anatomischen Veränderungen ist die amyloide Entartung zu erwähnen, welche den Darm, die Nieren, die Milx, und die Leber befallend bei langsamer verlaufenden tuberkulösen Lungenschwindsucht zum Schlüsse nicht selten sich einstellt. — Fettleber ist ein gewöhnlicher Befund. In ihren Anfängen ist die Krankheit gewöhnlich nicht ohne weiteres zu erkennen. Meist handelt es sich zunächst um eine allmähliche Schwächung des Gesamtorganismus, um verminderten Appetit und um verminderte körperliche Leistungsfähigkeit, um eine nach und nach deutlicher werdende Abmagerung und Blutarmut. Erst wenn Husten auftritt, der längere Zeit wenig oder gar keinen Auswurf zu Tage fördert, wird man auf die Lungen aufmerksam. Leute, die auf sich achten, rufen in der Regel den Arzt nicht wegen des Hustens, sondern der allgemeinen Schwäche halber; andere werden durch den langdauernden Katarrh beunruhigt, noch andere wieder warten bis eine Lungenblutung, eine mit heftigerem Fieber ziemlich plötzlich einsetzende Lungenverdichtung oder ein Pleuraexsudat deutliche Kunde von dem länger bestehenden, aber nicht beachteten Leiden gaben. — Aller Wahrscheinlichkeit nach sind TemperaturSteigerungen, freilich meist nur kurzdauernde und unregelmäßig auftretende, schon sehr früh vorhanden; auch eine anhaltende Vermehrung der Pulsfrequenz, fehlt wohl nur selten. Das aber ist alles, was man im allgemeinen sagen darf. — Ein Bild des vollentwickelten Übels ist mit wenig Strichen zu entwerfen: Dauernder Husten mit reichlichem eitrigem Auswurf, täglich wiederkehrendes Fieber, sich gegen den Mittag oder erst gegen den Abend steigernd und in den letzten Stunden der Nacht oder den ersten des Morgens häufig mit dem Ausbruch
Tuberkulöse Lungenschwindsucht.
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starken Schweifes abfallend und nun von subnormalen Temperaturen gefolgt, stätig fortschreitende Abmagerung und Kräfteverfall. Örtlich mehr oder minder ausgebreitete Katarrhe der feineren, bald auch der gröberen Bronchien, Verdichtungsherde, Höhlenbildüng. In vielen Fällen Diarrhöen; nicht selten Heiserkeit, nachher eine schwerere Erkrankung des Kehlkopfs. Der Tod unter den Zeichen der Abzehrung. Von Einzelheiten ist zu erwähnen: Die Untersuchung der Lunge weist im Anfang nur geringfügige Abweichungen auf. Mit Recht wird als allgemeine Regel hingestellt, daß ein positives Ergebnis der Perkussion bei negativem auskultatorischem Befunde nicht verwertet werden darf. Man hat zu achten auf: 1. Die Höhe der Lungenspitzen und deren Ausdehnung bei tiefster Inspiration; beides durch lineare Perkussion nachzuweisen. Meist ist eine Seite stärker als die andere ergriffen, es sind daher Unterschiede zwischen den beiden vorhanden. Nur in seltensten Fällen sind normale Lungenspitzen nicht gleich hoch. 2. Auskultatorisch tritt zuerst nur hervor, was durch die Schwellung der Schleimhaut in den feineren Bronchien herbeigeführt wird: abgeschwächtes, rauhes Atmen, oft ungleich stark an unmittelbar nebeneinander liegenden Stellen; Verlängei ung der Exspiration, saccadiertes Atmen. Diese Erscheinungen auf die Spitzen beschränkt, oder nur wenig über dieselben hinaus auf die Oberlappen übergreifend — fast stets eine Seite stärker als die andere befallen. Es ist auf zwei Fehlerquellen aufmerksam zu machen: 1. Bei Leuten, die vor der Untersuchung länger sehr oberflächlich geatmet haben, kommt das bekannte feine inspiratorische Knistern, welches die Entfaltung der Lunge begleitet, auch in den Spitzen vor, wenn man tief atmen lälot. Es veischwindet wieder, sobald die .Spitzenausdehnung vollendet ist — also meist nach wenigen Inspirationen, kann aber auch etwas länger sich zeigen. Wenn man seiner Sache nicht sicher ist, wiederholt man die Untersuchung nach einigen Tagen und ordnet inzwischen systematisches Tiefatmen an. 2. Bei Bandemphysen der Spitzen entsteht das rauhe Knattern, welches man nicht selten über emphysematischen Lungen hört Auch dieses kann mit frischem Katarrh verwechselt werden.
3. Erst später kommt es zu Verdichtungen, welche durch vergleichende Perkussion der beiden Seiten nachweisbar werden, zum Auftreten des bronchialen Atmens (vorher ist meist die Inspiration noch schlürfend, die verlängerte Exspiration aber schon hauchend) und zu wirklichem katarrhalischem, bald nun auch klingendem Rasseln. — Der Nachweis der Verdichtungsherde gelingt jetzt selbst dem weniger Geübten. Größere oberflächlich gelegene Hohlräume werden leicht entdeckt; solche, die in der Tiefe steckend von lufthaltigem Lungengewebe umgeben sind, können selbst bei beträchtlicher Ausdehnung nicht oder doch nicht sicher auffindbar sein. 4. Die Spirometrie liefert bei Jungen, weniger bei Alten, wo durch Lungenemphysem zu große Fehlerquellen eingeführt werden, richtig und vorsichtig ausgeführt sehr wesentliche Ergebnisse. Eine Verminderung der vitalen Kapazitat um •mehr als ein Fünftel der Norm dürfte als zuverlässiger Beweis einer in der Entwicklung begriffenen tuberkulösen Phthisis anzusehen sein, wenn andere Lungenerkrankungen nicht nachzuweisen sind; die weniger bedeutende Abnahme derselben liefert einen ihrem Grade entsprechend mehr oder minder triftigen Grund zum Verdacht. Wenigstens ebenso wichtig ist es, die volle spirometrische Norm nachzuweisen. Ist diese vorhanden, dann wird man fast immer die Vermutung, daß Schwindsucht drohe, abweisen können. IG*
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Infektionskrankheiten.
5. Nur beiläufig soll darauf hingewiesen werden, daß Heilung, die mit Schrumpfung einhergeht, durch Blähung der erhaltenen Lungenteile Verhältnisse herbeizuführen vermag, welche die gesündere Seite als die kränkere erscheinen lassen. Der
ungeübtere oder weniger sorgfältige Untersucher kann dadurch in arge Verlegenheit versetzt werden. Der Husten ist anhaltend und die einzelnen Anfalle sind hartnäckig. Anfangs von den Eigenschaften des sogenannten trockenen, verliert er diese, sobald etwas mehr Sekret gebildet wird. Dann pflegt er morgens stärker zu sein, ebenso abends bald nach dem Niederlegen bei jenen Phthisikern, die tags außer Bett waren. Bei Beteiligung des Kehlkopfs wird der Husten qualvoller, je nach den anatomischen Veränderungen bellend oder ganz klanglos. Der Auswurf entspricht in seiner Beschaffenheit den Vorgängen, welche bei seiner Bildung sich beteiligten. Anfangs fehlt er ganz, dann kommt das zähe, weißlichgraue Sekret eines frisch entstandenen Katarrhs der Bronchien, allmählich wird dasselbe mehr und mehr eitrig, gelb gefärbt, es ist nun lockerer und leichter zu entleeren. An diesen Sputis ist noch nichts Charakteristisches. Erst wenn im Lungengewebe selbst Zerfall eintrat, mischen sie sich dessen P r o d u k t e bei, es erscheinen inmitten der gelben weißgraue oder graugelbe, äußerst zähe, körnige oder streifige Massen, welche elastische Fasern und Bacillen enthalten. N a c h h e r treten
auch die geballten, luftleeren, gelben, stark eitrigen Sputa (globosa, fundum petentia) auf, nicht selten mit den eben erwähnten oder mit mehr käsigen Bröckeln durchsetzt — sie weisen auf die Gegenwart von Hohlräumen hin. Durch Fäulnis dieser längere Zeit innerhalb der Lunge verweilenden Massen und durch Beimischung von körnigem Pigment, das aus zerstörten Lungenteilen stammt, kommen dann noch allerlei Verschiedenheiten zustande. — Wichtiger als der Nachweis von elastischen Fasern ist der von Bacillen, das sicherste diagnostische Merlmal der bestehenden tuberkulösen Lungenerkrankung. Um ihn zu führen, müssen die in dem Ganzen des Auswurfs, welcher ja nebenher noch Sekrete der Mundhöhle enthält, verteilten graugelben Teile isoliert imd nach einer der üblichen Methoden gefärbt werden. — Indes ist eine Einschränkung zu machen: ein negativer Befund beweist nicht, daß keine Lungentuberkulose vorliegt. Es kommt vor, daß bis zum Tode bei häufigen und sorgfältigen Untersuchungen keine Bacillen im Auswurf nachzuweisen sind, das dürfte mit dem Fehlen geschwüriger Zerstörung zusammenhängen. Blut erscheint im Auswurf zu den verschiedensten Zeiten der Krankheit und in wechselnder Menge. Man schätzt die Häufigkeit des Vorkommnisses auf ein Drittel der Fälle von Lungenschwindsucht überhaupt — großer Wert kommt dieser Zahl freilich kaum zu. Die Lungenblutungen zu Anfang der Erkrankung können mit jener rasch verlaufenden nahezu den ganzen Lappen einnehmenden Verdichtung verbunden sein, die aus den in kurzer Zeit verkäsenden Pneumonien hervorgeht. Sie sind dann gewöhnlich reichlich. Häufiger handelt es sich um die schleichenden Formen, welche noch wenig oder gar keine örtlichen Erscheinungen bedingten. Tritt hier, was nicht gerade oft geschieht, im Anschluß an eine Blutung der Tod ein, dann trifft man wohl eine kleinere in der Tiefe gelegene Kaverne und in deren Wandung die durchbrochene Arterie. — Ausnahmsweise mag einmal durch direkte Entwicklung eines Tuberkelherdes in der Arterienwand diese zerstört werden, ohne daß erheblichere Veränderungen im Lungengewebe der Nachbarschaft vorO
©
O
Tuberkulöse Lungenschwindsucht.
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liegen. — Bei sich lang hinschleppendem Verlaufe wiederholen sich manchmal die Blutungen — dann wohl fast immer aus Kavernen erfolgend; diese Blutungen bedeuten nicht ohne weiteres, daß die Krankheit fortschreitet, schädigen aber durch den Verlust an Blut, der freilich schwer genug werden kann. Es dürfte sich hier meist um örtliche Folgezustände der Tuberkulose — Cirrhose mit Bronchiektasien — handeln. Geringfügige Blutbeimischungen finden sich im Auswurf häufiger und zu jeder Zeit der Erkrankung; dieselben stammen wohl aus Kapillaren her und haben nur insofern Bedeutung, als sie warnend bisweilen den Massenblutungen vorausgehen. — Alles in allem genommen, hat die Lungenblutung nicht die verhängnisvolle Bedeutung, welche ihr gewöhnlich zugeschrieben wird; die Anschauung, daß durch sie die Entwicklung der Schwindsucht unmittelbar veranlaßt werden könne, hat mit Recht nie allgemeine Verbreitung gefunden. — Daß die Erkrankung der Pleura bei der Phthisis tuberculosa mit heftigeren Schmerzen einhergehe, ist nicht die Regel. Am ehesten wird noch zu Anfang und bei solchen Verschlimmerungen, welche in kurzer Zeit einen größeren, bisher unversehrten Lungenteil treffen, über Seitenstechen geklagt. Nur in ganz seltenen Fällen kommt es zu länger dauerndem, sehr heftigem, Atmung und Husten qualvoll machendem Schmerz. Vermehrung der Atmungshäufigkeit ist wohl stets, die Empfindung von Atemnot hingegen lange nicht immer vorhanden. Beide entstehen aus verschiedenen Ursachen; raschere örtliche Ausbreitung der Erkrankung und vermehrtes Fieber gehen ja meist Hand in Hand. — Es ist bei Schwindsüchtigen stets auf die Zahl der Atemzüge zu achten; man wird durch ihre Zunahme auf das Fortschreiten der Erkrankung oft früh hingewiesen. — Gleichzeitig erheblich gesteigerte Häufigkeit der Atemzüge und bedeutende Atemnot weisen bei plötzlichem oder doch in kurzer Zeit geschehenem Eintreten auf einen schweren Zwischenfall; meist handelt es sich um einen Erguß von Flüssigkeit oder von Luft in die Pleurahöhle. Die Beteiligung des Kehlkopfs verrät sich zunächst durch Heiserlceit, als deren Grund einfacher Katarrh, aber auch eine Parese der Muskeln vorliegen kann. Wirkliche halbseitige Stimmbandlähmung ist durch die Einbettung des Recurrens dexter in das die Lungenspitze umhüllende Narbengewebe hervorgerufen; sie geht niemals vorüber. — Bei weiter entwickelter Erkrankung kommt es zur Bildung flacher Geschwüre, meist zuerst auf den Processus vocales oder zwischen den Gießkannenknorpeln. Die funktionellen Störungen sind hauptsächlich durch den Katarrh bedingt und wechseln mit dessen Stärke. Der Husten, unmittelbar weniger von der Erkrankung des Kehlkopfs abhängig, wird rauh, die Stimme schwankt zwischen einfachem Belegtsein und vollständiger Klanglosigkeit. Schmerz pflegt nur bei Druck auf den Kehlkopf vorhanden zu sein. — Anders sobald sich Verschwärung über den größeren Teil des Kehlkopfs ausgebreitet und in die Tiefe gegriffen hat. Nun ruft jede Bewegung des Organs — Sprechen, Schlingen, Husten — heftigen Schmerz hervor. Da durch die ödematöse Durchtränkung der Submucosa, welche auf die Schließmuskeln sich erstreckt, vielleicht auch durch die Zerstörung der Epiglottis und der Stimmbänder der Abschluß des Kehlkopfs gegen den Rachen unmöglich wurde, tritt sehr gewöhnlich Verschlucken ein, welches zu langdauerndem Husten und zu Erstickungsanfällen führt. Geschwüriger Zerfall kann sich schließlich über das ganze Organ mit seinen Knorpeln und Muskeln ausbreiten (s. § 156). Kommt es dennoch, was
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Infektionskrankheiten.
nur selten geschieht, zur Heilung, so hat die starke Narbenbildung eine Verengerung des Kehlkopfs im Gefolge. — Erhöhung der Pulsfrequenz tritt bei den Schwindsüchtigen, vielleicht schon bei den Disponierten, regelmäßig imd jedenfalls sehr früh auf, sie wird so zu einem sehr wichtigen diagnostischen Zeichen. Man hat als Veranlassungo dazu O D die Anämie betrachtet; mit mindestens ebenso gutem Recht darf auf die so oft vorhandene Kleinheit und Schwäche des Herzens hingewiesen werden. — Prognostisch ist das Verhalten des Herzens von der allergrößten Wichtigkeit; ein ruhiger, voller Puls zeigt trotz aller örtlichen Erscheinungen an, daß für den Augenblick höchstens von einer Hämoptoe aus Gefahr droht, ein häufiger und kleiner, daß eben nachweisbare Veränderungen in den Lungen von schwer wiegender Bedeutung sind. Das Verhalten der Verdauungswerkzeuge ist kein eigenartiges. Es kommen schon anfangs erhebliche Störungen vor, die bis zum tödlichen Ende fortdauern. Andere Male aber fehlt jede subjektive Unbequemlichkeit neben einer Leistungsfähigkeit, welche trotz heftigsten Fiebers manchmal die Norm weitaus überschreitet. Es ist keineswegs eine Seltenheit, daß ein an tuberkulöser Schwindsucht Leidender bis an sein Ende einen regen Appetit entwickelt, gern und viel ißt; freilich ist das gerade nicht die Regel. Bedingend für diese oder jene Möglichkeit ist wohl, ob eine ernsthaftere
katarrhalische
Erkrankung
der Schleim-
haut des Verdauungskanals sich einstellt; selbst neben zahlreichen Geschwüren braucht sie nicht vorhanden zu sein. — Die eigentliche tuberkulöse Darmerkrankung, soweit dieselbe eine umschriebene ist und nicht das Rektum befallt, entscheidet auch über die Häufigkeit der Darmentleerung und deren Beschaffenheit keineswegs unbedingt. Sogar Verstopfung kann neben vielen und großen Verschwörungen vorhanden sein. — Gewöhnlich treten Diarrhöen erst im späteren Verlauf der Krankheit ein. Sie werden unstillbar, sobald sich amyloide Entartung der Darmschleimhaut entwickelt hat; ist das nicht geschehen, dann sind eigentlich nur die Erscheinungen einer funktionellen Störung vorhanden, wechselnd je nach Sitz und Stärke des Katarrhs, der Besserung, sogar der Heilung fähig. Alles über Diarrhöe im allgemeinen zu Bemerkende gilt auch hier (§ 199). Es kommt vor, daß mit der stärkeren Ausbildung von Darmerscheinungen die Symptome von den Lungen zurückgehen. Fieber ist ein ständiger Begleiter der fortschreitenden oder der sicli entwickelnden Tuberkulose, sein Hauptsymptoni, die Temperatursteigerung, gewinnt dadurch eine hohe Bedeutung für die Beurteilung des Ganges der Dinge. — Eine bestimmte typische Form der Temperaturkurve
findet sich niemals.
Das ist auch gar
nicht zu erwarten, da die tuberkulöse Erkrankung herdweise auftritt, und da diese Herde bald beschränktere, bald ausgedehntere, bald rascher, bald langsamer entstehende sind. Anfangs bedingen sie und die in ihrem Gefolge einhergehende örtliche Entzündung wohl ausschließlich die Erhöhung der Körperwärme — später mag eine Resorption von Eiter, von Substanzen, die durch Fäulnis gebildet sind, vielleicht auch die „toxische" Wirkung, welche mit der Massenentstehung von Bacillen verbunden ist, mitspielen — immer kommen soviel Zufälligkeiten in Betracht, daß eine diese kennzeichnende Unregelmäßigkeit in dem Gange der Körperwärme sich herausstellen muß. — Der Beachtung ist es wert, daß nicht selten zu einer Zeit, wo die Lungenerkrankung in ihren ersten Anfangen begriffen ist, mittags (zwölf bis zwei Uhr) Temperaturen von 38°—39° auftreten, obgleich
Tuberkulöse Lungenschwindsucht.
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abends die normalen Verhältnisse sich zeigen. Es ist das nicht gerade die aus-, nahmslose Regel, aber das häufigste. — Anhaltendes Fieber mit Schwankungen um höchstens 1,5° sind den rasch verlaufenden Formen eigen, stark remittierendes, die sogenannte Fehris hectica, kommt gewöhnlich erst zur Zeit des sich nähernden schlimmen Ausganges vor. Mit diesem sind oft die starken Schweiße in den Morgenstunden verbunden, welche den Phthisikern manche Beschwerden, aber noch mehr Beunruhigung bringen, da sie als die eigentlichen Schwächer angesehen werden. Die Rückwirkung auf den Gesamtorganismus zeigt sich besonders in dem Verhalten der allgemeinen Ernährung, einem ebenso sicheren Wertmesser wie die Körperwärme. Abnahme, Schwinden des Körpergewichts ist mit der Entwicklung und der Ausbreitung der Lungentuberkulose immer vergesellschaftet und geht auch einigermaßen mit dem örtlichen Leiden parallel. Ausnahmen sind durch einen sehr raschen Verlauf, durch stärkere Diarrhöen und andere wohl verständliche Dinge herbeigeführt — die Regel wird dadurch nicht beeinträchtigt. — Merkwürdig bleibt, daß die Phthisiker im ganzen sehr zu sanguinischen Auffassungen neigen, daß sie selbst in einem nahezu trostlosen Zustande trotz allen Leids noch auf Genesung hoffen und damit rechnen. Komplikationen und Folgexustände der tuberkulösen Lungenschwindsucht sind FO häufig, daß man genötigt ist, die wichtigsten schon in die Besprechung der Krankheit selbst aufzunehmen. Es bleibt noch einiges hinzuzufügen. Zuerst ist zu erwähnen, daß die akute Miliartuberkulose der Erwachsenen sehr gewöhnlich von einem Lungenherde ausgeht, natürlich kann das auch bei Kindern geschehen. Die Verbreitung der Tuberkulose auf die Lymphdrüsen der Atmungsorgane ist konstant. — Neben Pleuritis, kommt Perikarditis durch direktes Übergreifen von der Pleura her, nur selten metastatisch vor. Durch das Zwerchfell, ebenso von den Darmherden aus, kann die Infektion des Peritoneum stattfinden. Meningoencejihalitis ist meist eine Teilerscheinung der akuten Tuberkulose. — Durch Perforation der Pleura kann eitriger oder jauchiger Erguß und Luftaustritt in die Brusthöhle stattfinden, durch die des Darms Peritonitis entstehen. Sind vorher ausgedehntere und feste Verwachsungen zugegen, dann bleiben die so hervorgerufenen Entzündungen zunächst umschriebene. — Endlich ist die amyloide Entartung kurz zu besprechen. Wie immer bedarf es auch bei der tuberkulösen Lungenschwindsucht einer bedeutenden Schwächung des Gesamtorganismus, damit sich dieser Zustand ausbilde; sein Auftreten fällt daher in die späte Zeit. Die Entwicklung geht langsam vor sich, mehr und mehr wachsende Anämie, die dem etwas gedunsenen Gesicht ein eigenartiges gelbweißes Aussehen giebt, und leichte Knöchelödeme sind die ersten Zeichen. Manchmal ist eine Leber- und Milzschwellung nachweisbar — allein deren Deutung als amyloide ist keineswegs ohne weiteres gesichert. Das gleiche gilt von der Albuminurie. Kommt es aber neben diesen Zeichen zu massenhaften unstillbaren Diarrhöen, dann wird man mit einiger Sicherheit amyloide Erkrankung annehmen dürfen. Es liegen aus den letzten Jahren Erfahrungen vor, welche darauf hinweisen, daß aus den durch die Tuberkulose oft so umfangreich zerstörten Lungen sonstige pathogene Mikroben einwandern können. Am häufigsten sind es wohl die Sepsis (im weiteren Wortsinne) erzeugenden. — Ob das nicht auch für jede mit geschwürigem Zerfall des Lungengewebes einhergehende Schwindsucht in Betracht kommt, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten; nicht abzuweisen ist es, daß unter solchen Bedingungen außer der Tuberkelinfektion noch anderweitige Krankheitserreger sehr wesentlich in Betracht kommen. —
248
Infektionskrankheiten.
Trotz des außerordentlichen Wechsels kann man der Übersichtlichkeit halber immerhin einige Arten des Verlaufes gesondert besprechen: 1. Phthisis pulmonum, tubcrculosa acuta: Ziemlich plötzlicher Anfang mit gleich heftig einsetzendem Fieber und anhaltenden Temperaturen von 39° bis 40°; die Yerdichtungserscheinungen in der Lunge sehr früh nachweisbar, ausgedehnt, bald lobär erscheinend, gewöhnlich Höhlerlbildungen, rascher Verfall der Kräfte und der Ernährung. Sehr selten Stillstand — meist der Tod nach wenigen Monaten. 2. Langsamer, sehr allmählicher Anfang, die Erscheinungen der Blutarmut und der Schwäche treten in den Vordergrund, erst nach und nach stellen sich die Zeichen der Lungenerkrankung ein. Nachlaß, aber kein irgend länger dauernder Stillstand — im Laufe der Jahre oder Monate Weiterentwicklung des Lungenleidens aus kleineren Einzelherden, beständige Verminderung der allgemeinen Leistungsfähigkeit. Dauer unbestimmt — im Minimum etwa ein halbes bis ein Jahr, im Maximum unter den günstigsten äußeren Verhältnissen bis zu zehn Jahren. Ausgang über kurz oder lang fast immer der Tod. 3. Nach langsamem oder schnellem Anfang Stillstand der örtlichen und allgemeinen Erscheinungen. Die reichliche Entwicklung von Bindegewebe in den erkrankten. Lungen und die narbige Schrumpfung desselben wird durch die der Lungencirrhose zukommenden physikalischen Zeichen angezeigt. Die allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit ist nur in dem Maße wie bei einfacher Lungenschrumpfung vermindert. Sehr oft Stillstand, der Heilung nahe kommend, für lange Jahre, vielleicht für immer. Aber auch Wiederaufflackern der Krankheit mit nochmaligen Stillständen oder Ubergang in eine der anderen Formen. — Dauer durchaus unbestimmbar, aber jedenfalls länger. Es sind dies grobe Umrisse, aber sie genügen, wenn nur ein allgemeines Bild gegeben werden soll. Die Prognose der tuberkulösen Lungenschwindsucht ist stets eine zweifelhafte. Freilich kann man vom Standpunkt des Arztes aus von Heilung reden, allein Sicherheit dafür, daß nicht der Bacillus oder seine Dauersporen irgendwo im Körper erhalten geblieben sind, ist nicht zu geben. Bei den von Haus aus Disponierten mag sich bald genug der Parasit wieder entwickeln — besser dürften jene daran sein, welche mehr gelegentlich infiziert wurden, aber durch den Stillstand der Erkrankung eine gewisse Gewähr dafür erhalten haben, daß ihr Körper wenigstens die einmalige Ansiedlung des Parasiten überstanden hat. — Für die individuelle Prognose ist die hereditäre Belastung jedenfalls von der allergrößten Bedeutung. — Von Einzelsymptomen kommt das Verhalten des Herzens, der Kräftezustand, die Blutbildung, die allgemeine Ernährung mehr in Betracht, als die Ausdehnung der Lungenerkrankung. Die Diagnose kann zu verschiedenen Zeiten der Krankheit auf Schwierigkeiten stoßen. Zuerst bei dem Beginn. Man soll niemals die genaue Lungenuntersuchung versäumen, wenn Schwäche und Anämie sich ausbildet, deren Ursprung nicht klar zu Tage tritt. — Bei stillstehenden, als Lungencirrhose mit Höhlenbildung erscheinenden Formen kann es fraglich werden, ob dieselben durch tuberkulöse Infektion, oder als Folgen einfacher interstitieller Pneumonie entstanden sind. Der Nachweis von Bacillen im Auswurf giebt wenigstens darüber sicheren Entscheid, ob gegenwärtig irgend etwas von bedeutungsvoller frischer Infektion
Tuberkulöse Lungenschwindsucht.
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vorliegt. — Nicht gerade häufig wird die Frage sich aufdrängen, ob eine genuine Pneumonie ocler eine tuberkulöse vorliegt. — Soweit bis jetzt ein Urteil zu fallen ist, darf man sagen, daß das Auftreten von Bacillen in den Sputis ein sicheres Zeichen für Lungentuberkulose bildet, daß aber aus ihrem Fehlen kein bindender Schluß auf ihre Abwesenheit in der Lunge zu ziehen ist. Die Therapie hat sich zuerst mit der Prophylaxis abzufinden. Die das Menschengeschlecht als ganzes umfassende Prophylaxe fällt mit der Fürsorge für Menschenwohlergehen auf allen Gebieten zusammen — ihr ewig unerreichbares Ziel wäre das Paradies vor dem Sündenfall. Praktisch umfaßt sie die gesamten Aufgaben der Gesundheitspflege, denen noch die besondere sich hinzugesellt, die von dem Tuberkulösen in die Außenwelt beförderten Bacillen unschädlich zu machen. Man sucht derselben durch Auffangen der Sputa in schwacher Sublimatlösung nachzukommen, jedenfalls muß die Verbrennung folgen. Eintrocknung des Auswurfs auf Wäsche und Bettstücken ist unbedingt zu verhüten. Selbst so einfache Vorschriften stoßen bei der schlecht gestellten Mehrzahl der Menschen auf die größten Schwierigkeiten. — Eine Ansteckung durch das Einatmen der von einem Tuberkulösen mit gebrauchten Luft enger Räume scheint nur in sehr bedingtem Maße möglich zu sein, selbst wenn bei den Mitbewohnern Bronchialkatarrhe vorhanden sind. Ganz abzuleugnen aber dürfte diese Weise der Verbreitung nicht sein und daher auch Vorsicht des Gesunden in dem Verkehr mit Kranken geboten erscheinen. — Von tuberkulösen Eltern Abstammende sind so zu erziehen, daß ihre allgemeine Ernährung mit besonderer Berücksichtigung der Blutbildung auf den besten Stand gebracht wird, daneben ist der Verhütung von Bronchialkatarrhen durch vernünftige Abhärtung, der Kräftigung der Atmungsmuskeln durch zweckentsprechende Übungen schon von Kindesbeinen an volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Nach Infektionskrankheiten, besonders nach Keuchhusten, Masern und Typhus, ist das Verhalten der Lungen sorgfältig zu überwachen; jeder länger dauernde Katarrh ist ernst zu nehmen. Bei der Wahl des Berufes hat der Arzt mitzureden. — Schon früh kann die Frage zur Erwägung kommen, ob bei erblich Belasteten ein Klimawechsel geboten sei? Sie möge gleichfalls allgemeiner beantwortet werden. Klimatische Kuren können von mehr als einem Gesichtspunkte aus beurteilt werden: Man sucht Orte auf, an denen überhaupt wenig tuberkulöse Schwindsucht vorkommt, vielleicht auch eine anderswo entstandene günstiger verläuft —die Voraussetzung dabei ist, daß die örtlichen Bedingungen für die Entwicklung der Krankheit nicht besonders geeignete seien, der dorthin Gebrachte also leichter sich gegen deren Einbruch schützen, oder die bereits erworbene besser überstehen könne. Daß daneben noch alles für den Einzelfall geeignet Erscheinende an hygieinischer und diätetischer Pflege geschehen muß, versteht sich von selbst. — Andererseits legt man hierauf das Hauptgewicht: Man kümmert sich weniger darum, ob unter der eingeborenen Bevölkerung Tuberkulose häufig ist oder nicht, als darum, ob für den Fremden die allgemeinen äußeren Lebensbedingungen günstig zu gestalten sind. Die Möglichkeit, anhaltend im Freien zu sein, an der Sonne auch im Winter sich zu erfreuen, Winden zu entgehen, eine staubfreie Luft zu atmen, wird als Wertmesser betrachtet. Es dürfte im allgemeinen zweckmäßiger sein, Orte zu wählen, wo die erstgenannten Bedingungen erfüllt sind — die Hochgebirgsthäler, Bavos in erster Reihe, sind vorzuziehen. Niemals sende man einen Kranken fort, der zu schwer leidend ist, nie jemanden, der nicht längere Zeit ganz seiner Gesundheit leben kann. — Unter
Infekti onskrankheiten.
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diesen Vorbedingungen aber ist der Nutzen klimatischer Kuren oftmals ein außerordentlicher. Für die hygieinisch-diätetische Behandlung der Schwindsucht gelten immer diese Grundsätze: Frische Luft, auch nachts, mäßige aber reichliche Bewegung, möglichst tiefe Atemzüge in reiner Luft, Vermeidung von Staub. Abhärtung der Haut durch Douchen oder Abreibungen, aber auch Schutz derselben durch das Tragen von Wolle auf bloßem Leib. Die Ernährung muß mehr Gewicht auf die Bildung
von Blut, als auf die von Fett legen. Die beliebten L e b e r t h r a n - u n d Milch-
kuren können freilich zu einer Zeit des Stillstandes der Lungenerkrankung Körperfülle und Gewichtszunahme herbeiführen, vorausgesetzt, daß sie ertragen werden Die Widerstandsfähigkeit der Gewebe dürfte aber schwerlich dadurch zunehmen, daß dem Herzen durch die Anhäufung von Ballast, und das ist das Fett, vermehrte Arbeitsleistung auferlegt wird. Es soll selbstverständlich der Genuß von Fett den Phthisikern nicht versagt werden, eine vorwiegende Fleischkost würde bei denselben durchaus nicht am Platze sein. Nur eigentliche Mästung darf nicht erstrebt werden. Ist die Fähigkeit zu verdauen leidlich erhalten, dann ist es eine sehr dankenswerte und mit Beihilfe der Kochkunst kaum schwer zu lösende Aufgabe, durch täglichen Wechsel und einen reichhaltigen Speisezettel den Appetit rege zu halten und so eine reichliche Aufnahme gemischter Nahrung zu ermöglichen. In den für diese Kranken bestimmten Anstalten und Kurorten sollte man (wie dies in einzelnen derselben auch geschieht) diesem Punkt ganz besondere Beachtung widmen. — Der Genuß von Alkoholika dürfte nur in seltenen Ausnahmefällen ganz zu untersagen sein, meist wird er sich von wesentlichem Nutzen erweisen. Freilich darf man sich keine Säufer heranziehen. Ein Spezifikum gegen Tuberkulose ist unbekannt; die medikamentöse Behandlung k a n n d a h e r nur eine symptomatische,
sein. D e r b e s t e G r u n d s a t z ist,
möglichst
wenig arzneilich einzugreifen und nicht gegen jede Erscheinung etwas zu verordnen: Wer sich nicht vor Vielgeschäftigkeit hütet, sieht bald seinen Patienten von einer wahren Wagenburg von Flaschen und Schachteln umlagert, die kaum dazu beiträgt, der obersten Regel: Aufrechterhalten der Kräfte, ihr Recht zu w a h r e n . — Gegen die entzündlichen
Veränderungen
auf der
Bronchialschleimhaut,
vielleicht selbst gegen die des Lungengerüstes, ist fortgesetzter mäßiger Gebrauch des Terpentinöls — 10 bis 30 Tropfen täglich in Milch — dringend zu empfehlen. Bei empfindlichem Magen fängt man mit fünf Tropfen an und steigt allmählich, Gewöhnung an das Mittel erfolgt rasch. Die TemperaturSteigerung sollte, wenn es notwendig erscheint überhaupt etwas zu t h u n , nicht mit Antipyreticis
bekämpft
werden.
Deren Nebenwirkung
auf den
Appetit und die Verdauung ist bei dem notwendigen längeren Gebrauche eine sehr störende. Wenn die Verhältnisse es gestatten, darf man Bäder von 20 bis 25 0 R. geben, in welchen die Kranken so oft und so lange es ihnen subjektiv angenehm ist, verweilen — höchstens drei bis vier den Tag reichen aus und werden gern genommen. Schwindsucht heilt man damit nicht, wohl aber erleichtert man den Leidenden ihren Zustand wesentlich und erreicht nicht selten, daß dieselben fast bis zum tödlichen Ende außer Bett bleiben — fiir sie eine unendliche Wohlthat. — Wird der Hustenreiz zu heftig, dann kann man die Opiate, besonders das Morphium, nicht auf die Dauer entbehren. Allein es ist dringend zu raten, damit thunlichst sparsam zu sein — der Gesamtverlauf der Krankheit scheint durch die bei unvorsichtigem Gebrauch bald sich als nötig erweisenden
Tuberkulöse Lungenschwindsucht.
Tuberkulose anderer Organe.
251
größeren Guben entschieden ungünstig beeinflußt zu werden, und der Kranke, welcher zu früh das herrliche Mittel unmäßig nahm, muß es zu der schlimmsten Zeit entbehren. — Gegen die Schweiße beweisen sich abends genommene, etwas größere Mengen von Kognak (bis zu 101) g) öfter von Nutzen; sicherer wirken wenigstens für eine Zeit Atropin (R Nr. 12.) zu 1 mg und Hyoscin (H. hydrojodicum zu ]/2 mg). — Die Behandluw/ der Diarrhöen, der Hämoptoe u. s. w. geschieht nach den bei der Besprechung jener Zustände entwickelten allgemeinen Regeln. § 100.
Tuberkulose anderer
Organe:
Der Centraiorgane.
Tuberkulose der Ccntrcdorgane kommt manchmal durch das übergreifen der Infektion ron der Nachbarschaft zustande. So entsteht im Gehirn am ehesten vom Felsenbein her, im Rückenmark von der Wirbelsäule aus eine die Umhüllungen zuerst, dann die darunter gelegenen Teile ergreifende tuberkulöse Neubildung, welche häufig lange umschrieben bleibt und nur örtliche, keinerlei allgemeine Erscheinungen hervorruft. Ebenso geht es mit den in der Hirnsubstanz, seltener in dem Rückenmark sitzenden sogenannten nolitärcu Tuberkeln. Dieselben scheinen aus der Einwanderung weniger Bacillen hervorgegangen zu sein, welche entweder in den Gefäßen der Meningen oder in denen des Hirns selbst zur Entwicklung gelangten. Ihr allmähliches, sehr langsames Wachstum gestattet ausgiebiges Eintreten der Nachbarteile für etwaigen funktionellen Ausfall und ebenso die Regulierung des Kreislaufs — die Herde können daher bis zur erlieblichen Größe heranwachsen, ohne daß sie sich durch örtliche Symptome verraten. Treten solche auf, dann sind sie die gleichen, wie die bei Hirntumoren überhaupt (§ 56). Es ist möglich, daß von diesen umschriebenen Herden aus eine weitergreifende örtliche Verbreitung oder eine allgemeine erfolgt — umschriebene oder ausgedehntere Meningoencephalitis, vielleicht gar allgemeine Miliartuberkulose kann so entstehen. Viel häufiger ist die verbreitete Meningoencephalitis und Meningomyelitis, welche, durch Infektion vom Blute entstehend, bisweilen die einigermaßen ausschließliche, immer aber, wenn sie vorhanden, eine hervorragende Erscheinung der allgemeinen Tuberkulose ist. Kinder vom dritten Jahre an bis zur Pubertät oder etwas darüber leiden mehr als Erwachsene an dieser Form; die Infektion findet bei ihnen überwiegend von den Bronchial-Tracheal-Mediastinaldrüsen statt. Außer der wohl stets reichlichen Knötchenbildung, welche vorwiegend in den Meningen, daneben in der Substanz des Hirns und Rückenmarks geschieht, findet mit seltenen Ausnahmen eine eitrige Entzündung statt, die mehr an der Basis lokalisiert ist. Es entsteht klinisch das Bild der subakut verlaufenden Encephalomeningitis (§ 52). Der Lymphdrüsen.
Infektion von den peripheren, die Lymphe zuführenden Stellen der Schleimhäute ist wohl häufiger als die von der Haut, obgleich auch diese trotz entgegenstehender experimenteller Ergebnisse, welche kaum den Bedingungen bei den Menschen entsprechen, nicht geleugnet werden kann. Die skrofulöse Diathese (§ 89) liefert die günstigsten Entstehungsbedingungen. Unter den oberflächlich gelegenen Drüsen werden die am Hals am häufigsten ergriffen, von
252
Infektionskrankheiten.
inneren die der Atmungswege und der Verdauungs Werkzeuge. Symptome können von diesen tuberkulösen Drüsen her — sie erreichen manchmal die Größe von Hühnereiern — durch Druck auf die Nachbarschaft und durch Vereiterung entstehen. Da die Möglichkeit, daß allgemeine Infektion von solchen Herden ausgehen kann, gegeben ist, rät man, die erreichbaren Drüsen operativ zu entfernen. Der Knochen und Gelenke.
Die Tuberkulose der Knochen und Gelenke gehört zu den am langsamsten verlaufenden Formen. In vielen Fällen beschränkt sie sich lange Zeit auf die von ihr eingenommene Ortlichkeit; in anderen stellt allgemeine oder Tuberkulose der Lungen sich ein. Da der Gegenstand vollkommen in das Gebiet der Chirurgie gehört, braucht er hier nicht weiter erwähnt zu werden. Der Haut.
Tuberkulose der Haut tritt in verschiedener Gestalt auf: Von verschwärenden tuberkulösen Drüsen oder Knochen aus greift die Infektion auf die Haut über und zeigt sich unter der Gestalt einer langsamen Zerstörung derselben, die nur nach mechanischer Entfernung der infizierten Teile zur Heilung zu bringen ist. — Weiter kann das von der verletzten Haut her eingedrungene Gift eine Tuberkulose im Unterhautbindegewebe hervorrufen, welche bei langem Bestände elephantiastische Verdickungen und Geschwürsbildungen hervorruft. Dann kommt noch eine zweite, weitaus wichtigere Form primärer Hauttuberkulose vor, der Lupus. Der Beweis für die Identität ist durch die Züchtung des Bacillus und ferner dadurch geführt, daß Verimpfung von lupösen Gewebsteilen echte Tuberkulose erzeugte. Merkwürdig bleibt es, daß trotz der langen Dauer des Übels von ihm aus sehr selten eine allgemeine Infektion zustande kommt. Auch hier überwiegt wieder das chirurgische Interesse. Der Harnwege.
Tuberkulose der Harnwege entsteht meist auf embolischem Wege, seltener bei Männern durch Fortleitung von den Genitalien. In den Nieren, dem Nierenbecken, den Ureteren und der Blase bilden sich kleinere Knötchen, welche durch Konfluenz allmählich zu größeren Herden heranwachsen; im Nierenbecken und im Harnleiter kann auch zuerst eine diffuse Infiltration der Schleimhaut auftreten. Baldiger Zerfall mit Geschwtirsbildung folgt. Die Symptome sind die einer chronisch verlaufenden eiterbildenden Entzündung; bei Tuberkulose der Nieren ist nicht selten das beträchtlich vergrößerte Organ als Geschwulst tastbar (§ 244). Bisweilen gelingt der Nachweis von Bacillen im Harn und damit eine sichere Diagnose. Der weiblichen Geschlechtsorgane.
Tuberkulose der Vulva (in der Form des Lupus) ist selten, ebenso die Tuberkulose der Vagina und die primäre des Uterus. Etwas häufiger stellt sich dieselbe in den Ovarien und den Tuben ein. An sich machen diese Erkrankungen wenig Erscheinungen, sie führen aber zu Peritonitis und zu allgemeiner Tuberkulose. Der männlichen Geschlechtsorgane.
Meist tritt zuerst Erkrankung des Nebenhodens auf, welcher dann die des Hodens, der Samenleiter und der 'Samenblasen sich anschließt; seltener nimmt auch
Tuberkulose anderer Organe.
Lepra.
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die Prostata teil. — Schmerzlos in kurzer Zeit gebildete Tuberkelknoten von größerem Umfang zerfallen rasch — im Laufe einer oder einiger Wochen nach dem Auftreten der ersten Erscheinungen. Es kann für Jahre Stillstand erfolgen, indes auch die örtliche Ausbreitung über Geschlechts- und Harnwerkzeuge. Akute Tuberkulose kommt dabei vor, aber häufiger ist die Verbindung mit Lungentuberkulose, sei es, daß diese vorausging, oder daß sie folgte. — In frischen Fällen kann durch operatives Eingreifen vielleicht Nutzen gestiftet werden. § 101. Lepra. Lepra (Aussatz; Elephantiasis Graecorum) ist eine chronische Infektionskrankheit, welche durch einen Bacillus hervorgerufen wird. Der Bacillus leprae ist ein feinstes, schlankes, bisweilen an den Enden verjüngtes Stäbchen, '¡-¿ bis '/:: so lang wie ein rotes Blutkörperchen, die Breite beträgt höchstens den vierten Teil der Länge. Er hat mit dem Bacillus der Tuberkulose große Ähnlichkeit, färbt sich aber im Gegensatz zu diesem in sauren und neutralen Lösungen. Wie die Infektion stattfindet, ist noch nicht vollkommen klar: der Bacillus könnte als solcher oder als Spore durch mittelbare oder unmittelbare Übertragung von Menschen in den Körper gelangen, er könnte sich außerhalb des Organismus entwickeln und ohne Zuthun des Menschen invadieren (Miasma oder Kontagium?). Die Übertragung durch Zeugung ist bestritten. Die in früherer Zeit ausgedehnte Verbreitung der scheußlichen Krankheit ist jetzt eine sehr beschränkte. In Europa, findet sich Aussatz noch in Schweden, Norwegen, Finland und den Ostseeprovinzen, sowie an den Küsten des Mittelmeers, im ganzen ist er auch dort nicht häufig. Schwer ergriffen sind noch einzelne Teile der tropisch und subtropisch gelegenen Länder. Wo sich Leprabacillen angesiedelt haben, entsteht Entzündung, und es entwickeln sich Granulationsgeschwiilste. Die Bacillen liegen in erheblich vergrößerten Zellen eingeschlossen, sie sind nur zum kleinen Teil frei; erst wenn narbige Schrumpfung der erkrankten Gewebe eingetreten ist, sind sie nicht mehr nachweisbar. Die Verbreitung folgt im ganzen dem Gang der Blut- und Lymphgefäße; durch letztere scheinen die Bacillen vorzugsweise weiter befördert zu werden, frei, oder von weißen Blutkörperchen aufgenommen; die Drüsen sind in dem betroffenen Lymphgebiet stets bacillenhaltig. Die Dauer der Inkubation wird als eine sehr lange angenommen, sie soll sich auf Jahrzehnte erstrecken können. Im Gegensatz zu den anderen infektiösen Granulationsgeschwülsten bildet die Lepra keine primäre Erkrankung am Orte der Infektion, sie ist von vornherein eine allgemeine. Man unterscheidet nach dem Hauptsitz die Lepra der Haut (Lepra tuberculosa) und die Lepra der peripheren Nerven; meist sind beide nebeneinander vorhanden. Prodromale Symptome kommen beiden zu: bei der Lepra der Haut finden sich: Fieber von unregelmäßigem, nicht selten aber auch von intermittierendem Typus, der einigermaßen eingehalten wird und mit ziemlich erheblichen Steigerungen (bis 40 verbunden ist; außerdem starke Schweiße, Nasenbluten, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit. Sie dauern Monate, sogar einige Jahre lang an. Die Lepra der Nerven bietet mehr auf deren Erkrankung hinweisende Zeichen: allgemeine Hyperästhesie der Haut, Schmerzen, welche dem Verlaufe einzelner Nervenstämme (Ulnaris, Medianus, Peroneus) folgen, spontan auftreten, aber bei Druck stärker werden. — Die Dauer des Ganzen, welches ohne deutliche Grenzen in die eigentliche Erkrankung übergeht, wird auf etwa ein Jahr veranschlagt. Bei der Lepra tuberculosa zeigt sich die örtliche Erkrankung der Haut (Stadium eruptionis) durch das Auftreten roter Flecke von verschiedener Größe, im Centrum dunkler als an der Peripherie, gleichmäßig die Umgebung überragend, ein wenig hyperästhetisch oder leicht juckend. Das Gesicht wird am häufigsten, danach die Extremitäten ergriffen. Es können diese Flecke mit Hinterlassung leichter Pigmentierung wieder verschwinden, oder aber sie entwickeln sich zu knolligen Verdickungen, die in die Fläche und Tiefe wachsend allmählich, aber sehr langsam, eine bedeutende Ausdehnung gewinnen. Unter Fiebererscheinungen bilden sich neue Geschwülste, welche mit den früheren, wie diese unter sich, zusammenfließen. — Die bedeckende Epidermis wird nicht zerstört, aber rauh und abschilfernd. Lepraknoten fühlen sich weich an und sind dunkelrot bis braungelb gefärbt. Nur nach Einwirkung äußerer
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Infektionskrankheiten.
Gewalt kommt es zu geschwüriger Zerstörung, die aber oberflächlich bleibt und mit der Absonderung reichlicher Mengen dünnen Eiters einhergeht — Vernarbung tritt erst nach langer Zeit ein. Anästhesie der Narben ist die Regel. Die Lymphdrüsen schwellen zu mächtigen Paketen an. Ergriffen werden von der Lepra neben dem Gesicht hauptsächlich die Streckseiten der Knie- und Ellenbogengelenke und die Rückenfläche der Hände und Finger, allein außer dem behaarten Kopf und der Glans penis braucht kein Körperteil verschont zu bleiben. Die Schleimhäute der Nase, des Mundes, die Konjunktiven, dann die Schleimhaut des Rachens und die des Kehlkopfs nehmen teil. Es kommt auf ihnen durch Geschwürsbildung zu vernichtenden Zerstörungen, da sich die Lepraknoten bis in die Tiefe erstrecken. Die Moden werden regelmäßig atrophisch, von inneren Organen werden nur Leber und Milz ergriffen. Die Entstellung des Gesichts ist eine ganz außerordentliche — die starken Knollen und Wülste in demselben haben zu der Bezeichnung Facies leontina geführt. — Der Verlauf ist ein sehr chronischer, nur durch die zeitweilige stärkere Bildung neuer Knoten unterbrochener. Heilung ist sehr selten. Der Tod macht dem Leben der Kranken ein früheres Ende als das normale. Man sieht in nahezu zwei Fünftel aller Fälle dieser Form von Lepra dieselbe als unmittelbare Todesursache an, Nephritis ist eine der häufigsten unter den mittelbaren (ungefähr ein Viertel). Die Lepra nervosa ist eine rasch verlaufende, durch die Entwicklung von Narben zur Atrophie der Nerven — nur der peripheren — führende Entzündung in deren interstitiellem Bindegewebe. Sie zeigt die Eigenschaften einer echten Neuritis (§ 18). Demgemäß finden sich in dem Gebiete der sensiblen Nerven anfangs Reizsymptome: Hyperästhesien, Parästhesien, Neuralgien, im Gebiete der motorischen Nerven hingegen fehlen solche. Später treten Lähmungen der sensiblen und motorischen Nerven sowie der Muskeln auf; dazu gesellen sich trophische Störungen: auf der Haut Blaseneruptionen und Pigmentanomalien, sie kann wie die Muskeln und Knochen atrophisch werden. Als einigermaßen charakteristisch für die Neuritis leprosa sind hervorzuheben: 1. Die Anästhesie erstreckt sich auf alle Empfindungsqualitäten, sie wird schließlich eine ganz vollständige. 2. Motorische Lähmung von den Nerven aus ist selten, sie kommt am ehesten im Facialisgebiet, seltener an Hand und Fuß vor. Dagegen sind die trophischen Störungen sehr ausgeprägt, sie gehen mit interstitieller Bindegewebswucherung einher und haben klinisch Ähnlichkeit mit dem bei progressiver Muskelatrophie (§ 38) Beobachteten, nur ist das Gesicht stark beteiligt. 3. Die Blasenbildungen, von Linsen- bis Handgröße, mit klarem, gelbem Inhalt, Narben oder Pigmentierung hinterlassend. (Pemphigus leprosus.) 4. Bildung von Pigment in der Haut — vom Gelbbraun bis zum Schwarzgrau wechselnd; andere Male Pigmentschwund, so daß weiße Flecke entstehen. 5. An den Streckseiten der Gelenke bilden sich, nachdem vorher Anästhesie sich gezeigt hatte, Geschwüre, welche in die Tiefe greifend, zur Abstellung des betroffenen Gliedes oder eines Teiles desselben führt. Die Hand und die Finger sind am häufigsten ergriffen, es kommen ähnliche Vorgänge aber auch an den Zehen vor. (Lepra mutilans.) — Der Verlauf ist ein noch langsamerer als der bei der Hautlepra, die Sterblichkeit wird auf die Hälfte der bei jener sich findenden veranschlagt. Ob durch Isolierung der Leprösen, wie sie früher regelmäßig, jetzt noch an einigen Orten geübt wurde, wirklich ein Schutz für die Gesunden herbeigeführt werden kann, dei die für den unglücklichen Einzelnen mit diesem Vorgehen verbundene grausame Härte rechtfertigt, wird von den meisten und besten Forschern in Abrede gestellt. Natürlich ist die Vernichtung von Eiter aus leprösen Geschwüren notwendig, und es ist die nahe Berührung von Aussätzigen thunlichst zu vermeiden. — Die Übersiedlung eines Angesteckten in eine von der Krankheit verschonte Gegend verzögert die Entwicklung des Leidens, bringt aber keine Heilung. — Spezifische Mittel sind nicht gekannt; es kann nur von palliativer Behandlung des allgemein als unheilbar betrachteten Übels die Rede sein. — Ob neueste, an einem vereinzelten Falle gemachte Erfahrungen an dieser Auffassung etwas ändern werden, bleibt abzuwarten. § 102.
Rotz.
R o t z (Malleus humidus) ist eine bei dein Pferde, dem Esel und den aus ihrer Kreuzung hervorgegangenen Bastarden vorkommende, durch Kontagion auf den Menschen übertragbare,
Lepra. Rotz
Aktinomykose.
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von einem Bacillus hervorgerufene, Granulationsgeschwülste erzeugende Infektionskrankheit. — Wenn sieh dieselbe in der Haut und dem Unterhatitbindegewebe lokalisiert, nennt man sie Wurm. Die Ansteckung des Mensehen geschieht durch Übertragung der bacillenhaltigen Krankheitsprodukte auf die verletzte Haut (meist die der Hände) und Schleimhaut (Nase, Mund, Konjunktiva). Möglicherweise kann auch der Genuß nicht ganz garen Fleisches oder die A t m u n g einer von rotzkranken Tieren verunreinigten L u f t dazu führen. — Die Inkubation w ä h r t drei bis fünf Tage, höchstens drei Wochen. Anatomisch findet man an den ergriffenen Teilen Knötchen oder diffuse zellige Infiltrationen, immer mit raschem Zerfall, so daß im ganzen der Charakter einer Neubildung zurück-, der einer eitrigen Entzündung in den Vordergrund tritt. — Lokalisationen trifft man in der H a u t und dem Unterhautbindegewebe, in der Nase, den Stirnhöhlen, dem Rachen, dem Kehlkopf, der Luftröhre und in den Lungen. — Milz und Leber sind meist geschwellt. Klinisch wird unterschieden: Akuter Rotz: Allgemeines Krankheitsgefühl und unbestimmte Gliederschmerzen, dann am Orte der Infektion Geschwürsbildung mit Phlegmone, Lymphangoitis oder Lymphadenitis, Katarrhe der Bronchien und der Nase. Bei weiterer Entwicklung: auf der Haut Pusteln, Bläschen, Abscesse, aus denen schwer heilende Geschwüre hervorgehen, ähnliches auf den Schleimhäuten der Konjunctiva, der Nase und der Bronchien. Fieber k a n n anfangs fehlen, später ist es regelmäßig da. Der Tod ist mit seltenen Ausnahmen gewiß, er stellt sich unter den Erscheinungen schwerer allgemeiner Infektion (§ 104) meist nach zwei bis drei Wochen, nicht häufig früher oder später ein. Chronischer Rotz: Entzündungen mit Beteiligung des Lymphgefälisystems, lange dauernd und schwer heilend. Abszesse, besonders periartikuläre, Geschwülste mit dünnem blutigeitrigem Inhalt an den Extremitäten, in etwa der H ä l f t e aller Fälle Entzündung der Schleimhaut der Nase und auf deren Knochengerüst übergreifende Geschwüre. Die Schleimhaut des Mundes und der Atmungswerkzeuge nimmt nicht so oft teil; in den Lungen entwickeln sich lobuläre Pneumonien. — Fieber fehlt nicht, ist aber unregelmäßig. — Dauer des Ganzen von zwei Monaten bis zu Jahren. Genesung kommt in etwa 50 % vor, ist aber nicht immer eine vollständige, Siechtum blieb. Der Tod kann durch Ubergang in die akute Form oder durch Kräfteverfall herbeigeführt werden. Die Diagnose h a t Schwierigkeiten, wenn ohne einen nachweisbaren Infektionsherd sich die Allgemeinerkrankung einstellte. Verwechslung mit Typhoid, mit akuter Tuberkulose, mit Vergiftung durch putride Stoffe ist bei akutem, die mit Syphilis bei chronischem Rotz vorgekommen. Die Behandlung muß nach allgemeinen Regeln geleitet werden. § 103.
Aktinomykose.
Die A k t i n o m y k o s e , eine wie es scheint nicht ganz seltene Erkrankung, wird durch einen zur Cladothrixgruppe gehörenden Spaltpilz hervorgerufen, welcher in den Geweben des Menschen, des Rindes und des Schweines zu wuchern vermag, indem er gleichzeitig Entzündung und Bildung schlaffer Granulationen erzeugt. Die Invasion dürfte am häufigsten vom Munde aus stattfinden, wahrscheinlich wird sie durch Verletzungen des Alveolarfortsatzes begünstigt. Seltener — es sind erst wenige Fälle bekannt — k o m m t sie von den Lungen und vom Darme aus zustande. Die Keime der Krankheit sind weit verbreitet, sie sollen sich sogar auf den Tonsillen Gesunder finden — dennoch erfolgt nur ausnahmsweise eine Infektion. Der Sitz der Erkrankung ist bei dem Menschen, wenn im Munde die Ansiedelung des Pilzes erfolgt, zunächst der Unter- vielleicht der Oberkiefer, von hier aus findet dann die Verbreitung auf die Nachbarschaft statt, am stärksten nach unten in die Halsregion, gegen die Schädelbasis, die Wirbelsäule und dem Mediastinum entlang in die Brusthöhle hinein, auch wohl noch über dieselbe hinaus weiter nach unten. — In den Lungen bilden sich zunächst umschriebene Herde, welche dann nach allen Seiten sich ausbreitend gleichfalls die Wirbelsäule oder die Pleura ergreifen, auch nach außen durchbrechen können. — Durch das Hineinwuchern des Pilzes in Blutgefäße wird seine embolische Verschleppung mit Bildung von Tochterherden möglich. — Charakteristisch ist das unaufhaltsame Weiterwuchern des Parasiten, mit welchem an dem erkrankten Teile die Erscheinungen einer phlegmonösen Anschwellung verbunden sind, die nicht zurückgeht, sondern mehr und mehr den Charakter eines Abszesses annimmt und allmählich zum Durchbruch gelangt. Die dann zugänglich
Infektionskrankheiten.
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gewordenen vielverzweigfcen Fistelgänge, welche bläulich gefärbte, schlaffe Öffnungen zeigen, sind mit schwammigen Granulationen gefüllt, es entleert sich aus ihnen ein dünnes eitriges Sekret, welchem schwefelgelbe Körner bis zur Größe eines Stecknadelkopfes und darüber beigemischt sind. Diese Körner zeigen bei der mikroskopischen Betrachtung den Pilz: man sieht eine große Menge feiner Fäden, die nach oben keulenförmig enden, innig miteinander verfilzt sind und von einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt nach allen Seiten ausstrahlen, so daß das Bild einer Krystalldruse entsteht. In derselben sind reichliche Mengen von Fett und (besonders bei Tieren) von Kalksalzen abgelagert. — Die genauere Untersuchung der Einzelherde weist um den Pilzkern einen knötchenförmigen Entzündungsherd nach, der, epitheloide und Riesenzellen enthaltend, an die Tuberkelknötchen erinnert. Durch reichliche Entwicklung eines später schrumpfenden Bindegewebes kommen ausgedehnte Narbenbildungen zustande. Allein es scheint, daß der Pilz, einmal eingebürgert, unaufhaltsam fortwuchert und von der Peripherie solcher geheilter Stellen aus neue Kolonien in die Nachbarschaft aussendet. — Außer den örtlichen Zerstörungen werden Allgenmnsymptome: leichtere, unregelmäßige Fieberbewegungen und Schädigungen der Ernährung selbst zu einer Zeit hervorgerufen, wo noch alles in der Tiefe der Gewebe vor sich geht. — Stillstände für Monate mit Besserung sämtlicher Symptome kommen wenigstens bei den innerhalb der Lunge sich entwickelnden Herden vor, ist einmal ein Durchbruch nach außen erfolgt, dann ist davon nicht mehr viel zu bemerken. Der Verlauf ist ein chronischer und erstreckt sich wohl stets auf mehr als ein Jahr; die Prognose ist gut, wenn operatives Eingreifen ausführbar, sie ist schlecht, sobald das nicht möglich. — Die Diagnose scheint bis jetzt mit Sicherheit nur durch den Nachweis der Pilzelemente möglich zu sein. Falls okkulte Aktinomykose vorhanden ist, dürfte man über das Gebiet unbestimmter Vermutung kaum hinausgelangen. — Die Behandlung, wenn sie keine operativ chirurgische sein kann, muß sich auf die Erfüllung symptomatischer Indikationen beschränken.
§ 104.
Akute Infektionskrankheiten. Allgemeines.
Die a k u t e n I n f e k t i o n s k r a n k h e i t e n zeigen eine Menge gemeinschaftlicher Eigentümlichkeiten. Zunächst der anatomische Befund.-. Trat der Tod zu einer Zeit ein, wo die Erstwirkung der Infektion noch vorwaltet, dann ist die allgemeine Ernährung wenig verändert, das Blut bleibt lange flüssig, es senkt sich daher stark, so daß ausgedehnte Totenflecke vorhanden sind; die Starre tritt rasch ein. Die Leber und die Nieren sind geschwellt, dabei aber schlaff und brüchig; auf ihrem Durchschnitt hebt sich der Unterschied der einzelnen Gewebsteile weniger ab — parenchymatöse Entartung ist fast immer, fettige vielleicht vorhanden. •— Die Milz ist vergrößert, manchmal bis aufs äußerste geschwellt, andere Male beweist die Runzelung der K a p s e l , daß schon wieder eine Umfangsabnahme stattfand. — Das Herz ist schlaff und w e l k , seine Muskulatur braunrot oder mehr gelblich, leichter zerdrückbar. Die Muskeln des Körpers sind eigentümlich trocken, braunrot, brüchig, sie befinden sich im Zustande körniger oder wachsartiger Degeneration. — Die Ernährungsstörung der Gefäße verrät sich durch Blutaustritt, von punktförmigen Fleckchen an bis zu massigen Ergüssen, in die Gewebe oder auf die freie Mäche der Schleimhäute. Man spricht dann von Dissolutio sanguinis. Nicht selten ist auch eine leichte ikterische Färbung überall wahrnehmbar. In der klinischen Erscheinungsfarm der akuten Infektionskrankheiten bildet die Störung des Gesamtorganismus ein wesentliches Glied; man hat mit gutem Recht geradezu von Vergiftung geredet. Bei jeder akuten Infektion kann die Allgemeinwirkung in kürzester Frist zu ihrer vollen Stärke entwickelt sein. Man sieht dann, nachdem vielleicht etwas
Allgemeines.
257
von Erregungszuständen, Unruhe, Delirien, sogar Manie, vorausgegangen war, Unbesinnlichkeit sich einstellen, bei welcher der Kranke, selbst auf stärkste Reize nicht antwortend, freilich noch lebend, aber wie ein von anderen Kräften als denen seines Eigenlebens beherrschtes Wesen daliegt. Die A u g e n sind geschlossen, die Pupillen reagieren kaum, die Glieder hängen wie tote, nur der Schwere folgende Massen am Körper. Schluckbewegungen werden mangelhaft vollzogen, selbst bei dem Verschlucken kommen die sonst so starken Reflexe nur zögernd und mangelO O haft zur Auslösung. Die Sphinkteren schließen nicht mehr, die Entleerung von K o t und Harn geschieht unwillkürlich oder sie hat ganz aufgehört. Je nach dem Grade der Temperaturerhöhung ist der Rumpf mehr oder weniger heiß anzufühlen, kühl hingegen sind meist die Nase, die Ohren und die Glieder. Die Herzbewegung ist gewöhnlich außerordentlich beschleunigt, ebenso die Atmung. Die inneren Antipyretica, welche bei starker Temperatursteigeruug angewandt wurden, sind von geringer Wirkung, auch das kalte Bad hat nur vorübergehend eine Wärmeverminderung zur Folge; wie wenn man einen beständig stark geheizten Ofen einmal mit Wasser begießt, ist in kürzester Frist wieder alles wie vorher. — Der Harn führt wohl stets Eiweiß, manchmal auch Blut. — Der Kranke stirbt, ohne zur Besinnung gekommen zu sein, im Laufe von Stunden oder Tagen. Zustände dieser Art haben eine Erhöhung der Körperwarme nicht zur notwendigen Voraussetzung — sie kommen auch ohne solcho vor, indes ist das entschieden seltener. E s ist gewiß, daß in kurzer Zeit sich ausbildende bedeutende Steigerungen der Temperatur, sogar wenn dieselben durch einfache Wärmezufuhr von außen herbeigeführt werden, ganz ähnliche Wirkungen zu erzeugen vermögen. Daher darf angenommen werden, daß die infizierenden Stoffe außer der unmittelbaren W i r k u n g unbekannter A r t , welche mit ihrer Einbürgerung im menschlichen Körper verbunden ist — Intoxikation im engeren Wortsinne — , noch durch die von ihnen hervorgerufene TcmperaUtrsteigerung mittelbar eine Schädig u n g bedingen, welche ganz jener ersterwähnten gleicht und anatomisch wie funktionell die nämlichen W i r k u n g e n hat. —• So nahe die Verwandtschaft dieser beiden Störungen, der unmittelbar durch die Intoxikation und der mittelbar durch die Erhöhung der Körperwärme hervorgerufenen ist, so ist ihre praktische Bedeutung doch nicht die nämliche. Temperaturerhöhung kann durch Verminderung der ungebührlich angehäuften Wärmemengen beseitigt werden, die Thatsache, daß damit auch ihre Folgen schwinden, beweist, daß sie in der That die bedingende Ursache war. Die Intoxikation dagegen ist ein Ding für sich, sie erweist sich unseren therapeutischen Bestrebungen nur dann zugänglich, wenn wir im Besitz eines spezifischen, die Krankheitsursachen unmittelbar treffenden und vernichtenden Mittels sind. Bei allen akuten Infektionskrankheiten kann die Intoxikation im engeren Wortsinne, bei den meisten kann die Temperaturerhöhung beherrschend werden — allein erfahrungsgemäß wiegt diese oder jene bei den Einzelformen vor. So z. B. bei dem Abdominaltyphus mehr die einfache Temperatursteigerung, bei dem Scharlach mehr die Intoxikation. Im allgemeinen darf man sagen, daß, ganz abgesehen von therapeutischen Eingriffen, die Intoxikation eine weitaus größere Gefahr bringt, als die Überhitzung. In den schwersten Fällen scheint es fast, als ob die Vergiftung allüberall die Thätigkeit der Organe des Ergriffenen so sehr beeinträchtige, daß es zu gar keiner Reaktion kommen könne. V o n solchen Eindrücken bestimmt, hat man in der älteren Pathologie die neuerdings wiederum hervorgeholte Meinung ausgesprochen, daß das Fieber eine an v. Jui ge»seil, S]iez. Path. u Tliev
II. Auf!
IT
258
Infektionskrankheiten.
sich nützliche Gegenwirkung Krankheit
darstelle, welche zur Vernichtung der
des Organismus
erforderlich wäre.
Schärfer
gefaßt und mit
unserer heutigen all-
gemeinen Vorstellung in Einklang gebracht, heißt das: die Erhöhung wärme bis zu einem gewissen Grade ist erforderlich,
der Körper -
um das eingedrungene
fremde
W i l l man
Lehen unter Bedingungen zu versetzen, welche dessen Fortdauer gefährden.
weitergehen, dann kann man außer auf die Temperatursteigerung, die immerhin nur ein, wenn auch das Hauptsymptom des Fiebers darstellt, noch sich auf die bei dem Fieber erheblich veränderten Bedingungen des Stoffwechsels und seine vielleicht abweichenden Ergebnisse beziehen. — Eine einseitige, aber eine in der That gezogene Folgerung aus dieser Voraussetzung war es, daß jeder Versuch, gegen das Fieber einzuschreiten, verworfen werden müsse. A l l e i n damit wäre die Wirkung der erhöhten Körperwärme gleichzeitig zur ungeschwächten Thätigkeit gebracht.
Daß diese aber schwere Schädigung her-
beizuführen vermag, haben Beobachtung wie Versuch in unzweideutigster W e i s e bewiesen.
Es dürfte daher als eine wenig umsichtige therapeutische Rechnung
anzusehen sein, wenn man dem sicheren Gewinn, der mit einer zweckmäßigen Herabsetzung
der
Temperatursteigerung
erfahrungsgemäß
verknüpft ist,
den
unsicheren Vorteil zum Opfer bringen wollte, der möglicherweise durch die Herstellung ungünstiger Lebensbedingungen für die krankheitserregenden Mikroorganismen erreichbar
wäre.
Gewiß kann man
ein Haus von Ungeziefer
reinigen,
wenn man dasselbe in Brand steckt — aber nicht der Untergang des Ungeziefers, sondern die Erhaltung des Hauses ist die Aufgabe des Arztes.
Jener
durchaus
hypothetischen Voraussetzung, welche der ebenerwähnten Anschauung zu Grunde liegt, kann man mit mindestens gleichgutem Recht die andere Hypothese entgegenstellen, daß durch eine der Norm
gleichbleibende Temperatur
wicklung der Krankheit erregenden Mikroorganismen
die Ent-
des Körpers
gehemmt
werde.
Sicher
ist, daß die andere und nicht weniger bedeutungsvolle therapeutische Aufgabe, die Widerstandsfähigkeit des erkrankten Körpers so hoch wie immer
möglich
zu gestalten, nur erfolgreich gelöst werden kann, wenn es gelingt, die übermäßige Erhöhung der Körperwärme in Schranken zu halten. Bei den akuten Infektionskrankheiten, welche die Intoxikation minderwertig, die Temperatursteigerung als vornehmlichste Gefahr erscheinen lassen (besonders bei dem Abdominal typhus) ist eine volle Lösung der therapeutischen Probleme möglich — bei den anderen nur in beschränktem Maße.
Immerhin
darf auch
hier die Bedeutung der Wärmeanhäufung nicht unterschätzt werden; es ist verkehrt, weil man nicht alles erreichen kann, nichts erreichen zu wollen.
U n d das
thut man, sobald man die aus der Temperatursteigerung hervorgehenden Gefahren deshalb nicht bekämpft, weil neben ihnen die Intoxikation stärker oder gar in der
ersten Reihe
hervortritt,
steht. — A l s beste therapeutische Methode ist die
sich allen Bedingungen des Einzelfalles anpassende, das vollendetste Individualisieren erlaubende direkte Wärmeentziehung
durch verschieden temperiertes Wasser
zu erachten; alle Antipyretica bleiben weit hinter ihr zurück.
§ 105.
Abdominaltyphus.
Der A b d o m i n a l t y p h u s (Ileotyphus,
Typhoid, Schleim fiebeij ist gegenwärtig
wenigstens in Europa, aber wohl auch auf der übrigen von civilisierten Menschen bewohnten Erde eine der wichtigsten unter den die Volkssterblichkeit
beherr-
Allgemeines. sehenden Infektionskrankheiten.
Abdominaltyphus.
259
W a h r s c h e i n l i c h h a n d e l t es s i c h u m ein uraltes
Leiden, das sichere E r k e n n e n v o n dessen E i g e n a r t w a r i n d e s erst der Mitte des neunzehnten Bacillus
Jahrhunderts
hervorgerufen.
gewährt.
Der Abdominaltyphus
wird
durch
einen
(EBERTH-KOCH.)
Derselbe ist ein kurzes, an den Enden abgerundetes Stäbchen, etwa dreimal so lang als breit, seine Länge gleich einem Drittel von dem Durchmesser eines roten Blutkörperchens; er besitzt Eigenbewegung. Es lassen sich aus den Herden des Darms, der Mesenterialdrüsen, der Milz, der Leber und der Nieren, schwieriger aus dem Blute und aus den Roseolaflecken Heinkulturen gewinnen; auch aus den Darmentleerungen sind solche hergestellt. Die dabei sich entwickelnden Spaltpilze zeigen Sporenbildung; dieselbe erfolgt bei 30 —40° C. am leichtesten, sie tritt aber auch noch, freilich langsamer, bei 25°, vielleicht etwas weniger kräftig bei 42° auf; 20° scheint die untere Grenze zu sein. Eine Übertragung der Reinkulturen auf Kaninchen, Meerschweinchen und Mäuse ist nicht in dem Sinne von Erfolg begleitet, daß sich der Typhusbacillus im Körper derselben vermehrt und so als Parasit wuchernd Krankheitserscheinungen hervorruft. Wohl aber übt derselbe auf die genannten Tiere eine schädliche, oft den Tod derselben herbeiführende Wirkung aus — wahrscheinlich, indem sich bei seinem Untergang chemische Gifte bilden. Es ist gelungen bei der Kultur der Typhusbacillen auf totem Nährboden — d. h. außerhalb des lebenden Körpers — eine giftig wirkende Substanz (TyphotoxinBRIEGER) darzustellen; ob aber dieselbe bei dem Wachstum dieser Mikroben innerhalb des lebenden Körpers gleichfalls sich bildet, daüber wissen wir zur Zeit nichts. — Möglicherweise üben die im Vergleich zur Größe der Versuchstiere massenhaft injizierten Bacillen, namentlich an den Orten, wo sie infolge des verlangsamten Blutlaufs in großer Anzahl sich anhäufen, einen mechanischen Reiz aus. — U b e r die Entstehung
und
die Verbreitung
der Krankheit
dürfte bei d e m g e g e n -
w ä r t i g e n S t a n d e u n s e r e s W i s s e n s die f o l g e n d e V o r s t e l l u n g die w a h r s c h e i n l i c h s t e sein: D e r T y p h u s k e i m ist ein s p e z i f i s c h w i r k e n d e r besonderer Mikroorganismus. Mit d e n D a r m e n t l e e r u n g e n der K r a n k e n k o m m t derselbe nach außen ( o b er hier S p o r e n bildet, wird b e z w e i f e l t ) und v e r m a g sich außerhalb des Körpers längere Zeit zu erhalten,
er k a n n sich s o g a r unter g ü n s t i g e n B e d i n g u n g e n vermehren.
G e l a n g t nun eine g e n ü g e n d e M e n g e in d e n K ö r p e r e i n e s e m p f ä n g l i c h e n Menschen, dann
findet
sich dort ein g u t e r N ä h r b o d e n für d e n P a r a s i t e n , w e l c h e r dessen
ü p p i g e E n t w i c k l u n g und damit die E r k r a n k u n g des W i r t e s e r m ö g l i c h t . Invasion
dürfte m e i s t der Darm
b e g ü n s t i g t die A n s i e d l u n g .
sein,
eine katarrhalische E r k r a n k u n g
Ort der
desselben
D i e K e i m e w e r d e n mit den durch sie v e r u n r e i n i g t e n
I n g e s t a eingeführt, oder, w e n n sie i n der A t m u n g s l u f t v o r h a n d e n sind, g e l a n g e n sie zunächst i n die M u n d h ö h l e , aus w e l c h e r sie dann durch den S c h l i n g a k t w e i t e r befördert werden.
Ihr E i n d r i n g e n i n die B l u t m a s s e v o n den L u n g e n aus k a n n
nicht g a n z g e l e u g n e t w e r d e n , es dürfte aber w o h l s e l t e n sein. E i n e für m a n c h e Orte (namentlich Manchen) Häufigkeit hungen
der Erkrankung des Grundwassers
mindert sich
an Abdominaltyphus gebracht
werden
die K r a n k h e i t s h ä u f i g k e i t ,
g ü l t i g e B e o b a c h t u n g ist, daß die
in enge Beziehung
muß.
zu den
Schwan-
Mit d e m S t e i g e n d e s s e l b e n ver-
m i t d e m F a l l e n vermehrt sie s i c h ,
die
a b s o l u t e n H ö h e n k o m m e n w e n i g e r in Betracht. Die Deutung hat verschiedene Wege eingeschlagen. Einmal meinte man, daß mit dem nach abwärts sich neigenden Wasserspiegel eine größere Bodenschicht trocken gelegt werde; die in ihr enthaltenen Keime sollten nun durch die niemals ruhenden Bewegungen der Grundluft in großer Menge an die Oberfläche gebracht und so von Menschen aufgenommen werden können. Andere hingegen meinen, daß mit der Abnahme des Grundwassers auch die Trinkwässer spärlicher und dabei reicher an aufgeschwemmten, vom Boden her in sie eingedrungenen Mikroorganismen werden — der Genuß solchen mit Typhuskeimen verunreinigten Wassers führe unmittelbar die Infektion herbei. — Es scheint, daß beide sich noch h a r t bekämpfenden Anschauungen berechtigt sind, beide stellen Möglichkeiten dar, es dürfte nicht richtig sein für eine derselben die Ausschließlichkeit in Anspruch zu nehmen. 17*
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Infektionskrankheiten.
Daß durch den Genuß infizierten Wassers Typhoid entstehen kann, ist als Thatsache sicher festgestellt — man glaubt den Bacillus im infiziertem Wasser aufgefunden zu haben —, auch Milch scheint, aber nur durch Vermischung mit solchem Wasser, in selteneren Fällen Träger des Kontagiums zu werden. Dagegen ist es wenig wahrscheinlich, daß durch den Genuß von Fleisch echter Abdominaltyphus erzeugt werden kann — Massenerkrankungen (Andelfingen, Kloten), welche man so hat deuten wollen, dürften eher als durch organische, in dem verdorbenen Fleische entstandene Substanzen bedingte Vergiftungen anzusehen sein, welche wohl einen klinisch ähnlichen und anatomisch verwandten Zustand hervorrufen, aber ätiologisch vollkommen verschieden sind. Als Brutstätten des Typhusgiftes sind Abtritte und Kloaken zu bezeichnen der zufallig in dieselben gelangte Keim findet hier einen günstigen Nährboden; er kann, zur Entwicklung gelangt, in die Luft, ebenso in den Boden und in Wasser übergehen. — Durch Kleider, Wäsche, Bettstücke von Typhoidkranken ist sicher aber nur dann eine Weiterverbreitung der Krankheit möglich, wenn dieselben mit Entleerungen aus dem Darm verunreinigt waren. — Unmittelbare Ansteckung von Mensch zu Mensch wird von der weit überwiegenden Mehrzahl der Beobachter unbedingt in Abrede gestellt. Der Ileotyphus zeigt eine ausgesprochene örtliche Beschränkung; er nistet sich in bestimmten Häusern, manchmal sogar in bestimmten Teilen von Häusern ein, wer zur Ansteckung disponiert in solchen sich aufhält, erkrankt; das wiederholt sich oft Jahr für Jahr in regelmäßiger Wiederkehr. Größere Epidemien setzen sich meist aus solchen Hausepidemien zusammen, niemals breitet sich Ileotyphus als eine pandemische Wanderkrankheit aus, wie z. B. Cholera. — Zeitliche Schwankungen in der Häufigkeit und Heftigkeit der Erkrankung finden sich überall — die Beziehungen zum Grundwasserstand wurden bereits erwähnt. — Für die meisten Orte der gemäßigten Zonen läßt sich ein Einfluß der Jahreszeiten in dem Sinne nachweisen, daß das Maximum des Typhoids auf den Spätsommer und Herbst, das Minimum auf den Frühling trifft. — In den tropischen Gegenden fallt die stärkste Verbreitung mit der größten Hitze zusammen. Von allgemeinen Bedingungen ist noch zu nennen, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Beobachtungen antihygieinische Verhältnisse, namentlich Schmutz innerhalb und außerhalb der Häuser, verwahrloste Abtritte, Fäulnis tierischer und pflanzlicher Stoffe, die Ausbreitung der Krankheit begünstigen. Die einzige bekannte Ausnahme bildet ein Teil Tübingens, wo trotz der schauderhaftesten Verwahrlosung der Typhuskeim niemals recht zur Entwicklung kommt. — Bemerkenswert ist, daß nach dem Aufgraben der oberflächlichen Erdschichten nicht selten häufige Erkrankungen auftreten. Auf dem schon lange zur Errichtung von Wohnstätten benutzten Boden alter Städte geschieht das häufiger, als wenn es sich um einen solchen handelt, der bisher als Weide- oder Ackerland benutzt wurde. Die Häufigkeit des Abdominal typhus und die Schwere der Erkrankung in den Einzelfällen scheint, wie das bei fast allen Infektionen geschieht, einem zeitlichen Wechsel zu unterliegen. Gegenwärtig befinden wir uns in einer Periode des Krankheitsnachlasses, der doch wohl nicht ausschließlich, wie man es angenommen hat, durch die Besserung der hygieinischen Zustände herbeigeführt wurde. Denn auch dort, wo alles beim alten geblieben, ist der Typhus seltener und leichter geworden. Ein Grund für diese auffallende Thatsache ist bisher nicht erkennbar geworden. —
Die individuelle Disposition wird durch das Lebensalter beeinflußt. Die gangbare Annahme ist, daß vom 15. bis zum 30. Lebensjahre die weitaus größte
Abdominaltyphus.
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Neigung zum Erkranken an lleotyphus besteht. Daran ist unbedingt richtig, daß das Häufigkeitsmaximum für Erwachsene zwischen dem 20. und 30. Jahre liegt, und mit fortschreitendem Lebensalter die Wahrscheinlichkeit zu erkranken immer geringer wird. Allein weniger zuverlässig dürfte die Bestimmung für das Kindesalter sein; an einzelnen Orten überwiegt die absolute Menge der Kindertyphen. Sicher ist, daß die Krankheit schon bei jungen Säuglingen vorkommt; es kann sogar eine Infektion des Fötus durch die erkrankte Mutter stattfinden: die Bacillen sind in der Placenta und im Fötus gefunden worden. — Männer erkranken häufiger als Firmen; Gesunde und Kräftige mehr als Schwächliche. — Meist, aber nicht unbedingt, schützt einmaliges Uberstehen der Krankheit gegen deren Wiederholung, es ist ein viermaliges Erkranken des gleichen Menschen beobachtet. — Wer an einem vielfach von Typhoid heimgesuchten (hie sich länger aufgehalten hat, ist selbst bei heftigen Ausbrüchen der Krankheit verhältnismäßig geschützt, Neuzugezogene dagegen werden in weitaus größerer Anzahl, auch wohl durchschnittlich schwerer ergriffen. Es dürfte wahrscheinlich sein, daß in vorausgegangenen leichten nicht als solchen erkannten Infektionen der Grund zu dieser relativen Immunität zu suchen ist. Der Leichenbefund bei den auf der Höhe der Krankheit Gestorbenen ergiebt außer den allgemeinen Erscheinungen der Infektion (§ 104) als Eigentümlichkeiten des Abdominaltyphus: 1. Darm: Infiltration der Peyerschen Platten und solitären Follikel, am stärksten im unteren Abschnitt des Ileum unmittelbar über der Klappe, aber auch im oberen Dünndarm und im Dickdarm. Dieselbe wird durch eine, grauweiße Masse ron markiger Konsistenz bedingt, welche, in und unter der Schleimhaut liegend, gleichmäßig die betroffenen Drüsen erfüllt. Die Infiltration braucht nicht auf die Drüsen beschi'änkt zu bleiben, sondern kann auf die benachbarten Gewebsteile übergreifen. Ausnahmsweise tritt dieselbe an ganz drüsenfreien Teilen der Darmschleimhaut auf. Anfangs sind entzündliche Veränderungen regelmäßig in etwas weiterem Umkreis der Einzelherde nachweisbar. Dieselben bleiben meist auf die Oberfläche beschränkt; wenn viele Platten erkranken, entstellt durch Zusammenfließen der dieselben umgebenden Entzündungshöfe ein ausgedehnterer Darmkatarrh. Im Beginn ragen die infiltrierten Platten pilzförmig über die Umgebung hervor, die Solitärfollikel erscheinen wie geschwellte Pusteln. — Nach der Massigkeit und Starrheit des Exsudats unterscheidet man harte und weiche Formen. Später tritt Nekrose ein, welche entweder nur oberflächlich bleibt und einzelne Abschnitte der infiltrierten Teile befallt, oder tiefer greifend und die gesamte vorher geschwellte Partie einschließend bis zur Muskularis, selbst bis zur Serosa dringt, ja sogar diese untergehen läßt — Perforation des Darms bleibt dann nicht aus. Die sich ablösenden Schorfe hinterlassen das typhöse Danngeschwür, welches, der Anordnung der Plaques entsprechend, der Längsaxe des Darms parallel steht oder sich als linsenförmige Vertiefung (bei den Follikeln) darstellt. Nicht gerade häufig fließen mehrere Geschwüre zusammen. Meist erfolgt bald Reinigung des Geschwürsgrundes, dann Heilung mit flacher, grau oder schwärzlich gefärbter, niemals sich stärker zusammenziehender und zur Verengerung des Darms führender Narbe. — Der Fittiche Ablauf ist so, daß in den ausgebildeten Fällen bis etwa zur dritten Woche der Krankheit die Infiltration, nach dieser Zeit die Geschwürsbildung und Heilung vorwiegt. Es ist indes nicht selten, daß jüngere und ältere Veränderungen nebeneinander vorhanden sind, in dem oberhalb der Klappe gelegenen Teils des Ileum zeigen sich dann meist die älteren.
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Infektionskrankheiten.
Die mikroskopische Untersuchung ergiebt eine sehr hochgradige zellige Infiltration, welche sich unter Umstünden bis zur Serosa erstreckt. 2. Lymphdrüsen. Besonders stark sind die des Mesenteriums und wiederum am meisten die der Bauhinischen Klappe zunächst gelegenen ergriffen. Makroskopisch sind sie anfangs blaß- oder blaurot, später graurötlich, markig; mikroskopisch sind neben der zu Beginn vorhandenen entzündlichen Hyperämie und Durchfeuchtung lymphatische Elemente in großer Zahl zugegen. Bei der Rückbildung kann es zu nekrotischen Herden, die manchmal nicht resorbiert, sondern käsig werden, kommen. — Die Bronchialdrüsen, die dem lymphatischen System angehörenden Rachengebilde (Tonsillen, Follikel) nehmen nicht seilen an der Erkrankung teil, ganausnahmsiveise zeigen sich auch die peripheren Thiisen ergriffen. — Die Milz ist regelmäßig — wohl häufiger und stärker als bei Infektionskrankheiten ü b e r h a u p t —• beteiligt. Es ist durchaus gerechtfertigt, das lymphatische System im ganzen als dasjenige zu bezeichnen, in welchem sich vorwiegend das Gift des Abdominaltyphus lokalisiert. — Die Herde in der Leber u n d in den Nieren, welche
vorkommen, haben keinenfalls eine größere Bedeutung. — Komplikationen und Folgekrankheiten können zu sehr erheblichen Gewebeveränderungen führen — allein dieselben zeigen nichts für den Ileotyphus Eigentümliches. Es wird mehr und mehr wahrscheinlich, daß es sich dabei um sekundäre Infektionen mit den pyogenen Kokken handelt. — Bei der Beschreibung
m u ß m a n von dem Bilde der vollentwickelten
Krankheit
ausgehen. Kürzer oder länger nach der Infektion, ein feststehender Zeitpunkt scheint nicht vorhanden, empfinden die Erkrankenden Unbehagen, sie sind nicht mehr ganz leistungsfähig und ermüden leicht. Der Kopf ist eingenommen, vielleicht auch gegen Abend etwas schmerzhaft, der Appetit vermindert, launenhaft, leichte dyspeptische Beschwerden fehlen kaum jemals. Sehr häufig wird von den Kranken ein Diätfehler als Ursache des Ganzen beschuldigt, wo und wie derselbe entstanden, ist freilich meist unbekannt. Alle Beschwerden steigern sich langsam, abends machen sie sich mehr als am Morgen geltend. Erst wenn Frieren, oder seltener ein stärkerer Frost sich zeigt, wird das Krankheitsgefühl heftig genug, um die Leidenden zum Aufsuchen des Bettes zu veranlassen. Kopfweh, Benommenheit, leichtes Phantasieren gegen Abend stellt sich nun mit wachsendem Fieber ein, der Appetit liegt ganz danieder, heftiger Durst ist vorhanden, die Zunge und der Mund werden trocken, es zeigt sich etwas Schwerhörigkeit. Außer Kopfschmerz, Schlaflosigkeit oder Schlummern, das niemals erquickend sei, immer durch allerlei Träume gestört werde, weiß der Kranke nicht viel zu klagen; aber es wird eben von Tag zu Tage schlimmer, das merkt die Umgebung noch mehr als er selbst. Wohl sind gegen Morgen noch Stunden der Besinnlichkeit da, dieselben werden indes weniger, Schlummersucht vielleicht eine Betäubung, welche kaum auf Augenblicke das Bewußtsein rückkehren läßt, nimmt überhand, der Kranke vergißt alles, er verlangt nicht mehr zu trinken, obgleich er das ihm an die Lippen geführte Glas gierig leert, und läßt Harn und Kot unter sich gehen. An dem Benehmen des Kranken, seinen andauernden Bewegungen, dem beständigen Gemurmel erkennt man, daß sein Hirn bei aller scheinbaren Betäubung nicht ruht, sondern stets von bestimmten Vorstellungen erfüllt ist. Diese können so stark werden, daß sie genügend Einfluß auf die motorische Sphäre gewinnen, um einen heftigen Wutanfall wachzurufen. — Gegen die Mitte der zweiten Woche
Abiloiuinaltyphup.
stellen sieh Durchfälle ein, schon etwas früher tritt Hunten auf, welcher nur geringe Mengen eines schleimigen Sekrets zu Tage fördert. Die bereits um das Ende der ersten Woche nachweisbare Mi! •.schwcllwuj wird stärker, das vergrößerte Organ tritt vielleicht unter dem Rippenbogen hervor; ist der Kranke einigermaßen besinnlich, dann klagt er wohl über Stiche in dieser Gegend und Empfindlichkeit gegen Druck. Solche ist auch in der Ileococalgegend vorhanden; der Bauch erweist sich etwas aufgetrieben, er kollert nicht selten, und bei tieferem Pressen mit der Handfläche hört man in der Ileococalgegend Gurren. Auf der Haut des Rumpfes werden Roseola]'lecken sichtbar. Das Fieber dauert an, der meist am Ende der ersten Woche sich zeigende Katarrh in den feineren Bronchien breitet sich weiter aus, die Unbesinnlichkeit und die Hirnstörungen bleiben auf gleicher Höhe oder steigern sich noch. In, der dritten und eierten Krankheitsicoche gehen unter den Erscheinungen der Herz- und Atmung*iumf(i xien i die meisten, durch. Darmblutungen oder Perforationen geht eine kleinere Anzahl der Kranken zu Grunde, welche überhaupt sterben. Bei günstigerem Verlauf läßt die Hitze allmählich nach, die trockene Haut wird feuchter, an die Stelle der Unruhe tritt Schlaf, der wirkliche Erquicluing bringt, immerhin sind die Nächte noch keineswegs ungestört —• schon gegen A bend merkt man die Verschlimmerung — der Meteorismus wird freilich geringer, aber die Diarrhöen halten noch an. Wird der Kranke wieder besinnlich, dann klagt er über außerordentliche Schwäche und Mattigkeit, er ist gegen leichte Erregung sehr empfindlich. Nach scheinbarer Wendung zum Besseren kann sich der alte Zustand wiederholen. — Lungenhypostasen, tiefgreifender Dekubitus, Abszesse in der Haut, in detiMuskeln, in der Thyreoidea, namentlich wenn dieselbe Sitz eines Kropfes ist, und in der Parotis gesellen sich hinzu, Kehlkopfgeschwüre treten auf — auch jetzt hält der Tod noch reiche Ernte. Von den neu entstandenen (sekundären) Krankheitsherden aus, oder vom Darm her, nicht weniger oft durch Erschöpfung und Nachlaß der Ilirn- oder Herzthätigkeil tritt er ein. — Andere Male reiht sich ein Schwanken des ganzen Zustandes vom Guten zum Schlimmen, wochenlang dauernd an, bis es denn endlich zur Genesung kommt. Diese erfolgt langsam unter Nachlaß aller Erscheinungen; auch die Rekonvaleszenz ist von langer Dauer, sie ist ausgezeichnet durch Schwäche des Geistes wie des Leibes. Ist erst einmal der Appetit wirklich wieder da, dann läßt der Heißhunger nicht lange auf sich warten. — Dies ist das Bild eines mittelschiveren, sich selbst überlassenen Typhus abdominalis, dessen Dauer bis zur vollständigen Herstellung der früheren Leistungsfähigkeit auf drei bis sechs Monate, dessen Mortalität auf 2 0 % berechnet werden darf. Die Betrachtung der einzelnen Erscheinungen ergiebt: Zeitrechnung: die Inkubation wird im Mittel auf etwa zwei bis drei Wochen veranschlagt, indes ist die Möglichkeit kürzerer oder längerer Dauer nicht ausgeschlossen, ja sie scheint sogar sichergestellt zu sein. Den Beginn der eigentlichen Krankheit kann man in den seltenen Fällen, wo vorher Temperaturmessungen gemacht wurden, durch den Eintritt der Temperatursteigerung feststellen — meist wird man sich damit begnügen müssen, von dem ersten Frieren an, das der Kranke deutlich empfand, einerlei ob dasselbe stark oder schwach gewesen, zu rechnen. Temperaturverhältnisse: Ganz gleichgültig, wie man sich theoretisch zu der Bedeutung der gesteigerten Körperwärme in dem Gesamtbilde des Komplexes Fieber stellt, praktisch ist die Temperatur bei dem Abdominaltyphus der Mittel-
Infektionskrankheiten.
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funkt, um welchen sich, abgesehen von den Darmerkrankungen, alles dreht. Man hat eine Einteilung der Krankheit nach dem Thermometer gemacht, die brauchbar ist. Inrasionszeit: Die Temperatur steigt vom Morgen zum Abend um einen Grad, sinkt von der erreichten Höhe bis zum nächsten Morgen um einen halben, erhebt sich von dem so gewonnenen Ausgangspunkt wiederum um einen ganzen Grad, sinkt dann bis zum nächsten Morgen um einen halben u. s. w. bis nach, längstens fünf Tagen durch dieses „xtaffelförmige" Ansteigen die Höhe, welche unter den gegebenen Bedingungen überhaupt erreicht werden konnte, erreicht ist. Erste Periode: Um 1,5° in leichteren, 3,5° und mehr in schwereren Fällen in die Höhe geschobene Mitteltewperatur; bei übrigens normalem Gang der Tagesfluktuation nur der Unterschied, daß die Nachtremissionen etwas kürzer und gegen die Vormittagsstunden verschoben erscheinen: das Maximum von vier bis zehn nachmittags,
das Minimum
v o n sechs bis neun Uhr morgens.
Absolute
Schwan-
kung in schwereren Fällen nur 0,5°, in den leichteren 1—2° für den Tag. Dauer je nach der Schwere des Falles von Tagen bis zu Wochen. Z/weite Periode: Allmählicher Nachlaß so, daß die Abendtemperaturen sich noch auf 40° und mehr erheben, während die Morgentemperaturen bis zur Norm herabgehen — Stadium der steilen Kurven. Erst später vermindert sich auch die Höhe der Abendtemperaturen. Noch lange in die Rekonvaleszenz hinein ist das Gleichgewicht kein stabiles: auf geringfügige Reize erhebt sich die Körperwärme vorübergehend ziemlich beträchtlich. Anatomisch entspricht die Bildung von Infiltrationen im Darm bis zum Auftreten von Geschwüren einigermaßen dem Zeitpunkte bis zum Ende der ersten, die Heilung der Geschwüre und etwaiger sekundärer Störungen der zweiten Periode. In diese letztere schieben sich, falls anderweitige Herderkrankungen im Gefolge des Typhoids auftreten, direkt durch diese veranlaßt, nicht aber unmittelbare Wirkungen des Typhusbacillus, neue Steigerungen ein, welche also den sekundären Vorgängen ihren Ursprung verdanken. So verwischen sich die Grenzen, man redet unter diesen Umständen von einer „amphibolen" Periode. Immerhin kann dieser wie jeder anderen Einteilung der „Vorwurf eines gewissen Schematismus nicht erspart werden, allein man darf mit Recht behaupten, daß der normale Verlauf des Typhoids in dem Temperaturgang seinen Ausdruck findet, ebenso, daß eine jede nennenswerte Störung der Norm durch das Thermometer angezeigt wird. Der Puls
ist verhältnismäßig
langsam,
er ü b e r s t e i g t bei d e m v o l l k r ä f t i g e n
Erwachsenen selbst bei schwerer Erkrankung und hohen Temperaturen in den ersten Wochen selten 120 Schläge in der Minute. Der Dikrotismus ist freilich öfter sehr ausgeprägt, aber keineswegs ein pathognomonischeg Zeichen. Mehr Gewicht ist auf die gesteigerte Erregbarkeit des Herzens zu legen — schon einfaches Aufrichten des zu Bette Liegenden bewirkt meist eine Erhöhung der Schlaghäufigkeit um etwa ein Fünftel. Zieht sich die Erkrankung
in die Länge,
dann kommen
Her:,Veränderungen
(degenerative Vorgänge) zur Entwicklung, die sich durch vermehrte Häufigkeit des Pulses, später durch Unregelmäßigkeiten desselben, durch gestörte Blutbewegung und Kollapserscheinungen verraten; es kann sogar zur Thrombusbildung im rechten Vorhof und Ventrikel k o m m e n . A l s weitere F o l g e n sind Thrombosen
(maran-
tische) in den Muskelvenen, besonders in denen der unteren Extremitäten, und Lungenembolien zu nennen.
Abdominaltyphus
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Zeichen gestörter Hirnthätigkeit treten im Krankheitsbilde stark hervor und sind bereits bei der allgemeinen Schilderung gewürdigt worden. Es unterliegt keinem begründeten Zweifel, daß dieselben mit seltenen Ausnahmen Folgen der Temperaturerhöhung sind; — Typhusbacillen sind im Gehirn und im Rückenmark neuerdings nachgewiesen worden, ohne daß anatomische Veränderungen bestanden. Wohl aber gingen schwere funktioiteile Störungen damit einher. So z. B. Typhusbacillen im Rückenmark und aufsteigende Paralyse (Cukschmann). — Von anatomisch nachweisbaren Veränderungen kommen vor: Meningealapoplcxie, kapilläre Blutergüsse, Sinusthrombose und sekundäre, metastatische Meningitis. Die
Erscheinungen, welche unter dem Bilde der Meningitis und der melancholischen oder mnniakcdischen Geistesstörung bei gleichzeitig sinkenden Temperaturen auftreten, dürften auf abnorme Reizungszustände im Gehirn zurückzuführen sein, die ihrerseits wiederum auf den Wechsel in der absoluten Höhe der Körperwärme zu beziehen sind. Sie finden wenigstens eine Analogie, vielleicht mehr in dem Delirium
des
Kollapsus.
Als Xachkrankheit zeigt sich echte Melancholie; außerdem sieht man Lähmungen in der Form der Paraplegie. Verdauungsorgane: Die Klagen über schlechten Geschmack, im Anfang ganz gewöhnlich, beruhen recht oft auf starker Abstoßung von Epithel in der Mundil nd Rcichenhöhle mit fole/ender Fäulnis desselben. Die dick geschwollene, mit bluti-
clen Krusten belegte, trockene Zunge gehört freilich nicht dem Typhoid als charakteristische Eigentümlichkeit an, findet sich aber recht häufig. Wichtiger ist die Bildung eines Dreiecks an der Zungenspitze; die Basis desselben ist nach hinten gerichtet, seine Ausdehnung nimmt höchstens ein Fünftel des Organs ei», durch rote Färbung hebt es sich gegen die Umgebung ab. — Soorentwicklung ist bei schweren Fällen im späteren Verlauf nichts Seltenes. — So gewöhnlich eine katarrhalische Angina im Anfang (bei manchenEpidemien ist sie ein Initialsymptom) — so ungewöhnlich ist die kroupöse Form; sie dürfte wohl stets auf Infektion mit dem Gift der Diphtherie beruhen. — Erkrankungen der Parotis kommen in doppelter Weise vor: Verstopfung des Ausführungsganges der Drüse mit Retention des Sekretes, das ist die gutartige Form, und metastatische zur Eiterung oder Verjauchung führende durch pyämische Infektion hervorgerufene Entzündung, das ist die bösartige Form. — Die Darmerkrankung macht in vielen Fällen wenig, in vielleicht der gleichen Anzahl erhebliche Erscheinungen; es unterliegt das bei den einzelnen Epidemien größerem Wechsel. Hervorgehoben muß werden, ilaß trotz reichlicher Infiltrationen und den auf sie folgenden Geschwürsbildungen die Diarrhöe vollkommen fehlen kann — ja, daß man geradezu während der ganzen
Dauer der Krankheit gegen Verstopfung zu kämpfen hat. Diarrhöen werden durch den begleitenden Katarrh, nicht durch die Geschwüre als solche bedingt, der Katarrh der Darmschleimhaut entscheidet aber über die Häufigkeit und Heftigkeit der Durchfälle. In etwas thut das auch sein Sitz. Ist der Dickdarm stärker in Mitleidenschaft gezogen, dann sind auch die Diarrhöen häufiger; ist dessen absteigender Teil erheblicher erkrankt, dann kann ein der Ruhr ähnliches Bild zu Tage treten; man redete daher vielleicht öfter als es nötig von einer Komplikation des Typhoids mit dieser Erkrankung. — Die Diarrhöe zeigt sich am häufigsten gegen Ende oder Mitte der zweiten
Woche — es werden in vielen Fällen täglich
bis zu sechs Mal reichliche, dünnflüssige, hellgrau-gelbe, flockig-bräunliche, der Erbsensuppe ähnliche Massen von alkalischer Reaktion entleert. Ausnahmsweise
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Infektionskrankheiten.
kann sich die Zahl der Durchfalle bis zu 20 steigern, eine wegen des Säfteverlusts keineswegs gleichgültige Sache. Durch sekundäre Vorgänge auf der Darmschleimhaut —Follikulärhaiarrli, Diphtheritis, Gangrän — wird die Beschaffenheit der Entleerungen in einer diesen Gewebeveränderungen entsprechenden Weise geändert. — Darmblutungen kommen in erheblicherer Menge — geringe, kaum makroskopisch oder nur mikroskopisch wahrnehmbare Blutbeimischungen bleiben außer der Berechnung — in etwa 6 bis 7 % vor. Sie fallen vorzugsweise auf die Zeil com Ende der zweiten bis zum Anfang der vierten Woche. Der Blutverlust verrät sich, abgesehen von den unmittelbar bedingten Erscheinungen (Anftillung des Darmes mit Blut und dessen Entleerung nach außen) durch ein seiner Größe entsprechendes, mehr oder weniger starkes und anhaltendes Sinken der Körperivärme — eine auch diagnostisch wichtige Erscheinung — und durch Nachlaß der Ilerzthütigkeit. Besserung der Hirnerscheinungen für kürzere Zeit kann sich nach einer Blutung einstellen — man hüte sich, das für ein günstiges Zeichen anzusehen — die Prognose wird durch Darmblutungen erheblich getrübt, man zählt etwa ein Drittel mehr an Todesfallen. — Darmperforationen werden frühestens gegen Ende der zweiten Woche, aber auch viel später (langsam heilende, lenlescierende, Geschwüre) angetroffen — man rechnet ihre Häufigkeit zu etwa 1 bis 2%. Sie erfolgen meist vom Ileum aus, ihr Eintritt ist durch die einer perforatorischen Peritonitis (§ 211) zukommenden Erscheinungen gekennzeichnet. Die Lebensgefahr wird so sehr erhöht, daß man, freilich mit Unrecht, die Prognose als eine unbedingt schlechte hinstellte. — Peritonitis kommt sehr selten noch auf anderem Wege zustande — bis zur Serosa vordringende Infiltrationen können zunächst eine umschriebene, dann eine allgemeinere Entzündung des Bauchfells hervorrufen, ebenso erweichte Mesenterialdrüsen, Milzinfarkte, dann die verschiedenen sekundären Erkrankungen. — Meteorismus — Aufblähung der schlaffen Darmwand besonders der Wand des Kolon durch reichlicher vorhandene Gase — ist ein ziemlich konstantes Symptom, welches sich schon im Laufe der ersten Woche zu entwickeln pflegt, aber erst später seine Höhe erreicht. Durch Hinderung der Atmung, vielleicht auch durch Begünstigung der Perforationen, wird dasselbe von Bedeutung. Später zeigt Meteorismus nicht selten die Gegenwart von Kottumoren an. — Die Milzscluvellung ist meist erst gegen das Ende der ersten Woche nachweisbar; das Organ liegt mehr nach hinten und wird oft von Darmschlingen überlagert, so daß es schwer werden kann, genaue Größenangaben zu machen. Wenn auch häufigst vorhanden, ist die nachweisbare Vergrößerung der Milz dennoch kein durchaus konstantes Symptom, sie wechselt an Stärke sehr in den einzelnen Epidemien. Sind keine sekundären Veränderungen vorhanden, dann ist mit dem Aufhören der spezifischen Infektion — der ersten Periode entsprechend — auch der rasche Rückgang der Schwellung verbunden. Selten sind Infarkte und Abscesse, sehr selten Rupturen der Milz. — Die Leber erkrankt ausnahmsweise durch bacilläre Lokalisation in höherem Grade, parenchymatöse Entartung derselben ist bei länger dauerndem Fieber schon häufiger, Abscesse oder Verschwärung der Gallenblasenwand mit nachfolgender Perforation sind große Ausnahmen. Icterus trifft man nicht oft, er kann einfach katarrhalischer Natur sein, aber auch neben akuter parenchymatöser Hepatitis sich zeigen. — Die Nieren erkranken selten durch Einwanderung von Bakterien, schon häufiger parenchymatös, nicht oft finden sich Infarkte oder Abscesse. Es kommt ausnahmsweise akuter Morbus Brightii vor. Man hat dann von Nephro-
AbdominaltyphuR.
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typluis geredet. — Eiweiß findet sich im Harn auf der Höhe des Fiebers sehr gewöhnlich in den schwereren Füllen, im ganzen in etwa einem Drittel aller. Die Menge des Urins ist, solange das Fieber dauert, vermindert, bei der Wendung der Krankheit zur Besserung kann plötzlich eine stärkere Vermehrung auftreten. Bei benommenen Typhösen ist Relention des Harns in der Blase möglich; man hat darauf zu achten. Die Luftwege können in ihrer ganzen Ausdehnung erkranken. Die Xaseusrhleimhaat wird von einem entzündlichen Vorgang, der aber nur zur Schwellung und Verlegung führt und so gut wie nie mit der Absonderung eines reichlichen Sekrets einhergeht, oft befallen; Blutungen im Anfang, welche recht reichlich werden können, sind bei manchen Epidemien sehr gewöhnlich. Im Kehlkopf kommen Erosionen an den Seitenrändern der Epiglottis schon früh vor, dieselben heilen, obgleich von d i p h t h e r i s c h e r Natur (im anatomischen Sinne) dennoch gewöhnlich, ohne Folgen zu hinterlassen. An der hinteren Wand des Kehlkopfes, bisweilen auf den hinteren Teil der Stimmbänder übergreifend, finden sich von etwa der dritten Woche an Geschwüre, durch Nekrose entstanden, welche, unter Umständen in die Tiefe greifend, zu Eiterungen in der Umgebung, Bloßlegung und Zerstörung der Knorpel führen. Öfter bleibt Heiserkeit das einzigste Symptom, in den schlimmen Fällen aber kann durch Glottisödem und Kompression des Larynx, schwere Schädigung herbeigeführt werden. — Katarrh der feineren Bronchien, sich gegen das Ende der ersten Woche deutlicher zeigend, kommt nahezu regelmäßig vor. Bei stärkerer Entwicklung bringt derselbe ernste Gefahren: Lungenkollaps, katarrhalische lobulare Pneumonie, Hypostasen, sind bei unbesinnlichen., dauernder die Rückenlage einhaltenden, herzschwach gewordenen Kranken nichts Seltenes. Infarkte, Ahseesse und Gangran in der Lunge gehören schon zu den nicht häufigen Vorkommnissen. Die genuine Pneumonie ist in cler ersten Zeit nicht häufig, wohl aber in der späteren; sie ist immer eine wirkliche Komplikation. Übrigens ist neuerdings eine Entzündung der Lungen gefunden worden, welche auf den in reichlicher Menge in denselben vorkommenden Typhusbacillus selbst zurückgeführt wird (Pneumotyphns). — Bei sehr geschwächt aus einem Typhoid Hervorgehenden sieht man bisweilen Tuberkulose der Lungen, meist raschen Verlaufs, sich entwickeln. — Pleuritis ist sehr selten, Pneumothorax eher noch häufiger. Die Bronchial-, Tracheal-, Mcdiastinaldrüsen erkranken iii gleicher Weise, wie die des Mesenteriums, machen aber dabei kaum Symptome. Haut: das reguläre Exanthem ist die Roseola — leicht erhabene, linsengroße, rosarot gefärbte, an der Peripherie etwas verwaschene Flecke, anfangs unter dem Fingerdruck oder besser bei Anspannung der Haut vollkommen verschwindend, später auch bei der durch die genannten Maßnahmen herbeigeführten örtlichen Anämie der Haut leicht bräunlich gefärbt erscheinend, niemals bleibende Pigmentierung zurücklassend. Am zahlreichsten sind die Flecke am unteren Teil der Brust und am Unterleib; ihre Menge wechselt zwischen einigen wenigen und hunderten, sie können ganz fehlen. Mit der Schwere der Infektion geht die Stärke des Roseola-Ausbruchs nicht parallel; meist fallt ihr Auftreten in den Anfang der zweiten Woche. — Miliaria trifft mit dem Ausbruch reichlichen Schweißes zusammen, sie findet daher sehr gewöhnlich in der zweiten Periode statt. Herpes kommt nur in etwa 2—4°/ 0 vor.—Erysipelas wurde (immer nur als Komplikation) in einzelnen Epidemien häufiger gesehen. Furunkel und Abscesse der Haut sowie des Unterhautbindegeicebes dürften in der großen Mehrzahl sekundären Ursprungs
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sein, ebenso die Hämorrhagien der Haut. — Mit Recht gefürchtet ist der Decubitus, wohl stets Druckgangrän an den der Belastung durch den Körper am meisten ausgesetzten Stellen (Trochanteren, Kreuzbein, Skapula) und erst in der zweiten Periode sich entwickelnd. Die Gefahr pyiimischer Infektion liegt bei ausgedehnteren Zerstörungen nahe. — Die Ilaare fallen im Verlauf schwererer Erkrankung immer aus, sie werden über rasch, schon während der Rekonvaleszenz, durch neue ersetzt; auch die Nägel zeigen Veränderungen. In den Mushein kommen Abszesse, seltener Zerreißungen mit schweren Blutungen, die das Leben ernstlich bedrohen, vor. Die Recti abdominis werden davon wohl am häufigsten betroffen. Parenchymatöse Entartung dürfte dazu fast immer Veranlassung geben — selten thut es eine pyämische Infektion. Änderungen in der Zusammensetzung des Blutes sind in ihren Einzelheiten nicht bekannt; es kann bei dem Typhoid zur hämorrhagischen Diathese kommen. Die Körpergewichtsabnahme ist stets eine beträchtliche, sie kann bis zu einem Drittel und mehr des Anfangsgewichts heraufgehen. Der Abdominaltyphus tritt nicht immer vollentwickelt auf, vielmehr finden sich vielfache Stufen von kaum angedeuteter Erkrankung bis zu den schwersten Formen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Infektionen vorkommen, welche, ganz oder nahezu fieberlos verlaufend, nur durch dyspeptische Störungen und eine dazu in ausgesprochenem Mißverhältnis stehende Höhe der allgemeinen Körperschwäche sich geltend machen. Man hat hier die Bezeichnung „Abdominalkatarrh" gewählt, dem noch durch Hinzufügung von „febril" oder „afebril" die nähere Bestimmung gegeben wurde. Weiter schied man leichte und abortive Typhen; leichte wurden die genannt, deren Dauer der gewöhnlichen entspricht, deren Stärke, besonders an der Höhe des Fiebers gemessen, aber geringer ist — abortive solche von kürzerer Dauer bei vielleicht hohem Fieber und sonstigen schwereren Krankheitserscheinungen. Die abortiven Formen beginnen öfter mit plötzlich einsetzenden Erscheinungen, so dali der Patient genau den Tag seiner Erkrankung anzugeben weiß. Es kommt in etwa der Hälfte dieser Fälle zu einem gehörigen Schüttelfrost, Milzschwellung und Roseola ist schon vom zweiten bis fünften Tage nachweisbar; Diarrhöe kann fehlen, Druckempfindlichkeit in der lleocöcalgegend hingegen kaum. Die Temperaturen steigen vielleicht bis zu 41°, ihr Abfall vollzieht sich allmählich im Laufe einiger Tage. Was bis zum sechzehnten Tage fieberfrei geworden, gehört hierher.
Wenn der Kranke nicht genötigt war, das Bett aufzusuchen, spricht man von ambulatorischem Typhus. — Recidke schwanken bei den einzelnen Epidemien sehr in ihrer Häufigkeit; als Minimalziffer wird 1,4°/0 angegeben, als Maximum ll°/ 0 , indes dürfte das letztere für gewisse zeitliche und örtliche Bedingungen sehr wesentlich zu erhöhen sein. Es können mehrfache Recidive aufeinander folgen. Eintritt und Verlauf gleichen dem der Krankheit überhaupt — Temperatursteigerung, Milzschwellung, Roseola, Darmsymptome wiederholen sich wie die anatomisch nachweisbaren Lokalisationen — nur die Dauer des Recidivs ist eine gewöhnlichst viel kürzere, als die der ersten Erkrankung. Man nimmt mit Recht an, daß in der Regel eine Selbstinfektion stattfindet — d. h. daß im Körper zurückgebliebene Typhuskeime aufs neue zur Entwicklung gelangen. Veranlassung dazu geben meist, vielleicht immer, Diätfehler und Koprostasen — also unmittelbar den Darm treffende Schädlichkeiten; neben diesen ist möglicherweise noch zu frühes Aufstehen zu nennen.
Abdominaltyphus.
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Die Diagnose des Abdominaltyphus ist eine leichte, wenn man Gelegenheit hat, den Einzelfall in seinem Werden zu beobachten. Dann hat das Nacheinander der Symptome etwas so Charakteristisches, daß man kaum zum Zweifeln kommt; freilich darf man nicht am Krankenbette auf eine solche Regelmäßigkeit, besonders auch im Temperaturgange, rechnen, wie sie das Schema, immerhin nur die Mittelzahl aus vielen Beobachtungen bietet. Selbst wenn man von Anfang an den Gang der Dinge verfolgen kann, muß eine Zeit vergehen, bis man zur sicheren Diagnose gelangt, wenigstens sobald deren volle wissenschaftliche Begründung verlangt wird — es genügt darauf hinzuweisen, daß Milzschwellung, Roseola, Diarrhöe, Bronchialkatarrh gegen das Ende der ersten oder den Anfang der zweiten Woche auftreten. Während einer Epidemie pflegt man allerdings weitherziger zu sein. — Wer sich gegen Irrtümer schützen will, muß niemals die Diagnose auf Typhoid stellen, ehe eine genaue, den ganzen Körper umfassende Untersuchung die Abwesenheit einer anderweitigen Erkrankung ergeben hat. Verwechslungen kommen cor mit genuiner, spät und unvollkommen, dabei nur in kleinen Herden zu Tage tretender Pneumonie; dieser Irrtum ist nicht ganz selten und manchmal schwer zu vermeiden. Mit akuter miliarer Tuberkulose ist die Verwechslung namentlich dann äußerst leicht möglich, wenn man einen Typhusfall, der mit hochgradigem Bronchialkatarrh einhergeht, in vorgeschrittener Periode sieht. J?rmiUi.erende Malariaf.eber, ulceruse Endokarditis, Pyämie aus versteckter Quelle, endlich Pleuritis sind schon weniger leicht zu verwechseln — hier schützt häufige Temperaturbestimmung am besten. Ob das Fleckfieber immer früh unterschieden werden kann, ist für den Arzt, der nicht beide Krankheiten nebeneinander gesehen hat, schwer zu beurteilen. Der Umstand, daß bis gegen die Mitte dieses Jahrhunderts über die Identität der beiden Infektionen unter den besten Ärzten gestritten worden ist, dürfte sehr für die Möglichkeit der Fehldiagnose sprechen. Ältere Kollegen legen, den Anschauungen ihrer Jugend folgend, auf die Ilimsymptome ein großes, oft das entscheidende Gewicht und verstehen sich schwer dazu, bei deren Ausfall einen Abdominaltyphus anzunehmen, andererseits betrachten sie diesen als vorhanden, wenn Hirnerscheinungen in der vorher geschilderten Weise zugegen sind. Der Ausgang des im wesentlichen sich selbst überlassenen Typhus abdominalis ist der, „daß der Kranke im allgemeinen vier Chancen für sich, eine gegen sich hat, und daß sich diese Wahrscheinlichkeit im ganzen Verlauf besser nicht gestalten kann" (GRIESINGER) — das heißt: die mittlere Mortalität beträgt 20 °/0. So lautet der Ausspruch der besten Arzte vor der unter dem Vorgange von ERNST BRAND geschehenen Einführung der guten Behandlungsmethoden. Die Prognose im Einzelfall wird zunächst bedingt durch die Schwere der Infektion, gemessen an der Höhe und der Dauer der Temperatursteigerung, dann durch allerlei individuelle Verhältnisse. Hier kommt zuerst das Lebensalter in Betracht: Kinder sind im allgemeinen weniger gefährdet, jenseit der vierziger Jahre wächst die Möglichkeit eines ungünstigen Ausgangs und wird mit dem fortschreitenden Alter um so größer. Weiber sterben häufiger als Männer, jedoch ist der Unterschied kein gar zu beträchtlicher. Vielleicht wirkt der Umstand, daß Schwangere bei irgend stärkerer Infektion ganz gewöhnlich abortieren und dann durch den damit verbundenen Blutverlust leicht erliegen, schon auf die ganze Sterblichkeitsziffer ein. Fettleibige sind ungünstiger daran als Magere; Säufer sterben in größerer Menge. Unter den chronischen Leiden geben Herz- und Lungenerkrankungen eine weniger günstige Prognose.
Infektionskrankheiten
270
Bislier ist, wie es geschehen mußte, wenn der Verlauf des sich selbst überlassenen Abdominaltyphus zu schildern war, der Änderungen nicht gedacht, welche die Therapie im Bilde der Krankheit und in ihren Ausgängen hervorruft. Diese sind allerdings so gewaltige, daß ein von Anfang an behandelter, wenn aucli schwerster Fall nicht gerade viel Ähnlichkeit mit dem „normalen" Verlaufe zeigt, und daß die Sterblichkeit auf eine sehr kleine Zahl herabgedrückt wird. — Ohne jede Theorie darf man von der längst bekannten Erfahrungsthatsache ausgehen, daß eine starke Infektion mit Typhusgift die Körperwärme Zeit in die Höhe treibt, als eine schwache.
mehr und
für
längere
Darauf fußend ist die F)-agestellung für den therapeutischen Eingriff so zu f a s s e n : 1. Giebt es ein Mittel, durch dessen Anwendung die Körperwärme des Typhuskranken über die Dauer der Erkrankung auf tieferem Stande gehalten werden kanns 2. Wenn das bejaht wird: gelingt es durch die Anwendung dieses Mittels den schweren Fall nicht allein was die Höhe der Körperwärme angeht, sondern auch nach anderen Seiten hin günstig zu gestalten — also den Ausgang der Erkrankung günstig zu
beeinflussen? Die Antwort lautete so: Es giebt viele Mittel, welche die Körperwärme des Typhuskranken auf tieferem Stande halten, aber nur eines, welches auch den Verlauf und den Ausgang der Krankheit günstig unmittelbare Wärmeentziehung mittels des kalten Wassers.
gestaltet
— das ist die
Der Umstand, daß man die zweite Frage übersah, hat, abgesehen von wirklichem Schaden, den die Kranken erlitten, dazu geführt, daß eine feste Einbürgerung der Wasserbehandlung immer noch nicht erreicht wurde. Man sollte denken, daß jedes therapeutische Verfahren einzig nach den Erfolgen, die dasselbe hat, beurteilt werden darf, daß in letzter Linie nur die Sterblichkeitszift'er bei seiner Anwendung und der anderer den Ausschlag über Wert oder Unwert giebt — allein sogar die Richtigkeit dieser Grundanschauung wurde bestritten. So hat man denn wieder und wieder nach innerlich wirkenden antipyretischen Mitteln gesucht und sucht noch danach.
Eine richtig geleitete Wasserbehandlung des Abdominaltyphus führt dazu, daß aus dem Krankheitsbilde schwinden: 1. Die Hirnerscheinungen nahezu vollständig; es bleibt höchstens ein etwas eingenommener Kopf und, nur in den allerschwersten Fällen, eine ganz vorübergehende Benommenheit, aus welcher der Kranke leicht erweckt werden kann. An die Stelle der dauernden Erregung des Hirns ist ein erquickender ruhiger Schlaf getreten. 2. Die a u s d e m Katarrh
der feineren Bronchien
hervorgehenden
Bronchopneu-
monien nahezu ganz, ebenso die durch Herzschwäche bedingten Hypostasen; die Gefahr des Todes von den Tjungen aus ist eine sehr geringe
geworden.
3. Die Herzschwäche ist erheblich vermindert; nur bei den schweren und langdauernden Infektionen kann sich dieselbe ausnahmsweise einmal stärker geltend machen. Thrombose in den Vorhöfen oder den Ventrikeln, sowie in den Körpervenen sieht man nur in ganz vereinzelten Fällen; ebenso die hämorrhagischen Infarkte. 4. Die Möglichkeit, Nahrung aufzunehmen und dieselbe auszunutzen, die Neigung dazu, der Appetit, bleibt über die ganze Dauer der Krankheit erhalten. Daher ist weder die Abnahme an Körpergewicht noch an Körperkraft eine so erhebliche, wie es sonst der Fall sein würde. 5. Parenchymatöse Organdegenerationen sind nicht ganz zu verhindern, sie treten aber in weitaus geringerem Maße auf.
Abdominal typhus.
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6. Decubitus, Larynxgcschwüre, hämorrhagische Diathese, überhaupt die sekundären Infektionen, scheiden so gut wie ganz aus. 7. Die Dauer des zweiten Stadiums — des der „steilen" Kurven — wird in der überwiegenden Mehrzahl erheblich abgekürzt, ebenso die Dauer der RekonD O » valeszenz. Ob die Darmerkrankung irgend wesentlich beeinflußt wird, dürfte sehr fraglich sein; jedenfalls ist es sicher, daß die anatomischen Veränderungen im Darm nachweisbar bleiben, und daß Todesfalle durch Perforation oder Blutung erfolgen. Die Sterbeziffer beträgt bei 19017, keineswegs ganz tadellos behandelten und oft spät in Behandlung getretenen Fällen, 1489 = 7,S°/ 0 : eine einigermaßen vergleichbare große Zahl für die Nichtwasserbehandlung ist: 24997 Fälle mit '>525 Toaten — 22,1 ° 0 . Es wäre das eine Herabsetzung um zwei Drittel. Die Sterbeziffer von S ° 0 läßt sich übrigens noch erheblich vermindern; unter normalen Verhältnissen darf man für die nicht zu spät (d. h. nicht nach der Mitte der zweiten Woche) in Behandlung gekommenen Fälle eine Sterblichkeit von etwa 2—4 °/0 als die mittlere ansehen; der Tod ist wesentlich nur durch Darmperforation oder Blutung bedingt. Die Wasserbehandlung des Abdominaltyphus hat früh zu beginnen — selbst bei noch unsicherer Diagnose thut man wohl daran, so vorzugchen, als ob man es mit einem Typhoid zu thun hätte, denn Schaden kann dadurch nie gestiftet werden. — Jede Art der Wärmeentziehung thut ihre Dienste, am bequemsten und sichersten ist das kalte Vollbad. Die Wirkung eines Bades läßt sich am besten durch das Thermometer feststellen; eine Mastdarmmessung x/4 —-1/2 Stunde nach dem Bade lehrt dessen Erfolg, Abkühlung des Körperinneren bis zu 3 0 C., kennen. — J e kälter das Wasser genommen wird, desto kürzer kann auch die Dauer des Bades bemessen werden; es ist nicht richtig, daß niedere Temperaturen dem Kranken besonders unangenehm wären, die unmittelbar das Einsteigen in das Bad begleitende Unannehmlichkeit wird durch die auf die Hälfte und mehr abgekürzte Zeit des Verweilens in demselben (drei bis höchstens zehn Minuten) vollständig aufgewogen. J e höher die Körperwärme des Kranken nach dem Bade bleibt, desto rascher müssen die Bäder wiederholt, gleichzeitig muß ihre Temperatur vermindert, oder — weniger zweckmäßig — es muß ihre Dauer verlängert werden. — Im allgemeinen kommt man in mittelschweren Fällen bei dem erwachsenen kräftigen Menschen aus, wenn man, einerlei ob Tag oder Nacht, bei einer Mastdarmwärme von 39°—40° ein Vollbad von 12°—15° R. und 10—15 Minuten Dauer, oder ein solches von 8°—12° R. und von 5 bis 10 Minuten Dauer geben läßt. Von der Mitte der ersten bis zur Mitte der zweiten Woche kann in schwersten Fällen die Zahl der Bäder auf 16 und mehr den Tag steigen; später reicht man mit der Hälfte und weniger. Gerade in dieser frühen Zeit kommt in den schwersten Fällen alles auf Konsequenz an. — Einpackitng in dklce nasse Leintücher, die gut ausgedrückt sind — der ganze Stamm wird umhüllt, Arme und Beine bleiben frei — und Benetzung dieser Tücher (alle J/4 —1/.2 Stunde) mit möglichst kaltem Wasser kann bei hohem Fieber notwendig sein, bei weniger hohem Bäder ersparen. Hände und Füße sind stets nach dem Bade gut abzutrocknen, nach kälteren Bädern sind sie mit einer gut umwickelten Wärmflasche zu versehen. — Bei Kindern (größere wärmeabgebende Oberfläche), Schwachen und Alten, ebenso in der späteren Zeit der Erkrankung darf die Temperatur des Wassers bis 20°—25° R. gesteigert
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Infektionskrankheiten.
werden; allein das Thermometer muß den Erfolg des Bades kontrollieren. — Von antipyretischen Medikamenten kommt einzig das Chinin als Unterstützung in Betracht — größere Gaben, 2—3 g, einmal jeden zweiten Abend dargereicht (R. Nr. li>). Das dadurch erzeugte Temperaturminimum fällt auf die sechste bis achte Stunde nach der Aufnahme. Es giebt nicht viele Typhen, wo das Mittel nötig wäre, es giebt manche, wo es erwünscht sein kann, niemals aber darf man sich allein darauf verlassen. Beine Luft muß dem Kranken immer reichlich zur Verfügung stehen — besser Zug, der dem Fiebernden niemals schadet, als verdorbene Luft. Der Wein hat eine mehrfache. Indikation: 1. Vor und nach jedem Bade ist eine gewisse Menge davon zu geben, damit das Herz die von ihm vorübergehend verlangte größere Kraftleistung liefern kann — bei leichteren Fällen genügt ein wenig alkoholreicher Wein, bei schwereren wählt man die stärkeren und rasch resorbierten Sorten — Marsala, Sherry, Portwein, Schaumwein. Eine Mischung heißen Kaffees oder Thees mit Kognak wird bei jenen Kollapszuständen angewandt, welche durch Ursachen bedingt sind, die überhaupt die Einführung von größeren Mengen einer Flüssigkeit durch den Mund zulassen, also z. B. nicht bei dem Kollaps nach Darmperforation. 2. Als Sparmittel (BINZ) — es gelangt in dem Wein eine nicht unbeträchtliche Summe von Spannkraft zur Aufnahme, ohne daß von dem Körper irgend welche innere (Assimilations-) Arbeit verlangt würde. Man giebt am besten leichteren roten Bordeaux — je nach der Schwere des Falles von einem halben bis zu mehreren Litern täglich. Die Körperwärme wird durch Alkohol herabgesetzt, Berauschung tritt bei Fieberkranlcen so gut wie gar nicht ein. — 3. Teilweise gelingt es durch die Einführung von Wein, die so überaus wichtige ausreichende Versorgung des Fiebernden mit Wasser gleichzeitig herbeizuführen. — Die Wasserversorgung spielt bei der Ernährung des an Abdominaltyphus Erkrankten überhaupt eine hervorragende Rolle, auf sie muß man von vornherein bedacht sein. Nicht nur Ersatz des Verlorenen — der Körper besteht zu etwa drei Fünfteln aus Wasser, und Trockenheit der Gewebe ist ein nahezu regelmäßiger Leichenbefund bei allen Infektionskrankheiten — auch Ausschwemmung der Produkte des Stoffwechsels ist von nöten. Solange die Zunge der Kranken feucht und nicht mit dickem eingetrocknetem Belag bedeckt erscheint, kann man sicher sein, daß genügende Wassermengen zugeführt sind, und daß der Uberhitzung ausreichend entgegengetreten wurde. Es ist daher die Überwachung dieses Organs von großer praktischer Wichtigkeit; wird die Zunge nicht nur an der Spitze — das kann vom Atmen bei geöffnetem Munde herrühren —, sondern in ihrer ganzen Ausdehnung trocken und rissig, dann ist mehr Wasser äußerlich oder innerlich notwendig. Die Zufuhr der dem Verbrauch entsprechenden Mengen stickstoffhaltiger und kohlenstoffhaltiger Nahrungsmittel kann kaum jemals in vollständig ausreichendem Maße geschehen — mit einem Verlust an Körpergewicht ist jeder einigermaßen ausgebildete Typhus verbunden. Es handelt sich nur darum, die Einbuße so gering wie möglich zu machen. Der Lösung dieser Aufgabe wird durch den Zustand des Darms eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit bereitet. Wohl gelingt es, den Appetit rege zu halten — ist doch bei nicht wenigen der mit Wasser Behandelten die Hauptklage die über Hunger —, allein die Befriedigung der Eßlust darf nur durch eine sehr beschränkte Auswahl von Nahrungsmitteln geschehen. Alles, was größere Anforderungen an die Verdauung macht, länger im Verdauungsschlauch verweilt, und was, nicht roll ausgenutzt, reichlichen Kot bildet, muß versagt
Abdominaltyphus.
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werden. Die Nichtbefolgung der Regel rächt sich gar zu leicht, wenigstens durch Temperatursteigerung, vielleicht durch Blutung oder selbst durch Perforation des Darms. Es kann nicht dringend genug vor einer %u großen Nachgiebigkeit gewarnt werden, welche durch die subjektiven Empfindungen der Kranken nahe gelegt wird. Während des Fiebers und nach dessen Verschwinden mindestens acht Tage lang darf der Typhuskranke nur eine Nahrung zu sich nehmen, welche den eben angeführten Voraussetzungen entspricht. A m besten geht es mit der Milch, welche man, um sie wohlschmeckender zu machen und ihre Verdaulichkeit (feinflockige Fällung des Kaseins) zu erleichtern, mit 50—100 g Kognak auf das Liter versetzen läßt. Davon kann nach Belieben genommen werden — bis zu fünf Litern den Tag werden manchmal, selbst in schwersten Fällen ertragen, vermögen aber dennoch nicht den Gewichtsverlust zu verhüten. Kindermehle, ein gutes Peptonpräparat, Bouillon mit Ei, Fleischsaft ermöglichen etwas Abwechslung — über kurz oder lang kehrt man doch zur Milch zurück. Mehrmals den Tag wiederholtes Reinigen der Mundhöhle, wobei die Zahnbürste nicht zu vergessen, kann nicht dringend genug empfohlen werden. Es gehört das, ebenso wie thunlichst sorgfältige Behandlung der Lagerstätte zu den kleinen Sorgen — aber ihre Vernachlässigung kann schwer ins Gewicht fallen. Mit der Erfüllung dieser therapeutischen Aufgaben reicht man in der überwiegenden Zahl der Fälle vollständig aus; es bleibt nur noch Einzelheiten zu gedenken. — Wenn auch nicht als Abortivmittel im eigentlichen Sinne wirkend, darf doch das Quecksilberchlorür — Kalomel (R Nr. 39) — für einen Tag, nicht an mehreren — in Gaben von 0,5 g drei- bis viermal verabreicht werden, solange die Erkrankung den neunten Tag nicht überschritten hat. Es treten darauf mehrere dünnflüssige Entleerungen ein, die Temperatur pflegt für etwa 24—48 Stunden zu sinken, die ganze Krankheit scheint manchmal milder zu verlaufen. Vielleicht handelt es sich um eine, durch die im Darm selbst erfolgte Bildung von Quecksilberchlorid (Sublimat) herbeigeführte örtliche Vernichtung eines Teils der Bacillen. Heftigere, nicht spurweise Blutungen aus dem Darm, ebenso Peritonitis, welche eine drohende Perforation anzeigt oder eine erfolgte begleitet, sind unbedingte Gegenanzeigen des kalten Bades. Man sieht von der Wasserbehandlung am besten ganz ab und geht so vor, wie es die jetzt die Lage beherrschenden örtlichen Erkrankungen fordern. — Sehr selten wird man genötigt sein, gegen die Diarrhöe einzuschreiten — es könnte sich höchstens um Fälle mit zu starkem Wasserverlust handeln. Viel häufiger ist es, wenigstens an manchen Orten und zu gewissen Zeiten, die Verstopfung, welche Berücksichtigung verlangt: Eingießung von Wasser in den Darm, wenn nötig jeden Tag, genügt. — Bei ausgebreiteter kapillärer Bronchitis erweisen sich kalte Übergießungen im warmen Bade manchmal noch von Nutzen — wer von Anfang sorgfältig war, wird übrigens kaum in die Lage kommen, davon Gebrauch zu machen. — Da bei richtiger und konsequenter Wasserbehandlung des Abdominaltyphus welche selbstverständlich die von dem Einzelfall gestellten Aufgaben berücksichtigt, und bei der dadurch möglich gewordenen Ernährung des Kranken die Nachkrankheiten so gut wie ganz wegfallen, braucht man die Therapie derselben nicht im einzelnen zu erörtern. Ist das Fieber verschwunden, was daran erkennbar ist, daß bei mindestens dreimaliger Tagesmessung im Mastdarm nicht mehr 38° erreicht wurde, dann lasse man den Genesenden bei seiner bisherigen Diät noch acht Tage ganz im Bette, vermindere, wie schon vorher bei schwindendem Fieber, die Weinmenge und achte sehr genau darauf, daß keine Kotverhaltung eintritt. So verhütet man am besten Recidive. Nur komplizierte Fälle können anderweitige Maßregeln fordern — gewöhnlich ist im Laufe einiger Wochen die Genesung eine vollständige. Für allmählichen Ubergang zu der gewohnten Ernährung und Lebensordnung zu sorgen, bleibt die letzte Aufgabe des Arztes. Die Prophylaxis des Abdominaltyphus für die Gesamtheit fällt mit den Aufgaben der Hygiene im weiteren Sinne des Wortes zusammen. Daß durch Kanalisation und geregelte Entfernung der Auswurfstoffe die Häufigkeit und auch wohl die Heftigkeit der Erkrankung v. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. II. Aufl.
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Infektionskrankheiten.
vermindert werden kann, dürfte feststehen. Der einzelne schützt sich am ehesten an verseuchten Orten durch das Meiden der ihm bekannten Typhushäuser, des Wassers aus Brunnen oder Leitungen; Änderungen in seiner Lebensweise hat er, wenn diese nicht eine ganz thörichte ist, zu unterlassen. — Die Entleerungen der an Abdominaltyphus Erkrankten dürfen unter keinen Umständen in gemeinschaftliche Abtritte, einerlei welches Systems, gebracht werden. Man desinfiziere dieselben und denke daran, daß dabei das Feuer am sichersten ist. — Auch die verunreinigte Leib- und Bettwäsche der Kranken bedarf sorgfältiger Behandlung.
§ 106. Pest. Die P e s t , unter allen Seuchen die verheerendste, ist im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr in den Hintergrund getreten, aber noch keineswegs als erloschen anzusehen. Erst im Winter 1878/79 kam im europäischen Rußland (Gouvernement Astrachan) eine freilich wenig ausgedehnte Epidemie vor; Ostasien scheint in seinen centralen Teilen dauernd ein Pestherd zu sein. Der Krankheitserreger ist unbekannt. Ob unmittelbare Ansteckung von Mensch zu Mensch stattfindet, die Pest also eine eine eigentlich leontagiöse Krankheit, ist eine vielerörterte, neuerdings mehr und mehr verneinte Frage. Dagegen steht es fest, daß das Pestgift an einen bisher freien Ort verschleppt werden muß, wenn in demselben die Krankheit zur Entwicklung gelangen soll. Diese Verschleppung geschieht nicht nur durch kranke Menschen, leblose Gegenstände sind dazu ebenso, und zwar in hohem Grade befähigt. Es ist noch bestritten, ob nur unmittelbare Gebrauchsgegenstände des Kranken oder ob auch gewisse Handelswaren, die aus verseuchten Gegenden stammen, das Pestgift weiter zu befördern vermögen. — Als Hilfsursachen für die Verbreitung der Pest werden übereinstimmend soziale Mißstände, Hunger und Schmutz, angegeben; der schlecht ernährte und schlecht gehaltene Mensch erkrankt leichter. — Die Pest tritt ganz vorwiegend als Epidemie auf, öfter in so weiter Ausdehnung wandernd, daß man von Pandemien zu reden berechtigt ist. Die anatomischen Befunde sind ziemlich dürftig; man fand neben zahlreichen mehr oder minder, zum Teil sehr umfangreichen Blutungen in die inneren Organe und in die Haut konstant Schwellung der Lymphdrüsen, sowohl der oberflächlich gelegenen, besonders der Inguinaldrüsen, als auch der im Inneren befindlichen. Daneben war Milzschwellung zugegen. Die Inkubationszeit soll höchst selten länger als sieben Tage dauern. Meist ohne vorhergehende Vorboten verrät sich die Invasion des Pestgiftes durch rasch eintretende Schwäche mit heftigem dumpfem Kopfschmerz, Erschwerung der Bewegungen, Abnahme der geistigen Fähigkeiten, Verfall der Gesichtszüge, Erbrechen, bis zum Frost gesteigertem und wiederholtem Frösteln, manchmal zeigen sich schon jetzt Unregelmäßigkeiten des klein gewordenen Pulses. Das Ganze wird mit einem schweren Rausch verglichen. — Es folgt ein durch heftiges Fieber ausgezeichnetes Stadium, in welchem die Kraftlosigkeit und die Umnebelung des Hirns noch weiter geht. Dabei ist die Harnabsonderung bis zum Aufhören vermindert, Nasenbluten und Blutung aus den Nieren stellen sich öfter ein. Am zweiten bis vierten Krankheitstage gelangen die Drüsenschwellungen an einer oder mehreren Stellen zur Entwicklung, manchmal gleich von Anfang an sehr umfangreich und in größerer Zahl; bald nachher bilden sich Karbunkel auf der Haut. Damit lassen unter heftigen Schweißen das Fieber und die schweren Allgemeinerscheinungen nach; die Bubonen kommen zur Vereiterung oder gehen
Pest. Fleckfieber.
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zurück, die Karbunkel heilen aus — so kann schon am sechsten Krankheitstage die Reconvaleszenz beginnen. Aber Rückfalle sind nicht selten und sie sind gefährlich. — A l s Abweichungen von diesem Verlauf sind zu verzeichnen: lange Dauer des Fiebers ohne Drüsenschwellung; Drüsenschwellung und Entwicklung von Karbunkeln ohne Invasionszeichen und ohne nennenswertes Fieber; ein statt der Rekonvaleszenz, obgleich deutliche Erscheinungen der Remission vorhanden waren, folgendes Stadium unregelmäßigen Fiebers mit allerlei Metastasen — die Parotitis wird dabei besonders genannt — wahrscheinlich auf sekundäre pyämische Infektion zu beziehen. Bei dem schwarzen Tode, jener verheerenden Epidemie in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, waren starke Blutungen häufig. Solche kommen auch sonst vor und sind namentlich einer jetzt in gewissen Gegenden Indiens heimischen Pest (Palipest) eigentümlich. Eine eigene Form der Krankheit braucht deshalb nicht angenommen zu werden, vielleicht nur eine besondere Lokalisation oder eine ungewöhnlich schwere Infektion. Der Tod kann zu jeder Zeit der Krankheit, schon im Laufe des ersten Tages und, durch Folgezustände, in der ziemlich vorgeschrittenen Rekonvaleszenz eintreten. Meist bringt der dritte bis fünfte Tag die Entscheidung; wer über den achten T a g hinauskommt, hat verhältnismäßig günstige Aussichten. — Die von der Pest hervorgerufene Sterblichlce.it wird dadurch so erheblich, daß die Krankheit bei epidemischem Auftreten einen sehr großen Teil der Bevölkerung ergreift und von den Befallenen über die Hälfte wegrafft. - - Durch strenge Absperrung gegen einen von der Pest ergriffenen Ort, welche sieh nicht nur auf die aus jenem kommenden Menschen, sondern auch auf gewisse Gegenstände ausdehnt, kann Prophylaxis geübt werden. Unter dem Namen Quarantäne sind hierfür gewiß nicht zu milde Vorschriften von den einzelnen Staaten erlassen worden. Durch diese mit drakonischer Strenge durchgeführten Maßregeln scheint die Pest aus Europa allmählich verbannt worden zu sein. Dazu hat w o h l auch die Verbesserung der allgemeinen hygienischen Verhältnisse das Ihrige beigetragen — obgleich diese im Süden Europas an manchen Orten noch sehr viel zu wünschen, an nicht wenigen kaum einen Fortschritt erkennen läßt. Noch schlimmer steht es in denjenigen Gegenden Rußlands, in welchen vor wenig Jahren die Krankheit hauste. — A l s Schutzmaßregel für den einzelnen werden Einreibungen mit Ol empfohlen. Die eigentliche Therapie muß nach den für die Infektionskrankheiten allgemein geltenden Regeln geleitet werden. Große Mengen von Spirituosen, vielleicht Antipyrese, würden am ehesten Erfolg versprechen. Vereiternde Bubonen sind wie die Karbunkel nach den Vorschriften der Chirurgie, operativ und antiseptisch, zu behandeln. § 107.
Fleckfieber.
Das F l e c k f i e b e r (Typhus exanthematicus, Petechialtyphus) hat viel von seinem früheren Schrecken verloren: Dereinst eine Geißel der Völker, ist die Krankheit jetzt so sehr in den Hintergrund getreten, daß sie nur in vereinzelten Gegenden Deutschlands, in Europa überhaupt nur dort sich hält, wo ihre Vorbedingungen: Hunger, Elend, Schmutz, Verkommenheit, in ausgiebiger Weise zu finden sind. Diese Verhältnisse brachten es mit sich, daß man seiner Zeit von Kriegs-, Kerker-, Schiffstyphits redete, ebenso daß Mißernten früher sehr oft von dem Hungertyphus gefolgt wurden — die Hauptmasse von alledem ist zweifellos Fleckfieber gewesen'. A l s Hauptsalz der ätiologischen Forschung steht fest: die Geschichte des Typhus ist 18*
276
Infektionskrankheiten.
die des menschlichen Elends (HIHSCH); dagegen tritt alles andere zurück. — Das Fleckfieber gehört zu den kontagiösen Krankheiten, die Ansteckung geschieht von Mensch zu Mensch, unmittelbar oder mittelbar durch ¿die von Kranken benutzten Sachen oder die von ihnen bewohnten Räume. Genaueres tiber das Kontagium ist nicht bekannt; nach der Analogie urteilend wird man geneigt sein, dasselbe für einen niederen Organismus besonderer Art zu halten und die vielfach behauptete spontane Entstehung der Krankheit unter der Herrschaft von Bedingungen allgemeiner Natur zu leugnen. — Eine individuelle Immunität giebt es nicht, jeder kann ergriffen werden; wiederholtes Erkranken ist nicht selten. Der Leichenbefund zeigt außer den allen Infektionskrankheiten zukommenden E r s c h e i n u n g e n nicht
viel Charakteristisches.
D a s petechiale
Exanthem,
ein
etwas
stärker als bei dem Typhoid entwickelter Bronchialkatarrh, eine hochgradigere Muskelentartung des Herzens — das sind die wenigen positiven Befunde. Gewöhnlich ist Milzschwellung vorhanden, sie kann aber fehlen; der Darm bleibt frei, höchstens schwellen die Mesenterialdrüsen ein wenig an. Das Krankheitsbild des Fleckfiebers zeichnet sich zunächst durch einen raschen Anfang aus, seltener gehen Vorboten, allgemeines Unwohlsein mit Kopf- und Gliederweh, sowie Schnupfen (bei Abdominaltyphus sehr ungewöhnlich) einige Zeit voraus. Mehrmals wiederholtes Frieren leitet die Temperatursteigerung ein und begleitet sie während der ersten Tage. Es zeigt sich nun große Schwäche und Abgeschlagenheit, dazu anhaltender Schmerz im Kreuz und in den Gelenken, Schwindelgeftihl, Schlaflosigkeit, katarrhalische Entzündung der Nasen-, Mund-, Kehlkopf- und Bronchialschleimhaut, ebenso der Konjunktiven; Benommenheit mit Delirien läßt nicht lange auf sich warten. Vom dritten bis sechsten Tage erscheint das Exanthem, zunächst Roseola, am Rumpf und den Extremitäten, selten im Gesicht, bald weniger, bald stärker entwickelt, dann fast die ganze Haut bedeckend. Das Fieber remittiert bei dessen Ausbruch vielleicht etwas, nimmt aber nach kurzer Zeit wieder zu, so daß etwa um den neunten Tag bei noch fortdauernder Entwicklung von Ausschlag die Krankheit ihren Höhepunkt erreicht. Hirnsymptome und Schwäche haben sich immer mehr gesteigert, auch der Bronchialkatarrh nahm zu, der schwächer werdende Puls stieg bis auf 140, die Roseola wandelte sich zu Petechien um. E s e r f o l g t h ä u f i g gegen Ende der zweiten oder dritten Woche der Tod im tiefsten K o m a . Um dieselbe Zeit kann in den zur G e n e s u n g
gelangenden Fällen die Wendung zum Besseren eintreten, durch Nachlaß des Fiebers, reichliche Schweiße undRückkehr der Besinnlichkeit ausgezeichnet. Manchmal geschieht das im Laufe weniger Tage, andere Male innerhalb einer Woche. Der Bronchialkatarrh verschwindet verhältnismäßig rasch, der Appetit stellt sich schnell ein und die Rekonvaleszenz ist da. Diese aber währt lange, die Wiederherstellung der geistigen und körperlichen Kraft, besonders auch die der Herzthätigkeit zieht sich über Wochen und Monate hin. — Es kommt übrigens vor, u n d n i c h t selten, d a ß sich im Laufe
der eigentlichen Krankheit
anatomische
Veränderungen entwickelt haben, deren Ausgleichung viel Zeit in Anspruch nimmt und das Fieber nicht erlöschen läßt — im wesentlichen wohl sekundäre pyämische Infektion von Dekubitus aus oder schwerere Lungenaffektionen. Man sieht also das gleiche wie bei dem Typhoid, eine Reihe von Folgekrankheiten mit allen durch sie bedingten Gefahren. Die Sterblichlceit wird auf 15—20% veranschlagt, sie wechselt indes erheblicher als bei dem Typhoid; es giebt Epidemien mit 4°|0, andere mit 50°/0 Toten.
Fleckfieber.
277
Von Einzelheiten ist zu bemerken: Sehr schnell — am zweiten bis dritten Tage — eintretende
Todesfälle
(Typhus
siderans) weisen darauf hin, daß in der Infektion selbst ernste Gefahr liegen kann, daß dieselbe nicht allein durch das ihre Entwicklung begleitende Fieber, sondern auch durch Intoxikation schädlich wirkt. — Die Temperatursteigerung geht rascher als beim Typhoid von statten, schon am Abend des ersten Tages sind 40° erreicht, noch weitere Zunahme findet bis etwa zum vierten Tage statt, Maxima von über 41° gehören nicht zu den Seltenheiten. Remissionen erfolgen gegen Morgen, Exazerbationen gegen Abend; Nachlaß des Fiebers, aber nur für kurze Zeit, kann schon nach dem vierten Tage sich zeigen, dauernder Abfall in leichteren Fällen zu Ende der ersten, in schwereren um den Ausgang der zweiten oder zu Anfang der dritten Woche eintreten. Öfters geschieht das Absinken kritisch, subnormale Werte folgen. Die Herxthätigkeit leidet entschieden mehr als bei dem Typhoid not — hohe Pulszahlen sowie die Zeichen der Herzschwäche sind häufig und kommen in schwereren Fällen, besonders sobald daneben noch eine starke Bronchitis sich findet, zur vollsten Entwicklung. Dann ist das Herz im Zustande hochgradiger Entartung. Der Katarrh der Bronchien ergreift die feineren Zweige und führt die bekannten Folgezustände herbei (§§ 132 u. 159); durch sie wird ein größerer Teil der Lebensgefahr bedingt. Das Exanthem ist seiner Grundform nach die Roseola wie bei dem Typhoid; aber dasselbe erscheint in viel größeren Mengen, es zeigt sich von einem stärker injizierten Hofe umgeben und fließt manchmal an einzelnen Stellen zusammen. Alles das ist nicht so wesentlich, wie die petechiale Umbildung. Diese geschieht an den Einzelflecken etwa am zweiten bis dritten Tage ihres Bestehens;
es ist dabei
ein Blutaustritt in die tieferen Hautschichten erfolgt, Druck läßt nun die Farbe nicht mehr schwinden, welche dunkler weinrot, später mehr violett erscheint — erst nach etwa 10—14 Tagen ist der Einzelfleck undeutlich geworden oder ganz vergangen. Nicht alle Roseolae brauchen sich so zu wandeln, die meisten aber t h u n es. — Der Ausbruch
des Exanthems
vom vierten bis sechsten Tage der K r a n k -
heit ist die Regel, seltener findet er schon am zweiten oder erst am siebenten bis neunten Tage statt; mit wenig Ausnahmen bleibt das Gesicht frei. — Eingestreute kleine primär entstandene Petechien haben keine schlimme Bedeutung. Miliaria ist weniger häufig als beim Typhoid, Herpes labialis ist dagegen in einigen Epidemien recht oft vorhanden. Tiefer greifende Veränderungen der Verdauungswerkzeuge finden sich nur in der Form parenchymatöser Entartung an den großen Drüsen; der Darm zeigt keine besonderen Erkrankungen; auch funktionelle Störungen bleiben meist ganz aus. Die Milz kann bis zum Bersten geschwellt sein — aber es giebt nicht wenig Epidemien, wo sich dieselbe ganz unverändert erwies. Unter den Hirnerscheinungen kommen häufiger als bei dem Typhoid wilde Delirien und Krampferscheinungen vor; im ganzen dürften anatomische Veränderungen des Gehirns gleichfalls öfter sich finden. Die sekundären Erkrankungen sind die gleichen wie hei dem Typhoid. — Abweichungen des Verlaufes zeigen sich als schwere — der Typhus siderans wurde bereits erwähnt — und, häufiger, als leichtere Formen. Das Exanthem kann ausbleiben, dafür stellt sich dann Herpes im Gesicht ein. Sonst sind alle Symptome, besonders das Fieber, aber in geringerem Grade als gewöhnlich vorhanden. — Rückfalle wechseln in den einzelnen Epidemien sehr an Häufigkeit. — Bei der
278
Infektionskrankheiten
Differentialdiagnose, die im wesentlichen gegen den Abdominaltyphus gestellt werden muß, ist auf das Bestimmteste hervorzuheben, daß niemals allein das Aussehen des Exanthems als das Entscheidende betrachtet werden darf. — E s kann bei dem Typhoid ein sehr starker Ausbruch von Roseola stattfinden, es können, namentlich wenn sich eine haemorrhagische Diathese entwickelte, einzelne Flecken zu Petechien sich umwandeln. Nicht ganz selten aber kommt es vor, daß mit Flohstichen bedeckte schwer fiebernde Kranke, meist wohl solche, die an Abdominaltyphus leiden, als vom Fleckfieber ergriffen angesehen werden. Das wenn man die Haut spannt deutliche Stigma im Centrum läßt den Irrtum bei frischen, noch von einer hyperämischen Zone umgebenen Flecken leicht vermeiden; bei älteren ist deren im Vergleich zu der eines petechial gewordenen Roseolaflecks geringe Ausdehnung zu verwerten, übrigens sind stets frischere und ältere Flohbisse nebeneinander vorhanden. Außerdem liegt der Kot des Flohes als stecknadelkopfgroße schwarze Masse hie und da der Haut auf. — Die Prognose wird um so weniger günstig, je vorgeschrittener das Alter des Befallenen war. Im übrigen entscheiden wie bei allen Infektionskrankheiten die Stärke der Infektion und die Widerstandsfähigkeit des Ergriffenen. Die Prophylaxis fällt ganz mit der Sorge für günstige Lebensverhältnisse zusammen. Die Behandlung der Krankheit selbst dürfte am besten genau in der gleichen Weise wie die des Typhoids zu leiten sein; durch das Unversehrtsein des Darmes hat man in den Ernährungsfragen freilich einen weiteren Spielraum. Breite Zahlenunterlage fehlt; soweit die vorliegenden Beobachtungen Schlüsse zulassen, scheint eine erhebliche Verminderung der Sterblichkeit bei konsequenter Wasserbehandlung und entsprechender Ernährung möglich. § 108.
Rückfalltyphus.
Der R ü c k f a l l t y p h u s (Febris recurrens) wird durch die Invasion der Spirochaete Obermeieri erzeugt. Dieselbe findet sich konstant im Blute der Kranken, solange dieselben fiebern, sie schwindet aber sehr rasch aus dem Blute der Leiche Es handelt sich um 0,16 bis 0,40 mm lange Fäden, die stark gewunden sind und lebhafte Eigenbewegung darbieten. Züchtung der Spirochäte außerhalb des Körpers gelang nicht, wohl aber konnte durch Einimpfung des spirillenhaltigen Blutes von Rekurrenskranken diese Krankheit auf Menschen und Tiere übertragen werden. Nachweisbar tritt in der Seuchengeschichte die Rekurrens erst um den Anfang des 18. Jahrhunderts auf; sie geht räumlich und zeitlich mit dem Fleckfieber vielfach einher. Der Osten Europas und Irland sind besonders heimgesucht, von dort kommt Verschleppung der Krankheit zustande, die aber nicht häufig zu epidemischer Verbreitung an dem so infizierten Orte führt. — Die Hauptbedingung für die Entwicklung der Krankheit sind antihygienische Verhältnisse, im ganzen die gleichen wie die bei dem Fleckfieber. Kontagion — Ansteckung von Mensch zu Mensch oder durch Gebrauchsgegenstände der Kranken findet sicher statt. Individuelle Immunität giebt es nicht; mehrfaches Erkranken kommt häufiger vor. — Der Leichenbefund bietet kaum etwas ganz Charakteristisches. Bei den schwereren Formen, die man früher mit dem Namen „biliöses Typhoid" belegt hat, zeigt sich allerdings erhebliche parenchymatöse Entartung der Leber und starke, Schwellung der Milz mit Bildung miliarer Eiterherde in derselben, nicht selten auch Berstung ihrer Kapsel. Die Mesenterialdrüsen sind vergrößert, die
Fleckfieber
Rückfalltyphus.
279
PEYER'sehen Platten und solitären Follikel hingegen frei. Blutungen unter die Haut und die Schleimhaut sowie Ikterus sind nicht selten. Übrigens kommen alle diese Veränderungen mehr den außerhalb Europas entstandenen Fällen zu. Die Krankheit beginnt meist plötzlich mit starkem Frost, rasch einsetzendem, hohem Fieber und heftigen Gliederschmerzen, daneben sind große Kraftlosigkeit und nicht selten gastrische Erscheinungen vorhanden. Die Milz schwillt stark an, um den vierten Tag zeigt sich häufiger Ikterus, Unbesinnlichkeit und Delirien treten auf. Gegen das Ende der ersten Woche sind alle Störungen auf ihren Höhepunkt gekommen — nun mit einem Male Besserung im Laufe von Stunden, das Gewöhnliche, oder Tagen, bald folgt eine scheinbar vollkommene Genesung, jedenfalls aber ein sehr ausgesprochener Nachlaß. — Nach 4—14 Tagen erneutes Erkranken mit den früheren Erscheinungen, aber von kürzerer Dauer (zwei bis vier Tagen), dann wiederum Abfall und jetzt in den meisten Fällen bleibende Rekonvaleszenz. Ausnahmsweise kommt noch ein dritter und vierter Anfall zustande. Die Sterblichkeit ist eine geringere als bei dem Typhus exanthematicus und abdominalis — als Minimum wird 20 0 angegeben, aber auch bis zu 20 °/0 wurden beobachtet. Von Einzelheiten sei erwähnt: Die Inkubationszeit wird auf fünf bis sieben Tage veranschlagt. Die Temperatur steigt schon während des Initialfrostes erheblich, bald ist ein Maximum von meist über 40° (bis zu 42°) erreicht, während des Fieberstadiums bewegt sich die Schwankung mit Morgenremissionen von 1°—2° um ein Tagesmittel von 40°—41°, nicht jeder Tag ist dem anderen gleich. Der Abfall findet plötzlich statt, nachher zeigen sich öfter subnormale Werte. Während der folgenden Perioden des Rückfalls sieht man ebenso rasches Ansteigen, dieselben hohen Fiebergrade mit den nämlichen Tagesschwankungen und dann wiederum schnelles Sinken. Die Pulsfrequenz ist eine hohe. — Hirnerscheinungen sind gewöhnlich nicht bis zur Betäubung ausgebildet; das Sensorium ist verhältnismäßig so wenig benommen, daß die Klagen über heftige Muskelschmerzen lange Zeit im Vordergrund der subjektiven Beschwerden stehen; daneben ist dann Kopfweh vorhanden. Etwas Bronchitis zeigt sich oft, dieselbe hält sich aber innerhalb mäßiger Grenzen. — Milzschwellung, meist eine sehr beträchtliche (man hat eine Umfangszunahme um etwa das Sechsfache beobachtet), fehlt nie, sie tritt schon innerhalb der ersten Tage auf, ist am Ende des ersten Anfalles am stärksten, geht während der freien Zeit zurück und wiederholt sich bei dem oder den weiteren Anfallen. — Schwellung der Leber ist nicht selten, ein leichter Grad von Ikterus ist sehr häufig. — Schwerere Störungen des Magendarmkanals fehlen; es kann sogar der Appetit erhalten bleiben. — Von Exanthemen finden sich, jedoch keineswegs konstant: Roseola, leichtere Blutaustretungen (Pelioma), dann Herpes labialis. Mit dem Nachlaß des Fiebers tritt meist starker Schweiß und in dessen Gefolge Miliaria auf. — Im Blute ist, solange Fieber vorhanden, die Spirochäte nachweisbar; die Menge der weißen Blutkörperchen nimmt zu. Außer wenig entwickelten febrikulösen Formen kommt als Ausdruck schwerster Infektion das biliöse Typhoid vor. Dieses ist gekennzeichnet durch heftige Hirnsymptome, hochgradigen (hamatogenen) Ikterus, Neigung zur hämorrhagischen Diathese und Herzschwäche. Durch den Nachweis der Spirochäte und durch Impfungen anf Menschen — das Blut von den an biliösem Typhoid Leidenden
280
Infektionskrankheiten.
erzeugte dabei die gewöhnliche Rekurrens — ist die Identität der beiden Krankheiten sicher erwiesen. — Komplikationen und Folgex-ustände gehen aus heftigeren primären örtlichen Erkrankungen hervor, sie sind im ganzen selten. In manchen Epidemien ist häufiger akute Nephritis beobachtet worden. Die Prognose ist im allgemeinen günstig, individuell wiederum von der Schwere der Infektion und der Widerstandsfähigkeit des Ergriffenen bedingt. Die Diagnose wird durch den Nachweis der Spirochäte in zweifelhaften Fällen leicht zu sichern sein. Bei der Behandlung wird man von den allgemeinen Grundsätzen, die für alle Infektionskrankheiten gelten, ausgehen müssen. Antipyrese und Herzreize werden bei gegebener symptomatischer Indikation ihre Anwendung finden. Nach den überhaupt geringeren Gefahren der Krankheit zu urteilen, wird man weniger entschieden einzuschreiten brauchen, als bei den beiden anderen Typhen. Sehr gerühmt sind große Dosen von Chinin. § 109. Kryptogenetische Septikopyämie.
Krankheitserreger der Septikopyaemie, der Blutvergiftung, wie man in unserer Muttersprache das Leiden benennt, sind verschiedene Arten der Eiterkokken, u n t e r d e n e n d e r Staphylokokkus
pyogenes
aureus
u n d der Streptokokkus
pyogenes
in erster Reihe aufzufuhren sind. — Läßt sich die Eingangspforte, durch welche diese ubiquitären Mikroben in den Körper eingedrungen sind, nicht nachweisen, so redet man von kryptogenetischer Septikopyaemie (LEUBE) ; deutsch könnte man v o n Blutvergiftung
verborgenen
Ursprings
sprechen. —
Manche halten daran fest, daß eine wenn auch nur geringe Verletzung der Häute oder der Schleimhäute vorausgegangen sein muß, um den Kokken den Weg zu öffnen. Zur Unterstützung dieser Auffassung läßt sich geltend machen, daß nach einer einfachen Schnittwunde, die bei der Sektion der Leiche eines an dieser Krankheit Verstorbenen entstand, eine Allgemeininfektion mit örtlichen Erkrankungen in weit entlegenen Körperteilen auftreten kann, obgleich die ursprünglich verletzte Stelle nichts als die gewöhnlichen Zeichen einer reinen Wunde darbietet. — Weiter ist anzuführen, daß niemand beweisen kann, es sei auf der so weit ausgedehnten Oberfläche der Schleimhäute nicht irgendwo eine Abschürfung des Epithels vorhanden gewesen, das unversehrt einen den Eiterkokken undurchdringbaren Panzer bildet. — Übrigens ist noch auf ein anderes hinzuweisen: Einige Beobachtungen sprechen dafür, daß in den Resten alter Eiterherde die Kokken längere Zeit, unwirksam, aber nicht unschädlich gemacht, zurückgehalten werden; bei gegebener Veranlassung brechen sie dann aufs neue in den Körper ein. Dabei braucht in dem alten Herde keineswegs etwas Besonderes — frische Entzündung, Zerfall u. s. w. — vorzugehen. — Wie dem nun auch sei — um das gehäufte Auftreten der Krankheit zu verstehen, wird man stets auf das seinem Wesen nach zwar unbekannte, sich bei allen Infektionskrankheiten aber unzweideutig als thatsächlich vorhandene Etwas zurückgreifen müssen, welches den Namen Genius epidemicus trägt. — Im ganzen scheint die Blutvergiftung unbekannten Ursprungs nicht gerade oft als Epidemie aufzutreten; in Tübingen hat sie sich seit dem Ausgang 1881 sozusagen eingebürgert, in einem Jahre mehr, in dem anderen weniger zahlreiche Opfer fordernd. Obgleich eine ent-
Rückfalltyphus. Kryptogenetische Septikopyämie.
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schiedene Häufung der Erkrankungen an Sepsis nach leichteren Verletzungen und im Wochenbette bei Frauen eintrat, die sicher nicht unmittelbar durch den Arzt oder die Hebamme infiziert waren, blieben die chirurgische und die geburtshilflich -gynaekologische Klinik ganz verschont. — Die Verhältnisse gestatteten die Beobachtung des Ganzen der Krankheit; neben den schwersten kamen alle Entwicklungsstufen bis zu den leichtesten herunter vor. Die nachfolgende Schilderung sucht ein möglichst umfassendes Bild nach eigener Wahrnehmung entworfen zu geben. —
Ätiologie: Eine irgendwie geartete Abhängigkeit von äußeren Bedingungen scheint nicht vorzuliegen: Die Jahreszeiten, die Beschaffenheit der Wohnräume, die Lebens- und Ernährungsverhältnisse, Geschlecht und Alter dürften ohne Bedeutung sein. Vielleicht sind ganz junge Kinder und Greise einigermaßen geschützt. — Für Ansteckung von Mensch zu Mensch spricht keine Thatsache. — Gelegenlwitsursachen sind mit Sicherheit nicht aufzufinden. — Es ist nicht zu entscheiden, ob die Entzündung der Rachenschleimhaut, welche manchmal die Krankheit einleitet, schon eine Lokalisation derselben darstellt, oder ob sie, aus anderen Ursachen hervorgegangen, die Invasion der Mikroben vermittelt. — Von den Krankheitserregern scheint der Streptokokkus pyogenes mehr mit jenen Erkrankungen zu thun zu haben, welche in der Form der von einem primären Herde sich allseitig, aber im Zusammenhang ausbreitenden phlegmonösen Entzündung auftreten. — Der Staphylokokkus pyogenes aureus dagegen kreist mit dem Sltlte und bildet weit auseinander gelegene, mehr umgrenzte, nicht auf die Nachbarschaft übergreifende Herde. — Es können beide Mikroben nebeneinander auftreten. — Die Kokken wurden bisher weder im Blute, noch in den Geweben des Lebenden, sie wurden nur in der Leiche nachgewiesen, hier aber innerhalb der Entzündungsherde aller ergriffenen Körperteile. Die klinische Beobachtung, welche einen ununterbrochenen Zusammenhang zwischen leichten und schweren Fällen, sowie Übergänge von diesen zu jenen und umgekehrt kennen lehrt, läßt indes den Schluß, daß es sich wirklich um eine einheitliche Krankheit handelt, als berechtigt erscheinen. —
Der Leichenbefund liefert zunächst die den akuten Infektionskrankheiten überhaupt zukommenden Merkmale allgemeiner Schädigung der Gewebe. Daneben aber zeigen sich die durch das spezifische Gift bedingten Entzündungen und Nekrobiosen, welche seiner Ausbreitung entsprechen und überall im Körper vorkommen können. — Es muß hervorgehoben werden, daß die Stärke dieser Veränderungen größerem Wechsel unterliegt: von den ersten Anfängen bis zur eiterbildenden und haemorrhagischen Entzündung, deren Ausgang die Vernichtung der betroffenen Teile im Gefolge hat, finden sich in einer und derselben Leiche alle Formen. — Es sind Rückbildungen an den minder stark ergriffenen Stellen möglich, jeder Herd stellt eine von den anderen unabhängige Einheit dar. Das ist eine wichtige Thatsache, welche sich für das Verständnis des Ganzen von einschneidender Bedeutung erweist. — Wie lange die Inkubation dauert, ist nicht bekannt; will man, was wohl gerechtfertigt ist, die bei den septischen Wunderkrankungen gemachten Erfahrungen heranziehen, dann würde man nur mit wenigen Tagen zu rechnen haben. — Das nach mittelschweren Fällen entworfene Krankheitsbild ist dieses: Allgemeines Unbehagen, häufig mit recht schwerem Krankheitsgefühl, vielfach mit weit verbreitetem Reißen und Ziehen in den Gliedern verbunden, hat einen oder mehrere Tage lang angehalten. Es waren damit schon leichte Fieber-
282
Infektionskrankheiten.
bewegungen verbunden, Frieren und Frösteln, auf alle Zeiten des Tages unregelmäßig verteilt, hatten sich gezeigt. Die Kranken glaubten, sie hätten sich erkältet und wurden in dieser Meinung durch die nicht selten vorhandene Angina bestärkt. Zeitweilige Besserung wechselt mit Verschlimmerung des Befindens ab. Es kann sich langsamer ohne ganz bestimmten Merkpunkt des Anfangs das Leiden entwickeln, häufiger aber wird dieser durch einen mehr oder minder heftigen Frost mit alsbald folgender Hitze gekennzeichnet. Jetzt wird sicher das Bett aufgesucht, wenn das nicht schon früher der Fall war. — Bei der Untersuchung findet man: Meist ein blasses Gesicht mit leicht bläulicher, an den Lippen und um den Mund besonders hervortretender Verfärbung. Die Atmung nur dem Stande der Körperwärme entsprechend, der Puls dagegen meist beträchtlicher beschleunigt. Das Herz schlägt in größerer Ausdehnung und stürmischer an die Brustwand, zu seiner Arbeit steht die Füllung des Pulses in entschiedenem Mißverhältnis. — Bei der Auskultation der Brust hört man an einzelnen Stellen ein feines, weiches Reiben, das hier bei der Einatmung, dort bei der Ausatmung am deutlichsten ist, am dritten Ort bei beiden gleichmäßig stark erscheint. Von Schmerzen braucht dasselbe nicht begleitet zu sein, wohl aber nimmt es bei Druck auf die Brustwand zu. Seine Verteilung ist eine unregelmäßige, die Einzelherde liegen voneinander getrennt. In einer nicht kleinen Zahl von Fällen nimmt man das gleiche Reiben oberhalb der Milz und der Leber wahr. — Seltener hört man extra- oder intraperikardiale Reibegeräusche. — Die Herztöne sind laut, aber oft dumpf oder von deutlichen Muskelgeräuschen begleitet. — Schon jetzt kann ein Katarrh der mittleren oder der feineren Bronchien, gewöhnlich nicht gleichmäßig verbreitet, sondern auf einzelne Teile beschränkt, vorhanden sein. — Die Milz ist wohl stets vergrößert. Auf Druck empfindlich sind die Knochen, besonders die langen Röhrenknochen, in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle. Bei schwerer Erkrankung ist jede Bewegung des Ergriffenen von den heftigsten Schmerzen begleitet, bei leichter muß man, die bedeckenden Muskeln an die Seite schiebend mit den Fingerspitzen auf den Knochen eindringen, um die Empfindlichkeit desselben festzustellen. Wiederum zeigen sich in einem und demselben Knochen getrennt liegende Herde, indes kann ein solcher in seiner ganzen Ausdehnung erkrankt sein. — Sind, was nicht notwendig ist, die Gelenkenden ergriffen, dann ist meist auch das entsprechende Gelenk mehr oder minder stark geschwollen, ebenso sind es die dasselbe bedeckenden Weichteile. Bei schwererer Erkrankung stellt sich an diesen Stellen eine echte Phlegmone ein, welche örtlich beschränkt bleiben, aber auch weiterwandern kann, so daß sich aus ihr ein hochgefährliches Leiden herausbildet. — Von den platten Knochen nehmen wenigstens die das Becken zusammensetzenden mitunter teil. Die Halbgelenke, besonders die zwischen Rippen und Brustbein, werden häufiger ergriffen. — Die Knochen- und Gelenkentzündungen sind unregelmäßig über die beiden Körperhälften zerstreut. — Störungen des Allgemeinbefindens sind immer vorhanden; vielleicht haben sich schon die Zeichen einer Abnahme der Körperfülle eingestellt, jedenfalls aber die der Verminderung der Leistungsfähigkeit: eine dem Fieber nicht entsprechende Kraftlosigkeit läßt sich feststellen. Die Höhe und die Verteilung der Temperatursteigerungen über die Tages-
Kryptogenetische Septikopyämie.
283
einheit ist größerem Wechsel unterworfen; Fieber fehlt nie. Die Eßlust ist wohl stets vermindert. Der Stuhl ist häufiger augehalten, indes treten auch Durchfälle auf. — Immer wird der Gesamteindruck der sein, daß man eine schwerere Allgemeinerkrankung vor sich hat. — Was nun weiter geschieht, ist nicht zu wissen. Es kommt auf den Ort der spezifischen Entzündungen und auf ihre Stärke, dann darauf an, wie sehr der Gesamtkörper in Mitleidenschaft gezogen wird. Um einigermaßen die Übersicht zu b e h a l t e n , k a n n m a n Gruppen hinstellen,
in welche sich die einzelnen
Krankheits-
bilder einreihen lassen, sobald man nicht vergißt, daß diese Einreihung immer nur nach den besonders hervortretenden Erscheinungen geschieht und neben ihnen auch andere vorhanden sind, welche, wenn sie stärker würden, eine Verschiebung in der Einteilung rechtfertigten. — Als solchc Gruppen
ergeben sich
ungezwungen:
1. Gruppe der vorwiegenden Allgemeinerkrankung, durch raschen Niedergang der Kräfte, des Körperumfangs, der Thätigkeit aller lebenswichtigen Organe ausgezeichnet. Das gleiche Bild wie bei jeder schweren Infektion. — 2. Gruppe der vorwiegenden Herzerkrankung, die sich meist, fast stets, weder auf den Herzmuskel, noch auf das Perikardium oder das Endokardium beschränkt — man spräche am besten von Pankarditis. Indes ist hervorzuheben, daß eine Endokarditis, besonders wenn dieselbe an den Klappen ihren Sitz hat, dem Ganzen ein besonderes und in der That ihr besonderes Gepräge aufdrückt, Daher kann man dem üblichen Brauche folgend die septische Endokarditis gesondert besprechen (s. § 134). 3. G r u p p e der vorwiegenden
Erkrankungen
der Knochen
und der Gelenke.
In
den schweren und schwersten Formen längst bekannt; früher als Knochen- oder Gliedertyphus (CHASSAIGNAC) , jetzt als primäre infektiöse Knochen- und Knochenhautentzündung (LÜCKE) bezeichnet. Daß das Ganze zur Septikopyämie gehört, war durch die klinische Beobachtung wie durch den bakteriologischen Befund erhärtet. Ebenso hatte man wenigstens die Fälle, in denen nahezu gleichzeitig oder doch bald hintereinander mehrere Knochen ergriffen wurden, auf eine allgemeine Infektion mit primärer Lokalisation in den Knochen zurückgeführt. Damit war denn auch den Herdbildungen in anderen Körperteilen ihre Stellung zum Ganzen angewiesen; man hat dieselben wenigstens in der überwiegenden Mehrzahl als sekundäre betrachtet. Die leichteren Formen scheinen dagegen nicht genügend gewürdigt zu sein; man hat dieselben wohl meist mit dem akuten Gelenkrheumatismus zusammengeworfen. — 4. G r u p p e der v o r w i e g e n d e n phlegmonösen Entzündungen in der Haut, in dem Unterhautbindegewebe, in den Muskeln; f e r n e r in den Schleimhäuten und in den serösen Häuten. —
Es ist zu bemerken, daß die Chirurgen als Teilerscheinung einer Wundinfektion oder einer akuten Osteomyelitis die Phlegmone längst kennen — tritt dieselbe stärker hervor, dann wird auch wohl das ganze Krankheitsbild mit dem N a m e n „akute
septische Phlegmone"
belegt. —
Die Bedeutung der phlegmonösen Entzündung ist, abgesehen von ihrer Stärke und von ihrer Ausbreitung, wesentlich von ihrem Sitz bedingt. Dadurch kann das Ganze der Krankheitserscheinungen seinen besonderen Charakter im Einzelfall bekommen. Heftigere Phlegmonen pflegen sich nicht auf die Körper-
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Infektionskrankheiten.
teile zu beschränken, von denen sie ausgingen, sie greifen nach allen Richtungen hin in die Nachbarschaft über. Es kommt aber auch vor, daß sich die Entzündung nur auf kleine Flächen (bis zu der eines Zehnpfennigstücks herunter) ausdehnt, indes an dem ergriffenen Orte die schlimmsten Zerstörungen anrichtet. — Aber wiederum sind leichtere Formen zu beobachten, die auf eng umschriebene Herde beschränkt bleiben, öfter nicht über die ersten Anfänge der Entzündung hinauskommen und sich dann rasch wieder zurückbilden. — Die umschriebenen phlegmonösen Entzündungen, seien sie nun leichte oder schwere, treten meist an verschiedenen Orten gleichzeitig oder doch kurz hintereinander auf. — Es dürfte zweckentsprechend sein für die Entzündungen der Pleura, des Mediastinums, der Meningen keine Sonderung eintreten zu lassen, sie können ihrem ganzen Verlauf nach ohne Bedenken hier eingereiht werden. — 5. Als eigene Gruppe mag man noch die Entzündung des Hirns, der Idingen, der Nieren, der Milz und der Leber hinstellen, soweit dieselben nicht durch gröbere Embolie, sondern durch Einschwemmung der mit dem Blute kreisenden Mikroben zustande kommen. Daß die Beteiligung dieser Organe wieder eigene Erscheinungen im Krankheitsbilde bedingt, ist selbstverständlich. — Dadurch, daß neben den von Anfang stärker leidenden Körperteilen, welche öfter entschieden im Vordergrund bleiben, auch andere, und es braucht ja kein einziger ausgeschlossen zu sein, später ergriffen werden, dann durch die wechselnde Stärke der Erkrankung in den Einzelherden, den Rückgang eines solchen an dieser, das Neuauftreten oder die Ausbreitung der Entzündung an jener Stelle gewinnt das Krankheitsbild eine so außerordentliche Mannigfaltigkeit. Zunächst mag über den Verlauf nur soviel gesagt sein, daß derselbe ein zögernder und durch häufige Nachschübe unterbrochener ist. — "Wenden wir u n s der Betrachtung
der Einzelheiten
zu:
Das Verhalten des Fiebers ist ein außerordentlich wechselvolles. Schon der Beginn desselben zeigt das; denn neben leichtem Frösteln, das von wenig achtsamen Leuten kaum bemerkt wird, finden sich Schüttelfröste von äußerster Heftigkeit, die mit so großen Beschwerden einhergehen, daß ihre Wiederkehr von den Kranken mehr als alles gefürchtet wird. — Eine Erhöhung
der Körperwärme
fehlt in keinem Falle;
dieselbe k a n n aber
sehr kurz dauern und auf sehr geringe Werte beschränkt bleiben. — Wie genaue Messungen ergeben, ist während der ganzen Zeit, in welcher der Krankheitserreger sich wirksam erweist, die Verteilung der Temperaturen, selbst der an sich nicht einmal die Norm übersteigenden, auf die Tagesstunden keine regelmäßige. Hebungen wie Senkungen kommen zu Zeiten vor, wo sie nicht hingehören. — Fügt man hinzu, daß die oberen wie die unteren Grenzwerte überhaupt das äußerste des für beide Gekannten erreichen (43 0 und 34 und daß jeder Typus des Fiebers, den wir aufstellen, beobachtet wird, so ist genug gesagt. — Entscheidend greift die Steigerung der Körperwärme an sich kaum in den Gang der Dinge ein; ihre Bedeutsamkeit liegt nach einer anderen Seite, sie wird bei der Besprechung des Verlaufs Erwähnung finden. Stets schädigt die septische Infektion
den Körper des von ihr Ergriffenen
schwerer.
Selbst in den verhältnismäßig kurz dauernden, weder mit heftigerem Fieber, mit nennenswerten Schmerzen oder mit ausgeprägten Erkrankungen der Verdauungswerkzeuge einhergehenden Fällen kommt es schnell zu erheblichem Verfall der Kräfte
und der Ernährung
des Körpers.
B e i schwerer I n f e k t i o n n e h m e n
Kryptogenetische Septikopyämie.
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beide, man möchte sagen in wenig Stunden, ab; es giebt nicht viele Erkrankungen, die Cholera natürlich ausgenommen, bei denen der Rückgang in so kurzer Zeit bemerkbar ist. — Das Blut ist stets in ausgesprochener Weise beteiligt. Die Kranken werden rasch blaß. — Selbst bei leichten Fällen gelingt es nur ausnahmsweise trotz der besten Ernährung die Körperfülle einigermaßen zu erhalten. — Immer vergeht längere Zeit, bis nach Ablauf der Krankheit wieder der alte Zustand hergestellt ist; es geschieht aber auch, daß dies überhaupt ausbleibt und die Schädigung für den Rest des Lebens anhält. Neben den Erscheinungen der septischen Endokarditis (s. § 134) müssen noch jene Zeichen der Erkrankung des Berxens erwähnt werden, die auftreten, ohne daß dieses selbst nachweisbar schwereren Lokalisationen des Giftes preisgegeben wurde. — Eine Störung der Herxthätigkeit ist sehr gewöhnlich. Anfangs zeigt sich dieselbe öfter als stärkere Erregung. Das Herz schlägt in weiterer Ausdehnung und kräftiger der Brustwand an, die Zeiträume zwischen den einzelnen Zusammenziehungen scheinen noch mehr verkürzt, als es der gesteigerten Häufigkeit entspricht, man sieht und fühlt ein nahezu ununterbrochenes Wallen und Wogen, als ob das Herz eigentlich gar nie zur Ruhe käme. Dabei können die Muskeltöne so stark werden, daß man sie schon aus der Entfernung wahrnimmt. — Andere Male, und das ist das häufigere, sind die Herztöne nicht besonders laut, dumpfer, mehr geräuschähnlich, nicht ganz scharf abgegrenzt — man muß von unreinen Herztönen reden, ohne ganz bestimmt angeben zu können, worin die Abweichung besteht. Es geschieht dann auch noch, daß wirkliche (accidentelle) Geräusche neben den Tönen vorhanden sind und dieselben mehr oder weniger verdecken. — Die vom Herzen für dm Blutlauf gelieferte Arbeit scheint in keinem richtigen Verhältnis xu dem großen Kraftaufwand desselben xu stehen: Der Puls ist minder gut gefüllt, die einzelnen Schläge sind lange nicht immer von gleicher Stärke und folgen nicht ganz regelmäßig aufeinander. Es kann zu einem ausgesprochenen Pulsus bigeminus kommen; ebenso kann bei irgend stärkerer Einatmung der Radialpuls deutlich kleiner werden. — Ohne nachweisbare Veränderungen der Lunge ist ein größerer Grad von Cyanose schon von Anfang oder doch sehr früh vorhanden; desgleichen sind die entlegensten Teile des Körpers — Nase, Ohren, Finger und Zehen — häufig genug kühl. — Im weiteren Verlaufe der Erkrankung kann sich die Erregung des Herzens verlieren, es kann alles scheinbar wieder in die gewohnte Ordnung kommen — aber eine gewisse Schwäche und eine vermehrte Erregbarkeit des Herzens halten doch, fast immer längere Zeit an. — Bemerkenswert ist, daß bei neuen Anfallen das Herz nicht stets und, wenn das geschieht, nicht in so hohem Grade wie das erste Mal mit ergriffen wird. In seltenen Fällen zeigt sich eine stärkere Störung: Der Puls wird für Tage oder Wochen auf die Zahl von 40 und sogar noch weniger Schläge in der Minute heruntergedrückt. Dies kam nur im Verlaufe der Erkrankung, nicht in ihrem Anfang zur Beobachtung. — Wie alle diese Erscheinungen zu deuten sind, muß dahingestellt bleiben. Ob eine unmittelbare Ansiedlung von Kokken im Herzmuskel, vielleicht in der Nähe der automatischen Ganglien stattfindet, ob die großen Stämme der die centrale Leitung vermittelnden
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Infektionskrankheiten.
Nerven von einer derartigen Ansiedlung betroffen worden, ob sich eine solche in den Centren zu bilden vermag; oder aber ob mittelbare Einwirkung durch Stoffwechßelprodukte geschieht — mit diesen Möglichkeiten muß gerechnet werden. Auazuschließen ist der Einfluß geänderter Körperwärme. —
Eine sichere Abgrenzung gegen die schwerere örtliche Erkrankung des Herzens zu finden, gelingt nicht immer. Kommt es doch vor, daß ein Fall, der anfangs nur die geschilderten Thätigkeitsänderungen darbot, mit einmal Pankarditis aufweist, welche nun beherrschend im Mittelpunkte steht. Und ebenso, daß bei Herzerkrankungen, welche man als Pankarditis glaubte deuten zu müssen, die Leichenöffnung Beweise dafür nicht liefert. — Es dürfte nicht gar viele Fälle geben, welche ganz ohne Beteiligung der Knochen verlaufen. Daß man, ehe die Erkenntnis des Wesens der septischen Infektion gewonnen war, die Osteomyelitis als eigenartige Erkrankung auffaßte, ist vollkommen gerechtfertigt; giebt es doch kaum ein mehr eigentümliches Krankheitsbild. — W e r den Knochentyphus in seiner vollen Schwere vor Augen hat, wird wenig geneigt sein die leichten Formen der septischen Knochenerkrankung mit demselben in unmittelbare Beziehung zu setzen. Und doch ist das notwendig: denn wir sehen Fälle, in denen die Schmerzhaftigkeit der Knochen nahezu ganz der bei jenem beobachteten gleich kommt, aber nach wenig Tagen verliert sich das allmählich, schließlich vollständig. Andererseits geschieht es, daß zuerst nur geringfügige Schmerzen in den Knochen vorhanden sind und dann mit einem Schlage die Osteomyelitis in ihrer ganzen Furchtbarkeit sich einstellt. Es ist das genau das gleiche, was bei dieser Krankheit an allen Organen sich zeigt. Und ebenso ist es mit der Verteilung der Einzelherde. Wohl nur wenn dauernd die schwere Entzündung ihren Sitz in einem langen Röhrenknochen nimmt, ist derselbe in der ganzen Ausdehnung seiner Diaphyse schmerzhaft, die Epiphysen brauchen nicht mit ergriffen zu werden, die eine oder die andere ist es aber in der Regel. Gewöhnlicher sind freie Zwischenräume eingestreut, oder es erkrankt eine Epiphyse für sich. Die Ausbreitung über die einzelnen Knochen ist ihrer Häufigkeit nach geordnet so, daß die der unteren Gliedmaßen öfter als die der oberen ergriffen werden. — Leichtere Empfindlichkeit der Beckenknochen ist nicht selten, schweres Erkranken derselben wurde nicht gesehen. — Die Erkrankung der Gelenke dürfte meist mit der der Epiphysen in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Man findet alle Ubergänge von leichter nur dem geübten Auge erkennbarer Schwellung mit geringfügigem Erguß bis zur wirklichen Gelenk Vereiterung und Zerstörung. Das Tibiotarsalgelenk und das des Knies wird wohl ebensooft wie Schulter- und Ellbogengelenk in Mitleidenschaft gezogen, das Hüftgelenk, das Handgelenk und die kleineren an Hand und Fuß stehen etwas zurück. Auch an den Verbindungen der Rippen mit dem Brustbein kommen Entzündungen sogar bis zur Eiterbildung führende vor. — Muskelentxündungen sieht man als zerstreute Herde, das ist seltener, oder aber im Anschluß an tiefer greifende fortschreitende Phlegmonen. Haben solche ihren Sitz in der Nähe eines Gelenkes, dann kann es schwer werden zu erkennen, ob und wie hochgradig dieses in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die starke Schwellung der ergriffenen Teile verhindert ebenso wie die große Schmerzhaftigkeit bei Druck und Bewegung eine genaue Untersuchung. — Die sich nach allen Richtungen ausbreitenden Phlegmonen können von verschiedenen Punkten ihren Ursprung nehmen; an den Gliedmaßen gehen sie wohl häufigst
Kryptogenetische Septikopyämie.
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von den erkrankten Knochen und Gelenken aus, indes gleichfalls von den Muskeln, dem Unterhautzellgewebe und der Haut selbst. Es geschieht aber am Rumpfe auch, daß nach einer nicht einmal besonders heftigen Angina die Entzündung sich in der Kontinuität verbreitend die Brustmuskeln bis zu ihren tiefen Schichten mitsamt der bedeckenden Haut und dem Unterhautbindegewebe ergreift und nun weiter auf das Mediastinum und die Pleura, sowie auf die Bauchwand übergreift. Das Weiterwandern findet nicht immer gleichmäßig statt: es können zwischenliegende Teile verhältnismäßig verschont bleiben, ganz sind sie es wohl nie. Auch die Ausbreitung an den schwerer leidenden Teilen ist keine ebenmäßige, keine in geraden Linien, sondern in manchmal wunderbar verschnörkelten sich vollziehende. Nimmt die Haut in ausgesprochener Weise an der Entzündung teil, dann kommt es zu einer gewissen äußeren Ähnlichkeit mit dem Erysipel; manches des früher als malignes Erysipel Beschriebenen mag hierher gehören. Haut: Blutaustretungen in der Form, wie sie bei der septischen Endokarditis geschildert sind, kommen, wenn das Herz nicht schwerer ergriffen ist, gewöhnlich nicht vor. Möglich bleibt es immerhin, daß mit einem Schlage sich die Zeichen einer hämorrhagischen Diathese einstellen. — Häufiger sind vielgestaltige Entzündungen der Haut. Zu nennen wäre unter diesen eine der Erscheinungsform des Erythema nodosum mindestens sehr nahe stehende Erkrankung — dieselbe wird nicht oft beobachtet. — Meist sieht man Folgendes: An einigen oder an vielen Stellen der Haut, besonders an den Händen und Füßen, danach an Armen und Beinen zeigen sich schon anfangs leicht über die Umgebung erhabene, gerötete, unregelmäßig geformte Flecken. Sie sind nicht ganz scharf umschrieben, sondern verlieren sich mit allmählichem Übergang; ihre Größe schwankt zwischen der einer Linse und der eines silbernen Fünfmarkstücks. Jeder steht zunächst vereinzelt, aber an manchen Orten drängt sich einer so dicht an den anderen, daß sie bald zusammenfließen. Die an den ergriffenen Punkten fast immer vorhandene Infiltration beschränkt sich nicht auf die Haut, sie greift mindestens auf das Unterhautbindegewebe über, indes auch die unterliegende Muskelschicht kann beteiligt sein. Die Färbung hat von vornherein einen entschiedenen Stich in das Braune, seltener in das Violette; sie ist im ganzen mehr schmutzigroth. — Empfindlichkeit gegen Druck fehlt nie, über Brennen und Spannen wird öfter geklagt. — Bei den leichten Formen bildet sich alles wieder zurück, es bleibt nicht einmal eine Verfärbung übrig — bei den schweren kann es zur eitrig-hämorrhagischen Entzündung mit Untergang des ergriffenen Gewebes kommen. — Eine so beschaffene Entzündung der Haut dürfte anderen Erkrankungen nicht zukommen. Wenn sie überhaupt vorhanden ist, mag man sie als nahezu sicheres diagnostisches Zeichen betrachten. — Zu erwähnen wären noch die wohl im ganzen der Gruppe der Phlegmonen zuzuzählenden, mehr flächenhaft ausgebreiteten Entzündungen der Haut, welche akuten Exanthemen ähnlich sein können. Außer dem Erysipel wären noch Scharlach und Pocken (LEUBE) zu nennen. — Schleimhäute: Umschriebene hämorrhagische Entzündungen, ganz denen auf der Haut gleichend, habe ich nur einmal auf der Schleimhaut des harten Gaumens gesehen. — Dagegen sind scheinbar einfache katarrhalische Entzündungen der Rachengebilde, der Bronchien, des Magen-Darmkanals häufiger anzutreffen. Dabei bleibt es meist, die schweren Formen sind hier selten.
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Infektionskrankheiten.
Die Erkrankung der Rachengebilde verdient besonderer Erörterung, sie ist unter den Erkrankungen der Schleimhäute die häufigste und die bedeutungsvollste. — In einer nicht kleinen Zahl von Fällen ist eine Angina das erste unter den Krankheitszeichen, vielleicht nur sie allein, vielleicht andere daneben. Sie kann der Ausgangspunkt schwerer, schon durch ihre Verbreitung todbringender Phlegmonen werden. — Man muß fragen, ob diese Angina eine Ersterkrankung infolge der örtlichen Einwirkung des eingedrungenen Kokkus ist, oder aber ob sie, selbst aus anderen Ursachen entstanden, den Mikroben den Weg geöffnet habe? Eine Antwort dürfte nicht möglich sein. Hervorzuheben wäre nur, daß es keineswegs einer phlegmonösen oder gar diphtherischen Angina bedarf, um in unmittelbarem Anschluß an die Rachenerkrankung und von ihr fortgeleitet die schweren Entzündungen entstehen zu lassen. — Unter den Erkrankungen der serösen Häute steht die der Pleura in erster Linie, es folgen die leichten Entzündungen der Uberzüge von Milz und Leber. — Perikarditis tritt neben voll entwickelten Herzentzündungen häufiger auf, ohne dieselben ist sie seltener und dann öfter auf die Außenfläche des Herzbeutels beschränkt. — Ausgesprochene Meningitis ist nicht häufig, das gleiche gilt von der Peritonitis. — Im ganzen überwiegen die leichteren Formen, welche nur zur umschriebenen Auflagerung dünner Fibrinschichten führen. Diese sind aber fast nie auf einen bestimmten Punkt beschränkt, sie finden sich in regelloser Ausbreitung über beide Pleuren vertheilt, wie es den Anschein hat nahezu ausschließlich an der Pleura pulmonalis und zeigen keine große Neigung sich in die Fläche auszudehnen, selbst dann nicht, wenn die aufgelagerten Membranen blutig durchtränkt sind, also die Entzündung eine hämorrhagische ist. Das weit verbreitete Reiben findet in diesen Auflagerungen seine anatomische Erklärung. — Ebenso verhält es sich mit dem Überzuge der Milz und der Leber. Solche Verteilung macht es wahrscheinlich, daß die Invasion der Kokken vom Blute aus erfolgte. — Sind mit dieser Form Ergüsse verbunden, dann erreichen dieselben keinen großen Umfang und gehen meist in kurzer Zeit wieder zurück; es handelt sich also wohl um eine serofibrinöse, nicht um eine Eiter in größeren Mengen führende Flüssigkeit. — Pleuritis kann noch auf andere Weise zustande kommen. So durch Phlegmonen, welche entweder von den Halsorganen ausgehend von oben her einbrechen, oder von außen her die Brustwand durchsetzen. Dann von hämorrhagischen peripher gelegenen Herden in der Lunge, endlich von einer schweren Entzündung des Herzbeutels und des Bauchfells aus. Hier handelt es sich um eitrige oder hämorrhagische, gewöhnlich beträchtliche Ergüsse —, es hat dann das örtliche Leiden allein schon ernste Gefahren im Gefolge. — Das Mediastinum, ist bei den leichten Formen der Pleuritis häufig, bei den schweren stets beteiligt. — In den Lungen sind zunächst die Katarrhe der Bronchien namhaft zu machen. Sie bleiben meist auf die Unterlappen beschränkt, ergreifen die Bronchien in ihrer gesamten Ausdehnung, vorwiegend indes die mittleren. Eine allgemeine Entzündung ist seltener, man erhält mehr den Eindruck, daß es sich um Einzelherde handelt; solche treten denn auch in den Oberlappen auf. — Oft hört man an den Stellen, welche das Reiben wahrnehmen lassen, neben diesem katarrhalische Geräusche. Außer der Bronchitis kommt es zu einer Entzündung der Lunge selbst, wiederum in der Form mehr oder minder umschriebener Verdichtungsherde,
Kryptogenetische Septikopyämie.
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die etwas sehr Eigenartiges haben. Dieselben treten gleichzeitig oder in kurzen Zwischenräumen an sehr verschiedenen Stellen und in durchaus unregelmäßiger Verteilung auf, häufig keine weiteren akustischen Zeichen bietend, als die Anschoppung bei der genuinen Pneumonie. Nehmen die Lungen nur in mäßigem Grade an der Gesamterkrankung teil, dann bleibt es dabei, die Herde bilden sich in wenig Tagen wieder zurück. Aber sehr gewöhnlich entwickeln sich irgendwo neue, und das kann sich durch Wochen wiederholen.—Andere Male kommt es zu wirklich festen und derben Verdichtungen; möglich, daß selbst diese nach längerer Zeit sich zurückbilden, sie können aber auch mit Gangrän oder mit Vereiterung enden. — Die anatomische Untersuchung ergab eine hämorrhagisch-eitrige Entzündung, welche auf Einzelherde beschränkt blieb; die sie veranlassenden Mikroben sind zweifellos aus dem Blute eingedrungen. — Von der Leber ist weniger zu berichten, möglich, daß dieselbe bei unseren Beobachtungen mehr zufällig von schwererer Erkrankung als die ihres Überzugs verschont blieb. Eine geringe Empfindlichkeit des Organs war öfter vorhanden. — Ikterus ist mehrfach, aber nicht regelmäßig dagewesen. —• Die Milx, ist wahrscheinlich immer und selbst in den leichten Fällen nicht anerheblich vergrößert. Bei jedem Nachschub der Erkrankung ist man oft imstande eine erneute Schwellung nachzuweisen; eine vollständige Rückbildung findet wohl erst dann statt, wenn die Infektion wirklich abgelaufen ist. — Hämorrhagische Entzündung mit ihren Folgen scheint im ganzen selten zu sein. — Die Nieren sind mindestens funktionell gestört: etwas Eiweiß geht auch bei leichten Fällen wenigstens zeitweilig in den Harn über. — Es kann aber zu eitriger oder hämorrhagischer Entzündung in den Nieren und im Nierenbecken kommen. Beide zeigen sich in Einzelherden; bei der hämorrhagischen Form findet sich Blut, zersetztes oder noch seine Körperchen führendes, neben größeren Mengen von Eiweiß und Cylindern im Harn. — Ist die Allgemeinerkrankung eine schwere, dann wird, ohne daß eine eigentliche Entzündung der Nieren vorhanden zu sein braucht, Eiweiß in nicht unbedeutender Menge ausgeschieden. Der Harn kann dabei ein sehr eigentümliches Aussehen gewinnen: er wird nur spärlich entleert, ist schmutzig grüngelb oder grünbraun gefärbt, trübe, mit reichlichem Bodensatz und von scharfem widerwärtigen Geruch. Genauere Untersuchungen fehlen leider; nur stärkere Indikanreaction wurde manchmal gefunden. — Magen und Darm bieten bei den leichteren Erkrankungen meist weniger von Störungen. Der Appetit ist allerdings erheblich vermindert, sogar ganz geschwunden. Eine oft sehr hartnäckige Verstopfung ist die Regel, Durchfälle sind im ganzen seltener. Wenn die Nahrungszufuhr nicht mit großer Vorsicht geleitet wird, kommt es leicht zum Erbrechen, das mit Druckempfindlichkeit in der Magengegend verbunden ist und wenigstens einige Tage andauert. Daneben treten vielleicht Durchfälle auf, meist aber wird die Verstopfung noch hartnäckiger. — Indes ist Magen und Darm keineswegs vor schwerer örtlicher Erkrankung gesichert; es können hämorrhagische Entzündungen in beiden sich einstellen. Einmal haben wir die blutige Infarcierung eines Darmstücks mit der des zugehörigen Mesenteriums und Gangrän gesehen, ohne daß die genaue anatomische Untersuchung die Unwegsamkeit der zuführenden Arterie nachgewiesen hat. Die bei der puerperalen Sepsis manchmal beobachteten Massendiarrhöen sind nur ausnahmweise beobachtet. — v. J i i r g e n s e n , Spez. Path. u Tlier. II. Aufl.
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Infektionskrankheiten.
Das Nervensystem kann in allen seinen Teilen in Mitleidenschaft gezogen werden. — Kopfschmerz in wechselnder, manchmal bis zum Unerträglichen gesteigerter Stärke fehlt wohl nie. Ebenso verhält es sich mit der psychischen Thätigkeit. Ein großer Grad von Aufregung ist namentlich anfangs öfter zugegen, im Ganzen überwiegt indes die Benommenheit, welche sehr hohe Grade erreichen kann. — Eigenartig ist der Wechsel zwischen Erregung und Erschlaffung, welcher bisweilen ohne erkennbare Veranlassung, und sicher unabhängig von dem Fieber und dessen Schwankungen, längere Zeit merkbar wird. — Die Empfindungen von Angst und Bangigkeit können ausnahmsweise so hochgradig werden, daß es zu wilden Delirien kommt; ein schweres Krankheitsgefühl fehlt dagegen selten. — Alles das ist nicht mit nachweisbaren anatomischen Störungen verbunden; es ist wohl nur von den Wirkungen der durch die Mikroben bedingten Intoxikation auf das Gehirn abzuleiten. Dieselbe scheint freilich bei dieser Infektion bedeutungsvoller zu sein, als bei den meisten der anderen; in schweren Fällen kommt daher leicht das in § 93 gezeichnete Bild der hochgradigsten Störung zum Vorschein. — Aber das Hirn bleibt von anatomischen Veränderungen nicht verschont: es können sich Meningoencephalitis oder Encephalomeningitis ausbilden, die, wenn sie auch anfangs nur in Einzelherden auftreten, doch für die Dauer sich kaum auf solche beschränken mögen. — Ferner können das Bückenmark und seine Häute durch eine von den Hirnhäuten sich ausbreitende Entzündung in Mitleidenschaft gezogen werden. — Herderkrankungen in demselben sind nicht beobachtet. — Wichtig sind die Erkrankungen peripherer Nerven. Sie können von einer in ihrer Nachbarschaft auftretenden Entzündung mit ergriffen werden; wir sahen Vagus und Phrenicus bei Mediastinitis in eine dichte Eiterschicht gehüllt und von Eiter durchdrungen. — Außerdem aber dürfte eine selbständige Erkrankung der peripheren Nerven anzunehmen sein. Dieselbe kennzeichnet sich durch Neuralgien (Ischias, Intercostal- und Brachialneuralgie), welche mit allen eine echte Neuralgie kennzeichnenden Eigentümlichkeiten ausgerüstet sind. Diese Neuralgien können gleich anfangs auftreten und das ganze einleiten, sie können aber erst im späteren Verlauf sich zeigen und wechselnd bald dieses, bald jenes Nervengebiet heimsuchen. Nach bisherigen Erfahrungen sind die Neuralgien weder besonders heftig noch hartnäckig — ein Habituellwerden derselben scheint ausgeschlossen. — Die Sinnesorgane, insbesondere die Augen, wurden, wenigstens in den nicht mit Endokarditis verlaufenden Fällen nicht in erheblichem Grade in Mitleidenschaft gezogen. Die Augenspiegeluntersuchung hatte nicht die diagnostische Bedeutung, welche sie bei Septikopyaemie mit bekannter Eingangspforte so häufig besitzt (LITTEN). Der Verlauf der Erkrankung gestattet den Vergleich mit dem der Tuberkulose. Hier wie dort in den schwersten Fällen das stürmische Einsetzen, welches je nach der Entwicklung der Allgemeinerscheinungen, oder nach der Bedeutsamkeit des vorwiegend ergriffenen Körperteils für den Zusammenhalt des ganzen in kurzer Frist den Untergang bedingt. Aber auch die langsame und schleichende Entwicklung mit Nachlässen, welche Heilung zu sein scheinen — dennoch am letzten Ende der Tod. — Möglich bleibt es, daß die Infektion überwunden wird
Kryptogenetische Septikopyämie.
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und mit einer mehr oder minder schweren Einbuße, vielleicht gar mit einer nicht merkbaren, sich das Leben weiter abspult, möglich, aber nicht gewiß. Denn es scheint festzustehen, daß — wiederum eine Ähnlichkeit mit der Tuberkulose — wohl zeitweilig die Erscheinungen zurücktreten, aber über kurz oder lang die Infektion aufs neue sich geltend macht. — Die schweren Formen, welche unter dem Bilde der allgemeinen Sepsis, der bösartigen, rasch fortschreitenden Phlegmone, der primären multiplen Knochenund Knochenhautentzündungen, der ulcerösenEndokarditis auftreten, enden nahezu ausschließlich in verhältnismäßig kurzer Zeit nach stürmischem Verlauf mit dem Tode. Wenn es Ausnahmen von dieser Regel giebt, dann sind sie jedenfalls ungeheuer selten. — Was bei den mittelschiceren und leichten Erkrankungen geschieht, ist: ein durch häufige Rückfälle gekennzeichneter Verlauf, oder besser, die Krankheit tritt in Schüben auf, welche nicht nur durch Tage, auch durch Wochen voneinander getrennt sind. So zieht sich das ganze über Monate hin. Ja, wenn man die Fälle mitrechnet, wo monatelange Nachlässe auftreten, darf man von einem mehrere Jahre währenden Verlauf reden. — Besonders ausgeprägt ist das, wenn das Herz in nachweisbarer Art erkrankte, allein es kommt ohnedem vor. Wie ist das zu erklären ? Die Annahme einer Selbstinfektion aus alten Herden, in welchen wie bei der Tuberkulose das Gift zeitweilig abgeschlossen und unschädlich gemacht war, liegt näher als die einer häufig erneuten Aufnahme desselben von außen. Der anatomische Nachweis ist freilich noch nicht zu liefern. — der
Für die richtige Auffassung des Kranhheitsverlaufs ist die genaue Beobachtung von maßgebender Bedeutung. Man muß lange Zeit hindurch
Körperwärme
etwa 4 Mal den Tag messen lassen, selbst kleine Abweichungen, seien es nun Erhöhungen über die Norm oder nur unregelmäßige Verteilungen der Körperwärme über die Tageseinheit, verlangen volle Beachtung. — In der Regel lassen sich mit diesen Änderungen der Temperatur gleichzeitig frische örtliche Erkrankungen irgendwo nachweisen. Aber das gelingt nicht immer. — Die Nachschübe sind ihrer Stärke nach sehr verschieden, bald sind sie beträchtlicher als der erste Anfall, bald weniger von Bedeutung. Nach allem ist die Prognose bei einer schon von Anfang an sich als schweres Leiden verratenden Infektion nahezu unbedingt ungünstig, aber auch bei weniger hervortretenden Allgemeinerscheinungen wird man sie nur mit großer Zurückhaltung stellen dürfen. Der schubweise Verlauf verlangt das. — Von den örtlichen Erkrankungen scheint die des Herzens besonders verhängnisvoll. — Die Diagnose ist für den nicht schwer, der die vielgestaltige Krankheit öfter gesehen und den Verlauf vom Anfang verfolgt hat. Steht man aber einem vollentwickelten Falle gegenüber, dann sind Irrtümer außerordentlich leicht möglich. Die der Krankheit eigenartigen Erscheinungen mögen noch einmal wiederholt werden. Vom Anfang an schwerere Störungen des Allgemeinbefindens, als nach den auffindbaren örtlichen Erkrankungen zu erwarten wäre, Ziehen und Reißen in den Gliedern, vielleicht Angina. Starke Erregung des Herzens, dabei verminderte Arbeitsleistung desselben — verhältnismäßig schwache Füllung der Arterien, Kühle der Finger und Zehen, Cyanose. Empfindlichkeit der Knochen gegen Druck, vielleicht Schwellung der Gelenke. Weiches Reiben an getrennt liegenden 19*
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Infektionskrankheiten.
Abschnitten der Pleura, über der Leber und der stets vergrößerten Milz. Häufiger die eigentümlichen Entzündungen der Haut und der Muskeln. Phlegmonen, welche in die Tiefe dringen, umschrieben bleiben oder sich nach allen Richtungen ausbreiten können. — Lungenherde, die rasch sich zurückbilden, aber auch zur vollen Entwicklung gelangen. Alle örtlichen Entzündungen sind großem Wechsel unterworfen, ein Körperteil von dem anderen unabhängig, selbst in dem gleichen Organ verschieden starke Entzündungsherde. Das Fieber unregelmäßig, rascher Verfall. Im Verlauf Schübe deutlich erkennbar. — Differentialdiagnostisch kommen in Betracht: 1. Akuter Gelenkrheumatismus: Unterscheidende Merkmale liefern die Empfindlichkeit der Knochen gegen Druck, über das Gelenk, zu welchem sie zusammentreten, sich hinaus erstreckend. In den schweren Fällen die von der Gegend des Gelenkes sich ausbreitende Phlegmone. — 2. Genuine Pneumonie: Die Verwechslung mit deren Wanderform liegt sehr nahe, zumal wenn es sich gleichzeitig um eine stärker entwickelte Allgemeininfektion handelt. Man wird besonders auf die Knochen und auf die Haut zu achten haben. — 3. Akute Miliartuberkulose: Bei stärkerer Beteiligung der Bronchien und der Lungen an der septischen Infektion helfen auch hier nur die Erkrankungen der Knochen und der Haut das Rechte finden. — 4. Akute Exantheme: Erysipelas, Scharlach, seltener Pocken kommen in Betracht. Wer vielfach die diesen eigenartige Hautentzündung gesehen hat, wird weniger leicht in Verlegenheit kommen. Im übrigen sind die begleitenden Erscheinungen maßgebend. — 5. Malaria: dann, wenn ohne sicher nachweisbare Herderkrankungen nur Milzschwellung mit anfallsweise auftretendem Fieber vorliegt. Dieses kann einige Tage mit ziemlich regelmäßigen Zwischenräumen wiederkehren und so z. B. eine Quotidiana duplicata vortäuschen. Allein lange hält das nicht an, bald wird der Typus verschoben. Chinin vermag selbst in großen Gaben wohl den Anfall abzuschwächen, aber nicht ihn zu unterdrücken. — In Gegenden mit schwererer Malariaendemie mag es nicht leicht sein bei dem Beginn der Erkrankung die Verwechslung zu vermeiden. — 6. Typhoid. Anfangs sind Fehldiagnosen möglich, da viele Zeichen beiden Erkrankungen gemeinsan sein können; so die Vorboten, der Bronchialkatarrh, die Milzschwellung, denen bei der Sepsis noch Diarrhoe und ein wenigstens der Roseola in etwas ähnliches Exanthem sich beigesellen können. Beobachtet man aber den Gang der Körperwärme genauer, dann findet man doch nicht die Regelmäßigkeit wie sie dem Typhoid eigen ist. — Auch eine Verwechslung der vollentwickelten Krankheit mit einem schweren Typhus späteren Datums kann vorkommen, wenn man die Entwicklung nicht hat verfolgen können. Liegt es doch nahe die der Sepsis eigenen örtlichen Erkrankungen als Komplikationen zu deuten. 7. Zu erwähnen bleibt noch, daß eine mit hämorrhagischer oder eitriger Nephritis einhergehende Septikopyämie, falls gleichzeitig schwerere Erscheinungen vom Hirn damit verbunden sind, ganz wohl den Eindruck einer Urämie nach akuter Nephritis machen kann. — Hier mag sich die Frage anreihen, ob die Septikopyümie mit anderen Krankheiten zusammen vorkommt und sich als „Komplikation" in deren Verlauf einfügt. Das
Kryptogenetische Septikopyämie.
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muß zugegeben werden. Es ist längst bekannt, daß Sepsis von einem Decubitus, von dem Darm eines an der Ruhr Daniederliegenden, von einer Diphtherie der Rachengebilde ausgehen kann. Im Laufe der Zeit werden sich wahrscheinlich noch mehr solcher Doppelinfektionen finden. Man darf sie freilich nicht den kryptogenetischen Formen zurechnen, da in den durch die Ersterkrankung gesetzten Gewebezerstörungen Pforten genug dem Eindringen der Eiterkokken offen stehen. — Außerdem scheint es aber zu geschehen, daß nach einer kryptogenetischen Septikopyämie oder gleichzeitig mit derselben akute Tuberkulose zur Entwicklung gelaugt. — Die Behandlung muß zunächst so wie bei jeder akuten Infektionskrankheit geleitet werden. Besonderes Gewicht ist auf eine möglichst ausgiebige Ernährung zu legen — da man es mit einem den Körper schwer schädigenden Leiden zu thun hat, dessen Dauer gar nicht zu übersehen ist. — Daß man nur Leichtverdauliches geben darf und den Magen sowie den Darm schonen muß, wurde bereits erwähnt. — Der Wein als Sparmiltel hat auch hier seinen vollen Wert. Eine Gegenanzeige ist nur durch den Erregungszustand des Herzens gegeben; ist ein solcher nicht vorhanden, obgleich eine anatomische Störung am Herzen nachgewiesen werden kann, dann ist der Wein erlaubt, wenigstens nicht grundsätzlich auszuschließen. — An der Bedeutung des Weines als Reizmittels bei Herzschwäche ist ohne Einschränkung festzuhalten. — Von einer regelrecht durchzufühlenden Behandlung mit kalten Bädern dürfte abzusehen sein. Die Bedeutung der Krhöhung der Körperwärme tritt sehr hinter der Intoxikation zurück, ist wirklich ein anhaltendes Fieber mit hohen oder gar sehr hohen Temperaturen da, dann ist auch die Vergiftung so hochgradig, daß sie allein dem Leben ein Knde macht Die weniger hohen, so häufig nur kurze Zeit dauernden und von niederen Weiten unterbrochenen Wännesteigerungen bedürfen keines besonderen Eingreifens. Oft genug verbieten die Knochen- und (ielenkerkrankungen jedes Rühren des Kranken — Wer bei hohem Fieber kalte Bäder anwendet, überzeugt sich bald davon, daß dieselben freilieh nicht schaden, aber auch nicht nützen: nur für ganz kurze Zeit findet eine Abkühlung statt und nicht einmal das Bewußtsein wird freier. — Jenen Kranken, die viel schwitzen, sind kalte Waschungen meist sehr angenehm. Im übrigen hat die Anwendung des Wassers nur eine symptomatische Anzeige: so z. B. bei ausgedehnteren Katarrhen der Bronchien die kalten Übergießungen im warmen oder lauen Bade. —
Die in vielen Fällen hervortretende Ähnlichkeit der Erscheinungen mit denen des akuten Gelenkrheumatismus legt es nahe, die Salicylsciure zu versuchen. W i r haben das salicylsaure Natrium (in Tagesgaben von 5—20 g ) wochenlang gegeben — aber ohne durchschlagenden Erfolg. Wohl scheint es, daß die Knochen- und Gelenkschmerzen, wenigstens in den leichten Fällen, sich etwas vermindern, in den schweren bleibt auch das aus. — Die Salicylsaure übt keine Wirkung auf den Gesamtverlauf und vermag nicht einmal sicher die Temperatursteigerung zu unterdrücken: es sinken die Werte um etwas, aber normale zeigen sich nicht. — Nur in einigen wenigen Fällen — im ganzen immerhin noch den leichten zuzählenden — schien eine Beeinflussung des Ganzen herbeigeführt zu werden; ob aber wirklich ein propter hoc vorliegt, dürfte fraglich sein. — Vom Antipyrin, Antifebrin, Thaliin, Chinin ist ähnliches zu sagen; ihre Bedeutung scheint kaum der der Salicylsaure gleichzukommen. Wir haben uns daher, wenn nicht der Zustand der Verdauungsorgane oder des Herzens ihre Anwendung verbot, an diese gehalten. — Die Organerkrankungen sind nach den allgemein für dieselben geltenden Grundsätzen zu behandeln. —
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Infektionskrankheiten.
Eine äußerst wichtige Regel ist diese: Man lasse die Kranken, welche einen Anfall überstanden haben, einerlei ob das Herz beteiligt ist oder nicht, sehr lange im Bett. — Mindestens 14 Tage müssen nach der letzten Temperatursteigerung, so geringfügig dieselbe sein mag, vergehen, ehe man das Aufstehen erlauben darf. Beachtet man die Warnung des Thermometers nicht, so wird man auf schwerere Rückfalle sich gefaßt machen können. Je mehr wir gesehen haben, desto vorsichtiger sind wir geworden. — § 110.
Pocken.
P o c k e n (Blattern, Variola) sind eine sehr alte Krankheit; ihre Heimat ist, wie es scheint, das centrale Afrika und vielleicht Indien, jetzt sind sie soweit verbreitet, wie der menschliche Verkehr; keine Menschenrasse ist immun, von allen sind die Neger am meisten empfänglich. Die Kontagiosität der Pocken ist eine ganz sichere Thatsache. Die Ansteckung erfolgt von Mensch zu Mensch unmittelbar, sei es nun, daß das Gift durch die Luftwege oder von der verletzten Haut (Impfung) aus einverleibt wird, mittelbar, indem Gebrauchsgegenstände eines Kranken, oder die von ihm bewohnten Räume Träger desselben werden. Isoliert ist der Krankheitserreger bisher nicht. Man weiß, daß derselbe in die den Kranken umgebende Luft übergeht, in dessen Pockenpusteln, wahrscheinlich im Blute, vielleicht in den lebenden Geweben überhaupt vorhanden ist, man weiß weiter, daß er an den Gegenständen, mit denen er in Berührung trat, besonders an Kleidern und Betten, außerordentlich fest und lange haftet. Vom ersten Beginn der Erkrankung bis zu deren vollständigem Erlöschen dürfte die Übertragung möglich sein — am leichtesten scheint das Gift in die dem Kranken benachbarte Luftschicht zu der Zeit überzutreten, wo der bisher klare Inhalt der Pusteln sich trübt, auch die Impfung aus denselben gelingt dann am sichersten. — Die Empfänglichkeit für das Pockengift ist eine nahezu allgemeine, indes ist es sicher, daß ganz vereinzelt Immunität sich findet. Einmaliges Überstehen schützt in der großen Mehrzahl gegen wiederholtes Ergriffen werden, es giebt aber auch hier Ausnahmen. Sichere Beobachtungen weisen darauf hin, daß bei der Aufnahme großer Mengen von Pockengift Erkrankung, wenn auch leichtere, des gegen die Einwirkung geringerer Mengen Gefeiten vorkommen kann. — Kein Lebensalter bleibt frei — der Fötus kann (wenigstens nach dem vierten Monate) im Mutterleibe infiziert werden, die größte Empfänglichkeit scheint indes nach dem ersten Lebensjahre zu beginnen und sich mindestens bis zum 40. in gleicher Stärke zu halten, allein auch die höheren Altersklassen liefern einen nicht unerheblichen Beitrag. — Solange Scharlach, Masern und Tpphoid einen Menschen ergriffen haben, ist derselbe für Pocken weniger empfänglich, indes nicht immun; mit eingetretener Rekonvaleszenz kehrt die frühere Disposition zurück. Epidemien zeigen sich mehr in der kühlen als in der warmen Jahreszeit. Sie treten dann auf, wenn eine größere Anzahl Empfänglicher an einem Orte zusammengehäuft ist, und in diesem Kreise das Gift Eingang findet. Fast hat es den Anschein, daß dabei geradezu eine Steigerung der Ansteckungsfähigkeit, vielleicht nur auf Massenproduktion des Kontagiums beruhend, geschehen kann, so daß nun von solchen Herden aus eine starke Verbreitung der Krankheit stattfindet. — Enges Zusammenwohnen begünstigt in hohem Maße das Zustandekommen der Epidemie. Übrigens deutet die von Zeit zu Zeit ohne nachweisbare
Pockcn.
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äußere Veranlassung sich zeigende Häufung der Blatternerkrankungen — Pandemien — darauf hin, daß möglicherweise in bisher noch ungekannten allgemeinen Verhältnissen begünstigende Bedingungen für die Entwicklung des Giftes gegeben sein können. Anatomische Veränderungen: Die Leichen zeigen das Verhalten wie bei allen schweren mit Fieber einhergehenden Infektionen, daneben aber die durch Lokalisation des Krankheitsgiftes bedingten Eigentümlichkeiten. — Zunächst auf der Haut. Die Erkrankung beginnt mit umschriebenen roten Flecken, welche durch eine nicht selten die ganze Dicke der Kutis durchdringende entzündliche Hyperämie hervorgerufen sind. Aus ihnen gehen Knötchen hervor, umgeben von einem minder fest infiltrierten, aber geröteten Hofe; diese wandeln sich weiter in Bläschen um, auf deren Scheitel ein Eindruck (Delle) erscheint, ihr anfangs heller Inhalt trübt sich und wird eitrig, das Bläschen wird zur Pustel, die Delle verschwindet. Nun sinkt die Pustel ein und wird von einer braunen trockenen Borke bedeckt — diese kann abfallend einen leicht vertieften Fleck hinterlassen, andere Male aber ist eine in ihren tieferen Schichten zerstörte Kutis unter der Decke vorhanden, welche nur mit Narbenbildung heilt; es bleibt dann ein allmählich weiß werdender streifiger, gerippter Substanzverlust zurück. — Die histologische Untersuchung ergiebt: Quellung der Epithelien in den tieferen Schichten des Rete Malpighii, bald nekrobiotische Zerstörung derselben, welche sich nach allen Richtungen hin in der infiltrierten Schleimschicht ausbreitet. Nur ein aus Zellmembranen und schollig entartet erscheinenden, zum Teil noch kernhaltigen Zellen zusammengesetztes unregelmäßiges Balkenwerk bleibt übrig; in dessen Mitte befindet sich transsudierte Flüssigkeit, seine untere Begrenzung wird von dem zellig infiltrierten Papillarkörper, die obere von der Hornschicht, oder den derselben unmittelbar angrenzenden Lagen gebildet. Durch Emigration aus den Gefäßen wird der klare Inhalt eitrig, das Balkenwerk vergeht dabei; war diphtherische Zerstörung der tieferen eigentlichen Kutis eingetreten, dann ist Narbenbildung unvermeidlich. — Durch die Entwicklung des Balkenwerkes ist bedingt, daß bei dem Anstechen die Pocke ihren Inhalt nicht mit einem Male, sondern erst allmählich aussickern läßt; selbst bei vollständiger Umwandlung des serösen in eitriges Exsudat geschieht das. Die eigentümlichen Veränderungen finden oft, aber nicht immer um Haare und Schweißdrüsen statt, so daß dieselben das Centrum abgeben. Die Dellenbildung wird verschieden erklärt. Eine stärkere Exsudation in die peripheren Teile der Blase (ZIEGLEE) neben der Entwicklung des Balkenwerks ( W E I G E R T ) im Inneren derselben scheinen maßgebend beteiligt zu sein. — Auf den Schleimhäuten wiederholen sich diese aus nekrobiotischen und entzündlichen Veränderungen zusammengesetzten Gewebestörungen; es kommt zur Bildung wirklicher Pusteln oder zu diffusen Veränderungen, welche von der Oberfläche mehr oder minder in die Tiefe dringen. Die Luftwege — eitrige Entzündung der feineren Bronchien ist noch besonders zu erwähnen — sind stärker befallen, als die des Verdauungstraktes; die Vulva und bei beiden Geschlechtern die Harnröhrenmündung wird ergriffen. Neben parenchymatösen Entartungen zeigen sich in der Leber und in der Niere, in der Milz und in den Lymphdrüsen eigentümliche nekrobiotische Herde, welche in ihrem feineren Bau eine gewisse Ähnlichkeit mit denen der Haut haben; in ihnen sind Bakterienanhäufungen nachgewiesen. — Es ist ferner noch der Blutaustretungen zu gedenken, welche in der Haut und in allen inneren Organen — seltener allerdings in den großen Ver-
Infektionskrankheiten.
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dauungsdrüsen, den Nieren, dem Gehirn und dem Rückenmark als in den anderen vorkommen. D i e Inkubationszeit
b e t r ä g t g e w ö h n l i c h s ehn bis dreizehn
Tage (Minimum
fünf,
Maximum vierzehn); die letzteren Angaben sind indes mit einiger Zurückhaltung zu beurteilen, da manchmal durch allerlei geringfügigere Störungen des Befindens eine scharfe Zeitbestimmung unmöglich gemacht wird. — Nach Impfungen vergehen bis zum Beginn örtlicher Reaktion 48 Stunden — die allgemeine tritt erst um den neunten Tag, der Ausbruch des Exanthems vom elften bis dreizehnten Tage auf. Für clie Krankheitsbeschreibung ist die, vielleicht etwas zu schematisch gehaltene, Darstellung S Y D E N H A M ' S - TROUSSEAU\S ZU Grunde gelegt; in den meisten Teilen Deutschlands wird man nur sehr selten in der Lage sein, irgend ausgiebigere Beobachtungen über Blattern bei gar nicht Geimpften anzustellen. Man unterscheidet nach der Menge des Ausschlags: Variola discreta und Variola confluens, bei beiden noch den normalen und den anormalen Verlauf. Außerdem trennt man vier Stadien: Stadium invasionis, eruptionis, maturationis seu suppurationis, exsiccationis.
V a r i o l a d i s c r e t a n o r m a l i s : 1. Stadium invasionis: Ein oder mehrere mit rascher Temperatursteigerung einhergehende Schüttelfröste, bei Erwachsenen folgt darauf immer reichliche Bildung von Schweiß bis zur Maturation anhaltend. Erbrechen nach vorhergegangenem Würgen, Magenschmerz; Verstopfung mehr bei Erwachsenen, Durchfälle bei Kindern, Schlafsucht, häufiger Krämpfe, auch wohl Lähmung der unteren Extremitäten, Harnbeschwerden bis zur vollkommenen A n u r i a vesicalis. Heftige Schmerzen in Kreuz und Kieken. drei, bisweilen vier Tage; nie k ü r z e r , höchstens sechs Tage.
Dauer
in der R e g e l
2. Stadium eruptionis: Fieber und alle anderen Symptome lassen nach, nur die Schweiße halten an. Es erscheinen umschriebene rötliche Flecke, bald in leicht zugespitzte rötliche Papeln sich umgestaltend, 'zuerst auf der Haut des Gesichtes und am behaarten Kopf, dann am Hals, am oberen Teil der Brust, an den oberen Extremitäten, den übrigen Abschnitten des Rumpfes, endlich an den unteren Extremitäten; von Anfang an erkranken auch die Schleimhäute des Mundes und Rachens. — Die Papeln verändern ihr Aussehen, sie werden größer, füllen sich (sechster Krankheitstag) mit einer trüben Flüssigkeit, indem sich auf ihrer Spitze ein kleines Bläschen bildet, welches allmählich von oben nach unten an Umfang zunimmt. Bis zum achten Tage füllen sich die Bläschen, sich mit einem breiter werdenden, roten Hofe umgebend, mit Eiter und werden schmerzhaft. Am neunten Krankheitstage ist dieses Stadium abgelaufen. 3. Stadium maturationis: Die Haut ist in ihrer ganzen Ausdehnung geschwellt, allein schon am elften Tage ist dies nahezu geschwunden. Die Pusteln verhalten sich an den einzelnen Körperteilen verschieden: im Gesicht werden die bis dahin sammetweichen Pusteln durch Aussickern ihres Inhaltes rauh, schon am elften Tage ist hier die Austrocknung vollendet. Am Rumpf werden die Pusteln flacher, sie bilden Dellen, die kleineren trocknen zwischen dem elften bis vierzehnten Tage ein.
A n den Händen
zeigt sich v o m Ende
des neunten
Tages und bis zum
.vier-
zehnten dauernd ein schmerzhaftes Odem, während die Pusteln sich noch vergrößern, dann bersten sie und lassen ihren Inhalt austreten. Gleiches geschieht a n den Füßen
—• d a s g a n z e w ä h r t u n g e f ä h r drei bis vier
Tage.
Die Fieberbewegungen werden mit dem Anfang des Stadiums stärker und gehen mit ähnlichen Erscheinungen wie die des Invasionsstadiums einher; sie h a l t e n bis z u m elften Krankheitstage,
d e m dritten des Stadium maturationis
an. — Diese
Pocken.
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Dauer wird als eine sehr regelmäßige bezeichnet. — Das Maturcdionsstadiiim wird auf 13 Tage (.0.—22. Tag der Gesamllranklieit) berechnet; indessen kommen hier häufiger Schwankungen vor. 4. Stadium
c.csiccationis:
A m Gesichte fallen am /.T.—20. Talvt kann schon 6—12 Stunden nach den ersten Ausleerungen im Stuhl erscheinen. Das Fehlen von Galle giebt einen Maßstab für die Schwere der Erkrankung und kennzeichnet einigermaßen deren Verlauf. — Bei der sogenannten Cholera sicca wird nach außen kein Stuhl entleert, die Ergüsse bleiben in dem Darm zurück; in den hierher gehörenden Fällen handelt es sich meist um alte und geschwächte Menschen. Erbrechen kommt in mehr als 90°l0 vor. Dasselbe geht sehr selten dem spezifischen Durchfall voraus, zuweilen tritt es gleichzeitig auf, meist folgt es einige Stunden später. Der Brechakt selbst geschieht ohne Anstrengung, der Mageninhalt wird stromweis entleert. Die Häufigkeit wechselt zwischen einigen und
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Infektionskrankheiten.
20 Malen innerhalb von 24 Stunden. Von den reiswasserähnlichen aus dem Magen entleerten Massen nimmt man an, daß sie vom Darm durch Rückfluß dorthin gebracht worden seien. Das Blut ist in der Zusammensetzung wesentlich geändert; es wird wasserärmer, das Serum ist reicher an Eiweiß, und aus den Körperchen treten Kalisalze und Phosphate in dasselbe über, auch die Harnstoffmenge ist vermehrt. — Man vergleicht das Blut seinem Aussehen nach mit Sirup oder Teer. Das Herz zeigt keine nachweisbaren Gewebestörungen, selbst sein Wassergehalt weicht weniger wie der anderer Muskeln von der Norm ab. Dagegen ist seine Thätigkeit eine sehr beeinträchtigte.; Nicht die Häufigkeit der Pulse bietet erheblichere Abweichungen, dieselbe kann wenig geändert sein, besonders sollen sehr hochgradige Steigerungen nicht vorkommen; auch Unregelmäßigkeiten in der Schlagfolge werden nicht als bedeutungsvoll angesehen. Vielmehr ist die Schwäche der Herzarbeit im ganzen das Ausschlaggebende. Verschwinden des Radialpulses kommt selbst in Fällen, die noch günstig ausgehen, nicht selten vor und kann sogar einige Tage anhalten. Der Blutdruck sank so weit, daß man aus der angeschnittenen Brachialarterie nur tropfenweise das Blut austreten sah. Unter diesen Umständen häuft sich das Blut in den Venen an; welche vorzugsweise gefüllt sind, ist von äußeren Umständen, besonders von der Einwirkung der Schwere, abhängig. Die Störung in der Nierenthätigkcit ist wohl zum Teil von dem Absinken des arteriellen Druckes, zum anderen von der Erkrankung gerade jener Drüsenabschnitte bedingt, welche mit der eigentlichen Sekretion betraut sind. Es handelt sich um eine wirkliche Anuria renalis, die in dem asphyktischen Stadiuni eine vollständige ist. In leichten Fällen dauert sie nicht über 24 Stunden; hält sie länger als vier Tage an, dann ist das Leben des Kranken schwer gefährdet, bei einer Anurie von mehr als sechs Tagen ist es verloren. Gewöhnlich wird am zweiten oder dritten Tage der erste Harn entleert und zwar in geringer Menge, trübe, eiweißhaltig, arm an Harnstoff und namentlich an Kochsalz, reich an Indican. Sein Sediment enthält Cylinder, weiße und oft auch rote Blutkörperchen. Die zweite Entleerung folgt einige Stunden später, sie kann schon eiweißfrei sein. Bei günstigem Verlauf steigert sich die Harnabsonderung rasch und erreicht vom dritten bis sechsten Tage Werte, welche beträchtlich über die Norm hinausgehen; es wird viel Harnstoff aber immer noch wenig Kochsalz ausgeschieden. Das Centralnerveusyslem wird, wie es scheint, durch das Choleragift unmittelbar nicht geschädigt, der Einfluß der Störungen des Kreislaufes und der Zusammensetzung des Blutes macht sich viel stärker geltend. Als eigentlicher Mittelpunkt der veränderten Hirnthätigkeit ist die Schwäche zu bezeichnen, oft so ausgesprochen, daß der besinnliche Kranke trotz heftigen Durstes und peinigender Muskelkrämpfe keinen Laut von sich giebt. Delirien fehlen fast stets; Sopor und Koma stellen sich öfter ein. Das Bewußtsein bleibt aber in vielen Fällen bis zuletzt erhalten. — Die Muskelkrämpfe werden aller Wahrscheinlichkeit nach nicht central ausgelöst. Es können zwar viele Muskeln daran teilnehmen, allein dieselben werden nicht, wie bei dem Tetanus mit einem Schlage zur Zusammenziehung gebracht, sondern einer folgt dem anderen. Es dürfte sich um eine örtliche, durch Kreislaufstörung und Anhäufung reizender Substanzen bedingte Erregung handeln. — Die Körperwärme ist bei Messungen im Mastdarm und in der Scheide meist über
Cholera indica.
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die Norm gesteigert und bewegt sich um 39°—40"; in der Achselhöhle ist sie um 3—4° niedriger. Die Haut ist im Anfall des stockenden Kreislaufs halber kühl, Einschnitte klaffen nicht und lassen wenig Blut austreten; die entzündliche Reaktion nach Verbrennungen, Vesikatoren und ähnlichen starken Reizen bleibt anfangs aus, sie zeigt sich erst, wenn das Blut wieder in Gang gekommen ist. Die Sensibilität kann bedeutend herabgesetzt sein. Gewöhnlich ist eine geringe Menge kalten klebrigen Schweißes vorhanden, welcher neutral reagiert. — Während der Reaktionszeit stellen sich warme Schweiße ein. Auf der wegen ungenügenden Lidschlusses dem Einfluß der Luft preisgegebenen Konjanktka kommt es zur Eintrocknung; Entzündung und Geschwürsbildung können folgen. Exantheme zeigen sich, niemals im Anfall, immer nach demselben, am häufigsten gegen den neunten, übrigens vom vierten bis zum dreizehnten Tage der Erkrankung. Sie bieten keine konstanten Formen dar, erscheinen als Erythem Roseola, Urticaria, sind bald dem Scharlach, bald den Masern ähnlich, können auch der Variola gleichende Papeln mit nachfolgender Pustelbildung liefern. Vorderarme und Handgelenke werden oft zuerst ergriffen, dann das Gesicht oder der Rumpf; allgemeine Verbreitung ist seltener, als die Beschränkung auf Einzelteile des Körpers. — Prognostisch ist der Ausschlag günstig. Ist nach Ablauf der eigentlichen Infektion die Wiederherstellung eine zögernde, dann handelt es sich um Folge zustände., welche zum Teil aus Herz- und Atmungsschwäche (Lungenkollapse, Hypostasen, Bronchopneumonien), zum Teil aus den Veränderungen hervorgehen, die örtlich durch das Gift hervorgerufen waren. Anatomisch sind es entzündliche und nekrobiotische Vorgänge, die an sich, oder weil sie anderweitigen (septischen, putriden) Krankheitserregern den Eingang gestatteten, schädlich wurden. Hervorzuheben ist die Neigung zu diphtheritischer Entzündung verschiedener Schleimhäute, auch der der weiblichen Genitalien. Es scheint, daß es sich dabei nur um eine wegen der verminderten Widerstandsfähigkeit der Gewebe besonders hochgradig gewordene Einwirkung der gewöhnlichen Entzündungserreger handelt. Man neigte früher sehr dazu, die Eindichung des Blutes für die Erklärung des pathologischen Geschehens bei und nach dem Choleraanfall in den Mittelpunkt zu stellen, und suchte daraus alles abzuleiten. So wurde namentlich der Nachlaß der Herzarbeit ziemlich ausschließlich darauf zurückgeführt. Neuerdings ist man mit dieser Auffassung nicht mehr ganz einverstanden. Indem man immerhin einräumt, daß erhöhte Widerstände für die Bewegung des Blutes sich aus dessen Wasserabnahme ergeben müssen, hält man diese, die doch nur 10—15 % beträgt, nicht für genügend, um allein die Stockung des Kreislaufes verständlich zu machen. Neben ihr wird eine shockähnliche Wirkung der Darmerkrankung und eine das Herz wie das Gefäßsystem (die glatte Muskulatur) unmittelbar schädigende Wirkung des Bacillus oder seiner Stoä'wechselprodukte in Rechnung gebracht. Es wird geradezu von einem lähmenden Gift gesprochen, welches bei der Cholera zur Entwicklung gelangte. Weitwerden des arteriellen Gefäßabschnittes mit gleichzeitiger Verminderung der Herzarbeit wäre für die Deutung der Kreislaufstörungen allerdings ausreichend. — Von manchen und sehr hervorragenden Ärzten wurden diese Möglichkeiten übrigens schon bei dem ersten Auftreten der Cholera in Europa wohl erwogen.
Schwächere Infektionen sind sehr häufig. Die Choleradiarrhöe unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Durchfällen: täglich zwei bis acht dünne, schleimige Ausleerungen, kotig-gallig gefärbt, mit Kollern im Leib und stärkerer Entwicklung von Gasen, wenig oder gar keinem Kolikschmerz. Dyspeptische
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liifektionsluankheiten.
Beschwerden sind meist, aber nicht ausnahmslos, vorhanden. Die Dauer beträgt von fünf bis sieben Tagen; jederzeit kann sich ein echter Choleraanfall ausbilden. N u r bei Geschwächten kommt es ohne diesen durch Erschöpfung zum tödlichen Ausgang, Genesung ist weitaus das Gewöhnlichste. — Gholerme, die nächst höhere Entwicklungsstufe, ist von der eigentlichen Cholera nur durch die kürzere Dauer und die im ganzen milderen Symptome zu trennen. Die Grenze wird also willkürlich gezogen: vollkommene Entfärbung der Ausleerungen, Ausbleiben der Harnabscheidung, stärkere Muskelkrämpfe stellen nach herkömmlicher Bezeichnung den Einzelfall zur Cholera, das ist eigentlich alles, was gesagt zu werden braucht. — Von größter Wichtigkeit ist es, daß der Krankheitskeim ebenso, wahrscheinlich leichter, durch die unbedeutend Erkrankten verschiebt wird, ivic durch die der schweren Infektion Verfallenen. Die Diagnose der Cholera ist schwierig, sobald es sich um die Entscheidung darüber handelt, ob ein einzelner Fall durch den spezifischen Krankheitserreger den Kommabacillus, hervorgerufen wurde. Hier kommt besonders die Cholera nostras in Betracht, bei welcher wohl nur eine von sachkundiger Hand ausgeführte Reinkultur die differentielle Diagnose sichern kann. — Daß Vergiftungr mit Metallen — Sublimat, namentlich aber Arsen — ein ganz ähnliches Bild liefert, ist unzweifelhaft; sobald sich Verdacht erhebt, entscheidet die chemische Untersuchung rasch und sicher über dessen Berechtigung. Die Prognose ist stets zweifelhaft. Im Beginn der Epidemie sind die Todesfälle prozentisch gerechnet am zahlreichsten, Kinder und Alte sind immer hervorragend gefährdet. — Die Sterblichkeit beträgt im Mittel 50\, dabei sind jedoch Choleradiarrhöen und sogenannte Cholerinen nicht oder höchstens teilweise eingerechnet; die angeführte Zahl gilt daher nur für die an den schweren Formen Erkrankten. Für die allgemeine Prophylaxis ist daran festzuhalten, daß eine Verschleppung durch die nur an Diarrhöe leidenden Infizierten am leichtesten geschehen kann. Es handelt sich darum, diese und schwerere Kranke, ohne den allgemeinen Verkehr allzusehr zu stören, zu isolieren und ihre Entleerungen unschädlich zu machen. Da der Cholerakeim auf feuchter Wäsche nicht nur haftet, sondern sogar zur weiteren Entwicklung gelangt, muß solche gleichfalls zweckentsprechend desinfiziert werden. W i e das am besten geschehen kann, ist noch durch weitere Versuche festzustellen. — Der einzelne hat bei herrschender Choleraepidemie sich vor allem, was Dyspepsie hervorruft, zu hüten. W e n n die gewohnte Lebensweise nicht geradezu eine thörichte, Verdauungsstörungen befordernde ist, liegt kein Grund vor, dieselbe zu ändern. Zweckmäßig ist allerdings, sich vor einem Zuviel an N a h r u n g zu hüten. Den Leib und die Füße warm zu halten, wird mit Nachdruck anzuraten sein. Ungekochtes, einem Brunnen oder einer Leitung des infizierten Ortes entnommenes Wasser sollte nicht genossen werden; fremde Abtritte sind zu meiden, auch auf dem eigenen ist der Aufenthalt thunlichst abzukürzen. — Jede Dyspepsie und jeder Durchfall sind von Anfang an ernst zu nehmen und zu behandeln. Es gilt für wahrscheinlich, daß der Bacillus normalem Magensaft nicht zu widerstehen vermag, daher, selbst wenn er in den Magen gelangte, in diesem vernichtet wird. Das ist anders, sobald dyspeptische Zustände vorliegen. Unter diesen Umständen kann der Bacillus, von ungenügend verarbeiteten Speisen umgeben und vielleicht gar nicht mit dem Magensaft in Berührung tretend, sich schon innerhalb des Magens vermehren und in mehr oder minder großen Mengen in den Darm gelangen.
Choleia indica,.
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Am besten bewährt ist bei den leichten Formen Bettruhe und eine der absoluten möfjlichu nahekommenden I)iät: Rotwein oder kleine Mengen Kognak zu gekochtem Wasser, Gummi in Wasser gelöst, höchstens etwas Schleimsuppe; daneben Warmhalten des Unterleibs, was wohl am einfachsten durch einen den ganzen Bauch umgebenden PRiESSNiTz'schen Umschlag bewirkt werden kann. — Sind nennenswerte Durchfälle vorhanden, dann ist Opium anzuwenden; man giebt dasselbe meist mit Bittermitteln in weingeistiger Lösung vom Magen aus. (R Nr. 49.) Da der Bacillus Minerals«t dagegen fehlen die organischen Säuren. Klinisch ist diese Form einigermaßen dadurch gekennzeichnet, daß sehr heftiges Sodbrennen und starke Empfindlichkeit im Epigastrium sich etwa l'/ 2 bis 2 Stunden nach der Mahlzeit einstellen; nach dem Erbrechen ist die Erleichterung eine größere. —
Durch Infektion kann ein Symptomenkomplex erzeugt werden, in welchem die Magendarmerkrankung eine hervorragende Stellung einnimmt. Man ist daher geneigt, von ihr den Namen zu wählen und spricht von einer Febris gastrica. Die Abweichung der Ansichten dreht sich wesentlich darum, ob „gastrisches Fieber" nur durch das Gift des Abdominaltyphus hervorgerufen werde, also einen leichteren Grad der Infektion darstelle, oder aber, ob ein anderes unbekanntes Gift eine ähnliche Erkrankung zu bewirken vermöge? Die Meinung, daß ein so schweres Allgemeinleiden mit heftigerem Fieber und starker Beteiligung des Sensorium, wie es der Febris gastrica zukommen soll, von einer Schleimhautentzündung des Magens und Darms abhängig sei, dürfte wenig verlockend erscheinen, sie zählt auch wohl nur spärliche Anhänger. — Die Entscheidung kann einzig von ätiologischen Gesichtspunkten aus getroffen werden. Wer in einer Gegend thätig ist, wo Abdominaltyphus nicht regelmäßig vorkommt, aber zeitweilig größere Ausbreitung erlangt, wird nur zu den Zeiten dieser Häufung ein der Febris gastrica ähnelndes Krankheitsbild zu Gesicht bekommen und nicht darüber zweifelhaft sein, w o dasselbe h i n g e h ö r t . — In der Praxis werden sehr gewöhnlich die Abortivformen aller Infektionskrankheiten, venu irgend bedeutendere dyspeptische Symptome bei ihnen vorhanden sind, unter dem Namen des gastrischen Fiebers zusammengefaßt. Die E n t w i c k l u n g
der chronischen
Formen
von
Verdauungsstörungen
nimmt
immer lange Zeit in Anspruch. Anfangs stellt sich nach dem Essen, besonders nach den Hauptmahlzeiten, die Empfindung ein, daß der Magen da ist — man fühlt ihn, zunächst ohne besondere Beschwerden, aber schon daß man ihn fühlt, ist ungehörig. Bald gesellt sich das Bedürfnis hinzu, die Kleider in der Magen-
Verdauungsstörungen. Dyspepsie, Magenkatarrh.
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gegend zu lösen, weil deren Druck lästig wird. Aufstoßen, anfangs geruchloser Gase, dann von Teilen des Speisebreies, Nachschmecken des Genossenen vier und mehr Stunden nach dem Essen, Sodbrennen mit reichlicher Speichelabsonderung folgt. Hin und wieder kommt es vielleicht auch zum W ü r g e n und zum Erbrechen. Der Stuhlgang ist unregelmäßig, entweder angehalten, oder aber es treten mehrmals täglich, gewöhnlich bald nach dem Essen, dünnflüssige Entleerungen auf. Eines wechselt auch wohl mit dem anderen ab. A u f diese Erscheinungen kann Jahre hindurch die Dyspepsie beschränkt bleiben. Das Allgemeinbefinden braucht dabei nicht zu leiden, die Ernährung kann vollkommen ausreichend stattfinden — auch an die leisen Unbequemlichkeiten gewöhnen sich die meisten so sehr, daß sie dieselben kaum bemerken. W e r auf sich achtet, weiß, wie er wenigstens nicht immer alles vertragen kann und meidet bestimmte Speisen vielleicht ganz; wer das nicht thut, nimmt hin, was ihm dafür beschieden ist, ganz gewöhnlich ohne zu merken, woher denn eigentlich seine vielen „kleinen Leiden" kommen. Deren Zahl wird allerdings von Jahr zu Jahr größer: Eingenommensein des Kopfes, Verlangsamung des Denkens, Unlust zur angestrengteren Thätigkeit pflegen sich allmählich mehr und mehr einzustellen, Verstimmungen, unter denen die Umgegebung nicht wenig auszuhalten hat, Gereiztsein und Unverträglichkeit bleiben nicht aus, j a die ganze Lebensanschauung wird eine pessimistische. Die Kranken selbst legen häufig das Hauptgewicht auf ihre Stuhlbeschwerden, sie halten sich für Hämorrhoidarier und erziehen sich einen leichten Grad von Hypochondrie an. Anders wird die Sache, sobald die Summe der täglich sich wiederholenden Schädlichkeiten groß genug wurde, um ernstere Störungen hervorzurufen: Appetitlosigkeit, bis zu vollständigem Appetitmangel, nach jeder Nahrungsaufnahme heftige örtliche Beschwerden, Druck und ein Schmerz, der zu wirklichen Anfällen von Kardialgie anzuschwellen vermag, auch wohl, aber seltener Erbrechen, öfter W ü r g e n nach vorhergehendem Sodbrennen mit reichlicher Speichelabsonderung, gewöhnlich Verstopfung, welche mit wässerigen Entleerungen wechseln kann. Meteorismus, später eingesunkener Leib, häufige stinkende Flatus. Übler, aashafter Geruch aus dem Munde, selbst wenn dieser sehr sauber gehalten wird. Dabei dann ernsthafte Ernährungsstörungen mit sehr hochgradiger Abmagerung. Das alles sind die Folgen. V o n Einzelerscheinungen ist hervorzuheben: Die chemische Untersuchung des Mageninhaltes weist Essig- und Buttersäure, am meisten von der ersten nach — es sind Gärungsprodukte aus den Amylaceen entstanden, wie die manchmal in reichlicher Menge vorhandene Kohlensäure, und der nicht immer zu findende Wasserstoff. Die Gärungserreger gelangen aus der Luft in den Magen — bei Gegenwart faulenden Eiweißes ist ihre Wirksamkeit in hohem Grade begünstigt. — Produkte der Eiweißfäulnis sind schwerer nachweisbar; es kann Schwefelwasserstoff auftreten, ausnahmsweise in so großen Mengen, daß er allgemeine Vergiftungserscheinungen bedingt. Man hat schon lange angenommen, daß irgend welche bei der Fäulnis entstandene Körper nach ihrer Resorption die Unlustgefühle erzeugen, welche bei hochgradigen Dyspepsien so gewöhnlich sind. Die Entdeckung der Ptomaine, zum Teil wirklicher Gifte, ist geeignet diese Auffassung zu stützen. Immerhin darf nicht vergessen werden, daß eine reflektorisch weiter übertragene Reizung der Magennerven mit im Spiele sein kann und es wohl häufig ist. Die in größerer Menge gebildeten organischen Säuren stören den Verdauungs-
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Krankheiten cles Magens und Darms.
Vorgang des Eiweißes, sie wirken daneben aber unmittelbar als Entzündungserreger. — Der Magensaft selbst zeigt gewöhnlich bei dyspeptischen Zuständen eine Verminderung der Salzsinire, die so bedeutend wird, daß sie die Peptonisierung des Eiweißes beschränkt; I'epsin wird vielleicht in geringer Menge abgeschieden, immerhin scheint sich davon genug vorzufinden, damit die Eisweißverdauung, wenn auch etwas verlangsamt, sich vollziehen kann. — Bei stärkerer Anhäufung von Peptonen (zu großer Konzentration ihrer Lösung) wird die Eiweißverdauung unterbrochen. Sowohl erhebliche Schleimmengen, welche die Wandung des Magens überziehen, als verminderte Bewegung desselben, die Resorption wie die Entleerung in den Darm hindernd, fuhren zu einer solchen Unterbrechung — ist diese erst da, dann können Fäulnisvorgänge um so leichter sich abspielen. Die Speichelabsonderung wird von dem Magen aus reflektorisch gesteigert, namentlich wenn vermehrte Säurebildungo vorhanden ist. Sie vermago bei leicht zum Erbrechen Geneigten dieses hervorzurufen, sobald die reichlich ergossenen Speichelmengen bei dem Schlingakt, der sich häufig wiederholt und nicht wenig Luft in den allmählich stark gespannten Magen schafft, einen mechanischen Reiz auf den Rachen ausüben. — Bei dem Magenkatarrh der Säufer kann die Speichelabsonderung im Laufe der Nacht so stark werden, daß morgens eine Entleerung des Magens unter heftigem Würgen erfolgt (Vomitus matutinus) — die Reaktion des Erbrochenen ist hier meist alkalisch, der Nachweis von Rhodankalium zeigt, daß es sich um verschluckten Speichel handelt. Die Verstopfung ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, daß überhaupt weniger aus dem Magen in den Darm gelangt, dann aber kommt auch die Verlangsamung der peristaltischen Bewegung in Betracht. Beides zusammen bewirkt längeren Aufenthalt des Speisebreis im Dickdarm und Verminderung seines Wassergehaltes. — Diarrhöische Entleerungen sind häufiger die Folge eines Dickdarmkatarrhs, welcher durch die liegen bleibenden Kotmassen hervorgerufen wird. Sie können aber auch vom Dünndarm aus entstehen, wenn genügende Mengen faulig zersetzter Substanzen aus dem Magen in diesen entleert werden. — Die Druckempfindlichkeit des Bauches dürfte auf Peritonealreizung zu beziehen sein, welche bei stärkerem Meteorismus durch mechanische Zerrung, fehlt dieser durch die Änderung der Blutbewegung und vielleicht auch durch die Anhäufung von Produkten der regressiven Metamorphose — Ermüdungssubstanzen — erzeugt wird. Im allgemeinen ist eine Verminderung der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes durch den Bauch wohl anzunehmen. Charakteristisch ist die Ausbreitung der Druckempfindlichkeit über größere Räume: der ganze Magen, daneben ein mehr oder minder, großer .Teil des • Darms ,• erweist sich bei Druck schmerzhaft, der Schmerz ist ziemlich überall der nämliche und kann nicht bestimmt lokalisiert werden. Oft genug strahlen spontan die Schmerzen gegen die Wirbelsäule aus. — Die Rückwirkung auf das Allgemeinbefinden hängt außer von der etwaigen Intoxikation durch resorbierte Fäulnisprodukte sicher noch von anderen Bedingungen ab. Ist Anämie zugegen, dann macht sich diese geltend. Es ist aber mit starkem Nachdruck darauf hinzuweisen, daß von dem Verdauungschlauch aus mannigfaltige abnorme nervöse Erregungen, wohl durch Vermittlung des Vagus und Sympathikus, auftreten können. Die Trägheit des Hirns, sich durch Erschwerung des Denkens, durch das Unvermögen, rasch Entschlüsse zu fassen und dieselben auszuführen, verratend, rührt gewiß ebenso sehr davon her, daß durch abnorme Gefäßinnervation dem Centrum weniger Blut zugeführt wird, wie
Verdauungsstörungen.
Dyspepsie, Magenkatarrh.
davon, daß das zugeführte Blut in seiner Zusammensetzung verändert ist. erklärt sich auch am besten die oft in kurzer Zeit wechselnde Stimmung.
571 So
Ganz deutlich treten diese nervösen Beeinflussungen in dem Verhalten des Herzens hervor. Sehr gewöhnlich ist dessen Schlagfolge durchschnittlich verlangsamt, aber es schieben sich Zeiten ein, wo dieselbe arrythmisch wird und wahre Anfälle von Delirium cordis, welche von Angstgefühlen und in den linken Arm ausstrahlenden heftigen Schmerzen begleitet sind, sich zeigen. Mit einem W o r t , es kann Angina pectoris, vom M a g e n - D a r m aus erzeugt werden. Der Magenschwindel (Vertigo a stonmcho laeso) geht w o h l aus mehreren Ursachen her-
vor, unter denen Hirnanämie und abnorme Herztliätigkeit besonders zu nennen sind. Gewöhnlich tritt dabei die Empfindung auf, als ob sich alles in der Umgebung bewege, es scheint ein Abgrund vor den Füllen sich aufzuthun, Übligkeit, vielleicht auch Erbrechen folgt, das Gefühl von innerer Leere stellt sich ein; das Bewußtsein bleibt erhalten. Allerlei abnorme periphere Sensationen — als ob ein kalter Hauch diesen oder jenen Körperteil getroffen hätte und dergleichen werden selten vermißt. Sicher ist diese Form des Schwindels eine sehr häufige, ob die häufigste, wie ausgesprochen wurde, mag dahingestellt sein. Man hat den Versuch gemacht, bestimmte Krankheitsbilder aus dem Ganzen der Dyspepsie auszuscheiden und so gewissermaßen selbständige Einheiten zu schaffen. Besonders ist das mit einer Form geschehen, welche als „nervöse" Dyspepsie bezeichnet wurde. Die Thatsache, daß ohne gröbere und nachgewiesene anatomische Störung sich Dyspepsie findet, daß dieselbe, ohne zu materiellen Veränderungen zu führen, jahrelang besteht, dürfte unzweifelhaft sein. Daß das Nervensystem beteiligt ist, muß gleichfalls zugegeben werden. Allein damit ist nicht viel gewonnen, denn die nämlichen Bedingungen finden sich fast bei jeder Dyspepsie. Ks zeigt sich denn auch in der That, daß die Ätiologie der nervösen Dyspepsie so ziemlich alles enthält, was für Dyspepsie überhaupt als veranlassende Ursache geltend gemacht worden ist. Ebensowenig sind die Symptome wesentlich verschieden. — Als diagnostisches Mittel wurde die Ausspülung des Magens sieben Stunden nach einer Mahlzeit empfohlen; das Ergebnis wäre bei nervöser Dyspepsie ein durchaus klares Spülwasser ohne Speisereste. Damit ist nur bewiesen, daß kein Katarrh vorliegt — denn es können sowohl bei normaler Verdauung sieben Stunden nach einer Mahlzeit noch Speisen im Magen zurückbleiben, als auch bei schwereren Erkrankungen (Katarrh. Ulcus, Carcinom) schon vier Stunden nach der Mahlzeit dieselben ganz aus demselben entfernt sein. — Es bleibt daher wohl kaum eine Möglichkeit, die Lehre von der nervösen Dyspepsie so, wie sie gemeint war, aufrecht zu erhalten. Dagegen ist mit großem Nachdruck hervorzuheben, daß Dyspepsie ganz außerordentlich häufig bei den an angeborener oder erworbener Nervosität Leidenden vorkommt. Weiter ist darauf hinzuweisen, daß sie hier öfter in allerlei seltsamen Formen sich zeigen kann; die Launen des Magens werden von keinen anderen übertroffen. Unter diesen Formen ist eine wieder abgetrennt und als Gastroxynsis beschrieben worden: In unregelmäßigen, hauptsächlich durch geistige Überanstrengung hervorgerufenen Anfällen auftretende übermäßige Bildung von Salzsäure, die mit heftigem, migräneartigem Kopfschmerz einhergeht, und durch die Entleerung des Mageninhaltes, welche spontan durch das nicht leicht ausbleibende Erbrechen erfolgt, gebessert wird.
Verlauf und Dauer der Verdauungsstörungen sind wesentlich davon abhängig, ob ärztliches Eingreifen stattfindet, und ob sich der Kranke dem ihm Auferlegten fügen will und kann. Ist einmal der Zustand chronisch geworden, dann hat man immer mit längeren Zeiträumen zu rechnen; die akuten Formen sind in wenig Wochen zu beseitigen. Die Diagnose hat, nachdem die unschwer festzustellende Anwesenheit einer Dyspepsie nachgewiesen wurde, die Aufgabe, zu erforschen, ob eine anatomische oder ob nur eine funktionelle Störung vorliegt. Das ist keineswegs leicht. Von Katarrhen sollte man erst dann reden, wenn das Erzeugnis derselben, größere
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Krankheiten des Magens und Darms.
Schleimmengen,' aus dem Magen mittels der Ausspülung herausbefördert sind. Deren Anwesenheit in dem Erbrochenen beweist wenig, da sie ebenso gut aus der Mund- und Rachenhöhle herrühren können. — Die Verdauungsfähigkeit der mit Hilfe geringer Wassermengen aus dem Magen, welcher vorher durch Einführung geeigneter Nahrungsmittel zur Absonderung gebracht wurde, gewonnenen Flüssigkeit, gestattet eine Entscheidung darüber, ob chemische Veränderungen vorliegen. Das übliche Verfahren ist dieses: Der Kranke, dessen Magen nötigenfalls vorher mittels der Sonde entleert und ausgespült wurde, nimmt eine Probemahlzeit von gemischter Kost — etwa zusammen aus 250 g feingeschabten Fleisches und Kartoffelbrei, Griesbrei oder Weißbrot bestehend. Nach 6 Stunden wird der Magen wiederum ausgehebert und mit Wasser nachgespült. Ist der Magen um diese Zeit leer, so sind schwerere Störungen der Saftabsonderung mit Sicherheit auszuschließen und auch die mechanische Thätigkeit ist eine befriedigende. Will man dennnoch Genaueres feststellen, so muß zu einer früheren Stunde die Ausheberung vorgenommen werden. — Anders wenn 6 Stunden nach der Probemahlzeit noch größere Mengen von Speiseresten sich finden. Dann lassen sich schon durch das Auge ohne weiteres erheblichere Abweichungen feststellen: Ist noch viel Fleisch zurückgeblieben, dann liegt gegründeter Verdacht vor, daß eine mangelhafte Absonderung von saurem Magensaft stattgefunden h a b e , sind die Amylaceen reichlicher zurückgeblieben, dann wird man auf eine übermäßige Säureabsonderung schließen dürfen. — Vor der Entleerung des Mageninhaltes in den Darm soll freie Salzsäure nachweisbar sein. Um darauf zu prüfen, filtriert man etwas von dem Ausgeheberten und untersucht mit Ililfe eines in Kongorot gefärbten Stückes Filtrierpapier. Bei einiger Übung genügt das für die Zwecke der Praxis. Man findet: keine freie Salzsäure — die rote Farbe ändert sich nicht. — Zu wenig freie Salzsäure — schwach violette Farbe. Genügend freie Salzsäure — violett bläuliche Farbe, welche nun, falls zu viel freie. Salzsäure vorhanden ist, in ein mehr oder minder tiefes Blau übergeht. — Um zu sicherem Schlüsse zu gelangen, müssen die Untersuchungen an mehreren Tagen wiederholt werden. — Die Erfahrung lehrt, daß jeder Magensaft, der freie Salzsäure enthält, Eiweiß peptonisiert; ein Mangel an Pepsin liegt also unter diesen Umständen gewiß nicht vor — wahrscheinlich ist es, daß, wenn überhaupt, doch nur in ganz seltenen Fällen zu wenig Pepsin vorhanden ist. — Die vielen und mühevollen Untersuchungen über die Beschaffenheit des Magensaftes haben etwa folgendes ergeben: Ein Ausbleiben der Reaktion auf freie Salzsäure fand man: In dem meisten Fällen von Magencarcinom, besonders wenn dasselbe sich am Pylorus entwickelte und eine Gastrektasie nach sich zog; bei hochgradiger Atrophie der Magenschleimhaut; bei solchen akuten oder chronischen Magenkatarrhen, welche mit reichlicher Schleimabsonderung verbunden sind. — Eine Verstärkung der Reaktion auf freie Salzsäure traf man: In zahlreichen Fällen von Magenerweiterung, welche nicht von einem Pyloruscarcinom bedingt sind; hier wird gewöhnlich auch außerhalb der eigentlichen Zeit der Verdauung Magensaft abgeschieden Häufig bei dem runden Magengeschwür. Bei gewissen (Kontinuierlicher Magensaftfluß). Formen der Dyspepsie, welche eine stärkere Beteiligung des Nervensystems erkennen lassen —• so die Crises gastriques, die Melancholie. —
Es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß hin und wieder einmal die Untersuchung des Magensaftes von entscheidender Bedeutung werden kann, andererseits muß aber daran festgehalten werden, daß dieselbe für gewöhnlich entbehrlich ist. Die Hauptsache bleibt es, sich darüber zu vergewissern, ob die vorhandenen Verdauungsstörungen von einem anderweitigen Leiden abhängen oder nicht. Es erfordert das ganzes diagnostisches Können, da Dyspepsie bei allen möglichen Erkrankungen sekundär sich zu zeigen vermag. — Von der Diagnose ist die Prognose bedingt. Bei einfacheren örtlichen Leiden, einerlei ob Katarrh vorhanden oder nicht, ist dieselbe im allgemeinen günstig, selbst dann, wenn die anatomischen Folgen langbestehender Erkrankung sich entwickelt haben-
Verdauungsstörungen. Dyspepsie, Magenkatarrh.
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E s sind doch nur Ausnahmefalle, wo diese — namentlich die Atrophie der Schleimhaut — so hochgradig wurden, daß Genesung unmöglich ist. Die symptomatischen sekundären Formen hängen von der Prognose des Grundübels ab — sie sind meist wenigstens einer Besserung fähig. Die Behandlung der akuten Dyspepsie ist eine sehr einfache: Ruhe für Magen und Darm, wie sie durch Vermeiden des Genusses von Speisen, welche verdaut werden müssen, leicht herbeizuführen ist, bleibt die Hauptbedingung. Man erlaube daher nur kohlensäurehaltige Wässer von Zimmertemperatur, zur Zeit in kleinen Mengen, lasse im übrigen absolute Diät einhalten und bei den durch die Individualität des Erkrankten oder durch die Stärke der Erscheinungen schwerer erscheinenden Fällen das Bett hüten. — Selten wird man genötigt sein, durch Brechmittel den Magen zu entleeren. Früher war das allgemein gebräuchlich, und es läßt sich eine gewisse ratio dem Eingriff nicht absprechen, da das aus dem Magen Entleerte sicher weder diesen weiter reizen, noch in den Darm kommen kann. Allein bei Leuten, die sich leichter erbrechen, hat die Natur selbst die Sache besorgt, bei den anderen ist es ein mißliches Ding um die Brechmittel, die, nicht innerhalb kurzer Zeit herausbefördert, heftige Entzündung hervorzurufen vermögen. Die Ausspülung des Magens ist entschieden vorzuziehen und, wenn man die Entleerung des Magens für nötig hält, auszuführen. Will man dem Kranken die Einführung der Sonde ersparen, dann lasse man etwa ein Liter lauen Wassers trinken und durch mechanische Reizung des Rachens den Versuch zum Erbrechen zu gelangen vornehmen. Dadurch wird sicher kein Schaden, höchstens etwas Unbequemlichkeit entstehen. — Zu häufiges und anhaltendes spontanes Erbrechen suche man durch Brausemischungen, denen einige Tropfen Opiumtinktur zugesetzt sind, zu stillen. Man lasse hier zur Zeit höchstens 20 g Flüssigkeit schlucken. — Die Durchfalle sollen gewöhnlich nicht gehemmt werden. Erst wenn kein wirklicher Kot mehr entleert wird, wenn der Stuhl die braune Farbe verloren hat, darf man Opium anwenden — am besten gleichzeitig fünf Tropfen Tinktur mit wenig Wasser und ein Suppositorium von 0,05 Extr. opii (R Nr. 51) für den Erwachsenen. Nach einer, höchstens nach zwei Gaben pflegt alles in Ordnung zu sein.— Warme Kataplasmen oder ein PittESSNiTz'scher Umschlag über den ganzen Leib erweisen sich gegen Erbrechen und Durchfall nützlich. Bäder von Körperwärme oder etwas darüber mit starkem Frottieren der Haut, unmittelbar nachher Rückkehr in das gewärmte Bett sind in den schweren Fällen dringend zu empfehlen. Nach den täglich etwa zweimal gegebenen Bädern sieht man oft alle Erscheinungen schwinden, gleichzeitig ritt reichliche Schweißabsonderung auf. Eine etwa zurückbleibende Verstopfung wird durch 10—15 g Ol. ricini leicht beseitigt. Die Anwendung von Abführmitteln, um zersetzte Massen aus dem Darm zu befördern, ist zu empfehlen, wenn man Kotanhäufungen nachweisen kann. Für gewöhnlich wirken diese Massen von sich aus genügend abführend. — Eine etwa erforderliche Nachbehandlung hat dem Rekonvaleszenten einen langsamen Übergang zur gewohnten Lebensweise vorzuschreiben, seinem Heißhunger entgegenzutreten und nur leicht Verdauliches zu gestatten. Die Behandlung der chronischen Verdauungsstörungen hat sich nicht auf den Magen zu beschränken, die Regelung der Lebensweise im weitesten Wortsinne ist ihre Aufgabe. Das gilt für alle Formen, ganz besonders aber für die bei nervösen Menschen; hier ist der Arzt oft genug genötigt ebenso sehr psychisch
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Krankheiten des Magens und Darms.
wie körperlich zu behandeln. (Siehe §§ 60, 63, 65.) Es macht daher der Einzelfall mit allen seinen Eigentümlichkeiten jedesmal besondere Forderungen. W a s f ü r die Verdauungswerkzeuge zu beachten ist, wurde schon oben einzeln angeführt. — Es kommt mindestens ebensoviel darauf an, >vie als was gegessen wird, und die Regeln sind ganz pedantisch aufzustellen. Es genügt daher auf das vorher Besprochene zu verweisen. Ergänzend ist noch hinzuzufügen, daß bei Leuten mit schlechten Zähnen, welche ordentliches Kauen unmöglich machen, öfter der Zahnarzt auch der beste Magenarzt tat. — Sehr wichtig ist die Anordnung der Mahlzeiten nach dem Grundsatz, daß der Tagesbedarf nicht der Hauptsache nach durch das Mittagessen gedeckt werde, sondern auf drei Zeiten mit annahernd gleichen Nahrungsmengen verteilt werde. Man lasse Zwischenräume von vier bis fünf Stunden eintreten und halte darauf, daß mindestens drei Stunden vor dem Schlafengehen zuletzt gegessen werde. So wird den Verdauungsorganen eine Arbeit zugeteilt, welche sie ohne Überbürdung bewältigen können, zugleich aber auch für ausreichende Ruhe derselben gesorgt. — Wird wenig zur Zeit, aber öfter gegessen, dann entleert sich der zu anhaltender Thätigkeit gezwungene Magen nie ganz, es tritt leicht Muskelermüdung desselben ein und auch die der Absonderung vorstehenden Nerven müssen an dieser Ermüdung teilnehmen. Ein gehöriges Hungergefühl zeigt sich kaum; die Erfahrung lehrt, daß man Vielessern, die in wenig Mahlzeiten ihren übergroßen Bedarf zu sich nehmen, den Heißhunger mit allen seinen Folgen am ehesten abgewöhnt, wenn man sie zur Zeil wenig, aber sehr oft etwas genießen läßt. Für diese, aber auch nur für diese, hat die von manchen als allgemein gültig ausgesprochene Regel, wenig zur Zeit und häufig essen zu lassen, eine Berechtigung. — Bei der Wahl der Diät darf man eines nicht vergessen. Die meisten an chronischer Dyspepsie Leidenden haben verlernt, welches Allgemein gefiihl von einem gesunden Magen ausgelöst wird, sie wissen nicht, wann eine Störung desselben vorhanden ist, und sind daher außer stände selbst darüber zu wachen, ob ihnen diese oder jene Speise Beschwerden macht. Am leichtesten erreicht man die Wiederherstellung der Selbstkontrolle, sobald man ein Regimen durchführt, welches bei ausreichender Gewebeerndhrung dem Magen ein geringstes Arbeitsmaß auferlegt und nicht durch Gaumenkitzel zu einem Übermaß verführt. J e einfacher und gleichmäßiger die dargebotene Nahrung ist, desto schneller kommt man zum Ziel. Als strengste Form der Diät ist zu bezeichnen (Normalernährung für einen kräftigen Mann): 3 mal täglich 100 g rohes geschabtes Fleisch mit nicht zu wenig Salz und etwas Pfeffer, zwei bis drei Semmeln mit 30—40 g ganz frischer Butter. Bei jeder Nahrungsaufnahme wird Vi Liter guten leichten roten Bordeaux getrunken. Flüssigkeit — irgend ein natürliches Sauerwasser — kann in der Mitte zwischen je zwei Mahlzeiten getrunken werden, ebenso zwei bis drei Stunden nach der letzten Nahrungszufuhr und nachts, höchstens V2 Liter zur Zeit. Wein und Wasser sind gehörig (15—17° R) zu erwärmen. Je nach der Schwere des Falls kann man nach Wochen oder Monaten den Übergang zu der gewöhnlichen Kost dadurch vermitteln, daß man das Fleisch leicht (eine Minute) in Butter braten läßt, mittags dasselbe warm mit Kartoffelmus, später mit leichten Gemüsen (Spargel, junge Karotten, grüne Erbsen) zu genießen erlaubt, morgens und abends ebenso das Überbraten gestattet, aber das Fleisch kalt genießen läßt. Allmählich schiebt man mittags einfach gekochten Fisch (Salm und Aal sind einzig auszunehmen), gewöhnliches, gut geklopftes Beefsteak schwach gebraten, Geflügel (Gans und Ente ausgenommen), Wild u. s. w. ein, läßt morgens weich gesottene Eier, rohen Schinken, kalten Braten nehmen, ebenso abends. Der Wein kann schon bald morgens durch schwachen Thee — niemals Kaffee — ersetzt werden, für manche eine große Erleichterung. — Das Fleisch ist roh zu nehmen, weil es in dieser Form in wenig Stunden verdaut wird. Widerwille dagegen ist manchmal voihanden, von
Verdauungsstörungen. Dyspepsie, Magenkatarrh.
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Leuten aber, die an schweren Dyspepsien leiden und charakterfest genug sind, das zur Herstellung ihrer Gesundheit notwendige Opfer zu bringen, wird dieser Widerwille in wenig Tagen besiegt. Die Gefahr, eine Tänie zu bekommen, ist j a sicher vorhanden, aber sie ist nicht viel größer als nach dem Genuß der halbgaren Braten, die in Norddeutschland üblich sind. — Man kann, wenn es gar nicht anders geht, wenigstens mittags das Fleisch in Bouillon von einer Temperatur unter 45° C eintragen, deren Menge darf aber nicht über '/j Liter hinausgehen, der Wein ist dann oft wegzulassen, besonders wenn der Magen schon etwas erweitert ist. — Es lassen sich gewiß eine Menge anderer Diätformen aufstellen, welche gleichfalls nützlich sich erweisen, vielleicht auch für die Kranken angenehmer sind. Die mitgeteilte ist in langjähriger Praxis bewährt. Bei der nicht kleinen Zahl von Dyspeptikern, w e l c h e in mehr oder minder h o h e m Grade annmisch sind, thut man w o h l , darauf zu achten, ob die öfter vorhandene Unlust am Essen, welche sich wahrend desselben steigert, nicht mit leichter Ermüdbarkeit der Kaumuskeln •Msamniciihängt. Man wird das nicht selten finden, besonders oft bei Chlorotischen, und hat dann, auch w e n n eine strenge Diät an sich weniger erforderlich erscheint, darauf zu halten, daß bis zur Ü b e r w i n d u n g dieser sehr u n a n g e n e h m e n E m p f i n d u n g die Nahrung vorher so fein urteilt ist, daß sie ohne weiteres geschluckt werden kann. E s ist unter diesen U m s t ä n d e n besser auf g e n ü g e n d e Einspeichelung der Amylaceen zu verzichten und diese in Breiform zu geben, als eine unzureichende allgemeine Ernährung a u f k o m m e n zu lassen. Über die noch von vielen Ärzten empfohlene Milchdiät ist zu bemerken: Es steht fest, daß in der Milch alles, was zur Ernährung notwendig, vorhanden ist, man kann allein von ihr leben. Aber dazu sind größere Mengen erforderlich — vier bis fünf Liter für den Erwachsenen. Schon die starke Dehnung, welche der Magen dadurch erfahrt, dürfte seinen Bewegungen nicht gerade förderlich sein. Es kommt hinzu, daß leicht klumpige Gerinnung de? Kaseins eintritt, wodurch eine Verkleinerung der dem Magensaft zugänglichen Oberfläche desselben erfolgt. So werden auch die Bedingungen für die chemische Seite der Verdauung nicht gerade günstige. Es bleibt also nur der Vorteil einer einförmigen Diät, welche normale Empfindungen wiederzugeben vermag, und das Wegfallen der mechanischen Arbeit für die Kaumuskeln. Man hat die Erfahrungsthatsache, daß von nicht wenigen die Milch schlecht ertragen wird, beherzigend, deren Anwendung bei Dyspeptikern so modifiziert, daß man die eingeführte Menge verringerte und auf ein bis zwei Liter beschränkte. Gewiß kann man von solchem Gebrauch für den Magen selbst Nutzen sehen, darf aber nicht vergessen, daß dann der Körper zum Teil von seinem Bestand sich erhalten muß. — Ob neben anderweitiger Ernährung Milch zu geben, hängt von den individuellen Bedingungen ab und ist im Einzelfall durch den Versuch festzustellen. Die Ausspülung des Magens ist bei chronischem Katarrh dringend zu empfehlen. Aber auch bei manchen anderen F o r m e n scheint dadurch genützt zu werden. Es dürfte das vielleicht auf die mechanische W i r k u n g der Spülung zurückzuführen sein. (Über die Methode siehe § 194.) Für die dauernde Beseitigung der Dyspepsien ist es durchaus erforderlich, daß der Patient wieder gelernt habe, was ein gesunder Magen ist. W e i ß er das, dann kann man i h m später die W a h l seiner N a h r u n g anheimgeben; er vermag n u n selbst zu bestimmen, w a s i h m bekommt, was er zu meiden hat. V o r ü b e r g e h e n d e Störungen werden durch einfaches Zurückgehen auf die strenge Diät der K u r binnen w e n i g e n T a g e n beseitigt. — W e i t e r ist es w i c h t i g , die Darmausleerung in Ordnung zn bringen. Man suche zunächst durch die einfachsten Mittel zu helfen: Einhaltung einer bestimmten Stunde, zu welcher unter allen U m s t ä n d e n täglich die Defakation angestrebt werde — a m besten m o r g e n s nach der ersten Mahlzeit — , g e n ü g t öfter. N ö t i g e n f a l l s k a n n die Eingießung v o n einem Liter lauen Wassers, unmittelbar vorher vorgenommen, die G e w ö h n u n g herbeiführen. Pedanterie in der Zeiteinhaltung und äußerste Konsequenz ist erforderlich. Übrigens
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Krankheiten des Magens und Darms.
ebenso, wenn man mit Abführmitteln nachhelfen muß. Von diesen kommen zunächst die salinischen in Betracht. Sie sind dann anzuwenden, wenn der Mechanismus der Magenbewegung wenig gestört erscheint, was sich aus der nach höchstens einigen Stunden auftretenden Darmentleerung zeigt. Man giebt am besten Karlsbader Salz, für welches in der Pharmakopoe eine sehr gute Formel vorgeschrieben ist. Ein bis zwei Theelöffel voll werden in 1.-2 — 1 Liter heißen Wassers gelöst, die Hälfte davon ist, etwa 40° C. warm, unmittelbar vor dem Aufstehen, die andere nach dem Aufstehen zu trinken, dann folgt ein Spaziergang von einer Stunde. Erst nachher wird das Morgenessen genommen. Es sollen höchstens einige breiige, nicht eigentlich diarrhoische Entleerungen folgen, unangenehme Empfindungen und Kollern im Darm, das stundenlang dauert, müssen ausbleiben. — Manche ertragen das Salz nicht; dann sind die ¿ei der Besprechung der Obstruktion (§ 204) erwähnten Drastika zu verwenden. — Sind die Rückwirkungen
der Verdauungsstörungen
auf die allgemeine Ernährung
erheb-
lich, dann ist jede unnötige Ausgabe zu vermeiden, der Kranke ist ruhig zu halten, vielleicht ist ihm sogar für einige Zeit das Bettliegen zu empfehlen. Das wird nur in der Minderzahl der Fälle erforderlich sein. Gewöhnlich ist Aufenthalt an der Luft mit ausgiebiger Bewegung zu verordnen.
Man h a t bei der E i n -
teilung des Tages nur darauf zu sehen, daß die Zeit des Spazierganges nicht mit der Hauptthätigkeit der Verdauungsorgane zusammenfallt. Am besten läßt man vor den Essenstunden gehen, aber so, daß erst eine halbe Stunde nach Beendigung der Muskelarbeit Nahrung genommen wird. Der Gebrauch von Arzneimitteln kann in vielen Fällen entbehrt werden. Salzsäure ist zur Herstellung der normalen Beschaffenheit des Magensaftes erforderlich und kaum als Medikament zu bezeichnen. Ist sie in zu geringer Menge vorhanden, dann läßt man bei dem Essen davon 10 bis 15 Tropfen (Acid. hydrochloric. dilutum) in genügender Verdünnung nehmen, gewöhnlich wird man großen Nutzen davon sehen. Pepsin ist meist entbehrlich. Man legte früher großes Gewicht auf die Bittermittel; möglich, daß dieselben bei jener Form der Dyspepsie, welche als Magenträgheit (Atonie) bezeichnet wird und mit langsamer Entleerung des Organs verbunden ist, nützen. Große Bedeutung dürfte ihre Anwendung kaum beanspruchen. Condurango, das sogar gegen Magenkrebs empfohlen wurde, scheint in der That mehr als ein Modemittel, vielleicht das wirksamste Eupeptikum zu sein. (R Nr. 22.)
Wenn reichliche Säurebildung da ist — Salzsäure dürfte im Ubermaß nur in der Minderzahl der Fälle abgeschieden werden, gewöhnlich handelt es sich um die durch Zersetzung entstandenen organischen Säuren — dann ist das doppeltkohlensaure Natrium dringend zu empfehlen. Manche, die leicht erbrechen, können durch die Säure im Magen dazu veranlaßt und in die peinlichsten Lagen versetzt werden. Eine passende Gabe des Natriumsalzes ist, rechtzeitig genommen, imstande, das zu verhindern und stört die Verdauung nicht. Freilich tritt unmittelbar nach deren Einverleibung die Sättigung auch eines Teiles der im Magen enthaltenen Salzsäure auf. Allein es ist experimentell festgestellt, daß das doppeltkohlensaure Natrium die Absonderung der Magensaftdrüsen anregt; so wird rasch eine normale Verdauungsflüssigkeit beschafft. Die praktische Erfahrung ist mit den Versuchsergebnissen in vollem Einklang. — Man vermeide eine zu starke Aufblähung des Magens, welche mit sehr quälenden Allgemeingefühlen, sogar mit Kollaps einhergehen und mit Erbrechen endigen kann. — Daher lasse man n u r kleinere Mengen des Salzes zur Zeit nehmen — einen Theelöffel voll in einem
Verdauungsstörungen. Dyspepsie, Magenkatarrh. Schwere Formen der Magenentzündung. 57 7
Glase nicht zu kalten Wassers gelöst und in Zwischenräumen von einigen Minuten allmählich getrunken. E s ist schon bei den ersten Anzeichen der Säurebildung damit zu beginnen, welche sich durch etwas vermehrte Speichelbildung und das Gefühl von Rauhigkeit im Rachen, vielleicht auch durch den Geschmack verrät. Die mit dem Mittel Vertrauten lernen diese kleinen Dinge sehr rasch selbst; aber man muß sie anfangs darauf aufmerksam machen Der günstige Einfluß von Trinkkuren in Karlsbad, Kissingen, Tarasp u. s. w. ist durch die Erfahrung sichergestellt. Neben der Einwirkung des betreffenden Mineralwassers kommt die meist ziemlich strenge Diät, welche an Ort und Stelle üblich ist, die reichliche B e w e g u n g in frischer L u f t und nicht zum geringen Teil die Beschränkung in der Nahrungsaufnahme während der Nachkur in Betracht, der man sich bereitwillig zu unterwerfen pflegt. E s ist für viele Dyspeptiker, namentlich solche aus den besseren Ständen, die an ein üppiges Leben gewöhnt sind, diese Behandlung daher dringend zu empfehlen. § 193.
Schwere Formen der Magenentzündung.
A l s sehr selten muß die G a s t r i t i s p h l e g m o n o s a bezeichnet werden. Dieselbe kommt als idiopathisches Leiden vor, häufiger noch bei Männern als bei Weibern, und sie ist mit schweren Infektionskrankheiten (Puerperalfieber, selten Variola und Typhus) verbunden. Anatomisch zeigt sich mehr umschrieben oder diffuser verbreitet eine eiterbildende Entzündung ausgehend von der Submueosa, sich gegen die Serosa ausbreitend und dann zur Peritonitis führend, oder die Mucosa ergreifend. Diese kann von dem durchbrechenden Eiter siebförmig durchlöchert werden. Größere Eiterherde entleeren sich auch nach dem Peritoneum hin, ganz ausnahmsweise durch die Bauchdecken. — Die klinischen Erscheinungen sind die einer schweren Allgemeinkrankheit mit heftigen Fieberbewegungen, das Organleiden wird nur durch Erbrechen und Diarrhöe gekennzeichnet, nicht einmal immer ist Druckempfindlichkeit in der Magengegend vorhanden. Inj Erbrochenen hat man bei diffuser Gastritis Eiter nicht nachweisen können. — Die Diagnose dieser Form ist kaum zu stellen. Eher noch wäre das bei dem Absceß des Magens möglich: wenn sich an ihm eine rasch entstehende Geschwulst zeigt, welche unter Entleerung großer Eitermengen nach oben oder unten zusammenfällt. Die Prognose ist schlecht, wenn auch nicht unbedingt tödlich. — Die Behandlung kann nur eine symptomatische sein. Nach Einwirkung der reizenden oder scharfen Gifte, welche unmittelbar oder mittelbar auf dem Blutwege zu den Verdauungsorganen gelangten, tritt in diesen eine schwere Entzündung auf — sie wird als G a s t r o e n t e r i t i s t o x i c a bezeichnet. — Anatomisch findet man Entzündung oder Verschorfung, welche sich oft in größerer Ausdehnung durch den Dünndarm, der leichter noch als der Magen angeätzt wird, erstreckt. — Bei langsamerem Verlauf kann Heilung unter Stenosenbildung eintreten; die fettige Entartung vieler Organe pflegt dann nicht zu fehlen. — Das Krankheitsbild, wie es sich bei der gewöhnlichen Einverleibung des Giftes vom Münde aus gestaltet, zeigt: Brennen in der Mund- und Rachenhölile und längs des Verlaufs der Speiseröhre, scharfer und metallartiger Geschmack mit reichlicher Absonderung von Speichel, Schmerz beim Schlucken, heftiger Durst, Ekel, Würgen, Erbrecheu, das oft blutige mit Schleimhautfetzen gemischte Massen zu T a g e fordert. Die Mageugegend ist spontan, besonders v. J i i r g e n s e n , Spez Path u Ther. II. Aufl.
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Krankheiten des Magens und Darms.
aber gegen Druck empfindlich, allmählich wird der ganze Unterleib schmerzhaft und zieht sich ein oder er ist stark meteoristisch gebläht; Durchfall, sich häufig wiederholend und mit Tenesmus einhergehend, folgt alsbald. Auch Harndrang, bei dem nur geringe Mengen entleert werden, ist häufig. Kollapserscheinungen: blasses, eingefallenes Gesicht, kleiner, schwacher Puls, mühsame Atmung, kühle mit Schweiß bedeckte Haut, Unruhe, vielleicht Delirien und Krämpfe lassen nicht lange auf sich warten. Unter Zunahme derselben tritt der Tod ein. —• Bei günstigerem Verlauf zeigen sich neben fortdauernden örtlichen Erscheinungen Fieberbewegungen, welche in ihrer Stärke der Heftigkeit der Entzündung entsprechen. — Es kommt vielleicht erst nach längerer Zeit noch zum tödlichen Ausgang: Erschöpfung infolge der Unfähigkeit genügende Mengen von Nahrung aufzunehmen und zu assimilieren, fettige Entartung, die örtlichen Veränderungen in ihrer weiteren anatomischen Entwicklung können dazu fuhren. Die Diagnose hat zunächst die Ergebnisse der Inspektion von Mund- und Rachenhöhle zu berücksichtigen; handelte es sich um Substanzen mit eigentlicher Atzwirkung, dann ist diese schon hier sichtbar. Das Erbrochene giebt vielleicht, unmittelbar, jedenfalls giebt die chemische Untersuchung Auskunft über die Art des Giftes. Für viele Fälle wird ja dazu die Anamnese genügen; wenn nicht Selbstmordversuche vorliegen, hat man sich besonders danach zu erkundigen, was genossen wurde, und ob etwa Eigentümlichkeiten im Geschmacke bemerkt wurden. — Verwechslungen kommen mit den schweren Erkrankungen des Magen-Darmkanals, die Kollaps im Gefolge haben, und namentlich mit Peritonitis vor, dann können einzelne hierher gehörende Vergiftungen (die mit Arsenik ist praktisch darunter am wichtigsten) mit Cholera verwechselt werden. Auch heftige Visceralneuralgien bieten Züge, die an toxische Gastroenteritis erinnern. — Vielfach liefert die Vergiftung durch die Einwirkung des schädlichen Stoffes auf andere Organe ein so bestimmtes Bild (z. B. bei dem Genuß der Tollkirsche), daß der unterrichtete Arzt sofort eine sichere Diagnose stellen kann. — Die Prognose muß sich nach den Bedingungen des Einzelfalles richten. •— Die Behandlung hat zuerst die Anwendung von Gegengiften in Betracht zu ziehen. Im übrigen muß sie nach den allgemeinen Grundsätzen geschehen, welche für die im gegebenen Falle hervortretenden Organerkrankungen Gültigkeit haben. § 194. Erweiterung des Magens.
E r w e i t e r u n g des M a g e n s (Gastrektasie) entwickelt sich nicht selten aus dyspeptisch-katarrhalischen Zuständen von längerer Dauer. Verlegung des Pylorus durch Geschwülste, durch schrumpfende Narben von Ulcus simplex und carcinomatosum oder durch Verwachsungen nach Peritonitis führen gleichfalls häufig dazu. Daß diese mechanischen Verengerungen des Pylorus die höchsten Grade der Magenerweiterung herbeiführen, ist gewiß, öfter aber dürfte die erstgenannte Ursache zu finden sein. Chronische Dyspepsie ist mit einer Ausdehnung des Magens über die individuelle Norm sehr gewöhnlich verbunden; man darf das behaupten, da nach der Heilung der Magen nur einen Teil der früher aufgenommenen Flüssigkeit faßt und auch für andere Methoden der Untersuchung sich als verkleinert erweist. Es ist überhaupt ein eigen Ding um die Gastrektasie, wenn man dieselbe nur nach der Größe des Magens bemessen will. Klinisch hat dann der Begriff keine rechte Bedeutung: Vielesser haben oft kolossal weite
Schwere Formen der Magenentzündung. Erweiterung des Magens.
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Mägen, die trotzdem mehr leisten als normal große. — Man thäte besser, die Unfähigkeit des Mayens steh zu entleeren, seine mechanische Insuffizienz stärker hervorzuheben, als deren Folge sich dann die Erweiterung entwickelt. Jedenfalls gehört das in die klinische Definition hinein, welche also zu lauten hat: Erweiterung des Magens mit Unfähigkeit desselben sich innerhalb einer angemessenen Zeit zu entleeren, liefert das Krankheitsbild, welches als Gastrektasie bezeichnet wird. Die Entstehung ist einigermaßen durchsichtig. Die Magenmuskulatur, sei es, daß ein Hindernis am Pylorus sitzt, daß sie selbst durch entzündliche Ödeme infolge von Katarrhen oder anderweitigen E r k r a n k u n g e n weniger leistungsfähig geworden ist, daß ihr endlich wegen zu großer und ungenügend zerkleinerter Speisemengen längere Zeit hindurch eine übergroße Arbeit zugemutet wurde, vermag den Mageninhalt nicht rechtzeitig in den Darm zu entleeren. Derselbe bleibt liegen und übt durch seine Schwere einen Z u g auf die Magenwand aus, welcher allmählich deren Dehnung herbeiführt. Dauern die Ursachen an, dann verstärkt sich ihre Wirkung. Die ausgezerrten Muskelfasern leisten bei ihrer Zusammenziehung nicht mehr die normale Arbeit, weil sie selbst länger geworden, ihre Verkürzung bei der Kontraktion daher relativ geringer ist. — Die bei längerem Liegenbleiben der Speisen unvermeidliche Zersetzung derselben führt zur Entzündung, welche die Oberfläche des Magens mit dem die Resorption hindernden Schleim überzieht und in den Muskelschichten desselben Ernährungsstörungen hervorzurufen vermag. Endlich werden auch seine Gefäße ausgespannt, so daß größere Widerstände für die Blutströmung, geringere Zufuhr von Blut, damit auch Störungen der B e w e g u n g und der Sekretion in den mit diesen Funktionen betrauten Elementen des Magens, welche nun ungenügend ernährt werden, auftreten müssen. Kompensationen können durch Zunahme der Muskeln, vielleicht auch durch reichlichere Saftabsonderung eintreten. Anatomisch findet man den ausgedehnten Magen, einen Teil der Därme von der Bauchwand verdrängend, in einer seiner Größe entsprechenden W e i s e vorgelagert. Derselbe kann bis zur Symphyse herabragen und mehr als fünf Liter Flüssigkeit fassen. Der Pylorus steht oft etwas tiefer; namentlich wenn Geschwulstbildung an ihm vorhanden und keine Verwachsung eingetreten ist, kann er, einen Bogen gegen die Mittellinie beschreibend, so gedreht werden, daß er gegen das Becken hin verlagert wird. Der Magen stellt dann einen Schlauch dar, der mehr oder weniger senkrecht gerichtet ist, so daß trotz erheblicher Verengerung des Pylorus dennoch bis zu einem gewissen Grade der Abfluß in den Darm stattfinden kann. — Die Schleimhaut ist bei den funktionell gestörten ektatischen Mägen wohl immer im Zustand hochgradiger Entzündung, welche nicht selten in die Tiefe greift. Die Muscularis, in dem leistungsfähigen erweiterten Magen hypertrophisch, zeigt sich bei dem insuffizienten manchmal entartet. E s liegen über die feineren Verhältnisse leider noch recht wenige eingehende Untersuchungen vor. — Die Symptome der Magenerweiterung sind im allgemeinen die einer mehr oder minder entwickelten Dyspepsie mit entsprechender Beeinträchtigung der allgemeinen Ernährung. V o n Einzelerscheinungen sind namhaft zu machen: Erbrechen in mehrtägigen Zwischenräumen, welches immer bedeutende Mengen einer stark saueren und im Zustande hochgradiger Zersetzung sich befindenden Flüssigkeit zu Tage fördert; der Kranke fühlt sich nach dem Erbrechen vorüber37*
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Krankheiten des Magens und Darms.
gehend sehr erleichtert. — Die mikroskopische Untersuchung weist neben Rückständen der Nahrung in den verschiedensten Phasen der Verdauung oder der Zersetzung, unter einer Unzahl aller möglichen Mikroorganismen recht oft die große Sarcineform auf, die allerdings morphologisch sehr charakteristisch ist, aber keine pathogenetische Bedeutung hat. Verstopfung ist meist — es giebt nur seltene Ausnahmen davon — anhaltend vorhanden. Bei hochgradigen Gastrektasien kann die Störung der Blutbewegung im Gebiete der unteren Hohlvene so erheblich werden, daß man die stark erweiterten epigastrischen Yenen, welche die Verbindung mit der Cava superior vermitteln, als dicke blaue Stränge über die Bauchwand hinziehen sieht. Der Harn ist oft alkalisch. Subjektiv werden die Kranken durch die Abnormitäten des Geschmacks, der gewöhnlich als sauer angegeben wird, durch häufiges Aufstoßen mit Regurgitation saurer Massen, durch Sodbrennen und anhaltenden Druck im Leibe, endlich durch Kraftlosigkeit am meisten belästigt. Der Appetit ist oft vermindert, hingegen der Durst vermehrt. Die Stuhlträgheit wird manchmal als äußerst lästig empfunden. Bei der Untersuchung findet man: Die Konturen des Leibes sind nicht die normalen, man sieht, mehr nach links als nach rechts sich erstreckend, eine gleichmäßig gewölbte Fläche, entweder über die Umgebung hervorragend oder darunter herabgesunken, je nachdem der Magen mehr oder weniger Gas enthält. — Über diesem Teil ergiebt die Perkussion einen Schall von gleicher Höhe und gleicher Klangfarbe. — Man thut gut von der Mammillarlinie links in der Höhe des sechsten oder siebenten Interkostalraums den Ausgang zu nehmen, dort trifft man ziemlich sicher den Magen; man merkt sich hier die Eigentümlichkeiten des Schalles und verfolgt denselben mit mäßig starkem Anschlag (das Plessimeter ist für diesen Zweck geeigneter als der Finger) bis zur deutlichen Grenze. — Die Palpation zeigt gleichmäßigen Widerstand in der ganzen Ausdehnung des Magens. — Oft sind die Ergebnisse dieser Methoden allein vollkommen ausreichend. Will man weitere benutzen, dann ist zunächst die Aufblähung des Magens durch Kohlensäure zu empfehlen — man läßt 2—4 Dosen Pulvis aerophorus anglicus nehmen, so, daß zuerst das in farbiger Papierkapsel enthaltene Natr. bicarbonic. (2 g in jeder Dosis) in Wasser gelöst getrunken und darauf die zugehörige Menge von Acid. tartaricum (1,5 g in jeder Dosis) nachgeschickt wird. Die sich innerhalb des Magens entwickelnde Kohlensäure läßt dessen Umrisse für das Auge, das Ohr, das Getast sehr deutlich hervortreten. — Weiter kann man, wenn der M a g e n leer w a r , etwa ein Liter Wasser trinken lassen, nachdem vorher bei aufrechter Körperhaltung die Magengrenzen perkutorisch bestimmt waren. N a c h E i n f ü h r u n g
der Flüssigkeit findet man unterhalb der durch den Schallcharakter des luftgefüllten Organs bezeichneten Höhe eine Dämpfungszone. Läßt man den Kranken sich hinlegen, dann fühlt man bei passendem Anschlag großwellige Fluktuation. Ein Plätschergeräusch ist dann gleichfalls hörbar — aus dessen Auftreten allein darf niemals ein diagnostischer Schluß gezogen werden, da dasselbe immer entstehen muß, wenn sich Luft und Flüssigkeit nebeneinander in einem Hohlraum finden. Wirkliches Ausmessen des Magens mittels Eingießens einer bestimmten durch die Sonde herabgeschütteten Flüssigkeitsmenge kann meist nur zu Näherungs-
Erweiterung des Magens.
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werten führen, weil die dabei unvermeidliche stärkere Ausdehnung des Magens leicht Brechreiz verursacht. Der Verlauf ist bei der Gastrektasie immer ein langwieriger, der Ausgang wie die Prognose werden wesentlich von dem Grundleiden bestimmt. — Die Diagnose darf nicht bei dem Nachweis einer Ektasie stehen bleiben, sie hat deren Ursprung festzustellen. Es gelten hier die für die Diagnostik der betreffenden Grundübel maßgebenden Regeln. Hervorgehoben mag noch werden, daß die Untersuchung des Mageninhalts (s. Seite 572) von Bedeutung werden kann. Freilich ist das Fehlen der Reaktion auf freie Salzsäure keine die Anwesenheit eines Krebses mit unbedingter Sicherheit beweisende Erscheinung oder umgekehrt, es spricht deren Auftreten nicht bestimmend gegen ein Carcinom. Aber immerhin wird man bei der nötigen Vorsicht manches aus solchen Thatsachen entnehmen dürfen. — Weiter ist es erforderlich, sich darüber Auskunft zu verschaffen, ob und in welchem
Grade Magenkatarrh
vorhanden
ist.
D a z u ist eine A u s s p ü l u n g
des Magens erforderlich — die Beschaffenheit des Entleerten, die Ab- oder Anwesenheit größerer Mengen von Schleim, giebt sichere Auskunft. Die Behandlung hat die mechanische Ausdehnung des Magens zu verhindern. Das gelingt, indem man die Ansprüche an seine Muskelarbeit möglichst gering macht und die Menge des Einzuführenden thunlichst beschränkt. Weiter ist auch seine chemische Leistung dadurch zu verringern, daß man schnell Verdauliches darreicht. Endlich ist der vorhandene Katarrh zu beseitigen. — Am raschesten kommt man zum Ziel, wenn man die § 192 empfohlene strengste Diät einige Monate lang durchführen läßt. Charakterfeste Leute gewöhnen sich bald so daran, daß auf die Dauer von mehr als einem Jahre dieselbe eingehalten werden kann. —• Unter allen
Umstanden
ist bei Gastrektasien
die Milch zu meiden;
sie b e l a s t e t zu
sehr. Die LEUBE-RoSENTHAL'sche Fleischsolution, die Peptonpräparate, Kindermehle und Leguminosen gestatten einen gewissen Wechsel. Man mag nun modifizieren, wie man will, immer muß daran festgehalten werden, daß die Dehnung des Magens durch größere Massen von Nahrungsmitteln vom Übel ist. In schweren Fällen kann es sogar zweckmäßig sein, vom Darm aus das nötige Flüssigkeitsijuantum teilweise (etwa zur Hälfte) einzuverleiben. Es muß soviel Wasser in den Magen gebracht werden, daß der darin enthaltene Nahrungsbrei nicht zu dickflüssig wird. — Für den Gebrauch der Arzneimittel gilt das im § 192 Bemerkte. Nur die Anwendung der Salina gegen Obstruktion ist meist unzweckmäßig, sie werden besser durch die Drastica ersetzt. Die Ausspülung des Magens ist ein unschätzbares Mittel. Dieselbe hat stattzufinden, wenn Katarrh besteht und wenn unverdaute Speisen länger im Magen zurückbleiben. Ob eines oder das andere der Fall, entscheidet die immer vorzunehmende Probespülung. — Man macht diese morgens, ehe etwas genossen ist. Es wird wie bei jeder Ausspülung soviel auf Körpertemperatur erwärmten Wassers eingegossen und wieder entleert, bis dasselbe klar oder doch nur leicht getrübt abläuft; anfangs wird man vielleicht bis zehn Liter und noch mehr gebrauchen, später reicht man mit etwa vier bis fünf aus. Die elastische 1 cm im Lichten haltende Schlauchsonde ist den steifen Sonden unbedingt vorzuziehen, wenigstens für die Hausbehandlung. Ihre Einführung macht die ersten Male etwas größere Mühe, allein der Kranke kann in kurzer Zeit allein die Sache besorgen, lernt die Sonde schlucken und ist damit in den Stand gesetzt, sich selbst auszuspülen, ohne sich Schaden zufügen zu können. Dabei ist das Aus-
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Krankheiten des Magens und Darms.
hebern des Magens vorausgesetzt. Es sind gegenwärtig einfache vorn offene, an der Spitze leicht abgerundete Kautschukschläuche von einigen Metern Länge im Handel, welche allen Forderungen genügen. Man führt das abgerundete Ende in den Magen ein, gießt durch das andere mittels eines darauf befestigten Trichters die entsprechende Wassermenge ein, neigt dann das Trichterende, welches so in einen langen Heberarm verwandelt wurde, läßt ausfließen und wiederholt das Ganze so lange, bis das Spülwasser klar bleibt. — Die Magenpumpe ist kein Instrument, das dem Laien in die Hand gegeben werden darf: die geniale Idee KUSSMAULS, den Magen örtlich zu behandeln, sollte aber gerade den weitesten Kreisen zugänglich gemacht werden. — Solange sich noch Schleim zeigt, muß alltäglich gespült werden; fehlt dieser, dann lasse man bei der vorgeschriebenen Diät einige Tage verstreichen, ehe man wieder morgens eine Ausspülung vornimmt. Zeigen sich dabei unverdaute Überbleibsel, dann spüle man, wenn kein Grund vorliegt, Quäle oder Quantum der Nahrung zu ändern, regelmäßig morgens aus, bis das Klarwerden des Wassers zeigt, daß dies nun nicht mehr erforderlich. — Ausnahmsweise kann auch eine Abendspülung, womöglich nicht früher als 3—4 Stunden nach der letzten Mahlzeit, nötig werden; jedoch nur in besonders schweren Fällen und zu Anfang der Behandlung. — Bei hochgradigen Gastrektasien ist unter Umständen eine Stütze für den Magen durch eine Leibbinde oder ein zweckmäßig gearbeitetes Korsett von Nutzen; es kommt vor, daß der Pylorus durch den Zug des belasteten Magens schlitzförmig verzerrt wird. Liegt eine nahezu vollständige Verschließung des Pförtners durch Narben, Adhäsionen oder Neubildungen vor, dann ist nur die auf die Dauer ungenügende Ernährung durch den Darm möglich — der Magen kann höchstens zur Resorption von Wasser oder Wein verwandt werden. Auch in diesen Fällen ist die zeitweilige Ausspülung des Magens für viele Kranke eine wahre Wohlthat. — Die Resektion des Pylorus ist bisher meist auf krebsige Stenosen beschränkt geblieben. Die einfach narbigen Einschnürungen bieten jedenfalls von vornherein günstigere Aussichten, ebenso die Verwachsungen des Magens mit seiner Nachbarschaft, welche nicht immer flächenhafte sind. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, daß die Chirurgen ihr segensreiches Wirken auf die gutartigen Formen der Pylorusstenose ausdehnen. Die bei den heutigen Methoden verhältnismäßig unbedeutenden Gefahren der Eröffnung der Bauchhöhle stehen in gar keinem Verhältnis zu dem, was ein gelungener Eingriff — bisweilen handelt es sich um Lösung einer einzigen Adhäsion — nützen kann. § 195.
Einfaches Magengeschwür.
Das e i n f a c h e M a g e n g e s c h w ü r (Ulcus ventriculi simplex, rotundum, perforans) zeigt sich in verschiedenen Gegenden in beträchtlich wechselnder Häufigkeit. Es finden sich Narben oder offene Geschwüre bei weniger als 2°/ 0 und bei mehr als 10 % sämtlicher Leichen Erwachsener. Das Kindesalter wird äußerst selten befallen, am stärksten ist die Zeit von der Pubertät bis etwa zum 40. J a h r belastet. Weü>cr erkranken öfter als Männer. — Neben Anämie, besonders aber neben Chlorose findet sich verhältnismäßig oft das Magengeschwür. Das Magengeschwür entsteht durch die Einwirkung des abgesonderten Magensaftes auf die nicht genügend gegen diese Selbstverdauung geschützte Magenwand. Nur bei saurer Reaktion kann die Wirkung des Magensaftes
Erweiterung des Magens.
Einfaches Magengeschwür.
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stattfinden, solange eine ausreichende Strömung des Blutes in der mit einem sehr reichlichen Gefaßnetze versehenen Schleimhaut sich erhält, wird die durch Imbibition von der Oberfläche angesäuerte Schicht fortwährend durch das alkalische Serum entsäuert und kann nur eine minimale Dicke erreichen. Wenn aber ungenügende Mengen alkalischen Blutes den Magen durchfließen, dringt die saure Reaktion tiefer und tiefer ein, soweit sie reicht, schreitet auch die Verdauung vor. — Möglicherweise spielt die Hyperacidität des Magensaftes, welche von einigen (RIEGEL) bei Leuten, die an Magengeschwür litten, häufig gefunden wurde, bei dessen Entstehung mit. Ausnahmsweise können durch Selbstverdauung größere Abschnitte des Magens zerstört werden und vor ihrer vollständigen Auflösung zerreißen — Gastromalacie. Es ist das ein äußerst seltenes Vorkommnis intra vitam; die Möglichkeit desselben ist sogar stark angezweifelt worden. — Eine cadaveröse Magenerweichung findet sich hingegen in einer sehr großen Zahl von Leichen, um so eher, je längere Zeit zwischen dem Tode und der Sektion verstrich.
Gewöhnlich gehen der Entstehung des Magengeschwürs umschriebene Blutungen unter die Oberfläche der Schleimhaut (hämorrhagische Erosionen) voraus. Durch solche wird der betroffene Abschnitt von seinem Mutterboden getrennt, der Kreislauf in ihm erschwert oder ganz aufgehoben, die Neutralisation der sich einsaugenden sauren Lösung also unmöglich. Ist erst einmal die Geschwürsbildung zustande gekommen, dann treten in ihrem Gefolge an den Gefäßen der Nachbarschaft Veränderungen ein, welche, die Blutbewegung störend, dem Magensaft ein weiteres Gebiet für seine auflösende Thätigkeit eröffnen. — Blutungen unter dui Magenschleimhaut erscheinen bei allgemein verbreiteten Erkrankungen der Gefäße, oder nach örtlichen Einwirkungen, welche die normal beschaffenen Wandungen treffen. Akute Infektionen, besonders die krupöse Pneumonie gehen oft mit hämorrhagischen Erosionen einher, sie würden wohl weit häufiger zur Entstehung von Magengeschwüren Veranlassung geben, wenn nicht die Absonderung des Magensafts während ihrer Dauer daniederläge. Atheromatöse Entartung der Magenarterien führt selten zum Magengeschwür, ebenso Embolien in dieselben, mit Ausnahme derer, welche nach verbreiteten Verbrennungen der Haut durch Blutkörperchenleichen entstehen. Meistens dürfte der örtliche Reiz, welchen heiße oder sonst stark reizende Substanzen ausüben, die Veranlassung zu hämorrhagischen Erosionen und in. weiterer Folge zur Geschwürsbildung geben: Köchinnen, die heiß probieren, Chlorotische, welche, um ihre anämischen Magenschmerzen zu beschwichtigen, heiße Flüssigkeit oder stark reizende Dinge schlucken, sind wohl nicht ohne Grund besonders ausgesetzt. Gerade unter diesen Umständen wird neben der unmittelbar von dem Ingestum schwerer betroffenen Stelle die Anregung zur Sekretion auf die ganze Fläche verbreitet; es ist daher eine Magenflüssigkeit vorhanden, welche zur Verdauung des durch die GefäßVeränderung am schwersten betroffenen Teiles sich besonders eignet. Unter den gebräuchlichen Arzneimitteln sind Brechweinstein und Salicylsäure als solche zu nennen, die möglicherweise ein Magengeschwür erzeugen können. Anatomisch bietet das runde Magengeschwür charakteristische Eigentümlichkeiten. Es ist immer größer an der Schleimhautfläche als an der Muscularis und Serosa, spitzt sich daher nach außen hin trichterförmig zu, zeigt scharfe glatte Ränder und einen reinen Grund. Nur bei lang bestehenden Geschwüren wird die Form eine mehr cylinderartige. Die Ausdehnung in der Fläche beträgt bis zu 12 cm, meist aber nur 3 bis 4 cm. — Eigentliche Entzündung findet
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Krankheiten des Magens und Darms.
sich an dem peptischen Geschwür selbst nicht; wohl aber wird die angrenzende Serosa in den Zustand der Entzündung versetzt; dadurch kommt es zu Verklebungen und Verwachsungen mit den Nachbarorganen, welche so in den von dem Magensaft bewirkten Zerfall hineingezogen werden können; die Leber, das Pankreas u. s. w. werden öfter in nicht unbeträchtlicher Ausdehnung angeätzt. — Die Heilung erfolgt durch Narbenbildung, welche sich einstellt, sobald durch ausreichende Blutströmung die alkalische Reaktion der von dem eindringenden Magensaft gefährdeten Gewebe in ausreichendem Maße gesichert ist. — Die sich bildenden Narben können eine sehr erhebliche Beeinträchtigung für die Bewegung und die Entleerung des Magens nach sich ziehen, letzteres besonders bei ihrem Sitz in der Nähe des Pylorus. Das runde Geschwür findet sich außerdem in den untersten Abschnitten der Speiseröhre und im Duodenum (s. unten). Besonders häufig entwickelt sich dasselbe an der Hinterfläche des Magens, an dem Pylorus und an der kleinen Kurvatur — alle zusammengenommen beanspruchen etwa 4/5 der Gesamtmenge. Das Magengeschwür kann nahezu symptomlos verlaufen oder wenigstens so geringe Erscheinungen hervorrufen, daß manche dieselben kaum beachten. — Dyspeptische Beschwerden treten nur auf, wenn die Entleerung des Magens gehemmt ist, und wenn sich im Anschluß daran ein Katarrh entwickelt. Das geschieht sehr gewöhnlich, wenn der Sitz des Geschwürs in der Nähe des Pylorus sich findet. Es bedarf dazu keineswegs einer narbigen Verengerung, schon die Reizung, welche die an dieser Stelle freiliegende Schleimhaut durch die Ingesta erfährt, scheint auszureichen, um durch krampfhaften Schluß des Sphinkter den Austritt des Mageninhaltes zu hemmen. — Einige Stunden nach dem Essen stellen sich die dyspeptischen Erscheinungen gewöhnlich am stärksten ein. Erbrechen, wenigstens Würgen kommt in etwa 3/4 aller Fälle hin und wieder vor, ebenso oft Magcnschnierz; man leitet beides von der Erregung der durch das Geschwür bloßgelegten und so den mechanischen wie den chemischen Reizen preisgegebenen Nerven ab. — Der Schmerz tritt, sich manchmal bis zu heftigen Anfällen steigernd und alle Eigenschaften einer visceralen Neuralgie zeigend, im Laufe der ersten Stunden nach der Aufnahme von Nahrung ein, besonders heftig wird er, wenn dieselbe so beschaffen war, daß sie grob mechanisch reizen konnte und länger innerhalb des Magens verweilen mußte. Das Erbrechen folgt dieser Art des Schmerzes nach; hat es zur Entleerung des Mageninhalts geführt, dann hört mit ihm auch der Schmerz auf. — Einen ganz anderen Charakter zeigt bei dem Magengeschwüre der anhaltende Schmerz, welcher nicht an die Zeiten der Nahrungsaufnahme gebunden ist. Derselbe ist eng umschrieben, beschränkt sich auf den Teil, welcher Sitz des Geschwürs ist, tritt spontan höchstens als dumpfes Wehgefühl hervor, wird aber durch äußeren Druck sofort wachgerufen. Es gelingt durch gleichmäßig tiefes Eindringen mit einer Fingerspitze, das aber nach allen Richtungen, namentlich auch nach oben gegen das Zwerchfell hin, systematisch über die ganze Ausdehnung des Magens stattzufinden hat, selbst wenig intelligenten Kranken den Unterschied zur Wahrnehmung zu bringen, welcher dieses an sich allein unbehagliche Drücken von der eigentümlichen Empfindung des Schmerzes trennt. Hat ein das Peritonüum erreichendes Geschwür dasselbe in etwas größerer Ausdehnung gereizt, dann haben die Kranken gewöhnlich das Bedürfnis die Kleider möglichst zu lockern, sie sind eigentlich nur im Bette vollständig schmerzfrei — immer wird man bei genauer Unter-
Einfaches Magengeschwür.
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suchung einen umschriebenen Herd finden, der sich als eigentlicher Ausgangspunkt des Schmerzes darstellt. — Natürlich können beide Arten des Schmerzes nebeneinander vorhanden sein. Sowohl der in Anfallen als der bei Druck auftretende Schmerz strahlt gegen die Wirbelsäule aus und wird manchmal mehr im Rücken empfunden, häufiger links als rechts. — Die Darmentleerung bietet nichts wirklich Eigentümliches. Freilich ist öfter Verstopfung vorhanden, was mit mangelhafter Entleerung des Mageninhaltes in den Darm zusammenhängen mag; allein aus diesem vieldeutigen Symptom ist nichts zu entnehmen. — Die allgemeine Ernährung hängt von dem Zustand der Magen-Darmthätigkeit ab, welche bei dem Ulcus ventriculi innerhalb der weitesten Grenzen schwanken kann und nicht von dem Geschwür selbst, sondern durch die Zufälligkeiten seines Sitzes bedingt ist. Das Magengeschwür hat bisweilen Folgen, welche unmittelbare Lebensgefahr nach sich ziehen. Zuerst sind Blutungen zu nennen, die viel häufiger aus angeätzten Arterien, als aus Kapillaren und Venen auftreten. Es werden daher auch gewöhnlich größere Mengen Blutes entleert, teils ausgebrochen, teils in den Darm befördert. Abgesehen von den besonderen, durch den Ort der Blutung bedingten Erscheinungen zeigen sich die allgemeinen jedem schweren Blutverluste eigentümlichen (vergl. § 75). Man giebt die Häufigkeit der Blutung bei Ulcus rotundum auf ein Drittel an — wohl absolut genommen zu wenig, da kleinere Blutverluste meist unbeachtet bleiben. — Der Durchbruch des Geschwürs in die Peritonealhöhle wird nach den Autoren in etwa 12% beobachtet, eine jedenfalls viel zu hohe Schätzung, da nur klinische Beobachtungen berücksichtigt, die anatomischen von ausgeheilten Geschwüren aber außer acht gelassen sind. Der langsame Verlauf des Leidens führt meist zu Verklebungen mit der Nachbarschaft, die Peritonitis ist daher öfter eine umschriebene und kann bei rechtzeitigem ärztlichen Eingreifen umschrieben erhalten werden. Leider achten die wenigsten genau genug auf sich, um die Vorboten der Perforation zu empfinden, welche oft auf eine geringe Steigerung des örtlichen Schmerzes beschränkt bleiben. Der gewöhnlichste Atisgang des Durchbruches eines Magengeschwürs ist daher eine allgemeine Peritonitis mit- raschem tödlichen Verlauf. — Es kann zur Bildung von umschriebenen Abscessen kommen, welche sich nach allen Richtungen zu senken und wiederum durchzubrechen vermögen. Sehr seltene Ereignisse sind Durchbruch des Geschwürs in die Pleurahöhle, den Herzbeutel, den Darm, oder durch die Bauchdecken nach außen. Ferner Luftembolien durch freigelegte angeätzte Venen, endlich Pylephlebitis
Der Verlauf des runden Magengeschwürs ist meistens ein chronischer; wenigstens, wenn dasselbe erst diagnostizierbar geworden ist. Ob nicht nach rascher Entstehung auch rasche Heilung folgen kann, ist zweifelhaft. Die Diagnose ist lange nicht immer mit voller Sicherheit zu stellen. Für die Praxis begnüge man sich mit der Wahrscheinlichkeit; man denke lieber etwas zu pessimistisch und handle auch dann so, als ob man ein Magengeschwür vor sich habe, wenn der Beweis dafür schwächer erscheint. Praktisch ist Gewicht zu l e g e n a u f : 1. D i e umschriebene Empfindlichkeit der Magengegend bei Druck, welche ihren Platz nicht wechselt. 2. Schmerz u n d Erbrechen, die beide n a c h der
Einführung von Speisen sich zeigen und so nebeneinander hergehen, daß der Schmerz aufhört, wenn das Erbrechen den Magen leer gemacht hat. 3. Etwa v o r h a n d e n e massigere
Blutentleerungen.
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Krankheiten des Magens und Darms.
GERHARDT hat neuerdings mit Recht darauf hingewiesen, daß bei alten Magengeschwüren eine Geschwulst auftreten k a n n , das Vorhandensein einer solchen also nicht unbedingt für eine bösartige Neubildung spricht. — Zu erwähnen ist: 1. W e n n das alte Geschwür an jenem kleinen Teil der vorderen Magenwand seinen Sitz hat, welcher der Betastung zugänglich ist, fühlt man eine flache, harte Platte, die dem verdickten Grunde und den verdickten Rändern desselben entspricht. Dieselbe ist trot?. des vorliegenden linken Leberlappens wahrnehmbar; sie wechselt ihren Ort nicht und ist bei Druck empfindlich. — 2. -Der Pylorus und seine Umgebung kann dnreh Hypertrophie der hier gelegenen Muskulatur eine tastbare Geschwulst bilden, welche bei Magener Weiterung mit Herabsinken dieses Magenabschnittes leichter wahrnehmbar wird. — 3. Bei Durchbrüchen eines Geschwürs kann sich, falls schon vorher Verwachsungen bestanden, welche die allgemeine Peritonitis unmöglich machten, in dessen Umgebung eine umschriebene Eiteransammlung bilden. — 4. Die im Grunde großer Geschwüre gelegenen Nachbarorgane (Pankreas, Leber, Milz) können als Geschwülste durchgefühlt werden. —
Verwechslungen kommen vor mit Carcinom des Magens, mit nervösen Kardialgien und mit Gallensteinkolik. Die Prognose ist immer etwas zweifelhaft und wesentlich davon abhängig, wie früh eine zweckmäßige Behandlung eingeleitet wurde, und ob dieselbe durchgeführt werden kann. Die Behandlung hat von einfachen Grundsätzen auszugehen: die Selbstverdauung des Magens muß vermieden werden, es ist also dafür zu sorgen, daß derselbe möglichst wenig Thätigkeit entfalte, da mit ihr chemische und mechanische Reizung, die eine Ausdehnung des Geschwürs begünstigenden Bedingungen, verbunden sind. — Die Therapie bestehe daher in 1. Bett liegen, damit die Ausgaben des Körpers beschränkt werden und derselbe mit möglichst wenig Nahrung auskomme, also auch dem Magen die kleinste Arbeit zufalle. 2. Zufuhr reizlosester Nahrung, welche die geringsten Ansprüche an die chemische, wie an die mechanische Leistung des Magens macht. Es müssen Substanzen in feinster Verteilung und von einer Beschaffenheit gegeben werden, welche die Resorption ohne große Zubereitung durch den Magensaft erlaubt. Kindermehl als nicht zu dünnflüssiger Brei, dann die „verbesserte Fleischsolutiou" von L E U B E - R O S E N T H A L und Peptonpräparate entsprechen diesen Anforderungen. Man giebt täglich vier Mahlzeiten von annähernd gleicher Größe — zwei aus je 150—200 g Fleischsolution oder Pepton (in dünner Bouillon, die nicht zu viel Salz enthalten darf, ausgerührt), zwei aus Kindermehl (ein bis zwei Eßlöffel voll mit halb Wasser, halb Milch Y» Stunde lang gekocht). Kulinarische Genüsse sind das freilich für die Kranken nicht. Liegt keine Magenerweiterung vor, dann ist der Genuß von Milch unbedenklich; man kann durch eine Diät, bei welcher dieselbe die Grundlage der Ernährung bildet (2—3 Liter täglich), sicher manchmal Heilung herbeiführen, wenn es sich um ein frisches Geschwür handelt. — In den Gegenden, wo täglich frische Buttermilch zu haben, ist diese der gewöhnlichen vorzuziehen, da sie das Casein in feinflockiger Gerinnung enthält. — Der Durst kann durch Eisstückchen, die im Munde zergehen, gestillt werden: die für den Körper nötige Wassermenge wird am besten vom Darm aus einverleibt — etwa zwei- bis viermal täglich je 250 ccm lauen Wassers mit Zusatz einer Spur von Kochsalz. Solange der Magen noch umschriebene Druckempfindlichkeit zeigt, hat man keine Sicherheit, daß das Geschwür verheilt sei. Ist diese
Einfaches Magengeschwür.
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nicht mehr vorhanden, dann kann man die bei der Behandlung der Dyspepsie erwähnten Ubergänge von der strengsten Diät bis zur gewöhnlichen immer aber noch leicht verdaulichen Tageskost erlauben. Es wird sehr oft dadurch gefehlt, daß man der erklärlichen Abneigung der Kranken gegen diese einförmige Ernährungsweise nachgiebt — man darf nie vergessen, daß der Hunger für das Magengeschwür der beste Arzt ist und zugleich der beste Koch. Wer nicht das Erlaubte genießen will, mag es bleiben lassen, verhungern wird keiner. Der Hinweis auf die Verhältnisse bei den mit schwerem Fieber verlaufenden Infektionskrankheiten, wo trotz des vermehrten Umsatzes viel geringere Mengen Ersatzmaterials geboten werden, genügt. — Die ausschließliche Ernährung vom Mastdarm aus wäre, wenn sie länger durchführbar, allem anderen vorzuziehen. Aber jeder, der darüber eingehende Erfahrungen hat, kennt die Grenzen, welche hier leider sehr eng gesteckt sind. Ausnahmsweise kann sie geboten sein, wenn ausgedehnte Magengeschwüre und Pylorusstenose vorliegen — allein für die Heilung solcher sind die Aussichten so gering, daß es sich eher um den zweifelhaften Vorteil einer Verlängerung des Lebens und seiner Qual handelt. 3. Breiumschläge den Tag über, nachts eine PRiESSNiTz'sche Einpackung unterstützen die erwähnten Maßregeln. Es handelt sich dabei wohl um den Blutlauf in den Bauchdecken, der, so von Temperaturschwankungen nicht beeinflußt, gleichmäßiger innerhalb der Bauchorgane vor sich geht. Jedenfalls ist das Verfahren empirisch wohl erprobt. — Andere Arzte ziehen die Anwendung der Kälte — Eisbeutel oder gefrorene Umschläge — vor; bei stärkerer peritonitischer Reizung muß dieselbe angewandt werden. Dyspeptische Erscheinungen schwinden, falls keine beträchtliche Pförtnerverengerung vorliegt, in der Regel rasch. Ihre Behandlung hat nach den allgemeinen Grundsätzen zu geschehen, bei deren Durchführung aber immer die Gegenwart eines Geschwürs im Magen und die Möglichkeit der Blutung und der Perforation zu berüksichtigen ist. Medikamente haben nur zur Bekämpfung von Symptomen Bedeutung. Eine Schutzdecke über die entblößte Schleimhaut breitet weder das Argentum nitricum, noch das Bismutum subnitricum aus. Opiate können bei heftigen Kardialgien ihren Platz finden; das Morphium ist vorzuziehen, da es den Stuhl weniger zurückhält. Man sei mit dem Morphium nicht zu freigebig und meide womöglich die subkutanen Injektionen. Es kommen Todesfälle durch Morphinismus vor, wo das Geschwür längst geheilt war, dessenwegen ursprünglich die Einspritzungen angeordnet waren. — Bei frischen Magengeschwüren kann eine Badekur (Karlsbad und Kissingen kommen zunächst in Betracht), welche zweckmäßig, d. h. nicht nach der ortsüblichen Schablone — geleitet wird, von Nutzen sein. — Die Darmentleerung ist wenn irgend thunlich durch Klysmata, eventuell wenn Wassereingießungen nicht genügen, durch solche von Ol. ricin. zu bewirken. (R Nr. 59.) Sie braucht bei dem geringen Rückstand, den eine Diät wie die empfohlene liefert, nicht täglich zu geschehen. — Die Blutung wie die Peritonitis, einerlei ob die Perforation droht, oder schon eingetreten ist, erfordern eine besondere Behandlung, deren Grundsatz (unbedingte Ruhe) nur durch eine wenigstens zeitweilige absolute Diät und große Opiumgaben durchgeführt werden kann. Die Nachbehandlung hat darin zu bestehen, daß man die Kranken lange Zeit auf strenger Diät hält. Recidive bleiben sonst nicht aus; ob sie mit Sicherheit vermieden werden können, ist überhaupt fraglich.
Krankheiten des Magens und Darms.
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Duodenalgeschwür. Im Duodenum kann sich unter den gleichen Bedingungen wie im Magen ein rundes durch die Selbstverdauung entstandenes Geschwür bilden, der Sitz desselben ist mit seltenen Ausnahmen in dem vor der Ausmündung des Gallenausführungsganges gelegenen Teil, also dort, wo die saure Reaktion noch vorhanden ist. Geschwüre des Duodenum sind häufig mehrfach oder aber mit solchen des Magens zusammen beobachtet. Männer werden öfter als Frauen davon ergriffen. — Peptische Geschwüre in tieferen Darmteilen gehören zu den Raritäten. Die Symptome des Duodenalgeschwürs sind sehr wenig charakteristisch. Wohl kommen die Zeichen der Dyspepsie bisweilen zum Vorschein, auch Schmerzen nach dem Essen treten hin und wieder auf, ebenso zeigt sich eine umschriebene Druckempfindlichkeit im rechten Hypochondrium. Allein selbst wenn alles dieses zusammentrifft, wird man kaum zur Diagnose gelangen; jedenfalls bleibt die Unterscheidung von dem Magengeschwür zweifelhaft. Blutungen ausschließlich in den Darm können auch bei dem Magengeschwür auftreten, andererseits kann es bei hohem Sitz des Duodenalgeschwürs zum Bluterbrechen kommen. Man muß sich begnügen, die Gegenwart eines peptischen Geschwürs überhaupt festzustellen. Bs mag zum Teil mit der Schwierigkeit der Diagnose und mit dem Unterbleiben einer geeigneten Behandlung zusammenhängen, daß verhältnismäßig oft bei dem Duodenalgeschwür Blutung und Perforation auftreten. — Die Behandlung ist die gleiche, wie bei dem Magengeschwür. § 196. Bösartige Neubildungen im Magen.
Von b ö s a r t i g e n N e u b i l d u n g e n kommen im Magen vor: 1. Medullärcarcinome, sich aus den Magendrlisen entwickelnd. 3. Skirrlius; beide besonders in der Nähe des Pylorus. 3. Epitheliome. 4. Colloidcarciuom. (Alveolarkrebs). Die beiden letzteren sind schon selten, noch seltener sind die in der Nähe der Kardia sitzenden Plattenejrithelkrebse. — Die Sonderexistenz des Skirrhus ist neuerdings in Frage gestellt; derselbe wird aufgefaßt als eine krebsigfibröse Verhärtung der Magenwände, die nach dem Zerfall einer der weichen Formen entstanden ist. — Die größten Tumoren werden von den Markschwämmen und den Alveolarkrebsen gebildet. Die ersten können andererseits durch Verschwärung auf einfache Geschwüre beschränkt sein. In der ganz überwiegenden Mehrzahl tritt das Magenearcinom als primären auf; sein Sitz ist in etwa ®/5 aller Fälle die Pylorasgrgend, in etwa r;i0 die Kardia; die M ü n d u n g e n sind
also entschieden
mehr als andere Magenteile ausgesetzt.
Von
Metastasen werden die Lymphdrüsen, welche dem Gebiet des Magens angehören, und die Leber (letztere in etwa Yt) besonders heimgesucht. Ausbreitung der Wucherung in der Kontinuität ist sehr gewöhnlich; sie führt zu vielfachen Verlötungen und Verwachsungen; Perforationen krebsiger Geschwüre sind daher äußerst selten, am ehesten finden sie noch in das Kolon statt. Das Magencarcinom ist unter den Krebskrankheiten eine der häufigsten und macht etwa 27 °/0 von deren Gesamtzahl aus. Von den Krebsen der inneren Organe fallen gegen 2,3 auf den Magen. Das spätere Lebensalter wird besonders heimgesucht; die größte Disposition liegt jenseit des 60. Jahres, Leute unter 30 Jahren erkranken äußerst selten. Eine Geschlechtsbevorzugung ist nicht nachweisbar, die Erblichkeit zweifelhaft, die durch ein früher vorhandenes Magengeschwür gesetzte besondere Neigung ist mehr als fraglich. Die Symptome des Magenkrebses können vollständig unter dem Bilde eines fortschreitenden Marasmus mit allgemeiner Anämie erscheinen, welche an sich genügend sind, um den vorhandenen, mit leichteren Verdauungsstörungen ver-
Einfaches Magengeschwür. Bösartige Neubildungen im Magen.
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bundenen Appetitmangel zu erklären. Die objektive Untersuchung des Magens versagt, wenn es sich um ein Geschwür oder um eine nicht tastbare Geschwulst handelt; vielleicht vorhandene und weit verbreitete Metastasen sind nicht nachweisbar, sobald sie in der Tiefe gelegene Drüsen betreffen. — Da gegen das Ende hin sehr hochgradige Änderungen in der Zusammensetzung des Blutes auftreten können, ist manchmal die Unterscheidung zwischen schwerer, auf eigentlicher Bluterkrankung beruhender Anämie und dem Carcinom nicht möglich. — Indes sind das Ausnahmen. Die Zeichen des Magenkrebses, aus welchen zu diagnostizieren ist, sind: eine fühlbare Geschwulst, welche mit dem Magen zusammenhängt, dyspeptische Beschwerden in ihren verschiedenen Graden; ein bei öfter wiederholter Untersuchung regelmäßig sich zeigendes Ausfallen der Reaktion auf freie Salzsäure in dem auf der Höhe der Verdauung unverdünnt ausgeheberten Mageninhalt (s. Seite 572), endlich Kachexie, die zu hochgradig ist, um von den bestehenden Verdauungsstörungen allein herzurühren, und die gewöhnlich unaufhaltsam zunimmt. Es ist keineswegs stets möglich, die Geschwulst, welche von einem, Carcinom gebildet wird, wahr\n nehmen. Zunächst muß dieselbe immerhin eine gewisse Größe, die nach seinem Sitz eine verschiedene ist, erreicht haben, viel hängt von der Form des Brustkastens ab: ist dieser langgestreckt und an der unteren Öffnung etwas ausgebuchtet, dann verschwindet ein Teil der Baucheingeweide und namentlich des Magens hinter dem knöchernen Gerüst. Der häufige Sitz des Carcinoms am Pylorus, welcher, etwas herabgesunken verhältnismäßig leichter tastbar wird, erlaubt immerhin noch oft den Nachweis der Geschwulst. Dieselbe braucht nicht beständig fühlbar zu sein, was mit der wechselnden Füllung des Magens im Zusammenhang steht; sie verschiebt sich meist nur äußerst wenig bei den Atmungsbewegungen. Der von einer Geschwulst beschwerte Pylorus kann bis zur Symphyse herabsinken. — Die Oberfläche des Tumors ist, namentlich wenn derselbe größer wurde, uneben und höckrig; andere Male fühlt man nur eine vermehrte Resistenz (diffuse krebsige Infiltration der Magenhäute). Verwechslungen kommen am leichtesten vor, wenn bei dünnen Bauchdecken das vorher stark fetthaltige Netz atrophisch wird — es ist dann eine Geschwulst mit höckriger Oberfläche tastbar — ebenso wenn der Rectus abdominis oberhalb einer peritonitisch gereizten Stelle reflektorisch gespannt wird: die Inscriptiones tendineae lassen die zusammengezogenen Muskelteile geschwulstartig vorspringen. Dem Fehler ist hier leicht auszuweichen, wenn man den Kranken sich ohne wesentliche Unterstützung der Arme aufrichten läßt, man fühlt dabei den scheinbaren Tumor hart werden. Im ersten Fall ist für den Ungeübten ein Irrtum verzeihlich. — Man kann denselben übrigens gewöhnlich vermeiden, wenn man beobachtet, daß der scheinbare Tumor sich, dem Laufe des Netzes folgend, über die Magengegend hinaus nach rechts und unten verbreitet. Abnorme Verwachsungen und Schrumpfungen vermögen allerdings Schwierigkeiten zu bereiten, welche manchmal sehr erheblich sind.
Dyspeptische Beschwerden fehlen nie ganz, sie sind manchmal bis zu dem äußersten Maße entwickelt, besonders dann, wenn es sieh um eine Pylorusstenose mit der ihr folgenden Gastrektasie handelt. Charakteristisch sind dieselben nicht. Dem Daniederliegen der Sahsäuresekretion kommt eine pathognomonische Bedeutung nicht zu; auch bei anderen Magenkrankheiten stellt sich das Zeichen ein, und es sind einige Fälle von Pyloruskrebs bekannt, in welchen eine der Norm entsprechende Abscheidung von Magensaft stattfand. Diagnostisch ist daher der konstante Ausfall der Reaktion auf freie Salzsäure in dem auf der Höhe der Verdauung entleerten Mageninhalt nur in Verbindung mit den anderen Zeichen des Magenkrebses zu verwerten. —
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Krankheiten des Magens und Darms.
Von weiteren Störungen ist zu nennen: Umschriebener Schmerz, der auf Druck sich steigert oder anfallsweise auftritt, ist sehr häufig. Im allgemeinen sind die Erscheinungen nicht ganz so heftig wie bei dem Magengeschwür, was vielleicht mit der geringeren Erregbarkeit der durch die Geschwulstentwicklung geschädigten Nerven zusammenhängt. — Erbrechen ist nicht völlig so oft, aber doch noch sehr gewöhnlich vorhanden. Dasselbe tritt meist im Laufe der Magenverdauung ein, kann aber auch bei leerem Magen erfolgen, es fehlt bei dem Pylorusund Kardiasitz der Neubildung selten. Außer dem Mageninhalt wird sehr gewöhnlich zersetztes „kaffeesatzähnliches" Blut in kleineren Mengen erbrochen. Diese Beschaffenheit rührt nur von etwas längerer Einwirkung des Magensaftes auf das Blut her, hat also an sich nichts Pathognomonisches — sie kommt freilich am häufigsten bei dem Carcinom vor, findet sich aber auch bei dem Magengeschwür, besonders dem mit Gastrektasie verbundenen. — Massenblutungen bei Carcinom des Mageiis sind sehr selten. — Kachexie, Abmagerung mit Anämie, die unaufhaltsam fortschreiten und denen sich Wassersucht gesellt, ist namentlich bei rasch wachsenden, mit erheblicher Verdauungsstörung verbundenen Krebsen fast stets vorhanden. Indes kommt es selbst bei diesen, wenigstens bei den Kolloidcarcinomen, wahrscheinlich aber auch bei den fibrös sich umwandelnden Markschwämmen zu Stillständen und sogar zu so erheblichen Besserungen der allgemeinen Ernährung, daß für längere Zeit die Genesung vorgetäuscht werden kann. — Der Ausgang ist freilich unter allen Umständen ein tödlicher. Sich über die Dauer des Leidens eine bestimmte Vorstellung zu bilden, ist sehr schwer, da dyspeptische Symptome, welche eine Zeitlang kaum beachtet werden, den Anfang bilden. Man giebt als Minimum einen Monat, als Maximum drei Jahre an; wenigstens der letztere Termin ist zu kurz bemessen. — Die Prognose ist eine unbedingt schlechte. — Die Diagnose ist in sehr vielen Fällen spielend zu stellen; andererseits wird es wenig Arzte geben, die nicht, auch nach großen praktischen Erfahrungen und in reiferen Jahren, Irrtümer zu buchen hätten. Bei der Behandlung des Magenkrebses muß man von Heilung absehen. Der chirurgische Eingriff, besonders die Resektion des stenosierten carcinomatös entarteten Pylorus, ist freilich noch zu kurze Zeit bekannt, als daß ein endgültiges Urteil darüber abgegeben werden könnte. Soviel aber darf man sagen, die Wahrscheinlichkeit, daß zu der Zeit, wo das Carcinom des Magens sicher erkennbar wurde, Metastasen stattgefunden haben, und daß später lokale oder allgemeine Careinose auftreten wird, ist keine kleine; darüber sich Auskunft zu verschaffen, ob Metastasen zugegen, ist vor der Operation einfach unmöglich. Diese selbst scheint unbedingt erlaubt; im ungünstigsten Falle erspart sie dem Leidenden qualvolle Wochen. — Innere Mittel sind nur symptomatisch anzuwenden; sie und, was die Hauptsache ist, die diätetischen Vorschriften sind nach Maßgabe des bei Dyspepsie und Gastrektasie erwähnten vorzuschreiben. — Besonders hervorzuheben ist, daß man mit dem Gebrauch der Opiate zurückhalte: häufigen Wechsel des Präparates eintreten lasse und die Gaben möglichst lange niedrig bemesse. Die vorübergehende Erleichterung der Kranken in früherer Zeit wird durch die qualvollsten Leiden in späterer schwer gebüßt, wenn der Arzt nach dieser Richtung einen Fehler begeht.
Bösartige Neubildungen im Magen. Magenblutung.
§ 197.
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Magenblutung.
M a g e n b l u t u n g (Hamatemesis) tritt bei Eröffnung von Gefäßen durch unmittelbare Kontinuitatstrennung ein, oder dann, wenn deren Wandimg ungenügend, ernährt wurde, so daß dieselbe für den Inhalt durchlässig ist. In die ernte Klasse gehören die Blutungen nach Vergiftungen mit ätzenden Substanzen, die bei Ulcus und Carcinom, ebenso die selteneren Fälle von Zerreißung der vorher schon atheromatös oder fettig entarteten Gefäße durch die Wirkung des Blutdrucks. Die letzteren bilden den Übergang -M der zweiten Gruppe: Störung der Blutbewegung bei Hindernissen im Pfortaderkreislauf (Lebercirrhose, Pylephlebitis, Geschwulstdruck u. s. w.), welche die ausreichende Versorgung des Magens mit arteriellem Blute erschweren, ferner Veränderungen des Blutes selbst oder der Gefaßwandung — akute Infektionen, endlich die ihrem Wesen nach unbekannten hämorrhagischen Diathesen wären hier anzuführen. — Es wird von manchen noch daran festgehalten, daß Magenblutung vikariierend für die Menses oder für habituelle Hämorrhoidalblutung eintreten kann; jedenfalls ist das, wenn es überhaupt möglich, ein sehr seltenes Ereignis. Der Häufigkeit des Vorkommens nach wird geordnet: Ulcus, Carcinom, Kreislaufstörung, Vergiftung, Verletzung durch Fremdkörper, hämorrhagische Diathesen, Entzündung der Schleimhaut, Ruptur von Aneurysmen der Coeliaca oder Aorta, endlich vikariierende Blutungen. Die vielfachen Ursachen der Blutung bedingen deren Auftreten in allen Lebensaltern. Sogar das Neugeborene kann schon daran leiden. Diese Form (Melaena neonatorum) zeigt sich gewöhnlich innerhalb der ersten Woche und kommt höchstens bis zum 20 Tage vor. Man führt ihre Entstehung auf verschiedene Ursachen zurück: aktive und passive Hyperämie, wirkliche Geschwürsbildung im Magen und Duodenum durch Selbstverdauung vorher embolisierter Abschnitte entstanden, dann, kaum noch als Veranlassung der Melaena vera zu betrachten, pyämische Erkrankung werden geltend gemacht. — Die reichliche Entleerung frischen, vielleicht zum Teil geronnenen Blutes aus Mund und After, mehr indes aus letzterem, die sich meist einige Male wiederholt, selten aber länger als einen Tag anhält, führt in etwa der Hälfte aller Fälle zum Tode.
Die anatomische Untersuchung zeigt außer den Grundkrankheiten innerhalb des Magens, gewöhnlich auch innerhalb des Darmkanals Blut in den verschiedenen Zuständen der Umwandlung, welche dasselbe unter Einwirkung der Verdauungssäfte erfährt. Daneben ist eine der Größe des Blutverlustes entsprechende allgemeine Anämie vorhanden. Die Hamatemesis wird häufig durch ein Gefühl von Spannung, Vollsein und Wärme im Epigastrium eingeleitet, auch wohl kardialgische Beschwerden stellen sich ein, es folgt Würgen und Erbrechen, durch das die flüssigen oder geronnenen Massen aus dem Magen heraufbefördert werden. Namentlich bei stärkeren Entleerungen flüssigen Blutes kommt es leicht zum Husten, da etwas davon in den Kehlkopfeingang gelangt. Öfters wiederholt sich das Erbrechen einige Male. Sehr gewöhnlich tritt ein Teil des Blutes in den Darm über und wird später, meist unter kolikartigen Schmerzen, entleert. Die Allgemeiner scheinungen sind die der Blutverluste überhaupt (§ 75). Die Beschaffenheit des Blutes richtet sich nach der Quelle seines Ursprungs und nach der Zeit, in welcher dasselbe innerhalb des Magens verweilt. Größere
Krankheiten des Magens und Darms.
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arterielle Blutungen, auf welche schnell Erbrechen folgt, zeigen ein wenig verändertes Blut; andererseits kann dasselbe so lange im Magen bleiben, daß die mikroskopische Untersuchung die Gegenwart von Blutkörperchen kaum sicher stellt und der chemische Nachweis aushelfen muß. Es kommen so viel Abweichungen vor, daß manchmal die Entscheidung, ob das Blut aus den Luftwegen, oder aus dem Magen entleert wurde, schwierig ist. Man führt an, daß das erbrochene Blut nicht schaumig, daß es dunkel gefärbt, klumpig sei — alles kann auch bei dem aus den Luftwegen stammenden der Fall sein; besonders wenn man die Massen erst einige Zeit nach der Entleerung zu Gesicht bekommt, verwischen sich die Zeichen. Nur ausnahmsweise wird man saure Reaktion, die freilich ausschlaggebend ist, nachweisen können. Im ganzen darf man sagen, daß nicht immer die Untersuchung des Blutes Auskunft über seinen Ursprungsort giebt. Diese muß dann durch eine möglichst genaue Anamnese, welche sich mindestens ebensosehr auf vorhergegangene Beschwerden, wie auf das bei der Blutung selbst geschehene zu erstrecken hat, und durch die Untersuchung des Kranken erlangt werden. Endlich, wenn alles versagt, liefert die Beobachtung des Verlaufs weitere Zeichen: Husten mit blutigem Auswurf, wiederkehrendes Würgen oder gar Erbrechen u. s. w. (s. auch § 169). Es bleibt doch nur eine kleine Zahl von Fällen übrig, wo man genötigt ist zu warten. — Verwechslungen sind nicht nur mit Hämoptoe möglich, auch bei den Hämorrhagien aus der Schleimhaut der Nase, des Rachens, und bei den seltenen aus dem Ösophagus kann Blut geschluckt und nachher durch Erbrechen entleert werden. Ebenso bei Blutungen aus den oberen Darmteilen (Ulcus duodenale). Der Versuch, den Arzt durch Tierblut zu täuschen, wurde auch schon gemacht; dasselbe ist durch mikroskopische Vergleichung der Blutkörperchen leicht erkennbar. — Es hat sich dem Nachweis der Magenblutung die weitere Erforschung der Ursache anzuschließen. Bei schweren Blutverlusten hat man mit deren Behandlung genug zu thun, um vorderhand ruhig abzuwarten, bei kleineren Blutungen aber hängt vieles davon ab, rechtzeitig eine volle Diagnose zu stellen. Die Prognose richtet sich nach der Stärke der Blutung und nach der Natur des Grundleidens. Im allgemeinen darf man sagen, daß Todesfälle unmittelbar durch Hämatemesis bedingt, nicht gerade häufig sind. —• Die Behandlung hat im allgemeinen nach den Grundsätzen zu geschehen, welche im § 75 entwickelt wurden. Besonders ist zu bemerken: Natürlich ist Bettliegen unbedingt nötig. Ruhe für den Magen und damit die Möglichkeit der Organisation des gebildeten Thrombus, wird am besten durch Opium herbeigeführt. Man kommt im ganzen mit kleineren Gaben davon aus, als wenn man Morphium anwendet, und sollte das Mittel immer in Lösung darreichen. 20 bis 40 Tropfen der einfachen Tinctura
opii ist die passende
Einzeldosis,
welche anfangs
so lange zu
wieder-
holen ist (Pausen zwischen den Gaben von mindestens zwei Stunden), bis der Brechreiz ganz aufgehört hat. Es genügen gewöhnlich zwei bis drei Gaben für 2 4 S t u n d e n . — D i e Diät sei eine absolute für die ersten
Tage; n u r E i s s t ü c k c h e n ,
welche im Munde zergehen, dürfen genommen werden. Das Kindermehl gestattet einen passenden Ubergang zur weiteren Ernährung, die später nach den in § 75 gegebenen Regeln eingerichtet werden muß. — Das Auflegen eines nicht zu kleinen Eisbeutels
auf die Magengegend
ist z w e c k m ä ß i g , da die A b k ü h l u n g bis
zu einem gewissen Grade in die Tiefe dringt die Arterien zur Zusammenziehung bringt und in denselben eine Abnahme des Seitendruckes herbeiführt. —
Magenblutung.
Kardialgie.
593
Stuhlverhaltung darf nicht bekämpft werden —• man lasse den Darm in Ruhe, selbst wenn subjektive Beschwerden durch Meteorismus verursacht wurden. Unter konsequenter Opiumbehandlung verlieren sich dieselben in kurzer Zeit. Die Erleichterung, welche die Entleerung des Darms durch Klvsmata oder Abführmittel im Gefolge hat, wird nicht selten durch eine Wiederholung der Blutung bezahlt. — Ist man sicher, daß ein Ulcus die Hämatemesis bedingt, dann muß selbst bei geringen Blutergießungen, die keine Rückwirkung auf das Allgemeinbefinden zeigen, die Behandlung nach § 195 streng durchgeführt werden. Die A n w e n d u n g d e r Styptica zur B l u t s t i l l u n g (Eisenchlorid, T a n n i n , A l a u n u. s. w.) h a t zu u n t e r b l e i b e n . I n so k o n z e n t r i e r t e r L ö s u n g e i n g e f ü h r t , daß dieselben eine w i r k l i c h e Ger i n n u n g h e r b e i z u f ü h r e n v e r m ö c h t e n , sind sie A t z m i t t e l o d e r g r e i f e n die M a g e n s c h l e i m h a u t j e d e n f a l l s h o c h g r a d i g an, d a sie n i c h t n u r a n der b l u t e n d e n Stelle, s o n d e r n ü b e r a l l , w o sie m i t E i w e i f i k ö r p e r n in V e r b i n d u n g t r e t e n , auf diese i h r e das Zellenleben v e r n i c h t e n d e Einw i r k u n g ü b e n . I n s c h w ä c h e r e r Lösung n ü t z e n sie n i c h t s u n d k ö n n e n höchstens Brechreiz h e r v o r r u f e n . Jst wirklich eine Arterie verletzt, d a n n h i l f t k e i n H ä m o s t a t i c u m ; die d u r c h Abs i n k e n des a r t e r i e l l e n D r u c k s g e b o t e n e M ö g l i c h k e i t des Verschlusses d u r c h T h r o m b e n b i l d u n g a n O r t u n d Stelle b l e i b t die einzige Hilfe.
§ 198.
Kardialgie.
Die K a r d i a l g i e — Magenkrampf — kommt, wie alle Viszeralneuralgien, als habituelles, selbständig gewordenes Leiden nicht gerade häufig vor. Sie erscheint öfter wiederkehrend im Gefolge von örtlichen Erkrankungen (Ulcus, Ca,rcinom) oder von allgemeinen (Chlorose, Hysterie, akuten Infektionen, die Malaria wird unter diesen besonders hervorgehoben); vorübergehend tritt der Magenkrampf nach stärkerer Reizung der Magennerven (beträchtliche Aufblähung des Magens durch Gas, Einführung kalter Flüssigkeiten in größeren Meugen u. s. w.) auf. — Wie der Magenkrampf von anderen leidenden Organen aus durch nervöse Fernwirkung wachgerufen werden kann, ist ganz unklar — die Thatsache selbst aber unzweifelhaft. Besonders ist seine Beziehung zu den Genitalien hervorzuheben: bei manchen Frauen, die nicht hysterisch sind, treten mit der sich vorbereitenden Menstruation Magenbeschwerden auf, welche zu heftigen Krämpfen anwachsen können. Ebendas kommt bei männlichen Onanisten bisweilen vor. — Auch am Rückenmark Erkrankte leiden daran — meistens allerdings in größeren Zwischenräumen; sind sie vorhanden, dann treten die Anfälle bei ihnen gewöhnlich gehäuft auf. Anatomisch wären höchstens jene äußerst seltenen Befunde als charakteristische zu erwähnen, wo die Narbe eines heilenden Geschwürs oder eine peritonitische Adhäsion mit der Nachbarschaft einen Nervenzweig derartig beteiligt, daß derselbe bei Magenbewegungen gezerrt wird und so die Neuralgie auslöst. Bei Tumoren jeder Art könnte ja das gleiche vorkommen. Das Krankheitsbild zeigt die folgenden Erscheinungen: Schmerz im Epigastrium, der oft bis zum Rücken ausstrahlt, Aufstoßen, Ubligkeit, Würgen mit vermehrter Speichelabsonderung, dazu die Symptome der Viszeralneuralgie (§ 7). Bisweilen ist die Magengegend aufgetrieben, andere Male wieder eingesunken, bald giebt äußerer Druck Erleichterung, bald wird derselbe nicht ertragen. — Die Dauer der größten Heftigkeit beträgt nur wenige Minuten, sehr gewöhnlich aber reiht sich ein Anfall dem anderen an, so daß das Ganze einige Stunden währt. Die Diagnose ist nicht gerade leicht. Es kommen Verwechslungen vor, welche die allerschlimmsten Folgen haben. Unter diesen ist zu nennen die Perforation v. J u r g e n s e n , Spez. Path. u. Töer. II Aufl
3S
Krankheiten des Magens und Darms.
594
des Magens in ihren ersten Anfängen, namentlich wenn durch eine kleine Öffnung der Inhalt austritt, heftigere Darmperistaltik nachfolgt und alsdann der Schmerz in Anfällen, welche der anschwellenden und wiederum nachlassenden Bewegung des Darms entsprechen, sich geltend macht und noch kein schwerer Kollaps vorhanden ist. — Das Ulcus ventriculi mit Kardialgie verlaufend wird häufig übersehen. — Praktisch weniger verhängnisvoll sind die Verwechslungen mit Gallensteinkolik oder mit Interkostalneuralgie. — Man hat immer und immer wieder nach anderweitigen Organerkrankungen zu forschen, ehe man sich zur Annahme der aus unbekannten Gründen entstandenen, nicht sekundären Kardialgie entschließt. Die Prognose hängt von dem Grundleiden ab; ist dasselbe 2m beseitigen, dann schwindet auch gewöhnlich die Kardialgie. Die selbständigen Formen können äußerst hartnäckig sein. — Tödlicher Ausgang im Anfall selbst ist nicht beobachtet. Die Therapie hat, wenn die Kardialgie als Folgezustand erscheint, zunächst sich gegen die ursprüngliche Krankheit zu wenden. Dabei ist immer zu berücksichtigen,
daß der Magen geschont werden muß;
n i c h t n u r die n o t w e n d i g e n Medi-
kamente sind in der Form ihrer Darreichung dem anzupassen, auch die Diät. Man wird ohne diese Rücksichtnahme gewöhnlich keine Erfolge haben. — Das gleiche gilt für die idiopathischen Magenkrämpfe. Gegen diese giebt es zwei Mittel, die als empirische zu bezeichnen sind; welches derselben anzuwenden sei, ist nie von vornherein zu sagen, man muß eben eins nach dem anderen probieren. Es sind das: Strychnin zu etwa 0,002—0,005 g einmal täglich, und Atropin zu 0,001 g ebenso nur eine Tagesdosis — am besten beide in der Form der Granules. Erhöhung der Gabe nützt nichts; es schwinden die Schmerzen bisweilen naGh einmaligem Gebrauch, zu versuchen sind beide anhaltend 14 Tage lang. Der Anfall selbst wird, wenn er heftiger ist, durch Opium innerlich zu 20 höchstens 40 Tropfen der Tinktur als Einzelgabe, die nötigenfalls zu wiederholen ist, behandelt. Man sei mit dem Mittel nicht zu freigebig. Warme "Überschläge über den Leib pflegen äußerst angenehm zu sein. Empfohlen wird noch die Anwendung der Elektrizität: der konstante Strom in verschiedener Weise eingeleitet, immer die eine Elektrode, welche mit breiter Fläche aufzulegen ist, auf das Epigastrium. § 199.
Diarrhöe.
Auch im Darme kommen funktionelle Störungen vor, welche nicht notwendig mit anatomischen Veränderungen einhergehen. Es soll zunächst die D i a r r h ö e , der D u r c h f a l l besprochen werden. Vermehrte Peristaltik bei freier Verbindung zwischen der Endmündung des Darms und seinen höher gelegenen Teilen, daneben die Anwesenheit eines bewegungsfähigen Inhalts — diese Vorbedingungen, aber auch nur sie, müssen erfüllt sein, wenn Durchfall zustande kommen soll. Die ätiologische Betrachtung lehrt, daß Diarrhöe auftritt: 1. Wenn
aus
dem Magen
Substanzen
in den Darm
gelangen,
ivelche
geeignet
sind mit oder ohne gleichzeitige Erregung von Entzündung seine Beivegungen zu beschleunigen. Was über die Entstehung der Dyspepsie (§ 192) gesagt wurde, gilt meist für die des Durchfalls. Hervorzuheben ist, daß nicht allein der Übertritt ungenügend im Magen vorbereiteter oder dort zersetzter Massen, sondern
Kardialgie. Diarrhöe.
595
schon die sich auf den Darm fortpflanzende lebhaftere Magenperistaltik allein denselben zu einer über seine ganze Ausdehnung sich verbreitenden Bewegung veranlassen kann. Genügt doch bei manchen der Genuß einer geringen Menge kalten Wassers, die morgens in den leeren Magen gebracht wurde, um die für die Stuhlentleerung notwendige Zusammenziehung des ganzen Darmschlauches zu bewirken. Unter pathologischen Bedingungen, bei einer um etwas erhöhten Erregbarkeit, zeigt sich das in noch höherem Maße und bietet für die Behandlung einen fruchtbaren Gesichtspunkt. — Man hat also zu trennen zwischen dem, was mittelbar vom Magen, oder unmittelbar von dem Darm aus wirkt; häufig ist der Einfluß ein von beiden aus geübter. — Zu scheiden ist ferner zwischen Beizen, die keine Entzündung hervorrufen — wie z. B. die in den Verdauungsschlauch gelangenden Nahrungsmittel jeder Art, viel Flüssigkeit, abführende Substanzen in geeigneter Gabe — und solchen, die das thun. 2. Durch Erkältung, besonders wenn davon der Unterleib stärker betroffen wird. Wie bei allen auf diese Weise entstandenen Krankheiten ist das Wesen des Vorganges noch nicht klar, die Thatsache aber steht fest. Es giebt Menschen, welche nach jeder Erkältung Durchfall bekommen, bei ihnen ist der Darmkanal der Locus minoris resistentiae (siehe auch § 151). 3. Durch nervöse Einflüsse — nach gemütlichen Erregungen besonders bekommen einige rasch Durchfall, ohne daß vom Magen Störungen vorhanden zu sein brauchen. 4. Durch eine eigenartige Infektion, welche im wesentlichen nur zur Erkrankung des Darms führt, oft aber auch den Magen in Mitleidenschaft zieht — Cholerine; Sommerdiarrhöe. Diese Ursachen rufen die rascher verlaufenden, akuten Erkrankungen hervor. Aus ihnen können sich die chronischen entwickeln; bei kräftigen Menschen, welche sich einigermaßen vernünftig halten, ist das indessen nicht gerade häufig. — Länger anhaltende, oft wirklich chronische Diarrhöen treten meist unter Bedingungen auf, welche bereits Ernährungsstörungen, vielleicht gröbere anatomische Veränderungen, gesetzt haben, oder die rasche Wiederherstellung zur Norm verzögern. Da diese Störungen nicht regelmäßig mit Durchfall einhergehen, darf man sie nur als prädisponierende betrachten. — Es gehört hierher: 1. Geschwürsbildung durch spezifische Krankheitserreger hervorgerufen (bei Tuberkulose, Typhus abdominalis, Dysenterie u. s. w.). 2. Störung der Blutbeivegung im Darm, wie sie durch Hemmung des Abflusses der Pfortader herbeigeführt wird — die mit Kompression und Verlegung ihres Kapillarsystems einhergehenden Erkrankungan der Leber, Verwachsungen des Darms durch chronische Peritonitis, alles von Herz- und Lungenleiden, was die Entleerung der unteren Hohlvene hemmt, ist zu nennen. — Auch die Anhäufung größerer Kotmassen, wie sie namentlich bei mechanischen Hindernissen in tiefer gelegenen Darmteilen zustande kommt, gehört hierher. (Das Genauere siehe § 204.) 3. Konstitutionskrankheiten (Rachitis, Skrophulose) disponieren in hohem Grade. Durchfall tritt unter allen diesen Umständen erst ein, wenn sich ein wirklicher Katarrh des Darms hinzugesellt, fehlt er, so können selbst sehr ausgedehnte Verschwärungen ohne Diarrhöe vorhanden sein. Besonders die katarrhalische Ent38*
596
Krankheiten des Magens und Darms.
zündung des Dickdarms erzeugt Durchfälle; bei längerer Dauer derselben sind diese immer vorhanden. Auch amyloide Entartung des Darms ruft Diarrhöen hervor, welche, sich durch ihre Unstillbarkeit auszeichnend, einmal vorhanden, bis zum Lebensende andauern. Außer bei den Infektionskrankheiten, welche sich im Darm lokalisieren uud entweder regelmäßig (Cholera, Ruhr) oder wenn sie mit Katarrh verbunden sind (Typhus), Durchfälle hervorrufen , treten solche hin und wieder bei allen Infektionen auf. Besonders septische Prozesse (Puerperalfieber), aber auch andere, wie z. B. Scharlach, können mit häufigen und massigen Darmentleerungen yerbunden sein. Hierher sind gleichfalls die Diarrhöen zu zählen, welche bei Urämie vorkommen. Man nimmt mit gutem Grund an, daß ein Teil des Giftes auf die Darmschleimhaut gelange und von dieser ausgeschieden werde; solchen Entleerungen wird eine günstige (kritische) Bedeutung zugeschrieben. Meist geht es dabei freilich nicht ohne anatomische Störungen ab: Katarrhe, Blutungen in die Mukosa und Submukosa, auch wohl durch Gewebenekrose entstandene Geschwüre sind gewöhnlich in den tödlich verlaufenden Fällen vorhanden; seltener bleibt es bei einfacher funktioneller Störung.
Alle Lebensalter werden von Diarrhöe befallen, eine starke Prädisposition hat aber das erste Lebensjahr, was wohl nicht ausschließlich mit der in ihm so häufigen unzweckmäßigen Ernährung zusammenhängt. — Individuelle Unterschiede sind sehr bemerkbar, sie zeigen sich z. B. schon in der so äußerst verschiedenen Wirkung der gleichen Gabe eines Abführmittels. — Schwächezustände jeder Art begünstigen die Entstehung wie die Fortdauer des Durchfalls in ausgesprochener Weise. Anatmnische Veränderungen sind nicht immer nachweisbar, Änderungen der Blutverteilung zeigen sich in der Leiche gewöhnlich nicht mehr. Andere Male finden sich ausgedehnte Katarrhe, Infiltrationen des zwischen den Liebekkühn'schen Krypten gelegenen bindegewebigen Gerüsts mit Flüssigkeit und Zellen; Lockerung und Abstoßung der reichliche Schleimmengen erzeugenden Epithelien. Gewöhnlich tritt vollkommene Heilung ein; bei langer Dauer kommt es aber zur Atrophie der Schleimhaut. Die Muscularis ist seltener beteiligt. — Hatte ein spezifischer Krankheitserreger eingewirkt, dann sind die diesem zukommenden Veränderungen mehr oder minder ausgebildet vorhanden. Die akute' Diarrhöe beginnt meist mit einem Gefühl von Unbehaglichkeit im Bauch, das bald sich bis zum Leibschneiden steigert. Gleichzeitig stellt sich Kollern und Rumpeln ein, die Därme treiben sich etwas auf, es meldet sich das Bedürfnis zum Stuhlgang, das in kurzer Zeit unwiderstehlich wird. Die Entleerung erfolgt mit großer Gewalt; sie fördert Flüssigkeit und Gase heraus, die oft zu Schaum gemischt sind. Unmittelbar nachher pflegt das Leibschneiden vermindert, vielleicht ganz aufgehoben zu sein, aber die „Unsicherheit", wie manche sich ausdrücken, dauert an, die Darmbewegung, die Kolik beginnt aufs neue und nun wiederholt sich der Vorgang. Bei stärkerer Beteiligung des unteren Dickdarms gesellt sich Tenesmus (Stuhlzwang) hinzu; die Kranken haben nach der Entleerung niemals die Empfindung, daß sie fertig geworden seien, das Gefühl eines Fremdkörpers im Mastdarm bleibt; dieser soll nun durch Drücken und Pressen herausgeschafft werden. Unter diesen Umständen kommen die Kranken kaum vom Stuhl, durch das anhaltende Drängen kann der Darm vorfallen. — Die Entleerungen sind anfangs breiig, von fäkulentem Aussehen und Geruch, bald werden sie dünnflüssiger und zeigen weniger die Beschaffenheit des Kotes, allmählich verschwindet dieser ganz, trübe mit reichlichem Schleim gemischte, gallige gefärbte Flüssigkeit tritt an seine Stelle. — Die Rückwirkung
Diarrhöe.
597
auf den Gesamtkörper verrät sich fast immer zunächst als ein durch den Verlust an Flüssigkeit hervorgerufenes vermehrtes Durstgefühl; auch der Harn wird bald in verminderter Menge abgesondert; er ist tiefer gefärbt, von hohem spezifischem Gewicht und läßt ein reichliches Sediment von ziegelroter Färbung fallen — Sedimentum lateritium, meist aus harnsauren Salzen bestehend. — Etwas Abrjesc-hlagenheit und Mattigkeit,
ein iveniger gutes Aussehen
folgt.
Selbst w e n n der
Magen nicht beteiligt war, bleibt der Appetit gewöhnlich minder rege. — Nimmt die Zahl der Durchfälle so sehr zu, daß eine erhebliche Wasserentziehung die Gewebe trifft, dann entwickelt sich ein Bild, welches dem bei der echten Cholera nahe kommt: äußerste Kraftlosigkeit, eingefallenes Gesicht, welches selbst das Kind greisenhaft erscheinen läßt, die Haut kühl, der Puls klein und häufig, Muskelkrämpfe, Aufhören der Harnabsonderung, vielleicht Sinken der Körperwärme. Bei Kindern können allgemeine Krämpfe sich einstellen (Hydrocephaloid), bei Erwachsenen ist große Apathie vorhanden. Die Erholung geht nach so schweren Erscheinungen immer langsam vor sich. Bei Schwachen ist das tödliche Ende nicht selten. — Chronisch verlaufende Diarrhöe geht, wenn sie irgend erheblich ist, neben den örtlichen Erscheinungen, welche sich bald verschlimmernd, bald bessernd, in ihrer Stärke von Tag zu Tag schwanken, mit erheblichen Störungen der allgemeinen Ernährung einher: Abmagerung undAnämie fehlen nicht. Als Begleiter anderweitiger Erkrankungen führt sie zu rascherer Untergrabung der Konstitution. Die sondern bedingt. samimg
Diagnose h a t sich nicht auf den Nachweis einer Diarrhöe zu beschränken, deren Ursprung festzustellen. D a v o n ist d a n n das therapeutische Eingreifen — Man hat sich zuerst die Frage vorzulegen, ob unmittelbar eine Verlangder den Durchfall bewirkenden vermehrten Peristaltik erwünscht ist. Das
hängt ganz von den im Einzelfall gegebenen Bedingungen ab. Natürlich bleibt bei einer unmittelbare Gefahr bringenden Zahl und Massigkeit der Entleerungen keine W a h l , sonst aber hat man zu erwägen, ob nicht durch die Entfernung reizender Substanzen aus dem Darm am ehesten das Übel zu beseitigen? Das gilt nicht nur für örtlich beschränkte, den Darm wesentlich oder allein treffende, durch die Anwesenheit von Schädigern innerhalb desselben bedingte Zustände — auch die Diarrhöen bei Typhus, bei septischen Erkrankungen u. s. w., welche wahrscheinlich zur Entfernung eines Teils des betreffenden Giftes aus dem Körper dienen, müssen von diesem Gesichtspunkte aus beurteilt werden. Es kann daher eine Diarrhöe
die Anwendung
von Abführmitteln
erheischen.
M a n w ä h l e , falls diese
Notwendigkeit gegeben erscheint, die milden, rasch wirkenden — das Ricinusöl zu 10—30 g dürfte meist das entsprechende sein. Neben demselben kommen die Mittelsalze in Betracht, entweder in der natürlichen Lösung der Bitterwässer, oder am besten das Natrium sulfuricum — 20—30 g in 1j2 Liter warmen Wassers gelöst. Ausnahmsweise ist das Kalomel am Platz: bei heftigem Brechreiz, der das in den Magen Gebrachte sofort herauswirft, kann dasselbe, da verhältnismäßig geringe Mengen nötig sind, am ehesten zurückbehalten werden. Man gebe etwas mehr als gewöhnlich (dem Erwachsenen bis zu 2—3 g auf einmal), um sicher zu sein, daß nicht in dem ermüdeten Darm das Quecksilberpräparat liegen bleibe und Allgemeinwirkung hervorrufe. Soll die Peristaltik
gehemmt
werden,
d a n n ist Opium
a n z u w e n d e n . F ü r dessen
Gebrauch gilt die allgemeine Regel, daß man, da nur die Wirkung auf den Darm, keine allgemeine beabsichtigt ist, mit möglichst geringen Mengen anzukommen suche. Das Opium selbst, von seinen Präparaten das stärker kodeinhaltige Extractum
598
Krankheiten des Magens und Darms
opii, ist dem M o r p h i u m unbedingt vorzuziehen. — Entleerung des Darms findet nur statt, wenn sich der Dickdarm an der Peristaltik beteiligt — das gilt auch f ü r die pathologisch v e r m e h r t e n Bewegungen. Es ist daher das Opium am besten vorn
Mastdarm aus einzuverleiben. Man giebt Svppositoricn von 0,05 g Extr. opii (R Nr. 51); dieselben werden nach einer Stuhlentleerung eingeschoben; sie brauchen selten häufiger als zwei- bis dreimal täglich wiederholt zu werden. Weniger zweckentsprechend ist das schleimige Klysma (100 g Decoct. altheae oder einfacher Stärke mit 20—40 Tropfen Opiumtinktur), der Mastdarm wird dadurch entschieden m e h r gereizt.
Ist vermehrte
Bewegung
des Magens vorhanden,
dann
em-
pfiehlt es sich, diesen durch unmittelbare Opiumeinverleibung zu Ruhe zu bringen; so kann man auch die Darmbewegung von oben her vermindern. 5—20 Tropfen der Tinctura opii simplex genügen; am besten sind sie mit einem den Blutzufluß zur Schleimhaut bewirkenden Mittel zusammen zu geben, weil, wenigstens bei etwas länger dauernden Diarrhöen, oft die Resorption so langsam vor sich geht, daß wegen der verzettelten Dosen sogar die örtliche Wirkung ausbleibt. Bei der sogenannten Sommerdiarrhöe ist es daher längst üblich, das Opium mit Bittermitteln in alkoholischer Lösung zu verbinden (Choleratropfen). (R Nr. 49.) Gerade bei dieser Form, wo die Kranken meist außer Bett sind und essen, empfiehlt es sich noch während der Rekonvaleszenz vor der Mahlzeit einige Tropfen (höchstens fünf) der Tinktur nehmen zu lassen, welche die Bewegungen des Magens langsamer verlaufen machen, ohne im übrigen seine Thätigkeit wesentlich zu beeinträchtigen. Die vielfach angewandten Adstringentien aus dem Pflanzen- und Mineralreich sind überflüssig. Merkwürdigerweise sind Verbindungen derselben mit Opium üblich, wodurch dessen Alkaloide in schwerlösliche Form übergeführt werden, so Opium mit Gerbsäure; bei heftigeren Diarrhöen wird ein solches Arzneimittel der Hauptsache nach unwirksam durch den Darm entleert.
Bettruhe und warnte Überschläge befördern die Heilung; sie reichen in leichteren Fällen häufig allein aus und dürfen in schwereren niemals unterlassen werden. Warme Bäder (29—30° R.) von halbstündiger oder längerer Dauer, ein oder mehrere Male täglich angewandt, sind ein vorzügliches Mittel; der Patient ist nachher in das erwärmte Bett zu bringen. — Die Nahrungsaufnahmeyfer&e beschränkt; bei heftigem Durchfall auf das äußerste. Es sollen nur geringe Mengen Flüssigkeit auf einmal genommen werden, guter Rotwein, Portwein oder Sherry eßlöffelweise, ist am besten, alles muß auf eine Temperatur von 14° bis 16° R. gebracht sein. Die Rekonyaleszenz hindurch hat man die bei der akuten Dyspepsie (§ 192) gegebenen Vorschriften einzuhalten. Chronische Diarrhöen verlangen für die Behandlung in erster Linie eine sehr eingehende Berücksichtigung der Lebensordnung. Alle im § 192 angeführten Punkte müssen sorgfältig anamnestisch erhoben werden, und die Abstellung etwaiger Unregelmäßigkeiten ist die erste Aufgabe. Die Diätetik hat von dem Grundsatze auszugehen, daß eine möglichst wenig Kot bildende, aber dem Körper seinen Bedarf voll und ganz zuführende Nahrung gereicht werde. Das gelingt durch strenge Einhaltung der im § 192 angeführten Maßregeln. — Das Tragen wollener Unterkleider, welche den Leib vollständig bedecken, ist dringend zu empfehlen. In schweren Fällen kann ein längerer Aufenthalt im Bette erforderlich werden. Die Anwendung der Opiate hat ihre Grenzen — keinesfalls darf man glauben mit ihnen allein heilen zu können.
Dianhue § 200.
599
Diarrhöe im Kindesalter.
Je jünger ein Kind, desto größer ist die Gefahr, daß dasselbe von Verdauungsstörungen betroffen werde, welche meist sich auf den ganzen Traktus ausdehnen und regelmäßig mit Durchfällen einhergehen. Die normalen physiologischen Verhältnisse begünstigen Verdauungsstörungen bei dem Kinde in hohem Grade: die mit der Absonderung der Vmlauungssüftc betrauten Organe sind anfangs funktionell ungeniigend ausgebildet, sie müssen sich erst an die ihnen im extrauterinen Leben zugemutete Aufgabe gewöhnen. Es kommt hinzu, daß die Scheidung der Empfindungen von Hunger und Durst dem Kinde nicht gelingt oder wenigstens nicht von ihm zum Ausdruck gebracht werden kann. Das Schreien übernimmt die Übermittlung beider Gemeingefühle an die Umgebung. Bei normaler Ernährung an der Mutterbrust ist das Gebotene von einer Beschaffenheit, die beiden Bedürfnissen genügt. Ganz anders aber, sobald Ersatzmittel gereicht werden. Das durstige Kind bekommt bei dem vielfach zu geringen Wassergehalt derselben das, was dem hungrigen gebührte; es tritt Uberhäufung des Verdauungsschlauches mit Massen ein, welche von den in nicht ausreichender Menge abgesonderten Säften nicht bewältigt werden, Zersetzung derselben, funktionelle, bald anatomische Reizung des Magens und Darms folgt. — Diesen aus den einmal vorhandenen Bedingungen sich ergebenden Mißständen gesellen sich die unzählichen Verstöße hinzu, welche gegen eine vernünftige Ernährung und Pflege begangen werden. — Die geringere Widerstandsfähigkeit des kindlichen Körpers führt auch zu größerer Sterblichkeit; im ersten Lebensjahre sterben mehr als zwei Fünftel der Geborenen infolge von Verdauungsstörungen. — Das Krankheitsbild ist von Erscheinungen begleitet, welche, bei dem Alteren und Kräftigen fehlend, nur durch die geringere Widerstandsfähigkeit der Gewebe überhaupt erklärbar scheinen. So Blutungen in die Haut und die Schleimhäute, Abscesse mit ausgedehnter Eiterbildung vielleicht gar Verjauchung, Panophthalmie, die zur Zerstörung des Bulbus Veranlassung giebt u. s. w. — Ein stürmischer Verlauf, der unter den Symptomen der raschen Eindickung des Blutes mit bald erlöschendem Kreislauf zum tödlichen Ende führt, ist namentlich bei epidemischem Auftreten während der heißen Sommermonate sehr häufig. Bei den chronischen Formen stellt sich meist in kurzer Zeit Abmagerung ein, welche bis zu dem äußersten Maß fortschreiten kann. — Der Körper des Kindes erträgt seines rascheren Stoffwechsels wegen die verminderte Nahrungszufuhr weitaus schlechter als der des Erwachsenen, erholt sich dafür aber bei genügender Zufuhr um so schneller. — Die Behandlung hat größere Schwierigkeiten, da Opiate namentlich bei kleineren Kindern, den am meisten gefährdeten, nur mit größter Vorsicht anwendbar sind. Wenn auch ein unbedingtes Verbot derselben nicht zu rechtfertigen ist, muß man doch immer daran denken, daß eine ungemein große Empfindlichkeit gegen Opium, sich durch toxische Allgemeinwirkungen äußernd, in diesem Alter sehr häufig ist. Falls es irgend thunlich, sollten daher Opiumpräparate vermieden werden. — Bei den heftigen Anfällen von Cholerine ist es geraten, von der Zufuhr eigentlicher Nahrungsmittel wenigstens 6 Stunden ganz abzusehen. Man flöße wenige Gramm guten Rotweins in Zwischenräumen von 10—15 Minuten ein, setze das Kind in ein Bad von etwas über Körperwärme und 10—15 Minuten Daiter und lasse die Hautoberfläche darin stark reiben. So gelingt es oft, das
600
Krankheiten des Magens und Darms.
in den Venen des Unterleibes angehäufte Blut wieder zur stärkeren Beteiligung am Kreislauf zu bringen. Eine Einpackung des Rumpfes in ein nicht zu dünnes Leintuch, das in warmes Wasser getaucht, nachher gut ausgedrückt und bei einer Temperatur, die etwa der Körperwärme entspricht, eher noch etwas höher sein kann, umgelegt, mit einer undurchlässigen Schicht von Kautschuck, endlich mit einem dicken Wollentuch bedeckt wird, muß dem Bade unmittelbar folgen. Das Kind ist dann in das erwärmte Bett zu bringen; sind die Gliedmaßen kühl, so schlage man sie in trockene warme Wolltücher ein. Nach frühestens 4 Stunden — gehen die Erscheinungen vom Kreislaufe zurück, wird die Haut des Gesichts wärmer oder gar feucht (das beste Zeichen) erst nach längeren Zwischenräumen — ist das Bad zu wiederholen. Nach 6—12 Stunden kann man bei Säuglingen versuchen, sie mit etwas Muttermilch zu versehen — am besten genießen sie dieselbe abgemolken aus dem Löffel. Wird das nicht vertragen, dann muß man mit der Darreichung des Weines fortfahren. Für künstlich ernährte Kinder bleibt oft die Menschenmilch die einzige Rettung; gelingt es eine geeignete Amme zu schaffen, so kann man sie am Leben erhalten, im anderen Falle gehen sie zu Grunde. — Subkutane Injektion von Wasser ist dann vorzunehmen, wenn das Einfallen der Körperfläche höhere Grade erreicht hat; man warte nicht allzulange. Bei heftigerem Tenesmus ist die Infusion einer größeren Menge (200 und mehr ccm) Wassers von Körperwärme mit geringem Zusatz von Kochsalz in den Darm selbst zu empfehlen. Es werden dadurch vielleicht reizende Stoffe entfernt, welche die Dickdarmperistaltik unterhalten. Man lasse bei schwachem Druck einfließen. Opium — höchstens ein Tropfen der Tinktur zur Zeit — kann je nachdem der Magen oder Darm sich mehr beteiligt zeigt — von oben oder von unten einverleibt werden; im letzteren Fall am besten in höchstens 30 g Decoctum altheae und 10—15 Minuten nach einer Ausspülung des Mastdarms mit Wasser. — Nur für die verhältnismäßig wenig heftig verlaufenden Fälle paßt das Kalomel in kleinen Dosen — 2—4 stdl. (R Nr. 38). Mitunter scheint dasselbe von guter Wirkung — vielleicht handelt es sich um örtliche Desinfektion durch den in kleinsten Mengen gebildeten Sublimat. Auch bei dieser Medikation sind die oben empfohlenen Maßnahmen nicht zu unterlassen. Einer der gewöhnlichsten Fehler wird dadurch begangen, daß man dem Brustkinde den vollen Genuß der Muttermilch zu früh gewährt; dasselbe ist durstig, kann aber noch nicht verdauen, so wird ihm die natürliche im Übermaße genommene Nahrung sich zersetzend zum Gift. Immer ist, wenn man säugen läßt, anfangs eine Pause von 4—6 Stunden — die Zahl und Beschaffenheit der Entleerungen giebt die sichersten Anhaltepunkte — zwischen dem Anlegen einzuhalten. Kaum ein Teil der Pathologie bedarf der gründlichen Durchsicht in dem Maße wie die Diarrhöe im Kindesalter, namentlich ihre akuten Formen. Verfasser bedauert sehr, sich hier auf diese knappe Darstellung beschränken zu müssen. — Die Sachlage ist zu wenig geklärt, um sie in der Kürze entwickeln zu können.
Für die Behandlung der chronischen Diarrhöe im Kindesalter ist die Regelung der Ernährung die Hauptsache. Oft genug reicht man bei Brustkindern damit aus, daß man weniger häufig trinken läßt und der Unsitte entgegentritt, daß das schreiende Kind ohne weiteres angelegt wird und sich den Magen überfüllt. Je nach den Umständen sind drei- oder vierstündige Zwischenräume einzuhalten; namentlich wenn eine mit viel Milch gesegnete Amme das Säugen besorgt, muß streng darauf gehalten werden. — Bei künstlicher Ernährung jeder Art kommt
Diarrhöe im Kindesaltei.
Follikularkatarrh.
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sehr viel auf eine ausreichende Verdünnung des Dargebotenen an. 1 Teil guter, durch längeres Erhitzen unter Luftabschluß annähernd sterilisirter Kuhmilch mit 3 Teilen gekochten Wassers versetzt ist bei beliebig gestatteter Menge vollkommen ausreichend für die Ernährung — diese Mischung statt der bisherigen von 1 zu 1 oder noch weniger bringt nicht selten eine durch das Übermaß unverdaut gebliebener Stoffe gestörte Verdauung wieder in Ordnung. — Man hat hier oft gegen Vorurteile: das arme Kind müsse verhungern —• oder gegen Bequemlichkeit — es werden mehr Windeln naß, häufigeres Wickeln und Waschen ist notwendig — zu kämpfen. Daß auch ein Säugling bei Verdauungsstörungen diät gehalten werden müsse, geht manchen Müttern und mehr noch den „erfahrenen" Kindsfrauen schwer ein. Natürlich ist auf die äußerste Sauberkeit der Flaschen und Saugstöpsel zu achten. Die Untersuchungen von SOXHLET haben hier sehr wichtige Ergebnisse gebracht. Nach den Erfahrungen von LISTER (Kuh) und ESCHEKICH (Frau) ist die Milch, solange sich dieselbe innerhalb der Brustdrüse befindet, frei von Gärungserregern; solche gelangen erst nach ihrer Entleerung von außen her in dieselbe. Ein an der Brust saugendes Kind erhält daher eine Nahrung, welche nur durch die etwa von seinem eigenen Munde gelieferten Keime verunreinigt wird. Die Kuhmilch aber, welche ihm gegeben wird, ist durch die Luft des Stalles, die Hände der Melkenden, die zur Aufbewahrung derselben dienenden Gefäße und ganz besonders dadurch verunreinigt, daß Kot der Kuh, an deren Euter klebend, in sie hineingelangte. Dies letztere hebt SOXHLET mit vollem Recht ganz besonders stark hervor. Weiter wies derselbe nach, daß bei dem häufig geübten dauernden Warmhalten der Kindermilch sowohl deren Gärung außerordentlich begünstigt wird, als auch bei dieser Alkohol in nicht geringen Mengen gebildet wird. So entstand in einer weniger haltbaren Mich, die 24 Stunden lang bei 35° C, stand, 3°/o und in einer als gut bezeichneten noch 1 bis 1 '/s % Alkohol. — SOXHLET hat einen Apparat hergestellt, welcher die für diesen Zweck ausreichende Sterilisierung der Milch sichert. So einfach und praktisch derselbe auch ist, für die Masse des Volks ist er dennoch nicht zu verwerten. In den niederen Ständen fehlt es bei vielen Müttern nicht an der Sorgfalt, wohl aber an dem Verständnis, das die Handhabung eines noch so einfachen Apparates erfordert.
Die Kindermehle nehmen unter den Ersatzmitteln daher für die Masse des Volkes eine sehr hervorragende Stellung ein. Uns hat sich das von KUEEKE in Hamburg während der letzten Zeit ganz besonders gut bewährt, es hat dem NESTLE'schen gegenüber verschiedene Vorzüge, ist erheblich billiger und leichter für den Gebrauch herzustellen. Aber auch bei dessen Anwendung ist auf genügende Verdünnung zu sehen. Mit Recht legt man auf die Gegenwart guter Luft großes Gewicht. Der Arzt, welcher in der Kinderstube Bescheid weiß, wird meist der Medikamente entbehren können, die freilich in Unzahl empfohlen worden sind. § 201.
Follikularkatarrh.
Der F o l l i k u l a r k a t a r r h des Darms ist häufiger im Kindesalter als bei dem Erwachsenen. Die Ätiologie ist in manchen Beziehungen keineswegs klar. Bisweilen handelt es sich um zweifellose Infektionen, wie bei der Ruhr, die anatomisch und symptomatisch ein ähnliches Krankheitsbild zu liefern vermag, auch die Follikularverschwärung als Nachkrankheit hinterläßt. Ob nicht ein anderer verwandter Krankheitserreger bisweilen in Betracht kommt, ist noch nicht bewiesen, wenn auch wahrscheinlich. Aus chronisch verlaufenden, ursprünglich einfachen Katarrhen von längerer Dauer kann sich., besonders bei Kindern, diese Form entwickeln. Die allgemeine
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Krankheiten des Magens und Darms.
Disposition ist durch mangelhafte Ernährung gegeben, vielleicht wurde diese durch den vorhergehenden Durchfall erst herbeigeführt, oder aber eine glücklich überstandene schwere Infektionskrankheit legte den Grund; am häufigsten giebt bestehende Skrofulose, Rachitis, Tuberkulose die Veranlassung. — Anatomisch ist zunächst der ausschließliche, jedenfalls der überwiegende Sit» im Dickdarm anzuführen. Die solitären Follikel sind anfangs geschwellt und ragen hirse- bis hanfkorngroß über die entzündete Schleimhaut hervor, welche gerade in ihrer Umgebung stärker ergriffen sich zeigt. Vereiternd bersten die Follikel; sie hinterlassen ihrer Größe entsprechende Geschwüre, welche allmählich nach den Seiten und in die Tiefe übergreifen, zusammenfließen und unregelmäßige diphtheritische Ulcerationen bilden können. DerVorgang kann sich über große Flächen erstrecken; er hat die schwersten Formen des Katarrhs im Gefolge, Peritonealreizung fehlt selten; ausnahmsweise kommt es zur Perforation des Darms oder bei der Heilung zur narbigen Stenose desselben. In leichteren Fällen bleibt jedenfalls eine Pigmentierung an den Stellen der vernichteten Follikel, häufig genug Atrophie der Schleimhaut zurück. Für die Erkrankung charakteristisch sind Miufig sich wiederholende, von Tenesmus begleitete diarrhöische Entleerungen; jede einzelne ist gering, aber die Menge des so innerhalb eines Tages Herausbeforderten wird immerhin beträchtlich. Man findet in dem Stuhl regelmäßig viel Schleim und in diesem helle, durchsichtige Klümpchen, gequollenen Sagokörnchen ähnlich; in frischen Fällen ist jedes von einem schmalen Streifen roten Blutes umgeben. Kotgeruch und Kotfarbung sind vermindert, manchmal für lange Zeit nahezu ganz verschwunden; gallige Färbung zeigt sich dann nicht selten. — Kam es zur ausgedehnten Bildung diphtheritischer Geschwüre, dann treten Exsudatfetzen und größere Eitermengen auf, aashafter Gestank pflegt damit einherzugehen. — Der Leib ist meist eingesunken und im Verlaufe des Dickdarms gegen Druck empfindlich, die Inguinal- und Mesenterialdrüsen sind geschwellt, die Ernährung leidet immer schwer: trockene Haut, große Blässe, Abmagerung sind bei etwas längerer Dauer konstante Erscheinungen. Fieberbewegungen sind von dem Grundleiden bedingt; an sich führt der Follikularkatarrh nicht dazu. — Der Verlauf ist nur ausnahmsweise — es dürfte sich das auf die Infektionsformen beschränken — ein akuter; schon innerhalb einer Woche kann Heilung erfolgen. Gewöhnlich handelt es sich um ein überaus langwieriges Leiden, das mit Schwankungen zwischen Besser- und Schlimmerwerden Monate dauert. Genesung bleibt der häufigere Ausgang, immerhin vergeht lange Zeit bis zur vollständigen Wiederherstellung des Kräftezustandes, die Gefahr des Recidivs droht Jahre hindurch. Der Tod erfolgt unter den Zeichen schwerster Abzehrung; amyloide Entartung, Tuberkulose, bei Kindern das Hydrocephaloid geben nicht selten, sich im Verlaufe des Leidens entwickelnd, dazu die nächste Veranlassung. — Die Prognose darf niemals anders als zweifelhaft gestellt werden. — Die Behandlung ist zunächst eine streng diätetische nach den früher ausgesprochenen Regeln: ausreichende, aber möglichst wenig Kot bildende Nahrung. Längeres Bettliegen mit warmen Einpackungen des Unterleibes ist unerläßlich. Ausspülung des Dickdarms durch Infusion von t Liter körperwarmen Wassers mit Kochsalzzusatz (ungefähr 1/2 °/0) kann täglich etwa viermal vorgenommen werden, sie wird fast immer als große Wohlthat empfunden. Bei dem Erwachsenen läßt man unmittelbar nachher ein Suppositorium mit 0,05 g Extr. opii einführen; man reicht gewöhnlich mit etwa
Follikularkatarrh. Entzündungen in der Fossa iliaca.
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vier den Tag aus, um die Häufigkeit der Entleerungen auf ein erträgliches Maß zu beschränken. Wird der Stuhl wieder kothaltig und breiig, dann gehe man mit der Opiumgabe herab und verleibe dieselbe, wenn sie nur einmal nötig, gegen Abend ein, um mit der Darmruhe den Schlaf zu sichern. Ebenso ist es mit den Spülungen zu halten. Sind die schwersten Erscheinungen von Darmreizbarkeit vorüber, dann empfiehlt es sich, das Oleum terebinthinae auf die kranke Schleimhaut unmittelbar wirken zu lassen. Man spült anfangs mit einer dünnen Emulsion (1 Teil des Mittels auf 1000 Wasser bei Zusatz von 5 g Gummi), später kann man kleinere Mengen — 100—200 g einer Emulsion, die bis zu 1 °/0 Terpentinöl enthält — langsam einfließen und länger verweilen lassen; nicht häufiger als einmal den Tag. — Für die örtliche Anwendung sind alle Adstringentien, besonders lebhaft das Argentum nitricum empfohlen (0,5—1 g auf 1000 Wasser) — Terpentinöl dürfte dieselben weitaus übertreffen. § 202.
Entzündungen in der Fossa iliaca.
Die vom Darm ausgehenden E n t z ü n d u n g e n in d e r F o s s a i l i a c a (Typhlitis, Perityphlitis, Entzündung des Processus vermiformis) werden am besten, wie üblich, gemeinschaftlich besprochen. Es handelt sich um das Coecum mit dem Processus vermiformis und um einen Teil des Colon ascendens; diese sind mit der Fascia iliaca durch lockeres Bindegewebe verbunden, welches sich nach oben bis zur Nierengegend, nach unten bis zum Rectum und dem Cruralkanal erstreckt, nach vorn bis an das Peritoneum heranreicht. An seiner hinteren Fläche hat das Coecum keine Peritonealbekleidung. Die von hier ausgehenden Entzündungen sind daher extraperitoneale, verbreiten sich aber in dem der Fascia iliaca aufliegenden Bindegewebe (Perityphlitis). An den vom Peritoneum bedeckten Teilen des Coecum ruft die Fortleitung der Entzündung hingegen Peritonitis hervor; ebenso geschieht das bei Yerschwärung oder bei Durchbruch des Processus vermiformis. Praktisch ist diese Scheidung iveniger von Wert, da fast immer beide Formen nebeneinander vorhanden sind und eine die andere nach sich zieht. — Der Darm befindet sich an den betreffenden Stellen im Zustand der Entzündung mit oder ohne Geschwürsbildung, seine Entzündung greift unmittelbar auf die Nachbarschaft über, vorhandene Geschwüre können durchbrechen, der entleerte Inhalt des Darms wirkt dann als heftiger Reiz auf die Nachbarschaft, Eiter- oder Jauchebildung erzeugend. So entstehen allgemeine Peritonitis und Vereiterung des retroperitonealen Bindegewebes mit Eitersenkung in der durch die Ausbreitung der Bindegewebszüge vorgezeichneten Richtung. Die Abscesse können in die Nachbarschaft durchbrechen und an den verschiedensten Punkten (Blase, Uterus, Vagina, Darmschlingen, Hüftgelenk, vordere Bauchwand, Zwerchfell) zum Vorschein kommen. Irgend ausgedehntere Entzündungen und Verschwärungen führen bei ihrer Heilung zu Verwachsungen der Darmschlingen untereinander und mit der Nachbarschaft, auch wohl zur Verengerung des Coecums durch Narbenschrumpfung. Die nächste Veranlassung zur Entzündung giebt die Anhäufung von reizenden Fremdkörpern innerhalb derjenigen im Bereich der Fossa iliaca gelegenen Darmteile, deren Bewegungen wenig ausgiebige sind — die Stagnation harter Kotmassen ist in erster Linie zu nennen. Auch die Perforation des verschwärenden Wurmfortsatzes wird durch hineingelangte, sich vielleicht kalkig inkrustierende Fäkalbestandteile weitaus häufiger bedingt, als durch die gewöhnlich angeklagten
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Krankheiten des Magens und Darms.
Fremdkörper (Obstkerne u. s. w.). Es versteht sich, daß die aus spezifischer Infektion hervorgegangenen Geschwürsbildungen (typhöse, dysenterische, tuberkulöse) diese Entzündungsformen zu erzeugen imstande sind; immerhin nicht oft. Man darf sagen, daß chronische Obstruktion eine große Prädisposition verleiht; daher sind auch diese Vorgänge bei Männern häufiger, als bei Weibern — etwa im Verhältnis von 4 zu 1. — Perityphlitis tritt sekundär durch Eitersenkung oder Entzündungsfortleitung aus der Nachbarschaft (Wirbelkaries, Psoitis), seltener metastatisch ein; ob sie durch Erkältung hervorgerufen werden kann, scheint zweifelhaft. Die Symptome erlauben nicht die Aufstellung eines während seiner ganzen Entwicklung scharf abgeschlossenen Krankheitsbildes. Man muß zwischen plötzlichem und allmählichem Entstehen scheiden; letzteres ist das häufigere. Der Durchbruch vom Wurmfortsatz scheint freilich den bisher Gesunden mit einem Schlage in die schwerste Krankheit zu werfen. Fragt man aber genauer nach, dann ergiebt sich fast ausnahmslos, daß wenigstens Unregelmäßigkeit der Stuhlentleerung und leichte Leibschmerzen mit vorwiegender Beteiligung der rechten Unterbauchgegend vorhergegangen sind. Der Eintritt der Perforation selbst wird durch alle Zeichen einer akut entstandenen Peritonitis (§211) gekennzeichnet. — Gewöhnlich verhält sich die Sache anders. W e r an chronischen Obstruktionen leidet, hat das Gefühl dafür, welche Empfindungen ein normal beschaffener Darm vermittelt, eingebüßt. Etwas Leibschneiden, Druck, Spannung, Unbehaglichkeit sind für ihn gewohnte Dinge; auch ob wirklich ausreichende Stuhlentleerung erfolgte, weiß er nicht. Meist wird angegeben, daß in letzter Zeit Durchfall vorhanden gewesen sei — bedingt von der durch die Kotverhaltung gesetzten Schleimhautentzündung — ein für den Laien sicheres Zeichen einer gar über das Notwendige hinausgehenden Darmentleerung. Erst heftiger Schmerz, der zuerst auf die rechte Unterbauchgegend beschränkt ist, sich bei stärkeren Atembewegungen, besonders Hustenstößen, oder auch bei dem Gehen steigert, zeitweilig zu Kolikanfällen anschwillt und sich nachher über den ganzen Bauch verbreitet, macht den Kranken aufmerksam, daß doch wohl eine Änderung in seinem Befinden erfolgt sei. Mit diesem Schmerz tritt fast stets Fieber auf, durch Frösteln oder Schüttelfrost eingeleitet, Erbrechen, häufiges Aufstoßen, Appetitlosigkeit gesellen sich hinzu, der Stuhl kann immer noch dünnflüssig sein, meist aber ist derselbe angehalten. Die objektive Untersuchung ergiebt Druckempfindlichkeit — selbst bei verhältnismäßig unbedeutender Entzündung ist dieselbe recht hochgradig — welche von dem Mittelpunkt der Erkrankung aus allmählich abnehmend sich über einen mehr und minder großen Teil des Leibes erstreckt. Man sieht den Darm in der Cökalgegend aufgetrieben, und eine auf diese beschränkte Hervorwölbung bilden (erst bei weiterer Ausbreitung der Entzündung geht dieselbe über diesen Bezirk hinaus^; man fühlt größeren Widerstand bei der Betastung, welche durch die flach aufgelegte nicht drückende, nur fühlende Hand selbst bei ausgebildeter Peritonitis dem schonend Verfahrenden ohne den Kranken zu quälen möglich ist. Die Perkussion ist ein viel schmerzhafteres Untersuchungsmittel; aus dem dumpferen Schall, den sie liefert, ist ohnehin nicht viel zu entnehmen. Kommt es zur Bildung eines Exsudats, dann fühlt man die umschriebenen Härten, plattenförmig und mehr der Oberfläche genähert, wenn das Peritoneum beteiligt ist, oder als nicht genau abzugrenzende Härten in der Tiefe, falls das retrocökale Bindegewebe infiltriert wurde; auch der in seinen Wandungen verdickte Darmteil wird wahrnehmbar. Es empfiehlt sich, daß man anfangs so
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wenig wie möglich örtlich Druck anwende; erst wenn die Empfindlichkeit nahezu verschwunden ist, mag man durch genaueres Untersuchen über den Umfang des entzündlichen Ergusses sich bestimmte Aufklärung verschaffen. Von Einzelheiten ist hervorzuheben: Fieber ist fast immer vorhanden; nur der Shock, welcher einer rasch sich ausbreitenden allgemeinen Peritonitis folgt, kann Kollaps mit verminderter Körperwärme hervorrufen. Gewöhnlich gehen die Temperaturen nicht über 40 sie bewegen sich zwischen 38° — 39° nachdem das Einsetzen der Peritonitis überstanden wurde. Wiederholte Schüttelfröste mit 41 0 und nachherigem Abfall vielleicht bis unter die Norm weisen darauf hin, daß eine allgemeine septische Infektion vom Bauchfell aus stattfand. Die vermehrte Resistenz ist oft durch reflektorische Muskelspannung bedingt; ebenso kann sie durch Kotanhäufung oder Gasblähung des unterliegenden Darms hervorgerufen werden, sie ist daher kein pathognomonisches Zeichen der Exsudatbildung. Bei cmsgesjyrochener Peritonitis
achte man auf die Blase; Harnretention k o m m t
durch Entzündung ihres Uberzuges hin und wieder vor. Verlauf und Ausgang sind wesentlich davon bedingt, wie ausgebreitet die Entzündung wird, und das wiederum ist von rechtzeitigem ärztlichem Eingreifen hier mehr als bei den meisten anderen Entzündungen abhängig. Eine frühzeitig erkannte Typhlitis, die zweckmäßig behandelt wurde, ist eine verhältnismäßig ungefährliche Erkrankung, eine ausgebildete läßt sich niemals mit Sicherheit prognostisch beurteilen, sie hat öfter den Tod, jedenfalls aber ein längeres Krankenlager im Gefolge. Dauernde Störungen, aus Verwachsungen oder den selteneren narbigen Schrumpfungen hervorgegangen und mit großer Neigung zur Stuhlverstopfung verbunden, bleiben kaum je aus. Becidive sind daher ganz gewöhnlich. Die Prognose ist immer nur im Einzelfall zu bestimmen. — Daß die richtige Diagnose beizeiten gestellt werde, ist von der größten Bedeutung. Man muß, wenn über Leibweh und Durchfall geklagt wird, stets eine örtliche Untersuchung vornehmen, man darf sich nie auf die Angaben der Kranken verlassen und damit begnügen. Ebenso ist zu verfahren, wenn anhaltende Verstopfung vorliegt. Wer diese einfache Regel befolgt, wird viel Unheil verhüten. Differentialdiagnostisch ist besonders die Möglichkeit der Verwechslung mit Kottumoren hervorzuheben, welche im Coecum und Colon ascendens liegen: die geringere Empfindlichkeit gegen Druck, welche erlaubt, die teigige Beschaffenheit des Darminhalts oder die knollenartige Härte desselben festzustellen, die Beweglichkeit derselben, welche namentlich bei dünnen Bauchdecken leicht nachweisbar ist, sind besonders zu berücksichtigen. Ist neben der Kotanhäufung Reizung des Peritoneums vorhanden — ein nicht seltenes Vorkommen —, dann weist schon die große Schmerzhaftigkeit an Ort und Stelle darauf hin; Fieberbewegungen und die weitere Ausbreitung der entzündlichen Erscheinungen lassen keinen Zweifel. Zu Täuschungen können noch die selteneren Erkrankungen Veranlassung geben: Garcinome der betreffenden Darmteile, Intussusception des Darms, vielleicht auch Tumoren der retroperitonealen
und mesenterialen
Lymphdrüsen.
Zur Unterscheidung der einzelnen Formen der Entzündung in der Fossa iliaca genügt es zu bemerken, daß bei der Perityphlitis die Beweglichkeit des Beins gehemmt und schmerzhaft zu sein pflegt (Psoasbeteiligung), sowie daß etwaige
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Abscesse in der Tiefe liegen und vom Darm bedeckt sind. — Die Typklitis geht mit mehr oberflächlichen, scheibenförmigen Exsudationen einher; ob der wurmförmige Fortsatz beteiligt sei, ist kaum mit Bestimmtheit zu erkennen, nur die Erfahrungstatsache, daß er in der Mehrzahl der mit plötzlicher einsetzenden schweren peritonitischen Erscheinungen auftretenden Fällen die Veranlassung dazu gab, ist hervorzuheben. Die Behandlung muß sich streng an den Grundsatz binden, daß V e r h i n d e r u n g d e r D a r m b e w e g u n g das einzige Mittel ist, um eine bestehende Entzündung auf ihren Herd zu beschränken, eine drohende Perforation durch Verklebung des betreffenden Darmteils mit der Nachbarschaft zu verhüten, die bereits geschehene durch ebendenselben Vorgang möglichst unschädlich zu machen. Es ist daher das Opium in einer solchen Menge und in der Form zu geben, daß der Barm ganz unbedingt ruhig gehalten wird. Man lasse bei Diarrhöen, welche von dem sekundären Katarrh des Dickdarms abhängen, Suppositorien mit 0,05 g Extr. opii so lange einführen, bis dieselben aufgehört haben; meist reichen zwei davon in einem Zwischenraum von 2—3 Stunden gegeben aus, um auch die heftigen, mit Tenesmen verbundenen Durchfälle zu beseitigen. Später wendet man die Suppositorien nur dann an, wenn sich wieder Stuhldrang zeigt; also nicht schablonenmäßig, so und so viel Stück pro Tag. Dasselbe gilt für die Darreichung des Opium per os: eine größere Gabe (40 Tropfen der Tr. simpl.) zu Anfang — nachher, aber nur wenn• sich der Schmerz erneut, 10—12 Tropfen; gegen das Ende der Erkrankung kommt man mit 5 Tropfen aus. — Es ist zweckmäßig bei bestehendem Durchfall und stärkerer Kolik gleich beide Formen der Einverleibung zu vereinigen; bei Anämischen, bei Schwachen kann man die Gabe der Tinktur immerhin etwas geringer wählen, stets aber muß vollständige Darmruhe mit Aufhören der spontanen (Kolik-) Schmerzen erzielt werden. Ein gewisser Grad allgemeiner Intoxikation läßt sich anfangs vielleicht nicht vermeiden; das kommt aber hier, wo es um Leben oder Tod geht, sicherlich nicht in Betracht. Im ganzen gebraucht man bei dieser Art der Opiumdarreichung, welche den Kranken selbst zum Urteiler über die Gabengröße macht, sehr geringe Mengen, sobald man durch ausreichende Erstgaben wirkliche Darmruhe herbeigeführt hat. — Ist schon allgemeine Peritonitis da, ist der Kranke unbesinnlich oder sich wegen schweren Kollapses seiner Empfindungen nicht klar bewußt, dann versteht es sich von selbst, daß man sich nach dem Gefühl desselben nicht mehr richten kann. Es ist auch dann an dem Grundsatze festzuhalten, daß man die Opiumdosen nicht verzettele. Eine Eisblase oder, wenn diese zu sehr drückt, gefrorene Umschläge auf die besonders empfindlichen Teile des Leibes sind immer anzuwenden. — Der Kranke hat, solange schwere peritonitische Erscheinungen vorhanden, seine Lage im Bett möglichst unverrückt beizubehalten, Veränderungen derselben müssen langsam geschehen ; namentlich nach Perforationen ist hierauf mit aller Strenge zu halten. — Nahrung darf nur in kleinsten Mengen zugeführt werden; bei irgend erheblichen Zeichen von Peritonitis beschränke man dieselbe für die ersten Tage auf Eissttickchen. — Das Opium macht die Entziehung der Nahrung durchaus erträglich. Später ist auf möglichst wenig Kot bildende Stoffe Rücksicht zu nehmen. Man scheue sich nicht, den Kranken länger hungern zu lassen, wenn es nötig ist, das heißt, wenn die Peritonitis noch nicht genügend abgegrenzt erscheint. Ebenso ist es d u r c h a u s e r f o r d e r l i c h , daß man keine Versuche mache, eine
Entzündungen in der Fossa iliaca.
Proktitis und Periproktitis.
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Stuhlentleerung zu erzwingen. Ist einmal die Notwendigkeit der Opiumbehandl u n g erkannt und ist diese eingeleitet, dann lasse man sich unter keinen Umstäniden dazu verleiten, Abführmittel zu geben; selbst dann nicht, wenn drei und vier Wochen lang keine Entleerung erfolgt. Es ist höchstens gestattet, durch Waissereingießung in den Mastdarm die freiwillig geschehende Ausleerung zu erleichtern. Diese leitet sich ein, sobald die peritonitischen Erscheinungen zurückgehen, sie ist ein Zeichen der Funktionstüchtigkeit des Darms, auf das man ruhiig zu warten hat. — Ist so die erste Darmentleerung erfolgt, dann kann man für die Folgezeit durch Abführmittel nachhelfen. Etwas anderes ist es damit, ob anfangs bei einer bestehenden Kotanhäufung im Coecum, welahe als Ursache der Darmentzündung betrachtet werden kann, die Beseitigung derselben, damit des von ihr geübten Entzündungsreizes und so die Unterdrückung des ganzen Leidens durch Abführmittel geboten ist. Nur wenn die Erscheinungen der Peritonitis fehlen, wenn höchstens unbestimmtes, dumpfes Wehgefühl bei Druck vorhanden ist und kein Fieber besteht, ist das erlaubt. Man lasse eine gehörige Menge (30 g) Rizinusöl nehmen, in diesem Fall das beste unter den Abführmitteln; eine Wassereingießung oder wenn nötig ein Klysma mit 50 g Rizinus- und einem Tropfen Krotonöl kann bei harten Kotmassen als gutes Unterstützungsmittel dienen. Im zweifelhaften Fall ist die Opiumbehandlung unbedingt vorzuziehen; wird sie in der angeratenen Weise eingeleitet, dann kann schon nach 24 Stunden die Beendigung des ganzen Vorganges eintreten; ein spontan erfolgender Stuhl zeigt das an.
Die Behandlung der Folgezustände und Komplikationen hat nach den dafür geltenden Regeln zu geschehen. § Proktitis und Periproktitis. Die E n t z ü n d u n g des M a s t d a r m s (Proktitis) u n d s e i n e r U m g e b u n g (Periproktitis) entsteht meist durch den Reiz, welchen angehäufte harte Kotballen auf die Schleimhäute üben. Wiederum ist habituelle Stuhlträgheit das prädisponierende Moment. Außer dieser kommen alle Zustünde, welche den Kreislauf im Gebiet der unteren Hohlvene und besonders in der Pfortader erschweren, in Betracht. Man rechnet weiter zu den hier einwirkenden Schädlichkeiten mit zweifelhaftem Recht Erkältungen, die auf zugigen Abtritten erfolgen sollen, mit gutem Verletzungen durch die Spitzen von Klystierspritzen, durch Fremdkörper, welche aus eigentümlichen Gründen freiwillig eingeführt wurden, durch den zur Päderastie eindringenden Penis, ferner Entzündungen, welche durch die Oxyuren oder durch das gonorrhöische und syphilitische Gift veranlaßt sind. Als Folge von Geschwürsbildung, der Entwicklung von Pseudoplasmen, der Fortleitung entzündlicher Vorgänge aus der Nachbarschaft — die Geschlechtsorgane bei Mann und Weib geben dazu neben den aus höheren Darmabschnitten herabsteigenden Katarrhen wohl am häufigsten Veranlassungo — kann weiter die Proktitis sich ento wickeln, sie mag dann immerhin als sekundäre benannt werden. — Periproktitis wird durch die gleichen Verletzungen, durch Übergreifen entzündlicher Veränderungen vom Darm, aber auch von den Beckenknochen und den Beckenorganen her, und durch Senkungsabscssee herbeigeführt. Die anatomischen Veränderungen bestehen in Verdickung und Wulstung der Mucosa, die mit reichlicher Schleimbildung verbunden ist. Bei den chronischen Formen ist ausgedehnte Pigmentierung der Schleimhaut sehr gewöhnlich; die Venen des Mastdarms sind bei diesen in der Regel erweitert, allgemein oder streckenweis stärker mit Blut gefüllt, sie ragen in das Darmlumen hinein oder
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Krankheiten des Magens und Darms.
über den After hervor; ihre verdünnte Wand kann leicht bersten, Blutung ist daher sehr häufig. Akuter Katarrh des Mastdarms verläuft mit heftigem, auf Kreuz- und Steißbeingegend lokalisiertem Schmerz, welcher mit starkem Stuhlzwang verbunden ist. In den Entleerungen, welche den beständig vorhandenen Schmerz erheblich steigern, findet sich immer eine beträchtliche Menge von Schleim und sehr gewöhnlich wenigstens etwas Blut. Die Fäces selbst sind oft ungewöhnlich hart und dem Schafkot ähnlich, andere Male wenig von der Norm abweichend oder dünnflüssig. Nicht selten zeigen sich die über den After hervorragenden Venenanschwellungen (Hämorrhoiden), welche bei Berührung sehr empfindlich sind. Auch das Einführen des Fingers, des Klystierrohrs oder gar eines Mastdarmspiegels ist von starkem Schmerz begleitet, durch den heftigen Krampf des Sphinkters sogar bisweilen unmöglich. Mastdarmvorfall ist, besonders bei Kindern, eine häufige Erscheinung. —• Wenn nicht Periproktitis sich hinzugesellt, oder andere Gründe dazu veranlassen, fehlen Fieberbewegungen. Dagegen leidet das Allgemeinbefinden, dann besonders, wenn durch den anhaltenden Stuhlzwang der Schlaf gestört wurde. Die langsamer verlaufenden Formen zeichnen sich gleichfalls durch einen anhaltenden, dumpfen und drückenden Schmerz aus, welcher zeitweilig, namentlich während der Entleerung härterer Kotmassen, beträchtlich gesteigert wird. Die Schleimabsonderung ist fast immer so erheblich vermehrt, daß man mit Recht von Blennorrhoe spricht. Geschwollene Venen und Prolapsus ani stellen sich bei längerer Dauer und erheblicheren Graden des Leidens regelmäßig ein; mindestens nach den Entleerungen ist Stuhlzwang zugegen. Es kann zur förmlichen Lähmung der Sphinkteren kommen, dann fließen schleimig-blutige Massen beständig ab. — Die Periproktitis verrät sich durch eine dem Auge oder dem Gefühl wahrnehmbare Härte, beziehungsweise Geschwulst in der Umgebung des Mastdarms, die sehr druckempfindlich ist und sich mehr oder weniger hoch nach oben erstreckt. Eiter, welcher zu Herden zusammenfloß, zeigt Fluktuation. Solche Abscesse entleeren sich nach außen oder nach innen in den Darm hinein. Selbst wenn eine unmittelbare Verbindung mit dem Darm nicht besteht, hat der immer mit Gewebsfetzen vermischte Eiter deutlichen Kotgeruch. — Die Bildung von Mastdarmfisteln der verschiedenen Formen ist nicht selten; Periproktitis kann aber auch durch Zerteilung heilen. — Die subjektiven Beschwerden sind durch die, jede eiterbildende Entzündung begleitenden Empfindungen von Hitze, Klopfen u. s. w., sowie durch die Einwirkungen auf den Mastdarm — Raumbeengung, Stuhlzwang, Schmerz bei der Entleerung — bedingt. Fieberbewegungen fehlen wohl nie. Die Gefahr pvämischer Infektion liegt bei ausgedehnten Eiterbildungen nahe. Akute Katarrhe können im Laufe von Tagen oder in höchstens einigen Wochen heilen, die chronischen sind hartnäckig; je nach der Möglichkeit, die veranlassende Ursache zu entfernen, ist ihre Dauer auf Monate oder Jahre zu bemessen. — Bei der Diagnose hat man besonders darauf zu achten, daß bösartige Neubildungen, welche länger nur die Zeichen chronischer Proktitis darbieten, nicht übersehen werden; das gleiche gilt von den Geschwürsbildungen. — Die Prognose richtet sich ganz nach dem Grundleiden; bei ausgedehnter Vereiterung des Zellgewebes ist dieselbe mit Zurückhaltung zu stellen. Die Therapie hat in erster Linie etwa zu beseitigende Veranlassungen der
Proktitis und Periproktitis. Stuhlverstopfung.
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Katarrhe wegzuräumen. Nicht nur Fremdkörper im eigentlichen Sinne, auch verhärteter Kot kann bei vorhandenem Sphinkterenkrampf die Chloroformnarkose und die mechanische Entfernung mittels der Finger oder durch Instrumente erforderlich machen. Meist genügt dazu freilich die Eingießung reichlicher Mengen warmen Wassers. Dieses lasse man langsam und mit Vermeidung zu hohen Druckes (1 Meter genügt unter allen Umständen), welcher den Darm unnötig reizt, einströmen. Es tritt dadurch eine allmähliche Erweichung des, Kotes ein, der sich nun durch die Peristaltik in Bewegung setzt. Abführmittel sind öfter entbehrlich; will man davon Gebrauch machen, so greife man zunächst zum Rizinusöl und zu den Mittelsalzen. — Ist der Darm leer gemacht, dann ist im allgemeinen nach den bei Follikularkatarrh des Darms (§ 201) empfohlenen Regeln weiter zu behandeln. Es ist nur hinzuzufügen, daß, da die Anhäufung von härterem Kot im Mastdarm vermieden werden muß, die Darreichung der Abführmittel längere Zeit notwendig werden kann. Bettruhe ist durchaus erforderlich; warme Sitzbäder können große subjektive Erleichterung bringen. Solange die Erscheinungen der Entzündung heftiger sind, hüte man sich davor, reizende Substanzen irgend welcher Art mit der Mastdarmschleimhaut in Berührung in bringen. Anders bei chronischen Zuständen, namentlich den Blennorrhöen. Außer dem Oleum terebinthinae findet hier das Zincum sulfocarbolicum in l j 2 , höchstens 2°/o Lösung Anwendung. — Bei Prolapsus ani, bei entzündeten Hämorrhoidalknoten, bei der Entwicklung von Periproktitis ist nach den von der Chirurgie gegebenen Vorschriften zu verfahren, welche auch für die Behandlung der in deren Gefolge auftretenden Nachkrankheiten maßgebend sind. §
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Stuhlverstopfung.
D i e S t u h l v e r s t o p f u n g verdient, obgleich sie nur eine funktionelle Störung ist und ganz verschiedene anatomische Veränderungen ihr zu Grunde liegen, dennnoch wegen ihrer praktischen Wichtigkeit eine besondere Besprechung. — Schon unter ganz normalen Verhältnissen ist das Bedürfnis, den Darm zu entleeren bei dem einzelnen ein zeitlich so verschiedenes, daß sich bestimmte Regeln darüber, wo die pathologische Störung anfangt, nicht aufstellen lassen. Meist genügt es, die subjektiven Beschwerden, das Auftreten von Krankheitsgefühlen als Anhalt zu wählen, allein bei hypochondrisch Verstimmten reicht man damit nicht aus. Hier ist es erforderlich, sich nach objektiven Krankheitszeichen umzusehen; wo solche fehlen, muß man eine ungefähre Schätzung eintreten lassen, .welcher die Art der Nahrung und die Menge der entleerten Fäces zu Grunde zu legen ist. Die Ätiologie lehrt, daß die individuelle Disposition, welche vielleicht durch Vererbung übertragen wurde, eine große Bedeutung hat. Es scheint, daß die motorische Schwäche des Darms vererbbar ist und dann schon in den ersten Lebensjahren sich zeigt. Außer dieser immerhin nur für die Minderzahl der Fälle geltend zu machenden Ursache sind die vielfachen Sünden gegen eine vernünftige Lebensordnung zu nennen. Manches von dem, was bei der Besprechung der Dyspepsie (§ 192) angeführt wurde, trifft auch hier zu. Besonders ist auf die Beschaffenheit des Genossenen hinzuweisen: Alles, was schwer verdaulich, größere Rückstände hinterläßt, begünstigt die Verstopfung, da vermehrte V. J ü r g e n Ben, Spez. Path. n. Ther
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Krankheiten des Magens und Darms.
Ansprüche an die Muskulatur des Darms durch die größere Masse des zu Bewegenden ohne weiteres gegeben sind. Das gleiche tritt ein, sobald an sich Leichtverdauliches in einer Form den Yerdauungsorganen zugeführt wurde, welche dessen Auflösung erschwert. — Von besonderen weiter verbreiteten Fehlern sind zwei hervorzuheben, welche häufig bei dem weiblichen Teil der besseren Stände beobachtet werden: die nicht ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit zuerst. Sehr oft werden so geringe Mengen Wassers genossen, daß dieselben trotz dem in den Speisen enthaltenen unzureichend sind. Da nun aber der Körper seiner Hauptmasse nach aus Wasser besteht und da der Bestand seiner Organe an einen bestimmten Wassergehalt gebunden ist, nimmt er dasselbe bei ungenügender Zufuhr von überall her. So werden denn auch die Fäces mehr eingedickt als sonst, dadurch fester und schwerer beweglich. — Der zweite Fehler liegt auf ganz anderem Gebiete: die etwas prüde erzogenen jungen Mädchen sind geneigt, den A k t der Defäkation als eine Verunreinigung anzusehen. Sie suchen so selten wie möglich sich einer solchen auszusetzen und gewöhnen sich allmählich daran, den Darm mit Kot gefüllt zu lassen. Es kommt hinzu, daß — eine verständliche, aber wenig gesundheitsgemäße Äußerung des Schamgefühls — die etwaige Möglichkeit, bei dem Aufsuchen des Abtritts gesehen zu werden, genügt, um den Versuch zu unterlassen. — Von vornherein sollte man annehmen, daß die Frauen, deren Beckenverhältnisse, deren schwächer entwickelte Bauchpresse, namentlich nachdem Geburten stattfanden, die Darmentleerung schwerer vor sich gehen lassen, mehr als Männer zur habituellen Verstopfung neigten. Dennoch ist dem nicht so, Männer leiden daran häufiger. Es mag das damit zusammenhängen, daß Unregelmäßigkeiten der Lebensweise bei ihnen, den erwerbenden und von den Außenverhältnissen mehr abhängigen viel häufiger sind. — Als Symptom zeigt sich Obstruktion bei: 1. Hirn- und Rückenmarkskrankheiten — wahrscheinlich handelt es sich um Schwächung der Innervation von den die Darmbewegung beherrschenden Centren aus. 2. Allen den Krankheiten, welehe die Blutbewegung im. Unterleib erschweren, seien es nun solche der Leber, oder solche des Herzens und der Lunge. Ungenügende Absonderung der Verdauungssäfte mit der daraus hervorgehenden unzureichenden Verarbeitung der eingeführten Nahrung dürfte ebenso, wie die mangelhafte Bliitversorgung der arbeitenden Muskulatur des Darms selbst in Betracht kommen. 3. Mechanischen Hindernissen, die zur Verengerung oder gar zur Verlegung des Darmrohrs führen. Geschwülste im oder am Darm, Verwachsungen desselben mit der Nachbarschaft, Achsendrehungen, Intussusceptionen desselben u. s. w. sind hier zu erwähnen. 4. Vermehrten Ausgaben von Wasser durch Haut, Nieren, Lunge neben nicht hinlänglicher Zufuhr desselben. Fieber, besonders ein mit starker Schweißbildung, einhergehendes wäre als Beispiel zu nennen. Von anatomischen Veränderungen kann nur die Rede sein, wenn die Obstruktion eine symptomatische ist. Höchstens könnte es zu erkennbaren Erweiterungen des Darmrohrs kommen, die dann wohl ausschließlich den Dickdarm betreffen. — Die Erscheinungen bestehen in den leichteren, nicht durch hypochondrische Verstimmungen gefärbten Fällen in dem Gefühl einer gewissen Schwere im Unterleib mit geringem Druck in der Gegend des Mastdarms und etwas Gasanhäufung in den Därmen mit bisweilen vermehrtem Abgang von Flatus. Steigern sich die Beschwerden, dann kommt es zu stärkerem Meteorismus mit gelinder Erschwe-
Stuhl Verstopfung.
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rung des Atmens; die Empfindung des Vollseins prägt sich deutlicher aus, besonders nach der Einführung von Speisen. Der Appetit ist nicht mehr ganz auf der früheren Höhe, dyspeptische Unbequemlichkeiten: ßuctus, Nachschmecken, Sodbrennen stellen sich ein, die körperliche Leistungsfähigkeit wird durch Unfrische beeinträchtigt, die geistige durch Verstimmung herabgemindert; etwas Kopfweh, wenigstens Benommenheit, und gestörter, wenig erquickender Schlaf sind häufig vorhanden. Eine ausgiebige Entleerung bringt alles das zum Schwinden. Erfolgt dieselbe nicht, dann werden die örtlichen Folgen deutlicher: Vermehrte Peristaltik im Dünndarm, mit Kolik verbunden, welche recht heftig wird, ja sogar als Visceralneuralgie sich zeigt, Unbehaglichkeit, nachher wirklicher Schmerz an den Stellen, welche der gestaute Kot einnimmt; Fieberbewegungen können dazu treten, freilich meist geringe — Temperaturen bis etwa 39 0 sind möglich. —• In den höchsten Graden zeigen sich alle Erscheinungen der Verlegung des Darms bis zum Erbrechen von kotigen Massen. (Siehe § 205) — Bei der objektiven Untersuchung findet man vermehrte Resistenz, besonders an denjenigen Teilen des Dickdarms, welche durch ihre Befestigung und durch ihre Lage der Fortbewegung der Kotsäule größere Widerstände bieten: Coecum, S. Romanum, die Übergangsstelle vom Colon ascendens in das transversum. Namentlich tieferer Druck ist mehr oder weniger empfindlich. — Es gelingt meist, den Kottumor abzutasten. Derselbe zeigt sich als eine wurstförmige, harte höckrige, oder aber als eine weiche knetbare Masse, die immer einen gewissen Grad von Verschiebbarkeit, sei es seitlich, sei es dem Laufe des Darms entsprechend, nachweisen läßt. Größere Geschwülste geben bei der Perkussion dumpfen Schall. — Der gewöhnlich vorhandene Meteorismus kann übrigens die Untersuchung sehr erschweren. Verlauf und Ausgang richten sich ganz nach der veranlassenden Ursache. Gewöhnung kann zu hohen Graden von Toleranz des Darms führen, dadurch kann auch das Allgemeinbefinden der Norm nahe erhalten bleiben. Meist ist zu befürchten, daß eine länger dauernde Anhäufung von Kot Katarrh und Verschwärung der Schleimhaut des Darms nach sich zieht. — Für die Diagnose ist besonders auf die Möglichkeit hinzuweisen, daß Diarrhöe, bedingt durch Katarrh der unterhalb der Kotstockung gelegenen Darmteile, zu Verwechslung führen kann. Die dabei entleerten Massen zeichnen sich durch äußerst üblen Geruch, dunkle Färbung und durch die Beimischung krümlicher, dem Schafkot ähnlicher Massen aus. Kottumoren sind gewöhnlich so leicht erkennbar, daß es genügt, an die Möglichkeit ihres Vorkommens zu denken, um im gegebenen Fall keine Verwechslung, wenigstens keine dauernde, zu begehen. — Die Diagnose chronischer Obstruktion aber wird erst dann zu einer genügenden, wenn es gelingt, die Entstehungsweise derselben aufzudecken. Die Behandlung zunächst der Kotanhäufungen hat allerdings von dem Grundsätze' auszugehen, daß die Entfernung derselben nötig, also mit Abführmitteln vorzugehen ist. Allein Einschränkung ist mehrfach geboten. Zuerst ist. auf das bei der Typhlitis (§ 202) Ausgeführte zu verweisen, dann ist darauf aufmerksam zu machen, daß heftige peristaltische Bewegungen, die längere Zeit dauerten, eine Ermüdung der Darmmuskulatur im Gefolge haben, welche die unmittelbare Anwendung von Abführmitteln nicht zweckmäßig erscheinen läßt. Die gewöhnlichen Gaben derselben reichen hier nicht aus, die Kolik wird durch sie nur 39*
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Krankheiten dea Magens und Darms.
vermehrt; wieweit man über die übliche Gabe hinausgehen soll, ist von vornherein kaum mit einiger Sicherheit zu wissen. Will man Pferdekuren vermeiden, die sicher nicht ungefährlich sind, dann ist es richtiger, erst durch eine mäßige Menge Opium — 20 Tropfen der Tinktur — dem erschöpften Darm für eine Zeit vollkommene Ruhe zu schaffen. Nach Verlauf von etwa zwölf Stunden genügt, wenn nicht spontan Stuhl erfolgt, ein keineswegs seltenes Ereignis, ein Laxans in der gewöhnlichen Dosis. Man verordne Rizinusöl — 15 bis 30 Gramm per os, oder 30 bis 50 Gramm in Emulsion per Klysma. Sind keine starken Koliken vorangegangen, dann kann das natürlich gleich geschehen. — Meist ist eine Wiederholung nicht nötig. Dagegen wird man gut daran thun, noch einige Zeit sorgfältig die Entleerungen zu überwachen, und solche diätetische Vorschriften zu geben, welche die Wiederkehr der Kotstauung verhüten. Bei habitueller Stuhlverstopfung ist die Regelung der Lebens- und Ernährungsweise die Hauptaufgabe. Ein bestimmtes Maß von Wasserzufuhr und von Bewegung, ist unbedingt erforderlich. Im übrigen ist der Arzt so sehr von den sozialen Verhältnissen des bestimmten Klienten abhängig, daß er, von dem unmöglichen Besten absehend, oft genug sich damit begnügen muß, das unter den gegebenen Bedingungen Erreichbare anzuraten. Eines aber, und kein kleines, ist immer dringend zu empfehlen: Gewöhnung an eine bestimmte Stunde für die Stuhlentleerung. Gelingt es, diese Gewöhnung zu erzwingen, dann ist meist sehr viel erreicht. Die Zeit nach dem Frühstück ist die beste; man läßt nach dem Aufstehen ein Glas kalten Wassers trinken, läßt Raucher ihre Cigarre oder Pfeife anstecken, und rät, daß mit pedantischer Genauigkeit die bestimmte Minute eingehalten werde. Anfangs kann das Eingießen vorn ] l 2 —1 Liter Wasser in den Mastdarm unmittelbar vor dem Akte notwendig werden — man suche möglichst bald diese Nachhilfe entbehrlich zu machen. — Meldet sich nach mißlungenem Versuch nicht starker Stuhldrang, dann soll bis zum nächsten Morgen dessen Erneuerung unterbleiben. — Der Gebrauch von Abführmitteln ist selten zu entbehren; immer sei man darauf bedacht, denselben thunlichst zu beschränken. In Betracht kommen für den anhaltenden Gebrauch: 1. Mittelsalxe. Das künstliche Karlsbader Salz (2—4 Kaffeelöffel voll in ll2—1 Liter warmen Wassers gelöst, die Hälfte vor oder während des Aufstehens möglichst heiß zu trinken, dann nach dem Ankleiden ein Gang von %— Stunde, darauf die zweite Hälfte wiederum möglichst heiß) ist besonders beliebt und ein gutes Mittel. Fehlen Erscheinungen vom Magen aus, dann kann man 1 /4—V2 Stunde nach dem letzten Wassereinnehmen frühstücken lassen; bei langsamer Magenthätigkeit wartet man besser eine Stunde. 2. Kompositionen von Ekkoproticis in Pulverform, als deren Repräsentant das offizinelle Pulvis liquiritiae compositus gelten kann. Schwefel, Sennesblätter und Rheum, mit einem der abführenden Mittelsalxe: Natrium sulfuric. siccum oder Kalium bitartaricum gemischt finden sich in den Hämorrhoidalpulvern (R Nr. 60) als wirksame Bestandteile immer wieder. 3. Kompositionen der eigentlichen Drastica in Pillenform: Rheum in Verbindung mit Aloe, Jalajype oder Koloquinthen sind die Hauptmittel, auch Podophyllin gehört zu den guten, für längeren Gebrauch geeigneten Substanzen. Man verordne so, daß dem Kranken die Möglichkeit gewährt wird, je nach Bedarf mit der Dosis zu steigen oder zu fallen. Am besten giebt man ihm ein stärkeres und ein schwächeres Abführmittel, man weist ihn an durch Ausprobieren zu
Stuhl Verstopfung. Verengerung und VerschlielJung des Darms.
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ermitteln, wieviel starke mit wieviel schwachen Pillen er nötig hat, um nach deren Einnehmen am Abend den folgenden Morgen eine, höchstens zwei Ausleerungen zu bekommen (siehe: R Nr. 9, 57, 58). Ungefähre Gaben kann der Arzt bestimmen, aber die individuell zusagende Menge findet der Kranke selbst. Durch allmähliches Herabgehen, welches ja die verschiedene Stärke der verordneten Mittel erlaubt, kommt man so am schnellsten zurecht. Manche entwöhnen sich vollständig, bei anderen ist eine gelinde Nachhilfe dauernd erforderlich, besonders, wenn mechanische Hindernisse für die vollkommen freie Darmbewegung gegeben sind. Es ist in diesen Fällen erwünscht, hin und wieder das Mittel zu wechseln; freilich tritt keineswegs so leicht Gewöhnung ein, wie wohl behauptet wurde. — Zeitweilige Kotstauungen, deren Zustandekommen wesentlich dadurch erleichtert wird, daß die Hartleibigen kein rechtes Gefühl dafür haben, ob sie ausreichende Entleerungen bekommen, werden durch Rizinusöl beseitigt. — In schweren Fällen kann eine methodisch geleitete Kaltwasserkur, die Massage, vielleicht der Besuch eines Bades (Karlsbad, Kissingen u. s. w.) notwendig werden. § 205.
Verengerung und Verschliessung des Darms.
V e r e n g e r u n g u n d V e r s c h l i e ß u n g des D a r m s wird herbeigeführt: 1. Durch Ursachen, welche innerhalb des Darms liegen. Außer der Anhäufung :von Kot sind anzuführen die sogenannten Darmsteine (Calciumphosphat mit Tripelphosphat, Holzfaser, Pflanzenresten oder größeren Mengen von Fett, auch Albumin gemischt), Gallensteine, verschluckte Fremdkörper (Haarkugeln bei Geisteskranken und Hysterischen), endlich Neubildungen, meist bösartige, aber auch polypöse Wucherungen. Es gehören weiter hierher die Einstülpungen (Intussuscept.ionen, Invaginationen) und Narbenbildungen. 2. Durch Ursachen außerhalb des Darms gelegen. Einklemmung des Darms in Bruchpforten, oder durch Peritonealstränge, und durch Verwachsungen herbeigerufene Verzerrung desselben, endlich, der Druck von Nachbarorganen auf den Darm, seien es nun dislozierte oder durch krankhafte Vorgänge vergrößerte, sind hier aufzuzählen. 3. Für sich sind jene Lageveränderungen zu nennen, welche der Darm durch Achsendrehung und Knotenbildung erfährt. Der Häufigkeit nach folgen aufeinander: Invagination, im Kindesalter, besonders im ersten Lebensjahre öfter vorkommend; innere Einklemmungen durch Pseudoligamente, das Netz, Divertikel, den Processus vermiformis u. s. w., innere hernien, besonders die. Hernia diaphragmatica; weit abstehend, nur wenige Prozente ausmachend, reihen sich endlich die Achsendrehungen und Knotenbildungen an. — Männer werden häufiger als Weiber befallen. Das anatomische Bild ist in den rasch tödlich verlaufenden Fällen die Entzündung des Darms mit Ausgang in Gangrän an den Stellen, welche besonders schwer betroffen waren, und mehr oder minder ausgedehnte Peritonitis, vielleicht perforatorische. Bei langsamerem Verlaufe findet man oberhalb des Hindernisses' nicht selten eine Erweiterimg des Darms mit Hypertrophie seiner Muskulatur; die Entzündung des Peritoneums fehlt auch hier nicht, meist beschränkt sich dieselbe aber auf die Nachbarschaft des ergriffenen Teiles.
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Krankheiten des Magens und Darms.
Von Einzelheiten der Formen ist zu bemerken: 1. Einstülpung eines Darmteils in den benachbarten abwärts gelegenen Abschnitt (Intussusceptio, Invaginatio). Dabei tritt ein: 1. Ileum in Ileum (Ileuminvagination). 2. Colon in Colon (Koloninvagination). 3. Ileum in Colon mit vorantretender Valvula coli (Ileocöcalinvagination). 4. Ileum in Colon ohne Valvula coli (Ileocoloninvagination). — Weitaus am häufigsten ist die Ileocöcalinvagination. — Nach der Einstülpung kommen die beteiligten Darmabschnitte so zu liegen, daß sie eine dreifache Schicht bilden. Nach außen befindet sich der aufnehmende Darmteil (Scheide, Intussuscipiens), es folgt die mittlere, das Intussuseeptum, die Schleimhaut dieser beiden berührt sich, endlich folgt die innerste Schicht, deren Peritonealfläche der der mittleren anliegt. Das Mesenterium des Intussusceptum wird mit eingestülpt und liegt zwischen den einander zugekehrten Peritonealflächen der inneren und mittleren Schicht. Daher entwickelt sich eine Störung des Blutlaufs, welche schon bald nach der Einstülpung zu einer so starken Schwellung führt, daß der Darm unwegsam wird. Durch seröse Transsudaten und Blutung auf die Schicht der Schleimhaut kann diese Schwellung wieder zum Teil rückgängig werden, so daß wenigstens Gasen der Weg geöffnet ist. Auf dem mehr oder minder hohen Grade dieser Schwellungen beruht der Wechsel in den Erscheinungen — bald vollständige, bald nur teilweise Verlegung des Darms. Es kann übrigens die Stockung des Kreislaufs so hochgradig werden, daß — keineswegs selten — Brand folgt. 2. Außer Crural- und Inguinalhernien sind die des Zioerchfells noch am häufigsten. 3. Achsendrehungen treten öfter an der Flexura sigmoidea auf, seltener am Dünndarm. Schmalheit der Wurzel des Gekröses ist ihre anatomische Voraussetzung. 4. Knotenbildung ist zwischen S. Romanum und einer Schlinge des Ileum beobachtet. Es gehört dazu ein langes Mesenterium des Dünndarmteiles und eine schmale Wurzel für das Gekröse des Dickdarmabschnittes. Hat die Darmverengerung ihren Sitz in höher gelegenen Teilen, welche von noch vollkommen dünnflüssigen Massen durchlaufen werden, dann können alle Erscheinungen fehlen, natürlich nur so lange, wie die Stenose noch deren Durchtritt gestattet. Bei tieferem Sitz zeigen sich zunächst die Symptome der Stuhlträgheit. Man hat auf zwei Zeichen besonders zu achten, die für Darmverengerung einigermaßen charakteristisch sind. 1. Nicht immer, um so eher, je weiter gegen die Aftermündung hin das Hindernis gelegen ist, findet man bei aufmerksamer, über Tage fortgesetzter Beobachtung unter dem breiigen oder dünnen Kot einige Teile, welche die Form, die sie bei dem Durchtritt durch die Verengerung anzunehmen gezwungen waren, behalten haben; sie zeigen sich plattgedrückt oder cylindrisch und von kleinem Durchmesser (Bleistiftkot). 2. Oberhalb der Verengerung bauschen sich stärker geblähte Darmschlingen hervor, deren Bewegungen, sich deutlich sichtbar machend, auf einen bestimmten Raum beschränkt bleiben, wenn sie auch ebenso wie die Füllung des Darms mit Gas an Stärke sehr wechseln. Meist handelt es sich in den betreffenden Teilen des Darms um eine wirkliche Hypertrophie des Muscularis, deren vermehrte Arbeitsfähigkeit auch nach außen hin wahrnehmbar wird. Je enger die Stenose, je tiefer dieselbe gelegen, je weniger sorgfältig die Ernährung geschieht, desto leichter kann ein vollständiger Verschluß des Darms
Verengerung und Verachließung des Darms.
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mit allen seinen Erscheinungen auftreten. B e i langsamerem Verlaufe entwickelt s i c h das Krankheitsbild ähnlich dem bei der Koprostase (§ 204). Ganz anders bei plötzlich erfolgender Verlegung — es zeigt sich dann einigermaßen unabh ä n g i g von der veranlassenden Ursache: Leibschmerz, v o n unbeachteten A n f ä n g e n rasch zur heftigen Kolik steigend, Aufstoßen, Erbrechen, Auftreibung des Leibes, und trotz dringenden Bedürfnisses kein erleichternder Stuhlgang. D i e H a u t wird k ü h l , das Gesicht fällt ein, kalter Schweiß, Unruhe, B e k l e m m u n g , oberflächliche A t m u n g bei kleinem, häufigem Puls stellt sich ein. B a l d wird das Erbrochene, anfänglich aus Mageninhalt, dann nur aus schleimigen, g a l l i g gefärbten Massen bestehend, deutlich fäkulent (Ileus, Miserere). E s war vielleicht n o c h etwas Kot aus den jenseit des Hindernisses gelegenen Abschnitten entleert, auch dieses hört auf, und die Kranken beklagen, daß sie trotz ihres luftgefüllten Darms keine „Winde" auf dem natürlichen W e g e herauszufordern vermögen. Unter den Erscheinungen des schweren Kollapsus — meist sind die Zeichen einer ausgebreiteten Peritonitis deutlich geworden — g e h e n die bis zum E n d e besinnlichen Kranken elend zu Grunde. — W i r d der Darm w e n i g s t e n s teilweise für eine Zeit wegsam, dann löst ein B i l d das andere ab: es w e c h s e l n die vollausgebildeten Zeichen des Ileus mit denen der Stenose. Für die Einzelformen des Verschlusses ist einigermaßen charakteristisch: 1. Intussusception: Plötzlicher Anfang, heftiger Kolikanfall, der bei Kindern stunden-, bei Erwachsenen tagelang anhält, dann zeitweilig aufhört; bald zeigen sich starke, häufige, mit Tenesmus einhergehende Diarrhöen, die nach kurzer Zeit schleimig und blutig werden, ein wichtiges Zeichen gerade der Einstülpung. Eine cylindrische, wurstförmige Geschwulst ist bei der Ileocöcalinvagination gewöhnlich fühlbar, dieselbe zeigt sich in der Gegend des Colon transversum oder des linken Unterbauches, wechselt übrigens ihren Ort; sie kann tief in das Rektum einrücken und von hier aus fühlbar, sogar sichtbar werden. — Ausgänge: bei vollständigem. Verschluß, der gleich anfangs auftritt, Tod im Laufe von 3—7 Tagen durch Shock oder Peritonitis; Heilung: Gangrän der invaginierten Teile, Abstoßung derselben mit Herstellung einer gesicherten Verbindung zwischen oberem und unterem Dannteil durch Verwachsung derselben; meist 11—21 Tage nach der Entstehung der Invagination, aber bei chronischem Verlauf auch erst nach Monaten. Immer ist, bis vollkommene Verwachsung erfolgte und der Zusammenhang des Darmrohrs ganz hergestellt ist, der Tod durch Peritonitis möglich. — Es können Verwachsungen mit der Nachbarschaft oder Narbenbildung zurückbleiben, welche zur Stenose führen. — Der günstigste Ausgang durch die spontane oder künstliche Reposition der invaginierten Schlinge kommt vielleicht häufiger vor, als es den Anschein hat. 2. Die inneren Hernien sind bei ihren Einklemmungen selten charakteristisch. Eine Ausnahme macht die des Zwerchfells, wobei durch die Untersuchung die Anwesenheit eines lufthaltigen Hohlraums von wechselnder Ausdehnung und Wandspannung innerhalb des Thorax unter Umständen nachgewiesen werden kann. 3. Achsendrehungen mit Verschluß erfolgen oft erst, nachdem länger die Zeichen der Stuhl Verstopfung vorhergegangen sind; der Akt der Darmverlegung kennzeichnet sich durch äußerst heftige Erscheinungen des Shocks, blutige Diarrhöen kommen vor. Der Tod kann schon innerhalb der ersten 24 Stunden eintreten. Über den Sitz eines Hindernisses im Darm läßt sich im allgemeinen sagen: 1. Je höher im Dünndarm das Hindernis steckt, desto frühzeitiger treten schwerere Einklemmungserscheinungen auf, der Meteorismus ist gering oder fehlt ganz, das Erbrochene wird nicht fäkulent. Der Verlauf ist ein rascher. 2. Verschluß im unteren Dünndarm geht mit stärkerem Meteorismus und Kotbrechen einher, er bedingt gleichfalls einen raschen Verlauf. 3. Verschluß in den tieferen Teilen des Dickdarms führt zur weniger schnellen Entwicklung der Erscheinungen, meist auch zu minder stürmischem Verlauf. Der Meteorismus wird sehr hochgradig, das Erbrochene ist kothaltig. Die Prognose ist in allen Fällen, w o es sich nicht um vorübergehende V e r •legung oder zeitweiligen Verschluß durch entfernbare Fremdkörper handelt, e i n e
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Krankheiten des Magens und Darms.
sehr ernste. — Die Behandlung bei Darmverengerung hat dafür zu sorgen, daß eine möglichst wenig Rückstand lassende Nahrung eingeführt und daß die Anhäufung von Köt vermieden werde. Treten die Erscheinungen des Darmverschlusses ein, dann hat man sich zunächst durch die Untersuchung der gewöhnlichen Bruchpforten und durch die von dem Mastdarm, resp. von der Vagina aus davon zu überzeugen, ob etwa die Einklemmung einer Darmschlinge oder eine Invagination vorliegt. Dies sollte niemals unterlassen werden. Weiter ist bei dieser Untersuchung auf die Gegenwart etwaiger von außen her den Darm komprimierender Geschwülste, ebenso auf dessen Anfüllung zu achten. Stellt es sich heraus, daß von diesen Seiten her sich keine therapeutischen Indikationen ergeben, dann empfiehlt es sich dringend, durch Opium in genügend großer Gabe Darmruhe zu schaffen. So wird am besten der Peritonitis vorgebeugt oder die bereits vorhandene auf einen engen Raum beschränkt. Abführmittel jeder Art sind durchaus xu widerraten. Dagegen ist — immer nur bei vorher ruhig gestelltem Darm — der Versueh durch Einführung großer Mengen körperwarmen Wassers vom Rektum, aus, höher gelegene Abschnitte wieder wegsam zu machen, erlaubt. Die Eintreibung von Luft unter hohem Druck ist dazu weniger geeignet; man kann Perforationen des Darms mit Luftaustritt in die Peritonealhöhle und Pneumothorax selbst bei aller Vorsicht erleben. — Neuerdings hat KUSSMAUL die Ausspülung des Magens in jenen Fällen empfohlen, welche mit Kotbrechen einhergehen. Unter allen Umständen wird, den Kranken dadurch eine wesentliche Erleichterung geschafft und eine große Wohlthat erwiesen. Ob bei einigen Formen des Darmverschlusses ein günstiger Einfluß auf das Grundleiden ausgeübt werden kann, bleibt der weiteren Beobachtung anheimgegeben. — Als letztes Mittel, mit dem wohl meist zu lange gezögert wird, bleibt der operative Eingriff, welcher entweder sich damit begnügt, oberhalb der verengten Stelle einen Weg nach außen zu bahnen (Bildung eines künstlichen Afters) — oder die Bauchhöhle öffnet, um vielleicht durch Beseitigung des Hindernisses gründliche Hülfe zu bringen. § 206.
Neubildungen im Darm.
Es kommen im D a r m gutartige N e u b i l d u n g e n und bösartige vor. Die ersteren bestehen aus Bindegewebe und atrophischen, nicht selten cystisch entarteten Drüsen, sie nehmen die Form von Polypen an, sitzen oft im Rektum und gehen gewöhnlich aus chronischen Katarrhen hervor. — Außer diesen finden sich noch wesentlich aus Drüsengewebe bestehende gutartige Neubildungen, gleichfalls häufig in der Form von Polypen und mit dem Lieblingssitz im Rektum. — Von Pseudoplasmen trifft man: das Cardnom in den Formen des Adenocarcinoms, des Gallertkrebses, seltener des Medullarkrebses und des Skirrhus, endlich noch, jedoch nur im Rektum, das Melanocarcinom; Sarkom ist nicht häufig. — Der Dünndarm bleibt gewöhnlich (nur 4—5 °(0) verschont, verhältnißmäßig öfter stellen sich nur innerhalb des Duodenum Pseudoplasmen ein. Sie sitzen hier häufiger in der Gegend der Papille. Das Rectum ist vorzugsweise ergriffen (circa in 80 °/0), im Dickdarm ist es die Gegend der Flexuren. — Die Ausbreitung der krebsigen Wucherungen umfaßt meist ringförmig das ganze Darmrohr; sie greifen in die Nachbarschaft über und bilden Geschwülste, welche verengernd in das Darmlumen vorragen, aber bei den meisten Formen binnen kurzem verschwären. Verwachsungen mit der Umgebung, sowie narbige Schrumpfungen sind sehe
Verengerung und Verschließung des Darms. Neubildungen im Darm.
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gewöhnlich; außer der Verbreitung in die Kontinuität finden sich Metastasen, häufig solche in die Lebe*. — Meisteus ist der Darmkrebs ein primärer; er befällt selten Menschen vor ihrem 40. Lebensjahre. — Bei der überwiegenden Häufigkeit des Mastdarmcarcinoms ist es nicht zu verwundern, daß die durch diesen Sitz bedingten Symptome im Krankheitsbilde des Darmkrebses überhaupt stark hervortreten. Sie sind daher besonders zu erwähnen. — Ganz gewöhnlich ist die Entwicklung des Leidens eine langsame und schleichende. Vielleicht sind Leute, die länger an chronisch-katarrhalischen Erkrankungen des Rektum gelitten, mehr disponiert; ihre Beschwerden: abwechselnd Verstopfung und Durchfälle, Stuhlzwang, Entleerung von blutig gefärbtem Schleim, Anschwellung der Mastdarmvenen steigern sich so allmählich, daß weder sie selbst, noch ihr Arzt ohne Untersuchung an eine neue Erkrankung denkt, zumal die Rückwirkung auf die allgemeine Ernährung, die Kachexie, gerade bei dem Mastdarmkrebs länger ausbleiben kann. Aufmerksam wird man vielleicht erst durch die bleistiftartige Form des Kots, die anhaltende Beimischung von blutigem eiterhaltigen Schleim zu demselben, den heftigen Stuhlzwang, die anhaltenden Bewegungen der über dem jetzt bereits den Darm verengernden Hindernis gelegenen Darmschlingen. Mitunter gelingt es, eine Geschwulst von den Bauchdecken oder vom Mastdarm aus durchzufühlen. Aber das ist nicht immer so, und statt, wenn nötig, in der Chloroformnarkose nach vorhergehender Ausleerung des Darms durch Abführmittel und Ausspülung eine gründliche Untersuchung vorzunehmen, begnügt man sich mit der Diagnose chronischer Katarrhe oder der Hämorrhoiden. Man muß bei längerer Dauer eines solchen Zustandes, wenn derselbe nicht zweckmäßiger Behandlung weicht, immer alles Ernstes an die Entwicklung eines Carcinoms denken, häufig untersuchen, die Fäces Tag für Tag ansehen und nicht zu lange mit der örtlichen Untersuchung warten. — Selbst bei vollkommen entwickelten Carcinomen können durch zweckmäßige Diät und Sorge für regelmäßige Entleerung die Beschwerden so zurücktreten, Monate, ein Jahr lang, daß alles gut zu sein scheint. Immer aber wird die Art der Defäkation und ihr Produkt sorgfältiger Beobachtung zeigen, daß keineswegs Genesung erfolgt ist. Über kurz oder lang bilden sich mit Kachexie die Erscheinungen einer Darmstenose, Ubergreifen der Neubildung auf die Nachbarschaft, Verschwärung derselben und Peritonitis aus; der Tod folgt in einer seiner scheußlichsten Formen und mit unsäglichen Qualen des Kranken. — Sitzt das Careinom nicht im Mastdarm, dann dauert es oft einige Zeit, bis die Symptome sich so weit klären, daß eine Diagnose möglich wird. Die Abmagerung und das fahlgelbe Aussehen können auch hier auf sich warten lassen; es sind immerhin Ernährungsstörungen vorhanden, welche mit den nachweisbaren Veränderungen nicht recht im Einklang stehen, und man glaubt nicht ganz an die doch einzig aufzufindende Dyspepsie und Darmträgheit als Krankheitsursache. — Erst der Nachweis eines Tumors bringt Gewißheit; um diesen zu führen, ist häufige Untersuchung erforderlich. Alle jene Darmteile, welche in den drei Dimensionen beweglich sind, verlieren diese Eigenschaften nicht, solange die an ihnen sich entwickelnde Geschwulst keine Verwachsungen mit der Nachbarschaft einging. Ist daher ein Tumor des Bauches nachweisbar, so kann aus dessen Verschiebbarkeit ein Zeichen für seinen Sitz im Darm entnommen werden. Dafür spricht weiter, daß derselbe für eine Zeit in seiner Größe unverändert bleibt, aber den Platz wechselt. An denjenigen Abteilungen, welche dem Darm •freie Bewegung nicht gestatten (Coecum, Colon ascendens, Rektum), fällt das
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Krankheiten des Magens und Darms.
natürlich weg. Selbstverständlich ist es erforderlich, vorher den Kot aus dem Darm zu schaffen, wenn eine solche Untersuchung entscheidende Auskunft geben soll. Die Geschwulst fühlt sich keineswegs immer höckrig oder sehr hart an — man muß sich oft mit der deutlichen umschriebenen Vermehrung des Widerstandes bei der Betastung begnügen. Auch eigentlicher Schmerz braucht nicht vorhanden zu sein; ein dumpfes Wehgefühl, jedenfalls aber die Empfindung, daß an dem betreffenden Orte etwas anders sei, als sonst, wird man nicht leicht vermissen. Der Sitz kann besondere Erscheinungen bedingen, so bei Duodenalcarcinom Icterus herbeiführen. — Im weiteren Verlauf stellen sich, falls der Tumor eine Verengerung des Darmlumens zu bewirken vermag, die Zeichen der Stenose, wohl auch die eines vollkommenen Verschlusses ein (siehe § 205). Perforationen in die Peritonealhöhle führen der vorhergegangenen vielfachen Verwachsungen halber leichter zu umschriebenen, als zu allgemeinen Entzündungen; es kommt dabei nicht selten zur septischen Allgemeininfektion, da aus dem durchbohrten Darm Fäulniserreger austreten. — Der Verlauf ist wie bei jedem Krebs ein innerhalb kürzerer oder längerer Zeit zum Tode führender — die seltenen Fälle allgemeiner Carcinose, welche rasch, vielleicht nach wenigen Monaten, enden, abgerechnet, können mehrere Jahre darüber vergehen. Eine durch Verschwärung mit oder ohne Abtrennung von Gewebselementen herbeigeführte Verkleinerung der verstopfenden Geschwulst macht bisweilen den Durchtritt der Fäces wieder leichter — man lasse sich durch die Besserung der Beschwerden des Kranken in einem solchen Falle an seiner Diagnose nicht irre machen. — Die Prognose ist immer eine sehr schlechte. Vielleicht machen die frühzeitig erkannten und operativ entfernten Carcinome des Mastdarms eine Ausnahme. Jedenfalls ist bei diesen die chirurgische Behandlung thunlich, und daß dieselbe so bald wie möglich eingeleitet werden muß, unterliegt keinem Zweifel. Es tritt daher die ernste Mahnung au jeden Arzt heran, sich bei einem Krankenbilde, welches auf carcinomatöse Erkrankung des Rektum deuten könnte, erst nach wiederholter genauer Untersuchung mit der Annahme eines Mastdarmkatarrhs oder der von Hämorrhoiden zu begnügen. — Die sonstige Therapie de» Darmkrebses kann nur eine die Beschwerden lindernde und den unvermeidlichen Ausgang hinausschiebende sein: eine möglichst wenig Kot bildende Nahrung, Sorge für regelmäßige Ausleerung, das Opium örtlich, gegen das Ende auch allgemein verwendet, ist alles, was zu machen ist. Umsichtige Krankenpflege vermag selbst hier noch manche Linderung der Qualen herbeizuführen. § 207.
Darmblutungen.
Die allgemeine Ätiologie der Darmblutungen deckt sich mit jener der Magenblutungen (§ 197). Absteigend nach der Häufigkeit der besonderen Veranlassung geordnet, zeigt sich Darmblutung bei Ruhr und Typhus, bei Mastdarmkrebs, bei Hindernissen im Pfortaderkreislauf, bei hämorrhagischen Diathesen, auch bei den durch akute Infektionen entstandenen, bei Vergiftungen, bei Fremdkörpern im Darm, bei tuberkulösen oder follikulären Geschwüren, bei dem peptischen Geschwür im Duodenum, bei Embolien und Einwanderung von Mikroben in das Gebiet der Mesenterica superior, bei Verstopfung der Kapillaren durch die nach ausgedehnten Verbrennungen entstandenen Leichen der roten Blutkörperchen, bei Durchbruch
Neubildungen im Darm. Darmblutungen.
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von Aneurysmen — endlich wird noch von einigen Ärzten die Möglichkeit der vikariierenden Blutung aus dem Darme zugegeben. Die Erscheinungen der Darmblutung fallen bei stärkerer Entleerung des Gefäßsystems mit denen der Blutung überhaupt (§ 75) zusammen. Bei manchen Krankheiten (z. B. Typhus) wird selbst durch geringere Verluste eine merkbare Änderung des Gesamtbildes herbeigeführt. — Das Auftreten von Blut im Stuhl liefert Anhaltspunkte, um den Ort der Blutung zu bestimmen. Nur wenn dieselbe aus den unteren Abschnitten des Dickdarms erfolgte, oder — eine praktisch kaum zu berücksichtigende Möglichkeit — wenn von oben her größere Mengen mittels sehr stürmischer Peristaltik durch einen leeren Darm befördert wurden, tritt ein nicht zersetztes Blut zu Tage. Immer muß, damit das geschehen könne, die Entleerung des Blutes aus dem Darm seinem Austritt aus den Gefäßen rasch folgen. Geschah dies nicht, und das ist das gewöhnliche, dann sind sehr hochgradige Veränderungen des Blutes vorhanden: schwarze Farbe, teerähnliche Zähigkeit, äußerst übler Geruch. Im Falle des Zweifels über die Natur des Entleerten muß die genauere Untersuchung — meist genügt das Mikroskop, ausnahmsweise nur wird man zum Spektroskop oder zur chemischen Prüfung greifen müssen — Sicherheit bringen. — Ehe man eine Darmblutung diagnostiziert, muß man sich Gewißheit schaffen, daß nicht etwa anderswoher Blut in den Darm gelangt ist. Abgesehen von dem Verschlucken des aus der Nase, dem Rachen, den Bronchien stammenden Blutes, weiter abgesehen von dem in den Magen ergossenen und so in den Darm gelangenden Blute werden bisweilen Täuschungen versucht, indem absichtlich Tierblut getrunken wird. — Es genügt natürlich nicht zu wissen, daß eine Blutung aus dem Darme stattgefunden hat; man muß deren Ursache feststellen. Das dabei zu beachtende lehrt die Pathologie der in Betracht zu ziehenden Krankheiten. — Bei den meisten derselben ist die Schwächung des Körpers, welche einem erheblicheren Blutverluste notwendig folgt, ein ernstes Ereignis; die allgemeine Prognose der Darmblutung ist daher keine besonders gute. — Die Behandlung hat in erster Linie Ruhe zu schaffen; das gelingt durch die Anwendung von Opium und eine, wenigstens für die ersten Tage, unbedingte Versagung der Zufuhr von fester Nahrung. Es sind nur kleine Mengen von Getränken zur Zeit zu gestatten. Später — nicht vor einer Woche nach der letzten Blutung •— kann man wenig Kot bildende leichtverdauliche feste Nahrungsmittel gestatten. (Siehe § 197.) Kennt man den Sitz der Blutung, dann empfiehlt sich die konsequente Anwendung der Kälte (Eisbeutel). In vielen Fällen ist die Darmblutung so eng mit der Krankheit, in deren Gefolge sie auftritt, verbunden, daß allgemeinere Vorschriften kaum zu geben sind. — Nur bei Blutung aus dem Mastdarm kann vielleicht an eine örtliche Stillung derselben durch Eingießung von Eiswasser, möglicherweise auch von styptischen Mitteln gedacht werden; die Tamponade, vielleicht sogar die durch den Galvanokauter zu bewirkende Verschorfung an der blutenden Stelle können Anwendung finden. — Bei allen Formen der Darmblutung sollte man die Darreichung hämostatischer Mittel per os und ebenso subkutane Ergotineinspritzungen unterlassen. — Bedroht der Blutverlust unmittelbar das Leben, dann ist nach den in § 75 besprochenen Regeln zu verfahren.
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Krankheiten des Magens und Darms. § 208.
Kolik.
K o l i k wird durch die Einwirkung abnormer Reize auf die Schleimhaut des Darms oder durch gesteigerte Erregbarkeit desselben hervorgerufen. In beiden Fällen handelt es sich wohl um vermehrte Peristaltik, bei welcher das Peritoneum gezerrt wird; vielleicht kommt auch die direkte Reizung des Sympathicus in Betracht. Unter den Beizen, welche die Darmschleimhaut treffen, sind die aus abnormer Zersetzung der Nahrungsmittel hervorgegangenen Stoffe, um so eher, wenn bei ihrer Bildung reichlicher Gase auftreten, in erster Linie zu nennen. Es ist bekannt, daß der Genuß unreifen Obstes, zu jungen Bieres, größerer Mengen von schwer verdaulichen Hülsenfrücnten und von Kohl eine der häufigsten Ursachen der Kolik ist. —• Ferner ist die mechanische Wirkung, welche mit der Anhäufung von schwerbeweglichen Massen im Darm notwendig verbunden sein muß, zu berücksichtigen; dieselben zerren der Schwere folgend das Peritoneum, sie bieten vermehrte Widerstände für die Fortbewegung und verlangen eine ausgiebigere Peristaltik. Die mechanische Wirkung allein genügt, um Kolik zu erzeugen, denn größere Gallen- oder Kotsteine, welche chemisch indifferent sind, rufen dieselbe hervor. Von solcher mechanischen Beigabe befreit sind die Leibweh bedingenden Abführmittel — z. B. Koloquinthen —, hier ist eine unmittelbare Beeinflußung der Nerven anzunehmen. — Mit zweifelhaftem Recht führt man noch als Ursache von Kolik die Anwesenheit von Entozoen im Darm an. Möglich, daß hin und wieder eine zum Knäuel zusammengeballte größere Anzah von Askariden vorübergehend ein Hindernis schaffen kann; von den angenommenen Wanderungen dieser Würmer, die mechanisch, von ihren Absonderungen,, die chemisch reizen sollen, wissen wir zu wenig, um eine „Wurmkolik" als ätiologische Form aufstellen zu dürfen. — Nach Erkältung tritt bei einigen zweifellos Kolik auf; es ist diese Colica rheumatica genannte Form freilich nicht eben häufig, — Die Kolik als Symptom der verschiedenen schweren Erkrankungen des Darms ist bereits erwähnt; eine jede, welche peritonitische Reizung im Gefolge hat, kann damit verbunden sein. — Eine Sonderstellung nehmen jene Koliken ein,, welche nach Blei- und Kupfervergiftung auftreten. Sie gehen mit Darmträgheit einher; ihre Entstehung ist noch unaufgeklärt. Das gleiche gilt für die im Verlaufe von Erkrankungen des Rückenmarks sich zeigenden Koliken. — Die Koliken bei Hysterischen beruhen wohl auf der überhaupt gesteigerten Erregbarkeit des gesamten Nervensystems, welche bei diesem Leiden so gewöhnlich ist. — Im ganzen scheint das Kindesalter häufiger ergriffen zu sein. Bei heftigeren Anfällen sind alle Erscheinungen der Visceralneuralgie (§ 7) vorhanden. Irradiationen auf den Magen finden sich sehr oft, und Erbrechen ist recht häufig; seltener sind solche auf die Blase, bei denen es zum Harnzwang kommt. — Als Sitz der Schmerzen wird in der Regel die Nabelgegend angegeben; die Natur derselben ist durch ihr anfallsweises Auftreten und die vollkommen freien Pausen gekennzeichnet, sie werden als kneifende, zwickende Schmerzen von den Kranken bezeichnet. — Reine Kolikanfälle — d. h. solche ohne anatomische Veränderungen — werden gewöhnlich durch äußeren Druck gemildert. Es ist dieses Zeichen für die Diagnose von Bedeutung; vermehren sich die Schmerzen bei Druck, dann ist mindestens eine Reizung des Peritoneums vorhanden, es ist eine einfache Neuralgie nicht mehr anzunehmen. Nur ganz ausnahmsweise kann
Kolik. Entozoen im Darm.
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bei sehr empfindlichen Personen durch die mit starker Peristaltik einhergehende Zerrung des Peritoneum allein Druckempfindlichkeit hervorgerufen werden. — Man darf sich bei der Erkenntnis der Kolik nicht beruhigen — es muß der Versuch gemacht werden, deren Ursache festzustellen. Und da soll man nie vergessen, daß gerade schwere Erkrankungen des Darms gewöhnlich mit Kolik einhergehen. Erst wenn die Gewißheit gegeben ist, daß solche fehlen, darf man es mit der Diagnose einer einfachen Neuralgie genug sein lassen. — Bei dieser ist die Prognose fast ausnahmslos eine gute. — Die Behandlung hat sich nach den Ursachen zu richten. Sind heftige Schmerzen längere Zeit zugegen gewesen, dann ist für den Anfang immer eine volle Opium gäbe das beste. Man bringt den ermüdeten Darm zur Ruhe, so daß er auf etwa nötig werdende Abführmittel mit ganzer Kraft reagiert, und schafft den Kranken Linderung ihrer Schmerzen. Warme Tücher oder Breiüberschläge auf den Bauch werden meist als angenehm empfunden. Die Nahrungszufuhr hat sich auf die Darreichung von Flüssigem zu beschränken; sie ist während des Anfalls ganz zu unterlassen. — Glaubt man sich berechtigt, die Anwesenheit reizender Substanzen im Darm für wahrscheinlich zu halten, dann ist der Gebrauch von Abführmitteln geboten. Rizinusöl steht unter ihnen für diesen Zweck obenan, es sollte aber immer in etwas "größerer Gabe — 20 bis 30 g für den Erwachsenen —• gereicht werden. Drastica sind zu vermeiden. Bei den nach Erkältung entstandenen Koliken sind langdauernde Bäder von 30° R. mit nachfolgender Einpackung in nasse warme Tücher und die Darreichung warmer Getränke zu empfehlen. § 209.
Entozoen im Darm.
Von praktisch wichtigen E n t o z o e n im D a r m sind zu nennen: I. Bandwürmer. Sich vermittelst Generationswechsels durch Knospung eines birnförmigen Skolex (des Kopfes) vermehrende Plattwürmer. Die Entwicklung geschieht so, daß die befruchteten Eier der doppelgeschlechtlich (hermaphroditisch) ausgebildeten Glieder (Proglottiden) einer dem Skolex entsproßten Kolonie in den Darm eines Zwischenträgers geraten. Durch die hier geschehende Verdauung der Eihüllen wird der Embryo frei; er gelangt mit dem Lymph- oder dem Blutstrome in die Gewebe des Zwischenträgers und bildet sich dort zur neuen Amme aus. Kommt diese in den menschlichen Darm, dann geht aus ihr wiederum eine Kolonie hervor; man berechnet die Zeit, welche verstreichen muß, bis deren Glieder geschlechtsreif werden, auf 8—12 Wochen. — Bei dem Menschen sitzen die Bandwürmer im Dünndarm. Es schmarotzen bei dem Menschen: 1. Taenia solium. Kopf stecknadelkopfgroß mit vier Saugnäpfen und einem Hakenkranz (etwa 26 bis 30 Stück). An ihn reiht sich ein 2—3 cm langer Hals, der keine Gliederung erkennen läßt. Diesem folgen gegliederte Teile, anfangs in allen Durchmessern klein, je weiter sich dieselben vom Kopf entfernen länger und breiter werdend, endlich überwiegt die Ausdehnung in die Länge. Bei geschlechtsreifen Gliedern beträgt sie 9—10 mm gegen 6—7 mm Breite. Die Geschlechtsöffnung liegt seitlich, nicht ganz in der Mitte. Die Gesamtlänge der Kolonie beträgt bis zu drei Metern. Der Zwischenwirt der Taenia solium ist das Schwein; der sich in diesem entwickelnde Skolex (Cysticercus cellulosae) erscheint als erbsen- bis bohnengroße
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Krankheiten des Magens und Darms.
wasserhelle Blase im Muskelfleisch oder in dem intermuskulären Bindegewebe; sein Kopf zeigt genau die Formen dessen der Taenia solium. Auch im menschliehen Magen, aber, wie es scheint, nicht im Darm, können die Eier dieser Tänie verdaut werden und danach in den menschlichen Geweben seine Finnen sich entwickeln. 2. Tänia mediocanellata (saginata). Kopf bedeutend — bis um das Doppelte — größer (2,5 mm breit), gleichfalls mit 4 Saugnäpfen, aber ohne Hakenkranz, gewöhnlich stark schwarz pigmentiert. Hals viel kürzer, die Glieder abwärts vom Kopf an Länge und Breite zunehmend. Länge der reifen Glieder 16—20 mm, Breite 8—9 mm. Geschlechtsöffnung seitlich, nicht ganz in der Mitte. Die Kolonie kann bis zu 6 Metern lang werden. Zwischenwirt der Taenia mediocanellata ist das Rind. Der Skolex ist etwas kleiner als der von der T. solium; er hat wiederum die charakteristischen Formen des Bandwurmkopfes. Eine Entwicklung der Finne in den Geweben des Menschen findet nicht statt. 3. Bothriocephalus latus. Kopf 2,5 mm lang, 1,0 mm breit, keulenförmig, mit einer spaltförmigen Sauggrube an jedem Seitenrande. Die ersten Glieder sind fadendünn und nehmen nach abwärts an Ausdehnung zu, jedoch ist mit Ausnahme der geschlechtsreifen Glieder, welche nahezu quadratisch (ca. 5 mm) erscheinen, die Breite (10—15 mm) bedeutender als die Länge (3—4 mm). Geschlechtsöffnung in der Mitte des Gliedes, nicht seitlich. Länge der Kolonie bis zu 8 Metern. Zwischenwirte sind Fische (Hecht, Quappe, Flußbarsch); man weiß, daß die reifen Eier sich im Wasser entwickeln. Während die geographische Verbreitung der Taenia solium und mediocanellata nicht bestimmt abgrenzbar erscheint und dieselben wahrscheinlich so weit sich ausdehnen, wie ihre Zwischenwirte, ist der Bothriocephalus räumlich beschränkter. Derselbe scheint an das Wasser gebunden zu sein — das Meer oder Landseen (das Ostseegebiet und die Westschweiz besonders) sind die Fundorte dieses Bandwurms; auch in Japan kommt derselbe vor. — Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß der Bothriocephalus im Gegensatz zu den beiden anderen, nur dem Menschen eigentümlichen, auch bei Hunden sich findet. — Ob unter gewöhnlichen Verhältnissen die Bandwürmer Krankheitserscheinungen hervorrufen, ist zweifelhaft. Sicher ist es, daß viele Bandwurmwirte erst nach vollendeter Ausbildung ihrer Kolonie zufällig durch den Abgang von Gliedern darauf aufmerksam werden. Man schreibt den Bandwürmern zu: Allerlei dyspeptische Erscheinungen, sie sollen Heißhunger und die Empfindung eines sich innerhalb des Darms bewegenden Körpers sowie Störung der Defäkation veranlassen, ferner nervöse Anomalien, die als reflektorisch erzeugte gedeutet werden (namentlich wird Jucken der Nase und des Afters hervorgehoben), endlich sollen sie gar Krämpfe auslösen können. — Am ehesten kommt Erbrechen vor. Ist aber erst einmal die Aufmerksamkeit des Bandwurminhabers auf die Einwohnerschaft seines Darms gelenkt, dann fehlt es sicher nicht an allen möglichen Erscheinungen, namentlich sobald Neigung zur Hysterie oder Hypochondrie schon vorher vorhanden war. Diese können so zum Ausbruch gelangen. Bedenklich ist die Anwesenheit der Taenia solium, da deren Eier in den Magen ihres Wirtes gelangen (Erbrechen von Bandwurmgliedern ist nicht selten beobachtet), hier verdaut werden, und darauf ihre Embryonen in die Gewebe desselben vordringen können. Kommt es aber zur Entwicklung von Cysticerken innerhalb der Centraiorgane oder im Auge des Menschen, dann sind schwere Folgen möglich.
Entozoen im Darm.
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Neuerdings liegen Beobachtungen vor, aus denen hervorgeht, daß der Botriocephialus keineswegs ein so harmloser Gast ist, wie man es bis dahin glaubte. In einer beachtenswerten Zahl von Fällen fand man denselben bei Menschen, welche an schwerer Anaemie litten, und sah diese schwinden, sobald der Wurm abgetrieben wurde. Die Diagnose des Bandwurms ist aus etwaigen krankhaften Erscheinungen nicht zu stellen. Für dieselbe muß der Abgang von Gliedern verlangt werden. Der Arzt hat sich solche vorzeigen zu lassen, ehe er einen Eingriff unternimmt, da Täuschungen, durch unverdaute Fascien und Sehnenstücke, durch Darmschleim u. dergl. hervorgerufen, nicht selten sind. Ein leichtes Abführmittel fördert meist einige Glieder zu Tage, so daß man nicht lange zu warten braucht. — Es kommt weiter darauf an, die Art der Tänie zu bestimmen. Man hat hier folgende Anhaltspunkte: Taenia solium: Entleerung der Glieder nur mit dem Kot. (?) Die Glieder zarter und durchsichtiger. 7 —12 Seitenzweige des Uterus, die breiter sind und sich baumfÖrmig verästeln.
Taenia mediocanellata: Abgang auch ohne Defäkation. Die Glieder dicker, weniger durchscheinend. 15—20 Seitenzweige, dünner, nur gabiig sich teilend.
Botriocephaltis latus. Uterus rosettenförmig, braun gefärbt.
Man trocknet für diese Untersuchung am besten einige Glieder voll entfaltet auf einer Glasplatte. — Wer nur ganz gares, gehörig gepökeltes oder stark geräuchertes Fleisch und nur ganz gekochten oder gebratenen Fisch genießt, ist gegen den Bandwurm geschützt. — Die Behandlung besteht in der Entfernung des Wurms. Diese gelingt unschwer, wenn die aus den Apotheken gelieferten Mittel frisch und wirksam sind; leider ist das nicht immer der Fall, und die aus guten Rohdrogen bereiteten Geheimmittel werden oft noch vorgezogen, obgleich sie nichts als Bekanntes enthalten. — Man leitet die Bandwurmkur dadurch ein, daß man 18—24 Stunden hungern läßt oder jedenfalls einen bis zwei Tage vor der Darreichung des Abtreibmitteis eine möglichst wenig Kot bildende Nahrung giebt und den Darm durch leichte Purgantien — am besten Rizinusöl — entleert, namentlich ist durch Wassereingießungen das Rektum vor dem eigentlichen Abtreiben kotfrei zu machen. Bei Leuten mit gutem Magen kann man am Vorabend eine Portion stark gezwiebelten Heringssalates geben, der den Wurm krank zu machen scheint; feinkernige Beerenfrüchte wirken ebenso, erschweren aber das Auffinden des abgetriebenen Kopfes. Nachdem morgens nüchtern etwas schwarzer Kaffee von dem Patienten genossen ist, reicht man das Wurmmittel. Es kommt hier in Betracht: 1. Rhizoma filicis, — das beste Mittel, frisch sicher wirkend, am wenigsten leicht von allen Erbrechen hervorrufend und nur von geringfügigen narkotischen Nebenwirkungen. Entweder 30 g der frisch gepulverten Rinde mit Wasser oder Wein in möglichst kurzer Zeit zu nehmen. Oder besser 7—12 g Extraktum filicis mit Rinde zu Pillen oder Bolis verarbeitet — im Laufe einer Stunde zu schlucken. (B, Nr. 32.) Leichter zu nehmen ist das Extrakt mit Thee oder Wein. Hat man ein wirklich gutes und frisches Präparat — die deutsche Pharmakopoe giebt zu dessen Herstellung eine treffliche Vorschrift —, dann ist
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Krankheiten des Magens und Darms.
dies die beste Form der Darreichung. Man kann sogar die vorbereitendem Kur entbehren, wenn man die Gabe des Extrakts etwas hoch nimmt. Nur die vorherige Entleerung des Darms ist anzuraten. 2. Cortex granati. Am besten läßt man von 3—400 g der frisch geschälten Rinde der ganzen Pflanze ein Mazerationsdekokt machen. (R Nr. 33.) Dasselbe muß durch die Schlundsonde eingegossen werden, weil es schlecht zu nehmen ist und leicht erbrochen wird. Geschieht letzteres erst nach x;2 Stunde, dann bleibt die Wirkung auf den Wurm nicht aus, da jedenfalls die größere Menge in den Darm gelangte. — Will man das sichere Mittel in dieser Weise anwenden, dann empfiehlt es sich, den Kranken vorher an die Sonde etwas zu gewöhnen. Die trockene Wurzelrinde ist weniger zuverlässig. 3. Flores Koso. 30—50 g mit Honig oder Syrup als Elektuarium oder komprimiert in der Form der RoSENTHALSchen Tabletten sind in möglichst kurzer Zeit zu nehmen. Ist die Droge gut, dann ist Koso gleichfalls sicher wirksam. Die hier angegebenen Dosen der Bandwurmmittel können, falls ganz frische Präparate zur Verfügung stehen und es sich um Taenia solium handelt, um 1 /2—'¡3 niedriger bemessen werden. — Die Taenia mediocanellata ist schwerer zu entfernen. Erfolgt etwa zwei Stunden nach der Darreichung des Abtreibmitteis nicht von selbst Stuhlgang, dann sind 1—2 Eßlöffel Rizinusöl nachzuschicken. Hängt der Wurm zum After heraus, dann ist ein großes Klysma von Wasser mit Zusatz einiger Gramm Ol. terebint. zu geben. — Man lasse jeden Darrqabgang aufbewahren und suche nach dem Kopf des abgetriebenen Tieres, indem man durch Aufgießen reinen Wassers und nacheriges Dekantiern den Kot entfernt. Ist der Kopf nicht zu finden, dann darf nur, wenn nach drei Monaten keine neuen Glieder abgingen, die Abtreibung als geglückt betrachtet werden. II. Ascaris lumbricoides (Spulwurm) von cylindrischer, sich gegen beide Körperenden verjüngender Gestalt, gelblichrötlicher oder mehr brauner Farbe, am Kopfe drei halbmondförmige Lippen, Männchen etwa 18 cm, Weibchen etwa 25 cm lang. Bewohnt meist in größerer Anzahl den mittleren Dünndarm. Seine Eier sind im Kote des Wirtes enthalten. — Auf welchem Wege der Wurm in den Darm gelangt, das Schicksal seiner Eier, ist unbekannt. Kinder haben viel häufiger als Erwachsene Askariden; bei den unteren Ständen sind dieselben öfter zu finden als bei den Wohlhabenden. Was den Bandwürmern nachgesagt, wird auch den Askariden zur Last gelegt: dyspeptische und reflektorisch ausgelöste nervöse Symptome. — Spulwürmer können sich verirrend in die verschiedenen Hohlräume, so namentlich auch in die Gallengänge geraten, und dort durch mechanische Reizung und Verlegung des Weges pathologische Erscheinungen hervorrufen; häufig kommen sie in den Magen, aus dem sie rasch durch Erbrechen entleert werden. Bei kleineren Kindern, die an einer Krankheit leiden, welche mit Benommensein des Hirns einhergeht, kann es geschehen, daß die durch das Brechen aus dem Magen in den Schlund gelangenden Askariden durch Aspiration in den Kehlkopf geraten und so Erstickung herbeiführen. Häufig ist das gewiß nicht — aber man hat darauf zu achten. — Einen gesunden Darm vermögen die Spulwürmer doch wohl nicht zu durchbohren, vielleicht aber ein dicht vor der Perforation stehendes Geschwür in demselben. — Die Diagnose ist nur durch den Abgang von Askariden oder den Nachweis ihrer Eier im Kot
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gesichert; der erstere findet namentlich bei Erkrankung des Darms statt. — Zur Entfernung wendet man die Santonsäure an. Bei Kindern genügt es, morgens und abends 1—2 der offizineilen Trochisci santonini (Gehalt 0,025 g) zu geben. III. Oxyuris vermicularis (Madenwurm). Ein kleiner weißer Rundwurm, Weibchen 10 mm lang, am Schwanzende pf'riemenförmig, Männchen 4 mm lang mit stumpfem Ende, nur bei dem Menschen vorkommend. Die Einwanderung kann durch zufällig verschluckte Eier geschehen, deren Schale dann im Magen aufgelöst wird. Wiederholte Selbstinfektion der von Oxyuren heimgesuchten unreinlichen Menschen scheint nicht selten zu sein. Die Entwicklung des Wurms findet im Darme des Menschen, anfangs im Dünndarm statt, wo meist auch die Begattung der zur Reife gelangten Tiere geschieht. Die mit reifen Eiern gefüllten Weibchen verlassen das Coecurn, den Hauptsitz des Wurmes, und gehen Eier legend bis zum After herab, ja über denselben hinaus. Durch diese Wanderungen, welche sich bis in die Vagina erstrecken, erzeugen die Oxyuren einen heftigen Reiz, der als Kitzel auftritt und reflektorisch, aber auch direkt zur geschlechtlichen Erregung führen kann. Um so eher, als er während des Liegens im Bette stärker sich zeigt und das Einschlafen hindert. Die Oxyuren gehören daher zu den lästigsten und nicht ungefährlichen Parasiten. — Man giebt, um die Oxyuren zu entfernen, innerlich Santonsäure (zu 0,1 bei dem Erwachsenen) und läßt einige Stunden später eine größere Menge — bis zu 4 Litern — einer lauwarmen Lösung von 0,2 0 0 Sapo medicatus in den Dickdarm einfuhren. — Auch starke Laxantien sind imstande die Oxyuren zu entfernen; nachdem sie ihre Wirkung gethan, hat man zweckmäßig eine Ausspülung des Dickdarms folgen zu lassen. Die Umgebung des Afters und der Damm sollen mit wenig weißer Präxipitatsalbe abends einige Tage eingerieben werden. Auch hier können Eier abgesetzt sein, das lästige Jucken wird in manchen Fällen sehr dadurch gemildert. IV. Anchylostomum duodenale (Dochmius duodenalis; Gotthardswurm). Ein ziemlich dicker Rundwurm, Weibchen 6—18 mm, Männchen 6—10 mm lang. Die Eier beginnen ihre Entwicklung im Darm, nachher geht dieselbe in schlammigem Wasser weiter. Aus diesem wieder in den Menschendarm zurückgelangt, lassen sie dort rasch geschlechtsreife Tiere entstehen, welche im Duodenum und Jejunum sich ansiedeln. Diese bohren sich mit ihren Haken bis zum submukösen Gewebe und saugen sich voll Blut. In großer Anzahl vorhanden, verursachen die Anchylostomen erhebliche Blutverluste, so daß sich alle Erscheinungen einer schweren Anämie entwickeln. Bis jetzt ist der gefährliche Parasit im Nilgebiet, in Brasilien, in Cayenne (ägyptische, tropische Chlorose), in Norditalien und in einzelnen Gegenden Deutschlands (Rheinlande) gefunden. Hier sind die Arbeiter in den Ziegeleien der Einwanderung der Dochmien in hohem Grade preisgegeben (Leichtenstern); man redete schon, ehe es gelang die Ursache derselben aufzudecken, von Ziegelbrenneranaemie. — Die Diagnose kann durch die Untersuchung der Fäces gestellt werden, welche den Wurm selbst oder dessen Eier nachweist. Als bestes Mittel hat sich das Extractum filicis erwiesen, welches in größeren Gaben darzureichen ist. V. Trichocephalus dispar (Peitschenwurm). Beide Geschlechter 4—5 cm lang der vordere Körperteil dünn und fadenförmig, der hintere erheblich dicker. Wohnort das Coecum und dessen Nachbarschaft Der Parasit ist ohne jede pathologische Bedeutung. 7. J ü r g e n s e n , Spez. Patti 11 Tliev. II. Aufl
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Vili. Krankheiten des Bauchfells. § 210. Hydrops asciies.
H y d r o p s ascites (Bauchwassersucht) ist immer ein Symptom anderweitiger Erkrankungen. So verschieden dieselben sind, haben sie doch etwas Gemeinschaftliches, welches darin besteht, daß sie die Wandung der Peritonealgefaße erheblich genug beeinträchtigen, um dieselben für den Durchtritt ihres flüssigen Inhalts geeignet zu machen. Dies geschieht durch Änderungen der Ernährung; schon längeres Verweilen eines mit ungenügenden Sauerstoffmengen, aber mit größeren Anhäufungen von Produkten der regressiven Metamorphose versehenen Blutes innerhalb dieser Gefäße reicht aus. Wegen der fast immer gleichzeitig vorhandenen Erschwerung des Blutlaufs im venösen Abschnitt steht der Inhalt der Kapillaren unter höherem Druck. — Man unterscheidet den Ascites als Teilerseh cinumg der allgemeinen Wassersucht, die durch ungenügenden Kreislauf infolge von Herz-, Lungen-, Gefäßkrankheiten, von Nierenleiden, oder infolge bestimmter Formen von Kachexie hervorgerufen wurde, und den durch örtliche Veränderungen im Gebiet
des Pfortuderkreislaufs entstandenen. Es gehören hierher die verschiedenen Zustände, welche eine Erschwerung des Blutstroms im Wurzelgebiet oder in dem Stamm der Pfortader bedingen, in erster Linie Erkrankungen der Leber, dann mit Schrumpfung einhergehende Entzündungen
des Peritoneum.
— Mit der E n t w i c k l u n g von Neu-
bildungen im Peritoneum ist sehr gewöhnlich das Auftreten von Ascites verbunden, dessen Ursprung gleichfalls auf Gefaßveränderung und Kreislaufstörung zurückgeführt werden muß. — Der Erguß kann bis 20 Kilo betragen; die ausgetretene Flüssigkeit ist dünnflüssig, etwas klebrig, leicht schäumend", opaleszierend, gelb oder grüngelb gefärbt, neutral, höchstens schwach alkalisch, ihr spezifisches Gewicht schwankt innerhalb bedeutender Grenzen und geht von 1004 bis 1026. Gewöhnlich findet in der entleerten Flüssigkeit eine Gerinnselbildung statt. Der Eiweißgehalt wechselt; es sind nur Spuren und bis 67 p. m. gefunden worden; Serumalbumin ('¡ 2 —% der Gesamtmenge) und Serumglobulin scheinen konstant vorhanden zu sein. Fibrin zeigt sich immer, aber in geringen Mengen; ebenso auch Fett und Cholesterin. Davon macht indessen der durch Austritt von Chylus bedingte Hydrops rhylosus eine Ausnahme — man fand hier bis zu 5% Atherextrakt. Die Salze sind in gleicher Menge wie im Plasma des Blutes enthalten (0,7—0,9°)0), dort wie hier überwiegt das Kochsalz mit etwa 0,5°0. Von gefm-mten Elementen finden sich Epithelien in mehr oder minder veränderter Form und vereinzelt Lymphkörperchen. — Hämorrhagische Transsudate sind selbst-
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Hydrops ascites.
verständlich durch das in ihnen vorhandene Blut chemisch wie morphologisch verändert. Anatomisch findet man öfter nur einen vermehrten Flüssigkeitsgehalt innerhalb des Peritoneums, vielleicht daneben noch Venenerweiterung. Bei längerer Dauer des Ascites sind weißliche Trübungen und Verdickungen des Epithels, hervorgerufen durch Veränderungen (Wucherung mit Desquamation und teilweiser Fettentartung) seiner Zellen und durch kleinzellige Infiltration des selbst eine Vermehrung seiner fixen Zellen darbietenden Bindegewebes, anzutreffen. Das Ganze wird nach heutiger Auffassung als Katarrh des mit anderen Schleimhäuten genetisch gleichwertigen Peritoneums betrachtet. Da es sich offenbar bei diesen Zuständen um entzündliche Vorgänge handelt, ist anatomisch eine scharfe Grenze zwischen Ascites und Peritonitis nicht zu wichen. Ebensowenig erlaubt das die chemische Zusammensetzung der Ergüsse. Die Folgen eines Ergusses in die Bauchhöhle sind wesentlich durch seine Menge bedingt. Die Flüssigkeit braucht Platz und verdrängt, was zu verdrängen ist; da sie in der Regel frei beweglich, folgt sie der Schwere, nimmt also den bei der gegebenen Körperhaltung tiefsten Punkt ein. Zunächst wird jener Teil des Darms, welcher den geringsten Widerstand bietet, zum Ausweichen gezwungen, es ist das der leicht bewegliche Dünndarm, welcher nun auf der Flüssigkeit schwimmt. Es folgen das Zwerchfell und die Bauchdecken. Bei bedeutenden Ergüssen kann deren Druck so hochgradig werden, daß er, auf die Cava inferior wirkend, den Blutlauf in derselben genügend hemmt, um Odem der unteren Körperhälfte hervorzurufen. Schon früher wird der Magen, das Rektum, die Blase gedrückt, so daß erhebliche Funktionsstörungen derselben sich zeigen. A m meisten leiden die Kranken von der durch den Hochstand des Zwerchfells, welcher mit Kompression der unteren Lungenteile einhergehen kann, bedingten Atemnot. Daneben ist Appetitlosigkeit, dyspeptische Störung, angehaltener Stuhl, Verminderung der Harnabscheidung ganz gewöhnlich; Schlaflosigkeit pflegt nicht zu fehlen, sie hängt meist mit der Atemnot zusammen. — Die physikalischen Erscheinungen angehend, so ist zunächst das Ergebnis der Adspektion zu erwähnen. Im Stehen erscheint der Bauch in den unteren Abschnitten stärker vorgewölbt, im Liegen sind es die Seitengegenden, welche hervortreten; ebenso ist bei dem Wechsel der rechten mit der linken Seitenlage der tiefer gelegene Teil bald stärker, bald weniger stark ausgedehnt. — Je nach der Spannung der Wände erhält man bei dem palpatorischen Anschlag groß- oder kleinwellige Fluktuation. Läßt man den Kranken stehen, so erhält man, wenn man die Hände auf den untersten Teil des Bauches legt und denselben nach oben zu heben versucht, das deutliche Gefühl einer je nach dem Umfang des Ergusses mehr oder minder schweren Last. Selbst kleine Mengen von Flüssigkeit lassen sich so erkennen. Die Perkussion weist im Gebiet der Flüssigkeitsansammlung Dämpfung nach, welche eine mit der Körperlage wechselnde aber immer horizontale Begrenzungslinie darstellt; leichte Einzackungen derselben entsprechen dem Hereinragen der Flüssigkeit zwischen die Därme. — Man untersucht mit leichtem Anschlag in der Rückenund in einer Seitenlage des Kranken, wenn derselbe aufrecht stehen kann auch bei dieser Körperhaltung und zeichnet die gefundenen Linien auf die Haut auf Differentialdiagnosen sind gegen Geschwülste im, Bauch und gegen abgesackte, wenn auch verbreitete, entzündliche Ergüsse, wie dieselben im Gefolge von Tuberkulose und Karcinose des Peritoneum auftreten, besonders häufig aber gegen 40*
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Krankheiten des Bauchfells.
Ovarialtumoren %u stellen. Als leitender Grundsatz ist dabei immer die freie Beweglichkeit der nur der Schwerkraft folgenden ascitischen Flüssigkeit festzuhalten. Besonders zu beachten ist das Verhalten des Darms: bei Ascites ist der Schall im ganzen Umfang der Dämpfung leer, weil nur freie Flüssigkeit den vorderen und seitlichen Teilen der Bauchwand anliegt, bei den Ovarialtumoren ist zu beiden Seiten der Cyste heller Darmschall der Regel nach vorhanden. Indessen können durch abnorme Verwachsungen der Därme untereinander, mit der Bauchwand oder mit den Geschwülsten so außerordentliche Schwierigkeiten eintreten, daß eine Entscheidung schwer,, ja sogar unmöglich wird. Vielleicht gelingt dieselbe nach einer Punktion; auch die Untersuchung der dabei entleerten Flüssigkeit kann von Bedeutung werden. Die Behandlung des Ascites ist natürlich gegen die denselben hervorrufenden Grundkrankheiten zu richten. Von der Therapie der Bauchwassersucht kann nur insoweit gehandelt werden, als die Entleerung des Ergusses durch Punktion in Frage kommt. Es ist dabei zu bemerken, daß man nur in ganz vereinzelten Fällen auf mehr als auf eine Linderung der durch den Erguß hervorgerufenen Beschwerden zu rechnen hat. Kann das Urleiden nicht gehoben werden, dann stellt sich auch in kurzer Zeit wieder der Ascites ein, der Kranke hat einen vielleicht sehr bedeutenden Eiweißverlust erlitten und geht um so rascher kachektisch zu Grunde. Diese Erwägungen sind besonders bei jenen Kranken am Platz, welche ihren Ascites einer vorübergehenden Störung des Blutlaufs verdanken, sei es nun ein schwerer Katarrh in emphysematischen Langen, sei es eine frische Entzündung oder eine Ernährungsstörung der Muskulatur ihres ohnehin schwachen Herzens. Solche Kranke genesen bekannterweise oft genug wieder zeitweilig. Anders steht es mit den unheilbaren Übeln, mit bösartigen Neubildungen und dergleichen; hier wird man eher zur Entleerung schreiten. — Die Punktion selbst da/rf nur an einem Orte vorgenommen werden, wo kein Darm vorliegt, man hat also in der Körperhaltung, welche der Kranke während des Einstichs innehalten soll, unmittelbar vor demselben sich davon zu gewissem. Man entleere besonders bei länger dauerndem Ascites nur allmählich und in Absätzen, komprimiere den Bauch nachher durch ein fest umgelegtes Leintuch und gebe namentlich bestimmten Befehl, daß sich der Kranke nicht rasch aufrichte. So entgeht man der Gefahr am ehesten, daß durch arterielle Anämie des Gehirns ein plötzlicher Tod eintrete. § 211.
Peritonitis.
P e r i t o n i t i s (Bauchfellentzündung) ist als selbständige Krankheit äußerst selten und dann durch mechanische Einwirkungen (schwere Kontusionen, Verwundungen) herbeigeführt. Man behauptet, daß auch die einfache Erkältung ausreiche, namentlich für Weiber mit vorübergehender oder dauernder aktiver Hyperämie zu den Beckenorganen, um Peritonitis hervorzurufen. Indessen ist das doch sehr zweifelhaft. Metastatisch kann auf dem Blut- oder Lymphwege Peritonitis entstehen. So bei Pyämie, bei ulceröser Endokarditis, bei akuten Exanthemen, vielleicht auch bei dem akuten Gelenkrheumatismus. Weitaus die Mehrzahl der Fälle geht aus krankhaften Veränderungen von Nachbarorganen hervor. Alle entzündlichen, geschwürigen, pseudoplastischen Prozesse derselben bewirken, auf das Peritoneum übergreifend, dessen Entzündung, deren Stärke von der Art des Entzündungserregers und von seiner Ausbreitung
Hydrops ascites.
Peritonitis.
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abhängig ist. So entstehen umschriebene und allgemeine Peritonitis. — Wir haben daher eine Reihe von ätiologisch verschiedenen Formen zu unterscheiden, die anatomisch und den Symptomen nach nur quantitative Abweichungen darbieten. Anatomisch findet man die Zeichen der Entzündung mit oder ohne Exsudation, in den chronisch gewordenen oder von Anfang an langsam verlaufenen Fällen mit Neubildung von Bindegewebe und späterer Schrumpfung desselben. Es zeigt sich bei akuten Formen Gefäßinjektion, Auflagerung von Faserstoff, Blutaustritt, sowie Eiterbildung auf der getrübten und rauhen Serosa; die Darmschlingen sind untereinander und mit den Nachbarorganen durch faserstoffigeitrige Pseudomembranen verklebt. — Die freien Ergüsse werden je nach dem Vorwiegen ihrer Bestandteile als serös-fibrinöse, eitrige, hämorrhagische, jauchige unterschieden. Sie sind in den reinen Fällen sehr leicht von den ascitischen Transsudaten zu unterscheiden, schon der große Gehalt an Fibrin und an Eiter reicht dafür aus. Allein Mischformen und Ubergänge zwischen Exsudat und Transsudat, die nicht selten sind, lassen sich auch durch genaue Untersuchung nicht mit Sicherheit unterbringen (siehe Seite 627). Entzündliche Exsudate sind in der Regel getrübt, von starker alkalischer Reaktion (bei sehr akuten Prozessen aber neutral oder gar sauer) und von höherem spezifischem Gewicht (1015—1032). Eiweiß ist in bedeutenden Mengen, niemals in Spuren vorhanden, ebenso ist der Gehalt an Fibrin ein verhältnismäßig großer. Auch Extraktivstoffe und Fett sind reichlich vertreten. — Die Beschaffenheit des Exsudats erlaubt meist kein Urteil darüber, ob es sich um akute oder um chronische Peritonitis handelt. Bei den chronischen Formen findet man bindegewebige Neubildungen, die zu dauernden Verwachsungen der innerhalb des Bauchfells gelegenen Teile führen. Durch Narbenschrumpfung kann eine so erhebliche Störung des Kreislaufs gesetzt werden, daß auch nach Ablauf der eigentlichen Peritonitis eine beständige Ansammlung von Flüssigkeit sich innerhalb des Bauchfellsa'ckes findet. Das Netz ist dann in einen harten Strang umgewandelt, das Mesenterium verkürzt, die Darmschlingen sind untrennbar verlötet und in ihren Bewegungen sehr gehemmt. In den zwischen den Verwachsungen sich bildenden Räumen finden sich Reste des ursprünglichen, nicht selten eingedickten Ergusses neben frischem, dessen Beschaffenheit nach der jeweiligen Stärke der Entzündung wechselt. Man bezeichnet das Ganze wohl als Peritonitis deformans. Die Symptomatologie
der Peritonitis
h a t die akuten von den chronischen
Formen
zu trennen. — Bei der akuten Entzündung des Bauchfells zeigt sich urplötzlich, oder nachdem Vorboten aufgetreten waren, Schmerz, zuerst an einer Stelle oder gleich anfangs über den ganzen Leib verbreitet. Derselbe steigert sich rasch, ist anhaltend, wird aber anfallsweise verstärkt und erreicht in kurzer Zeit einen sehr hohen Grad. Erbrechen pflegt nicht zu fehlen; der Unterleib treibt sich auf und wird gegen Druck äußerst empfindlich. Das Atmen ist erschwert, mehr noch durch die Schmerzen, welche jeden Atemzug begleiten, als durch die Hindernisse, welche dem Herabtreten des Zwerchfells sich in den Weg stellen. Trotz der vermehrten Peristaltik, die sich durch Kollern im Leib kund thut, erfolgt kein Stuhl, nur selten ein Abgang von Darmgasen. Die Harnsekretion ist beschränkt, die Entleerung selbst bei ganz gefüllter Blase mühsam und schmerzhaft. Der Durst ist meist beträchtlich erhöht, der Appetit liegt danieder. Fieberbewegungen sind von Anfang an vorhanden; die Temperatur ist im Inneren des Körpers erhöht, seine Oberfläche hingegen kann kühl erscheinen.
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Dies und ebenso das Verhalten des Pulses hängen wesentlich davon ab, ob das Eintreten der Peritonitis von Shockerscheinungen, wie es bei den Perforationen gewöhnlich, begleitet war oder nicht. Sind solche vorhanden, dann ist neben Blässe und Kälte der Haut, die mit Schweiß bedeckt ist, der Puls klein, unterdrückt, sehr häufig, oft unzählbar; fehlen sie, dann ist der Puls voll, gespannt, die Haut warm. Immer zeigt der Gesichtsausdruck, der die Anwesenheit heftigen Schmerzes verrät, und bei den perforatorischen Peritonitiden gleich, bei den anderen in kurzer Zeit mehr oder minder ausgeprägt die Facies Hippokratica wiedergiebt, daß ein schweres Leiden vorhanden ist. Selten sind Unbesinnlichkeit oder gar Delirien vorhanden; das kommt eigentlich nur bei den metastatischen Formen vor und ist nicht unmittelbar auf die Peritonitis zu beziehen. Die Hinfälligkeit und Kraftlosigkeit aber ist stets eine sehr erhebliche. — Der Tod kann innerhalb von Stunden unter den Zeichen schweren Shocks eintreten, neben diesen machen sich in den etwas langsamer verlaufenden Fällen die Störungen der Atmung stark geltend; im allgemeinen darf man sagen, daß die Hauptzahl der Peritonitiker, welche zu Grunde geht, an Herz- und Lungeninsuffizienz erliegt. Außerdem kommen in bestimmten Fällen die Wirkungen der Infektionen, besonders häufig die der septischen zur Geltung. — Bei günstigerem Verlauf mindern sich alle Erscheinungen, zunächst die Schmerzen und der Meteorismus. Die Temperatursteigerungen schwinden erst später, meist ganz allmählich und recht langsam, so daß oft Monate vergehen, bis die normalen Werte erreicht sind. Es kann in einem Zuge die Heilung erfolgen. Andere Male schieben sich Zeiten neu aufflackernder Entzündung ein, welche ein sich lang hinziehendes Leiden erzeugen, dessen Ausgang nicht selten der Tod unter den Erscheinungen des Marasmus, jedenfalls aber keine auch nur annähernd vollständige Wiederherstellung ist. Die chronische Peritonitis entsteht so aus der akuten. Sie kann aber auch mehr selbständig sich bilden, indem durch Übergreifen der Entzündung von Nachbarorganen aus zunächst nur ein kleinerer und erst allmählich größer werdender Teil des Peritoneums in Mitleidenschaft kommt. Umschriebene Druckempfindlichkeit, kolikartige Schmerzen bei den Bewegungen der Därme, die dauernde Empfindung, daß im Bauche nicht alles in Ordnung sei, Aufgetriebensein des Leibes an einzelnen Stellen, das sind die örtlichen Anfangserscheinungen. Bald gesellen sich umschriebene Härten oder Ansammlungen von Flüssigkeit hinzu. Der Stuhl wird unregelmäßig; er ist meist angehalten, zeitweilig dann wieder diarrhöisch. Fieber fehlt niemals, tritt aber in verschiedener Stärke auf; es ist dauernd mit Werten um 39°, oder durch wechselndes An- und Absteigen an den Einzeltagen, wobei beträchtliche Schwankungen vorkommen, ausgezeichnet. Da der Appetit erheblich verringert ist, leidet die Ernährung sehr, namentlich pflegt ausgeprägte Anämie vorhanden zu sein. — Durch Perforationen von Exsudat in die Nachbarschaft, Verwachsungen, fortgeleitete Entzündung, chronische Darmkatarrhe, amyloide Entartung kann ein sehr verwickeltes Krankheitsbild entstehen. Der Verlauf ist stets ein zögernder. Man stellt eine Reihe von Formen auf, meist ätiologisch geschieden, welche einer kurzen Erwähnung bedürfen: 1. Perforatorische Peritonitis von dem Magen, dem Darm, der Gallenblase u. s. w. her. Charakterisiert durch den plötzlichen,* gewaltigen Schmerz, welcher, den Augenblick des Durchbruches begleitend, sich rasch über den ganzen Leib ausdehnt; schwere Shockerscheinungen pflegen nicht zu fehlen. Luftaustritt in den Peritonealsack kommt bei dem Durch-
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bruch von Magen und Darm vor; er verrät sich durch gleichmäßige Auftreibung des Bauches, durch einen seiner Höhe und seinem Klange nach an der ganzen Fläche desselben unveränderten Schall, durch Verdrängung der Leber nach oben und hinten, so daß die Dämpfung derselben ganz verschwindet oder wenigstens an der Vorder- und Seitenfläche nicht wahrnehmbar ist. Eine kleinere Menge von Luft nimmt stets den höchsten Punkt ein, ändert ihre Lage mit der des Kranken und giebt, soweit sie der Oberfläche anliegt, gleichmäßigen Schall. Gewöhnlich kommt es, wenn das Leben noch einige Tage erhalten blieb, rasch zur Bildung eines mäßigen flüssigen Ergusses. •— Die Prognose ist eine sehr schlechte. 2. Puerperale Peritonitis von den septisch infizierten Genitalien aus sich fortpflanzend. Sie verläuft nicht selten mit heftigen Diarrhöen, welche massenhafte stinkende Entleerungen zu Tage fördern. Fast stets handelt es sich um eine gleichzeitige septische Allgemeininfektion. —• Die Prognose ist nicht ganz so schlecht, wie bei der perforatorischen Peritonitis, aber immerhin noch sehr bedenklich. Weiter kommt eine nicht septische Form vor, welche gleichfalls von den inneren weiblichen Geschlechtsteilen oder von dem Zellgewebe des Beckens (Parametritis) sich ausbreitet. Das Exsudat ist anfangs diffus, später, wenn das Leben erhalten blieb, im kleinen Becken angehäuft, wo der Uterus, die Tuben, die Ovarien förmlich in starre Massen eingemauert erscheinen. Der Beginn ist stürmisch, mit Schüttelfrost und hohen Temperaturen (bis über 41°). Der Tod kann unter den Erscheinungen ausgedehnter Bauchfellentzündung im Laufe der ersten Woche eintreten. Bei günstigem Ausgang vollzieht sich die Rückbildung der örtlichen Verändeiungen stets langsamer. Die Prognose ist bei dieser Form besser, namentlich, sobald der erste Fiebersturm \oiüber. 3. Idiopathische chronische Peritonitis Langsame Entwicklung unter unbestimmten Erscheinungen von den Bauchorganen aus, Dyspepsie und Rückgang der Ernährung. Allmähliche Entstehung eines Ergusses, der sehr beträchtlich werden k a n n , frei beweglich oder stellenweise abgekapselt ist, der Bauch nur in geringem Grade druckempfindlich; schwache Temperatursteigerungen. Es können sich bindegewebige Schwielen, Stränge u. s. w. bilden. Die Prognose ist in der Regel eine gute. — Man faßt diese Form, welche nicht allgemein anerkannt wird, als ein der idiopathischen Pleuritis gleichwertiges Leiden auf. — Die Differentialdiagnose ist besonders gegen tuberkulöse Peritonitis und gegen Lebercirrhose zu stellen. V o n Einzelheiten
ist zu bemerken:
D e r Schmer», ein konstantes S y m p t o m der Peritonitis, hängt zum Teil w o h l von unmittelbarer E r r e g u n g der N e r v e n ab, zum anderen mindestens ebenso großen Teil fällt er aber m i t den B e w e g u n g e n der Därme zusammen. N u r durch v o l l k o m m e n e Körperruhe und V e r m e i d u n g jedes Drucks k a n n derselbe erträglich g e m a c h t werden. Sind einmal größere E x s u d a t m e n g e n v o r h a n d e n , dann p f l e g t der Schmerz nachzulassen. B e i allen F o r m e n der Peritonitis zeigen sich oberhalb der entzündeten Stellen die B a u c h m u s k e l n gespannt — das dürfte m e h r reflektorisch als willkürlich geschehen. Der Meteorismus entsteht wahrscheinlich durch L ä h m u n g der entzündlich veränderten Darmmuskularis, w e l c h e die Widerstände für die A u s d e h n u n g vermindert, gleichzeitig m ö g e n w e g e n erschwerter Entleerung der Gase nach außen und erschwerter Resorption derselben, dann w e g e n ihrer vermehrten B i l d u n g aus den im D a r m länger zurückgehaltenen Massen in der That stärkere A n h ä u f u n g e n derselben stattfinden. Die g e h e m m t e B e w e g u n g des entzündeten Darms, w e l c h e meist ziemlich bald sich einstellt, führt zu hartnäckigen Obstruktionen, n a m e n t l i c h in den chronischen Fällen, w o die sich bildenden V e r w a c h s u n g e n und K n i c k u n g e n die F o r t schaffung des Darminhalts in h o h e m Grade verhindern. — Diarrhöen hängen w o h l immer damit zusammen, daß, w i e bei den akuten septischen Formen, durch den Erguß stark reizender Massen aus dem Gefäßsystem auf die Schleimhaut des D a r m s eine h e f t i g e Peristaltik angeregt wird, oder aber daß, wie bei manchen der chronischen Formen, sekundäre Ödeme und Katarrhe der Dickdarmschleimhaut hinzu-
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getreten sind. — Erbrechen, das als Anfangserscheinung der irgend akut einsetzenden Bauchfellentzündungen selten fehlt, beruht auf Vagusreizung —• ebenso der Singultus, ein prognostisch bedenkliches Symptom. — Die Harnentleerung wird durch Übergreifen der Entzündung auf die Blasenmuskulatur erheblich gestört; eine gewisse Trägheit der Blase ist sehr gewöhnlich vorhanden. Man thut wohl daran, den Füllungszustand derselben zu beachten, um rechtzeitig die künstliche Entleerung herbeizuführen. — Mit jeder etwas rascher einsetzenden Peritonitis ist ein gewisser Grad von Shock verbunden. Dies macht sich im Kreislauf geltend, der frequente, kleine, unterdrückte Puls ist entschieden anfangs häufiger, als der volle gespannte. — Oberflächliche Atmung gehört zu den regelmäßigen Erscheinungen der mit Schmerz verbundenen Peritonitis. Durch sie und durch die mangelhafte Blutströmung wird Cyanose, in schweren Fällen eine sehr starke, herbeigeführt. — Von dem Fieber läßt sich nur sagen, daß es durchaus atypisch ist; dasselbe dürfte zum Teil auf die Entzündung, zum anderen auf die Resorption pyrogener Substanzen zurückzuführen sein. — Die physikalische Untersuchimg muß stets mit der größten Schonung vprgenommen werden und hat sich, solange stärkere Empfindlichkeit gegen Druck vorliegt, auf das Notwendigste, die Feststellung eben dieser Druckempfindlichkeit, zu beschränken. Dazu reicht ein leichtes Auflegen der Handfläche aus. Hat der Arzt seine Muskeln vollständig in der Gewalt, so kann er selbst bei den heftigsten Schmerzen des Kranken, ohne diesem wehe zu thun, meist noch aus der mehr oder minder starken örtlichen Spannung und Resistenz erheben, ob ein Organ und welches zur Peritonitis Veranlassung gegeben habe. Dabei muß man sich setzen, stehend fühlt man nicht entfernt so fein. Wer nicht genügend geübt ist, quäle den Kranken nicht. — Die Perkussion hat bei den akuten Peritonitiden nur geringen Wert, sie macht unnötigen Schmerz und unterbleibt daher besser. Später ist dieselbe für den Nachweis von Exsudaten von größerer Wichtigkeit; namentlich die topographische mit Aufzeichnung der gefundenen Grenzen. — Auskultatorisches Zeichen ist nur das Auftreten von Reibegeräuschen über rauh gewordenen Flächen (an der Leber noch am häufigsten); großer praktischer Wert kommt demselben kaum zu. — Daß die Untersuchung vom Rektum und der Vagina aus namentlich für die puerperalen Formen entscheidend sein kann, versteht sich von selbst. Die Diagnose ist im allgemeinen nicht gerade schwer. Nur Visceralneuralgien der Bauchorgane können zeitweilige Schwierigkeiten machen, sie sind im Anfang bisweilen kaum von perforatorischen Peritonitiden zu unterscheiden, besonders wenn sie bei empfindlichen Menschen auftreten, die unter dem Eindruck des Schmerzes sich nicht genügend zusammennehmen können, um genaue Angaben zu machen. Es ist nicht zu vergessen, daß die durch Einklemmungen, z. B. von Gallensteinen, hervorgerufenen Koliken mit Schüttelfrost einsetzen und mit mehrtägigen Temperatursteigerungen einhergehen können. Viel schwieriger und immer nur aus dem Ganzen des Einzelfalls ist die Diagnose der Einzelform zu stellen; es gehört dazu oft eine reiche Erfahrung und ein scharfes Urteilsvermögen. Wer hier irrt, braucht sich nicht zu schämen. Die Behandlung, zunächst die der akuten Peritonitis, hat an dem Satze festzuhalten, daß die Lebensgefahr mit der Ausbreitung der Entzündung zunimmt. Die mit dem Peritoneum in Berührung tretenden aus ihm selbst hervorgegangenen Exsudate haben entzündungerregende Eigenschaften; sobald sie bisher frei gebliebene Teile desselben treffen, ziehen sie diese in Mitleidenschaft. Die Aus-
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breitung der ergossenen Flüssigkeit über das Peritoneum geschieht im wesentlichen durch die Peristaltik. Opium vermag die Darmbewegung zu hemmen und gleichzeitig den Schmerz zu lindern; seine Anwendung, je früher dieselbe geschieht um so eher, giebt die besten Aussichten, eine Peritonitis auf den kleinsten Herd zu beschränken. Nicht nur bei drohenden Perforationen, auch bei wirklich geschehenen gelingt es bisweilen noch, die Entzündung des Bauchfells so weit einzuengen, daß sie keine unmittelbare Lebensgefahr herbeiführt. — Man verordne das Opium selbst, da es stärker als Morphium auf die Peristaltik wirkt. 40 Tropfen der Tinktur kann bei dem Erwachsenen als Anfangsgabe betrachtet werden, stündlich sind dann 10—20 Tropfen so lange weiter zu geben, bis der Darm zur Ruhe gekommen ist. Wenn nötig, kann das Extrakt in der Form der Suppositorien vom Mastdarm aus daneben oder allein zur Anwendung kommen. Letzteres, falls durch anhaltendes Erbrechen die Aufnahme vom Magen aus unmöglich gemacht wird. Morphium subkutan findet dort seinen Platz, wo es darauf ankommt, unerträglichen Schmerz rasch zu lindern. Man vergesse aber nicht, daß es sich dabei der Hauptsache nach um eine Wirkung auf das Sensorium commune, um Betäubung handelt; die Einverleibung des Opium von dem Verdauungstrakt aus führt hingegen gleichzeitig und in viel höherem Maße die zur Beschränkung der Entzündung notwendige Darmruhe herbei. Meist ist die Toleranz dieser Kranken für Opium eine sehr bedeutende; zum größeren Teil wird das nach allgemeiner Annahme wohl durch verlangsamte Resorption aus dem durch die Entzündung örtlich in seinen Kreislauf behinderten Darm erklärbar , aber auch das aus dem Unterhautbindegewebe rasch aufgenommene Morphium wirkt schwächer als gewöhnlich. Man t.hut gut, nicht zu stürmisch mit der Opiumdarreichung vorzugehen — es könnte sonst eine zu beträchtliche Menge bei ihrer endlichen Resorption schwere Vergiftungserscheinungen bedingen; man darf daher nicht vergessen, daß für den Erwachsenen 1,2—1,8 g Opium ( = 12—18 g der Tinktur) die letale Dosis bilden. Wieweit man sich dieser nähern will, hängt durchaus von den Bedingungen des Einzelfalls ab. Ebenso, wie lange die Behandlung mit Opium fortzusetzen ist; dafür läßt sich nur die allgemeine Regel geben, daß dies während der Dauer des akuten Stadiums: solange bis das ergossene Exsudat durch Yerklebungen abgekapselt ist, zu geschehen hat. Noch über diese Zeit hinaus vermeide man durch Abführmittel Stuhlgang zu erzwingen — eine außerordentlich wichtige Sache. Nur die puerperalen Peritonitiden werden von einer nicht kleinen Zahl von Ärzten nach anderem Grundsatze behandelt. Man stellt das örtliche Leiden mehr zurück und sucht durch größere Gaben von Kalomel mit oder ohne Zusatz von Jalape reichliche Stuhlentleerungen zu erzwingen. Die Begründung dieses Verfahrens beruht darauf, daß bei den septischen Infektionen, die mit Peritonitis verbunden sind, oft freiwillig Diarrhöen auftreten. Diese bringen manchmal Erleichterung, sie lassen auch wohl die Allgemeinerscheinungen zurücktreten. Man nimmt mit einigem Rechte an, weil sie eine gewisse Menge des Giftes herausbefördern; dies sucht man nun durch die Abführmittel künstlich herbeizuführen. — Das Fieber wird von einzelnen durch strenge Antipyrese (besonders kalte Bäder) behandelt. — Manche Arzte sind der Ansicht, daß man durch frühzeitige Blutentziehung (zwölf und mehr Egel an dem schmerzenden Teil des Leibes) imstande sei, die Heftigkeit der Entzündung zu mäßigen.
Kälte in der Form von Eisblasen oder gefrorenen Uberschlägen muß die Opiumbehandlung unterstützen. Die Nahrungszufuhr ist in der ersten Zeit ganz einzustellen, nur Eisstückchen, die im Munde zerfließen, sind erlaubt. — Gegen das Fieber sehreitet man
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nicht ein; bei direkten Wärmeentzieliungen muß der Kranke zuviel gerührt werden, die Antipyretica werden, falls sie nicht in sehr großen Gaben genominen sind, so langsam resorbiert, daß sich ihre W i r k u n g meist verzettelt. — Besonderes Eingreifen kann der Kollaps verlangen — subkutane Einspritzung von Ol. camphoratum, muß rasch dem Herzen aufgeholfen werden, solche von Äther sind hier am Platz. — Der Meteorismus kann ebenso Gegenstand unmittelbarer Behandlung werden. Mehrfache, öfter wiederholte Punktionen des Darms mit feinem scharfen Trokar sind dann das beste Mittel; sie scheinen unbedenklicher als das Einführen von Darmrohren, mit denen man oft genug seinen Zweck nicht erreicht. Ist der erste Sturm vorüber, dann muß als Hauptziel der Therapie betrachtet werden, die Resorption der Ergüsse herbeizuführen. Dazu ist besonders eine möglichst gute Beschaffenheit des Blutes, von welcher die Funktionstüchtigkeit der Gefäßwandung unmittelbar abhängt, erforderlich. E s handelt sich also um zweckmäßige Ernährung, bei welcher nicht zu hohe Ansprüche an die Verdauungsorgane zu machen sind und nur wenig K o t gebildet wird. Man lasse sich nicht verführen gegen Fieberbewegungen etwas zu thun, wenn das auf Kosten des Appetits geschieht. — Unbedingte, anhaltende Körperruhe, fortgesetztes Bettliegen ist unbedingt notwendig und, wenn das Erreichbare erreicht werden soll, so lange fortzusetzen, bis auch bei tieferem Druck nirgends mehr Empfindlichkeit sich zeigt. Schon viel früher pflegen die Steigerungen der Temperatur aufzuhören. Tagüber läßt man möglichst heiße Kataplasmen auflegen, die Nacht einen nicht zu dünnen PRiESSNiTz'schen Umschlag. Man hat jetzt auf regelmäßige Stuhlentleerung zu halten; dabei sind, wenn es irgend möglich, die stärkeren Drastica zu vermeiden. — Das gleiche Verfahren ist bei den chronisch entstandenen Peritonitiden einzuhalten. — E s kann zur Frage kommen, ob die operative Entleerung eines abgesackten Eiterherdes angezeigt erscheine, auch wenn eine ausgedehnte Eröffnung der Bauchhöhle dazu notwendig ist. — Die Frage ist prinzipiell entschieden zu bejahen; es liegen aber noch wenig Erfahrungen vor. Nur Abscesse, die dicht vor der Perforation nach außen stehen, pflegte man schon länger durch einfache Incision zu entleeren.
§ 212.
Tuberkulose des Bauchfells; andere Neubildungen.
Tuberkulose des Bauchfells ist unter den dasselbe ergreifenden Neubildungen die für die Praxis wichtigste, weil sie die häufigste ist. — Man wollte eine tuberkulöse Peritonitis und eine Peritonealtuberkulose voneinander trennen, indem man die mit der Entwicklung von Tuberkelknötchen regelmäßig verbundene entzündliche Reizung als das die Scheidung Bedingende hinstellte; war dieselbe minder stark, dann sprach man von Peritonealtuberkulose, war sie hochgradig, dann redete man von tuberkulöser Peritonitis. Allein die Doppelbenennung dürfte von geringerem Werte sein, da selbst die bei dieser Krankheit vorkommenden Ergüsse bald die Eigenschaften der wahren entzündlichen zeigen, bald aber sich in ihrer Zusammensetzung mehr den einfachen Transsudaten nähern. — Der Ausgangspunkt für die tuberkulöse Erkrankung des Bauchfells kann in einem der von demselben umschlossenen Körperteile gelegen sein. A m häufigsten
Peritonitis. Tuberkulose des Bauchfelles; andere Neu-bildungen.
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handelt es sich wohl um Lymphdrüsen — dabei kommen auch die retroperitoneal gelegenen in Betracht. Dann sind tuberkulöse Erkrankungen des Darms und bei Weibern solche der inneren Geschlechtswerkzeuge zu nennen. Oder aber das Gift ist von einem außerhalb der Bauchhöhle gelegenen Herde eingedrungen. Hier sind vorzugsweise Erkrankungen der Lungen, der Pleura und die in deren Lymphgebiet eingefügten Drüsen zu beachten. Endlich wäre noch zu sagen, daß bei allgemeiner Miliartuberkulose das Bauchfell stark in Mitleidenschaft gezogen werden kann. — Anatomisch finden sich alle Formen der durch den Tuberkelbacillus hervorgerufenen Veränderungen. In den rasch verlaufenden Fällen sieht man neben reichlicher Bildung von Knötchen die Erscheinungen einer echten, zur Verwachsung der Darmschlingen untereinander und mit den Nachbarorganen führenden Entzündung, mit welcher meist der Erguß einer stark fibrinhaltigen, Eiter führenden, auch wohl blutigen Flüssigkeit verbunden ist. — Deren Menge kann geringer sein, sie kann aber auch in verhältnismäßig kurzer Zeit sehr bedeutend werden (6 und mehr Liter). — Ein langsamer Verlauf geht mit Wucherung von Bindegewebe und darauf folgender narbiger Schrumpfung desselben einher. Daran nimmt besonders das Netz in hohem Grade teil, so daß nicht selten dasselbe aufgerollt als dicker, harter, unebener Strang von rechts unten nach links oben verläuft. Verwachsungen der Nachbarteile untereinander sind wohl immer vorhanden. Ergüsse fehlen hier kaum jemals, dieselben können aber durch ihren geringen Gehalt an Eiweiß und an Faserstoff sich den einfach serösen Transsudaten sehr nähern. — Die Lymphdrüsen, sowohl die innerhalb des Bauchfells, als die hinter demselben gelegenen zeigen neben frischen oder älteren entzündlichen auch tuberkulöse Veränderungen: Knötcheneinlagerungen, mehr oder minder vollständige Verkäsung. Durch Eiterbildung kann von ihnen aus ein zum Durchbruch gelangender Abscess gebildet werden. — Das klinische Bild ist ein recht verschiedenes. Es kommen Fälle vor, welche plötzlich beginnend für eine Zeit die Erscheinungen des Typhoids vorzutäuschen vermögen (0. V I E K O E D T ) ; seltener noch setzt die Erkrankung, selbst wenn schwerere Lungenleiden nicht nachweisbar werden, wie eine genuine Pneumonie ein. (Eigene Beobachtung.) Meist aber handelt es sich doch um eine langsamere Entwicklung, welche mit leichten Störungen der Verdauung und Unregelmäßigkeiten der Stuhlentleerung, mit Nachlaß des Appetits und der Kräfte, sowie mit Schmerzen im Bauch, der an einzelnen Stellen oder überhaupt etwas aufgetrieben ist, beginnt. Geringe Temperatursteigerungen mögen selten fehlen. Die örtliche Erkrankung tritt zunächst und manchmal längere Zeit zurück; der Nachlaß der Kräfte und die Abnahme des Körpergewichts, ganz besonders aber die mehr und mehr sich steigernde Anämie herrschen vor. So kann die Erkennung des eigentlichen Leidens sehr schwierig werden. Man hat vorzugsweise darauf zu achten, daß die Empfindlichkeit gegen Druck an bestimmten und zwar an den gleichen Teilen des Bauchs mit Auftreibung der hier gelegenen Darmschlingen sich stets oder doch vorwiegend häufig findet — daneben können Anfälle echter Kolik auftreten. — Sind, wie es als das Häufigere erscheint, Zeichen einer tuberkulösen Erkrankung an anderen Organen (Lungen, Pleuren, Perikardium) vorhanden, dann wird man eher zurecht kommen. Jedenfalls darf man gegründeten Verdacht hegen, sobald mit andauernden ob auch geringen Fieberbewegungen neben unbestimmten Zeichen einer Erkrankung des Peritoneums entzündliche Erscheinungen an beiden
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Pleuren oder am Perikardium vorhanden sind, während die allgemeine Ernährung und die Körperkräfte sieh mindern, sowie Anämie sich einstellt. — Die vollentwickelte Erkrankung ist zunächst als eine mit Bildung umschriebener, nicht frei beweglicher Ergüsse in die Bauchhöhle einhergehende gekennzeichnet. Durch topographische Perkussion, welche bei verschiedenen Körperhaltungen, in denen die Wirkung der Schwerkraft in wechselnden Richtungen sich geltend machen kann, vorzunehmen ist, gelingt es solche Einzelherde zu umgrenzen. Am sichersten geht man, wenn man den Kranken, während er steht, danach in der Rücken- und in einer Seitenlage untersucht. Die aufgefundenen Dämpfungslinien verändern sich dabei immer etwas, aber lange nicht in so hohem Grade, wie es bei einem ganz frei beweglichen Erguß der Fall sein müßte. — Selbst wenn neben abgesackten noch größere, frei bewegliche Flüssigkeitsmengen vorhanden sind, gelingt es manchmal diese Verhältnisse richtig zu erkennen und zu beurteilen. Man möge aber nicht vergessen, daß mitunter zu wenig Exsudat oder ein durch vorgelagerte Darmschlingen zu weit von der Bauchwand entferntes vorhanden ist, um dasselbe aufzufinden. — Bei den mit Schwielenbildung einhergehenden Formen kann man durch das Getast nicht selten die verdickten Stränge und Platten, namentlich aber das verhärtete und aufgerollte Netz erkennen; auch an Lymphdrüsen gelingt das, wenn sie erheblich vergrößert sind. — Weiter ist darauf hinzuweisen, daß von dem entzündeten Peritoneum aus ein entzündliches Odem, welches immer ein umschriebenes ist, auf die Bauchdecken überzugreifen vermag. Diese erscheinen an den erkrankten Teilen geschwellt und mehr oder minder stark gerötet; namentlich in der Umgebung des Nabels kann das so bedeutend werden, daß man an einen Durchbruch denkt. Möglich, dass dies vorkommt, viel öfter aber läßt das entzündliche Odem nach oder schwindet gar ganz. Der Vorgang pflegt sich an mehreren Stellen zu wiederholen; wo er auftrat, bleiben wohl stets Verwachsungen zurück. — Das Verhalten der Milz und der Leber ist ein recht verschiedenes. Sie können von gewöhnlichem Umfang, sie können verkleinert, aber auch vergrößert sein — allein liegen Darmschlingen vor, dann ist es vielleicht nicht möglich, ein richtiges Bild zu gewinnen. — Die anatomischen Veränderungen der Milz sind: einfache Hyperplasien oder Blutanhäufungen, durch Schwielendruck auf die Pfortader, vielleicht auch durch die, wie es scheint, nicht gerade seltene Lebercirrhose bedingt. Durch reichliche Wucherung von Bindegewebe in der Umgebun g der Milz (Perisplenitis) kann dieselbe vergrößert erscheinen (0. VIEROKDT). Leber wie Milz können ainyloid entarten. — Über Milz und Leber, nicht so oft au anderen Teilen des Bauchs, hört man manchmal ein mit den Atembewegungen zusammenfallendes weiches oder gröberes und rauheres Reiben. Magen und Darm brauchen keine schweren Störungen darzubieten — gewöhnlicher aber kommt es wenigstens im späteren Verlauf dazu. Es stellt sich heftiges, anhaltendes Erbrechen — hartnäckige Verstopfung, oder diese abwechselnd mit Durchfällen ein. Bei amyloider Entartung des Darms fehlen solche wohl nie; dann sind sie nahezu unstillbar. — Das Verhalten des Harns bietet, falls die amyloide Entartung der Nieren ausbleibt, nichts Besonderes. — Der Verlauf der Peritonealtuberkulose zeigt große Schwankungen. Enden die Fälle verhältnismäßig rasch mit dem Tode, dann dauert das Fieber an, die
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Ergüsse in den Bauch nehmen zu, häufig kommen neben ihnen Entzündungen der Pleura oder des Perikardiums zum Vorschein, vielleicht tritt ein tuberkulöses Lungenleiden deutlicher hervor. Mit dieser Ausbildung örtlicher Vorgänge geht die Abmagerung, der Verfall der Kräfte, die sich merklich steigernde Blutleere Hand in Hand. So kann unter den Erscheinungen des Marasmus der Ausgang erfolgen — oder aber es haben sich mehr noch die Zeichen hämorrhagischer Diathese, vielleicht auch die einer amyloiden Entartung hinzugesellt. Beides scheint seltener zu sein. — Andererseits sieht man, und das sogar recht oft, einen Rückgang der Erkrankung. Nachdem wochen- und monatelang Abnahme der Ergüsse in die Bauchhöhle, vielleicht auch der in die Brusthöhle gesetzten mit deren Wiederanwachsen gewechselt hat, dabei höheres oder geringeres Fieber zugegen war, und im ganzen schwere Verluste an Körperkraft und an Körpervölle eingetreten waren, läßt — immer langsam und allmählich — eine Wendung zum Bessern sich spüren. Es kommt örtlich zur Heilung, die für Jahre — einige glauben für das ganze Leben — zur vollständigen Genesung werden kann. Immerhin werden an den ergriffenen Teilen Überbleibsel der Entzündungsvorgänge kaum je vermißt werden. Und man wird mit der Annahme nicht irre gehen, daß die Dauersporen des Tuberkelbacillus sich meist an Ort und Stelle für längere Zeit, wenn auch zunächst unschädlich geworden, halten. So wird es verständlich, daß oft genug über kurz oder lang der ganze Vorgang sich wiederholt. Nochmals, ja mehrmals mag zeitweilig Kuhe eintreten —, aber es kann auch bald, sei es durch örtlich beschränkte Vorgänge, sei es durch eine allgemeine Tuberkulose das tödliche Ende erfolgen. — Es dürfte geratener sein bei der Stellung der Prognose daran zu denken, daß die einmal über weitere Gebiete sich erstreckende Tuberkelaussaat wohl zurückgedrängt, aber nicht vernichtet werden kann, als den Umstand hervorzuheben, daß man bei der tuberkulösen Erkrankung des Peritoneums Fälle gesehen hat, welche lange Zeit (Maximum 10 Jahre) geheilt schienen. Man mag im Einzelfall, der Möglichkeit des Stillstandes eingedenk, mit einer zu trüben Voraussage zurückhalten —, aber am letzten Ende ist dieselbe sicher eine ungünstige. — Die Diagnose ist öfter keine leichte und muß sich, besonders in den langsamer verlaufenden Fällen, häufig genug mit einer mehr oder minder großen Wahrscheinlichkeit begnügen. Wer mit der chronischen idiopathischen Peritonitis rechnet, wird zugeben müssen, daß vielleicht nur die Leichenöffnung zwischen seiner Ansicht und derjenigen zu entscheiden vermag, die eine solche Erkrankung nicht anzuerkennen vermag. Differentialdiagnostisch kommen weiter die Leberzirrhose und bösartige Neubildungen in Betracht. Die letzteren besonders dann, wenn das ursprünglich ergriffene Organ sich nicht bemerkbar macht, und so das Erkranken des Bauchfells scheinbar selbständig auftritt. — Es sind einige wenige Fälle bekannt, wo nach der durch diagnostische Irrtümer bedingten Eröffnung der Bauchhöhle die Peritonealtuberkulose zur Ausheilung gelangte. Darauf sich berufend, hat man neuerdings diesen operativen Eingriff empfohlen. Wunderbarerweise soll außer dem Ablassen des Exsudats durch die Laparatomie nichts Weiteres erforderlich sein. Ob sich viele Operateure zu diesem Vorgehen bestimmen lassen werden, bleibt abzuwarten; jedenfalls könnte man die einfache Punktion versuchen. — Da man lange auf eine günstige Wendung hoffen darf, ist neben dauernder
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Bettruhe eine möglichst ausgiebige Ernährung der Kranken mit einer bis in das Kleinste gehenden Sorge für das Aufrechterhalten der Kräfte dringend geboten. Einpackungen des Bauches in Umschläge, welche mit Kreuznacher Mutterlauge in passender Verdünnung getränkt sind, sind manchmal von entschiedenem Nutzen. V o n einigen werden Einreibungen des Bauchs mit grauer Salbe sehr gelobt. Dabei hätte man die Allgemeinwirkungen des Quecksilbers im Auge zu behalten. Das für die Tuberkulose des Peritoneums Bemerkte gilt nach vielen Richtungen hin ebensogut für den Krebs. Derselbe ist ganz ausnahmsweise ein primärer; gewöhnlich ist in der Leber oder in den inneren weiblichen Geschlechtswerkzeugen, viel seltener in anderen Organen ein Herd vorhanden, von welchem aus die Verbreitung geschieht. Endlich kann bei der so ungemein seltenen allgemeinen Carcinose auch das Bauchfell schwer ergriffen werden. — Sarkome können, besonders von den retroperitonealen Drüsen her zur Entwicklung innerhalb des Bauchfellsacks gelangen. — Echinokokken findet man darin nicht häufig ebensowenig die gutartigen Neubildungen: Lipome, Fibrome Myxome.
IX. Krankheiten der Leber und der Gallenwege, § 213. Allgemeines. Abweichungen der Grösse und Form der Leber. D i e L e b e r , die größte und mächtigste Körperdrüse, nimmt durch ihre Gefäßanordnung eine Sonderstellung im Kreislauf ein. In dem aus Venen hervorgehenden Kapillarsystem der Pfortader strömt das Blut außerordentlich langsam und mit sehr geringem Druck, es ist dadurch bedingt, daß schon unbedeutende Störungen des Abflusses hinreichen, dasselbe in der Leber zurückzuhalten und eine passive Hyperämie hervorzurufen. So wird dann wiederum eine Anhäufung des Blutes in den Pfortaderästen herbeigeführt: die Milz und der Darmkanal mit dem Magen werden alsbald in Mitleidenschaft gezogen. Eine weitere Folge der langsamen Blutströmung ist, daß alle jene pathologischen Veränderungen, welche durch Erkrankung des Blutes selbst oder von den in ihm enthaltenen. Krankheitserregern aus erzeugt werden, in der Leber leichter auftreten, weil dieselbe längere Zeit ihrer schädlichen Einwirkung preisgegeben bleibt. So wird denn bei allen erheblicheren Störungen des Kreislaufs, welche den Abfluß des Blutes aus der unteren Hohlvene beeinträchtigen, die Leber und mit ihr das ganze Pfortadergebiet beteiligt; ebenso wird bei der Anwesenheit von Krankheitskeimen im Blute, welche irgend imstande sind, auf dieselbe einzuwirken, die Leber ergriffen. Es genügt der Hinweis, daß bei Vergiftungen sich in der Leber relativ große Mengen der Gifte nachweisen lassen, daß in derselben bei den akuten Infektionen^ wie bei den chronischen (Tuberkelniederlassungen werden j a selten vermißt) sich Veränderungen finden, endlich ist auf die Häufigkeit von Metastasen bösartiger Geschwülste aufmerksam zu machen. Bei den meisten Erkrankungen der Leber kommt als ein Moment von höchster Bedeutung neben den Störiongen der eigentlichen Drüsenthätigkeit die Rückwirkung auf den Kreislauf in Betracht. Die Größe und Lage der Leber kann nur annähernd bestimmt werden. Normal verlaufen die oberen, einzig mit Hilfe der Perkussion festzustellenden, Grenzen so: Sternallinie: sechste Rippe, Mammillarlinie: sechster Interkostalraum, Axillarlinie: unterer Rand der siebenten Rippe, Skapularlinie: neunte Rippe, Wirbelsäule: elfte Rippe. Man perkutiert bei aufrechter Körperhaltung des zu Untersuchenden mit fest aufgelegtem Finger oder Plessimeter und nicht zu schwach in der Richtung von oben nach unten; die absolute Dämpfung ist dabei festzustellen. Die untere Grenze fallt; mit dem Rippenbogen zusammen oder überragt denselben nur um wenige Centimeter. Sie ist durch leise Perkussion von unten
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Krankheiten der Leber und der Gallenwege.
nach oben, von dem tympanitischen auf das nicht tympanitische Gebiet am besten zu bestimmen. Schwach perkutiert man gleichfalls um die Ausdehnung des linken Leberlappens zu finden, unmittelbar unter dem Rippenbogen beginnend; von links nach rechts, dann von nnten nach oben. Dieser Lappen wechselt sehr erheblich an Ausdehnung: bei vollkommen normalen Verhältnissen liegt er zwischen der Mittellinie und der linken Axillarlinie. — Nur wenn sehr schlaffe Bauchdecken vorhanden sind, kann bei normaler Beschaffenheit der Leber die Palpation zur Bestimmung der unteren Grenzen mit verwendet werden, gewöhnlich ist der diinne Lebersaum nicht durchzutasten. — Die Größenzunahme der Leber im ganzen (die an der Konvexität sich entwickelnden Geschwülste verhalten sich natürlich anders) wird in der Richtung nach links und besonders in der nach unten zuerst nachweisbar; das Zwerchfell wird zunächst von dem schwerer gewordenen Organ nach abwärts gezogen. Auch eine Verkleinerung ist an der unteren Grenze am frühesten wahrnehmbar. — Die Abwesenheit größerer Gas- und Kotmengen im Darm ist notwendig, wenn eine Untersuchung genauere Ergebnisse haben soll. Vergrößerung der Leber kann durch Pleuraergüsse der rechten Seite, vielleicht hin und wieder einmal auch durch eine sehr feste Verdichtung der Lunge, sowie durch Exsudate und Geschwulstentwicklung zwischen dem oberen Leberrande und dem Zwerchfell — der unilokuläre Echinokokkus kommt hier wesentlich in Betracht —• vorgetäuscht werden. Ebenso können Neubildungen der Nachbarorgane so eng mit der Leber verbunden sein, daß eine Abgrenzung nicht gelingt — Carcinome des Magens und Netzes in erster Linie. Verkleinerung der Leber scheint vorhanden, wenn durch Gas stärker gespannte Därme sich vorlegten und die Leber dabei etwas durch Drehung um ihre Querachse auf die Kante gestellt ist. Bei Tympanites und Ascites höheren Grades geschieht das ganz regelmäßig. Unter den Veränderungen der Leber, welche ohne pathologische Bedeutung sind, ist die Schnürleber die häufigste. Dieselbe entsteht durch einen von der Brustwand her wirkenden Druck auf das Organ — viel häufiger als das Korset geben Rockbänder, zu schmale Quader und Riemen dazu die Veranlassung. Man sieht auf der Leber eine mehr oder minder tiefe Furche mit entsprechender Verdünnung; der Peritonealüberzug ist getrübt. Bei höheren Graden besteht die Schnürfurche ihrer Hauptmasse nach aus Bindegewebe; die Drüsensubstanz ist atrophisch geworden. — Die physikalischen Folgen der Einschnürungen sind: Verlängerung tdes Organs mit einer Ausdehnung derselben nach unten, die sogar bis zur Cökalgegend reichen kann; Beweglichkeit an der verdünnten Stelle, bisweilen so erheblich, daß man bei schlaffen und fettarmen Bauchdecken den abgeschnürten Lappen umzuklappen vermag. • Dem Getast kann die Schnürstelle selbst härter und der darunter gelegene Teil granuliert erscheinen, indem sich sein Uberzug durch Bindegewebswucherung unregelmäßig verdickt. Als seltenere Folge ist zu erwähnen, daß sich zwischen^Leberfurche und Bauchwand ein Darm einlagert, so daß der untere und obere Teil der Leber als nicht zusammengehörig erscheinen. Den diagnostischen Täuschungen, welche aus diesen Verhältnissen erwachsen, entgeht man meist unschwer, da die Schnürfurche selbst durchzufühlen ist. In seltenen Fällen ändert die Leber im ganzen ihre Lage — Wanderleber; Hepar migrans. Sie sinkt dann in die Bauchhöhle herab und erscheint innerhalb
Allgemeines. Abweichungen der Größe und Form der Leber. Gelbsucht.
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derselben in mehr oder minder hohem Grade beweglich. Es acheint das auf einer angeborenen Anomalie, auf der Bildung eines Mesohepar durch die vom Zwerchfell herabsteigenden Bauchfellplatten zu beruhen. — Als begünstigende Bedingungen dafür sind schlaffe Bauchdecken und anstrengende mit Pressen verbundene Körperarbeiten zu bezeichnen; beides macht sich nach Entbindungen am leichtesten geltend, die Hauptmasse der Erkrankten besteht aus Frauen. Die Diagnose ist durch den Nachweis der Leberform an dem dislozierten Organ und weiter dadurch, daß dieses sich nicht an seinem Platze findet, wohl aber dahin wenigstens zum Teil zurückgebracht werden kann, zu stellen. § 214. Gelbsucht. Unter den Symptomen der verschiedenen Lebererkrankungen nimmt die G e l b s u c h t (Ikterus) einen hervorragenden Platz ein. — Nachdem die Auffassung, daß die Leber lediglich das Ausscheidungsorgan für die in den Geweben sowie in dem Blute gebildete und mit dem letzteren zu ihr gelangende Galle sei, verlassen werden mußte, haben wir grundsätzlich zwei Arten der Gelbsucht zu trennen. Bei der ersten — der hepatogencn — handelt es sieh um eine Aufnahme der in der Leber gebildeten ganzen Galle in das Blut. Bei der zweiten — der hämatogenen — ist zunächst nur erwiesen, daß aus dem Blutfarbstoff innerhalb der Blutbahn sich Gallen farbstoff bilden kann, da das Hämatoidin vollständig mit dem Bilirubin identisch ist. Es kämmt also bei dem hämatogenen Ikterus wohl zu einer Ansammlung von Gallenfarbstoff im Blute und in den Geweben, indeß nicht zur Anhäufung der uhrigen Gallenbestandteile. — Da die Farbstoffe indifferente Körper sind, sich aber unter den übrigen Bestandteilen der Galle Stoffe von zweifellos schädlicher Wirkung befinden, hat diese Unterscheidung eine große Bedeutung. — Wird die Menge der mit dem Blute kreisenden Galle zu groß und dauert der Vorgang zu lange, dann tritt ein Zustand fein, den wir mit dem Namen der Cholämie bezeichnen. Es werden dabei die Muskeln und das Nervensystem vorzugsweise beteiligt. Allgemeine Mattigkeit, Unfähigkeit zu schwereren oder anhaltenden Arbeiten, Verlangsamung der Pulsfrequenz, geistige Ermüdung, nicht selten mit gesteigerter Erregbarkeit einhergehend, Verstimmung, Schlaflosigkeit; dann Hautjucken, abnorme Empfindungen des Geschmacks, des Gehörs — das sind die Erscheinungen leichterer Grade der Cholämie. Bei den höheren kommt es zu schweren Hirnsymptomen: von Aufregungszuständen (Delirien mit dem Charakter der maniakalischen) unterbrochen, entwickelt sich Schlafsucht, die bis zum tiefsten Koma anwächst mit allen Zeichen der voll entwickelten Hirnlähmung; seltener zeigen sich Krämpfe. Daneben finden sich ausgedehnte Hämorrhagien an allen Teilen des Körpers und fettige Degeneration des Herzens, der Nieren, der Leber, bisweilen auch der Körpermuskulatur. Den ganzen Symptomenkomplex bezeichnet man als Ikterus gravis. Die Anschauungen über sein Zustandekommen sind noch nicht ganz geklärt. Daß die Gallensäuren schädliche Wirkungen haben, steht fest: sie vermögen die roten Blutkörperchen aufzulösen und verlangsamen die Herzthätigkeit, zuerst durch lähmende Einwirkungen auf die automatischen Ganglien, später wird die Muskulatur unmittelbar beteiligt. Ob aber sie unter den Gallenbestandteilen die einzig giftigen sind, wird bestritten, neuerdings hat man auch das CholeBtearin angeklagt. Sehr bestechend klingt eine Hypothese, welche die Störung der Verdauung und die direkt schädlichen Einflüsse der Gallensäuren miteinander in Rechnung stellt (COHNHEIM). Durch die infolge des Ausschlusses der Galle vom Darm, wie sie bei den y. J ü r g e n 8 S i l , Spez. Path. u. Ther
II. Aufl.
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Krankheiten dor Leber und der Gallenwege.
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hier in Betracht kommenden Erkrankungen geschieht, erschwerte Aufnahme von Fett sei der Körper gezwungen, von seinem OrganeiweiR herzugeben, um aus diesem durch Abspaltung seinen Bedarf an Fett zu gewinnen. So verschlechtere sich allmählich die Zusammensetzung aller Organe, nicht zum wenigsten die des Blutes, dessen Bestand an roten Körperchen durch die spezifische Wirkung der Gallensäuren, wenn auch nur langsam, doch dauernd herabgemindert werde. Auch das Herz werde vorzugsweise durch die Gallensäuren geschädigt. Am Ende bilde sich ein Zustand hochgradiger Anämie und allgemeinen Ernährungsrückganges heraus, der die fettigen Degenerationen, die multiplen Blutungen, die schweren Hirnerscheinungen, welche als anämische Delirien zu fassen seien (TRAUBE) , vollkommen verständlich mache. Auch die leichteren Formen ordnen sich dieser Auffassung ohne jeden Zwang unter. — Es ist noch einer weiteien Anschauung zu gedenken, welche allerdings nur für einen beschränkten Kreis von Erscheinungen in Betracht kommen kann und vorderhand keine weiteren Stützpunkte findet. Man hat daran gedacht, daß bei verminderter oder ganz aufgehobener Absonderung von Galle in der Leber, die sonst zu diesem Behuf aus dem Blute hergegebenen Stoffe, nun in ihm zurückgehalten, schädlich wirken könnten (Acholie). Da über die Natur dieser Stoffe gar nichts bekannt, ist die Anschauung selbst weder zu beweisen noch zu widerlegen. Hepatogener
Ikterus
entsteht:
1. Durch Verlegung der großen Ausführungsgiinge. In erster Linie ist hier des Katarrhs des Ductus choledochus zu gedenken, welcher, gewöhnlich sich einem Gastroduodenalkatarrh anreihend, als dessen unmittelbare Fortsetzung zu betrachten ist. Verschwärungen der Gallenwege mit Bildung von Narben und die Einkeilung von Fremdkörpern, besonders Gallensteinen, in dieselben sind ferner in Betracht zu ziehen. Ebenso können Kompressionen der Gallenausführungsgänge durch Geschwülste, innerhalb oder außerhalb der Leber gelegene, oder durch schrumpfendes Bindegewebe den Abfluß der Galle erschweren, ja ganz aufheben. — Auf diese Weise entstehen die höchsten Grade von Gallenretention mit ihren Folgen. 2. Durch Veränderungen der Leber selbst, welche den Abfluß aus den feineren Gallengängen hemmen. Es giebt kaum eine Parenchymerkrankung derselben, bei der dies unter Umständen nicht vorkommen könnte. — Übrigens entwickelt sich a u c h in den feineren
Gallengängen
selbst ein
Katarrh.
3. Durch Änderungen der Blutbewegung, die eine so bedeutende Herabsetzung des Blutdruckes im Gefolge haben, daß der Druck des in den feineren Gallengängen befindlichen Sekrets stärker wird, daher aus diesen die Galle in das Gefäßsystem übertritt. — Ob diese Anschauung, wenigstens in ihrer ursprünglichen Form, wo ein unmittelbares Ubertreten der Galle in die Blutgefäße durch Druckdiffusion angenommen wurde, haltbar ist, steht dahin. Experimentell hat sich gezeigt, daß nach gleichzeitiger Unterbindung des Ductus choledochus und des Ductus thoracicus nur sehr wenig Galle in das Blut kommt, die H a u p t m a s s e der-
selben also den Umweg durch das Lymphgefäßsystem wählt. Ein weites Netz von Lymphbahnen, welches zwischen den Kapillaren und den Sekretionszellen sich verbreitet, ermöglicht den Übergang der Galle aus diesen letzteren in die Anfänge des Lymphgefäßsystems. Man hat sich den Verschluß der katarrhalisch erkrankten Gallenwege nicht so vorzustellen, als ob immer ein fester Schleimpfropf dazu erforderlich wäre. Bei dem nicht sehr erheblichen Sekretionsdruck und den leicht gestörten Hilfskräften für die Entleerung der Galle — im wesentlichen ist das Zwerchfell dabei thätig — genügt wahrscheinlich schon die einfache Schwellung der Schleimhaut in den Gallenwegen, zumal wenn die Galle etwas dickflüssig ist. Die letz-
Gelbsucht.
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tere Bedingung wird aber nicht selten erfüllt sein, da ihr Wassergehalt von dem des Blutes abhängt. Die Symptome des hepatogenen Ikterus gehen aus zwei Schädigungen hervor: Aufnahme von Galle in das Blut und Ausschluß aller Galle, oder wenigstens einer bestimmten Menge derselben, vom Darm. Da der in das Blut aufgenommene Teil jedenfalls für den Darm verloren geht und eine Vermehrung der Absonderung nicht stattfindet, kommt stets beides in Betracht. — Die Wirkungen der resorbierten Galle sind bereits besprochen. Es ist übrig, die Erscheinungen der Gelbsucht im engeren Wortsinne zu erwähnen und dabei auch der weiteren Schicksale der Gallensäuren zu gedenken. — Tierversuche, welche mit den Beobachtungen am Menschen übereinstimmen, haben ergeben, daß etwa 3—4 Tage nach dem Verschluß des Choledochus Ikterus deutlich wird; das Serum nimmt schon im Lauf des ersten Tages eine gelbe Farbe an, die Leber wird wohl noch früher iktevisch; zuerst zeigt sich der Ikterus an der Sklera. Die an Blut- und Lymphgefäßen armen Körperteile werden weniger stark gefärbt — Cornea, Nervenstämme, Knochen erscheinen auch bei den höchsten Graden, dem sogenannten Melasikterus, frei. Der Gallenfarbstoff wird durch die Schweißdrüsen, zum größten Teil aber durch den Harn ausgeschieden; er geht in die Thränen, den Schleim und in die Verdauungssäfte nicht über. Im Harn ist der Gallenfarbstoff nach Ablauf von etwa zwei Tagen seit dem Beginn des Verschlusses nachweisbar. Am besten geschieht dies mittels der Gmelin sehen Reaktion. In ein Spitzglas wird zu unterst etwas Schwefelsäure, darüber verdünnte reine Salpetersäure, oder noch besser eine konzentrierte Lösung von salpetersaurem Natron vorsichtig ohne Mischung der Schichten geschüttet. Zu oberst kommt der ebenso beim Einfliessen zu behandelnde Harn. Ist Gallenfarbstoff, besonders Bilirubin zugegen, dann tritt an der Berührungsfläche des Harns mit der unterliegenden Flüssigkeit ein grüner Ring auf, welche Farbe allmählich in die höheren Schichten des Harns sich fortpflanzt, an ihrem ursprünglichen Entstehungsorte hingegen bald m blau, violettrot, endlich gelb übergeht; auch dieser Wechsel schreitet von unten nach oben fort. So angestellt ist die Reaktion beweisend und liefert durch das Auftreten der grünen Färbung auch dann positive Ergebnisse, wenn nur wenig Gallenfarbstoff eich findet. Grünfärbung muß zugegen sein, ohne dieselbe ist ein sicherer Schluß nicht gestattet. —
Gallensäuren sind, freilich immer nur in kleinen Mengen, gleichfalls im Harn nachweisbar. Es ist wahrscheinlich, daß die Hauptmasse derselben im Körper zerstört wird und in einer nicht mehr ihren Ursprung verratenden Form durch die Nieren zur Ausscheidung gelangt. — Leichter Eiweißgehalt des Harns und einige wenige hyaline Cylinder werden bei hochgradigerem Ikterus nicht wohl vermißt. Sie sind Folge der Störungen, welche die durch die Nieren ausgeschiedenen Gallenbestandteile in diesem Organe hervorrufen. Der Abschluß der Galle vom Darm zeigt sich an den Fäces. Dieselben werden grau oder graugelb, sind hart, werden länger zurückgehalten, führen viel Fett und haben einen sehr üblen Geruch. Die ausfallenden physiologischen Wirkungen der Galle: ihr Einfluß auf die Resorption der Fette, die Verzögerung der Fäulnis, die Vermehrung der Peristaltik macht dies Verhalten erklärlich. Wieweit noch eine Störung der Verdauung des Eiweißes (durch die Vernichtung des Trypsin mittels des nicht mehr gefällten Pepsin), wieweit eine Verminderung der Umwandlung von Stärke in Traubenzucker, welche, wenn auch nur in geringem Maße, der Galle zukommt, von Bedeutung, mag dahingestellt sein. Jedenfalls ist es sicher, daß selbst bei den auf einfacher Verlegung der großen Gallengänge beruhenden Formen des Ikterus die Ernährung schwere Not leidet, daß hochgradige Abmagerung und Kräfteverlust damit verbunden sind. — Nach 41*
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Krankheiten der Leber und der Gallenwege.
dem Aufhören der veranlassenden Ursache dauert es immer einige Wochen, ehe die Gelbsucht ganz verschwunden ist. Hämatogener Ikterus hat eine Auflösung der roten Blutkörperchen, die Trennung ihres Farbstoffs von dem Stroma zur Voraussetzung. Experimentell ist derselbe durch Einspritzimg von Wasser, Gallensäuren, lackfarbenem Blut und dem Blute einer anderen Tierart u. s. w. zu erzeugen. — Nach dem Einatmen von Äther und Chloroform oder von Ammoniak, welche alle lösend auf die roten Blutkörperchen wirken, entsteht er gleichfalls. Außer diesen kommen für die Pathologie in Betracht der Biß von Giftschlangen und schwere Infektionen, besonders pyämische. Es wird mit voller Bestimmtheit von zuverlässigen Autoren angegeben, daß nach heftigen Gemütsbeiuegungen im Laufe von Stunden Gelbsucht eingetreten sei — dabei kann es sich nur um hämatogene handeln. — Der normale Ikterus der Neugeborenen gehört wohl zum Teil hierher; eine stärkere Anhäufung von Blutkörperchen innerhalb ihrer Gefäße, wie dieselbe nach Unterbrechung des Placentarkreislaufs vorkommt, bedingt den Zerfall des Uberschusses. Es ist eine Reihe von Zuständen keiner dieser beiden Formen mit Sicherheit zuzurechnen, sie mögen bald so, bald anders entstehen. Dazu gehört die manchmal sich zeigende menstruelle Gelbsucht, dann die bei verschiedenen Infektionskrankheiten — Typhus, Pneumonie, Malaria u. s. w.
Außer der Färbung der Gewebe kommen dem hämatogenen Ikterus höchstens noch die Symptome zu, welche bei massenhafter Ausscheidung des Farbstoffs durch die Nieren in den damit vielleicht verbundenen Störungen begründet sind. Welche Abweichungen die Gtykogenbildung in der Leber unter pathologischen Bedingungen erfährt, und welche Bedeutung solche für den Haushalt gewinnen können, ist noch vollkommen unbekannt. § 215. Hyperämie der Leber.
Wenn sich auch eine strenge Trennung der aktiren von der passiven H y p e r ä m i e d e r L e b e r nicht durchführen läßt, so sind doch wenigstens die ätiologischen Verhältnisse einigermaßen, die anatomischen ziemlich vollständig auseinander zu halten. Aktive Hyperämie findet normal zu den Zeiten der Verdauung statt, wo größere Mengen Blutes durch die Pfortader der Leber zufließen. Von dieser Thatsache hat man Gebrauch gemacht, um die bei Leuten, welche zu üppig leben, nicht seltene Anschwellung der Leber (Leberanschoppung) zu erklären. Man nimmt an, daß bei Vielessern durch die häufige Wiederholung der abnormen Dehnung, welche mit dem Zuströmen reichlicher Flüssigkeitsmassen einhergeht, eine dauernde Erweiterung der Gefäße und so ein dauernd vermehrter Blutgehalt eintreten könne. Namentlich geschehe das, sobald reizende Stoffe — Alkohol, scharfe Gewürze — in erheblicheren Mengen genossen wären. Dem wird, und wohl mit Recht, entgegengehalten, daß man, ohne die Thatsache selbst anzufechten, eine andere und bessere Deutung derselben zu geben vermöge. Es handle sich meist um Leute, welche sich wenig Körperbewegung machen, viel sitzen und im ganzen schwächer atmen. Dadurch werde die Anhäufung von Blut in der unteren Hohlvene und weiter in den Lebervenen begünstigt; es sei daher eine passive Hyperämie wegen erschwerten Abflusses des Blutes vorhanden. Zu deren Entstehung trage auch die allgemeine Fettanhäufung, eine bei Menschen mit dieser Lebensweise ganz gewöhnliche Erscheinung bei, indem sie die Zwerch-
Gelbsucht.
Hyperämie der Leber.
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fellsarbeit erschwere und die Thätigkeit des Herzens durch Auf- und Einlagerungen von Fett in dasselbe vermindere. Endlich wären noch die Anhäufung von größeren Mengen Kotes und die reichliche Entwicklung von Gasen im Magen und Darm als weitere Atmungshinderungen zu nennen. Daß manche Infektionskrankheiten aktive Hyperämie der Leber herbeiführen, wird von keiner Seite bestritten — Malaria und Dysenterie stehen in erster Reihe. Unter den chronischen Erkrankungen wäre Diabetes mellitus zu nennen, bei dem wenigstens manchmal die Leber stärker blutführend erscheint. — Es wird behauptet, daß vikariierende Fluxionen vorkommen: für die Menses, besonders zur Zeit des beginnenden Klimakteriums, dann statt gewohnter Hämorrhoidalblutung. — Traumen können wie überall zur vermehrten Blutfüllung Veranlassung geben. Passive Hyperämie findet sich stets, wenn der Abfluß aus den Leberveiten erschwert ist. Erkrankungen der Lungen — Katarrh bei Emphysematikern, eine ausgedehntere Lungencirrhose, Pleuraverwachsungen, Ergüsse in die Pleura, besonders linksseitige, welche, massenhaft geworden, geradezu die Cava zusammenpressen, bedeutendere, namentlich doppelseitige Lungenverdichtungen führen zur Dehnung des mit Blut überfüllten rechten Herzens, endlich zur funktionellen Insuffizienz desselben. — Alle Erkrankungen des Herzens — Klappenfehler, Myokarditen, Perikardialergüsse —, welche mit Verminderung der Triebkraft einhergehen, wirken in gleichem Sinne. — Daß Druck auf den Stamm der Cava inferior durch Geschwülste, Bindegewebswucherungen u. s. w. die gleiche Wirkung ausübt, versteht sich. Anatomisch bieten die aktiven Hyperämien außer einem vermehrten Blutgehalt nichts Eigenartiges. Die Folgen der passiven hingegen verraten sich, sobald dieselben etwas länger dauerten, und das ist ja bei ihrer Entstehungsweise die Regel, durch bestimmte Veränderungen. Die anfängliche Vergrößerung besteht nicht mehr, das Organ ist eher kleiner und seine Oberfläche leicht höckrig. Auf dem Durchschnitt sieht man die Stämme der Lebervenen erweitert, manchmal sehr bedeutend, die Mitte der Acini etwas eingesunken, dunkelrot, fast schwarzrot gefärbt; die mehr nach außen gelegenen Teile sind dunkelbraun bis lichtgelb und ragen über die Umgebimg hervor. Es entsteht so das Bild der Muskatnußleber. Die mikroskopische Untersuchung zeigt Erweiterung der Centraivenen, in den voll entwickelten Fällen gleichzeitig eine solche des gesamten intralobulären Kapillargebietes. Die Leberzellen sind atrophisch und mit gelbbraunem Pigment durchsetzt; unter Umständen gehen sie sogar zu Grunde, es liegt dann nur noch Pigment zwischen den stark erweiterten Kapillaren. Das Bindegewebe nimmt manchmal an den Veränderungen teil; es wird kleinzellig infiltriert und schrumpft später strichweise oder mehr gleichmäßig über das ganze Organ ausgebreitet. Immer findet sich eine reichlichere Fettmenge in einer solchen Leber, — Man nennt den Zustand cyanotische Atrophie; ist dabei die Bindegewebsentwicklung reichlicher, dann redet man von cyanotischcr Induration. Die Leberhyperämie bietet so gut wie nie ein schärfer abgegrenztes Krankheilsbild; sie begleitet vielmehr als Symptom die Zustände, aus denen sie hervorging. Die Vergrößerung oder Verkleinerung der Leber ist durch Perkussion und Palpation nachweisbar. Ist eine Schwellung in nicht zu langer Zeit entstanden, wie z. B. durch das Auftreten eines weiter verbreiteten Bronchialkatarrhs bei Emphysematikern oder Herzkranken am Ende des Kompensationsstadiums, dann wird
Krankheiten der Leber und der (rallenwege.
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über Stechen in der Lebergegend und über die Empfindung von Schwere im Bauch geklagt; die linke Seitenlage ist mit Unbequemlichkeiten verbunden. Ein leichter Grad von Ikterus tritt nicht selten auf, bedingt durch die von den ausgedehnten Kapillaren und Venen geübte Kompression der feinen interlobulären Gallengänge — mit der allgemeinen Cyanose zusammen bewirkt die so herbeigeführte Gelbfärbung das eigentümliche grünliche Kolorit, welches die höheren Grade der Herzschwäche auszeichnet. — Der gehinderte Abfluß des Pfortaderbluts hat funktionelle Störungen zur Folge, er begünstigt die Entstehung katarrhalischer Erkrankung im Magen-Darmkanal. Stärkerer Ikterus mit Entfärbung der Fäces ist fast immer auf einen Duodenalkatarrh zu beziehen. Verminderung des Appetits, mangelhafte Ausnutzung der Nahrung, Dyspepsie und Störungen bei der Kotentleerung — häufiger Verstopfung als Durchfall — begleiten die venösen Hyperämien der Leber sehr gewöhnlich. Ebenso tritt Ascites neben ihren höheren Graden recht oft auf; Milzschwellung fehlt hingegen meistens — eine nicht ganz verständliche Thatsache. Die früher für die Leberschwellung beanspruchte hypochondrische Verstimmung wird mit größerem Recht auf die gleichzeitige Störung der Verdauungsvorgänge bezogen. — Verlauf und Ausgang richten sich nach der veranlassenden Ursache, ebenso die Prognose. Daß eine schwere anatomische Veränderung der Leber, wie sie die cyanotische Induration darstellt, für den Körper ein ernsteres Ereignis ist, steht wohl fest. Allein die Störungen des Kreislaufs, welche die Leberveränderung erzeugten, wirken überall, und es gelingt nicht den Anteil derselben aus dem ganzen Krankheitsbilde zu sondern. —Die Diagnose ist in der Mehrzahl der Fälle leicht; sie hat sich natürlich nicht mit der Feststellung der Thatsache, daß eine Leberhyperämie vorliegt, zu begnügen, sondern muß deren Ursprung aufdecken. Differentielldiagnostisch kann nur die Lebercirrhose in Betracht kommen (§ 220), in praxi freilich segelt mancherlei unter dieser Flagge (Magen- und Herzerkrankungen wären in erster Linie zu nennen). — Die Behandlung richtet sich nach den Bedingungen, welche die E r k r a n k u n g herbeiführten.
E i n e Therapie
der Leberhyperämie
als solcher giebt es
nicht, es sei denn, daß man jenes Verfahren hierher zählt, welches vorübergehend die Abschwellung
des
Organs
herbei-.ufuhren
sucht.
M a n setzt zu diesem Z w e c k
Blutegel an die Aftermündung. Die Hautvenen dieses Gebietes kommunizieren mit den Hämorrhoidalvenen, diese wiederum mit der Vena mesenterica inferior, so daß also in der That eine Entleerung der Pfortaderwurzeln stattfinden kann. Die Venen der Bauchhaut in der Lebergegend stehen freilich gleichfalls mit dem Gefäßsystem der Drüse in Verbindung, allein dieselbe ist lange nicht so ausgiebig. Man zieht daher die Entleerung von der Haut des Afters aus vor. Eisbeutel auf die Lebergegend in ihrer ganzen Ausdehnung dienen dem gleichen Zwecke. — Angezeigt
ist das Verfahren
bei traumatischer
Hyperämie;
es wird a u ß e r -
dem für alle rasch sich einstellenden Schwellungen empfohlen — man wird gut thun, sich nach den Umständen des Einzelfalls zu richten. Dasselbe gilt von dem Gebixmch der Abführmittel, unter denen das Kaloniel früher als ein ganz besonders geeignetes angesehen wurde, weil man ihm zutraute, daß es die Absonderung der Galle vermehre. — Die Leberschwellung der Virlesser kann nur durch entsprechende Diät und Regelung der Lebensweise überhaupt zum Schwinden gebracht werden — mit Recht haben hier die B> unneukuren (Karlsbad, Kissingen u. s. w.) von alters her einen guten Ruf. — Die Therapie der übrig bleibenden Formen deckt sich vollkommen mit der ihrer Grundleiden.
Hyperämie der Leber.
§ 216.
Verlegung der Pfortader.
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Verlegung der Pfortader.
Die V e r l e g u n g d e r P f o r t a d e r , welche bis zu vollständigein Verschluß sich ausbilden kann, geht fast immer mit Thrombenbildung in derselben einher. Man unterscheidet zunächst die Verlegung des Stammes und die der Äste; sie können jede für sich oder nebeneinander auftreten. Nach der Entstehungsart wird weiter getrennt die marantische von der Kompressionsthrombose. Die marantische, Thrombose ist selten; sie tritt gewöhnlich kurz vor dem Tode oder während der Agonie auf. — Die Komjrressionsthrombose entsteht auf verschiedene Weise. An dem Stamme der Pfortader durch Geschwülste, die von den Nachbarorganen oder von der Leber selbst ausgehen: Carcinome des Magens, des Duodenums, des Pankreas, der Drüsen an der Porta hepatis oder der retroperitonealen, dann die verschiedenen Erkrankungen und Entartungen dieser Drüsen durch tuberkulöse Infektion, ferner die im Gefolge der Leukämie und Pseudoleukämie vermögen einen Druck auf die Pfortader zu üben. Ihnen schließen sich die Folgen chronische)- Peritonitis an: Bindegewebswucherung mit einschnürender Narbenbildung des Stammes der Pfortader. — Derselbe kann durch alle diese Vorgänge inner- oder außerhalb der Leber getroffen werden. — Die häufigste Veranlassung zur Verengerung von Pfortader ästen ist die Entwicklung von Bindegewebe, wie sie im Gefolge der Lebercirrhose auftritt, seltener führt dazu die Erweiterung von Gallemvegen, welche alsdann prall gefüllt eine genügende Druckwirkung entfalten können, oder die Entstehung von Geschwülsten in der Leber. Anatomisch findet man frischere oder ältere, vielleicht schon ganz organisierte Thromben, welche die verengten Gefäßkanäle ausfüllen; die Venenwandungen sind der Dauer des Vorganges und den veranlassenden Ursachen entsprechend verändert. Das Lebergewebe erscheint in frischen Fällen blutärmer und schlaffer, in älteren gleichfalls blutarm aber fester; das ganze Organ ist kleiner, bald mit glatter, bald mit granulierter Oberfläche. Zeigt sich das letztere, dann trat Bindegewebswucherung der Leber ein, welche nach den Ergebnissen experimenteller Forschung auf den Verschluß der Pfortader zurückgeführt werden darf. Etwaige Folgeerscheinungen hängen davon ab, ob ein genügender Kollatcralkreislauf "Mstande gekommen war oder nicht. In dieser Beziehung ist zu bemerken: Die Leberarterie vermag durch ihre Verbindung mit den Interlobularvenen und dem Kapillarnetz der Acini nicht nur ihrer eigentlichen Bestimmung als nutritives Gefäß nachzukommen, sondern auch als funktionelles thätig zu werden. Es findet daher trotz des Verschlusses der Pfortader dauernd Gallenabsonderung statt. Da der Stamm der Leberarterie manchmal bei langdauernder Pylethrombosis erweitert ist, dürfte die Möglichkeit eines ausgiebigen Vikariierens nicht abzuweisen sein. Das Blut, welches durch den Verschluß der Pfortader vom Einströmen in die Cava inferior abgehalten wurde, hat verschiedene kollaterale Wege offen, die ursprünglich als feine Gefäße angelegt, sich bald in genügendem Grade erweitern. Es kommen in Betracht: 1. Die Wurzeln der Vena gastrica superior — Verbindungen mit den Ven. oesophageae, die mit den Interkostalvenen und der Azygos kommunizieren, dann mit den Venen des Zwerchfells, die sich in beide Hohladern ergießen. 2. Die den Mastdarm umgebenden Venen, aus denen die Venae haemorrhoidales superiorea zum dritten Stamme der Pfortader, der Mesenterica inferior führen, während die Venae haemorrhoidales inferiores durch die Pudenda interna und Hypogastrica mit der Cava inferior in unmittel-
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Krankheiten der Leber und der Gallenwege.
barer Verbindung steht. Aus dem Darm, besonders aus dem Duodenum und Kolon, gehen kleine Venen hervor, die sich unmittelbar in die Cava inferior entleeren. 4. Die sogenannten „accessorischen Pfortadern" — Venen, nicht aus dem Darm entspringend, aber unmittelbar in die Leber oder die Pfortader vor ihrem Eintritt in dieselbe mündend. Besonders zu bederen Wurzeln, beiderseits paarig aus der Epigastrica merken ist die Vena parumbilicalis, und lliaca externa hervorgehend, sich in der Nabelgegend zu dem Stamme vereinigen, welcher neben der oblitterierten Nabelvene in die Pfortader mündet. Liegt jenseit (herzwärts) dieser Stelle das Hindernis, dann ergießt sich das angehäufte Blut durch die gewaltig ausgedehnte Vena parumbilicalis in die Venen der vorderen Bauchwand und erweitert dieselben, so dal! sie als dicke, gewundene blaue Stränge unter der Haut sich hervorwölben (Caput medusae).
Durch das Fehlen von Klappen an dem Pfortaderstamm und seinen Ästen wird die kollaterale Ausgleichung wesentlich gefördert. Solange der kollaterale Kreislauf hinreicht, um eine Ansammlung des Blutes in den Wurzelgebieten der Pfortader zu verhindern, bleibt die Erkrankung ohne erheblichere Folgen — daher sind die langsam entstehenden, sich auf ein beschränktes Gebiet beziehenden Verengerungen in der Regel symptomlos. Ander?, wenn die Ausgleichung ungenügend wurde. Es treten dann die Zeichen des gehemmten Blutlaufs im Pfortadersystem auf, langsamer oder rascher und in wechselnder Starke, je nachdem die Störung selbst sieh entwickelte. Ascites, Milzschwellung, Diarrhöen vielleicht mit nicht unerheblicher Zumischung von Blut, nicht selten auch Erbrechen — das sind die aus der Anhäufung von Blut im Pfm-taderkreislauf ohne weiteres verständlichen Erscheinungen. Sehr bald gesellen sich die Symptome hinzu, welche das Absinken des arteriellen Drucks und die Überfüllung der Venen im großen Kreislauf überhaupt begleiten: Verminderung der Harnsekretion, allgemeiner Hydrops, rascher Verfall. Bei den Einzelerscheinungen verdient Erwähnung: Der Ascites wird, wenn er einmal auftrat, meist sehr bedeutend; er kommt nach Punktionen rasch wieder. Die MihschweUvng ist gleichfalls hochgradig, sobald sie überhaupt vorhanden. Diarrhöe ist unter den gastro-intestinalen Störungen die gewöhnlichste, die Zumischung von Blut wird in etwa ^ dieser Fälle beobachtet. Erbrechen ist etwas weniger häufig. — Dyspeptische Beschwerdeu fehlen niemals; auffallend ist, daß trotz ihrer manchmal ein förmlicher Heißhunger sich einstellt. Wie sehr, und zwar wegen der mangelhaften Versorgung der Verdauungsorgane mit Blut, die Assimilation leidet, geht am besten daraus hervor, daß, obgleich Fieber fehlt, dennoch rasch Marasmus eintritt, sobald der kollaterale Kreislauf ungenügend wird. Dauer, Verlauf und Prognose sind von den Grundursachen, dem schnellen oder langsamen Eintreten der Verlegung und der Möglichkeit, einen kollateralen Kreislauf herzustellen, abhängig. Die Prognose, wegen der meist unheilbaren Veranlassungen von vornherein wenig gut, wird von dem Augenblick entschieden schlecht, wo sich das Ungenügende der kollateralen Entlastung ergiebt. Die Diagnose ist in erster Linie eine ätiologische; wenn sich die genannten Symptome der mangelhaften Abströmung des Blutes aus dem Pfortadergebiet neben der aus der Anamnese zu erhebenden Möglichkeit einer Verlegung der Pfortader ergeben, ist an die Verlegung zu denken. Allein, da es sich dabei doch nur um eine Erschwerung des Pfortaderkreislaufs handelt und doch nur eine solche aus den physikalischen Folgen erkannt werden kann, muß manchmal die Frage offen bleiben, ob wirklich eine Pylethrombosis eingetreten ist. Das gilt namentlich für die differentielle Diagnose bei gleichzeitig bestehender
Verlegung und eitrige Entzündung der Pfortader.
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Schrumpfleber. Das Caput medusae ist kein pathognomonisches Zeichen. Es kann sich gleichfalls entwickeln, wenn der Abfluß aus der Pfortader in die Cava inferior sehr erschwert ist, wie das infolge von Druck auf die letztere und bei hochgradiger Herzinsuffizienz vorkommt — freilich geschieht das äußerst selten. Die Therapie vermag ihrer Aufgabe nur in beschränkter Weise zu genügen. Sind die Grundkrankheiten doch fast alle unheilbar. Man hat daran festzuhalten, daß die Ernährung soweit es möglich zu fördern und unnötige Verluste zu vermeiden sind. Daher sei man mit der Punktion des Ascites zurückhaltend und suche die Diarrhöen zu stillen. § 217. Eitrige Entzündung der Pfortader.
E i t r i g e P f o r t a d e r e n t z ü n d u n g (Pylephlebitis suppurativa) entsteht in seltenen Fällen primär, indem durch verschluckte Fremdkörper, welche nach Durchbohrung des Darms an die Pfortader gelangten, eine Verletzung der Gefäßwand herbeigeführt wird. Meist ist die Erkrankung sekundär und nimmt ihren Ausgang von einer Phlebitis, bei welcher im Gebiet der Pfortaderwurzeln infizierte Thromben gebildet werden. Es pflanzt sich die Thrombose einfach auf den Stamm fort, oder aber losgerissene Bröckel werden von dem Herde in der Richtung des Blutstroms fortgeschwemmt, und es kommt zur Embolie, wobei durch Apposition noch weitere Thrombenbildung auftreten kann. — Unter den Krankheitsprozessen, welche zur suppurativen Pylephlebitis Veranlassung geben, steht di e Perityphlitis an Häufigkeit obenan. Außer ihr kommen in Betracht: Die Entrundungen des Mastdarms, des Magens, der Milx, des Mesenteriums u n d der Meseraischen Drüsen, die Leberabscesse, Krankheiten der Gallenivege, welche zur eitrigen
Entzündung führen, Gallensteine, die eingeklemmt Verschwärung hervorrufen, Entzündungen an der Glissonischen Seheide dort, wo sie die Portader bei deren Eintritt in die Leber umhüllt. — Besondere Erwähnung verdient noch die Pylephlebitis der Neugeborenen, manchmal als einfache fortgesetzte Thrombose der Nabelvenen, andere Male als Erzeugnis einer septischen Infektion zu betrachten. — Es giebt vereinzelte Fälle, bei denen die Entstehungsweise vollkommen dunkel bleibt. Anatomisch findet man die erkrankten Teile der Pfortader als derbe feste Stränge mit entzündeter, eifrig infiltrierter Wandung. Sie entleeren einen eitrigen oder jauchigen Brei, ihre Intima ist mißfarbig, glanzlos, manchmal in geschwürigem Zerfall begriffen. Ein fester Thrombus schließt die Krankheitsherde gegen die unversehrten Strecken ab. Die Pfortaderäste in der Leber sind in mehr oder großer Ausdehnung mit Eiter gefüllt, die Leber kann normal oder von Abscessen durchsetzt sein. Sonstige Veränderungen (eitrige Peritonitis, metastatische Eiterherde in den Gelenken u. s. w.) entsprechen den ursprünglichen Erkrankungen, welche zur suppurativen Pfotaderentzündung führten, oder sie sind als deren Folgen zu betrachten. Die Krankheitserscheinungen setzen sich aus allgemeinen und örtlichen zusammen. Ein heftiger Schüttelfrost mit bedeutender Temperatursteigerung leitet die Krankheit ein, gleichzeitig, bald nachher oder schon vorher tritt Schmerz auf, welcher je nach dem Ausgangspunkt der Erkrankung im Epigastrium (Pfortaderstamm) oder im rechten Hypochondrium (Leberäste der Pfortader) sich zeigt. Die Leber schwillt rasch an und wird gegen Druck empfindlich, ebenso die Milz:
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Krankheiten der Leber unti der Gallenwege.
Ikterus stellt sich ein, reichliche gallige Stühle folgen. Diffuse Peritonitis kommt schnell nach. Unter andauerndem atypischen Fieber, das mit unregelmäßigen Schüttelfrösten verläuft, dessen Nachlaß durch starke Schweißbildung gekennzeichnet ist, verfällt der Kranke rasch. Der Tod ist der sichere Ausgang; derselbe kann sich bis sechs Wochen, bei nicht mit allgemeiner Sepsis verlaufenden Formen noch länger verzögern, er tritt aber auch schon im Laufe der ersten Woche auf. — Die Behandlung hat sich auf rein symptomatische Indikationen zu beschränken. § 218. Suppurative Hepatitis.
Die s u p p u r a t i v e H e p a t i t i s , der Leberabsceß, entsteht: 1. Durch die Einwirkung einer äußeren Gewalt, Kontusionen der Leber müssen indessen schon mit großer Kraft erfolgen, wenn sie eiterbildende Entzündung hervorrufen sollen 2. Weitaus am häufigsten im Gefolge von Pyämie als Metastase. 3. Bei eitriger Pfortaderentzündung. 4. Durch Ubergreifen entzündlicher Vorgänge aus den Gallen wegen. 5. Aus bisher unbekannten Ursachen. Hierher ist namentlich die in den Tropen häufige Form zu zählen, deren Ursprung noch nicht klar gestellt wurde. Man führt als veranlassende Ursache namentlich den Genuß stärkerer Spirituosen an und glaubt das häufigere Ergriffenwerden der Europäer davon ableiten zu dürfen; in die gleiche Linie wird eine unzweckmäßige Diät, namentlich die Zufuhr von reichlichen Mengen reizender Gewürze gestellt. Daneben wird auf das gleichzeitige Vorkommen von Dysenterie hingewiesen; in diesem Falle liegt die Annahme nahe, daß von den Wurzeln der Pfortader aus die Infektion geschehe. Die Möglichkeit, daß es sich um eine eigenartige Infektionskrankheit handle, ist nicht ausgeschlossen, aber mit den heutigen Hilfsmitteln noch nicht näher geprüft worden. •— Zu längeren Diskussionen, zum Teil Experimentaluntersuchungen, hat die Frage veranlaßt, auf welchem Blutwege infizierte Emboli in die Leber gelangen? Steckt der ursprüngliche Herd in den Venen des großen Kreislaufs, dann müßte man annehmen, daß die Emboli zunächst das Kapillargebiet der Lungen durchsetzen. In jenen Fällen, welche Lungen- und Leberabscesse nebeneinander aufweisen, hat diese Auffassung keine Schwierigkeiten. Allein anders, sobald, und das ist das häufigere, die Lungen frei bleiben. Man sucht sich hier mit der Deutung zu helfen, daß Emboli, welche bis in die Cava inferior kamen, von hier rückwärts in die Lebervenen gelangen könnten. Hin und wieder scheint das in der That möglich. Aber für die Hauptmasse der Leberabscesse bei Pyämie liegt die Erklärung näher. Man muß darauf hinweisen, daß die wegen ihrer Kleinheit mit dem Blutstrom überall frei kreisenden Spaltpilze durch die Leberarterie einwandern, bei der Langsamkeit der Blutbewegung im Kapillarbezirk leicht aufgeschwemmt werden und sich nun ansiedeln können. Die anatomische Untersuchung stützt diese Anschauung. Die Embolien bei Thrombosen im Gebiete der Pfortader wurzeln haben im vorigen Paragraphen ihre Erörterung gefunden. Die anatomische Untersuchung ergiebt: Makroskopisch erscheint die Leber in der Regel vergrößert und etwas weicher; liegen Abscesse der Oberfläche nahe, dann ist dieselbe an dieser Stelle leicht vorgewölbt, ihr Uberzug injiziert und getrübt. Auf dem Durchschnitt bemerkt man mehr oder minder zahlreiche Eiterherde, die in ihrer Größe zwischen dem
Eitrige Entzündung der Pfortader. Suppurativa Hepatitis.
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kaum Wahrnehmbaren und einem Kindskopf wechseln; ihre Form nähert sich der der Kugel. — Ihre W a n d u n g ist meist rauh, Parenchymfetzen bedecken dieselbe und ragen in die Höhlung hinein. Diese ist durch eine gelbe zähe Flüssigkeit, zum größten Teile Eiter, dem sich zerfallenes Gewebe beigemischt hat, ausgefüllt; Blut oder Galle kann darin enthalten sein. Die Umgebungen des frischen Abscesses ist nicht selten von einem stark geröteten Entzündungshof eingenommen. Am genauesten sind die feineren Vorgänge bei der Entstehung und Entwicklung der pyämischen Formen — übrigens etwa 3,4 aller in Europa vorkommenden — studiert. Man findet hier innerhalb der Kapillaren oder der kleinen Venen Kolonien der Mikroben, die Pyämie erzeugen, welche, sich allmählich weiter ausdehnend, das Lebergewebe in Mitleidenschaft ziehen, so daß seine Zellen aufquellen, sich trüben, ihren Kern verlieren und nekrotisch werden. Daneben tritt von dem Pfortadergebiet und den Anfangen der Lebervenen aus eine heftige Entzündung auf, welche zur kleinzelligen Infiltration und rasch zur Bildung von Eiter f ü h r t ; das zerfallende Gewebe mischt sich mit diesem. Die sich ausdehnende Entzündung und Nekrose kann einen mehr oder minder großen Teil der Leber zerstören. — Im ganzen wiederholen sich die Züge dieses Bildes auch bei jenen Formen, welche durch die Einwirkung eines anders gearteten Entzündungserregers entstanden sind. — Heilung wird durch Abkapselung und Eindickung des Absceßinhalts, bei kleineren Herden durch dessen Resorption herbeigeführt. Ein einheitliches Krankheitsbild der eiterbildendeu Leberentzündung kann nicht gegeben werden. Dieselbe versteckt sich bisweilen unter den Zeichen der Grundleiden, oder sie verläuft auch vollkommen symptomlos, so daß erst die Leichenöffnung ihre Anwesenheit aufdeckt. Es ist daher zweckmäßiger, sofort die Einzelerscheinungen gesondert zu besprechen. Leberschwelluny fehlt selten und kann so bedeutend werden, daß sie erhebliche Verdrängungserscheinungen hervorruft, welche namentlich am Zwerchfell deutlich werden. Ist die Leber der Palpation zugänglich, dann erscheint dieselbe gewöhnlich etwas härter, besonders sind tastbare Herde meist recht hart: in ihrer Tiefe kann man in vereinzelten Fällen eine undeutliche Fluktuation wahrnehmen. Durch den in der Regel reflektorisch zur Zusammenziehung gebrachten Rectus abdominis dexter wird übrigens wenigstens in seinem Bereich die Betastung nicht unerheblich erschwert. — Schmers ist ein gleichfalls häufiges Zeichen. Derselbe beschränkt sich manchmal auf einen bestimmten Teil der Leber und k a n n , wenn das konstant geschieht, für die Bestimmung des Sitzes der Eiterhöhle entscheidend werden — andere Male bleibt es bei einer unbestimmten dumpfen Empfindung, vielleicht nur bei dem Gefühl von Schwere in der Leber oder auch nur in der Bauchgegend. Die Beschaffenheit des Schmerzes wird selten als klopfend, meist als spannend bezeichnet. Bei Absceßbildung im rechten Leberlappen kommt es etwa in 50° 0 vor, daß in der rechten Schulter Schmerzen auftreten, welche bis in den Arm ausstrahlen — man führt dieselben auf die Verbindung von Phrenicusästen des Leberüberzuges mit dem vierten Cervicalnerven zurück. — Druck auf die Lebergegend steigert jeden vorhandenen Schmerz und ruft den nicht vorhandenen hervor; ebenso thut das jede stärkere Körperbewegung. Ikterus ist ziemlich selten, er kommt etwa in 16% vor und wird von der
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.Krankheiten der Leber und der Gallenwege.
Verlegung größerer Gallengänge innerhalb der Leber abgeleitet. — Störungen in den Verdauungswerkzeugen können ganz fehlen, sie sind aber häufiger vorhanden. Ihre Anwesenheit, ebenso wie die von Peritonitis oder von einfachem Ascites hat nichts Charakteristisches. — Schwellung der Milz kommt der Lebereiterung als solcher nicht zu, sie fehlt aber bei der pyämischen Form kaum je. — Die Atmung kann durch den Schmerz, welcher bei dem Herabsteigen des Zwerchfells in der Leber entsteht, gestört sein; ebenso durch den Druck, welchen eine stark vergrößerte Leber auf die Lungen ausübt. Als eigentümlich wurde früher ein kurzer trockner Husten (Tussis hepatica) angesehen, der auch ohne Bronchitis auftreten soll — jedenfalls kein häufiges Zeichen. Es kann vorkommen, daß von der Leberoberfläche durch die Stomata des Zwerchfells ein Entzündungserreger in die Pleura vordringt und hier einen serös-fibrinösen Erguß veranlaßt. Die Nieren zeigen nach keiner Richtung Eigenartiges. Unter den Allgemeinerscheinungen steht das Fieber obenan. Es soll ganz fehlen können; dies dürfte für frischere Fälle kaum zutreffen und dahin zu beschränken sein, daß geringere Steigerangen der Körperwärme (38 0 morgens bis 39 0 abends oder mittags) nicht jeden Tag, namentlich wenn der Kranke im Bette liegt, aufzutreten brauchen. Meist ist das Fieber anhaltend und höher; es zeigt keinen bestimmten Typus und hat im ganzen die Neigung zum raschen Wechseln nach oben und unten, so daß es kaum einen Tag gleich bleibt. Interkurrente, mit Frost eingeleitete Exacerbationen, welche die Temperatur bis 41 0 steigern können, fehlen auch bei den nicht pyämischen Formen selten; es wird von manchen das Auftreten von regelmäßigen, denen bei Intermittens gleichenden Fieberanfällen als eigentümlich für die Sepsis hingestellt. — Die Ernährung scheint nicht stärker, als es dem Fieber entspricht, Not zu leiden. — Hirnerscheinungen treten sehr zurück. Als wichtigstes Ereignis im Verlauf der eiterbildenden Hepatitis zeigt sich der seiner Häufigkeit nach auf 50 0,0 geschätzte Durchbruch des Äbscesses, welcher in verschiedenen Richtungen erfolgt. Abgesehen von der Entleerung nach außen durch die Bauchdecken geschah Perforation: In die Bronchien (43°;0) In den Darm (19 °/0) In die Bauchhöhle (19° 0 ). In die rechte Pleurahöhle (15%) Der Rest entfällt auf den Magen, den Herzbeutel und das rechte Nierenbecken. Diese Angaben beziehen sich übrigens zum großen Teil auf die tropischen Leberabscesse. Der Durchbruch macht sich, schon während er sich vorbereitet, meist durch bestimmte Zeichen bemerkbar, welche je nach dem Orte, an welchem er erfolgt, verschieden sind; er ruft, indem er das von ihm getroffene Organ in eitrige Entzündung versetzt, ernste Gefahren für das Leben hervor oder ist der günstige, die Krankheit abschließende Ausgang. — Letzteres gilt unbedingt bei einer vollständigen, sich ohne weitere Senkungen vollziehenden Entleerung durch die Bauchdecken. Es wird als einigermaßen charakteristisch für den durch Perforation sich entleerenden Eiter eines Leberabscesses dessen ziegelrote Farbe, von verändertem Hämoglobin herrührend, betrachtet; auch noch erkennbare Drüsenelemente sollen demselben beigemischt sein können; ebenso Gallenbestandteile,
Suppurative Hepatitis.
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Über die Dauer des ganzen Leidens läßt sich schwer etwas allgemeines sagen, da die veranlassenden Grundleiden so sehr verschieden sich verhalten, und oft genug, wie die Pyämie, dem Leben ein Ende machen, ehe der Leberabsceß recht zur Geltung gekommen ist. Für die mehr selbständigen Formen werden übrigens schon Termine angegeben, welche von acht Tagen bis zu Jahren schwanken. Genesung kann selbst bei kindskopfgroßen Abscessen durch Eindickung ihres Inhalts und Abkapselung erfolgen, im ganzen wird das seltener geschehen, als bei der Entleerung nach außen. Der Tod ist häufiger als die Heilung; die Abzehrung durch das anhaltende Fieber und die mit der Perforation verknüpften Gefahren geben dazu am öftesten Veranlassung. Die Prognose ist daher immer eine sehr bedenkliche. — Die Diagnose hat außer den durch die Anamnese zn erhebenden Thatsachen sich wesentlich auf die Gegenwart einer Leberschwellung mit Empfindlichkeit des Organs gegen Druck, etwa vorhandene bestimmt lokalisierte Schmerzen in der Lebergegend, Schulterschmerz und das unregelmäßige Fieber zu stützen. Sind alle diese Zeichen vorhanden und war eine Krankheit vorausgegangen, welche zur Entstehung von Leberabscessen Veranlassung geben kann, dann ist es erlaubt, die Diagnose bestimmt zu stellen. Oft genug wird man dazu nicht berechtigt sein. Die Therapie soll unter Umständen durch Blutentziehungen von der Mastdarm gegend aus und durch Abführmittel (Kalomel zu 1 g den Tag in einmaliger oder in geteilter Gabe; drei- bis viermal wiederholt) die Krankheit in ihren ersten Anfangen unterdrücken können. — Blutentziehungen scheinen mit gleichzeitiger Anwendung der Kälte auf die Lebergegend bei den traumatischen Formen wohl angezeigt; es läßt sich denken, daß bei Infektionen, die von den Pfortaderwurzeln des Darms ausgehen, auch die, namentlich bei den Tropenformen gebräuchlichen starken Entleerungen des Darms von Nutzen sein können. Schon zweifelhafter sind die gleichfalls, aber nicht einstimmig, zu diesem Zwecke empfohlenen Brechmittel. — Für die akut oder subakut verlaufenden Fälle hat die Behandlung in erster Linie die Erhaltung der Kräfte anzustreben. Das Fieber ist jedenfalls nicht durch Antipyretika zu bekämpfen, welche in den üblichen Gaben wirkungslos bleiben, wohl aber die ohnehin geschädigten Verdauungswerkzeuge noch weiter beeinträchtigen. Ob man direkte Wärmeentziehungen vornehmen will, wird von der Höhe der Temperatur, besonders aber davon, ob dieselbe spontan stärkere Niedergänge zeigt, dann von der Empfindlichkeit der Lebergegend abhängig zu machen sein. Die unbedingte Anwendung kalter Bäder darf kaum empfohlen werden. — Die Diät soll wie bei Fieberkranken überhaupt geregelt werden; Wein als Sparmittel darf auch in größeren Mengen gereicht werden, hat man doch sogar den Alkohol in der konzentrierten Form des Brandy gegeben. Daneben ist zu versuchen, die Eiterbildung so zu beschleunigen, daß ein Absceß entsteht. Die Aussichten sind selbst bei dessen Durchbruch nach innen immer noch günstiger, als wenn ein langdauerndes Eiterfieber, bei dem am letzten Ende es dennoch zur Abscedierung kommt, mehr und mehr die Kräfte des Kranken aufreibt. Und daneben ist es möglich, daß der Eiterherd an der Außenfläche der Leber irgendwo so zu Tage tritt, daß die künstliche Eröffnung möglich wird. Man ist mit dieser jetzt freigebiger als früher — die Fortschritte der operativen Methodik gestatten das — und hat sich durch vielfältige Erfahrung gleichfalls überzeugt, daß die Verletzung der Leber durch eine lege artig ausgeführte Probepunktion ein bedeutungsloses Ereignis ist. — Leider ist das Kataplasmieren das
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Krankheiten der Leber und der G allen wege.
einzige Mittel, um die „Reifung" des Abscesses zu fördern. — Für die chronisch sich entwickelnden Lebereiterungen ist das anhaltende Auflegen von Kataplasmen tags, von PßiESSNiTZschen Umschlägen nachts bei ununterbrochener Ruhe im Bett, eine kräftige, die Blutbildung fördernde, aber reizlose Diät (s. § 193) und die Sorge für regelmäßige Stuhlentleerung das einzige Verfahren, welches Erfolge verspricht und hat. — Kfmiplikationen sind nach den von ihnen gestellten Aufgaben zu behandeln. § 219.
Akute Leberatrophie.
Die a k u t e L e b e r a t r o p h i e (Hepatitis parenchymatosa diffusa) stellt keine ätiologische Einheit dar. Sie tritt im Gefolge septischer Infektion, bisweilen auch mit anderen Infektionskrankheiten zusammen auf, sie kommt bei Phosphorvergiftung vor und erscheint endlich ohne bekannte Ursache als primäres Leiden. Die Anschauung, daß die primäre Form eine durch eigenartige Mikroorganismen hervorgerufene Infektionskrankheit sei, ist noch nicht erwiesen, hat aber einige Wahrscheinlichkeit für sich (siehe auch § 124). — Uber die Ätiologie cler primären akuten Leberatrophie ist bekannt: Etwa 3'4 sämtlicher Fälle trifft auf das 16.—40. Lebensjahr, die Hälfte der Gesamtzahl auf das dritte Jahrzehnt; äußerste Altersgrenzen waren das 1. und das 69. Jahr. Weiber erkranken in dem Verhältnis von acht zu fünf häufiger als Männer; die Schwangerschaft' scheint entschieden zu disponieren, da von den erkrankten Weibern ein Drittel sich in diesem Zustande befand; weniger das Puerperium — Odegenheitsnrsachen sind mit Sicherheit nicht nachgewiesen. Anatomisch findet man: Die Leber ist stark verkleinert, besonders im Dickendurchmesser, in den ausgebildetsten Fällen ist sie bis auf ein Viertel ihres Umfangs geschwunden, in gleicher Weise ist ihr Gewicht vermindert. Das Organ ist äußerst schlaff, seine Kapsel ist gerunzelt und in Falten gelegt. Auf dem Durchschnitt erscheint die Läppchenzeichnung verschwunden, eine gleichmäßig starke Färbung (gelbe Atrophie), oder aber Unterbrechung derselben durch eingestreute rote Partien (rote Atrophie) zeigt sich; die gelben Teile sind außerordentlich weich und brüchig, die roten derber. — Bei der mikroskopischen Untersuchung ergiebt sich: Die Leberzellen finden sich in allen Stadien der Veränderung, von trüber Schwellung bis zur vollkommenen fettig-albuminösen Entartung, ihr Zusammenhang ist gelockert oder ganz gestört. Die Zerfallsprodukte derselben liegen als Fetttröpfchen, Albuminkörnchen,Pigmentschollen unregelmäßig durcheinander; sie können durch Resorption vollständig geschwunden sein, so daß mit Flüssigkeit gefüllte Räume zurückbleiben. Niederschläge von krystallinischem Tyrosin und Leucin sind in den Detritusmassen und in den Gefäßen nicht selten. In den späteren Stadien ist das portale Bindegewebe leicht zellig infiltriert; es finden sich Drüsenschläuchen ähnliche Zellenzüge: erhaltene und vergrößerte Leberzellen, von denen aus eine Neubildung des Gewebes möglich erscheint. — Von einzelnen Forschern wird die Anwesenheit von Mikrokokken in den Gefäßen behauptet. — Uber die Bedeutung der roten Atrophie gehen die Ansichten auseinander. Man faßt dieselben als Ausgänge durchaus verschiedener Prozesse auf, man hält die rote Atrophie nur f ü r ein vorgeschrittenes Stadium der gelben, oder man leitet gar die Farbenverschiedenheiten einzig von wechselndem Blutgehalte der betreffenden Leberabschnitte her. — Von /reiferen anatomischen Veränderungen ist
Suppurative Hepatitis. Akute Leberatrophie. als k o n s t a n t
die fettige
Entartung
des Herzfleisches
und
der Nierenepithelien
655 zu
bezeichnen. — Die Milz ist in mehr als zwei Drittel der Beobachtungen geschwellt und mit allen Kennzeichen der Infektionsmilz versehen gefunden. — Das Blut ist dunkel und dünnflüssig; zahlreiche Ekchymosen an allen Körperteilen fehlten in drei Viertel der Fälle nicht. — IUerische Färbung aller Körperteile bildet bei den vollentwickelten Fällen einen regelmäßigen Befund. Das Krankheitsbild der akuten Leberatrophie kann mit dyspeptischen Erscheinungen, vielleicht mit einem von geringen Fieberbewegungen begleiteten Gastrointestinalkatarrh beginnen. Nach Ablauf einiger Zeit stellt sich dabei ein leichter Ikterus ein, welcher nun, ohne weitere bedrohliche Erscheinungen zu machen, einige Wochen anhält oder aber von solchen auf dem Fuße gefolgt wird. Erbrechen, das bald bluthaltige Massen zu Tage fördert, heftige Kopfschmerzen, stille oder mit tobsüchtiger Aufregung verbundene Delirien, Krämpfe, Muskelzittern — dann Betäubung und Koma treten rasch hintereinander auf. Der Puls geht in die Höhe, die Temperatur bleibt niedrig, sie wird sogar subnormal. Der Ikterus nimmt schnell au Stärke zu, der Harn führt reichliche Gallenfarbstoffmengen, er enthält vielleicht Tyrosin und Leucin, während sein Gehalt an Harnstoff abnimmt. Blutungen auf die Schleimhäute und unter die Haut lassen nicht warten. — Die Untersuchung der Lebergegend weist bisweilen Druckempfindlichkeit nach, die Leberdämpfung verkleinert sich mehr und mehr, die Milz schwillt rasch an. — Die Dauer dieses sogenannten zweiten Stadiums beträgt meist nur wenige Tage; der nahezu unvermeidliche tödliche Ausgang erfolgt im tiefsten Koma, starke Erhöhung der Körperwärme kann ihn einleiten. Von Einzelheiten ist zu merken: Der Nachweis einer Verkleinerung der Leberdämpfung hat, da Meteorismus zu fehlen pflegt, gewöhnlich keine Schwierigkeiten. Der linke Leberlappen macht den Anfang, die Abnahme der Dämpfung des rechten geht in der Richtung von unten nach oben vor sich; das stark geschwundene Organ kann so weit gegen die Wirbelsäule zurückgesunken, sein Platz von Darmschlingen derart eingenommen sein, daß wenigstens vorn gar keine Leberdämpfung mehr nachweisbar wird. — Die Umfangabnahme der Leber geschieht sehr rasch, sie beginnt aber meist erst an einem der letzten Tage des Lebens. Nur wenn, wie dies einige Male vorkam, durch anderweitige frühere Erkrankungen die Leber vergrößert war, oder wenn der ganze Vorgang äußerst rasch sich abspielte, wurde die endliche Verkleinerung vermißt. — Daß eine Vergrößerung der Leber unmittelbar der Verkleinerung vorhergehen kann, ist vereinzelt, aber sicher nachgewiesen. Der Ikterus ist gewöhnlich ein frühes Zeichen (in etwa zwei Drittel der Beobachtungen), nur ganz ausnahmsweise trifft er erst mit den anderen Erscheinungen des zweiten Stadiums zusammen oder kann sogar ganz fehlen — es sind die Fälle akutesten Verlaufs. Wahrscheinlich handelt es sich immer um einen Ikterus durch Resorption, sei es nun, daß der Verschluß den Ductus choledochus oder die feineren Gallengänge innerhalb der Leber trifft. — Die Blutungen wurden bei mehr als 50°,0 der Kranken beobachtet; ihre Entstehung ist wie bei den hämorrhagischen Diathesen überhaupt nicht aufgeklärt. Die cerebralen Erscheinungen geben dem Krankheitsbilde sein besonderes Gepräge und fehlen niemals. Meist entwickeln sich dieselben in rascher Reihenfolge von leichteren Reizsymptomen bis zu dem tiefen Koma — hin und wieder kommen aber auch Schwankungen des Verlaufs, trügerische Besserungen vor.
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Krankheiten der Leber und der Gallenwege.
— Uber die Entstehung der Hirnerscheinungen ist sicheres noch nicht bekannt (s. § 214). Temperatursteigerung ist im Anfang des zweiten Stadiums nicht vorhanden — selbst bei heftiger psychischer Erregung fehlt sie. Erst gegen das Lebensende tritt in etwa der Hälfte der Fälle eine solche ein, die dann sehr erheblich (42,6°) werden kann. Andere Male erfolgt der Tod bei subnormaler Temperatur (35 Der Puls geht unabhängig von der Köperwärme in die Höhe, sobald die Krankheit zur vollen Entwicklung gelangt. — Der Harn zeigt außer der Beimischung von Gallenbestandteilen und einem nicht konstanten Eiweißgehalt in der großen Mehrzahl sehr eigentümliche Veränderungen. Sein Gehalt an Harnstoff nimmt, während die Leber atrophiert, bis auf Spuren ab; dagegen treten intermediäre Umsetzungsprodukte des Eiweißstoffwechsels auf, Leucin und Tyrosin sind in erster Linie zu nennen. Diese scheiden sich öfter krystallinisch ab, so daß sie im Sediment ohne weiteres auffindbar sind; bei Verdunstung eines Tropfens Harn auf dem Objektträger (man thut gut etwas Essigsäure zuzusetzen, um die amorphen harnsauren Salze zu zerstören) gelingt es meist, die genannten Substanzen zur Krystallisation zu bringen, wenn sie im Sediment nicht vorhanden sind. Tyrosin erscheint in Büscheln von feinen Nadeln, Leucin in der Form von Kugeln, die aus konzentrischen Schichten zusammengesetzt sind und an einer Stelle des Umfangs in eine Spitze auslaufen. — Außerdem hat man Fleischmilchsäure, Oxymandelsäure und einen peptotiähnlichen Körper nachgewiesen; in den großen Mengen der Extraktivstoffe, welche von allen Untersuchern gefunden wurden, mögen noch weitere Substanzen, die gewöhnlich nicht im Harn vorkommen, enthalten sein. — Außer dem allgemeinen Hinweis, daß die Anwesenheit dieser Stoffe neben dem Verschwinden des Harnstoffs auf die schwersten Störungen des Gewebestoffwechsels schließen läßt, ist gegenwärtig nichts zu sagen. Die Dauer der Krankheit schwankt zwischen wenig Tagen und mehreren Monaten, indessen ist in nahezu der Hälfte der Fälle bis zum Ende der zweiten Woche der Tod erfolgt. Ganz besonders stürmisch ist der Verlauf bei Schwangeren. Das zweite Stadium wird durch Blutungen sehr abgekürzt und kann weniger als 24 Stunden anhalten; gewöhnlich währt dasselbe bis zu drei Tagen, ausnahmsweise mehr als acht. — Die Prognose ist eine nahezu unbedingt schlechte, allein man darf die Möglichkeit des günstigen Ausgangs nicht mit absoluter Gewißheit ausschließen. — Die Diagnose kann bei voll entwickelten Erscheinungen leicht genug werden, sie ist aber fast stets nur dann, wenn diese schon vorhanden sind, also zur Zeit des zweiten Stadiums, zu stellen. Viel schwieriger und lange nicht immer ist die ätiologische Diagnose möglich. Es kommt dabei besonders die akute Degeneration der Leber und anderer Organe nach Phosphorvergiftung in Betracht; trotz aller feineren Abweichungen des Verlaufes, die nur bei längerer und genauer Beobachtung hervortreten können, ist im ganzen das Krankheitsbild das gleiche. Die Behandlung wird im Anfang gegen den Magendarmkatarrh gerichtet sein, später sei sie eine die Euthanasie fördernde.
Akute Leberatrophie.
§ 220.
Interstitielle Leberentzündung.
Interstitielle Leberentzündung.
Die i n t e r s t i t i e l l e L e b e r e n t z ü n d u n g (Cirrhosis hepatis) ist vorwiegend eine Krankheit des männlichen Geschlcchts und des mittleren Lebensalters. Indes sind auch Fälle bei Kindern und Greisen beobachtet worden. Als Hauptveranlassung wird der übermäßige Genuß konzentrierter Spirituosen, in erster Linie der Branntweine, allgemein angenommen. Man stellt sich vor, daß der aus Magen und Darm rasch resorbierte Alkohol, in starker Lösung durch die Pfortader der Leber zugeführt, Reizwirkung ausübe. Zur Unterstützung dieser Anschauung wird geltend gemacht, daß der gewohnheitsmäßige Genuß selbst großer Mengen von Bier oder von leichteren Weinen keine interstitielle Leberentzündung hervorzurufen vermöge, weil sie eine zu verdünnte Lösung des Alkohols darstellen. Ebenso wird hervorgehoben, daß bei jenen Branntweintrinkern, welche noch gehörig essen, die Entwicklung der Krankheit seltener sei. Der letzte Grund dürfte freilich nicht eindeutig sein, da die ärgsten Säufer gewöhnlich die schlechtesten Esser sind. — Man macht neuerdings und wohl mit gutem Recht mehr den Amylalkohol (Fuselöl) als den Ahylalkohol für die Entstehung der Schrumpfleber verantwortlich. — Malaria und Syphilis geben in einer kleineren Zahl von Fällen zur Entstehung des Leidens Veranlassung, ebenso das Ubergreifen einer chronischen Peritonitis auf das Lebergewebe. Beschuldigt werden Cholera und Typhus, ohne daß vollgültige Beweise gegen dieselben vorlägen. Experimentell ist die Vergiftung durch Phosphor, sowie der Verschluß der Pfortader als Krankheitsursache nachgewiesen Da bei diesen Formen der Krankheitserreger auf dem Blutwege zur Leber gelangt, kann man sie als hämatogene denjenigen gegenüberstellen, bei welchen von den Gallenwegen aus die Entzündung hervorgerufen wird, den biliären. (Siehe § 225.)
Bei der anatomischen Untersuchung hat man zunächst die Größe der Leber in Betracht zu ziehen. Daß j e d e interstitielle Hepatitis mit einer Volumszunahme des Organs beginnt, wird einstimmig angenommen; von einem Fehlen der Vergrößerung könnte höchstens bei der durch das Übergreifen einer Peritonitis entstandenen Form die Rede sein. Allein meistens folgt die Verkleinerung (atrophische Form). In verhältnismäßig wenigen Fällen bleibt die Leber bis zum Tode groß (hypertrophische Form). Man hat neuerdings die beiden Zustände scharf trennen und namentlich die hypertrophische Form der Schrumpfleber als eine stets biliär entstandene betrachten w o l l e n — dieser Versuch dürfte kaum allgemeinere Anerkennung finden.
Der Beginn der Erkrankung weist eine Vergrößerung des Leberumfangs und des Lebergewichts auf, das Organ ist von vermehrter Konsistenz, von glatter Oberfläche, sein Gehalt an Bindegewebe hat beträchtlich zugenommen. Allmählich nehmen Umfang -und Gewicht ab, das glatte Aussehen schwindet, leichte Granula werden sichtbar. Zum Schlüsse kann die Leber auf die Hälfte verkleinert sein, ebenso ihr Gewicht bedeutend sinken. Nun ist die Oberfläche uneben, mit unregelmäßigen Hervorragungen bis zu Erbsengröße bedeckt, welche, selbst gelblich, durch weiß gefärbte vertiefte Bindegewebszüge voneinander getrennt sind. Auf dem Durchschnitt zeigt sich die Kapsel verdickt, das Gewebe ist hart, knirrscht vor dem Messer und besteht aus gelblichen Höckern und Warzen, zwischen denen sich ein Netzwerk grauweißen Bindegewebes ausbreitet. Die Gefäße erscheinen erweitert. Mikroskopisch zeigt sich: Das frühe Stadium kennzeichnet sich durch eine Wucherung und kleinzellige Infiltration des periportalen Bindegewebes, welches v. J u r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. II Aufl.
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Krankheiten der Leber und der Gallenwege.
infolgedessen verbreitert erscheint. Der gleiche Vorgang greift auch in stärkerem oder schwächerem Grade auf die Läppchen selbst über, besonders auf deren periphere Partien. Mit der Zeit wird das neugebildete Bindegewebe kernärmer und kann schließlich schrumpfen; hier und da trifft man immerhin noch kernreiche Herde als Zeichen einer bestehenden Entzündung. Die Leberzellen gehen, von den sie umgebenden Gefäßen getrennt, atrophisch oder durch fettige Entartung zu Grunde, Pigmentkörner, aus Gallenfarbstoff oder Blutfarbstoff entstanden, hinterlassend, welche inmitten des neugebildeten Bindegewebes sich ablagern. Die Gallengänge bleiben erhalten und geraten nicht selten in Wucherung. Die Pfortaderäste hingegen werden in größerer oder geringerer Ausdehnung verschlossen. Der Prozeß pflanzt sich längs der Gefäße fort, größere zusammenhängende Strecken der Leber oder einzelne Inseln befallend. Das Krankheitsbild entwickelt sich gewöhnlich sehr allmählich. Störungen der Verdauung, verminderter Appetit, ungenügende Verarbeitung des Genossenen, kurz dyspeptische Beschwerden leiten ein. Vielleicht werden schon früh SchmerzeD oder wenigstens Mißempfindungen in der Lebergegend geklagt — man findet dann das Organ vergrößert und gegen Druck leicht empfindlich. Bei zweckmäßiger Lebensweise verliert sich für eine Zeit so ziemlich alles, immerhin bleibt Neigung zur Dyspepsie und ein etwas weniger gutes Aussehen zurück. Mit Steigerung dieser Zustände zeigt sich im weiteren Verlauf, während sich die Leber verkleinert und die Milz anschwillt, Hydrops, zuerst Ascites, viel später Knöchelödem, eine gelbgraue Färbung der Haut wird namentlich im Gesicht deutlich, die Kräfte schwinden mehr und mehr. An die Stelle der anfangs vorhandenen, oft sehr hartnäckigen Verstopfung tritt Durchfall, bisweilen sind die Entleerungen mit Blut gemischt. Auch im Erbrochenen findet sich solches. Mit allen den Beschwerden, welche eine hochgradige Bauchwassersucht begleiten, erfolgt der Tod der bis aufs äußerste abgezehrten Kranken, wenn nicht eine akute Erkrankung vorher ein Ende macht. — Sehr selten ist der Tod unter schweren Hirnerscheinungen. Für die von französischen Ärzten als hypertrophische Cirrhose abgetrennte Form wird ein etwas anderes Krankheitsbild entworfen. Dessen Hauptzüge sind: Neben Verdauungsstörungen anfallsweise auftretende mit Fieber einhergehende Schmer zhaftigkeit in der Lebergegend; frühzeitig Ikterus, der nicht mit Entfärbung der Fäces verbunden ist und mehr oder minder hochgradig während der ganzen Krankheit anhält — auf diese Gelbsucht wird ein sehr großes Gewicht gelegt. Die Leber bedeutend und bleibend vergrößert, ebenso die Milz; die Ernährung bleibt lange gut, Ascites kann fehlen, kommt aber als Teilerscheinung der schließlichen allgemeinen Kachexie vor. Der Tod mit schweren Hirnsymptomen soll nicht selten sein. Die Dauer des Leidens wird als eine die bei der gewöhnlichen Cirrhose übersteigende angegeben.
Im einzelnen ist zu bemerken: Die Vergrößerung wie die spätere Verkleinerung der Leber wird durch die Perkussion festgestellt. Da der linke Lappen sich zuerst und im ganzen sehr erheblich zu beteiligen pflegt, hat man auf seine Ausdehnung besonders zu achten. Wie bei höheren Graden des Ascites immer, ist ein sicheres Urteil über die Lebergröße in den späteren Stadien nur unmittelbar nach einer Punktion zu gewinnen. — Es gelingt bisweilen durch die Palpation die Beschaffenheit der Leberoberfläohe deutlich zu erkennen. Bei schlaffen fettarmen Bauchdecken kann man die Höcker der Oberfläche durchfühlen, ebenso an dem noch nicht unter dem Rippenbogen verschwundenen Organ den derben harten Rand abtasten. Gleiches gelingt, wenn ein Erguß von nicht zu hoher Spannung vorliegt, durch die kurzstoßende Palpation.
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Interstitielle Leberentzündung.
Die Milzschwcllung, ein sehr konstantes Symptom, fehlt nur in etwa ein Fünftel der Fälle, was meist auf alte Verdickungen der Milzkapsel zurückzuführen ist. Sie beträgt gewöhnlich nur das Einundeinhalb bis Dreifache der normalen Größe und beruht neben der Anhäufung von Blut auf Hyperplasie. — Es ist wahrscheinlich, daß bei dem gleichfalls langsamen Kreislauf in der Milz die im Blute vorhandenen Schädlichkeiten auch auf dieses Organ Reizwirkungen zu üben vermögen. — Ascites wird bei voll ausgebildeter Erkrankung kaum vermißt. Er wird sehr hochgradig, und, einmal entstanden, schwindet er nicht wieder. Die Störungen im Magen und Darm bieten anfangs durchaus nichts besonderes; sie sind bei den Schnapsern durch die gleiche Schädlichkeit wie die Lebererkrankung bedingt, aber von dieser nicht unmittelbar abhängig. In vorgeschritteneren Stadien wird das anders: die Dyspepsie, die Obstruktion, die verminderte Färbung der Fäces, der sehr gewöhnliche Meteorismus sind in der That einfache Folgen der Leberentartnng. Die Blutungen aus dem Magen, wie die selteneren aus dem Darm, ebenso die gegen das Ende hin sich zeigenden profusen Diarrhöen haben sogar eine große diagnostische Bedeutung. Ikterus gehört nicht zu den regelmäßigen Erscheinungen — hochgradig ist er selten vorhanden, dann handelt es sich um Komplikationen. Die schmutzig gelbe Verfärbung der Haut, ein Zeichen schwerer Ernährungsstörung, kann zur Verwechslung mit wirklicher Gelbsucht Veranlassung geben. — Blutaustretungen unter die Haut kommen bisweilen vor. — Fieber fehlt bei der interstitiellen Hepatitis. Für die gewöhnliche Form (Säuferleber) läßt sich eiD einigermaßen genügendes Verständnis des Ganzen von der ätiologischen und anatomischen Grundlage aus gewinnen: Mit und neben der Einwirkung der krankheitserregenden Schädlichkeiten auf die Leber findet eine solche auf die Verdauungswerkzeuge statt; wahrscheinlich ist, daß alle Gewebe durch sie, wenn auch in beschränkterem Grade Not leiden. Jedenfalls wird aber durch die andauernde Dyspepsie die Ernährung beeinträchtigt. Das ist in weitaus höherem Grade der Fall, sobald durch die Entwicklung des Bindegewebes in der Leber der Pfortaderkreislauf merkbar erschwert wurde: die Resorption der in assimilierbaren Zustand versetzten Nährstoffe, die Absonderung der von den zum Pfortadersystem gehörenden Verdauungsdrüsen muß gestört, die mechanische Arbeit des mit sauerstoffhaltigem Blute ungenügend versorgten Magendarmkanals muß verringert werden. Im weiteren Verlaufe tritt bei der so gewöhnlichen Insuffizienz der Kollateralbahnen (siehe § 216) unvermeidlich Durchlässigkeit der ohnehin schlecht mit ernährungsfähigem Blute versehenen Gefäße ein: Ascites, ödematöse Durchfeuchtung der Wandung von Magen und Darm, endlich Blutaustritt ist die Folge.. Mit dem Ascites und dem Meteorismus — die Schlaffen Darmwandungen leisten dem Druck der aus den liegen bleibenden und sich zersetzenben Nährstoffen gebildeten Gase schwachen Widerstand — kommen alle jene Störungen der Atmung und des Kreislaufs zur Geltung, welche rein mechanisch durch die gehinderten Zwerchfellsbewegungen bedingt sind. Ein Rückgang ist nicht möglich, weil die Grundstörungen — die Erschwerung des Pfortaderkreislaufs, die ungenügende Blutbeschaffenheit mit ihrer Folge, der mangelhaften Ernährung der Gefäliwandungen — nicht zu ändern sind.
Weniger als Komplikationen im eigentlichen Wortsinne, eher als durch die gleiche Schädlichkeit hervorgerufen, verdient die verhältnismäßige Häufigkeit diffuser Nierenerkrankungen, der Entartung des Herzens, endlich die der Meningitis und Pachymeningitis Erwähnung. Ebenso ist Pylethrombosis (§ 216), amyloide u n d
Fettleber neben der Cirrhose nicht selten; die erstere stellt wohl am häufigsten eine Folge derselben dar. Über die Daner der Krankheit ist es schwer, ein Urteil zu gewinnen; als kürzeste werden sechs Wochen angegeben. Wahrscheinlich handelt es sich meistens 42*
Krankheiten der Leber und der Gallonwege.
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um mehrere Jahre, es kommt wohl auf die Stärke der anhaltenden Schädigung, besonders auf die Mengen, die Konzentration und die Verunreinigungen des genossenen Schnapses vieles an. Dadurch wird auch der Verlauf bedingt. Ist einmal die Bindegewebsentwicklung ausgedehnter, dann wird an ein Aufhalten des Leidens kaum zu denken sein; bei gesicherter Diagnose muß die Prognose als eine unbedingt schlechte hingestellt werden. Andererseits ist die Möglichkeit nicht abzuweisen, daß mit dem Nachlassen der schädlichen Einwirkungen der Prozeß in einem früheren Stadium zum Stillstand gelangen kann; klinische Beobachtungen scheinen in diesem Sinne Zeugnis zu geben. Die Diagnose der interstitiellen Leberentzundung gehört zu den schwereren. Positiv ist sie mit einem gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit zu stellen, sobald neben ausreichenden ätiologischen Bedingungen der Beginn des Leidens mit dyspeptischen Beschwerden und von vorhandenen Krankheitszeichen Verkleinerung der Leber, Vergrößerung der Milz, Ascites ohne oder jedenfalls vor anderweitigen Ödemen und Kachexie nachweisbar sind. Die sichere Wahrnehmung der granulierten Oberfläche an einer ungewöhnlich harten Leber ist eine wesentliche Unterstützung, vielleicht entscheidend. Differentialdiagnostisch kommt einfache Atrophie, cyanotische Induration und Pfortaderverschluß für die atrophischen Formen, Leberkrebs und Amyloidleber für die hypertrophischen in Betracht. Praktisch am wichtigsten sind chronische Peritonitiden, einfache oder tuberkulöse, welche besonders wenn ein stärkerer Erguß in die Bauchhöhle besteht, ein sehr ähnliches Bild liefern können. Die Behandlung hat möglicherweise im Anfang der Erkrankung Erfolge, wenn es ihr gelingt, deren Veranlassungen zu beseitigen und mit der Heilung der Dyspepsie die Ernährung zu bessern. Dem Säufer ist der Alkohol zu entziehen, mindestens der in konzentrierter Lösung, Malaria und Lues sind nach den für sie geltenden Regeln zu behandeln. — Auch die Dyspepsie suche man nach den bekannten Grundsätzen (§ 193) zum Schwinden zu bringen. Für das entwickelte Leiden kann nur von symptomatischer Therapie die Rede sein. Auch hier noch ist durch zweckmäßige Diät auf die Ernährung des Ganzen, besonders auf Besserung der Blutmischung, hinzuwirken, so daß dieser Teil mit der Behandlung der Anämie (§ 75) einigermaßen zusammenfallt. Man sollte solchen Kranken den Wein oder das Bier nicht entziehen. Öfter erweisen sich die Bittermittel von guter Wirkung. — Die Beseitigung des Ascites durch Diuretica (besonders wird der Copaivabalsam, dreimal täglich je 1,3 g von englischen Ärzten gerühmt, bei Herzschwäche hat man jeweilig von der Digitalis vorübergehende Erfolge) oder durch Drastica gelingt selten in nennenswerter Weise. Von bleibendem Erfolg ist sie ebensowenig wie die Punktion, welche zur Erleichterung der Beschwerden gegen das Lebensende hin unvermeidlich wird. (Vergl. noch § 211.) § 221.
Einfache Leberatrophie.
Fetileber.
Amyloidleber.
Die hier zu besprechenden Erkrankungen der Leber haben klinisch insofern geringere Bedeutung, als sie, im Gefolge anderer, die Lage beherrschender Störungen auftretend, keine Selbständigkeit gewinnen. Die einfache L e b e r a t r o p h i e kommt als Teilerscheinung des allgemeinen Marasmus vor. Es gehen infolge verminderter Ernährung eine Anzahl von Parenchymteilen der Leberzellen zu Grunde, alles andere bleibt erhalten. Das Organ erscheint makroskopisch in allen Richtungen verkleinert, seine etwas größere Derbheit erklärt sich aus dem relativen
Interstitielle Leberentzündung.
Einfache Leberatrophie.
Fettleber.
Amyloidleber.
ßßl
Vorherrschen der absolut nicht vermehrten bindegewebigen Bestandteile, der Gallengänge und der Gefäße. — Die Symptome bestehen in einer langsamen Verkleinerung der Leberdämpfung ohne Milzschwellung und in geringerem Gallengehalt der Fäces. F e t t l e b e r , d. h. AnfüUung der Leberzellen mit Fett, tritt in zwei wesentlich verschiedenen Formen auf: als fettige Infiltration und als fettige Degeneration. Die fettige Infiltration unterscheidet sich nur quantitativ von dem normalen Verhalten, findet sich doch immer bei dem Gesunden eine gewisse Fettmenge in der Leber, welche mit der Nahrung hereingelangte und hier vorläufig deponiert wurde. Bei der fettigen Degeneration hingegen wird aus dem Eiweiß der Leberzellen selbst Fett abgespalten, das an Ort und Stelle liegen bleibt, die Zellen aber gehen dabei gewöhnlich zu Grunde (fettige Atrophie). Nicht immer gelingt es diese Zustände scharf auseinander zu halten, besonders ist die anatomische Untersuchung dafür nicht genügend. Fettleber tritt
auf:
1. Als Teilerscheinung der allgemeinen Fettsucht (siehe § 92). 2. Bei Kachexie und bei hochgradiger Anämie. Hier handelt es sich wenigstens vorwiegend um fettige Infiltration. Der Körper kann nur ungenügende Mengen von Eiweili assimilieren, er muß daher von seinem Organeiweiß zusetzen. Das aus diesem abgespaltene Fett wird in den minder thätigen, nicht ausreichend mit Blut versorgten Geweben nicht verbrannt, sondern gelangt mit dem Blute wie in andere Organe, so auch in die Leber, wo es liegen bleibt. 3. Bei Säufern ist neben der Infiltration meist ein, freilich geringer Grad von fettiger Degeneration vorhanden. 4. Bei Vergiftungen — die mit Phosphor ist die typische, abei auch Mineralsäuren, Arsenik, Antimon u. s. w. liefern die gleichen Ergebnisse — handelt es sich vorwiegend, vielleicht ausschließlich um Degenerationsvorgänge. Ebenso bei den verschiedenen Formen der akuten Lederatrophie (siehe § 219). Anatomisch findet man: Die Leber in mehr oder minder hohem Grade vergrößert (bis um das Doppelte), ihre Form dabei vollkommen erhalten. Warm ist aie weich und teigig, erkaltet fest und hart, von gelbweißem Aussehen, meist ziemlich blutleer, und hinterläßt nach dem Durchschneiden einen weißgrauen Belag auf dem Messer; die gleiche Masse läßt sich von der Oberfläche abstreifen. Bei den höchsten Graden ist die acinöse Struktur verwischt, bei den geringeren erhalten. — Der Fettgehalt — in der Norm etwa 3 % der feuchten Substanz — steigt in maximo bis auf 45%. Der Wassergehalt vermindert sich dementsprechend. Die mikroskopische Untersuchung ergiebt, daß das Fett innerhalb der Leberzellen abgelagert ist und anfangs in kleineren, später in großen Tropfen dieselben ausfüllt; der Zellkern bleibt erhalten, wenn sich nicht Zerfall entwickelt. — Es ist noch der partiellen Fettanhäufung zu gedenken, wie sie bei der Muskatnußleber an der Peripherie der Acini, dann in der Umgebung von Neubildungen und von Narben als schmaler dieselben einfassender Saum auftritt. — Die Erscheinungen, welche der Fettleber als solcher zukommen, sind nicht erheblich. Man kann die Vergrößerung der Leber wohl durch die Perkussion, seltener durch die Palpation nachweisen, namentlich bei starker Fettanhäufung in den Bauchdecken gelingt das kaum, aber auch die Weichheit des Organs erschwert die Untersuchung. Von funktionellen Störungen ist wenig bekannt: die Beschaffenheit der Galle ist die normale, Zuckerbildung findet jedenfalls statt; man nimmt mit einiger Wahrscheinlichkeit an, daß beide in geringerem Umfang vor sich gehen, erwiesen ist das aber nicht. Ob wirklich die bei Fettleibigen so häufige Erweiterung der Mastdarmvenen mit der Erschwerung des Pfortaderkreislaufes durch den Druck der fettgefüllten Leberzellen auf die Pfortaderkapillaren zusammenhängt, ist zweifelhaft. — Alle anderen Symptome bei Leuten mit Fettleber hängen nicht von dieser, sondern von den Krankheiten ab, in deren Gefolge sie auftritt. Verlauf, Ausgänge, Prognose und Therapie sind ebenso durch das Grundleiden bedingt. Amyloidleber. A m y l o i d e E n t a r t u n g d e r L e b e r (Speckleber, Wachsleber) tritt als Teilerscheinung der Amyloidkrankheit auf; da diese aus schweren mit Kachexie verbundenen Zuständen hervorgeht, ist von vornherein nicht zu erwarten, daß ein schärfer bestimmbares Krankheitsbild zur Anschauung kommt. — Die Ätiologie deckt sich mit der des Gesamtleidens; hochgradige Kachexie, hervorgerufen besonders durch langdauernde Eiterung und Verschwärung ausgedehnterer Flächen, dann durch chronische Infektion oder Diathesen (Malaria, Gicht, Tuberkulose, Lues), endlich durch die langsamer verlaufenden Geschwulstkrankheiten, das sind
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Krankheiten der Leber und der Gallenwege.
die häufigsten Ursachen. Übrigens vermag jeder bedeutende Niedergang der Ernährung, einerlei wodurch derselbe hervorgerufen wurde, die amyloide Entartung herbeizuführen: nach schweren Infektionskrankheiten von langer Rekonvaleszenz, mit Leukämie oder Pseudoleukämie, mit Rachitis kommt sie vor. Anatomisch zeigt die Speckleber sich zunächst erheblich vergrößert, und ebenso ist ihr Gewicht vermehrt. Sie ist sehr fest, dabei teigig; ein Fingereindruck bleibt, das Gewebe nicht zerreißend, lange stehen. Die vorderen Ränder sind meist dicker und plump abgerundet. Die Farbe des von seiner durchsichtig bleibenden Umhüllung fest umspannten Organs ist eine blasse, hellgrau, gelb oder braun getönte. Auf dem Durchschnitt zeigt sich zunächst eine außerordentlich hochgradige Anämie und die nämliche graue Färbung mit einer Beimischung von gelb, braun, bisweilen von rot; der acinöse Bau bleibt deutlich erkennbar. Das Gewebe ist trocken und hat einen eigentümlichen Glanz wie Speck oder Wachs — auf feineren Schnitten ist es glasartig durchsichtig. Im Centrum der Läppchen und an der Peripherie sieht man einen opaken blassen Ring. Die glasigen Stellen färben sich mit dünner wässeriger Jodlösung braunrot, die opaken nur gelb. — Bei geringeren Graden treten die Erscheinungen so sehr zurück, daß nur die mikrochemische Reaktion gegen Jod (braunrot), Jod und Schwefelsäure (blau bis violett) oder Methylviolett (rot) Auskunft giebt. Dann ist auch die Veränderung bisweilen auf einzelne Teile der Leber beschränkt und erstreckt sich nicht, wie sonst, auf das Ganze derselben. — Fettablagerung in der Amyloidleber ist sehr häufig, übrigens kommt amyloide Entartung neben allen möglichen anderweitigen Erkrankungen des Organs vor. — Der Sitz der amyloiden Degeneration ist das intraacinöse Blutgefäßsystem; dort beginnen die Veränderungen mit hyaliner Verdickung der Kapillaren, später erscheinen dieselben von glasigen Schollen dicht umgeben. Auch in den Wandungen der interacinösen Gefäße, und in der Leberarterie, besonders in deren Media, entwickelt sich die Entartung. Die Leberzellen selbst nehmen nur selten teil, sie gehen in mehr oder minder hohem Grade atrophisch zu Grunde. Meistens ist gleichzeitig amyloide Entartung der Milz, der Nieren, des Darms oder einzelner dieser Organe vorhanden. Unter den Symptomen der amyloiden Leberentartung ist die Vergrößerung des Organs, falls sie vorhanden, das für die Diagnose wichtigste. Außer den Ergebnissen der Perkussion sind die der Palpation zu verwenden: ein fester sehr resistenter Tumor von glatter Oberfläche, dessen Ränder nicht scharf sich verjüngend, sondern bis unten hin dick und etwas plump erscheinen, so stellt sich die Speckleber dar. — Es ist ziemlich sicher erwiesen, daß die Gallen- und Zuckerbildung in derselben vermindert ist — allein in dem Krankheitsbilde tritt weder dieses noch irgend ein anderes Zeichen hervor. Die Diagnose hat sich daher außer dem Nachweis der ätiologischen Möglichkeit, welcher übrigens durch die vorhandene schwere Kachexie erleichtert wird, einzig auf die Art der Leberschwellung zu stützen. — Verlauf und Ausgang sind wesentlich von dem Grundleiden bedingt; ob sich bei dessen Heilung eine noch nicht zu sehr entartete Amyloidleber zurückbilden kann, muß als zweifelhaft bezeichnet werden. Die Prognose ist im ganzen eine sehr schlechte. Von einer Behandlung kann nur insoweit gesprochen werden, als dieselbe gegen die ursprüngliche Krankheit oder gegen die Kachexie gerichtet ist. § 222.
Leberkrebs.
Die unter dem Namen K r e b s zusammengefaßten verschiedenartigen P s e u d o p l a s m e n der L e b e r treten als primäre oder als sekundäre auf. Die primären sind seltener, man giebt ihr Verhältnis zu den sekundären wie eins zu fünf bis sechs an. Leberkrebse überhaupt kommen in etwa 6°/0 aller Krebsfälle und in 14°/0 der Krebse innerer Organe vor. W i e immer ist das höhere Alter stärker heimgesucht, speziell hier trifft nur ein Fünftel auf die Zeit bis zum 40. Lebensjahre. Weiber erkranken öfter als Männer. Der primäre Leberkrebs entwickelt sich als Tumor (es ist einer oder es sind mehrere, niemals aber viele Herde vorhanden), oder er zeigt sich als diffuse Infiltration — das letztere ist weitaus seltener. Der sekundäre bildet sich nach der Einschleppung von Krebskeimen, welche vorwiegend auf dem Blutwege geschieht. Außer den unmittelbar mit dem Pfortaderkreislauf zusammenhängenden Carci-
Einfache Leberatrophie. Fettleber. Amyloidleber. Leberkrebs.
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nomen der Bauchhöhle machen auch entferntere Metastasenin dieLeber. — Gewöhnlich handelt es sich um zahllose Knoten von verschiedener Größe, welche zusammengeflossen oder vereinzelt stehend das Lebergewebe durchsetzen und vernichten. Ihre Beschaffenheit ist im wesentlichen von der ihres Ursprungsherdes abhängig. — In wenigstens zwei Drittel aller Fälle ist die Leber im ganzen vergrößert. — Adhäsive Entzündungen und dadurch hervorgerufene Verwachsungen mit der Nachbarschaft sind nicht selten, gewöhnlich pflegen die krebsigen Wucherungen sehr rasch auf dieselbe überzugreifen. Die Krebsknoten der Leber bieten keine Abweichungen von denen anderer Organe. Dagegen verdient bemerkt zu werden, daß bei der primären diffusen krebsigen Entartung der Leber auf der Oberfläche wie auf dem Querschnitt eine gewisse Ähnlichkeit mit der interstitiellen Hepatitis zieh zeigt. — Bei einer anderen Form des primären Lebercarcinoms entwickelt sich die in Knoten oder Knötchen auftretende Neubildung im periportalen Bindegewebe; dann erscheint die Leber an der Außenfläche eher glatt. Aulier dem gewöhnlichen Krebs kommt in der Leber noch vor: Melanosarkom, meist metastatisch, äußerst selten primär, Knoten bildend oder diffuse Infiltration hervorrufend, auch beides nebeneinander wird beobachtet. Die Leber ist immer sehr bedeutend vergrößert. Sarkome, gleichfalls meist metastatisch, klinisch gar nicht, anatomisch bisweilen nur durch das Mikroskop von den Carcinomen zu trennen. Die Bildung von Knoten ist das gewöhnliche, diffuse Infiltration selten. Adenome, eine seltene fieschwulstform, in der Form multipler Knoten sich entwickelnd, primär in der Leber entstehend, nicht leicht metastasierend.
Das gewöhnliche klinische Bild des Lebercarcinoms stellt sich so dar: Dyspeptische Beschwerden, Stuhlträgheit, Empfindung von Druck und Spannung im rechten Hypochondrium, allmähliche Entwicklung einer Lebergeschwulst, die bald unter dem Rippenbogen hervortritt, sich derb anfühlt, uneben ist, größere und kleinere Erhabenheiten durchtasten läßt. Ikterus und Ergüsse in die Bauchhöhle folgen in nicht zu langer Zeit. Öfter sind anfallsweise auftretende Schmerzen vorhanden, welche in die Schultern und in die Arme, besonders nach rechts, aber auch wohl nach Kreuz und Lenden ausstrahlen. Von Anfang an Verfall der Ernährung und der Kräfte, welcher unaufhaltsam weitergehend zum hochgradigsten Marasmus führt. Wenn nicht ein Zwischenfall dem Leben ein Ende macht, tritt der Tod durch Erschöpfung ein. Von Einzelheiten ist zu bemerken: Die LeberVergrößerung ist oft eine sehr bedeutende — das Organ kann bis zu zwölf Kilo schwer werden. In den rasch verlaufenden Fällen gelingt es von Woche zu Woche die Zunahme zu verfolgen. Übrigens wird die Zahl der Fälle mit nicht nachweisbarer Vergrößerung auf 1ji bis 1 ;t der Gesamtmenge angegeben. Ist die Leber dem Getast zugänglich, dann werden nur bei den selteneren Krebsinfiltrationen die Knotenbildungen auf ihrer Oberfläche vermißt. Am frühesten findet man diese am unteren Rande, indem man jenseits von dem oft stärker reflektorisch gespannten Rektus unter dem Rippenbogen einzudringen sucht; eine tiefe Inspiration läßt das vielleicht versteckte Organ soweit vortreten, daß dessen Betastung möglich wird. — Empfindlichkeit gegen Druck wird wohl nur bei den in der Tiefe des Organs sitzenden kleineren Herden vermißt; sie kann aber auch bei den wandständigen vorübergehend fehlen uud schwankt jedenfalls ihrer Stärke nach nicht unerheblich. Schon die Perkussion ruft gewöhnlich Empfindungen von Schmerz hervor, selbst wenn die Leber hinter dem Rippenbogen liegt. Spannungen ihrer Kapsel bei der rascheren Entwicklung der Neubildung und entzünd-
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Krankheiten der Leber und der Gallenwege.
liehe Vorgänge in derselben sind die Ursachen der im ganzen sehr konstanten Erscheinung. — Nicht selten hört und fühlt man über der Leber Reiben. Milzvergrößerung kommt dem Leberkrebs nicht zu; sie ist nur in etwa 1/s bis höchstens % der Fälle gefunden worden. Ergüsse in die Bauchhöhle, bald rein seröse, bald von mehr oder minder stark ausgeprägtem entzündlichem Charakter zeigen sich höchstens in der Hälfte aller Fälle, häufiger bei dem primären als bei dem sekundären Carcinom; Blutbeimischungen sind nicht selten. Die Verlegung der Pfortaderbahnen, die schlechte Ernährung der Gefäßwand, die Einwirkung von Entziindungserregen auf dieselbe infolge des Umsichgreifens der Neubildung geben die ausreichenden Erklärungen für das Auftreten dieses Symptoms. Ikterus in leichtem Grade ist nicht selten, die hohen Grade sind es; man giebt das Vorkommen auf 2i5 bis '/2 an, auch hier überwiegt wiederum der primäre Krebs. Verlegung der Gallenwege durch die Neubildung in der Leber selbst, in seltenen Fällen auch außerhalb derselben ist die Entstehungsursache, wenn nicht eine Komplikation vorliegt. Die Erscheinungen von den VerdauungsWerkzeugen bieten nichts Eigenartiges, fehlen aber nur äußerst selten. Im späteren Verlauf sind sie wohl ebensosehr durch die mangelhafte Beschaffenheit des Blutes, wie durch dessen innerhalb des Pfortadergebiets erschwerten Lauf bedingt. Die schon im Aussehen sich verratende Kachexie der Kranken, ihre hochgradige Abmagerung und der rasche Verfall finden seine Erklärung in der schnellen Entwicklung einer umfangreichen Neubildung bei der gleichzeitig vorhandenen Unmöglichkeit, dem Körper ausreichendes Ersatzmaterial zuzuführen. Die Dauer des Leidens ist kaum zu bestimmen. Der Tod kann im Laufe von vier bis acht Wochen eintreten, dies ist aber ein sehr seltenes Ereignis. Ebenso, daß bei nachgewiesenem Leberkrebs der Kranke über ein Jahr am Leben blieb. Man giebt als Mittel etwa vier bis fünf Monate an. Der primäre Leberkrebs verläuft racher als der sekundäre. — Der Ausgang ist immer ein letaler; der Verlauf zeigt nicht selten Schwankungen: Scheinbesserung, wenn vorübergehend eine minder rasche Wucherung der Neubildung, Verschlimmerung, wenn eine schnelle Ausbreitung derselben stattfand. Die( Diagnose ist in vielen Fällen ohne Schwierigkeit, in anderen gar nicht zu stellen. Wie manche Carcinome kann auch das der Leber unter dem Bilde einer allgemeinen Kachexie verlaufen, man vermutet wohl eine bösartige Neubildung, kann aber über deren Sitz nicht ins Reine kommen. Dann ist der trügerischen Masken zu gedenken: einer vielleicht eitrigen Pleuritis, wenn sich die Neubildung von der Konvexität der Leber her entwickelte, eines Ascites oder einer Peritonitis, wenn sie auf die Pfortader zur Einwirkung gelangte, endlich einer heftigen Brachialneuralgie. Alles das ist nur möglich, solange es nicht gelingt, die Leber abzutasten, oder wenigstens ihre Umfangszunahme perkutorisch festzustellen. Auf die andauernde Schmerzliaftigkeit des hinter den Rippen verborgenen Organs bei der Perkussion wird mit Recht Gewicht gelegt. — Besonders schwierig kann die Differentialdiagnose des infiltrierten Krebses von der hypertrophischen Form der interstitiellen Hepatitis werden, ebenso kann der Echinokokkus zu Zweifeln Veranlassung geben. Auch Carcinome des Netzes sind zu verwechseln. Die Behandlung kann nur eine symptomatische sein.
Leberkrebs. Echinokokkus der Leber.
§ 223.
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Echinokokkus der Leber.
Iii der L e b e r kommt E c h i n o k o k k u s in doppelter Weise, als umlokulärer und als multilokularer vor. — Die Taenia echinococcns, deren Finne die Krankheit verursacht, ist ein kleiner bis 4 mm langer vierglietlriger Bandwurm, der im Dünndarm des Hundes sich aufhält; sein Kopf ist mit. 30—40 Haken ausgerüstet. Der aus dem Darm des Menschen in die Leber gelangte Embryo wandelt sich in eine Blase um, die aus einer geschichteten von chitinähnlicher Substanz gebildeten äußeren Lage (Cutículaj, und aus einer Muskelfasern und ein Gefaßsystem enthaltenden inneren Lage (Parenchymschicht) besteht. Aus dieser entstehen Brutkapseln, welche die Scolices entwickeln; dieselben sind mit Haken und vier Saugnäpfchen ausgerüstet. — Die Echinokokkusblase bleibt oft einfach; aber nicht selten entwickeln sich in ihrer Cutícula Tochterblasen, welche nach außen oder nach innen von der Mutterblase sich ausbreiten können. — Der Blaseninhalt des unilokulären Echinokokkus besteht aus einer wasserklaren Flüssigkeit, die nur leicht opalesziert, von neutraler oder schwach alkalischer Reaktion und einem bis höchstens 1015 betragenden spezifischen Gewicht ist. Eiweiß fehlt ganz oder ist höchstens in Spuren vorhanden, Kochsalz findet sich in größeren Mengen (0,5—1%). Nicht immer, aber verhältnismäßig oft traf man Bernsteinsäure und Traubenzucker; auch Leucin und Inosit ist gefunden. — Der durch Punktion entleerten Flüssigkeit finden sich manchmal Hakenkränze, ja sogar Scolices beigemischt. — Der einfache Echinokokkus hat einen ausgedehnten Verbreitungsbezirk, welcher mit dem des Hundes zusammenzufallen, also wohl die ganze bewohnte Erde zu umfassen scheint. Island ist besonders stark heimgesucht. — Der u n i l o k u l ä r e Echinokokkus hat seilten Sitz vorwiegend im rechten Leberlappen; unmittelbar wird von ihm das Lebergewebe nicht anders in Mitleidenschaft gezogen, als daß es in der Umgebung großer Cysten — dieselben können bis zu flinf Litern Inhalt anwachsen — eine leichtere Druckatrophie erleidet. Vereitert aber der Sack, dann pflanzt sich die Entzündung von ihm auf die Leber fort. — Die Wandung des Sacks ist mitunter verdickt und mit Kalksalzen durchsetzt, auch wohl mit Nachbarorganen fester verwachsen. Verödung der Cyste, deren Inhalt sich in eine grauweiße mehr oder minder dickflüssige und allmählich festwerdende Masse verwandelt, ist nicht selten. Namentlich der Eintritt von Galle aus geöffneten intrahepatischen Kanälen führt zu diesem Ausgang. Die Verbindung zwischen Blutgefäßen und Echinokokkusblasen scheint übrigens den gleichen Erfolg zu haben. — Entwickelt sich die Cyste ungestört, dann verdrängt sie die Nachbarorgane, je nach ihrem Sitz das Zwerchfell und die Brustorgane, oder auch die Bauchorgane. Durchbrüche können nach allen Richtungen hin stattfinden: in die Brusthöhle, durch die mit dem Zwerchfell verwachsene Lunge in die Bronchien, in den Herzbeutel, in die Bauchhöhle, in den Darm, in die großen Gallengänge, in den Magen, endlich nach außen. Sehr selten erfolgt ein Durchbruch in die Vena cava inferior, von wo embolische Verschleppung der Blasen bis in die Pulmonalarterie stattfinden kann. Symptome macht der einfache Echinokokkus solange er klein bleibt nicht. Erst die größer werdende Cyste wirkt durch die Verdrängung der Nachbarorgane schädigend und wird dadurch bemerklich. J e nach der Richtung, in welcher das Wachstum geschieht, zeigen sich Störungen der Lungen- und Herzthätig-
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Krankheiten der Leber und der Gallenwege.
keit, oder solche der Unterleibsorgane. Ascites ist nur bei Druck auf die Pfortader, Ikterus nur bei solchem auf die größeren Gallengänge oder bei deren Verstopfung durch die nach der Perforation steckengebliebenen Echinokokkusblasen beobachtet. Druck und Schwere im rechten Hypochondrium werden nicht häufig angegeben; ebenso fehlt meist Empfindlichkeit gegen Druck in dieser Gegend. Am häufigsten noch wird über Beengung durch fester anschließende Kleidungsstücke, Leibriemen und dergleichen geklagt. — Allgemeinerscheinungen, soweit solche nicht aus den mechanischen Verhältnissen sich ergeben, fehlen vollständig. Erst die Vereiterung oder Verjauchung der Cyste führt dazu; dann handelt es sich um eine septisch« Infektion. — Schwere Erscheinungen, örtliche wie allgemeine, treten auf, sobald ein Durchbruch erfolgte: der in die Bauchhöhle, in das Perikardium und in die Vena cava scheint unbedingt tödlich; sehr bedenklich ist, falls nicht operativ eingegriffen wird, auch der Durchbruch in die Pleura. Die Entleerung der Cyste nach anderen Seiten hin ist minder gefährlich, immerhin kann es nachher zu langwierigem Siechtum kommen, dessen Ausgang unbestimmbar ist. Die Vergrößerung der Leberdämpfung ist je nach dem Sitz der Blase eine verschiedene. Man perkutiere die oberen Grenzen wie die unteren linear und zeichne die dabei gefundenen Linien auf, dann gelingt es oft schon bei einfacher Betrachtung der Dämpfungsfigur, größere Cysten zu erkennen. Die respiratorische Verschiebung, welche fast immer erhalten ist, schützt weiter gegen die Verwechslung mit einem rechtsseitigen Pleuraexsudat. — Die Palpation weist in größeren Säcken kleinwellige Fluktuation nach; das sogenannte Hydatidenschwirren ist nur eine Abart derselben, kein pathognomonisches Zeichen. — Die Verdrängungserscheinungen sind von hohem Werte für die Diagnose. — Bei der Beurteilung der Ergebnisse einer Probepunktion, welche nicht .selten notwendig wird, vergesse man nicht, daß mit dem Eintritt einer Entzündung des Sackes, die schon nach der mittels der PRAVAZsehen Spritze ausgeführten Punktion zustande kommt, Eiweiß sich in dessen Inhalt zeigt. —• Die diffcrenticllc Diagnose hat außer Pleuraexsudaten besonders Leberabscesse und Carcinome zu berücksichtigen. — Die Therapie hat durch den Gebrauch innerer Mittel keine Erfolge erzielt. Es kann sich nur um chirurgische Eingriffe handeln, mit denen man nicht zu lange warte. Manchmal genügt die einmalige einfache Punktion, um das Absterben der Kolonie herbeizuführen. Gelingt das nicht, dann muß die Eröffnung des Sackes mit dem Messer geschehen. Der Cysteninhalt ist für das Peritoneum ein heftiger Entzündungserreger; das ist bei jedem operativen Vorgehen zu beachten. Der multilokulare Echinokokkus bietet durchaus abweichende Verhältnisse. Es ist möglich, daß es sich um eine andere Tänie handelt, jedenfalls aber ist die Verbreitung eine beschränkte (Schweiz, Südwestdeutschland, Deutsch-Österreich noch am häufigsten), und das Leiden ist ein seltenes. — Die Leber ist vergrößert, ihre Oberfläche an den erkrankten Stellen hart, nicht selten höckrig. Man findet derbe weiße Knoten, die aus Bindegewebe bestehen, strecken weiß gallig inkrustiert sind, und kleinere oder größere Gallertherde einschließen. Auf dem Durchschnitt haben diese Stellen Ähnlichkeit mit einer Honigwabe, deren Einzelzellen aber von verschiedener Größe sind. — Centrale Erweichung und Vereiterung sind bei größeren Herden gewöhnlich. — Die Entwicklung ist, wie es scheint, eine sehr langsame; sie vollzieht sich ohne irgend bestimmtere Krankheitszeichen. Erst bei einer bedeutenderen Größe der Kolonie stellen sich örtliche
Echinokokküs der Leber. Katarrh der Gallemvege.
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Symptome ein, es wird die Leberschwellung bemerkt, Ikterus und Milzschwellung folgen nach. — Das weitere W a c h s t u m der Geschwulst r u f t Verdrängungserscheinungen hervor, centraler Zerfall kann zur Bildung großer Hohlräume (5 Liter Inhalt) führen. Die Differentialdiagnose h a t den einfachen Echinokokkus und das Lebercarcinom zu berücksichtigen. — Der Verlauf des multilokularen Echinokokkus ist ein langsamer, der Ausgang ivohl stets tödlich. Die operativen Eingriffe haben bisher keine Erfolge zu verzeichnen, ebensowenig eine interne Therapie. § 224.
Katarrh der Gallenwege.
Unter den Krankheiten der Gallenwege ist die k a t a r r h a l i s c h e E n t z ü n d u n g i h r e r S c h l e i m h a u t eine der häufigsten, in ihrem Gefolge tritt Ikterus auf, welchen man als katarrhalischen oder einfachen zu bezeichnen pflegt. E r wird nicht allein durch den Katarrh des Ductus choledochus und hepaticus, sondern auch durch solchen der feineren Gallengänge innerhalb der Leber herbeigeführt. Meist handelt es sich aber doch um das Ubergreifen einer Entzündung com Duodenum her; alles, was Magendarmkatarrh hervorruft, k a n n daher auch katarrhalischen Ikterus erzeugen. — Man sieht denselben öfter während der Übergangszeiten des Herbstes, noch mehr während der des Frühlings, und bisweilen so gehäuft, daß von epidemischem Auftreten des katarrhalischen Ikterus geredet werden kann. Die beliebte E r k l ä r u n g „Erkältung" dürfte abgesehen von allem anderen, kaum ausreichen, da solche im Einzelfall selten nachweisbar ist; diese Formen entziehen sich daher gegenwärtig dem ätiologischen Verständnis. Es ist bemerkenswert, daß dieselben verhältnismäßig häufiger unter dem Militär sich gezeigt haben. — Kreislaufstörungen in der Leber, welche mit A n h ä u f u n g des Blutes im venösen Abschnitt oder gar mit Venenerweiterung einhergehen, begünstigen zum mindesten das Auftreten von Katarrhen der Gallenwege. W e n n sie vorhanden sind, bedarf es wohl nur eines geringen Reizes, u m K a t a r r h hervorzurufen; möglich, daß solcher Reiz schon von einer nicht ganz normalen Galle, wie sie unter diesen Umständen leicht abgesondert werden kann, geübt wird. — Der bei akuten Infektionen (Cholera und Typhus abdominalis sind besonders zu nennen) auftretende Katarrh der Gallenwege ist vom Duodenum fortgepflanzt. — Bei der Phosphorvergiftung handelt es sich wahrscheinlich um einen von dem Gift unmittelbar hervorgerufenen Katarrh der feineren Gallengänge. — Endlich können noch Fremdkörper (Gallenkonkremente, Parasiten) eine, freilich selten oberflächlich bleibende, E n t z ü n d u n g der Gallenwege hervorrufen. Die anatomischen Veränderungen beruhen auf Schwellung und Auflockerung der Schleimhaut, verbunden mit der vermehrten Bildung eines trüben Sekrets. Ob eine erheblichere Verlegung der Ausführungsgänge und damit der Abschluß der Galle vom D a r m stattfindet, h ä n g t hauptsächlich von dem Verhalten des untersten, den Dünndarm schief durchbohrenden uud engsten Teils vom Choledochus ab. Durch die Anwesenheit eines Schleimpfropfes ist der Verschluß nachgewiesen. Nicht selten sind nach länger dauernder Verlegung die Gallengänge etwas erweitert, ebenso die Gallenblase. — Die Leber selbst ist von Gallenfarbstoff durchtränkt und dementsprechend gefärbt. Symptome der katarrhalischen E n t z ü n d u n g selbst sind nicht w a h r n e h m b a r : es handelt sich nur um solche der veranlassenden Ursache und solche des Verschlusses der Gallenwege mit ihren Folgen (§ 214).
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Krankheiten der Leber und der G allenwege.
Zeichen gestörter Magenverdauung: Aufstoßen, Üblichkeit, Erbrechen, Appetitmangel, Durst, körperliche und geistige Abgeschlagenheit, Gliederschmerzen, vielleicht auch etwas Fieber bilden den Anfang. Frühestens nach Ablauf einiger Tage, nicht selten erst während der ersten Woche oder noch später, tritt die bald stärker werdende Gelbsucht hinzu; es erscheint in dem Harn GallenfarbstofiF, gleichzeitig schwillt die Leber etwas an und wird auf Druck leicht empfindlich. Hautjucken, Verlangsamung des Pulses, Entfärbung der Fäces begleitet diese Erscheinungen, die Verstopfung hält an. Verdrießlichkeit, schon anfangs vorhanden, nimmt mit der Unlust zum Arbeiten überhand; auch der Schlaf pflegt gestört zu sein. Abmagerung zeigt sich in nicht allzulanger Zeit. — Die Besserung verrät sich durch die Wiederkehr des Appetits und durch die Färbung der Fäces. — Als kürzeste Dauer sind einige Wochen zu bezeichnen; der Vorgang kann sich aber auch monatelang hinziehen. — Die Diagnose hat bei vollentwickeltem Bilde keine Schwierigkeiten, bei ihr und bei der Prognose ist nur an die Möglichkeit der Verwechslung mit den Anfängen einer akuten Leberatrophie zu denken. Wegen der großen Seltenheit dieser Krankheit braucht man übrigens nicht zu ängstlich zu sein. — Die Behandlung ist die des Magendarmkatarrhs (§ 193). Nur hat man bei der Anordnung der Diät auf die erschwerte Fettaufnahme Rücksicht zu nehmen. Besonders zu empfehlen ist der Gebrauch salinischer Abführungsmittel, unter denen das Karlsbader Salz zuerst zu nennen. Man hat sich deren Wirkung so vorgestellt, daß sie die Gallenabsonderung steigern und den Druck auf diese Weise im Ductus choledochus genügend erhöhen sollten, um das Hindernis zu überwinden. — Auch von einer künstlich herbeizuführenden Reflexwirkung auf die Muskulatur der Gallenblase ist die Rede gewesen; um sie hervorzurufen, empfahl man die Mineralsauren. Eingießungen von 1—2 Liter Wasser, anfanglich auf 12u R., bei späterer Wiederholung bis 18° R. erwärmt, einmal täglich vorgenommen, wird großes Lob gespendet, sie sollen selbst bei veralteten Fällen nützen. Die Theorie der Wirkung ist nicht ganz klar. Es sind auch unmittelbare Versuche zur Wegsammachung des Choledochus vorgenommen: die dem Gefühl zugängliche Gallenblase wird durch Druck mit der Hand entleert, ein wirksames, aber möglicherweise nicht ganz ungefährliches Verfahren; oder aber man versuchte durch faradische direkte Reizung ihre Muskelfasern zur festen Zusammenziehung zu bringen. §
225.
Gallensteinbildung.
G a l l e n s t e i n b i l d u n g (Cholelithiasis) kommt häufiger bei Weibern als bei Männern vor; das Verhältnis wird auf drei zu zwei geschätzt. Das Kindesalter wird sehr selten ergriffen, die größte absolute Häufigkeit fällt auf das vierte bis sechste Jahrzehnt — ungefähr 70°'o der Gesamtzahl. Auch das spätere Alter hat noch bedeutende Frequenzzahlen aufzuweisen, es ist vielleicht sogar am stärksten belastet. — Die Wohlhabenderen scheinen mehr als die Armeren zu leiden. — Es bestehen wahrscheinlich geographische Verschiedenheiten: man weiß darüber indes nichts Genaueres. Auch was über individuelle Bedingungen, Lebensweise u. s. w. gesagt wird, ist nicht erwiesen. Dagegen hat man neuerdings auf den schädlichen Einfluß des Schnürens, wodurch eine Behinderung des Abflusses herbeigeführt wird, mit Recht aufmerksam gemacht. (MARCHAND.)
G al 1 en steinlii 1 düng.
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Zur Bildung von Gallensteinen ist es erforderlich, daß gelöste Bestandteile der Galle aus ihrer Lösung ausfallen. Es kommen in Betracht: Gholestearin, Gallenfarbstoffe, Gallensäuren, Fettsäuren, von anorganischen Stoffen hauptsächlich Kalk, neben dem kleinste Mengen von Kupfer, Eisen und Mangan sich finden; von den anorganischen Säuren sindPhosphor- und Schwefelsäure nur in geringen Mengen vorhanden, Kohlensäure hingegen unter Umständen in größeren (anKalk gebunden). Cholestearin ist zu 70—80% den meisten Gallensteinen beigemischt und tritt amorph oder kristallinisch auf; in der Galle wird der schwerlösliche Körper durch die gallensauren Alkalien flüssig erhalten, er kommt übrigens nur bis zu 0,26% darin vor. Gallenfarbstoffe, besonders das Bilirubin, sind frei oder mit Kalk verbunden ebenso sehr gewöhnliche Bestandteile der Gallensteine; sie werden gleichfalls durch die Alkalien der Galle in Lösung gehalten. Gallensaures Natron ocler Kalksalze sind in kleinen Mengen regelmäßig vorhanden; deßgleichen stearinsaure Kalkverbindungen, die bisweilen in nennenswerter Quantität in den Gallensteinen auftreten. Gewöhnlich zeigen die Gallensteine sich nicht von gleichartigem Gefüge, sondern bestehen aus einem Kern, einer diesem zunächst anliegenden Masse (der sogen. Schale) und einer äußeren Rinde. Der Kern wird in der großen Mehrzahl von Gallenfarbstoff kalk gebildet; er ist einfach oder mehrfach vorhanden, tief dunkel und enthält Schleim beigemischt; selten sind die von Cholestearin oder Fremdkörpern gebildeten Kerne. Die Schale besteht zum größten Teil aus Cholestearin, das mit Farbstoffen gemischt sein kann. Sie ist auf dem Durchschnitt mehr oder minder regelmäßig geschichtet, auch wohl von strahligem Bau. Die Rinde besteht aus Cholestearin, Farbstoff kalk oder kohlensaurem Kalk; sie ist meist härter und anders gefärbt. — Gallensteine schwanken in ihrer Größe zwischen der eines Mohnkorns (so kleine, die in großer Menge auftreten, werden als Gallengries bezeichnet) und der einer Wallnuß; ausnahmsweise werden sie noch massiger — man kennt einen von 15 cm Länge und 6 cm Dicke. Die Form ist ursprünglich wohl meist die ovale, allein sehr gewöhnlich schleifen sich die in größerer Anzahl nebeneinander in der Gallenblase vorhandenen Steine so aneinander ab, daß sie Facetten bekommen. Röhrenförmige Bildungen sind bei dem Menschen äußerst selten. Die Oberfläche der Gallensteine ist häufiger rauh und höckerig. Cholestearinsteine sind im ganzen weich, die Kalk in größeren Mengen führenden Steine hart. — Das spezifische Geivicht schwankt nach der Zusammensetzung zwischen 1027 (Cholestearin) und 1966. Uber die Bildung der Gallensteine vermutet man, daß dieselbe mit chemischen Veränderungen in der Zusammensetzung der Galle und mit erschwertem Abfluß derselben einhergeht. Man weist darauf hin, daß das Cholestearin überhaupt schwer in den gallensauren Alkalien sich löst. Wird nun mehr Cholestearin, als die normale Menge von gallensaurem Alkali in Lösung zu halten vermag, gebildet — das soll im höheren Alter geschehen —, so muß dessen Ausscheidung erfolgen. Auch Verminderung der Alkaleszenz durch Mehrbildung von Säure, wie sie bei starker Fleischnahrung und bei längerer Retention der Galle unter dem Einfluß des Blasenschleims vorkommt, hat die gleiche Wirkung. — Endlich kann auch eine Verminderung in der Menge des Alkali bei normaler Menge des Cholestearins eintreten. — Der sonst nur spurweise in der Galle vorkommende Kalk soll als pathologisches Produkt von den Schleimdrüsen der Gallenblase geliefert werden.
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Krankheiten der Leber und der Oallenwege.
— Die weitere Bedingung — Erschwerung des Abflusses — ist ein logisches Postulat, da bei rascher Gallenentleerung es selbstverständlich innerhalb der Gallenwege zur Bildung größerer Konkremente nicht kommen könnte. Es ist übrigens darauf hinzuweisen, daß in der Blase, wo sich die Steine weitaus am häufigsten finden, die Galle immer eine verhältnismäßig lange Zeit verweilt. Nicht unwahrscheinlich ist es, daß öfter ein Katarrh der Blasenschleimhmit die Veranlassung zum Beginn der Steinbildung giebt. Es scheint aus den Formveränderungen, die nicht allein an der Oberfläche der fertigen Steine erkennbar sind, sondern sich auch in deren Tiefe erstrecken — man hat das Ganze treffend mit der Zahnkaries verglichen —, der Schluß erlaubt, daß chemische Einwirkungen dauernder thätig sein und wenigstens eine Verkleinerung derselben herbeiführen können. Ob aber eine vollständige Auflösung der Steine möglich, bleibt dahingestellt. — Gallensteine kommen überall vor, wo sich Galle findet: in den feineren Verzweigungen des Ductus hepaticus treten sie als Gallengries auf, in den größeren Asten erreichen sie schon die Größe von Taubeneiern. Die Hauptstätte ihrer Bildung ist die Gallenblase, hier werden sie auch am größten; die im Ductus cyslicus und choledochus sich findenden sind mit seltenen Ausnahmen von der Blase oder dem Ductus hepaticus aus dorthin gelangt. — Die anatomischen Folgen der Bildung von Gallensteinen sind durch deren Form, ihren Sitz und ihre Größe bedingt. Steine mit rauher Oberfläche rufen wahrscheinlich schon bei mäßiger Bewegung Entzündung der ihnen anliegenden Wandungen hervor. So kann es zur Geschwürsbildung kommen, welche den Ausgang in Heilung mit dem Auftreten von Narben, in Abkapselung des Steins, in Perforation nehmen, oder sich auf die Nachbarschaft ausbreiten kann. Dadurch werden verschiedenartige weitere Störungen hervorgerufen. 1. Wird durch den festliegenden Stein, einerlei ob derselbe dauernd durch entzündliche Vorgänge fixiert oder, das Anfang.sstadium, nur an der Fortbewegung gehindert ist, oder wird durch eine feste Narbe der Gallengang geschlossen, dann tritt in den oberhalb gelegenen Teilen unter dem Druck der angehäuften, fort und fort abgesonderten Galle eine Erweiterung der Gallengänge auf, die sehr beträchtlich werden kann. So erreicht der an seinem unteren Ende verstopfte Ductus choledochus bisweilen den Umfang eines Dünndarms; die feineren Gänge können unter diesen Umständen sich bis zur Weite eines Gänsekiels ausdehnen. Der Gesamtumfang der Leber ist immer vermehrt. Das gleiche geschieht durch Verschluß des Ductus hepaticus, welcher übrigens durch eingeschobene Steine nicht oft stattfindet, da dieselben aus engeren Kanälen vorrückend, meist denselben passieren. — Verlegung des Ductus cysticus hat nicht selten Erweiterung der Gallenblase zur Folge, die sehr bedeutend werden kann — man hat schon solche bis zu dem Umfang eines Kindskopfes beobachtet. Ist der Abschluß ein vollständiger, dann wird die in der Blase vorhandene Galle resorbiert, an ihre Stelle tritt eine von der Schleimhaut in reichlicher Menge abgesonderte albuminös-schleimige Flüssigkeit (Hydrops vesicae felleae). — Andere Male schrumpft die Gallenblase über den in ihr enthaltenen Steinen zusammen; ihre Wand wird verdickt, auch wohl kalkig infiltriert; häufig sind festere Verwachsungen mit der Nachbarschaft vorhanden. 2. Die von den Steinen veranlaßten Entzündungen führen mit oder ohne vorhergehende Verwachsungen zu Perforationen in die Nachbarschaft. Von der Gallenblase aus können so Durchbrüche 'in den Magen, das Duodenum, das Kolon,
Gallen Kteinbildung.
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seltener nach außen durch die Bauchdeclcen eintreten, vom Ductus choledochus aus finden sie am ehesten in das Duodenum statt. War keine auareichende Verlötung erfolgt, dann geschieht die Eröffnung in die freie Bauchhöhle mit rasch tötender Peritonitis. — Auch von den feineren Gallengängen aus kann Entzündung, unmittelbar auf die Leber sich fortpflanzend, dieselbe in Mitleidenschaft ziehen. Dabei wird entweder hauptsächlich das Bindegewebe betroffen — interstitielle Hepatitis, vorwiegend die hypertrophische Form derselben, tritt auf; oder aber es kommt zur diffusen Eiterbildung. •— Diese letztere kann noch auf andere Weise sich entwickeln. W e n n der Gallenabfluß längere Zeit gehemmt war, tritt das aufgehäufte Sekret in die Leberzellen über oder verhindert die von diesen selbst gebildete Galle an ihrer Entfernung. Dadurch werden die gallig infiltrierten Leberzellen streckenweise vernichtet, sie liegen nun als Fremdkörper inmitten gesunden Gewebes und erzeugen eine abkapselnde eitrige Entzündung (Hepatitis sequestrans). Es scheint, daß dieser Vorgang sich nur vollzieht, wenn ohnehin schon eine große Neigung zur Konkrementbildung gegeben ist. Symptome der Cholelithiasis können lange Zeit, nicht selten überhaupt fehlen; namentlich ist das bei den in der Blase liegenden Steinen der Fall. Leichtere dyspeptische Beschwerden, eine unbestimmte Empfindung von Druck oder Spannung in der Lebergegend ist alles, was selbst sehr empfindliche Leute klagen. Anders sobald durch die Einklemmung eines Steines die Erscheinungen der Gallensteinkolik hervorgerufen werden. Meist gehen dem Ausbruch derselben einige Tage oder Wochen Zeichen der Dyspepsie, leichte Stiche in der Lebergegend, und die Empfindungen von Druck oder Spannung voraus, so daß erfahrene Kranke in der Regel länger vorher wissen, was ihnen droht. Der eigentliche Anfall beginnt oft mit einem starken Schüttelfrost und heftigem Erbrechen, beides kann sich mehrmals wiederholen. Die Schmerzen werden ins Epigastrium und in das rechte Hypochondrium verlegt, strahlen übrigens weit aus; die Gegend des rechten Schulterblattes, auch der rechte Arm, die Wirbelsäule, seltener die tieferen Teile des Bauches können beteiligt erscheinen; sie werden als bohrend oder als reißend bezeichnet und sind äußerst heftig. Es tritt bald Empfindlichkeit der Lebergegend auf Druck ein, welche sehr hochgradig werden kann, gewöhnlich schwillt das Organ an; Ikterus kommt im Laufe der ersten Tage zum Ausbruch. Das ganze Krankheitsbild ist das einer schweren Visceralneuralgie (§ 7). Die Dauer des Anfalles wechselt zwischen mehreren Stunden, Tagen und Wochen; zieht sich die Erkrankung so lange hin, dann handelt es sich wohl stets um eine Reihe von Paroxymen, welche durch verhältnismäßig freie Zwischenräume getrennt sind. Die Beendigung des Anfalls erfolgt oft ganz plötzlich; das schwere Krankheitsgefühl macht einem vollständigen Wohlbefinden Platz. Es sind nur sehr wenige Fälle mit tödlichem Ausgang bekannt. Von Einzelheiten
ist erwähnenswert:
Daß die Ursache der Anfalle auf Einkeilung von Gallensteinen beruht, unterliegt keinem Zweifel. Der Beweis ist in einer sehr großen Zahl von Fällen durch die in den Darmausleerungen im Laufe, der auf den überstandenen Anfall folgenden Tage gefundenen Steine geführt. — Unter den Gallengängen kommt der Cysticus hauptsächlich, dann der Choledochus mit seiner Pars intestinalis in Betracht. Ein sich aus der Gallenblase entfernender Stein macht die heftigsten Schmerzen, bis er den Ductus cysticus passiert hat, dann folgt eine Zeit der
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Krankheiten der Leber und der Gallenwege.
Ruhe; erst der Durchtritt durch den engen Endteil des Ductus choledochus ruft heftigere Beschwerden hervor. Es ist über die Triebkräfte, welche erforderlich sind, um die nicht unerheblichen Widerstände für die Bewegung der Gallensteine zu überwinden, nichts Sicheres bekannt. Muskelfasern finden sich in der Gallenblase, ihre Anwesenheit in den größeren Gängen wird bezweifelt, jedenfalls dürfte hier wie dort die von ihnen zur Verfügung gestellte Kraft nur eine geringe Größe erreichen. Da auch der Sekretionsdruck schwerlich erhöht sein wird und da die Zwerchfellbewegungen des im Anfall oberflächlich atmenden wenig ausgiebig sind, bleibt es wunderbar genug, daß die Steine überhaupt weiter rücken.
Ikterus und Leberschwellung kommen nur bei gehindertem Abfluß der Galle in den Darm vor, also dann, wenn ein Stein den Choledochus verstopft. Nicht selten füllt sich bei etwas längerer Dauer des Abschlusses gegen den Darm die Gallenblase und wird als birnförmiger Körper an dem Leberrande tastbar, den sie unter Umständen als große Geschwulst überragt. Die Form, die Lage, die Fluktuation des Tumors sichern die Diagnose desselben. Gallensteinkoliken gehören zu den schmerzhaftesten Leiden; mehr als bei anderen Yisceralneuralgien wird trotz des heftigen damit verbundenen Vemichtungsgefiihls der wirkliche Schmerz empfunden. Auch hier ist die Ursache ebensowenig aufgeklärt, wie die weitverbreiteten Irradiationen und namentlich die durchaus nicht seltene Steigerung der Körperwärme. Man hat dieselbe, welche oft mit heftigem Schüttelfrost einsetzt, in Parallele mit dem sogenannten Urethralfieber, das nach dem Katheterismus auftritt, gebracht, gewiß mit Recht. Aber damit ist nur ein weiterer Fall, keine Erklärung des Vorgangs selbst gewonnen. Übrigens ist zu beachten, daß Gallensteinkoliken, welche mit Verschluß der Ausführungsgänge und längerem Verweilen der Steine in denselben verbunden sind, vielfältige Veranlassung zum Fiebern geben können. Man wird wohl daran thun, sich nicht mit den angeblichen septischen Vorgängen in der stagnierenden Galle, durch welche ein pyrogener Stoff erzeugt werden soll (sogenanntes intermittierendes Leberfieber französischer Autoren), zu beruhigen, sondern man muß, stets an die so mannigfaltigen anatomischen Möglichkeiten denkend, genau zu unterscheiden suchen, um was es sich im gegebenen Falle handelt. Die Ausgänge sind zum großen Teil bereits erwähnt: Chronische oder akute perforatorische Peritonitis und Leberentzündungen verschiedener Form. Ergänzend ist noch hinzuzufügen, daß in den Darm gelangte Gallensteine dessen Verlegung und die Erscheinungen des Ileus hervorzurufen vermögen — ein freilich äußerst seltenes Ereignis. Ebenso selten ist die Störung der Blutbewegung in der Pfortader durch Übergreifen von entzündlichen Vorgängen aus den ihr benachbarten Gallen gängen, oder von der Gallenblase her. — Bei lang dauerndem Verschluß entwickeln sich die Folgen einer mit der Absperrung der Galle vom Darm und deren Resorption einhergehenden Störung der allgemeinen Ernährung, Cholämie (§. 214). — Wegen der möglichen Folgezustände ist die Prognose der Cholelithiasis immer mit einer gewissen Zurückhaltung zu stellen. Die Diagnose der Erkrankung beginnt gewöhnlich erst mit dem Auftreten von Kolik. Vorher kann man :höchstens durch den zufälligen Befund eines Steines in den Darnientleerungen oder dadurch, daß man die Steine enthaltende Gallenblase durchtastet, ihre Anwesenheit erkennen. — Die sichere Diagnose der Gallenstuinkolik kann schwierig werden; wenn der Ikterus fehlt und man den Anfall selbst nicht beobachtet hat, sondern auf Beschreibungen angewiesen ist, wird man öfter darauf verzichten. Die Verwechslung mit Kardialgien liegt am
Gallensteinbildung.
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nächsten; die mit der ganz außerordentlich seltenen Nearalgia hepatiea, bei welcher sogar Ikterus vorkommen soll, wird nur durch sorgfältigste langdauemde Beobachtung vermieden werden können. — Folgezustände werden nach den für sie geltenden Regeln diagnostiziert. Die Behandlung der Cholelithiasis selbst stellt sich die Aufgabe, vorhandene Steine zu entfernen oder zur Lösung zu bringen. — Die Empfehlung der Alkalina, besonders der kohlensauren Natriumverbindungen, geht von der Anschauung aus, daß ein Mangel an gallensaurem Natrium, dem Lösungsmittel für das Cholestearin wie für die Farbstoffe, bei der Bildung der Gallensteine wesentlich in Betracht kommt. Wieweit hieraus die Wirkung dieser Mittel erklärbar wird, kann fraglich erscheinen. Dagegen steht es erfahrungsgemäß fest, daß eine wiederholte Brunnenkur in Karlsbad oder Vichy (auch Marienbad, Kissingen, Ems wären zu nennen) entschiedene Erfolge hat. Das Trinken von Karlsbader Wasser, der anhaltende Gebrauch von Natrium bicarbonicum — täglich 10—15 g in zwei Litern Wasser — giebt Ersatz, wenn nicht an Ort und Stelle die Kur gebraucht werden kann. Es ist darauf zu sehen, daß größere Mengen von Wasser zur Resorption gebracht werden, da durch dieselben die Gallenabscheidung reichlicher wird; ebenso, daß täglich mehrmals dünnflüssige Entleerungen stattfinden. Fehlt es daran, dann verordne man das Karlsbader Salz mit Zusatz der genannten Mengen des Natrium bicarbonicum. Weiter ist der Zustand, des Magendarmkanals sorgfaltig zu berücksichtigen und bei der Auswahl der Diät auf denselben großes Gewicht zu legen. Etwaige Fettleibigkeit muß beachtet werden; die damit verbundene gesteigerte Thätigkeit der Atmung trägt zum raschen Abfluß der Galle wesentlich bei. Das DuRANDEsche Mittel — 3 Äther sulphuricus und 2 Ol. tergbinthinae, 10 bis 20 Tropfen zwei- bis dreimal täglich — soll das Cholestearin in den fertigen Steinen zur Lösung bringen. Neuerdings ist zu gleichem Zweck Chloroform empfohlen — zu 10 bis 15 Tropfen vier- bis sechsmal täglich mit Milch wird dasselbe meist ertragen, jedenfalls besser wie das erstgenannte Mittel, und scheint bei längerem Gebrauch in der That manchmal zu nützen.
Die Behandlung der Gallensteinkolik hat möglichst früh zu beginnen. Man schicke die Kranken, welche aus eigener Erfahrung die ersten Anzeichen des drohenden Anfalls kennen, bei deren Auftreten sofort ins Bett, lasse den Bauch mit einem möglichst warmen Kataplasma bedecken und reiche eine volle Gabe TV. opii — 40 gutt. für den Erwachsenen. — Diese ist ganz oder in Bruchteilen zu wiederholen, wenn die Schmerzen nicht nachlassen; Abführmittel sind die ersten. Tage zu vermeiden. So gelingt es nicht selten den Anfall abzuschneiden. — Bei bereits vollentwickeltem Anfall hat man grundsätzlich ebenso vorzugehen. Nur ist hier anfangs öfter das Morphium subkutan (0,02—0,03) nötig, weil etwa vorhandenes Erbrechen die Einverleibung des Opium per os nicht gestattet und weil die heftigen Schmerzen rasche Abhilfe erheischen. Zur Beseitigung des Anfalls ist übrigens das Opium selbst fast stets unerläßlich; es kann für diese empirische Regel zurzeit keine genügende Erklärung gegeben werden. — Im allgemeinen ist zu bemerken, daß die Opiate in größeren Mengen anzuwenden sind und fast stets gut ertragen werden. Schwere Kollapszustände können Herzreizmittel — Äther oder Ol. camphoratum subkutan — erfordern. Man lasse den Kranken nach überstandenem Anfall so lange im Bette, bis jede Empfindlichkeit der Leber verschwunden ist, und sei mit der Anwendung der Abführmittel vorsichtig. V. J u r g e n s e n , Spez. Patk. u Tlier
II Aufl
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Krankheiten der Leber und der Gallenwegr.
Folgezustäncle werden nach den ftir jeden derselben gültigen Regeln behandelt; man achte besonders auf die Erscheinungen umschriebener Peritonitis. § 226. Anderweitige Erkrankungen der Gallenwege und der Gallenblase. Die s e l t e n e r e n E r k r a n k u n g e n der G a l l e n w e g e und der G a l l e n b l a s e sollen, da ihr klinisches Bild fast ganz mit dem in den beiden vorhergehenden Paragraphen beschriebenen übereinstimmt, nur kurz ihrer Entstehungsart nach erwähnt werden. Die schweren Formen der Entzündung (eitrige, kroupöse, diphtherische) werden außer durch Gallensteine noch von den zufällig in die Gallengänge gelangten, oder dort angesiedelten Parasiten: Spulwürmern, Distoma hepaticum und lanceolatum, Echinokokkusblasen — hervorgerufen; sie treten ferner nach akuten Infektionskrankheiten (Typhus, septische Infektionen, Ruhr u. s. w.) auf. — Ob eine katarrhalische Entzündung in die schweren Formen überzugehen vermag, ist zweifelhaft. Möglich, daß dies bei sehr geschwächten Konstitutionen geschieht, und daß die sehr seltenen diphtheritischen Entzündungen bei Krebs der Gallenwege so ihre Erklärung finden. Verengerung und Verschluß der Gallenausführungsgänge wird bedingt: 1. Durch Fremdkörper. — Neben den Gallensteinen kommen die bereits genannten Parasiten in Betracht. 2. Durch Entzündungsvorgänge mit späterer Narbenbildung. Es ist zunächst auf das Angeführte zu verweisen und noch zu bemerken, daß ein Gallenstein, der Entzündung veranlaßte, verschwunden sein kann, so daß man öfter nicht zu erkennen vermag, was die Entzündung und ihre Folgen hervorgerufen habe. — Weiter ist zu erwähnen, daß vom Peritoneum her Entzündung auf die Gegend der Porta hepatis übergreifen und hier den Ductus choledochus narbig verengen kann. Als hauptsächliche Veranlassung hierzu werden neben allgemeiner Peritonitis das Ulcus ventriculi, eine Pleuritis dextra, die durch den Zwerchfellübergang sich fortpflanzte, und mit besonderem Nachdruck die Syphilis genannt. 3. Durch Geschwülste und Neubildungen, die sich in der Wandung selbst entwickeln. Es kommen besonders Carcinome, primäre und sekundäre, vor. Weiter üben von außen her Druck auf die GallBnwege: Carcinome des Duodenum und des Pankreas, durch krebsige tuberkulöse, leukämische Entartung vergrößerte Drüsen in der Porta hepatis Tumoren der rechten Niere (sehr selten) oder des Netzes, ferner Aneurysmen der Arteria hepatica, nur ganz ausnahmsweise solche der Bauchaorta, endlich Tumoren der Ovarien. — Vorübergehende Verlegung kann durch Kotanhäufung und durch den schwangeren Uterus bedingt werden. § 227.
Erkrankungen des Pankreas.
E r k r a n k u n g e n des P a n k r e a s gehören zu den selteneren. Ob der Ausfall der scheinbar sehr wichtigen physiologischen Funktionen des Organs: die Verdauung von Kohlehydraten, Fett und Eiweiß sich durch erhebliche Störungen bemerkbar macht, ist zweifelhaft; es scheint, daß meist von den verschiedenen mit den gleichen Aufgaben betrauten Drüsen genügend kompensatorisch eingegriffen werden kann. Wichtiger dürften die aus der Lage der Bauchspeicheldrüse sich ergebenden Störungen sein. Es ist daran zu erinnern, daß der Ductus choledochus entweder neben dem Kopf der Drüse zum Duodenum herabsteigt oder denselben durchsetzt, danji daran, daß die Stämme der Abdominalaorta, der Vena cava inferior und der Anfang der Pfortader hinter dem Pankreas liegen, hei starker Vergrößerung desselben daher gegen die Wirbelsäule gepreßt werden müssen. Auch der Plexus solaris steht in nächster räumlicher Beziehung zu der Drüse; endlich ist noch auf deren Nachbarschaft mit dem Magen und dem Duodenum hinzuweisen. — Der physikalischen Untersuchung durch Palpation und Perkussion ist das Pankreas durch die Vorlagerung des linken Leberlappens und des Magens nahezu entzogen. Nur bei bedeutender Vergrößerung desselben und bei vollkommen leerem Verdauungsschlauch wäre es, wenn dazu noch die Bauchdecken vollkommen erschlafft sind, möglich, dasselbe abzutasten oder perkutorisch zu umschreiben. — Unter den angeführten Symptomen — hochgradige Abmagerung, reichliche Entleerung einer Flüssigkeit durch den Mund, welche bald als reflektorisch vermehrt abgesonderter Speichel, bald geradezu als Pankreassekret (?) aufgefaßt wurde, sehr bedeutende Fett- und Muskelmengen in den Fäces, Zuckerharnen, chronischer Ikterus — ist kein einziges mit Bestimmtheit auf Pankreaserkrankung zurückzuführen.
Erkrankungen der Gallen wege, der Gallenblase und des Pankreas.
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Von speziellen Erkrankungsformen kommen vor: Akute Entzündungen, primäre oder metastatische, dann die parenchymatösen Degenerationen im Gefolge von Infektionskrankheiten; chronische Entzündung mit Vermehrung des Bindegewebes einhergehend, aus unbekannten Gründen oder, das häufigere, im Gefolge von den mit Störung der venösen Blutbewegung im Pfortadergebiet verlaufenden Zuständen entstanden, endlich das Obergreifen einer Entzündung aus der Nachbarschaft. Auch der Verschluß des Ausführungsganges durch Konkremente (phosphor- und kohlensaurer Kalk), die sich in demselben bilden, oder anderweitige Störungen der Kanalisation können diese Form der Entzündung, hier und da mit Cystenbildung verbunden, hervorrufen. Carcinome — häufiger sind die harten — nehmen, primär entstehend, ihren Ursprung meist vom Kopf des Pankreas. Vom Magen und Duodenum greift ein Krebs unmittelbar über; metastatisch kommt er sehr selten vor. Es finden sich dann noch Sarkome und Tuberkel — ebenso äußerst selten. — Das Pankreas kann fettig infiltriert werden oder fettig degenerieren; es kann an der amyloiden Entartung teilnehmen. Nur ganz ausnahmsweise gelingt es, diese verschiedenen Erkrankungen zu diagnostizieren.
43*
X.
Krankheiten der Milz. § 228.
Allgemeines.
Die Kreislaufverhältnisse der Milz sind für deren Teilnahrae an pathologischen Vorgängen von Bedeutung. Die Milzarterien gehören zu den Endarterien, es fehlen bei ihrer feineren Verzweigung die Anastomosen; sie entleeren sich in Räume, aus denen erst die Venen hervorgehen. Die Blutbewegung ist daher eine verhältnismäßig langsame; mit dem Blute strömende Krankheitserreger finden in der Milz Zeit zum Verweilen und zur örtlichen Wirkung. Die Oröße der Milz wird für den vollkräftigen Erwachsenen auf 12 cm Länge, 7,5 cm Breite, 3 cm Dicke angegeben; übrigens sind das nur Mittelwerte, welche nicht mehr als eine allgemeine Vorstellung geben. — Der Nachweis der Milz ist durch die Umgebung — lufthaltiges, zum größeren Teil tympanitisch schallendes Gebiet — erschwert, und bei normalen Verhältnissen nur für einen Teil derselben möglich. Die Perkussion liefert die besten Ergebnisse. Man untersucht den stehenden oder halb auf der rechten Seite, halb auf dem Rücken liegenden Kranken mit nicht zu starkem Anschlag. Lineare Perkussion ist für genauere Bestimmungen empfehlenswert, ebenso die Abgrenzung des linken unteren Lungenrandes. — Gewöhnlich perkutiert man in der linken Axillarlinie von oben nach unten, dann vom Rippenbogen her nach hinten, endlich von unten nach oben; unter normalen Bedingungen stellt sich so eine Dämpfung zwischen 9. und 11. Rippe von etwa 5—6 cm Breite heraus; nach vorn überragt dieselbe nicht wesentlich die Axillarlinie. Da Täuschungen durch den wechselnden Inhalt der Nachbarorgane leicht herbeigeführt werden können, da namentlich die Füllung des Magens und die Anhäufung von Kot im Darm Milzvergrößerungen vorzutäuschen vermögen, empfiehlt es sich immer die gefundenen Grenzen aufzuzeichnen, man wird so oft schon durch die Dämpfungsform vor Irrtümern bewahrt. Vergrößerungen der Milz bewirken zunächst eine Breiienzunahme der Dämpfimg, welche mehr nach oben oder mehr nach unten — das ist von dem Stande des Zwerchfells und der Füllung der Därme mit Gas abhängig und kann daher bei dem gleichen Menschen von Tag zu Tag wechseln — sich erstreckt. Das an Ausdehnung gewinnende Organ tritt an den Rippenbogen heran oder unter demselben hervor; es wird nun, sei es überhaupt oder nur bei tiefer Inspiration dem Getast zugänglich. Hierbei ist aber zu bemerken, daß nicht selten die sich kontrahierenden Zwerchfellzacken eine Verwechslung möglich machen. Große Mil%geschwülste ragen nach oben bis zur 5. Rippe, nach unten bis zum Darmbein, nach
Allgemeines. Akute Milzerkrankungen.
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vorn bis zur Mittellinie, nach hinten endlich bis in die Nähe der Wirbelsäule. Sie lassen an dem vorderen Rand sehr oft die der Milz eigentümlichen Einkerbungen erkennen, welche, wenn derselbe hart ist, leicht tastbar sind. Die respiratorischen Verschiebungen der Milz sind auch bei starker Vergrößerung derselben meist erhalten; ebenso läßt sie sich von der Hand des Untersuchers verschieben. — Bei länger bestehenden Geschwülsten mittlerer Größe geben die Ligamente nach und dehnen sich, wodurch die Verschiebbarkeit noch zunimmt. — Auch ohne Vergrößerung kann die Milz in hohem Grade beweglich werden, so daß sie bis in die rechte Bauchhälfte vorzurücken vermag — Wandermilz. Durch Drehung um ihre Achse kann es bei der Milz zur Verödung der Gefäße, ja zur vollständigen Lostrennung von den Aufhängebändern kommen, so daß das atrophierende Organ als Fremdkörper in der Bauchhöhle liegt. Je nach der Richtung, in welcher die Bewegung der Wandermilz geschieht, treten verschiedenartige Folgezustände an den vielleicht durch die strangförmig gewordenen Ligamente eingeschnürten anderweitigen Organen des Bauches ein; über Druck und Zerrung wird gewöhnlich geklagt. — Die Diagnose ist aus dem durch wiederholte Untersuchung sicher zu stellenden Mangel der Dämpfung an der normalen Stelle und aus der Beschaffenheit des dem Getast zugänglichen leicht beweglichen Körpers zu stellen. Die Behandlung sucht durch zweckentsprechende Binden und Pelotten das Wandern zu beschränken, außerdem eine etwa vorhandene Schwellung der Milz zu beseitigen.
§ 229.
Akute Milzerkrankungen.
Milzkrankheiten treten weit /läufiger in Verbindung mit anderen Leiden als selbständig auf. Man ist daher bei ihrer Einteilung in einiger Verlegenheit; immerhin lassen sich einige Hauptgruppen bilden. Unter den a k u t e n M i l z s c h w e l l u n g e n nimmt die im Gefolge von Infektionskrankheiten sich einstellende den ersten Platz ein. Malaria, die typhösen Leiden, Pyämie und Septikämie, die akuten Exantheme, unter diesen besonders die Pocken weisen am regelmäßigsten Milzschwellungen auf — dieselben kommen aber bei jeder Infektion vor. Am besten bedient man sich für die ganze Reihe des Namens Infektionsmilz, da ein anatomisch gleiches Bild vorliegt. Man findet eine Vergrößerung des Organs bis zum mehrfachen Umfang der Norm; dasselbe ist weich elastisch, seine Kapsel stark gespannt, oder, wenn die Schwellung etwas rückgängig geworden, in Falten gelegt. Auf dem Durchschnitt ist die Pulpa weich und stark gerötet; die MALPiGHischen Körperchen verhalten sich verschieden, bald sind sie deutlich vergrößert, bald kaum zu erkennen. Hat der Zustand länger angehalten, dann ist das Gewebe noch weicher geworden, es zerfließt fast, die Farbe ist in ein Graurot übergegangen; die Kapsel ist öfters getrübt oder mit Fibrinausscheidungen bedeckt. Die mikroskopische, Untersuchung zeigt, daß die anfangs in vorwiegender Menge und überhaupt sehr reichlich vorhandenen roten Blutkörperchen später mit einer wachsenden Anzahl weißer gemischt sind; beide liegen sowohl innerhalb der Gefäße, als in der Pulpa. — Es ist so der Übergang entzündliche/r Hyperämie in echte Entzündung anatomisch nachweisbar vorhanden. Auch deren schwerere Formen: Eiterung, umschriebene zur Bildung von Abszessen führende, welche dann nicht selten mehrfach vorhanden sind oder diffus über das' ganze Organ sich verbreitende, endlich Nekrose, kommen, wenn auch
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Krankheiten der Milz.
nicht gerade oft vor. — Unter den Ausgängen ist die vollständige Rückbildung der häufigste; bei längerer Dauer und größerer Stärke der entzündlichen Reizung stellt sich aber allgemeine Hyperplasie des Milzgewebes und nicht selten Anhäufung von Pigment in demselben ein. Die dabei gewöhnliche Entzündung der Kapsel (Perisplenitis) kann zu Verwachsungen mit der Nachbarschaft führen. — Solche Milzen sind größer oder kleiner als normale, ihre Kapsel ist verdickt und sie selbst sind fester, so daß man von der Schnittfläche nur wenig abzuschaben vermag. Auf dem Durchschnitt zeigt sich je nach dem Pigmentgehalt eine Färbung, die vom hellen gleichmäßigen Rot bis zum Schwarz, die ganze Fläche einnehmend oder inselförmig über dieselbe zerstreut, wechseln kann. Die Trabekel sind verdickt, ebenso die Gefäßwandungen, seltener das Netzwerk der Pulpa. Pigment liegt frei innerhalb derselben, es ist von den Zellen eingeschlossen oder in die Wandungen eingedrungen. — Es ist durchaus wahrscheinlich, daß die verschiedenen Mikroorganismen der Infektionskrankheiten wegen der langsamen Blutströmung in der Milz Zeit finden sich in größeren Mengen anzuhäufen und als Entzündungserreger thätig zu werden. — Akute Milzschwellung wird weiter hervorgerufen durch Embolien. Die eigentümliche Verbreitung der Arterien, dann die verhältnismäßig bedeutende Weite des Hauptstammes bedingen die Möglichkeit des Vorkommens von Infarktbildung und erklären dessen Häufigkeit. Erkrankungen des linkenHerzens, Endokarditis, Thrombenbildung in der Aorta führen dazu, ebenso können aus den Lungenvenen Thromben verschleppt werden. Auf der Beschaffenheit des Embolus beruht die Art der Veränderung: nach reizlosem (blandem) Embolus entsteht der einfache hämorrhagische Infarkt, nach einem, der stärkere Entzündungserreger mit sich führt, der Absceß. Beide bieten das gewöhnliche Aussehen dar; strahlige tief eingezogene Narben zeigen die Heilung an. Von geringerer Bedeutung sind die akuten Milzschwellungen nach Verletzungen und die durch das Übergreifen einer Entzündung aus der Nachbarschaft hervorgerufenen; es wird angegeben, daß bei Störungen der Menstruation vikarierend eine Schwellung der Milz auftreten solle. Die rasch entstandene Schwellung der Milz liefert wenig von Krankheitszeichen. Am häufigsten noch werden Stiche in der Milzgegend geklagt, welche bei Druck von außen und bei der Atmung zunehmen. Auch das Gefühl von Druck und Spannung wird wohl angegeben. Die Vergrößerung des Organs weist die Perkussion nach. — In seltenen Fällen (Malaria, Typhus, dann durch Einwirkung äußerer Gewalt) kommt es zur Zerreißung der Milz und. ihrer Kapsel — eine rasch tötende „innere" Blutung zeigt dieselbe an. Auch Abscesse brechen mitunter durch — ihre Entleerung geschieht in die freie Bauchhöhle und ruft dann allgemeine Peritonitis hervor, oder in vorher abgekapselte Räume, endlich in die Hohlorgane der Nachbarschaft, besonders in den Magen. Es entsteht so ein Krankheitsbild, welches neben den örtlichen Erscheinungen die einer sekundären Pyämie darbieten kann. — Von einer Therapie des akuten Milztumors als solchen kann keine Rede sein. Nur wenn ein Absceß diagnostizierbar wäre, dürfte man vielleicht an den chirurgischen Eiugriff denken.
Alkute Milzerkrankungen.
§ 230.
Chronische Milzschwellungen. Neubildungen.
Chronische Milzschwellungen.
Neubildungen.
Parasiten.
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Parasiten.
C h r o n i s c h e M i l z s c h w e l l u n g e n können als Ausgänge der akuten zurückbleiben — bei der langdauernden Malariainfektion ist das ein häufiges Ereignis — sie können im Gefolge der Leukämie, oder der Psendoleukamie (§§ 79. 80) auftreten, durch Erscliicmtng der Strömimg im Pfortadergebiet sich entwickeln (§ 216), durch Syphilis, besonders angeborene (§ 94), endlich durch amyloide Entartung, durch Neubildungen und Parasiten erzeugt werden. Im einzelnen wäre zu erwähnen: Die bei Erschwerung des Pfortaderkreislaufs sich ausbildenden Milzschwellungen sind durch reichliche Entwicklung von Bindegewebe ausgezeichnet. Amyloide Entartung — wiederum Teilerscheinung des allgemeinen Vorgangs, zeigt sich anatomisch in zwei Formen. Man unterscheidet: 1. die Sagomilz: die MALPIGHI sehen Körperchen, der von der Entartung vorwiegend betroffene Teil, liegen in der mäßig derben, braun- bis graurot gefärbten Milz als durchscheinende, vergrößerte, etwas auf der Schnittfläche vorragende Körnchen, die mit, gekochtem Sago eine in die Augen fallende Ähnlichkeit haben; 2. die Speckmik,: bei dieser ist die Umfangszunahme bedeutender und die Resistenz erheblich vermehrt, es sind wesentlich die Gefäße und die bindegewebigen Teile ergriffen. Auf dem Durchschnitt zeigt sich ein gleichmäßig speckiger Glanz über einen mehr oder minder großen Teil des Organs verbreitet, welches geräuchertem Schinken gleich sieht; die MALPIGHI sehen Körperchen können teilnehmen, sie werden aber erst später in die Entartung hineingezogen. — Amyloidmilzen können sehr groß sein, sie sind bei Kindern, wo sie nach langdauerndem Follikularkatarrh des Dickdarms am häufigsten sich finden, oft vorn verwachsen, so daß sie dem Getasfc zugänglich werden und durch eine hakenförmige Krümmung des vorderen Randes etwas Eigentümliches gewinnen. Von Neubildungen kommen vor: Metastatisch Garcinom (besonders häufig Pigmentkrebs) und Lymphosarkom; primär, aber selten entwickeln sich Fibrome, Angiome, Sarkome. Von Parasiten ist nur der unilokuläre Echinokokkus von Bedeutung, der in seinem klinischen Verlaufe durch Verdrängung der Nachbarorgane und eventuelle Perforation vollständige Analogien mit dem der Leber darbietet. Der Einfluß der chronischen Milztumoren auf den Gesamtorganismus ist kaum allgemein zu beurteilen. Abgesehen von den örtlichen Wirkungen, welche zur Erschwerung der Atmung uud des Kreislaufs führen (die Organe der Verdauung können auch unmittelbar durch Druck geschädigt werden), kommt der Einfluß der Milz auf die Zusammensetzung des Blutes in Frage. Vom physiologischen Gesichtspunkte aus ist eine bestimmte Entscheidung schwer zu treffen. Unbedingt lebensnotwendig ist das Organ nicht, da dessen Entfernung ertragen wird; daß Beziehungen zur Blutbildung bestehen, scheint durchaus wahrscheinlich, wie es sich aber im einzelnen damit verhält, steht noch dahin. Und doch sind es gerade Veränderungen des Blutes, welche man für die Entstehung der Kachexia splenica verantwortlich machte. Da neben der Erkrankung der Milz immer noch anderweitige Organleiden vorliegen, wenn solche kachektische Zustände auftreten (der größere Teil der Fälle gehört zur Leukämie und Pseudoleukämie, andere
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Krankheiten der Milz.
Male handelt es sich um Malariasiechtum), ist es nicht wohl möglich, den Anteil auszusondern, welcher deren Erkrankung zukommt. — Immerhin ist es xiveckmäßig, die Milxschwellung therapeutisch zu berücksichtigen. Unter den hier verwendbaren Mitteln steht das Chinin obenan. Es wird empfohlen, dasselbe morgens nüchtern zu 0,5—1 g in saurer Lösung zu geben, oder, wenn diese nicht ertragen wird, das Chinin in Pillenform mit Nachtrinken einer schwachen Salzsäurelösung darzureichen. Weiter kommt die arsenige Säure in Betracht; dieselbe muß in nicht zu kleinen Dosen längere Zeit fortgegeben werden, auch unmittelbare Injektion einer verdünnten Lösung in die Milz ist versucht worden. Endlich hat man Eulcalyptus^iä^arate und Piperin angewandt. Zur Unterstützung wurde von der örtlichen Anwendung der Kälte (Douchen, Eisblasen) und der Elektrizität (Faradisation der Milzgegend scheint noch am ehesten etwas zu leisten) Gebrauch gemacht.
XI.
Krankheiten der Harnwerkzeuge. Krankheiten der Nieren und der Harnleiter. § 231.
Morbus Brightii.
Allgemeines. M i t dem N a m e n M o r b u s auftretenden
hämatogenen
B R I G H T I I b e l e g e n w i r die diffusen
Nierenentzündungen.
doppelseilig
D i e s e r anatomischen und insofern
ätiologischen Definition, als sie den T r a n s p o r t des Entzündungserregers zu den N i e r e n auf dem B l u t w e g e feststellt, sind n o c h klinische K e n n z e i c h e n beizugeben. A b e r schon hier erheben
sich S c h w i e r i g k e i t e n .
E s ist g e w i ß , daß bei M o r b u s
BRIGHTII neben Ä n d e r u n g e n in der M e n g e des ausgeschiedenen H a r n s derselbe a u c h in seiner Zusammensetzung
geändert i s t , daß
er namentlich Eiweiß
bestimmte e i g e n a r t i g g e f o r m t e Bestandteile, besonders die s o g e n a n n t e n linder,
führt.
A l l e i n zeitweilig
können
diese E i g e n s c h a f t e n dem Harne
A u f der anderen Seite ist zu bemerken, daß Cylinder
und Albuminurie,
und
Harncyfehlen.
jedes f ü r
sich oder beides zusammen, im Harn vorkommen können, ohne daß Morbus BRIGHTII vorhanden
wäre.
I n n o c h höherem G r a d e t r i f f t das f ü r ein weiteres S y m p t o m zu,
w e l c h e s von einigen als zum W e s e n des M o r b u s BRIGHTII g e h ö r i g betrachtet wird, den allgemeinen Hydrops.
W i r müssen uns daher d a r a u f beschränken, zu sagen, daß
bei M o r b u s BRIGHTII Albuminurie irgend einer Zeit des Verlaufs
irgend einer Zeit nicht das Fehlen Anwesenheit schlossen
und das Auftreten
ein regelmäßiger
Befund
der Nierenentzündung
nicht ohne weiteres auf die Anwesenheit
werden darf;
im Harn
zu
ist, daß indes ihr Fehlen
von Cylindem
zu
verbürgt, und daß aus ihrer der Brightischen
das gleiche gilt f ü r die a l l g e m e i n e
Krankheit
ge-
Wassersucht.
Je weiter die anatomische Forschung eingedrungen ist, desto mehr stellt es sich heraus, daß eine auf ausschließlich anatomischer Grundlage aufgebaute Einteilung des Morbus BRIGHTII für den Arzt nicht zweckmäßig ist. Am Krankenbette treten bestimmte, im ganzen recht scharf ausgeprägte Formen dem Beobachter entgegen, deren Bedeutung für den Organismus , deren Verlauf und Ausgänge einigermaßen konstant sind, bis zu einem gewissen Grade gilt das auch von der Ätiologie. Es finden sich also Krankheitsbilder in der Natur vor, klinische Einheiten mit dem gleichen Recht auf diese Bezeichnung wie alle anderen. Der klinischen Einheit entspricht eine anatomische nicht. Man kann sogar weitergehend sagen, daß anatomische Einheiten überhaupt nicht vorkommen, insofern nämlich, als in einer und derselben Niere bei etwas längerer Dauer der Erkrankung nebeneinander Entwicklungsstufen sich finden, von welchen diese einen Teil, jene einen anderen des Nierengewebes vorzugsweise betrifft. Die Anatomie scheidet in diesem Gesamtbilde nach ihren Grundsätzen die geweblichen Veränderungen der einzelnen Teile, verkennt dabei aber nicht, daß dadurch nur den Bedürfnissen einer systematischen Forschung und Darstellung genügt wird. Die Funktionsänderung des erkrankten Organs richtet sich nach dem Mehr oder Minder der Veränderungen an diesem oder jenem seiner Teile, sie ist eine Summe mit einer außerordentlich großen und stetig wechselnden Zahl von Addenden; mit ihr hat es zunächst der Arzt zu thun.
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Krankheiten der Harnwerkzeuge.
Bei den auseinandergehenden Interessen der anatomischen und der klinischen Forschung wird unter diesen Umständen es wohl gethan sein, wenn die praktische Medizin ihren eigenen Weg einhält; sie ist dabei nicht von der pathologischen Anatomie verlassen, vielmehr kommen hervorragende Pathologen (ZIEGLER) SO weit entgegen, daß sie die Umrisse der klinischen Einteilung annehmen und mit derselben ihre Darstellung verknüpfen. Für den Arzt ist die von BARTELS treu nach dem Leben gezeichnete Schilderung des Morbus BRIGHTII der beste und zuverlässigste Führer am Krankenbette. Ich verdanke Herrn Professor NAUWERCK eine den Formen, die BARTELS aufstellte, sich anschließende anatomische Schilderung der Nierenveränderungen, welche seinen eigenen ebenso sorgfältigen wie eingehenden Studien entstammt; er hatte die Güte mir deren Veröffentlichung an diesem Orte zu gestatten.
Wir rechnen zum Morbus B R I G H T I I : 1. die akute Nephritis, 2. die chronische (parenchymatöse) Nephritis, 3. die chronische interstitielle Nephritis (Schrumpfniere). Die arteriosklerotische Schrumpfniere wird gewöhnlich als eigene Form von der entzündlichen; getrennt; die Berechtigung hierzu erscheint auch vom anatomischen Standpunkte nicht unzweifelhaft. Beide sollen aus praktischen Gründen nebeneinander abgehandelt werden. Nicht zum Morbus B B I G H T I I gehören, wenn man an dem allgemeinen anatomischen Merkmal: entzündliche Veränderungen der Nierengefäße, festhält: 1. die amyloide Degeneration der Nieren., 2. die Stauungsnieren, 3. die Ischämie der Nieren. Die bei Nierenerkrankungen auftretendem hauptsächlichen Symptome sollen zunächst besprochen werden. § 232. Albuminurie.
Blut im Harn.
Der Satz, daß B e i m i s c h u n g von E i w e i ß zum U r i n in jedem Falle eine pathologische Erscheinung sei, ist nicht mehr aufrecht zu halten. Vielmehr hat es sich gezeigt, daß innerhalb der Grenzen der Norm Albuminurie auftreten kann, ja daß sich dieselbe willkürlich hervorrufen läßt. Es gehören in das Gebiet dieser, der sogenannten p h y s i o l o g i s c h e n Albuminurie : 1. Bei Neugeborenen ist in den ersten Tagen des extrauterinen Lebens Albuminurie so häufig, daß man deren Vorkommen sogar als Regel bezeichnet hat. 2. Bei gesunden Erwachsenen tritt nach stärkeren Muskelanstrengungen und während der Verdauung einer sehr eiweißreichen Nahrung v o r ü b e r g e h e n d etwas Albumin in den Harn über. Das gleiche findet sich, wenn auch seltener und schon nicht mehr mit Sicherheit als normal zu bezeichnen, nach kalten Bädern und unter dem Einflüsse heftiger Gemütsbewegungen. — Immer handelt es sich nur um sehr kleine Mengen. — Man schätzt, daß 10—20 °/0 aller Menschen diese „physiologische" Albuminurie zeigen. Durch methodische Kompression des Thorax während einiger Minuten bis höchstens zwei Stunden kann bei Gesunden eine kurz (ein bis vier Stunden, nur ausnahmsweise mehr) dauernde Albuminurie nahezu regelmäßig hervorgerufen werden, bei welcher größere und große Mengen von Eiweiß (bis zu 18,7 p. m.) im Harn erscheinen. Es handelt sich wahrscheinlich um eine für kurze Zeit
Morbus Btìighth. Albuminurie. Blut im Harn.
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herbeigeführte Störimg des Kreislaufs in der Niere, so daß der Versuch ähnliche Bedingungen schafft, wie sie pathologisch auftreten. Die p a t h o l o g i s c h e Albuminurie läßt sich in zwei große Abschnitte zerlegen: I. Albuminurie, bei welcher die Nieren gewebliche tiefergreifende Störungen nicht zeigen brauchen. Hierher sind zu stellen: 1. Die dem angeführten Versuch im ganzen gleichwertige Albuminurie bei allen den Krankheiten, welche eine Anhäufung von venösem Blut in den Nieren Mir Folge haben. Außer den Unterleibskrankheiten, die eine Verhinderung des Abflusses aus der Cava inferior unmittelbar herbeiführen, sind Herz- und Lungeninsuffizienz mit ihren das gleiche mittelbar herbeiführenden Wirkungen auf den großen Kreislauf zu nennen. 2. Albuminurie bei Erkrankungen des Nervensystems: bei Epilepsie nach den Anfallen, Apoplexie u. s. w. Ebenso ist es bekannt, daß die Verletzung einer gewissen Stelle am Boden des vierten Ventrikels Eiweiß in den Harn übertreten läßt. 3. Albuminurie bei zeitweiligem Verschluß der Ureteren durch Steine, Geschwülste u. s. w. 4. Albuminurie bei Änderungen in der Blutmischung. Die eigentlichen Organe> krankungen des Blutes, Leukämie u. s. w., sind in erster Linie zu nennen. Daneben dürften die bei Ikterus, Diabetes mellitus und wohl auch bei manchen Vergiftungen sich einstellenden Veränderungen, welche freilich nicht auf das Blut beschränkt bleiben, anzuführen sein. 5. Albuminurie während der Schwangerschaft; durch verschiedene Ursachen bewirkt, welche wechseln können und meist nicht klar erkennbar sind. 6. Albuminurie bei fieberhaften Erkrankungen, namentlich bei solchen, die aus Infektion hervorgegangen sind. 7. Zu bestimmten Tageszeiten tritt bei scheinbar Gesunden Eiweiß, mitunter in nicht geringer Menge in den Harn über (cyklische; intermittierende Albuminurie). Dabei dürfte es sich indes dennoch um pathologische Vorgänge handeln (C. v. Nookden). II. Albuminurie, bei welcher eine nachweisbare anatomische Veränderung in den Nieren vorliegt. Es fallen hierher die diffusen und umschriebenen Entzündungsvorgänge, die Entartungen, die Bildungen von Tumoren u. s. w. Hervorzuheben ist, daß ganz scharfe Trennungen weder der beiden Gruppen pathologischer Albuminurie, noch dieser von der physiologischen allgemein nicht, im Einzelfall vielleicht möglich sind. Außer dem Serumeiweiß gehen andere Körper der Eiweißgruppe in den Harn über: so das Globulin (Paraglobulin), die IJemialbuminose (Propepton) und das Pepton. Wieweit der Sondernachweis dieser Substanzen noch praktisch für die Diagnose oder für die Erkennung einer weiteren Ausbreitung der schon bestehenden Erkrankung von Bedeutung werden kann, muß abgewartet werden. Zu bemerken ist aber, daß meist das Serumeiweiß und das Globulin nebeneinander im Mweißharn vorkommen. Eiweiß wird im Harn, der stets vorher klar zu filtrieren ist, auf folgende Weise aufgefmden;
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Krankheiten der Hamwerkzeuge.
1. Erhitzen im Reagensglas bis zum Kochen, welches mindestens eine Minute lang fortzusetzen ist, darauf Zusatz von ein Zehntel bis ein Fünftel Volum reiner (nicht rauchender) Salpetersäure; es folge einmaliges Aufwallenlassen der Mischung. Ist Eiweiß vorhanden, dann trübt sich die Flüssigkeit leicht, es tritt ein weißer Niederschlag auf, oder sie gerinnt zur festen Gallerte, je nach der Menge des Eiweißes. 2. Über reiner. Salpetersäure wird etwas von dem zu untersuchenden Harn im Spitzglase sorgfältig aufgeschichtet. An der Berührungsstelle bildet sich bei Gegenwart von Eiweiß ein durch dessen Gerinnung entstandener Bing. Die Probe kann zu Irrtümern Veranlassung geben. Bei reichlichem Gehalt an harnsauren Salzen oder an Harnstoff scheiden sich diese aus — vorherige Verdünnung des zu untersuchenden konzentrierten Urins mit ein bis vier Teilen Wassers schützt gegen Verwechslungen. Auch Harzsäuren, nach dem Gebrauch balsamischer Mittel (Peru-Kopaivabalsam u. s. w.) im Harn erscheinend, geben eine Trübung, welche sich aber bei Zusatz von absolutem Alkohol löst. Die relative Menge des Eiweißes im Urin wechselt zwischen eben nachweisbaren Spuren und 6°/ 0 , indessen wird die letzterwähnte Zahl nur sehr selten erreicht, das Gewöhnliche ist höchstens 2°/ 0 . Der absolute Verlust geht meist nicht viel über 10 g für den Tag hinaus, er hält sibh oft weit darunter; 20 oder gar nahezu 30 g sind äußerst seltene Vorkommnisse. Eine für die Zwecke der Praxis vollständig ausreichende quantitative Bestimmung des Eiweißes im Harn gestattet ESBACH's Albuminimeter. Dasselbe ist ein kleiner graduierter Cylinder, in welchem die Fällung des Eiweißes in folgender Weise vorgenommen wird: Das Gläschen wird zunächst bis zu der darauf eingezeichneten Marke U mit Harn gefüllt, dann das Reagens (10 g Pikrinsäure, 20 g Citronensäure mit Wasser zu 1 Liter Gesamtflüssigkeit gelöst) bis zu der zweiten vorhandenen Marke B hinzugefügt. Nun wird der Cylinder mit einem Kautschukpfropfen verschlossen und vorsichtig geschüttelt. Man läßt 24 Stunden ruhig stehen — die Menge des ausgeschiedenen Eiweißes ist alsdann an der auf dem Cylinder verzeichneten Skala ohne weiteres abzulesen. Jeder Teilstrich giebt ein Gramm Eiweiß im Liter Urin an. Da nur 7 Teilstriche vorhanden sind, muß, sobald der Eiweißgehalt mehr als 7 pro mille beträgt, der zu untersuchende Harn entsprechend verdünnt werden, ehe man ihn mit dem Reagens in Verbindung bringt. — (Der kleine Apparat ist von WARMBRUNN, QUILITZ & Co., Berlin C. Rosenthaler Straße 40, für 3 Mark zu beziehen.) Die nächste Veranlassung zur Albuminurie ist keineswegs allseitig als gekannt angenommen. Indessen unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß die Epithelien der Glomeruli, die Druckverhältnisse, unter welchen das Blut in den Glomerulis fließt, die Beschaffenheit der Membranen, welche das Blutserum in der Niere durchströmt, und die Beschaffenheit des Blutes selbst wesentlich in Betracht kommen. Solange die Frage, warum der normale Harn in der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle kein Eiweiß enthält, noch nicht mit Sicherheit entschieden ist, dürfte es kaum geraten sein, eine Theorie der pathologischen Albuminurie zu entwickeln. Die Rückwirkung des Eiweißverlustes auf den Gesamtorganismus wird meist überschätzt; es ist kaum wahrscheinlich, daß die dem Serum entnommenen, also nicht organisiertes Eiweiß darstellenden wenigen Gramm, welche bei eigentlichen Nierenerkrankungen täglich ausgeschieden werden, einen schweren Verlust für den Körper bringen. Die einzige Arbeit, die zu deren Ersatz notwendig ist, besteht in der Assimilation; diese geschieht zum großen Teil durch Endosmose, also auf rein physikalischem Wege, wobei „innere" Arbeit nicht notwendig. Diagnostisch ist noch hervorzuheben, daß dem Harn auf anderem W e g e als von der Niere aus Eiweiß zugeführt werden kann. Geschieht das — Katarrhe der Harnwege, besonders der Blase, Beimischung von Blut (Menstruation) geben am häufigsten dazu Veranlassung — dann redet man von falscher, nicht renaler Albuminurie. Das Mikroskop bringt gewöhnlich volle Klarheit. Indes ist
Eiweiß und Blut im Hain. Harncylinder.
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nicht zu vergessen, daß renale neben falscher Albuminurie vorkommen und so die Entscheidung, ob eine Nierenerkrankung vorliegt, sehr erschwert werden kann. Blut erscheint im Harn nicht nur bei diffuser Nephritis, es tritt im Gefolge vieler Erkrankungen der Nieren, der Harnleiter, der Blase, ebenso bei hämorrhagischer Diathese auf. Aus der Beschaffenheit des Blutes den Ort zu erkennen, wo dasselbe ausgetreten ist, gelingt nur selten J dazu ist meist die Heranziehung anderweitiger Erscheinungen im gegebenen Falle notwendig. — Es soll daher nur der Nachweis von Blut im Harn überhaupt erwähnt werden: Gewöhnlich ist noch eine ausreichende Zahl von so wenig in ihrer Form veränderten roten Blutkörperchen im Harn enthalten, daß die Anwesenheit des Blutes mikroskopisch festgestellt werden kann. — Chemisch ist der Blutfarbstoff leicht nachzuweisen : Man versetzt den zu untersuchenden Harn mit Kali- oder Natronlauge — zwei Teile Ham, ein Teil Lauge — erwärmt und kocht zwei bis drei Minuten lang. Von der sich dabei hauptsächlich ausscheidenden phosphorsauren Ammoniak-Magnesia wird der Blutfarbstoff mechanisch mitgerissen. Deren anfangs an der Oberfläche schwimmende, aber bald sich senkende Krystalle sind schön rot gefärbt. War der Harn bereits alkalisch, die Abscheidung der Krystalle also schon erfolgt, dann fügt man die gleiche Menge frisch gelassenen sauren Harns dem zu untersuchenden hinzu und verfährt darauf wie gesagt. § 233.
Harncylinder.
Einerlei welche Ursache die Albuminurie herbeigeführt hat, stets können mit derselben geformte Bestandteile
i m Nierensekret erscheinen.
Unter diesen — roten
und weißen Blutkörperchen, Epithelzellen aus den verschiedenen Teilen der Harnwege, Krystallen anorganischer Substanzen u. s. w. — nehmen die Harncylinder die hervorragendste Stellung ein; sie tragen ihren Namen von ihrer Form. Vereinzelt k o m m e n Harncylinder ohne Albuminurie
vor, so bei Ikterus.
Die Länge der Cylinder wechselt sehr und kann bis zu mehreren Millimetern betragen, ihre Breite schwankt zwischen 0,01 und 0,05 mm. Man unterscheidet homogene Harncylinder und cylindrisehe
Konglomerate.
1. Homogene Hamcylinder kommen schwächer (hyaline) und stärker lichtbrechend vor, ebenso zeigen sie eine große Verschiedenheit gegen Farbstoffe. — Als Grundform wird die des Cylinders festgehalten, namentlich gilt das für die schwächer lichtbrechenden, bei den stärker lichtbrechenden, oft wachsartig glänzenden, finden sich häufiger Einkerbungen und Ausbuchtungen. Diese haben gerade, bruchflächenartig gezackte, seltener abgerundete, oder etwas zugespitzte, vielleicht auch fortsatzähnlich verjüngte Enden, bei jenen sind die Enden meist abgerundet und verschmälern sich gewöhnlich allmählich, so daß sie schweifähnlich erscheinen. Korkzieherartig gewundene Cylinder kommen bei beiden Formen vor. — Das homogene Aussehen wird durch Auf- und Einlagerungen von Kernen oder von Resten solcher, durch unregelmäßige Längsstreifung, durch Körnchen, gefärbte und ungefärbte, die teils aus organischer, teils aus unorganischer Substanz bestehen (auch krystallmische Ausscheidungen: der letzteren finden sich) unterbrochen. Indes geschieht das mehr bei den schwächer lichtbreehenden, als bei den glänzeifden Cylindem. Die Meinung, daß wenigstens einige dieser Gebilde nicht solid, sondern Röhren seien, ist nicht zutreffend. — Die chemische Untersuchung zeigt, daß die Harncylinder aus bisher nicht näher gekannten Eiweißkörpern bestellen, welche aber nicht bei allen die gleichen sind. 2. Cylindrisehe Konglomerate. Dieselben setzen sich aus Zellen oder aus Teilen von Zellen zusammen. — Man trennt j e nach den Bestandteilen: Cylinder aus Epithdien der Niere und ihren Derivaten bestehend. Entweder liegen die Epithelien, deren Form mehr oder minder erhalten ist, die aber körnig getrübt und gequollen erscheinen, dicht nebeneinander, kaum eine Bindeschicht zeigend, oder sie sind durch eine solche, die homogen erscheint, untereinander verbunden. Andere Male ist die Bindeschicht mächtiger und die Struktur der Zellen mehr verwischt, so daß sie kernlos und nahezu homogen aussehen. Dafür ist dann aber die Oberfläche eigentümlich gefaltet und geitreift. Fortsätze von verschiedener Gestalt trifft man öfter. Nicht selten findet sich eine mehr oder minder ausgesprochene Gelbfärbung.
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Krankheiten der Harnwerkzeuge.
Cylinder aus weißen Blutkörperchen und ihren Derivaten zusammengesetzt. Einzelne weilie Blutkörperchen sind im Eiweißharn häufig. Dieselben können mit hervorquellenden Plasmakugeln bedeckt und auch sonst mannigfaltig verändert sein. Daneben kommen Cylinder vor, die ganz aus dichtzusammengedrängten, wenig veränderten Leukocythen bestehen, dann aus solchen und einer körnigen Masse zusammengesetzte, welche nur schwer die blassen Umrisse der Zellen erkennen läßt, aus denen sie hervorgegangen ist. Endlich finden sich fast homogen erscheinende Cylinder. Cylinder aus roten Blutkörperchen und ihren Derivaten gebildet. Sie bestehen aus gut erhaltenen, ihren Farbstoff bewahrenden, oder aus ausgelaugten, mit körnigem Farbstoff unregelmäßig durchsetzten roten Blutkörperchen. Weiter treten Cylinder auf, welche eine körnige oder mehr homogene Substanz neben Resten der Blutkörperchen zeigen. Freie mehr oder weniger veränderte rote Blutkörperchen sind daneben häufig anzutreffen.
Der Entstehungsort der Harncylinder ist nach allgemeiner und durch die Beobachtung gesicherter Annahme in den Harnkanälchen zu suchen; ihre zahlreichen Abweichungen in Form und Größe sind dadurch verständlich. Die Bildungsweise derselben ist nicht ganz so klar. Die homogenen Cylinder machen einige Schwierigkeiten. Man ist geneigt für sie eine verschiedene Entstehungsweise anzunehmen: man führt sie auf das transsudierende Bluteiweiß zurück, man läßt sie aus einer von den Epithelien der Harnkanälchen gelieferten eiweißartigen Substanz hervorgehen, oder endlich meint man, daß sie sich aus homogen gewordenen, untereinander durch den Sekretionsdruck des Harns verschmolzenen abgestoßenen Epithelzellen der Niere, sowie aus extravasierten weißen und roten Blutkörperchen bilden. Es wird leicht verständlich, wie bei dieser Mannigfaltigkeit der Entstehung eine so außerordentliche Reichhaltigkeit der Form auftritt. § 234.
Hydrops bei Nierenkrankheiten.
Die W a s s e r s u ch t b e i Ni er e n k r a nk h eit en bietet bestimmte klinische Eigentümlichkeiten dar. So ist besonders hervorzuheben, daß zuerst und vorwiegend das Unterhautbindegewebe hydropisch wird, die anderen Teile, namentlich die Körperhöhlen aber erst später, bisweilen erst nach langer Zeit folgen. Weiter ist die große Neigung der Nierenwassersucht, ihren Ort zu wechseln, für welche lange nicht immer ein bestimmter Grund, wie z. B. der Einfluß der Schwere, aufzufinden ist, zu betonen. — Es kommen alle Grade vom leichten, kaum merklichen Gedunsensein bis zur stärksten, Narben hinterlassenden Spannung und Dehnung der Haut vor. Ebenso können alle Teile des Körpers ergriffen werden. Ein Hirn-, Lungenoder Glottisödem vermag unmittelbar einen raschen Tod herbeizuführen, mittelbar geschieht das durch erysipelatöse oder septische Infektion von den geborstenen und verschwärenden Hautdecken aus, ferner durch Atmungs- und Herzinsuffizienz als Folge hydropischer Ergüsse in die Pleura- und Peritonealhöhle, sowie in das Perikardium. Die Ansichten über die nächste Ursache des Hydrops bei Nierenkrankheiten sind noch immer geteilt. Wahrscheinlich wirken verschiedene Umstände nebeneinander. Damit Hydrops entstehen könne, ist Wasser notwendig, durch dessen Austritt in die Gewebe eben die Wassersucht zustande kommt. Sind die Nieren, welche doch unzweifelhaft das Hauptausscheidungsorgan für das Wasser darstellen, nicht in der Lage, ihre Aufgabe zu erfüllen, dann wird Wasser im Körper zurückgehalten. Die ungenügende Thätigkeit der Nieren kann durch verschiedene Umstände bedingt
Hydrops bei Nierenkrankheiten.
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sein, lieben anatomischen Veränderungen in ihnen selbst kommen Änderungen des Blutdrucks, durch Herzinsuffizienz hervorgerufen, für manche Fälle des renalen Hydrops sicher in Betracht. Wie sich diese Bedingungen auch im Einzelfall verhalten mögen: immer wird man sagen müssen, daß eine durch ungenügende Ausscheidung von Wasser bedingte Wasseranhäufung
im Körper bei der Entstehung
der Wassersucht eine hervorragende Rolle spielt. Die Anhäufung von Wasser im Körper führt zu einer Vermehrung des Wassergehalts im Blute; dieses ist denn auch in der That erheblich dünner — bis 1015 spez. Gew. des Serums gegen 1030 des normalen Mittels — gefunden worden. Es versteht sich, daß in der Raumeinheit eines solchen Blutes weniger rote Blutkörperchen zugegen sind, wenn dieselben nicht in vermehrter Menge gebildet wurden; dafür liegen aber keine Anzeigen vor. Daß schon mit dieser Verdünnung eine Funktionsstörung des Blutes, eine verminderte Fähigkeit desselben zur Ernährung der Gewebe einhergeht, ist wohl denkbar, obgleich zu bemerken, daß die Verdünnung die Stromgeschwindigkeit erhöht, daher in der Zeiteinheit mehr Blut als in der Norm die Gewebe des Körpers durchsetzt. Es kommt hinzu, daß bei versagender Nierenthätigkeit eine Menge von Auswurfstoffen zurückgehalten werden, deren Einfluß auf die Gewebeernährung kaum als ein günstiger betrachtet werden darf. (Siehe § 235.) Weiter ist darauf hinzuweisen, daß bei akuten Nierenentzündungen die vorhergehende dieselben hervorrufende Schädlichkeit, bei chronischen der dauernde Eiweißverlust neben den gewöhnlich vorhandenen dyspeptischen Störungen schon zur Schädigung der Gewebe geführt haben. Dies alles macht sich wie überall im Körper so auch an den Gefäßen geltend, welche, ohne daß sie gröbere Entartung zu zeigen brauchten, doch in ihrem Gefüge so verändert werden können, daß sie die Blutflüssigkeit durchlassen. Es käme also die zweite Bedingung: größere Durchlässigkeit der Gefäße für die Entstehung des Hydrops hinzu. — Unter Umständen kann Nachlaß der IJerzthätigkeit die unmittelbare Veranlassung zum Auftreten des Hydrops werden. Es ist dem dann so, wenn in den Nieren große Widerstände für den Kreislauf gelegen sind, welche nur durch vermehrte Herzarbeit zu überwinden waren. Kann diese nicht länger geleistet werden, dann wird Wasser im Körper zurückgehalten. Am häufigsten findet sich diese Entstehungsart wohl im Verlaufe der Schrumpfniere, sie kommt aber auch bei allen anderen Formen vor. — Man hat die unter solchen Bedingungen auftretende Wassersucht von der renalen scheiden und zu der bei Herzinsuffizienz überhaupt entstehenden rechnen wollen. Insofern gewiß mit Recht, als der letzte Grund in dem Nachlaß der Herzthätigkeit zu suchen ist; aber eine Trennung ist praktisch nicht immer durchzuführen. Große Schwierigkeiten erheben sich, wenn man die Eigentümlichkeiten in der Verbreitung des renalen Hydrops, namentlich die vorwiegende Beteiligung des Unterhautbindegewebes erklären will. Für einzelne Formen, so für das nach Scharlach entstehende infolge akuter Nephritis auftretende Anasarka hat man mit Recht bemerkt, daß durch das Scharlachgift eine Entzündung der Haut hervorgerufen worden sei, ihre Gefäße daher Ernährungsstörungen erlitten hätten, welche sie mehr als andere des Körpers zum Durchtritt von Plasma geeignet machten. Mit minder gutem Recht reiht man den Hydrops nach der infolge von Erkältung auftretenden Nephritis an. Allein damit ist die Sache so ziemlich zu Ende. Für die Hautwassersucht bei chronischer Nephritis fehlt ein gleichwertiger Anhaltspunkt. Will man überhaupt die Ergebnisse der Tierversuche heranziehen (Verdünnung des Blutes durch Kochsalzlösung, welche im Laufe weniger Stunden bis zu den äußersten Graden getrieben wurde), so muß man schließen, daß gerade die Gefäße des Unterhautbindegewebes am wenigsten zur Transsudation geneigt sind. Wenn auch zutreffend hervorgehoben wird, daß die mit besonders
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Krankheiten der Harnwerkzeuge.
lockerem Bindegewebe versehenen Teile (Augenlider, Genitalien) am ehesten schwellen können und dies thatsächlich thun, daß der Einfluß der Schwere, der Nachlaß der Herzthätigkeit zu berücksichtigen sei, so wird dadurch in etwas der rasche Wechsel der Hautödeme, nicht aber wird es verständlich, warum dieselben überhaupt zustande kommen. Es muß daher einfach gesagt werden, daß wir vor einem ungelösten Rätsel stehen.
§ 235. Urämie. Wird die Harnausscheidung längere Zeit ganz oder zum Teil unterbrochen, dann entwickeln sich Krankheitserscheinungen, welche man unter dem Namen Urämie zusammenfaßt. Alles, was die Absonderung des Harns verhindert, kann Urämie herbeiführen, so
Verschluß der Ureteren durch Steine, Verlegung derselben durch Geschwülste, Verhinderung des Blutstromes durch die Nieren, sei es daß dieser durch Änderungen in der Zusammensetzung des Blutes (Cholera), durch Insuffizienz des Herzens, oder durch Änderungen des Lumens der zuführenden Arterien der MALiPGHi'schen Kapseln (Entzündung, vielleicht auch Krampf) bedingt ist. Klinisch unterscheidet man eine akute und eine chronische Urämie, welche allerdings ohne scharfe Grenze ineinander übergehen können. Akute Urämie verläuft im ganzen unter dem Bilde der Eklampsie und Epilepsie
(§§ 66. 67), also mit Erscheinungen vom Centrainervensystem aus. Dem eigentlichen Anfall, der wie der epileptische, welchem er so ziemlich gleicht, durch Bewußtlosigkeit, durch tonische, häufiger noch durch klonische Krämpfe, denen Koma folgt, ausgezeichnet ist, können Vorboten vorausgehen. Am häufigsten Kopfschmerz, auch wohl Schwindel und Teilnahmlosigkeit, bis zu leichter Benommenheit gesteigert, endlich Schläfrigkeit, welche nicht oft zur Schlafsucht anwächst. Ubligkeit und wirkliches Erbrechen sind nicht selten. Es kommt vor, daß der Puls erheblich verlangsamt ist. Die Körperwärme ist häufig gesteigert, andere Male ungewöhnlich niedrig; die beobachteten Grenzwerte sind 42° und 30°. Selten sind die ganz plötzlich hereinbrechenden Anfälle; die Möglichkeit, daß Warnungszeichen vorhanden waren, aber übersehen wurden, ist sogar kaum ausgeschlossen. — Nach dem Anfall bleibt nicht ganz selten eine vollständige Blindheit (urämische Amaurose) zurück mit meist erhaltener Reaktion der Pupillen und ohne irgend welche durch den Augenspiegel nachweisbare anatomische Veränderungen, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von selbst in kurzer Zeit schwindend. Viel weniger oft zeigt sich Ähnliches am Gehörorgan. — Lähmungen, Kontrakturen, Muskelzittern werden nicht häufig beobachtet, etwas öfter Manie; melancholische Verstimmung oder chronisches Delirium, die hin und wieder auftraten, sind nicht mit Sicherheit auf die Urämie zu beziehen. — Es kann bei einem Anfall bleiben, in der Regel folgen mehrere aufeinander. Ein günstiger Ausgang ist, wenn die Ursachen der Harnstockung zü beseitigen sind, recht häufig. Der Tod, der bei schwerer Erkrankung oft genug eintritt, erfolgt im Koma. Chronische Urämie bietet viel weniger bestimmt ausgesprochene Zeichen. Es fehlt nicht an Erscheinungen vom Nervensystem: Kopfweh, bisweilen in der Form der Migräne sich zeigend, Mattigkeit, Unlust zu geistiger Beschäftigung wird man selten vermissen, allein es fragt sich, ob man unmittelbar die Harnretention dafür verantwortlich machen darf. Eher ist das gestattet bei dem Hautjucken, bei der trotz ganz gesunder Atmungs- und Kreislaufsorgane anfallsweise
Urämie.
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auftretenden Dyspnoe (urämisches Asthma), bei dem sehr seltenen Singultus, vielleicht auch bei dem recht gewöhnlichen Erbrechen. Da dyspeptische Störungen die Regel bilden und echter Magenkatarrh vorkommen kann, ist diese Deutung indes nicht für alle Fälle ohne weiteres zutreffend. Mit dem Erbrechen wird Harnstoff, bisweilen auch dessen Zersetzungsprodukt', das kohlensaure Ammoniak, entleert. Dieses bildet sich, wie es scheint, leichter auf der alkalisch reagierenden Darmschleimhaut; es ruft hier katarrhalische Enzündung, sogar Verschwärung hervor und führt zu Diarrhöen. — Harnstoff findet sich außerdem im Speichel und im Schweiß; es kann vorkommen, daß derselbe auf der Haut aus dem in reichlichen Mengen ergossenen Schweiß auskrystallisiert; am leichtesten geschieht das im Gesicht. Charakteristisch ist die von Allen auf dauernde Verunreinigung des Blutes zurückgeführte Veränderung der Retina, welche man als Retinitis albuminurica bezeichnet. Abnahme der Sehschärfe, welche sich langsam entwickelt und nicht immer in gleichem Grade vorhanden, sondern einem gewissen Wechsel unterworfen ist, bildet das den Kranken aufmerksam machende Zeichen. Die Spiegeluntersuchung lehrt: leichte streifige Trübung der graurötlichen und geschwollenen Papille, verbreiterte, geschlängelte Venen; auch die Umgebung der Papille ist trübe, von Blutergüssen und weißen Streifen und Flecken durchsetzt, die Macula lutea ist an ihrer seitlichen Begrenzung ebenso von unregelmäßiger Fleckung umgeben. — Später können sich die Streifen und die Blutungen über einen großen Teil der Augenmitte ausbreiten, Papille und gelben Fleck vollständig einhüllend — die Randteile bleiben mit Ausnahme der erweiterten und geschlängelten Venen normal. — Besserung bis zur vollständigen Wiederherstellung ist möglich, wenn die Ursache beseitigt werden konnte, also bei den akuten Nierenentzündungen. Die chronische Urämie giebt kein geschlossenes Krankheitsbild, die Symptome nehmen an Stärke zu und ab, alte verschwinden, neue treten an deren Stelle, nicht selten schieben sich urämische Anfalle ein. Die Dauer des Ganzen ist unberechenbar. Wieviel von den Ernährungsstörungen, welche gewisse Formen der chronischen Nephritis begleiten, auf Anhäufung von Stoffen, die durch die Nieren ausgeschieden werden sollten, zu beziehen ist, läßt sich nicht sagen. Allein es giebt bestimmte Erscheinungen, welche dafür sprechen, daß ein solcher Einfluß recht beträchtlich werden kann. Vor allem ist die große Neigung Nierenkranlcer zu entzündlichen Gewebeveränderungen hervorzuheben, welche meist mit reichlicher Eiterbildung auftreten. Phlegmonen des Unterhautbindegewebes, Pleuritis, Perikarditis, seltener Peritonitis und Meningitis finden sich so oft, daß sie mit Pneumonien zusammen häufiger als alles andere Todesursachen werden. — Seltener kommt es zur Entwicklung einer echten hämorrhagischen Diathese. Das eigentliche Wesen der Urämie ist keineswegs klar. Es stehen sich zwei Grundanschauungen gegenüber: 1. Urämie wird durch irgend einen unter den zurückgehaltenen, von den Nieren auszuscheidenden Stoffen unmittelbar hervorgerufen, oder das wirksame Etwas bildet sich aus diesen Stoffen, vielleicht gar nur unter deren Einfluß im Körper. Bisher ist es nicht gelungen einen Körper aus dem Harn zu isolieren, welcher als Urbeber der Urämie angesehen werden könnte. Neueste Versuche widersprechen der scheinbar gut gestützten Annahme, daß der Harnstoff und die anderen im Urin gelösten Körper, ohne eigentliche Gifte zu sein, durch Anhäufung in V. J ü r g e n s e n , Spez Path. u. Ther. II. Aufl.
44
Krankheiten der Harnwerkzeuge.
690
denjenigen Geweben, in welchen sie entstanden, die Wechselwirkung zwischen den Zellen und der sie umspülenden Ernährungsflüssigkeit stören. Die Kalisalze sollten dabei insofern eine eigenartige Rolle spielen, als dieselben sich normal so gut wie gar nicht im Plasma, sondern nur als Gewebsbestandteile finden — kämen sie auch ins Plasma, wie es bei der Harnstockung geschehen müsse, so würde das noch von besonders schwerwiegender Bedeutung für das Zellenleben sein. Abgesehen von diesem, doch wohl als Giftwirkung zu bezeichnenden Einfluß der Kalisalze, wird der Vorgang mit der Auslöschung eines Feuers durch die sich ansammelnde Asche oder mit einer Erstickung durch die Verhinderung der Ausscheidung der nicht gasförmigen Zersetzungsprodukte verglichen. Die ältere Meinung, nach welcher unter dem Einflüsse eines ungekannten Ferments Harnstoff zu kohlensaurem Ammoniak zerfallen u n d dieses d a n n u n m i t t e l b a r
die Urämie hervorrufen sollte, ist so ziemlich verlassen. Dagegen ist, seit wir die Ptomaine kennen, die Möglichkeit näher gerückt, daß unter den durch die Harnstockung geänderten Bedingungen des Stoffwechsels sich ein wirkliches Gift im Körper bilden könne. Aufgefunden ist dasselbe freilich nicht. 2. Von anderen wird angenommen, daß ein verschieden lokalisiertes (entzündliches) Ödem bestimmter
Hirnteile
die Urämie
bewirke.
Zur Stütze dieser Auffassung läßt sich geltend machen, daß trotz länger dauernder renaler Anurie die Urämie ausbleiben Icann. Solche Fälle sind in ziemlicher Menge, bei dem UreterenVerschluß durch eingeklemmte Steine beobachtet worden. Im gleichen Sinne ist die Thatsache zu verwerten, daß dem Auftreten urämischer Erscheinungen bei Nierenkranken — freilich sehr selten — sogar eine vermehrte Diurese vorherging. Die Kraft des letzterwähnten Beweismittels ist keine sehr grolie. Es fehlen genauere Angaben über die Ausscheidungen von Wasser (und darin sind unter diesen Umständen Harnbestandteile gelöst) auf anderen Wegen; während der Dauer des Ureterenverschlusses wird wenig Nahrung genommen, es tritt daher eine, derjenigen bei demHunger sich nähernde Verminderung des Stoffumsatzes ein, endlich darf auf die individuell so sehr verschiedene Widerstandsfähigkeit gegen Gifte hingewiesen werden. Wenn man mit der Möglichkeit rechnet, daß sich ein Urämie erzeugender Stoff erst unter den durch die Harnstockung veränderten Bedingungen im Körper bildet, würden die Ausnahmen von der Regel keine Schwierigkeiten machen; man brauchte nur darauf hinzuweisen, daß im gegebenen Falle vielleicht dies oder jenes anders als gewöhnlich sei, um den Angreifer mit gleichen Waffen abzuwehren. Da Hirnödeme in den Leichen der an Urämie Gestorbenen nicht konstant sind, da es nicht zu entscheiden möglich ist, ob die etwa gefundenen schon während desLebens länger bestanden, oder ob sie erst gegen das Ende hin sich eingestellt haben, d ü r f t e jedenfalls so viel f e s t s t e h e n , d a ß zur Erzeugung der Urämie Hirnödeme nicht not-
icendig sind. Ob nicht unter Umständen einmal bei Hirnödem, namentlich entzündlichem, welches einen Nierenkranken befällt, Erscheinungen auftreten, die urämischen gleichen, ist eine andere Frage. Es scheint doch nach allem, daß die Pathogenese des ohnehin eine vielgestaltige ist.
keineswegs
eigenartigen
Symptomenkomplexes
Urämie
Immerhin dürfen wir daran festhalten, daß in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine Verminderung der Harnabsonderung mitspielt. Von einer Behandlung der Urämie kann man nur mit großer Zurückhaltung reden, da die im Einzelfall gegebenen Bedingungen derselben zu Grunde gelegt werden müssen.
Urämie. Verhalten des Herzens bei Nierenkrankheiten.
691
§ 236. Verhalten des Herzens bei Nierenkrankheiten. Das V e r h a l t e n des H e r z e n s ist für den Verlauf der Nierenkrankheiten von großer Bedeutung. — Schon die von der Physiologie ermittelten Thatsachen weisen darauf hin. W i r wissen, daß die Harnmenge von der Höhe des arteriellen Blutdruckes abhängig ist, und diesem allgemeinen Satze sind die Ausführungen im einzelnen gefolgt. Dieselben gehen dahin, daß die Höhe des in den Glomerulis herrschenden Blutdruckes, oder nach anderer Meinung, daß die Menge des Blutes, welches in der Zeiteinheit die Glomeruli durchströmt, für die Harnmenge bestimmend ist, beides hängt von der Weite der vor den Knäueln gelegenen feineren Arterienzweige ab. Da diese durch ihre starke Muskulatur zu Änderungen ihres Durchmessers in hohem Grade befähigt sind, vermögen sie Druck und Geschwindigkeit innerhalb der Knäuelgefäße zu regulieren und von dem allgemeinen Kreislauf bis zu einem gewissen Grade unabhängig zu machen. Es wird so dem Nervensystem sein Einfluß auf die Harnabscheidung gewahrt. Während man eine Zeit lang geneigt war, eine durch Hypertrophie des linken Ventrikels beantwortete Erschwerung des großen Kreislaufs nur dann anzunehmen, wenn der wirkliche Untergangeines g r ö ß e r e n T e i l s der Nierengefäße (Schrumpfniere) stattgefunden hatte, ist man jetzt gezwungen, diese Anschauung zu erweitern. Es zeigen sich auch bei akuter Nephritis — hier finden sich innerhalb der Glomeruli erhöhte Widerstände — und manchmal bei anderen Formen, sowohl der chronischen, als der schrumpfenden, Herzhypertrophien. — Dieselben können sieh sehr rasch (im Laufe weniger Wochen) entwickeln. — Kein Grund liegt vor, den sicheren gemeinsamen Boden zu verlassen, auf welchem die Lehre erwachsen ist, daß eine Muskelzunahme des Herzens dann eintritt, wenn vermehrte Arbeits aufgaben für dasselbe vorliegen, und zwar nach der Richtung hin, in welcher sich dieselben finden; ferner, daß dazu eine ausreichende Versorgung des Herzens mit normalem Blute notwendig ist, und daß die Hypertrophie ausbleibt, wenn diese nicht ermöglicht werden kann, — Als Thatsache, die sich aus den klinischen Beobachtungen ergiebt, muß festgehalten werden, daß eine Zunahme des Seitendrucks im Aortengebiet der Herzhypertrophie vorausgeht. Schwierigkeiten treten von dem Augenblick auf, wo man versucht die näheren Ursachen kennen zu lernen, welche eine Erhöhung der Widerstände im großen Kreislauf bedingen. Es wird angeführt: 1. Die Blutzufuhr zur Niere hängt von der Weite der feineren Verzweigungen der Nierenarterie ab. Diese wird, wie der Versuch lehrt, durch die Menge der im Blute enthaltenen „harnfähigen", d. h. der durch die Niere auszuscheidenden Substanzen (Harnstoff, Kochsalz, Wasser u. s. w.) beherrscht. Sind nun hinter den feineren Zweigen der Nierenarterie vermehrte Widerstände vorhanden, während die in der Zeiteinheit die Niere durchströmende Blutmenge die gleiche bleibt, so ist die Arbeitsaufgabe für den linken Ventrikel dauernd erhöht. Diese vermehrten Widerstände werden aber nicht nur durch den Untergang einer großen Menge von Gefäßen zunächst in den Knäueln (Schrumpfniere) gegeben, sondern sie werden auch von den durch die Entzündung bewirkten Gefäßveränderungen herbeigeführt. Es trifft daher auch für die akute und für die nicht mit Schrumpfung einhergehenden Formen der chronischen Nephritis die Erklärung zu, sobald bei diesen eine ausreichende, der Norm sich einigermaßen nähernde Menge harnfähiger Substanzen gebildet wird. 2. Die Anhäufung der harnfähigen Substanzen im Blute bedingt die Hypertrophie des Herzens. — Uber das Wie gehen die Meinungen wieder auseinander. Sehr allgemein formulierte man so: Die Gewebe des Körpers sind einem Mittelmaß von bestimmter chemischer Zusammensetzung angepaßt, ändert sich dieses, dann treten funktionelle Störungen auf. Das 44*
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Krankheiten der Harnwerkzeuge.
Herz und die kleineren Arterien werden durch die Änderungen in der Zusammensetzung des Blutes, welche eine, mangelhafte Nierenthätigkeit herbeiführt, in Erregung versetzt — das erstere hypertrophiert. Nimmt man an, daß durch die Reizung vorzugsweise eine Verengerung der kleineren Arterien herbeigeführt wird, dann ließe sich die Thatsache, daß doch vorwiegend der linke Ventrikel hypertrophiert, verstehen. Erwiesen ist weder der unterstellte Eeiz, noch irgend eine seiner Folgen. Von anderer Seite wird ausgesprochen, daß die harnfähigen Stoffe, besonders der Harnstoff, die Widerstände, welche das Blut bei seiner Fortbewegung liefert, erhöhen; die Versuche haben hierfür unzweifelhafte Thatsachen nicht ergeben. 3. Eine weitere Gruppe umfaßt die Anschauungen, welche die Herzveränderung nicht von der Nierenveränderung, sondern beides von einem dritten abhängig sein lassen. Es soll eine allgemeine, weit über den Körper verbreitete besondere Entartung der kleinen Arterien bestehen, als deren Folge sowohl die Nierenveränderung wie die Herzhypertrophie auftritt. Diese in zwei Modifikationen vorgetragene Lehre wird in ihrer anatomischen Grundlage bestritten; außerdem würde sie nur für die Herzhypertrophie bei Schrumpfniere eine Erklärung bieten können. 4. Endlich wird die Häufigkeit der Myokarditis neben Nephritis hervorgehoben und aus dieser in recht gezwungener Weise die Hypertrophie des Herzens erklärt. Faßt man alles zusammen, so scheint eine erschöpfende einheitliche Theorie bisher mit voller Sicherheit noch nicht gefunden zu sein. Die ersterwähnte von COHNHEIM, in Anlehnung an ältere TBAUBE'sche Darlegungen entwickelte dürfte immerhin zu beachten sein, da sie mit einfachen physikalischen Bedingungen rechnet und allen Formen der Nephritis gerecht wird. Es kann freilich Zweifel erhoben werden, ob die Nierenarterien groß genug seien, um den allgemeinen Blutdruck zu beherrschen. Dabei stützt man sich auf die Thatsache, daß doppelseitiger Unterbindung derselben eine Drucksteigerung im Aortengebiet nicht folgt. Um diese Schwierigkeit zu heben, kann man sagen: Wenn der Körper erhalten werden soll, müssen die Produkte des Stoffwechsels fortgeschafft werden. Dazu bedarf es eines höheren Druckes in den größere Widerstände bietenden Nieren. Dieser wird dadurch möglich gemacht, daß durch Zusammenziehung ihrer Muskularis die Widerstände in den kleineren Arterien des gesamten übrigen Körpers steigen, während die zuführenden Nierenarterien durch die Erschlaffung ihrer eigenen Muskularis weiter werden. Es ist das der gleiche Vorgang, welchen wir bei dem Thätigkeitswechsel aller Organe sehen: Das funktionierende Organ braucht mehr Blut und erhält dasselbe. Bei dieser, immerhin etwas teleologisch gefärbten Annahme kann man daran denken, daß die Zusammenziehung der Arterien durch unmittelbare Einwirkung des verunreinigten Blutes auf dieselben, durch eine reflektorische Erregung der vasomotorischen Centren von den Nieren aus, oder durch die direkte Reizung dieser Centren zustande kommt (ZIEGLER). — Für manche Formen der Schrumpfniere sind Arterienveränderungen gewiß von Bedeutung, es mag auch eine Erkrankung des Herzfleisches neben Nephritis auf das Herz sglbst Rückwirkungen haben — niemals aber werden diese Umstände ausreichen, um die Herzhypertrophie überhaupt zu erklären. W i e dem auch sei, immer ist die Herzhypertrophie neben Nierenerkrankung als ein kompensatorischer Vorgang aufzufassen. Bleibt sie bei irgend längerer
Dauer des Leidens aus, dann ist auf eine minderwertige Widerstandsfähigkeit des ergriffenen Organismus zu schließen, und das Krankheitsbild erleidet erhebliche Änderungen. Ebenso, wenn aus irgend einem Grunde die durch Herzhypertrophie bewirkte Erhöhung der Herzarbeit nicht mehr geschehen kann. Neben den durch die Nierenerkrankung bedingten Krankheitserscheinungen entwickeln sich dann die der Herzinsuffizienz (§ 132) zukommenden. — Es ist nach allem leicht verständlich, daß die Prognose wie, die Therapie der stets sehr mit dem Verhalten des Herzens %u rechnen haben.
Nierenkrankheiten
§ 237. Akute Nephritis.
Die akute N e p h r i t i s kommt vor nach einer Menge von akuten Infektionen, unter welchen Scharlach den ersten Platz behauptet. Diphtherie reiht sich an; seltener sind schon Erysipelas,
Masern,
Pocken,
Bütela,
noch seltener
Varicellen
Verhalten des Herzens bei Nierenkrankheiten. Akute Nephritis.
693
von akuter Nephritis gefolgt. Ebenso ist deren Auftreten nach Typhoid Und Fleckfieber nicht häufig; Bekurrens geht hingegen öfter mit ihr einher, desgleichen das gelbe Fieber und alle septischen Infektionen. Genuine Pneumonie und akuter Gelenkrheumatismus sind nur jn einer spärlichen Zahl von Fällen mit akuter Nephritis verbunden; das nämliche trifft für die Syphilis zu. — Im ganzen darf man sagen, daß kaum eine unter den akuten Infektionskrankheiten frei bleibt. Es muß aber bemerkt werden, daß die epidemisch auftretenden in den Einzelepidemien ganz außerordentlich große Unterschiede der Häufigkeit darbieten. Eine zweite ätiologisch -Msammengehörencle Gruppe wird durch die infolge von Vergiftung entstehende akute Nephritis gebildet. Diese toxische Nephritis wird nach der Einführung genügender Mengen von Kanthariden und von den sogenannten scharfen Diureticis (Squilla u. s. w.) sicher hervorgerufen. — Nach sehr vielen Mineral- und organischen Giften sieht man Albuminurie, es treten Cylinder, auch wohl rote Blutkörperchen im Harn auf, ob aber eine wirkliche Entzündung, oder ob nur die sie einleitenden Ernährungsstörungen in der Niere die anatomische Grundlage für diese meist rasch und günstig verlaufenden Erkrankungen bilden, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Umsoweniger, als feste Grenzen zwischen diesen pathologischen Zuständen kaum gezogen werden können. Als eine weitere Ursache der akuten Nephritis muß die Erkältung genannt werden. Wenn wir auch über den Mechanismus, der dabei thätig ist, nichts mit Sicherheit wissen, so steht doch die Thatsache fest, daß bei Leuten, welche stark schwitzend sich eine gehörige Abkühlung und Durchnässung zugezogen haben, schwere akute Nierenentzündung auftreten kann. Die Pathogenese hat man sich wohl so zu denken, daß jeder der mit dem Blute kreisenden Entzündungserreger, während er die Niere durchströmt, in derselben unmittelbar zur Wirkung kommen kann. Bei den akuten Infektionskrankheiten ist manchmal der Mikroorganismus, welchen wir als den Urheber derselben ansehen, in den Nieren gefunden worden. Andere Male fehlte er, was nicht beweist, daß er überhaupt nicht vorhanden gewesen sei. Denn es ist sehr wohl möglich und sogar sehr wahrscheinlich, daß manchen Mikroben nur eine beschränkte Lebensdauer zukommt; sind sie selbst zu Grunde gegangen, dann hinterlassen sie nur in den Gewebsveränderungen die Spuren ihrer Anwesenheit. Übrigens ist es nicht ausgeschlossen, daß Substanzen, welche chemische Reize ausüben können, durch die Lebensthätigkeit der Mikroben erzeugt werden, und so erst mittelbar die Schädigung herbeigeführt wird. Die Leichenuntersuchung ergiebt: Sehr häufig Hydrops, mehr im Unterhautbindegewebe als in den Körperhöhlen. Nicht ganz so oft serös-fibrinöse, auch wohl eitrige Ergüsse, Produkte der Entzündung, in der Pleura, dem Herzbeutel, dem Peritoneum oder in den Meningen. — Die Nieren, stets beide, sind bei höheren Graden der Nephritis vergrößert und geschwellt, ihre Kapsel ist prall gespannt. Das Organ fühlt sich teigig weich an, ist mürbe und zerreißlich. Auf dem Durchschnitt sieht man, daß besonders die Rindensubstanz an Umfang zugenommen hat; sie ist blaß, trübe, graurot, läßt blutrot gefärbte Punkte, den stark injizierten Glomerulis entsprechend, oder auch wirkliche Extravasate erkennen. In anderen Fällen erscheinen die Glomeruli vergrößert, blaß, blutleer. Die Pyramiden sind stets tiefrot bis blaurot gefärbt. Hat die Krankheit länger gedauert, dann tritt die Hyperämie mehr zurück, die Nieren sind blaß, graurötlich, mit gelben Flecken und Streifen durchsetzt. — Mikroskopisch findet man:
Krankheiten der Harnwerkzeuge.
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D e r Blutgefäßbindegewebsapparat
weist
entzündliche
Veränderungen
auf,
welche
nicht eigentlich diffus, sondern in mehr oder weniger dichtgedrängten Herden durch die Nierenrinde zerstreut sind. — Blutungen finden sich in den Kapselräumen, in den erweiterten Harnkanälchen, ferner wohl auch um die prall gefüllten Gefäße, geformte und ungeformte Exsudate im Kapselraum der Glomeruli, in den Harnkanälchen, endlich in den Interstitien. Wesentlich sind Wucherungen der Endothelzellen
in den kleineren und mittleren
Arterien
sowie
in den Kapillaren
der
Glomerulusknäuel und der Interstitien. Die Venen sind weniger und nur ausnahmsweise beteiligt, ebenso die Bindegewebszellen der Interstitien und der Adventitia. Dagegen ist die durch indirekte Zellteilung sich vollziehende Neubildung von Bindegewebe in den Kapillaren der Glomeruli so massenhaft, daß sie zur Verlegung ihres Lumens führen'kann. Die Intima der Arterien und die intertubulären Kapillaren werden in dem gleichen Zustand angetroffen. D a s a n den e r k r a n k t e n
Stellen entwickelte kernreiche Keimgewebe wandelt sich rasch in kernarmes, faseriges Bindegewebe um, so daß schon gegen das Ende der ersten Krankheitswoche narbige Herde in den Interstitien, narbige Verdickung der Kapsel der MALPIGHIsehen Knäuel, bindegewebiger Verschluß von kleineren Arterien vorkommt. Neben diesen Veränderungen trifft man, meist nachweisbar von den Venen ausgegangen, eine Infiltration der Interstitien durch ausgewanderte weiße Blutkörperchen. Degenerative Gefäßveränderimgen treten vor den hyperplastischen Wucherungen in den Hintergrund. Sie erscheinen meist als Schwellung, Nekrose und Desquamation einzelner Endothelzellen oder kleiner. Gruppen von solchen, und gewöhnlich an den Venen. An den kleinen Arterien und den Kapillaren sieht man Zustände von hyaliner Quellung ihrer Wandungen. Überall können sich thrombotische oder embolische Verschlüsse in den erkrankten Gefäßen finden. — Meist ist die Erkrankung
der Gefäße
mit einer solchen der spezifischen
Drüsenbestand-
teile (Epithelien der Glomeruli und der Harnkanälchen) verbunden, welche sich als trübe Schwellung, hydropische und vakuoläre Entartung, Verfettung, Desquamation und Zerfall zeigt. Es handelt sich um degenerative Vorgänge, denen eine aktive Thätigkeit der Zellen nicht vorausging. — Notwendig ist die Beteiligung der spezifischen Drüsenbestandteile nicht. Bei dem vollentwickelten klinischen Bilde der akuten Nephritis trifft man bisweilen unversehrte Harnkanälchen, das Epithel der Glomerulusknäuel hier und da in leichter Desquamation, während die Veränderungen des Blutgefäßbindegewebsapparates sich nicht auf die Glomeruli zu beschränken brauchen, sondern auch die übrigen Rindengebiete ergriffen haben. — Die Schwellung der Niere wird hauptsächlich durch ein entzündliches Odem hervorgerufen. Die der akuten Nephritis
eigenen Symptome
sind d i e s e : D i e N i e r e n e n t z ü n d u n g
fügt sich einer bestehenden, mit Fieber verbundenen Infektionskrankheit ein, ohne sich durch besondere Allgemeinerscheinungen bemerkbar zu machen, oder solche bezeichnen den Beginn. Man findet dann Fieber, plötzlich, bisweilen mit Schüttelfrost, einsetzend, über 40° die Körperwärme hinauftreibend, aber selten von längerer Dauer. Bei manchen Fällen von Scharlachnephritis stellt sich eine dem Auftreten sonstiger Erscheinungen um mehrere Tage vorausgehende mäßige Erhöhung der bereits normal gewordenen Temperatur ein. — Erbrechen kommt unter den Anf a n g s e r s c h e i n u n g e n vor.
G r o ß e s G e f ü h l von Schwäche,
blasses Aussehen,
Appetit-
losigkeit und Dyspepsie sind ziemlich regelmäßig vorhanden. Das Gefühl von Druck
695
Akute Nephritis.
umd Schwere in der Nierengegend ist nicht immer zugegen, noch seltener Schmerx, w e l c h e r in die Oberschenkel ausstrahlt.
Empfindlichkeit
gegen tiefen Druck
auf
die-, Nieren findet sich hingegen sehr gewöhnlich. — Leichte Schwellung um die Amgenlider ist eine häufige Erscheinung. — Die erkrankten Organe selbst zeigen duirch Funktionsänderungen ihre Störung an. In wenigen Fällen tritt ein übrigens rasch schwindender Drang zum Harnlassen auf; noch seltener kann trotz gefüllter BHase das Bedürfnis ihrer Entleerung ganz verschwunden sein. Gewöhnlich ist dw Harnabsonderung erheblich, bis zum nahezu vollständigen Aufhören, vermindert, umd das hält bis zum Tode an. Bei günstiger Wendung aber tritt eine vermehrte Diiurese ein. — Der Harn ist trübe durch reichliche Beimischung harnsaurer Salze und geformter Bestandteile und von saurer Reaktion; seine Farbe ist dunkel, oder durch das in ihm enthaltene Blut rötlich bis schwarzrot. Das spezifische G «wicht geht, solange kleine Tagesmengen ausgeschieden werden, hoch, bis 1(030 und darüber hinaus; werden später große Massen Harn entleert, dann sinkt d»essen Eigenschwere bis 1006. Der Prozentgehalt an Harnstoff übersteigt 2,5 selten, seine Gesamtmenge beträgt bei Erwachsenen trotz bestehenden Fiebers n u r 8—10 g in 24 Stunden. Mit dem Eintritt reichlicher Diurese ändern sich arnch diese Verhältnisse. Ahnlich ist es mit den anorganischen Salzen. — Eiweiß is.t stets vorhanden, meist in der Menge von 0,2 bis 0,5%, selten 1 % und mehr; mur im ersten Anfang kann dasselbe fehlen. — Mit dem Blut verhält es sich ebenso; seine Menge schwankt sehr; in günstig verlaufenden Fällen verliert sich die Blutbeimischung vor der Albuminurie. — Cylinder treten in wechselnder Anzahl und Form während der Dauer der Nephritis auf. Anfangs erscheinen schmale homogene, oft mit Epithelien besetzte, daneben aus Blutkörperchen zusammengeschweißte Cylinder; es kommen aber auch breite und gekörnte vor. Weiße und riote Blutkörperchen,
Ejnthelzellen
in verschiedenen Zuständen des Zerfalls, körnige
Detritusmassen sind regelmäßig, oft in großer Zahl, anzutreffen. Die Erscheinungen von Dyspepsie,
Anämie und Kraftlosigkeit,
mit denen der
Anfang der Krankheit einhergeht ; begleiten dieselbe auch in ihrem späteren Verlaufe. Hydrops mit den Eigentümlichkeiten des renalen und hohe Grade erreichend ist sehr gewöhnlich vorhanden, nur in den leichtesten und in einzelnen sehr stürmisch verlaufenden, rasch zum Tode führenden Fällen bleibt es bei Andeutungen von Schwellung. Die Urämie fordert manches Opfer: ihre Symptome können zu jeder Zeit des Verlaufs auftreten, fallen aber in der großen Mehrzahl auf den Anfang. •— Eiterbildende Entzündungen der serösen Häute sind nicht ganz selten, aber keineswegs so häufig, wie bei den chronischen Nephriten. Es geschieht, wie es scheint bei den aus verschiedenen Ursachen entstandenen akuten Nierenentzündungen mit verschiedener Häufigkeit, daß während ihres Verlaufs Nachschübe sich einstellen, vielleicht geben sich dieselben durch Erhöhung der Körperwärme, jedenfalls aber durch vermehrten Eiweißgehalt, erneutes Erscheinen von Blut, verminderte Harnabsonderung kund. Ein Grund für ihre Entstehung ist gewöhnlich nicht zu finden. Ernstere Gefahren werden meist durch sie nicht herbeigeführt; nur ganz ausnahmsweise kann einmal Urämie mit ihnen verbunden sein. — Die Dauer der Krankheit geht in der großen Mehrzahl der Fälle nicht über einige Monate hinaus; in den leichtesten Formen kann sie sich auf wenige Wochen beschränken, in den schwersten, aber dennoch zur Genesung gelangenden, kann sie mehr als ein Jahr betragen. — Als häufigster Ausgang
ist Genesung, als seltenster die E n t w i c k l u n g einer chronischen
Nephritis
Krankheiten der Harnwerkzeuge.
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zu nennen; wie oft der Tod erfolgt, ist kaum mit Bestimmtheit zu sagen. Mittelzahlen sind hier von äußerst geringem Wert, da die Verhältnisse in den Einzelepidemien von Scharlach und Diphtherie, aus denen doch die Hauptmenge hervorgeht, so gar wechselnde sind. Die Prognose ist in erster Linie von der veranlassenden Ursache abhängig. Tritt Nephritis bei Infektionskrankheiten auf, so ist durch diese die Widerstandsfähigkeit des Körpers bereits in mehr oder minder hohem Grade gebrochen, das fällt natürlich schwer ins Gewicht. Man darf sagen, daß die durch Erkältung hervorgerufenen akuten Nierenentzündungen im allgemeinen eine minder gute Prognose geben: hochgradiger Hydrops und längere Dauer zeichnen dieselben aus, sie scheinen vor den andern geneigt in chronische Formen überzugehen. Im Einzelfall ist die etwas länger dauernde vollständige Anurie ein fast unbedingt schlechtes Zeichen. — Als Leiter des prognostischen Urteils ist die Harnabsonderung zu bezeichnen; solange dieselbe einigermaßen reichlich bleibt, ist gewöhnlich nicht unmittelbar Gefahr zu erwarten. Die Behandlung muß den Bedingungen des Einzelfalles angepaßt werden; immerhin lassen sich einige allgemeine Regeln aufstellen. — Während der ganzen Dauer der Erkrankung
muß
das Bett gehütet werden, j a es scheint sogar, daß m a n
wenigstens die Nephritis nach Scharlach verhüten oder doch leichter verlaufen machen kann, wenn man die Kranken bis zum Ende der vierten Woche im Bette läßt. — Wenn nicht eine ganz bestimmte Gegenanzeige vorliegt, ist als empirische Methode die ein- höchstens zweimal tägliche Anwendung
heißer Bäder
mit
nachfolgender Einpackung dringend zu empfehlen. Man beginnt mit Bädern von 39° C. und läßt dieselben zunächst 15 Minuten lang dauern. Dann wickelt man den Kranken in ein mit ebenso warmem Wasser getränktes Leintuch und eine oder mehrere Wolldecken kunstgerecht ein, legt ihn in ein erwärmtes Bett und deckt ihn gut zu. Nach 1—2 Stunden, während welcher reichliche Mengen warmen Getränkes dargereicht wurden, wird der Kranke aus der Wickel entfernt, tüchtig abgerieben und natürlich im Bette gelassen. Ein kalter Umschlag auf den Kopf während des Badens und während der Einwicklung ist zweckmäßig. Allmählich steigert man die Badwärme auf 40°, vielleicht mit einer niederen Wassertemperatur beginnend, die, während der Kranke in der Wanne sitzt, langsam erhöht wird, und verlängert die Badedauer bis zu einer Stunde. — Fieber liefert ohne weiteres keine Gegenanzeige.
Der Erfolg dieses Verfahrens, das m a n vom
Anfang bis zum Ende der Nephritis fortzusetzen hat, ist nicht nur eine vermehrte Diaphorese,
sondern in vielen Fällen auch eine Vermehrung
der
Harnausscheidung.
Es darf mit einigem Rechte vermutet werden, daß die urämischen Erscheinungen nicht selten so vermieden werden können; auch der Hydrops wird in Schranken gehalten. — Der Überwachung der Herzthätigkeit muß von Anfang große Sorgfalt gewidmet werden; Digitalis und die bekannten Reizmittel finden gegebenen Falls Anwendung (s. § 132). — Die Ernährung ist thunlichst hoch zu halten; man scheue sich nicht vor der Zufuhr genügender Mengen stickstoffhaltiger Nahrungsmittel. Der allgemeine Satz, daß die Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit entzündeter Gefäße nur durch deren ausreichende Versorgung mit normal beschaffenem Blute ermöglicht wird, muß auch hier der leitende sein. Ebensowenig hat man sich durch die Sorge, daß die Darreichung von Flüssigkeit den Hydrops vermehren könne, hindern zu lassen, dem Kranken Getränk zu geben. Sind die Nieren einigermaßen wegsam, dann ist sogar eine größere,
Akute Nephritis. Chronische (parenchymatöse) Nephritis.
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als die dem Durst entsprechende Menge, einzuführen. — Rotwein und Champagner sind unbedingt erlaubt; Kaifee und Thee werden widerraten. — Unter den im Laufe der Erkrankung sich zeigenden lebengefährdenden Erscheinungen ist Urämie wohl die, welche der Behandlung die wechselvollsten Aufgaben stellt. Geht dieselbe mit hohen Temperaturen einher, dann ist die Anwendung kalter Bilder nicht ausgeschlossen. Der Nachlaß der Hfr.-.thutigkeit verlangt den Versuch, dieselbe wieder auf das richtige Maß zu erhöhen. Warme Bäder und Einpackungen liefern oft noch günstige Ergebnisse, wobei übrigens zu bemerken ist, daß nach einzelnen Beobachtungen im Bade selbst ein eklamptischer Anfall sich entwickeln kann. Man hat das auf rasche Resorption des Hydrops und dadurch bedingte Vermehrung der schädlichen Substanzen im Blute selbst zurückführen wollen — ob mit Recht, möge dahingestellt sein. — Die Erfahrungen über das I'ilokarpin schwanken noch, ungefährlich bei Herzschwachen ist das Mittel keinenfalls, es vermag aber in der That starke Schweißbildung zu bewirken. — Von manchen wird der Anwendung drastischer Abführmittel das Wort geredet — die Entleerung der schädlichen Substanzen durch den Darm herbeizuführen, ist der Zweck dieser Verordnung. Zu bedenken bleibt, daß der auf der Darmschleimhaut ausgeschiedene und dort leicht in kohlensaures Ammoniak zerfallende Harnstoff eine schwere Entzündung, ja sogar Geschwürsbildung veranlassen kann. Jedenfalls darf das Verfahren nicht zu lange fortgesetzt werden. — Den diuretischen Mitteln schenkt wohl niemand mehr Vertrauen. — Der urämische Anfall ist im ganzen wie der eklamptische zu behandeln; um die Heftigkeit der Krämpfe zu mildern, können Chloralhydrat und Chloroforminhalationen nötig werden. Bei Kräftigen wird noch eine Blutent-Jehung (3—500 g durch Aderlässe bei dem Erwachsenen, Igel bei Kindern) angeraten — ob mit Recht? — Im ganzen darf man sagen, daß die Verhinderung der Urämie in vielen Fällen gelingt, die Behandlung der sich durch wirkliche Anfälle verratenden aber zweifelhafte Erfolge liefert. Fügt man noch die Warnung hinzu, daß gegen die spontan erscheinenden Durchfälle bei akuter Nephritis nicht ohne weiteres eingeschritten •werden soll, und dies nur zu geschehen hat, wenn dieselben zu häufig und zu heftig werden, dann kann man für den Rest der therapeutischen Aufgaben sich damit begnügen, auszusprechen, daß sie nach den für den betreffenden Zustand aufgestellten allgemeinen Regeln in Angriff zu nehmen sind. § 238.
Chronische (parenchymatöse) Nephritis.
Die c h r o n i s c h e (parenchymatöse) N e p h r i t i s geht in der Minderzahl der Fälle aus der akuten, namentlich der durch Erkältung entstandenen hervor. Man ist der Meinung, daß auch der längere Zeit hindurch wirkende Einfluß feuchter und kalter Wohnungen eine chronische Nephritis ohne vorhergehende akute Entzündung der Nieren zu erzeugen vermag. Unter den Infektionskrankheiten ist es die Malaria, welche in Gegenden, wo sie endemisch herrscht, nicht selten dieses Nierenleiden im Gefolge hat. Syphilis und Tuberkulose reihen sich an, dann von den Diathesen die gichtische. Chronische Eiterungen werden von manchen als eine häufige Veranlassung betrachtet. Wie groß der Einfluß chronischer Vergiftung mit Blei, Quecksilber, Alkohol ist, unterliegt sehr verschiedener Beurteilung. Im ganzen sind es also Schwächezustände des Körpers, welche mit chronischer Nephritis einhergehen. Dieses
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Krankheiten der Hainwerkzeuge.
ätiologische Moment hat die Krankheit mit der amyloiden Entartung gemein, es ist daher nicht zu verwundern, daß recht oft beide zusammen in den Nieren angetroffen werden. Für einen nicht unbedeutenden Rest fehlt ein Verständnis der Ätiologie vollkommen. — Das 20. bis 50. Lebensjahr liefert die Hauptsumme von Erkrankungen; Männer leiden häufiger als Weiber. Die anatomischen Veränderungen sind außer dem regelmäßig vorhandenen Hydrops, den mehr oder weniger wechselnden Organveränderungen, die als Folgen oder als zufällige Komplikationen der Grundkrankheit aufgefaßt werden müssen wesentlich in den Nieren zu finden. Dieselben sind groß, bis um das Doppelte an Umfang vermehrt, von prall gespannter, verdünnter Kapsel bedeckt, von weißgelblicher Farbe, so daß sich die mit Blut gefüllten Stellulae Verheynii durch den Kontrast stark abheben. Auf dem Durchschnitt sieht man die vorzüglich vergrößerte Rindensubstanz ebenso blaßgelb, die gleichfalls vergrößerten Pyramiden dunkel gerötet. Es ist dies der Grundtypus der chronischen Nephritis — die große weiße Niere. Schon makroskopisch werden aber Abweichungen beschrieben: Große bunte Niere — bei erheblicher Schwellung grau und graurot gefleckte Oberfläche, die verbreiterte Rinde feucht, weich, ebenso gefärbt, die Marksubstanz hyperämisch. Mikroskopisch bemerkt man ein starkes entzündliches Ödem, eine starke interstitielle kleinzellige Infiltration und mehr Desquamation des geschwellten und getrübten Epithels, besonders der Harnkanälchen, als eigentliche Verfettung. Chronisch hämorrhagische Niere: Geschwellte, gelblichweiß gefleckte oder nahezu weiße Niere, deren Rindensubstanz mit roten und braunroten hämorrhagischen Herden dicht durchsetzt ist. Ziemlich hochgradige Verfettung und interstitielle Infiltration neben starker Desquamation des Glomerulusepithels ist der mikroskopische Befund. Nach den mikroskopischen Untersuchungen werden wieder eine Reihe von Abweichungen als eigene Form beschrieben. Es sollen von denselben nur erwähnt werden: Entzündliche Fettniere, mäßige Schwellung des weichen Organs, dessen blaßgraue Rinde von weißen Flecken und Streifen durchsetzt ist, die Marksubstanz bis zur cyanotischen Färbung gerötet. Geringe Auswanderung weißer Blutkörperchen in das Zwischengewebe, vorwiegend Verfettung des Epithels der Harnkanälchen, geringere des der Glomeruli. — Chronische Glomerulonephritis: Vorwiegende Beteiligung der Glomeruli mit ähnlichen Veränderungen wie bei den akuten Nephriten.
Die mikroskopische Untersuchung zeigt, daß in den Gefäßen auch hier wieder der Mittelpunkt der pathologischen Störung gelegen ist. In frischen Fällen können die parenchymatösen Veränderungen ganz außerordentlich gering sein, bei längerer Dauer des Leidens wiegen sie, wenn auch vielleicht nur sekundären Ursprungs, allerdings vor. — Von entzündlichen Veränderungen finden sich: Exsudationen von Plasma in die Glomeruluskapseln sowie in die Harnkanälchen, nicht selten zu festen Massen erstarrt; meist unerhebliche Wucherungen des Endothels in den Kapillaren der Glomeruli. Daneben Auswanderung weißer Blutkörperchen, die zur zelligen Infiltration des interstitiellen Gewebes Veranlassung giebt, venöse Blutungen aus dem ganzen Gebiet der Rindengefäße. Weiße wie rote Blutkörperchen können bald mehr, bald weniger zahlreich in die Glomeruluskapseln und in die Harnkanälchen gelangen. — Degenerative Vorgänge: Schwellung, Verfettung, Desquamation zeigen sich an den Glomerulus- und Kapselepithelien, indes an den letzteren weniger stark. Die Epithelien der Harnkanälchen, besonders die der gewundenen, bieten vorzugsweise die Erscheinungen fettiger Entartung mit ihrer; Vorstufen dar. Fettige Entartung und Infiltration des Bindegewebes können sich im weiteren Verlauf der Erkrankung mehr und mehr entwickeln. Eine Regeneration der
Chronische (parenchymatöse) Nephritis.
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Epithelzellen der Ilarnlianälchen ist möglich, nicht aber Ersatz des durch narbige Schrumpfung verloren gegangenen Gewebes, namentlich des der Glomeridi. Infolge solcher Schrumpfungen treten an der Oberfläche Einziehungen auf, welche sich ausbreitend den Umfang der Nieren verkleinern und dieselben höckrig erscheinen lassen. Es ist das der anatomische Ausdruck für den möglichen, aber immer lange Zeit erfordernden Übergang zur Schrumpfniere. Das Krankheitsbild der chronischen Nephritis ist ein weniger scharfes als das der anderen Nierenentzündungen. Es vermischen sich mit demselben die langsam verlaufenden, dennoch aber vollständig heilenden Fälle akuter Entzündung, die mit Schrumpfung endenden der chronischen Entzündung, und häufiger noch die rhit amyloider Entartung einhergehenden Formen. Eine ganz bestimmte Scheidung hat daher große Schwierigkeiten. Wer das Material kennt, an welchem B A R T E L S seine Beobachtungen machte, wird nicht geneigt sein, den gegen ihn erhobenen Vorwurf, er habe wesentlich die amyloide Entartung der Niere, nicht die chronische Nephritis seinen Schilderungen des bei dieser vorhandenen klinischen Bildes zu Grunde gelegt, als gerechtfertigt anzuerkennen.
Nur bei den selteneren Fällen, die aus der akuten Nephritis hervorgehen, läßt sich ein bestimmter Anfangstermin nachweisen. Meist entwickelt sich die chronische Nephritis, einerlei ob sie als Begleiterin der genannten Krankheiten oder als selbständiges Leiden auftritt, äußerst langsam und schleichend. Die Kräfte lassen allmählich nach, Blässe der Haut und der sichtbaren Schleimhäute, Herzklopfen und ein wenig Atemnot bei stärkerer Anstrengung, vielleicht dyspeptische Erscheinungen sind vorhergegangen, dann kommt es zu Ödemen, welche, bald an den Knöcheln, bald im Gesicht zuerst sich zeigend, in verhältnismäßig kurzer Zeit sich über den ganzen Körper ausbreiten und sehr beträchtlich werden. Manchmal sind unbestimmte Schmerzen, besonders in der Nierengegend, vorausgegangen. Der Harn enthält schon lange Eiweiß, aber erst mit seiner verminderten Absonderung erscheint die Wassersucht. Die vollentwiclcelte Krankheit zeigt ein sehr eintöniges Bild, Wassersucht der Haut und einer oder der anderen Körperhöhle, verminderte Absonderung des Harns, Appetitlosigkeit und Verfall der Kräfte sind dessen Grundzüge; hin und wieder kommt es einmal zum Erbrechen, zum Durchfall, seltener zum urämischen Anfall. Bisweilen treten örtliche Verschlimmerungen ein: der Harn wird bluthaltig und erscheint ganz so wie bei der akuten Nephritis. Die ausgesprochene Neigung zur Entrundung führt zu meist tödlich endenden Zwischenfällen: Pleuritis, Perikarditis, Phlegmonen u. s. w. Glottisödem, ein mit Nachlaß der Herzarbeit eintretendes einfaches Lungenödem, vielleicht auch ein entzündliches kann raschen Tod herbeiführen. — Bei günstiger Wendung vermehrt sich die Harnabsonderung, damit verlieren sich die Ödeme; ganz langsam, öfter auf und ab schwankend, geht der Zustand der Besserung, sehr selten der Genesung entgegen. Dann verliert sich auch der Eiweißgehalt des Harns. Die Umwandlung in die anatomische Form der Schrumpfniere verrät sich durch die nach dem Verschwinden des Hydrops andauernde Abscheidung einer reichlichen Harnmenge von eigentümlicher Beschaffenheit (s. unten) und die immer deutlicher werdende Hypertrophie des linken Ventrikels. — Von Einzelheiten ist zu bemerken: Der Harn ist mehr oder minder trübe, meist von saurer Reaktion; er wird während der Entwicklung und auf der Höhe der Krankheit im ganzen in sehr verminderter Menge abgeschieden, die Einzeltage aber können bedeutende Ver-
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schiedenheiten aufweisen, so daß an einem sehr viel, an einem anderen sehr wenig entleert wird. Damit wechseln auch die Farbe und das spezifische Gewicht, welches unter 1010 bleiben und 1040 überschreiten kann. — Der Prozentgehalt an Harnstoff unterliegt selbstverständlich den gleichen Schwankungen, er erreicht bis 5°(0 und sinkt unter 1°(0; die absoluten Mengen können den von kräftig genährten Gesunden gelieferten gleichkommen, sie sind aber meist weit geringer. — Eiweiß, das nie fehlt, verhält sich im ganzen ebenso; seine Menge kann bis 5°/0 betragen, geht aber über 1 bis 2% selten hinaus. Das Maximum der Tagesmenge erreicht etwa 20 g; indes beträgt der gewöhnliche Verlust doch wohl nur die Hälfte. Cylinder
finden sich stets im Harn u n d sobald die K r a n k h e i t auf der H ö h e
ist, in reichlicher Menge. Sie sind teils schmal, homogen, hyalin und blaß mit auf- und eingelagerten Epithelzellen oder weißen Blutkörnchen, teils, namentlich bei längerer Dauer der Nephritis, breit, gekörnt, wachsartig glänzend. Leukocyten trifft man in ziemlicher Menge, gut erhalten oder verändert, ebenso allerlei Detritus. Von nicht geformten Bestandteilen sind Urate und freie Harnsäure fast regelmäßig da. — Die Wassersucht, welche äußerst selten fehlt, erreicht manchmal so hohe Grade, daß die übermäßig gespannte Haut einreißt und nun lange Zeit die Gewebeflüssigkeit aussickert. Nicht nur oberflächliche Entzündung ist damit verbunden, dieselbe kann auch in die Tiefe greifen und zu brandiger Zerstörung führen. Das geschieht am häufigsten an den Oberschenkeln und an dem Skrotum, welche wie die äußeren Genitalien und die Bauchdecken von dem Anasarka vorzugsweise heimgesucht zu sein pflegen. Die Pleurahöhlen, das Perikard und der Bauchraum bergen häufiger als bei der akuten Nephritis größere Mengen von Ergüssen. Der Hydrops ist äußerst hartnäckig; er wechselt der Harnausscheidung entsprechend in seiner Stärke, verliert sich aber erst mit der Genesung oder mit der Ausbildung einer Schrumpfniere. I n vielen F ä l l e n k o m m t
es zur Hypertrophie
des linken
Ventrikels
oder
des
ganzen Herzens; das geschieht, sobald die allgemeinen Verhältnisse eine für die Muskelvennehrung ausreichende Ernährung gestatten. Es ist sicher nicht richtig, w e n n m a n b e h a u p t e t , daß
immer
bei chronischer
Nephritis
die
Herxhypertrophie
auftrete, und daß, wenn sie fehlt, amyloide Entartung zugegen sei. — Die Spannung des Pulses geht auch hier der Hypertrophie voraus. Im Laufe der Erkrankung können mit dem Nachlaß der Ernährung des Herzens sich Schwächezustände dieses Organs ausbilden, welche dann besonders durch Lungenödem gefährlich werden. Der meist sehr erhebliche Rückgang der Ernährung hängt wohl außer dem Eiweißverlust zum großen Teil damit zusammen, daß die geänderte Blutmischung und die ödematöse Durchtränkung der Körpergewebe eine regelmäßige Assimilation der Nahrung sowie eine ausreichende Osmose zynischen Blut und Parenchymflüssig-
keit erschwert. Darauf ist auch die gewöhnlich vorhandene Appetitlosigkeit zurückzuführen. Das nicht seltene hartnäckige Erbrechen und die oft andauernden Diarrhöen tragen, 'wenn sie vorhanden sind, wohl das ihrige dazu bei. Beide gehen manchmal, wenn auch nicht immer, mit Odem der Schleimhaut des Verd a u u n g s k a n a l e s e i n h e r . — Sehr gefährlich
sind
die Geschwürsbildvngen
im
Darm,
von welchen man annimmt, daß sie durch die Wirkung des aus dem Harnstoff entstandenen kohlensauren Ammoniaks hervorgerufen werden: Ruhrartige
Chronische (parenchymatöse) Nephritis.
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Zustände, die Entleerung reichlicher Mengen aashaft stinkender, Gewebsfetzen, Eiter und Blut enthaltender Flüssigkeit kennzeichnen dieselben. — Von urämischen Zuständen ist viel oder wenig zu berichten, je nachdem man den Begriff enger oder weiter faßt. Eigentliche Anfälle sind entschieden nicht häufig. Dagegen läßt sich im Grunde nicht viel einwenden, wenn man die sehr gewöhnlich vorhandenen Kopfschmerzen, das Erbrechen, die dyspeptischen Erscheinungen, die Diarrhöen wenigstens mit auf Urämie bezieht. — Ebenso gehört die Neigung zu Entzündungen hierher. — Die Retinitis albuminurica ist im ganzen seltener. Die Dauer der chronischen Nephritis ist schwer zu bestimmen, immer aber ist sie eine längere. Wenn nicht durch einen Zwischenfall der Tod eintritt, oder sich die Krankheit als Anfang des Endes einem Siechtum zugesellt, hat man wohl stets mit Jahren zu rechnen. Die Prognose ist immer eine sehr ernste. Es dürfte noch nicht mit Sicherheit zu entscheiden sein, ob diejenigen recht haben, welche die Genesungsmöglichkeit bei vollentwickelter chronischer Nephritis überhaupt in Abrede stellen, indem sie sagen, daß, wenn Heilung zustande kam, es sich um eine akute Nephritis mit verschlepptem Verlauf gehandelt habe. — Entwickelt sich eine Schrumpfniere, dann ist das tödliche Ende freilich verzögert, nicht vermieden. Alles in allem ist der Tod der regelmäßige Ausgang, sobald die Krankheit ein Jahr oder darüber gedauert hat. — Im Einzelfall kommt es wesentlich darauf an, ob die Ursache der Nephritis entfernt werden kann: Die Heilung der Malaria, der Lues, einer chronischen Knochen- oder Hautverschwärung hat nicht selten auch die Heilung der sie begleitenden Nephritis im Gefolge. — Als gefährlichste Komplikation wird ziemlich einstimmig Pneumonie und Phlegmone genannt; die letztere führt, nachdem sie Brand erzeugte, zur septischen Infektion. Die Behandlung hat zunächst in den Fällen, wo die Nephritis einem heilbaren Grundleiden sich anschloß, dieses zu beseitigen. — Weiter ist für möglichst reichliche Ernährung zu sorgen, eine Aufgabe, an der man freilich oft scheitert. Die Milchkuren, welche man vorschlug, lassen sich öfter nicht durchführen, manchmal kommt man weiter, wenn man Buttermilch an die Stelle der süßen Milch setzt. Meist dürfte man mit einer Wechsel bietenden Ernährungsweise mehr ausrichten, als mit so einförmigen. Die eigentliche Therapie kann am ehesten noch durch die Anwendung der, solange der Hydrops anhält, systematisch (täglich einmal) gegebenen warmen Bäder mit folgender Einpackung, wie sie im vorigen Paragraphen beschrieben wurde, etwas erreichen. Wo die Heilung möglich, wird sie dadurch begünstigt, eine Erleichterung der Beschwerden ist jedenfalls gesichert. — Über den Gebrauch von Arzneimitteln ist wenig Günstiges zu berichten, wenn sie nicht nach bestimmter Anzeige gegen ein im Laufe der Krankheit auftretendes Symptom dargereicht werden, wie z. B. Digitalis bei Herzschwäche. — Eisenpräparate sind, wenn sie nicht die Verdauung stören, gegen die Anämie manchmal nützlich, andere Male ist zu diesem Zweck die arsenige Säure vorzuziehen. — Diuretica (das Kalium aceticum kommt ziemlich ausschließlich in Tagesgaben von 5—10 g in Betracht) können bei verhältnismäßig frischen Fällen von Nutzen sein, in älteren richtet man damit wenig aus. Die unter R Nr. 63 angeführte Mischung vermag einzelne Male vorübergehend eine sehr reichliche Diurese zu bewirken; häufiger versagt sie.
Krankheiten der Harnwerkzeugo
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Die Entleerung der hydropischen Ergüsse durch Punktion kann von der Indicatio Vitalis verlangt werden: sonst halte man damit zurück. In noch höherem Grade ist die Zurückhaltung bei dem Anasarka geboten: die kapillare Drainage vermag freilich meist das Auftreten ausgedehnterer Hautentzündung zu verhüten, allein der tägliche starke Eiweiß- und Salzverlust, welcher mit der Entleerung von Litermengen hydropischer Flüssigkeiten verbunden ist, dürfte einen raschen Schwund der Kräfte in hohem Grade begünstigen. § 239.
Chronische interstitielle Nephritis (Schrumpfniere).
Es wurde bereits mehrfach erwähnt, daß die c h r o n i s c h e i n t e r s t i t i e l l e N e p h r i t i s , die S c h r u m p f n i e r e , einen, immerhin seltenen, Ausgang der beiden abgehandelten Formen darstellt. Meist ist ein solcher Zusammenhang nicht nachweisbar. — Die Schrumpfniere entwickelt sich gewöhnlich als ganz selbständiges Leiden, oder sie zeigt sich neben weit verbreiteten Erkrankungen der Arterien. — Von ätiologischen Bedingungen ist nicht gar zu viel bekannt: Gicht, Syphilis, chronische Bleivergiftung werden mit mehr oder minder triftigen Gründen als Urfieber genannt. Uber den Alkohol gehen die Ansichten weit auseinander; von einiger Bedeutung dürfte es immerhin sein, daß Leber- und Nierenschrumpfung nicht ganz selten nebeneinander vorkommen. — Der Punkt, um welchen sich ein auch heute nicht ausgetragener Streit dreht, ist der, wieweit eine Erkrankung des gesamten arteriellen Gefäßsystems bei der Entstehung der Schrumpfniere beteiligt ist. Wenn man keine andere, als die mit solcher Gefäßerkrankung einhergehende Form anerkennen, wenn man die genuine interstitielle Nephritis ganz streichen will, setzt man sich über sicher erwiesene Thatsachen hinweg. Andererseits kann nicht geleugnet werden, daß die arteriosklerotische Schrumpfniere im ganzen wohl viel häufiger ist, obgleich auch hier örtliche Unterschiede sich geltend machen dürften. Damit hängt es auch zusammen, daß der Einfluß des Lebensalters sich verschieden maßgebend erweist. Meist ist ein solcher zweifellos, die Häufigkeit der Erkrankung hält mit der Zahl der zurückgelegten Jahre gleichen Schritt. Die Zeit vom ersten Decennium aufwärts ist aber nicht ausgeschlossen. Daß Männer häufiger als Weiber erkranken, wird allgemein angenommen. Die günstigere soziale Stellung verleiht keinen Schutz, vielmehr scheinen Kopfarbeiter mindestens in gleichem Grade wie Handarbeiter ausgesetzt zu sein. Der Leichenbefund ergiebt konstant eine Hypertrophie des linlcen Ventrilcels, vielleicht des ganzen Herzens neben den Veränderungen der Nieren. Diese sind in den ausgebildeten Fällen kleiner (sie können sogar bis zu der Größe einer Kinderniere herabsinken), dabei höckrig und derb anzufühlen. Die verdickte Kapsel läßt sich nur schwer abziehen, es bleiben Teile des Nierengewebes an ihr haften; die Oberfläche ist fein granuliert, bisweilen durch tiefere Einziehungen eingekerbt, nicht selten zeigen sich daneben kleine, mit klarem Inhalte gefüllte Cysten. Auf dem Durchschnitt des entweder dunkel rotbraun oder blaß weißgrau aussehenden Organs bemerkt man, daß die Verkleinerung besonders die bis zu wenigen Millimetern geschwundene Rindensubstanz trifft; nicht so stark, immerhin bedeutend sind die Markkegel, welche dicht aneinander gedrängt liegen, beteiligt. Das Nierenbecken ist erweitert oder enger; das letztere ist das Gewöhnlichere. Verdickung der Nierenarterie und ihrer Hauptäste ist nicht selten. Alle diese Veränderungen sind einigermaßen gleichmäßig über beide Nieren verteilt,
Chronische interstitielle Nephritis (Schrampfniere).
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oder aber die eine ist stärker als die andere, vielleicht ist nur ein Teil der Nieren vorzugsweise ergriffen. Die mikroskopische Untersuchung bei der genuinen Schrumpfniere ergiebt: Auch hier bildet das Verhalten des Gefäßsystems den Mittelpunkt der Erkrankung; es sind im großen und ganzen die gleichen Vorgänge wie bei der akuten Nephritis, nur in viel weiterer Ausdehnung und mit ausgesprochener Neigung zu dauernder Neubildung von Bindegewebe. — Oblitterierende Arteriitis an den interlobulären Arterien und an den Yasa afferentia, Wucherungen des Endothels in den Glomerulusknäueln selbst und in den intertubulären Kapillaren, dann thrombotische Verschlüsse von Kapillaren und Arterien, sowie hyaline Verdickungen der Gefäßwandung f ü h r e n zur Verödung der Gefäße und zum Untergang der von ihnen versorgten Drüsenteile durch Inaktivitätsatrophie. Eine hervorragende Rolle spielen dabei die autochthonen Thromben in den Arterien, welche in größeren Asten sich entwickelnd zur Infarktbildung mit der ihr folgenden narbigen Einziehung führen können. Minder wichtig sind die Gerinnungen entzündlicher Ergüsse im Kapselraum der Glomeruli, die reichlich vorhandenen Züge hyperplastischen Bindegewebes zwischen den Harnkanälchen und um die Kapseln der MALPiGHischen Körperchen, SQwie die in diesen Bindegewebszügen enthaltenen Herde kleinzelliger Infiltration. Sie begünstigen die Ausbreitung der obliterierenden Gefäßentzündung, beteiligen sich also mehr mittelbar an dem Gewebsuntergang. Die Epithelien der Knäuel sind zum großen Teil verloren gegangen, die noch erhaltenen in Wucherung begriffenen atrophieren aber sobald die Blutzufuhr ungenügend wird. Endlich stellt sich eine vollständige narbige Verödung ein. Die Harnkanälchen sind, wenn sie inmitten von Bindegewebe liegen, atrophisch, verengt, ihres Epithels beraubt; in früheren Stadien zeigt dasselbe die gleichen Veränderungen wie bei akuter Nephritis, nur in geringerem Grade und in geringerer Ausbreitung. Ubergänge zur arteriosklerotischen Atrophie — chronische ganz auf die Gefäße sich beschränkende Entzündungen, keine Bindegewebsatrophie, keine kleinzellige Infiltration — kommen nach Endokarditis auch bei jungen Leuten, dann bei chronischer Bleivergiftung, vielleicht auch bei Alkoholismus vor. Die arteriosklerotische Atrophie hat die durch Arteriosklerose bedingte Verdickung der Intima der Gefäße zur Voraussetzung. J e nachdem ein größeres oder kleineres Gefäß verschlossen ist, veröden die zugehörenden Glomeruli mit ihren Harnkanälchen, eine Bindegewebswucherung bleibt ganz aus, oder sie ist doch nur in sehr geringem Maße vorhanden, dagegen kommen Herde kleinzelliger Infiltration im interstitiellen Gewebe hier und da vor. Es ist also eine ganz scharfe anatomische Trennung dieser Atrophie von der entzündlichen nicht durchfuhrbar — das Ganze des Vorgangs zeigt allerdings sehr erhebliche Unterschiede. Trotz der anatomischen Abweichungen ist doch das Krankheitsbild der Schrumpfniere im großen und ganzen das nämliche. Meist vergeht eine ziemlich lange Zeit, ehe sich überhaupt etwas von Störungen zeigt, Leute, die auf sich achten, bemerken höchstens, daß sie nachts von dem Bedürfnis der Harnentleerung geweckt werden und auch tags dazu häufiger als sonst genötigt sind. Dementsprechend ist der Durst vermehrt. So kann jahrelang die Sache weitergehen. Allmählich stellt sich Abspannung bei stärkerer geistiger Thätigkeit, Druck im Kopf oder eine in Anfällen auftretende wirkliche Migräne ein, andere Male sind es Sehstörungen, die den Kranken zum Arzte treiben. Auch dyspeptische Beschwerden
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Krankheiten der Harnworkzeuge.
mit Abmagerung und Kraftlosigkeit, Anfälle von Atemnot, die gewöhnlich als Asthma bezeichnet werden, Herzklopfen mit Schwindelgefühlen verbunden, heftiges, öfter wiederkehrendes Nasenbluten veranlassen, daß der Arzt gerufen wird. Wieder kommt es vor, daß inmitten einer scheinbar vollen Gesundheit plötzlich ein urämischer Anfall oder eine Apoplexie sich einstellt und vielleicht dem Leben ein jähes Ende bereitet. — Sieht man die Leidenden zur Zeit der vorgeschrittenen Entwicklung der Nierenschrumpfung, dann bemerkt man meist eine fahlgelbe Farbe des etwas hageren Gesichts bei sonst guter Ernährung. Der Puls ist hart, gespannt, schnellend, die Arterien sind etwas atheromatös und geschlängelt, der linke Ventrikel ist exzentrisch vergrößert. — Ödeme fehlen ganz oder sind doch höchst unbedeutend, sie zeigen sich noch am ehesten um die Knöchel, und zwar zu den Abendstunden. — Der weitere Verlauf gestaltet sich verschieden: es walten die Erscheinungen von den Nieren ob, und das Bild chronischer Urämie (§ 235) mit akuten Anfällen und einem darauf folgenden Koma entwickelt sich, oder die Insuffizienz des Herzens mit Wassersucht tritt stärker in den Vordergrund; freilich fehlen auch hier urämische Erscheinungen nicht. So. kann sich ein Zustand des Siechtums von oft monatelanger Dauer herausbilden. Eine Pneumonie, die Entzündung des Unterhautbindegewebes oder die einer der serösen Häute, endlich Lungenödem führt über kurz oder lang zum Tode, der trotz vorübergehender Besserungen unabwendbar ist. Von Einzelheiten ist zu bemerken: Solange die Absonderung des Harns noch unter dem Einflüsse eines leistungsfähigen Herzens stattfindet, ist dessen Tagesmenge vermehrt — man hat eine solche von sechs Litern beobachtet, gewöhnlich sind es nur drei bis vier Liter oder noch weniger. Es finden sich an den Einzeltagen erhebliche Schwankungen, welche nicht nur auf die Menge der aufgenommenen Flüssigkeit zu beziehen sind. Manchmal wird nachts mehr Harn gelassen als am Tage. Der Harn ist klar und von gelber Farbe, die häufig einen Stich ins Grüne zeigt, seine Reaktion ist sauer, sein spezifisches Gewicht ist geringer als das normale, es beträgt 1004—1012, meist schwankt es um 1010. Der Harnstoff findet sich der Verdünnung entsprechend in geringerer Prozentmenge (0,4°,0 ist das beobachtete Minimum), gewöhnlich ist dieselbe unter 2°'0. Die absolute Tagesmenge des ausgeschiedenen Harnstoffes hingegen entspricht ungefähr der Norm oder überschreitet dieselbe sogar. Ahnlich verhält es sich mit den Salzen. Von größter diagnostischer Bedeutung ist es, daß zeitweilig das Eiweiß ganz fehlen oder doch in zu geringen Mengen auftreten kann, um durch die gewöhnlichen Reagentien nachweisbar zu sein. Am häufigsten kommt das vor, wenn der Kranke Bettruhe beobachtet, der Nachtharn ist also eher eiweißfrei. Man muß daher den Harn für Tag und Nacht gesondert auffangen lassen und gesondert untersuchen. Die arteriosklerotische Schrumpfniere scheint viel öfter als die genuine selbst längere Zeit hindurch wenig oder gar kein Eiweiß liefern zu können. — Immer ist der Gehalt des Harns an Eiweiß ein sehr geringer; relativ beträgt er einige pro mille, absolut einige Gramm den Tag. Nur bei besonderen Veranlassungen, nach urämischen Krämpfen z. B., kann vorübergehend mehr als 2% vorkommen. Ein konstantes Verhältnis zwischen dem prozentischen Eiweißgehalt des Harns und der absoluten Menge seiner Tagesausscheidung besteht nicht. In dem nur schwach sedimentierenden Harn finden sich sehr vereinzelt Cylinder, meist schmale, ganz homogene hyaline, oder leicht gekörnte, selten breitere,
.Schrumpfniere. Amyloide Entartung der Nieren.
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noch seltener konglomerierte. Einzelne Epithelien haften gut erhalten den Cylindern an, ebenso Oxalatkrystalle. Das Auftreten vereinzelter roter Blutlcäiperchen ist ein ziemlich häufiges; Detritus fehlt fast stets. Das Verhalten des Herzens ist von größtem Einfluß auf den Krankheitsverlauf und auf die Einzelerscheinungen. — Die Muskelzunahme des Herzens ist ein kompensatorischer Vorgang; nur so lange die Herzarbeit imstande ist, eine genügende Durchströmung der Nieren mit Blut zu bewerkstelligen, ist der Allgemeinzustand der Kranken ein erträglicher. Man darf mit einigem Recht behaupten, daß erst mit dem Nachlassen der Kompensation krankhafte Störungen sich überhaupt entwickeln, muß aber nicht vergessen, daß durch die Kompensation selbst die Veranlassung zu ernsten Schädigungen gegeben wird. Endarteritis und Sklerose (§ 149), welche Hirnblutungen und die Entartung des Herzens begünstigen, treten in ihrem Gefolge auf. Wie bei der Schwäche des Herzens überhaupt, kann Nachlaß und Wiederzunahme seiner Arbeitsfähigkeit wechseln; die Schwankungen im Krankheitsverlauf sind wohl wesentlich darauf zu beziehen. Außer anderweitigen Zeichen verrät die Beschaffenheit des Harns die drohende Gefahr: Verminderung der Tagesmenge, höheres spezifisches Gewicht, stärkere Färbung — die beiden letzten bleiben bei den äußersten Graden der Schrumpfung freilich aus. Mit dem Verhalten des Herzens steht auch die Dauer des Leidens in den nächsten Beziehungen. Ein bestimmter Mittelwert derselben läßt sich nicht angeben — Jahre vergehen sicher darüber; nach einzelnen Beobachtungen mehr als zwanzig. Der Ausgang ist wohl stets der Tod, Heilung des, wie es durchaus den Anschein hat, unaufhaltsam fortschreitenden Leidens könnte vielleicht nur bei der durch Vergiftung (Blei z. B.) entstandenen Nierenschrumpfung erwartet werden. — Demgemäß ist auch die Prognose zu stellen. Die Behandlung hat bei den noch nicht mit Nachlaß der Herzarbeit einhergehenden Fällen alles zu thun, was gethan werden kann, um die Insuffizienz des Herzens hintan zu halten: Beschränkung der Herzthätigkeit auf das Notwendige, möglichst sorgfältige Ernährung, Fernhalten aller Schädlichkeiten, besonders auch der Bronchialkatarrhe. Ausgesprochene Insuffizienz des Herzens ist nach den dafür aufgestellten Regeln (§ 132), urämische Zustände sind mit genauer Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls zu behandeln. — Arzneimittel, welche die erkrankte Niere unmittelbar beeinflussen, kennen wir nicht. § 240. Amyloide Entartung der Nieren.
An der verbreiteten a m y l o i d e n E n t a r t u n g nimmt sehr gewöhnlich die N i e r e teil. Die Ätiologie des Nierenleidens hat daher als allgemeinen Ausgangspunkt die Kachexie, wie sie durch Verschwärung, Eiterung und dauernden Säfteverlust herbeigeführt wird. Tuberkulose, skrofulöse Diathese, Syphilis, diese auch ohne unmittelbar Gewebszerstörung hervorzurufen, sind die gewöhnlichsten Grundursachen. — Es darf gefragt werden, ob nicht die bei chronischer Nephritis so regelmäßig sich findende Kachexie 'cur sekundären amyloiden Entartung Veranlassung geben kann? Reines Nierenamyloid ist so selten, daß man behauptete, immer sei gleichzeitig eine der Formen chronischer Nephritis vorhanden. Das ist bestimmt widerlegt. V. J ü r g e n s e i l , Spez. Patli. u. Ther. II. Auf!
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Krankheiten der Harnwerkzeugo.
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Anatomisch lassen sicli leichtere Grade amyloider Entartung in den Nieren ohne
weiteres nicht nachweisen, es bedarf dazu der bekannten Reagentien. Eine bis zum schwachen Gelb verdünnte wässrige Jod-Jodkaliumlösung ruft an den amyloid entarteten Teilen eine dunkelbraune Färbung hervor, welche nach Zusatz von l°/o Schwefelsäure in ein schmutziges Blau oder Violett übergeht. Rot auf blauviolettem Grunde erscheint das amyloide Gewebe, wenn man eine wässrige Lösung von Methylviolett und nachher schwache Essigsäure einwirken ließ. Mit zunehmender Entartung tritt Schwellung der Nierenrinde auf, welche blaß wird und in grauweißer Grundsubstanz zahlreiche weißliche, mattglänzende Herde enthält. Als ausgebildete Form der Amyloidniere zeigt sich eine der großen weißen Niere gleichende. Das Organ hat an Umfang und Gewicht erheblich zugenommen, es ist fest und derb, erscheint auf dem Durchschnitt blaß, in seinem Rindenteil auffallend glänzend, während die Markkegel rotbraun gefärbt sind. — Die amyloide (Speck-) Schrumpfniere unterscheidet sich für das bloße Auge von der nicht amyloiden nur durch einen etwas matteren Glanz der Schnittfläche. Bei der mikroskopischen Untersuchung ergiebt sich, daß vorzugsweise die Gefäße der Glomeruli, dann die. Vasa afferentia und die interlobulären Arterien entarten,
der Prozeß kann sich aber über sämtliche Nierengefäße, sowie über die Membrana propria der Harnkanälchen ausbreiten, sogar das interstitielle Bindegewebe und die Kapsel können daran teilnehmen. — Die Epithelien an den erkrankten Teilen sind fettig entartet, im interstitiellen Bindegewebe tritt kleinzellige Infiltration, seltener Wucherung ein. — Amyloide Entartung eines oder mehrerer drüsiger Organe, der Nebenniere, der Milz, seltener der Leber und der Darmschleimhaut ist meist gleichzeitig vorhanden. — Von einem eigenartigen Krankheitsbilde der Amyloidniere kann nicht die Rede sein. Die Degeneration entwickelt sich allmählich, und die erste Erscheinung, mit der sie sich verrät, ist Hydrops. Bei regelmäßigen Harnuntersuchungen kann man allerdings schon früher aufmerksam werden. — Das Verhalten des JJrins ist kein konstantes, was begreiflich wird, sobald man die bei jeder Kachexie unvermeidliche Schwächung des Herzens genügend beachtet. Es wechselt sowohl •im, Einzelfall
v o n T a g zu Tag, als auch bei dem Vergleich mehrerer Fälle
unter-
einander die Zusammensetzung des entleerten Harns sehr und nach allen Richt u n g e n . Mit diesem Vorbehalt kann man sagen, daß die amyloide Niere, welche von einem noch arbeitsfähigen Herzen mit Blut versorgt, wird, ein reichliches, klares, hellgefärbtes Sekret von niedrigem spezifischen Gewicht (bis 1003 h e r u n t e r ) liefert.
Eiweiß kann zeitweilig ganz fehlen, es kann nur in Spuren, aber es kann auch in sehr reichlichen Mengen (3 °/0 und mehr) auftreten, so daß der Gesamtverlust des Tages auf mehr als 20 g zu steigen vermag. Der in großen Mengen entleerte H a r n e n t h ä l t n u r sehr spärliche homogene hyaline Cylinder.
Sinkt die Herz-
thätigkeit, oder findet durch reichliche Diarrhöen ein starker Wasserverlust statt, dann vermindert sich die Harnmenge bis auf wenige hundert Kubikcentimeter; das spezifische Gewicht geht über 1030 hinauf, es kann Trübung des Harns durch Ausscheidung von Uraten und durch Zumischung reichlicher breiter, gekörnter, wachsartig glänzender und gelblich gefärbter Cylinder auftreten. Hin und wieder einmal zeigt sich an diesen die, wenn auch nicht gerade schön entwickelte Amyloidreaktion. Uber den Gehalt an Harnstoff läßt sich nur sagen, daß derselbe mit dem Umsatz stickstoffhaltiger Nahrung mehr, als mit dem Ver-
Amyloide Entartung der Nieren. Kreislaufsstörungen in der Niere. Stauungsniere.
707
l i a l t e n der N i e r e n parallel g e h t — d i e s e l b e n v e r m ö g e n sehr e r h e b l i c h e M e n g e n ( m e h r als 4 0 g den T a g ) zu einer Zeit a u s z u s c h e i d e n , w o sie s c h o n s c h w e r erk r a n k t sind. — D e r Hydrops
w e i c h t bei A m y l o i d n i e r e n m a n c h m a l v o n d e m r e n a l e n
d u r c h d i e A r t seiner V e r t e i l u n g ab: es fehlt
ausgedehntes
Anasarka,
aber H ö h l e n -
w a s s e r s u c h t u n d S c h w e l l u n g der unteren E x t r e m i t ä t e n z e i g e n s i c h w i e bei der durch H e r z s c h w ä c h e h e r v o r g e r u f e n e n F o r m . — D i e Herzhypertrophie aus,
wenn
sich die amyloide
Entartung
tritt sie aber i n einer s c h o n auch ein
in einer
bestehenden
bis dahin
bleibt wohl
gesunden
Schrumpfniere
auf,
Niere
immer entwickelt;
d a n n wird
vergrößertes H e r z n i c h t vermissen. — E s k a n n h i n z u g e f ü g t
man
werden,
daß e i t r i g e E n t z ü n d u n g e n v e r h ä l t n i s m ä ß i g h ä u f i g , U r ä m i e u n d H i r n b l u t u n g i m g a n z e n s e l t e n s i n d — d a m i t d ü r f t e das,
w a s m a n ü b e r die m i t der
Amyloicl-
n i e r e v e r b u n d e n e n E r s c h e i n u n g e n zu s a g e n hat, e r s c h ö p f t sein. D i e Diagnose
des Z u s t a n d e s w i r d s e l t e n m i t S i c h e r h e i t g e s t e l l t w e r d e n k ö n n e n .
D i e A n a m n e s e u n d die a n d e r w e i t i g e n K r a n k h e i t s z e i c h e n ( K a c h e x i e , V e r g r ö ß e r u n g der M i l z u n d der Leber) m ü s s e n a u s h e l f e n ,
u m m e h r oder m i n d e r
begründete
V e r m u t u n g e n g e r e c h t f e r t i g t e r s c h e i n e n zu lassen. D i e Prognose
dürfte
nicht
unbedingt
schlecht,
u n d die M ö g l i c h k e i t der H e i -
l u n g z u z u g e b e n sein, w e n n die K a c h e x i e b e s e i t i g t w e r d e n k a n n . a u c h die Therapie
in erster R e i h e anzustreben.
O b Jod
Das hat denn
u n d Eisen
wesentlichen
N u t z e n b r i n g e n , bleibe d a h i n g e s t e l l t ; k e i n e s f a l l s d ü r f e n sie in Gaben u n d F o r m e n d a r g e r e i c h t w e r d e n , w e l c h e die E r n ä h r u n g zu s t ö r e n v e r m ö c h t e n .
§ 241.
Kreislaufsstörungen in der Niere.
Stauungsniere.
W e n n infolge von Lungen- und Herzerkrankungen der arterielle Druck im großen Kreislauf sinkt, die Arterien leerer, die Venen voller werden, ändert sich in gleichem Sinne die Blutströmung durch die Nieren. Nach längerer Dauer der Kreislaufsstörung bieten dieselben Veränderungen dar, welche m a n mit dem Namen zyanotische Induration" belegt. Die Nieren sind dabei ziemlich groß, h a r t und fest, ihre Rindensubstanz ist mehr g r a u r o t , die Markkegel sind dunkler blaurot g e f ä r b t ; die Schnittfläche ist glatt. Das interstitielle Bindegewebe ist etwas verbreitert; es kommen kleinzellige Infiltrationen in demselben vor. Die Kapillarwände und die Adventitia der Venen sind verdickt, die Epithelien der Harnkanälchen, besonders die der geraden, sind teilweise fettig entartet, vereinzelte Glomeruli mit den zugehörigen Harnkanälchen sind verödet und geschrumpft. Die Funktionsstörung der Nieren zeigt sich zunächst in einer Verminderung des Harns, welcher von hohem spezifischem Gewicht, stark saurer Reaktion, reich an Harnstoff und an Harnsäure ist. Bei etwas längerer Dauer tritt eine nicht bedeutende (meist weniger als 2 % 0 ) Menge von Eiweiß über. In dem durch die Gegenwart der Urate und der freien Harnsäure reichlichen Sediment findet man wenige schmale, homogene Cytinder und rote Blutkörperchen. So sehr auch die Verminderung der Nierenthätigkeit mit der dadurch herbeigeführten ungenügenden Ausfuhr der harnfähigen Substanzen für das Ganze der Körperernährung schädlich sein mag, mit ausgesprochener Selbständigkeit zeigt sich dieselbe kaum in dem Krankheitsbilde vertreten; namentlich fehlen urämische Zustände. — Die Stauungsniere ist daher als solche praktisch nicht von Bedeutung; ihre Pathologie und Therapie wurde bei der Herzinsuffizienz abgehandelt. — Die Thrombose der Nierenvenen oder die der Cava inferior — ein seltenes Vorkommen — macht wenig Zeichen. Da der arterielle Druck hoch bleiben k a n n , ist nicht immer ein spärlicher und schwerer Harn zu erwarten; reichlichere Mengen von Blut wird derselbe wohl meistens führen. Ischämie der Niere. Weitere Kreislaufsstörungen in der Niere werden durch die Beschaffenheit des Blutes hervorgerufen. Hier steht dessen Eindickung nach starken Wasserverlusten, wie sie besonders durch Cholera hervorgerufen wird, obenan. — Möglicherweise kann auch ein erheblicher 45*
Krankheiten der Harnwerkzeuge.
708
Blutverlust ähnliches bewirken — Es findet eine so mangelhafte Versorgung der Niere mit normalem arteriellem Blute statt, daß die Ernährung derselben Not leidet und damit auch ihre Thätigkeit beeinträchtigt wird: also das gleiche, was nach Verschluß der arteriellen Gefäüe geschieht. — Die Niere ist bei der Cholera im Stadium der Asphyxie kleiner, derb, zähe, braunrot gefärbt, in dem Stadium der Reaktion ist sie in ihrer Rindensubstanz etwas vergrößert, brüchig, grauweiß bis gelblich mit leichten Blutergüssen, die Marksubstanz erscheint blaurot. Die Bpithelien sind überall in der Rindensubstanz körnig und fettig entartet, die gewundenen Harnkanälchen sind mit Cylindern erfüllt. — Bei allen Ischämien der Nieren scheint, wenn nicht der Tod erfolgte, immer die vollständige Rückkehr zur Norm möglich. Der in verminderter Menge abgesonderte Harn enthält wenig (nicht über 2 %0) Eiweiß, ferner Cylinder von verschiedener Beschaffenheit und Nierenepithelien. — (Über Choleraharn siehe § 123.) § 242.
Nierenveränderungen während der Schwangerschaft.
Bei sonst gesunden S c h w a n g e r e n zeigt sich — nicht eben häutig — eine N i e r e n e r k r a n k u n g . Dieselbe kann vollständig symptomlos verlaufen, sie wird meist erst durch Schwellung der Füße und der Hände, der äußeren Genitalien und des Gesichts, die rasch kommen und rasch gehen, bemerkbar. Der Harn wird in verminderter Menge abgesondert und ist stark eiweißhaltig; er führt nicht gerade viele, meist hyaline Cylinder, in der Regel keine roten Blutkörperchen, aber fettig entartete Epithelzellen. Urämische Anfälle von großer Heftigkeit sind verhältnismäßig käufig (in mehr als einem Viertel aller Fälle); sie treten in der späteren Zeit der Schwangerschaft, bei der Entbindung, seltener nachher auf, und sind dem Leben der Mütter sehr gefährlich (gegen 30% Tote), noch mehr aber dem der Frucht. Vollständige Heilung des Nierenleidens kann erfolgen, aber auch eine chronische Nephritis sich entwickeln. Nach neueren Untersuchungen ( N A U W E R C K ) handelt es sich übrigens in einer großen Zahl von Fällen um Schrumpfniere. Die anatomischen Befunde sind nicht ganz konstant. Hochgradige Verfettung der Epithelien ohne Spuren eigentlicher Entzündung, Ödem der Rindensubstanz, bedeutende arterielle Anämie ist nachgewiesen (LEYDEN). Daneben wird aber zugegeben, daß sich während der Schwangerschaft und unter deren Einfluß eine echte akute Nephritis entwickeln kann. — Die Pathogenese ist noch keineswegs verständlich. § 243. Eiterherde in der Niere, Nephritis suppurativa. E i t e r b i l d u n g in der N i e r e kommt durch verschiedene Veranlassungen zustande. Wir kennen als solche: 1. Einwirkung einer äußeren Gewalt, sei es daß diese gleichzeitig eine Trennung der bedeckenden Weichteile, sei es, daß sie nur eine Quetschung oder Erschütterung der Nieren im Gefolge hatte. 2. Übergreifen von Entzündung aus der Nachbarschaft: Vereiterung des Bindegewebslagers der Nieren, eitrige Entzündung der Ureteren, welche ihrerseits vielleicht wieder von der Blase her fortgeleitet, vielleicht um stecken gebliebene Konkremente entstanden war. 3. Einschwemmung von entzündungerregenden Mikroben auf dem Blutwege. Am häufigsten kommt das bei septischen Vorgängen, besonders bei der malignen Endokarditis vor, indes dürfte jede Infektionskrankheit dazu führen können. — Anatomisch zeigt sich die Bildung mehr oder minder großer, umschriebener Eiterherde. Je nach der Ursache ist nur eine Niere, oder es sind beide ergriffen. — Bei den großen, manchmal das ganze Organ zerstörenden Eiterungen kann sich ein Senkungsabsceß ausbilden, es kann Perforation in das Nierenbecken, den Darm, das Peritoneum, selten in die Pleura und Lunge, sowie in die Blase eintreten oder Durchbruch nach außen erfolgen. Andere Male kommt es zur Eindickung des Abscesses mit Verkreidung oder zur Resorption des Eiters mit folgender Narbenbildung. — Die durch Fortpflanzung eitriger Entzündung von den tieferen Harnwegen aus hervorgerufenen Veränderungen werden mit diesen zusammen besprochen. — Die metastatischen Formen sind, wenn nicht etwa von dem linken Herzen oder den Lungenvenen aus ein infizierter Embolus eingewandert war, über beide Nieren verbreitet. Man sieht in denselben, häufiger in der Rinde als im Mark, mehr oder minder zahlreiche graue oder gelbgraue Striche und Flecken, manchmal durch einen roten Hof von der gesunden Nachbar-
Nierenveränderungen während dm- Schwangerschaft. Eiterherde in der Niere u. s. w.
709
schaft abgetrennt; die Niere ist dabei von normalem Umfang oder ödematös geschwellt. Die mikroskopische Untersuchung zeigt hämorrhagische, eitrige oder nekrotische mit Eiter durchsetzte Herde, welche meist um die mit Mikroben gefüllten Glomerulusschlingen oder um die die Harnkanälchen umspinnenden Kapillaren gelegen sind. Das Epithel der Glomeruli und das der Harnkanälchen ist entartet, diese selbst sind eitrig infiltriert. Die einzelnen Herde sind klein, nicht viel über 1 mm groß, sie können aber zusammenfließend einen erheblichen Umfang erreichen; das ist .nicht gerade häufig. — Außerdem kommen bei pyämischen Zuständen große Eiterherde wie in den anderen Oganen so auch in den Nieren vor. Von solchen Eiterherden aus kann das Nierenbecken und das die Niere umgebende Bindegewebe in Entzündung versetzt werden. Die Symptome sind nach der veranlassenden Ursache wieder sehr verschieden. — Nach Verletzungen stellen sich, außer der Entleerung von Harn und außer Blutungen aus einer etwa vorhandenen Wunde, Blutungen aus den Nieren ein. Während das Blut die Ureteren passiert, können Gerinnungen desselben mit Verschluß der Harnwege und mit Koliken auftreten. Meist sind diese nicht sehr heftig, da festere Gerinnsel selten gebildet werden. Die Gerinnung des Blutes in der Blase führt zu qualvolleren Erscheinungen. Blutungen können außerdem in das die Niere umgehende Bindegewebe stattfinden und sehr beträchtliche Anschwellungen hervorrufen. — Dumpfer, anhaltender Schmerz in der Nierengegend ist regelmäßig vorhanden. — Kommt es zur Entwicklung von ausgedehnterer eitriger Entzündung, dann tritt Schüttelfrost, hohes Fieber, kurz das Bild der septischen Infektion auf. Durch die Beimischung von Harn zu den sich zersetzenden Blutextravasaten erfolgt leicht die Verjauchung derselben. — Es sind das die kurzen Umrisse des ganz in das Gebiet der Chirurgie gehörenden Krankheitsbildes. Die metastatischen Abscesae machen, solange sie klein bleiben, keine ausgesprochenen Erscheinungen, an denen sie zu erkenneu wären. Größere Abscesse zeigen, wenn das Leben erhalten blieb, ein ähnliches Bild wie die nach Pyelonephritis (§ 248). § 244.
Geschwülste und Parasiten in der Niere.
V o n G e s c h w ü l s t e n kommen in der N i e r e ror: Zellreiche Fibrome, meist nur erbsengroß, sehr selten v o n beträchtlichem U m f a n g ; Myxome, Lipome, Jnf/iome, sind Raritäten. Ferner finden sich Adenome, aus denen wahrscheinlich Krebse h e r v o r g e h e n können. Sarkome sind m a n c h m a l a n g e b o r e n , sie e n t w i c k e l n sich dann rasch zu sehr bedeutendem U m f a n g ; i m späteren A l t e r zeigt sich diese N e u b i l d u n g i n der N i e r e als Metastase. Krebse treten als harte oder als w e i c h e auf, sie entstehen primär oder m e t a statisch. D e r primäre Nierenhrebs, ein nicht häufiges Leiden, k o m m t verhältnismäßig oft bei Kindern zur E n t w i c k l u n g ; bei ihnen übersteigt die absolute H ä u f i g k e i t die des späteren Alters. D a der Krebs a n g e b o r e n beobachtet w o r d e n ist, wäre es w o h l m ö g l i c h , daß die besondere A n l a g e dazu auf ererbter Gewebsstörung beruht. B e i Kindern m a c h t das Geschlecht keinen Unterschied, später Uberwiegt das männliche. Meist ist nur eine Niere befallen; die g e s u n d g e b l i e b e n e k a n n hypertrophieren. — D e r Krebs k a n n als infiltrierter oder in umschriebenen K n o t e n auftreten; i m ersteren Fall ist die F o r m der N i e r e erhalten und dieselbe nur i m ganzen vergrößert. Man findet Ubergreifen der N e u b i l d u n g auf das N i e r e n becken und die Ureteren, sowie auf die Nierenvenen. E r w e i c h u n g s h e r d e und B l u t u n g e n innerhalb des Carcinoms sind n i c h t selten. — Nierenkrebse w e r d e n schon i m Kindesalter sehr groß, bei E r w a c h s e n e n hat man solche v o n 10 k g S c h w e r e gefunden. — G e w ö h n l i c h tritt f r ü h z e i t i g eine a u s g i e b i g e V e r w a c h s u n g der kranken Niere m i t der N a c h b a r s c h a f t e i n , so daß eine Senkung derselben nur ausnahmsweise sich findet. V e r d r ä n g u n g der B a u c h o r g a n e und bei großen G e s c h w ü l s t e n auch solche der Brustorgane ist h i n g e g e n die R e g e l . — Metastasen
710
Krankheiten der Harnwerkzeuge.
von der primär erkrankten Niere aus sind häufig — auf dem Blutwege werden die Lungen am öftesten heimgesucht: teils auf dem Lymphwege, teils durch unmittelbares Übergreifen die Drüsen am Nierenhilus, sowie die Mesenterial- und Retroperitonealdrüsen. Die Symptome des primären Nierenkrebses sind im Beginn dunkel. Nicht immer leidet anfangs die Ernährung so, daß man an der Kachexie Anhaltspunkte hätte; Schmerz, das Gefühl von Schwere und von Druck in der Nierengegend kann lange, vielleicht ganz ausbleiben. Noch am häufigsten wird man durch Blutharnen aufmerksam gemacht; die Geschwulst selbst bedarf schon längerer Zeit, um eine solche Ausdehnung zu erreichen, daß sie dem Getast zugänglich wird. Blut im Harn tritt meist bei Nierenkrebs auf, es fehlt nur in den seltensten Fällen zu irgend einer Zeit der Erkrankung ganz. Die Blutungen entstehen ohne äußere Veranlassung, bisweilen aber auch durch die Einwirkung äußerer Gewalt auf die Niere, sie sind dann reichlicher. Des Mikroskops bedarf es für gewöhnlich nicht, es sei denn, daß man nach den nicht selten, aber meist nur in spärlicher Anzahl vorhandenen, aus roten Blutkörperchen zusammengesetzten Cylindern suchen will. Auch bei den Spontanblutungen wird hinreichend Blut entleert, um makroskopisch die Diagnose stellen zu lassen. Es kommt vor, daß der Harn bei den unmittelbar aufeinander folgenden Entleerungen einen sehr wechselnden Gehalt an Blut zeigt, oder daß er davon sogar ganz frei ist. Gerinnselbildung, durch welche die Verstopfung der Harnleiter erfolgen kann, mag dazu mitunter Veranlassung geben; übrigens scheint auch ohne dies die Blutung zeitweise zu stehen, was nicht gerade verwunderlich ist. — Man darf durchaus nicht erwarten, daß, wenn sich einmal Blut gezeigt hat, nun auch immer Blut vorhanden sein müßte. — Der Harn ist in der Zwischenzeit, wenn nicht infolge der Kachexie Amyloidniere entstanden war, frei von Eiweiß; er bietet überhaupt keine besonderen Abweichungen dar. — Ganz ausnahmsweise können krebsigt Qewebsfetzen mit dem Harn zu Tage kommen. — Die Gegenwart von Eiter weist auf eine gleichzeitige Erkrankung der oberen Harnwege oder der Blase hin, welche nicht selten vorhanden ist, sei es durch Konkrementbildung bedingt, sei es aus anderen Ursachen. Der Nierenlcrebs zeigt zunächst menden Eigentümlichkeiten.
die den Nierengeschwülsten
überhaupt
zukom-
Diese sind: 1. Die Nierengeschwulst folgt den Bewegungen des Zwerchfells nicht, sie verschiebt sich also nicht mit der Atmung. Meist ist sie überhaupt nicht verschiebbar. 2. Vor der vergrößerten Niere liegt der Dickdarm, links das Colon descendens, rechts das Colon ascendens, beide weichen nicht leicht aus ihrer Lage, sie können aber durch den Druck der Geschwulst zum Zusammenfallen gebracht werden. Das Colon descendens läßt sich gegebenen Falls vom Mastdarm her mit Luft füllen: übrigens ist auch der kollabierte Darm meist noch durch das Getast von dem eigentlichen Tumor zu unterscheiden. — Die Schlingen des Dünndarms werden verdrängt, sie weichen bei rechtsseitigem Tumor nach links und oben aus, bei linksseitigem liegt nicht selten ein Teil von ihnen vor demselben. Von Besonderheiten der Nierenkrebse ist zu erwähnen, daß dieselben lange nicht immer eine höckrige Oberfläche haben, vielmehr manchmal sich elastisch anfühlen, ja selbst Fluktuation zeigen. Sie können plötzlich ziemlich erheblich an Umfang zunehmen (Blutungen in das Gewebe): sehr selten hört man über ihnen Gefiiß-
Geschwülste und Parasiten in der Niere.
711
geräusche. — Hat man Gelegenheit, die Entwicklung zu verfolgen, dann sieht mau die Geschwulst gewöhnlich zuerst zwischen dem Darmbeinkamm und den unteren Rippen zum Vorschein kommen, und von hier aus nach vorn, stärker nach unten als nach oben, sich ausdehnen. Mehr zufällige Zeichen sind: Schmerz in der Lendengegend, spontan oder nur bei Druck, ausstrahlend in die unteren Interkostalräume oder als reguläre Ischias auftretend, dann nicht selten durch Druck auf den Nervenplexus von seiten krebsiger Lymphdrüsen hervorgerufen, und mit Störungen der Sensibilität, sowie mit Muskelschwund einhergehend. — Verdauungsstörungen; außer den von der Kachexie bedingten werden solche durch die mechanischen Wirkungen der Geschwulst hervorgerufen: Der Magen kann unmittelbar, oder indem das Duodenum gedrückt wird, sich beteiligen, der Darm kann zusammengepreßt werden; auch die Verwachsungen der Geschwulst mit den anliegenden Teilen stören die Bewegungen der Därme. Von diesen Umständen ist ebenso wie von dem mehr oder minder raschen Wachstum der Neubildung, von der Häufigkeit und von der Ausgiebigkeit der Blutungen, das Allgemeinbefinden abhängig. — Der einzige Ausgang ist der Tod. Bei Kindern scheint im ganzen der Verlauf rascher als bei Erwachsenen zu sein, für welche eine sogar mehrjährige Dauer des nachgewiesenen Leidens beobachtet wurde. Die Behandlung kann nur symptomatische Aufgaben erfüllen, ein operatives Eingreifen scheint bis jetzt nicht gerade vielversprechend. Parasiten.
Echinokokken sind für Europa die wichtigsten der Nierenparasiten. Es findet sich ausschließlich die anilokuläre Form, welche Geschwülste bis zur Größe eines Kindskopfs erzeugen kann. Die Entwicklung vollzieht sich meist im Nierengewebe selbst, seltener zwischen diesem und der Kapsel; die in der Marksubstanz zur Ausbildung gelangenden Blasen brechen leicht in das Nierenbecken durch. Gewöhnlich ist nur eine Niere befallen, so daß trotz der mit der Entwicklung der Geschwulst verbundenen Druckatrophie der betroffenen Niere die Harnabscheidung ungestört vor sich geht. Erreicht die Cyste eine bedeutendere Größe, dann bewirkt ^ie Verdrängungserscheinungen in der Nachbarschaft und läßt sich durch die angeführten Merkmale als eine von den Nieren ausgehende Geschwulst erkennen. — Da eine große Zahl der Echinokokkenblasen (etwa zwei Drittel nach den mitgeteilten Beobachtungen) sich in das Nierenbecken entleert, sind die Zeichen dieses Vorgangs öfter zu finden. Anfallsweise treten dann Schmerzen im Leibe auf, welche an der Innenseite der Schenkel nach abwärts sich verbreiten und von echten Nierenkoliken, die sogar mit Anurie verbunden sind, gefolgt werden. Di.ese Koliken sind durch Verstopfung der Ureteren seitens der frei gewordenen Tochterblasen bedingt, welche, in die Blase gelangt, auch die innere Harnröhrenmündung zu verlegen vermögen, so Veranlassung zur Harnverhaltung gebend. Der Nachweis der für Echinokokken bezeichnenden Gewebsteile gelingt leicht. — Solche Anfälle wiederholen sich mit verschieden langen, bis zii Jahren sich erstreckenden Zwischenräumen öfter. Eine Blutung geht denselben nicht selten vorher und begleitet sie, ebenso die Zeichen einer Pyelitis oder einer Cystitis. — Ist die Entleerung der Cyste ungehindert, dann verkleinert sich dieselbe; es kommt
712
Krankheiten der Harnwerkzeuge.
aber vor, daß durch steckenbleibende Echinokokkenblasen der Ureter vorübergehend oder dauernd verlegt wird, dann kann sich Hydronephrose anschließen. Der Durchbruch in die Bronchien ist beobachtet, einer nach anderen Richtungen hin nicht. — Vereiterung kann stattfinden, scheint aber selten zu sein. — Über die Dauer des Leidens läßt sich nichts weiteres aussagen, als daß dieselbe eine lange ist. — Die Prognose ist verhältnismäßig günstig. Außer symptomatischer Therapie kann ein operativer Eingriff sehr in Frage kommen. Von sonstigen Parasiten hat man gefunden: Cysticercus cellulosae,
Eustrongylus
gigas in äußerst seltenen Fällen; Pentastomum denticulatum — ohne klinisches Interesse; Distoma haematobium, in Ägypten sehr häufig, aber mehr Veränderungen in den Harnwegen als in der Niere hervorrufend. § 245. Form- und Lageveränderungen der Nieren. Wanderniere. Die Lappung der Niere wird aus dem Fötalzustand nicht selten in das spätere Leben herübergenommen; sie ist für die Funktion ganz gleichgültig. Die aus fötaler Verwachsung beider Nieren untereinander hervorgegangene Hufeisenniere liegt meist vor dem Promontorium, selten an der Seite der Wirbelsäule, es können mehrere Ureteren, aber auch nur einer vorhanden sein. Congenitale Atrophie einer Niere geht mit Hypertrophie der anderen einher. Die beiden letztgenannten Anomalien können nnr bei Nierenerkrankungen bedenklich werden, für gewöhnlich ist die Harnabsonderung nicht beeinträchtigt. Ebenso steht es mit der abnorm tiefliegenden Niere (Promontorium), häufiger ist es die linke.
Dagegen bedarf die bewegliche, die W a n d e r n i e r e , einer etwas eingehenderen Besprechung. — Die Wanderniere ist kein ganz seltenes Vorkommnis; Kinder leiden nicht häufig daran, Frauen während der Jahre der Fruchtbarkeit am öftesten. Die rechte Niere wird viel leichter als die linke beweglich, fast ebenso häufig wie diese allein sind es beide. Es tritt die Wanderniere als angeborene Anomalie
a u f , meist aber ist sie erworben. — Als begünstigende Bedingungen f ü r
ihr Zustandekommen werden betrachtet: Schwund des Fettes um die Niere, namentlich wenn dieses vorher reichlich war, Dehnung und Herabzerrung des Peritoneums von der hintern Bauchwand durch Hernien, durch Vergrößerung der Nieren infolge von Geschwulstentwicklung, oder durch die Verminderung der Elastizität der Bauchwandung nach häufigen Schwangerschaften •— es kann unter diesen Umständen die Niere durch ihre Eigenschwere, soweit es die Gefäße zulassen, aus der Lage gebracht werden. — Unmittelbare Veranlassung zur Lageveränderung geben unter bereits vorbereiteten günstigen Bedingungen: der Druck eines schlecht sitzenden Schnürleibs oder eines den Leib pressenden Riemens (Degenkoppel) und das Tragen, mehr noch das Heben von schweren Lasten, endlich Stöße auf die Nierengegend. — Neuerdings werden auch Magenerweiterungen hierher gezählt (Litten). Sehr häufig macht die Wanderniere gar keine Symptome; es kommt auch vor, daß nur ein unbestimmtes, nicht recht zu deutendes Gefühl, daß im Bauch etwas nicht in Ordnung sei, sich bemerkbar macht. Bezeichnender sind die nach vorhergegangenen dyspeptischen und vielseitig sich ausbreitenden neuralgischen Beschwerden, welche durch Bewegung gesteigert werden, auftretenden sogenannten Einklemmimgen. Durch eine etwas hastige Bewegung oder auch ohne nachweisbare Ursache hervorgerufen, kommt es zu einer manchmal von Frieren und Kollaps eingeleiteten umschriebenen Schmerz-
Form- und Lage Veränderungen der Nieren. Wanderniere. Perinephritis.
713
haftigkeit im Bauch, welche als ein Zeichen echter Peritonitis angesehen werden muß. Anfangs fühlt man vielleicht noch die Niere selbst an einer bestimmten Stelle, bald aber verhindert das die große Empfindlichkeit. Es kann später ein nicht unbeträchtliches Exsudat sich bilden, und es können Verwachsungen der Därme untereinander, mit dem Peritoneum, zwischen diesem und der Niere zustande kommen. Hin und wieder mag der geknickte Ureter, den abgesonderten Harn nicht durchlassend, Veranlassung zur Hydronephrose oder Pyelitis geben, gewöhnlich wird die Erklärung dieser Erscheinungen in einer Zerrung des Bauchfells mit nachfolgender Entzündung zu suchen sein. — Gelingt es, die Niere aus ihrer Lage gleich anfangs zu befreien, dann bleibt die Peritonitis aus. Bei der Untersuchung auf Wanderniere findet man: Die Nierengegend ist an der betroffenen Seite leer, scheint etwas eingesunken, bietet nicht den gewöhnlichen Widerstand und zeigt Darmschall. Bei Durchtastung des Bauches kann man — nicht jedesmal — die Niere als festen, die Form des Organs erkennen lassenden, auf Druck eigentümlich empfindlichen Körper antreffen, der beweglich ist und sich in die richtige Lage zurückbringen läßt. Es gelingt bisweilen den Schlag der Nierenarterie zu fühlen. — Die bewegliche Niere wird nicht oder doch nur in seltenen Fällen jenseit der Mittellinie gefunden, sie kann aber bis hart an die Symphyse nach abwärts gleiten. Durch peritonitische Adhäsionen kann natürlich die dauernde Befestigung der Niere an abnormer Stelle eintreten — ein im ganzen nicht häufiges Ereignis. Durch Druck auf den Darm können Koprostasen entstehen; vereinzelt hat man durch Druck auf die Cava inferior Ödeme in deren Bereich, ja sogar eine Verödung des Gefäßes selbst beobachtet. Auf Fixierung oder wenigstens auf verminderte Beweglichkeit der Wanderniere hat man noch am ehesten in leichteren Fällen dann zu hoffen, wenn der Körper wieder fettreicher wird; es ist also darauf hinzuwirken. Die bisher versuchten Apparate, um die Niere in ihrer Lage zu halten, haben keine rechten Erfolge aufzuweisen. Bei Einklemmungen muß man zuerst die Reposition versuchen; wenn sich Peritonitis entwickelt, ist diese lege artis (§ 211) zu behandeln. § 2 4 6 . Perinephritis. Die in der Kierenlcapsel und in dem bindegewebigen Lager der Niere auftretenden
Entzmulungsprozesse gehen wohl stets miteinander einher — man kann dieselben klinisch nicht trennen und faßt sie am besten unter dem Namen P e r i n e p h r i t i s zusammen. Perinephritis entsteht: 1. Durch Einwirkung
mechanischer Gewalt mit oder ohne V e r l e t z u n g der be-
deckenden Weichteile — Wunden und Quetschungen in der Nierengegend, 2. Durch
Übergreifen entzündlicher
Vorgänge aus der Nachbarschaft:
eitrige
Nephritis, Pyelitis, Parametritis, die von dem Uterus aus auf das retroperitoneale Bindegewebe sich ausbreitend in die Höhe steigt; das gleiche können alle anderen in diesem Bindegewebe auftretenden Entzündungen bewirken. Bei septischer Infektion sind solche nicht ganz selten — hierher dürften auch die nach akuten Exanthemen und nach Typhus beobachteten Fälle gehören. Für einzelne, deren Ätiologie unverständlich ist, muß die Erkältung aushelfen.
714
Krankheiten der Harnwerkzeuge.
Anatomisch ist hervorzuheben, daß gewöhnlich eine reichliche Bildung von Eiter sich einstellt. Die entstandenen Abscesse brechen sich wie immer in der Richtung des geringsten Widerstandes Bahn, sie treten am Rande des Quadratus lumborum zu Tage oder entleeren sich in das Kolon. Seltener sind Perforationen in die Vagina, die Blase, die freie Bauchhöhle, die Pleura oder aber weitergehende Senkungen. — Übrigens kann es in leichteren Fällen zur Resorption kommen. Das klinische Bild ist durch einige hervorstechende Züge ausgezeichnet — Schmerzhaftigkeit in der Nierengegend, die anhaltend wenigstens in geringem Grade vorhanden und bei Druck außerordentlich vermehrt ist, dürfte kaum je fehlen. Daneben stellt sich nach kürzerer oder längerer Zeit eine Anschwellung der bedeckenden Weichteile ein; nicht immer gelingt es durch die Bauchdecken einen in der Nierengegend gelegenen, aber sich über dieselbe hinaus in die Nachbarschaft ausdehnenden Tumor zu tasten. Mit der weiteren Entwicklung des Abscesses zeigt sich, namentlich wenn derselbe nach außen durchbrechen will, Rötung der Haut, ödematöse Durchfeuchtung derselben und in der Tiefe Fluktuation. Das Allgemeinbefinden ist durch die dem Mterfieber zukommenden Erscheinungen, und meist schwer, beeinträchtigt. — Der Harn bietet an sich nichts Ungewöhnliches. — Handelt" es sich, wie das nicht gerade selten ist, um eine septische Infektion, dann können die dieser zukommenden Metastasen auftreten. Die Prognose ist wesentlich dadurch bedingt, ob es bei rechtzeitiger Diagnose gelingt, dem Eiter nach außen Luft zu schaffen oder seine Resorption zu ermöglichen. Immer ist die Dauer des Leidens nach Monaten zu berechnen, wenn auch der Ausgang bei den jetzigen Hilfsmitteln der Chirurgie ein günstiger sein wird, solange keine Sepsis besteht. Die Behandlung fordert in erster Linie unbedingte Bettruhe, welche sofort und so lange eingehalten werden muß, wie noch eine Spur von Schmerzhaftigkeit besteht. Man kann anfangs Eis anwenden, muß aber, sobald die Wahrscheinlichkeit der Absceßbildung näher rückt, zu Kataplasmen übergehen und den Eiter sobald als möglich entleeren. Es ist das kein ganz unbedeutender Eingriff, da man ziemlich tief einzudringen hat. § 247.
Nephrolithiasis.
Einige der im Harn gelösten Körper können innerhalb der Nierensubstanz oder im Nierenbecken in fester Gestalt abgeschieden an Ort und Stelle liegen bleiben oder später mit dem Urin weitergeschafft werden. — Die Ätiologie dieser Zustände ist wenig klar. Man weiß, daß die Steinbildung vorzugsweise im Kindesund Greisenalter, dann daß sie bei Männern häufiger als bei Weibern auftritt. Die Bevorzugung einzelner Gegenden ist eine gesicherte, aber nicht verständliche Thatsache. Die Heredität spielt eine gewisse Rolle. Im ganzen leiden Leute, die sich wenig Bewegung machen und gut leben, mehr. Die Ablagerung der festen Körper in der Niere selbst findet innerhalb der Marksubstanz, in den Sammelröhren und in dem Bindegewebe statt, man benennt sie als Infarkt und trennt je nach der Natur der infarzierenden Substanz: Harnsäureinfarkt, bei Neugeborenen und während der ersten Lebenswoche, selten im späteren Kindesalter, als gelbbraune Streifchen in den Markkegeln erscheinend, bei Arthritikern ebendort, aber weiß gefärbt. Beide Male handelt
Perinephritis. Nephrolithiasis.
715
es sich um harnsaures Natron, dem bei Kindern harnsaures Ammoniak zugemischt ist. — Kalkinfaride sind seltener; sie finden sich meist bei alten Leuten. Hämoglobin, aus den roten Blutkörperchen ausgetreten und durch die Nieren ausgeschieden, lagert sich mit dem Stroma der zerstörten Blutkörperchen gemischt innerhalb der Harnkaniilchen ab; ebenso bei schwererem Ikterus Gallenpigment, nicht krystallinisch oder als Bilirubinkrystalle, dann noch bei längerem Gebrauch des zu Heilzwecken eingeführten Höllensteins metallisches Silber.
Im Nierenbecken kommt es zur Bildung manchmal sehr großer Konkremente — der Nierensteine; man unterscheidet wieder eigentliche Nierensteine, von solchem Umfang, daß sie den Ureter nicht zu passieren vermögen, und Griessteine, die dazu noch imstande sind. Kleinere, mehr einem groben Pulver gleichende Abscheidungen nennt man Nierengries oder Nierensand. Chemisch bestehen die Nierenkonkremente
aus:
1. Harnsäure und ihren Salzen. Es ist dies bei weitem das Häufigste. Die hanisäurehaltigen Steine können mehr als 200 g schwer werden, gehen meist aber nicht über Erbsengröße hinaus. Sie sind konzentrisch geschichtet, die einzelnen Ringe haben eine verschieden starke gelbbräunliche Färbung. Diese Steine sind sehr hart: ihre Oberfläche ist glatt. 2. oxalsaurem Kalk. Meist kleiner, hellbraun bis schwarz gefärbt infolge zugemischten Blutfarbstoffs, die härtesten aller Steine, von rauher Oberfläche und häufig von unregelmäßiger Form. 3. Phosphaten: Phosphorsaurer Kalk und phosphorsaure Ammoniakmagnesia, gemischt oder eines dieser Salze für sich, etwas kohlensaurer Kalk kann dabei sein. — Das Gewicht steigt in seltenen Fällen bis über 400 g, gewöhnlich aber sind die Phosphatsteine nur erbsengroß, von weißer Farbe, rauher Oberfläche, weich und leicht zerbrechlich. Selten sind Cystinsteine, noch seltener Steine aus Xanthin, Urostealith, Indigo, sowie aus kohlensaurem Kalk. — Es findet sich nur eine Substanz, oder mehrere nebeneinander sind in einem Steine enthalten. Häufig sind die Mischungen der aus saurem Harn abgeschiedenen Harnsäureverbindungen mit Oxalaten; wird doch die Oxalsäure nur als Abkömmling der Harnsäure betrachtet. Die aus alkalisch reagierendem Harn ausfallenden Phosphate können später als äußere Hüllen sich um solche Steine schmiegen. Ganz in der Mitte der größeren Steine bemerkt man in der Regel einen Kern, durch einen oft mit den anderen Teilen des Steines nicht homogenen Niederschlag oder einen Fremdkörper gebildet. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß schon der Nierensand und ebenso die größeren Konkremente ein aus einem Eiweißkörper bestehendes Stroma besitzen, welches der Krystallisation Anhaltspunkte giebt. Nierensteine finden sich manchmal
in einer, manchmal
in beiden Nieren
und
in sehr wechselnder Zahl; man hat bis zu 1000 angetroffen, als größtes Gewicht der Gesamtmasse wird 1080 g angegeben. — Die in dem Nierenbecken liegenden Steine stehen bisweilen mit den in dem unteren Teil der Kelche gelegenen in unmittelbarem Zusammenhang, so daß das Ganze eine unregelmäßig zackige, Korallen gleichende Form annimmt. Anatomische Veränderungen der Harnwerkzeuge werden häufig durch Nierensteine hervorgerufen. Im allgemeinen sind dieselben als Entzündungen zu bezeichnen, welche durch die mechanische Reizung der mit den bewegten Konkre-
716
Krankheiten der Harnwerkzeuge.
menten in Berührung kommenden Schleimhäute entstehen. Die Entleerung des Harns kann verhindert werden, indem die Steine die Ausfuhrwege versperren. Es ist das eine zweite Möglichkeit der anatomischen Schädigung, welche dann, wenn Zersetzung in dem zurückgehaltenen Harn eintrat und kohlensaures Ammoniak gebildet wurde, zu schwereren entzündlichen Vorgängen, als sie die einfache mechanische Reizung erzeugen kann, ftihrt. — Man findet daher bei Nephrolithiasis Pyelitis und Pyelonephritis, beide öfter mit Bildung von Eiter und Geschwüren einhergehend, ferner Hydronephrose, Verödung der Niere durch Druckschwund und Wucherung des interstitiellen Gewebes derselben, endlich amyloide Entartung. Nierensand macht in der Regel keine krankhaften Erscheinungen, höchstens kann eine vorübergehende Verlegung der Harnröhre stattfinden, wenn mit einem Male größere Mengen davon zur Entleerung kommen. Es ist nicht zu bestimmen, wie groß die Steine werden müssen, wenn sie Beschwerden machen sollen; die Beschaffenheit ihrer Oberfläche, die bei dem Einzelnen verschiedene AVeite der harnabführenden Wege und die wohl ebenso verschiedene Neigung zu krampfhafter Zusammenziehung ist hier mitbestimmend. — Es ist sicher, daß größere Steine in dem Nierenbecken ohne jede Störung sich bilden und dort lange verweilen können. Indes ist das nicht die Regel. Eine hervorragende Stellung im Krankheitsbilde nehmen Schmerzen ein, weniger die unbestimmten, dumpfen, mehr oder weniger ständig in der Nierengegend empfundenen, als die in Anfällen sich einstellenden Nierenkoliken. Diese sind mit dem behinderten Durchtritt eines Steines durch die Ureteren verbunden, sie entwickeln sich mehr allmählich oder mit einem Schlage, je nachdem das Hindernis beschaffen ist. Nierenkoliken haben alle Eigentümlichkeiten der Visceralneuralgien (§ 7), sind aber bei Männern dadurch ausgezeichnet, daß der zunächst auf die Nierengegend und die Ureteren begrenzte Schmerz auch in die Eichel und in den Hoden der kranken Seite, welcher stark in die Höhe gezogen wird, ausstrahlt. Der Hoden kann sogar empfindlich gegen Druck werden und anschwellen. Auch der gleichseitige Schenkel kann, abgesehen davon, daß er Sitz der ausstrahlenden Schmerzen wird, allerlei Störungen der Sensibilität zeigen. Die Verbreitung der Schmerzen über den ganzen Bauch und den unteren Teil der Brust gesellt sich oft genug hinzu. — Ist der Stein in den Ureter gelangt, so wird er allmählich vorwärts bewegt, dicht vor der Einmündung in die Blase ist wegen der beträchtlicheren Enge wieder ein größeres Hindernis zu überwinden, hier kann er stecken bleiben. Mit dem Hineingleiten des Steines in die Blase ist der Anfall zu Ende; das gleiche kann geschehen, wenn der Stein in das Nierenbecken zurückgelangt. Ein leichteres Wehegefühl hält noch eine Zeit lang an. — Die Kolikschmerzen sind nicht allein durch den mechanischen Reiz des Steines, sondern ebensosehr von der Ausdehnung der Ureteren durch den nachrückenden Harn bedingt. Die Absonderung des Harns und seine Entleerung
zeigt sich während des A n -
falls in mannigfacher Weise geändert. Heftiger Blasenkrampf ist nicht selten vorhanden, trotz anhaltenden starken Dranges werden aber nur geringe Harnmengen entleert. Diese sind häufig bluthaltig; sie können mit Eiter gemischt sein, wenn schon ältere Veränderungen bestanden. Andere Male kann ein sehr heller dünner Urin entleert werden, der wohl zweifellos aus der gesunden Niere stammt. Es kann endlich die Harnabsonderung ganz ins Stocken geraten, in seltenen Fällen selbst dann, wenn die eine Niere vollkommen gesund ist. So
Nephvolithiasis.
717
kann der Tod durch Urämie erfolgen. Wenn die zweite Niere gleichfalls steinkrank ist, oder nur eine Niere existiert, geschieht das leichter. Es giebt eine nicht kleine Zahl von Beobachtungen, in denen vollständige Anurie, auf diesem Wege entstanden, Iiis zu 20 Tagen anhielt, aber dennoch mit der Entfernung des Hindernisses Heilung erfolgte. Urämie und namentlich Hydrops können bei der Verlegung der liarnableitenden Wege sehr lange ausbleiben. — Zu erwähnen ist noch, daß mit dem Beginn des Anfalls nicht selten Schüttelfrost und heftiges Fieber sich einstellen. Ebenso ist wiederholtes starkes Erbrechen recht häufig. — Nierenkolik wird durch Bewegungen des Kranken, aber auch ohne nachweisbare äußere Veranlassung hervorgerufen, sie bleibt selten auf einen oder einige wenige Anfälle beschränkt, sondern sie wiederholt sich meist. Der Zwischenraum kann bis zu Jahren betragen, recht oft aber ist er viel kürzer, und ein Anfall folgt bisweilen fast unmittelbar auf den anderen. Die Dauer des Einzelanfalls schwankt zwischen Stunden und mehreren Tagen. Vor den Nierenkoliken zeigt sich fast stets Abgang von Gries oder von kleineren Steinen mit dem Harn. Eine andere Gruppe von Krankheitserscheinungen und von Gefahren geht aus der sich mit ziemlicher Regelmäßigkeit entwickelnden Pyelitis und Pyelonephritis hervor, welche gesondert dargestellt werden sollen. Von diesen Folgezuständen sind auch die Nachkrankheiten im wesentlichen abhängig. Die Prognose richtet sich nachderGröße der Konkremente, nach ihrerBeschaffenheit und nach der Stärke der durch sie erzeugten Entzündung. Nicht gerade häufig ist der Tod im Anfall. — Es müssen die Bedingungen des Einzelfalls entscheiden, im allgemeinen darf man nur sagen, daß Nierensteine zu ernsten, das Leben in hohem Grade gefährdenden Erscheinungen nicht selten Veranlassung geben. Die Therapie hat in erster Linie den Versuch zu machen, die Bildung von Harnsteinen m, verhüten. Dazu ist es notwendig, daß man dem Auftreten von Nierengries Sorgfalt widmet, namentlich dessen Zusammensetzung feststellt. Besteht derselbe, wie in etwa fünf Sechstel aller Fälle, aus Harnsäure oder ihren Salzen, dann ist eine Lebensordnung wie bei der Gicht einzuhalten: das gleiche gilt für die aus Kalkoxalat bestehenden Niederschläge. Sind Phosphatsteinchen da, dann handelt es sich meist um alkalische, durch Zersetzung des Harns hervorgerufene Reaktion, welche wiederum mit Pyelitis in Verbindung steht; diese muß beseitigt werden. Bei allen diesen Zuständen ist reichliche Flüssiglceitszufuhr geboten; so wird am ehesten die Ausschwemmung der kleinen Konkremente besorgt, welche liegen bleibend zu großen werden können. — Von alters her wird geraten, auf den Stuhl acht zu geben und durch leichte Abführmittel für breiige Entleerungen zu sorgen. — Von Lösungsmitteln für die Harnsäure sind Lithium- und Natriumsalze zu nennen, welche wie bei der Gicht angewendet werden. Außerdem wird das Natrium phosphoricum in Gaben bis zu 25 g den Tag empfohlen — er soll durch seine Vermittlung das leichter lösliche neutrale harnsaure Natrium gebildet werden. — Die am häufigsten in Anwendung gezogenen Bäder sind Karlsbad, Marienbad, Tarasp, Wildungen und Vichy. — Die Phosphatsteine verlangen, um gelöst zu werden, die saure Reaktion des Harns: Kohlensäure in der Form der Mineralwässer, Benzoesäure und Phosphorsäure können zu diesem Ende in genügend großen Mengen gegeben werden. Zweckmäßiger dürfte es aber sein, Ol. terebiuthinac oder Kalium chloricvm zu wählen, da dieselben gleichzeitig dem Katarrh der Schleimhäute in den Harnwegen entgegenwirken.
Krankheiten der Harnwerkzongo.
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Die Nierenkolik verlangt eine energische Behandlung mit Opiaten, welche durch lang dauernde heiße {30°—31 °E.) Bäder passend unterstützt wird. Örtlich kann man warme Kataplasmen anwenden, die kalten Überschlägen meist yon den Kranken vorgezogen werden. — Bei zu heftigen Schmerzen ist man bisweilen genötigt, durch Chloroformeinatmung, wenn auch nur für kurze Zeit, Erleichterung zu schaffen; die Narkose kann durch Morphium oder Chloralhydrat etwas verlängert werden. — Der chirurgische Eingriff ist neuerdings bis zur Entfernung der leidenden Niere vorgeschritten; schon früher wurden Steine durch Einschnitt aus derselben entfernt, wenn perinephritische Eiterherde bestanden, welche ohnehin ein operatives Vorgehen notwendig machten. § 248.
Pyelitis und Pyelonephritis.
P y e l i t i s — Entzündung des Nierenbeckens —, welche bei stärkerer Entwicklung und längerer Dauer ganz gewöhnlich auf die Niere selbst übergreift — P y e l o n e p h r i t i s —, wird durch verschiedene Umstände herbeigeführt. Wir trennen: 1. Pyelitis caleulosa, im Gefolge von Harnsteinen, besonders solchen mit rauher Oberfläche auftretend. — In dieselbe Gruppe gehören die seltenen Fälle von primären Neubildungen und von Parasitenentwicklung im Nierenbecken. 2. Pyelitis toxica nach der Einführung bestimmter durch die Nieren zur Ausscheidung gelangender Gifte (z. B. Kanthariden). 3. Pyelitis infectiosa. Diese kann auf verschiedene Weise zustande kommen. Bei manchen Infektionskrankheiten — vor allen bei den Pocken — tritt eine Lolialisation des mit dem Blute kreisenden Krankheitserregers im Nierenbeelten auf, die zu oft schweren anatomischen (hämorrhagischen und diphtherischen) Formen der Entzündung führt. — Andere Male dringen von der Blase her Spaltpilze, welche sich in dem dort stagnierenden und in Zersetzung übergegangenen Harn gebildet haben oder aus der Harnröhre einwanderten (Gonorrhoelcokken), längs der Ureteren in das Nierenbecken und von hier weiter duröh die Sammelröhren bis hoch in das Nierengewebe vor. Sie erzeugen ein eitrige Entzündung. Neben diesen Hauptveranlassungen sind noch zu nennen: Harnverhaltung durch den Druck des schwangeren Uterus oder durch den einer Bauchgeschwulst auf den Ureter, Fortpflanzung einer Entzündung oder bösartigen Neubildung aus der Nachbarschaft; tierische Parasiten (Distoma haematobium), deren Eier und Embryonen innerhalb der oberen Harnwege zur Ablagerung und Entwicklung gelangen. — Erkältung spielt nach der Ansicht vieler in der Ätiologie noch immer eine große Rolle, man hat von einer Pyelitis rheumatica gesprochen, ob mit Recht? Anatomisch zeigt die erkrankte Schleimhaut alle Stufen der Entzündung von der leichtesten oberflächlichen, bis zur geschwürsbildenden oder diphther i s c h e n und hämorrhagischen. Die Niere bietet das Bild der Nephritis suppurativa (§ 243) mit kleineren oder größeren Eiterherden — sie kann ganz in einen Eitersack verwandelt sein •— und folgenden Narbenbildungen, die neben der durch die Abscesse bewirkten Druckatrophie zur nahezu vollständigen Verödung führen. Durch Ubergreifen der Entzündung auf die Nierenkapsel und das Nierenlager kann Perinephritis sich hinzugesellen — die dann entstandenen
Pyelitis mid Pyelonepiiritis.
Hydronephrose.
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Eiterherde können mit denen in der Niere zusammenfließen und zu den bei der Perinephritis (§ 246) erwähnten Senkungen und Durchbrüchen gelangen. Die Erscheinungen der Pyelitis sind im großen und ganzen nicht sehr hervorstechende: Leichter Druck in der Nierengegend, vielleicht ein wenig Fieber und etwas Störung des Allgemeinbefindens; bei der Untersuchung des Harns saure Reaktion, einige rote, mehr weiße Blutkörperchen, ein deren Menge entsprechender Gehalt an Eiweiß, Vermehrung des Schleims, die nicht für Ureter und Nierenbecken charakteristischen, auch in den etwas tieferen Lagen der Blase vorkommenden geschwänzten, mit Fortsätzen versehenen Übergangsepithelien. Nimmt die Eiterbildung zu, dann kann die Fortbewegung der viel Schleim enthaltenden Massen durch den Ureter Schwierigkeiten machen, und so etwas der Nierenkolik ähnliches, aber deren Höhe weitaus nicht erreichendes zustande kommen. Dieses reine Bild der Krankheit wird durch die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle vorhandene Verbindung derselben mit anderen, meist schweren Leiden getrübt, allein es ist daran festzuhalten, weil es von großer diagnostischer Wichtigkeit werden kann (z. B. bei der Steinbildung, welche nur zum Abgang von Gries, nicht zur Kolik führte), die Pyelitis nachzuweisen. — Eine Pyelitis, deren Ursachen zu beseitigen sind, verläuft in der Regel rasch und günstig, wenn auch nicht ganz selten eine Neigung zu erneuter Erkrankung zurückbleibt. Hält die Entzündung an, dann bringt sie immer die Gefahr der Verbreitung auf die Niere und deren Umgebung, sowie auf die Blase. Ferner kann die Pyelitis zur Abscheidung von Konkrementen aus dem zersetzten ammoniakalischen Harn führen. Die Prognose ist also in solchen Fällen mindestens zweifelhaft, und sie wird um so viel weniger günstig, wie die Dauer des Leidens sich verlängert. Die Behandlung der Pyelitis als solcher ist ziemlich einfach: Bettruhe, reichlicher Genuß von Flüssigkeit, Fernhalten alles dessen aus der Nahrung, was bei dem Durchtritt durch die Nieren reizend wirken könnte — Kaffee und Thee soll dahin gehören —, dann mäßige Gaben von Oleum terebinthinae (30—50 gtt. den Tag) oder Kalium chlorieum (4—6 g den Tag in 5°/ 0 iger Lösung und in geteilten Gaben). Es ist für ausgiebige Stuhlentleerung durch milde Abführmittel zu sorgen. §
249.
Hydronephrose.
Die H y d r o n e p h r o s e — Erweiterung des Nierenbeckens durch das darin angehäufte Nierensekret mit folgendem Druckschwund des Nierengewebes — entsteht, wenn der Abfluß des Harns aus den Ureteren längere Zeit ganz oder doch zum größten Teil gehindert wurde. Es kann die Undurehgängigkeit des Ureters angeboren sein, meist aber handelt es sich um erworbene Zustände. — Die Veranlassungen des Ureterverschlusses sind sehr verschiedenartig: Steine, die im Nierenbecken oder (seltener) im Verlaufe der Ureteren lagen, führen wohl auch schon intrauterin dazu, sei es, daß sie unmittelbar den Weg versperrten, oder daß sie zur Geschwürsbildung mit nachfolgendem narbigem Verschluß Veranlassung gaben. — Es folgt der Häufigkeit nach die mit den weibliehen Genitalien in Verbindung stehende Ureterverlegung: der retroflektierte Uterus und Carcinom dieses Organs kommen zunächst in Betracht, dann Zerrung der Blase durch die vorgefallene Gebärmutter, endlich Ovarialgeschwülste. — Es scheint, daß Pyelonephritis gleichfalls Hydronephrose erzeugen kann — vielleicht ist die durch Ver-
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Krankheiten der Harn Werkzeuge.
dickung der Schleimhaut entstandene Verengerung des Ureterenkanals oder Narbenbildung nach Geschwüren in demselben dazu notwendig. Weiter sind angeborene Verödungen des Ureters, Fehllage desselben, bei welcher eine Klappen-
bildung den Abfluß aus der Niere erschwert, Hinderung des Harnaustritts aus der Blase durch benachbarte Neubildungen, Blasensteine, angeborene oder erworbene Verengerung der Harnröhre und Taschenbildung in der Blase anzuführen. Die anatomische Untersuchung lehrt, daß bei dem anwachsenden Druck der eingeschlossenen Flüssigkeit sich zunächst das Nierenbecken ausdehnt, dann werden die Pupillen abgeflacht, endlich wird die ganze Niere in einen großen Sack umgewandelt, welcher bis zu 30 Litern Inhalt einschließen kann. Das Nierengewebe hält sich lange in seinem Bau unversehrt, verödet indes im Laufe der Zeit mehr und mehr und macht Bindegewebe Platz. — Bei kleineren Säcken ist noch ein dem Harn ähnliches Sekret vorhanden, bei großen findet sich in der von ihnen eingeschlossenen Flüssigkeit nur wenig oder gar kein Harnstoff, aber Eiweiß in verschiedenen Modifikationen und bisweilen Cholestearin. Die Zumischung von mehr oder weniger verändertem Blut ist nicht selten. — Der oberhalb des Verschlusses gelegene Teü der Ureteren ist gleichfalls beträchtlich,
bis
zu einem Durchmesser von mehreren Centimetern, erweitert. Es kommt doppelseitige Erkrankung vor. Bei einseitiger Hydronephrose ist die Hypertrophie der gesunden Niere die Regel. — Hypertrophie des linken Ventrikels findet sich bei doppelseitiger Hydronephrose, wenn die Ernährungsbedingungen es erlaubten, nicht selten. — Die Wandung eines größeren hydronephrotischen Sackes ist stets mit der Nachbarschaft innig verwachsen; daß Verdrängimgserscheinungen
vor-
handen sein können, versteht sich von selbst. Die Symptome der Hydronephrose während ihrer Ausbildung sind von dem sie bedingenden Grundleiden bestimmt. Der Nachiveis einer Nierengeschwulst (§ 244) mit flüssigem Inhalt ist Vorbedingung der sicheren diagnostischen Erkenntnis. Verwechslungen mit Echinokokkus der Niere oder mit weichen Krebsformen sind oft,
wenigstens bei kurzer Beobachtungsdauer, nicht zu vermeiden, solche mit Ovarialtumoren können am ehesten durch eine Untersuchung vom Rektum aus, wobei die Kranke zu chloroformieren ist, verhütet werden. Die Probepunktion wird öfter nicht zu umgehen sein, eine genaue mikroskopische und chemische Untersuchung des Entleerten muß folgen. Die Hydronephrose r u f t unmittelbar kein Fieber und Ixine Störung der Er-
nährung hervor — der sich gewaltig vergrößernde Sack ist indes durch seine Ausdehnung nicht nur imstande schwere dyspeptische Erscheinungen, sondern auch Atmungs- und Kreislaufsstörungen zu bedingen. — Nicht immer sind aus dem Verhalten des Harns Schlüsse zu ziehen. Bei vorübergehender Verlegung des Ureters kann nach deren Lösung eine größere Harnmenge von abnormer Zusammensetzung entleert werden, bei nicht vollkommenem Verschluß kann im Harn ständig etwas Eiweiß, Eiter oder Blut enthalten sein. — In einigen Fällen von doppelseitiger Hydronephrose, die aber mit Durchgängigkeit der Ureteren verbunden war, hat man anhaltend große Mengen eines sehr dünnen, ganz wie bei Diabetes insipidus beschaffenen Harns abgesondert werden sehen. — Sehr oft ist gar keine Veränderung am Harn nachweisbar. Der Verlauf ist ein sehr schwankender, namentlich was das Wachstum der Geschwulst betrifft; dieses braucht nicht stetig zu geschehen, häufiger wohl erfolgt es ruckweise. Ein Duvchhruch (ausnahmslos geschieht derselbe nach innen,
Pyelitis und Pyelonephritis. Entzündung der Harnblasenschleimhaut.
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nicht stets folgt der tödliche Ausgang) kann nach Einwirkung von mechanischer Gewalt, aber auch durch den Eigendruck der eingeschlossenen Flüssigkeit bedingt werden. Die Vereiterung des Sackes führt wohl stets durch Sepsis zum Tode. Dieser kann auch durch Urämie eintreten, sei es, daß bei einseitiger Hydronephrose die gesunde Niere erkrankte und ihren kompensatorischen Verrichtungen nicht länger genügten, daß vielleicht auch für sie ein Hindernis in den Harnwegen (Steinbildung, Krebsentwicklung) sich einstellte, sei es, daß bei doppelseitiger das Herz schwach wurde. Selbst ungenügende Zufuhr von Flüssigkeit kann Veranlassung zur Urämie geben, sie thut es in den Fällen, wo das Gleichgewicht zwischen der Bildung und der Ausscheidung harnfähiger Substanzen nur durch Massenaufnahme von Wasser herbeizuführen war. — Wirkliche Heilung ist für die vollkommen entwickelte Hydronephrose ausgeschlossen, da es immer zur Bildung von Narbengewebe kam. Eine ausreichende Nierenthätigkeit aber wird durch die kompensatorischen Vorgänge — Hypertrophie der Niere und des Herzens — möglich. — Die Prognose ist ganz von den Bedingungen des Einzelfalles abhängig. D i e Therapie hat entfernbare
Hindernisse
für
den Abfluß
des Harns
xu ent-
fernen, solange es Zeit ist: Verengerungen der unteren Harnwege, Blasensteine, viele der in das Gebiet der gynäkologischen Thätigkeit fallenden Zustände gestatten mehr oder minder eingreifende, aber Hilfe bringende Operationen. Die innere Medizin hat weit geringere Angriffspunkte: die Behandlung der Nephrolithiasis und der Pyelitis ist eigentlich das einzige, was an Prophylaxis geleistet werden kann; gegen die ausgebildete Hydronephrose sind wir machtlos. — Neuerdings hat sich die Chirurgie mit noch zweifelhaftem Erfolg der Sache angenommen. — Der symptomatischen Hilfsleistung bietet sich unter Umständen reiche Gelegenheit.
Krankheiten der Harnblase. § 250.
Entzündung der Harnblasenschleimhaut.
Die E n t z ü n d u n g der H a r n b l a s e n s c h l e i m h a u t — Cystitis — wird durch mechanische und chemische Reize hervorgerufen. — Seltener sind Gewaltwirkungen von außen, häufiger kommen mechanische Entzündungserreger auf der Schleimhaut selbst zur Wirkung: die Bewegung von Steinen mit rauher Oberfläche, die Einführung von Werkzeugen, um diese zu zertrümmern, oder die von irgend welchen Fremdkörpern in die Blase, endlich der Druck des schwangeren Uterus und der des Kindskopfes bei seinem Durchtritt durch das Becken wären zunächst zu erwähnen. Möglicherweise kann von Fremdkörpern in der Scheide (Pessarien) oder dem Mastdarm (Kotsteinen) eine genügende Druckwirkung zustande kommen. Eine chemische Reizung kann von Stoffen, welche durch die Nieren ausgeschieden werden (Kantharidin u. s. w.), geübt werden, weitaus öfter aber geschieht das durch die Zersetzung des Harns, bei welcher sich aus dem Harnstoff kohlensaures Ammoniak bildet. Damit diese Umwandlung stattfinden kann, ist es notwendig, daß bestimmte Schizomyceten — es scheint deren verschiedene zu geben — in die Blase gelangen, weiter, daß der mit diesen Mikrov. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. II. Aufl.
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Pyelitis und Pyelonephritis. Entzündung der Harnblasenschleimhaut.
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nicht stets folgt der tödliche Ausgang) kann nach Einwirkung von mechanischer Gewalt, aber auch durch den Eigendruck der eingeschlossenen Flüssigkeit bedingt werden. Die Vereiterung des Sackes führt wohl stets durch Sepsis zum Tode. Dieser kann auch durch Urämie eintreten, sei es, daß bei einseitiger Hydronephrose die gesunde Niere erkrankte und ihren kompensatorischen Verrichtungen nicht länger genügten, daß vielleicht auch für sie ein Hindernis in den Harnwegen (Steinbildung, Krebsentwicklung) sich einstellte, sei es, daß bei doppelseitiger das Herz schwach wurde. Selbst ungenügende Zufuhr von Flüssigkeit kann Veranlassung zur Urämie geben, sie thut es in den Fällen, wo das Gleichgewicht zwischen der Bildung und der Ausscheidung harnfähiger Substanzen nur durch Massenaufnahme von Wasser herbeizuführen war. — Wirkliche Heilung ist für die vollkommen entwickelte Hydronephrose ausgeschlossen, da es immer zur Bildung von Narbengewebe kam. Eine ausreichende Nierenthätigkeit aber wird durch die kompensatorischen Vorgänge — Hypertrophie der Niere und des Herzens — möglich. — Die Prognose ist ganz von den Bedingungen des Einzelfalles abhängig. D i e Therapie hat entfernbare
Hindernisse
für
den Abfluß
des Harns
xu ent-
fernen, solange es Zeit ist: Verengerungen der unteren Harnwege, Blasensteine, viele der in das Gebiet der gynäkologischen Thätigkeit fallenden Zustände gestatten mehr oder minder eingreifende, aber Hilfe bringende Operationen. Die innere Medizin hat weit geringere Angriffspunkte: die Behandlung der Nephrolithiasis und der Pyelitis ist eigentlich das einzige, was an Prophylaxis geleistet werden kann; gegen die ausgebildete Hydronephrose sind wir machtlos. — Neuerdings hat sich die Chirurgie mit noch zweifelhaftem Erfolg der Sache angenommen. — Der symptomatischen Hilfsleistung bietet sich unter Umständen reiche Gelegenheit.
Krankheiten der Harnblase. § 250.
Entzündung der Harnblasenschleimhaut.
Die E n t z ü n d u n g der H a r n b l a s e n s c h l e i m h a u t — Cystitis — wird durch mechanische und chemische Reize hervorgerufen. — Seltener sind Gewaltwirkungen von außen, häufiger kommen mechanische Entzündungserreger auf der Schleimhaut selbst zur Wirkung: die Bewegung von Steinen mit rauher Oberfläche, die Einführung von Werkzeugen, um diese zu zertrümmern, oder die von irgend welchen Fremdkörpern in die Blase, endlich der Druck des schwangeren Uterus und der des Kindskopfes bei seinem Durchtritt durch das Becken wären zunächst zu erwähnen. Möglicherweise kann von Fremdkörpern in der Scheide (Pessarien) oder dem Mastdarm (Kotsteinen) eine genügende Druckwirkung zustande kommen. Eine chemische Reizung kann von Stoffen, welche durch die Nieren ausgeschieden werden (Kantharidin u. s. w.), geübt werden, weitaus öfter aber geschieht das durch die Zersetzung des Harns, bei welcher sich aus dem Harnstoff kohlensaures Ammoniak bildet. Damit diese Umwandlung stattfinden kann, ist es notwendig, daß bestimmte Schizomyceten — es scheint deren verschiedene zu geben — in die Blase gelangen, weiter, daß der mit diesen Mikrov. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. II. Aufl.
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Krankheiten der Harnblase.
Organismen gemischte Harn länger innerhalb der Blase verweilt. Die letzte Bedingung wird durch alle Umstände herbeigeführt, welche die Entleerung des Harns erschweren oder verhindern: Blasenlähmung, Blasensteine, Vergrößerungen der Prostata, Verengerungen der Harnröhre nach Gonorrhoe sind die gewöhnlichsten. Die Schizomyceten werden sehr oft durch ungenügend desinfizierte Katheter oder Sonden in die Blase gebracht, sie können aber wohl auch aus der Luft ihren W e g allein finden. A l s weitere Ursache der Cystitis wäre die Fortpflanzung einer Entzündung von oben (Niere und Harnleiter), von unten (Gonorrhoe und die durch medicamentöse zu deren Beseitigung eingesprizte Stoffe erzeugte Entzündung der Harnröhre), von außen (Entzündungen um die Blase: Pericystitis) zu nennen. — Erkältung scheint nicht gerade häufig Veranlassung zur Blasenentzündung zu geben. W i e die bei schweren Infektionskrankheiten auftretenden Cystiten zu erklären, ist nicht immer zu sagen. Abgesehen von der Harnverhaltung und dem dabei notwendig gewordenen Katheterismus, ist es möglich, daß die Ausscheidung der Krankheitserreger selbst oder gewisser von denselben gebildeter Stoffe durch den Urin in Betracht kommt; weniger wahrscheinlich dürfte die primäre Lokalisation in der Blase, also deren Erkrankung unmittelbar vom Blute aus, sein. — Endlich wäre noch zu erwähnen, daß Neubildungen in der Blase sehr gewöhnlich mit Entzündung ihrer Schleimhaut einhergehen. Anatomisch finden sich alle Formen der Entzündung, von der oberflächlichen nur die äußeren Epithelschichten betreffenden bis zu der mit Nekrose der tieferen Gewebsschichten verlaufenden diphtherischen. Bei schweren Cystiten kann die eitrige oder jauchige Entzündung auf das die Blase umgebende Bindegewebe und weiter auf das Bauchfell übergreifen, es kann sogar zum Durchbruch der Blasenwandung kommen. Bei chronischer Entzündung, welche mit länger dauernder Ansammlung größerer Mengen von Harn einhergeht, wird die Blase weiter; ihre Muskulatur nimmt an Umfang zu, während die Blasenhäute fibröse Hyperplasie zeigen. Nicht selten sind teilweise Erweiterungen der Blase: Divertikel. — Mitunter ist die Schleimhautoberfläche durch eingelagerte Krystalle von Tripelphosphat förmlich rauh geworden. — Erweiterungen der Venen, namentlich der am Blasenhalse, sogenannte Blasenhämorrhoiden, finden sich nicht oft. Die Symptome der akuten Blasenentzündung sind recht eigenartig. Zunächst zeigt sich ein äußerst lästiger und anhaltender Harndrang, welcher zu häufiger Entleerung auffordert. Unter heftigen Schmerzen werden zur Zeit nur wenige Tropfen Harn entleert. Die Empfindung von Wehsein, von Druck und Spannung in der Blasengegend, nicht selten aber auch wirklicher Schmerz, der gegen den Rücken, in die Schenkel und nach den Genitalien ausstrahlt, treten daneben auf. Die Blasengegend selbst ist gegen Druck, mehr noch gegen den eingeführten Katheter sehr empfindlich. In leichteren Fällen während der ganzen Dauer des Leidens, in schwereren wenigstens zu Anfang ist der Harn sehr konzentriert» stark gefärbt und sauer. E r enthält Schleim, daneben rote und weiße Blutkörperchen sowie abgestoßene Epithelien: das einfache Plattenepithel der oberflächlichen, das geschwänzte Ubergangsepithel der tieferen Schichten. Diese Bestandteile sind in sehr wechselnder Menge vorhanden; finden sich viel rote Blutkörperchen, dann kann die Farbe des Harns blutrot werden, und derselbe ebenso wie bei reichlichem Gehalt an Eiter eine entsprechende Menge von Eiweiß zeigen. Im sauern Harn treten krystallinische Abscheidungen von Harn-
Entzündung der Harnblasenschleimhaut.
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säure und deren Salzen, sowie von Kalkoxalat auf. — Bemerkenswert ist die große Neigung solcher Harne in alkalische Gärung überzugehen. Erfolgt diese schon innerhalb der Blase, so wird der Harn bereits trübe entleert, kann nicht klar filtriert werden und ist von starkem ammoniakalischem Geruch. Enthielt er viel Eiter und Epithel, dann setzt sich ein aus diesem durch die Einwirkung des kohlensauren Ammoniaks entstandener schleimig-zäher, fadenziehender Bodensatz ab, welcher oft, aber mit Unrecht, für wirkliches Mucin gehalten wird. Die Eiter- und Epithelzellen sind nach längerem Verweilen in der Blase ganz untergegangen, oder sie zeigen doch nur schwach erhaltene Umrisse ihrer einstigen Gestalt. Neben ihnen treten Mikroorganismen aus dem Pflanzenreich in unzähligen Mengen auf, und es finden sich viele Krystalle von Tripelphosphat (farblose Sargdeckel), von harnsaurem Ammoniak (in Spitzen auslaufende Kugeln von gelbbrauner Farbe), von amorphem harnsaurem Natron, kohlensaurem und phosphorsaurem Kalk. Kohlensaurer Kalk erscheint auch krystallinisch in der Form der Hanteln der Turner —• zwei durch ein dünnes Zwischenstück verbundene Kugeln (Dummbels). — Die aus der Umwandlung des Eiters und der Epithelzellen entstandenen zähschleimigen Massen verlegen nicht selten die Mündung der Harnröhre so, daß sie der Entleerung ernsthafte Schwierigkeiten bereiten und mechanisch entfernt werden müssen. — Tritt Verjauchung ein, dann zeigt der Harn einen aashaften Fäulnisgestank und enthält nekrotische Gewebsfetzen. Die Allgemeinerscheinungen bei der akuten Blasenentzündung sind, solange dieselbe keinen höheren Grad erreicht, nicht sehr beträchtlich. Am öftesten findet man Fieber um 39 sowie Erbrechen und Stuhlverhaltung. Ganz anders, sobald Verschwärung und Nekrose der Blase sich eingestellt haben. Es kommt dann zu einem Symptomenkomplex, der zu einem Teil auf Sepsis, zum anderen auf der Resorption von Ammoniak beruht. Die unregelmäßig auftretenden Schüttelfröste mit zeitweilig bedeutenden Temperatursteigerungen sind auf septische Infektion zu beziehen, die Vergiftung durch Ammoniak — Ammoniämie (wohl immer mit Urämie verbunden) ist durch Lähmungserscheinungen der Centren, denen Krämpfe vorhergingen, gekennzeichnet — sie gleicht einem epileptischen Anfall mit nachfolgendem sehr tiefem und anhaltendem Koma; in diesem erfolgt auch der Tod. Die chronische Entzündung der Blase geht aus der akuten hervor oder sie entwickelt sich bei länger dauernder Harnverhaltung schleichend. Da das im allgemeinen weniger leicht erregbare höhere Lebensalter mit seinen Hypertrophien der Prostata einen sehr großen Anteil am chronischen Blasenkatarrh hat, darf man es diesem Umstand ebenso wie der an sich geringeren Reizung zuschreiben, daß die subjektiven Belästigungen durch Harndrang und der Schmerz in der Blasengegend bei dem chronischen Katarrh weniger hervortreten. Meist sucht der Kranke den Arzt erst auf, wenn der Zustand schon voll entwickelt ist. Man bemerkt dann sehr häufig eine Erweiterung der Blase, welche bei den Versuchen zur vollständigen Entleerung stets versagend einen mehr oder minder großen Teil ihres Inhalts zurückhält. Daneben kommt es zum unfreiwilligen Austritt von Harn, zum Harnträufeln. — Viel seltener ist die mit bedeutender Hypertrophie der Muskulatur verbundene gesteigerte Erregbarkeit der Schleimhaut, durch
welche die Ansammlung von Harn verhindert und derselbe in sehr kurzen Zwischenräumen entleert wird. 46*
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Krankheiten der Harnblase.
Die Beschaffenheit des Harns ist ganz dieselbe wie bei dem akuten Katarrh. Die lange Dauer des Leidens bringt es mit sich, daß die Gelegenheit zur Bildung von Phosphatsteinen innerhalb der Blase sehr günstig wird. Es können die nämlichen Ausbreitungen der Entzündung in die Nachbarschaft, die Bildung von Abscessen, Geschwüren u. s. w., und die gleichen Rückwirkungen auf das Allgemeinbefinden wie bei der akuten Entzündung eintreten. Die Dauer der akuten Entzündung beträgt bis zu einigen Wochen, wahrt dieselbe länger, dann muß man auf einen schleppenden, Verschlimmerungen und Teilbesserungen zeigenden Verlauf, der sich, auch wenn die Ursachen entfernbar sind, über Monate hinzieht, gefaßt sein. Die mit nicht zu beseitigenden Veränderungen der Harnwege einhergehenden Entzündungen der Blasenschleimhaut können, wenn auch durch ein zweckmäßiges Verfahren in engeren Schranken gehalten, Jahre andauern. — Die Prognose ist durch die Bedingungen gegeben, welche im Einzelfall die Entstehung des Leidens herbeigeführt haben und seine Heilung beeinflussen. Bei den schweren Formen ist ernste Lebensgefahr häufig vorhanden. Die Therapie der akuten Entzündung verlangt zunächst strenge Bettruhe. Durch Kataplasmen auf die Blasengegend kann man wesentliche Erleichterung schaffen, recht warme (30 0 R.) Bäder von längerer Dauer, nach denen der Kranke in das gut gewärmte Bett zurückkehrt, sind, ein- bis zweimal täglich gegeben, gleichfalls von guter Wirkung. Man lasse reichliche Mengen einer indifferenten Flüssigkeit (Flieder, Lindenblütenthee) oder eines Säuerlings trinken, um durch Verdünnung des Harns dessen Reizwirkung zu mildern, und sorge für ausgiebigen breiigen Stuhl. — Bei den Diätvorschriften ist auf Vermeidung alles Reizenden zu achten; wird Milch vertragen, dann ist sie ein geeignetes Nahrungsmittel. — Sehr starker Tenesmus kann die Anwendung der Opiate (am besten 0,05 g Extr. opii als Suppositorium) notwendig machen. Ist bereits alkalische Harngärung eingetreten, dann sind die Mittel in Anwendung zu bringen, welche den Harn sauer zu machen vermögen: Oleum terebintkinae (zweistündlich 10—15 Tropfen in Milch), und Kalium cMoriewm, (in 5 °/0 Lösung 6—8 g den Tag) sind die wirksamsten. Nimmt die Entzündung zu, bilden sich große Eitermengen und aus ihnen die beschriebenen zähschleimigen Massen, oder kommt es gar zur jauchigen Versch wärung, dann muß man zur Ausspülung und Desinfektion der Blase schreiten. Jeder Katheter, welcher in die Blase gebracht wird, muß vorher auf das allersorgfältigste gereinigt und desinfiziert sein. Um die Spülung vorzunehmen, führt man einen elastischen oder metallenen Katheter ein — der letztere macht wohl etwas mehr Schmerz, läßt sich aber durch siedendes Wasser viel sicherer desinfizieren. Aus einem Irrigator wird nach Entleerung des Harns soviel auf Körperwärme gebrachte halbprozentige Kochsalzlösung eingelassen, als der Kranke erträgt: möglichst vollständige Entfaltung der Blase ist notwendig, um die ganze Fläche der Schleimhaut mit der Flüssigkeit in Berührung zu bringen. Man läßt abfließen und wiederholt das Ganze so lange, bis das Spülwasser klar ausströmt. Zur nachfolgenden Desinfektion dürfte eine Lösung von Sublimat (1 auf 10000) allen anderen vorzuziehen sein. Man läßt dieselbe, gleichfalls erwärmt, auf die damit möglichst gefüllte Blase bis zu 5 Minuten einwirken; will man vor Resorption sicher sein, dann kann man, nachdem die Lösung abgeflossen ist, noch mit der Kochsalzlösung nachspülen. — Mindestens einmal den Tag ist das Ganze zu wiederholen. Der Eingriff selbst ist für den Kranken etwas schmerz-
Entzündung der Harnblasenschleimhaut.
Blasenkrampf, Blasenlähmung u. s. w.
h a f t , die E r l e i c h t e r u n g nachher aber so g r o ß ,
725
daß die W i e d e r h o l u n g eher g e -
w ü n s c h t als g e f ü r c h t e t wird. Die
Chirurgie
hat die Hindernisse,
w e l c h e Strikturen u. s. w .
dem A b f l u ß
des H a r n s entgegensetzen, w o m ö g l i c h zu beseitigen — die B e h a n d l u n g der chron i s c h e n Blasenentzündung, w e l c h e g e n a u in gleicher W e i s e g e l e i t e t werden muß, hat meist erst dann a u f E r f o l g zu rechnen, w e n n das g e l u n g e n ist.
§ 251.
Blasenkrampf und Blasenlähmung.
Blasenkrampf wird am häufigsten reflektorisch ausgelöst, sei es durch unmittelbare Reizung der Blasenschleimhaut, oder von den Beckenorganen, besonders von den weiblichen Genitalien und von dem Mastdarm aus. Hysterie disponiert in hohem Grade. Bei dem Krampf des Sphinkter ist ständiger Harndrang ohne jede oder doch nur mit spärlicher Möglichkeit denselben zu befriedigen vorhanden, bei dem Krampf des Detrusor wird in Anfällen der Blaseninhalt mehr oder weniger unfreiwillig ausgepreßt; Schmerz kann dabei fehlen. Verbinden sich beide miteinander, dann wird ein wahrer Tantaluszustand hergestellt. — Wanne Bäder und Kataplasmen, sowie Opium vom Mastdarm aus wirken gegen den Anfall selbst günstig, dessen Ursachen nicht immer zu beseitigen sind. Blasenlähmung tritt im Gefolge von Rückenmarkerkrankung und bei Zuständen schwerer Betäubung, einerlei, wodurch dieselbe herbeigeführt ist, dann wenn die Blase durch Harnretention übermäßig gedehnt wurde, oder wenn sie Gewaltwirkungen ausgesetzt war, auf. Ist der Sphinkter gelähmt, dann kann der Harn gar nicht oder nicht vollständig zurückgehalten werden, er fließt bei den höheren Graden beständig ab, bei leichteren nur, wenn die Füllung der Blase beträchtlicher wurde, oder wenn die Bauchpresse einwirkte. Beim Lachen entleeren Frauen, die häufiger geboren haben, z. B. nicht Belten unfreiwillig Harn. Lähmung des Detrusor, bei schlußfähigem Sphinkter, bewirkt Dehnung der Blase durch den Bich anhäufenden Harn. Natürlich verschlimmert sich durch diese Dehnung die Lähmung selbst, weil die Muskelfasern an Elastizität einbüßen — so entsteht auch die Lähmung bei Komatösen. Kommt es zur Entleerung, dann fehlt der kräftige Harnstrahl, und die Blase hält immer noch einen Teil des Urins zurück, so daß der unmittelbar nachher ausgeführte Katheterismus Erfolg hat. — Sind Sphinkter und Detrusor miteinander gelähmt, so tritt bei gefüllter Harnblase ständiges Harntröpfeln ein. Prophylaktisch kann nicht stark genug auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, bei Betäubten und Gelähmten den Zustand der Blase zu überwachen und rechtzeitig zum Katheter zu greifen. Die methodische Anwendung desselben spielt auch bei der Behandlung der Blasenlähmung die Hauptrolle. — Ob durch die Elektrizität oder durch Strychnin viel genützt werden kann, dürfte fraglich sein.
§ 252.
Enuresis nocturna.
D i e E n u r e s i s n o c t u r n a , das Bettpissen, bis zur P u b e r t ä t eigenes Ü b e l . — lastung
ist fast i m m e r ein dem
Kindesalter
N i c h t selten ist eine Art von hereditärer
v o r h a n d e n ; K i n d e r aus neuropathischen Familien leiden doch w o h l
g a n z e n h ä u f i g e r als solche aus gesunden.
Beim
Freilich ist es s c h w e r zu sagen, w i e -
w e i t hier die unter solchen U m s t ä n d e n nicht immer tadellose E r z i e h u u g m i t w i r k t . M a n darf n i c h t vergessen, daß es g e l e r n t sein w i l l , seine S p h i n k t e r e n unter die H e r r s c h a f t des W i l l e n s zu bringen.
E s ist daher im E i n z e l f a l l immer geboten,
genauer auf die geistige und g e m ü t l i c h e E n t w i c k l u n g des Leidenden und daneben die L e b e n s o r d n u n g desselben zu berücksichtigen. — bare Veranlassung
einzugehen
Als
unmittel-
z u m Bettpissen w e r d e n W ü r m e r , besonders Oxyuren, und die
Masturbation angeführt.
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Krankheiten der Harnblase.
Die unfreiwillige Entleerung des Harns erfolgt meist einige Stunden nach dem Schlafengehen, oder kurz vor dem Erwachen, aber, wenn es sich nicht um einfache Unart handelt, immer in tiefem Schlaf. Es kommt vor, daß unter der Einwirkung einer Traumvorstellung uriniert wird, welche dann wohl durch den psychischen Reflex der Blasenfüllung erzeugt wurde. — Regel ist das keineswegs. Die erwachenden Kinder wissen meist nicht, wie sie dazu kamen, ihr Bett zu durchnässen; übrigens geschieht es nicht selten, daß sie erst am Morgen merken, was in der Nacht geschehen ist. — Die Harnentleerung findet meist sehr rasch mit kräftiger Zusammenziehung des Detrusor statt; überhaupt ist bei Bettpissern auch am Tage eine größere Reizbarkeit der Blasenschleimhaut', welche keine stärkere Anhäufung des Harns aufkommen läßt, oft zu bemerken. In der Regel, nicht ausnahmslos bleibt, es bei einer Entleerung in der Nacht — Schwankungen sind geivöhnlich; nachdem gute Wochen oder Monate yergangen, können die nächsten Zeiten sehr schlimm werden. — Mit der Pubertät ist das Leiden in der Regel zu Ende, immerhin kommt eine nicht kleine Zahl von Fällen längerer Dauer vor. Diese sind schwerer zu beseitigen, ihre Heilung gelingt nicht immer. Im ganzen ist die Prognose gut. Für die Behandlung ist zuerst festzustellen, ob Unart, Eigensinn oder Faulheit mitwirkt. Man darf nie vergessen, daß ungerechtes Strafen den Charakter gar leicht verdirbt und vielleicht noch mehr thut das der unverdiente Spott, welcher bei diesem Leiden selten ausbleibt. Andererseits kommt sicher manchmal ein halb oder ganz bewußtes Sichgehenlassen als Ursache des Bettpissens vor, welches erziehlich'es Eingreifen verlangt. — Die Aufnahme von Flüssigkeit muß gegen den Abend hin eingeschränkt werden, ebenso thut man wohl daran, die letzte Mahlzeit etwa zwei bis drei Stunden vor dem Schlafengehen nehmen zu lassen. Leichte Bedeckung bei dem Bettaufenthalt ist dringend zu empfehlen. Es wird von manchen geraten die Kinder stündlich oder zweistündlich, wenigstens während der ersten Zeit des Bettliegens zum Urinieren zu veranlassen — das hilft mitunter, aber nicht immer. Zweckmäßiger ist es, wenn häufiger und starker Drang sich zeigt, den Tag über den Harn länger zurückhalten zu lassen, damit kann man eine Regelung der Zeiten für die Harnentleerung passend verbinden, indem man vorschreibt, daß dieselbe nur zu bestimmten Stunden geschehen darf. — Sind Oxyuren vorhanden, dann beseitige man dieselben; ebenso wäre gegen Onanie einzuschreiten. — Katheterismus
u n d die Anwendimg
des galvanischen
Stroms
auf die
Blasengegend werden vielfach empfohlen — sie können von guter Wirkung sein; wobei wohl das psychische Moment stark mit ins Spiel kommt. — Unter den Arzneimitteln steht das Atropin in erster Reihe. Man beginne mit 1;2 mg und steige selbst bei Kindern unter zehn Jahren langsam bis zu 4 und 5 mg, wenn das Mittel, wie gewöhnlich, gut ertragen wird. Die Atropinbehandlung muß monatelang regelmäßig fortgesetzt werden — in der weitaus größten Zahl der Fälle wird dadurch, wenn die Lebensordnung gleichzeitig streng geregelt ist, dauernd Heilung erzielt.
Neubildungen und Parasiten in der Blase.
§ 253.
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Neubildungen und Parasiten in der Blase.
Primärer Blasenkrebs ist ein seltenes Leiden, eher entwickelt sieh der Krebs sekundär durch Überwuchern aus der Nachbarschaft, besonders von den Geschlechtsteilen her, oder metastatisch. Außer der Geschwulstbildung tritt Verschwärung mit den Erscheinungen der Blasenentzündung und rascher Kräfteverfall ein. — Öfter findet man das papillöse Fibrom, den sogenannten Zottenkrebs, welcher sich durch seinen Reichtum an dünnwandigen, leicht verletzbaren Gefäßen auszeichnet und aus den oberen Schichten der Schleimhaut hervorsproßt. Der Sitz dieser Geschwulstbildung ist meist der Blasengrund; sie kann zur Verlegung der Harnröhrenmündung Veranlassung geben, häufiger noch sind starke, schwer stillbare Blutungen. Abgestoßene mit dem Harn •¡entleerte Teile der Zotten sichern die Diagnose. Auch die Prognose dieser Neubildung ist eine schlechte. In seltenen Fällen kommen Echinokokken vor; Distomum haematobium ist in manchen Tropengegenden ein häufiger und gefährlicher Gast, der zu schweren Entzündungen Veranlassung giebt. — Außer den verschiedenen Schizomyceten finden sich von pflanzlichen Parasiten, nicht oft, Leptothrix und eine kleinere Form der Sarcine.
XII.
Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane. § 254.
Krankhafte Samenverluste.
B e i gesunden Männern, die nicht in regelmäßigem geschlechtlichem Verkehr stehen, finden unfreiwillige Samenentleerungen (Pollutionen) während des Schlafs von Zeit zu Zeit statt. Dieselben dauern an, so lange die Potenz währt, sie sind meist von erotischen Träumen begleitet und wiederholen sich in individuell sehr stark wechselnden Zwischenräumen. Aus der absoluten Zahl der in der Zeiteinheit auftretenden Pollutionen läßt sich ein Urteil darüber, ob der V o r g a n g noch in das Gebiet der N o r m gehört, nur schwer gewinnen. Wichtiger ist es, den Einfluß auf das Allgemeinbefinden zu beachten. Solange das Gefühl von Wohlsein, von Frische, von größerer körperlicher und geistiger Spannkraft an dem der Pollution folgenden Tage sich zeigt, sind die Samenergüsse sicher nicht als krankhafter V o r g a n g zu betrachten, auch wenn sich dieselben öfter wiederholen. Anders wenn Unlust, Abspannung und Mattigkeit danach eintritt. Bei manchen geschieht das erst, wenn allnächtlich eine oder mehrere Entleerungen stattfinden, bei anderen, namentlich Geschwächten, schon nach den durch W o c h e n voneinander getrennten Pollutionen. Die weitere Entwicklung zur ausgesprochenen Störung vollzieht sich in der Regel so, daß bei der Pollution eine wirkliche Erektion nicht zustande kommt und die Kranken von der eigentlichen Geschlechtsempfindung wenig oder nichts merken — erst am Morgen bei dem Erwachen sehen sie an den Spuren, die der Same hinterläßt, und an ihrem Ubelbefinden, was geschehen ist. N u n pflegen die Pollutionen an Häufigkeit zuzunehmen, bei höheren Graden des Leidens stellen sich dieselben auch den Tag über in wachem Zustand ein. Zuerst bedarf es noch eines, immerhin geringfügigen mechanischen, die äußeren Geschlechtsteile treffenden Reizes, später genügen erotische Vorstellungen oder gar die Anwesenheit eines Weibes. Während die Steifung des Gliedes immer geringer wird und die Wollustempfindung abnimmt, wächst die Zahl der Entleerungen. Das bei der Entleerung von Kot und Harn stattfindende Übertreten von Sperma in die Harnröhre wurde früher als ein sekr ungünstiges Zeichen betrachtet. F U R B R I N G E R fand indes, daß jahrelang bei der Defaekation Samen entleert werden kann und dennoch die Zeugungsfähigkeit der Betroffenen erhalten bleibt. Andere Male freilich und, wie es scheint, namentlich dann, wenn auch mit dem Harn Samen entleert wird, ist die Sache bedenklicher. Nun zeigt sich derselbe von der Norm abweichend: die Spermatoiden sind durchsichtiger, an Zahl vermindert, sie bewegen sich schwächer und sterben leichter ab; außerdem finden sich solche, die noch ihre volle Ausbildung nicht erlangt haben.
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Krankhafte Samenverluste.
Dieser Teil des Krankheitsbildes ist etwas objektiv leicht Festzustellendes — anders verhält es sich mit den Rückwirkungen auf den Organismus. Genaueres Eindringen in die Verhältnisse ist dadurch erheblich erschwert, daß die Kranken in einer sehr großen Zahl von Fällen der Hypochondrie verfallen und nun, mit peinlichster Aufmerksamkeit jede Empfindung verfolgend, sich in krankhafte Zustände hineinleben, welche zum guten Teil jenen Schreckbildern gleichen, die in den sogenannten populären Belehrungen über die Folgen von Samenverlusten enthalten sind. — Immerhin läßt sich etwas allgemeines sagen. Im Gefolge der krankhaften Samenverluste zeigen sich: Vtrdauungsbeschwerden, zunächst rasch wechselnd, äußerst launenhaft kommend und gehend, mit Heißhunger, der dann wieder durch Appetitlosigkeit abgelöst wird, Druck und Spannung in der Magengegend nach dem Essen, Säurebildung, Meteorismus, Verstopfung, die zeitweilig heftigem Durchfall Platz macht, verbunden. Später werden diese Beschwerden ernsthafter: es kann zur fast vollständigen Apepsie mit absolutem Fehlen des Appetits und zu hartnäckiger Verstopfung kommen, schwere Anfälle von Magenkrampf mit heftigem Erbrechen können sich hinzugesellen. — Herzklopfen und Dyspnoe, beide bei leichten psychischen Erregungen und mäßigen körperlichen Anstrengungen sich einstellend, sind gleichfalls nicht selten. — Es kommt zu einem Heer von allgemeinen nervösen Erscheinungen, so zahlreich und mannigfaltig, wie es nur bei Hypochondrie und Hysterie der Fall ist. Recht oft wird über Schmerz und Spannung im Rücken, über allerlei Parästhesien undAnästhesien, seltener über Hyperästhesien geklagt. Alle diese Mißempfindungen haben ihren Sitz in den Extremitäten, besonders in den unteren. — Kopfdruck und wirklicher Kopfschmerz, sowie Schwindelerscheinungen sind häufig. Die Stimmung ist deprimiert, die Lust zur geistigen Arbeit ist meist ganz vergangen, leichte Ermüdbarkeit ist hier wie auf körperlichem Gebiete vorhanden. Alles das bleibt nicht ohne Rückwirkung auf die Ernährung, welche zum Teil durch die gestörte Verdauung, zürn Teil durch den sehr häufigen mangelhaften Schlaf erhebliche Einbuße erfährt; auch die Blutbereitung leidet Not, so daß Anämie nicht zu fehlen pflegt. Verlauf und Ausgänge
sind im wesentlichen v o n den Entstehungsursachen
ab-
hängig. Auf diese ist daher näher einzugehen: Als häufige Veranlassung zu krankh a f t e n S a m e n v e r l u s t e n ist der Mißbrauch
der Gcschlechtswerkzeuge
(Onanie)
und
ein übermäßiger Gebrauch derselben anzuführen. Seltener sind örtliche Anomalien, besonders die chronische Entzündung der Pars prostatica der Harnröhre mit stärkerer Beteiligung des Caput gallinaginis, wie sie nach verschleppter Gonorrhöe vorkommt. Man nimmt an, daß eine Erschlaffung des elastischen Gewebes in und um die Ductus ejaculatorii in solchen Fällen vorliege. — Begünstigend wirken Varicocele, Phimose, abnorme Zustände am Rektum (Hämorrhoidalknoten, Schrunden u. s. w.), welche die Kotentleerung erschweren, ebenso habituelle Verstopfung. Als allgemein disponierend ist mit großer Entschiedenheit und mit gutem Recht die neuropathische Konstitution (§ 60) bezeichnet worden. Die Diagnose hat in erster Linie festzustellen, ob die aus der Harnröhre entleerte Flüssigkeit wirklicher Same ist. Die Kranken werden sehr durch die aus der P r o s t a t a , d e n COWPEKsehen u n d LITTREsehen D r ü s e n s t a m m e n d e n , bei
starkem Pressen während des Stuhlganges und bei Erektionen in die Harnröhre gelangenden Massen beängstigt, welche sie für Sperma halten. Nur das Mikroskop erlaubt eine sichere Diagnose. Freilich können bei rasch aufeinander folgenden
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Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane.
Ergüssen zeitweilig die Samenfäden fehlen, wie es unter solchen Umständen auch bei ganz Gesunden geschieht. Allein wiederholte Untersuchungen lassen ausgebildete oder Jugendformen der Sperrnatoiden nur selten vermissen. — Ebenso geben sie darüber Auskunft, ob nicht etwa die von einem Coitus oder einer Pollution stammenden Sperrnatoiden durch den Harn einfach aus der Harnröhre ausgeschwemmt wurden (Pseudospermatorrhöe). — Unsere Kenntnisse über das Wesen der Harnröhrenflüsse sind durch die Untersuchungen FÜRBRINGER'S erheblich erweitert und vertieft worden. Besonders hervorzuheben ist: Der in vielen Fällen ausschließlich oder vorwiegend hier in Betracht kommende Saft der Prostata hat sehr bezeichnende Merkmale. Er ist dünnflüssig, von leicht saurer oder neutraler Reaktion und milchig getrübt. Dies ist durch massenhaft vorhandene farblose, mäßig stark lichtbrechende, meist runde, aber auch ovale oder eckige Körner bedingt, welche von kleinstem Durchmesser bis zu dem eines roten Blutkörperchens anwachsen können und wohl zum größeren Teil aus Lecithin bestehen. — Weitere morphotische Bestandteile sind Epithelien und die bekannten geschichteten „Prostataamyloide". Daß der eigenartige Spermageruch an dem Prostatasaft haftet, und daß die sogenannten Spermakrystalle (anderswo im Körper als CHABKOTsche Krystalle benannt und vorkommend) wesentlich in ihm entstehen, ist eins der Hauptergebnisse FÜBBBINGEB'S. Man muß eine Prostatorrhoe von der eigentlichen Spermatorrhöe trennen, die mikroskopische Untersuchung giebt dafür die entscheidenden Merkmale an die Hand. Veranlassung zur Prostatorrhoe kann eine vermehrte Absonderung der Drüse, aber auch ein Katarrh derselben liefern, wie er besonders häufig nach der Gonorrhöe zustande kommt. — Zu erwähnen ist noch, daß bei stärkerer geschlechtlicher Erregung des Mannes auch die Co WPER sehen und L I T T B E s e h e n Drüsen ihren Saft in die Harnröhre übertreten lassen. Derselbe ist farblos, ziemlich klar, fadenziehend, mucinhaltig, nur Epithelien oder größere Rundzellen führend. Die entleerte Menge beträgt nur einige Tropfen. Eine pathologische Bedeutung hat die bei leicht erregbaren Männern öfter zu beobachtende Erscheinung nicht. Sie dürfte in Analogie mit der stärkeren Absonderung des Speichels zu setzen sein, welche bei Hungernden auftritt, sobald dieselben den Geruch von Speisen wahrnehmen. — Alle diese Umstände sind für die Diagnose des Harnröhrenflußes von maßgebender Bedeutung. Daneben ist darauf zu achten, ob unter den vielen Leiden, die geklagt werden, wirklich eines oder das andere einen anatomischen Grand hat; es gilt hier das für Hypochondrie Bemerkte (§ 65). Nicht geringe Schwierigkeiten bietet die Erforschung der Thatsache, ob noch von den Kranken Onanie getrieben wird; so bereitwillig das für die Vergangenheit zugestanden wird, so hartnäckig wird es meist für die Gegenwart geleugnet. Die Prognose ist im allgemeinen und für die Mehrzahl der Fälle nicht ungünstig. Anders, wenn ererbte neuropathischeKonstitution vorliegt, wo diehierbesprochenen Erscheinungen nicht selten liur als Äußerungen des Grundleidens auftreten. Es sind dann Ausgänge in Psychosen keineswegs ausgeschlosen. In ganz seltenen Fällen kommt es unter diesen Bedingungen auch zu schwerster Kachexie, und der Tod erfolgt, ohne daß eine anatomisch nachweisbare unmittelbare Veranlassung auffindbar wäre durch Marasmus.
Krankhafte Samen veri uste.
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Die Behandlung hat vor allem die Grundursache wenn möglich zu beseitigen. Man darf nie vergessen, daß in einer sehr großen Zahl von Fällen, selbst bei starken Onanisten, die Erscheinungen erst von dem Augenblick an zu krankhaften wurden, wo durch das Lesen einer der populären Schandschriften die Aufmerksamkeit des Kranken auf die Vorgänge in seinem Körper hingelenkt waren. Es soll gewiß nicht in Abrede gestellt werden, daß Onanie Schaden bringen kann, aber es muß ebenso bestimmt hervorgehoben werden, daß dies lange nicht immer der Fall ist. Bei Knaben, die oft schon in frühester Jugend dem Laster verfallen und kein Maß und Ziel kennen, stellen sich üble Folgen begreiflicherweise in ganz anderem Grade ein, als bei erwachsenen Männern. Der Arzt muß wissen, daß nicht, wie durch die populären Schreiber unter den Leuten verbreitet wird, der Akt der Onanie selbst unheilbaren Schaden bringt, sondern nur dessen häufige Wiederholung in kurzen Zwischenräumen. Die Mitteilung dieser Thatsache reicht oft hin, dem nicht an Spermatorrhöe, wohl aber an Hypochondrie und, wie das bei feiner angelegten Naturen nicht selten ist, an tiefer Selbstverachtung Leidenden Heilung zu bringen. Das heißt, wenn er sich überzeugen läßt, und dies ist lange nicht immer der Fall. Mit schärfster Betonung muß unter allen Umständen vor weiterer Benutzung der populären Schriften gewarnt werden; jeder erfahrene Arzt weiß, daß sie trotz ihrer abschreckenden, ins Ungeheuerliche übertreibenden Schilderungen nicht ganz selten unmittelbar zur Masturbation verleiten. — Bei den meisten Menschen wäre eine Regelung der Geschlechtsthätigkeit, wie sie durch die Ehe geboten wird, das sicherste Schutzmittel — allein wie die Verhältnisse der Gesellschaft nun einmal sind, ist dasselbe nicht immer anzuwenden. Es verdient bemerkt zu werden, daß unter dem eigentlichen Volk, namentlich unter den Landbewohnern, alle die Dinge viel seltener sind, als bei den höheren Klassen; es hängt dies unzweifelhaft damit zusammen, daß jenen durch frühes Heiraten und die mit ihren Gewohnheiten und sittlichen Auffassungen vereinbare Gelegenheit zu außerehelichem Geschlechtsverkehr die natürliche Befriedigung des Triebes in weitaus höherem Maße gewährt wird. — Es wäre eine verkehrte Prüderie, wenn der Arzt nicht unter Umständen den sich ihm Anvertrauenden gegenüber Bemerkungen, die diese Seite der Sache berühren, laut werden lassen wollte; wieweit man gehen will, bleibt dem Takt und der Stellung überlassen, welche der einzelne der ethischen Seite der Frage gegenüber einnimmt. — Mißbrauch und übermäßiger Gebrauch der Geschlechtsorgane ist entschieden zu widerraten, dabei ist auch vor Gedankenunzucht zu warnen. Eine sogenannte moralische Behandlung des Kranken mit Regelung seiner Lebensweise in dem Sinne, daß er körperlich und geistig bis zur Ermüdung angestrengt wird, ist zu versuchen. Es darf nicht vergessen werden, daß ein altes wahres W o r t Bakchus den Vater der Venus nennt. — Die Häufigkeit der Pollutionen wird durch leichte Bedeckung während der Nacht entschieden gehindert; es ist darauf zu dringen, daß morgens gleich nach dem Erwachen das Bett verlassen werde. Unter Umständen — bei sonst Kräftigen, welche durch anhaltende Erektionen im Schlaf gestört und zu erotischen Vorstellungen veranlaßt werden — kann die Darreichung von Bromnatrium in nicht zu kleinen Gaben (3 g je zweimal im Laufe der dem Schlafengehen voraus gelegenen sechs Stunden) von Nutzen sein. Man darf damit aber nicht zu lange fortmachen. Bei wirklicher Spermatorrhöe, hat sich der Gebrauch von Kühlsonden — geschlossene Katheter, welche von kaltem Wasser durchströmt werden — von
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Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane.
großem Nutzen erwiesen. Zumal, wenn es sich um übermäßige Erregbarkeit der Pars prostatica handelt. Ist diese entzündlich verändert, dann kann die örtliche schwache Ätzung mit Höllenstein vorteilhaft sein. Auch die elektrische Behandlung (konstanter Strom) wird von namhaften Ärzten empfohlen. Der Erfolg aller dieser Heilverfahren ist übrigens nicht nur durch die lokale Beeinflussung bedingt, die günstige Rückwirkung auf das Allgemeinbefinden muß ebenso dem Umstände zugeschrieben werden, daß der Kranke, davon überzeugt, daß etwas Ernstes mit ihm und für ihn geschieht, sich geistig wieder aufrichtet. — Sind Störungen der Ernährung vorhanden, dann müssen diese sorgfältig beachtet werden. Für die dyspeptischen Beschwerden gelten die allgemeinen Regeln, im besonderen wäre zu bemerken, daß Stryehnin in kleinen Gaben (dreimal täglich 0,001—0,003 g) manchmal gute Dienste thut. Etwa vorhandene Verstopfung muß unter allen Umständen beseitigt werden. — Kaltwasserkuren, ein Aufenthalt an der See oder im Gebirge kann gegen die allgemeine Herabstimmung von nöten werden. Die Bedingungen des Einzelfalls entscheiden über die Wahl des Orts. § 255.
Impotenz.
Als I m p o t e n z wird ein Zustand bezeichnet, bei dem die Begattung zeitweilig gar nicht oder doch nur unvollkommen von dem Manne ausgeführt werden kann. Man findet machmal mechanische Hindernisse: zu kleiner, zu kurzer Penis, Tumoren, Schwielen, Knoten in demselben, Penisknochen, Mißbildungen am Frenulum u. s. w. Diesen reihen sich pathologische Zustände der Hoden an: Atrophie, Fehlen derselben (nach der Kastration), Tumoren, die das Drüsengewebe vernichten. Weiter kommen Zustände allgemeiner Schwäche in -Betracht, die vorübergehend (während und nach akuten Infektionen, überhaupt allen mit schwerem Fieber verlaufenden Zuständen) oder dauernd (unheilbare Kachexie; Tabes dorsalis, Diabetes mellitus u. s. w ) Impotenz im Gefolge haben. — Als wichtige Gruppe ist die zu nennen, wo trotz vollständiger Fähigkeit zur Begattung psychische Einflüsse dieselbe unmöglich machen — moralische Impotenz. Das findet sich verhältnismäßig häufig bei jung verheirateten Ehemännern, denen die ersten Versuche zur Kohabitation mißlangen, weil keine ausreichende Erektion zustande kam. Entweder fand die Steifung des Gliedes überhaupt nicht statt, oder dieselbe dauerte so kurz, daß die Ejakulation"schon vor dem Eindringen des Gliedes in die weiblichen Geschlechtsteile stattfand und nun sofort dessen Abschwellung folgte (reizbare Schwäche). Es handelt sich oft um Männer, welche entweder vor dem Eingehen der Ehe ganz oder fast ganz keusch gelebt haben, daneben aber — und das ist die Mehrzahl — um Leute, die stark ausschweiften, besonders um solche, die der Onanie ergeben waren. Bei beiden kommt die Furcht, den Koitus nicht vollziehen zu können, als wesentliches Hemmnis für den normalen Ablauf des Begattungsvorganges in Betracht. —• Es ist noch der paralytischen Impotenz zu erwähnen, welche mit dauernder Unfähigkeit zu Erektionen einhergeht und öfter mit Mangel des Geschlechtstriebes überhaupt verbunden ist. Der Zustand ist nicht häufig; noch seltener ist er angeboren, als durch Excesse und Onanie erworben. Nicht immer ist eine objektiv nachweisbare Störung an den Genitalien dabei vorhanden, indes kommt dieselbe als vorzeitiges Welkwerden derselben und als Hodenatrophie vor.
Impotenz. Männliche Unfruchtbarkeit.
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Prognose und Behandlung richten sich nach den Ursachen. Operatives Eingreifen ist gegebenen Falls imstande, die mechanische Möglichkeit zum Beischlaf zu schaffen, mit der Besserung der allgemeinen Ernährung, mit der rückkehrenden Kraft werden die Rekonvaleszenten potent. Die moralische Impotenz wird fast immer geheilt, und zwar von dem Augenblicke, wo es gelingt, dem Verzagten das Vertrauen zu sich selbst wiederzugeben. Es ist also im wesentlichen eine psychische Behandlung geboten — je nach Lage des Falles kann es wünschenwert werden, diese mit mechanischen Hilfsmitteln (Einlegen der Kühlsonde; Anwendung des galvanischen Stromes) oder mit innerlich gereichten Arzneien zu verbinden. Man wird, falls nicht anderweitige Störungen bestimmte Aufgaben stellen, nur Indifferentes wählen, niemals aber zu den Aphrodisiaca, von denen nur die Kanthariden vielleicht etwas nützen können, greifen. — Die paralytische Impotenz giebt eine schlechte Prognose — für ihre Therapie kommt außer den Versuchen, die durch Ausschweifungen verloren gegangene Kraft so viel wie möglich wieder zu schaffen, noch die Elektrizität am meisten in Betracht. § 256.
Männliche Unfruchtbarkeit.
Trotz der Fähigkeit, in normaler Weise den Beischlaf auszuführen, kann der Mann zeugungsunfähig, unfruchtbar sein. Man unterscheidet Aspermatismus — es wird ein spermatoidenhaltiges Sekret abgesondert, dasselbe aber nicht durch die Ejakulation entleert — und Azoospermie — in der ejakulierten Flüssigkeit sind keine Samenfaden enthalten. Ursachen des Aspermatismus sind Störungen in der Wegsamkeit der Kanäle, durch welche der Same austritt, meist durch Gonorrhöe herbeigeführte Strikturen und Narbenbildungen in der Harnröhre und der Prostata. J e nach dem Sitz des Hindernisses wird der Same hier oder dort zurückgehalten; er kann nach Erschlaffung des Gliedes hervorquellen oder wird erst mit dem Harne entleert; vielleicht ist er zum größeren Teil bei dem Nachlaß der Erektion und der damit einhergehenden Aufhebung des hinter dem Caput gallinaginis gelegenen Abschlusses gegen die Blase in diese gelangt. — Wenn es durch chirurgische Eingriffe gelingt, die Samenwege zu öffnen, ist der Aspermatismus und damit die männliche Unfruchtbarkeit geheilt. Als seltenere Abnormitäten sind zu nennen: Während des selbst durch lange Zeit normal ausgeführten Koitus kommt es nicht zum Samenerguß und nicht zu dem damit verbundenen höchsten Grad der geschlechtlichen Lustempfindung — im Schlaf kann beides als regelmäßige Pollution stattfinden. — Nur bei der Kohabitation mit bestimmten Frauen bleibt der Samenerguß und das Wollustgefühl aus. — Anatomische Veränderungen sind beide Male nicht nachweisbar.
Die Azoospermie wird durch Leitungshindernisse innerhalb der Nebenhoden und der Vasa deferentia bis zur Einmündung der Samenbläschen, oder durch die Unfähigkeil der Hoden, Samen hervorzubringen, bedingt. Letzteres ist selten, das erstere keineswegs häufig und meist eine Folge der Gonorrhöe. Die Prognose dürfte fast stets absolut schlecht, von einer Therapie kaum die Rede sein.
XIII.
Krankheiten der Haut. § 257.
Erkrankungen der Talgdrüsen.
D i e mit den Haarbälgen eng verbundenen T a l g d r ü s e n sind von einfachem acinösen Bau, oder, wenn mehrere zusammentreten, nähert sich ihr Bau dem der traubenartigen Drüsen. Ihr Inhalt besteht aus fettig entarteten Epithelzellen, freiem Fett und Cholestearin; als unschuldigen Bewohner beherbergen sie öfter eine Milbe (Acorus follieulorum). Seborrhöe.
Wird der Talg in zu reichlicher Menge gebildet, dann redet man von S e b o r r h ö e . Es wird eine doppelte Form derselben unterschieden: Seborrhoea oleosa, wenn das Sekret dünnflüssig bleibt, Seborrhoea sicca, wenn dasselbe erstarrt — beides kommt nebeneinander vor. Über den ganzen Körper verbreitet ist die Seborrhöe nur bei Neugeborenen zu finden (Vernix caseosa aus Fett der Talgdrüsen und aus Epidermis, die während des intrauterinen Lebens gebildet und angehäuft sind, bestehend). Nach dem Orte ihres Auftretens werden benannt: Seborrhoea capillitii: Bei Kindern, denen der aus dem intrauterinen Leben mitgebrachte Uberzug wohl von den anderen Körperteilen, nicht aber vom Kopf entfernt wurde, weil dies nach der weit verbreiteten Volksmeinung ungesund sei. Durch den sich bald einbettenden Staub bilden sich bei fortdauernder Absonderung der Talgdrüsen dicke, schmutzig gefärbte, ziemlich fest anhaftende Krusten, unter welchen die Hautoberfläche wie mazeriert erscheint; nicht selten stellt sich wirkliche Entzündung in den oberen Schichten der Haut (Ekzem) ein. Das Ganze wird unter dem Namen Grind zusammengefaßt. — Bei Erwachsenen ist entweder eine einfache überstarke Abscheidung flüssigen Fettes vorhanden, dann erscheint das Haar dauernd wie stark mit Ol getränkt, oder es findet sich der Talg in fester Form. Im ersten Fall ist wegen der überaus begünstigten Ansammlung von Staub, der an der fettigen Oberfläche leicht haftet, der Kopf schwer reihzuhalten, und die Haare verkleben untereinander. Bei der trockenen Seborrhöe sieht man weiße oder durch Schmutz gefärbte Talgschollen mit Epidermislamellen untermischt auf der Kopfhaut liegen und am Haare haften, welches dadurch wie bestäubt erscheint. — ^Auch hier kann es zur ekzematösen Entzündung kommen, namentlich dann, wenn durch Ranzigwerden des ungenügend entfernten Fettes Juckreiz auftritt und infolge davon gekratzt wird. — Die Seborrhoea faciei in beiden Formen ist nicht selten mit jener des Kopfes verbunden. Man sieht das Gesicht fettig glänzen
Erkrankungen der Talgdrüsen.
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oder mit weißen Schuppen bedeckt, welche namentlich an den Ausläufern des Stirnhaares, sowie an und über den Augenbrauen in größeren Mengen angehäuft sind. Bei schwererer Erkrankung, welche nach Pocken sehr oft sich ausbildet, können diese Schuppen zu dicken Krusten zusammenfließen. Nur selten ist das ganze Gesicht davon überzogen. — Die Mündungen der Talgdrüsen sind regelmäßig erweitert, die nicht leicht von ihnen zu entfernende Kruste trägt an ihrer inneren Seite kleine zapfenähnliche Vorsprünge, Abdrücke der Drüsengänge. — Übergänge in Lupus erythematosus kommen vor. — Seborrhöe zeigt sich ferner noch am Nabel, an den Geschlechtsteilen, sowie an einzelnen Stellen der Brust und des Rückens. — Die Prognose ist meist eine gute, die Heilung erfordert aber viel Zeit. — Die Therapie besteht in: Entfernung des vorher erweichten Sekrets: Olycerin mit Wasser oder Alkohol (eins zu vier) oder Vaselin, auch einfache Fette werden eingerieben, und in schweren Fällen unmittelbar nachher die leidenden Teile mit Flanellstreifen, welche mit diesen Massen durchsetzt sind, bedeckt. Solche „Masken" bleiben 12 Stunden liegen, sie werden nach Ablauf dieser Zeit zwei- bis viermal erneuert. — Dann wird die Haut mit warmem Seifenwasser gereinigt. — Nun folgt die Anwendung der Schmierseife; diese selbst wird drei Tage lang dreimal täglich in die erkrankten Teile eingerieben, oder bei -langem Haar dazu eine Lösung derselben in Alkohol (R Nr. 60) verwandt. Wird die Reizung der Haut zu stark, entsteht namentlich Ekzem, dann hört man mit den Einreibungen auf, läßt aber erst nach drei Tagen von Anfang an gerechnet die Seife durch Waschung entfernen; so lange ist mit dem Abwaschen überhaupt zu warten. Am zweiten Tage nach dem Abwaschen darf eine milde Salbe (Uguent. rosatum oder leniens) eingerieben werden. Um Rezidive zu verhüten, wird eine alkoholische Lösung von Chloralhydrat ( 5 % ) zweimal täglich, Karbolsäure (0,15 °;0) oder Gerbsaure in Salbenform (10 ° 0 ) empfohlen. Gegen das Ausgehen der Haare werden Reizmittel des Haarbodens (R Nr. 15) zur Anwendung gebracht. — Genügt solch einmaliger Cyklus nicht, dann muß derselbe in Zwischenräumen wiederholt werden. — Bei leichteren Formen und bei ambulanter Behandlung soll abends eine Einreibung von Ol stattfinden, welches morgens durch Abreiben mit einem trockenen Tuch entfernt wird. Morgens und abends wird das Gesicht mit einer Lösung von Kaliumkarbonat, der offizinellen (1 Teil des Salzes auf 3 Teile Wasser) oder ihrer Verdünnun g bis zum Vierfachen, und mit Wasser gewaschen, nachher wird ein wenig Vaselin eingerieben. — Die Seborrhöe der Genitalien wird durch dreimal täglich zu wiederholende Waschungen mit 1°,0 wässeriger Karbollösung und nachheriges Bepudern am besten behandelt. Asteatosis.
Die ungenügende Absonderung von Hautfett ( A s t e a t o s i s ) bewirkt Trockenheit und Rissigkeit der Haut, ein häufiger im Gefolge anderer Hauterkrankungen, als selbständig auftretendes Übel. E s muß durch Einreibung von Fetten der Mangel ersetzt werden. Komedonen.
Bleibt verhärteter Hauttalg in den Ausflihrungsgängen zurück, dann ragt die leicht geschwellte Drüse etwas über die Umgebung hervor, an ihrer Mündung durch den vom Staub braun bis schwarz gefärbten Talgpfropf bezeichnet. Übt
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Krankheiten der Haut.
man einen vom Grunde gegen die Mündung der Drüse gerichteten Druck aus, so entleert sich der Inhalt als wurstartige, oben schwärzlich, dann gelblich gefärbte Masse, die meist in den oberen Teilen etwas härter, in den unteren weicher ist. Sie besteht aus Fett, Cholestearin und fettig zerfallenden Zellen und ist nach außen von einer Schicht Epidermiszellen umgeben. Neigung zur Entzündung der Drüsen ist vorhanden. Komedonen sind am reichlichsten im Gesicht, an dem Nacken und dem Rücken, auch wohl an den Genitalien. Man entfernt den Drüseninhalt durch Druck (Uhrschlüssel, Nägel) und wäscht nachher einige Zeit die Haut mit einer stärkeren Kaliseife. Milium.
In einer anderen Form zeigt sich der gleiche Vorgang, wenn hinter der durch das Sekret verschlossenen Mündung eine offenbar so langsam und allmählich, daß entzündliche Reizung vermieden wird, geschehende Anhäufung stattfindet. Ohne daß der Ausführungsgang sichtbar wurde, sammelt sich innerhalb der Drüse ihr Sekret an und wölbt dieselbe als ganzes leicht hervor, so daß, von einer dünnen Epidermisschicht bedeckt, bis hirsekorngroße Knötchen zum Vorschein kommen. — Milium ist im mittleren Lebensalter, Komedo im früheren, namentlich während des unmittelbar auf die Geschlechtsreife folgenden, häufiger. U m die Milien zu entfernen, muß man die sie bedeckende Haut ritzen und nachher leichten Druck üben. Die Nachbehandlung ist die gleiche wie bei den Mitessern. Das Atherom — die (frützgeschwulst — wird herkömmlich in der Chirurgie abgehan delt; obgleich sie die nämliche Entstehung hat. Acne simplex.
Wenn in einer Talgdrüse Entzündungo auftritt — häufigo ist das mit Komeo donenbildung verbunden und im Gesicht, auf der Brust und auf dem Rücken sind die Effloreszenzen am reichlichsten — spricht man von A c n e . Aus dem vom Mitesser herstammenden Knötchen bildet sich eine von rotem Entzündungshof umgebene eiterführende Pustel, welche an ihrer Spitze nicht selten den schwarzen Punkt desselben trägt. Die Entzündung kann in die Nachbarschaft sich ausdehnend zu einer, selten an sich umfangreichen, wohl aber durch Zusammenfließen mehrerer Herde etwas stärkeren Eiterbildung führen, welche, in die Tiefe greifend, Narben hinterläßt. In schwereren Fällen kann so eine dem Vorgang bei der Furunkulose ähnliche örtliche wie allgemeine Störung hervorgerufen werden. Das Leiden ist äußerst hartnäckig, die Zeit von der Pubertät bis zur Mitte oder bis gegen das Ende der zwanziger Jahre ist die am häufigsten befallene. — Die Behandlung hat für frühzeitige Entfernung des Eiters zu sorgen. Außerdem sind Waschungen mit kalihaltiger Seife und schwefelhaltige Mittel (R Nr. 65) am Platz. Erwähnenswert ist, daß nach dem innerlichen Gebrauch von Jod- und Brompräparaten eine Acne auftreten kann, welche mit dem Aussetzen der Mittel verschwindet. Acne rosacea.
Bei der A c n e r o s a c e a (nach der hauptsächlichen oder doch der am meisten in die Augen fallenden Lokalisation auch Kupfernase genannt) treten zu der Entzündung der Talgdrüsen noch andere Veränderungen: Erweiterungen der feineren Blutgefäße und Hypertrophie des Bindegewebes, hinzu. Man sieht an
Erkrankungen der Talgdrüsen. Lupus erythematosus.
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der Nase, der Wange, den unteren Teilen der Stirn, den oberen des Kinnes die ausgedehnten und geschlängelten Blutgefäße in ihren Zwischenräumen Knötchen der Acne simplex einschließen, aber bei den schwereren Formen auch vielgestaltige Wülste und Knollen gewucherten Bindegewebes durchziehen. Das Volk redet von Gurken- oder Traubennase und schreibt, nicht immer mit Unrecht, dem übermäßigen Genuß konzentrierter Alkoholika (Rummel-, Schnapsnase) die manchmal erhebliche Entstellung zu. — Die Heilung ist nicht leicht zu erreichen. Selbst wenn ein Gewohnheitstrinker Entsagung lernt — immerhin ein nicht häufiges Vorkommnis —, bleibt ihm die Acne. In den leichteren Graden werden Schivefelpräparate am meisten empfohlen: abends eine gründliche Waschung mit Seife, darauf eine Einreibung mit Schwefelsalben, welche bis zum Morgen an Ort und Stelle belassen werden. Bei höherer Entwicklung des Übels sucht man durch Stichelung der erweiterten Gefäße diese zum Verschluß zu bringen, wobei die Regel gilt, daß man allmählich vorgehen muß. Sind reichliche Bindegewebswucherungen (Knollen) vorhanden, dann nützt einzig eine durch den Schönheitssinn des Operateurs zweckmäßig geleitete Exstirpation. Sykosis Simplex (Mentagra).
Die an den stärker behaarten Teilen des Körpers, namentlich in der Bartgegend, auftretende Entzündung der Haar- und Talgdrüsen, wobei es zur Bildung von Knötchen, von Knoten und, durch deren Zusammenfließen, zu Infiltraten, welche über größere Flächen ausgebreitet sind, kommt, und wobei später Vereiterung eintritt, nennt man S y k o s i s oder M e n t a g r a . Die Knötchen sind von einem Haar in ihrer Mitte durchbohrt, sie treten im Beginn des Leidens vereinzelt, später in ¡größerer Anzahl und meist dicht gedrängt, auf. Der in ihnen gebildete Eiter fließt zu einer durch sein Austrocknen entstehenden festen Kruste zusammen, unter der nun die Entzündung weiter geht. Andere Male kommt es zu Granulationsbildungen, welche in der Form von unregelmäßig zerklüfteten Wülsten die Haut überragen, oder zu Formen, welche dem Furunkel gleichen. — Das Haar an den ergriffenen Stellen fällt aus, der sich selbst überlassene Krankheitsvorgang heilt nach langsamem Verlauf mit Hinterlassung flacher Narben. Die Behandlung besteht darin, daß man zunächst täglich rasiert, dann die Haare an den erkrankten Stellen mittels der Pinzette einzeln entfernt und die Knoten mit einem schmalen Messerchen einschneidet. Nachher werden die kranken Teile mit einer auf Flanelllappen gestrichenen Salbe (Unguent. diachyli) fest bedeckt; die Lappen bleiben jedesmal 12—24 Stunden liegen. Waschungen mit Seitenwasser können täglich stattfinden. — Zur Nachbehandlung wird ein schwefelhaltiges Liniment (R Nr. 56) nachts aufgelegt; das Rasieren ist auch nach der Heilung fortzusetzen. Sykosis parasitica. Die parasitäre Sykosis ist von der einfachen ätiologisch verschieden; während bei dieser eine Ursache des Übels nicht bekannt ist, findet sich bei der parasitären ein Pilz — Trichophyton tonsurans. Im übrigen sind die Verhältnisse die gleichen. § 258. Lupus erythematosus.
Die Entwicklung des L u p u s e r y t h e m a t o s u s geht so vor sich: Stecknadelkopf- bis erbsengroße, getrennte oder zu Gruppen vereinigte gerötete Flecke oder Knötchen, bei Fingerdruck erblassend, auf harter Basis aufsitzend mit v J u r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. II Aull
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Krankheiten der Haut.
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flacher Vertiefung in der Mitte, welche weiß oder mit dünnen, fest aufliegenden Schüppchen bedeckt erscheint, zeigen sich zuerst im Gesicht, immer in größerer, bisweilen in sehr großer Anzahl. Das Centrum entspricht dem Ausführungsgang eines Follikels, welcher erweitert ist; in ihn ragt ein aus Epidermis und Hauttalg bestehender Zapfen hinein. — Nun bildet sich der Fleck in doppelter Weise weiter: Der rote geschwellte Wall breitet sich nach der Fläche hin weiter aus, sich scharf gegen die gesunde Haut absetzend, mit gelb-weißen und trockenen oder mit fettig sich anfühlenden gelben Schüppchen und offenen oder durch Kornedonen angefüllten Mündungen der Follikel bedeckt. Das Centrum rückt nach, indem es sich mehr vertieft, ein narbiges Aussehen und narbige Härte annimmt; es ist gleichfalls mit Schuppen versehen. Durch Zusammenfließen mehrerer kleiner Flecke bilden sich ebenso wie durch das Weiterwandern eines einzigen größere Scheiben aus, die unregelmäßig begrenzt erscheinen und allmählich einen sehr großen Teil der Gesichtshaut überziehen. Die Nase, die Ohren, die Gegend um den Mund und um die Augenlider, aber auch der behaarte Kopf werden so befallen; die Haare werden überall dauernd vernichtet. — Nach Ablauf längerer Zeit — oft von Jahren — tritt Heilung ein, meist mit Narbenbildung, seltener mit vollkommener Wiederherstellung der Haut. Leichtes .Tücken ist außer der Entstellung das einzige, was bei dieser Form — dem Lupus erythematosus discoides — den Kranken belästigt. A n d e r s bei d e m Lupus
erythematosus
aggregatus:
Hier bilden sich in kurzer Zeit nicht nur im Gesicht, sondern auch an anderen Teilen des Körpers sehr zahlreiche Flecken, die, isoliert oder dicht nebeneinanderstehend, mit Borken und Krusten bedeckt sind, so daß sie wie ein impetiginöses Ekzem erscheinen. Solche Schübe folgen rasch aufeinander oder sie sind durch längere Zwischenräume getrennt. Es kann dabei geschehen, daß eine erste Eruption, örtlich beschränkt bleibend, das Bild der discoiden Form liefert; diese Beschränkung trifft nicht nur das Gesicht, der Nacken, die Arme, Finger und Zehen können ebenso gesondert erkranken. — Man findet weiter noch als Begleiter
eines allgemeinen Ausbruches:
1. hasel- bis w a l n u ß g r o ß e , vielleicht g a r
in das Unterhautgewebe sich erstreckende Knoten, welche schmerzhaft sind, und nach wenigen Tagen verschwindend auf der sie bedeckenden Haut die charakteristischen Lupusflecke zurücklassen. 2. Anschwellungen, gleichfalls mit Schmerz verbunden, um die Gelenke. 3. Knochen- und Kopfschmerzen, besonders nachts sich verstärkend. 4. Schwellungen der Lymphdrüsen, mit dem Einzelanfall kommend und gehend. Mit all diesem kann eine Lupuseruption in loco affecto verbunden sein. 5. Erysipel beschränkt oder sich ausbreitend — eine sehr häufige Komplikation. — Nicht nur das Erysipel ruft Fieber hervor, solches ist mit jedem neuen Ausbruch verbunden und manchmal ziemlich bedeutend. — Uber die Ätiologie ist nicht viel bekannt; man weit! nur, daß sich der Lupus bisweilen nach Pocken entwickelt, scheinbar aus der Seborrhöe, welche dann zuerst auftritt, hervorgehend. Das mittlere Lebensalter und das weibliche Geschlecht scheinen bevorzugt. Anämie sowie eine chronische Erkrankung der Genitalien des Weibes sollen häufig neben der Krankheit zu finden sein. Anatomisch handelt es sich um eine Entzündung der Cutis, bei welcher die Follikel meist stärker beteiligt sind. Die Prognose der aggregierten Form ist quo ad vitam nicht unbedingt günstig. Als örtliches Übel betrachtet, zeigt sich die Krankheit äußerst hartnäckig.
Lupus erythematosus. Anomalien der Schweißabsonderung.
Ephidrosis.
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Die Behandlung ist eine vollständig empirische. Es wird von allen Seiten hervorgehoben, daß die verschiedenen Atzmittel, schwache (Kaliseife) wie starke (kaustische Alkalien und Mineralsäuren), einmal günstig, das andere Mal ungünstig wirken. Man muß mit den einzelnen Mitteln und ebenso mit der Konzentration derselben wechseln, bis man das für den gegebenen Fall geeignete gefunden hat. Neuerdings wird die Pyrogallussäure (1 auf 10 Vaselin) sehr empfohlen. Man läßt diese Salbe auf Leinen gestrichen 3—4 Tage lang, bis sich ein Schorf gebildet hat, wirken, und bestreut denselben dann mit einer dicken Schicht von Jodoform, das mit Jodoformgaze bedeckt und durch einen Verband befestigt wird. In sehr hartnäckigen Fällen bleibt nur der chirurgische Eingriff: Stichelung, oder galvanokaustische Verschorfung werden dem Ausschaben mit Hilfe des scharfen Löffels vorgezogen. § 259.
Anomalien der Schweissabsonderung.
Ephidrosis.
Über die Norm gesteigerte Schweißbildung nennt man, wenn sie sich auf den ganzen Körper erstreckt: Hyperhidrosis, wenn sie nur einen Teil desselben einnimmt: E p h i d r o s i s . Es sollen hier die habituellen, kaum als krankhaft zu bezeichnenden Zustände, obgleich sie allerdings für den damit Behafteten sehr lästig werden können, besprochen werden. Dazu gehören die lokal vermehrten Scluveißc an den Händen, an den Füßen, in der Achselhöhle, an den Genitalien und in der Umgebung des Afters. Abgesehen von dem unangenehmen Gefühl der feuchten Kälte, welches mit der. Berührung einer stark schwitzenden Hand verbunden ist, führen alle Ephidrosen so ziemlich zu dem gleichen: zur Mazeration der Epidermis und zu Einrissen in dieselbe, sogar Geschwürsbildung kann folgen. Wenn nicht die sorgfaltigste Reinlichkeit geübt wird, faulen die abgestoßenen Hautteile an Ort und Stelle, so daß die Ausdünstung einen entsetzlich widerwärtigen, kaum zu ertragenden Gestank annimmt; namentlich an den Füßen geschieht das. — Die Behandlung hat kaum je Aussicht, die örtliche Anomalie zu beseitigen, sie muß sich damit begnügen, ihre Folgen zu verhüten oder zum Verschwinden zu bringen. — In erster Linie ist Reinlichkeit zu empfehlen: mehrmals täglich wiederholtes Waschen mit Seife, oder mit verdünnten alkoholischen Flüssigkeiten. Nach dem Waschen wird die Haut mit einem Streupulver (gewöhnlicher Puder, Lykopodium, Talk mit ' 2 % Salicylsäure versetzt) eingestäubt. Die Kleider müssen häufig gewechselt werden, bei den an Fußschweiß Leidenden mehrmals täglich die Strümpfe. — Haben sich Schrunden (Intertrigo) gebildet, dann sind diese mit einem nicht ranzig werdenden Fett (am besten Vaselin) einzureiben. Fußschweiße werden am ehesten noch durch den fortgesetzten Gebrauch des H E B B A schen ünguent. diarhyli in Schranken gehalten. Die Vorschrift lautet: während eines Zeitraumes von zwei bis drei Wochen soll der Fuß, im Anfang einmal sorgfältig gewaschen und gereinigt, täglich ohne gebadet zu werden in eine mit der genannten Salbe mehrere Millimeter dick bestrichene Leinenumhüllung gebracht werden. Je nach Ablauf von 24 Stunden wird der Umschlag erneut, nachdem die Haut mit Ol von der sie bedeckenden Salbe oberflächlich befreit ist. Nach Ablauf dieser Zeit wird Baden und Einpulvern wie an den anderen Hautstellen empfohlen. — Meist soll eine derartige Behandlung für längere Zeit ausreichen. 47*
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Krankheiten der Haut. Änderungen in der Zusammensetzung des Schweisses.
Es kommt Färbung des Sehweißes (Chromhidrosis) in seltenen Fällen zur Beobachtung, am häufigsten wohl noch ist das Blau; auch Beimischung von Blut, welches aus den Grefäßen der Schweißdrüsen austritt (Hämathidrosis), ist beobachtet. Einzelne Leute haben einen überaus übelriechenden Schweiß — namentlich wieder an den Füßen macht sich das geltend — m a n redet dann von Osmidrosis. Alle diese Zustände sind keiner besonderen Behandlung zugänglich; bei dem letzten ist einzig die sorgfältigste Reinlichkeit imstande, das Übel erträglich zu machen. Bläschenbildung durch Schwitzen.
Bei stark Schwitzenden, namentlich bei fettleibigen Leuten entsteht besonders dort, wo die Haut von festanliegenden Kleidern bedeckt ist, oder wo sie natürliche Falten und Höhlen bildet, ein Ausschlag, welcher auf gerötetem Grunde Bläschen zeigt. Dieselben sind meist von Stecknadelkopfgröße, sitzen dicht gedrängt nebeneinander, trocknen nach 1—2 Tagen ein, werden aber durch Nachschübe erneut. Jucken ist immer damit verbunden. Die einzelnen Knötchen sind rot {Miliaria rubra) oder, wenn die sie bedeckende Epidermis mazeriert ist, weiß (Miliaria alba). Der Übergang in nässendes Ekzem findet nicht selten statt; das Ganze wird von der HEBBAschen Schule überhaupt zum Ekzem gerechnet. — Wohl zu unterscheiden ist die Miliaria crystallina, der Friesel. Hierbei zeigen sich gleichfalls Bläschen von der Größe eines Stecknadelkopfes bis zu der einer Linse, mit einem wasserklaren Inhalt gefüllt, so daß sie Tautropfen ähnlich auf der Haut erscheinen Wie der Schweiß selbst reagiert der Bläscheninhalt, alkalisch, neutral oder sauer; letzteres ist nicht selten. Jucken zeigt sich hier nicht, die Bläschen trocknen ein, und eine leichte Abschuppung bleibt an Ort und Stelle zurück, einem schmalen Ringe gleich, so die ursprüngliche Kugelform andeutend. Anatomisch handelt es sich um eine Ausdehnung der Ausführungsgänge der Schweißdrüßen durch Verlegung oder um eine zu starke Sekretion; die Hornschicht wird dabei abgehoben und bildet die Decke des Bläschens. Nach neuerer Auffassung liegt eine echte Entzündung des Papillarkörpers und des Epithels vor. Man hat früher von dem Schweißfriesel als einer eigentümlichen Infektionskrankheit gesprochen und namentlich die von Ende des 15. bis über die Mitte des 16 Jahrhunderts beobachteten Epidemien des englischen Schweißes damit in Verbindung bringen wollen. Ob es wirklich eine solche Erkrankung giebt, ist eine nicht allgemein bejahte Frage. Daß Frieselbildung auf der Haut bei einer Reihe von Infektionskrankheiten vorkommt (Pneumonie, Scharlach, pyämische Prozesse, Typhoid u. s. w.) ist sicher.
§ 260.
Erytheme.
Fluxionshyperämien der Haut, einerlei ob dieselben mit leichter entzündlicher Exsudation verbunden sind oder nicht, werden als E r y t h e m e bezeichnet; man unterscheidet davon noch die kleineren, wenige Millimeter im Durchmesser haltenden, scharf umschriebenen Flecke, welche aus dem gleichen Geschehen hervorgehen, als Roseola. Charakteristisch für diese ist die auf einen Teil der Haut beschränkte Rötung, welche dem Fingerdruck weicht, anfangs und bei den leichteren Formen überhaupt eine vollkommen normale, bei den schwereren hingegen eine leicht bräunliche Färbung hinterläßt. Im letzten Falle pflegt auch eine geringe Abschilferung der Epidermis zu folgen.
Anomalien der Schweißabsonderung.
Erytheme.
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Etwas Schwellung der Haut findet sich regelmäßig bei den Erythemen; subjektiv kommt es zur Empfindung von Spannung, vielleicht zu schwachem Juckreiz. — Die Ursachen der Erytheme sind sehr verschiedenartig: es wird die Scham- und Zornröte ebenso hierher gezählt, wie die bei manchen Infektionskrankheiten durch Lokalisation der Krankheitserreger in der Haut auftretenden leichteren Entzündungen derselben — überhaupt ist die ganze Gruppe eine rein symptomatisch gebildete, der inneren Einheit entbehrende. Erythems nodosum.
E r y t h e m a n o d o s u m (plagiforme) zeichnet sich aus durch das Auftreten von umschriebenen, teigig weich anzufühlenden Geschwülsten in der Haut, welche erbsen- bis faustgroß werden, blaßrot anfangs gefärbt sind, dann dunkelrot, blau, endlich grün oder gelb werden, spontan und bei Druck schmerzen, nur selten jucken. — Vereiterung der Knollen kommt niemals vor, ihre Rückbildung findet im Laufe einiger Wochen statt. Dem äußeren Anblick nach ist die Ähnlichkeit mit Beulen, welche durch Kontusion entstanden sind, eine fast vollständige. — Sitz des Erythema nodosum sind die Extremitäten, namentlich die unteren, aber auch das Gesicht und der Rumpf. Es kann die Zahl der Geschwülste eine ziemlich beträchtliche werden, zumal wenn sie nicht mit einem Male, sondern in mehrfachen Schüben zur Entwicklung gelangen. — Fast immer ist das Erythema nodosum mit einer Störung des Allgemeinbefindens verbunden. Fieberbewegungen bis zur Höhe von mehr als 40 0 gehen dem Ausbruch der Hauterkrankung vorher und begleiten dieselbe, ebenso sind dyspeptische Beschwerden regelmäßiger vorhanden. Von manchen wird eine leichte Entzündung der Gelenke als häufige Erscheinung angegeben; von anderen wird sogar über eine gleichzeitige Pleuritis, Endokarditis und Perikarditis berichtet. Diese Form dürfte zu der kryptogenetischen Septikopyämie in näheren Beziehungen stehen, vollgültige Beweise dafür sind aber noch nicht zu erbringen. — Es scheint nach allem, daß die Bildung der beschriebenen Beulen auf verschiedene Weise stattfinden kann. — Die gewöhnlichen Formen treten nicht selten bei chlorotischen Mädchen, überhaupt am ehesten zwischen 15. und 30. Jahre auf. — Die Schmerzhaftigkeit wird am besten durch örtliche Anwendung der Kälte beseitigt; im übrigen ist die Behandlung eine symptomatische. Erythema exsudativum multiforme.
Die Grundform des E r y t h e m a m u l t i f o r m e sind abgeflachte Knötchen und Knoten, linsen- bis bohnengroß, blaurot gefärbt, welche von einem roten Hof umgeben sind. Hand- und Fußrücken sind der Lieblingssitz, schon selten werden die Extremitäten, noch seltener Stamm und Gesicht befallen. — In weiterer Entwicklung dehnen sich die Knoten, flacher werdend, über ihre nähere Umgebung aus, gleichzeitig erblassen sie im Centrum, so daß nun eine rote Kreisfläche gebildet wird. Manchmal ist diese von einer zweiten konzentrischen umgeben, andere Male fließen die verschieden centrierten Kreise an ihrer Peripherie ineinander über; so entsteht ein sehr wechselndes Aussehen. Die Dauer des ganzen Vorgangs beträgt meist einige, höchstens bis acht Wochen. Die immer erfolgende Heilung geschieht unter leichter Pigmentierung der Cutis und geringer Abschilferung der Epidermis. Erythema multiforme kehrt bei dem einmal Ergriffenen leicht wieder; häufig um die gleiche Jahreszeit. —
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Krankheiten der Haut.
Heftigere Allgemeinerscheinungen sind nicht damit verbunden; Jucken, Brennen und Schmerz an den erkrankten Teilen erreichen nur selten einen höheren Grad. — Von anderen Autoren wird dagegen das Zusammenfallen des multiformen Erythems mit akutem Gelenkrheumatismus oder wenigstens mit einer Gelenk- und Herzerkrankung, welche mit Fieber verläuft, angenommen, auch hier dürfte die kryptogenetische Septikopyämie manchmal mit spielen. — Einige meinen, daß Krankheiten der serösen Häute überhaupt mit dieser Form des Erythems einhergehen können. Das Leiden an sich ist nicht häufig, noch seltener wohl ist jene Verbindung. — Der Behandlung bedarf es meist nicht. Urticaria.
U r t i c a r i a (Nesselausschlag, auch Nesselfieber) ist gekennzeichnet durch die rasche Entwicklung weißer oder roter, sich über die Haut erhebender, stark juckender, meist in größerer Anzahl auftretender Quaddeln, welche nach kurzem Bestände, ohne weitere Spuren als vielleicht eine leichte Pigmentierung zu hinterlassen, verschwinden. —• Urticaria kommt am ganzen Körper, aber auch auf einzelne Teile desselben beschränkt vor; bei der im Gesicht entstehenden ist Schwellung und Gedunsensein desselben ganz gewöhnlich, an anderen Stellen der Haut zeigt sich das minder deutlich oder gar nicht. — Der Ausbildung der Quaddel geht das Gefühl von Spannung und Wärme vorher, nach wenig Minuten wird es von heftigem Juckreiz abgelöst. Eine Quaddel folgt der anderen so rasch, oder viele treten zusammen in so kurzer Zeit auf, daß nach weniger als einer Stunde der ganze Körper damit bedeckt erscheint. Ob die Quaddel weiß oder rot gefärbt ist, hängt von der Füllung des Papillarkörpers mit Blut ab. Durch das" Uberfließen der einzelnen Proruptionen ineinander kommt auf der Haut ein buntes Gewirr von sich kreuzenden Linien und Flächen zum Vorschein. — Die Rückbildung geschieht an der einzelnen Quaddel vom Centrum zur Peripherie — an dieser läßt sich durch Reiben die verblaßte Zeichnung oft noch wiederherstellen, was für die Diagnose nicht ohne Bedeutung ist. — Urticaria entsteht dnrch sehr verschiedene Veranlassungen; man muß die unmittelbar die Haut treffenden Reize von jenen trennen, welche auf dem Blutwege zur Einwirkung gelangten. Als Hautreize wirken Insektenbisse und Stiche, das Gift der Brennnessel u. s. w. Bei Empfindlichen kommt es vor, daß sich der Einfluß eines solchen Reizes nicht unbedeutend über den Punkt, wo er angriff, hinaus erstreckt. — Nach dem Genuß bestimmter Dinge — bei dem einen sind es diese, bei dem anderen jene — die an sich den meisten nicht die geringste Beschwerde verursachen (Miesmuscheln, Krabben, Erdbeeren u. dgl.), tritt bei manchen Menschen Urticaria auf. Man darf hier von einer Idiosynkrasie reden, und es ist nicht unmöglich, daß auch starke Gemütsbewegungen ähnlich jenen minimalsten Reizen imstande sind das vasomotorische Nervensystem so. zu beeinflussen, daß eine Quaddelbildung auf der Haut erfolgt. In gleicher Weise ist vielleicht das häufigere Auftreten der Urticaria bei chronischen Uterin- und Ovarialleiden zu deuten. — Weiter stellt sich mit Magenüberladung, einerlei wodurch solche hervorgerufen wurde, sowie im Gefolge von Infektionen (Malaria) Urticaria ein. — Dem verschiedenartigen Ursprung entsprechend verhält sich auch das Allgemeinbefinden verschieden: Urticaria kann mit Fieber und gastrischen Symptomen, sie kann sogar (bei den idiosynkratischen Formen) mit ziemlich heftigen Hirnerscheinungen einhergehen, sie kann aber auch ein nur durch das starke
Erytheme. Herpes.
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und hartnäckige Jucken lästiges rein örtliches Leiden bleiben. — Für gewöhnlich ist die Dauer eine sehr beschränkte, wenige Tage, vielleicht nicht einmal einen einzigen in Anspruch nehmende. Es kommt indes eine chronische Form vor, welche Monate oder Jahre anhält; man redet dann von Nesselsucht. — Die Behandhing des prognostisch durchaus günstig zu beurteilenden Übels muß sich nach den Grundleiden richten. Die chronische Form weicht mitunter dem anhaltenden Gebrauch des Arsens (0,005 bis 0,01 g den Tag). — Auch Atropin (zu 0,001 bis 0,002 g pro die) wird empfohlen. — Gegen das Jucken nützt in vielen Fällen die subkutane Injektion von 0,01g Morphium; es scheint sogar, daß manchmal die Dauer des akuten Vorgangs dadurch wesentlich abgekürzt wird. Im übrigen sind kalte Waschungen, Bäder oder Douchen als Erleichterungsmittel zu empfehlen. § 261.
Herpes.
Als H e r p e s (Bläschenflechte) wird ein in der Form von hanfkorngroßen, zu Gruppen vereinigten, anfangs scharf geschiedenen, später oft zusammenfließenden, von einem gemeinschaftlichem, gerötetem Hof umgebenen Bläschen auftretender Ausschlag bezeichnet, welcher meist nicht mit einem Male, sondern in zeitlich mehr oder weniger auseinander liegenden Schüben entsteht. Der Inhalt der Bläschen ist anfangs serös, er kann es auch bleiben und durch Resorption vollständig verschwinden; dann stößt sich die obere Schicht der Haut oder Schleimhaut ab, eine nach kurzer Zeit wieder vergehende Rötung hinterlassend. In schwereren Fällen handelt es sich um eine tiefer greifende Entzündung: es treten weiße, sowie rote Blutkörperchen und gelöster Blutfarbstoff in die Bläschen über, der Entzündungshof wird dunkler, die Heilung findet nur mit einer manchmal recht beträchtlichen Narbenbildung statt. Herpes facialis.
Nach seinem Sitze wird der H e r p e s f a c i a l i s aus der Gruppe abgetrennt. An den Lippen und an der Nase, zum Teil die Haut, zum Teil die Schleimhaut einnehmend, findet er sich am häufigsten und erscheint gewöhnlich in der anatomisch schwächsten Form der Entzündung. Es ist bekannt, daß leichte Erkrankungen des Magen-Darmkanals und Katarrhe der Luftwege, dann von den InfektionskrankheitenPneumonie, Malaria und epidemische Cerebrospinalmeningitis öfter von Herpes im Gesicht begleitet werden. Übrigens kommt derselbe auch bei vielen anderen Erkrankungen vor, so daß er eine differentialdiagnostische Bedeutung nur in beschränktem Umfange beanspruchen kann. Erwähnenswert ist noch das Auftreten von Herpes (Herpes gutturalis) auf der Schleimhaut des Rachens — dieser kann zur Verwechslung mit Diphtherie Veranlassung geben. Herpes progenitalis.
Gleichfalls nur durch seinen Sitz ist der H e r p e s p r o g e n i t a l i s ausgezeichnet: beide Blätter der Vorhaut, die Eichel, aber auch der Rücken des männlichen Gliedes, die Schamlippen bei dem Weibe und der Möns Veneris werden davon, befallen. Wiederum sind es die oberflächlichen Formen der Entzündung, mit wasserklarem oder doch nur leicht getrübtem Inhalt der Bläschen. Bei Unreinlichen kann es zur stärkeren Entzündung kommen, namentlich wenn nach Entfernung der Bläschenkuppe zersetzte Sekrete zur Einwirkung gelangten. Ätzungen
744
Krankheiten der Haut.
der Herpesbläschen, welche nicht selten nach einem verdächtigen Koitus von dem sich angesteckt Glaubenden vorgenommen werden, führen noch leichter zur Eiterung und zu schwacher Infiltration des Geschwürbodens. Kommt nun gar eine Anschwellung der Inguinaldrüsen hinzu, dann ist die Möglichkeit der Verwechslung mit einer spezifischen Infektion, besonders der mit Schanker, nahe gelegt. Selbst von erfahrenen Spezialisten wird dieselbe als möglich zugegeben, um so eher, als nach dem Gebrauch der Genitalien verhältnismäßig oft an ihnen Herpes erscheint. Die weitere Beobachtung bei sorgfältigem Reinhalten und reizlosem Deckverband der verdächtigen Stellen wird bald die diagnostische Entscheidung bringen •— von der öfter empfohlenen Probeimpfung kann doch wohl nur ausnahmsweise die Rede sein. Es kommt, aber nicht häufig, vor, daß in Verbindung mit Infektionskrankheiten am ehesten noch mit der genuinen Pneumonie sich an vielen Teilen des Körpers Herpesbläschen entwickeln. Eigene Benennungen dafür sind überflüssig. Herpes zoster.
Von den genannten Formen ist der H e r pes z o s t e r (Zona; Gürtelrose) nach vielen Seiten hin unterschieden. Anatomisch schon dadurch, daß es sich dabei um tiefergreifende, in das Gewebe der Cutis, nicht selten sogar in die untersten Schichten derselben eindringende, diese zerstörende und deshalb mit Narbenbildung heilende Entzündung handelt. Der Inhalt der Bläschen, welche größer zu werden pflegen, ist eitrig oder bluthaltig, die Umgebung ist stark gerötet und infiltriert. Der Zoster folgt in seiner Verbreitung einem oder mehreren H a u t n e r v e n , wobei es vorkommt, daß die Einzelgebiete, ineinander übergreifend, ziemlich bedeutende Flächen einnehmen. Meist, aber nicht ausnahmslos, wird nur eine Körperseite ergriffen. Heftiger, brennender Schmerz und Jucken sind regelmäßig vorhanden, nicht selten zeigt sich eine wirkliche Neuralgie des betroffenen Gebietes, welche die höchsten Grade zu erreichen vermag. Die Neuralgie kann, habituell geworden, nach Ablauf der Gürtelrose zurückbleiben; namentlich bei alten Leuten ist das nichts Ungewöhnliches. Es unterliegt keinem, Zweifel, daß der Zoster eine der Erscheinungen von Erkrankung der peripheren Nerven selbst darstellt; in sehr vielen Fällen handelt es sich um eine wahre Entzündung, um eine Neuritis. Andere Male beschränkt sich die Störung in den Nerven auf anatomisch nicht nachweisbare Vorgänge; dahin gehören auch diejenigen Formen, wo eine centrale Erkrankung, die im Hirn oder im Rückenmark ihren Sitz hat, mit Zoster einhergeht. — Beteiligung des Gesamtorganismus ist bisweilen vorhanden (besonders Temperatursteigerung), sie kann aber fehlen. Störungen der motorischen oder der sensiblen Sphäre im Gebiete der ergriffenen Nerven sind nicht regelmäßig, bei echter Neuritis aber stets zugegen. — Unter den bedingenden Ursachen werden Verletzungen der Hautnerven, sowie Erkrankungen des Hirns und Rückenmarks mit vollem Recht genannt; man hat außerdem epidemisches Auftreten der Gürtelrose beobachtet. Dem Sitze nach unterscheidet man: Zoster capillitii: Stirn und Auge (Zoster ophthalmicus, welcher zu schwereren Entzündungen, sogar zu Zerstörungen des Bulbus führen kann) werden neben dem behaarten Kopf ergriffen. Es handelt sich um den ersten und zweiten Trigeminusast und um den Occipitalis magnus. Zoster facialis: Die übrigen Teile des Gesichts (Trigeminusgebiet). Zoster nuchae: Von der Gegend des zweiten und dritten Halswirbels aus beginnende, und von hier in die Hals- und Nackengegend ausstrahlende Eruptionen.
Herpes. Psoriasis.
745
Zoster brachialis: Vom letzten Halswirbel und ersten Brustwirbel aus über den oberen Rand des Schulterblattes sich auf den ganzen Arm ausbreitend — Plexus brachialis. Zoster pectoralis: Am Thorax, meist den Interkostalräumen folgend, besonders häufig von Neuralgie begleitet. — Interkostalnerven. Zoster abdominalis: Haut des Bauchs an den betreffenden Verzweigungen der Hautnerven. Zoster femoralis: Gesäß und Oberschenkel, einem oder mehreren der Hauptnerven folgend. Durch die allgemeinen Kennzeichen des Herpes und durch die Ausbreitung des Ausschlags im Verlaufe bestimmter Nerven ist die Diagnose gesichert. — Die Dauer beträgt mehrere Wochen. Soweit es sich um die Prognose des Ausschlags selbst handelt, muß diese als günstig bezeichnet werden, da mit Ausnahme des Herpes am A u g e ernstere Schädigungen nicht herbeigeführt werden; die Grundleiden sind für sich zu beurteilen. Die Behandlung des Ausschlags hat sich darauf zu beschränken, durch die Anwendung von Einreibungen mit Vaselin die Spannung der entzündeten Haut zu mildern und durch Bedeckung der Blasen mit Läppchen, welche mit Vaselin bestrichen sind, dieselben gegen äußere Gewalt zu schützen. Schlaflosigkeit, heftige Schmerzen oder gar Neuralgien erheischen den Gebrauch der Narkotika; einer Neuritis wird nach den früher gegebenen Regeln entgegengetreten. § 262.
Psoriasis.
P s o r i a s i s (Schuppenflechte) ist dadurch gekennzeichnet, daß auf rotem, leicht erhabenem Grunde eine Reihe von weißen, trockenen, übereinander gelegenen Schuppen von Epidermis sich finden, welche mit ihren unteren Schichten ziemlich fest anhaften, so daß bei ihrer Entfernung leicht eine Blutung aus dem Mutterboden erfolgt. — Anfangs treten, immer in größerer Anzahl, umschriebene etwas gerötete Schwellungen der Haut auf, welche ihre oberflächliche Epidermisschicht bald als weiße silberglänzende Schuppe abstoßen; nach anderen soll der Psoriasisfleck schon als „Schuppenhäufchen" — übereinander gelagerte abgestoßene Epidermisschichten — beginnen. Die Ausdehnung findet in der Fläche nach allen Seiten statt — es kommt dabei vor, daß die Schuppenbildung gleichmäßig den ganzen erkrankten Hautteil überzieht, aber auch, daß sie im Centrum des Fleckes geringer wird, und vorzugsweise oder ganz an der Peripherie stattfindet. Durch Ineinanderfließen mehrerer Flecken und durch Vergrößerung derselben können sehr ausgedehnte Hautflächen, ja es kann der größte Teil des Körpers ergriffen werden. Das äußere Bild des Leidens ist durch die verschiedene Entwicklungsstufe der einzelnen Flecke, durch die mehr oder minder reichliche Anhäufung abgestoßener Schuppen und durch deren Färbung, endlich durch das verschiedenartige Ubergreifen der Kreise ineinander freilich ein sehr mannigfaltiges — allein die Grundform bleibt immer erkennbar. — V o n Allgemeinerscheinungen ist nur ein mehr oder minder heftiger Juckreiz anzuführen. — Psoriasis ist ein ausgesprochen chronisches Leiden von jahrelangem Verlauf und von großer Hartnäckigkeit. Rezidive nach vollständiger Heilung sind etwas sehr Gewöhnliches. —• Anatomisch handelt es sich um eine chronische Entzündung der H a u t , welche sich bis in die tieferen Lagen des Corium, sogar bis in das Unterhautbindegewebe erstrecken kann. Man findet die Schleimschicht des Epithels stärker entwickelt, dasselbe kommt nicht zur eigentlichen Verhornung, sondern
Krankheiten der Haut.
746
es trocknet mehr ein, so daß man geradezu, in diesem Vorgang das wesentliche des pathologischen Geschehens erblickend, von Parakeratose gesprochen hat; die Entzündung wird dann als Folgezustand angesehen. — Lieblingssitx der Psoriasis ist die Haut der Streckseite der Ellenbogen und der Kniee, dann die des Kopfes, des Nackens und des Ohrs — seltener ist das Gesicht befallen. Die anderen Körperteile können mit Ausnahme der Innenflache von Hand und Fuß sämtlich ergriffen werden. Auch die Nägel werden manchmal verändert: hart, brüchig, entfärbt; man bemerkt an ihrem Bette einen psoriasisähnlichen Fleck. Die Haare bleiben meist verschont. Die Entstehungsursachen der Psoriasis sind so gut wie nicht gekannt, nur daß das Leiden häufig erblich, ist sicher. Die Annahme, daß es sich um die Ansiedlung eines pflanzlichen Parasiten handle, ist, trotzdem man einen solchen nachgewiesen haben will, nicht zur allgemeineren Geltung gelangt. Für die différentielle Diagnose kommt in erster Linie die durch Syphilis hervorgerufene, äußerlich der nicht spezifischen sehr ähnliche Psoriasis in Betracht. Sie unterscheidet sich durch ihren Sitz (Palma manus;et planta pedis), sie macht gewöhnlich kleinere Eruptionen und juckt nicht. Für die Therapie ist der länger fortgesetzte Gebrauch der arsenigen Säure zu empfehlen — man stieg allmählich die Gaben vergrößernd bis zu 0,05 g den Tag und ließ viele Monate diese Menge nehmen. — Daneben findet dann eine örtliche Behandlung statt. Erweichung der Epidermisschuppen und Entfernung derselben ohne Anwendung stärkerer mechanischer Gewalt ist eine u n t e r d e n i h r
gestellten Aufgaben. dauernder
Gelöst kann dieselbe werden durch den Gebrauch lang-
warmer Bäder und der Prießnitzschen
Einpackungen
des g a n z e n K ö r p e r s
bei weit verbreiteter Psoriasis, der örtlich beschränkten Prießnitzschen Einhüllungen bei enger begrenzter. Es gehören bei allgemeiner Psoriasis stunden-, ja tagelang fortgesetzte Bäder dazu, ebenso zweimal den Tag wiederholte Ein-packungen, so daß es oft genug fraglich wird, ob die Allgemeinwirkung dieser Prozeduren nicht zu stark eingreift. — Weiter sind die Seifen zu berücksichtigen und unter ihnen in erster Linie Sie kalihaltige Schmierseife. Man reibt mit dieser bei inveterierter allgemeinerer Psoriasis die erkrankten Flächen unter Zuhilfenahme einer Bürste oder eines Wolllappens kräftig ein, den übrigen Körper nur leicht — im Laufe von 6—8 Tagen ist ein Turnus beendet; die Kranken bleiben aber im ganzen noch 3—4 Tage länger beständig, ohne daß die Seife von ihrer Haut entfernt wurde, in eine Wolldecke gehüllt im Bette. Erst dann dürfen sie baden und aufstehen. Selten genügt eine solche Periode. — Bei lokaler Psoriasis wird die erkrankte Stelle tüchtig eingerieben und in einen mit Seife bedeckten Flanelllappen eingewickelt, welcher bis zur Erweichung der Hautschuppen liegen bleibt. — Nach Entfernung der Schuppen finden die Teerpräparate Anwendung. Des Geruchs halber wird Birkenteer (Oleum betulae) oder das Oleum cadinum (Juniperus oxycedrus) den anderen vorgezogen. Man trägt den Teer (rein oder mit Fetten verschiedener Konsistenz gemischt, auch wohl mit Alkohol zusammen) mittels eines langhaarigen Borstenpinsels der Haut auf und muß dabei auf gehöriges Eindringen des Präparates in die Haut achten. Gleich nachher ist der Kranke zum Bedecken der angeteerten Stellen mit Wolle zu veranlassen und hat in dieser vielleicht den größten Teil des Körpers umgebenden Einhüllung mindestens so lange zu verweilen, bis eine vollständige Auftrocknung des Mittels stattgefunden hat. Ist dies geschehen, dann kann er
Psoriasis. Lichenes. Liehen scrofulosorum
747
seinen Geschäften nachgehen. Die Unterkleider sind aber am besten aus Wollstoff gefertigt zu tragen. — Das Einteeren kann zweimal tags wiederholt werden; die alte Schicht ist jedesmal vorher mittels Seife oder Seifenspiritus zu entfernen. Mit dem Verfahren ist so lange weiter zu machen, bis frische Psoriasisplatten nicht mehr sich zeigen. Der Teer kann unangenehme Nebenwirkungen entfalten. Es gehört von örtlichen Folgezuständen hierher das Auftreten einer stärkeren und ausgedehnteren Entzündung der Haut, sowie einer Entzündung der Hautdrüsen (Teeracne)-, von allgemeinen ist die nach dem Übergang in das Blut sich einstellende Ausscheidung der aus dem Teer entstandenen Stoffe durch Niere, Magen und Darm, welche mit Erbrechen und Durchfall, auch wohl mit leichteren Fieberbewegungen verbunden ist, zu erwähnen. Nur ausnahmsweise werden dadurch ernstere Gefahren herbeigeführt — zu befürchten wäre das erst nach der Resorption größerer Mengen. Wohl aber kann die zu stark werdende Hautentzündung das Aussetzen des Mittels notwendig machen.
An die Stelle des Teers sind neuerdings andere Mittel getreten, welche ihre großen Vorzüge zu haben scheinen. Besonders wird das Chrysarobin gelobt — 5—25° /0 davon in einer Salbe wie Teer aufgetragen, nachdem die Schuppen entfernt sind. Es ist sorgfältig darauf zu achten, daß von dem Mittel nichts auf die Konjunktiven gelangt, da dasselbe hier sehr schwere Entzündungen veranlaßt. Auch Pyrogallussäure (8—10° 0 in Salbenform oder in Lösung) wird empfohlen — diese ist, wenn sie in größeren Mengen zur Resorption gelangte, nicht ungefährlich. § 263.
Lichenes.
Liehen scrofulosorum.
Hirsekorngroße, blaßgelb oder braunrot gefärbte Körnchen, welche stets gruppenweise, manchmal Kreisbogen bildend, auftreten, mit einigen Schuppen bedeckt sind, wenig jucken, ohne weitere Veränderungen zu erleiden sich zurückbilden, hauptsächlich am Rumpfe sich entwickeln. Gewöhnliche Acne ist häutig gleichzeitig vorhanden. Das Vorkommen dieser Form beschränkt sich fast ganz auf Skrofulöse und auf die nicht das 25. Jahr überschreitende Lebenszeit. — Die Hauterkrankung macht keine irgend lästigen Erscheinungen, sie schwindet mit dem Erlöschen der skrofulösen Diathese. Liehen ruber.
Hirsekorngroße, rote mit wenig Schüppchen bedeckte Knötchen, wenig juckend, nicht gruppenweise stehend, anfangs nur einzelne Hautstellen, besonders an den Extremitäten und am Penis einnehmend. Die weitere Ausbreitung geschieht so, daß die Knötchen zusammenfliessend eine Verdickung der Haut hervorrufen, welche dunkelrot gefärbt erscheint und mit dünnen, nicht fest anhaftenden Schuppen bedeckt ist, bei deren Entfernung kein Blutaustritt sich zeigt. Das einzelne Knötchen nimmt an Masse nicht zu, aber in der Umgebung der alten Herde treten ständig neue auf, welche dann den gleichen Vorgang wiederholen. So kann sich das Übel über den größten Teil der Haut ausbreiten; es ruft starkes Jucken hervor. Die verdickte Haut läßt es an den Gelenkbeugen leicht zur Bildung von Schrunden kommen, welche, heftig schmerzend, die Bewegungen hemmen. Die Nägel nehmen bei längerer Dauer an der Erkrankung teil; sie werden verdickt, brüchig, rauh, mißfarbig. Das Allgemeinbefinden zeigt sich bei weiterer Ausdehnung der Hauterkrankung schwer gestört — es kann der Tod unter den Erscheinungen des Marasmus erfolgen. Neuerdings sind Mikroorganismen nachgewiesen. Dieselben, sehr kleine Bakterien, finden sich in größter Zahl innerhalb der präformierten Lymphwege.
Krankheiten der Haut.
748 A u ß e r d e m zeigen sich ausgehende
von
der Peripherie
Entzündungsherde,
diffuse
sämtlicher in den H e r d e n g e l e g e n e r D i e innere
Behandlung
der Haarbälge
und
Zelleninfiltrationen
Drüsenschläuche
und
Ausweitungen
Lymphbahnen.
mit lange
fortgereichten Arsenmengen
w i e bei d e r
Psoriasis v e r m a g a u c h der b ö s a r t i g e n F o r m H e r r zu werden, w e l c h e bis zu der E i n f ü h r u n g dieses M i t t e l s ö f t e r j e d e r T h e r a p i e spottete. Säure so l a n g e
fortgeben,
bis jede
Spur
des L e i d e n s
M a n m u ß die verschwunden
arsenige ist.
Ob
äußere Mittel daneben wesentlich in Betracht k o m m e n , muß noch durch weitere Erfahrung festgestellt werden. —
M a n empfiehlt besonders Sublimat und Phenol.
Außer dieser wird eine weitere Form als Liehen ruher planus beschrieben, welche mehr örtlich beschränkt ist, und nicht die ursprünglichen Knötchen in unveränderter Größe bestehen, sondern das einzelne in die Fläche sich ausdehnen läßt, so daß eine bis zu einem Centimeter große rotbraune Platte mit delliger Vertiefung in der Mitte gebildet wird. Dieselbe ist mit einer L a g e von Epidermisschuppen bedeckt, oder an der Oberfläche glatt und von mattem Glanz. Allgemeinerscheinungen treten dabei nicht auf.
§
264.
Pityriasis.
Pityriasis simplex.
P i t h y r i a s i s s i m p l e x wird die Veränderung in der Hauternährung genannt, bei welcher sich die Epidermis in reichlicherem Maße als gewöhnlich abstößt. Man leitet das von einer verminderten Absonderung des Hauttalgs ab. — Besonders die Kopfhaut wird ergriffen, auf ihr häufen sich die mit den Haaren weniger leicht zu entfernenden Schuppen a n , nicht selten ist Juckreiz gleichzeitig vorhanden. — Man wäscht mit Seifenspiritus und reibt nachher ein nicht ranzig werdendes Ol oder Fett sorgfältig in die Haut ein. Pityriasis versicolor. Ein Mikrosporon furfur genannter Pilz ruft bei seiner Ansiedlung auf der Haut — er dringt nie in tiefere Lagen oder in die Haarbälge ein — eine herdweise auftretende, aber meist sich über größere Flächen unregelmäßig verbreitende Verfärbung der obersten Schicht hervor. Es zeigen sich g e l b bis braun gefärbte Schuppen, die leicht und ohne Blutaustritt entfernt werden können, der Untergrund ist dann nicht verändert. Das Gesicht bleibt frei. Der Verlauf der P i t y r i a s i s v e r s i c o l o r ist stets ein äußerst langwieriger, da aber Belästigung irgend welcher A r t mit derselben nicht verbunden ist, achtet man meist gar nicht des Pilzes. — Zur Entfernung genügen regelmäßige, aber länger zu wiederholende energische Waschungen mit Schmierseife. Pityriasis rubra. An einer größeren Hautfläche zeigt sich eine gleichmäßige, scharlachfarbige Rötung, welche allmählich dunkler wird. Auf der so veränderten Haut bildet sich ein dünner Überzug von Epithelschuppen, der etwas fester anhaftet. Später tritt etwas Blutfarbstoff aus, so daß bei Fingerdruck eine gelbliche oder gelbbräunliche Färbung zum Vorschein kommt. Im weiteren Verlauf wird die Haut dünner und schrumpft ein, so daß sie nun wie ein zu enger Überzug fest auf die unterliegenden Körperteile aufgespannt erscheint. Dadurch wird Schwerbeweglichkeit der Gelenke, vielleicht Schrundenbildung herbeigeführt. Durch die Pityriasis rubra wird das Gesicht hochgradig entstellt, zumal auch das Haar verloren geht. — Das überaus schwere Leiden verläuft chronisch; es braucht bis zu seiner vollen Ausbildung meist Jahre. Während früher die Prognose als eine unbedingt schlechte angesehen wurde und der Tod unvermeidlich erschien, will man neuerdings durch die innere Anwendung der arsenigen Säure oder des Phenol Heilung erzielt haben.
§ E i n e die E i g e n t ü m l i c h k e i t e n
265.
Ekzema.
des E k z e m s ,
w o h l der häufigsten aller Haut-
k r a n k h e i t e n , k u r z z u s a m m e n f a s s e n d e C h a r a k t e r i s t i k ist k a u m zu geben, da dasselbe unter
einem
sehr
wechselnden Bilde
erscheint.
Als
Grundlage
der ana-
Pityriasis. Ekzema.
749
tomischen Auffassung muß dienen, daß mit dem Ekzem eine mehr oder weniger ausgebreitete Entzündung der Haut, znnächst nur der oberflächlicheren Schichten, einliergeht; erst nach langer Dauer des Leidens kann die Cutis in Mitleidenschaft gezogen, sie kann durch Bindegewebswucherung in weiterer Ausdehnung verdickt oder an umschriebenen Stellen durch Geschwürsbildung zerstört werden.— Ätiologisch ist zu bemerken, daß ein jeder Entzündungserreger Ekzem hervorrufen kann. Es dürfte dies den meisten anderen Formen von Hauterkrankung gegenüber nicht unwichtig sein: entzündliche Vorgänge spielen sich bei denselben fast stets in einem gewissen Umfange ab, allein es ist nicht jeder Reiz imstande, die der betreffenden Form entsprechende Veränderung hervorzurufen, immer gehört noch ein anderes etwas dazu, sei es nun in der Reaktion der Haut, in ihrer besonderen Disposition, gelegen, oder sei es durch die Eigenart des Krankheitserregers bedingt. Man hat das Ekzem geradezu als Hautkatarrh bezeichnet und dadurch die Ähnlichkeit mit den auf den Schleimhäuten sich abspielenden entzündlichen Vorgängen ausdrücken wollen; das ist anatomisch gut durchführbar. In weiterer Linie würde die Thatsache, daß ein jeder Entzündungsreiz Schleimhautkatarrhe wie Ekzem hervorzurufen vermag, sobald derselbe nur eine gewisse Stärke erreicht, für diese Analogie anzuführen sein. Ekzem kommt in jedem Lebensalter und bei beiden Geschlechtern vor; die größte Häufigkeit der Erkrankung fällt auf das Kindesalter. Eine allgemeine Disposition wird durch die skrofulöse Diathese, in geringerem Grade auch durch die Rachitis gegeben. Es mag sein, daß in Einzelfällen Störungen der allgemeinen Ernährung, wie sie mit Anämie, mit Dyspepsie oder mit einem Siechtum einhergehen, imstande sind, auch die Ernährung der Haut so zu beeinflussen, daß sie leichter an Ekzem erkrankt — als durchstehende Regel darf das kaum angesehen werden. UnmittelhareVeranlassung kann, wie gesagt, jederiHautreiz werden, wenn derselbe eine gewisse, von der Reaktion des jeweilig Betroffenen abhängige, Stärke erreichte. Es kommen in Betracht: Thermische Reize, so die unmittelbare Einwirkung der Sonnenstrahlen; bei Empfindlichen genügt selbst die von einer etwas stärker bewegten Luft ausgehende Wärmeentziehung. Chemische Reize — schon die länger dauernde Berührung der Haut mit Wasser von gewöhnlicher Zusammensetzung kann ausreichen, noch mehr aber die mit dem größere Mengen von Salzen gelöst enthaltenden Wasser (Solbäder u. s. w.). In gleicher Weise wirkt die Benetzung der Haut mit Schweiß, Urin, Darmentleerungen, besonders wenn dieselben, etwas länger verweilend, sich zersetzten. Es reiht sich die große Zahl derjenigen reizenden Stoffe an, welche, zu technischenlZwec,ken benutzt, mit der Haut in Berührung kommen. Genannt darunter seien nur die für Ärzte oftmals verhängnisvoll werdenden antiseptischen Lösungen von Phenol und Sublimat, dann manche der Anilinfarben. Mechanische Reize — Reibung der Hautfalten aneinander oder solche zwischen der Haut und Kleidungsstücken, das durch den Juckreiz herbeigeführte Kratzen, die Wirkung der verschiedenen Parasiten — führen gleichfalls zur Ekzembildung,. Es dürfte übrigens durchaus wahrscheinlich erscheinen, daß in manchen Fällen (z. B. bei dem sogenannten Intertrigo ; Wolf) alle diese Momente nebeneinander zur Geltung ¿kommen. Man unterscheidet zwischen akutem und chronischem Ekzem. Bei dem akuten Ekzem sind anfangs die Zeichen echter Entzündung: Rötung, Schwellung, erhöhte Temperatur, Schmerz, oder doch jedenfalls die Empfindung
750
Krankheiten der Haut.
von Spannung, und Juckreiz vorhanden. Mit leichter Abschuppung der Epidermis kann der Vorgang in kurzer Zeit zur vollkommenen Heilung gelangen. — Sehr häufig ist dem aber nicht so. — Der Bau der Haut bedingt, daß eine Entzündung an den verschiedenen Stellen derselben verschiedene Wirkungen hat. So können sich aus der geröteten Fläche schon sehr früh kleinere Knötchen, noch stärker gefärbt, erheben, häufig den Follikeln angehörend, andere Male wohl dadurch bedingt, daß die Lymphbewegung hier oder dort stockt und so an einzelnen Punkten eine Ansammlung des Exsudats mit Dehnung der Nachbarschaft stattfindet. Man spricht nun von einem papulösen Ekzem. Wird die Exsudation stärker, dann bilden sich umschriebene, durch die Raum verlangende Flüssigkeit erzeugte Bläschen von der Größe eines Nadelknopfs bis zu der mehrerer Millimeter (Ekzema vesiculosum). Diese Bläschen können einen eitrigen Inhalt bekommen {Ekzema pustulosum, auch wohl Impetigo genannt), sie können, nachher oder vorher platzend, sich auf die Oberfläche entleeren, wobei auf dieser eine eiweißreiche, meist ziemlich zähe, weißgelb bis gelbgefärbte Flüssigkeit erscheint, welche eintrocknend mehr oder minder fest anhaftende Krusten bildet (Ekzema madidans, auch, wegen der stärkeren Rötung der Haut, Ekzema rubrum, später, wenn sich Borken gebildet haben, Ekzema impetiginosum genannt). Tritt Heilung ein, dann lassen Rötung und Schwellung nach, die neugebildete Epidermis schuppt sich noch eine Zeitlang etwas stärker ab — Ekzema squamosum. — Zum Ablauf des ganzen Vorgangs gehören Tage bis Wochen. — Die Allgemeinerscheinungen sind durch die Ausbreitung der Entzündung bedingt. Es giebt eine Form — Ekzema universale — häufiger durch die Einwirkung eines die Haut in weiter Ausdehnung treffenden Reizes (z. B. eine Einreibung mit Schmierseife) als durch unbekannte Ursachen, oder durch rasche Ausbreitung einer infolge von nachweisbaren, umschriebenen Reizen entstandenen ekzematösen Entzündung bedingt. Allgemeines Ekzem kann mit ziemlich hohem Fieber einhergehen, dieses vermag denn auch bei Empfänglichen die ihm zukommenden Erscheinungen von Hirnreizung, Herzund Atmungsstörungen, Dyspepsie, vielleicht auch etwas Albuminurie hervorzurufen. Die Rückwirkung auf die Ernährung kann eine ziemlich bedeutende werden; die volle Wiederherstellung kann Wochen erfordern. Bei minder ausgedehntem Ekzem beschränken sieh die Symptome auf eine schmerzhafte Spannung der Haut, welche an empfindlichen Körperteilen lästig genug werden kann, und mit Jucken, vielleicht mit Erschwerung des Schlafes und Herabstimmung des Gefühls von Wohlsein einhergeht. Es geschieht nicht ganz selten, daß neue Ausbrüche sich wochen- und monatelang wiederholen, ohne daß übrigens die anatomischen Veränderungen weiter gingen, als es dem akuten Ekzem zukommt. — Chronisches Ekzem bildet sich aus dem akuten heraus, indem nur streckenweise dessen Rückbildung geschieht, und in dem Gebiet des ergriffenen Hautteils eine neue Entzündung wieder und wieder aufflackert. So trifft man denn auch frisch erkrankte neben älteren Abschnitten. Der Vorgang bleibt im ganzen der gleiche, nur daß sich allmählich die Entzündung in die Tiefe ausbreitet, hier das Bindegewebslager in Mitleidenschaft ziehend, welches anfänglich zellig infiltriert wird, später zu wuchern beginnt. Oder aber es kann zur geschwürigen Zerstörung des Papillarkörpers an umschriebenen Stellen kommen, aus welcher dann Narbenbildung hervorgeht. Ein anderer Ausgang ist der in Hypertrophie des Bindegewebes und der Epidermis, bei welcher die Haut ein ungleichmäßiges, warziges Aussehen annimmt; Pigmentierung findet sich dann häufig.
Ekzema.
751
Bei dem chronischen Ekzem wird nach dem Sitz unterschieden: Ekzema capillitii: häufige Veranlassung geben Läuse und Unreinlichkeit, besonders thut es die ungenügende oder gar nicht geschehende Entfernung des bei der Geburt mitgebrachten Überzugs von abgestoßenen Epithelien und Hauttalg. Ekzema faciei — bei Skrofulösen mit Konjunktivitis, Otitis, chronischem Nasenkatarrh oft zusammen, diese untei-haltend und von ihnen unterhalten. Ekzema mammae — bei fettleibigen Frauen an der unteren Fläche der Brust, wo diese überhängend mit der Brusthaut Falten bildet, eine wirkliche Intertrigo. Ekzema umbilici: in den Falten des Nabels, bei jüngeren Kindern und bei Fettleibigen. Ekzema ani, scroti, cruris, genitalium, wieder durch die Berührung gegenüberstehender Hautteile bedingt. Bei stärkerer Bildung von Varicen am Unterschenkel ist Ekzem, zunächst in deren unmittelbarer Umgebung, dann sich weiter ausbreitend, ein häufiges und überaus lästiges Leiden, welches schwer zur Heilung zu bringen ist, daher Bindegewebswucherung der tieferen Schichten leicht im Gefolge hat, die Bildung von Geschwüren sehr begünstigt, und deren Heilung erschwert. An den Händen, welche der Einwirkung einer Menge äußerer Reize im hohem Grade ausgesetzt sind, tritt leicht Ekzem auf, das nicht selten auf die Vorderarme übergreift. An den Füßen erscheint Ekzem am ehesten im Gefolge vermehrter Schweißbildung.
Juckreiz und dadurch herbeigeführtes Kratzen sind die dem chronischen Ekzem zunächst zukommenden Wirkungen. Die Schwellung der Drüsen, welche dem Lymphgebiet des ergriffenen Hautteils angehören, ist nicht selten, ebenso die Vereiterung oder die Verkäsung derselben. Daß dabei auch der Tuberkelbacillus eindringen kann, dürfte einigermaßen sichcr sein. — Als Nachkrankheit, wenigstens unmittelbar dem Ekzem sich anschließend, sieht man mitunter reichliche Furunkelbildung auf den von dem Ekzem besonders heimgesuchten Stellen. Man möchte annehmen, daß dem die Furunkel erzeugenden Eitermikroben die Gelegenheit zur Ansiedlung durch den Hautkatarrh gewährt worden ist. — Die Dauer der Erkrankung ist von vornherein nicht zu bemessen, sie kann sich über viele Jahre hinziehen. Indes ist die Prognose im ganzen keine ungünstige; es gelingt, selbst bei den veralteten Formen, in der Regel Heilung herbeizuführen und Recidiven einigermaßen vorzubeugen. Zu vergessen ist allerdings nicht, daß einmal erkrankte Hautteile gar leicht aufs neue ergriffen werden, zumal wenn sie nicht genügend gegen Reize geschützt sind. Es ist dies wohl ein Hauptgrund, warum die Ekzeme der Hände so hartnäckig sind. Die Therapie
h a t etwa vorhandenen
allgemeinen
Störungen
der Ernährung
ent-
gegen zu wirken; namentlich ist die skrofulöse Diathese zu berücksichtigen. Die konstitutionelle Behandlung, wie sie in früheren Zeiten durchgeführt wurde — „Blutreinigung" durch Abführ-, Schwitz-, harntreibende Mittel, neben denen eine mehr oder minder strenge Entziehungskur verordnet wurde — hat kaum noch Anhänger; auch der innere Gehrauch der arsenigen Säure leistet nicht viel und ist auf veraltete Fälle zu beschränken. Der innere Gebrauch des Karbols (bis zu 5 g täglich in Pillenform) wird gegen das Jucken empfohlen. Als ein Hauptsatz für die örtliche Behandhing des Ekzems gilt, einige Ausnahmen ausgeschlossen, unbedingt der, daß jede Reizung, sei es nun eine mechanische, eine chemische oder eine thermische, der erkrankten Hautstellen zu vermeiden ist. Selbst das Wasser kann für eine empfindliche Haut zum Entzündungserreger werden. Ist daher eine Reinigung — die Entfernung von starrgewordenen Exsudatkrusten und abgestoßenen Epidermisteilen fordert dazu auf — notwendig, so wende man Wattebäusche mit reinem Olivenöl reichlich getränkt an, welche leicht über die leidenden Hautflächen hingeführt werden. Es ist besser,
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Krankheiten der Haut.
daß der Arzt selbst dies thut, als daß er es dem Kranken überläßt, welcher durch das Jucken verführt werden kann, stärker zu reiben als es ihm gut ist. Erst wenn die Ekzeme in der Heilung begriffen sind, namentlich wenn die Uberhäutung der früher offenen Stellen sich vollzogen hat, mögen Seife und Wasser wieder in ihr altes Recht treten. Es ist hier aber Vorsicht in der Wahl der Seife geboten. U N N A hat solche herstellen lassen, die von jedem an Ekzem Erkrankten oder dazu Neigenden ständig angewandt werden sollten. Alle müssen mit möglichst warmem Wasser verwendet werden. Für die meisten Fälle genügt die überfettete Basis- (Kinder-) Seife, in schweren leistet die Natrontannatseife mit oder ohne Zusatz von Zinkoxyd bessere Dienste. Das in diesen Seifen überschüssig enthaltene Fett macht die Haut in ihren oberen Schichten geschmeidig und hält wohl auch durch die dünne Schutzdecke, mit welcher sie dieselbe überzieht, die äußeren Reize ab. — Solange das Ekzem näßt, sind Stoffe anzuwenden, welche, selbst nicht reizend und jeden äußeren Reiz abhaltend, die abgesonderten Flüssigkeiten aufzunehmen und mechanisch zu binden vermögen. Diesem Zweck entspricht in ausgezeichneter Weise die LASSARsehe Paste. (R No. 73.) Bei leichteren Erkrankungen wird dieselbe in die Haut eingerieben, darüber dann noch gepudert. Bei schwereren Leiden thut man gut, die Paste einige Millimeter dick, an den besonders nässenden Stellen aber noch dicker unmittelbar auf die Haut aufzutragen. Darüber kommt dann ein lege artis anzulegender Watte-Lint Verband, der durch Gazebinden zu befestigen ist. Je nach dem Grade des Nässens muß man täglich oder in längeren Zwischenräumen den Verband erneuern. Dabei ist die Haut anfangs mit Ol, später mit überfetteter Seife zu reinigen. — Bei jenen Formen, die sich mehr als einfaches Wundsein der Haut (Intertrigo) zeigen, genügt es öfter die mit Vaselin oder Lanolin zu bestreichenden erkrankten Flächen gut zu pudern und dann durch das Einlegen von Bäuschen der Salicylwatte auseinander zu halten. Zum Reinigen wendet man die UNNA sehe überfettete Basisseife an. — Hat sich bei kleineren Kindern das ursprünglich als Intertrigo der Schenkelbeugen oder der Hinterbacken aufgetretene Ekzem von dort aus weiter ausgebreitet, dann sieht man gute Erfolge von warmen ('28" R) Bädern, denen 0,5— 0,1 g Sublimat zugesetzt wurde. Neben denselben ist die örtliche Behandlung durchzuführen. — Bei akutem allgemeinem Ekzem nützt manchmal das Wasser in der Form der kalten Brause. In vereinzelten Fällen sieht man bei dem Gebrauch der Tinctura calladii seguini (3 Mal tgl. 15—20 Tropfen für den Erwachsenen) auffallend schnell Heilung eintreten. — Von den meisten Ärzten wird aber auch hier das Wasser gemieden; man zieht die Einhüllung des ganzen Körpers in dünne Leintücher, welche mit Öl oder mit Leberthran getränkt sind, vor. An behaarten Körperteilen beschränkt man sich auf das Beträufeln derselben mit 1 % Borsäurelösungen, oder giebt die Borsäure in Salbenform (1 auf 9 Lanolin, welchem 10% Olivenöl zugesetzt wurden).
Ist das Nässen der Haut im wesentlichen vorüber, dieselbe aber leicht verdickt und mit Krusten und Borken bedeckt, dann kommen die ,,erweichenden" Mittel an die Beihe. — Unter ihnen nimmt das Unguentum diaehylon Hebrae eine hervorragende Stelle ein. Man streicht dasselbe einige Millimeter dick auf Leinen und bedeckt mit den passend zugeschnittenen Streifen die kranken Teile der Haut. Besser sind noch die von U N N A eingeführten Salbenmulle. Neben den mit der Hebraschen Salbe getränkten kommen in Betracht: Zinksalbenmull, Zinkichthyolsalbenmull, Bleikarbolsalbenmull. — Immer müssen die der Haut unmittelbar aufliegenden Streifen durch Binden sicher befestigt werden. Dabei ist zu bemerken, daß eine
Ekzem. Pustulöse Hautentzündungen. Impetigo. Ekthyma.
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sehr empfindliche Haut die durch den Druck und die Reibung der Binden bewirkte Reizung nicht erträgt, so daß man genötigt ist, eine Polsterung mit entfetteter Watte anzubringen. — Ist bei länger dauernder Erkrankung die Haut erlieblicher verdickt, mit Schuppen bedeckt, hyperämisch, aber nicht mehr nässend, dann sind die Teerpräparate angezeigt und wie bei der Psoriasis zu verwenden. — Bei leichterer Erkrankung genügt übrigens der Gebrauch der UNNA sehen überfetteten Ichthyolseife, deren Schaum man eintrocknen läßt. — War bei länger dauernden Ekzemen die Haut stark verdickt und hält das Nässen an, dann muß man zu kräftigen Hautreizen seine Zuflucht nehmen. — Täglich ein oder mehrere Male wiederholte Waschungen mit HEBHAS Seifenspiritus ( R N o . 6 0 ) sind das mildeste unter den hier in Betracht kommenden Mitteln; es folgen länger dauernde Einreibungen mit Schmierseife und endlich die Abreibungen mit Kalilauge. — Am wirksamsten, aber auch am schmerzhaftesten sind die Kaliabreibungen: ein Teil Kalilauge mit zwei Teilen Wasser gemischt werden auf die vorher von Krusten befreiten kranken Teile mittels eines Charpiepinsels aufgetragen, dann mit der Hand, die in Wasser getaucht wurde, oder mit einem Flanellappeii kurze Zeit eingerieben. Nachher werden die Salbenverbände angewandt. Erst nach acht Tagen wird das Verfahren wiederholt; das kann etwa ein Dutzend Mal nötig werden. Um die hartnäckigen Verdickungen der Haut zu beseitigen, sind in solch schweren Fällen neuerdings Pyrogallussäure und Chrysarobin (2—10 °/c in Salbenform) oder Naphthol (1 % alkoholische Lösung) in Anwendung gezogen. — Es mag bemerkt werden, daß das heftige Jucken der Haut durch Aufträufeln von Alkohol wenigstens vorübergehend beseitigt werden kann. — Die Behandlung des Ekzems verlangt vor allem Ausdauer seitens des Arztes und des Kranken. Man darf sich nicht verleiten lassen, einen häufigen Wechsel in der Wahl der anzuwendenden Mittel eintreten zu lassen. Andererseits aber muß man sich darüber klar sein, daß gegen bestimmte Mittel eine so große Empfindlichkeit der Haut des einzelnen besteht, wie sie nur bei wahren Idiosynkrasien sich zeigt. Man sei daher nicht eigensinnig. —
§ 266. Pustulöse Hautentzündungen. Impetigo. Ekthyma. Mit Eiter gefüllte Bläschen, welche von einem roten Entzündungshofe umgeben sind, ganz vereinzelt stehen oder, anfangs durch Zwischenräume getrennt, erst später zusammenfließen können, werden als Pusteln bezeichnet. Sie stellen sich im Gefolge vieler Hauterkrankungen ein und werden meist durch äußere Reize, besonders durch das Kratzen hervorgerufen. Die überwiegende Mehrzahl derselben dürfte in das Gebiet des Ekzems gehören, von dem eine Form den Namen Impetigo führt. — Nicht von allen wird jene pustulöse Hauterkrankung als selbständiges Leiden anerkannt, die man als Ekthyma cacherticorum bezeichnet. Es finden sich hier gleich von vornherein eitergefüllte, von einem roten Entzündungshofe umgebene Pusteln bis zum Durchmesser von 1—7 mm, isoliert oder bald zusammenfließend, besonders im Gesicht, an der unteren Körperhälfte und an den Armen. Übrigens kann auch die Schleimhaut des Mundes in gleicher Weise erkranken. — In den leichteren Fällen trocknen die Pusteln ein und hinterlassen nur einen roten, bald abblassenden Fleck. Ist aber eine schlechte Ernährung des Gesamtorganismus vorhanden, dann zeigt sich der Inhalt mehr oder weniger blutig gefärbt, auch der Entzündungshof ist mit ausgetretenem Blut durchsetzt. Der Gruud der Pustel kann nekrotisch zerfallen und ein erheblicher Substanzverlust entstehen, namentlich wenn durch Zusammenfließen der einzelnen Pusteln größere zusammenhängende Flächen zerstört werden. Die Behandlung hat wesentlich die Aufgabe, die vorhandene Kachexie zu beseitigen, örtlich beschränkt man sich auf Reinhalten und auf das Verbinden mit nicht ätzenden antiseptischen Mitteln. v. J u r g e n s e n , Spez. Patli. u. Ther. II. Aufl.
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Krankheiten der Haut
§ 267.
Prurigo und Pruritus.
Über das Wesen und die Eigentümlichkeiten der bei P r u r i g o {Juckblattern) auftretenden pathologischen Erscheinungen gehen die Ansichten weit auseinander. Einige halten das Leiden für eine Neurose, diese für eine reine Sensibilitätsneurose, jene für eine Trophoneurose, die anatomischen Veränderungen seien sekundäre, durch den infolge des Juckens eintretenden Kratzreiz mechanisch hervorgerufene. Dem gegenüber wird auf der anderen Seite daran festgehalten, daß sich primäre anatomische Veränderungen der Haut finden, welche erst zum Jucken führen; die dadurch bedingten weiteren Störungen werden nicht in Abrede gestellt. — Entsprechend dieser Verschiedenheit der Auffassung wird auch das Krankheitsbild verschieden gezeichnet, namentlich gilt das für dessen Anfangserscheinungen. Nach HEBKA dem Vater sind hanfkorngroße, subepidermoidale, isoliert stehendei im Beginn mehr durch das Getast als durch das Gesicht wahrnehmbare Knötchen immer das erste Zeichen der Prurigo. Da sie starkes Jucken erzeugen, werden sie gekratzt und treten nun leicht gerötet über die Haut hervor. Sie verlieren bei fortdauerndem Kratzen ihren Epidermisüberzug und lassen ihren serösen Inhalt austreten, oder sie färben sich, wenn eine Kapillarschlinge verletzt wurde, durch ein eintrocknendes Bluttröpfchen an der Spitze schwarz. — Nach ATTSPITZ, welchem sich HEBKA der Sohn anschließt, sind diese Knötchen nicht charakteristisch für die Prurigo, sondern sie sind durch das Kratzen hervorgerufene „Kunstprodukte". Es beginne die Krankheit nicht mit Knötchenbildung, sie könne mehr als ein Jahr ohne solche bestehen, man treffe anfangs wohl einige Urticariaquaddeln. sonst aber eine gleichmäßig glatte Haut. — Der weitere Verlauf igt nach übereinstimmenden Beobachtungen so, daß sich eine Verdickung und Pigmentierung der Haut einstellt: die sie durchziehenden Furchen erscheinen weiter auseinander gerückt, die Wollhaare wie abgebrochen, eine feine Schicht abgestoßener Epidermis bedeckt gleich dünn aufgestreutem Puder die Oberfläche, eine Hautfalte ist schwerer zu erheben und deutlich nicht nur dicker, sondern auch weniger elastisch als an gesunden Teilen. Ferner bildet sich ein auf die erkrankten Stellen beschränktes, oder weiter darüber hinausgreifendes, auch das Gesicht in Mitleidenschaft ziehendes nässendes oder eine andere Form darstellendes Ekzem aus, die Lymphdrüsen schwellen in der Regel an und erreichen an manchen Stellen (Inguinalgegend) eine sehr bedeutende Größe. Ausgedehntere Kratzwunden, nicht selten sehr tief greifende, sind auf den erkrankten Hautabschnitten stets sichtbar. Die Haut verdickt sich mehr und mehr, sie wird an einzelnen Teilen (Unterschenkel) durch die fortgesetzte Knötchenbildung rauh wie ein Reibeisen. — Die Verbreitung ist eine eigenartige. Prurigo kommt am behaarten Kopfe, am Halse und Nacken gar nicht-, im Gesicht nur spurweise vor; die hintere wie die vordere Seite des Rumpfes und das Gesäß sind nicht stark ergriffen. Der Hauptsitx sind die Extremitäten, und zwar so, daß die untere mehr als die obere, der Unterschenkel mehr als der Vorderarm zu leiden hat. Dabei ist zu bemerken, daß überall die Streckseiten in weitaus höherem Grade als die Beugeseiten befallen sind und die G e l e n k b e u g e n s t e t s f r e i b l e i b e n , höchstens kann das begleitende E k z e p auf dieselben übergreifen. — Die Allgemeinerscheinungen sind sehr bedeutende: der Juckreiz läßt tags und namentlich nachts keine Ruhe, die Kranken kommen
Prurigo und Pruritus.
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dadurch in den schweren Fällen körperlich aufs äußerste herunter und sind psychisch ebenso tief herabgestimmt. Es wird gesagt, daß nicht nur dem Branntwein viele der Pruriginösen verfallen, sondern daß einige auch durch Selbstmord ihren Qualen ein Ende machen. Prurigo tritt schon in der frühesten Kinderzeit auf und bleibt dem damit Behafteten für das ganze Leben. Sie ist in den untersten Schichten der Gesellschaft weitaus am häufigsten, sie befällt vorzugsweise schlecht Genährte, Männer wohl häufiger als Frauen. — Der Verlauf ist ein etwas wechselnder; im Sommer sind die Erscheinungen durchschnittlich erheblich geringer als im Winter. Die Diagnose ist leicht und früh zu stellen, wenn man das Auftreten der Knötchen als das charakteristische Merkmal ansieht. Später kann man, die eigentümliche Verbreitung und die Langwierigkeit des Leidens beachtend, nicht wohl irren. Die Prognose wird jetzt von manchen etwas günstiger als früher gestellt. Man nennt das zehnte Lebensjahr als äußerste Grenze der Heilungsmöglichkeit, fordert aber, um diese zur Wirklichkeit werden zu lassen, mindestens ein Jahr für die Behandlung. Bei älteren wird nach wie vor eine Heilung als aus; geschlossen angesehen. Therapie: Außer der arsenigen Säure, welcher von einzelnen ein, wenn auch bedingter Wert eingeräumt wird, ist kein wirksames inneres Mittel bekannt. — Man soll die allgemeine Ernährung stets auf möglichster Höhe zu halten suchen. — Bei den äußeren Mitteln wird auf die Anwendung des Wassers großes Gewicht gelegt. Stundenlang (bis zu sechs) fortgesetzte warme Bäder lindern sehr, ebenso PitiESSNiTzsche Einpackungen und Dampfbäder. Weiter kann der Gebrauch von Schmierseife — Einreibung des Körpers an den erkrankten Stellen, die täglich wiederholt wird, beständige Einhüllung in wollene Decken bis sechs Tage lang, eine häufigere Wiederholung des Ganzen — empfohlen werden. In gleicher Weise wird die WiLKmsoNsche Salbe (R Nr. 66) gebraucht. Sehr wirksam erweisen sich Einreibungen mit der VLEMiNGKx'schen Kalkschwefellösung (R Nr. 64): Auftragen derselben auf die kranken Stellen mit Hilfe eines Schwammes, nach einigen Minuten ein warmes Bad von mindestens einstündlicher Dauer, dann Einreibung einer Salbe, die aus Chloralhydrat zu (5—10°/0) und Fett gemischt ist. Sind wunde Hautstellen vorhanden, dann muß man sich auf warme Bäder beschränken, denen nur 100—200 g der V l e m i n g k x sehen Lösung zugesetzt werden dürfen. — Die in dieser Weise eingeleitete Behandlung muß täglich vorgenommen werden. — Der Teer wird so angewandt, daß man die ganze Haut (das Gesicht ausgenommen) mittels eines Pinsels mit einer dünnen Schicht von Teer bedeckt und gleich nachher den Kranken für drei bis sechs Stunden in ein warmes Bad steigen läßt. Auch dies ist täglich zu wiederholen, wenn nicht allgemeine Erscheinungen von Intoxikation (§ 262) ein zeitweiliges Unterbrechen verlangen. Ein mit Prurigo Behafteter ist, wenn die schwersten Erscheinungen glücklich beseitigt sind, um seinen Zustand erträglich zu erhalten, gezwungen, wöchentlich oder noch öfter eine der genannten Prozeduren vorzunehmen. Pruritus. P r u r i t u s (Hautjucken) muß auf abnorme Erregung der Hautnerven zurückgeführt werden. Abgesehen von der peripheren Reizung, welche durch Parasiten und durch manche der Hauterkrankungen selbst veranlaßt wird, ist eine durch 48*
756 die Vermittlung
Krankheiten der Haut.
des Blutes
bedingte Form ( C h o l ä m i e , K o h l e n s ä u r e a n h ä u f u n g , U r ä m i e ,
Zucker im Blut) — und eine, deren Ursachen unbekannt sind (Pruritus senilis, dann ortlich beschränktes Jucken) zu unterscheiden. — Man trennt weiter in Pruritus partialis — häufigst an den männlichen wie an den weiblichen Genitalien und an dem Anus, dann am Kopf, an den Händen und an den Füßen — und in Pruritus universalis, welcher die gesamte Oberfläche befällt. Für diesen letzteren sind die Ursachen wesentlich die genannten allgemeiiien, es ist daher immer eine genaue Untersuchung des Harns u. s. w. vorzunehmen. — Der Juckreiz führt zum Kratzen, dieses wieder zu Ekzemen, zu Wunden der Haut und ihren weiteren F o l g e n — viel schlimmer
aber ist die Rückwirkung
auf
das Allgemeinbefinden
der
von Karbol- oder Salicylsäure, und Einreibungen enthaltenden Salbe i n G e b r a u c h . N e u e r d i n g s
wird
Kranken. Ihre Lebensaufgabe besteht" im Kratzen, sie werden zu jeder ernsteren Arbeit unfähig, schlafen wenig, die Ernährung sinkt, und eine so tiefe gemütliche Depression stellt sich ein, daß manche freiwillig enden. — Für diejenigen, welche die Prurigo als Neurose auffassen, liegt eigentlich kein rechter Grund vor, diese von dem Pruritus partialis zu trennen; nur die eigentümliche Verbreitung und der Umstand, daß jenes Übel aus frühester Kindheit herübergebracht wird, scheiden. Die Diagnose gegen Ekzem ist insofern manchmal schwieriger, als es der Entscheidung der Frage gilt, ob der Juckreiz oder jenes das Ursprüngliche gewesen sei? — Man vergesse nie, daß Parasiten, namentlich Kleider- und Filzläuse, auch in den besten Ständen vorkommen können. — Die Prognose ist nicht günstig. Von inneren Mitteln hat man Karbolsäure in großen Gaben (1 g und mehr; B Nr. 3) mit wechselndem Erfolg angewandt. Äußerlich sind Waschungen mit alkoholischen Lösungen einer bis 10% (Moralhydrat
mit
Ichthyol (1 auf 20 in Salbenform) sehr empfohlen. Stärkeres Ekzem muß nach den dafür aufgestellten Regeln behandelt werden; dabei sind die etwas mehr reizenden Mittel bisweilen von entschiedenem Nutzen, andere Male sind es die Teerpräparate. § 268.
Pemphigus.
Als allgemeines Merkzeichen des P e m p h i g u s (Blasenausschlag) wird die über längere Zeit sich fortsetzende, ohne nachweisbare äußere Veranlassung auftretende Entwicklung von Blasen aufgestellt; dieselbe geht mit umschriebenen Entzündungsvorgängen einher. — Die Lehre vom Pemphigus ist keineswegs eine abgeschlossene; in wesentlichen Punkten herrschen weit auseinandergehende Meinungsverschiedenheiten. Pemphigus acutus.
Nicht von allen wird die doch wohl kaum zu leugnende Existenz eines akuten Pemphigus anerkannt. Häufiger bei Kindern als bei Erwachsenen, bisweilen förmlich epidemisch in größerer oder geringerer Ausbreitung tritt diese Krankheit auf. Sie beginnt mit der Entwicklung von Blasen — bei Säuglingen und kleineren Kindern am Hals und in der Leistengegend, bei älteren ohne besondere Wahlstellen — welche auf leicht geröteter, nicht immer gleichzeitig geschwellter Haut aufschießen, bis zur Größe von Handtellern anwachsen können, öfter zusammenfließen, mit anfangs klarer, später sich trübender Flüssigkeit gefüllt sind und platzend ihren Inhalt entleeren, wobei die dünne Epidermislage meist abgestoßen wird. E s bleibt nun eine gerötete, leicht nässende Fläche
Pruritus. Pemphigus.
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zurück, welche sich selten mit einer Kruste überzieht. Der Ausbruch erfolgt in Schüben, die durch verschieden lange Zeiten getrennt sind; auch die Schleimhäute, namentlich die des Mundes, können mit ergriffen werden. — Allgemeinerscheinungen sind nicht notwendig, aber häufig vorhanden; so schweres Fieber und anderweitige Zeichen von Infektion, ja schon der Anfang kann in der Weise, wie es bei der Invasion der akuten Exantheme geschieht, sich vollziehen. Für einzelne Fälle wenigstens ist die Übertragbarkeit durch Impfung festgestellt worden, man hat Mikroorganismen nachgewiesen (DEMME). Andere Male hat man bei Neugeborenen die Ursache in zu starken Hautreizen gesucht (über die Gebühr warme Bäder). — Die Dauer schwankt zwischen mehreren Wochen und einigen Monaten. Die Prognose ist wechselnd, sie wird von der Ausbreitung der Erkrankung und von den allgemeinen Erscheinungen bedingt und gestaltet sich ceteris paribus um so ungünstiger, je jünger der Ergriffene ist. Der c h r o n i s c h e P e m p h i g u s unterscheidet sich im wesentlichen nur durch seine Dauer, welche sich über viele Jahre erstrecken kann. Die Blasen heilen meist durch Erneuerung der Epidermis ohne Narbenbildung, aber mit leichter Pigmentierung; sie sind häufiger von sehr beträchtlichem Umfang. Zwischen den einzelnen Schüben liegen manchmal Monate; Fieberbewegungen und, was besonders hervorgehoben wird, Schlaflosigkeit leiten dieselben ein. Die Erscheinungen von der doch so schwer verletzten Haut halten sich meist auf ziemlich niederein Stande: die Schmerzen sind mäßig, Jucken ist nur selten vorhanden. — Auch hier ist die Prognose von den gleichen Bedingungen wie bei der akuten Form abhängig. Pemphigus foliaceus.
Von einigen als anatomisch verschieden — keine Entzündung, nur Abhebung der Epidermis von der Cutis durch einen Erguß — von anderen als späteres Stadium der gewöhnlichen Formen betrachtet, zeigt der P e m p h i g u s f o l i a c e u s jedenfalls äußere Verschiedenheiten. Man sieht die entstandenen Blasen — meist sind sie nicht über bohnengroß und fließen oft zusammen — an ihrer Oberfläche mit einer eingetrockneten Kruste bedeckt, welche die nicht zersprengte Blasendecke darstellt. Indem nun an der einmal erkrankten Stelle die Blasenbildung weitergeht, folgt eine Decke der anderen, so daß schließlich eine aus vielen Lagen gebildete Kruste, welche aus ihren Zwischenräumen Exsudat austreten läßt, sich über die Umgebung erhebt. Dus Exsudat verbindet, eintrocknend, eine Schicht der Borke mit der anderen. Das Leiden breitet sich allmählich in verschieden langer Zeit über den größten Teil des Körpers aus; es kann sehr langsam verlaufen, ist aber unheilbar und führt am Ende unter den Erscheinungen des Marasmus zum Tode. Man hat noch andersartige Teilungen versucht, so namentlich nach dem Verlauf einen Pemphigus benignus von dem Pemphigus malignus unterschieden. Bei dem letzteren wurde nach der Beschaffenheit der Blasen eine diphtheritische und eine gangränöse Form, entsprechend der anatomischen Veränderung des Blasengrundes, getrennt, auch wurde, wenn der Blaseninhalt blutig war, von einer hämorrhagischen Form gesprochen. — Es scheint nach allem, daß die offenbar sehr verschiedenen Entstehungsursachen, wie die anatomischen Veränderungen und der klinische Verlauf, die Forderung nahe legen, eine Trennung der durch das rein äußere Band der annähernd gleichen Erscheinungen auf der Haut zusammengehaltenen Gruppe des Pemphigus vorzunehmen.
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Krankheiten der Haut. Pemphigus syphiliticus.
Infolge von Syphilis entwickeln sich besonders bei angeerbter Lues (Handteller und Fußsohle), selten bei erworbener pemphigusähnliche Blasen (siehe das Nähere § 94). Die Behandlung kann nur symptomatische Aufgaben erfüllen: Schutz der ihrer Oberhaut beraubten Stellen durch reizlose Salben oder Streupulver in leichteren, langdauernde, vielleicht anhaltende Warmwasserbäder in schwereren Formen. Die mit Fieber verlaufenden Fälle können die Antipyrese notwendig machen; die allgemeine Ernährung muß sehr berücksichtigt werden. Besonders ist noch auf die so oft vorhandene Schlaflosigkeit Rücksicht zu nehmen. § 269.
Pigmentanomalien.
Angeboren kommt vor der sogenannte Naevus pigmentosus — Flecken in der Haut von verschiedener Gestalt und Größe, durch mehr oder minder starke Anhäufung von Pigment gebildet, so daß sie vom leichtesten Gelbbraun bis zum tiefen Schwarz gefärbt erscheinen. Manchmal sind gleichzeitig auf den Flecken zahlreiche Haare zu finden (Naevus pilosus), in anderen Fällen ist die Haut hier stellen weis gewuchert, so daß sie sich warzig über die Oberfläche erhebt (Naevus verrucosus). — Erworben werden: Lentigines — die bekannten Sommersprossen, nicht nur im Gesicht, sondern gleichfalls an bedeckten Körperteilen, im Sommer stärker gefärbt, indes auch im Winter nachweisbar, meist im ersten Jahrzehnt des Lebens erworben, später aber nicht mehr verschwindend. Chloasmata (Leberflecke) — nur dadurch verschieden, daß sie von größerer Ausdehnung sind. Sie treten nach Hautentzündungen, aber auch mit Erkrankungen innerer Organe auf. Chloasma uterinum, fast stets auf das Gesicht beschränkt, ist das häufigste unter diesen; es stellt sich während der Schwangerschaft und mit chronischen Erkrankungen der weiblichen Genitalien ein. — Von manchen werden auch die ausgedehnten Pigmentierungen der Haut bei ADDISONS Krankheit, nach Malaria u. s. w. bei den Pigmentanomalien der Haut behandelt. — Die Beseitigung der Färbungen, welche örtlichen Reizen ihren Ursprung verdanken, gelingt ebenso wie die der von den Leiden innerer Organe herrührenden nur dann, wenn diese Ursachen zu wirken aufhörten. Durch allmähliche Entfernung der im Bete Malpighi gelegenen, Pigment führenden Zellen tritt Entfärbung ein. Künstlich kann man kleinere Flecken (z. B. von der Gesichtshaut) durch Mittel wegschaffen, welche, eine geringe Entzündung mit Transsudation hervorrufend, die raschere Abstoßung und Erneuerung der Epidermis herbeiführen. Vor allem eignen sich dazu Lösungen von Sublimat von 0,1 bis höchstens 1 % ; damit werden Überschläge befeuchtet und bei den stärkeren Lösungen bis zu einigen Stunden, bei den schwächeren länger auf die gefärbten Stellen gelegt. Es bildet sich dann die gewünschte Entzündung aus, und die Epidermiserneuerung folgt nach. Die starken Lösungen verursachen heftigen Schmerz, sie sind nur mit großer Vorsicht anzuwenden, namentlich muß die Umgebung der kranken Teile geschützt werden. Nachher wird die geätzte Stelle mit feinem Puder bestreut. Allgemeiner Albinismus: Fehlen des Pigments in Haut und Haaren, meist auch in der Iris ist wie der partielle — Beschränktsein des Pigmentmangels auf einzelne Stellen der Haut — angeboren. Es findet sich aber auch eine erworbene Form (Vitiligo). Hierbei bildet sich von einer kleinen, engumschriebenen Hautpartie her, welche in der Mitte weiß, an den Rändern aber dunkel gefärbt erscheint, durch Flächenausbreitung die Entfärbung aus; immer ist die weiß gewordene Stelle von einem kleinen stärker pigmentierten Saum umgeben. Die Flecken treten fast stets in größerer Anzahl auf und können zusammenfließend bedeutende Strecken der Haut bedecken, zumal da es sich um einen lange dauernden, vielleicht das ganze Leben anhaltenden Vorgang handelt. — In dieselbe Kategorie gehört das, meist als Familieneigentümlichkeit zu betrachtende, frühzeitige Grauwerden der Maare: Canities praematura. In ganz vereinzelten Fällen hat man dasselbe übrigens auch als unmittelbare Folge einer heftigen psychischen Erschütterung oder eines starken Schmerzes beobachtet.
Pemphigus. Pigmentanomalien. Erkrankungen der Haare. Ichthyosis.
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§ 270. Erkrankungen der Haare. Es kommt angeboren eine fast über den gunzen Körper ausgebreitete Behaarung (Hirsuties universalis) — und eine auf kleinere Strecken beschränkte (Hirsuties circumscripta) vor, die letztere ist häufigst mit Hypertrophie und stärkerer Pigmentierung der Haut verbunden. Davon zu unterscheiden ist die im Laufe des Lebens sich einstellende Entwicklung von Haaren an Stellen, wo sie sonst nicht hingehören, z. B. der Bartwuchs bei Frauen auch diesseit der klimaterischen Jahre." Bisweilen sieht man das gleiche an Stellen, welche längere Zeit Reizen ausgesetzt waren. Von weiteren Anomalien sind zu nennen: Trichorhexis nodosa: kolbige Verdickung an einer oder mehreren Stellen des Haarschaftes mit großer Brüchigkeit an den erkrankten Teilen. Trichoptilosis — die Haare spalten sich an ihren freien Enden. Die Alopecie (Kahlköpfigkeit) ist gewöhnlich erworben, es finden sich allerdings Familien, in denen das frühzeitige Ausfallen der Haare ohne äußere Veranlassung die Regel ist. — Veranlassung zum Ausfallen der Haare (Alopecia diffusa Simplex) geben häufigst allgemeine Erkrankungen (die Mehrzahl der akuten Infektionen, Syphilis) und dauernde Entzündungen des Haarbodens. Daß mit dem Eintritt des Greisenalters gleichfalls Haarschwund sich einstellt, ist bekannt. Als besondere Form wird die Alopecia diffusa pityrodes unterschieden, welche auf vermehrte Produktion der sämtlichen Epithelialgebiete der Kopfhaut bezogen wird; dabei soll es nicht zur ausreichenden Befestigung des Haares in seinem Balg kommen, sondern durch die rasche Bildung von Epithelzellen innerhalb desselben soll das Haar herausgedrängt werden. Der Haarboden ist mit einem schmierigem, fest anhaftendem Überzug bedeckt, oder zeigt reichliche Schuppen. Der Haarwuchs kehrt nach den Infektionskrankheiten meist im Laufe der Zeit wieder, ebenso nach den örtlichen Entzündungen dort, wo nicht die wirkliche Zerstörung der Haarzwiebel erfolgte. — Die Alopecia pityrodes wird so behandelt: Zuerst starkes Einölen des Kopfes, um die denselben bedeckenden Schuppen zu erweichen; dann Waschungen mit Schmierseife und Bürste, Abdouchen mit kaltem reinem Wasser, Abtrocknen, darauf wieder Einreibung mit Ol, welches nun 24 Stunden liegen bleibt. Das Ganze wird am nächsten Tage und so fort wiederholt. — Noch besser soll wirken: Waschung mit Seife, Abspülen, Trocknen — dann Einreiben einer Salbe mit 10 0/„ Pyrogallussäure, Einhüllung des Kopfes in eine Flanellkappe. Nach einer Woche hört das auf; es wird jetzt zweimal wöchentlich abends eine Seifenwaschung vorgenommen, morgens täglich Öl eingerieben. Nachdem dies eine Woche lang fortgesetzt war, wird täglich eine Mischung von 5—10 g Salicylsäure, 100 g Franzbranntwein und 20 g Glycerin tüchtig mit Hilfe der Haarbürste eingerieben. Das Ganze muß Monate hindurch fortgesetzt werden. Bei der Alopecia areata (Area Celsi) zeigen sich, gewöhnlich am Kopf (Hinterhaupt), zuerst ein oder mehrere kleine kahle Flecke, welche anfangs rascher, nach Verlauf einiger Wochen äußerst langsam aber unaufhaltsam wachsend, annähernd die Form des Kreises annehmen, scharf umschrieben sind, indes bei ihrer Ausbreitung ineinander überfließen. Bald treten neue Herde auf und machen den gleichen Gang. Es kommt vor, daß fast die ganze Körperoberfläche beteiligt wird. An den ergriffenen Stellen ist vollständige Kahlheit eingetreten; nicht einmal Reste von Haaren sind sichtbar, die Haut erscheint weiß, fast wie eine Narbe und leicht eingesunken. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit hört mit einem Schlage das Übel auf Fortschritte zu machen, binnen kurzem entwickelt sich wieder Wollhaar, dann stärkeres, normal gefärbtes Haar, so daß die vollständige Genesung als nahezu ausnahmslose Regel betrachtet wird. Nach einigen Beobachtungen kann mit der Entwicklung der Area Celsi eine Störung des Allgemeinbefindens (Kopfweh, Mattigkeit, Appetitmangel, Abmagerung) einhergehen; ebenso sind örtlich Parästhesien vorhanden. An den bereits enthaarten Stellen ist eine Störung der Sensibilität nach keiner Richtung hin nachweisbar. — Die Entslehungsursachen der Krankheit sind vollständig unbekannt; die Versuche einer Erklärung durch die Annahme einer neurotischen Grundlage sind ebenso vergeblich wie die, welche das Ganze auf parasitäre Infektion zurückführen wollen. — Eine zweckmäßige Behandlung kennen wir nicht. § 271. Ichthyosis.
Bei der I c h t h y o s i s (Fischschuppenkrankheit)findetsich eine nicht auf entzündlichen Vorgängen beruhende oder damit einhergehende Verdickung der Oberhaut
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Krankheiten der Haut.
— Man sieht zunächst eine leicht verstärkte Abschuppung, so daß die Haut wie mit Puder bestreut erscheint und dabei etwas perlmutterartig glänzt — Ichthyosis nitida. Bei weiter gediehener Erkrankung wird die Bildung von Schuppen reichlicher,, gleichzeitig sind dieselben in der Farbe verändert, graugrün, der Schlangenhaut bis zu einem gewissen Grade ähnlich — Ichthyosis serpentina. In den höchst entwickelten Formen ist die Epidermis mit festen, hornartigen, bis zu 2 cm langen Schildern von dunkler, grtinschwarzer Farbe bedeckt, welche fest anhaften — Ichthyosis hystrix. Die Streckseiten der Glieder sind besonders stark ergriffen, weniger ist es der Rumpf, die Beugeseiten der Gelenke bleiben fast immer frei. Die Handteller und Fußsohlen, ebenso das Gesicht können beteiligt sein. Die Erkrankung ist in der Regel über größere Hautflächen ausgedehnt. — Das Allgemeinbefinden wird nicht beeinträchtigt. Meist handelt es sich um ein angeborenes Übel, welches in bestimmten Familien heimisch ist. Anatomisch ist eine vermehrte Bildung von Epithelzellen mit gesteigerter Neigung zur Verhornung vorhanden. — Die Heilung ist selten, bisweilen allerdings nach akuten Exanthemen beobachtet. Die Behandlung besteht in Entfernung der Schuppen durch Schmierseife (§ 262), darauf folge regelmäßiges Baden und Einfetten der überaus trocknen, kaum oder gar nicht schwitzenden Haut. § 272. Skleroderma der Erwachsenen.
Die Entwicklung des S k l e r o d e r m a s , welches in seiner vollendeten Ausbildung als schwere Ernährungsstörung der Haut erscheint, vollzieht sich so: Schmerzlos treten mehrfache hart anzufühlende Erhebungen über die gesund gebliebene Nachbarschaft, sich scharf davon absetzend oder verschwommen in dieselbe übergehend, auf, welche schwach rot gefärbt sind. Die Erhebungen breiten sich aus und werden blaurot; wenn mehrere dichter aneinander stehen, fließen sie, unregelmäßige Figuren bildend, zusammen. Später sinkt die Mitte ein, deren Rötung verliert sich und macht einer weißen oder grauen Färbung Platz, gleichzeitig stößt sich die Epidermis ab und reichliche Schuppen bedecken die erblaßten mattglänzenden Hautteile; es kann am länger blaurot gebliebenen Saume, aber auch in der bereits abgeblaßten Mitte zur Entwicklung brauner Pigmentflecke kommen. Ohne den Kranken nennenswert zu belästigen, bleibt diese Veränderung bestehen, sie kann sich aber auch vollständig zurückbilden. — Neben dieser gutartigen umschriebenen Form kommt eine bösartige ausgebreitete
•vor. Durch Zusammenfließen ursprünglich vereinzelter Härten, oder indem gleich anfangs größere Flächen erkranken, bildet sich dieselbe aus. Es entsteht so eine mäßige Schwellung, die allmählich in dex gesunden Nachbarschaft sich verliert; die Färbung derselben ist schwächer, aber immerhin noch deutlich rot. Später tritt mit Nachlaß der Schwellung ein Einsinken der erkrankten Teile auf; dabei bleibt die Haut hart, sie läßt sich nicht in Falten legen und zeigt keine Runzeln. Auch in diesen Fällen sieht man Entfärbung, Abschuppung und Pigmentierung. Durch die Starrheit der Haut wird dieselbe an den Teilen, wo sie eine knöcherne Unterlage hat, deren Gegendruck ausgesetzt und allmählich atrophisch, ebenso über den Gelenken, deren Bewegungen außerordentlich erschwert sind, so daß sie nicht selten in halber Krümmung festgestellt werden. — Hier können aus den entstandenen Einrissen sich Geschwüre entwickeln, die tief greifend Knochennekrose hervorzurufen vermögen. — Die obere Körperhälfte ist mehr als die
Skleroderma. Sklerem. Elefantiasis Arabum.
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untere befallen, das Gesicht bleibt nicht frei. — Die Heilung ist sehr selten; meist tritt, freilich erst nach Ablauf vieler Jahre, der Tod unter den Erscheinungen des Marasmus ein. — Uber die Ätiologie ist nichts bekannt, auch die anatomische Untersuchung ist über den Nachweis von kutaner und subkutaner Vermehrung des Bindegewebes nicht viel hinausgekommen. — Die Therapie kann nur eine palliative (Fetteinreibung, warme Bäder) sein; neuerdings will man freilich durch Elektrizität (Sympathicus) etwas erreicht haben. Sklerem der Neugeborenen.
Bei jüngsten Kindern findet sich im Gefolge von Erkrankungen, die mit Schwächung der peripheren Cirkulation einhergehen (Cholera nostras, Bronchitis capillaris u. s. w.), zuerst an den unteren Extremitäten, dann von hier sich aufwärts ausbreitend oder überhaupt an denjenigen Punkten, die nicht genügend Blut bekommen, sich ausbildend eine eigentümliche Veränderung, welche man als S k l e r e m a n e o n a t o r u m bezeichnet hat. Die Haut fühlt sich kalt an, sie erscheint hart, geschwellt, runzellos, gespannt, cyaDotisch oder vollständig blaß. Es kann eine ödematöse Durchtränkung derselben vorhanden sein oder fehlen; was geschieht, ist davon abhängig, ob der Vorrat des Körpers an Flüssigkeit erschöpft ist oder nicht. Das eigentliche Wesen des Vorgangs beruht auf einer Erstarrung des bei so jungen Kindern schwerer schmelzbaren (mehr Palmitin- und Stearin-, weniger Ölsäure enthaltenden) Fettes. — Es handelt sich also um nichts weniger, als um eine Hauterkrankung. § 273.
Elefantiasis Arabum.
Wenn längere Zeit hindurch die Strömung des Yenenblutes oder die der Lymphe erschwert war, entwickelt sich manchmal an den hiervon befallenen Körperteilen eine bedeutende Verdickung des Bindegewebes. Die unteren Extremitäten und die Genitalien, männliche, toie weibliche, sind am häufigsten der Sitz dieses Leidens — es kommt aber auch an den Händen, sogar an der Nase vor. W e g e n der entstellenden Plumpheit, welche die ergriffenen Teile zeigen, ist der N a m e der E l e f a n t i a s i s gewählt — der Zusatz „ A r a b u m " schien notwendig, um die Trennung von der Lepra, die auch als Elefantiasis Graecorum bezeichnet wurde, auszusprechen. — Anfangs sind nur Zeichen des Odems vorhanden: eine verdünnte, gespannte, an der Oberfläche leicht abschilfernde Haut über einem mit Flüssigkeit erfüllten Unterhautzellgewebe, in welchem Fingereindrücke Vertiefungen hervorrufen. Im Laufe der Zeit verdickt sich die Haut und das unter ihr gelegene Bindegewebe, es bleiben Eindrücke nicht mehr stehen, die Massenzunahme wird stärker und stärker, so daß die natürlichen Formen zum Verschwinden kommen. Stärkere Bildung von Epidermis, Ichthyosis ähnliche Wucherungen, Ekzeme, auch wohl Geschwüre, welche zur Gangrän führen können, stellen sich ein. — An sich leidet das Allgemeinbefinden nur dann, wenn sich die Elefantiasis über sehr weite Strecken ausgedehnt hat. — Abgesehen von der Erschwerung der Blut- und Lymphbewegung durch chronische Entzündungen nicht spezifischen Ursprungs, wird ein häufiger recidivierendes Erysipel, und für die in manchen Teilen der Tropen endemischen Formen ein Parasit (Filaria Bankrofti) als veranlassende Ursache betrachtet. Endlich schließt sich die Elefantiasis in seltenen Fällen an Neurofibrome der Haut an. — Die Prognose ist keine besonders gute für die vollständige oder auch nur annähernd vollständige Ausgleichung der örtlichen Veränderungen — das Leben wird freilich unmittelbar nicht bedroht, wohl aber (freilich nicht häufig) mittelbar: Entkräftung, Geschwürsbildung mit Gangrän und septischen Vorgängen. [Die Therapie ist eine chirurgische.
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Krankheiten der Haut.
§ 274.
Dermatomykosen. Favus.
Man nahm aD, daß der F a v u s (Erbgrind) durch die Wucherung eines Fadenpilzes, des Achorion Schoenleinii entstehe. Neuerdings wies QUINCKE nach, daß 3 Pilze imstande sind den Favus zu erzeugen; dieselben gehören zu den Ascomyceten, sind aber noch nicht bestimmer classificirt. Die Pilze erzeugen wuchernd schwefelgelb gefärbte, trockne, runde Scheiben (Scutula), welche an ihrer Oberfläche leicht ausgehöhlt, an ihrer unteren Fläche hingegen konvex gestaltet und von einzelnen Haaren durchsetzt sind. —• Kommen die Pilze auf der Haut zur Ansiedlung. dann zeigen sich zunächst rundliche, gerötete Flecke, welche häufig mit einem Saum von Bläschen umgeben sind (sogenanntes herpetisches Stadium). Nach einiger Zeit schilfert die Haut in der Mitte des Fleckens leicht ab. Nach einigen Wochen sieht man um ein Haar herum und von diesem durchbohrt ein stecknadelkopfgroßes oder noch kleineres, nur durch die Loupe erkennbares, gelb gefärbtes, nach oben konkaves Schildchen, welches sich nun nach allen Seiten weiter ausbreitet. Hat die Pilzwucherung an nahe gelegenen Stellen stattgefunden, dann fließen die dort gebildeten Scheiben zusammen, erheben sich über die H a u t , können bis zu mehreren Centimetern dick werden und ebenso in der Fläche eine beträchtliche Ausdehnung erreichen. Im Laufe der Zeit verliert sich die gelbe Färbung etwas, statt ihrer zeigt sich ein schmutziges Grau. Die Favusborken sind schon mit geringer Gewalt zu entfernen, dabei tritt ein wenig Blut aus der Haut, welche, an den vom Pilz eingenommenen Teilen atrophisch geworden, in narbenähnlicher Färbung und Gestalt erscheint. Die Haare nehmen an der Erkrankung teil — sie sind leicht und schmerzlos zu entfernen, trocken und brüchig. An den vom Favus heimgesuchten Stellen ist der Haarwuchs dauernd zerstört. — Der behaarte Kopf ist der Lieblingssitz des Pilzes, welcher übrigens an jedem Teil der Haut, sogar im Nagel sich in typischer Weise zu entwickeln vermag. Am Kopf finden sich die massigsten Wucherungen; hier können dieselben jahrelang sich behaupten; sie bleiben so lange bis der Haarwuchs ganz zerstört ist. — Man nimmt an, daß der zuerst in den oberflächlichen Schichten der Epidermis wuchernde Pilz bald in. die Haarbälge gelangt und zur Haarwurzel vordringt; ebenso kommt er mehr und mehr in die tieferen Lagen der Haut und zerstört sie durch Druck und durch Entziehung des Nährmaterials. Die Behandlung besteht in der Entfernung und Tötung des Pilzes und seiner Sporen. Bei Favus am behaarten Kopfe geht man am besten so vor: gründliches Ölen des Kopfes (dreimal innerhalb von 24 Stunden); während dieser Zeit wird derselbe mit einer Flanellumhüllung bedeckt. Darauf Entfernung der Borken auf mechanischem Wege und nachfolgend eine Waschung mit einer alkoholischen Lösung von Kaliseife. Nun wird Haar um Haar mit der Cilienpincette entfernt; wenn ein Haar leichtem Zuge nicht nachgiebt, läßt man es sitzen, muß aber von Zeit zu Zeit an dem erkrankten Teile der Kopfhaut die Epilation wiederholen und das monatelang fortsetzen. Täglich sind Waschungen mit der Seifenlösung vorzunehmen und immittelbar nachher pilztötende Mittel anzuwenden: Karbolöl (5—10%), Pyrogallussäure in Salbenform (10%), am besten aber wohl Sublimat in Lösungen von 1 pro milie oder, wenn das Mittel von der Haut ertragen wird, in stärkeren. — Als mittlere Dauer der Behandlung ist etwa ein halbes
Dermatomykosen: Favus. Herpes tonsurans.
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Jahr zu rechnen. — Favus der Nägel muß durch mechanische Entfernung der kranken Teile (Abkratzen oder Ausschneiden) mit nachfolgender Anwendung von Sublimat behandelt werden. — An den nur mit Wollhaar bedeckten Körperteilen genügt
die mechanische
Entfernung
der Schilder
und
starkes
Einreiben
von
Schmierseife, um in kurzer Zeit die Heilung herbeizuführen. Herpes tonsurans.
Auch der H e r p e s t o n s u r a n s
(Herpes
circinatus,
Ringworm,
Scheerflechte)
entsteht durch Wucherung eines Fadenpilzes (Trichophyton tonsurans). Derselbe kommt an behaarten wie an haarlosen Teilen des Körpers vor und macht je nach dem Sitze seiner Ansiedlung etwas verschiedene Bilder. — Es wird von vielen angenommen, daß die parasitäre Sykosis und das Eczema marginatum falls durch Trichophyton tonsurans hervorgerufen werden.
gleich-
Auf dem behaarten Kopf sieht man mehrere bis 4 cm große Scheiben mit spärlichem Haarwuchs. Bei genauerer Untersuchung stellt sich heraus, 'daß die wenigen zurückgebliebenen Haare, glanzlos und wie bestäubt erscheinend, eine Strecke oberhalb ihrer Wurzel, bald höher, bald tiefer abgeknickt sind, so daß der Vergleich mit einem schlecht gemähtem Stoppelfelde oder mit einem von ungeübtester Hand ausgeführtem Versuch des Haarschneidens zutrifft. Der Haarboden ist an der erkrankten Stelle mit einer Lage festanhaftender weißer Schuppen bedeckt; er zeigt sich nach deren Entfernung etwas gerötet, geschwellt, serös durchfeuchtet und gegen Druck leicht empfindlich. Im Umkreis des eigentlichen Herdes finden sich kleine Bläschen oder die nach deren Platzen zurückgebliebenen dünnen, leicht bräunlich gefärbten Krusten neben seichten, des Epithels beraubten, ein wenig nässenden umschriebenen Abschürfungen. — Auf den anderen mit ausgebildeten Haaren versehenen Körperteilen ist das gleiche vorhanden; nur am Barte kann das Bild der Sykosis sich darbieten. — Der Verlauf ist ein sehr chronischer, bis zu Jahren ausgedehnter; wesentlich ist das durch Selbstinfektion bedingt. — Genesung mit vollständiger Neubildung der Haare und ohne Narben der Haut ist Regel, v o n w e l c h e r n u r n a c h sehr h a r t -
näckigen Fällen Ausnahmen sich finden. An nicht behaarten Körperteilen zeigt sich die Erkrankung in mehrfacher Form: Herpes tonsurans vesiculosus — hirsekorn- bis stecknadelkopfgroße Bläschen, vereinzelt oder zu Gruppen vereint, mit wasserhellem Inhalt und äußerst dünner Epitheldecke, daher schnell platzend und nun leichte Schuppen zurücklassend. Der rote geschwellte Punkt, auf welchem die Bläschen aufschössen, wächst zum Ringe aus mit neuer Bildung von Bläschen; weitere schließen sich an, während das Centrum heilt. Es kommt vor, daß mehrere konzentrische Kreise mit geringem Abstand sich entwickeln, ebenso, daß benachbarte zusammenfließend einen gleichmäßigen leicht erhabenen, sich allmählich vorschiebenden Wall bilden, der mit Bläschengruppen bedeckt ist. Die entzündliche Schwellung kann ziemlich bedeutend werden, dann erreichen auch die Bläschen eine beträchtlichere Ausdehnung und lassen platzend ihren Inhalt austreten, der zu einer Kruste, ähnlich wie bei dem Ekzem erstarrt. Es können hierbei sogar Allgemeinerscheinungen mit Fieber auftreten. — Die Dauer der Erkrankung, welche meist mit vollständiger Heilung endet, höchstens leichte Pigmentierung der Haut zurückläßt, schwankt zwischen 6 Wochen und etwa 3 Monaten. Hiervon verschieden gestaltet sich der Verlauf, wenn die Entwicklung des
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Krankheiten der Haut.
Pilzes — von manchen wird angenommen, daß es sich um eine andere Pilzart (Mikrosporon minutissimum) handle — auf Hautflächen vor sich geht, welche dauernd der Einwirkung feuchter Warme ausgesetzt sind (die Haut des Skrotum und die gegenüberliegende des Oberschenkels, die Achselhöhle u. s. w.). Die Erscheinungsform ist im ganzen die gleiche, nur daß sich neben Bläschen auch Knötchen bilden und der Vorgang sehr hartnäckig sich erweist; heftiges Jucken, damit Ekzem und Verdickung der Haut sind mit demselben verbunden. Das Ganze wird auch als Ekzema, marginatum beschrieben. — Der Herpes tonsurans maculosus ist die häufigste Form von allen: Am Rumpfe und an den Gliedern treten zuerst bis linsengroße leicht erhabene, wenig gerötete Flecke in spärlicher Menge auf. Rasch nimmt ihre Zahl zu, während der einzelne Fleck sich mit rot gefärbtem Saum in die Fläche ausbreitet, in der Mitte etwas vertieft erscheint und hier nur eine gelbliche Farbe zeigt. Die benachbarten Herde fließen zusammen und bilden so unregelmäßige Figuren,' von deren Außenwand her weiter und weiter sich die Erkrankung vorschiebt. — Man berechnet die Zeit für das Auftreten neuer Herde bis sechs Wochen vom Beginn der Erkrankung, die Dauer des Ganzen aber auf ebensoviel Monate. Ekzem kann sich als Komplikation entwickeln, Juckreiz und Kratzen fuhren dazu. Auch an den Nägeln vermag sich der Pilz einzunisten. Dieselben verlieren ihre normale Beschaffenheit und Farbe, sie werden brüchig und rissig, zeigen unregelmäßige Verdickungen und eine graue Färbung. Bemerkenswert ist, daß Trichophyton tonsurans bei unseren Haustieren (Pfer-
den, Rindern, Kaninchen, Hunden und Katzen) vorkommt; der Pilz ist von ihnen auf den Menschen und umgekehrt übertragbar. Anatomisch untersuchend findet man den Pilz in den oberen, nicht in den tieferen Schichten der Epidermis, sowie in den H a a r e n angesiedelt. Eine Zerstörung der Gewebe findet dabei nicht statt. Die Behandlung ist im ganzen die gleiche wie bei dem Favus. Nur können die Öleinreibungen wegfallen, wenn nicht größere Krusten sich gebildet haben. § 275.
Tierische Parasiten. Scabies.
Die Scabies (Krätze) wird durch die Krätzmilbe
(Sarcoptes scabiei) hervorge-
rufen. Dieselbe ist von eiähnlicher Form, das weißgefärbte Weibchen ist 0,35 mm breit, 0,23 mm lang, die Maße bei dem mehr gelben oder bräunlichen Männchen werden zu 0,25 mm und 0,15 mm angegeben. Vorn und hinten sind je zwei Paar Extremitäten vorhanden, welche vorn Saugnäpfchen tragen. Der Kopf ist mit leicht gezähnten, scherenartig übereinander gelegten kräftigen Mandibeln ausgerüstet. Die Atmung geschieht unmittelbar durch die Haut. Das Weibchen besitzt Ovarien, ein Legerohr und eine Legespalte, das Männchen einen hufeisenförmigen Penis. — Die jungen Milben, welche nach ihrer Entwicklung im Ei noch eine mehrfache Häutung erfahren und nach vier Wochen geschlechtsreif werden, sowie die Männchen leben in kleinen Höhlen, welche sie sich ausgraben, auf der Haut zerstreut; die Weibchen dagegen graben sich Gänge, welche etwa 3 cm lang werden können, leicht gekrümmt sind und oberhalb der-Cutis liegen; in jedem derselben ist nur ein Tier vorhanden. Hier werden sie von den Männchen aufgesucht und befruchtet, hier legen sie ihre Eier, deren bis zu 26 in einem
Favus. Scabies.
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Gange enthalten sein können; hier sterben sie nach 3—4 Monaten gesamter Lebensdauer. Elan hat durch absichtliche Übertragung die Entwicklung der Krätze bei dem Menschen genauer kennen gelernt: Nachdem mit Hilfe ihrer kräftigen Mandibeln die Krätzmilbe unter die Haut gelangt ist, wobei der Heimgesuchte schon etwas Juckreiz empfindet, zeigt sich nach zwei bis drei Tagen ein stecknadelkopfgroßes Bläschen oder Knötchen, nach Ablauf einer Woche ein einige Millimeter großes weißliches Streifchen, wie eine leicht geritzte Hautoberfläche erscheinend, das von Tag zu Tage länger wird. Je nach der Dicke der Haut wird nun der vorgeschobene Gang ein verschiedenes Aussehen derselben erzeugen: eine leichte Erhabenheit bei starker Epidermisschicht, Bläschen oder Pusteln, auch die Entwicklung von Knötchen bei zarter Oberhaut. Mit dem Weiterwandern der Milbe verschwinden die geringen örtlichen Entzündungen in kurzer Zeit, sie treten dort aufs neue auf, wo die Milbe weiter wühlt. — Die aus den Eiern ausgeschlüpften Tiere graben sich wiederum ein, so breitet sich die Krankheit in verhältnismäßig kurzer Zeit aus, rechnet man doch die Zahl der Nachkommen eines einzigen Weibchens auf ein Drittel Million für dessen Lebensdauer von drei bis vier Monaten. Lieblingsstellen der Krätzmilbe sind die Beugeseite des Handgelenks, die Seitenfläche der Finger, der Penis bei Männern, bei Frauen die Brustwarze und deren nächste Umgebung. Durch den mit der Menge der angesiedeilen Tiere beständig zunehmenden und sehr starken Juckreiz wird Kratzen und dadurch eine weitere Erkrankung der Haut erzeugt, welche sich im ganzen als Ekzem mit allen den vielen diesem eigenen Formverschiedenheiten darstellt. Die eigentümliche Verteilung desselben muß den Verdacht auf Scabies sofort wachrufen; sucht man genauer nach, dann zeigt sich bald der Gang der Milbe — durch Bestreichen der verdächtigen Gegend mit Tinte, welche dann rasch abgetrocknet wird, tritt derselbe am deutlichsten hervor — und es gelingt bei einiger Übung leicht eine Milbe zu fangen. — Die Behandlung besteht in dem Töten der Milbe und ihrer Brut; daneben, aber immer erst danach, kann das vorhandene Ekzem therapeutisches Einschreiten verlangen. — Es giebt eine Menge sogenannter Schnellkuren, bei welchen durch die Anwendung der leichteren Ätzmittel (Schmierseife und Kalkschwefellösung sind die vorwiegend benutzten) die oberflächlichen Epidermisschichten zum Abstoßen gebracht, so die Milbengänge geöffnet werden und ihr Inhalt zu Grunde geht. Eine derselben schreibt vor: Einreibung des Körpers, besonders der von den Milben mit Vorliebe aufgesuchten Stellen mit Schmierseife; der Kranke ist dabei im warmen Bade und verbleibt in solchem noch eine halbe Stunde nach vollendeter Einreibung. Dann folgt eine starke Einreibung mit der V L E M I N G K X sehen Kalkschwefellösung (R Nr. 6 4 ) , nun Rückkehr in das gleiche Bad für eine halbe Stunde, darauf eine kalte Douche.
Bei allen diesen Schnellkuren, welche bei schon vorhandenem stärlcerem Ekzem überhaupt nicht anwendbar sind, kann es vorkommen, daß der Ausbruch eines allgemeinen Ekzems folgt, dessen Behandlung Wochen in Anspruch nimmt. Das gleiche gilt von dem Bestreichen des ganzen Körpers mit Petroleum oder mit einer Lösung beziehungsweise mit einer Salbe von Phenol; bei dem Gebrauch des letzteren sind sogar Todesfälle vorgekommen. — Man thut daher gut mildere Mittel zu wählen. Ein bewährtes Verfahren ist dieses: Zuerst ein ^ — 1 stündiges warmes Seifenbad; der Kranke wird, nachdem er dasselbe verlassen, gut trocken
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Krankheiten der Haut.
gerieben und nach Verlauf einer Stunde mit Perubalsam (auch wohl Copaivabalsam oder Styrax — 30 Teile des letzteren mit 8 Teilen Olivenöl gemischt werden empfohlen), welcher mit einem dicken Malerpinsel tüchtig eingerieben wird, bestrichen — dabei sind die Genitalien des Mannes und die weiblichen Brüste nicht zu vergessen. Man hüllt den Patienten nun in wollene Decken ein und wiederholt nach zwölf Stunden die Einreibung mit der ihr folgenden Einwicklung bis zu viermal, immer den gleichen Zwischenraum einhaltend; zum Schlüsse des Ganzen wird noch ein warmes Seifenbad gegeben. Ekzeme werden bei dieser Methode nicht beobachtet, und dieselbe kann trotz vorhandenen Ekzems angewandt werden. — Bei allen Krätzkuren bleibt unter gewöhnlichen Verhältnissen das Gesicht von den Einreibungen ausgenommen. Nur bei ganz ungewöhnlicher Verwahrlosung und bei langer Dauer des Übels finden sich hier, besonders an den Ohren, Milben — (Scabies crustosa s. Norvegica). — Nach beendeter Kur ist der Kranke mit frischer Wäsche zu versehen. Es wird freilich die Desinfektion der Kleider und der Wäsche, welche durch stark erhitzte trockene Luft zu geschehen hat, von manchen für unnötig gehalten, sie dürfte aber doch kaum zu vernachlässigen sein. Sind reichlichere Ekzeme vorhanden, dann können dieselben nach beendeter Kur das Jucken noch eine Zeit lang unterhalten — man darf sich dadurch nicht ohne weiteres zu der Annahme verleiten lassen, die Krätze sei noch nicht getilgt. Erntemilbe; Gerstenmilbe. Die Erntemilbe ist eine sechsbeinige Larve, wahrscheinlich die der roten Erdmilbe (Trombidium holosericeum), welche zur Sommerszeit auf den im Freien sich aufhaltenden Menschen geht und besonders an den unbedeckten Körperteilen, wenigstens dort zuerst, stecknadelkopfgroße rote Knötchen und Quaddeln mit heftigem Juckreiz hervorruft. Das Tier stirbt nach wenig Tagen, ohne sich zu vermehren. — Die Gerstenmilbe — eine achtbeinige Larve — auf der Gerste lebend, ruft bei den mit dieser Getreideart Beschäftigten etwas ernstere Erkrankungen der Haut: Urticaria und sogar ausgedehntere Ekzeme, hervor. Das Tier vermag sich ebensowenig auf dem Menschen zu halten. Läuse.
Die früher gangbare Annahme einer Läusesucht, wobei sich diese Tiere in zahlloser Menge im menschlichen Körper entwickeln und den Ergriffenen langsam zum Tode bringen sollten, eine besonders großen Sündern vorbehaltene Form des göttlichen Strafgerichts, ist unhaltbar geworden. — Wir unterscheiden: 1. P e d i c u l u s c a p i t i s (Kopflaus), 1—2 mm lang, 0,6 bis 1 mm breit. Dieselbe legt ihre Eier an die Haare des Kopfes, sie dort durch eine Chitinscheide künstlich befestigend, und geht nicht über den behaarten Kopf hinaus. Das durch den starken Juckreiz bedingte Kratzen führt zu ausgebreiteten Ekzemen, als deren Folge Drüsenanschwellung in dem betroffenen Lymphgebiet sich einstellt. Die Läuseekzeme werden die häufigste Veranlassung zu jener Verfilzung der Haare, welche man als Weichselzopf (Plica polonica) bezeichnet. — Sind die Läuse nicht in zu großer Anzahl vorhanden, dann genügt es, den Kopf tüchtig mit Seife zu waschen und das Haar mit engem Kamm gründlich zu bearbeiten. Sind viel Läuse da, dann ist es am besten, das Haar kurz abzuschneiden und darauf eine Mischnng von gleichen Teilen Petroleum
und Perubalsam
zweimal t ü c h t i g
einzureiben. Das nachbleibende Ekzem wird durch Öleinreibungen und Waschungen mit Kaliseife behandelt. Muß man das Haar schonen, dann lassen sich
Tierische Parasiten. Scabies u. s. w.
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die angeklebten Nisse am besten durch fortgesetzte Waschungen mit konzentrierter Sodalösung entfernen. 2. P e d i c u l u s p u b i s (Morpio, Filzlaus), bis 2 mm lang und 1,4 mm breit, an allen behaarten Körperteilen, den Kopf ausgenommen, zahlreichst meist am Schamberg. Die Eier werden an dem tiefsten Teil der Haare durch Chitin befestigt. Das Tier zeigt sich an seinen Standorten als ein kleiner brauner oder grauer Fleck, beißt sich ziemlich fest in die Haut ein, steckt mit dem Kopfe in dem Ausführungsgang eines Haarbalgs und klammert sich an den benachbarten Haaren fest, so daß es der Entfernung einigen Widerstand leistet. Die Filzlaus verursacht anhaltenden und starken Juckreiz. Der Ausbruch von Ekzem ist daher etwas ganz gewöhnliches. — Die Behandlung besteht in dem Einreiben grauer Salbe; jedoch ist dieses Mittel nicht bei stärkerem Ekzem anzuwenden. Man wählt dann statt dessen weiße Präzipitatsalbe; von beiden Präparaten genügt es bohnengroß zweimal einzureiben. Mehr noch wird neuerdings eine Mischung
von Petroleum
und Perubalsam,
oder dieser
allein
empfohlen,
zweimal
täglich mittels des Pinsels einzureiben und etwa zwei Tage zu wiederholen. Das Ekzem verlangt nicht selten wieder eigene Sorge, weicht aber meist bald. 3. P e d i c u l u s v e s t i m e n t o r u m (Kleiderlaus), die größte der Läuse, ist 2—3 mm lang, 1 —1,5 mm breit, sie hält sich dauernd in den Kleidern oder in unsauberen Betten auf und geht auf die Haut nur, um Nahrung zu suchen. Dabei bohrt sie ihren Saugtüssel ein, der Heimgesuchte empfindet ein gelindes Stechen. Nachdem das gesättigte Tier sich losgemacht hat, erscheint an der Stichöffnung ein kleinstes Bluttröpfchen, bald aber bildet sich eine Urticaria ähnliche Quaddel aus, welche heftiges Jucken hervorruft. Durch fortgesetztes Kratzen, bei welchem die" Haut förmlich zerfleischt wird, entwickelt sich, außer Ekzem und oberflächlichen Geschwüren, auch wohl Furunkeln, eine bis zum Schwarz reichende Pigmentierimg an den besonders ausgesetzten Stellen. Es sind das solche, an denen die Kleider sich reichlicher in Falten legen (gewöhnlich die Nackengegend, jene Teile, wo Hosen oder Röcke um den Leib fest gemacht sind und die oberen Teile der Handgelenke). Nur bei großer Verwahrlosung findet sich die Kleiderlaus noch an anderen Stellen, sie kann einen sehr großen Teil des Körpers heimsuchen. — In diesen Fällen wird man daher auch auf der Haut selbst das Tier antreffen — meist muß man, durch die eigentümliche Verteilung der Hauterkrankung aufmerksam gemacht, in den Kleidern nachsuchen. Man lasse sich nicht durch eine hervorragende soziale Stellung des Befallenen und seine sonst große Reinlichkeit irre machen — wollene Wäsche wird oft länger als nötig getragen, und in den Betten findet, wennschon die Überzüge gewechselt sind, die Laus noch oft einen Schlupfwinkel. Die Behandlung hat nur dafür zu sorgen, daß von Läusen freie Wäsche und Kleider getragen und solche Betten benutzt werden. Der Aufenthalt in erhitzter
trockener
Luft
von 70—800
R. etwa
sechs Stunden
fortgesetzt
tötet
sicher
die Tiere und ihre Eier. Die Folgezustände auf der Haut sind nach allgemeinen Regeln zu behandeln; selbst eine starke Pigmentierung verliert sich bald. Flöhe; Wanzen; Dipteren.
Die durch den F l o h — Pulex irritans — hervorgerufenen Hautverletzungen werden kaum jemals Gegenstand ärztlicher Behandlung. Für die Diagnose ist es dagegen nicht unwichtig, darauf aufmerksam zu machen, daß die ursprüng-
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Krankheiten der Haut.
lieh von einem roten Injektionshofe, der bei Druck verschwindet, umgebene feine Petechie namentlich bei allgemeiner schlechter Ernährung oder während der mit sogenannter Dissolutio sanguinis einhergehenden Infektionskrankheiten eine nicht unbedeutende Größe erlangt und Mißdeutungen unterliegen kann. Gleichzeitig vorhandene frische Flohstiche und der in der Regel der Haut aufliegende braunschwarz gefärbte Kot des Tieres schützen am besten gegen Verwechslungen die am ehesten vorkommen, wenn ein größerer Teil der Körperoberfläche einen Stich neben dem anderen zeigt. — W a n z e n b i s s e können zur Bildung großer stark juckender Quadeln Veranlassung geben, ebenso die Bisse verschiedener Zweiflügler (Mücken, Bremsen, Wespen, Bienen u. s. w.), bei denen allen es zur Entleerung der Giftdrüsen dieser Tiere kommt. Waschungen mit Ammoniak, 1 auf 10 Teile Spiritus mit Zusatz von 0,1 Phenol beseitigen wenigstens das Jucken, die Anwendung der Kälte nützt gegen die entzündlichen Erscheinungen. Von den nicht in Europa heimischen Parasiten mögen noch Erwähnung finden: Pulex penetrans (Sandfloh). Das befruchtete Weibchen bohrt sich unter die Haut ein und ruft eine heftige Entzündung, welche bis zur Gangrän gedeihen kann, hervor; sogar Tetanus soll nicht ganz selten sein. Filaria medinensis (Guineawurm) gelangt wahrscheinlich mit dem Trinkwasser in den Körper, er macht an dem Orte seiner Ansiedlung umschriebene Entzündungsherde, welche sich von selbst öffnen, und aus denen das bis zu 80 cm lange, bisher allein bekannte Weibchen austritt oder durch sanften Zug entfernt werden kann. Übrigens können die örtlichen Erscheinungen sehr ernst werden, es kann zur Gangrän oder zur Sepsis kommen. § 276. Neubildungen in der Haut. Von Neubildungen finden sich in der Haut; Hauthörver, Warzen, Schwielen, Leichdörner, dann Keloid, Fibrom, Xanthom, Lipom, Rhinosklerom, Angiom,' Neurom, Myom, endlich die verschiedenen Arten der bösartigen GeschwülsteSarkome, Epitheliome, Carcinome. Das ganze Gebiet fällt naturgemäß der Chirurgie zu.
Anhang. Rezeptformeln. Ein R im Text mit der hinzugefügten Zahl weist auf die betreffende Nr. hin.
Nr. 1. R Acid, arsénicos. 0,25 g. Pulv. et succ. liquir. ää q. s. (2,5 g.) f. 1. a. pilul. Nr. 50. c. d. sgn.: Täglich nach dem Essen eine (!) Pille z. n. Nr. 2. R Liquor, kalii arsénicos. 2 g. Tinctur. amar. 8 g. m. d. sgn.: 3 mal tägl. 10—15 Tropfen z. n. Nr. 3. R Acid, carbolic. 5 g. Pulver, et succ.liquir. ää q. s.(3,0g.) f. 1. a. pilul. Nr. 100. c. d. ad vitr. sgn.: 3mal tägl. 3 (!) Pillen z. n. Nr. 4. R Acid, hydrochloric, dilut. 4 g. Aq. dest. 156 g. Syrup, rub. id. 40 g. m. d. sgn.: 2 stündl. einen Eßl. v. z. n. Nr. 5. R Acid, hydrochloric, dilut. 30 g. d. ad vitr. epistom. vitreo bene claus. sgn.: 3 mal tägl. vor dem Essen 15 Tropfen in einem Glase Wasser z. n. Nr. 6. R Acid, phosphoric. Syrup, rub. id. ää 100 g. d. sgn. Eßlöffelweise zum Trinkwasser zuzusetzen. Nr. 7. R Acid, salicylic. 1 g. d. tal. dos. ad caps, amylac. Nr. XV. sgn.: Stündl. eine Kapsel z. n. v. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. II. Aufl.
Nr. 8. R Natrii salicylic. 12 g. Aq. menth. piper. 168 g. Succ. liquir. 20 g. m. d. sgn.: Stündl. einen Eßl. v. z. n. Nr. 9. R Extract, aloes Sapon. jalapin. ää 2,5 g. f. 1. a. pilul. Nr. 50. c. d. ad vitr. sgn.: Abends 1—3 Pillen z. n. (NB. Mittelstarke Abführpillen.) Nr. 10. R Apomorphin. hydrochloric. 0,1 g. Aq. dest. 9,4 g. Glycerin, puriss. 0,5 g. m. d. ad vitr. nigr. sgn.: Zur subkutanen Injektion. (>/2—1 Pravaz z. Zt.) Nr. 11. R Apomorphin. hydrochloric. 0,02 g. Acid, hydrochloric, dilut. 1 g. Aq. dest. 100 g. Succ. liquir. 5 g. m. d. sgn.: Alle Stunden einen Kinderlöffel
Nr. 12. R Atropin. sulphuric. 0,05 g. Pulver, et succ. liquir ää q. s. (2,5 g.) ut f 1. a pilul. Nr. 50. c. d. ad vitr. sgn.: Abends eine (!) Pille z. n. 49
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Rezeptformeln.
Nr. IB, R Calcar. carbonic, praecip. 70 g. Camphor, trit. 10 g. m. f. pulv. d. ad vitr. sgn.: Zahnpulver. Nr. 14. R 01. camphorat. 20 g. Gummi arabic. q. s. (10 g.) ut. f. c. Aq. dest. q. s. emulsio 200 g. d. sgn.: 2 stündl. einen Eßl. v. z. n. Nr. 15. R Medullae bovis 30 g. Ol. rosmarin. gutt. X. Bxtr. chin. 4,0 g. Tinct. cantharid. 2 g. m. f. ungt. d. sgn.: Haarpomade. Nr. 16. R Chinin, hydrochloric. 2 g. Acid, hydrochloric, q. s. ad solution. c. Aq. dest. 20 g. d. sgn.: Auf einmal z. n. Nr. 17. R Chinin, hydrochloric. 2 g. Aq. menth. piper. 138 g. Succ. liquir. 10 g. m. d. sgn.: •Stündl. einen Eßl. v. z. n. Nr. 18. R Chinin, bisulphuric. 2 g. Decoct, alth. 97 g. Tr. op. simplic. gutt. X. m. d. sgn.: Das Ganze als Klystier z. g. Nr. 19. R Chloral, hydrat. 1 g. d. tal. dos. ad vitr. colorat. Nr. X. sgn.: Den Inhalt eines Glases in Rotwein gelöst z. n. Nr. 20. R Chloral, hydrat. 5 g. Decoct, alth. 90 g. Tr. op. simplic. gutt. XV. d. tal. dos. Nr. II. sgn.: Das Ganze (!) zum Klystier z. n. Nr. 21. R Chrysarobin. 2 g. Unguent, paraffin. 40 g. m. f. ungt. d. sgn.: Außerl., einmal tägl. einzupinseln.
Nr. 22. R Cortic condurango 15 g. Macera cum Aq. dest. 360 g per horas XII. t. coq. usq. ad remanent. 180 g. colatur. adde Syr. cortic. aurant. 20 g. d. sgn.: Jedesmal vor dem Essen einen Löffel
Nr. 23. R Balsam, copaiv. 0,5 g. d. tal. dos. ad capsul. gelatinös. Nr. XXX. sgn.: Tägl. 4 Stück z. n. Nr. 24. R Balsam, copaiv. 10 g. Pulver, cubebar. 15 g. Cerae alb. 5 g. m. f. boli Nr. XX.c d. sgn.: 4 mal tägl. 1 Stück z. n. Nr. 25. R Fol. digital. 1 g. Aq. fervid, q. s. ut f 1. a. Infusum 100 g. d. sgn.: Stündl. einen Eßl. v. z. n. Nr. 26. R Fol. digital. 1 g. inftmd. Aq. fervid, q. s. ad colatur. 90 g. colatur. refrigerat. adde: Äther, acetic. 10 g. d. sgn.: Stündl. einen Eßl. v. z. n. N. 27. R Infus, folior. digital, ( l g ) 100 g. adde: Liquor, kalii acetic. 50 g. m. d. sgn.: 2stündl. einen Eßl. v. z. n. Nr. 28. R Folior. digital, pulverat. 1 g. Extr. gentian, q. s. (1,0—1,5) ut f. 1. a pilul. Nr. XX. c. d. sgn.: 3 mal tägl. 3 Pillen z. n. Nr. 29. R Ferr. reduct. 10 g. Pulver, et succ. liquir. äa q. s. (5 g). ut. f. 1. a. pilul. Nr 100. consp. pulv. cassiae cinnam. d. sgn.: 3 mal tägl. nach dem Essen 3 Pillen z. n.
Rezeptformeln.
771
Nr. 30. R Ferr. carbonic, saccharat. 4 g. Mass. Cacao 40 g. m. f. trochise. Nr XX. d. sgn.: 4 mal täglich ein Stück z. n.
Nr. 36. R Hydrargyr. bichlorat. corrosiv. 1 g. Pulver, et succ. liquir. ää q. s. ut f. 1. a. pilul. Nr. 100. c. d. sgn.: 3 mal tägl. nach dem Essen 2 Pillen z. n.
Nr. 81. R Ferr. sulphuric. Kalii carbonic, ää 15 g. Gummi arabic. 5 g. Aq. q. s. ut f. 1. a. pilul. Nr. 96. Conspg. pulyer. cass. cinnamom. d. ad vitr. sgn.: 3 mal tägl. 3 Pillen nach dem Essen z. n.
Nr. 37. R Hydrargyr. chlorat. mit. 0,05 g. Sacchar. lact. 0,5 g. m. f. p. d. tal. dos.: Nr. XX. sgn.: 3 mal tägl. ein Pulver z. n. (Syphilis).
NB. Die Blaudsehen Pillen, nach der durch Niemeyer üblich gewordenen Vorschrift. Besser ist die in der deutschen Pharmakopoe ed. II. gegebene der offiziellen Pilulae ferri carbonici, von denen jede 0,025 g Eisen enthält. Nr. 32. R Extract, filic. Pulver, rhizom. filic. ää 10 g. f. 1. a. boli Nr. X. (seu pilul. Nr. 100.) conspg. d. sgn.: Im Laufe von 1—2 Stunden z. n. Nr. 38. R Cortic. granat. 60 g. macera per horas XXIV. cum Aq. dest. 1000 g. d. coq. len. calor. usqu. ad remanent. 200 g. col. d. sgn.: Im Laufe einer Stunde z. n. Nr. 33 a. R Cortic. granat. recens exeorticat. 300 g. macer. c. Aq. dest. 500 g. per hör. XXIV. d. coq. len. cal. usq. ad remanent, colatur. 200 g. c. d. sgn.: Auf einmal durch die Sonde einzugießen. Nr. 34. R Unguent, hydrarg. einer. 3 g. d. t. dos. ad chart, cerat. Nr. XV. sgn.: Äußerl Nr. 35. R Hydrargyr. bichlorat. corrosiv. 0,1gNatr. chlorat. 1,0 g. Aq. dest. 10,0 g. m. filtra d. sgn : zur subkutanen Injektion C/2—1 Pravaz täglich einmal).
Nr. 38. R Hydrargyr. chlorat. mit. 0,005 g. Sacchar. lact. 0,5 g. m. f. p. d. tal. dos. Nr. X. sign.: 2stündl. ein Pulver z. n. (Kinderdiarrhöe). Nr. 39. R Hydrargyr. chlorat. mit. Sacchar. lact. ää 0,5 g. m. f. p. d. tal. dos. Nr. V. sgn.: Alle 3 Stunden 1 Pulver bis zur Wirkung. (Typhus.) Nr. 40. R Kalii chloric. 10 g. Aq. dest. 500 g. m. d. sgn.: Gurgelwasser. Nr. 41. R Kalii chloric. 5—10 g. Aq. dest. 200 g. m. d. sgn.: 2stündl. einen Eßl. v. z. n. Nr. 42. R Kalii jodat. 5 g. Aq. dest. 200 g. m. d. sgn.: 4 mal tägl. einen Eßl. v. mit einem Glase Wasser z. n. Nr. 43. R Flor. Koso 30 g. Syrup. domestic. 50 g. m. f. electuar. d. sgn.: Im Laufe einer Stunde z. n. Nr. 44. R Kreosot, gutt. V. Pulver, et succ. liquir. q. s. ut f. 1. a. pilul. Nr. X. d. ad. vitr. sgn.: 3 mal tägl. eine Pille z. n. Nr. 45. R Natr. bicarbonic. 100 g. d. sgn.: Zur Zeit einen Kaffelöffel voll in einem Glase Wasser zu nehmen. 49*
772
Rezeptformeln.
Nr. 46. R Natr. bromat. 10 g. Aq. dest. 200 g. m. d. sgn.: 5 mal tägl. einen Eßl. voll mit einem Glase Wasser z. n.
Nr. 56. R Pilocarpin, hydrochloric. 0,01 g. Aq. dest. 100 g. Syrup. seneg. 20 g. m. d. sgn.: Stündl. einen Kinderlöffel v. z. g.
Nr. 47. R Natr. bromat. 3 g. d. tal. dos. Nr. X. sgn.: 3 mal tägl. ein Pulver in 1 / 3 Liter Wasser gelöst z. n.
Nr. 57. R Extr. rhei composit. 5 g. f. 1. a. pilul. Nr. 50. c. d. sgn.: Abends 2 Pillen z. n. (NB. Schwache Abführpillen.)
Nr. 48. R Sal. Carolin, factit. 50 g. d. sgn.: Morgens nüchtern einen Kaffelöffel voll in */j Liter (1 Liter) Waaser gelöst z. n. Nr. 49. R Tinctur. opii simplic. 5 g. Tinctur. chin, composit. 50 g. m. d. sgn.: Zur Zeit einen Kaffeelöffel v. z. n. (Diarrhöe.) Nr. 50. R Tinctur. opii simplic. 5 g. d. sgn.: Zuerst 4 0 Tropfen, dann bei wiederbeginendem Schmerz 10 Tropfen mit Wasser zu nehmen. (Viseeralneuralgien, Peritonitis.) Mr. 51. R Extr. opii 0,05 g. Ol. cacao 2 g. m. f. 1. a. suppositor. d. tal. dos. Nr. V. sgn.: Zur Zeit ein Zäpfchen einzuführen. Nr. 52. R Morph, hydrochloric. 0,1 g. Aq. dest. 169 g. Syrup. cerasor. 30 g. m. d. sgn.: 2stündl. einen Eßl. v. z. n. Nr. 53. R Morph, hydrochloric. 0,02 g. Sacchar. lact. 0,5 g. m. f. p. d. tal. dos. Nr. V. sgn.: Abends ein Pulver mit Wasser z. n. Nr. 54. R Morph, hydrochloric. 0,5 g. Aq. dest. 15 g. m. d. sgn.: Zur subkutanen Injektion. (Eine ganze PRAVAZsche Spritze = 0,033 g Morphium hydrochloric.) Nr. 55. R Pilocarpin, hydrochloric. 0,2 g. Aq. dest. 10 g. m. d. sgn.: Zur subkutanen Injektion. (1/2 bis 1 Pravaz.)
Nr. 58. R Extr. rhei composit. 3,75 g. Extr. colocynth. 1,25 g. m. f. 1. a. pilul. Nr. 50. c. d. sgn.: Abends eine bis zwei (!) Pillen z. n. (NB. Starke Abführpillen.) Nr. 59. R Ol. ricin. 50 g. Ol. croton. gutt. II. Gummi arabic. q. s. (15 g.) ut f. cum Aq. dest. q. s. emulsio 200 g. d. sgn.: Die Hälfte (das Ganze) als Klystier zu geben. Nr. 60. R Sapon. kaiin. 100 g. solve in Spirit. 50 g. Eitra, adde: Spirit, lavandul. 15 g. m. d. sgn.: Äußerlich. (HEBRA scher Seifenspiritus.) Nr. 61. R Infuso-decoct. radic. seneg. (10 g radic.) 100 g. Colatur. adde Liquor, ammon. anisat. 5 g. Syrup seneg. 15 g. m. d. sgn.: Stündl. einen Kinderlöffel v. z. n. Nr. 62. R Strychnin, nitric. 0,10 g. Pulv. et succ. liquir. q. s. ut f. 1. a. pilul. Nr. 20 c. d. sgn.: teüre203. —.Unterscheidung ders. von weichem Schanker 222. Syphilom 201. — des Rückenmarks 45. Syringomyelie 77. Systemerkrankungen im Rückenmark 37. —, kombinirte 37. 60. — der motorischen Sphäre 65. Tabakmissbrauch, Einfluss dess. auf die Verdauung 566. Tabes dorsalis 59. —, Aetiologie u. Anatomie ders. 59. —, ataktisches Stadium ders. 61. —, Behandlung ders. 63. — Friedreich'sehe Form ders. 64. —, neuralgisches Stadium ders. 60. —, paralytisches Stadium ders. 61. —, Symptome ders. 60. — in Bez. z. Syphilis 212. Tänien 621. —, T. echinococcus 665. —, T. mediocanellata (saginata) 622. 623. —, T. solium 621. 623. Talgdrüsenerkrankungen 734. Tannin bei Kehlkopfkatarrh 464. — bei der syphilitischen Primärsklerose 216. — bei Tripper 229. Tartarus stibiatus bei Bronchitis 490.
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Tastempfindung, Leitung ders. im Rückenmark bei Rückenmarkskrankheiten 36. Teerpräparate bei Prurigo 755. — bei Psoriasis 746. 747. Temperatur, äussere, Einfluß ders. beiFacialislähmung 30. Temperatur des Körpers bei Angina 554. 555. — bei Cholera indica 360. •— bei Diabetes mellitus 191. — bei rheumatoid. Endokarditis 415. — bei Erysipelas 316. — bei Gallensteinkolik 672. — bei Gehirnblutungen 113. — bei Gehirnerweichung 117. — oei akut. Gelenkrheumatismus 378. — bei Entzündung der weichen Hirnhäute 98. — bei Leberatrophie (akut.) 656. — bei tuberkulös. Lungenschwindsucht 242. — bei Malaria 370. — bei Masern 319. — bei Neurosen 120. — bei genuin. Pneumonie 334. bei Pneumothorax 541. — bei Pocken 299. — bei Scharlach 307. 308. 312. — bei Septikopyämie 282. 291. — bei Tetanus 143. — bei Typhus abdominalis 263. — bei Typhus exanthematicus 277. — bei Typhus recurrens 279. — bei Varicellen 305. Temperatursinn 16. —, Prüfung dess. 16. Tenesmus bei Diarrhöe 596. — bei Harnblasenkatarrh 724. Terpentinöl bei Bronchoblennorrhöe 491. — — bei Follikularkatarrh des Darmes 603. — bei Harnblasenkatarrh 724. — bei Ischias 14. — bei Lungenschwindsucht 250. — bei Neuralgien 8. — bei Nephrolithiasis 717. — bei Pneumonie 507. — bei Proktitis 609. — bei Pyelitis 709. Tetanie 145. —, Therapie ders. 146. Tetanin 142. Tetanus 19. 141. —, Behandlung dess. 144. —, Diagnose u. Verlauf dess. 144. — idiopathicus 141. —, Krankheitsbild dess. 142. —, prämortales Symptom dess. 143. — rheumaticus 141. —, spezifisches Krankheitsgift dess. 142. — traumaticus 141. 144. — toxicus 142. Thermokauter bei Schanker 223. — bei spitzen Kondylomen 231. Thomsen'sche Krankheit (nach Erb) 72. —, elektrische Muskelerregbarkeit bei ders. 73. Thoracocentese 536. 537. Thoraxeinziehung bei Pleuritis 527. 533. Thrombose, autochthone der Lungengefäße 518. 519. der Pfortader 647. — der Gehirngefäße 116. 117. Tic convulsif 21. — douloureux 9. Tintement mitallique Laennec's bei Pneumothorax 542. Tonsillen, Erkrankung ders. bei Typhus 262. Tophi Syphilitischer 208. Torticollis 21. Trachealkatarrh 483. —, akuter 484. Traktionsdivertikel der Speiseröhre 562. Transfusion bei akuter Anämie 157. —, Hämoglobinurie nach einer solchen 170. Tremor 150; s. auch Muskelzittern. Trichinose 382. —, anatomischer Befund bei ders. 383. —, Prophylaxe ders. 384. —, Symptome ders. 383. Trichocephalus dispar im Darm 625. Trichophyton tonsurans. Erreger des Herpes tonsurans 763. — der Haustiere 764. Trichoptilosis 759.
796
Re(
Trichorhexis nodosa 759. Trieuspidalinsuffizienz 428. —, mechanische Folgen ders. 429. —, physikal. Untersuchung bei ders. 429. Trigeminus, Druck dess. durch Gehirngeschwülste 107. —, Erkrankung dess. durch Syphilis 211. —, Krampf der motorischen Aeste dess. 20. 21. —, Lähmung dess. bei Großhirnschenkelläsion 83. Trigeminusneuralgie 9. —, Aetiologie ders. 9. —, Therapie ders. 10. Trinkkuren bei Verdauungsstörungen 577. Tripper, akuter 224. —, chronischer 225. 226. 228. —, Diagnose dess. 228. —, Drüsenanschwellung durch dens. 227. —, intraurethrale Geschwüre bei dems. 225. —, Komplikationen dess. 225.226. —, krupöse Entzündung durch dens. 226. —, periurethrale Geschwülste bei dems. 225. —, russischer 225. —, Therapie dess. 228. —, Verlauf dess. 225. — des Weibes 230. Trismus 20. — mit Tetanus 142. Trombidium holosericeum, Hautaffektionen durch dass. 766. Trommelschlägelfinger bei Lungenarterienverengerung 432. Trophische Störungen bei Anästhesie 17. — bei Gehirnblutungen 113. — bei Lähmung 25. — bei Myelitis acuta 54. — bei proess. Muskelatrophie 71. — bei Neuralgien — bei Tabes dorsalis 63. Trousseau'sches Phänomen bei Tetanie 145. Tuberkel 240. —•, solitäre im Centrainervensystem 251. Tuberkelbaeillen 231. —, Entwicklung ders. im Gewebe 231. —, experimentelle Versuche mit dens. 232. —, Färbung und mikroskopischer Nachweis ders. 235. —, Reinculturen ders. 231. —, Verbreitung ders. im Körper 232. Tuberkulose 231. —, Bacillus ders. 231. —, der Centraiorgane 251, der Gelenke 252, des Gehirns 105, der Harnwege 252, der Haut 252, der Knochen 252. —, Komlikationen ders. 497. 502. 525. — der iungen 239, der Lymphdrüsen 251, der männlichen Geschlechtsteile 252. —, miliare 235. — der Nerven 35, des Rückenmarks 45, der weiblichen Geschlechtsteile 252. —, Verhältnis ders. zur Skrofulose 186. Tumor albus genu bei Skrofulose 187. Tumoren s. Geschwülste u. Neubildungen. Tussis convulsiva 324. — hepatica 652. Typhlitis 603. —, Behandlung ders. 606. —, Symptome ders. 604. Typhoid 258. —, biliöses 278. 279. Typhus abdominalis 258. —, abortive Form dess. 268. —, anatomischer Befund bei dems. 261. — ambulatorius 268. —, Bacillus dess. 258. —, Bäder bei dems. 270. —, Diagnose dess. 269. —, Disposition zu dems. 260. —, Entstehung dess. 259. —, Inkubation dess. 263. —, Prophylaxe dess. 273. —, Symptome dess. 262. 263. —, Therapie dess. 270. —, Unterscheidung dess. von akut. Miliartuberkulose und genuin. Pneumonie 269. — exanthematicus 275. —, Behandlung dess. 278. —, Erscheinungen dess. 276. — siderans 277. — recurrens 278. —,
E
Behandlung dess. 280. —, Erscheinungen dess. 279. —, Komplikationen dess. 280. tlbelsein bei Gehirnkrankheiten 82. Ulcus induratum 203. — molle 220. — ventriculi simplex rotundum 582, (perforans) 584. —, Chlorose bei dems. 164. Unfruchtbarkeit, männliche 733. Unguent. diachyli bei Ekzem 752. — bei Fußschweiß 739. Urämie 688. —, akute 68S. —, Anfall ders. 688. —, Behandlung ders. 690. 697. —, chronische 688, durch Herzinsuffizienz 398. —, Komplikationen ders. 689. 695. —, Wesen ders. 689. Urticaria 742. —, Behandlung ders. 743. —, bei Morbus maculosus Werlhofii 172. Uterinschleimhaut , gonorrhoische Entzündung ders. 226. Vaccination 300. 301. —, Bedeutung u. Berechtigung ders. 302. —, normaler Verlauf ders. 303. —, Technik ders. 303. —, Uebertragung der Syphilis durch dies. 200. 201. 302. Vaginitis gonorrhoica 226. —, Behandlung ders. 230. Valeriana bei Hysterie 129. * Varicellen- 304. —, Inkubationszeit ders. 305. —, Unterscheidung ders. von Variola 305. —, syphilitische 206. Varicen des Unterschenkels kompliziert mit Ekzem 751. Variola 294. — confluens normalis 297. — discreta normalis 296. — haemorrhagica pustulosa 298. — sine exanthemate 298. —, Stadium eruptionis, exsiccationis, invasionis u. maturationis ders. 297. Variolois 298. Vasomotorische Centren im Rückenmark bei Rückenmarkserkrankungen 37. Vasomotorische Störungen bei Anästhesie 17. — bei Gehirnblutungen 113. — bei Gelenkneuralgie 15. — bei Lähmung 25. — bei progess. Muskelatrophie 71. — bei Rückenmarkstumoren 46. — bei Rückenmarksverletzungen 51. — bei Streifenhügelläsion 83. — bei Trigeminusneuralgie 9. — bei visceraler Neuralgie 14. Veitstanz 146. Venenpuls bei Trieuspidalinsuffizienz 429. Venenthrombose durch Herzinsuffizienz 399. Ventilpneumothorax 540. —, Behandlung bei dems. 542. —, Entstehung dess. 540. Veratrin bei Neuralgien 8. Verblutung durch Hämoptoe 517. Verbrennungen der Haut, Veranlassung zu Hämoglobinurie 170. Verdauungsorgane, Krankheiten ders. 560. — Syphilis ders. 208. — bei Typhus abdomin. 265. Verdauungsstörungen 563. —, chronische 568, (Behandlung ders.) 573. — bei Diabetes mellitus 191. — bei Epilepsie und deren Behandlung 140. — bei Lungenschwindsucht 246. Verengerung der gröberen Bronchi 495, Folgen ders. 495. — des linken venös. Ostium 427, mechanische Folgen ders. 427. — der Trachea 495.
ter. Vergiftungen 577. —, Hämoglobinurie durch dies. 169. - , Kolik durch dies. 620. —, Magenblutung durch dies. 591. —, Nierenerkrankung durch dies. 693. Verlängertes Mark, Krankheiten dess. 36. Verrücktheit, hypochondrische 132. Vertigo a stomacho laeso 571. Vibices bei Morbus maculosus Werlhofii 172. Violinspielkrampf 22. Visceralneuralgien 14. 432. — bei Hysterie 127. —, Unterscheidg. ders. von Gastroenteritis toxica 578. Vitiligo 758. Vlemingkx'sehe Lösung bei Krätze 765. — bei Prurigo 755. Vomitus matutinus 570. Voussure 405. Vulvitis gonorrhoica 226. Wachsleber 661. Wadenkrampf 20. Wanderleber 640. Wandermilz 677. Wanderniere 712. —, Einklemmung ders. 713. —, Fixierung ders. mittelst Apparaten 713. Wanderpneumonie 338. 339. Wanzen, Hautexanthem durch dies. 767. 768. Wasserbehandlung bei Typhus abdomin. 270, exanthemat. 278. Wasserkrebs 550. Wasserkur bei Gallensteinen 673. — bei Myelitis chronic. 56. — bei Paralysis agitans 150. — bei Spermatorrhöe 732. Wasserstoffhyperoxyd bei Mundkrankheiten 552. Wassersucht 626. — des Herzbeutels 442.
797
Weichselzopf 766. Weinkrampf 22. Wilkinson'sche Salbe bei Prurigo 755. Wind- od. Wasserpocken 304; s. auch Varicellen. Wirbeldornfortsätze, Schmerzhaftigkeit ders. bei Afi'ektionen der Spinalnerven 5. Wirbelsäule, Erkrankungen ders. 45. Worttaubheit bei Läsion d. ersten Schläfenwindung 84. Wutkrankheit 387. —, Behandlung ders. 389. —, Inkubationszeit ders. 388. —, Stadium hydrophobicum ders. 388. melancholicum 388, paralyticum 388. Zahnfleisch, Skorbut dess. 174. Ziegenpeter 343. Zincurn sulfocarbolicum bei Proktitis und Periproktitis 609. — bei Tripper 229. Zittern 19. 150. — nach Gehirnblutung 112. — der Greise, Unterscheidung dess. von Paralysis agitans 150. Zittmann'sche Dekokte bei Syphilis 219. Zona 744. Zuckerbestimmung, quantitative im Harn bei Diabetes 190. Zuckungsgesetz, elektrisches der motorischen Nerven und Muskeln 26. Zungenlähmung 32. — bei chron. progr. Bulbärparalyse 75. 76. Zwangsbewegungen 19. Zwerchfell,Tiefstand dess. bei Perikarditis 440. Zwerchfellkrampf bei Bronchialasthma 500. —, klonischer 22. — bei Spasmus glottidis 481. —, tonischer 22. Zwerchfellslähmung 33.
Zu berichtigen. Seite 5 21 „ 26 „ 28 „ 29 „ 86
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Zeile 20 von unten lies g l e i c h s e i t i g statt gleichzeitig. Zeile 1 von oben lies Kaumuskeln statt Gaumuskeln. Zeile 2 von unten lies Zuckungsmodus statt Zuckermodus. Zeile 20 von oben lies g e n ä h e r t statt g e n ä h r t . Zeile 4 von unten lies b e s e i t i g e n statt b e f e s t i g e n . Zeile 21 von oben lies u m g e s e t z t statt a u s g e s e t z t . Zeile 24 von oben lies g r a u e statt ganze. Zeile 27 von oben lies T a s t e m p f i n d u n g statt T a s t e n e m p f i n d u n g . 40 Zeile 10 von unten lies d i f f e r e n t i a l d i a g n o s t i s c h statt d i f f e t i a l d i a g n o s t . 63 Zeile 17 von unten lies a t r o p h i s c h statt antrophisch. 54 Zeile 12 von oben ist hinter m e i s t durch einzufügen. 62 Zeile 9 von oben lies Schmerzempfindung statt Schmerzensempfindung. 68 Zeile 14 voto oben lies e i g e n t ü m l i c h e statt eigentliche. 64 Zeile 14 von unten lies Friedreich'sche statt Friedrich'sche. 69 Zeile 16 von oben lies g e b r a u c h s f ä h i g statt g e b r a u c h s u n f ä h i g . 79 Zeile 21 von unten lies e r e r b t e statt e n t e r b t e . 80 Zeile 12 von unten lies A u s f a l l s s y m p t o m e statt Anfallssymptome. 92 Zeile 27 von unten ist hinter f a s t immer einzufügen. Zeile 3 von unten lies H i r n t e i l e statt H i n t e r t e i l e . 95 Zeile 17 von unten lies s n l z i g statt salzig. 100 Zeile 6 von oben lies A b l e i t u n g e n statt Abteilungen.
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Mit 337 Abbildungen im Text. Roy.-8.
1888. geh. 12 Ji, geb. in Halbfranz 14 Ji 50 ty.
Dieses „Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie" bildet den ersten Band eines L e h r b u c h e s der allgemeinen und speciellen C h i r u r g i e . Der speeielle Teil erscheint im Laufe des Jahres 18S9. Jeder Theil ist einzeln käuflich. „ Das Buch von T i l l m a n n s giebt in gedrängter Kürze eine vollendete Darstellung der allgemeinen Chirurgie. Überall werden die Ergebnisse der neuesten Forschungen berücksichtigt, es ist klar und leicht verständlich geschrieben, giebt alles Wissenswerte und vermeidet überflüssige Beigaben. Mit vortrefflichen Abbildungen reichlich ausgestattet, ist es ein Buch, das den Studierenden und Aerzten bestens empfohlen werden kann. Die Ausstattung des Werkes ist tadellos." (Prof. Dr. A n g e r e r in der „Münch, medic. Wochenschrift" 1887, Nr. 48.) ., Ich kann das Tillmanns'sche Buch Studierenden und Aerzten warm empfehlen. Im Besonderen wird es sich, meines Erachtens, für Studierende eignen, die bereits einige Zeit in die chirurgische Klinik eingeführt sind und in die Wissenschaft der pathologischen Anatomie schon einen Einblick gewonnen haben." (Prof. Dr. M a d e l u n g im „Centralbl. für Chirurgie'• 1887, Nr. 52.) . , ' T i l l m a n n s hat in dem vorliegenden ersten Teile seines Lehrbuches in gedrängter Kürze die wichtigsten und wesentlichsten Gegenstände der allgemeinen Chirurgie zusammengefaßt. Das auf selbständiger Basis ruhende Werk hat unseres Dafürhaltens alle Eigenschaften eines guten Lehrbuches, bei sachverständiger Sichtung des Materials eine klare, bestimmte, den Leser fesselnde Darstellung, mit Vermeidung aller Wiederholungen. Überall finden wir die neuesten Forschungen und Publikationen berücksichtigt; Litteraturnachweise sind nur hier und da eingeschaltet. Durch zahlreiche, 337 gut ausgeführte Abbildungen von Instrumenten, Verbänden, pathologischen Präparaten u. s. w. hat die Darstellung eine dankenswerthe Unterstützung gefunden. — — Wir empfehlen das sehr gut ausgestattete Buch nicht nur zum Studium der allgemeinen Chirurgie, sondern auch als N a c h s c h l a g e b u c h wird dasselbe dem Arzte stets willkommen sein." Dr. F. F i s c h e r . {Deutsche Zeitschr. f . Chirurgie. XXVIII.)
Verlag yon Y E I T & COMP, in L e i p z i g .
Topographisch-anatomischer Atlas. Nach
D u r c h s c h n i t t e n an g e f r o r e n e n herausgegeben von
Cadavern
Wilhelm Braune, o. ö. Professor der topogr. Anatomie an der Universität Leipzig.
Dritte Auflage.
33 f a r b i g e T a f e l n m i t e r l ä u t e r n d e m T e x t . Imp.-Folio. 1888. cart. 120 J i . Dem praktischen Arzte ist Iceine der medizinischen Disziplinen auf den oft so verschlungenen Pfaden der Praxis eine so treue Begleiterin in jeder Not, wie die Anatomie, der er gar oft nur allzubald untreu wird. Die wechselvollen Eindrücke am Krankenbette und die breite Flut der Tageslitteratur zwingen ihn, sowohl systematisch, als auch gelegentlich sein Wissen über jene sichere Basis zu kontrollieren und die Lücken in demselben wieder auszufüllen. Dazu bietet sich ihm das Braune'sehe Bilderwerk als einer der besten und zuverlässigsten Führer an.
Grundriss der Hygiene. Für Studierende, p r a k t i s c h e A e r z t e und M e d i z i n a l b e a m t e
von Dr. C. Flügge, o. ö. Professor der Hygiene und Direktor des hygienischen Instituts an der Universität Breslau.
Mit A b b i l d u n g e n im Text und 2 Tafeln, gr. 8 1889. geh. ca. 9 J , .
Lehrbuch der Pharmakognosie des Pflanzen- und Thierreiehs im Anschluss an die zweite Ausgabe der
PHARMACOPOEA GERMANICA für Studierende der Pharmacie, Apotheker und Medicinalbeamte bearbeitet von D r . W i l h e l m
Marme,
o. ö. Professor der Pharmacologle und Direktor des Pharmakologischen Instituts in Göttingen.
gr. 8. 1886. geh. 14 Jt.
Geschichte der Chemie von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart.
Z u g l e i c h E i n f ü h r u n g in das Studium der Ohemie. Von
Dr. Ernst von Meyer,
Professor an der Universität Leipzig.
gr. 8. 1889. Preis geh. 9 Jt. Durch diese „Geschichte der Chemie" wird der Versuch gemacht, in engem Rahmen die Entwicklung des chemischen Wiesens, insbesondere der daraus abgeleiteten allgemeinen Lehren der Chemie von ihren Anfängen bis auf den heutigen Tag darzulegen.
CMrurgisch-anatomisches Vademekum für Studierende und Aerzte. Von
Dr. W. Roser,
0.0. Professor der Chirurgie an der Universität Marburg.
= Siebente, = verbesserte und vermehrte Anflöge. Mit 133 Holzschnitten im Text. 8. 1886. geb. in Ganzleinwand Preis 6 Jt. Das Vademekum hat den Zweck, zu chirurgisch-anatomischen Übungen am Kadaver anzuleiten. Die Methode, nach welcher der Verfasser in die topographische Auffassung der Anatomie einführt, ist die der Fensterschnitte, welche fast sämtlichen Abbildungen des Büchleins zu Grunde gelegt ist.