Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie mit besonderer Berücksichtigung der Therapie: Für Studierende und Ärzte [4., neu bearb. u. vermehrte Aufl., Reprint 2020] 9783112355343, 9783112355336


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German Pages 910 [908] Year 1902

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Table of contents :
Vorwort zur vierten Auflage.
Vorwort zur ersten Auflage.
Inhalt.
I . Krankheiten des Nervensystems.
II. Krankheiten des Blutes und allgemeine Ernährungsstörungen.
III. Infektionskrankheiten.
IV. Krankheiten der Kreislauforgane.
V. Krankheiten der Atmungswerkzeuge.
VI. Krankheiten des Mundes und des Rachens.
VII. Krankheiten der Verdauungswerkzeuge.
VIII. Krankheiten des Bauchfells.
IX. Krankheiten der Leber und der Gallenwege.
X. Krankheiten der Milz.
XI. Krankheiten der Harnwerkzeuge.
XII. Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane.
XIII. Krankheiten der Haut.
Anhang.
Register
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Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie mit besonderer Berücksichtigung der Therapie: Für Studierende und Ärzte [4., neu bearb. u. vermehrte Aufl., Reprint 2020]
 9783112355343, 9783112355336

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LEHRBUCH DER

SPEZIELLEN

PATHOLOGIE UND THERAPIE MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER THERAPIE.

FÜR STUDIERENDE UND ÄRZTE VON

v.

DR. T H E O D O R O.

Ö.

PROFESSOR

DER

AN

DER

MEDIZIN

JÜRGENSEN,

UND

VORSTAND

UNIVERSITÄT

DER

POLIKLINIK

TÜBINGEN.

VIERTE, NEU BEARBEITETE UND VERMEHRTE AUFLAGE. MIT ZAHLEEICHEN

ABBILDUNGEN

IM

TEXT.

LEIPZIG V E R L A G VON V E I T & COMP. 1902

Das Recht der Herausgabe von Übersetzungen vorbehalten.

Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.

DEM ALTMEISTER

ADOLF K U S S M A U L ZUM 80. GEBURTSTAGE.

Vorwort zur vierten Auflage. Dies Buch ist unter seinem besonderen Zeichen entstanden. „Ich habe für praktische Ärzte und solche, die es werden wollen, geschrieben; was für sie am wichtigsten, ist ausführlicher besprochen, die seltener vorkommenden Erkrankungen sind weniger eingehend behandelt" — heißt es im Vorwort zur ersten Auflage; — Jetzt bin ich nahezu 4 0 Jahre als Arzt und Lehrer thätig.

Vorwiegend in der Poliklinik, welche, was das tägliche Leben

bringt, in stets wechselnden Bildern vorführt. erscheinen.

Manchem mag das nicht genügend

Das Spezialistentum beherrsche unsere Zeit, heißt es, sogar der Lehrer

müsse Spezialist sein.

Ob so Ärzte gebildet werden, wie sie die große Masse

der Menschen verlangen muß und verlangt? —

Mit meinem Herrn Verleger

war ich der Ansicht, daß dem Praktiker ein kleines Plätzchen immerhin noch offen bleibe. Das Erscheinen dieser Auflage hat sich freilich um etwelche Jahre verzögert, weil auch ich einige Sonderarbeiten zu bewältigen hatte. T ü b i n g e n , Mitte Januar 1902.

Th. Jürgensen.

Vorwort zur ersten Auflage. Ein kurzes Buch erlaubt keine lange Vorrede;

daher nur wenige Be-

merkungen. Hier ist der Versuch gemacht, das Wesentliche der inneren Medizin in möglichst knapper Form darzustellen.

Ich habe für praktische Ärzte und solche,

die es werden wollen, geschrieben; was für sie am wichtigsten, ist ausführlicher besprochen, die seltener vorkommenden Erkrankungen sind weniger eingehend behandelt. — Wer über zwei Jahrzehnte als Arzt und Lehrer thätig war, wird

VI

Vorwort

sich eine gewisse Bestimmtheit in der Auswahl erlauben dürfen, zumal, wenn poliklinische und private Praxis ihn mit den Bedürfnissen des täglichen Lebens vertraut werden ließen. Trotz des eng bemessenen Raumes habe ich das Verständnis des pathologischen Geschehens, wo mir ein solches möglich schien, zu fordern gesucht. Denn nur dadurch gewinnt der Arzt jene Freiheit, welche ihm gestattet, sich nicht an die Schablone des Lehrbuches bindend, den kranken Menschen als Einzelaufgabe für sein Thun und Lassen zu betrachten. Die engste Anlehnung an die Ergebnisse der biologischen Forschung ist damit ohne weiteres zur Notwendigkeit geworden. Die anatomischen Thatsachen sind fast ganz nach den Darstellungen meines Freundes ZIEGLEK wiedergegeben; ihm und Herrn Dr. NAUWERCK habe ich für mancherlei mündliche Mitteilungen noch besonderen Dank auszusprechen. Tübingen, Ende März 1886.

Th. Jürgensen.

Inhalt. I. Krankheiten des Nervensystems. Erkrankungen der peripheren Nerven.

§ § § § § § § § ü § § § § § § § § § §

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

Einleitende Bemerkungen Funktionsstörungen der sensiblen Nerven im allgemeinen Die Neuralgie Neuralgie des Trigeminus Neuralgien des Halses, Eumpfes und der oberen Extremitäten Neuralgien der Beckengegend und der unteren Extremitäten Viscerale Neuralgien Gelenkneuralgien . . . Anästhesie • Funktionsstörungen der motorischen Nerven im allgemeinen Krampf Krämpfe im Gebiete der Gehirnnerven Krämpfe im Gebiete von Kückenmarksnerven Beschäftigungskrämpfe Lähmung Facialislähmung Andere Lähmungen Neuritis Neubildungen an den Nerven

Seite

. . .

1 1 3 9 XI 12 15 16 16 19 20 22 23 23 24 31 33 34 38

Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

§ 20. Allgemeine Betrachtungen {5 21. Erkrankung der Rückenmarkshäute im allgemeinen, Hyperämie § 22. Blutungen in und zwischen die Rückenmarkshäute § 23. Blutungen in das Rückenmark selbst § 24. Entzündung der Dura mater spinalis § 25. Entzündung der weichen Häute des Rückenmarkes § 26. Tumoren des Rückenmarkes und seiner Häute. Langsame Kompression des Rückenmarkes § 27. Anämie des Rückenmarkes § 28. Funktionelle Störungen des Rückenmarkes im allgemeinen. Spinalirritation, Neurasthenia spinalis § 29. Erschütterung des Rückenmarkes § 30. Akute aufsteigende Paralyse § 31. Traumatische Verletzungen des Rückenmarkes. Halbseitenläsion § 32. Akute Myelitis § 33. Chronische Myelitis . . . § 34. Multiple Sklerose des Rückenmarkes und Gehirns § 35. Tabes dorsalis § 36. Spastische Spinalparalyse § 37. Systemerkrankungen der motorischen Sphäre Poliomyelitis anterior acuta, sabacuta und chronica § 38. Progressive Muskelatrophie. Amyotrophia spinalis (DUCHENNE-ABAN) . . . § 39. Dystrophia muscularis progressiva (nach EBB) § 40. Thomsen'sche Krankheit (nach ERB) § 41. Amytrophische Lateralsklerose § 42. Chronische progressive Bulbärparalyse. Chronische progressive (nukleare) Ophthalmoplegie § 43. Akute Bulbärparalyse § 44. Hydromyelus, Syringomyelie, Spina bifida

39 41 42 43 44 45 46 48 49 50 51 52 53 55 57 60 67 68 68 72 74 75 75 77 79 80

Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

§ § § §

45. 46. 47. 48.

Allgemeines Allgemeinerscheinungen bei Hirnkrankheiten Herderscheinungen bei Erkrankungen bestimmter Teile des Gehirns Erkrankungen der Dura mater

. . .

82 86 87 90

VIII

Inhalt. Seite

§ § § § § § § § § §

49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59.

Anämie des Gehirns 92 Hyperämie des Gehirns 93 Ödem des Gehirns 96 Entzündung des Gehirns und seiner weichen Häute. Encephalomeningitis . 99 Cerebrale Kinderlähmung. Encephalitis 107 Umschriebene eitrige Gehirnentzündungen. Hirnabsceß 108 Chronischer Hydrocephalus 110 Geschwülste des Gehirns und seiner Häute 112 Gehirnblutungen . . . .115 Gehirnerweichung durch Thrombose und Embolie . . . . . . . 123 Sinusthrombose 125

§ § § § § § § § § § § § §

60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. €7. 68. 69. 70. 71. 72.

Allgemeines; Neurasthenie Migräne und verwandte Formen des Kopfwehs . . Hysterie Katalepsie . . Hypochondrie Eklampsie Epilepsie Nachtschrecken... . . . Tetanus . . . . Tetanie Chorea Paralysis agitans Zittern; Athetose, Myoklonie, Tickrankheit

Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.

126 132 134 . . 139 140 143 145 150 .150 .155 . . 156 . . . 159 161

. . . .

II. Krankheiten des Blutes und allgemeine Ernährungsstörungen. § 73. § 74. § 75. § 76. § 77. § 78. § 79. § 80. §81. § 82. § 83. § 84. § 85. § 86. § 87. § 88. § 89. §90. §91. §. 92. § 93.

Allgemeines Akute Anämie . . . . Chronische Anämie . . . . . Perniciöse Anämie . . . . . Chlorose Leukämie Pseudoleukämie und chronisches Bückfallsfieber Hämorrhagische Diathese, Hämoglobinurie Hämophilie Morbus maculosus Werlhofii . . Skorbut Addison'sche Krankheit Myxödem Basedow'sche Krankheit Gicht Rachitis (Barlow'sche Krankheit) Osteomalacie Skrofulöse Diabetes mellitus Diabetes insipidus Fettleibigkeit

. .

163 165 170 .172 .174 .177 . . 180 182 183 184 186 188 189 191 193 196 201 202 206 214 215

. . . . . .

III. Infektionskrankheiten. § 94. Allgemeines § 95. Syphilis Örtliche durch Syphilis hervorgerufene Erkrankung. Haut und Schleimhaut Haare, Nägel Knochen, Gelenke, Muskeln Verdauungskanal, Leber, Milz, Nieren Geschlechtsteile Nase Kehlkopf Lunge . . Herz und Blutgefäße Nervensystem

218 219 225 227 227 228 228 229 229 229 230 230

Inhalt.

§ 96. § 97. § 98. § 99. § 100. §101.

§ 102. §103. § 104. § 105. § 106. § 107. § 108. § 109. § 110. §111. § 112. § 113. § 114. § 115. §116. §117. §118. § 119. § 120. § 121. § 122. § 123. § 124. § 125. § 126. § 127. § 128. § 129. § 130. § 131.

Sinnesorgane Hereditäre Syphilis Verlauf der Syphilis überhaupt Schanker Tripper Tuberkulose im allgemeinen . . . . . . . Allgemeine akute Miliartuberkulose . . Tuberkulöse Lungenschwindsucht. . . . . Tuberkulose anderer Organe . . . . . . . . Der Centraiorgane Der Lymphdrüsen Der Knochen und Gelenke Der Haut Der Harnwege . . . . . . . . Der weiblichen Geschlechtsorgane. Der männlichen Geschlechtsorgane Lepra Rotz Aktinomykose Akute Infektionskrankheiten. Allgemeines Abdominaltyphus Pest Pieckfieber Rückfalltyphus Septische Erkrankungen Pocken Vaccination Varicellen . . . Scharlach Erysipelas Masern . Röteln Keuchhusten Grippe Genuine Pneumonie . . . Parotitis epidemica . . . . . . Diphtherie Ruhr Cholera indica Gelbes Fieber Malaria Epidemische Cerebrospinalmeningitis Akuter Gelenkrheumatismus . . . . . Trichinose Milzbrand Wutkrankheit

IX Seite 232 . . . . 232 234 241 244 . . . . 252 257 261 275 275 275 • 275 276 276 276 276 276 278 • 279 281 285 302 310 314 . . . 316 332 340 343 344 353 358 366 . . . 366 371 • 377 . . . . 394 396 405 408 419 420 433 435 441 444 448

IV. Krankheiten der Kreislauforgane. Krankheiten des Herzens.

§ § § § § §

132. 133. 134. 135. 136. 137.

§ § § § § §

138. 139. 140. 141. 142. 143.

§ 144.

Allgemeines Schwäche (Insuffizienz) des Herzens Hypertrophie und Dilatation des Herzens . . . . Endokarditis Myokarditis Schlußunfähigkeit der Klappen und Verengerung der Mündungen am Herzen im allgemeinen Insuffizienz der Aortenklappen . . . . . . . . . Verengerung der Aortenmündung . , ,. . . . Schlußunfähigkeit der Mitralis . . Verengerung des linken venösen Ostiums . Schlußunfähigkeit der Trikuspidalis Die sonstigen Fehler an Ostien und Klappen des rechten Herzens,; Bildungsfehler des Herzens überhaupt . . Neubildungen und Parasiten im Herzen ..

451 452 464 470 479 482 487 489 490 493 495 497 499

Inhalt.

X

§ 145.

Satte

Neurosen des Herzens; Herzklopfen Asthma kardiale Angina pectoris

499 503 504

Krankheiten des Herzbeutels.

§ § § §

146. Perikarditis 147. Ergüsse in den Herzbeutel 148. Verwachsungen des Herzens mit dem Herzbeutel 149. Perikarditis externa und schwielige Mediastinoperikarditis

. .

.

.

505 510 511 . . 513

Krankheiten der Arterien.

§ 150. Arteriosklerose und Atherom §151. Aneurysmen der Aorta

514 518

V. Krankheiten der Atmungswerkzeuge. § 152. Katarrhe der Atmungswerkzeuge. Allgemeines $ 153. Katarrhe der Nasenschleimhaut § 154. Katarrh der Kehlkopfschleimhaut _ Akuter Kehlkopfkatarrh bei Erwachsenen Akuter Kehlkopfkatarrh bei Kindern; Pseudokrup Chronischer Kehlkopfkatarrh § 155. Lähmungen der Kehlkopfmuskeln Hysterische Lähmungen §156. Krup §157. Ödem der Glottis. Perichondritis laryngea ödem der Glottis Perichondritis laryngea § 158. Spasmus glottidis § 169. Neubildungen im Kehlkopf § 160. Katarrh der Trachea und der Bronchien Akuter Katarrh der Trachea und der gröberen Bronchien Akuter und subakuter Katarrh der feineren Bronchien mit der in ihrem Gefolge auftretenden Bronchopneumonie Chronischer Bronchialkatarrh § 161. Fibrinöse Bronchitis § 162. Bronchiolitis exsudativa (Cubschmann) § 163. Heufieber § 164. Verengerung und Verschluß der Bronchien mit ihren Folgen Atelektase und Bronchopneumonie. Allgemeines Verengerung der Trachea und der größeren Bronchien Atelektase und Bronchopneumonie § 165. Bronchialasthma § 166. Interstitielle Pneumonie (Cirrhose) und Erweiterung der Bronchien . . . § 167. Emphysem und verwandte Zustände § 168. Lungenödem § 169. Hypostatische Vorgänge in der Lunge § 170. Blutungen aus den Atmungswegen (Hämoptoe) § 171. Embolische und thrombotische Vorgänge in der Lungenarterie, hämorrhagischer Infarkt, Absceß § 172. Lungenbrand § 173. Neubildungen und Parasiten, in der Lunge

522 528 530 530 531 533 534 541 543 550 550 550 550 552 552 554 554 558 561 562 563 563 563 564 565 567 571 577 582 583 584 589 592 594

Krankheiten der Pleura.

§ § § §

174. Pleuritis 175. Hydrothorax und Hämatothorax 176. Pneumothorax 177. Neubildungen und Parasiten in der Pleura

594 610 611 615

VI. Krankheiten des Mundes und des Rachens. § 178. Allgemeines Stomatitis katarrhalis § 179. Pflanzliche Parasiten in der Mundhöhle. § 180. Aphthen § 181. Mnndf&ule § 182. Noma § 183. Therapie der Mundkrankheiten

Soor

616 616 618 .620 621 622 623

Inhalt.

XI Seite

§ 184.

Angina Akute Angina . • Chronische Angina § 185. Retropharyngealabsceß § 186. Glossitis § 187. Angina Ludwigi (Ludowici)

625 626 629 630 630 631

VII. Krankheiten der Verdauungswerkzeuge. Erkrankungen der Speiseröhre.

§ § § §

188. 189. 190. 191.

Entzündung der Speiseröhre Verengerung der Speiserühre Erweiterung der Speiseröhre Zerreißung der Speiseröhre

633 633 634 635

§ § § § §

192. Verdauungsstörungen überhaupt 193. Verdauungsstörungen, Dyspepsie, Magenkatarrh 194. Schwere Formen der Magenentzündung 195. Erweiterung des Magens 196. Einfaches Magengeschwür Duodenalgeschwür 197. Bösartige Neubildungen im Magen 198. Magenblutung 199. Kardialgie 200. Diarrhöe 201. Diarrhöe im Kindesalter 202. Follikularkatarrh 203. Entzündungen in der Fossa iliaca 204. Proktitis und Periproktitis 205. Stuhlverstopfung 206. Verengerung und Verschließung des Darms 207. Neubildungen im Darm 208. Darmblutungen 209. Kolik 210. Entozoen im Darm

Krankheiten des Magens und Darms.

§ § § § § § § § § § § § § §

636 637 650 651 655 661 662 665 667 669 673 676 678 683 685 689 693 695 696 698

VIII. Krankheiten des Bauchfells. § 211. Hydrops ascites § 212. Peritonitis § 213. Tuberkulose des Bauchfells; andere Neubildungen

705 707 713

IX. Krankheiten der Leber und der Gallenwege. § § § § § § § § §

214. 215. 216. 217. 218. 219. 220. 221. 222.

§ § § § § §

223. 224. 225. 226. 227. 228.

Allgemeines. Abweichungen der Größe und Form der Leber Gelbsucht Hyperämie der Leber Verlegung der Pfortader Eitrige Entzündung der Pfortader Suppurative Hepatitis Akute Leberatrophie Interstitielle Leberentzündung Einfache Leberatrophie. Fcttleber. Amyloidleber Amyloidleber Leberkrebs Echinokokkus der Leber Katarrh der Gallenwege Gallensteinbildung Anderweitige Erkrankungen der Gallenwege und der Gallenblase . . . . Erkrankungen des Pankreas

718 720 725 728 730 731 735 738 744 745 746 748 751 752 759 760

X. Krankheiten der Milz. § 229. Allgemeines § 230. Akute Milzerkrankungen § 231. Chronische Milzschwellungen.

Neubildungen.

Parasiten

761 762 764

Inhalt.

XII

XI. Krankheiten der Harnwerkzeuge. Krankheiten der Nieren und der Harnleiter.

§ § § § § § § § § | § § § § § § § § §

232. 233. 234. 235. 236. 237. 238. 239. 240. 241. 242. 243. 244. 245. 246. 247. 248. 249. 250.

Morbus Brightii. Allgemeines Albuminurie. Blut im Harn Harncylinder Hydrops bei Nierenkrankheiten Urämie Verhalten des Herzens bei Mierenkrankheiten Akute Nephritis Chronische parenchymatöse Nephritis Chronische interstitielle Nephritis (Schrumpfniere) Amyloide Entartung der Nieren Kreislaufstörungen in der Niere. Stauungsniere Nierenveränderungen während der Schwangerschaft Eiterherde in der Niere, Nephritis suppurativa Geschwülste und Parasiten in der Niere Form- und Lageveränderungen der Nieren. Wanderniere Paranephritis Nephrolithiasis Pyelitis und Pyelonephritis Hydronephrose

§ § § §

251. 252. 253. 254.

Entzündung der Harnblasenschleimhaut Blasenkrampf und Blasenlähmung Enuresis nocturna Neubildungen und Parasiten in der Blase

Seite

766 767 770 772 774 777 779 784 788 792 793 794 795 796 799 800 801 805 806

Krankheiten der Harnblase.

808 812 812 814

XII. Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane. § 255. Krankhafte Samenverluste § 256. Impotenz § 257. Männliche Unfruchtbarkeit

815 819 820

Xm. Krankheiten der Haut. § 258. § 259. § 260. § 261. § 262. § 263. § 264. § 265. §266. § 267. § 268. § 269. § 270. §271. § 272. § 273. § 274. § 275. § 276.

§ 277.

Erkrankungen der Talgdrüsen Lupus erythematosus Anomalien der Schweißabsonderung. Ephidrosis Erytheme Herpes Psoriasis Lichenes Pityriasis Ekzema Pustulöse Hautentzündungen. Ekthyma Prurigo und Pruritus Pemphigus Pigmentanomalien Erkrankungen der Haare Ichthyosis Skleroderma der Erwachsenen Sklerem der Neugeborenen Elefantiasis Arabum Dermatomykosen. Favus Herpes tonsurans Tierische Parasiten Skabies Erntemilbe, Gerstenmilbe Läuse Flöhe; Wanzen; Dipteren Neubildungen in der Haut

A n h a n g : Rezeptformeln

Register

821 824 826 827 830 832 834 835 836 841 841 844 846 847 848 848 849 849 850 851 852 852 854 854 856 856 857

863

I.

Krankheiten des Nervensystems. Erkrankungen der peripheren Nerven. § I. Einleitende Bemerkungen. Die Erkrankungen der peripheren Nerven gehen nicht immer mit erkennbaren gewebliehen Störungen einher, für die klinische Betrachtung ist die Änderung der Funktion massgebend. Ohne materielle, wenn auch für uns nicht nachweisbare, Änderungen kann diese nicht stattfinden; in dem abnorm fungierenden Nerven müssen entweder Abweichungen in seiner chemischen Zusammensetzung oder solche in der Lage seiner Elementarteile, molekulare Verschiebungen, gegeben sein. Physiologische Erfahrung lehrt, daß an dem gewcblich glcich erscheinenden normalen Nerven beides möglich ist: Änderung der chemischen Zusammensetzung wird durch das Auftreten saurer Reaktion in dem ermüdeten Nerven dargethan, Änderung in der molekularen Anordnung wird durch den galvanischen Strom herbeigeführt, welcher, den elektrotonischen Zustand erzeugend, ein abweichendes Verhalten der Erregbarkeit und der Leitung bedingt. Qualitativ verschiedene Eigenleistungen sind den peripheren Nerven, einfachen Leitungsbahnen zwischen Peripherie und Centrum, nicht zugeteilt. Sie sind an die Endorgane gebunden — für die Nervenstränge kommt wesentlich nur ein Mehr oder Minder ihrer Erregbarkeit in Betracht. — Nutritiv steht jede Nervenfaser mit der Mutterzelle, aus welcher sie hervorgeht, und mit den Organen, in welchen sie endet, in unauflösbar-enger Beziehung. — § 2. Funktionsstörungen der sensiblen Nerven im allgemeinen. Die Funktionsstörungen der sensiblen Nerven zeigen sich daher als Steigerung (Hyperästhesie) oder als Verringerung (Hypästhesie) bei höchster Entwicklung Aufhebung (Anästhesie) ihrer normalen Leistung. Neben diesen ist die Parästhesie zu nennen. Man versteht darunter eigenartige Empfindungen (Taubsein, Ameisenkriechen, Brennen, Jucken) im Gebiete eines sensiblen Nerven, welche wicht durch äußere Reize hervorgerufen werden, sondern scheinbar spontan auftreten. Wahrscheinlich liegt ein erhöhter Erregungszustand in dem betreffenden Nervengebiete vor, und die Parästhesie ist nur eine, in besonderer Weise zum Ausdruck gelangende Form der Hyperästhesie. Als Auslöser der parästhetischen Empfindungen kann man Ernährungsvorgänge oder Durchleitung normaler Beize an der betroffenen Stelle betrachten. Wenn eine Empfindung vorhanden ist, muß auch ein Reiz, der dieselbe veranlaßt, gegeben sein. Bei der Parästhesie kann dieser nur durch Vorgänge im v. J ü r g e n s e n , Spez. Path. n. Ther. IV. Aull.

1

2

Krankheiten der peripheren Nerven.

Innern des Nervensystems erzeugt werden, da eine Erregung von außen fehlt. Die Parästhesie macht sich mehr oder minder anhaltend, bemerkbar. An- und Hyperästhesie hingegen kommen unmittelbar gar nicht zum Bewußtsein, es bedarf dazu eines äußeren Reizes. Wirkt dieser ein, dann zeigt es sich, daß seine Stärke nicht in dem erfahrungsgemäß richtigen Verhältnis zu der von ihm wachgerufenen Empfindung steht. Sobald die Erregung jedes centripetal leitenden Nerven, einerlei ob derselbe ein sensibler im engeren Wortsinne oder ein sensorischer ist, eine gewisse Größe erreicht, löst sie das Allgemeingefühl Schmerz aus. — Die Meinung, daß es bestimmter der Erregung von Schmerz dienender Endapparate bedürfe, ist nicht genügend begründet. — Bei welcher Reizstärke Schmerz auftritt, ist im wesentlichen durch individuelle Bedingungen beherrscht. Ursprüngliche Anlage und Erziehung (Übung in der Einschaltung von Hemmungen) wirken miteinander; namentlich die letztere vermag die Grenze für Schmerzempfindung erheblich zu verschieben. Aus der Thatsache, daß eine Abweichung im normalen Empfinden vorhanden ist, läßt sich trotz des Fortbestehens des Gesetzes der isolierten Leitung ein Schluß auf den Sitz der bedingenden Ursache nicht ziehen. Am ehesten gelingt das noch bei der stärkeren zum Schmerz führenden Erregung, indes immerhin mit gewissen Einschränkungen. Hier kommt in Betracht: 1. Es kann die Reizung so stark werden, daß sie gleichzeitig mit oder kurz nach der Schmerzempfindung Veränderungen in den Centraiorganen herbeiführt, durch welche das Bewußtsein schwindet: Anämie des Gehirns mit Ohnmacht. 2. Das Gesetz der excentrischen Projektion, welches bestimmt, daß, einerlei an welcher Strecke seines Verlaufes ein sensibler Nerv gereizt wurde, die Empfindung davon an das periphere Ende seiner Bahn verlegt wird, macht sich geltend. Daher ist es ohne weiteres nicht möglich, sich ein Urteil aus der • Schmerzwahrnehmung, eigener oder fremder, darüber zu bilden, wo im, Verlauf des Nerven der Erreger einwirkt. — Dazu kommt, daß eine Erregung auf dem Wege von der Peripherie zum Hirn, auf benachbarte Bahnen überspringend, auch diese in den Erregungszustand versetzt — Irradiation. Wiederum wird die Empfindung davon an die Peripherie verlegt. 3. Sensible Leitungen werden erst allmählich durch vielfachen Gebrauch zu ihrer ganzen Feinheit entwickelt. Für die innneren Organe sind dieselben normal so wenig ausgebildet, daß eine pathologische Reizung ihrer empfindenden Fasern wenigstens anfangs nicht mit sicherer Lokalisation einhergeht; später kann das durch Übung erworben werden. — Gleiches gilt für alle Nervenbahnen jüngerer Kinder und solcher Erwachsenen, deren Nervenleben überhaupt wenig zur Entwicklung gelangte. Die Beschaffenheit des Schmerzes wird meist nach Erinnerungsbildern benannt oder vergleichend bezeichnet (bohrend, klopfend, brennend, stechend). Heftigere schmerzauslösende Erregung sensibler Nerven vermag auf vasomotorische, sekretorische, motorische Bahnen überzuspringen; dies geschieht innerhalb der centralen Leitungswege des Gehirns oder des Rückenmarkes. Mit Schmerz kann daher Wechsel der Gesichtsfarbe, allgemeines Erblassen oder Rotwerden der Haut, vermehrte Absonderung von Thränen, Speichel, Harn, verstärkte Peristaltik (Gas- oder Kotentleerung) einhergehen. Ebenso können sich Störungen im Muskelapparat hinzugesellen.

Neuralgie.

§ 3.

3

Die Neuralgie.

Unter den Erkrankungen der sensiblen Nerven nimmt die Neuralgie die erste Stelle ein. Schmerz, der gewisse Eigentümlichkeiten darbietet, kennzeichnet sie, die selbst keine eigenartige Erkrankung, wohl aber eine bestimmte Symptomgruppe ist. Man darf von Neuralgie nur reden, wenn Schmerz 1. sich auf die Bahnen eines oder mehrerer sensibler Nerven beschränkt, wenigstens vorwiegend und anhaltender innerhalb derselben verläuft; 2. nicht dauernd in gleicher Stärke auftritt, sondern zeitweilig ganz aussetzt, oder doch sich sehr abschwächt; 3. spontan erscheint, oder mindestens nach Dauer und Stärke in grobem Mißverhältnis zu der Stärke des bekannten ihn auslösenden Reizes steht. Von geringerer Bedeutung sind einige andere zur Charakteristik des neuralgischen Schmerzes verwertete Verhältnisse. Es werden hervorgehoben die große Heftigkeit des Schmerzes, die Wahrnehmung desselben nicht allein an der peripheren Ausbreitung, sondern auch im Verlauf der ergriffenen Nerven, Folgezustände durch Überspringen der Erregung auf vasomotorische, sekretorische, motorische Fasern, endlich das Beschränktsein etwaiger anatomischer Veränderungen auf das Nervensystem und das Ausbleiben ernsterer Rückwirkungen auf den Gesamtorganismus. Alle diese Merkmale sind nicht konstant bei Neuralgien, daher von der Charakteristik auszuschließen.

Ätiologisch sind prädisponierende und unmittelbar wirksam werdende (Gelegenheits-)Ursachen zu trennen. Prädisponierend sind: 1. Die besondere durch Vererbung übertragene Anlage des Nervensystems, welche mit dem Namen der neuropathischen Konstitution (§ 60) bezeichnet wird, läßt leichter Neuralgie entstehen und macht dieselbe schwerer heilbar. 2. Das Lebensalter hat einen gewissen Einfluß. Kinder und Greise erkranken selten, die größte Häufigkeit der Neuralgie fallt (mit ungefähr 70°/ o ) auf das 20. bis 50. Jahr. 3. Allgemeine Ernährungsstörungen, ganz besonders Anämie. 4. Einflüsse, welche die Widerstandsfähigkeit des Körpers und des Geistes abschwächen. Es gehört hierher alles Verkehrte in der Erziehung und der Lebensführung, Verweichlichung und rasche Abnutzung, ungenügende Ausspannung bei fortdauernd hohen Ansprüchen an die Hirnthätigkeit, ebenso das mimosenhafte Sichabschließen bei jeder unliebsamen Berührung mit der Außenwelt. Die beiden Geschlechter sind den verschiedenen Ursachen in wechselndem Grade preisgegeben; alles in allem ist keine vorwiegende Belastung des einen oder anderen erkennbar. Als Gelegenheitsursachen sind anzuführen: 1. Mechanische Einwirkungen auf das Nervensystem durch äußere Gewalt, Geschwulstentwicklung, Übergreifen von Entzündung aus der Nachbarschaft. Selbst in diesen Fällen kann eine Neuralgie ohne nachweisbare anatomische Veränderung auftreten. 2. Verschiedene, ganz im allgemeinen als Gifte zu benennende Krankheitserreger, organische, wie die Malaria, die Influenza, die Syphilis, mineralische, wie Blei, Quecksilber. l*

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Krankheiten der peripheren Nerven.

3. Erkältung hat für die Entstehung der Neuralgie eine hervorragende Eedeutung. Freilich sind wir nur imstande, aus der zeitlichen Aufeinanderfolge zwischen der Schädlichkeit und ihrer Wirkung einen Schluß auf die Kausalität zu ziehen; allein durch die große Häufigkeit des Vorkommens scheint derselbe gestattet. Die Entstehung der Formen der Neuralgie, bei welchen nicht unmittelbar Stamm und periphere Ausbreitung der Nerven erkranken, sondern wo sie nur als Leiter einer anderswo ausgelösten heftigen Erregung thätig sind, muß besonders erwähnt werden. — Es ist dabei zu trennen: 1. Erregung einer sensiblen Bahn durch Erkrankung ihrer selbst oder der Nachbarschaft an einem Punkte, wo sie schon in die Gerdraiorgane eingetreten ist. Nicht nur bis zur Brücke heraufreichende Gewebsveränderungen z. B. (Geschwülste), auch solche an bestimmten Orten der Hirnrinde vermögen Neuralgien, die an die Körperoberfläche verlegt werden, zu erzeugen. — Diese Formen werden als symptomatische Neuralgien bezeichnet. Von manchen wird übrigens die gleiche Benennung gebraucht, wenn eine in der Nachbarschaft eines Nerven während seines Verlaufes außerhalb der Centraiorgane gesetzte pathologische Störung diesen in Mitleidenschaft zieht. 2. Von entfernten Punkten aus kann ein Reiz zum Gmtrum fortgeleitet, innerhalb desselben aber auf andere Bahnen übertragen werden, so daß diese allein odör doch vorwiegend befallen erscheinen, während der ursprüngliche Ort der Erregung dem Bewußtsein entrückt bleibt — sympathische Neuralgien. Am häufigsten finden sich diese bei Erkrankung innerer Organe — Ovarien, Uterus, Leber — und solchen des Auges. Der ursprünglich leidende Teil braucht nicht notwendig von anatomisch nachweisbaren Störungen betroffen zu sein, funktionelle reichen unter Umständen hin, um die sympathische Neuralgie zu erzeugen. — Von anatomischen Veränderungen, welche bei der Neuralgie vorhanden sein müßten, ist nichts bekannt — sie können selbst bei der schwersten fehlen. Die Inkonstanz der anatomischen Befunde liefert die beste Stütze für jene Anschauung, welche in molekularen Veränderungen die Ursache der Newralgie sieht. Gewöhnlich entwickelt sich die Neuralgie allmählich. Es stellen sich zuerst Vorboten ein; allerlei Parästhesien, Gefühl von Hitze oder Kälte, Druck und Spannung, mit einer unbehaglichen Empfindung verknüpft, zeigen sich im Gebiete der ergriffenen Nerven. Alles steigert sich, hin und wieder tritt ein kurzdauernder, blitzartig den betreffenden Teil durchzuckender Schmerz auf. Derselbe wird stärker und hält länger an, so daß er in dem voll ausgebildeten Anfall bleibend, an- und abschwellend freilich, aber während dessen ganzer Dauer zugegen ist. Diese schwankt innerhalb der Grenzen von Sekunden, Stunden und Tagen; allein in so langgedehnten Anfallen handelte es sich doch meist um Gruppen von Einzelattacken, welche durch so kurze Zwischenräume voneinander getrennt sind, daß sie dem Bewußtsein zunächst als geschlossene Einheit erscheinen. — Der Nachlaß geschieht meist wiederum nach und nach, die Pausen zwischen den heftigsten Steigerungen des Schmerzes werden länger, dieser selbst wird schwächer, endlich klingt er in. ein unbestimmtes Wehgefiihl aus. Dasselbe kann ganz schwinden, es bleibt nur die Empfindung, daß nicht alles in Ordnung ist; vielleicht kommt auch diese kaum zum Bewußtsein, eine vollständig freie Pause schiebt sich ein. Oder aber, und das ist wohl die Regel, nur ein verhältnismäßig

Neuralgie.

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ruhiger Zeitraum trennt einen Anfall von dem nächsten. Bei sehr heftigen Neuralgien, namentlich wenn dieselben etwas länger gedauert haben, kann der Schmerz in kürzester Zeit, in Bruchteilen der Sekunde zur vollen Höhe ansteigen. Das periphere Gebiet der leitenden Nervenfasern ist ganz oder zum Teil, mindestens während der Dauer des Anfalls, ergriffen, Ausstrahlung auf andere sensible wie motorische Bahnen fallt dagegen nur mit dessen größter Stärke zusammen; vasomotorische und sekretorische Erscheinungen können früh, vielleicht im ersten Einleitungszeitraum sich zeigen, andere Male treten auch sie erst auf der Höhe des Paroxysmus ein. Gewöhnlich folgt der anfänglichen Blässe sehr rasch Rötung der Haut. Von Einzelheiten ist zu erwähnen: Der Schmerz ist meist so ausgedehnt und heftig, daß die Annahme nahe gerückt wird, es handle sich nicht um Reizung eines oder mehrerer Punkte der peripheren Ausbreitung des Nerven, sondern um solche an Stellen, wo eine größere Menge von Fasern dicht beisammen liegt. Das kann innerhalb der Centren, aber auch an dem Stamme geschehen, welcher die von, der Peripherie aufsteigenden Nervenfäden vereinigt. — In einer nicht kleinen Zahl von Fällen ist der ergriffene Nerv in seinem ganzen „Verlauf", oder doch in einem Teil desselben schmerzhaft, wenigstens solange der neuralgische Anfall dauert, manchmal auch in der Zwischenzeit: die Kranken können dann seine Lage richtig bezeichnen. — Noch häufiger finden sich bestimmte Stellen des Nervenlaufs (Druck- Schmerzpunkte, Points doulonrenx), welche, mehr während des Anfalls als außerhalb desselben, gegen Druck empfindlich sind. Meist tritt dort der Nerv der Oberfläche näher, ruht auf harter Unterlage, erleidet bei dem Durchsetzen von Spalten oder Höhlen eine gewisse Spannung, oder er ist wenigstens durch Drücken von außen leichter in solche zu bringen. Im ganzen sind in etwa der Hälfte aller Fälle von Neuralgie Druckpunkte vorhanden, sie finden sich öfter bei den Erkrankungen jener Nerven, welche für die genannten Bedingungen anatomisch günstiger gelegen sind. — Die Dornfortsätze der Wirbel, durch deren Intervertebrallöcher leidende Spinalnerven austreten, sind häufig gleichfalls gegen Druck empfindlich (Apophysenpunkte). — Das periphere Ausbreitungsgebiet des ergriffenen Nerven zeigt nicht selten auch außerhalb der Anfalle objektiv, wenn auch nur. mit feineren Hilfsmitteln nachweisbare, Änderungen: in frischen Fällen Hyperästhesien, meist in der Form einer größeren Empfindlichkeit, so daß leichtere Reize schon Schmerzen erzeugen (Hyperalgesie), in älteren Anästhesie. Irradiationen finden in verschiedenen Richtungen statt: gleichseitig auf weitere Äste des leitenden Nerven, anderseitig auf den entsprechenden, oder auf räumlich weit entfernt liegende, ja von einem anderen Teil des Centrainervensystems entspringende (z. B. Trigeminus und Intercostalnerven). — Nicht mit Irradiationen zu verwechseln sind die durch die Fortpflanzung der angenommenen molekularen Veränderung auf andere Äste der ursprünglich ergriffenen Nerven oder auf neue Gebiete bedingten Ausbreitungen der Krankheit. Diese zeigen sich unter dem ausgeprägten Bilde wahrer Neuralgie in eigenen wohlcharakterisierten Anfällen. Bei den motorischen Erscheinungen sind die Reflexüberlragungen von stark gereizten sensiblen auf motorische Fasern zunächst zu erwähnen. Sie kennzeichnen sich dadurch, daß sie zeitlich mit der sensiblen Reizung zusammentreffen — also während des Anfalls auftreten. — Neben ihnen finden sich noch andere. Es kommt vor, daß die mit sensiblen in gleichem Stamme verlaufenden motorischen

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Krankheiten der peripheren Nerven.

Fasern bei Neuralgien sich verändert zeigen, dauernder, auch außerhalb des Anfalls. Meist sind anfangs Heiz-, später Lähmungserscheinungen da; beide können hohe Grade erreichen. Daß hierbei die molekulare Störung auch motorische Nervenfasern ergreife, dürfte mindestens unerwiesen sein. Gewöhnlich sind nachweisbare anatomische Schädigungen, welche den gemischten Stamm als Ganxes treffen, zugegen. Trophische Störungen stellen sich nur bei langdauernden und schwereren Neuralgien ein. Es handelt sich meist um Atrophie der Haut, des Fettgewebes, der Muskeln; die willkürlich herbeigeführte Ruhe des leidenden Teiles dürfte von ausschlaggebender Bedeutung für deren Zustandekommen sein. Wenn echte Neuritis da ist, ruft sie die Atrophie hervor. — Seltener finden sich Hypertrophien der genannten Teile, an denen auch Haare, Haut und Knochen teilnehmen können. — Entzündungen der Haut mit Geschwürsbildung bilden sich wohl nur bei tiefgreifenden anatomischen Veränderungen am Nerven aus. Warum die Neuralgie in Anfällen auftritt, ist noch nicht sicher erklärt. Man kann mit einem gewissen Recht darauf hinweisen, daß auf eine stärkere Erregung Ermüdung folgt und daß der ermüdete Nerv in seiner Erregbarkeit herabgesetzt ist. So könnte bei gleicher Reizstärke doch die Wirkung ausbleiben. Übrigens ist es nicht allein denkbar, sondern für bestimmte Formen sicher, daß die erregende Ursache selbst diskontinuierlich wirkt — es gehören hierher die typischen, eine bestimmte Tagesstunde einhaltenden, mit ganz reinen Intermissionen auftretenden Neuralgien, welche nicht ausschließlich durch die Einwirkung der Malaria entstehen.

Das Allgemeinbefinden wird nur durch die Heftigkeit des Schmerzes, durch Schlaflosigkeit, vielleicht auch durch verminderten Appetit gestört. Immerhin können sehr bedeutende Beeinträchtigungen desselben stattfinden, im ganzen ist das freilich selten. Melancholische Verstimmungen, mit ihnen Lebensüberdruß, ein freiwilliges Ende der unerträglich Leidenden sind keineswegs unerhört. Der Verlauf der Neuralgie ist häufig ein chronischer. Nicht oft kommt "spontane Heilung nach Tagen oder Wochen vor, meist gehen Monate darüber hin. Bei langer Dauer reden wir vom Habituellwerden der Neuralgie. Solches kann erfolgen, obgleich die veranlassende Ursache der Erkrankung nicht mehr wirkt. Man muß hier annehmen, daß die molekulare Änderung in dem ergriffenen Nerven eine gewisse Selbständigkeit erreicht hat und nun als eigentümliches Leiden fortbesteht. Möglicherweise handelt es sich nur um eine durch die langdauernde Übung erreichte Steigerung seiner Leitungsfahigkeit. — Viele Neuralgien rezidivieren um so leichter, je länger sie gedauert und je schwerer sie auftreten. Die Diagnose hat namentlich die charakteristischen Merkmale des Schmerzes zu berücksichtigen, welche ausreichen, um rein symptomatisch Neuralgie zu erkennen. Für die genauere Bestimmung des Ortes im Nervenverlauf, der erkrankt ist, lassen sich allgemeine Regeln in Kürze nicht geben. Von größter Bedeutung ist es festzustellen, ob eine örtliche oder ob eine allgemeine Störung die Neuralgie bedingt. Die Prognose ist bei reinen, auf molekularen oder wenig erheblichen anatomischen Veränderungen beruhenden Neuralgien nicht ungünstig, um so besser, je früher die Behandlung beginnt. Symptomatische und sympathische Neuralgien unterliegen der gleichen prognostischen Beurteilung, wie die Grundleiden, welche sie erzeugten. Jede habituell gewordene Neuralgie ist prognostisch ernst zu nehmen — ihre Heilung erfordert mindestens viel Zeit, und es drohen Recidive.

Neuralgie.

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Die Therapie hat verschiedenartige Angriffspunkte. Lebensweise und Ernährung sind den Sonderbedingungen gemäß zu regeln. Es gehört genaues Eingehen auf die Gewohnheiten des Leidenden zu den ersten und notwendigsten Erfordernissen fiir eine vernünftige Umgestaltung der Lebensordnung. — Störungen einzelner Organe müssen sorgfältig aufgesucht und behandelt werden: die Geschlechtsthätigkeit und die Verdauung geben am häufigsten Veranlassung zum Eingreifen. Als das zu erstrebende Ziel ist im allgemeinen hinzustellen, daß ein richtiges Verhältnis zwischen Nervensystem und Gesamtorganismus zustande komme, nicht alles im Nervenleben aufgehe, wie das für die Kopfarbeiter und viele Frauen der besseren Klassen bei unseren Zuständen oft genug geschieht. Regere, bis zu den Grenzen der Ermüdung gesteigerte Muskelarbeit, die dadurch in manchen Fällen ohne weiteres gestattete Zufuhr größerer Mengen von Nahrung, ist ein wichtiges Hilfsmittel. Geistige Beschäftigung kann selten ganz verboten werden, nur muß sich dieselbe auf anderen als den gewohnten Gebieten bewegen, mehr Zerstreuung als Arbeit sein. Vollkommene geistige und körperliche Ruhe ist meist nur für kurze Zeit hochgradig Erschöpften zu empfehlen. Ausreichender Schlaf gehört zu den Haupterfordernissen; gelingt es nicht, denselben ohne Medikamente herbeizufuhren, dann sind die Brompräparate zu versuchen (R 51); Opiate müssen, wenn irgend möglich, vermieden werden. Jedes andere Hypnoticum ist ihnen vorzuziehen. — Die Diät werde so gewählt, daß neben reichlicher Blutbildung ein gewisses, nicht zu großes Maß von Fettansatz möglich ist. Alkoholika sollen nicht zu sehr gescheut werden — man individualisiere und vergesse nicht, daß dieselben ein gutes Sparmittel, für manche ein ausgezeichnetes Schlafmittel sind. Starker Thee und Kaffee ist unbedingt zu meiden, der Tabakverbrauch jedenfalls erheblich zu beschränken. — Es kommt so viel, man kann sagen fast alles, auf die Bedingungen des Einzelfalles an, daß die Aufstellung ganz bestimmter Regeln zu nichts führen würde. Die frischen Neuralgien bei gut genährten, kräftigen, hereditär nicht belasteten Lenten bedürfen keiner Allgemeinbehandlung, alle anderen fordern sie. Die Entfernung der Ursache einer Neuralgie gelingt nur in einer kleineren Zahl von Fällen, nicht immer ist sie von durchschlagendem Erfolg, da die molekularen Änderungen selbständig geworden sein können (habituelle Neuralgie). Außer operativen Eingriffen, durch welche Fremdkörper, Geschwülste u. s. w. aus der Nähe von Nerven entfernt werden, kommt die innere Behandlung der Malaria, der Lues, der Chlorose und anderer Formen der Anämie in Betracht, vielleicht ist auch die Diaphorese bei frischen auf Erkältung zurückzufahrenden Neuralgien eine kausale Methode. Unter den eigentlichen Heilmitteln steht die Elektrizität oben an. Als Grundsatz gilt, womöglich die Ströme am Orte der Erkrankung selbst wirken zu lassen. — Eine wissenschaftliche Darlegung der für die Wahl der einzelnen Methoden maßgebenden Gründe ist nicht möglich. Es handelt sich um einfache Erfahrungsthatsachen, und diese ergeben gegenwärtig, daß jedes Verfahren, wenn es nur nicht physikalisch geradezu thöricht ist, Erfolge haben kann. — Im ganzen dürfte der konstante Strom vorzuziehen sein. Wenn die örtlichkeit es erlaubt, wenn unerwünschte Nebenwirkungen auf Sinnesorgane, Gehirn und Rückenmark nicht zu furchten sind, wende man nicht zu schwache Ströme an. Ich pflege mit langsamer Steigerung der Stromstärke bis 10 M-A. zu steigen, in schweren, veralteten Fällen aber noch weit höher zu gehen, wenn der Kranke es gut er-

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Krankheiten der peripheren Nerven.

trägt und der Erfolg dies rechtfertigt. — Der leidende Nerv soll möglichst in seiner ganzen Ausdehnung durchflössen, etwaige Sehmerzpunkle sollen besonders berücksichtigt werden. — Befeuchtete, nicht zu kleine Elektroden, die Anode auf den Nerven, während mit der Kathode an einem indifferenten Körperteil geschlossen wird; erst wenn das versagt, die umgekehrte Anordnung der Pole, oder aber beide dem Nervenlauf aufgesetzt, so daß ein absteigender Strom durchgeht. Immer zum Vermeiden von Stromschwankungen Ein- und Ausschleichen. Das sind die üblichen Regeln. — Der Umstand, daß auch der induzierte Strom mittels feuchter Elektroden eingelassen und den kranken Nerven in größerer Ausdehnung durchfließend Erfolg gehabt hat, also kurz dauernde, ihre Richtung wechselnde, heftig erregende Ströme von Nutzen gewesen sind, zeigt, daß jene Vorschriften nur bedingte Gültigkeit haben. — Als indirekte Wirkung der Elektrizität ist vielleicht die starke Hautreizung, wie sie mittels des Pinsels herbeigeführt werden kann, zu betrachten. Beide Stromarten finden in diesem Sinne Verwendung. — Die Franklinotherapie (Influenzmaschine) wird im ganzen den Spezialisten vorbehalten bleiben. — Man hat weiter versucht: Galvanisation des Sympathicus, langdauernde schwache Kettenströme, allgemeine Faradisation, dann Chloroform durch eine eigens konstruierte Elektrode (Diffusionselektrode, A D A M KIEWICZ), welche die Anode des konstanten Stromes bildet, an Ort und Stelle zur Wirkung zu bringen. Durch regelrechte von geübter Hand ausgeführte Massage kann, wenigstens wenn der leidende Nerv unmittelbar zugänglich ist, Gutes geleistet werden. Gleiches gilt von anderen Methoden der in ständigen Fortschritt begriffenen Mechanotherapie. — Bäder. — Die Akratothermen (Wildbad, Gastein, Pfäffers, Baden) können in chronischen Fällen ausgezeichneten Erfolg haben. Den sieht man auch bei verständig geübter Hydrotherapie, welche hier über einen reichen Schatz von Hilfsmitteln gebietet. Innere Mittel leisten unter Umständen etwas, in seltenen Fällen alles. Zunächst ist zu bemerken, daß bei den typischen Neuralgien, auch wenn sie nicht von Malaria abhängig sind, um so eher, je regelmäßiger dieselben auftreten, eine ganz wie die der Intermittens durchgeführte Behandlung mit Chinin und Arsen in der Regel hilft. Es giebt eine leider sehr kleine Zahl von Fällen, selbst langdauernden und schweren, bei denen nach dem Gebrauch eines bestimmten Arzneimittels alle Symptome mit einem Schlage für immer schwinden. Jeder Anhaltspunkt für die Wahl des hilfreichen Mittels fehlt — man muß einfach probieren. Dafür können in Betracht kommen: Jodkalium in üblicher Dosis, arsmige Säure, Atropin — beide nützen bisweilen erst nach großen, durch langsames Ansteigen ermöglichten Gaben, Sublimat — nur in kleinen Mengen zu versuchen, Terpentinöl, Chinin — von beiden nicht zu wenig. Salieylsäure und ihr Natriumsalz in größeren, Phenacetin, Antipyrin und Antifebrin in mittleren Tagesgaben bewähren sich öfter. Die chemische Industrie bringt wieder und wieder Mittel auf den Markt, die heute gepriesen, morgen vergessen sind. Es lohnt nicht der Mühe, sie einzeln mit ihrem Kriegsnamen (Analgen z. B.) anzuführen.

Die Opiate sind in vielen Fällen unentbehrlich. Sie finden zu verschiedenen Zwecken Anwendung, zunächst als Palliativmittel. Stets muß daran festgehalten werden, daß man mit möglichst kleinen Mengen auszukommen suche. Die örtliche Einverleibung in der Nähe des ergriffenen Nerven, bei welcher unmittelbare Einwirkung auf denselben geschieht, bietet hierfür die besten Bedingungen — 0,01 g Morphium subkutan genügt meist. — Manchmal scheint durch diese Form

Neuralgie des Trigeminus.

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der Darreichung mehr erzielt werden zu können: Bisweilen wird im Verlauf einer Neuralgie die Erregbarkeit des ergriffenen Nerven so hochgradig vermehrt, daß ein außerordentlich geringer Reiz — oberflächliche Berührung der Haut, ein leiser Luftzug u. s. w. — schon einen heftigen Anfall auslösen kann. Das die Erregbarkeit an Ort und Stelle herabsetzende Morphium bringt hier den Nerven zur Ruhe, hindert die Wirkung der peripheren Reize, vermindert die Gefahr des Habituellwerdens der Neuralgie und ermöglicht einen normalen Ablauf der Ernährungsvorgänge in dem erkrankten Teil. So wird freilich nicht unmittelbare Heilung gebracht; aber immerhin sind die Bedingungen für deren Zustandekommen günstiger geworden. — Es liegen Beobachtungen vor, nach welchen das Morphium als direktes Heilmittel betrachtet werden kann. Man begann mit 0,02 g, stieg, diese als Einzelgabe festhaltend, auf 0,1 g und verminderte dann wieder allmählich herabgehend die Menge. So sind selbst veraltete, schwere Formen beseitigt worden. — Immer aber ist die ernste Gefahr, daß man den so behandelten Kranken zum Morphinisten mache, zu berücksichtigen. — Seltener ist als schmerzstillendes Mittel Atropin subkutan versucht — 0,5 mg sollte die größte Dosis für den Anfang sein; man ist bis auf 5 mg gestiegen. Die ableitende Methode hat bei frischen Fällen manchmal Erfolge. Das Verfahren der „fliegenden" Vesikatore kann, nicht wohl bei Trigeminusneuralgien, sonst überall in Frage kommen. Man bestreicht die Haut in dem ganzen Verlaufe des ergriffenen Nerven mit Pausen von einem halben bis zu mehreren Tagen in der Breite von 5—8 cm mit Collodium cantharidatum und wiederholt wenn nötig das Ganze. Veratrin (Salbenform, R 80) ist bei den an oberflächlich gelegenen Nerven auftretenden leichteren Erkrankungen ein gutes Mittel, welches nur Rötung, keine Entzündung der Haut hervorruft. — In schwersten Fällen griff man sogar zum Glüheisen. — Hier ist noch der Anwendung der Kälte an Ort und Stelle zu gedenken, welche in vielfacher Form ausgeführt wird: Eis, Kältemischungen, Äthylchlorid u. s. w. Als letztes Mittel ist der operative Eingriff zu nennen. Die Chirurgie gebietet heutzutage über Methoden, an die man früher nicht zu denken wagte, sie ermöglichen staunenswerte Erfolge.

§ 4.

Neuralgie des Trigeminus.

Die Neuralgie des Trigeminus (Prosopalgie, Gesichtsschmerz, Tic douloureux) umfaßt meist nur einen Ast oder Teile desselben, vorwiegend den ersten. Der Häufigkeit nach absteigend geordnet folgt das Ergriffensein mehrerer Äste, das ganze Gebiet einer, endlich beider Seiten. Ätiologisch ist die neuropathische Konstitution als disponierende Ursache besonders hervorzuheben. Malarianeuralgien, typische Formen überhaupt betreffen meist den Trigeminus. — Weiber erkranken etwas häufiger als Männer, 57 gegen 43 °/0. — Das mittlere Lebensalter ist am stärksten befallen, aber auch während der Senescenz tritt nicht gerade selten Gesichtsschmerz auf, Kinder erkranken nur in äußerst geringer Zahl. — Gelegenheitsursachen sind: Erkältung, Anämie, Erkrankungen der Knochen an oder in den vielen Kanälen, welche die Trigeminusäste zu passieren haben. Neuerdings hat man mit Recht auf Erkrankungen des Mittelohrs als Entstehungsursache aufmerksam gemacht. Garies der Zähne

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Krankheiten der peripheren Nerven.

wird häufiger beschuldigt, als es berechtigt ist, aber sie erzeugt thatsächlich oft den Gesichtsschmerz. Bisweilen hat man gewebliche Veränderungen an den Nerven selbst, aber auch an dem Ganglion semilunare [Gassen] nachgewiesen. Der Anfall zeigt alle Eigentümlichkeiten des neuralgischen; die Gesichtsschmerzen gehören wohl zu den heftigsten Schmerzen, welche überhaupt der Mensch zu erdulden hat. Das Überspringen auf andere Nervenbahnen ist bei der Trigeminusneuralgie etwas sehr Gewöhnliches. Sensible Irradiationen auf nicht befallene Zweige der leidenden oder solche der anderen Seite, ferner auf Cervicalnerven finden sich bei den schweren Anfallen nahezu regelmäßig. Ausnahmsweise erstrecken sich dieselben weiter auf den Plexus brachialis oder die Intercostalnerven. — Unter den vasomotorischen Begleiterscheinungen sind Vermehrung der Thränen- und Speichelabsonderung häufig, auch die Nasenschleimhaut secerniert manchmal stärker. Für diese Teile liefert der Trigeminus unmittelbar sekretorische Fasern oder vermag solche reflektorisch zu erregen. An der leidenden Gesichtshälfte zeigen sich die Gefäße während eines stärkeren Anfalles immer, manchmal auch vor demselben verändert: Rötung und Schwellung mit deutlich pulsierenden Arterien und gefüllten Venen sind dann wahrzunehmen. Nicht selten, am häufigsten bei den typischen Formen, bleibt anhaltend über die ganze Ausdehnung der befallenen Stelle verbreitet ein leichtes ödem. Dasselbe ist zur Zeit des Anfalls am stärksten, schwindet ganz aber erst, wenn die Krankheit geheilt ist. — Tiefer greifende Ernährungsstörungen der Haut, der Muskeln, des Auges hängen mit schweren anatomischen Veränderungen, die zur Lähmung der Nerven führen, zusammen. — Reflektorische Erregung motorischer Nerven, besonders des Facialis, des motorischen Teils vom Quintus aber auch der anderen vom Hirn entspringenden, ist ganz gewöhnlich. Die Verbreitung des Sehmerxes läßt den ergriffenen Ast erkennen. Man findet also: Erster Ast (Neuralgia ophthalmiea): Schmerz in der Gegend der Stirn, der Augenhöhle, der Nase. Isoliert erkrankt in typischer Weise der Supraorbitalis. — Schmerzpunkte sind: Supraorbitalpunkt in der Gegend des Foramen supraorbitale, seltener solche im Verlaufe dieses Zweiges; TrocMearpunkt am inneren Augenwinkel. Nicht häufig kommen Nasal-, Palpebral-, Ocularpunkte vor. Zweiter Ast (Neuralgia supramaxillaris)-. Schmerz in der Gegend der Wange, des Oberkiefers und seiner Zahnreihe. Isoliert wird die Infraorbitalneuralgie mit Schmerz an der Oberlippe, dem unteren Augenlide, der Seitenfläche der Nase beobachtet. Sehmerzpunkte sind: Infraorbitalpunkt — Austritt des Infraorbitalis aus dem Knochenkanal; Malarpunkt am Jochbein — Nervus zygomaticus; seltener Labial-, Alveolar-, Gaumenp unkte. Dritter Ast (Neuralgia• inframaxillaris): Schmerz in der Wangenschleimhaut, dem Zahnfleisch, der unteren Zahnreihe, der Zunge, dem Kinn, dem äußeren Ohr bis zur Schläfe. Isoliert erkrankt der Mentalis: Haut des Kinnes und der Unterlippe, seltener die unteren Zähne und deren Umgebung. — Schmerxpunkte: Punkte vor dem Ohre (Auriculotemporalis), am Kinn (Austritt des Mentalis aus seinem Kanal). Alveolarund Labialpunkte sind seltener, Schmerzpunkte neben den Dornfortsätzen der oberen Halzwirbel kommen vor.

Verlauf, Sauer, Prognose der Trigeminusneuralgie überhaupt sind den bereits im allgemeinen Kapitel besprochenen Schwankungen unterworfen. Auch über die Behandlung ist besonders kaum noch zu berichten. Erwähnt mag werden, daß bisweilen Chinin (2 g und mehr pro dosi) nützt, namentlich bei typischen Neuralgien des ersten Astes. — Chirurgische Eingriffe sind überwiegend häufig

Neuralgien des Halses, Rumpfes und der oberen Extremitäten.

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an den nur sensible Fasern führenden Trigeminuszweigen ausgeführt; neuerdings wurden durch das geänderte Operationsverfahren — Extraktion aller drei Aste des Nerven (Neurexairese) — befriedigende Erfolge erzielt. Ultimum refugium bleibt die intrakranielle Resektion des Ganglion semilunare [Gasseri]. Besonderer Erwähnung verdient die Form der Gesichtsschmerzen, welche als epilepsieartige, auch wohl konstitutionelle Neuralgie beschrieben wird. Ausgezeichnet ist sie durch furchtbar heftige Anfälle, welche spontan oder durch gekannte, von der Peripherie oder vom Centrum (Gemütsbewegung) stammende Erregung ausgelöst, urplötzlich sich einstellen. Ihre Dauer schwankt zwischen 10 Sekunden und höchstens 1 Minute, aber sie wiederholen sich rasch, in schwersten Fällen so oft, daß nur wenige freie Augenblicke dem Kranken gewährt sind; in leichteren können Pausen von Monaten sich einschieben. Konvulsivische Zuckungen sämtlicher Muskeln der ergriffenen Gesichtshälfte begleiten oft die Anfalle. — Fast stets ist hereditäre Belastung vorhanden; der unmittelbare Ubergang in Epilepsie und eigentliche Psychosen war vereinzelt nachweisbar. Die Prognose ist immer eine schlechte; von sehr erfahrenen Ärzten wird die Möglichkeit dauernder Heilung ganz geleugnet. Linderung schaffte der Gebrauch von Opiaten in größten Gaben, mit denen man rasch so lange steigen muß, bis entschiedener Nachlaß der Schmerzen zu bemerken ist. — So kam man binnen 14 Tagen auf 3,6 g Morphium pro die. Sehr beachtenswert ist, daß diese ungeheuren Mengen gut vertragen werden, solange die Neuralgie besteht, mit deren Nachlaß verliert sich auch die Toleranz.

§ 5.

Neuralgien des Halses, Rumpfes und der oberen Extremitäten.

Cervico - occipitalneuralgie tritt im Gebiet des Plexus eervicalis, der vier oberen Cervicalnerven, auf. Schmerz kann also sich zeigen in der Hinterhauptgegend bis zum Scheitel und Ohr, in der Haut des Nackens und Halses bis zur Schlüsselbein- und Wangengegend. Schmerzpunkt ist ein Occipitalpunkt, entsprechend der Austrittsstelle des Occipitalis major in der Mitte zwischen Processus mastoides und Dornfortsätzen der oberen Halswirbel, mitunter erweisen auch diese selbst sich empfindlich, oder die Haut in ihrer Umgebung. Garies und Periostitis der Halswirbelsäule sind häufig Veranlassung der Erkrankung — darauf ist besonders zu achten, wenn der Schmerz doppelseitig auftritt. Als charakteristisches Symptom dieser Neuralgie wird angeführt, daß die Kranken während des Anfalls Nacken und Kopf steif halten, weil sie jede Bewegung ängstlich vermeiden. Irradiationen auf Trigeminuszweige, den Plexus brachialis und die Intercostalnerven kommen öfter vor; auch motorische fehlen nicht. Cervico-brachialneuralgie umfaßt das Gebiet des Plexus brachialis, also die vier unteren Cervical- und den ersten Dorsalnerven. Schmerzhaft kann sein die Haut der Schulter und der ganzen oberen Extremität. Beschränkung auf Einzeläste ist selten und scheint nur bei ganz umschriebenen peripheren Ursachen vorzukommen: die Gemeinsamkeit der Erkrankung hat in der engen Verbindung der einzelnen Nerven untereinander ihren anatomischen Grund. Sehmerzpunkte sind: Axillarpunkt, der Lage des Plexus selbst entsprechend; Humeralpunkt, hinten am Oberarm, dem Axillaris angehörend; Radialpunkt an der Umschlagstelle des Nerven am Oberarm und vor dem Handgelenk; Medianpunkt in der Ellenbeuge; ülnarpunkt am inneren Condylus und wiederum vor dem Handgelenk. — Mechanische Einwirkungen sind wohl die häufigsten Ursachen dieser Neuralgie; zu erwähnen ist aber ihr Vorkommen neben Angina pectoris und neben Leibererkrankungen. Besonderheiten der Symptome sind nicht zu bemerken; indes wird Gewicht darauf gelegt, daß die Anfalle manchmal nachts auftreten. D a verhältnismäßig häufig

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Krankheiten der peripheren Nerven.

wirkliche Entzündung am Nerven infolge äußerer Gewalt sich einstellt, sind die mehr der Neuritis zukommenden trophischen Störungen entsprechend oft zu finden. Dorso - intercostalneuralgie kommt innerhalb des Verbreitungsbezirkes der zwölf Thoracalnerven vor; es kann daher schmerzen die Haut des Stammes bis zur Symphyse resp. bis zur Crista ilei. Erkrankung im Gebiet des fünften bis neunten Paares ist am häufigsten; gewöhnlich ist nur die vordere Ausbreitung vom Cutaneus lateralis an beteiligt, die linke Seite wird mehr als die rechte ergriffen. — Sehmerzpunkte sind: Vertebralpunkf, der Austrittsstelle aus dem Foramen intervertebrale entsprechend; Lateralpunkt, ungefähr in der Mitte zwischen Wirbelsäule und Sternum, dem Austritt des Ramus perforans lateralis entsprechend; Sternalpunkt am Sternum resp. Rectus abdominis, wiederum der letzten Teilung des Nerven — Ramus perforans anterior — entsprechend. Ätiologisch ist darauf hinzuweisen, daß Erkrankungen der Wirbelsäule und des Rückenmarks nicht selten mit Intercostalneuralgie einhergehen, namentlich bei doppelseitiger ist sehr- genau darauf zu achten. Ebenso wird diese Neuralgie neben Leiden des Magens häufig, weniger oft mit denen anderer Organe des Bauches zusammen beobachtet. Unter den Symptomen ist zu bemerken: Irradiationen finden besonders gegen den Arm hin statt: die anatomischen Verbindungen mit dem Plexus brachialis machen das leicht erklärlich. Unter den nicht seltenen trophischen Störungen kommt verhältnismäßig oft Herpes zoster vor. — Um den Schmerz erträglicher zu machen, nehmen die Kranken während des Anfalls eine eigentümliche Körperhaltung an: sie beugen sich gegen die leidende Seite und atmen möglichst oberflächlich. Auch außerhalb des Anfalls trifft man willkürliche Beschränkung der Atmung; dieselbe kann sogar eine leichte Cyanose hervorrufen. — Die Diagnose hat eine etwaige Erkrankung der Wirbelsäule und des Rückenmarks sowie seiner Häute, der Pleura, des Magens sorgfältig zu berücksichtigen. Die Möglichkeit folgenschwerer Irrtümer ist kaum bei einer anderen Neuralgie so nahe, gerückt. — Verwechslungen kommen nach mehreren Richtungen vor. Die bei einfacher Neuralgie verhältnismäßig häufige Hyperästhesie der Haut über den Dornfortsätzen verleitet Wirbelcaries anzunehmen, andererseits läßt die eines der genannten tieferen Leiden begleitende Neuralgie dieses bei ungenügender Untersuchung übersehen. — Auch die isolierte neuralgische Erkrankung der Brustdrüse (Mastodynie, irritable breast), welche mitsamt der sie bedeckenden Haut von den Dorsalnerven aus versorgt wird, ist genauer Diagnose bedürftig. Es kommen mit der Neuralgie zusammen Geschwülste (Fibrome, Neurome) vor, die, bösartige Neubildungen vortäuschend, operatives Einschreiten zu verlangen scheinen. — Das Leiden findet sich selbst bei Männern; anämische Zustände sollen seine Entstehung begünstigen, mechanische Insulte gelten als Gelegenheitsursachen. — Die Anfälle können sehr heftig werden, besonders lästig die seitlich stark ausstrahlenden Schmerzen; die Haut der Brustdrüsengegend ist gewöhnlich auch außerhalb der Anfülle in hohem Grade empfindlich. Bei Weibern bewirken die Menses in der Regel Verschlimmerung. — Das Leiden ist hartnäckig.

§ 6.

Neuralgien der Beckengegend und der unteren Extremitäten.

Das Gebiet der den Plexus lumbalis zusammensetzenden vier oberen Lumbalnerven wird nicht gerade häufig neuralgisch ergriffen; die Erkrankung des ganzen Plexus ist sehr selten. —

Neuralgien der Beckengegend und der unteren Extremitäten.

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Man kann unterscheiden: 1. Lumboabdominalneuralgie; betrifft die kurzen Äste des Plexus; a) Iliohypogastrieus, die Haut an der Hüfte versorgend; b) llio-inguinalis, versieht den äußeren oberen Teil des Oberschenkels, dem Tensor fasciae latae und Sartorius entsprechend, ebenso die Haut am Möns Veneris; c) Lumbo-inguinalis, welcher in der Haut des Oberschenkels an der vorderen und inneren Seite bis etwa zur Mitte und dem Schenkelkanal sich ausbreitet; d) Spermaticus externus, der die Haut am Leistenkanal, am Möns Veneris, an der inneren Fläche des Skrotum resp. der Labia majora und die des Oberschenkels innerviert. Bei den vielen Anastomosen der einzelnen Äste untereinander ist eine genaue Lokalisation meist nicht möglich. Sehmerzpunkte finden sich: iMmbarpunkte in der Lendengegend neben der Wirbelsäule; Iliacalpunkt auf der Mitte der Crista ilei; Abdominalpunkt an dem untersten Teil der Linea alba. — Irradiationen auf die Intercostalnerven und in die Beckengeflechte sind häufig; außerdem kommt Krampf des Cremasters und der Blase, Priapismus und sogar in seltenen Fällen Ejakulation vor. 2. Cruralneuralgie, die „langen" Äste umfassend: a) Cutaneus femoris lateralis, versieht die hintere und seitliche Schenkelfläche bis zum Kniegelenk. Schmerzpunkt an der Austrittsstelle des Nerven aus dem Becken oberhalb der Spina ilei anterior superior etwas nach außen vom Sartorius; b) Femoralis, versorgt die Haut der vorderen und inneren Seite des Oberschenkels, dann (Saphenus) innere und vordere Fläche des Knies, sowie die innere Fläche des Unterschenkels und des Fußrandes. Schmerxpunkt: Leistengegend an der Austrittsstelle des Nerven, nach außen von der Arterie; hart an der inneren Seite der Kniescheibe, dem Austritt des Saphenus entsprechend; etwas nach vorn vom Malleolus internus. — Diagnostisch wichtig ist die Verbreitung der Schmerzen auf das Saphenusgebiet am Unterschenkel und Fuß. Irradiationen auf die übrigen Teile des Plexus cruralis kommen oft vor; c) Obturatorius, geht zur Haut an der inneren Fläche des Oberschenkels bis zum Kniegelenk. Wegen der allerdings sehr seltenen Fälle von Hernia obturatoria ist die Erkrankung dieses Astes von praktischer Wichtigkeit. Da alsdann der Hauptstamm in seinem Verlaufe durch den Canalis obturatorius mechanische Insulte erfährt, sind gleichzeitig Parästhesien der Haut und Paresen der Adduktoren meist vorhanden. Als unmittelbare Veranlassung wird neben Erkältung und starker Muskelarbeit Druck von harten Kotballen und von benachbarten Geschwulstmassen genannt. An Häufigkeit kann sich die Neuralgie im Gebiete des Plexus sacralis mit der des Trigeminus messen; sie hat dadurch eine große praktische Bedeutung. — Der Plexus sacralis setzt sich aus dem fünften Lumbal- und den fünf Sacralnerven zusammen. Sein sensibles Gebiet umfaßt: a) „kurze" Nerven. Besonders zu nennen ist der Nervus pudendus, welcher Haut und Schleimhaut des Dammes, der äußeren Genitalien und des Afters versorgt, hierbei übrigens so ausgiebig mit den Ästen aus dem Lumbalplexus und den sympathischen Geflechten anastomosiert, daß es bei Neuralgien in dieser Gegend kaum zu bestimmen ist, welche Nerven beteiligt sind. — Gesondert können auftreten: Neuralgia penis: Schmerz im Gliede mit der Eichel, daneben manchmal sexuelle Erregung; Neuralgia scrotalis oder labialis; urethralis mit Harndrang und Schmerz bei der Entleerung. Bei der Neuralgia spermatica werden Hoden und Samenstrang ergriffen, sie sind gleichzeitig gegen Druck äußerst empfindlich (irritable testis); bei jüngeren Männern ist halbseitiges Auftreten das Gewöhnliche. Weitaus wichtiger ist diesen seltenen Erkrankungen gegenüber b) Die Neuralgie im Gebiete der „langen" Nerven, die eigentliche Ischias. Die in Betracht kommenden Äste sind: a) Cutaneus posterior, welcher versorgt: teilweise die H a u t über dem Tuber ischii und am obersten Teil der inneren Schenkelfläche, die seitliche Fläche des Skrotum oder der großen Labien, des Gesäßes, die Rückseite des Oberschenkels und darüber hinaus bis zur Mitte der

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Krankheiten der peripheren Nerven.

Wade. — ß) Isehiadieus mit seinen Ästen Peroneus und Tibialis. Peronealgebiet ist die Vorderfläche des Unterschenkels und des Fußrückens, Tibialgebiet die Rückseite des Unterschenkels und die Sohlenfläche des Fußes, leiden gemeinschaftlich, die Gegend des Kniegelenks, dieses selbst und die Außenseite des Fußes. Übrigens sind die Verbreitungsbezirke beider Teilstämme durch zahlreiche Anastomosen untereinander verbunden und nicht streng systematisch getrennt. — Schmerzpunkte sind: über dem Kreuzbein die Gegend der Spina ilei posterior superior, oder die Haut über den Foramina sacralia; Mitte zwischen Tuber ischii und Trochanter major (Stamm des Isehiadieus); Mitte der Kniekehle (dem Verlaufe des Peroneus entsprechend); Capitulum fibulae (Peroneus), Malleolus in- und externus. Das Peronealgebiet wird weitaus am häufigsten ergriffen. Ätiologisch ist zu bemerken, daß die Erkrankung bei Männern entschieden häufiger ist und besonders während der dem Erwerb gewidmeten Lebenszeit sich einstellt; hereditäre Belastung tritt bei der Ischias sehr zurück. Dies beruht darauf, daß häufiger als bei anderen Neuralgien wirkliche Neuritis ihr zu Grunde liegt. — Unter den Oelegenheitsursachen spielt Erkältung eine große Rolle, daneben kommt mechanische Einwirkung, sei es eine unmittelbar auf den Nerven geübte, sei es eine den Blutlauf in den großen Venenplexus des Beckens störende, in Betracht. Es ist eigens darauf hinzuweisen, daß länger dauernde Anhäufung von Kot im Dickdarm nicht selten Veranlassung zur Ischias giebt; gleiches kann der schwangere Uterus, selbstverständlich auch jede andere Geschwulst bewirken, welche die entsprechende Lage hat. — Von den Symptomen ist zu erwähnen, daß wirklicke Intermissionen der Anfälle recht häufig fehlen, es nur zu Remissionen kommt. — Der Versuch, das kranke Bein zu bewegen, ruft sehr gewöhnlich den Anfall wach; ungestraft kann die Bewegung fast stets nur mit äußerster Vorsicht ausgeführt werden. Ebenso löst die Entleerung des Mastdarmes, besonders wenn stärkeres Pressen damit verbunden ist, bei vielen Kranken einen Anfall aus. — Die von Ischias Heimgesuchten nehmen in der Regel eine Haltung ein, bei welcher jeder Zug an dem Nerven thunlichst vermieden wird. Bei dem Gehen steht das Becken an der kranken Seite tiefer, das Knie ist hier gebeugt, es sieht fast aus, als ob das Bein nachschleppe. In schweren Fällen bedienen sich die Kranken der Stöcke oder gar der Krücken. Dann entwickelt sich auch Skoliose, bei welcher die Wirbelsäule in ihrem Lendenteil nach der gesunden Seite hin konkav gekrümmt, die Rippen hier also dem oberen Beckenrande genähert sind. — Nächtliche Anfalle sind nicht selten. Irradiationen auf die vorderen Zweige des Plexus sacralis oder Äste des Lumbalis sind häufig. Ebenso Parästhesien, Hyperästhesien; in veralteten Fällen machen dieselben manchmal sehr hochgradigen Anästhesien Platz. — Muskelzuckungen auf der Höhe dies Anfalls sind gewöhnlich und können sich bis zu krankhaften Erschütterungen des ganzen Beines steigern. Bei irgend längerer Dauer der Ischias kommt es zur Muskelatrophie, welche allerdings selten sehr hochgradig wird. — Vasomotorische Erscheinungen leichteren Grades sind ganz gewöhnlich. — Die Dauer dler Ischias ist nach Wochen zu berechnen, der Verlauf durch erhebliche Schwankungen ausgezeichnet; die Neigung zu Recidiven schwindet nur sehr allmählich. Die Prognose ist verhältnismäßig günstig, selbst langdauernde schwere Fälle gelangen noch oft zur Heilung. — Über die Behandlung ist zu erwähnen: Man sorge bei allen Formen der Ischias für regelmäßigen, weichen Stuhl; salinische Abführmittel und Ridnusöl sind empfehlenswert. — In frischen Fällen können örtliche

Viscerale Nenralgien.

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Blutentziehungen — Schröpfköpfe auf die Kreuzgegend und (mit passenden Abständen) auf die Haut oberhalb des Nerven in seinem Verlaufe, ebenso dort applizierte fliegende Vesikantien — von entschiedenem Nutzen sein. — Der galvanische Strom hat gerade bei der Ischias öfter einen fast zauberhaften Erfolg; es kommt vor, daß das Übel trotz monatelanger Dauer durch einmalige Anwendung desselben auf Nimmerwiederkehr schwindet. Am besten setzt man die Anode mit breiter Platte über dem Kreuzbein auf, folgt mit der gleichfalls plattenförmigen, nicht zu langen Kathode dem Verlaufe des Nerven und berücksichtigt dabei besonders noch die Schmerzpunkte. Stärkere Ströme werden öfter gut ertragen; die Dauer der Sitzungen sei nicht zu kurz, dieselben können mehrmals täglich wiederholt werden. — Als Speäficum gilt das Terpentinöl in größeren Dosen (10—20 g den Tag) und das Jodkalium. Ob das als C o c c y g o d y n i e bezeichnete Leiden — Schmerz in der Gegend des Steißbeins, welcher bei Druck auf dasselbe oder Verschiebung sich verschlimmert, mit neuralgischen Anfallen im ganzen Gebiet des lumbo-sacralen Plexus oder in Teilen desselben verbunden sein kann — als eine Neuralgie zu betrachten sei, ist zweifelhaft. Wahrscheinlicher handelt es sich um entzündliche Veränderungen an dem Knochen oder in dessen Umgebung. Verletzung des Steißbeines bei schweren Geburten ist die häufigste Veranlassung der Erkrankung.

§ 7.

Viscerale Neuralgien.

Das den visceralen Nenralgien Gemeinsame soll kurz zusammengestellt werden. Der Name giebt die genügende Definition; es handelt sieh um anfallsweise auftretende Schmerzen in einem der großen Eingeweide: Herz, Magen, Darm, Leber, Nieren, Ovarien, Uterus, oder ihren Ausführungsgängen, wo solche vorhanden. Anatomische Veränderungen können da sein oder fehlen. Das Charakteristische liegt in der Art, wie der Anfall auf das Gemeingefühl zurückwirkt; mit wirklichem Schmerz ist die Empfindung des Vernichtetwerden, Bangigkeit, Todesangst verbunden, welche im Bewußtsein den Schmerz selbst mehr zurücktreten lassen. Dieser hat gewöhnlich einen etwas unbestimmten Charakter und wird nicht leicht lokalisiert; dazu mögen die vielfachen Irradiationen beitragen. — Die Innervation des Gefäßsystems ist stets gestört; in den schweren Anfällen sind die Arterien stark zusammengezogen, der Puls wird klein, hart, gespannt, die Körperoberfläche erscheint kühl. — Das Verhalten des Herzens ist verschieden: Zu- und Abnahme der Schlagfolge, Unregelmäßigkeit kommt vor. Alles das wechselt im Verlaufe des Anfalls, der oft mit verlangsamtem Puls beginnt. — Auch die Atmung ist nicht selten arrhythmisch. — Motorische Erscheinungen, gewöhnlich krampfhafte Zusammenziehungen der glatten Muskulatur des ergriffenen Organs oder seiner Ausführungsgänge, fehlen nicht — reflektorisch erregtes Erbrechen ist sehr häufig, seltener Tenesmus. — Sekretorische Störungen sind oft vorhanden: reichlicher Schweiß, verminderte Absonderung des Speichels, ebensolche des Harns; diese letztere wird dann gegen das Ende des Anfalls, selten während desselben sehr vermehrt. — Es kommt häufig zu einem den Anfall einleitenden Schüttelfrost und zu hohen Temperaturen — 40° und mehr. In seltenen Fällen kann der Tod während des Anfalls in tiefem Collaps erfolgen. — Wirkliches Verständnis der Pathogenese eines Anfalls von visceraler Neuralgie ist uns noch versagt. Sicher dürfte nur sein, daß der Sympathicus und seine Verbindung mit den Cen-

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Krankheiten der peripheren Nerven.

tren im verlängerten Mark, und daneben ganglionäre Apparate wesentlich in Betracht kommen. Für die Behandlung sind allgemeine Regeln kaum zu geben; es ist aber darauf hinzuweisen, daß meist unbedingte Ruhe im Bette notwendig ist, und daß das Opium und seine Präparate nicht zu entbehren sind. § 8. Gelenkneuralgien. Eine Sonderstellung gebührt den Gelenkneuralgien. Sie finden sich in überwiegender Häufigkeit bei den zur Hysterie Neigenden oder daran Leidenden, sind also viel häufiger bei Frauen. Was für die Ätiologie der Hysterie (§ 62) gilt, trifft auch hier zu. Indes giebt es eine nach den Beobachtungen mancher Ärzte nicht kleine Zahl von Fällen ohne Hysterie. — Als Qelegenheitsursachen sind in erster Linie Kontusionen und Distorsionen, überhaupt die Einwirkung einer mechanischen Gewalt leichterer Art auf die Gelenke anzusehen; daneben kommen heftige gemütliche Erregungen in Betracht. — Unter den Symptomen tritt Schmerz hervor, welcher der Hauptsache nach auf das leidende Gelenk beschränkt bleibt, sich bei dessen Gebrauche sehr verstärkt, anfallsweise auftritt, meist nachts aufhört. Irradiationen auf das Gebiet der beteiligten Nerven können sich zeigen. Druekempfindlichkeit des Gelenks im ganzen, mehr noch der dasselbe bedeckenden Haut, Schmerzpunkte, gewöhnlich den bei den Neuralgien der betreffenden Nerven auftretenden entsprechend, sind regelmäßig vorhanden. Da Bewegung Schmerz macht, wird das ergriffene Gelenk möglichst ruhig gehalten, gewöhnlich in gestreckter Stellung; auch passive Bewegungen sind durch spastische Muskelkontrakturen erschwert, ausgiebig oft nur in der Chloroformnarkose möglich. Bei den meisten findet sich ein ausgeprägtes Gefühl von Muskelschwäche; es kann wirkliche Atrophie der Muskeln sich ausbilden. Vasomotorische Erscheinungen bis zum ödem der Haut kommen vor; Krampf und Kontraktur in den Muskeln des kranken Gliedes ebenso. — Am häufigsten werden Knie- und Hüftgelenke befallen, übrigens ist keines der anderen sicher. — Der Verlauf ist selten ein rascher, meist schwankend und wechselvoll, wie bei der Hysterie überhaupt. Noch nach langer Dauer ist Heilung möglich. Die Prognose ist daher fast nie eine unbedingt schlechte, immerhin ist sie mit großer Vorsicht zu stellen. — Die Diagnose hat vor allem die Entscheidung zu treffen, ob ein entzündliches Gelenkleiden da ist; Narkose ist manchmal notwendig: Der gewissenhafte Arzt will sicher gehen und behandelt wie bei der Gelenkentzündung. Aus dem mangelnden Erfolg mag man dann vielleicht erkennen, was vorliegt. — Die Therapie ist in den meisten Fällen nach den für die Hysterie maßgebenden Grundsätzen zu leiten. Es kommt alles darauf an, daß sich der Kranke von der thatsächlich vorhandenen Gebrauchsfahigkeit seines Gelenkes überzeugt und man ihn dazu bringt, daß er seinen Willen wieder gehörig auf die zu bewegenden Muskeln einwirken läßt. Hier ist den Wunderheilungen ein fruchtbares Feld offen. Elektrizität und Massage können von Nutzen werden. Fehlt die neuropathische konstitutionelle Grundlage, dann ist wie bei jeder anderen Neuralgie zu behandeln. § 9.

Anästhesie.

Anästhesie Aufhebung, oder Hypästhesie Verminderung der normalen Leistungen sensibler Nerven, kann an denen der Haut alle oder nur einzelne der von ihnen vermittelten Wahrnehmungen betreffen.

Gelenkneuralgien.

Anästhesie.

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Von Empfindungsqualitäten unterscheiden wir: 1. Baumsinn, welcher den Ort kennen lehrt, an dem ein Reiz zur Einwirkung kam. Seine Prüfung geschieht durch zwei abgestumpfte Zirkelspitzen, die gleichzeitig mit wechselndem Abstand auf die Haut gesetzt werden. Man mißt die kleinste Entfernung, welche dieselben voneinander haben müssen, um noch gesondert als xwei Spitzen gefühlt zu werden und vergleicht die so gewonnenen Zahlen mit den für die Größe der Tastkreise bestimmten Normalwerten W e b er's. — Für viele Zwecke genügt die Berührung der Haut mit einem stumpfen Körper; der zu Untersuchende hat dann bei geschlossenen Augen den Ort der Berührung anzugeben. Weiter kann man Spitze und Knopf einer Nadel, einen Wattebausch unterscheiden lassen, überhaupt durch einfache Prüfungsarten feststellen, wie es mit dem Tastvermögen beschaffen ist. 2. Drucksinn, welcher über die Belastung eines bestimmten Teiles der Haut Auskunft giebt. Man prüft, gewöhnlich in ausreichender Weise, indem man bei festgestelltem Körperteil die betreffende Hautstelle mit einer während der Versuchsdauer liegenbleibenden Platte bedeckt, auf diese nacheinander verschieden schwere Gewichte bringt und nun angeben läßt, ob größere oder geringere Belastung vorhanden sei. Ein Stück Holzspan als Deckplatte und die Geldmünzen unserer Währung genügen meist. — Noch einfacher ist es, mit dem eignen Finger stärker oder schwächer zu drücken und den Untersuchten über die Größe des Druckes urteilen zu lassen. 3. Temperatursinn, welcher uns über Wärmeschwankungen unterrichtet. Man bringt verschieden temperierte Gegenstände, die das gleiche Wärmeleitungsvermögen besitzen müssen, auf die Haut und läßt angeben, ob die Empfindung von warm oder kalt sich zeigt. Am besten nimmt man Reagenzgläser, die mit Wasser gefüllt werden. — Anhauchen oder Anblasen aus verschiedener Entfernung und mit wechselnder Kraft ausgeführt, ruft ziemlich erhebliche Unterschiede in der Wahrnehmung von Wärmeempfindung hervor, die von dem Gesunden leicht auseinandergehalten werden. — Auch dieses Verfahren ist brauchbar. 4. Schmerxempfindung. Um grobe Unterschiede festzustellen, reichen die rohen Methoden: Kneifen, Nadelstiche, ein stärkerer Induktionsstrom u. s. w. Genauer untersucht man, wenn man Empfindungs- und Schmerzminima bei dem Durchtritt elektrischer Ströme bestimmt. Da aber gleichzeitig Stromstärke und Leitungswiderstände zu berücksichtigen sind, außerdem eine nicht ganz geringe Intelligenz des Untersuchten erforderlich ist, bleibt dieses Verfahren Ausnahmefällen vorbehalten. 5. Das von den Nerven der Muskeln vermittelte Muskelgefühl kann unabhängig von den Störungen der Hautnerven vermindert sein. Es giebt uns Auskunft über den Grad, bis zu welchem die Muskeln kontrahiert oder zu kontrahieren sind, um einen Widerstand zu überwinden (Kraftsinn). Man prüft, indem man in den Beutel eines um den betreffenden Körperteil zweckentsprechend befestigten Tuches Gewichte legt und dieselben nach ihrer Schwere abschätzen läßt. — Da man unser Bewußtsein über Lage und Stellung der Glieder von dem Muskelsinn ableitet, prüft man denselben ferner so, daß man bei geschlossenen Augen des Untersuchten eine seiner Extremitäten in eine bestimmte Lage bringt und ihn nun anweist, die andere von sich aus in die gleiche zu versetzen. Die Anästhesie oder Hypästhesie herbeiführende Störnng kann auf der ganzen Strecke von dem durch den Reiz getroffenen peripheren Teil bis zu den y. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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Krankheiten der peripheren Nerven.

die Empfindung 'zum Bewußtsein bringenden Centren gelegen sein. Demgemäß hätten wir zu unterscheiden: Anästhesie durch Störung a) der peripheren Aufnahmeorgane, b) der eigentlichen Nervenleitung, c) der Leitung im Rückenmark und Gehirn, d) der die Empfindung zum Bewußtsein bringenden Centren. — Allein die Forschung ist nicht weit genug gediehen, um im gegebenen Falle Sicherheit darüber zu geben, wo der Sitz des Übels zu suchen ist Wir sind daher vorläufig auf eine mehr empirische Betrachtungsweise angewiesen. Periphere Anästhesien können hervorgerufen werden: 1. durch einmalige oder dauernde Einwirkung von Temperaturunterschieden; es bleibt dahingestellt, ob diese an sich wirksam geworden sind, oder durch Beschränkung der Blutzufuhr. Diese allein genügt, 2. durch örtlich einwirkende Narkotika (Opiate, Cocain), und durch Ätzmittel. Leitungsanästhesien entstehen an den peripheren Nerven durch Traumen, dann durch die Einwirkung der Erkältung — sogenannte rheumatische Formen, sehr oft auf echter Neuritis beruhend. Im Rückenmark und Gehirn sind es mannigfache, bei den Erkrankungen dieser Organe genauer zu besprechende Vorgänge, welche an den Stellen, wo sie die sensiblen Leitungen treffen, dieselben zu unterbrechen vermögen. — In den Aufnahmeorganen des Gehirns kommt es zu, anatomisch keineswegs immer nachweisbaren, Störungen, die verhindern, daß eine Empfindung zur Perzeption gelangt. Man sieht dies im Gefolge der verschiedensten Erkrankungen. Daß dabei die Hirnrinde beteiligt sei, wird mit gutem Recht angenommen. — Die durch Anästhesie hervorgebrachte Abschwächung der Leitung braucht ohne weiteres nicht zum Bewußtsein zu kommen. Bei weitverbreiteter, fast tollständiger Anästhesie, an welcher die Sinnesnerven, teilnahmen, beobachtete man ein höchst merkwürdiges Verhalten. Es zeigte sich, daß die willkürliche Bewegung nur durch ständige Kontrolle der centripetal leitenden Nerven möglich war, weiter, daß mit dem Wegfall jeder zum Gehirn aufsteigenden Erregung auch das Bewußtsein aufhörte und Schlaf eintrat.

Nehm Anästhesie begegnet man öfter anderweitigen Erscheinungen, die vorzugsweise auf Einwirkungen der pathologischen Störung, welche die Nachbarschaft der ergriffenen Teile des Nervensystems treffen, zurückzufuhren sind. Zum kleineren Teil aber sind es wirkliche Ausfallempfindungen; so kann ein anästhetisch gewordener Teil zu fehlen scheinen und nur unter Mitwirkung höherer Sinne, besonders des Auges, gebrauchsfähig bleiben, in gewollter Weise zur richtig bemessenen Bewegung veranlaßt werden. — Selbstverständlich ist das Gebiet dieser Begleiterscheinungen schwer zu umgrenzen. In den sensiblen Nerven zeigen sich allerhand Parästhesien; es kann in einem und demselben Verbreitungsbezirke trotz vollkommen erloschenen Leitungsvermögens das Allgemeingefiihl Schmerz auftreten (Anaesthesia dolorosa). Lähmungen, seltener Krämpfe in benachbarten Muskeln, vasomotorische und trophische Symptome in den kranken Teilen sind recht gewöhnlich; ebenso Störungen der Beflexe. Ist eine Unterbrechung zwischen dem Orte der Erregung und dessen Übertragung auf motorische Bahnen für die centripetale Leitung gegeben, so wird die Reflexbewegung schwach oder gar nicht ausgeführt. Verstärkung derselben kann andererseits erfolgen, sobald die cerebralen Hemmungen ausgeschaltet sind. — Diagnose, Prognose und Therapie der Empfindungslähmungen sind durch die Möglichkeit bedingt, nicht nur deren Anwesenheit, sondern ihren Sitz und

Funktionsstörungen der motorischen Nerven im allgemeinen.

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ihre Ursache zu erkennen. Hin und wieder k a n n man rein symptomatisch behandeln müssen. E s wird dann versucht, durch die Einwirkung stärkerer Reize das ergriffene Nervengebiet in einen Zustand erhöhter Erregung zu versetzen. Dabei liegt der allgemeine Satz zu Grunde, daß mit vermehrter Thätigkeit eines Organs auch bessere Ernährung desselben sich einzustellen pflegt. Die im Hirn und Rückenmark vorhandenen Störungen sind freilich auf diese Weise nur sehr mangelhaft zu beeinflussen. — Hauptsächlich findet die Elektrizität in den verschiedensten Formen Anwendung; daneben mehr oder minder starke Hautreize. E s ist nicht ausgeschlossen, daß die so herbeigeführte arterielle Fluxion zur H a u t und die Änderungen in der Blutverteilung, welche sie begleiten, wesentliche Einflüsse üben. § 10. Funktionsstörungen der motorischen Nerven im allgemeinen. Die am motorischen Nervenapparat auftretenden Störungen zeigen sich allgemein betrachtet als eine Verstärkung oder Herabsetzung der Muskelthätigkeit — Krampf (Hyperkinese) und Lähmung (Akinese). Veränderungen an irgend einem P u n k t auf der ganzen Strecke: von den dem Willen unmittelbar zugänglichen Teilen des Gehirns — den psycho-motorischen Centren — durch die Leitungsbahnen in ihm, im Rückenmark, in den peripheren Nerven bis zu deren Endigungen in den ausführenden Organen, den Muskeln, vermögen solche Einwirkungen zu entfalten. Störung der Reflexbewegung kann in allen Teilen der Bahn, welche sensible mit motorischen Nerven durch die Vermittelung von Ganglienzellen verbindet, des Reflexbogens, eintreten; kundgeben muß sich dieselbe immer an den Muskeln. — E s handelt sich um ein Mehr oder Minder der Norm gegenüber, um gesteigerte oder verringerte Erregbarkeit und Fähigkeit zur Leitung. W o immer die Störung ihren Sitz haben mag — ihr Erfolg zeigt sich in der Stärke der geschehenden Auslösung von Bewegung. Gleiches gilt fiir die von den Centraiorganen ausgehende Reflexhemmung. Die von den Physiologen gefundenen Gesetze der Reflexvorgänge gelten im ganzen auch fiir pathologisches Geschehen. W i r unterscheiden zwischen Haut- und Sehnenreflexen. Hautreflexe können durch elektrische, thermische, mechanische Reizung wachgerufen werden, Sehnenreflexe nur durch letztere. Beide sind an den unteren Extremitäten, überhaupt an den unteren Abschnitten des Körpers leichter zu erzeugen, als an den oberen. Sie brauchen nicht in gleicher Richtung sich zu ändern, eines k a n n verstärkt, das andere vermindert sein. — U n t e r den Hautreflexen sind zwei ihrer besonderen Benennung wegen, anzuführen: Kremasterreflexe — Reizung der H a u t an der inneren Schenkelfläche führt zur Zusammenziehung des Kremasters und infolgedessen zum Aufsteigen des Hodens an d e r ' betreffenden Seite; Bauchdeckenreflex — Kontraktion der Bauchmuskeln bei Reizung der über ihnen ausgebreiteten H a u t . Die wichtigsten Sehnenreflexe sind: Patellarreflexe (Kniephänomen); ein auf das Ligamentum patellae geführter kurzer Schlag mit der Ulnarseite der H a n d oder dem Perkussionshammer führt zur Streckung des Unterschenkels. Als beste Untersuchungsmethoden werden empfohlen: Der zu Prüfende wird so gesetzt, daß der im Knie leicht gebeugte Fuß mit der Sohle den Boden berührt, oder er sitzt mit herabhängenden Beinen auf dem Bett oder dem Tischrande. Bei Bettlägerigen 2*

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läßt man Kückenlage einnehmen, das Bein wird auf der Ferse ruhend im Knie gebeugt (60°—70°). Die Aufmerksamkeit der Untersuchten ist abzulenken. Bei nicht deutlichen Bewegungen muß, ehe man das Kniephänomen als fehlend ansehen darf, die Beklopfung an verschiedenen Stellen des Ligamentum patellae wiederholt. Dazu läßt man den Untersuchten die ineinander gehakten Finger seiner beiden Hände möglichst kräftig auseinander reißen (JENDRASSIK).

Das Kniephänomen fehlt nur bei wenigen (1—2 °/0) Gesunden. Achillessehnenreflexe werden durch Beklopfen der Achillessehne im Gastroknemius ausgelöst; auch sie finden sich in der Regel. Bei Steigerung der Erregbarkeit kommt es zum Fußphänomen (Fußklonus): Ergreift man den vorderen Teil der Fußsohle mit der flachen Hand, bringt dann durch plötzlichen Druck den Fuß rasch in Dorsalflexion und erhält ihn in dieser, so tritt sofort ein rhythmisches, klonisches Zucken des Fußes ein, bedingt durch Zusammenziehung der Wadenmuskeln. Dasselbe hält mindestens so lange an, wie der Druck auf die Sohle. Ist die Erregbarkeit noch mehr gesteigert, dann genügt ein geringer Reiz, um 'langdauerndes, sich auf beide Beine ausdehnendes Zucken zu erzeugen — man hat diese Form als Spinalepilepsie bezeichnet. Anders ist es bei der „paradoxen Muskelkontraktion" (WESTPHAL). Wenn sie vorfanden, bleibt bei kräftiger Dorsalbeugung des Fußes dieser in der ihm gegebenen Stellung, die Sehne des Tibialis anticus, öfter auch die des Extensor pollicis longus und -die der Streckmuskeln der anderen Zehen springen stark vor, der Fuß ist adduziert. — Es ist ein tonischer Krampf vorhanden, welcher bis zu einigen Minuten dauern kann.

An den oberen Extremitäten wird noch am ehesten von der Sehne des Triceps aus ein Reflex hervorgerufen. — Von den Fascien und vom Periost aus können ebenso Bewegungen ausgelöst werden, welche zu den Sehnenreflexen gestellt werden, § II. Krampf. Krampf tritt in einzelnen Muskeln oder in einer größeren Anzahl, manchmal vielleicht in allen auf. — Wir unterscheiden zunächst tonische und klonische Formen. Bei tonischem Krampf verharrt der Muskel längere Zeit in dauernder Zusammenziehung, bei klonischem wechselt diese rasch mit Erschlaffung. — Als eigene KlaBse werden koordinierte Krämpfe getrennt: Zusammenziehungen einer im physiologischem Zusammenwirken regelmäßige Bewegungen ausfuhrenden Gruppe von Muskeln ohne Zuthun des Willens, vielleicht gegen denselben (Zwangsbewegungen). — Als Unterabteilungen sind zu nennen für die kimischen Krämpfe: Zittern, Spasmen — starke, aber mit Erschlaffung wechselnde Zusammenziehungen einzelner Muskeln oder ganzer Muskelgruppen. Wenn sich dieselben über einen größeren Teil des Körpers ausbreiten, spricht man von Konvulsionen. Als einfachste Form des tonischen Krampfes stellt sich der Orampus dar, dessen bekanntester Typus der Wadenkrampf. Crampi entstehen meist durch die periphere Einwirkung chemischer Reize — ungewohnte Anstrengung der befallenen Muskeln mit Anhäufung von Ermüdungsstoffen in denselben und Wasserentziehung durch ausgiebige Diarrhöen sind die häufigsten Urheber. — Ausgedehnte, den größten Teil der Muskulatur treffende Krämpfe, die sich in Anfallen einstellen, bezeichnet man als Tetanus. — Verweilen Muskeln längere Zeit — Monate und Jahre — im Zustand der Verkürzung, dann spricht man von Kontraktur. Dieselbe geht meist mit Störung der Ernährung in den ergriffenen Muskeln einher.

Krampf.

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Krampf ist der Ausdruck gesteigerter Thätigkeit in den ergriffenen Muskeln. Er kann entstehen durch Verstärkung der die Zusammenziehung auslösenden Beize oder durch vermehrte Erregbarkeit der betroffenen Muskeln. Beides kommt vor, unter pathologischen Bedingungen ist letzteres wohl das häufigere. Da ein Krampf keineswegs regelmäßig mit Atrophie der Muskeln oder mit Leitungsstörungen verbunden, ist es wahrscheinlich, daß einfache molekulare Veränderungen, um ihn hervorzurufen, ausreichen. Dieselben können ohne bleibende Folgen schwinden, wie es bei der Neuralgie auch geschieht — sie können aber auch länger anhaltend zum Habituellwerden des Krampfes führen. Die Krampferregung kann auf direktem und indirektem Wege zustande kommen. Bei der direkten wirkt die pathologische Störung auf einen Punkt, welcher irgendwo in oder zwischen der Peripherie und den Bewegung auslösenden Centraiorganen gelegen ist, bei der indirekten handelt es sich um die eine sensible Reizung zuführenden und übertragenden Reflexapparate. Möglicherweise können auch die Hemmungsvorrichtungen, welche der Umsetzung von sensibler Erregung in Bewegung entgegenwirken, getroffen sein. — Es geht aus allem hervor, daß sehr verschiedenartige Veranlassungen zu Krämpfen fuhren; eine allgemeine Betrachtung hat sich daher innerhalb weiterer Grenzen zu bewegen. Immerhin werden die ätiologischen Bedingungen in zwei Gruppen unterzubringen sein: mechanische und chemische Reize, Störung der Blutverteilung, Änderungen in der Zusammensetzung des Blutes, anatomische Vorgänge der verschiedensten Art — das Wesentliche, auch für die letztgenannten Dinge, bleibt immer der Beiz mechanischer oder chemischer Natur — bilden zusammen mit psychischen Erregungen die eine Abteilung. Die andere umfaßt die mehr oder minder große Widerstandsfähigkeit des Nervensystems gegen Schädiger. Hier ist die ursprüngliche Anlage, deren Entwicklung durch Erziehung und Übung ebenso wie die zeitlichen Schwankungen, welche durch die wechselnden Forderungen des Lebens an den Einzelmenschen bedingt sind, von hervorragender Bedeutung. Ein ermüdetes, überanstrengtes Nervensystem reagiert anders als ein geschontes. Die Begleiterscheinungen des Krampfes sind meist von dessen veranlassender Ursache abhängig. Gewissermaßen eigenartig dürften sein: 1. Mitbeuoegungen, durch centrale Irradiation auf benachbarte oder physiologisch beigeordnete Muskeln bedingt; — 2. Schmerz innerhalb der länger und stärker zusammengezogenen Muskeln. — Derselbe hat eine eigentümliche Beschaffenheit, die den meisten aus eigener Wahrnehmung (Wadenkrampf) genugsam bekannt ist, und entsteht wahrscheinlich in den sensiblen Muskelnerven zum Teil durch mechanische Pressung, zum Teil durch die wegen der erschwerten Blutströmung angehäuften ermüdenden Substanzen. Er ist am stärksten, solange der Krampf anhält, überdauert denselben aber als dumpfes Wehgefuhl; — 3. durch Druck auf bestimmte Punkte gelingt es manchmal Krämpfe hervorzurufen, oder aber vorhandene zum Schwinden zu bringen. — Prognose und Therapie der Krämpfe hängen ganz von der diagnostischen Einsicht, welche im gegebenen Falle möglich war, ab. — Therapeutische Bemerkungen haben sich wiederum sehr allgemein zu halten. Für viele Fälle gilt das über die Behandlung der Neuralgien Bemerkte, vielleicht für die meisten. Wo das Grundleiden zu beseitigen ist, wird man Erfolge haben, wo dasselbe nicht erkennbar sich zeigt, kann dem Herumtappen hier und da etwas gelingen, das dem glücklichen Arzte Lohn, dem

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Krankheiten der peripheren Nerven.

denkenden kaum Befriedigung bringt. Rein symptomatisch kommt Elektrizität in allen Formen, mechanische Eingriffe, Hydrotherapie wesentlich in Betracht. — Meist sipd Krämpfe der Behandlung weit weniger zugänglich als Neuralgien. § 12. Krämpfe im Gebiete der Gehirnnerven. Die von den motorischen Ästen des Trigeminus versorgten Muskeln liefern, beiderseitig von tonischem Krampf ergriffen, das Bild der Kieferklemme (Trismus). Wenn dieselbe nicht als Teilerscheinung des Tetanus auftritt, handelt es sich gewöhnlich um reflektorische Vorgänge von den sensiblen Ästen des gleichen Nerven (Periostitis, Zahnnerven), seltener von entlegeneren aus erregt. Auch nach Erkältungen sieht man Trismus (sogenannte rheumatische Form). — Die Zusammenziehung der Kaumuskeln, welche nun dem Einfluß des Willens vollkommen entzogen sind, erschwert oder verhindert die Bewegung des Unterkiefers gegen den Oberkiefer, beide sind meist fest gegeneinander gepreßt, dadurch ist die Einführung von Nahrung gehindert. Die Umrisse der ergriffenen Muskeln treten stark hervor, wodurch der Ausdruck des Gesichtes ein sehr eigentümlicher wird. Selten beschränkt sich die Erkrankung auf eine Seite oder auf einzelne Muskeln. — Als klonische Krämpfe dieses Gebietes sind zu erwähnen: das Zusammenschlagen der Zähne im Fieberfrost und das Zähneknirschen. Letzteres kommt bei Gesunden manchmal während des Schlafes vor, bei Hirnkranken, besonders bei den an Encephalomeningitis Leidenden, ist es, wenn es sich im Koma zeigt, diagnostisch nicht ohne Bedeutung. — Wo eine kausale Behandlung möglich — Erkrankung des Kiefers und der Zähne — ist diese einzuschlagen. Gegen die „rheumatischen" Formen nützen öfter örtliche Hautreize, vielleicht auch Elektrizität und Opiate. Im Bereich des Facialis treten Krämpfe auf, welche fast den ganzen Verbreitungsbezirk des Nerven umfassen (Tic convulsif) oder sich auf einzelne Äste beschränken. Nur für einen Teil der Fälle nachweisbare Entstehungsursachen sind Erkältung, Trauma, welche den Nerven in seinem peripheren Verlauf, seltener solche Hirnleiden, die ihn in seinen Kernen oder sonst intrakraniell treffen. Reflektorische Erregung vom Trigeminus aus kommt gleichfalls vor. Bei dem ausgedehnten Gesichtskrampf zeigen sich im launenhaftesten Wechsel Zusammenziehungen bald dieses, bald jenes Muskels, ein wildes, tolles Durcheinander von Grimassen. — Gewöhnlich handelt es sich um eigentliche Anfälle, minutenlang dauernd, von längeren oder kürzeren Buhepausen unterbrochen. Es sind klonische Krämpfe; die Herrschaft des Willens über die im Anfall beteiligten Muskeln ist während der freien Zeit gewöhnlich nicht aufgehoben. — In schweren Fällen finden sich Ausstrahlungen auf andere motorische Gebiete (Trigeminus, Accessorius, Hypoglossus, Halsnerven), sensible, vasomotorische, trophische Störungen pflegen zu fehlen; Druckpunkte können vorhanden sein. — Die tonische Form tritt meist halbseitig auf und ist sehr selten. Sie ist durch maskenhafte Starre des Gesichts ausgezeichnet, dessen mimischer Ausdruck durch die stärkeren der in Kontraktion befindlichen Muskeln bedingt wird. Unter den partiellen Krämpfen im Facialisgebiet stehen die den Orbicularis palpebrarum treffenden an Wichtigkeit, wohl auch an Häufigkeit obenan. — Dieser Krampf — der Blepharospasmus — ist ein tonischer, meist reflektorisch vom Trigeminus aus erregter, der zum Schließen des Auges führt, von sehr wechselnder Dauer, Minuten bis Monate anhaltend. Selbst von entfernten Stellen, welche durch spinale Nerven versorgt werden, kann reflektorisch Blepharospasmus entstehen. Man findet in der Kegel Druckpunkte — primäre an den bei Trigeminusneuralgien üblichen Orten, sekundäre induzierte), von welchen aus der Krampf gelöst werden kann, irgendwo sonst; manchmal genügt eine kräftige Einwirkung auf dieselben, um wie mit einem Schlage die lang verschlossenen Lider zu öffnen. — Auch klonischer Lidkrampf (Nictitatio), unwillkürliches Blinzeln, kommt vor, hat jedoch nur geringe Bedeutung. — Der Verlauf ist meist sehr langwierig. — Bei der Behandlung sind die Druckpunkte als Angriffsstellen für elektrische ^Einwirkung oder für die subkutane Morphiumanwendung besonders zu berücksichtigen. — Krampf im Gebiete des Accessorius (Mm. cucullaris und sternocleidomastoideus) zeigt

Krämpfe im Gebiete der Gehirn- und Rückenmarksnerven.

Beschäftigungskrämpfe.

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sich in verschiedenen Formen, klonisch, wenn beide Seiten ergriffen sind, als Kopfschütteln und Kopfnicken. Bei halbseitigem Krampf des Cucullaris wird der gegen die kranke Seite geneigte Kopf rückwärts gebeugt, bei solchem des Sternokleidomastoideus ist der Kopf schief gestellt, das Kinn weicht nach der gesunden Seite hin ab, der Kopf ist an der kranken Seite der Schulter genähert. — Tonischer Krampf ist meist auf den Sternokleidomastoideus beschränkt und zur Kontraktur gesteigert (Torticollis, Caput 6bstipum spasticum).

§ 13. Krämpfe im Gebiete von Rückenmarksnerven. Krampf im Gebiete der Cervieal- u n d B r a c h i a l n e r v e n kann einzelne oder mehrere Muskelgruppen befallen, klonisch oder tonisch sein. Bemerkenswert sind die meist tonischen Kontraktionen der tiefen Nackenmuskeln (Nackenstarre), als Begleiterscheinung von Meningoencephalitis sehr häufig und hier diagnostisch von Wert. Krämpfe der R e s p i r a t i o n s m u s k e l n : k l o n i s c h e r Z w e r c h f e l l k r a m p f (Singultus), oft vom Magen oder Darm reflektorisch erregt und dann von geringerer Bedeutung, aber auch ein das nahe tödliche Ende anzeigendes Symptom. — T o n i s c h e r K r a m p f des Zwerchfells ist, wenn er nicht als Teilerscheinung des Tetanus auftritt, sehr selten; er führt unter einem äußerlich dem Bronchialasthma ähnlichem Bilde zu schwerster Atemnot. — K l o n i s c h e r I n s p i r a t i o n s k r a m p f betrifft alle der Einatmung dienenden Muskeln; die rasch und plötzlich einströmende Luft ruft durch Reibung laute Geräusche, fernhin hörbar, hervor, die Exspiration ist ungehindert. Meist bei Hysterischen. Ebenso der N i e s k r a m p f , W e i n - u n d L a c h k r a m p f , G ä h n k r a m p f , H u s t e n k r a m p f , welcher oft gleichsam bellende Laute hörbar werden iäßt. — Letztere Krampfformeu finden sich auch bei jüngeren Kindern. — Fast immer handelt es sich um Gruppen von Anfällen verschiedener Dauer, die nicht selten und nahezu periodisch an- und abschwellen. Die im Gebiete des Plexus lumbalis und sacralis sich zeigenden Krämpfe gehören öfter einem allgemeinem Leiden als Teilerscheinungen an; sie sind für die Praxis von geringerer Bedeutung.

§ 14. Beschäftigungskrämpfe. Eine besondere Stellung nehmen die Beschäftigungskrämpfe ein. Man rechnet hierher: Sehreibekrampf (Mogigraphie), Klavier-, Violinspielkrampf, Nähkrampf (Schuster-, Schneiderkrampf) und andere mehr. Gemeinsam ist folgendes: immer liegt die Unmöglichkeit vor, die mannigfaltigen Koordinationen, welche bei der Ausfuhrung der betreffenden komplizierten Muskelthätigkeit von nöten, zustande zu bringen. Vereitelt wird die gewollte Bewegung durch eine nicht gewollte, unwillkürliche, welche gleichzeitig innerhalb der normal zusammenwirkenden Muskelgruppen zustande kommt. — Eine selten fehlende veranlassende Ursache ist die zu lange fortgesetzte Ausübung der betreffenden komplizierten Muskelthätigkeit; mit je größerer Anstrengung dieselbe geschieht, desto eher kann sich Störung der Koordination einstellen. Begünstigend für diese wirkt daher gezwungene Körperhaltung, die Benutzung ungeeigneter Werkzeuge — beim Schreiben z. B. der Gebrauch zu harter Federn oder zu dünner Federhalter. Soviel bekannt, tritt hinter diesem ätiologischem Moment jedes andere weit zurück. Das Wesen dieser Erkrankungsformen ist keineswegs klar. Am wahrscheinlichsten bleibt, daß für die betreffenden Fertigkeiten sich bei deren Einübung Koordinationseentren ausgebildet haben, in denen nun molekulare Veränderungen auftreten. Die Krämpfe können ferner reflektorisch ausgelöst werden — aber auch echte Neuritis kommt vor.

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Krankheiten der peripheren Nerven.

Sobald man auf Einzelheiten eingeht, bieten die Symptome erhebliehe Verschiedenheiten dar. Man hat daher bestimmte Formen getrennt: 1. Spastische Form, tonische oder klonische wirkliche Krämpfe in einzelnen Muskeln. 2. Tremorartige Form — eigentliches Zittern. 3. Paralytische Form — es tritt eine auf die Dauer der Ausführung der betreffenden Bewegung beschränkte Lähmung in bestimmten, der Koordinationsgruppe angehörenden Muskeln ein. Diese Form gehört natürlich streng genommen nicht zu den Krämpfen, muß aber hier erwähnt werden. Zunächst sind diese Erfahrungen der Beobachtung des bestgekannten und häufigsten, des Schreibekrampfes, entnommen; allein sie kehren bei den anderen wieder. Fast immer entwickelt sich das Übel langsam und allmählich; einmal vorhanden, zeigt es sich äußerst hartnäckig. Bemerkenswert ist, daß ein Übergreifen auf anderweitige feinere Koordinationsvorgänge vorkommen kann. Den Anfang macht Müdigkeit, Spannung, Steifheit in den zusammenwirkenden Muskeln während ihres Gebrauchs; sobald derselbe unterbrochen wird, verliert sich alles in kurzer Zeit. Die Kraft jedes einzelnen der beteiligten Muskeln ist selten vermindert. Sensible Störungen sind keineswegs gewöhnlich; unter den hier und da zu beobachtenden Parästhesien treten die Empfindungen von Hitze oder Kälte, wohl auf vasomotorischer Anomalie beruhend, in den Vordergrund. Entartungsreaktion in verschiedener Stärke findet man wenigstens bei den neuritischen Formen. Die Behandlung hat mit einem für Monate gültigen Verbot der betreffenden Beschäftigung zu beginnen. Wird dieselbe wieder gestattet, dann ist sie dem Ausübenden so bequem wie nur immer möglich einzurichten. — Die Elektrizität hat nur vereinzelte Erfolge: man wählt den galvanischen Strom; neben peripherer kann centrale Behandlung sich von Nutzen erweisen. Neuerdings hat die kunstgerecht ausgeführte Massage schöne Ergebnisse aufzuweisen. § 15. Lähmung. Wenn der vom Willen ausgehende Beiz die von jenem zur Zusammenziehung bestimmten Muskeln gar nicht, oder doch nicht in dem beabsichtigten Grade zur Bewegung veranlaßt, reden wir von Lähmung (Akinesia, Paralysis) oder Schwäche (Paresis). Nach dem Angriffsorte der lähmenden Ursache wird geschieden: 1. Leitungslähmung. Dieselbe kann irgendwo in dem Ganzen des Gebietes, welches sich von den im Hirn liegenden, unmittelbar vom Willen erregten Centren bis zu den Nervenendigungen in den Muskeln erstreckt, auftreten, die veranlassende Ursache kann also im Gehirn, im Rückenmark oder in den peripheren motorischen Nerven sowie in deren Endorganen ihren Sitz haben. Die ganze Gruppe wird auch als die der neivropathisohen Lähmung bezeichnet. 2. Muskellähmung, hervorgerufen durch Veränderungen in diesen, den ausfuhrenden Organen selbst. Nachweisbare anatomische Störungen brauchen bei Lähmungen nicht vorhanden zu sein. Da kleinste Giftmengen (Curare, Atropin u. s. w.) vorübergehend Lähmungen zu erzeugen vermögen, ist es wahrscheinlich, daß molekulare Ande-

Lähmung.

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rungen ausreichen können. Diese treten dann je nach der Art des Giftes in den verschiedenen Teilen des Nervensystems oder in den Muskeln auf. — Andere Gifte (Ergotin, Blei u. s. w.) vermögen gröbere materielle Änderungen herbeizuführen, in deren Gefolge Lähmung entsteht. Bei den nach Infektionskrankheiten (Diphtherie, Influenza u. s. w.) entstehenden Lähmungen sind bald gewebliche Verletzungen nachweisbar, bald nicht. Mehr als alle anderen sind die nervösen Organe auf regelmäßige Versorgung mit leistungsfähigem Blute angewiesen — vollständiger Abschluß der Zufuhr bedingt unmittelbare Aufhebung ihrer Funktion, etwas länger dauernder führt zur geweblichen Vernichtung. So dürfte am ehesten ein Anhalt gewonnen sein, um zu verstehen, wie Erkältungen, eine Erschöpfung durch anhaltenden, nicht von ausreichenden Ruhepausen unterbrochenen Gebrauch der Muskeln, dann die plötzlichen Gewaltwirkungen eines übermächtigen psychischen Reizes zu vorübergehenden oder gar zu dauernden Lähmungen führen können. Es bleibt ja möglich, daß primäre molekulare Veränderungen mit im Spiele, wahrscheinlicher ist es, daß nutritive Störungen, veranlaßt durch manchmal reflektorisch ausgelöste Abweichungen in der Blutverteilung, zu beschuldigen sind. Gröbere anatomische Veränderungen stellen sich nach Gewebstrennung, nach Quetschung, Zerrung, Pressung ein. Von außen kommende Gewalteinwirkung kann zu diesen ebenso führen, wie die Entstehung von Neubildungen in den nervösen Apparaten selbst oder in deren Nachbarschaft. Dabei ist nicht ausschließlich an Neoplasmen im engeren Wortsinne zu denken, Wucherung und Schrumpfung von Bindegewebe, Erguß und Resorption von Blut, Gefaßerweiterungen sind in gleicher Weise thätig. Das klinische Bild der Lähmung gestaltet sich je nach dem Sitz, der Ausdehnung und der Art der veranlassenden Ursache äußerst verschieden. Wenn auch bisweilen schon aus dem Verhalten der Lähmung selbst ein Rückschluß auf ihre Entstehungsweise möglich wird, häufiger ist doch das Ganze des Krankheitsbildes dazu erforderlich. In erster Linie ist stets die Verbreitung der Lähmung zu berücksichtigen: Einzelne Nervenzweige oder Muskeln, die von einem ganzen Nervenstamme versorgten motorischen Organe, dann die einem Plexus angehörenden, endlich die zu einem komplizierten Bewegungsmechanismus zusammengeordneten Nerven können ergriffen sein. Es kann halbseitige Lähmung (.Hemiplegie) oder doppelseitige (Paraplegie) bestehen. — Neben diesem aber ist das Verhalten der sensiblen Nerven, der Reflex Vorgänge, der vasomotorischen und trophischen Erscheinungen als nicht minder wesentlich zu beachten. Sensible Störungen kommen in allen Formen neben Lähmung vor — das Genauere darüber gehört in die Lehre von den Krankheiten des Gehirns und Rückenmarks. Zu bemerken' ist, daß bei gemischten Nerven, welche an einem Punkte ihres gemeinschaftlichen Verlaufes von einer Schädlichkeit getroffen sind, die motorischen Fasern schwerere Folgeerscheinungen darbieten, als die sensiblen; diese können ganz normal arbeiten, während jene geradezu funktionsunfähig geworden sind. Die Eeflexe im Bereiche der Lähmung sind aufgehoben, wenn die Leitung zwischen der empfindenden, der bewegenden Faser mit ihren Muskeln und den übertragenden ganglionären Apparaten im Rückenmark oder Hirn unterbrochen ist. Diese Unterbrechung kann natürlich an jedem Teil der Leitung geschehen. Wird z. B. der Stamm des Ischiadicus durchschnitten, dann hört für die unter-

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Krankheiten der peripheren Nerven.

halb gelegenen von ihm versorgten Teile jeder Reflex auf; ebenso, wenn das Rückenmark in der Höhe des Abgangs der betreffenden Nervenwurzeln zerstört wurde. — Die Reflexe bestehen fort und sind — durch Leitungsstörung in der abwärtssteigenden Hemmung — gar verstärkt, wenn der Reflexbogen selbst unversehrt, und nur der Einfluß des die Bewegung auslösenden Willens durch höher oben — centralwärts — gelegene Störung ausgeschaltet ist. So z. B. bei Quertrennung des Rückenmarkes. Hier vermag der Wille nicht mehr die unterhalb der Trennungsstelle liegenden Nerven zur Auslösung von Bewegungen zu veranlassen, wohl aber kann periphere Reizung der sensiblen Nerven die mit diesen in Reflexapparaten zusammentretenden motorischen in den Zustand der Erregung versetzen und so Bewegung erzeugen. Vasomotorische Störungen sind bei allen Formen der Lähmung nichts Ungewöhnliches. Anfangs besteht meist Erweiterung der arteriellen Gefäße, vermehrte Blutzufuhr, starker Turgor, objektiv nachweisbar gesteigerte Wärme. Nach einiger Zeit sieht man das Gegenteil: Erschwerung des Blutabflusses, venöse Stase, Kälte, manchmal einen geringeren Grad von ödem. Dann ist auch eine verminderte Widerstandsfähigkeit der Haut gegen äußere Schädlichkeiten vorhanden: Erfrierungen sind nicht selten, ebenso oberflächliche Entzündungen ohne nachweisbare Veranlassung oder auf Reize hin, welche bei dem Gesunden zu ähnlicher Wirkung nicht ausreichen. Schwerere trophische Veränderungen finden sich bei den zur Lähmung führenden Hirnleiden nicht gerade häufig. Eine Ausnahme macht die Erkrankung der grauen Nervenkerne in der Medulla oblongata bei der Bulbärparalyse — ihr folgt Muskelatrophie. Von den Erkrankungen des Rückenmarkes schließt sich die progressive Muskelatrophie mit dem Untergang der großen Ganglienzellen in den grauen Vordersäulen der genannten unmittelbar an. Ebenso die Kinderlähmung — die akute Poliomyelitis — bei der sogar Knochen und Bänder im Wachstum zurückbleiben. Wir haben guten Grund zu der Annahme, daß bei den genannten Leiden die der Ernährung vorstehenden Centren selbst in mehr oder minder weitem Umfang vernichtet sind. — Eine Leitungsunterbrechung zwischen diesen Centren und den zu ernährenden Organen ist vorhanden, sobald irgendwo das Rückenmark schwerere Veränderungen in der Richtung seines Diekendurchmessers erfahren hat. Die unterhalb der Verletzungen gelegenen Teile, soweit dieselben nicht von höher oben entspringenden Nerven versorgt werden, zeigen alsdann Störungen ihrer Ernährung: Atrophie der Muskeln, ganz besonders aber äußerste Empfindlichkeit der Haut gegen jede Schädlichkeit, so daß ungemein leicht schwere, tiefgreifende, sehr rasch sich ausbreitende Entzündung mit bald folgender Gangrän auftritt. Bei Trennung peripherer gemischter Nerven findet regelmäßig gleiches statt; hier ist j a die Verbindung mit den Centren vollkommen unterbrochen. Ernährungsstörungen zeigen sich unter diesen Umständen nicht selten gleichfalls an der Epidermis und den ihr angehörenden Gebilden, den Haaren und Nägeln. Ob die Verbindung zwischen Nerv und Muskel einerseits, ihren trophischen Centren andererseits erhalten oder aufgehoben sei, verrät sich durch das histologische Verhalten und durch die Reaktion gegen den elektrischen Strom. Beide sind in gleicher Weise verändert, einerlei ob die Ganglien der Centraiorgane vernichtet oder die peripheren Leitungsbahnen zerstört wurden. —

Lähmung.

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Am klarsten und einfachsten treten die Erscheinungen nach der Durchschneidung der Nervenstränge ein. Die Untersuchung lehrt: Histologisch.. Der peripher von der Trennungsstelle gelegene Nerv zeigt zunächst Trübung und Zerfall der Markscheide in immer kleiner werdende Abschnitte, die zu Myelintropfen zusammenfließen, schließlich durch Resorption ganz schwinden. Auch der Achsencylinder geht zu Grunde. An den zugehörigen Muskeln tritt Atrophie auf: Undeutlich werden der Querstreifung, Vermehrung der Muskelkerne, wachsartige Degeneration, Wucherung des interstitiellen Gewebes nach vorhergegangener Einwanderung weißer Blutkörperchen; später Schrumpfung des neugebildeten Bindegewebes, vielleicht Fetteinlagerung. Das central gelegene Nervenstück bietet, freilich geringere, Erscheinungen von Myelinzerfall. Dagegen zeigt die Ganglienzelle, welcher es angehört, deutliche Veränderungen — Entartungen. — Die Regeneration des Nerven erfolgt vom centralen Stumpfe aus. Die dort neugebildeten Achsencylinder (aus Teilung der alten hervorgegangen) senken sich allmählich, den früheren Bahnen folgend, in die Endorgane ein und nehmen nach und nach die normale Bildung an. Auch der jetzt wiederum mit dem Centrum in Verbindung getretene Muskel gewinnt seinen alten Bau zurück und wird funktionsfähig. Die Neubildung des Nerven ist indes nur möglich, solange die Ganglienzelle, aus welcher der Achsencylinder entspringt, lebensfähig und mit ihm in Verbindung geblieben ist. Verhalten gegen den elektrischen Strom. Im Normalzustand gelingt es mittels des induzierten (faradischen) Stromes die Muskeln sowohl durch unmittelbare Reizung, wie durch solche von ihren Nerven aus zur Zusammenziehung zu bringen. Die gleichnamigen Muskeln der beiden Seiten erfordern ungefähr die nämliche Stromstärke, um die erste schwache Kontraktion und bei Vermehrung des faradischen Reizes Tetanus zu zeigen. — Bei der Anwendung des dauernd in annähernd gleicher Stärke fließenden galvanischen Stromes tritt ein bestimmtes Gesetz hervor — das Zuckungsgesetz des motorischen Nerven und des Muskels. Man wendet, um dessen Herrschaft für den gegebenen Fall festzustellen, verschiedene durch den Galvanometer in Milliampere (M.A.) meßbare Stromstärken an und läßt durch eine feuchte Elektrode den für die Prüfung maßgebenden Pol auf den zu untersuchenden Teil — die „motorischen Punkte" sind für die einzelnen Nerven festgestellt — wirken; man setzt daher die zweite feuchte (die „indifferente") Elektrode an einem entfernten Teil des Körpers auf. — Um vergleichbare Werte für die Nerven zu erhalten, prüft man mit einer differenten (Reiz-) Elektrode von bestimmter Berührungsfläche (1—3 qcm), die indifferente wird möglichst groß genommen. — Übrigens schwanken die „normalen" Zahlen doch innerhalb recht weiter Grenzen — z. B. für den Tibialis zwischen 0,4 und 2,5 M.A.\ sie haben daher nicht eben große Bedeutung. — Normal findet sich: a) Schwacher Strom: Zuckung des geprüften Muskels bei Kathodenschluß, d. h. wenn der Stromkreis geschlossen wird, während die Kathode (Pol, an welchem der negative Strom austritt) dem zugehörenden motorischen Nerven aufliegt, so zuckt der Muskel, bei der Öffnung des Stromes zuckt er nicht. Der positive Pol — die Anode — ruft dem Nerven aufliegend weder bei Öffnung noch bei Schließung eines gleichstarken Stromes Muskelzuckung hervor. b) Mittelstarker Strom: Stärkere Muskelzuckung bei Kathodenschluß. Eine

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schwächere Zuckung tritt jetzt an der Anode sowohl bei dem Öffnen, als bei dem Schließen des Stromes ein. c) Starker Strom: An der Kathode bei dem Schluß Tetanus, bei dem Öffnen eine schwächere Zuckung; an der Anode bei dem Öffnen wie beim Schließen lebhafte Zuckung, aber kein Tetanus. — Bei direkt dem Muskel aufliegenden Elektroden ist das Verhalten das gleiche. — Ist der motorische Nerv von dem der Ernährung vorstehenden Centram getrennt oder ist dieses selbst zerstört, dann gilt das Zuckungsgesetz nicht mehr. Nerv und Muskel gehen nicht länger parallel, sie verhalten sich dem elektrischen Beiz gegenüber verschieden. a) Der Nerv. Von diesem aus kann einige Zeit nach der Verletzung weder der faradische, noch der galvanische Strom Zuckungen in dem zugehörenden Muskel wachrufen. Bei Durchschneidung des Nerven ist die Erregbarkeit nach längstens zwei Wochen erloschen, sie nimmt vom Anfang bis zum Ende gleichmäßig und beständig ab; zuerst an der Stelle der Verletzung, dann gegen die Peripherie allmählich sich ausbreitend, stellt sich Erregbarkeitsverminderung ohne qualitative Änderungen des Zuckungsmodus ein. b) Der Muskel. Seine Erregbarkeit gegen den faradischen Strom wird ungefähr in gleicher Zeit wie die des Nerven vernichtet. Dagegen nimmt die Erregbarkeit gegen den galvanischen Strom nur kurze, Zeit — etwa eine Woche lang — ab, steigert sich dann aber toieder und bietet zugleich erhebliche qualitative Änderungen dar: Zunächst tritt an die Stelle der blitzartig rasch sich vollziehenden Zuckung, die der quergestreiften Muskelfaser eigen, eine lang ausgezogene träge. Weiter zeigen sich folgende Abweichungen von dem normalen Zuckungsgesetze: An der Kathode nimmt die Schließungszuckung an Stärke ab, die öffnungszuckung dagegen zu, so daß vollständige Umkehrung der Verhältnisse eintritt. Der Anodenschluß ruft ganz zuletzt noch eine schwache Zuckung hervor, bleibt auch diese aus, dann gelingt es nur noch durch Anwendung eines starken Stromes ( V O L T A sche Alternativen) Reaktion zu erhalten. — Die erhöhte galvanische Erregbarkeit des Muskels hält nach der Durchschneidung seines motorischen Nerven drei bis acht Wochen an. — Das Ganze des Vorganges an Nerv und Muskel nennt man Entartungsreaktion. Dieser Name ist durchaus zutreffend, da die histologischen Veränderungen mit denen der elektrischen Erregbarkeit parallel verlaufen, aus diesen daher auch ein Rückschluß auf jene gezogen werden kann. — Eben das nämliche gilt für die Verhältnisse bei der Regeneration. Dabei ist nur zu bemerken, daß zu einer Zeit, in welcher sich für früher gelahmte Muskeln bereits der Willensreiz als wiederum wirksam erwies, diese Muskeln vom Nerven an dem Ort der Leitungsunterbrechung oder unterhalb desselben elektrisch nicht zur Kontraktion zu bringen sind. Wohl aber gelingt das, sobald der elektrische Reiz oberhalb dieses Punktes einwirkt. Es stellt sich also in dem regenerierten Nerven die Fähigkeit, Erregung zu leiten, früher her, als diejenige, selbst unmittelbar erregt zu werden. — Unter den verwickelten Verhältnissen pathologischer Störung tritt die Entartungsreaktion nicht immer in voller Schärfe zu Tage. Es bedarf manchmal sehr sorgfältiger Untersuchung, um deren Vorhandensein oder Fehlen mit Sicherheit festzustellen. — Eine unter den vorhandenen Abweichungen wird als partielle Entartungsreaktion besonders benannt: der Nerv reagiert gegen faradische und gal-

Lähmung.

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vanische Reizung nahezu normal, der zugehörige Muskel aber zeigt verminderte faradische, gesteigerte galvanische Erregbarkeit, bei letzterer die träge Zuckung und qualitativ die gleichen Veränderungen, wie bei der vollständigen Entartungsreaktion. — Experimentell ist festgestellt, daß nach geringerer mechanischer Gewaltwirkung Störungen der elektrischen Erregbarkeit auftreten können, welche ohne erkennbare gewebliche Veränderungen in den betroffenen Nerven- und Muskelgebieten verlaufen. Hier ist, wie bei den oben genannten Giften (S. 24), an molekulare Änderungen zu denken. Die Haltung eines mit Muskeln versehenen Körperteiles ist bedingt durch die Komponente, welche aus dem verschieden gerichteten Zuge aller auf denselben einwirkenden Muskeln sich ergiebt. Fällt ein Teil der Muskeln aus, dann wird die Zugrichtung eine andere, und der betreffende Körperteil nimmt eine veränderte Haltung an. Jeder Muskel ist zwischen seinen Ansatzpunkten so befestigt, daß er etwas über das seinem Tonus entsprechende Längenmaß 'hinaus gespannt ist, sein Antagonist hindert ihn daran, sich auf die seinem Tonus entsprechende Länge zusammenzuziehen. Der Tonus aber ist eine Teilerscheinung der Lebens Vorgänge, er ist wie diese von der Ernährung abhängig. Der gelähmte, minder gut ernährte, schlaffe Muskel vermag dem gut ernährtem, nicht gelähmtem nicht mehr den früheren Widerstand zu leisten, daher überwiegt die Zugrichtung des letzteren. — Wieweit auf diesem Wege allein ausgiebige Stellungsveränderungen herbeigeführt werden könnten, ist kaum zu sagen, da noch andere und stärker wirkende Kräfte sich geltend machen: Zunächst ist der Einfluß der durch den Willen erfolgenden Zusammenziehung der an dem betreffenden Gliede befestigten nicht gelähmten Muskeln zu erwähnen. Ein Muskel vermag sich aktiv nicht auszudehnen, nach vollendeter Zusammenziehung wird er unter normalen Verhältnissen durch den Zug seiner Antagonisten oder durch die Schwere • zu der ursprünglichen. Länge zurückgeführt. Handelt es sich um Muskeln, welche dem Einfluß der Schwerkraft nach dieser Richtung hin nicht unterworfen sind und deren Antagonisten gelähmt wurden, dann verharrt der Muskel nach seiner Zusammenziehung in einer Lage, bei welcher seine Endpunkte einander genähert sind. Im Laufe der Zeit nimmt dieses Kürzerbleiben mehr und mehr zu. Nun lehrt aber die Erfahrung, daß der Muskel überall die Fähigkeit besitzt, bei dauernder Annäherung seiner Insertionspunkte sich nutritiv zu verkürzen, d. h. durch Schwinden von Muskelsubstanz ungefähr um so viel kürzer zu werden, als die Insertionspunkte bleibend einander genähert waren. — Nach welcher Richtung in letzter Instanz die Lageabweichungen vor sich gehen, hängt von der Eigenschwere der gelähmten Glieder und ihrer häufig abnormen Belastung bei der Benutzung mehr noch, als von dem Verhalten der nicht gelähmten Muskeln ab. Im Mittelpunkt steht immer die Näherung der Insertionspunkte und die in deren Folge entstandene nutritive Verkürzung. Ihr können sich im späteren Verlauf anderweitige anatomische Störungen anreihen: Atrophien, fettige Entartung, Bindegewebswucherung in den abnorm fungierenden und abnorm genährten Muskeln. Durch Schrumpfung des neugebildeten Bindegewebes kann dann noch eine weitere Kraft zur Wirkung gelangen. E s ist Sache der Analyse des Einzelfalles, festzustellen, wie sich aus der Kombination dieser verschiedenartigen Kräfte die vorliegende Kontraktur — man bezeichnet sie als paralytische — entwickelt hat.

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Bei den Lähmungen, welche aus Erkrankungen der Gentraiorgane, hervorgegangen sind, kommen außer den paralytischen auch neuropathische Kontrakturen in Betracht. Dieselben entstehen durch abnorme Beizung der Muskeln, sei es, daß eine solche unmittelbar von den erkrankten Centren ausgehe oder, von der Peripherie durch Erregung sensibler Nerven herstammend, in den Centren reflektorisch auf die Bewegungsorgane übertragen werde. — Sind die Muskeln eines gelähmten Gliedes verkürzt, dann sind auch die passiven Bewegungen desselben nach der von den verkürzten Muskeln beherrschten Richtung nicht frei, weil dabei der von ihnen der Dehnung entgegengesetzte Widerstand überwunden werden muß. Soweit die Verkürzung der Muskeln durch eine von ihren Nerven übermittelte Erregung bewirkt vrird, redet man, einerlei ob der ursprüngliche Reiz vom Centrum ausgeht, oder aber ob er, nachher reflektorisch übertragen, von der Peripherie herkommt, von spastischen Lähmungen. Mit ihnen werden die Kontrakturen jeder Art, die paralytischen nicht ausgenommen, zusammengefaßt, um den Gegensatz zu den schlaffen Lähmungen bestimmt auszusprechen, d. h. zu jenen Lähmungen, wo ein von den Muskeln ausgehender Widerstand bei passiven Bewegungen des gelähmten Gliedes überhaupt Dicht vorhanden ist. Die Diagnose der Lähmungen muß in erster Linie den Ort aufsuchen, an welchem die lähmende Ursache seßhaft ist. Dies gelingt keineswegs stets Immerhin lassen sich einige allgemeine Anhaltspunkte aufstellen: I. Neuropathische Lähmungen. 1. Lähmungen durch Leitungsunterbrechungen der motorischen Nerven hervorgerufen — periphere Lähmungen: Beschränkung auf einen bestimmten Nerven mit den von ihm erregten Muskeln; ist derselbe ein gemischter, dann gleichzeitige Veränderungen der Sensibilität in seinem Bezirke und vasomotorische Erscheinungen. Trophische Störungen mit Entartungsreaktion, mit ganzer oder partieller. Die Reflexbewegungen Bind vermindert oder fehlen. 2. Spinale Lähmungen: Gewöhnlich symmetrisch von unten nach oben aufsteigende doppelseitige Lähmung (Paraplegie). Sensibilität geändert, Reflexbewegungen normal oder gesteigert, seltener aufgehoben. Vasomotorische und trophische Störungen können fehlen, sind aber öfter zugegen. Blase, Mastdarm, männliche Genitalien häufig in Mitleidenschaft gezogen. 3. Cerebrale Lähmungen. Gewöhnlich nur eine, und zwar die der Verletzung im Hirn entgegengesetzte Seite betreffend (Hemiplegie), die obere mehr als die untere Extremität ergriffen, Beteiligung der von Hirnnerven versorgten Muskeln. Sensibilität normal, Reflexe vielleicht erhöht, jedenfalls nicht herabgesetzt. Deutliche vasomotorische Erscheinungen, aber die Ernährung der gelähmten Muskeln meist unverändert. II. Myopathische Lähmungen. Beschränkung auf einzelne Muskeln; frühzeitige, oft der Lähmung vorausgehende Atrophie, fibrilläre Zuckungen. Für die Diagnose ist das Ganze des jeweiligen Krankheitsbildes maßgebend. Die Prognose kann nur für den Einzelfall gestellt werden. — Die Therapie vermag bisweilen durch Entfernung der Ursache (kausal) zu wirken — chirurgisches, spezifisches Eingreifen (Syphilis). — Unter den bewährten empirischen Methoden ist in erster Linie die Anwendung der Elektrizität zu nennen; dabei handelt es sich zunächst um den galvanischen Strom und seine „katalytischen" Eigenschaften. Er und der faradische gelangen. aber noch unter anderen Voraus-

Facialislähmung.

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Setzungen zur Anwendung: Man will von ihrer erregenden Wirkung Nutzen ziehen. — Von klarem Einblick in das Wesen dessen, was geschieht, sind wir noch weit entfernt. Unter den hypothetischen Vorstellungen, welche hierbei möglich, dürfte diese die haltbarste sein: Die von dem elektrischen Strom auf einen gelähmten Nerven geübte starke Erregung entfaltet genügende Kraft, um Leitungshemmungen zu beseitigen, welche für den schwächeren Reiz des Willens unüberwindbar sind; waren diese Hemmungen aber einmal weggeschafft, dann kann auch der schwächere Willenreiz sich wieder geltend machen. — Wieweit die „erfrischende" Wirkung galvanischer Ströme, die von ihnen erzeugte Erhöhung der Erregbarkeit therapeutisch in Betracht zu ziehen ist, muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist zu erwägen, daß mit funktioneller stets auch nutritive Reizung einhergeht.

Sie Anwendung der Elektrizität geschieht am besten unmittelbar auf den gelähmten Teil; ausnahmsweise ist reflektorische Erregung von den sensiblen Nerven her in Betracht zu 'ziehen. — Den faradischen Strom läßt man durch feuchte, erwärmte Elektroden gehen, eine schmälere steht über dem Nerven an der Stelle, wo derselbe der Oberfläche möglichst nahe liegt, die andere breitere über dem zugehörigen Muskel. Handelt es sich um Lähmung größerer Muskelgruppen, dann empfiehlt es sich oft, die Nervenelektrode direkt auf den Stamm des Nerven wirken zu lassen. — Der galvanische Strom wird gleichfalls durch feuchte, erwärmte Elektroden zur Haut geleitet. Man läßt die Anode während der ganzen Dauer der Sitzung über dem Nerven stehen, während die breitflächige Kathode über den zu erregenden Muskel auf- und abwärts bewegt wird. Außer dieser „labilen" kommt auch die „stabile" Methode — beide Elektroden bleiben unbewegt — zum Gebrauch. Bei der gleichen Stromstärke werden ausgiebigere Zuckungen durch Stromwechsel (FoZta'sehe Alternativen) hervorgerufen. — Da die Haut die größten Leitungswiderstände darbietet, müssen die Elektroden erwärmt und mit nicht zu schwacher Kochsalzlösung getränkt werden. Auch Reibung der Haut, um dieselbe blutreicher zu machen, kann von Vorteil sein. Badekuren (Wildbäder, Solen), anderweitige Anwendung des Wassers, von den systematisch ausgebildeten hydrotherapeutischen Prozeduren bis zu einfachen Seeoder Flußbädern herunter, können unter Umständen nützen. Es handelt sich dabei wohl im wesentlichen um indirekte Einwirkung auf die Blutströmung in den gelähmten Teilen, welche durch Reflexvorgänge von der Haut zu beeinflussen ist. Die hautreizenden Einreibungen, früher mehr als jetzt gebräuchlich, dürften ebenso zu beurteilen sein. Massage und Heilgymnastik können unmittelbarer die Cirkulation und mit ihr die Ernährung begünstigen. Eine richtig geleitete orthopädische Behandlung ist von der allergrößten Bedeutung. Der zweckentsprechend wirkende Apparat verhindert oder beseitigt die Kontrakturen, er schafft die bestmöglichen Bedingungen für die Ernährung der gelähmten Teile, endlich läßt er die Schwerkraft nicht zu ungünstigen Beeinflussungen kommen. Kleinere operative Eingriffe (Sehnendurchschneidungen) sind manchmal von dem schönsten Erfolge. Quecksilber und Jod sind zu versuchen, wenn es sich um Syphilis handelt. Das viel empfohlene Stryehnin hat öfter geschadet, als genützt. § 16.

Facialislähmung.

Periphere Facialislähmung entsteht verhältnismäßig häufig durch Einwirkung niederer Temperatur und ist so ein sicheres Beweismittel dafür, daß Erkältung

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Krankheiten der peripheren Nerven.

zur Lähmung führen kann. Kalte, in stärkerer Bewegung sich befindende Luft (Zug), welche auf eine von reichlichen Blutmengen durchströmte, also verhältnismäßig warme Gesichtshaut trifft, vermag das am ehesten. — Auch mechanische Einflüsse kommen in Betracht. Es ist praktisch von Bedeutung, daß eine gehörige Ohrfeige genügt, um Facialislähmung hervorzurufen; durch den Druck der Geburtszange kann das gleiche bewirkt werden. — Weitere Ursachen sind: Otitis interna mit Caries des Felsenbeines, vielleicht auch Katarrh des Mittelohres — der Nerv wird bei beiden Formen in den Bereich der Entzündung hineingezogen; ferner Kompression des langgestreckten, enge Kanäle durchsetzenden Nerven an irgend einem Punkte seines Verlaufes. Die Syphilis giebt am häufigsten Veranlassung dazu. — Centrale Facialislähmung entsteht durch alle im Gehirn auftretende Krankheitsvorgänge, welche den Kern des Nerven oder seine intracerebralen Leitungsbahnen treffen. Die von der Lähmung befallenen Muskeln des Gesichts sind, weil sie dem Willenseinfluß entzogen werden, schlaff, ihre Antagonisten sind dagegen gespannt. Daraus ergiebt sich ein je nach der Ausdehnung der Lähmung wechselndes Symptomenbild. Bei doppelseitiger vollständiger Lähmung wird das Gesicht zur starren Maske ohne jeden Ausdruck; bei halbseitiger ist eine Verzerrung nach der gesunden Seite hin vorhanden. Im einzelnen ist zu bemerken: Das Auge kann nicht mehr geschlossen werden, da der vom Oculomotorius versorgte Levator palpebrae superioris über den Orbicularis das "Übergewicht hat, es fehlt der Lidschlag, die Thränen rinnen die Backe herab; die unbedeckt dem Heiz der Luft ausgesetzten Konjunktiven röten sich, sie können sich sogar ernstlich entzünden. Die Stirn ist glatt, runzellos, die eingesunkenen Nasenflügel erweitern sich bei dem Atmen nicht mehr, die Backe wird durch den Strom der Exspirationsluft gebläht, Ausspeien, Pfeifen, Blasen gelingt nicht recht, bei dem Essen gleiten die Speisen leicht zwischen Zähne und Wange. Auch die Sprache ist durch erschwerte Bildung der Lippenbuchstaben undeutlicher. Der Schiefstand bei halbseitiger Lähmung tritt besonders während der willkürlichen Bewegung der gesunden Seite hervor. —• Nicht immer beteiligt sich das Gaumensegel; ist es gelähmt, dann hängt es an der befallenen Seite tiefer. Das Verhalten der Uvula ist sehr wechselnd; sie ist bald nach der gesunden, bald nach der kranken Seite verzerrt. Sind die in der Chorda tympani verlaufenden Trigeminusfasern mit getroffen (newritische Farmen), dann treten Änderungen des Geschmackes auf: subjektive Empfindungen, die häufig als metallische bezeichnet werden, verminderte Fähigkeit der vorderen Zungenteile, saure, süße, salzige Substanzen zu unterscheiden. Bisweilen nimmt auch die Speichelabsonderung ab, so daß der Mund trocken wird. Die Bewegungen der Zunge sind ungestört. — Das Riechvermögen kann durch Erschwerung des raschen, stoßweißen Einziehens von Luft, des Schnüffeins, vielleicht auch durch die Trockenheit der ungenügend von Thränen benetzten Nasenschleimhaut beeinträchtigt werden. — Das Hören ist unter Umständen unmittelbar durch die Facialislähmung beeinflußt: es tritt Feinhörigkeit auf, bedingt durch das Übergewicht des vom Trigeminus innervierten Tensors tympani über den dem Facialisgebiet angehörenden Stapedius; hierdurch können die Schwingungen des Trommelfells besser auf das Labyrinthwasser übertragen werden. Wenn der dem Facialis benachbarte Acusticus gleichfalls von der Lähmungsursache betroffen wird, kommen selbstverständlich auch in ihm Leitungsstörungen u. s. w. zur Entwicklung. —

Andere Lähmungen.

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J e nach dem Sitz der Lähmung gestalten sich die Reflexe verschieden, sie fehlen bei der peripheren. — Vasomotorische Erscheinungen sind selten, trophische häufig. Das elektrische Verhalten bietet nach Sitz und Art der Lähmungsursache ein sehr wechselvolles Bild; es gilt dafür alles im vorigen Paragraphen Bemerkte. Bei den langdauernden schweren Fazialislähmungen entwickeln sich in späterer Zeit sekundäre Kontrakturen in den gelähmten Muskeln, zugleich tritt große Neigung zu Mitbewegungen auf. Das Gesicht wird auf der kranken Seite wieder mehr gespannt, es graben sich allmählich Furchen in dasselbe ein — wahrscheinlich handelt es sich um trophische Veränderungen in den Muskeln. Die Diagnose hat zunächst zu entscheiden, ob centrale oder periphere Lähmung vorliegt. Bei der centralen ist meist der Frontalis und Orbicularis oculi frei, das Auge kann daher geschlossen werden. Die Reflexerregbarkeit ist unversehrt, die elektrische nur um ein weniges verändert. Für den peripheren Ursprung gilt: Alle Zweige sind befallen, das Auge kann auch während des Schlafes nicht geschlossen werden, die Reflexerregbarkeit ist aufgehoben, Entartungsreaktion mehr oder minder ausgesprochen vorhanden; später Muskelatrophie, vielleicht sekundäre Kontraktur an der gelähmten Seite. — Der Sitz der peripheren Lähmung ist manchmal durch Berücksichtigung der Verteilung auf die einzelnen vom Stamme abgehenden Nerven sehr scharf zu bestimmen; sobald weitere Hirnnerven betroffen sind, gelingt das auch wohl für die centrale. Man hat guten Grund zu der Annahme, daß bei den schweren rheumatischen (Erkältungs-) Formen der Stamm, des Facialis innerhalb des Canalis Fallopiae ergriffen wird. Derselbe vermag hier nicht auszuweichen, unterliegt daher durch seine eigene entzündliche Schwellung einer erheblichen Kompression, welche vielleicht gar wirkliche Entartung im Gefolge hat. Eine solche kann sich sehr hoch nach oben erstrecken, sie erreicht jedoch nur selten die Schädelbasis. — Bei den leichten Formen erkrankt der Nerv außerhalb des knöchernen Kanals, findet schwellend geringen Widerstand und hat nur die Folgen einer leichten Entzündung zu tragen. Verlauf und Prognose richten sich nach den Bedingungen des Einzelfalls. — Bei den durch Erkältung und durch äußere Gewalt hervorgebrachten peripheren Lähmungen giebt das elektrische Verhalten guten Aufschluß: am Ende der ersten Woche festgestelltes annähernd normales Verhalten läßt baldige vollständige Genesung erwarten, bei partieller Entartungsreaktion ist immerhin noch Heilung, aber eine erst nach Monaten eintretende vorauszusagen; voll ausgeprägte Entartungsreaktion zu dieser oder einer etwas späteren Zeit giebt eine zweifelhaftere Prognose, die Heilung erfolgt im günstigsten Falle sehr viel langsamer. Für die Behandlung steht, wenn nicht kausal eingegriffen werden kann, die Elektrizität obenan. Man verfahrt am besten so, daß man die Anode eines nicht zu starken galvanischen Stromes auf die Fossa auriculo-mastoidea der kranken Seite, die Kathode auf die der gesunden aufsetzt und einige Minuten lang den Strom durchleitet; dann wechselt man die Stromesrichtung und schließt wiederum für gleiche Zeit. Um die Muskeln zur Zusammenziehung zu bringen, bedient man sich der labilen Kathodenreizung. — Auch der faradische Strom hat Erfolge; es ist wahrscheinlich, daß die reflektorische Erregung vom Trigeminus aus dabei von Bedeutung ist. § 17. Andere Lähmungen. Zungenlähmung ist als Symptom centraler Erkrankung nicht selten, sie kommt halb oder doppelseitig vor. Seltener trifft man dieselbe peripher bedingt und dann v. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Au8.

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Krankheiten der peripheren Nerven.

meist nur an einer Seite. — Bei halbseitiger Lähmung weicht die hervorgestreckte Zunge durch die Wirkung des Genioglossus nach der kranken Seite hin ab; wegen erschwerter Bildung der Zungenlaute wird die Sprache undeutlich, das Kauen und Schlingen ist gestört. Bei doppelseitiger Lähmung sind diese Erscheinungen in weitaus höherem Grade wahrnehmbar. S e r r a t u s l ä h m u n g , meist peripher durch mechanische Einwirkung auf den motorischen Nerven, den Thoracicus longus (aus dem Plexus brachialis), entstanden. In der Buhe ist durch die Antagonisten (Rhomboidei, Levator scapulae, Cucullaris) das Schulterblatt der kranken Seite etwas gehoben und steht mit seinem, inneren Bande ein wenig ab. Abduziert kann der Arm nur bis zur Horizontalebene gehoben werden; läßt man ihn nach vorwärts heben, dann zeigt sich, daß der innere Band der Scapula flügeiförmig vom Thorax absteht. R a d i a l i s l ä h m u n g wird meist durch mechanische Einwirkung auf den Nerven an seiner Umschlagstelle im unteren Drittel des Oberarms hervorgerufen. Gewöhnlich findet eine Quetschung während des Schlafes statt, wenn Hand und Arm während desselben als Kopfkissen dienten, oder sonstwie die Last des Körpers zu tragen hatten. Weiter ist zu erwähnen, daß die Bleilähmung in der Regel zuerst im Radialisgebiet (Extensor digitorum) sich zeigt. Bei der Lähmung des Stammes stehen Hand und Finger in Beugestellung, der Daumen ist adduziert, der Vorderarm kann nicht supiniert werden. Oft ist gleichzeitig im Radialisgebiet Anästhesie vorhanden. Z w e r e h f e l l l ä h m u n g : Am häufigsten myopathisch durch das Ubergreifen von Entzündung aus der Nachbarschaft (Pleuritis, Peritonitis), dann je nach der Ausdehnung des primären Leidens beiderseitig oder halbseitig; seltener kommt sie von den Nerven aus zustande und ist dann eher halbseitig. Auch Erkrankung des oberen Halsmarks kann zur Zwerchfelllähmung führen, deren Ausbreitung von dem Sitz der Störung und ihrer Ausdehnung abhängig ist. — Bei doppelseitiger Lähmung wird das Zwerchfell durch den vom Bauch her wirkenden Atmosphärendruck in den durch die Thätigkeit der anderen Inspiratoren innerhalb des Thorax entstandenen luftverdünnten Baum hinaufgeschoben; es sinkt bei der Exspiration zurück. So entsteht eine an der Lageveränderung der Leber bei den beiden Respirationsphasen zu verfolgende Umkehr der normalen Bewegung. — Der Ausfall des wichtigsten Atmungsmuskels führt dazu, daß bei irgend größerem Atmungsbedürfnis (Fieber, stärkeren Bewegungen) hochgradige Atemnot sich einstellt. § 18.

Neuritis.

Mit dem Namen Neuritis werden Veränderungen an peripheren Nerven bezeichnet, welche geweblieh Entxündungs- wie Entartungszuständen entsprechen. Sie müssen aber primär in den Theilen der Nerveneinheit (des Neurons erster O r d nung, des peripheren Neurons) entstanden sein, welche nicht zu ihrem Kerngebiete gehören, sondern jenseits — peripher — davon gelegen sind. — Die in den Kerngebieten — den Ganglien-Mutterzellen — zuerst sich entwickelnden Störungen, werden nach bisherigem Brauch mit den Erkrankungen der Centraiorgane, innerhalb deren sie gelegen sind — Gehirn, R ü c k e n m a r k — zusammen abgehandelt. — E i n e ursprünglich in einem Mutterganglion entstandene Störung zieht alle ihm angehörenden Teile (Nervenleitungen, Endausbreitungen) in Mitleidenschaft. U m g e k e h r t wirken Veränderungen, welche im V e r l a u f des betreffenden Nermn, oder in seinen Endausbreitungen zuerst sich bildeten, auf die Mutterzelle zurück. — Wo der Krankheitserreger seinen anfänglichen Sitz hat,' müßte erkennbar sein. Oft gelingt das nicht. Ebensowenig, wie es immer möglich ist, zu entscheiden, in welcher Erscheinungsform die gewebliehen Störungen zu/nächst sich gezeigt haben. Man trennt interstitielle von parenchymatöser Entzündung. Dieser gebührt, strenger genommen, 'die Bezeichnung Entzündung nicht, sie verläuft innerhalb der eigentlich nervösen Gebilde,

Neuritis.

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schädigt sie unmittelbar und bedingt ihren Zerfall, dabei fehlt jede der wahren Entzündimg zukommende Erscheinung. — Die interstitielle dagegen spielt sich in dem Stützgerüst der Nervenbestandteile ab, diese indirekt in Mitleidenschaft ziehend; sie bietet geweblich die Erscheinungen echter Entzündung. — Diese theoretisch gerechtfertigte Scheidung ist in der Wirklichkeit nicht durchführbar, was primär, was sekundär erkrankte, was interstitiell oder parenchymatös, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Einer darauf sich stützenden Einteilung fehlt die Grundlage. Ich halte es für richtiger mit manchen — z. B. E U L E N B U R G — Neuritis als klinischen Begriff zu fassen und sie demgemäß abzuhandeln. Ebensowenig soll eine grundsätzliche Trennung der Erkrankung eines Nerven (Mononeuritis) von der mehrerer oder vieler (Polyneuritis) durchgeführt werden. —

Neuritis kann hervorgerufen werden: I. D u r c h Schädiger, welche an Ort und Stelle ihren unmittelbaren Angriffspunkt haben. Diese Formen bleiben meist örtlich beschränkt. Es gehören hierher: Mechanische Einwirkungen: Verwundungen; Stärkere Erschütterungen (Schlag, Fall); Stärkerer oder anhaltender Druck (Bluterguß in die Nachbarschaft, hier sich entwickelnde Neubildungen). Aus der Umgebung übergreifende Entzündungen oder von ihr her einwuchernde Qeschwulstmassm können Druck auf die Nerven üben. Möglich ist, daß daneben oder vorzugsweise die Veränderungen zustande kommen, welche den Stoffwechselprodukten in den Neubildungen, in den Entzündungsherden ihren Ursprung verdanken. Chemische Krankheitserreger: Äther, Alkohol, Chloroform, durch subkutane Einspritzung in die unmittelbare Umgebung des Nerven gebracht. Überanstrengung bestimmter, einer koordinierten Muskelbewegung vorstehenden Nervengruppen. Erkältung — zweifellos eine häufige Krankheitsursache. — II. D u r c h Schädiger, welche auf dem Blutwege und auf dem Lymphwege an Ort und Stelle gelangen. — Diese Formen sind häufiger über mehr als einen Nerven ausgedehnt. — Man unterscheidet am besten zwei H a u p t g r u p p e n : Eine, durch Infektionskrankheiten hervorgerufen. Die zweite durch Vergiftung mit bekannten, nicht im Körper des Erkrankten entstandenen Stoffen. — Infektion entsteht nach heutigen Vorstellungen immer nur durch die Entwicklung der von außen in den Körper gelangten Mikrobien in dem Körper selbst. Dessen Schädigung kann unmittelbar durch die Kleinlehewesen bedingt, sie kann durch die von ihnen gebildeten Stoffwechselprodukte hervorgerufen werden. Die Infektionen, bei denen dieses geschieht, scheinen in der Mehrzahl zu sein. — N e u r i t i s t r i t t auf, am h ä u f i g s t e n bei Diphtherie, Influenza, Typhus, Sepsis, den akuten Exanthemen, besonders den Poeken — aber es dürfte kaum irgend eine Infektionskrankheit geben, die auszuschließen wäre. Da die geweblichen Veränderungen nicht in sicher zu bestimmende Beziehung zu den klinischen Beobachtungen gesetzt werden können, darf hier auf die Darlegung der anatomisch festgestellten Einzelheiten verzichtet werden. — 3*

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Krankheiten der peripheren Nerven.

Als konstante Symptome einer jeden aknten Entzündung gemischter, empfindende wie bewegende Fasern führender, Nerven finden wir: Schmerz, der anfangs auf die Bahn des kranken Nerven sich beschränkt, dann aber auf andere, zunächst die benachbarten überstrahlen kann. Er ist, wenn auch anhaltend und heftig, doch Schwankungen unterworfen, er wird durch unmittelbaren Druck auf den Nerven verstärkt, ebenso durch Bewegungen des leidenden Körperteils. Neben dem Schmerz zeigen sich Hyperästhesien, Hyp- oder Anästhesien im Ausbreitungsbezirk der leidenden sensiblen Fasern. — Im Gebiet der motorischen Fasern kommt es verhältnismäßig selten zu Zuckungen oder gar zu Krämpfen. Auch reine Bewegungsnerven, wie der Facialis, können schmerzhaft werden — nervi nervorum. — Über kurz oder lang stellen sich schlaffe Lähmung und Atrophie der Muskeln ein; periphere Lähmung ist mit allen ihren Zeichen (vergl. § 15) vorhanden. Leitungsunterbrechung macht sich natürlich auch an den sensiblen Fasern geltend (vergl. § 9). — Man hat den kranken Nerven als gleichmäßig oder in Zwischenräumen verdickten Strang durchfühlen können (Neuritis nodosa), entsprechend umschriebene Rötung und ödematöse Durchtränkung der Haut, örtlich vermehrte Schweißbildung sind beobachtet worden. — Von manchen wird die mit der Entwicklung von Herpes Zoster verbundene Neuritis als besondere Form betrachtet. — Ernährungsstörungen, die sich bei länger dauernder Neuritis im Gebiet des erkrankten Nerven entwickeln, sind: Glanzhaut (glossy skin). Sie ist gerötet, dünn, glatt, trocken, glänzend — an den Fingern, auch wohl an den Zehen beobachtet. — Die Haare ändern ihre Farbe oder ihr Wachstum. Ahnliches sieht man an den Nägeln. Unter den Allgemeinerscheinungen dürfte als regelmäßig vorkommend Alles anzuführen sein, was durch heftigeren und länger dauernden Schmerz bedingt ist: gesteigerte psychische Erregbarkeit, Störung des Schlafes, Verminderung des Appetites und Rückgang der allgemeinen Ernährung. Ob Fieberbewegungen und in welchem Grade sie vorhanden sind, wird wohl im Wesentlichen von der Ursache der Neuritis abhängen. In der gedrängten Darstellung des Lehrbuchs ist für die Schilderung der ätiologisch geschiedenen Einzelform kein Raum. — Akute Neuritis kann im Laufe einiger Wochen heilen, sie kann in die chronische Form übergehen; die Ausgänge schwanken zwischen vollständiger Heilung und einer mehr oder minder schweren Störung, welche nach dauernder Unterbrechung der Nervenleitung zurückbleibt — also Lähmungen. — Die langsamer einsetzende (sogen, chronische) Neuritis liefert im großen und ganzen das gleiche Bild. In der ersten Zeit kommen vorübergehend motorische Reizerscheinungen etwas häufiger vor. — Die Behandlung jener Formen, welche als örtliche Entzündung bestimmter hervortreten, kann besonders, wenn es sich um Nerven handelt, die der Oberfläche näher liegen, von örtlichen Blutentziehungen, Hochlagerung des leidenden Teiles, Auflegen von Eis mit Vorteil Gebrauch machen; bei heftigen Schmerzen sind Morphiuminjektionen in die Nähe des entzündeten Nerven anzuwenden. Bei der chronischen Neuritis empfehlen sich, wenn der kranke Nerv nicht zu tief liegt, Ableitungen auf die Ha/ut (faradischer Pinsel, Collodium cantharidatum). Es muß davor gewarnt werden, das letztere unmittelbar der den Nerven bedeckenden Haut aufzustreichen, da tiefer greifende Entzündung folgen kann. —

Neuritis.

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Die katalyliseken Wirkungen des galvanischen Stromes sind selbst in veralteten Fällen noch manchmal von gutem Erfolg. Auch auf rein symptomatische Indikation hin findet derselbe vielfach Anwendung. Als eigenartige Erkrankung, deren Erzeuger nicht mit Sicherheit erkannt wurde, die man daher zunächst in der jetzt sehr eingeengten Gruppe der miasmatischen Infektionen unterbringen mußte, ist das besonders in tropisch oder subtropisch gelegenen Gegenden Ostasiens (Japan) endemische, Kak-ke (Beri-Beri) genannte Leiden anzusehen. — Dabei zeigen sich weit verbreitete, primär in den peripheren Nerven entstandene hämorrhagische Entzündungen derselben mit schweren Degenerationen. Der Sondername „Panneuritis mdemica'1 ist gut gewählt. — Tuberkulose und Syphilis sind häufig mit Neuritis verbunden, ob die Nerven unmittelbar ergriffen werden, bleibt dahingestellt. Die von ihnen bedingte Kachexie, örtlich von ihnen hervorgerufene Gewebsveränderungen, mechanisch auf Nerven wirkend, kommen sicher in Betracht. — Die einzige Infektion, deren spezifisches Mikrobioh in dem Nerven angesiedelt wird, ist die mit Leprabacillen. — Gifte im engeren Wortsinne, welche Neuritis erzeugen, sind Alkohol und Blei. Etwas weniger oft wirkt so der Arsenik; von anderen sind nur vereinzelte Fälle bekannt. — Hauptsächlich macht sich die oft wiederkehrende Einverleibung kleiner Einzelmengen geltend. — Wieweit man Autointoxikationen als Urheber von Neuritis anzusehen hat, ist noch nicht geklärt. — Zunächst fragt es sich, ob dyskrasische Veränderungen hier einzureihen sind? Die Störungen in der Zusammensetzung des Blutes und der Gewebssäfte, welche man bei der Dyskrasie annimmt, können mit der Bildung eines Stoffes einhergehen, der als echtes Nervengift angesehen werden muß. Aber ebenso ist denkbar, daß nur ungenügende Entleerung der gewöhnlichen Stoffwechselschlacken vorliegt. Wir wissen, daß die im thätigen Nerven gebildete Milchsäure, nicht ausreichend entfernt oder neutralisiert, ftir ihn zum Schädiger wird. — Bei allen Dyshrasien leidet mit den Körpergeweben überhaupt das Herz und das Blut. Die Durchströmung mit leistungsfähigem Blute wird auch für die Nerven mehr oder minder verringert, die längerdauernde Einwirkung der Schädlinge an Ort und Steile — einerlei welcher Art sie sind — ist dadurch gesichert. — Daß schwere Veränderungen in der Zusammensetzung des Blutes durch primäre Erkrankung desselben herbeigeführt — perniziöse Anämien — unter dem gleichen Gesichtspunkt zu betrachten sind, leuchtet ein. — Ebenso für örtlich umschriebene Neuritis der Einfluß der Arteriosklerose. — Zu beachten ist die allgemeine Anschauung (Edinoer), welche gegenwärtig viel Anerkennung findet: Der Nerv nutzt sich durch seine Thätigkeit geweblich ab. Unversehrt kann er sich nur erhalten, wenn er den verbrauchten Stoff einzuverleiben und in die den Verlust ersetzende Form umzubilden vermag. Gelingt das nicht, dann zerfällt er. — Die absolute Größe der von dem Nerven zu leistenden Arbeit ist nicht ausschlaggebend, es kommt nur darauf an, daß mit der Abnutzung nicht die Wiedererneuerung gleichen Schritt hält. — Es wäre also denkbar, daß dem Nerven Aufnahme und Umbildung des Ersatzmaterials nickt möglich, obgleich dieses zur Stelle ist. Andererseits könnte es an Ersatzmaterial fehlen. — Autointoxikation ist wahrscheinlich in einzelnen Fällen von Diabetes mellitus. Hier tritt Neuritis auf, obgleich die Gesamternährung des Leidenden eine be-

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Krankheiten der peripheren Nerven.

friedigende ist. Der Zuckergehalt des Blutes scheint ohne Bedeutung für die Ernährung der Nerven. — Mit minder gutem Recht werden als Ursachen von Autointoxikation schwere gastromteritisehe Erkrankungen genannt; sogar die Schwangerschaft wurde hier untergebracht. — Bei den verhältnismäßig häufig mit Neuritis einhergehenden Dyskrasien steht die durch Carcinom obenan. — Man rechnet weiter mit Tuberkulose, Gicht, abgelaufener Malaria. — Giebt es eine besondere Disposition zur Neuritis? Man nahm, im allgemeinen, an dem wenig klaren Begriff „Schwäche" festhaltend, an, daß durch Vererbung, wie durch die auf irgend eine Weise erworbene Verminderung der allgemeinen Ernährung solche für die Nerven gegeben sein könne. Dies ist im Grunde nur eine die Erfahrungsthatsache, daß unter diesen Umständen häufiger Neuritis zu finden ist, wiedergebende Formel. — Edinger versucht die hereditäre Belastung dem Verständnis näher zu bringen. Er meint, es sei wahrscheinlicher, daß eine „Schwächung der Ersatzfähiglceitf' in den Geweben existiere, welche bei einer normale Leistung nicht übersteigenden Inanspruchnahme dennoch Zerfall bedinge. Jede stärkere Funktion sei eben Überfunktion. — Ob damit Wesentliches gewonnen, lasse ich dahingestellt. — § 19. Neubildungen an den Nerven. Die N e u b i l d u n g e n an den Nerven bestehen meist aus Bindegewebe verschiedener Zusammensetzung, bald ärmer, bald reicher an zelligen Elementen, mehr oder weniger Gefäße einschließend. Sie gehen aus dem bindegewebigen Gerüst hervor, beteiligen nur mittelbar die Nervensubstanz, indem sie durch Druck Ernährungsstörungen, die bis zur Atrophie fuhren können, hervorrufen. Es gehören hierher die Fibrome, welche vereinzelt oder verbreitet auftreten, knotenförmige oder größere Strecken eines Nerven umfassende Anschwellungen bilden; ebenso kommen Myxome und Lipome, seltener Sarkome vor. — Neben diesen Neuromata spuria genannten Geschwulstbildungen findet sich das Neuroma verum. Es besteht zum vielleicht größeren Teile aus neuentstandenen Nervenfasern, möglicherweise auch aus Ganglienzellen; eine gewisse Menge von Bindegewebe fehlt nicht. — Carcinome greifen von der Nachbarschaft her über. — Unter den bekannten geschwulstbildenden Infektionen sind auch noch Lepra, Tuberkulose, Syphilis zu nennen. Die Symptome hängen im wesentlichen davon ab, ob der getroffene Nerv während der Geschwulstentwicklung Ernährungsstörungen erfährt und mechanischen Einwirkungen ausgesetzt ist. Das hängt von der Schnelligkeit und Massigkeit der Entwicklung des Neoplasma, seiner Neigung zum Zerfall, der Beteiligung der ernährenden Gefäße und von der Möglichkeit, dem Druck auszuweichen, ab. Es können daher Neubildungen erscheinungslos entstehen, oder aber die schwersten Störungen im Gefolge haben. Reizungen und Lähmungen, manchmal im buntem Wechsel, bleiben im letzteren Fall nicht aus. Die Prognose hängt ganz von der Art und der Verbreitung der Neubildung ab. Zu bemerken ist, daß das echte Neurom, ursprünglich gutartig, nach seiner operativen Entfernung örtlich recidivieren kann. Die Therapie kann durch chirurgische Eingriffe oder durch die Anwendung spezifischer Mittel (Syphilis) vielleicht die Ursache des Leidens unmittelbar beseitigen-, wo das nicht möglich ist, hat sie Linderung der Beschwerden anzustreben.

Allgemeine Betrachtungen.

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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes. § 20.

Allgemeine Betrachtungen.

Das Rückenmark ist das Verbindungsorgan für die Nervenleitungen zwischen dem Gehirn und der Hauptmasse des Körpers, es führt eentripetale, aufsteigende, von der Peripherie zum Centrum leitende Fasern und centrifugale, absteigende, vom Centrum zur Peripherie führende. Durch Zwischenverbindungen, die im Bückenmark selbst gelegen sind, kann innerhalb des Rückenmarks eentripetale sensible Erregung in centrifugale motorische urngesetzt werden (Reflexbewegung). Die Bahnen für die aufsteigende sensible Leitung führen von der Peripherie durch die Hinterwurzeln einesteils direkt in die Hinterstränge, andernteils in die graue Substanz, wo sie mit Zellen in Berührung treten. Die sensiblen Bahnen werden nur zum kleineren Teil im Rückenmark selbst gekreuzt, sichere Einzelheiten sind wenig gekannt. Ebenso steht es mit ihrem Verlauf innerhalb des Gehirns: Es ist mit einiger Sicherheit anzunehmen, daß sie durch die Großhirnschenkelhaube und die hinteren Abschnitte der inneren Kapsel — Carrefour sensitif (CHARCOT) — zur Binde gehen. Der Scheitellappen, und zwar der mehr nach vorn gelegene Teil desselben, stellt eine Endstation dar. Die Bahnen für die absteigende motorische Leitung haben ihren Ursprung in der Kinde der Suheitellappen, durchsetzen die innere Kapsel, in deren hinterem Teil sie, aber vor dem Carrefour sensitif liegen. Von hier aus gehen sie in den Großhirnschenkelfuß über, passieren die Brücke in ihrer vorderen Hälfte und treten zur Pyramide zusammen. In dieser erfolgt eine Kreuzung, welche meistens die Hauptmasse der Leitungsfasern betrifft. Die gekreuzten Fasern steigen dann durch die Seitenstränge abwärts (Pyramidenseitenstrangbahnen), treten in die graue Substanz ein, setzen sich in Verbindung mit den multipolaren Ganglien der Vordersäulen, durch deren Achsencylinderfortsatz sie zu den vorderen Wurzeln und von da aus weiter an ihren Bestimmungsort gelangen. — Ein anderer — meist der kleinere — Teil der motorischen Leitung verläuft ungekreuzt im inneren (medianen) Teil des Vorderstranges (Pyramidenvorderstrangbahnen). Die Beflexbahnen gehen von der Peripherie zu den Hinterwurzeln, von welchen Verbindungen nach den Vorderwurzeln des gleichen Querschnitts vorhanden sind. Die Ursprungszellen der letzteren sind mit größter Wahrscheinlichkeit als Vermittler dieser Uberleitung anzusehen. Da von jeder Stelle der Peripherie aus allgemeine Beflexkrämpfe entstehen können, müssen im Bückenmark sehr vollständige Leitungsbahnen hierfür vorhanden sein. — Vom Gehirn absteigende reflexhemmende Fasern sollen da sein, ihr Verlauf ist unbekannt. — Daß das Bückenmark für die Ernährung von Nerven, Muskeln, Knochen, Sehnen von Bedeutung ist, steht fest. Es ist wahrscheinlich, daß die trophischen Centren für die sensiblen Nerven in den Ganglien der hinteren Wurzeln (Spinalganglien), für die Bewegungswerkzeuge in der grauen Substanz und zwar in den multipolaren Ganglien der Vordersäulen sich befinden. Die Centren für Haut, Nägel u. s. w. sucht man wieder mehr im hinteren Teile des Bückenmarks, vielleicht sind sie gleichfalls in den Spinalganglien gelegen. — Centren für die Gefäßnerven, verengernde wie erweiternde, finden sich überall in der grauen Substanz. Dieselben stehen mit dem Hauptcentrum in der Medulla oblongata in Verbindung. Für manche Formen der Erkrankungen des Bückenmarks hat man eingehenderes Verständnis dadurch zu gewinnen gesucht, daß man, an entwicklungsgeschichtliche und pathologisch-anatomische Befunde anknüpfend, die Lehre von den Systemerkrankungen aufstellte (Fig. 1). — Es hat sich gezeigt, daß die ein-

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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

zelnen Leitungsbahnen die Umhüllung ihrer Achsencylinder mit der Markscheide in verschiedenen Perioden der fötalen Entwicklung erfahren, so zwar, daß die mit der gleichen physiologischen Funktion betrauten — systematisch gleichwertigen — ziemlich zur nämlichen Zeit mit der Markscheide versehen werden. Es scheint hierdurch embryologisch festgestellt, daß a v die zeitliche Differenzierung der formativen resp. nutritiven Vorgänge im Nervengebiet hier mit der funktionellen Differenz der Nervengattungen Hand in Hand geht. Die pathologische Forschung hat in ähnlicher Weise gelehrt, daß Erkrankungen des Rückenmarks, welche sich in dessen Längsrichtung ausbreiten, oft nur diejenigen, oder doch vorwiegend diejenigen Fasern ergreifen, welche entb wicklungsgeschichtlich zusammengehören und mit Fig. 1. System der Leitungsbestimmten Leitungsaufgaben betraut sind — daß bahnen im Rückenmark (am sich solche Erkrankungen somit auf ein bestimmtes dritten Dorsalnerveu) nach P . FLECHSIG. System beschränken. Indem man nun die an Einzela Vorderstränge, b Hinterstränge, fallen intra vitam beobachteten Erscheinungen je e Pyramidenseitenstrangbahnen, nach der vorwiegenden Beteiligung dieser oder d Kleinhirnseitenstrangbahnen, « und f gemischte Seitenstrangjener Nervengruppen in geschlossenen Krankheitsbahnen, v Vordere Wurzel, bildern zusammenstellte, schien eine topographische hw Hintere Wurzel, g graue Diagnose ermöglicht zu sein. Bei aller Anerkennung Substanz. der wissenschaftlichen Berechtigung der Methode läßt sich nicht verhehlen, daß die Mehrzahl der chronischen Rückenmarksleiden sich dem Schema nur gezwungen fügt und nicht auf den systematisch begrenzten Raum des Querschnitts beschränkt ist; wenigstens gewiß nicht im späteren Verlaufe des Leidens. Die Anhänger der Lehre waren daher genötigt, kombinierte Systemerkrankungen aufzustellen, bei denen mehrere Systeme nebeneinander, wenn auch nicht gleichzeitig und gleich stark ergriffen sein sollen. Damit ist der Übergang zu der älteren Doktrin eingeleitet, welche die hier untergebrachten Zustände in die große Gruppe der diffusen Myelitis einreihte. — Dabei handelt es sich um Erkrankungen, welche, über einen mehr oder minder großen Teil des Querschnittes verbreitet, die in diesem gelegenen Teile in M i t l e i d e n s c h a f t ziehen, einerlei, mit welcher S o n d e r a u f g a b e sie bet r a u t sind. — Echte Entzündungen werden meist so verlaufen, allein es ist nicht ausgeschlossen, daß bei nicht entzündlichen Ernährungstörungen Gleiches geschehe. — Für die Bestimmung des Sitzes der transversalen Erkrankung in der Längsachse des Rückenmarkes sind zu verwerten: Leitungsunterbrechung in den Bahnen, welche den Ort der Verletzung passieren: Reiz- oder Lähmungserscheinungen, Änderungen der Reflexe in den Nerven, deren Wurzeln in der Höhe der Verletzung liegen. Vielleicht sind auch die Funktionsstörungen von automatischen Centren zu benutzen, welche sich an bestimmten Stellen finden. Die wichtigsten von diesen sind: Centrum für die Pupillenerweiterung im unteren Hals- und obersten Brustmark bis zum dritten Brustwirbel. Centrum für Kotentleerung im Lendenmark, ebendort das für die Harnentleerung, für die Erektion und Ejakulation, für den Gebärmechanismus — Sitzt die Störung im oberen Halsmark, dann können die in der Medulla oblongata gelegenen Centren in Mitleidenschaft gezogen werden.

Erkrankung des Bückenmarkes im allgemeinen, Hyperämie.

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Bei Leitungsunterbrechungen, auch wenn dieselben nicht innerhalb des Rückenmarkes stattfinden, treten in diesem Veränderungen auf, welche man als sekundäre Degenerationen bezeichnet. Im allgemeinen gilt die Regel, daß die Entartung eintritt, wenn der Nerv von seiner Mutterzelle getrennt ist. (Vergl.§15u. 18.) Sekundäre Degenerationen finden sich: 1. bei Erkrankungen des Gehirns, und zwar bei allen denjenigen, welche den Zusammenhang zwischen den der Bewegung dienenden Teilen der Hirnrinde, der Capsula interna und den Pyramiden unterbrechen. Hier tritt absteigende Entartung der motorischen Bückenmarksbahnen auf, der direkten Pyramidenbahn in dem inneren medianen Abschnitt der Vorderstränge, sowie der gekreuzten in dem hinteren mehr nach außen gelegenen Teil der Seitenstränge. Die obere Grenze dieser Degeneration ist die Capsula interna, nach unten geht sie, allmählich an Umfang abnehmend, bis in das Lendenmark. Die Entartung der direkten Vorderstrangbahnen ist selbstverständlich auf der gleichen Seite wie die Hirnverletzung, die der gekreuzten Seitenstrangbahnen auf der entgegengesetzten. Welche dieser beiden Bahnen stärker degeneriert, hängt von der individuell verschiedenen Menge der Fasern ab, die gekreuzt oder ungekreuzt verlaufen; in der großen Mehrzahl sind die Seitenstränge vorwiegend beteiligt. 2. Bei Erkrankungen des Bückenmarkes finden sich absteigende wie aufsteigende Degenerationen. Erstere beschränken sich auf die jenseit der Leitungsunterbrechung gelegenen motorischen Bahnen, die aufsteigenden betreffen die Hinterstränge, vorwiegend die an der hinteren Längsfurche gelegenen GoLL'schen (zarten) Stränge, dann den nach hinten liegenden äußersten schmalen Saum der Seitenstränge, welcher die direkten Kleinhirn-Seitenstrangbahnen führt. Nach oben sind sie für die GoLL'schen Stränge bis in die Corpora restiformia, für die Seitenstränge bis ins Kleinhirn zu verfolgen. 3. Bei Erkrankungen der hinteren Wurzeln trifft man aufsteigende Degenerationen der Hinterstränge, dicht oberhalb der Leitungsunterbrechung in deren ganzer Ausdehnung, höher oben nur innerhalb der GoLL'schen Stränge. Als allgemeine Regel erweist sich also: absteigende Entartung bei Leitungsunterbrechung motorischer, aufsteigende bei solcher sensibler Bahnen. — Die anatomischen Veränderungen sind bereits im Laufe der zweiten Woche nach der Leitungsunterbrechung nachweisbar; sie bestehen anfangs in Zerstörung des normalen Gefüges der Nervenfasern, ausnahmsweise (absteigende Degeneration) auch der Ganglienzellen, bald treten reichliche Mengen von Körnchenzellen auf. Später findet man stark gewuchertes Gliagewebe, sklerotische Verdickungen der Gefaßwandungen und Corpora amylacea Innerhalb der ersten 2 — 3 Monate sieht das Mark an den entarteten Stellen weiß, undurchsichtig aus und fühlt sich weicher an; später ist es grau durchscheinend, zuletzt härter, eingesunken. Welche Erscheinungen sekundäre Degenerationen machen, ist ungenügend bekannt. § 21. Erkrankung der Rückenmarkshäute im allgemeinen, Hyperämie. Die Symptome der Erkrankung der Bückenmarkshäute auf diese beschränkt. Es ist j a das Ganze — das Rückenmark hüllungen — von starren Knochenwänden umgeben, außerdem Pia nicht nur eng an das Mark an, sondern dringt auch mit

sind meist nicht samt seinen Umschließt sich die zahlreichen Fort-

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Krankheiten des Bttckenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

Sätzen in dasselbe ein; endlich findet noch eine Versorgung aus gemeinschaftlichem Gefäßsystem statt. — Daraus folgt: 1. Sobald die Raumbeengung durch irgend ein Krankheitsprodukt, einerlei wo dasselbe entstand, einen gewissen Grad erreicht hat, müssen sich mechanische (Druck-)Wirkungen auf den ganzen Inhalt des Wirbelkanals geltend machen. 2. Jeder Krankheitserreger, welcher auf dem Blut- oder Lymphwege zum Bückenmark gelangt, kommt mit diesem selbst und mit seinen Häuten in Berührung. Ebenso die unter dessen Einfluß entstandenen pathologischen Produkte, sofern dieselben gelöst werden können, sei es innerhalb vorgebildeter Gefaßbahnen, sei es durch Diffusion. Die Trennung der pathologischen Vorgänge im Bückenmark selbst von denen in seinen Häuten ist klinisch nur in beschränktem Maße durchzuführen; bei einigen Zuständen gebietet sich geradezu gemeinschaftliche Betrachtung. Dahin gehört Hyperämie; man definiert sie mit Becht als vermehrte Blutfülle der innerhalb des Wirbelkanals gelegenen Gebilde. — Ob überhaupt gesteigerte Blutfülle Störungen hervorzurufen vermag, ist sehr zweifelhaft. Man hat das früher hochgehaltene Krankheitsbild jetzt als ein theoretisch konstruiertes erkannt und aus der Pathologie gestrichen. — § 22. Blütlingen in und zwischen die Rückenmarkshäute. Mit dem Namen Hämatorrhachis faßt man alle in und zwischen die Bückenmarkshäute erfolgenden Blutergüsse zusammen. — Von prädisponierenden Gefäßerkrankungen ist wenig bekannt, es sei denn, daß man das bei Infektionskrankheiten (Pocken sind besonders zu nennen) und bei hämorrhagischer Diathese Beobachtete hier unterbringen will. Die häufigste Gelegenheitsursache bilden Verletzungen durch direkte (Verwundung) oder indirekte Gewalt (Erschütterung durch Sturz auf den Bücken, auf die gestreckten Füße u. s. w.). Hierher sind die oft mit Blutergüssen in die Schädelhöhle verbundenen Fälle zu stellen, welche bei Neugeborenen, besonders den durch Zange oder Extraktion an den Füßen zur Welt beförderten, beobachtet werden. — Auch entzündliche Wirbelerkrankungen, schwere Krampfzustände (Tetanus), endlich das Heben bedeutender Lasten sind anzuführen. In die Schädelhöhle ausgetretenes Blut kann sich durch Senkung im Wirbelkanal anhäufen. — Das ganze Leiden gehört zu den selteneren. Anatomisch werden getrennt: 1. Blutungen zwischen Dura und Wirbelkanal, durch örtliche Gewaltwirkung bedingt, sind die häufigsten. Nur wenn sie beträchtlich, kommt es zum Druck auf das Mark. 2. Blutungen zwischen Dura und Arachnoidea, meist durch Herabfließen größerer Mengen aus der Schädelhöhle entstanden. 3. Blutungen in die Arachnoidea, seltener von ernsten Folgen für das Mark selbst. — Die bei schweren Blutungen geschehende Durchtränkung des Bückenmarks mit Blut und die ihr folgende Erweichung erstreckt sich wohl auch auf die austretenden Nervenwurzeln. In den nicht unmittelbar tödlich endenden Fällen dieser Art treten die bekannten Veränderungen am Extravasat und in dessen Umgebung (rote, gelbe Erweichung) auf. Die Symptome entwickeln sich meist in kurzer Zeit: man findet plötzliches Zusammenbrechen des Erkrankten, der über Schmerzen klagt und die Herrschaft über einen mehr oder minder großen Teil seiner Muskeln verloren hat; das Sensorium bleibt frei. Bei langsamerer Entstehung sind die Schmerzen unbedeutender,

Blutungen in und zwischen die Ruck enmarkshäute. Blutungen in das Rückenmark selbst. 43 und die Lähmung bildet sich allmählicher aus. Die als Vorboten aufgeführten Störungen haben mit den Blutungen selbst nichts zu thun. — Ist der Insult vorüber, dann zeigen sich vorwiegend Reizerscheinungen. Auf die motorischen wird diagnostisch das größere Gewicht gelegt: Muskelzuckungen, Spannungen, Gliederzittern. Gleichzeitig neben anderweitigen excentrischen Empfindungen heftige Schmerzen in dem peripheren Verbreitungsbezirke der Nerven, deren Wurzeln von der Blutung betroffen sind, besonders aber im, Rücken in der Höhe der ergriffenen Stelle. Die Wirbelsäule wird steif gehalten, da jede Bewegung mit viel Schmerz verbunden ist. Aufregung und Schlaflosigkeit gesellen sich hinzu. — Im späteren Verlaufe treten sensible wie motorische, meist unvollständige Lähmungen auf. — Fieber fehlt anfangs ganz, es bleibt auch später mäßig. — Die Ausdehnung der nervösen Störungen wird vom Sitz und Umfang der Blutung bedingt. Der Verlauf ist oft günstig; die Wiederherstellung kann innerhalb einiger Monate erfolgen. Einige Tage nach der Blutung zeigt sich manchmal ein Wiederaufflackern der Erscheinungen, abhängig von dem Eintritt der reaktiven Entzündung. — Der tödliche Ausgang kann bei hohem Sitz der Blutung durch Lähmung der Centren im verlängerten Marke, überhaupt durch ihre Massigkeit und die dann unvermeidliche Beteiligung des Rückenmarkes eintreten. Die Behandlung muß vor allem für Ruhe der Wirbelsäule in der Körperhaltung, welche dem Kranken am meisten zusagt (Seitenlage wird oft bevorzugt) Sorge tragen: Bettliegen mit entsprechender Stützung. — Jede funktionelle Reizung ist zu vermeiden. — Reichliche Stuhlentleerung gleich von Anfang. — Bei stärkeren Reizerscheinungen an dem gegen Druck empfindlichem Ort der Wirbelsäule Blutentziehung ( 1 0 — 1 2 Schröpfköpfe oder dergl.), dann Kälte ( C H A P M A N ' sche Eisbeutel). § 23. Blutungen in das Rückenmark selbst. Aus praktischen Gründen sollen die Blutungen in das Rückenmark selbst — Spinalapoplexie — im unmittelbaren Anschluß besprochen werden; auch sie gehören zu den selteneren Erkrankungen. Die Ätiologie ist im wesentlichen die gleiche, wie die der Blutungen in die Rückenmarkshäute. — Es wird hervorgehoben, daß nicht das höhere Alter vorzugsweise befallen wird, vielmehr die größte Häufigkeit auf das 20.—40. Lebensjahr trifft. Das hängt wahrscheinlich mit dem öfteren Vorkommen der Verletzungen zu dieser Zeit zusammen. Anatomisch unterscheidet man: 1. den hämorrhagischen Herd: einfacher Blutaustritt mit Zertrümmerung oder Verdrängung und Pressung der Nachbarschaft. Er kann sich über beträchtliche Strecken, sogar über die ganze Länge des Markes verbreiten (Röhrenblutung), meist bleibt er unter Haselnußgröße. Bevorzugt ist die graue Substanz. 2. die hämorrhagische Infiltration (entzündliche Hämorrhagie). Diffuse Blutergießung in das Gewebe der grauen Substanz, bald auf einzelne Teile derselben beschränkt, bald sie fast in ihrer ganzen Ausdehnung einnehmend; das Blut ist wie mit dem Gewebe verschmolzen. Ausnahmsweise ist auch die weiße Substanz der Hinterstränge Sitz der Blutung. Diese Form findet man bei wirklichen entzündlichen Vorgängen (hämorrhagische Myelitis), in der Umgebung größerer Blutherde und in vorher schon verändertem (erweichtem) Gewebe. — Reine Fälle, wie die nach Verletzungen, zeigen eine in sehr kurzer Zeit sich

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Krankheiten des Kückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

entwickelnde, also apoplektiform auftretende LähmuDg derjenigen sensiblen and motorischen Nerven, welche im Bereich und unterhalb der betroffenen Stelle abgehen ; vasomotorische Störungen fehlen gleichfalls nicht, die Temperatur der Haut an den gelähmten Teilen kann beträchtlich erhöht sein. Zuerst etwa vorhandene Schmerzen verlieren sich in kurzer Zeit. Die Lähmung ist gleich anfangs in voller Ausbildung vorhanden — sie kann später allerdings durch die sekundären Vorgänge noch größere Ausdehnung gewinnen. Reflexe sind je nach dem Sitze der Blutung vorhanden oder fehlen. Blase und Mastdarm zeigen sich, wenn nicht schon von Anfang, doch bald gelähmt. Meist findet man doppelseitige Lähmung — ausnahmsweise wurde halbseitige beobachtet, dann traten die Erscheinungen der „Halbseitenläsion" (§ 31) auf. — Im Verlauf entwickelt sich neben Atrophie der Muskeln rasch Decubitus und Blasenlähmung. Wenn nicht — bei hohem Sitz — durch Beteiligung der Atmutagscentren der Tod erfolgte, wird derselbe meist durch sekundäre septische Infektion herbeigeführt. Die Diagnose der reinen Spinalapoplexie ist durch Fehlen von Reizerscheinungen bei plötzlich auftretenden, vollständigen sensiblen wie motorischen Lähmungen und unversehrtem Bewußtsein gesichert. (Vergl. § 25.) Der spätere Verlauf zeigt die Symptome einer Leitungsunterbrechung, die, mit schweren trophischen Störungen verbunden, sich gewöhnlich über die ursprünglich befallenen Teile hinaus verbreitet. Die Prognose ist bei irgend erheblicher Blutung sehr ungünstig. Wie lange das Leben gefristet wird, hängt zumeist von der auf die Pflege verwendeten Sorgfalt ab. Die Hauptaufgabe der Behandlung, die wie bei den Blutungen in die Rückenmarkshäute zu leiten, ist daher eine prophylaktische; sie hat Vermeidung von Blasenkatarrh und Decubitus anzustreben. Nur in leichteren Fällen würde vielleicht gegen die nach Ablauf der Grundprozesse zurückbleibenden Lähmungen die Elektrizität nützen können. § 24.

Entzündung der Dura mater spinalis.

Die Entzündung der Dura mater spinalis (Pachymeningitis spinalis) tritt an zwei verschiedenen Orten auf: 1. an der äußeren Fläche der Dura, zwischen ihr und dem Wirbelkanal — meist durch Übergreifen entzündlicher Vorgänge aus der Nachbarschaft (Caries, Decubitus, Vereiterungen der Rückenmuskeln oder des Psoas u. s. w.), vielleicht auch primär entstehend (Pachymeningitis spinalis externa)-. 2. an der inneren Fläche der Dura, zwischen ihr und der Arachnoidea, welche mit der Pia oft an der Entzündung teilnimmt. Es wird unterschieden zwischen: a) einfacher Pachymeningitis interna (Pachymeningitis interna hypertrophica). Bindegewebswucherung nach entzündlichen Veränderungen, am stärksten an der hinteren Fläche. Meist zeigt sich der untere Teil der Halsanschwellung ergriffen. Seine Erkrankung (Pachymeningitis cervicalis hypertrophica) wurde von C H A R C O T als besondere Form hingestellt. Man zweifelt aber jetzt an der Berechtigung dieser Abtrennung. b) Hämorrhagische Pachymeningitis interna (Hämatom). Mit dem Hämatom der Dura cerebralis zusammentreffend, anatomisch und ätiologisch gleichwertig (siehe § 48). Das Krankheitsbild setzt sich aus den Symptomen einer mehr oder weniger rasch verlaufenden Leptomeningitis mit Kompression, Einschnürung des Bückenmarkes und der Nervenwurzeln sowie nachfolgenden Degenerationen zusammen, im ganzen also anfangs Keizungs- später Lähmungserscheinungen, welche letztere sich langsam entwickeln. Die Behandlung hat, falls nicht das Grundleiden besondere Anzeigen liefert, im allgemeinen wie bei Meningitis zu verfahren.

Entzündung der Dura mater spinalis. Entzündung der weichen Häute des Rückenmarkes. 4 5

§ 25. Entzündung der weichen Häute des Rückenmarkes. Die Entzündung der weichen Hänte des Bückenmarkes (Leptomeningitis spinalis) wird allerdings herkömmlich als eigene Krankheit geschildert, kann aber — wenigstens in ihrer akuten Form — darauf nur bedingt Anspruch erheben. Denn es findet sich wohl immer eine Beteiligung des Rückenmarkes selbst, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle aber gleichzeitig Entzündung des Hirns und seiner Häute. Epidemische Cerebrospinalmeningitis, Tuberkulose sind die häufigsten Ursachen: — seltener sind es andere Infektionskrankheiten. Dazu gesellen sich dann auf das Rückenmark beschränkt bleibende Traumen jeder Art, Erkältungen, endlich das Ubergreifen von entzündlichen Vorgängen aus der Nachbarschaft. — Aus diesen Gründen ist ein Krankheitsbild der reinen Leptomeningitis spinalis kaum xu entwerfen, wohl aber ist es möglich, die Symptome hervorzuheben, welche eine Beteiligung der Meningen des Rückenmarkes erkennen lassen. — Diese sind: 1. Rückenschmerz an der ergriffenen Stelle, bei Druck auf die betreffenden Dornfortsätze, bei Berührung derselben mit einem heißen Schwamm zunehmend, bei versuchten Bewegungen des Körpers und irgend erheblichen Erschütterungen desselben sich steigernd. Der Schmerz strahlt peripher in das Gesamtgebiet der von dem kranken Teil abgehenden sensiblen Nerven aus und ist meist von wechselnder Stärke. E r kann ohne nachweisbare Veranlassung die Form der in Anfallen auftretenden echten Neuralgie annehmen. 2. Steifigkeit der Wirbelsäule, durch Kontraktur der Muskeln hervorgerufen, oft auf den kranken Teil beschränkt, jedenfalls dort am stärksten. 3. Muskelspannungen an den Extremitäten, manchmal auch Zuckungen einzelner Muskeln oder ganzer Muskelgruppen, mit Schmerz verbunden. 4. Hyperästhesie der Haut, der Muskeln, der Gelenke, der Knochen, durch große Schmerzhaftigkeit bei leiser Berührung sich kundgebend. E s ist wahrscheinlich, daß alle diese Symptome nicht nur von der Entzündung der Meningen bedingt sind, viel eher ist anzunehmen, daß entzündliche Reizung der vorderen und hinteren Wurzeln, vielleicht auch des Rückenmarkes selbst an ihrer Entstehung Anteil habe. Immerhin gestatten sie den Schluß, daß Leptomeningitis vorhanden ist. Die chronische Meningitis spinalis geht öfter aus der akuten hervor. Ferner entwickelt sie sich bei allen pathologischen Vorgängen langsamen Verlaufs, welche im Wirbelkanal ihren Sitz haben und mit entzündlichen oder anderweitigen Ernährungsstörungen einhergehen; so bei Erkrankungen des Rückenmarkes selbst, bei Neubildungen, bei Entzündungen an der Wirbelsäule u. s. w. Es ist wahrscheinlich, daß der Alkoholismus, sicher daß die Syphilis das Leiden im Gefolge haben kann. — Man findet anatomisch Trübungen und Verdickungen der Pia und Arachnoidea, Verwachsungen derselben untereinander und mit der Nachbarschaft, venöse Hyperämie, Vermehrung der Spinalflüssigkeit. Daneben im Marke selbst in verschiedener Ausdehnung sklerotische Herde, Bindegewebswucherungen, sekundäre Degenerationen. — Auch in dem Krankheitsbilde der chronischen Spinalmeningitis tritt die Beteiligung des Rückenmarkes stark hervor. — Langsam zunehmend zeigt sich eine gewisse Steifigkeit im, Rücken mit reißenden, ziehenden Schmerzen und Parästhesien, mehr an den unteren, als an den oberen Extremitäten. Dieselben erscheinen schwer und weniger dem Willen unterthan. Motorische Reizerscheinungen, Zucken und Zittern in einzelnen Muskeln oder

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Gruppen von solchen fehlen nicht. Die anfangs gesteigerten Sehnmreflexe sind später erloschen. Allmählich wird Schwäche und Lähmung deutlicher, es bildet sich eine Paraplegie aus, welche trotz großer Schwankungen in ihrem Verlauf entschieden progressiv ist. Blase und Mastdarm pflegen sich zu beteiligen. Die sensible Sphäre ist bis zuletzt weniger ergriffen als die motorische. — Die Dauer kann sich bis auf viele Jahre ausdehnen. Genesung ist möglich, sie bleibt aber oft nur eine unvollkommene; Recidive sind häufig. Der Tod wird durch weitere Ausbreitung auf das Rückenmark, noch öfter durch Cystitis, Decubitus, Marasmus herbeigeführt. — Die Prognose ist immer mit Zurückhaltung zu stellen. — Die Behandlung der mehr selbständig (nach Traumen, Erkältung) auftretenden akuten wie der chronischen Form bewegt sich noch meist innerhalb der Bahnen der Antiphlogose im älteren Sinne. Bei kräftigen Leuten werden im Beginn der Erkrankung oder bei Steigerungen der schon länger bestehenden örtliche ausgiebige Blutentziehungen mit Recht empfohlen. Später, d. h. wenn der Zustand schon ein mehr stationärer geworden ist, macht man Gebrauch von den „fliegenden Vesicantien" (§ 3), welche gute Dienste leisten. In schweren Fällen griff man zum Glüheisen, das strich weis längs der Wirbelsäule zur Einwirkung gebracht wurde. — Dem galvanischen Strom muß, wenn die ersten Wochen der Erkrankung vorüber sind, eine große Wirkung zuerkannt werden. — Innerlich gab man Jodkalium [R Nr. 45]. — Die Wildbäder sollen in vielen Fällen nützen, sind aber stets mit Vorsicht zu gebrauchen. — Die Allgemeinbehandlung darf nicht vernachlässigt werden: kräftige Ernährung, Vermeidung stärkerer funktioneller Reizung des Markes — allzu angestrengter Körperbewegung, des Coitus u. s. w. — ist geboten. — In späteren Stadien kommt alles auf gute Pflege des Gelähmten an. § 26. Tumoren des Rückenmarkes und seiner Häute. Langsame Kompression des Rückenmarkes. Die Tumoren innerhalb des Wirbelkanals, einerlei woher sie ihren Ursprung nehmen, werden am besten wieder zusammen besprochen. Außer Erkrankungen der Wirbelsäule (Caries mit oder ohne Absceßbildung, luetische Prozesse, Bildung von Exostosen) handelt es sich um Geschwülste. — Die Rückemnarkshäute, besonders die Dura beteiligende Formen sind: Garcinom, metastatisch oder von der Wirbelsäule übergreifend, Sarkom in allen seinen Arten, Myxom, Lipom, Neurom. Weiter finden sich syphilitische und tuberkulöse Geschwulstbildungen; es kommen von Parasiten Echinococcus, ganz vereinzelt auch Cysticercus cellulosae vor. Intramedullär ist nach dem Tuberkel am häufigsten das Gliom gefunden worden; im übrigen entwickeln sich die gleichen Neubildungen wie in den Häuten. Abgesehen von den durch das Grundleiden bedingten Veränderungen zeigt die anatomische Untersuchung meistens an der betroffenen Stelle des Rückenmarkes Verwachsung und Verdickung der Häute, Entzündung der austretenden Nerven wurzeln, das Mark selbst ist entzündlich geschwellt, weicher, später wie die Wurzeln atrophisch, platt, verdünnt, härter. Im ganzen handelt es sich bei der langsamen Kompression um anämische Nekrose neben etwaigen entzündlichen Vorgängen, die ja keineswegs notwendig vorhanden sein müssen. Sekundäre Degenerationen bleiben in schwereren Fällen nicht aus. — Rückbildung soll, wenn die veranlassende Ursache aufhört, vorkommen, wird aber immerhin nur eine beschränkte sein, sobald wirkliche Zerstörung nervöser Elemente eingetreten ist. Man nimmt freilich selbst fiir diese an, daß teilweise Regeneration erfolgen könne.

Tumoren des Bückenmarkes u. seiner Häute. Langsame Kompression des Bückenmarkes. 47 Die Erscheinungen des Leidens lassen in zwei zeitlich aufeinander folgende Gruppen sich trennen: 1. Symptome von den außerhalb des Markes gelegenen Teilen. Die durch das Grundübel herbeigeführte Entzündung greift auf die Umhüllungen des Rückenmarkes und die austretenden Nervenwurzeln über, sie ruft Reizungserscheinungen hervor. Zuerst zeigen sich solche meist an den sensiblen Nerven: Rückenschmerz an der betroffenen Stelle mit Steifigkeit der Wirbelsäule, die gegen Druck empfindlich ist; nicht selten wird auch die bedeckende Haut hyperästhetisch. Neuralgiforme Anfälle, Parästhesien, Gürtelempfindung, später vielleicht Anästhesien, und, wenn trophische Störungen sich hinzugesellen, Exantheme treten auf. Bald folgen Erscheinungen von den motorischen Nerven: Zuckungen, Krämpfe, Kontrakturen in Muskeln; nicht lange, und Lähmungen in beschränkten Gebieten kommen hinzu; die von ihnen befallenen Muskeln werden oft atrophisch und verlieren ihre elektrische Erregbarkeit. Die Reflexe haben an diesen Teilen aufgehört. Betroffen werden von sensiblen wie von motorischen Nerven nur diejenigen, welche auf der von dem KrankheitsVorgang ergriffenen Höhe aus dem Rückenmark austreten. Es handelt sieh für jetzt wesentlich eben um Erkrankung der Nervenwurzeln. — Entwickeln sich Geschwülste vom Rückenmark selbst central, dann fehlen meist die Erscheinungen dieses ersten, auch als „prodromales" bezeichneten Stadiums 2. Symptome vom Marke selbst. Am meisten charakteristisch ist die motorische Lähmung, bei welcher anfangs die Muskeln weich und vollkommen schlaff erscheinen. Sie tritt im Laufe weniger Tage oder, das Gewöhnlichere, einiger Wochen auf, geht meist der sensiblen voraus und erscheint als Paraplegie, bei der die unteren Extremitäten dem Einfluß des Willens entzogen sind. Seltener zeigen sich andere Formen. Von diesen sind zu nennen: Paraplegia cervicdlis: die oberen Extremitäten werden zuerst gelähmt, die unteren bleiben noch frei. Bedingung ist der Sitz im oberen Teil des Markes; die Bahnen der Leitung zu den Armen liegen am oberflächlichsten und werden zunächst betroffen. Eine andere Entstehungsart dieser Lähmung ist dadurch möglich, daß schon im ersten Stadium die motorischen Wurzeln, aus denen der Plexus brachialis hervorgeht, ergriffen werden. — Spinale Hemiplegie, wenn eine Hälfte des Bückenmarkes vorwiegend erkrankt. Es kann dabei zur Entwicklung der „Halbseitenläsion" (§ 31) kommen.

Die Zeichen der sensiblen Lähmung sind minder stark entwickelt, die Anästhesie pflegt keine vollständige zu sein. Übrigens sind auch während dieses Stadiums oft noch Schmerzen vorhanden, welche mehr in einem starken Wehgefiihl mit den Empfindungen von Brennen, Drücken, Bohren bestehen und keine ausgesprochenen neuralgieartigen Erscheinungen machen. Auch Parästhesien fehlen nicht. — Steigerung der Reflexthätigkeit ist ein sehr gewöhnliches Vorkommen; sie bleibt nur aus, wenn die großen Ganglienzellen, welche die Umsetzung der sensiblen in motorische Erregung vermitteln, zerstört sind, für die unteren Extremitäten also bei schweren Erkrankungen des Lendenmarkes. Aus der Unterbrechung der Leitung in den vom Gehirn absteigenden reflexhemmenden Fasern wird die Zunahme der Reflexe erklärt. Die von den Sehnen sind noch mehr als die von der Haut gesteigert; es kann zu vollständigem ausgedehnten Reflexkrampf kommen. — Vasomotorische Störungen sind im allgemeinen seltener, trophische lassen manchmal lange auf sich warten. — Blase und Mastdarm fungieren, wenn nicht gerade das Lendenmark zusammengequetscht wurde, längere Zeit normal, oder doch wenigstens leidlich. — Das Krankheitsbild wird durch

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das Auftreten der sekundären Degenerationen geändert; auf sie, speziell auf die in den Seitensträngen sich entwickelnden, führt man die motorischen Reizerscheinungen zurück, welche in den gelähmten Muskeln sich zeigen. Diese, bisher schlaff, werden, nachdem Spannungen, Zuckungen, Starrwerden vorausgegangen, in den Zustand dauernder Kontraktur versetzt, während die Reflexerregbarkeit noch eine weitere Steigerung erfährt. Anfangs sind es meist die Streckmuskeln, später die der Beugung dienenden, an welchen diese Änderung beobachtet wird. — Selbst jetzt noch ist Heilung möglich und tritt, wenn die Kompression, wie in den meisten Fällen, durch Wirbelcaries bedingt war, thatsächlich oft genug ein. Im ungünstigsten Falle bilden sich neben allgemeinem Marasmus Decubitus und Cystitia aus, an deren Folgen die Kranken zu Grunde gehen. Die Diagnose gewinnt durch den Nachweis des Grundleidens wesentliche Stützpunkte. Für die Beteiligung des Rückenmarkes ist die Reihenfolge der Erscheinungen, Namentlich das zu Anfang der Erkrankung vorhandene Beschränktbleiben der Störungen auf die in nahezu gleicher Höhe das Mark verlassenden motorischen und sensiblen Fasern beweisend. Bei rasch sich entwickelnder Erkrankung — Carcinomen — wird auf die außerordentliche Heftigkeit der früh sich zeigenden Schmerzen besonders aufmerksam gemacht. Die Prognose ist wesentlich durch das Grundübel bedingt; ist dieses heilbar, dann können auch trotz jahrelanger Dauer die Lähmungen zurückgehen. Die Behandlung hat bei der durch Wirbelcaries hervorgerufenen Kompression eine nicht undankbare Aufgabe. Absolute Bettruhe bei passender Lagerung, welche so lange fortzusetzen ist, bis alle Zeichen entzündlicher Beizung verschwunden sind — das kann Monate und Jahre dauern —, daneben reichliche Ernährung und sorgfältige Krankenpflege im weitesten Sinne ist hier das erste und wichtigste Erfordernis. Man wird so mehr erreichen, als durch jede innere Medikation oder die vielgepriesenen Ableitungen, welche vom Vesikator bis zum Glüheisen sich erstrecken. — Syphilitische Erkrankung ist natürlich durch Jod und Quecksilber anzugreifen (§ 95). — Wenn die ersten Zeichen wiederhergestellter Leitung auftreten, kann man auf die Wirbelsäule direkt den galvanischen Strom zur Anwendung bringen, allein das muß mit großer Vorsicht geschehen. — Für die symptomatische Therapie öffnet sich ein weites Feld. § 27. Anämie des Rückenmarkes. Anämie dea Rückenmarkes wird durch mehr oder minder vollständige, in wechselnder Zeit sich entwickelnde Unterbrechung der Zufuhr normal beschaffenen Blutes hervorgerufen; sie entsteht auch bei regelmäßigem Kreislauf, wenn ein krankhaft verändertes Blut das Organ durchströmt. — Die erste Form bietet ausgeprägte, den experimentell herbeigeführten gleiche Erscheinungen dar, die zweite hingegen ist aus dem Gesamtbilde der Störungen, welche eine mangelhafte Blutmischung erzeugt, kaum rein herauszulösen. Verlegung des Aortenstammes führt zur Anämie aller jenseit des Hindernisses abgehenden Aste — der thrombotische Verschluß, wie die absichtlich (STEwsoN'scher Versuch) erzeugte Kompression der Bauchaorta oberhalb des Abganges der Lumbaiarterien, läßt daher die charakteristischen Zeichen für die Funktionsunfähigkeit des von der Blutzufuhr ausgeschlossenen Teiles des Rückenmarkes auftreten. Indes ist zu bemerken, daß gleichzeitig den zum nämlichen Gefäßgebiet gehörenden Nerven und Muskeln das Blut entzogen wird. Wohl geht zuerst die Erregbarkeit des Bückenmarkes, allein bei längerer Dauer der Unterbrechung auch diejenige der Muskeln und Nerven verloren. — Der Verschluß kleinerer Gefäße bleibt wegen der reichlichen Kollateralverbindungen im Rücken-

Anämie des Kückenmarkes.

Funktionelle Störungen des Bückenmarkes etc.

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mark meist ohne Folgen. — Von einigen wird angenommen, daß auf reflektorischem Wege ein ausgedehnter Krampf der Arterien im Marke entstehen könne, stark genug, um wirkliche Ernährungsstörungen mit Lähmungserscheinungen zu bedingen. Diese Anschauung ist jedoch keineswegs über alle Zweifel erhaben. — Was überhaupt Anämie bewirkt, kann auch die des Rückenmarkes im Gefolge haben; außer starken Blutverlusten, außer der Veränderung in der Blutmischung durch Infektionskrankheiten wird unter den Ursachen noch besonders die Chlorose genannt. — 1lascher Verschluß der Bauchaorta führt zu vollständiger sowohl sensibler wie motorischer Lähmung der unteren Körperhälfte; die Reflexe sind erloschen, Blase und Mastdarm sind gleichfalls gelähmt. So lehrt das Ergebnis der Tierversuche wie auch das der seltenen Beobachtungen am Menschen. •— Selbst wenn es gelingt, den Verschluß ganz oder doch zum Teil wieder aufzuheben, bleiben trotzdem immer noch je nach Dauer und Grad der Verminderung der Blutzufuhr wechselnde Störungen in dem betroffenen Gebiete zurück, zum Teil durch Veränderungen im Mark, zum Teil durch solche in Nerven und Muskeln veranlaßt. Hält die Verlegung an, dann entwickelt sich bald Muskelatrophie mit Verlust der elektrischen Erregbarkeit, hernach Decubitus und Gangrän. — Beobachtungen über den Verschluß höher nach oben gelegener Aortenabschnitte liegen nicht vor. — Allmähliche Verminderung der Blutströmung in der Abdominalaorta geht mit allerlei Parästhesien, dem Gefühl von Schwere in den Beinen und leichter Ermüdung derselben einher. Ahnliches ist bei allen anämischen Zuständen zu erwarten, tritt aber in dem Krankheitsbilde meist nicht eigenartig genug hervor, um darauf eine Diagnose zu gründen. Im allgemeinen scheinen bei diesen Zuständen die Lähmungserscheinungen der motorischen Nerven zu uberwiegen; sie folgen der allgemeinen Regel für Rückenmarkslähmungen, indem sie von unten nach oben aufsteigen. — Bezüglich der Reflexlähmungen wird darauf hingewiesen, daß ihre Erscheinungen je nach der Stärke des den Gefäßkrampf auslösenden peripheren Reizes wechseln. Die Diagnose des Verschlusses der Bauchaorta hat keine Schwierigkeiten. Sie bietet so bezeichnende Symptome, daß ein Irrtum oder Ubersehen kaum vorkommen kann. Für die anderen Formen ist die größte Zurückhaltung geboten. — Die Prognose richtet sich nach dem Grundleiden. — Die Behandlung steht bei dem wirklichen Verschluß der Aorta vor unlösbaren Aufgaben; in den übrigen Fällen ist sie gegen die veranlassenden Ursachen zu richten. § 28.

Funktionelle Störungen des Rückenmarkes im allgemeinen. Spinalirritation, Neurasthenia spinalis.

Bei einigen Erkrankungen, deren Symptome bestimmt f ü r ein Rückenmarksleiden sprechen, fehlen anatomische Befunde. Man ist daher genötigt, dieselben als funktionelle zu bezeichnen; die zweifellos vorhandenen materiellen Veränderungen sind durch unsere heutigen Hilfsmittel nicht nachweisbar. In erster Linie werden hierher gezählt die unter dem Namen Neurasthenia spinalis und Spinalirritation gangbaren Symptomenkomplexe. Alles dabei Auftretende wird in letzter Instanz auf eine „Schwäche" des Bückenmarkes bezogen, diese definiert m a n , von Einzelheiten bald dies, bald jenes mehr hervorhebend, als größere Erregbarkeit mit größerer Erschöpfbarkeit. Damit ist nicht viel gesagt. E s bleibt für viele Fälle dunkel, ob denn wirklich eine wesentliche unmittelbare Beteiligung des Rückenmarkes selbst stattfindet. Spinalirritation wurde dem weiblichen, Neurasthenia spinalis früher dem männlichen Geschlecht zugeteilt; jetzt wird diese Bezeichnung für beide zusammen gebraucht. — Das Krankheitsbild wird so gezeichnet: Hereditäre Belastung disponiert, als Gelegenheitsursache Körper im ganzen stärker in Anspruch Nehmende. v. J i i r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

gilt alles 4

den

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Allmähliche Entwicklung: Rückenschmerz, die Empfindung, daß jeder Anstrengung der Beinmuskeln Ermüdungs- und Schwächegefühl folgt, welches stärker ist als sonst, sich zu wirklichem Schmerz steigern kann. Druckempfindlichkeit eines mehr oder minder großen Teiles der Wirbelsäule, Parästhesien, auch wohl in Anfallen sich zeigende — neuralgiforme — Schmerzen an verschiedenen Teilen des Körpers. — Hinzu gesellt sich das ganze Heer „nervöser" Erscheinungen (s. § 60). Langsamer, schleppender Verlauf, es werden häufig Recidive beobachtet; dennoch ist meist der Ausgang günstig. Die Diagnose, soweit dieselbe in bestimmter Rubrizierung und Benennung der Krankheit besteht, muß in vielen Fällen dem subjektiven Belieben des Arztes überlassen werden. Es handelt sich um vielgestaltige Erscheinungen, denen reizbare Schwäche im weitesten Sinne des Wortes zu Grunde liegt, ob man diesen oder jenen Teil des Gesamtbildes stärker hervorhebt, ist von geringer Bedeutung. Hauptsache bleibt die rechtzeitige Unterscheidung von schweren Rückenmarksleiden während ihrer Entwicklung. Es wird mit Recht hervorgehoben, daß bei den funktionellen Zuständen objektiv nachweisbare Störungen fehlen, mindestens in einem entschiedenen Mißverhältnis zu den Klagen der Kranken stehen. Die Behandlung hat sich ganz nach den im Einzelfalle gegebenen Bedingungen zu richten, sie muß öfter eine psychische sein, neben welcher sorgfaltigste Regelung der Lebensweise und der Ernährung einherzugehen hat. Narcotica sind thunlichst xu meiden. — Die Anwendung der Elektrizität hat gute Erfolge aufzuweisen. Man benutzt sowohl den galvanischen wie den faradischen Strom nach den durch die besonderen Verhältnissen gegebenen Anzeigen. § 29. Erschütterung des Rückenmarkes. Zu den funktionellen Störungen des Rückenmarkes gehören auch die durch Erschütterung (Kommotion) desselben hervorgerufenen Krankheitserscheinungen. — Die häufigsten Gewaltstörungen sind: Ein Fall, bei welchem das Rückenmark mittelbar durch die steifgehaltenen Arme und Beine, oder vom Gesäß her, oder aber unmittelbar durch das Aufschlagen des Körpers auf den Rücken getroffen wird. Alles das kann durch das Zusammenstoßen von Bahnzügen oder deren Entgleisung vorkommen. Es soll unter solchen Umständen oft schon das plötzliche Aufhören der raschen Bewegung, in welcher sich der Körper befand, zum Zustandekommen einer Erschütterung des Rückenmarkes ausreichen. Den nämlichen Einfluß hat eine starke elektrische Entladung wie die bei dem Blitzschlag. — Möglicherweise können die lange Zeit wirkenden, wenn auch wenig starken Stöße, denen der Körper der Leute ausgesetzt ist, welche auf einer Lokomotive oder einem, Tramwagen stehend ihren Dienst verrichten, das Rückenmark schädigen. Im ganzen doch nur ausnahmsweise. — Das Wesen der Erschütterung wurde in molekularer Störung des Nervengefüges gesucht. Neuerdings glaubt man Veränderungen nachweisen zu können, welche, unmittelbar nach der Gewalteinwirkung entstanden, später weit- und tiefgreifende Entartungsvorgänge hervorzurufen vermögen. — Man beobachtet verschiedene Symptomenbilder: 1. Unmittelbar auf die Qewalteinivirkung folgend vollständige Lähmung aller Glieder, der Blase und des Mastdarmes, vollkommene Anästhesie, die Atmung

Erschütterung des Rückenmarkes. Akute aufsteigende Paralyse.

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und der Puls unregelmäßig, schwach, die Körperoberfläche kühl und bleich — der Tod kann nach Stunden oder Tagen eintreten, übrigens ist rasche Genesung nicht ausgeschlossen. Bei diesen mit ausgeprägten Shockerscheinungen einhergehenden Fällen ist häufig gleichzeitig Hirnerschütterung vorhanden. Diese verrät sich durch das aufgehobene Bewußtsein. 2. Anfangs geringfügige Erscheinungen. Nachdem der erste Schreck vorüber, scheint alles ziemlich in Ordnung, allein allmählich stellt sich Schwäche, namentlich in den Beinen, Schmerz und Steifigkeit im Rücken ein, dazu sensible Störungen, excentrische Schmerzen, Parästhesien, Anästhesien, ebenso periphere Kreislaufanomalien, Veränderungen in der Blutverteilung, sogar Unregelmäßigkeiten der Herzthätigkeit. Es gesellt sich hierzu Blasen- und Genitalschwäche, Abnahme der cerebralen Leistungsfähigkeit, Abnahme der Ernährung. Der Verlauf bietet Schwankungen dar, am häufigsten aber ist die langsame progressive Verschlimmerung bis zum tödlichen Ende. Genesung oder wenigstens sehr erhebliche Besserung ist übrigens doch möglich. Von englischen Ärzten wird dieser Form, die nach Eisenbahnunglück besonders oft beobachtet wurde, der Name „Railwayspine" im engeren Wortsinne beigelegt. Natürlich kommen noch anderweitige Krankheitsbilder vor, allein es genügt die Anführung dieser, die hauptsächlichsten Varianten enthaltenden. Entwickeln sich länger dauernde schwere Störungen, die zum Tode fuhren, dann bleiben anatomische Veränderungen — Entzündungen des Markes und seiner Umhüllungen — nicht aus. — Die neue deutsche Gesetzgebung bringt eine sehr große Zahl von Verunglückten zur ärztlichen Untersuchung, bei denen entschieden werden muß, ob ein vorausgegangener Unfall wirklich die einzige Ursache der Rückenmarkserkrankung, wenn eine solche überhaupt nachweisbar ist, war. Nur ein vielerfahrener und mit allen Feinheiten der Diagnostik vertrauter Arzt wird hier in zweifelhaften Fällen das Richtige finden. Es heißt sehr vorsichtig sein, und die Ergebnisse der objektiven Prüfung vor allem dem Urteil zu Grande legen. Abgesehen von Übertreibungen und bewußter Simulation spielen die im vorigen Paragraphen besprochenen Zustände oft genug mit. — Wurde wirklich eine Erkrankung des Rückenmarkes durch Erschütterung festgestellt, dann sei man des schleichenden und tückischen Verlaufs eingedenk mit der Prognose zurückhaltend. — Die Therapie muß, wenn Zeichen von Shock vorhanden sind, in erster Linie durch Aufrechterhalten der Herz- und Atmungsthätigkeit für den Fortbestand des Lebens Sorge tragen. Entzündlichen Erscheinungen ist mit Blutentziehungen und Anwendung von Kälte — beides örtlich — entgegenzuwirken. — Bei langsamer Entwicklung tritt die Therapie der Myelomeningitis in ihr Recht. Es ist besonders hervorzuheben, daß auch bei günstigem Verlaufe jede stärkere funktionelle Reizung des Rückenmarkes lange Zeit vermieden werden muß. § 30.

Akute aufsteigende Paralyse.

Als akute aufsteigende Paralyse {Kußmaul- Landry'sche Paralyse) wird eine seltene Krankheitsform bezeichnet, bei der das Bild schwerster, unter Mitbeteiligung des verlängerten Markes häufig tödlich verlaufender motorischer Lähmung sich rasch entwickelt. Es handelt sich dabei nur um eine klinische Zusammenfassung von einigermaßen gleichförmigen Symptomen. Die Entstehungsursachen, ebenso die anatomischen Befunde wechseln sehr. — 4*

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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

Nach vielen akuten Infektionskrankheiten, vielleicht auch als Zeichen einer eigenartigen, stellen sich die Erscheinungen ein, ebenso nach Tuberkulose und Syphilis. — Die chronische Alkohol- und Nikotinvergiftung geht bisweilen mit ihnen einher. — Anatomisch fand man: Weitverbreitete Neuritis, Entartungsherde an den Ganglien und den Nerven, aber auch wahre entzündliche, kleinherdige Veränderungen der Gefäße in wechselnder Ausdehnung über Rücken- und verlängertes Mark verbreitet. Manchmal beides gleichzeitig. Mikrobien verschiedenster Art sind an Ort und Stelle angetroffen, ihre Bedeutung steht dahin. — Wie in den zuerst beobachteten Fällen fehlt manchmal jede Gewebsstörung. — Die ursprüngliche Schilderung der Symptome ist diese: Oft ein sogar mehrere Wochen anhaltendes Prodromalstadium: allgemeines Unbehagen, geringes Fieber, allerhand Parästhesien, Schmerzen, Gefühl von Schwäche, öfter aber plötzlicher Anfang. — Bezeichnend für die eigentliche Krankheit ist die Entwicklung einer von den Beinen, zunächst von dem einen, dann von dem anderen, im Laufe von Stunden oder wenigen Tagen aufwärts steigenden schlaffen Lahmung, bei welcher Sensibilitätsstörungen sehr in den Hintergrund treten, mehr subjektiv als objektiv nachweisbar vorhanden sind, Atrophie der Muskeln und Veränderungen ihrer elektrischen Erregbarkeit fehlen, Blase und Mastdarm unversehrt bleiben. Die Meflexerregbarkeit bleibt erhalten. Das Gehirn wird nicht beteiligt. — Bei weiterem Fortschreiten werden die Muskeln des Rumpfs, dann die der Arme in Mitleidenschaft gezogen, danach kommt es zu den Erscheinungen der bulbären Lähmung (§ 49) mit Atmungserschwerung. Fieber fehlt. Schon nach zwei Tagen kann der Tod erfolgen, das Maximum der Dauer bis zum letalen Ausgange betrug sechs Wochen — im Mittel werden acht bis zwölf Tage angegeben. Genesung, und zwar vollständige, ist trotz bereits entstandener Atmungsbeschwerden nicht selten beobachtet. Von Abweichungen sind gefunden: Ausnahmsweise absteigende Ausbreitung von den Armen beginnend. Dann — das wird auf Ergriffensein peripherer Nerven bezogen — die Muskeln atrophieren, verlieren die normale elektrische Erregbarkeit, deutliche Störungen, der Sensibilität, Verminderung der Beflexe. — Außerdem Blasenlähmung. Die Gehirnnerven, wenn auch nur leicht, beteiligt. — Fieber. Für die Diagnose des Symptomenkomplexes ist die rasche Ausbreitung der Lähmung von maßgebender Bedeutung. Im Einzelfall wirft sich die Frage nach deE Entstehungsursache — die Hauptsache — auf. Freilich wird sie nicht immer beantwortet werden können. § 31. Traumatische Verletzungen des Rückenmarkes.

Halbseitenläsion.

Die traumatischen Verletzungen des Rückenmarkes entstehen durch direkte Verwundungen mittels der verschiedenen Waffen und indirekt durch solche mechanische Gewalt, welche Frakturen oder Luxationen von Wirbeln im Gefolge hat; fast stets ist eine Erschütterung des Markes damit verbunden. — Anatomisch ist zu bemerken, daß bei dem Menschen eine Regeneration der in den abgetrennten Teilen verlaufenden Nervenstränge, welche zur Wiederherstellung der Leitung führte, nicht nachgewiesen ist. Es bleibt bei der Bildung einfachen Narbengewebes. — Durch die Verletzung wird Leitungsunterbrechung mit den ihr entsprechenden Störungen der Bewegung und Empfindung herbeigeführt. Zu dieser andauernden Schädigung treten zwei andere vorübergehend hinzu: die Erscheinungen der Kommotion im Anfang, namentlich durch zeitweiliges Aufhören der Reflexe ausgezeichnet, später die Zeichen reaktiver Entzündung. Letztere folgen meist ziemlich bald und bieten fast immer das Bild einer je nach den Bedingungen des Einzelfalles mehr oder minder stürmisch verlaufenden Myelitis transversa (§ 32). Bei Verletzung des Halsmarkes kann Temperaturerhöhung bis zu 44°, bei solcher des Brustmarkes Temperaturverminderung bis 30° sich zeigen.

Traumatische Verletzungen des Rückenmarkes. Halbseitenläsion.

Akute Myelitis.

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Durch Verwundungen wird derjenige Symptomenkomplex am ehesten in seiner ganzen Reinheit hervorgerufen, welchen man als Halbseitenläsion (Brown-• SSquard'sche Spinallähmung) bezeichnet. Diese tritt ein, wenn auf eine Hälfte des Markes beschränkte Quertrennung desselben stattfand. — Halbseitige Kompression durch Geschwülste, degenerative Prozesse, Entzündungen u. s. w. haben selbstverständlich das gleiche zur Folge. — Die Erscheinungen nach einer solchen Quertrennung sind: An der Seite, welche der Verletzung des Markes entspricht, ist Lähmung der motorischen und vasomotorischen (Temperatursteigerung) Nerven vorhanden, daneben allgemeine Hyperästhesie, von welcher nur der Muskelsinn nicht betroffen wird. Dieser ist meist vermindert. — An der unverletzten Seite ist die Bewegungsfähigkeit ungestört, hingegen ausgesprochene Anästhesie aufgetreten. Diese Veränderungen erstrecken sich bis zur Höhe der Verletzung. Oberhalb der mit der Verletzung gleichseitigen hyperästhetischen Haut findet sich ein schmaler Gürtel anästhetischen Gebietes, manchmal über demselben wieder ein noch kleinerer hyperästhetischer Ring; oberhalb der entgegengesetzten anästhetischen Seite ist eine schmale hyperästhetische Zone vorhanden. Die Reflexe sind an der motorisch gelähmten Seite bald gesteigert, bald schwächer, an der sensibel gelähmten meist normal. Die Muskulatur der motorisch gelähmten Seite wird atrophisch und verliert die Erregbarkeit für den faradischen Strom, beides in wechselnder Stärke. Die Thätigkeit der Blase, des Mastdarmes, ebenso die Geschlechtskraft des Mannes pflegt, wenn auch nicht sehr beträchtlich, vermindert zu sein. Bisweilen stellt sich Gürtelgefühl und in dem einen oder dem anderen Bein Empfindung von Schmerz ein. Das Krankheitsbild ist physiologisch nur für die motorischen Störungen verständlich: die Kreuzung der motorischen Nervenfasern, welche als Pyramidenbahnen in den Seitensträngen verlaufen, geschieht schon im verlängerten Mark und ganz oben im Rückenmark; ebenso die Kreuzung der vasomotorischen Fasern. Beide Nervengattungen werden also von einer halbseitigen Querdurchschneidung des Rückenmarkes stets unterhalb ihrer Kreuzung, auf der Seite der von ihnen versorgten Körperhälfte getroffen. — Der Verlauf der sensiblen Fasern ist wieder so sehr in Zweifel gestellt, daß auf eine Erklärung der sie beteiligenden Erscheinungen nach Quertrennung verzichtet werden muß.—

Die Therapie aller traumatischen Erkrankungen ist im allgemeinen die der Myelitis. § 32. Akute Myelitis. Akute Myelitis entsteht im Gefolge von Verletzungen und durch Übergreifen von Entzündung aus der Nachbarschaft. Es ist wahrscheinlich, daß, abgesehen von dem Gifte der epidemischen Cerebrospinalmeningitis, auch die anderer Infektionskrankheiten ausnahmsweise im Rückenmark einen geeigneten Boden finden können, genannt werden besonders Pocken und septische Erkrankungen. Aber es fehlt kaum eine, Syphilis und Tuberkulose eingeschlossen, in der Aufzählung. Ausnahmsweise wird wohl mit Recht heftige psychische Erregung, vielleicht auch Erkältung als Urheber der Myelitis beschuldigt, immer bleibt noch ein Rest von unaufgeklärter Entstehungsweise. — Anatomisch unterscheidet man zunächst nach der Ausbreitung: Poliomyelitis (Myelitis centralis) — Ausgangspunkt die graue Substanz, L e u k o m y e l i t i s , die weiße, — Myelitis transversa — der ganze Querschnitt ist betroffen, — Myelitis peripherica — die äußeren Schichten sind vorzugsweise beteiligt. Seltener finden

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sich durch das ganze Organ zerstreute Herde — Myelitis disseminata, oder ein kleinerer engbegrenzter — Myelitis circumscripta. — Die Längenausdehnung der Herde wechselt sehr erheblich. Weiter trennt man nach der Dauer: rote, gelbe Erweichung, bei beiden quillt das Mark über den Querschnitt vor, graue, es sinkt ein. Es handelt sich auch hier um entzündliche, sogar zur Absceßbildung fuhrende, oder um Vorgänge, die ohne diese Entartung hervorrufen. Degeneration, wie immer sie entstanden sein mag, ist letzthin das Entscheidende. Sie trifft alle nervösen Bestandteile. — Als Ausgänge finden sich mechanisch den Gewebsausfall ersetzend Wucherungen im Gewebe der Glia, denen sich solche des Bindegewebes — von den Gefäßen und der Pia her — anschließen. Die zerstörten Nervenbestandteile werden, die Ganglienzellen gar nicht, die Axencylinder nur in beschränktester Weise ersetzt — funktionell ist ihr Untergang sicher. — Als Endergebnis zeigen sich mehr oder minder große sklerotische Herde, welche sehr derb, fest, trocken {Sklerosen im engeren Wortsinne), aber auch weicher {gallertige Degenerationen, Z I E G L E E ) sein können. Hier kommen Cystenbildungen zustande. Diesen, von der Glia ausgegangenen, gesellen sich die vom Bindegewebe herstammenden echten Narbenbildungen. Die Herde heben sich durch ihre graue Färbung von der Nachbarschaft ab. Es kann eine je nach ihrem Umfang mehr oder minder beträchtliche Verkleinerung des Querschnittes an den betroffenen Stellen vorhanden sein. — Meningen und Nerventourzeln nehmen meist teil. — Sekundäre Degenerationen stellen sich nach einiger Zeit immer ein. Periphere Nerven, soweit sie mit dem Krankheitsherde in Beziehung stehen, und die ihnen zugehörenden Muskeln, werden im späteren Verlauf der Erkrankung öfter atrophisch. Die mannigfache Entstehungsweise, der Sitz und die Ausbreitung der örtlichen Veränderungen bedingen das. Ein Krankheitsbild ist nur in allgemeinen Umrissen zu entwerfen. Tritt das Leiden als selbständiges auf, dann kann ein übrigens ganz unbestimmtes Prodromalstadium vorhergehen, andere Male ist der Anfang ein plötzlicher mit Schüttelfrost uud Fieber, oder ohne solches. — Reizerscheinungen der sensiblen Nerven in allen Formen sind manchmal zu Beginn vorhanden, seltener solche der motorischen — die Beteiligung der Meningen macht sich hier vorwiegend geltend. Charakteristisch sind die Lähmungen, welche Empfindung wie Bewegung, besonders aber diese treffen. Die auf dem befallenen Teil des Querschnitts liegenden Leitungsbahnen werden unterbrochen, und alles, was innerhalb derselben verläuft, wird mehr oder minder funktionsuntüchtig. Zu bemerken ist, daß erfahrungsgemäß die motorische Lähmung, sie pflegt wenigstens anfangs eine schlaffe zu sein, zeitlich der sensiblen vorausgeht; diese pflegt auch nicht so hochgradig zu werden. — Die Reflexerregbarkeü ist durchaus verschieden; je nachdem die reflexhemmenden Fasern von dem die Übertragung vermittelnden Centrum abgetrennt sind, oder dieses Centrum selbst zerstört wurde, erscheint dieselbe vermehrt oder bis zum Erlöschen vermindert. — Störungen der Harnentleerung finden sich sehr häufig, anfangs handelt es sich meist um mehr oder minder vollständige Lähmungen des Detrusor — also erschwerte Entleerung —, später um solche des Sphincter vesicae — also Inkontinenz. Fast das gleiche ist das Verhalten bei der Defäkation, anfanglicher Stuhlverstopfung folgt Lähmung mit dem Unvermögen, den Stuhl zurückzuhalten. Unter den trophischen Störungen

Chronische Myelitis.

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ist das Auftreten von brandigem Decubitus besonders bemerkenswert. Nur durch äußerste Sorgfalt und peinlichste Reinlichkeit ist derselbe vielleicht zu vermeiden. Von anderen wird behauptet, daß sich ganz unabhängig von äußeren Einflüssen Druckbrand entwickeln kann. Dann würde es sich um Zerstörung trophischer Centren innerhalb des Markes handeln. Von einer solchen dürfte auch die manchmal sehr rasch entstehende Muskelatrophie abzuleiten sein. Verlauf und Ausgang sind wiederum sehr wechselnd. Der Tod kann in wenig Tagen eintreten und wird dann meist durch Atmungslähmung herbeigeführt, welche bei Unterbrechung der Phrenicusbahnen erfolgt. Auch septische Infektion, von dem Decubitus oder einer Cystitis ausgehend, vermag im Laufe einiger Wochen, bei langsamerem Verlauf vielleicht erst nach Monaten das tödliche Ende zu bewirken. — Der Ubergang in die chronische Form ist nicht selten. — Genesung mit mehr oder minder hochgradiger Einbuße an Bewegungs- und Empfindungsvermögen ist öfter zu beobachten, vollständige Heilung nur in äußerst wenig Fällen. — Die Prognose ist daher immer sehr zweifelhaft. Bei der Behandlung sind örtlich ausgiebige Blutentziehungen und Kälte — Eisbeutel, am besten die langen CHAPMAN'schen — , im akuten Stadium zunächst angezeigt. Man hat auch von den Gegenreizen bis herauf zum Glüheisen Gebrauch gemacht — ein in Anbetracht der dringenden Gefahr immerhin erlaubter Eingriff. Die jenseit des akuten Stadiums liegenden therapeutischen Maßnahmen sind die gleichen, wie die bei der von Haus aus chronischen Myelitis. § 33. Chronische Myelitis. Wie viel von dem, was unter dem Namen der chronischen Myelitis zusammengefaßt wird, echter Entzündung, wie viel Ernährungsstörungen im weiteren Wortsinne angehört, ist gegenwärtig nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Die Bildung der Gruppe ist wesentlich von klinischen Gesichtspunkten aus vorgenommen ; als maßgebend betrachtet man dabei die langsame, fieberlose Entwicklung und ebendenselben Verlauf der hier eingereihten Krankheitszustände. Manche der früher anstandslos dazu gerechneten zeigen so eigenartige Bilder, daß sie ausgeschieden werden mußten — die Systemerkrankungen (§ 20). Was übrig ist, fällt unter die Myelitis transversa und ruft je nach Sitz und Ausbreitung der Erkrankung verschiedene Erscheinungen hervor. — Diese Formen sollen zunächst besprochen werden. Als prädisponierend wird neuropathische Konstitution (§ 60), körperliche und geistige Überanstrengung, dann auch die Syphilis angeführt. Zum Ausbruch soll das Leiden besonders durch Erkältung kommen, namentlich wenn solche einen ermüdeten Körper trifft. Man will so das verhältnismäßig häufige Auftreten bei Soldaten nach den Feldzügen erklären. — Die Entwicklung der chronischen aus der akuten Form läßt die für diese angegebenen Entstehungsursachen auch hier zur Geltung gelangen. Anatomisch ist zu bemerken: Die für die akute Myelitis gebräuchlichen Bezeichnungen bezüglich des Sitzes und der Verbreitung werden ebenfalls für die chronische verwendet. Makroskopisch kann, selbst bei erheblichen Strukturveränderungen, alles normal erscheinen, gewöhnlich aber ist das Rückenmark an den kranken Stellen dünner und härter, grau mit einem mehr oder minder ausgesprochenen Stich ins Gelbe. Erweichungen sind seltener. Meningen und Nerven-

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wurzeln können teilnehmen. — Mikroskopisch findet man: Umwandlung der Gerüstsubstanz, an deren Stelle feinfaseriges, festes Gewebe, Verdickung der Gefaßwandung bei gleichzeitiger Verengerung des Lumens, streckenweise Ausbuchtungen. Körnchenzellen und Corpora amylacea in wechselnder Menge und Verteilung, Nervenfasern und Ganglienzellen angeschwollen, gequollen bis zum vollständigen Zerfall, atrophisch; nicht selten ist auch Höhlenbildung vorhanden. Die Erkrankung entsteht schleichend. Leichtere sensible, Störungen pflegen sie einzuleiten; dieselben treten in verschiedener Form, gewöhnlich an den unteren Extremitäten auf, ohne nachweisbare äußere Veranlassung kommend und gehend. Ebenso ist es mit den bisweilen den sensiblen voraus sich meldenden motorischen Störungen, die als Schwäche und Ermüdung der Beine mit deutlichen spastischen Erscheinungen sich zeigen. Schon früh nehmen Blase und Mastdarm teil — es ist Erschwerung des Harnlassens wie der Stuhlentleerung da. Auch die Geschlechtskraft der Männer läßt nach. Oft genug beschränkt sich die Veränderung auf das Lenden- und die unteren Abschnitte des Brustmarkes. Werden die Arme überhaupt in Mitleidenschaft gezogen, dann sind sie jedenfalls weniger ergriffen. — Langsame Zunahme aller Symptome, die der motorischen Lähmung treten mehr in den Vordergrund, unter den sensiblen überwiegt die Anästhesie. So kommt es zur Paraplegie. Die länger erheblich gesteigerten Reflexe an den von der Lähmung ergriffenen Teilen erlöschen nach und nach, Beizerscheinungen in denselben — Zuckungen, Kontrakturen — hören auf; die Muskeln werden allmählich atrophisch. — Die Rückwirkung auf das Allgemeinbefinden ist, abgesehen von etwaiger gar wohl begreiflicher psychischer Depression des KrankeD, keine besonders nachteilige; auch die Ernährung wird wenig beeinträchtigt. Erst mit den Enderkrankungen, dem Decubitus und der Cystitis, ändert sich das. Der Ausgang in wirkliche und vollständige Genesung ist, wenn er überhaupt vorkommt, jedenfalls sehr selten, öfter jedoch werden durch scheinbaren Stillstand trügerische Hoffnungen erweckt. Die Becidive, von denen viel gesprochen wurde, dürften sich in der Mehrzahl auf diese Weise erklären. In der Regel kommt es nach Jahren xum tödlichen Ausgang. — Die Prognose ist demgemäß recht schlecht, freilich wird dem Kranken eine längere Lebensfrist gegönnt. Die Therapie hat, es sei denn, daß Syphilis vorliegt, eine undankbare Aufgabe. — Regelung der Lebensweise, möglichst gute Ernährung, Fernhalten aller Schädlichkeiten, von denen ein ungünstiger Einfluß speziell auf das Rückenmark zu erwarten ist, sorgfältigste Pflege der des Gebrauchs ihrer Glieder teilweise Beraubten, den Gefahren des Decubitus und der Cystitis Ausgesetzten — das ist dauernd im Auge zu behalten. — Die Anwendung der Elektrizität, besonders des auf den Erkrankungsherd selbst wirkenden galvanischen Stromes, verspricht noch am meisten; es gilt als Regel, daß kurzdauernde Sitzungen mit nicht zu starken Strömen längere Zeit wiederholt werden sollen. Faradisation der dem Willen entzogenen Muskulatur kann — falls keine Entartungsreaktion vorhanden — der Ernährung der Muskeln zu statten kommen; wird die Leitung später wiederhergestellt, dann sind dieselben wenigstens nicht atrophisch geworden. — Auch von sachkundiger Hand geleitete Wasserkuren sollen nützen. Unter den Bädern werden von maßgebender Seite die Soolbäd&r weitaus bevorzugt, dabei aber dringend zur Vorsicht gemahnt: man soll nicht höher als 30° C. mit der Temperatur gehen und nur kurze Zeit baden lassen. — Von

Multiple Sklerose des Rückenmarkes und Gehirns.

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Medikamenten werden Seeale cornutum (0,3—0,5 g zweimal täglich) und in kleineren Dosen gleichzeitig dargereichte Belladonnapräparate empfohlen. — Die auf die Dauer kaum zu umgehende Anwendung des Morphium muß solange wie möglich hinausgeschoben werden — man denke immer daran, daß es sich um Jahre des Gebrauchs handelt und Morphinismus droht. § 34.

Multiple Sklerose des Rückenmarkes und Gehirns.

Die multiple Sklerose ist in der Regel nicht auf das Rückenmark beschränkt, sie zieht auch das Gehirn in Mitleidenschaft. Es handelt sich bei dieser Erkrankung um die Bildung von Herden innerhalb des ganzen Nervensystems, besonders aber des centralen, welche in willkürlicher Ausbreitung größere oder kleinere Teile desselben einnehmen, anatomisch durch Vermehrung des Gliagewebes und bis zum Untergang fortgeschrittene Veränderungen der von der Wucherung umschlossenen Nervenfasern ausgezeichnet sind. — Ätiologie: Statistisch: am häufigsten findet sich die Erkrankung vom 20. bis 35. Jahre, dann im Kindes-, ausnahmsweise auch im späteren Lebensalter. — Ein Unterschied des Geschlechts ist nicht vorhanden. — Hereditäre Belastung spielt keine Rolle. — Ursächlich: Man hat die multiple Sklerose überhaupt als Folge akuter Myelitis betrachtet (v. LEYDEN). In der That spricht dafür vieles. Zunächst, daß sehr oft Infektionen vorausgingen — in erster Linie die Pocken, aber keine, außer der Syphilis, bleibt ausgeschlossen. Chronische Metallvergiftungen reihen sich an; zweifelhafter ist der Einfluß des Alkohols. — Mechanische Einwirkung, besonders die mit Erschütterung der Centraiorgane einhergehende, ist sicher von maßgebender Bedeutung. Genannt werden noch Erkältungen, geistige und gemütliche Überanstrengung. Anatomisch findet man: In allen Teilen des Gehirns und seiner Nerven, des Rückenmarkes und seiner Nervenwurzeln zeigen sich Herde von verschiedener Form und einer Größe, die von dem makroskopisch nicht mehr wahrnehmbaren, bis zu 10 und mehr Centimetern in allen Zwischenstufen schwankt. Gewöhnlich ist die Konsistenz des erkrankten Gewebes vermehrt, seltener vermindert — in diesem Falle denkt man an relativ frische Prozesse. Die Herde ragen über die gesundgebliebenen Teile hervor oder senken sich darunter. Auf dem Durchschnitt erscheinen sie grau bis graugelb, auch grau und weiß gefleckt, manchmal nach Einwirkung des Sauerstoffs der Luft leicht rötlich, glatt, matt-glänzend; sie können zusammenfließen und dann, namentlich im Gehirn, sich über weite Strecken ausdehnen. — Sekundäre Degenerationen fehlen fast immer. Mikroskopisch sieht man die derberen Herde aus einem dicken Geflechte feiner Fasern bestehen, Kerne, reichliche oder spärliche, sind darin eingebettet. In der Mitte der Herde bestehen die Nervenfasern, wenn sie nicht ganz zu Grunde gegangen sind, nur aus dem Axencylinder, sie haben ihre Markscheide verloren. Die Markscheide ist gegen die Peripherie hin noch vorhanden, aber schmäler, und erst in allmählichem Übergang zu den gesunden Teilen verbreitert sie sich wieder. Auch die nackten Axencylinder sind in der Mitte des Herdes dünner, teilweise sehr dünn geworden, nach außen hin nehmen sie wieder an Umfang zu. — Dies gilt für die weiße wie für die graue Substanz. Die in dieser gelegenen Ganglienzellen sind nur bei hochgradigen Veränderungen des Markes ver-

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ändert, geschrumpft und haben ihre Fortsätze verloren. — Auf das Fortbestehen der Axencylinder führt man es zurück, daß sekundäre Degenerationen bei multipler Sklerose nicht zur Ausbildung gelangen. — Die Gefäßwände sind sehr häufig hyalin verdickt, die Adventitia kann mit Körnchenzellen, Kernen, Fetttröpfchen und umgewandeltem Blutfarbstoff durchsetzt sein. — Die weicheren Herde bieten im ganzen das gleiche Bild dar, nur ist das Maschenwerk weiter — die gefleckten Herde enthalten Fettkörnchenzellen und Detritus. In manchen Fällen war eine Beziehung des Einzelherdes zu den in ihn mündenden Gefäßen nachweisbar. Vom anatomischem Gesichtspunkte aus muß indes eine mehrfache Entstehungsweise der sklerotischen Herde als möglich angenommen werden: nicht entzündliche Ernährungsstörung, Entwicklungsanomalien des Gliagewebes, multiple Entzündung werden als primäre Erkrankungen genannt.

Gewöhnlich entstellt die Krankheit langsam, seltener anscheinend plötzlich. Je nach dem Sitz der ersten Herde treten verschiedene Symptome auf. Bei ausgesprochener Hirnlokalisation findet man Kopfweh, Schwindel, Erbrechen, Störungen bei dem Sehen oder dem Sprechen. Aber es kann auch ganz plötzlich ein apoplektischer Insult sich einfinden. Wurde das Rückenmark vorwiegend ergriffen: Schwäche, Unsicherheit des Ganges, leichte Ermüdung. — Es vergeht gewöhnlich eine erhebliche, durch vielfaches Besser- und Schlechterwerden gekennzeichnete Zeit, ehe die entwickelte Krankheit bleibende charakteristische Zeichen liefert. Unter den Bewegungsstörungen ist dann das sogenannte Intentionszittern eine der häufigsten: die vom Willen in Thätigkeit zu setzenden Muskeln werden ruckweise zur Zusammenziehung gebracht, so daß ein mehr oder minder heftiges Zittern eintritt, die Richtung der ausgeführten Bewegung im ganzen ist die beabsichtigte. In der Ruhe fehlt das Zittern vollständig. Welche Herderkrankung dem Intentionszittern zu Grunde liegt, ist fraglich; es findet sich auch bei scheinbar rein spinalen Formen. Wahrscheinlich ist die Erscheinung als Koordinationsstörung anzusehen. — Darauf dürfte auch z. T. wenigstens, denn es kommt hinzu, daß die Muskeln langsam arbeiten und leicht ermüden, das, freilich nicht jedesmal auftretende, allein keineswegs allzu seltene Skandieren beim Sprechen zu beziehen sein. Es löst sich dabei eine Silbe nach der anderen nur langsam von den Lippen, die Sprache ist überaus eintönig. Ferner das Umschlagen der Stimme bei stärkerer Anstrengung; mannigfaltige Anomalien bei der Inspiration, durch rasches Lufteinströmen bedingtes Jauchzen oder ähnliche Laute — alles das übrigens nicht gerade häufig. Der Kehlkopfspiegel, ebenso die graphische Darstellung zeigen, wie es bei diesen Störungen zugeht. — Nystagmus, oft zu beobachten, ist nur Intentionszittern. An den motorischen Störungen sind hervorragend die Muskeln der Beine beteiligt, in weitaus geringerem Grade die übrigen. — Es handelt sich gewöhnlichst nicht um wirkliehe Lähmung, vielmehr um beschränkte Gebrauchsfahigkeit, welche, durch Steifigkeit der Muskeln bedingt, als langsame, schwerfällige Bewegung und rasch folgende Ermüdung zu Tage tritt. Bei dem Gehen z. B. steigern sich alle diese Erscheinungen je länger es dauert, ebenso bei fortgesetztem Gebrauch der überhaupt in Mitleidenschaft gezogenen Muskeln. Mitbewegungen

Multiple Sklerose des Kückenmarkes und Gehirns.

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stellen sich leicht ein.. — Die Steifigkeit zeigt sich auch bei passiven Bewegungen, um so mehr, je gewaltsamer man sie vornimmt. — Der Gang ist in verschiedener Weise verändert. Am häufigsten ist er ein spastischer (§ 36), daneben kommt aber auch der ataktische (§ 35) und der mit Taumeln verbundene (cerebellare) vor. Diese Formen können miteinander verbunden sein; an dem einen Bein kann diese, an dem anderen jene stärker hervortreten. Die mehr und mehr sich steigernde Erschwerung macht schließlich jedes Gehen unmöglich. — Kontrakturen — anfangs meist die Extensions-, später die Flexionsmuskulatur treffend, tragen dazu selbstverständlich um so stärker bei, je hochgradiger sie entwickelt sind. — Besonders hervorzuheben sind die apoplektiformen Anfälle, man schätzt ihre Häufigkeit auf 20 °/ 0 . Mit oder ohne Vorboten kommt es zum Koma unter gleichzeitiger, selbst bis 41° anwachsender Temperatursteigerung, Zunahme der Pulsfrequenz und Rötung des Gesichts; eine Körperhälfte wird dabei gelähmt. Selten ist dabei ein tödlicher Ausgang; nach einigen Tagen schwindet mit abnehmendem Fieber zunächst das Koma, dann allmählicher die Hemiplegie. War solche ganz ausgeblieben, wie es bei diesen Zufallen manchmal, wenngleich nur sehr selten geschieht, dann ist außer dem Koma nur eine vorübergehende allgemeine Verschlimmerung, namentlich der schon früher vorhandenen Lähmungen zu beobachten. — Nach schweren Gehirnerscheinungen tritt fast immer eine Zunahme der Krankheit überhaupt auf. Lähmungen einzelner Gehirnnerven sind seltener, am ehesten kommen sie noch an denen der Augenmuskeln vor. — Die Sehnenreflexe, besonders an den Beinen, sind meist sehr gesteigert. Die Ernährung der Muskeln ist lange ungestört, mit ihr die Reaktion auf elektrische Reizung. — Die Hautreflexe bleiben lange normal. — Sensible Störungen treten in vielen Fällen zurück, fehlen indessen nicht so häufig, wie behauptet wurde. Sie zeigen sich in der verschiedensten Weise, als Gürtelgefühl, als Parästhesien oder Anästhesien aller Sinnesqualitäten. Eigentümlich ist, daß alles so rasch wie es kommt auch wieder schwindet. Es ist daher leicht möglich, daß man bei einer Untersuchung nichts antrifft. — Von den Sinnesorganen fand man vorzugsweise das Äuge ergriffen: Sehschwäche, indessen keineswegs hochgradige, manchmal mit Reizerscheinungen, Funkensehen und dgl., verbunden. Aber es kommen auch schwere Störungen vor. Man bemerkte in nahezu der Hälfte der untersuchten Fälle Veränderungen an der Papille, bisweilen neuritische, sogar Atrophie derselben. — Blase und Mastdarm können schon im Anfang, aber nur leicht und vorübergehend in Mitleidenschaft gezogen werden. Von schwerem, dauerndem Leiden sind sie gewöhnlichst verschont. — Decubitus bleibt meist aus. Gehör, Geruch, Geschmack sollen weniger oft in Mitleidenschaft gezogen sein — eine Behauptung, die möglicherweise durch nicht so häufige und eingehende Untersuchung, als sie dem Auge gewidmet wurde, zu erklären ist. Leichtere Störungen der Psyche sind gegen das Ende des Leidens recht oft vorhanden. Da es sich bei der multiplen Sklerose um eine regellose Verbreitung der einzelnen Herde auf das Gesamtgebiet des Nervensystems handelt, wird einzig der Satz unbedingte Gültigkeit beanspruchen können, daß die örtlichen Erscheinungen des Einzelfalles durch

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die in ihm bestehenden Herderkrankungen bedingt sind. Erfahrungsgemäß darf weiter gesagt werden, daß eine Beschränkung der Krankheit nur auf das Gehirn oder nur auf das Rückenmark selten ist. — Eine genauere Erklärung der Einzelsymptome ist nur dort möglich, wo unsere physiologischen Kenntnisse weit genug fortgeschritten sind, um die Funktionsstörung des betroffenen Teiles gesondert erkennen und deuten zu können. Das aber ist nur in sehr beschränktem Maße der Fall; für vieles fehlt noch jedes Verständnis. So sind z. B. auch die apoplektiformen Anfälle vollkommen rätselhaft.

Die multiple Sklerose ist eine langsam, aber stetig fortschreitende Erkrankung, welche wohl immer zum tödlichen Ausgang führt. Stillstand und Scheinbesserung können freilich bis zu jahrelanger Dauer sich einschieben. Man hat raschen Verlauf innerhalb ein bis zwei Jahren, ebenso sehr zögernden auf 20 Jahre sich erstreckenden gesehen — beides selten, gewöhnlich rechnet man 5 bis 10 Jahre. Der Tod kann in einem Anfalle erfolgen, meist aber wird er am letzten Ende durch Marasmus, Decubitus oder Cystitis herbeigeführt. — Die Prognose ist somit unbedingt schlecht. Die Diagnose hat sich zunächst die Aufgabe zu stellen, Herderkrankung an verschiedenen Teilen des Nervensystems aufzufinden. Man kommt so zu dem Nachweis, daß an den räumlich getrennten Abschnitten sich pathologische Vorgänge vollziehen. Das Auftreten mehrerer, öfter bei dem Ganzen der Krankheit beobachteter Symptome — Intentionszittern, Sprachstörung, Nystagmus, apoplektiforme Anfalle — leiten dann weiter, die Zusammenfassung und Einreihung des Ganzen unter ein bekanntes Krankheitsbild gestattend. Als charakteristisch ist ferner zu bezeichnen, daß SehstöruDgen, motorische wie sensible Erscheinungen, besonders aber auch die Erühsymptome vom Mastdarm und von der Blase, sehr rasch einsetzen und ebenso in verhältnismäßig kurzer Zeit wieder zurückgehen. — Es kann natürlich vorkommen, daß bei noch wenig ausgedehnten Veränderungen nur die einer bestimmten Lokalisation entsprechenden Zeichen sich finden und daher eine örtlich beschränkte Krankheit angenommen werden muß. Erst die weitere Beobachtung giebt vollen Aufschluß. Manchmal kann sogar bis zur Sektion alles dunkel bleiben. Es sind einige Fälle beobachtet, bei welchen alle Erscheinungen der multiplen Sklerose vorhanden waren, die Sektion aber keine Veränderungen erkennen ließ. — Die Differentialdiagnose gegenüber der Paralysis agitans ist durch die Form des Zitterns gesichert; weiter ist zu bemerken, daß diese eine Krankheit des vorgeschrittenen Lebensalters ist. Von einer wirksamen Therapie ist leider nicht zu reden. Man empfiehlt arsenige Säure und Silbersalpeter, die Anwendung der Bäder, der Hydrotherapie, des Galvanismus wie bei chronischer Myelitis. § 35. Tabes dorsalis. Die Tabes dorsalis ist die häufigste chronische Erkrankung des Rückenmarkes. — Ätiologie. Mehr und mehr bestätigt es sich, daß die Tabes in naher Beziehung zu der Syphilis steht. Man mag über die Beweiskraft statistischer Aufstellungen urteilen wie man will, die Thatsache, daß bei vielen Tabikern Lues vorausging, wird nicht abgeleugnet werden können. In einigen Fällen traten die ersten Zeichen der Tabes schon bei frischer (florider) Syphilis auf. Etwa zwei Drittel der Erkrankungen traf auf die Zeit, welche das sechste bis fünfzehnte

Tabes dorsalis.

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Jahr nach der syphilitischen Infektion umfaßte. Jenseits dieses Zeitraums, besonders jenseits des zwanzigsten Jahres nimmt die Häufigkeit der Erkrankung an Tabes sehr ab. — Auch hereditäre Lues kann sich geltend machen. So bedeutungsvoll die Syphilis ist, nicht alles darf auf sie zurückgeführt werden. Edingek versuchte durch die Entwicklung seiner schon erwähnten Theorie (§ 18) allgemeine Gesichtspunkte zu geben. Deren Grundlage ist, daß in weniger gut genährte Gewebsteile die in deren Nachbarschaft gelegenen besser genährten hineinzuwuchern streben: „Kampf der Teile im Organismus" (RouxWeigert). Im Rückenmark würde bei Schädigung der Nervenelemente das interstitielle Gewebe deren Stelle einzunehmen suchen. Die Schädigung der nervösen Bestandteile im Rückenmark kann nun auf verschiedene Weise zustande kommen. Unter den Infektionen, die das bewirken, wäre in erster Linie die Syphilis zu nennen, dann Influenza, Diphtherie, übrigens alle bedeutenderen Mikrobienansiedlungen, von eigentlichen Intoxikationen, die mit Mutterkorn, wohl auch der Morphinismus, zweifelhafter sind schon die mit Schwermetallen; weiter ernstere Anämien und Stoffwechselstörungen wie Diabetes mellitus. Es gesellen sich die vermuteten Schädigungen der Erkältung, länger dauernden, öfter wiederholten Durchnässung, Ermüdung durch zu starken Gebrauch der betreffenden Bahnen — besonders der für die männlichen Geschlechtsteile und der für die Beine hinzu. Die Minderernährung, der mangelnde Ersatz für das Verbrauchte, würde nun zum Zerfall der betroffenen Teile führen, der um so mehr sich ausbildet, je stärker sie in Anspruch genommen werden, denn „Funktion ist Schädigung", wenn kein genügender Ersatz geboten wird. Durch das Einwuchern der benachbarten Gewebsteile würde eine Wiederherstellung der aus dem ihnen zugewiesenen Raum verdrängten Nervenelemente dauernd ausgeschlossen. — Thatsache ist, daß durch die genannten Gifte — namentlich die im Mutterkorn enthaltenen — ähnliche funktionelle und auch gewebliche Störungen wie bei der Tabes hervorgerufen werden können. Mit größeren Vorbehalten kann man das für manche der anderen zugeben. Edinqer will gerade bei der Tabes den Nachweis der Richtigkeit seiner Auffassung dadurch liefern, daß er die örtlichen Veränderungen im Rückenmark auf den stärkeren Gebrauch der in ihnen verlaufenden Bahnen zurückfuhrt. Das geschieht mit viel Geist und Geschick. Allein die Frage, ob die Syphilis zur Entstehung der Tabes überhaupt in so naher Beziehung steht, wird dadurch kaum berührt. Denn die angenommene Schädigung der nervösen Teile ist nicht erwiesen, anatomisch nicht zu finden, und damit ist nicht viel gewonnen, daß man sie als Unfähigkeit zu rechtzeitig ausreichendem Ersatz des Verbrauchten, als Schwäche hinstellt. — Die Ansicht, daß stets die Syphilis für die Entstehung der Tabes Vorbedingung sei, es aber anderweitiger Hilfsursachen — manche der eben genannten werden aufgezählt — bedürfte, um sie zur Entwicklung zu bringen, ist wenig zur Geltung gelangt. — Vorläufig handelt es sich nur um ein Ergebnis der Statistik.

Allgemein ist zu erwähnen: Männer erkranken weitaus häufiger (10 bis 15 zu 1) als Frauen, welche in den höheren Ständen noch mehr verschont bleiben. — Vom 30. bis zum 50. Lebensjahre tritt die Tabes am häufigsten auf, ist aber nicht auf diese Lebenszeit beschränkt. Anatomisch zeigt sich: Im wesentlichen auf die Hinterstränge, welche grau verfärbt erscheinen, beschränkte Degeneration, bei welcher die nervösen Elemente vernichtet wurden, das Gliagewebe gewuchert ist. — Von den Gehirnnerven nehmen teil: Trigeminus in seinem sensiblen Teil, Opticus und die Augenmuskelnerven, Glossopharyngeus, Vagus, Hypoglossus.

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Krankheiten des Kückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

Die Veränderungen haben ihren Sitz sowohl in den Kernen als in den peripheren Fasern. — Auch die Spinalganglien und die hinteren Wurzeln sind an" den erkrankten Abschnitten mit ergriffen, die vorderen dagegen unversehrt. Ferner ist die Pia mit der Dura verwachsen, verdickt, oft auch stärker pigmentiert; die Spinalflüssigkeit ist vermehrt. — Der obere Lenden- und der Brustteil des Markes sind meist am stärksten befallen; nach oben und unten von ihnen werden die Veränderungen geringer. — Auf gehärteten und gefärbten Durchschnitten sieht man die Verteilung der Entartung: Im Lendenmark sind die vordersten Abschnitte der Hinterstränge meist frei, alles andere ist degeneriert; im Brustteil ist die Entartung nahezu eine vollständige; im Halsteile kommt öfter Beschränkung auf die GoLL'sche Stränge, den innersten der hinteren Längsfurche zunächst gelegenen Teil, vor. In der Höhe der Striae acusticae verschwindet die Entartung. — Die Rückenmarksnerven, namentlich die sensiblen, sind in wechselnder Ausbreitung degeneriert. — Die grauen Hintersäulen nehmen fast immer teil, auch die Seitenstränge sind bei längerer Krankheitsdauer in nicht seltenen Fällen mit ergriffen. Alle Veränderungen treten symmetrisch auf, die beiden Rückenmarkshälften sind meist auch in der annähernd gleichen Stärke befallen. — Mikroskopisch zeigen sich: Atrophie der Nervenfasern bis zu völligem Schwund, das Gliagewebe vermehrt, die Gefäßwandungen verdickt, Körnchenzellen und Corpora amylacea. Die zeitliche Entwicklung soll sich so vollziehen, daß zunächst das Nervengewebe degeneriert, erst später die Wucherung des Gliagewebes stattfindet. Mit eigentlicher Entzündung hat die Tabes nichts zu thun. Anfangs bleiben die Meningen ganz frei. — Es ist bei dieser Darstellung der Verteilung der Degeneration das Bild der langdauernden Fälle zu Grunde gelegt, wie es am häufigsten sich bei den Sektionen zeigt. Hier ist von einer Beschränkung des Krankheitserregers auf die Hinterstränge nicht zu reden. Dem gegenüber hat man sich auf den Befund bei relativ frischen Fällen gestützt, für diese strengste Einengung auf die Hinterstränge und nicht einmal auf das Ganze derselben behauptet. Solange das klinische Bild der Tabes rein sei, handle es sich nur um die Sinterstränge, neben diesen freilich auch um die Hintersäulen und die hinteren Wurzeln; immer aber seien 6S funktionell zusammengehörige Fasern; die in solchen Fällen erkranken. Daß später auch andere Teile des Rückenmarkes, namentlich der Seitenstränge, sogar der Vordersäulen erkranken können, wird nicht in Abrede gestellt; allein dann sei auch das klinische Bild ein anderes geworden.

Die Symptomatologie der Tabes zeigt ein ziemlich geschlossenes Bild. — Langsame Entwicklung ist die Regel, nur ganz vereinzelte Ausnahmen kommen vor. Der Übersichtlichkeit halber kann man verschiedene Stadien unterscheiden. Erstes Stadium (einleitendes, neuralgisches). Störungen der sensiblen Nerven zunächst und am häufigsten derer der unteren Gliedmaßen, seltener wohl auch der oberen, eher noch der am Rumpf walten vor. Unter ihnen nehmen die kmdnierenden Schmerzen einen hervorragenden Platz ein, da sie sehr früh und sehr konstant sich zeigen: urplötzlich treten heftige Schmerzen auf, welche blitzartig den ergriffenen Teil durchzucken und zu Anfallen sich vereinen, deren Dauer von Minuten zu Tagen sich erstreckt. Von den Leidenden wird weniger die Haut, als ein tiefer gelegener Teil, Muskeln, Gelenke, Knochen als Sitz angegeben. Gleichzeitig kommt es zu allerhand Parästhesien: An den Füßen hat der Kranke das Gefühl von Taubsein, die Empfindung, als ob er auf Wolle ginge,

Tabes dorsalis.

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Ameisenkriechen, Qürtelgefühl. Bemerkenswert ist, daß an diesen Parästhesien häufig das Ulnargebiet teilnimmt. — In einer nicht kleinen Zahl tritt früh Lähmung von Augenmuskeln auf, sich durch Schielen, Doppeltsehen, Schwindel verratend. Abducens und Oculomotorius sind gewöhnlich, nicht häufig der Trochlearis betroffen. Seltener ist eine auf Erkrankung des Opticus (beginnende, ophthalmoskopisch nachweisbare Atrophie) beruhende Sehstörung: Schwachsichtigkeit, mangelndes Unterscheidungsvermögen für Farben. Leichte Ermüdung der Beine, Unsicherheit des Ganges, Schwanken bei geschlossenen Augen (RoMBEEG'sches Phänomen) und in der Dunkelheit, geringe Blasenschwäche, Obstipation und Abnahme der männlichen Potenz gehören zu den ziemlich konstanten und frühen Zeichen. — Wichtig ist das Fehlen der Sehnenreflexe, (WESTPHAL'sches Phänomen, § 10) — ein freilich nicht unbedingt pathognomonisches Symptom, da es in einzelnen Fällen ausbleibt, aber immerhin von hohem diagnostischem Wert, weil es in der großen Mehrzahl der Erkrankungen frühzeitig vorhanden ist. — Die Hautreflexe sind durchaus wechselnd in ihrem Verhalten. Die Muskeln zeigen keine wesentlichen Veränderungen, ihre „grobe Kraft" ist erhalten. — Zu den weniger häufigen Erscheinungen gehören schwere, anfallsweise auftretende, mit Schmerz verbundene Störungen innerer Organe — die sogenannten Krisen, am häufigsten die des Magens. Ferner eigenartige Erkrankungen der Gelenke und der Knochen, cerebrale Symptome: Kopfweh und leichtere psychische Anomalien. — Allmählich, meist erst im Laufe von Jahren, vollzieht sich der Übergang zum zweiten Stadium, dem ataktischen. In diesem herrscht die als Ataxie bezeichnete Koordinationsstörung. Sie giebt dem Gang ein ganz charakteristisches Gepräge: die mit viel mehr Muskelkraft, als notwendig wäre, hoch emporgehobenen oder richtiger emporgeschleuderten Beine, werden stampfend auf den Boden gesetzt, beide Füße sind weit voneinander entfernt, so daß die Unterstützungsfläche möglichst groß wird. Frühzeitig wird der Stock zur Hilfe genommen. Das Auge kontrolliert die Bewegungen — wird es geschlossen oder durch Dunkelheit an seiner Thätigkeit gehindert, dann ist der Gang noch unsicherer, als er es schon war, die Kranken stürzen nun leicht zusammen. Auch das Aufstehen vom Sitz ist nicht mit der normalen Sicherheit auszuführen, die Arme müssen dabei mithelfen. Obgleich die gut ernährten Muskeln zu groben Kraftäußerungen immer noch voll befähigt sind und ihr elektrisches Verhalteu keine wesentlichen Anomalien darbietet, tritt doch leicht Ermüdung ein. — Diese als lokomotorische A t a x i e bezeichneten Erscheinungen stellen sich zuerst ein; bei höheren Graden des Übels wird auch das Stehen schwer oder unmöglich, namentlich wenn man durch Zusammensetzen der Fersen die Unterstützungsfläche verkleinert und die Augen schließen läßt — statische A t a x i e . — Erst später breitet sich, den Kranken mehr und mehr des Gebrauches seiner Glieder beraubend, die Ataxie nach oben aus — nur selten werden die Arme schon früh ergriffen. — Gewöhnlich kommt es erst in diesem Stadium zu der spinalen Myose: die Pupillen sind dauernd eng, sie reagieren nicht mehr auf Lichtreiz, wohl aber noch bei der Akkommodation. Das Fortschreiten der früher schon vorhandenen Neuritis optica kann vollständiges Erblinden herbeiführen. Die sensiblen Störungen nehmen an Stärke zu, auch das Muskelgefühl zeigt sich verändert. Die Kranken haben die Empfindung für die Lage der Beine verloren und wissen nur durch die

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Krankheiten des ßückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

Augenwahrnehmung, wo sich dieselben befinden. Passive Bewegungen werden bei Ausschluß der Sehkontrolle nach Richtung und Umfang schwer geschätzt. — Blasen- und Geschlechtsschwäche nehmen zu. — So kommt, wiederum erst nach Verlauf von Jahren, unter Abnahme der bis dahin guten Ernährung das Endstadium — auch das paralytische genannt — heran. Septische Infektion von brandig gewordenem Decubitus oder von einer Cystitis aus fuhrt den Tod herbei. W i e jede Einteilung in Stadien hat auch diese ihr Willkürliches; manche Zeichen, die hier in dem ersten untergebracht sind, werden von anderen in das zweite verwiesen. Es kommen in den Einzelfällen nicht unerhebliche Schwankungen der Zeitfolge vor, im allgemeinen aber trifft die Darstellung zu.

Von Einzelerscheinungen ist zu erwähnen: Die lancinierenden Schmerzen sind wahrscheinlich auf Beizung der hinteren Wurzelfasern während ihres Verlaufes in den Hintersträngen zu beziehen. Die meist erst nach geraumer Zeit folgenden objektiv nachweisbaren Störungen der Sensibilität zeigen sich häufiger in Formen verminderter als in solchen der vermehrten Erregbarkeit. A l l e Sinnesqualitäten (§ 9) können herabgesetzt sein, öfter ist es nur ein Teil derselben, vorzugsweise der Ortssinn und der Musheilsinn. Auch die faradische Erregbarkeit ist häufig und schon früh abgeschwächt. — Die Parästhesien sind ja wahrscheinlich nur ein Ausdruck für die vermehrte Erregbarkeit des betroffenen Nervengebietes, diese ist bei der Tabes in einer für das Leiden einigermaßen eigenartigen Weise verändert: Polyästhesie, bei welcher die Berührung mit einer oder zwei Zirkelspitzen die Empfindung wachruft, daß es mehrere wären. Hyperalgesie ist häufiger, vielleicht in besonderer Weise vorhanden: mäßige Reizung wird kaum gefühlt, geringe Vermehrung derselben ruft Schmerz hervor. — Es würde zu weit fuhren, die verschiedenartigen beobachteten Störungen im Einzelnen zu erörtern. Erwähnt mag noch die Verbreitungwerden: Hypästhesie ist am stärksten an den Beinen und zwar an den unteren Teilen; dann findet sich häufig ein Gürtel am Rumpf der Ausbreitung spinaler Wurzeln, nicht der peripherer Nerven entsprechend. — Das Verhalten der Anästhesie ist für das Verständnis einer der Haupterscheinungen der Tabes, der Ataxie, von größter Bedeutung. Sie steht im Mittelpunkt aller Bewegungsstörungen, denn sie raubt dem Kranken die Herrschaft über seine an sich leistungsfähigen Muskeln. Wenn diese später atrophisch und schlaff werden, sind Seitenstrangbahnen mit beteiligt. Reizerscheinungen — Zuckungen, Krämpfe, Kontrakturen — sind selten, von keiner Bedeutung. Daß es sich bei der Ataxie um Koordinationsstörungen handelt, ist sicher, daß dabei die Sensibilitäisverminderung sehr hervorragend beteiligt, wird kaum bezweifelt. Allein einzig von ihnen aus die Erklärung der tabischen Ataxie zu geben, wie v. LEYDEN es versuchte, hat nicht allgemeine Zustimmung gefunden. Seltener trifft man Verminderung der Erregbarkeit von sensiblen Hirnnerven, so des Trigeminus. — Besondere Beachtung verdienen die Erscheinungen an den Augen. Neben Lähmungen der Augenmuskeln und Koordinationsstörungen derselben, welche eine eigentümliche Form des Nystagmus, den ataktischen, hervorrufen, ist das Verhalten der Pupillen von Wichtigkeit. Der Ausfall ihrer Reaktion gegen das Licht ist das durchgehende Zeichen; im Anfang der Erkrankung können sie erweitert sein, später sind sie gewöhnlich eng. Die Reaktion bei der Akkomodation ist bis zum letzten Ende der Krankheit gewöhnlich erhalten. Ein unmittelbarer Zusammenhang dieser Erscheinungen mit der Hinterstrangveränderung

Tabes dorsalis.

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fehlt sicher, ob aber die sie bedingende anatomische Störung im Halsmark oder in der Medulla oblongata zu suchen sei, steht noch dahin. Die Atrophie des Opticus wurde bereits erwähnt. — Viel seltener sind die Erkrankungen anderer motorischer Hirnnerven. Zu nennen sind: Vago-Accessorius — vorwiegend dabei die Kehlkopfmuskeln beteiligt; dann noch der Hypoglossus — halbseitige Atrophie der Zunge. Die „Krisen" zeigen vielfach Ahnliches, wie man es bei visceraler Neuralgie (§ 7) sieht. Die gastrischen sind so gekennzeichnet: Plötzlich, von der Leistengegend zum Epigastrium aufsteigende Sehmerzen, öfter mit solchen in den Gliedern und zwischen den Schulterblättern verbunden. Gewöhnlich daneben Erbrechen, sich öfter wiederholend, fast oder ganz unstillbar. Die Schmerzen sind außerordentlich heftig. Der Anfall kann mehrere Tage dauern und nimmt den Leidenden sehr mit. — Ähnlich sind die Zeierkrisen den GallensteinkoJiken, die iWererakrisen den Nierenkoliken, sie können mit Ergriffensein der Blase, der Ureteren, des Afters, der männlichen oder weiblichen Geschlechtsteile verbunden sein. — Bei Kehlkopfkriaen sah man mit Atembeschwerden — sogar Spasmus glottidis — einhergehende Hustenanfalle. Endlich fand man der Angina pectoris gleichende Zustände von Herzneurosen. Trophisehe Störungen. Erkrankungen der Knochen und der Gelenke finden sich schon in der Frühperiode. — Als anatomische Grundlage darf eine rarefizierende Ostitis betrachtet werden; je nachdem von dieser mehr die Epiphysen oder die Diaphysen befallen werden — ersteres ist das weitaus häufigere — treten Erkrankungen der Gelenke oder der Knochen auf. — In zwei Drittel der Fälle ist nur ein Gelenk ergriffen — vorwiegend das Knie, dann Hüfte und Schulter, endlich alle anderen, auch die kleinen. — Durchaus eigenartig sind die Erscheinungen: ohne jede nachweisbare äußere Veranlassung oder auf eine ganz geringfügige hin stellen sich schmerzlos und ohne Entzündung große seröse Ergüsse in die Gelenke ein, oft nicht auf diese beschränkt, sondern von dem periartikulären Gewebe aus eine ganze Gliedmasse unförmig anschwellen lassend. Trotzdem kann die Gebrauchsfahigkeit wenig notleiden. Im weiteren Verlauf ist ein nahezu vollständiger Bückgang mit geringer Funktionsstörung möglich — dann aber sind Rezidive häufig. Oder in kurzer Zeit, immer jedoch schmerzlos, folgt eine erhebliche Zerstörung des Gelenks; nur ganz ausnahmsweise sah man dabei Eiterbildung. — Das ergriffene Gelenk wird zum Schlottergelenk, Luxationen sind häufig. Spontanfrakturen der erkrankten Röhrenknochen sind nicht selten — dieselben sind schmerzlos und heilen rasch mit starker Kallusbildung. — Am Fuße entstehen, freilich nicht häufig, auf gleicher anatomischer Grundlage beruhende Veränderungen. Malvm perforans pedis, Geschwürsbildungen auf der Haut, Ausfallen der Haare und der Zähne sind bei Tabikern seltener. Es ist noch auf die Beziehungen der Krankheit zu der progressiven Paralyse hinzuweisen. Wenn man von der Auffassung absieht, welche beide Krankheiten zu Nachkrankheiten der Syphilis machend sie in nächste Beziehung bringt, scheint denn doch das Zusammentreffen nicht so häufig, wie man es annahm. Die Tabes gehört zu den langsam, aber in der weitaus überwiegenden Mehrzahl progressiv verlaufenden Krankheiten. Jahrelange Stillstände kommen wohl vor, aber nur ganz ausnahmsweise ein Rückgang der Krankheitserscheinungen in T. J i i r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

dem Umfang, daß von Heilung zu reden wäre; was vom Gewebe vernichtet war, bleibt vernichtet. Allein es hat sich gezeigt, daß trotz ziemlich ausgedehnter, nahezu das ganze Mark beteiligender Veränderungen die funktionellen Störungen fast vollständig • verschwinden können. Man wird kaum die Annahme umgehen können, daß nun vorhandene, aber nicht gebrauchte Leitungsbahnen durch Übung ersatzfähig geworden sind. — Die Prognose ist dennoch eine im ganzen schlechte. Die Diagnose der vollentwickelten Krankheit hat keine Schwierigkeiten. Sie ist aber so früh wie möglich zu stellen. Dafür sind eine Reihe von Symptomen zu verwerten: lancinierende Schmerzen, Fehlen der Sehnenreflexe, Pupillenstarre, Analgesie in der besonderen Form, Schwanken bei Augenschluß kommen freilich jedes für sich auch mit sonstigen Erkrankungen vor, finden sich aber zwei oder mehrere derselben zusammen bei einem Kranken, welcher außerdem anderweitige Zeichen eines chronischen Rückenmarksleidens bietet, dann wird man mit Wahrscheinlichkeit die Gegenwart von Tabes annehmen können. Vorsicht ist immerhin geboten. Polyneuritis, besonders die durch Alkohol hervorgerufene, kann ein Bild geben, das dem der echten Tabes außerordentlich gleicht (Pseudotabes peripherica). Für die Differentialdiagnose wird entscheidend werden können: Im Ganzen führt die Pseudotabes rasch zu einer beträchtlichen Schwere aller ihrer Störungen, hält sich aber nur kurz auf dieser Höhe, geht langsam zurück. Schon früh kommt es zu Bewegungsstörungen, die auf Muskelatrophie und Muskelentartung beruhen. Die peripheren Nerven sind auf Druck empfindlich. Das Kniephänomen kann freilich fehlen, kehrt aber öfter zurück. Selten sind enge, auf Lichtreiz nicht reagierende Pupillen, Blasenstörungen und Gürtelgefühl. — Die Behandlung der Tabes wird in jenen Fällen, wo eine Infektion durch Syphilis vorherging, die Frage als erste zu entscheiden haben, ob eine spezifische Kur versucht werden soll? Wenn nicht in verhältnismäßig kurzer Zeit eine regelrechte Einverleibung von Quecksilber vorherging, wird dies Mittel unbedingt anzuwenden sein. Schaden kann von dem verständigen Arzt, der seine Kranken überwacht, dadurch sicher nicht angerichtet werden. Noch weniger durch Jodpräparate, die man immer längere Zeit hindurch darreichen sollte. (Vergl. hierzu § 95.) Ob man eine derartige Behandlung auch dann durchführen soll, wenn sichere Beweise für frühere Lues nicht vorliegen, wird weniger bestimmt zu entscheiden sein. Die Antisyphilitica haben doch nur in der entschiedenen Minderzahl Erfolg — aber bei der Tabes wird man alles versuchen dürfen, was an sich unbedenklich ist. — Die Elektrizität hat ihre Stellung sich bewahrt. Man benutzt zur unmittelbaren Einwirkung auf die erkrankten Markteile den galvanischen Strom; gleichzeitige Galvanisation des Sympathicus wird von hervorragender Seite empfohlen. Stromstärke und Dauer der Sitzungen müssen je nach dem Einzelfall festgestellt werden, im allgemeinen ist vor zu heftigen Eingriffen zu warnen, über 3 M.A. soll man nicht hinaufgehen. Die Benutzung großer Elektroden ist dabei dringend zu empfehlen. — Neuerdings hat man den früher mehr zur Bekämpfung von Einzelsymptomen gebrauchten faradischen Strom als Heilmittel für das Ganze der Krankheit verwertet: Pinselungen der Haut, auch wohl allgemeine Fairadisation. Gegen heftigere Schmerzen leistet die Methode als Palliativmittel zweifellos gute Dienste. Die ehedem hochgepriesenen indifferenten Thermen (Wildbad, Gastein u. s. w.)

Spastische Spinalparalyse.

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sind etwas in den Hintergrund getreten. Man muß mit ihnen vorsichtig sein — andertägiger Gebrauch der Bäder, Dauer nicht über 15 Minuten, Temperatur nicht über 32° C. Gleiches gilt für die Soolbäder (Rehme, Nauheim), welchen größere Wirksamkeit zugeschrieben wird. — Einfache warme Bäder von ähnlicher Temperatur thun vielleicht die gleichen Dienste. Von einer zweckmäßig geleiteten Kaltwasserkur, bei der jeder stärkere Eingriff vermieden und streng individualisiert wird, sah man manchmal gute Erfolge. Die grob mechanischen Eingriffe (Suspension, durch welche eine Dehnung des Rückenmarkes hervorgerufen wird) sind wohl so ziemlich verlassen. Dagegen ist die Behandlung mit dem HESSiNG'schen Korsett in vielen Fällen von ausgezeichnetem Erfolg. Ihr Angriffspunkt dürfte ein indirekter sein: dauernde, gleichmäßige Unterstützung der Wirbelsäule, welche entlastet wird, dadurch die Möglichkeit einer gleichmäßigen Blut- und Lymphbewegung innerhalb des Wirbelkanals. Wohlhabenden Tabikern, die verständig genug sind, auch die erforderliche Zeit auf ihre Wiederherstellung zu verwenden, kann ich nach eingehender Beobachtung diese Behandlungsweise empfehlen. — Von großem Nutzen kann zweckmäßig geleitete Gymnastik sein, welche die Muskeln durch regelmäßige Übungen dem Willen in höherem Maße unterthan zu machen beabsichtigt. Dabei sollen erhaltene aber nicht benutzte Leitungsbahnen zugänglich gemacht werden. Neuerdings ist diese Methode (gymnastisch-kompensatorische) im einzelnen ausgebildet. — Unter den inneren Mitteln wird neben Jodsalzen noch am meisten das Argentum nitricum benutzt — nicht mehr als in maximo 0,1 g tagüber, im ganzen bis 12 g. Jedenfalls sei man bei dieser vorzugsweise für frische Fälle passenden Medikation vorsichtig und verliere während derselben den Kranken nicht aus den Augen (Argyrose). Lehensweise und Diät zu regeln, bleibt eine wichtige Aufgabe. Die Sorge für den Stuhlgang der meist zur Verstopfung neigenden Kranken darf nicht versäumt werden. — Die veralteten Fälle sind direkten Eingriffen unzugänglich, man sehe hier einzig auf Erleichterung der Beschwerden und zweckmäßige Lebensordnung. Es soll nur kurz einer besonderen sehr seltenen Form der Tabes, der FiiiEDREiCH'schen, erwähnt werden, welche, ohne zu sehr aus dem Bahmen des Gesamtbildes herauszutreten, Eigentümlichkeiten bietet: Hereditäre Belastung, häufig eine Anzahl von Erkrankungen in der gleichen Familie, Anfang zur Zeit der Pubertät. Lancinierende Schmerzen, Störung der Haut- und Muskelsensibilität treten sehr zurück oder fehlen ganz. Man beobachtet keine Störungen des Sehvermögens, keine Pupillenenge, ebensowenig Lähmungen der Augenmuskeln. Hingegen zeigen sich schon früh Bewegungsstörungen, namentlich Ataxie, welche sich rasch auf die Arme, die Muskeln der Augen, sogar auf die der Sprachwerkzeuge ausbreitet. Der Gang hat etwas Taumelndes, er ist weniger schleudernd und stampfend. Die Sehnenreflexö fehlen auch hier. Die Blasenschwäche stellt sich erst später ein. Das Leiden ist von ungewöhnlich langer Dauer. — Man dachte bei dieser Form an eine angeborene Entwicklungshemmung — das Bückenmark war häufig merklich klein. — Im Ganzen fand man eine kombinierte Systemerkrankung: Degeneration der Hinterstranggrundbündel und GoLL'schen Stränge, sowie der Pyramiden- und Kleinhirnseitenstrangbabnen. § 36.

Spastische Spinalparalyse.

Ein eigenartiges Krankheitsbild wird mit dem Namen der spastischen Spinalparalyse belegt. Dasselbe wird nicht, wie man durch theoretische Erwägungen ver5*

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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

anlaßt annahm, nur durch Sklerose der Seitenstränge geliefert, man findet den gleichen Symptomenkomplex z. B. bei chronischem Hydrocephalus, leichter Kompression des Rückenmarkes im, Hals- oder Brustteil, transversaler Myelitis im Hals- oder oberen Brustmark, multipler Sklerose, Syringomyelie und als wesentliche Teilerscheinung der amyotrophischen Lateralsklerose. — Krankheitszeichen sind eine meist von unten nach oben — seltener in umgekehrter Bichtung — fortschreitende Lahmung ohne Atrophie der Muskeln, mit früh auftretenden, starken motorischen Beizerscheinungen, Muskelzuckungen bis zur starren tetanischen Kontraktur, hervorgerufen und bedingt durch die überaus gesteigerte Erhöhung der Sehnenreflexe. Die Reflexe von der Haut sind, wenn überhaupt, nur unerheblich geändert, sensible und trophische Störungen fehlen oder sind unbedeutend, Blase und Mastdarm, die Geschlechtsthätigkeit bleibt unversehrt, niemals tritt Ataxie auf, das Gehirn und seine Nerven fungieren normal. — Selten zeigt sich die Krankheit anfangs auf eine Körperhälfte beschränkt — auch dann wird bald die andere ergriffen. Besonders charakteristisch erscheint bei diesen Kranken der Gang (spastischer Gang). Die Fußspitzen werden zur Stütze genommen, die Beine sind stärker aneinandergepreßt, schwer zu spreizen; kleine hüpfende Schritte mit starker Vornüberbeugung des Körpers, große Neigung zum Stolpern und Fallen nach vorn. — Parese der Muskeln und Verstärkung der Sehnenreflexe erklärt die Eigentümlichkeiten dieser Gangart zur Genüge. § 37.

Systemerkrankungen der motorischen Sphäre. Allgemeines.

Als Systemerkrankungen der motorischen Sphäre läßt sich eine Gruppe aussondern, die gemeinschaftliche Eigentümlichkeiten darbietet. — Anatomisch: die Vordersäulen der grauen Substanz mit ihren Ganglien sind wesentlich beteiligt. Klinisch ist gemeinsam: 1. Lähmung und Atrophie der ergriffenen Muskeln, welche fast stets (freilich unsymmetrisch verteilt) beiden Körperhälften angehören. 2. Sensible Störungen finden sich überhaupt nicht oder doch nur ganz vorübergehend. 3. Die Reflexe sind herabgesetzt oder ganz vernichtet. Dies gilt unbedingt mehr für die akut verlaufenden als für die chronischen Formen. 4. Keine trophischen Störungen der Haut, es kommt nicht zum Decubitus. 5. Blase und Mastdarm bleiben frei. Zunächst gehören hierher die Poliomyelitis anterior in ihren verschiedenen Formen und die progressive Muskelatrophie. Zu ihnen steht in enger Beziehung die amyotrophische Lateralsklerose, ebenso wieder diese zur progressiven Bulbärparalyse. Auch die letztere muß in die Gruppe eingestellt werden. Bei ihr treten die nämlichen anatomischen Veränderungen an den Ganglien der grauen Kerne jener motorischen Nerven auf, die aus dem verlängerten Mark entspringen. Diese Kerne aber sind biologisch vollkommen den Ganglienanhäufungen in den Vordersäulen der grauen Substanz des Rückenmarkes gleichwertig. Poliomyelitis anterior acuta, subacuta und chronica.

Zu den häufigeren Erkrankungen des Rückenmarkes gehört die Poliomyelitis anterior acuta (akute atrophische Spinallähmung; spinale Kinderlähmung). Ätiologisch ist zunächst die große Prädisposition des Kindesalters hervorzuheben. Das erste bis dritte Lebensjahr wird überwiegend häufig befallen (in etwa sechs Siebentel aller Fälle), auch noch das vierte nimmt öfter teil; schon in der zwölften Lebenswoche ist das Leiden beobachtet worden. Im späteren Kindesalter ist

Systemerkrankungen der motorischen Sphäre.

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es wie bei dem Erwachsenen: die Erkrankung muß als eine seltene bezeichnet werden. — Hereditäre Belastung ist nicht nachweisbar, Geschlecht und Konstitution sind ohne Einfluß. — Gelegenheitsursachen sind nicht mit Sicherheit anzugeben: man führt Erkältung, stärkere Muskelarbeit, das Zahnen an. Es ist bemerkenswert, daß im Gefolge von Infektionskrankheiten — besonders akuten Exanthemen — Kinderlähmung auftreten kann. Bei der anatomischen Betrachtung sind die relativ frischen von den älteren Fällen zu trennen. — Es steht fest, daß Entzündung des interstitiellen Gewebes im Anschluß an die Gefäßausbreitung, namentlich im Gebiete der Arteria spinalis die Hauptrolle spielt, der Untergang von dort gelegenen multipolaren Ganglienzellen, welche zunächst mechanisch geschädigt erscheinen, schließt sich an. Es ist das Bild der acuten Myelitis, welche vorwiegend, aber nicht ausschließlich sich auf die vordere Hälfte des Rückenmarkes ausgedehnt hat. Um eine primäre Erkrankung der Ganglien in den Vorderhörnern handelt es sich nicht. — Meist ist jetzt noch der makroskopische Befund ein sehr wenig ins Auge fallender. — Anders wenn längere Zeit verstrichen ist. Dann trifft man Abnahme des Umfangs am Rückenmark beschränkt auf dessen vorderen Teil. Mikroskopisch ist nachzuweisen: Zunahme des interstitiellen Gewebes mit Untergang der Nervenelemente in den Vordersäulen, den Vorderseitensträngen, den Vorderwurzeln. Übrigens finden sich, in den einzelnen Fällen verschieden, ähnliche Veränderungen des Rückenmarkes auf dessen Gesamlquerschnitt ausgedehnt. — Alles ist am stärksten in der Lenden- und Halsanschwellung, im Brustteil nur hier und da entwickelt. Eine unregelmäßige Verbreitung ist die Regel, ebenso zeigt sich die Größe wechselnd, man traf neben kleinsten Herden solche von 3 cm Länge. — In den peripheren motorischen Nerven fand man Atrophie, die zugehörigen Muskeln sind mehr oder minder entartet, im Zustande fettiger Degeneration und Infiltration. — An den Knochen der gelähmten Glieder zeigte sich neben verdünnter Rindenschicht eine Vermehrung des Fettgehaltes der Marksubstanz. Die Atrophie der multipolaren Ganglien in den Vordersäulen, welche auch mit der Ernährung der Knochen, Sehnen und Bänder zu thun haben, machen die im späteren Krankheitsbild hervorstechenden Erscheinungen verständlich. Die Symptome sind ziemlich bestimmt: einerlei ob Vorboten — Schmerz, Verstimmung, Schreckhaftigkeit — da waren, oder ob sie, wie in den meisten Fällen, fehlten, stellten sich Zeichen eines mit Fieber verbundenen Hirnleidens ein: Kopfschmerz, Unbesinnlichkeit, Delirien, Krämpfe. Nachdem dies einige — immer nur kürzere Zeit — gedauert hat, folgt mehr oder minder ausgebreitete Lähmung im Gebiete von Spinalnerven, welche im Laufe weniger Stunden, höchstens einer Woche ihren Höhepunkt erreicht, dann bald teilweise oder ganz zurückgeht. Blasenlähmung scheint, wenn überhaupt, nur anfangs da zu sein; sie verliert sich rasch. Die Sensibilität ist vollkommen erhalten. Es kann nach einigen Monaten vollständige Genesung eintreten — temporäre Spinallähmung. Allein meist erfolgt nur teilweise Besserung. In den Muskeln, die gelähmt bleiben, entwickelt sich binnen kurzer Zeit hochgradige Atrophie mit den Erscheinungen der Entartungsreaktion. Die bedeckende Haut wird kühl und cyanotisch, die Reflexe von ihr erlöschen wie die von den Sehnen. Dabei bleibt die Sensibilität ungestört, Decubitus kommt nicht zustande. Aber die Entwicklung der Knochen in den gelähmten Gliedern ist nicht mehr normal,

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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

sie werden atrophisch und bald auch difform; das Wachstum der gesunden Glieder geht hingegen in regelmäßiger Weise vor sich. — Kein anderer Körperteil, namentlich das Gehirn, erleidet eine Störung, das Leben wird nur ausnahmsweise durch den Anfall, später nicht mehr bedroht und in seiner Dauer nicht beeinträchtigt. — Die hier und da beobachteten Abioeichungen von diesem häufigsten Verlauf sind im ganzen nicht sehr erheblich. Die Hirnerscheinungen und Fieberbewegungen zu Anfang können fehlen oder doch nur angedeutet sein, dann tritt die Lähmung scheinbar ganz unmotiviert auf. — Bei Erwachsenen sind cerebrale Symptome in der Kegel wenig ausgeprägt, was vielleicht eben durch das vorgeschrittene Lebensalter zu erklären ist. — Daß der ausgewachsene Körper mit seinen vollentwickelten Knochen und Bändern sekundären Veränderungen weniger zugänglich ist ' als der des Kindes, ist wohl verständlich.

Über Einzelerscheinungen und ihre etwa mögliche Erklärung ist zu erwähnen : Die Hirnerscheinungen und das Fieber im Anfang der Erkrankung finden keine befriedigende Deutung^ sofern man nicht mit der mehr und mehr Boden gewinnenden Möglichkeit rechnet, die akute Poliomyelitis entstehe durch Infektion. Mikrobien als Krankheitserreger sind freilich nicht nachgewiesen, dagegen ist gehäuftes, sogar epidemisch zu nennendes Auftreten mehrmals beobachtet. — Lähmung und Atrophie von Muskeln steht im Mittelpunkt des Krankheitsbildes. Besonders charakteristisch ist, daß sie nicht progressiv sind, auf rasche Entwicklung folgt rascher Rückgang. Es ist anzunehmen, daß anfangs Ernährungsstörungen infolge der entzündlichen Prozesse über ein weitaus größeres Gebiet, als es der wirkliche Entzündungsherd ist, sich ausdehnen; mit dem Freiwerden des Blutlaufes bilden sich dieselben dann wieder zurück. — Es können nahezu alle Körpermuskeln beteiligt sein, bei dem Erwachsenen sah man sogar den Bereich des Facialis ergriffen. In vielen Fällen erscheint die Ausbreitung der Lähmung als eine willkürliche, welche sich nicht an die gewöhnlichen Schemata für die vom Rückenmark herrührenden bindet. Ein Bein und der Arm der entgegengesetzten Seite, eine Halbseite, j a häufiger noch einzelne Muskeln eines sonst freien Gliedes sind gelähmt, oder es sind auch wohl in einem gelähmten Glied einzelne Muskeln frei geblieben. Immerhin werden häufiger die unteren Gliedmaßen ergriffen. — Hat man Gelegenheit, die Entwicklung der Lähmung zu verfolgen, dann zeigt es sich, daß bald die der Arme auf diejenige der Beine folgt, bald umgekehrt die Arme zuerst und später die Beine gelähmt werden. — In etwa zwei Dritteln der Fälle ist dauernd nur ein Glied befallen, meist eine untere Extremität; übrigens ist gewöhnlich auch daran etwas von nicht oder doch nicht ganz gelähmten Muskeln aufzufinden. — Die Besserung schreitet öfter von dem Centrum zur Peripherie, z. B. vom Oberarm auf die Hand, fort. Soweit sie von selbst sich vollzieht, hat sie nach 2 bis 3 Monaten das meiste, nach dreiviertel Jahren alles, was möglich ist, erreicht. Abmagerung der gelähmten Muskeln ist schon nach einigen Wochen merkbar, damit pflegt, wenigstens bei dem Erwachsenen, Druckempfindlichkeit verbunden zu sein. Die Atrophie scheint sich noch schneller als nach Durchschneidung von Nerven auszubilden, sie wird sehr hochgradig; seltener tritt Fett Wucherung in den Muskeln auf, wodurch jene verdeckt werden kann. Vollkommen diesen Erscheinungen parallel gehend bildet sich die Entartungsreaktion aus; fast ebenso

Systemerkrankungen der motorischen Sphäre.

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verhält es sieb mit den Veränderungen der Haut. Knochen, Knorpel und Bänder folgen erst später. Difformitäten an den gelähmten Gliedern kommen durch verschiedene Ursachen zustande: Wirkung der Schwere bei ruhendem Gliede, der bei seinem Gebrauch auf ihm lastende Druck, der Zug der unversehrt gebliebenen, ihrer Antagonisten entbehrenden Muskeln, endlich auch verschieden große Wachstumswiderstände — das sind die hauptsächlichsten Bedingungen, welche zur Erklärung der sehr vielgestaltigen Verbildungen heranzuziehen sind (vgl. auch § 15 Kontrakturen). Am häufigsten beobachtet man die verschiedenen Formen des Spitzund Klumpfußes, dann Skoliosen. Über den Verlauf ist nur noch zu bemerken, daß in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Beobachtungen es bei einem Anfall und seinen Folgen bleibt. Die Prognose ist, wenn die Erscheinungen vorüber, quo ad vitam eine durchaus günstige; über die Gebrauchsfähigkeit gelähmter Glieder wird man erst nach Jahresfrist urteilen können. — Die Diagnose ist im Beginn der Erkrankung, solange nur Hirnerscheinungen und Fieber vorliegen, kaum zu stellen, sobald jedoch die Lähmungen sich einfinden und die Muskelatrophie beginnt, bleibt kaum ein Zweifel möglich. Die Behandlung des Anfangsstadiums kann bei der Unsicherheit der Diagnose nur rein symptomatisch sein. — Gegen die Lähmung leistet eine jahrelang mit äußerster Konsequenz durchgeführte elektrische Behandlung manches. Es kommt hauptsächlich der galvanische Strom in Betracht. Mittels desselben ist centrale Einwirkung auf die erkrankten Teile des Rückenmarkes, sowie periphere Einwirkung auf die gelähmten Muskeln zu üben. Man beginne mit beiden Anwendungsarten so früh wie nur irgend möglich, zunächst sich für die centrale Behandlung der schwachen Ströme bedienend, die durch große Elektroden eingeleitet werden. Dann kann man nach und nach die Stromstärke steigern, darf aber wie bei jeder centralen Galvanisation nicht über ein vorsichtig bestimmtes Maß hinausgehen. Auch bei älteren Fällen ist elektrische Einwirkung auf das Bückenmark zu versuchen. — Die periphere Behandlung soll in erster Linie bessere Ernährung der Muskeln herbeiführen. Da diese mit der Muskelzusammenziehung Hand in Hand geht, suche man solche in den gelähmten Teilen auszulösen, steigere die Stromstärke so weit, wie es die erhaltene Sensibilität erlaubt, und bediene sich der im einzelnen Fall als die wirksamste erscheinende Methode. In den schweren Fällen gelingt es oft nur durch Wechsel der Stromrichtung (VoLTA'sche Alternativen) Zuckungen zu erhalten. Eine der Heilung nahekommende Besserung ist zwar sehr selten, aber doch zweifellos beobachtet; irgend welcher Erfolg tritt bei genügender Ausdauer selbst in veralteten Fällen ein. Es gelingt dann einzelne Muskelbündel, die wegen mangelnden Gebrauchs atrophisch geworden waren, aber noch mit den Centren in Verbindung standen, wiederherzustellen. Bei der eigentümlichen Verbreitung der Lähmung ist nie von vornherein zu sagen, wieviel gerettet werden kann; es ist nicht selten mehr, als man zu hoffen wagte. Daher ist der Versuch immer zu machen, denn der schlechteste Muskel ist für den Kranken mehr wert als die beste Maschine. Die operative Chirurgie sucht und findet öfter ein ihr zugängliches Wirkungsfeld. — Der Gebrauch von Bädern, der Massage und Heilgymnastik ist von weit geringerem Nutzen. — Um Folgezustände zu verhüten und die gelähmten Glieder thunlichst gebrauchsfahig zu machen, sind die Hilfsmittel der Orthopädie heranzuziehen. F R I E D R I C H H E S S I N G (Orthopädische Heilanstalt in Göggingen bei Augsburg) leistet gerade bei der Kinderlähmung durch die von ihm genial konstruierten Apparate Dinge, die für den, der sie gesehen hat, bewundernswert

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Krankheiten des Bückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

sind. — Die orthopädische Behandlung ist am besten früh zu beginnen, die elektrische kann ja mit derselben verbunden werden. — Der Gebrauch innerer Mittel kann füglich unterbleiben. Aller Wahrscheinlichkeit nach kann die der Poliomyelitis anterior acuta zu Grunde liegende anatomische Veränderung sich unter der Einwirkung verschiedener noch wenig gekannter Schädlichkeiten — möglicherweise gehört das Blei hierher — auch langsamer ausbilden — man redet dann von Foliomyelitis subacuta oder chronica. Im Krankheitsbilde herrscht Lähmung und Atrophie der ergriffenen Muskeln mit ganz oder nur teilweise (Mittelform) ausgesprochener Entartungsreaktion vor. Die Reflexerregbarkeit geht verloren, die Sensibilität ist objektiv unversehrt, subjektiv kann es zu Parästhesien und leichteren Erscheinungen sensibler Reizung kommen. Meist breiten sich die Störungen von unten nach oben aus, der Tod kann unter den Zeichen bulbärer Lähmung eintreten. Gewöhnlicher aber ist Besserung, die, freilich mit Untergang von Muskelsubstanz, selbst bis zur nahezu vollständigen Genesung führt. Die Krankheit ist selbst bei den immerhin häufiger ergriffenen Erwachsenen selten. Ihre Beziehungen zur Neuritis (§ 18) sind noch nicht geklärt.

§ 38. Progressive Muskelatrophie. Amyotrophia spinalis (Duchenne-Aran). Die Ätiologie der progressiven Muskelatrophie weist einige bemerkenswerte Thatsachen auf: Heredität kann sehr deutlich werden, die Erkrankung kann durch viele Generationen sich forterben, wobei selbst eine oder mehrere übersprungen werden. Die durch Vererbung Belasteten können schon früh befallen werden — im ganzen ist das 30.—50. Lebensjahr am stärksten disponiert; höhere Altersstufen bleiben fast ganz verschont. Männer erkranken etwa fünfmal häufiger als Frauen; wahrscheinlich hängt das mit dem stärkeren Gebrauch der Muskeln bei jenen zusammen. Für diese Annahme spricht, daß unter der Gesamtmasse der Kranken die Handarbeiter in hohem Prozentsatz vertreten sind, ferner, daß sich an gewohnheitsgemäß stark gebrauchten, manchmal sogar an nur kurz überangestrengten Muskeln zuerst das Leiden gezeigt hat. — Als Gelegenheitsursachen werden wie so oft auch hier Erkältungen, Verwundungen u. s. w. beschuldigt. Die mit den heutigen Hilfsmitteln sorgfältig ausgeführte anatomische Untersuchung ergiebt, daß bei der progressiven Muskelatrophie Untergang (Schrumpfung, Pigmentdegeneration) multipolarer Ganglienzellen in den Vorderhörnem regelmäßig vorkommt, welcher nicht der Kontinuität nach, sondern herdweise auftritt. Das Bindegewebe ist dabei gewuchert, die vorderen Wurzeln und die peripheren motorischen Nerven sind atrophisch. Das gleiche gilt von den Muskeln. Sie zeigen verschmälerte Fasern, die ihre Querstreifung erhalten haben, neben anderen, die sich im Zustande körniger, fettiger oder wachsartiger Degeneration befinden, ihr Bindegewebe ist gewuchert, vielleicht von reichlicherem Fettgewebe durchsetzt. Über den inneren Zusammenhang dieser Befunde sind die Ansichten geteilt, ebenso darüber, ob entzündliche oder degenerative Vorgänge sich abspielen. Man ist nicht einig, ob das Leiden im Rückenmark oder in den Muskeln primär lokalisiert, ob diese oder ob jenes erst sekundär in Mitleidenschaft gezogen ist. Die weitere Möglichkeit, daß gleichzeitiges Ergriffensein geschehe, ist neuerdings erörtert worden.

Die Krankheit entwickelt sich äußerst langsam. Zuerst werden — in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle — die Hände ergriffen, die rechte häufiger als die linke. Unter den einzelnen Muskeln sind bevorzugt: die Interossei, die Muskeln des Daumenballens, besonders Opponens und Adduktor; nicht häufig

Progressive Muskelatrophie.

Amyotrophia spinalis (Duchenne-Aran).

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wird der Deltoideus befallen, noch seltener irgend ein anderer Körpermuskel. — Allmählich greift das Leiden weiter, meist aufsteigend, so daß nacheinander Hand, Vorderarm, Oberarm, Schulter erkranken; ähnlich vom Fuß zum Oberschenkel. Volle Regelmäßigkeit wird bei dem Weiterwandern nicht eingehalten, ein oder mehrere Muskeln des betroffenen Gliedes zeigen sich fast immer verschont, es können sogar Gruppen von Muskelbündeln innerhalb eines bereits erkrankten Muskels unversehrt bleiben, besonders in denjenigen, welche von mehreren verschiedenen Nerven aus versorgt werden. — Symmetrisches Erkranken der beiden Körperhälften ist gewöhnlich, doch werden sie nicht gleich stark beteiligt. Lange Zeit ist in den schließlich ganz dem Untergang geweihten Muskeln ein Teil der Fasern normal beschaffen, der andere in verschiedenen Graden der Entartung begriffen. — Ganz frei bleiben in den reinen Fällen die vom Gehirn aus innervierten Muskeln; die des Halses, das Zwerchfell, die geraden Bauchmuskeln werden selten und dann erst spät befallen. — Charakteristisch sind spontan oder durch geringfügige äußere Veranlassung hervorgerufene fibrilläre Zuckungen in den erkrankten Muskeln. Es zeigen sich dabei Kontraktionen einzelner Muskelbündel, in der Form einer Welle sich ausbreitend oder auch nur zu beschränkten Erhebungen führend. Alles vollzieht sich in kurzer Zeit, so daß man von „Muskelblitzern" reden kann. Bewegungen des von dem Ganzen des Muskels beherrschten Körperteiles finden nicht statt. Eigentliche krampfhafte Zusammenziehungen eines Muskels oder einer funktionell einheitlichen Gruppe sind äußerst selten. — Die elektrische Untersuchung weist in schwer erkrankten Muskeln Entartungsreaktion nach; der Ubergang zu dieser von der einfach verminderten Erregbarkeit gegen beide Stromarten vollzieht sich übrigens sehr allmählich, so daß es einer äußerst sorgfältigen Prüfung bedarf, um sichere Ergebnisse zu bekommen. Man behalte stets im Auge, daß eine der Menge nach wechselnde Anzahl von normalen Fasern neben den untergehenden sich findet, und daß das Ergebnis der elektrischen Reizung eine Summe bildet, zu welcher normale wie atrophische Fasern ihre Addenden liefern. Da die motorischen Nerven lange Zeit erregbar bleiben, muß man sie bei der Untersuchung thunlichst meiden: die von ihnen aus angesprochene Gesamtmenge von Fasern würde nur quantitative Abweichung erkennen lassen. — Atrophie der erkrankten Muskeln ist das am meisten hervorstechende Symptom, welches allerdings dem Unkundigen durch Fettwucherung in denselben verdeckt werden kann. Bleiben Antagonisten verschont, dann fehlen die sekundären Kontrakturen nicht; wohl am häufigsten sieht man die Krallenhand. Sensible, vasomotorische, auch trophische Störungen der Nachbarschaft erkrankter Muskeln, namentlich der Gelenke, kommen vor, sie sind indessen kaum von größerer Bedeutung. — Geringes Fieber soll im Anfang der Erkrankung auftreten können. Die Komplikation mit Bulbärparalyse, erst spät sich hinzugesellend, kann das tödliche Ende herbeiführen; dieses wird sonst durch die Krankheit selbst nicht gerade häufig bedingt. — Dennoch ist die Prognose immer bedenklich und Heilung kaum zu erwarten. Bei der Diagnose ist zu berücksichtigen, daß Neuritis vielleicht ein ähnliches Krankheitsbild schaffen kann, gleiches geschieht in selteneren Fällen auch wohl durch Tumoren, verbreitete Myelitis u. s. w. Hält man sich an die charakteristische Verteilung der Muskellähmungen und die Art ihres Auftretens, ferner

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Krankheiten des Bückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

daran, daß im wesentlichen nur Erkrankung der motorischen Sphäre besteht, so wird man meist rasch zum richtigen Urteil gelangen. Für die Behandlung ist der elektrische Strom als zuverlässigstes aller bekannten Mittel in ähnlicher Weise wie bei der Poliomyelitis anterior in Anwendung zu bringen — es scheint, daß bisweilen wenigstens das Fortschreiten der Krankheit dadurch gehemmt werden kann. § 39. Dystrophia muscularis progressiva (nach Erb). Neuere Untersuchungen haben gelehrt, daß von dem im Vorstehenden besprochenem Krankheitsbilde erhebliche Abweichungen vorkommen, welche bisher nicht ihrer vollen Bedeutung nach gewürdigt worden sind. Sie bilden für sich eine Gruppe, die passend unter dem Namen der D y s t r o p h i a m u s c u l a r i s p r o g r e s s i v a (ERB) zusammengefaßt wird. Es gehört hierher das früher als getrenntes beschriebene: die wahre und die Pseudohypertrophie der Muskeln, sowie die hereditäre und juvenile Form der progressiven Muskelatrophie. Ätiologisch ist die noch in höherem Grade ausgesprochene Heredität, dann der Umstand hervorzuheben, daß das Leiden vorzugsweise in der Kindheit, nicht selten um die Zeit der Pubertät, ausnahmsweise erst später beginnt. — Das männliche Geschlecht ist stärker belastet. Anatomisch wird zuerst eine Veränderung an den Muskelfasern bemerkt: Hypertrophie, die aber mit Vacuolcnbildungen und anderen Störungen einhergeht, frühzeitig an einzelnen Fasern schon Atrophie. Diese gewinnt allmählich die Oberhand; mit ihr wuchert das anfangs nur leicht hypertrophische Bindegewebe sehr bedeutend und wird von mächtigen Fettzellen durchlagert. Das Nervensystem ist in der Regel unversehrt. Die Entwicklung der Krankheit vollzieht sich äußerst langsam, bald an der oberen, bald an der unteren Körperhälfte, sehr selten im Gesicht (nur bei Kindern) beginnend. Schwäche, Ermüdung, Ungeschicklichkeit in den betroffenen Teilen sind die ersten, sich bei der Zunahme des Leidens allmählich steigernden Krankheitszeichen. Damit gehen denn die auf Hypertrophie oder Atrophie beruhenden Änderungen des Umfangs in den ergriffenen Muskeln einher, bei welchen sich die Einlagerung von Fett sehr stark geltend macht. Charakteristisch ist die Verteilung des Leidens auf bestimmte Muskeln. Wird das Gesicht befallen, dann handelt es sich vorwiegend um die den Mund umgebenden und die Muskeln am Kinn, daneben um die Orbiculares palpebrarum und Frontales. An der oberen Extremität und dem Stamme zeigen sich ergriffen: Pectoralis major und minor, Cucullaris, Latissimus dorsi, Serratus anticus major, Rhomboidei, Sacrolumbalis und Longissimus dorsi, ferner am Oberarm zunächst die Beuger Biceps und Brachialis internus, erst später der Tríceps, am Unterarm der Supinator longus. — Frei bleiben ganz oder lange Zeit: Sternocleidomastoideus, Coracobrachialis, Teres, Deltoides, Supra- und Infraspinatus. Die drei letztgenannten sind häufig hypertrophisch. Die Muskeln des Vorderarmes, besonders aber die kleinen Muskeln der Hand bleiben sehr lange verschont. An der unteren Extremität werden befallen: Glutaei, Quadriceps, das Peroneusgebiet, speziell der Tibialis anticus; frei bleiben Sartorius und die Wade, welche nicht selten deutlich hypertrophisch wird. Ganz zuletzt können das Zwerchfell und die anderen Atmungsmuskeln, sehr selten auch die Kaumuskeln, vielleicht sogar die Augenmuskeln ergriffen werden. — Die Kranken bieten namentlich durch die atrophischen Oberarme bei stark entwickeltem Deltoideus und muskelkräftigem Vorderarm, sowie durch den atrophischen Oberschenkel und Podex bei stark entwickelter Wade ein höchst eigentümliches Bild. — Der Schwund der Rückenmuskeln bedingt eine besondere Körperhaltung: der Bauch ist vorgestreckt, der Oberkörper ist zurückgebeugt — der Gang ist watschelnd. Das Aufrichten aus liegender Stellung wird in eigentümlicher Weise ausgeführt — die Kniee werden als Stützpunkte für die Arme verwendet, nachdem vorher sich der Kranke auf alle Viere gestellt hat — man hat den Vorgang als an sich selbst Herauf klettern bezeichnet. — Die Sehnenreflexe sind erhalten oder verlieren sich erst mit dem Untergang der betreffenden Muskeln. — Fibrilläre Zuckungen fehlen, ebenso die Entartungs-

Dystrophia muscularis progressiva. Thomsen'scbe Krankheit. Amyotroph. Lateralsklerose. 7 5 reaktion. Vollkommen normal sind die Sensibilität, die Sphinkteren, das Gehirn — die Gesamternährung des Körpers leidet nicht. Der Verlauf ist sehr zögernd, längere Zeiten des Stillstandes können sich einschieben; es wurde eine Krankheitsdauer von 38 Jahren schon beobachtet. Durch das Leiden selbst scheint der Tod äußerst selten — Ubergreifen auf die Atmungsmuskeln — bedingt. Die Komplikation mit Bulbärparalyse ist nicht beobachtet. — Die Prognose ist, soweit es sich um wirkliche Heilung handelt, schlecht. Die Behandlung mit Elektrizität — konstanter Strom central, dieser wie der unterbrochene peripher auf Muskeln und Nerven einwirkend — wird neben der Massage und aktiver Übung zu versuchen sein. Immer hüte man sich vor zu starken Eingriffen. —

§ 40.

Thomsen'scbe Krankheit (nach Erb).

Die Thomsen'sche K r a n k h e i t (Myotonia congenita) wird am besten hier angereiht. Es handelt sich um ein seltenes, wenigstens mittelbar durch Vererbung übertragbares, in einzelnen Familien gehäuft und durch viele Geschlcchtsfolgen wiederkehrendes Leiden der die willkürliche Bewegung ausführenden Teile. — Früh, sogar schon in der Wiege zeigen sich die ersten Erscheinungen; in den belasteten Familien, welchen nicht selten eine neuropathische Konstitution ihrer Mitglieder eigen ist, mehr bei Knaben als bei Mädchen. — Die bisherigen anatomischen Untersuchungen haben sich auf kleine Muskelstückchen beschränken müssen, welche meist dem Lebenden entnommen waren. ERB fand darin: enorme Hypertrophie aller Fasern mit reichlicher Kernvermehrung, undeutliche Querstreifung, geringe Zunahme des interstitiellen Bindegewebes mit Einlagerung einer körnigen Substanz. Die Centraiorgane solcher Kranken sind bisher nicht untersucht. — Das Leiden verrät sich dadurch, daß die vom Willen in den Erregungszustand versetzten Muskeln — einerlei ob ihre Nerven vom Hirn oder vom Bückenmark stammen, — zu einer länger dauernden tonischen Zusammenziehung veranlaßt werden, als es beabsichtigt war; sie erschlaffen nicht unmittelbar, sondern bleiben noch eine Weile starr und damit dem Einflüsse des Willens entzogen. Schmerz ist mit dieser Kontraktion nicht verbunden. Werden die Muskeln eine Zeit lang wieder und wieder durch den Willen zur Erregung gebracht, dann verliert sich allmählich ihre Starre; jetzt können die vorher gehinderten Bewegungen frei und ungezwungen ausgeführt werden. — Die Muskeln der Kranken sind hypertrophisch, dennoch ist die grobe motorische Kraft vermindert. — Eigenartig wie gegen den Willensreiz ist auch das Verhalten der Muskeln gegen die mechanische und die elektrische Erregung. Das Ganze wird von ERB als myotonische Beaktion bezeichnet. Bei den Kranken werden diese Erscheinungen stärker nach verschiedenen, aber, wie es scheint, zeitlich und individuell wechselnden Einflüssen. Als solche sind bekannt: längere Muskelruhe, aber auch körperliche Anstrengung, wie anhaltendes Stehen, extreme Temperaturen der Luft, akute Erkrankungen, ganz besonders indes psychische Erregung. Namentlich nach dieser kann die Muskelstarre so ausgebreitet und so bedeutend werden, daß die Kranken umfallen und des Gebrauches ihrer Glieder zeitweilig beraubt sind. Die Sehnenreflexe sind nicht verstärkt. — Das Leiden beschränkt sich auf die genannten Störungen, alle anderen Körperteile bleiben unberührt, aber es hält, bald stärker, bald schwächer auftretend, das ganze Leben lang an und stört den Ergriffenen immerhin erheblich. — Gewisse Berufsarten, besonders der Militärdienst, sind damit unvereinbar. Eine Entscheidung darüber zu treffen, wo der ursprüngliche Sitz des Übels zu suchen sei, ob im Muskelsystem, ob in den Centraiorganen, ist vorderhand unmöglich. — Eine irgend Nutzen bringende Behandlung kennt man nicht.

§ 41. Amyotrophische Lateralsklerose. Die Ätiologie der seltenen amyotrophischen Lateralsklerose hat wenig Sicheres zu verzeichnen: daß zwischen dem 25.—50. Lebensjahre die meisten Fälle vorkommen, ist eigentlich alles, was zu sagen wäre.

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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

Anatomisch findet sich Degeneration der Seitenstränge, über das ganze Rückenmark ausgedehnt, Atrophie und Schwund der Ganglienzellen in den Vorderkörnern und den motorischen Kernen der Medulla oblongata. Die Entartung befallt die Pyramiden- und, wenn solche vorhanden, auch diejenigen Vorderstrangbahnen, in denen motorische Fasern ungekreuzt verlaufen; sie ist nach oben bis zur Brücke und in die Großhirnschenkel verfolgt worden. — Die Atrophie der Ganglienzellen betrifft hauptsächlich den vordersten Teil der Vorderhörner; in dem verlängerten Mark sind am häufigsten die Kerne des Facialis, Hypoglossus und Accessorius befallen — übrigens können auch die des Abducens und des Trigeminus in Mitleidenschaft gezogen werden. — Die entsprechenden Nervenwurzeln und die peripheren Nerven sind mit den zugehörigen Muskeln gleichfalls im Zustande der Degeneration. — Außer diesen sich streng auf das motorische System beschränkenden Erkrankungen kommen solche vor, welche noch andere Teile des Rückenmarkes — z. B. die Hinterstränge — ergreifen. Sie Krankheit beginnt mit Schwäche in den Armen, zuerst in einem, dann in dem anderen; sehr bald stellt sich Atrophie der Muskeln und Zunahme der Sehnenreflexe ein. Nach verhältnismäßig kurzer Zeit, höchstens einem Jahre, meist früher zeigen sich die nämlichen Erscheinungen in den Beinen. Es folgen nach wiederum einem bis höchstens zwei Jahren die Symptome der Bulbärparalyse, welche dem Leben ein Ende macht. Diese Reihenfolge ist die gewöhnliche; es kann aber auch eine Abweichung vorkommen, so daß zuerst die Beine ergriffen werden oder schon früh Zeichen von der Erkrankung des verlängerten Markes kommen. — Das Leiden setzt sich also aus cJrei Teilen zusammen: der progressiven Muskelatrophie, der „spastischen Spinalparalyse" und der progressiven Bulbärparalyse ; die beiden ersten treten nebeneinander auf und verlaufen nebeneinander, die letzte entwickelt sich zum Schluß. Die Muskelatrophie ist nach Art und Verteilung die nämliche wie bei der progressiven Form, Typus D U C H E N N E - A K A N : die kleinen Handmuskeln werden ergriffen, fibrilläre Zuckungen stellen sich ein, es tritt Entartungsreaktion an den Muskeln auf; daneben zeigt ein verschont gebliebener Teil der Fasern in denselben Muskeln normales Verhalten. — Die Symptome der spastischen Spinalparalyse sind ebenso voll ausgeprägt vorhanden, vor allem die Steigerung der Sehnenreflexe, welche schon sehr früh auftritt und auch an den Muskeln des Oberarms und Unterarms nachgewiesen werden kann. An den Beinen geht die Entwicklung der spastischen Erscheinungen denen der Lähmung zeitlich voraus, sie überwiegen dort auch im späteren Verlauf; der „spastische Gang" zeigt sich in kurzer Zeit. Meist sind Reflexkontrakturen an Armen und Beinen zugegen, sie können aber fehlen. Alle Erscheinungen von seiten der Sensibilität, der Ernährung, der Blase und des Darmes bleiben aus; die Reflexe von der Haut sind normal. — Die Bulbärparalyse bietet keine nennenswerten Abweichungen von ihrem gewöhnlichen Bilde dar. Die Muskelatrophie erklärt sich aus der Entartung der Ganglien in den Vorderhörnern, die bulbären Erscheinungen aus der Zerstörung der Ganglienanhäufungen in der Medulla oblongata, zur Deutung der spastischen Erscheinungen bleibt nur die Degeneration der Seitenstränge übrig. Auf diesen Gedankengang stützte sich die Aufstellung, welche für die spastische Spinalparalyse als anatomische Unterlage die Seitenstrangdegeneration forderte.

Nach den bisherigen Erfahrungen ist die amyotrophische Lateralsklerose eine

Chronische progressive Bulbärparalyse.

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Krankheit, welche innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit zum Tode führt, ihre Prognose ist daher absolut schlecht. Von einer wirksamen Therapie ist nichts bekannt. § 42.

Chronische progressive Bulbärparalyse.

Chronische progressive (nukleare) Ophthalmoplegie.

Unter den Krankheiten des verlängerten Markes nimmt die chronische progressive Bulbärparalyse die erste Stelle ein. Ätiologisch ist nur bekannt, daß die Krankheit in jüngeren Jahren — diesseit der Dreißiger — selten ist, dann auch, daß dieselbe mehr Männer als Frauen befällt. — Erkältung, Überanstrengung u. s. w. sollen nach vereinzelten Beobachtungen Gelegenheitsursachen werden können. Der Beziehungen zur amyotrophischen Lateralsklerose und zijr progressiven Muskelatrophie ist in den vorhergehenden Paragraphen gedacht. Anatomisch findet man, daß degenerative Atrophie der in dem verlängerten Mark gelegenen grauen Kerne vom Hypoglossus und Facialis (diese am häufigsten und am stärksten ergriffen), vom Accessorius, Vagus, Olossopharyngeus, seltener vom Abducens und dem motorischen Teil des Trigeminus vorhanden ist. So gut wie nie beteiligt sich der Aeustieus. — Der Hypoglossus scheint immer den Anfang zu bilden. Die Wurzeln der ergriffenen Nerven sind deutlich atrophisch, ebenso ihre weitere periphere Verbreitung mit den zugehörigen Muskeln. Mikroskopisch zeigen sich Schwund oder Schrumpfungen der großen Ganglienzellen, die kernlos und mit Pigment gefüllt angetroffen werden. Gewebswucherungen, Verdickungen der Gefaßwände, vielleicht auch Fettkörnchen gesellen sich hinzu. In den Nerven und Muskeln sind die gleichen Zustände einfacher Entartung mit Untergang der charakteristischen Gewebsbestandteile, ferner ist neugebildetes Bindegewebe und Fett vorhanden. Das Leiden entwickelt sich gewöhnlich langsam ans unscheinbaren Anfängen, leichten Störungen der Artikulation, neben welchen Beschwerden beim Kauen und Schlingen gleichzeitig, oder doch wenig später sich einstellen; bald kommt auch eine etwas vermehrte Speichelabsonderung zustande. — Monatelang hat es dabei sein Bewenden. — Mit dem weiteren Fortschreiten der Krankheit nehmen diese Erscheinungen zu, das Sprechen, Kauen und Schlingen gelingt immer unvollkommener, es tritt Verschlucken ein. Dann folgt die Beteiligung des Facialis mit seinen unteren Ästen: die Fähigkeit, den Mund zu spitzen, zu pfeifen, ein Licht auszublasen, geht zugleich mit den mimischen Bewegungen der unteren Gesichtshälfte verloren; das Gaumensegel hängt schlaff herab, die Sprache wird näselnd, beim Essen gelangt ein Teil des Genossenen durch die Nase wieder nach außen. Keichliche Speichelmengen sammeln sich im Munde und können nicht verschluckt werden; sie fließen nach außen ab oder müssen mit Tüchern entfernt werden. — Die gelähmte Zunge und die Lippen zeigen beständige fibrilläre Zuckungen. — Mehr und mehr steigern sich die Beschwerden; endlich hört für den Kranken die Möglichkeit, sich durch die Sprache verständlich zu machen, ganz auf, jeder Versuch zum Schlingen geht mit Anfällen von Atemnot — durch Verschlucken bewirkt — einher. Lähmung der Kaumuskeln, Störung der Atmung und der Herxthätigkeit tritt auf.

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Krankheiten des Rückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

Die äußeren Augenmuskeln werden ebenso mitunter ergriffen und beiderseits gelähmt, die Irisbewegungen bleiben ungestört. Nach neuerer wohlbegründeter Anschauung würde es sich hier nur um die Komplikation mit einer aus dem Ganzen der Bulbärerkrankungen abzutrennenden Sonderform handeln — der chronisch progressiven (nuklearen) Ophthalmoplegie. Dabei verfallen die Kerne der Augenmuskelnerven degenerativer Atrophie, als Folge tritt die Veränderung in den Muskeln ebenso wie bei den anderen Kernentartungen ein. — Haupterscheinung ist in wechselnder Form langsam sich ausbreitende Lähmung der Augenmuskeln mit ihren Folgen. — Sehr oft tritt dieses Leiden neben anderen auf: Dementia paralytica, multiple Sklerose, Tabes sind vor allem zu nennen. —

Unter den Erscheinungen hochgradiger Abmagerung geht endlich der Kranke einem langsamen Hungertode entgegen, wenn nicht eine Bronchitis oder Schluckpneumonie dem Jammer vorher ein Ende machte. — Dabei bleibt die Intelligenz erhalten, die sensiblen Nerven fungieren ungestört, ein Teil der Muskeln, Blase und Mastdarm sind unversehrt. Von Einzelerscheinungen ist zu erörtern: In einigen wenigen Fällen war nach den Angaben der Kranken der Beginn ein ganz plötzlicher; sie vermochten denselben auf Tag und Stunde genau zu bestimmen. Wahrscheinlich kam ihnen das schon länger bestehende Leiden erst durch eine Gelegenheitsursache zum Bewußtsein. — Sprachstörung, raeist das erste Symptom, zeigt sich, dem frühen Ergriffenwerden des Hypoglossus und der daraus hervorgehenden Zungenlähmung entsprechend, anfangs in der Schwierigkeit, gewisse Buchstaben auszusprechen, bei deren Bildung die Zunge wesentlich beteiligt ist. So unter- den Vokalen das I, unter den Konsonanten R, Sch, dann später S, L, K, G, T, zuletzt D und N. — Die Lähmung des Facialis, soweit sie die Lippen betrifft, bewirkt den Ausfall von 0 und U, später von E; dann den der Konsonanten P, F — hierfür ist übrigens auch die Lähmung des Gaumensegels von Bedeutung —, weiterhin von B, M, W. — Das Näseln der Stimme ist durch die Lähmung des Gaumensegels bedingt. — Die im späteren Verlauf erfolgende Lähmung des Accessorius giebt durch Parese der Stimmbänder und der Kehlkopfmuskeln Veranlassung zur Schwäche und Ein-tönigkeit der Sprache. Kauen und Sehlingen werden von verschiedenen Seiten her beeinträchtigt. Die Zungenlähmung hindert die Fortbewegung des mangelhaft gebildeten Bissens, die Entfernung der über den Zahnrand in die Backentaschen gelangten Speiseteile; die Lähmung der Lippenmuskeln macht den Schluß des Mundes, die der Kaumuskeln das Kauen selbst unmöglich. — Der komplizierte, von verschiedenen Nerven beherrschte Schlingakt wird später namentlich durch die Lähmung der Schließmuskeln des Larynxeinganges erschwert; sogar die Muskulatur der Speiseröhre (Vagus) kann ihren Dienst versagen. Die Lähmung der unteren Facialisäste thut sich außer den den Orbicularis oris betreffenden Störungen — Unfähigkeit zum Mundspitzen, Pfeifen u. s. w. — in sehr auffallender Weise durch das Erlöschen der mimischen Bewegungen im unteren Gesichtsteil kund. Dies giebt einen ausgesprochenen Gegensatz zu den lebhaften Bewegungen in der oberen Gesichtshälfte, der fiir die Krankheit etwas Pathognomonisches hat. — Warum die unteren Äste des Facialis so vorwiegend ergriffen werden (die oberen sind nur ganz ausnahmsweise beteiligt), ist noch nicht

Akute Baibärparalyse.

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aufgeklärt. Ebensowenig ist die in einer Anzahl von Fällen deutliche Vermehrung der Speichelabsonderung in ihren Ursachen erkannt. Unter den Atmungsstörungen treten zuerst solche der Exspiration hervor. Das hängt wohl mit der Stimmbandlähmung zusammen, welche die Spannung der im Thorax angesammelten Luft nicht zu der Höhe kommen läßt, welche für das Husten, Niesen, Schnäuzen u. s. w. erforderlich ist. Nachher, wenn die Atmungscentren selbst in die Entartung hineingezogen sind, können Dyspnoe und anderweitige Beschwerden sehr hochgradig werden. Daß die Entstehung von Entzündung in den Luftwegen durch den mangelhaften Verschluß des Kehlkopfes im höchsten Grade begünstigt wird, bedarf keiner weiteren Ausführung. — Unmittelbare Störung in der Innervation des Herzens ist nicht häufig. Atrophie derjenigen Muskeln, deren Kerne zerstört wurden, geschieht genau in der gleichen Weise wie bei der progressiven spinalen Muskelatrophie; auch fibrilläre Zuckungen und Entartungsreaktion gestalten sich wie bei jener. Das Verhalten der Reflexe ist ein wechselndes; häufiger sind sie vermindert, so daß starke Reizung der Rachenschleimhaut motorisch unbeantwortet bleibt, andere Male sind sie erhalten. An den Gesichtsmuskeln sollen nicht selten sogar erhöhte Sehnenreflexe auftreten. Die Dauer des unaufhaltsam zum Tode führenden Übels wird auf ein bis fünf Jahre angegeben. Kurze Stillstände sind nur im Anfang etwas häufiger. — Die Prognose ist also absolut schlecht. — Differentialdiagnostisch kommt die multiple Sklerose, besonders aber die Bildung von Geschwülsten in Betracht, falls durch dieselben ein Druck auf die Medulla oblongata ausgeübt wird. Die einleitenden Erscheinungen sind dann andere, vorwiegend Reizsymptome: Kopfweh, Schwindel, Erbrechen, epileptiforme Anfälle; es zeigen sich Störungen im Acusticus oder im sensiblen Teil des Trigeminus. Lähmungen der Glieder, vielleicht mit Kontrakturen, aber ohne Muskelatrophie können auftreten. Bei einer Kompression, welche die Wurzeln der Bulbusnerven auf beiden Seiten trifft, soll die Diagnose unter Umständen unmöglich werden. — Es ist endlich auch an die Möglichkeit zu denken, daß central gelegene Ursachen ein ähnliches Krankheitsbild hervorrufen können. Bei dieser Pseudobulbärparalyse handelt es sich um eine Form, welche den Namen mit Unrecht führt, denn es finden sich auf Arteriosklerose beruhende, im Großhirn wie in der Medulla oblongata diffus verbreitete Erweichungsherde, welche vielleicht nur durch sorgfältigste mikroskopische Untersuchung auffindbar sind. Eine andere mit gleichen Gewebsveränderungen einhergehende Verbreitung läßt den Bulbus in der That frei. Die Entwickelung geschieht mehr schubweise, wie bei der akuten Form. — Die Therapie muß sich, und zwar mit recht wenig Aussicht auf Erfolg, auf den Versuch beschränken, mittels des galvanischen Stromes Stillstand zu erzielen oder wenigstens Erleichterung zu bringen. Namentlich die Beschwerden bei dem Schlingen können so vorübergehend vermindert werden. Der Krankenpflege ist immer weiter Spielraum gegeben. § 43. Akute Bulbärparalyse. Die wirklich akut auftretende Bulbärlähmung ist selten. Entstehungsursachen sind: 1. Blutungen in der Medulla oblongata und der Brücke, Embolie und Thrombose im Gebiete der Vertebralarterien, der Spinales anteriores, der Basilararterie. Die Symptome

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Krankheiten des Kückenmarkes und seiner Häute, sowie des verlängerten Markes.

sind durch einen mehr oder minder plötzlichen, jedenfalls scharf abgegrenzten Krankheitsanfang eingeleitet, der unter dem Bilde des apoplektischen Insultes auftreten kann. Außer den spezifischen Bulbärlähmungen des Hypoglossus, Accessorius, Facialis u. s. w., aus denen die Störungen der Sprache, des Kauens und Schlingens hervorgehen, zeigen sich nicht selten eigentümliche Verteilungen der Lähmungen überhaupt, welche durch Unterbrechungen der Pyramidenbahnen hervorgerufen sind. Gewöhnlich ist die Lähmung halbseitig, dabei kommt es vor, daß der Facialis auf der einen, die Körpermuskeln auf der anderen Seite gelähmt sind (Hemiplegie/, alternans). Dies findet seine Erklärung, darin, daß der Herd an einer Stelle liegt, wo noch nicht die Kreuzung der Facialis-, wohl aber bereits die der Pyramidenfasern stattgefunden hat; die Facialislähmung ist alsdann gleichseitig mit dem Herde, die der Glieder anderseitig. — In seltenen Fällen — Sitz des Herdes in der Pyramidenkreuzung selbst — kann die obere Extremität der einen, die untere der anderen Seite gelähmt sein (Hemiplegia cruciata). Weiter kann es vorkommen, daß eine vollständige Lähmung aller vier Extremitäten auftritt. — Störungen der Atmung und des Kreislaufes, vorübergehende Eiweiß- und Zuckerausscheidung sind, wenn auch nicht eben häufig, beobachtet. — Der Tod kann bereits im ersten Anfall erfolgen; die Prognose gestaltet sich bei den durch Blutung bedingten Fällen besser als bei denjenigen, welchen Thrombosen zu Grunde liegen. Die Behandlung ist dieselbe wie bei den betreffenden Erkrankungen des Gehirns. 2. Disseminierte Myelitis mit Herdbildung in der Medulla oblongata — als akute entzündliche Bulbärparalyse bezeichnet, eine sehr seltene Erkrankung. Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen, Singaltus, Beschwerden beim Schlingen und Sprechen, abnorme Sensationen, Schwächegefühl — alles sehr rasch, vielleicht mit geringem Fieber, auftretend, zeigen den Beginn des Leidens an. Dann Lähmungen bald dieses, bald jenes von der Medulla oblongata aus innervierten Gebietes, subjektive Störungen der Sensibilität, objektive der Motilität in den Gliedern; bisweilen nehmen auch Blase und Mastdarm teil. Unter den Erscheinungen der Atmungslähmung erfolgt in kurzer Zeit der Tod. § 44.

Hydromyelus, Syringomyelie, Spina bifida.

Als angeborene Anomalie findet sich eine Erweiterung des Centralkanals im Bückenmark mit Anhäufung von Flüssigkeit in demselben — Hydromyelus congenitus. Erweiterung kann aber auch als Folge von entzündlichen Veränderungen, Störungen der Blut- und Lymphbewegung in der nächsten Umgebung, oder Zerfall in der Wand des Centralkanals sich einstellen. Immer ist dieser der Ausgangspunkt. Bei der Syringomyelie dagegen liegen die Höhlen hinter dem Centraikanal, sie sind von gewuchertem Gliagewebe umgeben. Es ist eine primäre Form — durch Störungen der Entwicklung bedingt — zu unterscheiden. Bei ihr geht die Wucherung der Glia dem Zerfall voraus, welcher wahrscheinlich durch die von hyalinen Wandentartungen der zuführenden Gefäße abhängigen Ernährungsstörungen bedingt wird. Bei der sekundären Form handelt es sich um mechanisch oder durch Infektion entstandene, den Ausgang in Höhlenbildung nehmende umschriebene Herde. Gliawucherung ist immer dabei vorhanden, aber nur geringfügig. Die Veränderungen können sich über den ganzen Querschnitt» ebenso über eine erhebliche Längenausdehnung des Bückenmarkes verbreiten. — Das klinische Bild der Syringomyelie hat die primäre Form der Gewebeveränderung im Rückenmark aller Wahrscheinlichkeit nach zur Grundlage. — Gewöhnlich ist der ursprüngliche Sitz im Halsmark. Die Entwicklung dieser Erkrankung beginnt allmählich, erst jenseits des ersten Jahrzehnts, sie wird nach dem dritten immer seltener. Als Gelegenheitsursache nennt man äußere Verletzungen der Wirbelsäule, auch wohl schwere Infektionen. —

Hydromyelus, Syringomyelic, Spina bifida.

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Bei voller Ausbildung findet sich: 1. Herabsetzung der sensiblen Leitung für den Schmerz und für den Temperatursinn; die anderen Empfindungsqualitäten können oft unversehrt bleiben. — Daneben sind allerhand Parästhesien vorhanden. — 2. Vasomotorische und trophische Störungen. Jene zeigen sich als örtlich beschränkte Änderungen in der Blutverteilung, Kalt- und Blauwerden der Hände, verminderte oder vermehrte Schweißbildung an umschriebenen Abschnitten und als allerlei oberflächliche Exantheme, besonders Blasenbildung, die aber leicht tiefer greift. — Geringeren Gewebeverletzungen, dem Auftreten von Blasen und Schrunden selbst in warmer Jahreszeit, folgen schwerere: Phlegmonen, Panaritien, Erkrankungen der Sehnen, der Gelenke, der Knochen mit ihren durch die geänderten mechanischen Bedingungen veranlaßten Folgen. An den Fingern kommen Verkrüppelungen vor, die denen bei der Lepra mutilans (§ 102) ähnlich sind. — Als eine bedeutungsvolle Gelegenheitsursache wird mit Recht die genannte Veränderung des Empfindungsvermögens genannt. — 3. Das typische Bild der progressiven Muskelatrophie (§ 38). Alles ist doppelseitig, aber mit ungleicher Stärke und Ausbreitung an den beiden Körperhälften vorhanden. — Schreitet die Erkrankung vom Halsmark aus nach oben fort, dann gesellen sich Bulbärsymptome hinzu (§ 42), geht sie nach unten weiter, dann kommt es zu Erscheinungen, welche immer das Ergriffensein des Dorsal- und Lendenmarkes anzeigen, aber in wechselnden Bildern, so als spastische Lateralsklerose, als Tabes dorsalis sich darstellen können. — Hat die Erkrankung ihren ursprünglichen Sitz in anderer Höhe, dann bleiben die Grunderscheinungen die nämlichen, allein eine so ausgesprochene Eigenart fehlt dem Ganzen. — Mehr und mehr wird die sogenannte MoKVAN'sche Krankheit ohne weiteres auf Syringomyelie zurückgeführt. Bei ihr handelt es sich um häufig wiederkehrende, schmerzlose, tiefgreifende Panaritien an beiden Händen neben mehr allgemeiner, auch die Tastempfindung einschließender Anästhesie und, Parese, welche sich auch auf die Vorderarme erstreckt. Sicher vermag periphere Neuritis, ebenso Lepra die nämlichen Störungen hervorzurufen. — Der Verlauf der durch Syringomyelie entstandenen Krankheitserscheinungen ist meist sehr langsam. Eibe eigentliche Heilung ist nicht möglich, wohl aber kann zu jeder Zeit Stillstand eintreten. Diesen vermögen wir durch irgend welche Maßnahmen nicht herbeizuführen; die Behandlung hat nur symptomatische Aufgaben zu lösen. Prophylaktisch ist die Anästhesie besonders zu berücksichtigen. Bei der Spina bifida handelt es sich um eine angeborene partielle Erweiterung der Dura mater, welche meist mit Spaltbildung der Wirbelsäule verbunden ist und mit Flüssigkeitsansammlung einhergeht Durch den Spalt tritt die fluktuierende Geschwulst an die Oberfläche, schiebt die Haut, mit der sie manchmal verwachsen ist, vor sich her und kann so bis zur Größe eines Kinderkopfes gelangen. Gewöhnlich ist der Sitz am unteren Teil der Wirbelsäule. — Die Wandung der Geschwulst wird meistens von der Dura und Arachnoidea gebildet, seltener nimmt die Pia teil; ihr Inhalt unterscheidet sich nicht wesentlich von der Cerebrospinalflüssigkeit. — Das Rückenmark selbst ist unversehrt, Verwachsung desselben mit der Geschwulst kann allerdings eine Zerrung nach der Längsrichtung zur Folge haben. — Kleinere Mengen von Flüssigkeit rufen keine Erscheinungen hervor; durch Verödung einer engen Verbindungsöffnung mit dem Wirbelkanal und dessen Inhalt T. J ü r g e n s e o , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

kann die Geschwulst zu der geringen Würde eines lästigen Anhängsels herabsinken. Mit der Zunahme der Flüssigkeit — nur in der Minderzahl der Fälle bleibt dieselbe von gleicher Menge — treten Drucksymptome vom Mückenmark her ein: Lähmung der Beine, der Blase und des Mastdarms, Decubitus. Durch Insulte kann Entzündung der inneren Geschwulstwand herbeigeführt werden, Meningitis macht dann dem Leben ein Ende. Gleiches geschieht nach dem Bersten des Sackes; strömt dabei die Flüssigkeit rasch ab, so kommt es manchmal zu Krämpfen und schnellem Kollaps. — Die Prognose ist im allgemeinen keine günstige. — Die Diagnose wird durch Sitz und Art des Tumors meist schon gegeben sein. Besteht, wie das gewöhnlich der Fall, die Verbindung mit dem Wirbelkanal, dann läßt sich aus der Geschwulst ein mehr oder minder großer Teil der Flüssigkeit nach dem Kanal hin verdrängen. Bei den in diesem Sinne angestellten Versuchen muß man, wenn dieselben überhaupt nötig sind, sehr vorsichtig verfahren. — Die Therapie ist im wesentlichen eine chirurgische: Kompression mit Punktionen hat noch die besten Erfolge gehabt.

Krankheiten des Gehirns und seiner Häute. § 45.

Allgemeines.

Bau und Bildung des Gehirns sind nur in ihren Grundzügen bekannt. Mit welchen Aufgaben alle Einzelteile des großen Organs betraut sind, ist mit einer gewissen, bald größeren, bald kleineren Wahrscheinlichkeit zu sagen. Bei dieser ungenügenden physiologischen Unterlage muß die Pathologie darauf verzichten, immer allseitig verständliche Krankheitsbilder vorzuführen, oft ist sie auf einfache Erfahrungsthatsachen angewiesen, welche sich der Deutung derzeit noch entziehen. Das bei dem Erwachsenen und dem älteren Kinde von einer starren Knochenkapsel umschlossene Gehirn stellt eine festweiche Masse dar, nicht so fest, daß irgend eine mechanische Einwirkung auf die von ihr betroffene Stelle eng beschränkt bliebe, nicht so weich, daß eine solche Einwirkung wie bei Flüssigkeiten sich ohne weiteres auf das ganze Organ auszudehnen vermöchte. — Einen, freilich begrenzten, Schutz gegen plötzliche starke Vermehrung des Blutdruckes gewährt die Anwesenheit der Cerebrospinalflüssigkeit, welche in den Rückenmarkskanal, der durch Dehnung seiner Bänder etwas erweitert werden kann, auszuweichen vermag. Weit mehr ist die außerordentlich reiche Ausstattung mit Lymph- und Blutgefäßen imstande, den Flüssigkeiten raschen Abzug in den allgemeinen Kreislauf zu gestatten und so Drucksteigerungen zu verhüten oder doch rasch auszugleichen. Dafür ist auch die Art, wie sich das venöse Blut bewegt, von großer Wichtigkeit. Innerhalb der Sinus fließt dasselbe nicht nur unter höherem Druck als anderswo, es wird geradezu in pulsatorische Bewegung gesetzt, so daß sich die venösen Blutleiter stoßweise, der eindringenden arteriellen Welle synchron entleeren. Die Einmündung der kleineren Venen des Hirns in die von starren Wänden umschlossenen Blutleiter, welche zudem noch mit den Venen des Schädels und der Kopfschwarte kommunizieren, sowie der Mangel an Venenklappen gestatten raschen Austausch von Blut zwischen arteriellem und venösem Gebiet und umgekehrt. Hierzu kommt noch, daß die perivasculären hymphräume, Subdural- und Subarachnoidealraum und die Ventrikel mit dem Lymphgebiet des Halses in Verbindung stehen, so daß rascher Abfluß auch nach dieser Seite hin gesichert ist.

Allgemeines.

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Ausgiebig ist die Versorgung mit arteriellem Blut: durch die Arteria cerebri anterior und media (Fossae Sylvii) direkt aus der Carotis interna, durch die Arteria cerebri posterior aus der Vertebralis (Subclavia). Diese Gefäße gehen in ihrer gröberen Verästelung zahlreiche Anastomosen miteinander ein; die Hauptverbindung der Stämme wird durch die Arteriae communicantes anteriores und posteriores hergestellt. Aber der Umstand, daß die Arterien der Großhirnganglien Endarterien sind, d. h. in ihrer feineren Verästelung keine Anastomosen bilden, kann unter pathologischen Bedingungen verhängnisvoll werden, da bei Unterbrechung des Kreislaufes in einem dieser letzten Zweige das ganze Hinterland desselben dauernd außer Ernährung gesetzt wird und zu Grunde gehen muß. Die Rinde des Großhirns ist günstiger gestellt, ihre Arterien anastomosieren auch in den feinen Verzweigungen. Das Gehirn ist Leitzings- (siehe § 20) und selbstthätiges Organ für Empfindung und Bewegung. Man nimmt jetzt an, daß der Hirnrinde die letztere Funktion zukommt; dort sammeln sich an bestimmten, für die einzelnen Thätigkeiten verschiedenen Abschnitten die Eindrücke, welche von peripherer oder centraler Reizung ausgehen, so daß jeder dieser Abschnitte einen besonderen Mittelpunkt bildet, dessen Erregung das Ganze einer Bewegung oder Empfindung auslöst. Die Fähigkeit der einzelnen Teile in der Hirnrinde als Centraiorgane für zusammengesetzte Bewegungen oder Empfindungen zu dienen, ist durch die ursprüngliche Anlage bedingt, eine ererbte, allein es bedarf der Übung, um diese Fähigkeit auszubilden, die Centren gebrauchsfähig zu machen. — Man hat die Sache auch so ausgedrückt: Die Hirnrinde wird der Sitz von Erinnerungsbildern, sowohl Bewegungsvorstellungen als sensorischen Empfindungsvorstellungen. Sind diese einmal gewonnen, dann bedarf es nur der Anregung des Willens, um das Ganze des Bildes, wie es ursprünglich aufgenommen und am bestimmtem Orte niedergelegt war, wieder ins Leben zu rufen, die Bewegung oder Empfindung wieder zu erzeugen.

Umstritten ist die Frage, ob nur ein bestimmter Teil des Gehirns und außer ihm kein anderer imstande ist, zum Centrum für eine bestimmte Thätigkeit zu werden? Man möchte darauf für jetzt antworten: E s ist durchaus wahrscheinlich, daß niemals eine Ganglienzelle als Gentrum für eine bestimmte Thätigkeit prädestiniert ist, immer wird es sich hierbei um eine Mehrzahl von Ganglienzellen handeln. — Von dieser Mehrzahl kann eine die andere vertreten. E s mag von zufälligen Bedingungen abhängig sein, welche Einzelzelle bei der ersten Einübung mit einem bestimmten Bruchteil der Aufgabe betraut wurde, die der Gruppe gestellt ist; jede hatte den Bruchteil übernehmen können, eine hat es gethan. Dadurch ist die Möglichkeit, daß eine andere bei der sie treffenden Anforderung diese Arbeit leiste, sie übernehme, nahegelegt; also wäre Vertretung innerhalb der Gruppe, des Systems thunlich. Wieweit räumlich aber solche Vertretungsmöglichkeit sich erstreckt, ist eine andere Frage. Die Ausdehnung der Territorien, welche für bestimmte Zwecke als Centren dienen, scheint sehr verschieden zu sein. Ungenügende Kenntnis der einschlagenden Verhältnisse hat dazu geführt, daß man einerseits jede umschriebene Centrenbildung im Gehirn leugnete, andererseits durch scharf abgegrenzte Lokalisation sich zu weit vorwagte. Im ganzen scheint der vordere Teil der Hirnrinde den motorischen, der hintere den sensorischen Thätigkeiten zugewiesen zu sein (Fig. 2). 6*

Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

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Bei jener Form der Aphasie, wo die Erinnerung an die Bewegungen verloren gegangen ist, welche zur Artikulation notwendig sind, der „motorischen", findet man gewöhnlich die dritte linke Stirnwindung geschädigt, aber es ist sicher, daß auch da, wo die gleiche Stirnwindung rechts betroffen wurde und die linke unversehrt blieb, Aphasie auftritt. Meist verhält es sich so, daß Rechtshändige bei Zerstörung der linken dritten Stirn Windung, Sulcus frontalis superior

Sulcus centralis

Sulcus frontalis inferior

Sulcus interparietalis

Sulcus occipitalis internus Is. perpendicularis)

Ramus anteriorfossae Sylvii Fossa Sylvii Fig. 2.

Ramus posterior fossae Sylvii

Sulcus temporalis superior

Schematische Darstellung der Großhirnrinde und der bis jetzt bekannten GroßhirnrindenCentren.

1 erste \ 2 zweite > Stirnwindung (Gyrus frontalis) 3 dritte J 5 hintere} Centraiwindung (Gyrus centralis) 6 7 8 9 10 11 12 13 14

obere | mittlere > Schläfenwindung (Gyrus temporalis) untere J obere Scheitelwindung (Gyrus parietalis) untere Gyrus angularis obere 1 mittlere > Occipital Windung (Gyrus occipitalis) untere I

bei 4 und 5 zu beiden Seiten des Sulcus centralis motorisches Rindenfeld für die obere Extremität. Motorisches Rindenfeld teils fürdieobere, teils für die untere Extremität (große Zehe). Motorisches Rindenfeld für die untere Extremität. Rindenfeld des Hypoglossus. „ „ Facialis. (3) Motorische Aphasie. (6) Sensorische (akustische) Aphasie mit Worttaubheit. (11) Aphasie mit Wortblindheit. (12) Polus (Bereich der Sehsphäre).

Linkshändige bei Zerstörung der entsprechenden rechten aphasisch werden. Man kann nicht wohl umhin, anzunehmen, daß durch Übung der betreffenden Großhirnhemisphäre, wie alle sonstigen feineren Koordinationen, so auch die zum Sprechen erforderlichen ausgebildet sind. Aber die andere, minder geschulte Hemisphäre kann durch Übung ebenfalls zur vollen Entwicklung dieser Fähigkeit gebracht werden. Daß ein Rechtshändiger mit der linken Hand das Sehreiben — einen der kompliziertesten Koordinationsmechanismen — zu erlernen vermag, ist bekannt, ebenso steht es fest, daß motorische Aphasie, daß „sensorische" Worttaubheit, hervorgerufen durch Untergang des „Hörcentrums" im Schläfenlappen, sich verlieren kann, sobald die entsprechenden

Allgemeines.

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Teile der anderseitigen Hemisphäre genügend eingeübt werden. — Diese Beispiele für das Prinzip der Lokalisation im Gehirn und für die Vertretungsmöglichkeit der Einzelteile von Systemen unter sich mögen genügen.

Was für die in unmittelbarer Beziehung zu dem Willen und der bewußten Empfindung stehenden Hirnteile gilt, dürfte auch für die mit ihnen verbundenen Leitungen seine Gültigkeit behaupten. Nicht eine Nervenfaser, mehrere vermitteln die Verbindung zunschen Centrum und Peripherie, jede vermag zu leiten und schon im Rückenmark finden sich wahrscheinlich verschiedene Bahnen, von denen bald die eine, bald die andere, wohl stets die besser geübte, vorzugsweise benutzt wird. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß auch innerhalb des Gehirns Unterbrechungen in der Leitung durch Einschiebung von gewöhnlich nicht oder wenig benutzten Wegen bis zu einem gewissen Grade wieder ausgeglichen werden können. Man unterscheidet bei den Symptomen von Hirnerkrankimg zunächst allgemeine Erscheinungen und Herderscheinungen. Die allgemeinen Erscheinungen weisen auf eine Störung des Organs als ganzes hin, sie können durch jeden Krank • heitserreger, welcher das Gehirn trifft, unabhängig vom engeren Sitz der Erkrankung ausgelöst werden und bieten eine gewisse Einförmigkeit dar. Die Herderscheinungen hingegen setzen voraus, daß ein bestimmter Hirnteil getroffen wurde, der mit einer gewissen Funktion betraut ist, sie sind also so mannigfaltig wie diese Funktionen selbst. Durch die Störung der Funktion geben sie sich kund. Die von einer Schädlichkeit im Gehirn hervorgerufenen Wirkungen brauchen sich nicht auf den unmittelbar betroffenen Teil zu beschränken, sie können vielmehr sich darüber hinaus in verschieden weiter Ausbreitung fortpflanzen. — Es sind hier zwei Dinge zu trennen: 1. Die Gewalt der Störung kann so bedeutend sein, daß sie die Funktionsfähigkeit des Gehirns unmittelbar ganz vernichtet — dann tritt der Tod ein — oder dieselbe doch zum größeren Teil aufhebt, ohne daß immer materielle Änderungen nachweisbar wären. Wie nach einer Durchtrennung des Rückenmarkes zuerst die Reflexe erloschen sind, kann auch nach der Einwirkung starker mechanischer Gewalt auf das Gehirn ein ähnlicher Zustand — man hat ihn passend als étonnement cérébral (Hirnerstarrung) bezeichnet — sich entwickeln. 2. Ernährungsstörungen, seien es nun entzündliche oder andere, greifen über den von der ursprünglichen Schädlichkeit betroffenen Baum hinaus und ziehen einen mehr oder minder großen Teil der Nachbarschaft für eine Zeit in Mitleidenschaft. So z. B. das ödem, welches einen Herd echter Entzündung umgiebt und während seiner Dauer die schwersten funktionellen Störungen hervorzurufen vermag, aber in verhältnismäßig kurzer Zeit zurückgeht. Man muß daher auch unter den von lokalisierten Einwirkungen abhängigen Erscheinungen zweierlei unterscheiden: direkte Herdsymptome — in dem angeführten Beispiel wurden solche von dem Entzündungsherd selbst geliefert — und indirekte, hier von dem Ödem herrührende. Für die Diagnostik der Hirnerkrankungen sind diese Thatsachen von erheblicher Bedeutung. Bei plötzlich einbrechenden Schädigungen — bei mechanisch von außen einwirkenden oder durch Kreislaufstörungen hervorgerufenen — hat man vorübergehende und bleibende Symptome zu unterscheiden; das gelingt natürlich erst nach Ablauf einer gewissen Zeit. — Man darf die vorübergehenden Erscheinungen von den Fernwirkungen der krankheiterregenden Ursache ableiten, es tritt dabei kein Untergang von Geweben ein, und es bedarf nur der Aus-

Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

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gleichung von Kreislaufstörungen oder von molekularen Verschiebungen, um die Funktion wiederherzustellen. Sind Centren oder Leitungen vernichtet, dann redet man von Ausfallssymptomen; dauernd werden dieselben nur, wenn durch das Fehlen präformierter Ergänzung des Verlorengegangenen die Möglichkeit der Stellvertretung nicht gegeben, oder wenn die gegebene nicht benutzt werden kann, wenn durch Übung kein Ersatz geschaffen wird. — Eine rasch einsetzende, wenn auch räumlich sehr beschränkte Störung kann so an einem lebenswichtigen Centrum, wie z. B. dem „Noeud vital" (Herz und Atmung) auftretend, plötzlichen Tod bedingen. Bei langsam entstehenden Schädigungen kann mit dem Untergang eines Hirnteils die Einübung des stellvertretenden zeitlich bis zu dem Grade mit der Erkrankung parallel gehen, daß Ausfallssymptome ganz fehlen; so kann es kommen, daß eine bedeutsame Stelle im Gehirn, welche mit einer wichtigen Thätigkeit betraut ist, sich in weit vorgeschrittener Zerstörung befindet, ohne daß davon nach außen hin durch irgend ein Zeichen Kunde gegeben wurde. Diese Verhältnisse sind es, welche so oft die Lokaldiagnose bei Hirnerkrankungen unsicher machen. Am ehesten darf man eine solche stellen, wenn es sich um vollkommene oder teilweise Aufhebung der Leitung in Nervenbahnen bekannten Verlaufs handelt. Erstreckt sich die Aufhebung auf mehr als einen Nerven und treffen die Bahnen der gelähmten nur an einem bestimmten Orte zusammen, dann wird die Lokalisierung des Kraukheitsprozesses diagnostisch mit größerer Wahrscheinlichkeit möglich. Immer ist aber daran festzuhalten, daß unsere Kenntnisse lange nicht ausreichen, um alle Kombinationen von Gehirnstörungen bezüglich der örtlichkeit ihres Ursprungs zu analysieren. § 46.

Allgemeinerscheinungen bei Hirnkrankheiten.

Von Allgemeinerscheinungen bei Gehirnkrankheiten kommt vor: 1. Störung des Sensorium und der Intelligenz. Man unterscheidet hinsichtlich der ersteren, nur quantitativ: Benommenheit, Schlafsucht, Sopor, Koma. Es handelt sich also um einen mehr oder minder stark entwickelten Zustand von Unbesinnlichkeit und Unfähigkeit sich mit der Außenwelt in Verbindung zu setzen. — Die Intelligenz kann in doppelter Weise geschädigt sein: sie kann einfach abgenommen haben, von den leichtesten Störungen des Gedächtnisses oder der Fähigkeit zn kombinieren bis zu dem vollentwickelten Blödsinn hin; oder sie kann gefälscht sein, d. h. nicht in der Wirklichkeit vorhandene Dinge als wirkliche betrachten und mit diesen arbeiten. Es gehören hierher die verschiedenen Formen der Delirien. 2. Kopfschmerz, wohl immer auf das Ergriffensein der Dura mater zurückzufuhren; seine Stärke und die Art seines Auftretens wechseln in hohem Grade. 3. Übelsein und Erbrechen. Der Brechakt selbst ist durch den Mangel an Vorboten, seine Unabhängigkeit von der Füllung des Magens und Störungen der Magen Verdauung, sowie durch plötzliches, gewaltsames Eintreten ausgezeichnet. Man spricht mit Hecht von cerebralem Erbrechen. 4. Schwindel, beständig oder in Anfallen, von leichteren Erscheinungen bis zum Hinstürzen; das Bewußtsein bleibt dabei erhalten. 5. Krämpfe in der Form epileptischer Anfalle verschiedenen Charakters. Seltener sind tetanische und den choreatischen sich nähernde Formen; ebenso Athetose.

Allgemeinerscheinungen bei Hirnkrankheiten. Herderscheinungen bei Erkrankungen etc. 8 7

6. Störungen der vegetativen Funktionen: Änderungen der Körperwärme, Steigerung oder Verminderung derselben, können auftreten, haben aber nichts Charakteristisches. — Der Puls zeigt nicht selten Abweichungen, nimmt an Häufigkeit zu oder ab und wird unregelmäßig; ebenso ändert sich seine Spannung. Ein langsamer, aber gespannter Puls wird als Pulsus cephalicus bezeichnet. — Ähnlich wie mit dem Puls verhält es sich auch mit der Atmung. — Anhaltende und hochgradige Stuhlverstopfung tritt bei manchen Fällen von Gehirnleiden auf; Blasenstörung — meist in der Form der Retentio urinae — ist gewöhnlich mit Unbesinnlichkeit verbunden, hat übrigens nichts Bezeichnendes. Keine der genannten Erscheinungen erbringt an sich den Beweis, daß eine Erkrankung des Gehirns im engeren Wortsinne vorliegt; sie können in ihrer Gesamtheit durch Intoxikation — z. B. durch die mittels Alkohol — hervorgerufen werden, gewinnen jedoch ebenso unter Umständen die Bedeutung von Herderscheinungen. § 47.

Herderscheinungen bei Erkrankungen bestimmter Teile des Gehirns.

Die wichtigsten Herderscheinungen sind nach den Beobachtungen am Menschen (entnommen aus NOTHNAGEL, Topische Diagnostik der Gehirnkrankheiten): 1. Kleinhirn. Charakteristisch ist Sehwindel und taumelnder, schwankender Gang — beides übrigens nicht konstant und nicht ausschliesslich den Cerebellarerkrankungen zukommend. 2. Crura cerebelli. Wenn der Zusammenhang mit dem Kleinhirn nicht vollkommen aufgehoben ist, zeigen sich bei Erkrankungen, welche Reizwirkungen zu üben vermögen, Zwangslagen und Zwangsstellungen des Rumpfes, des Kopfes und der Augen, Wälzen um die Längsachse des Körpers, Schwindel mit.der Neigung nach einer Seite zu fallen. Indes liefern nur die Orura media diese Zeichen; die vorderen und hinteren geben gar keine. Als wirklich pathognomonisch werden genannt: vollständige Umdrehungen um die Körperachse und jene Stellung der Augen, bei welcher das eine Auge nach unten und außen, das andere nach oben und innen gerichtet ist, und beide unbeweglich sind. 3. Brücke. Wechselständige Lähmungen: die motorischen und sensiblen Nerven der Extremitäten sind auf der dem Herde entgegengesetzten Seite getroffen, Trigeminus, Abducens, Facialis, Hypoglossus auf der gleichen Seite; übrigens brauchen nicht alle diese Hirnnerven befallen zu sein. — Meist ist der Facialis auch in seinen oberen Ästen gelähmt und kann Entartungsreaktion zeigen. — Mit dem Brückenherde gleichseitige Lähmung der Glieder kommt isoliert niemals vor, hingegen in seltenen Fällen eine solche aller vier Extremitäten. Blutung und Embolie sind, wenn sie hier auftreten, öfter von epileptiformen Krämpfen begleitet. 4. Verlängertes Mark. Die Verletzung der Nervenkerne liefert die besten Zeichen: Erschwerung der Sprache, des Schlingens, Atmungs- und Kreislaufsstörungen (vgl. § 42). 5. Großhirnschenkel. Lähmung der Extremitätennerven, 'des Facialis, Hypoglossus, Trigeminus auf der dem Herd gegenüberliegenden Seite, gleichseitige Lähmung des Oculomotorius, welche alle Äste desselben befallt und zur selben Zeit mit den anderen Lähmungen auftritt.

Krankheiten des Gehirns und seiner Häute. 6. Vierhügel. Keine ganz charakteristischen Symptome. Werden die vorderen Hügel verletzt, dann folgt Abnahme des Sehvermögens bis zur Blindheit. Das Zeichen darf jedoch nur verwertet werden, wenn es akut auftritt, der Augenspiegelbefund negativ ist und noch andere Erscheinungen einer Herderkrankung vorhanden sind. — Verletzung der hinteren Hügel kann mit Lähmung des Oculomotorius einhergehen. Dieselbe gewinnt diagnostischen Wert, wenn doppelseitig gleichwirkende Äste befallen sind und keine alternierende Extremitätenlähmung vorliegt. 7. Sehhügel. Charakteristische Zeichen sind nicht bekannt. Vermuten darf man eine Erkrankung desselben, wenn Sehstörungen — gekreuzte Amblyopie oder gleichseitige laterale Hemiopie — neben eigenartigen motorischen ReizX ' erscheinungen —, halbseitiges Zittern, \ * j V'., Hemichorea, Athetose — vorhanden ]• m \ ' ßti^S sind. — Motorische Lähmungen gehören '/'// nicht zu den Symptomen der Sehhügel% \ afp "a }j y ^ g ¡Jjjp' / J « >3 vääsÄs' * • VA JMB j JS f " ;/,' /fijp" __ m

L -f.... • |||a Fig. 3. Schema der motorischen Innervationsbahn für

den

Facialis

und

die

Extremitatennerven.

8. Streifenhügel. Ausgedehntere Zerstörungen rufen stets eine Lähmung an den dem Herde entgegengesetzten Körperhälften hervor, an welcher teilnehmen: die unteren Facialisäste, Arm und Bein, in geringerem Grade die Rumpfmuskeln, seltener dauernd der Hypoglossus. In den gelähmten Teilen tritt nachher öfter Kontraktur auf. Damit die Hemiplegie bleibend werde, ist Beteiligung der inneren Kapsel (der Leitungsbahnen) erforderlich. Auf Linsenoder Schwanzkern beschränkte Herde können vollständige Rückbildung der Lähmungen zeigen. Besteht neben der motorischen Lähmung und an der gleichen Seite mit ihr eine Hemianästhesie — meist sind dabei die Haut- und Sinnesnerven beteiligt —, dann ist der hinterste erkrankt. — der i n n 6 r m Kapsel

Ähflchnitt

*

Vasomotorische Störungen an den geBrücke, Nacken- und Rückenmark (nach EDINGER). lähmten Teilen weisen gleichfalls auf ä und B zwei Erweichungsherde. den hinteren Abschnitt der inneren Kapsel hin. — Kleine Herde können selbst bei dem Sitz in der inneren Kapsel ohne dauernde Lähmungen vorhanden sein (Fig. 3). 9. Das Centram ovale liefert keine diagnostisch verwertbaren Zeichen. 10. Hirnrinde. Es ist hier zunächst der Sprachstörungen im allgemeinen zu gedenken. Abgesehen werden soll dabei von den Erschwerungen der Artikulation, wie sie durch Lähmung im Gebiete des Hypoglossus und Facialis erzeugt werden (vgl. § 42). Vielmehr handelt es sich um die Sprachstörungen, Frontalschnitt

durch

Großhirn,

Hirnschenkel,.

Herderscheinungen bei Erkrankungen bestimmter Teile des G-ehirns.

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welche von den Rindencentren ausgehen, mit welchen das Vermögen zu sprechen auf das Innigste verknüpft ist. Wir unterscheiden: a) Centrum im hinteren Abschnitt der dritten Stirnwindung — bei den Rechtshändigen, also der überwiegenden Mehrzahl aller Menschen, an der linken Seite gelegen, bei Linkshändigen an der gleichen Stelle der rechten Seite. — Mit seiner Zerstörung schwindet die Fähigkeit, die feinen Koordinationen vorzunehmen, welche zum Sprechen erforderlich sind; die motorischen Erinnerungsbilder dieser Thätigkeit sind verloren gegangen. Die Artikulationsnerven sind unversehrt, das Verständnis für die Sprache ist erhalten. Öfter ist schriftlicher Verkehr möglich. Das Ganze wird als motorische (ataktische) Aphasie bezeichnet. b) Centrum in der ersten Schläfenwindung, gewöhnlich gleichfalls links. Mit seiner Zerstörung schwindet die Fähigkeit, die Sprache zu verstehen, die betreifenden sensorischen Erinnerungsbilder sind verloren. Die Laute werden gehört, aber sie sind bedeutungslos und machen den Eindruck einer vollkommen fremden Sprache. Die Kranken selbst vermögen zu reden, verwechseln aber die Wörter. Man nennt diesen Zustand sensorische (amnestische) Aphasie, auch wohl Worttaubheit. Es wird weiter angenommen, daß die beiden genannten Centren unmittelbar durch eine besondere Leitungsbahn miteinander in Verbindung gesetzt sind, und man verlegt dieselbe mit Wahrscheinlichkeit in die Gegend der Insel; ihre Verletzung soll durch Verwechselung der Wörter bei dem Sprechen gekennzeichnet sein. Motorische Aphasie erlaubt demnach den Schluß auf Verletzung der dritten Stirnwindung, sensorische den auf Verletzung der ersten Schläfenwindung; Mischformen sprechen für Erkrankung an beiden Orten. Zu bemerken ist, daß in einigen, freilich sehr seltenen Fällen motorische Aphasie mit einem anderswo gelegenen Rindenherd und nicht nachweisbar Versehrter dritter Stirnwindung zusammen vorkam. Unbedingt sicher ist also auch dies Zeichen nicht. Noch weniger aber ist es die sensorische Aphasie.

Es findet sich bei Rindenerkrankung auch mehr oder minder hochgradige Unfähigkeit zum Lesen (sensorische Aphasie mit Wortblindheit — Centrum im hinteren Teil des Gyrus angularis). Die Störungen bei dem Schreiben, welche ebenfalls da sein können, lassen sich nicht auf einen bestimmten Herd zurückfuhren. Das gleiche gilt von dem manchmal (bei Aphasischen) vorhandenen Ausfall der optischen Erinnerungsbilder, bei welchem trotz vollkommen erhaltenen Sehvermögens vertraute Dinge des Alltagslebens nicht mehr erkannt werden. Sehstörungen — Hemianopsie und unilaterale '— die auch ohne örtlich nachweisbaren Grund bei Hirnkrankheiten auftreten, weisen im allgemeinen auf den Occipitallappen hin. Motorische Störungen von einer Rindenerkrankung aus werden auf Herde in den Gyri centrales und dem Lobulus praecentralis, die sogenannte „motorische Region", bezogen. Charakteristisch werden die von hier ausgehenden Lähmungen nur dann, wenn sie als isolierte auftreten, so diejenige des Facialis, des Hypoglossus, des Armes, seltener des Beines, oder eine Lähmung des Armes und des Beines, endlich des Armes und des Facialis. Man nennt derartige Lähmungen Monoplegien. — Bestimmter wird der Hinweis auf einen Rindenherd, wenn sich Reizerscheinungen hinzugesellen. Solche kommen in verschiedenen Formen vor: Zuckungen, beschränkt auf einzelne Muskelgebiete, die dann später gelähmt werden, oder zuerst Lähmung, nachher Zuckung; endlich, nachdem bereits Lähmung ein-

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

getreten, wirkliche epileptische Anfälle. Dieselben beginnen regelmäßig in den gleichen Muskelgruppen und breiten sich von diesen über den ganzen Körper aus. — Zu beachten ist übrigens, daß Hemiplegien, die sieh in nichts von den gewöhnlichen durch Herde im Streifenhügel erzeugten unterscheiden, bei Bindenerkrankung gleichfalls beobachtet wurden. 11. Ammonshorn, Claustrum, äußere Kapsel, haben bei ihrer Erkrankung nichts Charakteristisches. 12. Als ein Zeichen, das auf Erkrankung der Wand des vierten Ventrikels möglicherweise hindeutet, wäre Diabetes insipidus und mellitus zu nennen. Natürlich hat dasselbe nur dann Bedeutung, wenn anderweitige Hirnerscheinungen vorhanden sind, namentlich Herdsymptome, die auf Brücke und verlängertes Mark zu beziehen sind. § 48.

Erkrankungen der Dura mater.

Entzündung der Dura cerebralis kann durch direkte Verwundung und durch Fortpflanzung aus der Nachbarschaft hervorgerufen werden; für letzteres ist die Caries des Felsenbeines besonders zu nennen. — Ein nicht infektiöser Entzündungserreger, wie er aus unbekannten Gründen während der Schwangerschaft und im Greisenalter häufig thätig wird, ruft einfache bindegewebige Wucherung und Verdickung, umschriebene oder auf größere Strecken ausgedehnte, hervor. Ob damit irgend merkbare Störungen verbunden sind, ist fraglich. Anders, sobald durch Infektion eitrige Entzündung zustande kommt. Diese greift auf die weichen Häute und das Gehirn selbst über, so daß ein zusammengesetztes Krankheitsbild entsteht, in welchem der Anteil der Dura mater jedenfalls sehr zurücktritt. Die anatomische Trennung in Pachymeningitis externa und interna hat klinisch keine Bedeutung. — Bei Traumen und jenen Entzündungen, welche mit der Bildung größerer Mengen von Eiter einhergehen, kann teils durch diese, teils durch etwa ergossenes Blut raumbeschränkender Druck auf das Gehirn geübt werden, welcher alsdann neben der Meningoencephalitis sich geltend macht.

Als selbständige Krankheit tritt die Pachymeningitis haemorrhagica interna, auch wohl schlechthin Haematoma durae matris genannt, auf. — Ihre Entstehungsursachen sind nur ungenügend gekannt. Man führt als solche an: Alkoholismus, chronische Nierenleiden, Blutkrankheiten, besonders die pernieiöse Anämie, endlich jene Herz- und Lungenübel, mit denen venöse Hyperämie einhergeht. Recht häufig wirken als Veranlasser Kopfverletzungen und Hirnerkrankungen, vorzugsweise die progressive Paralyse. In seiteneu Fällen sah man auch im Verlauf oder nach Ablauf von Infektionskrankheiten hämorrhagische Pachymeningitis entstehen. — Eigenartig ist die Verteilung auf das Lebensalter. Bis zum 30. Jahre sind nur 12 °/ 0 , vom 30. bis 60. etwa 44 °/ 0 , jenseits des 60. wiederum 44 °/0 der Gesamtzahl beobachtet — also eine sehr starke Belastung der höheren Altersklassen. — Es erkranken etwa dreimal soviel Männer als Frauen. Die anatomische Betrachtung zeigt anfangs einen feinsten Belag der Innenfläche an der Dura, bestehend aus geronnenem Fibrin mit wenig eingesprengten weißen Blutkörperchen und hervorgegangen aus entzündlicher Ausschwitzung der Gefäße. Diese Schicht wird allmählich von Blutgefäßen durchsetzt, welche, weit und dünnwandig aus der Dura hervorsprossend, sehr leicht ihren Inhalt in die durch Bildung von Bindegewebe an Umfang zunehmende Membran ergießen. Anfangs kommt es noch zur Resorption der kleineren Extravasate, später nicht mehr. — Es können so Geschwülste von sehr bedeutender Größe sich bilden, welche endlich aus schwartenartig verdicktem Bindegewebe und mehr oder minder

Erkrankungen der Dura mater.

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verändertem Blute zusammengesetzt sind, — Verwachsungen mit der Arachnoidea kommen nur selten vor. — Lieblingssitz der Hämatome sind die Scheitelbeine in ihrer ganzen Ausdehnung; in etwa 44 °/0 wurde nur eine, in etwa 56 % wurden beide Hirnhälften betroffen. Die Hirnsubstanz zeigt eine der Mächtigkeit der ihr aufliegenden Geschwulst entsprechende Kompression und Blutleere. Von anderer Seite wird der erste Anfang des Prozesses auf direkten, nicht durch Entzündung hervorgerufenen Blutaustritt zurückgeführt.

Da die Erscheinungen im wesentlichen von der Größe und der Wachstumsgeschwindigkeit der Geschwulst abhängen, hierfür ist die Menge des austretenden Blutes maßgebend, zudem häufig noch anderweitige Störungen vorhanden sind, ist ein wechselvolles Krankheitsbild zu erwarten. — Kleinere Hämatome machen gar keine Symptome; liegt wie bei der progressiven Paralyse gleichzeitig Schwund des Gehirns vor, dann ist das auch bei ziemlich beträchtlichen, namentlich solchen, die eine geringere TiefenausdehnuDg haben, möglich. Im allgemeinen darf man sagen, daß Erscheinungen von Baumbeengung des Schädelinhalts, anhaltend Hirndruck, zwischenfallend apoplektiforme Anfälle vorhanden sind; diesen gesellen sich dann zeitweilig Reizsymptome hinzu. — Kopfweh von wechselnder Stärke, bisweilen mit dem Gefühl eines sich im Kopfe hin- und herbewegenden Körpers, nie auf einen bestimmten Ort beschränkt, ist eins der konstantesten Zeichen. — Gleichfalls sind öfter zugegen: Abnahme der Intelligenz und der Sinnesschärfe, leichte Ermüdung, große Neigung zum Schlaf. — Den Verschlimmerungen geht stärkeres Kopfweh, manchmal eine größere Erregbarkeit der Sinnesnerven, subjektive Empfindungen vom Auge und Ohr vorher. Der eigentliche Anfall wird gewöhnlich durch Steigerung der Körperwärme eingeleitet, sie kann bis über 40,00 hinaufgehen. Es kann plötzliches Aufhören jeder willkürlichen Bewegung mit einer bis zum Koma gesteigerten Benommenheit, halb- oder beiderseitige Lähmung mit und ohne Beteiligung von Hirnnerven folgen. Die Hirnnerven können an einer oder an beiden Seiten gelähmt sein; ist Hemiplegie vorhanden, dann, sind sie es an der gleichen oder an der entgegengesetzten Seite der Körperlähmung. Weiter Zuckungen an verschiedenen Stellen, automatische, regelmäßige Bewegungen von bestimmten Muskelgruppen, seltener wirkliche Anfälle jACKSON'scher Epilepsie oder allgemeine Krämpfe. — Vom Auge sind wichtige Zeichen nicht selten zu entnehmen: Pupillenenge (Reizsymptom vom Oculomotorius), vielleicht einseitige Stauungspapille; hingegen fehlen Ptosis und Strabismus. Der Puls ist häufig verlangsamt und unregelmäßig, erst gegen das Lebensende steigt er möglicherweise. — Das Ergriffensein der Hirnrinde, welche ja zunächst dem Druck ausgesetzt ist, verrät sich durch Störungen feinerer Koordinationen (Aphasie ist beobachtet) und durch Monoplegien — dies überdauert meist länger den eigentlichen, durch die Blutung herbeigeführten Insult und gleicht sich, wenn überhaupt, erst langsam aus. Sitzt das Hämatom an der Basis (selten), dann zeigen sich im Anfall vorwiegend Lähmungserscheinungen der hier austretenden Nerven. Einigermaßen ist die Diagnose zu stellen, wenn die größeren Blutungen in lungeren Zwischenräumen erfolgen. Man hat dann auf die mit den Anfällen verbundenen Temperatursteigerungen, kurzdauernden Reizerscheinungen — Kopfweh, Erregung der Sinnesnerven, vielleicht Delirien —, denen bald Druckerscheinungen folgen, das Hauptgewicht zu legen. Falls nicht in tiefem Koma der Tod eintrat, kommt es zu einer Besserung, welche freilich niemals vollständig wird.

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

Eine stärkere Verminderung der intellektuellen Fälligkeiten ist nach jedem Anfall bemerkbar, Kopfweh, Schlafsucht, Pupillenenge bleiben, dagegen bilden sich die Lähmungen zum größten Teil zurück. Durch dieses Verhalten bekommt das Krankheitsbild seine Eigentümlichkeit; gewisse Hirngeschwülste können allerdings Ähnliches hervorrufen. Der Verlauf ist namentlich zeitlich schwer zu bestimmen und schwankt sehr im Einzelfall. Tod im apoplektiformen Ausfall ist der gewöhnliche Ausgang, nur äußerst selten sah man wirkliche Genesung. Die Prognose ist daher immer eine sehr trübe. — Erfolge der Therapie sind kaum zu verzeichnen. Es kann sich nur darum handeln, Gelegenheitsursachen der Blutung zu verhüten und die eingetretene möglichst unschädlich zu machen. Was hier zu thun, ist bei der Behandlung der Hirnblutung (§ 57) erwähnt. Von Neubildungen kommen in der Dura vor: Sarkome in allen Formen, die häufigste Geschwulst;. Enchondrome, Osteome, Fibrome, am seltensten Lipome und metastatische Carcinome. Infektiösen Ursprungs: Syphilitische und tuberkulöse Geschwülste. — Eine zutreffende Schilderung der durch sie bedingten Erscheinungen läßt sich mit wenig Worten nicht geben. § 49.

Anämie des Gehirns.

Das Oehirn verträgt, weniger als die anderen Organe ungenügende Versorgung mit sauerstoffhaltigem Blute. Sem Eintritt von A n ä m i e folgt in kurzer Zeit Funktionsstörung, sei es nun Reizung oder Lähmung. Hirnanämie kann hervorgerufen werden: 1. durch beträchtlichen allgemeinen Blutverlust; 2. durch Änderungen in der Blutverteilung, welche die zum Hirn fliessenden Mengen erheblich vermindern. Hierher gehören die auf nervösem Wege entstandenen Änderungen des Gefäßtonus. So die Verengerung der Hirnarterien durch Reflexaktion, von der Psyche oder anderswo her. — Erschrecken, heftiger Schmerz rufen z. B. Erblassen und Ohnmacht hervor. Die Erweiterung anderer Gefäßgebiete, z. B. Shock bei Stoß gegen den Bauch, dessen Wirkung dem Klopfversuch analog ist, macht das Gleiche; 3. durch vorübergehende oder dauernde Verlegung der zuführenden Gefäßstämme; 4. durch ungenügende Herxthätigkeit, welche den arteriellen Druck nicht auf ausreichender Höhe xu halten vermag. — Begünstigend wirkt schlechte Blutmischung und länger bestehende Herzschwäche. Dabei ist aber zu bemerken, daß immerhin eine gewisse Gewöhnung eintritt, welche, sobald diese Zustände länger gedauert haben, eine Anpassung des Hirns an die nun einmal vorhandenen Bedingungen mit sich bringt. Gelegenheitsursachen sind: 1. rascher Übergang aus der Rückenlage in die aufrechte — hier kommt die Schwere, welche die Widerstände im Gebiete der aufsteigenden Aorta plötzlich steigert, in Betracht — ; 2. rascher Temperaturabfall bei einem längere Zeit Fieberndem. Die Temperaturerhöhung selbst wirkt als Reiz auf das Herz, wird dieser dem durch die Krankheit geschwächtem Herzen in kürzerer Zeit entzogen, dann vermindert sich dessen Leistung nicht selten so sehr, daß akute Hirnanämie folgt (Krisen bei Pneumonie, Erysipel, Recurrens u. s. w.). Alles, was Abnahme des Sauerstoffs in dem das Hirn durchströmendem Blute bedingt, kann dessen ungenügende Versorgung mit geeignetem Blute herbeiführen. So Vergiftung mit den verschiedensten Substanzen; einerlei, wo dieselben ihren Angriffspunkt haben.

Anämie des Gehirns.

Hyperämie des Gehirns.

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Schwächung der Herz- and Atmungsthätigkeit kommt indirekt oder direkt schließlich doch zustande. Man thut jedoch wohl daran, diese Verhältnisse nicht bei der Hirnanämie zu besprechen, sondern an dem alten sie ausschließenden Brauch festzuhalten.

Anatomisch findet man außer der die Blutarmut anzeigenden Blässe nichts. Die Symptome der Hirnanämie richten sich nach der Plötzlichkeit des Eintritts und dem absoluten Maße der Blutverminderung. Schwinden des Bewußtseins — Ohnmacht — ist mit irgend bedeutender rasch auftretender Hirnanämie in der Regel verbunden. — In kurzer Zeit entstandene, nach und nach sich ausgleichende Gehirnanämie (z. B. die infolge stärkeren allgemeinen Blutverlustes) zeigt, nachdem die ersten Erscheinungen vorüber, ein Bild, in welchem verminderte Leistungsfähigkeit — Schwäche — von zeitweise sich verstärkenden Reizsymptomen begleitet ist: Schlafsucht, Hinfälligkeit, sowie Unfähigkeit, irgend nachhaltig zu denken, Sinneseindrücke aufzunehmen und richtig zu deuten, Bewegungen auszufuhren; daneben aber ein großer Grad von Erregung: Kopfweh, Ideenflucht. Hallucinationen von Auge und Ohr, Unruhe der Glieder, welche bis zum Delirium sich steigern kann. Anämisches Delirium, Delirium ex inanitione, Delirum des Gollapses sind synonyme Bezeichnungen dieses Zustandes, der hin und wieder mit dem Säuferwahnsinn eine gewisse äußere Ähnlichkeit aufweist. — Der Tod kann im Koma oder während eines solchen Erregungszustandes plötzlich eintreten. Genesung erfolgt langsam mit Besserung der Blutmischung und der Herzthätigkcit (siehe § 74). — Verlauf und Prognose sind ganz von den veranlassenden Ursachen abhängig, ebenso die Behandlung, welche sich nach den im Einzelfall gegebenen Bedingungen zu richten hat. Es bleibt nur übrig darauf hinzuweisen, daß horizontale Lagerung des Körpers, Entfernung der die Atmung hemmenden Kleidungsstücke, Reizung sensibler Hautnerven durch Besprengen mit kaltem Wasser, Reizung der Nasenschleimhaut durch Ammoniak bei der Ohnmacht zunächst vorzunehmen sind. § 50. Hyperämie des Gehirns. Daß die Blutmenge im Gehirn zunehmen und damit Hyperämie desselben auftreten kann, unterliegt keinem Zweifel; welche pathologische Bedeutung aber dieselbe hat, ist eine andere Frage. — Man unterscheidet wie überall aktive (fluxionäre, arterielle) von passiver (Stauungs-, venöser) Hyperämie. Venöse Hyperämie zeigt sich bei allen Vorgängen, welche dem Abfluß des Venenblvtes aus dem Sohädel abnorme Hindernisse bereiten. So namentlich bei jenen Herz- und Lungenkrankheiten, die eine Entleerung der oberen Hohlvene in das rechte Herz erschweren. Es gehören hierher der verbreitete Katarrh feinerer Bronchien, besonders bei Emphysematikern, die Herzinsufficienz mit ungenügendem Schluß der Tricuspidalis, Thromben in der oberen Hohlvene oder in ihren größeren Zuflußröhren, hochgradige Pleuraergüsse, Lungenverdichtungen akuter Entstehung, Stenosen der Luftwege, atmunghemmende Ergüsse in den Bauchraum; endlich alles, was bei der Atmung heftigere Schmerzen macht. — Die inspiratorisch ungenügend entleerten Jugularvenen, welche bei jeder heftigeren Exspiration (Husten) stark anschwellen, lassen keinen Zweifel über die Berechtigung des Schlusses zu, daß auch ihr Hinterland im Gehirn mehr venöses Blut als normal enthält. — Anders steht es bei der arteriellen Hyperämie. sachen an:

Man fuhrt als Ur-

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

1. Verstärkung der Herzthätigkeit soll raumbeengmde Fluxion zum Gehirn bedingen können. — Das ist nicht richtig, da mit vermehrtem Zufluß arteriellen Blutes vermehrter Abfluß des venösen und verstärkte Lymphströmung einhergeht. Diesen durch den Versuch festgestellten Thatsachen gegenüber muß die frühere Auffassung verlassen werden, welche übrigens auch mit dem für alle anderen Organe Geltendem in unlösbarem Widerspruche steht. Man nahm an, daß durch einfache Vermehrung des arteriellen Drucks, wie sie durch gesteigerte Herzthätigkeit herbeigeführt wird, im ganzen Schädel Druckzunahme erzeugt werde. Die Cerebrospinalflüssigkeit, aus den die Arterien umgebenden Lymphräumen durch die stärkere Füllung der Arterien verdrängt und in den Subpialraum getrieben, sollte die Kapillaren des Gehirns, besonders die seiner Kinde, zusammenpressen, so deren Blutleere und dadurch Funktionsstörungen in den von ihnen versorgten Teilen herbeiführen. Zugleich sollte der Blutdruck im Inneren der Arterien stark genug sein, um deren Elastizität und Muskeltonus so weit zu überwinden, daß der volle Arteriendruck auf dem Hirn ruhe. 2. Eine auf nervösem Wege herbeigeführte Erschlaffung der Hirnarterien — Erweiterung derselben durch Nachlaß des Muskeltonus — wird ferner als Ursache arterieller Hyperämie genannt. Auch dadurch soll wieder der ganze arterielle Blutdruck auf den Schädelinhalt übertragen und die nämliche Störung des Kapillarkreislaufes herbeigeführt werden können. Versuche haben gelehrt, daß nach Einwirkung des als gefäßmuskellähmend bekannten Amylnitrits ein wirklich vollkommenes Aufhören des Tonus zweifelhaft ist. Es ist durchaus unwahrscheinlich, daß irgend ein anderes Agens in gleicher oder auch nur annähernd gleicher Stärke wie das Amylnitrit auf die Gefäßmuskeln zu wirken vermag. — Weiter hat es sich bei denselben Versuchen herausgestellt, daß schon recht erhebliche Volumzunahme des Gehirns auftreten kann, ohne daß irgend eine Beeinträchtigung der intellektuellen Verrichtungen, des feinsten Reagens auf Störung der arteriellen Blutsrömung im Hirn sich zeigt. — Es ist endlich die JElasticität der Gefäßwandung ganz außer Rechnung geblieben — schon sie allein setzt der einfachen Übertragung des Blutdruckes auf das Hirn nicht unbeträchtlichen Widerstand entgegen. Es ist dies eine kurze Zusammenfassung der Erklärungsversuche, welche unternommen wurden, um die in der älteren Krankheitslehre einen so hervorragenden Platz behauptende „Gehirnhyperämie" in die heutige hinüber zu retten. Die ganze ältere Auffassung krankt an dem mehr oder minder deutlich hervortretenden Irrtum, daß erhöhter arterieller Blutgehalt eines Organes ohne weiteres vermehrte Thätigkeit desselben bedinge, schon an sich als Reiz wirke. Man hat den richtigen Satz, daß gesteigerte Funktion mit vermehrtem Zufluß arteneilen Blutes verbunden ist, einfach umgekehrt und sich so ein bequemes, aber mit den Thatsachen nicht zu vereinbarendes Dogma zurecht gemacht. Auch die neueren Kommentare dürften dasselbe nicht zu stützen vermögen. Sieht man die Thatsachen unbefangen an, dann bemerkt man bald, daß neben der angenommenen, niemals bewiesenen arteriellen Hyperämie immer noch eine oder die andere Schädlichkeit vorhanden ist, die allein genügt, um jene Funktionsstörungen zu erklären, welche man der Hyperämie zur Last legte. — Dasselbe gilt von der venösen Hyperämie. Bei dieser ist ein sauerstoffarmes, an Kohlensäure reiches Blut vorhanden, von dem lebensnotwendigen Gase zu wenig, von dem gefährdenden zu viel. — Man beschuldigte den Alkohol, auch wohl den Tabak, daß sie duirch arterielle Fluxion zum Gehirn schädlich wirkten, vergaß aber dabei ihre unmittelbar toxischen Eigenschaften. Ebenso ging es mit den Infektionskrankheiten, die dioch durch Temperatursteigerung und toxische Wirkung das Hirnleben schon ausreichend zu stören vermögen.

Hyperämie des Gehirns.

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Es steht fest, daß bei Kindern, deren Hirn bekanntlich leichter aus dem Gleichgewicht zu bringen ist als das der Erwachsenen, selbst unvollständig ausgebildete Infektionen kurzer Dauer mit manchmal recht schweren Hirnerscheinungen einhergehen. Sogar wenn unter diesen Umständen starke Erhebungen der Temperatur sich zeigen, reden manche dennoch von aktiver Gehirnhyperämie. Auf sie führen viele auch die zeitweilig eintretenden mit Aufregung verbundenen Zufälle bei notorisch Geisteskranken zurück, namentlich wenn gleichzeitig ein kongestioniertes Gesicht sich zeigt. Es wäre aber doch zu bedenken, daß die Rötung des Gesichts eine Folge primärer psychischer Erregung sein kann, und daß die Abweichungen der Himthätigkeit unter solchen Bedingungen ganz und gar unbekannt sind. — Manches von den sogenannten arteriellen Gehirnhyperämien gehört zur Epilepsie und ist bereits ausgeschieden, so die „apoplektische Hirnkongestion"; Aufhebung des Bewußtseins von längerer oder kürzerer Dauer bildet ihr Hauptsymptom.

Daß bei vollkommen unversehrten Gefäßwandungen Vermehrung der Blutmenge im Gehirn krankhafte Erscheinungen herbeizuführen vermöchte, muß als durchaus fraglich bezeichnet werden. Anders ist es, wenn die Qefäßwand durchlässig wird, sei es wegen länger dauernder Anhäufung venösen Blutes, oder aber weil im Blute ein Entzündungserreger sich findet. In beiden Fällen sind pathologische Erscheinungen vorhanden, aber in beiden Fällen auch Ödeme, also eine greifbare anatomische Störung. Die klinischen Erscheinungen, aus denen man auf Gehirnhyperämie schließen will, sind unbestimmter Art; sie sollen sich von denen der Anämie wenig entfernen, sogar, wie einige meinen, ganz mit ihnen zusammenfallen. — Bei der venösen Hyperämie zeigt sich eine meist allmähliche Abnahme des bewußten Hirnlebens: Schlafsucht, langsames Denken, Sprechen, Sichbewegen und Empfinden; schließlich tiefe Betäubung. Gegen das Ende pflegen Atmungs- und Herzerscheinungen — Cheyne-Stokes'sches Phänomen — sich einzustellen. Man findet in der Leiche starke Blutfüllung der Venen, wird aber auch das Hirnödem selten vermissen. — Für die arterielle Fluxion wird angegeben: Schwindel, Kopfweh, Eingenommensein des Kopfes, übergroße Erregbarkeit auf psychischem Gebiet und auf dem der Sinnesnerven, besonders des Opticus und Acusticus; Schlaflosigkeit, Unfähigkeit zur Arbeit; Neigung zum Erbrechen und zur Verstopfung. Manchmal soll das Gefühl fliegender Hitze, starkes Klopfen der Carotis und ihrer Äste, auch Rötung des Halses und Kopfes vorhanden sein. Sogar Zuckungen in einzelnen Muskeln, allgemeine Krämpfe, Lähmungen bis zur Hemiplegie hinauf werden als Symptome der arteriellen Fluxion bezeichnet. — Anatomisch braucht bei dem etwa erfolgten Tode — auch davon werden Beispiele berichtet — starke Gefäßinjektion nicht vorhanden zu sein, sie ist es aber doch manchmal, und die mikroskopische Untersuchung vermag dann vielleicht den Beginn entzündlicher Veränderungen aufzudecken. Übrigens ist der Leichenbefund wenig geeignet, über die während des Lebens bestehende Blutmenge und Blutverteilung im Hirn Auskunft zu geben. Nimmt man alles zusammen, dann erscheinen weder die Symptomatologie noch die anatomische Untersuchung genügend, um dafür Gewähr zu bieten, daß eine ohne Gefäßveränderung einhergehende Blutfülle, besonders die sogenannte aktive arterielle Hyperämie, als Sonderweseti bestehend, wirklich Erscheinungen veränderter Himtiiätigkeit hervorruft. Man thäte wohl daran, diesen Namen ohne Inhalt zu streichen.

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute. § 51.

Ödem des Gehirns.

Auch das Gehirnödem hat in früherer Zeit eine bedeutendere Rolle in der Pathologie gespielt, als mit den Thatsachen vereinbar ist. Man war zu sehr geneigt, nachweisbare anatomisch Veränderungen ohne weiteres auch als die veranlassenden Ursachen der beobachteten Erscheinungen anzusehen. Bei dem Hirnödem erscheint solche Schlußfolgerung um so bedenklicher, als gerade hier die Zahl und Bedeutung der neben demselben vorhandenen Bedingungen, welche ebenfalls Hirnstörungen herbeizuführen vermögen, keine geringe ist. — Zunächst muß die Frage erledigt werden, ob der nach dem Tode gefundene Feuchtigkeitsgehalt auch im Leben vorhanden war, ob derselbe nicht etwa in der Agonie, vielleicht erst später zugenommen hat? Darüber Allgemeingültiges auszusagen ist unmöglich — auch für den Einzelfall dürfte ein begründetes Urteil schwer fallen. Bei Atrophie des Gehirns tritt raumausfüUend Flüssigkeit in die geschlossene Schädelkapsel. Dieser Hydrops ex vacuo findet sich regelmäßig, und er muß aus physikalischen Gründen auftreten neben jedem Gehirnschwund, z. B. dem bei Dementia paralytica. — Ob in der That auch bei schweren Zehrkrankheiten oder im späteren Verlauf der akuten Infektionen eine so starke Abnahme der Gehirnmasse statthat, daß raumausgleichender Hydrops nötig wird, mag dahingestellt bleiben. Man will das nach solchen Leiden in der Leiche nicht selten zu findende Hirnödem auf diese Weise erklären. Doch ist nicht zu vergessen, daß bei dem Verhungern das Gehirn unter allen Organen den geringsten Gewichtsverlust erleidet, und daß bei jenen Erkrankungen Bedingungen gegeben sind, welche der Ernährung der Gehirngefäße nicht gerade günstig scheinen. Für die Entstehung des Hirnödems aus größerer Durchlässigkeit der Gefäße spricht hier überdies ziemlich entscheidend der Umstand, daß auch au anderen Körperteilen, z. B. an den Knöcheln, sich Ödeme zeigen, welche sicher nur so erklärt werden können. Keinesfalls ist über die pathologische Bedeutung des Hirnödems nach jenen Erkrankungen irgend Sicheres auszusagen. Weiter finden sich Ödeme des Gehirns, welche man als durch Beschwerung des venösen Abflusses hervorgerufene betrachten, muß — sogenannte Stauungsödeme. Die im vorhergehenden Abschnitte genannten, neben der venösen Hyperämie bestehenden Bedingungen machen sich auch hier geltend. Die Entstehung dieser Ödeme erklärt sich nach den experimentell festgestellten Thatsachen: Längere Anhäufung eines an Sauerstoff armen, zur Ernährung der Geiaßwandung unzureichenden Blutes innerhalb der Gefäße ruft sie hervor. Kapillaren und kleinere Venen sind hauptsächlich beteiligt, aus ihnen tritt Plasma und eine gewisse Zahl roter Blutkörperchen aus, die sich bei ungenügender Lymphströmung in den Geweben anhäufen. Neben dem mechanischem Druck, welchen zweifellos die ausgetretene Flüssigkeit auf das Gehirn übt, kommt in Betracht: geschwächte Herzkraft mit verminderter Geschwindigkeit und vermindertem Druck des Blutes; diese führt arterielle Anämie herbei. Gleichzeitig stellt sich Anhäufung der auf das Gehirn giftig wirkenden Kohlensäure ein. — Also es liegen mancherlei schwere Schädiger vor. Für die Entstehung des sogenannten akuten kongestiven Ödems ist es durchaus notwendig anzunehmen, daß ein Entzündungserreger die Gefäßwandungen durchlässiger gemacht habe. Denn niemals genügt einfache Fluxion, um Ödeme

Ödem des Gehirns.

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zu erzeugen. Der Entzündungserreger, welcher thätig ist, schädigt aber noch anderes als die Gefäße. Meist — wahrscheinlich immer — ist er infektiöser Natur, hat Temperaturerhöhung und unmittelbare Störung der Hirnernährung im Gefolge. Letzteres dürfte für die Cerebrospinalmmingitis, wo sich der entzündliche Vorgang wesentlich im Gehirn und Rückenmark, resp. in deren weichen Häuten vollzieht, unbestritten sein. Aber es gilt wohl ebenso für die schweren Formen anderer Infektionen — der akuten Exantheme, des Typhus, der Pneumonie —, welche mit erheblichen, nicht aus der Temperatursteigerung allein zu verstehenden Hirnerscheinungen einhergehen. Wenn auch unzweifelhafte Zeichen wirklicher Gewebsstörung hier meist — nicht immer — fehlen, so wurde doch der Nachweis möglich, daß die jene Krankheiten erzeugenden Mikroorganismen im Hirn und seinen Häuten gleichfalls einen allerdings minder günstigen, dennoch aber nicht ganz unfruchtbaren Keimboden finden. Die Stoffwechselprodukte der pathogenen Mikrobien kommen außerdem mehr und mehr als wirkliche Gifte zur Würdigung. — Auch die im Hirn selbst entstandenen örtlich umschriebenen Krankheitsherde — Blutergüsse, Erweichungsherde, Geschwülste — vermögen wie der Hirnabsceß Ödeme, zunächst umschriebene, hervorzurufen, welche man ziemlich allgemein als entzündliche auffaßt. Alles in allem liegt also für das akute entzündliche Ödem ebenfalls kein Grund vor, dessen mechanische Wirkung allein für das pathologische Geschehen verantwortlich zu machen. — Der V e r s u c h hat hier neuerdings Thatsachen erhoben, mit welchen die älteren Anschauungen nicht vereinbar sind. Es zeigte sich: 1. daß bei dem, durch Eintreiben erwärmter Kochsalzlösung in den Subdural- oder Subpialraum beträchtlich erhöhten Hirndruck sehr bedeutende Mengen dieser Flüssigkeit rasch resorbiert wurden, obgleich der auf dem Hirn lastende Druck dessen Kapillaren und Lymphgefäße auf einen engeren Baum zusammengepreßt hatte; 2. daß Zunahme der Thätigkeit des Herzens — Vermehrung der von demselben gelieferten lebendigen Kraft — ausreicht, um bis dahin wirksame Druckwerte für das Hirn unwirksam, nicht mehr störend, werden zu lassen. 3. Nicht ohne Bedeutung für das Verständnis ist es, daß bei Verdünnung der Blutmasse die Cerebrospinalflüssigkeit selbst, welche als echtes Sekret aufgefaßt werden muß, in vermehrter Menge abgeschieden wird. — Die folgende Vorstellung dürfte als die für jetzt am besten gestützte erscheinen: Ansammlung von Flüssigkeit in dem Hirn und seinen Häuten setzt das ganze von starren Wandungen umschlossene Organ unter höheren Druck. Dieser kann erst von dem Augenblick an schädigend auf die Gehirnthätigkeit wirken, wo weder der Abfluß der Cerebrospinalflüssigkeit in die durch Dehnung der Bänder etwas erweiterte Höhle des Wirbelkanals, noch die Kesorption durch Kapillaren — sie sind dabei die Hauptsache — und Lymphgefäße genügt, um die Flüssigkeit zu entfernen. Kommt aber der Druck auf solche Art zur Geltung, dann erschwert er den Kreislauf im Hirn, zunächst in den am wenigsten Widerstand bietenden Kapillaren und kleinen Venen. Es kann so arterielle Anämie herbeigeführt werden, und alle Symptome des Hirndruckes sind nichts anderes als Zeichen solcher Anämie. — Wesentlich für die Entstehung von Hirndruck ist das Verhalten des Herzens. Genügt dessen Kraft, um trotz der vermehrten Widerstände Blut in einer für die Ernährung ausreichenden Menge durch das Hirn zu treiben, dann bleiben die Druckerscheinungen aus; sie entwickeln sich bei ungenügender Herzthätigkeit in einem der so herbeigeführten Anämie entsprechenden Grade. E s ist daher n i c h t die absolute H ö h e des auf dem H i r n lastenden D r u c k e s , sondern dessen V e r h ä l t n i s zu dem B l u t d r u c k in den H i r n a r t e r i e n maßgebend. So erklärt es sich, wie bei dem durch verhinderten Abfluß entstehenden venösen Stauungsödem, welches fast immer mit verminderter Herzarbeit einhergeht, weitaus geringere Druckwerte gleiches Ergebnis haben, v. J ü r g e n s e n , Spez. Path u. Ther. IV. Aufl.

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Krankheiten des G-ehirns und seiner Häute.

wie die meist mit gesteigerter Herzthätigkeit verbundene starke Kompression bei akut entzündlichem Ödem. — Eine Bestimmung der absoluten Höhe des Druckes, welcher auf dem Him lasten muß, damit Störungen auftreten, hat aus den angeführten Gründen keine Bedeutung. Schon normal wechselt er zwischen 40 und 130 mm Wasser, bei Hirndruck fand man 150 mm, aber auch über 500 mm. — Beiläufig mag noch darauf hingewiesen werden, daß durch besondere nervöse Mechanismen im Gefolge von Hirndruck zeitweilig auch Erhöhimg des Blutdruckes auftritt — also ein Schutzmittel gegeben ist, welches wenigstens vorübergehend die Folgen der verlangsamten Strömung des Blutes durch das Hirn zu mindern vermag.

In der Leiche zeigt sich bei stärkerem Hirnödem: Abplattung der Windungen, Verdrängung der Cerebrospinalfiüssigkeit aus dem subarachnoidealen Gewebe, Anämie der Hirnoberfläche; die Substanz des Organs ist reich an Flüssigkeil, feuchtglänzend, breiig-weich, leicht zerfliessend, wenig Blut enthaltend. Ergüsse in die Ventrikel in wechselndem Umfang sind oft vorhanden. — Die ergossene Müssigkeit enthält auch in minder hochgradigen Fällen rote und weiße Blutkörperchen. — Die Symptome, welche man bei dem Hirnödem beobachtet, werden durch den Druck der ausgetretenen Flüssigkeit hervorgerufen. Dieser wirkt unmittelbar auf sämtliche von der Schädelkapsel umschlossenen Gebilde; größer aber ist seine mittelbare Wirkung: die Anämie des Gehirns durch Zusammenpressung seiner Kapillaren. Die durch ödem des Gehirns hervorgerufenen Erscheinungen sind erfahrungsgemäß: 1. Schmerzen, bei rascher einsetzendem Druck sich früher als irgend etwas anderes zeigend. Dieselben werden wohl durch Zerrung der von Fasern aus allen Trigeminusästen versorgten, sehr empfindlichen Dura, möglicherweise auch durch anämische Heizung der die Empfindung vermittelnden Hirnteile hervorgerufen. 2. Abnahme des Bewußtseins bis zum vollständigen Aufhören desselben — durch die Hirnanämie unzweifelhaft bedingt. 3. Krämpfe, beschränkte oder ausgebreitete, werden durch Anämie einzelner Rindencentren oder des Krampfcentrums im Hirnstamme herbeigeführt. Sie können übrigens auch erst nach Aufhören der eigentlichen Kompression eintreten, also mit Schwankungen in der arteriellen Zufuhr verbunden sein. 4. Pulsverlangsamung durch Reizung der Vaguscentren, wieder anämischen Ursprungs. Im weiteren Verlauf kann durch deren Lähmung Pulsbeschleunigung zustande kommen; die sehr häufige Unregelmäßigkeit des Pulses deutet auf wechselnde Blutzufuhr zu den Centren hin. 5. Unregelmäßigkeiten der Atmung bis zu ausgebildetem CHEYNE-STOKEs'schen Phänomen; fast konstant vorhanden. Der feinere Mechanismus dieser Erscheinung ist noch nicht bekannt; wahrscheinlich handelt es sich außer unmittelbaren, von der Änderung in der Blutzufuhr abhängigen Erregbarkeitsänderungen der Atmungscentren noch um reflektorische Vorgänge, welche diese mittelbar beeinflussen. 6. Erweiterung und verlangsamte ungenügende Reaktion der Pupillen geht einigermaßen der Schwere des Hirndrucks parallel und deutet auf einen immerhin beträchtlichen Grad desselben hin. Genaueres über die Einzelheiten bei dem Vorgange ist nicht bekannt. 7. Stauungspapille und Neuritis optica. Die ophthalmoskopische Untersuchung zeigt das intraokulare Sehnervenende geschwellt, die Netzhautvenen sind stark geschlängelt, die Arterien hingegen auffallend schmal und dünn. Ist gleichzeitg

Entzündung des Gehirns und seiner weichen Häute. Encephalomeningitis.

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Neuritis oder Neuroretinitis vorhanden, dann erscheint die Eintrittsstelle des Sehnerven und seine nähere Umgebung hyperämisch, getrübt, es können Exsudate und kleine Blutungen erkennbar werden. — Der Zwischenraum zwischen innerer und äußerer Sehnervenscheide hängt unmittelbar mit dem Arachnoidealraum zusammen, bei vermehrtem intrakraniellem Druck tritt daher Flüssigkeit aus dem letzteren zwischen beide, wodurch Ödem der inneren Scheide und der von ihr in den Sehnerven eindringenden bindegewebigen Fortsätzen bedingt wird. Auch der venöse Rückfluß wird gehemmt. Enthält die eingedrungene Flüssigkeit Entzündungserreger, dann rufen dieselben auf ihre Umgebung wirkend Neuritis oder Neuroretinitis hervor. F ü r die Diagnose des Hirndrucks ist das Zusammentreffen dieser Erscheinungen maßgebend — jede einzelne derselben kann auch anderweitig erzeugt werden. Sie lassen aber nur die Anwesenheit von Hirndruck erkennen; will man Hirnödem als dessen Ursache hinstellen, dann bedarf es im einzelnen Falle weiterer, namentlich anamnestischer Erwägungen. Für die Therapie gilt unbedingt die Regel, daß jede Schwächung des Herzens, mit welcher Abnahme des Druckes in den Hirnarterien einhergehen muß, schädlich wirkt. Aderlässe, das früher bei dem akuten kongestiven Ödem übliche Verfahren, sind daher verboten. Anderweitige Maßnahmen richten sich ganz nach den Aufgaben des Einzelfalles. Daß die Herzarbeit dadurch keine Abschwächung erleide, ist stets zu beachten. Nach dieser Richtung hin haben die neueren experimentellen Untersuchungen Anhaltspunkte gegeben, welche nicht vernachlässigt werden dürfen. § 52. Entzündung des Gehirns und seiner weichen Häute. Encephalomeningitis. Entzündungen der weichen Hirnhäute beschränken sich kaum je auf diese. Das Hirn selbst, in erster Linie seine Rinde, zeigt sich mindestens funktionell, gewöhnlich auch nachweisbar geweblich beteiligt. Die Ursache liegt darin, daß die Blut Versorgung eine gemeinschaftliche ist und die enge Nachbarschaft eine Übertragung entzündlicher Vorgänge außerordentlich begünstigt, ja kaum vermeidlich macht. Es ist daher im Gründe stets eine Meningoencephalitis oder, wenn man die Benennung nach der Wichtigkeit der Teile bilden will, eine Encephalomeningitis vorhanden. Sehr verschiedene Veranlassungen fuhren zur Entzündung der nächsten Umhüllungen des Gehirns; manche dieser Erkrankungen liefern selbständige geschlossene Bilder, denen sich, sobald das Gehirn in Mitleidenschaft gerät, die von dessen Entzündung abhängigen Zeichen zugesellen. Alsdann tritt die Hirnerkrankung in den Mittelpunkt des Ganzen. Um ihn gruppieren sich die Symptome des Grundleidens, bald diesen, bald jenen feineren Zug hinzufügend, aber nie das Ganze beherrschend. — Für eine kurze Darstellung ist es daher notwendig, die der Encephalomeningitis insonderheit zukommenden Erscheinungen in den Vordergrund zu stellen und von diesen eine möglichst scharf abgegrenzte Schilderung zu geben. Allein auch so sind noch Schwierigkeiten vorhanden, welche eben durch jene stets vorhandene Ausbreitung des Prozesses auf das Gehirn und durch seine Verteilung über das Gehirn wesentlich bedingt sind. Man hat sich mehr schematisierend dadurch zu helfen gesucht, daß man, die Erkrankung an der Konvexität von der an der Basis trennend, für jede ein gesondertes Bild zu entwerfen versuchte. Will man aber an der Wirklichkeit festhalten, dann ist solche Trennung nur in sehr beschränktem Maße mög1*

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

lieh. Denn sowenig die Entzündung isoliert die weichen Gehirnhäute ergreift, sowenig beschränkt sich dieselbe ausschließlich auf die Konvexität oder auf die Basis. Es handelt sich eben stets um verbreitete Erkrankung, welche allerdings bald mehr die Oberfläche, bald mehr die Basis befällt, aber keine strenge räumliche Scheidung im Sinne jener Einteilung festhält; ist doch sogar ihre Ausbreitung auf das Bückenmark nicht selten.

Auf dem Blutwege können viele, möglicherweise alle jene Mikrobien, welche neben allgemeiner Infektion Entzündung zu erregen imstande sind, in das Gehirn und seine Umhüllungen eindringen. Die häufigsten sind der Tuberkelbacillus, der FRÄNKEL'sche Diploeoccus, die zu der Sepsis in nächster Beziehung stehenden Eiterkokken (Strepto- und Staphylokokken). Durch Fortleitung eines entzündlichen, infektiösen oder nicht infektiösen Prozesses aus der Nachbarschaft kann Encephalomeningitis zustande kommen. Hier sind besonders die infolge von Verwundung oder Entzündung des Felsen• beines, des Ohres, der Nase, sowie die infolge von Panophthalmie auftretenden Encephalomeningiten zu nennen. Neben ihnen kommen die Entzündungsvorgänge in der Nachbarschaft intracerebraler Herde — die von Abscessen, Blutergüssen, Tumoren — fortgeleiteten in Betracht, soweit solche die Oberfläche des Gehirns erreichen. — Nicht ganz verständlich ist die Entstehung eiterbildender Entzündung, welche sich bisweilen an einfache Hirnerschütterung anschließt. Von prädisponierenden Ursachen ist zu erwähnen, daß gewisse chronische Krankheiten eine verhältnismäßig größere Neigung zeigen, sich mit Encephalomeningitis zu verbinden. Der chronische Morbus Brightii wäre hervorzuheben. — Merklichen Einfluß hat das Lebensalter. Im ganzen nimmt die Häufigkeit mit den Jahren ab; die Verteilung der einzelnen ätiologisch getrennten Formen auf die Altersklassen ist übrigens eine sehr verschiedene. — Wieweit Gelegenheitsursachen von Bedeutung sind, läßt sich im ganzen schwer sagen. Es ist nicht unmöglich, daß stärkere direkte Erhitzung des Kopfes als solche wirkt. Anatomisch zeigen sich alle Stadien der Entzündung, von den Gefäßen ausgehend und von da sich auf die Nachbarschaft fortpflanzend. Meist verbreitet sich die Entzündung über ein zusammenhängendes Gebiet — ein Hauptherd mit peripher allmählich sich vermindernder Stärke, oder größere gleichmäßig erkrankte Flächen; auch diese sind piemals ganz scharf von der Umgebung geschieden, in langsamem Übergang fließen die Grenzen zwischen gesundem und krankem zusammen. — Wenn bei der Einschleppung des Entzündungserregers durch die Blutbahn Zerstreuung desselben in verschiedene benachbarte Kapillaren stattgefunden hat, können in diesen anfänglich getrennte Herde entstehen, welche übrigens gewöhnlich in nicht zu langer Zeit sich vereinigen. Das Exsudat unterscheidet sich manchmal einzig durch einen etwas höheren Gehalt an Eiweiß von der Gewebs(Cerebrospinal-)flüssigkeit und kann nur sehr spärlich geformte Elemente enthalten. Es ist das ein leichter Grad der Entzündung im anatomischen Sinne; aber man findet bei den in kürzester Zeit x/wrn tödlichen Ende führenden Entzündungen gerade am häufigsten diese Beschaffenheit des Exsudats. — Außerdem kommen alle übrigen Formen der entzündlichen Ergüsse vor: großer Gehalt an Fibrin, an Eiterzellen, die Intercellularflüssigkeit dabei vermindert, Beimischung von roten Blutkörperchen. — Das in den Räumen der Arachnoidea und Pia sitzende Exsudat erscheint namentlich nach längerem Bestand oft dickflüssig, sulzig; kommt Heilung zustande, dann treten schwartig verdickte Membranen auf, welche mit der Nachbarschaft eng verwachsen sind. —

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Encephalomeningitis.

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Die Rindensubstanz des Gehirns ist an den von der Entzündung betroffenen Teilen entweder serös durchfeuchtet, mit spärlichen, zunächst um die Gefäße gelagerten Eiterkörperchen durchsetzt — Meningoencephalitis — oder sie nimmt in höherem Grade an der Entzündung teil — Encephalomeningitis. Man findet in diesem Falle Herde roter und weißer Erweichung in den verschiedenen Stadien der Entwicklung, vielleicht auch Abscesse. Der Inhalt der Ventrikel ist oft vermehrt und getrübt wie die ganze Cerebrospinalflüssigkeit. Die Chorioidealplexus nehmen an der Entzündung teil, ebenso das Ependym, welches einer sich weit in die Nachbarschaft erstreckenden Erweichung verfallt. Ist starke Ansammlung von Flüssigkeit in den Ventrikeln vorhanden, dann kann Abplattung der Hirnoberfläche und Verdrängung der subarachnoidealen Flüssigkeit stattfinden. Für die Krankheitsbeschreibiuag sind die Grundformen der raschen und der allmählichen Entwicklung zu unterscheiden; die Entstehungsursaehe darf dabei unberücksichtigt bleiben. 1. Hascher Verlauf. Keine oder nur geringe Vorboten, vielleicht etwas Kopfweh, Erbrechen, dann Bewußtlosigkeit, rasch bis zum tiefen Koma sich steigernd. Gewöhnlich, aber nicht ausnahmslos während desselben Krämpfe, allgemeine oder auf einzelne Muskeln beschränkte, unter den Erscheinungen des Hirndrucks der Tod nach wenigen Stunden oder im Laufe von Tagen. Meist hohe oder gar sehr hohe Körperwärme, beständig anhaltend in den ganz rasch, mit Nachlässen in den weniger schnell verlaufenden Fällen. So kann die epidemische Cerebrospinalmeningitis (Fig. 4), aber auch — freilich ganz außerordentlich selten — eine auf Tuberkelinfektion beruhende verlaufen. 2. Langsamer Verlauf. Allgemeines Unbehagen, welches sich als Launenhaftigkeit, mürrisches Wesen, Abschließen gegen die Außenwelt zeigt. Hin und wieder Verschlimmerung, meist mit leichten Erhöhungen Fig. 4. Cerebrospinalmeningitia ohne Tuberkel. Beginn der Körperwärme und Kopfweh oder der Messungen am 3., Tod am 11. Krankheitstage. — Knabe von fünf Jahren. mindestens Eingenoinmensein des Kopfes. Zunächst leidet die Ernährung gar nicht, oder doch nur höchst unbedeutend. Bisweilen kommt es schon jetzt zum Erbrechen, welches scheinbar unmotiviert, plötzlich, mit allen Eigentümlichkeiten des central erregten (§ 46) sich einstellt; Verlangsamung des Stuhlganges läßt nicht lange auf sich warten. Indem der Kopfschmerz stärker und anhaltender wird, steigern sich sämtliche Beschwerden. Erbrechen tritt jetzt jedenfalls auf oder hält an, wenn es schon vorhanden war. Klagen über Schlaflosigkeit oder häufige Unterbrechung des Schlafes werden laut, das Bedürfnis nach

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Ruhe macht sich geltend; Kinder verlangen ins Bett, Erwachsene ziehen sich mehr und mehr aus gewohnter Gesellschaft und von gewohnter Arbeit zurück, die Abweichungen im seelischem. Verhalten treten immer deutlicher hervor. Ganz allmählich bildet sich Benommensein aus, der Kranke verfallt in Schlummersucht. Es gelingt jetzt noch leicht, ihn zu erwecken, er findet sich auch zurecht, aber er ist froh, wenn man ihn in Ruhe läßt — Kinder geben das durch unwilliges Geschrei kund. Nun kommt leichte Nackenstarre hinzu, ebenso Hyperästhesie der Haut und der Muskeln, vereinzelte Zuckungen der Gesichtsmuskeln, Zähneknirschen, Zusammenfahren ohne äußere Veranlassung, auch wohl krankhafte Kontraktionen der Muskeln eines Gliedes. Im Laufe von weiteren Tagen oder Wochen stellen sich alle Zeichen des Hirndrucks ein. Das Bewußtsein schwindet mehr und mehr, nur das vom Greifen nach dem Kopf begleitete Stöhnen, die Längsfaltung und Runzelung der Stirnhaut weisen auf die fortdauernden Kopfschmerzen hin. Der Puls ist verlangsamt und unregelmäßig; die Pupillen reagieren schlecht, die eine ist weiter als die andere, Strabismus kommt zum Vorschein, der Lidschlag hört auf, es entwickeln sich Konjunktivitis, vielleicht schwerere Formen der Augenentzündung, Keratitis und Iritis bis hinauf zur Panophthalmitis. Gleichzeitig ist die Reflexerregbarkeit vernichtet, die Glieder hängen wie tote Massen am Körper, nur die Schwere regelt die Lage des Körpers im Bett. — Überall, wo Hautstellen gedrückt wurden, röten sich dieselben; fahrt man mit dem Nagel leicht über die Oberfläche der Haut hin, so erheben sich nach kurz dauerndem Erblassen die getroffenen Stellen mit länger anhaltender Rötung über die Umgebung — Taches cérébrales. — Der Harn wird unfreiwillig entleert, der Stuhl ist noch mehr angehalten als bisher. — Der Bauch zeigt sich gleichmäßig weich, es ist, als ob man auf ein Luftkissen drücke; dann sind die Därme von Gas ausgedehnt, aber gleichmäßig, keiner mehr als der andere. Erst spät und lange nicht immer wird der Leib eingezogen. Die Atmung ist weniger regelmäßig, sehr gewöhnlich finden sich mindestens Andeutungen des Cheyne-Stokes'schen Phänomens. Die Ernährung geht rasch zurück, man sieht, wie von einem Tag zum anderen die Kranken mehr und mehr verfallen, wie die Gesichtszüge selbst bei Kindern spitzer, greisenhaft werden. Klonische Krämpfe, einzelne

Fig. 5. Meningitis tuberculosa an der Basis hauptsächlich, aber auch an der Konvexität — keine allgemeine Miliartuberkulose, alte Drüsen- und Knochenherde. — Beginn der Messungen einen Tag nach dem das Ganze einleitenden Erbrechen. — Mädchen von 8'/, Jahren.

Zuckungen oder förmliche tetanische Anfalle treten auf, der Nacken krümmt sich mehr und mehr, das Erbrechen dagegen wird, wenn es nicht ganz ausbleibt, jedenfalls viel seltener. — Die Körperwärme kann hoch oder niedrig, vielleicht gar subnormal sein, sie ist nie regelmäßig über die Tageseinheit verteilt. — Gegen

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Encephalomeningitis.

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das tödliche Ende kann — jedoch nur in seltenen Fällen — für kurze Zeit das Bewußtsein wiederkehren. Meist geht jetzt der Puls in die Höhe, die Atmung wird höchst unregelmäßig, wirklich aussetzend, etwa vorhandene Krämpfe lassen nach, und unter den Erscheinungen der bis zum Äußersten verminderten Hirnthätigkeit erlischt das Leben (Fig. 5). Dies Bild ist von der tuberkulösen Form hergenommen, welche an der Hirnbasis stark lokalisiert ist und mit Erguß in die Ventrikel sich verbindet. Allein es liefert zugleich eine Übersicht alles dessen, was bei den langsamer verlaufenden Entzündungen überhaupt vorkommt. Es sind im Vorhergehenden die Extreme des Ablaufs der Encephalomeningitis dargestellt; zwischen ihnen finden sich in der Natur zahlreiche Übergänge. Je nachdem die Zeichen der Reizung oder Lähmung mehr entwickelt sind, dieser oder jener Hirnteil sich stärker ergriffen zeigt, wechselt das Bild, so daß die Krankheit unter verschiedenen Masken erscheinen kann. Nur die hauptsächlichsten dieser Verschiedenheiten. sollen hier kurze Erwähnung finden. — Uberwiegen der psychischen Symptome: Irrereden, Delirien, bis zu Wutanfällen gesteigerte Erregung mit Hallucinationen und Illusionen verbunden, Schlaflosigkeit und Muskelzittern, so daß akutes Delirium oder Säuferwahnsinn vorgetäuscht wird. Dann wieder typhöse Erscheinungen: Fieber mit dauerndem Benommensein und stillen Delirien. Auch An- und Abschwellen der Krankheitszeichen kommt vor, bisweilen für eine Zeit in so regelmäßigem Wechsel, daß Malaria vorhanden zu sein scheint. Alles dies gilt vorwiegend für die rascher sich ausbildenden, die Konvexität stark in Mitleidenschaft ziehenden Formen; ganz anders verlaufen die langsam, besonders an der Hirnbasis lokalisierten. Wegen ihrer sehr allmählichen Entwicklung kommen Reizerscheinungen, Kopfweh ausgenommen, nicht recht zustande, dagegen werden nach und nach einzelne Hirnnerven gelähmt, Druck auf die Umgebung stellt sich ein, so daß die Annahme, es handle sich um einen Hirntumor, nahe gerückt erscheint.

Von Einzelsymptomen verdienen besonderer Erwähnung: Reiz- wie Lähmungserscheinungen müssen mit großer Vorsicht gedeutet werden, wenn es sich um die Feststellung eines bestimmten Sitzes des Krankheitsherdes handelt; das gilt selbst für die isolierte Lähmung eines einzigen Hirnnerven. Man ist niemals sicher, ob es sich nicht um indirekte Herderscheinungen handelt (§ 45). Auch aus der Schwere der Hirndruckerscheinungen ist ein Schluß auf die Größe der Ventrikularergüsse nicht zulässig. Die Lähmungen können, soweit sie Hirnnerven betreffen, durch Übergreifen der Entzündung auf deren an der Basis gelegene Stämme hervorgerufen werden, ebenso auch dadurch, daß diese durch den das Ganze des Schädelinhalts treffenden Druck gegen ihre knöcherne Unterlage gepreßt werden. Andererseits kommen Lähmungen von der Binde her in der Form von Monoplegien, seltener kommen Lähmungen von den Stammganglien aus zustande. Im letzteren Fall handelt es sich um gewöhnliche Hemiplegien, veranlaßt durch Erweichungsherde, die aus Gefaßverschluß hervorgegangen sind; der Druck des Exsudats auf die Arterien hatte denselben bewirkt. — Von den Hirnnerven ist außer den Augenmuskeln am häufigsten der Facialis in seinem unteren Abschnitt betroffen, übrigens meist nicht sehr erheblich, Parese ist häufiger als Paralyse. Zu bemerken ist, daß die Lähmungen sehr gewöhnlich wechseln, daß sie kommen und in kurzer Zeit wieder verschwinden können. Das vollständige Aufhören der Reflexe, wie es bei voll entwickeltem Koma nahezu konstant ist, weist darauf hin, daß auch das Bückenmark nicht unversehrt geblieben ist. Man könnte geneigt sein, dies auf einfachen Druck zu beziehen; denn daß innerhalb des Wirbelkanals die Cerebrospinalflüssigkeit unter

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höherer Spannung steht, wenn eine solche im Schädel vorhanden, ist sicher. Daneben aber dürften doch auch wirklich entzündliche Veränderungen des Rückenmarkes und seiner Häute recht wesentlich in Betracht kommen. Solche wurden wiederholt nachgewiesen und sind wohl häufiger als man es annimmt. — Nicht ohne Bedeutung ist hierfür auch die bei langsamer verlaufenden Encephalomeniagiten häufige Thatsache, daß die Reffexerregbarkeit an der einen unteren Extremität stärker als an der anderen hervortritt; es hat dabei durchaus den Anschein, als ob es sich um eine wirkliche Steigerung handelt. Die ergriffene Seite bleibt gewöhnlich dauernd in dem gleichen Zustande, bis die Reflexe überhaupt erlöschen. — Auch die Hyperästhesie von Haut und Muskeln dürfte mit dem Bückenmark in Beziehung zu setzen sein. Die Erscheinungen am Auge sind nach manchen Seiten hin wichtig. Zunächst ist das Verhalten der Augenmuskeln von Bedeutung, Strabismus in verschiedenen Formen und Ptosis sind sehr gewöhnlich. Ebenso nicht von der Belichtung abhängender häufiger Wechsel der Pupillenweite. — Oculomotorius und Abducens werden am häufigsten gelähmt. — Früh erkrankt manchmal der Opticus; die Augenspiegeluntersuchung weist dann Stauungspapille, Neuritis oder Neuroretinitis nach. — Es wird noch darüber gestritten, ob die mit Zerstörung des Auges endenden Entzündungen, welche zuerst als unbedenklich erscheinende Konjunktivitis auftreten, lediglich auf das Erlöschen der sensiblen Thätigkeit des Quintus zurückzuführen seien, mit welcher auch der reflektorisch entstehende Lidschlag aufhört, so daß Fremdkörper von der Augenoberfläche nicht mehr entfernt werden und liegen bleibend als Entzündungserreger wirken. Eine andere Auffassung geht dahin, daß in der Bahn des Quintus trophische Fasern verlaufen, deren central geschehende Zerstörung den perniciösen Verlauf jedenfalls in hohem Grade begünstigen würde. Der Puls kann, namentlich bei der tuberkulösen Form, schon sehr früh, ehe wesentliche Krankheitszeichen hervortreten, Unregelmäßigkeiten darbieten; man muß aber minutenlang beobachten, um das zu bemerken. Ihre volle Bedeutung gewinnt die Erscheinung erst dann, wenn neben ihr Verlangsamung sich einstellt. Später verhält er sich wie bei dem Hirndruck überhaupt. Starkes Ansteigen der Pulsfrequenz bei dem Herannahen des tödlichen Ausganges ist nicht ohne praktische Wichtigkeit. Das Verhalten der Temperatur hat bei allem Wechsel doch etwas Charakteristisches. Es ist das die — durch mindestens zweistündige Messung festzustellende — Unregelmäßigkeit der Verteilung über die Tageseinheit. Man findet stets unmotivierte Exacerbationen oder Remissionen — manchmal für Stunden, andere Male für Tage. — Die absolute Höhe der Körperwärme ist sehr veränderlich, sie liegt zwischen 42° und 34°. — Diese extremen Werte kommen namentlich gegen das Lebensende vor; auch postmortale Steigerung kann in hochfebrilen Fällen sich zeigen. — Praktisch ist von Bedeutung, daß dem Ausbruch von Konvulsionen nicht selten Temperaturerhöhung vorhergeht, durch deren Bekämpfung jene verhütet oder die entstandenen abgeschwächt werden können. Der rasche Rückgang der Ernährung beruht gewiß zum größten Teile auf verminderter Zufuhr von Wasser und festen Substanzen. Allein möglich wäre auch, daß bei der schweren Störung im Centraiorgane durch das Aufhören der von diesem geübten Oberleitung aller Lebensvorgänge die Oxydationen sich mit größerer Schnelligkeit als normal vollziehen. Indes fehlt es hier an Untersuchungen. —

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Encephalomeningitis.

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Hirndruck (§ 51) nimmt wenigstens im späterem Verlauf eine hervorragende Stellung unter den Symptomen ein. Wechselnde Stärke der Entzündung, die mit ihr verbundene Zu- oder Abnahme des Exsudats, und die Schwankungen der Herzarbeit sind es, welche das Krankheitsbild in seinem letztem Stadium kennzeichnen. Die Prognose ist bei voll entwickelter Encephalomeningitis stets sehr bedenklich, unbedingt ungünstig ist sie bei keiner Form. Die Diagnose mag in einzelnen Fällen der Erkrankung leicht erscheinen, im ganzen gehört sie zu den schwierigsten. Auch da, wo Encephalomeningitis erkannt wurde, ist keineswegs immer die Veranlassung derselben klar zu stellen. — Zur klinischen Beurteilung prüfe man bei allen auf akute Encephalomeningitis hinweisenden Erscheinungen zunächst, ob nicht eine andere, besonders ob nicht eine Infektionskrankheit vorliegt, welche nur zeitweilig das Oehirn stärker in Mitleidenschaft zieht, sei es nun durch Primärwirkung, sei es sekundär durch plötzlich einsetzende hohe Temperatur, durch Störung des Kreislaufes oder der Atmung. Bei Kindern kommen hier die Anfänge der akuten Exantheme, vorwiegend des Scharlachs, die Pneumonie, besonders die in den Lungenspitzen lokalisierte, endlich die einfache Angina in Betracht; bei Kindern ist auch stets an Reflexwirkung zu denken, welche zeitweilig Hirnanämie herbeizuführen vermag (§ 64: Eklampsie). — Bei gleichzeitiger Herz- oder Lungenerkrankung frage man sich weiter, ob nicht ungenügende Versorgung des Gehirns mit sauerstoffhaltigem Blute, Überladung mit kohlensäurereichem vorhanden ist. Bronchitis capillaris mit ihren Folgen giebt dazu, und zwar wiederum im Kindesalter, oft Gelegenheit. Man vergesse urämische oder eholämische Vergiftung, überhaupt alle Formen der Autointoxikation ebensowenig wie jene Zustände, die nach erschöpfenden akuten oder chronischen Diarrhöen sich einstellen können. — Erst wenn alle diese Fragen verneint sind, fasse man die der Möglichkeit einer Encephalomeningitis näher ins Auge. Dabei ist sorgfältiges Abwägen der Gesamtheit aller vorliegenden Erscheinungen, das Diagnostizieren aus dem Vollen das Beste; wer sich auf dieses oder jenes vereinzelte Symptom verläßt — am zuverlässigsten sind noch die ophthalmoskopischen Befunde — wird den Unwert solchen Verfahrens bald erkennen. — Der wenig erfahrene Arzt darf sich durch Fehldiagnosen bei der Encephalomeningitis nicht entmutigen lassen, er kann sich damit trösten, daß diese auch dem vielerfahrenem nicht erspart bleiben. — Die tuberkulöse Encephalomeningitis der Kinder soll als Sonderform noch kurz erwähnt werden. — Ätiologisch: Fast immer gelingt der anatomische Nachweis älterer Herde in den Lymphdrüsen oder in den Knochen, weitaus seltener in anderen Körperteilen. Es handelt sich also zum mindesten ganz vorwiegend, vielleicht stets um Selbstinfektion. Die Lehre von der hereditären Übertragung des Bacillus hat hier feste Stützen, das Vorkommen von Tuberkulose in der Familie ist diagnostisch von Bedeutung. — Als Gelegenheitsursachen sind Masern, Rhachitis, Skrophulose wirksam, besonders wenn sie mit länger dauernden, schweren Bronchiten oder Bronchopneumonien einhergehen. — Am meisten Opfer liefert das bis zur zweiten Zahnung sich erstreckende Lebensalter. — Knaben werden häufiger als Mädchen ergriffen. — Anatomisch: Die möglicherweise ausnahmslose Kegel ist, daß die Meningoencephdlitis nur Teilerscheinung einer den Blutweg benutzenden allgemeinen Bacilleninvasion ist. Die oberen Abschnitte des Rückenmarkes sind häufiger mit ergriffen, sehr selten ist die Ausbreitung über dessen Ganzes. — Die I/ungen zeigen meist eine geringere Tuberkelmenge als bei dem Erwachsenen. — Klinisch: Nur der Nachweis von Tuberkeln der Choriaidea, die durchaus nicht immer

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vorhanden sind, von Bacillen im Blute oder in der durch Lumbalpunktion entleerten Cerebrospinalflüssigkeit erlaubt eine sichere Diagnose. Deren Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn ein über längere Zeit sich erstreckender Bückgang der Ernährung mit hin und wieder auftretenden unregelmäßigen Fieberbewegungen vorher da war, für welche eine ausreichende Ursache nicht gefunden werden konnte. — Die ältere Einteilung in zeitlich geschiedene Stadien: das der Prodrome, des Reizes, des Druckes, der Lähmung hat gar keine Bedeutung. — Am besten rechnet man die Dauer der eigentlichen Erkrankung bis zum tödlichen Ende vom ersten Auftreten des Erbrechens an. Als Mittelzahl sind zwei bis drei Wochen festgestellt. — Von manchen wird auf das im Anfang nicht seltene tiefe Aufseufzen, von anderen auf das auch im späteren Verlauf vorhandene Aufschreien (cri hydrocephalique) diagnostisch Gewicht gelegt. — D i e Therapie vermag n u r in äußerst beschränkter Weise ihren Aufgaben zu genügen. Es ist gut, wenn man sich von vornherein klar macht, daß ein gegen die „Entzündung" unmittelbar gerichtetes Vorgehen nur so weit, wie es ohne Schwächung des Gesamtorganismus möglich, überhaupt erlaubt ist. Denn damit eine Entzündung sich zurückbilde, muß in die bei derselben beteiligten Gefäße genug und genügend leistungsfähiges Blut gelangen; es darf daher weder das Blut selbst, noch das Herz durch die therapeutischen Maßnahmen geschädigt werden. — Stärkere Blutentziehungen verbieten sich also, geringere sind nur erlaubt, wenn man anzunehmen berechtigt ist, einen zugänglichen Ausgangsherd der Entzündung dadurch minder wirkungsvoll zu machen. Das wird selten gelingen. — „Ableitungen", wie man sie früher in schonungsloser Weise vornahm: Einreibungen des geschorenen Kopfes mit Unguentum tartari stibiati, Bedecken desselben mit Vesikatoren u. s. w., sind unbedingt zu meiden. Sie quälen den noch halbwegs besinnlichen Kranken und rufen tiefgreifende Gewebszerstörung hervor; Erfolge solcher Eingriffe hat man wohl nur bei den zweifelhaften Diagnosen einer vergangenen Zeit gesehen. — Das gleiche gilt von dem Quecksilber, welches nach älterer, auch heute noch vielfach befolgter Schulregel als „Antiphlogisticum" von der Haut in der Form der grauen Salbe, gleichzeitig auch innerlich als Calomel in großer, rasche Allgemeinwirkung erzwingender Gabe einverleibt wurde. Der Schaden akuter Quecksilberintoxikation ist hierbei sicher, der Nutzen des Verfahrens gegen Hirnentzündung mehr als fraglich. Harmloser ist das Jodoform: man ließ dasselbe auf den Kopf pinseln — 1 auf 15 Teilen Kollodium —, innerlich wurde dasselbe gleichzeitig bis zu 0,2 g in Pillenform gegeben. Die von gewissen Ärzten an dies Verfahren geknüpften hochgespannten Erwartungen sind vollständig zu nichte geworden. — Ebensowenig hat Jodkdlium — man stieg bis auf 8 g pro die — sich bewährt. Am zweckmäßigsten bleibt es, sich eines jeden stärkeren Eingriffes xu enthalten. R u h e in der U m g e b u n g des K r a n k e n , möglichst ausgiebige E r n ä h r u n g , Aufrechterhalten der Herzthätigkeit, gegen die K r ä m p f e symptomatisches Einschreiten (siehe § 65), das ist das Beste, Eisumschläge oder ein Eisbeutel nützen manchmal gegen das Kopfweh, Morphium vermag die Schmerzen zu lindern u n d Nachtruhe zu schaffen, m a n k a n n dasselbe in verhältnismäßig großen Gaben darreichen ohne zu schaden. Bei hoher T e m p e r a t u r k a n n der Versuch, dieselbe herabzusetzen, in F r a g e kommen — ich h a b e mich dabei nur der unmittelbaren Wärmeentziehung bedient. I m m e r sind auch der symptomatischen Behandlung die Grenzen sehr eng gesteckt. Neuerdings hat man die Frage erörtert, ob es nicht gelingen könne, den Hirndruck, welcher zweifellos den Fortbestand des Lebens besonders bedroht, auf operativem Wege zu vermindern. Man denkt an eine Entleerung der innerhalb der freien Hohlräume des Centrainervensystems angehäuften Flüssigkeit mittels Anstechens der Hirnventrikel, bei verknöcherten Fontanellen muß dann eine Trepanation vorhergehen. Oder aber man versucht durch die Dura des Rückenmarks — unterhalb des dritten und vierten Lenden-

Cerebrale Kinderlähmung.

Encephalitis.

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Wirbels, wo nur noch die Cauda equina vorhanden ist — einen Abfluß der Cerebrospinalflüssigkeit zu bewerkstelligen (Lumbalpunktion). Diese ist, vorsichtig ausgeführt, ganz unbedenklich. Es düfte aber ihr diagnostischer Wert — der ist sicher — weitaus erheblicher sein als ihr therapeutischer. § 53.

Cerebrale Kinderlähmung.

Encephalitis.

Der Name ist nur eine allgemeine, wenig genau bestimmte Zusammenfassung einer Reihe pathologischer Veränderungen im Gehirn, welche mit verschiedenen Störungen seiner Thätigkeit einhergehen. Zu nennen sind,: Poliencephalitis (Strümpell). Sie entsteht rasch durch Infektion, hat vielfache Berührungspunkte mit der Poliomyelitis, unterscheidet sich von ihr vielleicht nur durch den Hauptsitz in den motorischen Gegenden der Rindensubstanz. Halbseitige, mit den Eigenschaften der vom Hirn ausgehenden, Lähmung ist die Regel. — Little'sche Krankheit. Im Anschluß und als Folge von schwerer oder frühzeitiger Entbindung entstanden. Weit verbreitete Starre der Muskeln, welche sie dem Willenseinfluß schwer zugänglich macht, daneben häufiger Zustände geistiger Minderwertigkeit. Doppelseitige Verbreitung, aber in wechselnder Stärke. — Nach heutigem Stand des Wissens ist das Ganze noch zu wenig geklärt für kurze Darstellung. Nur kurz können die Erkrankungen erwähnt werden, Encephalitis beschreibt. Schon der anatomische Befund ist kein einheitlicher.

welche man als

Die Formen, welche einigermaßen bestimmt geweblich gekennzeichnet sind — Encephalitis haemorrhagiea acuta — zeichnen sich dadurch aus: Der Sitz kann an jeder Stelle des Gehirns sein, besonders häufig ist er im Gebiete der centralen Ganglien; vielfach aber auch in der Hirnrinde und im eorticalen Marklager, sowie in dem centralen Höhlengrau des 3. und 4. Ventrikels. Es handelt sich um umschriebene Herde von wechselnder Größe — nur mikroskopisch wahrnehmbar, aber auch den Umfang einer Wallnuß noch überschreitend. — Makroskopisch durch ausgetretenes Blut bedingte Verfärbung von Rot in seinen verschiedenen Abtönungen bis zum Braun und Schwarz, seltener gelb. Seröse Durchtränkung des Gewebes in der Nachbarschaft bis zur Erweichung. Die Arterien frei, keine Verlegung darbietend. — Mikroskopisch: Blutanhäufungen durch das Gewebe zerstreut, in der Umgebung der Gefäße am reichlichsten. — Bundzelleninfiltrate in den Gefäßwandungen, aber auch kleine Herde im Entzündungsgebiete bildend. Die nervösen Bestandteile, Ganglien wie Nervenfasern, können ganz frei sein, aber auch schwer in Mitleidenschaft gezogen werden, zu Grunde gehen. — Daneben wird eine Form von Erweichung beschrieben, aus Nekrobiose hervorgehend, bei welcher aber die Gefäße frei sind. — Klinisch wird geschieden: Encephalitis haemorrhagica acuta — Typus Wernicke. Befallen sind vorzugsweise Schnapstrinker, der chronische Alkoholismus liefert die ätiologische Grundlage. Freilich nicht ausschließlich. — Plötzliches Erkranken: Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen. Es kann ein dem Delirium tremens gleichender Zustand von Erregung vorausgehen, aber auch gleich die übergroße Schlafsucht sich einfinden, welche besonders kennzeichnend ist. Der Gang recht unsicher, taumelnd. Die Körperwärme gewöhnlich dauernd herabgesetzt — bis zu 34,0°. — Die Herderseheinungen bestehen ganz vorwiegend aus rasch fortschreitenden Lähmungen der Augenmuskeln beiderseits. Auch der Opticus ist beteiligt. — Tödlicher Ausgang im Laufe von einigen Wochen. —

Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

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Encephalitis haemorrhagica acuta — Typus Strümpell-Leichtenstern. — Schließt sich an Infektion, ganz besonders an Influenza an. — Vorboten sind seltener und, da es sich um Rekonvalescenten handelt, schwer zu beurteilen. Meist plötzlicher Anfang. Sehr heftige Kopfschmerzen, Erbrechen, rasch sich steigernde Trübung des Bewußtseins. Die Körperwärme meist erhöht, sogar über 43,0°. — Herderscheinungen der verschiedensten Art. Im ganzen ist ein wirklicher durchgreifender Unterschied gegen das Bild der Encephalomeningitis nicht nachweisbar. — Der häufigste Ausgang soll der Hod sein, es wurden aber Fälle von Genesung, die man hierher zählen will, beobachtet. — Theoretisch sind die Erfahrungen über Encephalitis von hohem Interesse. Für die Praxis ist zunächst nicht viel damit anzufangen, da „die Diagnose nur selten mit Sicherheit gestellt werden kann" ( O P P E N H E I M ) und von Therapie nicht zu reden ist. — § 54.

Umschriebene eitrige Gehirnentzündungen.

Hirnabsceß.

Der Oehirnabsceß kommt nahezu unter den gleichen ätiologischen Bedingungen wie die Encephalomeningitis zustande: Fortleitung einer Entzündung aus der Nachbarschaft und Infektion auf dem Blutwege. — Der Häufigkeit nach stehen direkte Verletzungen des Gehirns mit Eiterung obenan; dann folgen die vom Ohr, von der Nase und ihren Nebenhöhlen her übergreifenden Entzündungen. Erst in dritter Reihe kommen die mit dem Blutstrom eingewanderten Krankheitserreger in Betracht. Man kann hier die gröberen Einschleppungen, man nennt sie geradezu metastatische, aus größeren Herden unterscheiden — Ursprungsorte sind die Endocarditen, infizierte Yenenthromben, welche das rechte Herz passierten, Lungengangrän oder putride Bronchitis (Lungenvenen). — Neben ihnen wären dann die Ansiedelungen der nicht zu Massen zusammengeballten Mikrobien zu nennen. Am häufigsten finden sich die eigentlichen Eiterkokken, man traf außer ihnen aber andere, Pneumokokken, den Tuberkel- und den Influenzabacillus an. Anatomisch, ist die Entwicklung je nach der Entstehungsart eine etwas verschiedene. — Bei traumatischen und aus der Nachbarschaft übergreifenden Entzündungen findet man in der Umgebung des Ursprungsortes anfangs seröse Durchfeuchtung des Hirngewebes, vielleicht auch kleinere Blutergüsse, nachher auf größere Strecken ausgedehnte Emigration weißer Blutkörper, welche sich von den Gefäßen her allmählich in das Gewebe einschieben und dasselbe zum Schmelzen bringen. Bei den metastatisch entstandenen Abscessen treten in dem Verbreitungsbezirk des infizierten Gefäßes enger oder weiter zusammengeordnet entzündliche Hämorrhagien auf, welche ih kurzer Zeit sich zu Eiterherden umwandeln. Sehr oft fließen diese, nachdem sie das zwischenliegende Gewebe vernichtet haben, zusammen. :— Alle fertigen Abscesse umgeben sich, wenn das Leben erhalten blieb, mit einer allmählich fester und derber werdenden Bindegewebsmembran, welche sie zwar gegen die Nachbarschaft abschließt, aber selbst von ihrer inneren Fläche dauernd Eiter zu erzeugen vermag. Durch diese Membran wird immerhin ein gewisser Schutz gewährt; die nicht mit derselben versehenen, rasch wachsenden Abscesse greifen unaufhaltsam, das normale Gewebe vernichtend, auf ihre Umgebungen über. — Heilung (Resorption und Narbenbildung) kommt nur bei kleinsten Herden vor. Größere können allerdings Jahre hindurch stationär bleiben;

Umschriebene eitrige Gehirnentzündungen.

Hirnabsceß.

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eine in ihnen auftretende, irgendwoher erzeugte neue Eiterbildung aber sprengt, sowie sie erheblicher wird, die abschließende Kapsel und führt so rasch den Tod herbei. Einbruch in die Ventrikel oder Durchbruch zur Oberfläche mit folgender ausgedehnter Beteiligung der Meningen an der Entzündung sind keineswegs seltene Ereignisse. — Eine andere Ursache des tödlichen Ausganges ist die in der Umgebung des Abscesses auftretende frische Entzündung, welche sich meist über weitere Räume ausdehnt. — Sitzt der Absceß im Kleinhirn, dann kann er durch Druck oder Thrombosierung die Vena magna Galeni so unwegsam machen, daß Hydrops der Ventrikel entsteht. Traumatische Abscesse sitzen meist an dem Orte der Verletzung, ausnahmsweise an anderen, indirekt getroffenen (Contrecoup). Die vom Ohr herstammenden finden sich gewöhnlich im Schläfeulappen und im Kleinhirn, die von der Nase ausgehenden im Stirnlappen. Metastatische trifft man in weiter Ausbreitung, immerhin meist in den Hemisphären an. — Auf dem Blutwege entstandene Abscesse sind gewöhnlich in mehrfacher, selbst in vielfacher Anzahl vorhanden, alle anderen dagegen ganz vorwiegend vereinzelt. — Metastatische multiple Herde können zur Hirsekorngröße herabgehen, aber auch wie die auf anderem Wege entstandenen recht umfangreich werden. Man hat im einzelnen 400 ccm Eiter gefunden. — Der Eiter selbst sieht gelb oder gelbgrün aus und reagiert meist sauer. Das Krankheitsbild bietet große Verschiedenheiten dar; man trennt auch hier passend eine akute und eine chronische Form. — Bei der akuten eitrigen umschriebenen Gehirnentzündung Erscheinungen, welche im ganzen wenig von denen der akuten Encephalomeningitis abweichen: Kopfschmerz, öfter bis zum Unerträglichen gesteigert, Unruhe, Schläfrigkeit bis zur tiefsten Bewußtlosigkeit, Einzelzuckungen oder allgemeiner verbreitete, fast tetanische Anfälle, ausgeprägter Hirndruck mit raschem Verfall. Daneben unregelmäßiges, nicht immer hohes Fieber. — Lähmungen, welche eine sichere Lokaldiagnose gestatten, erlauben in Verbindung mit an amnestischen Erhebungen möglicherweise die Unterscheidung beider Erkrankungen. Anders ist es bei chronischem Verlauf. — Nach der Einwirkung eines Trauma entwickeln sich, sobald die Erscheinungen der Kommotion vorübergegangen, schleichend die weiteren Störungen: Kopfschmerz in der Stärke und der Zeit nach wechselnder Heftigkeit — weitaus die häufigste Erscheinung. Seltener sind Er• brechen, Schwindel, Krämpfe, die sogar epileptischen gleichen können. Ebenso psychische Störungen leichtester Art — Abnahme des Denkvermögens und des Gedächtnisses — bis zur Melancholie. — Diese Erscheinungen können nur mit Einschränkung des Begriffes in das „Stadium der Latenz" eingerechnet werden, noch in weitaus höherem Maße gilt das für die weiteren: Fortbestehende Herdsymptome (Hemiplegie, Aphasie, Strabismus), zeitweilige Krampfanfälle oder zeitweiliger starker Hirndruck. Latenz darf daher nur so verstanden werden: Zeiten des Zurücktretens der Krankheitserscheinungen — vollständig schwinden sie kaum, „reine" Latenz ist äußerst selten — sind im großen gerechnet häufiger als die durch erheblichere Verschlimmerungen gekennzeichnete. Es wird für das Ganze kein ungünstiges Fortschreiten deutlich merkbar, die zeitweiligen Störungen erscheinen nur als vorübergehende. Die Körperwärme ist in der Ruhezeit nicht erhöht, möglicherweise unter der Norm. Es können aber scheinbar unbegründete, auf Störungen irgendwelcher Art nicht zurückzuführende leichtere Steigerungen vorkommen. Häufiger gehen

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

diese mit merkbaren Verschlimmerungen einher, in verschiedener Art, bis zu den mit zeitweise hohen Temperaturen verbundenen. — Die Bauer des zeitweiligen Stillstandes wechselt von Wochen bis zu mehr als 20 Jahren. — Früher oder später kommt es aber zum tödlichen Ausgang, meist so, daß der Absceßinhalt sich in die Ventrikel oder unter die Meningen ergießt, das Bild der akutesten Hirnentzündung hervorrufend. — Die Prognose ist, wenn ein operativer Eingriff ausgeschlossen bleibt, stets ungünstig. — Der Verlauf ist in den einzelnen Fällen so verschieden, wie die Dauer des Ganzen. Für die Diagnose sind die anamnestischen Verhältnisse sehr zu berücksichtigen. Dann kommen die eben erwähnten Eigentümlichkeiten des Verlaufes und, wenn Herderscheinungen vorhanden, die Art und Entwicklung derselben wesentlich in Betracht. Stauungspapille ist im ganzen selten, sie kann, wenn sie vorhanden, auf einen Opticus beschränkt bleiben. Bei genauer Untersuchung findet man bisweilen erheblichen Ausfall im Seh- und Hörvermögen. — Das Allgemeinbefinden, besonders scheinbar unmotivierte Fieberbewegung, kann für die Beurteilung von großer Bedeutung werden. — Ob den kurze Zeit nach der Verletzung sich darbietenden Erscheinungen eine Meningealblutung, eine Meningitis oder eine umschriebene Encephalitis zu Grunde liegt, ist manchmal kaum zu sagen. Die .Behandlung muß nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Encephalomeningitis eingeleitet werden. Ist es zur Absceßbildung gekommen, dann hat man die Frage in ernsthafte Erwägung zu ziehen, ob der Sitz der Eiteransammlung so genau bestimmt werden kann, daß künstliche Entleerung möglich wird. Sie operative Behandlung hat neuerdings schöne Erfolge zu verzeichnen. — § 55.

Chronischer Hydrocephalus.

Bei dem Hydrocephalus exte raus findet sich eine Flüssigkeitsansammlung im Subduralraum. Das Leiden kommt angeboren vor, wohl infolge mangelhafter Hirnbildung, ferner als Ausgang von Pachymeningitis, endlich als Teilerscheinung von Krankheiten, die mit Hirnschwund einhergehen — in diesem Fall handelt es sich um einen durch die Notwendigkeit der Raumausfüllung bedingten Erguß. Die Flüssigkeitsmenge kann gering sein, aber auch bis zu vier Litern anwachsen. Falls die Kopfknochen nachgiebig sind, werden sie gedehnt. Druck auf das Gehirn und Atrophie desselben bleiben nicht aus. .— Wichtiger ist der Hydrocephalus internus: Erguß von Flüssigkeit in die Ventrikel. Es soll hier von dem im späteren Lebensalter auftretendem Hydrocephalus abgesehen werden, welcher infolge von Meningitis oder bei Hirnschwund mit Ergüssen unter die Dura und Pia als einfache zur Ausfüllung des leergewordenen Baumes erforderliche Vermehrung der Cerebrospinalfiüssigkeit zu deuten ist. Das sind Zustände, welche neben den sie bedingenden Ursachen nur untergeordnete Bedeutung haben. — Weitaus selbständiger ist das Leiden im Kindesalter, wo dasselbe als angeborenes oder als erworbenes auftritt. Es beruht im ersten Falle auf primären Bildungsanomalien, kann aber auch selbst intrauterin sekundär durch Entzündung oder durch Behinderung, sei es des nervösen Abflusses, sei es der Bewegung der Cerebrospinalfiüssigkeit, entstehen. Diese beiden Momente kommen auch zusammen vor, eins das andere bedingend. Erworbener Hydrocephalus ist meist eine Folge von Encephalomeningitis. Man nimmt auch noch eine weitere Entstehungsart desselben an. Bei Weichheit

Chronischer Hydrocephalus.

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der Schädelknochen (Rhachitis) sollen interkurrente Erkrankungen — Bronchitis, Pertussis —, welche mit länger dauerndem Husten einhergehen, mittels der durch diesen zeitweilig bedingten Drucksteigerung im Schädel Ventrikularhydrops hervorrufen, welcher nachher eine gewisse Selbständigkeit behauptet. Die bei Rhachitis so gewöhnliche Verschlechterung der Blutmischung, mit welcher größere Durchlässigkeit der Gefaßwandung verbunden ist, dürfte für diesen Vorgang gewiß nicht ohne Bedeutung SeinAnatomisch findet man eine mehr oder weniger erhebliche Ausdehnung des Schädels, die Fontanellen breit, die Knochen an ihren Nähten auseinandergedrängt; bisweilen entwickeln sich Schaltknochen. Die Hirnoberfläche ist zu einer oft nur Millimeter dicken Blase ausgedehnt, die Seiten Ventrikel und der dritte, nicht immer der vierte, sind mächtig erweitert, die unter ihnen gelegenen Teile des Hirnstammes abgeplattet, Kleinhirn, Brücke und verlängertes Mark dagegen meist nur in geringem Grade. Veränderungen des Chorioidealplexus und des Ependyms können fehlen; sind sie vorhanden, dann zeigen sie sich als Verdickungen und Trübungen, auf entzündlichen Ursprung hinweisend. — Man hat in einzelnen Fällen Verlegung des Sinus rectus, der Vena magna Oaleni, ferner des Aquaeductus Sylvii gesehen. Auch die durch Verwachsungen herbeigeführte Hemmung des Flüssigkeitswechsels zwischen den Subarachnoidealräumen und den Ventrikeln scheint nicht ohne Bedeutung. — Die ergossene Flüssigkeit ist meist klar, selten enthält sie weiße Blutkörperchen, ihr Gehalt an Eiweiß — dasselbe kann ganz fehlen — wechselt. Man sagt, daß ein solcher von mehr als 2,5 pro mille für entzündlichen Ursprung spricht. — Bei dem angeborenen Hydrocephalus kann schon intrauterin eine so bedeutende Vergrößerung des Kopfes eingetreten sein, daß dadurch die normale Entbindung unmöglich ist. Wurde das Kind lebend geboren, dann zeigt sich vielleicht sogleich, jedenfalls nach kurzer Zeit, eine unverhältnismäßige Größe und Zunahme des Kopfes; das normal sich vollziehende Wachstum des Gesichtsschädels läßt den Unterschied mit dem Hirnschädel ganz besonders grell hervortreten. Die Haut wird über der großen Knochenkapsel prall gespannt, es erscheinen auf ihr zahlreiche Venennetze, das Dach der Augenhöhle wird herabgedrückt und abgeflacht, bisweilen gar nach unten ausgebuchtet. — Solange die Schädelknochen noch dehnbar sind — als äußersten Termin hierfür betrachtet man das neunte Lebensjahr — , treten auch bei erworbenem Hydrocephalus diese Zeichen auf. Die psychischen Symptome sind von dem Grade der Gehirnatrophie bedingt. In den schwersten Fallen von angeborenem. Hydrocephalus kommt es überhaupt nicht zur geistigen Ausbildung, das Kind bleibt auf der Stufe, die es zur Zeit seiner Geburt einnahm. Ebenso kann es bei erworbenen Formen sein: der zur Zeit der Erkrankung vorhandene geistige Besitz bleibt erhalten, wird aber nicht vermehrt. Es finden sich dann alle möglichen Grade unzulänglicher geistiger Thätigkeit vom langsamerem Begreifen, zögernder und später Entwicklung bis zum Blödsinn, der mit Unreinlichkeit und mit der Unfähigkeit, die zum Stehen und Gehen erforderlichen Koordinationen zu erlernen, verbunden ist. — Bei erworbenem Hydrocephalus wird ausnahmsweise in späterer Zeit noch ein verhältnismäßig befriedigender Grad geistiger Leistungsfähigkeit möglich. — Unter den Sinnen scheint das Gehör selbst in schweren Fällen verhältnismäßig am wenigsten zu leiden. — Muskelatrophie mit oder ohne Kontrakturen in verschiedener Verbreitung und Anfalle von Krämpfen sind nichts Ungewöhnliches.

Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

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Bauer und Verlauf lassen sich nicht bestimmen. Manchmal macht Verschlimmerung einer vorhandenen oder das Auftreten einer neuen Entzündung dem Leben ein Ende, andere Male erreichen Hydrocephalische ein hohes Alter, wenn nicht irgend eine zwischeDfallende Krankheit sich ihrer oder richtiger ihrer Pfleger erbarmt. Prognostisch ist bei den angeborenen Formen, soweit es sich um die Möglichkeit einer menschenwürdigen Ausbildung handelt, immer mit großer Zurückhaltung zu urteilen. Günstiger sind die erworbenen, falls sie nicht allzu hochgradig werden. Es kann da Stillstand Heilung bedeuten und dann vielleicht die verzögerte Entwicklung rasch nachgeholt werden — indes sei man auch hier nicht zu hoffnungsfreudig. — Die Therapie vermag bei erworbenem Hydrocephalus vielleicht in denjenigen Fällen etwas, wo man Rhachitis, Hustenkrankheiten und damit verbundene Änderungen der Blutmischung als veranlassende Ursachen betrachten darf; es gilt dann diese zu beseitigen. Meistens jedoch gestaltet sich die Sachlage anders und ungünstiger, und jede Behandlung mit Arzneimitteln ist fruchtlos. Auch chirurgisches Eingreifen hat gerade keine besonderen Ergebnisse aufzuweisen — man versuchte Kompression des Schädels, ohne oder mit Punktion, welcher man sogar Injektion von Jodlösungen folgen ließ. Die Punktion des Duralsackes des Rückenmarkes (vergl. § 52) ist zu versuchen. Immer darf man sich daran erinnern, daß in der Regel nicht viel zu verlieren, manchmal vielleicht etwas zu gewinnen ist. § 56.

Geschwülste des Gehirns und seiner Häute.

Die Geschwülste des Gehirns und seiner Häute, sogar auch die nach innen vorragenden der Schädelknochen werden schon länger gemeinschaftlich abgehandelt, klinisch betrachtet mit vollem Recht, da eine Sonderung nach dieser Seite nahezu unmöglich erscheint. Ätiologisch läßt sich hier wenig sagen. Männer erkranken öfter als Frauen — annähernd ist das Verhältnis wie 63 zu 74. Das dritte bis sechste Jahrzehnt des Lebens ist am schwersten betroffen, übrigens die Kindheit keineswegs frei — in dieser Zeit sind die Tuberkelgeschwülste besonders häufig. — Als Gelegenheitsursache wird Verletzung des Kopfes durch Sturz, Wunden u. s. w. angesehen. Anatomisch wären zuerst die hierher gehörigen verschiedenen Qeschwulstformen aufzuzählen; sie bilden eine reiche Musterkarte. An deren Spitze steht das aus Wucherungen der Gliazellen hervorgehende Gliom in seinen wechselnden Entwicklungen — telangiektatisches, myxomatöses, sarkomatöses Gliom. Dann Sarkome — Angiosarkome, Angiomyxome, die Mischform Angiomyxosarkome — und Cholesteatome; Angiome — meist als angeborene betrachtet — sind seltener, noch seltener Fibrome, Chondrome, Lipome, Lymphangiome, Osteome. Auch Carcinome, die primär entstanden, sind nach neueren Anschauungen im Gehirn nicht häufig; metastatisch kommen sie öfter vor. — Gummata und Tuberkelgeschwülste gehören zu den gewöhnlicheren Erscheinungen. — Von Parasiten finden sich Oysticerken und Echinokokken. — Endlich müssen auch hierher gerechnet werden die Aneurysmen der Hirnarterien: im ganzen sind sie links häufiger als rechts; am meisten an der Arteria fossae Sylvii und der basilaris. Folgeerscheinung der Entwicklung eines Hirntumors ist Druck auf die Nachbarschaft. . Nicht selten ist derselbe hochgradig genug, um die abführenden Lymphund Blutgefäße so zusammenzupressen, daß Hydrops der Ventrikel entsteht; bei

Geschwülste des Gehirns und seiner Häute.

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direkter Kompression der Gefäße geschieht das in noch beträchtlicherer Weise. Bei diesen Vorgängen findet sich regelmäßig verdrängte Gerebrospinalflüssigkeit zwischen den Scheiden des Opticus. Ebenso leiden die Nerven an der Basis Not, sei es, daß sie beim Übergang über einen Knochenvorsprung geknickt oder durch angrenzende, wegen vermehrten Blutinhaltes stärker gespannte Gefäße, denen sie nicht ausweichen können, eingeschnürt werden. Weiter kommen in Betracht die sogenannten Reaktionserscheinungen in der Umgebung der Geschwulst. Man trifft hier das Gewebe bis zur Erweichung ödematös, die Ödemflüssigkeit blutig gerötet, in nächster Nähe des Tumors in kleinen Herden wenig veränderte rote Blutkörperchen; die Grenzen gegen das Gesunde sind sehr verwischt. Die Symptome der Hirngeschwülste wechseln nach der Natur, der mehr oder minder raschen Entwicklung, dem Sitz des Tumors, so sehr, daß kaum zwei einander gleiche Fälle anzutreffen sind. Im allgemeinen wäre hervorzuheben, daß durch die Geschwulst Baum beansprucht und so der Schädelinhalt vermehrt wird. Geschieht das langsam, dann ist bis zu einem gewissen Grade die Ausgleichung der veränderten Bedingungen möglich, so lange nämlich, als bei abnehmender Menge der Cerebrospinalflässigkeit ausreichende Versorgung des Hirns mit arteriellem Blute stattfinden kann. Es scheint, daß die vom Druck betroffenen Teile einen gewissen Grad desselben aushalten, denn es gehört nicht zu den Seltenheiten, daß ein von Geschwulstmassen eingeschlossener, deutliche Druckspuren zeigender Nerv dennoch kein einziges Zeichen gestörter Thätigkeit darbot. So können sich auch wohl Leitungsbahnen und Centren im Hirn selbst verhalten, und ebenso können auch vielleicht, bei langsamer Zerstörung der einen, andere neue ins Leben treten (§ 45). Wir müssen uns vorderhand mit diesen Möglichkeiten begnügen, wenn wir verstehen wollen, daß beträchtliche Tumoren an wichtigem Stellen des Hirns vorhanden sein können, ohne Erscheinungen zu machen. — Anders bei rascher Entwicklung, namentlich solcher, welche die cerebrale Blut- und Lymphströmung erschwert; dann bleibt die Wirkung der Druckzunahme im ganzen Schädelinhalt und die der örtlichen Zerstörung in der Umgebung der Neubildung nicht aus. — Aber es gelingt nur manchmal, direkte Folgen von indirekten, Nahe- von Fernwirkungen mit Sicherheit zu unterscheiden, beide sind ja gewöhnlich nebeneinander vorhanden.

Von praktischer Bedeutung ist die Trennung von allgemeinen und Herdr Symptomen.

Als Allgemeinerscheinungen finden sich bei Hirntumoren: 1. Verminderung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, anfangs mehr auf Unlust des sich krank Fühlenden, zu größeren Anstrengungen nicht Aufgelegten, später auf wirklicher Abnahme des Könnens beruhend. — Schließlich kann es zu den ausgeprägten Erscheinungen des Blödsinns kommen. 2. Kopfschmerz anhaltend, aber in seiner Stärke wechselnd, ohne bestimmte Lokalisation, meist in die Tiefe verlegt, als schweres Leiden empfunden. 3. Krämpfe, Schvrindelgefühle, Erbrechen, Ohnmächten, auch apoplektiforme Zufälle, alles nicht regelmäßig, nur hin und wieder auftretend. 4. Die Zeichen des Hirndrucks: Benommenheit bis zum Koma, Pulsverlangsamung und Unregelmäßigkeit der Atmung. Als frühe und sehr gewöhnliche — aber nicht konstante — Erscheinung: Stauungspapille an beiden Seiten mit oder ohne, Neuroretinitis. Die Herdsymptome sind viel schwieriger zu charakterisieren. Daß die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Herdsymptomen nicht immer gelingt, wurde'bereits erwähnt. Als allgemeinere Anhaltspunkte können dienen: indirekte V. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aull.

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

Druckwirkung vermag besonders die Nerven an der Hirnbasis leitungsunfahig zu machen. Erfahrungsgemäß werden so halb- oder beiderseitig am häufigsten befallen: Olfaktorius, Opticus, Abducens und Oculomotorius, dieser meist einseitig und an der Hirnhälfte, in welcher die Geschwulst ihren Sitz hat. — Als indirektes Herdsymptom kann Hemiplegie auftreten. Dieselbe geht aus der Druckwirkung, welche eine Hemisphäre als Ganzes, oder aus derjenigen, die einen Großhirnschenkel trifft, hervor; häufig folgen ihr starke und äußerst schmerzhafte Kontrakturen. Sie ist oft gleichseitig mit dem Tumor, sie schwankt in ihrer Stärke; nicht selten wird später auch die andere Seite des Körpers ergriffen. — Für alle diese Erfahrungsthatsachen fehlt eine völlig genügende Erklärung. Die Nervenstämme an der Hirnbasis sind durch ihre Lage auf harter unnachgiebiger Unterlage auch direkten Druckwirkungen in hohem Maße ausgesetzt. Da hierbei, wenn der Druck genügend stark ist, die Leitung zwischen den Kernen und den Muskelendigungen der Nerven unterbrochen wird, zeigen die so entstandenen motorischen Lähmungen die Eigenschaften der peripheren — Entartungsreaktion und Muskelatrophie. — Der Ihcialis bietet bei seiner Kompression außer diesem Zeichen noch ein anderes: alle seine Äste, auch die oberen, sind getroffen. Ebenso verhält es sich mit dem Hypoglossus, der wegen des engen Raumes, welcher die Nerven der beiden Hälften bei ihrem Austritt aus dem verlängerten Mark trennt, nicht selten doppelseitig ergriffen ist. — Die Störung des Trigeminus hingegen ist meist auf dessen sensiblen Teil beschränkt. Reizsymptome (Neuralgien eines oder mehrerer Äste) pflegen der die Lähmung anzeigenden Anästhesie vorauszugehen, sie können selbst nach deren Eintritt andauern. Im allgemeinen ist noch zu sagen, daß Lähmungen stärker als Reizsymptome im Krankheitsbilde hervorzutreten pflegen; letztere zeigen sich mehr vorübergehend. Es hängt dies wohl wesentlich damit zusammen, daß die Geschwülste bei langsamer und gleichmäßiger EntuñeMung keine Gelegenheit xwr Erregung geben, welche j a für alle nervösen Elemente an die Einwirkung von Wechselreizen gebunden i s t Eine größere Menge von Gefäßen in der Geschwulst, deren Inhalt, stärkeren Schwankungen unterliegend, den Umfang der Neubildung in kürzerer Zeit sich ändern läßt, ebenso das Auftreten entzündlicher Vorgänge in ihrer Umgebung fuhrt denn auch zu Reizerschemungen. Die durch den Sitz der Geschwulst bedingten hauptsächlichen Symptomenkomplexe (vergleiche hierzu auch § 47) sind: 1. Vordere Schädelgrube. Von Nerven werden betroffen: Olfactorius und Opticus, zuerst ein-, später doppelseitig, erster Ast des Trigeminus, Oculomotorius. Anfangs meist Beizerscheinwngen im Gebiet beider Sinnesnerven. 2. Mittlere Sobädelgrube. Betroffene Nerven: Opticus, Oculomotorius, Trochlearis, Abducens, Trigeminus. — Durch Drück auf den Großhirnschenkel kann Hemiplegie entstehen. Ausbreitung des Tumors von hier auf die hintere Schädelgrube ist nicht selten. 3. Hintere Schädelgrube. Betroffene Nerven: Trigeminus, Facialis, Acústicas, Glossopharyngeus, Vagus, Accessorius; öfter findet sich doppelseitige Abducemlähmwng. Heizerscheinwngen vom Acusticus (Ohrensausen) und Vagus (Pulsverlangsamung und Erbrechen) sind noch häufiger. Sehstörungen bis zur vollständigen Blindheit auf beiden Augen infolge von Hydrocephalus, namentlich, Erguß in den dritten Ventrikel, durch welchen das Chiasma und der Stamm des Nerven komprimiert werden, bilden mit der Stauungspapille oft ein schon frühes Symptom. 4. Orosshirnhemisphären. Krämpfe, anfangs auf einige Muskelgruppen beschränkt, allmählich mehr und mehr sich ausbreitend. Monoplegien oder Hemiplegien mit Hemi-

Gehirnblutungen.

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anästhesie, Mono- oder Hemikontrdkturen. Störungen des Sehvermögens, Aphasie in beiden Formen, Beeinträchtigung des Hörvermögens — diese letztere bei genauer Untersuchung vielleicht häufiger, als es bisher den Anschein hatte. 5. K l e i n h i r n . Meist beträchtlicher Hydrocephalus und daher erhebliche Allgemeinerscheinungen; außer Störungen des Sehvermögens auch solche des Gehörs und Geruchs. Taumelnder, schwankender Gang, Nackenstarre und Kopfweh, welches vorwiegend im Hinterhaupt seinen Sitz hat (vergl. auch oben unter 3).

Sind Hirngeschwülste nicht einer spezifischen Therapie zugänglich, dann ist ihr Verlauf vielleicht ein schwankender, Besserungen und Verschlimmerungen zeigender, immer aber schreitet die Krankheit im ganzen stetig dem tödlichen Ausgang zu. — Die Prognose ist daher, mit Ausnahme der auf Lues zu beziehenden Fälle, stets schlecht. — Die Dauer wird im Mittel auf ein bis zwei Jahre angegeben — übrigens eine recht wertlose Durchschnittszahl. Bei der Diagnose

sind die Allgemeinerscheinungm

sehr zu

berücksichtigen.

Als konstantestes Zeichen unter ihnen erscheint der Kopfschmerz; sehr hohen diagnostischen Wert haben die Stauungspapille und ebenso die zeitweilig sich einstellenden Anfälle von Krämpfen — diese drei Symptome, gleichzeitig vorhanden, lassen schon einen einigermaßen sicheren Schluß zu. Ohnmächten, Schwindelgefühle, die nicht anderweitig genügend erklärt erscheinen, haben für die Diagnose ähnlichen Wert wie die Krämpfe. Der niemals wirkliche dauerhafte Besserung bringende Verlauf fallt schwer ins Gewicht. F ü r die Bestimmung des Sitzes sind die Lähmungen und Reizerscheinungen in dem Gebiete der Hirnnerven in erster Linie von Bedeutung. Dem der feineren Anatomie des Gehirns Kundigen und mit dem entsprechenden Kapitel der Pathologie Vertrauten wird oft genug eine genaue Ortsbestimmung gelingen, öfter vielleicht mißglücken; die Sicherheit in der positiven Behauptung pflegt mit der Zunahme persönlicher Erfahrungen bezüglich dieser Erkrankungen nicht zu wachsen. Die medikamentöse Therapie kann nur in denjenigen Fällen etwas ausrichten, bei welchen es sich um Syphilis handelt. — Geraten wird bei jedem Tumor eine Quecksilber- oder Jodkur; weil man nicht wissen könne, ob denn nicht doch alte Lues vorliege. Jodkalium hat, von dieser Möglichkeit abgesehen, in großer Gabe — 4 g täglich, andauernd bis zu einem halben Jahre fortgesetzt — eine empirische Indikation, ebenso die arsenige Säure. — Im ganzen tritt die symptomatische, hier lediglich Erleichterung des Kranken anstrebende Behandlung in ihr volles Recht. Der operative Eingriff hat in einer immerhin nennenswerten Zahl von Fällen Erfolge zu verzeichnen. Für die Beurteilung muß der Gesichtspunkt festgehalten werden, daß der sonst

sichere

und oft qualvolle

tödliche Ausgang

so vielleicht

zu

verhüten wäre. Man sollte diese Möglichkeit dem Kranken nicht verschließen. — Nach gegenwärtiger Erfahrung geben die in den Centraiwindungen gelegenen Geschwülste die besten Aussichten. — § 57. Die innerhalb

der geschlossenen

Gehirnblutungen. Schädelkapsel

auftretenden

B l u t u n g e n können

eine doppelte Wirkung haben, zuerst die allgemeine, daß sie Druck auf den ganzen Schädelinhalt üben, dann die örtliche, daß sie die ihnen anliegenden Hirnteile zusammenpressen, vielleicht zertrümmern. Damit das letztere geschehe, muß die Blutimg innerhalb der Hirnsubstanz selbst stattfinden. Nur diese Formen sollen 8*

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

hier gesondert besprochen werden, — die anderen sind Folgen einer Verwundung oder der Pachymeningitis haemorrhagica, in vereinzelten Fällen auch einer Ruptur der Meningea media. Sie liefern ein Bild, welches neben den anderen der jeweilig wirkenden Ursache entsprechenden Erscheinungen diejenigen des Hirndruckes hervortreten läßt. Die Ätiologie der intracerehralen Blutergüsse hat zunächst allgemein zu verzeichnen: Männer leiden häufiger als Frauen; die Zeit nach dem vierten Jahrxehnt ist entschieden schwerer belastet — drei Viertel gegen ein Viertel. Wahrscheinlich findet in gewissem Maße hereditäre Beanlagung statt, denn es kommen in einzelnen Familien unverhältnismäßig viele Fälle von Gehirnblutung vor. — Speziell prädisponierend ist eine anatomische Veränderung, die Bildung miliarer Aneurysmen. Neben dieser gelangen Störungen der Blutmisch/img mit ihrem die Ernährung der Gefäßwandung schädigenden Einfluß nur in ungeordneter Weise zur Geltung. Auch die Hypertrophie des linken Ventrikels hat nicht ganz die Bedeutung, welche man ihr theoretisch zuschreiben möchte. Sind Gefäßernährungsstörungen vorhanden, dann kann sie vielleicht verhängnisvoll werden, ohne solche nur ausnahmsweise. Daß bei allen Formen der Schrumpfniere Hirnblutungen häufiger vorkommen, ist eine Thatsache, welche von diesem Gesichtspunkte betrachtet wohl verständlich erscheint. Hin und wieder kann mykotische Infektion Veranlassung zu ausgedehnter Hirnblutung werden. Von dem Herzen her eingeschwemmte infizierte Thromben rufen in den von ihnen heimgesuchten Arterienwandungen Nekrose und nachher Erweiterungen hervor. Aus solchen manchmal sehr beträchtlichen Aneurysmen können sich Massenblutungen einstellen. Die weniger stürmisch verlaufende Endokarditis, anatomisch als verruköse bezeichnet, giebt dazu Veranlassung. Als Oelegenheitsursache wirkt alles, was den Blutdruck rasch zu steigern vermag: starke körperliche Anstrengung, psychische Erregung, Husten, Niesen, Pressen bei Stuhlentleerung. Bei den drei letztgenannten Thätigkeiten macht sich nicht nur die unmittelbare exspiratorische Steigerung des Aortendruckes geltend, sondern ebenso sehr der Umstand, daß gleichzeitig der venöse Abfluß gehemmt ist und somit auch hierdurch der Druck in den kleineren Arterienästen erheblich in die Höhe getrieben werden kann. Anatomisch ist zuerst die prädisponierende Arterienerkrankimg zu besprechen. Die Ansichten über deren Bedeutung gehen etwas auseinander: nach der einen finden sich in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von Hirnblutungen miliare Aneurysmen, in der Größe von dem kaum Sichtbaren bis zu der eines Nadelknopfes wechselnd, ebenso an Zahl verschieden. Man trifft sie ausschließlich an den kleinen Arterien des Gehirns und vorzugsweise an denjenigen unter ihnen, welche am häufigsten Sitz einer Blutung werden. Sie sind von verschiedener Konsistenz, weich und leicht zerreißlich oder elastisch, endlich auch fest und hart. Ihr Auftreten ist nickt auf atheromatöse Entartung zurückzuführen: bei dieser handelt es sich um Endarteriitis, bei der Bildung der miliaren Aneurysmen hingegen um diffuse Periarteriitis, welche, von der Adventitia und den die Arterien umhüllenden Scheiden der Pia mater ausgehend, erst sekundär die Atrophie der Muscularis bewirkt. Von anderer Seite wird in Abrede gestellt, daß die Bildung der miliaren Aneurysmen so gewöhnlich der Blutung vorausgehe, vielmehr behauptet, daß sowohl Endarteriitis als einfache Entartung der Muscularis häufig Veranlassung zur Brüchigkeit der betreffenden

Gehirnblutungen.

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Arterien gebe; — es wird hervorgehoben, daß die als veranlassende Ursache betrachteten periarteriitischen Veränderungen zum Teil erst sekundär entstanden seien. Am häufigsten werden von der Blutung betroffen die basalen Ganglien, Schwanzkern, Linsenkern und Sehhügel mit ihrer Umgebung, besonders wichtig ist die innere Kapsel. — Daß gerade diese Teile so oft ergriffen werden, hängt wahrscheinlich damit zusammen, daß die sie versorgenden Arterien unmittelbare Fortsetzungen des Hauptstammes der Garotis interna und noch von verhältnismäßig großem Durchmesser sind, also einen beträchtlicheren Druck zu tragen haben. — In anderen Teilen des Großhirns, in der Brücke, dem Kleinhirn sind Blutungen schon erheblich wenige/r häufig — noch seltener in der Medulla oblongata, den Großhirnschenkeln, den Corpora quadrigemina; sonstige Orte kommen kaum in Betracht. Der frische hämorrhagische Herd im Gehirn zeigt zunächst einen meist schon geronnenen Blutklumpen, der die Größe einer Faust erreichen kann. In seiner Umgebung ist die Hirnsubstanz zerrissen, ihre Trümmer mischen sich mit dem ergossenen Blute in seinen äußeren Schichten. Meist ist eine scharfe Abgrenzung des Herdes nicht zu erkennen — ein Ring von erweichter, mit kleinen Blutungen durchsetzter, oft durch diffundierten Farbstoff rot oder gelbrot gefärbter Hirnmasse umgiebt den Ort der eigentlichen Zerstörung; entzündliches Ödem kann sich von hier aus über einen mehr oder minder großen Teil des Gehirns verbreiten. Bei größeren Blutergüssen zeigen sich örtlich Erscheinungen des Druckes: die betroffene Hemisphäre ist vorgewölbt, ihre Oberfläche abgeplattet und anämisch wie die ganze Hirnmasse. — Durchbruch des hämorrhagischen Herdes in die Ventrikel oder unter die Meningen kommt vor. — Wird der Anfall überlebt, dann verändert sich das extravasierte Blut, es zerfallt ebenso wie die zerstörte Hirnsubstanz und wird der Resorption zugänglich. Bei der Heilung bildet sich entweder eine mit Flüssigkeit gefüllte Cyste, deren Innenwand häufig etwas lockeres Bindegewebe enthält, oder aber es entsteht durch Wucherung und nachherige Schrumpfung des Gliagewebes sowie der Gefaßscheiden eine feste, den Substanzverlust ausfüllende Narbe. Eine mehr oder minder große Menge von umgewandeltem Blutfarbstoff bleibt in beiden Fällen an Ort und Stelle zurück. — Die sekundären Strangdegenerationen (§ 20), welche in manchen Fällen sich zeigen, können sich bis in das Rückenmark fortsetzen. Die Symptome, mit welchen die Hirnblutung verläuft, bieten trotz einzelner unerheblicher Verschiedenheiten im ganzen ein ziemlich gleichförmiges Bild. Es können Vorboten auftreten: Schwindel, Eingenommensein des Kopfes, dumpfe Gefühle von Druck und gehemmter psychischer Leistungsfähigkeit, seltener eigentliche Kopfschmerzen, dazu Schwere in den Gliedern, vielleicht geringe Parästhesien, ebenso merkbarer Nachlaß oder eigentümliche Störungen in der Thätigkeit der Sinnesorgane. Alles in allem ist das Gefühl vorhanden, daß irgend etwas im Körper, besonders im Kopfe nicht ganz in Ordnung sei. Nach längerer oder kürzerer Zeit folgt nun die Aufhebung des Bewußtseins. Diese kann aber auch eintreten, ohne daß solche Zeichen sie angekündigt hätten. Bisweilen urplötzlich — der Kranke fallt hin, ist unbesinnlich, seine Glieder sind schlaff und regungslos. In anderen Fällen schwindet die Besinnung nur allmählich: die Empfindung der mehr und mehr verringerten Herrschaft über Arm und Bein ist noch deutlich vorhanden, das Bedürfnis nach Ruhe macht sich geltend, und der in das Bett

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

Gebrachte verfallt erst nach und nach in einen Zustand von Schlummersucht, die sich bald zur Bewußtlosigkeit steigert; tiefe Betäubung folgt. Der vom „Schlag" Getroffene liegt nun bewegungslos da, das Gesicht ohne Ausdruck, meist gerötet, seltener blaß oder von gewöhnlicher Farbe; die Karotiden klopfen stark, das Herz zieht sich langsam aber kräftig, manchmal unregelmäßig zusammen; die Atmung ist langsam, röchelnd, die Backen werden durch den Exspirationsstoß aufgebläht. Kein Anrufen vermag den Kranken zu erwecken, Reflexe erfolgen selbst auf starke Beize gar nicht oder doch nur zögernd und schwach, alle Gliedmaßen hängen wie eine tote Masse am Körper, nur das geübte Auge vermag vielleicht zu erkennen, welche Gesichtsseite noch ausdrucksloser ist, welche Körperhälfte eine noch vollständigere Erschlaffung ihrer Muskeln zeigt als die andere. Harn und Kot werden nicht gerade häufig ins Bett entleert. So kann im häufe von Tagen oder Stunden der Tod eintreten, welchem meist stärkere Cyanose mit Aussetzen des Atmens und Unregelmäßigkeit nach C H E Y N E STOKEs'schem Typus vorausgeht. — Wendet sich die Sache zum Besseren, dann zeigt sich zuerst bei passiven Bewegungen ein gewisser Widerstand in den nicht gelähmten Muskeln, die Reflexe kehren wieder und verstärken sich nach und nach. Allmählich wird die Betäubung minder tief, es gelingt, den Kranken zu erwecken, welcher nun durch irgend ein Zeichen verrät, daß er für den Augenblick ein, freilich nur schwaches Verständnis, für die Dinge der Außenwelt gewonnen habe. Das nimmt zu; der Kranke versucht wohl einige Worte zu stammeln, aber seine Zunge ist schwer, und der richtige Ausdruck wird noch nicht gefunden — die Umgebung errät ihn mehr, als daß er sich wirklich verständlich machen könnte. Nach und nach schwindet die Benommenheit, jetzt fühlt der Kranke, daß er halbseitig gelähmt sei; es vermag die ihm noch unterthänigen Muskeln zu bewegen. Aber er ist matt, hat großes Ruhebedürfnis, schlummert viel und wird unwillig, wenn man ihn aufstört und zu längeren Darlegungen seiner Empfindung veranlassen will. Im Laufe einiger Wochen kehrt immer mehr die Besinnung zurück und die geistige Leistungsfähigkeit nimmt zu. Jetzt fangt auch die Lähmung an nachzulassen, fast immer so, daß zuerst einige Muskeln des Beines auf Willensreiz wieder ansprechen, z. B. eine der Zehen wieder bewegt werden kann. Die Besserung beginnt in den unteren Gliedmaßen, sie wird in den oberen auch kaum so vollständig wie in jenen; das Bein wird oft wieder gebrauchsfähig, seltener der Arm und nur in spärlichen Fällen wird die Fähigkeit für die feineren Koordinationen der Handmuskeln zurückerlangt. Bezüglich der Einzelerscheinungen ist zu beachten: Die Allgemeineinwirkungm auf das Gehirn werden als apoplektischer Insult bezeichnet. Der diesem zu Grunde liegende Mechanismus ist keineswegs ganz verständlich; erfahrungsgemäß steht fest, daß das Bild des Insults bei kleinen wie bei großen Blutungen zustande kommt, ebenso daß die Zeit, welche die Herde zu ihrer Entstehung gebrauchen, nicht immer für die Schwere der Allgemeinerscheinungen den Maßstab liefert. Im ganzen darf man aber dennoch sagen, daß, je bedeutender die Blutung ist tmd je schneller dieselbe erfolgt, desto stärker auch der Insult sich zeigen wird. — Bei großen, Blutherden sind es vorwiegend wirkliche Druckerscheinungen, in deren Folge sich Anämie des ganzen Gehirns einstellt. Bei Meinen ist man genötigt, auf molekulare Störungen zuräckzugTeifen; — man machte darauf aufmerksam, wie das aus der zerrissenen Arterie unter der vollen Wucht des in dieser herrschenden Drucks sich er-

Gehirnblutungen.

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gießende Blut wohl erhebliche mechanische Erschütterung weit über die Grenzen des Extravasats hinaus herbeiführen könne.

Die Lähmimgen setzen sich aus vorübergehenden (indirekten) und bleibenden zusammen; diese sind durch Vernichtung von nicht funktionell vertretbaren Hirn• teilen bedingt, jene erscheinen als Folge des allgemein vermehrten Druckes und der Veränderungen, welche in der Umgebung der zerstörten Abschnitte sich vollziehen. Für die erste Zeit nach dem Insult kommen dessen besondere Wirkungen noch hinzu. Am wichtigsten sind die motorischen Lähmungen; hervorragend ist unter ihnen das typische Bild der Hemiplegie, der halbseitigen, die Körper- und Gesichtsmuskeln an der dem Blutherd gegenüberliegenden .Seite betreffenden Lähmung. Dabei sind nicht alle Muskeln gleichmäßig ergriffen: die der Glieder sind stärker gelähmt, als die des Rumpfes, das Facialisgebiet — ganz vorwiegend dessen unterer Abschnitt — stärker als die anderen vom Gehirn aus innervierten Muskeln, von denen die im Gebiete des Hypoglossm (Abweichung der Zungenspitze nach der gelähmten Seite, durch das Ergriffensein des Genioglossus bedingt) und die von den Bewegungsnerven des Auges versorgten noch am häufigsten sich deutlich als befallen zeigen. Abweichungen von diesem gewöhnlichen Verhalten sind:

1. Bluterguß und Lahmung der Extremitäten gleichseitig — nur in sehr seltenen Fällen und da vielleicht durch fehlende Pyramidenkreuzung bedingt. 2. Paraplegie: Zwei Herde, einer rechts, der andere links, übrigens beide an der gewöhnlichen Stelle im Gehirn — oder ein großer Bluterguß in Pons und Medulla oblongata, welcher die hier eng zusummenliegenden Leitungsbahnen beider Seiten trifft. 3. Alternierende Lahmung: Einzelne Muskeln auf der Seite des Blutherdes, andere auf der entgegengesetzten gelähmt — es sind die zugehörigen Nerven oder Leitungsbahnen teils vor, teils hinter ihrer Kreuzung, teils im peripherem, teils im centralem Verlauf getroffen. 4. Nur Hirnnerven sind gelähmt — meist handelt es sich um einen kleinen Herd

und ausschließlich um den Facialis.

Bezüglich aller dieser Einzelheiten ist übrigens § 47 zu vergleichen.

Das elektrische Verhalten der infolge des Sitzes der Blutung meist central gelähmten, Muskeln ist ganz ungeändert, oder doch nur in geringem Grade abweichend und dann die Erregbarkeit eher noch etwas erhöht. Das Verhalten der Reflexe bei Gehirnblutungen ist noch wenig genau erforscht; nachdem der Insult vorüber, können auf der gelähmten Seite die von der Haut ausgehenden eine Zeit lang ein wenig verstärkt sein; die Sehnenreflexe sind in der Regel und dauernd verstärkt. Später nehmen die Hautreflexe an der gelähmten Seite meist ab. Mitbewegungen treten recht häufig auf, namentlich beim Ausführen oder Versuchen einer Bewegung durch starken Willensimpuls, einerlei ob derselbe auf die gelähmte oder die nicht gelähmte Seite gerichtet ist. — Es findet sich gewöhnlich, wenn auch nur für einige Tage, eine eigentümliche, oft mit Drehung des Kopfes verbundene Stellung der Bulbi. Der Kopf und die Augen werden dann nach der gesunden Körperhälfte gekehrt, so daß es aussieht, als ob der Kranke über seine nicht gelähmte Schulter schauen wollte (konjugierte Ablenkung der Augen und des Kopfes). Kontrakturen zeigen sich in zwei verschiedenen Formen: Die einen erscheinen gleich anfangs als Folge centraler Reizung, sie vergehen innerhalb nicht zu langer Zeit wieder; die anderen treten erst später auf —

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

zwei Monate nach dem Anfall werden als kürzeste Frist bezeichnet — und sind dann meist bleibend. Diese letzteren sind die häufigeren; sie werden mit noch zweifelhaftem Rechte auf die sekundären Strangdegenerationen bezogen. Gewöhnlich sind Arm und Hand von denselben ergriffen, die Beugestellung überwiegt ganz entschieden; erst allmählich werden diese Kontrakturen starr, anfangs löst sie der Schlaf. — An den gelähmten Gliedern finden sich bisweilen auch Zittern, ataktische, choreatische, athetotische Bewegungen — man spricht geradezu von einer Hemichorea und Hemiathetosis posthemiplegica (§§ 70 u. 72). Die Besserung der Lähmu/ng ist längstens in einem halbem Jahre zu Ende. Wie sie vor sich geht, wurde bereits ausgeführt, es ist nur noch zu erwähnen, daß auch am Facialis ein gewisser, freilich manchmal sehr unbedeutender Grad von Lähmung zurückzubleiben pflegt. Mit der Hemiplegie ist anfangs eine gleichseitige, der Ausdehnung der motorischen Lähmung entsprechende Hemianästhesie verbunden, welche sich in der Regel später ganz oder fast ganz verliert. Bleibemde Gefühlslähmung gehört nicht zu den häufigeren Vorkommnissen. Dagegen sind in einer nicht kleinen Zahl von Fällen Parcisthesim, Hyperästhesien, oft auch für längere Zeit newralgiforme Sohmerxen in dm gelähmten Oliedern vorhanden. Unter den Störungen der Sinnesnerven sind die des Opticus am besten gekannt. Hemiopie kommt häufiger vor — der Ausfall im Gesichtsfeld trifft dann meist mit der Seite der Körperlähmung zusammen und findet sich an beiden Augen; ist z. B. die linke Körperhälfte gelähmt, dann wird linksseitiger Ausfall des Gesichtsfeldes rechts und links beobachtet. Die Erscheinung ist anfangs stärker und verliert sich später ganz oder zum größeren Teil. — Wie sich die übrigen Sinnesnerven verhalten, ist unbekannt. Recht gewöhnlich sind vasomotorische und trophisehe Störungen. Erschlaffung der peripheren Gefäße, damit verbundene Rötung und Schwellung der Haut sowie Erhöhung der Temperatur zeigen sich an der geahmten Seite früh, oft schon im Laufe des ersten Tages, und weisen darauf hin, daß auch die vasomotorischen Nerven gelitten haben. Dauernd gelähmte Glieder sind gewöhnlich kalt und blaurot. Schwere trophisehe Veränderungen kommen nicht gerade häufig vor: Man sieht: Decubitus mit raschem Gewebszerfall nur an der gelähmten Seite, gewöhnlich dann über den Glutäen, im Laufe der ersten Woche sich entwickelnd und in der Regel rasch zum Tode führend. Später können sich, gleichfalls an der gelähmten Seite, Gelenkentzündungen ausbilden; ganz ausnahmsweise geschieht das schon in der ersten Woche. — Dauernd gelähmte Glieder erscheinen gewöhnlich nicht besonders abgemagert; hauptsächlich ist das von einer Zunahme des Fettpolsters, welche nicht selten mit Hypertrophie der Haut einhergeht, bedingt. Trat jedoch vor vollendetem Wachstum des Körpers Hirnblutung mit bleibenden Störungen der Bewegung auf, dann sind die gelähmten Glieder regelmäßig im ganzen atrophisch. Das Verhalten der Temperatur zeigt Abweichungen von der Norm: in den auf den Insult folgenden Stunden leichte Verminderung um Bruchteile eines Grades, seltener etwas mehr, nach Ablauf einiger Tage Erhöhung bis gegen 40 Erfolgt der Tod im Anfall, dann kann die Temperatursteigerung noch bedeutender werden. Nach schwerem Insult kann die Hamausscheidumg bemerkenswerte Anomalien darbieten. In den ersten Stunden wird ein dünner Urin in erheblich vermehrter

Gehirnblutungen.

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Menge abgesondert. Derselbe enthält anfangs weniger, dann mehr Eiweiß, etwas später tritt auch Zucker auf. Alles hält gegen 24 Stunden an; nachher kann die saure Reaktion des Urins in die alkalische umschlagen. Die intellektuellen Fähigkeiten erleiden meist eine Einbuße. Am stärksten scheint gewöhnlich das Gedächtnis ergriffen; für entlegenere Zeiten erhält sich dasselbe eher noch unversehrt, für die jüngste Vergangenheit ist es indes mehr oder weniger beeinträchtigt. — Auch die Fähigkeit zu/r raschen Kombination dürfte immer etwas geschädigt werden; bei begabten Kranken wird das nicht stets der optimistisch denkenden Umgebung klar, wohl aber dem ruhigen Beobachter, oft genug auch dem Betroffenen selbst. — Ebenso ist die Gemütsstimmung selten die alte geblieben: ein gewisser Grad von Erregbarkeit, sei es nach der Seite der Zornmütigkeit oder nach der der Weichmütigkeit, läßt sich fast regelmäßig bemerken. — In den schwersten Fällen kommt es allmählich zum Schwachsinn oder gar zum Blödsinn. Eine Bestimmung des Sitzes der Blutung dürfte erst dann möglich sein, wenn nicht nur der Insult, sondern auch die von den Veränderungen in der Nachbarschaft abhängigen Störungen vorüber sind — man bezeichnet sechs Wochen als den kürzesten Zeitraum, der hier in Betracht kommt. — Es gelten dabei die für den Nachweis von Herderkrankungen überhaupt aufgestellten Regeln (§ 48). Über den Verlauf ist zu bemerken, daß der Tod im Anfalle selbst unmittelbar durch den Bluterguß, oder später infolge der entzündlichen Veränderungen, welche sich an diesen anreihen, eintreten kann. Auch Lungenerkrankung, am häufigsten eine Mischform von katarrhalischer und hypostatischer Pneumonie, kommt in Betracht. — Übersteht der Kranke den ersten Anfall, dann schwebt er immer noch in Gefahr, einer wiederholten Blutung zu erliegen. Darüber können freilich Jahre hingehen, allein wenn nicht ein anderweitiges Leiden dem Leben ein Ende macht, bleibt eine neue Apoplexie selten aus. — Die Prognose ist stets bedenklich. — Die Diagnose ist auf den ausgesprochenen Insult mit folgender Hemiplegie zu gründen, indes lange nicht immer ohne weiteres möglich. Namentlich die Trennung der Hirnblutung von der Hirnembolie bietet oft nicht zu überwindende Schwierigkeiten. Die Behandlung hätte bei Disponierten zunächst prophylaktisch alles zu verhindern, was die Ernährungsstörung der Gefäßumrxel begünstigt — eine nicht eben häufig lösbare Aufgabe. Eher schon gelingt es, die Gelegenheitsu/rsachen der Blutung minder häufig zu machen und in ihrer Wirkung abzuschwächen — bei Leuten, die einmal einen Anfall überstanden haben, muß das die stete Sorge des behandelnden Arztes sein. Die für solche möglichst eingehend aufzustellenden Lebensregeln haben jähes Ansteigen des Blutdrucks thunlichst zu verhindern. Ist die Blutung eingetreten, dann muß der Kranke ruhig gehalten werden; Versuche, ihn durch Anrufen, oder durch Hautreize zum Bewußtsein zu bringen, sind zu unterlassen. Das Bett ist sorgfaltig herzurichten, jede Faltenbildung des Leintuches zu vermeiden, Verunreinigungen durch Harn oder Kot sind sofort zu beseitigen. Die Bedeckung des Kranken sei leicht, die Temperatur des Zimmers darf nicht zu hoch gehalten werden. Man hat darauf zu sehen, daß alles, was die Atmung beeinträchtigen könnte, fortgelassen wird. Bei gerötetem Gesicht und klopfenden Karotiden lege man einen Eisbeutel auf den Kopf. — Auf die Harnblase ist zu achten, für rechtzeitige Entleerung derselben bei der nicht seltenen Harnverhaltung muß Sorge getragen werden; ebenso ist länger dauernde Kopro-

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

stase durch Klysmata — Rizinusöl, wenn nötig mit Zusatz einiger Tropfen Krotonöl, ist für diese am besten geeignet (R 64) — zu beseitigen. Soll eine Aderlässe gemacht werden? Hier gehen die Ansichten sehr weit auseinander. Einige der erfahrensten Ärzte, selbst solche, die in minder blutscheuer Zeit, als die heutige es ist, lebten, verwerfen die Venäsektion unbedingt. — Von anderen wird dieselbe befürwortet, weil nach ihr in kurzer Zeit Besinnlichkeit wiederkehre. Man stellt jetzt zumeist die Indikation so: Turgescierendes Gesicht, lebhaftes Pulsieren der Karotiden, kräftiger Herzstoß, verlangsamter, jedenfalls nicht beschleunigter Puls, der regelmäßig und von mindestens normaler Spannung ist, ruhige, schnarchende Atmung — wenn das bei einem von Haus aus kräftigem, nicht zu altem Menschen, der vom Schlage getroffen wurde, sich zeigt, dann soll man Blut lassen. — Die Ansicht, daß durch die Venäsektion der Blutdruck für eine irgend in Betracht kommende Zeit erheblicher herabgesetzt, dadurch die Fortdauer der Blutung verhindert, die Bedingungen für die Thrombenbildung in dem zerrissenen Gefäß oder für dessen Verschluß mittels des von außen wirkenden Drucks des ergossenen Blutes günstiger gestaltet werden könnten, entbehrt der Begründung. Denn vor so ausgiebigen Blutentziehungen, wie sie hierzu nötig wären, wird allseitig gewarnt. Es handelt sich daher nur um eine empirische Beurteilung. Zu vergessen ist nicht, daß die Blutentziehung bei Apoplektikern ein zweischneidiges Schwert ist; etwas zu viel kann den größten Schaden stiften, da möglicherweise die zum Leben notwendige Blutmenge nicht mehr zu den Centren gelangt. Will man nicht, was wohl das sicherste ist, den Eingriff überhaupt unterlassen, dann gehe man jedenfalls nicht über die Grenzen der oben angeführten Indikation hinaus.

Örtliche Blutentziehung am Kopfe wird jetzt allgemein verworfen. — Sogenannte „Ableitungen" auf den Darm durch Abführmittel, auf die Haut durch Epispastica sind mindestens nutzlos. Nicht selten tritt eine ganz andere Aufgabe an den Arzt heran: Wenn die das Hirn durchströmende Blutmenge z/u gering wird, sinkt die Erregbarkeit der Medulla oblongata, damit lassen Herzarbeit und Atmung nach; die Folge ist, daß mit dem Abfallen des arteriellen Drucks wiederum der Kreislauf im Gehirn erschwert wird, und diese rasch sich vollziehende Wechselwirkung führt zum baldigen tödlichen Ausgang. Blaßwerden des Gesichts, Meiner häufiger Puls, Aussetzen der Atmimg, Kühlwerden der Körperoberflänhe verrät, daß dieser sehr bedrohliche Zustand sich ausbildet. Nun sind Beizmittel am Platz, welche, die Herzthätigkeit steigernd, der Erlahmung der Centren entgegenwirken. Hat man rechtzeitig die Anfänge beobachten können, dann ist das geeignetste Mittel der Kampher (Oleum camphoratum 5 g subkutan, höchstens zweimal den Tag); muß man mit Minuten rechnen, dann ist Äther (1 bis 2 g) subkutan einzuverleiben. Übrigens finden alle Beizmittel vom Moschus, der gerade hier günstig zu wirken scheint, bis zu den verschiedenen Weinsorten ihre Verwertung. Von einigen wird nach der Venäsektion der Gebrauch von Beizmitteln empfohlen. Sobald bei nachlassender Herz- und Lungenthätigkeit der venöse Kreislauf von stärker kohlensäurehaltigem Blute gefüllt und das rechte Herz dadurch gelähmt wird, könnte dies kombinierte Verfahren am Platze sein. Aber nur wenn die Zeit drängt und zum Abwarten der Wirkung der reizenden Methode allein nicht hinreicht, ist ein solches Vorgehen geboten.

Man muß stets im Auge behalten, daß ausreichende Versorgung des Hirns mit arteriellem- Blute die Hauptaufgabe der Behandlung büdet. — So sehr auch der

Gehirnerweichung durch Thrombose und Embolie.

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Zustand des Apoplektischen zum Eingreifen aufzufordern scheint, so viel dessen Umgebung danach verlangt, ruhiges Abwarten hat sich besser bewährt, als rastlose Vielgeschäftigkeit. Hecht sorgfältige Krankenpflege ist, wenn das Schlimmste vorüber, für die nächste Woche die Hauptsache. — Gegen die zurückbleibenden Lähmungen ist die Anwendung der Elektrizität das beste Mittel. Man bedient sich zur direkten Behandlung des galvanischem Stromes — Leitung quer durch den Schädel, Ansatz der grossen Elektroden an die hintere Schläfengegend, schwächere Ströme, kürzere Sitzungen, vorsichtiges Ein- und Ausschleichen, Beginn etwa drei bis vier Wochen nach dem Anfall. Außer diesem die katalytischen Wirkungen des Stromes benutzenden Verfahren kommt auch Galvanisation des Sympathikus in Betracht. Die gelähmten Muskeln werden, um ihre Atrophie wegen Nichtgebrauchs zu verhüten, mittels des faradischen Stromes zur Zusammenziehung gebracht. Diese Methode scheint bisweilen von erheblichem Nutzen zu sein — leider nicht immer. — Haben indifferente Thermen — die Bäder dürfen nicht zu hoch temperiert werden — überhaupt Erfolge?

§ 58.

Gehirnerweichung durch Thrombose und Embolie.

Etwas länger anhaltende Unterbrechung der Zufuhr arteriellen Blutes bewirkt den geweblichen Zerfall des davon betroffenen Hirnteils. Embolie und Thrombose geben zum Verschluß der Arterien die meiste Veranlassung, dann oblitterierende Arteriitis, wie sie am häufigsten infolge von Syphilis, aber auch bei jeder chronisch verlaufenden Entzündung vorkommen kann. Es ist das Atherom der Arterien die Hauptqtielle der Encephalomalacie, diese also bei allen jenen Zuständen, welche Atherombildung begünstigen, öfter anzutreffen; hierher gehören: höheres Lebensalter, alles was frühzeitige. Abnutzung der Arterien bedingt, in erster Linie der Alkoholismus (s. auch § 150). Damit Gerinnung des Blutes innerhalb der Gefäße eintrete, muß die innere Gefäßhaut ihre Lebenseigenschaften ganz oder wenigstens teilweise eingebüßt haben. Das Atherom und die oblitterierende Arteriitis gehen mit Erhöhung der Widerstände für das die Gefäße durchströmende Blut einher; je enger das ursprüngliche Lumen des ergriffenen Gefäßes war, desto mehr nehmen nach dessen Erkrankung die Widerstände zu. Das innerhalb solcher verengten Arterien fließende Blut, dessen Geschwindigkeit abgenommen hat, findet daher Gelegenheit zum Gerinnen; ebenso tritt die Gerinnung an den Ausbuchtungen erweiterter Abschnitte ein, oder da, wo diese in kurzen Zwischenräumen mit verengten wechseln. Das Endothel der erkrankten Gefäße ist nun wohl niemals ganz unversehrt; dasselbe vermag daher freilich noch die Gerinnung in dem rasch strömenden, nicht aber in dem langsamer bewegten oder nahezu stagnierenden Blute zu hindern. Es ist nicht zu vergessen, daß in den der Vasa vasorum entbehrenden Gefäßen die Ernährung des Endothels von dem sie durchsetzendem Blute unmittelbar besorgt wird — wird daher dieses Blut ungenügend erneut, dann vermindert sich auch die Lebensenergie der Intima und damit zugleich ihre Fähigkeit, das Blut flüssig zu erhalten. — Durch verschiedene Ursachen kann das Blut selbst leichter gerinnbar werden, und manchmal kommt denn auch dieser Umstand für die Entstehung von Thrombosen mit in Rechnung.

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Krankheiten des Gehirns und seiner Häute.

Ausgangspunkte für Gehirnembolien finden sich im linken Herzen, im Gebiete der Arterien des großen Kreislaufes, endlich in den Lungenvenen. Es liefern das Material für die Hirnembolie in den dem Kreislaufe angehörenden Teilen: Endokarditis an den Mitralklappen wie an denen der Aorta, seltener solche der Herzwandung, ferner Atherom, namentlich das mit Bildung von Aneurysmen einhergehende, in der Aorta, der Karotis, der Basilaris, falls in diesen vorher Thromben sich ablagerten. — In der Lunge sind es Pneumonien der verschiedenen Formen, Gangrän, putride Bronchitis, sobald dieselben Gerinnung in den Lungenvenen hervorriefen. In manchen Fällen läßt sich ein Verschluß der zuführenden Arterien anatomisch nicht nachweisen; es handelt sich dann meist um oblitterierende Arteriitis. Man nimmt hier an, daß die Kapillaren allmählich ungenügende Blutmengen empfangen, und daß so die Erweichung der von ihnen versorgten Hirnteile auch ohne Thrombose unmittelbar eintreten könne, oder aber, daß in den Kapillaren Thrombose vorherging, weil die Wandungen derselben die Gerinnung des Blutes nicht zu hindern vermocht hätten. Die Arterien der Großhirnganglien haben jenseits des Circulus Willisii keine Anastomosen mehr, sie sind Endarterien — eine Verlegung der Strombahn in ihnen führt daher imbedingt zum Untergang des von der Blutversorgung abgeschnittenen Hirnteiles. — Die Arterien der Hirnrinde sind zwar keine Endarterien, allein auch ihre Verbindungen sind keine sehr ausgiebigen, sie genügen lange nicht immer zur Herstellung eines Kollateralkreislaufs. — Die linke Karotis wird öfter zum Sitz der Embolie als die rechte ( 5 : 4 ) ; unter den Verzweigungen der Karotis ist die Arteria fossae Sylvii am häufigsten ergriffen. Sehr selten ist das Gebiet der Vertebralis beteiligt. Die Entwicklung des Erweichungsherdes scheint sich ziemlich schnell zu vollziehen, in ihren Anfängen ist sie etwa 36 — 48 Stunden nach dem Verschluß des betroffenen Artevienzweiges nachweisbar. J e nachdem diapedetische Blutung eingetreten war oder nicht, findet man den nekrotischen Abschnitt einfach weiß, gelblich oder rot gefärbt, seine Konsistenz ist vermindert, er enthält zerfallene und entartete Ganglienzellen und Nervenfasern, bald auch verändertes Gliagewebe. Nach Ablauf einiger Zeit zeigt sich Fett in größeren und kleineren Kügelchen, frei und in Körnchenzellen eingeschlossen, noch etwas später ist eine milchig trübe Flüssigkeit vorhanden, die dann nach Resorption der Zerfallsprodukte wieder klarer wird. Eine mit ihr gefüllte Cyste bleibt fast immer zurück, die bei kleineren Herden von einer gewucherten und verdichteten Schicht des Gliagewebes umgeben sein kann. Nicht so bei größeren Erweichungsherdm; diese werden in der Regel von einem Ring krankhaft veränderten Gewebes umschlossen, welcher jahrelang fortschreitenden Zerfall zeigt und dadurch sich weiter auszudehnen vermag. Vorboten kommen der Gefäßverschließung als solcher nicht zu. Wohl aber giebt der Zustand, welcher derselben meistens vorhergeht, Gelegenheit zum Auftreten von leichteren Hirnstörungen, die als Wamungszeichen eine gewisse Bedeutung haben: sie weisen auf ungenügenden Kreislauf im Gehirn, vielleicht auf geringfügige, im übrigen symptomlos bleibende Gefäß Verlegungen hin. Hierher gehören Kopfweh, Schwindelempfindungen, Verminderung der geistigen Leistungsfähigkeit, Erscheinungen, über die manchmal lange vor der Katastrophe geklagt wird. — Die Einschwemmung eines Embolus oder die vollkommene Verschließwng

Sinusthrom bose.

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einer Arterie durch den Thrombus ist in der großen Mehrzahl der Fälle von einem Insult begleitet und macht die gleichen Erscheinungen, wie sie bei der Hirnhämorrhagie auftreten: Hemiplegie mit allen Eigentümlichkeiten der cerebralen findet sich hier wie dort. — Ein Krampfanfall, der einem echt epileptischen vollkommen gleicht, kann mit der Bewußtlosigkeit zusammen auftreten, andere Male gehen ihr nur Zuckungen in einem der später gelähmten Glieder oder in der ganzen Körperhälfte voraus. Wie hier der Insult zustande kommt, ist unklar; man muß sich mit der allgemeinen Annahme begnügen, daß es sich um molekulare Änderungen im Gehirn handele. Meist ist der Insult nicht so heftig, das Koma nicht so tief und von etwas geringer Dauer wie bei der Blutung. — Die Entstehung der Krämpfe wird auf Anämie zurückgeführt, man ist geneigt, eine solche vorzugsweise in der Hirnrinde anzunehmen.

Die Lähmung verhält sich genau so wie die nach Hämorrhagien. Verhältnismäßig oft sieht man Aphasie, was auf die relative Bevorzugung der linken Arteria fossae Sylvii bezogen wird. •— Temperatursteigerungen in den ersten Tagen kommen vor, es soll dagegen die anfangliche Senkung der Körperwärme fehlen. — Der Verlauf unterscheidet sich nach keiner Seite wesentlich von dem nach Apoplexie. Der vernichtete Teil wird zum Ausfallsherd mit allen Erscheinungen eines solchen. Vielleicht vorhandene quantitative Abweichungen in dem Krankheitsbilde genügen zur Stellung einer Dijferentialdiagnose nicht; diese ist denn auch meist nicht sicher zu begründen. Mit Recht wird namentlich darauf hingewiesen, daß allgemeines Atherom keinen Anhaltspunkt bietet; ebenso gut können sich dabei Thromben irgendwo bilden, welche die Quellen von Embolien abgeben, als auch Arterien im Gehirn durch dasselbe brüchig werden können. Ist bei jugendlichen Kranken ein Fehler an den Klappen des linken Herzabschnittes oder eine frische Endokarditis vorhanden, oder stellt sich eine halbseitige Lähmnng nach einer der oben genannten Lungenerkrankungen ein, dann wird man mit größerer Wahrscheinlichkeit an Embolie denken können. — Die Prognose quo ad vitam ist wohl etwas günstiger als bei Hämorrhagie — aber die Möglichkeit einer Wiederholung liegt bei der Embolie noch nahe/r, so daß das Endergebnis ungefähr auf das gleiche herauskommt. Eine Ausnahme nach dieser Seite machen nur die Embolien nach mehr akut verlaufenden Lungenerkrankungen, mit deren Beendigung die Gefahr einer Hirnembolie gleichfalls zu Ende ist. Hirnerweichtmg im höheren Lebensalter nimmt sehr oft den Ausgang in Blödsinn, giebt also auch nach dieser Seite eine sehr schlechte Prognose. Die Therapie hat im ganzen nach den für die Hirnhämorrhagie entwickelten Grundsätzen zu verfahren; die Herstellung einer ausreichenden Blutversorgung des Gehirns ist die Hauptaufgabe.

§ 59.

Sinusthrombose.

Thrombose der venösen Sinns des Gehirns tritt als marantische oder als entzündliche auf. Die erstere findet sich am häufigsten bei kachektischen, durch heftige und anhaltende Durchfalle geschwächten Kindern und hat ihren Sitz meist im Sinus longitudinalis superior. — Durch Übergreifen entzündlicher Vorgänge aus der Nachbarschaft (eiterige Zerstörungen des Felsenbeines, schwere Furunkel im Gesicht, Erysipelas am Kopfe) entsteht die zweite Form. — Ganz ausnahmsweise vermag eine Thrombose von der Cava superior aus sich in die Sinus

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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.

fortzupflanzen. — Ist der Thrombus infixiert, dann kommt es zur Eiterung in seiner Umgebung, es entsteht septische Encephalorneningitis neben der durch den Venenverschluß herbeigeführten Störung des Blutlaufes. Thrombosen verraten sich durch die B e h i n d e r u n g des venösen Abflusses. — So findet man bei der Verlegung des Sinus longitudinalis superior, welcher mit der Nasenhöhle und den oberen Scheitelvenen in Verbindung steht, Nasenbluten, umschriebene Gyanose im Gesicht, stärkere Füllung der vom Scheitel nach, abwärts zu den Ohren und der Schläfe verlaufenden Venen. Bei Verschluß des Sinns transversus tritt umschriebenes Ödem hinter dem Ohre auf (Kommunikation mit einer Vene des Processus mastoideus), bei dem des Sinns cavernosus sind Augenlider und Konjunktiva ödematös, der Bulbus ist vorgetrieben, der Augenhintergrund zeigt venöse Stase (Verbindungen mit der Vena centralis retinae und Vena ophthalmica); außerdem sind Erscheinungen von den benachbarten Nerven: Oculomotorius, Trochlearis, Abducens und dem ersten Ast des Quintus vorhanden. Ist die Jugularis interna oberhalb der Einmündung der externa verschlossen, dann strömt aus dieser das Blut in den nun nur von ihr allein gespeisten gemeinschaftlichen Stamm leichter ab — sie erscheint deshalb der externa der gesunden Seite gegenüber kollabiert. — Alle hier auftretenden Erscheinungen gestörten Hirnlebens — es kann sich nur um Zeichen unbestimmter Allgemeinerkrankung handeln — sind durch das Orundleiden stets so verdeckt, daß sie für die Diagnose nicht verwendbar werden. Die Prognose ist ebenso schlecht, wie die Therapie machtlos.

Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage. § 60.

Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage. Allgemeines; Neurasthenie.

Eine Anzahl von Erkrankungen des Nervensystems, für welche anatomische Grundlagen bisher nicht gefunden sind, wird passend zu einer Gruppe vereinigt. Ätiologisch ist ein nahezu allen Gemeinsames vorhanden: die Erblichkeit. Man muß annehmen, daß besondere Eigentümlichkeiten, welche auf feiner Änderung im Bau der Nervenelemente beruhen, sich aber nur als Abweichung der Funktion kundgeben, durch Zeugung übertragen werden. — Die Vererbung zeigt sich in mannigfaltiger Weise. Hervorzuheben ist, daß, ebenso wie den Eltern selbst anhaftende, auch Eigenschaften früherer Generationen mitgeteilt werden können, welche bei den Eltern nicht erkennbar vorhanden zu sein brauchen. Weiter ist darauf hinzuweisen, daß die hereditär erworbene „neuropathische Eonstitntion" in wechselnder Form unter den Gliedern einer Familie auftritt. Von leichtesten Abweichungen auf körperlichem oder geistigem Gebiete dehnt sich das unheilvolle Vermächtnis bis zu den schwersten Nervenleiden und Psychosen hin. — Die neuropathische Konstitution bedarf einer etwas allgemeineren Erwähnung, namentlich auch deshalb, weil sie in gewissem Sinne ein selbständiges Übel darstellt. Große Empfänglichkeit des Nervensystems für äußere Beize findet man bei

Allgemeines.

Neurasthenie.

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derselben häufig. Sinneseindrücke, Gefühle, die an den meisten Menschen spurlos vorübergehen, machen Auslösungen, welche in keinem angemessenen Verhältnis zu der Stärke des Erregers stehen. Am grellsten tritt das bei den sogenannten Idiosynkrasien hervor. Hier kann ein höchst unbedeutender Reiz länger dauernde, über das Gebiet einfach funktioneller Störung hinausreichende Ernährungsänderungen, sogar echte Entzündung bewirken. Es giebt Menschen, denen z. B. in kleinster Menge genossene Zwiebeln Magendarmkatarrh verursachen, andere, welchen der Duft des Flieders mit Fieber verbundene Hautentzündung bringt. Diese Beispiele lassen sich häufen. Was so grobsinnlicher Wahrnehmung sich aufdrängt, spielt sich, nur häufig schwerer erkennbar, gleichfalls auf dem Gebiete des Nervenlebens im Hirn- und Rückenmark ab. — Als Mittelpunkt, den sensible Beize jeder Art passieren, u/m Funktions- oder Ernährungsstörungen auszulösen, kann man in der Mehrzahl die vasomotorischen Centren ansehen, von denen aus die örtliche Blutverteilung geregelt wird. So sind ungezwungen eine Keihe von Erscheinungen zu deuten, welche bei Neuropathischen häufig auftreten; der jähe Farbenwechsel, die Neigimg zu Ohnmächten, die plötzliehe Steigerimg der Absonderung von Schweiß und Harn, letztere unter Umständen mit Inkontinenz verbunden, das blitzschnell wachsende Atmimgsbedürfnis mit Erhöhung der Pulsfrequenz, auch wohl mit Unregelmäßigkeit im Herzschlag. Von schwereren Zufällen die visceralen Neuralgien, unter welchen Magen- und Darmkrampf die häufigsten sind. — Bemerkenswert ist das eigenartige Verhalten der Körperwärme bei höheren Graden des Leidens. Dieselbe schwankt innerhalb weiterer Grenzen als in der Norm — in kurzer Zeit können Erhebungen auf 39°, Senkungen bis 36° einander folgen, gleichzeitig Fluxionen zum Hirn und zur Haut subjektiv Fieber vortäuschen. Solches darf indes nur dann angenommen werden, wenn wirklich das Tagesmittel von 37,2 in recto fiberschritten ist; mitunter sind daher öftere 2stündige Messungen nötig.

Es kann nicht befremden, daß bei längerer Dauer solcher abnormer Blutverteilung eine Störung der Ernährung sich anreiht, welche besonders durch Einwirkung anderweitiger, an sich vielleicht wiederum geringfügiger Schädlichkeiten bis zu anatomisch nachweisbarer Gewebsstörung gedeihen kann. Die bleibenden Folgen dieser "Veranlagung des Nervensystems für geistiges und körperliches Leistungsvermögen sind im wesentlichen von den Einflüssen bedingt, welche durch Übung errungene Gewöhnung hat. Bis zu einem gewissen Grade ist davon auch die Auslösungsstärke der Reize abhängig. Wer dauernd seine Aufmerksamkeit auf die von diesem oder jenem Nervengebiet ausgehende Erregung lenkt, kommt hier bald zu einer fast unbegreiflich scheinenden Feinfühligkeit: die Übung hat die Leitungswiderstände der Nervenbahnen zu sehr geringen Werten herabgedröckt. Wer hingegen darauf aus war, Willenshemmungen einzuschieben, kann sich unangenehmen Empfindungen zum großen Teil entziehen. Als ein normaler Sphäre entnommenes Beispiel diene der Musiker, dessen Ohr durch leiseste Dissonanz so verletzt wird, daß er „unwillkürlich" dem Sünder mit Hand und Fuß Einhalt gebietet, und andererseits der Gelehrte, welcher trotz Großstadtlärm und Kindergeschrei seine Gedanken weiterspinnt, —

TJbung, wie sie durch fremde oder eigene Erziehung erworben wird, kann den reizbarsten Menschen zur vollen Leistungsfähigkeit führen. Es ist sicher nicht richtig, wenn man, wie das öfter geschah, mit dem Begriff der gesteigerten Reizbarkeit den der Schwäche, als etwas unumgänglich Notwendiges verbindend, geradezu von „reizbarer Schwäche" sprach und als deren Eigentümlichkeit Unstätheit und Zerfahrenheit nannte. Gewiß ist bei den Nervösen auch hierfür eine gewisse Neigung vorhanden, das aber ist alles. Im Gegensatz zu der genannten Auf-

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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.

fassung: Die sich beherrschenden willensstarken Nervösen leisten auf den mannigfaltigsten Gebieten das Höchste, was Menschen gewährt ist. — Eine Gefahr droht freilich: Leichter als bei dem von Haus aus weniger Erregbaren tritt Erschöpfung ein. Denn hier wie überall macht sich ein Rückgang in der Ernährung des Gesamtkörpers am frühesten oder am stärksten dort geltend, wo er seinen locus minoris resistentiae hat. — Wenn aber allgemeine Ernährungsstörung einen bestimmten Höhepunkt erreicht, wenn dabei das Nervensystem, derart in Anspruch genommen wird, daß seinem Verbrauch ungenügender Ersatz gegenüber steht, dann entwickelt sich ein Zustand, den wir mit Recht als „Erworbene Nervosität" bezeichnen. Diese unterscheidet sich in ihrer Erscheinungsform nicht von der angeborenen. Handelt es sich doch nur um eine durch die ursprüngliche Anlage bedingte größere oder geringere Widerstandsfähigkeit des Nervensystems. — Es ist üblich geworden, alle hierher gehörenden Zustände, einerlei ob sie bei angeborener oder bei erworbener Nervenschwäche zur Entwicklung kommen, unter dem Namen Neurasthenie zusammenzufassen. — Bei der Entwicklung der Neurasthenie ist also immer auseinander zu halten: 1. Was die Ernährung des Körpers überhaupt beeinträchtigt. Unter den Infektionen sind Influenza und danach Syphilis besonders hervorzuheben; bei der erstgenannten kann möglicherweise eine das Nervensystem besonders ergreifende Toxin Wirkung in Betracht kommen. — Von langsamer verlaufenden Ernährungsstörungen: Stoffwechselkrankheiten (Diabetes mellitus, Gicht). Intoxikationen — vor allem Alkoholismus. Magen-Darmleiden unter den Organerkrankungen. 2. Überanstrengungung des Nervensystems im weiten Sinne. In erster Linie steht hier das Gehirn. Zu starke und anhaltende Kopfarbeit, namentlich wenn sie einseitig, wenig wechselnd ist. Daneben Gemütsbewegungen, einmalige heftige, oder geringere, aber länger sich wiederholende. — Auf sie ist das, was nach Unfällen und nach sexuellen Ausschweifungen bei Männern sich zeigt, oft zu beziehen. Bei beiden ist die Furcht vor dem, was noch kommen könnte, von größerem Einfluß als das, was wirklich gekommen ist. — Daß Erschöpfung des Rückenmarks und der Nerven Veranlassung zur Entstehung neurasthenischer Zustände geben kann, soll nicht geleugnet werden, dabei spielt aber doch wohl stets das Gehirn mit. — Das Nervensystem eines Neurasthenischen ist im labilem Gleichgewicht: Es reichen schon geringfügige Reize aus, um starke Erregung hervorzurufen. Dieser folgt Ermüdung, welche keinenfalls in richtigem Verhältnis zu dem ursprünglichem Reiz steht. Ob sie auch der thatsächlich ausgelösten Erregung entspricht, ist eine andere Frage. Die Ermüdung tritt jedenfalls leichter ein und hält länger an. Es gehört mehr Ruhe und bessere Ernährung her, um ein schwaches Organ, wenn es thätig sein mußte, wieder so leistungsfähig zu machen, wie es bei dem Beginn seiner Arbeit war. — Man mag hier von „Reizbarer Schwäche" reden. —

Neurasthenie.

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Auf dieser Grundlage ruhen nun die äußerst mannigfaltigen und wechselvollen Einzelerscheinungen. Freilich ist das ganze Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen, aber immerhin macht sich das Leiden vorwiegend an einem bestimmten Teil geltend. Danach kann man eine Übersicht geben. Cerebrale Neurasthenie. Als Einleitung macht sich „Kopfdruck" geltend: Trotz langen Schlafens ist dennoch am Morgen das Gefühl da, man habe nicht genügend geruht. Die Empfindung einer Spannung im Kopf, oder eines tief in seinem Innern gelegenen Drucks, bei anderen die von Leersein, vielleicht auch, daß ein stark pressender Reif den Schädel umspanne. — Die Augen erscheinen kleiner, leicht gerötet, die Züge des meist blassen Gesichts sind etwas schlaffer. — Es kommt manchmal trotz leeren Magens zum Würgen, sogar zum Erbrechen. — Geistige Thätigkeit ist erschwert, die „Laune" verdorben. Kann der Kranke mittags essen und nachher etwas schlafen, dann ist der Rest des Tages erträglich, gegen Abend vielleicht ohne Störung. — Oft genug bleibt es bei diesen Erscheinungen, sie verlieren sich nach und nach, alles scheint wieder in Ordnung. — Oder aber die Verschlimmerung folgt: Die körperlichen Mißempfindungen werden stärker, allein mehr noch als sie merkt der Kranke, daß ihm sein Wollen und sein Können schwächer wird, daß er „seinen Geist mangelhaft beherrsche". Das ist ein richtiger Ausdruck für die wachsende Ermüdung des Gehirns, welche sich allseitig verrät. Die Oedanken schweifen ab. Was sonst spielend bewältigt wurde, das Schreiben eines Briefes, eine einfache Rechnung, gelingt nicht mehr. Auch wenn alles in Ordnung, kommt der Zweifel, ob es denn wirklich richtig? Die vollendete Arbeit wird wieder und wieder geprüft, der Kranke bleibt unsicher, denn er sagt sich, er sei ja doch nicht mit ganzer Seele dabei gewesen. So verlängert sich die Arbeitszeit, das bringt stärkere Anspannung mit der ihr folgenden größeren Ermüdung. — Nun kann es geschehen, daß der Kranke wiederholt einige einfache Sätze lesen muß, um deren Inhalt zu verstehen, daß er ein gebräuchliches Wort seiner Muttersprache länger suchen muß, daß er sich bei alltäglichen Redewendungen verwickelt. — Ebenso mit der Willensthätigkeit. Der Neurastheniker gelangt zu keinem Entschluß, weil ein Beweggrund nach dem andern vor seinem geistigen Auge auftaucht, keiner aber so lange festgehalten wird, wie dessen Würdigung es verlangt. — Die Gefühle der Mißstimmung, der Unlust werden durch solche Erscheinungen immer mehr gesteigert. Das Gemütsleben wird noch stärker verdüstert, hochgradigste Reizbarkeit, die sich wohl in Zornausbrüchen Luft macht, und dumpfes Hinbrüten. Es kommen die „schwarzen Gedanken": mit dem Leben sei es doch nichts mehr, er könne seinen Geschäften nie mehr genügen, was von Elend ihm und der Familie noch bevorstehe, das sagt sich der Kranke. — Sein Schlaf war ihm schon länger verkürzt, jetzt wird er es noch mehr. Der gleiche qualvolle Gedankenkreis läßt ihn nicht zur wirklichen, traumlosen t. J ü r g e n s e D , Spez. Patü. u. Ther. IV. Aufl.

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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.

Ruhe kommen. Ob tiefste Ermattung einige Stunden bleiernen Schlafs gleich bei dem Hinlegen, oder erst bei Morgengrauen erzwingt — so oder so, das Gehirn des Neurasthenikers arbeitet selbst dann ständig weiter, seine Erschöpfung wächst. — Leicht begreiflich, daß auf diesem Boden schwere Psychosen zur Entwicklung gelangen, daß es nicht nur bei Hysterie und Hypochondrie bleibt. Namentlich geschieht das, wenn von Haus aus eine neuropathische Konstitution vorlag. — Von den Nervenärzten werden eine Menge von eigenartigen Empfindungen, welche sich häufiger bei Neurasthenikern finden, zusammengestellt; man mag sie immerhin mit dem gemeinschaftlichem Namen Angstnenrosen nennen. — Bei ihrer Entstehung handelt es sich um die gesteigerte Erregbarheit des Oesamtnervensystems, ebenso aber auch um die besondere der Vasomotoren. Gerade die mit Wallungen zu diesem oder jenem Gefäßgebiet so häufig einhergehenden Störungen der Herzbewegung in allen ihren Formen sind durch ihr plötzliches, unerwartetes Auftreten sehr geeignet, das körperliche Gefühl von Angst zu vermitteln. — Ist dieses einmal unter bestimmten äußeren Verhältnissen hochgradig geworden, dann hat sich eine Vorstellung gebildet, welche nun von sich aus im stände ist, die Angstempfindung mit den sie auslösenden körperlichen Störungen wach zu rufen. Diese Vorstellung — ein Erinnerungsbild — taucht dann auf, wenn die Außenbedingungen, welche bei dem ersten Anfall vorhanden waren, sich wiederholen. — Recht oft hat die Vorstellung des Neurasthenikers den Inhalt, daß er körperlich oder geistig seine Unfähigkeit für ganz gewöhnliche Dinge an den Tag legen müsse. — Bekannt sind: Platzangst — Agoraphobie —, Furcht, allein einen größeren freien Baum zu überschreiten; diese kommt nicht zu stände, wenn der Betreffende ein Kind an der Hand hält. Schwindelfwrcht — Dinophobie —. Ein Geistlicher kann z. B. nicht von der Kanzel reden, wohl aber, wenn er vor dem Altare steht. — Es gehören weiter hierher alle Lebenslagen, die den Kranken verlegen machen, einerlei, ob dafür ein Grund vorhanden. So Männer, wenn sie Frauen sehen und anreden müssen, oder umgekehrt. Man nennt das Situationsangst — Kairophobie. — JOLLT, dessen Anschauung ich eben wiedergab, trennt von diesen „Phobien" die Zwangsvorstellungen im engeren Sinne. Bei ihnen mischt sich ein gewisser Denkzwang als selbständige Erscheinung in den normalen Ablauf der Associationen und stört diesen in peinlicher Weise. Auch hier finden sich wechselnde Erscheinungsformen: Folie du doute. Ist eine eben ausgeführte Handlung richtig vorgenommen: der Brief geschlossen, die Thüre zugemacht u. s. w.? Davon muß sich der Kranke überzeugen. Zwangsvorstellung in Frageform — Grübelsucht: Wie viel Fenster hat das Haus, an dem er vorübergeht, wie viel Knöpfe der Rock des Nebensitzendeu u. s. w. Auch das muß festgestellt werden. — Diese „Realisten" werfen doch noch harmlose Fragen auf, anders die „Metaphysiker": Warum giebt es nur eine Sonne? Woher stammt Gott? Solche „Schöpfungsfragen" können freilich schwerer beantwortet werden. Bei dem gleichen Kranken tauchen wechselnd die verschiedenen Formen auf — derselbe Mensch leidet an Folie du doute und an Grübelsucht. Eine noch andere Art der Zwangsvorstellungen ist die des Kontrastes: die Nötigung, das Gegenteil von dem zu thun, was durch die gegebene Lage geboten ist — Fluchen in der Kirche und Ahnliches. Dies kann mit dem Zweifel daran verbunden sein, ob eine solche Handlung nicht wirklich ausgeführt ist. —

Neurasthenie.

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Zu erwähnen sind noch die Störungen in den Sinnesorganen. Subjektive: Große Erregbarkeit und rasche Ermüdung des Auges und des Ohrs, Licht- und Farbenerscheinungen, seltener Geruchs- und Geschmackserscheinungen. — Objektive : Besonders an den Augen auftretend. — Konzentrische Einengung des Gesichtsfelds, starker Wechsel in der Weite der Pupillen an verschiedenen Tagen, eine kann selbst für etwas längere Zeit weiter sein als die andere. — Spinale Neurasthenie. Darüber ist bereits geredet {§ 28). Viscerale Neurasthenie. Die große Empfindlichkeit des Gefäßnervensystems bei neuropathischer Konstitution ist eingangs dieses Paragraphen besprochen. Sie tritt bei den visceralen Neuralgien der Neurastheniker, einerlei wie die Nervenschwäche entstanden, sehr stark hervor und ist, wie erwähnt, für die Entwicklung der Angstanfälle von größter Bedeutung. — Außer den Herzneurosen (§ 145) sind die in den Verdauungsorganen auftretenden Störungen von weitgehender Bedeutung. Über die „nervöse Dyspepsie?', ihre Erscheinungen und Folgen ist in § 192 eingehend berichtet, über Störungen des Darms unter §§ 200 und 205.

Ihr Einfluß auf die allgemeine Ernährung ist nicht zu unterschätzen, wenn er auch vielfach nicht so ins Gewicht fällt, wie es vermutet werden könnte. Es gesellen sich, wieder mit eigenartiger Rückwirkung auf das Gesamtbild, die Erscheinungen von den Geschlechtsteilen hinzu (§§ 255. 256). Man spricht geradezu von Neurasthenia

sexualis.



Verlauf und Ausgang, ebenso die Prognose bei Neurasthenie gestalten sich bei den so verwickelten, namentlich bei den so sehr von den Lebensverhältnissen des Kranken beherrschten Umständen im Einzelfall derart verschieden, daß es nur möglich ist,

Allgemeinstes

darüber zu sagen.

Gelingt es, hier derartig zu

ändern, daß ausreichende Buhe verschafft werden kann, dann wird nach kürzerer oder längerer Zeit Genesung zu erwarten sein. Je weniger der Neurastheniker von Haus aus zu den Nervösen zählte, um so eher; je mehr er seinen Willen geübt hatte, je fester sein Charakter war, um so besser. — Von diesen beiden Dingen, der ursprünglichen und anerzogenen Widerstandsund Leistungsfähigkeit auf der einen, dem Andrängen der Forderungen des Lebens auf der anderen Seite hängt es auch ab, in welchem Umfang sich die stets vorhandene Neigung zu Rückfällen geltend machen kann. •— Die Diagnose hat stets das Ganze der Krankheitserscheinungen

zu berück-

sichtigen, sie darf nie am Einzelnen kleben. Die genaue Anamnese ist von größter Bedeutung. — Schwieriger noch als die richtige Würdigung der somatischen ist die der psychischen Erkrankung. Die Formen der Neurasthenie, der Hysterie und der Hypochondrie gehen fließend ineinander über (JOLLY), also kann nur für den besonderen Fall ein

Urteil gegeben werden. — Von den Psychiatern werden die Zwangsvorstellungen der Neurastheniker auch in ihren schweren Formen so lange nicht als eigentliche Psychose (Paranoia) einleitend angesehen, wie der Leidende selbst sie als etwas Fremdartiges, der Vernunft Widerstreitendes betrachtet. —

Daß auch für die Behandlung nur allgemeine Gesichtspunkte angegeben 9*

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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.

werden können, liegt klar: Ruhe, Schonung, gute Ernährung; wie das durchzuführen, bestimmen wieder die Verhältnisse im Einzelfall. — Mir ist es als nützlich erschienen, wenn das irgend thunlich, das Organ festzustellen, von welchem her die vasomotorischen Neurosen sich zu äußern pflegen. Man findet hier nicht ganz selten einen Anhaltspunkt für das therapeutische Eingreifen. Besonders sind es die VerdauungsWerkzeuge, welche in Betracht kommen. Ich verweise auf § 192. — Die psychische Behandlung kann kaum je entbehrt werden; auch hier stellt jeder Fall Sonderaufgaben. — § 61.

Migräne und verwandte Formen des Kopfwehs.

Kopfschmerz in eigentümlicher Form ist bei der neuropathischen Disposition häufig. Die Praxis verlangt hier mehr Ausdehnung in die Breite, als sie das herkömmliche Schema, welches zu sehr der „echten Hemikranie" Baum giebt, gewährt. Immerhin kann man das vollentwickelte Leiden voranstellen. — Unter Hemikranie (Migräne) versteht man anfallsweise auftretende, nur eine Kopfhälfte einnehmende, meist durch Erbrechen eingeleitete oder davon begleitete, auf ihrer Höhe mit vollkommener körperlicher und geistiger Leistungsuniahigkeit einhergehende Schmerzanfalle, welche, durch mehr oder minder lange Zwischenräume getrennt, jahrelang sich wiederholen. — Ätiologisch ist bekannt: Das weibliche Geschlecht ist stärker ausgesetzt; das bevorzugte Alter reicht vom Eintritt der Geschlechtsfähigkeit bis zu deren Erlöschen, nur ausnahmsweise zeigt sich das Übel schon im Kindesalter. — Der eigentliche Anfall wird durch sehr verschiedene, für den einzelnen aber ziemlich gleichbleibende Veranlassungen hervorgerufen. So werden Gelegenheitsarsachen: die sich vorbereitende Menstruation, Gemütsaufregung, angestrengtere Arbeit jeder Art, Diätsünden, keineswegs häufig in einem Zuviel bestehend, meist etwas nur individuell nicht Erlaubtes betreffend, die Unmöglichkeit, nach dem Mittagessen eine kurze Buhe zu genießen u. s. w. Auch Idiosynkrasien machen sich öfter geltend. — Der Anfall kann urplötzlich einsetzen — indes ist das nicht die Begel. Häufiger sind Vorboten: allgemeines Unbehagen, Unruhe, Neigung zum Gähnen, Blässe oder eigentümliche, das Gesicht mißfarbig erscheinen lassende Blutverteilung in demselben, Übelkeit, allmählich zu krampfhaftem Erbrechen sich steigernd, oder unverändert bis zum Ende des Anfalls andauernd. Zunächst unbestimmte Empfindungen an der betreffenden Seite des Kopfes, in wechselnder Zeit bis zu heftigem, stechendem, drückendem, jede Willensthätigkeit nahezu vernichtendem Schmerz ansteigend, welcher nur bei unbedingter Ruhe halbwegs erträglich erscheint. Schlaf ist bis zum Erlöschen des Anfalls versagt. In den schweren Fällen ist jeder Sinneseindruck qualvoll, fast alle Sinne sind abnorm erregbar: Gesicht und Gehör mehr noch als Geschmack und Geruch. Wohl als Irradiation zu deutende Erregung sensibler Nerven, Parästhesie und dergleichen ist nicht selten. Es kann zu allgemeinen Krämpfen kommen. — Die Dauer des Anfalls beträgt von einigen Stunden bis zu einem Tage; es können Gruppen von Anfallen auftreten, welche durch nur kurze und unvollkommene Pausen getrennt sind. Außer Erbrechen zeigt manchmal vermehrte Absonderung von Schweiß, Speichel, Harn das Aufhören an. Große Abgeschlagenheit folgt immer. —

Migräne und verwandte Formen des Kopfwehs.

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Man trennt zwei Formen: 1. Halbseitiger tonischer Krampf der Kopfgefäße, erklärlich durch andauernde Erregung der zu ihnen führenden, vom Sympathicus stammenden Nerven — Hemikrania angiospastica. Außere Zeichen dafür sind: Halbseitige Blässe, Eingesunkensein und Kälte des Gesichts mit objektiv um einen halben Grad verminderter Temperatur des äußeren Gehörgangs. Die Temporalarterie dieser Seite hart, die Pupille erweitert, mitunter vermehrte Absonderung eines zähen Speichels. Gegen das Ende tritt Rötung des Gesichts und der Conjunctiva mit vermehrter Thränenabsonderung ein. — 2. Halbseitige Erweiterung der Kopfgefäße, Lähmung der zuführenden Sympathicusäste — Hemikrania angio-paralytica — verrät sich durch halbseitig stärkere Rötung, Schwellung, Hitze, Zunahme der Temperatur des äußeren Gehörgangs, erweiterte Temporalis, verengte Pupille. Bei dem Ende des Anfalls läßt die Hyperämie nach. Wenig konstant ist Pulsbeschleunigung bei der ersten, Pulsverlangsamung bei der zweiten Form. — übrigens ist zu bemerken, daß reine Typen nur ausnahmsweise vorkommen; sogar während eines Anfalls kann diese in jene Form übergehen.

Neben der Hemikranie in ihrer vollen Ausprägung finden sich mehr gleichmäßig verlaufende, nicht in Anfällen auftretende Formen. — Sie verraten ihre Verwandtschaft durch deutliche vasomotorische Erscheinungen, dann dadurch, daß sie mit vereinzelten Anfallen wahrer Migräne abwechseln. Auch hier trifft mau große Vielgestaltigkeit an: Es ist im ganzen das Bild des Kopfdrucks und auch wie bei Neurasthenikern durch Schwäche, Ermüdung des Gehirns herbeigeführt, nur daß diese von kürzerem Bestände ist. — Hierher sind die mit dem Namen Cephalaea adolescentium belegten Zustände zu rechnen: Um die Pubertätszeit einsetzende Schmerzen ganz wie bei dem Kopfdruck der Neurastheniker, mit denen diese Kranken sonst noch vielfache Ähnlichkeit zeigen. Geistige Thätigkeit, die als Anstrengung empfunden wird, bringt Verschlimmerung; sie wird manchmal unmöglich. — Mit der vollendeten Entwicklung kann Genesung erfolgen, es muß das aber nicht sein. — Es scheint sich im wesentlichen darum zu handeln, daß in dem zur Reife gelangenden Körper, welcher ja im ganzen große Anforderungen an die Ernährung stellt, das Gehirn nicht so versorgt werden kann, wie es sein müsste. Handelt es sich doch um die Zeit, welche quantitativ die bedeutendsten Ansprüche an das Hirn macht. — Für alle diese Zustände gilt das über die Prognose bei der Neurasthenie Bemerkte im wesentlichen auch für die Therapie: Beseitigung etwaiger Schädlichkeiten in der Lebensweise ist ihre erste Aufgabe. Man muß, auf jede Kleinigkeit eingehend, ein möglichst vollständiges Bild des alltäglichen Thuns und Treibens seines Kranken zu gewinnen suchen. Danach ist mit besonderer Berücksichtigung der Magen-Darmthätigkeit eine den gegebenen Ernährungsverhältnissen angepaßte Diät, eine Teilung zwischen Ruhe und Arbeit anzuordnen, wobei nicht zu geringes Gewicht auf die pedantische Einhaltung der Zeit zu legen ist. Gleichzeitig vorhandene anderweitige Erkrankung stellt ihre eignen, nicht zu vernachlässigenden Forderungen. — Die Darreichung von Arzneimitteln hat ohne diese Vorbedingungen beschränkten Wert; nur bei echter Migräne ist überhaupt etwas davon zu erwarten. Es handelt sich um ein Doppeltes: 1. die Häufigkeit und Schwere der Anfälle zu mindern, muß zunächst versucht werden. Dazu gehört lang fortgesetzter Gebrauch der betreffenden Medikamente. Abgesehen von dem bei etwa vorhandener Chlorose zu gebendem Eisen kommt eigentlich nur Atropin und Arsen in Betracht. Beide sind empirische Mittel, bestimmte Indikationen kaum aufzustellen.

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Höchstens darf man sagen, daß bei ausgeprägter Anämie der erste Versuch mit Arsen, bei deutlichen vasomotorischen Erscheinungen dagegen mit Atropin zu machen ist. Arsen wird in Tagesmengen von 0,005 g, Atropin in solchen von 0,001 g, mindestens einen Monat gegeben; — tritt Besserung ein, dann ist das betreffende Mittel durch Jahre fort zu gebrauchen. Erhöhung der Grabe ist gewöhnlich ohne großen Nutzen, es kommt mehr auf die Dauer der Einverleibung an.

2. Behandlung des ausgebrochenen Anfalles. Bettruhe und Fernhalten aller Erregungen der Sinne ist hier das Notwendigste; ob Kälte oder Wärme, Drücken, Binden des Kopfes oder vollkommene Entlastung desselben ihnen frommt, haben die Kranken meist rasch selbst herausgefunden. — Ist der Schmerz gar zu arg, dann mag eine Morphiuminjektion von 0,015—0,02 g gemacht werden; übrigens sei man damit bis aufs äußerste zurückhaltend. Manchen nützt Salicylsäure (1—2 g), anderen Coffein (mit 0,1 g anfangen, bis zu 1 g und höher steigen), noch anderen Bromnatrium (erste Gabe 3 g, dann mit Pausen von 1 li Stunden l g , bis höchstens 10g verbraucht sind). Neuerdings wird Antipyrin und Antifebrin ( ' | , - l g ) sehr gelobt. Mehr noch darf man von dem Phenacetin (1—2 g) erwarten. — Alle diese Mittel werden bei den ersten Anzeichen des nahenden Anfalles genommen, keines ist sicher; — Bettruhe bleibt auch bei individuell erprobter Wirksamkeit eines derselben unbedingt erforderlich. — Das die Gefäße erweiternde Amylnitrit wurde bei der Hemikrauia sympatico-tonica zu einigen Tropfen eingeatmet, das sie verengernde Ergotin bei der angioparalytischen Form versucht und selbst außei'halb der Anfälle anhaltend gegeben (0,6—0,9 g täglich in Pillenform). In einer Reihe von Fällen hat die Galvanisation des Halssympathicus entschiedenen Nutzen gebracht.

Die rudimentären Formen sind hin und wieder durch Wasserkuren und elektrische Behandlung zu beseitigen — immer bleibt bei ihnen Regelung der Lebensordnung die Hauptsache. § 62. Hysterie. Bei der Hysterie findet sich abnorme Reaktion des Gesamtnervensystems neben schwachen Willenshemmungen. Das letzte Moment wird noch nach einer Seite hin besonders betont: die Hysterischen sind den Einflüssen der Suggestion in hohem Grade zugänglich, da ihre Phantasie sehr lebhaft, ist auch die Autosuggestion bei ihnen häufig und weittragend. — Daß das weibliche Geschlecht zur Hysterie disponiert, wird auch jetzt noch nicht bestritten. Allein die Schätzungen über das Häufigkeitsverhältnis sind sehr geändert. Man rechnete früher 1 Mann auf 20 Frauen, neuerdings schwanken die Angaben von 1 zu 2 bis höchstens 1 zu 10. — Hier spielen die geänderten ärztlichen Anschauungen stark hinein. Was soll man Neurasthenie, was Hysterie nennen? Es ist nicht zu verkennen, daß unser deutsches Unfdllgesetz mit seinen dem Verletzten gewährten Entschädigungssummen manchen zum Hysteriker macht, der früher niemals so weit gekommen wäre. Wird doch von der großen Mehrzahl der Hysteriker ihr Leiden auf einen Unfall zurückgeführt. —

Gröbere Ergebnisse ätiologischer Untersuchung sind: Am häufigsten entwickelt sich Hysterie vom Beginn der Pubertät bis zum Ende der dreißiger Jahre, das geschieht noch in dem Klimakterium und ausnahmsweise auch schon in den Kinderjahren. Erbliche, Belastung ist deutlich ausgesprochen; da hysterische Mütter meist schlechte Erzieherinnen sind und durch ihr eigenes Verhalten kein gutes Beispiel geben, wird das Urteil darüber, ob nicht nur Nachahmung vorliegt, sehr erschwert. —

Hysterie.

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Mangelhafte Ausbildung des Willens — das Fehlen von Selbstzucht und Selbstbeherrschung — ist mehr als Ermüdung, die den ausgebildeten Willen zeitweilig lähmt, Hauptbedingung für das Entstehen der Hysterie. Gegen sie treten die körperlichen Störungen zurück, ebenso gemütliche Erregungen. Es ist gewiß, daß nach allen den Körper schwächenden Einwirkungen die Hysterie sich zeigen kann — man nennt mit Recht Erkrankung des Blutes in erster Linie: allein ein gut geschulter Wille wird auch damit fertig. Ebenso mit jenen Empfindungen, welche von den nicht ganz gesunden Geschlechtswerkzeugen übermittelt werden. Lageabweichungen des Uterus, Keizung, vielleicht Entzündung der Ovarien ist sehr oft bei Hysterischen, noch öfter aber bei Nichthysterischen anzutreffen. Man ging viel zu weit, wenn man auf die Geschlechtswerkzeuge als eigentliche Ursache zurückwollte. Immerhin sind dieselben von hervorragender Bedeutung. Es bleibt schlimm genug, daß die einfache Meldung: „das Organ ist da", wie sie von vollkommen gesunden Körperteilen niemals übermittelt wird, gerade von hier aus dem Gehirn zugeht — gar leicht reihen sich Vorstellungen an. Bei Unverheirateten wird das durch Erziehung niedergezwungene Bedürfnis wach, vielleicht dessen unnatürliche maßlose Befriedigung herbeigeführt, bei verheirateten Unfruchtbaren kommen Skrupel über verfehlten Ehe- und Lebenszweck. So entstehen mittelbar weitausstrahlende Kreise des Fühlens und Denkens, welche nicht gerade zur Stärkung des Willens beitragen. — Auch unmittelbar kann gleiches geschehen: schlechte, die Phantasie verderbende Lektüre u. s. w. vermag vom Hirn aus geschlechtliche Erregung wachzurufen. Männliche Hysterie in jüngeren Jahren entsteht oft so; auch für die der späteren kommen manchmal sehr versteckte geschlechtliche Abnormitäten wesentlich in Betracht. Die Hauptsache bleibt aber bei älteren Männern eine Verletzung, welche keineswegs immer unmittelbar das Nervensystem zu treffen braucht. —

Anatomische Veränderungen, die der Hysterie eigentümlich wären, kennen wir nicht. Die Entwicklung der Krankheit vollzieht sich stets langsam und allmählich. Plötzliche, durch Einwirkung einer greifbaren Ursache entstandene Ausbrüche erscheinen bei genauer Nachforschung immer als wohl vorbereitet. Ein Krankheitsbild der Hysterie ist kaum zu entwerfen, aber es gelingt, die häufigst beobachteten Einzelerscheinungen gedrängt zusammenzufassen. — Vorauszustellen ist das psychische Verhalten. Großer Wechsel der Stimmungen, erklärlich aus den rasch kommenden und gehenden, nicht nachhaltigen Erregungen und als Launenhaftigkeit sich äußernd, finden sich bei allen Hysterischen. Da viele ihnen Unlustgefühle verursachende Beize von der gesunden Umgebung nicht gespürt, die Empfindungen der Kranken daher nicht als berechtigte anerkannt, jedenfalls unterschätzt werden, bildet sich bald die Neigung, durch verstärkte Reaktion nach außen die Überzeugung von der Schwere der erlittenen Schädigung auch den anderen beizubringen. Es greift hier wohl oft genug die Autosuggestion, daß in der That etwas sehr Ernstes vorliegt, ein. So oder so, die Hysterischen steigern sich und übertreiben; etwas sehr Gewöhnliches wenigstens für einen Teil des Krankheitsverlaufs. Reicht selbst die blühendste Schilderung der erduldeten Leiden nicht mehr aus, dann muß der Augenschein helfen. Oft genügt halb bewußtes, halb unbewußtes Sichgehenlassen, um durch Unterbrechung der Willenshemmung sensible Reizung in motorische zu übertragen, Krämpfe entstehen zu lassen. Später werden diese auch wohl geradezu absichtlich erzeugt. Das Oanxe hat große Ähnlichkeit mit den bei verzogenen Kindern zu machenden Wahrnehmungen. Ist einmal die Schranke durchbrochen, welche bewußtes Handeln von instinktivem trennt» hat die Selbstzucht aufgehört, dann ist meist eine Grenze

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für die Entwicklung in das Maßlose nicht mehr gesteckt. Jetzt werden die raffiniertesten Täuschungen versucht, kein Mittel, auch das ekelhafteste, mit viel Schmerz verbundene, sittlich verwerflichste wird gescheut, wenn es gilt, Aufsehen zu erregen, die vermeintlich gebührende Beachtung zu finden. — Verhängnisvoll kann es werden, wenn Hysterische durch Autosuggestion einen Vorgang, der an sich harmlos war, in eine besondere Beleuchtung bringen; es ist das eine besondere Form des Mißverstehens. So wird aus einer Mücke ein Elephant. Häufigst geschieht das auf sexuellem Gebiet. Eine notwendige gynäkologische Untersuchung erscheint als Notzuchtsversuch, eine Äußerung des Wohlwollens als Liebeserklärung, oder gar als Heiratsantrag. Jeder Arzt, der mit Hysterischen zu thun hat, muß von vornherein darauf bedacht sein, sich gegen derartige Dinge zu schützen. — Die Ausbildung kann aber auch nach anderer Seite hin erfolgen. Ähnlich wie bei Hypnotischen gerät bei Hysterischen durch Ausschaltung gewisser Hirnteile der Körper in einen Zustand, der bei mehr oder minder vollständiger Aufhebung des Bewußtseins ihn zum Automaten macht, ihn zum Spielball äußerer Erregung durch die Sinne, oder innerer von der Psyche ausgehender, aber nicht zur klaren Perception gelangender werden läßt. Bemerkenswert sind die bei derart Kranken auftretenden Schlaf zustände. Sie können in verschiedener Stärke sich zeigen, bis zur tiefen Betäubung, welche Scheintod vorzutäuschen vermag, sich steigern, oder aber, mehr dem natürlichen Schlaf gleichend, lange — man spricht von Monaten — andauern. — Von den Psychiatern werden mancherlei geistige Störungen von längerer oder kürzerer Dauer in nähere Besiehungen zu der Hysterie gebracht, als das früher geschah. So: Verwirrtheit — es werden die Wochentage, die Zahlen in unrichtiger Reihenfolge genannt, Schwarz und Weiß verwechselt, ein Bärtiger für bartlos erklärt, nahe Bekannte als Fremde behandelt. J O L L V warnt davor, die scheinbare Absichtlichkeit bei solchen Kranken für bewußte Täuschung zu halten. — Somnambule Zustände: Vorstellungen, wie sie der Traum bringt, werden als wirkliche Erlebnisse angesehen und demgemäß handelt auch der Kranke. So kommt es zu langdauerndem zwecklosem Herumlaufen, zu verbrecherischer Thätigkeit — Diebstahl, Brandstiftung. — Amnesie wird auch hier beobachtet. — Die Krämpfe Hysterischer treten meist in der Form von Anfällen auf. Gewöhnlich ist das Bewußtsein soweit erhalten, daß mit den einleitenden Erscheinungen: nicht zu unterdrückendem Gähnen, Singultus, Ructus, oder Auragleichenden Erscheinungen — die Notwendigkeit sich aufdrängt, körperliche Schädigung bei ausgebrochenem Anfall zu vermeiden: der Hysterische sucht und findet einen passenden Ort. Im Anfall sieht man tonische und klonische Krämpfe, vielleicht über alle Muskeln verbreitet. Puls und Atmung brauchen nicht beschleunigt zu sein, meist sind sie es; zeitweiliges Aussetzen der Atmung darf nicht erschrecken. — Die Dauer des Einzelanfalls beträgt einige Minuten; von den zu Gruppen vereinigten können Stunden ausgefüllt sein. Kataleplische Zustände beenden den Anfall häufiger, als sie ihn einleiten. Man nimmt an, daß zwischendurch echte epileptische Krämpfe bei Hysterischen auftreten können: Hystero-Epilepsie. — Es soll dabei vorübergehend ein gleicher Zustand des Gehirns, wie er zur Auslösung des epileptischen Anfalls erforderlich, sich ausbilden. Thatsache ist, daß Formunterschiede zwischen epileptischen und hysterischen Krämpfen ausnahmsweise nicht zu finden sind. Die Chorea magna (Germanorum) gehört zur Hysterie. Neben den tollsten Verrenkungen des Körpers findet man bei deren Paroxysmen: Wahrsagen, Reden

Hysterie.

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in fremden Zungen, langdauernde Erstarrung, fast den Anschein des Todes bietend — für den kundigen Arzt ein ebenso dankbares Objekt des auf sicherer Diagnose ruhenden heilenden Eingreifens, wie für den Aberglauben der Masse und für die, welche sich desselben zu bestimmten Zwecken bedienen. — Unter den Krämpfen einzelner Muskelgruppen können die der Glottisschließer (Spasmus glottidis) vielleicht tödlich werden. — Der Globus hysterims: die Empfindung, als ob eine Kugel ab- oder aufsteigend den Schlund durchlaufe — wird, wohl mit Recht, auf langsame Zusammenziehung der Muskeln dieser Teile zurückgeführt. Bei weiterer Ausdehnung — der Uterus scheine sich in den Hals emporzuheben, wird gesagt — mag die glatte Muskelfaser im Unterleib in krampfhafte Kontraktion geraten. Heftigere Visceralneuralgien (§ 7) — Uterin-, Blasen-, Magen-, Darmkrampf u. s. w. — sind keineswegs selten. Das damit einhergehende Erbrechen kann, wenn es längere Zeit sich wiederholt, ernstere Störungen der Ernährung, vielleicht sogar den Tod herbeiführen. Lähmungen glatter und quergestreifter Muskeln finden sich in allen möglichen Formen, von denen einzelner Gruppen bis zur halb- und ganzseitigen; es wäre eine Kombination schwer denkbar, die nicht schon dagewesen. — Hervorzuheben ist: Lähmung der Stimmbänder (Aphonie), der Muskulatur des Rachens und der Speiseröhre (Dysphagie, bis zur Unfähigkeit des Schlingens sich steigernd), der Darmmuskulatur (Meteorismus), der Schließmuskeln der Blase, selten des Mastdarms. — Auftreibung des Unterleibs, die so stark wird, daß die Kranken an Schwangerschaft glauben, entsteht übrigens oft nur durch willkürlich oder unbewußt verschluckte Luft, welche mit ziemlichem Getöse entleert werden kann; ihre Geruchlosigkeit ist für den Ursprung bezeichnend. — Anomalien der Sehretion: Vermehrung der Absonderung von Thränen, Speichel, Harn, Schweiß sind nicht selten; auch das Vaginalsekret und, unabhängig von physiologischer Nötigung, Milch kann länger reichlich ergossen werden. — Das Verhalten der Gefäße ist nacli Aussagen glaubwürdiger Ärzte in seltenen Fällen ein höchst eigentümliches. Blutbeimischung zu den Thränen und zum Schweiß zeigt sich noch am ehesten; es sollen aber auch Ergüsse von Blut unter die Haut, aus dem Magen, dem Darm, den Lungen vorkommen. Hierher würden die Wundmale der besonders Begnadigten gehören, wobei es immerhin fraglich bleibt, ob solche nicht ein wenig Nachhilfe erfordern. — Man nimmt an, daß ein Teil der genannten Blutungen für die ausgebliebenen Menses vikariiere; allgemein wenigstens dürfte diese Meinung kaum zutreffen.

Störungen der Sinnesempfindungen: Vermehrung oder Verminderung ihrer Erregbarkeit fehlen in keinem irgend ausgesprochenem Falle. Alle höheren Sinne sind meist ungewöhnlich erregbar, echte Idiosynkrasien trifft man sehr gewöhnlich. Die peripheren Nerven sind nicht in dem Grade beteiligt; indessen ist bald dieser, bald jener Punkt der Oberfläche dauernder oder nur sehr vorübergehend schmerzhaft, so daß auf geringfügige Veranlassung hin neuralgieartige Anfalle entstehen können. Durch vielseitige Irradiationen haben dieselben etwas Eigenartiges. — Zu bemerken sind noch: Empfindlichkeit der Wirbelsäule gegen Druck, oft mit Irradationen im Gesamtgebiet der Rückenmarksnerven (sogenannte Spinalirritation § 28), ferner die selteneren Neuralgien der Gelenke, welche eine Entzündung derselben vorzutäuschen vermögen (§ 8). — Hochgradigste Anästhesie findet sich zweifellos, am ehesten an den Nerven der Haut und der Schleimhäute, bisweilen am Opticus, nicht eben häufig an den übrigen Sinnesnerven. Man sei mit der

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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.

Annahme dieser Störung zurückhaltender und vergesse nicht, daß Hysterische unter Umständen sehr heftige Schmerzen ohne sich zu verraten ertragen. — An verschiedenen Orten kann gleichzeitig Hyper- und Anästhesie vorhanden sein, am nämlichen eine auf die andere folgen. — Die Erscheinungen des Transferts: Anästhesie an einer Körperhälfte wird durch verschiedenartige Einwirkungen an ihr zum Verschwinden gebracht, auf die symmetrischen Teile der anderen übertragen — sind nur durch Suggestion hervorgerufen. Ein dem von elektrischen Strömen durchkreistem, zum mrksamem Magneten gewordenem Eisenstab ähnlich gemachtes Holzstück wirkt diesem gleich. — Alle tiefsinnigen Betrachtungen Uber geheimnisvolle Einflüsse der verschiedenen Metalle auf das Nervenleben sind durch diese Thatsache in ihrer ganzen Nichtigkeit aufgedeckt. —

Der Verlauf der Krankheit ist immer langwierig und wechselvoll; vollständige Heilung kommt vor, aber nicht häufig. — Meist bedroht die Hysterie nicht geradezu das Leben; allein der Tod kann durch sie herbeigeführt werden: Glottiskrampf, hystero-epileptische Anfalle, Manie, Marasmus sind dessen unmittelbare Veranlassung geworden. — Dauernde Lähmungen, welche jahrzehntelang die Kranken an das Bett fesselten, können allmählich anatomische, bleibende Veränderungen hervorrufen, sei es durch sekundäre Kontrakturen der Muskeln, sei es durch Ernährungsstörungen im Gebiete des Nervensystems, die von der Peripherie zum Centrum aufsteigen. Ebenso findet sich Geistesstörung unter den Ausgängen der Krankheit: Melancholie, mawiakalische Zustände, aber auch Paranoia. — So leicht in vielen Fällen die Diagnose ist, so schwer kann sie bei verwickelten, namentlich bei den das Nervensystem treffenden Störungen werden. Bei der weiten Ausdehnung, die man dem hysterischen Kranksein zumessen will, wird es dem, der nicht Psychiater vom Fach ist, oft kaum gelingen, das Richtige zu treffen. Sogar die Abgrenzung von der Epilepsie wird nicht leicht: soll doch im schweren hysterischen Anfall die gleiche Reaktionslosigkeit der Pupillen sich zeigen, wie im epileptischen. — Diagnostische Schulregeln sind kaum zu geben. Auch der erfahrenste und unterriebtetste Arzt wird wieder und wieder, trotz aller Ermüdung durch das ewige Klagelied, untersuchen müssen, wenn er nicht ein hinzutretendes ernsteres Leiden übersehen will. — Die Behandlung hat zunächst sich mit etwaigen allgemeinen, oder örtlichen, urirklich nachweisbaren Störungen zu beschäftigen. Es muß als Daueraufgabe betrachtet werden, die Ernährung und die Blutmischung so gut zu gestalten, wie es nur immer möglich wird; entsprechend geleitete Diät und Lebensführung muß mit der Sorge für regelmäßige Thätigkeit der Verdauungswerkzeuge Hand in Hand gehen. Es ist eine aus alter Zeit stammende, immerhin zu beherzigende Eegel, daß man die Beschaffenheit der weiblichen Geschlechtswerkzeuge nicht außer Acht lasse. Indes

gerade hier ist darauf zu halten, daß nicht zu viel geschieht. Man sollte sich, wenigstens

bei Unverheirateten, zuerst die Frage vorlegen, ob der ganze Apparat einer Untersuchung von nöten, dann nicht jede kleine Lageveränderung, geringfügige Geschwüre, vielleicht nur einfache Epithelverluste, unbedeutende Leukorrhoe zum Gegenstand spezialistischen Thatendurstes machen. Verständige Frauenärzte warnen mit vollem Recht vor dem in einigen Kreisen herrschendem Brauch, welcher die Revision des Uterus mit Zubehör ungefähr auf die gleiche Stufe mit der der Zähne setzt. Wer auf dem Gebiete der Gynäkologie nicht ganz heimisch, thäte besser, Beurteilung und Behandlung der Genitalanomalien Hysterischer dem vielerfahrenen Fachmanne zu überlassen — es wird sieber mehr

Katalepsie.

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durch Übereifer als durch Unterlassung gesündigt. — Daß mitunter etwas, ausnahmsweise alles durch die Beseitigung eines krankhaften Zustandes der Geschlechtsorgane erreicht werden kann, soll dabei gern zugestanden werden; allein selten führt dieser Weg allein zum Ziel. Die nach den heutigen Methoden ohne zu große Lebensgefahr für die Operierte ausführbaren Laparotomien haben gezeigt, wie verhältnismäßig selten selbst eine vollständige Entfernung der Ovarien die Hysterie zur Heilung bringt. Den Brennpunkt bildet die geistige Einwirkung des Arztes auf die Kranken, oder, um es richtiger zu sagen, die erziehliche Thätigkeit desselben. Hier ist der breiteste Spielraum gewährt: von der Ohrfeige, die einem verzogenen Kinde mit einem Male seine zum hysterischen Anfalle emporgeschwollenen Launen austreibt, bis zu der monate- und jahrelang nicht ermüdenden Sorgfalt, die jede Regung der Leidenden studiert, um, ganz sich in deren Empfindungen versetzend, erst Sandkörner, allgemach Blöcke fortzuräumen. Verständnis für fremdes Fühlen, eiserne Konsequenz gegen seine Patienten wie gegen sich selbst, Erfassen des rechten Augenblickes, um weiterzukommen, sei es durch nachgebende Milde, sei es durch unerbittlichen Zwang — das muß von dem Arzte verlangt werden, welcher in schweren Fällen Meister bleiben will. Weder der brutale Grobian, noch der nur mitleidende Gefühlsmensch gehört an das Krankenbett Hysterischer. Von der Suggestion muß man ausgedehnten Gebrauch machen. Oft genug handelt es sich wesentlich darum, den Kranken von einer Einbildung zu befreien, ihn einem Vorstellungskreise zu entreißen, in den er sich selbst gebannt hat. Die Wahl des geeigneten Mittels ist dem Takt des Arztes anheimgegeben, er darf sogar ein wenig den Wundermann spielen. Das gilt namentlich auch von der Behandlung mit Arznei. Wer an die Medizinflasche glaubt, dem soll man sie nicht vorenthalten. Die Hauptsache bleibt, daß der Arzt sich das Vertrauen seines Kranken erhält, merkt er, daß er es verliert, dann muß er zurücktreten, denn dann kann er seine Aufgabe nicht mehr lösen. Spezifische Mittel giebt es nicht: Asa foetida, Valeriana, Castoreum kann man guten Gewissens zum alten Eisen thun. — Elektrische und Wasserbehandlung finden vielfaltige, immer der Eigenart des Falles anzupassende Verwendung. — So verlockend die Opiate, namentlich das subkutan einverleibte Morphium- erscheinen, man vermeide dieselben soweit irgend thunlich. Keinesfalls darf man davon anhaltenderen Gebrauch machen — es ist ein mehr als zweifelhafter Gewinn Morphiumsucht für Hysterie einzutauschen. — Stärker wirkende Mittel sind unter allen Umständen anfangs sehr vorsichtig zu dosieren; Idiosynkrasien zeigen sich häufiger. Hat man sich überzeugt, daß solche nicht vorhanden, dann muß man oft die üblichen Gaben steigern, da das Nervensystem der Hysterischen meist träger reagiert. Es ist vorzüglich auf die bekannten physiologischen Wirkungen zu achten (Erweiterung der Pupille nach Atropin u. s. w.), bleiben dieselben aus, dann gehe man unverzüglich dreister vor. § 63.

Katalepsie.

Die Katalepsie ist durch abnorme Erregungszustände, welche sich an den willkürlichen Muskeln kundgeben, ausgezeichnet. Sie tritt in Anfällen auf. Während derselben verharren die Muskeln in tonischer Eontraktion, die vom Willen nicht beeinflußt, länger als gewöhnlich dem Einfluß der Schwere widerstrebend, Ermüdungserscheinungen nur in beschränktem Maße hervortreten läßt. Dagegen sind die Glieder durch jede von außen

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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.

auf sie einwirkende, etwas stärkere Kraft in beliebige, selbst sehr gezwungene Stellungen zu bringen, welche nun wiederum festgehalten werden — Ilexibilitas cerea. — Katalepsie ist mehr Symptom, als selbständige Erkrankung. Sie findet sich am häufigsten neben Hysterie, dann aber auch bei den irh Gefolge von akuten Infektionen auftretenden Hirnstörungen und bei verschiedenen Formen der Psychosen. Ein Zusammenhang mit hypnotischen Zuständen ist unverkennbar. — Der Anfall kann durch stärkere äußere Einwirkung — heftiges Erschrecken z. B. — hervorgerufen werden. Gesellt sich Katalepsie aber zu schwereren Hirnleiden, dann trifft man einen nicht auf nachweisbare Ursachen rückführbaren Wechsel mit der Norm im Laufe von Stunden oder Tagen. — Während der Dauer des kataleptischen Zustandes ist das Bewußtsein vielleicht aufgehoben, jedenfalls getrübt; die Erinnerung an den Anfall ist später geschwunden. Im Anfall ist ein erheblicher Grad von Empfindungslosigkeit fast stets da. Die Reflexerregbarkeit und die elektrische der starren Muskeln verhalten sich verschieden — Schlüsse aus deren Verhalten dürfen nicht gezogen werden. Die automatischen Funktionen sind öfter gestört, Herz- und Atmungsthätigkeit ist verlangsamt, gar bis zu dem Grade, daß der Tod vorgetäuscht werden kann. Das um so eher, als auch, wenigstens peripher, die Temperatur sinkt. Möglich ist eine derartige Verwechslung einzig bei den tagelang anhaltenden Anfällen; gewöhnlich dauern sie ja nur Bruchteile von Stunden. Die Diagnose hat kaum Schwierigkeiten. Simulation wird allerdings bisweilen mit ebensoviel Schlauheit wie Ausdauer durchgeführt. Um richtig zu urteilen, darf man nicht vergessen, daß in den echten Anfällen allmählich ein gewisser Grad von Einwirkung der Schwere sich zeigt, daß ferner nicht immer die Höhe der Erscheinungen, eine wirkliche Flexibilitas cerea erreicht wird. — Prognose und Verlauf sind wie die Behandlung vom Grundleiden bedingt Um bei Hysterischen den Anfall abzukürzen, sind Sinnesreize der verschiedensten Art am geeignetsten. Eine Prise Schnupftabak nützt manchmal mehr als alles Andere. — Verwechslungen mit wirklichem Tode bei lang ausgezogenen Antillen dürften, sobald man das Verhalten der Muskeln gegen starke elektrische Reizung, die Wärme der inneren Teile — Rectum, Vagina — in Betracht zieht, nicht vorkommen. Vielleicht ist freilich eine etwas längere Zeit für die Beobachtung erforderlich. § 64.

Hypochondrie.

Hypochondrie wird definiert als „jene auf einer krankhaften Veränderung der Selbstempfindung beruhende Form der traurigen Verstimmung', in welcher die Aufmerksamkeit des Kranken anhaltend oder vorwiegend auf die Zustände des eigenen Körpers oder Geistes gerichtet ist" ( J O L L Y , H I T Z I G ) . — Sind wirklich •pathologische Veränderungen an dem cds erkrankt empfundenem Orte vorhanden, dann redet man von einer „Hypochondria cum materia", fehlen sie, von einer „Hypochondria sine materia". — Ätiologisch ist anzuführen: D a s 20.—40. Lebensjahr ist besonders ausgesetzt, Kinder und Greise werden weniger leicht ergriffen. Männer leiden mehr als Frauen. — Klima und Jahreszeit haben manchmal einen sehr ausgesprochenen Einfluß, allein keineswegs in allen Fällen. — Hypochondrie kommt unter den besser Gestellten häufiger vor; begünstigend wirkt die im Sitzen mit anhaltender Geistesthätigkeit zu vollbringende Arbeit. — Erbliche Belastung ist oft nachweisbar; in hohem Grade schadet eine Erziehung, welche Verweichlichung und Wehleidigkeit begünstigte. — Den Ausbruch der Krankheit können herbeiführen: Gemütserschütterung, geistige Ermüdung, eingehendere Beschäftigung mit K r a n k heitszuständen, seien es schwerere Epidemien, der Verkehr mit Leidenden oder — und das heutzutage leider sehr oft — die Lektüre sogenannter populär-medizinischer Schriften. —

Hypochondrie.

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Unter den pathologischen, Störungen, welche bei der Hypochondria cum materia vorhanden, sind in erster Linie solche der Unterleibsorgane zu nennen. E s genügen funktionelle Abweichungen von der Norm. Das gleiche gilt in verstärktem Grade von der nächsthäufigen Klasse: geschlechtliche Anomalien, mehr geträumte als wirkliche, werden durch die Schandlitteratur der gewissenlosesten Geldmacherei für viele Menschen so beleuchtet, daß sie jahrelang deren Sinnen und Denken in Anspruch nehmen. Weitaus weniger häufig kommen in Betracht: Ernährungsstörung durch Blutverluste, akute Krankheiten, übermäßiger Gebrauch der Genußmittel, des Kaffees und Thees, mehr noch des Tabaks. Es wird jetzt die Lehre vertreten, daß die Neurasthenie der Boden sei, auf dem, die Hypochondrie wächst. Wiederum für die Auffassung kennzeichnend, welche die zu der Gruppe der Hysterie, Hypochondrie und in gewissem Maße auch zur Epilepsie gehörenden allgemeinen Neurosen minder bestimmt voneinander trennt. — E s versteht sich, daß jedes Organleiden mit Hypochondrie verbunden sein kann. Die Leichenöffnung giebt dann über dieses Auskunft, läßt aber das Wesen der Hypochondrie vollständig im Dunkeln. Die Entwicklung der Hypochondrie erscheint so am ehesten verständlich: Gegeben ist die Grundstimmung, Zustände des eigenen Körpers oder Geistes werden in trübem Lichte angesehen; mit derselben ist anhaltende Aufmerksamkeit auf die von den einzelnen Organen ausgehenden Empfindungen verknüpft. Durch Übung bildet sich nun der vorher (§ 60) besprochene Zustand aus, bestimmte Nervenbahnen werden in so hohem Grade leitungsfahig, daß schon eine schwache Erregung starke Auslösungen hervorruft. — J e schwächer die Willenshemmungen, desto leichter geschieht das. — Mit Recht wird gerade für die Hypochondrie Gewicht darauf gelegt, daß insofern ein Circulus vitiosus gegeben ist, als schwache periphere Reize starke Wirkung auf die abnorm empfindenden Centren ausüben, diese aber von sich aus durch Vorstellungen wieder periphere Nerven erregen, so daß der herüber und hinüber fliegende Reiz immer aufs neue Steigerung der Erregbarkeit und der Erregung wachruft. Dadurch muß sich die krankhafte Gemütsstimmung verschlimmern. Am bestimmtesten zeigt sich bei Geschlechtshypochondern dieses Schema ausgeprägt: eine erotische Vorstellung, peripher oder central entstanden, steigert sich in kurzer Zeit manchmal derart, daß Pollutionen eintreten, darauf folgt dann tiefste Verstimmung. — D a ein jedes Nervengebiet in den Zustand von Überreizung geraten kann und nach allen Seiten Irradiationen möglich sind, ist das Krankheitsbild ein überaus wechselndes. — Die psychischen Erscheinungen finden durch traurige Stimmung, Angstempfindungen, größere Reizbarkeit ihren Ausdruck. In den schweren Fällen dreht sich fiir den Kranken so ausschließlich alles um sein eigenes Ich, daß er fiir nichts Anderes Sinn hat; es ist in ihm der grobe Egoismus in unverhüllter Form zur Herrschaft gelangt. — Die Intelligenz kann dadurch vermindert erscheinen, daß dem in sich vertieftem Hypochonder ein fiir das Verständnis fremden Denkens oder Fühlens ausreichendes geistiges Zusammenfassen nicht möglich ist. Dabei bleibt es oft. Sobald aber dem Kranken natürliche Erkläruugen seiner Leiden nicht mehr genügen, sondern Vorstellungen von überirdischen Einflüssen (Verhextsein u. s. w.) oder unmöglichen irdischen (Magnetisiertsein u. s. w.) sich zum Verfolgungswahn verdichtet haben, ist hypochondrische Verrücktheit eingetreten. — Bei Hypochondern sieht man unter den sie heimsuchenden psychischen Zwangszuständen etwas häufiger die Scheu vor Berührung von Gegenständen oder Personen,

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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grandlage.

durch welche sie angesteckt zu werden fürchten. Aber es treten alle Formen der Phobien, wie sie bei Neurasthenikern sich zeigen, auch bei ihnen auf (§ 60).

Eigengefühle aller inneren Organe, sie bilden einen Ausgangspunkt für die Mißstimmung, sind oft bis zur peinvollsten Deutlichkeit vorhanden und können sich bis zu wirklichen Schmerzanfällen steigern. Anästhesie ist seltener und meist räumlich sehr beschränkt. — Bewegungsstörungen: Die häufigen fibrillären Zuckungen in einzelnen Muskeln können zum Krampf derselben anwachsen. Eigentümlich sind Krämpfe der Schlund-, in schweren Fällen auch der Atmungsmuskeln, welche durch die Vorstellung, daß Wutgift einverleibt sei, wachgerufen wurden; so ist unter dem Zutritt allgemeiner Konvulsionen schon der Tod erfolgt. Das ist übrigens nicht oft beobachtet. — Eigentliche Lähmungen sind äußerst selten. Das Gefühl von Schwäche dagegen kann den Kranken derartig beherrschen, daß er meint, seine Arme oder Beine kaum bewegen zu können (Lähmung durch Einbildung). Vermeintliche Impotenz spielt bei Männern eine große Rolle (siehe dazu § 256). — Die Thätigkeit der glatten Muskeln ist öfter, vielleicht erheblich, beeinträchtigt: Magen- und Darmträgheit, Hartleibigkeit ist für den Alltagshypochonder der Mittelpunkt seiner Klagen. Dabei Unregelmäßigkeiten der Oefäßinnervation, streckenweise Erweiterungen und Verengerungen der Arterien. Die auf sonstige Veranlassungen nicht zurückzuführenden Schwellungen der Organe, der Schleimhäute, die Sekretionsanomalien, finden hierin eine ausreichende Erklärung. Die Sonderbaren Launen der Magen- und Darmverdauung mit ihren manchmal recht seltsamen Produkten sind bemerkenswert. Akuter Anfang der Hypochondrie ist gewöhnlich auf eine bestimmte Veranlassung zurückzuführen. Man rechnet die Fälle hier ein, bei denen während einer Epidemie die Angst vor der Krankheit die Menschen sogar bis zum Selbstmord treiben soll; soll, denn gewöhnlich ist mit der Beendigung der Seuche auch die Furcht vor ihr geschwunden. — Allmähliche Entwicklung und ein Verlauf, in dem gute mit schlimmen Zeiten wechseln, ist die Kegel, wirkliche Heilung ist selten. — Für die mit Genesung endenden Erkrankungen wird eine Dauer von höchstens drei Jahren zur Bedingung gemacht. Der Tod als unmittelbare Folge der Hypochondrie ist nicht häufig (Selbstmord, Marasmus durch schwere Störung der Ernährung), aber es ist nicht zu leugnen, daß eine Verminderung der allgemeinen Widerstandsfähigkeit öfter vorkommt, welche die Entstehung und Entwicklung anderweitiger Krankheiten, besonders der Infektionen, begünstigt. — Hereditäre Belastung, Erkranken schon in den Kinderjahren, ebenso ein jenseits der vierziger Jahre beginnendes, sind prognostisch ungünstig. Hypochondrische Verrücktheit wird als unheilbar bezeichnet. Die Diagnose der hypochondrischen Verstimmung ist leicht oder schwer, je nachdem. Es kommt darauf an, wie man den Begriff auffaßt. Und das ist bei der jetzt beliebten Verallgemeinerung der „Neurasthenie" sehr oft dem Belieben des Arztes anheimgestellt. Immer bedarf es der fortgesetzten genauen Untersuchung, um Sicherheit zu erlangen, ob ein materieller Grund vorliegt. Die Unzuverlässigkeit der Aussagen des Kranken verlangt, daß einzig objektiven Ergebnissen die Entscheidung anheimgegeben werde. Das gilt auch für die Trennung von Psychosen im engern Wortsinn. — Die Behandlung der Hypochondrie muß zunächst auf die Wegräumung etwaiger Schädlichkeiten gerichtet sein. — Störungen der Darmthätigkeit bieten

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Eklampsie.

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oft das erste Angriffsziel; man halte sieh bei diesen, wie bei allen körperliehen Störungen der Hypochonder an die allgemein gültigen Regeln der Therapie, achte aber darauf, daß Idiosynkrasien vorkommen, deren Erkennung durch die übermäßigen subjektiven Empfindungen der Kranken erschwert ist. — Psychische Beeinflussung kann nicht entbehrt werden. Nur der Arzt wird solche auszuüben vermögen, welcher bei dem ihm vertrauendem Hypochonder die Überzeugung festhält, daß er seinem Zustand volle Beachtung zu teil werden läßt. Man darf oder muß sogar den Leidenden über die mangelnde objektive Grundlage seiner Empfindungen unterrichten, sollte aber deren subjektive Realität niemals in Abrede stellen. — Regelung der Lebensweise durch passenden Wechsel zwischen Arbeit und Erholung, richtig gewählte Diät auch der geistigen, womöglich Ablenkung auf bestimmte für den einzelnen sorgfältig auszuwählende Gebiete — das sind die Hauptaufgaben. — Bei der sich schon früh verratenden Anlage zur Hypochondrie sollte dem Arzte ein entscheidendes Wort in Erziehungsfragen und bei der Wahl des Berufs eingeräumt werden; denn hier ist wirkliche Prophylaxis für das ganze Leben noch möglich. — Man scheue sich nicht vor dem Gebrauch der zu bestimmten Zwecken erforderlichen Arzneimittel, hüte sich aber vor Vielgeschäftigkeit und häufigem Wechsel, welcher meist gern gesehen wird. Möglichst bestimmte Vorschriften, die dem Kranken keine Veranlassung zum Zweifel und zur Selbstthätigkeit geben, sind sehr am Platze — man wird damit folgsamere Patienten gewinnen. Aber moralische Entrüstung bleibe fern, wenn man einen Hypochonder trotz aller angewandten Mühe und Sorgsamkeit zu einem Kollegen abfallen oder irgend einem Schwindel huldigen sieht. — Elektrische und namentlich gut geleitete Wasserbehandlung können große Erfolge haben. — Stellen sich deutliche Erscheinungen hypochondrischer Geistesstörung ein, dann ist die Frage nach der Überführung des Kranken in die Anstalt nicht zu spät in Erwägung zu ziehen. — § 65.

Eklampsie.

Nicht habituell werdende, durch das Auftreten von tonischen und klonischen Krämpfen in allen oder einigen Muskelgruppen neben gleichzeitigem Schwinden des Beivußtseins gekennzeichnete Anfälle nennt man Eklampsie. Das Bedürfnis der Praxis rechtfertigt gesonderte Besprechung des aus sehr verschiedenen Ursachen hervorgehenden Symptomenkomplexes. Am häufigsten werden Kinder bis etwa zum fünften Lebensjahre (am meisten während des ersten), dann Frauen, die gebären, ergriffen. — Es ist neuerdings eine nach den Ursachen der Entstehung geordnete zweckmäßige Einteilung gemacht worden, welche von vornherein jene Formen ausscheiden läßt, die als Symptome wohl gekannter Krankheiten oder als Folgeerscheinungen anderweitiger, in gewissem Sinne einheitlicher pathologischer Zustände auftreten. So trennt man: 1. Eclampsia haematogenes. Durch Vermittelung des Blutes, einerlei, ob in diesem entstanden oder nur mit demselben fortgeführt, gelangen Beize zum Hirn. Die im Kindesalter häufige, später seltenere Erscheinung, daß mit dem plötzlichen Einsetzen einer fieberhaften Erkrankung zusammen Eklampsie auftritt, wäre zuerst zu erwähnen. Basches Ansteigen der Körperwärme kann an sich Krämpfe auslösen, daneben kommt aber wohl gewöhnlich die Vergiftung zur Geltung, welche bei den Infektionskrankheiten durch Eigenprodukte des Krankheitserregers statthat. Möglicherweise — für einige Krankheiten ist das wahrscheinlich — erzeugt der menschliche Körper selbst durch irgendwie geänderte Umsetzungen Stoffe, denen Giftwirkungen zukommen. Vielleicht handelt es sich auch nur darum, daß die normalen Produkte des Stoffwechsels nicht ausreichend entleert werden können und in einer Menge sich anhäufen, die ihnen ihre stets vor-

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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.

handene Giftwirkung zu bethätigen gestattet. Hierfür ist die Eigenvergiftung durch die nicht zur Ausscheidung gelangende Kohlensäure das beste Beweismittel. Die Krampfanfälle, welche bei Nieren- und Lebererkrankungen, bei Diabetes mellitus, sich einstellen können, dürften hierher zu zählen sein. — Unzweifelhaft sind eigentliche Vergiftungen mit bekannten Stoffen, welche unmittelbar (z. B. Strychnin) oder mittelbar (Kohlensäureanhäufung im Körper) Krämpfe auslösen. Die Stellung der Eklampsie der Sehwangeren und Gebärenden ist noch nicht ganz klar, aller Wahrscheinlichkeit nach muß sie hier eingereiht werden. Denn das in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle vorhandene Erkranktsein der Nieren, welches eine ziemlich plötzlich eintretende Aufhebung ihrer Funktionsfähigkeit bei dem Ausbruch des Anfalls ermöglicht, ist eine Thatsache. Es liegt nahe, daraus auf eine Intoxikation zu schließen. Immerhin wird die Möglichkeit, daß die bei dem Geburtsakt unvermeidlichen starken Erregungen des Gesamtnervensystems allein eklamptische Anfälle auslösen können, nicht ganz von der Hand zu weisen sein. — Für jüngere Kinder kommen Opium und Alkohol in Betracht, welche von gewissenlosen Pflegern zum Einschläfern derselben gebraucht werden. Es sind dann noch die zufälligen Einverleibungen von Tollkirschen, Stechapfelsamen, Schierling anzuführen. — 2. E k l a m p s i a reflectoria entsteht durch Einwirkung von Beizen, welche sensible Nerven treffen. — Es ist in der Deutung des Einzelfalles mit großer Vorsicht zu verfahren. Sowenig in Abrede gestellt werden kann, daß bei Kindern unter Umständen Zahnentwicklung und Zahndurchbruch oder im Darm sich bewegende Spulwürmer einen ausreichenden Beiz auf das Nervensystem zu üben vermögen, so bestimmt muß das für die Mehrzahl der Fälle verneint werden. Öfter noch geben stärkere Anhäufung von Kot im Darm und zahlreiche Oxyuren dazu Veranlassung. Ebenso Fremdkörper in Nase und Gehörgang, Erosionen der Schleimhäute, Ekzem, Herpes, namentlich an den Genitalien, dann länger anhaltende Hautreize jeder Art. — 3. E k l a m p s i a s y m p t o m a t i e a : durch anatomische Störungen des Gehirns und seiner Hüllen bedingt (Meningitis, Tumoren u. s. w.). 4. E k l a m p s i a i d i o p a t h i c a : die ganze Menge der Fälle, für welche eine Entstehungsursache zunächst oder überhaupt nicht nachgewiesen werden kann — dies r e f u g i u m p e c c a t o r u m wird allmählich eingehen. — Anatomische Veränderungen, die der Eklampsie als solcher zukämen, kennen wir nicht. — Im ganzen unterscheidet sich der e k l a m p t i s c h e A n f a l l von dem epileptischen nicht in der Form seines Auftretens. Vom praktischen Standpunkt genügt es, die beiden Hauptsymptome: Krämpfe und Bewußtlosigkeit zu besprechen. Mit seltensten Ausnahmen hält die Bewußtlosigkeit länger als die Krämpfe an, meist ist in den Zustand dauernder Unbesinnlichkeit hin und wieder ein Krampfanfall eingeschoben. Dieser braucht nicht gleichmäßig und gleichzeitig alle Muskeln zu ergreifen, weitaus am häufigsten wird bald diese, bald jene Gruppe gepackt, Zuckungen wechseln mit Starrwerden. Bei den der hämatogenen Eklampsie angehörenden Formen können solche Krankheitserscheinungen tage-, selbst wochenlang sich zeigen. Bei den auf andere Weise entstandenen Eklampsien handelt es sich meist um weitaus kürzere Zeiten: ganz freie Zwischenräume mit getrübtem oder ganz unversehrtem Bewußtsein folgen auf Gruppen von Einzelanfällen. Allgemeine tonische Krämpfe mit Schluß der Glottis und Aufhebung der Atmung müssen nach längstens einigen Minuten nachlassen, wenn das Leben erhalten bleiben soll. Prognose und Verlauf ist von dem Grundleiden abhängig. Auch bei „idiopathischer" Eklampsie kann der Tod während des Anfalles eintreten. — Die Diagnose hat die Ursache des Leidens festzustellen, das setzt gründlichste Untersuchung und reiche Erfahrung voraus. Für die T h e r a p i e ist wiederum hervorzuheben, daß es sich nur um eine Reihe von Symptomen handelt, die gedeutet werden muß: freilich kann dieses oder jenes besonderes Eingreifen verlangen. — Im allgemeinen gilt, daß eklamptische Anfälle eine Kontraindikation gegen die Anwendung der Mittel, welche das Grundleiden verlangt, nicht liefern, namentlich verbieten sie durchaus nicht den Gebrauch kalter Bäder. — Man denke daran, daß während des Anfalls Verschlucken leicht möglich ist, gebe daher, um Bronchitis und

Epilepsie.

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Schluckpneumonie zu vermeiden, Mittel, welche in größeren Mengen einzuverleiben sind, womöglich per Klysma, klein dosierte durch subkutane Injektion. — Immer ist geboten: Entfernung aller die Atmung hemmenden Kleidungsstücke, Sorge für reine halte Luft, Ruhe in der Umgebung des Kranken. Ständige Überwachung wird erforderlich, damit Verletzungen und Körperhaltungen, die das Atmen erschweren, vermieden werden. — Liegt ein Grund zum Einschreiten nach bestimmter, von dem Grundleiden vorgezeichneter Richtung nicht zu Tage, dann können symptomatische Anzeigen beachtet werden. Zuerst wären warme Bäder (38° C.) mit Frottieren der Haut und gleichzeitigem Auflegen kalter Kompressen auf den Kopf zu nennen Um die Krämpfe zu mildern, wende man, selbstverständlich nur, wenn keine Vergiftung im engeren Wortsinne vorliegt, das rasch wirkende Chloralhydrat an — bei kleineren Kindern bis zu 0,1 g, bei solchen über 5 Jahren bis zu 1,0 g. Erwachsenen kann man 3 g und mehr geben. Das Mittel kommt auch vom Mastdarm aus zur Aufnahme. Die noch schneller wirksamen Inhalationen von Chloroform (am besten ist es, dasselbe mit gleichen Teilen Äther zu mischen) müssen vorsichtig geleitet werden. — Bromverbindungen entfalten erst allmählicher ihren Einfluß; dieselben können in nicht zu klein bemessener Gabe manchmal von Nutzen sein. — Morphium ist bei jüngeren Kindern ganz zu meiden; wenn stärkere Störungen der Atmung vorhanden sind, ist bei seinem Gebrauch für jedes Lebensalter die größte Vorsicht nötig — die lähmende Wirkung des Mittels auf das Atmungscentrum muß im Auge behalten werden. § 66.

Epilepsie.

Zur Epilepsie werden jetzt eine so große Zahl verschieden gearteter Symptomengruppen gerechnet, daß eine alles umfassende Definition kaum zu geben ist. Als Mittelpunkt muß immerhin noch der nachher zu schildernde große Anfall festgehalten werden. Man unterscheidet zweierlei: ein dauerndes Leiden als Grandzustand (epileptische Veränderung) und charakteristische Äußerungen desselben, die nach mehr oder minder langen Zivisehmräumen sich, zeigen. Ätiologisch ist demnach zu trennen, was den Grundzustand und was dessen Äußerungen hervorruft. — Für ersteren ist die Heredität in hohem Grade maßgebend; nicht nur die vollentwickelte Krankheit, auch neuropathische Disposition der Eltern überhaupt macht sich stark geltend. Man legt auf chronischen Alkoholismus Gewicht; noch mehr: von einem in actu betrunkenem, übrigens normalem Vater soll epileptische Nachkommenschaft erzeugt werden können. — Mit zweifelhaftem Recht wird genannt: Erschöpfung der Eltern durch Excesse in Venere, schlechte Ernährung, Überanstrengung, besonders geistige, dann Konstitutionsanomalien derselben (Rhachitis und Skrofulose). Erworben kann der Grundzustand werden: 1. Durch Verletzung peripherer Nerven, sicher deijenigen, die sensible Fasern, vielleicht auch solcher, die ausschließlich motorische enthalten. 2. Durch Erkrankungen von inneren Organen — die des Gehirns sind in erster Linie zu nennen. — 3. Durch Alkoholismus, das wird neuerdings sehr scharf betont. — Die ältere Einteilung der Epilepsie — idiopathische, sympathische (reflektorische), symptomatische — hat immer noch ihre Berechtigung; sie fügt sich ganz gut in diesen Kähmen. Der Grundzustand äußert sich in Anfällen; deren Entstehung ist nicht selten auf eine bestimmte Veranlassung zurückzubeziehen. Man findet dieselbe in starken psychischen oder gemütlichen Erregungen, heftigen Schmerzen, funktioneller Thätigkeit der Genitalien (Coitus, Menstruation), Störungen der Verdauungsorgane. — v. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage. D a s Lebensalter

hat eine gewisse Bedeutung.

Hereditäre Formen

erscheinen

meist vor der Pubertät, das 20. Jahr wird als äußerster Termin angesehen. Das frühere Alter überwiegt im ganzen: mehr als 60 °/0 aller Fälle zeigen sich bis zum 20., weitere 10 °/0 bis zum 30. Jahr, jenseits des 50. trifft man nur ganz vereinzelte. — Beide Geschlechter werden in nahezu gleicher Häufigkeit ergriffen. — Charakteristische und konstante anatomische Veränderungen sind unbekannt. Der experimentellen Forschung ist es gelungen, wichtige Aufschlüsse über einige bei der Epilepsie sich abspielende Vorgänge zu gewinnen. Zu den Versuchen eignet sich am besten das Meerschweinchen. Dieses Tier bekommt nach leichten Schlägen auf den Kopf einen heftigen Anfall von Krämpfen; nach einigen Wochen ungestörten Befindens treten bei einem so behandelten entweder scheinbar spontan, oder durch leichte Beizung der als epileptogene Zone bezeichneten Hautteile — Backe und Vorderseite des Halses, Gebiet des Trigeminus und Occipitalis — ähnliche Anfälle auf. Die von solchen „künstlich epileptischen" Tieren erzeugte Nachkommenschaft ist erblich belastet; waren beide Eltern epileptisch gemacht, dann blieb in einigen Versuchsreihen keiner der Sprößlinge frei. Die Epilepsie wird vom G e h i r n aus hervorgerufen. B r ü c k e und v e r l ä n g e r t e s M a r k sind dabei in Betracht kommende Örtlichkeiten. Es liegen dort Ganglienzellen gehäuft, bei deren (meist reflektorischer) Erregung sämtliche Muskeln des Körpers, auch die von den Gehirnnerven versorgten, in Kontraktion geraten — Krampfcentrum. Ebenso ist hier jenes vasomotorische Centrum zu suchen, dessen Reizung eine Zusammenziehung der glatten Muskulatur der Arterien, besonders derer des Gehirns, bedingt. — Die charakteristischen Erscheinungen des epileptischen Anfalles: Bewußtlosigkeit und Krämpfe können daher von den genannten Stellen aus hervorgerufen werden. — Auch von den m o t o r i s c h e n C e n t r e n d e r H i r n r i n d e (jACKSON'sche Epilepsie) kann ein epileptischer Anfall ausgelöst werden. Derselbe zeichnet sich dadurch aus, daß das von dem unmittelbar betroffenem Centrum abhängige Glied zuerst in Zuckungen gerät, welche sich oft zunächst auf das entsprechende der anderen Seite, später aber in bestimmter Reihenfolge auf die gesamte Muskulatur fortpflanzen. Das Bewußtsein ist anfänglich erhalten. Tn dun am stärksten vom Krampf ergriffenen Gliedmaßen können nach dem Anfall vorübergehend Paresen sich zeigen. Es ist möglich, daß diese bisher festgehaltenen Lehrsätze den Thatsachen nicht ganz entsprechen. Von einigen wird angenommen, daß die Hirnrinde bei jedem epileptischen Anfall unmittelbar beteiligt sei. Andere bemängeln die Angaben über die Lage des vasomotorischen und des Krampfcentrums. Vor der Hand scheinen die Einwürfe nicht so sicher gestützt, daß man gezwungen wäre, einer durchgreifenden Änderung der Theorie zuzustimmen. Gewiß aber ist die Bedeutsamkeit der „Rindenepilepsief namentlich auch für die Praxis.

Das vollansgeprägte Bild des großen epileptischen Anfalls ist dieses: Nachdem an irgend einem Körperteil eine abnorme Sinnesempfindung (Aura epileptica) wahrgenommen wurde, schreit der erblassende Kranke laut auf, sein Bewußtsein schwindet, die Willensbeherrschung der Muskeln hört auf, er stürzt hin, gewöhnlich nach vorn, sein Körper liegt starr da, die auf das äußerste beschränkte Atmung steht auf kurze Zeit ganz still. Nun rötet sich das Gesicht, es färbt sich dunkler und dunkler bis zur tiefsten Cyanose, die Augen drängen sich aus den Höhlen, dann beginnen heftige Krämpfe, alle Muskeln nehmen daran teil, das wildeste Durcheinander von Bewegungen zeigt sich — „als ob der Teufel mit den Gliedmaßen Ball spiele". Endlich werden, allmählich nachlassend, die Zuckungen schwächer, allein die Unbesinnlichkeit dauert fort. Mit eingenommenem Kopf, abgeschlagen und müde kommt schließlich der Kranke wieder zu sich, hat aber keine Erinnerung an den Vorgang; ein tiefer Schlaf folgt nicht selten. —

Epilepsie.

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Von Einzelerscheinungen sind zu nennen: Länger dem Anfall vorausgehende, denselben ankündigende Zeichen sind, selten; nur wenige merken an ihnen bekannten psychischen Anomalien, oder, minder häufig noch, an abnormen Erregungen sensibler Nerven, welche bis zu wirklichen Neuralgien sich steigern können, daß derselbe droht. — Die Aura kann durch Erregung von Sinnesnerven, der vasomotorischen und sensiblen (dies beides ist das gewöhnlichste), selten der motorischen hervorgerufen werden-, ihre Dauer beträgt von einigen Sekunden bis zu Minuten. — Auf der Höhe des Anfalls ist das Bewußtsein so vollkommen geschwunden, daß die schmerzhaftesten Eingriffe unempfunden bleiben; gleichzeitig ist auch die Reflexerregbarkeit mindestens stark herabgesetzt, vielleicht gar ganz erloschen: von der gereizten Cornea aus kann kein Lidschlag, durch starkes Licht keine Verengerung der Pupillen hervorgerufen werden, Kitzeln der Fußsohlen löst keine oder doch nur schwache Bewegungen aus. — Schwerere Verletzungen kommen bei der unerwarteten AnfangserschlafFung der Glieder und dem Hinstürzen, dann auch bei den mit größtem Kraftaufwand ausgeführten Muskelkrämpfen vor. Zerbeißen der zwischen die Zahnreihen geratenden Zunge ist eine häufige Erscheinung. — Harn, Kot, Samen können im Anfall unfreiwillig entleert werden. Bisweilen enthält der unmittelbar nach dem Paroxysmus gelassene Harn Eiweiß und hyaline Cylinder; bei Männern auch wohl Spermatozoen. — Atmung und Puls sind, immer abnorm solange der eigentliche Krampf dauert, nicht selten auch noch bis zum Erwachen des Kranken. — Im Einzelanfall währen die tonischen Krämpfe höchstens etwa eine Minute, meist viel kürzer, die klonischen können länger anhalten. — Die Häufigkeit der AnfäMe ist großem Wechsel unterworfen: Jahrelange Pausen und tägliches Befallenwerden, das sind hier die Grenzwerte. — Es ist eine gewisse Häufung der Anfalle zu Gruppen nicht selten: man sieht vielleicht im Laufe von Tagen oder von Wochen eine ungewöhnlich große Zahl derselben, und die einzelnen sind nur durch kurze Zwischenräume getrennt, danach tritt wieder für eine Zeit vollständige Ruhe ein. — Aber es kann auch anders kommen: Die sich rasch wiederholenden Krampfanfalle gehen mit Steigerung der Körperwärme (bis 42°) einher. Dazu gesellt sich langdauerndes Koma. Die Lebensgefahr für diese Kranken — man bezeichnet das Ganze als Status epilepticus — ist sehr beträchtlich. — Viel schwieriger ist eine kurze Schilderung der Zustände, welche unter dem Namen des kleinen Anfalls vereinigt werden. Zeitweiliges Schwinden oder wenigstens Verdunklung des Bewußtseins, welche die Herrschaft über die Muskeln soweit fortbestehen lassen, daß gewohnte Koordinationen ausgeführt werden können — das dürfte als allgemeinstes Kennzeichen noch am ehesten geltend gemacht werden. Innerhalb des so umschränkten Gebietes zeigt sich die größte Mannigfaltigkeit in den Erscheimmgen. Von dem nur Augenblicke währendem Abbrechen inmitten eines Satzes, der alsbald ohne Störung zu Ende gesprochen wird, bis zu unbewußt ausgeführten Handlungen, wie die jenes Gerichtspräsidenten, der während der Sitzung nach unverständlichem Gemurmel in das Beratungszimmer ging, dort frei sein Wasser ließ, dann zurückgekehrt unbeirrt die Verhandlungen weiterführte — finden sich alle Übergänge. — Krämpfe einzelner Muskeln können auftreten, angedeutet sind sie wohl stets. Es kommt vor, daß mit nur augenblicklichem Bewußtseinsverlust etwas länger dauernde Krämpfe zusammenfallen. Noch weniger leicht gelingt es, jene Erscheinungsformen der Epilepsie kurz 10*

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zu erörtern, welche als „epileptoide" Zufalle und als „psychisches Äquivalent" bezeichnet werden. — Eine richtige Abgrenzung des zu der Krankheit Gehörigen hat überhaupt erhebliche Schwierigkeiten. Man begnügt sich, damit hervorzuheben, daß bei allen diesen Zuständen, seien sie wie immer geartet, stets ein großer epileptischer Anfall ausbrechen kann. Übrigens macht man aufmerksam auf Schwindelzufälle und allerhand abnorme Sensationen, welche, mit entsprechenden psychischen Erscheinungen verbunden, ein der Hysterie oder Hypochondrie ähnelndes Gesamtbild hervorrufen können. Die Übergänge zu wirMichen Geisteskrankheiten sind deutlich; diese treten an die Stelle der Anfälle, so ein wirkliches „Äquivalent" liefernd. Es sichert kein Einzelsymptom, nur die Gesamtheit derselben die Diagnose dieser Psychosen. Man weist besonders darauf hin: Stupor mit charakteristischen Sprachstörungen — vorwiegend Wortkargheit oder vollständiges Schweigen —, rücksichtslose extremste Gewalttätigkeit neben schweren angsterfüllten Delirien, Erinnerungsdefekte, während eigentlich epileptische Antecedentien fehlen. — Nach großen Anfällen zeigt sich ein ähnliches „postepileptisches" Irrsein. Es ist für die Praxis besonders bemerkenswert, daß die schweren maniakalischen Zustände, welche dabei auftreten, den Kranken für seine Umgebung äußerst gefahrlich werden lassen. Abgesehen von diesen vorübergehend sich, in den Verlauf der Epilepsie einschiebenden Geistesstörungen kommt es zu einem allmählichen Nachlassen der geistigen Fähigkeiten. Gewöhnlich leidet zuerst das Gedächtnis, später die Schärfe des Denkens; Verstimmung, Veränderung des Charakters gesellen sich hinzu, am letzten Ende vollständiger Blödsinn. Das Alles ist keine Notwendigkeit. Epilepsie kann ohne jede Rückwirkung auf die Intelligenz verlaufen; nach neueren Untersuchungen ist dafür sogar die Stärke und Häufigkeit der Anfälle nicht ganz von der früher behaupteten schlimmen Bedeutung. Man darf vielmehr die Frage stellen, ob die Epilepsie wie die Psychose nicht vollständig voneinander unabhängig sind und nur den Mutterboden der neuropathischen Belastung gemein haben? Die Heilbarkeit der Epilepsie ist zweifellos, aber leider eine sehr beschränkte. Der Tod kann im Anfalle selbst stattfinden. (Status epilepticus.) Das ist selten, öfter noch wird er unmittelbar durch Verletzungen oder durch deren Folgen herbeigeführt. Gewöhnlich ist der Verlauf der Krankheit ein ausgeprägt chronischer, gute wechseln mit schlechten Zeiten. Alle empirischen Regeln für die Prognose des Einzelfalls leiden an einer gewissen Unsicherheit. Ganz im allgemeinen darf man freilich sagen, daß mit der Dauer der Krankheit und der Heftigkeit und Häufigkeit der Anfalle die Aussichten auf Genesung geringer werden. — Die Diagnose hat daran festzuhalten, daß nur der vollentwickelte epileptische Anfall Sicherheit des Urteils gewährt. In der Kinderpraxis sei man auch dann noch zurückhaltend; eklamptische Anfalle decken sich ja in ihrer Erscheinungsform ganz mit den epileptischen, ob eine „epileptische Veränderung" zugegen sei, darüber entscheidet der Verlauf. Die Trennung der epileptischen von den hysterischen Anfällen kann große Schwierigkeiten haben. Es kommen Fälle vor, welche erfahrenen Beobachtern zweifelhaft bleiben. Mit Recht wurde darauf hingewiesen, daß „epileptoide" Erscheinungen im Verlaufe mancher Nervenkrankheiten und Psychosen auftreten.

Epilepsie.

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Für die Behandlung ist die möglichst genaue Untersuchung des Einzelfalls unbedingt erforderlich. Jede, auch die geringste Möglichkeit einer peripheren Auslösung, die wegzuschaffen wäre, muß wohl beachtet werden. — In nicht wenig Fällen erweist sich das Verhalten der Verdauungsorgane von großer Bedeutung; man erreicht viel, wenn es gelang, dieselben zur vollkommen normalen Thätigkeit zurückzuführen. An Häufigkeit dürften Anomalien der Genitalien zurücktreten. Was durch Beseitigung 'peripherer Reize genützt werden kann, zeigt sich am deutlichsten, wenn unmittelbare Nervenverletzung Grund der Anfälle war. Ebenso ist der Eingriff vollkommen gerechtfertigt, wenn nach einer Kopfverletzung Erscheinungen von Epilepsie auftreten und die Möglichkeit vorhanden ist, daß Knochensplitter, Blutergüsse u. s. w. das Hirn reizen. Gleiches darf für die Späterkrankungen — Narben, Verwachsungen der Hirnhänte unter sich und mit den Knochen geltend gemacht werden. — Allein die Erfahrung hat gezeigt, daß lange nicht immer auf die Entfernung des zweifellos ursprünglich die Anfälle auslösenden Gegenstandes Heilung folgt. Es scheint, daß sich in verhältnismäßig kurzer Zeit die epileptische Veränderung entivickelt. Je früher der Eingriff geschehen kann, desto besser sind die Aussichten. — Die Exstirpation von Mindencentren, jenen, von denen regelmäßig die Anfälle auszugehen scheinen, wird neuerdings meist als nutzlos abgelehnt. — Diätetische Behandlung im weitesten Wortsinne, der die Regelung der ganzen Lebensweise umfaßt — ist eine Hauptsache; man muß natürlich durchaus individualisierend vorgehen. Für die Anwendung der Medikamente ist zweierlei auseinanderzuhalten. Man soll sich bemühen, die epileptische Veränderung zu beseitigen, ferner die Zahl und Heftigkeit der Anfälle zu vermindern. — Der ersten Aufgabe wird noch am häufigsten das Atropin gerecht. Man gebe langsam steigend, mit 0,0005 g beginnend bis zu 0,005 g vorschreitend, das Mittel (R 12), immer die ganze Dosis mit einem Male am Abend vor dem Schlafengehen. Jede Woche erhöht man um 1 / 2 oder 1 mg, bis das Maximum erreicht wurde, bleibt auf diesem etwa zwei Wochen stehen und geht nun ebenso langsam zum Ausgangspunkt zurück. — Die Darreichung hat jahrelang fortzudauern — erst wenn jede Störung aufhörte, darf auch sie aufhören. — Wenig empfehlenswert ist anhaltender Gebrauch der Brompräparate. Man sieht danach nicht selten zu tiefe Herabstimmung der Hirnthätigkeit: bis zur Schlafsucht sich steigernde Trägheit, j a geradezu Unfähigkeit zum Denken. Auch somatische Störungen — sie treffen die Verdauungswerkzeuge, das Herz, die Haut — stellen sich ein. — In den schweren Fällen bleibt freilich kaum eine Wahl; man muß dann aber wenigstens zeitweilig die Gabengröße herabsetzen. — Dagegen ist die zweite Aufgabe: Verminderung der Zahl und Heftigkeit der Anfälle — durch Bromsalze manchmal lösbar. Man muß zu den Zeiten, wo die Neigung zu öfter wiederkehrenden Anfällen vorhanden ist, das Brom in großen Mengen geben und damit so lange fortfahren, bis diese Neigung sich verloren hat. Der Erwachsene braucht dann mindestens 10 g Natrium bromatum täglich, welche auf vier Gaben zu verteilen sind; übrigens bat es kaum Bedenken, bis zu 20 g zu steigern. Auch Kinder ertragen das Mittel gut; Idiosynkrasie dagegen ist selten. — Unter den gegen Epilepsie überhaupt angewandten Arzneimitteln sind zu nennen: Zineum oxydatum — man begann mit 0,1 g und stieg rasch bis zu so großen Dosen, wie sie nur immer vom Magen vertragen wurden. (2,88 g pro die wurden schon dargereicht.) Von anderen wird das Zineum lacticum bevorzugt und bis zu 2,4 g gegeben; für beide Zinkverbindungen wählt man die Pulverform. — Argentum nitrieum, höchstens 0,1 g pro die, am besten in Lösung. Da langer Fortgebrauch verlangt wird, ist an die Gefahr der

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Argyrie zu denken. — Cuprum sulfuricum ammoniatum: Anfangsdosis 0,015 g, Maximum 0,24 g Pillenform, mindestens in zwei Teilen die Gesamtmenge zu geben. — Radix artemisiae vulgaris: das frische Pulver der Wurzelfasern zu einem Theelöffel voll, sobald sich Vorboten eines Anfalles zeigen, sonst jeden zweiten Tag. — Radix valerianae: das frische, gröbliche Pulver in steigenden Gaben, Anfangsdosis 0,6, Maximum 1,20 g 4—6 mal täglich. — Um Anfälle abzukürzen, verwandte man Opium und seine Präparate, ebenso Chloroforminhalationen — beides nicht zu empfehlen. — Es bleibt noch der Elektrizität in ihrer Anwendung gegen die epileptische Veränderung zu gedenken. Man schickte schwache konstante Ströme durch die Gegend der Medulla oblongata, ebenso durch den Halssympathicus. Erfolge dieser Behandlung werden mehr und mehr verneint. D a s Verhalten bei dem Einzelfall: Ist eine nicht zu kurz dauernde Aura da, dann gelingt e9 bisweilen durch Umschnürung, Druck u. s. w., an dem von der Aura durchschrittenen Körperteil den Ausbruch zu verhüten. Sonst beschränke man sich darauf, den Kranken vor schweren Verletzungen zu behüten und lasse den Anfall austoben. — § 67.

Nachtschrecken.

In Kürze ist eines unter demNamen N a e h t a c h r e c k e n ( P a v o r n o c t u r n u s ) bekannten Zustandes zu gedenken, welcher, äußere Ähnlichkeit mit epileptoiden Zufällen bietend, zur Verwechslung damit Veranlassung geben kann« Vom zweiten Jahre bis etwa zur Pubertät beobachtet man bei geistig regsamen Kindern, welche, den Eindrücken der. Außenwelt ungewöhnlich zugänglich, dieselben mit lebhafter Phantasie verarbeiten, plötzliches Auffahren aus dem ersten Schlafe, veranlaßt durch Traumgebilde, die ausnahmslos schreckhaften Inhalts sind. Klares Bewußtsein ist zunächst nicht vorhanden, der ganze Körper zuckt und zittert, das Gesicht trägt einen angstvollen Ausdruck. Es kann zu Handlungen kommen, die einer wirklich bestehenden Gefahr gegenüber durchaus zweckmäßig wären. Mit dem Augenblick des vollen Erwachens ist der Anfall als solcher beseitigt-, starkes Gähnen geht dem gewöhnlich, der Ausbruch von Schweiß mitunter voraus. Mehrfache Anfalle in einer Nacht, oder einzelne, aber eine Reihe von Nächten hindurch wiederkehrende können sich zeigen; die Dauer des einzelnen beträgt bis zu V4 Stunde. — Die Prognose ist stets gut\ die Disposition verliert sich mit fortschreitendem Lebensalter. — Nur bei starker Häufung der Anfälle kann therapeutisches Eingreifen erwünscht werden. Bromnatrium von 0,3—0,6 g bei Kleineren, von 1 g und mehr bei Größeren 1—11/2 Stunden vor dem Schlafengehen; warme etwa Stunde dauernde Bäder, nach denen unmittelbar das Bett aufgesucht wird, dürften immer ausreichen. — Man hat dafür zu sorgen, daß die Phantasie der Kinder nicht mit Schauergeschichten angefüllt werde. Das Nachtessen sei mäßig und liege nicht zu kurz vor dem Schlafengehen. Durch Drohung oder Strafe den Anfall abzuschneiden, versuche man niemals; Zureden oder Liebkosungen sind vielmehr am Platz. Angstlichen Kindern versage man das Nachtlicht nicht. — § 68.

Tetanus.

Der T e t a n a s stellt einen Zustand dauernder tonischer Zusammenziehung eines mehr oder minder großen Teiles der willkürlichen Muskeln dar, neben weleher anfallsweise stärkere Spannung der bereits ergriffenen Gruppen und Ausbreitung des Krampfes auf noch frei gebliebene sich zeigt. — Diese Anfalle werden gewöhnlich durch periphere Reizung sensibler oder sensorischer Nerven reflektorisch ausgelöst. — Ätiologisch ist bekannt: Neugeborene werden besonders häufig ergriffen — der 4. bis 11. Lebenstag ist am stärksten belastet. Männer erkranken öfter als Frauen, wohl deswegen, weil sie mehr Wunden davontragen.

Nachtschrecken.

Tetanus.

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In heißen Gegenden ist S t a r r k r a m p f häufiger als in gemäßigtem K l i m a . Rassenunterschiede sind u n v e r k e n n b a r ; von allen am meisten leiden die Neger. Zeitweise H ä u f u n g der selteneren E r k r a n k u n g wird übereinstimmend berichtet. — Unter den Gelegenheitsursachen stehen Verwundungen jeder A r t u n d jeder S t ä r k e obenan: Tetanus traumaticus. W e n n m a n eine Verwundung — es genügt Epitheltrennung oder -verlust an kleiner Stelle, möglicherweise dasselbe an Schleimhäuten — nicht nachweisen kann, redet m a n von einem idiopathischen, glaubt man E r k ä l t u n g annehmen zu müssen, von einem rheumatischen Tetanus. E s darf nicht bezweifelt werden, daß H e r a b s e t z u n g der T e m p e r a t u r a n der Körperoberfläche, wie sie durch W ä r m e a b g a b e n a c h außen bedingt werden k a n n , bei Verwundeten leichter die K r a n k h e i t entstehen läßt; ob diese „ E r k ä l t u n g " allein genügt, ist mindestens nicht erwiesen. — Die durch Pflanzengifte, als deren Vertreter das Strychnin genannt werden kann, erzeugten K r ä m p f e werden als Tetanus toxicus meist auch hierher gerechnet, weichen übrigens schon in ihren Symptomen etwas ab. Ob man ausnahmslos an spezifischer Infektion festhalten muß, ist noch nicht ganz sicher, jedenfalls liegt sie in der ganz überwiegenden Mehrzahl zu Grunde. Immerhin mag noch mit anderen Möglichkeiten gerechnet werden. Von diesem Standpunkte aus wäre zu sagen: Gesteigerte E r r e g b a r k e i t der Keilexe v e r m i t t e l n d e n C e n t r e n ist die G r u n d lage. Sie kann hervorgerufen werden: 1. Durch ein spezifisches Krankheitsgift. Ursprünglicher Krankheitserreger ist der Tetannsbacillus (Fig. 6), ein wenigstens vorwiegend anaerober Mikrobe, der Sporen bildet, welche, dem Stäbchen an einem Ende knopfförmig aufsitzend, demselben das Aussehen von Stecknadeln geben; ohne Sporen wird der Bacillus als „borstenförmig" bezeichnet. Entzündungserreger ist der Bacillus nicht. — Er ist weit verbreitet, findet sich außerordentlich häufig in der Erde, im Kot der Pferde, gelegentlich auch in dem der Menschen, im-Staube der menschlichen Wohnungen. Als Stoffwechsüprodukte des Bacillus bilden sich Gifte — Tetanin, Tetanotoxin, auch Toxalbumine sind aus Reinkulturen dargestellt (BRIEGER) — welche die Krankheit hervorrufen können. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß die inner halb des Körpers des durch den Tetanusbacillus Infizierten geFig. 6. Tetanusbacillen, bildeten Stoffwechselprodukte erst die Krankheit erzeugen. — Besporentragend, ausAgarmerkenswert ist, daß granulierende Wundflächen einen gewissen k u l t u r . Vergr. 1 0 0 0 : 1 . Schutz gewähren. — Nach KITASATO. 2. Durch Erregung peripherer Nerven. Hier ist aber zu bemerken: Tetanusbacillen können an dem Orte ihres Eindringens verweilen, ohne Erscheinungen zu machen. Erst nach bestimmter, vielleicht längerer Zeit zeigen sie Lebenserscheinungen, bilden Gift, das nun wirksam wird. So ist es möglich, daß von einer mit Narbenbildung geheilten Wunde die Krankheit einbricht — weil die Narbe schmerzhaft wurde, glaubte man auf die Nerven als bedingende Ursache zurückgreifen zu müssen. Indes liegen vereinzelte Beobachtungen vor, nach welchen einmalige starke Heizung eines großen Nervenstammes (Einschluß des Cruralnerven in eine Ligatur) unmittelbar Tetanus hervorrief. — 3. Durch unmittelbare Einwirkung äußerer Gewalt auf das Centrum selbst — Sturz auf das Hinterhaupt u. s. w. Sichere makroskopische Veränderungen f e h l e n in den Leichen der am Tetanus Gestorbenen. Mikroskopisch fand m a n E r n ä h r u n g s s t ö r u n g e n in den großen Ganglien der Vorderhörner. —

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Das Bild der Krankheit bedarf zur vollen Entwicklung meist einer etwas längeren Zeit, nur ausnahmsweise tritt ganz plötzlich mit einem Schüttelfrost eingeleiteter Tetanus auf. Im Mittel verstreichen bis zum Ausbruch des Wundstarrkrampfes 7 bis 11 Tage nach der Verletzung — 1 und 22 Tage sind die äußersten Grenzwerte. — In manchen Fällen geht die Empfindung allgemeinen Unbehagens einige Zeit den ersten örtlichen Erscheinungen voraus; unbestimmte als rheumatoide bezeichnete Schmerzen können sich anschließen. Deutlicher verrät die drohende Gefahr eine gewisse Steifigkeit im Nacken und in den Kaumuskeln, von dem subjektiven Gefühl der Spannung begleitet. Diese Beschwerden steigern sich allmählich: die Kiefer können nicht mehr gehörig voneinander entfernt werden, auch die Zunge ist minder beweglich, das Schlingen etwas erschwert, die Nackenmuskeln ziehen sich dauernd zusammen, so daß der Kopf anhaltend etwas nach rückwärts gebeugt ist. Das Ganze nennt man Trismns. — Bald werden auch die Muskeln des Stammes beteiligt, besonders die langen Strecker der Wirbelsäule kontrahieren sich und lassen dieselbe nach vorn konvex vortreten. Die Muskeln des Thorax und des Bauches folgen, die der Extremitäten, namentlich der oberen, können verschont bleiben. Die von den motorischen Ästen des Trigeminus und vom Facialis versorgten Gesichtsmuskeln, die des Nackens, des Schlundes, der Zunge hingegen werden regelmäßig mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen. — Es bleibt nun nicht länger bei einfacher tonischer Kontraktion, anfallsweise zeigen sich klonische Krämpfe, welche den ganzen Körper erschüttern, mit heftigem Schmerz in den Muskeln verbunden sind, und, die Atmung zeitweilig unterbrechend, dem stets besinnlich bleibendem Kranken die äußersten Qualen verursachen. Diese Anfalle werden zum größeren Teile von sensiblen oder Nerven der Sinne aus reflektorisch, zum kleineren durch Übergreifen des zur Ausführung von Bewegungen erforderlichen Willensreizes auf weitere Bahnen (Mitbewegung) hervorgerufen. Sie treten besonders bei dem Versuch zum Schlucken auf. — Im ferneren Verlauf steigert sich die klonische Kontraktion der Muskeln, die Kiefer können nur um ein Kleinstes voneinander entfernt werden, der Nacken und Kücken krümmen sich immer stärker, die Atemnot wächst und wird auch außerhalb der eigentlichen Anfalle, welche übrigens häufiger und heftiger auftreten, deutlicher. — Veränderungen am Pulse, Ansteigen seiner Frequenz, die bisher einigermaßen der Norm entsprach, Abnahme seiner Füllung, manchmal auch Unregelmäßigkeiten, dann Erhöhung der wenigstens anfangs nahezu unveränderten Temperatur gehen dem Tode voraus. Dieser erfolgt sehr oft in oder gleich nach einem Krampfanfall, wohl central bedingt. Herzlähmung ist gewöhnlich seine unmittelbare Ursache, eigentliche Erstickung kommt nur selten zur Beobachtung. — Als besondere Form muß noch der von K O S E beschriebene und benannte Kopftetanus erwähnt werden. Nur wenn die ursprüngliche Verletzung im peripheren Gebiete der Hirnnerven stattfand — der Orbitalrand scheint am häufigsten den Ausgangspunkt zu bilden — entsteht diese Abart. Klinisch ist eigentümlich die alle Zweige des Facialis treffende, in der ganz überwiegenden Mehrzahl gleichseitig mit der Verletzung auftretende Lähmung dieses Nerven. Nicht immer ist jene von R O S E hervorgehobene, überaus stark vermehrte Reflexerregbarkeit des Schlundes und Kehlkopfes vorhanden, welche die Namengebung „Tetanus hydrophobicus" veranlaßte und so die große Ähnlichkeit mit der Hundswut hervorhob. Der Verlauf ist nicht von dem Gewöhnlichen abweichend. — Anatomisch ist in einem Fall der seltenen Krankheit Vacuolenbildung, welche als Degenerationserscheinung

Tetanus.

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gedeutet wurde, in den Ganglien des motorischen Quintuskerns, in einigen Fällen des Facialiskerns und in einzelnen des Hypoglossuskerns gefunden worden. — Von Einzelheiten verdient Erwähnung: Schlaf, der freilich spontan nur für kürzeste Zeit sich einstellt, und Narkose machen alle Krämpfe aufhören. — Bei den tonischen Krämpfen, welche ausnahmslos physiologisch zusammengehörige Muskelgruppen ergreifen, überwiegen die stärkeren, sie weisen daher dem betreffenden Körperteil seine Stellung an; die schwächeren Antagonisten können geradezu gedehnt werden. Hieraus erklärt sich die Haltung von Nacken und Rücken, sowie die Hinderung der Ausatmung. Ebenso der eigentümliche Ausdruck des Gesichts. Obere und untere Hälfte desselben zöigen, jede für sich betrachtet, verschiedenartigen Ausdruck: die obere den eines frisch aus dem Schlafe Gestörten, noch mit Müdigkeit Kämpfenden, die untere den eines traurig Gestimmten. — Die Reize, welche die klonischen Krämpfe auslösen, brauchen nicht besonders stark zu sein; es kommt sogar vor, daß schwache von Wirkung sind, wo stärkere solche nicht hatten. Willenshemmung ist möglich, aber nur bis zu einem gewissen Grade. — Der Durst ist außerordentlich quälend, neben der Erschwerung von Flüssigkeitsaufnahme findet sich in den Anfällen regelmäßig starke Schweißabsonderung, der Organismus verliert also viel Wasser. Auch über Hunger klagen manche Kranke. Der Harn wird in verminderter Menge ausgeschieden, ist dunkel gefärbt, von hohem spezifischem Gewicht, enthält bisweilen etwas Eiweiß, häufig eine Substanz, welche reduzierende Eigenschaften besitzt, aber sehr selten wirklichen Zucker. Eine vermehrte Harnstoffbildung findet nicht statt. Die Entleerung der Blase ist oft erschwert; ebenso die des Darms. — Als prämortales Symptom tritt eine sehr erhebliche Temperatursteigerung auf — das bei dem Lebenden überhaupt beobachtete Maximum von 4 4 ° 75 in Axilla wurde an einem Tetanischen gemessen. Daß durch die stürmischen Muskelkontraktionen viel Wärme frei wird, dürfte zur Erklärung nicht ausreichen, man wird auf centrale Ursachen zurückgreifen müssen, die freilich vorderhand noch unbekannt sind. — Postmortales Ansteigen der Körperwärme ist sehr häufig und auf die ausgedehnte Muskelthätigkeit vor dem Tode und die dadurch eingeleiteten) erst nach Ablauf einer gewissen Zeit beendeten, mit Wärmebildung einhergehenden chemischen Prozesse ohne weiteres zu beziehen. — Der Verlauf des Tetanus ist gewöhnlich ein sehr rascher; mindestens zwei Drittel der Kranken gehen innerhalb der ersten fünf Tage zu Grunde, bis zu etwa zehn Tagen ungefähr neun Zehntel. So hoch — 88 °/0 — stellt sich nach grossen Zahlen die Sterblichkeit. Prognostisch ist bei dem Wundstarrkrampf die Zeit von Bedeutung, welche zwischen der Verletzung und seinem Ausbruch liegt; je kürzer dieselbe, je heftiger der Beginn, desto ungünstiger. Allgemein muß auf die Stärke und Zahl der Anfalle das Hauptgewicht gelegt werden, lassen sie nach, dann ist ein günstiger Ausgang möglich; bei nur angedeuteten oder gar vollständig fehlenden eigentlichen Krampfanfallen ist das die Regel. Hiervon ist der Trismus Neugeborener auszunehmen; die Erschwerung des Schluckens und die dadurch hervorgerufene mangelhafte Nahrungszufuhr wird von den Kleinen schwer ertragen. — Hohe Körperwärme ist ein ungünstiges Zeichen. Die Diagnose bietet meist keine Schwierigkeiten. Besonders zu beachten ist die allmähliche Entwicklung, Trismus und Nackenstarre, welche vor den allgemeinen klonischen Krämpfen eintreten. Strychninvergiftung kommt rascher zu

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voller Ausbildung, von Anfang an ist dabei die Reflexerregbarkeit bedeutend erhöht, tonische Krämpfe, besonders Nackenstarre und Trismus, sind in den freien Intervallen nicht da; die Extremitäten nehmen stark an den Krämpfen teil. Was die Therapie betrifft, so ist zunächst zu hoffen, daß bei der außerordentlichen Sorgfalt, die heutzutage jeder Wunde zugewandt wird, bei der so weit entwickelten operativen Technik wenigstens der traumatische Tetanus seltener wird. Auch die Pflege der Neugeborenen macht, freilich langsam, Fortschritte zum Bessern; hier handelt es sich vielfach um Besiegung von Vorurteilen, welche in breiten Kreisen wurzeln. Besonders zu beachten ist die Nabelwunde, bei deren Behandlung oft sehr leichtsinnig und roh zu Werke gegangen wird; es könnte nur heilsam sein, wenn ein für allemal auch hier nach antiseptischen Regeln verfahren würde. Ferner muß der Temperatur des Wassers, in welchem Neugeborene gebadet werden, Aufmerksamkeit geschenkt werden; die Anwendung des Thermometers sollte Regel sein; überheiße Bäder sind gefahrlich. — Bei dem bereits ausgebroehenen traumatischen Tetanus gelingt es nur in seltenen Fällen durch unmittelbares chirurgisches Eingreifen noch Hilfe zu bringen. Für den Erfolg maßgebend ist wohl die Entstehungsursache; er bleibt bei der spezifischen Infektion aus, da die Bacillen wie ihr Gift sich über größere Räume ausgebreitet haben, ist dagegen möglich, wenn es sich um Reizübertragung von der Peripherie zum Centrum handelt. Die Hoffnungen, welche man an die Einverleibung des Tetanusantitoxins knüpfte, haben sich bisher bei dem Menschen nicht erfüllt. Man sollte bei dem Erwachsenen 2 6 ccm ( = 250 Immunisierungseinheiten) des von den Höchster Farbwerken hergestellten Antitoxins in einem Zuge subkutan injizieren, ebenso an den beiden folgenden Tagen. Es wird auch das Doppelte dieser Menge als notwendig bezeichnet — ich würde mich lieber an diese Vorschrift halten. J e früher, mit desto größerer Aussicht auf Erfolg. Später als 3 6 Stunden, nachdem sich die ersten Erscheinungen zeigten, darf man nicht viel mehr erwarten. — Neuerlichst hat man unmittelbar in den Duralsack des Rückenmarks eingespritzt — sicher war die Wirkung auch dabei nicht. —

Über symptomatische Behandlung ist zu Bagen: Schlaf und Nachlaß der Krämpfe zu erzielen, ist ihre Aufgabe. Alle unnötige Erregung des Nervensystems muß unbedingt ferngehalten werden, daher ist für Ruhe in der Umgebung des Kranken, gleichmäßige Temperatur, Verhüten von stärkeren und unerwarteten Eindrücken auf die Sinne zu sorgen. Halb- bis ganzstündige Bäder von Körperwärme, welche möglichst auf gleicher Temperatur gehalten und drei- bis viermal in 24 Stunden wiederholt werden, können in den früheren Perioden von Nutzen sein, sie sind jedenfalls den Kranken angenehm. — Größere Gaben, für den kräftigen Erwachsenen 3 — 5 g, Chloralhydrat sind am meisten zu empfehlen. Gelingt die Einfuhrung per os nicht, dann wähle man die per rectum. Sind die Krampfanfalle sehr stark, dann lasse man zunächst Chloroform einatmen und benutze die Narkose, um das Klysma beizubringen (R 21). Die Gesamtmenge für den Tag kann 20 g und mehr betragen; niemals verzettele man die Einzelgaben, weil dabei sehr leicht heftige Erregung sich zeigt. — Bei N e u g e b o r e n e n giebt man stündlich bis zweistündlich 0,05—0,1 g Chloralhydrat mit 30 g dünner Stärke als Klysma. — Die Wirkung des Chloroforms ist sicher, aber nur von kurzer Dauer. — Morphium scheint im ganzen nicht empfehlenswert. — Man wähle von den Brompräparaten niemals die Kaliumverbindung, weil dieselbe, in relativ großer Menge eingeführt und bei der verminderten Harnausscheidung länger zurückgebalten, das Herz schädigen könnte. Will

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Tetanie.

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man dieses vielfach empfohlene Mittel anwenden, dann sind Dosen von 15 g pro die als Minimum für den Erwachsenen zu benutzen. — Curare wechselt in seiner Zusammensetzung so sehr, daß die richtige Gabengröße kaum in der Praxis zu finden sein dürfte. — Eine sehr schwierige Aufgabe ist es, die nötigen Mengen von Nahrung, das Wasser kommt dabei in erster Linie in Betracht, einzuverleiben. Anfangs kann wenigstens Flüssiges verschluckt werden — das Kauen ist sehr früh unmöglich — später muß der Mastdarm aushelfen. Man quäle die Kranken in vorgerückteren Stadien nicht mit unfruchtbaren Versuchen zum Schlingen, die durch das Verschlucken und die dabei entstehende Atemnot doppelt Plage machen. Ist der Durst unerträglich oder handelt es sich darum, dem erlahmenden Herzen beizustehen, dann können mittels der in der Narkose vorzunehmenden subkutanen Injektionen immerhin bedeutendere Mengen von Flüssigkeit, sowie die erforderlichen Reizmittel zur Aufnahme gebracht werden. Auch vom Mastdarm aus ist das möglich. — Man vergesse bei der Behandlung des Tetanus nie, daß die Erhaltung des Lebens meist unmöglich ist, aher die Leiden der Kranken wesentlich gemindert werden können und sollen. § 69.

Tetanie.

In Anfällen auftretende tonische Krämpfe bestimmter Muskelgruppen, vorzugsweise der an den oberen Extremitäten und besonders im Gebiet des Ulnaris, welche mit erhöhter elektrischer und mechanischer Erregbarkeit der motorischen Nerven einhergehen, nennt man Tetanie. Die Störung kommt bei Erwachsenen wie bei Kindern vor. Beiden gemeinsam ist, daß bestimmte Monate (März, April) erhebliche Steigerung der vom Juni bis September geringsten Häufigkeit zeigen. — Die Krankheit tritt in den Einzeljahren in wechselnder Ausbreitung auf. — Einige Städte — Wien, Heidelberg — sind besonders heimgesucht, andere bleiben nahezu ganz verschont. Man darf von einer Endemie, welche zeitweilig sich merklich ausbreitet, reden. — Weiber erkranken weitaus seltener als Männer; den höheren Ständen Angehörende beiderlei Geschlechts nur ausnahmsweise. Auf das 16.—25. Jahr treffen 83 °/0 der Fälle bei Erwachsenen. — Höchst eigenartig ist die Verbreitung unter den verschiedenen Handwerkern: Schuster kommen zuerst, dann folgen die Sehneider — beide zusammen machen in Wien etwa s/a der Gesamtzahl aus. — Dieser Hauptgruppe — man kann von einer Gewerbekrankheit bei sonst Gesunden sprechen — reihen sich andere, weitaus Kleinere an. Hervorzuheben darunter sind: Tetanie nach Totälexstirpationen, seltener nach Erkrankungen der Schilddrüse, bei Schwangeren, mehr noch bei Säugenden, bei Magen- und Darmleidm — nicht immer handelt es sich hier um reine Formen. Endlich tritt das Leiden noch bei akuten Infektionen, ganz vereinzelt bei Vergiftungen auf. — Kinder sind vorher selten ganz gesund. — Bhachitis mit Erkrankung des Magens und Darms liefert den Hauptanteil zur Tetanie. Die beiden ersten Lebensjahre werden ganz vorwiegend ergriffen. — Man nimmt an, daß es sich um eine Infektion oder Intoxikation handelt, über deren Wesen wir allerdings durchaus im Unklaren sind. — Anatomische Veränderungen kennen wir nicht. — Bei der Tetanie sind zwei Dinge zu trennen: Solange die Krankheit währt, ist die galvanische, weniger die faradische, sowie die mechanische E r r e g b a r k e i t d e r motorischen N e r v e n u n d Muskeln auffallend e r h ö h t . Schwache Ströme reichen hin, um die sonst nur den stärkeren und stärksten eigenen Erscheinungen hervorzurufen, ebenso genügt geringfügige mechanische Reizung zur Auslösung kräftiger Muskelzusammenziehung. Letzteres ist im Gebiet des nicht selten mit ergriffenen Facialis am auffälligsten, es genügt, mit dem Finger etwas fester über

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Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.

das Gesicht hinzustreichen, um die sämtlichen, vom Facialis versorgten Muskeln zur Zusammenziehung zu bringen. Auch die sensiblen Nerven und die der Sinne sind leichter erregbar. — Die gesteigerte Erregbarkeit läßt sich auch so nachweisen (TKOUSSEAU'sches Phänomen)-. Druck auf die Nervenstämme eines Gliedes ruft gleich oder wenigstens, wenn er einige Minuten fortgesetzt wird, Krampf hervor. Besonders leicht der im Sulcus bicipitis geübte im Gebiet des Ulnaris. Die Kompression der Arterien kommt dabei nicht in Betracht. Bei stärkerer Tetanie genügt Druck an anderen Stellen, für den Ulnaris UmSpannung der Handknöchel. — Wahrscheinlich handelt es sich um einen Beflexvorgang, der ausnahmsweise sogar anf die andere, unmittelbar dem Druck nicht ausgesetzte Seite übergreifend, hier Krampf der entsprechenden Muskeln wachrufen kann. — Neben diesem Dauerzustand treten nun anfallsweise Krämpfe auf, fast stets symmetrisch an beiden Körperhälften. — Schmerz, seltener Parästhesien in den ergriffenen Teilen leiten sie ein, es folgt Steifigkeit der Muskeln, endlich vollentwickelter Krampf. — Zuerst, häufig auch einzig, sind die oberen Extremitäten befallen, vorwiegend das Gebiet des Ulnaris, so daß die eigenartige Stellung entsteht, welche man als „Geburtshelferhand" bezeichnet. — Dann kommen die unteren an die Reihe — sie werden meist adduziert, im Hüft- und Kniegelenk gestreckt, das Fußgelenk ist plantar flektiert, die Zehen sind eingeschlagen. — In schweren Fällen erstreckt sich der Krampf auf die Muskeln des Halses, der Brust, des Bückens und Bauches, sogar die des Kehlkopfes und das Zwerchfell können teilnehmen. — Von der Muskulatur des Gesichts ist zunächst die vom Facialis, dann aber auch die vom Trigeminus versorgte und die der Augen ergriffen. — Durch Behinderung der Atmung kann es zu schweren Erscheinungen, in einzelnen Fällen, selbst bei Erwachsenen, zum tödlichen Ausgang kommen. Von sonstigen Störungen ist zu erwähnen: ausnahmsweise Temperatursteigerung, Röte und ödematöse Schwellung der Haut um die Gelenke, häufiger Ausbruch von Schweiß, beständig Schmerz in den dem Krampf verfallenen Muskeln, so lange dieser anhält. — Die Dauer des Anfalls wechselt zwischen Minuten und Stunden; daß er auch tagelang anhalten soll, wird behauptet, dann aber handelt es sich wohl immer um Gruppen von Anfällen, die freilich nicht durch deutliche Pausen getrennt sind. — Mit dem Aufhören des Anfalls verlieren sich fast alle Beschwerden; nur ein gewisser Grad von Muskelsteifheit und Schwäche kann zurückbleiben. — Die einzelnen Attaken sind durch Zwischenräume von Stunden — das Gewöhnliche — aber auch durch solche von Monaten getrennt Die zu dieser Zeit latente Krankheit ist durch die fortbestehende gesteigerte motorische Erregbarkeit genügend als nicht erloschen gekennzeichnet. Differentialdiagnostisch kommt für gewöhnlich nur Hysterie in Betracht. — Die Prognose ist, wenn es sich um die nicht als Begleiterscheinung anderer Krankheiten auftretende Form handelt, gewöhnlich gut. Meistens hält das Ganze nicht länger als einige Monate an. — Ob die Spontanheilung durch therapeutische Maßregeln beschleunigt werden kann, steht dahin. § 70.

Chorea.

Als Chorea (Veitstanz) bezeichnen wir einen Zustand, welcher durch das Auftreten unregelmäßiger, nicht oder doch mindestens nicht vollkommen koordinierter Muskelkontraktionen gekennzeichnet ist. Diese schließen sich meist an die vom Willen ausgelösten als Mitbewegungen an, können aber auch davon unabhängig sich einstellen. Fester, traumloser Schlaf macht die Kontraktionen aufhören. Man findet bei den Kranken fast ausnahmslos eine, wenn auch vielleicht nur schwach angedeutete Abweichung des psychischen Verhaltens von der Norm. — Wir müssen ihrem Wesen nach verschiedene Formen trennen: die eben kurz umschriebene Chorea minor (SYDENHAMI) und die Chorea chronica progressiva (HUNTINGTON). — Zunächst die Chorea minor. —

Chorea.

157

Ätiologisch ist bekannt: Hereditäre Belastung kommt wenig in Betracht. Von entscheidendem Einfluß ist das Lebensalter: das Maximum der Krankheitshäufigkeit trifft mit etwa zwei Drittel aller Fälle auf das 7. bis 15. Jahr, die unmittelbar vorhergehenden (bis zum 5.) oder folgenden (bis zum 20.) sind noch verhältnismäßig stark beteiligt, alles außerhalb dieser Grenzen Liegende nur in geringem Grade. — Das weibliche Geschlecht ist zweimal, höchstens dreimal häufiger betroffen als das männliche. Chorea kommt am häufigsten vor: 1. Bei allen akuten Infektionen, welche Endokarditis hervorzurufen vermögen — wahrscheinlich handelt es sich dabei nur um ein Nebeneinander, die gleiche Schädlichkeit bedingt beide Störungen. — Ich glaube mich berechtigt anzunehmen, daß diese allgemeine Fassung den gegenwärtig bekannten Thatsachen am besten entspricht. — Zweifellos ist das häufige Zusammen-

treffen der Chorea mit akutem Gelenkrheumatismus, welcher mit Herzerkrankung einhergeht.

Nun liegen aber Gründe vor, die dafür sprechen, daß diese Krankheit den sep-

tischen Infektionen mindestens nahesteht, denkbarer Weise zu ihnen gehört (§ 128). —

Chorea fand man sonst noch am häufigsten bei Scharlach, der oft mit Eiterkokkeneinwanderung verbunden ist. — Es ist freilich nicht sicher, daß manches, vielleicht alles, was früher in die große Gruppe des Rheuma fiel, zur Sepsis gehört. Allein es ist immerhin möglich. Die Beobachtungen aus älterer Zeit würden sich damit gut vertragen. —

Vorderhand dürfen wir freilich nicht diese „infektiöse Theoriff' als die einzig in Betracht kommende ansehen. Chorea kommt sonst noch vor: 2. Während der Schwangerschaft, mehr zu deren Anfang als gegen deren Ende, häufiger bei Erstgebärenden. Bei Wöchnerinnen selten. 3. Durch periphere Nervenetrregwng. 4. Nach stärkerer psychischer Erregung; namentlich heftige Angst und Erschrecken können dazu fuhren; dann durch einfache Nachahmung. Bei 2. ist zu fragen, ob nicht früher Chorea vorhanden gewesen — dann würde es sich um ein Beeidiv handeln. Bei 3. und 4., ob nicht die als Urheber betrachteten Einflösse nur Gelegenheitsursachen seien, welche eine vorhandene, aber schwache Erkrankung verstärkten, scheinbar zum Ausbruch kommen ließen? —

5. Als Begleiterscheinung verschiedenartiger Erkrankungen moren u. s. w. — sogenannte symptomatische Chorea.

des Gehirns, Tu-

Das Ergebnis anatomischer Untersuchung ist kein zweifelloses. Vorläufig dürfte wahrscheinlich sein, daß Ernährungsstörungen, die unter Umständen auch mit geweblichen Veränderungen einhergehen, bei den an Chorea Verstorbenen im Gehirn und im

Rückenmark vorkommen können. Für die Möglichkeit, daß auf dem Blutwege die Krankheitserreger sich verbreiten, für die infektiöse Theorie spricht besonders ein Befund NAUWERCK'S.



Die Entwicklung des Leidens findet meist allmählich statt. Einleitend werden Abweichungen von dem gewohntem psychischem Verhalten bemerkt: traurige, mürrische Stimmung, öfter durch Zornausbrüche abgelöst, Unfähigkeit zu anhaltender geistiger Beschäftigung neben körperlicher Ruhelosigkeit: gemütliche Reizbarkeit neben geistiger Ermüdbarkeit. Zugleich leichtere Verdauungsstörungen: launenhafter Appetit und unregelmäßige Stuhlentleerung. Dem schärferen Beobachter verrät sich schon jetzt, um was es sich handelt. Volle Beherrschung der Bewegungen gelingt dem Kranken nicht mehr: hier und da ein unbeabsichtigtes Zucken der Gesichtsmuskeln, blitzschnell vorübergehend, eine gewisse Ungeschicklichkeit

158

Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.

bei der Ausführung gut eingeübter Koordinationen — Verschütten flüssiger Speisen während dieselben mit dem Löffel zum Munde geführt werden, fallt z. B. sehr gewöhnlich zuerst der Umgebung auf. Eine Seite, häufiger die linke, ist besonders ungeschickt (Hemichorea). Darauf mag es wenigstens mit beruhen, daß man erst später auf die- ganze Sache achtet. — Die vollausgebildete Krankheit hat den ganzen Körper in Besitz genommen, Gesicht, Rumpf, Glieder beteiligen sich, auch die Muskeln der Zunge, des Kehlkopfes, der Atmung bleiben nicht verschont — immer leidet die zuerst ergriffene Körperhälfte dauernd mehr als die andere. Die glatten Muskeln sind mit sehr seltenen Ausnahmen frei — das Schlingen geht ungestört von statten, Blase und Darm verhalten sich normal. Das Gesamtbild wird ein sehr eigenartiges. Ruhelosigkeit tritt besonders hervor, kein mimischer Ausdruck kann länger festgehalten werden. Freilich bildet ein blödes Aussehen den Grundtypus, aber bald dieser, bald jener Muskel des Gesichts zieht sich zusammen, so daß die stumpfe Einförmigkeit vorübergehend durch das tollste Fratzenschneiden unterbrochen wird. Das Facialisgebiet ist weitaus am stärksten befallen. Auch die Sprache ist erschwert, manchmal durch sonderbare Belllaute unterbrochen. Die Gliedmaßen können nicht stille gehalten werden; bald scheinen sie nur wie von einem elektrischem Schlage durchzuckt, wird aber eine willkürliche Bewegung angestrebt, dann breitet sich die Erregimg über weite Bahnen aus, es wird nun der Körper durcheinandergerüttelt, wie ein von einem Kinde am Schnürchen gezogener Hampelmann. Nur nach längerer Zeit gelingt es dem Kranken auf vielfach sich kreuzenden und schneidenden Umwegen das erstrebte Ziel zu erreichen. — In den schweren Fällen ist Stehen und Gehen, sogar das Liegen unmöglich. — Besonders zu erwähnen ist: Die Pupillen sind meist etwas weiter, der Puls ist beschleunigt. Die sensiblen Nerven verhalten sich in der Regel normal; es kommt übrigens verminderte wie erhöhte Erregbarkeit derselben vor. öfter noch trifft man in ihrem Verlaufe Punkte, die auf Druck schmerzen, bei Hemichorea nur an der leidenden Seite. Die Reflexerregbarkeit bietet keine Abweichungen dar. — Ermüdungsschmer» in den Muskeln ist selten. — Das Gefühl allgemeiner Schwäche auf körperlichem wie auf geistigem Gebiet ist bei irgend stärkerer Erkrankung in mehr oder minder hohem Grade immer vorhanden; es kann nach dem Vergehen der eigentlichen Krankheitserscheinungen noch für eine Zeit fortbestehen. — Die Ernährung leidet nur, wenn die Nahrungszufuhr erschwert wurde und der Schlaf sich länger nicht einstellte —, beides kann durch die Bewegungsstörung veranlaßt werden. — Fieber kommt dem Veitstanze als solchem nicht zu. Die Dauer der Krankheit beträgt mindestens Wochen — im Mittel 10—12; Beddive sind häufig. Der Ausgang ist bei Kindern meist günstig, bei Erwachsenen (namentlich sind die Schwangeren gefährdet) steigt das Sterbeverhältnis auf 1/3. Erschöpfung durch die anhaltenden Zuckungen führt am häufigsten zum Tode, seltener Verletzungen hervorgerufen durch heftige Schleuderbewegungen, welche sogar Knochenbrüche veranlassen können. — Als Nachkrankheit sollen in selteneren Fällen Psychosen vorkommen. Die Diagnose bietet, wenn sie nur eine symptomatische sein will, kaum Schwierigkeiten. — Die Behandlung hat zunächst etwaige Unregelmäßigkeiten der Lebensweise,

Chorea.

Paralysis agitans.

159

die Ernährung einbegriffen, zu berücksichtigen. Der früh gerufene Arzt ist öfter in der Lage, dem Kranken die Schonung zu verschaffen, welche von der unrichtig urteilenden Umgebung dem vermeintlich Launenhaftem, Trägem, Ungeschicktem oder gar Böswilligem versagt wurde. Kinder, die an Chorea leiden, dürfen nicht in die Schule geschieh werden. Sie müssen geistigen Anstrengungen nicht minder fern gehalten werden, wie der Verspottung. — Für Schlaf zu sorgen, ist wesentlich; er unterbricht die Bewegungen und verhindert die Ermattung und Erschöpfung des Nervensystems. Zuerst sind einstündige Bäder von Körperwärme — am besten kurz vor der Schlafenszeit — zu geben. Versagen dieselben, dann ist das Chloralhydrat heranzuziehen. Dessen Gabe sei, natürlich den individuellen Bedingungen angepaßt, so bemessen, daß sie ihren Zweck erfüllt, man scheue eine größere nicht. — Chloroforminhalationen sind nach den im § 68 erwähnten Indikationen anzuwenden. — Unter den Arzneimitteln, welche auf das Ganze der Krankheit günstigen Einfluß üben, steht die arsenige Säure obenan. Man reiche, langsam ansteigend, Erwachsenen bis 0,015 g pro die, Kindern eine dem Lebensalter angemessene, aber immer relativ größere Dosis — kleine nützen entschieden wenig. — Die sonstigen sogenannten Nervina sind von zweifelhaftem Erfolge. Gleiches gilt von der Hydrotherapie und der Elektrizitätsanwendung. — Nach Ablauf der Erkrankung ist ein auf Stärkung der Gesamtkonstitution gerichtetes, für den Einzelfall besonders zu wählendes, Regimen anzuordnen. Chorea progressiva degenerativa entwickelt sich meist erst jenseits der 30 er Jahre, bis etwa zum 45. — Neuropaihische Konstitution (§ 60) liegt sehr oft vor, deren Vererbung zeigt sich auch in der Familienverbreitung der HüNTiNTON'schen Chorea. — Sie ist unter den schlecht Gresteilten häufiger. — Die anatomische Untersuchung ergiebt Entartungsvorgänge, Atrophie des Hirns, chronische Gewebeveränderungen in seinen Häuten, alles dem bei Paralytikern Vorkommendem gleichend, keine Eigentümlichkeiten darbietend. — Die Störungen beginnen gewöhnlich in den Armen, gehen von hier auf das Gesicht, den Rumpf und die Beine über. Eine Körperhälfte ist stärker ergriffen, die andere bleibt nie ganz frei, sie kann sogar im Laufe der Zeit die mehr leidende werden. — Die Form der unwillkürlichen Bewegungen ist die gleiche wie bei der Chorea minor, nur können sie von Manchen leichter im Zaum gehalten werden. Vollständige Unmöglichkeit zur Fortbewegung fehlt daher selbst nach langer Dauer der Erkrankung. — Dagegen sind ausgesprochene Beeinträchtigungen der Geistesthätigkeit unter Umständen bis zur vollentwickelten Verblödung fortschreitend, regelmäßig vorhanden. — Es können sich Zustände von Erregung mit solchen von Depression wechselnd einschieben, kommen und gehen. — So langsam der Verlauf, so schlecht die Prognose — heilbar ist das Leiden nicht. —

Arsenige Säure soll, länger gebraucht, eine Verzögerung der Ausbildung hervor-

rufen können. —

§ 71. Paralysis agitans. Bei der Paralysis agitans (Schüttellähmung) ist nebeneinander Zittern der willkürlichen Muskeln und durch deren Starre wie durch ihre verlangsamte Reaktion gegen Willensreize bedingte lähmungsartige Schwäche vorhanden. — Die seltene Krankheit tritt vorzugsweise gegen das Ende der 40 er Jahre oder noch später auf, bei Jüngeren ist sie nur ausnahmsweise beobachtet. — Männer werden öfter als Frauen ergriffen, in dürftigen Verhältnissen Lebende mehr als gut Gestellte. Von Qelegenheitsursachen nennt man stärkere psychische Affekte, namentlich Schreck; dann Verletzungen, welche auf das Gehirn wirken konnten. —

160

Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.

Anatomische Veränderungen sind nicht sicher gefunden; es ist nicht klar, ob das Gehirn, ob das Rückenmark Sitz des Leidens sei. — Die Entwicklung ist gewöhnlich langsamer, nur hier und da soll durch die eben genannten Veranlassungen bedingtes plötzliches Entstehen beobachtet worden sein. Meist wird zuerst bemerkt, daß eine der oberen Extremitäten, häufiger die rechte, nicht mehr mit der gewohnten Sicherheit gebraucht werden kann. Das verrät sich bei den mit der Hand ausgeführten feineren Bewegungen am leichtesten — wohl sind solche noch möglich, aber nur durch Aufwendung größerer Willenskraft, es tritt daher auch früher Ermüdung ein. Allmählich breitet sich Zittern weiter aus: eine Körperhälfte ist daran meist stärker beteiligt als die andere, selten wird nur die eine oder gar ein einzelnes Glied ergriffen, Übrigens wechselt Ort und Stärke des Zitterns — nach heftigeren psychischen Erregungen kommt es zu förmlichen Anfällen, zeitweise kann andererseits sehr bedeutender Nachlaß auftreten. Die Zitterbewegung ist verhältnismäßig langsam, die Einzelstöße sind durch längere Zwischenräume getrennt. — Die Lähmung, man sagt wohl besser die beschränkte Gebrauchsfahigkeit der zitternden Muskeln wird immer deutlicher. Später tritt Starre derselben hinzu, welche dauernde Fixation der betroffenen Körperteile zu bewirken vermag. So wird der Kopf gegen die Brust geneigt, der Fuß in die Stellung des Yaro equinus gebracht; die Vorderarme verharren in leichter Beugung, die Finger können ähnlich wie bei Rheumarthritis deformans ihre Gestalt verändern, sogar wirklich subluxiert werden. Freilich ist noch länger mit dem Aufgebote großer Willensanstrengung eine Muskelbewegung an den erstarrenden Gliedern möglich, welche dieselben vorübergehend in eine andere Haltung bringt, endlich gelingt aber auch das nicht mehr. Kennzeichnend sind für die Starrheit der Muskeln und die in ihnen verlangsamte Auslösung des Willensreizes: Das Gesicht wird unfähig die wechselnden Eindrücke der Stimmungen wiederzugeben, maskenhaft. — Will sich der Kranke bewegen, so vergeht, bis die gewollte Bewegung zur Ausführung kommt, stets eine längere Zeit, hat sie aber begonnen, dann wird sie rascher und rascher so lange fortgesetzt, bis ein äußeres Hindernis sie aufhält. Ein Stoß nach vorn ruft die verzögerte Bewegung nach vorn, ein Zug nach hinten die Bewegung nach hinten wach („Propulsion" — „Retropulsion"). — Das beim Anfang eintönige, langsame Sprechen wird im Fortgang rascher, dann werden Einzelsilben oder Wörter wiederholt. — Tiefer Schlaf bringt das Zittern zum Aufhören. — Das elektrische Verhalten der Muskeln ist das normale; Sensibilitätsstörung ist nicht konstant, kann aber sehr störend werden; es wird häufig über Parästhesien geklagt, Ameisenkriechen, Vertaubung, wirklicher Schmerz in bestimmten Körperteilen. Lästiger ist die allgemeine Unruhe, die zu öfterem Wechseln der Körperlage zwingt, noch mehr das Hitzegefühl mit objektiv nachweisbarer örtlicher Erhöhung der Temperatur an Ort und Stelle und starke Ausbrüche von Schweiß. — Kopfweh und Schwindelgefühl sind öfter da. — Daß schwere Verstimmung bei den ihrer Lage bewußten, mehr und mehr des Gebrauchs der Glieder entbehrenden Kranken auftritt, kann nicht befremden; im übrigen ist das Allgemeinbefinden lange ungestört, Schlaf und Ernährung reichen aus. Erst gegen das Ende wird mit dem allgemeinen Nachlaß das anders, dann nehmen auch die Geisteskräfte ab. Der Tod, im Marasmus, oder durch septische Infektion von Decubitus aus, ist der

Zittern; Athetose, Myoklonie, Tickrankheit. regelmäßige Ausgang, sichere Heilungen sind nicht bekannt. Leidens berechnet sich nach Jahren. —

161 Die Dauer

des

Die Differentialdiagnose hat namentlich die multiple Sklerose (§ 34) zu beachten. Es ist darauf hinzuweisen: 1. Sklerose kommt meist im früheren Lebensalter vor. 2. Das Zittern wird bei der Sklerose durch Willensanstrengung verstärkt, bei der Paralysis agitans hingegen wird es dadurch jedenfalls schwächer, ja vielleicht für eine Zeit ganz unterdrückt. 3. Bei der Sklerose tritt zunächst Lähmung, dann erst Zittern auf, das Umgekehrte ist bei der Paralysis agitans der Fall. Das Zittern der Greise mag so lange zur Verwechslung Veranlassung geben, bis es zur Muskelstarre kommt, unterscheidet sich aber eigentlich schon durch seine weite Verbreitung und die starke, frühe Beteiligung der Gesichtsmuskeln. — Gegen Verwechslung mit dem bei Quecksilbervergiftung vorkommenden, sonst nach manchen Seiten recht ähnlichen Zittern schützen die anderweitigen Zeichen dieser Intoxikation. Die Therapie hat mit Sicherheit nicht einmal vorübergehende Erfolge zu verzeichnen. Die Heilwirkung der Elektrizität sowohl, wie die der Hydrotherapie wird von kompetenter Seite stark angezweifelt. Als Palliativmittel wird besonders das Hyoscin gerühmt, welches als bromwasserstoffsaures Salz in Mengen von 0,1—0,5 mg täglich verabreicht wird. Daneben kommt Acidum arsenicosum bis 18 mg täglich in Betracht. Von Zeit zu Zeit Wechsel der beiden wird empfohlen. § 72.

Zittern; Athetose, Myoklonie, Tickrankheit

Bei dem Zittern {Tremor) finden sich fibrilläre, über mehrere oder viele Muskeln ausgebreitete Bewegungen, welche dieselben in mehr oder minder hohem Grade gebrauchsunfähig machen. — Verminderung des Willenseinflusses ist als eigentliche Veranlassung zu betrachten. Diese verrät sich ja schon bei dem durch heftigere psychische Erregung hervorgerufenen, ganz in das physiologische Gebiet fallenden Zittern. — Die Ergebnisse experimenteller Forschimg sind dieser Anschauung günstig: in Muskeln, deren Nerven durchschnitten waren, sieht man einige Tage nach der Operation fibrilläre Zuckungen sich einstellen, welche längere Zeit andauern. — Eine Unterdrückung des Zitterns durch starke Willensanspannung ist häufig wenigstens zum Teil möglich. Manchem gelingt es, seine geschlossene Hand ruhig zu halten, läßt man aber beide mit gespreizten Fingern ausstrecken, dazu die Zunge, während die Augen einen bald näher, bald ferner gerückten Gegenstand fixieren müssen, dann zittert alles. — Andere Male tritt erst bei der Ausfuhrung feinerer Bewegungen das Zittern auf, welches in den nicht bewußt innervierten Gliedern fehlte. — Man trennt: 1. Zittern bei Zuständen mangelhafter Ernährung — im Greisenalter, während und nach schweren Krankheiten, nach übermäßigen, Erschöpfung bewirkenden Anstrengungen. — 2. Zittern durch Gifte hervorgerufen: Blei, Quecksilber, Alkohol, Kaffee, Thee, Tabak, Morphium sind besonders zu nennen. — 3. Zittern als Symptom centraler Störungen. Es soll als einzigste Erscheinung einer hereditären Anomalie vorkommen und als solches vererbbar sein. — Für eine kleinere Zahl von Fällen fehlt jede annehmbare Erklärung. In der Regel findet sehr allmähliche Entwicklung statt. Ist aber einmal Zittern da, dann hält dasselbe lange an und überdauert, wie bei den Intoxikationsformen deutlich zu erkennen ist, die ursprüngliche Schädlichkeit sehr bedeutend. Gewöhnlich beteiligen sich die oberen Extremitäten früh und stark, weniger die unteren, am wenigsten das Gesicht. Von dieser Kegel giebt es übrigens vielfache Ausnahmen; die Einzelformen zeigen meist ihre besondere Verbreitung. — Die Therapie hat sehr verschiedene Aufgaben, sie muß, wo es möglich, die Veranlassung beseitigen, dann Aufbesserung der Ernährung anstreben. — Symptomatisch T. J B r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

11

162

Verbreitete Neurosen ohne bekannte anatomische Grundlage.

werden Injektionen von täglich 0,5 g einer Mischung von 1 Liquor kalii arsenicosi, 2 Wasser gerühmt. — Unter dem Namen A t h e t o s e wird ein Symptomenkomplex zusammengefaßt, dessen Haupteigentümlichkeit darin besteht, daß unfreiwillige und durch den Willenseinfluß nicht zu hemmende, langsame, rhythmische, mäßig ausgiebige Bewegungen der ergriffenen Teile beständig sieh vollziehen. Manchmal, aber nicht immer, werden dieselben durch den Schlaf unterbrochen. Finger und Zehen führen solche Bewegungen aus, bald sind sie nur auf einer Körperhälfte vorhanden, andere Male werden beide Seiten ergriffen. — Ursprünglich beschränkte sich die Benennung auf diese bestimmten Erscheinungen, allein nachher erweiterte man den Begriff und dehnte ihn auf ähnliche Vorkommnisse in anderen Korpermuskeln, die des Gesichts eingeschlossen, aus. — Eine anatomisch nachweisbare Lokalisation ist nicht bekannt. — Scheinbar tritt die Erkrankung in einzelnen Fällen selbständig auf, in der großen Mehrzahl aber handelt es sich um ein mit verschiedenen Hirnleiden verbundenes Leiden. Nach cerebral entstandener Hemiplegie kommt Athetose, auf die gelähmte Seite beschränkt, namentlich bei Kindern etwas häufiger vor. — Übergang in echte Chorea ist beobachtet. — Der Verlauf ist immer ein langdauernder, Heilung hat man nur ausnahmsweise gesehen. Für die Behandlung wird die Anwendung des konstanten Stromes und Darreichung von Arsen empfohlen. Myokloni© (Paramyoklonus multiplex): Kurzdauernde, aber rasch sich folgende Zuckungen einzelner Muskeln der oberen und unteren Gliedmaßen, bei den durch Willensauslösung bedingten Bewegungen der betroffenen Teile nachlassend, im Schlafe aufhörend. Zeitweilig auch dauernde tonische, schmerzhafte Kontraktion einzelner der ergriffenen Muskeln. Erhöhte Haut- und Sehnenreflexe. — Das so von F R I E D B E I C H gezeichnete Bild hat zu der Namengebung Veranlassung gegeben. In den später beobachteten Fällen ist es keineswegs immer ganz rein .gewesen. Ob es sich um ein eigenartiges Leiden, oder um eine Teilerscheinung anderer — Hysterie kommt sehr in Betracht — handelt, steht noch dahin. — T i c k r a n k h e i t (Myospasia impulsiva): Zucken der einzelnen Muskeln des Gesichts, sich auf die des Stammes und der Glieder ausbreitend, dann höchst eigentümliche Bewegungen des Körpers (Hüpfen, Tanzen) herbeiführend. Dabei unartikulierte Laute, oder verständliche Worte und Sätze, letzterwähnte nicht selten wenig fein, Schimpfworte oder geradezu gemeine (Koprolalie). Es kommt auch vor, daß eben gehörte Wörter nachgesprochen (Echolalie), oder gesehene Bewegungen nachgemacht (Echopraxie) werden. — Es handelt sich um Zwangsvorgänge, in den leichteren Fällen um die zur Gewohnheit gewordenen, nicht durch ausreichende Willenshemmung gehinderten Äußerungen von Augenblickserregungen. — Die neuropathische Disposition liegt vielfach zu Grunde; auf solchem Boden können neben diesen auch die anderen Leiden, denen er günstig, von der Neurasthenie bis zu den Psychosen zur Entwicklung gelangen. Allein manchmal handelt es sich nur um Nachahmung und Sichgehenlassen. —

IL

Krankheiten des Blutes und allgemeine Ernährungsstörungen. Krankheiten des Blutes. § 73.

Allgemeines.

Das Blut ist ein Organ des Körpers, seine normale Funktion ist durch seine normale Zusammensetzung bedingt. — Die Leistungsfähigkeit sämtlicher Körperteile ist von einer ausreichenden, der verschiedenen Thätigkeit jedes einzelnen angemessenen Durchströmung mit Blut abhängig. Tritt ein Mißverhältnis zwischen der Arbeit eines Organs und seiner Versorgung mit Blut ein, dann nimmt die erstere mindestens bis zu dem Punkte ab, wo Verbrauch und Ersatz gleich werden. — Da überall im lebenden Körper Zellenarbeit sich vollzieht, macht sich jede erhebliche Änderung in der Zusammensetzung des Blutes auch überall geltend, am stärksten dort, wo am meisten gearbeitet wird. Krankheiten des Blutes zeigen sich daher immer als Allgemeinleiden. Das Blut besteht aus Plasma — der Grund- oder Gerüstsubstanz — und Zellen. — Solange der Gefäßquerschnitt und die Triebkraft gleich bleiben, sind die Widerstände, welche das Blut für seine Fortbewegung findet, von seinem Wassergehalt, seiner Dick- oder Dünnflüssigkeit abhängig. Der Wassergehalt wird vorwiegend von den im Plasma enthaltenen kolloiden Albuminaten, besonders dem Serumeiweiß, bestimmt. Wegen ihres hohen Quellungsmaximums vermögen sie bedeutende Mengen Wassers mechanisch an sich zu binden. Ein gewisser Vorrat kolloiden Eiweißes ist daher dem Blute zu seiner passiven Fortbewegung nötig. Damit die Diffusionsgeschwindigkeit krystalloider Substanzen aus Geweben und in dieselben die Zeit einhalte, ist ebenfalls ein in bestimmte Grenzen eingeschlossener Wassergehalt des Blutes erforderlich. Für die normale Thätigkeit des Blutes ist also normale Beschaffenheit seiner Gerüstsubstanz geboten. Das in den roten Blutkörperchen enthaltene Hämoglobin nimmt, mit dem Sauerstoff eine lockere chemische, durch Dissociation trennbare Verbindung eingehend, denselben aus der Luft auf und verteilt ihn an die Einzelorgane. Nur das mit dem Stroma zum roten Blutkörperchen vereinte Hämoglobin ist bleibend leistungsfähig, nur das geweblieh unversehrte rote Blutkörperchen lebt und wirkt. Von der Menge der roten Blutkörperchen in der Baumeinheit des Blutes ist dessen Sauerstoffmenge und damit der wesentliche Teil seiner Leistungsfähigkeit bedingt. Pathologische Veränderungen treffen das Ganze des Blutes, oder vorwiegend einen seiner Bestandteile; jede anfangs als Teilerkrankung auftretende Störung erstreckt sich aber bald auf das Gesamtorgan. 11*

164

Krankheiten des Blutes.

Länger dauernde Vermehrung der Menge des Blutes findet sich, wenn durch ungenügende Leistung der wasserausführenden Organe, in erster Linie der Nieren, Wasser im Körper zurückgehalten wird. Mit allen anderen Geweben wird dann das Blut wasserhaltiger. So entsteht eine Retentionshydrämie — Plethora hydraernica, häufiger Plethora serosa genannt. Verminderung der Menge des Blutes mit Eindickung desselben und Eintrocknung der Gewebe einhergehend — Oligaemia sicca — stellt sich nach reichlichen Wasserentleerungen aus Magen und Darm — z. B. bei Cholera — ein. Verminderter Eiweißgehalt des Plasma — Oligaemia hypalbuminosa — folgt, wenn länger mehr Eiweiß dem Blute entzogen als ihm zugeführt wurde (schwere Albuminurie, Masseneiterung, übermäßige Laktation). Meist kommt daneben Blutverdünnung vor. Verminderung der Blutmengen im ganzen durch Verlust nach außen (Hämorrhagien) — Oligaemia vera — geht bald in einen Mischzustand über, welcher vermehrten Wassergehalt neben Verminderung des Eiweißes und der Blutkörperchen zeigt. Es sind dies die . gangbaren Lehren. Ihre Richtigkeit halte ich nicht für streng erwiesen, ebensowenig aber das Gegenteil. Fest steht, da£ das Plasma des Blutes seinen Wassergehalt nur innerhalb enger Grenzwerte wechselt, Änderungen sobald das thunlich ausgleicht. Noch weniger sicher ist es, ob anderweitige Veränderungen — früher nahm man das an — sich als Dauerzustände behaupten? Es kommen hier in Betracht: 1. Plethora vera: Absolute Vergrößerung des in seiner Zusammensetzung nicht geänderten Blutvolumens — wahre Hypertrophie des Organs Blut. — 2. Plethora pölycythaemica: Absolute Vermehrung der Zahl der roten Blutkörperchen bei gleichbleibendem Volum des Gesamtblutes sollte nach dem Aufhören gewohnter Blutverluste (menstrualer, hämorrhoidaler u. s. w.), ebenso nach Amputationen großer Gliedmaßen sich einstellen. — 3. Plethora hyperalbuminosa: Zunahme der Plasmaalbuminate durch überreichliche Zufuhr vom Magen und Darm. — Verminderung der Zahl der roten Blutkörperchen in der Baumeinheit des Blutes — Mittelwerte sind für den Mann 5,2 Millionen, für das. Weib 4,8 im Kuhikr millimeter — trägt den Kamen Oligocythämie; ist deren Zahl normal, aber die Hämoglobinmenge des einzelnen vermindert, dann ist Oligochromämie vorhanden. Man rechnet in 100 ccm Blut für Männer 14,5, für Weiber 13,2 g Hämoglobin. — Von der Norm abweichendes Verhalten zeigen die roten Blutkörperchen so: 1. Verändertes Verhalten gegen Farbstoffe. Sie haben bei Hämatoxylin-Eosin-Einwirkung nicht mehr einen gleichförmig roten Ton, sondern hier und dort einen violetten, blauroten, blauen — EHELICH bezeichnet das als anämische Degeneration. — 2. Veränderte Form (Poikilocytose). Nicht nur verschiedene Größe, sondern auch Gestaltung (Birnen-, Hantelform u. s. w., s. Fig. 7), sie haben Eigenbewegung. — Es handelt sich um zweckentsprechende Anpassung der volltüchtigen Zellen an die gegebenen Verhältnisse. 3. Es sind Kerne (einer oder mehrere) vorhanden. Dabei ist die Größe die gewöhnliche (Normoblasten), sie ist bedeutender — 2- bis 4 fach — (Megaloblasten) oder, viel seltener, geringer (Mikroblasten). Die Normoblasten sind Vorstufen der gewöhnlichen roten Körperchen, die sich in dem nachembryonalen Leben stets finden, die Megaloblasten dagegen sind nur für das Blut des Embryo normal. Bei dem Erwachsenen sind sie als Zeichen krankhafter Einwirkung auf die Bildungsstätte der roten Körperchen im Knochenmark zu betrachten. —

Allgemeines.

Akute Anämie.

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Man rechnet ein weißes Blutkörperchen auf 500—100 rote. Die Mengenzunahme der weißen Blutkörperchen in der Baumeinheit des Blutes wird als selbständige Krankheit Leukämie, als Symptom Leukocytose genannt. Über die Veränderung, welche die weißen Körperchen in den verschiedenen Blutkrankheiten erfahren, wird bei diesen berichtet. Es soll hier nur daran erinnert werden, daß jetzt meist mit E H R L I C H unterschieden werden: Lymphocyten von der Größe roter Körperchen, mit einem großem, centralgelegenem, mit einer dünnen Lage Protoplasma umgebenem Kern — beide nehmen alkalische Farbstoffe auf, sind basophil. Lymphocyten entbehren zum, Teil der Eigenbewegung. — Menge 22 —25°/0 der Gesamtzahl. Große monolukleäre Leukocyten, zwei- bis dreimal so groß wie rote Körperchen. Ihr großer Kern liegt meist excentrisch, ist von einer dickeren Protoplasmaschicht umgeben —' beide sind basophil. — Aus ihnen entstehen im Blute Übergangsformen, welche sich durch große Einbuchtungen des Kerns auszeichnen, und sich gegen Farbstoffe anders verhalten. •— Etwa 1 °/0 der Gesamtzahl. Polynukleäre Leukocyten: etwas kleiner, ihr Kern lang, unregelmäßig wie S, E, Z, Y gebuchtet und leicht in Einzelabteile zerfallend. Der Kern mit allen Kernfarbstoffen tingierbar, das Protoplasma mit sauren, aber auch mit neutralen Farbstoffen — neutrophile Granulation charakteristisch. — Sie bilden die Hauptmenge — etwa 70 °/0 aller. — Eosinophile Zellen: Sonst den polynukleären gleichend, aber durch eine in den sauren Farbstoffen intensiv färbbare Granulation sich unterscheidend. 2—4% der Gesamtzahl. Mastzellen mit basophiler Granulation, schwer färhbaren Kernen. — Höchstens V.*/o- § 74.

Akute Anämie.

In kurzer Zeit sich entwickelnde Verminderung der Blutmenge entsteht meist durch die Verletzung eines arteriellen Gefäßes, seltener durch die einer größeren Vene oder durch den Austritt von Blut aus Kapillaren. Die Erscheinungen nach stärkeren Blutverlusten sind: Blässe der sichtbaren Schleimhäute und der gewöhnlich mit kaltem Schweiß bedeckten Haut. In allen Körperteilen, am deutlichsten im Gesicht, Abnahme der Gewebespannung (Turgor Vitalis), Kälte der Oberfläche, am stärksten in den vom Herzen entfernter liegenden Teilen — Nase, Ohren, Hände und Füße — die zugleich von ihrer im Verhältnis zur Masse ausgedehnten Oberfläche viel Wärme verlieren. Bewußtlosigkeit, welcher Schwindel vorherging, seltener Delirien, tiefe, stockende, unregelmäßige Atemzüge, langsamer, schwacher Herzschlag, manchmal Aufstoßen und Erbrechen. — Wenn der Blutverlust bedeutend genug war, um unmittelbar zum Tode zu führen, treten zum Schluß Krämpfe auf. — Für den Menschen wird angenommen, daß er, wenn er die Hälfte seines Blutes rasch verliert, stirbt. — Blieb, wenigstens zunächst, das Leben erhalten, dann zeigt sich: Pulsieren der Arterien, Herzklopfen, Klopfen im Kopf, Kopfschmerz, große Reizbarkeit der Sitmesnerven, besonders der Seh- und Hörnerven, welche zu Sinnestäuschungen fuhren kann, Delirien, unruhiger, durch schwere Träume gestörter Schlaf. Solange der Kranke bei Bewußtsein ist, hat er das Gefühl tiefster Erschöpfung. Atmung und Puls sind stark beschleunigt, dieser ist klein, jene oberflächlich. Die Körperwärme sinkt meist um etwas, sie kann um mehrere Grade tiefer stehen. Der Appetit ist nahezu verschwunden, der Durst dagegen sehr beträchtlich. — War der Betroffene von Haus aus schwach oder durch häufige kleinere Blutverluste schwach geworden, dann ist das Bild insoweit verändert, als anhaltende Schlaf-

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Krankheiten des Blutes.

sucht, Kältegefühl, unregelmäßiger, seltener verlangsamter Herzschlag in den Vordergrund tritt. Unruhe und Delirien fehlen hier, stellen sie sich ein, dann zeigen sie zusammen mit der starken Blähung der erschlafften Därme das nahe Ende an. Bleibt das Leben dauernd erhalten, dann verlieren sieh zunächst die Hirnerscheinungen. Der Schlaf ist freilich noch immer etwas gestört, von Träumen, vielleicht von Wahnvorstellungen unterbrochen, allein allmählich wird er ruhiger, tiefer, erquickender. Der Puls wird mit der Atmung weniger häufig. Später stellt sich Appetit ein, und zweckmäßig gewählte Speisen werden ohne Beschwerden verdaut. Das Gefühl der Schwäche und wirkliche Kraftlosigkeit halten am längsten an. Der Ausgang ist vollständige Genesung oder, in minder günstigen Fällen, chronische Anämie (§ 75) mit allen ihren Folgen. Zu bemerken ist, daß während oder nach stärkeren Blutverlusten Sehstörungen bis zur vollständigen Blindheit auftreten, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl bleibende sind: sie beruhen auf Degenerationen des Opticus und seiner Ausbreitung in der ßetina (ZIEGLER). Tierversuche haben gelehrt: Mit dem Blutverlust UDÖ nach demselben nimmt die Pulsfrequenz zu, erst nachdem große Mengen Blutes ausflössen, sinkt sie. Der Karotidendruck vermindert sich, während das Blut ausströmt, beträchtlich, sobald aber das Ausströmen aufhört, steigt er in weniger als einer Minute ungefähr bis zur früheren Höhe. Erst bei Annäherung an den Verblutungstod — dieser tritt nach der Geschwindigkeit der Gefäßentleerung und mit individuellen Bedingungen wechselnd ein, sobald etwa 40 bis höchstens 75°/0 der Anfangsmenge des Blutes entleert waren — bleibt der Karotidendruck tief. — Wie der Druck verhält sich die Geschwindigkeit des Blutes. Die Rückkehr zu normalen Werten wird durch zwei Vorgänge ermöglicht. 1. Von den vasomotorischen Centren ausgelöste Verengerung derjenigen Arterien, welche zu Organen führen, die zeitweilig mit geringen Blutmengen auskommen, ohne daß das Leben gefährdet würde. 2. Die Gewebsflüssigkeit, deren Menge und Spannung mit der innerhalb des geschlossenen Gefäßsystems vorhandenen Blutmenge und Blutspannung parallel läuft, tritt so lange in das entleerte Gefäßsystem über, bis das gestörte Gleichgewicht hergestellt ist. Da die Gewebsflüssigkeit keine roten Blutkörperchen enthält, wird deren Anzahl in der Baumeinheit des Blutes nach der Ergänzung seines Volumens geringer. Weniger ändert sich die Zusammensetzung des Plasma; immerhin hat dasselbe etwas mehr Wasser, vielleicht etwas weniger Albuminate. Die Blutmenge wurde bei operierten — also vorher nicht gesunden — Menschen im Laufe von 2—9 Tagen, die Zahl der roten Körperchen in 8 — 29 Tagen ersetzt. — Bei vorher Gesunden mit normaler Gewebsspannung wird wahrscheinlich wie in den Tierversuchen die Füllung der Gefäße im Laufe kürzerer Zeit geschehen. — Der Stoffwechsel verändert sich nach Tierversuchen so: Nach stärkeren Blutverlusten folgt bedeutende Vermehrung des Eiweißumsatzes, gesteigerte Ausscheidung von Harnstoff und Harnwasser, eine weniger erhebliche Verminderung des Umsatzes stickstofffreier Substanz, der Kohlensäureausscheidung. Alles hält tagelang an und zeigt sich auch bei den vollkommener Inanition unterworfenen Tieren. Der Magensaft verdaut weniger und ist arm an Säure. Die Absonderung der Galle vermindert sich beträchtlich. — Wie weit dies auf den Menschen übertragen werden darf, ist fraglich. — Die Leiche eines an Verblutung rasch zu Grunde Gegangenen bietet außer Blutarmut und einer gewissen Trockenheit sämtlicher Gewebe keine eigenartigen Zeichen. — War der Verlauf so langsam, daß Zeit für die Entwicklung anatomischer Veränderungen gewährt wurde, dann zeigt sich größere Durchlässigkeit

Akute Anämie.

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der Gefäße, wenn auch nicht an geweblichen Störungen, so doch aus denen ihrer Funktion erkennbar; daher Hydrops an den dem Einfluß der Schwere am meisten ausgesetzten, mit größeren Hemmungen des Blutlaufs belasteten Teilen des Körpers, manchmal sogar Austritt von Blut unter die Fläche der Haut, der serösen und Schleimhäute, sowie in die Gewebe, punkt- seltener flächenförmig. — Später kommt es zur fettigen Entartung zunächst bei den größeren Gefäßen von der Intima beginnend und auf die Media übergreifend, in schweren Fällen aber selbst an den Kapillaren sich zeigend. Das Herz, zuerst das Endokardium, dann die Muskelschicht nimmt daran teil; auch das Zwerchfell bleibt nicht verschont. Ebensowenig die Nierenepithelien, die Leberzellen, die Schlauchdrüsen des Magens. Bemerkenswert ist, daß die Fettentartung in allen den Organen, welche thätig sein müssen, damit das Leben erhalten bleibe, also in den zur Arbeit anhaltend gezwungenen, vorzugsweise auftritt. Erst nach längerer Zeit kommt es zu allgemeiner Fettablagerung. Nach stärkeren Verlusten findet man in dem übriggebliebenen Blut: Die roten Körperchen sind durchschnittlich ärmer an Hämoglobin, manche kernhaltig (Normoblasten), andere zeigen anämische Degeneration; ihre Oberfläche ist größer geworden (Quellung). Die polynukleären, neutrophilen Leukocyten sind zahlreicher. — Die Gerinnungsfähigkeit ist gesteigert. Im Knochenmark finden sich sehr große Mengen von Normoblasten. Die Diagnose einer stärkeren Hämorrhagie wird sich auf die bei rascherer Entleerung des Gefaßsystems hervortretenden Erscheinungen zu stützen haben; sie ist sicher, sobald größere Blutmengen nach außen entleert werden. Täuschungen können durch hochgradige Änderungen in der Blutverteilung, wie dieselben durch Shock möglich sind, herbeigeführt werden; so kann es z. B. sich ereignen, daß die Perforation eines runden Magengeschwüres anfangs als innere Blutung sich darstellt. Die Prognose ist in erster Linie davon abhängig, ob es gelingt, der Blutung Herr zu werden, später, ob Regeneration des Blutes durch Aufnahme genügender Nahrung stattfinden kann. Beides wird durch das Grundleiden bestimmt. Nach schweren Ilämorrhagien sei man in der Voraussage vorsichtig. Zufälligkeiten können unliebsam eingreifen: psychische Erregung mit zeitweilig stärkerer Herzarbeit, gesteigertem Arteriendruck, dadurch gelockertem Thrombus und erneutem Verlust an Blut; ebenso vermag eine Lageveränderung des Körpers, wie plötzliches Aufrichten, den Tod durch akute Hirnanämie in kürzester Zeit herbeizufuhren. — Das oben geschilderte Verhalten von Puls und Respiration giebt sichere prognostische Zeichen, ob unmittelbare Lebensgefahr vorhanden. Nächste Aufgabe der Therapie ist Blutstillung. Solche kann nur mittels Verschluß der Gefäß wunde geschehen, welcher durch die Bildung und Organisation der Thromben zum dauernden wird. Auf unmittelbares Eingreifen — Unterbrechung der Blutbewegung an dem Orte der Verletzung — muß die innere Medizin öfter verzichten. Wieweit die Versuche, durch Einverleibung von Gelatine Blutstillung zu begünstigen, Erfolg versprechen, steht noch dahin. Am besten scheint mir das Verfahren von Curschmann: subkutane Einspritzung von 200 ccm sterilisierter Gelatinelösung, einige Tage lang wiederholt. —

Meist und gerade bei den schweren Blutungen (Lunge, Magen, Darm) kann

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Krankheiten des Blutes.

es sich nur darum handeln, die den natürlichen Heilungsprozeß begünstigenden Maßregeln zu treffen. 1. Bis zum gesicherten Gefäßverschluß durch einen organisierten Thrombus — für die hier in Betracht kommenden Gefäße sind neun Tage im Maximum dazu nötig — ist die Herxarbeit auf dem geringsten, mit der Fortdauer des Lebens vereinbaren Stande zu halten: stärkerer arterieller Druck könnte Lockerung oder gar Fortspülung des in der Bildung begriffenen Thrombus herbeiführen. Die Hirncentren, die Atmungs- und Herzmuskulatur müssen genügend Blut erhalten — alles andere ist weniger zu berücksichtigen. — Die Durchführimg dieses Grundsatzes wird erstrebt durch Beschränkung der Aufnahme von Nahrung, das Wasser eingeschlossen; es darf zur Zeit nur wenig, lieber öfter eine kleine Menge gereicht werden. Tieflegen des Kopfes, Hochlegen der im Notfall durch Bindeneinwicklung zeitweilig eines Teiles ihres Blutes beraubten Gliedmaßen (Autotransfusion), damit möglichst viel des noch vorhandenen Blutes dem Hirn zur Verfugung stehe und die Schwerkraft auf die Bewegung desselben zum Gehirn günstig wirke, kann sich als notwendig erweisen. — Zeigt sich stärkere Hirnreizung, dann muß die Herxarbeit gesteigert werden: Oleum camphoratum bis zu 5 g ( = 0 , 5 Kampfer), die ganze Menge nicht an einer, sondern an mehreren Stellen unter die Haut der Brust injiziert, bringt am besten den Blutdruck gleichmäßig in die Höhe. — Man warte nicht bis zum Eintritt von Krämpfen, welche, den Blutdrück plötzlich und stark vermehrend, zur Thrombenlösung Veranlassung geben; anhaltende Zunahme der Pulsfrequenz, Aussetzen der Atmung, Andeutungen des CHEYNE-STOKEs'schen Phänomens weisen schon auf die Notwendigkeit der Reizmittel hin. — Die Wirkungsdauer des Kampfers ist auf 6—12 Stunden zu veranschlagen, mehr als 2 g pro die sollten nicht verwandt werden, 1 g genügt meist. Droht unmittelbare Lebensgefahr durch Hirnanämie, dann kann man Äther — einige PsAVAz'sche Spritzen voll — injizieren. Dessen Wirkung geht bald vorüber, sie muß daher durch Kampfer festgehalten werden.

3. Zerrung an zerrissenen Gefäßen wird durch Bewegung der Organe, zu welchen dieselben gehören, leicht herbeigeführt. Daher ist möglichste Beschränkung der Bewegung des blutenden Teils geboten. — Hier ist Opium am Platze. Es ist keine tiefe Narkose, nur Ruhe erforderlich. Ein bedeutender Vorteil der Opiate ist in der Linderung des nach größeren Blutverlusten so überaus qualenden Durstes zu suchen; auch der Hunger bleibt erträglich. — So wird die Durchführung der Nahrungsbeschränkung wesentlich erleichtert. Bei drohender Hiiwunämie hat die Anwendung der Opiate, welche die Erregbarkeit des Atmungscentrums herabsetzen, ihr Bedenkliches. Man sei überhaupt nach schwersten Blutverlusten damit vorsichtig. Die Einverleibung frischen deßbrinierten Blutes, das im Körper der gleichen Art lebensfähig bleibt — Transfusion —, vermag den Verlust unmittelbar zu ersetzen. Man

kann erst dann zur Transfusion schreiten, wenn mit einiger Sicherheit ein festerer Verschluß der früher blutenden Gefäße angenommen werden darf; ist solcher nicht vorhanden, dann wäre Losspülung des verlegenden Thrombus mit weiterer Einbuße an Blut zu befürchten. Abgesehen von der mit Blutübertragung verbundenen Drucksteigerung überhaupt, ist man vor Schüttelfrost und Temperaturerhöhung (bis über 40 °) nie sicher. Langsames Einfließen, mehr Eintröpfeln des Blutes ist unter allen Umständen notwendig. Dessen Menge sei nicht zu klein — bis 500 g sind transfundiert worden. — Das Blut kann nicht allein auf die zur Fortdauer des Lebens unmittelbar erforderliche Menge ge-

Akute Anämie.

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bracht werden; als prophylaktisch-restaurierende ist die Transfusion erwünscht, wenn in schweren Fällen durch Nahrungsaufnahme eine genügende Ergänzung des Blutes innerhalb der notwendigen Zeit nicht herbeigeführt wird. Man setzt die der Assimilation dienenden Organe durch das neuempfangene Blut in die Lage, mehr von den zugeführten Nahrungsmitteln für den Körper verwertbar zu machen; so wird die Neubildung des Blutes begünstigt. — (Eigene Erfahrungen.) Man hat neuerdings die Transfusion von Blut ganz verwerfen wollen und an deren Stelle die Infusion einer Kochsalzlösung von 0,73 °/0 gesetzt. Von anderer Seite (LANDERER) wird entweder der Zusatz von 3 % Rohrzucker zu der genannten Kochsalzlösung, oder deren Mischung mit nicht defibriniertem Menschenblut — 1 Teil Blut und 3 bis 5 Teile Kochsalzlösung — empfohlen. Das Blut gerinnt in dieser Mischung erst nach zwei Stunden. Solche Infusionen können freilich die Menge des Blutes auf die erwünschte Höhe bringen, aber nicht den Ausfall an roten Körperchen decken. Das absprechende Urteil über die Bluttransfusion gründet sich auf verhältnismäßig spärliche Tierversuche, denen ungezählte, aber sehr viele Erfahrungen bei Menschen gegenüberstehen. Die wirkliche Transfusion — es sind neuerdings mannigfache, minder gefährliche(?) Verfahren für ihre Ausführung angegeben — wird in geeigneten Fällen ihren Wert sicher behalten. Sorgfältige Diätetik hat daneben herzugehen. Von dem Zeitpunkte an, wo fester Gefaßverschluß angenommen werden darf, ist reichliche Ernährung geboten. Es kommt darauf an, möglichst viel Eiweiß zur Aufnahme zu bringen, da die Menge der roten Blutkörperchen von der den Körper durchströmenden Eiweißmenge bedingt wird. Die größte Rücksicht ist auf die immerhin noch geschwächte Thätigkeit der Verdauungsorgane zu nehmen; die dargereichte Nahrung muß also derart gewählt werden, daß sie für ihre Assimilation die geringsten Anforderungen stellt. Fett und Kohlenhydrate sind in ausreichender Quantität beizufügen. Wein als Sparmittel ist nicht zu vergessen. Drei, höchstens vier Mahlzeiten den Tag, eine jede von annähernd gleicher Stärke, in Zwischenpausen von mindestens vier Stunden sind den häufig wiederholten vorzuziehen; man thut gut, den schwachen Verdauungswerkzeugen die Arbeit so einzurichten, daß ihnen nach derselben ausreichende Buhe gegönnt ist. Man halte auf genügende Zerkleinerung der festen Speisen durch feines Zerschneiden und gutes Kauen. Wenigstens für den Anfang sind einfachste Nahrungsmittel dringend zu empfehlen. Geschabtes, von Sehnen und Fascien befreites Heisch braucht roh genossen kaum die Hälfte der Verdauungszeit des gekochten, es kann mit Fleischbrühe von 40° C., oder auf Butterbrot — dann nicht zu wenig Salz und etwas Pfeffer — genommen werden und wird bis zu 300 g pro die gut ertragen. Gleiches gilt von dem in dieser Form dargereichtem sogenanntem Hamburger Rauchfleisch. Frische Butter, feines Weizenbrot, Kindermehl als Brei oder Suppe, aber immer eine halbe Stunde lang mit Wasser gekocht, ebenso die Leguminosenpräparate — das alles gestattet bei,geringsten Ansprüchen an die Verdauung die größte Zufuhr des Ersatzes. Als Zugabe zum, Getränk diene leichter Botwein — am besten Bordeaux. Man steige bei nicht Gewöhnten, allgemeine Alkohol Wirkung vermeidend, langsam bis auf eine Flasche den Tag. — Der Ubergang zu den Erzeugnissen der feineren Küche geschehe allmählich. Wann derselbe erlaubt werden kann, das hängt sehr von der individuellen Verdauungskraft ab. Ein mit sogenanntem „gutem Magen" Beglückter, dessen Blutverlust nicht mit chronischem Siechtum einhergeht, wird bald von der einförmigen Kost erlöst werden können; im anderen Fall kann dieselbe ein Jahr und darüber fortgesetzt werden müssen. Längeres Bettliegen, mit welchem geringerer Wärmeverlust und weniger Muskel- und Nerventhätigkeit verbunden ist, ebenso das Fernhalten geistiger und gemütlicher Erregungen — mit einem Wort: Beschränkung unnötiger Ausgaben ist nach schweren Blutverlusten für nicht zu kurze Zeit dringend geboten. Sie

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Krankheiten des Blutes.

giebt den besten Schutz gegen fettige Entartung, welche an den zur fortdauernden hohen Leistung gezwungenen Organen, vor allem an dem Herzen der Blutarmen so leicht eintritt. Erst wenn die Zusammensetzung des Blutes annähernd die normale geworden, darf der Kranke das Bett verlassen. Man gestatte ihm die Rückkehr zu seiner gewohnten Thätigkeit erst dann, wenn sich seine Kräfte wieder eingestellt haben, und warne ihn vor jeder Überanstrengung. Gebrauch von Eisenpräparaten, deren Nutzen keineswegs feststeht, ist während der Rekonvalescenz auf die Fälle zu beschränken, bei denen eine Störung der Verdauung durch das Medikament ausgeschlossen bleibt. Eisenwässer sind zu vermeiden, da dieselben durch ihre Masse den Magen belästigen. § 75. Chronische Anämie. Chronische Anämie wird durch mannigfaltige Umstände bedingt. Man trennt Anhämatosis — mangelhafte Blutneubildung in einem schwererer Schädigung nachweisbar nicht unterworfenen Körper — und Hämophthisis — rasche Aufzehrung des Blutes, bedingt durch erkennbare pathologische Zustände. Solche kaum durchführbare Scheidung ist praktisch von geringerem Werte. — Stets ist daran festzuhalten, daß eine Verschlechterung des Blutes nur erfolgt, sobald der Untergang seiner Elemente nicht durch ausreichende Neubildimg ausgeglichen wird. — Der Grund einer Anämie läßt sich einzig durch sorgfältige Analyse des Einzellebens feststellen. Diese hat die Stärke der ursprünglichen Anlage — der Konstitution — gebührend zu berücksichtigen: der weniger festgefügte Körper erleidet leichter Einbuße an Blut und gleicht einen erlittenen Verlust schwerer aus. — Mit diesem Grundsatz übereinstimmend finden wir Anämie bei Kindern, Greisen und Weibern häufiger, als bei vollkräftigen Männern.

Als unmittelbar die chronische Anämie veranlassend sind neben der nicht vollständigen Herstellung nach einmaligen oder öfter sich wiederholenden Blutverlusten zu nennen: 1. Ungünstige Lebensverhältnisse im weitestem Umfang: Mangel an frischer Luft, Bewegung, Licht, Wärme, an Ruhe nach der Arbeit, an Schlaf, endlich an passender Nahrung. Herabstimmung des Gemütes, verringerte Lebensfrische und verminderter Lebensmut fallen mit den genannten Bedingungen zusammen. Die Hauptmasse der Anämien in unserem vielfach „blutarm" genanntem Zeitalter dürfte zu dieser Gruppe gehören. 2. Störungen, die ihren Ursprung in den Gesehlechtsfunktionen haben. Bei Weibern zu häufige Schwangerschaften, zu lang fortgesetztes Stillen; bei Männern Exzesse in venere. 3. Eigentliche pathologische Störungen. Die, unmittelbare Schädigung des Blutes als eines selbständigen Organes herbeiführenden Erkrankungen, wie Nephritis mit reichlicher EiweiBausscheidung, anhaltende Masseneiterungen, große Exsudate, hartnäckige Durchfalle, rasch sich entwickelnde Pseudoplasmen, dann jedes Fieber, können von den direkt die Organe der Assimilation treffenden Erkrankungen, welche den Ersatz der verbrauchten Bestandteile des Blutes erschweren, geschieden werden. Letztere (Magen, Darm, Leber) erkranken selbständig, oder werden in der Ausübung ihrer Thätigkeit gehemmt; dieses namentlich dann, wenn ihnen wegen ungenügenden Kreislaufes nicht ausreichend arterielles Blut zuströmt.

Chronische Anämie.

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Die Erkrankung der blutbereitenden Organe und des Blutes selbst werden herkömmlich für sich behandelt. Die Veränderungen in der Zusammensetzung des Blutes bestehen wesentlich in einer Verminderung des Hämoglobingehaltes, der in den schwersten Formen bis auf 1 / 5 der Norm sinken kann. Die Zahl der roten Körperchen vermindert sich gleichfalls, aber nicht so erheblich. — Morphologisch ist nennenswert nur: Die Blutkörperchen sind verkleinert, je nach dem Grade der Störung mehr oder minder; Poikilocytose ist in entsprechender Häufigkeit nachweisbar; Kerngehalt kommt vor, entspricht indes nicht den sonstigen Abweichungen. — Die weißen Körperchen bieten keine allgemein charakteristischen Merkmale dar. — Neben Blässe der Körperoberfläche bildet eine, der Hämoglobinverminderung im Blute entsprechende Herabsetzung der früheren Arbeitstüchtigkeit aller Organe die Grundlage für das Krankheitsbild jeder Anämie. Geringeren Anforderungen, sei es, daß diese mit fortlaufender kleinerer oder mit kurzdauernder einmaliger größerer Leistung verbunden sind, kann genügt werden; sobald sich dieselben aber steigern, tritt Versagen ein. Dann werden auch die schon in der Ruhe hörbaren Geräusche über dem Herzen und den Gefäßen deutlicher. — Den Verdauungswerkzeugen des Blutarmen gelingt die Bewältigung geringerer Mengen einer passend ausgewählten Nahrung, wird ein Diätfehler begangen, dann folgen rasch dyspeptische Beschwerden, mit denen Verstopfung und Diarrhöe in häufigem Wechsel verbunden sind. — Jede nennenswerte geistige ThMigke.it muß durch Willensanstrengung erzwungen werden, sie endet bald mit Abspannung und Müdigkeit. Gegenüber der Zeit der Arbeit verlangt die der Ruhe größeren Raum; das Schlafbedürfnis ist vermehrt. Dennoch ist meist die nervöse Erregbarkeit gesteigert. Man spricht mit gleichem Recht von vermehrter Verletzbarkeit der Gewebe — größerer Neigung zum Erkranken — wie von Empfindlichkeit auf geistigem Gebiete und auf dem des Gesamtnervensystems. Nicht selten finden sich Neuralgien, unter den visceralen die des Magens und des Uterus, unter den peripheren solche im Trigeminusgebiete. — Rückenschmerzen, bei Frauen häufig, mögen zum Teil von den Nerven der Genitalien irradiierte sein, daneben kommt sicher auch die Ermüdung der durch die aufrechte Körperhaltung dauernd zur Thätigkeit gezwungenen Rückenmuskeln in Betracht. — Seltener überwiegt die gesteigerte Erregbarkeit des Gehirns in dem Maße, daß erhebliche Störungen des Schlafs länger vorwalten — die Gesamtleistung des Körpers geht dann fast ganz in dem Wachen auf. Meist sind alle Organe weniger leistungsfähig, es kommt aber auch vor, daß Eines seine Thätigkeit auf Kosten des Ganzen unentwegt fortsetzt: häufige Schwangerschaft bei blutarmen Weibern ist nicht ungewöhnlich, blutarme Arbeiter, sei es der Hand oder des Gehirns, braucht man nicht mit der Laterne zu suchen. Wenn sich anatomische Veränderungen überhaupt finden, sind dieselben mit denen nach akuter Anämie identisch. Die Diagnose der chronischen Anämie stützt sich objektiv auf die Blässe der Haut und der sichtbaren Schleimhäute, die Beschleunigung der Atmung und der Herzthätigkeit bei irgend stärkeren Forderungen an die ihnen dienenden Organe. Kopfweh, Abgespanntsein, Mangel an Frische, an Arbeitslust und Arbeitsfähigkeit, Herzklopfen, Atemnot, schlechter Magen, erschwerter Stuhl, Schlafsucht

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Krankheiten des Blutes.

oder Schlaflosigkeit, das sind die gewöhnlichen Klagen der Blutarmen. Es versteht sich, daß mit der Diagnose Anämie nur ein Symptom gekennzeichnet wird, welches auf seine Ursache zurückgeführt werden muß. Die Prognose ist stets von dem Grundleiden bedingt. Wäre man imstande, die erkannten Schädlichkeiten wegzuräumen, dann wäre die Behandlung der Anämie ebenso leicht wie dankbar. Da der Arzt meist mit unabwendbaren Notwendigkeiten zu thun hat, ist seine Aufgabe, gleichgültig welche Lebenskreise in Betracht kommen, oft genug eine wenig lohnende. Die genaue, Kenntnis der Lebensverhältnisse des Kranken muß jeder fruchtbringenden Therapie zu Grunde gelegt werden. Man lasse sich eine bis in das kleinste eingehende Schilderung des Alltagslebens geben, welche die Ernährung, die Beziehungen zwischen Arbeit und Ruhe, die tägliche Bewegung an der Luft besonders zu berücksichtigen hat. Ist es möglich in dieser Richtung Mißstände zu finden und zu beseitigen, dann hat man meist schon einen wesentlichen Vorteil für den Kranken erreicht. — Ein nachweisbares Grundleiden stellt seine besonderen Aufgaben. — Daß jeder Verlust an Blut vermieden werden muß, ist selbstverständlich. Bei anämischen Frauen halte man, selbst dann, wenn die Menstruation an sich nicht besonders reichlich ist, strengstens darauf, daß die Tage der eigentlichen Blutung absolut ruhig im Bette zugebracht werden. — Das Stillen ist blutarmen Frauen nicht unbedingt zu untersagen; es kommt vor, daß der damit verbundene Eiweißverlust durch regeren Appetit und bessere Assimilation überkompensiert wird. Treten aber die Zeichen der Anämie stärker hervor, dann ist es Zeit Halt zu gebieten. — Das ärztliche Verbot vermag ebenso selten bei Weibern die Wiederkehr der Schwangerschaft, wie bei Männern geschlechtliche Ausschweifungen zu verhüten. Für die diätetische und medizinische Behandlung der Anämie als solcher gelten die im § 73 aufgestellten Regeln. Es bleibt nur zu bemerken, daß erfahrungsgemäß manchmal, wenn die Eisenpräparate nicht einschlagen, die arsenige Säure gute Dienste thut. Dieselbe ist von 0,002—0,005 g einmal täglich nach dem Essen zu nehmen (R 1). § 76.

Perniciöse Anämie.

Schwerste Formen der chronischen Anämie werden unter dem Namen perniciöse Anämie zu gesonderter Krankheitsgruppe vereinigt. Dieselbe stellt keine ätiologische, nur eine durch die Erscheinung der Störungen und durch die anatomischen Veränderungen gekennzeichnete Einheit dar. Es ist daher auch eine scharfe Abgrenzung gegen die chronische Anämie gegenwärtig noch nicht durchführbar. — Immer dürfte es sich um eine wirkliche Organerkrankung des Blutes handeln. Man will sie auf (megaloblastische) Entartung des Knochenmarkes, dadurch hervorgerufene Störung der Bildung roter Blutkörperchen und gleichzeitig rascheren Zerfall der gebildeten zurückführen. Als allgemeinste Ursache wird die Einwirkung eines Giftes angesehen, welches verschiedenartig, allein für diese Teile spezifisch sei. — Woher diese Gifte stammen, ist nicht sicher erkannt. Es hat eine größere Berechtigung, die Erkrankung mit der Anwesenheit von Parasiten im Darm in ursächliche Verbindung zu bringen und von „Schmarotzeranämie" zu reden. So

Chronische Anämie.

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Perniciose Anämie.

bei der Ansiedelung von Anchylostomum duodenale — hier soll es sich nicht allein um den nicht unerheblichen Verlust handeln, welchen der blutsaugende Gotthardwurm veranlaßt —, der Einwanderung von Botriocephalus latus, wo der Zusammenhang freilich weniger durchsichtig ist. Man nimmt an, daß ausnahmsweise die Tänien, die Oxyuren, die Askariden, sogar Bacterium termo Veranlassung der schweren Bluterkrankung werden. — Man sieht sie verhältnismäßig häufiger bei Schwangeren, seltener bei syphilitisch Angesteckten, wenn andere örtliche Ausbrüche der Krankheit fehlten. — Sonst gilt alles in § 75 für die Entstehungsmöglichkeit von Anämie Bemerkte. Weiber werden wohl etwas häufiger ergriffen, Kinder am seltensten. — Das gehäufte Vorkommen in engeren Kreisen — Kanton Zürich z. B. — ist bemerkenswert. — In der Erscheinungsform stellt die perniciöse Anämie nur eine Steigerung der bei Anämie überhaupt sich zeigenden Krankheitszeichen dar. Eigenartig, keineswegs pathognomonisch, sind: 1. Stärkeres Hervortreten der funktionellen Störungen im Kreislauf, namentlich der auskultatorischen Zeichen vom Herzen. 2. Blutungen, besonders häufig in der Retina, bisweilen auch unter die H a u t . 3. Fieber, atypisch, stark remittierend, nicht auf nachweisbare Ursachen zurückzuführen; dasselbe räumt gegen das Lebensende tagelang anhaltenden subnormalen Temperaturen den Platz ein. Man sah 40,8° und 25,8°. — Schwere Störungen der Magen-Darmthätigkeit, insbesondere Durchfälle, die man hier hat einreihen wollen, kommen doch wohl nicht so regelmäßig vor, daß dies gerechtfertigt erscheint. Ebensowenig die manchmal vollentwickelten, von Entartungsvorgängen begleiteten, denen bei Tabes ähnelnden Erscheinungen vom Rückenmark. Die allgemeine Ernährung ist äußerst wechselnd: große Abmagerung und leidliche Körperfülle kommen vor. — Die anatomische Untersuchung lehrt, daß die Anzahl der roten Körperchen im Blute (Minimum 143 000 im cmm) und dessen Gesamtgehalt an Hämoglobin erheblich vermindert ist (auf ein Zehntel und noch mehr), dabei ist der Hämoglobingehalt des einzelneu roten Körperchens vielleicht größer als in der Norm. 0 © cYM ^ Man findet ganz kleine, fast wie Bruchstücke sich ausnehmende und, darauf wird entscheidendes Ge> 'J 7 - R wicht für die Diagnose gelegt, 2 bis 4 mal die Norm überschreitende kernhaltige rote Blutkörperchen (MegaloGigantoblasten). Außerdem kommen rote Blutkörper^ o " % %>« J r chen vor, welche in der Größe sich nicht von den

V

normalen unterscheiden, aber kernhaltig sind (NormoFig. 7. Poikilocytose des Blutes. Nach v. JAKSCH. Hasten). — Weiter zeigte die Gestalt der roten Körperchen reichen Wechsel: die Form des Eies, der Birne, der Keule neben der gewöhnlichen (Poikilozytose) (Fig. 7). — Die Neigung, „Geldrollen" zu bilden, ist nur in geringem Grade vorhanden. — Das Blut ist dünnflüssig, schwächer rotgefärbt, sogar braunrot. Die Blutmenge im ganzen scheint verringert und eine wahre Atrophie des Organes Blut da zu sein. Nicht ganz selten ist das Knochenmark eigentümlich verändert, dunkel. karminrot gefärbt, dem Himbeergelee ähnlich; dasselbe enthält große Mengen kernhaltiger roter Blutkörperchen von der Beschaffenheit der „Megaloblasten". —

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Krankheiten des Blutes.

Das meist nur leicht erweiterte Herz ist fettig degeneriert. Die Entartung tritt herdweise stärker auf, die Papillarmuskeln leiden besonders. Die Intima der größeren Arterien und einzelne Kapillarbezirke (Gehirn) werden gleichfalls von fettiger Entartung betroffen. — Bisweilen ist eine Zunahme des Eisengehaltes in der Leber, den Nieren, dem Pankreas anzutreffen; das Metall befindet sich nicht im gleichem organischem Molekularverbande wie bei dem lebenden roten Blutkörperchen, es ist ohne weiteres durch die gewöhnlichen Reagentien (Schwefelammonium) nachweisbar. Der Verlauf der perniciösen Anämie ist in vielen, aber nicht in allen Fällen ein unaufhaltsam zum Tode führender — „progressive" perniciose Anämie ist daher eine nicht unbedingt zutreffende Bezeichnung. —• Man rechnet die Dauer der Krankheit von einigen Monaten bis höchstens zu einem Jahre. — Recidive nach Schembesserung sind nicht ausgeschlossen; plötzliche günstige Wendung wurde selbst in scheinbar verzweifelten Fällen beobachtet. Es kommt dabei eine plötzliche erhebliche Vermehrung der „Normoblasten" zustande, eine „Blutkrise" ( 0 . v. N O O R D E N ) . — Die Prognose ist im allgemeinen zweifelhaft — einzelne Beobachter hatten 80 — 90 Prozent Tote. Gelingt es die veranlassende Ursache ausfindig zu machen und zu beseitigen, dann sind die Aussichten auf Genesung besser. Das Blut selbst kann trotz schwerer Veränderungen wieder normal werden. Die Diagnose ist zunächst eine ausschließende: Pseudoplasmen, Blutverluste aus schwerer erkennbarer Ursache (z. B. Anchylostomum duodenale) sind, ebenso wie Leukämie, Pseudoleukämie, A D D I S O N ' S Krankheit, als nicht vorhanden zu erweisen, ehe man aus der jeder Behandlung trotzenden und andauernden Versehlechterunng des Blutes zur positiven Feststellung kommen kann. Für diese ist die in gewissem Zeitabstand wiederholte Untersuchung des Blutes mit Berücksichtigung seiner morphologischen Beschaffenheit (Megaloblasten?) ausschlaggebend. — Nachdem alle Quellen direkter Schädigung verstopft sind, muß die Therapie mittels einer den individuellen Verhältnissen angepaßten Ernährung Wiedererzeugung des Blutes anstreben. Es gelten im allgemeinen die bereits besprochenen Regeln: Verhütung aller unnötigen Ausgaben neben möglichst günstigen Assimilationsbedingungen für die Einfuhr. — Transfusion — man hat Mengen von nur 50 ccm verwendet — ist nicht immer ohne Glück ausgeführt. — Nach vereinzelten Erfolgen wären unter den Armeimitteln als des Versuchs werte die arsenige Säwre und der Phosphor in langsam steigender, nicht zu großer Gabe zu nennen. Es ist immer an die Möglichkeit einer vom Darm aus wirkenden, auf dort angesiedelten Parasiten beruhenden Schädigung des Blutes zu denken. Daher kommt wenigstens ein Versuch mit den hier anzuwendenden Mitteln, vor allem mit dem Extraktum filids aetkereum, für schwere, in ihrer Entstehung unklare Fälle in Frage. — § 77.

Chlorose.

Eine eigenartige wirkliche Organerkrankung des Blutes ist die Chlorose (Bleichsucht). Sie befallt in überwältigender Mehrzahl Weiber, ist in den Kinderjahren sehr selten, stellt sich um die Zeit der Pubertät ein und hält öfter bis zur Vollendung des Wachstums an. Chlorose trifft also meist auf das 12. bis

Perniciose Anämie.

Chlorose.

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höchstens das 24. J a h r . Fortdauer der Bleichsucht bis zum Erlöschen der weiblichen Fortpflanzungsfähigkeit wird nur in seltenen Fällen beobachtet. Fraglich bleibt es, ob ein bis dahin verschonter weiblicher Organismus nach Erlangung seiner Vollreife von Chlorose ergriffen werden kann. — Die spärlichen Erkrankungen des männlichen Geschlechts — man bezweifelt sogar, ob sie vorkommen — fallen durchaus mit dem Eintritt der Zeugungsfähigkeit zusammen. Hin und wieder mag ein die Lebensverhältnisse ungünstig beeinflussendes Moment die schon vorhandene geringere Anlage zur Entwicklung bringen — die eigentlichen veranlassenden Bedingungen sind individuelle, möglicherweise durch Anerbung erworbene. Die Minderzahl der Bleichsüchtigen zeigt Veränderungen anderer Organe als des Blutes. Dieses h a t konstant Hämoglobinverminderung — in maximo bis auf etwa ein Fünftel der Norm. E s kann sich um Abnahme des Hämoglobins bei gleichbleibender Zahl der roten Blutkörperchen, um wahre Oligochromämie, handeln, meist ist neben dieser auch wirkliche Verminderung der roten Blutkörperchen — Oligocythämie — vorhanden. Charakteristische Änderungen ihrer F o r m zeigen die roten Blutkörperchen nicht, nur kann eine reichlichere Zumischung von kleineren oder seltener von größeren als das Mittelmaß auftreten. — Die weißen Blutkörperchen sind an Zahl und Gestaltung dem Gewöhnlichen entsprechend. — Soweit bekannt, ist die Zusammensetzung des Plasma nicht erheblich geändert und die Gesamtmenge des Blutes nicht verkleinert. In hartnäckigen, die Entioicklungsperiode überdauernden Fällen fand man eine geringere Weite der arteriellen Hauptstämme, besonders der Aorta, daneben hin und wieder Anomalien in der Abzweigung der Arterienäste. Gröbere Veränderung dieser Gefäße fehlte, namentlich war auch ihre Elastizität nicht beeinträchtigt, nur die Intima zeigte manchmal eigentümliche, aus ungleichmäßigem Wachstum hervorgegangene Gitterung und ausnahmsweise geringe fettige Entartung. D a s Herz k a n n , mit der zurückgebliebenen Gefäßentwicklung gleichen Schritt haltend, klein sein; es kommt aber neben der häufigeren leichten allgemeinen Dilatation auch wahre Hypertrophie, besonders solche des linken Ventrikels, vor. — Die weiblichen inneren GescJüechtswerkzeuge sind hin und wieder mangelhaft ausgebildet; häufiger als der Uterus, dessen Körper dann kindliche F o r m zeigt, sind die Ovarien betroffen. Andererseits ist vorzeitige, rege Thätigkeit der normal großen Organe nicht ausgeschlossen. Zwergwuchs (allgemeine Wachstumhemmung) ist in seltensten Fällen mit Chlorose verbunden beobachtet. — Man unterscheidet die kurzdauernden, nur innerhalb der Entwicklungsperiode auftretenden Formen (transitorische Chlorose) von den häufiger wiederkehrenden (rezidivierende Chlorose) oder anhaltenden (habituelle Chlorose). Die letzterwähnten sind seltener. Die Symptome der Chlorose sind im großen und ganzen die gleichen wie die bei chronischer Anämie. — Die Körperfülle der Chlorotischen ist häufiger vermehrt als vermindert. D a s Gesicht erscheint blaß, mit einem Stich ins Gelbe, oder wenn man will ins Gelbgrüne, gleichzeitig aber wie gedunsen, entfernt an hydropische Schwellung erinnernd. — Die Schleimhäute sind wenig g e f ä r b t Klagen über Herzklopfen und Atemnot hört man besonders häufig: Herz- und Atembewegungen sind wohl auch in der Buhe meist etwas beschleunigt, sie steigen nach Anstrengungen, selbst nach leichteren, recht erheblich. Herz- und Gefaßgeräusche sind oft anzutreffen; ob vorübergehend Herzvergrößerung, auf Dilatation beruhend, vorkommt, ist zweifelhaft. Der Appetit kann ziemlich normal sein.

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Krankheiten des Blutes.

Wie bei Schwangeren, treten hin und wieder Gelüste (picae) nach ganz sonderbaren, wenig lockenden Dingen auf: Kreide und Essig werden nicht nur von blühenden Mädchen genommen, um mit der vermeintlich dadurch erzeugten Chlorose ein „interessantes" Aussehen zu bekommen; auch hinreichend Bleichsüchtige schwelgen in diesen Genüssen. Die Thätigkeit der Verdauungsorgane braucht nicht erschwert zu sein, indes zeigen sich häufig dyspeptische Zustände. Neben diesen finden sich kardialgische Anfälle, meist vor dem Essen, gewöhnlich durch Nahrungszufuhr gemildert oder aufgehoben. Verlangsamung des Stuhlganges ist sehr oft da. — Die Menstruation ist in irgend einer Weise fast immer gestört. Stärkere Molimina: Kreuzschmerz, nach vorn in die Oberschenkel ausstrahlend, Tenesmus der Blase, unter Umständen heftigeAllgemeinerscheinungen, selbst Krämpfe können tagelang der Blutung vorhergehen. Die Periode ist zeitlich unregelmäßig, meist sind die einzelnen Menstruationen durch einen längeren Zwischenraum getrennt, es kann sogar zum vollständigen Aussetzen der Blutung kommen, welche dann erst nach gehobener Chlorose wiederkehrt. Seltener finden sich kurze Intervalle und ungewöhnlich starke Blutverluste. Die Fähigkeit zur Konzeption ist nicht immer aufgehoben, häufig aber ist sie beschränkt. — Fluor albus zeigt sich nicht selten. Gesteigerte Reizbarkeit auf psychischem Gebiete pflegt nicht zu fehlen; Chlorotische haben in ihren Empfindungen mitunter etwas Verschrobenes, und eine gewisse Launenhaftigkeit läßt sich den meisten nicht absprechen. Daß ihr Fühlen und Denken sich mit Vorliebe auf erotischem Gebiete bewege, ist eine durch ofte Wiederholung keineswegs glaubwürdiger gewordene Behauptung. — Große Empfindlichkeit der Vasomotoren, Erröten und Erblassen, soweit davon geredet werden darf, bei der Einwirkung geringfügiger Veranlassungen ist charakteristisch. Damit hängt vielleicht zum Teil die Neigung zu Kopfweh, das in Anfallen auftritt und zu echter Migräne sich steigern kann, zusammen. — Es ist zu bemerken, daß trotz habituellen hochgradigen Müdigkeitsgefühls unter Umständen die absolute Kraftleistung Bleichsüchtiger eine recht erhebliche genannt werden muß: die Arbeit einer gesuchten Tänzerin in einer Ballnacht dürfte nicht gering sein. Berücksichtigung der erwähnten ätiologischen und symptomatologischen Verhältnisse erlaubt unschwer die Diagnose auf Chlorose zu stellen. Wichtig ist es, sich damit nicht von vornherein zu begnügen, sondern auf die öfter neben Chlorose sich zeigenden Krankheiten zu fahnden. Das sind Ulcus ventriculi und Spitzenerkrankungen der Lungen. Beide Leiden können sich eine Zeitlang unter der Maske der Bleichsucht verbergen; es ist daher in hartnäckigen Fällen dringend notwendig, von Zeit zu Zeit trotz früheren negativen Ergebnisses wieder zu untersuchen. Größere Neigung zur Endokarditis dürfte nur den mit Gefaßhypoplasie verbundenen schweren Chlorosen zukommen. — Die Prognose ist meist günstig; dauernde Heilung bleibt wohl nur dort aus, wo die beschriebenen Entwicklungshemmungen des Blutgefaßsystems vorliegen, denen eine gleiche des Blutes selbst sich anreihen mag. — Sich selbst überlassene Chlorose verläuft schleppend, Naturheilung erfolgt erst spät, die Neigung zu Recidiven ist hier noch größer, als bei der lege artis behandelten. Bei der Behandlung der Chlorose spielt das Eisen eine Hauptrolle; es vermag zweifellos deren Heilung zu bewirken, wo solche überhaupt möglich ist, in dem kleinen Rest der Fälle vermag es mindestens erhebliche Besserung herbeizufuhren.

Chlorose. Leukämie.

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Ebenso lehrt die Erfahrung, daß bei nicht wesentlicher Störung der Magen- und Darmthätigkeit das Mittel allein genügend ist. Eisenpräparate werden am besten während und unmittelbar nach den Mahlzeiten genommen, so daß sich die Tagesdosis auf drei bis vier Einzelgaben verteilt. Große Gaben sind den kleineren vorzuziehen, man reiche täglich bis zu 1 g metallischen Eisens; am besten das Ferrum reductum. Ein reines Präparat (mindestens 90 °/0 Eisen enthaltend), wie wir es jetzt haben, belästigt den Magen wenig und läßt sich als Pulver jeder Speise beimischen, ohne deren Geschmack zu verändern. Die BLAUD'sehen Pillen (R. 33) (in jeder 0,0184 g Eisen) werden in maximo zu 15 Stück den Tag = 0,276 g Eisen verordnet. — Weitere häufig gebrauchte Präparate haben einen Gehalt an metallischem Eisen: Ferrum earbonicum saccharatum 10 °/0, ohne üblen Geschmack; lacticum 1,9 °/0, oxydatum saccharatum, solubile 3 % , etwas metallisch schmeckend. Die offizinellen Eisenlösungen sind wenig empfehlenswert, da. sie schlecht schmecken und den Zähnen nicht gut sind. Dagegen stellt die pharmazeutische Industrie Präparate her, welche von diesem Vorwurf nicht getroffen werden. — Ich glaube nicht, dass die jetzt vielempfohlenen „organischen Eisenverbindungen" — das Metall ist in ihnen fester gebunden, nicht durch die gewöhnlichen Reagentien nachweisbar: Carniferin, Ferratin und wie sie sonst noch benannt sind und sein werden, — irgend einen Vorzug besitzen. — Vielmehr halte ich dafür, Eisen, ganz abgesehen davon, daß es materiell zur Herstellung von Hämoglobin unentbehrlich, übe auf die mit der Bildung des Blutes betrauten Organe eine Bückwirkung (C. v. NOORDEN). Unter Umständen wirkt arsenige Säure für sich oder mit Eisen zusammen gegeben, günstiger als Eisen. Darüber belehrt die Erfahrung im Einzelfalle. Finden sich erheblichere dyspeptische Störungen, dann thut man wohl daran vor oder gleichzeitig mit dem Gebrauch des Eisens bestimmte, den Bedürfnissen des betreffenden Kranken angepaßte Diät vorzuschreiben (s. § 192). Ich teile nach langjähriger Erfahrung durchaus die Ansicht v. NOORDEN'S, daß man schon bei der ersten Mahlzeit des Morgens eine größere Menge von Fleisch essen lassen soll. Überhaupt ist reichlichere Zufuhr von Eiweiß für die Chlorotischen notwendig. — In den schweren Fällen ist längere Bettruhe nicht selten von vortrefflichem Erfolg. — Regelung der Lebensweise, vernünftige Zeiteinteilung, richtiger Wechsel zwischen Arbeit und Ruhe, viel Aufenthalt in der frischen Luft. — Pädagogische Thätigkeit bleibt dem Arzte selten erspart. Es ist besonders darauf zu achten, daß etwaige Kardialgien nicht durch den Genuß sehr heißer Flüssigkeit oder starker Alkoholica bekämpft werden, ebenso ist Morphium dabei am besten ganz zu vermeiden. Ulcus ventriculi tritt nach dem erstgenannten, Trunk- oder Morphiumsucht nach dem letzterwähnten bisweilen ein. Chlorose verbietet die Ehe nicht, sollte indes vor deren Eingehung beseitigt, mindestens aber erheblich gebessert sein. § 78.

Leukämie.

Die Veränderung des Blutes, bei welcher dauernd die Zahl der weißen Körperehen in der Baumeinheit erheblicher vermehrt, die der roten und damit auch die Metige des Hämoglobins vermindert ist, bezeichnen wir als Leukämie. Vom klinischen Standpunkte aus reden wir von Kendler Leukämie, wenn vorwiegend die Milz sich ergriffen zeigt, von lymphatischer, wenn die Lymphdrüsen, von medullärer, wenn das Knochenmark vorwiegend erkrankt erscheint. Wir nehmen an, daß eines dieser Organe am stärksten, neben ihm aber auch ein anderes, vielleicht beide anderen, primär beteiligt sein kann. Dies ist der Ausdruck für die Thatsachen, welche die einfache, unv. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Tlier. IV. Aufl.

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Krankheiten des Blutes.

mittelbare Beobachtung am Krankenbette, wie am Leiehentische liefert. Dem steht eine andere Auffassung gegenüber, die sich auf die Wertung der genannten Körperteile für die Bildung des Organs Blut stützt. — In schärfster Fassung wird das Knochenmarl allein beschuldigt, in milderer werden die Lymphdrüsen neben ihm der Urheberschaft bezichtigt — die 3Iilz zählt als Teil des lymphatischen Systems mit. Ebenso das weit im Körper verbreitete lymphadenoide Gewebe. — Ganz davon getrennt, erhebt sich noch die keineswegs sicher zu beantwortende Frage, ob es sich bei der Leukämie um eine Primärerkrankung des Blutes, vielleicht durch Infektion, handle, die Veränderungen in den blutbildenden Organen nur secundär seien? — Die Sache liegt so wenig klar, daß das Lehrbuch auf genauere Darstellung nicht eingehen kann. Nur eins steht fest, das Knochenmark ist in hohem Maße beteiligt, zeigt bei Leukämie immer Veränderungen ( N E U M A N N ) . Statistisch-ätiologisch läßt sich über die seltenere Krankheit wenig sagen: von der 8. Woche des Lebens bis zum 70. J a h r e ist dieselbe beobachtet, etwa ein Drittel der bekannten Fälle betrafen das weibliche, zwei Drittel das männliche Geschlecht. Bei diesem scheinen die J a h r e vom 30. — 40., bei jenem das folgende Dezennium stärker disponiert. Als veranlassende Ursachen werden mit zweifelhaftem Rechte Intermittens, Syphilis, chronische Darmkatarrhe, Verwundungen, heftige Erkältung genannt. Die konstante anatomische Veränderung weist bei der Leukämie das Blut auf. E s ist schon bei makroskopischer Untersuchung wenig gefärbt, verdünnt erscheint es trübe. Ein mehr oder minder grobes Mißverhältnis zwischen roten und weißen Blutkörperchen ist kennzeichnend (Fig. 8). Bei der Leukämie ist stets eine Zunahme der weißen Körperchen, im Maximum ein weißes auf ein rotes beobachtet worden. — Der Hämoglobingehalt des Blutes sinkt bis auf ein Viertel der Norm, um ebensoviel nimmt die absolute Menge der roten Körperchen ab; es handelt sich auch um echte Oligocythämie. Die farblosen Elements zeigen verschiedene Gestaltung: die mongnukleären Fig. 8. Leukämisches Blut. N a c h v . JAKSCH. Lymphocyten sind relativ vermehrt, die polynukleären im Vergleich zu ihnen vermindert. Die grossen einkernigen Zellen sind oft stark vermehrt, kommen an Zahl allen anderen fast gleich. Sie färben sich indes etwas anders (sind neutrophil) als die im normalen Blute spärlich vorkommenden (basophilen) und haben keine Eigenbewegungen. EHRLICH nennt sie Myelocyten. — Ob aus dem Blutbefunde die Form der Leukämie — welches der blutbildenden Organe ist vorwiegend ergriffen? — sicher erkennbar ist, steht doch wohl dahin. Kernhaltige rote Blutkörperchen (Normocyten) kommen in kleiner Anzahl vor. — Nach dem Tode trifft man innerhalb der weißen Zellen, an denselben oder frei im Serum die CHARCOT'schen Krystalle, farblose kleine Oktaeder, manchmal in Spindelform erscheinend, welche aus Eiweiß oder einer demselben nahestehenden Substanz der weißen Körper gebildet sind. Die leukämische Milz ist bei unveränderter F o r m sehr erheblich — bis um das Sechsfache — vergrößert, ihr Gewicht k a n n das der Norm um das 15 fache übertreffen. Anatomisch handelt es sich um Hyperplasie, welche zuerst die lymphatischen, später die bindegewebigen Elemente trifft. — Die einzeln bis zur

Leukämie.

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Hühnereigröße anwachsenden, durch Verschmelzung benachbarter, aber Geschwülste von Kindskopfgröße bildenden Lymphdrüsen sind in ähnlicher Weise verändert. — Im Knochenmark werden zwei Formen beobachtet: das Gewebe ist an einigen Stellen gallertig weich, an anderen derber, seine Farbe rötlich, das ganze wie Himbeergelee — lymphadenoide Hyperplasie; oder aber es finden sich ganz weiche, gelbliche, dem Eiter ähnliche Massen — pyoide Hyperplasie. — An allen Orten, wo lymphadenoides Gewebe sich zeigt, kann dasselbe in den Krankheitsvorgang hineingezogen werden. Es ist soweit verbreitet, daß man von „metastatischer Verschleppung" nicht mit Sicherheit reden kann. — Man fand: Stomatitis und Pharyngitis leucaemica, markige Infiltrationen im Magen und Darm, Lymphome in der Niere. — In etwas über die Hälfte der Fälle ist die Leber vergrößert, manchmal recht bedeutend, teils durch einfache Hyperplasie, teils durch Lymphombildung. — Seltener traf man die Nebennieren erkrankt; Ruptur derselben mit starker Hämorrhagie kam vor. Retinitis mit oder ohne Blutung ist etwas häufiger. Auch bei der Leukämie ist das Krankheitsbild im wesentlichen das der Anämie, die gleiche Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, die nämlichen subjektiven Beschwerden. Meist entsteht das Leiden ganz allmählich, gleichmäßig, fieberlos, seltener beobachtet man ruckweise mit Fieber verlaufende Verschlimmerungen; Stillstand für gewisse Zeit kommt beide Male vor. — Gefühl von Spannung, von Druck in der Milzgegend kann die Schwellung des Organs begleitend von aufmerksamen Kranken verhältnismäßig früh bemerkt werden; häufiger noch fallt denselben die Vergrößerung der peripheren Lymphdrüsen auf. Die Knochen, besonders das Brustbein, sind auf Druck empfindlich, bisweilen etwas aufgetrieben. Bleibt eines dieser Organe unbeteiligt, dann fehlen auch die von ihm herrührenden Zeichen. — Als eigentümlich für Leukämie ist die verhältnismäßige Häufigkeit der Blutungen (in etwa zwei Dritteln der Fälle) zu nennen. Aus der Nase treten dieselben gewöhnlich, ein, schon weit seltener aus dem Darm und in das Unterhautbindegewebe oder unter die Epidermis, noch seltener erfolgen sie aus den Harnwegen. — Neigung zu hydropischen Ergüssen, ebenso unregelmäßige, 4 0 0 kaum erreichende Fieberbewegungen mögen bei der Leukämie öfter als bei den anderen Formen chronischer Anämie vorkommen. — Der Stoffwechsel kann wenig verändert sein; es ist aber eine vermehrte Ausscheidung von Harnstoff, Phosphor- und Schwefelsäure beobachtet. Konstant scheint eine erhebliche Vermehrung der Harnsäure zu sein. Es werden rasch verlaufende Erkrankungen beobachtet — akute Iieukämie. — Sie gehen einher mit ausgesprochener Neigung zu Blutungen (hämorrhagische Diathese), starker Schwellung der Milz, der Leber, der Drüsen. Die Körperwärme ist in etwa der Hälfte der Fälle wenigstens zeitweilig nicht unerheblich gesteigert. Im Blute finden sich vorwiegend die Lymphoegten vermehrt. — Wenn auch die Erkrankung zunächst unter dem Bilde einer leichteren Anämie unbestimmten Charakters auftreten kann, kommt ea doch ziemlich plötzlich zu erheblicher Verschlimmerung mit allen die Leukämie kennzeichnenden Veränderungen an den betroffenen Organen. — Alles in allem genommen schwankt die Verlaufsdauer der Leukämie von wenig Wochen bis zu 10 Jahren. — Die Diagnose kann einzig durch die Blutuntersuchung gestellt werden. — Die Prognose ist recht schlecht, nur vereinzelt wird von Heilung berichtet; ist es schon zur Kachexie gekommen, dann soll das tödliche Ende unvermeidlich sein. 12*

Krankheiten des Blutes.

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Die Therapie versuchte besonders bei den mit starker Vergrößerung der Milz einhergehenden Fällen durch Einwirkung auf dieses Organ — große Gaben von Chinin anhaltend dargereicht, Piperin, die Eukalyptuspräparate, dann Duschen und Faradisation der Milzgegend — zu nützen. Die Exstirpation der Milz wurde wenige Male mit durchaus ungünstigem Ergebnis vorgenommen. — Bei allen Formen wandte man Eisen, Arsenik (bis zu mehreren Centigrammen den Tag, lange zu gebrauchen), endlich noch den Phosphor an. — Die diätetische Behandlung ist nicht zu vernachlässigen. § 79.

Pseudoleukämie und chronisches Rückfailsfieber.

Als Pseudoleukämie (HoDGKiN'sche Krankheit, Adenie, malignes Lymphom) wird ein Zustand bezeichnet, bei welchem nahezu alles mit der Leukämie ubereinstimmt, die Vermehrung der farblosen Elemente im Blute einzig ausgenommen. Das ätiologisch vollständig dunkle Leiden verschont kein Lebensalter, es findet sich am häufigsten zwischen dem 25. und 35. Jahre, und öfter beim männlichen als beim weiblichen Geschlecht. — Die Lymphdrüsen und die Milz sind meist miteinander ergriffen, ausnahmsweise bleibt die letztere verschont. In den Lymphdrüsen nimmt die Menge der zelligen Elemente zu, das Retikulum hat verdicktes, daneben auch neugebildetes Bindegewebe; überwiegt die Neubildung von Zellen, dann redet man von weichem, überwiegt die Neubildung von Bindegewebe von hartem Lymphom. Eine grundsätzliche Trennung darf nicht gemacht werden: anatomisch handelt es sich um quantitative Unterschiede, man sieht nicht nur Übergänge, beide Formen treten sogar gleichzeitig bei einem und demselben Menschen auf. — Die Lymphdrüsen verschmelzen höchstens untereinander, nicht mit der Umgebung; sie können mehr als faustgroße Geschwülste bilden. — In der Milz finden sich die nämlichen Veränderungen an den Follikeln, sie können zu Knoten von 2 cm Durchmesser anwachsen; das ganze Organ wird groß, noch größer wie bei der Leukämie. Nach Art der bösartigen Neubildungen kommen Metastasen vor, welche das Bindegewebe in formative Reizung versetzen, daneben aber Lymphome heteroplastisch entstehen lassen; Leber, Nieren, Lunge, Thymus werden so ergriffen. Das Blut soll an Menge abnehmen, die roten Körperchen finden sich in geringerer Zahl und sind vielleicht minder hämoglobinhaltig; übrigens beobachtet man einmal äußerste Anämie, andere Male kaum erhebliche Veränderungen. Die Krankheit beginnt an den Lymphdrüsen, gewöhnlich denen einer größeren Gruppe, meist am Hals. Allmählich werden mehr Drüsen, nicht immer die in der Richtung des Lymphstroms liegenden zuerst, ergriffen, auch die Lymphdrüsen im Körperinneren beteiligen sich, am stärksten die vor der Wirbelsäule gelegenen, am wenigsten die mesenterialen; Schwellung der Milz schließt sich an, kann aber auch die erste Krankheitserscheinung sein. — Ausnahmsweise beginnt die Krankheit an einer der inneren Gruppen von Lymphdrüsen und läßt die äußeren auch später frei. Die Drüsen schmerzen meist nicht auf Druck, eher noch spontan und anfallsweise. Bei der weichen Form kann innerhalb Tagesfrist eine sehr merkliche An- und Abschwellung sich finden. — Das Krankheitsbild gleicht dem der Leukämie. Ein besonderes Gepräge erhält dasselbe nur, wenn geschwellte Drüsen auf Röhrenleitungen — Blut-, Lymph-, Gallen-, Luftwege u. s. w. — oder Nerven Druck üben; an den betroffenen Orten stellen sich alsdann die Erschei-

Pseudoleukämie und chronisches Rückfallsfieber.

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nungen erschwerter Wegsamkeit ein. Das so entstehende Krankheitsbild ist ein außerordentlich wechselvolles. — Fieber, Hämorrhagie, Hydrops kommen seltener als bei der Leukämie vor. — Gegen das tödliche Ende wurden Diarrhöen beobachtet. — Die Krankheit verläuft im Mittel rascher als Leukämie — zwei Monate bis drei Jahre sind die bisher bekannten Grenzwerte. — Die Diagnose stützt sich auf die angeführten Krankheitszeichen, differentiell kann dieselbe gegen Leukämie einzig durch die Blutuntersuchung gestellt werden. Es kommt eine Form der Lymphdrüsentuberkulose vor, welche in jeder Beziehung so gleich sich verhält, daß nur der Nachweis von Bacillen die Unterscheidung ermöglicht. — Kasch sich ausbildende multiple Sarkomatose kann ebenso unüberwindliche Schwierigkeiten machen, treten doch sogar neben einfachen Lymphomen bei dem gleichen Kranken echte Sarkome auf. — Die Verwechslung mit Syphilis wäre endlich noch zu erwähnen. — Die Prognose ist immer bedenklich, obgleich Spontanheilung erfolgen kann und die Therapie neuerdings Erfolge aufzuweisen hat. Die arsenige Säure vermag manchmal günstig zu wirken. Man giebt dieselbe innerlich, langsam steigend, bis zu 0,03 g ( = 3 g Liquor kalii arsenicosi) den Tag in geteilter Dosis, immer bei nicht leerem Magen. — Zugängliche Drüsen werden durch parenchymatöse Injektion (ein Teilstrich Pravaz unverdünnten Liquors zwei- bis dreimal täglich in verschiedene Gruppen) unmittelbar in Angriff genommen. — Diese Kur wird monatelang fortgesetzt. — Exstirpation der Drüsen ist fruchtlos; Jod, Chinin, Quecksilber sind mindestens zweifelhaften Nutzens. So bestimmt geschieden die perniciöse Anämie, die Leukämie und Pseudoleukämie in den vollentwickelten Formen erscheinen, so fehlt es doch nicht an Beispielen, daß eine Form in die andere übergehen kann. Die allseitig große Verwandtschaft der Erkrankungen braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. — Die Annahme eines oder mehrerer, einander nahe stehender spezifischer Krankheitserreger hat unleugbar vieles für sich — sie ist aber vorderhand unerweisbar. Neuerdings wurde man in Holland (PEL) und Deutschland (EBSTEIN) auf eine in England schon länger bekannte Form der Pseudoleukämie aufmerksam, welche die gleiche anatomische Unterlage hat, aber sich durch ihre Verlaufsweise auszeichnet. Eigentümlich ist ein in Schüben auftretendes Fieber, dessen Einzelanfälle durch längere fieberfreie Zwischenräume voneinander getrennt sind. Die Fieberanfälle dauern eine oder mehrere Wochen, die freie Zeit ebensolange oder etwas kürzer — es scheinen in den Einzelbeobachtungen nicht unerhebliche Abweichungen vorgekommen zu sein. Bei dem Anfall steigt die Körperwärme an den ersten Tagen staffelformig, sie erreicht um die Mitte des Anfalls ihr Maximum mit mehr als 40°, hält dieses einige Tage fest und sinkt dann wiederum staffeiförmig ab. Während der folgenden Apyrexie werden die Werte zunächst subnormal — die Erneuerung des Anfalls zeigt sich bei normal gewordenen Morgentemperaturen durch eine Zunahme der Abendwärme an. — Ortliche Entzündungen (Pleuritis ist beobachtet) vermögen diesen sonst regelmäßigen Typus zu stören. — Die Fieberanfälle sind von bedrohlicher Herzschwäche mit häufigen Pulsen begleitet; auch in der fieberlosen Zwischenzeit bleibt der Puls höher. — Die Milz schwillt, manchmal empfindlich werdend, mit dem Anfall, bei dessen Nachlaß geht ihre Schwellung zwar zurück, aber nicht ganz. Sind dem Getast zugängliche Lymphdrüsen beteiligt, dann zeigt sich an ihnen das gleiche. Bei jedem neuen Fieberanfall wiederholt sich der Vorgang, so daß eine allmähliche aber stetige Zunahme des Umfangs daraus hervorgeht. — Eine Vergrößerung der Leber kann vorkommen. — Die allgemeine Ernährimg leidet während des Anfalls schwer not. Zur Zeit des Fiebernachlasses kann bei jetzt regem Appetit und bei guter Verdauung eine Ausgleichung stattfinden, wejche aber im Laufe der Zeit mehr und mehr ungenügend wird. Marasmus und Hydrops, vielleicht durch Diarrhöen noch beschleunigt, stellen sich zum Schlüsse ein.

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Krankheiten des Blutes.

Vou Heilung wird aus England berichtet — stets aber bleibt die Prognose zweifelhaft. Die Krankheitsdauer betrug in den ungünstig verlaufenden Fällen gegen ein Jahr oder weniger. — EBSTEIN, der mit Recht darauf hinweist, daß, wenn wie öfter die Schwellung äußerer Lymphdrüsen fehlt, die eigenartigen Fieberanfälle und neben ihnen höchstens noch das vieldeutige Verhalten der Milz für die Diagnose in Betracht kommen, schlägt vor, das Ganze als „chronisches Bückfallsfieber" zu bezeichnen und zu den Infektionskrankheiten zu stellen, obgleich der Nachweis eines Mikroben als Krankheitserregers bisher nicht gelungen ist. Man wird übrigens die Tuberkulose differentialdiagnostisch sehr zu beachten haben. — § 80.

Hämorrhagische Diathese, Hämoglobinurie.

Die Neigung zu Bildungen bezeichnet man als hämorrhagische Diathese. Weit verbreitete Blutergüsse in die Haut und das Unterhautbindegewebe, unter die Schleimhäute in leichteren, auf deren freie Mäche in schweren Fällen, welche aus unmittelbar nicht erkennbaren Ursachen oder auf Verletzungen hin erfolgen, die zu der Stärke und Dauer der durch sie hervorgerufenen Blutung in keinem richtigen Verhältnis stehen — das sind die einzigen Merkmale derselben. Man rechnet zu den hämorrhagischen Diathesen im engeren Wortsinne die Hämophilie, den Morbus maculosus Werlhofii, den Skorbut; im weiteren Sinne zählen aber die Fälle, welche im Laufe schwerer Infektionskrankheiten und Vergiftungen mit gekannten Körpern (Phosphor, Mineralsäuren u. s. w.) auftreten, hierher. Desgleichen zeigen sich die eigentlichen Blutkrankheiten — Leukämie zuerst zu nennen — länger unter dieser Maske. Nicht ganz zu vergessen sind die mit rascher Entwicklung bösartiger Neubildungen einhergehenden Blutungen. — Sehr oft vermögen wir bei diesen ebensowenig wie bei den erstgenannten Formen bestimmte Veränderungen am Blut oder an den Gefassen nachzuweisen, ja nicht einmal zu sagen, ob jenes oder ob diese erkrankt seien. Andere Male gelingt das; so kennen wir eine Reihe von Substanzen, welche die roten Blutkörperchen auflösen. Das bei der Auflösung frei gewordene Hämoglobin wird dann, soweit die Leber dasselbe nicht zu Gallenfarbstoff umzuwandeln vermag, unverändert durch die Nieren ausgeschieden; Blutaustritt unter die Haut und auf die Schleimhäute braucht nicht damit verbunden zu sein, findet sich aber keineswegs selten. Man hat nach dem Hauptsymptom die Benennung Hämoglobinurie gewählt, muss aber die Gruppe bei den Krankheiten des Blutes besprechen. Hämoglobinurie tritt bei dem Menschen auf: 1. Nach Einwirkung von Giften, welche auch außerhalb des Körpers die Auflösung der roten Blutkörperchen herbeiführen: Arsen- und Schwefelwasserstoff, Schwefel- und Salzsäure, Kalium chloricum, Pyrogallussäure, Nitrobenzol, Gallensäuren, das Gift der Morcheln. 2. Nach Transfusion des Blutes einer fremden Tierart und nach ausgedehnten Verbrennungen der Haut. 3. Selten bei schweren Infektionskrankheiten: Scharlach, Typhoid, Diphtherie, Sepsis u. 8. w., ebenso bei den hämorrhagischen Diathesen im engeren Wortsinne. 4. Als seihständiges Leiden in eigentümlicher Form — periodische (paroxysmale) Hämoglobinurie. Der Harn, stets sauer reagierend, erscheint entweder nur leicht blutig oder aber in allen Übergängen bis zum tiefem Schwarzrot gefärbt, er scheidet bei dem Kochen ein festes, braunes Gerinnsel aus und zeigt spektroskopisch die Linien

Hämorrhagische Diathese, Hämoglobinurie. Hämophilie.

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des Oxyhämoglobins und Methämoglobins; dieses letztere ist manchmal (nach Vergiftung mit chlorsaurem Kalium z. B.) in sehr hervorragender Menge zugegen. Nur selten tritt daneben Hämatin auf. In dem Sediment finden sich konstant Cylinder, teils mit körnigem Farbstoff durchsetzte, teils hyaline, nicht immer rote Blutkörperchen; Tropfen des Hämoglobins von verschiedener Größe, die mit Myelintropfen die größte Ähnlichkeit haben, sind häufig. In den Nieren sind diese Tropfen am reichlichsten im Innern der großen Harnkanälchen, aber auch in dem der gewundenen und der Glomeruli anzutreffen; das ganze Organ erscheint dadurch dunkelbraunrot, namentlich aber heben sich die geraden Harnkanälchen deutlich von der minder stark gefärbten Umgebung ab. Eine mechanische Verlegung der Leitkanäle der Niere durch das Stroma der roten Blutkörperchen findet sich bei einigen Formen (1. und 2.), dabei kann es zur vollständigen Anurie kommen. Die Milz und das Knochenmark können Ablagerungsstätten für die zertrümmerten roten Körperchen werden. — Was Hämoglobinurie bedingt, ist meist genügend, um von sich aus den Tod herbeizufuhren; auch bei der Unterdrückung der Harnabsonderung steht wohl der Nachlass der Herzarbeit im Vordergrunde. Die periodische Hämoglobinurie kommt jedenfalls ganz vorwiegend, wenn nicht ausschließlich, bei dem männlichen Geschlecht in jedem Lebensalter vor. Der Sommer ist die beste Jahreszeit für die Kranken. Dies hängt damit zusammen, daß in der großen Mehrzahl eine Erkältung zur Entstehung des Anfalles Veranlassung giebt; ausnahmsweise hat man denselben auch nach starker Körperanstrengung (besonders Fußmärsche) und nach Exzessen in Baccho et Venere auftreten sehen. — Syphilis ist in einzelnen Fällen als Ursache wahrscheinlich, da mit deren Heilung das Übel schwand. Der Anfall wird von Allgemeinstörungen, meist in der Art eines intermittierenden Fiebers mit Frieren, Hitze (über 40"), Schweiß und sehr beschleunigtem Pulse eingeleitet und begleitet, große Schwäche folgt. Das Hauptsymptom ist die Veränderung des Harns, der vor und nach dem Anfall vollkommen normal erscheint. Das Serum des Blutes hat man während des Anfalles hämoglobinhaltig gefunden. Leber und Milz können zu dieser Zeit vergrößert und wie die Nieren gegen Druck empfindlich sein. — Man hat Urticariaquaddeln sich während des Anfalles entwickeln sehen, Ikterus kam häufiger vor. Die Fäces sind unmittelbar nachher auffallend dunkel. Die Dauer des Anfalles beträgt meist nur einige Stuuden, allein es können in kurzen Zwischenräumen mehrere aufeinander folgen; andere Male trennten Jahre die einzelnen. — Unmittelbare Lebensgefahr scheint kaum je herbeigeführt zu werden; die bei häufiger Wiederholung unvermeidliche Anämie kann immerhin zur schweren Schädigung Veranlassung geben. Das und die große Neigung zu Recidiven ist bei der Prognose zu berücksichtigen. — Die Behandlung kann durch eine die Vermeidung von Erkältung und übermäßigem Gehen anstrebende Lebensordnung dem Auftreten von Anfällen vorbeugen; gegen den Anfall selbst vermögen wir nichts, ebensowenig gegen das unbekannte Grundleiden. Nur Lues macht davon eine Ausnahme. § 81.

Hämophilie.

Mit dem Namen Hämophilie benennt man eine meist durch Vererbung übertragene dauernde Neigung %u schwer stiUbaren und das Leben in hohem Grade gefährdenden Blutungen. Diese treten ohne nachweisbare äußere Veranlassung auf, oder ihre Quelle sind Gewebstrennungen, welche so unbedeutend sein können, daß gewöhnlich mit wenigen Bluttropfen die Sache abgetban wäre. Das männliche Geschlecht ist stärker als das weibliche ergriffen — nach bisherigen Erhebungen kommt ein weibliches auf etwa 13 männliche Individuen.

Krankheiten des Blutes.

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Aber wenn auch das hereditär belastete Weib selbst nahezu ganz verschont sein kann — profuse Menses zeigen sich bei ihm immerhin —, so überträgt dasselbe dennoch die unheilvolle Anlage auf seine mit einem gesunden Manne erzeugte leider gewöhnlich zahlreiche Nachkommenschaft; der männliche Bluter hat dagegen mit einer gesunden Frau meist freibleibende Kinder. Die erste Blutung war in nahezu drei Viertel der Fälle vor Vollendung des zweiten Lebensjahres aufgetreten, ihr äußerster Termin fallt auf das zweiundzwanzigste. Größere Neigung zur Hämorrhagie zeigt sich bei den Blutern um die Zeit der physiologischen Entwicklungsabschnitte (beide Dentitionen, Pubertät). — Von anatomischen bleibenden Abweichungen ist bemerkt: die größeren Gefäße enger und dünner, die subkutanen oberflächlicher liegend, teilweise Verfettung der Intima an größeren und kleineren Arterien — dieses ist vielleicht Folge, nicht Ursache stärkerer Blutverluste — bisweilen Hypertrophie des Herzens. Das Blut wurde,, eher größere Mengen desselben entleert waren, an Hämoglobin und Mbrinbildnern reich gefunden. — Die Blutung — eine sogenannte parenchymatöse — geschieht aus den Kapillaren und unter hohem Drucke, da in kurzer Zeit große Mengen austreten. Ein Hämophile soll in 11 Tagen 24 Pfund Blut verloren haben. — Vorwiegend (etwa in 50 °/0) ist die Schleimhaut der Nase Sitz der Hämorrhagie; es folgen in weitem Abstand Zahnfleisch und Darm (je etwa mit 12 °/0), dann Lunge, Niere und Magen (je gegen 6 °/0). — Blutungen in Gelenkhöhlen können zu Ankylosen führen. — Man versuchte eine Deutung des Geschehenen so zu geben: wenn eine Überfüllung des engen, vielleicht brüchigen Gefasssystems der Hämophilen, das mit einem hypertrophischen Herzen in Verbindung steht, durch das zeitweise in größeren Mengen neugebildete Blut statthat, dann zersprengt dasselbe die zu stark gedehnten Kapillaren. — Die Diagnose hat etwaige erbliche Belastung zu berücksichtigen und den Mangel anderweitiger Veranlassungen zu hartnäckiger Blutung festzustellen. — Die Prognose ist keine günstige: 60 °/0 der Bluter erliegen vor dem achten Lebensjahre, nur 11 °/0 erreichen das zweiundzwanzigste. Nach der Pubertät sind die Aussichten etwas besser; immerhin kann auch im späteren Leben schon eine leichte Verwundung töten. — Die Therapie als Prophylaxe geübt hätte die kaum lösbare Aufgabe vor sich, den Töchtern aus Bluterfamilien das Gebären zu wehren. — Jeder Hämophile hat sich vor Verletzung zu hüten und alle Excesse (örtliche Wallung) zu vermeiden. — Eine entstandene Blutung muß gleich mit allen Hilfsmitteln bekämpft werden; die Kompression, wo solche anwendbar, leistet noch am ehesten Dienste. — Innerlich werden abführende Gaben der Mittelsalze empfohlen.

§ 82.

Morbus maculosus Werlhofii.

Die nicht durch Vererbung erworbene, nur vorübergehend den Menschen befallende und gewöhnlich nicht rezidivierende Neigung zu Blutungen bezeichnet man als Morbus maculosus Werlhofii. Ein selteneres Leiden; trotz der gangbaren Annahme, nach welcher das 15. bis 30. Lebensjahr besonders ausgesetzt sein soll, doch wohl häufiger vor der Pubertät sich zeigend. — Ungünstige äußere Verhältnisse, ungenügende Ernährung, schwache Konstitution sind keineswegs notwendige Voraussetzungen.

Hämophilie.

Morbus maculosus Werlhofii.

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Die Ätiologie Ist vollkommen dunkel. Ebensowenig trifft man anatomische Veränderungen — diejenigen etwa ausgenommen, welche nach stärkeren Blutverlusten überhaupt vorkommen — Gefäße, Milz, Lymphdrüsen, Knochenmark, endlich das Blut bieten keine erkennbare Abweichung dar. Die Entwicklung der Symptome gestaltet sieh verschieden. Ganz plötzlicher Anfang, oder aber einige Tage lang als Vorboten Abgeschlagenheit, Appetitjnangel, Kopfweh, vielleicht geringes Fieber. Mit diesen Erscheinungen zusammen kann in Knie- und Sprunggelenken, seltener in anderen, Schmerz empfunden werden und leichte Schwellung sich einstellen. Umschriebene Blutergüsse in die Haut von wenigen Millimetern bis zur Größe mehrerer Centimeter, anfangs kreisrund, rot bis blaurot, hier und da zusammenfließend, dennoch die Urform erkennen lassend, nur in schweren Fällen streifenartig und unregelmäßig (Vibices), werden ohne örtlichen Schmerz zu erzeugen am ganzen Körper sichtbar; dichtest gedrängt sind sie an den Beinen. Der ausgetretene Blutfarbstoff erleidet die bekannten Veränderungen; da meist mehrere Eruptionen aufeinander folgen, sieht man später alle Übergänge von Rot, Blau, Grün, Gelb bis zum schmutzigem Braun. An den ergriffenen Teilen ist die Haut inselförmig leicht erhaben, seltener sind ihre oberflächlichen Schichten zu blutigen Bläschen oder Blasen emporgehoben. Der Einfluß äußerer Reize zeigt sich dadurch, daß an den Orten, wo sie wirksam wurden, die erwähnten Veränderungen der Haut hochgradiger ausfielen. — Auch die Schleimhäute nehmen teil: kleine Blutergüsse unter ihre Fläche finden sich im Munde, im Rachen, in der Conjunctiva, Massenblutungen erfolgen am häufigsten aus der Nase oder aus dem Darm, dann aus dem Magen, den Harnwegen, den weiblichen Genitalien, am seltensten aus den Bronchien. Die nicht häufigen Hämorrhagien in das Hirn, die Meningen, die Körperhöhlen — Pericardium und Pleura sind öfter als das Peritoneum davon betroffen — wirken durch Druck örtlich störend. Die bei Kindern sich zeigenden heftigen Reizungen von Magen und Darm führt man mit einigem Recht auf submuköse Blutung zurück. Ganz ausnahmsweise gab diese Veranlassung zur Verschwärung, sogar perforatorische Peritonitis schloß sich ihr an. — Im übrigen und gewöhnlich entsprechen die Symptome der WERLHOF'schen Krankheit einem durch anderweitige Veranlassung herbeigeführtem und gleich ausgiebigem Blutverlust. — Als Komplikation kommt Urticaria vor, besonders neben stärkeren Erscheinungen vom Magen und Darm. Es unterliegt keinem Zweifel, daß man mit dem Namen „Werlhofsehe Krankheit" eine durch die Blutergüsse sehr notdürftig zusammengehaltene Einheit geschaffen hat. Wahrscheinlich ist der größte Teil des Hierhergezählten auf wirkliche Infektionen und Intoxikationen zurückzuführen, welche zunächst noch nicht deutlich erkennbar sind. Daher mag man die alte Bezeichnung weiterführen, sollte aber nicht Trennungen versuchen, welche neue Namen, keine neue Begriffe geben. — Rein quantitativ wurde gesondert: Purpura Simplex — kleine umschriebene Blutergüsse in die Haut: Purpura haemorrhagica — diese, daneben größere Extravasate und kleine in die Schleimhäute. Qualitativ trennte man: Purpura febrilis, non febrilis, rheumatica; bei der letzterwähnten, auch Peliosis rheumatica genannten Form findet sich eine Beteiligung der Gelenke.

Die Erkrankung dauert im ganzen von zwei bis vier Wochen, nach dem Auftreten der Blutungen allein gerechnet aber nur 5 bis höchstens 14 Tage; durch unmittelbar sich anschließende Recidive kann freilich erhebliche Verlängerung eintreten. — Die Diagnose muß, wenn es thunlich, eine ätiologische

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Krankheiten des Blutes.

sein, sie hat Vergiftung und akute Infektionskrankheiten (auch im Rekonvalescenzstadium), ferner Hämophilie, Skorbut, chronische Anämien — genaue Blutuntersuchung sollte nie unterlassen werden — zu berücksichtigen. Die Prognose ist im allgemeinen nicht ungünstig, aber immerhin insoweit zweifelhaft, als unerwartete Massenblutungen tödlichen Ausgang herbeiführen können. — Die Therapie hat wesentliche Erfolge nicht zu verzeichnen. Prophylaktisch: Vermeidung mechanischer Insulte, stärkerer örtlicher Fluxion — unbedingt Bettruhe. Im einzelnen: keine Drastica, nur milde Abführmittel. Soweit möglich Bekämpfung der Hämorrhagien aus Schleimhäuten. — Die zurückbleibende Anämie wird nach allgemeinen Regeln behandelt; drohende Lebensgefahr wegen akuter Blutleere ist, nicht mit Glück, durch Transfusion bekämpft worden. § 83.

Skorbut.

Bei dem Skorbut ist mit der Neigung zur Blutung eine solche zur Entzündung verbunden. Es handelt sich ferner um eine schwere Schädigung des Gesamtorganismus, um eine allgemeine Kachexie. Die Ätiologie weist auf bestimmte Anomalien der Ernährung hin. In ausgedehnter Verbreitung — epidemisch — entsteht die Krankheit unter Menschen, welche, abgeschlossen lebend, den Genuß gewisser Nahrungsmittel entbehren; unter diesen stehen frische Gemüse, Kartoffeln und Früchte obenan, irisches Fleisch und Milch folgen unmittelbar. Die Einförmigkeit einer an sich nicht ungenügenden Ernährung wird mit Recht hervorgehoben. Ungünstige Lebensbedingungen überhaupt machen sich neben diesen Beschränkungen in den Nahrungsmitteln geltend: schlechte, überfüllte und feuchte Wohnräume, rauhe Witterung, übermäßige körperliche Anstrengung, geistige Erschlaffung sind mindestens als Hilfsursachen zu nennen. Man sah den Skorbut am häufigsten auf langfahrenden, schlecht verproviantierten Seeschiffen, innerhalb der Strafanstalten, in belagerten, vom Verkehr abgeschnittenen Städten. — Eine Folge quantitativ ungenügender Nahrungszufuhr ist der Skorbut nicht; Hungeijahre, früher in verkehrbeschränkter Zeit durch Mißernten nicht selten, waren von ihm nicht begleitet. — Durchschlagend tritt der individuelle Faktor nicht hervor, auch Starke erkranken, vielleicht etwas schwerer und häufiger freilich die Schwachen. — E s fragt sich, ob unter den genannten Bedingungen ein Krankheitserreger — vielleicht ein überall verbreiteter Mikrobe — in dem spezifisch geschwächten Menschenorganismus einen ihm günstigen Keimboden findet. Es ist ganz gut denkbar, daß unter dem Namen Skorbut zwei, vielleicht noch mehr ätiologisch verschiedene, in ihren Erscheinungen aber sehr ähnliche Krankheiten zusammengefaßt werden. Manches spricht dafür, daß Skorbut als echte, sogar contagiöse Infektion auftreten kann. Es kommen aber auch selbst tödlich endende Einzelfälle innerhalb einer vollkommen freien Bevölkerung, bei Leuten vor, welche keineswegs unter ungünstigen Verhältnissen leben. (Eigne Beobachtung.) Die anatomische Untersuchung weist außer den durch Blutung und Entzündung örtlich hervorgerufenen Veränderungen keine spezifischen pathologischen Bildungen nach. Das Krankheitsbild setzt sich aus allgemeinen Störungen und aus besonderen örtlichen zusammen. Die allgemeinen Erscheinungen gehen voraus: Erschlaffirag, verminderte Leistungsfähigkeit, besonders auch geistige, Niedergeschlagenheit, Herzschwäche und mit dem Gefiihle der Bangigkeit verbundenes

Skorbut.

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Herzklopfen, ein kleiner Puls, dann ein ausgesprochenes Bedürfnis nach Schlaf und Wärme, sowie Schwinden der Körperfülle. Daneben Schmerz in den Muskeln, besonders nach etwas größeren Anstrengungen, Abschilferung und unbedeutende, inselförmig auftretende, aber weit verbreitete, durch geringen Blutaustritt bedingte graubraune Mißfarbung der Haut, das sind die ersten Zeichen des Skorbuts. Im weiteren, sich diesem Vorläuferstadium anschließenden Verlaufe wiegt neben hochgradiger Kachexie die Herzschwäche vor; Albuminurie und Milzschwellung sind nicht regelmäßige Ereignisse. Fieber kann fehlen, es kann da sein. — Unter den eigenartigen örtlichen Erkrankungen ist zuerst die nahezu konstante des Zahnfleisches zu nennen: hämorrhagische Entzündung bis zur hämorrhagisch-diphtheritischen sich steigernd, am frühesten an den Schneidezähnen und am stärksten das zwischen ihnen liegende Zahnfleisch befallend, schmerzhaft, zu manchmal reichlichen Blutungen Veranlassung gebend, mit fürchterlichem, den faulenden Massen entstammendem Gestank verbunden. Ein Teil der Zähne kann dabei verloren gehen, ja sogar Kiefernekrose sich einstellen. Die übrige Schleimhaut des Mundes bleibt verhältnismäßig verschont. Bemerkenswert ist, daß bei vollkommenem Zahnmangel keine Erkrankung des Zahnfleisches erfolgt — In zweiter Linie steht die äußere Haut. Von einfachen kleinen Blutungen bis zu handtellergroßen, auf das Korium ausgedehnten Verschwärungen finden sich alle Übergänge, daneben manche besonders benannte Formen von Hautkrankheiten — Petechien, Vibices, Akne, Liehen, Pemphigus. Die Entwicklung der Hauterkrankungen geht öfter von den Haarbälgen aus. Auch die Nägel nehmen teil, sie können ganz abgestoßen werden. — Weitere Veränderungen treffen die Muskeln und das Bindegewebe. Meist werden gleichzeitig und gleichartig beide ergriffen: es bilden sich rasch — dann unter Schmerzen und Fieber — oder langsamer hämorrhagisch-entzündliche Infiltrationen, welche bei günstigem Verlaufe vollkommen resorbiert werden, bei ungünstigem geschwürigen Gewebezerfall veranlassen können; die überliegende Haut nimmt in mehr oder minder hohem Grade teil. Je nach dem Sitz können sich stärkere Funktionsstörungen merkbar machen, besonders wenn der Prozeß in der Nähe von Gelenken verläuft, welche alsdann durch die Erkrankung der Muskulatur in eigentümlicher Lage fixiert werden, "übrigens kommen auch selbständige Gelenkentzündungen — hämorrhagische — vor. In schweren Fällen sieht man Periostiten und Ostiten, besonders häufig an den Tibien und den Rippen, sogar alte Kallusmassen können dabei erweicht werden. Alle die genannten Veränderungen der Haut, der Muskeln u. s. w. haben an den unteren Extremitäten ihren Lieblingssitz. Blutungen aus den Schleimhäuten finden sich wie bei allen hämorrhagischen Diathesen auch bei dem Skorbut, besonders häufig wieder solche aus der Nase. Hämorrhagische Entzündung des Perikards und der Pleura, weniger oft des Peritoneums trifft man nur in schweren Fällen. Meningealblutung ist selbst dann nicht häufig. Neben Blutungen unter die Conjunctiva findet man Entzündungen am Auge, Iritis, gar Panophthalmitis. — Unter den häufigeren Komplikationen werden krupöse Pneumonie, hämorrhagische Infarkte der Lunge, Endokarditis, endlich auch Nephritis genannt. — Die Dauer des Leidens ist keine bestimmte, man kann nur sagen, daß genesende wie tödlich ausgehende Fälle stets von längerem Verlaufe gewesen sind. — Die Diagnose hat darauf Gewicht zu legen, daß unter den genannten ätiologischen Bedingungen zuerst Kachexie, dann die besprochenen örtlichen Zeichen einfach

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

hämorrhagischer und entzündlich-hämorrhagischer Diathese in weiter Verbreitung auftreten. Für die Differentialdiagnose ist die Erkrankung des Zahnfleisches von hervorragender Bedeutung. — Die Prognose im ganzen ist von der Möglichkeit, geeignete therapeutische Maßnahmen durchzuführen, beherrscht; im einzelnen wird sich dieselbe mit der Würdigung der individuellen Widerstandsfähigkeit, namentlich der Herzleistung, zu befassen haben. Sie darf stets nur mit einer gewissen Zurückhaltung gestellt werden. — Therapeutisch handelt es sich um Entfernung aller vorhin bezeichneten Schädlichkeiten. Sobald dieselben beseitigt waren, hörte die epidemische Verbreitung des Skorbuts auf. — Spezifische Mittel gegen den Skorbut kennen wir nicht. — Außer dem nach schleuniger Wiederherstellung normaler Ernährung und gesundheitsgemäßer Lebensweise strebendem allgemeinem Vorgehen ist jede örtliche Erkrankung ihrem Charakter gemäß zu behandeln. Man vergesse nie, daß die Änderung der allgemeinen Ernährung nach der guten Seite auch für die Lokalerkrankungen die Hauptsache ist. § 84.

Addison'sche Krankheit.

Addison'sche Krankheit wird ein Symptomenkomplex genannt, der durch langsam aber unaufhaltsam, fortschreitende Entkräftung, durch schwere Dyspepsie und durch Ablagerung von Pigment in die äußere Haut gekennzeichnet ist. — Anämie tritt in dem Krankheitsbilde zurück. — Männer werden häufiger als Frauen ergriffen, die Blütejahre sind besonders ausgesetzt; Greise erkranken äußerst selten. Bei jüngeren Kindern ist das Leiden nicht beobachtet. Die anatomische Untersuchung wies in einer entschiedenen Mehrzahl von Fällen (88 °/ 0 ), aber nicht in allen, Erkrankung der Nebennieren nach. Gewöhnlich waren es chronisch entzündliche Zustände, die meisten standen in Beziehung zur Tuberkulose. Man fand die Organe vergrößert, ihre Kapsel verdickt, die Oberfläche glatt oder höckerig, auf dem Durchschnitt käsige Massen in das harte, bindegewebig entartete, öfter geschrumpfte Gewebe eingelagert. Atrophie mit oder ohne Verkalkung kam vor. — Carcinome und Sarkome, Blutungen in das Gewebe, Gummabildung sind in einigen wenigen Fällen beobachtet worden. Die Veränderung ist meist doppelseitig. Das sympathische Nervensystem — namentlich das Sonnengeflecht — wurde bisweilen in einem durch Bindegewebswucherung und Erweiterung der Gefäße sich verratendem chronisch entzündlichem Zustande angetroffen. Wieweit das Rückenmark — wohl nur secundär — teilnehmen kann, steht dahin. — Der Farbstoff ist hauptsächlich in dem Rete Malpighii abgelagert, dringt aber bei schwerer Erkrankung bis zur Cutis vor. Er scheint große Ähnlichkeit mit dem der Chorioidea und dem der Nebennieren zu haben. Die Pigmentierung ist an den normal stärker gefärbten Stellen (Warzenhöfe, Genitalien u. s. w.), dann dort, wo äußerer Druck auf die Haut wirkte, am ausgesprochensten, Handteller und Fußsohlen sind in der Regel frei davon. Geringe Verfärbung in umschriebenen Herden findet sich an der Mund- und Lippenschleimhaut — dies ist für die Diagnose von Bedeutung — , seltener an der Conjunctiva; die Nägel bleiben immer normal. — Veränderungen des Blutes gehören nicht zum Wesen der Erkrankung.

Addison'sche Krankheit.

Myxödem.

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Die Entwicklung des Leidens geschieht langsam, indem von unmerklichen Anfangen aus die Zeichen der abnehmenden Leistungsfähigkeit deutlicher werden. Es wird über Entkräftung geklagt, bald treten neuralgiforme Schmerzen in den Hypochondrien, dem Rücken, dem Kreuz, den Gelenken ein. Dyspeptische Beschwerden, Erbrechen, besonders aber hochgradige Appetitlosigkeit sind regelmäßige Frühsymptome. Atrophie, Zittern, rasche Ermüdung der Muskeln tritt auf. Das Herz leistet geringe Arbeit, die Schwäche der Herztöne ist besonders hervorzuheben. — Unterdes hat sich die Hautfarbe geändert. Anfangs einfach schmutzig, so daß der Verdacht, es fehle an der nötigen Reinlichkeit, entstehen kann, wird sie später grau und braun, bis zum kupferfarbigen („bronzedskin"). Dies mit der weißen Sklera zusammen giebt dem Gesicht einen höchst eigentümlichen Ausdruck. Alle Erscheinungen nehmen stetig zu; nicht häufig schieben sich Zeiten längeren Stillstands ein. Der Tod erfolgt in tiefster Entkräftung oder (seltener) mit schwereren Hirnsymptomen (Delirien, Krämpfe, Koma). Ungewöhnlich ist ein akuter Verlauf, der, sich den Einleitungssymptomen anschließend, ganz plötzlich das Bild einer Infektionskrankheit (Typhoid) bringen kann und mit erheblichen Fieberbewegungen einhergeht. Bleibt zunächst das Leben erhalteD, dann weicht der weitere Verlauf von dem Gewöhnlichen nicht ab. — Der Ausgang ist wohl immer der Tod; die Dauer wird im Maximum auf einige Jahre angegeben. — Die häufige Verbindung mit Tuberkulose kann je nach deren Lokalisation und Entwicklung das Krankheitsbild mehr oder minder vollständig beherrschen. Über das Wesen der AcmsoKschen Krankheit sind wir ganz im Unklaren. Daß die Erkrankung der Nebennieren keine unerläßliche Voraussetzung ist, hat die Anatomie gelehrt. Man kam deswegen darauf, anzunehmen, daß eine Veränderung des Bauchsympathicus (Plexus solaris), die meist durch eine von den Nebennieren übergreifende Entzündung bewirkt werde, das Entscheidende sei. Allein auch diese anatomische Veränderung ist ohne ADDisoN'sche Krankheit gefunden und mit ihr nicht verbunden gewesen. Dann sollten rein funktionelle Störungen des Sympathicus ausreichen können. Bei allen diesen Vermutungen bleibt der hochgradige unaufhaltsame Kraftschwund ebenso unerklärt, wie die Pigmentierung der Haut, also die eigentlichen charakteristischen Symptome sind nicht zu verstehen. —

Die Diagnose ist durch die Hautverfärbung und den andauernden Schwund der Kräfte gegeben. Die Therapie kann nur symptomatisch zu Werke gehen. § 85.

Myxödem.

Als Myxödem bezeichnen wir einen krankhaften Zustand, welcher durch drei Erscheinungen gekennzeichnet ist: Eigenartige Beschaffenheit der Haut; Bestimmte Veränderungen im Nervensystem; Rückgang der allgemeinen Ernährung bis zur wirklichen Kachexie. — Ursache des Leidens ist ungenügende Leistungsfähigkeit der Schilddrüse. Das wird dadurch bewiesen: Nach vollständiger Entfernung der Schilddrüse zeigt sich ein Krankheitsbild, ganz dem entsprechend, was bei dem Myxödem beobachtet wird: die Kachexia thyreo- oder strumipriva. Sie verschwindet wie das Myxödem, wenn dem Erkrankten das Absonderungsprodukt der Schilddrüse in genügender Menge zugeführt wird. — Statistisch ergiebt sich für das genuine Myxödem: Frauen werden erheblich häufiger ergriffen als Männer, zwischen 20. und 50. Lebensjahre die Meisten.

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

Anatomisch: Verkleinerung der Thyreoidea mit Untergang des eigentlichen Drüsengewebes, wirkliche entzündliche Veränderungen fehlen ganz oder treten jedenfalls sehr hinter den Entartungsvorgängen zurück. — Haut. Die Hauptstörungen im Corium, die Bindegewebsfasern hyperplastisch, zwischen und in sie eine Masse eingelagert, welche, vielleicht nicht immer, größere Schleimmengen enthält und zäher, dickflüssiger sein kann. — An den anderen Körperteilen keine konstanten Befunde. — Myxödem schleicht sich sehr allmählich ein. — Sein erstes Zeichen ist die Schwellung der Haut, zunächst im Gesicht: Verdickung am Kinn, um die Augenlider, welche wie die Lippen und die Nase, die Zunge aufgedunsen sind. Danach kommen die Glieder — Arme wie Beine — an die Reihe. Das Gesicht erhält fremdartigen, mehr und mehr stumpfsinnigen Ausdruck, Hände und Füße werden plump. Auch am Rumpf kommen mehr umschriebene Anschwellungen vor. — Die Oberhaut ist rauh, rissig, mit Schuppen bedeckt, trocken, ganz schweißlos. — Die Nägel sind brüchig, die Augenbrauen und das Kopfhaar fallen aus. Auch die Zähne leiden öfter. — Daneben langsame aber stetige Abnahme der geistigen Leistungen: Schwäche des Gedächtnisses, des Auffassungsvermögens, der Entschlußfähigkeit — ein mehr und mehr dem Idiotismus sich nähernder Zustand. E s können allerlei Reizerscheinungen zeitweilig sich einschieben, Kopfschmerzen pflegen vom Anfang vorhanden zu sein. — Im Blut jedenfalls eine nicht unerhebliche Verminderung des Hämoglobingehalts, vielleicht etwas Abnahme der roten und Zunahme der weißen Körperchen. Die Herzthätigkeit ist schwächer, ohne daß sich dafür ein bestimmter Grund finden ließe, ebenso verhält es sich mit der ständig wachsenden Abnahme aller Organthätigkeit, der mit ihr einhergehenden Kachexie. — Sehr langsamer Verlauf ist durchaus die Regel. Er gestattet, daß selbst bei langer Dauer des Leidens die wirksame Behandlung, die Zufuhr von Schilddrüse noch möglich wird. — Die jetzt übliche Therapie besteht in der innerlichen Darreichung von Schilddrüsensubstanx des Schafes, welche nach sachgemäßer Gewinnung getrocknet und in Tablettenform gepreßt in den Handel kommen. Die englische Firma B U R R O U G H , W E L L C O M E & Co. liefert das sichere, am meisten gebrauchte Präparat. Jedes Täfelchen enthält 0,33 g frischer Schilddrüse — man giebt Bruchteile eines bis zu 10 den Tag, muß sich im Einzelfall nach der Reaktion auf den Kranken richten, welche recht verschieden ausfallen kann. Bei zu starker zeigt sich: Steigerung der Herzthätigkeit, häufigere Zusammenziehungen, Herzangst bis zum ausgesprochenem Herzasthma gesteigert. Vermehrung der Ausscheidung des' Harns, in ihm Eiweiß, einige Male auch Zucker (DENNIG). ES ist sogar bleibende Meliturie beobachtet (EWALD). Nicht unerhebliche Vermehrung des Stickstoffs im Harn, entsprechend dem stärkerem Eiweißzerfall. — Herumziehende Schmerzen an vielen Körperteilen. Allgemeines Unbehagen, Übligkeit, Brechreiz, Appetit* und Schlaflosigkeit, Benommenheit. Bisweilen Erhöhung der Körperwärme. —

Man hat das Ganze als Thyreoidismus bezeichnet. — Die Darreichung muß stets längere Zeit fortgesetzt werden, wenigstens Monate hindurch. Wird eine Heilung erreicht, muß der früher Kranke immerhin noch unter ärztlicher Aufsicht bleiben, denn es können Rückfälle sich zeigen, welche, rechtzeitig erkannt, meist durch geringe Mengen von Schilddrüse beseitigt werden. — Die Nahrung soll Fleisch nur in kleinsten Mengen enthalten, Milch und Vegetabilien seien ihre Hauptbestandteile. —

Basedow'sche Krankheit.

§ 86.

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Basedow'sche Krankheit.

Die Basedow'sche Krankheit zeigt in vollentwickelten Fällen doppelseitigen Exophthalmus, Anschwellung der Schilddrüse und Beschleunigung der Herzthätigkeit. Es kann eines oder das andere fehlen, vielleicht nur angedeutet sein. Dieser Gruppe von Erscheinungen reihen sich noch andere, weniger in die Augen fallende an, welche man in engere Beziehung zu dem Grundleiden bringt. — Meist wird das weibliche Geschlecht zur Zeit der Gebährfähigkeit ergriffen; indessen sind auch Männer keineswegs frei. Man rechnet etwa 82 °j0 Weiber; jenseits des 40. Lebensjahres wurden ungefähr 20°/ c beider Geschlechter befallen. Kinder erkranken sehr selten. — Hereditäre neuropathische Konstitution kann sich geltend machen, dagegen ist es zweifelhaft, ob die sehr oft vorhandene Änderung in der Blutmischung — Chlorose oder Anämie überhaupt — unter die begünstigenden Gelegenheitsursachen gezählt oder als Folgeerscheinung aufzufassen ist. — Ob Hyperplasie des Schwellgewebes der Nasenmuscheln unter die Ursachen der Krankheit gerechnet werden darf, ist fraglich geworden. — Plötzliche Entstehung des Leidens soll nach starken geistigen oder gemütlichen Aufregungen, seltener noch nach schweren körperlichen Anstrengungen und nach Kopfverletzungen vorkommen. Es dürfte sich häufiger nicht um eine wirklich neue Erkrankung, sondern nur um die ra3ch eintretende Verschlimmerung einer vorher unbeachtet gebliebenen leichteren gehandelt haben. — Möglicherweise sind auch die Beobachtungen über das Auftreten des Morbus Basedowii nach akuten Infektionskrankheiten in der gleichen Weise zu deuten. Die Beantwortung der Frage hängt enger mit der Auffassung zusammen, welche man über das Wesen der BASEDOw'schen Krankheit hat. Die Gegensätze sind schroff. Handelt es sich um eine konstitutionelle Neurose (CHARCOT) oder um eine durch gestörte Ihätigkeit der Schilddrüse bedingte Autointoxikation (MÖBIÜS)? Vor der Hand möchte ich mit einem non liquet antworten und auf weiteres Eingehen verzichten. —

Bei der anatomischen Untersuchung hat man Veränderungen, die für die Krankheit charakteristisch wären, weder an der Schilddrüse, noch an dem Nervensystem — namentlich auch wicht im Sympatkicus gefunden. — Bei der gewöhnlichen langsamen Entstehung der Basedow'schen Krankheit zeigt sich zuerst Herzklopfen mit dauernder, auch bei Körperruhe vorhandener, Zunahme der Pulsfrequenz, dann Struma, zuletzt Exophthalmus. — Das Herzklopfen ist öfter mit unangenehmen Empfindungen in der Herzgegend und im Kopfe verbunden; Rauschen und Singen, welches das Einschlafen erschwert, wird nicht selten geklagt. Die Pulsfrequenz kann bis zum Unzählbaren hinaufgehen, sie ist, solange das Leiden besteht, immer über die Norm gesteigert. Hypertrophien und Dilatationen des Herzens kommen vor. Ebenso Erweiterung und Schlängelung, vielleicht auch wirkliches Atherom der Arterien, besonders derer am Kopf, kaum je aber der Karotidenstämme. Die Struma macht an sich selten erhebliche Beschwerden, wenn rechtzeitig die Halskragen entsprechend weit gewählt werden; auf sich achtende Leute bemerken durch die notwendig gewordene höhere Nummer häufig zuerst, daß ihr Hals dicker geworden ist. Anfangs ist die Erweiterung der Gefäße in der Schilddrüse das Bestimmende. Von ihr sind auch das rasche Anwachsen des Umfangs wie seine Verminderung bedingt; später kommt es dann zu Veränderungen in dem Drüsengewebe selbst. Wie diese geartet seien, ist keineswegs sicher festgestellt. —

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

Der Exophthalmus kann sehr bedeutend werden: wirkliche Glotzaugen, die sich so stark aus der Orbita hervordrängen, daß man fast furchtet, sie fielen heraus. Das Sehvermögen ist meist ungeschwächt, die Pupillen zeigen keinerlei konstante Veränderungen, dagegen kann es zur Entzündung der Conjunctiva und der Cornea kommen, welch letztere in schlimmen Fällen zur Vernichtung des Bulbus führt. Am Auge finden sich Erscheinungen, welche so häufig bei der BASEDOw'gchen Krankheit vorkommen, daß man sie als kennzeichnend für sie anfährt: STELIWAG'S Zeichen: Erweiterung der Lidspalte! es ist über dem oberen Rande der Cornea ein Streifen der Sklera sichtbar, bald mehr bald weniger, an einem oder an beiden Augen, auch hier in wechselnder Stärke. Dazu seltener Lidschlag. GKÄFE'S Zeichen: Das obere Augenlid folgt nicht, oder jedenfalls nur unvollkommen, dem Bulbus, wenn derselbe die Visierebene verlegend sich nach oben oder unten hebt oder senkt. MÖBIUS' Zeichen: Insufficienz der Convergenz: Läßt man einen dicht vor die Augen gehaltenen Gegenstand fixieren, dann tritt Schielen ein.

Weitere häufiger beobachtete Erscheinungen sind: Zittern mit kleinen regelmäßigen Ausschlägen, nicht immer, Auch nicht zu jeder Zeit, aber sehr oft vorhanden. Meist an den Händen, allein auch am anderen Körper; an den Beineu so stark, daß das Gehen erschwert wird. — Seltener den choreatischen gleichende Bewegungen. — Schlafstörungen sind recht oft bei den Kranken da. Sonst kommen alle möglichen Formen der „Nervosität" bis zu den Psychosen herauf vor. — Die Haut neigt zu vermehrter Schweißbildung, ist dauernd so feucht, daß sie den Galvanischen Strom besser leitet (ViGOUROUx'sches Zeichen). Grosse Erregbarkeit der Vasomotoren (TKOüSSEAü'sches Zeichen), Quaddelbildung nach geringen Reizen, sogar umschriebene Ödeme. Häufiger Pigmentierung, bisweilen. Sklerem. — Magen-Darm: Der Appetit ist sehr launenhaft, er kann ganz verschwinden, aber auch Freßsucht kommt vor. Hervorzuheben sind Diarrhöen, ohne nachweisbare Ursache kommend und gehend, schmerzlose, häufig massenhafte Entleerungen, manchmal sogar lebensgefährdend. — Der Stoffwechsel ist erhöht-, das Stickstofigleichgewicht kann nicht behauptet werden, es tritt vermehrte Ausscheidung von Kohlensäure auf. Dabei kann die Ausnutzung der vielleicht überschüssig aufgenommenen Nahrung vollkommen normal bleiben. — Gesteigerte Ausscheidung von Phosphorsäure kam vor, häufiger erschien Zucker im Harn. — Manchmal rasche Abnahme des Körpergewichts bis zur Kachexie. — Die Körperwärme ist öfter vorübergehend, aber auch fiir längere Zeit etwas erhöht, bei akutem Verlauf erheblich. — Der Verlauf ist meist kein gleichmäßiger, Verschlimmerungen wechseln mit Besserungen ab. So wird wohl mit Recht angenommen, daß bei den ganz akut — in Wochen — tödlich verlaufenden Fällen die Veränderung schon länger latent vorhanden gewesen. Es kann auf plötzliche Verschlimmerung, die als wirklicher Einbruch eines älteren Leidens erscheint und die schwersten Erscheinungen macht, Einlenken in die gewöhnliche Bahn folgen. Meist wird von den Kranken der Zustand des Herzens als Maßstab genommen, der richtige, auch von den Ärzten anerkannte. Häufigst handelt es sich um ein chronisches, Jahre dauerndes Leiden. — Der Tod kann ganz plötzlich eintreten, er kann

Gicht.

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durch Herzinsuffizienz oder im Marasmus erfolgen — das letztere ist weitaus das häufigere. — Die Prognose ist im allgemeinen keine günstige; zeitweilig Besserung, aber nicht Dauerheilung. Die Diagnose ist leicht, wenn die Hauptzeichen vom Herzen, von den Augen und von der Schilddrüse beisammen sind, — die genaue Untersuchung deckt gewöhnlich wenigstens Andeutungen der scheinbar fehlenden auf. — Verwechslungen sind am ehesten möglich, wenn eine von der Schilddrüse ausgehende oder in deren Nähe gelegene Geschwulst den Halssympathicus in Mitleidenschaft zieht. Die Therapie hat auf eine gute Ernährung großes Gewicht zu legen und die Lebensweise zu regeln. Zeitweilige vollständige Ausspannung ist von hohem Werth. Bei Frauen sind die Genitalfunktionen um so beachtenswerter, als einigemale Schwangerschaft Heilung des Leidens brachte. — Die spezifische Behandlung mit Schilddrüsenpräparaten hat keine zur Nachprüfung auffordernde Ergebnisse. — Ob durch chirurgische Eingriffe wesentlich genützt werden kann? Diese Frage wird verschieden beantwortet. Ein Kropf, der an sich Lebensgefahr bedingt, ist selbstverständlich dem Messer zu überantworten. — Eisen und Arsenik haben bei vorhandener Anämie ihre symptomatische Indikation. Jodpräparate sind nicht von Vorteil, ebensowenig die Digitalis. —- Am meisten Erfolg hat die lange fortgesetzte Anwendung des konstanten Stromes, der nach verschiedenen Methoden Verwertung findet: Galvanisation des Halssympathicus, der Medulla oblongata und des oberen Teiles vom Halsmark — nicht zu starke Ströme (3—5 M.A.) von zwei bis fünf Minuten Dauer, Kathode, am besten zweigeteilt, so daß beide Seiten gleichzeitig hineingezogen werden, über den Halsganglien, Anode auf dem Nacken. — Man gebe die Behandlung nicht zu früh auf und beginne mit derselben aufs neue, sobald sich Recidive zeigen. § 87. Gicht. Die Gicht (Arthritis urica) ist eine in vielen Fällen durch Vererbung übertragene Komtitutionsanomalie, die hauptsächlich an den knorpligen Teilen, besonders denen der Gelenke, eine Entzündung hervorruft, mit welcher örtliche Anhäufung harnsaurer Salze verbunden ist. — Sie verschont das Kindesalter fast vollständig, tritt meist erst um das 40. Jahr auf. Männer leiden daran viel öfter als Frauen. An der See ist Gicht häufiger als im Binnenlande. Es wird übermäßiger Ernährung mit Fleisch und reichlichem Genuß konzentrierter Spirituosen neben ungenügender Körperarbeit doch wohl zu ausschließend der bedingende Einfluß zugeschrieben; denn bei ärmlich lebenden, dem Schnaps nicht ergebenen, schwer Arbeitenden kommt gleichfalls Gicht vor. Die Anschauungen Schwanken gekommen. wiesen, aber neue nicht für das kurze Lehrbuch

über daa Wesen der Oicht sind in den letzten Jahren sehr ins Die alten Theorien sind nach manchen Seiten als unhaltbar eran ihre Stelle getreten. Ich verzichte auf eine Darstellung, die zu umfangreich werden müßte.

Anatomisch ist zu bemerken: Die Ablagerung harnsaurer Salze in den Geweben geht mit Entzündung einher, auf welche eine echte Oewebsnekrose folgen kann. Fraglich bleibt, in welcher Beziehung die Harnsäure zu diesen Vorgängen steht, ob sie die veranlassende Ursache derselben ist? — Befallen werden vorzugsweise die Haut und das Unterhautbindegewebe über den bevorzugten Gelenken, von denen die Metatarso-phalangeal-Gelenke der großen v. J ü r g e n s e n , Spez. Path. 11. Ther. IV. Aufl.

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

Zehen in erster Reihe zu nennen sind. Die Gelenke selbst erkranken in ihren knorpeligen Teilen, ihren Bändern und an ihrer Kapsel. Die Ausbildung einer typischen Schrumpfniere, welche Harnsäure eingelagert enthält, ist bei Gichtikern, die schwerer erkrankt sind, öfter zu beobachten. Nicht immer, aber häufig geht damit die Bildung reichlicher kleiner Cysten einher. Es kann diese Nierenerkrankung als einzige Erscheinungsform der Gicht auftreten. — Ferner, ob unmittelbar durch die Gicht erzeugende Schädlichkeit mag dahingestellt bleiben — findet man ergriffen: die Gefässe, das Herz, die Centredorgane, die sämtlichen Verdauungsorgane. — Amyloide Entartung kann -wie bei jeder Kachexie sich entwickeln. Am häufigsten tritt die Gicht in der Form eines wahrhaft typischen Anfalles zuerst auf. Diesem können Störungen der Verdauung, des Allgemeinbefindens, Mißmut, Verdrießlichkeit, wirkliche Fieberbewegungen oder nur subjektiv als solche empfundene Wallungen (örtliche rasch entstehende Hyperämien) vorausgehen. Charakteristisch bleibt die meist nachts erfolgende Lokalisation: urplötzlich den Schlaf unterbrechend stellen sich vorwiegend in dem ersten Gelenke einer großen Zehe die heftigsten bohrenden Schmerzen ein, jede Bewegung derselben ist unmöglich, jede Berührung unerträglich, gleichzeitig zeigen sich Schwellung, Rötung, Hitze — kurz alle Kardinalsymptome echter Entzündung. Darauf tags Nachlaß, nachts wiederum Steigerung aller Beschwerden, mit denen Meber, dessen Remissionen durch reichlichen Schweißausbruch gekennzeichnet werden, Verlust des Appetits, des Schlafs und das Gefühl großer Ermattung verbunden sind. Es wird wenig dem bei Fieber überhaupt gleichenden Harn ausgeschieden. — Im Laufe einer Woche schwinden alle Erscheinungen, die Entzündung bildet sich zurück, das Gelenk wird wieder brauchbar, nur etwas Abschuppung der dasselbe bedeckenden Haut dauert noch eine Zeitlang. Manchmal ist jetzt die Empfindung gesteigerten Wohlgefühls vorhanden. — Selten bleibt es bei einem Anfalle, Herbst und Frühjahr pflegen neue zu bringen, und immerhin ist der noch gut daran, dem nur Podagra beschieden wurde. Bei ungünstigerem Verlauf nehmen bald weitere Gelenke teil, am häufigsten noch die der Hand (Chiragra), dann bald dieses, bald jenes von den anderen. — Kommt es zur weniger heftigen, aber nicht auf ein Gelenk sich beschränkenden, sondern mehrere nacheinander ergreifenden, dabei von dem typischen Anfall abweichenden und durch die immer wiederkehrenden Neuerkrankungen nicht länger zeitlich bestimmter abgegrenzten gichtischen Entzündung, dann spricht man von atonischer Gicht. Sie bildet den Übergang zu den sich weiter verbreitenden Formen, bei welchen immerhin noch vorwiegend die Gelenke leiden. An ihnen, ebenso in den knorpligen Teilen des äußeren Ohres findet man nun nicht schmerzhafte, leicht teigig anzufühlende Knötchen oder Knoten: es sind bleibende Ablagerungen kristallinisch gewordener Harnsäure und ihrer Salze in abgestorbenem Gewebe. — Die Gebrauchsfähigkeit der ergriffenen Glieder ward dauernd beeinträchtigt, durch Verdickung der Bänder, der Knorpel, der Sehnenscheiden nicht nur, in schweren Fällen kommt es gar zu Nekrosen, welche mit dem Durchbruch der bedeckenden Haut große Gelenke wie das Knie freilegen. Wohl durch die in diesen Trümmerherden auf das äußerste beschränkte Blutbewegung geschieht es, daß solche Eröffnungen Jahre hindurch ohne Sepsis verlaufen und die Eiterung ganz fehlt; die reichliche Ablagerung von Kalksalzen weist darauf hin, daß hier tote Massen dem Stoffwechsel gegenüberstehen.

Gicht.

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Mit diesen Zuständen geht eine mehr oder minder hochgradige Störung der Verdauung, also auch der Ernährung fast regelmäßig einher. Viscerale Gicht — die gleiche gewebliche Veränderungen darbietende Erkrankung innerer Teile — reiht sich früher oder später an. Die Entwicklung ihrer Herde geht mit entzündlichen Reizerscheinungen einher, es folgt der Untergang der ergriffenen Teile mit entsprechender Beeinträchtigung der Funktion. — Eiterbildung findet nicht statt. — Wie weit die recht oft vorkommenden vorwiegend katarrhalischen Erkrankungen der Atmungswerkzeuge unmittelbar mit der Gicht in Beziehung stehen, läßt sich nicht, entscheiden; Anfalle von Asthma werden auf das Grundleiden selbst bezogen (Asthma urieum). Über das Verhalten der Harnsäure ist jetzt wohl nach langem Streiten soviel sicher: Sie findet sich im Blute der Gichtkranken in größerer Menge als bei dem Gesunden. Allein ein Zusammenhang zwischen dieser Anhäufung und dem Ausbruch des

Anfalls ist nicht nachweisbar. Im Harn: vor dem Anfall starke Verminderung, während und unmittelbar nach ihm erhebliche Vermehrung. Verlauf und Prognose der Gicht sind im wesentlichen durch die Lokalisationen bedingt: Ist irgendwo Gewebsnekrose entstanden, dann fragt es sich, ob das ergriffene Organ den Verlust eines Teiles seiner thätigen Substanz ohne weiteres erträgt, oder ob (durch Kompensationen von anderer Seite her) dasselbe in den Stand gesetzt werden kann, fernerhin so zu arbeiten, daß die Fortdauer des Lebens nicht bedroht wird. Die Nieren sind in erster Linie zu b&rücksicMigen. Bei richtiger Lebensordnung kann ein Arthritiker, welcher nur an Podagra oder Chiragra leidet, zu seinen biblischen Jahren kommen. Die Diagnose hat das hereditäre Moment, die Lebensweise, namentlich aber die so ausgeprägten Merkmale des typischen Anfalles zu berücksichtigen. Auch für atypische und viscerale Formen kommen diese Thatsachen wesentlich in Betracht. Bei ausschließlicher Lokalisation in den Nieren tritt vielleicht nur der Symptomen komplex der Schrumpfiiiere (§ 240) klar hervor, das Grundübel verbirgt sich. Die Behandlung hat in erster Linie Regelung der Lebensweise anzuordnen. Die Thatsache, daß bei trägen Schlemmern häufiger Gicht auftritt, hat schon lange Veranlassung dazu gegeben, daß man leitende Grundsätze aufstellte. Die Zustimmung zu der Vorschrift: der Gichtkranke muß mäßig und verständig leben — ist allgemein. Wie sie aber angewandt werden soll, darüber gehen die Ansichten recht weit auseinander. Das liegt darin: wir sind über die Rolle der Harnsäure bei der Gicht im Unklaren, man will übermäßige Bildung, ungenügende Ausscheidung vermieden wissen und will das verhindern, was zu dem einen oder dem andern führt. Gewiß ganz mit Recht, allein die neueren Untersuchungen zeigten, daß wir die Regeln nicht kennen, nach denen sich Bildung und Ausscheidung vollziehen. Man glaubte früher ausreichend unterrichtet zu sein, so kam manche theoretisch abgeleitete Vorschrift in die Speiseordnung der Gichtiker. —

Wir müssen den unbefangenen Standpunkt verständiger Ernährungstherapie, die von vornherein schon Anpassung an den Einzelfall verlangt, einnehmen. Der Gichtkranke soll mit einer der Gicht als solcher entgegentretenden Diät nicht behelligt werden. Es kann zweckmäßig sein, den Fetten um einen Teil seiner Leibeslast zu erleichtern — das besorgt die darauf gerichtete Speisevorschrift. Aber es würde unrichtig sein, sie einhalten zu lassen, wenn der Zweck — Entfettung — erreicht ist. — 13*

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

Im Allgemeinen: Stärkere Beschränkung der Eiweißzufuhr darf nicht stattfinden, alle Gewebe müssen auf hohem Eiweißstand erhalten werden. Die alte Regel ist, Fleisch in nicht zu großer Menge, daneben zur Deckung des Bedürfnisses Eier, Milch, Leguminosen zu geben. — Kohlenhydrate sind der Masse nach zu vermindern, Fett darf eher zur ausgleichenden Aufnahme kommen. — Alkohol ist nur in mäßigen Mengen und in starker Verdünnung zu gestatten. — Gemüse, Obst sind eher erwünscht. — Eine lebhafte Durchströmung der Gewebe, daher reichliche Zufuhr von Flüssigkeit: 2—3 Liter den Tag — ist notwendig. Leichte Säuerlinge sind am Platz — aber reines Wasser thut es auch. — Als Heilquellen sind Fachingen, Neuenahr, Bilin, Vichy, Baden-Baden, wenn es sich um ausgesprochene dyspeptische Störungen handelt Karlsbad, Kissingen, Homburg berühmt. — Manchen bekommt auf die Dauer täglich dreimal ein Theelöffel Natrium bicarbonicum in 1/2 Liter Wasser von 30—40 °s C. oder in kohlensäurehaltigem Mineralwasser gelöst gut. Es muß aber '/s—1 Stunde vor der Mahlzeit genommen werden. — Drei größere Mahlzeiten den Tag sind häufigeren vorzuziehen. Ausgiebige, aber niemals bis zur ernsteren Ermüdung — Erschöpfung — fortgesetzte Muskelarbeit ist von altersher und mit vollem Recht empfohlen. — Wer nach der Uhr leben kann und lebt, sich von allem fernhält, was die pedantische Pünktlichkeit unterbricht, wird am leichtesten mit seiner Gicht auskommen. — Der eigentliche Qichtanfall bedarf besonderer Behandlung. Da eine echte Entzündung vorliegt, sind unbedingte Ruhe, Hochlegen des ergriffenen Gliedes und trockene Wärme (Watteeinhüllung) vorzuschreiben. Die Diät muß, wenn der Widerwille der ersten Tage gegen Nahrung zu schwinden beginnt, sorgfaltig geregelt werden; auf ausreichende Stuhlentleerung ist besonders, zu achten. Sind die Schmerzen gar zu groß, dann ist eine Morphiuminjektion von 0,01—0,02 g erlaubt. Unter den inneren Mitteln steht wie mir scheint immer noch das Lithium salicylicum obenan. Stündlich oder halbstündlich 1 g, dazu lasse man '/»—'/« Liter eines leicht gewärmten Säuerlings trinken; vermindern sich die Schmerzen, dann werden täglich drei Gaben von je 1 g bis zur vollständigen Heilung weiter genommen. Das früher gebräuchliche Colchicum — am besten noch als Vinum colchici von 12 auf 30 Tropfen steigend je viermal täglich zu nehmen — ist jetzt mit Recht verlassen. Sein Nutzen ist zweifelhaft, weniger sind es seine unliebsamen Nebenwirkungen: Diarrhöen und Beeinträchtigung der Herzthätigkeit. — Man schicke den Kranken, ins Bett, sobald irgend welche Vorboten des Anfalls sich zeigen, und lasse ihn darin, bis das ergriffene Glied vollkommen schmerzlos wurde. Die Behandlung atonischer Gicht muß ebenso wie die der visceralen die örtlichen Leiden je nach ihrer Bedeutsamkeit berücksichtigen; allgemeine Regeln sind nicht aufzustellen. § 88.

Rachitis.

Barlow'sche Krankheit.

Die Rachitis (Englische Krankheit; doppelte Glieder) ist eine dem Kindesalter allein eigene Allgemeiner krankung, welche durch Wachstumstörung der Knochen, meist auch durch Erkrankung der ersten Wege und der Bronchialschleimhaut gekennzeichnet ist. — Ätiologisch ist sicher festgestellt: Namentlich seitens der Mutter kann die Rachitis übertragen werden, die Frucht kann, in utero erkrankt,

Rachitis.

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mit vollständig abgelaufenem Prozeß (fötale Form) oder mit noch fortbestehendem (kongenitale Form) zur Welt kommen. Gegen diese ältere Anschauung werden Einwände erhoben, welche begründet erscheinen. Sie stützen sich darauf, daß der histologische Befund in Knorpeln und Knochen keineswegs immer sich mit dem bei leichter Eachitis deckt, daß ähnliche Veränderungen auch bei manchen anderweitigen, sogar experimentell durch verschiedenartige grobe Eingriffe herbeizuführenden Störungen zu finden sind, und daß die Erkrankung des Skelets doch nur eine Teilerscheinung des Ganzen sei. — Ebenso spricht man Zweifel dagegen aus, ob die in späteren Jahren sich zeigenden Veränderungen an den Knochen — Rachitis tarda — zu der Krankheit gehören? —

Syphilis, Tuberkulose, Skrofulöse der Eltern mag insofern Bedeutung gewinnen können, als oft schwache, und dadurch zur Erkrankung überhaupt mehr neigende Kinder aus solchen Verbindungen hervorgehen. Etwa neun Zehntel der Rachitischen wird bis zum dritten Lebensjahre ergriffen; der sechste bis dreißigste Lebensmonat liefert unter diesen wieder die größte Menge; jenseit des fünften Jahres ist Ersterkrankung mindestens äußerst selten. — Höher gelegene Ortschaften sind weniger befallen. In kalten und feuchten Gegenden ist die Rachitis häufiger; schlechtgelüftete und sonnenarme Wohnräume erscheinen als wahre Brutstätten der Krankheit, zu Ausgang des Winters tritt sie gehäuft auf. Mangelhafter Ernährung kommt gleichfalls sicher ein erheblicher Einfluß zu, es läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob das Zuviel oder Zuwenig an einzelnen Nahrungsstoffen den Ausschlag giebt, ebenso gut wäre es denkbar, daß die unzweckmäßige Kost auf ganz anderem Wege, z. B. durch die Erzeugung von Magen-Darmstörung, schadete. — Freilich ist Rachitis mehr eine Krankheit der breiten Volksmassen, aber auch die Kinder der Gutgestellten fallen ihr anheim. — Als charakteristische anatomische Veränderungen findet man bei der Rachitis: Verdickung der Epiphysen, welche sich dadurch breit gegen die Knochenröhren absetzen; diese sind biegsamer geworden und zeigen sich auf dem Längsschnitt stark gerötet, besonders Periost und Mark sind in hohem Grade mit Blut gefüllt. An den platten Knochen ist das Gefuge unregelmäßig, verdickte wechseln mit dünnen Stellen, welche, an den Schädelknochen pergamentartig geworden, bei Druck förmlich knittern (Kraniotabes): daneben erscheinen die Ränder und die Höcker verdickt; alles ist am Hinterhaupt besonders ausgesprochen. Die mikroskopische Untersuchung ergiebt: An der epiphysären Ossifikationsgrenze fehlt die vorläufige Verkalkungszone vollständig oder es bestehen höchstens da und dort kleine Verkalkungsherde. Dagegen erscheint das Gebiet des wucfiernden Knorpels mehr oder minder stark verbreitert und von gefäßhaltigen Markräumen durchsetzt, die sich in vollkommen unregelmäßiger Weise vom Knochenmark aus in den Knorpel einsenken. Hinter der Zone des gewucherten und vascularisierten Knorpels findet sich eine verschieden mächtige Schicht kalkfreien Knochens, osteoiden Gewebes, welche allmählich in den fertigen Knochen übergeht und noch Reste unveränderten Knorpels einschließt. Das Periost liefert ebenfalls zunächst osteoides Gewebe. Gleichzeitig vollzieht sich eine verstärkte, über das ganze Gebiet der erkrankten Knochen ausgebreitete lakunäre Resorption. Die Vorgänge an den Schädelknochen bestehen im wesentlichen ebenfalls aus einer gesteigerten Zerstörung des fertigen Knochens sowie in der Bildung eines schwammigen, gefäß-

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

reichen, biegsamen osteoiden Gewebes. — Es findet bei Heilung der Rachitis in den früher erkrankten Teilen reichliche Neubildung echten Knochengewebes statt. Die Knochen sind manchmal bedeutend schwerer, fester, dicker (Eburneation). — Auch

die chemische

Zusammensetzung ist bei bestehender

Rachitis

f ü r die er-

krankten Knochen wesentlich geändert-, besonders in den neugebildeten Teilen derselben vermindert sich die Menge der Erdsalxe bis um mehr als die Hälfte, damit verringert sich das absolute, wie das spezifische Gewicht; man giebt für das erste Abnahme bis zu einem Achtel der Norm an. In den langen Röhrenknochen nimmt der Gehalt an Fett, in den knorpligen Teilen der Wassergehalt zu. Bei den Versuchen, namentlich denen aus früherer Zeit, Einblick in das Wesen der Rachitis zu gewinnen, ließ man sich wohl in zu hohem Grade von den Ergebnissen der chemischen Analysen bestimmen. Man nahm an, daß die in den ersten Wegen in überreichlicher Menge gebildete Milchsäure Lösung der Erdsalze aus den Knochen bewirke. Da die Milchsäure, um zu diesen zu gelangen, erst iu das alkalische Blut aufgenommen werden muß, dessen saure Reaktion aber niemals nachgewiesen und auch mit dem Fortbestand des Lebens unvereinbar ist, scheint die ganze Aufstellung unmöglich. — Nicht erwiesen ist es, daß in den Knochen der Rachitiker mehr Milchsäure gebildet wird, welche dann freilich am Orte ihrer Entstehung selbst Kalksalze zu lösen imstande wäre. — Man zog auch die Kohlensäure in Betracht, davon ausgehend, daß in Flüssigkeiten, welche einen höheren prozentischen Gehalt derselben besitzen, in der Tbat Kalksalze gelöst werden können. Es sollte nun durch Verbrennung der übermäßig entstehenden Milchsäure und durch die bei Rachitischen so häufig erschwerte Lungenlüftung eine Anhäufung von Kohlensäure wie in allen Geweben, so auch in den Knochen stattfinden. — Bedeutsamer ist, daß in allen entzündeten Geweben die Kohlensäurespannung zunimmt; das ist für rachitische Knochen unmittelbar erwiesen. Ob freilich eine genügende Menge dieses Lösungsmittels an Ort und Stelle angehäuft werden kann, ist eine noch nicht zu beantwortende Frage. Selbst wenn das der Fall, so wäre immer noch nicht ausgemacht und von vornherein sogar wenig wahrscheinlich, daß eine in den organischen Verband des Gewebes eingetretene Substanz sich chemischen Agentien gegenüber ebenso verhält, wie eine außerhalb desselben stehende. — Auf anderer Seite betonte man die verringerte Zufuhr der Kalksalze. Aus den sich vielfach widerstreitenden Ergebnissen ausgedehnter Versuchsreihen ist hervorzuheben, daß bei wachsenden Tieren die längere erheblichste Beschränkung der Kalksalze in der Nahrung neben Darreichung kleiner Mengen des das Knochenwachstum spezifisch beeinflussenden Phosphors Bachitis entstehen läßt. Die Möglichkeit, daß bei der Rachitis des Menschen beide Bedingungen: Entziehung eines wesentlichen Bestandteiles des Gewebes neben einer spezifischen Reizwirkung obwalten, ist weder zu beweisen noch zu verwerfen. Jedenfalls ist daran festzuhalten, daß S t ö r u n g e n d e s G e w e b e g e f ü g e s in dem w a c h s e n d e n K n o c h e n d e r R a c h i t i k e r v o r k o m m e n , w e l c h e e i n f a c h e c h e m i s c h e T h e o r i e n so l a n g e n i c h t g e s t a t t e n , b i s n a c h g e w i e s e n ist, daß eine E n t k a l k u n g b e d i n g e n d e S u b s t a n z g l e i c h z e i t i g s p e z i f i s c h e Reizwirkung üben könne.

Die Entwicklung der Bachitis geschieht meist so allmählich, daß selbst von aufmerksamer Umgebung eine genauere Zeitbestimmung nicht gegeben werden kann. Katarrhe der Bronchien, noch häufiger Störungen der Verdauung, welche nach längerem Bestehen eine beunruhigende Verschlimmerung zeigten, geben meist Veranlassung, den Arzt zu rufen. Auf Befragen erklärt man dann wohl, daß kleinere Kinder sich ungern haben aufnehmen lassen, daß man dieselben nur unter Geschrei und Gewimmer habe reinigen können, daß sie erst ruhig geworden seien, wenn man sie auf ihr Lager zurückgebracht habe. Schon zum Stehen und Gehen Befähigte hätten diese Fähigkeiten verlernt, selbst das Kriechen sei ihnen unlieb geworden. Man habe aus dem häufigen Stöhnen ent-

Rachitis.

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nommeu, daß die Kinder an Leibweh litten, auch der Bauch sei etwas größer geworden, der schon „immer" vorhandene Durchfall habe sich vermehrt. — Auf solche Aussagen hin wird der kundige Arzt das Kind ganz ausziehen lassen, um nach Veränderungen des Knochengerüstes zu sehen. Die Verdickung der Epiphysen an Hand- und Fußgelenken und an den Rippen (rachitischer Rosenkranz) sind wohl die ersten Erscheinungen, neben ihnen der gespannte und aufgetriebene Bauch-, auch ein gewisser Grad von Blutarmut ist meist sichtbar. — In ausgeprägteren Fällen bemerkt man eine eigentümliche Veränderung der Kopfform; das Ovoid ist nicht mehr vorhanden, der Stirnschädel nähert sich mehr der Form des Vierecks (Caput quadratum), die Fontanellen sind breiter, auch jenseit des zweiten Lebensjahres noch nicht geschlossen; der Unterkiefer, überhaupt das ganze Gesicht scheint kleiner, die Entwicklung der Zähne stockt und wird unregelmäßig. Waren schon Zähne zum Vorschein gekommen, dann erscheinen dieselben in ihrer Form verändert, gezackt, vielleicht auch gelbbraun und wie zermorscht. — Der Brustkasten ist von dem stark ausgeprägten „Rosenkranz" verunziert, häufig sind die Rippen auch vorn bei ihrem Ansatz an das Sternum wie abgeknickt, dieses selbst ist keilförmig nach vorn getrieben (Pectus carinatum). Die untere Hälfte des Thorax ist zunächst am Bauch erweitert, höher hinauf aber nach innen eingebogen; die Seitenwände erscheinen hier gegen die Mittelfläche hin zusammengeschoben. Der aufgetriebene Bauch erhebt sich über die Ebene der Brust, oft genug sieht man unter seiner dünnen Decke Bewegung des Darms sich deutlich abzeichnen. — In schwereren Fällen hat stets die Ernährung erheblich gelitten, die Haut, des Fettpolsters entbehrend, ist welk, faltig, graugelb, die Muskulatur dürftig, das Haar trocken, struppig, geknickt und gebrochen. Arme wie Beine sind je nach der Gewohnheitslage des Kindes verkrümmt, verbogen, öfter eingebrochen. — Fieberbewegungen dürften ohne Komplikation nickt vorkommen. — Die Fortdauer der Erkrankung verrät sich durch hochgradige Empfindlichkeit gegen Lageveränderungen und halbwegs stärkere Erschütterung, sogar sehr schonende Perkussion ruft Äußerung von Mißbehagen hervor. — Dies das gewöhnliche Bild, welches freilich meist noch von Bronchitis begleitet ist. — Selten entsteht Bachitis akut, scheinbar spontan, innerhalb kurzer Frist zu ausgeprägtem Krankheitsbilde sich entwickelnd. Öfter, bei größerer Aufmerksamkeit vielleicht recht oft, sieht man mit akuten Krankheiten oder in unmittelbarem Anschluß an solche Rachitis auftreten. Diese Formen können schnell heilen, aber auch den gewöhnlichen langsamen Verlauf nehmen. Unter die akute Rachitis reiht man die Erscheinungsgruppe ein, welche als Barlow'sche Krankheit bezeichnet wird. Es handelt sich um ein seltenes Leiden, das Kinder in den beiden ersten Lebensjahren befällt. Mit Fieber verbundene, in kurzer Zeit sich ausbildende Blutergüsse unter das Periost der Diaphysen der Röhrenknochen, wahrscheinlich von deren Vereinigungsstelle mit den Epiphysen ausgehend, die Beine, besonders die Unterschenkel werden am stärksten und am frühesten ergriffen. Es erkranken noch die Sternalenden der Rippen, die Schulterblätter, die Knochen des Kopfes, die der Kiefer. Große Schmerzhaftigkeit geht stets damit einher. Nach den Mitteilungen von NADWEECK handelt es sich um echt rachitische Veränderungen der Knochen. Man hat das nur für einen, wenn auch den größten Teil der Fälle zugeben wollen. Dazu kommen Blutergüsse in die Haut, die Schleimhäute, meist geringerer Ausdehnung. Sie sind häufiger in der Mundhöhle, die mit ihnen verbundene Veränderung am Zahnfleisch, stets nur da, wo Zähne vorhanden, oder am Ausbrechen sind, erinnert an Skorbut. — Rasches Entstehen und kürzere Dauer — einige Wochen. — Der Ausgang ist meist günstig, es kann durch Kräfteverfall zum tödlichen Ende-kommen. —

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

Eine die Einzelheiten der rachitischen Störung in Betracht ziehende Besprechung hat in erster Reike das Knochengerüst zu berücksichtigen. Die mannigfaltige Gestaltung seiner Abweichung versteht sich, sobald man im Auge behält, daß auf ein biegsames Gefüge eine Summe von Kräften einwirkt, welche in ihrer Stärke großem Wechsel unterliegen. Es kommen in Betracht die von der Rachitis selbst bedingten Wucherungen an Knorpel und Bindegewebe, der „Wachstumdruck", durch welchen das neugebildete Gewebe raumverlangend Nachbarteile an die Seite schiebt. Gleiches gilt von den in knöcherner Kapsel eingeschlossenen Organen, welche wachsend ihre durch die Rachitis minder fest gewordene Umhüllung dehnen. Der Zug der elastisch gespannten Muskeln auf ihre Befestigungspunkte, die Eigenlast des Körpers, der Unterschied zwischen dem Binnendruck und dem der Atmosphäre sind weiter anzuführen. Es gelingt unschwer aus diesen Vorbedingungen ein Verständnis für das Geschehen im Einzelfall zu gewinnen, Kyphose, besonders solche im unteren Teile der Brust- und in der Lendenwirbelsäule, erklärt sich aus dem diese Teile bei aufrechtem Sitzen treffendem Druck, welcher durch schlecht entwickelte Stützmuskeln ungenügend abgeschwächt wurde. Skoliosen sieht man bei getragenen Kindern (gewohnheitsmäßig benutzt die Wärterin ausschließlich den rechten oder den linken Arm), die an der Brust der Trägerin Stütze suchen. Schädeldifformität ist durch Andrängen des wachsenden Hirns, Wirkung der Eigenschwere auf das nachgiebige Hinterhauptbein, Zug der Muskeln hervorgerufen; neben diesen kommt die oben erwähnte Wachstumsstörung der Knochen in Rechnung. Alle genannten Bedingungen zusammen dürften die Veränderungen am Brustkorb erzeugen. Für die Beckenknochen ist nebeneinander Belastung durch das Körpergewicht, und Muskelzug bedingend. Ebenso für die Gliedmaßen, welche nach der Seite der kräftigsten Muskelgruppen umgebogen erscheinen, bei stärkerem Zug der Schwere und mangelnder Unterstützung durch angemessene Unterlage aber in der allerverschiedensten Weise verknickt werden.

So häufig Mnknicku/ngen an Röhrenknochen sind, so selten ist wirklicher Bruch derselben — das verdickte Periost bildet einen natürlichen festen Verband. Bei länger bestehender Rachitis bleibt das Längenwachstum zurück, sogar bis zum Zwergwuchs. Die unteren Gliedmaßen leiden weitaus stärker als die oberen — man giebt für oben das Mißverhältnis zu ein Dreizehntel, für unten zu ein Drittel an. Die Rachitis ist meist eine sich hinzögernde Krankheit von monatelanger Dauer. Verlauf und Prognose richten sich nach dem Verhalten der sogenannten Komplikationen — Magen-, Darm- und Bronchialerkrankungen —, welche übrigens mit größerem Rechte den eigentlichen Symptomen zuzuzählen sind. Gelingt es, die Verdauungs- und Atmungswerkzeuge leistungsfähig zu erhalten, dann bringt die Rachitis keine unmittelbare Lebensgefahr, sie heilt, freilich Verbildungen von wechselnder Stärke hinterlassend, vollkommen aus. Bedrohlich werden nur: Bronchitis capülaris und Diarrhöe. — Sehr leicht kommt es zur Einwanderung und Ansiedlung des Tuberkelbacilhts. — Die Diagnose ist für den aufmerksamen Arzt nicht schwierig. Nur vor der Verwechslung mit hereditärer Lues, bei der eine ähnliche Erkrankung des Skeletts vorkommt, muß man sich hüten. Die Therapie hätte eine leichtere Aufgabe, wenn sie soziale Mißstände zu ändern vermöchte. Luft, Licht und Wärme zu schaffen, ist immer für die Heilung notwendig, meist unerreichbar. Erlaubt es die Jahreszeit, dann lasse man tagüber die gut eingehüllten Kinder im Freien, nachts scheue man sich weniger vor Zug, als vor stinkender, stauberfüllter Atmungsluft. — Mindestens ebenso

Rachitis.

Osteomalacic.

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wichtig ist die Ernährung. Für dieselbe gelten die allgemeinen, bei den mit Diarrhöen einhergehenden Fällen die durch diese Störung bedingten Regeln. Bronchitis ist wie sonst auch zu behandeln. — Sorgfaltige Hautpflege, häufige warme Bäder sind erwünscht. Man lasse Rachitische auf fester Unterlage ruhen — gute Sprungfedermatratzen thun mindestens die gleichen Dienste wie Roßhaare oder Seegras — namentlich vermeide man jede nur teilweise Unterstützung des Körpers. Die Verbiegung der Tibia, welche durch die Schwere des Fußes dann herbeigeführt wird, wenn Kinder auf die bis zur Mitte des Unterschenkels reichenden, für die Aufnahme der Entleerungen bestimmten sogenannten Pißkissen gelegt werden, zeigt leider oft, wie notwendig eine rechtzeitige Warnung für die Pfleger wäre. — Zur Beseitigung der Anämie dürfte eine richtige Diätetik mehr nützen, als die vielgepriesenen Mittel aus der Apotheke, unter welchen Eisen und Leberthran sich besonderer Empfehlung erfreuen. Gegen reichliche Zufuhr von Kalk ist kein triftiger Einwurf zu erheben, vielleicht kann dadurch manches genützt werden. Den mit Milch genährten Kindern läßt man Aqua calcariae bis zu mehreren hundert Kubikcentimetern täglich in dieselbe hineinthun. Besser noch ist das Calcium carbonicum praecipitatwm, welches dauernd in einer Tagesgabe von etwa 5 g gut ertragen wird, geschmacklos ist, daher jeder Nahrung zugemischt werden kann, zudem die Säure der ersten Wege bindend vielleicht auch örtlich günstig wirkt. Weniger zu empfehlen ist Calcium 'phosphoricum, in gleichen Dosen üblich. — Der Gebrauch des Phosphors, der durch seine spezifische Beeinflussung des Knochenwachstums besonderer Beachtung wert schien, hat nicht den Erwartungen entsprochen. Man gab täglich 1 / 2 mg in Pillenform, oder besser in Leberthran gelöst. § 89.

Osteomatacie.

Bei der Osteomalaeie wird der bereits fertig gebildete Knochen seiner Kalksalze beraubt. Die chronisch verlaufende seltene Krankheit — nur in einzelnen Gegenden findet sie sich etwas häufiger — ergreift vorwiegend jene Weiber im Alter von 25 bis 40 Jahren, welche unter dürftigen Ernährungsbedingungen und ungünstigen Wohnungsverhältnissen oft schwanger werden und ihre Kinder länger selbst stillen. Männer werden etwa in dem Verhältnis 1 zu 10 Frauen befallen, Kinder beiderlei Geschlechts nur ganz vereinzelt. — Die anatomische Untersuchung zeigt, daß ein übrigens normal gebildetes Knochengewebe der KaJksalze in mehr oder minder hohem Grade entbehrt. Am stärksten ist die Entkalkung des Gewebes der Markhöhle, gegen die Peripherie des Knochens nimmt sie allmählich ab. — Die unorganischen Bestandteile der Knochen sind im Maximum bis auf ein Drittel der Norm verringert. Bisweilen war auch die organische Substanz chemisch wesentlich verändert: dieselbe lieferte bei dem Kochen keinen Leim. Innerhalb der kranken Knochen ist einige Male freie Milchsäure sicher nachgewiesen. Daneben zeigte sich die Menge der Alkalien im Blut deutlich vermindert. — Das Wesen des Leidens ist bisher keineswegs erkannt. — Man nimmt an, daß der bei der Entwicklung des födalen Skeletts und während des Stillens thatsächlich vorhandene starke Verbrauch an Kalksalzen neben der aus verschiedenen Gründen verhinderten Zufuhr derselben die innerhalb der Knochen der schwangeren und stillenden Frau abgelagerten Salze wieder in Lösung überführt. Daß auch Männer erkranken, berücksichtigt diese Meinung freilich nicht. — Wie die Anwesenheit der Milchsäure in den Knochen zu deuten, ob sie unmittelbar oder erst nachdem sie zu Kohlensäure verbrannt ist, als Lösungsmittel der Erdsalze dienen könne, steht noch dahin. Die Krankheit beginnt schleichend, meist mit Schmerzen, die als in der Tiefe sitzend und als bohrend bezeichnet, sehr heftig werden können und auf Druck zunehmen. Das Becken, die Lendenwirbelsäule, dann die unteren Extremitäten werden zuerst ergriffen.

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

Leichtes Ermüden, das Gefühl von Schwäche stellt sich gleichzeitig bei den Kranken ein. Alles andere bleibt ungestört; nur das Fortschreiten des meist schubweise sich ausbreitenden Übels trübt, jedoch nur wenn Fieberbewegungen dasselbe begleiten, zeitweilig das Wohlbefinden. Frauen werden durch jede neue Schwangerschaft schwer geschädigt, sogar die Menstruation bringt Verschlimmerung. — Ausgebildete Fälle zeigen eine charakteristische Verbildung des Knochengerüstes, welche durch die Wirkung der Eigenschwere und Muskelzug herbeigeführt wird. Die Körperlänge ist vermindert, die Taille verloren gegangen, so daß die Rippen den Darmbeinen unmittelbar aufliegen. Rippen, Schlüsselbeine und Sternum sind ähnlich wie bei der Rachitis verbogen. Das Becken ist nach vorn schnabelförmig ausgebuchtet, seitlich zusammengedrückt, durch das stark hereinragende Promontorium verengt. Verkürzung der Extremitäten durch Verbiegung, sogar Frakturen derselben kommen vor; bei den äußersten Graden der Osteomalacie werden die Knochen so weich, daß sie in jeder beliebigen Richtung geknickt werden können. An den nicht mehr gebrauchten Muskeln findet sich Atrophie, mitunter parenchymatöse Entartung. Der Verlauf der Osteomalacie erstreckt sich über Jahre. — Die Prognose ist wenigstens bei voller Ausbildung des Leidens schlecht. Wenn nicht Zwischenfälle früher ein Ende machen, erfolgt der Tod durch Marasmus. Verhängnisvoll können schwere mit äußerster Lebensgefahr verbundene geburtshilfliche Eingriffe (Kaiserschnitt, durch das verengte Becken bedingt) ebenso bei dem verkrüppelten Brustkasten Lungenerkrankungen, selbst etwas ausgedehntere Bronchitiden werden. Die Therapie leistet bei höheren Graden der Krankheit wenig. Darreichung von Kalksdlzen — (LIEBERMEISTER empfiehlt als Tagesgabe, die in vier Einzeldosen mit den Mahlzeiten genommen werden soll, eine Mischung von Calc. phosphoric. und Calc. car. bonic. ää 4. Ferr. carbonic. sacchar. 1 bis 2 g ) — und ausgiebige allgemeine Ernährung (Milch, Leberthran) kann in leichteren Fällen Besserung, sogar Heilung bringen. Auch der Phosphor ist gerühmt worden. Bei Weibern wäre erneuter Schwangerschaft thunlichst vorzubeugen, das Stillen aber unter allen Umständen zu untersagen. Die neuerdings mehrfach mit Erfolg ausgeführte Entfernung der Ovarien erfüllt diese Bedingungen zu Genüge. — Die Herbeiführung möglichst günstiger Lebensbedingungen ist immer anzustreben.

§ 90. Skrofulose. Wenn auch die genauere Untersuchung mehr und mehr von den Veränderungen, welche früher der Skrofulose zugeschrieben wurden, als dem Gebiete der Tuberkulose angehörende nachweist, so dürfen wir dennoch den klinischen Begriff der Skrofulose nicht fallen lassen. Derselbe ist genügend bestimmt zu umschreiben. S i e Skrofulose muß als echte Konstitutionsanomalie bezeichnet werden. Erkennbar ist sie durch die eigenartige Reaktion der Gewebe gegen äußere Schädlichkeiten; diese zeigt sich darin: 7. Ein zur Einwirkung auf den Körper gelangender Reiz vermag eine weit über seine Stärke hinausgehende Wirkung hervorzurufen. 2. Einmal entstandene pathologische Störungen gleichen sich nur schwer und immer erst in längerer Zeit aus. 3. An dem früher befallenen Orte stellen sich auf geringfügige Veranlassungen hin die vormaligen Erkrankungen wieder ein. 4. Die Lymphdrüsen, in deren Quellgebiet eine Entzündung sich entwickelt, schwellen äußerst leicht an; sie erfahren später häufig bestimmte anatomische Umwandlungen. Diese Thatsachen weisen auf eine nicht näher bekannte funktionelle Schwäche hin, welche durch keine nachweisbare Ä n d e r u n g im B a u der Gewebe gekennzeichnet wird.

Osteomalaeie.

Skrofulose.

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Ätiologisch ist anzuführen: Die eigenartige Gewebebeschaffenheit kann erblich übertragen werden. Dazu ist eine skrofulöse Diathese der Erzeuger nicht unbedingt erforderlich, jede andere, irgendwie erworbene Schädigung der Konstitution genügt: Tuberkulose, Lues, Trunksucht werden als Veranlasser einer solchen besonders hervorgehoben. — Für die Beteiligung der Lymphdrüsen an den skrofulösen Vorgängen kann in Betracht gezogen werden, daß bei Einzelnen eine die gewöhnliche übertreffende Menge derselben vorhanden, und daß diese Eigentümlichkeit vererbbar ist. — Die skrofulöse Diathese kann aber auch erworben werden. Alle die Ernährung ungünstig beeinflussenden Bedingungen sind dafür verantwortlich zu machen: Mangel aa Luft, an Licht, an zweckmäßiger Nahrung, an passendem Wechsel zwischen Ruhe und Arbeit. Das Kindesalter dürfte solchen Schädlichkeiten iceniger gewachsen sein. In ihnen sind gleichzeitig die Gelegenheitsursachen für das Zutagetreten der vorhandenen Konstitutionsanomalie reichlichst gegeben. Denn sie liefern die Veranlassungen zu Erkrankungen der Haut, der Schleimhäute des Auges, der Lunge, des Darms. Anatomisch fallen die Primärerkrankungen in das Gebiet einer mehr oder minder hochgradigen Entzündung. Deren Entwicklung ist durch keine besonderen Merkmale ausgezeichnet, ebensowenig bieten die Krankheitsprodukte Eigentümlichkeiten. Auch in den Drüsen zeigt sich zunächst nur echte Hyperplasie, welche, freilich selten, vollkommene Rückbildung erfahren kann. Der häufigere Ausgang ist die auf Herde beschränkte oder über das Ganze der Drüse verbreitete Verkäsung. Man sieht auf dem Durchschnitt der immer vergrößerten Drüse die hyperplastischen Teile grau gefärbt, die verkästen gelbweiß und dazu sehr gleichförmig in ihrer Schichtung, so daß bei vollkommener Verkäsung etwas der Schnittfläche einer rohen Kartoffel Gleichendes sich zeigt. Verkäsung ist indes nichts der Skrofulose Eigentümliches, auch Krebs, länger zurückgehaltener Absceßeiter, besonders aber tuberkulöse Neubildungen sind ihr unterworfen. Allgemeine Bedingung ist nur, daß dem Verkäsenden die Verbindung mit dem Inhalt der Gefäße erschwert und dadurch die Ernährung örtlich ungenügend wird. Die früher schwere Entscheidung, ob käsige Drüsen bei einem Skrofulösen tuberkulös erkrankt seien, wird bei dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens von dem Nachweis abhängig sein, ob sich der spezifische Bacillus darin findet. Dies ist weitaus das Häufigste. — Das bindegewebige Stroma der Drüse nicht allein, auch die Nachbarschaft derselben nimmt gewöhnlich an der Entzündung teil; fibröse Induration oder eitriges Zerfließen folgt. Der Durchbruch eines skrofulösen Abscesses, welcher zur Heilung kam, durch die Haut, verrät sich an einer ausgedehnten, strahlenförmigen, mit der Umgebung fester verwachsenen Narbe. Das Verhältnis zwischen Tuberkulose und Skrofulose dürfte nach der Entdeckung des Bacillus der Erklärung zugänglich sein: Unversehrte Haut und Schleimhaut hindern sein Eindringen in hohem Grade, wenn sie es auch nicht vollkommen verhindern; gut ernährte, kräftige Gewebe bieten einen ungeeigneten, die Entwicklung und Vervielfältigung des Keimes nicht gestattenden Nährboden. Bei skrofulöser Diathese sind wegen der häufigen und langdauernden Entzündungen die Schutzdecken, an manchen Stellen länger und in größerer Ausdehnung zerstört, die Lymphspalten frei gelegt — so wird dem Tuberkelbacillus der Eintritt ermöglicht. In den weniger widerstandsfähigen, pathologisch veränderten Geweben mit ihrem unkräftigem Zellenleben findet er geeignete Ansiedlungsorte. Mit dieser Anschauung steht es in vollem Einklang, daß bei Skrofulösen diejenigen Drüsen ausschließlich oder doch vorwiegend tuberkulös infiziert sind, welche ihre Lymphe

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

aus dem Quellgebiet der primär erkrankten Teile beziehen. So nach Katarrhen der Bronchien die Bronchial-, Tracheal-, Mediastinaldrüsen, nach Ekzemen des Gesichts die Drüsen am Nacken und am Unterkiefer, n^ch Nasen- und Rachenkatarrhen die Drüsen der Halsgegend. — Es ist übrigens möglich, daß Tuberkelbazillen die Schleimhäute durchsetzend in den Lymphstrom gelangen können, ohne a n dem Orte i h r e s E i n t r i t t s gewebliche V e r ä n d e r u n g e n z u h i n t e r l a s s e n . Dasselbe gilt v o n d e n E i t e r k o k k e n . Wer mit Baumoarten an der congenitalen Übertragung der Tuberkulose festhält, kann eine Deutung für den Einfluß der skrofulösen Diathese auch bei dieser Voraussetzung unschwer finden. Die Lymphdrüsen sind vorzugsweise der Sitz der congenitalen Tuberkulose, die zunächst latent bleibt. Wenn aber in dem Quellgebiet von bereits infizierten Drüsen länger dauernde Entzündung mit vermehrtem Lymphstrom sich einstellt, dann kann dieser den Drüsen Entzündungserreger zuführen. So kann der Schutzwall gegen die bisher durch Abkapselung unschädlich gemachten Bacillen durchbrochen werden, sie können in den Blut- oder Lymphstrom gelangend neue Orte der Ansiedlung finden. Man bat nicht immer Tuberkelbazillen in den Krankheitsherden der Skrofulösen angetroffen, die verschiedenen Arten der Streptokokken und der Staphylokokken fanden sich, vielleicht nur sie allein, vielleicht neben Tuberkelbazillen. Was für das Eindringen dieser, gilt auch für das jener. — Es darf von einer tuberkulösen, von einer pyogenen und von einer Mischform skrofulöser Erkrankung gesprochen werden (Cornet). — Ist Skrofulose ansteckend? Allgemeine Gewebeschwäche kann natürlich nicht unmittelbar auf einen anders beschaffenen Körper übertragen werden. Die Infektionskrankheit Tuberkulose kann es. Die Frage hat eigentlich nur Interesse, soweit dieselbe die Schutzpockenimpfung berührt. Wenn es immerhin unwahrscheinlich ist, daß durch die Vaccine pathogene Mikrobien einverleibt und in dem Körper des Geimpften zur Entwicklung kommen können, so ist es doch geboten, skrofulöse Kinder nicht zu Stammimpflingen zu wählen. Man hat schon lange einen H a b i t u s s c r o p h u l o s u s als wichtiges Merkmal selbst für die noch nicht zur Erscheinung gelangte Diathese hingestellt; dabei wurde die erethische Form: eine zarte, wie durchsichtige Haut, blondes Haar, blaue Augen, große Erregbarkeit besonders im Gefäßsystem, durch leichten Farbenwechsel sich verratend — von der torpiden getrennt. Dieser schrieb man zu: Aufgedunsenes Gesicht, kurzer Hals, schwammige Muskulatur bei ohnehin feistem Körper, aufgetriebener (Kartoffel-) Bauch — alles Zeichen, welche wie die der erethischen Form öfter ohne Skrofulose sich finden. Kommt aber Schwellung der Nase und Oberlippe mit Ekzem und Triefaugen, eine Drüsenkette an dem Hals und dem Unterkiefer hinzu, dann genügt freilich einfaches Hinsehen zur Diagnose. Nur darf dabei nicht vergessen werden: es ist nicht mehr die Neigung zur skrofulösen Diathese, sondern die in die Erscheinung getretene Diathese selbst, welche so aussehen macht. Die Primärerkrankungen bei Skrofulose sind klinisch ohne weitere Besonderheiten. Man trifft an der Haut E k z e m in verschiedenen F o r m e n , Liehen, Geschwüre dem U l c u s rodens sich nähernd (vielleicht schon tuberkulöser N a t u r ) — an dem Auge findet m a n Blepharadenitis, Conjunctivitis mit Phlyktänenbildung, Keratitis, meist oberflächlich uDd mit Leukombildung heilend, seltener zu Verschwäruug führend. — N e b e n einfacher Entzündung des äußeren Gehörganges kommt eitrige des Mittelohrs mit folgender Karies des Felsenbeines vor. — Die Bachengebilde leiden meist nur an K a t a r r h e n , in der Nase hingegen bilden sich nicht selten tiefer greifende Verschwärungen. Bronchitis mit Katarrhalpneumonie, welche häufiger durch Tuberkelinfektion kompliziert wird, K a t a r r h des Magens und Darms reiht sich an. Ohne heftige Reizerscheinungen verlaufende E n t z ü n d u n g im Uhterhautbindegewebe, die sich bis auf die Muskeln ausdehnen k a n n , f ü h r t zur Eiterbildung (kalte Abscesse). Gleiches geschieht bei den E r k r a n k u n g e n der Knochen, namentlich der Wirbel. A u ß e r der gewöhnlichen Ostitis, Periostitis und K a r i e s k o m m t bei jüngeren K i n d e r n an den P h a l a n g e n der Finger und Zehen, seltener an Mittelhand- u n d Mittelfußknochen eine eigentümliche rare-

Skrofulose.

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fizierende Periostitis und Ostitis ossifieans vor. Dieselbe bewirkt schmerzloses langsames Anschwellen der genannten Knochen, welche dadurch ein eigentümliches flaschenartiges Aussehen gewinnen (Spina ventosa). — Mit wenig Schmerz verbundene, allmählich entstehende Schwellung und Entzündung der Gelenke, besonders des Kniegelenks (Tumor albus genu), ist nicht selten. Übrigens spielt bei allen Erkrankungen der Knochen und der Gelenke immer Tuberkulose mit, oder richtiger, sie herrscht vor. Der Versuch, bestimmte Entwicklungsperioden der skrofulösen Erkrankung, eine Reihenfolge der Einzelformen aufzustellen, gelingt nicht — nebeneinander wird einfacher Katarrh und schwerstes Knochenleiden, nicht selten dieses vor jenem, beobachtet.

Im Laufe des Lebens kann die skrofulöse Diathese so sehr abgeschwächt iverden, daß man von Heilung zu reden berechtigt ist; vor erlangter Pubertät ist das selten. Eine nicht kleine Zahl von Menschen bleibt dauernd skrofulös, allerdings wird die Diathese meist minder wirksam. — Die Prognose ist nur für den Einzelfall zu stellen. Neben der örtlichen Erkrankung ist stets an die Möglichkeit tuberkulöser Infektion, auch, besonders bei lang dauernden Eiterungen, an die amyloider Entartung zu denken. An das Wesen der Konstitutionsanomalien anknüpfend, hat die Therapie zunächst die Aufgabe, die „Schwäche" überhaupt zu bekämpfen. Die individuellen Bedingungen sind, allein maßgehend. Bei den feist-gedunsenen Skrofulösen ist eine Diät und Lebensordnung durchzuführen, welche Fettverminderung, Herabsetzung des Wassergehaltes der Gewebe, reichliche Neubildung von Blut schafft. Das ist auf mehr als einem Wege möglich. Die üblichen Verordnungen der Soolbäder und des Aufenthaltes an der See fuhren z. B. eine Beschleunigung des Stoffwechsels herbei, welche in der Regel mit gesteigertem Appetit verbunden ist — wird die den Ersatz bringende Nahrung richtig gewählt, dann kann so manches erreicht werden. Eine spezifische Wirkung kommt diesem Vorgehen aber ebensowenig wie den Trinkkuren zu, bei denen besonderes Gewicht auf die sehr geringen Mengen von Jod (und Brom), welche in dem Wasser der bevorzugten Quellen enthalten sind, gelegt wurde. — Kreuznach, Oynhausen, Nauheim, Jaxtfeld, Eeichenhall sind als Badeorte, die Heilbronner (Bayern) Adelheidsquelle zum Trinken besonders besucht. — Bei weniger Bemittelten empfehlen sich Kochsalzbäder von 1—3 °/0 oder die Mutterlaugen der Soolquellen, welche ca. 30 °j0 feste Bestandteile, darunter viel Chlorcalcium enthalten, gleichfalls bis zur 3procentigen Lösung mit Wasser verdünnt. Solche Bäder von Körperwärme oder wenig darunter werden täglich, bei Schwächeren zunächst einen Tag um den anderen, und von 10—30 Minuten Dauer genommen. — Die Gefäße an prompte Reaktion auf äußere Reize zu gewöhnen, dürfte das geeignete Mittel sein, um der Entstehung von Entzündung der Haut und Schleimhaut vorzubeugen. Besserung der Blutmischung wirkt günstig auf den Verlauf der entstandenen Entzündung. Beides, Abhärtung und reichliche Blutbildung, muß als Hauptaufgabe für die Behandlung hingestellt werden. — Es kann bei der erethischen Form ein reichlicherer Ansatz von Fett erwünscht sein. Der Leberthran ist gewiß kein Universalmittel gegen Skrofulose, hat aber als leicht resorbierbares Fett diätetische Bedeutung; man sollte nicht über 30 g pro die hinausgehen, wenn man ihn in diesem Sinne verwerten will. Andererseits ist zu bemerken, daß von vielen Leberthran in großen Mengen — ein Kilo pro Woche — gereicht wird, und daß man selbst schwere Leiden der Knochen u. a. w.

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

bei Skrofulösen danach zur Heilung kommen sieht, freilich nur in Einzelfällen. Hier sind rein empirische Indikationen für das Mittel gegeben, denn weder werden so große Mengen resorbiert, noch können, wie man es wohl annahm, Jod oder Brom dabei in genügender Menge aufgenommen werden. Wenn die Verdauungsorgane nicht Einspruch erheben, wäre ein Versuch gestattet — auch bei der torpiden Form.

Die früher gepriesene Anwendung des Jod ist jetzt sehr eingeschränkt; besonders die innerliche. Die Jodtinktur wird auf die geschwellte Drüsen bedeckende Haut aufgepinselt; das Unguentum kalii jodati erbsengroß einmal täglich eingerieben, ist vorzuziehen. Ausgedehntere Prüfung verdient der Vorschlag, lösliche Jodsalse von den Orten aus auf die Drüsen zur Einwirkung gelangen zu lassen, deren primäre Erkrankung sie schwellen ließ. Man hat anamnestisch zu erheben, ob z. B. den Vergrößerungen der Halsdrüsen Nasenrachenerkrankung, Ekzeme des Ohrs oder des Gesichts vorhergingen und wendet dann Bepinselungen mit konzentrierten Lösungen der Jodsalze oder jodhaltige Salben auf die ursprünglich erkrankte Stelle an. Manchmal tritt bei diesem Verfahren rasch Heilung ein.

Durch die Entfernung skrofulöser Drüsen auf operativem Wege will man die Gefahr tuberkulöser Allgemeinerkrankung, die aus solchen hervorgehen kann, beseitigen. — Gelenk- und Knochenerkrankungen bei skrofulöser Diathese erheischen die ernsteste Sorgfalt in der Behandlung. Man lasse lieber Wochen und Monate hindurch nach scheinbar unbedeutenden, wenig schmerzhaften Kontusionen absolute Ruhe des, wenn nötig, durch feste Dauerverbände geschützten Gliedes einhalten, als daß man, diese pedantisch erscheinende und so gescholtene Regel vernachlässigend, die Verantwortung für bleibendes Siechtum und frühen Tod auf sich nehme. § 91.

Diabetes mellitus.

Die chronische Erkrankung, bei welcher anhaltend größere Mengen von Traubenzucker in dem meist reichlich abgeschiedenem, Harn erscheinen, nennt man Diabetes mellitus. Ätiologisch ist bekannt: Vererbung spielt eine bedeutende Rolle — in den Stammbäumen wird Dicht nur Diabetes, auch Fettsucht, Gicht, neuropathische Konstitution der Vorfahren im weiterem Sinne angeführt. — Männer erkranken häufiger als Weiber; im Kindesalter ist keine Geschlechtsbevorzugung zu erkennen. — Es sind vom 1. bis zum 95. Lebensjahre Fälle der Krankheit beobachtet; die Hauptmasse trifft auf das vierte bis sechste Jahrzehnt — das erste und die jenseit des siebenten liegenden sind nur wenig belastet. — Die Wohlhabenden, Üppiglebenden, besonders aber die Kopfarbeiter und unter ihnen wieder die „Nervösen" leiden häufiger. Fettsucht, Gicht, Lues, die noch so wenig bekannten Erkrankungen des Pankreas treffen öfter mit dem Diabetes zusammen, möglicherweise auch cerebrale. Auf manche acute Infektion folgt Diabetes. — Von den als Gelegenheitsursachen bezeichneten Schädlichkeiten: Erkältung, unzweckmäßige Ernährung, unzureichende Muskelarbeit, Excesse in Baccho etVenere, eine vorhergehende schwere Erkrankung — mag diese oder jene einmal mit Recht anzuschuldigen sein; vielleicht eher noch heftige Gemütserregung, etwas länger dauernde geistige Überanstrengung, oder Erschütterung des Körpers durch Sturz aus bedeutenderen Höhen. Zweifellos kann Hirnerkrankung unmittelbar Diabetes veranlassen. Keine allgemeine Ernährungsstörung ist so eingehend durchforscht, wie der Diabetes mellitus. Es sind viele Einzelthatsachen sicher gestellt — zur wirklichen Einsicht in

Skrofulose. Diabetes mellitus.

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das W e s e n des Geschehens ist man n i c h t gelangt. Das wird erklärlich, wenn man die verwickelten Vorgänge bedenkt, welche sich bei der Aufnahme und bei der Verwendung der Kohlenhydrate vollziehen: Der Gesunde deckt bei gemischter Kost etwa 40 °/o seines Gesamtbedarfs durch Kohlenhydrate. Wie immer diese zusammengesetzt sind, alle werden in der Leber zu Glykogen umgeformt und in ihr zunächst als solches zurückgehalten. Aus der Leber wird Glykogen — je nach Bedarf des Körpers — in das Blut übergeführt; in Traubenzucker umgewandelt kommt er zu den Muskeln, die aus dem Zucker wieder Glykogen herstellen und dieses zurückhalten, bis es von ihnen gebraucht, verbrannt wird. — Es ist also ein Doppelspeicher für Glykogen da: Leber und Muskeln bilden ihn. — Der im Blut kreisende Traubenzucker — ungefähr 1 pro mille — wird nur in kleinsten Mengen unausgenutzt durch die Nieren ausgeschieden. Man rechnet von 0,4—2 pro mille, im ganzen 0,4—1,4 g Traubenzucker im Harn von 24 Stunden. — Bei ganz Gesunden wird durch die reichlichste Zufuhr von Amylaceen eine Vermehrung des Zuckerverlustes von den Nieren aus nicht herbeigeführt. Das ändert sich bei der in kürzerer Zeit stattfindenden Darreichung größerer Mengen von Zucker, welche nun rasch in der Form ausgeschieden werden, in welcher sie aufgenommen wurden: Milchzucker als Milchzucker, Hohrzucker als Bohrzucker u. s. w. — Man schätzt, daß, sobald der Zuckergehalt des Blutes 2 pro mille oder mehr erreicht, die Nieren nicht länger dichthalten können. — Wenn „diabetische V e r ä n d e r u n g " vorliegt, ändern sich auch diese Verhältnisse: die Vermehrung der Amylaceen in der Nahrung bewirkt schon Meliturie, weitaus kleinere eingeführte Zuckermengen treten in ihrer Form ungeändert in den Harn über. — Worin besteht nun diese diabetische Veränderung? D a r ü b e r geben die Tierversuche keinen genügenden Aufschluß, sie lehren nur, daß von ganz verschiedenen Organen her und durch sehr verschiedene Einwirkung Zuckerharnen zustande kommen kann. Meist nur für kürzere Zeit, wie bei dem Zuckerstich Claude Bernard's, bei der Vergiftung mit Phlorizin — einzig nach vollständiger Exstirpation des Pankreas bleibt der Zuckerharn solange das Tier lebt. — Es ist hier nicht der Ort, auf die Einzelheiten einzugehen, die wissenschaftlich von größter, für die Praxis noch von geringer Bedeutung sind. — Die anatomische Untersuchung bietet nicht viel. Neuerdings wurde auf ein f ü r pathognomonisch gehaltenes Zeichen hingewiesen: im Isthmus der H e n l e ' schen Schleifen in den Nieren zeigen die Zellen eine eigentümliche hyaline Verquellung und sind mit Glykogen gefüllt. — Die Nieren sind häufig vergrößert, wohl aus deren starker Thätigkeit erklärlich — ebenso in manchen Fällen die Leber. Ob den fettigen Entartungen und Atrophien des Pankreas, die bisweilen beobachtet wurden, eine Bedeutung zukommt, steht dahin; denkbar wäre das immerhin. Zucker ist in größerer als der normalen Menge in fast allen Körperteilen enthalten. Es ist möglich, vielleicht wahrscheinlich, daß von verschiedenen Körperteilen aus sich die diabetische Veränderung entwickeln kann, einen zweifellosen Zusammenhang zwischen i h r u n d anatomischen S t ö r u n g e n vermögen w i r aber vor d e r H a n d nicht zu erkennen. Diese versagen noch mehr als die Versuche. — Der Anfang der Erkrankung ist selten genau festzustellen. Magerwerden, Abnahme der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, unnatürlicher Durst, sehr häufige Harnentleerung, darüber wird bei voller Ausbildung des Leidens geklagt, ohne daß es gelänge, zu erfahren, wann und wie sich das alles entwickelte. Weniger regelmäßig sind dyspeptische Beschwerden und die Empfindung, daß der Kopf eingenommen ist; ebenso Heißhunger, welcher nur für kurze Zeit zu stillen ist. — Ganz ausnahmsweise wurde — nach Kopfverletzungen noch am ehesten — plötzliches Einsetzen beobachtet. —

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Allgemeine Ernährungsstörungen. D a ein geschlossenes

Krankheitsbild

nicht

aufgestellt

werden

kann,

ist die

Besprechung der Einzelsymptome geboten. Der Harn zeigt charakteristische Erscheinungen: Seine Menge ist fast immer erheblich vermehrt (beobachtetes Maximum 18,5 Liter in 24 Stunden), dabei das spezifische Gewicht erhöht — Maximum 1075. In den schon recht schweren Fällen hat man täglich etwa 5—6 Liter von 1030 bis 1040 spezifischem Gewicht. Der Harn enthält den rechts drehenden Traubenzucker in Mengen, die bis zu 14 Prozent ansteigen können, meist etwa 5—7 Prozent betragen; dessen absolute Ausscheidungsgröße ist in maximo 1500 g, gewöhnlich nicht über 300 g täglich. Von den vielen Proben, welche die Gegenwart von Zucker im Harn anzeigen, sollen nur erwähnt werden: 1. .Die Trommer'sche Probe. Der Harn ist zu filtrieren, etwa vorhandenes Eiweiß zu entfernen — am besten so, daß ein wenig Glaubersalz, dann Essigsäure in nicht zu großem Überschuß zugefügt, darauf bis zum Kochen erwärmt und das nun ausgeschiedene Eiweiß abfiltriert wird. Zu 10 ccm Harn fügt man 3 com Natron- oder Kalilauge, schüttelt durch, läßt dann so viel Tropfen einer sehr verdünnten Lösung von Kupfersulfat zufließen, als es ohne Bildung eines beim Umschütteln sich nicht lösenden Niederschlages thunlich. Hat sich durch zuviel des Kupfersulfats dennoch ein solcher gebildet, so ist davon abzufiltrieren. — Ist Zucker in dem untersuchten Harn vorhanden, dann zeigt sich schon bei dem Zugießen der Kupferlösung eine tiefer blaue Färbung. — Man erhitzt nun. Falls schnell, und ehe die Flüssigkeit noch ins Kochen kommt, ein gelber oder roter Niederschlag sich bildet, dann ist die Gegenwart von Zucker wahrscheinlich. Man geht ziemlich sicher, wenn in einer ebenso bereiteten, aber nicht erhitzten Mischung, welche 24 Stunden lang bei Zimmerwärme sich selbst überlassen wurde, gleichfalls ein solcher Niederschlag auftritt. Derselbe besteht aus Kupferoxydul; Zucker hat die Fähigkeit in alkalischer Lösung das Oxyd zu reduzieren. 2. Die Probe nach N y l a n d e r ist besser. Das Reagens ist so zusammengesetzt: 4 g Tartarus natronatus wurden in 100 ccm lOprozentiger Natronlauge gelöst, und darauf mit 2 g Bismutum subnitricum versetzt. Dann nach Erwärmen bis auf 50' C. Filtration. — Man kocht 10 ccm Harn mit 1 ccm der Mischung 2 Minuten lang; während des Kochens muss schon eine braune bis schwarze Färbung (reduziertes metallisches Wismuth) sich zeigen, falls Zucker vorhanden ist. Bei größeren Zuckermengen fällt das Metall als dichter Niederschlag aus. 3. Da eine Reihe anderer im Harn vorkommender Körper ebenfalls Metalloxyde zu reduzieren vermögen, wird der sichere Nachweis von Zucker durch die G ä r u n g notwendig. Dabei verfährt man so: Von 2 /j Liter vorher filtriertem Harn wird mittels der Senkwage bei bestimmter Temperatur das spezifische Gewicht bestimmt, dann 1 g gut ausgewaschener Bierhefe hinzugefügt, und nun das Ganze fest zugedeckt an einem warmen Orte 24—48 Stunden sich selbst überlassen. Es tritt bei Anwesenheit von Zucker Gärung ein, durch welche derselbe in Kohlensäure und Alkohol zerfällt. Ist das spezifische Gewieht der Flüssigkeit daher nach Ablauf der genannten Zeit und unter den gleichen Bedingungen wie vorher untersucht erheblich vermindert, dann ist die Anwesenheit von Zucker erwiesen. — Diese einfache Methode erlaubt gleichzeitig eine für die Praxis vollkommen ausreichende quantitative Bestimmung des Zuckers. Es bedarf dazu nur einer gut gearbeiteten für eine bestimmte Temperatur, die dann bei dem Versuch natürlich einzuhalten ist, geaichten Senkwage. Man zieht das spezifische Gewicht nach der Gärung von dem vor derselben gefundenen ab, multipliziert die Differenz mit 230 und dividiert mit 1000. Die so gefundene Zahl giebt den Prozentgehalt an Zucker unmittelbar an. Bisweilen kommt im diabetischen Harn neben dem Traubenzucker der links drehende Fruchtzucker und Inosit vor — in Einzelfällen trat letzterer ganz an die Stelle des Traubenzuckers. Im Harn von Schwangeren zeigt sich während der letzten Zeit vor der Entbindung, in größeren Mengen während der nächsten Monate nach derselben Milch-

Diabetes mellitus.

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n

zucher (bis zu 3 °/o i der Einzelentleerung). Es ist das nur eine vorübergehende Erscheinung, die mit dem wirklichen Diabetes nichts zu thun hat.

t I I 1 i

Albuminurie findet man bei der Zuckerkrankheit häufig. Es handelt sich dabei, abgesehen von den Fällen, wo Eiweiß aus anderen Gründen nachweisbar wird (Cystitis, Pyelitis u. s. w.), um echte Nephritis oder nur um funktionelle Störungen in der Nierenthätigkeit. Bei diesen ist die ausgeschiedene Menge von Eiweiß meist klein, sie kann zeitweilig ganz ausbleiben. — Wahre Nephritis kommt in allen Formen vor, am häufigsten wohl die Sehrumpfniere. Mit der Entwicklung einer Schrumpfniere kann der Diabetes dauernd schwinden. Im Harn der Diabetiker treten manchmal in größerer Menge stickstofffreie organische Körper auf: Aceton, Acetessigsäwre, ß - Oxybultersäure. Aus weichein Grundstoffe sie hervorgehen, wissen wir nicht, die letzte ist wahrscheinlich die Muttersubstanz, aus ihr wird die Acetessigsäure, aus dieser wieder Aceton gegebildet. Das wird nicht nur durch die Nieren, auch durch die hangen ausgeschieden und verleiht der Exspirationsluft einen eigenartigen aromatischen Geruch. — Acetessigsäwre ist im Harn durch Eisenchloridlösung nachweisbar, er zeigt nach deren Zusatz eine burgunderrote Farbe ( G E R H A R D T ' S Reaktion). — Vom Harnstoff wird meist sehr viel entleert — Maximum 163 g den Tag. Reichliche Zufuhr stickstoffhaltiger Nahrung und vielen Wassers bewirken dies. Bei ungenügender Ernährung, vielleicht auch unter der Einwirkung von Plasmagiften, die jedenfalls gebildet werden können, muß der Körper des Diabetikers von seinem Eiweißvorrat hergeben. — Ammoniak wird öfter in vermehrter Menge mit dem Harn ausgeschieden; gegen die Norm — etwa 1,5 g bei reichlicher Fleischnahrung — erhöhen sich die Werte häufig auf 3—6 g, sogar bis auf 12 g für 24 Stunden. — Chlor-, Schwefel- und Phosphorsäure sind ebenso vermehrt; den schweren Fällen scheint größere Kalkausscheidung eigen zu sein. Die Perspiratio insensibilis ist vermindert, die Absonderung von Schweiß gering; er ist sehr selten zuckerhaltig. Die trockene und rissige Haut juckt häufig, neigt zur Erkrankung an Ekzem; auch Furunkelbildung ist nichts Ungewöhnliches, sogar Karbunkel und selbst ausgedehnte Gangrän sind beobachtet. Das Blut hat stets größeren Zuckergehalt, seine Wassermengen wechseln, konstant vermindert scheinen sie nur bei den als Coma diabeticum bezeichneten Zuständen zu sein. — Sein Alkaligehalt ist wenigstens dann wahrscheinlich verringert. — Die Körpertemperatur ist eher vermehrt als vermindert, jedoch nur sehr wenig. Man kann von einer etwas größeren Schwankungsbreite derselben reden, stärkere Spitzen und tiefere Abfalle kommen jedenfalls bisweilen vor, ohne daß übrigens das Tagesmittel wesentlich verändert wäre. — Von den Sinnesorganen leidet am häufigsten das Auge: meist doppelseitige Trübung der Linse, solche des Glaskörpers, Retinitis, besonders hämorrhagische Formen derselben; auch Optikuserkrankung ist nicht selten. — Man ist auf die Erkrankungen der Nerven neuerdings aufmerksamer geworden, und hat Neuritis als eine nicht seltene Begleiterscheinung des Diabetes kennen gelernt. Sensibititätsstörungen überwiegen: Parästhesien, Hyperästhesien, Anästhesien, Neuralgien im Gebiet des Trigeminus und des Cruralis, • häufig doppelseitig. Lähmungen sind seltener, am ehesten noch an den Beinen (Cruralgebiet), und zwar beide treffend. — Der Patellarsehnenreflex kann ausfallen. — Trophische T. J l i T g e n s e D , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

und vasomotorische Erscheinungen kommen vor. — Es kann ein Gesamtbild dem der Tabes gleichend entstehen. Die Verdauungsorgane werden sehr angestrengt: spärliche Erholungspausen bei starken Anforderungen, denn Diabetiker essen viel und häufig, die Massen durchgespülten Wassers tragen kaum dazu bei, sie leistungsfähiger zu machen. Namentlich wenn erhebliche Fleischmengen bewältigt werden sollen, zeigen sich dyspeptische Erscheinungen. — Daß der Magen wegen der großen Mengen von Nahrung, besonders von Flüssigkeit, die er aufnehmen muß, leicht etwas gedehnt wird, ist verständlich. Meist wird seine Thätigkeit dadurch indes nicht erheblicher beeinträchtigt; die Säurebildung scheint kaum gestört zu sein. — Auch im Darm gehen keine wesentlichen Veränderungen vor sich. Es kann ein leichterer Grad von Trägheit, etwas zögernde Kotentleerung da sein, Durchfälle, die auf wirklichem Katarrh beruhen, sind seltener, immerhin von ungünstiger Bedeutung. Gleiches gilt von dem noch weniger häufigen Auftreten größerer Fettmengen in den Entleerungen. — Die Verdauungssäfte sind wahrscheinlich gewöhnlich nicht zuckerhaltig, nur ausnahmsweise soll es der Speichel sein. Die gemischten Mundflüssigkeiten freilich haben öfter saure Reaktion — Milchsäure, durch Gärung aus dem Zucker entstanden, bedingt das, auf ihre Ätzwirkung wird die nicht seltene Karies der Zähne von Diabetikern bezogen. — Bei Männern ist Impotenz, jedenfalls aber eine Verminderung des Geschlechtstriebes, häufig. Bei Weibern ist, wenn sie überhaupt schwanger wurden Abortus gewöhnlich. Das Herz leidet nicht sonderlich. Freilich kommt es nicht ganz selten zur Hypertrophie, welche, falls später die Ernährung schwerer beeinträchtigt wird, der Entwicklung von Entartungsvorgängen in dem Herzfleisch einen größeren Vorschub leistet. — Herx/neurosen sind bei Diabetikern nicht eben selten. Namentlich gegen das Ende tritt Herzschwäche stärker hervor, bei einmaliger wirklicher Überanstrengung kann sie verhängnisvoll werden. Arteriosklerose mit allen ihren Folgen stellt sich dagegen schon im frühen Lebensalter ein. — In den stark gefährdeten Lungen kommen neben der häufigen Tuberkulose chronische Entzündungen und eine durch den Mangel an Gestank ausgezeichnete Form von Brand vor. Der Stoffwechsel des Diabetikers unterscheidet sich dadurch von dem des Gesunden, daß ein bestimmter Teil der eingeführten Kohlehydrate unverbrannt den Körper verläßt. Soll die Bilanz zwischen Ausgabe und Einnahme aufrecht erhalten bleiben, die Zugabe aus dem Bestand des Körpers vermieden werden, dann ist ein von dem Diabetiker verwertbares Material in genügender Menge einzuführen: Mehr Eiweiß und mehr Fett. Solange sie aufgenommen und verbrannt werden können, hält sich der Zuckerkranke im Stoffwechselgleichgewicht. — Verminderte Leistungsfähigkeit, Schwäche, ist allerdings mit jeder irgend stärkeren Zuckerharnruhr über kurz oder lang verbunden. Das zeigt sich nicht nur an der geringerem, Arbeitskraft des Kranken, sondern auch an der Widerstandslosigkeit seiner Gewebe gegen alle Schädlichkeiten. — Man trennt den Diabetes in zwei Gruppen. Bei der leichteren Form schwindet der Zucker ganz aus dem Harn, sobald mit der Nahrung keine Amylaceen und kein Zucker eingeführt wird, bei der schwereren vermindert sich unter diesen Bedingungen wohl dessen Menge, aber er ist nicht ganz fort. — Man nimmt geradezu wesentliche Unterschiede der Gruppen an — wohl mit Unrecht, da aus

Diabetes mellitus.

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leichteren Fällen schwere entstehen und umgekehrt schwere Fälle in leichte sich umwandeln können. Übrigens kommen auch ohne Änderungen der Außenbedingungen im Laufe des Leidens erhebliche Schwankungen in der Zuckerausscheidung vor. — Fieberhafte Erkrankungen vermindern je nach ihrer Schwere und Dauer die Zuckermengen; in etwas hängt das wohl damit zusammen, daß der Fiebernde oft von seinem eigenen Körper lebt, also wenig zuckerbildende Substanz zur Verfügung hat. — Bei ganz herunter gekommenen Diabetikern schwindet der Zucker vollständig aus dem Harn. Für den Verlauf ist das Lebensalter von der allergrößten Bedeutung. Etwa das 45.—50. Jahr bildet die Scheide. Wer vorher erkrankt, ist weitaus mehr gefährdet. Jüngere können, besonders wenn ihre Ernährungsweise unzweckmäßig, von einem länger als leicht erscheinenden Diabetes in kurzer Zeit dahingerafft werden. Ältere ertragen eine beträchtliche Zuckerausscheidung (5°/ 0 ) manches Jahr. — Die Dauer schwankt zwischen wenigen Wochen und vielen, mindestens 25 Jahren. Heilung ist in jedem Lebensalter möglich, freilich selten. —Der Tod wird am häufigsten durch tuberkulöse Lungensehmndsucht herbeigeführt. Dann kommen die auf Marasmus beruhenden, meist aber mit irgend einem Organleiden einhergehenden Fälle. Eine eigne Orwppe bilden rasch zum Tode führende Vorgänge, welche man nach der Haupterscheinung als Koma diabeticum bezeichnet. Hierher stellt man Störungen vom Herzen: Gleich nach starker Anstrengung Erlahmen seiner Thätigkeit, Ohnmacht, Bewußtlosigkeit, in wenig Stunden das Ende. — Autointoxication, welche unmittelbar von dem Diabetes abzuleiten ist, giebt ein besonderes Krank• heitsbild: Es kann sich rasch voll entwickeln, es können aber auch unbestimmte Störungen vorausgehen — Kopfweh, Schwindel, Empfindungen wie bei leichtem Rausch, Unruhe, Schlaflosigkeit, nicht scharf örtlich begrenzte Schmerzen, vielleicht Erbrechen. Es folgt Schlafsucht, möglicherweise mit Erregungszuständen einhergehend, schnell oder allmählicher zu schwerstem Koma anwachsend. Nun zeigt sich das „große Atmen" (KUSSMAUL): tiefe Inspirationen, denen kürzere Exspirationen folgen, beide ungehindert, anfangs langsamer (14 in der Minute), nachher rascher. Der Puls schlecht gefüllt, mäßig in seiner Schlagfolge erhöht, später kleiner, kaum fühlbar, häufiger. Krämpfe fehlen oder treten wenigstens sehr zurück. Weite, aber lange noch reagierende Pupillen. Die Körperwärme möglicherweise anfangs etwas gesteigert, in der Regel später immer wesentlich erniedrigt (34,00 und darunter). Die ausgeatmete Luft hat den stechend-aromatischen Geruch nach Aceton, der Harn zeigt starke GERHARDT'sche Eisenchloridreaktion. Voll entwickeltes Koma endet stets in Stunden, längstens Tagen tödlich, seine Anfänge können Rückbildung erfahren. — Die Harnuntersuchung lehrt, daß diesem „typischen, dyspnoischen" Koma vermehrte Ausscheidung von Ammoniak und von Säure — besonders von Oxybuttersäure (bis zu 100 g täglich) vorhergeht. Man deutet es daher gewöhnlich — nicht unbestritten — als „Säurekoma". — Es kommt noch als Todesursache ein Zustand von Hirnumnachtung vor, welcher nicht mit dem eigenartigen Atmen einhergeht, vielleicht auf Urämie zu beziehen ist, vielleicht durch örtliche Erkrankung im Hirn (Apoplexie), vielleicht durch komplizierende Infektion (Sepsis, Pneumonie) bedingt wurde. — Für die Prognose ist allgemein bestimmend: günstiger wird sie bei geringgradiger Zuckerausscheidung, im höheren Lebensalter, wenn eine bekannte Entstehungsart (Kopfverletzung, Überarbeitung u. s. w.) bekannt ist. Immer ist an die Möglichkeit zu denken, daß auf die leichte die schwere Form folgen kann. — Der Einzelfall ist darauf anzusehen, ob die Verdauungsorgane leistungstüchtig, die Nieren, die Gefäße, das Herz frei blieben. — Ob die äußeren Verhältnisse dem Kranken eine zweckmäßige Lebensführung gestatten, ist selbstverständlich 14*

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

von großer Bedeutung. — Zuckermengen, die dauernd nicht über 0,2 °j0 bleiben, gestatten eine gute Vorhersage. — Die Diagnose wird durch die Harnuntersuchung leicht. — Zu bemerken ist, daß bei allen Zuständen von länger anhaltender Ernährungsstörung, besonders bei scheinbarem Mißverhältnis zwischen der Bedeutung eines nachgewiesenen örtlichen Leidens und dessen Bückwirkung auf die allgemeine Ernährung und den Zustand der Kräfte, die Prüfung des Urins auf Zucker nicht unterbleiben sollte. Man wird nicht selten einen in der Menge nicht besonders von der Norm abweichenden, aber zuckerhaltigen Harn finden. Vorsicht ist nach der ßichtung hin geboten, daß man vorübergehendes Auftreten von Zucker im Harn (Glykosurie) nicht für Diabetes erklärt. Etwas häufiger wiederholte Untersuchung schützt vor dem Irrtum. Behandlung: Von einer Prophylaxe darf man insofern reden, als der Nachweis der sich vorbereitenden diabetischen Störung frühzeitiges diätetisches Eingreifen ermöglicht. Hat man Grund, einen durch familiäre Belastung Verdächtigen auf seine Disposition zu prüfen, dann untersucht man, wie es mit seiner Fähigkeit, den Traubenzucker xu verbrennen, steht ( C . v. NOOKDEN). Man läßt morgens nüchtern 100 g desselben nehmen. Erscheint während der nächsten Stunden davon nichts im Harn, dann ist alles in Ordnung. Im anderen Falle ist der Verdacht begründet. —

Die Aufgabe für die Therapie des vorhandenen Diabetes ist: Es soll der Körper in den Stand gesetzt werden, die ihm durch ungenügende Ausnutzung der mit der Nahrung eingeführten Kohlehydrate verloren gehenden Kraftquellen anderweitig so xu ergänxen, daß er mit dm Einnahmen seine Ausgaben xu decken vermag. Von seinem Bestand an organisiertem Eiweiß — lebendem Protoplasma — darf er nichts hergeben. — Eine xu große Anhäufung von Z/ucker im Blute und in den Geweben bringt unmittelbar und mittelbar — Störung des Stoffwechsels, vielleicht Entwicklung von Protoplasmagiften — Schädigung. Theoretisch wäre die Lösung der Frage, wie ernährt werden soll, leicht, praktisch ist sie schwer, denn der Mensch ist kein gut ziehender Ofen, der sich ebenso mit Torf, wie mit Holz oder Kohle heizen läßt. — Wäre das der Fall, dann könnte man die Kohlehydrate — Nutzwert 3,8 Kalorien — durch Fett, welches den weitaus höheren Nutzwert von 8,4 Kalorien für das Gramm hat, ersetzen, und auch Eiweiß mit 8,2 Kalorien wäre vollauf genügend. — Die auf den Versuch gestützte Rechnung lehrt weiter, daß von dem Bohwert der Kohlehydrate 93 °j0, dagegen von dem Fett weniger, immerhin noch 90°/„, und von dem Eiweiß gar nur 78°/0 der Spannkraft dem Körper wirklich xu Nutxen kommen — d. h. von ihm bis zu ihren Endprodukten verbrannt, ihre potentielle Energie in lebendige Kraft verwandelt werden können. — Das entscheidende Wort spricht die Gewöhnung des Kulturmenschen. Er vermag auf die Dauer nicht sich allein von Fett und Eiweiß zu ernähren, weil sein Appetit versagt, an dessen Stelle der Ekel tritt, welcher die Nahrungsaufnahme überhaupt unmöglich macht, jedenfalls sehr beschränkt. Brot ist also ganz nicht zu entbehren, wieviel davon gegeben werden darf, muß im Einzelfall festgestellt werden. — Am zweckmäßigsten verfährt man dabei so: Allmähliche, so lange dauernde Entziehung der Kohlehydrate, bis der Harn zuckerfrei geworden, einige Tage Verharren bei dieser Ernährung, dann langsames Ansteigen

Diabetes mellitus.

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der Brotzufuhr. Die quantitative Prüfung des Harns auf Zucker lehrt, wann die Toleranzgrenze erreicht wurde (C. v. Noorden). —

In leichteren Fällen wird meist die Beschränkung in der Zufuhr von Kohlehydraten wenig belästigen. Aber in den schweren, wo selbst bei nahezu ausschließlicher Eiweiß-Fett-Aufnahme immer noch unverbrannter Zucker ausgeschieden wird? Auch dabei ist es nicht möglich, dem Kranken die Kohlehydrate ganz zu versagen. Soweit das möglich, geschehe es bei Jüngeren, bei den mehr als 45 Jahre Alten kann man freigebiger sein. — Für alle Fälle von schwerem Diabetes ist es aber sehr erwünscht, daß man alljährlich kürzere oder längere Zeit eine Ernährungsperiode einschiebt, in welcher die Aufnahme der Kohlehydrate auf das äußerste verringert wird. Es scheint, daß im Anschluß an solche „Kuren" die Fähigkeit des Körpers, die Kohlehydrate %u verbrennen, gesteigert wird. (Naunyn.) Von größtem Einfluß auf die Ernährung des Diabetikers ist es, daß ihm die aus erlaubtem Rohmaterial zubereiteten Speisen in schmackhafter, seinen Appetit anreizender, dabei aber auch leicht verdavMcher Form zugeführt werden. Es ist darauf hinzuweisen, daß kleine Mengen von Kohlehydraten, welche die Kochkunst als Zuthat schwer entbehren kann, nicht zu ängstlich vermieden werden sollten. D a eine eingehende Besprechung dessen, was an Rohmaterial verboten, was erlaubt hier zu viel Raum erfordern würde, verzichte ich ganz darauf. Nur über die Rolle des Alkohols einige Worte. E r ist ein gewaltiges Heiz- und somit Sparmittel — 10,75 Fett = 14,3 Alkohol. Man kann täglich mindestens 50 g Alkohol, bei Gewöhnten viel mehr geben, durch entsprechende Verdünnung kann seine Wirkung ganz auf die des Sparmittels beschränkt werden. — Die Nahrungsverwertimg des Diabetikers muss mindestens 35 Kai. für das Kilogramm des Körpergewichts ausmachen. Die genauen Tabellen König's geben dem Arzt die erforderlichen Zahlen. — Ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit ist immer zu gestatten. Wasser muß die Hauptmasse des Getränkes ausmachen. Gegen schwache Fleischbrühe, schwache Aufgüsse von Thee und Kaffee ist nichts einzuwenden. Die Wahl der Zeit für die Aufnahme von Nahrung und von Flüssigkeit ist mit gewissen Einschränkungen den Kranken %u überlassen. Man halte nur darauf, daß nicht genascht werde, sondern jede Mahlzeit einigermaßen ausgiebig sei — so läßt sich am ehesten etwas von wirklicher Ruhe für die Verdauungsorgane erzielen. — Jede Verdauungsstörung ist für den Diabetiker eine bedenkliche Sache, es ist daher besonderes Gewicht auf regelmäßige Thätigkeit von Magen und Darm zu legen. — D a für den Diabetiker erhebliche Gefahren aus Kleinigkeiten erwachsen können, sind alle, selbst die unbedeutendsten örtlichen Erkrankungen immer ernst zu nehmen; schon ein Furunkel kann den Tod herbeiführen. — Man warnt mit Recht vor nicht unbedingt nötigen chirurgischen Eingriffen, geht aber zu weit, wenn man diese überhaupt scheut. Die neueren operativen Methoden lassen viel größeren Spielraum. — Der Aufenthalt in einem wärmerem Klima, das weniger Ausgaben von dem Körper fordert, ist dem Diabetiker dringend zu empfehlen. — Sorgfältige Hautpflege, eine dem Einzelfalle angepaßte ausgiebige Thätigkeit der Muskeln — die Zuckerausscheidung nimmt ihr entsprechend ab — dürfen in keiner Lebensordnung für Diabetiker fehlen. — Neuerdings hat man von ausgedehnter Massage eine günstige Einwirkung auf das Allgemeinbefinden gesehen.

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Allgemeine Ernährungsstörungen.

Die Erfahrung lehrt günstigen Erfolg von Badekuren. Karlsbad, 31arienbad, Tarasp, Neuenahr, Vichy werden von vielen Diabetikern, öfter mit für sie günstigem Erfolg aufgesucht. — Indes wird davor gewarnt, Schwerdiabetiker dorthin zu schicken. — Arzneimittel, welche Heilung brächten, kennen wir nicht. Opium, von dessen Alkaloiden wird Codein mehr empfohlen als Morphium, vermag vorübergehend die Zuckerausscheidung zu vermindern. Größere Gaben werden auffallend gut ertragen — so täglich bis zu 2 g Opium, 0,2 g Morphium, 0,4 g Codein. Man kann schon mit 0,3 g Opium anfangen und wenn es gut wirkt die Menge steigern, soll aber nicht zu lange in einem Zuge das Mittel fortgeben. — Die kohlensauren Natriumsalze scheinen mehr günstig die Verdauungsorgane, als unmittelbar die Zuckerausscheidung zu beeinflussen. Das gilt auch wohl für die Badekuren. — Empirisch kann zur Anwendung kommen: Salicylsäure — als Natronsalz bis zu 10 g den Tag in Lösung; Karbolsäure — bis zu 1,5 g den Tag in Pillen; arsenige Säure — man beginnt mit 0,003 und steigt bis 0,015 g den Tag; Jod — 20 — 30 Tropfen der Tinktur täglich in starker Verdünnung mit Wasser. Bei dem Gebrauch dieser manchmal nützlichen Arzneimittel vergesse man nie die Hauptsache: die Organe der Verdauung müssen unversehrt bleiben,, und sobald irgend eine nennenswerte Störung derselben sich zeigt, welche mit Wahrscheinlichkeit auf das gegebene Medikament zurückzuführen ist, muß es unter allen Umständen aufgegeben werden. Das Verfahren bei dem Koma bedarf noch der Erwähnung: Handelt es sich um die typische Form mit großer Atmung, dann wird von denen, die sie als durch Säurevergiftung hervorgerufen ansehen, die Zufuhr großer Mengen (bis zu 100 g und mehr) Natrium bicarbonicum in kurzmöglichster Zeit mit einem kohlesäurehaltigen Wasser innerlich empfohlen. Bemerkenswert ist, daß trotz des Mittels der Harn sauer bleibt. — Die Behandlung soll beginnen, sobald die Ersterscheinungen, sich zeigen und so lange fortgesetzt werden, wie die Reaktion G E R H A R D T ' S , der Acetongeruch — wenn der Arzt genauer zu untersuchen in der Lage ist, die vermehrte Ammoniak- und Oxybuttersäureausscheidung anhält (NAUNYN). — Damit läßt sich jedenfalls die symptomatische Therapie verbinden: Milch in größten Mengen, Fruchtzucker (Lärulose) 50—100 g täglich in der Form von Limonade, sehr viel Alkohol, wenn das Herz nachläßt Kampf ereinsprit zungen; falls die Harnausscheidung stockt unbedingt, aber auch schon, wenn die Aufnahme großer Flüssigkeitsmassen nachläßt Infusion von 1—2 Liter der physiologischen Kochsalzlösung. Das hat zunächst sehr günstigen Erfolg — er hält aber nicht an. (C. v. N O O R D E N . ) § 92.

Diabetes insipidus.

Als Diabetes insipidus bezeichnen wir einen Zustand, bei dem längere Zeit sehr reichliche Mengen eines Harns von niedrigem spezifischem Gewicht auch dann abgeschieden werden, wenn eine unmittelbar sie bedingende Vermehrung der Aufnahme von Flüssigkeit nicht stattfand. — Ätiologisch ist wenig Sicheres bekannt. Hin und wieder mag Vererbung vorkommen. Männer erkranken häufiger als Weiber. Mehr als die Hälfte aller Fälle trifft auf das 10.—40. Lebensjahr, bei jüngeren hindern ist die Krankheit häufiger als bei Greisen. — Die Krankheit ist recht selten. — Unter den Gelegenheitsursachen werden genannt: heftige Gemütsbewegungen; Erschütterung des ganzen Körpers durch Sturz aus bedeutenden Höhen — die Centraiorgane kommen dabei wohl besonders in Betracht. — Konstante anatomische Veränderungen kennt man nicht. Am häufigsten fand man eine Erkrankung am Gehirn in der hinteren Schädelgrube. — Nach den bisherigen Erfahrungen und Versuchen — Polyurie tritt bei Verletzung des vierten Ventrikels oberhalb oder unterhalb, jedenfalls in nächster Nähe der Stelle, deren Verletzung Zuckerharnen bedingt, auf — ist am ehesten anzunehmen, daß der Diabetes insipidus durch Vermittlung des Nervensystems, die reflektorische Erregung desselben mit eingeschlossen, entsteht. Vermehrte Harnabsonderung und gesteigerter Durst sind die wesentlichen Zeichen der Krankheit. Die Vermehrung der Harnabsonderung ist das den Durst Bedingende — wenigstens gilt das für die Mehrzahl der zweifellos hierher zu stellenden Fälle. — Der

Diabetes mellitus.

Diabetes insipidus.

Fettleibigkeit.

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H a r n wird in noch größeren Mengen als bei dem Diabetes mellitus entleert; man hat schon in 24 Stunden 43 Liter gemessen; es steht sogar fest, daß ein Kranker im Laufe von 24 Stunden mehr Harn entleerte als sein Körpergewicht betrug. — Das spezifische Gewicht ist niedrig, es sinkt auf 1001, bewegt sich aber meist um 1005 bis 1007; nur in leichten Fällen werden 1012 erreicht. Der Harn erscheint dementsprechend blaß, krystallinische Sedimente kommen kaum vor. Trotz ihrer geringen prozentischen Menge sind die gelösten Bestandteile absolut keineswegs vermindert. Es können bis 80 g Harnstoff ausgeschieden werden, meist sind es allerdings nur gegen 30 g. Die Phosphorsäure, die Schwefelsäure und das Chlor zeigen ein ähnliches Verhalten. Der Einfluß der Nahrung ist im letzten Grunde maßgebend. — Einige Male sind kleine Mengen Inosits nachgewiesen, man meint, daß derselbe durch den starken Saftstrom mechanisch aus den Geweben fortgerissen sei. — Der Durst steht in geradem Verhältnis zu der Masse des Harns. Nach Aufnahme größerer Flüssigkeitsmengen dauert es in schweren Fällen länger als bei dem Gesunden, bis die Absonderung der Nieren beginnt, dieselbe hält aber dafür länger an. In leichteren ist dem nicht so. Die Perspiratio insensibüis ist wie es scheint stets, die Schweissabseheidung wenigstens für gewöhnlich erheblieh vermindert. Nach ungenügendem Ersatz des durch die Nieren verloren gegangenen Wassers kann das Blut eingedickt werden, das kommt aber nur zeitweilig zu stände. — Der Appetit ist meist gut, die Verdauung wird höchstens durch die große Masse der genossenen Getränke etwas gestört. Die Ernährung im ganzen leidet gewöhnlich nicht erheblich not, eine Wasserarmut der Gewebe verrät sich noch am ehesten an der spröden, trocknen, rissigen Haut. — Manchmal wird eine große Toleranz gegen Alkoholika beobachtet — ein Liter Schnaps, 20 Liter Wein den Tag sollen beschwerdelos genossen worden sein. Der Verlauf zeigt in vielen Fällen einen unregelmäßigen Wechsel zwischen Besserund Schlechterwerden; sogar das Aufhören aller Erscheinungen für eine Zeit kann vorkommen. Dies bewirken besonders fieberhafte Erkrankungen; nach solchen wurde selbst Heilung gesehen. — Bei der Prognose ist namentlich darauf Rücksicht zu nehmen, daß Diabetes insipidus Symptom eines Hirnleidens sein kann; an sich bedroht die Krankheit das Leben nicht sonderlich. — Die Diagnose hat zunächst den Zuckerdiabetes auszuschließen, dann die Schrumpfniere. Da bei dieser der Eiweißgehalt des Harns äußerst gering werden, vorübergehend sogar ganz fehlen kann, ist manchmal die wiederholte Untersuchung des für Tag und Nacht gesondert aufzufangenden Urins erforderlich. Zum Begriff des Diabetes insipidus gehört die längere Dauer — das genügt, um vorübergehende Mehrausscheidung von Harn, wie sie nach vielem Trinken, nach Krampfanfällen der Hysterischen u. s. w. auftritt, auf ihren wahren Wert zurückzuführen. Von Einigen wird aber doch eine nähere Beziehung der Hysterie zu der Krankheit angenommen. Ob mit Recht? Als u n b e d i n g t e s Gesetz f ü r die B e h a n d l u n g der K r a n k h e i t in i h r e n schweren F o r m e n gilt, daß man die Leidenden nach Herzenslust trinken lasse; Wasserentziehung vertragen sie durchaus nicht. Die Ernährung sei ausgiebig, man schone die Verdauungswerkzeuge und sorge für gute Hautpflege. — Arzneimittel: Nach manchen Beobachtungen ist jRadix valerianae in großen Gaben von Nutzen, ein aus derselben bereitetes Extrakt wurde bis zu 30 g täglich verordnet. — Opium kann in einer individuell zu bemessenden Gabe, welche aber keine Störungen hervorrufen, namentlich den Appetit nicht schädigen darf, zeitweilig die ärgsten Beschwerden mildern. Mit wechselndem Erfolg wurden versucht: Seeale cornutum und dessen Extrakte, Jaborandi und Pilokarpin, Karbolsäure. § 93.

Fettleibigkeit.

Fettleibigkeit (Adipositas universalis) nennt man eine Beschaffenheit des Körpers, bei welcher an vielen Orten desselben eine die Norm weit übersteigende Anhäufung von Fett sich einstellt. Ätiologisch ist zu bemerken: Die Anlage zur Korpulenz kann angeerbt, sie kann sogar Stammeseigentümlichkeit sein. Das Alter jenseit der vierziger Jahre ist physiologisch prädisponiert, mehr noch bei Weibern, als bei Männern, was

216

Allgemeine Ernährungsstörungen.

zum Teil wenigstens mit der Abnahme der Gebärfahigkeit zusammenhängen mag. Es ist bekannt, daß die Kastration gleichfalls, und zwar bei beiden Geschlechtern, die Anhäufung von Fett begünstigt. — Körper- und Geistesträgheit, beides manchmal ein Ausfluß des sogenannten „phlegmatischen" Temperaments, die stärkere Zufuhr von Kohlenhydraten und Fetten sowie eine solche von alkoholischen Getränken sind ferner zu nennen. In den Leichen der Fettsüchtigen findet man eine reichliche Ablagerung von Fett im Unterhautbindegewebe, in dem Netz mit seinen Annexen, in dem Mediastinum, um die Nieren und in deren Becken, in der Leber, auf dem Herzen, sogar in dessen Muskulatur sich einschiebend (fettige Infiltration). Bei den willkürlichen Muskeln geschieht das gleiche. Besonders hervorzuheben ist, daß eine der Fettmenge, welche das Körpergewicht selbstverständlich absolut erhöht, entsprechende Zunahme der Blutmasse nicht erfolgt; jeder Fettsüchtige hat also auf die Einheit des Körpergewichts bezogen weniger Blut als in der Norm. Die Erscheinungen bei Fettsucht lassen sich aus den erwähnten Befunden ohne weiteres ableiten. Neben relativer Anämie ist die durch mechanische Belastung seitens des Fettes erschwerte Herzthätigkeit und die dadurch gleichfalls gehinderte Atmung zu nennen: Das Herz muß bei jeder Systole einen Teil der frei werdenden lebendigen Kraft aufbrauchen, um die umhüllenden oder eingelagerten Fettmassen in Bewegung zu setzen oder sie zusammenzudrücken. Dem Herabrücken des Zwerchfells werden durch die mit Fett umhüllten, viel Baum fiir sich beanspruchenden Baucheingeweide und ebenso durch die Bauchdecken größere Widerstände entgegengesetzt. Sollen nuu die Körpermuskeln den Fettwanst in Bewegung setzen, so gebrauchen sie mehr Sauerstoff — dieser aber wird ihnen nur dann gewährt, wenn ihre Forderung im Einklang mit der Arbeitsleistung von Herz und Lungen zu bringen ist. Jedes Gehen oder gar das Steigen ist dem Fettsüchtigen daher nur langsam möglich. — Der erheblichere Muskelanstrengung fast immer begleitende Ausbruch von Schweiß ist für ihn die natürliche Ausgleichung der durch das schlechtleitende Fettpolster bewirkten Wärmer stauung. — Die Schwäche des Kreislaufs verrät sich an der dauernden Venenfüllung; neben dem „blauen" Gesicht ist auch die von Stuhlträgheit begleitete und mit ihr eng zusammenhängende Anfüllung der Mastdarmvenen (Hämorrhoiden) ein nicht nur Ärzten bekanntes Symptom der Korpulenz. — Die Haut erkrankt namentlich an den von reichlicherem Schweiß benetzten Stellen leicht an Intertrigo (Wolf) und an Ekzemen; auch Furunkelbildung stellt sich häufiger ein. — An sich führt die Fettsucht kaum zv/m Tode — es könnte höchstens an Herzinsuffizienz gedacht werden. Aber bei jedem ernsteren Fieber bildet dieselbe eine keineswegs leicht zu nehmende Erhöhung der Gefähr. — Namentlich sind hier jene Lungenerkrankungen (Pneumonie und ausgebreitete Katarrhe) zu nennen, welche, die Atmungsfläche verkleinernd, dem Herzen und den Respirationsmuskeln eine bei dem relativ geringen Vorrat an Blut nicht zu bewältigende Arbeitslast auferlegen. Die durch die Fettanhäufung im Unterhautbindegewebe erschwerte Abgabe von Wärme kommt weniger in Betracht — fiebernde Fettsüchtige haben keineswegs besonders hohe Temperaturen. Die Therapie der Fettsucht kann auf verschiedenen Wegen zum Ziele gelangen. Die Errungenschaften der Ernährungsphysiologie, welche wir in erster Linie V O I T verdanken, haben sich hier in glänzender Weise bewährt. Die Hauptaufgabe ist, daß der Eiweißbestand des Körpers mindestens er-

Fettleibigkeit.

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halten, besser noch, daß er erhöht werde. Sie ist zu lösen ( D A P P E R - C . V. NOOKDEN). — Eine Verminderung der nach Kalorien genau zu bestimmenden Nahrungswerte kann je nach der Lage des Falles langsamer oder rascher vorgenommen werden müssen; im allerhöchsten Fall darf sie etwa 3 / 6 der gewohnten Zufuhr betragen. Die üblichen „Systeme" (BANTING, E B S T E I N U. S. W.) sind nach diesen Grundsätzen zu beurteilen. — Eine den individuellen Bedingungen angepaßte Vermehrung der Muskelthätigkeit — Erhöhung der Ausgaben — muß mit der Regelung der Einnahmen verbunden werden. Verminderung der Leistungsfähigkeit und des Wohlbefindens der Kranken soll bei diesen Kuren nicht eintreten. — Man bringe seine Kranken nicht durch zu gewaltsame Eingriffe herunter. Es liegen Warnungsbeispiele in mehr als genügender Menge vor; Herzinsuffizienz mit Hydrops, schwere Magen- und Darmerkrankung, bei Disponierten Tuberkulose der Lungen sah man öfter als Folge forcierter Entfettung. Trinkkuren in Karlsbad, Marienbad, Kissingen, Tarasp und ähnlichen Orten haben altbewährte empirische Indikationen, die sich auf mancherlei stützen. Nicht nur die Quellen, vielleicht mehr noch die Angst vor dem „Bnmnmgeist", der die Nichtbefolgung des in seinem Gebiet Vorgeschriebenen ernstlich übel nimmt, kommt für manchen faulen Schlemmer sehr in Betracht. Die Lebensweise im vollen Wortsinn — die Bewegung an der Luft ist besonders hervorzuheben — wird eine ganz andere, als die den Fettleibigen gewohnte. Niemals sollte der dort Heilung Suchende indes ohne genaue ärztliche Verordnung und Aufsieht an Ort und Stelle sein. — Die neuerdings auch in den Badeorten von Sachverständigen geleiteten Sanatorien sind für manche das Beste. — Bei akuten Erkrankungen Fettsüchtiger ist der AufrechterhaUumg des Kreis• laufes von vornherein volle Sorgfalt zuzuwenden.

III.

Infektionskrankheiten. § 94.

Allgemeines.

Infektionskrankheiten sind durch die Einwirkung eines bestimmten mit Sondereigenschaften ausgerüsteten Etwas auf den lebenden Körper bedingt. Der Krankheitserreger gehört der organischen Natur an, er ist belebt, und seine Lebenseigenschaften erzeugen bei dem Menschen die Störungen, welche uns als Krankheiten entgegentreten. Meist handelt es sich um pflanzliche Mikroorganismen, um die zu den niedersten Stufen des Tierreichs gezählten Amöben, von höheren kommt nur die Trichina spiralis in Betracht. Das Wesen der Infektionskrankheiten ist durch diese Verhältnisse in den Grundzügen klargelegt: Entwicklung und Bestehen eines Organismus auf Kosten des anderen, so daß man mit Recht von einem Kampf ums Dasein reden mag. — Die neue Anschauung kommt nicht zuletzt der Therapie zu gute, ihre Ziele lassen sich genauer feststellen. Es wird zur Hauptaufgabe, die Lebensbedingungen der den Menschen gefährdenden Mikrobien kennen zu lernen, zu erfahren, was ihnen nützlich, was ihnen schädlich ist, wo in der Außenwelt sie zu finden sind, auf welchem Wege sie eindringen. Soweit es nicht schon mit der Lösung dieser Frage entschieden ist, muß ferner untersucht werden, welche Verhältnisse im Menschenkörper selbst die Invasion und Ansiedlung der Schmarotzer befördern oder hemmen? — Aus allen diesen Dingen ergiebt sich die Möglichkeit einer Prophylaxis im weitesten Sinne. Aber auch die eigentliche Therapie geht nicht leer aus. Sie hat nach Stoffen zu suchen, welche, ohne den kranken Menschenkörper zu schädigen, dem eingedrungenem fremdem Leben ein Ende machen, oder jedenfalls dessen üppige Entfaltung hemmen — es sind das die spezifischen Mittel. Weiter wird es notwendig, die Lebensbedingungen für den Erkankten so günstig wie nur möglich zu gestalten, ihn in seinem Kampf mit dem Eindringling thunlichst zu unterstützen. Die Pathologie muß lehren, von welcher Seite her der einzelne Krankheitserreger das Leben, den Zusammenhalt des von ihm ergriffenen Organismus bedroht, an welchem Punkte die größte Gefahr vorhanden ist. Wurde das erkannt, dann sind zweckentsprechende Gegenmaßregeln wenigstens manchmal möglich. Wir kommen auf diesem Wege bei den Krankheiten, wo spezifische Mittel fehlen, zu einer Behandlungsweise, welche freilich eine symptomatische, aber eine über

Allgemeines.

Syphilis.

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die früher so genannte dadurch weit hinausragende ist, daß sie nicht ein beliebiges, vielleicht sehr hervorstechendes, für das Ganze aber minderwertiges Ding bekämpft, sondern dort angreift, wo es notthut. Auch negativ ist der neuen Anschauung ein Vorzug nicht abzusprechen: schwächende Eingriffe, die fast vollkommene Entziehung der Nahrung, die Blutverluste, welchen man durch diese oder jene theoretische Anschauung geleitet den Kranken früher preisgab, mußten aufhören, sobald erkannt war, daß es gilt, denselben gegen die Gewalt des in ihm hausenden fremden Lebens zu festigen. Ganz bestimmte Grenzen für die Infektionskrankheiten lassen sich gegenwärtig nicht abstecken. Daß ein Teil dessen, was heute noch bei den Organkrankheiten untergebracht ist, später einmal hier abzuhandeln sein wird, ist wahrscheinlich. — Eine konsequente systematische Darstellung ist nicht aus diesem Grunde allein unthunlich. Es kann vorkommen, daß eine anatomische und klinische Einheit ätiologisch eine Mehrheit bildet; wie in solchem Falle es mit deren Einreihung zu halten ist, entscheiden Zweckmäßigkeitsgründe, und das sind subjektive. Eine Einteilung der Infektionskrankheiten stößt auf große Schwierigkeiten. Man unterschied: 1. Kontagiöse Krankheiten: Der Krankheitserreger bedarf zu seiner Entwicklung des lebenden Körpers, er vermag unmittelbar von dem erkrankten Menschen auf den gesunden überzugehen. 2. Miasmatische Krankheiten: Der Krankheitserreger wird außerhalb des lebenden Körpers erzeugt, er geht von außen, nicht durch Übertragung von einem schon erkrankten Menschen auf den gesunden über. 3. Miasmatisch-kontagiöse Krankheiten: Der Krankheitserreger geht nicht unmittelbar durch Übertragung von einem schon Erkrankten auf den Gesunden über, er bedarf des zeitweiligen Aufenthalts außerhalb des kranken Körpers, um die Fähigkeit zu erlangen, Krankheit bei dem Gesunden hervorzurufen. Die praktische Bedeutsamkeit dieser Auffassung kann immerhin noch anerkannt werden, obgleich doch darauf hingewiesen werden muß, wie, namentlich in der älteren Litteratur, Angaben genug zu finden sind, daß eine gewöhnlich nicht kontagiöse Krankheit bei schwerem, epidemischem Auftreten kontagiös geworden sei. Denkbar wäre es, daß nur die Menge des vorhandenen und zur Aufnahme in den Organismus geeigneten Krankheitserregers den Ausschlag giebt, ob eine Ansteckung von Mensch zu Mensch stattfindet oder nicht. Zu einer Gruppe der Infektionskrankheiten können Syphilis, Tuberkulose, Lepra, Aktinomykose und Hotz vereinigt werden. Sie erzeugen eine anatomisch ähnliche Gewebsveränderung, die Granulationsgeschwülste, sie können alle Organe in Mitleidenschaft ziehen und verlaufen vorwiegend chronisch — Verhältnisse, durch welche sie sich von den meisten anderen Infektionen unterscheiden. Aus Zweckmäßigkeitsgründen werden die übrigen kontagiösen Genitalkrankheiten neben der Syphilis besprochen; das Ganze wird dann als Venerie (Venerische Krankheiten) bezeichnet. — § 95.

Syphilis.

Die Syphilis (.Lustseuche, Lues venerea) ist eine durch ein fixes Kontagium übertragbare, zuerst am Orte der Einverleibung, später auch anderswo im Körper sich zeigende Erkrankung mit eigenartigen Gewebsstörungen. Der Krankheitserreger ist nicht bekannt. Es ist eine noch streitige Frage, ob Syphilis eine „neue?', d. h. in verhältnismäßig wenig zurückliegender Zeit zuerst aufgetretene Erkrankung darstellt. Daß durch den

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Infektionskrankheiten.

Beischlaf entstandene Leiden der Geschlechtsteile schon im Altertum vorkamen, ist sicher, daß es sich dabei zum Teil um Syphilis gehandelt habe, wahrscheinlich. Wie aber das förmlich epidemische Auftreten der Seuche um das Ende des 15. Jahrhunderts zu erklären sei, wissen wir nicht.

Über die Ätiologie ist bekannt: Syphilis entsteht gegenwärtig niemals spontan, sondern nur durch Übertragung des Kontagiums. Dieses muß in die Gewebe eindringen können — unverletzte Haut und Schleimhaut schützt unbedingt, aber schon ein leichter Biß in ihnen genügt, um dem Gift den Eintritt zu gestatten. Ob bei stärkerer Einreibung von Haut- oder Schweißdrüsenmündungen auch Ansteckung möglich, steht dahin. — Die durch Vererbung erworbene Form hat ihre eigenen, gesondert zu besprechenden Bedingungen. Träger des Kontagiums sind die an dem die Ansteckung vermittelnden Körperteil vorhandenen Krankheitsprodukte, jedoch nur solange sie einer nicht zu späten Zeit der Erkrankung angehören. Selbst zur Blütezeit der Syphilis überträgt das Blut dieselbe nur schwer, allein es ist dazu imstande. — Spätformen örtlicher Erkrankung scheinen nicht leicht ansteckend werden zu können. Die physiologischen Sekrete: Schweiß, Harn, Speichel, aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Milch, enthalten kein syphilitisches Gift; dagegen kann dasselbe durch den Samen auf das Ei und so auf den sich bildenden Fötus übergehen. Nur der Mensch ist für Syphilis empfanglich, die Versuche, Tiere, besonders auch Affen, zu infizieren, haben keine sicheren Ergebnisse geliefert. Jeder Mensch kann syphilitisch werden; so lange er es ist, haftet aber das aufs neue übertragene Kontagium bei ihm nicht, es ruft weder spezifische örtliche, noch allgemeine Erscheinungen hervor. Ist hingegen Heilung einer früheren Erkrankung erfolgt, dann ist auch wieder Empfänglichkeit, für das Gift gegeben — Überständern Syphilis schützt also nicht gegen abermalige Infektion. — Oelegenheitsursache wird meist der Gebrauch der Geschlechtswerkzeuge, an ihnen vollzieht sich die Ansteckung, an ihnen tritt deren Ersterzeugnis auf. Auf anderem Wege findet eine unmittelbare Übertragung von Mensch zu Mensch nicht gerade häufig statt; am ehesten infizieren sich noch Arzte und Hebammen bei ihrer Berufsthätigkeit an den vorher verletzten Händen. Eine mittelbare Ansteckung — die Benutzung eines durch das Kontagium verunreinigten Eßgeräts oder die eines zum Depot fiir das Gift gewordenen Abtrittes — wird nur in sehr seltenen Fällen angenommen werden dürfen. — Von höchster Bedeutsamkeit ist die Frage, ob bei der Vaccination mit humanisierter Lymphe Syphilis übertragen werden kann? Darauf ist zu sagen: Das ist, allerdings in einer verhältnismäßig nicht großen Zahl von Fällen, geschehen. Zum Teil hat es sich dabei um grobe Fehler — Verwechslung von syphilitischen Hauterkrankungen mit Vaccinepusteln und dergleichen — gehandelt, zum anderen aber muß zugestanden werden, daß solche Fehler nicht vorliegen, daß sie wenigstens nicht aufzufinden sind. — Die klare, nicht mit Blut oder Eiter in sichtbarer Weise, verunreinigte Lymphe des JENNER'schen Bläschens braucht, wenn sie einem Syphilitischen entnommen wird, keine Syphilis zu übertragen, sie kann es aber — freilich sind die genaueren Bedingungen, unter denen das geschieht, ungekannt. — Dadurch ist die Notwendigkeit gegeben, daß man bei der vom Staat geforderten Zwangsimpfung entweder sichere Bürgschaft dafür leiste, daß die auf andere übertragene Lymphe nicht von einem Syphilitischen herrührt, oder, was jetzt vorgezogen wird, daß man originäre Vaccine verwende.

Syphilis.

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Lange geführt und noch nicht beendet ist der Streit darüber, ob nur das Produkt unzweifelhaft syphilitischer Erkrankung — d. h. solcher, die außer örtlichen Erscheinungen allgemeine hervorruft — oder ob auch das eines örtlich bleibenden, höchstens die nächsten Lymphdrüsen in Mitleidenschaft ziehenden Geschwürs, des Schankers, die Syphilis hervorzurufen vermöge? Mit anderen Worten: ist der sogenannte weiche Schanker eine echte syphilitische Erkrankung, von dem gleichen Gift wie diese erzeugt, so behaupten es die Unitarier, oder aber, ist der Schanker ein durchaus verschiedenes, nur äußerlich ähnliches Leiden, wie die Dualisten annehmen. Die Anschauung der Dualisten dürfte die bessere Begründung beanspruchen. Für dieselbe läßt sich geltend machen: 1. Wie Impfungen zeigen, kommt dem Schankergifte keine eigentliche Inkubationszeit zu, das Gift der Syphilis hat eine solche von mehrwöchentlicher Dauer. 2. Klinische Erfahrung und der Versuch lehren, daß das Schankergift auf den Träger des Schankergeschwüres selbst und auf andere, syphilitische wie nicht syphilitische Personen in vielen Generationen verimpft werden kann, haftend ruft es wieder Schankergeschwüre hervor. — Das Gift aus syphilitischem Geschwür dagegen läßt sich auf seinen Träger nicht ohne weiteres haftend uberimpfen. Erst wenn ein solches Geschwür durch künstliche Beizung zur Bildung reichlicheren Eiters gebracht war, kann dieser Eiter dem Syphilitischen bei seiner Übertragung durch Impfung Pusteln und kleine Geschwüre erzeugen, welche übrigens schon nach wenigen Generationen nicht weiter übertragen werden können. 3. Daß nach dem Schanker meist keine Allgemeinerkrankung erfolgt, wird allseitig zugegeben. Die seltenen Fälle, in denen das geschieht, werden von den Unitariern als Beweis für die Einheit der beiden Gifte geltend gemacht, von den Dualisten aber als Doppelinfektion gedeutet, bei welcher die Einverleibung des syphilitischen wie des Schankergiftes am gleichen Orte geschah, allein das die Gewebe rasch zerstörende Schankergift die örtlichen Zeichen der syphilitischen Ansteckung zunächst verdeckt. Wenn der von D U C B A Y gefundene Bacillus sich in der That als der den Schanker erzeugende erweist, ist die Frage endgültig zu Gunsten der Dualisten entschieden.

Die von dem syphilitischen Gift hervorgerufenen anatomischen Veränderungen lassen sich in zwei Klassen scheiden: in entzündlich irritative, mit Bildung homologen Gewebes, einfacher Hyperplasie, einhergehende, oder in Neubildungen (Gummata), die den Charakter der Granulationsgeschwülste tragen. Histologisch ist das Gumma (Syphilom) ein Granulationsgewebe mit bald mehr, bald weniger Zellen. Die zellreichen Formen zeigen häufig eine Umwandlung ihres Inhalts in Fett, welche, vollständig geworden, die Resorption ermöglicht, öfter aber entwickelt sich in ihnen Verkäsung; die zellarmeren, weicheren Formen erfahren schleimige Entartung. — Beide, die entzündlich hyperplastischen, wie die mit Bildung von Granulationsgeschwülsten einhergehenden Veränderungen binden sich nicht an eine bestimmte Periode der Krankheit, sie kommen zu jeder Zeit vor, immerhin aber darf man sagen, daß ausgedehnte Gummabildung meist erst später aufzutreten pflegt. Das Krankheitsbild der Syphilis ist in großen Umrissen: Drei bis vier Wochen nach der Ansteckung tritt an dem infizierten Orte eine erste Veränderung auf. Es entwickelt sich eine mehr oder minder umfangreiche Härte (Initialsklerose) in der Form eines Knotens oder mehr flächenhaft verbreitet — auf derselben kann ein Geschwür, in selteneren Fällen ein breites Kondylom zu stände kommen. Gleichzeitig oder bald nachher schwellen die Lymphdrüsen, in deren Lymphgebiet die Initialsklerose gelegen ist, schmerzlos an, sie bilden Ketten, deren einzelne Glieder den Umfang einer Haselnuß, selten einen größeren erreichen (indolente Bubonen). Ungefähr sechs Wochen nach der Einverleibung des Giftes sind diese Schwellungen sicher nachweisbar. — Allmählich macht sich

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Infektionskrankheiten.

eine Rückwirkung auf das Allgemeinbefinden geltend, jedoch in sehr verschiedenem Maße; einige Menschen scheinen davon so gut wie gar nicht berührt, andere leiden in hohem Grade. Es zeigt sich Blässe, schlechtes Aussehen, Beeinträchtigung der Gewebeernährung, von der bisweilen die äußere Decke vorwiegend betroffen wird: Ausfallen der Haare, Brüchig werden der Nägel, Abschuppung der welken und schlaffen Oberhaut. Unter Fieberbewegungen kommt es zum Ausbruch von Exanthemen: zu umschriebenen oberflächlichen, über die ganze Haut verbreiteten entzündlichen Hyperämien (Roseola) oder zu Wucherungsvorgängen, welche meist auf ganz bestimmte Stellen sich beschränken (breite Kondylome). — Gleichzeitig wird die Schleimhaut der Mundhöhle und die des Rachens befallen. — Die Schwellung der Lymphdrüsen breitet sich über das örtliche Gebiet der Infektion aus, sie wird an den oberflächlich gelegenen überall nachweisbar. Weniger konstant sind Knochenschmerzen, dann Entzündungen der Iris und der Ketina. — Etwa sechs Monate vom Beginn der Erkrankung an gerechnet sind alle, oder es ist doch der größere Teil dieser Erscheinungen zur Entwicklung gelangt. Nun folgt gewöhnlich ein Rückgang; Besserung, unterbrochen durch Wiederkehr dieses oder jenes örtlichen Symptoms bis zur vollständigen Heilung, wenigstens eine Periode der Latenz. Deren Dauer schwankt innerhalb weiter Grenzen, sie kann sich auf Jahrzehnte erstrecken. Möglich, daß ein hin und wieder auftauchendes leichtes, von selbst rasch schwindendes Hauterkranken von dem noch nicht ganz erloschenen Leiden Kunde giebt; selbst dies fehlt manchmal ganz, oder es ist wenigstens die Form der Erkrankung zu unbestimmt, um ihre Beziehung zur Syphilis erkennen zu lassen. — Oft freilich wird der Infizierte aus seiner Sicherheit grausam aufgeschreckt. Denn in dieser späteren Zeit bilden sich die schweren gewebevernichtenden, nach Art der bösartigen Geschwülste verlaufenden Oummata aus, ein je dem Orte ihrer Entstehung nach wechselndes Bild liefernd, dessen Grundzüge: Zerstörung in loco und allgemeine Kachexie, immerhin die gleichen bleiben. Kur wenn wenig umfangreiche Gummata an Teilen, deren Ausfall für den Organismus nicht viel zu bedeuten hat, zur Entwicklung gelangen und das Ganze nicht zu lange währt, bleibt der Marasmus aus. Die seltener spontane, als durch die Therapie bewirkte Heilung solcher Spätformen erfolgt fast stets mit mehr oder minder großer Einbuße an Körpergewebe; der Tod wird durch die Organerkrankungen als solche, oder durch den allgemeinen Verfall herbeigeführt. Es soll jetzt zur Besprechung der Einzelheiten übergegangen werden: 1. Die Initialsklerose: Mittlerer Zeitraum für die Entstehung der ersten örtlichen Erscheinungen nach der Einverleibung des Giftes sind drei bis vier Wochen. Die in nicht kleiner Zahl vorgenommenen Impfungen haben indes gelehrt, daß Minimalfristen von 11, Maximalfristen von 42 Tagen möglich sind. Es ist wahrscheinlich, daß in gewisser Weise die örtliche Äußerung der Infektion zunächst von dem bedingt ist, was mit dem syphilitischen Gifte zusammen zur Einwirkung gelangte. War dieses an sich wenig reizend (z. B. Blut), dann kann Verschwärung ausbleiben — es bildet sich nur eine Verhärtung des Gewebes, ein scharf umschriebenes Knötchen von Linsen- bis Erbsengröße, oder eine mehrere Centimeter im Umfang haltende flächenförmige Infiltration aus, die sich ähnlich dem Pergament anfühlt. Die Epidermis resp. die obere Schicht der Schleimhaut ist dabei in einfache Wucherung versetzt, sie schilfert ab, verschwärt indes nicht. Dieses kann freilich auch noch nachher geschehen, sobald ein weiterer entziind-

Syphilis.

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licher Reiz sich hinzugesellte. Dann bildet sich auf der Induration ein Gesekwür. — Ist die Oberfläche der primären Verhärtung andauernd feuchter Wärme ausgesetzt, wie es z. B. bei etwas mehr nach innen gelegenem Sitz an den weiblichen Genitalien stattfindet, so entwickelt sich auf derselben eine kondylomatöse Wucherung. War aber mit dem syphilitischem Virus gleichzeitig ein stärkerer Entzündungserreger (Schankergift, faulendes Sekret, oder zersetzter Eiter) einverleibt, dann äußert dieser zuerst seine Wirkung und erzeugt ein mehr oder minder tiefgreifendes und ausgedehntes Geschwür. E s kann zur Heilung gelangen, ehe die Inkubationszeit der Syphilis abgelaufen ist, danach tritt in der frischen Narbe die Verhärtung auf und vielleicht gesellt sich aufs neue Verschwärung hinzu. Oder aber während das Geschwür noch offen ist, entwickelt sich auf dessen Boden die Verhärtung. So sind verschiedenartige Erscheinungsformen möglich gemacht. — Das eigentliche syphilitische Geschwür (Ulms induratum; Hüntel scher Schanker) bleibt meist unter dem Durchmesser eines Centimeters, zeigt ziemlich scharf abgeschnittene Ränder und einen weißgrauen speckigen Grund, seine Umgebung ist auf einige Millimeter hin knorpelhart; Sekret wird nur spärlich abgesondert. Selbst unter einer ziemlich fest anhaftenden Borke hat das Geschwür wenig Neigung zur Heilung, aber ebensowenig zur Ausbreitung in die Fläche; es gehören stärkere Reize dazu, um in ihm Eiterbildung hervorzurufen. — Nach der Heilung bleibt für längere Zeit eine Härte zurück, deren Oberfläche bräunlichrot, wie kupferfarben erscheint; diese Härte hinterläßt bei ihrem Verschwinden eine unter der Oberfläche der Umgebung liegende nicht strahlige weiße Narbe, welche aber im L a u f e der Zeit sich ganz verlieren kann. Syphilitische Initialsklerosen kommen an allen den Körperteilen vor, wo das Gift zur Einverleibung gelangt — örtliche Immunität giebt es nicht. Anatomisch handelt es sich bei der Initialsklerose um Anhäufung kleiner Rundzellen in den Spalten des Bindegewebes, daneben können epitheloide und spärliche Riesenzellen auftreten. Zerfall des Infiltrats mit Resorption oder Verschwärung folgt nach. 2. Die Drüsenschwellung geschieht immer erst einige Zeit — im Mittel etwa eine Woche — nach dem örtlichen Erkranken und zunächst in den Gebieten, welche die aus den infizierten Teilen abströmende Lymphe unmittelbar aufnehmen. Die hier gelegenen Drüsen schwellen ausnahmslos an, der Stamm der zuführenden Lymphgefäße ist seltener als verdickter Strang durchzufühlen. — Gelingt es nachzuweisen, welche Drüsen zuerst geschwellt waren, dann ist der Ort der Ansteckung nachträglich dadurch festzustellen, auch wenn an ihm eine vollkommene Heilung erfolgt war. — Eine ganz andere Bedeutung hat die im Verlaufe der Erkrankung geschehende allgemeine Drüsenschwellung — sie beweist, daß sich das syphilitische Gift über den ganzen Körper ausgebreitet hat, daß also die Krankheit wahrhaft konstitutionell geworden ist. So lange noch Lymphdrüsen vergrößert sind, ist auch die Allgemeinerkrankung nicht beseitigt, mögen immerhin deren Erscheinungen für den Augenblick unsichtbar sein. Nicht an allen Zwischenstationen der vom Orte der Ansteckung bis zum Ductus thoracicus gelegenen Lymphbahn ist die Erkrankung der Drüsen nachweisbar, es scheint vielmehr, daß manche aus bisher ungekannten Gründen übergangen werden. Außer den oberflächlichen Drüsen in der Leistengegend sind die am Halse und Unterkiefer, ferner die Kubitaldrüsen meist am leichtesten als erkrankt nachweisbar.

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örtliche Empfindung von Schmerz oder auch nur von Spannung wird durch die „indolenten" Bubonen so gut wie nie, verursacht, ebenso kommt es nicht zur Vereiterung oder Verwachsung mit der Umgebung. Damit das geschehen könne, ist die Mitwirkung eines anderweitigen starken Reizes erforderlich. Nur die Skrofulösen machen eine Ausnahme: bei ihnen ist die Größe der Drüsen beträchtlicher, ihre Rückbildung verzögert sich noch mehr als gewöhnlich, es kann sogar so reichliche Eiterbildung sich einstellen, daß Senkungsabscesse auftreten. —

Die anatomische Untersuchung lehrt sowohl bei den ersterkrankten als bei den nach Ausbreitung des Giftes über den Körper anschwellenden Drüsen meist einfache Hyperplasie kennen, welche ohne Zwischenfalle sich zurückbildet. Nur im späteren Verlauf und bei schwerer Kachexie kommt neben Gummabildung und Verkäsung auch amyloide Eidartung vor. 3. Als zweite Inkubation bezeichnet man den Zeitraum, welcher zwischen dem Auftreten der örtlichen und dem der allgemeinen Erscheinungen gelegen ist Es ist keine Einheit der Eechnungsweise vorhanden, dadurch kam es zu Verwechslungen, welche unter bestimmten Bedingungen — gerichtliche Fälle — sehr widerwärtig sein können. — Man rechnet entweder so, daß man vom Tage der Ansteckung bis zum Ausbruch allgemeiner Erscheinungen zählt — dabei hat die Benennung gar keinen Sinn. Oder aber, das richtige, man nennt den Termin, welcher zwischen örtlichem und allgemeinem Auftreten der Syphilis liegt, zweite Inkubation.

Nach den vorliegenden Impfversuchen beträgt die kürzeste Dauer der zweiten Inkubation 12 Tage, die Zeit von der Einverleibung des Giftes bis zum Auftreten von Allgemeinerscheinungen aber 37 Tage; die Maximalzeiten stellen sich auf drei Monate, resp. 159 Tage. Im Mittel berechnet sich die Zeit zwischen Ansteckung und Allgemeinerkrankung auf 48 Tage. Die bei den Versuchen wahrgenommenen großen zeitlichen Schwankungen kehren bei den Minischen Beobachtungen wieder; nach diesen zeigen sich gewöhnlich die allgemeinen Erscheinungen sechs bis zwölf Wochen später als die Ansteckung erfolgte. 4. Die mit der Ausbreitung des Giftes über den Gesamtkörper zusammentreffenden Ernährungsstörungen werden mit Veränderungen des Blutes in nähere Beziehung gebracht. Zunahme der weißen, Abnahme der roten Blutkörperchen und des Hämoglobingehalts ist erwiesen. 5. In etwa 10—30 °/0 geht mit der die Periode konstitutioneller Syphilis einleitenden Hauterkrankung rieber einher, welches man nach Analogie mit den akuten Exanthemen geradezu als Eruptionsfieber bezeichnet. Die Temperatur überschreitet dabei nur ausnahmsweise 40°, meist hält sie sich um 39°. Die Form des Fiebers ist wechselnd, gewöhnlich handelt es sich um morgendliche ßemissionen bei abendlichen Exacerbationen, aber es kommt auch ein mehr intermittierender Typus] vor. Die Dauer des Ganzen beträgt einen Tag bis höchstens eine Woche. 6. Das breite (platte) Kondylom, eine der Frühformm konstitutioneller Syphilis, geht aus der trockenen Papel hervor. Wirkt auf sie feuchte Wärme ein, so werden die oberflächlichen Schichten erweicht, rissig, sie stoßen sich ab, es erscheint das sich über die Nachbarschaft erhebende wuchernde Korium, mit grauweißem schmierigem, in ziemlich reichlicher Menge abgesondertem Sekrete bedeckt. Mikroskopisch findet man: die oberen Teile des Korium, besonders der Papillär' körper, sind mit flüssigen und festen Exsudatmassen angefüllt, welche sich nach oben bis

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in die Hornschicht der Epidermis, nach unten bis in die tieferen Lagen der Kutis erstrecken. Kleinzellige Infiltration, gequollene Gewebszellen, reichliche Anhäufung von Flüssigkeit, welche körnige, geronnene Substanz einschließt, findet sich in weiter Verbreitung. Später kommt es zu molekularem Zerfall und zur Entstehung seichter Geschwüre, die mit geringer Narbenbildung heilen.

Der notwendigen Vorbedingung — feuchte Wärme — entsprechend, zeigt sich, das breite Kondylom auf den äußeren weiblichen Geschlechtsteilen, bei dem Manne zwischen Scrotum und Oberschenkeln an den sich hier berührenden Hautflächen , zwischen den Hinterbacken in der Nähe der Aftermündung und weiter hinauf, unter den Brüsten, bei Säugenden an den Warzen, in den Achselhöhlen, nur bei besonders Unreinlichen auch hinter den Ohren, an der Nasenöffnung, am Nabelring, zwischen den Zehen und Fingern. Ebenso treten diese Gebilde au Übergangsstellen zwischen Haut und Schleimhaut (Mundwinkel) auf, sie finden sich, wenig in der äußeren Form geändert, auf den Schleimhäuten selbst. Besonders werden befallen die Schleimhaut der Vulva, der Mund- und Bachenhöhle. Das Kondylom der Zunge behauptet noch am ehesten das gewöhnliche Aussehen, an den anderen Stellen der Mundhöhle erscheint dasselbe mehr flach, weniger hervorragend, von einer perlmutterglänzenden Epithelschicht bedeckt (Plaque opaline); stößt sich diese ab, dann kommt es zu oberflächlichen Geschwüren, die leicht bluten und ein graugelbes Aussehen darbieten. An den Mundwinkeln und den Zungenrändern, dehnen sich diese Geschwüre oft mehr in die Länge aus und gleichen Einrissen (Rhagaden). Bei Ausbreitung in die Fläche — häufig durch Konfluenz entstanden — redet man von Plaques muqueuses. AUe diese Formen geben ihrem verhältnismäßig großem Reichtum an Sekret entsprechend sehr häufig Veranlassung zur Verbreitung der Krankheit, sie sind in hohem Grade kontagiös und verdienen daher die ganze Aufmerksamkeit des Praktikers. Örtliche, durch Syphilis hervorgerufene Erkrankung. Haut und Schleimhaut.

Die syphilitischen Exantheme zeichnen sich dadurch aus, daß sie fast stets polymorph sind, nicht eine Form, sondern mehrere nebeneinander darbieten. Ihre Färbung ist ziemlich intensiv — wenn auch der Vergleich mit dem Kupfer, der herkömmliche, nicht immer zutrifft, so findet sich doch oft ein dem Aussehen dieses Metalls sich nähernder braunroter Ton. Eine bleibende Pigmentierung ist äußerst selten. Die Narben, auch die tiefgreifender syphilitischer Hautgeschwüre, sind glatt, weiß, leicht beweglich, nicht mit der Umgebung verwachsen. Nach den leichteren Formen der Hauterkrankungen — besonders nach der Roseola — stellt sich manchmal mit ihrem Verschwinden zeitlich zusammentreffend eine eigentümliche Änderung in der Hautfärbung ein. An den von den Exanthemflecken eingenommenen Stellen tritt jetzt eine Entfärbung auf, sie erscheinen weiß, während in der früher freigebliebenen Umgebung eine starke Anhäufung des Hautpigments stattfindet. Dadurch wird das Gesamtbild um so auffälliger. Weitaus häufiger als Männer zeigen Weiber diese Erscheinung; die Hant des Nackens ist bei ihnen Lieblingssitz der Veränderungen. Nach 1 bis höchstens 4 Jahren sind sie verschwunden. Leukoderma syphiliticum, Leukopathia ist der systematische Name. —

Ein wichtiges Kennzeichen der syphilitischen Exantheme ist das Fehlen des Juckens; weniger von Bedeutung ist ihre Neigung die Kreis- oder Ringform anzunehmen. t. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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Speziell einteilend kann man scheiden: a) Umschriebene Hyperämie mit unbedeutender Infiltration (Macula), Roseola syphilitica. Die Frühform ist gewöhnlich in weiter Ausbreitung über den Körper verstreut: getrennt stehende, nur wenig überragende Flecke von der Größe einer Linse bis zu der eines Zwanzigpfennigstückes, die in einzelnen Schüben auftreten, so daß nach einiger Dauer des Ausschlags frische rosenrote, auf Fingerdruck fast ganz schwindende Flecken neben älteren gelb, gelbrot, auch kupferfarbig erscheinenden, nicht bei äußerem Druck erblassenden sich zeigen. — Auf Schleimhäuten tritt diese Form nie auf, als ihr Vertreter findet sich, besonders im Munde und im Rachen, dann im Rektum, eine ausgedehnte gleichmäßige Rötung, b) Umschriebene Infiltration der Cutis oder der Schleimhäute — meist linsen- bis erbsengroßen Knötchen, deren Umwandlung in breite Kondylome, Rhagaden u. s. w. bereits erwähnt wurde. Bleibt die in Lamellen sich abschilfernde Epidermis über dem Knötchen sitzen, dann gleicht die Gestaltung der von Psoriasis — das geschieht am öftesten auf der Innenfläche von Hand und Fuß (Psoriasis palmaris, plantaris). Ihre Ausdehnung ist nicht selten eine größere, sei es, daß mehrere Knötchen zusammenflössen, oder daß schon anfangs eine umfangreichere Infiltration stattfand. — Bei Unreinlichen und schlecht Genährten kommt es vor, daß die Anhäufungen von abgestoßenen Epidermisschuppen ziemlich bedeutend werden und sich kegelförmig erheben, während unter ihnen eine oberflächliche Verschwärung sich bildet, von welcher Blutfarbstoff in sie eindringt — es wird so die Rupiaform hergestellt. — Ein Lieblingssitz der Knötchen ist die Haut der Stirn in der Gegend der Haargrenze; ein mehr oder weniger dichter Kranz an dieser Stelle sich hinziehend wird als Corona veneris bezeichnet. — Die Rückbildung findet bei solchen Formen langsamer statt, sie wird oft von einem Nachschub unterbrochen. Die Pigmentierung haftet länger, bisweilen bleiben leichte Narben zurück. c) Infiltration der Follikel. Liehen syphiliticus: harte Knötchen, aus der Mündung der Follikel durch Druck entfernbar, meist in größerer Anzahl zusammenstehend; auch Bläschenbildung sieht man bei rascher Entwicklung derselben. Akne syphilitica: Eiterbildung neben der eigentlichen spezifischen Erkrankung, dann ein roter Hof, auf dem gelbe Pusteln sich erheben, welche meist nicht über die Größe eines Stecknadelkopfes hinausgehen. Impetigo syphilitica: Infiltration einer größeren Hautfläche, innerhalb deren die Follikel vorwiegend befallen erscheinen, Bildung von größeren eiterhaltigen Bläschen. d) Subepitheliale Eiterbildung mit oberflächlicher Geschwürsbildung (pustulöses Syphilid): Die Einzelformen sind Varicella, Ekthyma, Rupia. Mit Ausnahme der ersteren, die früh vorkommen kann, handelt es sich meist um spätere Zeiten. Es bleiben fast stets Narben zurück.

e) Qummabildung (Knoten- oder tuberkulöses Syphilid). In den tieferen Schichten der Cutis beginnt die Infiltration, anfangs sind die höher gelegenen unverändert, so daß man die meist zu Gruppen zusammengeordneten Knoten früher fühlt, als man etwas sieht. Allmählich ändert sich die Färbung der bedeckenden Haut, sie spielt mehr ins blaurote oder braunrote hinüber. Der zur Oberfläche gelangende Knoten ist von einer leichten Schuppenschicht abgestoßener Epidermis bedeckt, oder aber ein spärliches, gerinnendes Exsudat drängt sich hervor. Es kann zur vollständigen Resorption ohne Verschwärung kommen, indes bleibt auch dann eine leichte Hautnarbe zurück. — Ändere Male erfolgt die Bildung größerer, mehr einzeln stehender Knoten, welche rasch xerfallen-, entweder so, daß die Entwicklung nach Art eines Furunkels vor sich geht, bei dessen

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Durchbruch schleimige, gummiähnliche Massen entleert werden, oder aber so, daß auf der Höhe der Geschwulst sich Bläschen zeigen, die platzend mit ihrem erstarrendem Inhalt eine Decke für das darunter liegende Geschwür abgeben. Das Gesicht ist der Hauptsitz dieser Erkrankungen. Es kommen Formen zu stände, welche mit dem Lupus Ähnlichkeit haben (L. syphiliticus). In noch anderen, aber seltenen Fällen (Morbus Dithmarsicus) entwickeln sich die ganze Tiefe der Haut einnehmend bis thalergroße Infiltrationen, welche, ohne nennenswerte Reaktion in der Umgebung hervorzurufen, mumifizieren und langsam heilende Substanzverluste zurücklassen. In gleicher Weise findet auch auf den Schleimhäuten die Gummabildung statt, besonders geschieht das in der Rachenhöhle, seltener an den Genitalien und im Rektum. Gummöse Erkrankung der Haut gehört den Spätf&rmen der Syphilis an — nur ganz vereinzelt erfolgt sie kürzere Zeit nach der Ansteckung, als kürzeste sind vier Monate beobachtet worden. Breite Kondylome sollen niemals neben Gummata sich zeigen. Haare, Nägel.

Veränderungen an den Haaren zeigen sich in verschiedener Weise. Dieselben können zur Zeit des Allgemeinwerdens der syphilitischen Erkrankung am Kopf, an den Augenbrauen, am Bart, weniger an den übrigen Körperteilen ausfallen, oft in großem Umfang. Mit Heilung des Übels kommt das Haar aher wieder. Ist der Haarboden im weiterem Verlaufe des Leidens irgendwo durch geschwürige Zerstörung zu Grunde gegangen, dann bleibt die Erneuerung natürlich aus. An den Nägeln findet man eine spezifische Erkrankung: weiße Flecken treten an einem oder mehreren derselben auf; weiter: der Nagel wird rauh, bricht leicht, bröckelt am freien Rande ab, endlich kann derselbe von seinem Bette abgestoßen und durch einen neuen, indes ebenfalls krankhaft veränderten ersetzt werden. Das Ganze wird als Onychia bezeichnet. Paronychia dagegen nennt man entzündliche Vorgänge an dem Nagelfalz der Basis oder dessen seitlichen Fortsetzungen, welche häufiger an dem Fuße als an der Hand sich zeigen. Es kann dabei zur Bildung breiter Kondylome kommen. Durch geschwürigen Zerfall wird der Nagel, nachdem er vorherig mißfarbig geworden war, oft losgestoßen. Im subkutanem und submukösem Zellgewebe tritt gleichfalls Gummabildung auf; durch den Zerfall der Geschwülste kommt es zu den umfangreichsten Zerstörungen. Knochen, Gelenke, Muskeln.

Die Knochenerkrankung bei der Syphilis zeigt sich anatomisch unter so ziemlich allen möglichen Formen; es kommt Periostitis, Osteomyelitis, Ostitis und Gummabildung vor; entzündliche Vorgänge führen zu einfacher Neubildung oder zur Zerstörung. Besonders ausgesetzt sind die nicht von dickeren Muskellagen bedeckten, äußerer Gewalt daher mehr preisgegebenen Knochen — Schädel, Clavicula, Ulna, Tibia erkranken demgemäß am häufigsten. — Schon in der Zeit des Allgemeinwerdens der Infektion stellen sich nächtliche Schmerzen in den Knochen ein (Dolores osteocopi), manchmal ohne jede nachweisbare anatomische Veränderung derselben, andere Male mit leichten Auftreibungen (Tophi) einhergehend; hier scheint der Ausgangspunkt das Periost zu sein. Durch die der 15*

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Spätzeit angehörenden Gummabildungen werden die scheußlichsten Zerstörungen angerichtet: so entstehen meist die großen Defekte des Knochengerüstes der Nase und die des Schädels. An den Gelenken kommen anfangs Entzündungen mit serösen Ergüssen, unter Fieberbewegungen ähnlich wie bei der akuten Polyarthritis, zu stände, seltener wiederholen sich diese Formen später. Dann handelt es sich gewöhnlich um gummöse Erkrankungen. — Auch an den Muskeln treten in der Frühperiode der Syphilis diffuse, mehr rein entzündliche Veränderungen, bei veraltetem Leiden aber Gummabildungen auf. Verdauungskanal, Leber, Milz, Nieren.

Von den durch die Syphilis hervorgerufenen Affektionen des Hagendarmkanals haben eigentlich nur die Geschwürsbildungen im unteren Teil des Mastdarms erhebliche klinische Bedeutung. Hier entwickelt sich narbige Verengerung, sei es, daß direkte Infektion per coitum geschah, oder daß Rektalgeschwüre sich nach oben ausbreiten; auch Gummabildung findet sich, freilich selten. In der Leber fuhrt die Syphilis zu einer Vermehrung des Bindegewebes, aus welcher bei allgemeiner Verbreitung die verschiedenen Formen der CHrrhose, die atrophische wie die hypertrophische (die letztere bei hereditären Formen), hervorgehen können. Andere Male und häufiger, bei erworbener Syphilis fast immer, handelt es sich um eine mehr umschriebene Erkrankung, welche meist in häufigeren Herden auftritt. Das Lebergewebe ist dabei zu Grunde gegangen und durch Bindegewebe ersetzt, welches von der eigentlichen Ursprungsstelle der Erkrankung strahlenförmig in die Nachbarschaft ausläuft. Mehr oder minder große Gummata mit oder ohne käsige Umwandlung sind gewöhnlich eingestreut, sie können übrigens fehlen. Der Leberüberzug ist verdickt und getrübt, Verwachsungen der Leber mit der Umgebung sind häufig. Liegen derartige Herde der Oberfläche nahe, dann erscheint die Leber nicht selten gelappt und fühlt sich hart an. — Im späterem Verlauf gesellt sich wohl amyloide Entartung hinzu. — Die Symptome der Lebersyphilis sind wesentlich durch Sitz und Ausbreitung bedingt — sie nähern sich im ganzen denen bei Cirrhose. Milzschwellung ist häufig, Ascites nicht selten, dagegen fehlt gewöhnlich der Ikterus. Auch Blutung aus Magen- und Darmschleimhaut kommt, nicht oft, vor. Die Milz schwillt bisweilen im Anfang der Erkrankung an — einfache Hyperplasie, die nachher rückgängig wird und nur ausnahmsweise zu bindegewebiger Induration führt. Gummata entwickeln sich wohl auch, indes nur selten. Bei syphilitischer Kachexie kann amyloide Entartung sich zeigen. Die Syphilis bewirkt in den Nieren diffuse Neubildungen von Bindegewebe oder Gummabildung. Syphilis ist eine häufige Veranlassung zu amyloider Entartung der Nieren. Geschlechtsteile.

Die männlichen Genitalien erkranken außer den bereits erwähnten Primärformen noch so, daß an den Boden — meist nur an einem, doppelseitiges Ergriffensein ist selten — diffuse Bindegewebsneubildung mit nachfolgender Schrumpfung oder Gummata sich entwickeln (Sarkocele syphilitica). Die Geschwulst kann sehr bedeutend werden, sie ist schmerzlos, der Verlauf aber ist äußerst langsam. Verwachsungen der Scheidenhaut sind gewöhnlich, der Nebenhode

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bleibt frei. Atrophie und Funktionsunfahigkeit folgen auf stärkere Narbenbildung. — Sehr selten kommt es zur umschriebenen bindegewebigen Induration eines oder beider Corpora cavernosa penis; noch seltener zur gummösen Wucherung am Samenstrang. — Die weiblichen Genitalien scheinen von der Syphilis, soweit dies nachweisbar, nur ganz ausnahmsweise zu leiden. — An den Brustdrüsen ist bei beiden Geschlechtern Gummabildung beobachtet. Nase.

Die Nasenschleimhaut wird Sitz eines Katarrhs, der bei längerer Dauer ein eitriges Sekret liefert und mit Bildung von Geschwüren einhergeht (Ozaena syphilitica). Diese finden sich meist an der Stelle, wo die knöcherne Nasenscheidewand sich mit der knorpligen vereinigt, und führen zum Durchbruch derselben, wobei vorzugsweise der Knochen beteiligt wird, dessen Zerstörung Einsinken des Nasenrückens (Sattelnase) bedingt. Selten breitet sich die Geschwürsbildung auf den Boden der Nasenhöhle aus, durchbricht den harten Gaumen und richtet nun die fürchterlichsten Zerstörungen an. Der entzündliche Prozeß kaün sich von der Nase auf den Thränenkanal fortpflanzen, von hier bis zum Thränensack weitergehen (Dakryocystitis) und unterwegs Perforationen hervorrufen. Kehlkopf.

Am Kehlkopf finden sich Veränderungen, die vom einfachen Katarrh bis zur GummabUdung sich erstrecken; bemerkenswert ist, daß auch breite Kondylome vorkommen. Sehr häufig sind Geschwüre; sie können sich von der Epiglottis bis zur Trachea, sogar bis in die Bronchien hinein ausdehnen, greifen leicht auf die Knorpel über — die Syphilis wird am häufigsten Veranlassung zur Perichondritis laryngea. So charakteristische Merkmale, daß einfaches Betrachten ihren Ursprung erkennen ließe, haben solche Geschwüre nicht. — Die Funktionsstörungen richten sich nach Sitz, Umfang und Natur der Erkrankungen, sie schwanken zwischen leichtem Belegtsein der Stimme und vollständiger Stimmlosigkeit. Bei der Heilung der in die Tiefe greifenden Formen kommt durch die Narbenbildung oft eine derartige Verengerung zu stände, daß die Tracheotomie erforderlich wird. Lunge.

In der Lunge trifft man weitaus häufiger bei angeborener als bei erworbener Syphilis Veränderungen. Die Bildung von Bindegewebe und die Entwicklung von Gummata sind zu unterscheiden. Indes verhält sich die pathologische Anatomie der Lungensyphilis gegenüber sehr kritisch, indem sie darauf hinweist, daß es schwer oder unmöglich sei, aus dem Befunde allein Schlüsse auf die Entstehangsursache zu ziehen. Wenn man verkäsende Granulationsherde inmitten entzündeten Lungengewebes oder neugebildeten Bindegewebes antrifft, sei es keineswegs gesagt, daß hier die Syphilis die eigentliche Veranlassung der Erkrankung gewesen; Tuberkulose komme immer in Betracht. Allgemein zugegeben wird, daß in der Lunge hereditär belasteter Neugeborener wirkliche Gummiknoten auftreten können, ebenso daß die bei diesen sich findende weiße Pneumonie — diffuse zellige Infiltration über größere oder kleinere Strecken verbreitet mit Desquamation und Verfettung des Lungenepithels, Härte und weißlicher Färbung der ergriffenen Abschnitte — syphilitischen Ursprungs sei. Wieweit etwas dem Ähnliches bei der erworbenen Syphilis Erwachsener vorkommt, läßt man dahingestellt. .— Dem

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gegenüber halten manche Ärzte an der Lungensyphilis fest. Sie soll unter dem Bilde der Phthisis verlaufen, man will gar die anatomische Diagnose an den entleerten gummösen Massen gestellt haben, hebt aber besonders den günstigen Einfluß der spezifischen Behandlung hervor. — Diese soll selbst in desperat erscheinenden Fällen Heilung gebracht haben. Herz und Blutgefäße.

Nach neueren Untersuchungen (Kakl GRASSMANN-München) wird das Herz recht häufig (etwa in 2/3 aller Fälle) schon im Frühstadium der Syphilis geschädigt. Die Störungen erscheinen als leichtere Abweichungen von der regelmäßigen Schlagfolge, können sich aber bis zu ausgesprochenen Anfallen von Angina pectoris steigern. Daneben leidet der Herzmuskel selbst not: Erweiterungen meist des rechten Abschnittes, Auftreten von accidentellen Geräuschen, Ausbildung funktioneller Insuffizienz an der Mitralis, Sinken des Blutdrucks. — Alle Erscheinungen unterliegen starkem Wechsel, schwinden bei der Behandlung mit Quecksilber. Sie sind unmittelbare Folgen der Infektion, nicht auf die von ihr hervorgerufenen Änderungen des Blutes zu beziehen. — Bei älterer Syphilis tritt am Herzmuskel, nicht häufig, indurierende Entzündung, sehr selten Bildung von Gummata auf. Die klinischen Zeichen sind die einer mehr oder minder ausgeprägten Herzschwäche; durch Thromben, die an Gummiknoten entstanden waren, kann Hirnembolie und plötzlicher Tod herbeigeführt werden. Sehr ivichtig für das Ganze der durch die Syphilis herbeigeführten Gewebsstörungen ist die Erkrankung der Blutgefäße, besonders die der Arterien. Sie zeigt sich in weiter Verbreitung und ist häufig. Als selbständiges Leiden auftretend, führt sie zur beträchtlichen Verdickung der Intima und Adventitia, welche anfänglich durch kleinzellige Infiltration, später durch Neubildung von Bindegewebe bedingt ist. Die Muskularis kann dabei gut erhalten, aber sie kann auch atrophisch sein. Wird ein inmitten einer syphilitischen Neubildung gelegenes Gefäß befallen, dann nimmt die Muskularis immer an der Erkrankung teil. Die Verdickung der Gefäßwandung führt zur Verengerung des Gefäßlumens, bisweilen zu einer fast vollständigen Verlegung desselben. Wie sehr darunter die Blutverteilung leiden muß, braucht nicht ausgeführt zu werden. Nervensystem.

Das Nervensystem wird durch die Syphilis von den verschiedensten Seiten her in Mitleidenschaft gezogen. So können Periostiten und Ostiten, sei es durch Druck und Zerrung, sei es durch Bildung von Eiter, Nervenstämme oder Teile der Centraiorgane schädigen. Die Arteriitis syphilitica kann zu schweren Ernährungsstörungen, ja zu Erweichungsherden innerhalb des Gehirns Veranlassung geben. Aber auch unmittelbar werden die nervösen Organe betroffen. Im Gehirn handelt es sich meist um entzündliche Vorgänge, welche von den Häuten, besonders von der Pia, ausgehen und mit spezifischer gummöser Neubildung verbunden sind. Dieselbe breitet sich längs der Blutgefäße, aber auch durch unmittelbares Übergreifen auf die Hirnrinde aus, es kann zu Geschwülsten kommen, welche die Größe einer Wallnuß erreichen und meist nicht eine ganz runde, sondern eine nach außen hin etwas unregelmäßige Gestalt annehmen. Bei mehr flächenförmiger Ausbreitung folgt die Neubildung am Großhirn den Furchen, recht häufig kommt es an der Basis zu einer diffusen Verdickung der Hirnhäute.

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Isolierte, nicht mit den Häuten in Verbindung stehende Qummata inmitten des Gehirns sind, selten. — V o n einigen Seiten wird Gewicht darauf gelegt, daß bei syphilitischer Erkrankung die Hirnhäute untereinander und mit der Hirnoberfläche eng verwachsen seien. Das Krankheitsbild hat nicht etwas eigentlich Charakteristisches, immerhin werden die am häufigsten vorkommenden Symptomenkomplexe kurzer Erwähnung wert sein. Als Prodromaler scheinung bezeichnet man: Kopfschmerz, der besonders nachts sich zeigt und auf Druck stärker wird, Schläfrigkeit, Abnahme der Denkfähigkeit und des Gedächtnisses, Schwindel meist anfallsweise auftretend, endlich allgemeines Krankheitsgefühl. Man unterscheidet nun bestimmte

Verlaufsweisen:

1. Es kommt zu epileptischen, voll oder nur teilweise ausgebildeten, Anfällen, in der Zwischenzeit zu psychischen Störungen, zu gesteigerter Erregbarkeit mit bald melancholischen, bald maniakalischen Zuständen; Erschwerung des Sprechens gesellt sich hinzu, auch die Herrschaft über die Glieder ist etwas gehemmt, selten eigentlich aufgehoben. Bei ungünstigem Ausgang häufen sich die epileptischen Anfälle, es folgt ihnen ein immer tiefer werdendes K o m a — in vollkommener Bewußtlosigkeit des Kranken tritt endlich der Tod ein. 2. E s kommt zu apoplektischen Anfällen mit Hemiplegie, entweder plötzlich, oder nachdem Einzellähmungen, vielleicht auch Reizerscheinungen im Gebiete einzelner Nerven (Trigeminusneuralgie), vorhergingen. Dem damit verbundenem psychischem Leiden wird wiederum eine gewisse Eigenart zugeschrieben: ein halbbewußter, rauschartiger Zustand mit Unruhe gepaart, welche sich in mancherlei Muskelthätigkeiten kundgiebt; tiefes K o m a leitet auch hier das tödliche Ende ein. Besonders charakteristisch für das Ganze ist jäher, unmotiviert erscheinender Wechsel: wo der Tod durch die schwere Schädigung des Hirnlebens unmittelbar vor der Thüre zu stehen schien, kann ein nahezu vollständiger Rückgang sowohl der Allgemeinstörung als der Lähmungen erfolgen. — Neuerkrankung und Besserung kann sich Jahre hindurch ablösen. 3. Psychische Erscheinungen wiegen vor: melancholische oder mehr maniakalische Zustände, deren Exacerbationen mit dem Auftreten syphilitischer Exantheme einhergehen. Erst später zeigen sich vorübergehend Muskellähmungen und Störungen der Sensibilität mit allgemeiner Abnahme der Kräfte. Der Tod soll der gewöhnliche Ausgang sein, er soll im Marasmus durch Cystitis oder Decubitus, auch wohl durch komplizierende Phthisis erfolgen. — Anatomische Veränderungen sind bei dieser Form nicht gefunden worden. Unter den Erkrankungen der Nerven stehen die der vom Hirn entspringenden an Häufigkeit und Wichtigkeit obenan. E s tritt eine echte gummöse Neubildung primär an ihnen auf, durch Überwuchern einer solchen aus der Nachbarschaft können sie gleichfalls erkranken. Öfter wird der Okulomotorius ergriffen, erfahrungsgemäß zeigt sich dabei gewöhnlich, zuerst Ptosis, die Lähmungen der Augenmuskeln und die Pupillenerweiterung folgen nach. Der Abducens nimmt nicht selten teil, ebenso der Facialis auch in seinen oberen Ästen. A l l e Lähmungen bieten natürlich die Eigenschaften der peripheren dar (§ 15). Eine Trigeminuserkrankung beschränkt sich meist auf den sensiblen Teil des Nerven, sie tritt in der Form der Neuralgie, aber auch in der Form von Anästhesie auf. — Syphilitische Erkrankung des Rückenmarks kommt im ganzen nicht häufig vor; die Prozesse gehen von den Umhüllungen aus, von der P i a und Dura, sie sollen

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zu engen Verwachsungen der Häute untereinander und mit der Oberfläche des Organs führen. Als Eineelfoi-men, die durch den Sitz der entzündlichen Veränderungen bedingt sind, stellt man neben der meist im Lenden- und der unteren Hälfte des Brustmarks verlaufenden Meningomyelitis die Spinalparalyse, die Pseudotabes, die disseminierte Sklerose auf. Sie verraten ihren Ursprung dadurch, daß sie häufig der antisyphilitischen Behandlung weichen. — Uber die Beziehungen der Tabes zu der Syphilis ist schon berichtet (§ 35). Außer ihr werden noch andere Störungen im Nervensystem als Spätwirkungen — parasyphilitische Erkrankungen — der Lues angesehen, vor allem allgemeine Paralyse. — Sinnesorgane.

Unter den Sinnesorganen wird am meisten das A u g e von der Syphilis heimgesucht; alle seine Teile, einzig die Linse ausgenommen, können erkranken. Am häufigsten findet man: 1. Iritis — man schätzt, daß etwa ein Prozent aller Syphilitischen davon ergriffen werde — kommt schon früh, manchmal als eines der ersten Symptome des konstitutionell gewordenen Leidens vor, sie kann aber auch sehr spät erscheinen. Fast nie werden beide Augen zur selben Zeit befallen, wohl aber folgt eines dem anderen häufiger nach; einer besonderen Gelegenheitsursache bedarf es nicht. Anatomisch handelt es sich um einfache Entzündung, der sich .nur in etwa einem Viertel der Fälle gummöse Bildungen zugesellen. Die Symptome weichen nach keiner Seite von denen bei einfacher Iritis ab. Die Erkrankung kann stürmisch oder ganz schleichend beginnen und verlaufen. Die Ausgänge sind die gewöhnlichen, indes wird von seltenen Fällen berichtet, in denen die Massigkeit der syphilitischen Neubildung unmittelbar zum Untergang des ergriffenen Auges geführt habe. 2. Chorioiditis neben der Iritis oder in selbständigen Formen, unter denen die Chorioiditis disseminata besonders genannt zu werden verdient. 3. Retinitis, einfache, meist nicht sehr hochgradige Entzündung ohne Bildung von Gummata. — Ob die Retinitis pigmentosa mit der Syphilis in näherer Verbindung steht, ist noch nicht ausgemacht — Neuritis optica und Sehnervenatrophie sind seltener. , 4. Funktionelle Störungen: Amblyopie soll häufiger sein. Von den Erkrankungen der äußeren Gebilde des Auges wird die parenchymatöse Keratitis mit hereditärer, aber auch mit erworbener Syphilis in Verbindung gebracht. Das Gehörorgan wird durch die verschiedenartigen, im Rachen ablaufenden Erkrankungen vorzugsweise im Mittelohr beteiligt. Es handelt sich dabei um Entzündungsprozesse, welche meist fortgeleitet sind, aber auch als örtliche Manifestationen der Lues auftreten können. Periostitis und Ostitis, die in späteren Zeiten sich hin und wieder einstellend, die Schallleitung durch Verwachsungen der Gehörknöchelchen schwer schädigen, sind sicher so aufzufassen. — Im inneren Ohr kann — selten — eine kleinzellige Infiltration des häutigen Labyrinths mit nachfolgender Bildung von schrumpfendem Bindegewebe oder von Knochengewebe stattfinden; meist kommt es dann, da beide Ohren befallen werden, zur vollständigen Taubheit — Dies kann schon ein Jahr nach der Infektion geschehen. Hereditäre Syphilis.

Saß die Syphilis durch Zeugung übertragen werden kann — Syphilis hereditaria, wohl zu unterscheiden von der Syphilis congenita, wo während des

Syphilis.

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Geburtsvorganges Ansteckung erfolgt —, ist sicher, die Einzelheiten entziehen sich nach manchen Seiten hin allerdings noch der genaueren Erkenntnis. Die Krankheit geht von beiden Geschlechtern auf die Nachkommenschaft über. Ein syphilitischer Mann, der an frischen ansteckenden Formen leidet, infiziert die Frau unmittelbar, mittelbar das von ihr empfangene Kind. Über diese Art der Infektion besteht kein Zweifel. Aber auch der nicht an ansteckenden Formen leidende Mann vermag aller Wahrscheinlichkeit nach ein syphilitisches Kind zu erzeugen, ohne daß die dasselbe empfangende Frau direkt von ihm infiziert wurde. Wohl erkrankt sie manchmal dennoch an Syphilis; aber dann treten bei ihr gleich konstitutionelle Symptome a u f , örtliche fehlen vollständig. Hier ist wirkliche Klarheit über das Geschehen nicht vorhanden. Man muß stets mit der Thatsache rechnen, daß bei der Frau lange nicht immer der Invasionsherd an den Geschlechtsteilen nachweisbar ist, macht die örtliche Erkrankung doch oft genug keine Erscheinungen. Eine Untersuchung unterbleibt, die auch, wenn sie vorgenommen wurde, ein zweifelhaftes Ergebnis lieferte. Es ist möglich, daß die Frucht von sich aus ihrer Trägerin die Syphilis bringen kann — unbedingt notwendig aber nicht. Man hat hier eine Gesetzmäßigkeit konstruiert, wo es sich im besten Fall um Hegeln mit Ausnahmen handelt. —

Das erzeugte Kind leidet unter paterner Lues in mehrfacher Weise: es stirbt in utero ab — häufiger Abortus der von einem syphilitischen Manne geschwängerten Frau ist etwas sehr Gewöhnliches — oder es kommt schwach und wenig widerstandsfähig zur Welt. — Für die Frucht ist Syphilis der Mutter von schweren Folgen. Nur eine geringe Zahl der Früchte ist lebensfähig, die größere (man giebt 60—87 °/0 an) geht schon in utero zu Grunde, wird zu früh geboren oder stirbt bald nach der Geburt. — J e frischer die Syphilis der Eltern, desto größer ist die Gefahr für die Nachkommenschaft; im Laufe der Zeit scheint sich dieselbe zu mindern, was wohl mit dem allmählichen Erlöschen der Krankheit bei den Eltern zusammenhängt. — Es kommt eine spezifische Erkrankung der Placenta vor: Gummabildung — größere harte Knoten — zeigt sich in der Placenta materna; in den Zotten der Placenta foetalis findet man Granulome, dann aber kann der angrenzende Teil der mütterlichen Placenta miterkrankt seiD. Ob das letzte für eine Infektion vom Vater aus beweisend ist, mag dahingestellt sein.

Die Erscheinungsformen hereditärer Lues sind: 1. Haut: Sie ist wohl ausnahmslos welk. In den ersten Tagen des Lebens tritt an den Seiten des Brustkorbes und an der Stirn bis zur Haargrenze ein makulös-papulöses Exanthem, dem bei erworbener Syphilis gleichend, auf. Aus den ursprünglich einfach hyperämischen Flecken entstehen Papeln, wo Hautflächen sich berühren, kann Intertrigo eine Zeit vorgetäuscht werden, an den Kondylome Lippensäumen ist Rhagadenbildung gewöhnlich, die Entwicklung breiter bleibt hier nicht aus. Die an Hand- und Fußfläche sich zeigenden Knötchen, kupferbraun gefärbt, verschwären oberflächlich. Im Laufe der ersten Woche bilden sich ferner Blasen von verschiedener Größe. Die Vola der Hand, die Planta des Fußes, das Gesicht, besonders die Gegend der Augenbrauen ist Sitz derselben. Anfangs sieht man linsen- bis erbsengroße braunrote, kaum über die Haut sich erhebende Flecke, nach wenig Tagen entstehen aus ihnen Eiterblasen, welche häufig zusammenfließen. Heilend hinterlassen sie centrale oberflächliche Depressionen, oft geht daneben peripher die Eiterbildung weiter ( P e m p h i g u s neonatorum syphiliticus).

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Infektionskrankheiten.

2. Die nach außen gelegenen Abschnitte der Schleimhäute erkranken am leichtesten. Die Coryza syphilitica verdient besonderer Erwähnung: Anfangs einfache oberflächliche Entzündung, allein bald greift dieselbe in die Tiefe, das dünne Sekret wird eiterhaltig, dickflüssiger, mit Blut untermischt, die Nase zeigt sich verstopft, so daß die Atmung der Neugeborenen erheblich erschwert ist und schlimme Folgezustände (Lungenkollaps und Bronchopneumonie) sich einstellen. Das Übergreifen der Entzündung auf das Knochengerüst ist selten. Da das Saugen nur möglich ist, wenn frei durch die Nase geatmet werden kann, leidet auch die Ernährung not. Nicht wenige der an schwerer Coryza erkrankten jungen Kinder gehen an Marasmus zu Grunde. 3. Knochen. Sie erkranken wie bei erworbener Syphilis (Periostitis, Ostitis mit oder ohne Gummabildung), dann aber findet sich eine eigenartige Form, welche man als Osteochondritis syphilitica bezeichnet. Unregelmäßigkeit der Markraumbildung und der Kalkablagerung, häufig mit starker Knorpelwucherung verbunden, in schweren Fällen das Auftreten von osteomyelitischen Herden in der Nähe des Gelenkknorpels — das sind die anatomischen Merkmale dieser am häufigsten die Unterschenkel und die Vorderarme befallenden Erkrankung. 4. Die Veränderungen an den inneren Organen sollen nur kurz wiederholt werden. Leber: kleinzellige Infiltration des gewucherten Bindegewebes; Volumzunahme (6°/ 0 des Körpergewichts gegen 4,6 °/ 0 in der Norm) trifft man besonders bei totgeborenen oder rasßh abgestorbenen Früchten. Auch größere umschriebene gummöse Herde finden sich manchmal. Peritonitis kann vorhanden sein. Pylephlebitis ist in seltenen Fällen beobachtet. — Vom oberen Teil des Dünndarms werden diffuse Infiltrationen und wirkliche Gummabildung berichtet. — Milz, Pankreas, Thymus sind hin und wieder erkrankt gefunden. In der Lunge hat man die weiße Pneumonie, die gummöse Pneumonie, im wesentlichen interstitielle und lobuläre Formen gefunden. — Alle anderen Organe werden nur sehr selten von hereditärer Lues ergriffen. 5. Wenn die syphilitischen Kinder nicht schon atrophisch zur Welt kamen, leidet ihre Ernährung jedenfalls in kurzer Zeit schwer. Über den Verlauf der hereditären Lues ist zu bemerken, daß ein großer Teil der mit ihr Behafteten trotz aller Sorgfalt in den ersten Monaten zu Grunde geht. Die Überlebenden entwickeln sich in der Regel langsam, sie sind empfindlich und erkranken leicht an allen möglichen körperlichen und geistigen Übeln. Der erste Ambruch der Erscheinungen erfolgt bei der ganz überwiegenden Mehrzahl innerhalb der drei ersten Lebensmonate — nur ungefähr 9 °/ 0 fällt auf eine spätere Zeit. Aber — freilich selten — selbst nachdem Jahre ohne irgend in die Augen fallende Störungen glücklich vorübergegangen waren, treten bei den von syphilitschen Eltern Erzeugten ohne nachweisbare Veranlassung plötzlich die bösartigen Symptome der Spätformen auf (Syphilis hereditaria tarda). Als dieser eigenartig werden die parenchymatöse Keratitis, die spezifische Erkrankung des häutigen Labyrinths und die zur Nekrose führenden Ostiten des Gaumens und der Nase angeführt. Die Bedeutsamkeit einer besonderen Mißbildung der Schneidezähne (zweite Dentition) dürfte überschätzt sein. Auch von „parasyphilitischen" Erscheinungen redet man wohl mehr als erlaubt ist. — Verlauf der Syphilis Uberhaupt.

Wie bei allen Infektionen kommt auch bei der Syphilis ein großer Wechsel in der Schwere der Erkrankung vor. Einerseits steht es fest, daß, nachdem die

Syphilis.

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Vorgänge am Orte der Ansteckung abgelaufen sind, nur leichte Störungen folgen, welche, das Allgemeinbefinden kaum schädigend, außer geringfügigen Exanthemen (makulöse Formen) und oberflächlichen Rachenerkrankungen nichts Weiteres bringen. Mit dem Rückgang der allgemeinen Drüsenschwellung ist der Infizierte dauernd genesen. — Andererseits aber kann schon anfangs an Ort und Stelle die Sache minder gut gehen; tief zerstörende, oder gar gangränös werdende Verschwärungen sind freilich nicht häufig, allein das primäre Ulcus breitet sich aus, es bleibt lange geöffnet und heilt mit Bildung von Narben, die leicht wieder aufbrechen. Dabei leidet die Ernährung, namentlich die Blutmischung hat schwere und langdauernde Änderungen erfahren. Die Exantheme werden von Anfang an bullös, die einzelnen Flecken wandeln sich in tiefere, schlecht heilende Geschwüre um, Qummabildung tritt schon früh auf, sie befallt die inneren Organe und richtet erhebliche Zerstörungen an. Die an einer Stelle erfolgte Heilung ist von neuen Erkrankungen an anderen begleitet: ein Recidiv über das andere und in verhältnismäßig kurzer Zeit der Tod im Marasmus oder durch das Versagen eines lebensnotwendigen Organs. [Maligne Syphilis.) — Es sind das die Extreme, zwischen denen alle möglichen Übergänge liegen. Wie weit die Stärke des Giftes von Einfluß, ist schwer zu sagen, daß sie aber von Einfluß wird durch das zeitweilig heftigere und mehr verbreitete Auftreten der Erkrankung — die Epidemie am Ende des 15. Jahrhunderts ist nicht der einzige Beleg dafür — wahrscheinlich. In weitaus höherem Grade macht sich die Konstitution des Erkrankten geltend — je weniger widerstandsfähig jemand durch bleibende oder vorübergehende Ernährungsstörungen ist, desto schwerer verläuft bei ihm die Syphilis. Dadurch wird dann auch im allgemeinen die Prognose bestimmt, im besonderen richtet sich dieselbe nach der Art und dem Verhalten der örtlichen Erkrankungen. — Eine Angabe über die Größe der Sterblichkeit durch die Syphilis, die halbwegs zutreffend wäre, läßt sich nicht machen. Als unmittelbare Todesursache ist Syphilis in größerem Umfang nur bei den hereditären Formen wirksam, ihre Bedeutsamkeit als mittelbare läßt sich aber nicht einmal annähernd abschätzen. Für die Behandlung der Syphilis verfügen wir über spezifisch wirkende Arzneimittel. Neben ihnen kommt zur Anwendung, was die Widerstandsfähigkeit des Ergriffenen erhöhen kann. Ehe darauf des Näheren einzugehen, ist die Frage der Prophylaxis zu besprechen. Der Arzt kann kaum einen anderen Standpunkt als den einnehmen: die Prostitution ist ein notwendiges Übel, der Staat hat dieselbe zu regeln und zu überwachen, denn es ist seine Pflicht, die Verbreitung der ansteckenden Genitalerkrankungen thunlichst zu verhindern. Daß dies in hohem Maße möglich ist, unterliegt keinem Zweifel. Individuelle Prophylaxis ist für den, der bei Prostituierten Befriedigung seines Triebes sucht, nur in sehr beschränkter Weise möglich. Man empfiehlt sorgfältige Waschungen mit einer Lösung von Karbolsäure (1—3 °/0) oder Sublimat (1 pro mille bis 1 pro cent) unmittelbar nach dem Koitus, vorheriges Einölen des Gliedes u. s. w. — lauter in ihrem Erfolg zweifelhafte Mittel.

Eine Frage ist es, ob man den bereits entstandenen örtlichen Iierd so zu beeinflussen vermag, daß die allgemeine Infektion ausbleibt? Die Meinungen gehen auseinander. Ätzungen sind stets im höchsten Grade unsicher, weniger sind es die Gewebezerstörungen an dem verdächtigen Ort durch Verbrennung (Galvano-

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kauter, P a q u e l i n ) . A m ehesten verspricht die Exstirpation Erfolg. Sie muß wie die einer malignen Neubildung in vollkommen gesundem Gewebe vorgenommen werden. Sind die nächstgelegenen Lymphdrüsen bereits erkrankt, dann ist der Eingriff sicher nutzlos. D a wir nicht sagen können, ob das geschehen — die Schwellung ist der einzige Maßstab, und die geht gewiß nicht von heute auf morgen vor sich, das Gift muß immerhin schon länger eingewirkt haben — darf man nur auf Erfolg hoffen, aber nicht ihn versprechen. — Jedenfalls hat eine örtliche Behandlung stattzufinden. Bei nicht uleerierten Sklerosen ist große Reinlichkeit (Waschungen mit lauem Wasser mehrmals täglich) und Schutz der erkrankten Stelle durch Bedecken mit karbolisierter Watte ausreichend. Man vergesse nicht, daß es von großem Vorteil ist, wenn eine Verschwärung verhindert werden kann, und daß diese durch mechanische wie chemische Beizung begünstigt wird. — Das vorhandene Geschwür muß ebenso geschützt werden. U m dessen Heilung zu befördern, pulvert man es mit Jodoform, Tannin — besser wohl noch mit Kalomel ein. Soll die Syphilis überhaupt spezifisch behandelt werden? Trotzdem mancher Fall ohne arzneilichen Eingriff heilt, muß die Frage unbedingt bejaht werden. Der Nutzen ist nach mehr als einer Seite hin zweifellos. F ü r den Kranken wird durch die spezifische Behandlung die Dauer seines Leidens abgekürzt, für ihn werden die Aussichten auf Genesung günstiger; für seine Umgebung wird die Gefahr einer Ansteckung verringert; bei sachgemäß geleiteter K u r kann von einer durch sie herbeigeführten Schädigung keine Rede sein. E s stehen zwei Mittel, Quecksilber und Jod, zur Verfügung; welches derselben soll zur Anwendung kommen? Im allgemeinen ist zu sagen: Merkur und kein Jod wahrend der Frühperiode, Jod und vielleicht daneben Merkur in der späteren Zeit. Auch hier gehen die Ansichten auseinander. Von manchen wird der Jodgebrauch auf die früheste Zeit ausgedehnt und von dadurch bewirkten Heilungen berichtet; es wird freilich zugegeben, daß man in gewissen Fällen dennoch zum Quecksilber habe greifen müssen. Von anderen wird für die Spätperiode der gummösen Erkrankungen das Quecksilber unbedingt verworfen und nur das Jod zugelassen. Wer größere eigene Erfahrung bat, wird geneigt sein der vorstehenden Fassung beizupflichten, welche allerdings auf die Starrheit eines Dogma keinen Anspruch macht. Die Verhältnisse des Einzelfalles sind maßgebend. Waren schon größere Mengen von Quecksilber einverleibt, namentlich in der letzten Zeit, dann wird man bei gummöser Erkrankung oft keine Veranlassung finden, das Mittel zu erneuern, wohl aber wird man, wenn bisher keine oder nicht hinreichende Quecksilberkuren stattgefunden hatten, dazu greifen. Bei richtigem diätetischem Verhalten kann man auch Schwachen und Heruntergekommenen Merkur geben. Die heutigen Methoden brauchen sich nicht die früher vielleicht gebotene Beschränkung aufzuerlegen. Daß manchmal, wenn das Jod versagte, auch in der Spätperiode eine eingreifende Quecksilberbehandlung lebensrettend wirkt, wird kein Erfahrener in Abrede stellen. Wann ist mit der Quecksilberbehandlung zu beginnen? Sobald die Diagnose gesichert ist, also schon wenn indolente Bubonen neben der charakteristischen örtlichen Erkrankung sich zeigen. Wiederum weichen die Anschauungen erheblich ab. Auf der einen Seite wird behauptet, daß eine frühzeitig eingeleitete konsequente Quecksilberkur im stände sei, die Folgen der Infektion so zu beschränken, daß allgemeine Erscheinungen überhaupt ausbleiben. Freilich wird das nur in einer Minderzahl der Fälle erreichbar sein. Demgegenüber beruft man sich auf die Erfahrung, daß die örtliche Erkrankung durch All-

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gemeinbehandlung nicht beeinflußt werde, daß bei dem Zuwarten die Folgeerscheinungen nicht schwerer ausfallen, vielmehr dieselben durch Quecksilbergebrauch unter Umständen gesteigert erscheinen, endlich, daß dieser das Auftreten der Recidive begünstige. Man solle daher mindestens so lange warten, bis die Allgemeininfektion eingetreten sei. — In solcher Zurückhaltung scheint eine Inkonsequenz zu liegen. Wenn angenommen wird, daß Quecksilber ein Gegengift gegen Syphilis, ein spezifisch wirkendes Mittel ist, dann ist nicht einzusehen, warum man mit dessen Anwendung so lange zögert, bis das Grift in noch anderen als den ursprünglich befallenen Teilen sich eine neue Brutstätte gebildet hat. J e früher das Gegengift zur Wirkung gelangt, desto wahrscheinlicher, daß es das Gift tilgt, umsomehr, da dieses noch auf enge Herde beschränkt ist. Das Gedenken jener Zeit, wo mit der Einverleibung des Merkurs in der That ernstere Schädigung verbunden war, weil man über das Maß des Erlaubten hinausging, dürfte bei solchen Warnungen noch nicht ganz erloschen sein. — Versteht man sich zu der frühen spezifischen Behandlung, dann ist auch der Grundsatz durchführbar, daß man das Heilmittel mit dem zu heilenden Teil des Körpers möglichst unmittelbar in Berührung bringe.

Wie lange soll die Quecksilberbehandlung fortg&sestzt werden? Hier muß je nach den Bedingungen des Einzelfalles geschieden werden. Ist eine Behandlung gleich anfangs eingeleitet worden, dann ist dieselbe mindestens so lange fortzusetzen, bis alle nachweisbaren Drüsenschwellungen zurückgegangen sind. So lange Drüsenschwellungen bei den späteren Erkrankungsformen überhaupt noch auftreten, mag man sich an diese Regel halten, die sich, wie ich glaube, gut bewährt — Die Lehre, daß man den einmal syphilitisch Gewordenen ohne Rücksicht darauf, ob Zeichen des Leidens sich kundthun oder nicht, mindestens einige Jahre hin und wieder der Einwirkung des Quecksilbers aussetzen solle, gewinnt mehr und mehr Anhänger. Man macht längere Pausen, um dem Körper Zeit für die Ausscheidung des Metalls zu lassen: Chronischrintermittierende Behandlungsmethode Fournier's. Ob das stets nötig, wird bestritten. Sicher ist, daß mit dem Schwinden der Erscheinungen von Syphilis die Gewähr dafür, daß sie endgültig geheilt sei, nicht gegeben ist. Grundsätzlich wäre also gegen den Weitergebrauch des Quecksilbers, wenn das in schonender Weise geschieht, kaum etwas zu sagen. Aber der Einwand, daß die Krankheit, solange sie keine neuen Erscheinungen zeigt, latent bleibt, dem Quecksilber überhaupt nicht zugänglich ist, dürfte schwer zu widerlegen sein. Wer ihn für berechtigt hält, wartet, bis sich ein Rückfall zeigt. — Meines Erachtens ist die Frage, welche Methode die bessere, gegenwärtig noch offen. Persönlich halte ich an einer erstmaligen, gründlichen, über Monate fortgesetzten Kur fest und wiederhole sie erst bei Recidiven. — Seit die Anschauung aufgegeben wurde, daß Speichelfluß zur Ausstoßung des syphilitischen Giftes erforderlich sei, also herbeigeführt werden müsse, legt man bei Quecksilberkuren mit Recht großes Gewicht auf die Verhütung der Erkrankung der Mundschleimhaut. Sorgfältige Reinigung der Zähne mit weicher Bürste und unter Benutzung von Zahnpulver (R 14) mehrmals des Tags, besonders nach jeder Mahlzeit, ist den daran nicht Gewöhnten vorzuschreiben, daneben ist Ausspülen des Mundes und Rachens alle zwei bis drei Stunden mit einer 1—2°/0 Lösung von chlorsaurem Kalium (R 43) anzuordnen. Das Rauchen unterbleibt am besten ganz. — Dem eigentlichen Speichelfluß geht stets ein Mundkatarrh voraus, sich durch stärkere Abstoßung des Epithels verratend. Man hat auf diesen sorgfaltig zu achten, und wenn er sich zeigt zu erwägen, ob man einige Zeit mit der Einverleibung des Quecksilbers aussetzen, dessen Gabe vermindern oder bei noch sorgfältigerer Mundpflege die bisherige Kur fortsetzen will. Die Entscheidung hängt im wesentlichen von der Form der gegenwärtigen syphi-

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¡¡tischen Erkrankungen und ihrer Bedeutung für den Organismus ab. — Bis zur Bildung von merkuriellen Geschwüren — dieselben treten am leichtesten an den Umschlagfalten der Schleimhaut und dort auf, wo ein Zahn reizend auf dieselbe wirkt — sollte es niemals kommen. Gegen zu starke Salivation wird Atropin in Dosen von 1 mg abends zu nehmen empfohlen (R 12). Die Toleranz für Quecksilber ist bei den Einzelnen sehr verschieden, es giebt wirkliche Idiosynkrasien, so,'daß nach einmal gereichten kleinsten Mengen ernsthafte akute Vergiftung eintritt, oder so, daß die Erscheinungen chronischen Hydrargyrismus bei dem Fortgebrauch mäßiger Gaben sich zeigen. Dadurch wird unter Umständen das Mittel überhaupt unmöglich. Man sollte stets mit kleineren Graben beginnen, wenn Idiosynkrasie da ist, entgeht der Kranke jedenfalls schwererer Schädigung. —

Die besonderen Methoden der Quecksilberbehandlung anlangend, so sind jetzt noch üblich: 1. Schmierkur mit Unguent. hydrargyr. cinereum. Man läßt täglich 1—5 g der Salbe (R 36) zehn bis fünfzehn Minuten lang mit mäßig starkem Druck einreiben und die einzelnen Hautteile in bestimmter Reihenfolge vornehmen. So z. B.: Unter-, Oberschenkel, Bauch, Seitenfläche der Brust, Rücken, Arme an einer oder gleichzeitig an beiden Seiten des Körpers, je nachdem man langsamer oder schneller merkurialisieren will. Der eingesalbte Hautteil wird nach 24 Stunden mit Seifenwasser gereinigt, resp. ein Bad . genommen. Wenn die Haupterscheinungen der Krankheit geschwunden sind, geht man auf 1 höchstens 2 g der Salbe herunter. So kann das Mittel monatelang fortgesetzt werden, ohne Vergiftung zu bewirken. Bisweilen ist die Haut gegen die graue Salbe so empfindlich, daß oberflächliche Entzündungen derselben auftreten — gelingt es nicht, diese zu beseitigen, dann muß die Methode verlassen werden. Vorteile derselben sind, rasche Wirkung und Unbelästigtbleiben der Verdauungswerkzeuge, Nachteile, die Umständlichkeit und die Beschmutzung der Wäsche. In schweren Fällen giebt man nur ungern das vorzügliche Verfahren auf. Neuere pharmazeutische Präparate (Linimente) scheinen die Unzuträglichkeiten der grauen Salbe auf ein sehr geringes Maß zurückzuführen. —

Zu bemerken ist noch, daß breite Kondylome mit grauer Salbe bestrichen rasch schwinden. 2. Subkutane Injektionen. Man nimmt dazu am besten das Doppelsalz des Metalls (Quecksilberchlorid-Chlornatrium R 37) und injiziert, streng die Regeln der Aseptik einhaltend, mittels der PRAVAz'schen Spritze 0,01 g der Verbindung täglich an verschiedenen Stellen der H a u t , besonders an solchen, welche bei den gewöhnlichen Körperhaltungen keinen Druck auszuhalten haben (Vorderfläche der Brust und Bauch). — Im Grundsatz verschieden ist das Verfahren, das fein verteilte Quecksilber selbst (Graues ö l nach der Vorschrift von N E I S S E R oder L A N G ) oder eine seiner unlöslichen Verbindungen einzuspritzen. Man legt ein „Depot" an, aus welchem der Körper das unter seinem Einfluß löslich gewordene Quecksilber allmählich aufnimmt. — Genaueste Dosierung ist möglich, soweit lösliche Salze verwendet werden, bei den unlöslichen ist davon nicht die Rede, denn die Zeit, innerhalb welcher das „Depot" wirklich zur Aufnahme gelangt, wechselt sehr erheblich. — Derartige Injektionen müssen mit großer Sorgfalt vorgenommen werden, wenn unangenehme örtliche Erscheinungen vermieden werden sollen. — Vor-

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läufig halten wenigstens die Spezialisten an der Methode fest, weil sie sehr wirksam sein soll und dabei verhältnismäßig selten eingespritzt zu werden braucht. — 3. Innerer Gebrauch von Quecksilbermitteln. Dafür kommen Sublimat und Kalomel wesentlich in Betracht. Ersteres — das ätzende Chlorid — wird in stark verdünnter Lösung (1 auf 2000 Wasser verordnet, beim Gebrauch noch mit der fünffachen Wassermenge zu mischen) am besten als Doppelsalz mit Chlornatrium gereicht. Ebenso finden die Suhlimatpillen (R 38) vielfach Anwendung; der Zusatz von Chlornatrium soll die örtlichen Wirkungen abschwächen. Die Gabe beträgt pro Tag höchstens 0,1, meist genügt die Hälfte 0,05 g, sie wird am "besten geteilt und die Einzelgabe nach jeder Mahlzeit gereicht. Es sind dann so viel Albuminate im Magen, daß von einer Ätzwirkung des Sublimats nichts zu besorgen ist. — Kalomel — das nicht ätzende Chlorür — findet nach zwei verschiedenen Methoden Anwendung: In kleinen Gaben — 0,05 g in Pillen oder Pulvern dreimal täglich (R 39) — oder in großen. Man läßt, wenn man die letzteren benutzen will, jetzt (modifizierte WEiNHOLD'sche Kur) 0,5 g je morgens und abends nehmen, oder beginnt mit 0,1 g für die Einzelgabe, welche erst nach und nach auf 0,5 g erhöht werden. — Sublimat und die kleinen Mengen Kalomel sind in ihrer Wirkung ungefähr gleichwertig; die großen Dosen Kalomel dürfen nur dann gebraucht werden, wenn der Patient unter beständiger ärztlicher Aufsicht sich befindet. Denn erfolgen nicht sehr ausgiebige Darmentleerungen (fehlt es daran, dann muß sofort durch andere Abführmittel nachgeholfen werden), so tritt leicht und plötzlich eine schwere allgemeine Quecksilbervergiftung auf. Man hat die Methode besonders für Fälle empfohlen, wo es sich darum handelt, schnell zu merkurialisieren. Unter den Quecksilbersalzen, welche für die Behandlung per os sonst noch in Betracht kommen, scheint das Hydrargyrum, tannicum oxydulatum größere Beachtung zu verdienen. Man giebt dasselbe zu 0,3 g den Tag, in Einzeldosen nach der Mahlzeit, am besten in Pillenform.

Bequemlichkeit und Billigkeit kann der inneren Medikation nicht abgesprochen werden; ihre Nachteile — besonders die Störung der Verdauung — sind bei richtigem Vorgehen nicht so erheblich, daß sie das Verfahren aus der alltäglichen Praxis verdrängen könnten. Die allgemeine Indikation für die Behandlung mit Jod ist in die Zeit der gummösen Spätformen zu verlegen. . Zweifellos treten manchmal günstige, sogar überraschende Erfolge durch Jod ein.

Allein die Bedeutung eines Spezifikums dürfte dem Mittel kaum zukommen; es wäre sonst

nicht zu verstehen, warum dasselbe bei rasch verlaufenden Lokalerkrankungen, wie die syphilitische Iritis, ohne Wirkung bleibt. Man könnte sich am ehesten noch den Einfluß des Jods so erklären, daß es unter Umständen und vorzugsweise in der Zeit gummöser Neubildungen mehr örtlich wirkt, den isolierten Krankheitsherd aus seiner Vereinzelung, seiner Abschließung gegen das Ganze herauszieht, das syphilitische Gift dem Stoffwechsel zugänglich macht und in diesem der Vernichtung entgegeDführt. Thatsache ist, daß Haut- und Muskelgummata nach direkten Injektionen von Jodsalzen (Lösungen von 1—2 pro m) in verhältnißmäßig kurzer Zeit schwinden.

Man giebt Jodkalium oder Jodnatrium innerlich in einfach wässeriger Lösung unmittelbar vor dem Einnehmen mit 100 — 200 ccm Milch gemischt. Meist 1—2 g den Tag, aber auch mehr (bis zu 10 g). Die Tagesgabe wird auf 3—4 Einzelgaben verteilt (R 45). — Die Pillenform ist wenig gebräuchlich. — Subkutane Injektionen sind nicht stärker als 1 auf 500 zu verordnen; manchmal gelingt es, eine mit der Rückbildung zögernde Drüse durch Einspritzung solcher

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dünnen Lösungen (bis zu 5 g) in ihr Lymphgebiet zum Abschwellen zu bringen. — Heftigerer Jodschnupfen oder Erythembildung auf der Haut giebt keine Kontraindikation gegen das Mittel — meistens vergehen dieselben bei dessen Fortgebrauch. Bei länger dauernder Anwendung der Jodsalze ist auf die unter Umständen sich zeigende Atrophie der Hoden und der Brüste Rücksicht zu nehmen. Sonstige innere Mittel können natürlich zur Erfüllung bestimmter Indikationen, nicht aber gegen die Syphilis als solche Anwendung finden. Die Allgemeinbehandhmg ist einfach nach dem Gesichtspunkte einzurichten, daß die Ernährung des Kranken so gut wie nur immer thunlich aufrecht zu erhalten, namentlich aber seine Blutmischung der Norm möglichst nahe zu bringen sei. Hier liegt der schneidendste Gegensatz gegen die frühere Zeit, welche ihrer ohnehin eingreifenden Quecksilberbehandlung noch Entziehungs-, Schwitz- und Purgierkuren an die Seite setzte. Eine starke Einwirkung auf den allgemeinen Stoffwechsel (ScHKOTH'sche Trockendiät oder die Zufuhr reichlicher Mengen von Flüssigkeit, vielleicht auch die Anwendung der ZiTTMANN'schen Dekokte) ist nur bei ganz besonderen Zuständen notwendig. Meist sind es Spätformen, die einen derartigen Eingriff verlangen. Man sei dabei stets sehr vorsichtig. Sorge für gute Luft — man fürchte die Erkältung nicht zu sehr — und ausgiebige Bewegung im Freien, falls nicht Lokalaffektionen das verbieten, müssen mit einer für den Einzellfall zu bestimmenden Diät verbunden werden. Im allgemeinen kann man einen verständigen Syphilitiker bei seinen Lebensgewohnheiten lassen, braucht den Genuß alkoholischer Getränke nicht ganz zu verpönen und den ständigen Aufenthalt im Zimmer oder im Bett nur unter bestimmten Voraussetzungen zu verlangen. So wird auch einzig eine Behandlung, die sich über viele Monate erstrecken muß, durchfuhrbar. — Niemals ist es zu versäumen, daß man den an leicht übertragbaren Formen Leidenden auf die Gefahr, welcher er seine Umgebung aussetzt, aufmerksam, macht. Besondere Besprechung verlangt die Therapie der hereditären Syphilis, zunächst die Prophylaxis. — Darf ein syphilitisch Erkrankter überhaupt heiraten? Man bejahte die Frage, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. Es müssen seit dem Beginn der Erkrankung mindestens drei bis vier Jahre verflossen sein. 2. Selbst spurweise darf sich während der letzten beiden Jahre die Krankheit nicht gezeigt haben, natürlich darf sie also auch jetzt nicht vorhanden sein'. 3. Der Charakter der primären Affektionen darf kein bösartiger gewesen sein. — Leider steht die Entscheidung nur in verschwindend seltenen Fällen bei den Ärzten — oft genüg verhindert man nicht einmal, daß ein frisch Angesteckter heiratet und sofort die Krankheit auf seine Frau überträgt. — Für die Ernährung eines mit hereditärer Lues lebend zur Welt gekommenen Kindes ist, wenn irgend thunlich, die Muttermilch zu verwenden. Sehr selten wurde eine keine Zeichen der Lues darbietende Frau, welche, von einem syphilitischen Manne schwanger, ein syphilitisches Kind geboren hatte, nachträglich von diesem infiziert, und zwar von ihren wund gewordenen Brustwarzen aus. Ist die Mutter selbst schon erkrankt, dann steht dem Stillen nichts im Wege, sobald genügend Milch vorhanden und die Ernährung der Mutter gut ist. Erfahrungsgemäß werden häufiger die Ammen von diesen Kindern angesteckt. Soll daher eine solche das Säugegeschäft übernehmen, dann ist sie unter allen Umständen über die Gefahr, welcher sie sich aussetzt, vorher zu unterrichten. — Künstliche Ernährung läßt am leichtesten die Ansteckung anderer Menschen vermeiden, sie ist aber für das

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Schanker:

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Kind weniger günstig. — Die spezifische Behandlung muß bei hereditär Syphilitischen früh eingeleitet werden. Es empfiehlt sich dafür die Anwendung der Subiimatbäder — 2—5 g auf ein Bad von Körperwärme und etwa halbstündiger Dauer. Weniger zweckmässig sind Kalomel (zweimal täglich 0,01 g) oder Svhlimat (zu 0,005 g täglich in refracta dosi); sie rufen leicht Verdauungsstörungen hervor. Leider erlaubt die große Empfindlichkeit der Haut bei Kindern selten den Gebrauch der grauen Salbe (0,1—0,5 g täglich). Einwicklung der Gliedmaßen mit Emplasirum hydrargyri, das länger — etwa eine Woche — liegen bleibt, wird empfohlen. Man wechselt mit Armen und Beinen in zweckmässiger Folge. — Die Quecksilberbehandlung ist lange fortzusetzen. Da bei Kindern Speichelfluß sehr selten auftritt, muß man das Allgemeinbefinden genau überwachen, um etwaigen Intoxikationen vorzubeugen. § 96.

Schanker.

Der Schanker (Ulcus molle) ist ein durch ein fixes Kontagium übertragbares Gesehwür, welches nur örtliche Zerstörungen anrichtet, aber keine Allgemeinwirkungen hat, und auf seinen Träger, wie auf andere Menschen in einer größeren Reihe, von Generationen verimpfbar ist. Daß auch für den Schanker ein bestimmtes Contagium vivum bestehe, ist anzunehmen, gefunden ist dasselbe nicht. Neuerdings wird ein in Kettenform sich, zeigender Bacillus (DUCRAY-UNNA) mit einiger Wahrscheinlichkeit als Urheber angesehen. — Man hat durch Versuche festgestellt, daß gutartiger Eiter, unter die Haut gebracht, ebenfalls imstande ist, Geschwüre zu erzeugen, welche nun ein wiederum impfbares Sekret liefern. Damit ist jedenfalls ein Beweis gegen die Spezifität des Schankervirus nicht erbracht; denn jene Ulcerationen sind in ihrer Ausbreitung, ihrer Dauer, ihrer Heilbarkeit von dem echten Schanker sehr verschieden. Freilich ist das nur ein quantitativer Unterschied, allein dieser zeigt sich in so ausgesprochener Weise, daß er zur Begründung der ätiologischen Abgrenzung ausreicht.

Von dem syphilitischem Gift unterscheidet sich das des Schankers vor allem durch seine auf die betroffene Örtlichkeit beschränkte Wirkung. Weiter kommt die Schnelligkeit, mit welcher diese Wirkung eintritt, in Betracht — nach längstens drei Tagen hat sich unter den gewöhnlichen Verhältnissen auf der sehr bald nach der Einverleibung des Giftes entzündlich infiltrierten Stelle eine Blase entwickelt, welche platzend das nun rasch weiter greifende Geschwür hinterläßt. — Gemischte Infektion kommt vor: ein zuerst alle Charaktere des Schankers darbietendes Geschwür gewinnt zu der Zeit, wo die Initialsklerose der Syphilis auftritt, mit der Induration seines Grundes deren Eigentümlichkeiten. Durch Impfungen ist die Entwicklung des Schankers in ihrem zeitlichen Ablauf bekannt geworden: 12 bis 24 Stunden nach der Einverleibung des die Ansteckung bedingenden Sekrets bildet sich eine umschriebene Hyperämie von Linsengröße aus, die sich am nächsten Tage als Knötchen, von einem roten Hofe umgeben, über die Nachbarschaft erhebt. Während sich die Rötung peripher ausbreitet, tritt auf der Erhebung ein Bläschen auf. Das Bläschen trocknet ein, es bedeckt nun ein Geschwür, welches kreisrund erscheint, scharfe, unterwühlte Ränder, einen mit graugelbem Sekret bedeckten speckigen Grund hat und reichlichen Eiter absondert. Durch stärkere Verdünnung des Impfstoffs kann die Entwicklung des Geschwürs bis zu 6 Tagen verzögert und gleichzeitig abgeschwächt werden. — Geschieht die Infektion bei dem Koitus, dann richtet v. J ü r g e n s e n , Spoz. Path. u. Ther.

IV. Aufl.

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Infektionskrankheiten.

sich die Gestalt des Geschwürs nach der Form der mit dem Gifte in Berührung gekommenen Rißstelle, die Bläschenbildung kann ganz fehlen. Auch anfangs ganz unregelmäßige oder stark in die Länge sich ausdehnende Schanker werden bald rundlich. Das einmal entstandene Geschwür pflegt sich in die Tiefe und Breite auszudehnen, umsomehr, je schlaffer die Gewebe sind (Greisenalter, hochgradigere Störungen der Ernährung durch Siechtum). Mit dem Geschwür etwa in Berührung kommende Nachbarteile werden, sobald ihre Epithelbedeckungen zerstört sind, infiziert. — Auf serösen und fibrösen Gebilden haftet das Schankergift nicht. — Mikroskopisch findet man Rand und Grund des Schankers in hohem Grade kleinzellig infiltriert, später tritt Zerfall ein, der einen amorphen Detritus hinterläßt. — Die Heilung kommt so zustande, daß sich reichliches Granulationsgewebe bildet, aus welchem die fast stets feste und umfangreiche schrumpfende Narbe hervorgeht. — Die Bauer des Schankers wird im Mittel auf vier bis fünf Wochen angegeben, sein Sekret bleibt aber meist noch etwas länger impfbar, und bis zur vollständigen Heilung vergehen immerhin noch etwa zwei bis drei weitere Wochen. — Der Schanker kann anatomische Veränderungen erleiden, welche ihn für die befallenen Gewehe zerstörender machen. Es handelt sich um die gewöhnlichen Vorgänge bei diphtherischer Entzündung — man redet dann von phagedänischem Schanker — oder bei der Gangrän. Auch die Neigung des Geschwürs zur Ausbreitung in die Fläche, sein „serpiginöses" Weiterkriechen, mag man hierher zählen. Durch alle diese Vorgänge können sehr ausgedehnte Zerstörungen herbeigeführt, es kann sogar das Leben bedroht werden. Freilich geschieht das letztere selten, und die Prognose ist nach dieser Seite hin gut. Eine häufige Folge des Schankers ist die Entzündung der Drüsen, welche die aus dem erkrankten Teil abströmende Lymphe aufnehmen (Bubonen). Die zuführenden Lymphgefäße sind nicht oft thrombosiert oder entzündet. — Schankerbubonen entwickeln sich rasch, stürmisch, unter heftigen Schmerzen und von Fieber begleitet, oder aber langsamer, und dann mit geringem oder ganz fehlendem Schmerz; diese treten meist erst in späterer Zeit, jene im Laufe der ersten Wochen auf. Man sieht die Haut sich röten und mit der darunter liegenden Drüse verwachsen, in welcher frühestens eine Woche, meist erst drei bis vier Wochen nach dem Beginn ihrer Erkrankung eine so reichliche Menge von Eiter entsteht, daß es zur Bildung eines Abszesses kommt, der nach außen durchbricht. Der vereiterte Bubo stellt oft ein wirkliches Sehankergeschwür dar, indessen braucht das nicht zu geschehen. Das der vereiternden Drüse anliegende Unterhautbindegewebe kann mit ergriffen werden, dann entsteht eine manchmal weit um sich greifende Verschwärung. — Es wird behauptet, daß bei allen diesen Vorgängen sekundäres Auftreten von den gewöhnlichen Eiterkokken selten sei. Ob mit Recht? Sitz der bei Männern häufiger als bei Weibern vorkommenden Bubonen sind dem Sitze des Schankers entsprechend meist die Inguinal- und die oberflächlich gelegenen Schenkeldrüsen. Nicht immer werden die der Seite des Geschwürs entsprechenden Drüsen, manchmal die der anderen ergriffen, eine durch die reichlichen Anastomosen ihrer Lymphgefasse verständliche Thatsache. — Immer erfordert die Heilung der vereiterten und nach außen durchgebrochenen Schankerbubonen lange Zeit, reichliche Narben bleiben stets zurück. Die Differentialdiagnose hat zu beachten: l. Risse und Schrunden an den Geschlechtsteilen, welche bei dem Koitus

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Schanker.

entstanden und durch zersetzte Sekrete verunreinigt sind. Der im Vergleich zu der bei Schankerinfektion doch nur leichten Entzündung entsprechend heilen solche Stellen bei einiger Schonung in wenigen Tagen. 2. Herpes progenitalis: Gruppenweise zusammenstehende Bläschen, die platzend seichte Geschwürchen hinterlassen, Heilung in kurzer Zeit. 3. Balanitis bei dem Manne. Eine über die Eichelfläche sich ausbreitende eitrige Entzündung der Schleimhaut, bei welcher reichliches Sekret abgesondert werden und oberflächliche Geschwürsbildung auftreten kann. Man muß manchmal einige Tage abwarten, bis sich die Sache geklärt hat. 4. Syphilitische Geschwüre sind in vielen Fällen sicher, in anderen schwerer oder gar nicht zu unterscheiden. Ist eine genaue Anamnese möglich, dann hilft diese, den Zeitpunkt zwischen Ansteckung und Geschwürsbildung feststellend, bisweilen aus; dabei ist aber nicht zu vergessen, daß auch ein Schanker nach Ablauf einiger Wochen sich zum syphilitischen Geschwür umwandeln oder, wenn man den Ausdruck vorzieht, mit diesem verbinden kann. Das syphilitische Geschwür zeigt einen festen harten Grund, auf welchem eine relativ kleine verschwärte Fläche aufsitzt, es liefert wenig molekular zerfallenen Detritus darstellendes Sekret, hat keine Neigung sieh weit auszubreiten, überhäutet sich leichter und bildet wenig Narben; der Schanker dagegen hat eine nur entzündlich infiltrierte, daher viel weniger harte Unterlage, er sondert größere Mengen von Eiter ab, breitet sich eine Zeitlang weiter aus und heilt mit Bildung umfangreicher Granulationen sowie großer strahliger Narben. Hinzu kommt die Drüsenerkrankung: bei der Syphilis eine langsame, schmerzlose und nicht zur Eiterbildung führende Schwellung der Drüsen auf beiden Seiten, bei dem Schanker eine rasch unter Schmerz und mit Fieberbewegungen sich vollziehende Entzündung mit nachheriger Vereiterung, ganz gewöhnlich nur auf einer Seite. — Die Probeimpfung, wenn solche ausführbar, liefert sicheren Entscheid; nur der Unkundige kann einen echten Impfschanker mit dem etwa nach der Einverleibung des Sekrets eines syphilitischen Geschwürs auf seinen Träger bei diesem entstehenden Pustelchen verwechseln. Prophylaktisch gilt das bei der Syphilis Bemerkte. Für die Behandlung hat man sich zunächst die Frage vorzulegen, ob man den Versuch machen will, ein abortives Z/ugrundegehen des Schankers herbeizuführen. Das ist für einen bestimmten Zeitpunkt — höchstens vier bis acht Tage nach der Ansteckung — möglich und ratsam. Am sichersten wirkt die Hitze: — Paquelin, Galvanokauter, die nur unmittelbar über der erkrankten Fläche gehalten werden, nicht sie zu berühren brauchen. — Von den chemisch wirkenden Ätzmitteln wird die Karbolsäure (mindestens 40 °/0 Lösung) empfohlen, nachher bedeckt man die Wundfläche mit Jodoform. Bettruhe, jene Lagerung des Penis, welche die günstigsten Bedingungen für den Kreislauf gewährt (Rückbeugung gegen den Bauch) und kalte Überschläge sind für die der Ätzung folgenden Stunden unbedingt nötig, wenn aus Stunden Tage werden, ist dem Kranken am besten gedient. — Ist die Zeit für abortives Eingreifen vorüber, dann suche man den Schanker baldmöglichst zur Heilung zu bringen und die Entstehung von Bubonen zu verhindern. Es ist wohl zu erwägen, ob man nicht auch jetzt noch versuchen soll, durch einen der genannten Eingriffe, der vielleicht einige Male wiederholt werden muß, das Gift zu zerstören, verständig ist das im Grundsatz jedenfalls. — Größte Reinlichkeit durch häufiges Baden mit lauem Wasser, dem etwas Kochsalz (ca. 1 j 2 °/0) zugesetzt ist, wo es nötig Einspritzungen unter die Vorhaut, Vermeidung aller 16*

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Infektionskrankheiten.

mechanischen Beizung, geeignete Lagerung des kranken Teiles — das sind die Bedingungen, welche erfüllt werden müssen. Zum Verband wird das Einpulvern mit Jodoform als bestes empfohlen. — Diphtherische oder gangränöse Geschwüre werden so behandelt: größere feuchtwarme Überschläge tränkt man im ersterem Falle mit l ° / 0 Lösungen von Kalium chloricum, im letzterem mit Vinum camphoratum. Die Zerstörung durch Glühhitze kann, wenn die Ausbreitung verhindert werden muß, sehr in Frage kommen. Die beste Prophylaxis gegen Bubonen besteht in der möglichst geringfügigen Reizung des- Geschwürs. Buhe im Bette ist daher gerade nach dieser Seite hin dringend zu empfehlen. Weiter muß darauf hingewiesen werden, daß rohe und dennoch nicht ausreichende Ätzungen des Schankers — namentlich der Höllensteinstift in der Hand Unerfahrener ist gefahrlich — nicht selten von Bubonen gefolgt sind. Ist die Drüsenschwellung eingetreten, dann wird neben dem unbedingt erforderlichen Bettliegen der Versuch, durch die Anwendung der Kälte (Eisblase) die Entzündung rückgängig zu machen, immerhin für eine kurze Zeit gerechtfertigt. Man kann gleichzeitig Einpinselungen von Jodtinktur machen oder Kompressen unterlegen, welche in Bleiessig getaucht sind. Häufiger wird der beabsichtigte Zweck nicht erreicht, und überzeugt man sich, daß unter dem Eisbeutel die Bubonen wachsen, dann greife man alsbald zur feuchten Wärme (dicke Kataplasmen, die oft erneut werden). Sobald deutliche Fluktuation vorhanden ist, entleere man den Eiter aus kleiner Öffnung; das Messer ist der Aspiration durch die Kanüle einer Spritze vorzuziehen. Nachher kann leichte Kompression versucht werden. Bei ausgedehnter Vereiterung ist es besser, einen größeren Einschnitt zu machen und sofort eine Desinfektion mit Chlorzink, Karbolsäure, Sublimat oder einem der anderen Antiséptica vorzunehmen. — Ein etwaiger spezifischer Charakter des Bubo kommt für die weitere, nach den Grundsätzen der Chirurgie zu leitende Behandlung kaum in Betracht. — Manche ziehen es vor, die geschwollene Drüse frühzeitig durch das Messer zu entfernen. — Schanker und seine Folgezustände verlangen an sich keine besondere diätetische oder medikamentöse Eingriffe — solche lassen sich nur aus den Verhältnissen des gegebenen Falles ableiten. § 97.

Tripper.

Der Tripper (Gonorrhoea) ist eine durch einen gekannten spezifischen Krankheitserreger, der zu den fixen Kontagien gehört, hervorgerufene Entzündung gewisser Schleimhäute, sekundär auch seröser Häute. Anatomisch erscheint der Tripper auf Schleimhäuten als ein mehr oder minder hochgradiger Katarrh. Verlangt man für die Diagnose nur diese Grundlage, dann unterliegt es keinem Bedenken, alle katarrhalischen Vorgänge, die sich auf den Schleimhäuten der Genitalien abspielen, als Tripper zu bezeichnen. Dabei wird die Ätiologie freilich eine ziemlich buntscheckige — ein menstruierendes, ein an chronischem Vaginal- und Uteruskatarrh oder an Carcinom des Uterus leidendes Weib vermag dann zu infizieren, freilich überträgt sie nur einen Katarrh. Es ist sicher, daß der eigentliche Träger des Trippergiftes ein Mikrokokkus (Gonokokkus, entdeckt von NEISSER) ist. Der Nachweis des Gonokokkus in dem Trippereiter gelingt leicht durch Färbung mit Methylenblau, nach der GsAu'schen Methode läßt sich derselbe nicht färben. Man sieht teils innerhalb der Eiterkörperchen, teils frei liegende, meist in Haufen zusammengeordnete Diplokokken von Semmelform (Fig. 9). Die Kultur ist möglich, aber schwierig, Temperaturen über 39° lassen das Wachstum aufhören. —

Schanker.

Tripper.

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Der Tripper entwickelt sich auf der Schleimhaut der männlichen, wie der weiblichen Harnröhre, der Scheide, des Uterus, besonders des Cervikalkanals, der Tuben, des Mastdarms, der Blase, der oberen Harnwege und auf den Konjunktiven. Zunächst finden sich die Gonokokken, welche rasch wachsend durch ihre Stoffwechselprodukte Entzündung der befallenen Schleimhäute bewirken , nur auf und zwischen den Epithelzellen, sie dringen von hier in die tiefer gelegenen Schichten, in das Bindegewebe ein, das mit Leukocyten durchsetzt wird. Diese sind von reichlichen Gonokokkenschwärmen erfüllt. — Heilung geschieht durch Neubildung des Epithels — immer nur in der Form des geschichteten Pflasterepithels, selbst dort, wo Cylinderepithel normal Fig. 9. Gonorrhoischer Eiter. Deckglasist. Zuerst gehen dabei die Gonokokken im trockenpräparat. Nach v. BAUMGARTEN. Vergr. 9 5 0 : 1 . Bindegewebe zu Grunde, nicht immer die im Epithel gelegenen, welche sich hier länger lebensund ansteckungsfähig erhalten können. Es geschieht aber auch, dass nach und trotz der Entfernung der Gonokokken chronisch entzündliche Zustände zurückbleiben. — Bei schwererem Verlauf überschreiten die Gonokokken die oberen Schichten des Bindegewebes, können in den tiefer gelegenen Abscesse machen, sogar in das Blut gelangt metastaUsche Entzündung hervorrufen. — Echte Eiterkokken finden sich mit den Gonokokken zusammen — so können Mischinfektionen entstehen. — Die Ansteckung erfolgt gewöhnlich während des Koitus an einem bestimmten Teile der Genitalien. — Bei dem Manne beginnt der Harnröhrentripper in der Regel ein bis zwei Tage — es soll aber bis zu einer Woche, ausnahmsweise „sehr viel länger" dauern können — nach der Ansteckung mit den Erscheinungen eines leisen Kitzels im oberen Teil der Harnröhre, meist an deren Mündung, und häufigeren Harndrangs; auf der leicht gewulsteten Schleimhaut der Mündung zeigt sich ein wenig von klarer, fadenziehender Flüssigkeit. Allmählich tritt bei der Entleerung des Urins Brennen und wirklicher Schmerz ein, auch der Wulst an der Harnröhrenmündung schwillt stärker an und rötet sich mehr, dann fließt grün oder gelb gefärbter Fiter aus. Dies alles ist etwa vier bis fünf Tage nach der Ansteckung zustande gekommen. Die Harnentleerung wird nun noch schmerzhafter, sie k a n n nur langsam stattfinden, so daß ein dünner Strahl, manchmal nur Tropfen austreten. Der Harn ist mit nicht unbedeutenden Eitermengen gemischt, am Tage fließen solche auch ohne Harnentleerung ab, die Wäsche mit gelbgrünen Flecken verunreinigend. Heftige, anhaltende, schmerzhafte Erektionen und der andauernde Harndrang stören den Schlaf; dadurch wird nicht selten eine recht erhebliche Beeinträchtigung der E r n ä h r u n g und des Allgemeinbefindens hervorgerufen. So hält die E r k r a n k u n g einige Wochen an. Die Besserung zeigt sich an der A b n a h m e der Eiterbildung (weniger und heller werdendes Sekret) — gleichzeitig lassen Schmerz und H a r n d r a n g nach. Allmählich beschränkt sich die Absonderung so, daß nur in längeren Pausen etwas die Mündung der Harnröhre leicht verklebender Schleim gefunden wird — auch dieser schwindet endlich und in etwa sechs Wochen kann vollkommene Heilung erfolgt sein. Das wäre der Verlauf, Teils der Harnröhre eintritt. zur Blasenmündung ergriffen,

wie er bei vorwiegender Erkrankung des vorderen Wird auch der hintere — P a r s membranacea bis dann ist jedenfalls die Möglichkeit schwerer Kom-

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Infektionskrankheiten.

plikationen näher gerückt. Die Organe, welche durch ihre Ausführungsgänge mit der Pars prostatica in Verbindung stehen: Nebenhoden, Prostata, Blase, können jetzt in den entzündlich-infektiösen Prozeß hineingezogen werden. Verminderung bis zum Aufhören des Ausflusses, stärkerer Harndrang mit Erschwerung der Entleerung, Schmerzen, die vom Damm in die Eichel oder den Rücken ausstrahlen, schmerzhafte Pollutionen, grosses Unbehagen, vielleicht Fieberbewegungm sind die Mahnzeichen der drohenden Urethritis posterior. Nicht mit voller Sicherheit, aber doch mit einiger Wahrscheinlichkeit läßt sich diese so erkennen: Der Kranke muß morgens seinen Harn in zwei Absätzen entleeren, jeder Teil wird für sich aufgefangen. (Zwei Gläser Probe.) Ist nur der vordere Teil der Harnröhre erkrankt, dann ist nur der erstentleerte Harn trübe, die zweite Portion bleibt klar — denn der aus der Blase vordringende Harnstrahl spült die Harnröhre rein. Bei Beteiligung der Urethra posterior ist, wenn auch in geringem Grade, die zweite Portion gleichfalls getrübt. Noch sicherer ist es, durch Ausspülung den vorderen Teil der Harnröhre von dem eitrigen Sekret zu reinigen, darauf harnen zu lassen. Dies Verfahren wird so begründet: Das in dem hinteren Teil der Harnröhre gebildete Sekret hat für seinen Äbfluss geringere Widerstände nach der Blase, fließt in sie und wird mit dem letzten Teil des Harns entleert, da es wegen seiner größeren Schwere in der Blase den tiefsten Punkt eingenommen hatte. —

Von Einzelheiten bei weniger günstigem Verlauf ist anzuführen: Die Entzündung selbst ist hochgradiger, durch Bersten von Kapillaren tritt Blut auf die Oberfläche der Schleimhaut (russischer Tripper). Durch Übergreifen der Entzündung auf das Corpus cavernosum urelhrae, selbst auf die Schwellkörper des Penis, entstehen in ihnen bis bohnengroße Herde (periurethrale Geschwülste, welche vereitern und durchbrechen, aber auch als schwielige Verdickungen, die regelrechte Erektion hemmend, zurückbleiben können. Weiter kommen Oeschwürsbildungen innerhalb der Harnröhre vor, besonders im hinteren Abschnitt, wo die Pars membranacea in die Pars bulbosa übergeht und reichliche Follikelanhäufung sich findet. Solche Geschwüre sind sehr hartnäckig; tiefer greifend und später vernarbend fuhren sie zu Stnkturen. In seltenen Fällen tritt kroupöse Entzündung mit der Absetzung eines fibrinhaltigen Exsudats auf die Oberfläche der Schleimhaut ein. Endlich kann sich die akute in eine chronische Entzündung umwandeln, welche, zeitweilig zu- und abnehmend, jahrelang dauern kann. Daß dabei das Sekret seine infizierenden Wirkungen beibehalten kann, steht fest. Die Entzündung dehnt sich auf die Nachbarschaft aus. Am häufigsten und wichtigsten ist die Erkrankung der Samenleiter an ihrer Einmündung in die Harnröhre (Caput gallinaginis in der Pars prostatica), welche sich nun auf die Nebenhoden fortsetzt Es ist hervorzuheben, daß das Vas deferens, trotzdem es doch dem Entzündungserreger als Weg dient, nicht selbst nachweisbar an dem Vorgange teilzunehmen braucht. Das tritt in nicht ganz der Hälfte der Fälle ein. Meist ist es nur eine Seite, es können aber auch beide beteiligt werden. Die Erkrankung stellt sich erst im Laufe der dritten Woche oder noch später ein; sie beginnt mit Fieberbewegungen. Das Vas deferens zeigt sich geschwellt, spontan am Leistenring, auf Druck überall empfindlich. Die Epididymitis fangt ganz gewöhnlich akut an: die befallene Seite des Hodensackes erscheint größer, man fühlt den äußerst schmerzhaften Nebenhoden an der hinteren unteren Seite als teigige Geschwulst; das Gehen ist schmerzhaft, nicht selten kommt es zur Übligkeit, zum Erbrechen und zu kolikartigen Anfallen. — In den nächsten Tagen wird die Schwellung stärker; während bisher der Hoden vom vergrößerten Nebenhoden noch deutlich getrennt erschien, nimmt auch er jetzt an Umfang

Tripper.

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zu — Erguß in die Tunica vaginalis propria (akute Hydrocele) — die Haut des Hodensackes wird ödematös und prall gespannt, die Größe des Ganzen kann noch über die einer Mannsfaust hinausgehen. — Etwa zehn bis zwölf Tage nach dem Anfang beginnt die Rückbildung, welche ungefähr um den zwanzigsten Tag beendet ist. Jedoch bleibt meist eine durch Bindegewebswucherung bedingte Verhärtung der Epididymis, nicht selten auch ein Erguß in die Tunica vaginalis propria (chronische Hydrocele) zurück; ausnahmsweise nur stellt sich eine schwerere, zum Untergang der befallenen Teile fuhrende Entzündung ein. Weiter kommt in Betracht: Entzündung der Prostata vom einfachem, kaum eitrigem Katarrh bis zur Vereiterung der Samenhläschen, der CowPEE'scAe« Drüsen, der Blase, des Nierenbeckens, ja sogar der Nieren. Sie alle fallen fast stets in die spätere Zeit der Gonorrhoe. Die Entzündung der Schleimhaut von Vorhaut und Eichel — Balanitis — wird nur durch die Reizung der an diesem Orte in reichlichem Maße angesammelten und zersetzten Sekrete bedingt. Die Symptome bestehen nach vorhergehendem Kitzel und Schmerz in einer Schwellung der Eichel und der Vorhaut, bald wird ein massenhaft eiterhaltiges Sekret abgesondert, nicht selten kommt es auch zur Bildung von Geschwüren; namentlich wenn das Abgesonderte nicht von den geschwellten Teilen entfernt wird. Phimose und Paraphimose können folgen.

Bei dem Weibe erkrankt vorwiegend die Schleimhaut der Genitalien. Man trennt eine Vulvitis von der Vaginitis; es kann eine spezifische Erkrankung der Uterinschleimhaut zustande kommen. — Kitzel, halb Schmerz, halb Geschlechtsgefühl erregend, ist das erste Zeichen, bald gesellt sich Brennen bei dem Harnlassen hinzu — Berieselung der entzündeten Schleimhaut mit Urin —, nun wird auch der Schmerz ausgesprochener. Bei dem Vulvartripper stellen sich Schwellung, Rötung, Ödeme, namentlich an den kleinen Schamlippen, und die Absonderung eines bald stärker eiterhaltigen Sekrets ein; in den höheren Graden kommt es zu leichten Blutungen und oberflächlichen Verschwärungen. Die im ganzen unerheblichen subjektiven Beschwerden steigern sich, sobald der Cervikalkanal ergriffen wird, sie bieten aber nichts eigentlich Charakteristisches dar. Erst die Untersuchung mittels des Spiegels sichert die Diagnose der Uterinerkrankung, sie zeigt die Portio vaginalis geschwellt, gewöhnlich an ihrem unterem Teile leicht geschwürig, aus ihrer Mündung quillt gelblich gefärbter, eitriger, fest anhaftender Schleim. — Vulvar- und Vaginaltripper heilen bei einigermaßen zweckmäßigem Verhalten im Laufe weniger Wochen. Allein in sehr vielen Fällen wandelt sich die akute in eine chronische Entzündung um. Das geschieht, wenn vor endgültiger Beseitigung des Übels eine stärkere Reizung der Schleimhaut durch öfter wiederholten Koitus stattfindet — bei der Lebensweise der meisten tripperkranken Weiber etwas ganz Gewöhnliches. Die Menstruation hat oft eine vorübergehende Verschlimmerung im Gefolge. — Hartnäckig sind die Erkrankungen des Uterus selbst unter allen Umständen, sie fuhren nicht selten zu einer chronischen Metriiis mit allen ihren Folgen. — Als einfaches Erzeugnis des Übergreifens der Erkrankung auf die Nachbarschaft muß bei Weibern noch die Entzündung der BARTOLisri'scÄera Drüsen erwähnt werden; gewöhnlich beteiligt sich nur eine derselben. Durch die Entzündung der im Labium rnajus gelegenen Drüse sehwillt dieses unter heftigen Schmerzen beträchtlich an — nach Ablauf von etwa einer Woche hat sich an und in der Drüse ein Zellgewebsabszeß entwickelt, der, sich selbst überlassen, meist nach der Schleimhautfläche hin durchbricht. — Auch

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die Ausführungsgänge dieser Drüsen können gesondert befallen werden. Meist ist deren Erkrankung sehr hartnäckig, und ihr Sekret behält seine Ansteckungsfähigkeit lange Zeit. Durch dessen Anhäufung kann es zur Erweiterung und Divertikelbildung in dem Gang kommen. Man rechnet, daß etwa 10°/o der Trippererkrankungen bei dem Weibe mit dieser Komplikation einhergehen; die Entzündung der Drüse selbst ist bedeutend seltener. In der Harnröhre sind die Erscheinungen viel geringer wie bei dem Manne, werden daher leichter übersehen. — Pen- wie Parametritis und Oophoritis kann durch Infektion mit Gonokokken entstehen. — Die beiden Geschlechtern gemeinschaftliche Lokalisation auf der Schleimhaut des Mastdarms wird durch Infektion bei der Päderastie, bei Weibern durch das unmittelbare Einfließen des Vaginalsekrets hervorgerufen; sie geht mit den Erscheinungen einer mehr oder minder heftigen Entzündung dieses Teils einher. Die Ophthalmia gonorrhoica — praktisch von der höchsten Bedeutung, da sie schwere Zerstörungen hervorzurufen vermag — gehört in das Gebiet der Augenheilkunde. Als Folgezustand des Trippers kommt Drüsenschwellung vor; ihre Entstehungsweise ist eine ähnliche wie die bei dem Schanker. Tripperbubonen sind meist gutartig, sie erreichen keinen großen Umfang und gehen ohne Eiterung zurück. Die in das Blut eingedrungenen, mit ihm kreisenden Gonokokken können sich an manchen Orten niederlassen und Entzündungen hervorrufen. Oft kommt das gerade nicht vor. Am leichtesten noch in den Gelenken. Deren Erkrankung, sie beginnt meist erst in späterer Zeit, ist bei Männern häufiger. Ein einmal davon Ergriffener kann bei jedem irischen Tripper seine Gelenkentzündung in den Kauf bekommen. — Ein Kniegelenk ist besonders oft beteiligt — seltener beide, noch seltener ist die Erkrankung von Fuß- oder Handgelenken. E s handelt sich um eine subakut verlaufende, nicht heftige Entzündung mit serösem Exsudat und überwiegend günstiger Prognose. Sehnenscheiden und Schleimbeutel nehmen an diesen Entzündungen etwas häufiger teil. Wichtiger sind die Erkrankungen des Herxens, unter welchen die am Endokard besonders hervorzuheben sind (§ 135). Man darf übrigens mit Fug ebensogut wie von einer akuten Rheumarthritis überhaupt von einer gonorrhoischen im Besonderen sprechen, muß aber nicht vergessen, daß hier Mischinfektionen (gewöhnliche Eiterkokken) sich entwickeln können. Spitze Kondylome (C. accuminata) kommen verhältnismäßig häufig zusammen mit Tripper vor, haben aber keine unmittelbaren Beziehungen zu den Gonokokken. Sie entwickeln sich auf einer doch wohl irgendwie besonders gearteten Haut bei allen länger dauernden Reizzuständen. Aber man kann durch Übertragung von Bruchstücken dieser Neubildung auf die verletzte Schleimhaut der Genitalien dieselbe hier zur Entwicklung bringen. Anatomisch wird das spitze Kondylom zu den entzündlichen Papillomen gestellt: Vergrößerung der in die Länge wachsenden und sich gleichzeitig verzweigenden Papillen mit gelliger Infiltration, die an der Grundfläche wie in den hyperplastischen Teilen selbst sich findet, daneben eine Wucherung des Epithelialüberzugs — das sind die feineren geweblichen Veränderungen. Makroskopisch handelt es sich um linsen- bis nahezu apfelgroße Wucherungen mit unebener, warziger Oberfläche, die, nach dem Sitz und den äußeren Bedingungen wechselnd, hart und trocken, oder erweicht und feucht erscheint.

Tripper.

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Je nach den Widerständen in der Umgebung wird das Kondylom hahnenkammförmig, blumenkohlartig, oder es gleicht einem Pilz; dasselbe hat eine große Neigung zur Ausdehnung und zur Wiederbildung an Ort und Stelle. Außer mechanischen Behinderungen treten anderweitige Störungen nicht ein. Lieblingssitze sind bei dem Manne die Glans penis, bei dem Weibe die Labia majora, bei beiden Geschlechtern die äußere Mündung der Harnröhre und die Umgebung des Afters.

Für die Diagnose kann der Nachweis der Gonokokken die Frage entscheiden müssen, ob ein nach unzweifelhafter Infektion noch fortdauernder Ausfluß spezifischer oder einfach entzündlicher Art ist Wiederholte Untersuchungen sind nötig; aus der einfachen Betrachtung der gefärbten Kokken dürfte ein sicherer Schluß kaum zu gewinnen sein. Man muß wissen, daß den spezifischen äußerst ähnliche nicht virulente Kokken vorkommen, die nur durch umständliche bakteriologische Methoden sicher auszuschließen sind. Namentlich in foro ist Vorsicht geboten. — Ob Heilung eingetreten ist, wird durch das Vorhandensein oder Fehlen der Gonokokken entschieden. Daß noch entzündliche Vorgänge da sind, beweist die Gegenwart der sogenannten T r i p p e r f ä d e n , Schleimgerinnsel mit Eiterkörperchen untermischt, welche auch die etwa noch vorhandenen Gonokokken am ehesten auffinden lassen — Untersuchung im Morgenharn, zwei Gläser Probe. — Auch der morgens an der Harnröhrenmündung erscheinende Tropfen enthält neben seiner Hauptmasse, weiß oder grau gefärbtem Schleim, vielleicht die genannten körperlichen Gebilde. — Um mit Bestimmtheit das Fehlen der Gonokokken feststellen zu können, für die Entscheidung, ob das Eingehen der Ehe erlaubt sei, ist das erforderlich, führt man Reizung der Harnröhrenschleimhaut herbei. Dies geschieht durch Einspritzen schwacher Höllensteinlösungen (1 auf 3000) oder mechanisch durch Einführung eines Bougies.

Es läßt sich nicht leugnen, daß der Tripper oft genug schwer zu heilen ist, aber es ist eine maßlos übertriebene Behauptung, daß seine Heilung unmöglich sei. Wenn unter den Laien die thörichte, vielleicht frivole Meinung geschwunden ist, welche den Tripper als leicht, als „Kinderkrankheit" bezeichnet, wird man die Prognose besser stellen können. Es handelt sich stets um ein bedeutsames Leiden, das vernachlässigt dem Kranken mindestens ernste Unbequemlichkeit, nicht selten über kurz oder lang Lebensgefahr bringen kann. Und wfcs hat die Frau zu erdulden, die von dem Mann in der Ehe infiziert wird. Hier rechtzeitig zu warnen, ist Oewissenspflicht des Arztes. — Wer von seinem ersten Tripper geheilt wurde, wird leichter angesteckt, der Verlauf ist aber in der Regel milder. — Prophylaktische Ratschläge sind von zweifelhaftem Wert. Empfohlen wird für den Mann möglichst kurzes Verweilen intra vaginam und Urinieren post coitum, neuerdings auch, einige Tropfen einer 2prozentigen Lösung Höllensteins in die Mündung der Harnröhre unmittelbar nach dem Akt einzuträufeln. — Die Therapie der Urethralgonorrhoe bei dem Manne hat mit der Forderung zu beginnen, daß sich der Erkrankte solange vollkommen ruhig im Bette verhalte, bis wenigstens das akute Stadium abgelaufen, also der rein eitrige Ausfluß in einen schleimigen umgewandelt ist. Will sich der Kranke darauf nicht einlassen, dann ist ihm die Verantwortung für das, was kommen kann, zuzuschieben. Er ist vor jeder unnötigen Körperbewegung zu warnen, und es ist ihm das Tragen eines zweckmäßig gearbeiteten Suspensoriums (dasselbe darf nicht auf die Urethra drücken) zu empfehlen. Die Diät soll keine eigentliche Entziehung des zur Ernährung Notwendigen

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bringen, darüber aber auch nicht hinausgehen. Die Menge des Getränkes sei so bemessen, daß kein zu konzentrierter H a r n , ebensowenig aber zuviel Harn gelassen werde — eines wie das andere würde Heizung der Harnwege herbeiführen. Bier ist ganz zu meiden, bei Leuten, die sehr an Alkoholika gewöhnt sind, leichter Rotwein noch am ehesten zu gestatten. — Für regelmäßigen breiigen Stuhl ist zu sorgen. — Das männliche Glied werde so gelagert, daß der venöse Abfluß aus ihm leicht stattfinden kann (mit seinem Rücken gegen die Bauchfläche) und mit häufig zu wechselnden kalten Umschlägen bedeckt. — Die direkte Behandlung wird am besten durch Einspritzungen in die entzündete Harnröhre ausgeführt; wenn die Entzündungserscheinungen nicht allzu stark sind, kann sie gleich angefangen werden. — Zur Injektion bedient man sich einer gut schließenden Spritze von etwa 10 g Inhalt, welche von ihrer Spitze an rasch so dick wird, daß sie nicht erheblicher über die Harnröhrenmündung vordringen kann. Man läßt die zuerst eingeführte Flüssigkeit — sie ist immer etwas zu erwärmen — sofort abfließen und schickt dann gleich eine zweite Menge nach, welche durch Zudrücken der Harnröhrenmündung etwas länger — allmählich steigend bis höchstens zehn Minuten — zurückgehalten wird. — Vor jeder Einspritzung muß der Kranke seinen Harn lassen. — Früher wählte man die zu den Einspritzungen verwendeten Arzneimittel aus der Gruppe der Adstringentien, jetzt legt man mit Recht darauf Gewicht, daß eine unmittelbare Wirkung auf die Gonokokken stattfinde, sie sollen möglichst abgetötet werden. Silber entspricht dieser Forderung am besten. Man wendet es an als Argentum nitrieum '/«ooo—Viooo- Argentum caseinicum (Argonin) '/soo—s/ioo- Argentum citricum (Itrol) Vsooo-Viooo- Argentum lacticum (Actol) in gleicher Stärke. Argentamin (Athylendiaminsilberphosphat) 1/5000—1/400. Protargol (Silbereiweißverbindung) '/«so—5/ioo- Largin (ebenfalls Silbereiweißverbindung) Viooo—VsooWie viele dieser Verbindungen bleibend Wert behalten, wie viele sich ihnen noch zugesellen werden, muß die Zukunft entscheiden. Sie sollen mit Ausnahme von Argentamin reizloser sein als das Silbernitrat in der schwachen Lösung und besser in die Tiefe dringen. Für den Anfang ist bei acuter Gonorrhoe Argonin (1—3 °/0) oder Protargol ( ] / 4 —3 °/0) zu empfehlen (Jadassohn). Man beginnt immer mit der schwächsten Lösung und steigt allmählich je nachdem der Kranke es erträgt. — Ichthyol ('/joo—10/ioo) wird gelobt. — Noch immer wird zu Injectionen viel benutzt: 1 prozentige Lösung von Zincum sulfocarbolicum oder sulfuricum, letztere zu 0,2 bis 0,5%, Alaun in 1 prozeDtiger Lösung, Tannin mit Rotwein, Konzentration 1—2 * solche hergestellt. '}' v / j j ' f $ Milch und mit einer gewissen Be''' " schränkung auch Wasser geben einen ge'WsSU^^S^^SB^^M-^^S^S eigneten Nährboden ab. Um 37,0° geht SM. das Wachstum am besten vor sich. Die Typhusbacillen liegen niemals im Innern der Zellen; von äußerlich ähnlichen Mikrobien unterscheiden sie sich dadurch, daß sie nach dem GNAM'schen Verfahren Fi nicht färbbar sind. Ihr Wachstum auf geg- 18. Teil eines Schnittes durch ein typhöses Infiltrat der kochter Kartoffel läßt sie von allen andeDarmwand, TJ ren unterscheiden: sie bilden darauf eine • Typhöses Infiltrat der Submucosa. makroskopisch kaum wahrnehmbare Haut, Muskelschicht der Damwand. Naeh V die mikroskopisch eine im Laufe von ' BAUMGARTEN. Vergr. 950 : 1. 48 Stunden entstandene Reinkultur darstellt. — Ob das bei künstlicher Züchtung sich bildende Typhotoxin (BRIEGER) auch innerhalb des lebenden Menschen entsteht, ist noch zweifelhaft. — Es scheint sicher, daß kein Tier spezifisch von Typhusbacillen infiziert werden kann; das Typhotoxin vermag aber bei manchen als Gift zu wirken. — Eiterkokken können neben den Typhusbacillen zur Entwicklung kommen; manche Nachkrankheiten beruhen auf der so entstandenen Mischinfektion.

Über die Entstehung und Verbreitung der Krankheit dürfte bei dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens folgende Vorstellung die wahrscheinlichste sein: Der Typhusbacillus ist ein spezifisch wirkender besonderer Mikroorganismus. Mit den Darmentleerungen, wohl auch mit dem Harn der Kranken gelangt derselbe nach außen und vermag sich außerhalb des Körpers längere Zeit — Monate — zu erhalten. Gelangt nun eine genügende Menge in den Körper eines empfanglichen Menschen, dann findet sich dort ein guter Nährboden für den Parasiten, welcher dessen üppige Entwicklung und damit die Erkrankung des Wirtes ermöglicht. Ort der Invasion dürfte meist der Darm sein, eine katarrhalische Er-

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krankung desselben begünstigt die Ansiedlung. Die Keime werden mit den durch sie verunreinigten Ingesta geschluckt, oder, das ist seltener, wenn sie in der Atmungsluft vorhanden sind, gelangen sie zunächst in die Mundhöhle, aus welcher sie dann durch den ßchlingakt weiter befördert werden. Ihr Eindringen in das Blut von den 1/ungen aus kann nicht ganz geleugnet werden. Eine für manche Orte (namentlich München) gültige Beobachtung ist, daß die Häufigkeit der Erkrankung an Abdominaltyphus in enge Beziehung zu den Schwankungen des Grundwassers gebracht werden muß. Mit dem Steigen desselben vermindert sich die Krankheitshäufigkeit, mit dem Fallen vermehrt sie sich, die absoluten Höhen kommen weniger in Betracht. Die Deutung hat verschiedene Wege eingeschlagen. Einmal meinte man, daß mit dem nach abwärts sich neigendem Wasserspiegel eine größere Bodenschicht trocken gelegt werde; die in ihr enthaltenen Keime sollten nun durch die niemals ruhenden Bewegungen der Grundluft in großer Menge an die Oberfläche gebracht und so von Menschen aufgenommen werden können. Diese Anschauung hat jetzt wenig Anhänger mehr. Man glaubt eher, daß mit der Abnahme des Grundwassers auch die Trinkwässer spärlicher und dabei reicher an aufgeschwemmten, vom Boden her in sie eingedrungenen Mikroorganismen werden — der Genuß solchen mit Typhuskeimen verunreinigten Wassers führe unmittelbar die Infektion herbei. —

Daß durch den Genuß infizierten Wassers Typhoid entstehen kann, ist als Thatsache sicher festgestellt — man hat den Bacillus darin gefunden. Auch Milch wird durch Vermischung mit solchem Wasser in selteneren Fällen Träger des Kontagiums. Dagegen ist es wenig wahrscheinlich, daß durch den Genuß von Fleisch echter Abdominaltyphus erzeugt werden kann, es sei denn, daß es unmittelbar mit dem Bacillus verunreinigt wurde. So können auch Gemüse und Obst Vermittler werden. Der Bacillus kann sich in Abtritten und Kloaken jedenfalls länger halten; ob er sich darin zu vermehren vermag, ist eine andere Frage. — Durch Kleider, Wäsche, Bettslücke von Typhoidkranken ist eine Weiterverbreitung der Krankheit möglich, wenn dieselben mit Entleerungen aus dem Darm, vielleicht mit Harn, verunreinigt waren. — Unmittelbare Ansteckung von Mensch zu Mensch wird von der weit überwiegenden Mehrzahl der Beobachter unbedingt in Abrede gestellt. Der Ileotyphus zeigt eine ausgesprochene örtliche Beschränkung; er nistet sich in bestimmten Häusern, manchmal sogar in bestimmten Teilen von Häusern ein, wer zur Ansteckung disponiert in solchen sich aufhält, erkrankt; das wiederholt sich oft Jahr für Jahr in regelmäßiger Wiederkehr. Größere Epidemiem setzen sich meist aus solchen Hausepidemieen zusammen, niemals breitet sich Ileotyphus als eine pandemische Wanderkrankheit aus. — Zeitliche Schwankungen in der Häufigkeit und Heftigkeit der Erkrankung finden sich überall (§ 105). Für die meisten Orte der gemäßigten Zonen läßt sich ein Einfluß der Jahreszeiten in dem Sinne nachweisen, daß das Maximum des Typhoids auf den Spätsommer und Herbst, das Minimum auf den Frühling trifft. — In den tropischen Gegenden fallt die stärkste Verbreitung mit der größten Hitze zusammen. Von allgemeinen Bedingungen ist noch zu nennen, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Beobachtungen antihygieinische Verhältnisse, namentlich Schmutz innerhalb und außerhalb der Häuser, verwahrloste Abtritte, Fäulnis tierischer und pflanzlicher Stoffe, die Verbreitung der Krankheit begünstigten.

Abdominaltyphus.

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Die individuelle Disposition wird durch das Lebensalter beeinflußt. Gangbare Annahme ist, daß vom 15. bis zum 30. Lebensjahre die größte Neigung zum Erkranken an Ileotyphus besteht. Daran ist richtig, daß das Häufigkeitsmaximum für Erwachsene zwischen dem 20. und 30. Jahre liegt, und mit fortschreitendem Lebensalter die Wahrscheinlichkeit zu erkranken immer geringer wird. Allein iveniger zuverlässig dürfte die Bestimmung für das Kindesalter sein; an einzelnen Orten überwiegt die absolute Menge der Kindertyphen. Sicher ist, daß die Krankheit schon bei jungen Säuglingen vorkommt; es kann sogar eine Infektion des Fötus durch die erkrankte Mutter stattfinden: die Bacillen sind in der Placenta und im Fötus gefunden worden. — Männer erkranken häufiger als Frauen; Gesunde und Kräftige mehr als Schwächliche. — Meist, aber nicht unbedingt, schützt einmaliges Überstehen der Krankheit gegen deren Wiederholung, es ist ein viermaliges Erkranken des gleichen Menschen beobachtet. — Wer an einem vielfach von Typhoid heimgesuchten Orte sich länger aufgehalten hat, ist selbst bei heftigen Ausbrüchen der Krankheit verhältnismäßig geschützt, Neuzugezogene dagegen werden in weitaus größerer Anzahl, auch wohl durchschnittlich schwerer ergriffen. Es dürfte wahrscheinlich sein, daß in vorausgegangenen leichten nicht als solchen erkannten Infektionen der Grund zu dieser relativen Immunität zu suchen ist. Der Leichenbefund bei den auf der Höhe der Krankheit Gestorbenen ergiebt außer den allgemeinen Erscheinungen der Infektion als Eigentümlichkeiten des Abdominaltyphus: 1. Darm: Infiltration der Peyer'schen Platten und solitären Follikel, am stärksten im unteren Abschnitt des Ileum unmittelbar über der Klappe, aber auch im oberen Dünndarm und im Dickdarm. Dieselbe wird durch eine grauweiße Masse von markiger Konsistenz bedingt, welche, in und unter der Schleimhaut liegend, gleichmäßig die betroffenen Drüsen erfüllt. Die Infiltration braucht nicht auf die Drüsen beschränkt zu bleiben, sondern kann auf die benachbarten Gewebsteile übergreifen. Ausnahmsweise tritt sie an ganz drüsenfreien Teilen der Darmschleimhaut auf. Anfangs sind entzündliche Veränderungen regelmäßig in etwas weiterem Umkreis der Einzelherde nachweisbar; dieselben bleiben meist auf die Oberfläche beschränkt. Wenn viele Platten erkranken, entsteht durch Zusammenfließen der sie umgebenden Entzündungshöfe ein ausgedehnterer Darmkatarrh. Im Beginn ragen die infiltrierten Platten pilzförmig über die Umgebung hervor, die Solitärfollikel erscheinen wie geschwellte Pusteln. — Nach der Massigkeit und Starrheit des Exsudats unterscheidet man harte und weiche Formen. Später tritt Nekrose ein, welche entweder nur oberflächlich bleibt und einzelne Abschnitte der infiltrierten Teile befallt, oder tiefer greifend und die gesamte vorher geschwellte Partie einschließend bis zur Muskularis, selbst bis zur Serosa dringt, ja sogar diese untergehen läßt; Perforation des Darms bleibt dann nicht aus. — Die sich ablösenden Schorfe hinterlassen das typhöse Darmgeschwür, welches, der Anordnung der Plaques entsprechend, der Längsaxe des Darms parallel steht oder sich als linsenförmige Vertiefung (bei den Follikeln) darstellt. Nicht gerade häufig fließen mehrere Geschwüre zusammen. Meist erfolgt bald Reinigung des Geschwürsgrundes, dann Heilung mit flacher, grau oder schwärzlich gefärbter, niemals sich stärker zusammenziehender und zur Verengerung des Darms führender Narbe. — Der zeitliche Ablauf ist so, daß in den ausgebildeten Fällen bis etwa zur dritten Woche der Krankheit die Infiltration, nach

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Infektionskrankheiten.

dieser Zeit die Geschwürsbildung und Heilung vorwiegt. Nicht selten siud jüngere und ältere Veränderungen nebeneinander vorhanden, in dem oberhalb der Klappe gelegenen Teile des Ileum zeigen sich dann meist die älteren. Die mikroskopische Untersuchung ergiebt eine sehr hochgradige zellige Infiltration, welche sich unter Umständen bis zur Serosa erstreckt. 2. Lymphdrüsen. Besonders stark sind die des Mesenteriums und wiederum am meisten die der Bauhinischen Klappe zunächst gelegenen ergriffen. Makroskopisch sind sie anfangs blaß- oder blaurot, später graurötlich, markig; mikroskopisch sind neben der zu Beginn vorhandenen entzündlichen Hyperämie und Durchfeuchtung lymphatische Elemente in großer Zahl zugegen. Bei der Rückbildung kann es zu nekrotischen Herden, die manchmal nicht resorbiert, sondern käsig werden, kommen. — Die Bronchialdrüsen, die dem lymphatischen System angehörenden Rachengebilde (Tonsillen, Follikel) nehmen nicht selten an der Erkrankung teil, ganz ausnahmsweise zeigen sich auch die peripheren Drüsen ergriffen. 3. Die Milz ist regelmäßig — wohl häufiger und stärker als bei Infektionskrankheiten überhaupt — beteiligt. Es ist durchaus gerechtfertigt, das lymphatische System im ganzen als dasjenige zu bezeichnen, in welchem sich vorwiegend das Oift des Abdominaltyphus lokalisiert. — Die Herde in der Leber und in den Nieren, welche vorkommen, haben keinenfalls eine größere Bedeutung. — Komplikationen und Folgekrankheiten können zu sehr erheblichen Gewebeveränderungen fuhren — allein dieselben zeigen nichts für den Ileotyphus Eigentümliches. Es wird mehr und mehr wahrscheinlich, daß es sich dabei um sekundäre Infektionen mit den pyogenen Kokken handelt. Bei der Beschreibung muß man von dem Bilde der vollentunckelten Krankheit ausgehen. Kürzer oder länger nach der Infektion empfinden die Erkrankenden Unbehagen, sie sind nicht mehr ganz leistungsfähig und ermüden leicht. Der Kopf ist eingenommen, vielleicht auch gegen Abend etwas schmerzhaft, der Appetit vermindert, launenhaft, leichte dyspeptische Beschwerden fehlen kaum jemals. Sehr häufig wird von den Kranken ein Diätfehler als Ursache des Ganzen beschuldigt, wo und wie derselbe entstanden, ist freilich meist unbekannt. Alle Beschwerden steigern sich langsam, abends machen sie sich mehr als am Morgen geltend. Erst wenn Frieren, oder seltener ein stärkerer Frost sich zeigt, wird das Krankheitsgefühl heftig genug, um die Leidenden zum Aufsuchen des Bettes zu veranlassen. Kopfweh, Benommenheit, leichtes Phantasieren gegen Abend stellt sich nun mit wachsendem Fieber ein, der Appetit liegt ganz danieder, heftiger Durst ist vorhanden, die Zunge und der Mund werden trocken, es zeigt sich etwas Schwerhörigkeit. Außer Kopfschmerz, Schlaflosigkeit oder Schlummern, das niemals erquickend sei, immer durch allerlei Träume gestört werde, weiß der Kranke nicht viel zu Magen; aber es wird eben von Tag zu Tage schlimmer, das merkt die Umgebung noch mehr als er selbst. Wohl sind gegen Morgen noch Stunden der Besinnlichkeit da, sie werden indes immer spärlicher, Schlummersucht vielleicht eine Betäubung, welche kaum auf Augenblicke das Bewußtsein rückkehren läßt, nimmt überhand, der Kranke vergißt alles, er verlangt nicht mehr zu trinken, obgleich er das ihm an die Lippen geführte Glas gierig lehrt, und läßt Harn und Kot unter sich gehen.

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Abdominaltyphus.

An dem Benehmen des Kranken, seinen andauernden Bewegungen, dem beständigen Gemurmel erkennt man, daß sein Hirn bei aller scheinbaren Betäubung nicht ruht, sondern stets von bestimmten Vorstellungen erfüllt ist. Diese können so stark werden, daß sie genügend Einfluß auf die motorische Sphäre gewinnen, um einen heftigen Wutanfall wachzurufen. — Gegen die Mitte der zweiten Woche stellen sich Durchfälle ein, schon etwas früher tritt Husten auf, welcher nur geringe Mengen eines schleimigen Sekrets zu Tage fordert. Die bereits um das Ende der ersten Woche nachweisbare Milzschwellung wird stärker, das vergrößerte Organ tritt vielleicht unter dem Rippenbogen hervor; ist der Kranke einigermaßen besinnlich, dann klagt er wohl über Stiche in dieser Gegend und Empfindlichkeit gegen Druck. Solche ist auch in der Ileocoecalgegend vorhanden; der Bauch erweist sich etwas aufgetrieben, er kollert nicht selten, und bei tieferem Pressen mit der Handfläche hört man in der Ileocoecalgegend Gurren. Auf der Haut des Rumpfes werden Roseolaflecken sichtbar. Das Fieber dauert an, der meist am Ende der ersten Woche sich zeigende Katarrh in den feineren Bronchien breitet sich weiter aus, die Unbesinnlichkeit und die Hirnstörungen bleiben auf gleicher Höhe oder steigern sich noch. In der dritten und vierten Krankheitswoche gehen unter den Erscheinungen der Herz- und Atmungsinsuffizienz die meisten, durch Darmblutungen oder Perforationen geht eine kleinere Anzahl der Kranken zu Grunde, welche überhaupt sterben. Bei günstigerem Verlauf läßt die Hitze allmählich nach, die trockene Haut wird feuchter, an die Stelle der Unruhe tritt Schlaf, der wirkliche Erquickung bringt, immerhin sind die Nächte noch keineswegs ungestört — schon gegen Abend merkt man die Verschlimmerung — der Meteorismus wird freilich geringer, aber die Diarrhöen halten noch an. Wird der Kranke wieder besinnlich, dann klagt er über außerordentliche Schwäche und Mattigkeit, er ist gegen leichte Erregung sehr empfindlich. Nach scheinbarer Wendung zum Besseren kann der frühere Zustand zurückkehren. — Lungenhypostasen, tiefgreifender Dekubitus, Abscesse in der Haut, in den Muskeln, in der Thyreoidea, namentlich wenn dieselbe Sitz eines Kropfes ist, und in ehr Parotis gesellen sich hinzu, Kehllcopfgeschwüre bilden sich — auch jetzt hält der Tod noch reiche Ernte. Von den neu entstandenen (sekundären) Krankheitsherden aus, oder vom Darm her, nicht weniger oft durch Erschöpfung und Nachlaß der Hirn- oder Herxthätigkeit tritt er ein. — Andere Male reiht sich ein Schwanken des ganzen Zustandes vom Guten zum Schlimmen, wochenlang dauernd an, bis es denn endlich zur Genesung kommt; sie erfolgt langsam unter Nachlaß aller Erscheinungen. Die Rekonvaleszenz ist von langer Dauer, sie ist ausgezeichnet durch Schwäche des Geistes wie des Leibes. Ist erst einmal der Appetit wirklich wieder da, dann läßt der Heißhunger nicht lange auf sich warten. — Dies ist das Bild eines mittelschweren, sich selbst überlassenen Typhus abdominalis, dessen Dauer bis zur vollständigen Herstellung der früheren Leistungsfähigkeit auf drei bis sechs Monate, dessen Mortalität auf 20°/ 0 berechnet werden darf. Die Betrachtung der Einzelerscheinungen ergiebt: Zeitrechnung: die Inkubation wird im Mittel auf etwa eine bis drei Wochen veranschlagt, indes ist die Möglichkeit kürzerer oder längerer Dauer keineswegs ausgeschlossen. Den Beginn der eigentlichen Krankheit kann man in den seltenen Fällen, wo vorher die Körperwärme gemessen war, durch den Eintritt der Temperatursteigerung feststellen — meist wird man sich damit begnügen müssen, v. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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Infektionskrankheiten.

von dem ersten Frieren an, das der Kranke deutlich empfand, einerlei ob dasselbe stark oder schwach gewesen, zu rechnen.

1 -I- Diätfehler.

2 + In den folgenden 16 Tagen niemals abnorme Temperatur. Fig. 19. Typhus abdominalis. R e c i d i v nach Diätfehler, der 10 Tage nach dem definitiven Fieberanfall der Ersterkrankung — diese war mittelschwer von ungefähr 4 Wochen Dauer — begangen wurde. Mädchen von 14 Jahren.

Temperaturverhältnisse: Ganz gleichgültig, wie man sich theoretisch zu der Bedeutung der gesteigerten Körperwärme in dem Gesamtbilde des Fiebers stellt,

praktisch ist die Temperatur bei dem Abdominaltyphus der Mittelpunkt, um welchen sich, die Darmerkrankung ausgenommen, alles dreht. Man hat eine Einteilung der Krankheit nach, dem Thermometer gemacht, die brauchbar ist. Invasionszeit: Die Temperatur steigt vom Morgen zum Abend um einen Grad, sinkt von der erreichten Höhe bis zum nächsten Morgen um einen halben, erhebt sich von dem so gewonnenem Ausgangspunkt wiederum um einen ganzen Grad, sinkt dann bis zum nächsten Morgen um einen halben u. s. w., bis nach längstens fünf Tagen durch dieses Staffelförmige" Ansteigen die Höhe, welche unter den gegebenen Bedingungen überhaupt erreicht werden konnte, erreicht ist. Erste Periode: Um 1,5° in leichteren, 3,5° und mehr in schwereren Fällen in die Höhe geschobene Miiieltemperatur. Bei übrigens normalem, Gang der Tagesfluktuation nur der Unterschied, daß die Nachtremissionen etwas kürzer und gegen die Vormittagsstunden verschoben erscheinen: das Maximum von vier bis zehn nachmittags, das Minimum von sechs bis neun Uhr morgens. Absolute Schwankung in schwereren Fällen nur 0,5°, in den leichteren 1—2° für den Tag. Dauer je nach der Schwere des Falles von Tagen bis zu Wochen. Zweite Periode: Allmählicher Nachlaß so, daß die Abendtemperaturen sich noch auf 40° und mehr erheben, während die Morgentemperaturen bis zur Norm herabgehen — Stadium der steilen Kurven. Erst später vermindert sich auch die Höhe der Abendtemperaturen. (Vgl. Fig. 19 mit Messungen vom 1. Tage an.) Noch lange in die Rekonvaleszenz hinein ist das Gleichgewicht kein stabiles: auf geringfügige Reize erhebt sich die Körperwärme vorübergehend ziemlich beträchtlich.

Abdominal typhus.

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Anatomisch entspricht die Bildung von Infiltrationen im Darm bis zum Auftreten von Geschwüren einigermaßen dem Zeitpunkte bis zum Ende der ersten, die Heilung der Geschwüre und etwaiger sekundärer Störungen der zweiten Periode. In diese letztere schieben sieh, falls anderweitige Herderkrankungen im Gefolge des Typhoids auftreten, direkt durch diese veranlaßt, nicht aber unmittelbare Wirkungen des TyphusNachts Mittaq« fc 5. 6. 7, 8 . 9 . 10. II. I i . 1. 2 . 3 . ». 5 . « . ». 8 . 9 . to. i l . i27 I . 2 . 3 . S. «... bacillus, neue Steigerungen 10.6 ein, welche also den W.8 ; W.6 W.6 sekundären Vorgängen 40, 5

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(Nach H. F. Müller.)

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6 8 10 12 2 V 6 8 10 12 l vollerer und kräftigerer bei der Ausatmung. Dies ist gegen das Ende der Krankheit sehr gewöhnlich und' kündet hier die bevorstehende Wendung an. Ferner findet sich Zunahme der Pulsfrequenz, —. i s... sehr selten Abnahme derselben bei dem Übergang des Kranken vom Liegen zum Sitzen. — Nimmt V die Herzschwäche zu, dann kommt es zum wirklichen Ausfallen einzelner Schläge, zur wechselnden ttH Füllung der Arterien und zu Muskelgeräuschen am Herzen. Endlich ist man nicht mehr imstande, an der Radialarterie die Häufigkeit der Herzschläge zu bestimmen, es bildet sich ein immer größer Fig. 55. KrupösePneumonie. Hohes werdender Unterschied zwischen der durch den Fieber. 3. Krankheitstag. Alle tastenden Finger und der am Herzen durch zwei Standen Bäder von 16° R. 8 Minuten. Knabe von 4 Jahren. das Ohr wahrnehmbaren Zahl heraus. Der KreisDerselbe Fall wie Fig. 54. lauf stockt, die Nase, Hände und Füße werden kühl, die Körperoberfläche ist cyanotisch, Benommenheit, alle Erscheinungen der Kohlensäurevergiftung stellen sich ein. Herzschwäche kann wahrend der ganzen Krankheitsdauer auftreten: anfangs mit plötzlich einbrechenden hohen Temperaturen, oder mit sehr rasch sich über große Teile der Lunge ausbreitenden Massenverdichtungen. Im Verlaufe wiederum gewöhnlich mit rascher Infiltration bisher verschonter Lungenabschnitte. Bei dem in kurzer Zeit erfolgendem starkem, das Ende der Krankheit begleitendem Abfall der Körperwärme ist eine plötzliche Verminderung der Herzarbeit nicht selten. Auch der von Haus aus mit einem kräftigem Herzen Versehene kann unter diesen Umständen den Nachlaß von dessen Thätigkeit (Kottapsus) erfahren. — Bei dem Herzschwächen genügt die längere Dauer der Krankheit, öfter schon deren nicht einmal schwerer Anfang. Von manchen wird angenommen, daß das Herz im Laufe der Pneumonie eine Erweiterung seiner beiden Höhlen erleide. Ehe man sich im gegebenen Falle zu dieser Deutung versteht, ist es nötig, sich davon zu überzeugen; daß nicht durch Retraktion der bei oberflächlichem Atmen wenig ausgedehnten Lungen eine Ausdehnung der Herzdämpfung vorgetäuscht wird.

Mit dem Sinken der Temperatur nimmt auch die Pulsfrequenz ab, sie geht bei Herzkräftigen sogar nicht selten unter die Norm. Anders bei Herzschwachen; hier tritt freilich etwas Verminderung ein, aber keine Rückkehr zur Norm; diese erfolgt erst im weiterem Verlaufe der Rekonvaleszenz. Die Atmung, wie die ihr dienenden Organe bieten bei der Pneumonie in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle erhebliche Veränderungen dar. — Zunächst ist die Häufigkeit der Atemzüge vermehrt, bei dem Erwachsenen steigt sie etwa auf 30—40 in der Minute — beobachtetes Maximum 80, Minimum 20; bei Kindern sind die Zahlen je nach dem Lebensalter beträchtlich höher. Wichtiger noch ist das Mißverhältnis zwischen Puls und Respirationsfrequenz; normal fallen 4,5 Pulse auf die Zeit, welche zwischen dem Beginn zweier aufeinander folgenden Inspirationen liegt, also 2 / 9 . Die Änderung bei der Pneumonie geht so vor sich, daß die Zahl der Atemzüge stärker, als die der Herzkontraktionen anwächst — es kann ein Verhältnis bis zu 1 / 1 sich herausbilden.

Genuine Pneumonie.

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Man findet das Zeichen dann, wenn eine erhebliche Verkleinerung der atmenden Oberfläche stattgefunden hat; dies geschieht oft zu einer Zeit, wo der Nachweis durch die physikalische Untersuchung noch nicht oder nicht mehr gelingt. — Bei stärkerer trockener Pleuritis ist das Gleiche vorhanden. — In der Regel bleibt bei der Atmung die leidende Seite etwas zurück, weil sie willkürlich geschont und daher ruhig gestellt wird; je stärker das Seitenstechen ist, desto mehr wird das angestrebt. — Husten pflegt schon im Laufe der ersten Stunden sich einzustellen, während der ganzen Dauer der Erkrankung und noch einige Zeit nachher vorhanden zu sein; er ist oberflächlich, wird möglichst abgekürzt, weil er Schmerz verursacht, kann aber, da er ganz gewöhnlich krampfhaft einsetzt, in hohem Grade belästigen, selbst gefährlich werden. Es kommt vor, daß die Kranken jedes Schlucken verweigern, weil sie dadurch zu einem ihnen unerträglichen Schmerz verursachendem Husten gezwungen werden; ebenso hindern sie willkürlich eine ausgiebige Lungenlüftung, weil tiefere Atemzüge zum Husten Veranlassung geben. — Bei alten Leuten kann der Husten unbedeutend sein oder ganz fehlen. Er ist immer gering, wenn die Lungenverdichtung noch die Oberfläche nicht erreicht hat. — Der Auswurf bietet in vielen Fällen charakteristische Eigentümlichkeiten dar: er ist stark mudnhaltig, haftet daher der Wand der Speigefäße fest an und hält viele Luftblasen, größere und kleinere, eingeschlossen. Weiter ist er innig mit fein verteilten, mehr oder weniger veränderten roten Blutkörperchen gemischt, welche ihm ein rostfarbiges Aussehe/n geben, und enthält fibrinöse Abgüsse der feineren Bronchien; diese zeigen dichotome Teilung. Die in mittleren Bronchien enthaltenen Gerinnsel können, allerdings recht selten, ganz ausgeworfen werden; sie werden mehr als 5 cm lang. Viele Eiterkörperchen und Epithelien aus den Lnftwegen sind regelmäßig beigemischt. — In manchen Fällen stellt sich der pneumonische Auswurf schon in den ersten Tagen der Erkrankung ein, andere Male läßt er länger auf sich warten; es ist dann anfangs gar kein oder nur katarrhalisches Sputum vorhanden. Gewöhnlich wird noch über die Dauer des Fiebers hinaus das charakteristische entleert. — Die Menge ist nie sehr erheblich, als Maximum werden 300 g angegeben. Bei Erwachsenen kommt es bisweilen vor, daß man kein pneumonisches Sputum sieht, bei kleineren Kindern ist das die Regel. Von Abweichungen in der Beschaffenheit des Auswurfs wäre zunächst die stärkere Beimischung eines wenig geänderten Blutes zu erwähnen — wohl nur durch Komplikationen bewirkt. Dann eine mit Recht als wenig günstig betrachtete Veränderung: dunkelbraune schmutzige Färbung mit viel Schaum, gleichzeitig Dünnflüssigkeit. (Pflaumenbrühartiges Sputum.) Seitenstechen, ein sehr häufiges, meist auch ein frühes Zeichen der Pneumonie ist gewöhnlich an die entzündeten Stellen der Lunge gebunden, verbreitet sich aber über einen größeren Umfang, als er dem später nachweisbar verdichtetem Lungenabschnitt entspricht. — Ausnahmsweise wird das Stechen an der der entzündeten gegenüberliegenden, selbst frei bleibenden Seite empfunden. — Bei j eder stärkeren Bewegung steigert sich der Schmerz, welcher wahrscheinlich dadurch zustande kommt, daß die innerhalb der entzündeten Pleura verlaufenden Nerven, von der Entzündung mit betroffen, in einen Zustand höherer Erregbarkeit geraten, so daß selbst leichtere Änderungen im Raum, Zerrungen und Verschiebungen, auf sie als Reize wirken können. — Manchmal schon nach einigen Tagen, fast regelmäßig gegen das Ende der Erkrankung, pflegt das Seitenstechen abzunehmen. v. J ü r g e n s e n , Spez. Fath. u. Ther. IV. Aufl.

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Die mittels der physikalischen Untersuchung nachweisbaren Veränderungen an der Lunge sind folgende: Anfangs ist der Perkussionsschall ungeändert, höchstens beiderseits leicht tympanitisch, das Atmungsgeräusch ist im ganzen schwächer oder, wenn kein Seitenstechen vorhanden, sogar um ein weniges schärfer, nur über dem späterem Yerdichtungsherd hört man rauheres, vielleicht auch schon von nicht klingenden gröberen Rasselgeräuschen begleitetes Atmen. Nun wird der Schall über der ergriffenen Stelle leicht gedämpft mit deutlicherem tympanitischen Beiklang; man hört dort außer verlängerter Exspiration und rauher Inspiration schon Knisterrasseln (Orepitatio indux). Allmählich nimmt die Dämpfung zu, behält aber immer etwas tympanitischen Beiklang, das Knisterrasseln breitet sich aus, mehr und mehr tritt das bronchiale Atmen hervor, auf der Höhe der Krankheit so stark, daß es als unangenehmes Geräusch dem auskultierenden Ohre geradezu lästig wird. In mehr oder minder weitem Kreis umgiebt den eigentlichen Herd fester Verdichtung ein Gürtel, der die Anfange der Erscheinungen darbietet. Der Rückgang wird wiederum durch Knisterrasseln (Orepitatio redux) über der verdichteten Partie eingeleitet, neben diesem ist dann meist noch gröberes klingendes Rasseln wahrnehmbar. Mit der Aufhellung der Dämpfung tritt das Tympanitische im Klang mehr hervor, erst allmählich, nach Wochen verliert es sich. Die Atmungsgeräusche kehrten so, wie sie sich von der Norm entfernten, zu ihr zurück. Eine bestimmte Zeit für die Ausbildung dieser Veränderungen ist nicht anzugeben: manchmal (bei den sogenannten regulären Pneumonien) ist im Laufe von höchstens drei Tagen der Verdichtungsherd zur vollen Entwicklung gekommen, andere Male findet man ihn erst nach Ablauf der Fieberzeit — das ist bei Kindern durchaus nicht selten. Auch der geübte Untersucher bleibt, selbst wenn die Gegenwart einer Pneumonie mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, wohl länger im Zweifel, wo dieselbe sitzt; wer alle Erscheinungen des wandständigen Verdichtungsherdes fordert, wird oft mit seiner Diagnose Gefahr laufen. Die Pleuritis ist eine so regelmäßige Begleiterin der Pneumonie, daß sie Mehrzahl der Fälle beschränkt hier Erwähnung finden muß. In der überwiegenden sie sich auf den entzündeten Lungenabschnitt und führt nicht zu Ergüssen — das geschieht etwa nur in 5 °/0, wobei übrigens zu bemerken ist, daß zeitlich und örtlich große Schwankungen auftreten. Ein seröser oder serös-fibrinöser Erguß ist meist für den Verlauf der Erkrankung von nicht tief einschneidender Bedeutung — die Dauer des Ganzen wird etwas verlängert, damit ist es in vielen Fällen abgethan. Anders bei eitrigen oder gar blutigen Exsudaten, welch letztere immer auf Störungen des Gesamtorganismus hinweisen und einfachen Pneumonien kaum zukommen dürften. — Die Menge des Ergusses ist bei ausgedehnten Pneumonien keine sehr beträchtliche; es fehlt an Raum neben der durch die Verdichtung stark vergrößerten, dem Druck der Flüssigkeit nicht nachgebenden Lunge. — In seltenen Fällen geschieht es, daß neben einem Herde im Oberlappen unten ein Pleuraerguß gefunden wird; häufiger noch treten umschriebene abgekapselte Exsudate auf. — Der Nachweis einer kleineren Flüssigkeitsmenge kann sehr schwer, öfter geradezu unmöglich werden. Störungen der Gehirnthätigkeit sind bei der Pneumonie nicht selten. Hervorzuheben ist, daß eine mit hohen Temperaturen (41—42°) rasch einsetzende besonders in den Spitzen lokalisierte Pneumonie, Kindern viel mehr als Erwachsenen,

Genuine Pneumonie.

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vorübergehend schwere Schädigung bringt: Erbrechen, Unbesinnlichkeit, Krämpfe. Ebenso kommt es in allen Lebensaltern vor, daß mit raschem Abfall der Körperwärme — meist findet sich dabei gleichzeitig Nachlaß der Herzthätigkeit — die Zeichen des anämischen Deliriums: Verwirrtsein, Unruhe, Irrereden, bisweilen ein dem alkoholischen Delirium täuschend gleichender Symptomenkomplex sich einstellen. — Neben diesen, im wesentlichen mit der Körperwärme einhergehenden und wohl von ihr abhängigen Hirnstörungen finden sich andere, welche auf eine unmittelbare Einwirkung des pneumonischen Giftes zu beziehen sind. — Zuerst gilt für die Trennung das negative Charakteristikum: keine rasch entstandenen Hebungen oder Senkungen der Körperwärme. Es kann zu einfach funktionellen, leicht ausgleichbaren, oder zu schweren entzündlichen Veränderungen kommen. Die letzteren dürften wohl immer auf einer Lokalisation des Mikrobion — der FRÄNKEL'sche Diplokokkus steht hier wie überhaupt in erster Reihe — in den Meningen beruhen. Seltener werden die Rückenmarkshäute nachweisbar mit ergriffen, aber es geschieht auch das; sogar auf der Außenseite der Dura spinalis kann eiterbildende Entzündung sich einstellen. — Bemerkenswert ist, daß die Erkrankung der Lungen aufhören, sogar anatomisch sich zurückbilden kann, während die der Centraiorgane weitergeht. Ebensowenig brauchen beide gleichzeitig sich zu entwickeln. — Lokalisierte Hirnerkrankungen sind sehr selten; beobachtet wurden Hemiplegie, Aphasie, Störungen der Koordination, besonders auch der Fähigkeit zu artikulieren. Das rasche Verschwinden der ausgeprägten Erscheinungen weist darauf hin, daß dann nur vorübergehende Schädigungen vorhanden waren, aber anderseits kann auch Gewebezerfall infolge von Embolien da sein. Bei Alkoholisten, die pneumonisch werden, können sehr leicht Hirnerscheinungen in den verschiedensten Formen bis zum vollentwickelten spezifischen Delirium sich einstellen. Abgesehen von den gewöhnlichen Störungen der Verdauungsorgane, die allen mit Fieber einhergehenden Infektionskrankheiten eigen sind, findet sich bei der Pneumonie anderes, wohl auf die spezifische Infektion Zurückzuführendes. Es kommen, meist gehäuft, Fälle vor, in denen schwere dyspeptische Erscheinungen, Druck und Schmerz in der Magengegend, Erbrechen, mehr oder minder heftige Durchfälle, sogar Ikterus, mit Fieber zusammen schon vor der Lungenerkrankung auftretend, die Kranken außerordentlich rasch herunterbringen. Ein solcher unbestimmter Zustand geht bisweilen eine Woche und mehr der gewöhnlich nicht umfangreichen und nicht festen Verdichtung voraus; er hält sich auch während ihrer ganzen Dauer oder eines Teiles derselben. Zögernder Verlauf ist diesen Erkrankungen eigen, ebenso starke Rückwirkung auf die allgemeine Ernährung. — In typisch verlaufenden Fällen findet man sehr oft Blutungen unter die Magen- und Darmschleimhaut, freilich in nicht erheblicher Ausdehnung. Die Möglichkeit, daß immer der Verdauungstrakt direkt von dem Mikroorganismus heimgesucht werde, ist dadurch näher gerückt. — Daß ein Teil des Giftes durch den Darm ausgeschieden wird, scheint möglich. Heftiger Durchfall, der um das Ende der ersten Krankheitswoche sich zeigt, fallt bisweilen mit rasch günstig sich gestaltendem Verlauf einer bis dahin sehr schweren allgemeinen Infektion zusammen. — Alles in allem genommen ist übrigens Verstopfung bei der Pneumonie häufiger als Durchfall. Die Milz ist nicht selten mehr oder weniger geschwellt; indes scheinen zeitlich und örtlich große Schwankungen vorzukommen. 25*

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Infektionskrankheiten.

Außer den Schweißexanthemen findet sich der Herpes bei der Pneumonie recht oft. Man rechnet — wiederum sind erhebliche örtliche und zeitliche Verschiedenheiten zu verzeichnen — 40—50°/o der Gesamtmasse, bei denen Herpes im Gesicht ausbricht, an anderen Stellen des Körpers ist er seltener. Meist zeigt sich der Ausschlag vom zweiten bis dritten Krankheitstage. Ein gut entwickelter, voll ausgebildeter Herpes ist ein prognostisch entschieden günstiges Zeichen. Als ungewöhnliche Lokalisation des Giftes tritt in einer kleineren Zahl von Fällen, übrigens zu jeder Zeit der Krankheit akute Nephritis auf. Eiweiß erscheint sehr oft im Harn. — Man legte früher großes Gewicht auf das Fehlen von Kochsalz im Urin der Pneumoniker; dem ist aber bei allen den Fiebernden, die keine Nahrung einfuhren, ebenso. — Starke Uratsedimente sind auf der Höhe der Krankheit häufig, sie erklären sich durch die große Konzentration des Harns; absolut vermehrte Ausscheidung von Harnsäure findet sich regelmäßig in dem 2 4 — 4 8 Stunden nach plötzlichem Temperaturabfall entleerten Harn. Gelenkentzündungen mit serösem oder eitrigem Erguß sind selten; sie können durch die Pneumokokken oder durch Eiterkokken hervorgerufen sein. Noch seltener sind leichtere Erkrankungen der Knochen und ihres Periosts mit den gleichen klinischen Zeichen, welche die Sepsis bringt. Kaum bei einer anderen Krankheit war man geneigt, so viele verschiedene Formen aufzustellen wie bei der Pneumonie. Meist hielt man sich an ein bestimmtes stärker hervortretendes Symptom oder an eine Eigentümlichkeit des Verlaufs. So trennte man z. B.: eine Pneumonia cerebralis, welche, je nachdem Koma oder Delirium vorwalteten, wieder in eklamptische oder meningeale geschieden wurde, eine Pneumonia biliosa. Dann die Wanderpneumonie — Erkrankung mehrerer nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehender Lappen, die mit zeitlichen Zwischenräumen auftritt — von der fixen, die nicht über den einmal in Beschlag genommenen Lappen hinausgreift, und der annexiven, die in der Kontinuität weiter schreitet. Um sich rasch zu verständigen, haben diese und ähnliche Bezeichnungen ihren Wert; man muß sich nur vor dem Mißverständnis hüten, daß damit etwas anderes als genuine Pneumonie gemeint sei und darf nicht glauben, daß diesen Formen eigenartige Symptome zukämen. Von vielen und hervorragenden Ärzten wurde eine viel tiefer einschneidende Trennung gelehrt; sie stellten der sogenannten typischen die adynamische, asthenische Pneumonie gegenüber, indem sie eine ätiologische Verschiedenheit, d. h. einen anders gearteten Krankheitserreger annahmen. Daneben mußte {Teilich eingeräumt werden, daß bei Schwächlichen auch die typische in der Art der asthenischen Pneumonie sich zeigen könne — man war genötigt, den Begriff der „individuell asthenischen" Pneumonie einzuführen, wodurch die angestrebte Trennung notwendig an Bestimmtheit verliert. — Die bakteriologische Forschung hat bis jetzt Anhaltspunkte dafür, daß bei den schweren Erkrankungen besondere Spaltpilze wirksam werden, nicht geliefert. In allen Fällen, den typischen wie den atypischen, fand man stets die gleichen Formen. So wurde das Ergebnis der klinischen Beobachtung nicht angefochten. Und diese, sich wesentlich auf die Epidemien stützend, lehrt, daß nebeneinander im gleichem Hause und in derselben Familie typische und atypische, sthenische und asthenische Pneumonie mit dem reichem Wechsel in der äußeren Erscheinungsform auftreten, ivie er dieser Krankheitsform eigen ist. — Seit man sich daran gewöhnt hat, die Pneumonie als Infektionskrankheit zu betrachten, mehren sich in den Kreisen der Ärzte, welche Gelegenheit haben, in dieser Frage ein maßgebendes Urteil abzugeben, die Stimmen für die Einheit der Krankheit. Selbst Gregner ( K Ü H N MORINGEN) haben nach längeren eignen Erfahrungen ihre Anschauungen geändert. Den Verlauf und die S a u e r der Pneumonie betreffend, steht es fest, daß abortiv verlaufende, kaum 24 Stunden dauernde, dann aber auch Fälle vorkommen,

Genuine Pneumonie.

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die mehrere Wochen anhalten. Den Kern bilden die sogenannten „typischen Pneumonien" mit einer Durehsehnittsdauer von 5—9 Tagen (im ganzen 76 °/0 der Oesamtzahl) — der siebente Tag überwiegt dabei immerhin in etwas (23 °/ 0 ), die ungeraden Tage haben nach den neuen ausgedehnten Zusammenstellungen keinen Vorrang vor den geraden. Ein ganz kontinuierlicher Verlauf, wie er bei dem Typhoid die Regel, dürfte der Pneumonie nicht eigen sein. Vielmehr scheint es sich so zu verhalten: Selbst bei den „typischen" Pneumonien finden sich scheinbar unregelmäßige Schwankungen der Körperwärme, und sobald dieselben beträchtlicher sind, auch solche des Allgemeinbefindens ; es gelingt ferner nicht selten zur nämlichen Zeit in dem ergriffenen

Fig. 56. Krupöse Pneumonie. W a n d e r f o r m mit pleuritischem Erguß. Aufnahme am 3. Krankheitstage: Verdichtung im linken Unterlappen (oberer Teil); Lösung am 5. Krankheitstage. 1 + Pleuraerguß von mäßigem Umfang links. 3 + Verdichtung im rechten Oberlappen; Lösung am 18. Krankheitstage. 3-(- Verdichtung im rechten Unterlappen; Lösung am 15. Krankheitstage. — Der Erguß schließlich vollständig resorbiert. 4jähriger Knabe.

Lungenlappen je nachdem Weitergehen oder aber Rückschritte der örtlichen Entzündung nachzuweisen. Bei der Wanderpneumonie zeigen sich diese Erscheinungen in sehr ausgesprochener Weise. Die sogenannten Recidive — Wiederergriffenwerden eines ganzen vor kurzem erkrankten Lappens, eines Teiles desselben, oder eines bis dahin gesunden Lungenabschnittes, nachdem die Haupterscheinungen der Erkrankung sich verloren hatten — können ohne weiteres angereiht werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind auch die andere Organe als die Lunge treffenden Lokalisationen des spezifischen Krankheitserregers vom nämlichen Gesichtspunkte aus zu beurteilen. Ein Verständnis führ das Ganze wird durch die Hypothese gegeben, daß der betreffende Mikrobe in kurzer Zeit zur Massenentwicklung gelangt, aber ebenso schnell die einzelne Generation vergeht, wie sie entstanden ist. Durch Ansiedlung des Kokkus an verschiedenen Stellen, wie sie nachgewiesen ist, kann aufs neue von diesen her eine Aussaat erfolgen, welche frische Erkrankung bedingt. So können bei günstigem Nährboden (individuelles Moment) und lebenskräftigen Krankheitskeimen (das sehr verschiedene Verhalten der Epidemien weist darauf hin, daß auch hier Unterschiede bestehen) eine, immerhin nur beschränkte, Zeit hindurch Autoinfektionen aufeinander folgen. Die Pneu-

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Infektionskrankheiten.

monie nähert sich also der Sepsis, und in gewissem Sinne der Malaria wie der Recurrens.

Eigentliche Komplikationen — d. h. das Nebeneinander irgend einer Krankheit, sei sie akut oder chronisch, und der Pneumonie — sind alle so gewöhnlieh, daß man, um sie zu nennen, die ganze Pathologie aufzählen müßte. Es genügt darauf hinzuweisen, daß ein geschwächter Körper zur Erkrankung an Pneumonie disponiert, und daß keine Krankheit gegen Pneumonie Schutz verleiht. Als Nachkrankheiten kommen vor: Langenbrand—Alkoholisten sind besonders disponiert— sowie Lungenabseesse. Lungenschrumpfung, Bronchopneumonien, gleichzeitig gewöhnlichli^posfose«, dürften nur beiHerzschwachen und bei den mit alten Lungenleiden BeFig. 57. Krupöse Pneumonie. Wander- und annexive hafteten (Emphysem, PleuraverForm. Sitz: Rechter Unterlappen ganz, Mittel- und wachsungen) auftreten — sie Oberlappen zum größeren Teil frisch infiltriert; linker sind im höherem Lebensalter vielUnterlappen in Lösung, Oberlappen im unteren Abschnitt grau hepatisiert. Beginn der Messungen 12 Stunden nach leicht etwas häufiger, als gewöhndem Anfangsfrost. Tod am Anfang des 10. Krankheitslich angenommen wird. — Im 62jährige Frau. ganzen sind alle schweren örtlichen Erkrankungen entschieden selten. — Über das Verhalten der Pneumonie zur Lungentuberkulose ist zu sagen: Häufig ist das Nebeneinander der beiden nicht. Ein Tuberkulöser kann an Pneumonie erkranken, und nach Pneumonie kann Tuberkulose zur Entwicklung gelangen. Die Diagnose der Pneumonie ist in den typischen Fällen schneller Lokalisation leicht; schwer, oft für eine Zeit unmöglich wird sie, wenn Lungenherde nicht nachweisbar. — Verwechslungen finden statt mit Typhoid, mit Meningitis, auch wohl mit akuter Tuberkulose und mit septischer Infektion bei nicht nachweisbarer Eintrittspforte. Ebenso kann eine rasch konfluierende Bronchopneumonie, sei es eine tuberkulöse, sei es eine aus anderen Ursachen entstandene, große Schwierigkeiten bieten; es kommt vor, daß erst die mikroskopische Untersuchung der hange volle Sicherheit giebt. — Die Differentialdiagnose gegen Pleuritis kann sehr erschwert sein. Wenn derbe, die mittleren und gar die größeren Bronchien füllende Infiltration eines der Unterlappen da ist, bei welcher selbst Yerdrängungserscheinungen vorgetäuscht werden können (Massive Pneumonie), entscheidet sicher nur die Punktion. — Ob man es mit einem akutem Exanthem, besonders mit Scharlach, mit Meningitis oder auch nur mit einfacher Angina zu thun habe, das festzustellen, kann bei Kindern im Anfang der Erkrankung kaum möglich sein. — Bei Leuten, die an Delirium tremens leiden, ferner bei solchen, die schnell maniakalisch geworden sind, thut man stets wohl daran, sehr sorgfaltig die Lungen zu untersuchen. — Zu erwähnen ist noch, daß Pneumoniker bei epidemisch herrschender Cerebrospinalmeningitis von dieser manchmal ergriffen werden, ohne daß ein sicheres Zeichen auf die neue Erkrankung hinweist.

Genuine Pneumonie.

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Die Prognose der Pneumonie ist im allgemeinen durch zwei Bedingungen bestimmt: Die Schwere der zeitweilig herrschenden Infektion unterliegt großem Wechsel, aber in der Regel, nicht immer, läßt sich eine gewisse Oleichartigkeit innerhalb des bestimmten Zeitabschnittes nicht verkennen: kommt es doch sogar vor, daß alle Pneumonien nahezu die nämliche Dauer haben. Man kann daher manchmal nach einigen beobachteten Fällen entscheiden, ob man es zur Zeit mit einer gut- oder bösartigen Erkrankung zu thun hat. Alles in allem genommen beherrscht der Charakter der jeweiligen Erkrankung — der „Genius epidemicus" nach alter Benennung — hervorragend die Lage. Gewiß ist daneben die Persönlichkeit des Erkrankten von wesentlicher Bedeutung. Und da gilt als durchstehende Regel, daß das Lebensalter die Prognose bestimmt: das Kindesalter hat sogut wie gar keine Sterblichkeit an nicht komplizierter Pneumonie, das kräftige Alter eine verhältnismäßig g e r i n g e , das Alter der Abnutzung eine sehr hohe. Absolute Zahlen sind sehr schwer zu geben, da große örtliche Verschiedenheiten darin, wann das Alter der Abnutzung beginnt, bestehen. — Für kräftige Erwachsene wird eine Sterblichkeit von 10—15 °/0 angegeben. Was im Einzelfall für die Prognose bedingend ist, folgt aus der Betrachtung der mechanischen Veränderungen, welche durch die Erkrankung der Lungen hervorgerufen werden. Wir finden bei der in den Lungen lokalisierten Erkrankung eine Beeinträchtigung von deren Thätigkeit, daneben Fieber. Für gewöhnlich genügt weder das eine, noch das andere, um den Tod herbeizuführen. Von dem Augenblick, wo die Körperwärme die Norm erreicht, tritt die Lungenerkrankung fast in den Hintergrund und wird bedeutungslos; das Fieber dauert zu kurz und erreicht doch nur selten Höhen (41° und mehr), die ohne weiteres Gefahr bringen. Erst durch die vereinte Wirksamkeit beider Störungen wird das Leben bedroht; sie schädigen das Herz, und eine große Zahl der Pneumoniker geht an ungenügender Herzthätigkeit zu Gründe. Im einzelnen: 1. Das Exsudat bedingt eine Vermehrung der Widerstände im kleinen Kreislauf, dadurch erhöhte Ansprüche an die Leistungsfähigkeit des rechten Ventrikels. — 2. Die von der Pneumonie in und an der Lunge gesetzten Veränderungen bewirken eine Verminderung der durch die Vermittelung dieses Organs für die Blutbewegung zu liefernden Kraftsumme. — Um Triebkraft für den Kreislauf zu liefern, muß die Lunge ihren Umfang ändern — soweit dieselbe verdichtet wurde, ist das unmöglich, der pleuritische Schmerz verhindert eine genügende Ausdehnung des Organs als Ganzes. — 3. Die durch das Infiltrat herbeigeführte Verkleinerung derjenigen Oberfläche, an welcher Blut und Luft in der Dunge einander berühren, verlangt eine Mehrleistung der Triebkräfte für Blut und Duft, sobald ein den gesteigerten Forderungen des Körpers entsprechender Gaswechsel stattfinden soll. 4. Gesteigert sind aber diese Forderungen, solange Fieber zugegen ist. Das Fieber bringt also die von der Pneumonie örtlich geschaffenen Störungen zum Ausdruok. Schon die Temperaturerhöhung führt, hier wie immer, eine vermehrte Arbeit des Herzens herbei. Solange Fieber vorhanden, leben die Kokken im Körper des Kranken und bilden ihre Stoffwechselprodukte. — Diese sind Toxine und schädigen den Ergriffenen. — Ob vorwiegend sein Herz? Darüber mag man streiten. Es wird behauptet, daß Gefäßlähmung, Erweiterung der Arterien unmittelbare Wirkung der Pneumonietoxine sei. Wäre das richtig, dann würde daraus mittelbar eine weitere Vermehrung der Forderungen an die Arbeitskraft des Herzens sich ergeben. Denn wenn die Arterien über ein gewisses Maß erweitert sind, gelingt es dem linken Ventrikel nicht mehr, den für den Kreislauf notwendigen Druckunterschied aufrecht zu erhalten. Daß bis dahin das Äußerste an Herz-

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Infektionskrankheiten.

kraft aufgeboten wurde, unterliegt keinem Zweifel. — Es hat keine sonderliche Bedeutung, Einzelheiten besonders hervorzuheben. Genügend ist, daß man die Thatsache anerkennt: Alles, was von örtlichen Störungen in den Lungen vorhanden, gewinnt seine volle Bedeutung nur durch die Allgemeinioirkung der Infektion. — Alle alten oder frischen Erkrankungen des Herzens, ebenso die Lungen- und Pleuraerkrankungen, welche die Entfaltung der Lunge beeinträchtigen (Pleuraverwachsungen, Emphysem u. s. w.) und den Gasaustausch erschweren (ausgedehntere Bronchitis, besonders wenn sie die feineren Zweige ergreift), werden für den Pneumoniker verhängnisvoll. Umsomehr, als gewöhnlich bei chronischen Lungenleiden das Herz ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogen ist. Die Bedeutsamkeit der Ausbreitung der Verdichtung ist zunächst auf die örtlichen Verhältnisse in der besprochenen Weise zurückzuführen. Daneben kommt übrigens wesentlich noch eine von B O L L I N G E R festgestellte Thatsache in Betracht: Ein grösseres pneumonisches Exsudat raubt dem Blute einen erheblichen Teil seiner roten Körperchen und schmälert damit seine Fähigkeit zum Gaswechsel. — So wird die grössere Gefahr, welche eine ausgedehnte Infiltration Anämischen bringt, wohl verständlich. —

Durch den Nachweis der Pneumoniekokken im Fehiboden der Wohnhäuser, wird die Möglichkeit der Prophylaxe näher gerückt. Bei der eigentlichen Therapie gehen manche von der Voraussetzung aus, daß eine so kurz dauernde typische Erkrankung wie die Pneumonie keiner eigentlichen Behandlung bedürfe. Es genüge, Schädlichkeiten von dem Kranken fern zu halten und ihn unter möglichst gute hygieinische Bedingungen zu bringen. Daß bei Kindern fast immer, bei kräftigen jüngeren Erwachsenen die Pneumonie in der überwiegenden Mehrzahl günstig verläuft, ist die dieser Anschauung zu Grunde liegende Thatsache. Es ist aber fraglich, ob denn nicht — auch wenn das Leben nicht unmittelbar bedroht erscheint — ein thatkräftiges Einschreiten nützlich werden kann? Dadurch nützlich, daß der Organismus, gegen die Wirkungen der Erkrankung widerstandsfähiger gemacht, weniger unter ihren Folgen zu leiden hat und rascher zur Norm zurückkehrt. Man darf darauf hinweisen, daß bei dem Anfang der Erkrankung niemand mit Bestimmtheit weiß, ob sie denn wirklich typisch enden oder mit wiederholten neuen Lokalisationen einen schleppenden, lang sich hinziehenden Verlauf nehmen wird. — Das Entscheidende iat die jeweilige Epidemie. Es giebt solche, wo nahezu jeder Fall so glatt und leicht verläuft, daß man von wirksamem Eingreifen vollständig absehen kann. Hier in Tübingen war das während der letzten Jahre so, und nur ganz ausnahmsweise fand ich Veranlassung zu ernsterem Handeln. Aber vor einigen Jahrzehnten war es anders. Damals habe ich nicht den Mut gehabt, die Hände in den Schoß zu legen und alles gehen zu lassen, wie es gehen mochte. Und jetzt würde ich genau ebenso handeln. Da ein spezifisches Mittel nicht gekannt ist, sind wir auf symptomatische Behandlung angewiesen. Deren Grundsätze lassen sich im Einklang mit den eben gegebenen Auseinandersetzungen über die Frage, von wo der Tod droht, dahin feststellen, daß neben einer gegen die Pneumonie als Infektionskrankheit gerichteten Therapie ganz besonders Herzschwäche verhindert oder beseitigt werden muß. Antipyretische Behandlung entspricht zunächst der gestellten Aufgabe; diese ist mit Hilfe solcher Mittel durchzuführen, welche nicht, die Temperatur herabsetzend, gleichzeitig das Herz schädigen, wie es sicher Brechweinstein, Digitalis (in den hier erforderlich werdenden großen Gaben) und Veratrin thun. Salicylsäure, Antipyrin, An-

Genuine Pneumonie.

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tifebrin und ähnliches sind ebenso wenig empfehlenswert, da in einer immerhin genügenden Zahl von Fällen selbst bei vorsichtiger Anwendung Herznachlaß sich einfindet. Das beste innere Mittel bleibt das Chinin, welches wie bei dem Typhoid zu geben ist. Man hüte sich nur, zu jener Zeit, wo die Krisis in der Nähe, vor diesem, wie vor jedem Antipyreticum, da durch raschen und tiefen Abfall der Temperatur die Entstehung von Herzschwäche begünstigt wird. Am zuverlässigsten und den Forderungen des Einzelfalls am besten anzupassen ist die Wasserbehandlung. Für die Pneumonie ist eine allgemeine Regel kaum zu geben. Bei Alten und Schwachen wird man höher temperierte, wenige Grade unter der Körperwärme liegende Bäder, Einwicklungen oder Überschläge in vielen Fällen wähleD, bei kleineren Kindern reicht man gewöhnlich mit Bädern von 2 0 0 oder mehr. Allein es kann — falls die Temperatur sich dauernd über 41° hebt — nötig werden, sowohl bei Kindern wie bei herzkräftigen Erwachsenen die allerenergisehsten Wärmeentziehungen Schlag auf Schlag m, wiederholen. Erscheinungen von heftigerer Hirnreizung machen je nachdem allgemeine Wärmeentziebung mit kalten Begießungen des Kopfes, oder bei niederem Stand der Körperwärme diese allein notwendig. — Die Atmung zu vertiefen, die Arterien, wenigstens die an der Körperoberfläche, zeitweilig zu verengern — auch dazu giebt die Hydrotherapie die Mittel an die Hand. — Für den Gebrauch des Weines gilt im allgemeinen das gleiche wie bei dem Typhoid. Man wird bei Alten und Schwachen gut thun, von Anfang an die stärkeren Sorten in nicht zu kleinen Mengen darzureichen, so wird die Herzschwäche sicherer verhütet. Säufern sollte unter allen Umständen eine reichliche Menge Alkohol gegönnt werden. — Muß man stärkere Wärmeentsiehungen machen, dann ist immer vor und nach dem Bade eine nicht zu kleine Menge Wein zu geben. — Man hat sich gegen den Wein bei Pneumonikern erklärt, indem man sagte, das sei bei so kurz dauernder Erkrankung unnötig. Darauf ist zu erwidern, daß niemand die Dauer der Krankheit vorausbestimmen kann, und Schaden durch den Wein sicher nicht gestiftet wird. Andererseits wurde hervorgehoben, daß man bei frühzeitigem Gebrauch von Wein durch Gewöhnung des Kranken an ihn außer stände wäre, dieses beste Reizmittel bei wirklich eintretender Herzschwäche gegen diese ins Feld zu führen. Dazu ist zu bemerken, daß der Wein die Herzschwäche verhindert, und daß die stärkeren Spirituosen, Kognak, Rum u. s. w. mit heißen Thee- oder Kaffeeaufgüssen zusammen selbst bei dem Schnapssäufer noch sehr wirksame Erreger für das Herz sind. — Auch die subkutanen Injektionen von Kampferöl oder Äther finden bei Kollapszuständen ihren Platz; deren Wirkung wird sicher durch den Weingebrauch nicht beeinträchtigt. Wir gebieten also stets für den Notfall über einen ausreichenden Vorrat von Mitteln. Namentlich um die Zeit des Meberabfalles thut man wohl, nicht am Wein zu sparen; ist das Fieber fort, dann kann man sehr rasch, längstens nach einigen Tagen, den Wein ganz weglassen oder wenigstens seine Menge sehr erheblich vermindern. Während der Rekonvaleszenz findet er nur als Diäteticum Anwendung. — Dem Pneumoniker ist frische Luft durchaus erforderlich; kann man diese mit einer Temperatur von 1 4 — 1 6 ° beschaffen, desto besser — übrigens schadet weder kühlere Luft noch Zug; der Fiebernde erkältet sich nicht. Für die diätetische Behandlung gilt alles in § 106 Gesagte; wenn keine Erscheinungen vom Magen-Darmkanal vorliegen, hat man bei der Auswahl der Speisen einen viel größeren Spielraum, was bei langhinschleppendem Verlauf sehr erwünscht sein kann. —

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Infektionskrankheiten.

Von Einzelheiten wäre noch zu erwähnen: Bei unregelmäßiger Thätigkeit eines schon vorher kranken oder im Laufe der Pneumonie krank gewordenen Herzens findet die Digitalis nach den Indikationen, welche bei der Besprechung der Herzschwäche (§ 133) entwickelt sind, Anwendung. — Heftige Seitenschmerzen werden durch trockene Schröpfköpfe oder durch die Injektion von 0,01 g Morphium am Orte bekämpft; nachher wird ein PRiESSNiTz'scher Umschlag angewandt. — Schlaflosigkeit darf nicht geduldet werden; falls die unmittelbare Wärmeentziehung nicht ausreicht, um Schlaf zu schaffen, wende man Hypnotica an. Besonders bei Alkoholisten, auch bei solchen, die nicht unmittelbar an Delirium tremens leiden, stellt sich oft eine dauernde Unruhe ein und heftige Muskelbewegungen halten an. Hier ist das Chloralhydrat in nicht zu kleinen Gaben das beste Mittel. Man reiche vorher 10—20 Tropfen Salzsäure in entsprechender Verdünnung, da bei alkalischer Reaktion des Mageninhaltes, wie sie bei Säufern vorkommt, Zersetzung des Chlorais im Magen erfolgen kann, und gebe stets eine größere Dosis Alkohol nebenher. — Ist der Husten gar zu quälend, dann kann Morphium notwendig werden, aber nur in kleineren Mengen; höchstens 0,04 g für den Tag. Vorsicht ist namentlich bei Greisen geboten. Kindern darf das Mitte], wenn sie unter 5 Jahren sind, aus bekannten Gründen kaum je verordnet werden. Der früher als Hauptmittel gegen die Pneumonie gebräuchliche Aderlaß hat jetzt nur eine eng begrenzte Indikation: falls sich die Erscheinungen des Lungenödems eingestellt haben und durch Anwendung der rasch wirkenden Beizmittel (Kaffee mit Kognak nach vorhergehender Ätherinjektion) nicht in kurzer Zeit schwinden, oder die Lebensgefahr eine so unmittelbare ist, daß man keinen Augenblick zu verlieren hat, ist eine Venaesektion angezeigt. Dieselbe wird so vorgenommen, daß in möglichst kurzer Zeit eine ausreichende Menge von Blut aus der breit geöffneten Vene sich entleert. 200 bis höchstens 400 ccm werden wohl immer genügen. Der Zweck ist, das von venösem Blut überlastete rechte Uerz zeitweilig zu entlasten und wieder arbeitsfähig zu machen. Nach dem Aderlaß muß der Gebrauch von Reizmitteln sofort beginnen, resp. in erhöhtem Maße fortgesetzt werden. Man darf nie vergessen, daß die der Entziehung von Blnt folgende Verdünnung des zurückgebliebenen Teiles dem Herzen größere Arbeit auferlegt und die Ernährung dieses Muskels selbst erschwert, suche also die Venaesektion thunlichst zu vermeiden. Die empfohlene Therapie, wo sie wirklich durchgeführt wird, dürfte nur ganz ausnahmsweise die Entziehung von Blut notwendig machen.

Die Rekonvaleszenz wird nach allgemeinen Regeln geleitet; viele Pneumoniker können schon einige Tage nach dem Fieberabfall das Bett verlassen, erlaubt es der Zustand ihrer Kräfte und geht die örtliche Erkrankung zurück, dann ist kein Grund vorhanden, sie länger liegen zu lassen. — Bei zögernder Rückbildung der örtlichen Veränderungen sind neben Bettruhe und reichlicher Ernährung PßiEssiiiTz'sche Einpackungen des Thorax sowie Ol. terebinthinae (10—12 Tropfen bis zu sechsmal täglich) zu verordnen. — Die Komplikationen und Nachkrankheiten werden nach den für sie geltenden Grundsätzen behandelt. § 121.

Parotitis epidemica.

Epidemische Parotitis (Mumps, Schafskopf, Ziegenpeter) ist eine uralte, weit verbreitete Erankheit, welche bei uns mehr in der kälteren Jahreszeit auftritt, sich gewöhnlich langsam über größere Menschenmengen ausdehnt und wahrscheinlich kontagiös ist.

Parotitis epidemica.

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Einmaliges Überstehen der Krankheit schützt meist gegen deren Wiederkehr. Besonders disponiert ist das zweite bis sechzehnte Lebensjahr, das männliche Geschlecht etwas mehr als das weibliche. — Durch Autopsie sind anatomische Veränderungen nicht sichergestellt. Man zweifelt, ob es sich mehr um eine katarrhalische Entzündung der Schleimhaut oder um eine solche des in der Parotis enthaltenen Bindegewebes handelt; die letztere Vermutung dürfte die größere Wahrscheinlichkeit für sich haben. Eiterbildung in der Drüse kommt, immer nur umschrieben, ganz ausnahmsweise vor. — Die Inkubationszeit wird von wenigen bis zu 14 Tagen geschätzt. Vorläufer können die eigentliche Erkrankung einleiten; meist bestehen sie nur in allgemeinem Mißbehagen, bisweilen freilich zeigen sich unangenehme Empfindungen in der Parotisgegend und auch wohl dyspeptische Beschwerden, Übligkeit, Erbrechen und Durchfälle. Die Schwellung einer oder beider Parotiden geschieht rasch, sie ist von ziehenden und spannenden Schmerzen, mitunter von Stichen in der Parotisgegend begleitet. Die Geschumlst tritt zuerst zwischen dem Processus mastoides und dem absteigenden Ast des Unterkiefers hervor und verschiebt den unteren beweglichen Teil des Ohres so, daß er, nach außen gerichtet, vom Körper abstehend erscheint. Große Parotistumoren erstrecken sich bis nahe zum Schlüsselbein nach abwärts, nach vorn und oben bis zum äußerem Rande der Augenhöhle, nach innen so weit, daß Verengerung des Schiundkopfes, sogar des Kehlkopfes und der angrenzenden Teile der Luftröhre stattfinden kann. Die sie bedeckende Haut ist ödematös, stärker gespannt, blaß, auch die Weichteile der Umgebung und die Lymphdrüsen sind geschwellt, ebenso die anderen Speicheldrüsen. Scharfe Umgrenzung des Tumors wird dadurch unmöglich. — Namentlich bei doppelseitiger Parotitis (dem gewöhnlichem Verhalten) ist der Gesichtsausdruck verändert, er bekommt etwas Einfältiges, wozu das Aufhören des Mienenspiels nicht wenig beiträgt. Das öffnen des Mundes, das Kauen, vielleicht sogar das Schlingen ist erschwert, der Kopf wird gegen die am meisten erkrankte Seite gebogen; Ohrensausen, Schwerhörigkeit pflegen nicht zu fehlen. Die Speichelabsonderung ist in vielen Fällen nicht aufgehoben, vielleicht etwas vermindert. — Meberbewegungen sind regelmäßig vorhanden und können recht bedeutend werden (40°); sie dauern aber nicht lange an und halten mit der Schwere der örtlichen Erkrankung nicht notwendig gleichen Schritt. — Milzschwellung findet sich nicht selten. — Der spezifische Krankheitserreger vermag sich auch in den Hoden zu lokalisieren. Das geschieht in der Regel erst, nachdem die Parotis erkrankt war, seltener vorher, bisweilen ohne Beteiligung derselben. Nicht Geschlechtsreife werden davon fast stets verschont. Es handelt sich meist um Orchitis, von welcher der rechte Hoden viel öfter als der linke befallen wird. Epididymitis und Beteiligung des Samenstrangs ist selten. — Erkrankung der Urethra mit Ausfluß ist beobachtet; ebenso entzündliches Ödem des Hodensacks. — Bei Weibern sah man Schwellung der Ovarien, sowie der äußeren Schamteile mit Katarrh der Scheidenschleimhaut, auch die Brüste werden hin und wieder ergriffen. Alle diese Störungen gehen rasch zurück und hinterlassen nur ganz vereinzelt bleibende Folgen. — Der Verlauf ist so, daß die Schwellung einer Parotis eine Zeitlang bestanden hat, ehe die der anderen nachfolgt; diese ist meist geringer. Die Dauer des Ganzen beträgt bei einfacher Parotitis höchstens zwei Wochen, bei

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Infektionskrankheiten.

der die genannten Geschlechtswerkzeuge in Mitleidenschaft ziehenden Infektion kann sie mehr als drei in Anspruch nehmen. — Äbortivfälle finden sich, ebenso Recidive. — Der Ausgang ist (vereinzelte Fälle ausgenommen, eine einzige Epidemie desgleichen) ein günstiger mit voller Herstellung, die Prognose ist daher gut. Auch von dem Volke wird die mit Scherznamen benannte Krankheit nicht anders betrachtet. — Die Therapie kann sich meist auf Fernhalten von Schädlichkeiten beschränken. Höheres Fieber, das individuell schlecht vertragen wird, hochgradige Beschwerden bei dem Schlingen und Atmen, endlich Eiterbildung in der Drüse können ein den gegebenen Bedingungen entsprechendes Eingreifen fordern. § 122. Diphtherie. D i p h t h e r i e (Angina maligna; brandige Bräune) war den Kulturvölkern des Altertums wohl bekannt, ihre Epidemien scheinen damals wie jetzt durch verhältnismäßig lange Zwischenräume getrennt gewesen zu sein. Seit den fünfziger J a h r e n

unseres Jahrhunderts wurde Deutschland, der Norden mehr noch als der Süden, schwer heimgesucht. Der

Krankheitserreger

der

Diphtherie

ist

ein

Bacillus

(KLEBS- LÖFFLEE).

(Fig. 58.) Ein keulenförmiges Stäbchen, 1,5 bis 2,0 fi lang, 0,3 bis 0,5 fi breit, meist mit einem anderen in mehr oder minder großem Winkel übergelagerten vorkommend, nicht beweglich, ^ keine Sporen bildend, aber sehr dauerhaft, so daß es auf trockenen Teilen der Membranen bis zu 5 Monaten lebensfähig bleibt. Milch, ^ » b Harn liefern Nährböden; das Wachstum ist bei 37—40° am besten, ® kann aber noch bei 20 0 stattfinden. — Der LÖFFLER'sche Bacillus ist ^ in größter Menge an den erkrankten Teilen, aber auch in inneren Fig. 58^ ^Diphtherie- Organen und im Blute nachgewiesen. — Er bildet ein sehr heftiges bacillen aus Kultur Toxin, das nicht zu den Eiweißkörpern gehört (BRIEGER). Hervorzu(nach FLÜGGE). heben ist, daß das Diphtheriebakterium, selten allein, gewöhnlich mit a Junge Bacillen. anderen Mikrobien, unter denen Strepto- und Staphylokokken besonders b S S T häufig, zusammen vorkommen. g ' ' " Es findet sich ein in seiner Gestalt gleicher, aber nicht virulenter Pseudodiphtheriebacillus, dessen Stellung — ob es der nämliche, nur in seiner Lebensthätigkeit geänderte, ob es eine andere Art sei — noch zweifelhaft bleibt. — D a r f m a n d e n Krup

als Krankheit

sui generis,

geweblich,

aber n u r in

den

Luftwegen und im Rachen ähnlichste Erscheinungen bedingend, ätiologisch indeß ganz verschieden, ansehen? Das muß der Zukunft vorbehalten bleiben. Möglich wäre es, daß dabei eine Änderung der Wirkungsweise des Bacillus vorliegt, daß

er nur

örtliche

Veränderungen

erzeugt,

weniger

oder

gar

kein

Toxin

bildet.

Vom klinischem Gesichtspunkt scheint diese Auffassung berechtigt. Denn mit dem Nachlaß der Diphtherie als Volksseuche treten die Fälle mit schwerer Allgemeininfektion und bedrohlichen Nachkrankheiten in den Hintergrund, jene mehr vereinzelten, in denen das Ergriffensein des Kehlkopfs und der Lungen die Hauptgefahr bildet, beherrschen die Lage. Bestimmt ist darauf hinzuweisen, daß die klinische Diagnose „Diphtherie" eine große Schwankungsbreite hat. Manche Ärzte sind bereit, sie zu stellen, sobald nur etwas einer Auflagerung entfernt Gleichendes auf den Rachengebilden sichtbar wird. Es läßt sich zur Rechtfertigung bemerken, daß bei herrschender Epidemie einfache Anginen vor-

Diphtherie.

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kommen, welche zweifellos durch Diphtherieinfektion entstanden sind — die Nachkrankheiten beweisen das — allein man geht doch wohl in der Praxis zu weit. Die Verwirrung wird noch größer dadurch, daß auch der anatomische Begriff „Diphtheritis" —• Durchsetzung der Gewebe mit einem später gerinnendem Exsudat und nachheriges Absterben derselben — sich mit dem klinischen „Diphtherie" nicht deckt. Mancher Fall tödlich verlaufender Diphtherie könnte, falls einzig die anatomische Kennzeichnung maßgebend wäre, nicht ihr zugerechnet werden. Nach dieser Seite hin würde viel erreicht werden, wenn man der pathologischen Anatomie die Diphtheritis, der Klinik die Diphtherie erbeigen uberlassen wollte.

Der Krankheitserreger der Diphtherie hat einige Eigentümlichkeiten, welche genauer gekannt sind: Daß der Bacillus durch Impfung, d. h. durch unmittelbare Einverleibung in eine der Deckepithelien beraubte Haut oder Schleimhaut übertragbar ist, ist mehr als genügend bewiesen, ebenso dürfte sein langes Haften in Bäumen, welche ihn einmal beherbergt haben, unzweifelhaft sein. Diese Räume scheinen aber besondere Bedingungen bieten zu müssen: denn man kann Diphtheriekranke in Spitäler bringen, anhaltend und in großer Zahl, ohne daß diese verseucht werden; andererseits ist es trotz der Ausführung aller üblichen Desinfektionsmaßregeln, trotz scheinbar tadelloser allgemein hygieinischer Verhältnisse oft nicht möglich, ein von Diphtherie heimgesuchtes Haus davon zu befreien. — Etwas Ähnliches zeigt sich bei den Epidemien: von dicht aneinander grenzenden Ortschaften bleibt ohne auffindbaren Grund die eine dauernd oder wenigstens für längere Zeit verschont, während die andere befallen wird. — Ansteckung durch die den Kranken umgebende Luft und durch die von ihm benutzten Wäsche- und Kleidungsstücke geschieht jedenfalls äußerst selten. Es ist eine eher häufige Beobachtung, daß von mehreren im gleichem Bette liegenden Kindern ein erkranktes trotz der engen Berührung auf seine Geschwister die Diphtherie nicht überträgt. Ebenso werden die Bettnachbarn in den Spitälern nicht öfter angesteckt. Bodenverhältnisse, Höhenlage, alle klimatischen Bedingungen, die Jahreszeiten haben, soweit gegenwärtig ein Urteil erlaubt ist, durchaus keinen Einfluß weder auf die Häufigkeit noch auf die Schwere der Diphtherie. Von individuellen Zuständen ist zunächst das Lebensalter namhaft zu machen: Kinder bis zum 6. Lebensmonate werden selten ergriffen, die Empfänglichkeit steigt danach, erreicht gegen das fünfte Jahr ihr Maximum und vermindert sich allmählich; von der Pubertät an ist sie der in späteren Jahren so ziemlich gleich. Ganz verschont bleibt keine Altersklasse. — Das Geschlecht bietet keine nennenswerten Unterschiede. — Alle Stände liefern der Seuche Opfer; daß diese bei den niederen zahlreicher sind, hängt vielleicht nur damit zusammen, daß die Masse des Volkes ihnen angehört. — Einmaliges Überstehen der Diphtherie schützt nicht gegen erneutes Erkranken. — Vielleicht begünstigen Katarrhe des Bachens und der oberen Luftwege etwas die Ansteckung. Übrigens kann diese von jeder Stelle der (verletzten?) Schleimhaut und der ihrer Deckschicht entbehrenden Oberhaut aus geschehen. Es steht fest, daß Fälle schwerster allgemeiner Infektion vorkommen, in denen die örtlichen Rachenerkranku/ngen zur Zeit des Todes erst eben angedeutet waren. Thatsächlich ist es meist so, daß örtliche Erkrankung im Rachen oder im Kehlkopf und Allgemeinleiden nebeneinander hergehen, das letztere kann, namentlich bei den durch Erstickung tödlich endenden Fällen, sehr unbedeutend sein. Bei der anatomischen Untersuchung sind örtliche und allgemeine Veränderungen zu trennen. Daß sekundäre Vorgänge durch septische und putride

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Infektionskrankheiten.

Krankheitserreger auch hier von großer Wichtigkeit ist zweifellos. Aber im anatomischem Bilde ist die Sonderung von den durch die Ersterkrankung erzeugten keine bestimmte. Örtlich zeigt sich auf den Sehleimhäuten der Rachenorgane, der Nase, des Kehlkopfs, der Bronchien — den gewöhnlichst erkrankten Teilen — Entzündung in den anatomisch geschieFormen der katarrhaM M A M M A M MAMMAMM AMM AMMAMM AMM Adenen MMA «?0 lischen, krupösen und diph1«. theritischen, nicht selten daneben Gangrän. In einer —ir Leiche können alle diese Veränderungen sich finden, meist 1 F~ so, daß an den früh er«Co griffenen Teilen die schwereren, an den später befallenen die leichteren da 39'0 sind. Übrigens ändert sich im Laufe der Erkrankung der Charakter der Entzündung; während im KehlA. kopf anfangs krupöse Exsudation vorhanden ist und 3**0 hier erst später in diphtheritische übergeht, pflegt Tag der Krankheit. im Rachen gleich von An1 + Neue Membranen zeigen sich. Fig. 59. Diphtherie des Rachens ohne jede Komplikation mit fang an die diphtheritische raschem günstigen Verlauf bei einem 4jährigen Knaben (Ge- zu überwiegen. Das subschwister von dem Fall Fig. 61). Beginn der Messungen wenige epitheliale Gewebe, die FasStunden nach Anfang der Erkrankung, jetzt schon Membranen. cien, die benachbarten Muskeln beteiligen sich je nach der Stärke der Schleimhauterkrankung. Die Drüsen, welche die Lymphe des ergriffenen Bezirks aufnehmen, sind selbst bei den leichtesten Formen geschwellt, mehr noch bei den schwereren, wo sie (seltener) zur Vereiterung oder Verjauchung gelangen können. Meist stellen sie harte, derbe Knoten dar, ihre Umgebung ist ödematös infiltriert; es kommt vor, daß von dem Halse aus sich ein solches Ödem bis zur Mitte der Brust ausbreitet.

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Die allgemeinen Veränderungen sind manchmal sehr unbedeutend, andere Male so stark wie nur immer bei den schwersten Infektionen. Die Inkubationszeit scheint innerhalb ziemlich weiter Grenzen zu liegen; nach den zufalligen Übertragungen auf den Menschen durch Impfung vergingen zwei bis drei Tage, für die Infektion auf anderem Wege wird ein Maximum von 14 Tagen angenommen. Das Krankheitsbild der Diphtherie ist sehr wechselvoll. Es wird dies wesentlich dadurch bedingt, daß neben der außerordentlich verschiedenen Schwere der Intoxikation die örtliche Erhranhmg sich maßgebend geltend macht. So liefert die Kehlkopf- und Bronchialdiphtherie ein durchaus eigenartiges Bild, in welchem eine etwa vorhandene Rachenerkrankung wenig zur Geltung kommt, meist auch die allgemeine Infektion mehr in den Hintergrund tritt.

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Diphtherie.

Wählt man die Rachendiphtherie in ihren mittelschweren Formen zum Ausgangspunkt, so verhält sich die Sache etwa so: Nach kurzem allgemeinen Unwohlsein, vielleicht auch ganz ohne solches, treten Sehmerzen im Rachen auf, mit dem Gefühl von Trockenheit verbunden, bei M M A M M A M M A M M A M M A M M A M M A M M A dem Schlingen sich steiI gernd. Gleichzeitig ist Fieber M>?0 * 3 » •»o'o 2* vorhanden, öfter allmäh1 licher anwachsend, als plötzlich mit Frieren, Erbrechen, 39*0 Krämpfen einsetzend. Die 3 9 f o am Kieferwinkel und am ! t y Nacken gelegenen Drüsen i pflegen schon sehr früh ge- 3 8 * 0 f \ i schwellt und gegen Druck SJ ) \ ( s \J l etwas empfindlich zu sein. f \ s1 J er; metastatisch kommt er sehr selten vor. Es finden sich dann noch Sarkome und Tuberkel — ebenso äußerst selten. — Das Pankreas kann fettig infiltriert werden oder fettig degenerieren; es kann an der amyloiden Entartung teilnehmen. Nur ganz ausnahmsweise gelingt es, diese verschiedenen Erkrankungen zu diagnostizieren. Trotz der zweifellosen Vermehrung unseres Wissens halte ich es jetzt noch nicht für angezeigt, in kurzer Darstellung die Pathologie des Pankreas abzuhandeln. Das gehört meines Erachtens in die Monographien; ich möchte auf die von O S E R in NOTHNAGELS Sammelwerk verweisen. Sofern von einer Therapie die Rede sein kann, liegt sie ganz auf operativem Gebiet. Die Chirurgen haben auch hier manchen schönen Erfolg zu verzeichnen. Darüber giebt die Arbeit von K Ö R T E in der Deutschen Chirwgie Auskunft.

X.

Krankheiten der Milz. § 229.

Allgemeines.

Die Kreislaufverhältnisse der Milz sind für deren Teilnahme an pathologischen Vorgängen von Bedeutung. Die Milzarterien gehären zu den Endarterien, es fehlen bei ihrer feineren Verzweigung die Anastomosen; sie entleeren sich in Räume, aus denen erst die Venen hervorgehen. Die Blutbewegung ist daher verhältnismäßig langsam; mit dem Blute strömende Krankheitserreger finden in der Milz Zeit zum Verweilen und Mir örtlichen Wirkung. Die Größe der Milz wird für den vollkräftigen Erwachsenen auf 11 cm Länge, 7,5 cm Breite, 3 cm Dicke angegeben; übrigens sind das nur Mittelwerte, welche nicht mehr als eine allgemeine Vorstellung liefern. — Der Nachweis der Milz ist durch die Umgebung — lufthaltiges, zum größeren Teil tympani tisch schallendes Gebiet — erschwert, und bei normalen Verhältnissen nur für einen Teil derselben möglich. Die Perkussion liefert die besten Ergebnisse. Man untersucht, nachdem die Abgrenzung des linken unteren Lungenrandes vorhergegangen, den stehenden oder halb auf der rechten Seite, halb auf dem Rücken liegenden Kranken mit nickt xu starkem Anschlag. Lineare Perkussion ist für genauere Bestimmungen empfehlenswert. — Gewöhnlich perkutiert man in der linken Axillarlinie von oben nach unten, dann von unten nach oben, endlich innerhalb des so in einer Richtung abgegrenzten Bezirks von der Mittellinie gegen die Wirbelsäule und in umgekehrter Richtung. Unter normalen Bedingungen stellt sich so eine Dämpfung zwischen 9. und 11. Rippe von etwa 5—6 cm Breite heraus; nach vorn überragt dieselbe nicht wesentlich die mittlere Axillarlinie. Da Täuschungen durch den wechselnden Inhalt der Nachbarorgane leicht herbeigeführt werden können, da namentlich die Füllung des Magens und die Anhäufung von Kot im Darm Milzvergrößerungen vorzutäuschen vermögen, empfiehlt es sich immer, die gefundenen Grenzen aufzuzeichnen, man wird so oft schon durch die Dämpfungsform vor Irrtümern bewahrt. Vergrößerungen der Milz bewirken zunächst eine Breitenzunahme der Dämpfung, welche mehr nach oben oder mehr nach unten — das ist von dem Stande des Zwerchfells und der Füllung der Därme mit Gas abhängig und kann daher bei dem gleichen Menschen von Tag zu Tag wechseln — sich erstreckt. Das an Ausdehnung gewinnende Organ tritt an den Rippenbogen heran oder unter demselben hervor; es wird nun, sei es überhaupt oder nur bei tiefer Inspiration, dem

Krankheiten der Milz.

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Oetast zugänglich. Hierbei ist aber zu bemerken, daß nicht selten die sich kontrahierenden Zwerchfellzacken eine Verwechslung möglich machen. Große Milzgesehwülste ragen nach oben bis zur 5. Rippe, nach unten bis zum Darmbein, nach vorn bis zur Mittellinie, nach hinten endlich bis in die Nähe der Wirbelsäule. Sie lassen an dem vorderen Rand sehr oft die der Milx eigentümlichen Einkerbungen erkennen, welche, wenn derselbe hart ist, leicht tastbar sind. Die respiratorischen Verschiebungen der Milz sind auch bei starker Vergrößerung derselben meist erhalten; ebenso läßt sie sich von der Hand des Untersuchers verschieben. — Bei länger bestehenden Geschwülsten mittlerer Größe geben die Ligamente nach und dehnen sich, wodurch die Verschiebbarkeit noch zunimmt. — Auch ohne Vergrößerung kann die Milz in hohem, Grade beweglich werden, so daß sie bis in die rechte Bauchhälfte vorzurücken vermag — Wandermilz. Durch Drehung um ihre Achse kann es bei der Milz zur Verödung der Gefäße, ja zur vollständigen Lostrennung von den Aufhängebändern kommen, so daß das atrophierende Organ als Fremdkörper in der Bauchhöhle liegt. Je nach der Richtung, in welcher die Bewegung der Wandermilz geschieht, treten verschiedenartige Folgezustände an den vielleicht durch die strangförmig gewordenen Ligamente eingeschnürten anderweitigen Organen des Bauches ein; über Druck und Zerrung wird gewöhnlich geklagt. — Die Diagnose ist aus dem durch wiederholte Untersuchung sicher zu stellenden Mangel der Dämpfung an der normalen Stelle und aus der Beschaffenheit des dem Getast zugänglichen leicht beweglichen Körpers zu stellen. — Die Behandlung sucht durch zweckentsprechende Binden und Pelotten das Wandern zu beschränken, außerdem eine etwa vorhandene Schwellung der Milz zu beseitigen. § 230.

Akute Milzerkrankungen.

Milzkrankheiten treten weit häufiger in Verbindung mit anderen Leiden als selbständig auf. Man ist daher bei ihrer Einteilung in einiger Verlegenheit; immerhin lassen sich einige Hauptgruppen bilden. Unter den akuten Milzschwellungen nimmt die im Gefolge von Infektionskrankheiten sich einstellende dm ersten Platz ein. Malaria, die typhösen Leiden, Pyämie und Septikämie, die akuten Exantheme, unter diesen besonders die Pocken weisen am regelmäßigsten Milzschwellungen auf — sie kommen aber bei jeder Infektion vor. A m besten bedient man sich für die ganze Reihe des Namens Infektionsmilz, da ein anatomisch gleiches Bild vorliegt. Man findet eine Vergrößerung des Organs bis zum mehrfachen Umfang der Norm; dasselbe ist weich elastisch, seine Kapsel stark gespannt, oder, wenn die Schwellung etwas rückgängig geworden, in Falten gelegt. A u f dem Durchschnitt ist die Pulpa weich und stark gerötet; die MALPIGHI'sehen Körperchen verhalten sich verschieden, bald sind sie deutlich vergrößert, bald kaum zu erkennen. Hat der Zustand länge/r angehalten, dann ist das Gewebe noch weicher geworden, es zerfließt fast, die Farbe ist in ein Graurot übergegangen; die Kapsel ist öfters getrübt oder mit Fibrinausscheidungen bedeckt. Die mikroskopische Untersuchung zeigt, daß die anfangs in vorwiegender Menge und überhaupt sehr reichlich vorhandenen roten Blutkörperchen später mit einer wachsenden Anzahl weißer gemischt sind; beide liegen sowohl innerhalb der Gefäße, als in der Pulpa. — Es ist so der Übergang entzündlicher Hyperämie in echte Entzündung anatomisch nachweisbar vorhanden. Auch deren schwerere Formen: Eiterung, umschriebene, zur Bildung von Ab-

Allgemeines.

Akute MilzerkrankuDgen.

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scessen führende, welche dann nicht selten mehrfach vorhanden sind oder diffus über das ganze Organ sich verbreitende, endlich Nekrose, werden, wenn auch nicht gerade oft, beobachtet. — Unter den Ausgängen ist die vollständige Rückbildung die häufigste; bei längerer Dauer und größerer Stärke der entzündlichen Reizung stellt sich aber allgemeine Hyperplasie des Milzgewebes und nicht selten Anhäufung von Pigment in demselben ein. Die dabei gewöhnliche Entzündung der Kapsel (Perisplenitis) kann zu Verwachsungen mit der Nachbarschaft fuhren. — Solche Milzen sind größer oder kleiner als normale, ihre Kapsel ist verdickt und sie selbst sind fester, so daß man von der Schnittfläche nur wenig abzuschaben vermag. Auf dem Durchschnitt zeigt sich je nach dem Pigmentgehalt eine Färbung, die vom hellen gleichmäßigen Rot bis zum Schwarz, die ganze Fläche einnehmend oder inselförmig über sie zerstreut, wechseln kann. Die Trabekel sind verdickt, ebenso die Gefäß Wandungen, seltener das Netzwerk der Pulpa. Pigment liegt frei innerhalb derselben, von den Zellen eingeschlossen oder in die Wandungen eingedrungen. — Es ist durchaus wahrscheinlich, daß die verschiedenen Mikroorganismen der Infektionskrankheiten wegen der langsamen Blutströmung in der Milz Zeit finden, sich dort in größeren Mengen anzuhäufen und als Entx/ündungserreger thätig zu werden. Akute Milzschwellung wird weiter hervorgerufen durch Embolien. Die eigentümliche Verbreitung der Arterien, dann die verhältnismäßig bedeutende Weite des Hauptstammes bedingen die Möglichkeit des Vorkommens von Infarktbildung und erklären dessen Häufigkeit. Erkrankungen des linken Herzens, Endokarditis, Thrombenbildung in der Aorta führen dazu, ebenso können aus den Lungenvenen Gerinnsel verschleppt werden. Auf der Beschaffenheit des Embolus beruht die Art der Veränderung: nach reizlosem (blandem) Embolus entsteht der einfache hämorrhagische Infarkt, nach einem, der stärkere Entzündungserreger mit sich führt, der Absceß. Beide bieten das gewöhnliche Aussehen dar; strahlige, tief eingezogene Narben zeigen die Heilung an. Von geringerer Bedeutung sind die akuten Milzschwellungen nach Verletzungen und die durch das Übergreifen einer Entzündung aus der Nachbarschaft hervorgerufenen; es wird angegeben, daß bei Störungen der Menstruation vikarierend eine Schwellung der Milz auftreten solle. (?) Die rasch entstandene Schwellung der Milz liefert wenig von Krankheitszeichen. Am häufigsten noch werden Stiche in der Milzgegend geklagt, welche bei Druck von außen und bei der Atmung zunehmen. Auch das Gefühl von Druck und Spannung wird angegeben. Vergrößerung des Organs weist die Perkussion nach. In seltenen Fällen (Malaria, Typhus, dann durch Einwirkung äußerer Gewalt) kommt es zur Zerreißung der Milz und ihrer Kapsel — eine rasch tötende „innere" Blutung zeigt dieselbe an. Auch Abscesse brechen mitunter durch — ihre Entleerung geschieht in die freie Bauchhöhle und ruft dann allgemeine Peritonitis hervor, oder in vorher abgekapselte Räume, endlich in die Hohlorgane der Nachbarschaft, besonders in den Magen. Es entsteht so ein Krankheitsbild, welches neben den örtlichen Erscheinungen die einer sekundären Sepsis darbieten kann. — Von einer Therapie des akuten Milztumors als solchen kann keine Rede sein. Nur wenn ein Absceß diagnostizierbar wäre, dürfte man vielleicht an den chirurgischen Eingriff denken.

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Krankheiten der Milz.

§ 231. Chronische Milzschwellungen.

Neubildungen.

Parasiten.

Chronische Milzschwellnngen können ala Ausgänge der akuten zurückbleiben — bei der langdauernden Malariainfektion ist das ein häufiges Ereignis — sie können im Gefolge der Leukämie, oder der Pseudoleukämie auftreten, durch Erschwerung der Strömung im Pfortadergebiet sich entwickeln, durch Syphilis, besonders angeborene, endlich durch amyloide Entartung, durch Neubildungen und Parasiten erzeugt werden. Im einzelnen wäre zu erwähnen: Die bei Erschwerung des Pfortaderkreislaufs sich ausbildenden Milzschwellungen sind durch reichliche Entwicklung von Bindegewebe ausgezeichnet. Amyloide Entartung — wiederum Teilerscheinung des allgemeinen Vorgangs, zeigt sich anatomisch in zwei Formen. Man unterscheidet: 1. die Sagomilz: die MALPiGHi'schen Körperchen, der von der Entartung vorwiegend betroffene Teil, liegen in der mäßig derben, braun- bis graurot gefärbten Milz als durchscheinende, vergrößerte, etwas auf der Schnittfläche vorragende Körnchen, die mit gekochtem Sago eine in die Augen fallende Ähnlichkeit haben; 2. die Speckmilz: bei dieser ist die Umfangszunahme bedeutender und die Resistenz erheblich vermehrt, es sind wesentlich die Qefäße und die bindegewebigen Teile ergriffen. Auf dem Durchschnitt zeigt sich ein gleichmäßig speckiger Glanz über einen mehr oder minder großen Teil des Organs verbreitet, welches geräuchertem Schinken gleich sieht; die MALPiGHi'schen Körperchen können teilnehmen, sie werden aber erst später in die Entartung hineingezogen. — Amyloidmilxen können sehr groß sein, sie sind bei Kindern, wo sie nach langdauerndem Follikularkatarrh des Dickdarms am häufigsten sich finden, oft vorn verwachsen, so daß sie dem Getast zugänglich werden und durch eine hakenförmige Krümmung des vorderen Bandes etwas Eigentümliches gewinnen. Von Neubildungen kommen vor: Metastatisch Karcinom (besonders häufig Pigmentkrebs) und Lymphosarkom; primär, aber selten entwickeln sich Fibrome, Angiome, Sarkmne. Unter den Parasiten ist nur der unilokuläre Echinokokkus von Bedeutung, der in seinem klinischen Verlaufe durch Verdrängung der Nachbarorgane und eventuelle Perforation vollständige Analogien mit dem der Leber darbietet. Der Einfluß chronischer Milztumoren anf den Gesamtorgamsmus ist kaum allgemein zu beurteilen. Abgesehen von den örtlichen Wirkungen, welche zur Erschwerung der Atmung und des Kreislaufs führen (die Organe der Verdauung können auch unmittelbar durch Druck geschädigt werden), kommt der Einfluß der Milz auf die Zusammensetzung des Blutes in Frage. Vom physiologischen Gesichtspunkte aus ist eine bestimmte Entscheidung schwer zu treffen. Unbedingt lebensnotwendig ist das Organ nicht, da dessen Entfernung ertragen wird. Daß Beziehungen zur Blutbildung bestehen, scheint durchaus wahrscheinlich, wie es sich aber im einzelnen damit verhält, steht noch dahin. Und doch sind es gerade Veränderungen des Blutes, welche man für die Entstehung der Kachexia spleniea verantwortlich machte. Da neben der Erkrankung der Milz immer noch anderweitige Organleiden vorliegen, wenn solche kachektische Zustände auftreten (der größere Teil der Fälle gehört zur Leukämie und Pseudoleukämie, andere Male handelt es sich um Malariasiechtum), ist es nicht wohl möglich, den Anteil aus-

Chronische Milzschwellungen.

Neubildungen.

Parasiten.

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zusondern, welcher deren Erkrankung zukommt. — Immerhin ist es zweckmäßig, die Milzschwellung therapeutisch zu berücksichtigen. Unter den hier verwendbaren Mitteln steht das Chinin obenan. Es wird empfohlen, dasselbe morgens nüchtern zu 0,5—1 g in saurer Lösung zu geben, oder, wenn diese nicht ertragen wird, das Chinin in Pillenform mit Nachtrinken einer schwachen Salzsäurelösung darzureichen. Weiter kommt die arsenige Säure in Betracht; sie muß in nicht zu kleinen Dosen längere Zeit fortgegeben werden; auch unmittelbare Injektion einer verdünnten Lösung in die Milz ist versucht worden. Endlich hat man Eukalyptus^räparate und Piperin angewandt. Zur Unterstützung wurde von der örtlichen Anwendung der Kälte (Douchen, Eisblasen) und der Elektrizität (Faradisation der Milzgegend scheint noch am ehesten etwas zu leisten) Gebrauch gemacht.

XI.

Krankheiten der Harnwerkzeuge. Krankheiten der Nieren und der Harnleiter. § 232. Morbus Brightii. Allgemeines. Mit dem Namen M o r b u s Brightii belegen wir die diffusen doppelseitig auftretenden hämatogenen Nierenentzündungen. Dieser anatomischen und insofern ätiologischen Definition, als sie den Transport des Entzündungserregers zu den Nieren auf dem Blutwege feststellt, sind noch klinische Kennzeichen_ beizugeben. Aber schon hier erheben sich Schwierigkeiten. Es ist gewiß, daß bei Morbus BRIGHTII der ausgeschiedene Harn außer Änderungen seiner Menge auch solche in seiner Zusammensetzung erfährt, daß er namentlich Eiweiß und bestimmte eigenartig geformte Bestandteile, besonders die sogenannten Harncylinder, fuhrt. Allein zeitweilig können diese Eigenschaften dem Harne fehlen. Auf der anderen Seite ist zu bemerken, daß Oylinder und Eiweiß, jedes für sich oder beides zusammen, im Horn vorkommen können, ohne daß Morbus BRIGHTII vorhanden wäre. In noch höherem Grade trifft das für ein weiteres Symptom zu, welches von einigen als zum Wesen des Morbus BRIGHTII gehörig betrachtet wird, den allgemeinen Hydrops. Wir müssen uns daher darauf beschränken, zu sagen, daß bei Morbus BRIGHTII Albuminurie und das Auftreten von Oylindern im Horn zu irgend einer Zeit des Verlaufs ein regelmäßiger Befund ist, daß indes ihr Fehlen zu irgend einer Zeit nicht das Fehlen der Nierenentzündung verbürgt, und daß aus ihrer Anwesenheit nicht ohne weiteres auf die Anwesenheit der Brightiscken Krankheit geschlossen werden darf. Das gleiche gilt für die allgemeine Wassersucht. Je weiter die anatomische Forschung eingedrungen ist, desto mehr stellt es sich heraus, daß eine auf ausschließlich anatomischer Grundlage aufgebaute Einteilung des Morbus BRIGHTII für den Arzt nicht zweckmäßig ist. Am Krankenbette treten bestimmte, im ganzen recht scharf ausgeprägte Formen dem Beobachter entgegen, deren Bedeutung für den Organismus, deren Verlauf und Ausgänge einigermaßen konstant sind; bis zu einem gewissen Grade gilt das auch von der Ätiologie. Es finden sich also Krankheitsbilder in der Natur vor, Minische Einheiten mit dem gleichen Recht auf diese Bezeichnung wie alle anderen. Der klinischen Einheit entspricht eine anatomische wicht. Man kann sogar weitergehend sagen, daß anatomische Einheiten überhaupt nicht vorkommen, insofern nämlich, als in einer und derselben Niere bei etwas längerer Dauer der Erkrankung nebeneinander Entwicklungsstufen sich finden, von welchen dieBe einen Teil, jene einen anderen des Nierengewebes vorzugsweise betrifft. Die Anatomie scheidet in diesem Gesamtbilde nach ihren Grundsätzen die geweblichen Veränderungen der einzelnen Teile,

Morbus Brightii.

Albuminurie.

Blut im Harn.

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verkennt dabei aber nicht, daß dadurch nur den Bedürfnissen einer systematischen Forschung und Darstellung genügt wird. Die Funktionsänderung des erkrankten Organs richtet sieb nach dem Mehr oder Miqder der Veränderungen an diesem oder jenem seiner Teile, sie ist eine Summe mit einer außerordentlich großen und stetig wechselnden Zahl von Addenden; mit ihr hat es zunächst der Arzt zu thun. Bei den auseinandergehenden Interessen der anatomischen und der klinischen Forschung wird es unter solchen Umständen wohl gethan sein, wenn die praktische Medizin ihren eigenen Weg einhält; sie ist dabei nicht von der pathologischen Anatomie verlassen, vielmehr kommen hervorragende Pathologen (ZIEGLER) so weit entgegen, daß sie die Umrisse der klinischen Einteilung annehmen und mit ihr die eigene Darstellung verknüpfen. Für den Arzt ist die von BARTELS treu nach dem Leben gezeichnete Schilderung des Morbus BRIGHTII der beste und zuverlässigste Führer am Krankenbette. Ich verdanke Herrn Professor NADWERCK eine den Formen, die BARTELS aufstellte, sich anschließende anatomische Schilderung der Nierenveränderungen, welche seinen eigenen ebenso sorgfältigen wie eingehenden Studien entstammt; er hatte die Güte, mir deren Veröffentlichung au diesem Orte zu gestatten.

Wir rechnen zum Morbus B R I G H T I I : 1. die akute Nephritis, 2. die chronische (parenchymatöse) Nephritis, 3. die chronische interstitielle Nephritis {Schrumpfniere). Die arteriosklerotische Schrumpfniere wird gewöhnlich als eigene Form von der entzündlichen getrennt; die Berechtigung hierzu erscheint auch vom anatomischen Standpunkte nicht unzweifelhaft. Beide sollen aus praktischen Gründen nebeneinander abgehandelt werden. Nicht zum Morbus B R I G H T I I gehören, wenn man an dem allgemeinen anatomischen Merkmal: entzündliche Veränderungen der Nierengefäße, festhält: 1. die amyloide Degeneration der Nieren, 2. die Stauungsnieren, 3. die Ischämie der Nieren. Die bei Nierenerkrankungen auftretenden hauptsächlichen Symptome sollen zunächst besprochen werden. § 233. Albuminurie. Blut im Harn. Der Satz, daß Beimischung von Eiweiß zum Urin in jedem Falle eine pathologische Erscheinung sei, ist nicht mehr aufrecht zu halten. Vielmehr hat es sich gezeigt, daß innerhalb der Grenzen der Norm Albuminurie auftreten kann, ja daß sich dieselbe willkürlich hervorrufen läßt. Es gehören in das Gebiet dieser, der sogenannten physiologischen Albuminurie: 1. Bei Neugeborenen ist in den ersten Tagen des extrauterinen Lebens Albuminerie so häufig, daß man deren Vorkommen sogar als Regel bezeichnet hat. 2. Bei gesunden Erwachsenen tritt nach stärkeren Muskelanstrengvngen und während der Verdauung einer sehr eiweißreichen Nahrung vorübergehend etwas Albumin in den Harn über. Das gleiche findet sich, wenn auch seltener und schon nicht mehr mit Sicherheit als normal zn bezeichnen, nach kalten Bädern und unter dem Einflüsse heftiger Gemütsbewegungen. — Immer handelt es sich nur um sehr kleine Mengen. — Man schätzt, daß 10—20 °/0 aller Menschen diese „physiologische" Albuminurie zeigen.

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

Durch methodische Kompression des Thorax während einiger Minuten bis höchstens zwei Stunden kann bei Gesunden eine kurz (eine bis vier Stunden, nur ausnahmsweise mehr) dauernde Albuminurie nahezu regelmäßig hervorgerufen werden, bei welcher größere und große Mengen von Eiweiß (bis zu 18,7 p. m.) im Harn erscheinen. Es handelt sich wahrscheinlich um eine für kurze Zeit herbeigeführte Störung des Kreislaufs in der Niere, so daß der Versuch ähnliche Bedingungen schafft, wie sie pathologisch auftreten (SCHREIBER). Die pathologische Albuminurie läßt sich in zwei große Abschnitte zerlegen: I. Albuminurie, bei welcher die Nieren gewebliche tiefergreifende Störungen nicht zu zeigen brauchen. Hierher sind zu stellen: 1. Die dem angeführten Versuch im ganzen gleichwertige Albuminurie bei allen Krankheiten, die eine Anhäufung von venösem, Blut in den Nieren zur Folge haben. Außer den Unterleibskrankheiten, die eine Verhinderung des Abflusses aus der Cava inferior unmittelbar bedingen, sind Herz- und Lungeninsuffizienz mit ihren das gleiche mittelbar herbeiführenden Wirkungen auf den großen Kreislauf zu nennen. 2. Albuminurie bei Erkrankungen des Nervensystems: bei Epilepsie nach den Anfallen, Apoplexie u. s. w. Ebenso ist es bekannt, daß die Verletzung einer gewissen Stelle am Boden des vierten Ventrikels Eiweiß in den Harn übertreten läßt. 3. Albuminurie bei zeitweiligem Verschluß der Ureteren durch Steine, Geschwülste u. s. w. 4. Albuminurie bei Änderungen in der Blutmischung. Die eigentlichen Organerkrankungen des Blutes, Leukämie u. s. w., sind in erster Linie zu nennen. Daneben dürften die bei Ikterus, Diabetes mellitus und wohl auch bei manchen Vergiftungen sich einstellenden Veränderungen, welche freilich nicht auf das Blut beschränkt bleiben, anzuführen sein. 5. Albuminurie während der Schwangerschaft; durch verschiedene Ursachen bewirkt, die wechseln können und meist nicht klar erkennbar sind. 6. Albuminurie bei fieberhaften Erkrankungen, namentlich den aus Infektion hervorgegangenen. 7. Zu bestimmten Tageszeiten tritt bei scheinbar Gesunden Eiweiß, mitunter in nicht geringer Menge in den Harn über (cyMische; intermittierende Albuminurie). Dabei dürfte es sich indes dennoch um pathologische Vorgänge handeln (C. v . NOORDEN).

II. Albuminurie, bei welcher eine nachweisbare anatomische Veränderung in den Nieren vorliegt. Es fallen hierher die diffusen und umschriebenen Entzündungsvorgänge, die Entartungen, die Bildungen vom Geschwülsten u. s. w. Hervorzuheben ist, daß ganz scharfe Trennungen weder der beiden Gruppen pathologischer Albuminurie, noch dieser von der physiologischen allgemein nicht, im Einzelfall vielleicht möglich sind. Außer dem Semtmeiweiß gehen andere Körper der Eiweißgruppe in den Harn über: so das Globulin (Paraglobulin), die Hemialbuminose (Propepton) und das Pepton. Wieweit der Sondernachweis dieser Substanzen noch für die Diagnose oder für die Erkennung einer weiteren Ausbreitung der schon bestehenden Erkrankung praktisch von Bedeutung werden kann, muß abgewartet werden.

Eiweiß und Blut im Harn. Zu bemerken ist aber, daß meist das Serumeiweiß im Mweißharn vorkommen.

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und das Globulin

nebeneinander

Eiweiß im Harn, der stets vorher klar zu filtrieren ist, wird auf folgende Weise aufgefunden: 1. Erhitzen im Reagensglas bis zum Kochen, welches mindestens eine Minute lang fortzusetzen ist, darauf Zusatz von ein Zehntel bis ein Fünftel Volum reiner (nicht rauchender) Salpetersäure; es folge einmaliges Aufwallenlassen der Mischung. Ist Eiweiß vorhanden, dann trübt sich die Flüssigkeit leicht, es tritt ein weißer Niederschlag auf, oder sie gerinnt zur festen Gallerte, je nach der Menge des Eiweißes. 2. Über reiner Salpetersäure wird etwas von dem zu untersuchenden Harn im Spitzglase sorgfältig aufgeschichtet. An der Berührungsstelle bildet sich bei Gegenwart von Eiweiß ein durch dessen Gerinnung entstandener Ring. Die Probe kann zu Irrtümern Veranlassung geben. Bei reichlichem Gehalt an harnsauren Salzen scheiden sich diese aus; Urine, die sehr viel Harnstoff führen, lassen dessen salpetersaures Salz auskrystallisieren — vorherige Verdünnung des zu untersuchenden konzentrierten Urins mit ein bis vier Teilen Wassers schützt gegen Verwechslungen. Auch Harzsäuren, nach dem Gebrauch balsamischer Mittel (Peru-Kopaivabalsam u. s. w.) im Harn erscheinend, geben eine Trübung, welche sich aber bei Zusatz von absolutem Alkohol löst. 3. Dem Harn wird Essigsäure bis zu stark saurer Reaktion beigemischt. Dann werden einige Tropfen einer lOproz. Lösung von Ferrocyankalium hinzugefügt. Je nach der Menge des vorhandenen Eiweißes entsteht eine Trübung der Flüssigkeit oder ein weißer Niederschlag. — Diese Probe ist zuverlässig und fein. Die relative Menge des Eiweißes im Urin wechselt zwischen eben nachweisbaren Spuren und 6 % , indessen wird die letzterwähnte Zahl nur sehr selten erreicht, das Gewöhnliche ist höchstens 2°/ 0 . Der absolute Verlust des Kranken geht meist nicht viel über 10 g fdr den Tag hinaus, er hält sich oft weit darunter; 20 oder gar nahezu 30 g sind äußerst seltene Vorkommnisse. Eine für die Zwecke der Praxis vielleicht ausreichende quantitative Schätzung des Eiweißes im Harn gestattet ESBACH'S Albuminimeter. Dasselbe ist ein kleiner graduierter Cylinder, in welchem die Fällung des Eiweißes in folgender Weise vorgenommen wird: Das Gläschen wird zunächst bis zu der darauf eingezeichneten Marke CT mit Harn gefüllt, dann das Reagens (10 g Pikrinsäure, 20 g Citronensäure mit Wasser zu 1 Liter Gesamtflüssigkeit gelöst) bis zu der zweiten vorhandenen Marke R hinzugefügt. Nun wird der Cylinder mit einem Kautschukpfropfen verschlossen und vorsichtig geschüttelt. Man läßt 24 Stunden ruhig stehen — die Menge des ausgeschiedeneu Eiweißes ist alsdann an der auf dem Cylinder verzeichneten Skala ohne weiteres abzulesen. Jeder Teilstrich giebt ein Gramm Eiweiß im Liter Urin an. Da nur 1 Teilstriche vorhanden sind, muß, sobald der Eiweißgehalt mehr als 1 pro mille beträgt, der zu untersuchende Harn entsprechend verdünnt werden, ehe man ihm mit dem Reagens in Verbindung bringt. Von sachverständiger Seite (C. v. N O O R D E N ) wird das Verfahren sehr wenig geschätzt, unter den Ärzten ist es weit verbreitet. — Die nächste Veranlassung zur Albuminurie wird keineswegs allseitig als gekannt betrachtet. Am meisten ist man geneigt anzunehmen, daß die Epithelien der gewundenen Harnkanälchen den Übertritt von Eiweiß in den Harn hindern, Ernährungsstörung derselben führt zur Albuminurie. Sie kann durch ungenügenden Kreislauf in der Niere, durch ein nicht vollwertiges Blut, durch dem Blute zugemischte schädigende Körper, seien diese aufgeschwemmt oder gelöst, entstehen. Die Bückmrkung des Eiweißverlustes auf den Oesamtorganismus wird meist überschätzt; die dem Serum entnommenen, also nicht organisiertes Eiweiß darstellenden wenigen Gramm, welche bei eigentlichen Nierenerkrankungen täglich ausgeschieden werden, lassen den Eiweißbestand des Körpers unversehrt ( C A R L v. J Q r g e n s G n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

v. N O O R D E N ; FLEISCHER). Die einzige Arbeit, die zu deren Ersatz notwendig ist, besteht in der Assimilation; diese geschieht zum großen Teil durch Endosmose, also rein physikalisch, wobei „innere" Arbeit nicht notwendig. Diagnostisch ist noch hervorzuheben, daß dem Harn anderswoher als von der Niere aus Eiweiß zugeführt werden kann. Geschieht das — Katarrhe der Harnwege, besonders der Blase, Beimischung von Blut (Menstruation) geben am häufigsten dazu Veranlassung — dann redet man von falscher, nicht renaler Albuminurie. Das Mikroskop bringt gewöhnlich volle Klarheit Indes ist nicht zu vergessen, daß renale neben falscher Albuminurie vorkommen und so die Entscheidung, ob eine Nierenerkrankung vorliegt, sehr erschwert werden kann. Blut erscheint im Harn nicht nur bei diffuser Nephritis, es findet sich im Gefolge vieler Erkrankungen der Nieren, der Harnleiter, der Blase, ebenso bei der hämorrhagischen Diathese ein. Aus der Beschaffenheit des Blutes den Ort zu erkennen, wo dasselbe ausgetreten ist, gelingt nur selten; dazu ist fiir den Einzelfall meist die Heranziehung anderweitiger Erscheinungen notwendig. — Es soll daher nur der Nachweis vom Blut im Harn überhaupt besprochen werden: Gewöhnlich ist noch eine ausreichende Zahl von so wenig in ihrer Form veränderten roten Blutkörperchen im Harn enthalten, daß die Anwesenheit deB Blutes mikroskopisch festgestellt werden kann. — Chemisch ist der Blutfarbstoff leicht nachzuweisen: Man versetzt den zu untersuchenden Harn mit Kali- oder Natronlauge — zwei Teile Harn, ein Teil Lauge — erwärmt und kocht zwei bis drei Minuten lang. Von der sich dabei hauptsächlich ausscheidenden phosphorsauren Ammoniak-Magnesia wird der Blutfarbstoff mechanisch mitgerissen. Deren anfangs an der Oberfläche schwimmende, aber bald sich senkende Krystalle sind schön rot gefärbt. War der Harn bereits alkalisch, die Abscheidung der Krystalle also schon erfolgt, dann fügt man die gleiche Menge frisch gelassenen sauren Harns dem zu untersuchenden bei und verführt darauf wie gesagt. § 234.

Harncylinder.

Einerlei welche Ursache die Albuminurie herbeigeführt hat, stets können mit derselben geformte Bestandteile im Nierensekret erscheinen. Unter diesen — roten und weißen Blutkörperchen, Epithelzellen aus den verschiedenen Teilen der Harnwege, Krystallen anorganischer Substanzen u. s. w. — nehmen die Harncylinder die hervorragendste Stellung ein; sie tragen ihren Namen von ihrer Form. Vereinzelt kommen Harncylinder ohne Albuminurie vor, so bei Ikterus. Die Länge der Cylinder wechselt sehr und kann bis zu mehreren Millimetern betragen, ihre Breite schwankt zwischen 0,01 und 0,05 mm. Man unterscheidet homogene Harncylinder und cylindrische Konglomerate. 1. Homogene Harncylinder sind schwächer (hyaline) oder stärker lichtbrechend, ebenso zeigen sie eine große Verschiedenheit in ihrem Verhalten gegen Farbstoffe. — Als Grundform wird die des Cylinders festgehalten, namentlich gilt das für die schwächer lichtbrechenden, bei den stärker lichtbrechenden, oft wachsartig glänzenden, finden sich häufiger Einkerbungen und Ausbuchtungen. Diese haben gerade, bruchflächenartig gezackte, seltener abgerundete, oder etwas zugespitzte, vielleicht auch fortsatzähnlich verjüngte Enden, bei jenen sind die Enden meist abgerundet und verschmälern sich gewöhnlich allmählich, so daß sie schweifähnlich erscheinen. Korkzieherartig gewundene Cylinder trifft man bei beiden Formen. — Das homogene Aussehen wird durch Aufund Einlagerungen von Kernen oder von Resten solcher, durch unregelmäßige Längsstreifang, durch Körnchen, gefärbte und ungefärbte, die teils aus organischer, teils aus unorganischer Substanz bestehen (auch krystallinische Ausscheidungen der letzteren finden sich), unterbrochen. Indes geschieht das mehr bei den schwächer lichtbrechenden, als bei den glänzenden Cylindern. Die Meinung, daß wenigstens einige dieser Gebilde nicht solid, sondern Köhren seien, ist nicht zutreffend. — Die chemische Untersuchung zeigt,

Harncylinder.

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daß die Harncylinder ans bisher nicht näher gekannten Eiweißkörpern bestehen, welche aber nicht bei allen die gleichen sind. 2. C y l i n d r i s c h e K o n g l o m e r a t e setzen sich aus Zellen oder aus Teilen von Zellen

-i

Fig. 101. a Hyaliner Cylinder; b hyaliner Cylinder, mit Leukocyten belegt; c hyaliner Cylinder mit Nierenepithelien besetzt (nach v. JAKSCH),

m* S P I

b Fig. 103. Granulierte Cylinder (nach v. JAKSCH).

Fig. 102. a Wachsartiger Cylinder mit auflagernden, harnsauren Salzen. b Wachsartiger Cylinder mit Krystallen von oxalsaurem Kalke besetzt, c Bruchstücke von wachsartigen Cylindern (nach v. JAKSCH).

zusammen. Hierher gehören wahrscheinlich die granulierten Cylinder. — Man trennt je nach den Bestandteilen: Cylinder aus JEpithelien der Niere und ihren Derivaten bestehend. Entweder liegen die Epithelien, deren Form mehr oder minder erhalten ist, die aber körnig getrübt und ge-

Fig. 104. Epithelialcylinder (nach v. JAKSCH).

Fig. 105. Cylinder aus Leukocyten bestehend (nach v. JAKSCH).

Fig. 106. Blutschattencylinder (nach v. JAKSCH).

Fig. 107. Cylinder aus harnsauren Salzen bestehend (nach v. JAKSCH).

quollen erscheinen, dicht nebeneinander, kaum eine Bindeschicht zeigend, oder sie sind durch eine solche, die homogen erscheint, untereinander verschmolzen. Andere Male ist die Bindeschicht mächtiger und die Struktur der Zellen mehr verwischt, so daß sie kernlos 49*

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

and nahezu homogen aussehen. Dafür ist dann aber die Oberfläche eigentümlich gefaltet und gestreift. Fortsätze von verschiedener Gestalt trifft man öfter. Nicht selten findet sich eine mehr oder minder ausgesprochene Gelbfärbung. Cylinder aus weißen Blutkörperchen und ihren Derivaten zusammengesetzt. Einzelne weiße Blutkörperchen sind im Eiweißharn häufig. Sie können mit hervorquellenden Plasmakugeln bedeckt und auch sonst mannigfaltig verändert sein. Daneben kommen Cylinder vor, die ganz aus dicht zusammengedrängten, wenig veränderten Leukocyten bestehen, dann aus solchen und einer körnigen Masse zusammengesetzte, welche nur schwer die blassen Umrisse der Zellen erkennen läßt, aus denen sie hervorgegangen ist. Endlich finden sich fast homogen erscheinende Cylinder. Cylinder aus roten Blutkörperchen und ihren Derivaten gebildet. Sie bestehen aus gut erhaltenen, ihren Farbstoff bewahrenden, oder auB ausgelaugten, mit körnigem Farbstoff unregelmäßig durchsetzten roten Blutkörperchen. Weiter treten Cylinder auf, welche eine körnige oder mehr homogene Substanz neben Kesten der Blutkörperchen zeigen. Freie mehr oder weniger veränderte rote Blutkörperchen sind daneben häufig anzutreffen. Die wachsartigen Cylinder sind nicht mit Sicherheit auf einen bestimmten Ursprung zurückzuführen. Man nimmt an, daß sie aus allen anderen Formen hervorgegangen sind. Auch harnsaure Salze können zu Cylindern vereinigt sein.

Die Abbildungen zeigen die verschiedenen Formen der Harncylinder. Ihr Entstehungsort ist nach allgemeiner, durch die unmittelbare Beobachtung gesicherte Annahme in den Harnkanäichm zu suchen; die zahlreichen Abweichungen in Form und Größe sind dadurch verständlich. Die Bildungsweise ist nicht ganz so klar. Die homogenen Cylinder machen einige Schwierigkeiten. Man ist geneigt für sie eine verschiedene Entstehung anzunehmen: man führt sie auf das transsudierende Bluteiweiß zurück, man läßt sie aus einer von den Epithelien der Harnkanälchen gelieferten eiweißartigen Substanz hervorgehen, oder endlich meint man, daß sie sich aus homogen gewordenen, untereinander durch den Sekretionsdruck des Harns verschmolzenen abgestoßenen Epithelzellen der Niere, sowie aus extravasierten weißen und roten Blutkörperchen bilden. § 235. Hydrops bei Nierenkrankheiten. Die Wassersucht bei Nierenkrankheiten bietet bestimmte klinische Eigentümlichkeiten dar. So ist besonders hervorzuheben, daß zuerst und vorwiegend das Unterhautbindegewebe hydropisch wird, die anderen Teile, namentlich die Körperhöhlen aber erst später, bisweilen sogar viel später folgen. Weiter ist die große Neigung der Niermwassersucht, ihren Ort %u wechseln, für welche lange nicht immer ein bestimmter Grund, wie z. B. der Einfluß der Schwere, aufzufinden ist, zu betonen. — Es kommen aUe Grade vom leichten, kaum merklichen Gedunsensein bis zur stärksten, Narben hinterlassenden Spannung und Dehnung der Haut vor. Ebenso können alle Teile des Körpers ergriffen werden. Ein Hirn-, Lungen- oder Glottisödem vermag unmittelbar einen raschen Tod herbeizuführen, mittelbar geschieht das durch erysipelatöse oder septische Infektion von den geborstenen und verschwärenden Hautdecken aus, ferner durch Atmungs- und Herzinsuffizienz als Folge hydropischer Ergüsse in die Pleuraund Peritonealhöhle, sowie in das Perikardium. Die Ansichten über die nächste Ursache des Hydrops bei Nierenkrankheiten

Harncylinder. Hydrops bei Nierenkrankheiten.

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sind noch immer geteilt. Wahrscheinlich wirken verschiedene Umstände nebeneinander. Damit Hydrops entstehen könne, ist Wasser notwendig, durch dessen Austritt in die Gewebe eben die Wassersucht zustande kommt. Sind die Nieren, welche doch unzweifelhaft das Hauptausscheidungsorgan für das Wasser darstellen, nicht in der Lage, ihre Aufgabe zu erfüllen, dann wird Wasser im Körper zurückgehalten. Die ungenügende Thätigkeit der Nieren kann durch verschiedene Umstände bedingt sein. Neben geweblichen Veränderungen in ihnen selbst kommen Änderungen des Blutdrucks, durch Herzschwäche hervorgerufen, für manche Fälle des renalen Hydrops sicher in Betracht. Wie sich diese Bedingungen auch im Einzelfall verhalten mögen: immer wird man sagen müssen, daß eine durch ungenügende Ausscheidung von Wasser bedingte Wasseranhäufung im Körper bei der Entstehung der Wassersucht eine hervorragende Rolle spielt. Die Anhäufung von Wasser im Körper führt zu einer Vermehrung des Wassergehalts im Blute; dieses ist denn auch in der That erheblich dünner — bis 1015 spez. Gewicht des Serums gegen 1030 des normalen Mittels — gefunden worden. Es versteht sich, daß in der Baumeinheit eines solchen Blutes weniger rote Blutkörperchen zugegen sind, wenn dieselben nicht etwa in vermehrter Menge gebildet wurden; dafür liegen aber keine Anzeichen vor. Daß schon mit dieser Verdünnung eine Funktionsstörung des Blutes, eine verminderte Fähigkeit desselben zur Ernährung der Gewebe einhergehi, ist wohl denkbar, obgleich zu bemerken, daß die Verdünnung die Stromgeschwindigkeit erhöht, daher in der Zeiteinheit mehr Blut als in der Norm die Gewebe des Körpers durchsetzt. Es kommt hinzu, daß bei versagender Nierenthätigkeit eine Menge von Auswurfstoffen zurückgehalten werden, deren Einfluß auf die Gewebeernährung kaum als günstig betrachtet werden darf. (Siehe § 236.) Weiter ist darauf hinzuweisen, daß bei sämtlichen Nierenerkrankungen, den akuten wie den chronischen, die vorhergehenden sie hervorrufenden Schädlichkeiten schon zur Schädigung der Gewebe geführt haben. Dies alles macht sich wie überall im Körper so auch an den Gefäßen geltend, welche, ohne daß sie gröbere Entartung zu zeigen brauchten, doch in ihrem Gefüge so verändert werden können, daß sie die Blutflüssigkeit durchlassen. Es käme also die zweite Bedingung: größere Durchlässigkeit der Gefäße für die Entstehung des Hydrops hinzu. (Vergl. S. 459). — Unter Umständen kann Nachlaß der Herxthätigkeit die unmittelbare Veranlassung mm Auftreten des Hydrops werden. Es ist dem dann so, wenn in den Nieren große Widerstände für den Kreislauf gelegen sind, welche nur durch vermehrte Herzarbeit zu überwinden waren. Kann dies nicht länger geleistet werden, dann wird Wasser im Körper zurückgehalten. Am häufigsten findet sich diese Entstehungsart wohl im Verlaufe der Schrumpfniere, sie kommt aber auch bei allen anderen Formen vor. — Man hat die unter solchen Bedingungen auftretende Wassersucht von der renalen scheiden und zu der bei Herzinsuffizienz überhaupt entstehenden rechnen wollen. Insofern gewiß mit Recht, als der letzte Grund in dem Nachlaß der Herzthätigkeit zu suchen ist; aber eine Trennung ist praktisch nicht immer durchzuführen. Große Schwierigkeiten erheben sich, wenn man die Eigentümlichkeiten in der Verbreitung des renalen Hydrops, namentlich die vorwiegende Beteiligung des Unterhautbindegewebes erklären will. Für einzelne Formen, so für das nach Scharlach entstehende infolge akuter Nephritis auftretende Anasarka hat man mit Recht bemerkt, daß durch das Schar-

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

lachgift eine Entzündung der Haut hervorgerufen worden sei, ihre Gefäße daher Ernährungsstörungen erlitten hätten, welche sie mehr als andere des Körpers zum Durchtritt von Plasma geeignet machten. Mit minder gutem Recht reiht man den Hydrops nach der infolge von Erkältung auftretenden Nephritis an. Allein damit ist die Sache so ziemlich zu Ende. Für die Hautwassersucht bei chronischer Nephritis fehlt ein gleichwertiger Anhaltspunkt. Will man überhaupt die Ergebnisse der Tierversuche heranziehen (Verdünnung des Blutes durch Kochsalzlösung, welche im Laufe weniger Stunden bis zu den äußersten Graden getrieben wurde), so muß man schließen, daß gerade die Gefäße des Unterhautbindegewebes am wenigsten zur Transsudaten geneigt sind. Wenn auch zutreffend hervorgehoben wird, daß die mit besonders lockerem Bindegewebe versehenen Teile (Augenlider, Genitalien) am ehesten schwellen können und dies thatsächlich thun, daß der Einfluß der Schwere, der Nachlaß der Herzthätigkeit zu berücksichtigen sei, so wird dadurch in etwas der rasche Wechsel der Hautödeme, nicht aber wird es verständlieh, warum sie überhaupt zustande lammen. Es muß daher einfach gesagt werden, daß wir vor einem ungelösten Bätsei stehen.

§ 236. Urämie. Wird die Harnausscheidung längere Zeit ganx oder xu/rn Teil unterbrochen, dann entwickeln sich Krankheitserscheinungen, welche man unter dem Namen Urämie xusammenfaßt. Alles, was die Absonderung des Harns verhindert, kann Urämie herbeiführen, so Verschluß der Ureterea durch Steine, Verlegung derselben durch Geschwülste, Verhinderung des Blutstromes durch die Nieren, sei es daß dieser durch Änderungen in der Zusammensetzung des Blutes (Cholera), durch Insuffizienz des Herzens, oder durch Änderungen des Lumens der zuführenden Arterien der MALPIGHI'sehen Kapseln (Entzündung, vielleicht auch Krampf) bedingt ist. Klinisch unterscheidet man eine akute und eine chronische Urämie, welche allerdings ohne scharfe Grenze ineinander übergehen können. Akute Urämie verläuft im ganzen unter dem Bilde der Eklampsie und Epilepsie (§§ 65. 66), also mit Erscheinungen vom Centrainervensystem aus. Dem eigentlichen AnfaU, der wie der epileptische, welchem er so ziemlich gleicht, durch Bewußtlosigkeit, durch tonische, häufiger noch durch klonische Krämpfe, denen Koma folgt, ausgezeichnet ist, können Vorboten vorausgehen. Am häufigsten Kopfschmerz, auch wohl Schwindel und Teilnahmlosigkeit, bis zu leichter Benommenheit gesteigert, endlich Schläfrigkeit, welche nicht oft zur Schlafsucht anwächst. Übligkeit und wirkliches Erbrechen sind nicht selten. Es kommt vor, daß der Puls erheblich verlangsamt ist. Die Körperwärme ist häufig gesteigert, andere Male ungewöhnlich niedrig; die beobachteten Grenzwerte sind 42° und 30°. Selten sind die ganz plötzlich hereinbrechenden Anfälle; die Möglichkeit, daß Warnungszeichen vorhanden waren, aber übersehen wurden, ist sogar kaum ausgeschlossen. — Nach dem Anfall bleibt öfter vollständige Blindheit (urämische Amaurose) zurück mit meist erhaltener Beaktion der Pupillen und ohne irgend welche durch den Augenspiegel nachweisbare anatomische Veränderungen, in der überwiegenden Mehrzahl dar Fälle von selbst in kurzer Zeit schwindend. Viel weniger oft zeigt sich Ähnliches am Gehörorgan. — Lähmungen, am ehesten noch in der Form cerebraler Hemiplegie, vereinzelt Aphasie, Kontrakturen, Muskelzittern werden nicht häufig beobachtet, etwas öfter Manie. Melancholische Verstimmung oder chronisches Delirium, die hin und wieder auftraten, sind nicht mit Sicherheit auf Urämie zu beziehen. — Es kann bei einem Anfall bleiben, in der Begel folgen mehrere aufeinander. Ein günstiger Ausgang ist, wenn die

Urämie.

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Ursachen der Harnstockung zu beseitigen sind, recht häufig. Der Tod erfolgt im Koma. Chronische Urämie bietet viel weniger bestimmt ausgesprochene Zeichen. Es fehlt nicht an Erscheinungen vom Nervensystem: Kopfweh, bisweilen in der Form der Migräne sich zeigend, Mattigkeit, Unlust zu geistiger Beschäftigung wird man selten vermissen, allein es fragt sich, ob man unmittelbar die Harnretention dafür verantwortlich machen darf. Eher ist das gestattet bei dem Hautjucken, bei dem sehr seltenen Singultus, vielleicht auch bei dem recht gewöhnlichen Erbrechen. Da dyspeptische Störungen die Regel bilden und echter Magenkatarrh vorkommen kann, ist diese Deutung indes nicht für alle Fälle ohne weiteres zutreffend. Mit dem Erbrechen wird Harnstoff, bisweilen auch dessen Zersetzungsprodukt, das kohlensaure Ammoniak, entleert. Dieses bildet sich, wie es scheint, leichter auf der alkalisch reagierenden Darmschleimhaut; es ruft hier Entzündung, sogar Verschwärung hervor und führt zu Diarrhöen. — Harnstoff findet sich außerdem im Speichel und im Schweiß; es kann vorkommen, daß er auf der Haut aus dem in reichlichen Mengen ergossenen Schweiß auskrystallisiert; am leichtesten geschieht das im Gesicht. Anfallsweise auftretende Dyspnoe (urämisches Asthma) mag bei gesunden Atmungs- und Kreislauforganen vorkommen, öfter ist sie ein durch Herznachlaß wachgerufenes Asthma kardiale. (§ 133.) Charakteristisch ist die von allen auf dauernde Verunreinigung des Blutes zurückgeführte Veränderung der Retina, welche man als Retinitis albuminurica bezeichnet. Abnahme der Sehschärfe, welche sich langsam entwickelt und nicht immer in gleichem Grade vorhanden, sondern einem gewissen Wechsel unterworfen ist, bildet das den Kranken aufmerksam machende Zeichen. Die Spiegeluntersuchung lehrt: leichte streifige Trübung der graurötlichen und geschwollenen Papille, verbreiterte, geschlängelte Venen; auch die Umgebung der Papille ist trübe, von Blutergüssen, weißen Streifen und Flecken durchsetzt, die Macula lutea ist an ihrer seitlichen Begrenzung ebenso von unregelmäßiger Fleckung umgeben. — Später können sich die Streifen und die Blutungen über einen großen Teil der Augenmitte ausbreiten, Papille und gelben Fleck vollständig einhüllend — die Randteile bleiben mit Ausnahme der erweiterten und geschlängelten Venen normal. — Besserung bis zur vollständigen Wiederherstellung ist möglich, wenn die Ursache beseitigt werden konnte, also bei den akuten Nierenentzündungen. Die chronische Urämie giebt kein geschlossenes Krankheitsbild, die Erscheinungen nehmen an Stärke zu und ab, alte verschwinden, neue treten an deren Stelle, nicht selten schieben sich urämische Anfalle ein. Die Sauer des Ganzen ist unberechenbar. Wieviel von den Ernährungsstörungen, welche gewisse Formen der chronischen Nephritis begleiten, auf Anhäufung von Stoffen, die durch die Nieren ausgeschieden werden sollten, zu beziehen ist, läßt sich nicht sagen. Allein es giebt bestimmte Erscheinungen, welche dafür sprechen, daß ein solcher Einfluß recht beträchtlich werden kann. Vor allem ist die große Neigung Nierenkranker zu entzündlichen Gewebeveränderungen hervorzuheben, welche meist mit reichlicher Eiterbildung auftreten. Phlegmonen des Unterhautbindegewebes, Pleuritis, Perikarditis, seltener Peritonitis und Meningitis finden sich so oft, daß sie mit Pneumonien zusammen häufiger als alles andere Todesursachen werden. — Seltener kommt es zur Entwicklung einer echten hämorrhagischen Diathese.

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

Das eigentliche Wesen der Urämie ist keineswegs klar. Es stehen sich zwei Grundanschauungen gegenüber: 1. Urämie wird durch irgend einen unter den zurückgehaltenen, von den Nieren auszuscheidenden Stoffen, vielleicht durch sie alle zusammen unmittelbar hervorgerufen, oder das wirksame Etwas bildet sich aus diesen Stoffen, vielleicht gar nur unter deren Einfluß im Körper. Bisher ist es nicht gelungen, einen Körper aus dem Harn zu isolieren, welcher als Urheber der Urämie angesehen werden könnte. Neuere Versuche widersprechen der scheinbar gut gestützten Annahme, daß der Harnstoff und die anderen im Urin gelösten Körper, ohne eigentliche Gifte zu sein, durch Anhäufung in denjenigen Geweben, in welchen sie entstanden, die Wechselwirkung zwischen den Zellen und der sie umspülenden Ernährungsflüssigkeit stören. Die Kalisalze sollten dabei insofern eine eigenartige Bolle spielen, als sie sich normal so gut wie gar nicht im Plasma, sondern nur als Gewebsbestandteile finden — kämen eie auch ins Plasma, wie es bei der Harnstockung geschehen müsse, so würde das noch von besonders schwerwiegender Bedeutung für das Zellenleben sein. Abgesehen von diesem, doch wohl als Giftwirkung zu bezeichnendem Einfluß der Kalisalze, wird der Vorgang mit der Auslöschung eines Feuers durch die sich ansammelnde Asche oder mit Erstickung durch die Verhinderung der Ausscheidung der nicht gasförmigen Zersetzungsprodukte verglichen. Die ältere Meinung, nach welcher unter dem Einflüsse eines ungekannten Ferments Harnstoff zu kohlensaurem Ammoniak zerfallen und dieses dann unmittelbar die Urämie hervorrufen sollte, ist so ziemlich verlassen. Dagegen ist, seit wir wissen, daß sich im lebenden Organismus wirkliche Gifte bilden können, die Möglichkeit näher gerückt, daß unter den durch die Harnstockung geänderten Bedingungen des Stoffwechsels ein solches entstehe. Sowenig damit gesagt ist, eine Antointoxikation liegt aller Wahrscheinlichkeit der Urämie zu Grunde. 2. Von anderen wird angenommen, daß ein verschieden lokalisiertes (entzündliches) Odem bestimmter Hirnteile Urämie bewirke. Zur Stütze dieser Auffassung macht man geltend, daß trotz länger dauernder renaler Anurie Urämie ausbleiben kann. Solche Fälle sind in ziemlicher Menge bei dem Ureterenverschluß durch eingeklemmte Steine beobachtet worden. Im gleichen Sinne wurde die Thatsache verwertet, daß dem Auftreten urämischer Erscheinungen bei Nierenkranken — freilich sehr selten — sogar eine vermehrte Diurese vorherging. Die Kraft des letzterwähnten Beweismittels ist nicht sehr groß. Es fehlen genauere Angaben über die Ausscheidungen von Wasser (und darin sind unter diesen Umständen Harnbestandteile gelöst) auf anderen Wegen. Während der Dauer des Ureterenverschlusses wird wenig Nahrung genommen, es tritt daher eine, derjenigen bei dem Hunger sich nähernde Verminderung des Stoffumsatzes ein, endlich darf auf die individuell so sehr verschiedene Widerstandsfähigkeit gegen Gifte hingewiesen werden. Wenn man mit der Möglichkeit rechnet, daß sich ein Urämie erzeugender Stoff erst unter den durch die Harnstockung veränderten Bedingungen im Körper bildet, würden die Ausnahmen von der Begel keine Schwierigkeiten machen. Man brauchte nur darauf hinzuweisen, daß im gegebenen Falle vielleicht dies oder jenes anders als gewöhnlich sei, um den Angreifer mit gleichen Waffen abzuwehren.

Da Hirnödeme in den Leichen der an Urämie Gestorbenen nicht konstant sind, da es nicht zu entscheiden möglich ist, ob die etwa gefundenen schon während

Verhalten des Herzens bei Nierenkrankheiten.

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des Lebens länger bestanden, oder ob sie erst gegen das Ende hin sieh eingestellt hohen, dürfte jedenfalls so viel feststehen, daß zur Erzeugung der Urämie HirnÖdeme nicht notwendig sind. Ob nicht unter Umständen einmal bei Hirnödem, namentlich entzündlichem, welches einen Nierenkranken befällt, Erscheinungen auftreten, die urämischen gleichen, ist eine andere Frage. Es scheint doch nach allem, daß die Pathogenese des ohnehin keineswegs eigenartigen Symptomenkomplexes Urämie vielgestaltig ist. Immerhin müssen wir daran festhalten, daß in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine Verminderung der Harnabsonderung mitspielt. Von einer Behandlung der Urämie kann man nur mit großer Zurückhaltung redeD, weil die im Einzelfall gegebenen Bedingungen dabei entscheidend sind. § 237. Verhalten des Herzens bei Nierenkrankheiten. Das Verhalten des Herzens ist für den Verlauf der Nierenkrankheiten von großer Bedeutung. — Schon die von der Physiologie ermittelten Thatsachen weisen darauf hin. Wir wissen, daß die Harnmenge von der Größe der für den Kreislauf verwendbaren Herzarbeit mit abhängig ist, und diesem allgemeinen Satze sind die Ausfuhrungen im einzelnen gefolgt. Dieselben gehen dahin, daß die Höhe des in den Glomerulis herrschenden Blutdruckes, oder nach anderer Meinung, daß die Menge des Blutes, welches in der Zeiteinheit die Glomeruli durchströmt, für die Harnmenge bestimmend ist, beides hängt von der Weite der vor den Knäueln gelegenen feineren Arterienzweige ab. Da diese durch ihre starke Muskulatur zu Änderungen ihres Durchmessers in hohem Grade befähigt sind, vermögen sie Druck und Geschwindigkeit innerhalb' der Knäuelgefaße zu regeln und von dem allgemeinen Kreislauf bis zu einem gewissen Grade unabhängig zu machen. Es wird so dem Nervensystem sein Einfluß auf die Harnabscheidung gewahrt. Während man eine Zeitlang geneigt war, eine durch Hypertrophie des linken Ventrikels beantwortete Erschwerung des großen Kreislaufs nur dann anzunehmen, wenn der wirkliche Untergang eines größeren Teils der Nierengefäße (Schrumpfniere) stattgefunden hatte, ist man jetzt genötigt, diese Anschauung zu erweitern. Die Schrumpfniere führt freilich am ehesten zur Hypertrophie ohne wesentliche Erweiterung des linken Herzens, indes kommt auch bei ihr das gleiche am ganzen Herzen vor. Mit excentrischer Hypertrophie gehen alle Formen der Nephritis einher, namentlich auch die akuten. Hier kann sich die Muskelzunahme sehr rasch, im Laufe weniger Wochen, ausbilden. — Als Thatsache, wölche sich aus den klinischen Beobachtungen ergiebt, muß festgehalten werden, daß eine Zunahme des Seitendrucks im Aortengebiet der Herzhypertrophie vorausgeht. — Kein Grund zwingt dazu, den sicheren gemeinsamen Boden zu verlassen, auf welchem die Lehre erwachsen ist, daß eine Muskelzunahme des Herzens dann eintritt, wenn es ein Mehr von Arbeit leisten muß. Ferner, daß dazu eine ausreichende Versorgung des Herzens mit normalem Blute notwendig ist, und daß die Hypertrophie ausbleibt, wenn diese nicht ermöglicht werden kann. Schwierigkeiten treten von dem, Augenblick auf, wo man versucht, die näheren Ursachen kennen zu lernen, welche eine Erhöhung der Widerstände im großen Kreidauf bedingen. Handelt es sich um gleichzeitige ausgedehnte Arteriosklerose, dann ist die Deutung freilich einfach genug. Sonst aber gehen die Anschauungen sehr auseinander. Es wird angeführt:

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

1. Die Blutzufuhr zur Niere hängt von der Weite der feineren Verzweigungen der Nierenarterie ab. Diese wird, wie der Versuch lehrt, durch die Menge der im Blute enthaltenen „harnfahigen", d. h. der durch die Niere auszuscheidenden Substanzen (Harnstoff, Rochsalz, Wasser u. s. w.) beherrscht. Sind nun in und hinter den feineren Zweigen der Nierenarterie vermehrte Widerstände vorhanden, während die in der Zeiteinheit die Niere durchströmende Blutmenge die gleiche bleibt, so ist die Arbeitsaufgabe für den linken Ventrikel dauernd erhöht. Diese vermehrten Widerstände werden aber nicht nur durch den Untergang einer großen Menge von Gefäßen zunächst in den Knäueln (Schrumpfniere) gegeben, sondern sie werden auch von den durch die Entzündung bewirkten Gefäßveränderungen herbeigeführt. Es trifft daher ebenso für die akute und für die nicht mit Schrumpfung einhergehenden Formen der chronischen Nephritis die Erklärung zu, sobald bei diesen eine ausreichende, der Norm sich einigermaßen nähernde Menge harnfähiger Substanzen gebildet wird. 2. Die Anhäufung der harnfahigen Substanzen im Blute bedingt die Hypertrophie des Herzens. — Uber das Wie ist man verschiedener Meinung. Sehr allgemein formulierte man so: Die Gewebe des Körpers sind einem Mittelmaß von bestimmter chemischer Zusammensetzung angepaßt, ändert sich dieses, dann treten funktionelle Störungen auf. Das Herz und die kleineren Arterien werden durch die Änderungen in der Zusammensetzung des Blutes, welche eine mangelhafte Nierenthätigkeit herbeiführt, in Erregung versetzt — das erstere hypertrophiert. Nimmt man an, daß durch die Reizung vorzagsweise eine Verengerung der kleineren Arterien herbeigeführt wird, dann ließe sich die Thatsache, daß doch vorwiegend der linke Ventrikel hypertrophiert, verstehen. Erwiesen ist weder der unterstellte Reiz, noch irgend eine seiner Folgen. Von anderer Seite wird ausgesprochen, daß die harnfähigen Stoffe, besonders der Harnstoff, die Widerstände, welche das Blut bei seiner Fortbewegung liefert, erhöhen; die Versuche haben hierfür unzweifelhafte Thatsachen nicht ergeben. 3. Eine weitere Gruppe umfaßt die Anschauungen, welche die Herzveränderung nicht von der Nierenveränderung, sondern beides von einem dritten abhängig sein lassen. Es soll eine allgemeine, weit über den Körper verbreitete besondere Entartung der kleinen Arterien bestehen, als deren Folge sowohl die Nierenveränderung wie die Herzhypertrophie auftritt. Diese in zwei Modifikationen vorgetragene Lehre wird in ihrer anatomischen Grundlage bestritten; außerdem würde sie nur für die Herzhypertrophie bei Scbrumpfniere eine Erklärung bieten können. 4. Endlich wird die Häufigkeit der Myokarditis neben Nephritis hervorgehoben und aus dieser in recht gezwungener Weise die Hypertrophie des Herzens abgeleitet. Faßt man alles zusammen, so scheint eine erschöpfende einheitliche Theorie bisher mit voller Sicherheit noch nicht gefunden zu sein. Die ersterwähnte von Cohnheim, in Anlehnung an ältere TitAUBE'sche Darlegungen entwickelte dürfte immerhin zu beachten sein, da sie mit einfachen physikalischen Bedingungen rechnet und allen Formen der Nephritis gerecht wird. Es kann freilich Zweifel erhoben werden, ob die Nierenarterien groß genug seien, um den allgemeinen Blutdruck zu beherrschen. Dabei stützt man sich auf die Thatsache, daß doppelseitiger Unterbindung derselben eine Drucksteigerung im Aortengebiet nicht folgt. Um diese Schwierigkeit zu heben, kann man sagen: Wenn der Körper erhalten werden soll, müssen die Produkte des Stoffwechsels fortgeschafft werden. Dazu bedarf es eines höheren Druckes in den größere Widerstände bietenden Nieren. Dieser wird dadurch möglich gemacht, daß die Widerstände in den kleineren Arterien des gesamten übrigen Körpers durch Zusammenziehung ihrer Muskularis steigen, während die zuführenden Nierenarterien durch die Erschlaffung ihrer eigenen Muskularis weiter werden. Es ist das der gleiche Vorgang, welchen wir bei dem Thätigkeitswechsel ailer Organe sehen: Das funktionierende Organ braucht mehr Blut und erhält es. Bei dieser, immerhin etwas teleologisch gefärbten Annahme kann man daran denken, daß die Zusammenziehung der Arterien durch unmittelbare Einwirkung des verunreinigten Blutes auf dieselben, durch eine reflektorische Erregung der vasomotorischen Centren von den Nieren aus, oder durch die direkte Reizung dieser Centren zustande kommt (Zieqlek). — Für manche Formen der Schrumpfniere sind Arterienveränderungen gewiß von Bedeutung, es mag auch eine Erkrankung des Herzfleisches neben Nephritis auf das Herz selbst

Verhalten des Herzens bei Nierenkrankheiten. Akute Nephritis.

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Rückwirkungen haben — niemals aber werden diese Umstände ausreichen, um die Herzhypertrophie überhaupt zu erklären.

Wie dem auch sei, immer ist die Herzhypertrophie neben Nierenerkrankung als ein kompensatorischer Vorgang aufzufassen. Bleibt sie bei irgend längerer Dauer des Leidens aus, dann ist auf eine minderwertige Widerstandsfähigkeit des ergriffenen Organismus zu schließen, und das Krankheitsbild erleidet erhebliche Änderungen. Ebenso, wenn aus irgend einem Grunde die durch Herzhypertrophie bewirkte Erhöhung der Herzarbeit nicht mehr geschehen kann. Neben den durch die Nierenerkrankung bedingten Krankheitserscheinungen entwickein sich dann die der Herzinsuffizienz zukommenden. — Es ist nach allem leicht verständlich, daß die Prognose wie die Therapie der Nierenkrankheiten stets sehr mit dem Verhalten des Herzens zu rechnen haben. § 238.

Akute Nephritis.

Sie akute Nephritis kommt vor nach einer Menge von akuten Infektionen, unter welchen Sckarlach den ersten Platz behauptet. Diphtherie und Influenza reihen sich an; seltener sind schon Erysipelas, Masern, Pocken, Bötein, noch seltener Varicellen von akuter Nephritis gefolgt. Ebenso ist deren Auftreten nach Typhoid und Fleckfieber nicht häufig; Bekurrens geht hingegen öfter mit ihr einher, desgleichen das gelbe Fieber und alle septischen Infektionen. Genuine Pneumonie und akuter Gelenkrheumatismus sind nur in einer spärlichen Zahl von Fällen mit akuter Nephritis verbunden; das nämliche trifft für die Syphilis zu. — Im ganzen darf man sagen, daß kaum eine unter dm akuten Infektionskrankheiten frei bleibt. Es muß aber bemerkt werden, daß in den Mnzelepidemien ganz außerordentlich große Unterschiede der Häufigkeit da sind. Eine zweite ätiologisch zusammengehörende Gruppe wird durch die infolge von Vergiftung entstehende akute Nephritis gebildet. Diese toxische Nephritis wird durch die Einfuhrung genügender Mengen von Kanthariden und von den sogenannten scharfen Diureticis (Squilla u. s. w.) sicher hervorgerufen. — Nach sehr vielen Mineral- und organischen Giften sieht man Albuminurie, es zeigen sich Cylinder, auch wohl rote Blutkörperchen im Harn, ob aber eine wirkliche Entzündung, oder ob nur die sie einleitenden Ernährungsstörungen in der Niere die anatomische Grundlage für solche meist rasch und günstig verlaufenden Erkrankungen bilden, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Umsoweniger, als feste Grenzen zwischen diesen pathologischen Zuständen kaum gezogen werden können. Als eine weitere Ursache der akuten Nephritis muß die Erkältung genannt werden. Wenn wir auch über den Mechanismus, der dabei thätig ist, nichts bestimmtes wissen, so ist doch die Thatsache gesichert, daß bei Leuten, welche stark schwitzend sich eine gehörige Abkühlung und Durchnässung zugezogen haben, schwere akute Nierenentzündung unmittelbar folgen kann. Die Pathogenese hat man sich wohl so zu denken, daß jeder der mit dem Blute kreisenden Entzündungserreger, während er die Niere durchströ-mt, auf sie selbst unmittelbar einzuwirken vermag. Bei den akuten Infektionskrankheiten ist manchmal der Mikroorganismus, welchen wir als den Urheber derselben ansehen, in den Nieren gefunden worden. Andere Male fehlte er, was nicht beweist, daß er überhaupt nicht vorhanden gewesen sei. Denn es ist sehr wohl möglich und sogar sehr wahrscheinlich, daß manchen Mikrobien nur eine be-

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

schränkte Lebensdauer zukommt; sind sie zu Grunde gegangen, dann hinterlassen sie nur in den Gewebsveränderungen die Spuren ihrer Anwesenheit. "Übrigens ist es sicher, daß Substanzen, welche ohemische Reize ausüben können, durch die Lebensthätigkeit der Mikrobien erzeugt werden, und so erst mittelbar die Schädigung herbeigeführt wird. Die Leichenuntersuchung ergiebt: Sehr häufig Hydrops, mehr im Unterhautbindegewebe als in den Körperhöhlen. Nicht ganz so oft serös-fibrinöse, auch wohl eitrige Ergüsse, Produkte der Entzündung, in der Pleura, dem Herzbeutel, dem Peritoneum oder in den Meningen. — Die Nieren, stets beide, sind bei höheren Graden der Nephritis vergrößert und geschwellt, ihre Kapsel ist prall gespannt. Das Organ fühlt sich teigig weich an, ist mürbe und zerreißlich. Auf dem Durchschnitt sieht man, daß besonders die Rindensubstanz an Umfang zugenommen hat; sie ist blaß, trübe, graurot, läßt blutrot gefärbte Punkte, den stark injizierten Glomerulis entsprechend, oder auch wirkliche Extravasate erkennen. In anderen Fällen erscheinen die Glomeruli vergrößert, blaß, blutleer. Die Pyramiden sind stets tiefrot bis blaurot gefärbt. Hat die Krankheit länger gedauert, dann tritt die Hyperämie mehr zurück, die Nieren sind blaß, graurötlich, mit gelben Flecken und Streifen durchsetzt. — Mikroskopisch findet man: Der Blutgefäßbindegewebsapparat weist entzündliche Veränderungen auf, welche nicht eigentlich diffus, sondern in mehr oder weniger dichtgedrängten Herden durch die Nierenrinde zerstreut sind. — Blutungen finden sich in den Kapselräumen, in den erweiterten Harnkanälchen, ferner wohl auch um die prall gefüllten Gefäße, geformte und ungeformte Exsudate im Kapselraum der Glomeruli, in den Harnkanälchen, endlich in den Interstitien. Wesentlich sind Wucherungen der Endothelzellen in den kleineren und mittleren Arterien sowie in den Kapillaren der Glomerulusknäuel und der Interstitien. Die Venen sind weniger und nur ausnahmsweise beteiligt, ebenso die Bindegewebszellen der Interstitien und der Adventitia. Dagegen ist die durch indirekte Zellteilung sich vollziehende Neubildung von Bindegewebe in den Kapillaren der Glomeruli so massenhaft, daß sie KWT Verlegung ihres Lumens führen kann. Die Intima der Arterien und die intertubulären Kapillaren werden in dem gleichen Zustand angetroffen. Das an den erkrankten Stellen entwickelte kernreiche Keimgewebe wandeilt sich rasch in kemarmes, faseriges Bindegewebe um, so daß schon gegen das Ende der ersten Krankheitswoche narbige Herde in den Interstitien, narbige Verdickung der Kapsel der MALPiGHi'schen Knäuel, bindegewebiger Verschluß von kleineren Arterien vorkommt. Neben diesen Veränderungen trifft man, meist nachweisbar von den Venen ausgegangen, eine Infiltration der Interstitien durch ausgewanderte weiße Blutkörperchen. Degenerative Gefäßveränderungen treten vor den hyperplastischen Wucherungen in den Hintergrund. Sie erscheinen meist als Schwellung, Nekrose und Desquamation einzelner Endothelzellen oder kleiner Gruppen von solchen, und gewöhnlich an den Venen. An den kleinen Arterien und den Kapillaren sieht man Zustände von hyaliner Quellung ihrer Wandungen. Überall können sich thrombotische oder embolische Verschlüsse in den erkrankten Gefäßen finden. Meist ist die Erkrankung der Gefäße mit einer solchen der spezifischen Drusenbestandteile (Epithelien der Glomeruli und der Harnkanälchen) verbunden, welche sich als trübe Schwellung, hydropische und vakuoläre Entartung, Verfettung, Desquamation und Zerfall zeigt. Es handelt sich um degenerative Vor-

Akute Nephritis.

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gänge, denen eine aktive Thätigkeit der Zellen nicht vorausging. — Notwendig ist die Beteiligung der spezifischen Drüsenbestandteile nicht. Bei dem vollentwickelten klinischen Bilde der akuten Nephritis trifft man bisweilen unversehrte Harnkanälchen, das Epithel der Glomerulusknäuel hier und da in leichter Desquamation, während die Veränderungen des Blutgefaßbindegewebsapparates sich nicht auf die Glomeruli zu beschränken brauchen, sondern auch die übrigen Rindengebiete ergriffen haben. — Die Schwellung der Niere wird hauptsächlich durch ein entzündliches ödem hervorgerufen. Die der akuten Nephritis eigenen Symptome sind diese: Die Nierenentzündung fügt sich einer bestehenden, mit Fieber verbundenen Infektionskrankheit ein, ohne sich durch besondere Allgemeinerscheinungen bemerkbar zu machen, oder solche bezeichnen den Beginn. Man findet dann Fieber, plötzlich, bisweilen mit Schüttelfrost, einsetzend, über 40° die Körperwärme hinauftreibend, aber selten von längerer Dauer. Bei manchen Fällen von Scharlachnephritis stellt sich eine dem Auftreten sonstiger Erscheinungen um mehrere Tage vorausgehende mäßige Erhöhung der bereits normal gewordenen Temperatur ein. — Erbrechen kommt unter den Anfangserscheinungen vor. Großes Gefühl von Schwäche, blasses Aussehen, Appetitlosigkeit und Dyspepsie sind ziemlich regelmäßig vorhanden. Das Gefühl von Druck und Schwere in der Nierengegend ist nicht immer zugegen, noch seltener Schmerz, welcher in die Oberschenkel ausstrahlt. Empfindlichkeit gegen tiefen Druck auf die Nieren trifft man hingegen sehr gewöhnlich. — Leichte Schwellung um die Augenlider ist eine häufige Erscheinung. — Die erkrankten Organe selbst zeigen durch Funktionsänderungen ihre Störung an. In wenigen Fällen tritt ein übrigens rasch schwindender Drang zum Harnlassen auf; noch seltener kann trotz gefüllter Blase das Bedürfnis sie zu entleeren ganz verschwunden sein. Gewöhnlich ist die Harnabsonderung erheblieh, bis zum nahezu vollständigen Aufhören, vermindert, und das hält bis zum Tode an. Bei günstiger Wendung aber wird die Diurese vermehrt. — Der Harn ist trübe durch reichliche Beimischung harnsaurer Salze und geformter Bestandteile. Er reagiert sauer; seine Farbe ist dunkel, oder durch das in ihm enthaltene Blut rötlich bis schwarzrot. Das spezifische Gewicht geht, solange kleine Tagesmengen ausgeschieden werden, hoch, bis 1030 und darüber hinaus; werden später große Massen Harn entleert, dann sinkt die Eigenschwere bis 1006. Der Prozentgekalt an Harnstoff übersteigt 2,5 selten, seine Gesamtmenge beträgt bei Erwachsenen trotz bestehenden Fiebers nur 8—10 g in 24 Stunden. Mit dem Eintritt reichlicher Diurese ändern sich auch diese Verhältnisse. Ähnlich ist es mit den anorganischen Salzen. — Eiweiß ist stets vorhanden, meist in der Menge von 0,2—0,5 °/ 0 , selten l ° / 0 und mehr; nur im ersten Anfang kann dasselbe fehlen. — Mit dem Blut verhält es sich ebenso; seine Menge schwankt sehr; in günstig verlaufenden Fällen verliert sich die Blutbeimischung vor der Albuminurie. — Oylinder treten in wechselnder Anzahl und Form während der Dauer der Nephritis auf. Anfangs erscheinen schmale homogene, oft mit Epithelien besetzte, daneben aus Blutkörperchen zusammengeschweißte Cylinder; es kommen aber auch breite und gekörnte vor. Weiße und rote Blutkörperchen, Epithelzellen in verschiedenen Zuständen des Zerfalls, körnige Detritusmassen sind regelmäßig, oft in großer Zahl da. Die Erscheinungen von Dyspepsie, Anämie und Kraftlosigkeit, mit denen der Anfang der Krankheit einhergeht, begleiten sie auch in ihrem späteren Verlaufe.

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

Hydrops mit den Eigentümlichkeiten des renalen und hohe Grade erreichend ist sehr gewöhnlich da, nur in den leichtesten und in einzelnen sehr stürmisch verlaufenden, rasch zum Tode führenden Fällen bleibt es bei Andeutungen von Schwellung. Die Urämie fordert manches Opfer: sie kann zu jeder Zeit auftreten, stellt sich aber meist schon anfangs ein. — Eüerbildende Entzündungen der serösen Häute sind nicht ganz selten, aber keineswegs so häufig, wie bei den chronischen Nephriten. Es geschieht, wie es scheint, bei den aus verschiedenen Ursachen entstandenen akuten Nierenentzündungen mit verschiedener Häufigkeit, daß während ihres Verlaufs Nachschübe auftreten. Vielleicht geben sich dieselben durch Erhöhung der Körperwärme (vergl. Fig. 41), jedenfalls aber durch vermehrten Eiweiß gehalt, erneutes Erscheinen von Blut, verminderte Harnabsonderung kund. Ein Grund für ihre Entstehung ist gewöhnlich nicht zu finden. Ernstere Gefahren werden meist durch sie nicht herbeigeführt; nur ganz ausnahmsweise kann einmal Urämie mit ihnen verbunden sein. Die Dauer der Krankheit geht in der großen Mehrzahl der Fälle nicht über einige Monate hinaus; in den leichtesten Formen kann sie sich auf wenige Wochen beschränken, in den schwersten aber dennoch zur Genesung gelangenden, kann sie mehr als ein Jahr betragen. — Als häufigster Ausgang ist Genesung, als seltenster die Entwicklung einer chronischen Nephritis zu nennen. Wie oft der Tod erfolgt, ist kaum mit Bestimmtheit zu sagen. Mittelzahlen sind hier von äußerst geringem Wert, da die Verhältnisse in den Einzelepidemien von Scharlach und Diphtherie, aus denen doch die Hauptmenge hervorgeht, so gar wechselnde sind. Die Prognose ist in erster Linie von der veranlassenden Ursache abhängig. Tritt Nephritis bei Infektionskrankheiten auf, so ist durch diese die Widerstandsfähigkeit des Körpers bereits in mehr oder minder hohem Grade gebrochen, das fällt natürlich schwer ins Gewicht. Man darf sagen, daß die durch Erkältung hervorgerufenen akuten Nierenentzündungen im allgemeinen eine minder gute Prognose geben: hochgradiger Hydrops und längere Dauer zeichnen dieselben aus, sie scheinen vor den andern geneigt in chronische Formen überzugehen. Im Einzelfall ist die etwas länger dauernde vollständige Anu/rie ein schlechtes Zeichen. — Als Leiter des prognostischen Urteils ist die Harnabsonderung zu bezeichnen; solange sie einigermaßen reichlich bleibt, ist gewöhnlich nicht unmittelbar Gefahr zu erwarten. Die Behandlung muß den Bedingungen des Einzelfalles angepaßt werden; immerhin lassen sich einige allgemeine Regeln aufstellen. — Während der ganzen Dauer der Erkrankung muß das Bett gehütet werden, ja es scheint sogar, daß man wenigstens die Nephritis nach Scharlach verhüten oder doch leichter verlaufen machen kann, wenn man die Kranken bis zum Ende der vierten Woche im Bette läßt. — Falls nicht eine ganz bestimmte Gegenanzeige vorliegt, ist als empirische Methode die ein- höchstens zweimal tägliche Anwendung heißer Bäder mit nachfolgender Einpackung dringend zu empfehlen. Man beginnt mit Bädern von 30° C. und läßt sie zunächst 15 Minuten lang dauern. Nach dem Bade wickelt man den Kranken in ein mit ebenso warmem Wasser getränktes Leintuch und eine oder mehrere Wolldecken kunstgerecht ein, legt ihn in ein gewärmtes Bett und deckt ihn gut zu. Nach 1—2 Stunden, während welcher reichliche Mengen warmen Getränkes dargereicht wurden, wird der Kranke aus der Wickel entfernt,

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tüchtig abgerieben und natürlich im Bette gelassen. Ein kalter Umschlag auf den Kopf während des Badens und während der Einwicklung ist zweckmäßig. Allmählich steigert man die Badwärme auf 40° C., vielleicht mit einer niederen Wassertemperatur beginnend, die, während der Kranke in der Wanne sitzt, langsam erhöht wird, und verlängert die Badedauer bis zu einer Stunde. — lieber liefert ohne weiteres keine Gegenanzeige. Der Erfolg dieses Verfahrens, das man vom Anfang bis zum Ende der Nephritis fortzusetzen hat, ist nicht nur eine vermehrte Diaphorese, sondern in vielen Fällen auch eine Vermehrung der Harnausscheidung. Es darf mit einigem Rechte vermutet werden, daß die urämischen Erscheinungen nicht selten so vermieden werden können; auch der Hydrops wird in Schranken gehalten. — Das Diuretin (Theobrominum natriosalicylicum) ist für diese Formen ein gutes harntreibendes Mittel. Man giebt dasselbe bei dem Erwachsenen zu 5 g den Tag, bei Kindern dem Lebensalter entsprechend weniger (R 30). — Der Überwachung der Herxthätigkeit muß von Anfang große Sorgfalt gewidmet werden; Digitalis und die bekannten Beizmittel finden gegebenen Falls Anwendung. — Die Ernährung ist thunlichst hoch zu halten; man scheue sich nicht vor der Zufuhr genügender Mengen stickstoffhaltiger Nahrungsmittel. Der allgemeine Satz, daß die Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit entzündeter Gefäße nur durch deren ausreichende Versorgung mit normal beschaffenem Blute ermöglicht wird, muß auch hier der leitende sein. Ebensowenig darf man sich durch die Sorge, daß die Darreichung von Flüssigkeit den Hydrops vermehren könne, hindern lassen, dem Kranken Getränk xu geben. Sind die Nieren einigermaßen wegsam, dann ist sogar eine größere, als die dem Durst entsprechende Menge, einzuführen. — Rotwein und Champagner sind unbedingt erlaubt; Kaffee und Thee werden widerraten. — Unter den im Laufe der Erkrankung sich zeigenden lebensgefährdenden Erscheinungen ist Urämie wohl die, welche der Behandlung die wechselvollsten Aufgaben stellt. Geht sie mit hohen Temperaturen einher, dann ist die Anwendung kalter Bäder nicht ausgeschlossen. — Der Nachlaß der Herxthätigkeit verlangt den Versuch, sie wieder auf das richtige Maß zu erhöhen. Warme Bäder und Einpackungen liefern oft noch günstige Ergebnisse, wobei übrigens zu bemerken ist, daß nach einzelnen Beobachtungen im Bade selbst ein eklamptischer Anfall sich entwickeln kann. Man hat das auf rasche Resorption des Hydrops und dadurch bedingte Vermehrung der schädlichen Substanzen im Blute selbst zurückführen wollen — ob mit Recht, möge dahingestellt sein. — Die Erfahrungen über das Pilokarpin lehrten, daß das so stark schweißtreibende Mittel besser zu meiden ist, unbedingt muß dies geschehen, wenn sich irgend eine Andeutung von Herznachlaß zeigt. — Von manchen wird der Anwendung drastischer Abführmittel das Wort geredet — die Entleerung der schädlichen Substanzen durch den Darm herbeizufuhren, ist der Zweck dieser Verordnung. Zu bedenken bleibt, daß der auf der Darmschleimhaut ausgeschiedene und dort leicht in kohlensaures Ammoniak zerfallende Harnstoff eine schwere Entzündung, ja sogar Geschwürsbildung veranlassen kann. Jedenfalls darf das Verfahren nicht zu lange fortgesetzt werden. — Der urämische Anfall ist im ganzen wie der eklamptische zu behandeln; um die Heftigkeit der Krämpfe zu mildern, können Ghloralhydrat und Chloroforminhalationen nötig werden. Bei Kräftigen wird noch eine Blutentziehung (300—500 g durch Aderlässe bei dem Erwachsenen, Igel bei Kindern) angeraten — ob mit Recht? — Im ganzen darf man sagen, daß die

Krankheiten der Harawerkzeuge.

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Verhinderung der Urämie in vielen Fällen gelingt, die Behandlung der sich, durch wirkliche Anfälle verratenden aber zweifelhafte Erfolge liefert. Fügt man noch die Warnung hinzu, daß gegen die spontan erscheinenden Durchfälle bei akuter Nephritis nicht ohne weiteres eingeschritten werden soll, und dies nur zu geschehen hat, wenn sie zu häufig und zu heftig werden, dann genügt es zu bemerken, daß anderweitige therapeutische Aufgaben nach allgemeinen Regeln in Angriff zu nehmen sind. § 239.

Chronische (parenchymatöse) Nephritis.

Sie chronische (parenchymatöse) Nephritis geht in der Minderzahl der Fälle aus der akuten, namentlich der durch Erkältung entstandenen hervor. Man ist der Meinung, daß auch der längere Zeit hindurch wirkende Einfluß feuchter und kalter Wohnungen eine chronische Nephritis ohne vorhergehende akute Entzündung der Nieren zu erzeugen vermag. Unter den Infektionskrankheiten ist es die Malaria, welche in Gegenden, wo sie endemisch herrscht, nicht selten dieses Nierenleiden im Gefolge hat. Syphilis und Tuberkulose reihen sich an, dann von den Diathesen die gichtische. Lang dauernde Eiterungen werden von manchen als eine häufige Veranlassung betrachtet. Wie groß der Einfluß chronischer Vergiftung mit Blei, Quecksilber, Alkohol ist, unterliegt sehr verschiedener Beurteilung. Im ganzen sind es also Schwächezustände des Körpers, welche mit chronischer Nephritis einhergehen. Diese Entstehungsursache hat die Krankheit mit der amyloiden Entartung gemein, es ist daher nicht zu verwundern, daß recht oft beide zusammen in den Nieren angetroffen werden. Für einen nicht unbedeutenden Rest fehlt das Verständnis der Ätiologie vollkommen. — Das 20. bis 50. Lebensjahr liefert die Hauptsumme von Erkrankungen; Männer leiden häufiger als Weiber. Die anatomischen Veränderungen sind außer dem regelmäßig vorhandenen Hydrops, den wechselnden Organveränderungen, die als Folgen oder als zufällige Komplikationen der Grundkrankheit aufgefaßt werden müssen, wesentlich in den Nieren zu finden. Sie, immer beide, sind groß, bis um das Doppelte an Umfang vermehrt, von prall gespannter, verdünnter Kapsel bedeckt, von weißgelblicher Farbe, so daß sich die mit Blut gefüllten Stellulae Verheynii durch den Kontrast stark abheben. Auf dem Durchschnitt sieht man die vorzugsweis vergrößerte Rindensubstanz ebenso blaßgelb, die gleichfalls vergrößerten Pyramiden dunkel gerötet. Es ist dies der Grundtypus der chronischen Nephritis — die große weiße Niere. Schon makroskopisch werden Abweichungen beschrieben: Große bunte Niere — bei erheblicher Schwellung grau und graurot gefleckte Oberfläche, die verbreiterte Rinde feucht, weich, ebenso gefärbt, die Marksubstanz hyperämisch. Mikroskopisch bemerkt man ein starkes entzündliches Ödem, eine bedeutende interstitielle kleinzellige Infiltration, und mehr Desquamation des geschwellten und getrübten Epithels, besonders der Harnkanälchen, als eigentliche Verfettung. Chronisch hämorrhagische Niere: Geschwellte, gelblichweiß gefleckte oder nahezu weiße Niere, deren Rindensubstanz mit roten und braunroten hämorrhagischen Herden dicht durchsetzt ist. Ziemlich hochgradige Verfettung und interstitielle Infiltration neben starker Desquamation des Glomerulusepithels ist der mikroskopische Befund. Nach den mikroskopischen Untersuchungen werden wieder eine Reihe von Abweichungen als Sonderformen beschrieben. Es sollen von denselben nur erwähnt werden:

Chronische (parenchymatöse) Nephritis.

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Entzündliche Fettniere, mäßige Schwellung des weichen Organs, dessen blaßgraue Binde von weißen Flecken und Streifen durchsetzt ist, die Marksubstanz bis zur cyanotischen Färbung gerötet. Geringe Auswanderung weißer Blutkörperchen in das Zwischengewebe, vorwiegend Verfettung des Epithels der Harnkanälchen, geringere des der Glomeruli. — Chronische Glomerulonephritis: Vorwiegende Beteiligung der Glomeruli mit ähnlichen Veränderungen wie bei den akuten Nephriten. Die mikroskopische Untersuchung zeigt, daß in den Gefäßen auch hier wieder der Mittelpunkt der pathologischen Störung gelegen ist. In frischen Fällen können die parenchymatösen Veränderungen ganz außerordentlich gering sein, bei längerer Dauer des Leidens wiegen sie, wenn auch vielleicht nur sekundären Ursprungs, allerdings vor. Von entzündlichen Veränderungen finden sich: Exsudationen von Plasma in die Glomeruluskapseln sowie in die Harnkanälchen, nicht selten zu festen Massen erstarrt; meist unerhebliche Wucherungen des Endothels in den Kapillaren der Glomeruli. Daneben Auswanderung weißer Blutkörperchen, die zur zelligen Infiltration des interstitiellen Gewebes Veranlassung giebt, venöse Blutungen aus dem ganzen Gebiet der Rindengefaße. Weiße wie rote Blutkörperchen können bald mehr, bald weniger zahlreich in die Glomeruluskapseln und in die Harnkanälchen gelangen. — Degenerative Vorgänge: Schwellung, Verfettung, Desquamation zeigen sich an den Glomerulusund Kapselepithelien, indes an den letzteren weniger stark. Die Epithelien der Harnkanälchen, besonders die der gewundenen, bieten vorzugsweise die Erscheinungen fettiger Entartung mit ihren Vorstufen dar. Fettige Entartung und Infiltration des Bindegewebes können sich im weiteren Verlauf der Erkrankung mehr und mehr entwickeln. Eine Regeneration der Epithelzellen der Harnkanälchen ist möglich, nicht aber Ersatz des durch narbige Schrumpfung verloren gegangenen Gewebes, namentlich des der Glomeruli. Infolge solcher Schrumpfungen treten an der Oberfläche Einziehungen auf, welche sich ausbreitend den Umfang der Nieren verkleinern und dieselben höckrig erscheinen lassen. Es ist das der anatomische Ausdruck für den möglichen, aber immer lange Zeit erfordernden Übergang zur Schrumpfniere. Das Krankheitsbild der chronischen Nephritis ist weniger scharf als das der anderen Nierenentzündungen. Es vermischen sich mit demselben die langsam verlaufenden, dennoch aber vollständig heilenden Fälle akuter Entzündung, die mit Schrumpfung endenden der chronischen Entzündung, und häufiger noch die mit amyloider Entartung einhergehenden Formen. Eine ganz bestimmte Scheidung hat daher große Schwierigkeiten. Nur bei den selteneren Fällen, die aus der akuten Nephritis hervorgehen, läßt sich ein bestimmter Anfangstermin nachweisen. Meist entwickelt sich die chronische Nephritis, einerlei ob sie als Begleiterin der genannten Krankheiten oder als selbständiges Leiden auftritt, äußerst langsam und schleichend. Die Kräfte lassen allmählich nach, Blässe der H a u t und der sichtbaren Schleimhäute, Herzklopfen und ein wenig Atemnot bei stärkerer Anstrengung, vielleicht dyspeptische Erscheinungen sind vorhergegangen, dann kommt es zu Ödemen, welche, bald an den Knöcheln, bald im Gesicht zuerst sich zeigend, in verhältnismäßig kurzer Zeit sich über den ganzen Körper ausbreiten und sehr beträchtlich werden. Manchmal sind unbestimmte Schmerzen, besonders in der Nierengegend, dagewesen. Der Harn enthält schon lange Eiweiß, aber erst mit seiner verminderten Absonderung erscheint die Wassersucht. V. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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Krankheiten der Hainwerkzeuge.

Die vollentwickeUe Krankheit zeigt ein sehr eintöniges Büd: Wassersucht der Haut und einer oder der anderen Körperhöhle, verminderte Absonderung des Harns, Appetitlosigkeit und Verfall der Kräfte sind dessen Grundzüge; hin und wieder kommt es einmal zum Erbrechen, zum Durchfall, seltener zum urämischen Anfall. Bisweilen treten örtliche Verschlimmerungen ein: der Harn wird bluthaltig und erscheint ganz so wie bei der akuten Nephritis. Die ausgesprochene Neigung zur Entzündung fuhrt zu meist tödlich endenden Zwischenfällen: Pleuritis, Perikarditis, Phlegmonen u. s. w. Glottisödem, ein mit Nachlaß der Herzarbeit eintretendes einfaches Lungenödem, vielleicht auch ein entzündliches kann raschen Tod herbeiführen. — Bei günstiger Wendung vermehrt sich die Harnabsonderung, damit verlieren sich die Ödeme; ganz langsam, öfter auf und ab schwankend, geht der Zustand der Besserung, sehr selten der Genesung entgegen. Dann verschwindet auch das Eiweiß aus dem Harn. — Die Umwandlung in die anatomische Form der Schrumpfniere verrät sich durch die nach dem Aufhören des Hydrops andauernde Abscheidung einer reichlichen Harnmenge von eigentümlicher Beschaffenheit (s. unten) und die immer deutlicher werdende Hypertrophie des linken Ventrikels. Von Einzelheiten ist zu bemerken: Der Harn ist mehr oder minder trübe, meist von saurer Reaktion; er wird während der Entwicklung und auf der Höhe der Krankheit im ganzen in sehr verminderter Menge abgeschieden, die Mnzeltage aber können bedeutende Verschiedenheiten aufweisen, so daß an einem sehr viel, an einem anderen sehr wenig entleert wird. Damit wechseln auch die Farbe und das spezifische Gewicht, welches unter 1010 bleiben und 1040 überschreiten kann. — Der Prozentgehalt an Harnstoff unterliegt selbstverständlich den gleichen Schwankungen, er erreicht bis 5 °/ 0 und sinkt unter l°/o; die absoluten Mengen können den von kräftig genährten Gesunden gelieferten gleichkommen, sie sind aber meist weit geringer. — %Mweiß, das nie fehlt, verhält sich im ganzen ebenso; seine Menge kann bis 5 °/ 0 betragen, geht aber über 1 bis 2 °/0 selten hinaus. Das Maximum der Tagesmenge erreicht etwa 20 g; indes beträgt der gewöhnliche Verlust doch wohl nur die Hälfte. Oylinder finden sich stets im Horn und sobald die Krankheit auf der Höhe ist, in reichlicher Menge. Sie sind teils schmal, homogen, hyalin und blaß mit auf- und eingelagerten Epithelzellen oder weißen Blutkörnchen, teils, namentlich bei längerer Dauer der Nephritis, breit, gekörnt, wachsartig glänzend. Leukocyten trifft man in ziemlicher Menge, gut erhalten oder verändert, ebenso allerlei Detritus. Von nicht geformten Bestandteilen sind Urate und freie Harnsäure fast regelmäßig da. — Die Wassersucht, welche äußerst selten fehlt, erreicht manchmal so hohe Grade, daß die übermäßig gespannte Haut einreißt und nun lange Zeit die Gewebeflüssigkeit aussickert. Nicht nur oberflächliche Entzündung ist damit verbunden, dieselbe kann auch in die Tiefe greifen und zu brandiger Zerstörung fuhren. Das geschieht am häufigsten an den Oberschenkeln und an dem Skrotum, welche wie die äußeren Genitalien und die Bauchdecken von dem Anasarka vorzugsweise heimgesucht zu sein pflegen. Die Pleurahöhlen, das Perikard und der Bauchraum bergen häufiger als bei der akuten Nephritis größere Mengen von Ergüssen. Der Hydrops ist äußerst hartnäckig; er wechselt der Harnausscheidung ent-

Chronische (parenchymatöse) Nephritis.

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sprechend in seiner Stärke, verliert sich aber erst mit der Genesung oder mit der Ausbildung einer Schrumpfniere. In vielen Fällen kommt es zur Hypertrophie und Dilatation des linken Ventrikels oder des ganzen Herzens; das geschieht, sobald die allgemeinen Verhältnisse eine für die Muskelvermehrung ausreichende Ernährung gestatten. Es ist sicher nicht richtig, wenn man behauptet, daß immer bei chronischer Nephritis die Herzhypertrophie auftrete, und daß, wenn sie fehlt, amyloide Entartung zugegen sei. — Die Spannung des Pulses geht auch hier der Hypertrophie voraus. Im Laufe der Erkrankung können mit dem Nachlaß der Ernährung des Herzens sich Schwächezustände desselben ausbilden, welche dann besonders durch Lungenödem gefahrlich werden. Der meist sehr erhebliche Rückgang der Ernährung hängt wohl außer dem Eiweißverlust zum großen Teil damit zusammen, daß die geänderte Blutmischung und die ödematöse Durchtränkung der Körpergewebe eine regelmäßige Assimilation der Nahrung sowie eine ausreichende Osmose zwischen Blut und Parenckymflüssigkeit erschwert. Darauf ist auch die gewöhnlich vorhandene Appetitlosigkeit zurückzuführen. Das nicht seltene hartnäckige Erbrechen und die oft andauernden Diarrhöen tragen, wenn sie vorhanden sind, wohl das ihrige dazu bei. Beide gehen manchmal, wenn auch nicht immer, mit Ödem der Schleimhaut des Verdauungskanales einher. — Sehr gefährlich sind die Geschwürsbildungen im Darm, von welchen man annimmt, daß sie durch die Wirkung des aus dem Harnstoff entstandenen kohlensauren Ammoniaks hervorgerufen werden: Ruhrartige Zustände, die Entleerung reichlicher Mengen aashaft stinkender, Gewebsfetzen, Eiter und Blut enthaltender Flüssigkeit kennzeichnen dieselben. Von urämischen Zuständen ist viel oder wenig zu berichten, je nachdem man den Begriff enger oder weiter faßt. Eigentliche Anfälle sind entschieden nicht häufig. Dagegen läßt sich im Grunde nicht viel einwenden, wenn man die sehr gewöhnlich vorhandenen Kopfschmerzen, das Erbrechen, die dyspeptischen Erscheinungen, die Diarrhöen wenigstens mit auf Urämie bezieht. — Ebenso gehört die Neigung zu Entzündungen hierher. — Die Retinitis albuminurica ist im ganzen seltener. Die Dauer der chronischen Nephritis ist schwer zu bestimmen, immer aber ist sie eine längere. Wenn nicht durch einen Zwischenfall der Tod eintritt, oder sich die Krankheit als Anfang vom Ende einem Siechtum zugesellt, hat man wohl immer mit Jahren zu rechnen. Die Prognose ist stets sehr ernst. Es dürfte noch nicht mit Sicherheit zu entscheiden sein, ob diejenigen recht haben, welche die Genesungsmöglichkeit bei vollentwickelter chronischer Nephritis überhaupt in Abrede stellen, indem sie sagen, daß, wenn Heilung zustande kam, es sich um eine akute Nephritis mit verschlepptem Verlauf gehandelt habe. — Entwickelt sich eine Schrumpfniere, dann ist das tödliche Ende freilich verzögert, nicht vermieden. Alles in allem ist der Tod der regelmäßige Ausgang, sobald die Krankheit ein Jahr oder darüber gedauert hat. Im Einzelfall kommt es wesentlich darauf an, ob die Ursache der Nephritis entfernt werden kann: Die Heilung der Malaria, der Lues, einer chronischen Knochen- oder Hautverschwärung hat nicht selten auch die Heilung der sie begleitenden Nephritis im Gefolge. — Als gefährlichste Komplikation wird ziemlich einstimmig Pneumonie und Phlegmone genannt; die letztere fuhrt, nachdem sie Brand erzeugte, zur allgemeinen Infektion. 50*

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

Die Behandlung hat zunächst in den Fällen, wo die Nephritis einem heilbaren Grundleiden sich anschloß, dieses zu beseitigen. — Weiter ist für möglichst reichliche Ernährung zu sorgen, eine Aufgabe, an der man freilich oft scheitert. Die Milchkuren, welche man vorschlug, lassen sich nicht immer durchführen, manchmal kommt man weiter, wenn man Buttermilch an die Stelle der süßen Milch setzt. Meist dürfte man mit einer Wechsel bietenden Ernährungsweise auf die Dauer mehr ausrichten, als mit so einförmigen. Die eigentliche Therapie kann am ehesten noch durch die Anwendung der, solange der Hydrops anhält, systematisch (täglich einmal) gegebenen warmen Bäder mit folgender Einpackung, wie sie im vorigen Paragraphen beschrieben wurde, etwas erreichen. Wo die Heilung möglich, wird sie dadurch begünstigt, eine Erleichterung der Beschwerden ist jedenfalls gesichert. — Über den Gebrauch von Arzneimitteln ist wenig Günstiges zu berichten, wenn sie nicht nach bestimmter Anzeige gegen ein im Laufe der Krankheit auftretendes Symptom dargereicht werden, wie z. B. Digitalis bei Herzschwäche. Diuretica können bei verhältnismäßig frischen Fällen von Nutzen sein, in älteren richtet man damit wenig aus. In erster Linie kommt auch hier das Diuretin in Betracht (R 30). Häufiger wird noch das Kalium aceticum angewandt, neuerdings in großen Gaben, bis zu 20 g den Tag. Die unter R 70 angeführte Mischung vermag einzelne Male vorübergehend eine sehr reichliche Diurese zu bewirken; meist versagt sie. Eisenpräparate sind, wenn sie nicht die Verdauung stören, gegen die Anämie manchmal nützlich, andere Male ist zu diesem Zweck die arsenige Säure vorzuziehen. Die Entleerung der hydropischen Ergüsse durch Punktion kann von der Indicatio Vitalis verlangt werden: sonst halte man damit zurück. In noch höherem Grade ist die Zurückhaltung bei dem Anasarka geboten: die kapillare Drainage vermag freilich gewöhnlich das Auftreten ausgedehnterer Hautentzündung zu verhüten, allein der tägliche starke Eiweiß- und Salzverlust, welcher mit der Entleerung von Litermengen hydropischer Flüssigkeiten verbunden ist, dürfte einen raschen Schwand der Kräfte in hohem Grade begünstigen. § 240. Chronische interstitielle Nephritis (Schrumpfniere). Es wurde bereits mehrfach erwähnt, daß die chronische interstitielle Nephritis, die Schrompfhiere, einen, immerhin seltenen, Ausgang der beiden abgehandelten Formen darstellt. Meist ist ein solcher Zusammenhang nicht nachweisbar: Die Schrumpfniere entwickelt sich als ganz selbständiges Leiden, oder sie zeigt sich neben weit verbreiteten Erkrankungen der Arterien. — Von ätiologischen Bedingungen ist nicht gar zu viel bekannt: Gicht, Syphilis, chronisch Bleivergiftung werden mit mehr oder minder triftigen Gründen als Urheber genannt. Über den Alkohol gehen die Ansichten weit auseinander; von einiger Bedeutung dürfte es immerhin sein, daß Leber- und Nierenschrumpfung nicht ganz selten nebeneinander vorkommen. — Der Punkt, um welchen sich ein auch heute nicht ausgetragener Streit dreht, ist der, wieweit eine Erkrankung des gesamten arteriellen Gefäßsystems bei der Entstehung der Schrumpfniere beteiligt ist. Wenn man keine andere, als die mit solcher Gefaßerkrankung einhergehende Form anerkennen, wenn man die genuine interstitielle Nephritis ganx

Chronische interstitielle Nephritis (Schrumpfniere).

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streichen will, setzt man sich über sicher erwiesene Thatsachen hinweg. Andererseits kann nicht geleugnet werden, daß die arteriosklerotische Schnmipfniere im ganzen wohl viel häufiger ist, obgleich örtliche Unterschiede sich geltend machen. Damit hängt es auch zusammen, daß der Einfluß des Lebensalters sich verschieden maßgebend erweist. Meist ist ein solcher zweifellos, die Häufigkeit der Erkrankung hält mit der Zahl der zurückgelegten Jahre gleichen Schritt. Die Zeit vom ersten Decennium aufwärts ist aber nicht ausgeschlossen. Daß Männer häufiger als Weiber erkranken, wird allgemein angenommen. Die günstigere soziale Stellung verleiht keinen Schutz, vielmehr scheinen Kopfarbeiter mindestens in gleichem Grade wie Handarbeiter ausgesetzt zu sein. Der Leichenfund ergiebt nahezu konstant eine Hypertrophie des linken Ventrikels, vielleicht des ganzen Herzens neben den Veränderungen der Nieren. Sie Nieren sind in den ausgebildeten Fällen kleiner (sie können sogar bis zu der Größe einer Kinderniere herabsinken), dabei höckrig und derb anzufühlen. Die verdickte Kapsel läßt sich nur schwer abziehen, es bleiben Teile des Nierengewebes an ihr haften; die Oberfläche ist fein granuliert, bisweilen durch tiefere Einziehungen eingekerbt, nicht selten zeigen sich daneben kleine, mit klarem Inhalt gefüllte Oysten. Auf dem Durchschnitt des entweder dunkel rotbraun oder blaß weißgrau aussehenden Organs bemerkt man, daß die Verkleinerung besonders die bis zu wenigen Millimetern geschwundene Rindensubstanz trifft. Nicht so stark, immerhin bedeutend sind die Markkegel, welche dicht aneinander gedrängt liegen, beteiligt. Das Nierenbecken ist erweitert oder enger; letzteres ist das Gewöhnlichere. Verdickung der Nierenarterie und ihrer Hauptäste sind nicht selten. Alle diese Veränderungen sind einigermaßen gleichmäßig über beide Nieren verteilt, oder aber die eine ist stärker als die andere, vielleicht ist nur ein Teil der Nieren vorzugsweise ergriffen. Die mikroskopische Untersuchung bei der genuinen Schrumpfniere ergiebt: Auch hier bildet das Verhalten des Gefäßsystems den Mittelpunkt der Erkrankung; es sind im großen und ganzen die gleichen Vorgänge wie bei der akuten Nephritis, nuT in viel weiterer Ausdehnung und mit ausgesprochener Neigung zu dauernder Neubildung von Bindegewebe. — Oblitterierende Arteriitis an den interlobulären Arterien und an den Vasa afferentia, Wucherungen des Endothels in den Glomerulusknäueln selbst und in den intertubulären Kapillaren, dann thrombotische Verschlüsse von Kapillaren und Arterien, sowie hyaline Verdickungen der Gefäßwandung führen zur Verödung der Gefäße und zum Untergang der von ihnen versorgten Drüsenteile durch Inaktivitätsatrophie. Eine hervorragende Bolle spielen dabei die autochthonen Thromben in den Arterien, welche in größeren Ästen sich entwickelnd zur Infarktbildung mit der ihr folgenden narbigen Einziehung fuhren können. Minder wichtig sind die Gerinnungen entzündlicher Ergüsse im Kapselraum der Glomeruli, die reichlich vorhandenen Züge hyperplastischen Bindegewebes zwischen den Harnkanälchen und um die Kapseln der MALPiom'schen Körperchen, sowie die in diesen Bindegewebszügen enthaltenen Herde kleinzelliger Infiltration. Sie begünstigen die Ausbreitung der obliterierenden Gefäßentzündung, beteiligen sich also mehr mittelbar an dem Gewebsuntergang. Die Epithelim der Knäuel sind zum großen Teil verloren gegangen, die noch erhaltenen in Wucherung begriffenen atrophieren aber sobald die Blutzufuhr ungenügend wird. Endlich stellt sich eine vollständige narbige Verödung ein. Die Harnkanälchen sind, wenn sie inmitten von Bindegewebe liegen, atrophisch,

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verengt, ihres Epithels beraubt; in früheren Stadien zeigt dasselbe die gleichen Veränderungen wie bei akuter Nephritis, nur in geringerem Grade und in geringerer Ausbreitung. Übergänge zur arteriosklerotischen Atrophie — chronische ganz auf die Gefäße sieh beschränkende Entzündungen, keine Bindegewebsatrophie, keine kleinzellige Infiltration — kommen nach Endokarditis auch bei jungen Leuten, dann bei chronischer Bleivergiftung, vielleicht, auch bei Alkoholismus vor. Die arteriosklerotische Atrophie hat die durch Arteriosklerose bedingte Verdickung der Intima der Oefäße zur Voraussetzung. Je nachdem ein größeres oder kleineres Gefäß verschlossen ist, veröden die zugehörenden Glomeruli mit ihren Harnkanälchen, eine Bindegewebsumcherung bleibt ganz aus, oder sie ist doch nur in sehr geringem Maße vorhanden, dagegen kommen Herde kleinzelliger Infiltration im interstitiellen Gewebe hier und da vor. Es ist also eine wirklich scharfe anatomische Trennung dieser Atrophie von der entzündlichen nicht durchführbar — das Ganze des Vorgangs zeigt allerdings sehr erhebliche Unterschiede. Trotz der anatomischen Abweichungen ist doch das Krankheitsbild der Schrumpfniere im wesentlichen das nämliche. Meist vergeht eine ziemlich lange Zeit, ehe sich überhaupt etwas von Störungen zeigt, Leute, die auf sich achten, bemerken höchstens, daß sie nachts von dem Bedürfnis Harn zu lassen geweckt werden und auch tags dazu häufiger als sonst genötigt sind. Dementsprechend ist der Durst vermehrt. So kann jahrelang die Sache weitergehen. JllmäMich stellt sich Abspannung bei stärkerer geistiger Thätigkeit, Druck im Kopf oder eine in Anfällen auftretende wirkliche Migräne ein, andere Male sind es Sehstörungen, die den Kranken zum Arzte treiben. Auch dys/peptische Beschwerden mit Abmagerung und Kraftlosigkeit, Anfälle von Atemnot, die gewöhnlich als Asthma bezeichnet werden, Herzklopfen mit Schwindelgefuhlen verbunden, heftiges, öfter wiederkehren des Nasenbluten veranlassen, daß der Arzt gerufen wird. Wieder kommt es vor, daß inmitten einer scheinbar vollen Gesundheit plötzlich ein urämischer Anfall oder eine Apoplexie sich einstellt und vielleicht dem Leben ein jähes Ende bereitet. — Sieht man die Leidenden zur Zeit der vorgeschrittenen Entwicklung der Nierenschrumpfung, dann bemerkt man meist eine fahlgelbe Farbe des etwas hageren Gesichts bei sonst guter Ernährung. Der Puls ist hart, gespannt, schnellend, die Arterien sind etwas atheromatös und geschlängelt, der linke Ventrikel ist exzentrisch vergrößert. — Ödeme fehlen ganz oder sind doch höchst unbedeutend, sie zeigen sich noch am ehesten um die Knöchel, und zwar in den Abendstunden. — Der weitere Verlauf gestaltet sich verschieden: es walten die Erscheinungen von den Nieren ob, und das Bild chronischer Urämie mit akuten Anfallen und darauf folgendem Koma entwickelt sich, oder die Insuffizienz des Herzens mit Wassersucht tritt stärker in den Vordergrund; freilich fehlen auch hier urämische Erscheinungen nicht. So kann sich ein Zustand des Siechtums von oft monatelanger Dauer herausbilden. Eine Pneumonie, die Entzündung des Unterhautbindegewebes oder die einer der serösen Häute, endlich Lungenödem führt über kurz oder lang zum Tode, der trotz vorübergehender Besserungen unabwendbar. Von Einzelheiten ist zu bemerken: Solange die Absonderung des Harns noch unter dem Einflüsse eines leistungsfähigen Herzens stattfindet, ist dessen Tagesmenge vermehrt; man hat eine solche von sechs Litern beobachtet, gewöhnlich sind es nur drei bis vier Liter oder noch

Chronische interstitielle Nephritis (Schrumpfniere).

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weniger. Es finden sich an den Einzeltagen erhebliche Schwankungen, welche nicht nur auf die Menge der aufgenommenen Flüssigkeit zu beziehen sind. Manchmal wird nachts mehr Harn gelassen als am Tage. Der Harn ist klar und von gelber Farbe, die häufig einen Stich ins Grüne zeigt; seine Reaktion ist sauer, sein spezifisches Gewicht ist geringer als das normale, es beträgt 1004 bis 1012, meist schwankt es um 1010. Der Harnstoff findet sich der Verdünnung entsprechend in geringerer Prozentmenge (0,4 °/0 ist das beobachtete Minimum), gewöhnlich geht dieselbe unter 2 °/0. Die absolute Tagesmenge des ausgeschiedenen Harnstoffs hingegen entspricht ungefähr der Norm oder überschreitet sie sogar. Ähnlich verhält es sich mit den Salzen. Von größter diagnostischer Bedeutung ist es, daß zeitweilig das Eiweiß ganz fehlen oder doch in zu geringen Mengen auftreten kann, um durch die gewöhnlichen Reagentien nachweisbar zu sein. Am häufigsten kommt das vor, wenn der Kranke Bettruhe beobachtet, der Nachtharn ist also eher eiweißfrei. Man muß daher den Harn für Tag und Nacht besonders auffangen lassen und gesondert untersuchen. Die arteriosklerotische Schrumpfniere scheint viel öfter als die genuine selbst längere Zeit hindurch wenig oder gar kein Eiweiß liefern xu können. — Immer ist der Gehalt des Harns an Eiweiß sehr gering; relativ beträgt er einige pro mille, absolut einige Gramm den Tag. Nur bei besonderen Veranlassungen, nach urämischen Krämpfen z. B., kann vorübergehend mehr als 2°/ 0 vorkommen. Ein konstantes Verhältnis zwischen dem prozentischen Eiweißgehalt des Harns und der absoluten Menge seiner Tagesausscheidung besteht nicht. In dem nur schwach sedimentierenden Harn finden sich sehr vereinzelt Oylinder, meist schmale, ganz homogene hyaline, oder leicht gekörnte, selten breitere, noch seltener konglomerierte. Spärliche Epithelien haften gut erhalten den Cylindern an, ebenso Oxalatkrystalle. Das Auftreten vereinzelter roter Blutkörperchen ist ziemlich häufig; Detritus fehlt fast stets. Das Verhalten des Herzens ist von größtem Einfluß auf den Krankheitsverlauf und auf die Einzelerscheinungen. — Solange seine Arbeit genügt, ist der Allgemeinzustand der Kranken erträglich. Die nötige Kraft kann freilich nur durch Zunahme der Muskelfasern gewonnen werden und wie jede Hypertrophie des Herzens hat auch diese Gefahren im Gefolge: bei längerer Dauer Endarteritis und Sklerose, welche die Arterien des Gehirns und die des Herzens bedrohen. Wenn nicht vorher eine Apoplexie zum Ende führte, ist Herzschwäche recht häufig, bald stärker, bald weniger stark. Die Schwankungen im Krankheitsverlauf sind wohl wesentlich darauf zu beziehen. Die Beschaffenheit des Harns muß nun sorgfaltig beachtet werden: Verminderung der Tagesmenge, höheres spezifisches Gewicht, stärkere Färbung — die beiden letzten bleiben bei den äußersten Graden der Schrumpfung freilich aus. Mit dem Verhalten des Herzens steht auch die Sauer des Leidens in den nächsten Beziehungen. Ein bestimmter Mittelwert derselben läßt sich nicht angeben — manche Jahre vergehen sicher darüber; nach einzelnen Beobachtungen mehr als zwanzig. Der Ausgang ist wohl stets der Tod, Heilung des, wie es durchaus den. Anschein hat, unaufhaltsam fortschreitenden Leidens könnte vielleicht nur bei der durch Vergiftung (Blei z. B.) entstandenen Nierenschrumpfung erwartet werden. — Demgemäß ist auch die Prognose zu stellen.

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

Die Behandlung hat bei den noch nicht mit Nachlaß der Herzarbeit einhergehenden Fällen alles zu thun, was gethan werden kann, um die Insuffizienz des Herzens hintan zu halten: Beschränkung der Herzthätigkeit auf das Notwendige, möglichst sorgfaltige Ernährung, Fernhalten aller Schädlichkeiten, besonders auch der Bronchialkatarrhe. Ausgesprochene Insuffizienz des Herzens ist nach den dafür aufgestellten Regeln, urämische Zustände sind mit genauer Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls zu behandeln. — Arzneimittel, welche die erkrankte Niere unmittelbar beeinflussen, kennen wir nicht. § 241.

Amyloide Entartung der Nieren.

An der verbreiteten amyloiden Entartung nimmt sehr gewöhnlich die Niere teil. Die Ätiologie des Nierenleidens hat daher als allgemeinen Ausgangspunkt die Kachexie, wie sie durch Verschwärung, Eiterung und dauernden Säfteverlust herbeigeführt wird. Tuberkulose, skrofulöse Diathese, Syphilis, diese auch ohne unmittelbar Gewebszerstörung hervorzurufen, sind die gewöhnlichsten Grundursachen. — Es darf gefragt werden, ob nicht die bei chronischer Nephritis so regelmäßig sich findende Kachexie zur sekundären amyloiden Entartung Veranlassung geben kann? Beines Nierenamyloid ist so selten, daß man behauptete, immer sei gleichzeitig eine der Formen chronischer Nephritis vorhanden. Das ist bestimmt widerlegt. Anatomisch lassen sich leichtere Grade amyloider Entartung in den Nieren ohne weiteres nicht nachweisen, es bedarf dazu der bekannten Reagentien. Eine bis zum schwachen Gelb verdünnte wässerige Jod-Jodkaliumlösung ruft an den amyloid entarteten Teilen eine dunkelbraune Färbung hervor, welche nach Zusatz von 1 °/o Schwefelsäure in ein schmutziges Blau oder Violett übergeht. Rot auf blauviolettem Grunde erscheint da9 amyloide Gewebe, wenn man eine wässerige Lösung von Methylviolett und nacher schwache Essigsäure einwirken läßt. Mit xunehmender Entartung tritt Schwellung der Nierenrinde auf, welche blaß wird und in grauweißer Grundsubstanz zahlreiche weißliche, mattglänzende Herde enthält. Als ausgebildete Form der Amyloidniere zeigt sich eine der großen weißen Niere gleichende. Das Organ hat an Umfang und Gewicht erheblich zugenommen, es ist fest und derb, erscheint auf dem Durchschnitt blaß, in seinem Rindenteil auffallend glänzend, während die Markkegel rotbraun gefärbt sind. — Die amyloide (Speck-) Schrumpfniere unterscheidet sich für das bloße Auge von der nicht amyloiden nur durch einen etwas matteren Glanz der Schnittfläche. Bei der mikroskopischen Untersuchung ergiebt sich, daß vorzugsweise die Gefäße der Glomeruli, dann die Vasa afferentia und die interlobulären Arterien entarten, der Prozeß kann sich aber über sämtliche Nierengefäße, sowie über die Membrana propria der Hamkanälchen ausbreiten, sogar das interstitielle Bindegewebe und die Kapsel können daran teilnehmen. — Die Epithelien an den erkrankten Teilen sind fettig entartet, im interstitiellen Bindegewebe tritt kleinzellige Infiltration, seltener Wucherung ein. — Amyloide Entartung eines oder mehrerer drüsige/r Organe, der Nebenniere, der Milz, seltener der Leber und der Darmschleimhaut ist meist gleichzeitig vorhanden. — Von einem eigenartigen Krankheitsbilde der Amyloidniere kann nicht die

Amyloide Entartung der Nieren. Kreislaufstörungen in der Niere. Stauungsniere.

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Rede sein. Die Degeneration entwickelt sich allmählich, und die erste Erscheinung, durch die sie sich verrät, ist Hydrops. Bei regelmäßigen Harnuntersuchungen kann man allerdings schon früher aufmerksam werden. — Das Verhalten des Urins ist kein konstantes, was begreiflich wird, sobald man die bei jeder Kachexie unvermeidliche Schwächung des Herzens genügend beachtet. Es wechselt sowohl im Einzelfall von Tag zu Tag, als auch bei dem Vergleich mehrerer Fälle untereinander die Zusammensetzung des entleerten Harns sehr und nach allen Richtungen. Mit diesem Vorbehalt kann man sagen, daß die amyloide Niere, welche von einem noch arbeitsfähigen Herzen mit Blut versorgt wird, ein reichliches, klares, hellgefärbtes Sekret von niedrigem spezifischem Gewicht (bis 1003 herunter) liefert. Eiweiß kann zeitweilig ganz fehlen, es kann nur in Spuren, aber es kann auch in sehr reichlichen Mengen (3°/ 0 und mehr) auftreten, so daß der Oesamtverlust des Tages auf mehr als 20 g zu steigen vermag. Der in großen Mengen entleerte Harn enthält nur sehr spärliche homogene hyaline Cylindetr. Sinkt die Herzthätigkeit, oder findet durch reichliche Diarrhöen ein starker Wasserverlust statt, dann vermindert sich die Harnmenge bis auf wenige hundert Kubikcentimeter; das spezifische Gewicht geht über 1030 hinauf, es kann Trübung des Harns durch Ausscheidung von Uraten und durch Zumischung reichlicher breiter, gekörnter, wachsartig glänzender und gelblich gefärbter Cylinder auftreten. Hin und wieder einmal zeigt sich an diesen die, wenn auch nicht gerade schön entwickelte Amyloidreaktion. Über den Gehalt an Harnstoff läßt sich nur sagen, daß er mit dem Umsatz stickstoffhaltiger Nahrung mehr, als mit dem Verhalten der Nieren parallel geht — dieselben vermögen sehr erhebliche Mengen (über 40 g den Tag) zu einer Zeit auszuscheiden, wo sie schon schwer erkrankt sind. — Der Hydrops weicht bei Amyloidnieren manchmal von dem renalen durch die Art seiner Verteilung ab: es fehlt ausgedehntes Anasarka, aber Höhlenwassersucht und Schwellung der unteren Extremitäten zeigen sich wie bei der durch Herzschwäche hervorgerufenen Form. — Die Herzhypertrophie bleibt wohl immer aus, wenn sich die amyloide Entartung in einer bis dahin gesunden Niere entwickelt; tritt sie aber in einer schon bestehenden Schrumpfniere auf, dann wird man auch ein vergrößertes Herz nicht vermissen. — Es kann hinzugefügt werden, daß eitrige Entzündungen verhältnismäßig häufig, Urämie und Hirnblutu/ng im ganzen selten sind. Damit dürfte das, was man über die mit der Amyloidniere verbundenen Erscheinungen zu sagen hat, erschöpft sein. Die Diagnose des Zustandes wird selten mit Sicherheit gestellt werden können. Die Anamnese und die anderweitigen Krankheitszeichen (Kachexie, Vergrößerung der Milz und der Leber) müssen aushelfen, um mehr oder minder begründete Vermutungen gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Die Prognose dürfte nicht unbedingt schlecht, und die Möglichkeit der Heilung zuzugeben sein, wenn die Kachexie beseitigt werden kann. Das hat denn auch die Therapie in erster Linie anzustreben. Ob Jod und Eisen wesentlichen Nutzen bringen, bleibe dahingestellt; keinesfalls dürfen sie in Gaben und Formen dargereicht werden, welche die Ernährung zu stören vermöchten. § 242. Kreislaufsstörungen in der Niere. Stauungsniere. Wenn infolge von Lungen- und Herzerkrankungen der arterielle Druck im großen Kreislauf sinkt, die Arterien leerer, die Venen voller werden, ändert sich in gleichem

Krankheiten der Harnwerkzeuge.

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Sinne die ßlutströmung durch die Nieren. Nach längerer Dauer der Kreislaufsstörung bieten sie Veränderungen dar, welche man mit dem Namen „cyanotische Induration" belegt. Die Nieren sind dabei ziemlich groß, hart und fest, ihre Rindensubstanz ist mehr graurot, die Markkegel sind dunkler blaurot gefärbt; die Schnittfläche ist glatt. Das interstitielle Bindegewebe ist etwas verbreitert; es kommen kleinzellige Infiltrationen in demselben vor. Die Kapillarwände und die Adventitia der Venen sind verdickt, die Epithelien der Harnkanälchen, besonders die der geraden, sind teilweise fettig entartet, vereinzelte Glomeruli mit den zugehörigen Harnkanälchen sind verödet und geschrumpft. Bei langer Dauer können diese Veränderungen so erheblich werden, daß man mit Boliinoer von einer „Stauungsschrumpfniere" redet. Die Punktionsstörung der Niere zeigt sich zunächst in einer Verminderung des Harns, welcher von hohem spezifischem Gewicht, stark saurer Reaktion, reich an Harnstoff und an Harnsäure ist. Bei etwas längerer Dauer tritt eine nicht bedeutende (meist weniger als 2 °/oo) Menge von Eiweiß über. In dem durch die Gegenwart der Urate und der freien Harnsäure reichlichen Sediment findet man wenige schmale, homogene Cylinder und rote Blutkörperchen. So sehr auch die Herabsetzung der Nierenthätigkeit mit der dadurch herbeigeführten ungenügenden Ausfuhr der harnfähigen Substanzen für das Ganze der Körperernährung schädlich sein mag, in ausgesprochener Selbständigkeit zeigt sie sich kaum in dem Krankheitsbilde vertreten; nur ganz ausnahmsweise sieht man Zustände, welche an Urämie anklingen und wohl durch Autointoxikation entstanden sind. — Die Stauungsniere ist daher als solche praktisch nicht von Bedeutung; ihre Pathologie und Therapie wurde bei der Herzinsuffizienz abgehandelt. Die Thrombose der Nierenvenen oder die der Cava inferior — ein seltenes Vorkommen — macht wenig Zeichen. Da der arterielle Druck hoch bleiben kann, ist nicht immer ein spärlicher und schwerer Harn zu erwarten; reichlichere Mengen von Blut wird derselbe wohl meistens führen. Ischämie der Niere.

Weitere Kreislaufstörungen in der Niere werden durch die Beschaffenheit des Blutes hervorgerufen. Dessen Eindickung nach starken Wasserverlusten, wie sie besonders durch die Cholera hervorgerufen wird, steht obenan. Indes verbieten die neueren Erfahrungen, die Nierenveränderungen hier einzig auf die Kreislaufstörungen zu beziehen; das Chöleratoxin ist daneben von Bedeutung (siehe S. 414). — Möglicherweise kann auch ein erheblicher Blutverlust ähnliches bewirken. — Es findet eine so mangelhafte Versorgung der Niere mit normalem arteriellen Blute statt, daß ihre Ernährung Not leidet und damit auch ihre Thätigkeit beeinträchtigt wird: also das gleiche, was nach Verschluß der arteriellen Gefäße geschieht. — Bei allen Ischämien der Nieren scheint, wenn nicht der Tod erfolgte, immer die vollständige Rückkehr zur Norm möglich. Der in verminderter Menge abgesonderte Harn enthält wenig (nicht über 2 0/00) Eiweiß), ferner Cylinder von verschiedener Beschaffenheit und Nierenepithelien. § 243.

Nierenveränderungen während der Schwangerschaft.

Bei sonst gesunden Schwangeren zeigt sich — nicht eben häufig — eine Nierenerkrankung. Dieselbe kann vollständig symptomlos verlaufen, sie wird gewöhnlich erstdurch ödematöse Schwellung der Füße und der Hände, der äußeren Genitalien und des Gesichts, die rasch kommen und rasch gehen, bemerkbar. Der Harn wird in verminderter Menge abgesondert und ist stark eiweißhaltig; er führt nicht gerade viele, meist hyaline Cylinder, in der Kegel keine roten Blutkörperchen, aber fettig entartete Epithelzellen. Urämische Anfälle von großer Heftigkeit sind verhältnismäßig häufig (in mehr als einem Viertel aller Fälle); sie treten in der späteren Zeit der Schwangerschaft, bei der Entbindung, seltener nachher auf, und sind dem Leben der Mütter sehr gefährlich (gegen 30% Tote), noch mehr aber dem der Frucht. Vollständige Heilung des Nierenleidens kann erfolgen, aber auch eine chronische Nephritis sich entwickeln. Nach neueren Untersuchungen (Nauwebck) handelt es sich übrigens in einer großen Zahl von Fällen um Schrumpfniere.

Nierenveränderungen während der Schwangerschaft.

Eiterherde in der Niere.

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Die anatomischen Befunde sind nicht ganz konstant. Hochgradige Verfettung der Epithelien ohne Spuren eigentlicher Entzündung, Ödem der Rindensubstanz, bedeutende arterielle Anämie ist nachgewiesen (V. LEYDEN). Daneben wird aber zugegeben, daß sich während der Schwangerschaft und unter deren Einfluß eine echte akute Nephritis entwickeln kann. — Die Pathogenese ist noch keineswegs verständlich. § 244.

Eiterherde in der Niere, Nephritis suppurativa.

E i t e r b i l d u n g in der N i e r e kommt durch verschiedene Veranlassungen zustande. Wir kennen als solche: 1. Einwirkwag einer äußeren Gewalt, sei es, daß diese gleichzeitig eine Trennung der bedeckenden Weichteile, sei es, daß sie nur eine Quetschung oder Erschütterung der Nieren im Gefolge hat. 2. übergreifen von Entzündung auf die Nachbarschaft: Vereiterung des Bindegewebslagers der Nieren, eitrige Entzündung der Ureteren, welche ihrerseits vielleicht wieder von der Blase her fortgeleitet, vielleicht um stecken gebliebene Eonkremente entstanden war. 3. Einschwemmung von entzündungserregenden Mikrobien auf dem, Blutwege. Am häufigsten kommt das bei septischen Vorgängen, besonders bei der malignen Endokarditis vor, indes dürfte jede Infektionskrankheit dazu führen können. — Anatomisch zeigt sich die Bildung mehr oder minder großer, umschriebener Eiterherde. J e nach der Ursache ist nur eine Niere, oder es sind beide ergriffen. — Bei den großen, manchmal das ganze Organ zerstörenden Eiterungen kann sich ein Senkungsabsceß ausbilden, es kann Perforation in das Nierenbecken, den Darm, das Peritoneum, selten in die Pleura und Lunge, sowie in die Blase eintreten oder Durchbruch nach außen erfolgen. Andere Male kommt es zur Eindickung des Abscesses mit Verkreidung oder zur Resorption des Eiters mit folgender Narbenbildung. — Die durch die Fortpflanzung eitriger Entzündung von den tieferen Harnwegen aus hervorgerufenen Veränderungen werden mit diesen zusammen besprochen. — Die metastatischen Formen sind, wenn nicht etwa von dem linken Herzen oder den Lungenvenen aus ein infizierter Embolus eingewandert war, über beide Nieren verbreitet. Man sieht in den Herden, häufiger in der Rinde als im Mark, mehr oder minder zahlreiche graue oder gelbgraue Striche oder Flecken, manchmal durch einen roten Hof von der gesunden Nachbarschaft abgetrennt; die Niere ist dabei von normalem Umfang oder ödematös geschwellt. Die mikroskopische U n t e r s u c h u n g zeigt hämorrhagische, eitrige oder nekrotische mit Eiter durchsetzte Entzündungen, welche meist um die mit Mikrobien gefüllten ßlomerulusschlingen oder um die die Harnkanälchen umspinnenden Kapillaren gelegen sind. Das Epithel der Glomeruli und das der Harnkanälchen ist entartet, diese selbst sind eitrig infiltriert. Die einzelnen Herde sind klein, nicht viel über 1 mm groß, sie können aber zusammenfließend einen erheblichen Umfang erreichen; das ist nicht gerade häufig. — Außerdem kommen bei septischen Zuständen große Eiterherde wie in den anderen Organen so auch io den Nieren vor. Von solchen aus kann das Nierenbecken und das die Niere umgebende Bindegewebe in Entzündung versetzt werden. Die Symptome sind nach der veranlassenden Ursache wieder sehr verschieden. — Nach Verletzungen stellen sich, außer der Entleerung von Harn und außer Blutungen aus einer etwa vorhandenen Wunde, Blutungen aus den Nieren ein. Während das Blut die Ureteren passiert, können Gerinnungen desselben mit Verschluß der Harnwege und dadurch veranlaßten Koliken auftreten. Meist sind diese nicht sehr heftig, da festere Gerinnsel selten gebildet werden. Die Gerinnung des Blutes in der Blase führt zu qualvolleren Erscheinungen. Blutungen können außerdem in das die Niere umgebende Bindegewebe stattfinden und sehr beträchtliche Anschwellungen hervorrufen. — Dumpfer, anhaltender Schmerz in der Nierengegend ist regelmäßig vorhanden. — Kommt es zur Entwicklung von ausgedehnterer eitriger Entzündung, dann tritt Schüttelfrost, hohes Fieber, kurz das Bild der septischen Infektion auf. Durch die Beimischung von Harn zu den sich zersetzenden Blutextravasaten erfolgt leicht die Verjauchung derselben. — Es sind das die kurzen Umrisse des ganz in das Gebiet der Chirurgie gehörenden Krankheitsbildes.

Krankheiten der Harnwerkzeuge.

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Die metastatischen Abscesse machen, solange sie klein bleiben, keine ausgesprochenen Erscheinungen, an denen sie zu erkennen wären. Größere Abscesse zeigen, wenn das Leben erhalten bleibt, ein ähnliches Bild wie die nach Pyelonephritis. § 245.

Geschwülste und Parasiten in der Niere.

Von Geschwülsten kommen in der Niere vor: Zellreiche Fibrome, meist nur erbsengroß, sehr selten von beträchtlichem Umfang; Myxome, Lipome, Angioma sind Raritäten. Ferner finden sich Adenome, aus denen wahrscheinlich Krebse hervorgehen können. Sarkome sind manchmal angeboren, sie entwickeln sich dann rasch zu sehr bedeutendem Umfang; im späteren Alter zeigt sich diese Neubildung in der Niere als Metastase. Krebse treten als harte oder als weiche auf, sie entstehen primär oder metastatisch. Der primäre Nierenkrebs, ein nicht häufiges Leiden, kommt verhältnismäßig oft bei Kindern zur Entwicklung; bis zum 10. Lebensjahr sah man 30 °/0 der Gesamtzahl. Da der Krebs angeboren beobachtet worden ist, wäre es wohl möglich, daß die besondere Anlage dazu auf ererbter Gewebsstörung beruht. Bei Kindern macht das Geschlecht keinen Unterschied, später überwiegt das männliche. Meist ist nur eine Niere befallen; die gesund gebliebene kann hypertrophieren. — Der Krebs kann als infiltrierter oder in umschriebenen Knoten auftreten; im ersteren Fall ist die Form der Niere erhalten und das Organ nur im ganzen vergrößert. Man findet Übergreifen der Neubildung auf das Nierenbecken und die Ureteren, sowie auf die Nierenvenen. Erweichungsherde und Blutungen innerhalb des Karcinoms sind nicht selten. — Nierenkrebse werden schon im Kindesalter sehr groß, bei Erwachsenen hat man solche von 10 kg Schwere gefunden. — Gewöhnlich verwächst die kranke Niere frühzeitig ausgiebig mit der Nachbarschaft, so daß eine Senkung derselben nur ausnahmsweise sich findet. Verdrängung der Bauchorgane und bei großen Geschwülsten auch solche der Brustorgane ist hingegen die Regel. — Innerhalb der Harnwege pflanzt sich die Wucherung auf das Nierenbecken und die Ureteren, nicht leicht auf die Blase fort. — Metastasen von der primär erkrankten Niere her sind häufig. Auf dem Blutwege werden die Lungen am meisten heimgesucht. Teils auf dem Lymphwege, teils durch unmittelbares Übergreifen die Drüsen am Nierenhilus, sowie die Mesenterial- und Retroperitonealdrüsen. Die Symptome des primären Nierenkrebses sind im Beginn dunkel. Nicht immer leidet anfangs die Ernährung so, daß man an der Kachexie Anhaltspunkte hätte. Schmerz, das Gefühl von Schwere und von Druck in der Nierengegend kann lange, vielleicht ganz ausbleiben. Noch am häufigsten wird man durch Blutharnm aufmerksam gemacht; die Geschwulst selbst bedarf schon längerer Zeit, um eine solche Ausdehnung zu erreichen, daß sie dem Getast zugänglich wird. Blut im Harn tritt meist bei Nierenkrebs auf, es fehlt nur in den seltensten Fällen zu irgend einer Zeit der Erkrankung ganz. Die Blutungen entstehen ohne äußere Veranlassung, bisweilen aber auch durch die Einwirkung äußerer Gewalt auf die Niere, sie sind dann reichlicher. Des Mikroskops bedarf es fiir gewöhnlich nicht, es sei denn, daß man nach den nicht selten, aber meist nur in spärlicher Anzahl vorhandenen, aus roten Blutkörperchen zusammengesetzten Cylindern suchen will. Auch bei den Spontanblutungen wird hinreichend Blut entleert, um makroskopisch die Diagnose stellen zu lassen. Es kommt vor, daß der Harn

Geschwülste und Parasiten in der Niere.

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bei den unmittelbar aufeinander folgenden Entleerungen sebr wechselnden Gehalt an Blut zeigt, ja sogar davon ganz frei ist. Gerinnselbildung, durch welche Verstopfung der Harnleiter erfolgen kann, mag mitunter die Ursache sein; übrigens scheint auch ohne dies die Blutung zeitweise zu stehen, was nicht gerade verwunderlich ist. — Man darf durchaus nicht erwarten, daß, wenn sich einmal Blut gezeigt hat, nun auch immer Blut vorhanden sein müßte. — Der Harn ist in der Zwischenzeit, wenn nicht infolge der Kachexie Amyloidniere entstanden war, frei von Eiweiß; er bietet überhaupt keine besonderen Abweichungen dar. — Ausnahmsweise können krebsige Qewebsfetzen mit dem Harn zu Tage kommen. — Die Gegenwart von Eiter weist auf eine gleichzeitige Erkrankung der oberen Harnleiter oder der Blase hin, welche nicht selten vorhanden ist, sei es durch Konkrementbildung bedingt, sei es aus anderen Ursachen. Der Nierenkrehs zeigt zunächst die den Nierengeschwülsten überhaupt zukommenden Eigentümlichkeiten. Diese sind: 1. Je nachdem die Geschwulst von dem oberen oder von dem unteren Teil der Niere ausgeht, kommt sie in der Regio hypochondriaca oder in der Regio iliaca zuerst zum Vorschein. — Wegen der hier geringeren Widerstände breitet sie sich nach vorn leichler aus, die Därme vor sich her schiebend. 2. Vor der vergrößerten Niere liegt der Dickdarm, links das Colon descendens, rechts das Colon ascendens, beide weichen nicht viel aus, da sie durch Zellgewebe mit dem Quadratus lumborum und der betreffenden Niere fester verbunden sind. Sie werden immerhin etwas aus ihrer Lage gebracht: das Colon ascendens ist meist von rechts unten nach links oben, das Colon descendens von links oben außen nach rechts innen unten verschoben. Von dieser Regel kommen Ausnahmen vor (v. LEUBE). — Beide Darmteile können durch den Druck der Geschwulst zum Zusammenfallen gebracht werden. Das Colon descendens läßt sich gegebenen Falls vom Mastdarm her mit Luft füllen: übrigens ist auch der kollabierte Darm meist noch durch das Getast von dem eigentlichen Tumor zu unterscheiden. — Die Schlingen des Dünndarms werden verdrängt, sie weichen bei rechtsseitigem Tumor nach links und oben aus, bei linksseitigem liegt nicht selten ein Teil von ihnen vor demselben. 3. Die Nierengeschwulst folgt den Bewegungen des Zwerchfells nicht, sie verschiebt sich also nicht mit der Atmung. Meist ist sie überhaupt nicht verschiebbar. Für die Untersuchung ist die bimanuelle Palpation, bei welcher die eine Hand von hinten in die Nierengegend einzudringen sucht, die andere vorn dem Bauch aufliegt, mit Recht empfohlen. Am besten ist die Seitenlage des im Kreuz gut gestützten Kranken. Der Darm muß vollständig entleert sein. Manchmal gelingt es selbst kleine Geschwülste so gut durchzufühlen, namentlich bei vollkommen aufgehobener Muskelspannung (Narkose). Von Besonderheiten der Nierenkrebse ist zu erwähnen, daß sie lange nicht immer eine höckrige Oberfläche haben, vielmehr manchmal sich elastisch anfühlen, ja selbst Fluktuation zeigen. Sie können plötzlich ziemlich erheblich an Umfang zunehmen (Blutungen in das Gewebe); sehr selten hört man über ihnen Gefaßgeräusche.

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

Mehr zufällige Zeichen sind: Schmerz in der Lendengegend, spontan oder nur bei Druck, ausstrahlend in die unteren Inlerkostalräume oder als reguläre Ischias auftretend, dann nicht selten durch Druck auf den Nervenplexus von seiten krebsiger Lymphdrüsen hervorgerufen, und mit Störungen der Sensibilität, sowie mit Muskelschwund einhergehend. Verdauungsstörungen. Sie können von der Kachexie bedingt sein und durch die mechanischen Wirkungen der Geschwulst hervorgerufen werden: Der Magen kann unmittelbar, oder indem das Duodenum gedrückt wird, sich beteiligen, der Darm kann zusammengepreßt werden; auch die Verwachsungen der Geschwulst mit den anliegenden Teilen stören die Bewegungen der Därme. Von diesen Umständen ist ebenso wie von dem mehr oder minder raschen Wachstum der Neubildung, von der Häufigkeit und von der Ausgiebigkeit der Blutungen, das Allgemeinbefinden abhängig. — Der einzige Ausgang ist der Tod. Bei Kindern scheint im ganzen der Verlauf rascher als bei Erwachsenen zu sein, für welche eine mehrjährige, sogar langjährige Dauer des nachgewiesenen Leidens beobachtet wurde. Die interne Behandlung kann nur symptomatische Aufgaben erfüllen; operatives Einschreiten scheint nicht aussichtslos zu sein und gewinnt entschieden sicheren Boden. — Sarkome machen ganz ähnliche Erscheinungen. Ich habe einmal an den eigenartigen Zellen, die im Harn sich zeigten, die durch die Sektion bestätigte Diagnose stellen können. — Parasiten.

Echinokokken sind für Europa die wichtigsten der Nierenparasiten. Es findet sich ausschließlich die unilokuläre Form, welche Geschwülste bis zur Größe eines Kindskopfs erzeugen kann. Die Entwicklung vollzieht sich meist im Nierengewebe selbst, seltener zwischen diesem und der Kapsel; die in der Marksubstanz zur Ausbildung gelangenden Blasen brechen leicht in das Nierenbecken durch. Gewöhnlich ist nur eine Niere befallen, so daß trotz der mit der Entwicklung der Geschwulst verbundenen Druckatrophie der betroffenen Niere die Harnabscheidung ungestört vor sich geht. Erreicht die Cyste eine bedeutendere Größe, dann bewirkt sie Verdrängungserscheinungen in der Nachbarschaft und läßt sich durch die angeführten Merkmale als eine von den Nieren ausgehende Geschwulst erkennen. — Da eine große Zahl der Echinokokkenblasen (etwa zwei Drittel nach den mitgeteilten Beobachtungen) sich in das Nierenbecken entleert, sind die Zeichen dieses Vorgangs öfter zu finden. Anfallsweise treten dann Schmerzen im Leibe auf, welche an der Innenseite der Schenkel nach abwärts sich verbreiten und von echten Nierenkoliken, die sogar mit Anurie verbunden sind, gefolgt werden. Diese Koliken sind durch Verstopfung der Ureteren seitens der frei gewordenen Tochterblasen bedingt, welche, in die Blase gelangt, auch die innere Harnröhrenmündung zu verlegen vermögen, so Veranlassung zur Harnverhaltung gebend. Der Nachweis der für Echinokokken bezeichnenden Gewebsteile gelingt — Solche Anfälle wiederholen sich mit verschieden laugen, bis zu Jahren sich erstreckenden Zwischenräumen öfter. Eine Blutung geht ihnen nicht selten vorher und begleitet sie, ebenso die Zeichen einer Pyelitis oder einer Cystitis. — Ist die Entleerung der Cyste ungehindert, dann verkleinert sie sich. Es kommt aber vor, daß durch steckenbleibende Echinokokkenblasen der Ureter vorübergehend oder dauernd verlegt wird, so kann sich Hydronephrose entwickeln. Der DurcKbruch in die Bronchien ist beobachtet, einer nach anderen Richtungen hin nicht. — Vereiterung kann stattfinden, scheint aber selten zu sein. — Über die Dauer des Leidens läßt sich nichts weiteres aussagen, als daß sie lang ist. — Die Prognose ist verhältnismäßig günstig. Ein operativer Eingriff kann sehr in Frage kommen.

Form- und Lageveränderungen der Nieren.

Wanderniere.

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Von sonstigen Parasiten hat man gefanden: Cysticercus cellulosae, Eustrongylus gigas in äußerst seltenen Fällen; Penstastomum denticulatum — ohne klinisches Interesse; Distoma haematöbium, in Ägypten sehr häufig, aber mehr Veränderungen in den Harnwegen als in der Niere hervorrufend.

§ 246.

Form- und Lageveränderungen der Nieren.

Wanderniere.

Die Lappung der Niere wird aus dem Fötalzustand nicht selten in das spätere Leben herübergenommen; sie ist für die Funktion ganz gleichgültig. Die aus fötaler Verwachsung beider Nieren untereinander hervorgegangene Hufeisenniere liegt meist vor dem Promontorium, selten an der Seite der Wirbelsäule, es können mehrere Ureteren,

aber auch nur einer vorhanden sein. — Congenitale Atrophie einer Niere geht mit Hypertrophie der anderen einher. Die beiden letztgenannten Anomalien können nur bei Nierenerkrankungen bedenklich werden, für gewöhnlich ist die Harnabsonderung nicht beeinträchtigt. Ebenso steht es mit der abnorm, tiefliegenden Niere (Promontorium), häufiger ist es die linke.

Dagegen bedarf die bewegliche, die Wanderniere, einer etwas eingehenderen Besprechung. — Die Wanderniere ist kein ganz seltenes Vorkommnis; Kinder leiden nicht häufig daran, Frauen während der Jahre der Fruchtbarkeit am meisten. Die rechte Niere wird viel leichter als die linke beweglich, fast ebenso häufig wie diese allein sind es beide. Es tritt die Wanderniere als angeborene Anomalie auf, meist aber ist sie erworben. — Als begünstigende Bedingungen für ihr Zustandekommen werden betrachtet: Schwund des Fettes um die Niere, namentlich wenn dieses vorher reichlich war, Dehnung und Herabzerrung des Peritoneums von der hinteren Bauchwand durch Hernien, durch Vergrößerung der Nieren infolge von Geschwulstentwicklung, oder durch die Verminderung der Elastizität der Bauchwandung nach häufigen Schwangerschaften. Es kann unter diesen Umständen die Niere durch ihre Eigenschwere, soweit es die Gefäße zulassen, aus der Lage gebracht werden. — Unmittelbare Veranlassung zur Lageveränderung geben unter bereits vorbereiteten günstigen Bedingungen: der Druck eines schlecht sitzenden Schnürleibs oder eines den Leib pressenden Riemens (Degenkoppel) und das Tragen, mehr noch das Heben von schweren Lasten, endlich Stöße auf die Nierengegend. — Neuerdings werden auch Magenerweiterungen hierher gezählt (LITTEN). Sehr häufig macht die Wanderniere gar keine Symptome; es kommt auch vor, daß nur ein unbestimmtes, nicht recht zu deutendes Gefühl, daß im Bauch etwas nicht in Ordnung sei, sich bemerkbar macht. Bezeichnender sind die nach vorhergegangenen dyspeptischen und vielseitig sich ausbreitenden neuralgischen Beschwerden, welche durch Bewegung gesteigert werden, auftretenden sogenannten Einklemmungen. Durch eine etwas hastige Bewegung oder auch ohne nachweisbare Ursache hervorgerufen, kommt es zu einer manchmal von Frieren und Kollaps eingeleiteten umschriebenen Schmerzhaftigkeit im Bauch, welche als ein Zeichen echter Peritonitis angesehen werden muß. Anfangs fühlt man vielleicht noch die Niere selbst an einer bestimmten Stelle, bald aber verhindert das die große Empfindlichkeit. Es kann später ein nicht unbeträchtliches Exsudat sich bilden, und es können Verwachsungen der Därme untereinander, mit dem Peritoneum, zwischen diesem und der Niere zustande kommen. Hin und wieder mag der geknickte Ureter, den abgesonderten Harn nicht durchlassend, Veranlassung zur Hydronephrose oder Pyelitis geben, gewöhnlich wird die Erklärung dieser Erscheinungen in einer Zerrung des Bauch-

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

felis mit nachfolgender Entzündung zu suchen sein. — Gelingt es, die Niere aus ihrer Lage gleich anfangs zu befreien, dann bleibt die Peritonitis aus. Bei der Untersuchung auf Wanderniere findet man: Die Nierengegend ist an der betroffenen Seite leer, scheint etwas eingesunken, bietet nicht den gewöhnlichen Widerstand und zeigt Darmschall. Bei Durchtastung des Bauches kann man — nicht jedesmal — die Niere als festen, die Form des Organs erkennen lassenden, auf Druck eigentümlich empfindlichen Körper antreffen, der beweglich ist und sich in die richtige Lage zurückbringen läßt. Es gelingt bisweilen, den Schlag der Nierenarterie zu fühlen. — Die bewegliche Niere wird nicht oder doch nur in seltenen Fällen jenseits der Mittellinie gefunden, sie kann aber bis hart an die Symphyse nach abwärts gleiten. Durch peritonitische Adhäsionen kann natürlich die dauernde Befestigung der Niere an abnormer Stelle eintreten — ein im ganzen nicht häufiges Ereignis. Durch Druck auf den Darm können Koprostasen entstehen; vereinzelt hat man durch Druck auf die Cava inferior Ödeme in deren Bereich, ja sogar eine Verödung des Gefäßes selbst beobachtet. Auf Fixierung oder wenigstens auf verminderte Beweglichkeit der Wanderniere hat man noch am ehesten in leichten Fällen dann zu hoffen, wenn der Körper wieder fettreicher wird; darauf ist also hinzuwirken. Die bisher versuchten Apparate, um die Niere in ihrer Lage zu halten, haben keine rechten Erfolge aufzuweisen. Bei Einklemmungen muß man zuerst die Reposition versuchen; wenn sich Peritonitis entwickelt, ist diese lege artis zu behandeln. Sind die Beschwerden sehr erheblich, dann kommt der operative Eingriff — sogar die Entfernung der Niere — sehr in Frage. § 247. Paranephritis. Die in der Nierenkapsel und in dem bindegewebigen Lager der Niere auftretenden Enixündungsproxesse gehen wohl stets miteinander einher — man kann dieselben klinisch nicht trennen und faßt sie am besten unter dem Namen Paranephritis. zusammen. Paranephritis entsteht: 1. Durch Einwirkung mechanischer Gewalt mit oder ohne Verletzung der bedeckenden Weichteile — Wunden und Quetschungen in der Nierengegend. 2. Durch Übergreifen entzündlicher Vorgänge aus der Nachbarschaft: eitrige Nephritis, Pyelitis, Parametritis, die von dem Uterus aus auf das retroperitoneale Bindegewebe sich ausbreitend in die Höhe steigt; das gleiche können alle anderen in diesem Bindegewebe auftretenden Entzündungen bewirken. Bei septischer Infektion sind solche nicht ganz selten — hierher dürften auch die nach akuten Exanthemen und nach Typhus beobachteten Fälle gehören. Für einzelne, deren Ätiologie unverständlich ist, muß die Erkältung aushelfen. Anatomisch ist hervorzuheben, daß sich gewöhnlich Eiter in großen Mengen bildet. Die entstandenen Abscesse brechen sich wie immer in der Richtung des geringsten Widerstandes Bahn, sie treten am Rande des Quadratus lumborum zu Tage oder entleeren sich in das Kolon. Seltener sind Perforationen in die Vagina, die Blase, die freie Bauchhöhle, die Pleura oder aber weitergehende Senkungen. — Übrigens kann es in leichteren Fällen zur Resorption kommen.

Paranephritis.

Nephrolithiasis.

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Das klinische Bild ist durch einige hervorstechende Züge ausgezeichnet: Schmerzhaftigkeit in der Nierengegend, die anhaltend wenigstens in geringem Grade vorhanden und bei Druck außerordentlich vermehrt ist, dürfte kaum je fehlen. Daneben stellt sich nach kürzerer oder längerer Zeit eine Anschwellung der bedeckenden Weichteile ein. Nicht immer gelingt es durch die Bauchdecken einen in der Nierengegend gelegenen, aber sich über dieselbe hinaus in die Nachbarschaft ausdehnenden Tumor zu tasten. Mit der weiteren Entwicklung des Abscesses zeigt sich, namentlich wenn er nach außen durchbrechen will, Rötung der Haut, ödematöse Durchfeuchtung derselben und in der Tiefe Fluktuation. — Das Allgemeinbefinden ist durch die dem Eiterfieber zukommenden Erscheinungen, und meist schwer, beeinträchtigt. — Der Harn bietet an sich nichts Ungewöhnliches. — Handelt es sich, wie das nicht gerade selten ist, um eine septische Infektion, dann können dieser zukommende Metastasen auftreten. Die Prognose ist wesentlich davon abhängig, ob es bei rechtzeitiger Diagnose gelingt, dem Eiter nach außen Luft zu schaffen oder seine Resorption zu ermöglichen. Immer ist die Dauer des Leidens nach Monaten zu berechnen, wenn auch der Aasgang bei den jetzigen Hilfsmitteln der Chirurgie günstig sein wird, solange keine septische Allgemeininfektion besteht. Die Behandlung fordert in erster Linie unbedingte Bettruhe, welche sofort und so lange eingehalten werden muß, wie noch eine Spur von Schmerzhaftigkeit besteht. Man kann anfangs Eis anwenden, muß aber, sobald die Wahrscheinlichkeit der Absceßbildung näher rückt, zu Kataplasmen übergehen und den Eiter sobald als möglich entleeren. Es ist das kein ganz unbedeutender Eingriff, da man ziemlich tief einzudringen hat. § 248. Nephrolithiasis. Einige der im Harn gelösten Körper können innerhalb der Nieren selbst oder im Nierenbecken in fester Gestalt abgeschieden an Ort und Stelle liegen bleiben oder später mit dem Urin weitergeschafft werden. — Die Ätiologie dieser Zustände ist wenig klar. Man weiß, daß die Steinbildung vorzugsweise im Kindes- und Greisenalter, dann daß sie bei Männern häufiger als bei Weibern auftritt. Die Bevorzugung einzelner Gegenden ist eine gesicherte, aber nicht verständliche Thatsache. Die Heredität spielt eine gewisse Rolle. Im ganzen leiden Leute, die sich wenig Bewegung machen und gut leben, mehr. Die Ablagerung der festen Körper in der Niere selbst findet innerhalb der Marksubstanz, in den Sammelröhren und in dem Bindegewebe statt, man nennt sie Infarkt und trennt je nach der Natur der infarzierenden Substanz: Harnsäureinfarkt, bei Neugeborenen und während der ersten Lebenswoche, selten im späteren Kindesalter, als gelbbraune Streifchen in den Markkegeln erscheinend, bei Arthritikern ebendort, aber weiß gefärbt. Beide Male handelt es sich um harnsaures Natron, dem bei Kindern harnsaures Ammoniak zugemischt ist. — Kalkinfarkte sind nicht so häufig; sie finden sich meist bei alten Leuten. Hämoglobin, aus den roten Blutkörperchen ausgetreten und durch die Nieren ausgeschieden, lagert sich mit dem Stroma der zerstörten Blutkörperchen gemischt innerhalb der Harnkanälchen ab; ebenso bei schwererem Ikterus Gallenpigment, nicht kryatallinisch oder als Bilirubinkrystalle, dann noch bei längerem Gebrauch des zu Heilzwecken eingeführten Höllensteins metallisches Silber. Y. J t t r g e n seil, Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

Im Nierenbecken kommt es zur Bildung manchmal sehr großer Konkremente — der Nierensteine; man unterscheidet wieder eigentliche Nierensteine, von solchem Umfang, daß sie den Ureter nicht zu passieren vermögen, und Griessteine, die dazu noch imstande sind. Kleinere, mehr einem groben Pulver gleichende Abscheidungen nennt man Nierengries oder Nierensand. Chemisch bestehen die Nierenkonkremente aus: 1. Harnsäure und ihren Salzen. Es ist dies bei weitem das Häufigste. Die harnsäurehaltigen Steine können mehr als 200 g schwer werden, gehen meist aber nicht über Erbsengröße hinaus. Sie sind konzentrisch geschichtet, die einzelnen Ringe haben eine verschieden starke gelbbräunliche Färbung. Diese Steine sind sehr hart; ihre Oberfläche ist glatt. 2. oxalsaurem Kalk. Meist kleiner, hellbraun bis schwarz gefärbt infolge zugemischten Blutfarbstoffs, die härtesten aller Steine, von rauher Oberfläche und häufig von unregelmäßiger Form. 3. Phosphaten: Phosphorsaurer Kalk und phosphorsaure Ammoniakmagnesia, gemischt oder eines dieser Salze für sich, etwas kohlensaurer Kalk kann dabei sein. — Das Gewicht steigt in seltenen Fällen bis über 400 g, gewöhnlich aber sind die Phosphatsteine nur erbsengroß, von weißer Farbe, rauher Oberfläche, weich und leicht zerbrechlich. Selten sind Oystinsteine, noch seltener Steine aus Xanthin, Urosteaiith, Indigo, sowie aus kohlensaurem Kalk. Es findet sich nur eine Substanz, oder mehrere nebeneinander sind in einem Steine enthalten. Häufig sind die Mischungen der aus saurem Harn abgeschiedenen Harnsäureverbindungen mit Oxalaten. Die aus alkalisch reagierendem Harn ausfallenden Phosphate können später als äußere Hüllen sich um solche Steine schmiegen. Ganz in der Mitte der größeren Steine bemerkt man in der Regel einen Kern, durch einen oft mit den anderen Teilen des Steines nicht homogenen Niederschlag oder einen Fremdkörper gebildet. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß schon der Nierensand und ebenso die größeren Konkremente ein aus einem Eiweißkörper bestehendes Stroma besitzen, welches der Krystallisation Anhaltspunkte giebt. Nierensteine finden sich manchmal in einer, manchmal in beiden Nieren und in sehr wechselnder Zahl; man hat bis zu 1000 angetroffen, als größtes Gewicht der Gesamtmasse wird 1080 g angegeben. — Die in dem Nierenbecken liegenden Steine stehen bisweilen mit den in dem unteren Teil der Kelche gelegenen in unmittelbarem Zusammenhang, so daß das Ganze eine unregelmäßig zackige, Korallen gleichende Form annimmt. Anatomische Veränderungen der Harnwerkzeuge werden häufig durch Nierensteine hervorgerufen. Im allgemeinen sind sie als Entzündungen zu bezeichnen, welche durch die mechanische Reizung der mit den bewegten Konkrementen in Berührung kommenden Schleimhäute entstehen. — Die Entleerung des Harns kann verhindert werden, indem die Steine die Ausfuhrwege versperren. Es ist das eine zweite Möglichkeit der anatomischen Schädigung, welche dann, wenn Zersetzung in dem zurückgehaltenen Harn eintrat und kohlensaures Ammoniak gebildet wurde, zu schwereren entzündlichen Vorgängen, als sie die einfache mechanische Beizung erzeugen kann, führt. — Man findet daher bei

Nephrolithiasis.

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Nephrolithiasis Pyelitis und Pyelonephritis, beide öfter mit Bildung von Eiter und Geschwüren einhergehend, ferner Hydronephrose, Verödung der Niere durch Druckschwund und Wucherung des interstitiellen Gewebes derselben, endlich amyloide Entartung. Nierensand macht in der Regel keine krankhaften Erscheinungen, höchstens kann eine vorübergehende Verlegung der Harnröhre stattfinden, wenn mit einem Male größere Mengen davon zur Entleerung kommen. Es ist nicht zu bestimmen, wie groß die Steine werden müssen, wenn sie Beschwerden machen sollen; die Beschaffenheit ihrer Oberfläche, die bei dem Einzelnen verschiedene Weite der harnabführenden Wege und die wohl ebenso verschiedene Neigung zu krampfhafter Zusammenziehung wirkt hier mit. — Es ist sicher, daß größere Steine in dem Nierenbecken ohne jede Störung sich bilden und dort lange verweilen können. Indes ist das nicht die Regel. Eine hervorragende Stellung im Krankheitsbilde nehmen Schmerzen ein, weniger die unbestimmten, dumpfen, mehr oder weniger ständig in der Nierengegend empfundenen, als die in Anfallen sich einstellenden Nierenkoliken. Diese sind mit dem behinderten Durchtritt eines Steines durch die Ureteren verbunden, sie entwickeln sich mehr allmählich oder mit einem Schlage, je nachdem das Hindernis beschaffen ist. Nierenkoliken haben alle Eigentümlichkeiten der Visceralneuralgien (§ 7). Sie sind bei Männern dadurch ausgezeichnet, daß der zunächst auf die Nierengegend und die Ureteren begrenzte Schmerz auch in die Eichel und in den Hoden der kranken Seite, welcher stark in die Höhe gezogen wird, ausstrahlt. Der Hoden kann sogar empfindlich gegen Druck werden und anschwellen. Auch der gleichseitige Schenkel kann, abgesehen davon, daß er Sitz der ausstrahlenden Schmerzen wird, allerlei Störungen der Sensibilität zeigen. Die Verbreitung der Schmerzen über den ganzen Bauch und den unteren Teil der Brust gesellt sich oft genug hinzu. — Ist der Stein in den Ureter gelangt, so wird er allmählich vorwärts bewegt, dicht vor der Einmündung in die Blase ist wegen der beträchtlichen Enge wieder ein größeres Hindernis xu überwinden, hier kann er stecken bleiben. — Mit dem Hineingleiten des Steines in die Blase ist der Anfall zu Ende; das gleiche kann geschehen, wenn der Stein in das Nierenbecken zurückgelangt. Ein leichteres Wehegefühl hält noch eine Zeitlang an. — Die Kolikschmerzen sind nicht allein durch den mechanischen Reiz des Steines, sondern ebensosehr von der Ausdehnung der Ureteren du/rch den nachrückenden Harn bedingt. Die Absonderung des Harns und seine Entleerung zeigt sich während des Anfalls in mannigfacher Weise gestört Heftiger Blasenkrampf ist nicht selten vorhanden, trotz anhaltenden starken Dranges werden aber nur geringe Harnmengen entleert. Diese sind häufig bluthattig; sie können mit Eiter gemischt sein, wenn schon ältere Veränderungen bestanden. Andere Male kann ein sehr heller dünner Urin entleert werden, der wohl zweifellos aus der gesunden Niere stammt. Es kann endlich die Harnabsonderung ganz ins Stocken geraten, in seltenen Fällen selbst dann, wenn die eine Niere vollkommen gesund ist. Dann kann der Tod durch Urämie erfolgen. Wenn die zweite Niere gleichfalls steinkrank ist, oder nur eine Niere existiert, geschieht das leichter. — Es giebt eine nicht kleine Zahl von Beobachtungen, in denen vollständige Anurie, auf diesem Wege entstanden, bis zu 20 Tagen anhielt, aber dennoch mit der Entfernung des Hindernisses Heilung erfolgte. Urämie und namentlich Hydrops können bei 51*

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

der Verlegung der harnableitendm Wege sehr lange ausbleiben. — Zu erwähnen ist noch, daß mit dem Beginn des Anfalls nicht selten Schüttelfrost und heftiges Fieber sich einstellen. Ebenso ist wiederholtes starkes Erbrechen recht häufig. — Nierenkolik wird durch Bewegungen des Kranken, aber auch ohne nachweisbare äußere Veranlassung hervorgerufen, sie bleibt selten auf einen oder einige wenige Anfälle beschränkt, sondern sie wiederholt sich, meist. Der Zwischenraum kann bis zu Jahren betragen, recht oft aber ist er viel kürzer, und ein Anfall folgt bisweilen fast unmittelbar auf den anderen. Die Dauer des Mnzelanfalls schwankt zwischen Stunden und mehreren Tagen. Vor den Nierenkoliken zeigt sich fast stets Abgang von Gries oder von kleineren Steinen mit dem Harn. Eine andere Gruppe von Krankheitserscheinungen und von Gefahren geht aus der sich mit ziemlicher Regelmäßigkeit entwickelnden Pyelitis und Pyelonephritis hervor. Sie sollen gesondert dargestellt werden; von ihnen sind auch die Nachkrankheiten im wesentlichen abhängig. Die Prognose richtet sich nach der Größe der Konkremente, nach ihrer Beschaffenheit und nach der Stärke der durch sie erzeugten Entzündung. Nicht gerade häufig ist der Tod im Anfall. — Es müssen die Bedingungen des Einzelfalls entscheiden, im allgemeinen darf man nur sagen, daß Nierensteine zu ernsten, das Leben in hohem Grade gefährdenden Erscheinungen nicht selten Veranlassung geben. Die Therapie hat in erster Linie den Versuch zu machen, die Bildung von Harnsteinen xu verhüten. Dazu ist es notwendig, daß man auf das Erscheinen von Nierengries achtet, namentlich dessen Zusammensetzung feststellt. Besteht er, wie in etwa fünf Sechstel aller Fälle, aus Harnsäure oder ihren Salzen, dann ist eine Lebensordnung wie bei der Gicht einzuhalten; das gleiche gilt für die aus Kalkoxalat bestehenden Niederschläge. Sind Phosphatsteinchen da, dann handelt es sich meist um alkalische, durch Zersetzung des Harns hervorgerufene Reaktion, welche wiederum mit Pyelitis in Verbindung steht; sie muß beseitigt werden. Bei allen diesen Zuständen ist reichliche Flüssigkeiiszufuhr geboten; so wird am ehesten die Ausschwemmung der kleinen Konkremente besorgt, welche liegen bleibend zu großen werden können. — Von alters her wird geraten, auf den Stuhl acht zu geben und durch leichte Abführmittel für breiige Entleerungen zu sorgen. — Von Lösungsmitteln für die Harnsäure sind Lithiumund Natritmsalze zu nennen, welche wie bei der Gicht angewendet werden. Außerdem wird das Natrium phosphoricum in Gaben bis zu 25 g den Tag empfohlen — es soll durch seine Vermittlung das leichter lösliche neutrale harnsaure Natrium gebildet werden. — Die am häufigsten in Anwendung gezogenen Bäder sind Karlsbad, Marienbad, Tarasp, Wildungen, Fachingen und Vichy. — Die Phosphatsteine verlangen, um gelöst zu werden, saure Reaktion des Harns: Kohlensäure in der Form der Mineralwässer, Benzoesäure und Phosphmsäure können zu diesem Ende in genügend großen Mengen gegeben werden. Zweckmäßiger dürfte es aber sein, Ol. terebinthinae oder Kalium chlorioum zu wählen, da dieselben gleichzeitig dem Katarrh der Schleimhäute in den Harnwegen entgegenwirken. Die Nierenkolik, verlangt eine energische Behandlung mit Opiaten, welche durch lang dauernde heiße (30—31° R.) Bäder passend unterstützt wird. Örtlich kann man warme Kataplasmen anwenden, die kalten Überschlägen meist von den

Nephrolithiasis. Pyelitis und Pyelonephritis.

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Kranken vorgezogen werden. — Bei zu heftigen Schmerzen ist man bisweilen genötigt, durch Chloroformeinatmung, wenn auch nur für kurze Zeit, Erleichterung zu schaffen; die Narkose kann durch Morphium oder Chloralhydrat etwas verlängert werden. — Der chirurgische Eingriff ist neuerdings bis zur Ausrottung der leidenden Niere vorgeschritten. Schon früher wurden Steine durch Einschnitt aus derselben entfernt, wenn paranephritische Eiterherde bestanden, welche ohnehin ein operatives Vorgehen notwendig machten.

§ 249.

Pyelitis und Pyelonephritis.

Die Entzündung des Nierenbeckens — Pyelitis — , wehhe bei stärkerer Entwicklung und längerer Dauer ganz gewöhnlich auf die Niere selbst übergreift — Pyelonephritis — , wird durch verschiedene Umstände herbeigeführt. Wir trennen: 1. Pyelitis calculosa, im Gefolge von Harnsteinen, besonders solchen mit rauher Oberfläche auftretend. — In dieselbe Gruppe gehören die seltenen Fälle von primären Neubildungen und von Parasitenentwicklung im Nierenbecken. 2. Pyelitis toxica nach der Einführung bestimmter durch die Nieren zur Ausscheidung gelangender Gifte (z. B. Kanthariden). 3. Pyelitis infectiosa. Diese kann auf verschiedene Weise zustande kommen. Bei manchen Infektionskrankheiten — vor allen bei den Pocken — stellt sich eine örtliche Wirkung, die von dem mit dem Blute kreisenden Krankheitserreger ausgeht, im Nierenbecken ein. Sie zeigt sich in der Form einer oft schweren (hämorrhagischen, diphtheritischen) Entzündung. — Andere Male dringen von der Blase her Spaltpilze, welche sich in dem dort stagnierenden und in Zersetzung übergegangenen Harn gebildet haben oder aus der Harnröhre einwanderten (Gonokokken), längs der Ureteren in das Nierenbecken und von hier weiter durch die Sammelröhren bis hoch in das Nierengewebe vor. Sie erzeugen eine eitrige Entzündung. Neben diesen Hauptveranlassungen sind noch zu nennen: Harnverhaltung durch den Druck des schwangeren Uterus oder durch den einer Bauchgeschwulst auf den Ureter, Fortpflanzung einer Entzündung oder bösartigen Neubildung aus der Nachbarschaft; tierische Parasiten (Distoma haematobium), deren Eier und Embryonen innerhalb der "oberen Harnwege zur Ablagerung und Entwicklung gelangen. — Erkältung spielt nach der Ansicht vieler in der Ätiologie noch immer eine große Rolle, man hat von einer Pyelitis rheumatica gesprochen, ob mit Recht? Anatomisch zeigt die erkrankte Schleimhaut alle Stufen der Entzündung von der leichtesten oberflächlichen, bis zur geschwürsbildenden oder diphtheritischen und hämorrhagischen. Die Niere bietet das Bild der Nephritis suppurativa mit kleineren oder größeren Eiterherden — sie kann ganz in einen Eitersack verwandelt sein — und folgenden Narbenbildungen, die neben der durch die Abscesse bewirkten Druckatrophie zur nahezu vollständigen Verödung führen. Durch Übergreifen der Entzündung auf die Nierenkapsel und das Nierenlager kann Paranephritis sich hinzugesellen — die dann entstandenen Eiterherde können mit denen in der Niere zusammenfließen und zu den bei der Paranephritis erwähnten Senkungen und Durchbrüchen gelangen.

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Krankheiten der Harnwerkzeuge.

Die Erscheinungen der Pyelitis sind im großen und ganzen nicht sehr hervorstechend: Leichter Druck in der Nierengegend, vielleicht ein wenig Fieber und etwas Störung des Allgemeinbefindens; bei der Untersuchung des Harns saure Reaktion, einige rote, mehr weiße Blutkörperchen, ein deren Menge entsprechender Gehalt an Eiweiß, Vermehrung des Schleims, die nicht für Ureter und Nierenbecken charakteristischen, auch in den etwas tieferen Lagen der Blase vorkommenden geschwänzten, mit Fortsätzen versehenen Übergangsepithelien. Nimmt die Eiterbildung zu, dann kann die Fortbewegung der viel Schleim enthaltenden Massen durch den Ureter Schwierigkeiten machen, und so etwas der Nierenkolik ähnliches, aber deren Höhe weitaus nicht erreichendes, zustande kommen. Dieses reine Bild der Krankheit wird durch die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle vorhandene Verbindung derselben mit anderen, meist schweren Leiden getrübt, allein es ist daran festzuhalten, weil es von großer diagnostischer Wichtigkeit werden kann (z. B. bei der Steinbildung, welche nur zum Abgang von Gries, nicht zur Kolik führte), die Pyelitis nachzuweisen. — Eine Pyelitis, deren Ursachen zu beseitigen sind, verlänft in der Regel rasch und günstig, wenn auch nicht ganz selten die Neigung zu erneuter Erkrankung zurückbleibt. Hält die Entzündung an, dann bringt sie immer die Gefahr der Verbreitung auf die Niere und deren Umgebung, sowie auf die Blase. Ferner kann die Pyelitis zur Abscheidung von Konkrementen aus dem zersetzten ammoniakalischen Harn führen. Die Prognose ist also in solchen Fällen mindestens zweifelhaft, und sie wird um so viel weniger günstig, wie die Dauer des Leidens sich verlängert. Die Behandlung der Pyelitis als solcher ist ziemlich einfach: Bettruhe, reichlicher Genuß von Flüssigkeit, Fernhalten alles dessen aus der Nahrung, was bei dem Durchtritt durch die Nieren reizend wirken könnte — Kaffee und Thee soll dahin gehören—, dann mäßige Gaben von Oleum terebinthinae (30—50 Tropfen den Tag) oder Kalium chloricwm (4—6 g den Tag in 5 prozentiger Lösung und in geteilten Gaben). Es ist für ausgiebige Stuhlentleerung durch milde Abführmittel zu sorgen. § 250.

Hydronephrose.

Die Hydronephrose — Erweiterung des Nierenbeckens durch das darin angehäufte Nierensekret mit folgendem Druckschwund des Nierengeweibes — entsteht, wenn der Abfluß des Ha/ms aus dm Ureteren längere Zeit ganz oder doch zum größten Teil gehindert wurde. Es kann die Undurchgängigkeit des Ureters angeboren sein, meist aber handelt es sich um erworbene Zustände. — Die Veranlassungen des Ureterverschlusses sind sehr verschiedenartig-. Steine, die im Nierenbecken oder (seltener) im Verlaufe der Ureteren lagern, fuhren wohl auch schon intrauterin dazu, sei es, daß sie unmittelbar den Weg versperrten, oder daß sie zur Geschwürsbildung mit nachfolgendem narbigen Verschluß Veranlassung gaben. — Es folgt der Häufigkeit nach die mit den weiblichen Genitalien in Verbindung stehende Ureterverlegung: der retroflektierte Uterus und der vom Karcinom ergriffene kommen zunächst in Betracht, dann Zerrung der Blase durch die vorgefallene Gebärmutter, endlich Ovarialgeschwülste. — Es scheint, daß Pyelonephritis gleichfalls Hydronephrose erzeugen kann — vielleicht ist die durch Verdickung der Schleimhaut

Hydronephrose.

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entstandene Verengerung des Ureterenkanals oder Narbenbildung nach Geschwüren in demselben dazu notwendig. Weiter sind angeborene Verödungen des Ureters, Fehllage, desselben, bei welcher eine Klappenbildung den Abfluß aus der Niere erschwert, Hinderung des Harnaustritts aus der Blase durch benachbarte Neubildungen, Blasensteine, angeborene oder erworbene Verengerung der Harnröhre und Taschenbildung in der Blase anzuführen. Die anatomische Untersuchung lehrt, daß bei dem anwachsenden Druck der eingeschlossenen Flüssigkeit sich zunächst das Nierenbecken ausdehnt, dann werden die Papillen abgeflacht, endlich wird die ganze Niere in einen großen Sack umgewandelt, welcher bis zu 30 Liter Inhalt einschließen kann. Das Nierengewebe hält sich lange in seinem Bau unversehrt, verödet indes im Laufe der Zeit mehr und mehr und macht Bindegewebe Platz. — Bei kleineren Säcken ist noch ein dem Harn ähnliches Sekret vorhanden, bei großen findet sich in der von ihnen eingeschlossenen Flüssigkeit nur wenig oder gar kein Harnstoff, aber Eiweiß in verschiedenen Modifikationen und bisweilen Gholestearin. Die Zumischung von mehr oder weniger verändertem Blut ist nicht selten. Der oberhalb des Verschlusses gelegene Teil der Ureteren ist gleichfalls beträchtlich, bis zu einem Durchmesser von mehreren Centimetern, erweitert. Es kommt doppelseitige Erkrankung vor. Bei einseitiger Hydronephrose ist die Hypertrophie der gesunden Niere die Regel. — Hypertrophie des linken Ventrikels findet sich bei doppelseitiger Hydronephrose, wenn die Ernährungsbedi.ngungen es erlaubten, nicht selten. — Die Wandung eines größeren hydronephrotischen Sackes ist stets mit der Nachbarschaft innig verwachsen. Daß Verdrängungserscheinungen vorhanden sein können, versteht sich von selbst. Die Symptome der Hydronephrose während ihrer Ausbildung sind von dem sie bedingenden Grundleiden bestimmt. Der Nachweis einer Nierengeschwulst mit flüssigem Inhalt ist die Vorbedingung der sicheren diagnostischen Erkenntnis. Verwechslungen mit Echinokokkus der Niere oder mit weichen Krebsformen sind oft, wenigstens bei kurzer Beobachtungsdauer, nicht zu vermeiden, solche mit Ovarialtumoren können am ehesten durch eine Untersuchung vom Rektum aus, wobei die Kranke zu chloroformieren ist, verhütet werden. Die Probepunktion wird öfter nicht zu umgehen sein, eine genaue mikroskopische und chemische Untersuchung des Entleerten muß folgen. Die Hydronephrose ruft unmittelbar kein Fieber und keine Störung der Ernährung hervor — der sich gewaltig vergrößernde Sack ist indes durch seine Ausdehnung nicht nur imstande schwere dyspeptische Erscheinungen, sondern auch Atmungs- und Kreislaufstörungen zu bedingen. — Nicht immer sind aus dem Verhalten des Harns Schlüsse zu ziehen. Bei vorübergehender Verlegung des Ureters kann nach deren Lösung eine größere Harnmenge von abnormer Zusammensetzung entleert werden, bei nicht vollkommenem Verschluß kann im Harn ständig etwas Eiweiß, Eiter oder Blut enthalten sein. — In einigen Fällen von doppelseitiger Hydronephrose, die aber mit Durchgängigkeit der Ureteren verbunden war, hat man anhaltend große Mengen eines sehr dünnen, ganz wie bei Diabetes insipidus beschaffenen Harns abgesondert werden sehen. — Sehr oft ist gar keine Veränderung am Harn nachweisbar. Der Verlauf ist sehr schwankend, namentlich was das Wachstum der Geschwulst betrifft; dieses braucht nicht stetig zu geschehen, häufiger wohl findet es ruckweise statt. Ein Durchbruch (ausnahmslos erfolgt er nach innen, nicht

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Krankheiten der Harnblase.

stets kommt es zum tödlichen Ausgang) kann nach Einwirkung von mechanischer Gewalt, aber auch durch den Eigendruck der eingeschlossenen Flüssigkeit bedingt werden. Die Vereiterung des Sackes führt wohl stets durch Sepsis zum Tode. Der kann auch durch Urämie eintreten, sei es, daß bei einseitiger Hydronephrose die gesunde Niere erkrankte und ihren kompensatorischen Verrichtungen nicht länger genügte, daß vielleicht auch für sie ein Hindernis in den Harnwegen (Steinbildung, Krebsentwicklung) sich einstellte, sei es, daß bei doppelseitiger das Herz schwach wurde. Selbst ungenügende Zufuhr von Flüssigkeit kann Veranlassung zur Urämie geben, sie thut es in den Fällen, wo das Gleichgewicht zwischen der Bildung und der Ausscheidung harnfabiger Substanzen nur durch Massenaufnahme von Wasser herbeizuführen war. Wirkliehe Heilung ist für die vollkommen entwickelte Hydronephrose ausgeschlossen, da es immer zur Bildung von Narbengewebe kam. Eine ausreichende Nierenthätigkeit aber wird durch die kompensatorischen Vorgänge — Hypertrophie der Niere und der Herzens — möglich. — Die Prognose ist ganz von den Bedingungen des Einzelfalles abhängig. Die Therapie hat entfernbare Hindernisse für den Abfluß des Harns zu entfernen, solange es Zeit ist; Verengerungen der unteren Harnwege, Blasensteine, viele der in das Gebiet der gynäkologischen Thätigkeit fallenden Zustände gestatten mehr oder minder eingreifende, aber Hilfe bringende Operationen. Auch die Exstirpation der kranken Niere kommt in Betracht. Die innere Medizin hat weit geringere Angriffspunkte: die Behandlung der Nephrolithiasis und der Pyelitis ist eigentlich das einzige, was an Prophylaxis geleistet werden kann; gegen die ausgebildete Hydronephrose sind wir machtlos. — Der Hilfeleistung bei Einzelerscheinungen dagegen bietet sich unter Umständen reiche Gelegenheit.

Krankheiten der Harnblase. § 251.

Entzündung der Harnblasenschleimhaut.

Die Entzündung der Harnblasenschleimhaut — Cystüis — wird durch mechanische und chemische Reize hervorgerufen. Seltener sind Gewaltwirkungen von außen, häufiger kommen mechanische Entzündungserreger auf der Schleimhaut selbst zur Wirkung. Die Bewegung von Steinen mit rauher Oberfläche, die Einführung von Werkzeugen, um sie zu zertrümmern, oder die von irgend welchen Fremdkörpern in die Blase, endlich der Druck des schwangeren Uterus und der des Kindskopfes bei seinem Durchtritt durch das Becken wären zunächst zu erwähnen. Möglicherweise kann von Fremdkörpern in der Scheide (Pessarien) oder dem Mastdarm (Kotsteinen) eine genügende Druckwirkung zustande kommen. Eine chemische Heizung wird von Stoffen, welche durch die Nieren ausgeschieden werden (Kantharidin u. s. w.), geübt, weitaus öfter aber geschieht das durch die Zersetzung des Harns, bei welcher sich aus dem Harnstoff kohlensaures Ammoniak bildet. Damit diese Umwandlung stattfinden kann, ist es notwendig, daß bestimmte Schizomyceten — es scheint deren verschiedene zu geben — in

Entzündung der Harnblasenschleimhaut.

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die Blase gelangen, weiter, daß der mit diesen Mikroorganismen gemischte Harn länger innerhalb der Blase verweilt. Diese Bedingung wird durch alle Umstände herbeigeführt, welche die Entleerung des Harns erschweren oder verhindern: Blasenlähmung, Blasensteine, Vergrößerungen der Prostata, Verengerungen der Harnröhre nach Gonorrhöe sind die gewöhnlichsten. Die Schizomyceten werden sehr oft durch ungenügend desinfizierte Katheter oder Sonden in die Blase gebracht, sie können aber wohl auch ihren Weg allein finden. Als weitere Ursache der Cystitis wäre die Fortpflanzung einer Entzündung von oben (Niere und Harnleiter), von unten (Gonorrhöe und die durch medikamentöse zu deren Beseitigung eingespritzte Stoffe erzeugte Entzündung der Harnröhre), von außen (Entzündungen um die Blase: Paracystitis) zu nennen. — Erkältung scheint nicht gerade häufig Veranlassung zur Blasenentzündung zu geben. — Wie die bei schweren Infektionskrankheiten auftretenden Cystiten zu erklären, ist nicht immer zu sagen. Abgesehen von der Harnverhaltung und dem dabei notwendig gewordenen Katheterismus, ist es möglich, daß die Ausscheidung der Krankheitserreger selbst oder gewisser von ihnen gebildeter Stoffe durch den Urin in Betracht kommt. Weniger wahrscheinlich dürfte die primäre Lokalisation in der Blase, also deren Erkrankung unmittelbar vom Blute aus, sein. — Endlich wäre noch zu erwähnen, daß Neubildungen in der Blase sehr gewöhnlich mit Entzündung ihrer Schleimhaut einhergehen. Anatomisch finden sieh alle Formen der Entzündung, von der oberflächlichen nur die äußeren Epithelschichten betreffenden bis zu der mit Nekrose der tieferen Gewebsschichten verlaufenden diphtheritischen. Bei schweren Cystiten kann die eitrige oder jauchige Entzündung auf das die Blase umgebende Bindegewehe und weiter auf das Bauchfell übergreifen, es kann sogar zum Durchbruch der Blasenwandung kommen. — Bei chronischer Entzündung, welche mit länger dauernder Ansammlung größerer Mengen von Harn einhergeht, wird die Blase weiter; ihre Muskulatur nimmt an Umfang zu, während die Blasenhäute fibröse Hyperplasie zeigen. Nicht selten sind teilweise Erweiterungen der Blase: Divertikel. — Mitunter ist die Schleimhautoberfläche durch eingelagerte Krystalle von Tripelphosphat förmlich rauh geworden. — Erweiterungen der Venen, namentlich der am Blasenhalse, sogenannte Blasenhämorrhoiden, finden sich nicht oft. Die Symptome der akuten Blasenentzündung sind recht eigenartig. Zunächst zeigt sich ein äußerst lästiger und anhaltender Harndrang, welcher zu häufiger Entleerung auffordert. Unter heftigen Schmerzen werden zur Zeit nur wenige Tropfen Harn entleert. Die Empfindung von Wehsein, von Druck und Spannung in der Blasengegend, nicht selten aber auch wirklicher Schmerz, der gegen den Bücken, in die Schenkel und nach den Genitalien ausstrahlt, treten daneben auf. Die Blase selbst ist gegen Druck, mehr noch gegen den eingeführten Katheter sehr empfindlich. In leichteren Fällen während der ganzen Dauer des Leidens, in schwereren wenigstens zu Anfang ist der Harn sehr konzentriert, stark gefärbt und sauer. Er enthält Schleim, daneben rote und weiße Blutkörperchen sowie abgestoßene Epithelien: das einfache Plattenepithel der oberflächlichen, das geschwänzte Übergangsepithel der tieferen Schichten. Diese Bestandteile sind in sehr wechselnder Menge vorhanden. Finden sich viel rote Blutkörperchen, daun kann die Farbe des Harns blutrot werden, und derselbe ebenso wie bei reichlichem Gehalt an Eiter eine entsprechende Menge von Eiweiß führen. Im sauren Harn treten krystallinische Abscheidungen von Harnsäure und deren Salzen,

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Krankheiten der Harnblase.

sowie von Kalkoxalat auf. — Bemerkenswert ist die große Neigung solcher Harne in alkalisehe Gärung überzugehen. Fand sie schon innerhalb der Blase statt, so wird der Harn bereits trübe entleert, kann nicht klar filtriert werden und ist von starkem ammoniakalischem Geruch. Enthielt er viel Eiter und Epithel, dann setzt sich ein aus diesem durch die Einwirkung des kohlensauren Ammoniaks entstandener sehleimig-zäher, fadenziehender Bodensatz ab, welcher oft, aber mit Unrecht, für wirkliches Mucin gehalten wird. Die Eiter- und Epithelxellen sind nach längerem Verweilen in der Blase ganz untergegangen, oder sie zeigen doch nur schwach erhaltene Umrisse ihrer einstigen Gestalt. Neben ihnen treten Mikroorganismen in unzähligen Mengen auf, und es finden sich viele Krystalle von Tripelphosphat (farblose Sargdeckel), von harnsaurem Ammoniak (in Spitzen auslaufende Kugeln von gelbbrauner Farbe), von amorphem harnsaurem Natron, kohlensaurem und phosphorsaurem Kalk. Kohlensaurer Kalk erscheint auch kristallinisch in der Form der Hanteln der Turner — zwei durch ein dünnes Zwischenstück verbundene Kugeln (Dummbels). — Die aus der Umwandlung des Eiters und der Epithelzellen entstandenen zäh-sehleimigen Massen verlegen nicht selten die Mündung der Harnröhre so, daß sie der Entleerung ernsthafte Schwierigkeiten bereiten und mechanisch entfernt werden müssen. — Tritt Verjauchung ein, dann zeigt der Harn einen aashaften Fäulnisgestank und enthält nekrotische Gewebsfetzen. Die Allgemeinerscheinungen bei der akuten Blasenentzündung sind, solange sie keinen höheren Grad erreicht, nicht sehr beträchtlich. Am meisten findet man Fieber um 39°, sowie Erbrechen und Stuhlverhaltung. Ganz anders, sobald Verschwörung und Nekrose der Blase sich eingestellt haben. Es kommt dann zu einem Symptomenkomplex, der zu einem Teil auf Sepsis, zum anderen auf der Resorption von Ammoniak beruht. Die unregelmäßig auftretenden Schüttelfröste mit zeitweilig bedeutenden Temperatursteigerungen sind auf septische Infektion zu beziehen, die Vergiftung durch Ammoniak — Ammoniämie (wohl immer mit „Urämie" verbunden) ist durch Lähmungserscheinungen der Centren, denen Krämpfe vorangingen, gekennzeichnet — sie gleicht einem epileptischen Anfall mit nachfolgendem sehr tiefem und anhaltendem Koma; in diesem erfolgt auch der Tod. Die chronische Entzündung der Blase geht aus der akuten hervor oder sie entwickelt sich bei länger dauernder Harnverhaltung schleichend. Da das im allgemeinen weniger leicht erregbare höhere Lebensalter mit seinen Hypertrophien der Prostata einen sehr großen Anteil am chronischen Blasenkatarrh hat, darf man es diesem Umstand ebenso wie der an sich geringeren Heizung zuschreiben, daß die subjektiven Belästigungen durch Harndrang und der Schmerz in der Blasengegend bei dem chronischen Katarrh weniger hervortreten. Meist sucht der Kranke den Arzt erst auf, wenn der Zustand schon voll entwickelt ist. Man bemerkt dann sehr häufig eine Erweiterung der Blase, welche bei den Versuchen zur vollständigen Entleerung stets versagend einen mehr oder minder großen Teil ihres Inhalts zurückhält. Daneben kommt es zum unfreiwilligen Austritt von Harn, zum Harnträufeln. — Viel seltener ist die mit bedeutender Hypertrophie der Muskulatur verbundene gesteigerte Erregbarkeit der Schleimhaut, durch welche die Ansammlung von Harn verhindert und derselbe in sehr kurzen Zwischen/räumen entleert wird. Die Beschaffenheit des Harns ist ganz dieselbe wie bei dem akuten Katarrh.

Entzündung der Harnblasenschleimhaut.

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Die lange Dauer des Leidens bringt es mit sich, daß die Gelegenheit xw Bildung von Phosphatsteinen innerhalb der Blase sehr günstig wird. Es können die nämlichen Ausbreitungen der Entzündung in die Nachbarschaft, die Bildung von Abscessen, Geschwüren u. s. w., und die gleichen Rückwirkungen auf das Allgemeinbefinden wie bei der akuten Entzündung eintreten. Die Sauer der akuten Entzündung beträgt bis zu einigen Wochen, währt sie länger, dann muß man auf einen schleppenden, Verschlimmerungen und Teilbesserungen zeigenden Verlauf, der sich, auch wenn die Ursachen entfernbar sind, über Monate hinzieht, gefaßt sein. Die mit nicht zu beseitigenden Veränderungen der Harnblase einhergehenden Entzündungen der Blasenschleimhaut können, wenn auch durch ein zweckmäßiges Verfahren in engeren Schranken gehalten, Jahre andauern. — Die Prognose ist durch die Bedingungen gegeben, welche im Einzelfall die Entstehung des Leidens herbeigeführt haben und seine Heilung beeinflussen. Bei den schweren Formen ist ernste Lebensgefahr häufig vorhanden. Die Therapie der akuten Entzündung verlangt zunächst strenge Bettruhe. Durch Kataplasmen auf die Blasengegend kann man wesentliche Erleichterung schaffen, recht warme (30 0 R.) Bäder von längerer Dauer, nach denen der Kranke in das gut gewärmte Bett zurückkehrt, sind, ein- bis zweimal täglich gegeben, gleichfalls von guter Wirkung. Man lasse reichliehe Mengen einer indifferenten Flüssigkeit (Flieder-, Lindenblütenthee) oder eines Säuerlings trinken, um durch Verdünnung des Harns dessen Reizwirkung zu mildern, und sorge für ausgiebigen breiigen Stuhl. — Bei den DiMvorschriften ist auf Vermeidung alles Reizenden zu achten; wird Milch vertragen, dann ist sie ein geeignetes Nahrungsmittel. — Sehr starker Tenesmus kann die Anwendung der Opiate (am besten 0,05 g Extr. opii als Suppositorium) notwendig machen. Ist bereits alkalisehe Barngärung eingetreten, dann sind die Mittel in Anwendung xu bringen, welche dm Harn sauer xu machen vermögen: Oleum tereibinthinae (zweistündlich 10—15 Tropfen in Milch, und Kalium chloriewm, (in 5 °/0 Lösung 6—8 g den Tag) sind die wirksamsten. Nimmt die Entzündung xu, bilden sich große Eitermengen und aus ihnen die beschriebenen zäh-schleimigen Massen, oder kommt es gar zur jauchigen Verschwärung, dann muß man zur Ausspülung und Desinfektion der Blase schreiten. Jeder Katheter, welcher in die Blase gebracht wird, muß vorher auf das allersorgfältigste gereinigt und desinfiziert sein. Um die Spülung vorzunehmen, führt man einen elastischen oder einen metallenen Katheter ein — der letztere macht wohl etwas mehr Schmerz, läßt sich aber durch siedendes Wasser viel sicherer desinfizieren. Wer, wie das jetzt ja oft der Fall, im Besitz eines Dampfsterilisators ist, kann freilich auch elastische Katheter sicher keimfrei machen. Aus einem Irrigator wird nach Entleerung des Harns soviel auf Körperwärme gebrachte halbprozentige Kochsalzlösung eingelassen, als der Kranke erträgt: möglichst vollständige Entfaltung der Blase ist notwendig, um die ganze Fläche der Schleimhaut mit der Flüssigkeit in Berührung zu bringen. Man läßt abfließen und wiederholt das Ganze so lange, bis das Spülwasser klar ausströmt. Zur nachfolgenden Desinfektion dürfte eine Lösung von Sublimat (1 auf 10000) allen anderen vorzuziehen sein. Sie muß gleichfalls erwärmt bis zu 5 Minuten einwirken; will man vor Resorption sicher sein, dann kann man nach dem Abfließen mit der Kochsalzlösung nachspülen. — Mindestens einmal den Tag ist das Oanze xu wiederholen. Der Eingriff selbst ist für den Kranken etwas schmerzhaft, die

Krankheiten der Harnblase.

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Erleichterung nachher aber so groß, daß die Wiederholung eher gewünscht als gefürchtet wird. Die Chirurgie hat die Hindernisse, welche Strikturen u. s. w. dem Abfluß des Harns entgegensetzen, womöglich zu beseitigen — die Behandlung der chronischen Blasenentzündung, welche genau in gleicher Weise geleitet werden muß, hat meist erst dann auf Erfolg zu rechnen, wenn das gelungen ist. § 252.

Blasenkrampf und Blasenlähmung.

B l a s e n k r a m p f wird am häufigsten reflektorisch ausgelöst, sei es durch unmittelbare Reizung der Blasenschleimhaut, oder von den Beckenorganen, besonders von den weiblichen Genitalien und von dem Mastdarm her. Hysterie disponiert in hohem Grade. Bei dem K r a m p f des S p h i n k t e r ist ständiger Harndrang ohne jede oder doch nur mit spärlicher Möglichkeit denselben zu befriedigen vorhanden, bei dem K r a m p f des D e t r u s o r wird in Anfällen der Blaseninhalt mehr oder weniger unfreiwillig ausgepreßt; Schmerz kann dabei fehlen. Verbinden sich beide miteinander, dann wird ein wahrer Tantaluszustand hergestellt. — Warme Bäder und Kataplasmen', sowie Opium vom Mastdarm aus, wirken gegen den Anfall selbst günstig, dessen Ursachen nicht immer zu beseitigen sind. B l a s e n l ä h m u n g tritt auf im Gefolge von Rückenmarkerkrankung und bei Zuständen schwerer Betäubung, einerlei, wodurch dieselbe herbeigeführt ist, dann wenn die Blase durch Harnretention übermäßig gedehnt wurde, oder wenn sie Gewaltwirkungen ausgesetzt war. Ist der S p h i n k t e r g e l ä h m t , dann kann der Harn gar nicht oder nicht vollständig zurückgehalten werden, er fließt bei den höheren Graden beständig ab, bei leichteren nur, wenn die Füllung der Blase beträchtlicher wurde, oder wenn die Bauchpresse einwirkte. Beim Lachen entleeren Frauen, die häufiger geboren haben, z. B. nicht selten unfreiwillig Harn. L ä h m u n g des D e t r u s o r , bei schlußfähigem Sphinkter, bewirkt Dehnung der Blase durch den sich anhäufenden Harn. Natürlich verschlimmert sich durch diese Dehnung die Liihmung selbst, weil die Muskelfasern an Elastizität einbüßen — so entsteht auch die Lähmung bei Komatösen. Kommt es zur Entleerung, dann fehlt der kräftige Harnstrahl, und die Blase hält immer noch einen Teil des Urins zurück, so daß der unmittelbar nachher ausgeführte Katheterismus Erfolg hat. — Sind Sphinkter und Detrusor miteinander gelähmt, dann tritt bei gefüllter Harnblase ständiges Harntröpfeln ein. Prophylaktisch kann nicht stark genug auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, bei Betäubten und Gelähmten den Zustand der Blase zu überwachen und rechtzeitig zum Katheter zu greifen. Seine methodische Anwendung spielt auch bei der Behandlung der Blasenlähmung die Hauptrolle. — Ob durch die Elektrizität oder durch Strychnin viel genützt werden kann, dürfte fraglich sein.

§ 253.

Enuresis nocturna.

Die Enuresis nocturna, das Bettpissen, ist fast immer ein dem Kindesalter bis zur Pubertät eigenes Übel. — Nicht selten ist eine Art von hereditärer Belastung vorhanden; Kinder aus neuropathischen Familien leiden doch wohl im ganzen häufiger als solche aus gesunden. Freilich ist es schwer zu sagen, wieweit hier die unter solchen Umständen nicht immer tadellose Erziehung mitwirkt. Man darf nicht vergessen, daß es gelernt sein will, seine Sphinkteren unter die Herrschaft des Willens zu bringen. Es ist daher im Einzelfall immer geboten, genauer auf die geistige und gemütliche Entwicklung des Leidenden einzugehen und daneben seine Lebensordnung zu berücksichtigen. — Als unmittelbare Ter-

Blasenkrampf und Blasenlähmung.

Enuresis nocturna.

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anlassung zum Bettpissen werden Würmer, besonders Oxyuren, und die Masturbation angeführt. Die unfreiwillige Entleerung des Harns erfolgt meist einige Stunden nach dem Schlafengehen, oder kurz vor dem Erwachen, aber, wenn es sich nicht um einfache Unart handelt, immer in tiefem Schlaf. Es kommt vor, daß unter der Einwirkung einer Traumvorstellung uriniert wird, welche dann wohl durch den psychischen Reflex der Blasenfüllung erzeugt wurde. — Regel ist das keineswegs. Die erwachenden Kinder wissen gewöhnlich nicht, wie sie dazu kamen, ihr Bett zu durchnässen; übrigens merken sie häufig erst am, Morgen, was in der Nacht geschehen ist. — Die Harnentleerung findet meist sehr rasch mit kräftiger ZusammenziehuDg des Detrusor statt; überhaupt ist bei Bettpissern auch am Tage eine größere Reizbarkeit der Blasenschleimhaut, welche keine stärkere Anhäufung des Harns aufkommen läßt, oft zu bemerken. In der Regel, nicht ausnahmslos, bleibt es bei einer Entleerung in der Nacht. — Schwankungen sind gewöhnlich; nachdem gute Wochen oder Monate vergangen, können die nächsten Zeiten sehr schlimm werden. — Mit der Pubertät ist das Leiden in der Regel xu Ende, immerhin kommt eine nicht kleine Zahl von Fällen längerer Dauer vor. Diese sind schwerer zu beseitigen, ihre Heilung gelingt nicht allemal. Im ganzen ist aber die Prognose gut. Für die Behandlung ist zuerst festzustellen, ob Unart, Eigensinn oder Faulheit mitwirkt. Man darf nie vergessen, daß ungerechtes Strafen den Charakter gar leicht verdirbt und vielleicht noch mehr thut das der unverdiente Spott, welcher bei diesem Leiden selten ausbleibt. Andererseits kommt sicher manchmal ein halb oder ganz bewußtes Sichgehenlassen als Ursache des Bettpissens vor, welches erziehliches Eingreifen verlangt. — Die Aufnahme von Flüssigkeiten muß gegen den Abend hin eingeschränkt werden, ebenso thut man wohl daran, die letzte Mahlzeit etwa zwei bis drei Stunden vor dem Schlafengehen nehmen zu lassen. Leichte Bedeckung bei dem Bettaufenthalt ist dringend zu empfehlen. Ebenso, daß das Becken etwas höher gelegt werde. Es wird von manchen geraten die Kinder stündlich oder zweistündlich, wenigstens während der ersten Zeit des Bettliegens zum Urinieren zu veranlassen — das hilft mitunter, aber nicht immer. Zweckmäßiger ist es, wenn häufiger und starker Drang sich zeigt, den Tag über den Harn länger zurückhalten zu lassen, damit kann man eine Regelung der Zeiten für die Harnentleerung passend verbinden, indem man vorschreibt, daß sie nur zu bestimmten Stunden geschehen darf. — Sind Oxyuren vorhanden, dann beseitige man dieselben. Gegen Onanie wäre einzuschreiten. — Katheterismus und die Anwendung des galvanischen Stroms auf die Blasengegend werden vielfach empfohlen — sie können von guter Wirkung sein; wobei wohl das psychische Moment stark mit ins Spiel kommt. — Unter den Arzneimitteln steht das Atrqpin in erster Reihe. Man beginne mit 1 / 2 mg und steige selbst bei Kindern unter zehn Jahren langsam bis zu 4 und 5 mg, wenn das Mittel, wie gewöhnlich, gut ertragen wird. Die Atropinbehandlung muß monatelang regelmäßig fortgesetzt werden — in der weitaus größten Zahl der Fälle wird dadurch, wenn die Lebensordnung gleichzeitig streng geregelt ist, dauernd Heilung erzielt.

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Krankheiten der Harnblase. § 254.

Neubildungen und Parasiten in der Blase.

Neubildungen und Parasiten in der Blase.

Primärer Blasenkrebs ist ein seltenes Leiden, eher entwickelt sich der Krebs sekundär durch Überwuchern aus der Nachbarschaft, besonders von den Geschlechtsteilen her, oder metastatisch. Außer der Geschwulstbildung tritt Verschwärung mit den Erscheinungen der Blasenentzttndung und rascher Kräfteverfall ein. — Öfter findet man das papiUöse Fibrom, den sogenannten Zottenkrebs, welcher sich durch seinen Reichtum an dünnwandigen, leicht verletzbaren Gefäßen auszeichnet und aus den oberen Schichten der Schleimhaut hervorsproßt. Der Sitz dieser Geschwulstbildung ist meist der Blasengrund; sie kann zur Verlegung der Harnröhrenmündung Veranlassung geben, häufiger noch sind starke, schwer stillbare Blutungen. Abgestoßene mit dem Harn entleerte Teile der Zotten sichern die Diagnose. Die Prognose auch dieser Neubildung ist schlecht. In seltenen Fällen kommen Echinokokken vor. Distonium haematobium ist in manchen Tropengegenden ein häufiger und gefährlicher Gast, der zu schweren Entzündungen Veranlassung giebt. — Außer den verschiedenen Schizomyceten finden sich von pflanzlichen Parasiten, nicht oft, Leptothrix und eine kleinere Form der Sarcine.

XII.

Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane. § 255. Krankhafte Samenverluste. Bei gesunden Männern, die nicht in regelmäßigem geschlechtlichen Verkehr stehen, finden unfreiwillige Samenmtleerungen (Pollutionen) während, des Schlafs von Zeit zu Zeit statt. Solche kommen vor, so lange die Potenz währt, sie sind meist von erotischen Träumen begleitet und wiederholen sich in individuell sehr stark wechselnden Zwischenräumen. Aus der absoluten Zahl der in der Zeiteinheit auftretenden Pollutionen läßt sich ein Urteil darüber, ob der Vorgang noch in das Gebiet der Norm gehört, nur schwer gewinnen. Y/ichtiger ist es, den Einfluß auf das Allgemeinbefinden zu beachten. Solange das Gefühl von Wohlsein, von Frische, von größerer körperlicher und geistiger Spannkraft an dem der Pollution folgenden Tage sich zeigt, sind die Samenergüsse sicher nicht als krankhafter Vorgang zu betrachten, auch wenn sie sich öfter einstellen. Anders wenn Unlust, Abspannung und Mattigkeit danach folgt. Bei manchen geschieht das erst, wenn allnächtlich eine oder mehrere Entleerungen stattfinden, bei anderen, namentlich Geschwächten, schon nach den durch Wochen voneinander getrennten Pollutionen. Die weitere Entwicklung zur ausgesprochenen Störung vollzieht sich in der Regel so, daß bei der Pollution eine wirkliche Erektion nicht zustande kommt und die Kranken von der eigentlichen Geschlechtsempfindung wenig oder nichts merken — erst am Morgen bei dem Erwachen sehen sie an den Spuren, die der Same hinterläßt, und an ihrem Übelbefinden, was geschehen ist. Nun pflegen die Pollutionen an Häufigkeit zuzunehmen, bei höheren Graden des Leidens stellen sie sich auch den Tag Über in wachem Zustand ein. Zuerst bedarf es noch eines, immerhin geringfügigen mechanischen, die äußeren Geschlechtsteile treffenden Reizes, später genügen erotische Vorstellungen oder gar die Anwesenheit eines Weibes. Während die Steifung des Gliedes immer geringer wird und die Wollustempfindung abnimmt, wächst die Zahl der Entleerungen. Das bei der Entleerung von Kot und Harn stattfindende Übertreten von Sperma in die Harnröhre wurde früher als ein sehr ungünstiges Zeichen betrachtet. F Ü R B R I N G E R fand indes, daß jahrelang bei der Defäkation Samen entleert werden kann und deunoch die Zeugungsfähigkeit der Betroffenen erhalten bleibt. Andere Male freilich und, wie es scheint, namentlich dann, wenn auch bei dem Harnen Samen entleert wird, ist die Sache bedenklicher. Nun zeigt sich derselbe von der Norm abweichend: die Spermatoiden sind durchsichtiger, an Zahl vermindert, sie bewegen sich schwächer und sterben leichter ab; außerdem finden sich solche, die noch ihre volle Ausbildung nicht erlangt haben.

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Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane.

Dieser Teil des Krankheitsbildes ist etwas objektiv leicht Festzustellendes — anders verhält es sich mit den Rückwirkungen auf den Organismus. Genaueres Eindringen in die Verhältnisse ist dadurch erheblich erschwert, daß die Kranken in einer sehr großen Zahl von Fällen Hypochonder werden und nun, mit peinlichster Aufmerksamkeit jede Empfindung verfolgend, sich in krankhafte Zustände hineinleben, welche zum guten Teil jenen Schreckbildern gleichen, die in den sogenannten populären Belehrungen über die Folgen von Samenverlusten enthalten sind. — Immerhin läßt sich etwas Allgemeines sagen. Im Gefolge der krankhaften Samenverluste zeigen sich: Verdauungsbeschwerden, zunächst rasch wechselnd, äußerst launenhaft kommend und gehend, mit Heißhunger, der dann wieder durch Appetitlosigkeit abgelöst wird, Druck und Spannung in der Magengegend nach dem Essen, Säurebildung, Meteorismus, Verstopfung, die zeitweilig heftigem Durchfall Platz macht, verbunden. Später werden diese Beschwerden ernsthafter: es kann zur fast vollständigen Apepsie mit absolutem Fehlen des Appetits und zu hartnäckiger Verstopfung kommen, schwere Anfalle von Magenkrampf mit heftigem Erbrechen können sich hinzugesellen. — Herzklopfen und Dyspnoe, beide bei leichten psychischen Erregungen und mäßigen körperlichen Anstrengungen sich einstellend, sind gleichfalls nicht selten. — Es folgt ein ganzes Heer von allgemeinen nervösen Erscheinungen, so zahlreich und mannigfaltig, wie es nur bei Hypochondrie und Hysterie der Fall ist. Recht oft wird über Schmerz und Spannung im Rücken, über allerlei Parästhesien und Anästhesien, seltener über Hyperästhesien geklagt. Alle diese Mißempfindungen haben ihren Sitz in den Extremitäten, besonders in den unteren. — Kopfdruck und wirklicher Kopfschmerz, sowie Schwindelerscheinungen sind häufig. Die Stimmung ist verdüstert, die Lust zur geistigen Arbeit ist meist ganz vergangen, leichte Ermüdbarkeit ist hier wie auf körperlichem Gebiete vorhanden. Alles das bleibt nicht ohne Rückwirkung auf die Ernährung, welche zum Teil durch die gestörte Verdauung, zum Teil durch den sehr häufig mangelhaftem, Schlaf erhebliche Einbuße erfahrt. Auch die Blutbereitung leidet Kot, so daß Anämie nicht zu fehlen pflegt. Man hat das Ganze Neurasthenia sexualis genannt. Verlauf und Ausgänge sind im wesentlichen von den Entstekungsursaehen abhängig. Auf diese ist daher näher einzugehen: Als häufige Veranlassung zu krankhaften Samenverlusten ist der Mißbrauch der Oeschlechtswerkxeuge (Onanie) und ein übermäßiger Gebrauch derselben anzuführen. Seltener sind örtliche Erkrankungen, besonders die chronische Entzündung der Pars prostatica der Harnröhre mit stärkerer Beteiligung des Caput gallinaginis, wie sie nach verschleppter Gonorrhöe vorkommt. Man nimmt an, daß eine Erschlaffung des elastischen Gewebes in und um die Ductus ejaculatorii in solchen Fällen vorliege. — Begünstigend wirken Varicocele, Phimose, abnorme Zustände am Rektum (Hämorrhoidalknoten, Schrunden u. s. w.), welche die Kotentleerung erschweren, ebenso habituelle Verstopfung. Als allgemein disponierend ist mit großer Entschiedenheit und mit gutem Recht die neuropathische Konstitution bezeichnet worden. Die Diagnose hat in erster Linie festzustellen, ob die aus der Harnröhre entleerte Flüssigkeit wirklich Same ist. Die Kranken werden sehr durch die aus der Prostata, den CowPER'schen und LiTTRE'schen Drüsen stammenden, bei starkem Pressen während des Stuhlgangs und bei Erektionen in die Harnröhre gelangenden Massen beängstigt, welche sie für Sperma halten. Nur das Mikroskop erlaubt eine sichere Diagnose. Freilich können bei rasch aufeinander folgenden

Krankhafte Samen Verluste.

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Ergüssen zeitweilig die Samenfäden fehlen, wie es unter solchen Umständen auch bei ganz Gesunden geschieht. Allein wiederholte Untersuchungen lassen ausgebildete oder Jugendformen der Spermatoiden nur selten vermissen. — Ebenso geben sie darüber Auskunft, ob nicht etwa die von einem Coitus oder einer Pollution stammenden Spermatoiden durch den Harn einfach aus der Harnröhre ausgeschwemmt wurden (Pseudospermatorrhöe). Unsere Kenntnisse über das Wesen der Harnröhrenflüsse sind durch die Untersuchungen F Ü R B R I N G E R ' S erheblich erweitert und vertieft worden. Besonders hervorzuheben ist: Der in vielen Fällen ausschließlich oder vorwiegend hier in Betracht kommende Saft der Prostata hat sehr bezeichnende Merkmale. E r ist dünnflüssig, von leicht saurer oder neutraler Reaktion und milchig getrübt. Dies ist durch massenhaft vorhandene farblose, mäßig stark lichtbrechende, meist runde, aber auch ovale oder eckige Körner bedingt, welche von kleinstem Durchmesser bis zu dem eines roten Blutkörperchens anwachsen können und wohl zum größeren Teil aus Lecithin bestehen. — Weitere morphotische Bestandteile sind EpiFig. 108. Sperma, a Spermatozoen, thelien und die bekannten geschichteten „Pro- b Cylinderepithelzellen, c Lecithinkörner stataamyloide". — Daß der eigenartige Sperma- einschließende Gebilde, d Pflasterepiaus der Urethra, d' Hodenzelle, geruch an dem, Prostatasaft haftet, und daß thelien e Amyloidkörperchen, /"Spermakrystalle, die sogenannten Spermakrystalle (anderswo im g hyaline Kugeln. (Nach v. JAKSCH.) Körper C H A R C O T - LiiYDEsr'sche Krystalle genannt) wesentlich in ihm entstehen, ist eins der Hauptergebnisse F Ü R B R I N G E R ' S . Man muß eine Prostatorrhoe von der eigentlichen Spermatorrhöe trennen, die mikroskopische Untersuchung giebt dafür die entscheidenden Merkmale an die Hand. Veranlassung zur Prostatorrhoe kann eine vermehrte Absonderung der Drüse, aber auch ein Katarrh derselben liefern, wie er besonders häufig nach der Gonorrhöe zustande kommt. Zu erwähnen ist noch, daß bei stärkerer geschlechtlicher Erregung des Mannes auch die CowPER'schen und LiTTRE'schen Drüsen ihren Saft in die Harnröhre übertreten lassen. Derselbe ist farblos, ziemlich klar, fadenziehend, mucinlialtig, nur Epithelien oder größere Rundzellen führend. Die entleerte Menge beträgt nur einige Tropfen. Eine pathologische Bedeutung hat diese bei leicht erregbaren Männern öfter zu beobachtende Erscheinung nicht. Sie dürfte in Analogie mit der stärkeren Absonderung des Speichels zu setzen sein, welche bei Hungernden auftritt, sobald sie den Geruch von Speisen wahrnehmen. Alle diese Umstände sind für die Diagnose des Harnröhrenflusses von maßgebender Bedeutung. Daneben ist darauf zu achten, ob unter den vielen Leiden, die geklagt werden, wirklich eines oder das andere einen anatomischen Grund hat; es gilt hier das für Hypochondrie Bemerkte. Nicht geringe Schwierigkeiten bietet die Feststellung der Thatsache, ob noch. von den Kranken Onanie getrieben wird; so bereitwillig das für die Vergangenheit zugestanden wird, so hartnäckig wird es meist für die Gegenwart geleugnet. Die Prognose ist im allgemeinen und für die Mehrzahl der Fälle nicht ungünstig. Anders, wenn ererbte neuropathische Konstitution vorliegt, wo die hier besprochenen Erscheinungen nur als Äußerungen des Grundleidens auftreten. v. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane.

Es sind dann Psychosen keineswegs ausgeschlossen. Unter diesen Bedingungen kommt es auch zu schwerster Kachexie, und der Tod erfolgt, ohne daß eine anatomisch nachweisbare unmittelbare Veranlassung auffindbar wäre durch Marasmus. Das ist freilich ganz selten. — Die Behandlung hat vor allem die Grundursache wenn möglich zu beseitigen. Man darf nie vergessen, daß sehr oft, selbst bei starken Onanisten, erst von dem Augenblick an der Betreffende sich krank fühlt, wo durch das Lesen einer der populären Schandschriften seine Aufmerksamkeit auf seinen Körper hingelenkt war. Es soll gewiß nicht in Abrede gestellt werden, daß Onanie Schaden bringen kann, aber es muß ebenso bestimmt hervorgehoben werden, daß dies langé nicht immer der Fall ist. Bei Knaben, die oft schon in frühester Jugend dem Laster verfallen und kein Maß und Ziel kennen, stellen sich üble Folgen begreiflicherweise in ganz anderem Grade ein als bei erwachsenen Männern. Der Arzt muß wissen, daß nicht, wie durch die gemeinen erwerbsüchtigen Sudler, deren Arzneien Hilfe fur Leib und Seele bieten, verbreitet wird, einmalige „Onanie" wie ein unheilbares Gift den Körper „verwüstet", sondern nur das Zuviel Unheil herbeifuhren kann. Die Mitteilung dieser Thatsache reicht oft hin, dem nicht an Spermatorrhöe, wohl aber an Hypochondrie und, wie das bei feiner angelegten Naturen nicht selten ist, an tiefer Selbstverachtung Leidenden genesen zu lassen. Das heißt, wenn er sich überzeugen läßt, und dies ist lange nicht immer der Fall. Mit schärfster Betonung muß unter allen Umständen vor weiterer Benutzung der populären Schriften gewarnt werden. Jeder erfahrene Arzt weiß, daß sie trotz ihrer abschreckenden, ins Ungeheuerliche übertreibenden Schilderungen nicht ganz selten unmittelbar zur Masturbation verleiten. Bei den meisten Menschen wäre eine Regelung der Oeschlechtsthätigkeit, wie sie durch die Ehe geboten wird, das sicherste Schutzmittel — allein wie die Verhältnisse der Gesellschaft nun einmal sind, ist das nicht immer anzuwenden. Es verdient bemerkt zu werden, daß unter dem eigentlichen Volk, namentlich unter den Landbewohnern, alle die Dinge viel seltener sind, als bei den höheren Klassen. — Dies hängt unzweifelhaft damit zusammen, daß jenen durch frühes Heiraten und die mit ihren Gewohnheiten und sittlichen Auffassungen vereinbare Gelegenheit zu außerehelichem Geschlechtsverkehr die natürliche Befriedigung des Triebes in weitaus höherem Maße gewährt wird. — Es wäre eine verkehrte Prüderie, wenn der Arzt nicht unter Umständen den sich ihm Anvertrauenden gegenüber Bemerkungen, die diese Seite der Sache berühren, laut werden lassen wollte. Wieweit man gehen will, bleibt dem Takt und der Stellung überlassen, welche der einzelne der ethischen Seite der Frage gegenüber einnimmt. Mißbrauch und übermäßiger Gebrauch der Geschlechtsorgane ist entschieden zu widerraten, dabei ist auch vor Gedankenunzucht zu warnen. Eine sogenannte moralische Behandlung des Kranken mit Regelung seiner Lebensweise in dem Sinne, daß er körperlich und geistig bis zur Ermüdung angestrengt wird, ist zu versuchen. Es darf nicht vergessen werden, daß ein altes wahres Wort Bakchus den Vater der Venus nennt. — Die Häufigheit der Pollutionen, wird durch leichte Bedeckung während der Nacht entschieden vermindert; es ist darauf zu dringen, daß morgens gleich nach dem Erwachen das Bett verlassen werde. Unter Umständen — bei sonst Kräftigen, welche durch anhaltende Erektionen im Schlaf gestört und zu erotischen Vorstellungen veranlaßt werden — kann die Darreichung von

Krankhafte Samenverluste.

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Impotenz.

Bromnairium in nicht zu kleinen Gaben (3 g je zweimal im Laufe der dem Schlafengehen voraus gelegenen sechs Stunden) von Nutzen sein. Man darf damit aber nicht zu lange fortmachen. Bei wirklicher Spermatorrhöe hat der Gebrauch von Kühlsonden — geschlossene Katheter, welche von kaltem Wasser durchströmt werden — großen Nutzen gehabt. Zumal, wenn es sich um übermäßige Erregbarkeit der Pars prostatica handelt. Ist diese entzündlich verändert, dann kann die örtliche schwache Ätzung mit Höllenstein vorteilhaft sein. Auch die elektrische Behandlung (konstanter Strom) wird von namhaften Ärzten empfohlen. Der Erfolg aller dieser Heilverfahren ist übrigens nicht nur durch die lokale Beeinflussung bedingt, die günstige Bückwirkung auf das Allgemeinbefinden muß ebenso dem Umstände zugeschrieben werden, daß der Kranke, davon überzeugt, es geschehe etwas Ernstes mit ihm und für ihn, sich geistig wieder aufrichtet. — Sind Störungen der Ernährung vorhanden, dann müssen diese sorgfaltig beachtet werden. Für die dyspeptischen Beschwerden gelten die allgemeinen Regeln, im besonderen wäre zu bemerken, daß Stryehnin in kleinen Gaben (dreimal täglich 0,001—0,003 g) manchmal gute Dienste thut. Etwa vorhandene Verstopfung muß unter allen Umständen beseitigt werden. — Kaltwasserkuren, ein Aufenthalt an der See oder im Gebirge kann gegen die allgemeine Herabstimmung von nöten werden. Die Bedingungen des Einzelfalls entscheiden über die Wahl des Orts. § 256.

Impotenz.

Als Impotenz wird ein Zustand bezeichnet, bei dem die Begattung zeitweilig gar nicht oder doch nur unvollkommen von dem Manne ausgeführt werden kann. Man findet manchmal mechanische Hindernisse: zu kleiner, zu kurzer Penis, Tumoren, Schwielen, Knoten in demselben, Penisknochen, Mißbildungen am Frenulum u. s. w. Diesen reihen sich pathologische Zustände der Hoden an: Atrophie, Fehlen derselben, Tumoren, die das Drüsengewebe vernichten. Weiter kommen Zustände allgemeiner Schwäche in Betracht, die vorübergehend (während und nach akuten Infektionen, überhaupt allen mit schwerem Fieber verlaufenden Zuständen) oder dauernd (unheilbare Kachexie, Tabes dorsalis, Diabetes mellitus u. s. w.) Impotenz im Gefolge haben. — Als wichtige Gruppe ist die zu nennen, wo trotz vollständiger Fähigkeit zur Begattung psychische Einflüsse dieselbe unmöglich machen — moralische Impotenz. Das findet sich verhältnismäßig häufig bei jung verheirateten Ehemännern, denen die' ersten Versuche zur Kohabitation mißlangen, weil keine ausreichende Erektion zustande kam. Entweder fand die Steifung des Gliedes überhaupt nicht statt, oder sie dauerte so kurz, daß die Ejakulation schon vor dem Eindringen des Gliedes in die weiblichen Geschlechtsteile stattfand und nun sofort dessen Abschwellung folgte {reizbare Sehwäche). Es handelt sich um Männer, welche vor dem Eingehen der Ehe ganz oder fast ganz keusch gelebt haben, daneben aber — und das ist die Mehrzahl — um Leute, die stark ausschweiften, besonders um solche, die der Onanie ergeben waren. Bei beiden kommt die Furcht, dm Coitus nicht vollziehen zu können, als wesentliches Hemmnis für den normalen Ablauf des Begattungsvorganges in Betracht — Es ist noch der paralytischem, Impotenz zu erwähnen, welche mit dauernder Unfähigkeit zu Erektionen einhergeht und 52*

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Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane.

Männliche Unfruchtbarkeit.

öfter mit Mangel des Geschlechtstriebes überhaupt verbunden ist. Der Zustand ist nicht häufig; noch seltener ist er angeboren, als durch Exzesse und Onanie erworben. Nicht immer ist eine objektiv nachweisbare Störung an den Genitalien dabei vorhanden, indes kommt solche als vorzeitiges Welkwerden derselben und als Hodenatrophie vor. Prognose und Behandlung richten sich nach den Ursachen. Operatives Eingreifen ist gegebenen Falls imstande, die mechanische Möglichkeit zum Beischlaf zu schaffen, mit der Besserung der allgemeinen Ernährung, mit der rückr kehrenden Kraft werden die Rekonvaleszenten potent. Die moralische Impotenz wird fast immer geheilt, und zwar von dem Augenblicke, wo es gelingt, dem Verzagten das Vertrauen zu sich selbst wiederzugeben. Es ist also im wesentlichen eine psychische Behandlung geboten — je nach Lage des Falles kann es wünschenswert werden, diese mit mechanischen Hilfsmitteln (Einlegen der Kühlsonde; Anwendung des galvanischen Stromes) oder mit innerlich gereichten Arzneien zu verbinden. Man wird, falls nicht anderweitige Störungen bestimmte Aufgaben stellen, nur indifferentes wählen, niemals aber zu den Aphrodisiaca, von denen nur die Kanthariden vielleicht etwas nützen können, greifen. — Die paralytische Impotenz giebt eine schlechte Prognose — für ihre Therapie kommt außer den Versuchen, die durch Ausschweifungen verloren gegangene Kraft so viel wie möglich wieder zu schaffen, noch die Elektrizität am meisten in Betracht. § 257. Männliche Unfruchtbarkeit. Trotz der Fähigkeit, in normaler Weise den Beischlaf auszuführen, kann der Mann zeugungsunfähig, unfruchtbar sein. Man unterscheidet Aspermatismus — es wird ein spermatoidenhaltiges Sekret abgesondert, dasselbe aber nicht durch die Ejakulation entleert — und Azoospermie — in der ejakulierten Flüssigkeit sind keine Samenfäden enthalten. Ursachen des Aspermatismus sind Störungen in der Wegsamkeit der Kanäle, durch welche der Same austritt, meist durch Gonorrhöe herbeigeführte Strikturen und Narbenbildungen in der Harnröhre und der Prostata. J e nach dem Sitz des Hindernisses wird der Same hier oder dort zurückgehalten; er kann nach Erschlaffung des Gliedes hervorquellen oder wird erst mit dem Harne entleert; vielleicht ist er zum größeren Teil bei dem Nachlaß der Erektion und der damit einhergehenden Aufhebung des hinter dem Caput gallinaginis gelegenen Abschlusses gegen die Blase in diese gelangt. — Wenn es durch chirurgische Eingriffe gelingt, die Samenwege zu öffnen, ist der Aspermatismus und damit die männliche Unfruchtbarkeit geheilt. Als seltenere Abnormitäten sind zu nennen: Während des selbst durch lange Zeit normal ausgeführten Coitus kommt es nicht zum Samenerguß und nicht zu dem damit verbundenen höchsten Grad der geschlechtlichen Lustempfindung — im Schlaf kann beides als regelmäßige Pollution stattfinden. — Nur bei der Kohabitation mit bestimmten Frauen bleibt der Samenerguß und das Wollustgefühl aus. — Anatomische Veränderungen sind beide Male nicht nachweisbar.

Die Azoospermie wird durch Leitungshindemisse innerhalb der Nebenhoden und der Vasa deferentia bis zur Einmündung der Samenbläschen, oder durch die Unfähigkeit der Hoden, Samen hervorzubringen, bedingt. Letzteres ist selten, das erstere keineswegs häufig und meist eine Folge von Gonorrhöe. Die Prognose dürfte fast stets absolut schlecht, von einer Therapie kaum die Rede sein.

XIII.

Krankheiten der Haut. § 258. Erkrankungen der Talgdrüsen. Die mit den Haarbälgen eng verbundenen Talgdrüsen sind von einfachem acinösen Bau, oder, wenn mehrere zusammentreten, nähert sich ihr Bau dem der traubenartigen Drüsen. Ihr Inhalt besteht aus fettig entarteten Epithelzellen, freiem Fett und Cholestearin; als unschuldigen Bewohner beherbergen sie öfter eine Milbe {Acorus follikulorum). Seborrhöe.

Wird der Talg in zu reichlicher Menge gebildet, dann redet man von Seborrhöe. Es wird eine doppelte Form derselben unterschieden: Seborrhoea oleosa, wenn das Sekret dünnflüssig bleibt, Seborrhoea sicca, wenn es erstarrt — beides kommt nebeneinander vor. Über den ganzen Körper verbreitet ist die Seborrhöe nur bei Neugeborenen zu finden (Vernix caseosa aus Fett der Talgdrüsen und aus Epidermis, die während des intrauterinen Lebens gebildet und angehäuft sind, bestehend). Nach dem Orte ihres Auftretens werden benannt: Seborrhoea capillitii: Bei Kindern, denen der aus dem intrauterinen Leben mitgebrachte Überzug wohl von den anderen Körperteilen, nicht aber vom Kopf entfernt wurde, weil dies nach der weit verbreiteten Volksmeinung ungesund sei. Durch den sich bald einbettenden Staub bilden sich bei fortdauernder Absonderung der Talgdrüsen dicke, schmutzig gefärbte, ziemlich fest anhaftende Krusten, unter welchen die Hautoberfläche wie mazeriert erscheint; nicht selten stellt sich ivirkliche Entzündung in den oberen Schichten der Haut (Ekzem) ein. Das Ganze wird unter dem Namen Grind zusammengefaßt. — Bei Erwachsenen ist entweder eine übergroße Äbscheidung flüssigen Fettes vorhanden, dann erscheint das Haar dauernd wie stark mit ö l getränkt, oder, es findet sieh der Talg in fester Form. Dadurch wird die Kahlköpfigkeit in hohem Grade begünstigt. Im ersten Fall ist wegen der sehr begünstigten Ansammlung von Staub, der an der fettigen Oberfläche leicht haftet, der Kopf schwer reinzuhalten, und die Haare verkleben untereinander. Bei der trockenen Seborrhöe sieht man weiße oder durch Schmutz gefärbte Talgschollen mit Epidermislamellen untermischt auf der Kopfhaut liegen und am Haare haften, welches dadurch wie bestäubt erscheint. — Auch hier kann es zur ekzematösen Entzündung kommen, namentlich dann, wenn durch Ranzigwerden des ungenügend entfernten Fettes Juckreiz auftritt und infolge davon gekratzt wird. — Die Seborrhoea fadei in beiden Formen ist nicht selten mit jener des Kopfes verbunden. Man sieht das Gesicht fettig

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Krankheiten der Haut.

glänzen oder mit weißen Schuppen bedeckt, die namentlich an den Ausläufern des Stirnhaares, sowie an und über den Augenbrauen in größeren Mengen angehäuft sind. Bei schwererer Erkrankung, welche nach Pocken sehr oft sich ausbildet, können diese Schuppen zu dicken Krusten zusammenfließen. Nur selten ist das ganze Gesicht davon überzogen. — Die Mündungen der Talgdrüsen sind regelmäßig erweitert; die nicht leicht von ihnen zu entfernende Kruste trägt an ihrer inneren Seite kleine zapfenähnliche Vorsprünge, Abdrücke der Drüsengänge. — Übergänge in Lupus erythematosus (§ 259) kommen vor. — Seborrhöe zeigt sich ferner noch am Nabel, an den Geschlechtsteilen, sowie an einzelnen Stellen der Brust und des Rückens. — Die Prognose ist meist gut, die Heilung erfordert aber viel Zeit Die Therapie besteht in: Entfernung des vorher erweichten Sekrets: Glycerin mit Wasser oder Alkohol (eins zu vier) oder Vaselin, auch einfache Fette werden eingerieben, und in schweren Fällen unmittelbar nachher die leidenden Teile mit Flanellstreifen, welche mit diesen Massen durchsetzt sind, bedeckt. Solche „Masken" bleiben 12 Stunden liegen, sie werden nach Ablauf dieser Zeit zweibis viermal erneuert. — Dann wird die Haut mit warmem Seifenwasser gereinigt — Nun folgt die Anwendung der Schmierseife; diese selbst wird drei Tage lang dreimal täglich in die erkrankten Teile eingerieben, oder bei langem Haar dazu eine Lösung derselben in Alkohol (R 67) verwandt. Wird die Reizung der Haut zu stark, entsteht namentlich Ekzem, dann hört man mit den Einreibungen auf, läßt aber erst nach drei Tagen vom Anfang an gerechnet die Seife durch Waschung entfernen; so lange ist mit dem Abwaschen überhaupt zu warten. Am zweiten Tage nach dem Abwaschen darf eine milde Salbe (TJguent. rosatum oder leniens) eingerieben werden. Um Becidive zu verhüten, wird eine alkoholische Lösung von Chloralhydrat (5 °/0) zweimal täglich, Karbolsäure (0,15 °/u) oder Gerbsäure in Salbenform (10 °/0) empfohlen. Gegen das Ausgehen der Haare werden Reizmittel des Haarbodens (R 16) zur Anwendung gebracht. — Genügt solch einmaliger Cyklus nicht, dann muß er in Zwischenräumen wiederholt werden. — Bei leichteren Formen und bei ambulanter Behandlung soll abends eine Einreibung von ö l stattfinden, welches morgens durch Abreibung mit einem trockenen Tuch entfernt wird. Morgens und abends wird das Gesicht mit einer Lösung von Kaliwmr karbonat, der offizinellen (1 Teil des Salzes auf 3 Teile Wasser) oder ihrer Verdünnung bis zum Vierfachen, und mit Wasser gewaschen, nachher wird ein wenig Vaselin eingerieben. — Die Seborrhöe der Genitalien wird durch dreimal täglich zu wiederholende Waschungen mit l0j0 wässeriger Karbollösung und nachheriges Bepudem am besten behandelt. Asteatosis.

Die ungenügende Absonderung von Hautfett (Asteatosis) bewirkt Trockenheit und Rissigkeit der Haut, ein häufiger im Gefolge anderer Hauterkrankungen, als selbständig auftretendes Übel, Es muß durch Einreibung von Fetten der Mangel ersetzt werden. Komedonen.

Bleibt verhärterter Hauttalg in den Ausführungsgängen zurück, dann ragt die leicht geschwellte Drüse etwas über die Umgebung hervor, an ihrer Mündung durch den vom Staub braun bis schwarz gefärbten Talgpfropf bezeichnet. Übt

Erkrankungen der Talgdrüsen.

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man einen vom Grunde gegen die Mündung der Drüse gerichteten Druck aus, so entleert sich der Inhalt als wurstartige, oben schwärzlich, dann gelblich gefärbte Masse, die meist in den oberen Teilen etwas härter, in den unteren weicher ist. Sie besteht aus Fett, Cholestearin und fettig zerfallenden Zellen und ist nach außen von einer Schicht Epidermiszellen umgeben. Neigung zw Entzündung der Drüsen ist vorhanden. Komedonen sind am reichlichsten im Gesicht, an dem Nacken und dem Kücken, auch wohl an den Genitalien. Man entfernt den Drüseninhalt durch Druck (Uhrschlüssel, Nägel) und wäscht nachher einige Zeit die Haut mit einer stärkeren Kaliseife. Milium.

In einer anderen Form zeigt sich der gleiche Vorgang, wenn hinter der durch das Sekret verschlossenen Mündung eine offenbar so langsam und allmählich, daß entzündliche Heizung vermieden wird, geschehende Anhäufung stattfindet. Ohne daß der Ausführungsgang sichtbar würde, sammelt sich innerhalb der Drüse ihr Sekret an und wölbt dieselbe als Ganzes leicht hervor, so daß, von einer dünnen Epidermisschicht bedeckt, bis hirsekorngroße Knötchen zum Vorschein kommen. — Milium ist im mittleren Lebensalter, Komedo im früheren namentlich während des unmittelbar auf die Geschlechtsreife folgenden, häufiger. Um die Milien zu entfernen, muß man die sie bedeckende Haut ritzen und nachher leichten Druck üben. Die Nachbehandlung ist die gleiche wie bei den Mitessern. Das Atherom, — die Grützgeschwulst — wird herkömmlich in der Chirurgie abgehandelt; obgleich sie die nämliche Entstehung hat. Acne Simplex.

Wenn in einer Talgdrüse Entzündung auftritt — häufig ist das mit Komedonenbildung verbunden und im Gesicht, auf der Brust und auf dem Rücken sind die Effioreszenzen am reichlichsten — spricht man von Acne. Aus dem vom Mitesser herstammenden Knötchen bildet sich eine von rotem Entzündungshof umgebene eiterführende Pustel, welche an ihrer Spitze nicht selten den schwarzen Punkt" desselben trägt. Die Entzündung kann in die Nachbarschaft sich ausdehnend zu einer, selten an sich umfangreichen, wohl aber durch Zusammenfließen mehrerer Herde etwas stärkeren Eiterbildung führen, welche, in die Tiefe greifend, Narben hinterläßt. In schwereren Fällen kann so eine dem Vorgang bei der Furunkulose ähnliche örtliche wie allgemeine Störung hervorgerufen werden. Das Leiden ist äußerst hartnäckig, die Lebenszeit von der Pubertät bis zur Mitte oder bis gegen das Ende der zwanziger Jahre wird am häufigsten befallen. — A l s beste Behandlung empfiehlt L A S S A R die Anwendung seiner Schälpaste (R 48). Sie wird je nachdem der Fall schwer oder leicht ist in verschieden dicker Schicht aufgetragen und bleibt 15—30 Minuten liegen. Dann nach sorgfältigem Abwischen pudern oder L A S S A R ' S Paste ( R 80). Stärkere Knoten oder Eiterpusteln werden vorher geritzt. Zu beachten ist, daß nach dem innerlichen Gebrauch von Jod- und Brompräparaten eine Acne auftreten kann, welche mit dem Aussetzen der Mittel verschwindet. Acne rosacea.

Bei der Acne rosacea (nach der hauptsächlichen oder doch der am meisten in die Augen fallenden Lokalisation auch Kupfernase genannt) treten zu der

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Krankheiten der Haut.

Entzündung der Talgdrüsen noch andere Veränderungen: Erweiterungen der

feineren

Blutgefäße und Hypertrophie des Bindegewebes, hinzu. Man sieht an der Nase, der Wange, den unteren Teilen der Stirn, den oberen des Kinnes die ausgedehnten und geschlängelten Blutgefäße in ihren Zwischenräumen Knötchen der Acne simplex einschließen, aber bei den schweren Formen auch vielgestaltige Wülste und Knollen gewucherten Bindegewebes durchziehen. Das Volk redet von Gurken- oder Traubennase und schreibt, nicht immer mit Unrecht, dem übermäßigen Genuß konzentrierter Alkoholika (Kümmel-, Schnapsnase) die manchmal erhebliche Entstellung zu. — Die Heilung ist nicht leicht zu erreichen. Selbst wenn ein Gewohnheitstrinker Entsagung lernt — immerhin ein nicht häufiges Vorkommnis — bleibt ihm die Acne. In den leichteren Graden wird die gleiche Behandlung wie bei der Acne simplex empfohlen. Bei höherer Entwicklung des Übels sucht man durch Stichelung der erweiterten Gefäße diese zum Verschluß zu bringen, wobei die Regel gilt, daß man allmählich vorgehen muß. Sind reichliche Bindegewebswucherungen (Knollen) vorhanden, dann nützt einzig eine durch den Schönheitssinn des Operateurs zweckmäßig geleitete Exstirpation. Sykosis simplex (Mentagra).

Die an den stärker behaarten Teilen des Körpers, namentlich in der Bartgegend, auftretende Entzündung der Haar- und Talgdrüsen, wobei es zur Bildung von Knötchen, von Knoten und, durch deren Zusammenfließen, zu Infiltraten, welche über größere Flächen ausgebreitet sind, kommt, und wobei später Vereiterung eintritt, nennt man Sykosis oder Mentagra. Die Knötch en sind von einem Haar in ihrer Mitte duchbohrt, sie treten im Beginn des Leidens vereinzelt, später in größerer Anzahl und meist dicht gedrängt, auf. Der in ihnen gebildete Eiter fließt zu einer durch sein Austrocknen entstehenden festen Kruste zusammen, unter der nun die Entzündung weiter geht. Andere Male kommt es zu Granulationsbildungen, welche in der Form von unregelmäßig zerklüfteten Wülsten die Haut überragen, oder zu Formen, welche dem Furunkel gleichen. — Das Haar an den ergriffenen Stellen fallt aus; der sich selbst überlassene Krankhheitsvorgang heilt nach langsamem Verlauf mit Hinterlassung flacher Narben. Die Behandlung besteht darin, daß man zunächst täglich rasiert, dann die Haare an den erkrankten Stellen mittels der Pinzette einzeln entfernt und die Knoten mit einem schmalen Messerchen einschneidet. Nachher werden die kranken Teile mit Schälpaste eine Stunde lang bedeckt, wenn diese entfernt ist mit L A S S A R ' S Paste verbunden. — Viele Bartflechten heilen, wenn man nur nachts die LASSAR'sche rote Salbe (R 42) dick aufträgt und durch einen Verband an Ort und Stelle befestigt. — Für den Tag kann man dann Resorcinsalbe (10 °/0) anwenden ( L A S S A R ) . Sykosis parasitica.

Die parasitäre Sykosis ist von der einfachen ätiologisch verschieden, während bei dieser eine Ursache des Übels nicht bekannt ist, findet sich bei der parasitären ein Filz — Trichophyton tonsurans. Im übrigen sind die Verhältnisse die gleichen.

§ 259. Lupus erythematosus.

Die Entwicklung des Lupus erythematosus geht so vor sich: Stecknadelkopfe s erbsengroße,* getrennte oder zu Gruppen vereinigte gerötete Flecke oder

Erkrankungen der Talgdrüsen. Lupus erythematosus.

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Knötchen, bei Fingerdruck erblassend, auf harter Basis aufsitzend mit flacher Vertiefung in der Mitte, welche weiß oder mit dünnen, fest aufliegenden Schüppchen bedeckt erscheint, zeigen sich zuerst im Gesieht, immer in größerer, bisweilen in sehr großer Anzahl. Das Centrum entspricht dem Ausführungsgang eines Follikels, welcher erweitert ist; in ihn ragt ein aus Epidermis und Hauttalg bestehender Zapfen hinein. — Nun bildet sich der Fleck in doppelter Weise weiter: Der rote geschwellte Wall breitet sich nach der Fläche hin aus, sich scharf gegen die gesunde Haut absetzend, mit gelb-weißen und trockenen oder mit fettig sich anfühlenden gelben Schüppchen und offenen oder durch Komedonen angefüllten Mündungen der Follikel bedeckt. Das Centrum rückt nach, indem es sich mehr vertieft, ein narbiges Aussehen und narbige Härte annimmt; es ist gleichfalls mit Schuppen versehen. Durch Zusammenfließeu mehrerer kleiner Flecke entstehen ebenso wie durch das Weiterwandern eines einzigen größere Scheiben, die unregelmäßig begrenzt erscheinen und allmählich einen sehr großen Teil der Gesichtshaut überziehen. Die Nase, die Ohren, die Gegend um den Mund und um die Augenlider, aber auch der behaarte Kopf werden so befallen; die Haare werden überall dauernd vernichtet. — Nach Ablauf längerer Zeit — oft von Jahren — tritt Heilung ein, meist mit Narbenbildung, seltener mit vollkommener Wiederherstellung der Haut. Leichtes Jucken ist außer der Entstellung das einzige, was bei dieser Form — dem Lupus erythematosus discoides — den Kranken belästigt. Anders bei dem Lupus erythematosus aggregatus: Hier bilden sich in kurzer Zeit nicht nur im Gesicht, sondern auch an anderen Teilen des Körpers sehr zahlreiche Flecken, die, isoliert oder dicht nebeneinanderstehend, mit Borken und Krusten bedeckt sind, so daß sie wie ein impetiginöses Ekzem erscheinen. Solche Schübe folgen rasch aufeinander oder sie sind durch längere Zwischenräume getrennt. Es kann dabei geschehen, daß eine erste Eruption, örtlich beschränkt bleibend, das Bild der discoiden Form liefert. Diese Beschränkung trifft nicht nur das Gesicht; der Nacken, die Arme, Finger und Zehen können ebenso gesondert erkranken. — Man findet weiter noch als Begleiter eines allgemeinen Ausbruches: 1. hasel- bis walnußgroße, vielleicht gar in das Unterhautgewebe sich erstreckende Knoten, welche schmerzhaft sind, und nach wenigen Tagen verschwindend auf der sie bedeckenden Haut die charakteristischen Lupusflecke zurücklassen. 2. Anschwellungen, gleichfalls mit Schmerz verbunden, um die Gelenke. 3. Knochen- und Kopfschmerzen, besonders nachts sich verstärkend. 4. Schwellungen der Lymphdrüsen, mit dem Einzelanfall kommend und gehend. Mit all diesem kann eine Lupuseruption in loco affecto verbunden sein. 5. Erysipel beschränkt oder sich ausbreitend — eine sehr häufige Komplikation. — Nicht nur das Erysipel ruft Fieber hervor, solches ist mit jedem neuen Ausbruch verbunden und manchmal ziemlich bedeutend. — Über die Ätiologie ist nicht viel bekannt; irgend welche Beziehung zur Tuberkulose dürfte bestehen. Der Lupus entwickelt sich bisweilen nach, Pocken, vielleicht aus der Seborrhöe, welche vorherging, entstehend. Das mittlere Lebensalter und das weibliche Geschlecht scheinen bevorzugt. Anämie sowie eine chronische Erkrankung der Genitalien des Weibes sollen häufig neben der Krankheit zu finden sein. Anatomisch handelt es sich um eine Entzündung der Guiis, bei welcher die Follikel meist stärker beteiligt sind.

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Krankheiten der Haut.

Die Prognose der aggregierten Form ist quo ad vitam nicht unbedingt günstig. Als örtliches Übel betrachtet, zeigt sich die Krankheit äußerst hartnäckig. Die Behandlung ist vollständig empirisch. E s wird von allen Seiten hervorgehoben, daß die verschiedenen Ätzmittel, schwache (Kaliseife) wie starke (kaustische Alkalien und Mineralsäuren), einmal günstig, das andere Mal ungünstig wirken. Man muß mit den einzelnen Mitteln und ebenso mit der Konzentration derselben wechseln, bis man das für den gegebenen Fall geeignete gefunden hat. Neuerdings wird die Pyrogallussäure (1 auf 10 Vaselin) sehr empfohlen. Man läßt diese Salbe auf Leinen gestrichen 3 — 4 Tage lang, bis sich ein Schorf gebildet hat, wirken, und bestreut denselben dann mit einer dicken Schicht von Jodoform, das mit Jodoformgaze bedeckt und durch einen Verband befestigt wird. Vielleicht noch günstiger wirkt das Emplastrum hydrargyri, mit welchem die betroffenen Teile fest bedeckt werden. In sehr hartnäckigen Fällen bleibt nur der chirurgische Eingriff: Stiche] ung, oder galvanokaustische Verschorfun g werden dem Ausschaben mit Hilfe des scharfen Löffels vorgezogen. § 260. Anomalien der Schweißabsonderung.

Ephidrosis.

Über die Norm gesteigerte Schweißbildung nennt man, wenn sie sich auf den ganzen Körper erstreckt: Hyperhidrosis, wenn sie nur einen Teil desselben einnimmt: Ephidrosis. — Es sollen hier die habituellen, kaum als krankhaft zu bezeichnenden Zustände, obgleich sie allerdings für den damit Behafteten sehr lästig werden können, besprochen werden. Dazu gehören die lokal vermehrten Schweiße an den Händen, an den Füßen, in der Achselhöhle, an den Genitalien und in der Umgebung des Afters. Abgesehen von dem unangenehmen Gefühl der feuchten Kälte, welches mit der Berührung einer stark schwitzenden Hand verbunden ist, fuhren alle Ephidrosen so ziemlich zu dem gleichen: zur Maxeration der Epidermis und zu Einrissen in dieselbe, sogar Oeschwürsbildung kann folgen. Wenn nicht die sorgfaltigste Reinlichkeit geübt wird, faulen die abgestoßenen Hautteile an Ort und Stelle, so daß die Ausdünstung einen entsetzlich widerwärtigen, kaum zu ertragenden Gestank annimmt; namentlich an den Füßen geschieht das. — Die Behandlung hat kaum je Aussicht, die örtliche Anomalie zu beseitigen, sie muß sich damit begnügen, ihre Folgen zu verhüten oder zum Verschwinden zu bringen. — In erster Linie ist Reinlichkeit zu empfehlen: mehrmals täglich wiederholtes Waschen mit Seife, oder mit verdünnten alkoholischen Flüssigkeiten. Nach dem Waschen wird die Haut mit einem Streupulver (gewöhnlicher Puder, Lykopodium, Talk mit 1 / a °/0 Salicylsäure versetzt) eingestäubt. Die Kleider müssen häufig gewechselt werden, bei den an Fußschweiß Leidenden mehrmals täglich die Strümpfe. — Haben sich Schrunden (Intertrigo) gebildet, dann sind diese mit einem nicht ranzig werdenden Fett (am besten Vaselin) einzureiben. Fußschweiße werden am ehesten noch durch den fortgesetzten Gebrauch des HEBEA'schen Unguent. diachyli in Schranken gehalten. Die Vorschrift lautet: während eines Zeitraumes von zwei bis drei Wochen soll der Fuß, im Anfang einmal sorgfaltig gewaschen und gereinigt, täglich ohne gebadet zu werden in eine mit der genannten Salbe mehrere Millimeter dick bestrichene Leinenumhüllung gebracht werden. J e nach 24 Stunden wird der Umschlag erneut, nachdem die Haut mit ö l von der sie bedeckenden Salbe oberflächlich befreit

Anomalien der Schweißabsonderung.

Erytheme.

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oder nur trocken abgerieben ist. Ist die festgesetzte Zeit vorüber, dann wird nach vorhergegangener gründlicher Reinigung mit ö l Baden und Einpulvern wie an den anderen Hautstellen empfohlen. — Meist soll eine derartige Behandlung f ü r längere Zeit ausreichen. Änderungen in der Zusammensetzung des Schweißes.

Es kommt Färbung des Sehweißes (Chromhidrosis) in seltenen Fällen zur Beobachtung, am häufigsten wohl noch ist die blaue. Auch Beimischung von Blut, welches aus den Gefäßen der Schweißdrüsen austritt (Hämathidrosis), ist beobachtet. Einzelne Leute haben einen überaus übelriechenden Schweiß — namentlich wieder an den Füßen macht sich das geltend — , man redet dann von Osmidrosis. Alle diese Zustände sind keiner besonderen Behandlung zugänglich; bei dem letzten ist einzig die sorgfältigste Reinlichkeit imstande, das Übel erträglich zu machen. Bläschenbildung durch Schwitzen.

Bei stark Schwitzenden, namentlich bei fettleibigen Leuten erdsteht besonders dort, wo die Haut von festanliegenden Kleidern bedeckt ist, oder wo sich in ihr natürliche Falten und Höhlen bilden, ein Ausschlag, welcher auf gerötetem Gründe Bläschen (Sudamina) zeigt. Diese sind meist von Stecknadelkopfgröße, sitzen dicht gedrängt nebeneinander, trocknen nach 1—2 Tagen ein, werden aber durch Nachschübe erneut. Jucken ist immer damit verbunden. Die einzelnen Knötchen sind rot (Miliaria rubra) oder, wenn die sie bedeckende Epidermis mazeriert ist, weiß (Miliaria alba). Der Übergang in nässendes Ekzem findet nicht selten statt; das Ganze wird von der HEBBA'schen Schule überhaupt zum Ekzem gerechnet. — Wohl zu unterscheiden ist die Miliaria crystallina, der Friesel. Es zeigen sich gleichfalls Bläschen von der Größe eines Stecknadelkopfes bis zu der einer Linse, mit einem wasserklaren Inhalt gefüllt, so daß sie Tautropfen ähnlich auf der H a u t hervortreten. Wie der Schweiß selbst reagiert der Bläscheninhalt alkalisch, neutral oder sauer; letzteres ist nicht selten. Jucken zeigt sich hier nicht, die Bläschen trocknen ein, und eine leichte Abschuppung bleibt an Ort und Stelle zurück, einem schmalen Ringe gleich, so die ursprüngliche Kugelform andeutend. Anatomisch handelt es sich um eine Ausdehnung der Ausführungsgänge der Schweißdrüsen durch Verlegung oder um eine zu starke Sekretion; die Hornschicht wird dabei abgehoben und bildet die Decke des Bläschens. Nach neuerer Auffassung liegt eine echte Entzündung des Papillarkörpers und des Epithels vor. Man hat früher von dem Schweißfriesel als einer eigentümlichen Infektionskrankheit gesprochen und namentlich die von Ende des 15. bis über die Mitte des 16. Jahrhunderts beobachteten Epidemien des englischen Schweißes damit in Verbindung bringen wollen. Ob es wirklich eine solche Erkrankung giebt, ist eine nicht allgemein bejahte Frage. Daß Frieselbildung auf der Haut bei einer Reihe von Infektionskrankheiten vorkommt (Pneumonie, Scharlach, pyämische Prozesse, Typhoid u. s. w.) ist sicher. § 261.

Erytheme.

Eluxionshyperämien der Haut, einerlei, ob sie mit leichter entzündlicher Exsudation verbunden sind oder nicht, werden als Erytheme bezeichnet; man unterscheidet davon die kleineren, wenige Millimeter im Durchmesser haltenden,

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Krankheiten der Haut.

scharf umschriebenen Flecke, welche aus dem gleichen Geschehen hervorgehen, als Boseola. Charakteristisch für diese ist die auf einen Teil der Haut beschränkte Rötung, welche dem Fingerdruck weicht, anfangs und bei den leichteren Formen überhaupt eine vollkommen normale, bei den schwereren hingegen eine leicht bräunliche Färbung hinterläßt. Im letzten Falle pflegt auch eine geringe Abschilferung der Epidermis zu folgen. Etwas Schwellung der Haut findet sich regelmäßig bei den Erythemen; subjektiv kommt es zur Empfindung von Spannung, vielleicht zu schwachem Juckreiz. — Die Ursachen der Erytheme sind sehr verschiedenartig: es wird die Scham- und Zornröte ebenso hierher gezählt, wie die bei manchen Infektionskrankheiten durch Lokalisation der Krankheitserreger in der Haut auftretenden oberflächlichen Entzündungen derselben — überhaupt ist die ganze Gruppe eine rein symptomatisch gebildete, der inneren Einheit entbehrende. Erythema nodosum.

Erythema nodosum (plagiforme) zeichnet sich aus durch das Auftreten von umschriebenen, teigig weich anzufühlenden Geschwülsten in der Haut, welche erbsen- bis faustgroß werden, blaßrot anfangs gefärbt sind, dann dunkelrot, blau, endlich grün oder gelb werden, spontan und bei Druck schmerzen, nur selten jucken. — Vereiterung der Knollen kommt so gut wie niemals vor, ihre Rückbildung findet im Laufe einiger Wochen statt. Dem äußeren Anblick nach ist die Ähnlichkeit mit Beulen, welche durch Gewaltwirkung entstanden sind, eine fast vollständige. — Sitz des Erythema nodosum sind die Extremitäten, namentlich die unteren, aber auch das Gesicht und der Rumpf. In seltenen Fällen entstehen die gleichen Knoten auf der Zunge und in der Mundhöhle; hier zerfallen sie leicht und hinterlassen Geschwüre. Es kann die Zahl der Geschwülste eine ziemlich beträchtliche werden, zumal wenn sie nicht mit einem Male, sondern in mehrfachen Schüben zur Entwicklung gelangen. Nicht selten sind Übergangsformen zum Erythema exsudativum multiforme. — Fast immer ist das Erythema nodosum mit einer Störung des Allgemeinbeiindens verbunden. Fieberbewegungen bis zur Höhe von mehr als 40° gehen dem Ausbruch der Hauterkrankung vorher und begleiten sie, ebenso sind dyspeptische Beschwerden regelmäßiger vorhanden. Von manchen wird eine leiehte Entzündung der Gelenke als häufige Erscheinung angegeben; von anderen wird sogar über eine gleichzeitige Pleuritis, Endokarditis und Perikarditis berichtet. Diese Form steht zur Sepsis in nächster Beziehung. — Es scheint nach allem, daß die Bildung der beschriebenen Beulen aus ganz verschiedenen Gründen geschieht. Cklorosis als Bluterkrankung scheint unter Umständen einen nicht näher bestimmbaren Einfluß zu üben. — Die Schmerzhaftigkeit wird am besten durch örtliche Anwendung der Kälte beseitigt; im übrigen ist die Behandlung symptomatisch. Erythema exsudativum multiforme.

Sie Grundform des Erythema multiforme sind abgeflachte Knötchen und Knoten, linsen- bis bohnengroß, blaurot gefärbt, welche von einem roten Hof umgeben sind. Hand- und Fußrücken sind der Lieblingssitz, an ihnen tritt der Ausschlag doppelseitig auf. Schon selten werden die Extremitäten, noch seltener Stamm und Gesicht befallen. — In weiterer Entwicklung dehnen sich die Knoten, flacher werdend, über ihre nähere Umgebung aus, gleichzeitig erblassen sie im

Erytheme.

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Centrum, so daß nun eine rote Kreisfläche gebildet wird. Manchmal ist diese von einer zweiten konzentrischen umgeben, andere Male fließen die verschieden centrierten Kreise an ihrer Peripherie ineinander über; so entsteht ein sehr wechselndes Aussehen. Die Dauer des ganzen Vorgangs beträgt meist einige, höchstens bis acht Wochen. Die immer erfolgende Heilung geschieht unter leichter Flgmentierung der Cutis und geringer Abschilferung der Epidermis. Erythema multiforme kehrt bei dem einmal Ergriffenen leicht wieder; oft um die gleiche Jahreszeit. Bevorzugt sind Frühling und Spätherbst. Es kommt dann bisweilen sogar zu auffallenden Häufungen der Erkrankung. — Heftigere Allgemeinerscheinungen sind nicht damit verbunden; Jucken, Brennen und Schmerz an den erkrankten Teilen erreichen nur selten einen höheren Grad. — Von Anderen wird dagegen das Zusammenfallen des multiformen Erythems mit akutem Gelenkrheumatismus oder wenigstens mit einer Gelenk- und Herzerkrankung, die mit Fieber verläuft, angenommen. Einige meinen, daß Krankheiten der serösen Häute überhaupt mit dieser Form des Erythems einhergehen können. Auch hier spielt manchmal Sepsis mit. — Das Leiden an sich ist nicht häufig. — Der Behandlung bedarf es meist nicht. Urticaria.

Urticaria (Nesselausschlag, auch Nesselfieber) ist gekennzeichnet durch die rasche Entwicklung weißer oder roter, sieh über die Haut erhebender, stark juckender, meist in größerer Anzahl auftretender Quaddeln, welche nach kurzem, Bestände, ohne weitere Spuren als vielleicht eine leichte Pigmentierung zu hinterlassen, verschwinden. — Urticaria kommt am ganzen Körper, aber auch auf einzelne Teile desselben beschränkt vor; bei der im Gesicht entstehenden ist Schwellung und Gedunsensein desselben ganz gewöhnlich, an anderen Stellen der Haut zeigt sich das minder deutlich oder gar nicht. — Der Ausbildung der Quaddel geht das Gefühl von Spannung und Wärme vorher, nach wenig Minuten wird es von heftigem Juckreiz abgelöst. Eine Quaddel folgt der anderen so rasch, oder viele treten zusammen in so kurzer Zeit auf, daß nach weniger als einer Stunde der ganze Körper damit bedeckt erscheint. Ob die Quaddel weiß oder rot gefärbt ist, hängt von der Füllung des Papillarkörpers mit Blut ab. Durch das Überfließen der einzelnen Ausbrüche ineinander kommt auf der Haut ein buntes Gewirr von sich kreuzenden Linien und Flächen zum Vorschein. — Die Rückbildung geschieht an der einzelnen Quaddel vom Centrum zur Peripherie — an dieser läßt sich durch Reiben die verblaßte Zeichnung oft noch wiederherstellen, was für die Diagnose nicht ohne Bedeutung ist. Urticaria entsteht durch sehr, verschiedene Veranlassungen; man muß die unmittelbar die Haut treffenden Reize von jenen trennen, welche auf dem Blutwege zur Einwirkung gelangten. Als Hautreize wirken Insektenbisse und Stiche, das Gift der Brennnessel u. s. w. Bei Empfindlichen kommt es vor, daß sich der Einfluß eines solchen Reizes nicht unbedeutend über den Punkt, wo er angriff, hinaus erstreckt. — Nach dem Genuß bestimmter Dinge — bei dem einen sind es diese, bei dem anderen jene — , die an sich den meisten nicht die geringste Beschwerde verursachen (Miesmuscheln, Krabben, Erdbeeren u. dgl.), tritt bei manchen Menschen Urticaria auf. Man darf hier von einer Idiosynkrasie reden, und es ist nicht unmöglich, daß auch starke Gemütsbewegungen ähnlich jenen minimalsten Reizen imstande siud, das vasomotorische Nervensystem so zu be-

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Krankheiten der Haut.

einflussen, daß eine Quaddelbildung auf der Haut erfolgt. In gleicher Weise ist vielleicht das häufigere Auftreten der Urticaria bei chronischen Uterin- und, Ovarialleiden zu deuten. — Weiter stellt sich mit Magenüberladung, einerlei wodurch solche hervorgerufen wurde, bei zahnenden Kindern, im Gefolge von Infektionen (Malaria) Urticaria ein. — Dem verschiedenartigen Ursprung entsprechend verhält sich auch das Allgemeinbefinden verschieden: Urticaria kann mit Fieber und gastrischen Symptomen, sie kann sogar (bei den idiosynkratischen Formen) mit ziemlich heftigen Hirnerscheinungen einhergehen, sie kann aber auch ein nur durch das starke und hartnäckige Jucken lästiges rein örtliches Leiden bleiben. — Für gewöhnlich ist die Datier sehr beschränkt, nimmt nur wenige Tage, vielleicht nicht einmal einen einzigen in Anspruch. Es kommt indes eine chronische Farm vor, welche Monate oder Jahre anhält; man redet dann von Nesselsucht. — Die Behandlung des prognostisch durchaus günstig zu beurteilenden Übels muß sich nach den Grundleiden richten. Die chronische Form weicht mitunter dem anhaltenden Gebrauch des Arsens (0,005 bis 0,01 g den Tag). — Auch Atropin (zu 0,001 bis 0,002 g pro die) wird empfohlen. — Gegen das Jucken nützt in vielen Fällen die subkutane Injektion von 0,01 g Morphium; es scheint sogar, daß manchmal die Dauer des akuten Vorgangs dadurch wesentlich abgekürzt wird. Im übrigen sind kalte Waschungen, Bäder oder Douchen als Erleichterungsmittel zu empfehlen.

§ 262. Herpes. Als Herpes (Bläschenflechte) wird ein in der Form von hanfkomgroßen, xu Gruppen vereinigten, anfangs scharf geschiedenen, später oft zusammenfließenden, von einem gemeinschaftlichen, geröteten Hof umgebenen Bläschen auftretender Ausschlag bezeichnet, welcher meist nicht mit einem Male, sondern in zeitlich mehr oder weniger auseinander liegenden Schüben entsteht. Der Inhalt der Bläschen ist anfangs serös, er kann es auch bleiben und durch Resorption vollständig verschwinden; dann stößt sich die obere Schicht der Haut oder Schleimhaut ab, eine nach kurzer Zeit wieder vergehende Bötung hinterlassend. In schwereren Fällen handelt es sich um eine tiefer greifende Entzündung: es treten weiße, sowie rote Blutkörperchen und gelöster Blutfarbstoff in die Bläschen über, der Entzündungshof wird dunkler, die Heilung findet nur mit einer manchmal recht beträchtlichen Narbenbildung statt. Herpes facialis.

Nach seinem Sitze wird der Herpes facialis aus der Gruppe abgetrennt. A n den Lippen und an der Nase, zum Teil die Haut, zum Teil die Schleimhaut einnehmend, findet er sich am häufigsten und erscheint gewöhnlich in der anatomisch schwächsten Form der Entzündung. Es ist bekannt, daß leichte Erkrankungen des Magen-Darmkanals und Katarrhe der Luftwege, dann von den Infektionskrankheiten Pneumonie, Malaria und epidemische Cerebrospinalmeningitis öfter von Herpes im Gesicht begleitet werden. Übrigens kommt er auch bei vielen anderen Erkrankungen vor, so daß er eine differentialdiagnostische Bedeutung nur in beschränktem Umfange beanspruchen kann. Erwähnenswert ist noch das Auftreten von Herpes (Herpes gntturalis) auf der Schleimhaut des Bachens — dieser kann zur Verwechslung mit Diphtherie Veranlassung geben.

Herpes.

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Herpes progenitalis.

Gleichfalls nur durch seinen Sitz ist der Herpes progenitalis ausgezeichnet: beide Blätter der Vorhaut, die Eichel, aber auch der Rücken des männlichen Gliedes, die Schamlippen bei dem Weibe und der Möns Veneris werden davon befallen. Wiederum sind es die oberflächlichen Formen der Entzündung, mit wasserklarem oder doch nur leicht getrübtem Inhalt der Bläschen. Bei Unreinlichen kann es zur stärkeren Entzündung kommen, namentlich wenn nach Entfernung der die Bläschen bedeckenden Epidermis zersetzte Sekrete zur Einwirkung gelangten. Ätzungen, welche nicht selten nach einem verdächtigen Koitus von dem sich angesteckt Glaubenden vorgenommen werden, führen noch leichter zur Eiterung und zu schwacher Infiltration des Geschwürbodens. Kommt nun gar eine Anschwellung der Inguinaldrüsen hinzu, dann ist die Möglichkeit der Verwechslung mit einer spezifischen Infektion, besonders der mit Schanker, nahe gelegt. Selbst von erfahrenen Spezialisten wird das zugegeben, um so eher, als nach seltenem Gebrauch der Genitalien verhältnismäßig oft an ihnen Herpes erscheint. Die weitere Beobachtung bei sorgfältigem Reinhalten und reizlosem Deckverband der verdächtigen Stellen wird bald die Entscheidung bringen — von der öfter empfohlenen Probeimpfung kann doch wohl nur ausnahmsweise die Rede sein. Es kommt, aber nicht häufig, vor, daß in Verbindung mit Infektionskrankheiten am ehesten noch mit der genuinen Pneumonie sich an vielen Teilen des Körpers Herpesbläsehen entwickeln. Eigene Benennungen dafür sind überflüssig. Herpes zoster.

Von den genannten Formen ist der Herpes zoster (Zona; Gürtelrose) nach vielen Seiten hin unterschieden. Anatomisch schon dadurch, daß es sich dabei um tiefergreifende, in das Gewebe der Cutis, nicht selten sogar in deren unterste Schichten eindringende, diese zerstörende und deshalb mit Narbenbildung heilende Entzündung handelt. Es kann sogar zu echter Gangrän kommen. Der Inhalt der Bläschen, welche größer zu werden pflegen, ist eitrig oder bluthaltig, die Umgebung ist stark gerötet und infiltrirt. Der Zoster folgt in seiner Verbreitung einem oder mehreren Hautnerven, wobei es vorkommt, daß die Einzelgebiete, ineinander übergreifend, ziemlich bedeutende Flächen einnehmen. Meist, aber nicht ausnahmslos, wird nur eine Körperseite ergriffen. Heftiger, brennender Schmerz und Jucken sind regelmäßig vorhanden, nicht selten zeigt sich eine wirkliche schwere Neuralgie auf dem betroffenen Gebiete. Sie kann, habituell geworden, nach Ablauf der Gürtelrose zurückbleiben; namentlich bei alten Leuten ist das nichts Ungewöhnliches. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Zoster eine der Erscheinungen von Erkrankung der peripheren Nerven selbst darstellt; in sehr vielen Fällen handelt es sich v/m eine wahre Entzündung, um eine Neuritis. Für die Spinalganglien sind anatomische Veränderungen gleichfalls nachgewiesen. — Andere Male beschränkt sich die Störung in den Nerven auf anatomisch nicht nachweisbare Vorgänge; dahin gehören auch die Formen, wo eine centrale Erkrankung, die im Hirn oder im Rückenmark ihren Sitz hat, mit Zoster einhergeht. — Beteiligung des Gesamtorganismus ist bisweilen vorhanden (besonders Temperatursteigerung), sie kann aber fehlen. Störungen der motorischen oder der sensiblen Sphäre im Gebiete der ergriffenen Nerven sind nicht regelmäßig, bei echter Neuritis aber stets zugegen. — Unter den bedingenden Ursachen werden Verletzungen der Hautnerven,

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Krankheiten der Haut.

sowie Erkrankungen des Hirns und Rückenmarks mit vollem Recht genannt. Man hat epidemisches Auftreten der Gürtelrose beobachtet. Dem Sitze nach, wird unterschieden: Zoster capillitii: Stirn und Auge (Zoster ophthalmicus, welcher zu schwereren Entzündungen, sogar zu Zerstörungen des Bulbus führen kann) werden neben dem behaarten Kopf ergriffen. Es handelt sich um den ersten und zweiten Trigeminusast und um den Occipitalis major. Zoster facialis: Die übrigen Teile des Gesichts (Trigeminusgebiet). Zoster nuchae: Von der Gegend des zweiten und dritten Halswirbels aus beginnende, und von hier in die Hals- und Nackengegend ausstrahlende Eruptionen. Zoster braehialis: Vom letzten Halswirbel und ersten Brustwirbel aus über den oberen Rand des Schulterblattes sich auf den ganzen Arm ausbreitend — Plexus braehialis. Zoster peetoralis: Am Thorax, meist den Interkostalräumen folgend, besonders häufig von Neuralgie begleitet — Interkostalnerven. Zoster abdominalis: Haut des Bauchs an den betreffenden Verzweigungen der Hautnerven. Zoster femoralis: Gesäß und Oberschenkel, einem oder mehreren der Hauptnerven folgend.

Durch die allgemeinen Kennzeichen des Herpes und durch die Ausbreitung des Ausschlags im Verlaufe bestimmter Nerven ist die Diagnose gesichert. — Die Dauer beträgt mehrere Wochen. Soweit es sich um die Prognose des Ausschlags selbst handelt, muß sie als günstig bezeichnet werden, da mit Ausnahme des Herpes am Auge ernstere Schädigungen nicht herbeigeführt werden; die Grundleiden sind für sich zu beurteilen. Die Behandlung des Ausschlags hat sich darauf zu beschränken, durch die Anwendung von Einreibungen mit Vaselin die Spannung der entzündeten Haut zu mildern und durch Bedeckung der Blasen mit Läppchen, welche damit bestrichen sind, diese gegen äußere Gewalt zu schützen. Schlaflosigkeit, heftige Schmerzen oder gar Neuralgien erheischen den Gebrauch der Narkotika; einer Neuritis wird nach den früher gegebenen Regeln entgegengetreten. § 263.

Psoriasis.

Psoriasis (Schuppenflechte) ist dadurch gekennzeichnet, daß auf rotem, leicht erhabenem Orunde eine Reihe von weißen, trockenen, übereinander gelegenem Schuppen von Epidermis sich finden, welche mit ihren unteren Schichten ziemlich fest anhaften, so daß bei ihrer Entfernung leicht eine Blutung aus dem Mutterhoden erfolgt. — Anfangs treten, immer in größerer Anzahl, umschriebene etwas gerötete Schwellungen der Haut auf, welche ihre oberflächliche Epidermisschicht bald als weiße silberglänzende Schuppe abstoßen. Nach anderen soll der Psoriasisfleck schon als „Schuppenhäufchen" — übereinander gelagerte abgestoßene Epidermisschichten — beginnen. Die Ausdehnung findet in der Fläche nach allen Seiten statt — es kommt dabei vor, daß die Schuppenbildung gleichmäßig den ganzen erkrankten Hautteil überzieht, aber auch, daß sie im Centrum des Fleckes geringer wird, und vorzugsweise oder ganz an der Peripherie stattfindet. Durch Ineinanderfließen mehrerer Flecken und durch Vergrößerung derselben können sehr ausgedehnte Hautflächen, ja es kann der größte Teil des Körpers ergriffen werden. Das äußere Bild des Leidens ist durch die verschiedene Entwicklungsstufe der einzelnen Flecke, durch die mehr oder minder reichliche Anhäufung

Herpes. Psoriasis.

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abgestoßener Schuppen und durch deren Färbung, endlich durch das verschiedenartige Übergreifen der Kreise ineinander freilich ein sehr mannigfaltiges — allein die Grundform bleibt immer erkennbar. — Von Allgemeinerscheinungen ist nur ein mehr oder minder heftiger Juckreiz anzuführen. — Psoriasis ist ein ausgesprochen chronisches Leiden von jahrelangem Verlauf und von großer Hartnäckigkeit. Récidivé nach vollständiger Heilung sind etwas sehr Gewöhnliches. — Anatomisch handelt es sich um eine chronische Entzündung der Haut, welche sich bis in die tieferen Lagen des Corivm, sogar bis in das Unterhautbindegewebe erstrecken kann. Man findet die Schleimschicht des Epithels stärker entwickelt, dasselbe kommt nicht zur eigentlichen Verhornung, sondern es trocknet mehr ein, so daß man geradezu, in diesem Vorgang das Wesentliche des pathologischen Geschehens erblickend, von Parakeratose gesprochen hat; die Entzündung wird dann als Folgezustand angesehen. — Lieblingssitz der Psoriaris ist die Haut der Sireckseite der Ellenbogen und de/r Kniee, dann die des Kopfes, des Nackens und des Ohrs — seltener ist das Gesicht befallen. Die anderen Körperteile können mit Ausnahme der Innenfläche von Hand und Fuß sämtlich ergriffen werden. Auch die Nägel werden manchmal verändert: hart, brüchig, entfärbt; man bemerkt an ihrem Bette einen psoriasisähnlichen Fleck. — Die Haare bleiben meist verschont. Die Entstehungsursachen der Psoriasis sind so gut wie nicht gekannt, nur daß das Leiden häufig erblich, ist sicher. Junge, kräftige und gutgenährte Männer werden auffallend häufig ergriffen. Die immerhin wahrscheinliche Annahme, daß es sich um die Ansiedlung eines pflanzlichen Parasiten handle, ist nicht zur allgemeineren Geltung gelangt. Für die différentielle Diagnose kommt in erster Linie die durch Syphilis hervorgerufene, äußerlich der nicht spezifischen sehr ähnliche Psoriasis in Betracht. Sie unterscheidet sich durch ihren Sitz (Palma m anus et planta pedis), sie macht gewöhnlich kleinere Eruptionen und juckt nicht. Für die Therapie ist der länger fortgesetzte Gebrauch der arsenigen Säure zu empfehlen — man stieg allmählich die Gaben vergrößernd bis zu 0,05 g den Tag und ließ viele Monate diese Menge nehmen. Auch die Karbolsäure hat bei innerem Gebrauch Erfolge. Sie ist in Pillenform (R 5) 0,5 —1,0 g den Tag längere Zeit anzuwenden. — Daneben findet dann örtliche Behandlung statt. Erweichung der Epidermisschuppen und Entfernung derselben ohne Anwendung stärkerer mechanischer Gewalt ist eine unter den ihr gestellten Aufgaben. Gelöst kann sie werden durch den Gebrauch langdauernder warmer Bäder und der Frießnitz'sehen Einpackungm des ganzen Körpers bei weit verbreiteter Psoriasis, der örtlich beschränkten Frießnitz''sehen Einhüllungen bei enger begrenzter. Es gehören bei allgemeiner Psoriasis stunden-, ja tagelang fortgesetzte Bäder dazu, ebenso zweimal den Tag wiederholte Einpackungen, so daß es oft genug fraglich wird, ob die Allgemein Wirkung dieser Prozeduren nicht zu stark eingreift. — Weiter sind die Seifen zu berücksichtigen und unter ihnen in erster Linie die kaühaltige Schmierseife. Man reibt mit dieser bei inveterierter allgemeinerer Psoriasis die erkrankten Flächen unter Zuhilfenahme einer Bürste oder eines Wolllappens kräftig ein, den übrigen Körper nur leicht. Im Laufe von 6—8 Tagen ist ein Turnus beendet; die Kranken bleiben aber im ganzen noch 3—4 Tage länger beständig, ohne daß die Seife von ihrer Haut entfernt wurde, in eine Wolldecke gehüllt im Bette. Erst dann dürfen sie baden und aufstehen. Selten 7. J O r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aul.

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Krankheiten der Haut.

gewägt eine solche Periode. — Bei lokaler Psoriasis wird die erkrankte Stelle tüchtig eingerieben und in einen mit Seife bedeckten Flanelllappen eingewickelt, welcher bis zur Erweichung der Hautschuppen liegen bleibt. — Nach Entfernung der Schuppen finden die Teerpräparate Anwendung. Des Geruchs halber wird Birkenteer (Oleum betulae) oder das Oleum, cadinum (Juniperus oxycedrus) den anderen vorgezogen. Man trägt den Teer (rein oder mit Fetten verschiedener Konsistenz gemischt, auch wohl mit Alkohol zusammen) mittels eines langhaarigen Borstenpinsels der Haut auf und muß dabei auf gehöriges Eindringen des Präparates in die Haut achten. Gleich nachher ist der Kranke zum Bedecken der angeteerten Stellen mit Wolle zu veranlassen und hat in dieser vielleicht den größten Teil des Körpers umgebenden Einhüllung mindestens so lange zu verweilen, bis eine vollständige Auftrocknung des Mittels stattgefunden hat. Ist dies geschehen, dann kann er seinen Geschäften nachgehen. Die Unterkleider sind am besten aus Wollstoff gefertigt zu tragen. — Das Einteeren kann zweimal tags wiederholt werden; die alte Schicht ist jedesmal vorher mittels Seife oder Seifenspiritus zu entfernen. Mit dem Verfahren ist so lange weiter zu machen, bis frische Psoriasisplatten sich nicht mehr zeigen. Der Teer kann unangenehme Nebenwirkungen entfalten. Es gehört von örtlichen Folgezuständen hierher das Auftreten einer stärkeren und ausgedehnteren Entzündung der Haut, sowie eine Entzündung der Hautdrüsen (Teeracne)-, von allgemeinen ist die nach dem Übergang in das Blut sich einstellende Ausscheidung der aus dem Teer entstandenen Stoffe durch Niere, Magen und Darm, welche mit Erbrechen und Durchfall, auch wohl mit leichteren Fieberbewegungen verbunden ist, zu erwähnen. Nur ausnahmsweise werden dudurch ernstere Gefahren herbeigeführt — zu befürchten wäre das erst nach der Resorption größerer Mengen. Wohl aber kann die zu stark werdende Hautentzündung das Aussetzen des Mittels notwendig machen.

An die Stelle des Teers sind neuerdings andere Mittel getreten, welche ihre großen Vorzüge zu haben scheinen. Besonders wird das Chrysarobin gelobt — 5—25°/ 0 davon in einer Salbe wie Teer aufgetragen, nachdem die Schuppen entfernt sind. Es ist sorgfältig darauf zu achten, daß von dem Mittel nichts auf die Konjunktiven gelangt, da dasselbe hier sehr schwere Entzündungen veranlaßt. Auch Pyrogallussäure (8—10°/ o in Salbenform oder in Lösung) wird empfohlen — diese ist, wenn sie in größeren Mengen zur Resorption gelangte, nicht ungefährlich. — Beide Mittel wirken stark entzündungserregend auf die Haut. Man hat ihre Anwendung genau zu überwachen, damit nicht des Guten zu viel geschieht. Bei ausgedehnter Psoriasis ist Spitalbehandlung erforderlich. § 264.

Lichenes.

Liehen scrofulosorum.

Hirsekorngroße, blaßgelb oder braunrot gefärbte Körnchen, welche stets gruppenweise, manchmal Kreisbogen bildend, auftreten, mit einigen Schuppen bedeckt sind, wenig jucken, ohne weitere Veränderungen zu erleiden sich zurückbilden, hauptsächlich am Rumpfe sich entwickeln. Gewöhnliche Acne ist häufig gleichzeitig vorhanden. Das Vorkommen dieser Form beschränkt sich fast ganz auf Skrofulöse und auf die nicht das 25. Jahr überschreitende Lebenszeit. — Die Hauterkrankung macht keine irgend lästigen Erscheinungen, sie schwindet mit dem Erlöschen der skrofulösen Diathese. Liehen ruber.

Hirsekorngroße, rote mit wenig Schüppchen bedeckte Knötchen, wenig juckend, nicht gruppenweise stehend, anfangs nur einzelne Hautstellen, besonders an den

Lichenes.

Pityriasis.

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Extremitäten und am Penis einnehmend. Die weitere Ausbreitung geschieht so, daß die Knotehen zusammenfließend eine Verdickung der Haut hervorrufen, welche dunkelrot gefärbt erscheint und mit dünnen, nicht fest anhaftenden Schuppen bedeckt ist, bei deren Entfernung kein Blutaustritt sich zeigt. Das einzelne Knötchen nimmt an Masse nicht zu, aber in der Umgebung der alten Herde treten ständig neue auf, welche dann den gleichen Vorgang wiederholen. So kann sich das Übel über den größten Teil der Haut ausdehnen; es ruft starkes Jucken hervor. Die verdickte Haut läßt es an den Gelenkbeugen leicht zur Bildung von Schrunden kommen, welche, heftig schmerzend, die Bewegungen hemmen. Die Nägel nehmen bei längerer Dauer an der Erkrankung teil; sie werden verdickt, brüchig, rauh, mißfarbig. Das Allgemeinbefinden zeigt sich bei weiterer Ausdehnung der Hauterkrankung schwer gestört — es kann der Tod unter den Erscheinungen des Marasmus erfolgen. Die innere Behandlung mit größeren Arsenmengen, die bis zum Verschwinden jeder Spur des Hautleidens fortgegeben werden müssen, vermag auch der bösartigen Form Herr zu werden, welche bis zu der Einführung dieses Mittels öfter jeder Therapie spottete. Man steigt in nicht allzulanger Zeit auf 0,05 und bleibt dabei stehen. Ob äußere Mittel daneben wesentlich in Betracht kommen, wird verschieden beantwortet. L A S S A R empfiehlt zur Bekämpfung des Juckreizes nach einem Teerbade seine braune Salbe (R 65). Außer dieser wird eine weitere Form als Iiichen r u b e r p l a n u s beschrieben. Sie bleibt mehr örtlich beschränkt, läßt nicht die ursprünglichen Knötchen in unveränderter Größe bestehen, sondern das einzelne in der Fläche sich ausdehnen, so daß eine bis zu einem Centimeter große rotbraune Platte mit delliger Vertiefung in der Mitte gebildet wird. Diese ist mit einer Lage von Epidermisschuppen bedeckt, oder an der Oberfläche glatt und von mattem Glanz. Allgemeinerscheinungen treten dabei nicht auf.

§ 265.

Pityriasis.

(Pityriasis Simplex.)

Pityriasis Simplex wird die Veränderung in der Hauternährung genannt, bei welcher sich die Epidermis in reichlicherem Maße als gewöhnlich abstößt. Man leitet das von einer verminderten Absonderung des Hauttalgs ab. — Besonders die Kopfhaut wird ergriffen, auf ihr häufen sich die mit den Haaren weniger leicht zu entfernenden Schuppen an, nicht selten ist Juckreiz gleichzeitig vorhanden. — Man wäscht mit Seifenspiritus und reibt nachher ein nicht ranzig werdendes Öl oder Fett sorgfältig in die Haut ein. Pityriasis versicolor.

Ein Mikrosporon furfur genannter Pilz ruft bei seiner Ansiedlung auf der Haut — er dringt nie in tiefere Lagen oder in die Haarbälge ein — eine herdweise auftretende, aber meist sich über größere Flächen unregelmäßig verbreitende Verfärbung der obersten Schicht hervor. Es zeigen sich gelb bis braun gefärbte Schuppen, die leicht und ohne Blutaustritt entfernt werden können, der Untergrund ist dann nicht verändert. Das Gesicht bleibt frei. Der Verlauf der P i t y r i a s i s versicolor ist stets äußerst langwierig, da aber Belästigung irgend welcher Art mit derselben nicht verbunden ist, achtet man meist gar nicht des Pilzes. — Zur Entfernung genügen regelmäßige, aber länger zu wiederholende energische Waschungen mit Schmierseife. Rascher wirkt weiße Präcipatsalbe. Pityriasis rubra.

An einer größeren Hautfläche zeigt sich eine gleichmäßige, scharlachfarbige Rötung, welche allmählich dunkler wird. Auf der so veränderten Haut bildet sich ein dünner Überzug von Epithelschuppen, der etwas fester anhaftet. Später tritt etwas Blutfarbstoff aus, so daß bei Fingerdrack eine gelbliche oder gelbbräunliche Färbung zum Vorschein 53*

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Krankheiten der Haut.

kommt. Im weiteren Verlauf wird die Haut dünner und schrumpft ein, so daß sie nun wie ein zu enger Überzug fest auf die unterliegenden Körperteile aufgespannt erscheint Dadurch wird Schwerbeweglichkeit der Gelenke, vielleicht Schrundenbildung herbeigeführt. Durch die Pityriasis rubra wird das Gesicht hochgradig entstellt, zumal auch das Haar verloren geht. Von KAPOSI wird die Eigenart der Krankheit nicht anerkannt, vielmehr an deren Identität mit dem lachen ruber festgehalten. — Das überaus schwerie Leiden verläuft chronisch; es braucht bis zu seiner vollen Ausbildung meist Jahre. Während früher die Prognose als eine unbedingt schlechte angesehen wurde und der Tod unvermeidlich erschien, will man neuerdings durch die innere Anwendung der arsenigen Säure oder des Phenol Heilung erzielt haben.

§ 266.

Ekzema.

Eine die Eigentümlichkeiten des Ekzems, der häufigsten aller Hautkrankheiten, kurz zusammenfassende Charakteristik ist kaum zu geben, da dasselbe unter einem sehr wechselnden Bilde erscheint. Als Grundlage der anatomischen Auffassung muß dienen, daß mit dem Ekzem eine mehr oder weniger ausgebreitete Entzündung der Haut, zunächst nur deren oberflächlicheren Schickten, einhergeht. Erst nach langer Dauer des Leidens kann die Cutis in Mitleidenschaft gezogen, sie kann durch Bindegewebswucherung in weiterer Ausdehnung verdickt oder an umschriebenen Stellen durch Geschwürsbildung zerstört werden. — Ätiologisch ist zu bemerken, daß ein jeder Entzündungserreger Ekzem hervorrufen kann. Es dürfte dies den meisten anderen Formen von Hauterkrankung gegenüber nicht unwichtig sein: entzündliche Vorgänge spielen sich bei denselben fast stets in einem gewissen Umfange ab, allein es ist nicht jeder Reiz imstande, die der betreffenden Form entsprechende Veränderimg hervorzurufen, immer gehört noch ein anderes Etwas dazu, sei es nun in der Reaktion der Haut, in ihrer besonderen Disposition, gelegen, oder sei es durch die Eigenart des Krankheitserregers bedingt. Man bat das Ekzem geradezu als Hautkatarrk bezeichnet und dadurch die Ähnlichkeit mit den auf den Schleimhäuten stattfindenden entzündlichen Vorgängen ausdrücken wollen; das ist anatomisch gut durchführbar. In weiterer Linie würde die Thatsache, daß ein jeder Entzündungsreiz Schleimhautkatarrhe wie Ekzem hervorzurufen vermag, sobald er nur eine gewisse Stärke erreicht, für diese Analogie anzuführen sein. Ekzem kommt in jedem, Lebensalter und bei beiden Geschlechtern vor; die größte Häufigkeit der Erkrankung fallt auf das Kindesalter. Eine allgemeine Disposition wird durch die skrofulöse Diathese, in geringerem Grade auch durch die Rachitis gegeben. Es mag sein, daß in Einzelfallen Störungen der allgemeinen Ernährung, wie sie mit Anämie, mit Dyspepsie oder mit einem Siechtum einhergehen, imstande sind, auch die Ernährung der Haut so zu beeinflussen, daß sie leichter an Ekzem erkrankt — als durchstehende Regel darf das kaum angesehen werden. Unmittelbare Veranlassung kann jeder Hautreiz werden, wenn er eine gewisse, von der Reaktion des jeweilig Betroffenen abhängige, Stärke erreichte. Es kommen in Betracht: Thermische Beize, so die unmittelbare Einwirkung der Sonnenstrahlen; bei Empfindlichen genügt selbst die von einer etwas stärker bewegten Luft ausgehende Wärmeentziehung. Chemische Reize — schon die länger dauernde Berührung der Haut mit Wasser von gewöhnlicher Zusammensetzung kann ausreichen, noch mehr aber die mit dem größere Mengen von Salzen gelöst enthaltenden Wasser (Solbäder u. s. w.). In

Ekzema.

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gleicher Weise wirkt die Benetzung der Haut mit Schweiß, Urin, Darmentleerungen, besonders wenn diese, etwas länger verweilend, sich zersetzten. E s reiht sich die große Zahl derjenigen reizenden Stoffe an, welche, zu technischen Zwecken benutzt, auf die Haut gelangen. Genannt darunter seien nur die für Ärzte oftmals verhängnisvoll werdenden antiseptischen Lösungen von Phenol und Sublimat, dann manche der Anilinfarben. Mechanische Reize — Reibung der Hautfalten aneinander oder solche zwischen der Haut und Kleidungsstücken, das durch den Juckreiz herbeigeführte Kratzen, die Wirkung der verschiedenen Parasiten. In manchen Fällen (z. B. bei dem sogenannten Intertrigo; Wolf) kommen wohl alle diese Dinge nebeneinander zur Geltung. Man unterscheidet zwischen akutem und chronischem Ekzem. Bei dem akuten Ekzem sind anfangs die Zeichen echter Entzündung: Rötung, Schwellung, erhöhte Temperatur, Schmerz, oder doch jedenfalls die Empfindung von Spannung und Juckreiz vorhanden. Mit leichter Abschuppung der Epidermis kann der Vorgang in kurzer Zeit zur vollkommenen Heilung gelangen. Sehr häufig ist dem aber nicht so. — Der Bau der Haut bedingt, daß eine Entzündung an ihren verschiedenen Stellen verschiedene Wirkungen hat. So können sich auf der geröteten Fläche schon sehr früh kleinere Knötchen, noch stärker gefärbt, erheben, häufig den Follikeln angehörend, andere Male wohl dadurch bedingt, daß die Lymphbewegung hier oder dort stockt und so an einzelnen Punkten eine Ansammlung des Exsudats mit Dehnung der Nachbarschaft stattfindet. Man spricht nun von einem papulösen Ekzem. Wird die Exsudation stärker, dann bilden sich umschriebene, durch die Raum verlangende Flüssigkeit erzeugte Bläschen von der Größe eines Nadelknopfs bis zu der mehrerer Millimeter (Ekzema vesiculosum). Diese Bläschen können einen eitrigen Inhalt bekommen (Ekzema pustulosum, auch wohl Impetigo genannt), sie können, nachher oder vorher platzend, sich auf die Oberfläche entleeren, wobei auf ihr eine eiweißreiche, meist ziemlich zähe, weißgelb bis gelbgefarbte Flüssigkeit erscheint, welche eintrocknend mehr oder minder fest anhaftende Krusten bildet (Ekzema madidans, auch, wegen der stärkeren Röthung der Haut, Ekzema rubrum, später, wenn sich die Borken gebildet haben, Ekzema impetiginosum genannt). Tritt Heilung ein, dann lassen Rötung und Schwellung nach, die neugebildete Epidermis schuppt sich noch eine Zeitlang etwas stärker ab — Ekzema squamosum. — Zum Ablauf des ganzen Vorgangs gehören Tage bis Wochen. — Die Allgemeinerscheinungen sind durch die Ausbreitung der Entzündung bedingt. Es giebt eine Form — Ekzema universale — häufiger durch die Einwirkung eines die Haut in weiter Ausdehnung treffenden Reizes (z. B. eine Einreibung mit Schmierseife) als durch unbekannte Ursachen, oder durch rasche Ausbreitung einer infolge von nachweisbaren, umschriebenen Reizen entstandenen ekzematösen Entzündung bedingt. Allgemeines Ekzem kann mit ziemlich hohem Fieber einhergehen, dieses vermag denn auch bei Empfanglichen die ihm zukommenden Erscheinungen von Hirnreizung, Herz- und Atmungsstörungen, Dyspepsie, vielleicht auch etwas Albuminurie hervorzurufen. Die Rückwirkung auf die Ernährung kann ziemlich bedeutend werden; die volle Wiederherstellung kann Wochen erfordern. Bei minder ausgedehntem Ekzem beschränken sich die Symptome auf eine schmerzhafte Spannung der Haut, welche an empfindlichen Körperteilen lästig genug werden kann, und mit Jucken, vielleicht mit Erschwerung des Schlafes und Herabstimmung des Gefühls von Wohlsein einher-

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geht. Es geschieht nicht ganz selten, daß neue Ausbrüche sich wochen- und monatelang wiederholen,, ohne daß übrigens die anatomischen Veränderungen weiter gingen, als es dem akuten Ekzem zukommt. Chronisches Ekzem bildet sich aus dem akuten heraus, indem nur streckenweise dessen Bückbildung geschieht, und in dem Gebiet des ergriffenen Hautteils eine neue Entzündung wieder und wieder aufflackert. So trifft man denn auch frisch erkrankte neben älteren Abschnitten. Der Vorgang bleibt im ganzen der gleiche, nur daß sich allmählich die Entzündung in die Tiefe ausbreitet, hier das Bindegewebslager in Mitleidenschaft ziehend, welches anfanglich zellig infiltriert wird, später zu wuchern beginnt. Oder aber es kann zur geschwürigen Zerstörung des Papillarkörpers an umschriebenen Stellen kommen, aus welcher dann Narbenbildung hervorgeht. Ein anderer Ausgang ist der in Hypertrophie des Bindegewebes und der Epidermis, bei welcher die Haut ein ungleichmäßiges, warziges Aussehen annimmt; Pigmentierung findet sich dabei häufig. Bei dem chronischen Ekzem wird nach dem Sitz unterschieden: Ekzema capillitii: häufige Veranlassung geben Läuse und Unreinlichkeit, besonders thut es die ungenügende oder gar nicht geschehende Entfernung des bei der Geburt mitgebrachten Oberzugs von abgestoßenen Epithelien und Hauttalg. Ekzema faciei — bei Skrofulösen mit Konjunktivitis, Otitis, chronischem Nasenkatarrh oft zusammen, diese unterhaltend und von ihnen unterhalten. Ekzema mammae — bei fettleibigen Frauen an der unteren Fläche der Brust, wo sie überhängend mit der Brusthaut Falten bildet, eine wirkliche Intertrigo. Ekzema wmbilici: in den Falten des Nabels, bei jüngeren Kindern und bei Fettleibigen.

Ekzema ani, scroti, crwris, genitalium, wieder durch die Berührung von sich gegenüberstehenden Hautteilen bedingt. Bei stärkerer Bildung von Varicen am Unterschenkel wird Ekzem, zunächst in deren unmittelbarer Umgebung, dann sich weiter ausbreitend, ein häufiges und überaus lästiges Leiden, welches schwer zu beseitigen ist, daher Bindegewebswucherung der tieferen Schichten leicht im Gefolge hat, die Bildung von Geschwüren sehr begünstigt, und deren Heilung erschwert. An den Händen, welche der Einwirkung einer Menge äußerer Reize in hohem Grade ausgesetzt sind, tritt leicht Ekzem auf, das nicht selten auf die Vorderarme übergreift. An den Füßen erscheint Ekzem am ehesten im Gefolge vermehrter Schweißbildung.

Juckreiz und dadurch herbeigeführtes Kratzen sind die dem chronischen Ekzem zunächst zukommenden Wirkungen. Die Schwellung der Drüsen, welche dem Lymphgebiet des ergriffenen Hautteils angehören, ist nicht selten, ebenso die Vereiterung oder die Verkäsung derselben. Daß dabei auch der Tuberkelbacillus eindringen kann, dürfte einigermaßen sicher sein. — Als Nachkranklmt, wenigstens unmittelbar dem Ekzem sich anschließend, sieht man mitunter reichliche Furunkelbildung auf den von dem Ekzem besonders heimgesuchten Stellen. Man möchte annehmen, daß den die Furunkel erzeugenden Eitermikrobien die Gelegenheit zur Ansiedlung durch den Hautkatarrh gewährt worden ist. Die Dauer der Erkrankung ist von vornherein nicht zu bemessen, sie kann sich über viele Jahre hinziehen. Indes ist die Prognose im ganzen nicht ungünstig; es gelingt, selbt bei den veralteten Formen, in der Regel Heilung herbeizufuhren und Becidiven einigermaßen vorzubeugen. Zu vergessen ist allerdings nicht, daß einmal erkrankte Hautteile gar leicht aufs neue ergriffen werden, zumal wenn sie nicht genügend gegen Beize geschützt sind. Es ist dies wohl ein Hauptgrund, warum die Ekzeme der Hände so hartnäckig sind.

Ekzema.

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Die Therapie hat etwa vorhandenen allgemeinen Störungen der Ernährung entgegenzuwirken; namentlich ist die skrofulöse Diathese zu berücksichtigen. Die konstitutionelle Behandlung, wie sie in früheren Zeiten durchgeführt wurde — „Blutreinigung" durch Abführ-, Schwitz-, harntreibende Mittel, neben denen eine mehr oder minder strenge Entziehungskur verordnet wurde — hat kaum noch Anhänger; auch der innere Oebraueh der arsenigen Säure leistet nicht viel und ist auf veraltete Fälle zu beschränken. Der innere Gebrauch der Karbolsäure (bis zu 5 g täglich in Pillenform) wird gegen das Jucken empfohlen. Als ein Hauptsatz für die örtliche Behandlung des Ekzems gilt, einige Ausnahmen ausgeschlossen, daß jede Reizung, sei es nun eine mechanische, eine chemische oder eine thermische, der erkrankten Hautstette zu vermeiden ist. Selbst das Wasser kann für eine empfindliche Haut zum Entzündungserreger werden. Ist daher eine Reinigung — die Entfernung von starrgewordenen Exsudatkrusten und abgestoßenen Epidermisteilen fordert dazu auf — notwendig, so benutze man mit reinem Olivenöl reichlich getränkte Wattebäusche, welche leicht über die leidenden Hautflächen hingeführt werden. Es ist besser, daß der Arzt selbst dies thut, als daß er es dem Kranken überläßt, welcher durch das Jucken verführt werden kann, stärker zu reiben als es ihm gut ist. Erst wenn die Ekzeme in der Heilung begriffen sind, namentlich wenn die iDberhäutung der früher offenen Stellen sich vollzogen hat, mögen Seife und Wasser wieder in ihr altes Recht treten. Es ist hier aber Vorsicht in der Wahl der Seife geboten. U N N A hat solche herstellen lassen, die von jedem an Ekzem Erkrankten oder dazu Neigenden ständig angewendet werden sollten. Alle mit möglichst warmem Wasser. Für die meisten Fälle genügt die überfettete Basis- (Kinder-)Seife, in schweren leistet die Natrontannatseife mit oder ohne Zusatz von Zinkoxyd bessere Dienste. Das in diesen Seifen überschüssig enthaltene Fett macht die H a u t in ihren oberen Schichten geschmeidig und hält wohl auch durch die dünne Schutzdecke, mit welcher sie dieselbe überzieht, die äußeren Reize ab. iSolange das Ekzem näßt, sind Stoffe zu gebrauchen, welche, selbst nicht reizend und jeden äußeren Reiz abhaltend, die abgesonderten Flüssigkeiten aufzunehmen und mechanisch zu binden vermögen. Diesem Zweck entspricht in ausgezeichneter Weise die LASSAR'sche Paste (B 80). Bei leichteren Erkrankungen wird sie in die Haut eingerieben, darüber dann noch gepudert. Bei schwererem Leiden thut man gut, die Paste einige Millimeter dick, an den besonders nässenden Stellen aber noch dicker unmittelbar auf die Haut aufzutragen. Darüber kommt dann ein lege artis anzulegender Watte-Lint-Verband, der durch Gazebinden zu befestigen ist. J e nach dem Grade des Nässens muß man täglich oder in längeren Zwischenräumen den Verband erneuern. Dabei ist die Haut anfangs mit öl, später mit überfetteter Seife zu reinigen. Ist die Haut stark entzündet, näßt sie erheblicher und kommt es wieder und wieder zu heftigen örtlichen Recidiven, dann sind Überschläge mit essigsaurer Thonerde (etwa l prozentiger Lösung), die alle 2 bis 3 Stunden erneuert werden, anzuwenden (KAPOSI). Bei jenen Formen, die eich mehr als einfaches Wundsein der Haut (Intertrigo) zeigen, genügt es öfter, die mit Yaselin oder Lanolin zu bestreichenden erkrankten Flächen gut zu pudern und dann durch das Einlegen von Bäuschen der Salicylwatte auseinander zu halten. Zum Reinigen wendet man die UNNA'sche öberfettete Basisseife an. Hat sich bei kleineren Kindern das ursprünglich als Intertrigo der Schenkelbeugen

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Krankheiten der Haut.

oder der Hinterbacken aufgetretene Ekzem von dort aus weiter ausgebreitet, dann sieht man gute Erfolge von warmen (28° R.) Bädern, denen 0,5—1,0 g Sublimat zugesetzt wurde. Neben denselben ist die örtliche Behandlung durchzuführen. Bei akutem, allgemeinem Ekzem nützt manchmal das Wasser in der Form der kalten Brause. In vereinzelten Fällen sieht man bei dem Gebrauch der Tinctura caladii seguini (3 Mal täglich 15—20 Tropfen für den Erwachsenen) auffallend schnell Heilung eintreten. Von den meisten Ärzten wird aber auch hier das Wasser gemieden; man zieht die Einhüllung des ganzen Körpers in dünne Leintücher, welche mit Öl oder mit Leberthran getränkt sind, vor. An behaarten Körperteilen beschränkt man sich auf das Beträufeln derselben mit 1 % Borsäurelösungen, oder giebt die Borsäure in Salbenform (1 auf 9 Lanolin, welchem 10 °/0 Olivenöl zugesetzt wurden). Ist das Nässen der Haut im wesentlichen vorüber, dieselbe aber leicht verdickt und mit Krusten und Borken bedeckt, dann kämmen die „erweichenden" Mittel an die Reihe. Unter ihnen nimmt das ühguentum diaehylon Hebrae eine hervorragende Stelle ein. Man streicht es einige Millimeter dick auf Leinen und bedeckt mit den passend zugeschnittenen Streifen die kranken Teile der Haut. Besser sind noch die von UNNA eingeführten Salbenmulle. Neben den mit der HEBRA'schen Salbe getränkten kommen in Betracht: Zinksalbenmull, Zinkichthyolsalbenmull, Bleikarbolsalbenmull. — Immer müssen die der Haut unmittelbar aufliegenden Streifen durch Binden sicher befestigt werden. Dabei ist zu bemerken, daß eine sehr empfindliche Haut die durch den Druck und die Reibung der Binden bewirkte Beizung nicht erträgt, so daß man genötigt ist, eine Polsterung mit entfetteter Watte anzubringen. Ist bei länger dauernder Erkrankung die Haut erheblicher verdickt, mit Schuppen bedeckt, hyperämisch, aber nicht mehr nässend, dann sind die Teerpräparate angezeigt und wie bei der Psoriasis xu verwenden. — Bei leichterer Erkrankung genügt übrigens der Gebrauch der ÜNNA'schen uberfetteten Ichthyolseife, deren Schaum man eintrocknen läßt. Ein ganz vortreffliches Präparat ist der L i q u o r carbonis detergens, Steinkohlenteer in alkoholischer Lösung mit Quillajatinktur. Man trägt mit einem weichen Borstenpinsel anfangs leicht, später tüchtig einreibend auf die Haut auf, läßt eintrocknen und wiederholt das ein-, auch zweimal täglich. Selbst eine sehr empfindliche Haut wird so wenig gereizt, daß man das Mittel sogar bei frischen Eruptionen anwenden kann. Auf den Bat von HERXHEIMER habe ich das Mittel bei eignem, jahrelang dauerndem Ekzem der Hände mit vollem Erfolg angewandt, es nachher auch bei anderen bewährt gefunden. — War bei länger dauernden Ekzemen die Haut stark verdickt und hält das Nässen an, dann muß man zu kräftigen Hautreizen seine Zuflucht nehmen. Täglich ein oder mehrere Male wiederholte Waschungen mit HEBRA'S Seifenspiritus (R 67) sind das mildeste unter den hier in Betracht kommenden Mitteln; es folgen länger dauernde Einreibungen mit Schmierseife und endlich die Abreibungen mit Kalilauge. Am wirksamsten, aber auch am schmerzhaftesten sind die Kaliabreibungen: ein Teil Kalilauge mit zwei Teilen Wasser gemischt werden auf die vorher von Krusten befreiten kranken Teile mittels eines Charpiepinsels aufgetragen, dann mit der Hand, die in Wasser getaucht wurde, oder mit einem Flanelllappen kurze Zeit eingerieben. Nachher werden die Salbenverbände angewandt. Erst nach acht Tagen wird das Verfahren wiederholt; das kann etwa ein Dutzend Mal nötig werden. Um die hartnäckigen Verdickungen der Haut zu beseitigen, werden in solch schweren Fällen neuerdings Pyrogallussäure und

Ekzema.

Pustulöse Hautentzündungen.

Prurigo und Pruritus.

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Chrysarobin (2 —10 °/o Salbenform oder Naphthol (1 °/0 alkoholische Lösung) in Anwendung gezogen. Zu bemerken ist, daß heftiges Jucken der Haut durch Aufträufeln von Alkohol wenigstens vorübergehend beseitigt werden kann. Die Behandlung des Ekzems verlangt vor allem Ausdauer seitens des Arztes und des Kranken. Man darf sich nicht verleiten lassen, die anzuwendenden Mittel häufig und ohne Not zu wechseln. Andererseits aber muß man sich darüber klar sein, daß gegen bestimmte Mittel eine so große Empfindlichkeit der Haut des einzelnen besteht, wie sie nur bei wahren Idiosynkrasien sich zeigt. Man sei daher nicht eigensinnig. § 267.

Pustulöse Hautentzündungen.

Ekthyma.

Mit Eiter gefüllte Bläschen, welche von einem roten Entzündungshofe umgeben sind, ganz vereinzelt stehen oder, anfangs durch Zwischenräume getrennt, erst später zusammenfließen können, werden als Pusteln bezeichnet. Sie stellen sich im Gefolge vieler Hauterhrankungen ein und merden meist durch äußere Beize, besonders durch das Kratzen, hervorgerufen. Die überwiegende Mehrzahl derselben dürfte in das Gebiet des Ekzems gehören, von dem eine Form den Namen Impetigo führt. — Nicht von allen wird jene pustulöse Hauterkrankung als selbständiges Leiden anerkannt, die man als E k t h y m a k a e h e c t i c o r u m bezeichnet. Es finden sich hier gleich von vornherein eitergefüllte, von einem roten Entzündungshofe umgebene Pusteln bis zum Durchmesser von 1 — 7 mm, isoliert oder bald zusammenfließend, besonders im Gesicht, an der unteren Körperhälfte und an den Armen. Übrigens kann auch die Schleimhaut des Mundes in gleicher Weise erkranken. — In den leichteren Fällen trocknen die Pusteln ein und hinterlassen nur einen roten, bald abblassenden Fleck. Ist aber eine schlechte Ernährung des Gesamtorganismus vorhanden, dann zeigt sich der Inhalt mehr oder weniger blutig gefärbt, auch der Entzündungshof ist mit ausgetretenem, Blute durchsetzt. Der Grund der Pustel kann nekrotisch zerfallen und so ein erheblicher Substanzverlust entstehen, namentlich wenn durch Zusammenfließen der einzelnen Pusteln größere zusammenhängende Fläclien zerstört werden. Die Behandlung hat wesentlich die Aufgabe, die vorhandene Kachexie zu beseitigen, örtlich beschränkt man sich auf Beinhalten und auf das Verbinden mit nicht ätzenden antiseptischen Mitteln. § 268.

Prurigo und Pruritus.

Über das Wesen und die Eigentümlichkeiten der bei Prurigo (Juckblattern) auftretenden pathologischen Erscheinungen gehen die Ansichten weit auseinander. Einige halten das Leiden für eine Neurose: diese für eine reine Sensibilitätsneurose, jene für eine Trophoneurose, die anatomischen Veränderungen seien sekundäre, durch den infolge des Juckens eintretenden Kratzreiz mechanisch hervorgerufen. Dem gegenüber wird auf der anderen Seite daran festgehalten, daß sich primäre anatomische Veränderungen der Haut finden, welche erst zum Jucken fuhren; die dadurch bedingten weiteren Störungen werden nicht in Abrede gestellt. — Entsprechend dieser Verschiedenheit der Auffassung wird auch das Krankheitsbild verschieden gezeichnet, namentlich gilt das für dessen Anfangserscheinungen. Nach HEBRA dem Vater sind hanfkorngroße, subepidermoidale, isoliert stehende, im Beginn mehr durch das Getast als durch das Gesicht wahrnehmbare Knötchen immer das erste Zeichen der Prurigo. D a sie starkes Jucken erzeugen, werden sie gekratzt und treten nun leicht gerötet über die Haut hervor. Sie verlieren

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Krankheiten der Haut.

bei fortdauerndem Kratzen den Epidermisüberzug und lassen ihren serösen Inhalt austreten, oder sie färben sich, wenn eine Kapillarschlinge verletzt wurde, durch ein eintrocknendes Bluttröpfchen an der Spitze schwarz. — Nach AUSPITZ, welchem sich H E B R A der Sohn anschließt, sind, diese Knötchen nicht charakteristisch für die Prurigo, sondern sie sind durch das Kratzen hervorgerufene „Kunstprodukte". Es beginne die Krankheit nicht mit Knötchenbildung, sie könne mehr als ein Jahr ohne solche bestehen, man treffe anfangs wohl einige Urticariaquaddeln, sonst aber eine gleichmäßig glatte Haut. Urticaria soll als Einleitung der Prurigo regelmäßig auftreten (KAPOSI). Sie zeigt sich schon innerhalb des 3 . — 1 2 . Lebensmonates ohne die späteren Orte der Wahl zu bevorzugen. Erst gegen das Ende des ersten oder den Anfang des zweiten Lebensjahres kommen die Knötchen zum Vorschein und zwar an den Stellen, die dauernd evngmonvmen werden. Der weitere Verlauf ist nach übereinstimmenden Beobachtungen so, daß sich eine Verdickung und Pigmentierimg der Haut einstellt: die sie durchziehenden Furchen erscheinen weiter auseinandergerückt, die Wollhaare wie abgebrochen, eine feine Schicht abgestoßener Epidermis bedeckt gleich dünn aufgestreutem Puder die Oberfläche, eine Hautfalte ist schwer zu erheben und deutlich nicht nur dicker, sondern auch weniger elastisch als an gesunden Teilen. Ferner bildet sich ein auf die erkrankten Stellen beschränktes, oder weiter darüber hinausgreifendes, auch das Gesicht in Mitleidenschaft ziehendes, nässendes oder eine andere Form annehmendes Ekzem aus, die Lymphdrüsen schwellen in der Regel an und erreichen an manchen Stellen (Inguinalgegend) eine sehr bedeutende Größe. Ausgedehntere Kratzwunden, nicht selten sehr tief greifende, sind auf den erkrankten Hautabschnitten stets sichtbar. Die Haut verdickt sich mehr und mehr, sie wird an einzelnen Teilen (Unterschenkel) durch die fortgesetzte Knötchenbildung rauh wie ein Reibeisen. — Die Verbreitung ist eigenartig-, Prurigo kommt am behaarten Kopfe, am Halse und Nacken gar nicht, im Gesicht nur spurweise vor; die hintere wie die vordere Seite des Rumpfes und das Gesäß sind nicht stark ergriffen. Der Hauptsitz sind die Extremitäten, und zwar so, daß die untere mehr als die obere, der Unterschenkel mehr als der Vorderarm zu leiden hat. Dabei ist zu bemerken, daß überall die Streckseiten in weitaus höherem Orade als die Beugeseiten befallen sind und die Gelenkbeugen stets freibleiben, höchstens kann das begleitende Ekzem auf sie übergreifen. — Die Allgemeinerscheinungen sind sehr bedeutend: der Juckreiz läßt tags und namentlich nachts keine Ruhe, die Kranken kommen dadurch in den schwereren Fällen körperlich aufs äußerste herunter und sind psychisch ebenso tief herabgestimmt. Es wird gesagt, daß nicht nur dem Branntwein viele der Pruriginösen verfallen, sondern daß einige auch durch Selbstmord ihren Qualen ein Ende machen. Prurigo tritt schon in der frühesten Kinderzeit auf und bleibt dem damit Behafteten für das ganze Leben. Sie ist in den untersten Schichten der Gesellschaft weitaus am häufigsten, sie befällt vorzugsweise schlecht Genährte, Männer wohl häufiger als Frauen. — Der Verlauf ist etwas wechselnd; im Sommer sind die Erscheinungen durchschnittlich geringer als im Winter Die Diagnose ist leicht und früh zu stellen, wenn man das Auftreten der Knötchen als das charakteristische Merkmal ansieht. Später kann man, die eigentümliche Verbreitung und die Langwierigkeit des Leidens beachtend, nicht wohl irren.

Prurigo und Pruritus.

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Die Prognose wird jetzt von manchen etwas günstiger als früher gestellt. Man nennt das zehnte Lebensjahr als äußerste Grenze der Heilungsmöglichkeit, fordert aber, um diese zur Wirklichkeit werden zu lassen, mindestens ein Jahr für die Behandlung. Bei älteren wird nach wie vor eine Heilung als ausgeschlossen angesehen. Therapie: Außer der arsmigen Säure, welcher von einzelnen ein, wenn auch bedingter Wert eingeräumt wird, und Phenol (1—1,5 g den Tag) ist kein wirksames inneres Mittel bekannt. — Man soll die allgemeine Ernährung stets auf möglichster Höhe zu halten suchen. — Bei den äußeren Mitteln wird auf die Anwendung des Wassers großes Gewicht gelegt. Stundenlang (bis zu sechs) fortgesetzte warme Bäder lindern sehr, ebenso PEiESSNiTz'sche Einpackungen und Dampfbäder. Weiter kann der Gebrauch von Schmierseife — Einreibung des Körpers an den erkrankten Stellen, die täglich wiederholt wird, beständige Einhüllung in wollene Decken bis sechs Tage lang, eine häufigere Wiederholung des Ganzen — empfohlen werden. I n gleicher Weise wird die WiLKiNSON'sche Salbe (B 73) gebraucht. Sehr wirksam erweisen sich Einreibungen mit der VLEMINGKX'schen Kalkschwefellösung (R 71): Auftragen derselben auf die kranken Stellen mit Hilfe eines Schwammes, nach einigen Minuten ein warmes Bad von mindestens einstündiger Dauer, dann Einreibung einer Salbe, die aus Chloralhydrat zu (5 —10 °/0) und Fett gemischt ist. Sind wunde Hautstellen vorhanden, dann muß man sich auf warme Bäder beschränken, denen nur 100 — 200 g der VLEMiNGKx'schcn Lösung zugesetzt werden dürfen. — Die in dieser Weise eingeleitete Behandlung muß täglich vorgenommen werden. — Der Teer wird so angewandt, daß man die ganxe Haut (das Gesicht ausgenommen) mittels eines Pinsels mit einer dünnen Schicht von Teer bedeckt und gleich nachher den Kranken für drei bis sechs Stunden in ein warmes Bad steigen läßt. Auch dies ist täglich zu wiederholen, wenn nicht allgemeine Erscheinungen von Intoxikation ein zeitweiliges Unterbrechen verlangen. — K A P O S I empfiehlt dringend das Naphthol (5 g bei Erwachsenen, 1 — 2 g bei Kindern auf 100 g Unguentum emolliens). Mit dieser Salbe wird abends eine Einreibung der erkrankten Stellen vorgenommen, die nachher zu pudern sind. Zur Unterstützung kann jeden zweiten Abend eine Abwaschung mit Naphtholschwefelseife im Bade stattfinden. LASSAR hat eine Behandlungsart mitgeteilt, welche ihn zu dem Ausspruch veranlaßt: „Die Prurigo gehört zu den therapeutisch dankbarsten Krankheiten." Stundenlange Teerbäder, für welche besondere Vorschriften gegeben werden. Nach dem Bade Bettruhe, dabei jeden zweiten Tag Schwitzeinpackung und Pilokarpin (0,01—0,02) subkutan. Außerdem Teerpräparate — besonders die „Braune Salbe" (R 65). Das Verfahren läßt sich wie alle eingreifenden sicher nur im Krankenhaus durchführen. — Ein mit Prurigo Behafteter ist, wenn die schwersten Erscheinungen glücklich beseitigt sind, um seinen Zustand erträglich zu erhalten, gezwungen, wöchentlich oder noch öfter eine der genannten Prozeduren vorzunehmen. Pruritus.

Pruritus (Hautj'ucken) muß auf abnorme Erregang der Hautnerven zurückgeführt werden. Abgesehen von der peripheren Reizung, welche durch Parasiten und durch manche der Hauterkrankungen selbst veranlaßt wird, ist eine durch die Vermittlung des Blutes bedingte Form (Cholämie, Kohlensäureanhäufung, Urämie,

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Krankheiten der Haut.

Zucker im Blut) — und eine, deren Ursachen unbekannt sind (Pruritus senilis, örtlich beschränktes Jucken) zu unterscheiden. — Man trennt weiter Pruritus partialis — häufigst an den männlichen wie an den weiblichen Genitalien und an dem Anus, dann am Kopf, an den Händen und an den Füßen — und Pruritus universalis, welcher die gesamte Oberfläche befällt. Für diesen letzteren sind die Ursachen wesentlich die genannten allgemeinen, es ist daher immer eine genaue Untersuchung des Harns u. s. w. vorzunehmen. — Der Juckreiz führt xum Kratzen, dieses wieder zu Ekzemen, zu Wunden der Haut und ihren weiteren Folgen — viel schlimmer aber ist die Rückwirkung auf das Allgemeinbefinden der Kranken. Ihre Lebensaufgabe besteht im Kratzen, sie werden zu jeder ernsteren Arbeit unfähig, schlafen wenig, die Ernährung sinkt, und eine so tiefe gemütliche Depression stellt sich ein, daß manche freiwillig enden. — Wer die Prurigo als Neurose auffaßt, hat eigentlich keinen rechten Grund, sie von dem Pruritus partialis zu trennen; nur die eigentümliche Verbreitung und der Umstand, daß jenes Übel aus frühester Kindheit herübergebracht wird, scheiden. Die Diagnose gegen Ekzem ist insofern manchmal schwieriger, als es der Entscheidung der Frage gilt, ob der Juckreiz oder jenes das Ursprüngliche gewesen sei? — Man vergesse nie, daß Parasiten, namentlich Kleider- und Filzläuse, auch in den besten Ständen vorkommen können. — Die Prognose ist im allgemeinen nicht günstig. Von inneren Mitteln hat man Karbolsäure in großen Gaben (1 g und mehr; B 3) mit wechselndem Erfolg angewandt. Äußerlich sind Waschungen mit alkoholischen Lösungen von Karbol- oder Salicylsäure, und Einreibungen mit einer bis 10°/0 Ghloralhydrat enthaltenden Salbe in Gebrauch. Neuerdings wird Ichthyol (1 auf 20 in Salbenform) sehr empfohlen. Stärkeres Ekzem muß nach den dafür aufgestellten Regeln behandelt werden; dabei sind die etwas mehr reizenden Mittel bisweilen von entschiedenem Nutzen, andere Male sind es die Teerpräparate. § 269.

Pemphigus.

Als allgemeines Merkzeichen des Pemphigus (Blasenausschlag) wird die über längere Zeit sich fortsetzende, ohne nachweisbare äußere Veranlassung auftretende Entwicklung von Blasen aufgestellt; umschriebene Entzündungsvorgänge gehen damit einher. — Die Lehre vom Pemphigus ist keineswegs abgeschlossen; in wesentlichen Punkten herrschen weit auseinandergehende Meinungsverschiedenheiten. Pemphigus acutus.

Nicht von allen wird die doch wohl kaum zu leugnende Existenz eines akuten Pemphigus anerkannt. Häufiger bei Kindern als bei Erwachsenen, bisweilen förmlich epidemisch in größerer oder geringerer Ausbreitung tritt diese Krankheit auf. Sie beginnt mit der Entwicklung von Blasen — bei Säuglingen und kleineren Kindern am Hals und in der Leistengegend, bei älteren ohne besondere Wahlstellen — welche auf leicht geröteter, nicht immer gleichzeitig geschwellter Haut aufschießen, bis zur Größe von Handtellern anwachsen können, öfter zusammenfließen, mit anfangs klarer, später sich trübender Flüssigkeit gefüllt sind und platzend ihren Inhalt entleeren, wobei die dünne Epidermislage gewöhnlich abgestoßen wird. E s bleibt nun eine gerötete, meist nässende Fläche zurück, welche sich selten mit einer Kruste überzieht. Der Ausbruch erfolgt in Schüben, die durch verschieden lange Zeiten getrennt sind; auch die Schleimhäute, nament-

Pemphigus.

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lieh die des Mundes, können mit ergriffen werden. — Allgemeinerscheinungen sind nicht notwendig, aber häufig vorhanden. So schweres Fieber und anderweitige Zeichen von Infektion, ja schon der Anfang kann in der Weise, wie es bei der Invasion der akuten Exantheme geschieht, sich vollziehen. Für einzelne Fälle wenigstens ist die Übertragbarkeit durch Impfung festgestellt worden, man will Mikroorganismen nachgewiesen haben (DEMME). Andere Male hat man bei Neugeborenen die Ursache in zu starken Hautreizen gesucht (über die Gebühr warme Bäder). — Die Dauer schwankt zwischen mehreren Wochen und mehreren Monaten. Die Prognose ist wechselnd, sie wird von der Ausbreitung der Erkrankung und von den allgemeinen Erscheinungen bedingt und gestaltet sich ceteris paribus um so ungünstiger, je jünger der Ergriffene ist. Der chronische Pemphigus unterscheidet sich im wesentlichen nur durch seine Dauer, welche sich über viele Jahre erstrecken kann. Die Blasen heilen meist durch Erneuerung der Epidermis ohne Narbenbildung, aber mit leichter Pigmentierung, sie sind häufiger von sehr beträchtlichem Umfang. Zwischen den einzelnen Schüben liegen manchmal Monate; Fieberbewegungen und, was besonders hervorgehoben wird, Schlaflosigkeit leiten dieselben ein. Die Erscheinungen von der doch so schwer verletzten Haut halten sich meist auf ziemlich niederem Stande: die Schmerzen sind mäßig, Jucken ist nur selten vorhanden. — Auch hier ist die Prognose von den gleichen Bedingungen wie bei der akuten Form abhängig. Pemphigus foliaceus.

Von einigen als anatomisch verschieden-, keine Entzündung, nur Abhebung der Epidermis von der Cutis durch einen Erguß — von anderen als späteres Stadium der gewöhnliehen Formen betrachtet, zeigt der Pemphigus foliaceus jedenfalls äußere Verschiedenheiten. Man sieht die entstandenen Blasen — meist sind sie nicht über bohnengroß und fließen oft zusammen — an ihrer Oberfläche mit einer eingetrocknetem, Kruste bedeckt, welche die nicht zersprengte Blasendecke darstellt. Indem nun an der einmal erkrankten Stelle die Blasenbildung weitergeht, folgt eine Decke der anderen, so daß schließlich eine aus vielen Lagen gebildete Kruste, welche durch ihre Zwischenräume Exsudat austreten läßt, sich über die Umgebung erhebt. Das Exsudat verbindet, eintrocknend, eine Schicht der Borke mit der anderen. Das Leiden breitet sich allmählich in verschieden langer Zeit über den größten Teil des Körpers aus; es kann sehr langsam verlaufen, ist aber unheilbar und führt am Ende unter den Erscheinungen des Marasmus zum Tode. Man hat noch andersartige Teilungen versucht, so namentlich nach dem Verlauf eines Pemphigus benignus von dem Pemphigus malignus unterschieden. Bei dem letzteren wurde nach der Beschaffenheit der Blasen eine diphtherische und eine gangränöse Form, entsprechend der anatomischen Veränderung des Blasengrundes, getrennt, auch wurde, wenn der Blaseninhalt blutig war, von einer hämorrhagischen Form gesprochen. — Es scheint nach allem, daß die offenbar sehr verschiedenen Entstehungsursachen, wie die anatomischen Veränderungen und der klinische Verlauf, die Forderung nahe legen, eine Trennung der durch das rein äußere Band von annähernd gleichen Erscheinungen auf der Haut zusammengehaltenen Gruppe des Pemphigus vorzunehmen. Pemphigus syphiliticus.

Infolge von Syphilis entwickeln sich besonders bei angeerbter Lues (Handteller und Fußsohle), seltener bei erworbener pemphigusähnliche Blasen (siehe das Nähere § 95).

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Krankheiten der Haut.

Die Behandlung kann nur symptomatische Aufgaben erfüllen: Schutz der ihrer Oberhaut beraubten Stellen durch reizlose Salben oder Streupulver in leichteren, langdauernde, vielleicht anhaltende Warmwasserbäder in schwereren Formen. Die mit Fieber verlaufenden Fälle können Antipyrese notwendig machen; die allgemeine Ernährung muß sehr berücksichtigt werden. Besonders ist auf die so oft vorhandene Schlaflosigkeit Rücksicht zu nehmen. § 270.

Pigmentanomalien.

Angeboren kommt vor der sogenannte N a e v u s p i g m e n t o s u s : Flecken in der Haut von verschiedener Gestalt und Größe, durch mehr oder minder starke Anhäufung von Pigment gebildet, bo daß sie vom leichtesten Gelbbraun bis zum tiefen Schwarz gefärbt erscheinen. Manchmal sind gleichzeitig auf den Flecken zahlreiche Haare zu finden (NaevTis pilosus), in anderen Fällen ist die Haut hier stellenweise gewuchert, so daß sie sich warzig über die Oberfläche erhebt (Naevua verrucosus). — Erworben werden: Lentigines, Epheliden — die Sommersprossen, nicht nur im Gesicht, sondern gleichfalls an bedeckten Körperteilen, im Sommer stärker gefärbt, indes auch im Winter nachweisbar, meist im ersten Jahrzehnt des Lebens erworben, später aber nicht mehr verschwindend. Chloasmata (Leberflecke) — nur dadurch verschieden, daß sie von größerer Ausdehnung sind. Sie treten nach Hautentzündungen, aber auch mit Erkrankungen innerer Organe auf. Chloasma u t e r i n u m , fast stets auf das Gesicht beschränkt, ist das häufigste unter diesen; es stellt sich während der Schwangerschaft uud mit chronischen Erkrankungen der weiblichen Genitalien ein. — Von manchen werden auch die ausgedehnten Pigmentierungen der Haut bei Addison's Krankheit, nach Malaria u. s. w. bei den Pigmentanomalien der Haut behandelt. — Die Beseitigung der F ä r b u n g e n , welche örtlichen Reizen ihren Ursprung verdanken, gelingt ebenso wie die der von den Leiden innerer Organe herrührenden nur dann, wenn diese Ursachen zu wirken aufhörten. Durch allmähliches Entfernen der im Bete Malpighi gelegenen, Pigment fuhrenden Zellen tritt Entfärbung ein. Künstlich kann man kleinere Flecken (z. B. von der Gesichtshaut) durch Mittel wegschaffen, welche, eine geringe Entzündung mit Transsudation hervorrufend, die raschere Abstoßung und Erneuerung der Epidermis herbeiführen. Vor allem eignen sich dazu Lösungen von Sublimat von 0,1 bis höchstens l°/o; damit werden Oberschläge befeuchtet und bei den stärkeren Lösungen bis zu einigen Stunden, bei den schwächeren länger auf die gefärbten Stellen gelegt. Es bildet sich dann die gewünschte Entzündung aus, und die Epidermiserneuerung folgt nach. Die starken, Lösungen verursachen heftigen Schmerz, sie sind nur mit großer Vorsicht anzuwenden, namentlich muß die Umgebung der kranken Teile geschützt werden. Nachher wird die geätzte Stelle mit feinem Puder bestreut. Sehr empfohlen wird auch die Salbe von Wismut und weißem Präcipitat (B 13). Allgemeiner Albinismus: Fehlen des Pigments in Haut und Haaren, meist auch in der Iris ist wie der partielle — Beschränktsein des Pigmentmangels auf einzelne Stellen der Haut — angeboren. Es findet sich aber auch eine erworbene Form (Vitiligo). Hierbei bildet sich von einer kleinen, engumschriebenen Hautpartie her, welche in der Mitte weiß, an den Rändern aber dunkel gefärbt erscheint, durch Flächenausbreitung die Entfärbung aus; immer ist die weiß gewordene Stelle von einem kleinen stärker pigmentierten Saum umgeben. Die Flecken treten fast stets in größerer Anzahl auf und können zusammenfließend bedeutende Strecken der Haut bedecken, zumal da es sich um einen lange dauernden, vielleicht das ganze Leben anhaltenden Vorgang handelt. — In dieselbe Kategorie gehört das, meist als Familieneigentümlichkeit zu betrachtende, frühzeitige Grauwerden der Haare: Canities praematura. In ganz vereinzelten Fällen hat man dasselbe übrigens auch als unmittelbare Folge einer heftigen psychischen Erschütterung oder eines starken Schmerzes beobachtet.

Pigmentanomalien.

Erkrankungen der Haare.

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§ 271. Erkrankungen der Haare. Es kommt angeboren eine fast über den ganzen Körper ausgebreitete B e h a a r u n g (Hirsuties universalis) — und eine auf kleinere Strecken beschränkte (Hirsuties circumscripta) vor, die letztere ist häufigst mit Hypertrophie und stärkerer Pigmentierung der Haut verbunden. Davon zu unterscheiden ist die im Laufe des Lebens sich einstellende Entwicklung von Haaren an Stellen, wo sie sonst nicht hingehören, z. B. der Bartwuchs bei Frauen auch diesseit der klimakterischen Jahre. Bisweilen sieht man das gleiche an Stellen, welche längere Zeit Beizen ausgesetzt waren. Von weiteren Anomalien sind zu nennen: Trichorhexis nodosa: kolbige Verdickung an einer oder mehreren Stellen des Haarschaftes mit großer Brüchigkeit an den erkrankten Teilen. Trichoptilosis — die Haare spalten sich an ihren freien Enden. Die Alopecie (Kahlköpfigkeit) ist gewöhnlich erworben, es finden sich allerdings Familien, in denen das frühzeitige Ausfallen der Haare ohne äußere Veranlassung die Begel ist. — Veranlassung zum Ausfallen der Haare (Alopecia difftisa Simplex) geben häufigst allgemeine Erkrankungen (die Mehrzahl der akuten Infektionen, Syphilis) und dauernde Entzündungen des Haarbodens. Daß mit dem Eintritt des Greisenalters gleichfalls Haarschwund sich einstellt, ist bekannt. Als besondere Form wird die Alopecia diffusa p i t y r o d e s unterschieden, welche auf vermehrte Produktion der sämtlichen Epithelialgebiete der Kopfhaut bezogen wird; dabei soll es nicht zur ausreichenden Befestigung des Haares in seinem Balg kommen, sondern durch die rasche Bildung von Epithelzellen innerhalb desselben soll das Haar herausgedrängt werden. Der Haarboden ist mit einem schmierigen, fest anhaftenden Überzug bedeckt, oder zeigt reichliche Schuppen. Der Haarwuchs kehrt nach den Infektionskrankheiten meist im Laufe der Zeit wieder, ebenso nach den örtlichen Entzündungen dort, wo nicht die wirkliche Zerstörung der Haarzwiebel erfolgte. — Die Alopecia pityrodes wird so b e h a n d e l t : Zuerst starkes Einölen des Kopfes, um die denselben bedeckenden Schuppen zu erweichen; dann Waschungen mit Schmierseife und Bürste, Abdouchen mit kaltem reinen Wasser, Abtrocknen, darauf wieder Einreibung mit ö l , welches nun 24 Stunden liegen bleibt. Das Ganze wird am nächsten Tage und so fort wiederholt — Noch besser soll wirken: Waschung mit Seife, Abspülen, Trocknen — dann Einreiben einer Salbe mit lOprozentiger Pyrogallussäure, Einhüllung des Kopfes in eine Flanellkappe. Nach einer Woche hört das auf; es wird jetzt zweimal wöchentlich abends eine Seifenwaschung vorgenommen, morgens täglich Öl eingerieben. Nachdem dies eine Woche lang geschehen, wird täglich eine Mischung von 5—10 g Salicylsäure, 100 g Franzbranntwein und 20 g Glycerin tüchtig mit Hilfe der Haarbürste eingerieben. Das Ganze muß Monate hindurch fortgesetzt werden. Bei der Alopecia areata (Area Celsi) zeigen sich, gewöhnlich am Kopf (Hinterhaupt) zuerst ein oder mehrere kleine kahle Flecke, welche anfangs rascher, nach Verlauf einiger Wochen äußerst langsam aber unaufhaltsam wachsend, annähernd die Form des Kreises annehmen, scharf umschrieben sind, indes bei ihrer Ausbreitung ineinander überfließen. Bald treten neue Herde auf und machen den gleichen Gang. Es kommt vor, daß fast die ganze Körperoberfläche beteiligt wird. An den ergriffenen Stellen ist vollständige Kahlheit eingetreten; nicht einmal Reste von Haaren sind sichtbar, die Haut erscheint weiß, fast wie eine Narbe und leicht eingesunken. Nach Ablauf einer längeren Zeit hört mit einem Schlage das Übel auf Fortschritte zu machen, binnen kurzem entwickelt sich wieder Wollhaar, dann stärkeres, normal gefärbtes Haar, so daß die vollständige Genesung als nahem ausnahmslose Begel betrachtet wird. Nach einigen Beobachtungen kann mit der Entwicklung der Area Celsi eine Störung des Allgemeinbefindens (Kopfweh, Mattigkeit, Appetitmangel, Abmagerung) einhergehen; ebenso sind örtlich Parästhesien vorhanden. An den bereits enthaarten Stellen ist eine Störung der Sensibilität nach keiner Richtung hin nachweisbar. — Die Entstehungsursachen der Krankheit sind vollkommen unbekannt; die Versuche einer Erklärung durch die Annahme einer neurotischen Grundlage sind ebenso vergeblich wie die, welche das Ganze auf parasitäre Infektion zurückführen wollen. — Eine zweckmäßige Behandlung kennen wir nicht.

Krankheiten der Haut.

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§ 272.

Ichthyosis.

Bei der Ichthyosis (Fischschuppenkrankheit) findet sich eine nickt auf entzündlichen Vorgängen beruhende oder damit einhergehende Verdickung der Oberhaut. — Man sieht zunächst eine leicht verstärkte Abschuppung, so daß die Haut wie mit Puder bestreut erscheint und dabei etwas perlmutterartig glänzt — Ichthyosis nitida. Bei weiter gediehener Erkrankung wird die Bildung von Schuppen reichlicher, gleichzeitig sind dieselben in der Farbe verändert, graugrün, der Schlangenhaut bis zu einem gewissen Grade ähnlich — Ichthyosis serpentina. In den höchst entwickelten Formen ist die Epidermis mit festen, hornartigen, bis zu 2 cm langen Schildern von dunkler, grünschwarzer Farbe bedeckt, welche fest anhaften — Ichthyosis hystrix. Die Streckseiten der Glieder sind besonders stark ergriffen, weniger ist es der Rumpf, die Beugeseiten der Gelenke bleiben fast immer frei. Die Handteller und Fußsohlen, ebenso das Gesicht können beteiligt sein. Die Erkrankung ist in der Regel über größere Hautflächen ausgedehnt. — Das Allgemeinbefinden wird nicht beeinträchtigt. Meist handelt es sich um ein angeborenes Übel, welches in bestimmten Familien heimisch ist. Anatomisch ist eine vermehrte Bildung von Epithelzellen mit gesteigerter Neigung zur Verhornung vorhanden. — Die Heilung ist selten, bisweilen ist sie nach akuten Exanthemen beobachtet. Die Behandlung besteht in Entfernung der Schuppen durch Schmierseife, darauf folge regelmäßiges Baden und Einfetten der überaus trocknen, kaum oder gar nicht schwitzenden Haut mit 2prozentiger Salieylvaseline. § 273.

Skleroderma der Erwachsenen.

Die Entwicklung des Sklerodermas, welches in seiner vollendeten Ausbildung als schwere Ernährungsstörung der Haut erscheint, vollzieht sich so: Schmerzlos treten mehrfache hart anzufühlende Erhebungen über die gesund gebliebene Nachbarschaft, sich scharf davon absetzend oder verschwommen in dieselbe übergehend, auf, welche schwach rot gefärbt sind. Die Erhebungen breiten sich aus und werden blaurot; wenn mehrere dichter aneinander stehen, fließen sie, unregelmäßige Figuren bildend, zusammen. Später sinkt die Mitte ein, deren Rötung verliert sich und macht einer weißen oder grauen Färbung Platz, gleichzeitig stößt sich die Epidermis ab und reichliche Schuppen bedecken die erblaßten mattglänzenden Hautteile. Es kann am länger blaurot gebliebenen Saume, aber auch in der bereits abgeblaßten Mitte zur Entwicklung brauner Pigmentflecke kommen. Ohne den Kranken nennenswert zu belästigen, bleibt diese Veränderung bestehen, sie kann sich aber auch vollständig zurückbilden. — Neben dieser gutartigen umschriebenen Form kommt eine bösartige ausgebreitete vor. Durch Zusammenfließen ursprünglich vereinzelter Härten, oder indem gleich anfangs größere Flächen erkranken, bildet sich dieselbe aus. Es entsteht so eine mäßige Schwellung, die allmählich in der gesunden Nachbarschaft sich verliert; die Färbung derselben ist schwächer, aber immerhin noch deutlich rot. Später tritt mit Nachlaß der Schwellung ein Einsinken der erkrankten Teile auf; dabei bleibt die Haut hart, sie läßt sich nicht in Falten legen und zeigt keine Runzeln. Auch in diesen Fällen sieht man Entfärbung, Abschuppung und Pigmentierung. Die starre Haut wird an den Teilen, wo sie eine knöcherne Unterlage hat, deren Gegendruck ausgesetzt und allmählich atrophisch, ebenso

Ichthyosis.

Skleroderma.

Elefantiasis arabum.

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über den Gelenken, deren Bewegungen außerordentlich erschwert sind, so daß sie nicht selten in halber Krümmung festgestellt werden. — Hier können aus den entstandenen Einrissen sich Geschwüre entwickeln, die tief greifend Knochennekrose hervorzurufen vermögen. — Die obere Körperhälfte ist mehr als die untere befallen, das Gesicht bleibt nicht frei. — Heilung ist sehr selten; meist tritt, freilich erst nach Ablauf vieler Jahre, der Tod unter den Erscheinungen des Marasmus ein. — Über die Ätiologie ist nichts bekannt, auch die anatomische Untersuchung ist über den Nachweis von kutaner und subkutaner Vermehrung des Bindegewebes nicht viel hinausgekommen. — Die Therapie kann nur eine palliative (Fetteinreibung, warme Bäder) sein; neuerdings will man freilich durch Elektrizität (Sympathicus) etwas erreicht haben. Sklerem der Neugeborenen.

Bei jüngsten Kindern findet sich im Gefolge von Erkrankungen, die mit Schwächung der peripheren Circulation einhergehen (Cholera nostras, Bronchitis capillaris u. s. w.), zuerst an den unteren Extremitäten, dann von hier sich aufwärts ausbreitend oder überhaupt an denjenigen Punkten, die nicht genügend Blut bekommen, sich ausbildend eine eigentümliche Veränderung; welche man als Sklerema neonatorum bezeichnet hat. Die Haut fühlt sich kalt an, sie erscheint hart, geschwellt, ranzellos, gespannt, cyanotisch oder vollständig blaß. Es kann eine ödematöse Durchtränkung derselben vorhanden sein oder fehlen; was geschieht, ist davon abhängig, ob der Vorrat des Körpers an Flüssigkeit erschöpft ist oder nicht. Das eigentliche Wesen des Vorgangs beruht auf einer Erstarrung des bei so jungen Kindern schwerer schmelzbaren (mehr Palmitin- und Stearin-, weniger Ölsäure enthaltenden) Fettes. — Es handelt sich also um nichts weniger, als um eine Hauterkrankung.

§ 274.

Elefantiasis Arabum.

Wenn längere Zeit hindurch die Strömung des Venenblutes oder du der Lymphe erschwert war, entwickelt sich manchmal an den hiervon befallenen Körperteilen eine bedeutende Verdickung des Bindegewebes. Die unteren Extremitätem, und die Genitalien, männliche wie weibliche, sind am häufigsten der Sitz dieses Leidens — es kommt aber auch an den Händen, sogar an der Nase vor. Wegen der entstellenden Plumpheit, welche die ergriffenen Teile zeigen, ist der Name der Elefantiasis gewählt — der Zusatz „Arabum" schien notwendig, um die Trennung von der Lepra, die auch als Elefantiasis Graecorvm bezeichnet wurde, auszusprechen. — Anfangs sind nur Zeichen des Ödems vorhanden: eine verdünnte, gespannte, an der Oberfläche leicht abschilfernde Haut über einem mit Flüssigkeit erfüllten "Unterhautzellgewebe, in welchem Fingereindrücke Vertiefungen hervorrufen. Im Laufe der Zeit verdickt sich die Haut und das unter ihr gelegene Bindegewebe, es bleiben Eindrücke nicht mehr stehen, die Massenzunahme wird stärker und stärker, so daß die natürlichen Formen zum Verschwinden kommen. Stärkere Bildung von Epidermis, Ichthyosis ähnliche Wucherungen, Ekzeme, auch wohl Geschwüre, welche zur Gangrän führen können, stellen sich ein. — An sich leidet das Allgemeinbefinden nur dann, wenn sich die Elefantiasis über sehr weite Strecken ausgedehnt hat. — Abgesehen von der Erschwerung der Blut- und Lymphbewegung durch chronische Entzündungen nicht spezifischen Ursprungs, wird ein häufiger recidivierendes Erysipel, und für die in manchen Teilen der Tropen endemischen Formen ein Parasit (Filaria Bankrofti) als veranlassende Ursache betrachtet. Endlich schließt sich die ElefanT. J ü r g e n s e n , Spez. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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850

Krankheiten der Haut.

tiasis in seltenen Fällen an Neurofibrome der Haut an. — Die Prognose ist keine besonders gute für die vollständige oder auch nur annähernd vollständige Ausgleichung der örtlichen Veränderungen — das Leben wird freilich unmittelbar nicht bedroht, wohl aber (freilich nicht häufig) mittelbar: Entkräftung, Geschwürsbildung mit Gangrän und septischen Vorgängen. Die Therapie ist eine chirurgische.

§ 275.

Dermatomykosen. Favus.

Man nahm an, daß der Favus (Erbgrind) durch die Wucherung eines Fadenpilzes, des Achorion Schoenleinii, entstehe. QUINCKE wies nach, daß drei Pilze imstande sind, den Favus hervorzurufen. Neuerdings hat man sogar nicht weniger als neun Pilzen diese Fähigkeiten zugeschrieben (UNNA, NEBE). Von anderen wird indes an der Einheit des Favuspilzes festgehalten. Die Pilze erzeugen wuchernd schwefelgelb gefärbte, trockne, runde Scheibßn (Scutula), welche an ihrer Oberfläche leicht ausgehöhlt, an ihrer unteren Fläche hingegen konvex gestaltet und von einzelnen Haaren durchsetzt sind. — Kommen die Pilze auf der Haut zur Ansiedlung, dann zeigen sich zunächst rundliche, gerötete Flecke, welche häufig mit einem Saum von Bläschen umgeben sind (sogenanntes herpetisches Stadium). Nach einiger Zeit schilfert die Haut in der Mitte des Fleckens leicht ab. Nach einigen Wochen sieht man um ein Haar herum und von diesem durchbohrt ein stecknadelkopfgroßes oder noch kleineres, nur durch die Lupe erkennbares, gelbgefarbtes, nach oben konkaves Schildchen, welches sich nun nach allen Seiten weiter ausbreitet. Hat die Pilzwucherung an nahe gelegenen Stellen stattgefunden, dann fließen die dort gebildeten Scheiben zusammen, erheben sich über die Haut, können bis zu mehreren Centimetern dick werden und ebenso in der Fläche eine beträchtliche Ausdehnung erreichen. Im Laufe der Zeit verliert sich die gelbe Färbung etwas, statt ihrer zeigt sich ein schmutziges Grau. Die Favusborken sind schon mit geringer Gewalt zu entfernen, dabei tritt ein wenig Blut aus der Haut, welche, an den vom Pilz eingenommenen Teilen atrophisch geworden, in narbenähnlicher Färbung und Gestalt erscheint. Die Haare nehmen an der Erkrankung teil — sie sind leicht und schmerzlos zu entfernen, trocken und brüchig. An den vom, Favus heimgesuchten Stellen ist der Haarwuchs dauernd zerstört. — Der behaarte Kopf ist der Lieblingssitz des Pilzes, welcher übrigens an jedem Teil der Haut, sogar im Nagel sich in typischer Weise zu entwickeln vermag.' Am Kopf finden sich die massigsten Wucherungen; hier können sie jahrelang sich behaupten, so lange, bis der Haarwuchs ganz zerstört ist. — Man nimmt an, daß der zuerst in den oberflächlichen Schichten der Epidermis wuchernde Pilz bald in die Haarbälge gelangt und zur Haarwurzel vordringt; ebenso kommt er mehr und mehr in die tieferen Lagen der Haut und zerstört sie durch Druck und durch Entziehung des Nährmaterials. Die Behandlung besteht in der Entfernung und Tötung des Pilzes und seiner Sporen. Bei Favus am behaarten Kopfe geht man am besten so vor: gründliches Ölen des Kopfes (dreimal innerhalb von 24 Stunden); während dieser Zeit wird derselbe mit einer Flanellumhüllung bedeckt. Darauf Entfernung der Borken auf mechanischem Wege und nachfolgend eine Waschung mit einer alkoholischen Lösung von Kaliseife. Nun wird Haar um Haar mit der Gilienpincette entfernt;

Dermatomykosen: Favus.

Herpes tonsurans.

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wenn ein Haar leichtem Zuge nicht nachgiebt, läßt man es sitzen, muß aber von Zeit zu Zeit an dem erkrankten Teile der Kepfhaut die Epilation wiederholen und das monatelang fortsetzen. Täglich sind Waschungen mit der Seifenlösung vorzunehmen und unmittelbar nachher pilztötende Mittel anzuwenden: Karbolöl (5—10 °/0), Pyrogallussäure in Salbenform (10 °/0), am besten aber wohl Sublimat in Lösungen von 1 pro mille oder, wenn das Mittel von der Haut ertragen wird, in stärkeren. — Als mittlere Dauer der Behandlung ist etwa ein halbes Jahr zu rechnen. — Favus der Nägel muß durch mechanische Entfernung der kranken Teile (Abkratzen oder Ausschneiden) mit nachfolgender Anwendung von Sublimat behandelt werden. — An den nur mit Wollhaar bedeckten Körperteilen genügt die mechanische Entfernung der Schilder und starkes Einreiben von Schmierseife, um in kurzer Zeit die Heilung herbeizuführen. Herpes tonsurans.

Auch der Herpes tonsurans (Herpes circinatus, Ringworm, Scherflechte) entsteht durch Wucherung eines Fadenpilzes (Trichophyton tonsurans). Derselbe kommt an behaarten wie an haarlosen Teilen des Körpers vor und macht je nach dem Sitze seiner Ansiedlung etwas verschiedene Bilder. — Es wird von vielen angenommen, daß die parasitäre Sykosis und das Ekzema marginatum gleichfalls durch Trichophyton tonsurans hervorgerufen werden. Auf dem behaarten Kopf sieht man mehrere bis 4 cm große Scheiben mit spärlichem Haarwuchs. Bei genauerer Untersuchung stellt sich heraus, daß die wenigen zurückgebliebenen Haare, glanzlos und wie betäubt erscheinend, eine Strecke oberhalb ihrer Wurzel, bald höher, bald tiefer abgeknickt sind, so daß der Vergleich mit einem schlecht gemähten Stoppelfelde oder mit einem von ungeübtester Hand ausgeführten Versuch des Haarschneidens zutrifft. Der Haarboden ist an der erkrankten Stelle mit einer Lage festanhaftender weißer Schuppen bedeckt; er zeigt sich nach deren Entfernung etwas gerötet, geschwellt, serös durchfeuchtet und gegen Druck leicht empfindlich. Im Umkreis des eigentlichen Herdes finden sich kleine Bläschen oder die nach deren Platzen zurückgebliebenen dünnen, leicht bräunlich gefärbten Krusten neben seichten, des Epithels beraubten, ein wenig nässenden umschriebenen Abschürfungen. — Auf den anderen mit ausgebildeten Haaren versehenen Körperteilen ist das gleiche vorhanden; nur am Barte kann das Bild der Sykosis sich darbieten. — Der Verlauf ist sehr chronisch bis zu Jahren ausgedehnt; wesentlich ist das durch Selbstinfektion bedingt. — Genesung mit vollständiger Neubildung der Haare und ohne Narben der Haut ist Regel, von welcher nur nach sehr hartnäckigen Fällen Ausnahmen sich finden. An nicht behaarten Körperteilen zeigt sich die Erkrankung in mehrfacher Form: Herpes tonsurans vesiculosas— hirsekorn- bis stecknadelkopfgroße Bläschen, vereinzelt oder zu Gruppen vereint, mit wasserhellem Inhalt und äußerst dünner Epitheldecke, daher schnell platzend und nun leichte Suhuppen zurücklassend. Der rote geschwellte Punkt, auf welchem die Bläschen aufschössen, wächst zum Ringe aus mit neuer Bildung von Bläschen; weitere schließen sich an, während das Centrum heilt. Es kommt vor, daß mehrere konzentrische Kreise mit geringem Abstand sich entwickeln, ebenso, daß benachbarte zusammenfließend einen gleichmäßigen leicht erhabenen, sich allmählich vorschiebenden Wall bilden, der mit Bläschengruppen bedeckt ist. Die entzündliche Schwellung kann 54*

852

Krankheiten der Haut.

ziemlich bedeutend werden, dann erreichen auch die Bläschen eine beträchtlichere Ausdehnung und lassen platzend ihren Inhalt austreten, der zu einer Kruste, ähnlich wie bei dem Ekzem erstarrt. Es können hierbei sogar AllgemeinersCheinungen mit Fieber auftreten. — Die Dauer der Erkrankung, welche meist mit vollständiger Heilung endet, höchstens leichte Pigmentierung der Haut zurückhält, schwankt zwischen 6 Wochen und etwa 3 Monaten. Hiervon verschieden gestaltet sich der Verlauf, wenn die Entwicklung des Pilzes — von manchen wird angenommen, daß es sich um eine andere Pilzart (Mikrosporon minutissimum) handle — auf Hautfläeken vor sich geht, welche dauernd der Einwirkung feuchter Wärme ausgesetzt sind (die Haut des Skrotum und die gegenüberliegende des Oberschenkels, die Achselhöhle u. s. w.). Die Erscheinungsform ist im ganzen die gleiche, nur daß sich neben Bläschen auch Knötchen bilden und der Vorgang sehr hartnäckig sich erweist; heftiges Jucken, dadurch Ekzem und Verdickung der Haut sind mit demselben verbunden. Das Ganze wird auch als Ekzema marginatum beschrieben. Der Herpes tonsurans maculosus ist die häufigste Form von allen: Am Rumpfe und an den Gliedern treten zuerst bis linsengroße leicht erhabene, wenig gerötete Flecke in spärlicher Menge auf. Rasch nimmt ihre Zahl zu, während der einzelne Fleck sich mit rot gefärbtem Saum in die Fläche ausbreitet, in der Mitte etwas vertieft erscheint und hier nur eine gelbliche Farbe zeigt. Die benachbarten Herde fließen zusammen und bilden so unregelmäßige Figuren, von deren Außenwand hier weiter und weiter sich die Erkrankung vorschiebt. — Man berechnet die Zeit fiir das Auftreten neuer Herde bis sechs Wochen vom Beginn der Erkrankung, die Dauer des Ganzen aber auf ebensoviel Monate. Ekzem kann sich als Komplikation entwickeln, Juckreiz und Kratzen fuhren dazu. Auch an den Nägeln vermag sich der Pilz einzunisten. Dieselben verlieren ihre normale Beschaffenheit und Farbe, sie werden brüchig und rissig, zeigen unregelmäßige Verdickungen und eine graue Färbung. Bemerkenswert ist, daß Trichophyton tonsurans bei unseren Haustieren (Pferden, Rindern, Kaninchen, Hunden und Katzen) vorkommt; der Parasit ist von ihnen auf den Menschen und umgekehrt übertragbar. Anatomisch untersuchend findet man den Pilz in den oberen, nicht in den tieferen Schichten der Epidermis, sowie in den Haaren angesiedelt. Eine Zerstörung der Gewebe findet dabei nicht statt. Die Behandlung ist im ganzen die gleiche wie beim Favus. Nur können die Öleinreibungen wegfallen, wenn nicht größere Krusten sich gebildet haben. § 276.

Tierische Parasiten. Skabies.

Die Skabies (Krätze) wird durch die Krätzmilbe (Sarkoptes scabiei) hervorgerufen. Dieselbe ist von eiähnlicher Form, das weißgefärbte Weibchen ist 0,35mm breit, 0,23 mm lang, die Maße bei dem mehr gelben oder bräunlichen Männchen werden zu 0,25 mm und 0,15 mm angegeben. Vorn und hinten sind je zwei Paar Extremitäten vorhanden, welche vorn Saugnäpfchen tragen. Der Kopf ist mit leicht gezähnten, scherenartig übereinander gelegten kräftigen Mandibeln ausgerüstet. Die Atmung geschieht unmittelbar durch die Haut. Das Weibchen besitzt Ovarien, ein Legerohr und eine Lege-

Dermatomykosen.

Tierische Parasiten: Skabies.

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spalte, das Männchen einen hufeisenförmigen Penis. — Die jungen Milben, welche nach ihrer Entwicklung im Ei noch eine mehrfache Häutung erfahren und nach vier Wochen geschlechtsreif werden, sowie die Männchen leben in kleinen Höhlen, welche sie sich aus-

graben, auf der Haut zerstreut-, die Weibchen dagegen graben sich Gänge, welche etwa 3 cm lang werden können, leicht gekrümmt sind und oberhalb der Cutis liegen, in jedem derselben ist nur ein Tier vorhanden. Hier werden sie von den Männchen aufgesucht und befruchtet, hier legen sie ihre Eier, deren bis zu 26 in einem GaDge enthalten sein können; hier sterben sie nach 3—4 Monaten gesamter Lebensdauer.

Man hat durch absichtliche Übertragung die Entwicklung der Krätze bei dem Menschen genauer kennen gelernt: Nachdem mit Hilfe ihrer kräftigen Mandibeln die Krätzmilbe unter die Haut gelangt ist, wobei der Heimgesuchte schon etwas Juckreiz empfindet, zeigt sich nach zwei bis drei Tagen ein stecknadelkopfgroßes Bläschen oder Knötchen, wie eine leicht geritzte Hautoberfläche erscheinend, das von Tag zu Tage länger wird. J e nach der Dicke der Haut wird nun der vorgeschobene Oang ein verschiedenes Aussehen derselben erzeugen: eine leichte Erhabenheit bei starker Epidermisschicht, Bläschen oder Pusteln, auch die Entwicklung von Knötchen bei zarter Oberhaut. Mit dem Weiterwandern der Milbe verschwinden die geringen örtlichen Entzündungen in kurzer Zeit, sie treten dort aufs neue auf, wo die Milbe weiter wühlt. — Die aus den Eiern ausgeschlüpften Tiere graben sich wiederum ein, so breitet sich die Krankheit in verhältnismäßig kurzer Zeit aus, rechnet man doch die Zahl der Nachkommen eines einzigen Weibchens auf eine Drittel Million für dessen Lebensdauer von drei bis vier Monaten. Lieblingsstellen der Krätzmilbe sind die Beugeseite des Handgelenks, die Seitenfläche der Finger, der Penis bei Männern, bei Frauen die Brustwarze und deren nächste Umgebung. Durch den mit der Menge der angesiedelten Tiere beständig zunehmenden und sehr starken Juckreiz wird Kratzen und dadurch eine weitere Erkrankung der Haut erzeugt, welche sich im ganzen als Ekzem mit allen den vielen ihm eigenen Formenverschiedenheiten darstellt. Die eigentümliche Verteilung desselben muß den Verdacht auf Scabies sofort wachrufen; sucht man genauer nach, dann zeigt sich bald der Gang der Milbe — durch Bestreichen der verdächtigen Gegend mit Tinte, welche dann rasch abgetrocknet wird, tritt derselbe am deutlichsten hervor und es gelingt bei einiger Übung leicht, eine Milbe zu fangen. — Die Behandlung besteht in dem Töten der Milben und ihrer Brut; daneben, aber immer erst danach, kann das vorhandene Ekzem therapeutisches Einschreiten verlangen. — Es giebt eine Menge sogenannter SchneUkuren, bei welchen durch die Anwendung der leichteren Ätzmittel (Schmierseife und Kalkschwefellösung sind die vorwiegend benutzten) die oberflächlichen Epidermisschichten zum Abstoßen gebracht, so die Milbengänge geöffnet werden und ihr Inhalt zu Grunde geht. Eine derselben schreibt vor: Einreibung des Körpers, besonders der von den Milben mit Vorliebe aufgesuchten Stellen, mit Schmierseife; der Kranke ist dabei im warmen Bade und verbleibt in solchem noch eine halbe Stunde nach vollendeter Einreibung. Dann folgt eine starke Einreibung mit der VLEiiiNOEx'schen Kalkschwefellösung (R 71), nun Rückkehr in das gleiche Bad für eine halbe Stunde, darauf eine kalte Douche.

Bei allen diesen Schnellkuren, welche bei schon vorhandenem, stärkerem Ekzem überhaupt nicht anwendbar sind, kann es vorkommen, daß der Ausbruch eines allgemeinen Ekzems folgt, dessen Behandlung Wochen in Anspruch nimmt. Das gleiche gilt von dem Bestreichen des ganzen Körpers mit Petroleum oder mit

854

Krankheiten der Haut.

einer Lösung beziehungsweise mit einer Salbe von Phenol; bei dem Gebrauch des letzteren sind sogar Todesfälle vorgekommen. — Man thut daher gut, mildere Mittel zu wählen. Ein bewährtes Verfahren ist dieses: Zuerst ein J / 2 —1 stündiges warmes Seifenbad. Der Kranke wird, nachdem er dasselbe verlassen, gut trocken gerieben und nach Verlauf einer Stunde mit Perubalsam (auch wohl Copaivabalsam oder Styrax — 30 Teile des letzteren mit 8 Teilen Olivenöl gemischt werden empfohlen), welcher mit einem dicken Malerpinsel tüchtig eingerieben wird, bestriehen — dabei sind die Genitalien des Mannes und die weiblichen Brüste nicht zu vergessen. Man hüllt den Patienten nun in wollene Decken ein und wiederholt zuerst nach zwölf Stunden die Einreibung mit der ihr folgenden Einwicklung; bis zu viermal, immer den gleichen Zwischenraum einhaltend. Zum Schlüsse des Ganzen wird noch ein warmes Seifenbad gegeben. Ekzeme werden bei dieser Methode nicht beobachtet, und sie kann trotz vorhandenen Ekzems angewandt werden. — Bei allen Krätzkuren bleibt unter gewöhnlichen Verhältnissen das Gesicht von den Einreibungen ausgenommen. Nur bei ganz ungewöhnlicher Verwahrlosung und bei langer Dauer des Übels finden sich hier, besonders an den Ohren, Milben — (Skabies crustosa s. Norvegica). — Nach beendeter Kur ist der Kranke mit frischer Wäsche zu versehen. Es wird freilich die Desinfektion der Kleider und der Wäsche, welche durch stark erhitzte trockene Luft zu geschehen hat, von manchen für unnötig gehalten, sie dürfte aber doch kaum zu vernachlässigen sein. Sind reichlicher Ekzeme vorhanden, dann können dieselben nach beendeter Kur das Jucken noch eine Zeitlang unterhalten — man darf sich dadurch nicht ohne weiteres zu der Annahme verleiten lassen, die Krätze sei noch nicht getilgt. Erntemilbe; Gersienmilbe.

Die Erntemilbe ist eine sechsbeinige Larve, wahrscheinlich die der roten Erdmilbe (Trombidium holosericeum), welche zur Sommerszeit auf den im Freien sich aufhaltenden Menschen geht und besonders an den unbedeckten Körperteilen, wenigstens dort zuerst, stecknadelkopfgroße rote Knötchen und Quaddeln mit heftigem Juckreiz hervorruft. Das Tier stirbt nach wenig Tagen, ohne sich zu vermehren. — Die Qerstenmilbe — eine achtbeinige Larve — auf der Gerste lebend, ruft bei den mit dieser Getreideart Beschäftigten etwas ernstere Erkrankungen der Haut: Urticaria und sogar ausgedehntere Ekzeme, hervor. Das Tier vermag sich ebensowenig auf dem Menschen zu halten. Läuse.

Die früher gangbare Annahme einer Länsesucht, wobei sich diese Tiere in zahlloser Menge im menschlichen Körper entwickeln und den Ergriffenen langsam zum Tode bringen sollten, eine besonders großen Sündern vorbehaltene Form des göttlichen Strafgerichts, ist unhaltbar geworden. Wir unterscheiden: 1. Pediculus capitis (Kopflaus), 1—2 mm lang, 0,6—1mm breit. Dieselbe legt ihre Eier an die Haare des Kopfes, sie dort durch eine Chitinscheide künstlich befestigend, und geht nicht über den behaarten Kopf hinaus. Das durch den starken Juckreiz bedingte Kratzen fuhrt zu ausgebreiteten Ekzemen, als deren Folge Drüsenanschwellung in dem betroffenen Lymphgebiet sich einstellt." Die Läuseekzeme werden die häufigste Veranlassung zu jener Verfilzung der Haare, welche man als Weichselzopf (Plica polonica) bezeichnet. — Sind die Läuse nicht in zu großer Anzahl vorhanden, dann genügt es, den Kopf tüchtig mit Seife zu waschen und das Haar mit engem Kamm gründlich zu bearbeiten.

Tierische Parasiten: Skabies, Läuse.

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SiDd viel Laase da, dann ist es am besten, das Haar kurz abzuschneiden und

darauf eine Mischung von gleichen Teilen Petroleum und Perubalsam zweimal tüchtig

einzureiben. Das nachbleibende Ekzem wird durch Öleinreibungen und Waschungen mit Kaliseife behandelt. Muß man das Haar schonen, dann lassen sich die angeklebten Nisse am besten durch fortgesetzte Waschungen mit konzentrierter Sodalösung entfernen. 2. Pediculus pubis (Morpio, Filzlaus), bis 2 mm lang und 1,4mm breit, an allen behaarten Körperteilen, den Kopf ausgenommen, zahlreichst meist am Schamberg. Die Eier werden an dem tiefsten Teil der Haare durch Chitin befestigt. Das Tier zeigt sich an seinen Standorten als ein kleiner brauner oder grauer Fleck, beißt sich ziemlich fest in die Haut ein, steckt mit dem Kopfe in dem Ausführungsgang eines Haarbalgs und klammert sich an den benachbarten Haaren fest, so daß es der Entfernung einigen Widerstand leistet. Die Filzlaus verursacht anhaltenden und starken Juckreiz. Der Ausbruch von Ekzem ist daher etwas ganz Gewöhnliches. — Die Behandlung besteht in dem Einreiben grauer Salbe; jedoch ist dieses Mittel nicht bei stärkerem Ekzem anzuwenden. Man wählt dann statt dessen weiße Präzipitatsalbe; von beiden Präparaten genügt es bohnengroß zweimal einzureiben. Mehr noch wird neuerdings eine Mischung von Petroleum und Perubalsam, oder dieser allein empfohlen, zweimal täglich mittels des Pinsels einzureiben und etwa zwei Tage zu wiederholen. Das Ekzem verlangt nicht selten wieder eigene Sorge, weicht aber meist bald. 3. Pediculus vestimentorum (Kleiderlaus), die größte der Läuse, ist 2—3 mm

lang, 1 — 1 5 mm breit, sie hält sich dauernd in den Kleidern oder in unsauberen Betten auf und geht auf die Haut nur, um Nahrung zu suchen. Dabei bohrt sie

ihren Saugrüssel ein, der Verletzte empfindet ein gelindes Stechen. Nachdem das gesättigte Tier sich losgemacht hat, erscheint an der Stichöffnung ein kleines Bluttröpfchen, bald aber bildet sich eine Urticaria ähnliche Quaddel, welche heftiges Jucken hervorruft. Durch fortgesetztes Kratzen, bei welchem die Haut formlich zerfleischt wird, entwickelt sich, außer Ekzem und oberflächlichen Geschwüren, auch wohl Furunkeln, eine bis zum Schwarz reichende Pigmentierung an den besonders ausgesetzten Stellen. E s sind das solche, an denen die Kleider sich reichlicher in Falten legen (gewöhnlich die Nackengegend, jene Teile, wo Hosen oder Röcke um den Leib fest gemacht sind und die oberen Teile der Handgelenke). Nur bei großer Verwahrlosung findet sich die Kleiderlaus noch an anderen Stellen, sie kann einen sehr großen Teil des Körpers heimsuchen. — In diesen Fällen wird man daher auch auf der Haut selbst das Tier antreffen — meist muß man, durch die eigentümliche Verteilung der Hauterkrankung aufmerksam gemacht, in den Kleidern nachsehen. Man lasse sich nicht durch eine hervorragende soziale Stellung des Befallenen und seine sonst große Reinlichkeit irre machen — wollene Wäsche wird oft länger als nötig getragen, und in den Betten findet, wennschon die Überzüge gewechselt sind, die Laus noch oft einen Schlupfwinkel. Die Behandlung hat nur dafür zu sorgen, daß von Läusen freie Wäsche und Kleider angezogen und solche Betten benutzt werden. Der Aufenthalt in erhitzter trockener Luft von 70—80° R. etwa sechs Stunden fortgesetzt tötet sicher die Tiere und ihre Eier. Die Folgez"üstände auf der H a u t sind nach allgemeinen Regeln zu behandeln; selbst eine starke Pigmentierung verliert sich bald.

Krankheiten der Haut.

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Flöhe; Wanzen; Dipteren.

Die durch den Floh — Pulex irrilans — hervorgerufenen Hautverletzungen werden kaum jemals Gegenstand ärztlicher Behandlung. Für die Diagnose ist es dagegen .nicht unwichtig, darauf aufmerksam zu machen, daß die ursprünglich von einem roten Injektionshofe, der bei Druck verschwindet, umgebene feine Petechie namentlich bei allgemeiner schlechter Ernährung oder während der mit sogenannter Dissolutio sanguinis einhergehenden Infektionskrankheiten eine nicht unbedeutende Größe erlangt und Mißdeutungen unterliegen kann. Gleichzeitig vorhandene frische Flohstiche und der in der Regel der Haut aufliegende braunschwarz gefärbte K o t des Tieres schützen am besten gegen Verwechslungen, die am ehesten möglich sind, wenn auf einem größeren Teil der Körperoberfläche sich ein Stich neben dem anderen zeigt. — Wanzenbisse können zur Bildung großer stark juckender Quaddeln Veranlassung geben, ebenso die Bisse v e r s c h i e d e n e r Zweiflügler (Mücken, Bremsen, Wespen, Bienen u. s. w.), bei denen allen es zur Entleerung der Giftdrüsen dieser Tiere kommt. Waschungen mit Ammoniak, 1 Teil auf 1 0 Teile Spiritus mit Zusatz von 0,1 Phenol beseitigen wenigstens das Jucken, die Anwendung der Kälte nützt gegen die entzündlichen Erscheinungen. Von den nicht in E u r o p a einheimischen Parasiten mögen noch Erwähnung finden: Pulexpenetrans (Sandfloh). Das befruchtete Weibchen bohrt sich unter die Haut ein und ruft eine heftige Entzündung, welche bis zur Gangrän gedeihen kann, hervor; sogar Tetanus soll nicht ganz selten sein. Füaria medinensis (Guineawurm) gelangt wahrscheinlich mit dem Trinkwasser in den Körper, er macht an dem Orte seiner Ansiedlung umschriebene Entzündungsherde, welche sich von selbst öffnen, und aus denen das bis zu 80 cm lange, bisher allein bekannte Weibchen austritt oder durch sanften Zug entfernt werden kann. Übrigens können die örtlichen Erscheinungen sehr ernst werden, es kann zur Gangrän oder zur Sepsis kommen. § 277.

Neubildungen in der Haut.

Von Neubildungen finden sich in der Haut: HautMrner, Warzen, Schwielen, Leichdörner, dann Keloid, Fibrom, Xanthom, Lipom, Bhinosklerom, Angiom, Neurom, Myom,, endlich die verschiedenen Arten der bösartigen Geschwülste: Sarkome, Epitheliome, Karcinome. Das ganze Gebiet fällt naturgemäß der Chirurgie zu.

Anhang. ßezeptformeln. Ein K iui Text mit der hinzugefügten Zahl weist auf die betreffende Nr. hin.

Nl\ 1. R Acid, arsenicos. 0,25 g. Pulv. et succ. liquir. ääq. s. (2,5 g ) f. 1. a. pilul. Nr. 50. c. d. sgn.: Täglich nach dem Essen eine (!) Pille z. n. Kr. 2.

B Liquor, kalii arsenicos. 2 g. Tinctur. amar. 8 g. m. d. sgn.: 3mal tägl. 10—15 Tropfen z. n.

Nr. 3. R Acid, carbolic. 5 g. Pulv. et succ. liquir. ää q. s. (3,0 g.) f. 1. a. pilul. Nr. 100. c. pulv. cass. cinnamon, d. ad vitr. sgn.: 3 mal tägl. nach dem Essen 3(!) Pillen z. n. Nr. 4. R Acid, hydrochloric, dilut. 4 g. Sirup, rub. id. 40 g. Aq. ad 200 g. m. d. sgn.: 2stündl. einen Eßl. v. z. n. Nr. 5. R Acid, hydrochloric, dilut. 30 g. d. ad vitr. epistom. vitreo bene claus. sgn.: 3 mal tägl. vor dem Essen 15 Tropfen in einem Glase Wasser z. n. Nr. 6. R Acid, phosphoric. Sirup, rub. id. ää 100 g. d. sgn.: Eßlöffelweise zum Trinkwasser zuzusetzenNr. 7. R Acid, salicylic. 1 g. • d. tal. dos. ad caps, amylac. Nr. XV sgn.: Ständlich eine Kapsel z. n.

Nr. 8.

R Natrii salicylic. 12 g. Succ. liquir. 20 g. Aq. menth. piper, ad 200 g. m. d. sgn.: Stiindl. einen Eßl. v. z. n.

Nr. 9. R Extract, aloes. Sapon. jalapin. ää 2,5 g. f. 1. a. pilul. Nr. 50. c. d. ad vitr. sgn.: Abends 1—3 Pillen z. n. (NB. Mittelstarke Abführpillen.) Nr. 10.

R Apomorphin. hydrochloric. 0,1 g. Aq. dest. 9,4 g. Glycerin, puriss. 0,5 g. m. d. ad vitr. colorat. sgn.: Zur subkutanen Injektion. (»/,—1 Pravaz z. Zt.)

Nr. 11. R Apomorphin. hydrochloric. 0,02 g. Acid, hydrochloric, dilut. 1 g. Succ. liquir. 5 g. Aq. ad 200 g. m. d. sgn.: Jede Stunde einen Kinderlöffel

Nr. 12. R Atropin. sulphuric. 0,05 g. Pulver, et succ. liquir. ää q. s. (2,5 g.) ut f. 1. a pilul. Nr. 50. c. d. ad vitr. sgn.: Abends eme (!) Pille z. n.

Rezeptformeln.

858 Nr. 13.

R Bismut. subnitric. Hydrarg. praecipit. alb. ää 2,5 g. Lanolin, ad 25 g. m. f. unguent. — Die Salbe 2 mal wöchentl. abends aufzutragen.

N r . 22.

R Chrysarobin. 2g. Unguent, paraffin. 40 g. m. f. ungt. d. sgn.: Äußerl., einmal tägl. einzupinseln.

Nr. 23. Nr. 14.

R Calcar. carbonic, praecip. 70 g. Camphor, trit. 10 g. m. f. pulv. d. ad vitr. sgn.: Zahnpulver.

Nr. 15.

R Ol. camphorat. 20 g. Gummi arabic. q. s. (10 g) ut f. c. Aq. q. s. ad emuls. 200 g. d. sgn.: 2 stündlich einen Eßl. v. z. n.

N r . 16.

N r . 17.

R Medullae bovis 30 g. Ol. rosmarin. gutt. X. Extr. cbin. 4,0 g. Tinct. cantharid. 2 g. m. f. ungt. d. sgn.: Haarpomade. R Chinin, hydrochloric. 2 g. Acid, hydrochloric, q. s. ad solution. c. Aq. dest. 20 g. d. sgn.: Auf einmal z. n.

Nr. 18. R Chinin, hydrochloric. 2 g. Aq. mentb. piper. 138 g. Succ. liquir. 10 g. m. d. sgn.: Stündlich einen Eßl. v. z. n. Nr. 19. R Chinin, bisulphuric. 2 g. Decoct, alth. 97 g. Tr. op. simplic. gutt. X. m. d. sgn.: Das Ganze als Klystier z. g. Nr. 20.

R Chloral, hydrat. 1 g. d. tal. dos. ad vitr. colorat. Nr. X. sgn.: Den Inhalt eines Glases in Rotwein gelöst z. n.

N r . 21.

R Chloral, hydrat. 5 g. Decoct, alth. 90 g. Tr. op. simplic. gutt. XV. d. tal. dos. Nr. II. sgn.: Das Ganze (!) zum Klystier z. n.

R Cortic. condurango 15 g. Macera cum Aq. 360 g per horas XII t. coq. usq. ad remanent. 180 g. colatur. adde Sir. cortic. aurant. 20 g. d. sgn.: Jedesmal vor dem Essen einen Löffel v. z. n.

N r . 24.

R Balsam, copaiv. 0,5 g. d. tal. dos. ad capsul. gelatinös. Nr. XXX. sgn.: Tägl. 4 Stück z. n.

N r . 25. R Balsam, copaiv. 10 g. Pulver, cubebar. 15 g. Cerae alb. 5 g. m. f. boli Nr. XX c. d. sgn.: 4 mal tägl. 1 Stück z. n. N r . 26.

R Fol. digital. 1 g. Aq. fervid, q. s. ut f. 1. a. Infusum 100 g. d. sgn.: Stündl einen Eßl. v. z. n.

Nr. 27. R Fol. digital. 1 g. infund. Aq. fervid. q. s. ad colatur 90 g. colatur. réfrigérât, adde: Äther, acetic. 10 g. d. sgn.: Stöndl. einen Eßl. v. z. n. Nr. 28. R Infus, folior. digital. (I g) 100 g. adde: Liquor, kalii acetic. 50 g. m. d. sgn.: 2 stündl. einen Eßl. v. z. n. N r . 29. R Folior. digital, pulverat. 1 g. Extr. gentian, q. s. (1,0—1,5) ut f. 1. a pilul. Nr. XX. c. d. sgn.: 3 mal tägl. 3 Pillen z. n.

Rezeptformeln. Nr. 30.

B Diuretin. 5 g. Aq. menth. piper. 115 g. Aq. q. s. ad 200. m. d. sgn.: Stündl. einen Eßl. v. z. n.

Nr. 31.

R Ferr. reduct. 10 g. Pulver, et succ. liquir. ää q. s. (5 g) ut. f. 1. a. pilul. Nr. 100. consp. pulv. cassiae cinnam. d. sgn.: 3 mal täglich nach dem Essen 3 Pillen zu nehmen.

N r . 32.

R Ferr. carbonic. saccharat. 4 g. Mass. Cacao 40 g. m. f. trochisc. Nr. XX. d. sgn.: 4 mal täglich 1 Stück z. n.

R Ferr. sulphuric. Kalii carbonic. ää 15 g. Gummi arabic. 5 g. Aq. q. s. ut f. 1. a. pilul. Nr. 96. Conspg. pulver. cass. cinnamom. d. ad vitr. sgn.: 3 mal tägl. 3 Pillen nach dem Essen z. n.

859

Nr. 36.

R Unguent, hydrarg. einer. 3 g, d. t. dos. ad chart, cerat. Nr. XV. sgn.: Äußerlich.

Nr. 37.

R Hydrargyr. bichlorat. corrosiv. 0,1 g. Natr. chlorat. 1,0 g. Aq. 10,0 g. coque, filtra, d. sgn.: zur subkutanen Injektion ( l / 2 —1 Pravaz täglich einmal).

Nr. 38.

R Hydrargyr. bichlorat. corrosiv. lgNatr. chlorat. 10 g. Pulver, et succ. liquir. ää q. s. ut f. 1. a. pilul. Nr. 100. c. d. sgn.: 3 mal tägl. nach dem Essen 2(!) Pillen z. n.

Nr. 33.

NB. Die BiAüü'schen Pillen, nach der durch N I E H E Y E R üblich gewordenen Vorschrift. Die vierte Ausgabe des Arzneibuches enthält eine Magistralformel für Pilulae Ferri carbonici Blaudii. Nr. 34.

R Extract. filic. Pulver, rhizom. filic. ää 10 g. f. 1. a. boli Nr. X. (seu pilul. Nr. 100). conspg. d. sgn.: Im Laufe von 1—2 Stunden z. n.

Nr. 35.

R Cortic. granat. 60 g. macera per horas XXIV cum Aq. 1000 g. d. coq. len. calor. uequ. ad remanent. 200 g. col. d. sgn.: Im Laufe einer Stuude z. n.

R Cortic. granat. recenter excorticat. 300 g. macer. c. Aq. dest. 500 g. per hör. XXIV. d. coq. len. cal.usq. ad remanent. colatur. 200 g. c. d. sgn.: Auf einmal durch die Sonde einzugießen.

N r . 39.

R Hydrargyr. chlorat. mit. 0,05 g. Sacchar. lact. 0,5 g. m. f. p. d. tal. dos.: Nr. XX. sgn.: 3 mal tägl. ein Pulver z. n. (Syphilis.)

Nr. 39 a.

R Hydrarg. chlor, vapore parat.. Natrii chlorat. ää 5,0 g. Aq. stérilisât. 50 g. d. sgn.: Alle 6 Tage nach sorgfältigem Umschütteln eine PBAVAz'schè Spritze zu injizieren.

Nr. 40.

R Hydrargyr. chlorat. mit. 0,005 g. Sacchar. lact. 0,5 g. m. f. p. d. tal. dos. Nr. X. sign.: 2 stündl. ein Pulver z. n. (Kinderdiarrhöe.)

Nr. 41.

R Hydrargyr. chlorat. mit. Sacchar. lact. ää 0,5 g. m. f. p. d. tal. dos. Nr. V. sgn.: Alle 3 Stunden ein Pulver bis zur Wirkung. (Typhus).

Nr. 42.

R Hydrargyr. sulfurât, rubr. 1,0 g. Sulfur. sublimât. 24,0 g. Vaselin. flav. 75,0 g. Ol. bergamott. gutt. XXX. m. f. unguent. ( L A S S A R ' S „Rote Salbe".)

Nr. 43.

R Kalii ehloric. 10 g. Aq. ad 500 g. m. d. sgn.: Gurgelwasser.

Nr. 36 a.

Rezeptformeln.

860 Nr. 44.

R Kalii chloric. 5 —10 g. Aq. ad 200 g. m. d. sgn.: 2stündl. einen Eßl. v. z. n.

Nr. 46.

R Kalii jodat. s. Natrii jodat. 5 g. Aq. ad 200 g. m. d. ad vitr. color. sgn.: 4 mal tägl. einen Eßl. v. mit einem Glase Milch z. n.

Nr. 46.

Nr. 47.

R Flor. Koso 30 g. Sirup, domestic. 50 g. m. f. electuar. d. sgn.: Im Laufe einer Stunde z. n. R Kreosot, gutt. V. Pulver, et succ. liquir. q. s. ut f. 1. a. pilul. Nr. X. d. ad vitr. sgn.: 3 mal tägl. eine Pille z. n.

Neuerdings wird das Kreosot vielfach in Gelatinekapseln verordnet. Diese, je 0,05 bis 0,15 g Kreosot haltend, werden fertig in den Handel gebracht. Meist ist etwas Leberthran oder Mandelöl zugesetzt. Diese Form ist den Pillen vorzuziehen« wenn man längere Zeit das Mittel in größeren Mengen darreichen will. Nr. 48.

R (9-Naphtol. 10,0 g. Vaselin. flav. Sapon. virid. ää 25,0 g. Sulf. praecipitat. 40,0 g. m. f. pasta. (LASSAR'S „Schälpasta".)

Nr. 49.

R Natr. bicarbonic. 100 g. d. sgn.: Zur Zeit einen Kaffeelöffel voll in einem Glase Wasser z. n.

Nr. 50.

Nr. 52 a.

R Phenacetin. 0,5 g. Mass. Cacao 2,0 g. m. f. 1. a. trochiscus. d. t. dos. Nr. X. sgn.: Nach Bericht. Nr. 53.

R Sal. Carolin, factit. 50 g. d. sgn.: Morgens nüchtern einen Kaffeelöffel voll in 7a Liter (1 Liter) warmen Wassers gelöst z. n. Nr. 54.

R Tinctur. opii simplic. 5 g. Tinctur. chin, composit. 50 g. m. d. sgn.: Zur Zeit einen Kaffeelöffel v. z. n. (Diarrhöe.)

Nr. 55.

R Tinctur. opii simplic. 5 g. d. sgn.: Zuerst 40 Tropfen, dann bei wiederbeginnendem Schmerz 10 Tropfen mit Wasser zu nehmen. (Visceralneuralgien, Peritonitis.)

Nr. 56.

R Extr. opii 0,05 g. Ol. cacao 2 g. m. f. 1. a. suppositor. d. tal. dos. Nr. V. sgn.: Zur Zeit ein Zäpfchen einzuführen.

Nr. 57. R Morph, hydrochloric. 0,1 g. Sirup, cerasor. 30 g. Aq. ad 200 g. m. d. sgn.: 2 stund), einen Eßl. v. z. n. Nr. 58.

R Morph, hydrochloric. 0,02 g. Sacchar. lact. 0,5 g. m. f. p. d. tal. dos. Nr. V. sgn.: Abends ein Pulver mit Wasser z. n.

Nr. 59.

R Morph, hydrochloric. 0,5 g. Aq. sterilisat. 15 g. m. d. sgn.: Zur subkutanen Injektion. (Eine ganze PRAVAz'sche Spritze = 0,033 g Morphium hydrochloric.)

R Natr. bromat. 10 g. Aq. ad 200 g. m. d. ad vitr. color. sgn.: & mal tfigl. einen Eßl. voll mit einem Glase Nr. 60. Wasser z. n.

Nr. 51. R Natr. bromat. 3 g. d. tal. dos. ad vitr. color. Nr. X sgn.: 3 mal tSgl. ein Pulver in '/» Liter Wasser gelöst z. n. Nr. 52.

R Phenacetin. 0,5 g. d. tal. dos. Nr. X. Nach Bericht (tägl. bis höchstens 4 Stück).

Nr. 61.

R Pilocarpin, hydrochloric. 0,2 g. Aq. sterilisat. 10 g. m. d. sgn.: Zur subkutanen Injektion. (VI bis 1 Pravaz.)

R Pilocarpin, hydrochloric. 0,01 g. Sirup, seneg. 20 g. Aq. ad 120 g. m. d. sgn.: Stündlich einen Kinderlöffel v. z. g.

Rezeptformeln. N r . 62.

R Extr. rhei composit. 5 g. f. 1. a. pilul. Nr. 50. c. d. sgn.: Abends 2 Pillen z. n. (NB. Schwache Abführpillen.)

R Extr. rhei composit. 3,75 g. Extr. colocynth. 1,25 g. m. f. 1. a. pilul. Nr. 50. c. d. sgn.: Abends eine bis zwei(i) Pillen z. n. (NB. Starke Abführpillen.)

861

N r . 70.

N r . 63.

N r . 64.

R Ol. ricin. 50 g. Ol. croton. gutt. II. 6 u m m i arabic. q. s. (15 g). ut f. cum Aq. emulsio 200 g. d. sgn.: Die Hälfte (das Ganze) als Klystier zu geben.

N r . 65.

R Ol. rusci. Sulf. Sublimat, ää 6,0 g. Vaseliu. flav. Sapon. dorn, ää 12,0 g. Cret. alb. 4,0 g. m. f. unguent. ( L A S S A R ' S „Braune Salbe".)

N r . 66.

R Ol. santali 10,0 g. Ol. menth. piper. gutt. Nr. X. Syn. 3—4 mal tägl. 10 Tropfen z. n.

Nr. 67.

R Sapon. kaiin. 100 g. solve in Spirit. 50 g. filtra, adde: Spirit. lavandul. 15 g. m. d. sgn.: Äußerlich. (ÜEBBA'scher Seifenspiritus.)

N r . 68.

R Infuso-decoct. radic. seneg. (e 10 g radic.) 100 g. Colatur. adde Liquor, ammon. anisat. 5 g. Sirup, seneg. 15 g. m. d. sgn.: Stündlich einen Kinderlöffel v. z. n.

N r . 69.

R Strychnin. nitric. 0,10 g. Pulv. et succ. liquir. q. s. ut f. 1. a. pilul. Nr. 20 c. d. sgn.: '/« Stunde vor dem Mittagessen eine Pille z. n.

R Acet. scill. 20 g. Liquor, kalii carbon, q. s. ad perfect, saturation. Aq. petroselin. 120 g. Succ. juniper, inspissat. 30 g. Spirit. aether, nitros. 20 g. m. d. sgn.: 2stündl. einen Eßl. v. z. n.

N r . 71.

R Sulfur, citrin. 1000 g. Calc. vivae 500 g. coq. cum Aq. 10 000 g usq. ad reman. colatur. 6000 g. filtra. d. sgn.: Äußerlich. (ViEMiNOKx'sche Lösung.)

N r . 72.

R Sulfur, praecipitat. Spiritus. Glycerin, ää 30 g. m. f. liniment, d. sgn.: Äußerlich.

N r . 73.

R Flor, sulfur. Ol. fag. ää 15 g. Sapon. virid. Axung. porc. ää 30 g. Cret. 10 g. m. f. ungt. d. sgn.: (WiLKmsoN-HEBBA'sche Salbe.)

N r . 74.

R Sulfur, praecipit. 10 g. Cremor. tartar. 20 g. Pulver, radic. rhei Magnes. ust. Elaeosacchar. menth. piper.ää 5 g. m. f. pulv. d. ad vitr. sgn.: Abends einen Kaffeelöffel v. rrit Wasser

Nr. 76. R Tartar, stibiat, 0,05 g. Pulver, radic. ipecac. 1 g. m. f. p. d. t. dos. Nr. IV. sgn.: Alle 10 Minuten ein Pulver bis zur Wirkung z. n. N r . 76.

R Ol. terebinth, gutt. XII. d. tal. dos. ad capsul. gelatinös. Nr. 50 d. sgn.: 5 mal tägl. eine Kapsel z. n.

N r . 77.

R Ol. terebinth. 1 g. Gummi arabic. q. s. (5 g). . ut f. cum Aq. emulsio 1000 g. d. sgn.: Zur Spülung des Mastdarms.

862

Rezeptformeln.

Nr. 78.

H VeratHn 1 g. solve in spirit. q. s. Axung. porc. 4 g. f. 1. a. unguent. d. sgn.: . Äußerlich; bohnengroß einzureiben.

N r . 79.

B Zinc. sulfocarbolic. 2 g. Aq. dest. 198 g. m. d. sgn.: Äußerlich.

i N r . 80. |

K Zinc. oxydat. Amyl. pur. ää 25 g. Acid. salicylic. 2 (4) g. Vaselin. flav. 50 g. m. f. past. d. sgn.: Äußerlich (L&ssAs'sche Paste).

Bei sehr reizbarer Haut läßt man Salicylsäure weg.

Register. A.bdominalhatarrh 295. Abdominaltyphus 285. —, Alkohol bei dems. 300. —, ambulatorischer 296. —, anatomischer Befand bei dems. 287. 288. — Aasgang und Prognose dess. 297. —, Bacillus dess. 285. —, Diagnose dess. 296. —, Entstehung und Verbreitung dess. 285. —, leichte und abortive Form dess. 295. 296. —, Inkubation dess. 289. —, Krankheitsbild dess. 288. —, Neuritis bei dems. 35. —, Prophylaxis dess. 302. —, Recidive bei dems. 296. —, Serumdiagnose dess. 297. —, Temperaturkurven dess. 290. 291. 293. 295. 296. —, Therapie dess. 297. —, Unterscheidung dess. von akuter miliarer Tuberkulose und genuiner Pneumonie 296. Abducens, Druck dess. durch Gehinigeschwülste 114. —, Erkrankung dess. durch Syphilis 231. Abführmittel bei Cholera indica 417. — bei Diarrhöe 672. — bei Erysipel 358. — bei gelbem Fieber 420. — bei suppurativer Hepatitis 734. —• bei katarrhal. Ikterus 752. — bei Ischias 14. — bei Kolik 698. — bei Leberbyperämie 728. — bei Mastdarm entzündung 685. — bei chron. Magenkatarrh 648. — bei Nephritis 783. — bei Ruhr 408. — bei Stuhlverstopfung 688. Ablotende Behandlungsmethode bei Neuralgie 9. — bei Neuritis 36. — bei Pleuritis 608. Abortus bei Diabetes mellitus 210. — bei Pest 309. Äbsceß der Haut und Muskeln bei Abdominaltyphus 289. 295. —, metastatischer in den Lungen 589. —, peripleuritischer (Unterscheidung dess. von Pleuritis) 606. — bei Pocken 339. —, kalter bei Skrofulöse 204. —, subphrenischer 606. Acorus folliculorum in den Talgdrüsen 821. Accessoriushrampf 22 Accessoriuslähmung bei chronischer progressiver Bulbärparalyse 78. Accommodationsstörungen nach Diphtherie 402. Acetessigsäure, Nachweis ders. im Harn bei Diabetes mellitus 209. Aceton im Harn bei Diabetes mellitus 209.

Achillessehnenreflex 20. Acholie 724. Achorion Schoenleinii, Pilz des Favus 850. Acidum hydrochloricum bei Verdauungsstörungen 649. — s. Salzsäure. Actol bei Tripper 250. Addison'sehe Krankheit 188. —, anatomischer Befund bei ders. 188. —, Diagnose und Therapie ders. 189. —, Entwicklung ders. 189. —, Wesen ders. 189. Adente 180. Adenocarcinom des Darms 693. Adenome der Leber 747. — der Nieren 796. Aderlaß bei Asthma kardiale 504. — bei Gehirnblutung 122. — bei Hirnödem 99. — bei Lungenödem 583. — bei Pneumonie 394. — s. Blutentziehung. Adipositas universalis 215. Äther bei Asthma kardiale 504. — bei Gehirnblutungen 122. — bei Herzinsuffizienz 464. — bei Hirnanämie 168. — bei Lungenödem 583. — bei Pneumonie 393. Agglutination der Typhusbazillen 297. Agoraphobie 130. Akinesia 19. 24. Akne rosacea 823. — simplex 823. — syphilitica 226. Aktinomyces als Ursache von Angina Ludovici 632. — als Ursache von Mundaffektionen 618. Aktinomycesvegetationen 280. Aktinomykose 279. —, Behandlung ders. 281. —, Erscheinungen ders. 280. —, Invasion bei ders. 279. — in der Lunge 279. 280. 594. — der Pleura 615. —, Verlauf, Prognose und Diagnose ders. 280. Alaun bei Tripper 250. Albinismus 846. Albuminurie 767. —, cyklische 768. — bei Diabetes mellitus 209. —, falsche (nicht renale) 770. —, geformte Bestandteile des Harns bei ders. 770. — bei Grippe 376. —, intermittierende 768. — bei Morbus Brightii 766. — der Neugeborenen 767. —, pathologische 768. —, physiologische 767. — bei Pneumonie 388. — bei Scharlach 351. Alkohol bei Abdominaltyphus 300. — bei Chlorose 177. — bei Diabetes mellitus

864

Register.

213. 214. — bei Endokarditis 479. — bei Herzinsuffizienz 462. 464. — bei Lungenschwindsucht 274. — bei Pneumonie 393. — bei Septikopyämie 331. —, Toleranz gegen dens. bei Diabetes insipidus 215. Alkoholismus als Ursache von Arteriosklerose 515, von Encephalitis haemorrhagica acuta 107, von Encephalomalacie 123, von Epilepsie 145, von Herzhypertrophie 465, von Lungenbrand 592, von Neuritis 37, von Pachymeningitis haemorrhagica interna 90, von chronischer Spinalmeningitis 45, von Stomatitis katarrhalis 616. Alopecia areata 847. — diffusa pityrodes 847. — diffusa simplex 847. Alveolarcarcinom des Magens 662. Amaurose, urämische 774. Amblyopie bei Syphilis 232. Ammoniak bei Wanzen 856. Ammoniämie 810. Amnesie bei Hysterie 136. Amylnitrit bei Angina pectoris 505. — bei Hemicrania sympathico-tonica 134. Amyloide Entartung des Darms als Ursache von Diarrhöe 670. — bei Malaria 425. — der Milz 764. — der Nieren 767. 792. — bei tuberkulöser Lungenschwindsucht 264. 269. 271. Amyloidleber 745. Amyotrophia spinalis ( D U C H E N N E - A R A N ) 7 2 . Amyotrophische Lateralsklerose 75. —, Anatomisches 76. —, Beziehungen ders. zur progressiven Muskelatrophie und zur Bulbärparalyse 76. —, Prognose und Therapie ders. 77. —, Symptome ders. 76. Anämie, akute 165, Behandlung ders. 167. —, chronische 170, Diagnose ders. 171, Krankheitsbild 171, Prognose und Therapie ders. 172. — durch Dannparasiten 703.704. — des Gehirns 92. — bei Magengeschwür 655. — bei Neuralgie 3. —, perniciose 172, anatomischer Befund bei ders. 173, Diagnose und Therapie ders. 174, Erscheinungsform ders. 173, Verlauf ders. 174, als Ursache von Neuritis 37, als Ursache von Pachymeningitis haemorrhagica interna 90. — des Rückenmarkes 48. — als Ursache von Tabes dorsalis 61. Anämische Geräusche 486. Anästhesie 1. 16. —, Diagnose, Prognose und Therapie ders. 18. —, dolorosa 18. — bei Hypochondrie 142. — bei Hysterie 137. — bei Lepra 278. — durch gestörte Nervenleitung 18. — bei Neuritis 36. —, periphere 18. — bei Rückenmarksverletzungen 53. — bei Tabes dorsalis 64. Anchylostomum duodenale 703. 704. — Ursache von perniciöser Anämie 173. Aneurysma spurium 518. Anewrysmen der Aorta 518. — der Gehirnarterien 112. Angina 625. —, Ätiologie ders. 625. —, akute 626. —, Allgemeinerscheinungen bei ders. 627. —, Behandlung ders. 628. —, chronische 629. —, Diagnose ders. 627. —, epidemisches Auftreten ders. 625. —,

infektiöse 625. —, katarrhalische 627. —, katarrhalische, bei Abdominaltyphus 292. — Ludwigi (Ludowici) 631, Behandlung ders. 632. — maligna s. Diphtherie. — pectoris 499 .504, Cervico-brachialneuralgie bei ders. 11, bei Magenkatarrh 644, Prognose und Behandlung ders. 505, vasomotoria 500. —, phlegmonöse 627. 628. —, Prognose ders. 627. — bei Septikopyämie 319. 325. — superficialis 626. Angiocholitis, infektiöse 753. —, steinbildende desquamative 753. Angiome im Gehirn 112. — der Milz 764. — in den Nieren 796. Angstneurosen 130. Anhämatosis 170. Anthrdkosis 572. Anthrax s. Milzbrand. Anthraxödem, bösartiges 446. Antifebrin bei akutem Gelenkrheumatismus 441. —bei Hemikranie 134. — b e i Neuralgie 8. — bei Pneumonie 392. — bei Septikopyämie 331. Antimonpräparate bei Keuchhusten 371. Antipyrin bei akutem Gelenkrheumatismus 440. — bei Grippe 377. — bei Hemikranie 134. — bei Neuralgie 8. — bei Pneumonie 392. — bei Septikopyämie 331. Anurie bei Cholera indica 414. — bei Scharlach 352. Aorta abdominalis, Anämie des Rückenmarkes bei Verschluß ders. 48. 49. Aortenaneurysma 518. —, Behandlung dess. 521. —, cylindrisches 518. —, Erscheinungen dess. 518. 519. —, Prognose dess. 521. —, sackförmiges 518. —, spindelförmiges 518. Aortenklappeninsuffizienz 487. —, Prognose ders. 489. —, Töne und Geräusche bei ders. 488. Aortenmündung, Verengerung ders. 489. Aphasie 84. — bei Gehirnerweichung 125. —, motorische 84. 89. —, senBorische 89. Aphonie, hysterische 137. 541. Aphthen 620. —, anatomischer Befund bei ders. 621. —, klinische Erscheinungen ders. 621. —, Therapie ders. 624. Apomorphin bei Bronchitis 560. — bei Kehlkopfkatarrh der Kinder 533. Apophysenpunkte bei Neuralgien 5. Apoplektiforme Anfälle bei Hirntumoren 113. — bei Pachymeningitis haemorrhagica interna 91. — bei multipler Sklerose 59. — bei Syphilis 231. Apoplektischer Insult 118. Appendicitis 678. Aqua calcariae bei Rachitis 201. Area Celsi 847. Argentamin bei Tripper 250. Argentum nitricum bei Epilepsie 149. — bei Follikularkatarrh des Darms 678. — bei chron. Kehlkopfkatarrh 534. — bei Krup 548. — bei Mundaffektionen 624. — bei multipler Sklerose 60. — bei Spermatorrhöe 819. — bei Tabes dorsalis 67. —

Register. bei Tripper 250. — bei Tripper des Weibes 252. Argonin bei Tripper 250. Arsenige Säure bei multipler Sklerose 60. Arsenikvergiftung 651. — als Ursache von Neuritis 37. Arsenpräparate bei chronischer Anämie 172. — bei Athetose 162. — bei Basedow'scher Krankheit 193. — bei Chlorose 177. — bei Chorea 159. — bei Diabetes mellitus 214. — bei Ekzem 839. — bei Leukämie 180. — bei Liehen ruber 835. — bei Malaria 432. — bei Migriine 133. 134. — bei Milzschwellung 765. — bei chron. Nephritis 788. — bei Neuralgien 8. — bei Paralysis agitans 161. — bei pernieiöser Anämie 174. — bei Pityriasis rubra 836. — bei Prurigo 843. — bei Pseudoleukämie 181. — bei Psoriasis 833. — bei chron. Urticaria 830. — bei Zittern 162. Arterien, Krankheiten ders. 514. Arteriitis, obliterierende, Ursache von Gehirnerweichung 123. — syphilitica 230. Arteriosklerose 514. —, Ätiologie ders. 514. — anatomischer Befund bei ders. 515. — bei Diabetes mellitus 210. —, Diagnose, Prognose und Behandlung ders. 517. —, mechanische Polgen ders. 516. — , Ursache von Neuritis 37. Arthritis urica 193. Asa foetida bei Hysterie 139. Ascaris lumhrieoides im Darm 702. Ascites bei Scharlach 352. — s. Hydrops ascites. Aspermatismus 820. Aspirationsödem 561. 582. Asteatosis 822. Asthma kardiale 503. 775, Prognose und Behandlung dess 504. —, urämisches 775. — uricum 195. — s. Bronchialasthma. Ataxie nach Gehirnblutung 120. —, lokomotorische63. — bei multipler Sklerose 59. —, statische 63. — bei Tabes dorsalis 63. Atelektase, anatomischer Befund bei ders. 565. —, angeborene und erworbene 563. 564. 567. Atemnot, hochgradige bei Zwerchfelllähmung 34. Atherom der Arterien als Hauptquelle der Encephalomalacie 123. — der H a u t 823. — der Kranzarterien als Ursache der Myokarditis 480. Athetose 162. —, Behandlung ders. 162. — nach Gehirnblutung 120. Atmung nach starkem Blutverlust 165. — bei Bronchialasthma 568. — bei chronischer progressiver Bulbärparalyse 77. 79. — bei Emphysem 580. — bei epileptischem Anfall 147. — bei Fettsucht 216. — bei akutem Gelenkrheumatismus 437. — bei Gehirnkrankheiten 87. — bei Glossitis 631. — bei Hirnödem 98. — bei hysterischen Krämpfen 136. — bei Kehlkopfstenose 546. jj — bei hämorrhagischem Lungeninfarkt 591. — bei Peritonitis 708. 711. — bei Pleuritis 604. — bei Pneumonie 381. 384. 7. J ü r g e n s e n , Spe«. Path. u. Ther. IV. Aufl.

865,

385. — bei Pneumothorax 613. — bei tuberkulöser Lungenschwindsucht 265.266. 268. — bei visceralen Neuralgien 15. Atmungswege, Katarrhe ders., Allgemeines 522, anatomischer Befund bei dens. 524, Diagnose, Prognose und Behandlung ders. 527, Erscheinungen ders. 525. Atmungswerkzeuge, Krankheiten ders. 522. Atrophie, cyanotische der Leber 727. — des Gehirns, Hydrops ex vacuo bei dems. 96. —, senile der Lungen 579. Atropin bei Bronchialasthma 570. — bei Enuresis nocturna 813. — bei Epilepsie 149. — bei akutem Gelenkrheumatismus 441. — bei Keuchhusten 371. — bei Lungenschwindsucht 274. — bei Magenkrampf 669. — bei Migräne 133. 134. — bei Neuralgie 8. 9. — gegen Salivation bei Quecksilberbehandlung 238. — bei .Urticaria 830. Atemittel bei K r u p 548. Augen, konjugierte Ablenkung ders. bei Gehirnblutung 119. Augenaffektionen bei Basedow'scher ( Kraukheit 192. — bei cerebraler Neurasthenie 130. — bei Diabetes mellitus 209. — bei Encephalomeningitis 104. — bei Facialislähmung 32. — bei Influenza 376. — bei multipler Sklerose 59. — bei Skrofulose 204. — durch Syphilis 231. 232 Augenbrauen, Ausfallen ders. bei Myxödem 190.

Augenhintergrund, venöse Stase dess. bei Verschluß des Sinus cavernosus 126. Augenlider, Ödem ders. bei Verschluß des Sinus cavernosus 126. Augenmuskdlähmung bei progressiver Bulbärparalyse 78. — bei Encephalitis haemorrhagica acuta 107. — bei Tabes dorsalis 63. Augenstellung bei Gehirnkrankheiten 87. Aura epileptica 146. Aussatz s. Lepra. Auswurf bei Bronchiektasie 576. — bei Bronchiolitis exsudativa 562. — bei fibrinöser Bronchitis 562. — bei hämorrhagischem Infarkt 591. — bei Lungenbrand 593. — bei tuberkulöser Lungenschwindsucht 266. — bei Miliartuberkulose 259. — bei Pleuritis 604. — bei Pneumonie 380. 385. — s. Sputum. Autointoxication bei Diabetes mellitus 211. — Ursache von Neuritis 37. Autotransfusion bei akuter Anämie 168. Azoospermie 820. Bacillus pneumoniae (FRIEDLÄNDER) 377. Badekuren bei Arteriosklerose 517. — bei Diabetes mellitus 214. — bei Gicht 196. — bei Lähmung 31. — bei Magengeschwür 661. — bei Nephrolithiasis 804. Bäder hei Blaseokatarrh 811. — bei Chorea 159. — bei Diarrhöe 673. 674. — bei akuter Dyspepsie 646. — bei Eklampsie 145. — bei Ekzem 840. — bei Kolik 698. — bei Lungenschwindsucht 274. — bei 55

866

Register.

Masern 365. — bei Nephritis 782. 783. 788. — bei Neuralgie 8. — bei Nierenkolik 804. — bei Pavor nocturnus 150. — bei Pocken 340. — bei Prurigo 843. — bei Pseudokrup 532. — bei Septikopyfimie 331. — bei multipler Sklerose 60. — bei Tabes dorsalis 67. — bei Tetanus 154. — s. Kochsalzbäder. — s. Soolbäder. Bakterium coli commune bei Gallensteinkolik 753. 756. Balanitis 247. —, Behandlung ders. 251. —, Unterscheidung ders. vom weichen Schanker 243. Bandwürmer im Darm 698. —, Diagnose ders. 700. —, Entfernung ders. 700. 701. —, geographische Verbreitung ders. 699. —, Krankheitserscheinungen durch dies. 700. Bariota'sehe Krankheit 199. Bartolini'sehe Drüsen, Entzündung ders. bei Tripper 247. Basedow'sche Krankheit 191. —, anatomischer Befund bei ders. 191. —, Entstehung und Wesen ders. 191. —, Prognose, Diagnose und Therapie ders. 193. Bauchdeckenreflex 19. Bauchfell, Krankheiten dess. 705Bauchfellcardnom 717. Bauchfettentzündung s. Peritonitis. Bauchfelltuberkulose 713. Bauchwassersucht 705. Beckengegend, Neuralgie ders. 12. Belladonnapräparate oei chronischer Myelitis 57. Beschäftigungskrämpfe 23. —, Behandlung ders. 24. —, Symptome ders. 24. —, Wesen ders. 23. Bewegungsstörungen bei Hypochondrie 142. Biliöses Typhoid 314. 316. Bismuthum subnitricum bei Magengeschwür 660.

Blasenausschlag 844. Bläschenflechte 830. Blattern s. Pocken. Blaud'sche Pillen bei Chlorose 177. Bleichsucht s. Chlorose. Bleilähmung 34. Bleivergiftung als Ursache von Neuralgie 3. — als Ursache von Neuritis 37. Blepharospasmus 22. Blitzschlag, Rückenmai kserschütterung durch dens. 50. Blödsinn durch Epilepsie 148. — durch Gehirnblutungen 121. — durch Gehirnerweichung 125. Blut im Harn 770. —, Krankheiten dess. 163. —, Pestbazillen in dems. 305. — bei Pseudoleukämie 180. —, Spirochaete Obermeieri in dems. 314. 316. —, zersetztes kaffeesatzähnliches, im Erbrochenen 663. — s. Dissolutio sanguinis. Blutbeschaffenheit bei Anämie 167. — bei Chlorose 175. — bei Cholera indica 413. — bei Diabetes mellitus 209. — bei Gicht 195. — bei Hämophilie 184. — bei chronischer Herzinsuffizienz 460. — bei akuter

Leberatrophie 736. — bei Malaria 421.422. 423. 424. 425. — bei Myxödem 190. — Blutdruck bei Cholera indica 414. Blutentziehung bei Encephalomeningitis 106. — bei suppurativer Hepatitis 734. — bei Reizerscheinungen nach Rückenmarksblutungen 43. — bei Urämie 783. — s. Aderlaß. Blutgefäßveränderungen e. Gefäß Veränderungen. Bluthusten 586. Blutkörperehen, rote, anämische Degeneration ders. 164. — kernhaltige (Normoblasten, Megaloblasten, Mikroblasten) 164. —, bei perniciöser Anämie 173. —, Poikilocytose ders. 164.173. —, weiße 165, bei Leukämie 178, Unterscheidung ders. 165. Blutstillung 167. 168. — durch Gelatine 167. Blutsturz 586. Bluttransfusion 169. Blutungen aus den Atmungswegen- (Hämoptoe) 584. — in die Gehirnsubstanz 115. — bei Leukämie 179. — des Magens bei Magengeschwür 658. — in der Medulla oblongata und der Brücke bei akuter Bulbärparalyse 79. —, subkutane bei Pest 304. — in das Rückenmark 43. — in und zwischen die Rückenmarkshäute 42. — aus den Schleimhäuten bei Skorbut 187. — vikariierende aus der Lunge 585. — —, der Magenschleimhaut bei Menstruationsanomalien 665. Blutveränderungen bei Syphilis 224. Blutvergiftung s- Septikopyfimie. Blutverlust, Diagnose und Therapie dess. 167. —, experimentelle Ergebnisse 166. —, Prognose dess. 167. —, starker, Erscheinungen nach dems. 165. Borax bei Soorbildung 624. Borsäure bei Ekzem 840. Bothriocephalus latus im Darm 699. —, Ursache von perniciöser Anämie 173. Boukardie 467. Bradykardie 501. Bräune, brandige 396. —, häutige 543. Brechmittel bei Angina 628. — bei Bronchitis 560. — bei Kehlkopfkatarrh 532. — bei Krup 549. — bei Leberabscess 734. — bei Magenkatarrh 646. Bromakne 823. Brompräparate bei Eklampsie 145. — bei Epilepsie 149. — bei Hemikranie 134. — bei Herzklopfen 462. 502. — bei Keuchhusten 371. — bei Neuralgie 7. — bei Pavor nocturnus 150. — bei Pollutionen 819. — bei Tetanus 154. — gegen schmerzhafte Erektionen bei Tripper 251. Bronchialasthma 567. —, Diagnose, Prognose und Therapie dess. 570. —, Disposition zu dems. 567. —, essentielles (idiopathisches) und symptomatisches 567. —, Folgezustände dess. 570. —, Krankheitsbild dess. 568.—, Mechanismus des asthmatischen Anfalls 569. Bronchialdiphtherie 400. Bronchialdrüsen bei Abdominaltyphus 288.

Register. — bei Bronchopneumonie 566. — bei Pneumonie 380. Bronchialerweiterungen 572. —, Differentialdiagnose ders. 575. 577. —, mit Fäulniserscheinungen am Auswurf 576. —, gleichförmige (cylindrische) 573. — klinische Erscheinungen ders. 574. —, rosenkranzartige 573. —, sackige 573. 574. —, Verlauf und Behandlung ders. 577. Bronchialkrup, akuter und chronischer 562. Bronchiektasien s. Bronchialerweiterungen. Bronchien- Verengerung u. - Verschluß 563. Bronchiolitis exsudativa 562. 568. —, klinische Erscheinungen ders. 563. —, Prognose und Therapie ders. 563. Bronchitis 552. — bei Abdominaltyphus 289. 294. —, akute der gröberen Bronchien 554. —, anatomischer Befund ders. 553. — bei Bronchiektasie 574. — capillaris, Diagnose und Prognose ders. 558, Komplikationen ders. 557, physikalische Untersuchung bei ders. 555. — capillaris acuta 554. 555. — capillaris subacuta 555. —, chronische 558, Krankheitsbild ders. 558. —, Diagnose, Prognose und Behandlung ders. 559. — Entstehungsursachen ders. 552. —, fibrinöse 561. — bei Fleckfieber 311. —, funktionelle Störungen ders. 553. — bei Grippe 374. —, krupöse 548. 562. — bei Masern 361. 362. 363. — bei Pest 304. 307. — bei Pneumonie 380. — bei Pocken 338. —, putride 559. — bei Rachitis 199. 200. — bei Rückfalltyphus 316. — bei Scharlach 350. — bei SeptikopySmie 326. — bei Skrofulose 204. Bronchoblennorrhoe 558. —, Behandlung ders. 561. Bronchophonie bei Pleuritis 602. Bronchopneumonia tuberculosa lobularis caseosa 263. — tuberculosa nodosa 263. Bronchopneumonie 554. 574. 584. —, anatomischer Befund bei ders. 566. —, Entstehung ders. 564. —, Fieber bei ders. 557. — bei Grippe 374. — bei Keuchhusten 369. 370. — bei Masern 363. — bei Pest 307. — nach genuiner Pneumonie 390. — bei Pocken 338. Bronchorrhoea serosa 559. Brown-Séquard'sche Spinallähmung 53. Brücke, Herderscheinungen bei Erkrankungen ders. 87. Brustbräune s. Angina pectoris. Brustdrüse, Neuralgie ders. 12. —, syphilitische Affektion ders. 229. Brustkasten, rachitischer 199. 200. . Brustwassersucht 610. Biibonen bei Pest 307. 308. — bei Schanker 242. —, indolente bei Syphilis 221. 222. 223. 224. — bei Tripper 248. Bubonenpest 305. Bulbärparalyse, akute 79, in Bez. z. Myelitis disseminata 80. —, chronische progressive 77, Ätiologie ders. 77, anatomischer Befund bei ders. 77, Beziehungen ders. zur amyotrophischen Lateralsklerose und zur progressiven Muskelatrophie 76,

867

Symptome ders. 77, Therapie ders. 79, Unterscheidung ders. von multipler Sklerose und Hirntumoren 79. — als Komplikation bei progressiver Muskelatrophie 73. Calcium carbonicum praecipitatum bei Rachitis 201. — phosphoricum bei Rachitis 201. Canities praematura 846. Canthariden gegen Haarausfall 822. Caput medusae durch Pfortaderverengerung 729. 730. — obstipum spasticum 23. — quadratum bei Rachitis 199. Carcinom des Bauchfells 717. — des Darms 693. — des Duodenum 759. — der Gallenwege und der Gallenblase 759. — des Gehirns 112. — des Herzens 499. — des Kehlkopfs 552. — der Lungen 594. — des Magens 662. — der Milz 764. — der Nerven 38. — der Nieren 796. — des Ösophagus 634. — des Pankreas 759. 760. — der Pleura 615. — der Rückenmarkshäute 46. — Ursache von Neuritis 38. Caries des Felsenbeines als Ursache von Entzündung der Dura mater cerebralis 90. Castoreum bei Hysterie 139.' Centren, automatische 40. Cephalaea adolescentium 133. Cerebrospinalmeningitis, epidemische 433, anatomischer Befund bei ders. 434, Diagnose ders. 435, Inkubationsdauer ders. 434, Komplikation ders. mit genuiner Pneumonie 435, Krankheitserreger ders. 434, leichteste Formen ders. 435, Prognose und Behandlung ders. 435, siderans 435, Temperatur bei ders. 101, Verlauf dere. 434. — infektiöse Natur ders. 97. Cervico-brachialneuralgie 11. Cervico - occipitälneuralgie 11. Chalikosis 572. Charcofsche Krystalle bei Leukämie 178. Charcot-Leyden'sehe Krystalle im Sputum bei fibrinöser Bronchitis 562. Cheyne- Stokes'sches Phänomen bei Gehirnblutung 118. — bei Gehirnentzündung 102. — bei chronischer Herzinsuffizienz 461. — bei Hirnhyperämie 95. — bei Hirnödem 98. Chinin bei Abdominaltyphus 300. — bei Heufieber 563. — bei Keuchhusten 371. — bei Leukämie 180. — bei Malaria 431. 432. 433. — bei Milzbrand 448. — bei Milzschwellung 765. — bei Neuralgie 8. — bei Pneumonie 393. — bei Pseudoleukämie 181. — bei Rückfalltyphus 316. — bei Septikopyämie 331. — bei Trigeminusneuralgie 10. Chiragra 194. Chirurgische Behandlung bei Basedow'scher Krankheit 193. — der Neuralgie 9. — bei Trigeminusneuralgie 10. 11. Chloasma 846. — uterinum 846. Chlorälhydrat bei Bronchialasthma 570. — bei Chorea 159. — bei Eklampsie 145. — bei Herzklopfen 502. — bei Pneumonie 394. — bei Prurigo 843. — bei Pruritus 55*

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Register.

844. — bei Seborrhöe 822. — bei Tetanus 154. — bei Urämie 783. Chloroform bei Chorea 159. — bei Eklampsie 145. — bei Epilepsie 150. — bei Herzklopfen 502. — bei Nierenkolik 805. — bei Tetanus 154. — bei Urämie 783. — bei Wutkrankheit 450. Chlorose 174. —, ägyptische 703. — Behandlung ders. 176. —, habituelle 175. —, Komplikation ders. mit Endokarditis, Lungenspitzenerkrankung und Ulcus ventriculi 176. — bei Magengeschwür 655. —, Prognose ders. 176. —, recidivierende 175. —, Symptome ders. 175. —, transitorische 175. —, tropische 703. Cholämie 723. 757. Cholelithiasis 752. Cholera indica 408. —, anatomischer Befund bei ders. 411. —, Behandlung ders. 417. —, Dauer ders. 416. —, Diagnose ders. 416. —, Inkubationszeit ders. 412. —, Kommabacillus ders. 408. 409. —, Prognose ders. 415 .416. —, Prophylaxis ders. 416 —, Stadium asphykticum der». 412. —, Unterscheidung ders. von Cholera nostras 416. :— Unterscheidung ders. von Gastroenteritis toxica 416. 651. —, Verlauf ders. 412. — sicca 413. Choleraanfall 412. —, Behandlung dess. 417. Choleradiarrhöe 415. Choleraspirillen 409. Choleratropfen bei Diarrhöe 673. Choleratyphoid 413. Cholerine 416. 669. —, Behandlung ders. 674. Cholesteatome des Gehirns 112. Chondrome deB Gehirns 112. Chorditis vocalis inferior hypertrophica 533. Chorea 156. —, Behandlung ders. 158. — chronica progressiva 156. —, Entwicklung des Leidens 157. — nach Gehirnblutung 120. — bei akutem Gelenkrheumatismus 157. 440. —, halbseitige 158. — magna bei Hysterie 136. — minor 156, Ätiologie ders. 157. — progressiva degenerativa 159. — bei Schwangerschaft 157. — durch Septikopyämie 328. —, symptomatische 157. Chorioiditis disseminata bei Syphilis 232. Chromhidrosis 827. Chromsäure bei spitzen Kondylomen 252. Chrysarobin bei Ekzem 841. — bei Psoriasis 834. Cirrhose der Leber 738. — der Lungen 566. 571. 573, nodosa tuberculosa 264. Cocain bei Keuchhusten 371. Coccygodynie 15. Codein bei Cholera indica 418. — bei Diabetes mellitus 214. Coffein bei Hemikranie 134. Colchicum bei Gicht 196. Collapsus, Delirium in dems. 292. Collodium cantharidatum bei Neuralgie 9. 36. Coma carcinomatosum 664. — diabeticum 211. —, Behandlung bei dems. 214. —, Blutbeschaffenheit bei dems. 209. — bei Grippe 375.

Condurango bei Dyspepsie 649. Conjunctiva, Ödem ders. bei Verschluß des Sinus cavernosus 126. Copaivabalsam bei Lebercirrhose 744. — bei Skabies 854. — bei Tripper 251. Cor bovinum 467. — hirsutum 506. — villosum 506. Corona veneria 226. Corpora cavernosa penis, syphilitische Affektion ders. 229. Coryza 528. — syphilitica 234. Cowper'sche Drüsen, gonorrhoische Entzttndung ders. 247. Crampus 20. Crura cerebelli, Herderscheinungen bei Erkrankungen ders. 87. Cruralarterie, Doppelton über ders. bei Aortenklappeninsuffizienz 488. Cruralneurcilgie 13. Cuprum sulfuricum ammoniatum bei Epilepsie 150. Curare bei Tetanus 155. Cyanose im Gesicht bei Verlegung des Sinus longitudinalis superior 126. Cyanotische Induration der Nieren 794. Cystengeschwülste im Kehlkopf 552. Cysticercus cellulosae 698. — im Gehirn 112. — im Herzen 499. — der Lungen 594. — in den Nieren 799. — in den Kückenmarkshäuten 46. Cystitis 808. Dakryocystitis syphilitica 229. Darm, Aktinomyces in dems. 280. —, Entozoen in dems. 698. —, Follikularkatarrh dess. 676. —, Soorbildung in dems. 619. Darmaffektionen bei Diabetes mellitus 210. Darmblutung 69'5. — bei Abdominaltyphus 293. —, Ätiologie ders. 695. —, Behandlung ders. 696. —, Erscheinungen ders. 695. Darmentleerung bei Cholera indica 413. —, Pestbacillen in ders. 305. Darmerkrankungen 636. — bei Cholera indica 411. — bei Ruhr 406. 407. —, tuberkulöse 264. 269. — bei Typhus abdominalis 287. 292. Darmgeschwüre bei chronischer Nephritis 787. — bei Typhus 287. Darmkatarrh bei Abdominaltyphus 287. Darmkrebs 693. Darmlähmung 692. Darmneubildungen 693. Darmperforationen bei Abdominaltyphus 293. Darmsteine 689. Darmverengerung u. -Verschließung 689. —t anatomische Veränderungen bei ders. 690. —, Prognose und Behandlung ders. 692. Decubitus bei Abdominaltyphus 289. 295. —, brandiger, bei akuter Myelitis 55. — bei Gehirnblutungen 120. Defäkation bei akuter Myelitis 54. Delirium 86. —, anämisches (ex inanitione) 93. —, nach starkem Blutverlust 165. — des Kollapses 292. — durch Encephalomeningitis 103. — durch Pneumonie 387.

Register. — durch Pocken 338. — bei Septikopyämie 327. Dementia paralytica, Hydrops ex vacuo bei ders. 96. Depressionszustände bei Grippe 375. Dermatomykosen 850. Desquamativpneumonie 263. Dextrokardie 499. Diabetes insipidus 214. —, Behandlung dess. 215. —, Beziehung z. Gehirnerkrankung 90. —, Harn bei dems. 215. —, Unterscheidung dess. von Diabetes mellitus u. Schrumpfniere 215. Diabetes mellitus 206. —, Ätiologie dess. 206. —, anatomische Untersuchung bei dems. 207. —, AnfaDg der Erkrankung 207. —, Beziehung z. Gehirnerkrankung 90. —, Diagnose und Behandlung dess. 212. —, Neuritis bei dems. 37. —, Prognose dess. 211. —, Symptome dess. 208. 209. 210. —, Veranlassung zu Tabes dorsalis 61. —, Verlauf dess. 211. —, Wesen dess. 207. —, Zuckernachweis im Harn bei dems. 208. Diarrhöe 669. — bei Abdominaltyphus 289. 292. —, Ätiologie ders. 669. —, akute 671. —, anatomischer Befund bei ders. 670 — bei Basedow'scher Krankheit 192. — bei Bronchitis capiliaris 557. —, chronische 670. 671. 673. —, Diagnose ders. 671. — im Kindesalter 673, Behandlung ders. 674. — bei Lungenschwindsucht 269. — bei Nephritis 784. 787. — bei Pfortadervi-rlegung 729. — bei Pocken 338. — Therapie ders. 672. DiatheSe, skrofulöse 203. — s. hämorrhagische Diathese. Dickdarm, katarrhalische Entzündung dess. als Ursache von Diarrhöe 670. Difformitäten an gelähmten Gliedern bei Poliomyelitis anterior 71. Digitalis bei Basedow'scher Krankheit 193. — bei Herzinsuffizienz 462. 463. — bei Herzklopfen 503. — bei Lebercirrhose 744. — bei chron. Nephritis 788. — bei Pneumonie 394. Dinophobie 130. Diphtherie 396. —, anatomischer Befund bei ders. 397. —, Bacillus ders. 396. 397. —, Diagnose ders. 403. —, Heilserum B E H B I N O ' S bei ders. 403. 404. —, Inkubationszeit ders. 398. —, Komplikationen ders. 400. —, Krankheitsbild ders. 398. —, Lähmungen nach ders. 25. —, Nachkrankheiten ders. 402. —, Neuritis bei ders. 35. —, Prognose ders. 403. — bei Scharlach 350. —, Schwere der Infektion bei ders. 401. —, sekundäre Infektion bei ders. 400. Diplokokkus Fraenkel bei epidemischer Cerebrospinalmeningitis 434. — intracellularis ( W E I C H S E L B A U M ) als Erreger der epidemischen Cerebrospinalmeningitis 434. — pneumoniae 377. Dipteren, Hautaffektionen durch dies. 856. Dissolutio sanguinis 281.

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Distomum haematobium. in der Harnblase 814. — in den Nieren 799. Diuretica bei Lebercirrhose 744. Diuretin bei Nephritis 783. 788. Divertikelbildung in der Blase 809. — in der Speiseröhre 634. Dochmius duodenalis 703. Dolores osteocopi bei Syphilis 227. Dorso-intercostalneuralgie 12. Druck-Schmerzpunkte bei Cervico-brachialneuralgie 11. — bei Cervico-occipitalneuralgie 11. — bei Cruralneuralgie 13. — bei Dorso-intercostalneuralgie 12. — bei Gelenkneuralgien 16. — bei Ischias 14. — bei Lumboabdominalneuralgie 13. — bei Neuralgien 5. Drucksinn 17. —, Prüfung dess. 17. Drüsenschwellung durch Tripper 248. Dünndarm, syphilitische Erkrankung dess. 234. Duodenalgeschwür 661. Dura mater cerebralis, Erkrankungen ders. 90. —, Neubildungen ders. 92. — spinalis, Entzündung ders. 44. Durchfall s. Diarrhöe Dysenterie s. Ruhr. Dyskrasien als Ursache von Neuritis 37. Dyspepsie 636. —, akute 640. 641. —, Behandlung (der akuten) 646, (chronischen) 646. —, chronische 641. —, Diagnose ders. 644. —, Einzelerscheinungen ders. 642. — bei Grippe 376. — bei Magenerweiterung 651. — bei Magengeschwür 657. —, nervöse 644. — bei Pfortaderverlegung 729. —, Prognose ders. 645. Dysphagie bei Hysterie 137. Dyspnoe, kardiale 503. — bei Kehlkopfstenose 546. — bei Trichinose 443.Dystrophia muskularis progressiva (EBB) 74. —, Prognose u. Behandlung ders. 75. —, Verteilung des Leidens auf bestimmte Muskeln 74. Echinokokken des Bauchfells 717. — im Gehirn 112. — der Harnblase 814. — im Herzen 499. — der Leber 748. — der Lungen 594. — der Milz 764. — in den Nieren 798. — der Pleura 615. — in den Rückenmarkshäuten 46. Echolalie 162. Eehopraxie 162. Einreibungen, hautreizende, bei Lähmung 31. Eis bei Bubonen 244. — bei Cholera indica 418. — bei Darmblutung 696. — bei Endokarditis 479. — bei Erysipel 358. — bei Gehirnblutung 121. — bei akutem Gelenkrheumatismus 441. — bei suppurativer Hepatitis 734. — bei Herzklopfen 503. — bei Leberhyperämie 727. — bei Lungenblutung 588. — bei Magenblutung 667. — bei Magengeschwür 660. — bei Milzschwellung 765. — bei Myelitis 55. — bei Perikarditis 510. — bei Peritonitis 713. — bei Pocken 340. — bei Rückenmarksblutungen 43. — bei Typhlitis 682.

870

Register.

Eisen bei akuter Anämie 170. — bei Basedowscher Krankheit 193. — bei Chlorose 176. 177. — bei Leukämie 180. — bei Migräne mit Chlorose 133. — bei chron. Nephritis 788. — bei Nierenamyloid 793. Eisenchlorid bei spitzen Kondylomen 252. Eiter bei Gehirnabsceß 109. — mit Staphylokokkus pyogenes aureus 316. 317. — mit Streptokokkus pyogenes 316. 317. Eiterkokken, Bedeutsamkeit ders. 317. — als Erreger der Endokarditis 470. Eiweißgehalt der Ascitesflüssigkeit 705. Eiweißnaehweis im Harn bei Albuminurie 769. Ejakulation, Centrum für dies. 40. Eklampsia 143. — hämatogenes 143. — idiopathica 144. — bei Keuchhusten 370. — reflectoria 144. — symptomatica 144. — Therapie ders. 144. Eklamptischer Anfall, Unterscheidung dess. r von dem epileptischen 144. Ekthyma cachecticorum 841. — syphiliticum 226. Ektopia cordis pecloralis 499. — ventralis 499. Ekzem 836. —, akutes 837. —, Behandlung dess. 839. —, chronisches 838. —, Formen dess. 837. 838. — marginatum 852. Elefantiasis Arabum 849. — Graecorum 849 (s. Lepra). Elefantiastische Verdickungen u. Geschwürsbildungen bei Hauttuberkulose 276. Elektrische Erregbarkeit nach Gehirnblutung 119. — der motorischen Nerven u. Muskeln 26. 27, bei Tetanie 155. Elektrizität bei Anästhesie 19. — bei Athetose 162. — bei Basedow'scher Krankheit 193. — bei Beschäftigungskrämpfen 24. — bei chronischer progressiver Bulbärparalyse 79. — bei Chorea 159. — bei Dystrophia muscularis progressiva (Ebb) 75. — bei Enuresis nocturna 813. — bei Epilepsie 150. — bei Facialislähmung 33. — bei Gelenkneuralgien 16. — bei Hypochondrie 143. — bei Hysterie 139. — bei Kehlkopflähmung 541. — bei Krämpfen 22. — bei Lähmung 30. 31. 123. — bei Leptomeningitis spinalis 46. — bei Magenkrampf 669. — bei Milzschwellung 765. — bei progressiver Muskelatrophie 74. — bei chron. Myelitis 56. — bei Neuralgie 7. — bei Neuritis 36. 37. — bei Paralysis agitans 161. — bei Poliomyelitis anterior 71. — bei multipler Sklerose 60. — bei Spermatorrhöe 819. — bei Tabes dorsalis 66. Embolie der Gehirngefäße 123. — d. Lungengefäße 589. — der Vertebralarterien bei akuter Bulbärparalyse 79. Emphysem 577. 578. — als Folgezustand von Asthma 570. —, anatomischer Befund bei dems. 579. —, Entstehung dess. 578. —, interstitielles 580. — bei Keuchhusten 369. —, Krankheitsbild dess. 580. —, substantielles 579. —, Verlauf u. Behandlung dess. 581. —, vikariierendes 579. —, Vorkommen dess. 578.

Emplastrum Hydrargyri bei Lupus erythematosus 826. Empyema necessitatis 598. 605. 609. Encephalitis 107. — bei Grippe 375. — haemorrhagica acuta, anatomischer Befund bei ders. 107, Typus StbümpeliLeichtenstern 108, Typus Wernicke 107. — durch Soorpilz 619. Encephdlomalacie 123. Encephalomeningitis 99. 101. —, Ätiologie ders. 100. —, anatomischer Befund bei ders. 100. —, Diagnose ders. 105. —, Prognose ders. 105. —, psychische Symptome bei ders. 103. —, septische 126. —, Symptome ders. 103. —, Therapie ders. 106. —, tuberkulöse der Kinder 105. —, typhöse Erscheinungen bei ders. 103. —, Verlauf ders. 101. Enchondrome der Dura mater 92. — der Lungen 594. Endokarditis 470. —, anatomischer Befund bei ders. 472. —, Behandlung ders. 479. —, benigne (rheumatoide) 474. — bei Chlorose 176. —, Beziehung ders. zu Chorea 157. —, chronische 482. —, Diagnose ders. 476. 478. —, Entstehungsursache ders. 470. — bei Grippe 375. —, Krankheitsbild ders. 473. —, maligne 474. —, polypöse 472. —, Prognose ders. 478. — pustulosa 473. — recurrens 471. — bei Septikopyämie 320. — bei Skorbut 187. — durch Tripper 248. —, ulcerose 472. 473. —, verrucose 472. —, villose 472. Englische Krankheit s. Rachitis. Englischer Schweiß 827. Entartungsreaktion 28. — bei progressiver Muskelatrophie 73 — bei Poliomyelitis anterior acuta 70. Enteroklyse bei Cholera indica 418. Entozoen im Darm 698. Enuresis nocturna 812. —, Behandlung ders. 813.

Eosinophile Zellen im Blut 165. Ephidrosis 826. Epididymitis gonorrhoica 246. —, Behandlung ders. 251. Epilepsie 145. —, Behandlung ders. 149. —, Diagnose ders. 148. —, Jackson'sche 146. — bei Syphilis 231. — s. Hystero-Epilepsie. — s. Spinalepilepsie. Epilepsieartige Neuralgie 11. Epileptischer Anfall bei Hirnrindenläsion 90. —, großer 146. —, kleiner 147. —, Unterscheidung dess. von dem hysterischen 148. Epileptische Veränderung 145. Epüeptoide Erscheinungen im Verlaufe von Nervenkrankheiten und Psychosen 148. — Zufälle 148. Epitheliom des Magens 662. Erbgrmd 850. Erbrechen, cerebrales 86. — bei Cholera indica 412. 413. 418. — bei Gehirnkrankheiten 86. — bei Hirntumoren 113. — bei Hysterie 137. — bei Keuchhusten 368. 369. — bei Magenerweiterung 653. — bei

Register.

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MageDgeschwür 657. — bei Magenkrebs Facialislähmung 31. —, Behandlung ders. 33. 663. — bei Nephritis 781. 787. — bei — bei chronischer progressiver Bulbärparavisceralen Neuralgien 15. — bei Nierenlyse 77. 78. —, centrale 32. —, Diagnose steinen 804. — bei Peritonitis 708. 711. ders. 33. — bei Gehirnblutungen 119. — bei Gehirnkrankheiten 87. — bei Kopf— bei Pfortaderverlegung 729. tetanus 152. —, periphere 32. —, SymErektion, Centrum für dies. 40. —, schmerzptome ders. 32. — durch Syphilis 231. —, hafte bei Tripper 245. 251. Verlauf und Prognose ders. 33. Ergotin bei Hemicrania angio-paralytica 134. Erkältung, Ursache von Angina 625, von Facies Hippokratica 709. — leontina bei Katarrhen der Atmungswege 522. 526, Lepra 278. von Bronchitis 552, von Diarrhöe 669, Favus 850. —, Behandlung dess. 850. von Facialislähmung 31, von akut. Gelenk- Febris algida 429. — biliosa haemoglobirheumatismus 436, von Hämoglobinurie nurica 429. — cholerica 429. — comatosa 183, von Ischias 14, von Krup 543, von 429. — continua 429. — diaphoretica 429. Lähmungen 25, von Nephritis 779, von — dysenterica 429. — eklamptica 429. Neuralgie 4, von Neuritis 35, von Pleu— epileptica 429. — gastrica 641. — ritis 595, von genuiner Pneumonie 378, hectica 270. — kataleptica 429. — recurvon Ruhr 406, von multipler Sklerose des rens s. Rückfalltyphus. — remittens 429. Rückenmarkes und Gehirns 57, von Tabes — synkopalis 429. — tetanica 429. — dorsalis 61, von Tic convulsif 22, von variolosa 336. Trismus 22. Felsenbein, Caries dess. als Ursache von Entzündung der Dura mater cerebralis Ernährungsstörungen, allgemeine 163. 90. —, Erkrankung dess. nach Scharlach Erntemilbe, Hautaffektion durch dies. 854. 350. Erosionen, hämorrhagische d. MagenschleimFerrum s. Eisen. haut 656. Erysipelas 353. — ambulans (migrans) 356. Fettlébe/r 744. — bei tuberkulöser Lungenschwindsucht 265. — , anatomischer Befund bei dems. 354. —, Behandlung dess. 358. —, Beziehungen Fettleibigkeit 215. —, Ätiologie ders. 215. —, Erscheinungen bei ders. 216. —, Thedess. zu septischen Infektionen 354. — rapie ders. 216. 217. bullosum 356. — capitis 356. —, Diagnose dess. 358. — fixum 356. — glabrum 356. Fibrome der Dura mater 92. — des Gehirns 112. — in der Harnblase 814. — des —, günstiger Einfluß dess. auf andere ErHerzens 499. — des Kehlkopfs 552. — krankungen 358. —, Inkubationszeit dess. der Lunge 594. — der Milz 764. — der 355. —, Kokken dess. 354. — als KomNerven 38. — der Nieren 796. plikation bei Abdominaltyphus 294, bei Lupus erythematosus aggregatus 825, —, Fieber bei Aktinomykose 280. — bei Katarrhen der Atmungswege 525. — bei Krankheitsbild dess. 355. —, malignes Bronchitis capillaris 557. — bei Chorea 325. —, Prognose dess. 358. —, Über158. — bei Diphtherie 398. 399. 400. 401. tragung dess. durch die Vaccination 341. — verrucosum 356. — vesiculosum 356. — bei Ekzema universale 837. — bei Erysipelas 355. 356. — bei Erythema Erythem 827. — exsudativum multiforme nodosum 828. — bei Fettsüchtigen 216. $28. — nodosum 828. — durch Gallensteine 756. — bei Glossitis Essigsaure Thonerde bei Ekzem 839. 631. — bei Grippe 376. — bei Hepatitis Etat mamélonné der Magenschleimhaut 640. suppurativa 733. — bei Kehlkopfstenose Etonnement cerebral 85. 546. — bei Lungenbrand 593. — bei Eukalyptuspräparate bei Leukämie 180. — Miliartuberkulose 259. — bei Pest 305. bei Milzschwellung 765. — bei Nierensteinen 804. — bei epideEustrongylus gigas in den Nieren 799. mischer Parotitis 395. — bei Peritonitis Exantheme, akute, Neuritis bei dens. 35. — 708. 709. — bei perniciöser Anämie 173. bei Cholera indica 415. — nach Gebrauch von Copaivabalsam oder Kubeben 251. — — bei Pneumonie 382. 383. 391. — bei syphilitische 225. Röteln 366. — bei Ruhr 406. 407. — bei Septikopyämie 321. — bei Skorbut 187. Exeentrische Projection bei Nervenreizung 2. — bei Syphilis 222. 224. — bei tuberExophthalmus bei Basedow'scher Krankheit kulöser Lungenschwindsucht 270. — bei 191. 192. Typhlitis 680. — s. auch Temperatur des Extractum ftlieis bei Anchylostomum duoKörpers. —, gelbes s. Gelbes Fieber. denale 704. — bei Bandwürmern 701. —, aethereum bei perniciöser Anämie durch Fieberfrost, Zusammenschlagen der Zähne Entozoen 174. bei dems. 22. Extremitäten, Lähmung ders. bei Gehirn- Filaría Bankrofti, Ursache von Elefantiasis 849. — medinensis 856. krankheiten 87. —, Neuralgie d. unteren 12. Filzlaus 855. Fischschuppenkrankheit 848. JTacialis, Druck dess. durch Gehirnge- Fiedefieber 310. —, anatomischer Befund bei dems. 311. —, Behandlung dess. 314. —, schwülste 114. —, Krämpfe im Bereiche Differentialdiagnose dess. 313. —, Erdess. 22.

872

Register.

scheinungen dess. 311. —, Inkubationsdauer dess. 311. —, Körpertemperatur bei dems. 312. —, Prognose dess. 314. Flexibilitas cerea 140. Flohe, Hautexanthem durch dies. 856. Fötus, Übergang der Pestbacillen in dens. 305. Folie du doute 130. Follikulargeschwüre der Atmungswege durch Katarrh 525. Follikularkatarrh des Darms 676. —, Ätiologie dess. 676. —, anatomischer Befund bei dems. 676. —, Behandlung dess. 677. —, Krankheitsbild und Verlauf dess. 677. Fossa iliaca, Entzündungen in ders. 678, Diagnose u. Behandlung ders. 681, Symptome ders. 679. Frakturen s. Spontanfrakturen. Fremdkörper in den Gallenwegen 759. — in der Speiseröhre 633. Fremdkörperpneumonie 567. IHesel 827. Funktionsstörungen der motorischen Nerven 19. Furunkelbildung bei Abdominaltyphus 295. — bei Diabetes mellitus 209. — durch Ekzem 838. — bei Pocken 339. Fußphänomen 20. Fußschweiße 826. Gähnkrampf 23. Gallenblase, Erkrankungen ders. 759. Gallensteine 752. —, Behandlung ders. 758. —, Bildung ders. 752. —, Diagnose ders. 757. —, Folgezustände bei dens. 754. 756. —, Form und GefÜge ders. 752. 753. —, Symptome ders. 755. Gallemteinkolik 755. —, Behandlung ders. 758. —, Verwechslung ders. mit Ulcus ventriculi rotundum 659. Gallenwege, Katarrh ders. 751. — , Krankheiten ders. 718. 759. Gallertkrebs des Darms 693. Galvanisation desHalssympathicus beiHemikranie 134. — des Sympathicus 123. — bei Ischias 15. Galvanokaustik bei follikulären Anginen 630. — bei Heufieber 563. Galvanopunktur bei Aortenaneurysma 521. Ganglion semilunare [Gasseri], gewebliche Veränderungen an dems. bei Trigeminusneuralgie 10. —, intrakranielle Resektion dess. bei Trigeminusneuralgie 11. Gangraena pulmonum 592. Gärungsprobe zum Nachweis von Zucker im Harn 208. Gas im Herzbeutel 511. Gastrektasie 651. Gastrisches Fieber 641. Gastrische Krisen bei Tabes dorsalis 63. 65. Gastritis phlegmonosa 650. Gastroenteritis bei Grippe 376. — toxica 650, Diagnose, Prognose und Behandlung ders. 651, Krankheitsbild ders. 650. Gastro-Enteroptose 656.

Gastromalacie 656. Gastroptose 652. Gastroxynsis 644. Gaumenlähmung nach Diphtherie 402. Gaumensegel, Verhalten dess. bei Facialislähmung 32. Gaumensegellähmung bei chron. progressiver Bulbärparalyse 78. Gebärmechanismus, Centrum für dens. 40. Geburtshelferhand 156. Gefäßsystem, Innervationsstörungen dess. bei visceralen Neuralgien 15. Gefäßveränderungen durch Syphilis 230. Gehirn, Hydrops ex vacuo bei Atrophie dess. 96. — s. Kleinhirn. Gehirnabscess 108. —, anatomischer Befund bei dems. 108. —, metastatischer 108. 109. — nach Scharlach 350. —, traumatischer 108. 109. Gehirnanämie 92. — Symptome ders. 93. Gehirnblutungen 115. — Ätiologie ders. 116. —, Behandlung ders. 121. —, Sitz ders. 117. 121. —, Symptome ders. 117. —, Verlauf ders. 121. — Wirkung ders. auf das Gehirn 117. 118. Gehirndruck als Zeichen arterieller Anämie 97. — bei eitriger Entzündung der Dura mater cerebralis 90. — bei Entzündung der weichen Hirnhäute 102. — bei Hirntumoren 113. — bei Pachymeningitis haemorrhagica interna 91. — Diagnose und Therapie dess. 99. — Verminderung dess. auf operativem Wege 106. Gehirnembolien, Ausgangspunkte für dies. 124. Gehirnentzündung 99. —, umschriebene eitrige 108, Diagnose und Behandlung ders. 110, Krankheitsbild ders. 109. Gehirnerweichung durch Thrombose und Embolie 123. —, Therapie ders. 125. —, Unterscheidung ders. von der Apoplexie 125. Gehirngeschwulste 112. —, Ätiologie ders. 112. —, Allgemeinerscheinungen ders. 113. —, Diagnose ders. 115. —, Herdsymptome ders. 113. —, Therapie ders. 115. Gehirnhäute, Krankheiten ders. 82. —, weiche, Entzündung ders. 99. Gehirnhyperämie 93. —, anatomischer Befund bei ders. 95. —, arterielle 93. —, Symptome ders. 95. —, venöse 93. Gehirnkrankheiten 82 —, Allgemeines über dieB. 82. —, Allgemeinerscheinungen bei dens. 85. 86. —, Diagnostik ders. 85. 86. —, Herderscheinungen bei dens. 85. 87. —, Rückenmarksdegeneration bei dens. 41. Gehirnlokalisation 84. 87. —, der Herderkrankungen der Brücke 87, der Crura cerebelli 87, der Großhirnschenkel 87, des Kleinhirns 87, der Sehhügel 88, der Streifenhügel 88, des verlängerten Markes 87, der Vierhügel 88. Gehirnnerven, Krämpfe im Gebiet ders. 22. Gehirnödem 85. 95. 96. —, akutes kongestives 96. —, Leichenbefund bei dems. 98. — Symptome dess. 98.

Register. Gehirnsyphilis 230. Gehirn- und Bückenmarkssklerose t multiple 57. Ätiologie ders. 57, anatomischer Befund bei ders. 57, Diagnose ders. 60. — Entstehung ders. 58. Gehirntyphus 433. Gehör bei Facialislähmung 32. Geistesstörung bei Chorea 159. — bei Epilepsie 148. — bei akutem Gelenkrheumatismus 440. — bei Hysterie 136. 138. — bei Myxödem 190. Gelatine bei Aortenaneurysma 521. — zur Blutstillung 167. Gelbes Fieber 419. —, anatomischer Befund bei dems. 419. —, Behandlung dess. 420. —, Dauer dess. 420. — Inkubationszeit dess. 419.—, Sterblichkeit bei dems. 420. —, Verlauf dess. 420. Gelbsucht 720. Gelenkaffektionen bei Abdominaltyphus 295. — nach Gehirnblutungen 120. — bei Hämophilie 184. — bei Scharlach 350. — bei Septikopyämie 319. 320. 323. — bei Skrofulöse 205. — bei Syphilis 227. — bei Tabes dorsalis 65. — bei Tripper 248. — durch Tuberkulose 275. — bei Werlhof'scher Krankheit 185. Gelenkentzündungen bei Pneumonie 388. — bei Pocken 339. — bei Skorbut 187. Gelenkneuralgien 16. — bei Hysterie 137. Gelenkrheumatismus, akuter 435, anatomischer Befund bei dems. 437, Behandlung dess. 440, Diagnose und Prognose dess: 440, häufiges Zusammentreffen der Chorea mit dems. 157, hyperpyretische Formen dess. 439, Komplikationen dess. 438. 439, Krankheitsbild dess. 437, Krankheitserreger dess. 436. Genickkrampf 433. Genitalien, Blutungen aus den weiblichen bei Grippe 375. —•, erysipelatöse Erkrankungen der weiblichen 356. —, Krankheiten ders. beim Manne 815. —, Seborrhöe ders. 822. —, Syphilis ders. 228. Gerbsäure bei Seborrhöe 822. Gerstenmilbe, Hautaffektion durch dies. 854. Geruchßanomalien durch Facialislähmung 32. Geschlechtseinflüsse bei Abdominaltyphus 287. 297. — bei Addison'scher Krankheit 188. — bei Arteriosklerose 514. — bei Basedow'scher Krankheit 191. — bei Bronchialasthma 567. — bei fibrinöser Bronchitis 562. — bei Chlorose 174. — bei Chorea minor 157. — bei Diabetes insipidus 214. — bei Diabetes mellitus 206. — bei Diphtherie 397. — bei Duodenalgeschwür 661. — bei Dystrophia muscularis progressiva (ERB) 74. — bei Eklampsie 143. — bei Ekzem 836. — bei Emphysem 578. — bei Epilepsie 146. — bei Fettleibigkeit 215. — bei Gallensteinbildung 752. — bei Gehirnblutungen 116. — bei Gehirngeschwülsten 112. — bei Gelenkneuralgien 16. — bei akutem Gelenkrheumatismus 436. — bei Gicht 193. — bei Hämoglobinurie 183. — bei Hämophilie 183. — bei

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Hypochondrie 140. — bei Hysterie 134. — bei Ischias 14. — bei Keuchhusten 367. — bei Krup 543. — bei akuter Leberatrophie 735. — bei Lebercirrhose 738. — bei Leberkrebs 746. — bei Leukämie 178. — bei Migräne 132. — bei progressiver Muskelatrophie 72. — bei Myxödem 189. —bei chronischer Nephritis 784. — bei Nephrolithiasis 801. —bei Neuralgie 3. — bei Osteomalacie 201. bei Pachymeningitis haemorrhagica interna 90. — bei Paralysis agitans 159. — bei epidemischer Parotitis 395. — bei pemieiöser Anämie 173. — bei Pleuritis 595. — bei genuiner Pneumonie 378. — bei Pseudokrup 531. —bei Pseudoleukämie 180.— bei Schrumpfniere 789. — bei Schwindsucht 255. — bei multipler Sklerose des Kückenmarkes und Gehirns 57. — bei Spasmus glottidis 550. — bei Stuhlverstopfung 686. — bei Tabes dorsalis 61. — bei Tetanie 155. — bei Tetanus 150. — bei Thomsen'scher Krankheit 75. — bei tuberkulöser Encephalomeningitis der Kinder 105. — bei Ulcus ventriculi rotundum 655. Geschmacksanomdlien bei Erkrankung der Chorda' tympani 32. Geschwülste des Gehirns und seiner Häute 112. — der Lungen 594. —, maligne des Magens 662. — in den Nieren 796. — der Pleura 615. — des Rückenmarks und seiner Häute 46. Gesichtskrampf 22. Gesichtsschmerz s. Trigeminusneuralgie. Gicht 193. —, Anatomisches 193. —, atonische 194. —, Behandlung ders. 195. —, Diagnose ders. 195. —, typischer Anfall bei ders. 194. —, Verlauf und Prognose 195. —, viscerale 195. —, Wesen ders. 193. Gifte. Veranlassung zu Lähmung 24, zu Neuralgie 3, zu Neuritis 37. Glanzhaut s. Glossy skin. Gliedertyphus 320. Gliom des Gehirns 112. — des Rückenmarks 46. Globus hystericus 137. Glossitis 630. — bei Pocken 338. —, habituelle, idiopathische, parenchymatöse 631. —, Prognose und Behandlung ders. 631. Glossy skin bei Neuritis 36. Glottiskrampf s. Spasmus glottidis. Glottisödem 550. — bei Scharlach 349. Glykosurie 212. Gonokokkus, Nachweis dess. in dem Trippereiter 244. —, Veranlassung zu Endokarditis 470. Gonorrhoea s. Tripper. Gotthardswurm im Darm 703. Granatwurzel bei Bandwürmern 701. Graue Salbe bei Filzläusen 855. Grind 821. Grippe 371 (s. Influenza). —, anatomischer Befund bei ders. 372. —, Bacillus ders. 371. —, Behandlung ders. 377. —, Inkubationszeit ders. 372. —, Krankheitsbild ders. 372 —, Prognose und Diagnose ders.

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Register.

376. —, Verhalten des Nervensystems 375, der Sinneswerkzeuge 375. Großhirnschenkel, Herderscheinungen bei Erkrankungen dess. 87. Grübdsuckt 130. Grundwasserschwankungen, Einfluß ders. bei Abdominaltyphus 286. Grützgeschumlst 823. Guineawurm, Parasit des Menschen 856. Gumma 221. 222. 326. — des Gehirns 112. — des Rückenmarks 46. Gü/rtelrose 831. Grymnastik bei Tabes dorsalis 67. — s. Widerstandsgymnastik.

215. — bei Diabetes mellitus 208. 209. — bei epileptischem Anfall 147. — bei Gehirnblutungen 120. — bei gelbem Fieber 420. — bei akutem Gelenkrheumatismus 438. — bei Gicht 195. — bei Hämoglobinurie 183. — bei chronischer Herzinsuffizienz 456. — bei Ikterus 725. — bei akuter Leberatrophie 736. 737. — bei Magenerweiterung 653. — bei Magenkrebs 664. — bei Nephritis 768. 781. 785. 786. — bei Nierenkrebs 796. 797. — bei Pneumonie 388. — bei Pyelitis 806. — bei Scharlach 346. 352. — bei Schrumpfniere 791. — bei Septikopyämie 327. — bei Tetanus 153. Harnblasenausspülung 811. Harnblasendivertikel 809. Harnblasenentzündung 808. —, akute 809. —, anatom. Befund bei ders. 809. —, chronische 810. —, Symptome ders. 809. —, Therapie ders. 811. Harnblasenhämorrhoiden 809. Harnblasenkrampf 812. Harnblasenkrankheiten 808. Harnblasenkrebs 814. Harnblasenlähmung 812. Harnblasenparasiten 814. Harnblasensteine bei chron. Blasenkatarrh

Haarausfall bei Abdominaltyphus 295. — bei Myxödem 190. — bei TabeB dorsalis 65. Haarkrankheiten 847. — bei Neuritis 36. — durch Syphilis 227. Habitus phthisicus 254. 261. — scrophulosus 204. Hademkrankheit 446. Halbseitenläsion des Rückenmarks 47. 52. 53. HaZsbubonen bei Pest 308. Hämatemesis 665. Hämathidrosis 827. Haematoma durae matris 90. Hämatorrhachis 42. 811. Hämatothorax 610. 611. Harncylinder 770, Blutschattencylinder 771, Hämoglobinurie 182. —, Behandlung ders. Epithelialcylinder 771, —, granulierte 771. — aus harnsauren Salzen 771. —, hya183. —, periodische (paroxysmale) 182.183. line 770. 771. — aus Leukocyten 771. Hämoperikardium 511. —, wachsartige 771. —, EntBtehungsort Hämophilie 182. 183. —, Prognose und Theders. 772. —, Formen ders. 770. — bei rapie ders. 184. Nephritis 766. 781. 786. — bei SchrumpfHämophthisis 170. niere 791. Hämoptoe s. Lungenblutung. Hämoptysis 585. Harnentleerung, Centrum für dies. 40. —, Hämorrhagien der Haut bei AbdominalStörungen ders. bei akuter Myelitis 54. Harnleitererkrankungen 766. typhus 295. Hämorrhagische Diathese 182. — bei Leu- Harnorgane, Erkrankung ders. durch Tuberkämie 179. — durch Septikopyämie 324. kulose 276. HämorrhagischeErosionen der Magenschleim- Harnröhrentripper des Weibes 252. haut 656. Harnsäureinfarkt der Nieren bei NeugeHämorrhagischer Infarkt der Lungen 589. borenen 801. 590. Harnstoff in den Körpersekreten bei Urämie 775. —, Vermehrung dess. im Harn DiaHämorrhoiden bei Fettsucht 216. — im Harnblasenhals 809. — bei Mastdarmkatarrh betischer 209. 684. Harnträufeln bei chron. Blasenkatarrh 810. Hand s. Krallenhand. Harnwerkzeuge, Krankheiten ders. 766. Harn, Nachweis von Acetessigsäure in dems. Hautaffektionen bei Basedow'scher Krankbei Diabetes mellitus 209. —, Nachweis heit 192. — bei Diabetes mellitus 209. von Zucker in dems. 208. —, Pestbacillen — bei Erysipelas 355. — bei Fettsucht in dems. 305. — s. Retentio urinae. 216. — bei Myxödem 190. — bei Skorbut Harnabsonderung bei Cholera indica 412. 187. — bei Skrofulose 204. 414. — bei Gehirnblutungen 120. — bei Hautblutungen bei Pest 308. chronischer Herzinsuffizienz 456. 458. — Hautemphysem, allgemeines nach Emphysem bei Nierenkrankheiten 777. 781. 790. 793. der Lungen 580. — bei Keuchhusten 369. 794. — bei Nierensteinen 802. 803. — bei — als Komplikation bei Pneumothorax 614. Peritonitis 708. 711. — bei Pleuritis 604. HautgesehwiUste 856. — bei Scharlach 352. Ha/utgeschwüre bei Tabes dorsalis 65. Harnbeschaffenheit bei Abdominaltyphus 293. Hautjucken 843. 294. — bei Elatarrhen der Atmungswege Hautkrankheiten 821. — bei Abdominal525. — bei Basedow'scher Krankheit 192. typhus 294. — bei Endokarditis 477. — bei Grippe 376. — bei Masern 360. — — bei Coma diabeticum 211. — bei Cybei Pest 304. 308. — bei Pocken 333. stitis 809. 810. — bei Diabetes insipidus

Register. 338. 339. — bei Scharlach 349. — bei Septikopyämie 324. — bei hereditärer Syphilis 233. Hautpest 305. Hautreflexe bei amyotrophischer Lateralsklerose 76. — bei Funktionsstörungen der motorischen Nerven 19. — bei Myoklonie 162. — bei multipler Sklerose 59. — bei Tabes dorsalis 63. Hautreizende Einreibungen bei Lähmung 31. Hautschweiße bei Cholera indica 414. Hauttuberkulose 276. Hautwassersucht bei Scharlach 352. Heilgymnastik bei Lähmung 31. Heilserum Behring's bei Diphtherie 403. 404. Hemianästhesie bei Gehirnblutungen 120. — bei Streifenhügelläsion 88. Hemiathetosis posthemiplegica 120. Hemichorea 158. — posthemiplegica 120. Hemikranie 132. —, angio-paralytica 133. —, angio-spastica 133. Hemiopie bei Gehirnblutungen 120. Hemiplegie 25. 30. —, Athetose nach ders. 162. —, alternans bei akuter Bulbärparalyse 80. —, cruciata bei akuter Bulbärparalyse 80. — bei Gehirnblutung 119. — bei Gehirnembolie 125. — bei Hirnrindenerkrankung 90. — bei Hirntumoren 114. —, spinale bei Rückenmarkstumoren 47. — bei Streifenhügelläsion 88. Hepar migrans 719. Hepatitis interstitialis 738. — parenchymatosa diffusa 735. — sequestrans 755. — suppurativa 731. Herderscheinungen s. Gehirnkrankheiten. Hereditäre Syphilis s. Syphilis. Heredität, Einfluß ders. bei Arteriosklerose 514, bei Basedow'scher Krankheit 191, bei Bronchialasthma 567, bei Diabetes insipidus 214, bei Diabetes mellitus 206, bei Dystrophia muscularis progressiva (EBB) 74, bei Emphysem 578, bei Enuresis nocturna 812, bei Epilepsie 145. 146, bei Fettleibigkeit 215, bei Friedreich'scher Form der Tabes 67, bei Gehirnblutung 116, bei Gicht 193, bei Hämophilie 183. 184, bei Hypochondrie 140, bei Hysterie 134, bei Ischias 14, bei Magenkrebs 662, bei progressiver Muskelatrophie 72, bei Nephrolithiasis 801, bei epilepsieartiger Neuralgie 11, bei Neuritis 38, bei Neurosen 126, bei multipler Sklerose des Rückenmarkes und Gehirns 57, bei Skrofulöse 203, bei Thomsen'scher Krankheit 75, bei Tuberkulose 254, bei tuberkulöser Encephalomeningitis der Kinder 105, bei Zittern 161. Hernia diaphragmatica 690. 692. —, Unterscheidung ders. von Pneumothorax 614. Herpes 830. — bei Katarrhen der Atmungswege 525. — bei epidemischer Cerebro8pinalmeningitis 434. — circinatus 851. — facialis 830. — bei akutem Gelenkrheumatismus 438. — gutturalis 830. •— labialis bei Abdominaltyphus 294, bei Fleckfieber 313, bei genuiner Pneumonie

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380. 388, bei Rückfalltyphus 316. — bei Malaria 428. — progenitalis 831, Unterscheidung dess. vom Schanker 243. — tonsurans 851. — tonsurans maculosus 852. — tonsurans vesiculosus 851. — zoster 831. 832, bei Dorso-intercostalneuralgie 12, Neuritis bei dems. 36. Herz, Bildungsfehler dess. 499. — bei Fleckfieber 311. —, Lageveränderungen dess. 499. —, Lage Veränderungen dess. bei Aortenaneurysma 519. —, Neubildungen und Parasiten in dems. 499. — bei pernieiöser Anämie 174. Herzaffektionen bei Diabetes mellitus 210. Herzbeutel, Krankheiten dess. .505. Herzbeutelverwachsung (mit dem Herzen) 511, Diagnose ders. 513, örtliche Zeichen ders. 512. Herzbuckel 467. Herzdilatation 466. 469. 470. —, Prognose ders. 469. —, Verhalten des Kreislaufs bei ders. 468. —, Zeichen ders. 469. 470. — s. auch Herzhypertrophie. Herzfehlerzellen im Auswurf als Zeichen dauernder Herzschwäche 461. Herzgeräusche bei Aortenklappeninsuffizienz 488. —, pathologische 484. 485. 486. . Herzhypertrophie 464. 469. 470. —, Behandlung ders. 469. — bei Emphysem 580. —, exzentrische 466. —, konzentrische 466. — bei Nierenkrankheiten 777. 778. 787. 807. —, Prognose ders. 468. —, Ursachen ders. 464. 465. —, Verhalten des Kreislaufs bei ders. 468. —, Zeichen ders. 467. 469. 470. Herzinsuffizienz 452. —, akute 454. —, chronische 455. —, Prognose ders. 461. —, Prophylaxis ders. 461. —, subakute 454. —, Therapie ders. 461. 462. —, Ursachen ders. 453. 454. Herzklappenaneurysma bei Endokarditis 472. Herzklappenfehler 482. —, Diagnose ders. 484. —, Herzgeräusche bei dens. 484. —, Kompensation bei dens. 483. Herzklopfen 499. — bei chronischer Herzinsuffizienz 455. 462. —, nervöses bei Herzhypertrophie 465. 468. — nach Pollutionen 816. Herzkrankheiten 451. —, allgemeines 451. — bei gelbem Fieber 419. — durch akuten Gelenkrheumatismus 438. 439. — durch Syphilis 230. — durch Tripper 248. Herilähmung bei Diphtherie 402. Herznewrosen 499. —, Begleiterscheinungen ders. 502. — Behandlung ders. 502. —, Krankheitsbild ders. 501. — bei Tabes dorsalis 65. Herzostien, Stenose des linken venösen 493. —, Stenose des rechten venösen 498. Herzschwäche bei Skorbut 187. — s. Herzinsuffizienz. Herzschwiele 480. Herzthätigkeit bei Abdominaltyphus 291.293. — bei der Basedow'schen Krankheit 191. — bei progressiver Bulbärparalyse 77. — bei Cholera indica 412. 414. — bei Fett-

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Register.

sucht 216. — bei Fleckfieber 312. — bei Gehirnanämie 92. — bei Grippe 374. — bei hämorrhagischem Infarkt der Lungen 591. — bei Hirnhyperämie 94. — bei Magenkatarrh 643. — bei Myxödem 190. — bei Pest 306. — bei Pneumonie 382. 383. 384. — bei Septikopyämie 319. 322. — bei Tuberkulose 262. — bei visceralen Neuralgien 15. —, Beziehung z.Entstehung von Hirndruck 97. —, Einfluß ders. auf Entstehung und Verlauf der Tuberkulose 256. Herzzerreißungen 480. Hessing'sches Korsett bei Tabes dorsalis 67. Heufieber 563. —, asthmatische und katarrhalische Form 563. —, Prognose und Behandlung dess. 563. Himbeerzunge bei Scharlach 346. Hirnaffektionen bei Abdominaltyphus 291. 292. 298. — bei Septikopyämie 327. —, Zähneknirschen bei dens. 22. Hirnerscheinungen bei Bronchitis capillaris 557. — bei Fleckfieber 313. — bei Grippe 373. — bei Pest 307. — bei genuiner Pneumonie 386. — bei Rückfalltyphus 316. Hirnerstarrung 85. Himrindenläsion, Herderscheinungen bei ders. 88. 89. — bei Pachymeningitis haemorrhagica interna 91. Hirsuties 847. Hoden, Atrophie ders. bei Lepra 277. —, Neuralgie ders 13. Hodensyphüis 228. Hodentuberkulose 276. Hodgkin'sehe Krankheit 180. Holzessig, roher bei gonorrhoischer Vaginitis 251. Hufeisenniere 799. Hunter'scher Schanker 223. Husten bei Abdominaltyphus 289. — bei hämorrhagischem Infarkt 591. — bei Leberabsceß 733. — bei Lungenbrand 593. — bei Lungenschwindsucht 266. 274. — bei Pleuritis 599. 604. — bei Pneumonie 385. Hustenkrampf 23. Hydatidenschmrren bei Leberechinokokkus 750. Hydrargyrum tannicum oxydulatum bei Syphilis 239. — s. Quecksilberpräparate. Hydrobilirubin 725. Hydrocele (akute und chronische) bei Tripper 247. Hydrocephaloid der Kinder bei Diarrhöe 671. Hydrocephalus chronicus 110, anatomischer Befund bei dems. 111, nach epidemischer Cerebrospinalmeningitis 435, psychische Symptome dess. 111, Therapie bei dems. 112. — externus 110. — internus im Kindesalter 110. . Hydromyelus congenitus 80. Hydronephrose 806. —, anatom. Befund bei ders. 807. — bei Nephrolithiasis 803. —, Symptome ders. 807. —, Therapie ders. 808. Hydroperikardium 510. Hydrophobie s. Wutkrankheit.

Hydrops ascites 705, Behandlung dess. 707, Differentialdiagnose dess. 706, Folgen dess. 706, bei chronischer Herzinsuffizienz 456. 464, bei Lebercirrhose 739. 740. 742, bei Nierenkrankheiten 772. 780. 786. 788. 793, durch Pfortaderverschluß 729, physikalische Erscheinungen dess. 706. — chylosus 705. — ex vacuo 96. — vesicae felleae 754. Hydrotherapie bei Abdominaltyphus 298. 299. 300. 301. — bei Katarrhen der Atmungswege 527. 528. — bei Bronchitis 559. 560. — bei Choleraanfall 417. - bei Chorea 159. — bei Diarrhöe 673. 674. — bei Hypochondrie 143. — bei Hysterie 139. — bei Krämpfen 22. — bei Lähmung 31. — bei chron. Myelitis 56. — — bei Neuralgie 8. — bei Paralysis agitans 161. — bei Pleuritis 607. 608. — bei Pneumonie 393. — bei multipler Sklerose 60. Hydrothorax 610. — saccatus, multilocularis 611. Hyoscin bei Lungenschwindsucht 274. — bei Paralysis agitans 161. Hypästhesie 1. 16. — bei Neuritis 36. Hyperämie des Gehirns 93. —, hypostatische der Lungen 584. — der Leber 725. Hyperästhesie 1. — bei Encephalomeningitis 104. — bei Gehirnblutung 120. — bei Leptomeningitis spinalis 45. — bei Neuritis 36. — bei Röckenmarksverletzungen 53. Hyperalgesie der peripheren Nerven 5. — bei Tabes dorsalis 64. Hyperhidrosis 826. Hyperkinese 19. Hypertrophie des Herzens 464. —, wahre der Muskeln 74. Hypochondrie 140. —, Behandlung ders. 142. 143. —, Diagnose ders. 142 — cum materia 140. — sine materia 140. —, Symptome ders. 141. 142. Hypochondrische Verrücktheit 141. 142. Hypodermoklyse bei Cholera indica 418. 419. Hypoglossus, Druck dess. durch Gehirntumoren 114. Hypoglossuslähmung bei Großhirnschenkelläsion 87. Hypostase in den Lungen 583. Hysterie 134. —, Ätiologie ders. 134. —, Behandlung ders 138. —, Beziehung ders. zu Diabetes insipidus 215. —, Diagnose ders. 138. —, Entwicklung ders. 135. —, Gelenkneuralgien bei ders. 16. —, Kehlkopfiähmung bei ders. 535. 541. —, klonischer Inspirationskrampf bei ders. 23. —, männliche 135. —, Symptome ders. 135. —, Visceralneuralgien bei ders. 137. Hystero-Epilepsie 136. Ichthyol bei Erysipel 358. — bei Pruritus 844. — bei Tripper 250. Ichthyolglycerin bei gonorrhoischer Vaginitis 252.

Register.

Ichthyolseife bei Ekzem 840. Ichthyosis 848. —, Behandlung ders. 848. — hystrix 848. — nitida 848. — serpentina 848. Idiosynkrasie 127. 139. — für Urticaria 829. Ikterus 720. —, akathektischer 721. 722. —, Behandlung dess. 752. — , Entstehung dess. 722. — bei Gallensteinen 755. 756. — bei Katarrh der Gallenwege 751. — bei gelbem Fieber 419. 420. — gravis 723. —, hämatogener 720. 721. —, katarrhalischer 724. 751. — bei akuter Leberatrophie 736. — bei Lebercirrhose 740. 742. — bei Leberkrebs 748. — der Neugeborenen 722. — bei Rückfalltyphus 314. 315. 316. — bei Septikopyämie 326. Ileotyphus s. Abdomiualtyphus. Ileus 691. — paralyticus 692. Immunität bei Malaria 424. — gegen Tuberkulose 255. Impetigo 837. 841. — syphilitica 226. Impfung mit animaler Lymphe 342. — mit humanisierter Lymphe 342. Impotenz 819. — bei Diabetes mellitus 210. — bei Hypochondrie 142. —, moralische 819. — paralytische 819. — , Prognose und Therapie ders. 820. Indikan im Harn bei Magenkrebs 664. Induration, cyanotische der Leber 727, in den Nieren 794. —, knotige fibröse der Lungen 573. —, schiefrige der Lungen 573. Infarkt, hämorrhagischer der Lungen 589. 590. — der Nieren 801. Infektionskrankheiten 218. —, Allgemeines 218. —, akute 281, anatomischer Befund bei dens. 281, Behandlung ders. 284, klinische Erscheinungsform ders. 281. —, Einteilung ders. (kontagiöse, miasmatische, miasmatisch -kontagiöse) 219. —, Lähmungen nach dens. 25. —, Milzschwellung bei dens. 762. —, Nephritis bei dens. 779. —, Neuritis bei dens. 35. —, akute aufsteigende Paralyse nach dens. 52. Infektionsmilz

762.

Influenza, Lähmungen nach ders. 25. —, Neuritis bei ders. 35. —, Ursache von Encephalitis haemorrhagica acuta 108, von Neuralgie 3. — s. Grippe. Infusion von Kochsalzlösung bei akuter Anämie 169, bei Cholera indica 418, bei Coma diabeticum 214. Inhalationen bei chronischem Kehlkopfkatarrh 533. — bei Keuchhusten 371. Innervationsstörungen des Gefäßsystems bei visceralen Neuralgien 15. Inspirationsanomalien bei multipler Sklerose 58. Inspirationsmuskeln, Krampf ders. 23. Intelligenz bei Epilepsie 148. — bei Gehirnblutung 121. — bei Gehirnkrankheiten 86. — bei Hypochondrie 141. — bei Pachymeningitis haemorrhagica interna 91. Intentionszittern bei multipler Sklerose 58. Interkostalneuralgie bei Aortenaneurysma 520. — s. Dorso-interkostalneuralgie.

877

Intertrigo

837. 839.

Intubation bei Krup 549. Intussusception des Darms 689. 690. 691. Invagination des Darms 689. 690. Ipecacuanha bei Keuchhusten 371. — bei Ruhr 408. Iritis

syphilitica

232.

Irradiation 2. — der peripheren Nerven 2. 5. —, sensible 10. Irritable

breast

12.

Ischämie der Nieren 767. 794. Ischias 13. —, Ätiologie ders. 14. —, Behandlung ders. 14. —, Prognose ders. 14. —, Symptome ders. 14. Itrol bei Tripper 250. Jaborandi

bei Diabetes insipidus 215.

Jackson'sche Epilepsie Jenner'sches Bläsdien Jodakne 823.

146. b e i V a c c i n a t i o n 342.

Jodkalium bei Bronchialasthma 570. — bei Encephalomeningitis 106. — bei Gehirngeschwülsten 115. — bei Ischias 15. — bei Lähmung durch Syphilis 31. — bei Neuralgien 8. — bei Nierenamyloid 793. — bei Skrofulöse 206. — bei Spinalmeningitis 46. Jodnatrium bei Angina pectoris 505. — bei Arteriosklerose 517. Jodoform bei Encephalomeningitis 106. — bei Schanker 243. — bei chronischem Schnupfen 529. — bei syphilitischer Primärsklerose 236. Jodpräparate bei Basedow'scher Krankheit 193. — bei Syphilis 236. 239. — bei Tabes dorsalis 66. lodtinktur bei Diabetes mellitus 214. — bei Epididymitis 251. — bei Pocken 340. — bei Skrofulose 206. Juckblattern

841.

Kachexie bei Magenkrebs 662, 664. — bei Skorbut 187. — splenica 764. — strumipriva 189. Kahlköpfigkeit 847. Kairophobie 130.

Kak-ke, Beziehung ders. zur Neuritis 37. Kalilauge bei Ekzem 840. Kaliseife bei Komedonen 823. Kalium aceticum bei chron. Nephritis 788. — causticum bei Milzbrand 447, bei Wutkrankheit 449. — chloricum bei Angina 628, bei Blasenkatarrh 811, bei Nephrolithiasis 804, bei Pocken 340, bei Pyelitis 806, bei Stomatitis 624. Kaliumkarbonat bei Seborrhöe 822. Kalkinfarkte der Nieren 801. Kalkwasser bei Bronchialkrup 562. — bei Krup 548. Kalkzufuhr bei Osteomalacic . 202. — bei Rachitis 201. Kalomel bei Abdominaltyphus 301. — bei Diarrhöe 672. 675. — bei Hydrops der Herzkranken 464. — bei Leberhyperämie

878

Register.

728. — bei Ruhr 408. — bei Syphilis 236. 239. — bei hereditärer Syphilis 241. Kaltwasserkuren bei akutem Gelenkrheumatismus 439. — bei Pollutionen 819. — bei Tabes dorsalis 67. Kampfer bei Asthma kardiale 504. — bei Cholera indica 418. — bei Coma diabeticum 214. — bei Gehirnblutungen 122. — — bei Herzinsuffizienz 464. — bei Lungenödem 583. — bei Pneumonie 393. Kapillarpuls bei Aortenklappeninsuffizienz 488. Karbolöl bei Favus 851. Karbolsäure bei Diabetes insipidus 215, mellitus 214. — bei Diphtherie 405. — bei Ekzem 839. — bei Erysipel 358. — bei Krup 548. — bei Milzbrand 447. 448. — bei Pruritus 844. — bei Psoriasis 833. — bei Seborrhöe 822. — bei Ulcus molle 243. — bei Wutkrankheit 449. Karbunkel bei Milzbrand 446. — bei Pest 304. 309. Kardialgie 667. —, anatomischer Befund bei ders. 668. —, Diagnose und Prognose ders. 668. —, Krankheitebild ders. 668. — Therapie ders. 668. Karlsbader Salz bei Gallensteinen 758. — bei katarrhal. Ikterus 752. — bei Lebercirrhose 744. — bei chron. Magenkatarrh 648. Katalepsie 139. —, Diagnose u. Behandlung ders. 140. — bei Hysterie 136. — durch Septikopyämie 328. Katarrhalpneumonie 554. Katarrhe der Atmungswege s. Atmungswege. — der KehlkopfBchleimhaut s. Kehlkopfkatarrh. — der Nasenschleimhaut s. Nasenschleimhaut. — der Trachea und der Bronchien 552. Kaumuskeln, Lähmung ders. bei progressiver Bulbärparalyse 77. Kehlkopferkrankungen bei Abdominaltyphus 289. 294. — durch Diphtherie 400. 403. — bei Grippe 374. — bei Masern 363. — bei Pest 304. — durch Syphilis 229. — durch Tuberkulose 264. 268. Kehlkopfgesehwülste 552. Kehlkopfkatarrh 530. —, akuter bei Erwachsenen 530, Behandlung dess. 531. —, akuter bei Kindern 531, Behandlung dess. 532, Krankheitsbild dess. 531. —, chronischer 533, Behandlung dess. 533. Kehlkopfkrisen bei Tabes dorsalis 65. Kehlkopfmuskeln, Lähmungen ders. 534, Ätiologie ders. 534, Diagnose u. Behandlung ders. 540, hysterische 535. 541, Symptome ders. 535, Verlauf ders. 539. Kehlkopfstenose bei Krup 544. 545. 547. Keratitis, parenchymatöse bei Syphilis 232. 234. Keuchhusten 366. —, anatomischer Befund bei dems. 367. —, Diagnose, Prognose und Behandlung dess. 370. —, Inkubationszeit dess. 367. —, Komplikation dess. mit Tuberkulose 370. —, Ursache von Tuberkulose 257. —, Verlauf dess. 367.

KieferMemme 22. Kinderlähmung, cerebrale 107. —, spinale 68. Klavierspielkrampf 23. Kleiderlaus 855. Kleidung, Einfluß ders. auf die Verdauung 639. Kleinhirnerkrankung, Herderscheinungen bei ders. 87. Klimatische Kwen bei Diabetes mellitus 213. — bei Lungenschwindsucht 273. Kniephänomen s. Patellarreflex. Knisterrasseln bei Pneumonie 386. Knochenerkrankungen bei Abdominaltyphus 295. — bei Pneumonie 388. — bei Rachitis 197. 198. — bei Septikopyämie 319. 320. 323. — bei Skrofulöse 204. 205. —, syphilitische 227. 234. — bei Tabes dorsalis 65. —, tuberkulöse 275. Knochen- und Knochenhautentzündung, primäre infektiöse 320. Knochenmark bei akuter Anämie 167. — bei perniciöser Anämie 173. —, lymphadenoide und pyoide Hyperplasie dess. bei Leukämie 179. Knochentyphus 320. Kochsalzbäder bei Skrofulose 205. Kochsalzinfusion bei akuter Anämie 169. — bei Coma diabeticum 214. Kolik 696. —, Behandlung ders. 697. —, Diagnose ders. 697. —, rheumatische 697. —, Sitz der Schmerzen bei ders. 697. —, Ursachen ders. 697. Kollaps 455. — bei Pneumonie 384. KoUapsindurationen der Lungen 573. Kolloidcarcinom des Magens 662. Koma s. Coma. Komedonen 822. Kommotion des Rückenmarkes 50. Kompression, methodische des Thorax bei Emphysem 581. Kompressionsstenose der Trachea und der größeren Bronchien 564. Kompressionsthrombose der Pfortader 728. Kondylome, breite 222. 223. 224. 225. 227, graue Salbe gegen dies. 238, am Kehlkopf 229. —, spitze bei Tripper 248, Behandlung ders. 252. Konjugierte Ablenkung der Augen und des Kopfes nach Gehirnblutung 119. Konjunktiva, Erkrankung ders. bei Cholera indica 415. —, Pockenpusteln auf ders. 338. Konjunktivitis bei Grippe 373. — bei Masern 362. 364. Konstitution, neuropathische 3. Kontrakturen 20. — nach Gehirnblutungen 119. — nach Hirntumoren 114. — Dei progressiver Muskelatrophie 73. —, neuropathische 30. —, paralytische 29. —, sekundäre bei Facialislähmung 33. — bei multipler Sklerose 59. Konvulsionen 20. Kopflaus 854. Kopfschmerz bei Encephalomeningitis 102. — bei Gehirnentzündung 109. — bei Gehirnkrankheiten 86. — bei Grippe 375.

Register. — bei Hirntumoren 118. 115. — bei Pachym eningitis haemorrhagica intern a 91. — bei Paralysis agitans 160. — bei Septikopyämie 327. Kopftetanus 152. Kopfverletzungen, als Ursache von Pachymeningitis haemorrhagica interna 90. Koprolalie 162. Koprostase, Veranlassung ders. zu Ischias 14. Koso bei Bandwürmern 701. Kotentleerung, Centrum für dies. 40. Krallenhand 73. Krampfcentrum 146. Krämpfe 19. 20. —, Ätiologie ders. 21. —, Begleiterscheinungen ders. 21. —, Beschäftigungskrämpfe 23. — nach starkem Blutverlust 165. —, eklamptische 143. —, epileptische 145. 146. i47. — bei Gehirnembolie 125. — bei Gehirnerkrankungen 86. — im Gebiete der Gehirnnerven 22. — im Gebiete von Kückenmarksnerven 23. —, Habituellwerden ders. 21. — bei Hirnödem 98. — bei Hirntumoren 113. 115. — bei Hypochondrie 142. — bei Hysterie 136. —, klonische 20. —, klonische, der motorischen Aste des Trigeminus 22. —, koordinierte 20. —, Prognose ders. 21. —, tetanische 150. 155. —, Therapie ders. 21. —, tonische 20, im Facialisgebiet 22, der motorischen Äste des Trigeminus 22. Krätze 852. Krätzmilbe 852. Kraniotabes bei Rachitis 197. Kreislauforgane, Krankheiten ders. 451. Kreislaufsstörungen in der Niere 793. Kremasterreflex 19. Kreosot bei Lungenschwindsucht 274. Krisen bei Tabes dorsalis 63. 65. Krup 396. 543. —, Ätiologie dess. 543. —, anatomischer Befund bei dems. 543. —, ascendierender und descendierender 543. —, Kehlkopfstenose bei dems. 544. 545. —, Komplikationen dess. 547. —, Krankheitsbild dess. 544. —, Prognose und Behandlung dess. 548. —, Unterscheidung dess. von Laryngitis katarrhalis 547. 548. Kubeben bei Tripper 251. KüMsonden bei Spermatorrhöe 819. Kupfernase 823. Kußmaul- Landry'sehe Paralyse 51. Kyphose bei Emphysem 580. — bei Rachitis 200. Labien, Neuralgie ders. 13. Lachkrampf 23. Lähmungen 19. 24. — bei Anästhesie 18. —, anatomische Veränderungen bei dens. 24. 25. — der Augenmuskeln bei • progressiver Bulbärparalyse 78. — der Augenmuskeln bei Tabes dorsalis 63. —, cerebrale 30. — bei Diabetes mellitus 209. — , Diagnose ders. 30. — nach Diphtherie 402. —, doppelseitige 25. — durch Einbildung 142. — bei Encephalome-

879

ningitis 103. — bei Gehirnblutungen 119. — bei Gehirnembolie 125. — Dei Gehirnentzündung 109. — bei Gehirnkrankheiten 87. —, halbseitige 25. — bei Hirntumoren 114. — bei Hypochondrie 142. — bei Hysterie 137. 138. — der Kaumuskeln bei progressiver Bulbärparalyse 77. — der Kehlkopfmuskeln 534. —, klinisches Bild ders. 25. — durch Lepra 278. — bei akuter Myelitis 54. —, myopathische 30. 534. —, neuropathische 24. 30. 534. 537. —, periphere 30. — bei Poliomyelitis anterior 69. 70. —, Prognose ders. 30. —, Reflexe bei dens. 25. — bei Rückenmarksblutungen 43. — bei Rückenmarkstumoren 47. —, schlaffe 30. —, sensible Störungen neben dens. 25. —, spastische 30. —, spinale 30. — bei Syphilis 231. —, Therapie ders. 30. —, trophische Störungen bei dens. 26. —, vasomotorische Störungen bei dens. 26. — s. Bleilähmung. — s. Monoplegien. — s. Radialislähmung. — s. Serratuslähmung. — s. Spinallähmung. — s. Zungenlähmung. — s. Zwerchfelllähmung. Largin bei Tripper 250. Laryngitis fibrinosa 543. — hypoglottica chronica hypertrophica 533. — bei Pocken 338. Lassar'sche Paste bei Ekzem 839. Lateralsklerose, amyotrophische 75, Anatomisches 76, Beziehungen ders. zur progressiven Muskelatrophie und zur Bulbärparalyse 76. Prognose u. Therapie ders. 77, Symptome ders. 76. Läuse, Erreger von Hautkrankheiten 854. Lebensalter in Bez. zu: Abdominaltyphus 287. 297, Addi8on'scher Krankheit 188, amyotrophischer Lateralsklerose 75, Aphthen 620, Arteriosklerose 514, Basedow'scher Krankheit 191, Bronchialasthma 567, fibrinöser Bronchitis 562, epidemischer Cerebrospinalmeningitis 433, Chlorose 174, Chorea 157. 159, Diabetes insipidus 214, Diabetes mellitus 206, Diarrhöe 670, Diphtherie 397, Dystrophia muscularis progressiva (ERB) 74, Eklampsie 143, Ekzem 836, Emphysem 578, Encephalomeningitis 100, Epilepsie 146, Fettleibigkeit 215, Gallensteinbildung 752, Gehirnblutungen 116, Gehirngeschwülsten 112, akutem Gelenkrheumatismus 436, Gicht 193, Hämophilie 184, Hypochondrie 140, Hysterie 134, Keuchhusten 367, Krup 543, akuter Leberatrophie 735, Lebercirrhose 738, Leberkrebs 746, Leukämie 178, Magenblutung 665, Magenkrebs 662, Masern 359, Migräne 132, Morbus maculosus Werlhofii 184, Mundfäule 621, progressiver Muskelatrophie 72, Myxödem 189, chronischer Nephritis 784, Nephrolithiasis 801, Neuralgie 3, Noma 622, Osteomalacic 201, Pachymeningitis haemorrhagica interna 90, Paralysis agitans 159, epidemischer Parotitis 395, Pavor nocturnus 150, Peri-

880

Register.

karditis 505, perniciöser Anämie 173, Pleuritis 595, Pneumonie 378. 381. 391, Pocken 332, Poliomyelitis anterior acuta 68, Pseudokrup 531, Pseudoleukämie 180, Rachitis 197, Retropharyngealabsceß 630, Röteln 366, Rückenmarksblutungen 43, Scharlach 345, Schrumpfniere 789, multipler Sklerose des Rückenmarkes und Gehirns 57, Spasmus glottidis 550, Syrin gomyelie 80, Tabes dorsalis 61, Tetanie 155, Tetanus 150, Tuberkulose 255, tuberkulöser Encepbalotneningitis der Kinder 105, Ulcus ventriculi rotundum 655, Varicellen 343. Leber, Größe und Lage ders. 718. — s. Fettleber. Leberabsceß 731. —, anatomischer Befund bei dems. 732. —, Entstehung dess. 731. — bei Ruhr 407. —, Symptome dess. 732. — Therapie dess. 734. Leberanschoppung 725. Leberatrophie, akute 735, anatomischer Befund bei ders. 735, Dauer ders. 737, Diagnose und Behandlung ders. 738, gelbe und rote 735, Krankheitsbild ders. 736, Prognose ders. 737. —, einfache 744. Lebercirrhose 738. —, atrophische 739. —, biliäre 739. —, Dauer und Verlauf ders. 741. —, Diagnose und Behandlung ders. 743. —, hypertrophische 739. 742. —, Krankheitsbild ders. 739. Leberechinokokkus 748. —, Behandlung dess. 750. —, multilokularer 748. 750. —, Symptome dess. 749. —, unilokulärer 748. 749. LeberentZündung, interstitielle 738; s. auch Lebercirrhose. Lebererkrankungen 718. — bei Abdominaltyphus 293. —, Cervico-brachialneuralgie bei dens. 11. — bei gelbem Fieber 419. — bei Malaria 425. — bei Pocken 334. — bei Rückfalltyphus 316. — bei Septikopyämie 326. — bei hereditärer Syphilis 234. Leberfieber, intermittierendes 756. Leberflecke 846. Leberhyperämie 725. —, aktive 725. —, Behandlung ders. 727. —, Diagnose und Prognose ders. 727. —, passive 726. Leberkrebs 746. —, Dauer dess. 748. —, Diagnose dess 748. —, Symptome dess. 747. Leberkrisen bei Tabes dorsalis 65. Leberschwellung bei Gallensteinen 756. — bei Hepatitis suppurativa 732. Lebersyphilis 228. Leberthran bei Skrofulöse 205. Lebervenenpuls bei Trikuspidalinsuffizienz 497. Lebervergrößerung 719. 727, — bei Diabetes mellitus 207. — bei Leberechinokokkus 750. — bei Leberkrebs 747. — bei Leukämie 179. Leberverkleinerung 719. 727. Leitungsanästhesien 18. Lentigines 846.

Lepra 276. —, Bacillus ders. 276. — der Haut (tuberculosa s. nodosa) 277. — mutilans 278. — nervosa 277. 278. —, Ursache von Neuritis 37. Leptomeningitis spinalis 45, Behandlung ders. 46, Symptome ders. 45. Leptothrix bticcalis 618. — im Auswurf bei Bronchiektasie577. — in der Harnblase 814. Leukämie 165. 177. —, akute 179. —, Diagnose und Prognose ders. 179. —, Krankheitsbild ders. 179. —, lienale 17". —, lymphatische 177. —, medulläre 177. —, Therapie ders. 180. Leukämisches Blut 178. Leukocyten, große mononukleäre 165. —, polynukleäre 165. Leukocytose 165. Leukoderma syphiliticum 225. Leukomyelitis 53. Leukopathia 225. Liehen ruber 834. — ruber planus 835. — scrofulosorum 834. — syphiliticus 226. Lidkrampf 22. Lipome der Dura mater 92. — des Gehirns 112. —im Kehlkopf 552. — d e r Lungen 594. — der Nerven 38. — der Nieren 796. — des Rückenmarks 46. Liquor carbonis detergens bei Ekzem 840. Lithium salicyliaim bei Gicht 196. Lithiumsalze bei Nephrolithiasis 804. Little?sehe Krankheit 107. Lues venerea s. Syphilis. Lumbalpunktion 107. Lumboabdominalneuralgie 13. Lunge, senile Atrophie ders. 579. — bei Chlorose 176. — bei Grippe 374. — bei Pest 304. — bei Septikopyämie 326. —, Beziehungen ders. zu Herzinsuffizienz 459. Lungenabsceß, embolisch entstandener 589. 590. — bei Pneumonie 379. 390. Lungenaffektionen bei Diabetes mellitus 210. — bei hereditärer Syphilis 234. Lungenaktinomykose 280. Lungenapoplexie 585. Lungenarterie, embolische und thrombotische Vorgänge in ders. 589. —, Verengerungen ders. 498. Lungenblähung 577. — bei Keuchhusten 369. Lungenblutung 585. —, Anatomisches 585. —, Behandlung ders. 588. —, Diagnose ders. 587. — bei Lungenschwindsucht 267. —, Verlauf und Prognose ders. 587. —, Vorboten ders. 586. Lungenbrand 592. —, anatomischer Befund bei dems. 592. —, Krankheitsbild und Verlauf dess. 593. — nach Pneumonie 379. 390. —, Prognose und Behandlung dess. 594. —, Ursachen dess. 592. Lungencardnom 594. Lungencirrhose 272. 566. —, nodosa tuberculosa 264. — bei Pneumonie 379. Lungenechinokokken 594. Lungengeschwülste 594. Lungenhypostase 583. — bei Abdominaltyphus 2t>9. 294. —, Behandlung ders. 584. —, Differentialdiagnose ders. 584.

Register. — nach Pneumonie 390. —, Veranlassung zu ders. 584. Langeninfarkt, hämorrhagischer 589, Diagnose dess. 591, Prognose und Behandlung dess. 592, bei Skorbut 187, Symptome dess. 590. Lungenkavemen 264. Lungenödem 582. —, akutes allgemeines 583. —, anatomischer Befund bei dems. 583. —, Behandlung dess. 583. —, Entstehung dess. 582. —, entzündliches 582. —, Formen dess. 582. Lungenpest 305. 307. Lungenschrumpfung durch Bronchiektasie 574. — nach Pneumonie 390. Lungenschwindsucht, tuberkulöse 261, nach Abdominal typhus 294, anatomischer Befund bei ders. 262, Diagnose ders. 267. 268. 272, Entwicklung und Ausbreitung ders. 263, Geschwürsbildung u. Kavernen in der Lunge durch dies. 264, hygieinischdiätetische Behandlung ders. 273, Komplikationen und Folgezustände ders. 270, metastatische 263, nach Pneumonie 390, Prognose ders. 272, Symptome ders. 265, Therapie ders. 272, Verlauf ders. 271. Lungensyphilis 229. Lupulin gegen schmerzhafte Erektionen bei Tripper 251. Lupus erythematosus 824, Behandlung dess. 826. — erythematosus aggregatus 825. — — erythematosus discoides 825. — als primäre Hauttuberkulose 276. — syphiliticus 227. Lustseuche s. Syphilis. Lymphangiome des Gehirns 112. Lymphangoitis bei Pest 309. —, tuberkulöse 263. Lymphdrüsen bei Abdominal typhus 288. — bei Diphtherie 398. 399. 400. — bei Erysipelas 355. — bei Krup 544. — bei Lepra 277. — bei Leukämie 179. — bei Masern 363. — bei Milzbrand 446. — bei Noma 623. — bei Pest 304. — bei Pocken 334. — bei Pseudoleukämie 180. — bei Röteln 366. — bei Scharlach 346. 349. 350. — bei Syphilis 221. 222. 223. 224. —, Tuberkulose ders. 275. — bei Vaccination 342. Lymphdrüsenverkäsung bei Skrofulöse 202. 203. Lymphocyten 165. Lymphom der Lungen 594. — malignes 180. — in der Niere bei Leukämie 179. Lymphosarkom der Milz 764. Lyssa s. Wutkrankheit. JUTadenwwrmer im Darm 702. 703. Magen, Aufblähung dess. durch Kohlensäure 653. —, Lageveränderungen dess. 652. — Soorbildung in dems. 619. Magenausspülung bei Darmverengerung u. -Verschließung 693. — bei Katarrh des Magens 644. 646. 648. — bei Magenerweiterung 654. — bei Magenkrebs 665. Magermutung 665. —, anatomischer Befund y. J Q r g e n s e n , Spei. Path. u. Ther. IV. Aufl.

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bei ders. 666. —, Behandlung ders. 667. —, Beschaffenheit des Blutes bei ders. 666. —, Prognose ders. 667. — bei Ulcus rotundum 658. Magenentzündung, schwere Formen ders. 65Ö. Magenerweichung, kadaveröse 656. Magmerweiterung 651. —, anatomischer Befund bei ders. 652. —, Diagnose und Therapie ders. 654. —, Entstehung ders. 652. —, Lageveränderung des Magens bei ders. 652. —, Symptome ders. 653. —, Verlauf, Ausgang und Prognose bei ders. 654. Magengeschwülste, bösartige 662. Magengeschwür, einfaches 655, Anatomisches 656, Behandlung dess. 659, Diagnose dess. 658, Entstehung dess. 655, Folgen dess. 658, mit Kardialgieverlaufend 668, Magenblutung durch aass. 658, perforierendes 658, Sitz dess. 657, Symptome dess. 657. Mageninhalt, chemische Untersuchung dess. 642. 645. — bei Dyspepsie 641. Magenkatarrh, anatomischer Befund bei dems. 640. —, Beziehung dess. zur Dyspepsie 636. Magenkrampf 667. — s. Kardialgie. Magenkrankheiten 636. Magenkrebs 662. —, Behandlung dess. 665. —, Dauer dess. 664. —, Diagnose dess. 662. 664. —, Reaktion auf freie Salzsäure bei dems. 645. —, Sitz dess. 662. —, Symptome dess. 662. —, Verwechslungen dess. mit anderen Störungen 663. Magensaft bei Magenkatarrh 642. —, Untersuchung dess. 645. Magensaftfluß, kontinuierlicher 645. Magenschleimhaut, hämorrhagische Erosionen ders. 656. Magenschmerz bei Ulcus ventriculi rotundum 657. Magenschwindel 644. Magenträgheit (Atonie) 649. 655. Malaria 420. —, abweichende Erscheinungsformen ders. 428. —, anatomischer Befund bei ders. 424. —, Behandlung ders. 431. —, Diagnose ders. 430. —, endemisches Auftreten ders. 420. —, Inkubationsdauer ders. 425. —, Krankheitsbild der einfachen Febris intermittens 426. —, Krankheitserreger ders. 421. —, Prognose ders. 431. —, Prophylaxis ders. 431. — quartana 421. 422. 426. 427. — quotidiana 426. 427. —, Recidive ders. 429. 430. — tertiana 421. 422. 426. 427. —, Ursache von Neuralgie 3. Malariasiechtum 425. 430. 432. Maüeus s. Rotz. Malum perforans pedis bei Tabes dorsalis 65. Mandelentzündung bei Scharlach 349. Maniakalische Geistesstörung nach Abdominaltyphus 292. — Zustände nach Hysterie 138. Marantische Thrombose der Pfortader 728. Masern 358. — anatomischer Befund bei dens. 359. — Diagnose ders. 364. —, Exanthem ders. 360. —, Inkubationszeit ders. 359. —, Komplikationen und Nach56

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Register.

krankheiten ders. 363. —, Krankheitsbild ders. 359. —, Prognose und Behandlung ders. 366. —, Stadien ders. 360. —, Ursache von Tuberkulose 257. Massage bei Beschäftigungskrämpfen 24. — bei Diabetes mellitus 213. — bei Geienkoeuralgien 16. — bei Lähmung 31. — bei Neuralgie 8. Mastdarmentzündung 683. —, akute 684. —, Behandlung ders. 684. —, chronische 684. — durch Tripper 248. Mastdarmfistel durch Periproktitis 684. Mastdarmgeschwüre, syphilitische 228. Mastdarmkrebs 693. Mastdarmvorfall 684. Mastodynie 12. Mastzellen im Blut 165. Mediastinitis durch Septikopyämie 326. Mediastino-perikarditis, schwielige 514. Medulla oblongata, Blutungen in ders. bei akuter Bulbärparalyse 79. —, Herderscheinungen bei Erkrankungen ders. 87. —, Krankheiten ders. 39. 77. MedvMarcarcinom des Darms 693. — des Magens 662. Melaena neonatorum 665. « Melanämie bei Malaria 425. Melancholie nach Abdominaltyphus 292. — nach Hysterie 138. Melanocarcinom des Darms 693. Melomosarkom der Leber 747. Melasikterus 724. Meningitis bei Grippe 375. —, primäre eitrige bei Pest 305. — nach Scharlach 350. — bei Septikopyämie 325. — spinalis chronica 45. — tuberculosa, Körpertemperatur bei ders. 102. Meningoencephalitis 99. 101. —, Kackenstarre als Begleiterscheinung ders. 23. — tuberculosa 271. 275. Meningomyelitis syphilitica 232. —, tuberkulöse'275. Menstruation bei Chlorose 176. Mentagra 824. Meteorismus bei Abdominaltyphus 293. — bei Hysterie 137. — bei Peritonitis 710. 713. Metritis, chronische,bei Tripper 247. Migräne 132. —, Ätiologie ders. 132. —, Anfall ders. 132. —, Prognose u. Therapie ders. 133. Mikrosporon furfur, Veranlassung der Pityriasis versicolor 835. — minutissimum bei Ekzema marginatum 852. Milch perlsüchtiger Kühe, Übertragung der Tuberkulose durch dies. 253. —, Verbreitung von Abdominaltyphus durch dies. 286. Milchdiät bei Dyspepsie 648. — bei chronischer Nephritis 788. Milchsäure bei Krup 548. Miliaria bei Abdominaltyphus 294. — alba 827. — crystallina 827. — rubra 827. — bei Rückfalltyphus 316. Miliartuberkulose, allgemeine akute 257. 270, Ätiologie ders. 257, Behandlung ders. 261, Diagnose ders. 260, Differentialdiagnose

ders. 261, Leichenbefund bei ders. 258, Symptome ders. 259, Verlauf ders. 258. 259. Milium 823. Milz, leukämische 178. — bei Pseudoleukämie 180. —, syphilitische 228. Milzabsceß 763. Milzbrand 444. —, anatomischer Befund bei dems. 445. —, Diagnose dess. 447. —, Prognose dess. 447. —, Prophylaxe dess. 447. —, Symptome dess. 446. 447. Milzbrandbacillen 444. 445. Milzbrandsporen 445. Milzerkrankungen 761. —, akute 762.. —, Allgemeines 761. — bei Pocken 334. Milzschwellung bei Abdominaltyphus 288. 289. 293. —, akute 762, Symptome ders. 763. —, Behandlung ders. 763. 765. —, chronische 764. — bei Endokarditis 477. — bei Erysipelas 357. — bei Fleckfieber 311. 313. — bei Grippe 376. — bei akuter Leberatrophie 736. — bei Lebercirrhose 740. 742. — bei Leberkrebs 747. — bei Lungenbrand 593. — bei Malaria 425. 428. — bei epidemischer Parotitis 395. — bei Pfortaderverlegung 729. — bei Pneumonie 387. — bei Rückfalltyphus 314. 315. 316. — bei Scharlach 350. — bei Septikopyämie 319. 326. Mllzzerreißung 763. Mineralwässer bei chronischer Bronchitis 561. — bei Gallensteinen 758. — bei Leberhyperämie 728. — bei Magenkatarrh 650. — bei Nephrolithiasis 804. Miserere 691. Mitbewegungen bei Facialislähmung 33. — nachGehirnblutungenll9. — bei Krämpfen 21. — bei multipler Sklerose 58. — bei Tetanus 152. Mitralinsuffizienz 490. —, Diagnose ders. 492. —, mechanische Folgen ders. 490.491. —, Prognose und Behandlung ders. 493. —, Zeichen ders. 491. 492. Mittelsdlze bei Hämophilie 184. — bei Ruhr 408. Mogigraphie 23. Monarthritis rheumatica 438. Monoplegie bei Hirnrindenerkrankung 89. 91. Morbilli haemorrhagici 363. — laeves 363. — papulosi 363. — vesiculares miliares 363. — s. Masern. Morbus Brightii 766. —, Formen von Nephritis bei dems. 767. Morbus Bithmarsicus 227. Morbus maculosus Werlhofii 182. 184. —, Ätiologie dess. 185. —, Diagnose dess. 185. —, Prognose u. Therapie dess. 186. —, Symptome dess. 185. —, Urticaria als Komplikation dess. 185. Morphium bei Asthma kardiale 504. — bei Bronchialasthma 571. — bei Bronchitis 561. — bei Cholera indica 418. — bei Diabetes mellitus 214. — bei Eklampsie 145. — bei Encephalomeningitis 106. — bei Gallensteinkolik 759. — bei Gicht 196. — bei hämorrhagischem Infarkt 592.

Register. — bei Herzklopfen 502. — bei Hysterie 139. — bei Kehlkopfkatarrh 531. — bei Keuchhusten 371. — bei Lungenblutung 588. — bei Lungenschwindsucht 274. — — bei Magengeschwür 661. — bei Magenkrampf 669. — bei Migräne 134. — bei chronischer Myelitis 57. — bei Neuralgie 8. 9. — bei Neuritis 36. — bei Peritonitis 712. — bei Pleuritis 608. — bei Pneumonie 394. — bei Pneumothorax 614. — bei Tetanus 154. — bei Urticaria 830. —, Veranlassung zu Tabes dorsalis 61. Morpio, Ekzem durch dens. 855. Mortalität bei Abdominaltyphus 289. 297. 298. Morvan'sehe Krankheit 81. Moschus bei Gehirnblutungen 122. — bei Herzinsuffizienz 464. — bei Spasmus glott i d i 552. Mumps s. Parotitis. Mundfäule 621. —, Ätiologie ders. 621. —, Allgemeinerscheinungen bei ders. 622. — anatomischer Befuna bei ders. 622. —, chronische 622. —, Diagnose ders. 622. —, Entwicklung ders. 622. —, Therapie ders. 624. Mundkrankheiten 616. — durch Erysipel 355. — durch pflanzliche Parasiten 618. —, Therapie ders. 623. Muskatnußleiber 726. 745. Muskelaffektionen durch Abdominaltyphus 295. — bei Endokarditis 4 77. —beiSeptikopyämie 323. — bei Skorbut 187. — bei Syphilis 227. — bei Thomsen'scher Krankheit 75. — bei Trichinose 442. 443. Mu&kelatrophie bei chronischer progressiver Bulbärparalyse 79. — durch Lähmung 26. — bei Poliomyelitis anterior 70. —, progressive 72. 76, Behandlung ders. 74, Diagnose ders. 73, hereditäre u. juvenile Form ders. 74, Komplikation ders. mit Bulbärparalyse 73, bei Syringomyelie 81. Muskelgefühl 17. —, Prüfung dess. 17. Muskelkontraktion, paradoxe 20. Muskelkrämpfe bei Cholera indica 412. 414. Muskellähmung 24. Muskeln, elektrisches Zuckungsgesetz d e T S . 27. 28. —, wahre und Pseudohypertrophic ders. 74. Muskelschmerzen bei Rückfalltyphus 316. Muskeltonus 29. Muskelzittern 161. Muskelzuckungen, fibrillare bei chronischer progressiver Bulbärparalyse 77, bei Hypochondrie 142, bei progressiver Muskelatrophie 73. Mutterkornvergiftung, Veranlassung zu Tabes dorsalis 61. Myelitis, akute 53, Behandlung ders. 55, Symptome ders. 54. — centralis 53. —, chronische 55, Therapie ders. 56. — circumscripta 54. —, diffuse 40. — disseminata 54. 80. —, hämorrhagische 43. — peripherica 53. — transversa 52. 53, bei Septikopyämie 327. Myelocyten 178.

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Mykotische Infektion, Veranlassung zu Hirnblutung 116. Myokarditis 479. —, Ätiologie ders. 480. —, anatomischer Befund bei ders. 480. 481. —, eitrige infektiöse 480. —, Zeichen ders. 482. Myoklonie 162. Myomalacie des Herzens 480. Myome des Herzens 499. Myopathische Lähmungen 30. 534. Myosis, spinale bei Tabes dorsalis 63. Myospasia impulsiva 162. Myotonia congenita 75. Myxödem 189. —, anatomischer Befund bei dems. 190. —, Therapie dess. 190. —, Ursache dess. 189. Myxome im Kehlkopf 552. — der Nerven 38. — der Nieren 796. — des Rückenmarkes 46. Nabelwunde, Bez. z. Tetanus 154. Nachtschrecken 150. Nackenstarre 23. Naevus pigmentosus 846. — pilosus 846. — verrucosus 846. Nagelerkrankung bei Abdominaltyphus 295. — durch Favus 851. — bei Myxödem 190. — bei Neuritis 36. — bei Skorbut 187. — durch Syphilis 227. — durch Trichophyton tonsurans 852. Nähkrampf 23. Naphtalin bei Ruhr 408. Naphthol bei Ekzem 841. — bei Prurigo 843. Narkotika bei Wutkrankheit 450. Nasenaffektionen bei Diphtherie 400. — bei Skrofulöse 204. — durch Syphilis 229. Nasenhluten bei Grippe 375. — bei hypertrophischer interstitieller Hepatitis 742. — bei Leukämie 179. — bei Verlegung des Sinus longitudinalis superior 126. Nasenschleimhaut bei Abdominaltyphus 294. —, Entzündung ders. bei Rotz 279. —, Katarrhe ders. 528, bei Masern 362. 364. Natrium bicarbonicum bei Diabetes mellitus 214, bei Gicht 196, bei Keuchhusten 371, bei Verdauungsstörungen 649. — phosphoricum bei Nierensteinen 804. —, salicylsaures bei Gallensteinbildung 758, bei akutem Gelenkrheumatismus 440. — sulfuricum bei Diarrhöe 672. Natrontannatseife bei Ekzem 839. Nebenhoden, Tuberkulose ders. 276. Nebenhodenentzündung s. Epididymitis. Nebennieren bei Addison'scher Krankheit 188. 189. — bei Leukämie 179. Nephritis, akute 767. 779, anatomische Veränderungen durch dies. 780, Behandlung ders. 782, Dauer ders. 782, nach Diphtherie 403, bei akutem Gelenkrheumatismus 440, Pathogenese ders. 779, bei Pneumonie 388, Prognose ders. 782, bei Räckfalltyphus 316, nach Scharlach 347. 351. 352, Symptome ders. 781, nach Varicellen 344. —, chronische interstitielle 767. 788. 56*

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Register.

—, chronische (parenchymatöse) 767. 784, anatomische Veränderungen durch dies. 784, Behandlung ders. 788, Komplikationen ders. 787, Krankheitsbild ders. 785, Prognose ders. 787. — bei Diabetes mellitus 209. — bei rekurrierender Endokarditis 477. — hämorrhagische bei Pocken 339. — bei Skorbut 187. — suppurativa 795. 805. —, toxische 779. Nephrolithiasis 801. Behandlung dess. 243. —, gressiver Bulbärparalyse 79, von ParaBeziehung dess. zur Syphilis 221. —, lysis agitans 161. Differentialdiagnose dess. 241. 242. —,

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Register.

Hunter'scher 223. — phagedänischer 242. — Prophylaxis dess. 243. Scharlach 3*44. —, Abweichungen im Verlauf dess. 347. —, anatomischer Befund bei dems. 345. —, Behandlung dess. 353. —, Chorea bei dems. 157. —, Diagnose dess. 353. —, Epidemien dess. 345. —, hämorrhagischer 349. —Inkubationszeit dess. 346. —, Komplikationen dess. 349. 350. —, Kontagium dess. 345. —, Krankheitsbild dess. 346. —, Prognose dess. 353. — sine exanthemate 347. —, Stadium desquamationis 346. —, Stadium eruptionis et florescentiae 346. —, Temperaturkurve dess. 347. 348. Scharlachfebricula 347. Scharlachfriesel 349. Scharlachnephritis 347. 351. 352. Scharlachrheumatismus 350. Scharlachschnupfen 350. Scherflechte 851. Schilddrüse, Beziehung ders. zu Myxödem 189. 190. —, Tetanie nach Totalexstirpationen ders. 155. Schilddrüsenanschwellung bei der Basedow'schen Krankheit 191. Schilddrüsensubstanz bei Myxödem 190. Schizomyceten in der Harnblase 808. 809. Schlafsucht nach starkem Blutverlust 165. 166. — bei Encephalitis haemorrhagica acuta 107. Schlaf zustände bei Hysterie 136. Sehleimfieber s. Abdominaltyphus. Schleimhautaffektionen bei Grippe 373. — bei Pocken 333.338. — bei Scharlach 346. — bei Septikopyämie 325. — bei Skorbut 187. — bei hereditärer Syphilis 234. — bei Varicellen 343. ScMeimpolypen im Kehlkopf 552. Schlingbeschwerden bei progressiver Bulbärparalyse 77. 78. ScMuckpneumonie 564. 566. 567. Schmarotzeranämie 172. Schmerzempfindung 17. —, Prüfung ders. 17. Schmerzen bei Hirnödem 98. — bei Krämpfen 21. —, lancinierende bei Tabes dorsalis 62.64. —bei Neuralgie 5. — bei Neuritis 36. Schmerzpunkte, s. Druck-Schmerzpunkte. Schmierseife bei Alopecia pityrodes 847. — bei Ekzem 840. — bei Favus 850. 851. — bei Ichthyosis 848. — bei Pityriasis versicolor 835. — bei Prurigo 843. — bei Psoriasis 833. — bei Seborrhöe 822. — bei Skabies 853. Schneiderkrampf 23. Schnupfen 528. Schnürleber 719. Schreibekrampf 23. Schrumpfleber, sekundäre 743. Schrumpfniere 767. 788. —, anatomischer Befund bei ders. 789. —, arteriosklerotische 767. 789. —, Behandlung dei-s. 792. — bei Diabetes mellitus 209. — bei Gicht 194.' —, Hirnblutungen bei ders. 116. —, Krankheitsbild ders. 790. —, Unterscheidung des Diabetes insipidus von ders. 215.

Schuppenflechte 832. Schusterkrampf 23. Schüttellähmung s. Paralysis agitans. Schwachsinn durch Gehirnblutung 121. Schwangerschaft, Albuminurie während ders. 768. —, Chorea während ders. 157. —, Beziehung ders. zu akuter Leberatrophie 735. —, Nierenveränderungen während ders. 794. —, Tetanie bei ders. 155. —, Unterbrechung ders. durch Pesterkrankung 309. Schwarzer Tod 307. 308. Schwarzwasserfieber 425. 429. Schweißabsonderung, Anomalien ders. 826. — bei Cholera indica 415. — bei Diabetes insipidus 215. — bei Diabetes mellitus 209. — bei akutem Gelenkrheumatismus 438. — bei Lungenschwindsucht 270. 274. — bei Masern 363. — bei Pest 308. — bei Tetanus 153. Schweißfriesel 438. 827. — bei Malaria 428. Schtoindel bei Gehirnkrankheiten 86. — bei Hirntumoren 113. — bei Paralysis agitans 160. Schwindelfurcht 130. Schwindsucht 576. Scopolamin bei Lungenschwindsucht 274. Scrotum s. Hoden. Scutula durch den Favuspilz 850. Seborrhöe 821. — capillitii 821. — faciei 821. — oleosa 821. — sicca 821. —, Therapie ders. 822. SecoUe cornutum bei Diabetes insipidus 215. — bei chronischer Myelitis 57. Sedimentum lateritium bei Diarrhöe 671. Sehhügelerkrankung, Herderscheinungen bei ders. 88. Sehnenreflexe bei amyotrophischer Lateralsklerose 76. — bei Dystrophia muscularis progressiva (EBB) 74. — bei Myoklonie 162. — bei Funktionsstörungen der motorischen Nerven 19. — bei multipler Sklerose 59. — bei chronischer Spinalmeningitis 46. — bei spastischer Spinalparalyse 68. — bei Tabes dorsalis 63. Sehnervenatrophie durch Syphilis 232. Sehstörungen bei starkem Blutverlust 166. — bei Gehirnkrankheiten 88. — bei Hirnrindenerkrankung 89. — bei Tabes dorsalis 63. Seifen bei Ekzem 839. 840. Seifenspiritus bei Ekzem 840. Selbstinfektion bei Abdominaltyphus 296. Senegainfusodekokt bei Bronchitis 560. Senkungsabscesse bei Scharlach 349. Sensibilitätsstörungen bei Diabetes mellitus 209. Sensorium bei Gehirnkrankheiten 86. Sepsis, Neuritis bei ders. 35. Septikopyämie 316. —, Ätiologie ders. 316. 318. —, anatomischer Befund bei ders. 318. —, Behandlung ders. 331. —, Diagnose ders. 330. —, Differentialdiagnose ders. 330. —, Gruppen ders. 320. —, Inkubationsdauer ders. 318. —, Körpertemperatur bei ders. 329. —, Krankheitsbild

Register. ders. 319. —, kryptogenetische 317. —, Prognose ders. 329. — bei Ruhr 407. —, Verlauf ders. 328. Septische Eneephalomeningitis 126. Seröse Häute, Tuberkulose ders. 714. Serratuslähmung 34. Serumdiagnose bei Abdominaltyphus 297. Siderosis 572. Singultus 23. — bei Peritonitis 711. Sinusthrombose 125. —, entzündliche und marantische 125. — nach Scharlach 350. Situationsangst 130. Situs inverms 499. Skdbies 852. —, Behandlung ders. 853. — crustosa s. Norvegica 854. Skirrhus des Darms 693. — des Magens 662. Sklerema neonatorum 849. Skleroderma (der Erwachsenen) 848. Sklerose s. Rückenmarkssklerose. Skoliose bei Rachitis 200. Skorbut 182. 186. —, Ätiologie dess. 186. —, Diagnose dess. 187. 188. — als echte Infektion 186. —, Krankheitsbild dess. 186. 187. —, Prognose und Therapie dess. 188. Skrofulose 202. —, Ätiologie ders. 203. - , anatomischer Befund bei ders. 203. —, Ansteckungsgefahr bei ders. 204. —, erethische 204. — nach Keuchhusten 370. —, Beteiligung der Lymphdrüsen an ders. 202. 203. —, Primärerkrankungen bei ders. 203. 204. —, Prognose und Therapie ders. 205. —, torpide 204. —, Verhältnis ders. zur Tuberkulose 203. Skrofulöse Diathese 203. Sommerdiarrhöe 669. —, Behandlung ders. 673. Sommersprossen 846. Somnambule Zustände bei Hysterie 136. Soolbäder bei chronischer Myelitis 56. — bei Skrofulose 205. — bei Tabes dorsalis 67. Soor 618. —, Behandlung dess. 624. —, Diagnose dess. 620. —, Prognose dess. 620. —, Symptome dess. 619. Soorentwicklung bei Abdominaltyphus 292. Soorpile 618. 619. 620. Spasmus 20. — glottidis 550, Ätiologie dess. 550, anatomischer Befund bei dems. 551, Anfülle dess. 551, bei Hysterie 137, Prognose und Behandlung dess. 551. Spastischer Gang bei multipler Sklerose 59. — bei spastischer Spinalparalyse 68. Spastische Lähmungen 30. Spastische Spinalparalyse 67. 76. Speckleber 745. Speckmüz 764. Speichelabsonderung bei progressiver Bulbärparalyse 77. 79. — bei chronischer Dyspepsie 643. — bei Facialislähmung 32. — bei Mundfäule 622. Speichelfluß bei Glossitis 631. — bei Noma 623. — bei Pocken 335. 338. Speiserohre s. Ösophagus. Spermakrystatte 817. Spermatorrhöe 817. 819.

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Spina bifida 81, Prognose, Diagnose u. Therapie ders. 82. — ventosa bei Skrofulose 205. Spinalapoplexie 43. Spinalepilepsie 20. Spinale Hemiplegie 47. Spinalirritation 49. — bei Hysterie 137. Spinale Kinderlahmimg 68. Spinallähmung 30. —, akute atrophische 68. —, Brown-S6quard'sche 53. Spinalmeningitis 44. —, chronische 45. Spinale Myosis bei Tabes dorsalis 63. — Neurasthenie 131. Spinalparalyse, spastische 67. 76. — durch Syphilis 232. Spirochaete Obermeieri, Ursache des Rückfalltyphus 314. Spirometrie bei tuberkulöser Lungenschwindsucht 266. Splenisation der Lungen 584. Spontanfrakturen bei Tabes dorsalis 65. Sprachstörung bei Angina 627. 629. — bei chronischer progressiver Bulbärparalyse 77. 78. — bei Facialislähmung 32. — bei Hirnrindenläsion 88. 89. — bei multipler Sklerose 58. Spulwürmer im Darm 702. Sputum coctum 554. — crudum 554. — bei Lungenschwindsucht 257. —, Pestbacilien in dems. 305. — s. Auswurf. Staphylokokkus pyogenes aureus, Krankheitserreger der Septikopyämie 316. 318. Status epilepticus 147. 148. Stauungsniere 767. 793. Stauungsödem des Gehirns 96. — der Lungen 582. Stauungspapille bei Hirnödem 98. — bei Hirntumoren 113. 115. —, einseitige bei Pachymeningitishaemorrhagica interna91. Stechapfelblätter bei Bronchialasthma 571. Stechmücken, Übertragung der Malaria durch dies. 421. 423. Stenokardie s. Angina pectoris. Sterblichkeit bei Bronchitis capillaris 558. — bei epidemischer Cerebrospinalmeningitis 435. — bei Cholera indica 416. — bei Diarrhöe im Kindesalter 674. — bei Diphtherie 403. 404. — bei Fleckfieber 312. — bei gelbem Fieber 420. — bei akutem Gelenkrheumatismus 438. 439. 440. — bei Masern 365. — bei Milzbrand 447. — bei Noma 623. — bei Pest 309. — an Pneumonie 391. — bei Rückfalltyphus 315. — bei Ruhr 408. — bei Scharlach 345. — bei Spasmus glottidis 551. — bei Tetanus 153. — bei Trichinose 444. — bei Wutkrankheit 450. StimmbandlähmungbeiAortena.neurysm&b2Q. 534. — bei Hysterie 137. — bei Lungenund Kehlkopfschwindsucht 268. — bei Trichinose 443. Stimme, Umschlagen ders. bei multipler Sklerose 58. Stoffwechsel bei Basedow'scher Krankheit 192. — bei Diabetes mellitus 210. — bei Leukämie 179. — bei Magenkrebs 664.

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Register.

Stomacace 621. Stomatitis katarrhalis 616, Symptome ders. 617. — leucaemica 179. — ulcerosa 621. Streifenhügel, Herderscheinungen bei Zerstörungen dess. 88. Streptokokkus (Fehleisen) des Erysipels 353. 354. — pneumoniae 377. — pyogenes als Krankheitserreger der Septikopyämie 316. 318. Strophantus s. Tinctura strophanti. Strychnin bei Lähmung 31. — bei Magenkrampf 669. — bei Spermatorrhöe 819. StuMentleerung bei Peritonitis 709. Stuhlverstopfung 685. —, Ätiologie ders. 685. —, Behandlung ders. 688. —, Diagnose ders. 687. — bei Dyspepsie 643. 646. —, Erscheinungen ders. 687. — bei Gehirnkrankheiten 87. — bei Magenerweiterung 653. — bei Peritonitis 708. 710. Styreue bei Skabies 854. Sublimat zu Blasenausspölungen 811. — bei Favus 851. — bei Krup 549. — bei Neuralgie 8. — bei Pigmentanomalien 846. — . bei Wutkrankheit 449. Sublimatbäder bei Ekzem 840. — bei hereditärer Syphilis 241. Sublimatpillen bei Syphilis 239. Subphrenische Abseesse 606. Succussio Hippobratis bei Pneumothorax 614. Suggestion bei Hysterie 139. Sykosis parasitaria 824. — simplex 824. Sympathicus bei Addison'scher Krankheit 188. 189. — Galvanisation dess. bei Hemikranie 134. Syphilid, pustuloses, 226. Syphilis 219. —, Ätiologie ders. 220. —, anatomische Veränderungen durch dies. . 221. —, Behandlung ders. 235. — der Blutgefäße 230. —, Blutveränderungen bei ders. 224. —, Drüsenschwellung bei ders. 221. 222. 223. 224. —, Dualismus und Unitarismus bei ders. 221. — Exanthem ders. 225. —, Fieber bei ders. 224. — der Gelenke 227. — der Geschlechtsteile 228. — der Haare 227. — der Haut und Schleimhäute 225. — des Herzens 230. 499. —, Initialsklerose ders. 221. 222. 223. —, Inkubationsstadium ders. (erstes) 222, (zweites) 224. — des Kehlkopfes 229. 552. — der Knochen 227. —, Krankheitsbild ders. 221. — der Leber 228. — der . Lunge 229. —, maligne 235. — der Milz . 228. — der Muskeln 227. — der Nägel 227. — der Nase 229. — des Nervensystems 38. 230. — der Nieren 228. —, Prophylaxis ders. 235, — der Sinnesorgane 232. —, Übertragung ders. durch Vaccination 220. —, Unterscheidung ders. vom , weichen Schanker 221. —, Ursache von Arteriosklerose 515, von Neuralgie 3, von Neuritis 37, von akuter aufsteigender Paralyse 52, von Spinalmeningitis 45, von . Tabes dorsalis 60. 61. —, Verlauf ders. 234. —, hereditäre 232, der Haut 233, der inneren Organe 234, der Knochen 234,

der Lungen 229, der Schleimhäute 234, tarda 234, Therapie ders. 240. —, kongenitale 232. Syphilitische Geschwülste der Dura mater 02. Syphilom s. Gumma. — des Rückenmarks 46. Syringomyelic 80. Systemerkrankungen im Rückenmark 39. 68. Tabakmißbrauch, Einfluß dess. auf das Herz 500, auf die Verdauung 639. —, Ursache von Stomatitis katarrhalis 616. Tabes dorsalis 60. —, Ätiologie ders. 60. —, Anatomie ders. 61. —, ataktisches Stadium ders. 63. —, Diagnose und Behandlung ders. 66. —, Friedreich'sche Form ders. 67. —, neuralgisches Stadium ders. 62. — s. Pseudotabes. —, Symptome ders. 62. —, in Beziehung zur Syphilis 60. 61. Taches cérébrales 102. Tachykardie 465. 501. Tänien, T. echinoçoçcus 748. —, T. mediocanellata (saginata) 699. —, T. solium 698. Talgdrüsenerkrankungen 821. Tannalbin bei Diarrhöe 675. Tannin bei chronischem Kehlkopfkatarrh 533. — bei syphilitischer Primärsklerose 236. — bei Tripper 250. Tartarus stibiatus bei Bronchitis 560, (mit Ipecacuanha) bei akutem Kehlkopfkatarrh der Kinder 532. Teerakne 834. Teerpräparate bei Ekzem 840. — bei Prurigo 843. — bei Psoriasis 834. Temperatur des Körpers bei Abdominaltyphus 290. 291. 293. 295. 296. — bei Angina 627. — bei Basedow'scher Krankheit 192. — bei Katarrhen der Atmungswege 525. — bei Cerebrospinalmeningitis 101. — bei Cholera indica 414. — bei Diabetes mellitus 209. — bei Encephalitis haemorrhagica acuta 107. 108. — bei Encephalomeningitis 104. — bei Endokarditis 475. — bei epileptischem Anfall 147. — bei Erysipelas 356. — bei Fleckfieber 312. — bei Gehirnblutungen 120. — bei chronisch-eitriger umschriebener Gehirnentzündung 109. — bei Gehirnerweichung 125. — bei Gehirnkrankheiten 87. — bei gelbem Fieber 420. — bei akutepi Gelenkrheumatismus 437. — bei Grippe 373. 374. — bei akuter Leber : atrophie 736. 737. — bei Leukämie 179. — bei hämorrhagischem Infarkt der Lungen 591. — bei tuberkulöser Lungenschwindsucht 265. 270. — bei Malaria 427. — bei Masern 361. — bei Neurosen 127. — bei Pachymeningitis haemorrhagica interna 91. — bei Pleuritis 599. 603. — bei Pneumonie 380. 38 t. 382. 383. 384. 389. 391. — bei Pneumothorax 613. — bei Pocken 337. — bei Rückfalltyphus 315. — bei Scharlach 347. 348. 352. — bei Septikopyämie 329. — bei Tetanus 152. 153. — bei Urämie 774. — bei Varicellen 344. — s. auch Fieber.

Register. Temperatursinn 17. —, Prüfuug dess. 17. — bei Syringomyelic -81. Tenesmus bei Diarrhöe 671. 675. — bei Harnblasenkatarrh 811. — bei Mastdarmkatarrh 684. — bei Ruhr 407. 408. Terpentinöl bei Blasenkatarrh 811. — bei Bronchiektasie 577. — bei putrider Bronchitis 561. — bei Bronchoblennorrhoe 561. — bei Follikularkatarrh des Darms 677. — bei Ischias 15. — bei Lungenbrand 594. — bei Lungenschwindsucht 274. — bei Nephrolithiasis 804. — bei Neuralgie 8. — bei Pneumonie 394. — bei Proktitis 685. — bei Pyelitis 806. Tetanie 155. Tetanus 20. 150. — Ätiologie dess. 150. 151. — Diagnose dess. 153. — hydrophobic!» 152. — idiopathicus 151. —, Krankheitsbild dess. 152. —, prämortales Symptom dess. 152. 153. — rheumaticus 151. —, Therapie dess. 154. — toxicus 151. — traumaticus 151. —, Verlauf dess. 153. Tetanusantitoxin 154. Tetanusbacillen 151. Thermen, indifferente, bei Tabes dorsalis 66. Thomsen'scbe Krankheit (nach ERB) 75. Thorakocentese 608. 609. Thorax, methodische Kompression dess. bei Emphysem 581. Thrombose, autochthone der Lungengefäße 589. — der Gehirngefäße 123. 125. — der Pfortader 728. — der venösen Sinus des Gehirns 125. — der Vertebralarterien bei akuter Bulbärparalyse 79. Thyreoidismus 190. Tic convulsif 22. Tic douloureux 9. Tickrankheit 162. Tinctwra strophanti bei Herzinsuffizienz 463 Tintement métallique Laennec's bei Pneumothorax 614. Tod bei Abdominaltyphus 289. 299. — bei Addison'scher Krankheit 189. — bei Aortenaneurysma 520. — bei Basedow'scher Krankheit 192. 193. — bei akutem Bronchialkrup 562. — bei Bronchitis capillaris 555. — bei chronischer progressiver Bulbärparalyse 78. — bei Cholera indica 412. — bei Follikularkatarrh des Darms 677. — bei Diabetes mellitus 211. — bei Diphtherie 401. 402. — bei Dystrophia muscularis progressiva (ERB) 75. — bei Emphysem 581. — bei Encephalomeningitis 101. 103. — bei Epilepsie 148. — bei Fleckfieber 311. — bei Gehirnblutung 118. 121. — bei umschriebener eitriger Gehirnentzündung 110. — bei Gehimsyphilis 231. — bei gelbem Fieber 420. — bei Hirnanämie 93. — bei Hypochondern 142. — bei Hysterie 138. — bei Lebercirrhose 739. 742. — bei Lepra tuberculosa 278. — bei Lungenblutung 587. — bei Malaria 429. — bei Milzbrand 447. — bei progressiver Muskelatrophie 73. — bei akuter Myelitis 55. — bei

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Pachymeuingitis haemorrhagica interna 91. 92. — bei Paralysis agitans 160. — bei Peritonitis 709. — bei Pest 310. — bei Pleuritis 605. — bei Pneumonie 391. —, plötzlicher 86. — bei Rotz 279. — bei Ruhr 406. — bei Scharlachnephritis 352. —, schwarzer 307. 308. — bei multipler Sklerose 60. — bei Spasmus glottidis 551. — bei Syphilis 222. — bei Tabes dorsalis 64. — bei Tetanus 152. — bei tuberkulöser Lungenschwindsucht 265. Tonsillen, Erkrankung ders. bei Abdominaltyphus 288. Tophi Syphilitischer 227. Torticollis 23. Trachea, akuter Katarrh ders. (und der gröberen Bronchien) 554. —, Verengerung ders. (und der größeren Bronchien) 564, anatomischer Befund bei ders. 565, klinisches Bild und Verlauf ders. 565. Trachealkatarrh bei Pest 304. Tracheotomie bei Krup 549. — bei Pseudokrup 533. Traktionsdivertikel der Speiseröhre 635. Transfert bei Hysterie 138. Transfusion bei akuter Anämie 168. — bei perniciöser Anämie 174. —, Hämoglobinurie nach einer solchen 186. Traumatische Phthisis 262. Traumatische Verletzungen des Rückenmarkes 52. Tremor 161. Tribromphenol - Wismut bei Cholera indica 418. Trichina spiralis 441. Trichinose 441. —, anatomischer Befund bei ders. 441. 442. —, Diagnose, Prognose und Therapie ders. 444. —, Krankheitsbild ders. 443. —, Prophylaxis ders. 444. Trichocephalus dispar ito Darm 704. Trichophyton tonsurans bei Haustieren 852, Erreger des Herpes tonsurans 851, bei parasitärer Sykosis 824. Trichoptüosis 847. Trichorhexis nodosa 847. Trigeminus, Druck dess. durch Gehirngeschwülste 114. —, Erkrankung dess. durch Syphilis 231. —, Lähmung dess. bei Großhirnscheukelläsion 87. Trigeminusneuràlgié 9. — bei Grippe 375. TrScuspidalinmffizienz 495. —, mechanische Folgen ders. 495. —, physikal. Untersuchung bei ders. 495. Trinkkuren bei Fettsucht 217. — bei Skrofulöse 205. — bei Verdauungsstörungen 650. Tripper 244. —, chronischer 246, Behandlung dess. 251. —, Diagnose dess. 249. —, intraurethrale Geschwürsbildungen bei dems. 246. —, Komplikationen dess. 246. 247. 248. — kroupöse Entzündung durch dens. 246. —, periurethrale Herde bei dems. 246. — Prophylaxis dess. 249. —, russischer 246. —, Therapie dess. 249. —, Urethritis posterior bei dems. 246, Behandlung 250. —, Verlauf dess. 245. 246. — des Weibes 247, Behandlung 251.

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Register.

Tripperbubonen 248. Unfruchtbarkeit, männliche 820. Tripperfäden 249. Unguentum diachyli bei Ekzem 840, bei Fußschweiß 826. - kalii jodati bei SkrofuTrimm 22. 152. — Neugeborener 153. lose 206. Trombidium holosericeum, Hautaffektionen durch dass. 854. Urämie 774. —, akute 774. —, Behandlung Trommelschlägelfinger bei Verengerung der ders. 777. — bei Cholera indica 413. —, chronische 459. 774. 775. —, Wesen ders. Lungenarterie 498. 776. Trommer'sehe Probe zur Zuckerbestimmung 208. Urethra, Neuralgie ders. 13. Trophische Störungen bei Anästhesie 18. Urethritis posterior bei Tripper 246, Behandlung ders. 250. — bei Facialislähmung 33. — bei Gehirnblutungen 120. — bei Lähmung 26. — Urobilin 725. Urticaria 829. —, Behandlung ders. 830. durch Lepra 278. —, Beziehung ders. zu Prurigo 842. —, Trousseau'sches Phänomen beiSeptikopyämie chronische 830. — bei Morbus maculosus 328, bei Tetanie 156. Werlhofii 185. Tubentuberkulose 276. Tuberkel 252. —, solitäre im Centrainerven- Uterinschleimhaut, gonoTrhoiacheTLntzüudwig ders. 247. system 275. Tuberkelbacülen 252. 253. —, Färbung und Uterus, primäre Tuberkulose dess. 276. mikroskopischer Nachweis ders. 257. —, Uvula s. Gaumensegel. Beinkulturen ders. 252. — des Rindes 253. — in den Krankheitsherden der Skrofulösen 204. —, Verbreitung ders. im Vaccination 340. —, animale 342. —, BeKörper 253. deutung und Berechtigung ders. 340. 341. Tuberkulin, Koch'sches 255. — bei Lungen— als Prophylakticum bei Keuchhusten schwindsucht 274. 371. —, Übertragung der Syphilis durch Tuberkulose 252. —, häufiges Vorkommen dies. 220. 341. —, Technik ders. 343. — ders.. bei Addison'scher Krankheit 189. normaler Verlauf ders. 342. —, Ätiologie ders. 253. —, Anatomisches Vaedneexanthem 343. 252. 256. —, Bacillus Kochii bei ders. Vagina, Tuberkulose ders. 276. 252. — des Bauehfells 713. — der Centrai- Vaginitis gonorrhoica 247. organe 275. —, experimentelle 252. 253. Valeriana s. Radix Valerianae. — des Gehirns 112. — der Gelenke 275. Varicellen 343. —, Inkubationszeit ders. 343. —, Prognose und Behandlung ders. 344. — der männlichen Geschlechtsorgane 276. —, syphilitische 226. —, Unterscheidung — der weiblichen Geschlechtsorgane 276. ders. von Variola 344. — der Harnwege 276. — der Haut 276. —, Immunität gegen dies. 255. — des Variola s. Pocken. — confiuens normalis Kehlkopfs 552. — a l s Komplikation bei 335. — discreta normalis 334. — haemorKeuchhusten 370. — der Knochen 275. rhagica pustulosa 336. — sine exanthemate 336. — der Lungen 261. — der Lymphdrüsen 275. — nach Masern 363. 364. — der Variolois 337. Nerven 38. — des Pankreas 760. — des Vasomotorische Centren 127. 146. Rückenmarks 46. — der serösen Häute Vasomotorische Störungen bei Anästhesie 18. 714. —, Ursache von akuter aufsteigen— bei Basedow'scher Krankheit 192. — bei der Paralyse 52. —, Verbreitung ders. Facialislähmung 33. — bei Gehirnblutundurch Haustiere 253. —, Verhältnis ders. gen 120. — bei Rückenmarkstumoren 47. zur Schwindsucht 576, zur Skrofulöse 203. — bei Rückenmarksverletzungen 53. — —, Zusammenhang von Pleuritis mit ders. bei Streifenhügelläsion 88. — bei Syringo595. 607. myelie 81. Tuberkulöse Geschwülste der Dura inater 92. Veitstanz 156. Tumor albus genu bei Skrofulose 205. Venäsektion s. Aderlaß. Tumoren s. Geschwülste u. Neubildungen. Venenpuls, pathologischer 496. 497. —, phyTussis convulsiva s. Keuchhusten. — hepasiologischer 496. 497. — bei Trikuspidaltica 733. insuftizienz 495. 496. 497. Typhlitis 678. —, Behandlung ders. 681. Ventilpneumothorax 612. —, Symptome ders. 679. Veratrin bei Neuralgie 9. Typhoid, biliöses 314. 316. Verdauungsorgane bei Grippe 373. —, KrankTyphus abdominalis s. Abdominaltypbus. heiten ders. 633. — bei Pest 304. — exanthematicus s. Fleckfieber. — side- Verdauungsstörungen 636. —, chronische 641, rans 312. Behandlung ders. 646. — bei Diabetes mellitus 210. —, Entstehung ders. 637. Verlängertes Mark s. Medulla oblongata. Übelsein bei Gehirnkrankheiten 86. Vernix caseosa bei Neugeborenen 821. Ulcus induratum 223. — molle 241. — ven- Verrücktheit, hypochondrische 141. 142. triculi Simplex, rotundum, perforans 655. Verstopfung s. Stuhlverstopfung. — ventriculi bei Chlorose 176. 177. Vertigo a stomacho laeso 644.

Register. Verwirrtheit bei Hysterie 136. Vesikuläratmen, diastolisches bei Aortenaneurysma 520. Vibices bei Fleckfieber 313. — bei Morbus maculosus Werlhofii 185. Vierhügel, Herderscheinungen bei Erkrankungen ders. 88. Violinspielkrampf 23. Visceralneuralgien 15. 127. —, Behandlung 16. — bei Hysterie 137. — bei Kardialgie 668. — bei Septikopyämie 328. —, Unterscheidung ders. von Gastroenteritis toxica 651. Viscerale Neurasthenie 131. Vitiligo 846. Vlemingkafsche Kalkschwefellösung bei Prurigo 848. — bei Skabies 853. Volumen pulmonum, auctum 577. Vomitus matutinus 643. Voussure 467. Vulva, Tuberkulose ders. 276. Vulvitis gonorrhoica 247.

895

Wirbelsäuleerkrankungen 46. —, Intercostalneuralgie bei dens. 12. Wolf 837. Worttaubheit bei Läsion der ersten Schläfenwindung 89. —, sensorische 84. Wurm 278. Wutkrankheit 448. —, anatomischer Befund bei ders. 448. —, Behandlung ders. 450. —, Inkubationszeit ders. 449. —, Präventivimpfungen bei ders. 450. —, Verlauf und Stadien ders. 449.

Zähne, Ausfallen derselben bei Tabes dorsalis 65. — bei Myxödem 190. —, Zusammenschlagen ders. im Fieberfrost 22. Zahncaries bei Diabetikern 210. —, Ursache von Trigeminusneuralgie 9. Zahnfleisch bei Barlow'scher Krankheit 199. — bei Skorbut 187. Zähneknirschen 22. Ziegenpeter s. Parotitis Zimmtsäwre bei Tuberkulose 274. Zincum lacticum bei Epilepsie 149. — oxyWachsleber 745. datum bei Epilepsie 149. — sulfocarboliWadenkrampf 20. — bei Cholera indica cum bei Proktitis 685, bei Tripper 250. 412. — sulfuricum bei Tripper 250. Wanderleber 719. Zittern 20.161. — bei Basedow'scher KrankWandermilz 762. heit 192. — an gelähmten Gliedern bei Wanderniere 799. —, Einklemmung ders. Gehirnblutung 120. — der Greise, Unter799. scheidung dess. von Paralysis agitans 161. Wanderpneumonie 388. 389. Zona 831. Wandertrieb bei Pest 307. Zottenkrebs der Harnblase 814. Wanzen, Hautexanthem durch dies. 856. Zuckerbestimmung im Harn 208. Wasserkrebs 622. Zuckungsgesetz, elektrisches der motorischen Wasserkuren s. Hydrotherapie. Nerven und Muskeln 27. 28. Wasserpocken s. Varicellen. Zunge bei Abdominaltyphus 292. 300. — bei akuter Dyspepsie 641. — bei ScharWasserstoffhyperoxyd bei Mundkrankheiten lach 346. 624. Wassersucht des Herzbeutels 510. Zungenlähmung 33. — bei chronischer proWeichselzopf 854. gressiver Bulbärparalyse 77. 78. Weinkrampf 23. Zwangsbewegungen 20. — bei GehirnkrankWerlhof sehe Krankheit 184. heiten 87. Westphal'sches Phänomen 63. — bei Septiko- Zwangsvorgänge bei Tickrankheit 162. pyämie 328. Zwangsvorstellungen der Neurastheniker 130. 131. Widerstandsgymnastik bei Herzinsuffizienz 464. Zwangszustände, psychische bei HypochonWükinson'sche Salbe bei Prurigo 843. drie 141. Windpocken s. Varicellen. Zwerchfell, Fettentartung dess. bei akuter Anämie 167. Wirbeldornfortsätze, Schmerzhaftigkeit ders. bei Affektionen der Spinalnerven 5. Zwerchfellkrampf, klonischer 23. —, toniWirbelsäule, Kyphose ders. bei Emphysem scher 23. 580. ZwerchfelUähmung 34.

Verlag von V E I T & COMP, in L e i p z i g .

GRÜNDRISS DER TOXIKOLOGIE MIT BESONDERES BERÜCKSICHTIGUNG

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Das „Lehrbuch der allgemeinen und speciellen Chirurgie" von H. Tillmanns ist infolge seiner allgemein anerkannten Vorzüge, der strengen Wissenschattlicbkeit, der klaren Darstellungsweise und der reichen Anzahl erläuternder Abbildungen, bei Ärzten und Studierenden zur Zeit das geschätzteste Werk der modernen Chirurgie. Der erste Band behandelt die allgemeine, der aus zwei Teilen bestehende zweite Band die specielle Chirurgie.

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