242 79 211MB
German Pages 576 [623] Year 1954
HOLLEMAN / RICHTE R
ORGANISCHE CHEMIE
LEHRBUCH DER ORGANISCHEN CHEMIE Begründet von
A. F. H O L L E M A N f
Bearbeitet von
FRIEDRICH
RICHTER
51. und 52., durchgesehene und verbesserte Auflage mit 107 Figuren
1954
W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen'sche V e r l a g s h a n d l u n g • J . G u t t e n t a g , V e r l a g s b u c h h a n d l u n g • Georg R e i m e r Karl J. T r ü b n e r • Veit & Comp.
BERLIN
W35
Alle Rechte, auch die des auazugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung vorbehalten — Copyright 1953 by WALTER DB GRUYTER & CO., vormals G. J. Göschensche Ycrlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp., BERLIN W 36 — Archiv-Nr. 523254 — Printed in Germany — Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 — Druck: Günther & Sohn, Berlin SW 11
Vorwort zur ersten Auflage Es ist nicht zu verkennen, daß die vorhandenen kurzen Lehrbüoher der organischen Chemie zumeist ein sehr großes Tatsachenmaterial geben; die Zahl der Verbindungen, welche darin vorgeführt wird, ist oft jedoch so ansehnlich, daß sie nur verwirrend auf den Anfänger wirken kann. Dagegen tritt der Gedankeninhalt dieses Teiles der Chemie ebenso häufig zurück; die Begründung der Strukturformeln z. B. läßt manchmal viel zu wünschen übrig. Wie nützlich diese Bücher zum Nachschlagen auch sein mögen, so sind sie als Lehrbuch zu dienen doch oft wenig geeignet, wie wohl mancher aus eigener Erfahrung weiß. In dem vorliegenden Buche habe ich versucht, einerseits das Tatsachenmaterial einzuschränken und anderseits die Theorie mehr in den Vordergrund zu stellen. Daher ist für fast alle Verbindungen der Strukturbeweis geliefert. In der aromatischen Reihe jedoch war dies für die höher substituierten Verbindungen nicht durchführbar; deshalb werden die Methoden der Ortsbestimmung in dieser Reihe in einem besonderen Kapitel behandelt. An passender Stelle sind physikalisch-chemische Theorien, z. B. die Gesetze der Esterifikation, die Ionisation u. a., eingeschaltet. Ebenso sind wichtige technische Prozesse, wie die Darstellung von Alkohol, Rohrzucker usw., nicht unerwähnt geblieben. Das Buch will also in erster Linie als Lehrbuch betrachtet werden, macht dagegen nicht Anspruch darauf, ein „Beilstein" in sehr verkürzter Gestalt zu sein. Ich schließe mit einem Wort aufrichtigen Dankes an den Herrn Verleger für die ausgezeichnete Sorge, welche er dieser Ausgabe gewidmet hat. Groningen (Niederlande), Oktober 1898.
A. F. Holleman
Vorwort zur neunzehnten Auflage Die vorliegende 19. Auflage von H O L L E M A N s Lehrbuch der organischen Chemie ist auf Wunsch des Verfassers und der Verlagsbuchhandlung von mir einer durchgreifenden Revision unterzogen worden. Da der Grundgedanke des Werkes, wie ihn H O L L E M A N 1898 im Vorwort zur ersten Auflage ausgesprochen hat, auch heute noch volle Anerkennung verdient, so habe ich mich bemüht, an dem Aufbau des Lehrbuches, für dessen Beliebtheit die ungewöhnlich hohe Auflagenzahl Zeugnis ablegt, so wenig wie möglich zu ändern. Auch ist die organische Chemie von der lebhaften Entwicklung, in der sich ihre Nachbardisziplinen heute befinden, vorerst nicht in dem Maße befruchtet worden, daß eine völlige Neugestaltung des Werkes jetzt schon geboten erschiene. Ich habe mich deshalb vielfach darauf beschränkt, veraltete Anschauungen auszumerzen, offenkundige Fehler zu verbessern und die Fortschritte der letzten Jahre
Vorwort zur ersten Auflage Es ist nicht zu verkennen, daß die vorhandenen kurzen Lehrbüoher der organischen Chemie zumeist ein sehr großes Tatsachenmaterial geben; die Zahl der Verbindungen, welche darin vorgeführt wird, ist oft jedoch so ansehnlich, daß sie nur verwirrend auf den Anfänger wirken kann. Dagegen tritt der Gedankeninhalt dieses Teiles der Chemie ebenso häufig zurück; die Begründung der Strukturformeln z. B. läßt manchmal viel zu wünschen übrig. Wie nützlich diese Bücher zum Nachschlagen auch sein mögen, so sind sie als Lehrbuch zu dienen doch oft wenig geeignet, wie wohl mancher aus eigener Erfahrung weiß. In dem vorliegenden Buche habe ich versucht, einerseits das Tatsachenmaterial einzuschränken und anderseits die Theorie mehr in den Vordergrund zu stellen. Daher ist für fast alle Verbindungen der Strukturbeweis geliefert. In der aromatischen Reihe jedoch war dies für die höher substituierten Verbindungen nicht durchführbar; deshalb werden die Methoden der Ortsbestimmung in dieser Reihe in einem besonderen Kapitel behandelt. An passender Stelle sind physikalisch-chemische Theorien, z. B. die Gesetze der Esterifikation, die Ionisation u. a., eingeschaltet. Ebenso sind wichtige technische Prozesse, wie die Darstellung von Alkohol, Rohrzucker usw., nicht unerwähnt geblieben. Das Buch will also in erster Linie als Lehrbuch betrachtet werden, macht dagegen nicht Anspruch darauf, ein „Beilstein" in sehr verkürzter Gestalt zu sein. Ich schließe mit einem Wort aufrichtigen Dankes an den Herrn Verleger für die ausgezeichnete Sorge, welche er dieser Ausgabe gewidmet hat. Groningen (Niederlande), Oktober 1898.
A. F. Holleman
Vorwort zur neunzehnten Auflage Die vorliegende 19. Auflage von H O L L E M A N s Lehrbuch der organischen Chemie ist auf Wunsch des Verfassers und der Verlagsbuchhandlung von mir einer durchgreifenden Revision unterzogen worden. Da der Grundgedanke des Werkes, wie ihn H O L L E M A N 1898 im Vorwort zur ersten Auflage ausgesprochen hat, auch heute noch volle Anerkennung verdient, so habe ich mich bemüht, an dem Aufbau des Lehrbuches, für dessen Beliebtheit die ungewöhnlich hohe Auflagenzahl Zeugnis ablegt, so wenig wie möglich zu ändern. Auch ist die organische Chemie von der lebhaften Entwicklung, in der sich ihre Nachbardisziplinen heute befinden, vorerst nicht in dem Maße befruchtet worden, daß eine völlige Neugestaltung des Werkes jetzt schon geboten erschiene. Ich habe mich deshalb vielfach darauf beschränkt, veraltete Anschauungen auszumerzen, offenkundige Fehler zu verbessern und die Fortschritte der letzten Jahre
VI
Vorwort
zu berücksichtigen. Darüber hinaus erwies es sich als notwendig, einige in den früheren Auflagen etwas stiefmütterlich behandelte Kapitel wesentlich zu erweitern. In erster Linie sind hiervon neben den isocyclischen Verbindungen die heterocyclischen Verbindungen betroffen worden, deren Umfang auf das Doppelte angewachsen ist. Auch das physiologisch-chemische Grenzgebiet ist seiner zunehmenden Wichtigkeit entsprechend etwas stärker als früher berücksichtigt worden. Um das Buch trotzdem nicht ungebührlich anschwellen zu lassen, habe ich vielfach eine etwas gedrängtere Form der Beweisführung gewählt, die, wie ich hoffe, auch in didaktischer Hinsicht eine Verbesserung bedeuten wird. Sodann habe ich manches ausgeschieden, was nicht unbedingt in den Rahmen eines Lehrbuches der organischen Chemie gehört und worüber sich der Studierende bei der weiten Verzweigung unserer Disziplin heute doch zwangsläufig in Speziallehrbüchern orientieren muß. Besondere Mühe habe ich schließlich auch der Revision der physikalischen Konstanten gewidmet, von denen nur die derzeit besten Werte Berücksichtigung gefunden haben. B e r l i n , im April 1930. Friedrich Richter
Vorwort zur zwanzigsten Auflage Seit dem Erscheinen der 19. Ausgabe ist der Besitzstand der organischen Chemie wieder um zahlreiche Erkenntnisse bereichert worden. Ihre theoretischen Grundlagen sind durch physikalische Untersuchungen gefestigt, die Konstitutionsaufklärung wichtiger Naturstoffe und das Verständnis ihrer Rolle im physiologisch-chemischen Geschehen hat erhebliche Fortschritte gemacht. Nicht zuletzt ist schließlich der raschen Umgestaltung auf dem Gebiet der organisch-chemischen Industrie zu gedenken, wo traditionelle Verfahren mit häufig überraschendem Erfolg durch moderne katalytische Methoden verdrängt werden. Die 20. Auflage ist dementsprechend einer sorgfältigen Revision unterzogen und an vielen Stellen neu geschrieben worden. Neu bearbeitet sind unter anderem die Abschnitte über ungesättigte Verbindungen, freie Radikale, Kohlenhydrate, Polysaccharide, alkoholische Gärung, Sterine, Vitamine, Blut- und Blattfarbstoff, Anthocyane und Pyridin. Die eingeschalteten Kapitel über Dipole, Röntgeninterferometrie und thermochemische Messungen werden auch dem Anfänger deutlich machen, welche Verfeinerung unsere Vorstellungen über Bau und Stabilität organischer Verbindungen in neuerer Zeit erfahren haben. Trotz dieses reichlichen Stoffzuwachses ist es auch diesmal wieder durch Verzicht auf didaktisch weniger wichtiges Material gelungen, ohne eine nennenswerte Steigerung des Umfanges auszu. kommen. Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. HOLLEMAN für mancherlei Anregungen zu danken, die ich bei der Bearbeitung der Neuauflage berücksichtigen konnte. Berlin, im Juni 1935. Friedrich Richter
VI
Vorwort
zu berücksichtigen. Darüber hinaus erwies es sich als notwendig, einige in den früheren Auflagen etwas stiefmütterlich behandelte Kapitel wesentlich zu erweitern. In erster Linie sind hiervon neben den isocyclischen Verbindungen die heterocyclischen Verbindungen betroffen worden, deren Umfang auf das Doppelte angewachsen ist. Auch das physiologisch-chemische Grenzgebiet ist seiner zunehmenden Wichtigkeit entsprechend etwas stärker als früher berücksichtigt worden. Um das Buch trotzdem nicht ungebührlich anschwellen zu lassen, habe ich vielfach eine etwas gedrängtere Form der Beweisführung gewählt, die, wie ich hoffe, auch in didaktischer Hinsicht eine Verbesserung bedeuten wird. Sodann habe ich manches ausgeschieden, was nicht unbedingt in den Rahmen eines Lehrbuches der organischen Chemie gehört und worüber sich der Studierende bei der weiten Verzweigung unserer Disziplin heute doch zwangsläufig in Speziallehrbüchern orientieren muß. Besondere Mühe habe ich schließlich auch der Revision der physikalischen Konstanten gewidmet, von denen nur die derzeit besten Werte Berücksichtigung gefunden haben. B e r l i n , im April 1930. Friedrich Richter
Vorwort zur zwanzigsten Auflage Seit dem Erscheinen der 19. Ausgabe ist der Besitzstand der organischen Chemie wieder um zahlreiche Erkenntnisse bereichert worden. Ihre theoretischen Grundlagen sind durch physikalische Untersuchungen gefestigt, die Konstitutionsaufklärung wichtiger Naturstoffe und das Verständnis ihrer Rolle im physiologisch-chemischen Geschehen hat erhebliche Fortschritte gemacht. Nicht zuletzt ist schließlich der raschen Umgestaltung auf dem Gebiet der organisch-chemischen Industrie zu gedenken, wo traditionelle Verfahren mit häufig überraschendem Erfolg durch moderne katalytische Methoden verdrängt werden. Die 20. Auflage ist dementsprechend einer sorgfältigen Revision unterzogen und an vielen Stellen neu geschrieben worden. Neu bearbeitet sind unter anderem die Abschnitte über ungesättigte Verbindungen, freie Radikale, Kohlenhydrate, Polysaccharide, alkoholische Gärung, Sterine, Vitamine, Blut- und Blattfarbstoff, Anthocyane und Pyridin. Die eingeschalteten Kapitel über Dipole, Röntgeninterferometrie und thermochemische Messungen werden auch dem Anfänger deutlich machen, welche Verfeinerung unsere Vorstellungen über Bau und Stabilität organischer Verbindungen in neuerer Zeit erfahren haben. Trotz dieses reichlichen Stoffzuwachses ist es auch diesmal wieder durch Verzicht auf didaktisch weniger wichtiges Material gelungen, ohne eine nennenswerte Steigerung des Umfanges auszu. kommen. Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. HOLLEMAN für mancherlei Anregungen zu danken, die ich bei der Bearbeitung der Neuauflage berücksichtigen konnte. Berlin, im Juni 1935. Friedrich Richter
VH
Vorwort
Vorwort zur einundzwanzigsten Auflage Der rasche Absatz der letzten Auflage machte vorübergehend einen unveränderten Nachdruck notwendig, dem nunmehr die 21., sorgfältig durchgesehene und in mancher Hinsicht erweiterte Auflage folgt. Es bedarf keiner Begründung, daß das immer noch in rascher Entwicklung begriffene Gebiet der Naturstoffe hierbei in erster Linie berücksichtigt wurde. So sind die Abschnitte Fette, Kohlenhydrate, Eiweißstoffe, Enzyme, Sterine, Vitamine, Pyrrolfarbstoffe und Alkaloide entsprechend dem Stand der Forschung teilweise neu bearbeitet und in größerer Ausführlichkeit behandelt worden. Aber auch viele den einfacheren Verbindungen gewidmete Artikel haben diesmal durch größere oder kleinere Änderungen eine reichere Ausgestaltung erfahren. Die Neuaufnahme einer verhältnismäßig beschränkten Anzahl von Verbindungen und Reaktionen, die in gleicher Weise dem Interessenkreis der reinen Chemie, der Biochemie und der chemischen Technik entstammen, erlaubte in vielen Fällen eine abgerundetere Darstellung des Verhaltens der einzelnen Körperklassen. Schließlich wurden auch die theoretischen Kapitel sorgfältig überarbeitet und nach Möglichkeit durch Beispiele im Sinn neuerer Anschauungen ergänzt. Die durch viele Auflagen bewährten Grundsätze der Einteilung und Stoffbehandlung habe ich im wesentlichen beibehalten. Sie werden im Verein mit der reichlichen Verwendung von Kleindruck der doppelten Aufgabe dieses Lehrbuchs dienlich sein, dem Anfänger die Kenntnis der Grundlagen zu vermitteln und den Fortgeschrittenen auf die Probleme der Gegenwart vorzubereiten. Zahlreichen Fachgenossen bin ich für Rat und Anregung zu Dank verpflichtet, so insbesondere den Herren Prof. BUTENANDT und H. FISCHER für freundliche Durchsicht der Kapitel Sterine und Pyrrolfarbstoffe. Besonderer Dank gebührt schließlich auch dem Verlag, der trotz der schwierigen Zeiten Kosten und Mühe eines Neusatzes nicht scheute, um durch ein handliches und übersichtliches Format die Brauchbarkeit des Buches zu erhöhen. Berlin, im Dezember 1939.
Friedrich Richter
Vorwort zur sechsundzwanzigsten Auflage In nicht abreißendem und fast unübersehbarem Strom ergießen sich seit einigen Jahren die Forschungsergebnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit in die wissenschaftliche Literatur. Der Zuwachs an Kenntnissen ist auch bei zurückhaltender Beurteilung achtunggebietend, die damit verbundene Weitung des allgemeinen Gesichtskreises nicht minder eindrucksvoll. Die 26. Auflage sucht dem bei zunächst noch unveränderter Anlage Rechnung zu tragen und ist wieder sorgfältig dem Stand der Forschung angepaßt. Fast auf jeder Seite wird der aufmerksame Leser entsprechenden Ergänzungen oder Änderungen begegnen. Sie erstrecken sich ebensowohl auf die organische Chemie klassischer Prägung, die mit der ihr eigenen Methodik und Intuition das Feld in unverminderter Lebenskraft beherrscht, wie auf ihre Verknüpfung mit physikalischtheoretischen und biochemischen Beziehungen, aus denen sie ständig neue Impulse von steigender Wichtigkeit erhält. Daß das Lehrbuch im vergangenen Jahr auf das nicht gerade häufige Ereignis eines 50 jährigen Bestehens zurückblicken konnte, verdankt es wohl vornehmlich eben der Betonung des Grundsätzlichen und dem Streben nach Ein-
VH
Vorwort
Vorwort zur einundzwanzigsten Auflage Der rasche Absatz der letzten Auflage machte vorübergehend einen unveränderten Nachdruck notwendig, dem nunmehr die 21., sorgfältig durchgesehene und in mancher Hinsicht erweiterte Auflage folgt. Es bedarf keiner Begründung, daß das immer noch in rascher Entwicklung begriffene Gebiet der Naturstoffe hierbei in erster Linie berücksichtigt wurde. So sind die Abschnitte Fette, Kohlenhydrate, Eiweißstoffe, Enzyme, Sterine, Vitamine, Pyrrolfarbstoffe und Alkaloide entsprechend dem Stand der Forschung teilweise neu bearbeitet und in größerer Ausführlichkeit behandelt worden. Aber auch viele den einfacheren Verbindungen gewidmete Artikel haben diesmal durch größere oder kleinere Änderungen eine reichere Ausgestaltung erfahren. Die Neuaufnahme einer verhältnismäßig beschränkten Anzahl von Verbindungen und Reaktionen, die in gleicher Weise dem Interessenkreis der reinen Chemie, der Biochemie und der chemischen Technik entstammen, erlaubte in vielen Fällen eine abgerundetere Darstellung des Verhaltens der einzelnen Körperklassen. Schließlich wurden auch die theoretischen Kapitel sorgfältig überarbeitet und nach Möglichkeit durch Beispiele im Sinn neuerer Anschauungen ergänzt. Die durch viele Auflagen bewährten Grundsätze der Einteilung und Stoffbehandlung habe ich im wesentlichen beibehalten. Sie werden im Verein mit der reichlichen Verwendung von Kleindruck der doppelten Aufgabe dieses Lehrbuchs dienlich sein, dem Anfänger die Kenntnis der Grundlagen zu vermitteln und den Fortgeschrittenen auf die Probleme der Gegenwart vorzubereiten. Zahlreichen Fachgenossen bin ich für Rat und Anregung zu Dank verpflichtet, so insbesondere den Herren Prof. BUTENANDT und H. FISCHER für freundliche Durchsicht der Kapitel Sterine und Pyrrolfarbstoffe. Besonderer Dank gebührt schließlich auch dem Verlag, der trotz der schwierigen Zeiten Kosten und Mühe eines Neusatzes nicht scheute, um durch ein handliches und übersichtliches Format die Brauchbarkeit des Buches zu erhöhen. Berlin, im Dezember 1939.
Friedrich Richter
Vorwort zur sechsundzwanzigsten Auflage In nicht abreißendem und fast unübersehbarem Strom ergießen sich seit einigen Jahren die Forschungsergebnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit in die wissenschaftliche Literatur. Der Zuwachs an Kenntnissen ist auch bei zurückhaltender Beurteilung achtunggebietend, die damit verbundene Weitung des allgemeinen Gesichtskreises nicht minder eindrucksvoll. Die 26. Auflage sucht dem bei zunächst noch unveränderter Anlage Rechnung zu tragen und ist wieder sorgfältig dem Stand der Forschung angepaßt. Fast auf jeder Seite wird der aufmerksame Leser entsprechenden Ergänzungen oder Änderungen begegnen. Sie erstrecken sich ebensowohl auf die organische Chemie klassischer Prägung, die mit der ihr eigenen Methodik und Intuition das Feld in unverminderter Lebenskraft beherrscht, wie auf ihre Verknüpfung mit physikalischtheoretischen und biochemischen Beziehungen, aus denen sie ständig neue Impulse von steigender Wichtigkeit erhält. Daß das Lehrbuch im vergangenen Jahr auf das nicht gerade häufige Ereignis eines 50 jährigen Bestehens zurückblicken konnte, verdankt es wohl vornehmlich eben der Betonung des Grundsätzlichen und dem Streben nach Ein-
Vorwort
VIII
heit der theoretischen Vorstellungen, auf denen das Wundergebäude der organischen Strukturchemie ruht. Kein Erbe, dessen Besitz nicht auch hier ständig neu erworben werden müßte. Der große Wandel in den Verfahren der Technik hat in der vorliegenden Auflage gleichfalls in vielen Beispielen seinen Niederschlag gefunden. Wie in den Vorjahren bin ich auch diesmal zahlreichen Fachgenossen, unter denen ich besonders Herrn Prof. OTTO BAYER hervorheben möchte, für wertvolle Ratschläge und Auskünfte zu Dank verpflichtet. F r a n k f u r t a. M a i n , im Oktober 1949.
Friedrich Richter
Vorwort zur neunundzwanzigsten und dreißigsten Auflage Dem raschen Fortschritt der Forschung auf den meisten Gebieten der organischen •Chemie wurde in der vorliegenden Ausgabe wiederum durch eine sorgfaltige Durchsicht Rechnung getragen, von der kaum eine Seite unberührt geblieben ist. Durch Verzicht auf älteres, heute didaktisch weniger ergiebig erscheinendes Material konnte ein stärkeres Anschwellen des Textes vermieden und Platz für neue Ergebnisse gewonnen werden. Daß auch so Rücksichten auf Umfang und Ausgabetermin manche Beschränkungen erforderten, versteht sich bei der Fülle des Materials von selbst. Unter den größeren Erweiterungen dieser Auflage sei namentlich das Alkaloid-Kapitel hervorgehoben, das durch Abschnitte über Mutterkorn- und Steroid-Alkaloide sowie über die Synthese des Morphins bereichert wurde. Mehrfachen Anregungen folgend habe ich mich entschlossen, diesmal auch eine zusammenhängende Darstellung der chemischen Nomenklatur in ihren Grundzügen zu bringen. Obwohl der durch den Umfang des Lehrbuchs gezogene Rahmen naturgemäß ein Eingehen auf viele Einzelheiten verbot, hoffe ich doch, daß die hier gegebene Übersicht Wesentliches zum Ausdruck bringt und dadurch den Zugang zu diesem schwierigen Gebiet erleichtern wird. Mein Dank gilt wie stets den Fachgenossen und Studenten, die durch Ratschläge oder Hinweise zur Verbesserung dieser Auflage beigetragen haben. F r a n k f u r t - H ö c h s t , im April 1953.
Friedrich Richter
Vorwort zur einunddreißigsten und zweiunddreißigsten Auflage Trotz der kurzen seit der letzten Auflage verflossenen Zeitspanne machte der Fortschritt der Forschung im Grundsätzlichen und in der Vielfalt der Erscheinungen, aus denen gemeinsam sich erst das volle Bild der organischen Chemie rundet, wieder zahlreiche Verbesserungen und Ergänzungen möglich. Der Begründer des Lehrbuchs, A . F. HOLLEMAHT, bekannt vor allem durch seine Forschungen auf dem Gebiet der Benzolsubstitution und der Prototropie der Nitroverbindungen, verstarb am 11. August 1953 im hohen Alter von 94 Jahren. Sein Andenken lebt in dem Lehrbuch weiter, -dem er bis in die letzte Zeit sein Interesse bewahrt hatte. Frankfurt-Höchst, im Juli 1954. Friedrich R i c h t e r
Vorwort
VIII
heit der theoretischen Vorstellungen, auf denen das Wundergebäude der organischen Strukturchemie ruht. Kein Erbe, dessen Besitz nicht auch hier ständig neu erworben werden müßte. Der große Wandel in den Verfahren der Technik hat in der vorliegenden Auflage gleichfalls in vielen Beispielen seinen Niederschlag gefunden. Wie in den Vorjahren bin ich auch diesmal zahlreichen Fachgenossen, unter denen ich besonders Herrn Prof. OTTO BAYER hervorheben möchte, für wertvolle Ratschläge und Auskünfte zu Dank verpflichtet. F r a n k f u r t a. M a i n , im Oktober 1949.
Friedrich Richter
Vorwort zur neunundzwanzigsten und dreißigsten Auflage Dem raschen Fortschritt der Forschung auf den meisten Gebieten der organischen •Chemie wurde in der vorliegenden Ausgabe wiederum durch eine sorgfaltige Durchsicht Rechnung getragen, von der kaum eine Seite unberührt geblieben ist. Durch Verzicht auf älteres, heute didaktisch weniger ergiebig erscheinendes Material konnte ein stärkeres Anschwellen des Textes vermieden und Platz für neue Ergebnisse gewonnen werden. Daß auch so Rücksichten auf Umfang und Ausgabetermin manche Beschränkungen erforderten, versteht sich bei der Fülle des Materials von selbst. Unter den größeren Erweiterungen dieser Auflage sei namentlich das Alkaloid-Kapitel hervorgehoben, das durch Abschnitte über Mutterkorn- und Steroid-Alkaloide sowie über die Synthese des Morphins bereichert wurde. Mehrfachen Anregungen folgend habe ich mich entschlossen, diesmal auch eine zusammenhängende Darstellung der chemischen Nomenklatur in ihren Grundzügen zu bringen. Obwohl der durch den Umfang des Lehrbuchs gezogene Rahmen naturgemäß ein Eingehen auf viele Einzelheiten verbot, hoffe ich doch, daß die hier gegebene Übersicht Wesentliches zum Ausdruck bringt und dadurch den Zugang zu diesem schwierigen Gebiet erleichtern wird. Mein Dank gilt wie stets den Fachgenossen und Studenten, die durch Ratschläge oder Hinweise zur Verbesserung dieser Auflage beigetragen haben. F r a n k f u r t - H ö c h s t , im April 1953.
Friedrich Richter
Vorwort zur einunddreißigsten und zweiunddreißigsten Auflage Trotz der kurzen seit der letzten Auflage verflossenen Zeitspanne machte der Fortschritt der Forschung im Grundsätzlichen und in der Vielfalt der Erscheinungen, aus denen gemeinsam sich erst das volle Bild der organischen Chemie rundet, wieder zahlreiche Verbesserungen und Ergänzungen möglich. Der Begründer des Lehrbuchs, A . F. HOLLEMAHT, bekannt vor allem durch seine Forschungen auf dem Gebiet der Benzolsubstitution und der Prototropie der Nitroverbindungen, verstarb am 11. August 1953 im hohen Alter von 94 Jahren. Sein Andenken lebt in dem Lehrbuch weiter, -dem er bis in die letzte Zeit sein Interesse bewahrt hatte. Frankfurt-Höchst, im Juli 1954. Friedrich R i c h t e r
Vorwort
VIII
heit der theoretischen Vorstellungen, auf denen das Wundergebäude der organischen Strukturchemie ruht. Kein Erbe, dessen Besitz nicht auch hier ständig neu erworben werden müßte. Der große Wandel in den Verfahren der Technik hat in der vorliegenden Auflage gleichfalls in vielen Beispielen seinen Niederschlag gefunden. Wie in den Vorjahren bin ich auch diesmal zahlreichen Fachgenossen, unter denen ich besonders Herrn Prof. OTTO BAYER hervorheben möchte, für wertvolle Ratschläge und Auskünfte zu Dank verpflichtet. F r a n k f u r t a. M a i n , im Oktober 1949.
Friedrich Richter
Vorwort zur neunundzwanzigsten und dreißigsten Auflage Dem raschen Fortschritt der Forschung auf den meisten Gebieten der organischen •Chemie wurde in der vorliegenden Ausgabe wiederum durch eine sorgfaltige Durchsicht Rechnung getragen, von der kaum eine Seite unberührt geblieben ist. Durch Verzicht auf älteres, heute didaktisch weniger ergiebig erscheinendes Material konnte ein stärkeres Anschwellen des Textes vermieden und Platz für neue Ergebnisse gewonnen werden. Daß auch so Rücksichten auf Umfang und Ausgabetermin manche Beschränkungen erforderten, versteht sich bei der Fülle des Materials von selbst. Unter den größeren Erweiterungen dieser Auflage sei namentlich das Alkaloid-Kapitel hervorgehoben, das durch Abschnitte über Mutterkorn- und Steroid-Alkaloide sowie über die Synthese des Morphins bereichert wurde. Mehrfachen Anregungen folgend habe ich mich entschlossen, diesmal auch eine zusammenhängende Darstellung der chemischen Nomenklatur in ihren Grundzügen zu bringen. Obwohl der durch den Umfang des Lehrbuchs gezogene Rahmen naturgemäß ein Eingehen auf viele Einzelheiten verbot, hoffe ich doch, daß die hier gegebene Übersicht Wesentliches zum Ausdruck bringt und dadurch den Zugang zu diesem schwierigen Gebiet erleichtern wird. Mein Dank gilt wie stets den Fachgenossen und Studenten, die durch Ratschläge oder Hinweise zur Verbesserung dieser Auflage beigetragen haben. F r a n k f u r t - H ö c h s t , im April 1953.
Friedrich Richter
Vorwort zur einunddreißigsten und zweiunddreißigsten Auflage Trotz der kurzen seit der letzten Auflage verflossenen Zeitspanne machte der Fortschritt der Forschung im Grundsätzlichen und in der Vielfalt der Erscheinungen, aus denen gemeinsam sich erst das volle Bild der organischen Chemie rundet, wieder zahlreiche Verbesserungen und Ergänzungen möglich. Der Begründer des Lehrbuchs, A . F. HOLLEMAHT, bekannt vor allem durch seine Forschungen auf dem Gebiet der Benzolsubstitution und der Prototropie der Nitroverbindungen, verstarb am 11. August 1953 im hohen Alter von 94 Jahren. Sein Andenken lebt in dem Lehrbuch weiter, -dem er bis in die letzte Zeit sein Interesse bewahrt hatte. Frankfurt-Höchst, im Juli 1954. Friedrich R i c h t e r
Inhalt Seit»
Einleitung
1
Qualitative und quantitative Analyse organischer Verbindungen Bestimmung des Molekulargewichts Allgemeine Operationen Bestimmung der wichtigsten physikalischen Konstanten Einteilung der organischen Chemie
4 9 11 17 20
Verbindungen der Fettreihe (acyclische oder aliphatische Verbindungen) Kohlenwasserstoffe und Verbindungen mit einer funktionellen Gruppe Gesättigte Kohlenwasserstoffe (Alkane) Alkohole (Alkanole) Alkylhalogenide, Ester, Äther Mercaptane, Thioäther, Sulfonsäuren Alkyl gebunden an Stickstoff Amine Nitroverbindungen Nitrile, Isonitrile Alkyl gebunden an Phosphor und Arsen Alkyl gebunden an Elemente der Kohlenstoffgruppe Metallorganische Verbindungen Monocarbonsäuren (Fettsäuren) Derivate der Fettsäuren Oxoverbindungen (Aldehyde, Ketone) Aldehyde (Alkanale) Ketone (Alkanone) Ungesättigte Kohlenwasserstoffe Alkylene (Olefine) C^H^ Kohlenwasserstoffe C n H 2 n _ 2 Ungesättigte Halogenverbindungen Ungesättigte Alkohole Ungesättigte Amine Ungesättigte Monocarbonsäuren Ungesättigte Oxoverbindungen
. .
22 22 35 62 68 61 61 66 69 70 71 72 74 86 95 101 107 109 109 125 133 135 136 137 143
Verbindungen mit mehreren S u b s t i t u e n t e n oder f u n k t i o n e l l e n Gruppen . . Polyhalogen Verbindungen Mehrwertige Alkohole Glykole Glycerin Vier- und höherwertige Alkohole
146 146 160 150 153 158
X
Inhalt Seite
Mehrwertige Verbindungen, die Halogen-, Hydroxyl- oder Aminogruppen enthalten . . Gesättigte Dicarbonsäuren Ungesättigte Dicarbonsäuren Dreibasische Säuren Halogencarbonsäuren Kohlensäurederivate Schwefelderivate der Kohlensäure Oxysäuren Mehrwertige Aldehyde und Ketone Halogenierte Aldehyde Oxyaldehyde und Oxyketone Kohlenhydrate
159 161 172 178 179 182 189 191 210 215 216 218
Monosaccharide Disaccharide Trisaccharide, Tetrasaccharide Polysaccharide Aminozucker Oxocarbonsäuren (Aldehyd- und Ketonsäuren) Aminosäuren Eiweißstoffe (Proteine)
219 234 250 250 258 259 266 277
Isocyclische Verbindungen Einleitung
291
A. Monocycüsche Verbindungen
292
1. A l i c y c l i s c h e V e r b i n d u n g e n
292
Cyclopropanverbindungen Cyclobutanverbindungen Cyclopentanverbindungen Höhere Cycloalkane
292 292 293 294
2. A r o m a t i s c h e V e r b i n d u n g e n Aromatische Kohlenwasserstoffe Monohalogenverbindungen Mononitroverbindungen Monosulfonsäuren Einwertige Phenole Monoaminoverbindungen Zwischenprodukte bei der Reduktion von Nitroverbindungen
296 303 307 308 310 311 314 318
Phenylhydroxylamin Azoxy- und Azobenzol Hydrazobenzol Diazoverbindungen Hydrazine Monocarbonsäuren Einwertige Aldehyde und Ketone Phosphor- und Arsenverbindungen
318 319 320 323 329 329 331 335
Inhalt
XI Seit«
Metallorganisohe Verbindungen Benzolhomologe mit substituierten Seitenketten Halogenverbindungen Nitroverbindungen Carbonsäuren Alkohole Amine Verbindungen mit ungesättigter Seitenkette Zwei- und mehrfach substituierte Benzolderivate PolyhalogenVerbindungen Halogennitroverbindungen Polynitroverbindungen Substituierte Sulfonsäuren Substituierte Phenole Mehrwertige Phenole Chinone Substituierte Aniline Mehrwertige Amine Azofarbstoffe Substituierte Benzoesäuren Benzoldicarbonsäuren (Phthalsäuren) Substituierte Aldehyde Ortsbestimmung bei aromatischen Verbindungen Regelmäßigkeiten bei der Bildung von Benzolderivaten 3. H y d r o a r o m a t i s c h e V e r b i n d u n g e n Cyclohexanverbindungen Terpene Bicyclische Terpene Polyterpene Carotinoide
335 335 336 337 337 338 339 339 341 341 342 342 344 344 346 352 356 359 364 368 373 375 380 381 385 385 391 397 404 406
B. Polycyclische Verbindungen 1. N i o h t k o n d e n s i e r t e a r o m a t i s c h e S y s t e m e Diphenyl Triphenylmethan Triphenylmethyl Dibenzyl
409 409 409 411 418 420
2. K o n d e n s i e r t e a r o m a t i s c h e S y s t e m e Naphthalin Anthracen Phenanthren Eluoren Pyren, Pyranthron, Violanthron
421 421 429 435 436 437
3. P o l y c y c l i s c h e h y d r o a r o m a t i s c h e P h e n a n t h r e n - A b k ö m m l i n g e Vitamine, Hormone Sterine Gallensäuren Digitalisglykoside Harzsäuren
438 439 442 447 448 449
Inhalt
XII
Heterocyclische Verbindungen
Seite
1. S a u e r s t o f f bzw. S c h w e f e l e n t h a l t e n d e H e t e r o e y o l e n
451
Furan Thiophen Pyron
451 454 456
2. S t i c k s t o f f e n t h a l t e n d e H e t e r o c y c l e n Pyridin Pyrrol Imidazol, Pyrazol, Thiazol Chinolin Isochinolin Indol Acridin und Carbazol Harnsäuregruppe Phenazine Thiazine Alkaloide
460 460 463 ^74 478 483 483 490 491 498 499 502
Grundzüge der o r g a n i s c h - c h e m i s c h e n N o m e n k l a t u r I. Allgemeine Grundsätze I I . Nomenklatur einiger wichtiger Funktionen und ihrer Derivate
522 522 534
E i n f ü h r u n g in d a s o h e m i s o h e Verbindungen Register
Schrifttum,
Systematik
der
organischen
541 547
Einleitung Der Begriff der „organischen Chemie" ist aus der chemischen Erforschung der lebendigen Substanz des Pflanzen- und Tierreiches erwachsen. B E R Z E L I U S , der anscheinend ihren Namen zuerst gebrauchte 1 , führte ihn auf den Begriff des Organs zurück 2 . E r verglich den Organismus mit einer chemischen Werkstatt, in der die Organe die Rolle von Instrumenten zur Erzeugung lebenswichtiger Produkte spielen. Die organische Chemie bedeutete für ihn die Wissenschaft, die die chemische Zusammensetzung des lebenden Körpers und die darin vor sich gehenden Prozesse beschreibt. Den gleichen Gedanken brachte L. G M E L I N , der 1819 als erster die Chemie der organischen Verbindungen zusammenfassend behandelte 3 , zum Ausdruck: „Sie beschäftigt sich vorzüglich mit den chemischen Verhältnissen der einzelnen näheren Bestandteile des organischen Reichs". Die organische Chemie bildete also ursprünglich einen Teil der Physiologie, und zwar denjenigen Teil, den wir heute als chemische Physiologie bezeichnen würden. Diese uns fremd gewordene Begriffsbestimmung hängt mit den damaligen theoretischen Vorstellungen eng zusammen. Lange Zeit hindurch war man nämlich der Meinung, daß die chemischen Verbindungen, die in Pflanzen und Tieren vorkommen, unter dem Einfluß einer besonderen rätselhaften Kraft, der Lebenskraft, erzeugt würden und außerhalb des Organismus nicht künstlich darstellbar seien. Die erste Synthese einer organischen Verbindung, die denkwürdige Synthese des Harnstoffs durch W Ö H L E R (1828), vermochte dieses Vorurteil noch nicht zu überwinden. Schon vor 1828 waren zwei organische Synthesen beschrieben worden. SCHEELE (1742 bis 1786) stellte 1783 durch Glühen von Pottasche, Holzkohle und Salmiak Kaliumcyanid dar, und WÖHLER beschrieb 1824 die Gewinnung von Oxalsäure aus Cyan. Aber beide Reaktionen boten für die damalige Zeit nichts Auffallendes. Denn Blausäure galt als anorganische Verbindung, und Oxalsäure, die man noch als C 2 0 3 formulierte, wurde jedenfalls nicht als organische Verbindung im eigentlichen Sinn angesehen. 1 8 4 5 folgte die Synthese der Essigsäure durch K O L B E , 1 8 6 0 beschrieb B E R T H E L O T in seinem großen Werk „La chimie organique fondée sur la synthèse" bereits zahlreiche synthetische Darstellungen von Kohlenwasserstoffen, Alkoholen, Fetten usw. Ganz allmählich bildete sich so die Einsicht, daß für die Entstehung und die Umwandlungen der chemischen Verbindungen in der belebten und unbelebten Natur die gleichen Gesetze gelten. Heutigentags wird diese Tatsache besonders eindrucksvoll durch die glänzenden Synthesen veranschaulicht, durch die in der chemischen Industrie organische Verbindungen in größtem Maßstabe aus einfachsten Rohstoffen und zum Teil direkt aus den Elementen aufgebaut werden. 1
die
In den Vorlesungen über Tierchemie (Stockholm 1806). Schon vor BERZELIUS findet sich Bezeichnung „organische Chemie" in den nachgelassenen Aufzeichnungen des Dichters
NOVALIS, d e r sie v i e l l e i c h t v o n d e m N a t u r p h i l o s o p h e n S C H E L L I N G ü b e r n o m m e n h a t .
2 Lehrbuch der Chemie, 3. Aufl., übersetzt von F . WÖHLER, Bd. I I I , 1. Hälfte S. 138 {Dresden 1827). s Handbuch der theoretischen Chemie, B d . I I I , S. 935 (Frankfurt a. M. 1819).
H o l l e m a n - R i c h t e r , Organische Chemie. 31. u. 32. Auflage.
1
2
Einleitung
Obwohl nun durch diese Synthesen die früher gemachte prinzipielle Unterscheidung zwischen organischen und anorganischen Verbindungen hinfällig geworden ist, hat man doch aus gleich zu erörternden Gründen an den alten Bezeichnungen festgehalten und nur durch eine schärfere Begriffsbestimmung dem Fortschritt der Erkenntnis Rechnung getragen. Die Beobachtung, daß alle im pflanzlichen und tierischen Organismus vorkommenden Verbindungen Kohlenstoff enthalten, führte dazu, die organische Chemie als die „Chemie der Kohlenstoffverbindungen" zu definieren (GMELIN, KOLBE, KEKULE).
Mit dieser neuen Definition war folgerichtig eine allmähliche Loslösung der organischen Chemie von ihren Nachbarwissenschaften, wie Medizin und Pharmazie, ver-
bunden. Durch die bahnbrechenden Arbeiten von LIEBIG (1803—1873) und WÖHLER (1800—1882) in Deutschland, von BERZELIUS (1779—1848) in Schweden, von GAYLUSSAC ( 1 7 7 8 — 1 8 5 0 ) ,
DUMAS ( 1 8 0 0 — 1 8 8 4 ) ,
LAURENT ( 1 8 0 7 — 1 8 5 3 )
und
GERHARDT
(1816—1856) in Frankreich entwickelte sich die organische Chemie rasch zu einer selbständigen Wissenschaft, und der Umfang des von ihr zutage geförderten Materials wuchs in einem erstaunlichen Maße. Es ist nicht zu verwundern, daß über der Fülle der neuen Forschungsobjekte das ursprüngliche Ziel der organischen Chemie, die Erforschung der Substanzen in der lebenden Natur, wenn auch nicht gänzlich vergessen wurde, so doch zeitweilig in den Hintergrund treten mußte. Heute kann das Gebiet der organischen Chemie so weit als ausgebaut gelten, daß die Anwendung der gewonnenen Erfahrungen auf die Erforschung der lebenden Materie wieder zu ihren vornehmsten Aufgaben gehört. Es wurde bereits oben bemerkt, daß durch die Möglichkeit der künstlichen Darstellung organischer Verbindungen im Reagensglas die ursprüngliche Scheidewand zwischen anorganischer und organischer Chemie niedergerissen ist. Die große Zahl der im Lauf der Zeit gelungenen Synthesen berechtigt uns zu der Annahme, daß es wenigstens im Prinzip möglich sein wird, auch die kompliziertesten organischen Substanzen synthetisch aufzubauen. Trotzdem ist es auch jetzt noch zweckmäßig, die Kohlenstoffverbindungen als „Organische Verbindungen" getrennt von den Verbindungen der anderen Elemente zu behandeln. Denn vor allen anderen Elementen zeichnet sich der Kohlenstoff dadurch aus, daß er imstande ist, sich durch seine 4 Bindungseinheiten mit zahlreichen weiteren Kohlenstoffatomen zu sehr beständigen Kohlenstoffketten und -ringen zu vereinigen und namentlich auch Wasserstoff sehr fest zu binden. Diese Eigenschaften fehlen auch den nächsten Verwandten des Kohlenstoffs, dem Bor und dem Silicium. Die genannten Eigentümlichkeiten des Kohlenstoffs lassen es verständlich erscheinen, daß die Zahl der bekannten Kohlenstoffverbindungen die Zahl der Verbindungen aller anderen Elemente weit übertrifft: man kennt heute etwa 500000 organische gegenüber etwa 30000 anorganischen Verbindungen. Bei der geringen Anzahl der außer Kohlenstoff an dem Aufbau organischer Verbindungen beteiligten Elemente — es sind im wesentlichen immer nur Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Schwefel — ist diese erstaunliche Fülle von Verbindungen nur auf Grund einer Erscheinung möglich, die man als „ I s o m e r i e " bezeichnet. Sie besteht darin, daß in Verbindungen der gleichen Elementarzusammensetzung die Elemente in sehr verschiedener Art miteinander verknüpft sein können. So kennt man von der Formel C9H10O3 bereits über 100 Verbindungen, die sich durch ihr physikalisches und chemisches Verhalten scharf voneinander unterscheiden. In der anorganischen Chemie fehlt diese Erscheinung fast ganz. Außer der Vielzahl der Kohlenstoffverbindungen sprechen aber auch methodische Gründe für eine gesonderte Behandlung der organischen Chemie. Die Sonderstellung des Kohlenstoffs gegenüber den anderen Elementen spiegelt sich auch im physikalischen und chemischen Verhalten seiner Verbindungen. Die meisten organischen Verbin-
Einleitung
3
düngen sind Nichtelektrolyte und in Wasser unlöslich. Während zahlreiche anorganische Verbindungen sehr hohe Temperaturen ohne chemische Veränderung ertragen, werden die Kohlenstoffverbindungen bei hoher Temperatur meist zerstört; auch zeigen sie im allgemeinen eine viel geringere Beständigkeit gegen chemische Einflüsse als die anorganischen Verbindungen 1 . Für die Untersuchung der Kohlenstoffverbindungen müssen daher andere Methoden angewandt werden, als sie bei anorganischen Stoffen gebräuchlich sind. 1 Eine Ausnahme bilden z. B. einige einfachere Verbindungen, die sich wegen ihres salzartigen Charakters, geringen Kohlenstoffgehalts und des Pehlens von Wasserstoff nicht wie typische Kohlenstoffverbindungen verhalten, z. B. Kohlensäure und ihre Salze, die Carbonate, Kohlenoxyd und zahlreiche Carbide. Diese Verbindungen pflegt man deshalb in der anorganischen Chemie zu behandeln.
4
Qualitative und quantitative Analyse organischer Verbindungen Bereits L A V O I S I E R ( 1 7 4 3 — 1 7 9 4 ) fand, daß in der Mehrzahl der Kohlenstoffverbindungen nur wenige Elemente vorkommen, nämlich K o h l e n s t o f f , W a s s e r s t o f f , S a u e r s t o f f und S t i c k s t o f f . Verbindungen mit H a l o g e n e n sind weniger häufig, noch geringer ist die Zahl der S c h w e f e l oder P h o s p h o r enthaltenden Substanzen. Verbindungen von Kohlenstoff mit anderen als den genannten Elementen existieren nur in verhältnismäßig sehr kleiner Anzahl. Von einigen Elementen sind Verbindungen mit Kohlenstoff überhaupt nicht bekannt. Für die qualitative Analyse organischer Verbindungen kann man nicht in der gleichen Weise wie in der anorganischen Chemie verfahren, weil die organischen Verbindungen, wie bereits erwähnt, in Lösung im allgemeinen nicht in die den Elementen entsprechenden Ionen zerfallen. Um die einzelnen Elemente mit Hilfe der gebräuchlichen anorganischen Reaktionen nachweisen zu können, muß man sie daher erst in ionisierbare Gruppen (C0 3 ", S 0 4 " usw.) überführen. Man kommt hierbei mit sehr einfachen Methoden aus, weil man im allgemeinen nur wenige und stets die gleichen Elemente nachzuweisen hat: man unterwirft die organische Verbindung der Oxydation (Verbrennung), indem man sie mit einem Oxydationsmittel, meist Kupferoxyd, mischt und in einem einseitig geschlossenen Glasrohr erhitzt. Hierbei oxydiert der Sauerstoff des Kupferoxyds den Kohlenstoff zu Kohlendioxyd, das an der Trübung von Kalkwasser erkennbar ist, und den Wasserstoff zu Wasser. Etwa vorhandener Stickstoff entweicht als Gas in Form von Stickstoff (meist über 8 0 % des Gesamt-Stickstoffs) und Stickoxyden. Enthält die organische Verbindung Schwefel, Phosphor oder Halogene, so kann man sie im zugeschmolzenen Rohr mit Salpetersäure oxydieren (unter Zusatz von Silbernitrat im Fall der Halogene) und erhält dann Schwefelsäure, Phosphorsäure bzw. Halogensilber. Oft erweist sich die Oxydation mit Natriumperoxyd als ein sehr brauchbares Verfahren. Abgesehen von der Oxydationsmethode, die stets mit Sicherheit zum Ziel führt, kennt man noch einige qualitative Proben. Diese haben den Vorzug, rasch und bequem ausführbar zu sein, und geben in vielen Fällen schon ausreichenden Aufschluß über die Zusammensetzung. Kohlenstoff kann bei vielen organischen Verbindungen dadurch nachgewiesen werden, daß beim Erhitzen unter Luftabschluß (trockne Destillation) Kohle abgeschieden wird (Verkohlung). Bei flüchtigen Substanzen erkennt man das Vorliegen einer Kohlenstoffverbindung häufig daran, daß die Dämpfe charakteristisch riechen oder angezündet mit rußender Flamme verbrennen. Organisch gebundener Stickstoff kann vielfach durch Erhitzen der Substanz mit Natronkalk oder konzentrierter Schwefelsäure in Ammoniak übergeführt werden. Eine andere vielbenutzte, von L A S S A I G N E stammende Methode zum Nachweis des Stickstoffs besteht darin, daß man den zu untersuchenden Stoff mit einem Stückchen Natrium oder Kalium in einem engen Reagensröhrchen aus schwer schmelzbarem Glas („Glühröhrchen") erhitzt. Ist die Verbindung stickstoffhaltig, so entsteht dabei Alkalicyanid, das sich durch Überführen in Berlinerblau leicht erkennen läßt.
Qualitative und quantitative Analyse organischer Verbindungen
5
Die Halogene Chlor, Brom und J o d werden beim Glühen, der Substanz mit Calciumoxyd in Calciumhalogenid übergeführt. Eine sehr empfindliche Methode, u m Chlor und Brom nachzuweisen, besteht darin, daß man eine geringe Menge des Stoffes zusammen mit Kupferoxyd in die nichtleuchtende Flamme des Bunsenbrenners bringt. Dabei entsteht Kupferhalogenid, durch dessen Dampf die Flamme prächtig grün gefärbt wird ( B E I L S T E I N S Probe). Beide Methoden können immer angewandt werden. Schwefel läßt sich durch Erhitzen der Verbindung mit einem Stückchen Natrium in einem Glühröhrchen nachweisen. Hierbei bildet sich Schwefelnatrium, das sich durch sein Verhalten gegen Bleiacetat oder gegen Nitroprussidnatrium leicht erkennen läßt. Methoden zum qualitativen Nachweis des Sauerstoffs sind nicht bekannt. Seine Anwesenheit geht n u r aus der quantitativen Analyse hervor. Nachdem man die einzelnen Elemente einer Verbindung durch die qualitative Untersuchung aufgefunden hat, geht man zur quantitativen Analyse über. I n der anorganischen Chemie sind die Methoden, die zur qualitativen Untersuchung angewandt werden, häufig sehr verschieden von den Methoden der quantitativen Analyse; dies ist in der organischen Chemie nicht der Fall, denn zur quantitativen Analyse einer organischen Verbindung bedient man sich ebenfalls der Oxydation. Die Bestimmung von Kohlenstoff und Wasserstoff wird stets in einer Operation ausgeführt. Das heute noch dafür angewandte Verfahren der Verbrennung einer abgewogenen Menge der Substanz mit Kupf eroxyd, die sogenannte E l e m e n t a r - A n a l y s e , stammt ursprünglich von G A Y - L U S S A C . Erst L I E B I G 1 hat ihm jedoch diejenige Form gegeben, die es zu einem allgemein anwendbaren und unentbehrlichen Werkzeug der organischen Chemie gemacht hat. Die Elementar-Analyse h a t im Lauf der historischen Entwicklung noch mancherlei Verbesserungen erfahren und wird heute meist in folgender Weise ausgeführt. Man vergast in einem horizontal liegenden Verbrennungsrohr die in einem Schiffchen befindliche Substanz durch Erhitzen im Sauerstoffstrom, der frei von Wasserstoff, Wasser und Kohlendioxyd sein muß, und leitet die Dämpfe bei Rotglut (ca. 700°) über Platindrahtnetz oder Kupferoxyd, die die Verbrennung zu Kohlendioxyd und Wasser katalytisch beschleunigen. Die aus dem Verbrennungsrohr abziehenden Gase leitet man durch zwei Absorptionsröhrchen, in denen das Wasser durch Magnesiumperchlorat, das Kohlendioxyd durch Natronasbest zurückgehalten wird. Die Gewichtsdifferenz der beiden Röhrchen vor und nach der Verbrennung ergibt die Menge des Wassers und Kohlendioxyds. E n t h ä l t die Analysensubstanz noch Stickstoff, Schwefel oder Halogen, so bilden sich bei der Verbrennung auch Stickstoff und Stickoxyde, Oxyde des Schwefels und Halogene, die ebenfalls eine Gewichtszunahme der Absorptionsgefäße hervorrufen würden und deshalb vorher beseitigt werden müssen, ohne daß dadurch Verluste a n Wasser oder Kohlendioxyd eintreten. F ü r die Bindung von Halogen und Schwefel verwendet man metallisches Silber bei 200°. Stickoxyde können durch metallisches Kupfer zu Stickstoff reduziert werden. Doch muß man dann zur Schonung des Kupfers in Gasströmen geringen Sauerstoffgehalts, z. B. Luft, verbrennen. I n der Regel bindet man die Stickoxyde über Blei (IV)-oxyd bei 180—200° als basisches Bleinitrat. Da jedoch Blei(IV)-oxyd die Präzision der Resultate oft ungünstig beein1 Geboren 12. Mai 1803 in Darmstadt, gestorben 18. April 1873 in München. Er studierte in Bonn, Erlangen und Paris, wurde schon 1824 Professor in Gießen und wirkte von 1852 bis zu seinem Tode in München. Seine Bedeutung für die Entwicklung der organischen und physiologischen Chemie sowie der Agrikulturchemie ist außerordentlich. Es sei nur an seine grundlegenden Arbeiten über die Knallsäure, Chloral, Amygdalin und die alkoholische Gärung erinnert. Vgl. die große Biographie von J. VOLHARD (Leipzig 1909) sowie den Briefwechsel mit WÖHLER, herausgegeben von A. W. v. HOFMANN (Braunschweig 1888).
6
Qualitative und quantitative Analyse organischer Verbindungen
flußt, ist man teilweise dazu übergegangen, die Stickoxyde in einem zwischen Wasserund Kohlendioxyd-Absorptionsröhrchen geschalteten Blasenzähler in reiner konz. Schwefelsäure zu absorbieren. Von Zeit zu Zeit werden die Stickoxyde aus der entstandenen Nitrose durch Erhitzen auf 150° weggekocht. E s ist auf die geschilderte Weise möglich, in demselben Rohr sehr viele Analysen hintereinander auszuführen, ehe ein Wechsel der Rohrfüllung nötig wird. Fig. 1 und 2 zeigen zwei übliche Beschickungen des Verbrennungsrohrs f ü r eine C—H-Bestimmung, Fig. 3 den Aufbau der gesamten Apparatur in ihrer einfachsten Form.
CuO
Ag-Wolle
OusrzwolleOuarzwolle Substanz Fig. 1
PbO, Asbest
A
y Fig. 2
^ m m / / / / / / / / / / / / / / / / / / A
mm?////////////////////A 200°
650°
Fig. 3 Absorptionsröhrchen Gasheizung oder elektrische Heizung
d Substanz e Blasenzähler und Trockenrohr
Da das Gewicht der Rohrfüllung unverhältnismäßig viel größer als die Substanz Einwaage ist, die 4 mg bei der Mikroanalyse, 20—30 mg bei dem sog. „Halbmikro- Verfahren" beträgt 1 , m u ß man mit sehr reinen Materialien arbeiten und das Rohr mit der Füllung vor der ersten Analyse gründlich in einem getrockneten Gasstrom (Sauerstoff oder Luft) durchheizen, u m die letzten Spuren von Wasser und verbrennlicher organischer Substanz zu entfernen. Dann wird das Schiffchen mit der Substanz eingeführt und die Verbrennung der Substanz im Sauerstoffstrom durch vorsichtiges Erhitzen mit freier Flamme bewerkstelligt. Meist ist heute auch dieser Teil der Operation durch Verwendung einer beweglichen elektrischen Heizung mit Motorantrieb völlig automatisiert. Die durch Normalschliffe mit der Apparatur verbundenen Absorptionsröhrchen können offen gewogen werden, da die Diffusion durch die kapillaren Zuführungsrohre nur recht langsam erfolgt. Stickstoff in stickstoffhaltigen Substanzen kann nach D U M A S in der gleichen Apparatur bestimmt werden. Zur Zersetzung der Stickoxyde kommt aus naheliegenden Gründen n u r metallisches Kupfer in Frage. Man verbrennt die Substanz, die in diesem Fall innig mit Kupferoxyd gemischt wird, in einem Strom von luftfreiem Kohlendioxyd (Rohrfüllung siehe Fig. 4) und fängt die Verbrennungsgase unter Weglassung der Absorptionsgefäße für C0 2 und H 2 0 in einem mit 50°/oig er Kalilauge gefüllten graduierten Meßrohr („Azotometer") auf (Fig. 5). Hierbei werden alle Abgase von 1 LAVOISIER verwendete 1788 für die (mißglückte) Elementaranalyse von Rohrzucker mit Quecksilberoxyd die auch für damalige Zeiten hohe Einwaage von 50 g.
Qualitative und quantitative Analyse organischer Verbindungen
7
der Kalilauge absorbiert mit Ausnahme des Stickstoffs, der auf diese Weise direkt volumetrisch gemessen werden kann. Die Bestimmung des Stickstoffs erfolgt also getrennt von der Bestimmung des Kohlenstoffs und Wasserstoffs. Brauchbare Verfahren zur gleichzeitigen Bestimmung dieser Elemente in einem einzigen Arbeitsgang sind nicht bekannt. In vielen Fällen kann man sich zur Bestimmung des Stickstoffs einer Methode bedienen, die von K J E L D A H L angegeben ist. Sie besteht in der Überführung des Stickstoffs der organischen Substanz in Ammoniak durch Kochen mit konzentrierter Schwefelsäure unter Zusatz von Quecksilberoxyd, Selen und Kupfersulfat als Sauerstoffüberträger. Meist wird die Masse zuerst durch Verkohlung schwarz; bei fortgesetztem Erhitzen erhält man jedoch eine farblose, klare Lösung. Der Kohlenstoff ist dann durch den Sauerstoff der Schwefelsäure völlig oxydiert. Nach Erkalten der Lösung verdünnt man mit Wasser, setzt überschüssige Lauge zu und bestimmt das Ammoniak in bekannter Weise durch Destillation. Dieses einfache Verfahren findet insbesondere zu Serienbestimmungen ausgiebige Anwendung. Bei Nitroso-, Nitro- und Azoverbindungen wird jedoch ein Teil des Stickstoffs nicht in Ammoniak verwandelt, sondern in elementarer Form entbunden. Dieser muß also im Azotometer gesondert bestimmt werden, wenn man richtige Resultate erhalten will.
Halogene kann man nach der Methode von C A R I U S bestimmen. Die Substanz wird dabei mit rauchender Salpeter-
Ag
CuO
Cu
CuO
Substanz*
Cu0
Cu0
Fig. 4
säure und Silbernitrat in einem zugeschmolzenen Glasrohr („Schießrohr") unter Druck auf 250—300° erhitzt. Das entstandene Silberhalogenid wird gewogen. Bequemer ist jedoch die Oxydation mit Natriumperoxyd in einer kleinen Stahlbombe nach P A R R W U R Z S C H M I T T oder die direkte Verbrennung der im Sauerstoffstrom vergasten Substanz in einer Leuchtgasflamme und geeignete Titration des in vorgelegter Natronlauge gebildeten Halogen-Ions. Die Oxydation mit Salpetersäure nach C A R I U S oder mit Natriumperoxyd kann ferner zur Bestimmung von Schwefel, Phosphor usw. angewandt werden 1 . Eine elegante auf dem Prinzip der katalytischen Hydrierung beruhende Methode zur StickstoffBestimmung verdankt man T E R M E U L E N . Die Substanz wird mit feinem Nickelpulver (mit 10% Th0 2 aktiviert) vermischt und in einem Wasserstoffstrom erhitzt. Die mit Wasserstoff gemischten Dämpfe streichen danach über Nickelasbest. Der Stickstoff wird so quantitativ in Ammoniak übergeführt, das durch Titrieren bestimmt wird. Auch der Sauerstoff organischer Substanzen läßt sich nach den Verfahren von B Ü R G E R und U N T E R Z A U C H E R sehr genau quantitativ bestimmen, indem man die Substanz im Stickstoffstrom bei 1120° über Kohlenstoff vercrackt. Der Sauerstoff erscheint dann quantitativ als Kohlenoxyd, das mit Jodpentoxyd Kohlendioxyd und Jod gibt, die in üblicher Weise bestimmt werden können. 1 Eine ausführlichere Beschreibung der hier nur kurz behandelten analytischen Methoden findet man in G A T T E R M A N N ' S Praxis des organischen Chemikers, 34. Aufl. von H . W I E L A N D (Berlin 1952). Siehe auch Ci. W E Y G A N D , Organisch-chemische Experimentierkunst, 2. Aufl. (Leipzig 1948).
Qualitative und quantitative Analyse organischer Verbindungen
8
Berechnung der Analysenergebnisse. N a c h d e m man auf die geschilderte Weise durch die quantitative Analyse einer organischen Verbindung die G e w i c h t s m e n g e der in ihr enthaltenen e i n z e l n e n E l e m e n t e ermittelt hat, ergibt sich nunmehr die Aufgabe, aus den gefundenen Zahlen den Prozentgehalt der einzelnen Elemente zu bereclmen. Liegt die Summe dieser Prozentzahlen sehr nahe bei 100, so schließt man daraus, daß weitere Elemente nicht vorhanden sind. Andernfalls muß noch ein Element anwesend sein, das bei der Analyse nicht bestimmt worden ist. Dieses Element ist der S a u e r s t o f f . Seine Menge wird also in der Weise festgestellt, daß m a n die Prozentzahlen der nachgewiesenen Elemente addiert und v o n 100 abzieht 1 . D i e s Verfahren hat den Nachteil, daß alle Beobachtungsfehler, die bei der Bestimmung der anderen Elemente unterlaufen sind, in der für den Sauerstoff durch Subtrahieren ermittelten Prozentzahl zum Ausdruck kommen. Der Kohlenstoffgehalt wird meist zu niedrig gefunden, weil durch die verschiedenen Verbindungsstücke der Apparate eine geringe Menge Kohlendioxyd verlorengeht; der Wasserstoffgehalt fällt meist etwas zu hoch aus, weil Kupferoxyd hygroskopisch und sehr schwer von Spuren Feuchtigkeit zu befreien ist und daher beim Erhitzen etwas Wasser liefert. Die erlaubten Abweichungen von der theoretischen Prozentzahl betragen bei Kohlenstoff ± 0,3, bei Wasserstoff ± 0 , 2 . Die Elementaranalyse birgt zahlreiche Fehlermöglichkeiten, die sich bei sorgfältig geleitetem Versuch teilweise kompensieren. Daß sie einer hohen Genauigkeit fähig ist, beweist die Tatsache, daß sie von D U M A S und S T A S und neuerdings wieder von B A X T E R zur Atomgewichtsbestimmung des Kohlenstoffs benutzt worden ist. Aus den bei der quantitativen Analyse ermittelten Zahlen wird die F o r m e l der Verbindimg berechnet, indem man die für jedes einzelne Element gefundene Prozentzahl durch das betreffende Atomgewicht dividiert. Die so gefundenen Zahlen geben an, in welchem Atomverhältnis die Elemente in der Verbindung vorhanden sind. E i n Beispiel einer solchen Berechnung möge dies erläutern: Die Analyse einer stickstoffhaltigen Verbindung gab folgende Zahlen: 0-2169 g Substanz gab 0-0685 g Wasser und 0-5170 g Kohlendioxyd, 0-2218 g Substanz gab 17-4 ml Stickstoff, gemessen über Wasser bei 6° und 762 mm Barometerstand. Da in 44,01 Gewichtsteilen C0 2 12,01 Gewichtsteile C zugegen sind und in 18 • 016 Gewichtsteilen H 2 0 2-016 Gewichtsteile H, so ergibt die Rechnung, daß in der Verbindung 65-05°/o Kohlenstoff und 3 - 5 3 % Wasserstoff enthalten sind. Das Gewicht des Stickstoffs wird folgendermaßen berechnet: Wenn das Gas über Wasser aufgefangen ist 2 , muß man die Spannung des Wasserdampfes von der Barometerablesung abziehen, um den Druck zu erhalten, unter dem der Stickstoff selbst steht. Bei 6° beträgt diese Spannung 7-0 mm. Der Druck, unter dem der Stickstoff steht, beträgt also 762 — 7 = 755 mm. 1 ml Stickstoff von 0° und 760 mm wiegt 1-2505 mg. Bei 755 mm und 6° beträgt dieses Gewicht in Milligrammen: 1 • 2505 755 _ 1 + 6 X 0-00367 760 ~ Die gefundenen 17• 4 ml Stickstoff wiegen also 1-2156 X 17-4 = 21-15 mg, woraus sich der Prozentgehalt an Stickstoff zu 9 - 5 4 berechnet. Die Summe dieser Prozentzahlen für C, H und N beträgt 78-12, woraus folgt, daß der Sauerstoffgehalt 21-88°/0 beträgt. Die prozentuale Zusammensetzung der Verbindung ist also der Analyse zufolge: C 65 • 05 N 9 • 54 H 3-53 O 21-88 1
Von der direkten Sauerstoff-Bestimmung in ihren verschiedenen Ausführungsformen U N T E R Z A U C H E R ) macht man nur in Spezialfällen Gebrauch. 2 Fängt man den Stickstoff in der allgemein üblichen Weise über 50°/ 0 iger Kalilauge auf, so kann er als trocken betrachtet werden; in diesem Fall erübrigt sich die obige Korrektur.
(BÜRGER,
Bestimmung des Molekulargewichts
9
Dividiert man diese Zahlen durch das Atomgewicht der betreffenden Elemente, so ergibt sich: C 5-42 H 3-51 N 0-68 0 1-37. Dividiert man, um ganze Zahlen zu erhalten, durch 0-68, so erhält man für das Atomverhältnis der Elemente in der Verbindung die Werte C 8-0
H 5-2
N 1-0
0 2-0,
die zur Aufstellung der Formel C 8 H 5 0 2 N berechtigen. Berechnet man zur Kontrolle für diese Formel die Zusammensetzung nach Prozenten, so findet man: C 65-30
H 3-43
N 9-52,
also Zahlen, die mit den Ergebnissen der Analyse innerhalb der Fehlergrenzen übereinstimmen. Die so gewonnene Formel C 8 H 6 0 2 N bezeichnet man als Summcnformel, Bruttoformel oder auch als empirische Formel der Verbindung. Bemerkenswert ist, daß bei hochmolekularen Verbindungen die Unterschiede in den Prozentzahlen häufig so gering sind, daß sie sich den Fehlergrenzen der Elementaranalyse nähern, z.B. C2eH4„07 C,,H 1 4 0 7 C30H18O8
C 66-92 67-47 67-13
H 9-07 9-23 9 02
Eine Entscheidung zwischen solchen Formeln ist auf analytischem Wege häufig schwer zu treffen. Mitunter kann man sich dann so helfen, daß man schwere Atome oder Radikale, z. B . Brom, in das Molekül einführt, wodurch die Unterschiede in den Prozentzahlen größer werden.
Bestimmung des Molekulargewichts Die Analyse lehrt nur die „empirische" Formel, dagegen noch nicht die Molekularformel einer Verbindung kennen: eine Verbindung der Formel C a H;,O c h a t die gleiche prozentuale Zusammensetzung wie eine Verbindung der F o r m e l ( C o H 6 0 c ) n . H a t man also die quantitative Zusammensetzung einer Verbindung ermittelt, so ist noch ihr Molekulargewicht zu bestimmen. Auf rein chemischem Wege lassen sich bereits Anhaltspunkte für die untere Grenze des Molekulargewichts gewinnen. Die empirische Formel des Benzols z. B . ist CH. Aus Benzol erhält man nun leicht eine Verbindung C 6 H 5 B r , in der ein Sechstel des Wasserstoffs durch B r o m ersetzt ist und die sich wieder zu Benzol reduzieren l ä ß t . Hieraus folgt, daß dem Benzolmolekül wenigstens die F o r m e l C 6 H 6 zukommt. Sie wird jedoch auch C 1 2 H 1 2 oder allgemein (C 6 H 6 ) n sein können. Eine untere Grenze für das Molekulargewicht gibt auch das von LAURENT entdeckte „Gesetz der paaren Atomzahlen", das wir heute als eine einfache Konsequenz der Vierwertigkeit des Kohlenstoffs betrachten. Wenn sich nämlich n Kohlenstoffatome miteinander zu einer Kette vereinigen, so verbraucht jedes dazu 2 seiner Bindungseinheiten, mit Ausnahme der beiden endständigen Atome, die nur 1 Bindungseinheit verbrauchen. Insgesamt werden also 2n — 2 Bindungseinheiten verbraucht, und 2n + 2 bleiben übrig. Diese Zahl ist durch 2 teilbar, also eine gerade Zahl, und deshalb muß auch die Summe der ungeradwertigen Elemente (Wasserstoff, Halogene, Stickstoff, Phosphor), die an Kohlenstoff gebunden sind, stets eine gerade Zahl sein. Eine Verbindung der empirischen Zusammensetzung C 3 H 2 0 2 N muß also mindestens das doppelte Molekulargewicht C 6 H 4 0 4 N 2 besitzen. Der hier gegebene Beweis läßt sich leicht für alle denkbaren Verbindungstypen verallgemeinern. U m das Molekulargewicht genau zu ermitteln, muß man daher physikalische Methoden anwenden, die entweder auf der Ermittlung des spezifischen Gewichts im Gaszustand beruhen (Gas- oder Dampfdichte) oder bei verdünnten Lösungen auf der Bestimmung des osmotischen Drucks oder meßbarer Eigenschaften, die mit ihm in theoretischem Zusammenhang stehen. Die t h e o r e t i s c h e n G r u n d l a g e n sowie die praktische Ausführung der Molekulargewichtsbestimmung nach diesen Methoden, von denen besonders die kryoskopische und ebullioskopische Methode nach BECKMANN
Bestimmung des Molekulargewichts
9
Dividiert man diese Zahlen durch das Atomgewicht der betreffenden Elemente, so ergibt sich: C 5-42 H 3-51 N 0-68 0 1-37. Dividiert man, um ganze Zahlen zu erhalten, durch 0-68, so erhält man für das Atomverhältnis der Elemente in der Verbindung die Werte C 8-0
H 5-2
N 1-0
0 2-0,
die zur Aufstellung der Formel C 8 H 5 0 2 N berechtigen. Berechnet man zur Kontrolle für diese Formel die Zusammensetzung nach Prozenten, so findet man: C 65-30
H 3-43
N 9-52,
also Zahlen, die mit den Ergebnissen der Analyse innerhalb der Fehlergrenzen übereinstimmen. Die so gewonnene Formel C 8 H 6 0 2 N bezeichnet man als Summcnformel, Bruttoformel oder auch als empirische Formel der Verbindung. Bemerkenswert ist, daß bei hochmolekularen Verbindungen die Unterschiede in den Prozentzahlen häufig so gering sind, daß sie sich den Fehlergrenzen der Elementaranalyse nähern, z.B. C2eH4„07 C,,H 1 4 0 7 C30H18O8
C 66-92 67-47 67-13
H 9-07 9-23 9 02
Eine Entscheidung zwischen solchen Formeln ist auf analytischem Wege häufig schwer zu treffen. Mitunter kann man sich dann so helfen, daß man schwere Atome oder Radikale, z. B . Brom, in das Molekül einführt, wodurch die Unterschiede in den Prozentzahlen größer werden.
Bestimmung des Molekulargewichts Die Analyse lehrt nur die „empirische" Formel, dagegen noch nicht die Molekularformel einer Verbindung kennen: eine Verbindung der Formel C a H;,O c h a t die gleiche prozentuale Zusammensetzung wie eine Verbindung der F o r m e l ( C o H 6 0 c ) n . H a t man also die quantitative Zusammensetzung einer Verbindung ermittelt, so ist noch ihr Molekulargewicht zu bestimmen. Auf rein chemischem Wege lassen sich bereits Anhaltspunkte für die untere Grenze des Molekulargewichts gewinnen. Die empirische Formel des Benzols z. B . ist CH. Aus Benzol erhält man nun leicht eine Verbindung C 6 H 5 B r , in der ein Sechstel des Wasserstoffs durch B r o m ersetzt ist und die sich wieder zu Benzol reduzieren l ä ß t . Hieraus folgt, daß dem Benzolmolekül wenigstens die F o r m e l C 6 H 6 zukommt. Sie wird jedoch auch C 1 2 H 1 2 oder allgemein (C 6 H 6 ) n sein können. Eine untere Grenze für das Molekulargewicht gibt auch das von LAURENT entdeckte „Gesetz der paaren Atomzahlen", das wir heute als eine einfache Konsequenz der Vierwertigkeit des Kohlenstoffs betrachten. Wenn sich nämlich n Kohlenstoffatome miteinander zu einer Kette vereinigen, so verbraucht jedes dazu 2 seiner Bindungseinheiten, mit Ausnahme der beiden endständigen Atome, die nur 1 Bindungseinheit verbrauchen. Insgesamt werden also 2n — 2 Bindungseinheiten verbraucht, und 2n + 2 bleiben übrig. Diese Zahl ist durch 2 teilbar, also eine gerade Zahl, und deshalb muß auch die Summe der ungeradwertigen Elemente (Wasserstoff, Halogene, Stickstoff, Phosphor), die an Kohlenstoff gebunden sind, stets eine gerade Zahl sein. Eine Verbindung der empirischen Zusammensetzung C 3 H 2 0 2 N muß also mindestens das doppelte Molekulargewicht C 6 H 4 0 4 N 2 besitzen. Der hier gegebene Beweis läßt sich leicht für alle denkbaren Verbindungstypen verallgemeinern. U m das Molekulargewicht genau zu ermitteln, muß man daher physikalische Methoden anwenden, die entweder auf der Ermittlung des spezifischen Gewichts im Gaszustand beruhen (Gas- oder Dampfdichte) oder bei verdünnten Lösungen auf der Bestimmung des osmotischen Drucks oder meßbarer Eigenschaften, die mit ihm in theoretischem Zusammenhang stehen. Die t h e o r e t i s c h e n G r u n d l a g e n sowie die praktische Ausführung der Molekulargewichtsbestimmung nach diesen Methoden, von denen besonders die kryoskopische und ebullioskopische Methode nach BECKMANN
Bestimmung des Molekulargewichts
10
von Wichtigkeit sind, findet man in den Lehrbüchern der physikalischen Chemie. In praktischer Hinsicht steht die kryoskopische Molekulargewichtsbestimmung an erster Stelle. Hervorgehoben sei hier noch folgendes. Die gefundene Gefrierpunktserniedrigung (bzw. Siedepunktserhöhung) ist
wo M das Molekulargewicht der untersuchten Substanz, c die Konzentration in g für 100 g Lösungsmittel, K die kryoskopische (bzw. ebullioskopische) Konstante des Lösungsmittels bedeutet. Bezeichnet man die Erniedrigung (bzw. Erhöhung) für 6 = 1 mit A, so gilt M
oder
AM =
K.
Die Gesetze des osmotischen Drucks gelten streng nur für große Verdünnung, ebenso die Gleichung AM = K, die mit jenen Gesetzen zusammenhängt. Will man also das genaue M berechnen, so ist es nicht statthaft, A aus Beobachtungen an Lösungen von endlicher Konzentration herzuleiten, vielmehr müßte A durch die Bestimmung der Gefrierpunktse r niedrigung einer äußerst verdünnten Lösung ermittelt werden. Da dies aber praktisch undurchführbar ist, hat B E C K M A N N eine g r a p h i s c h e M e t h o d e ausgearbeitet, um A für unendliche Verdünnung durch Extrapolation zu finden. Man bestimmt A für drei oder vier Konzentrationen und stellt die gefundenen Werte graphisch dar, wie es in Fig. 6 der Fall ist, in der die Werte von A als Ordinaten, die Konzentrationen der Lösungen als Abszissen wiedergegeben sind. B E C K M A N N sowie E I J K M A N haben für eine große Anzahl von Fällen dargetan, daß die so erhaltene Kurve annähernd eine gerade Linie ist. Wenn man sie bis zur Ordinaten-Achse Fig. 6 verlängert, gibt der Schnittpunkt den Wert von A für die Konzentration 0, d. h. für unendliche Verdünnung an. Nur, wenn die gelöste Substanz stark „assoziiert" ist (S. 37), wie es z. B. für organische Säuren in Benzollösung der Fall zu sein pflegt, erhält man stärker gekrümmte Kurven. Als Lösungsmittel kommen für die Bestimmung der Gefrierpunktserniedrigung namentlich die folgenden in Betracht: Lösungsmittel
Schmelzpunkt
Molekulare Gefrierpunktserniedrigung 1 gefunden
Wasser Eisessig Benzol Nitrobenzol Phenol Naphthalin Urethan Stearinsäure p-Toluidin Campher
0° + 16-6 5-5 5-8 41 80 1 48-2 69 43-6 179
18-6 39 51 69 72—75 69 51 44—45 54 396
berechnet 18-6 380 50-7 69 78-1 69-4 50 47 51 407
Von diesen sind neben Phenol namentlich die letzten fünf sehr geeignete Lösungsmittel, weil sie nicht hygroskopisch sind, weil ferner ihr Schmelzpunkt höher als die Zimmertemperatur 1
Für 1 Mol, gelöst in 100 g Lösungsmittel.
Destillation
11
liegt, so daß keine Eiskühlung erforderlich ist, und endlich, weil die Konstante einen sehr hohen Wert hat. Besonders hoch ist die molekulare Gefrierpunktserniedrigung für Campher. Da diese Substanz in geschmolzenem Zustand ein ausgezeichnetes Lösungsmittel für sehr viele Verbindungen ist, stellt sie ein hervorragendes Mittel zu Molekulargewichtsbestimmungen dar ( J O U N I A U X , JEFREMOW). Zur Bestimmung der Depression genügt in diesem Fall ein in ganze Grade geteiltes Thermometer. R A S T hat gezeigt, daß man sogar mit einem gewöhnlichen Schmelzpunktsapparat {S. 18) genaue Werte erhalten kann. Die molekulare Siedepunktserhöhung ist im allgemeinen kleiner als die molekulare Gefrierpunktserniedrigung, wie folgende Tabelle zeigt: Molekulare Siedepunktserhöhung1
Siedepunkt
Lösungsmittel
100° 34-6 78-3 80-2 61-2 56 1
Wasser Äther Äthylalkohol Benzol Chloroform Aceton
gefunden
berechnet
5-2 21-6 11-6 26-4 38-0 17-3
5-2 22-0 11-8 26-4 37-7 17-2
Die in den vorstehenden Tabellen als berechnet angegebenen Zahlen sind mittels der HOFF
sehen Formel K =
0 • 02 T 2
VAN'T
— gefunden, in der K die molekulare Gefrierpunktserniedrigung
bzw. die Siedepunktserhöhung (für 1 Mol in 100 g Lösungsmittel) darstellt, T die absolute Temperatur des Schmelz- (bzw. Siede-)Punktes und W die latente Schmelz- (bzw. Verdampfungs-) Wärme in cal/g Lösungsmittel.
Allgemeine Operationen Bevor wir auf die organischen Verbindungen näher eingehen, erscheint es zur Vermeidung von Wiederholungen zweckmäßig, eine kurze Übersicht über einige Operationen zu geben, die bei der Darstellung und Untersuchung organischer Substanzen eine wichtige Rolle spielen und auch in theoretischer Hinsicht bemerkenswert sind. Ausführlichere Angaben findet man in den Praktikumsbüchern der organischen Chemie 2 . Neben der Kristallisation aus geeigneten Lösungsmitteln ist die Destillation3 das am meisten angewandte Hilfsmittel zur Reinigung organischer Substanzen, sei es, daß man auf diese Weise die zu reinigende Substanz von einer nicht flüchtigen Beimengung abtrennt, sei es, daß man die Unterschiede in der Flüchtigkeit der Bestandteile eines Gemisches zu einer fraktionierten Destillation (s. u.) ausnutzt. Viele Stoffe, die sich beim Sieden unter Atmosphärendruck zersetzen, lassen sich unter vermindertem Druck unverändert destillieren, weil dann der Siedepunkt viel niedriger ist. Eine geeignete Apparatur ist in Fig. 7 abgebildet. Die zu destillierende Flüssigkeit befindet sich in einem Kolben nach C L A I S E N . In die Flüssigkeit taucht ein zu einer Kapillare ausgezogenes Glasrohr, durch das während des Evakuierens fortgesetzt kleine Luftbläschen eintreten; auf diese Weise wird das beim Sieden unter vermindertem Druck mitunter sehr heftige „Stoßen" der Flüssigkeit vermindert. Die Dämpfe werden nach dem Passieren eines Kühlers in der Vorlage kondensiert, die ihrerseits mit einem Manometer und der Wasserstrahlpumpe in Verbindung steht. Es empfiehlt sich, die Verbindungsröhren zwischen Kolben und Vakuum nicht zu eng zu wählen, 1
Für 1 Mol, gelöst in 100 g Lösungsmittel. Vgl. vor allem G A T T E R M A N N - W I E L A N D , Die Praxis des organischen Chemikers 34. Aufl. (Berlin 1952); W E Y G A N D . Organisch-chemische Experimentierkunst, 2. Aufl. (Leipzig 1948). 3 Vgl. G. K O R T Ü M , H . B U C H H O L Z - M E I S E N H E I M E R , Die Theorie der Destillation und Extraktion von Flüssigkeiten (Berlin 1952). 2
Destillation
11
liegt, so daß keine Eiskühlung erforderlich ist, und endlich, weil die Konstante einen sehr hohen Wert hat. Besonders hoch ist die molekulare Gefrierpunktserniedrigung für Campher. Da diese Substanz in geschmolzenem Zustand ein ausgezeichnetes Lösungsmittel für sehr viele Verbindungen ist, stellt sie ein hervorragendes Mittel zu Molekulargewichtsbestimmungen dar ( J O U N I A U X , JEFREMOW). Zur Bestimmung der Depression genügt in diesem Fall ein in ganze Grade geteiltes Thermometer. R A S T hat gezeigt, daß man sogar mit einem gewöhnlichen Schmelzpunktsapparat {S. 18) genaue Werte erhalten kann. Die molekulare Siedepunktserhöhung ist im allgemeinen kleiner als die molekulare Gefrierpunktserniedrigung, wie folgende Tabelle zeigt: Molekulare Siedepunktserhöhung1
Siedepunkt
Lösungsmittel
100° 34-6 78-3 80-2 61-2 56 1
Wasser Äther Äthylalkohol Benzol Chloroform Aceton
gefunden
berechnet
5-2 21-6 11-6 26-4 38-0 17-3
5-2 22-0 11-8 26-4 37-7 17-2
Die in den vorstehenden Tabellen als berechnet angegebenen Zahlen sind mittels der HOFF
sehen Formel K =
0 • 02 T 2
VAN'T
— gefunden, in der K die molekulare Gefrierpunktserniedrigung
bzw. die Siedepunktserhöhung (für 1 Mol in 100 g Lösungsmittel) darstellt, T die absolute Temperatur des Schmelz- (bzw. Siede-)Punktes und W die latente Schmelz- (bzw. Verdampfungs-) Wärme in cal/g Lösungsmittel.
Allgemeine Operationen Bevor wir auf die organischen Verbindungen näher eingehen, erscheint es zur Vermeidung von Wiederholungen zweckmäßig, eine kurze Übersicht über einige Operationen zu geben, die bei der Darstellung und Untersuchung organischer Substanzen eine wichtige Rolle spielen und auch in theoretischer Hinsicht bemerkenswert sind. Ausführlichere Angaben findet man in den Praktikumsbüchern der organischen Chemie 2 . Neben der Kristallisation aus geeigneten Lösungsmitteln ist die Destillation3 das am meisten angewandte Hilfsmittel zur Reinigung organischer Substanzen, sei es, daß man auf diese Weise die zu reinigende Substanz von einer nicht flüchtigen Beimengung abtrennt, sei es, daß man die Unterschiede in der Flüchtigkeit der Bestandteile eines Gemisches zu einer fraktionierten Destillation (s. u.) ausnutzt. Viele Stoffe, die sich beim Sieden unter Atmosphärendruck zersetzen, lassen sich unter vermindertem Druck unverändert destillieren, weil dann der Siedepunkt viel niedriger ist. Eine geeignete Apparatur ist in Fig. 7 abgebildet. Die zu destillierende Flüssigkeit befindet sich in einem Kolben nach C L A I S E N . In die Flüssigkeit taucht ein zu einer Kapillare ausgezogenes Glasrohr, durch das während des Evakuierens fortgesetzt kleine Luftbläschen eintreten; auf diese Weise wird das beim Sieden unter vermindertem Druck mitunter sehr heftige „Stoßen" der Flüssigkeit vermindert. Die Dämpfe werden nach dem Passieren eines Kühlers in der Vorlage kondensiert, die ihrerseits mit einem Manometer und der Wasserstrahlpumpe in Verbindung steht. Es empfiehlt sich, die Verbindungsröhren zwischen Kolben und Vakuum nicht zu eng zu wählen, 1
Für 1 Mol, gelöst in 100 g Lösungsmittel. Vgl. vor allem G A T T E R M A N N - W I E L A N D , Die Praxis des organischen Chemikers 34. Aufl. (Berlin 1952); W E Y G A N D . Organisch-chemische Experimentierkunst, 2. Aufl. (Leipzig 1948). 3 Vgl. G. K O R T Ü M , H . B U C H H O L Z - M E I S E N H E I M E R , Die Theorie der Destillation und Extraktion von Flüssigkeiten (Berlin 1952). 2
12
Allgemeine Operationen
weil man sonst mit Dampfstauungen und einem beträchtlichen Druckgefälle zwischen Kolben und Manometer zu rechnen hat. Der Druck im Kolben kann dann um mehrere Millimeter höher sein, als das Manometer anzeigt. Die Nichtbeachtung dieser Vorsichtsmaßregel hat viele ungenaue Siedepunktsbestimmungen zur Folge gehabt. Viele Substanzen, die sich auch im Vakuum der Wasserstrahlpumpe (d. h. 10—12mm Druck) nicht unzersetzt destillieren lassen, können noch durch Destillation bei niedrigeren Drucken übergetrieben werden. Diese früher nur selten angewandte Operation
ist seit der Einführung der Quecksilberdampfstrahl-Pumpen in jedem Laboratorium leicht ausführbar geworden. Sie wird etwas irreführend meist Hochvakuumdestillation genannt, obwohl man erst Drucke unterhalb von etwa 0-001 mm als Hochvakuum bezeichnet; die wirklichen Destillationsdrucke pflegen aber bei 1—5 mm zu liegen. Für die Druckmessung gilt in erhöhtem Maße das oben Gesagte. Die Siedepunktserniedrigung gegenüber Atmosphärendruck beträgt bei Anwendimg der Wasserstrahlpumpe etwa 100°, bei der Quecksilberpumpe etwa 150°. 1 I s
I4
3
i
2,0
/
/
1/ 1/ 3.0
IOOO/T
Fig. 8
2.5
2,0
-
Fig. 9
Den Siedepunkt einer Substanz unter verschiedenen Drucken entnimmt man aus ihrer Dampfdruckkurve, die den Zusammenhang zwischen Dampfdruck und Temperatur wiedergibt. Nach CLAUSIUS und CLAPEYRON gilt in vereinfachter Form: In p = — XIJtT + konst., wo p den Dampfdruck, R die Gaskonstante, T die absolute Temperatur und A die Verdampfungswärme bedeutet. Der Dampfdruck ist also eine Exponentialfunktion und steigt viel stärker als die Temperatur an. In Fig. 8 ist die Dampfdruckkurve von Toluol wiedergegeben. In Fig. 9 ist log p gegen den reziproken Wert der Siedetemperatur (in 0 absol.) aufgetragen. Die resultierende Kurve ist eine Gerade, wie die obige Gleichung es erwarten läßt. Die CLAUSius-CLAPEYRONsche Gleichung gibt eine sehr bequeme Möglichkeit zur annähernden Schätzung von Siedepunkten unter vermindertem Druck, wenn man sie mit der TROUTONSchen Regel (S. 37) kombiniert, nach der bei Atmosphärendruck A/T oft = ca. 21 ist (nomographische Darstellung auf logarithmisch-hyperbolischem Papier als sich in einem Punkte schneidende Geradenschar) *
Destillation
13
D i e T r e n n u n g e i n e s G e m i s c h e s f l ü c h t i g e r S t o f f e von verschiedenem Siedepunkt bewirkt man durch fraktionierte Destillation. Sie beruht darauf, daß bei der Destillation eines Gemisches der Dampf reicher an dem flüchtigeren Bestandteil ist als die Flüssigkeit. Angenommen, man habe ein Gemisch zweier Flüssigkeiten, von denen die eine bei 100°, die andere bei 130° siedet. Zu Beginn der Destillation wird vornehmlich die bei 100° siedende übergehen, gegen Ende die bei 130° siedende. Fängt man also den Anteil, der bis 110° übergeht, und ebenso den zwischen 120—130° destillierenden gesondert auf, so hat man in diesen zwei „Fraktionen" bereits eine rohe Trennung erzielt, während die dazwischenliegende Fraktion 110—120° noch ein Gemisch darstellt. Um die Trennung so vollständig wie möglich zu gestalten, verfährt man systematisch in folgender Weise: Die Fraktion 100—110° wird aufs neue aus dem Fraktionierkolben destilliert, bis das Thermometer 110° zeigt. Dabei macht man die Er-
(a nach
YOUNG-TIIOMAS,
b nach.
Fig. 10 C nach
WIDMER,
LE BEL-HENNINGER,
d nach
HEMPEL)
fahrung, daß dann noch eine gewisse Menge Flüssigkeit in dem Kolben übrig ist. Zu dieser gibt man die Mittelfraktion, erhitzt zum Sieden und wechselt erst dann die Vorlage, wenn das Thermometer wieder auf 110° steht. I n die neue Vorlage destilliert man, bis das Thermometer 120° anzeigt, gibt darauf die Fraktion 120—130° hinzu und wechselt die Vorlage, wenn das Thermometer aufs neue 120° anzeigt. Den dann noch destillierenden Teil fängt man gesondert auf. Wiederholt man dieses Verfahren einige Male, wobei man zweckmäßig die Anzahl der Fraktionen vermehrt, so daß jede zwischen engeren Grenzen siedet, so verschwinden die mittleren Fraktionen meist fast ganz, und man erreicht eine nahezu vollständige Trennung. Theoretische Überlegungen zeigen in Übereinstimmung mit der Erfahrung, daß man durch fraktionierte Destillation nur die höhersiedende Komponente völlig rein erhalten kann, während die Reinigung des niedriger siedenden Anteils einen asymptotischen Prozeß darstellt und infolgedessen stets mehr Mühe kostet. Bezeichnend dafür ist ein Versuch vonYouNG: er zeigte, daß ein Gemisch gleicher Teile Benzol und Toluol erst bei 86° zu sieden beginnt, obwohl reines Benzol schon bei 80° siedet.
Der Trennungseffekt einer Destillation kann durch Anwendung von Fraktionieraulsätzen (Kolonnen) (Fig. 10) in einer einzigen Operation vervielfacht werden. Der
Allgemeine Operationen
14
Aufsatz ist in seiner einfachsten Form ein Rohr, in dem durch Luftkühlung oder aufgesetzten Kühler ein Teil des Dampfes kondensiert wird, während der strömende Dampf sich mit dem Flüssigkeitsfilm durch Kondensation und Wiederverdampfung ins Gleichgewicht setzt, wobei die Diffusion im Dampf senkrecht zur Strömungsrichtung eine wesentliche Rolle spielt. Durch Einbau von „Böden" oder Füllung mit Perlen, keramischen Körpern oder Spiralen wird die Dampfströmung turbulent gemacht und Dampfdiffusion und Austausch verbessert. I n der Heligrid-Kolonne von P O D B I E L N I A K besteht die Füllung aus einer Drahtspirale, die ihrerseits spiralig um ein in der Achse der Kolonne liegendes Rohr aufgewickelt ist. Als sehr wirksam haben sich Kolonnen mit rotierenden Teilen erwiesen. Die gebräuchlichste Form ist die zuerst von P O D B I E L N I A K angegebene Drehbandkolonne, bei der ein spiralig aufgewundenes Metallband mit 1200 Umdrehungen/Minute rotiert. Man k a n n den Trenneffekt einer Kolonne durch die Anzahl „theoretischer Böden" bei 100%igem Rückfluß ausdrücken und unter stark vereinfachenden Annahmen nach der Formel 8 = ocs berechnen. Hierbei ist S = ( 7 / 1 — 7 ) h = 1 / ( r / l — 7 ) h = 0 der Trenneffekt, a = ( F / l — 7 ) / ( X ' l — X) die „relative Flüchtigkeit", N die theoretische Bodenzahl, wenn X die Molfraktion der flüchtigeren Komponente in der Flüssigkeit einer binären Testmischung, Y die Molfraktion im Dampf, h die Höhe über der Flüssigkeit und 1 die Länge der Kolonne ist. Die Grenzen der Wirksamkeit liegen beispielsweise bei etwa 4 Böden pro m f ü r ein leeres Rohr und etwa 100 Böden f ü r rotierende Kolonnen. Das Siedeyerhaltcn von Flüssigkeitsgemischen soll im folgenden wegen seiner praktischen Bedeutung noch einer eingehenderen Betrachtung unterzogen werden. Um die Eigenschaften eines Gemisches zweier Flüssigkeiten A und B bequemer übersehen zu können, stellt man sie graphisch in einem rechtwinkligen Koordinatensystem dar, indem man auf der Abszisse den
Fig. 11
Fig. 12
Fig. 13
Prozentgehalt an A (meist in Mol-°/0), auf der Ordinate die zu betrachtende Eigenschaft (Dampfspannung, Siedepunkt, Dichte) aufträgt. Ändert sich die Eigenschaft proportional der Zusammensetzung, so erhält man eine Gerade. Dieser recht seltene Fall ist z. B. bei der Dampfspannung einiger Flüssigkeitsgemische (Benzol-Toluol) verwirklicht 1 . Meist erhält man indessen mehr oder weniger gekrümmte Kurven, deren verschiedene Typen für den Siedepunkt in Fig. 11 wiedergegeben sind. Man sieht daraus, daß die Siedepunktskurven entweder monoton verlaufen (I und I I ) oder aber ein Maximum (III) bzw. ein Minimum (IV) aufweisen. In den Fällen III und IV ist — wenigstens bei konstant bleibendem Druck —• das Gemisch (im Gegensatz zu I und I I ) durch fraktionierte Destillation nicht zu trennen. Denn aus einer Mischung wird stets der flüchtigste (niedrigst siedende) Bestandteil in größerer Menge destillieren. Der Dampf wird also reicher an A, der Bückstand reicher an B sein. Ist nun A leichter, B schwerer flüchtig als irgendeine Mischung, wie dies bei der Gestalt I und II der Siedekurve der Fall ist, so muß fortgesetzte fraktionierte Destillation zu einer praktisch vollständigen Trennung von A und B führen. Hat die Siedekurve aber ein Minimum bzw. Maximum, so sind die diesen Punkten entsprechenden 1 Die Siedepunktskurven sind dagegen auch in solchen Fällen keine Geraden, nähern sich aber solchen um so mehr, je kleiner die Differenz zwischen den Siedepunkten der beiden Bestandteile wild.
Wasserdampf-Destillation
15
Mischungen die am leichtesten bzw. am schwersten flüchtigen Bestandteile. Man wird beim Fraktionieren also stets eine Traktion mit diesem höchsten bzw. niedrigsten Siedepunkt bekommen, die sich (bei konstantem Druck) nicht weiter trennen läßt. Man nennt ein solches Gemisch mit einem wenig glücklichen Ausdruck azeotrop (von a = nicht und 3s« = sieden). Dies läßt sich in folgender Weise noch deutlicher machen. Betrachten wir zunächst wieder eine Siedekurve I ohne Maximum oder Minimum (Fig. 12), die also die Zusammensetzung der Flüssigkeit beim Siedepunkt repräsentiert. Da der flüchtigste Teil stets in größerer Menge in Dampfform übergeht, enthält bei jeder Mischung der Dampf, der aus der siedenden Flüssigkeit entweicht, mehr A als die Flüssigkeit selbst. Bei einer Zusammensetzung b der Mischung wird also ihr Dampf die Zusammensetzung b' haben. Die Dampfkurve II liegt deshalb ihrer ganzen Länge nach höher als die Flüssigkeitskurve (Siedekurve). Hat aber die Siedekurve ein Maximum in b (Fig. 13), so wird zwar auf dem Abschnitt Ab der Dampf reicher an A sein als die Flüssigkeit, aus welcher er entweicht; auf dem Abschnitt bB dagegen wird der Dampf reicher an B sein als die Flüssigkeit, denn nun ist B der flüchtigste (am niedrigsten siedende) Bestandteil. Daraus folgt notwendig, daß im Maximum b der Dampf genau dieselbe Zusammensetzung wie die Flüssigkeit haben muß, d. h. die Mischung mit dem maximalen Siedepunkt destilliert völlig konstant, wie eine einheitliche Substanz. Dasselbe läßt sich in völlig analoger Weise für Flüssigkeitsgemische mit einem Minimum-Siedepunkt zeigen. In der graphischen Darstellung trifft dementsprechend die Dampfkurve mit der Siedekurve im Maximum (bzw. Minimum) zusammen. Die vollständige Trennung des Flüssigkeitsgemisches durch fraktionierte Destillation ist auch dann unausführbar, wenn die Siedepunkte der Bestandteile zu dicht beieinander liegen. Denn für a = 1 (gleichen Siedepunkten entsprechen gleiche Dampf drucke) wird X = Y, d. h. Dampf und Flüssigkeit unterscheiden sich nicht mehr in ihrer Zusammensetzung. Trotzdem läßt sich auch bei geringen Dampfdruck-Unterschieden noch eine erhebliche Trennung erreichen, wenn man für genügenden Rücklauf in der Kolonne sorgt. Das Verhältnis von Rücklauf zu Destillat für eine weitgehende Trennung hängt wesentlich von dem Faktor
ab. Je oc 1 mehr sich also oc der Einheit nähert, um so größer muß der Rücklauf sein. Häufig kann man auch die Unterschiede zwischen Dampf- und Flüssigkeitszusammensetzung durch Druckverminderung vergrößern. Aus diesem Grunde kann die fraktionierte Destillation im Vakuum von Vorteil sein. Destillation mit Wasserdampf. Beim organischen Arbeiten h a t m a n es h ä u f i g m i t einem R o h p r o d u k t zu t u n , d a s d u r c h dunkelgefärbte, teer- oder pechartige Massen verunreinigt ist. U m es zu reinigen, m a c h t m a n m i t großem Vorteil von der T a t s a c h e Gebrauch, d a ß viele Substanzen sich m i t Wasserdampf verflüchtigen, wenn m a n sie im W a s s e r d a m p f strom destilliert. Fig. 14 zeigt einen d a f ü r geeigneten A p p a r a t . Man erhitzt Wasser in einem Blechtopf, durch dessen H a l s ein Sicherheitsrohr g e h t , zum Sieden u n d leitet den entweichenden D a m p f d u r c h den seitlichen Ansatz, auf den Boden des Kolbens, in dem sich die zu destillierende Substanz befindet. Die Destillation im W a s s e r d a m p f s t r o m leistet, a u ß e r zur Reinigung ü b e r h a u p t , a u c h sonst g u t e Dienste zur T r e n n u n g von Substanzen, v o n denen n u r ein Teil m i t Wasserdampf flüchtig ist. D a s Destillat scheidet sich entsprechend d e m Unterschied in den spezifischen Gewichten m e h r oder weniger leicht in eine wäßrige u n d eine ölige Schicht. Bei der Destillation mit Wasserdampf hat man es in den meisten Fällen mit zwei Flüssigkeiten (Wasser und destillierende Substanz) zu tun, die nicht in allen Verhältnissen mischbar sind. Betrachten wir den Grenzfall, daß die Flüssigkeiten ineinander völlig unlöslich sind. Dann wird die Dampfspannung der einen Flüssigkeit durch die Gegenwart der anderen nicht beeinflußt. Bringt man das Gemenge zum Sieden, so ist die Summe der Dampfspannungen der beiden Bestandteile gleich dem atmosphärischen Druck. Der Siedepunkt muß niedriger liegen als der des
16
Allgemeine Operationen
niedriger siedenden der beiden Stoffe (Wasser und organischer Stoff) unter gewöhnlichem Druck, da der Partialdruck natürlich kleiner sein muß als der Gesamtdruck, welcher gleich dem atmosphärischen Druck ist. Man erreicht daher durch die Destillation im Dampfstrom dasselbe wie durch Destillation unter vermindertem Druck, nämlich eine Verflüchtigung des Stoffes bei einer Temperatur, die niedriger ist als ihr Siedepunkt unter gewöhnlichem Druck. Man hat es also nicht mit einer spezifischen Wirkung des Wasserdampfes zu t u n ; die Möglichkeit einer Destillation mit Wasserdampf wird nur dadurch bedingt, daß der Stoff bei nahezu 100° bereits einen merklichen Dampfdruck besitzt. Davon ist es auch abhängig, ob der Stoff rasch oder langsam mit Wasserdampf übergeht. Es seien M 1 und M 2 die Molekulargewichte von Wasser und organischem Stoff, cx und die Anzahl der entsprechenden Moleküle im Dampf, so verhalten sich die Gewichte von Wasser und organischem Stoff wie Cj M1: M 2 . Nach den Gasgesetzen verhalten sich aber Cj: Cj = : p 2 , wo p1 und p2 die entsprechenden Partialdrucke bedeuten, die in unserem Fall mit den Dampfspannungen der reinen Flüssigkeiten zu identifizieren sind. Daraus folgt für das Verhältnis von Wasser zu organischem Stoff Mx: p 2 Mg. Ein Gemisch von Nitrobenzol und Wasser z . B . siedet unter 760mm Druck bei 99-25°. Dieser Siedepunkt bleibt der gleiche, solange noch Wasser oder Nitrobenzol in dem Gemisch vorhanden ist. Der Wasserdampf hat bei dieser Temperatur eine Spannung von 740 mm, der Dampf des Nitrobenzols eine solche von 20 mm. Da das Molekulargewicht des Wassers 18, das des Nitrobenzols 123 ist, werden sich die Mengen Wasser und Nitrobenzol, welche gleichzeitig destillieren, wie 740 X 18 : 20 X 123, d. h. ungefähr wie 5 : 1 verhalten. Ungeachtet der geringen Dampfspannung von Nitrobenzol beim Siedepunkt des Gemisches destilliert diese Verbindung demnach doch ziemlich rasch mit über, weil Wasser ein kleines, Nitrobenzol ein hohes Molekulargewicht hat. Selbst wenn der organische Stoff beim Siedepunkt seines Gemisches mit Wasser nur eine Dampfspannung von 10 mm hat, läßt sich die Destillation mit Wasserdampf noch ziemlich rasch ausführen. An Hand der obigen Beziehungen kann man leicht übersehen, daß die Dampfdestillation auch zur annähernden Molekulargewichtsbestimmung dienen kann, wenn das Molekulargewicht und der Partialdruck der einen Komponente (in diesem Fall des Wassers) bei der leicht zu bestimmenden Siedetemperatur des Gemisches bekannt ist. Zur Trennung nicht mischbarer Flüssigkeiten dient der S c h e i d e t r i c h t e r (Fig. 15), dessen Abflußrohr mit einem H a h n versehen ist. Diesen Apparat benutzt man auch zum „Ausschütteln", d. h. u m eine in Wasser gelöste Substanz der wäßrigen Lösung durch Schütteln mit einer anderen Flüssigkeit zu entziehen, die mit Wasser nicht mischbar ist, z. B. Ä t h e r , P e t r o l ä t h e r , C h l o r o f o r m , S c h w e f e l k o h l e n s t o f f . Zu diesem Zweck gießt man die wäßrige Lösung in den Scheidetrichter, setzt Äther, Chloroform usw. zu, verschließt den Trichter mit dem Glasstopfen und schüttelt die beiden Flüssigkeiten kräftig durch. Der in Wasser gelöste Stoff wird dabei zum Teil v o m Äther aufgenommen. Darauf läßt man die ätherische Lösung nach oben steigen u n d trennt sie nach Entfernung des Stopfens durch Öffnen des Hahnes v o m Wasser. Nunmehr wird die ätherische Lösung durch Calciumchlorid oder Natriumsulfat v o n aufgenommenem Wasser befreit und dann zum Schluß der Äther verdampft. D a s Ausschütteln wird schnell zum Ziel führen, wenn der der wäßrigen Lösung zu entziehende Stoff in Wasser schwer, in Äther leicht löslich ist; in diesem Fall kann man durch einige Wiederholungen der Operation mit frischem Äther die wäßrige Lösung fast ganz erschöpfen. I s t aber umgekehrt der Stoff in Wasser leicht, in Äther schwer löslich, so m u ß sehr oft ausgeschüttelt werden, u n d selbst dann bleibt die Extraktion unvollkommen. Setzt man zwei miteinander nicht mischbaren Flüssigkeiten einen Stoff zu, der in beiden löslich ist, so löst er sich in beiden Flüssigkeiten auf, und es stellt sich ein Gleichgewichtszustand nach dem G e s e t z v o n B E R T H E L O T her, das besagt, d a ß d e r S t o f f s i c h z w i s c h e n b e i d e n L ö s u n g s m i t t e l n so v e r t e i l t , d a ß s e i n e K o n z e n t r a t i o n e n in b e i d e n e i n k o n s t a n t e s V e r h ä l t n i s k (Teilungskoeffizient) a u f w e i s e n . Ist die Menge x0 des gelösten Stoffes in der Menge l des ersten Lösungsmittels (Wasser) vorhanden, wild diese Lösung mit einer Menge m des zweiten Lösungsmittels (Äther) geschüttelt, und nennen wir x1 die Menge, die im ersten Lösungsmittel zurückbleibt, so gilt folglich die Gleichung: x, . x0 — x, , l kl Fig. 15. Scheidetrichter
Bestimmung der wichtigsten physikalischen Konstanten
17
=—r = v und < 7 = 1 — p. Ein zweites Ausschütteln mit TO + kl Menge m des zweiten Lösungsmittels gibt
Zur Abkürzung führen wir ein derselben
l
m
oder, nach Substitution von xx aus der ersten Gleichung, x2 = x0p2 und f ü r das n-te Ausschütteln analog xfi — x0pn. xn, die Menge, die im ersten Lösungsmittel (Wasser) zurückbleibt, wird u m so kleiner, je größer » und je kleiner p ist. Da pn sich dem Nullwert wohl nähern, aber niemals Null werden kann, ist erschöpfendes Ausschütteln theoretisch unmöglich. Will man beim Ausschütteln mit wenigen Operationen (kleinem n) zum Ziel kommen, so muß offenbar mß ¡ä k erfüllt sein. I s t also k > 1, so werden die zum Ausschütteln benötigten Mengen Lösungsmittel unbequem groß 1 . Durch n-maliges Ausschütteln mit der Menge m/n wird mehr ausgeschüttelt als durch einmaliges Schütteln mit der gesamten Menge m. Doch h a t das fraktionierte Ausschütteln mit einer begrenzten Menge Lösungsmittel auch nur dann Vorteil, wenn mß > k. Eine Abart des Ausschütteins ist die fraktionierte Verteilung. Bei dem als „ Gegenstromverteilung" bekannten Verfahren geht man z. B. apparativ so vor, daß man auf der Peripherie eines Kreises vertikal angeordnete Bohren in 2 Etagen genau aufeinander passend übereinanderstellt, die untere Abteilung mit dem schweren, die obere mit dem leichten Lösungsmittel füllt und in ein Röhrenpaar (Nr. 0) die Substanz gibt. Nach dem Verteilen durch Schütteln der Anordnung dreht man die obere Etage um 1 Bohr weiter, schüttelt wieder und fährt damit fort, bis das erste obere über dem letzten unteren Rohr angelangt ist. Trägt man jetzt die Konzentration in den einzelnen Röhren (oben + unten) gegen die Röhrennummer (r = 0 bis n) auf, so erhält man nach der binomischen Entwicklung r=n 1
= £
n\
FTÖT^ji
f
eine Verteilungskurve mit Maximum, dessen Lage von p abhängt. Die Gesamtzahl der Ausschüttlungen ist n(n + l)/2. Durch Aufnahme solcher Kurven und Vergleich mit den berechneten Werten kann man die Konstanz von k und die Einheitlichkeit der Substanz prüfen. Auch kann man mehrere Substanzen voneinander trennen, wenn man n und k (geeignetes Lösungsmittel) zweckmäßig wählt. Sinnreiche Apparaturen ( M A R T I N , C R A I G , B R O C K M A N N - V . M E T Z ) erleichtern die Ausführung der analytisch und technisch gleich wichtigen Methode.
Bestimmung der wichtigsten physikalischen Konstanten Als K e n n z e i c h e n d e r R e i n h e i t eines o r g a n i s c h e n S t o f f e s u n d s o m i t d e s E r f o l g e s d e r p r ä p a r a t i v e n A r b e i t d i e n t d i e K o n s t a n z seiner p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n gegenüber fortgesetzter Reinigung. D a s wichtigste K r i t e r i u m f ü r die Reinheit fester S t o f f e ist d e r S c h m e l z p u n k t , d . h . die T e m p e r a t u r , b e i d e r die f e s t e S u b s t a n z m i t i h r e r Schmelze i m Gleichgewicht s t e h t . Schon geringe Mengen v o n Verunreinigungen bew i r k e n i n f o l g e d e s k r y o s k o p i s c h e n E f f e k t s eine b e t r ä c h t l i c h e D e p r e s s i o n u n d u n s c h a r f e s Schmelzen. Die Schmelzpunktsbestimmung dient auch sehr oft dazu, Stoffe zu identifizieren. H a t m a n n ä m l i c h e i n e V e r b i n d u n g e r h a l t e n , v o n d e r m a n v e r m u t e t , d a ß sie m i t e i n e r a n d e r e n , b e r e i t s b e k a n n t e n V e r b i n d u n g i d e n t i s c h i s t , so g e w i n n t diese V e r m u t u n g eine starke Stütze, w e n n der Schmelzpunkt jenes Stoffes m i t d e m der b e k a n n t e n Verbindung übereinstimmt2. 1 In diesem Fall ist unter Umständen eine kontinuierliche Extraktions-Methode („Perforation") vorzuziehen, bei der man das organische Lösungsmittel in einem getrennten Kölbchen fortlaufend abdampft. Die kondensierten Dämpfe des reinen Lösungsmittels werden dem Extraktionsgut wieder zugeführt, beladen sich hier erneut und kehren durch einen Überlauf in das Siedegefäß zurück. 2 Vgl. W . U T E R M A R K , Schmelzpunkt-Tabellen organischer Verbindungen (Berlin 1 9 5 1 ) .
H o l l e m a n - I l i c h t e r , Organische Chemie. 31. u. 32. Auflage.
2
Bestimmung der wichtigsten physikalischen Konstanten
17
=—r = v und < 7 = 1 — p. Ein zweites Ausschütteln mit TO + kl Menge m des zweiten Lösungsmittels gibt
Zur Abkürzung führen wir ein derselben
l
m
oder, nach Substitution von xx aus der ersten Gleichung, x2 = x0p2 und f ü r das n-te Ausschütteln analog xfi — x0pn. xn, die Menge, die im ersten Lösungsmittel (Wasser) zurückbleibt, wird u m so kleiner, je größer » und je kleiner p ist. Da pn sich dem Nullwert wohl nähern, aber niemals Null werden kann, ist erschöpfendes Ausschütteln theoretisch unmöglich. Will man beim Ausschütteln mit wenigen Operationen (kleinem n) zum Ziel kommen, so muß offenbar mß ¡ä k erfüllt sein. I s t also k > 1, so werden die zum Ausschütteln benötigten Mengen Lösungsmittel unbequem groß 1 . Durch n-maliges Ausschütteln mit der Menge m/n wird mehr ausgeschüttelt als durch einmaliges Schütteln mit der gesamten Menge m. Doch h a t das fraktionierte Ausschütteln mit einer begrenzten Menge Lösungsmittel auch nur dann Vorteil, wenn mß > k. Eine Abart des Ausschütteins ist die fraktionierte Verteilung. Bei dem als „ Gegenstromverteilung" bekannten Verfahren geht man z. B. apparativ so vor, daß man auf der Peripherie eines Kreises vertikal angeordnete Bohren in 2 Etagen genau aufeinander passend übereinanderstellt, die untere Abteilung mit dem schweren, die obere mit dem leichten Lösungsmittel füllt und in ein Röhrenpaar (Nr. 0) die Substanz gibt. Nach dem Verteilen durch Schütteln der Anordnung dreht man die obere Etage um 1 Bohr weiter, schüttelt wieder und fährt damit fort, bis das erste obere über dem letzten unteren Rohr angelangt ist. Trägt man jetzt die Konzentration in den einzelnen Röhren (oben + unten) gegen die Röhrennummer (r = 0 bis n) auf, so erhält man nach der binomischen Entwicklung r=n 1
= £
n\
FTÖT^ji
f
eine Verteilungskurve mit Maximum, dessen Lage von p abhängt. Die Gesamtzahl der Ausschüttlungen ist n(n + l)/2. Durch Aufnahme solcher Kurven und Vergleich mit den berechneten Werten kann man die Konstanz von k und die Einheitlichkeit der Substanz prüfen. Auch kann man mehrere Substanzen voneinander trennen, wenn man n und k (geeignetes Lösungsmittel) zweckmäßig wählt. Sinnreiche Apparaturen ( M A R T I N , C R A I G , B R O C K M A N N - V . M E T Z ) erleichtern die Ausführung der analytisch und technisch gleich wichtigen Methode.
Bestimmung der wichtigsten physikalischen Konstanten Als K e n n z e i c h e n d e r R e i n h e i t eines o r g a n i s c h e n S t o f f e s u n d s o m i t d e s E r f o l g e s d e r p r ä p a r a t i v e n A r b e i t d i e n t d i e K o n s t a n z seiner p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n gegenüber fortgesetzter Reinigung. D a s wichtigste K r i t e r i u m f ü r die Reinheit fester S t o f f e ist d e r S c h m e l z p u n k t , d . h . die T e m p e r a t u r , b e i d e r die f e s t e S u b s t a n z m i t i h r e r Schmelze i m Gleichgewicht s t e h t . Schon geringe Mengen v o n Verunreinigungen bew i r k e n i n f o l g e d e s k r y o s k o p i s c h e n E f f e k t s eine b e t r ä c h t l i c h e D e p r e s s i o n u n d u n s c h a r f e s Schmelzen. Die Schmelzpunktsbestimmung dient auch sehr oft dazu, Stoffe zu identifizieren. H a t m a n n ä m l i c h e i n e V e r b i n d u n g e r h a l t e n , v o n d e r m a n v e r m u t e t , d a ß sie m i t e i n e r a n d e r e n , b e r e i t s b e k a n n t e n V e r b i n d u n g i d e n t i s c h i s t , so g e w i n n t diese V e r m u t u n g eine starke Stütze, w e n n der Schmelzpunkt jenes Stoffes m i t d e m der b e k a n n t e n Verbindung übereinstimmt2. 1 In diesem Fall ist unter Umständen eine kontinuierliche Extraktions-Methode („Perforation") vorzuziehen, bei der man das organische Lösungsmittel in einem getrennten Kölbchen fortlaufend abdampft. Die kondensierten Dämpfe des reinen Lösungsmittels werden dem Extraktionsgut wieder zugeführt, beladen sich hier erneut und kehren durch einen Überlauf in das Siedegefäß zurück. 2 Vgl. W . U T E R M A R K , Schmelzpunkt-Tabellen organischer Verbindungen (Berlin 1 9 5 1 ) .
H o l l e m a n - I l i c h t e r , Organische Chemie. 31. u. 32. Auflage.
2
18
Schmelzpunkt. Siedepunkt. Spezifisches Gewicht
Noch besser gelingt der Nachweis der Identität durch die Mischprobe; hierzu mischt man den Stoff mit demjenigen, von dem man mutmaßt, daß er identisch mit ihm ist. Ist die Vermutung richtig, so muß der Schmelzpunkt ungeändert bleiben, andernfalls wird er erheblich niedriger gefunden.
Zur Schmelzpunktsbestimmung benutzt man meist den in Fig. 16 abgebildeten Apparat. Die fein pulverisierte Substanz wird in einem 1 mm weiten Kapillarröhrchen mit Hilfe von etwas konzentrierter Schwefelsäure an die Kugel eines geprüften Normalthermometers gebracht und in einem Schwefelsäurebad langsam bis auf die Schmelztemperatur erhitzt. Im Moment des Schmelzens liest man den Stand des Thermometers ab. Der gefundene Wert ist nach den Angaben der einschlägigen Lehrbücher für den herausragenden Faden zu korrigieren. Vielfach betrachtet man als den Schmelzpunkt diejenige Temperatur, bei der die Substanz unter Meniskusbildung klar geschmolzen ist. Infolge der schlechten Wärmeübertragung zwischen der Substanz und der umgebenden Flüssigkeit findet man so aber leicht zu hohe Werte (0-5—1°). Es ist aus
Fig. 16. Schmelzpunktsbestimmung
Fig. 17. Siedekolben
Fig. 18. Pyknometer
diesem Grunde unbedingt erforderlich, in der Nähe des Schmelzpunktes sehr langsam zu erhitzen. Verfügt man über größere Sübstanzmengen (10—20 g), so erhält man genauere Werte durch Bestimmung des Erstarrungspunktes mit eingetauchtem Thermometer und kann aus dem Verlauf der Abkühlungskurve den Reinheitsgrad abschätzen. Unscharfer Schmelzpunkt kann außer durch Unreinheit auch durch Zersetzung der Substanz während des Erhitzens bedingt sein; in diesem Fall ist der Wert der Bestimmung nur beschränkt. Wegen der verfeinerten Beobachtungsmöglichkeiten gewinnt neuerdings die Bestimmung des Schmelzpunktes unter dem Mikroskop an Verbreitung (Kofler). Zur genauen Bestimmung des Siedepunkts — der nächst dem Schmelzpunkt wichtigsten Konstante — dient ein Kolben nach Berthelot (Fig. 17), der durch einen vom abfließenden Dampf selbst gebildeten Dampfmantel störende Abkühlung vermeidet. Man gebraucht am besten abgekürzte Thermometer, damit der Faden seiner ganzen Länge nach dem Dampf der siedenden Flüssigkeit ausgesetzt ist. Ihre Skala beginnt bei verschieden hohen Temperaturen und umfaßt immer nur ein kleines Temperaturintervall (z. B. 50°). Eine Korrektur für den herausragenden Faden erübrigt sich dann. Wegen der Schwankungen des atmosphärischen Druckes ist es nötig, bei Siedepunktsbestimmungen den Barometerstand anzugeben; z. B. bedeutet Kp 7 1 0 : 150° (korr.): der korrigierte Siedepunkt liegt unter 710 mm Druck bei 150°.
Optisches Drehungsvermögen
19
Neben der Bestimmung des Schmelz- und des Siedepunktes sind für die Unterscheidung organischer Verbindungen noch andere physikalische Konstanten, z. B. das spezifische Gewicht, von Bedeutung. Zur Bestimmung des spezifischen Gewichts von Flüssigkeiten benutzt man das Pyknometer, von dem Fig. 18 eine sehr praktische Form zeigt. Es besteht aus zwei dickwandigen Kapillaren a und b, die ein weiteres Rohr c einschließen, a trägt eine oder mehrere Marken, b läuft in eine Spitze aus. Man ermittelt zunächst den Rauminhalt des Gefäßes, indem man es einige Male mit Wasser von konstanter Temperatur bis zu der Marke füllt und wägt. Dann wird in gleicher Weise die Flüssigkeit, deren spezifisches Gewicht zu bestimmen ist, in das Gefäß gefüllt und abermals gewogen. Hieraus berechnet man die gesuchte Zahl. Organische Flüssigkeiten besitzen meist einen sehr viel größeren Ausdehnungskoeffizienten als Wasser. Ihr spezifisches Gewicht nimmt also auch stark mit der Temperatur ab; im rohen Mittel beträgt die Änderung —0-001 für 1° Temperatursteigerung. Es ist deshalb nötig, die Temperatur der Flüssigkeit genau zu bestimmen (Thermostat!), und zweckmäßig, mehrere Bestimmungen bei verschiedenen Temperaturen zu machen. Eine andere Konstante, die zur Charakterisierung mancher Verbindungen wichtig ist, ist die Drehung der Polarisationsebene. Verschiedene Flüssigkeiten, z. B. Terpentinöl, drehen die Schwingungsebene des polarisierten Lichts nach rechts oder links. Derartige Verbindungen nennt man rechts- bzw. linksdrehend oder allgemein o p t i s c h - a k t i v (a. S.44). Eine linear polarisierte Welle kann als Überlagerung zweier entgegengesetzt zircular polarisierter Wellen betrachtet werden. In einem optisch-aktiven Medium pflanzen sich diese beiden Wellen mit ungleicher Geschwindigkeit fort. Ihre Zusammensetzung beim Austritt ergibt daher eine linear polarisierte Welle mit gedrehter Schwingungsebene. Die Drehung ist mithin Ausdruck einer zircularen Doppelbrechung (FRESNEL), und ihre Größe « hängt mit den Brechungskoeffizienten », und nr für links- und reehtszirculares Licht in folgender Weise zusammen: wobei A die Wellenlänge, l die Dicke der durchlaufenen Schicht ausdrückt. Fig. 19 zeigt die allgemeine Einrichtung eines Polarimeters. Das durch die Kondensorlinse B fallende Licht der Sp a—|-fflFig. 19. Polarisationsapparat Lichtquelle L wird in dem Polarisator-Nicol P polarisiert. Sp und Sp' sind Blenden. Betrachtet man nunmehr die Lichtquelle durch das kleine Fernrohr O, so wird maximale Dunkelheit herrschen, wenn der Analysator-Nicol A gegen P um 90° bzw. 270° gedreht ist. Schaltet man nun in den Strahlengang ein Rohr R mit der optisch-aktiven Flüssigkeit ein, so tritt infolge der Drehung der Polarisationsebene wieder Aufhellung ein, und man muß A um einen bestimmten Winkel drehen, um wieder maximale Dunkelheit zu erreichen. Der so gemessene Drehungswinkel ist proportional der Rohrlänge, die daher genau bekannt sein muß (meist 1 dm). Die Meßgenauigkeit einer solchen Anordnung ist nicht erheblich, weil die Einstellung auf maximale Dunkelheit schwierig ist. Man arbeitet deshalb heute nur noch mit dem Halbschattenpolarimeter von L I P P I C H . Bei diesem ist vor P ein kleiner, die Hälfte des Gesichtsfeldes bedeckender Nicol eingeschaltet, der gegen P um einen kleinen Winkel - VI.
CHcCK + KJ. äthansulfonsaures K
Die allgemeine Formel dieser Säuren ist demnach C n H 2 a + 1 • SO s H. Bei Einwirkung von überschüssigem Äthyljodid auf Kaliumsulfit entsteht der Äthylester der Äthansulfonsäure: K 2 S 0 3 + 2 C2H5J = C2H5-S02-0-C2H5 + 2 K J .
Diese Reaktionen lassen indessen keinen Schluß auf die Konstitution der anorganischen Sulfite zu; denn BOSENHEIM (1905) fand, daß der symmetrische Diäthylester der schwefligen Säure ( C 2 H 5 - 0 ) 2 S 0 , den man aus Alkohol und Thionylchlorid erhalten kann, durch K J rasch in ein Additionsprodukt des äthansulfonsauren Kaliums 4 C 2 H 5 - S 0 3 K + K J umgewandelt wird. E s ist also nicht zu entscheiden, ob nicht ( C 2 H 5 - 0 ) 2 S 0 das primäre Reaktionsprodukt ist.
Da in den Mercaptanen der Schwefel direkt an Kohlenstoff gebunden ist, muß dies auch bei den Sulfonsäuren der Fall sein. Diese lassen sich dementsprechend auch wieder zu Mercaptanen reduzieren. Die Sulfonsäuren sind starke Säuren, bilden hygroskopische Kristalle und lösen sich sehr leicht in Wasser. Durch direkte Einwirkung von H 2 S 0 4 auf Kohlenwasserstoffe lassen sie sich in der aliphatischen Reihe nur selten und schwierig gewinnen. Dagegen erhält man die gleich zu besprechenden Chloride der Sulfonsäuren sehr glatt durch Behandeln der Kohlenwasserstoffe mit einem S0 2 —CI 2 -Gemisch im langwelligen ultravioletten Licht oder in Gegenwart von Radikalbildnern wie Bleitetraäthyl oder Peroxyden, vielfach schon bei Raumtemperatur. Man bezeichnet dieses wichtige, von REED in Amerika 1936 aufgefundene Verfahren als „Sulfochlorierung".
Phosphorpentachlorid erzeugt aus Sulfonsäuren Sulfochloride R*S0 2 C1, deren einfachste Vertreter unterhalb 200° siedende Flüssigkeiten sind. Als wichtige Darstellungsmethode verdient die Umsetzung von Disulfiden mit feuchtem Chlor Erwähnung. In den Sulfochloriden läßt sich durch naszierenden Wasserstoff C1 gegen H austauschen. Die entstehenden Verbindungen R • St) 2 H nennt man Sulfinsäuren. Die Natriumsalze dieser Säuren geben mit Alkylhalogeniden nicht, wie man erwarten sollte, Sulfinsäureester R • SO • 0Alk, sondern Sulfone: C2Hä-S02Na + C2H5J = { ^ > > S 0
2
+
NaJ.
Alkyl gebunden an Stickstoff Amine Die Substanzen, die in diesem Abschnitt zum Gegenstand der Betrachtung gemacht werden, geben ein neues Beispiel für die Analogie entsprechend gebauter anorganischer und organischer Verbindungen. Unter Aminen versteht man Verbindungen, die sich vom Ammoniak ableiten lassen, indem man dessen Wasserstoffatome durch Kohlenwasserstoffreste ersetzt. Eine sehr charakteristische Eigenschaft des Ammoniaks ist nun seine Fähigkeit, sich durch direkte Addition mit Säuren zu Salzen zu vereinigen: NHS + H X = [ N H J X
bzw.
N H 3 + H + = NH 4 +.
Der dreiwertige Stickstoff vermag also noch ein Proton zu addieren 1 , wobei das einfach positiv geladene Ammoniumion mit 4 gleichartig an den Stickstoff gebundenen H-Atomen entsteht. Die gleiche Additionsfähigkeit gegenüber Säuren finden wir bei den Alkylaminen wieder. 1 Das elektronenfreie Proton lagert sich an das „einsame" Elektronenpaar des Stickstoffs an, das übrigbleibt, wenn von den 5 L-Elektronen des Stickstoffs 3 zur Herstellung einfacher Bindungen in Anspruch genommen sind. Mehr als 4 Liganden können mit dem Stickstoff nicht verbunden sein, da die äußere Elektronenschale des Stickstoffs mit 8 Elektronen abgeschlossen ist.
62
Acyelische Verbindungen
Ammoniak gibt mit Wasser eine alkalisch reagierende Lösung, die den elektrischen Strom leitet. Dieses Verhalten erklärt sich durch die Konkurrenz der beiden folgenden Reaktionen: H++0H-^:H NH3 +
H+
NH, + H20
2
0
(1)
XH 4
(2)
NH 4 + + OH"
(3)
Die Ionen auf der rechten Seite der Gleichung (3) täuschen das Vorhandensein eines Ammoniumhydroxyds NH 4 • OH vor, dessen (sehr geringe) scheinbare Dissoziation man aus der Leitfähigkeit berechnen kann, das aber in Wirklichkeit nicht existiert. Die niederen Alkylamine leiten in äquimolekularer wäßriger Lösung den elektrischen Strom besser als Ammoniak, sie bilden also stärkere „Basen" als dieses. Der Prozeß ist ganz analog zu formulieren: CH 3 -NH 2 + H 2 0
[CH 3 -NH 3 ]+ + OH-
und gestattet die Definition einer Basen-Dissoziationskonstante gemäß [R- NH 2 ][H,Ö]
~
wobei [H s O] als konstant vernachlässigt bzw. = 1 gesetzt wird. Dagegen können die vollständig substituierten Ammoniumionen R 4 N + natürlich kein Proton abspalten. Die quartären Ammoniumhydroxyde Ii 4 K • OH existieren daher als solche und sind fast ebenso starke Basen wie die Alkalien. Als Maß für die Stärke dieser Basen ist im folgenden die Basen-Dissoziationskonstante k b bei 25° aufgeführt. Sinnvoller erscheint es aber, das Gleichung (2) entsprechende Gleichgewicht R-NE+ ^
R - N H 2 + H+
durch eine „Aciditätskonstante" k a auszudrücken, die die Tendenz des Amins, in das Kation überzugehen, mißt und in leicht ersichtlicher Weise mit k b durch die Beziehung kaki, = k w ( = lonenprodukt des Wassers) zusammenhängt. Ihr negativer Logarithmus, der Dissoziationsexponent pt a (vgl. S. 77) ist ebenfalls unten verzeichnet: pka k b x 10* k a x 10' 1 Ammoniak Methylamin Dimethylamin Trimethylamin
1.65 42.46 59.94 6.31
61.1 2.37 1.68 15.97
9.21 a 10.64 10.77 9.80
Nomenklatur und Isomerie Soweit bequeme Bezeichnungen für die Alkyle vorhanden sind, verknüpft man deren Namen mit der Endung -amin: CH 3 -NH 2 Methylamin, C 3 H 7 -NH 2 Propylamin, (CH 3 ) 2 NH Dimethylamin, (CH 3 ) 3 N Trimethylamin. Je nachdem ein, zwei oder drei Wasserstoffatome des Ammoniaks ersetzt sind, unterscheidet man 'primäre, sekundäre oder tertiäre Amine. Die Verbindungen R 4 N-OH führen den Namen quartäre Ammoniumbasen. Weitere Namen für die Amine ergeben sich, wenn man sie als Kohlenwasserstoffe auffaßt, in denen ein oder mehrere H-Atome durch die Aminogruppe N H 2 ersetzt sind: CH 3 -NH 2 Aminomethan, H 2 N - C H 2 - C H 2 - C H 2 , N H 2 1,3-Diamino-propan. Kür die Ammoniumgruppe fehlt leider eine entsprechende Präfix-Bezeichnung; hier sind nur Namen der Form Trimethylbutylammoniumhydroxyd für CH 3 -CH 2 -CH 2 -CH 2 -N(CH 3 ) 3 4 OH möglich. Die Isomerie kann bei den Aminen verschiedene Ursachen haben. Zunächst kann sie wieder wie bei den Alkoholen auf Verzweigung der Kohlenstoffkette oder auf der Stellung des Stickstoffs im Molekül beruhen. Als neuartiges Moment kommt dann hier noch der primäre, sekundäre oder tertiäre Charakter des Amins hinzu. Eine Verbindung C 3 H 8 N kann z. B. sein: J s ^ p y l a m i n CH a • CHS • CH2 • NH 2 Methyläthylamin Trimethvlamin
^
5
oder > N H ,
CH 3 \ CH3-)N, CH3/
gg^CH-NII,, sekundär; tertiär.
primär;
Amine
63
Bildungsweisen Erhitzt man Ammoniak in alkoholischer oder wäßriger Lösung mit Alkylhalogenid, BO spielen sich folgende Vorgänge a b : I.
C2H5C1 + N E , = [C2H6 • NH3]C1;
Alkylhalogenid addiert sich an NH 3 , geradeso wie aus N H 3 und HCl NH 4 C1 gebildet wird. Aus dem so erhaltenen salzsauren Salz wird durch überschüssiges Ammoniak teilweise primäres Amin in Freiheit gesetzt, das nun erneuter Alkylierung zugänglich ist: II. III. IV.
CJL.C1 + C,H;-KH 2 = [(C,H5)2NH2]CI, C2HsC1 + (C2H5)2NH = [(C2H5)3NH]C1( C.2H5C1 + (C,H5)3N = (C2H5)4N-C1.
Man erhält also ein Gemisch der vier Alkylierungsstufen nebeneinander. Häufig kann man jedoch das Verhältnis von Ammoniak und Alkylhalogenid so wählen, d a ß ein bestimmtes Amin als Hauptprodukt entsteht. Auch die N a t u r des Alkyls ist auf den Verlauf der Reaktion von Einfluß. Mitunter kann es von Vorteil sein, die Reaktion mit flüssigem Ammoniak ohne Lösungsmittel in der Bombe bei Raumtemperatur vorzunehmen. I n der Technik vermeidet man vielfach den TJmweg über die Halogenide und läßt Ammoniak direkt auf die Alkohole in der Dampfphase bei 300—450°, vorzugsweise unter Druck, einwirken, wobei aktive Tonerde als Katalysator d i e n t : CH3-OH + NH3 = CH3-NH2 + H 2 0; Z1H298 = — 7-25kcal. Mit überschüssigem Ammoniak entsteht dabei neben sekundärer und tertiärer Base ganz überwiegend Monomethylamin. Doch setzen sich die drei Basen stets am Katalysator in gewissem Grade ins Gleichgewicht. Primäre und sekundäre Amine erhält man ferner bei katalytischer Hydrierung von Aldehyden oder Ketonen in Gegenwart von Ammoniak mit den üblichen Hydrierungskatalysatoren: CH3- CHO + NH3 + H 2 = CH3- CH 2 .NH 2 + H 2 0 und bei der katalytischen Hydrierung von Nitrilen: R -CN + 2 H 2 = R. CH2- NH 2 . Um einheitliche primäre Amine zu gewinnen, verfügt man über die folgenden Verfahren, die erst später besprochen werden können, aber hier wenigstens erwähnt seien: 1. Reduktion von Nitroverbindungen: C 2 H 5 -N0 2 + 3 H 2 = C2H5 • NH, + 2 H 2 0 . Diese Reaktion ist wegen der beschränkten Zugänglichkeit aliphatischer Nitroverbindungen ohne größere Bedeutung. 2. Hydrolyse von Isocyansäureestern: CH 3 -N: CO + H 2 0 = CH 3 -NH 2 + C0 2 . 3. Alkylierung von Phthalimidkalium und folgende Spaltung mit Säuren (odermit Hydrazin): . /CO A / C O a / C O 2 H ( 1 )NK + C H 3 J - ^ [ ] )N-CH3->( ] +CH3-NH2. Über den wichtigen Abbau der Säureamide und Säureazide zu primären Aminen s. S. 186.
Die Zerlegung der nach den obigen Verfahren erhaltenen Basengemische ist nicht immer einfach. Leicht isolierbar sind die Ammoniumbasen. Sie sind nicht flüchtig und bleiben deshalb zurück, wenn man die salzsauren Salze mit Kalilauge zerlegt und destilliert. Die primären bis tertiären Basen können im Fall der Äthylamine und Propylamine unschwer durch fraktionierte Destillation getrennt werden. Bei den Methylaminen ist dies jedoch nicht ohne weiteres möglich, weil Trimethylamin Azeotrope mit Methylamin (mit etwa 18 Mol-°/o Trimethylamin bei Atmosphären-
64
Acyclische Verbindungen
druck) und anscheinend auch mit Dimethylamin bildet, deren Zusammensetzung stark druckabhängig ist. Setzt man jedoch dem Gemenge noch eine ausreichende Menge wasserfreies Ammoniak zu, so destilliert das gesamte Trimethylamin in Form eines Azeotrops mit Ammoniak (etwa 10 Mol-°/o Trimethylamin) zuerst über (Kp 760 : — 35°), und die Trennung der übrigen Basen bereitet dann keine Schwierigkeit mehr. Man destilliert in der Praxis unter 5—15 Atmosphären Druck, um mit Wasser gewöhnlicher Temperatur kühlen zu können. I m Laboratorium erreicht man eine teilweise Trennung der Methylamine auf Grund der Unlöslichkeit des salzsauren Monomethylamins in Chloroform. Eine weitere Trennung von Di- und Trimethylamin ist z. B. durch teilweise Neutralisation auf Grund der sehr verschiedenen Basizität möglich. Von den verschiedenen chemischen Trennungsmethoden solcher Basengemische erwähnen wir die Behandlung mit Sulfochloriden in alkalischer Lösung. Primäre und sekundäre Basen geben mit Benzolsulfochlorid C 6 H 5 -S0 2 C1 am Stickstoff alkylierte Sulfamide C 6 H 5 . S 0 2 - N H R bzw. C 6 H 5 . S0 2 «NRR', von denen die ersteren in Alkali löslich sind. Tertiäre Amine reagieren nicht und können in geeigneter Weise, z. B. durch Destillation, entfernt werden. Die Sulfamide lassen sich mit Salzsäure bei etwa 150° unter Rückbildung der Amine spalten. Auch die Destillation tertiärer Amine über Essigsäureanhydrid oder Phosphorpentoxyd, von denen sie nicht angegriffen werden, kann für ihre Isolierung von Nutzen sein. Nicht selten ist auch die umgekehrte Aufgabe der Alkylierung von Aminen zu lösen. Hier sei von besonderen Kunstgriffen die Darstellung „Schiffscher Basen" (S. 316) aus primärem Amin und Aldehyd und anschließende Hydrierung erwähnt: R • CH2 • N= CH • CH3 + H2 = R • CH,. NH • CH2 • CH,, ferner die WALLACHsdie Methylierung mit Formaldehyd und Ameisensäure, wobei diese die zunächst gebildeten Oxymethylgruppen zu Methylgruppen reduziert: R • CH2 • NH2 + HO • CH2 • OH = R • CH2 • NH • CH2 • OH + H 2 0 R • CH2 • NH • CH2 • OH + HCOJi = R • CH, • NH • CH3 + HzO + C0 2 . Die bereits oben erwähnten Benzolsulfamide C 6 H 5 - S 0 2 ' N H R lassen sich mit Alkylhalogeniden und Alkali am Stickstoff alkylieren. Durch anschließendes Erhitzen mit Säure wird dann das gewünschte sekundäre Amin abgespalten. Die quartären Ammoniumsalze, die durch Anlagerung von Halogeniden an Basen des Benzaldehyds entstehen, werden durch Wasser glatt unter Abspaltung von Benzaldehyd zerlegt: ScHiFFSche
C 6 H 5 .CH=N^-Ri + H.,0 = C6H6• CHO + RRjNH + HBr . \Br
Auch dies ist eine Darstellungsmethode für sekundäre Amine. Eigenschaften Die primären, sekundären und tertiären Amine unterscheiden sich scharf durch ihr verschiedenes Verhalten gegen salpetrige Säure HN0 2 . Die primären Amine geben unter ihrer Einwirkung in meist wenig glatter Reaktion Alkohol, Wasser und Stickstoff (bei p H < 3 findet keine Einwirkung statt): C2H5-NH2 + HO-NO = C2H5-OH + H 2 0 + N2. Der Prozeß ist der Zersetzung des Ammoniumnitrits vollkommen analog: NH4-ONO = 2 H.0 + N2. Die sekundären Amine geben mit salpetriger Säure Nitrosamine: (C2H5)2NH + HO-NO = (C2H5)2N-NO + H 2 0,
Amine
65
gelbliche Flüssigkeiten von eigenartigem Geruch, die in Wasser wenig löslich sind und durch konzentrierte Salzsäure leicht in sekundäre Amine zurückverwandelt werden. Hieraus ergibt sich auch die Struktur der Nitrosamine; denn wenn die Nitrosogruppe durch Sauerstoff oder Stickstoff an ein Kohlenstoffatom gebunden wäre, würde man auf diese Weise das sekundäre Amin nicht regenerieren können. Die tertiären Amine endlich werden von salpetriger Säure überhaupt nicht angegriffen, es sei denn, daß sie durch die Säure oxydiert werden. Zum Nachweis primärer Amine durch Überführung in die stark riechenden Isonitrile und Senf öle vgl. S. 69 und 191. Eine weitere Methode, primäre, sekundäre und tertiäre Amine als solche zu erkennen, besteht darin, daß man bestimmt, wieviel Alkylgruppen das Amin noch aufzunehmen vermag (A. W. HOFMANN). Ist z. B. eine Verbindung C 3 H 9 N identisch mit Propylamin C 3 H,-NH 2 , so wird sie beim Erhitzen mit Metliyljodid (CH 3 ) 3 (C 3 H,)NJ = C 6 H 16 NJ geben. Ist die Verbindung C 3 H 9 N jedoch Methyläthylamin (CH3)(C2H5)NH, so muß bei der gleichen Behandlung (CH 3 ) 3 (0 2 H 5 )NJ = C 6 H 14 NJ entstehen. Ist C 3 H 9 N endlich Trimethylamin (CH 3 ) 3 N, so wird man (CH 3 ) 4 NJ = C 4 H l2 NJ erhalten. Diese Verbindungen unterscheiden sich durch ihren Jodgehalt (55-4 bzw. 59-0 bzw. 63-l°/o)- Der Ausfall der Analyse läßt somit einen Schluß auf die Konstitution der Ausgangssubstanz zu.
Einzelne Glieder Die niedrigsten Glieder sind brennbare, in Wasser überaus lösliche Gase. 1 Yolum Wasser löst z. B. bei 12-5° 1150 Volumina Methylamin. Die anschließenden flüssigen Glieder haben einen niedrigen Siedepunkt und sind mit Wasser in allen Verhältnissen mischbar. Sie besitzen einen eigentümlichen, an Ammoniak erinnernden Geruch. Die höheren Glieder sind geruchlos und in Wasser unlöslich. Das spezifische Gewicht der Amine ist beträchtlich kleiner als 1, das des Methylamins ist z. B. bei —11° nur 0 -699. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Siedepunkte: Alkyl
Primäres Amin
Methyl Äthyl n-Propyl n-Butyl n-Octyl
— 6° + 19 49 76 180
Sekundäres Amin +
7° 55 110 160 297
Tertiäres Amin +
3—4» 89 156 215 366
Kleine Mengen von Aminen finden sich in zahlreichen höheren Pflanzen als Produkte des Eiweißabbaus. Methylamin kommt im Bingelkraut (Mercurialis perennis) vor. Di- und Trimethylamin hat man in der Heringslake nachgewiesen; der charakteristische Geruch des Fleisches von Hummern und Seefischen rührt von Trimethylamin her. Trimethylamin läßt sich am besten durch Erhitzen von Ammoniumchlorid mit käuflicher 40°/oig er Formaldehydlösung im Autoklaven auf 120° darstellen: 2 NH4C1 + 9 CHäO = 2 (CH3)3N,HC1 + 3 C0 2 + 3 H 2 0 . Hierbei steigt infolge der Kohlensäurebildung der Druck auf 40 Atmosphären; arbeitet man im offenen Gefäß, so entstehen nur Methylamin und Dimethylamin.
Tetramethylammoniumchlorid (CH3)4N C1 kann man z . B . durch Addition von Methylchlorid an Trimethylamin gewinnen. Es bildet zerfließliche, in Alkohol lösliche Kristalle. Aus ihm wird T e t r a m e t h y l a m m o n i u m h y d r o x y d (CH 3 ) 4 N-OH erhalten, wenn man die methylalkoholische Lösung mit der äquivalenten Menge Kali versetzt. Man filtriert vom ausgeschiedenen KCl ab und verjagt den Methylalkohol durch Eindampfen mit wenig Wasser im Vakuum bei 35°. Es kristallisieren dann Hydrate der Base aus, die sehr hygroskopisch sind und begierig Kohlendioxyd anziehen. Wäßrige H o l l e m a n - R i c h t e r , Organische Chemie. 31. u. 32. Auflage.
5
66
Acyclische Verbindungen
Lösungen der Ammoniumbasen stellt man meist aus den Chloriden durch Einwirkung von Siiberoxyd dar. Die Ammoniumbasen zerfallen bei der trockenen Destillation in tertiäres Amin, Wasser und ungesättigten Kohlenwasserstoff C n H 2n : (C 2 H 6 ) 4 N-OH = (C2H6)3N + H 2 0 + C 2 H 4 .
Die höheren Glieder spalten teilweise einfach Alkohol ab : (Rx) A N - OH = ( R ^ N + B , . OH.
Zur Klasse der Aminoxyde gehört das Trimethylaminoxyd (CH 3 ) 3 NO, das durch Einwirkung von Wasserstoffperoxyd auf Trimethylamin erhalten werden kann und auch im Fleisch von Hummern, Haifischen und Kephalopoden gefunden worden ist. Es ist eine starke Base, die mit Jodwasserstoff das Salz (CH3)3N(OH) • J bildet. Dieser Formel entspricht, daß man das Jodid aus Hydroxylamin und Methyljodid in gleicher Weise erhalten kann, wie sich aus NH 3 und CH 3 J schließlich (CH3)4N • J bildet. Durch Zinkstaub läßt sich die Base wieder zu Trimethylamin reduzieren. Nach dem Oktettpostulat kann im Trimethylaminoxyd keine Doppelbindung zwischen N und O vorliegen, da dann der Stickstoff von 10 Elektronen umgeben wäre. Man nimmt daher gewöhnlich an, daß die Bindung zwischen beiden Elementen nur durch ein (vom Stickstoff stammendes) Elektronenpaar vermittelt wird und daß infolge des damit formal verbundenen Ladungsübergangs vom Stickstoff zum Sauerstoff als Bindungspartner nicht neutrale Atome, sondern die entsprechenden Ionen auftreten. Zwischen 0 und N liegt also gleichzeitig eine einfache Bindung und eine Ionenbeziehung vor: CH 3 CH„:N+:Ö*:CH3" Häufig wird das Vorliegen einer solchen „semipolaren" Bindung, die sich durch das Auftreten eines beträchtlichen Dipolmoments zu erkennen gibt, durch einen Pfeil gekennzeichnet: (CH 3 ) 8 N —>• 0 . Wir begnügen uns mit diesem kurzen Hinweis auf die Erfordernisse der Elektronentheorie, um zu begründen, daß die übliche, auch in diesem Lehrbuch angewandte Schreibweise derartiger Verbindungen mit doppelt gebundenem, scheinbar fünfwertigem Stickstoff nur eine bequeme, aua der älteren Valenzlehre übernommene Konvention darstellt.
Nitroverbindungen (Nitroalkane) Läßt man auf ein Alkyljodid Silbernitrit einwirken, so bilden sich zwei isomere Verbindungen der Formel C D H 2n+1 0 2 N, die sich infolge des großen Unterschiedes ihrer Siedepunkte leicht voneinander trennen lassen. Die beiden aus Äthyljodid entstehenden Verbindungen C ^ O a N sieden bei 17° und 113—114°. Die niedrig siedende Verbindung ist Äthylnitrit, der Äthylester der salpetrigen Säure; denn sie wird durch Behandlung mit Lauge in Alkohol und salpetrige Säure zerlegt. Ihre Bildung verläuft nach der Gleichung: C 2 H 5 J + AgN0 2 - C 2 H 6 - 0 - N 0 + A g J .
Werden Alkylnitritc der Reduktion unterworfen, so entstehen Alkohol und Ammoniak. Die höher siedende Verbindung verhält sich durchaus anders. Sie wird durch Einwirkung von Alkalien nicht gespalten ; bei der Reduktion werden die beiden Sauerstoffatome durch Wasserstoff ersetzt, und es entsteht primäres Amin : C2H5-NOü - > - C 2 H 5 -NH 2 .
Hieraus ergibt sich, daß hier der Stickstoff wie bei den Aminen direkt an den Kohlenstoff gebunden sein muß. V e r b i n d u n g e n , die eine G r u p p e N02 e n t h a l t e n , deren S t i c k s t o f f a t o m d i r e k t a n K o h l e n s t o f f g e b u n d e n i s t , h e i ß e n Nitroverbindungen; d i e G r u p p e —N0 2 w i r d N i t r o g r u p p e g e n a n n t .
Nitroverbindungen
67
Das Silbernitrit verhält sich also bei der obigen Reaktion so, als ob es gleichzeitig den Formeln Ag - 0 • NO und Ag-N0 2 entspräche. Eine befriedigende Erklärung für den Mechanismus dieser Reaktion besitzt man auch heute noch nicht. Die Kristallstruktur des Silbernitrits entspricht einem typischen Ionengitter und kann zur Erklärung um so weniger herangezogen werden, als die Ausbeuten an Nitroverbindung und Nitrit je nach dem verwendeten Jodid ganz verschieden sind.
Die Namen der einzelnen Verbindungen werden so gebildet, daß man vor die Namen der Kohlenwasserstoffe „Nitro" setzt. CH 3 -N0 2 heißt N i t r o m e t h a n , C 2 H 5 -N0 2 N i t r o ä t h a n usw. E s sind farblose Flüssigkeiten von ätherischem Geruch, die unzersetzt destillieren und in Wasser wenig löslich sind. (Nitroäthan 4,7% bei 20°). Für die Formulierung der Nitrogruppe gelten die oben bei Trimethylaminoxyd gemachten Ausführungen. Im Sinn der Elektronentheorie ist danach die Nitrogruppe nicht — sondern
zu schreiben, wobei hier wegen der Gleichwertigkeit der beiden Sauerstoff-
0
0
atome noch ein Bindungswechsel — * — *
— o
oder, genauer gesagt, ein Zwischen-
zustand zwischen beiden Formelbildern (vgl. „Mesomerie", S. 264) in Erwägung zu ziehen ist.
Nur vereinzelt ist es früher gelungen, aliphatische Kohlenwasserstoffe in flüssigem Zustand direkt mit Salpetersäure zu nitrieren. Neuerdings hat H. B. HASS in sehr interessanten Arbeiten gezeigt, daß die niedrigen Kohlenwasserstoffe (bis etwa Cc) sich mit etwa 70°/oig- Salpetersäure in der Gasphase bei etwa 400—475° in ansehnlicher Ausbeute in primäre Nitroverbindungen überführen lassen: CH4 + HN0 3 = CH 3 -N0 2 + H 2 0.
Bei den höheren Kohlenwasserstoffen werden gleichzeitig Kohlenstoffbindungen gesprengt, so daß man z. B. aus Propan bei 435° und 8 Atmosphären Druck nebeneinander die beiden Nitropropane CH 3 • CII 2 • CH 2 -NO» und (CH3)2CH »N0 2 , Nitroäthan CH 3 «CHJ'NC^ und Nitromethan erhält. Dieses Verfahren wird technisch ausgeführt. Die Nitroverbindungen besitzen mehrere sehr charakteristische Eigenschaften. So ist eines ihrer Wasserstoffatome durch Alkaümetall, vor allem durch Natrium, ersetzbar. Man stellt die Natriumverbindungen am besten dar, indem man die Nitroverbindung in alkoholischer Lösung mit Natriumäthylat oder -methylat umsetzt. Es entsteht dann ein weißer, fein kristallinischer Niederschlag, der z. B. bei Nitroäthan die Zusammensetzung N a C a H i O ^ hat. Da diese Natriumverbindungen in absolutem Alkohol häufig schwer löslich sind, kann man mit ihrer Hilfe Nitroparaffine von anderen Substanzen trennen. I n wäßrigen Alkalien lösen sich die niederen Glieder der Nitroparaffine allmählich zu neutral reagierenden Lösungen auf; diese geben mit FeCl 3 eine charakteristische blutrote Färbung. Die Möglichkeit, Wasserstoff durch Natrium zu ersetzen, besteht jedoch nur dann, wenn die Nitrogruppe an ein primäres oder sekundäres, also noch Wasserstoff tragendes C-Atom gebunden ist. Denn ebenso wie Nitroäthan gibt auch sekundäres Nitropropan, (CH 3 ) 2 CH-N0 2 , eine Metallverbindung; dagegen ist tertiäres Nitrobutan, (CH 3 ) 3 C-N0 2 , zu einer solchen Umsetzung nicht befähigt. Die eingehendere Untersuchung des Verhaltens der Nitroverbindungen gegen Alkalien hat ergeben, daß der der Nitrogruppe benachbarte Wasserstoff imstande ist, vom Kohlenstoff an den Sauerstoff zu wandern: CH 3 -CH. r N0 2
CILJ-CH:
.
1
Man bezeichnet eine solche Wanderung , der wir noch häufiger begegnen werden, 1
Nach neuerer Auffassung wird hierbei direkt ein Proton vom K o h l e n s t o f f abdissoziiert, worauf die negative Ladung des Anions durch Elektronenverschiebung zum Sauerstoff wandert: CH 3 .CH(-)-N0 2 + H+ ->- C H 3 - C H = N O r + H + . Offenbar wird der hohe Energieaufwand für die Ionisierung einer Kohlenstoff-Bindung durch den Energiegewinn bei dieser Elektronenverschiebung weitgehend kompensiert. 5*
68
Acyclische Verbindungen
als Tautomerie (von tcojtö; = derselbe und nspos = Bestandteil) oder „Desmotropie" (von SsCTiiös = Bindung und Tpsirsiv = ändern).1 Auf diese Weise entstehen aus den echten neutralen Nitroverbindungen IsonitroVerbindungen (auch aci-Nitroverbindungen2 oder Nitronsäuren genannt), die sich unter anderem durch das elektrische Leitvermögen ihrer Lösungen als Säuren erweisen. Von ihnen leiten sich die Metallsalze ab. Setzt man sie jedoch aus ihren Salzen durch Zusatz der berechneten Menge Mineralsäure in Freiheit, so gehen sie mehr oder weniger rasch wieder in die echten neutralen Nitroverbindungen (die „Pseudosäuren") 3 über. Genaueres hierüber s. S.337. Die Dissoziationskonstanten der Pseudosäure und Nitronsäure des Nitroäthans betragen 2.7 X l 0 - 9 bzw. 3.9 X 10 ~ 5 . Auf derselben Desmotropie beruht auch das Verhalten der Nitroverbindungen gegen Brom. Wenn man ihre alkalische Lösung, die also das Anion der aci-Form enthält, mit Brom zusammenbringt, so werden ein oder mehrere Wasserstoffatome durch Brom ersetzt, vorausgesetzt, daß sie sich an demselben C-Atom wie die Nitrogruppe befinden: CH3 • CH = N CH3. CHBr • N02 + Br" . Man versteht nunmehr auch ohne weiteres, weshalb pich in C H 3 C H B r - N 0 2 noch ein Bromatom einführen läßt, dagegen nicht mehr in (CH 3 ) 2 CBr-N0 2 . Durch Einwirkimg von Kaliumnitrit auf primäre Bromnitroverbindungen kann man Dinitroverbindungen erhalten: CH 3 -CHBr-N0 2 + KNO a = CH 3 - CH(N0 2 ) 2 + K B r .
Diese Verbindungen haben ebenfalls den Charakter von Pseudosäuren, da der Nitrogruppe ein Wasserstoffatom benachbart ist. Sehr charakteristisch ist das Verhalten der Nitroverbindungen gegen salpetrige Säure; es bietet eine bequeme Möglichkeit, um primäre, sekundäre und tertiäre Nitroverbindungen voneinander zu unterscheiden. Die Behandlung mit salpetriger Säure wird zu diesem Zweck stets so ausgeführt, daß man zu der alkalischen Lösung der Nitroverbindung Natriumnitrit und danach verdünnte Schwefelsäure gibt. Aus p j i m ä r e n N i t r o v e r b i n d u n g e n entstehen auf diese Weise Nitrolsäuren, z. B. aus Nitroäthan Äthannitrolsäure (Acetnitrolsäure): CH 3 -CH, + ON-OH = C H j - C f
JT-OH
+ H20.
X n o * \NO2 Die Struktur dieser Verbindungen wird dadurch bewiesen, daß sie sich auch durch Einwirkung von Hydroxylamin H 2 N-OH auf DibromnitroVerbindungen erhalten lassen: JT-OH CH 3 -CBr„ + H 2 N-OH = C H 3 - C f + 2 HBr. X n o * \NO2 Die Alkylnitrolsäuren sind gut kristallisierende, aber unbeständige Verbindungen. Sie lösen sich in Alkalien mit blutroter Farbe unter Bildung von Salzen. Die s e k u n d ä r e n N i t r o v e r b i n d u n g e n liefern bei derselben Behandlung Pseudonitrole:
CH3X .H CH3X .NO >C< + HO-NO = >C< +H20. CH/ \N02 CH/ \N02 Die Pseudonitrole sind farblose, feste Substanzen, die im geschmolzenen Zustand und in Lösung eine intensiv blaue Farbe annehmen, die charakteristisch für viele Verbindungen ist, die eine an Kohlenstoff gebundene Gruppe NO (,,Nitroso"-Gruppe) enthalten. Die Erscheinung erklärt sich durch eine bei Nitrosoverbindungen häufige Polymerie; die blauen Verbindungen sind monomer, die farblosen polymer, da das Molekulargewicht der Nitrosoverbindungen in ihren farbigen Lösungen desto weniger über dem normalen liegt, je dunkler die Farbe ist. Die t e r t i ä r e n N i t r o v e r b i n d u n g e n endlich werden durch salpetrige Säure nicht verändert. 1 2 3
Da ein Proton wandert, auch als Prototropie. acidum = Säure. ysüSos = Täuschung, Schein.
Nitrile, Isonitrile
69
Nitrile (Cyanide) und Isonitrile (Isocyanide) Wir haben in den anorganischen Sulfiten und Nitriten bereits Substanzen kennengelernt, von denen sich je zwei Reihen isomerer organischer Verbindungen ableiten, weil die betreffenden Anionen der Reaktion mehrere Angriffspunkte bieten. Ein analoges Verhalten h a t man bei den Cyaniden beobachtet. Bei der Destillation von Kaliumäthylsulfat mit Kaliumcyanid erhält man ein übelriechendes Gemisch zweier Verbindungen C 3 H 5 N. Das bei niedrigerer Temperatur (78°) siedende Isomere (I) ist der Träger des widrigen Geruchs, während das höher (bei 97°) siedende Isomere (II) nach der Reinigung nicht unangenehm und auch lange nicht so intensiv riecht. Gegenaber anorganischen Säuren verhalten sich die beiden Isomeren ganz verschieden. I. C2H5«N: C II. C2H5-CN Äthylisocyanid
Äthylcyanid
I wird von Mineralsäuren bereits bei gewöhnlicher Temperatur langsam gelöst, wobei der unangenehme Geruch verschwindet. Durch Destillation kann aus dieser Lösung Ameisensäure HCOOH gewonnen werden. Macht man den Destillationsrückstand alkalisch, so geht bei erneuter Destillation Äthylamin über, woraus hervorgeht, daß der Stickstoff dieser Verbindung C H ä N direkt an die Äthylgruppe gebunden i s t : C A - N : C + 2 H 2 0 = 0>H5-NH2
+
HCOOH. Ameisensäure
Zu dem gleichen Schluß führt auch die Anlagerung von Wasserstoff in Gegenwart von Nickel, bei der Methyläthylamin als Hauptprodukt entsteht: C2H6• N : 0 + 2 H 2 =
C2H6-NH-CH3.
Auch die Verbindung I I wird von Mineralsäuren angegriffen, langsam bei gewöhnlicher Temperatur, rascher in der Siedehitze. I n diesem Fall entstehen nebeneinander Ammoniak und Propionsäure C 3 H 6 0 2 , eine Säure, die eine K e t t e von 3 CAtomen enthält: ^ ^ C2H6.COOH + NHS. + 2 ^ = Propionsäure
Wir gelangen demnach zu dem Schluß, daß in der Verbindung I Stickstoff direkt an Äthyl gebunden ist, und daß die drei C-Atome nicht sämtlich miteinander verbunden sein können, da ja ein C-Atom sehr leicht in Form von Ameisensäure abgespalten wird. I n der Verbindung I I muß dagegen eine K e t t e von drei C-Atomen vorhanden sein, und der Stickstoff muß endständig sein. Diesen Tatsachen werden die oben angegebenen Strukturformeln gerecht. Verbindungen vom Typus R - N : C heißen Carbylamine oder Isocyanide (Isonitrile), solche vom Typus R - C N Nitrile oder Cyanide. Isocyanide (Carbylamine) entstehen als Hauptprodukt bei der Einwirkung von Alkyljodiden auf Silbercyanid. Frei von Nitrilen erhält man sie bei der Einwirkung von Chloroform und Kalilauge auf primäre Amine: CÄ-NHÜ +
CHC1 3 + 3 K O H = C 2 H 5 - N : C + 3 K C l + 3 H J O .
Wegen des äußerst widerlichen Geruches der Isocyanide ist diese Bildungsweise eine sehr empfindliche Reaktion auf primäre Amine; sekundäre und tertiäre Amine können sie nicht liefern, da sie nicht mehr zwei direkt an N gebundene Wasserstoffatome besitzen. Die Alkylisocyanide (Alkylcarbvlamine) sind farblose, gegen Alkalien sehr beständige Flüssigkeiten. Dagegen werden sie durch Säuren in primäre Amine und Ameisensäure zerlegt. Sie erweisen sich durch große Additionsfreudigkeit als ungesättigt. Da sie jedoch Halogen, Halogenwasserstoff und Schwefel immer nur am Kohlenstoff addieren, wobei Verbindungen der Formel R - N : C X 2 , R - N : C H X (X = Halogen), R - N : C S usw. entstehen, hatte NEF sie ursprünglich als Verbindungen mit einem
70
Acyclische Verbindungen
„zweiwertigen" C-Atom aufgefaßt. Nach den heutigen Kenntnissen über den Zusammenhang zwischen Elektronenkonfiguration und Valenzbetätigung wird man jedoch annehmen, daß durch Beteiligung des einsamen Elektronenpaars am Stickstoff eine polare „dreifache" Bindung zwischen Kohlenstoff und Stickstoff zustandekommt und dem Kohlenstoff ein einsames Elektronenpaar verbleibt, das die einseitige Addition am +
-
Kohlenstoff zwanglos erklärt. Die Formel R : N ::: C: erfüllt, wie man sieht, das Oktettpostulat. Nitrile entstehen als Hauptprodukt bei der Einwirkung von Alkyljodiden auf Kaliumcyanid. Die Isocyanide lagern sich beim Erhitzen in Nitrile um. Die Nitrile werden in der Wärme durch Einwirkung von Säuren und Alkalien in Säuren der gleichen Kohlenstoffzahl und Ammoniak übergeführt. Man bezeichnet diesen Prozeß als ,,Verseifung". Wir werden die Nitrile deshalb noch als Derivate der Säuren zu betrachten haben (S. 74, 92). Als Zwischenprodukte dieser Verseifung entstehen Säureamide. Nitrile und Säureamide können technisch durch Überleiten von Carbonsäuren im Ammoniakstrom über Borphosphat oder Wolframoxyd dargestellt werden: R-CO-ONH4 — H20^-> R • CO • NH2 bzw. R • CN. Im Kleinen kann die Wasserabspaltung aus Säureamiden auch mit Phosphorpentoxyd bewerkstelligt werden. Man nimmt an, daß die Nitrile Stickstoff in dreifacher Bindung an Kohlenstoff enthalten: — C = N . Nitrile vermögen unter dem Einfluß von Katalysatoren viele Stoffe zu addieren, wobei die dreifache Bindung in eine einfache übergeht, z. B. entstehen durch Addition von Wasserstoff (über Nickel oder Kupfer bei 180 — 200°) primäre Amine der gleichen C-Zahl: C 2 H 5 -CN + 2 H 2 = C 2 H 5 -CH 2 -NH 2 .
Ein technisch wichtiges Nitril ist Adipinsäuredinitril NC • CH„ • GH., • CH 2 • CH., • CN, da3 als Ausgangsmaterial für Hexamethylendiamin H 2 N • [CH2]0 • NH 2 in der Kunststoffindustrie eine hervorragende Rolle spielt (S. 169).
Alkyl gebunden an Phosphor und Arsen Ammoniak vereinigt sich mit Säuren leicht zu Salzen. Phosphorwasserstoff ist schon viel schwächer basisch, denn die Phosphoniumsalze P H 4 X werden bereits durch Wasser wieder in Säure und Phosphorwasserstoff zerlegt. I m Arsenwasserstoff und Antimonwasserstoff ist der basische Charakter ganz verschwunden. Ammoniak ist schwer zu oxydieren und bei gewöhnlicher Temperatur an der Luft vollkommen beständig. Phosphor-, Arsen- und Antimonwasserstoff sind leicht oxydierbar. Alle diese Eigenschaften findet man bei den Alkylverbindungen dieser Elemente wieder. Phosphine Die Phosphor-Analoga der Amine heißen Phosphine; die Verbindung CH^-PIIj nennt man Methylphosphin usw. Amine sind stärkere Basen als Ammoniak, ebenso Phosphine stärkere Basen als P H 3 . Die Salze der Monoalkylpliosphine werden noch durch Wasser zersetzt, die Salze von Di- und Trialkylphosphinen nicht mehr. Die quartären Phosphoniumbasen R 4 P - O H sind ebenso stark basisch wie die Ammoniumbasen. Wird eine Phosphoniumbase erhitzt, so spaltet sie sich nicht wie die Ammoniumbase in Alkohol (oder C n H 2Q + ILO) und Trialkylbase, sondern in Kohlenwasserstoff C n H 2n+2 und eine Sauerstoffverbindung:] (C 2 H 5 ) 4 P- OH = C 2 H 0 + (C 2 H 5 ) 3 PO, die den Namen Trialkylphosphinoxyd führt. Hier tritt also die große Neigung des Phosphors, sich mit Sauerstoff zu verbinden, zutage. Diese kann man auch an der Leichtigkeit, mit der sich Phosphine oxydieren, erkennen.
70
Acyclische Verbindungen
„zweiwertigen" C-Atom aufgefaßt. Nach den heutigen Kenntnissen über den Zusammenhang zwischen Elektronenkonfiguration und Valenzbetätigung wird man jedoch annehmen, daß durch Beteiligung des einsamen Elektronenpaars am Stickstoff eine polare „dreifache" Bindung zwischen Kohlenstoff und Stickstoff zustandekommt und dem Kohlenstoff ein einsames Elektronenpaar verbleibt, das die einseitige Addition am +
-
Kohlenstoff zwanglos erklärt. Die Formel R : N ::: C: erfüllt, wie man sieht, das Oktettpostulat. Nitrile entstehen als Hauptprodukt bei der Einwirkung von Alkyljodiden auf Kaliumcyanid. Die Isocyanide lagern sich beim Erhitzen in Nitrile um. Die Nitrile werden in der Wärme durch Einwirkung von Säuren und Alkalien in Säuren der gleichen Kohlenstoffzahl und Ammoniak übergeführt. Man bezeichnet diesen Prozeß als ,,Verseifung". Wir werden die Nitrile deshalb noch als Derivate der Säuren zu betrachten haben (S. 74, 92). Als Zwischenprodukte dieser Verseifung entstehen Säureamide. Nitrile und Säureamide können technisch durch Überleiten von Carbonsäuren im Ammoniakstrom über Borphosphat oder Wolframoxyd dargestellt werden: R-CO-ONH4 — H20^-> R • CO • NH2 bzw. R • CN. Im Kleinen kann die Wasserabspaltung aus Säureamiden auch mit Phosphorpentoxyd bewerkstelligt werden. Man nimmt an, daß die Nitrile Stickstoff in dreifacher Bindung an Kohlenstoff enthalten: — C = N . Nitrile vermögen unter dem Einfluß von Katalysatoren viele Stoffe zu addieren, wobei die dreifache Bindung in eine einfache übergeht, z. B. entstehen durch Addition von Wasserstoff (über Nickel oder Kupfer bei 180 — 200°) primäre Amine der gleichen C-Zahl: C 2 H 5 -CN + 2 H 2 = C 2 H 5 -CH 2 -NH 2 .
Ein technisch wichtiges Nitril ist Adipinsäuredinitril NC • CH„ • GH., • CH 2 • CH., • CN, da3 als Ausgangsmaterial für Hexamethylendiamin H 2 N • [CH2]0 • NH 2 in der Kunststoffindustrie eine hervorragende Rolle spielt (S. 169).
Alkyl gebunden an Phosphor und Arsen Ammoniak vereinigt sich mit Säuren leicht zu Salzen. Phosphorwasserstoff ist schon viel schwächer basisch, denn die Phosphoniumsalze P H 4 X werden bereits durch Wasser wieder in Säure und Phosphorwasserstoff zerlegt. I m Arsenwasserstoff und Antimonwasserstoff ist der basische Charakter ganz verschwunden. Ammoniak ist schwer zu oxydieren und bei gewöhnlicher Temperatur an der Luft vollkommen beständig. Phosphor-, Arsen- und Antimonwasserstoff sind leicht oxydierbar. Alle diese Eigenschaften findet man bei den Alkylverbindungen dieser Elemente wieder. Phosphine Die Phosphor-Analoga der Amine heißen Phosphine; die Verbindung CH^-PIIj nennt man Methylphosphin usw. Amine sind stärkere Basen als Ammoniak, ebenso Phosphine stärkere Basen als P H 3 . Die Salze der Monoalkylpliosphine werden noch durch Wasser zersetzt, die Salze von Di- und Trialkylphosphinen nicht mehr. Die quartären Phosphoniumbasen R 4 P - O H sind ebenso stark basisch wie die Ammoniumbasen. Wird eine Phosphoniumbase erhitzt, so spaltet sie sich nicht wie die Ammoniumbase in Alkohol (oder C n H 2Q + ILO) und Trialkylbase, sondern in Kohlenwasserstoff C n H 2n+2 und eine Sauerstoffverbindung:] (C 2 H 5 ) 4 P- OH = C 2 H 0 + (C 2 H 5 ) 3 PO, die den Namen Trialkylphosphinoxyd führt. Hier tritt also die große Neigung des Phosphors, sich mit Sauerstoff zu verbinden, zutage. Diese kann man auch an der Leichtigkeit, mit der sich Phosphine oxydieren, erkennen.
Phosphine, Arsine
71
Primäre und sekundäre Phosphine entstehen durch Erhitzen von Phosphoniumjodid mit Alkyljodid und Zinkoxyd. Tertiäre Phosphine und quartäre Phosphoniumverbindungen entstehen beim Erhitzen von Phosphor mit Alkylhalogeniden, ferner beim Erhitzen von Phosphoniumjodid mit Alkoholen, indem zunächst P H 3 und Alkyljodid entstehen: P H 4 J + CH3-OH = P H 3 + CH3J + H 2 0 , die dann weiter miteinander reagieren. Die Phosphine sind farblose Flüssigkeiten von betäubendem Geruch. Triäthylphosphin riecht in starker Verdünnung nach Hyazinthen. Durch Oxydation der primären Phosphine entstehen die zweibasischen Alkylphosphonsäuren R-PO(OH) 2 , die formal als Alkylderivate der phosphorigen Säure HPO(OH) 2 aufzufassen sind und deren Chloride sehr einfach aus Kohlenwasserstoffen und PC13 beim Einleiten von 0 2 erhalten werden. Die Dialkylphosphinsäuren R t R 2 P O ( O H ) sind einbasisch und leiten sich von der unterphosphorigen Säure lyPC^OH) ab, während die Trialkylphosphinoxyde RjR^RaPO keine sauren Eigenschaften haben. Arsine Die primären und sekundären Arsine R-AsH 2 und R 2 AsH werden durch Reduktion der Alkylarsonsäuren und Dialkylarsinsäuren mit Zinkamalgam und Salzsäure erhalten: Methylarsonsäure CH 3 -AsO(OH), gibt Methylarsin CH 3 -AsH 2 , Dimethylarsinsäure (CH 3 ) 2 AsO-OH gibt Dimethylarsin (CH 3 ) 2 AsH, niedrigsiedende Flüssigkeiten, die sich an der L u f t oxydieren. Tertiäre Arsine (s.a. S. 73) entstehen aus Arsennatrium und Alkyljodid: AsNa, + 3 C 2 H 5 J = (C2H6)3As + 3 N a J . Sie besitzen keinen basischen Charakter. Durch Addition von Alkylhalogenid kann man sie in die Salze der quartären Arsoniumhydroxyde R 4 A s - O H überführen. Diese werden aus ihren Salzen durch Ag 2 Ö in Freiheit gesetzt und sind sehr starke Basen. Die wichtigsten Alkylverbindungen des Arsens sind die Kakodylvcrbindungen; sie sind von BUNSEN1, der sie zuerst untersucht hat (1837), nach ihrem ekelerregenden Geruch (KOKCOSTIS = stinkend) benannt worden. Sie enthalten die einwertige Atomgruppe (CH 3 ) 2 As—, deren Erhaltung in zahlreichen Umsetzungen bei der Begründung des Radikalbegriffs eine große Rolle gespielt h a t . Kakodyloxyd [(CH 3 ) 2 As] 2 0 wird durch Destillation von Arsentrioxyd mit Kaliumacetat gewonnen („CADETSche Flüssigkeit" 1760). Beim Erhitzen des Oxyds mit Salzsäure entsteht kovalentes Kakodylchlorid (CH 3 ) 2 AsCl, das durch Einwirkung von Zink in Kakodyl (CH 3 ) 2 As-As(CH 3 ), -verwandelt wird. Diese Verbindungen sind sehr giftig. Sie rufen teilweise schon in kleinen Mengen Brechneigung und Reizung der Schleimhäute hervor. Methylarsonsäure wird durch Methylierung von Natriumarsenit gewonnen: N a 3 A s 0 3 + C H 3 J = CH 3 -AsO(ONa) a + N a J . Sie findet wegen ihrer geringen Giftigkeit ebenso wie die Dimethylarsinsäure (Eakodylsäure) an Gestalt des Natriumsalzes therapeutische Verwendung bei Blutarmut und Hautkrankheiten.
Alkyl gebunden an die Elemente der Kohlenstoffgruppe D i e E l e m e n t e Silicium, Germanium, Zinn u n d Blei sind vierwertig wie der K o h l e n s t o f f . Versuche, b e i m Silicium A t o m k e t t e n der gleichen Art wie die C - K e t t e n darzustellen, sind über die V e r k n ü p f u n g v o n 6 S i - A t o m e n z u Polysilanen k a u m hinausgelangt. D i e große A f f i n i t ä t des Siliciums z u m Sauerstoff führt dazu, d a ß die Si-O-Bind u n g der recht s c h w a c h e n Si-Si-Bindung vielfach d e n R a n g abläuft. D i e Tetraalkylderivate des Silans S i H 4 lassen sich a u s SiCl 4 u n d Alkylhalogenid durch Einwirkung v o n N a t r i u m darstellen. Sie w e i c h e n in ihren E i g e n s c h a f t e n nur wenig v o n d e n entsprechenden K o h l e n s t o f f v e r b i n d u n g e n ab. Tetraäthylsilan (C 2 H 5 ) 4 Si siedet bei 153°, T e t r a ä t h y l m e t h a n (C 2 H 5 ) 4 C bei 139°. B e i d e werden durch rauchende Salpetersäure u n d durch Schwefelsäure bei gewöhnlicher Temperatur n i c h t angegriffen u n d g e b e n m i t Chlor Substitutionsprodukte. Analoge Tetraalkylverbindungen k e n n t m a n v o n Germanium, Zinn und Blei. D a s aus Äthylchlorid und einer Bleinatriumlegierung •darstellbare giftige Bleitetraäthyl Pb(C 2 H 6 ) 4 findet ausgedehnte A n w e n d u n g als Zusatz 1 Geboren 31. März 1811 in Göttingen, gestorben 16. August 1899 in Heidelberg. Er lehrte hauptsächlich in Marburg (1838—1851) und Heidelberg (1852—1899). Siehe den Nachruf von TH. CURTIUS (Journ. prakt. Chem. [2] 61, 381).
Phosphine, Arsine
71
Primäre und sekundäre Phosphine entstehen durch Erhitzen von Phosphoniumjodid mit Alkyljodid und Zinkoxyd. Tertiäre Phosphine und quartäre Phosphoniumverbindungen entstehen beim Erhitzen von Phosphor mit Alkylhalogeniden, ferner beim Erhitzen von Phosphoniumjodid mit Alkoholen, indem zunächst P H 3 und Alkyljodid entstehen: P H 4 J + CH3-OH = P H 3 + CH3J + H 2 0 , die dann weiter miteinander reagieren. Die Phosphine sind farblose Flüssigkeiten von betäubendem Geruch. Triäthylphosphin riecht in starker Verdünnung nach Hyazinthen. Durch Oxydation der primären Phosphine entstehen die zweibasischen Alkylphosphonsäuren R-PO(OH) 2 , die formal als Alkylderivate der phosphorigen Säure HPO(OH) 2 aufzufassen sind und deren Chloride sehr einfach aus Kohlenwasserstoffen und PC13 beim Einleiten von 0 2 erhalten werden. Die Dialkylphosphinsäuren R t R 2 P O ( O H ) sind einbasisch und leiten sich von der unterphosphorigen Säure lyPC^OH) ab, während die Trialkylphosphinoxyde RjR^RaPO keine sauren Eigenschaften haben. Arsine Die primären und sekundären Arsine R-AsH 2 und R 2 AsH werden durch Reduktion der Alkylarsonsäuren und Dialkylarsinsäuren mit Zinkamalgam und Salzsäure erhalten: Methylarsonsäure CH 3 -AsO(OH), gibt Methylarsin CH 3 -AsH 2 , Dimethylarsinsäure (CH 3 ) 2 AsO-OH gibt Dimethylarsin (CH 3 ) 2 AsH, niedrigsiedende Flüssigkeiten, die sich an der L u f t oxydieren. Tertiäre Arsine (s.a. S. 73) entstehen aus Arsennatrium und Alkyljodid: AsNa, + 3 C 2 H 5 J = (C2H6)3As + 3 N a J . Sie besitzen keinen basischen Charakter. Durch Addition von Alkylhalogenid kann man sie in die Salze der quartären Arsoniumhydroxyde R 4 A s - O H überführen. Diese werden aus ihren Salzen durch Ag 2 Ö in Freiheit gesetzt und sind sehr starke Basen. Die wichtigsten Alkylverbindungen des Arsens sind die Kakodylvcrbindungen; sie sind von BUNSEN1, der sie zuerst untersucht hat (1837), nach ihrem ekelerregenden Geruch (KOKCOSTIS = stinkend) benannt worden. Sie enthalten die einwertige Atomgruppe (CH 3 ) 2 As—, deren Erhaltung in zahlreichen Umsetzungen bei der Begründung des Radikalbegriffs eine große Rolle gespielt h a t . Kakodyloxyd [(CH 3 ) 2 As] 2 0 wird durch Destillation von Arsentrioxyd mit Kaliumacetat gewonnen („CADETSche Flüssigkeit" 1760). Beim Erhitzen des Oxyds mit Salzsäure entsteht kovalentes Kakodylchlorid (CH 3 ) 2 AsCl, das durch Einwirkung von Zink in Kakodyl (CH 3 ) 2 As-As(CH 3 ), -verwandelt wird. Diese Verbindungen sind sehr giftig. Sie rufen teilweise schon in kleinen Mengen Brechneigung und Reizung der Schleimhäute hervor. Methylarsonsäure wird durch Methylierung von Natriumarsenit gewonnen: N a 3 A s 0 3 + C H 3 J = CH 3 -AsO(ONa) a + N a J . Sie findet wegen ihrer geringen Giftigkeit ebenso wie die Dimethylarsinsäure (Eakodylsäure) an Gestalt des Natriumsalzes therapeutische Verwendung bei Blutarmut und Hautkrankheiten.
Alkyl gebunden an die Elemente der Kohlenstoffgruppe D i e E l e m e n t e Silicium, Germanium, Zinn u n d Blei sind vierwertig wie der K o h l e n s t o f f . Versuche, b e i m Silicium A t o m k e t t e n der gleichen Art wie die C - K e t t e n darzustellen, sind über die V e r k n ü p f u n g v o n 6 S i - A t o m e n z u Polysilanen k a u m hinausgelangt. D i e große A f f i n i t ä t des Siliciums z u m Sauerstoff führt dazu, d a ß die Si-O-Bind u n g der recht s c h w a c h e n Si-Si-Bindung vielfach d e n R a n g abläuft. D i e Tetraalkylderivate des Silans S i H 4 lassen sich a u s SiCl 4 u n d Alkylhalogenid durch Einwirkung v o n N a t r i u m darstellen. Sie w e i c h e n in ihren E i g e n s c h a f t e n nur wenig v o n d e n entsprechenden K o h l e n s t o f f v e r b i n d u n g e n ab. Tetraäthylsilan (C 2 H 5 ) 4 Si siedet bei 153°, T e t r a ä t h y l m e t h a n (C 2 H 5 ) 4 C bei 139°. B e i d e werden durch rauchende Salpetersäure u n d durch Schwefelsäure bei gewöhnlicher Temperatur n i c h t angegriffen u n d g e b e n m i t Chlor Substitutionsprodukte. Analoge Tetraalkylverbindungen k e n n t m a n v o n Germanium, Zinn und Blei. D a s aus Äthylchlorid und einer Bleinatriumlegierung •darstellbare giftige Bleitetraäthyl Pb(C 2 H 6 ) 4 findet ausgedehnte A n w e n d u n g als Zusatz 1 Geboren 31. März 1811 in Göttingen, gestorben 16. August 1899 in Heidelberg. Er lehrte hauptsächlich in Marburg (1838—1851) und Heidelberg (1852—1899). Siehe den Nachruf von TH. CURTIUS (Journ. prakt. Chem. [2] 61, 381).
72
Acyclische Verbindungen
zu Treibstoffen, weil es das lästige „Klopfen" der Motoren verhindert. Vom Silicium und Zinn hat man auch Verbindungen vom Typus (CH3)3M—M(CH3)3 dargestellt. Vom Blei und Zinn endlich sind ferner stark ungesättigte Derivate der zweiwertigen Metalle bekannt. Durch die Erzeugung von Kunststoffen aus siliciumorganischen Verbindungen in Amerika hat die Siliciumchemie in jüngster Zeit einen außerordentlichen Aufschwung erfahren. Durch Einwirkung von Siliciumtetrachlorid auf Alkylmagnesiumhalogenide (s. u.) oder durch Leiten von Alkylhalogeniden über Siliciumkupferlegierungen bei 300u und anschließende Hydrolyse kann man DiaÜylsilandiole, z. B. (CH3)aSi(OH)2 darstellen, die sich zu Siloxandiolen (Siliconen) CHO
CK«
I I HO— Si—0—Si—0 I I CH 3
CH 3
CH3
CH«
I I Si—0—Si—OH I I
CH 3
CH 3
polymerisieren. Auch zahlreiche andere Bautypen sind dargestellt worden. Man erhält so öle, Harze, Lacke und kautschukartige Stoffe, die durch ihre große Temperaturbeständigkeit ungemein wertvoll sind. Sehr auffallend und technisch interessant ist auch die geringe Temperaturabhängigkeit ihrer Viscosität, die ihnen eine besondere Stellung unter den Schmiermitteln verleiht.
Alkyl gebunden an Metalle der 1. bis 3. Gruppe des periodischen Systems Unter „metallorganischen Verbindungen" versteht man Verbindungen, in denen Kohlenstoff direkt an ein Metall gebunden ist. Einige Vertreter dieser Klasse lernten wir bereits im vorigen Abschnitt kennen. Die wichtigsten Verbindungen dieses Typus leiten sich aber von den 2- und 1-wertigen Metallen ab. Schon seit langem bekannt sind organische Derivate des Zinks (FRANKLAND 1849). Beim Erhitzen von Äthyljodid mit Zink bildet sich zunächst Äthylzinkjodid C2H5-ZnJ; dieses zerfällt bei stärkerem Erhitzen nach folgender Gleichung: 2 C 2 H s . Z n J = Zn(C 2 H 5 ) 2 +
ZnJ2.
Die Zinkdialkyle sind farblose Flüssigkeiten, schwerer als Wasser. Zinkdimethyl siedet bei 46°, Zinkdiäthyl bei 118°. An der Luft entzünden sie sich augenblicklich. Mit Halogen geben sie Alkylhalogenide. Auch durch Wasser werden sie stürmisch zersetzt, Zinkdimethyl gibt hierbei Zinkoxyd und Methan. Durch Einwirkung von Zinkdialkyl auf Alkylhalogenid hat man in einigen Fällen Kohlenwasserstoffe erhalten: Zn(CH3)2 + 2 (CH3)3C J = 2 (CH3)3C • CH3 + Zn J 2 . Die Zinkalkyle, früher für synthetische Arbeiten vielfach verwendet, sind h e u t e völlig durch die Organomagnesiumverbindungen verdrängt. Diese bilden im allgemeinen auch das beste Ausgangsmaterial f ü r die Darstellung anderer metallorganischer Verbindungen. Den Anstoß zu ihrer Einführung in die synthetische organische Chemie gaben wichtige Beobachtungen von BARBIER (1898); ihre gründliche Untersuchung verdankt man seinem Schüler GRIGNARD. Bringt man Magnesium in vollkommen trockenemÄther mit Alkyljodid zusammen, so gerät der Äther ins Sieden und das Metall geht in Lösung, indem Alkylmagnesiumjodid C n H 2 n + 1 • Mg J entsteht. Diese Verbindung enthält 2 Moleküle Äther komplex gebunden, die nach dem Abdestillieren des Lösungsmittels nur durch andauerndes Erwärmen im Vakuum auf 100° entfernt werden können. Ätherfrei erhält man sie, wenn man Benzol oder Petroläther als Lösungsmittel anwendet und die Reaktion durch Zusatz kleiner Mengen eines katalytisch wirkenden tertiären Amins oder auch von Äther in Gang bringt. I n den Lösungen dieser Verbindungen liegen nach den Untersuchungen von W. SCHLENK JUN. Gleichgewichte vor: (CnH2n+1)2Mg + Mg J2 2 C n H 2n+1 • Mg J . Die Lage des Gleichgewichts ist je nach der N a t u r des Radikals und des Halogensverschieden. Die Natur dieser Gleichgewichte ist jedoch nach neueren Untersuchungen noch sehr umstritten.
72
Acyclische Verbindungen
zu Treibstoffen, weil es das lästige „Klopfen" der Motoren verhindert. Vom Silicium und Zinn hat man auch Verbindungen vom Typus (CH3)3M—M(CH3)3 dargestellt. Vom Blei und Zinn endlich sind ferner stark ungesättigte Derivate der zweiwertigen Metalle bekannt. Durch die Erzeugung von Kunststoffen aus siliciumorganischen Verbindungen in Amerika hat die Siliciumchemie in jüngster Zeit einen außerordentlichen Aufschwung erfahren. Durch Einwirkung von Siliciumtetrachlorid auf Alkylmagnesiumhalogenide (s. u.) oder durch Leiten von Alkylhalogeniden über Siliciumkupferlegierungen bei 300u und anschließende Hydrolyse kann man DiaÜylsilandiole, z. B. (CH3)aSi(OH)2 darstellen, die sich zu Siloxandiolen (Siliconen) CHO
CK«
I I HO— Si—0—Si—0 I I CH 3
CH 3
CH3
CH«
I I Si—0—Si—OH I I
CH 3
CH 3
polymerisieren. Auch zahlreiche andere Bautypen sind dargestellt worden. Man erhält so öle, Harze, Lacke und kautschukartige Stoffe, die durch ihre große Temperaturbeständigkeit ungemein wertvoll sind. Sehr auffallend und technisch interessant ist auch die geringe Temperaturabhängigkeit ihrer Viscosität, die ihnen eine besondere Stellung unter den Schmiermitteln verleiht.
Alkyl gebunden an Metalle der 1. bis 3. Gruppe des periodischen Systems Unter „metallorganischen Verbindungen" versteht man Verbindungen, in denen Kohlenstoff direkt an ein Metall gebunden ist. Einige Vertreter dieser Klasse lernten wir bereits im vorigen Abschnitt kennen. Die wichtigsten Verbindungen dieses Typus leiten sich aber von den 2- und 1-wertigen Metallen ab. Schon seit langem bekannt sind organische Derivate des Zinks (FRANKLAND 1849). Beim Erhitzen von Äthyljodid mit Zink bildet sich zunächst Äthylzinkjodid C2H5-ZnJ; dieses zerfällt bei stärkerem Erhitzen nach folgender Gleichung: 2 C 2 H s . Z n J = Zn(C 2 H 5 ) 2 +
ZnJ2.
Die Zinkdialkyle sind farblose Flüssigkeiten, schwerer als Wasser. Zinkdimethyl siedet bei 46°, Zinkdiäthyl bei 118°. An der Luft entzünden sie sich augenblicklich. Mit Halogen geben sie Alkylhalogenide. Auch durch Wasser werden sie stürmisch zersetzt, Zinkdimethyl gibt hierbei Zinkoxyd und Methan. Durch Einwirkung von Zinkdialkyl auf Alkylhalogenid hat man in einigen Fällen Kohlenwasserstoffe erhalten: Zn(CH3)2 + 2 (CH3)3C J = 2 (CH3)3C • CH3 + Zn J 2 . Die Zinkalkyle, früher für synthetische Arbeiten vielfach verwendet, sind h e u t e völlig durch die Organomagnesiumverbindungen verdrängt. Diese bilden im allgemeinen auch das beste Ausgangsmaterial f ü r die Darstellung anderer metallorganischer Verbindungen. Den Anstoß zu ihrer Einführung in die synthetische organische Chemie gaben wichtige Beobachtungen von BARBIER (1898); ihre gründliche Untersuchung verdankt man seinem Schüler GRIGNARD. Bringt man Magnesium in vollkommen trockenemÄther mit Alkyljodid zusammen, so gerät der Äther ins Sieden und das Metall geht in Lösung, indem Alkylmagnesiumjodid C n H 2 n + 1 • Mg J entsteht. Diese Verbindung enthält 2 Moleküle Äther komplex gebunden, die nach dem Abdestillieren des Lösungsmittels nur durch andauerndes Erwärmen im Vakuum auf 100° entfernt werden können. Ätherfrei erhält man sie, wenn man Benzol oder Petroläther als Lösungsmittel anwendet und die Reaktion durch Zusatz kleiner Mengen eines katalytisch wirkenden tertiären Amins oder auch von Äther in Gang bringt. I n den Lösungen dieser Verbindungen liegen nach den Untersuchungen von W. SCHLENK JUN. Gleichgewichte vor: (CnH2n+1)2Mg + Mg J2 2 C n H 2n+1 • Mg J . Die Lage des Gleichgewichts ist je nach der N a t u r des Radikals und des Halogensverschieden. Die Natur dieser Gleichgewichte ist jedoch nach neueren Untersuchungen noch sehr umstritten.
73
Metallorganische Verbindungen
Die Alkylmagnesiumhalogenide sind zwar ziemlich oxydabel, aber nicht selbstentzündlich. Unter Luftabschluß erhitzt, zerfallen sie in Olef in, Magnesiumhydrid und -halogenid: 2C 2 H 5 -MgJ = 2 C2H4 + MgH2 + MgJ2.
Mit Wasser reagieren sie unter doppelter Umsetzung (Substitution): 2 C 2 H 6 .MgJ + H 2 0 = 2 C2H„ + MgO + MgJ 2 .
Es bilden sich also Kohlenwasserstoffe; analog entstehen mit Alkoholen Kohlenwasserstoffe und Magnesiumalkoholate. In der gasvolumetrischen Bestimmung des aus Methylmagnesiumjodid entwickelten Methans hat man ein Mittel zur Bestimmung der Hydroxylgruppe (ZEREWITINOW). Mit anorganischen Halogeniden reagieren die Magnesiumverbindungen unter Halogenaustausch, z. B. entsteht Trimethylarsin nach der folgenden Gleichung: 3 CH3-MgBr + AsBr s = (CH3)3As + 3 MgBr2.
Die wichtigste Eigenschaft der Organomagnesiumverbindungen ist ihre Fähigkeit, sich an ungesättigte Kohlenstoff-Sauerstoff- und Kohlenstoff-Stickstoffbindungen anzulagern, wobei das Alkyl an den Kohlenstoff, der MgHal-Rest an das elektronegative Element tritt. Bei der Zerlegung der Additionsverbindung mit Wasser wird der MgHalRest gegen Wasserstoff ausgetauscht 1 . Die Reaktion, für die wir später viele Beispiele kennenlernen werden, sei hier am Acetaldehyd veranschaulicht: CH3 C H 3 - C H = 0 + CH s -MgJ ->- CH„-CH-0-MgJ - > - CH 3 -CH(OH)-CH 3 + Mg(OH)J.
AU3 Acetaldehyd wird also ein sekundärer Alkohol, der Isopropylalkohol, erhalten. Es ist im Rahmen dieses Buches nicht möglich, die Fülle interessanter magnesiumorganischer Reaktionen zu behandeln. Hingewiesen sei jedoch auf die reduzierende Wirkung, die Organomagnesiumverbindungen namentlich dann auszuüben vermögen, wenn die normale Reaktion in ihrem Ablauf behindert ist. So wird z. B. Diisopropylketon durch Isopropylmagnesiumbromid zu Diisopropylcarbinol reduziert 2 : (CH3)2CH-CO.CH(CH3)2 + C,H7-MgBr — >- (CH3)2CH-CH(O.MgBr)-CH(CH3)2 + C3H6.
Überraschend ist auch die Änderung im Ablauf von Magnesiumreaktionen, die nach KHARASCH durch Zusatz geringer Mengen von Metallchloriden, namentlich CoCl2 hervorgerufen wird 3 . Sie beruht auf der Bildung von Radikalen und wird uns später noch beschäftigen (S. 111). Über die Anwendung der Organomagnesiumverbindungen zur Synthese von sekundären und tertiären Alkoholen vgl. S. 100; von Carbonsäuren s. S. 74; von Aldehyden S. 90, 98. Die ungemein giftigen Quecksilberalkyle (C n H 2n+1 ) 2 Hg entstehen aus Alkylmagnesiumhalogeniden auf folgendem Wege: HgCl2 + 2 C2H5.MgCl = (C2H5)2Hg + 2 MgCI2.
Sie sind gegen Sauerstoff und Wasser beständig und wenig reaktionsfähig. Durch Jod werden sie glatt in Alkyljodid und Quecksilberhalogenid gespalten: R 2 Hg + J 2 = R-HgJ + RJ. R-HgJ + J 2 = RJ + HgJ 2 .
Mit Alkalimetallen setzen sie sich zu den interessanten Alkalialkylen um Sel1
')
:
( W . SCHLENK
Hg(CH3)2 + 2 Na = Hg + 2CH 3 Na.
1
Meist zersetzt man die bei derartigen Magnesiumreaktionen intermediär entstehenden Additionsprodukte mit Eis; das abgeschiedene Magnesiumhydroxyd löst man sodann je nach der Empfindlichkeit des Reaktionsprodukts in Mineralsäure, Essigsäure oder Ealmiaklösung. 2
8
Z u r D e u t u n g s. W I B E R G , B A U E R , Z t s c h r . N a t u r f o r s c h . 7 b (1952), 129. V g l . z. B . KHARASCH, LEWIS, REYNOLDS, J o u r n . A m e r . C h e m . Soc. 6 5 ( 1 9 4 3 ) , 493.
Acyclische Verbindungen
74
Aus Alkylhalogeniden und Natriummetall lassen sich Natriumalkyle wegen der alsbald eintretenden W Ü R T Z sehen Reaktion nur bei Natriumüberschuß und niedriger Temperatur darstellen. Dagegen lassen sich Lithiumalkyle aus Alkylchloriden auf diesem Wege bequem gewinnen. Die Alkalialkyle sind farblose, amorphe, unlösliche Substanzen, die sich an der Luft entzünden. Lithiumäthyl ist kristallisiert und in Äther, Benzin und Benzol löslich. Die sonst so reaktionsträgen Äther werden durch Natriumalkyle im Sinne der Gleichung NaO,H5 + C2H5-0-C2H5 = C2H5 • ONa + C2H4 + C2H„ zersetzt. Die Reaktionen der Alkalialkyle gleichen im allgemeinen denen der Organomagnesiumverbindungen. Sie sind aber reaktionsfähiger als diese, und namentlich Lithiumverbindungen sind deshalb für Synthesen sehr beliebt'. Es verdient besondere Beachtung, daß sie sich auch an konjugierte C=C-Bindungen addieren. Über Alkalialkyle als Zwischenprodukte der W Ü K T Z - F I T T I G sehen Reaktion vgl. S. 3 0 5 . Kurz erwähnt seien hier noch die flüssigen Aluminiumalkyle, z. B. (C2H5)3A1, bei denen sich die zu höhermolekularen Alkylen (CH3- [CH2]n)3Al führende Addition an Äthylen katalytisch gestalten läßt ( Z I E G L E R ) .
Gesättigte Monocarbonsäuren (Fettsäuren) Man versteht unter Carbonsäuren Substanzen, die eine an Alkyl gebundene „Carboxylgruppo" — C \ o H enthalten. Ihre Konstitution ergibt sich am einfachsten durch die Synthese der Carbonsäuren aus Kohlendioxyd und Alkalialkylen. Z. B. entsteht durch Einwirkung von C0 2 auf Natriummethyl NaCH 3 das Natriumsalz der Essigsäure CH 3 -C0 2 Na, indem sich CH3 und Na an die eine CO-Bindung des Kohlendioxyds -anlagern. Ganz analog bilden sich Carbonsäuren auch durch Addition von Alkylmagnesiumhalogeniden an C0 2 : CH3-MgBr + C02 = G H 3 - C ^ . M g B i . - ^ L CH3-COOH + Mg(OH)Br. Daß tatsächlich, wie hier angenommen, die Carboxylgruppe an Kohlenstoff gebunden ist, folgt aus einer Reihe anderer Bildungsweisen. Es wurde schon früher gezeigt, daß die aus Kaliumcyanid und Alkyljodid entstehenden Nitrile (S. 70) durch Verseifung in Säuren der gleichen Kohlenstoffzahl übergehen: CH3-CN + 2H 2 0 = CH3-COOH + NH 3 . Die Verseifung muß auf eine Addition von Wasser an die Gruppe — C = N zurückgeführt werden, denn bei einer Sprengung der Kohlenstoffkette könnte die Kohlenstoffzahl nicht erhalten bleiben. Daß durch Oxydation primärer Alkohole Säuren mit der gleichen Anzahl von C-Atomen entstehen, wurde schon S. 42 erwähnt: CH3-CH2-CH2-OH + 0 2 = CH3-CH2-COOH + H.,0. Gesättigte Kohlenwasserstoffe lassen sich wegen ihrer Indifferenz nur schwer zu Carbonsäuren oxydieren. Durch Katalysatoren (z.B. Permanganate) läßt sich aber die Reaktion so beschleunigen, daß man bei etwa 100° höhere Paraffine durch Luft unter Sprengung der Kohlenstoffkette in Carbonsäuren umwandeln kann. Da hierbei noch zahlreiche andere Produkte entstehen, eignet sich dieses Verfahren nicht zur Darstellung einheitlicher Fettsäuren im Laboratorium. Dagegen besitzt es z. B. zur Gewinnung von Fettsäuregemischen aus Braunkohlenparaffin und synthetischen Paraffinen große technische Bedeutimg. Über die Bildung von Carbonsäuren durch oxydative Spaltung ungesättigter Verbindungen vgl. S. 124, 138, 141. 1
Siehe hierüber
G. WITTIG,
Ang. Chemie 5 3 , 241
(1940).
Acyclische Verbindungen
74
Aus Alkylhalogeniden und Natriummetall lassen sich Natriumalkyle wegen der alsbald eintretenden W Ü R T Z sehen Reaktion nur bei Natriumüberschuß und niedriger Temperatur darstellen. Dagegen lassen sich Lithiumalkyle aus Alkylchloriden auf diesem Wege bequem gewinnen. Die Alkalialkyle sind farblose, amorphe, unlösliche Substanzen, die sich an der Luft entzünden. Lithiumäthyl ist kristallisiert und in Äther, Benzin und Benzol löslich. Die sonst so reaktionsträgen Äther werden durch Natriumalkyle im Sinne der Gleichung NaO,H5 + C2H5-0-C2H5 = C2H5 • ONa + C2H4 + C2H„ zersetzt. Die Reaktionen der Alkalialkyle gleichen im allgemeinen denen der Organomagnesiumverbindungen. Sie sind aber reaktionsfähiger als diese, und namentlich Lithiumverbindungen sind deshalb für Synthesen sehr beliebt'. Es verdient besondere Beachtung, daß sie sich auch an konjugierte C=C-Bindungen addieren. Über Alkalialkyle als Zwischenprodukte der W Ü K T Z - F I T T I G sehen Reaktion vgl. S. 3 0 5 . Kurz erwähnt seien hier noch die flüssigen Aluminiumalkyle, z. B. (C2H5)3A1, bei denen sich die zu höhermolekularen Alkylen (CH3- [CH2]n)3Al führende Addition an Äthylen katalytisch gestalten läßt ( Z I E G L E R ) .
Gesättigte Monocarbonsäuren (Fettsäuren) Man versteht unter Carbonsäuren Substanzen, die eine an Alkyl gebundene „Carboxylgruppo" — C \ o H enthalten. Ihre Konstitution ergibt sich am einfachsten durch die Synthese der Carbonsäuren aus Kohlendioxyd und Alkalialkylen. Z. B. entsteht durch Einwirkung von C0 2 auf Natriummethyl NaCH 3 das Natriumsalz der Essigsäure CH 3 -C0 2 Na, indem sich CH3 und Na an die eine CO-Bindung des Kohlendioxyds -anlagern. Ganz analog bilden sich Carbonsäuren auch durch Addition von Alkylmagnesiumhalogeniden an C0 2 : CH3-MgBr + C02 = G H 3 - C ^ . M g B i . - ^ L CH3-COOH + Mg(OH)Br. Daß tatsächlich, wie hier angenommen, die Carboxylgruppe an Kohlenstoff gebunden ist, folgt aus einer Reihe anderer Bildungsweisen. Es wurde schon früher gezeigt, daß die aus Kaliumcyanid und Alkyljodid entstehenden Nitrile (S. 70) durch Verseifung in Säuren der gleichen Kohlenstoffzahl übergehen: CH3-CN + 2H 2 0 = CH3-COOH + NH 3 . Die Verseifung muß auf eine Addition von Wasser an die Gruppe — C = N zurückgeführt werden, denn bei einer Sprengung der Kohlenstoffkette könnte die Kohlenstoffzahl nicht erhalten bleiben. Daß durch Oxydation primärer Alkohole Säuren mit der gleichen Anzahl von C-Atomen entstehen, wurde schon S. 42 erwähnt: CH3-CH2-CH2-OH + 0 2 = CH3-CH2-COOH + H.,0. Gesättigte Kohlenwasserstoffe lassen sich wegen ihrer Indifferenz nur schwer zu Carbonsäuren oxydieren. Durch Katalysatoren (z.B. Permanganate) läßt sich aber die Reaktion so beschleunigen, daß man bei etwa 100° höhere Paraffine durch Luft unter Sprengung der Kohlenstoffkette in Carbonsäuren umwandeln kann. Da hierbei noch zahlreiche andere Produkte entstehen, eignet sich dieses Verfahren nicht zur Darstellung einheitlicher Fettsäuren im Laboratorium. Dagegen besitzt es z. B. zur Gewinnung von Fettsäuregemischen aus Braunkohlenparaffin und synthetischen Paraffinen große technische Bedeutimg. Über die Bildung von Carbonsäuren durch oxydative Spaltung ungesättigter Verbindungen vgl. S. 124, 138, 141. 1
Siehe hierüber
G. WITTIG,
Ang. Chemie 5 3 , 241
(1940).
Fettsäuren
75
Die Gegenwart einer Hydroxylgruppe im Carboxyl gellt unter anderem aus dem Verhalten gegen Phosphorchloride hervor; dabei wird wie bei den Alkoholen OH durch C1 ersetzt, und es entstehen Säurechloride R-C0C1. Von den Wasserstoffatomen der Carbonsäuren ist eines durch Metall ersetzbar. Die nächstliegende Annahme, daß hierbei das an Sauerstoff gebundene Wasserstoffatom ersetzt wird, ist leicht zu beweisen. Behandelt man z. B. essigsaures Silber CH 3 -CO -OAg mit Äthyljodid, so entsteht Essigsäureäthylester CH 3 -CO -OC2H5, der sich leicht wieder zu Essigsäure und Alkohol „verseifen" läßt. Die Ersetzbarkeit eines Wasserstoffatoms in den Carbonsäuren läuft ihrer weiter unten behandelten Fähigkeit zur elektrolytischen Dissoziation parallel. Im Vergleich zu den nicht sauren Alkoholen ist diese hier energetisch begünstigt, weil das Carbonsäure-Anion zwei gleichwertige Elektronen-Konfigurationen zuläßt (vgl. Mesomerie, S. 264): Ö: :'C:Ö - - < - v ":0:C: :Ö R R Der Arbeitsaufwand für die Abtrennung des Protons vom Sauerstoff wird also durch den Gewinn an Mesomerie-Energie erniedrigt.
Sowohl die Hydroxylgruppe als auch der doppelt gebundene Sauerstoff = 0 des Carboxyls sind zu mannigfachen Austauschreaktionen befähigt; die dabei entstehenden C a r b o n s ä u r e d e r i v a t e werden weiter unten abgehandelt werden (vgl. S. 86). Nomenklatur. Die Säuren dieser homologen Reihe haben meist Trivialnamen, die an ihre Herkunft aus dem Tier- oder Pflanzenreich erinnern. Sie werden insgesamt unter dem Namen „Fettsäuren" zusammengefaßt, da vor allem ihre höheren Glieder aus den Fetten gewonnen werden können (S. 81). Systematische Namen der einzelnen Glieder kann man bilden, indem man die Endung -carbonsäure an die Namen der Alkane anhängt: CH 3 -CH 2 -CO,H Äthancarbonsäure = Propionsäure; CH 3 -CH 2 -CH 2 C0 2 H Propan-carbonsäure-(l) = Buttersäure; (CH3)2CH • CH2 • C0 2 H 2-Methyl-propanoarbonsäure-(l) = Isovaleriansäure. Genfer Nomenklatur der Carbonsäuren s. S. 537. Die Trivialnamen der Carbonsäuren werden mit griechischen Buchstaben beziffert: r
ß
«
CH 3 -CH 2 CH 2 -C0 2 H, also CH3 • CHC1 • CH2 • C0 2 H = £-Chlor-buttersäure. Die von den Fettsäuren durch Wegnahme von Hydroxyl abgeleiteten Radikale heißen in den einfachsten Fällen: HCO Formyl, CH 3 -CO Acetyl, CH3- CH2- CO Propionyl, CH 3 -CH 2 CH2- CO Butyryl, C4H9- CO Valeryl usw. Die allgemeine Bezeichnung für die Gesamtheit dieser Radikale ist -aeyl. Vorkommen und Eigenschaften Fettsäuren kommen in der Natur weit verbreitet als Fette und Wachse in esterartiger Bindung an Glycerin (S. 154) und hochmolekulare Alkohole vor. Die niederen Glieder dieser Säurereihe sind bei gewöhnlicher Temperatur flüssig, können unter normalem Druck unzersetzt destilliert werden und besitzen einen höchst stechenden Geruch; mit Wasser sind sie in allen Verhältnissen mischbar. Die mittleren Glieder C4—C9 zeigen einen schweißartigen Geruch; sie sind nicht in allen Verhältnissen mit Wasser mischbar. Die höheren Glieder von C10 an sind bei Zimmertemperatur fest, paraffinartig, geruchlos, unter gewöhnlichem Druck nicht unzersetzt destillierbar und werden von Wasser kaum aufgenommen. Alle sind in Alkohol und Äther leicht löslich. Die normalen Säuren sind mit Ausnahme des ersten Gliedes (Ameisensäure) gegen Oxydationsmittel recht beständig. Über „/^-Oxydation" der Fettsäuren vgl. S. 260. Gegenüber Reduktionsmitteln sind die Fettsäuren äußerst widerstandsfähig. Jedoch gelingt es, sie bei etwa 300° in Gegenwart von Kupfer als Katalysator mit Wasserstoff unter 200 Atmosphären Druck zu den entsprechenden Alkoholen zu reduzieren. Man stellt auf diese Weise die höheren Fettalkohole dar, die als Ausgangsmaterial für die
Acyclische Verbindungen
76
Fettalkoholsulfonate R - 0 - S O a H technische Bedeutungbesitzen(S. 51, 85). Interessant ist die glatte Reduktion von Säuren zu Alkoholen mit LiAlH 4 in Äther. In der folgenden Tabelle werden die Namen und Formeln einiger normaler Säuren C n H 2 n 0 2 nebst ihren physikalischen Konstanten aufgeführt. Name
Schmelzpunkt
Formel CH 2 O 2 0.H.O, C3H602 C4H802 C5H10O2 C,H 12 O 2 C 7 H 14 O 2 C8H1602 C 9 H, 8O2 C10H.,0O2
Ameisensäure Essigsäure Propionsäure Buttersäure Valerianeäure Capronsäure Önanthsäure Caprylsäure Pelargonsäure Caprinsäure Palmitinsäure Stearinsäure Behersäure
+ 8-4° + 16-6 — 20 — 5-5 -34-5 — 3-9 — 10 + 16 + 12-5 + 31 62-6 69-3 82
C22H4402
Siedepunkt 100-5° 118-1 141-1 164-05 186-4 205 223 237 253 268 215 15 232 15 262 15
Spez. Gew. DJ« 1-220 1-049 0-992 0-958 0-939 0-927 0-917 0-910 0-905 0-895 3 0 0-8534 2 0-845« 9 —
Während die Siedepunkte und Dichten mit der Zahl der C-Atome im Molekül, regelmäßig steigen bzw. abnehmen, liegen die Schmelzpunkte der Säuren mit gerader Zahl der C-Atome höher als die der beiden benachbarten Säuren mit ungerader Zahl. In der graphischen Darstellung Fig. 33 so (Kurve I) gelangt dies deutlich zum Ausdruck. Man trifft diese Alternanz der Schmelzpunkte auch in einigen anderen homologen Reihen an (S. 162). Die gleiche Oszillation findet sich auch in den A Schmelzwärmen der Fettsäuren (Fig. 33 II) 1 ( wieder. Die Dampfdichte der Fettsäuren N übersteigt in der Nähe des Siedepunktes den normalen Wert beträchtlich; für Essigsäure wird die Dampfdichte erst etwa 80° oberhalb des Siedepunktes normal. Die Fettsäuren sind also stark assoII ziiert. Bei der kryoskopischen MolekularV > gewichtsbestimmung in nichtpolaren Lösungsmitteln (z. B. Benzol) zeigen die niederen Fettsäuren doppeltes Molekular0 2 6 8 10 12 n 16 18 20 Anzahl der KohlenstofF-Atome gewicht. In Wasser, das stark polar ist, findet man dagegen einfaches MolekularFig. 33. Schmelzpunkt (I) und Schmelzwärme (II) der normalen Fettsäuren gewicht. Essigsäure zeigt z. B. in Wasser bei einer Konzentration von 0,2 Mol auf 100 g normales Molekulargewicht, während in Benzol noch bei 0,01 Mol doppeltes Molekulargewicht gefunden wird. Erst unterhalb von 0 • 001 Mol nähert man sich hier normalen Werten. Man erklärt diese Erscheinungen mit der Bildung von ringartigen Doppelmolekülen, deren Zusammenhalt wesentlich auf den starken Dipolkräften der Carboxylgruppen beruht und ein anschauliches Beispiel für die Wirkung von „Wasserstoffbrücken" (S. 51) abgibt:
\
VV
\
/:
CH3—C/
0
H—O x >C—CH 3 •H • • O*
Fettsäuren
77
Bei der Essigsäure beträgt die Bindungsfestigkeit der Wasserstoffbindung pro Carboxylgruppe rund 8 kcal. In Wasser bilden sich Wasserstoffbindungen mit dem Lösungsmittel aus, infolgedessen ist hier das Monomere stabilisiert. Die Fettsäuren sind in wäßriger Lösung in geringem Grade elektrolytisch dissoziiert. Die Abhängigkeit der Dissoziation von der Verdünnung entspricht der vom Massenwirkungsgesetz geforderten ( O S T W A L D S „Verdünnungsgesetz"). Ist also der Bruchteil « nach der Gleichung C Q H 2n+1 .COOH ^
[C a H 2 a + 1 -C0 2 ]- + H'
dissoziiert und ist die Konzentration (in Mol pro Liter) c, so gilt, wenn wir das Anion mit A~ abkürzen, [AH]
1— a
Die Gleichgewichtskonstante k heißt elektrolytische Dissoziationskonstante. Ihr hundertfacher Wert wurde früher vielfach mit K bezeichnet. Sie beträgt bei 2 5 ° : k-105
Ameisensäure Essigsäure Propionsäure Buttersäure Valeriansäure Capronsäure
17-72 1-76 1-34 1-51 1-38 1 -32
Weitaus am stärksten ist demnach die Ameisensäure. Tür c = 0-063 ist Ameisensäure zu 5.17%» Essigsäure nur zu 1 • 67°/o. Salzsäure dagegen zu 100% dissoziiert. Aus der Fig.3-1 kann man ersehen, wie der Dissoziationsgrad a der Essigsäure mit steigender Verdünnung zunimmt. Die Wasserstoffionenkonzentration [H'] nimmt mit der Verdünnung proportional [/ c ab. Denn aus der obigen Gleichung läßt sich für kleines a leicht die Beziehung [ I T ] = occ = J f k c
ableiten. Sehr eigenartig ist die Temperatur-Abhängigkeit der Dissoziationskonstanten, die meist bei Raumtemperatur ihren maximalen Wert haben. Den Wert der Dissoziationskonstanten hat man namentlich früher aus der elektrischen Leitfähigkeit der wäßrigen Lösung unter der Annahme Ac — Ao
- - CHa-CHü-CHj-CN ->- CHa-CHs-CHa-COüH. Aus Isopropyljodid entsteht analog Isobuttersäure, Propan-carbonsäure-(2) : £!]J»>CHJ -»- ^ » > C H . C N - v
^>CH.C02H.
Sie findet sich z. B. im Johannisbrot, riecht unangenehm ranzig und siedet bei 154-7°. Sie enthält ein tertiäres C-Atom und ist wie alle Verbindungen dieser Art leicht oxydierbar, wobei unter anderem Aceton und Kohlendioxyd entstehen. Charakteristische Unterschiede in der Löslichkeit weisen die beiden Calciumsalze auf. Isobuttersaures Calcium ist der allgemeinen Regel entsprechend in heißem Wasser leichter löslich als in kaltem. Das Calciumsalz der normalen Säure verhält sich umgekehrt. Eine bei 0° gesättigte Lösung von n-Calciumbutyrat scheidet daher beim Erwärmen auf etwa 80° festes Salz aus. Nach dem Prinzip des beweglichen Gleichgewichts sollte sich demnach das normale Calciumbutyrat unter Wärmeentwicklung, das Salz der Isobutter säure unter Wärmeabsorption in Wasser lösen. Dies stimmt mit der Beobachtung überein. Die Calciumsalze einiger homologer Säuren zeigen ein ähnliches Verhalten. 1
Der Geruch ranziger Butter rührt teilweise von Butteraäure her.
Fettsäuren
81
Höhere Fettsäuren CnHinOs Höhere Fettsäuren sind in der Natur sehr verbreitet. Es ist sehr bemerkenswert, daß die natürlich vorkommenden Säuren alle eine gerade Anzahl von C-Atomen aufweisen. Unter ihnen sind am wichtigsten Palmitinsäure C 16 H 32 0 2 und Stearinsäure C 18 H 36 0 2 . Sie bilden als Ester des dreiwertigen Alkohols Glycerin den Hauptbestandteil der pflanzlichen und tierischen Fette. Durch Behandeln der Fette mit Laugen werden seit alters neben Glycerin „Seifen", d.h. die Salze der höheren Fettsäuren, gewonnen. Nach diesem Vorgang, der nichts anderes als eine Esterspaltung durch Wasseraufnahme bedeutet, pflegt man ganz allgemein hydrolytische Vorgänge als „Verseifung" zu bezeichnen. Die freien Fettsäuren werden aus den Fetten durch Erhitzen mit Wasser und Basen, z. B. Kalk, Magnesia oder Zinkoxyd (etwa 1/3 der zur Neutralisation erforderlichen Menge) im Autoklaven auf 150° oder mit Wasser allein auf 220° dargestellt; nach beendeter Verseif ung schwimmen die unlöslichen Fettsäuren auf dem „Glycerin wasser", aus dem durch Eindampfen das Glycerin gewonnen wird. Bei dem Verfahren nach T W I T C H E L L dient als verseifendes Agens ein Gemisch von Sulfonsäuren, das durch Sulfurieren eines Gemisches von Naphthalin und Ölsäure oder Bicinusöl erhalten wird, ieses Reagens wirkt ausgezeichnet emulgierend und ermöglicht in geringer Menge eine glatte Verseifung des Fettes durch Wasser bei 100° ohne Druckanwendung. Auch durch Erhitzen mit 5—8°/0 konzentrierter Schwefelsäure auf 105—120° können Fette verseift werden. Diese Methode wird jedoch heute nur noch in beschränktem Umfang angewandt. Vielfach werden die rohen Fettsäuren durch Destillation im Vakuum gereinigt. Besonders reine Fettsäuren erhält man durch Spaltung von Fetten mit Hilfe des fettspaltenden Enzyms („Lipase") der Ricinussamen; die technische Anwendbarkeit dieses Verfahrens ist aber aus verschiedenen Gründen beschränkt. Das nach den obigen Verfahren erhaltene Fettsäure-Gemisch ist bei gewöhnlicher Temperatur weich. Es enthält nämlich außer den genannten beiden Säuren (deren Schmelzpunkte bei 63° und 69° liegen und die ihren Schmelzpunkt gegenseitig erniedrigen) noch die flüssige Ölsäure CjgHg^, die einer anderen Reihe homologer Säuren angehört. Die Ölsäure wird durch Pressen entfernt; die verbleibende weiße Masse (Stearin) dient im Gemisch mit Paraffin zur Kerzenfabrikation. Für die synthetische Darstellung höherer Fettsäuren, soweit sie nicht von der Natur geboten werden, bedient man sich häufig der Umsetzung von Alkylhalogeniden mit Kaliumcyanid zu Nitrilen gemäß der schon S. 70 erwähnten Reaktion. Hier und bei den später zu erörternden Malonester-Synthesen dient letzten Endes als Ausgangsmaterial der entsprechende höhere Alkohol. Es ist deshalb von Interesse, daß es auch direkte Wege von diesen zu den Säuren gibt. Nach D U M A S und S T A S führt die Kalischmelze der Alkohole, am besten unter Druck bei 280° ausgeführt, unter Wasserstoffentwicklung zu den zugehörigen Säuren: R-CH2.OH + KOH = R-COOK + 2 Ha. Auch die Luftoxydation höherer Aldehyde, die man durch Dehydrierung der Alkohole gewinnen kann, ist unter Umständen ein brauchbares Herstellungsverfahren. Die großtechnische Gewinnung höherer Fettsäuren aus den FXSCHER-TBOPSCH-Paraffinen wurde bereits erwähnt (S. 34, 74). Kristallbau der höheren Fettsäuren. Über den Feinbau der Kristalle höherer Fettsäuren verdanken wir A. M Ü L L E R und P I P E R aufschlußreiche Untersuchungen. Bekanntlich stellt man sich einen Kristall als ein regelmäßig angeordnetes Raumgitter (Punktgitter) vor, dessen Gitterpunkte die Atome sind und das man in verschiedener Weise in Scharen gleichwertiger, äquidistanter „Netzebenen" zerlegen kann 1 . 1 Vgl. B I J V O E T , K O L K M E I J E R , M A C G I L L A V R Y , Röntgenanalyse von Krystallen. Berlin 1940. H o l l e m a n - R i c h t e r , Organische Chemie. 31. u. 32. Auflage.
6
82
Acyclische Verbindungen 90
10
À
'S
i 30
ao
—-
Fig. 36.
j
rt'Zahl
der Kohlenstoff-Atome
— -
Netzebenen-Abstände in Kristallen höherer Fettsäuren
y—
Fig. 37.
2.S2 a
—«
Anordnung der C-Atome in einem Fettsäure-Molekül
Der Abstand d einer solchen Ebenenschar (auch Gitterkonstante oder Identitätsperiode genannt) läßt sich nach einer von W. H. und W. L. B R A G G angegebenen Beziehung n X = 2 d sin &n{n = 1, 2, 3, 4 usw.) bestimmen. Hierbei bedeutet &n den Winkel, unter dem ein monochromatisches Röntgenstrahlenbündel der Wellenlänge A auf die Ebenenschar fallen muß, damit die abgebeugten Strahlen sich nicht durch Interferenz vernichten (also anschaulich gesprochen „Reflexion" eintritt), n die „Ordnung" der Reflexion; für die beobachteten Reflexionswinkel gilt dann die Beziehung sin : sin : sin • • • = 1 : 2 : 3 . . . Untersucht man nun Fettsäurekristalle in dieser Weise, so findet man, daß neben Netzebenen-Abständen der gewöhnlichen Größenordnung von 3 bis 4 Ä (1 ÄNGSTRÖM-Einheit =
10~ 8
cm) auch sehr weite Abstände von 30 bis 100 Ä auftreten, und daß diese Abstände gesetzmäßig mit der Kohlenstoffzahl zunehmen (Fig. 36). Einer Zunahme um 1 C-Atom entspricht eine Aufweitung des Gitters um etwa 2 Ä. Die Figur läßt auch erkennen, daß die Abstandsänderung für geradzahlige und ungeradzahlige Fettsäuren etwas verschieden ist. E s liegt natürlich sehr nahe, anzunehmen, daß die Gitterkonstante durch die Länge der Kohlenstoffkette bestimmt wird. M Ü L L E R und S H E A R E R haben ihren Betrachtungen die Annahme zugrunde gelegt, daß die Ketten der Fettsäuren zickzackförmig gebaut sind, der Abstand der C-Atome wie im Diamant 1 -54 Ä beträgt (S. 47) und der Tetraederwinkel a = 109° aufrechterhalten bleibt, wie dies Fig. 37 zeigt. Aus den so errechneten Dimensionen folgt, daß zwischen 2 Netzebenen immer 2 Moleküle hintereinander in schräger Lage untergebracht werden können. Ein Schema einer solchen Anordnung nach B R A G G zeigt Fig. 38 (die Kreise bedeuten C0 2 H-Gruppen, die Pfeile endständige CH3-Gruppen). Für die Richtigkeit dieses Modells sprechen zahlreiche röntgenographische Befunde. Der Fettsäurekristall ist also aus Bündeln paralleler, langgestreckter Moleküle aufgebaut, die ein „Schichtengitter" bilden und den blättchenförmigen Habitus der Fettsäurekristalle bedingen. Die Fettsäuren kristallisieren in mehreren polymorphen Modiiikationen, die röntgenographisch sehr genau untersucht worden sind. Als Elementarzelle eines Kristalls bezeichnet man die kleinste Einheit, die noch sämtliche für die betreffende Kristallklasse charakteristischen Symmetrie-Eigenschaften besitzt. Die Elementarzelle der monoklin kristallisierenden Fettsäuren bildet ein Parallelepiped mit der rechteckigen Grundfläche ab und der dazu um den Winkel ß geneigten Kante c. Die Lage der Stearinsäureketten in der Elementarzelle ist aus den QuerFig. 38. Parallele Schichtung der Moleküle schnitten der Fig. 39 ersichtlich. Man hat nun im Fettsäurekristall gefunden, daß a b sin ß für alle Fettsäuren an-
Fettsäuren
83
nähernd den gleichen Wert von 37 Ä2 besitzt; die senkrecht auf c stehende Querschnittsfläche ist also immer die gleiche. Da im Mittel auf die Grundfläche immer 2 Fettsäuremoleküle entfallen, beansprucht die einzelne Fettsäurekette einen Querschnitt von rund 18-5 Ä 2 , also ganz erheblich mehr, als sich aus dem Durchmesser der Kette berechnen würde. Die verschiedenen polymorphen Modifikationen einer und derselben Fettsäure unterscheiden sich nur durch das Verhältnis a: b und den Winkel ß, während die Länge C00H der Kohlenstoffkette keine Änderung erleidet. Bei den beiden am häufigsten beobachteten Modifikationen hat ß die Werte 60—63° und 53°. Auf der Basisfläche senkrecht stehende Ketten (ß = 90°) werden bei Fettsäuren nur selten beobachtet, während sie bei den Kohlenwasserstoffen die Regel bilden. Seifen. Die Alkalisalze der höheren Fettsäuren (etwa von Cm an) sind Seifen. Sie werden Fig. 39. durch Kochen der Fette mit Alkalilaugen oder Elementarzelle der ß-Modifikation durch Neutralisieren der freien Fettsäuren geder Stearinsäure wonnen. Die mit Natronlauge bereitete Natronseife ist hart; sie wird vom gleichzeitig entstandenen Glycerin durch „Aussalzen" befreit, indem man der kochenden Masse nach der Verseifung Kochsalz im Überschuß zusetzt. Da das fettsaure Natrium in konzentrierter Kochsalzlösung unlöslich ist, scheidet es sich in geschmolzenem Zustand oben auf der glycerinhaltigen Lauge ab. Die so gewonnenen festen Seifen heißen Kernseifen und bestehen abgesehen von Wasser und etwas eingeschlossenem Glycerin aus fettsaurem Natrium. Leimseifen erhält man, wenn man den heißen „Seifenleim" erstarren läßt, ohne von der wäßrigen Glycerinlauge zu trennen. Mit Kalilauge bereitete Seifen sind weich und sind stets Leimseifen; sie heißen grüne Seifen oder Schmierseifen. Ihre Farbe ist gelblich oder grün (wenn grünes Hanföl als Ausgangsmaterial dient). Natriumpalmitat und Natriumstearat sind in kaltem Wasser praktisch unlöslich, in heißem Wasser jedoch beträchtlich löslich; die heißen Lösungen erstarren bei ausreichender Konzentration ( 1 0 ° / o und mehr) in der Kälte zu Gallerten. Mit abnehmender Kohlenstoffzahl nimmt die Löslichkeit der Seifen zu. Die Calciumsalze der höheren Fettsäuren sind in Wasser unlöslich; hartes, kalkhaltiges Wasser ist deshalb zum Waschen ungeeignet. Eine brauchbare Theorie der Seifenwirkung ist erst in neuerer Zeit durch M C B A I N , u. a. gegeben worden. Die Verunreinigungen unserer Haut, unserer Kleidungsstücke usw. sind teilweise fettiger Natur, zum Teil bestehen sie aus Ruß, Eisenoxyd und Ton. Da Natriumstearat und -palmitat als Salze schwacher Säuren teilweise hydrolytisch gespalten sind ( 1 1 bzw. 1 5 ° / 0 bei 2 5 ° in 0 - 0 0 2 n-Lösung), so glaubte man früher, daß das freiwerdende Alkali diese fettigen Substanzen emulgiert und dabei zu gleicher Zeit die anderen Schmutzteile entfernt. Es hat sich aber herausgestellt, daß Alkalilaugen von entsprechender Konzentration nicht die geringste Waschwirkung besitzen. Von wesentlicher Bedeutung für die Waschwirkung der Seife ist dagegen ihre Fähigkeit, die Oberflächenspannung des Wassers ganz bedeutend herabzusetzen und sich an der Grenzfläche anzureichern („Oberflächenaktivität"). Damit hängt ihre Fähigkeit zur Bildung eines beständigen Schaumes eng zusammen. Schon durch Spuren von ZSIGMONDY
6*
84
Acyclische Verbindungen
Seife, z. B. ölsaures Natrium in 0-0001 n-Lösung, wird die Oberflächenspannung des Wassers (73 dyn/cm) um 2 0 % herabgesetzt. Infolgedessen kann Seifenlösung viel besser in die kapillaren Zwischenräume eindringen und dort die Verunreinigungen beseitigen. L A N G M U I R hat sehr interessante Untersuchungen über die Ausbreitung der höheren Fettsäuren au! einer Wasseroberfläche angestellt. Jedermann weiß aus der Erfahrung, daß reine Mineralöle sich auf Wasser nicht ausbreiten, sondern in Form linsenförmiger Tropfen darauf schwimmen. Bringt man dagegen eine Spur Fettsäure in Form eines Tropfens einer sehr verdünnten Benzollösung auf Wasser, so verdunstet das Benzol, und die Fettsäure breitet sich in Form eines äußerst dünnen Films über die Oberfläche aus. Man kann nun versuchen, dieses zweidimensionale Gebilde in gleicher Weise wie ein Gas oder eine Flüssigkeit zu komprimieren, indem man z. B. durch einen paraffinierten Papierstreifen die verfügbare Oberfläche verkleinert und den von dem Film auf den Streifen ausgeübten Druck mißt. Man findet dann, daß die Fettsäuren mit mehr als 16 C-Atomen auf dem Wasser eine zusammenhängende, monomolekulare, d. h. nur 1 Molekül dicke Schicht bilden und sich bei der Kompression wie ein fester Körper verhalten; die von einem Fettsäuremolekül bedeckte Oberfläche beträgt unabhängig von der Kettenlänge 20 Ä 2 . Dies ist aber ziemlich genau der Querschnitt einer Fettsäurekette, wie er oben aus röntgenographischen Messungen am Kristall abgeleitet ist. Die Tatsache, daß Kohlenwasserstoffe keine Filme bilden, beweist, daß die Ursache der Filmbildung in den wasserlöslichen Carboxylgruppen zu suchen ist. Man muß sich also vorstellen, daß die Fettsäuremoleküle auf der Oberfläche nahezu senkrecht stehen und mit der Carboxylgruppe gewissermaßen im Wasser „verankert" sind. Oberflächenschichten von Seifen nehmen einen bedeutend größeren R a u m ein (z. B. 100 Ä 2 pro Molekül und mehr). Sie zeigen bei der Kompression ein Verhalten, das den Druck Volumen-Beziehungen gasförmiger Stoffe entspricht. Dies hängt vermutlich mit der starken Abstoßung zwischen den ionisierten Carboxylgruppen zusammen. Die als Oberflächenspannung bekannte Erscheinung erklärt sich dadurch, daß die Moleküle im Innern einer Flüssigkeit einer allseitigen gegenseitigen Anziehung unterliegen, die sich im Mittel aufhebt. F ü r Moleküle in der Oberfläche besteht dagegen nur eine Anziehung nach innen senkrecht zur Oberfläche, die sich daher zu verkleinern strebt, so daß möglichst viele Moleküle im Innern der Flüssigkeit liegen. Die in diesem Verkleinerungsbestreben zum Ausdruck gelangende Oberflächenenergie kann man mathematisch durch die Annahme einer in der Oberfläche wirkenden Kraft, der Oberflächenspannung (gemessen in dyn/cm), darstellen. Löst man eine Substanz, f ü r deren Moleküle das gegenseitige Anziehungsbestreben („Kohäsionskraft") kleiner als das der Wassermoleküle ist, in Wasser, so führt dies dazu, daß die Substanz sich (soweit die osmotischen K r ä f t e dies zulassen) in der Oberfläche anreichert. Sie wird sozusagen aus der Lösung „ausgepreßt" und bildet eine Oberfläche mit niedrigerer Spannung. Daß die Seifen zu den stark oberflächenaktiven Stoffen gehören, ist leicht verständlich, da das Wasser auf die langen „hydrophoben" Kohlenwasserstoffketten nur eine sehr geringe Anziehung ausübt, wie unter anderem aus der Unlöslichkeit der höheren Fettsäuren in Wasser hervorgeht. Eine einfache Betrachtung zeigt, in welcher Weise die Herabsetzung der Oberflächenspannung y mit der reinigenden Wirkung der Seifen zusammenhängt. Ein fester Stoff wird von einer Flüssigkeit um so besser benetzt, je kleiner der (in der Flüssigkeit gemessene) Kontaktwinkel zwischen beiden ist (Fig. 40). F ü r die Adhäsionsarbeit W zwischen einem festen Stoff und einer Flüssigkeit besteht nun die Beziehimg pp "Wflilss. = v i 1 +
C0S &
)
°DER
COS#=
Y —
1.
Etwas kompliziertere, aber ähnliche Betrachtungen gelten für die Verdrängung einer Flüssigkeit von einer Oberfläche durch eine andere.
Fettsäuren
85
Fig. 40
Die Seifen sind in wäßriger Lösung zum Teil als Kolloide enthalten und geben dementsprechend nur sehr geringe Gefrierpunktserniedrigungen. Andererseits leiten sie aber den elektrischen Strom recht gut („kolloide Elektrolyte" nach Mc BAIN und SALMON). Dies beruht darauf, daß durch die kolloide Zusammenlagerung der FettsäureAnionen zwar die Zahl der osmotisch wirksamen Teilchen weitgehend verringert wird, dafür aber Träger mit sehr hohen Ladungen auftreten. Lagern sich z. B. 10 PalmitatIonen zusammen, so trägt das Teilchen 10 negative Ladungen. Zwar wird die Beweglichkeit eines solchen Anions durch seine Größe beeinträchtigt, doch wird dies durch seine Ladung so weit kompensiert, daß das Leitvermögen sich dem des Natriumacetats nähert. Auch die damit verbundene starke elektrische Aufladung der Grenzflächen durch Seifenteilchen dürfte an der reinigenden Wirkung der Seife beteiligt sein. Neben der Seife haben in neuerer Zeit zahlreiche synthetische Waschmittel Bedeutung erlangt. Unter ihnen stehen an erster Stelle die Sulfonsäuren höherer Paraffine und die sauren Schwefelsäureester höherer Alkohole (sog. Fettalkoholsulfonate), beide in Form ihrer Alkalisalze. Sie sind u. a. dadurch ausgezeichnet, daß ihre Salze nicht hydrolytisch gespalten sind und daß sie nicht oder nur sehr wenig zur Bildung schwerlöslicher Ca- und Mg-Salze neigen, also ihre WaschWirkung auch in hartem Wasser behaupten. Neben diesen „anionen-aktiven" Seifen gibt es auch kationen-aktive „ I n v e r t s e i f e n " von allerdings weniger ausgesprochener Waschwirkung. Hier ist die langkettige hydrophobe Kohlenwasserstoffgruppe mit einem Ammonium-Ion als hydrophiler Gruppierung verknüpft. Die Gesamtheit der genannten Verbindungen hat man wohl auch unter der treffenden Bezeichnung Paraffinkettensalze zusammengefaßt. Aber auch nicht-ionogene Verbindungen mit löslichmachenden Gruppen haben sich als oberflächen-aktive Mittel bewährt. Die Seife vereinigt in sich eine ganze Reihe von Eigenschaften wie Schaumvermögen, Netzwirkung, Emulgierwirkung, Schutzkolloidwirkung und Waschvermögen. Diese Eigenschaften gehen in ihrer Abhängigkeit von der Konstitution nicht immer vollkommen parallel. So ist bei den geradkettigen Fettsäuren das Maximum des SchaumVermögens bei C12 erreicht, das Maximum des Waschvermögens für Baumwolle bei C18. Die chemische Natur des Waschguts, Wolle oder Baumwolle, ist von großem Einfluß auf den Waschvorgang. Bei den von der Industrie, hauptsächlich in der Textilveredelung, aber auch in anderen Zweigen, benötigten Hilfsmitteln steht vielfach nicht die Waschwirkung, sondern das gute Netz- oder Emulgiervermögen im Vordergrund. Aus diesem Grund ist die Zahl der entwickelten Typen noch ständig im Wachsen begriffen. Eine Auswahl gebräuchlicher Wasch- und Textilhilfsmittel sei im folgenden erwähnt: Gardinol ist der Schwefelsäureester des aus Walratöl gewinnbaren Oleylalkohols CH3 • [CH2]7 • CH = CH • [CH2]7 • CH2 • OH. Die amerikanischen Tergitole leiten sich von synthetischen Alkoholen wie 3,9-Diäthyl-tridecanol-(6) und 2-Methyl-7-äthyl-undecanol-(4) ab. Die Mersolate sind Alkalisalze der Mersolsäuren, d. h. Sulfonsäuren der FiscHER-TROPscH-Paraffine. Langkettige Ester der Sulfobernsteinsäure sind in den Aerosolen vertreten (I auf S. 86). Weitere wichtige Waschmitteltypen sind die Igepone (II und III), die kation-aktiven Sapamine (IV), die neutralen Igepale (V) und Peregal 0 (VI). Schließlich seien als Netzmittel ohne Waschwirkung noch die Nekale (z. B . Diisobutylnaphthalinsulfonsäure) genannt.
86
ACYCLISCHE VERBINDUNGEN NA03S •CH •C0
2
•C8H17
CH2.C02-C IV. V. VI.
H
8
1 7
II.
C18H35 •CO •0 •CH
III.
2
•CH
2
•N ( C 2 H 5 ) , • X
R • C 0 H 4 • 0 • [ C H 2 • C H 2 • O]* • CH., • C H 1 8
H
3 5
.0-[CH
2
• S03NA
CLFLH35• C O • N ( C H 3 ) • C H , • C H Ä • SCKNA
C 1 8 H 3 , •CO •N H •C H , •C H C
2
.CH,-0]
X
-CH
2
2
• OH
-"CH,.0H
X = 1 0 — 2 0
Derivate der F e t t s ä u r e n Säurechloride In den Säurechloriden ist die OH-Gruppe des Carboxyls durch Chlor ersetzt; sie enthalten also die Gruppe —COC1. Man erhält diese Verbindungen durch Einwirkung von Phosphortrichlorid (oder auch POCl3 oder PC1S oder SOCl2) auf die Fettsäuren: 3 C
N
I W C 0 0 H
+
PC18 =
3 C
N
I W C O C L
+
H
3
P 0
3
.
Infolge sekundärer Reaktionen des entstandenen Säurechlorids mit der phosphorigen Säure wird hierbei HCl entwickelt. Die Säurechloride sind gegen verseifende Agenzien sehr empfindlich; meist genügt schon die Berührung mit kaltem Wasser, um sie zu Fettsäure und Salzsäure zu hydrolysieren. Durch die Nachbarschaft des an das gleiche C-Atom gebundenen Sauerstoffs erlangt also das Halogen eine Beweglichkeit, wie sie Halogen in Alkylradikalen nicht aufweist. Denn die Alkylchloride werden von Wasser bei gewöhnlicher Temperatur nur äußerst langsam angegriffen. Die niederen Glieder dieser Reihe sind Flüssigkeiten von scharfem Geruch und sehr unangenehmer Wirkimg auf die Schleimhäute. Das Chlorid der Ameisensäure ist nicht bekannt (während Formylfluorid HOOF eine ganz beständige Verbindung ist). Acetylchlorid CHs»COCl raucht an der Luft, siedet unzersetzt bei 51° und hat das spezifische Gewicht 1*104 bei 20°. Säurechloride, speziell Acetylchlorid, bilden ein wichtiges Hilfsmittel zur Erkennung von Hydroxylgruppen in organischen Verbindungen. Z. B. liefern sie mit Alkoholen unter HCl-Abspaltung Ester: R - O H
+
CH3-C0C1
CH„-CO-OR
+
HCL.
Man läßt die auf Hydroxyl zu prüfenden Stoffe einige Zeit mit Acetylchlorid stehen oder erwärmt die Mischung gelinde. Ob Acetylgruppen in die betreffende Verbindung eingetreten sind, erkennt man aus der Analyse des Reaktionsprodukts oder auch daran, daß Acetylgruppen bei der Verseifung als Essigsäure wieder abgespalten werden. Säureanhydride Diese entstehen durch Behandlung der Alkalisalze der Fettsäuren mit Säurechloriden, z. B. pp- , pf) CHJ-COCL +
CHJ-CO-ONA
=
C H ' - C C T *
0
+
N A G L
BSSIGSÄUREANHYDRID
In der Technik wird Essigsäureanhydrid durch Oxydation von flüssigem Acetaldehyd gewonnen (s. S. 79, 96). Andere großtechnische Verfahren sind die Einwirkung von Keten (S. 145) auf Essigsäure: CH3.COOH +
CH2 =
CO
=
(CH3.C0)20
sowie die Umsetzung von Essigsäure mit Phosgen, die in der Weise ausgeführt wird, daß Phosgen in Gegenwart von Salzen wie Magnesiumchlorid oder Aluminiumchlorid als Katalysator in siedende Essigsäure eingeleitet wird. Man vermutet, daß die Reaktion in den folgenden zwei Stufen verläuft: CH3-COOH +
MECL2 =
( C H 3 - C O O ) 2 M E 4- 2 HCL
(CH3-COO)2ME +
2
COCL2 =
(CH3-C0)20 +
MECL2 +
C02.
Nach Untersuchungen von M Ü H L H Ä U S E R und T R A U T Z ist Essigsäure im Gleichgewicht mit Essigsäureanhydrid und Wasser bei 360° zu 1.6°/o> bei 560° zu 50% zerfallen.
87
Säureanhydride
Die höheren Säureanhydride werden am besten durch Erhitzen der Natriumsalze der höheren Fettsäuren mit Essigsäureanhydrid dargestellt. Diese Reaktion beruht auf einem Austausch der Säureradikale. Durch Umsatz von trockenem Natriumacetat, das das radioaktive Kohlenstoffisotop enthielt, mit gewöhnlichem Essigsäureanhydrid hat man festgestellt, daß diese Reaktion sich trotz der Unlöslichkeit des Salzes im Anhydrjd schon bei Raumtemperatur, wenn auch ziemlich langsam, abspielt. Auch gemischte Anhydride der Fettsäuren, z. B. Ameisensäure-essigsäureanhydrid, existieren. Sie spalten sich teilweise schon bei der Destillation in die Anhydride der beiden Säuren. Das Anhydrid der Ameisensäure ist nicht bekannt. Säureanhydride sind Flüssigkeiten von unangenehm stechendem Geruch. Mit Chlorwasserstoff geben sie Säurechlorid -f- Säure. Essigsäureanhydrid siedet bei 139-6° (760 mm) und hat D ^ : 1 -0871 bzw. D2£: 1 -0810. Es dient in gleicher Weise wie Acetylchlorid als Reagens auf Hydroxylgruppen. Es löst sich bei gewöhnlicher Temperatur etwa in der lOfachen Menge Wasser und setzt sich in dieser Lösung verhältnismäßig langsam zu Essigsäure um, im Gegensatz zu Acetylchlord, das durch Wasser sofort hydrolysiert wird: ( 0 H 3 - C 0 ) 2 0 + H 2 0 = 2 CH 3 -COOH. Nennt man die molare Konzentration des Anhydrids a, die des Wassers b, x die Anhydridmenge, die nach der Zeit t verseift ist, so ist nach der Gleichung für bimolekulare Reaktionen die Verseifungsgeschwindigkeit zur Zeit t rlv ^ - = k(a-x)(b-x).
(1)
Für äquimolekulare Mengen Wasser und Anhydrid (a = b) ist i ± = h(a-x)\
(la)
woraus durch Integration k =
(lb) ata —x folgt. Ist die Menge des Wassers groß gegen die Menge des Anhydrids, so kann man b — x als konstant ansehen. Dann hat man eine pseudomonomolekulare Reaktion der einfachen Gleichung ^
= k1{a—x)
(2)
oder integriert
k t nennt man die Geschwindigkeitskonstante der Reaktion. Wie man aus (2) ablesen kann, repräsentiert k t den Bruchteil der reagierenden Substanz, der in der Zeiteinheit bei der Konzentration 1 umgesetzt würde, wenn diese Konzentration dauernd aufrechterhalten bliebe. Für die Reaktion zwischen Essigsäureanhydrid und Wasser sind verschiedene Werte von k t in der folgenden Tabelle verzeichnet (i in Minuten gerechnet). Temperatur 0° 18» 25°
h X 10 2
r in Min.
2-46 10-5 16-0
27 6 4
Man sieht aus den angeführten Zahlen, wie stark die Geschwindigkeit mit der Temperatur steigt. In der Spalte 3 ist die „Halbwertszeit" r aufgeführt, d. h. diejenige Zeit, für die x = 1Ua, also gerade die Hälfte der Substanz umgesetzt ist. Sie ergibt sich aus (3) zu log 2 0-4343 kl
0*6931 ki '
Für bimolekulare Reaktionen und a = b ist r = 1/ka, also von der Anfangskonzentration abhängig.
88
Acyclische Verbindungen
Ester der Fettsäuren Ester entstehen durch Einwirkung von Säurechloriden oder Säureanhydriden auf Alkohole. Ferner erhält man sie durch Behandeln des Silbersalzes einer Säure mit Alkyljodiden. Auch bei direkter Einwirkung von Säuren auf Alkohole entstehen sie, äußerst langsam bei gewöhnlicher, rascher bei erhöhter Temperatur: CHS-COÜH + C 2 H 5 - O H ^ Essigsäure Äthylalkohol
CHG-CO-OC2H6 + Essigsäureätliylester
H20.
Die Esterbildung wird durch Mineralsäuren katalytisch beschleunigt, wie schon fand; meist sättigt man das Reaktionsgemisch mit Chlorwasserstoff oder setzt eine kleine Menge konz. Schwefelsäure hinzu. Der Prozeß ist als klassisches Beispiel einer Gleichgewichtsreaktion sorgfältig studiert worden, zuerst von B E R T H E L O T und P E A N DE S T . - G I L L E S (1862). Man kann die nach verschiedenen Zeiten gebildete Estermenge leicht bestimmen, indem man in einer Probe des Gemisches die freie Säure titriert. Man findet dann, daß auch nach beliebig langen Zeiten die Reaktion niemals vollständig ist: stets bleibt ein Teil des Alkohols und der Säure unverbunden. Geht man entsprechend der obigen Gleichung von je 1 Mol Essigsäure und Äthylalkohol aus, so bestehen nach dem Ergebnis der Analyse im Gleichgewichtszustand nebeneinander je 2/s Mol Ester und Wasser und je 1 / s Mol Alkohol und Säure. Daß wir es hier mit einem wahren Gleichgewicht zu tun haben, ergibt sich am besten daraus, daß man zu einem Gemisch der genau gleichen Zusammensetzung gelangt, wenn man von einem äquimolekularen Gemisch von Essigsäureäthylester und Wasser ausgeht. Die Abhängigkeit der Esterausbeute von den Mengenverhältnissen ergibt sich aus einer einfachen kinetischen Betrachtung. Es seien p und q die (in Mol gerechneten) Anfangskonzentrationen von Alkohol und Säure, x die Konzentration von Ester bzw. Wasser zur Zeit t, dann ist die Geschwindigkeit der Esterbildung zur Zeit t den noch vorhandenen Mengen von Alkohol und Säure proportional, also gleich k (p — x) (q — x), die Geschwindigkeit der Esterverseifung k' x2. Im Gleichgewicht werden beide gleich, alsoSCHEELE
k{p — x){q — x) = k'x2
oder
x)
Jf ~
X)
= ^
=
K.
2
Im obigen Fall waren p und q = 1, x = /a; daraus ergibt sich für K der Wert 0 -25.. Mit Hilfe des Zahlenwertes von K kann man nun berechnen, wie sich die Esterausbeute mit den Mengenverhältnissen ändert: macht man die Säurekonzentration q = 1, die Alkoholkonzentration p — 0 - 0 5 , so liegt das Gleichgewicht bei x — 0-049 Mol Ester. Die Ausbeute ist also,, auf den Alkohol bezogen, nahezu quantitativ. Nimmt man einen großen Alkoholüberschuß (z. B.. q = 1, p = 8), so erhält man wiederum den Ester in fast quantitativer Menge (x = 0-967). Um also eine quantitative Ausbeute zu erhalten, muß man eine der beiden Komponenten im Überschuß zur Anwendung bringen. Der Katalysator ist ohne Einfluß auf die Lage des Gleichgewichts, er beschleunigt nur seine Einstellung (OSTWALD); eine Verschiebung des Gleichgewichts stände im Widerspruch zum 2. Hauptsatz der Thermodynamik. Von der Temperatur ist die Lage des Essigester-Gleichgewichts nur sehr wenig abhängig (bei 10° liegt die Grenze der Esterifiziemng bei 65-2°/ 0 , bei 220° bei 66-5%), während andererseits die Geschwindigkeiten der Esterbildung sowohl als auch der Esterverseifung sehr stark von der Temperatur abhängen. Nach dem Prinzip des beweglichen Gleichgewichts sollte man daher annehmen, daß die Bildungswärme des Esters (S. 119) nur gering sein kann; dies steht mit der Erfahrung im Einklang.
Die Ester sind farblose, mit Wasser nicht in jedem Verhältnis mischbare Flüssigkeiten. Sie reagieren neutral und sind leichter als Wasser. Sie besitzen häufig einen sehr angenehmen, fruchtartigen Geruch und werden deshalb als Fruchtessenzen fabrikmäßig dargestellt. Einzelne Ester besitzen auch als Lösungsmittel technische Bedeutung. Essigsäuremethylester (Methylacetat) siedet bei 57° und besitzt bei 20° das spezifische Gewicht 0-9338. Essigsäureäthylester (Essigester, Ithylacetat) CHa-COa-CjH^ siedet bei 77 -2° und hat D!°:0-900. Essigsäureisoamylester (Isoamylacetat) CHS- C0 2 -
89
Ester
C 6 H u siedet bei 142° und riecht nach Birnen, Buttersäureäthylester C3H7 • C02 • C2H5, Siedepunkt 121 -6°, nach Ananas, Isovaleriansäure-isoamylester C4Hg • C0 2 • C s H n , Siedepunkt 193°, nach Äpfeln. In der Natur kommen Ester in großer Menge in Form der Fette (S. 154) und Wachse vor. Bienenwachs besteht hauptsächlich aus den Palmitinsäureestern der Alkohole C30H62O, C 32 H 66 0 und C31H70O. Primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole werden, wie M E N S C H U T K I N nachwies, mit sehr verschiedener Geschwindigkeit esterifiziert. Die folgende Tabelle zeigt die von M I C H A E L bestimmten bimolekularen Geschwindigkeitskonstanten der Veresterung mit Trichloressigsäure bei 25° (t in Minuten gerechnet): k-105 k 105 Methylalkohol 61-8 sek.-Butylalkohol 1-5 Propylalkohol 12-1 tert.-Butylalkohol 1-97 Octylalkohol 31-0 tert.-Amylalkohol 4-15 Isopropylalkohol 1-64
Die Esterverseilung durch reines Wasser nach der Gleichung: CH 3 -CO-OC 2 H 5 + 1 ^ 0 = CH 3 -C0 2 H + C 2 H 6 -OH
ist ein bei gewöhnlicher Temperatur sehr langsam verlaufender Prozess (k = 10 ~8 m i n - 1 für Essigester). Durch Zusatz von Säuren kann er katalytisch beschleunigt werden. Im allgemeinen ist die Menge des Wassers, wenn eine vollständige Verseifung beabsichtigt wird, gegen die Menge des Esters sehr groß und daher praktisch als konstant anzusehen, und die Verseifungsgeschwindigkeit folgt dann der Gleichung für monomolekulare Reaktionen (vgl. S. 87). Die Verseifung durch Basen erfolgt nach der Gleichung: CH 3 -C0 2 . C2H6 + OH- = CH 3 -C07 + C 2 H 5 -OH.
Sie ist eine bimolekulare Reaktion, für die Gleichung (1) auf S. 87 gilt. Die Geschwindigkeit der Verseifung durch Säuren hängt in erster Näherung nur von der elektrolytischen Dissoziation der Säure, d. h. von der Wasserstoffionen-Konzentration ab und wurde, da sie experimentell leicht zu ermitteln ist, früher häufig zur Bestimmung des Dissoziationsgrades von Säuren herangezogen. Man nimmt an, daß bei der Verseifung durch Säuren intermediär ein Proton an den Sauerstoff angelagert wird, so daß sich etwa folgender (im einzelnen nicht bewiesener) Verlauf ergibt: / f i
R-Cf
X
OH.H.
H.0+
-ä
OH
I
>R-C+---OC2H5 i OH,
—H+
/}-*
-R-c/
+ C 2 H 5 -OH,
OH
Die Vorstellung ist in gleicher Weise auf die Esterbildung anwendbar. Die alkalische Verseifung ist als Anlagerung von O H - an den Kohlenstoff gemäß R . C(= 0 ) • 0 R - * R • C (0") (OH) • OR -H>- R . C0 2 ~ + R • OH unschwer zu formulieren. Daß Orthoester (S. 90) durch Alkalien nicht verseift werden, ist dann ohne weiteres klar.
Basen verseifen sehr viel rascher als Säuren. Für Kalilauge und Salzsäure in 0 • InLösungen ist das Verhältnis der Geschwindigkeitskonstanten bei der MethylacetatVerseifung 1350:1. Auch bei den Basen ist die Verseifungsgeschwindigkeit vom Dissoziationsgrad abhängig; Ammoniak verseift daher viel langsamer als Kalilauge. Das wirksame Agens sind folglich in diesem Falle die Hydroxylionen (die aber zum Unterschied von den H-Ionen bei der Reaktion allmählich verbraucht werden). Auch die Konzentration der OH-Ionen kann man mithin durch Bestimmung der Verseifungsgeschwindigkeit ermitteln. Man bestimmt z. B. auf diese Weise den Grad der Hydrolyse schwach alkalisch reagierender Salze wie Kaliumcyanid, Alkalicarbonat usw. Eine Teilfrage des Verseifungsmechanismus der Ester kann heute im wesentlichen als geklärt gelten, insofern als man weiß, daß die Spaltung gemäß Schema b) und nicht gemäß Schema a) auf S. 90 verläuft, das Alkoholradikal also mit dem Sauerstoff verbunden bleibt:
Acyclische Verbindungen
90 a)
Rj-c/ + H 2 0 - > Ri-COüH + R 2 -OH, XM-RJ
b)
RrOC
^0—R 2
+ H 2 0 R x - C 0 2 H + IVOH.
Wenn man zur Verseifung Waaser, indem das schwere Sauerstoffisotop 1 8 0 angereichert ist, verwendet, so müßte bei Verlauf nach a) der erhaltene Alkohol einen Überschuß an 1 8 0 enthalten da, dann der Sauerstoff des Alkohols vom Wasser geliefert würde. Dies ist jedoch nicht der Fall, was Schema b) als richtig erweist. Spaltungen gemäß a) sind auf Sonderfälle beschränkt.
Wie die Ester durch Wasser eine Hydrolyse zu Alkohol und Säure erleiden, so können sie unter der Einwirkung von Alkoholen einer Alkoholyse unterliegen: R - C 0 - 0 C H 3 + C 4 H,-0H Z ^ R - C O - O C A + CH 3 -OH,
wobei also in umkehrbarer Reaktion ein Austausch der Alkylgruppen stattfindet. Unter dem katalytischen Einfluß von wenig Natriumalkoholat vollzieht sich dieser als „Umesterung" bezeichnete Prozeß schon bei gewöhnlicher Temperatur. Die Alkoxygruppe der Ester ist auch sonst recht beweglich. Die Ester bilden daher ein geeignetes Ausgangsmaterial f ü r zahlreiche Umsetzungen, die mit den freien Carbonsäuren nur schwierig oder überhaupt nicht durchführbar sind. Durch Einwirkung von N a t r i u m auf die siedende alkoholische oder amylalkoholische Lösung der Ester (BOUVEAULT und B L A N C ) entstehen primäre Alkohole: R-CO-OC2H5 + 2 H S = R-CHü-OH + C 2 H 5 -OH,
eine Reaktion, von der man zu synthetischen Zwecken häufig Gebrauch macht. Zu dem gleichen Resultat f ü h r t auch die Reduktion der Ester mit Wasserstoff bei 300° und 200 Atmosphären Druck mit Kupfer als Katalysator. Tertiäre Alkohole können aus Estern leicht mit Hilfe von Alkylmagnesiumverbindungen gewonnen werden; es entsteht intermediär ein K e t o n : R
' ° \ 0 - C H
+
R
'
, M G C 1
= *
•