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German Pages 341 [356] Year 1979
de Gruyter Lehrbuch Schräder • Kurzes Lehrbuch der Organischen Chemie
Bernhard Schräder
Kurzes Lehrbuch der Organischen Chemie
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Walter de Gruyter • Berlin • New York 1979
Dr.-Ing. Bernhard Schräder o. Professor für Physikalische und Theoretische Chemie an der Universität Essen Gesamthochschule Fachbereich 8, Chemie 4300 Essen 1 früher Wiss. Rat und Professor für Organische Chemie an der Universität Dortmund
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schräder, Bernhard: Kurzes Lehrbuch der organischen Chemie / Bernhard Schräder. — Berlin, New York : de Gruyter, 1979. (De-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-007642-X
© Copyright 1979 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J.Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin; Bindearbeiten: Dieter Mikolai, Berlin.
Vorwort Die Organische Chemie berührt heute viel mehr als früher das Leben vieler Menschen, auch derjenigen, die nicht auf dem Gebiet der Chemie tätig sind. Ärzte und Biologen betreiben Angewandte Organische Chemie im weitesten Sinne des Wortes. Physiker und Ingenieure, Handwerker, Hausfrauen und Landwirte, aber auch alle Autofahrer sind Verbraucher organisch-chemischer Produkte, und viele Menschen, selbst Journalisten und Juristen, befassen sich mit den Problemen, die aus diesem Verbrauch entstehen: Fragen der Rohstoffund Energieversorgung und des Umweltschutzes. Jeder verantwortliche Mensch sollte daher — neben den Vorzügen — auch die Gefahren kennen, die die Produkte der Technik für ihn selbst und die Umwelt bedeuten können. Darüber hinaus sollte er von den lebenswichtigen chemischen Reaktionen in seinem Körper eine Vorstellung haben — ebenso selbstverständlich wie von der Funktion seines Autos oder seines Fernsehapparates, so wie Einstein es 1930 bei der Eröffnung der Funkausstellung in Berlin ausdrückte: Sollen sich auch alle schämen, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon geistig erfaßt haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frißt. Dieses Buch, als Einführung für Chemiestudenten sowie für Studenten mit Chemie als Nebenfach geschrieben, soll daher auch dem oben angesprochenen Leserkreis helfen, sich über die Grundlagen der Organischen Chemie und ihre Bedeutung in der Natur, in der Technik und im täglichen Leben zu informieren. Dieses Buch wurde daher anders als die üblichen Lehrbücher der Organischen Chemie gegliedert. Der Stoff wurde in 7 Kapitel aufgeteilt, die so abgegrenzt wurden, daß sie jeweils möglichst auch einzeln verständlich sein sollten oder aber bei der Lektüre ausgelassen werden können. Kapitel 1 und 2 bilden die Basis des Buches. Im Kapitel 1 werden die Natur der chemischen Bindung, die Bausteine, die Geometrie und die Eigenschaften organischer Moleküle sowie die Prinzipien organisch-chemischer Reaktionen erläutert. Hier wird ein Stoff konzentriert zusammengestellt, der sich in anderen Lehrbüchern meist über den ganzen Text verteilt und dadurch für den Anfänger oft schwer verständlich ist. Die folgenden Kapitel werden durch das Kapitel 1 entlastet, sie konzentrieren sich auf andere Problemkreise ohne Ablenkung durch theoretische Betrachtungen der Grundlagen. Im Kapitel 2 folgt eine systematische Besprechung der organisch-chemischen Verbindungen und ihrer Reaktionen. Nun folgen Kapitel, die die für die Technik und das Leben wichtigen Verbindungen und Reaktionen der Organischen Chemie berücksichtigen. Kapitel 3 behandelt das wirtschaftlich und technisch bedeutende Gebiet der Makro-
Vorwort
VI
molekularen Verbindungen. Im Kapitel 4 werden andere technisch wichtige organische Substanzen besprochen, deren Anwendung auf zwischenmolekularen Wechselwirkungen beruht: Lösungsmittel und Weichmacher, Waschmittel und andere Tenside sowie die Schmierstoffe. Im Kapitel 5 folgen die Farbstoffe. Kapitel 6 bringt einen Grundriß der Biochemie. Abschließend werden im Kapitel 7 die wichtigsten analytischen Methoden der Organischen Chemie kurz besprochen. Fragen der möglichen Umweltbelastung werden an geeigneten Stellen mehrerer Kapitel berücksichtigt. Für einige Gruppen von Studenten sollte der gebotene Stoff völlig ausreichend sein. Für Chemiker, Pharmazeuten, Biologen und Mediziner soll er eine Basis bilden für das Studium speziellerer Lehrbücher der Organischen, der Pharmazeutischen oder der Biochemie. Die das Gebiet der Organischen Chemie betreffenden Lernziele aus dem Gegenstandskatalog für die Fächer der ärztlichen Vorprüfung sind im vorliegenden Buch vollständig berücksichtigt. Aufteilung und Stoffumfang wurden vom Verfasser mehrfach erprobt in verschiedenen Vorlesungen an der Universität Dortmund, vor allem in der Grundvorlesung ,Einführung in die Organische Chemie für Chemiker und Nebenfach-Studenten'. Vorläufer dieses Buches ist das Lehrbuch der Organischen Chemie von F. Nerdel und B. Schräder, dessen 3. Auflage im Jahre 1970, kurz vor dem Tode von Friedrich Nerdel, erschien. Das vorliegende Buch wurde vollständig neu konzipiert und neu geschrieben. Einer Reihe von Fachkollegen, die durch konstruktive Kritik bei der Gestaltung dieses Buches geholfen haben, sei herzlich gedankt. Den Herren Professoren Dr. W. P. Neumann und Dr. Th. Eicher sowie Herrn Dr. med. J. Bücheler danke ich für Anregungen und Kritik, besonders zu den Kapiteln 2 und 6. Herr Dr. E. Ropte, Ludwigshafen, gab einige Anregungen zum Kapitel 3. Herr Dr. H. Gutberiet hat den gesamten Text durchgesehen und viele nützliche Hinweise gegeben. Besonderer Dank gilt Frau E. Esdar für die große Mühe beim Schreiben des Manuskriptes, Herrn U. Haß, Frau C. Schulz und meinem Sohn Wolfgang für das Zeichnen vieler Abbildungen und Formeln. Schließlich sei dem Verlag gedankt, der dafür gesorgt hat, daß dieses Buch ansprechend gestaltet und daß der Preis relativ niedrig gehalten werden konnte. Essen, Frühjahr 1979
Bernhard Schräder
Inhalt Bausteine, Bauprinzipien und Architektur organischer Verbindungen 1. Grundlagen der Organischen Chemie 1.1 Was ist „Organische Chemie"? 1.2 Atome und Moleküle 1.3 Atom- und Molekülorbitale 1.4 Die Eigenschaften der Atomorbitale und das Periodensystem 1.5 Die Eigenschaften der Atome als Folge ihrer Elektronenkonfiguration . 1.6 Die chemischen Bindungen des Kohlenstoffatoms 1.7 Gerüste und funktionelle Gruppen organischer Verbindungen 1.8 Isomerien 1.9 Wechselwirkungen zwischen Mehrfachbindungen: Mesomerie, aromatische Verbindungen 1.10 Dipolmoment, induktive und mesomere Effekte von Substituenten . . . 1.11 Zwischenmolekulare Kräfte 1.12 Die Farbe organischer Verbindungen 1.13 Chemische Reaktionen, mikroskopisch und makroskopisch betrachtet . . 1.13.1 Triebkräfte, Gleichgewichte 1.13.2 Reaktionsgeschwindigkeit 1.14 Reaktionen in der Organischen Chemie 1.14.1 Namen und Definitionen 1.14.2 Mechanismen, Zwischenprodukte
1 3 4 6 13 17 21 26 30
38 40 43 45 45 50 53 53 55
Namen, Reaktionen und Eigenschaften organischer Verbindungen 2. Systematische Organische Chemie Acyclische Kohlenwasserstoffe 2.1 Alkane 2.1.1 Struktur, Benennung 2.1.2 Physikalische Eigenschaften 2.1.3 Konformationsisomerie der Alkane 2.1.4 Darstellung 2.1.5 Reaktionen 2.2 Alkene 2.2.1 Benennung, physikalische Eigenschaften 2.2.2 Darstellung 2.2.3 Reaktionen von Alkenen 2.3 Alkine 2.3.1 Eigenschaften 2.3.2 Darstellung 2.3.3 Reaktionen 2.4 Erdgas, Erdöl, Kohle 2.4.1 Erdgas 2.4.2 Erdöl 2.4.3 Kohle
59 59 61 61 62 63 65 67 70 70 71 73 77 77 78 79 80 81 81 83
VIII
Isocyclische Kohlenwasserstoffe 2.5 Cycloalkane, Cycloalkene, Cycloalkine 2.5.1 Struktur, Isomerie der Cycloalkane 2.5.2 Darstellung und Reaktionen der Cycloalkane 2.5.3 Cycloalkene, Cycloalkine 2.6 Aromatische Verbindungen 2.6.1 Eigenschaften aromatischer Verbindungen 2.6.2 Darstellung und Reaktionen aromatischer Verbindungen 2.6.3 Wichtige isocyclisch-aromatische Verbindungen 2.7 Heterocyclische Verbindungen 2.7.1 Namen und Eigenschaften heterocyclischer Verbindungen . . . . 2.8 Halogenverbindungen 2.8.1 Namen, Eigenschaften 2.8.2 Darstellung 2.8.3 Reaktionen 2.8.4 Anwendungstechnisch wichtige Halogenderivate,Umweltbelastung durch Halogenverbindungen Sauerstoffverbindungen 2.9 Alkohole, Phenole 2.9.1 Namen, physikalische Daten 2.9.2 Darstellung 2.9.3 Reaktionen von Alkoholen und Phenolen 2.10 Ether 2.11 Carbonylverbindungen: Aldehyde und Ketone 2.11.1 Benennung, Keto-Enol-Tautometrie, Beispiele 2.11.2 Darstellung von Carbonylverbindungen 2.11.3 Reaktionen von Carbonylverbindungen Carbonsäuren, Carbonsäure- und Kohlensäurederivate 2.12 Carbonsäuren 2.12.1 Namen, Eigenschaften 2.12.2 Darstellung von Carbonsäuren 2.12.3 Reaktionen von Carbonsäuren 2.13 Carbonsäurehalogenide 2.14 Ester 2.14.1 Synthesen mit Malonester und Acetessigester 2.15 Carbonsäureanhydride 2.16 Carbonsäureamide 2.17 Derivate der Kohlensäure Stickstoffverbindungen 2.18 Amine 2.18.1 Namen und Eigenschaften 2.18.2 Darstellung 2.18.3 Reaktionen von Aminen 2.19 Nitroverbindungen Schwefelverbindungen 2.20 Thioalkohole und ihre Oxidationsprodukte 2.21 Weitere organische Schwefelverbindungen
Inhalt
84 85 85 88 89 91 91 93 96 98 98 101 102 104 105 106 108 108 108 110 111 114 116 116 118 119 124 125 125 127 129 130 130 132 134 135 135 136 137 137 138 140 142 142 143 143
Inhalt
IX
2.22 Organische Verbindungen mit anderen Elementen und Kombinationen funktioneller Gruppen 144 Chemie und Anwendungen synthetischer organischer Riesenmoleküle 3. Makromolekulare organische Stoffe 3.1 Historisches 3.2 Struktur und Eigenschaften makromolekularer Stoffe 3.3 Die Synthese makromolekularer Stoffe Darstellung, Eigenschaften und Anwendung einzelner makromolekularer Stoffe . 3.4 Polymerisationsprodukte Kohlenwasserstoffe 3.4.1 Polyethylen, PE 3.4.2 Polypropylen, PP, Poly-l-buten, PBT 3.4.3 Polystyrol, PS 3.4.4 Natur- und Synthesekautschuk Halogen-, Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen 3.4.5 Polyvinylchlorid, PVC, Polyvinylidenchlorid, PVDC 3.4.6 Polytetrafluorethylen, PTFE 3.4.7 Polyvinylacetat, PVAC 3.4.8 Polyvinylalkohol, PVAL 3.4.9 Polyvinylacetale 3.4.10 Polyacrylnitril, PAN 3.4.11 Polymethacrylat, PMMA, Polycyanacrylat, Polyacrylamid . . . . 3.4.12 Polyvinylether 3.4.13 Polyvinylpyrrolidon 3.5 Polykondensations- und Polyadditionsprodukte 3.5.1 Polyamide, PA 3.5.2 Polyester 3.5.3 Polyurethane, PUR 3.5.4 Ethoxylinharze (Epoxidharze), EP 3.5.5 Polycarbonate, PC 3.5.6 Polyoxymethylen, POM, Polyoxyethylen 3.5.7 Phenol-, Harnstoff- und Melaminharze, PF, UF, MF 3.5.8 Silicone, SI, SIR 3.6 Umwandlungsprodukte von Naturstoffen 3.6.1 Cellulose und Cellulosederivate 3.6.2 Abgewandelte Eiweißstoffe, CS 3.7 Neue Entwicklungen von makromolekularen organischen Substanzen . .
147 149 149 155 158 158 158 158 159 160 161 164 164 165 166 167 167 168 169 170 170 171 171 173 175 176 176 177 177 180 181 181 182 183
Anwendungen zwischenmolekularer Kräfte 4. Lösungsmittel, Weichmacher, grenzflächenaktive Substanzen 4.1 Allgemeines 4.2 Lösungsmittel 4.3 Weichmacher 4.4 Grenzflächenaktive Substanzen (Tenside) 4.4.1 Die Wirkung grenzflächenaktiver Substanzen
187 189 191 194 ' 196 196
X
Inhalt 4.4.2 Die Molekülstruktur grenzflächenaktiver Substanzen Eigenschaften und Verwendung grenzflächenaktiver Substanzen 4.4.3 Waschmittel (Detergenzien) und Emulgatoren 4.4.4 Schmierstoffe 4.4.5 Flotationshilfsmittel 4.4.6 Umweltbelastung durch Detergenzien, Eutrophierung
198 198 198 200 201 202
Anwendungen lichtabsorbierender Verbindungen 5. Farbstoffe 5.1 Physikalische Eigenschaften der Farbstoffe 5.2 Chemie der Farbstoffe 5.2.1 Farbtragende Gruppierungen (chromophore Systeme) 5.2.2 Verbindung von Farbstoffen mit Textilfasern 5.2.3 Chemolumineszenz
203 205 207 208 212 213
Die organische Chemie der lebenden Organismen 6. Biochemie 6.1 Allgemeines Bausteine der Biochemie 6.2 Kohlenhydrate 6.3 Proteine, Peptide 6.4 Lipide: Fette, Lipoide 6.5 Andere biochemisch wichtige Verbindungen Lebensvorgänge 6.6 Prinzipien des Stoffwechsels und des Energiehaushalts 6.7 Kohlenhydrat-Stoffwechsel 6.7.1 Aufbau der Kohlenhydrate: Photosynthese 6.7.2 Abbau der Kohlenhydrate: Glycolyse, Citronensäurecyclus und Atmungskette 6.8 Fettstoffwechsel 6.9 Die Biogenese der Terpene und Sterine 6.10 Aminosäure- und Proteinstoffwechsel 6.11 Verflechtung der Stoffwechselvorgänge 6.12 Die Substanz der Gene: Die Desoxyribonucleinsäure, DNS 6.12.1 Wesen und Struktur der DNS 6.12.2 Der molekulare Aufbau der DNS 6.12.3 Reduplikation der DNS 6.13 Umschreibung und Übersetzung der genetischen Information 6.14 Störungen der normalen Realisierung der genetischen Information: Mutationen, Krebs und Viren 6.15 Biokatalysatoren und Wirkstoffe 6.15.1 Enzyme 6.15.2 Vitamine 6.15.3 Hormone 6.15.4 Nervensysteme, Sehvorgang, Gehirn 6.15.5 Antikörper
215 217 218 218 222 228 229 230 230 232 233 234 238 238 241 243 244 244 246 248 249 253 254 255 260 260 264 269
Inhalt
6.15.6 Antibiotika 6.15.7 Chemotherapeutika 6.15.8 Alkaloide 6.16 Zur Entwicklungsgeschichte der Lebewesen 6.17 Mensch und Umwelt
XI
269 271 271 272 273
Identifizierung organischer Verbindungen und Ermittlung ihrer Zusammensetzung 7. Analytik organischer Verbindungen 277 Klassische Methoden 279 7.1 Reinigung und Trennung 279 7.2 Kennzahlen zur Charakterisierung von Substanzen 279 7.3 Ermittlung der elementaren Zusammensetzung reiner Verbindungen . . 280 7.4 Ermittlung des Molekulargewichts 281 7.5 Ermittlung der Molekülstruktur 282 Physikalische Methoden 283 7.6 Chromatographie 283 Spektroskopische Methoden 287 7.7 Methoden der Schwingungsspektroskopie: Infrarot- und Ramanspektroskopie 288 7.8 UV-Spektroskopie 291 7.9 Magnetische Kernresonanz-Spektroskopie, Elektronenspinresonanz . . . 294 Elektronenspinresonanz-Spektroskopie 297 7.10 Massenspektrometrie 298 7.11 Optische Rotationsdispersion, Circulardichroismus 299 7.12 Mikrowellenspektroskopie 300 Weitere physikalische Methoden 300 7.13 Dielektrizitätskonstante, Dipolmoment, Dielektrischer Verlust 300 7.14 Brechungsindex, Polarisierbarkeit 302 7.15 Röntgenstrukturanalyse 303 7.16 Verwendung von Isotopen in der organischen Analytik 303 Sachregister
305
Vorbemerkung Hinweise auf andere Textstellen werden durch die Dezimalklassifikation der Kapitel und Abschnitte in ( ) gegeben, zum Beispiel (f 6.7.1). Abbildungen und Tabellen sind in jedem Kapitel neu durchnumeriert. Hinweise darauf lauten (f Abb. 6.15) bzw. (f Tab. 4.2). •
Wichtige Ergebnisse, Regeln oder Definitionen sind durch das Zeichen • am Rand gekennzeichnet.
Beispiele, Kommentare und Ausarbeitungen, die nicht zum laufenden Text gehören, werden durch einen senkrechten Strich am Rand gekennzeichnet. Für Anfänger können diese Textstellen sowie Teile des ersten Kapitels schwer verständlich sein. Sie können zunächst ausgelassen werden, da sie für das Verständnis der folgenden Kapitel nicht unbedingt erforderlich sind.
Bausteine, Bauprinzipien und Architektur organischer Verbindungen
1. Grundlagen der Organischen Chemie Im ersten Kapitel werden die Eigenschaften der Moleküle aus denen der Atome hergeleitet. Es wird dann gezeigt, wie sich die — makroskopisch sichtbaren — physikalischen und chemischen Eigenschaften der organischen Stoffe durch das Zusammenwirken der mikroskopischen Charakteristika einer riesigen Zahl von Molekülen erklären lassen. Nur wenige verschiedene Bausteine sind erforderlich, um die große Vielfalt der organischen Stoffe aufzubauen.
1.1 Was ist „Organische Chemie"? Die Chemie ist die Lehre von den Stoffumwandlungen. Genaugenommen ist die Chemie ein Teilgebiet der Physik, der Lehre von den Eigenschaften der Stoffe. Der Name Organische Chemie grenzte ursprünglich die Chemie des Pflanzenund Tierreichs von der Anorganischen Chemie, der Chemie des Mineralreichs, ab. Man nahm nämlich — bis ca. 1850 — an, daß organische Substanzen nur von der lebenden Zelle unter Mitwirkung einer besonderen Lebenskraft aufgebaut werden könnten. Auch nachdem Wöhler 1824 die Säure des Sauerklees, die Oxalsäure, und 1828 den Harnstoff synthetisiert und dadurch diese Vermutung widerlegt hatte*, blieb man bei dieser Abgrenzung. Zwar gelten für den gesamten Bereich der Chemie die gleichen Naturgesetze; die Aufteilung in Organische Chemie, die Chemie der Kohlenstoffverbindungen und Anorganische Chemie, die Chemie aller Elemente außer Kohlenstoff ist jedoch auch heute aus mehreren Gründen sinnvoll: •
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•
•
Im Gegensatz zu den anderen Elementen kann ein Kohlenstoffatom sich mit bis zu vier weiteren Kohlenstoffatomen verbinden, die ihrerseits mit weiteren Kohlenstoffatomen verknüpft sein können. Die Größe der aus Kohlenstoffatomen aufgebauten Moleküle ist praktisch nicht begrenzt. In diesen Molekülen können die Kohlenstoffatome zu unterschiedlich langen und verzweigten Ketten und zu Ringen oder Ringsystemen zusammengefügt sein. Am Aufbau der organischen Verbindungen sind — außer Kohlenstoff — nur wenige andere Elemente: Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und seltener die Halogene, sowie Schwefel und Phosphor beteiligt. Infolge der mannigfaltigen Verknüpfungsmöglichkeiten dieser Elemente kennt man heute über vier Millionen verschiedene Kohlenstoffverbindungen, mehr als zehnmal so viel wie die Anzahl der bekannten Verbindungen aller anderen Elemente zusammen. Jährlich werden ca. 80000 neue organische Verbindungen dargestellt und beschrieben. Im Gegensatz zu vielen anorganischen Verbindungen zeigen die Kohlenstoffverbindungen keine Neigung zur Dissoziation in Ionen (zum Zerfall in geladene Teilchen). Die meisten organischen Verbindungen zersetzen sich bei Temperaturen im Bereich 2 0 0 . . . 500 °C, und sie verbrennen bei Gegenwart von Sauerstoff. Anorganische Verbindungen sind oft thermisch beständiger und meistens nicht brennbar.
* Wöhler schrieb an Berzelius: „. . . ich muß Ihnen sagen, daß ich Harnstoff machen kann, ohne dazu Nieren oder überhaupt ein Thier, sey es Mensch oder Hund, nöthig zu haben."
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Grundlagen der organischen Chemie
Die Oxide des Kohlenstoffs, die Carbonate, Carbide und Cyanide rechnet man zum Gebiet der anorganischen Chemie. Viele, organische Salze und Komplexverbindungen sowie metallorganische Verbindungen (f 2.22) besitzen sowohl „organische" wie „anorganische" Molekülteile. Die Chemie der Lebensvorgänge im Pflanzen- und Tierreich — ein sehr wichtiges Gebiet der Organischen Chemie — wird heute als Biochemie bezeichnet.
1.2 Atome und Moleküle In diesem Abschnitt (1.2) werden die — den meisten Lesern bekannten — Fakten über Atome und Moleküle zusammengestellt, darauf aufbauend erläutert der nächste Abschnitt (1.3) die Valenzelektronenhülle, den Träger der chemischem Eigenschaften. Alle irdische Materie ist aus Atomen aufgebaut. Man bezeichnet die Stoffe aus gleichartigen Atomen als elementare Stoffe oder einfach Elemente. Chemische Verbindungen bestehen aus Molekülen, in ihnen sind verschiedene Atome durch chemische Bindungen verknüpft. Mit Hilfe chemischer Reaktionen lassen sich Moleküle aus Atomen aufbauen, in andere Moleküle umwandeln oder in Atome zerlegen. Ein Atom besteht aus dem Kern und der Elektronenhülle. Unter irdischen Bedingungen treten die Atomkerne nicht nackt auf, sondern nur umgeben mit einer Elektronenhülle. Ausnahmen bilden die bei radioaktiven Prozessen entstehenden Spaltprodukte, z. B. a-Teilchen und Protonen (Helium- bzw. Wasserstoff-Kerne). Die Atomkerne sind positiv geladen und vereinigen praktisch die gesamte Masse der Atome in sich. Die Elektronenhülle ist negativ geladen und besitzt nur eine sehr geringe Dichte. Der Durchmesser der Atomkerne ist von der Größenordnung 10~ 15 m, derjenige der Elektronenhülle ist 100000 mal größer: etwa 10" 10 m (Größenvergleich: Stecknadelkopf und Kuppel des St. Peter-Doms). Die Atomkerne sind aus Protonen und Neutronen zusammengesetzt. Beide haben nahezu die gleiche Masse, nur das Proton ist elektrisch geladen - es trägt eine positive Elementarladung, ihr Betrag ist gleich der (negativen) Ladung eines Elektrons. Die Masse des Protons beträgt 1,00728, die des Neutrons 1,00866 und die des Elektrons 0,00055 Atom-Masseneinheiten. Die Atom-Masseneinheit u ist definiert als der Masse des Kohlenstoffisotops 12C; IM = 1,660- 10~ 24 g. Eine Elementarladung, d. h. die positive Ladung des Protons und die negative des Elektrons ist gleich 1,6021 10~19 Coulomb. Die Anzahl der Elementarladungen im Kern eines Atoms wird auch Kernladungs- oder Ordnungszahl
A t o m e und Moleküle
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genannt, sie ist gleich der Anzahl der Protonen im Kern. Ein Atom im elementaren Zustand ist elektrisch neutral, da es in seiner Elektronenhülle genausoviele Elektronen besitzt wie die Ordnungszahl seines Kerns angibt; die Anzahl der Elektronen in der Hülle ist also gleich der der Protonen im Kern. Die Atome in den Molekülen sind durch chemische Bindungen miteinander verknüpft. •
Chemische Bindungen bestehen aus Elektronen, die gleichzeitig der Elektronenhülle beider beteiligten Atome angehören.
Die chemischen Bindungen bewirken, daß die Energie zweier gebundener Atome - um die sogenannte Bindungsenergie - niedriger ist als die der einzelnen, nicht gebundenen Atome. •
Chemische Reaktionen sind Vorgänge, bei denen chemische Bindungen gelöst oder geknüpft werden.
Die chemischen Reaktionen verändern also die Verteilung der Elektronen in den Hüllen der beteiligten Moleküle und Atome, wie zum Beispiel bei der Verbrennung von Methan: H H-C-H + 2 ( 0 = 0 ) —
(0=C = 0) + 2 H - Ö - H
H Methan
Sauerstoff
Kohlendioxid
Wasser
In dieser Reaktionsgleichung symbolisiert jeder Strich ein Elektronenpaar. Nur von der Elektronen-Anordnung in der Hülle eines Atoms hängt es ab, ob es als einzelnes, elektrisch geladenes Teilchen, als Ion, stabiler ist oder eher als Bestandteil eines Moleküls oder eines Kristallgitters. Auch die Eigenschaften eines Moleküls werden nur durch seine Elektronenhülle bestimmt, die ja aus der Elektronenhülle aller beteiligten Atome entsteht. Die chemischen Reaktionen eines Elements oder einer Verbindung sind, wie wir im einzelnen noch sehen werden, ein makroskopisch sichtbarer Ausdruck der mikroskopischen Eigenschaften der Elektronenhülle der beteiligten Atome. Die Atomkerne haben nur insofern einen Einfluß auf die chemischen Eigenschaften der Atome und Moleküle, als sie die Anzahl der Elektronen festlegen, die in der Elektronenhülle vorhanden sein müssen, damit Atome und Moleküle elektrisch neutral werden. Die Anzahl der Elektronen im neutralen Atom allein bestimmt dessen chemische Eigenschaften. Dies wird noch im Abschnitt 1.5 und 1.6 eingehender erklärt. Die Anzahl der Neutronen im Kern hat keinen wesentlichen Einfluß auf die chemischen Eigenschaften, da nur die Anzahl der Protonen im Kern, die Ordnungszahl, ein Element charakterisiert. Atome mit der gleichen Zahl von Protonen, aber mit verschiedener Zahl von Neutronen im Kern gehören zum gleichen Element, obwohl sie verschiedene Masse besitzen. Sie heißen isotope
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Grundlagen der organischen Chemie
Atome. Zum Beispiel können in einem Atomkern 6 Protonen gemeinsam mit 6, 7 oder 8 Neutronen angeordnet sein. Ein Kern mit der Kernladung 6 gehört zum Element Kohlenstoff — es gibt also die Kohlenstoff-Isotope mit der Masse von ca. 12, 13 und 14 Atom-Masseneinheiten. Bei manchen Reaktionen und Eigenschaften der Atome und Moleküle hat die Masse einen Einfluß. Dann geben isotope Atome Anlaß zu sogenannten Isotopeneffekten. Diese werden in diesem Buch nicht näher behandelt. Die Ordnungszahl wird einem Elementsymbol als linker Subskript angefügt: C, die Masse als linker Superskript 62C, '63C, '64C. Als rechten Subskript gibt 6 man die Anzahl der gleichen Atome in einem Molekül an und als rechten Superskript die Ladung des Atoms oder seinen Zustand, den Radikal- (•), Anregungs- ( * ) oder den Übergangszustand (=1=) bei einer Reaktion. Das für den analytisch arbeitenden Chemiker wichtige Atomgewicht ist der Durchschnittswert der Masse der in der Natur auftretenden Mischung von Isotopen Atomen des betreffenden Elements, angegeben in Atom-Masseneinheiten ( | Tabelle 2). Auf der Erde kommen in der Natur fast alle Atomkerne der Ordnungszahlen 1 . . . 92 vor; einige wenig stabile Elemente mit höherer Ordnungszahl wurden mit den Verfahren der Kernphysik künstlich erzeugt. Die Atome der natürlichen Elemente haben daher auch eine Hülle aus 1 . . . 92 Elektronen. Schon im Jahre 1869 hatten unabhängig L. Meyer und D. Mendelejew festgestellt, daß sich bestimmte Eigenschaften der Elemente mit steigendem Gewicht periodisch wiederholen. In den Jahren 1910—1930 erkannte man, wie diese Periodizität und überhaupt alle chemischen Eigenschaften von Elementen und Verbindungen von der Elektronenhülle der Atome bestimmt wird.
1.3 Atom- und Molekülorbitale Ernest Rutherford untersuchte 1911 die Streuung von a-Teilchen (HeliumKernen) an den Atomen von Metallfolien. Da nur relativ wenige a-Teilchen aus ihrer Bahn abgelenkt wurden, schloß er daraus, daß der Atomkern im Vergleich zur Elektronenhülle äußerst klein sein muß. Nils Bohr erklärte 1913 diesen Befund mit Hilfe des Planetenmodells des Atoms: Wie Planeten oder Erdsatelliten umkreisen die Elektronen den Kern auf Bahnen, die dadurch bestimmt sind, daß die Zentrifugalkraft entgegengesetzt gleich ist der anziehenden Kraft zwischen dem positiv geladenen Kern und den negativ geladenen Elektronen. Mit Hilfe des Bohrschen Atommodells ließen sich wesentliche Eigenschaften der Atomspektren erklären. Trotzdem ist
Atom- und Molekülorbitale
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dieses Modell jedoch nicht stichhaltig: Ein Gebilde, bei dem eine negative Ladung um eine positive periodisch kreist, muß — wie die Dipolantenne eines Rundfunksenders — elektromagnetische Strahlung aussenden. Dadurch müßte die kinetische Energie des Elektrons solange abnehmen, bis es in den Kern stürzt. Tatsächlich sind die Elektronenbahnen jedoch stabil! Diese Tatsache kann das Bohrsche Atommodell nicht erklären. Die Entdeckungen von Louis de Broglie und Werner Heisenberg lösten das Rätsel. Schon 1905 hatte Albert Einstein gezeigt, daß Licht - eine Erscheinungsform elektromagnetischer Wellen - ebenfalls Eigenschaften von Materieteilchen, sogenannten Quanten, zeigt. In seiner Doktorarbeit erklärte de Broglie 1924, daß andererseits Materieteilchen die Eigenschaften von Wellen haben. Sie werden tatsächlich - wie Wellen - gebeugt! Die Wellenlänge X eines Teilchens ist umgekehrt proportional seiner Masse m und seiner Geschwindigkeit v: m • v Proportionalitätskonstante ist die Planck-Einstein-Konstante h = 6,63 • 10"34 Js. Die de-Broglie-Wellenlänge ist für Gegenstände des täglichen Lebens viel zu klein, um beobachtbar zu sein. Die Wellenlänge eines scharf getretenen Fußballs ist 10~36 m, also viel kleiner als ein Atomkern. Dagegen haben jedoch Elektronen unter den Bedingungen in der Elektronenhülle Wellenlängen von ca. 10~wm, also gleich der Größenordnung der Atomdurchmesser. Damit war nahegelegt, daß die Elektronen in der Umgebung der Atomkerne stehende Wellen bilden. Da somit keine scharfen Umlaufbahnen existieren, wird auch keine Dipolstrahlung ausgesandt. Heisenberg zeigte 1925 mit Hilfe seiner Unschärferelation, daß man Geschwindigkeit v und Ort x eines Teilchens nie gleichzeitig beliebig genau angeben kann. Das Produkt der Abweichungen Av und Ax ist größer oder mindestens gleich h/m. h Ax • Av > — m Für ein Elektron bedeutet dies: falls man Ax exakt auf den Kerndurchmesser begrenzte, so müßte seine Geschwindigkeit so groß sein, daß es den Kern sofort verlassen würde. Die Elektronen in den Atomhüllen können also nicht in den Kern fallen, sie bilden stehende räumliche Wellen im Bereich um den Kern. Erwin Schrödinger gelang es 1926, die Welleneigenschaften der Materie in Atomen und Molekülen korrekt mathematisch zu beschreiben. Die Lösungen der sogenannten Schrödingergleichung erlauben grundsätzlich die Berechnung aller physikalischen und chemischen Eigenschaften von Atomen und Molekülen. Schrödinger begründete mit dieser Gleichung die Quantenmechanik. Ihre Anwendung auf chemische Probleme ist Gegenstand der Quantenchemie.
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Grundlagen der organischen Chemie
Die Schrödingergleichung ist zwar nur für einfache Gebilde exakt lösbar, man verfügt jedoch heute über Näherungsverfahren, die recht genaue Daten auch für größere Moleküle zu berechnen gestatten. Im folgenden werden die im Rahmen dieses Buches wichtigsten Aussagen der Quantenchemie beschrieben. Die zur Hülle eines Atoms gehörenden Elektronen bilden stehende räumliche Wellen mit dem Kern als Zentrum aus. Man bezeichnet sie als Atomorbitale (von lat. orbis: Kreis, Bahn, Bereich). Sie werden durch Wellenfunktionen V mathematisch beschrieben. Solche Atomorbitale sind in Abbildung 1.2 und 1.4 gezeichnet. Nach einem von Wolfgang Pauli gefundenen Prinzip (Pauli-Verbot) können jeweils höchstens zwei Elektronen das gleiche Orbital ausbilden, dann müssen sie jedoch entgegengesetzten Spin besitzen. Als Elektronenspin bezeichnet man den Eigendrehimpuls des Elektrons, er äußert sich darin, daß einzelne Elektronen sich in einem Magnetfeld wie kleine Magnete verhalten. Zwei Elektronen mit antiparallelem Spin in einer Bahn kompensieren ihre magnetischen Eigenschaften. Orbitale unterscheiden sich durch die Anzahl und Form ihrer Knotenflächen. Dies soll zunächst an einem makroskopischen Analogon verdeutlicht werden (f Abbildung 1.1). Im Zentrum einer gasgefüllten Hohlkugel sei eine Schall-
Abbildung 1.1 a) Schwingungen einer Saite. 1 Grundton, 2 Oberton. Mit + und — ist die relative Richtung der Auslenkung in jedem Augenblick der Schwingung gekennzeichnet, bezeichnet den Schwingungsknoten, hier wird die Saite nicht ausgelenkt. Man beobachtet eine .stehende' Welle. b) Stehende Schall-Wellen in einem gasgefüllten Hohlraum, Spalte s: Schallquelle strahlt in alle Richtungen mit gleicher Phase aus, l s : Grundton, 2 s und 3 s: Obertöne; Spalte p: Schallquelle strahlt nach oben und unten Wellen mit entgegengesetzter Phase aus, 2 p: Grundton, 3 p: Oberton; Spalte d: Schallquelle strahlt in einer Ebene in vier zueinander senkrechten Richtungen Wellen mit entgegengesetzter Phasenlage aus, 3d: Grundton.
Atom- und Molekülorbitale
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quelle (z. B. ein Lautsprecher) angebracht. Falls diese Quelle in alle Richtungen gleich intensiv mit gleicher Phase strahlt, so bilden sich bei bestimmten-Frequenzen stehende Kugelwellen aus. Zu einem tiefsten Grundton gibt es Obertöne, bei ihnen treten im Inneren des Hohlraums stehende Wellen mit einer oder mehreren Knotenkugeln auf. In der Abbildung symbolisiert ein + oder — die relative Schwingungsphase. Strahlt die Quelle jedoch wie eine Lautsprechermembran in zwei entgegengesetzten Richtungen Wellen mit entgegengesetzter Phase aus, so bildet sich senkrecht zu den Ausstrahlungsrichtungen eine Knotenebene aus. Die stehende Welle hat dann eine Form ähnlich einer 8. Bei den zugehörigen Obertönen findet man zusätzlich Knotenkugeln. Schließlich kann man auch ein Lautsprechersystem in das Zentrum der Kugel bringen, das in einer Ebene in 4 zueinander senkrechten Richtungen strahlt, wobei die Wellen in jeweils um 90° verschiedenen Richtungen entgegengesetzte Phasenlage zeigen. Jetzt bilden sich stehende Wellen aus, die Ähnlichkeit mit einem Blatt des Glücksklees besitzen. Zwei Knotenebenen stehen nun senkrecht aufeinander. Die Schrödingergleichung läßt sich für das Wasserstoffatom oder andere Atome mit einem Elektron exakt lösen. Abbildung 2 zeigt die Wellenfunktionen W und die zugehörigen Abbildungen für die Atomorbitale und ^ p eines Wasserstoffatoms.
Y2p=A" r e"r/2 cos Y2s = A' (2 - r) e'"2 H
w
ls = A e"r
Abbildung 1.2 Wellenfunktionen für Elektronen des Wasserstoffatoms. A, A' und A " sind Konstanten, r ist der Abstand vom Kern, gemessen in ,Bohr-Radien' (Einheiten von 0,529 Ä) und 0 ist der Winkel zwischen der Richtung des Vektors t und einer Achse.
hat keine Knotenfläche, eine kugelförmige Knotenfläche und l^s eine ebene Knotenfläche. Das Vorzeichen einer Wellenfunktion ändert sich an einer Knotenfläche. Vorzeichen und Wert der Wellenfunktion haben keine anschauliche Bedeutung, dagegen hat der Wert des Quadrates der Wellenfunktion, W2, für einen bestimmten räumlichen Bereich die Bedeutung einer Wahrscheinlichkeit, hier ein Elektron treffen zu können. XV2 verdeutlicht somit die Elektronendichteverteilung für das Orbital V.
10
Grundlagen der organischen Chemie
Die Quadrate der Wellenfunktionen beschreiben also den Aufenthaltsbereich der Elektronen eines Atoms, die — wegen ihrer negativen Ladung — vom Atomkern angezogen werden: infolge ihrer Wellennatur bilden sie im Bereich um den Atomkern räumliche stehende Wellen aus. Die Wellenfunktionen lassen sich durch sogenannte Haupt- und Nebenquantenzahlen klassifizieren. Man findet, daß die Quadrate der Wellenfunktionen höherer Hauptquantenzahlen n eine Elektronenverteilung beschreiben, bei der der mittlere Abstand vom Kern größer ist. Da man Energie aufwenden muß, um ein Elektron vom Kern weg zu bewegen, so wächst die Energie eines Elektrons in einem Orbital mit wachsender Hauptquantenzahl n. Weiter fand man, daß die Anzahl der Knotenflächen immer um 1 kleiner ist als die Hauptquantenzahl n. Untersuchungen der Atomspektren haben bewiesen, daß Elektronen aus Orbitalen höherer Quantenzahl in solche niedriger Quantenzahl, also von Zuständen höherer Energie in Zustände niedrigerer Energie springen, sofern diese noch nicht voll besetzt sind. Dabei wird die Energiedifferenz in Form von Licht abgestrahlt. Dieses ,Energieprinzip''. ,Jedes System ist bestrebt, in einen Zustand niedrigster Energie überzugehen' bestimmt, wie wir im folgenden Abschnitt 1.4 sehen werden, den Aufbau des Periodensystems der Elemente. Die Elektronenhülle eines- Moleküls befindet sich im Anziehungsbereich mehrerer Atomkerne. Die Wellenfunktionen für Elektronen im Bereich mehrerer Kerne beschreiben sogenannte Molekülorbitale. Das Molekülorbital niedrigster Energie hat keine Knotenfläche. Mit zunehmender Anzahl der Knotenflächen steigt auch die Energie der Molekülorbitale. Abbildung 1.3 a)
•
b)
Mi
•
•-
./l
Abbildung 1.3 Molekülorbitale und Vektordiagramm der abstoßenden und anziehenden Kräfte für ein Elektron e im Bereich zweier einfach geladener Kerne 1 und 2. a) Zwei Kerne und das Vektordiagramm der Abstoßungskräfte zwischen den positiven Ladungen; b) Ein Elektron im Bereich außerhalb des Gebiets zwischen den Kernen wirkt nicht stabilisierend. c) Ein Elektron im Bereich zwischen den Kernen zieht beide Kerne an, die Komponenten dieser anziehenden Kräfte von 1 nach 2 und von 2 nach 1 sind größer als die Abstoßung entsprechend Bild a. f nennt man daher ein bindendes Molekülorbital, 1** ein antibindendes Molekülorbital.
Atom- und Molekülorbitale
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zeigt das Molekülorbital niedrigster Energie des Wasserstoffmoleküls, W, ohne Knotenfläche sowie das folgende Molekülorbital höherer Energie, tf*, mit Knotenebene. Man kann sich vorstellen, daß beide Molekülorbitale des Wasserstoffmoleküls aus den V ls -Atomorbitalen der Wasserstoffatome 1 und 2 hervorgegangen sind. Einmal wurden sie mit gleicher Phase, einmal mit entgegengesetzter Phase kombiniert: W = ^ l s ( l ) + W ls (2) W* = Wls(l)-Wls(2). Aus Abbildung 1.3 geht aber noch weiter hervor, wieso das Molekülorbital W eine chemische Bindung bildet, W* aber nicht. Nach dem Coulombschen Gesetz stoßen sich Teilchen i und j mit den Ladungen qi und qj ab, wenn sie gleichartig geladen sind, und ungleich geladene Teilchen ziehen sich an, jeweils um so stärker, je kleiner ihr Abstand ry ist:
Die Kraft K nimmt einen positiven Wert an, wenn sie bestrebt ist, den Abstand zu vergrößern. Abbildung 1.3 a stellt symbolisiert durch Vektoren die Abstoßungskraft zwischen zwei Atomkernen mit der Ladung 1 dar. Es entsteht erst dann ein stabiles Molekül, wenn diese Abstoßungskraft kompensiert wird. Das Vektordiagramm Abbildung 1.3 c beschreibt, wie dies geschieht: Ein Elektron im Bereich zwischen beiden Wasserstoffkernen zieht beide Kerne an (und wird von beiden angezogen), und zwar so stark, daß jeweils die anziehende Komponente in Richtung zum anderen Kern größer ist als die Abstoßung im Fall a. Betrachten wir nun, was im Falle Abbildung 1.3 a geschieht, wenn sich ein Elektron nicht in der Nähe beider Kerne aufhält: Das Vektordiagramm Abbildung 1.3 b zeigt, daß das Elektron den am nächsten befindlichen Kern stärker anzieht als den weiter entfernten. Dies führt wie im Fall Abbildung 1.3 a dazu, daß sich die Kerne voneinander entfernen. Wir haben also gesehen: •
Ein Gebilde aus zwei einfach positiv geladenen Kernen wird dann stabilisiert, wenn ein Elektron sich im Bereich zwischen den Kernen aufhält.
Im Vergleich zu der Elektronendichteverteilung W2S eines einzelnen Wasserstoffatoms hat W2 für das Wasserstoffmolekül im Bereich zwischen den Kernen einen erhöhten Wert, V*2 dagegen hat einen erniedrigten Wert: beschreibt ein bindendes Molekülorbital, W* ein antibindendes. Tatsächlich zeigt das Experiment, daß bereits ein Elektron in W eine Bindung mit einer Bindungsenergie von 270 kJ/mol erzeugt, zwei Elektronen in V bilden sogar eine Bindung einer Bindungsenergie von 452 kJ/mol. Diese Energie muß also auf-
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Grundlagen der organischen Chemie
gebracht werden, um im H ®-Molekül bzw. dem H2-Molekül beide Kerne voneinander zu trennen. Genau das gleiche Prinzip liegt sämtlichen chemischen Bindungen zugrunde. Da besonders Kohlenstoffatome, wie wir in Abschnitt 1.6 sehen werden, stabile chemische Bindungen mit zwei, drei oder vier anderen Atomen auszubilden vermögen, erkennen wir damit schon jetzt die wichtigste Grundlage der Organischen Chemie. Die wesentlichsten Eigenschaften der Atom- und Molekülorbitale sind hier noch einmal zusammengestellt:
Atom- und Molekül-Orbitale •
•
•
Die - negativ geladenen - Elektronen werden durch die — positiv geladenen — Kerne angezogen. Sie bleiben daher in der Umgebung eines Kerns im Atom oder mehrerer Kerne im Molekül. Die Elektronen können aber nicht in einen Kern stürzen und mit ihm verschmelzen: Falls ein Elektron einen Kern träfe, wäre seine Geschwindigkeit so groß, daß es ihn sofort wieder verlassen könnte. Man nennt den Aufenthaltsbereich der Elektronen eines Atoms Atomorbitale, den der Elektronen im Bereich der Kerne eines Moleküls Molekülorbitale.
•
Mathematisch werden die Orbitale durch Wellenfunktionen beschrieben. Man findet sie als Lösungen der für das betreffende Atom oder Molekül angesetzten Schrödingergleichung. Makroskopisch kann man sich die Orbitale mit dem Bild dreidimensionaler stehender Wellen verdeutlichen.
•
Orbitale unterscheiden sich durch die Anordnung und die Anzahl von Knotenflächen (Knotenebenen oder Knotenkugeln). Knotenflächen trennen Bereiche unterschiedlichen Vorzeichens der stehenden Welle bzw. der Wellenfunktion. Je mehr Knotenflächen ein Orbital hat, umso höher ist die Energie eines Elektrons in diesem Orbital. Jedes Orbital kann höchstens zwei Elektronen aufnehmen (die entgegengesetzten Spin (Eigendrehimpuls) besitzen müssen).
• • •
• •
Haben zwei oder mehr Orbitale den gleichen Energiewert, so werden sie zunächst mit je einem Elektron besetzt, die jeweils gleichen Spin haben (Nach dem Entdecker Friedrich Hund Hundsche Regel genannt). Die Elektronen besetzen — jeweils paarweise — die verfügbaren Orbitale niedrigster Energie (Energieprinzip)• Die mittlere Elektronendichte in einem Raumelement eines Orbitals (die Wahrscheinlichkeit, ein Elektron hier zu treffen) ist gegeben durch das Quadrat der Wellenfunktion in diesem Raumelement.
Eigenschaften der Atomorbitale, Periodensystem
•
13
Ein Elektron in einem Molekülorbital wirkt dann für zwei Atomkerne bindend, wenn es zwischen den Kernen eine höhere Elektronendichte ermöglicht als die Atomorbitale der einzelnen Atome, aus denen es sich zusammensetzt.
1.4 Die Eigenschaften der Atomorbitale und das Periodensystem Atomorbitale unterscheiden sich durch ihre Energie, ihre Größe und die Anzahl der Knotenflächen. Man kennzeichnet die verschiedenen Orbitale mit Hilfe von Quantenzahlen. Weiter fand man, daß die Elektronen einen Eigendrehimpuls (Spin) besitzen, den man mit Hilfe der Spinquantenzahl kennzeichnet. Die Hauptquantenzahlen (n = 1, 2, 3 . . . 7) schaffen eine grobe Ordnung der möglichen Atomorbitale, von ihnen hängt in erster Linie die Energie der Elektronen ab, die die Orbitale besetzen. Die Anzahl der Knotenflächen ist gleich n — 1. Jeweils alle Atomorbitale der gleichen Hauptquantenzahl bilden die einzelnen Schalen der Elektronenhülle. Die Schalen mit der Hauptquantenzahl n = 1, 2, 3 . . . 7 werden gelegentlich auch mit Großbuchstaben als K-, L-, M - , . . . Q-Schale bezeichnet. Die Nebenquantenzahlen (1) bestimmen die Form der Atomorbitale. Orbitale der Nebenquantenzahl 0 sind kugelschalenförmig, die der Nebenquantenzahlen 1, 2, 3 , . . . 6 tropfen- oder ringförmig. Man bezeichnet sie auch mit kleinen Buchstaben: für 1 = 0, 1, 2, 3, 4 als s, p, d, f, g-Orbital. Für jede Hauptquantenzahl gibt es Orbitale mit verschiedenen Nebenquantenzahlen, dabei ist die Nebenquantenzahl höchstens um 1 kleiner als die Hauptquantenzahl. Für n = 3 sind z. B. Orbitale mit den Nebenquantenzahlen 0, 1 und 2 möglich. Zu jeder Nebenquantenzahl gehören verschiedene, im Raum anders gerichtete Orbitale, 1 Orbital für 1 = 0; 3 Orbitale für 1 = 1; 5 Orbitale für 1 = 2; 7 Orbitale für 1 = 3. Die einzelnen Orbitale einer Nebenquantenzahl werden durch die sogenannten Magnetquantenzahlen gekennzeichnet, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. In jedem Orbital können 2 Elektronen untergebracht werden, diese müssen aber entgegengesetzten Spin (Eigendrehimpuls) aufweisen, d. h. eine Spinquantenzahl von + 2 sowie von — Das Symbol für Elektronen mit positiver bzw. negativer Spinquantenzahl ist \ und j. In einem Atom können niemals mehrere Elektronen mit gleichem Spin das gleiche Orbital besetzen (Pauli-Verbot). Mit anderen Worten: •
Jedes Elektron muß sich von allen anderen Elektronen der gleichen Hülle in mindestens einer Quantenzahl unterscheiden.
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Grundlagen der organischen Chemie
Für die Hauptquantenzahlen 1 . . . 4 sind also die in Tabelle 1 zusammengestellten Orbitale und Elektronenplätze verfügbar. Tabelle 1 Die verfügbaren Atomorbitale der Hauptquantenzahl 1 . . . 4 Bezeichnung der Schale
HauptNebenQuantenzahl n 1
Bezeichnung Anzahl der Atomorbitale
KnotenEbenen, Kugeln Kegel
Gesamtzahl der Elektronenplätze
K
1
0
ls
1
0
0
2
L
2
0 1
2s 2p
1 3
0 1
1 0
2 6
M
3
0 1 2
3s 3p 3d
1 3 5
0 1 2
2 1 0
2 6 18 10-
N
4
0 1 2 3
4s 4p 4d 4f
1 3 5 7
0 1 2 3
3 2 1 0
2 6 10 14
80
Die Gesamtzahl der Elektronen in den Schalen mit den Hauptquantenzahlen 1, 2, 3, 4 beträgt also 2, 8, 18, 32.
Die Formen der in Tabelle 1 beschriebenen ls-, 2s-, 2p-, 3s- und 3p-Orbitale sind in Abbildung 1.4 dargestellt. Knotenflächen trennen Teile der Orbitale mit entgegengesetzter Phase der stehenden Welle. Bildet man das Quadrat der
U
L 3s
.1 2s
¿f
•Y
2Px
T
y 1s
Abbildung 1.4 Formen von Atomorbitalen der Hauptquantenzahlen n = 1, 2 und 3 (K-, L- und M-Schale). Die Elektronendichteverteilung ist dieser Darstellung analog.
Eigenschaften der Atomorbitale, Periodensystem
15
in Abbildung 1.4 dargestellten Wellenfunktionen, so erhält man die Verteilung der Wahrscheinlichkeitsdichte oder einfach die Elektronendichteverteilung. Sie unterscheidet sich nicht von der Form der Wellenfunktionen nach Abbildung 1.4. Alle Bereiche haben nun natürlich positives Vorzeichen. Die Energie der Elektronen in den Orbitalen wächst mit der Haupt- und der Nebenquantenzahl. Dabei besitzen im allgemeinen die Bahnen der größeren Hauptquantenzahl eine höhere Energie als alle Bahnen der nächstniedrigeren Hauptquantenzahl. Das ist schematisch in Abbildung 1.5 gezeigt. Bei den dund f-Orbitalen der Hauptquantenzahl 3, 4 usf. ist diese Regel nicht erfüllt. Im Rahmen dieses Buches ist dies aber nicht von Bedeutung.
E
Abbildung 1.5 Relative Energie der s- und p-Atomorbitale der Hauptquantenzahl 1, 2 und 3 (Kästchen-Modell).
Die Atomorbitale der Elemente des Periodensystems folgendem Aufbauprinzip mit Elektronen besetzt: • • •
werden
nach
Freie Orbitale niedrigster Energie werden zuerst besetzt (Energieprinzip). In jedem Orbital haben nur zwei Elektronen entgegengesetzten Spins Platz (Pauli-Verbot). Energiegleiche Orbitale werden zunächst einzeln mit Elektronen gleichen Spins besetzt (Hund'sche Regel).
Nach diesen Regeln werden die Atomorbitale aller Atome mit so vielen Elektronen besetzt, wie durch die Kernladungszahl angegeben ist. Dadurch entsteht die in Tabelle 2 verdeutlichte Besetzung der Atomorbitale, die man auch als Elektronenkonfiguration bezeichnet. Die Elektronenkonfiguration der Kohlenstoffatome wird durch folgende Bezeichnung vereinfacht beschrieben: ls 2 2s 2 2p x 2p y .
16
Grundlagen der organischen Chemie
Tabelle 1.2
Die Elemente und die Elektronenkonfiguration ihrer Atome der Ordnungszahl
1 . . . 18
Kernladung
Symbol
1 2
H He
3 4
5
Li Be B
6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Elektronenkonfiguration Besetzung der Orbitale*** ls 2s 2p„ 2py 2pz 3s 3p„ 3py 3p2
Masse der Isotopen
Atomgewicht*
Wasserstoff Helium
1,2,3** 4, 3
1,00797 4,0026
t U
N O F Ne
Lithium Beryllium Bor Kohlenstoff Stickstoff Sauerstoff Fluor Neon
7,6 9 11, 10 12, 13, 14 14, 15 16, 17, 18 19 20, 21, 22
6,941 9,122 10,811 12,01115 14,0067 15,9994 18,9984 20,183
tl U u tl u u u ti
Na Mg AI Si P S C1 Ar
Natrium Magnesium Aluminium Silicium Phosphor Schwefel Chlor Argon
23 24, 25, 26 27 28, 29, 30 31 32,33,34,36 35, 37 36, 38, 40
22,9898 24,312 26,9815 28,086 30,9718 32,064 35,453 39,948
u u ti u ti ti ti u
C
Name
r u ti ti ti ti ti ti
t t t t ti ti
t t t ti ti
t t t ti t tl tl tl tl ti tl ti
t T t ti ti tl
t t t tl tl
t t t tl
* Die Atommassen werden auf die Masse des Kohlenstoff-Isotops 12C = 12,00000 AtomMasseneinheiten bezogen. Als Atomgewicht bezeichnet man den Massen-Mittelwert des natürlichen Isotopengemischs. ** Die isotopen Wasserstoffatome werden wie folgt bezeichnet: Masse 2: Deuterium (D), Masse 3: Tritium (T). *** Hier bedeutet T ein Elektron, TT zwei Elektronen mit gleichem, tl zwei Elektronen mit entgegengesetztem Spin.
Die K-Schale mit der Hauptquantenzahl 1 kann maximal 2 Elektronen aufnehmen ( l s in Abbildung 5). Beim Wasserstoffatom ist sie mit einem und beim Heliumatom mit zwei Elektronen besetzt. Die L-Schale mit der Hauptquantenzahl 2 bietet insgesamt Platz für 8 Elektronen, die die 2s- und die 2px, 2py und 2p z -Orbitale besetzen. Es entsteht so die Periode der Elemente vom Lithium bis zum Neon. Im System der Elemente werden alle Elemente, deren äußerste Elektronenschale (Valenzelektronenschale) zur gleichen Hauptquantenzahl gehört, als Periode zusammengefaßt. Eine Gruppe bilden alle Elemente mit der gleichen Anzahl und Art von Valenzelektronen, aber verschiedener Hauptquantenzahl. Die M-Schale wird zunächst auch nur mit 8 Elektronen aufgefüllt (3s, 3px, 3py und 3p z ), dabei werden die Elemente Natrium bis Argon durchlaufen. Bei der Einwirkung von Energie, z. B. durch Licht oder Stoß mit anderen Teilchen können Elektronen auf unbesetzte Bahnen höherer Energie angehoben werden. Beim Zurückfallen der Elektronen auf die normalen Bahnen wird die
Eigenschaften der Atome, Elektronenkonfiguration
17
überschüssige Energie, z. B. als Licht, abgegeben. Auf diese Weise entstehen die Linienspektren der Elemente. Die Energie der Lichtquanten dieser Linien ist gleich dem Energieunterschied der Elektronen in den unterschiedlichen Bahnen. Der Versuch zur Deutung dieser Spektren hat Anfang dieses Jahrhunderts zu den Vorstellungen über den Atombau geführt, die in diesem Abschnitt beschrieben wurden.
1.5 Die Eigenschaften der Atome als Folge ihrer Elektronenkonfiguration Die chemischen und wichtige physikalische Eigenschaften der Elemente werden durch die Besetzung der äußeren Elektronenschale ihrer Atome, der sogenannten Valenzelektronenschale, bestimmt. Aus der Tabelle 2 kann man den Aufbau der Valenzelektronenschale der Atome mit den Ordnungszahlen 1 . . . 18 ablesen. Die einzelnen Orbitale, die den Elektronen zur Verfügung stehen, unterscheiden sich typisch in ihrer Energie. Man sieht mit Hilfe von Abbildung 1.5, daß die Valenzelektronen der Atome der Ordnungszahl 1 und 2 ein Orbital mit niedriger Energie besetzen. Ein drittes Elektron — des Elements Lithium — kann nur in einem wesentlich energiereicheren Orbital untergebracht werden. In Orbitalen etwa gleicher Energie finden auch die Valenzelektronen der Atome der Ordnungszahl 4 . . . 10 Platz. Das Valenzelektron des Atoms der Ordnungszahl 11, Natrium, hat wiederum nur ein energiereicheres Orbital zur Verfügung, bis zum Elektron 18 ändert sich danach die Orbitalenergie nicht mehr sehr wesentlich. •
Die Elektronenhüllen der Atome mit der Ordnungszahl 2, 10 und 18 zeichnen sich dadurch aus, daß bei ihnen die Orbitale einer Schale gerade voll mit Elektronen besetzt sind.
Dies bestimmt das chemische Verhalten der Elemente Helium, Neon und Argon. Deren Atome zeigen wenig Neigung, ihre Elektronenschale durch chemische Reaktionen zu verändern: ihre Elektronendichteverteilung ist kugelsymmetrisch. Die Abgabe eines Elektrons erfordert hier besonders hohe Energie, da diese Elemente die höchste Kernladung in ihrer Periode besitzen. Ein zusätzliches Elektron müßte ein wesentlich energiereicheres Orbital besetzen. Es könnte aber nicht vom elektrisch neutralen Atomrumpf gebunden werden. Die kugelsymmetrische Elektronenverteilung hat zur Folge, daß sich die Atome dieser Elemente nur schwach anziehen. Diese Elemente sind daher bei Raumtemperatur gasförmig. Wegen ihrer äußerst geringen Reaktivität bezeichnet man sie als Edelgase. Reaktionen der Atome anderer Elemente verlaufen häufig derart, daß dabei die volle Besetzung der noch freien Orbitale niedriger Energie erreicht wird,
18
Grundlagen der organischen Chemie
wodurch sie die für die Edelgasatome typischen Orbitale voll besetzen und auf diese Weise die sogenannte Edelgaskonfiguration ausbilden. Mit Ausnahme des Heliums besitzen die Edelgasatome acht Elektronen in ihrer Valenzelektronenschale. Den Trend zur Ausbildung der Edelgaskonfiguration als besonders energiearme Elektronenanordnung bezeichnet man als OktettPrinzip. Für die Atome, die keine Edelgasschale besitzen, gibt es drei Möglichkeiten chemischer Reaktionen, die zur Edelgaskonfiguration führen: •
Elektronen aus energiereichen Bahnen werden abgegeben, bis die Schale des Edelgases mit der nächsten niedrigeren Ordnungszahl freigelegt wird: es bilden sich positiv geladene Ionen, z. B. Na—»Na® + e e .
•
Elektronen werden aufgenommen, bis die Elektronenanordnung des Edelgases der nächsten höheren Ordnungszahl aufgefüllt ist: es bilden sich negativ geladen Ionen, z. B. C1 + e®—»Cl®. Verschiedene Atome vereinigen ihre Valenzelektronenhüllen derart, daß sie alle gleichzeitig die Edelgas-Konfiguration besitzen: es bilden sich ungeladene Moleküle, z.B. H + H—»H 2 .
•
Bei den Atomen der Alkali- und Erdalkalimetalle, z. B. Lithium (Li) und Beryllium (Be), beobachtet man den ersten Reaktionsweg: Durch Abgabe von einem bzw. zwei Elektronen aus energiereichen Bahnen bilden sich einfach bzw. zweifach positiv geladene Ionen mit der Elektronenkonfiguration eines Edelgasatoms, in unserem Beispiel Helium.
Abbildung 1.6 Die Ionen der Atome mit der Ordnungszahl 3 . . . 10. Symbolische Darstellung der Elektronenkonfiguration. Jeder Punkt stellt ein Elektron dar.
Eigenschaften der Atome, Elektronenkonfiguration
19
Prinzipiell könnte diese Abgabe von Elektronen auch bei den folgenden Elementen, z.B. Bor (B) und Kohlenstoff (C), eintreten. Die dabei entstehenden dreifach und stärker positiv geladenen Atomrümpfe üben aber eine viel größere Anziehung auf die Elektronen aus als die ursprünglichen Atome. Dadurch würde die Abgabe der ersten Elektronen erschwert, aber es wäre unmöglich, ein vierfach positiv geladenes C-Atom zu bilden. Einen ähnlichen Gang findet man bei dem zweiten Reaktionsweg: Die Halogenatome nehmen ein Elektron auf und bilden dabei einfach negativ geladene Ionen mit der Edelgasschale (F + e e - ^ F e ) . Die Bildung von zweifach und dreifach negativ geladenen Ionen aus den Atomen der Sauerstoff- und Stickstoffgruppe kann aber kaum noch stattfinden, da die dadurch gebildeten mehrfach negativ geladenen Ionen ihre - gleichnamig geladenen - Elektronen zu stark abstoßen. Die Ausbildung einer Edelgasschale durch Bildung vierfach positiv oder negativ geladener Ionen ist aus diesen Gründen beim Kohlenstoffatom und den anderen Atomen der 4. Hauptgruppe nicht möglich. Nach dem oben angegebenen dritten Reaktionsweg können zwei oder mehrere Atome die Elektronenkonfiguration eines Edelgases ausbilden, indem sie jeweils die Elektronen anderer Atome in ihre Valenzelektronenhülle aufnehmen und dabei gleichzeitig die anderen Atome an den eigenen Valenzelektronen teilhaben lassen. Dadurch erlangen alle Atome die Elektronenkonfiguration des Edelgases mit der nächsthöheren Ordnungszahl. Dabei werden, wie anhand von Abbildung 1.3 beschrieben, chemische Bindungen gebildet: es entstehen Moleküle. Bei der Annäherung eines Chloratoms an ein Wasserstoffatom zum Beispiel nimmt das Chloratom das Elektron des Wasserstoffatoms in seine M-Schale auf, ohne daß dieses vom Wasserstoffatom gelöst wird. Das Wasserstoffatom seinerseits bezieht ein Elektron des Chloratoms in seine Elektronenhülle ein und füllt damit seine K-Schale auf. Durch diesen Elektronenaustausch erhalten die beteiligten Atome die Edelgasschale des Argons (Ar) und des Heliums (He) (f Abbildung 1.7).
Abbildung 1.7
Entstehung des HCl-Moleküls.
Bei dem Zusammentritt der Atome zu diesem Chlorwasserstoff-Molekül wird die potentielle Energie erniedrigt, Energie wird also frei. Diese Bindungsenergie muß wieder aufgebracht werden, um die Atome zu trennen und in den ungebundenen Zustand zu überführen. Beide Atome trennen sich also nicht mehr freiwillig, sie sind durch die beiden, ihnen jetzt gemeinsam gehörenden
Grundlagen der organischen Chemie
20
Elektronen aneinander gebunden. Diese Art der Bindung wird als kovalente Bindung, homöopolare Bindung oder auch Elektronenpaarbindung bezeichnet. Die sechs Valenzelektronen des Chlors, die an der Bindung nicht beteiligt sind, bezeichnet man als freie Elektronenpaare. Alle Elektronenpaare, die der kovalenten Bindung und die nichtbindenden Elektronenpaare, stellt man in den Formeln oft durch einen Strich dar, zum Beispiel für Chlorwasserstoff:
Abbildung 1.8 Reaktionen von Chlorwasserstoff mit Wasser, drei verschiedene Formulierungen der gleichen Reaktion.
Löst man gasförmigen Chlorwasserstoff in Wasser auf, so dissoziiert die kovalente Bindung des Moleküls H — Cl, es entstehen die im wäßrigen Medium stabileren Ionen C1G und H30®. Das Chlor-Atom bildet also, je nach den Reaktionsbedingungen, entweder eine kovalente Bindung aus, oder es bildet das Chlorid-Ion. Auf beiden Wegen erreicht es die Elektronenkonfiguration des Argon-Atoms. Kovalente Bindungen können auch zwischen gleichartigen Atomen ausgebildet werden, z. B. beim F2, beim 0 2 und beim N2-Molekül. In diesen Fällen ist es zur Erfüllung des Oktett-Prinzips erforderlich, daß beim Fluor ein Elektronenpaar, beim Sauerstoff zwei und beim Stickstoff drei Elektronenpaare beiden Atomen gemeinsam angehören, es bilden sich also Einfach-, Zweifach- und Dreifachbindungen. Nur selten findet man Moleküle, in denen mehr als zwei gleichartige Atome verknüpft sind - diese sind dann meist recht energiereich und damit reaktionsfreudig, wie zum Beispiel Ozon (0 3 ).
IF - F l
(0 = 0)
IN E NI
Abbildung 1.9 Bildung des Fluor-, des Sauerstoff- und des Stickstoffmoleküls. Symbolische Beschreibung von Bindungs- und ,freien' Elektronenpaaren.
21
Chemische Bindungen des Kohlenstoffatoms
Kohlenstoffatome besitzen vier Elektronen in ihrer Valenzelektronenschale, sie benötigen also noch vier Elektronen zur Ausbildung der Elektronenkonfiguration des Neons. Daher kann ein Kohlenstoffatom mit vier Partnern je eine Einfachbindung, mit drei Partnern eine Doppelbindung und zwei Einfachbindungen und mit zwei Partnern entweder je zwei Doppelbindungen oder eine Dreifachbindung und eine Einfachbindung ausbilden. Da diese Partner wiederum Kohlenstoffatome mit entsprechenden Bindungsmöglichkeiten sind, erklärt sich damit die Vielfalt der Molekülgerüste, die aus Kohlenstoffatomen aufgebaut werden können. Einzelheiten werden im folgenden Kapitel besprochen.
1.6 Die chemischen Bindungen des Kohlenstoffatoms Als Element der 4. Gruppe des Periodensystems kann der Kohlenstoff eine Edelgaskonfiguration nicht durch Bildung von vierfach positiv oder negativ geladenen Ionen bilden, sie wären, wie bereits erläutert, nicht stabil. Vielmehr bildet das Kohlenstoffatom vier Elektronenpaarbindungen aus, die aus jeweils einem eigenen Elektron und einem Elektron des Bindungspartners bestehen. Alle beteiligten Atome erhalten eine Edelgaskonfiguration, dabei wird die Elektronendichte in bindenden Bereichen — wie in Abbildung 1.3 c — konzentriert. Dieser ,Atomverband' geht dadurch in einen Zustand niederer Energie über. Es entsteht ein stabiles, elektrisch neutrales Molekül. Da Kohlenstoffatome hierfür Elektronen in verschiedenartigen Orbitalen (2s und 2p) zur Verfügung haben, ist es zunächst erstaunlich, daß auf diese Weise vier völlig gleichartige Bindungen, zum Beispiel im Methan oder dem Tetramethylmethan, gebildet werden:
V7 H - rt
:1,09Á
CH,
a =109,5° Methan
= 1,54 Á Tetramethylmethan Neopentan
Nicht weniger überraschend ist es, daß das Kohlenstoffatom auch Zweifachoder Dreifachbindungen ausbildet, wobei wiederum bei allen ähnlichen Verbindungen die gleichen Bindungswinkel gefunden werden. Alle Bindungspartner eines doppelt gebundenen Kohlenstoffatoms befinden sich in der gleichen Ebene mit ihm, der Bindungswinkel beträgt 120°. Schließlich liegen
22
Grundlagen der organischen Chemie
die beiden Bindungspartner eines dreifach gebundenen Kohlenstoffatoms mit ihm auf einer Geraden, der Bindungswinkel beträgt also 180°.
Bevor wir diese Tatsachen erklären können, müssen wir zunächst allgemein klären, welche Atomorbitale miteinander zu chemischen Bindungen kombinieren können und welche Eigenschaften diese Bindungen haben. In Abbildung 1.3 c haben wir bereits gesehen, daß durch Überlappung von lsOrbitalen von zwei Wasserstoffatomen eine Anreicherung von Elektronendichte in der Nähe beider Kerne auftritt, also eine stabile Bindung gebildet wird. Ebenso ist es einzusehen, daß auch 2s-Orbitale stabile bindende Molekülorbitale bilden: f Abbildung 1.10a. Aber auch ein p y -Orbital kann mit einem zweiten zu einer starken Bindung kombinieren, die rotationssym-
Abbildung 1.10 Kombination von Atomorbitalen zu Bindung aus zwei s-Orbitalen, b) o-Bindung aus zwei talen. Die Bezeichnung der Orbitale entspricht der liegen auf der y-Achse. Die innere Knotenkugel des
bindenden o- und m-Molekülorbitalen; a) op-Orbitalen, c) it-Bindung aus zwei p-Orbiin Abbildung 1.4. Die beiden Atomkerne 2s-Orbitals ist bei a nicht eingezeichnet.
Chemische Bindungen des Kohlenstoffatoms
23
metrisch um die Kernverbindungsachse, die y-Achse, ist: | Abbildung 1.10b. Schließlich bilden auch p z -Orbitale eine Bindung, jedoch ist diese nicht rotationssymmetrisch* um die Atomverbindungsachse. Eine solche Bindung nennt man n-Bindung, die vorhin beschriebenen rotationssymmetrischen Bindungen nennt man a-Bindungen. •
Ein Molekül ist dann am stabilsten, hat also dann die niedrigste potentielle Energie, wenn darin 1. nicht direkt miteinander verknüpfte Atomkerne einerseits sowie die freien Elektronenpaare andererseits einen möglichst großen Abstand voneinander haben und wenn 2. in den Bindungen eine möglichst hohe Elektronendichte auftritt.
Der Punkt 1 erklärt, daß vier Liganden (Bindungspartner) an einem Kohlenstoffatom tetraedrisch angeordnet sind, drei sich in einer Ebene unter einem Winkel von 120° befinden und daß zwei Liganden in einer geraden Linie mit dem Kohlenstoffatom angeordnet sind. Durch die sogenannte Hybridisierung wird es möglich, daß zusätzlich die Forderung 2 erfüllt wird. Damit bezeichnet man die Erzeugung neuer Atomorbitale durch Vermischung von s-, p-, gegebenenfalls auch d- und f-Orbitalen. Aus Abbildung 1.11 geht hervor, daß ein s- und ein p-Orbital durch Kombination zwei sogenannte sp-Hybridorbitale bilden, die sehr gut zur Ausbildung von a-Bindungen geeignet sind, die einen Winkel von 180° miteinander haben. In Abbildung 1.12 ist die entsprechende Kombination von einem s- und drei p-Orbitalen zu vier sp 3 -Hybridorbitalen gezeigt, die vier gleichwertige starke a-Bindungen ausbilden mit einem Winkel von 109,5° zueinander. Die Wellenfunktionen dieser Hybridorbitale erhält man durch Linearkombination der Wellenfunktionen der entsprechenden s- und p-Orbitale. Die Hybridorbitale bilden die - unter den durch Forderung 1 gegebenen Voraussetzungen - bestmöglichen a-Bindungen (entsprechend Forderung 2), schaffen also die Bedingungen für die Bildung stabiler Moleküle.
Abbildung 1.11 Bildung von zwei sp-Hybridatomorbitalen durch Kombination von einem 2s und einem 2p y -Atomorbital.
* Rotationssymmetrisch ist ein Gebilde dann bezüglich einer Achse, wenn es sich nach Drehung um diese Achse nicht vom ursprünglichen Zustand unterscheiden läßt.
Grundlagen der organischen Chemie
24
2px
2py
2pz
Abbildung 1.12 Bildung von vier gleichartigen sp 3 -Hybridatomorbitalen. Die gebildeten sp 3 Hybridorbitale sind jeweils rotationssymmetrisch zu Achsen, die vom Mittelpunkt des Würfels zu vier nicht benachbarten Ecken zeigen. Die Winkel zwischen diesen Achsen betragen 109,5°. Die Achsen weisen vom Koordinatenursprung in die Ecken eines Tetraeders.
Wir können nun die in Abbildung 1.13 dargestellte Entwicklung der Kohlenstoffatomorbitale verstehen und einsehen, wie sie sich mit vier, mit drei bzw. mit zwei Bindungspartnern zu stabilen Gebilden zusammensetzen. Abbildung 1.13 a zeigt links die Elektronenkonfiguration des freien CAtoms. Es könnte, da nur zwei p-Orbitale einfach besetzt sind, nur zwei o-Bindungen ausbilden, aber dadurch niemals die Edelgaskonfiguration erreichen. Man stellt sich vor, daß zunächst eines der beiden 2s-Elektronen in das freie 2pz-Orbital springt, man bezeichnet dies als ,Promotion'. Nun können diese vier einfach besetzten Atomorbitale in verschiedener Weise hybridisieren (Abb. 1.13b); die mit den dadurch gebildeten Orbitalen ausgestatteten Kohlenstoffatome (Abb. 1.13 c) lassen sich damit wie ,Legosteinchen' zu den Bauwerken der Organischen Chemie zusammenfügen. In der ersten Spalte ist die schon in Abbildung 1.12 deutlich gemachte sp3Hybridbildung dargestellt. Das C-Atom ist damit zur Bildung von vier gleichartigen o-Bindungen befähigt. Das einfachste Molekül aus zwei C-Atomen in diesem Zustand ist das Ethan, CH3—CH3. Die mittlere Spalte zeigt die sp2-Hybridisierung. Es bilden sich drei sp2Hybridorbitale, die also drei o-Bindungen ermöglichen. Das pz-Orbital ist am Prozess der Hybridisierung nicht beteiligt, es steht für Bildung einer jt-Bin-
Chemische Bindungen des Kohlenstoffatoms
¡ ^ m m m a)
2s
® 1S b)
2P
A
25
m m m m —
/
\
m m m m
m m
2sp3
m m 2p* 2p2
c)
d)
e) H Abbildung 1.13 Die Orbitale der Einfach-, Zweifach- und Dreifachbindungen des Kohlenstoffatoms; a) Promovierung des atomaren Zustandes zum hypothetischen promovierten Zustand P; b) Bildung der sp3-, der sp2- und der sp-Hybridatomorbitale; c) die Atomorbitale der Kohlenstoffatome im sp3-, sp2- und sp-Zustand; d) Bildung der einfachsten Moleküle aus zwei Kohlenstoffatomen in diesem Zustand; e) perspektivische Strichformel dazu. Die durch b) und c) gekennzeichneten Zustände existieren nie für freie Kohlenstoffatome, sie verdeutlichen aber die Elektronenstruktur der Kohlenstoffatome als Bauelemente organischer Moleküle.
dung mit einem anderen Atom mit geeigneter Elektronenkonfiguration zur Verfügung. Das einfachste Molekül aus zwei derartigen C-Atomen ist das Ethylen, CH 2 =CH 2 . Man sieht, daß die Jt-Bindung symmetrisch oberhalb und unterhalb der Ebene liegt, in der alle Atome des Moleküls angeordnet sind. In der letzten Spalte ist die sp-Hybridisierung verdeutlicht; die Bildung der sp-Hybridorbitale war schon in Abbildung 1.11 gezeigt. Zwei p-Orbitale sind an der Hybridisierung nicht beteiligt, daher kann das C-Atom nun zwei Jt-Bindungen zusätzlich ausbilden. Auf diese Weise entsteht die Dreifachbindung im Acetylen, H—C=C—H. Wir sehen, daß die in den Formeln benutzten Symbole für Doppel- und Dreifachbindungen, = und = nicht in der Lage sind, auszudrücken, daß diese Bindungen in Wirklichkeit aus einer o-Bindung und einer bzw. zwei zusätzlichen jt-Bindungen bestehen. Tabelle 1.3 stellt die wichtigsten Eigenschaften der Einfach-, Zweifach- und Dreifachbindungen zwischen zwei C-Atomen zusammen. Sehr wichtig ist, daß infolge der ji-Bindung die räumliche Anordnung der Substituenten an der
26
Grundlagen der organischen Chemie
Doppelbindung festgelegt wird. Sie sind also nicht gegeneinander frei drehbar. Die beiden folgenden Moleküle sind also stabil, sie lagern sich normalerweise nicht ineinander um: H H \ / C =C / \ CH 3 CH
H
\ C / CH 3
c/s-Buten
trans-Buten
Mit eis und trans (lat.: diesseits und jenseits) wird die relative Stellung der Methylgruppen an der Doppelbindung gekennzeichnet. Aus Tabelle 1.3 kann man weiter entnehmen, daß Mehrfachbindungen kürzer sind und eine größere Bindungsenergie besitzen (diese Energie muß aufgewandt werden, um die Bindung zu lösen) als Einfachbindungen. Tabelle 1.3 atomen Bindung
i i -C-Ci i
-C=C-
Eigenschaften der Einfach- und Mehrfachbindungen zwischen zwei Kohlenstoff-
Bindende Orbitale
Natur der Bindung
SP3
a
109,5°
1,54
341
ja
SP 2 , Pz
O, Jt z
120°
1,33
607
nein
SP, P „ Pz
Oy
180°
1,20
828
-
. -T,
Winkel zwischen den o-Bindungen
Bindungslänge [Ä]
Bindungsenergie [kJ/mol]
Freie Drehbarkeit
1.7 Gerüste und funktionelle Gruppen organischer Verbindungen Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, als Gerüste organischer Verbindungen die aus Kohlenstoffatomen zusammen mit Stickstoff- oder Sauerstoffatomen aufgebauten Ketten oder Ringe zu bezeichnen. In den einfachsten Verbindungen, die diese Gerüste enthalten, sind alle anderen Bindungen nur mit Wasserstoffatomen verknüpft. Man nennt diese Verbindungen mit Gerüsten aus Kohlenstoffatomen Kohlenwasserstoffe. Im Abschnitt 1.6 wurde erläutert, daß Kohlenstoffatome sich mit zwei, drei oder vier anderen Kohlenstoff- oder Wasserstoff-Atomen verbinden können. Da diese wiederum Bindungen mit anderen Atomen bilden können
Gerüste und funktionelle Gruppen
27
und da außerdem die Größe solcher Ketten oder Ringstrukturen praktisch nicht begrenzt ist, ergibt sich eine riesige Anzahl verschiedenartiger Kohlenwasserstoffe, die man aus einer begrenzten Zahl von Atomen aufbauen kann. Es gibt allein 366319 verschiedenartige offenkettige Kohlenwasserstoffe der Formel C2oH42. Je nach der mit einer Abbildung der Moleküle verbundenen Absicht kann man Gerüste und Moleküle durch mehrere verschiedenartige Formelbilder darstellen — von der maßstabgerechten perspektivischen Abbildung bis zur einfachsten Strichformel, bei der jede Ecke ein Kohlenstoffatom symbolisiert und bei der H-Atome nicht gezeichnet werden. Alle folgenden Formeln symbolisieren Propan, C 3 H 8 :
CH3-CH3-CH3
In Abbildung 1.14 sind die wichtigsten Gerüsttypen zusammengestellt. Man unterscheidet zunächst offenkettige und cyclische Verbindungen, weiter verzweigte und unverzweigte und solche mit einer oder mehreren Mehrfachbindungen. Schließlich teilt man die cyclischen Verbindungen ein in isocyclische (sie enthalten nur Kohlenstoffatome im Ring) und heterocyclische (sie enthalten auch andere Atome im Ring). Offenkettige (acyclische) Verbindungen
Isocyclische Verbindungen
Heterocyclische Verbindungen
Gesättigte Kohlenwasserstoffe
CH3-(CH2)3-CH3
C H ,3 1 CH3—CH — C H 2 - C H 3
Geradkettiges A l k a n (n - P e n t a n )
Verzweigtes A l k a n (2-Methylbutan)
0 Cycloalkan (Cyclohexan)
Q
Hetero-Cycloalkan (Tetrahydrofuran)
Ungesättigte K o h l e n w a s s e r s t o f f e
CH 3 CH3-C=CH-CH3
CH3-C=C-CH2-CH3
Verzweigtes A l k e n (2-Methyl-2-buten)
Geradkettiges Alkin (2-Pentin)
CH3-CH=CH-CH=CH2
HCEC-CH=CH-CH3
Alkadien 11,3-Pentadien)
Alkenin l2-Penten-4-in)
Abbildung 1.14
U
Cycloalken (Cyclohexen)
0
9
1 H
Heterocyclisches Alken IDihydropyrrol)
0
Aren, Hetären, A r o m a ü s o c y c l u s Aromat. Heterocyclus (Pyridin) (Benzol)
Gerüste organischer Verbindungen.
28
Grundlagen der organischen Chemie
Jedes der (in Abbildung 14 zum Teil nicht gezeichneten) Wasserstoffatome dieser Gerüste kann durch ,funktionelle Gruppen' oder ,Substituenten' ersetzt werden, dies sind einzelne Atome oder Atomgruppen, die Heteroatome, also andere Atome als C und H enthalten. Dadurch entstehen Derivate der Kohlenwasserstoffe. Da Substituenten an verschiedene C-Atome eines Gerüstes geknüpft werden können, gibt es mehrere Verbindungen gleicher Atomzusammensetzung (Bruttoformel), jedoch mit verschiedener Anordnung. Diese ,isomeren' Verbindungen werden in Abschnitt 1.8 besprochen. Die meisten funktionellen Gruppen enthalten Sauerstoff und Stickstoff, seltener findet man in Technik und Natur die Halogene: Fluor, Chlor, Brom, Jod sowie ferner noch Schwefel und Phosphor. Da sie das chemische Verhalten wesentlich bestimmen, nennt man sie auch ,funktionelle Gruppen'. Die folgende Ubersicht (f Abbildung 1.15) zeigt die elektronische Struktur der wichtigsten Bausteine funktioneller Gruppen. Dabei steht ,R' für einen Kohlenwasserstoffrest oder ein H-Atom. Die Heteroatome in diesen Gruppen: Stickstoff, Sauerstoff und Fluor (als einfachster Vertreter der Gruppe der Halogene) müssen zur Absättigung der Edelgasschale kovalente Bindungen bilden (f Tabelle 1.2). Stickstoff besitzt fünf Valenzelektronen und kann drei kovalente Bindungen bilden, er erhält damit eine Valenzelektronenhülle mit acht Elektronen. Sauerstoff enthält sechs Valenzelektronen und bildet zwei kovalente Bindungen und die Halogenatome mit sieben Valenzelektronen bilden eine kovalente Bindung. Im gebundenen Zustand tragen diese Atome daher noch ,freie' Elektronenpaare, solche, die nicht zu einer Bindung beitragen. Da diese sehr wesentlich die chemische Reaktivität bestimmen — sie sind der Anknüpfungsort einiger chemischer Reaktionen — zeigt Abbildung 1.15 die von diesen Elektronen besetzten Orbitale. Bei der C = 0 - G r u p p e ist auch das Molekülorbital der jt-Bindung eingezeichnet. Alle o-Bindungen jedoch sind als Striche symbolisiert, damit die Zeichnungen übersichtlich bleiben.
Abbildung 1.15 Typische Bausteine von funktionellen Gruppen. Die a-Bindungen sind als Striche gezeichnet. Die ,Wolken' bedeuten die freien Elektronenpaare an N, O und F sowie bei der C = 0 - G r u p p e die jt-Bindung.
Gerüste und funktionelle Gruppen
29
Die Namen und Formeln häufig anzutreffender funktioneller Gruppen und der dadurch gebildeten Verbindungen sind in Tabelle 1.4 zusammengestellt. Tabelle 1.4
Funktionelle Gruppen
Halogenverbindungen
-C-Xl / — Halogen I F l u o r , C h l o r , B r o m , Jod) H a l o g e n i d (Fluorid,Chlorid,Bromid,Jodid) S a u e r s t o f f - Verbindungen
Ol
c=o;
-C-OH / —
-C-O-R / —
Hydroxy!-Gruppe Alkohol
Alkoxyl-Gruppe Ether
\0-H Carbonyl-Gruppe Aldehyd,Keton
Carboxyl-Gruppe Carbonsäure
-C = NI
-N=N-
Nitrilgruppe Nitrii
Azogruppe Azoverbindung
S t i c k s t o f f -Verbindungen
H -C-N' / \ H
V
/
Aminogruppe Amin
C=N-H
Iminogruppe Imin
Öl \ ® '/ -C-N - - •-C-N
-C-N=0 /
Ol
so; Nitrosogruppe Nitrosoverbindung
%
Nitrogruppe* Nitroverbindung
Schwefel-Verbindungen
-C-S-H
-C-S-R
Sulfhydrilgruppe Thiol
Sulfidgruppe Thioether
0 \ " / -C-S-C/ \
0 \ » / -C-S-C-
Sulfoxygruppe Sulfoxid
Sulfongruppe Sulfon
>
II
0
v
Diese funktionellen Gruppen können nebeneinander einzeln und mehrfach in einem Molekül auftreten, daneben gibt es eine Fülle von Kombinationen (f Tabelle 1.5). Tabelle 1.5
Funktionelle Gruppen, die eine Carbonylgruppe enthalten
Öl // -C H
Öl // -C R
-C \0 X -H
Öl
Aldehyd
Keton
Carbonsäure
o
Öl '/ -C ^0N-R
Öl '/ -C XNH2
-C
Öl
Carbonsäureester
Carbonsäureamid
CarbonsäureChlorid
o
&
* Der Doppelpfeil -"-gibt an, daß die wahre Struktur durch Überlagerung der beiden Strichformeln repräsentiert wird.
30
Grundlagen der organischen Chemie
Die chemischen und physikalischen Eigenschaften der organischen Verbindungen werden sowohl von den Gerüsten wie auch den funktionellen Gruppen bestimmt. Die funktionellen Gruppen bestimmen besonders den chemischen Charakter der Substanzen. Von den Gerüsten hängt es ab, ob ein Molekül beweglich oder starr ist, in welcher Weise Substituenten angeordnet sein können, ob das Elektronensystem mehrerer Substituenten sich beeinflussen kann, oder ob es mit dem des Gerüstes in Wechselwirkung tritt: Hierdurch wird die Reaktivität der funktionellen Gruppen verändert. Löslichkeit und Flüchtigkeit wird vor allem bestimmt durch die Molekülgröße und die zwischenmolekularen Wechselwirkungen.
1.8 Isomerien Die große Mannigfaltigkeit in der Architektur organischer Verbindungen läßt sich darauf zurückführen, daß ein bestimmter Satz von Atomen verschiedenartig miteinander verknüpft und räumlich angeordnet werden kann, so daß isomere Moleküle entstehen. •
Als Isomere bezeichnet man Moleküle mit der gleichen Summenformel aber verschiedener Anordnung von Bindungen oder Atomen.
Man teilt die Isomeren in zwei Gruppen ein: Konstitutionsisomere unterscheiden sich in der Verteilung der Bindungen, im Verknüpfungsmuster. • Stereoisomere besitzen das gleiche Verknüpfungsmuster, sie unterscheiden sich in der räumlichen Anordnung der Atome. •
Konstitutionsisomere kann man in drei Klassen einteilen: Funktionsisomere besitzen verschiedene funktionelle Gruppen, • • Gerüstisomere besitzen verschiedene Molekülgerüste und • Stellungsisomere unterscheiden sich hinsichtlich der Stellung der Substituenten am Gerüst. Als Tautomere werden zwei Funktionsisomere dann bezeichnet, wenn sie sich ineinander umwandeln können, wenn sich also ein Gleichgewicht der Konzentration beider Spezies einstellt (vgl. Keto-Enol-Tautomerie f Abschnitt 2.5.3).
Stereoisomere klassifiziert man nach zwei verschiedenen Gesichtspunkten, hinsichtlich der Möglichkeit, sie ineinander umzuwandeln und hinsichtlich ihrer Symmetrie. • Konformationsisomere lassen sich durch Verdrehung von Baugruppen um Einfachbindungen ineinander umwandeln.
Isomerien
•
31
Konfigurationsisomere lassen sich nur dadurch ineinander umwandeln, indem mindestens eine Einfachbindung gelöst wird.
Auf der Basis ihrer Symmetrie lassen sich die Stereoisomeren eindeutig zwei Klassen zuordnen: • •
Isomere, die sich zueinander verhalten wie ein Gegenstand und sein Spiegelbild, nennt man Enantiomere. Stereoisomere, bei denen dies nicht zutrifft, nennt man Diastereoisomere.
In der Tabelle 1.6 sind die verschiedenen Typen der Isomerie durch Beispiele erläutert, weiterhin sind dort ihre wesentlichen Charakteristika zusammengestellt. Enantiomere Moleküle besitzen die Eigenschaft der Chiralität (Händigkeit), sie verhalten sich nämlich wie die rechte Hand zur linken Hand, wie eine Schraube mit Rechtsgewinde zu einer mit Linksgewinde. Beispiele für derartige schraubenförmige Molekülketten sind die Proteine und die Nucleinsäuren (fa-Helix, Doppelhelix, Abbildung 6.7 und 6.20). Neben diesen Molekülen mit einer Chiralitätsachse findet man vor allem Moleküle mit Chiralitätszentren. Das sind zum Beispiel Moleküle mit einem asymmetrischen Kohlenstoffatom — sie besitzen ein Kohlenstoffatom, das vier verschiedene Substituenten trägt: B
B
CH3 Abbildung 1.16 Absolute Konfiguration bei Molekülen mit asymmetrischem Kohlenstoffatom. Das Atom mit der niedrigsten Ordnungszahl ist vom Beobachter B entfernt angeordnet. Die Reihenfolge der Ordnungszahlen der anderen Substituenten ergibt (linkes Molekül) eine Rechtsschraube, R-Konfiguration bzw. (rechtes Molekül) eine Linksschraube, S-Konfiguration.
Man kennzeichnet die chiralen Moleküle mit einem asymmetrischen C-Atom, indem man den vier Substituenten Prioritäten nach ihren Ordnungszahlen (bzw. denen der nächsten Nachbarn) zuordnet. Der Substituent mit der kleinsten Ordnungszahl wird von einem gedachten Beobachter aus nach hinten angeordnet (^Abbildung 1.16). Wenn die anderen Substituenten nach abnehmender Ordnungszahl gereiht vom Beobachter als Rechtsschraube gesehen werden, so hat das Molekül eine R-Konfiguration (von lat. rectus: richtig), ergeben sie eine Linksschraube, so hat es eine S-Konfiguration (von lat. sinister: verkehrt). Neben dieser, von Cahn, Ingold und Prelog eingeführten Bezeichnung gibt es historisch überlieferte, die sich auf Bezugssubstanzen beziehen (z. B. D-Glycerinaldehyd f Abbildung 6.4). Enantiomere unterscheiden sich voneinander nicht hinsichtlich ihrer Schmelz- und Siedepunkte. Sie unterscheiden sich jedoch in ihrer optischen
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J
X o
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Isomerien
33
Aktivität: Sie drehen die Polarisationsebene linear polarisierten Lichts entweder nach rechts oder nach links. Die Enantiomerie nennt man daher auch optische Isomerie und die Enantiomeren nennt man optische Antipoden. Da Enantiomere übereinstimmende Schmelz- und Siedepunkte besitzen, lassen sie sich nur auf Umwegen aus einem Gemisch beider Enantiomeren abtrennen. Mit Hilfe einer chiralen Hilfssubstanz, z.B. R' bildet man zum Beispiel aus dem Gemisch der Enantiomeren R und S die diastereoisomeren Verbindungen R—R' und S—R'. Diese besitzen wie alle Diastereoisomeren verschiedene Schmelz- und Siedepunkte. Man kann sie daher voneinander trennen. Schließlich spaltet man die chirale Hilfssubstanz wieder ab und erhält so die reinen Enantiomeren R bzw. S. Das bekannteste Beispiel der Diastereoisomerie ist die cis-trans-Isomerie der Substituenten an Doppelbindungen. Beim cis-Isomeren stehen die Substituenten auf der gleichen Seite, beim trans-Isomeren stehen sie sich gegenüber. Wenn mehr als zwei Substituenten an einer Doppelbindung stehen, so verwendet man zur Kennzeichnung der Isomeren die Z-E-Nomenklatur: Man sucht sich die Substituenten der benachbarten C-Atome heraus, die jeweils die höchste Ordnungszahl besitzen. Stehen sie auf der gleichen Seite (zusammen), bezeichnet man sie als Z-Isomere, stehen sie entgegengesetzt, als E-Isomere: Cl
F
Cl
Cl
Br
\ / c=c /
Br
\
Z-1-Brom-l ,2-dichlor2-fluoräthan
Cl
\ / c=c
/
\
F
E-1-Brom-1,2-dichlor2-fluoräthan
Genügt z. B. bei Kohlenstoffketten das erste Atom nicht zur Festlegung der höchsten Priorität, so wertet man, wie auch bei der oben besprochenen CahnIngold-Prelog-Nomenklatur, die Ordnungszahlen der nächsten Nachbarn aus: H
\ / c=c /
CH3
\
CHi3
CH 2 -CHJ
Z - 3- Methylpenten- 2
H
\
/
CH3
CH2 2 -CH,
/
c=c
'
\
CHj
E - 3- Methylpenten - 2
Die cis-trans-Isomerie von Molekülen mit Doppelbindungen ist eine Folge davon, daß die beiden durch die Doppelbindung verknüpften Molekülteile nicht gegeneinander verdreht werden können. Zwei Molekülteile können aber auch dann nicht gegeneinander verdreht werden, wenn sie durch eine Einfachbindung verknüpft sind, die Bestandteil eines Ringes ist. Man nennt diesen Fall der Diastereoisomerie die cis-trans-Isomerie an Ringen. Ein Beispiel ist in Tabelle 1.6 gegeben. Schließlich ist dort auch gezeigt, daß Diastereoisomerie bei Molekülen auftritt, die aus zwei chiralen Teilen bestehen. Alle Diastereoisomeren haben verschiedene physikalische Eigenschaften. Man kann sie daher mit den üblichen Methoden — Destillation oder Kristallisation — voneinander trennen.
34
Grundlagen der organischen Chemie
1.9 Wechselwirkungen zwischen Mehrfachbindungen: Mesomerie, aromatische Verbindungen Zwei Doppel- oder Dreifachbindungen in einem Molekül, die durch mehrere Einfachbindungen getrennt sind, beeinflussen sich praktisch nicht, man bezeichnet sie als isolierte Doppel- oder Dreifachbindungen. 1
CH 2 = 2 C H - 3 C H 2 - 4 C H = 5 CH 2
Pentadien-1,4 (isolierte Doppelbindungen)
Gehen zwei Doppelbindungen vom gleichen Kohlenstoffatom aus, so bezeichnet man die Bindungen als kumulierte Doppelbindungen.
H2C—C—CH2 Abbildung 1.17 Allen, das einfachste Molekül mit kumulierten Doppelbindungen. Oben: Die Kohlenstoffatome sind linear angeordnet, die Ebenen der CH 2 -Gruppen stehen senkrecht aufeinander. Dies ist darauf zurückzuführen, daß (Mitte) die Valenzelektronen der äußeren Kohlenstoffatome im Zustand der sp 2 -Hybridisierung sind, die des mittleren Atoms sind im Zustand der sp-Hybridisierung.
Das mittlere C-Atom befindet sich im Zustand der sp-Hybridisierung, die beiden äußeren in sp 2 -Hybridisierung. Die drei beteiligten Kohlenstoffatome sind daher linear angeordnet, die endständigen CH 2 -Gruppen stehen senkrecht aufeinander und sind nicht gegeneinander verdrehbar. Falls nur eine Einfachbindung zwischen zwei Doppelbindungen vorhanden ist, so nennt man dies ein konjugiertes Doppelbindungssystem. Man hat festgestellt, daß konjugierte Doppelbindungen starke Wechselwirkungen aufeinander ausüben. 'CH 2 = 2 C H - 3 C H = 4 CH 2 Butadien-1,3 (konjugierte Doppelbindungen)
Die besonderen Eigenschaften derartiger Systeme rühren daher, daß nicht nur die p z -Orbitale der Atome 1 und 2 sowie 3 und 4, wie durch die Strichformel suggeriert wird, zu Jt-Bindungen überlappen, sondern weil in Wirklich-
Wechselwirkungen zwischen Mehrfachverbindungen
35
keit alle p z -Atomorbitale der Atome 1, 2, 3 und 4 gemeinsam jt-Molekülorbitale bilden. Abbildung 1.18 zeigt das Bindungssystem des Butadien-Moleküls. Die sp2Orbitale der C-Atome bilden zusammen mit den ls-Orbitalen der H-Atome des o-Elektronensystem des Butadiens. Die o-Bindungen liegen alle in einer Ebene, die Winkel zwischen den o-Bindungen betragen 120°. Das o-Bindungssystem des Butadiens ist durch Striche angedeutet. Oberhalb und unterhalb der Ebene der o-Bindungen liegen in Abbildung 1.18 a die beiden Bereiche der p z -Orbitale der vier C-Atome. Da sie sich gegenseitig berühren, können sie jt-Molekülorbitale ausbilden, die sich über das ganze Molekül erstrecken. Die beiden in Abbildung 1.18 c und b dargestellten jt-Molekülorbitale lassen sich als stehende Wellen auffassen, ähnlich dem Grund- und dem Oberton einer schwingenden Saite; sie sind jeweils mit zwei Elektronen besetzt. Das Molekülorbital in Abbildung 1.18 b entspricht der oben gezeichneten üblichen Valenzstrich-Formel des Butadiens mit Doppelbindungen zwischen den C-Atomen 1 und 2 sowie 3 und 4. Die Besetzung des Molekülorbitals in Abbildung 1.18 c mit weiteren zwei Elektronen hat zur Folge, daß auch die Bindung zwischen den C-Atomen 2 und 3 Eigenschaften einer Doppelbindung erhält, so daß z. B. hier keine freie Drehbarkeit mehr vorhanden ist. Die Bindungslänge dieser Bindung beträgt 1,46 Ä, sie liegt zwischen dem Wert für
Abbildung 1.18 Elektronenstruktur des Butadiens, das a-Elektronensystem ist durch Striche dargestellt; a) zeigt die p z -Orbitale der vier Kohlenstoffatome; b) und c) sind die beiden mit je zwei Elektronen besetzten Ji-Molekülorbitale.
36
Grundlagen der organischen Chemie
eine Einfach- und eine Doppelbindung (1,54 bzw. 1,33 Ä ) . Die Beteiligung des Molekülorbitals nach Abbildung 1.18c hat eine weitere Wirkung: Bei chemischen Reaktionen, die sonst nur eine Bindung angreifen, reagiert das konjugierte System als Einheit. Man bezeichnet derartige bei einem konjugierten Bindungssystem auftretenden Wechselwirkungen, die von klassischen Strichformeln nicht widergespiegelt werden, als Mesomerie (griech.: mitten zwischen den Teilen). Damit soll ausgedrückt werden, daß der wahre Zustand des Moleküls nicht durch eine Valenzstrichformel angegeben werden kann, sondern, daß man dazu mehrere Grenzformeln benötigt. Man hatte früher versucht, den durch die jt-Molekülorbitale 18 b und c erzeugten Bindungszustand durch folgende Strichformeln zu symbolisieren: CH2=CH-CH=CH2—— CH2-CH=CH-CH2—— e—
®
©
— ©
CH2-CH=CH-CH2—— CH2-CH=CH-CH2
Die Mesomeriepfeile -»— deuten an, daß der wahre Zustand des Moleküls zwischen diesen mesomeren ,Grenzformeln' liegt. Eine besonders starke Wechselwirkung zwischen Doppelbindungen tritt bei einigen cyclischen Molekülen, wie dem Benzol auf. Beim Benzol lassen sich zwei gleichwertige mesomere Grenzformeln aufschreiben:
Benzol, Schreibweise nach Kekule als 1.3.5-Cyclohexatrien.
Der Doppelpfeil soll ausdrücken, daß keine der Valenzstrichformeln den wahren Zustand beschreiben kann, er ist vielmehr als Überlagerung beider Formeln zu verstehen. Tatsächlich sind alle C—C-Bindungen beim Benzol gleich lang, mit 1,39 Ä sind sie länger als isolierte Doppelbindungen und kürzer als Einfachbindungen. Die Überlagerung der Elektronendichteverteilung aller drei ji-Molekülorbitale des Benzols ist in Abbildung 1.19 aufgezeichnet. Alle Kohlenstoffatome befinden sich im Zustand der sp 2 -Hybridisierung. Oberhalb und unterhalb der Ebene, in der sich alle Atomkerne und die o-Bindungen befinden, sind die beiden Ladungswolken der jt-Molekülorbitale angeordnet. Benzol ist infolge der Mesomerie wesentlich reaktionsträger als offenkettige Moleküle mit drei konjugierten Doppelbindungen, wie zum Beispiel:
CH2=CH-CH=CH-CH=CH2 1,3,5-Hexatrien
Wechselwirkungen zwischen Mehrfachverbindungen
37
Abbildung 1.19 Die Elektronenstruktur des Benzol-Moleküls: Überlagerung der Elektronendichte aller drei Ji-Molekülorbitale.
Benzol ist um 152 kJ/mol energieärmer als ein - nicht existierendes — 1,3,5-Cyclohexatrien, bei dem keine Wechselwirkungen der Doppelbindungen auftreten. Diese Energiedifferenz wird als Mesomerieenergie bezeichnet ( | Abschnitt 2.6.1). Die besondere Struktur des Benzols läßt sich am besten durch folgende Formeln ausdrücken:
I H
- O
Da ein derartiges Ringsystem mit vollständigem Bindungsausgleich zuerst bei aromatisch riechenden Stoffen (Benzoeharz, Vanillin) gefunden wurde, bezeichnet man es als ,aromatisch'. Aromatische Moleküle können auch mehrere Ringe, aber auch Heteroatome (also andere Atome als Kohlenstoff) enthalten:
Naphthatin
Pyridin
Nach einer von E. Hückel anhand quantenchemischer Berechnungen aufgestellten Regel sind ebene cyclische Moleküle immer nur dann aromatisch, wenn sie ein geschlossenes System aus (4n + 2) jt-Elektronen besitzen, dabei ist n = 0, 1, 2 , . . . Für Benzol und Pyridin ist n = 1; für Naphthalin ist n = 2: diese Moleküle also besitzen 6 bzw. 10 Jt-Elektronen. Daher ist Cyclooctatetraen nicht aromatisch:
Es besitzt 8 jr-Elektronen und verhält sich daher chemisch wie ein ungesättigtes Molekül.
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Grundlagen der organischen Chemie
1.10 Dipolmoment, induktive und mesomere Effekte von Substituenten Moleküle, die nur konvalent gebundene Atome enthalten, sind im allgemeinen nicht elektrisch geladen, weil alle Atome zusammen so viele Elektronen um sich geschart haben wie der Summe ihrer Kernladungen entspricht. Jedes Atom hat aber, für sich betrachtet, so viele Elektronen in seiner Schale wie die Atome des ihm im Periodensystem folgenden Edelgases. Bei einer C—F-, C—O- oder C—N-Bindung haben beide Atome jeweils die gleiche Anzahl von Elektronen wie das Edelgas Neon. Die Zahl der Kernladungen beträgt aber beim Kohlenstoff 6, beim Stickstoff, Sauerstoff, Fluor und Neon jedoch 7, 8, 9 und 10. Infolgedessen wird die Elektronenhülle am stärksten vom Neon angezogen, weniger stark in fallender Reihenfolge vom Kern des Fluors, des Sauerstoffs, des Stickstoffs und des Kohlenstoffs. Dadurch ergibt es sich, daß die Valenzelektronen in diesen Bindungen stärker zum Atomkern mit der höheren Kernladung verschoben werden. Dadurch ist das Atom mit der höheren Kernladung von ein wenig mehr Elektronen umgeben als es seiner Kernladung entspricht, es erscheint also als Träger negativer Teilladung. Das Atom mit der geringeren Kernladung, also hier das Kohlenstoffatom, ist von Orbitalen geringerer Elektronendichte umgeben, erscheint also als Träger positiver Teilladung. Diese Erscheinung wird mit dem Begriff „Elektronegativität" beschrieben; die Elektronegativität nimmt zu in der Reihe C < N < O < F. In den C - F - , C - O - und C-N-Bindungen ist daher der Schwerpunkt der positiven Ladungen gegenüber dem Schwerpunkt der negativen Ladungen verschoben. Sie besitzen also ein Dipolmoment mit dem positiven Pol am Kohlenstoffatom. Ein Dipolmoment n ist definiert durch das Produkt aus der Größe der Ladungen q und dem Abstand r ihrer Schwerpunkte: ]i = q • r*. Molekulare Dipolmomente werden in Debye-Einheiten gemessen. Bei je einer positiven und einer negativen Elementarladung in einem Abstand von 1 Ä beträgt das Dipolmoment 4,8Debye. Das Dipolmoment hat die Eigenschaften eines Vektors: es besitzt eine Größe und eine Richtung. Falls in einem Molekül mehrere Gruppen ein Dipolmoment besitzen, ergibt sich das molekulare Dipolmoment durch vektorielle Addition aus den einzelnen Gruppen-Dipolmomenten. Infolgedessen besitzt 1,4-Dichlorbenzol das Dipolmoment Null, während 1,2-Dichlorbenzol ein höheres Dipolmoment besitzt als Monochlorbenzol (Abbildung 1.20). Der Vektorpfeil gibt die Richtung und die Größe des Dipolmoments an. Das positive Ende des Pfeils kennzeichnet man durch ein Kreuz. Atomgruppierungen, die ein Dipolmoment besitzen, nennt man polare Gruppen, Moleküle mit einem Dipolmoment polare Moleküle.
Dipolmoment, induktive und mesomere Effekte Cl
Cl
K-Dichlorbenzol lnl = o
1.2-Dichlorbenzol lixl = 2,27D
4
-VCl
39
9't
Monochlorbenzol M l -1 = 1,59D
Cl
c=o;
(o=c=o)
i cr^ci Cl
H -i—
Formaldehyd M l -1 = 2,170 Abbildung 1.20
Kohlendioxid lnl=o
Tetrachlorkohlenstoff M l -1 =0
H-'^H H
Methylchiorid W=1,87D
Dipolmomente verschiedener Moleküle.
Die Ladungsverteilung in einer Gruppierung mit einem Dipolmoment beeinflußt die Elektronenverteilung in benachbarten Bindungen. Sie induziert auch dort ein Dipolmoment. +•• +• -i—»• H3C-CH2-CH2-CU Abbildung 1.21
Induktiver Effekt einer C-Cl-Bindung ( - I - E f f e k t ) im 1-Chlorpropan.
Man bezeichnet diese Erscheinung als induktiven Effekt. Dieser induktive Effekt reicht im allgemeinen nur über 1 bis 2 Einfachbindungen hinweg, konjugierte Mehrfachbindungen leiten ihn jedoch weiter. Falls dadurch der Substituent positiver wird, heißt er + I-Effekt (und umgekehrt). Die Halogenatome, Sauerstoff und Stickstoff üben einen —1-; CH 3 - und andere Alkylgruppen einen +I-Effekt aus. Daneben üben Substituenten mit .freien' nichtbindenden Elektronenpaaren einen weiteren Einfluß auf Molekülgerüste oder andere Substituenten mit Mehrfachbindungen aus: den mesomeren Effekt. Die ,freien' Elektronenpaare von Atomen, die direkt an Mehrfachbindungssysteme geknüpft sind, beteiligen sich nämlich an den ji-Bindungsorbitalen. Dadurch wird die Elektronendichte in ihrer Umgebung geringer, die Atome werden durch den mesomeren Effekt positiviert. Man bezeichnet diesen Effekt daher als +M-Effekt. In der Sprache der Strichformeln stellt man die Wirkung des +M-Effektes wieder durch mesomere Grenzformeln dar. Der wahre Zustand des Moleküls liegt zwischen den hypothetischen Grenzzuständen. Die Elektronen des Vinylchlorids sind nur wenig im Sinne der rechts gezeichneten Grenzformel verschoben: H
H
b=c'
H
C-C &
"eil®
Abbildung 1.22 Mesomerer Effekt einer C-Cl-Bindung an einer Doppelbindung beim Vinylchlorid (+M-Effekt).
40
Grundlagen der organischen Chemie
Hierbei ist jedoch der Anteil der rechts gezeichneten Struktur so klein, daß das Cl-Atom wegen des — I-Effekts noch negativ geladen bleibt. Als Folge der Überlagerung des +M-Effekts mit dem — I-Effekt sind die Dipolmomente von Vinylchlorid (| n | = 1,44 D) und Monochlorbenzol | (i | = 1,59 D) jedoch kleiner als das des Methylchlorids (| n | = 1,87 D), bei dem kein mesomerer Effekt auftreten kann. Selbst Methylgruppen können mit Doppelbindungssystemen mesomere Wechselwirkungen zeigen (Hyper-Konjugation!).
1.11 Zwischenmolekulare Kräfte Die Wirkung eines elektrischen Feldes reicht zwar theoretisch bis ins Unendliche, die von einer Ladung auf eine andere ausgeübte Kraft nimmt jedoch mit wachsender Entfernung schnell (proportional 1/r2) ab. Man kann aber erwarten, daß die zwischen Kernen und Elektronen verschiedener, einige Ä-Einheiten entfernter Atome herrschenden elektrischen Felder sich untereinander beeinflussen. Solche Wechselwirkungen treten, wie wir im vorigen Abschnitt gesehen haben, als intramolekulare Wechselwirkungen zwischen den Bindungen in einem Molekül auf, als induktive und mesomere Effekte. Sie treten jedoch auch zwischen Bindungen verschiedener Moleküle, als intermolekulare Wechselwirkungen oder zwischenmolekulare Kräfte in Erscheinung. Die zwischenmolekularen Kräfte bedingen den Zusammenhalt der Moleküle in den Flüssigkeiten, den festen Körpern und auch den Gasen, sie bestimmen damit die physikalischen Eigenschaften, zum Beispiel Dampfdruck, Siedepunkt, Schmelzpunkt, Viskosität und Löslichkeit der Verbindungen sowie die mechanischen Eigenschaften der Kunststoffe und die Eigenschaften oberflächenaktiver Substanzen. Die Größe der zwischenmolekularen Kräfte hängt von der Art der am Aufbau der Moleküle beteiligten Atome und ihrer Bindung ab; offensichtlich sind also auch die physikalischen Eigenschaften von Substanzen im wesentlichen durch die Valenzelektronen der Moleküle bestimmt. Bei größerer Entfernung zweier Moleküle überwiegen die anziehenden Kräfte; da sie die in der van-der-Waals-Gleichung berücksichtigten Abweichungen vom idealen Gasgesetz verursachen, nennt man sie vart-derWaalssche Kräfte. Sehr starke abstoßende Kräfte werden wirksam, wenn sich zwei Moleküle so stark nähern, daß die Elektronenbahnen sich berühren oder durchdringen. Voll besetzte Atom- oder Molekülorbitale verschiedener Atome können sich — dem Pauli-Prinzip zufolge - nicht durchdringen oder verschmelzen, sie stoßen sich ab. Elektrisch geladene Teilchen üben, je nach dem Vorzeichen der Ladung, Anziehungs- oder Abstoßungskräfte aufeinander aus. Die Größe dieser Kräfte qj • q2 wird vom Coulombschen Gesetz K ~ beschrieben. Dies besagt, daß die 2
41
Zwischenmolekulare Kräfte
Größe der Kraft K proportional dem Produkt der Größe beider Ladungen q! und q2 und umgekehrt proportional dem Quadrat ihres Abstandes r ist. Dieses Gesetz gilt zunächst für geladene Moleküle oder Atome, für Ionen. Die Kräfte, die Ionen aufeinander ausüben, die Coulombschen Kräfte, gehören zu den stärksten zwischenmolekularen Kräften. Beispiele für Moleküle, deren besondere Eigenschaften auf Coulombsche Kräfte zurückzuführen sind, werden in Teil 4 dieses Buches besprochen. In polaren Molekülen, also solchen mit Dipolmomenten (f Abschnitt 1.10) treten gleichzeitig Zentren positiver und negativer Ladung auf. Zwei Dipolmoleküle werden, abhängig von der gegenseitigen Orientierung, einander also abstoßen oder anziehen. Statistisch überwiegt die Anziehung, die Moleküle treten zu losen Aggregaten, Dipolschwärmen zusammen, weil deren Energie niedriger ist als die der freien Dipolmoleküle.
GEE^) •ipolmolekül
Abbildung 1.23
Dipolschwärme
Schwarmbildung bei Molekülen mit Dipolmoment.
Die zwischen Dipolmolekülen herrschenden Kräfte nennt man Dipol-Richtkräfte. Da die Kerne und Elektronen nicht starr miteinander verbunden sind, werden sie durch ein von außen angelegtes elektromagnetisches Feld gegeneinander verschoben. Diesen Vorgang nennt man Polarisation; hierdurch wird ein Dipolmoment induziert (f 7.14). Auch das molekulare Feld eines Dipolmoleküls wirkt, wie jedes äußere Feld, polarisierend auf benachbarte Moleküle. Hierdurch werden auch in dipolfreien Molekülen antiparallel gerichtete Dipole induziert: ( I
» )
(*-]
•£) induziertes Dipolmoment
Abbildung 1.24
Dipolmolekül
Induktion eines Dipolmoments in einem unpolaren Molekül.
Diese Dipol-Induktions-Kräfte ergeben immer eine gegenseitige Anziehung. Schließlich üben auch Moleküle ohne Dipolmoment (unpolare Moleküle) Anziehungskräfte aufeinander aus. Das erklärt sich dadurch, daß solche Moleküle nur im zeitlichen Mittel dipolfrei sind; jedoch wegen der in ihren Bahnen oszillierenden Elektronen sind ständig Dipole mit schnell veränderlichen Richtungen und Vorzeichen vorhanden, wodurch ebenfalls entgegengesetzte Momente in den Nachbarmolekülen induziert werden, die zu einer Anziehung führen. Diese ,Dispersionskräfte' treten zwischen allen Molekülen und
42
Grundlagen der organischen Chemie
Atomen, selbst in Edelgasen auf. Der Name erinnert an die Dispersion, die Abhängigkeit des Brechungsindex von der Wellenlänge, welche ebenfalls auf einer Wechselwirkung der Valenzelektronen mit äußeren Feldern beruht. Eine besondere Klasse von zwischenmolekularen Kräften ist so stark und derart gerichtet, daß man schon von einer Bindung sprechen kann. Diese Kräfte treten dann auf, wenn einerseits aktive Wasserstoffatome, das sind solche, die an Stickstoff- oder Sauerstoffatome gebunden sind, und andererseits Atome mit freien Elektronenpaaren vorhanden sind. Derartige Wasserstoffbrückenbindungen treten vor allem zwischen folgenden Gruppen auf:
WasserstoffbrückenDonatoren -Ö-H \
/
WasserstoffbrückenAkzeptoren Nl
X
N-H
Wasserstoffbrückenbindungen haben folgende Struktur: -Ö-H-—IÖ= "N-H—-IÖ= / -0-H —
IN\
'N-H—-IN/ \
Es ist dabei möglich, daß der Wasserstoffbrückenakzeptor selbst ein aktives H-Atom besitzt, also gleichzeitig auch Wasserstoffbrückendonator ist, es kann dann zur Bildung von Kettenassoziaten kommen: 10-H
i
R
10-H
i
R
IÖ-H- —
i
R
Daneben bilden sich ringförmige Molekülanordnungen, zwei- und dreidimensionale Netzwerke und schraubenförmige Assoziate (Helices). Als Assoziate bezeichnet man Molekülanhäufungen, Aggregate mit definierter Struktur; dagegen nennt man lose, nicht genau zu definierende Anhäufungen Schwärme. Auf die Wasserstoffbrücken zwischen den H 2 0-Molekülen ist es zurückzuführen, daß Wasser einen Siedepunkt von 100°C besitzt, Methan mit nahezu dem gleichen Molekulargewicht siedet dagegen bei -161°C! Die Bindungsenergie der Wasserstoffbrückenbindungen liegt in der Größenordnung 12 . . . 25 kJ/mol. Falls sich zwischen zwei Molekülen mehrere Wasserstoffbrücken gleichzeitig ausbilden können, erreicht die Stärke der
Die Farbe organischer Verbindungen
43
zwischenmolekularen Kräfte die Größenordnung von kovalenten Bindungen. Solche Bindungen spielen eine wichtige Rolle bei vielen biochemischen Vorgängen (f Abbildung 6.6). Besondere Eigenschaften vieler Moleküle sind auf Wasserstoffbrücken zurückzuführen, so z. B. die der Alkohole, Carbonsäuren und der oberflächenaktiven Substanzen (|4).
1.12 Die Farbe organischer Verbindungen Licht ist elektromagnetische Strahlung, es besteht aus Energiepaketchen, sogenannten Quanten, deren Energie der Frequenz der Lichtwelle proportional und der Wellenlänge X umgekehrt proportional ist: E = hv = i ^ . X Hierbei ist h die Plancksche Konstante (h = 6,63 • 10~34 Js) und c die Lichtgeschwindigkeit (c = 2,998 • 108 • m • s" 1 ). Damit eine Substanz farbig erscheint, müssen ihre Moleküle Strahlung aus dem sichtbaren Bereich des Spektrums (X = 400 . . . 700 nm) absorbieren. Abbildung 1.25 soll diesen Vorgang der Absorption der elektromagnetischen Strahlung am Modell des Butadiens veranschaulichen. Die Molekülorbitale 1 und 2 sind — wie schon in Abbildung 1.18 gezeigt — jeweils durch zwei n-Elektronen besetzt. Das Orbital 1 besitzt nur eine Knotenebene der stehenEnergie
hv
+4-
+
Abbildung 1.25 Die vier Molekülorbitale der n-Elektronen des Butadiens. D i e Energie der Orbitale steigt mit zunehmender Anzahl von Knotenflächen, also von 1 nach 4. Im Grundzustand befinden sich jeweils zwei Elektronen im Molekülorbital 1 und 2, die Orbitale 3 und 4 sind unbesetzt. Durch Lichtabsorption kann ein Elektron auf das energiereichere Molekülorbital 3 angehoben werden.
44
Grundlagen der organischen Chemie
den Elektronenwelle — die Molekülebene. Das energiereichere Orbital 2 besitzt eine zusätzliche Knotenebene, senkrecht zur Molekülebene. Die Orbitale 3 und 4 besitzen weitere Knotenebenen, sie befinden sich auf noch höheren Energieniveaus, sind aber normal nicht mit Elektronen besetzt. Bestrahlt man das Butadien nun mit Licht aus dem UV-Bereich, so kann durch die Absorption je eines Lichtquants geeigneter Energie (X = 0,22 um) jeweils ein Elektron eines Moleküls aus dem Orbital 2 auf das Orbital 3 angehoben werden. Moleküle, die nur o-Bindungen besitzen, haben ihre Absorptionsbanden im fernen UV-Bereich (X < 200 nm), da die Anhebung eines o-Elektrons in eine unbesetzte o-Elektronenbahn sehr viel Energie erfordert, die nur durch die hohe Energie der Lichtquanten aus dem fernen UV-Bereich ( < 200 nm) aufgebracht werden kann. Substanzen mit konjugierten Mehrfachbindungen absorbieren Lichtquanten aus dem mittleren UV-Bereich (200 . . . 400 nm) oder dem sichtbaren Bereich des Spektrums. Je ausgedehnter ein konjugiertes ji-Elektronensystem ist, um so geringer ist der Energieunterschied zwischen der höchsten besetzten und der niedrigsten unbesetzten Elektronenbahn, um so langwelliger liegt seine Absorptionsbande. Moleküle mit mehr als acht konjugierten KohlenstoffKohlenstoff-Doppelbindungen absorbieren bereits im sichtbaren Bereich des Spektrums (Hexadekaoctaen, C 1 6 H 1 8 : X = 410 nm). Die Farbstoffe der Karotte und der Tomate, Carotin und Lycopin, zeigen Absorptionsbanden bei knapp 500 nm, da sie elf konjugierte C-C-Doppelbindungen besitzen. Auch größere konjugierte aromatische Systeme absorbieren im sichtbaren Bereich des Spektrums. Substituenten mit Mehrfachbindungen verschieben dabei die Absorption ins langwelligere Gebiet, z.B. die Azogruppierung —N=N—, die Nitro- (—N0 2 ) oder die Carbonylgruppe ( Ü C = 0 ) . Das farbgebende Elektronensystem eines Moleküls nennt man das chromophore System. Damit ein farbiges Molekül als Farbstoff angewandt werden kann, muß es lichtbeständig sein und, falls es als Textilfarbstoff dienen soll, muß es auf der Faser gut haften. Im Kapitel 5 werden einige technisch wichtige Farbstoffe beschrieben.
Chemische Reaktionen
45
1.13 Chemische Reaktionen, mikroskopisch und makroskopisch betrachtet In diesem Abschnitt werden einige Ergebnisse der physikalischen Chemie, speziell der Thermodynamik und der Reaktionskinetik mitgeteilt. Weitergehende Informationen finden sich in den Lehrbüchern der physikalischen Chemie.
1.13.1 Triebkräfte, Gleichgewichte Zunächst sollen in einem idealisierten mikroskopischen Bild anhand von Kurven der potentiellen Energie einige Charakteristika von Reaktionen erläutert werden. In einem Molekül A—B sind die beiden Atome, A und B, durch eine chemische Bindung verknüpft. Das Molekül sei stabil, die Anordnung der Atomkerne und Bindungselektronen definiert einen Zustand minimaler potentieller Energie. Jede Veränderung der Bindungslänge rQ erfordert einen Energieaufwand; die potentielle Energie des Moleküls erhöht sich dabei. Die Abbildungen 1.26a und b zeigen Energiediagramme für zwei Moleküle. Man sieht, daß die Energie bei Verminderung der Bindungslänge steil ansteigt. Auch bei Dehnung der Bindung steigt die Energie — hier erreicht sie bei
Abbildung 1.26 a), b) Potentialkurven der Moleküle A - B und B - C , r = Atomabstand; c) Potentialdiagramm A - B + C —» A + B - C , Q = Reaktionskoordinate; d) Aktivierungsenergie einer Reaktion ohne (E*) und mit Katalysator (E*); e) Bei einer exothermen Reaktion ist E* kleiner als E*, infolgedessen wird die Reaktion bevorzugt von links nach rechts verlaufen, das Gleichgewicht wird daher auf der rechten Seite liegen.
46
Grundlagen der organischen Chemie
großem Abstand einen Grenzwert: Man kann das Molekül zerreißen, wenn man für die Spaltung der Bindung erforderliche Energie zuführt. Diese Bindungs-Dissoziationsenergie D ist offensichtlich für das Molekül A—B in den Abbildungen 1.26a und b größer als für B—C. Wir betrachten nun eine chemische Reaktion. Aus den links stehenden Edukten bilden sich die rechts stehenden Produkte: A—B + C—»A + B - C Aus dem Molekül A—B und einem Atom C entsteht ein Atom A und ein Molekül B - C . Bei der Reaktion nähert sich zunächst C dem Atom B von Molekül A, dabei „wächst" die Bindung B—C, während sich gleichzeitig die Bindung A—B lockert: A - B + C—>A—B
C
A-B
-C
A
B - C —• A + B - C
Man kann die Energie aller reagierenden Teilchen gemeinsam in einem Diagramm darstellen (jAbbildung 1.26c). Abszisse ist die Reaktionskoordinate,sie beschreibt gleichzeitig die Verlängerung des Abstands A—B und die Verkürzung des Abstands B—C. Das System der drei Atome A, B und C hat offensichtlich zwei stabile Zustände: A—B + C sowie A + B —C. Dazwischen liegt ein Energieberg: der labile Übergangszustand A - B - C . Die Höhe des Energieberges über dem Potentialminimum A - B + C sei E + *. Dieser Betrag muß aufgebracht werden, damit die Reaktion überhaupt ablaufen kann, man nennt ihn Aktivierungsenergie. Da sich im Übergangszustand die Bindung A—B etwas gelockert hat, während B—C schon etwas gefestigt ist, wird die Aktivierungsenergie E + sicherlich kleiner sein als die Dissoziationsenergie für diese Bindung. Bei den meisten chemischen Reaktionen wird E + aus der kinetischen Energie der Reaktionspartner aufgebracht. Abbildung 1.27 zeigt die Verteilung der kinetischen Energie von Molekülen oder Atomen für zwei Temperaturen Ti < T2. E* sei die erforderliche Aktivierungsenergie. Die Fläche Zx P
E Abbildung 1.27 Verteilung der kinetischen Energie bei zwei Temperaturen, T,< T2. P: Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmter Wert der kinetischen Energie auftritt. Zh Z2\ Anzahl der Teilchen, deren kinetische Energie einen bestimmten Betrag E* überschreitet. Es ergibt sich
Z,-o*t ••=
8 - O - M
Heterocyclische Verbindungen
98
2.7 Heterocyclische Verbindungen Cyclische Verbindungen, die anstelle von Kohlenstoffatomen Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel oder andere Atome als Bausteine der Ringe enthalten, nennt man heterocyclische Verbindungen. Gesättigte heterocyclische Verbindungen haben chemisch Ähnlichkeit mit den offenkettigen Verbindungen mit den gleichen Heteroatomen, z. B. den Aminen, Ethern und Thioethern. Sie werden auch mit den entsprechenden Methoden hergestellt. Besondere Bedeutung haben die heterocyclisch-aromatischen Verbindungen. In diesen Hetarenen können die Eigenschaften der Heteroatome zurücktreten gegenüber denen der aromatischen Systeme. Die Heteroatome bilden infolge ihrer im Vergleich zu den Kohlenstoffatomen meist größeren Elektronegativität eine Störung im aromatischen jt-Elektronensystem und damit sowohl einen Angelpunkt für Aufbau- und Abbaureaktionen als auch für zwischenmolekulare Wechselwirkungen in biologisch aktiven Substanzen. Solche Hetarene und ihre Funktionen werden in den Abschnitten 6.3 (Proteine), 6.12 (Nucleinsäuren) und 6.15 (Fermente, Vitamine und Alkaloide) behandelt.
2.7.1 Namen und Eigenschaften von heterocyclischen Verbindungen Tabelle 2.5 zeigt die wichtigsten heterocyclisch-aromatischen Verbindungen mit ihren Trivialnamen. In allen 5-Ring-Hetarenen besteht das aromatische öjt-System aus dem 4jr-Elektronen eines konjugierten Diens und dem freien Elektronenpaar eines Heteroatoms (f Abbildung 2.10).
Tabelle 2.5
o
Q
Furan
Thiophen
o
Q>
N H
i H
H
Pyrrol
Pyrazol
Imidazol
Tetrazol
o V
N^ N l*NJJ
Pyrazin
1 , 3 , 5 - Triazin
N
Pyridazin
Pyrimidin
CO Purin
Pterin
N
I H
0 o a Pyridin
ö O
Wichtige Hetarene.
§
0
Thiazol
Oxazol
Isochinolin
lndol
I
N' Chinolin
N; -Nv. ix x o ^
TT I H Corbazol
Acridin
Benzopteridin
Benzopyriliumion
Eigenschaften
99
Wird das freie Elektronenpaar des Heteroatoms in 5-Ring-Hetarenen blockiert, so verliert die Verbindung ihren aromatischen Charakter. Versetzt man zum Beispiel Pyrrol mit Salzsäure, so wird das freie Elektronenpaar protoniert: ,
V' H
-
O H
C.®
-
Harze
-N^
H
Es entsteht ein sehr reaktives cyclisches Dien, das schnell zu undefinierbaren Polymeren verharzt. Im neutralen und alkalischen Medium jedoch ist das aromatische System stabil, man kann leicht elektrophile Substitutionen durchführen. Dabei wird meist das Wasserstoffatom am Ringatom Nr. 2 substituiert.
Abbildung 2.10 Elektronenstruktur von Hetarenen Oben: Perspektivische Darstellung Links: Pyrrol. Das freie Elektronenpaar des Stickstoffatoms bildet mit denen des Diensystems ein 6jt-System. Rechts: Pyridin. Hier ist das freie Elektronenpaar des Stickstoffatoms nicht am ön-System beteiligt. a-Bindungen sind als Striche gekennzeichnet, Kohlenstoff- und Wasserstoffatome als Kugeln mit großem und kleinem Durchmesser. Unten: Strichformeln
Durch katalytische Hydrierung entstehen Dihydro- und Tetrahydro-Verbindungen:
0 S 1r H
Pyrrol
Furan
5-Ring-Hetarenen
o ^ o I
H
Pyrrolin Dihydropyrrol
o ^o 0
aus den
0
Dihydrofuran
NI r H
Pyrrolidin Tetrahydropyrrol
o 0
Tctrahydrofuran ITHF)
Die 6-gliedrigen Stickstoff-Hetarene leiten sich vom Benzol ab, indem C—HBausteine in sp 2 -Hybridisierung durch N-Atome in der gleichen Hybridisierung ersetzt werden. Das freie Elektronenpaar des Stickstoffatoms nimmt nicht am 6ji-System teil (f Abbildung 2.10). Im sauren Medium wird zwar ein
100
Heterocyclische Verbindungen
Salz gebildet, das aromatische System bleibt aber (im Gegensatz zu den 5-Ring-Hetarenen) stabil.
o - öc,Q
Die in Tabelle 2.5 gezeigten Hetarene sind Bestandteile vieler Naturstoffe und Heilmittel (f 6). Bei einigen von ihnen sind mehrere tautomere Formen (f2.11.1) im Gleichgewicht vorhanden, z.B. bei der Barbitursäure: 0
OH
ii
H,C"
i l-L " C ' "NI - — i i i C•Cx. HO N ' OH
^H
IN'
'i
i
»sCs^—^C^. 0' N 0
1
H
Substituierte Barbitursäuren finden Verwendung als Schlafmittel (Luminal, Veronal usf. (f 2.14.1)). In zahlreichen Pharmazeutika findet man weitere 6-Ring- und 5-Ring-Hetarene mit einem oder mehreren Stickstoffatomen im aromatischen Ring.
Sl^1
NH2
MH U N
C=0
„
NH
H3C Neoteben (Pyridin)
h3c-n
/-v ^ ^ 0=S=0 N: „ >U 1
o H
N^CH3
^/ \
ch3
r-^N
cr-N—CH3
N
-
± O^NT^O ^ Luminal
Aristamid (Pyrimidin)
Aminophenazon, Pyramidon (Pyrazol)
Cardiazol ITetrazol)
Vier Pyrrol-Ringe, durch vier Methin-Gruppen = C H - zu einem Ring verknüpft, heißen Porphine. Substituierte Porphine nennt man Porphyrine. Die Komplexe dieser Substanzen mit Eisen- und Magnesium-Atomen spielen als Blut- und Blattfarbstoffe im biologischen Geschehen eine große Rolle (f Tabelle 6.5). Derartige Komplexe, die Metallatome oder Wasserstoff-Brückenbindungen als Ringglied enthalten, nennt man Chelate (von griechisch chele, die Krebsschere). Ein dem Porphin ähnliches Ringsystem, das Phthalocyanin, bildet mit Metallen sehr stabile Chelat-Komplexe (Metallchelate), die Bedeutung als Farbstoffe (f Tabelle 5.2) sowie als Katalysatoren besitzen. Phthalocyanine erhält man technisch in sehr einfacher Reaktion aus Phthalsäuredinitril.
Halogenverbindungen
.—.
» ! : N —Fe—N
101
Cu
Eisen-PorphinKomplex
Phthalsäurenitril
^
//
Kupfer-Phthalocyanin
Das 2,4,6-Triamino-l,3,5-triazin, das Melamin, ist die Basis wichtiger Kunststoffe ( | 3.5.7). Man stellt es technisch in überraschend einfacher Reaktion aus Harnstoff dar. NH 2
NH 2 6C = 0 NH 2
A. —
^ Q ^ +3C0 2 +6NH 3 H2N"^N"^NH2
Harnstoff
Melamin
Ein reaktionsfreudiges Derivat des Furans, der Furan-2-aldehyd, genannt Furfurol, entsteht durch Erhitzen von Pentosen (Tabelle 6.1) die z.B. in der Kleie enthalten sind.
Furan-2-aldehyd Furfurol
Thionaphthen
Thiophen ist ein typischer Begleiter des Benzols aus Steinkohlenteer. Thiophenverbindungen sind zum Teil für den Schwefelgehalt von Erdöldestillaten (Heizöl) verantwortlich. Thiophenverbindungen kommen auch im Ichthyolöl vor, einem Destillat aus dem Seefelder bitumösen Schiefer, das man als Antiseptikum verwendet. Die heterocyclischen Naturstoffe werden im Kapitel 6 noch eingehender besprochen.
2.8 Halogenverbindungen Man kennt nur ganz wenige Naturstoffe, die Halogene enthalten. In Labor und Industrie spielen die organischen Halogenderivate eine große Rolle: Halogenderivate eignen sich sehr gut als Zwischenprodukte in Synthesen. Große Mengen werden als Lösungsmittel, für Kunststoffe, Pesticide und technische Hilfsmittel verwendet. Man wird nicht auf Halogenderivate verzichten können, muß jedoch die Gefahren einer Verbreitung einiger biologisch schwer abbaubarer Halogenderivate beachten (f 6.17).
Halogenverbindungen
102
2.8.1 Namen, Eigenschaften Für die Benennung der Halogenkohlenwasserstoffe gibt es zwei Möglichkeiten: entweder wird der Name so gebildet, daß an den Namen des Radikals der Name des Halogens mit der Endsilbe -id angehängt wird, z. B. Methylchlorid, oder es wird der Name des Halogens vor den Namen des Kohlenwasserstoffs gestellt, z. B. Chlormethan. Bei den Monosubstitutionsprodukten wird das erste Verfahren bevorzugt, bei den Polysubstitutionsprodukten das zweite. Hierbei wird die Anzahl der Halogenatome durch das griechische Zahlwort vor dem Namen gekennzeichnet, z. B. Dichlormethan. Die Kennzeichnung der Kohlenstoffatome, die die Halogenatome tragen, geschieht durch arabische Zahlen, die vor den Namen gesetzt werden, z. B.: H C HJ3 - C - C I 1 Cl 1.1 - D i c h l o r e t h a n
Tabelle 2.6
H H Cl-C-C-Ct 11 H H 1.2-Dichlorethan
Siedepunkte von Halogenderivaten des Methans. X =
CH3X
Br
I
F
Cl
-78
-24
4
-52
42
99
-82
61
151
218 (sublimiert)
-129
77
189
sublimiert
42.5
Halogenmethan Methylhalogenid CH2X2
180
Dihalogenmethan Methylenhalogenid CHX 3 Trihalogenmethan Haloform CX 4 Tetrahalogenmethan (Tetrahalogenkohlenstoff)
Tabelle 2.6 bringt Namen und Siedepunkte von Halogenmethanen, in denen nur jeweils eine Sorte von Halogenatomen vorhanden ist. Man sieht, daß allgemein in bezug zum Methan (Kp. — 164°C) der Siedepunkt mit der Anzahl und dem Atomgewicht der Halogenatome steigt. Beim Iodoform und Tetraiodmethan ist die kristalline Substanz bis oberhalb 200 °C stabil, danach beobachtet man Sublimation (Verdampfung aus dem festen Zustand) und Zersetzung. Einen eigenartigen Verlauf zeigen die Siedepunkte der Fluormethane. Die Siedepunkte liegen sehr niedrig, steigen mit der Zahl der Fluoratome nur
Eigenschaften
103
langsam und sie zeigen einen Abfall vom Trifluormethan (—82 °C) zum Tetrafluormethan (—129°C). Mit dem Verschwinden des molekularen Dipolmoments von 1.65 Debye bei CHF 3 aus Symmetriegründen gehen offensichtlich die zwischenmolekularen Anziehungskräfte stark zurück, so daß CF4, mit einem Molekulargewicht von 88, einen Siedepunkt von — 129°C zeigt, einen äußerst niedrigen Wert im Vergleich zu Verbindungen mit ähnlich hohem Molekulargewicht, z.B. Methylchlorid (Molekulargewicht 86, Kp. 42°C) nHexan (Molekulargewicht 78, Kp. 80°C). Diese erstaunlichen Eigenschaften von Fluorverbindungen erweisen sich bei einigen Anwendungen als nützlich - bei oberflächenaktiven Substanzen (f 4.4.2) und beim Polytetrafluorethen (Teflon f 3.4.6), einem Kunststoff mit extrem geringen Haftvermögen gegenüber anderen Materialien. Tabelle 2.7 bringt die Daten weiterer anwendungstechnisch wichtiger Halogenmethane, -ethane und -ethene. Einzelne davon werden im Kapitel 2.8.4 besprochen. Tabelle 2.7
Weitere wichtige Halogenderivate. Name
Formel
Kp.
Verwendung
Dichlordifluormethan Frigen 12*
CC12F2
Trichlorfluormethan Frigen 11*
CC13F
24
Kältemittel, Treibmittel für Aerosoldosen und Schaumstoffe
Ethylchlorid Chlorethan
CH3-CH2-CI
12
Kühlmittel
n-Propylchlorid 1-Chlorpropan
CH3-CH2-CH2-C1
47
Isopropylchlorid 2-Chlorpropan
CH3-CHC1-CH3
35
Vinylchlorid Chlorethen
CH 2 =CHC1
Trichlorethylen
CHCI=CCI 2
Tetrachlorethylen 1.1.2-Trichlor-1.2.2trifluorethan Frigen 113*
CC12=CC12 CC1 2 F-CC1F 2
121 48
1.2-Dibrom-l. 1 - 2 . 2 tetrafluorethan Halon 2402
CBrF2-CBrF2
46
Feuerlöschmittel
2-Brom-2-chlor-1.1.1trifluorethan Halothan
CF 3 —CHBrCl
50
Inhalationsnarcoticum
-30
Zwischenprodukt
-14 87
Polymerisation zu PVC Extraktionsmittel, Lösungsmittel zur ehem. Reinigung
* Die Kennziffern der Frigene bzw. Freone sind wie folgt definiert: Die erste Ziffer bedeutet die Zahl der C-Atome, vermindert um 1, eine Null wird weggelassen. Die zweite Ziffer bedeutet die um 1 vermehrte Zahl der H-Atome. Die dritte Ziffer bedeutet die Anzahl der Fluoratome. Alle übrigen Atome sind als Chloratome anzusehen.
104
Halogenverbindungen
2.8.2 Darstellung Die folgenden Reaktionen wurden bereits in anderem Zusammenhang erwähnt: 1. Radikalische Chlorierung von Alkanen (f 2.1.5) R - H + X2
h'v
R - X + HX
2. Addition von Halogenwasserstoff bzw. Halogen an Alkene und Alkine ( | 2.2.3 und 2.3.3)
x • - cI - cI -
HX
' '
H
c=c ^
X
-¿-¿i i
X
\ / C=C
HX -CEC-
X
HX —•
/
\
\
X / X2
H
C = XC X J
H X I I -C-C-
II
H
X
X X I I
II XX
3. Nucleophile Substitution von Alkoholen (f 1.14.2) ROH+HX —
RX+HOH
4. Elektrophile Substitution von Arenen (f 2.6.2) •HX
Neben den hier skizzierten Labormethoden gibt es eine Reihe von Verfahren der chemischen Industrie, die den günstigsten Rohstoffen angepaßt sind. Wegen des niedrigeren Preises von Chlor werden Chlorderivate weitaus häufiger hergestellt als die Verbindungen der anderen Halogene. Ein besonders wichtiges Verfahren ist die Umsetzung chlorhaltiger organischer Rückstände, die z. B. bei der Herstellung von Insektiziden und Kunststoffen, wie Polyvinylchlorid, anfallen, durch ,Chlorolyse': Chlorhaltige organische Rückstände
^ ^ oder —
CC14, C12C=CC12, CHC1=CC12
Reaktionen
105
Mit diesem Verfahren können Probleme behoben werden, die dadurch entstanden, daß bisher derartige Rückstände auf Halden gelagert wurden. Hierbei bestand die Gefahr, daß sie das Grundwasser verunreinigen. Fluorverbindungen werden mit Hilfe anorganischer Fluoride (Hg 2 F 2 , CoF 3 , SbF3) aus Chlorderivaten oder den Alkanen hergestellt.
2.8.3 Reaktionen Im Gegensatz zu anorganischen Halogenverbindungen neigen organische Halogenverbindungen nicht dazu, Halogenionen abzuspalten. Die C-Halogenbindung ist nur wenig polar. Iod- und weniger stark Bromverbindungen zeigen jedoch in geringem Ausmaß Dissoziation: R
_ ! ^ R® + I®,
so daß man (abhängig vom Rest R) die Halogenionen z. B. durch alkoholische Silbernitratlösung nachweisen kann, es bilden sich dann die schwer löslichen Silber-Halogenide. Halogenverbindungen kann man mit Hilfe eines einfachen Tests nachweisen, der Beilstein-Probe. Bringt man eine kleine Probe der Substanz auf einem Kupferdraht in eine Flamme, so zeigt eine blaugrüne Farbe Kupferhalogenid und damit die Anwesenheit von Halogen an. Viele Reaktionen von Halogenderivaten können als Umkehrung der Darstellungsreaktionen aufgefaßt werden. So können, wie bereits im Kapitel über Alkene und Alkine gezeigt, durch Eliminierung von HX und X 2 Alkene und Alkine gebildet werden ( j 2.2.2 und 2.3.2). Auch auf die Synthese von Alkanen aus Halogenverbindungen durch die Wurtz-Synthese wurde schon hingewiesen (j 1 2.1.4). Aliphatische Halogenide können leicht durch nucleophile Substitution in andere aliphatische Verbindungen umgewandelt werden. Präparativ höchst wichtige reaktive Zwischenprodukte sind Lithium- und Magnesiumverbindungen. Diese metallorganischen Verbindungen sind, wie später (f 2.22) gezeigt wird, potente Zwischenprodukte. 1. Eliminierungsreaktionen X I
I
c-c I
/
I H
X H
i i -c-cI I H X
-2HX
c=c
-C=C-
-X
2. Wurtz'sche Synthese 2R-J
Na —•
R-R+2Na
Halogenverbindungen
106
3. Nucleophile Reaktionen und Reaktionen mit Metallen
RX
KOH
ROH + KX
Alkohole
KSH
RSH + KX
Mercaptane (Thioalkohole)
KUN
» R - C N + KX
Li
Nitrile
R—Li + LiX
Lithiumalkyle und -aryle
R—Mg—X
Grignard-Verbindungen
2.8.4 Anwendungstechnisch wichtige Halogenderivate, Umweltbelastung durch Halogenverbindungen Eine große Menge von Halogenderivaten wird als Lösungsmittel für Polymere, zur Extraktion und zur chemischen Reinigung eingesetzt. Da Chloralkane physiologisch nicht unbedenklich sind, ersetzt man Stoffe, mit denen Menschen in Berührung kommen, durch die physiologisch weniger bedenklichen Fluorverbindungen. In Tabelle 2.7 sind derartige Kältemittel für Wärmepumpen (Kühlschränke und Klimageräte), Treibgase und Extraktionsmittel, Feuerlöschmittel und Narkosemittel aufgeführt. Man vermutet, daß sich das in großer Menge für Spraydosen gebrauchte Frigen 11 (CC13F) in der oberen Atmosphäre anreichert und dort die Ozonhülle abbaut, die das Leben auf der Erde vor schädlicher UV-Strahlung schützt. Bisher konnte dieser Einfluß jedoch nicht bewiesen werden. Seit 1930 stellt man technisch polychlorierte Biphenyle (PCB) her:
Diese Formel soll andeuten, daß jeder Benzolring 1—5 Chloratome an den verschiedenen möglichen Stellungen enthalten kann. Die technisch angewandten Produkte sind Mischungen der 209 möglichen Isomeren. Die Produkte zeichnen sich aus durch hohen Siedepunkt, thermische und chemische Stabilität, hohe Dielektrizitätskonstante und großen spezifischen Widerstand. Man verwendet PCB-Gemische als Isolier- und Kühlflüssigkeiten für Kondensatoren und Transformatoren, als Weichmacher, Heiz- und Hydraulikflüssigkeit sowie als Flammschutzmittel (z. B. für Packpapier). Da PCB-Derivate biologisch nur sehr langsam abgebaut werden, konnten sie sich auf der Erdoberfläche verbreiten, so daß man sie selbst in der Sahara und der Antarktis nachweisen kann.
Umweltbelastung
107
Andere biologisch schlecht abbaubare Stoffe wurden als Insecticide eingesetzt: C ' - Q ^ H - © - « CC13 1.1.1 -Trichlor-2.2-bis-(p-chlorphenyl)ethan, DDT.
Aldrin
7 - I s o m e r e s des Hexochlorcyclohexans G a m m e x a n , Lindan
Auch sie verteilen sich über die Biosphäre. Obwohl die Konzentration dieser Stoffe im Fluß- und Meerwasser meist gering ist, reichern sie sich in der Nahrungskette: Plankton — Fische — Warmblütler zunehmend an, wo sie jeweils im Fettgewebe gespeichert werden. Die im Fettgewebe der Menschen durchschnittlich gefundenen Konzentrationen dieser Stoffe liegen zwar noch unter der Gefahrengrenze. Immerhin bemüht man sich, derartige Stoffe durch leichter abbaubare Stoffe zu ersetzen und unbeabsichtigte Kontamination z. B. bei Unfällen und über Müllkippen zu vermeiden. Da die Insecticide sich segensreich für die Menschheit ausgewirkt haben und es z. B. für die Malariabekämpfung keinen Ersatz für DDT gibt, ist es zur Zeit nicht möglich, alle diese Stoffe zu verbieten. Durch Chlorierung zum Zwecke der Entkeimung von Trinkwasser entstehen aus anderen organischen Verunreinigungen Chlorderivate, chlorierte Phenole und vor allem Chloroform. Da auch sie für den Menschen gefährlich werden können, versucht man, die Chlorierung durch Ozonisierung zu ersetzen. Dieses Verfahren ist jedoch teurer und nur für kurze Zeit wirksam. Auch das großtechnisch zur Herstellung des Kunststoffes Polyvinylchlorid (PVC) produzierte Vinylchlorid hat sich als gefährlich für den Menschen herausgestellt (Im Tierversuch ist es carcinogen, beim Menschen haben hohe Konzentrationen wahrscheinlich zu Lebertumoren geführt). Die Industrie hat daher Maßnahmen ergriffen, um den Menschen am Arbeitsplatz vor diesem Stoff zu schützen. In Polyvinylchlorid ist heute der Gehalt an dem gefährlichen monomeren Vinylchlorid so niedrig, daß man PVC auch unbedenklich für Lebensmittelverpackungen verwenden kann. Bei der Verbrennung von Halogenderivaten bilden sich Halogenwasserstoffe. Bei Bränden ist mit Umweltbelästigungen und Korrosion zu rechnen, in Müllverbrennungsanlagen muß für die Absorption des HCl gesorgt werden. Der Mensch kann auf die Produkte der Chemie nicht verzichten, er muß daher lernen, einen gesunden Kompromiß des Lebens mit der Chemie zu
108
Sauerstoffverbindungen
finden. Hierzu wurden in den letzten Jahren neue analytische Methoden und biologische Tests entwickelt, die Umweltbelastung durch Produkte der Chemie wurde bedeutend herabgesetzt, und umweltfreundliche Produkte wurden entwickelt.
Sauerstoff-Verbindungen Alkohole, Ether, Carbonyl- und Carboxyl-Verbindungen sowie Kohlensäurederivate repräsentieren die unterschiedlichen Oxidationsstufen der Kohlenstoffatome in Molekülen. Mit seinen sechs Valenzelektronen kann das Sauerstoffatom zwei kovalente Bindungen: zwei a-Bindungen oder eine o- und eine Jt-Bindung ausbilden. Wegen seiner höheren Kernladung ist das Sauerstoffatom wesentlich ,elektronegativer' als das Kohlenstoffatom, und es besitzt im neutralen Zustand zwei freie Elektronenpaare (Abbildung 1.15). Daher wirkt es selbst als Angriffsort elektrophiler Agenzien und es positiviert ein benachbartes Kohlenstoffatom, das dadurch nucleophilen Reaktionen leichter zugänglich wird. Diese Verbindungen sind daher vielen chemischen Reaktionen zugänglich. Da C—O- und OH-Bindungen ein Dipolmoment besitzen und da OH-Gruppen Wasserstoffbrücken bilden, zeichnen sich SauerstoffVerbindungen aus durch relativ hohe Schmelz- und Siedepunkte und durch Löslichkeit in polaren Lösungsmitteln, oft sogar in Wasser. In den lebenden Organismen spielen Sauerstoffverbindungen eine große Rolle. Synthetische Sauerstoffverbindungen bereiten meist weniger Umweltprobleme als zum Beispiel die Halogenverbindungen, da sie durch Mikroorganismen meist leichter abbaubar sind und an das normale ökologische System assimiliert werden.
2.9 Alkohole, Phenole 2.9.1 Namen, physikalische Daten Alkohole enthalten die Hydroxylgruppe —OH an einem ,gesättigten' Kohlenstoffatom, Phenole an einem aromatischen System und Enole an einer Doppelbindung:
Alkohol
Phenol
Enol
Enole sind nur unter bestimmten Bedingungen beständig. Sie können sich in die isomeren Carbonylderivate umlagern (Keto-Enol-Tautomerie f 2.11.1).
109
Alkohole, Phenole
Mit Metallen bilden sich Alkoholate R—O 9 M®, Alkohole haben also Eigenschaften von Säuren. Ihre Acidität nimmt ab in der Reihe Enol > Phenol > prim > sec > tert Alkohol. Primäre Alkohole (Vorsilbe prim) enthalten die OH-Gruppe an einem Kohlenstoffatom, das nur mit einem weiteren Kohlenstoffatom verknüpft ist, bei sekundären Alkoholen (Vorsilbe sec) sind es zwei und bei tertiären (Vorsilbe tert) drei Kohlenstoffatome:
^L CH3-CH2-OH
L ^
Ethylalkohol Ethanol
?H P
0 H
Cyclohexanol
primärer Alkohol
CH3-C-CH3 H Isopropylalkohol sec-Propanol
sekundärer Alkohol
?h3 CH3-C-OH CH 3
tert-Butylalkohol tert-Butanol tertiärer Alkohol
Einwertige Alkohole enthalten nur eine OH-Gruppe im Molekül, zwei-, drei- und mehrwertige eine entsprechend höhere Anzahl. CH2-OH CH2-OH
CH2-OH CH-OH CH2-OH
CH2-OH CH-OH CH-OH CH-OH CH-OH CH 2 0H
Ethylenglycol 1.2 - Dihydroxyethan
Glycerin 1.2.3-Trihydroxypropan
Hexit 1.2.3.4.5.6-Hexahydroxyhexit
Alkohole mit mehr als einer OH-Gruppe am gleichen C-Atom sind unbeständig: sie spalten H 2 0 ab und wandeln sich in Carbonylderivate um: /
c
\
OH
/
c=o
In der systematischen Nomenklatur werden die Alkohole durch die Endung -ol am Namen des Kohlenwasserstoffs bzw. durch die Endung Alkohol am Namen des einwertigen Radikals benannt: Methanol, Methylalkohol, CH 3 OH. Die OH-Gruppe in Alkoholen wirkt als Akzeptor und Donator starker Wasserstoffbrücken (f 1.11). Hierauf sind die relativ hohen Siedepunkte der Alkohole zurückzuführen und die Löslichkeit in polaren und Hydroxylgruppenhaltigen Lösungsmitteln. Die Tabelle zeigt deutlich, daß die Siedepunkte der OH-Gruppen-haltigen Substanzen um ca. 100° höher liegen als die der anderen Substanzen mit vergleichbarem Molekulargewicht. Beim Vergleich mit den Kohlenwasserstoffen zeigt es sich, daß NH- und SH-Gruppen sowie die Ether-Gruppierung C" C eine leichte Erhöhung des Siedepunktes bewirken. Dies ist, wie man aus anderen Untersuchungen weiß, auf die schwachen NH- und SH-WasserstoffBrücken sowie die molekularen Dipolmomente zurückzuführen.
110
Sauerstoffverbindungen
Name
Formel
Molekulargewicht
Siedepunkt (°Q
Methan
CH4
16
-164
Ammoniak
NH3
17
-33
Wasser
H2O
18
100
Ethan
CH3-CH3
30
-98 -62
Schwefelwasserstoff
H2S
34
Methanol
CH30H
32
65
Propan
CH3 CH2—CH3
44
-42
Dimethylether
CH3-0-CH3
46
-24
Ethanol
CH3-CH2-OH
46
78
Den starken zwischenmolekularen Wechselwirkungen ist es auch zuzuschreiben, daß beim Mischen von Wasser und Ethanol Volumenkontraktion und Erwärmung auftritt.
2.9.2 Darstellung Die Darstellung von Alkoholen kann, wie besprochen ( j 2.2.3), von Alkenen ausgehen oder durch nucleophile Substitution von Halogen in Halogenderivaten erfolgen ("f 2.8.3). Carbonylderivate können zu Alkoholen reduziert werden. Präparativ wichtig sind Alkohol-Synthesen, bei denen mit Hilfe von GrignardReagenzien Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen neu geknüpft werden (f 2.1.4). Schließlich sei auf eine biologische Reaktion hingewiesen, bei der aus Kohlenhydraten Alkohol gebildet wird, die alkoholische Gärung (f 6.7.2). 1. Addition ( j 2.2.3) h2O
H OH
I i - C _ C _
I I
Persäuren
c=c
0s04JKMn04
OH I I I I OH
•- C - C -
„Orientierung . ,
nach Markownikow
trans-Diol
OH OH
I —C
-
I C
-
cis-Diol
2. Nucleophile Substitution ( | 2.8.3) R-X
KOH
5=s- R - O H + K X
111
Alkohole, Phenole
3. Reduktion LiAlH 4 ist ein Spender von Hydridionen H e : C=0
L l A I H
0
CHOH
^
-CH9OH
sekundärer Alkohol
LiAm
-C \
l
primärer Alkohol
4
OR
4. Reaktion mit Grignard-Reagenz R—Mg—X ( j 2.4.1) Die =C-Mg-Bindung dissoziiert in -Mg® und s C e . Letzteres greift das C-Atom von Carbonylverbindungen nucleophil an. H
RMgX
C=0
R-CH2-0-MgX
H,0
H
R-CH
2
OH
prim. Alkohol
Formoldehyd H
R'
RMgX
R-C
)cH-0-MgX
H,0
CH-OH /
R sec. Alkohol
Aldehyd R'
R' R-t-O-MgX
RMgX
b=o
H,0
/
R
r'
/
R" Keton
R' R - C - O H
tert.Alkohol 2 RMgX
R'-C
R'
R-C-O-MgX
H20
r'
OR" Ester
R' R-C-OH / R tert.Alkohol
5. Alkoholische Gärung (f 6.7.2) Hefe C
6HI2°6 Zucker
2CH3- CH2 - OH Ethanol
• 2C02 Kohlendioxid
2.9.3 Reaktionen von Alkoholen und Phenolen Eine Reihe von Reaktionen der Alkohole wurden schon besprochen: Eliminierung von H 2 0 ZU Alkenen und nucleophile Substitution zu Halogenderivaten. Die alkoholische OH-Gruppe hat leicht saure Eigenschaften: Mit Alkalimetallen bilden sich Alkoholate. Präparativ wichtig ist die Oxidation von primären Alkoholen zu Carbonsäuren und von sekundären zu Ketonen. Schließlich sei die Bildung von Ethern und Estern erwähnt. 1. Eliminierung von H 2 0 (f 2.2.2, 2.) H
l 1 -c-c11 OH
"h20
\ / C=C ' >•
Sauerstottverbindungen
112
2. Veresterung mit Mineralsäuren ROH
RX
•
H
2
0
3. Reaktionen mit Metallen ^
ROH
RO
0
Na®+
1/2 H 2
4. Oxidation r - c h
2
Cr03
- o h
S 0H Carbonsäure
Prim. Alkohol R
R
Cr03
C = 0 / R' Keton
)CH-OH R' See. Alkohol R
R^
Cr03
R'-)C-0H
r - ) : - o h
R'
R" Tert.Alkohol
(keine definierte Reaktion)
5. Bildung von Ethern (|2.10) -h2o — •
2 ROH
R - O - R
6. Veresterung mit Carbonsäuren ROH
•
j ? R'C.
0 ii
-HjO
R - O - C - R
OH
Der Mechanismus der Veresterung und ihrer Umkehrung (Verseifung) wird im Abschnitt 2.14 besprochen. Eine Veresterung tritt auch mit Mineralsäuren auf, so ist auch die Bildung von Halogenderivaten aus Alkoholen mit Halogenwasserstoff als Veresterung anzusehen. Mit Schwefelsäure bildet sich zunächst ein ,saurer Ester', der sich je nach den Reaktionsbedingungen zum Dialkylsulfat, zum Ether oder zum Alken umsetzt: o ii R - O - S - O - R II
ROH
0 R 0 H * H 0 - S - 0 H • II
0
Dialkylsulfat
0
- R - O - S - O H -
ii 0
ROH
R - O - R
Destillation
H;SOt erhitzen
|
C=C
Ether
Alken
Alkohole, Phenole
113
Mit Salpetersäure bilden sich aus Alkoholen Salpetersäureester, Nitrate, die als Sprengstoffe Bedeutung besitzen: CH 2 -OH l CH-OH CH 2 -OH Glycerin
*3 HN0 3
1
3H
—L->
Satpetersäure
O
CH,-O-NO, l CH-0-N02 CH2-0-N02
Glycerin-trinitrat (fälschlich: Nitroglycerin)
Ebenso bildet sich aus Cellulose Cellulosetrinitrat (Schießbaumwolle). Die Wirkungen des Ethylalkohols als Genußmittel sind allgemein bekannt: bei 0,1% Alkoholgehalt im Blut tritt Verlust der Selbstkontrolle, bei 0,4% Bewußtlosigkeit und bei 0,5% der Tod ein. Gefürchtet ist die Oxidationsreaktion in den Alcoteströhrchen. Hierzu wird eine abgemessene Menge Atemluft durch Röhrchen geblasen, die auf Silicagel Natrium-hydrogensulfat, NaHS0 4 , und Kaliumdichromat, K2Cr 2 0 7 , enthalten: 0 3CH
3
-CH
2
-0H*8H®»Cr
2
0^®
—
3CH
3
- c ' + 2Cr3®»7H20
orange
Vi
grun
Natriumhydrogensulfat löst sich im adsorbierten Wasser der Atemluft zu stark saurer Lösung, parallel mit der Oxidation des Alkohols zum Aldehyd erfolgt die Reduktion des orangefarbenen Cr6® zum grünen Cr3®, dessen Menge durch Farbvergleich ermittelt wird und den quantitativen Rückschluß auf den Blutalkoholgehalt gestattet. Phenole sind stärker sauer als Alkohole, sie lösen sich z. B. in Natronlauge: OH
^S^ÖI®
NaOH
r^T-
N(l®-fH,0
Phenole zeigen charakteristische Farbreaktionen mit FeCl 3 und sind dadurch leicht nachweisbar. Sie sind leichter oxidierbar als Alkohole, man verwendet sie sogar als Reduktionsmittel (photographische Entwicklung). Die Trivialnamen einiger Phenole sind: OH
OH
.OH OH OH Hydrochinon
Resorcin
Brenzkatechin
OH p-Kresol
U-Naphthohydrochinon
114
Sauerstoffverbindungen
Hydrochinon wird leicht oxidiert zum Benzochinon, zum Beispiel mit Hilfe von Fe3®-Salzen. Versetzt man Hydrochinon mit FeCl 3 , so bildet sich zunächst ein Komplex aus Chinon und Hydrochinon, das grünschwarze Chinhydron, das man bei der elektrochemischen pH-Messung verwendet. Bei einem Überschuß von FeCl3 bildet sich Chinon, ein goldgelbes, leicht sublimierendes ungesättigtes Keton: OH
O-H-O
0 —
OH Hydrochinon farblos
( )
O-H-O
0
Chinhydron grünschwarz
Chinon l p - Benzochinon) goldgelb
Enole haben ähnliche Eigenschaften wie Phenole. Sie stehen in Tautomerie zu Ketonen und bilden sich nur, wenn die C=C-Doppelbindung durch Konjugation stabilisiert wird (f 2.11.1).
2.10 Ether Ether, R—O—R' bezeichnet man durch Benennung beider Radikale, z. B. Methylethylether oder durch die Vorsilbe Alkoxy-, z. B. Methoxyethan für CH3-O-C2H5. Ether sind leichter flüchtig als die isomeren Alkohole, da sie keine OHGruppen besitzen. Wegen ihrer polaren gewinkelten C C Bindung eignen sich gut als polare inerte (d. h. reaktionsträge) Lösungsmittel. Neben Diethylether verwendet man hierzu Tetrahydrofuran und Dioxan. CH3-O-CH3
C2H5-0-C2H5
r~\ 0
Dimethylether
Diethylether (Ether)
Tetrahydrofuran
n
0
Tetrahydropyran
f
0
1
Dioxan
Diethylether oder einfach ,Ether' wurde zu Narkosen und wird als Extraktionsmittel benutzt. Ether kann aus mehreren Gründen gefährlich sein: 1. Sein Dampfdruck bei Zimmertemperatur ist so groß, daß Etherdampf, der schwerer als Luft ist, beim Umfüllen des flüssigen Ethers auf dem Labortisch oder dem Fußboden über größere Strecken .kriecht'. Dort entzündet er sich an offenen Flammen oder elektrischen Geräten mit Heizwicklungen oder Funkenentwicklung. 2. Die Entzündung kann aber auch durch elektrische Aufladung von Personen mit isolierenden Schuhsohlen, Wäsche aus Kunstfasern oder durch das Umfüllen des Ethers selbst erfolgen, wenn nichtleitende Flaschen verwendet werden.
Ether
115
3. Wenn man wässrige Lösungen mit Ether ausschüttelt, so löst sich so viel Ether in der wässrigen Phase (6,5% bei 20°C), daß auch sie entflammen kann. 4. Alle Ether bilden, wenn sie bei Raumtemperatur ohne Luftabschluß gelagert werden, Peroxide: R-O-R-2^ R-O-O-R Bei Destillation reichern die Peroxide sich im Rückstand an und können äußerst heftig explodieren. Nachweis der Peroxide: Setzt man Essigsäure und Kaliumjodid zu, so wird Jod ausgeschieden, das durch den blauen Komplex mit Stärke nachgewiesen werden kann. Die Entfernung der Peroxide erfolgt durch Schütteln mit Fe2®-Salz-Lösungen. Die Peroxidbildung kann durch Lagern in braunen Flaschen bei Luftabschluß sowie durch metallisches Kupfer verhindert werden. 5. Beim Einatmen von Ether kann Narkose eintreten. Die Darstellung der Ether erfolgt aus den Alkoholen wie beschrieben durch Wasserentzug mit Schwefelsäure. Gemischte Ether stellt man eleganter nach Williamson aus Natriumalkoholat und Alkylhalogenid dar: R—O e Na® + R'X -»• R - O - R ' + NaX Ether verhalten sich inert gegenüber Basen. Mit Säuren bilden sie jedoch Oxoniumsalze: H C2H5-Ö-C2H
5
+ HCl
• [C2H5-Q-C2H5]®
Cl®
Diethyloxoniumchlorid
Analytisch interessant zur quantitativen Bestimmung von Methoxygruppen ist die Umsetzung mit HI zum Oxoniumiodid: H R - 0 - C H 3 + H J — • [R-0-CH3]® I®
R - O H + CH3I
CH3I wird abdestilliert und in alkoholischer Silbernitratlösung aufgefangen. Es bildet sich AgI, das gravimetrisch bestimmt wird. Großtechnisch wird ein cyclischer Ether, Ethylenoxid, durch Oxidation von Ethylen hergestellt. Aus Ethylenoxid werden Polyoxyethylene (f 3.5.6) sowie wichtige Lösungsmittel und Zwischenprodukte hergestellt (fTabelle 4.2). -fCH2-CH2-0}
n
Polyoxyethylen y
o
CH2=CH2
CH2-CH2—
Ethylen
Ethylenoxid
ho-ch
2
-ch
2
-oh
Glycol Ü2t!» R
0
-CH2- CH2-OH
Alkylglycol x - c h 2 - c h 2 - o h Substituierter Alkohol
116
Sauerstoffverbindungen
Das ebenfalls technisch wichtige Epichlorhydrin (f 3.5.4) wird aus Propen hergestellt: Cl, CH,-CH=CH2
HOCI
CL
Propen
-HCl
C H 2 - C H = CH, — • C H O - C H - C H , Allyichlorid
—
CL O H CL 1.3-Dichlor-2-hydroxypropan
CH,-CH-CH
2
CL 0 Epichlorhydrin
2.11 Carbonylverbindungen: Aldehyde und Ketone 2.11.1 Benennung, Keto-Enol-Tautometrie, Beispiele Verbindungen mit der Carbonylgruppe ^ C = 0 heißen Ketone, wenn sie an zwei Kohlenstoffatome geknüpft ist (von Aceton) und Aldehyde, wenn sie an mindestens ein H-Atom geknüpft ist (con alcohol dehydrogenatus). Beide entstehen durch Dehydrierung oder durch Oxidation von Alkoholen: R\ / H
c=o;
R
R'
R OH -H2
H R-C-OH i H
[Ol
sPH
-H,0
c
' OH
R-C.
geraDiol
Alkohole mit zwei OH-Gruppen am gleichen C-Atom (geminales Diol) spalten spontan Wasser ab und bilden das Carbonylderivat. Nur bei Anwesenheit stark elektronenziehender Gruppen ist die Diol-Form (hydratisierte Carbonyl-Verbindung) stabil, wie z. B. beim Schlafmittel Chloralhydrat: Cl o wUn I // "2 ' LI Cl H
CL-C-C
Chloral
Cl OH I I
C L - C1 - 1C - O H
Cl H Chloralhydrat
Die charakteristische Endung im systematischen Namen ist -on bzw. -al:
I I Cyclohexanon
CH3-CH2-CV Propanal ^
Die Wasserstoffatome am Kohlenstoffatom neben einer Carbonylgruppe — dem sogenannten a-Kohlenstoffatom — haben deutlich ,saure' Eigenschaften:
Aldehyde und Ketone
117
sie können sich als H ablösen. Das dadurch gebildete Carbanion wird durch mesomere Wechselwirkung mit der Carbonylgruppe stabilisiert:
i
H
\
.01 -c® — c'\
'Z-C
I
OH
'
C=C
Keto-Form
Enol-Form
Infolge der negativen Teilladung am O-Atom bietet sich hier eine neue Anknüpfungsstelle für das Proton. So bildet sich aus der Keto-Form die Enol-Form. Obwohl sie jeweils nur in geringer Konzentration vorliegt, ist die Enolform die Voraussetzung für einige Reaktionen von Carbonylverbindungen (Reaktionen 10 und 11 im Abschnitt 2.11.3). Befindet sich eine weitere Carbonylgruppe in ß-Stellung (also am übernächsten Kohlenstoffatom) neben einer Carbonylgruppe, so wird die Enolform durch Konjugation zweier Doppelbindungen und durch die dann mögliche Wasserstoffbrücke so stabilisiert, daß sie in hoher Konzentration entsteht. IU II A c ,
ß-Dicarbonylverbindung Keto-Form
II ¿v II
N -t> M lio r
A
A
IÖi e / 0 N
I
Mesomere Grenzformen des Enolations von ß-Dicarbonylverbindungen
II
I
II H
ß-Dicarbonylverbindung Enol-Form
Die Keto-Enol-Umlagerung erfordert katalytische Mengen von Säuren oder Basen, wie sie an den Wänden von Glasgefäßen vorkommen. Schließt man sie aus, so kann man, z. B. in Quarz-Apparaturen, Keto- und Enolform durch Destillation voneinander trennen. Stehen zwei konstitutionsisomere Moleküle miteinander in einem dynamischen Gleichgewicht, so nennt man die Erscheinung Tautomerie, hier haben wir eine Keto-Enol-Tautomerie kennengelernt. Die Tautomerie beschreibt ein Gleichgewicht zwischen zwei isomeren Molekülen, also zwei isolierbaren Individuen. Dagegen beschreiben die mesomeren Grenzformen keine individuellen Moleküle. Sie beschreiben den Bindungszustand eines Moleküls durch Strichformeln, deren Überlagerung die Natur des Bindungssystems verdeutlichen soll, wenn es durch eine Strichformel nicht repräsentiert werden kann. Einige ungesättigte Ketone entstehen durch Oxidation aus den Dihydroxyaromaten (f 2.9.3), man nennt sie Chinone. Carbonylverbindungen bieten vielseitige Reaktionsmöglichkeiten. Sie spielen daher eine Hauptrolle in der präparativen Chemie im Labor, in der technischen und der Biochemie.
118
Sauerstoffverbindungen
Tabelle 2.8
Aldehyde und Ketone, Chinone
CH 3 -CH 2 -CH 2 -C.
CH3 H CH 3 -CH-C
Butonal Butyraldehyd
2-Methylpropanal Isobutyraldehyd
H
H
Methanal Formaldehyd
cci 3 -c
CH3-CH2-C
CHJ-C
p =0 H
0
0 Propanal Propionaldehyd
Ethanal Acetaldehyd
o
CH=CH-C
H
Trichloracetaldehyd
v
OCH-,
^CHO
Zimtaldehyd IZimt)
Citronellal Benzaldehyd (Alarmstoff d.Ameisen! (bittere Mandeln)
CH,
CH,
c=o
CH3 C CH2 CH3
CH3' Aceton
Butanon
CH 3 -(CH 2 ) 6 -C-CH 3
4 - M e t h y l - 2-pentanon Methylisobutylketon
2-Nonanon (Roquefort-Käse)
1
ÖC^™ u
O - L « , Acetophenon
0 11
CH-CH2-C-CH3 CH3'
Benzophenon
13-Jonon (Veilchen)
I
Carvon (Kümmel)
CH-CH | 33
(CH2)i2
CH2
I
C=0
Muscon 3-Methylcydopentadecanon (Moschus-Tier)
O 0"° 00 oco 0 p-Benzochinon o-Benzochinon
1,4-Naphtochinon
9.10-Anthrachinon
2.11.2 Darstellung von Carbonylverbindungen Aldehyde werden dargestellt durch Dehydrierung bzw. Oxidation von primären Alkoholen oder durch Reduktion von Carbonsäurechloriden durch Wasserstoff mit ,vergiftetem', d. h. mit Schwefel inaktiviertem Pd-Katalysator (Rosenmund-Reduktion):
1. Dehydrierung, Oxidation
0 prim. A l k o h o l
Aldehyd
119
Aldehyde und Ketone
2. Rosenmund-Reduktion R-COCl
0
Ketone werden durch Oxidation sekundärer Alkohole dargestellt, aliphatische Ketone aus Säurechloriden mit cadmiumorganischen Verbindungen (2.) und aromatische Ketone aus Säurechloriden mit Hilfe der Friedel-CraftsReaktion (3.): 1. Oxidation der Alkohole R H - ,
x
R'
OH
R
—
sec Alkohol
;c=o r' Keton
2. Ketonsynthese mit Cd-organischen Verbindungen p R-C
s
Cl
o + R'-Cd-R' —
CarbonsäureChlorid
DialkylCadmium
R-C-R' Keton
3. Friedel-Crafts-Reaktion o
^
^
U
\
ci
2.11.3 Reaktionen von Carbonylverbindungen Viele Reaktionen werden sowohl von Aldehyden wie Ketonen eingegangen, wobei Aldehyde — wegen der geringen sterischen Behinderung der C=0-Gruppe durch ein H-Atom im Vergleich zur Gruppe R bei Ketonen — reaktionsfähiger sein können. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber infolge der Oxidationsfähigkeit (dem Reduktionsvermögen) der Aldehyde. Aldehyde scheiden aus Fehlingscher Lösung Kupfer und aus ammoniakalischer Silbersalzlösung Silber metallisch aus (Tollens-Probe), Ketone aber nicht. Wie mehrfach angegeben, können Carbonylverbindungen zu den entsprechenden Alkoholen reduziert werden (1.). Eine Reihe spezieller Reaktionen führen weiter zum Kohlenwasserstoff (2.), wobei man, je nach der Empfindlichkeit der Verbindungen spezielle Reaktionen für das saure, alkalische bzw. neutrale Medium zur Verfügung hat. Daneben kennt man die Disproportionierung zweier Moleküle Aldehyd in je ein Molekül Alkohol und Carbonsäure, die Cannizzaro-Reaktion (3.):
120
Sauerstoffverbindungen
1. Reduktion von Carbonylverbindungen cH
c=o
'oh
2. Umwandlung einer C=0-Gruppe in eine CH2-Gruppe V ~
ZnlHg);HCI
C-0
—
s
NH2-NH2;NaOH
C =0
C =0
\ ,
•
CH,
•
\
CH
CH,-SH \ /S~CH 2 Ni -'. C' X ^ 'VCH2 Thioketal Thioacetal
VCH
3. Canizzarro-Reaktion P OH° 2-C
0 Aldehyd
— • -CHo-OH + -C
0® Alkohol Carboxylat
Die Elektronenstruktur der Carbonylgruppe ist in Abb. 1.15 gezeichnet. Infolge der größeren Kernladung zieht das Sauerstoffatom die Bindungselektronen zu sich hinüber: 6 s 50 /C = o
Man hat auch versucht, die Eigenschaften der C=0-Bindung durch folgende mesomere Grenzstrukturen zu erklären: \
v
\ © — ©
c = 'o ) — /C-01 —
I
Abbildung 1.15 verdeutlicht weiter, daß alle Liganden des C-Atoms der Carbonylgruppe mit ihm in einer Ebene liegen und daß die Bindungswinkel ca. 120° betragen. Die Jt-Elektronen sind so stark vom C-Atom abgezogen, daß es einem Angriff durch nucleophile Agenzien B® leicht zugänglich wird. Die Reaktion läuft, abhängig von der Natur des Nucleophils und vom Medium, nach einem der Wege in folgendem allgemeinen Schema ab: /
-1 C - —X, O© f i
C = o) '
H®
' -0H - iC
oder \
V
U®
\ © —
/C = '0) -iU / C-O-H -
Q©
I
-C-OH I B
Aldehyde und Ketone
121
Darauf beruhen viele Reaktionen der Carbonylverbindungen, wie z. B. die folgenden, Nr. 4 bis 8: 4. Addition von H C N \
I _e
V ©
c=o;+iceni
•-C-O-H
-C-Ol
CiNI
¿ENI
Cyanid
Cyanhydrin
durch Verseifung (Hydrolyse) der Nitrilgruppe entstehen Hydroxycarbonsäuren OH \i
C-C = N /
H,0
Cyanhydrin
OH 0 0 C-C \ / OH
\l
Hydroxycarbonsäure
5. Addition von Natriumhydrogensnlfit, NaHS0 3 . v N0HSO3 X O /H 0 = 0/ ,C 0 SO3 Na Bisulfit Additionsverbindung
Diese reversible Reaktion kann zur Abtrennung Carbonylderivaten dienen.
und Reinigung
von
6. Addition von R O H
Nc=o>
v°
'
' V r
'
Aldehyd Keton
52"
H
V°' '
Halbacetal Halbketal
R
SO-R
Acetal Ketal
Acetale werden durch verdünnte Säuren wieder gespalten, jedoch sind sie gegenüber Alkali stabil, man verwendet sie daher zum Schutz von Carbonylgruppen in alkalischem Medium. 7. Addition von Ammoniak-Derivaten H 2 N—X
H2NX
,c=o>
y
,0H N-X 1 H
-H,0
C=N - X
122
Sauerstoffverbindungen
Ammoniak-Derivat
Produkt
H
V - Kl - R / ~
2
N-R
Amin
H2N_OH
Hydroxylamin
H2N-NH2
Hydrazin
Azomethin, Schiffsche B a s e
Hydrazon
C=N-NH2
N02
N02
UL
'
C = N-NHL
Dinitrophenylhydrazin
1
Dinitrophenylhydrazon* C= N - N H - C -
/
II
0
11 0
NH,
Semicarbazon*
Semicarbazid
Die mit * bezeichneten Derivate können zur Identifizierung der Carbonylverbindungen dienen. Dazu vergleicht man den Schmelzpunkt dieser Derivate mit den in Tabellenwerken aufgeführten Werten. Technisch verwendet man das Oxim des Cyclohexanons als Ausgangsmaterial zu Synthese von Perlon ( f 3.5.1). Der einfachste Aldehyd, Formaldehyd, reagiert mit Ammoniak zu Hexamethylentetramin, Urotropin:
rn
6 H 2 CO • 4 N H 3
M-L
J,
*6H,0
Da diese Reaktion reversibel verläuft, verwendet man Urotropin als Träger für Formaldehyd zur Desinfektion oder zur Herstellung von Kunstharzen 3.5.7). 8. Addition von Grignard-Verbindungen an C—O-Ciruppen ( f 2.4.1, 2.9.2) C-O) 1 '
R M g X
»
R-C-O-MgX s 1 -
— R - C - O H
1
Carbonylverbindung
Ol
-C
Produkt R
OH
Aldehyd
sec. Alkohol H
c = o;
Keton
c=o;
Formaldehyd
R-CH2~OH
prim.Alkohol
Kohlendioxid
R-C
Carbonsaure
(o=c=o)
-C-OH I R
OH
tert. Alkohol
123
Aldehyde und Ketone
9. Wittig-Reaktion Die Wittig-Reaktion ist besonders gut geeignet zur Darstellung definierter komplizierter Alkene:
V R'
R"
R"
R
0 =C
C=C R' R"
X
Hierbei wird das O-Atom der Carbonylgruppe durch R ^C= ersetzt. Das Alkylhalogenid wird dabei mit Triphenylphosphin zum Phosphorylid, dem Wittig-Reagenz, umgesetzt, das dann mit der Carbonylverbindung das Alken bildet. Mit 0 wird im folgenden Schema die Phenylgruppe, —C6H5, bezeichnet. i CH-X + P-0 / \ R' 0
CH-P-0 / \
-
\
'
0
C=P-0 + o = c
Wittig Reagenz
/
C-P-0 / s R' 0
0
AlkylTriphenylhalogenid phosphin
R
R~ « 0 \ 0 0 H,N L
Dialkylbarbitursäure
Durch Variation der beiden Alkylreste erhält man Schlafmittel mit sehr unterschiedlicher Wirkungsdauer (Veronal: R', R " = C 2 H 5 und Luminal: R' = C 2 H 5 , R " = C 6 H 5 , haben lange Wirkung, Evipan, R' = CH 3 , R " =C 6 H 9 sehr kurze).
2.15 Carbonsäureanhydride Durch Wasserabspaltung bilden sich aus Carbonsäuren deren Anhydride: 0
R-C
'/
-H,0
\
OH
0
0
11
R-C
v
0u
'I C- R
Säureanhydride besitzen ähnliche Reaktionsfähigkeit wie Säurehalogenide. Da die Hydroxylgruppe der Carbonsäuren verschwunden ist, sind sie besser in unpolaren Lösungsmitteln löslich. Dicarbonsäiiren bilden cyclische Anhydride, falls die räumlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Maleinsäureanhydrid
Phthalsäureanhydrid
Derivate der Kohlensäure
135
2.16 Carbonsäureamide Carbonsäureamide bilden sich aus Säurehalogeniden und Ammoniak bzw. primären und sekundären Aminen: R_c"°
\
•
CI
hn'
R-cf
^
\
N-
i
Befinden sich beide Gruppen an der gleichen Kette, so bilden sich cyclische Amide, sogenannte Lactame: H2N-(CH2)5-C
— CI
/ (
\ >
H2SOt
(^N
t - Aminocapronsäurechlorid
-H2O —
N -o Umlagerung H E-Caprolactam Cyclohexanonoxim ,^^NNOH
f^N C J ^ 0 Cyclohexanon
I
2
N O H
Hydroxylamin
Technisch wichtig ist die Synthese der Basis für Perlon, des e-Aminocaprolactams, aus Cyclohexanonoxim mit Hilfe der sogenannten BeckmannUmlagerung (f 3.5.1). In der Amidgruppe findet eine interessante Wechselwirkung des freien Elektronenpaares am Stickstoffatom mit der Carbonylgruppe statt, die AmidMesomerie: /
o\ R-C
— — /
o}Q
R-C
N-H
/
N-H
Hierdurch erhält die C—N-Bindung einen gewissen Doppelbindungscharakter, sie verliert ihre freie Drehbarkeit. Das freie Elektronenpaar am Stickstoffatom entwickelt kaum noch basische Eigenschaften. Carbonsäureamide haben — als Bestandteil der Proteine und der Polyamide — Bedeutung in der Biochemie und der Polymertechnologie (f 3 und 6).
2.17 Derivate der Kohlensäure Die Kohlensäure selbst ist bei Raumtemperatur nicht beständig, sie verliert H 2 0 und geht in C 0 2 über: HO C = 0
HO
-H,0
0 =0=0
Stickstoffverbindungen
136
Beide Hydroxylgruppen können aber unabhängig voneinander durch Alkoxy-, Halogenid- oder Amidgruppen ausgetauscht werden: R-0S
CI V
c=o
CL7
CL' Phosgen
HO \
Chlorkohlensaureester
R-0S
c=o
H 2 N' Carbaminsäure (instabil)
R-0X
C=0
C=0
C=O
H2N Carbaminsäureester
R-o' Kohlensäuredialkylester
H£2 N \ C=0 H 2 N' Harnstoff
Urethan
[HO-CEN] Cyansäure
[HN = C = 0] Isocyans'aure
R - N =C = 0 Isocyansäureester Isocyanat
Einige dieser Derivate mit biologischer oder technischer Bedeutung werden in den folgenden Kapiteln wieder erwähnt, insbesondere die Isocyanate, die Urethane ( f 3.5.3) und der Harnstoff ( f 3.5.7, 6.10).
Stickstoffverbindungen Stickstoff ist unmittelbarer Nachbar des Kohlenstoffs im Periodensystem. Er bildet daher kovalente Bindungen mit anderen Stickstoffatomen und den Atomen der Elemente, die sich gern mit Kohlenstoff verbinden, vor allem Kohlenstoff, Wasserstoff und Schwefel. Das Stickstoffatom kann aber mit seinen fünf Valenzelektronen nur drei kovalente Bindungen bilden, und es besitzt ein freies Elektronenpaar. Da es eine höhere Kernladung als Kohlenstoff besitzt, sind C—N-Bindungen polar: Sie besitzen ein Dipolmoment mit dem negativen Pol am Stickstoffatom. Daher und wegen der Möglichkeit, als Wasserstoffbrückendonator und -akzeptor zu wirken, haben Stickstoffverbindungen meist höhere Siede- und Schmelzpunkte als vergleichbare Kohlenstoffverbindungen, und sie sind auch in polaren Lösungsmitteln leichter löslich. Man findet Stickstoff als Bestandteil vieler Gerüste, z. B. in den Heterocyclen und in vielen funktionellen Gruppen; Stickstoffverbindungen zeigen vielseitige Reaktionsmöglichkeiten, sie gehören zu den wichtigsten Verbindungen in der industriellen und der Biochemie. Hier können nur wenige Stickstoffverbindungen mit ihren wichtigen Reaktionen besprochen werden. Bereits erwähnt wurden die stickstoffhaltigen Heterocyclen (Kapitel 2.3), die Derivate von Carbonylverbindungen, (Kapitel 2.5.3) und die Nitrile, Cyanhydrine und Säureamide (Kapitel 2.5.4). Die biochemisch wichtigen Stickstoffverbindungen werden im Kapitel 6 besprochen.
Amine
137
2.18 Amine 2.18.1 Namen und Eigenschaften Amine lassen sich als Derivate des Ammoniaks verstehen; ein, zwei oder drei Wasserstoffatome sind durch Alkyl- oder Arylreste R ersetzt:
h^H H
Ammoniak
R'^r-
sekundäres Amin
tertiäres
R
R
primäres
3
H7n^r.
R
R quaternäre Ammoniumverbindung
Man beachte die logisch schwer zu rechtfertigende, aber übliche, andersartige Definition der primären, sekundären und tertiären Alkohole (f 2.9.1). Wie Ammoniak haben auch die Amine basische Eigenschaften: RNH 2
+
Amin
HA
^
Säure
R-N®H 3
Ae
Ammoniumsalz
Auch Wasser kann als Säure reagieren, daher zeigen die wäßrigen Lösungen vieler Amine alkalische Reaktion: RNH 2 Amin
+
H2O ^
R-NH 3 ® OH e
Wasser
Ammoniumhydroxid
Die Lage dieses Gleichgewichts kann durch eine Gleichgewichtskonstante Kb beschrieben werden: _ [RNH3®] [OH e ] [RNH2] und analog zum pH und pKs-Wert wird der negative Logarithmus dieser Konstanten als pKb-Wert definiert: PKb
= -log Kb = log
[RNH2] G [OH ]
[ R N H 3 ®]
Je kleiner der pKb-Wert ist, um so stärker ist die basische Wirkung. Der +1Effekt der Ethylgruppen erhöht die Elektronendichte des freien Elektronenpaars, daher steigt die Basenstärke vom Ammoniak zum Dimethylamin. Beim Trimethylamin ist die Basenstärke wieder geringer, offensichtlich macht sich hier eine sterische Behinderung bemerkbar: Die Ammoniumionen werden durch eine Hülle aus H 2 0-Molekülen stabilisiert, das Trimethylammoniumion ist aber durch die drei Methylgruppen stark abgeschirmt.
138
Stickstoffverbindungen
Tabelle 2.13
pK b -Werte und Siedepunkte organischer Basen. Name
Formel
pK b
Kp (°C)
Ammoniak
NH 3
4.76
-33.4
Methylamin
CH3-NH2
3.36
-6
Dimethylamin
(CH 3 ) 2 NH
3.29
7
Trimethylamin
(CH 3 ) 3 N
4.26
Anilin
2NH 3 + CO z + H z O) bildet sich der hydrophile Viskoseschaumstoff (Viskoseschwamm). Mit Schweitzers Reagens, dem Kupfertetramminhydroxid Cu(NH 3 ) 4 (OH) 2 , bildet sich ein löslicher Kupfer-Komplex der Cellulose, der wie Viskose verarbeitet wird. Kupferseide wird als Endlosgarn (Bemberg, Cupresa) und Spinnfaser (Cuprama) zu Textilien verarbeitet. Die in organischen Lösungsmitteln löslichen Salpetersäureester der Cellulose, CN, sind lange bekannt. Schießbaumwolle, der Cellulosetrisalpetersäureester, ist hochexplosiv und wurde bereits 1846 hergestellt. Der Di-ester der Cellulose mit Salpetersäure ist weniger gefährlich, neigt aber noch zur Verpuffung. Er ist unter dem Namen Collodiumwolle ein viel gebrauchter Lackrohstoff (Zaponlack, Nitrolack), im Gemisch mit Weichmachern (Campher) wird er als Celluloid zu Filmen und Gebrauchsartikeln verarbeitet. Aus der Collodiumwolle hat Graf Chardonnet 1881 die erste Kunstseide hergestellt, die sich jedoch wegen ihrer Feuergefährlichkeit nicht durchsetzen konnte. Der Cellulose-Essigsäure-Ester wird aus der Lösung in Aceton zu Acetatseide, CA, versponnen. Der Faden muß dann, um ihm die Löslichkeit in organischen Lösungsmitteln zu nehmen (chemische Reinigung), durch Verseifung teilweise entacetyliert werden. Sicherheitsfilm, ein nicht verpuffendes Filmmaterial, besteht ebenfalls aus Celluloseacetat. Der Mischester der Cellulose mit Essigsäure und Buttersäure, Celluloseacetobutyrat, CAB ist ein Kunststoff für Spritzgußartikel. Celluloseacetobutyrat wird oft im Wirbelsinterverfahren verarbeitet. Dazu bläst man einen Luftstrom durch den porösen Boden eines Kastens, der mit Kunstoffpulver gefüllt ist. Es entsteht im Wirbelbett ein Kunststoff-Luft-Gemisch mit einer horizontalen Oberfläche und dem Fließvermögen einer Flüssigkeit. In das Wirbelbett getauchte heiße Metallteile überziehen sich mit einer dünnen, glatten, lückenlosen Kunststoffschicht. Nach diesem Verfahren werden Kühlschrankroste, Armaturen und Griffe beschichtet. Die Ether der Cellulose sind Lackrohstoffe (Ethyl- und Benzylcellulose). Der Methylether MC ist wasserlöslich, er wird als Tapetenkleister, Methylan, Textilhilfsmittel und Verdickungsmittel gebraucht. Die Celluloseether besitzen Bedeutung als Appetitzügler, sie rufen das Gefühl der Sättigung hervor und sind selbst unverdaulich.
3.6.2 Abgewandelte Eiweißstoffe, CS Kunsthorn (Galalith), mit Formaldehyd gehärtetes Milcheiweiß, ist ein guter Schnitzstoff und wird zu Knöpfen, Spielmarken, Schmuck und Gebrauchsgegenständen verarbeitet.
183
Neue Entwicklungen
In Natronlauge gelöstes Milcheiweiß kann durch Einpressen in ein saures Fällbad in Form von Fasern ausgefällt werden. Nach dem Härten mit Formaldehyd haben die Fasern wollähnlichen Charakter (Lanitalwolle).
3.7 Neue Entwicklungen von makromolekularen organischen Substanzen In vielen Forschungslaboratorien wird intensiv an der Verbesserung bereits bekannter und der Entwicklung neuer makromolekularer Stoffe gearbeitet. Die Anwendungsmöglichkeiten von Stoffen, die bereits in großen Mengen und damit preiswert produziert werden, können durch chemische Reaktionen, durch Copolymerisation, durch physikalische Nachbehandlung oder mit Hilfe von Zusatzstoffen verbessert werden. Schlecht einfärbbare Fasern (Polyethylen, Polypropylen, Polyacrylnitril) werden färbbar (f 5) gemacht, indem bei der Polymerisation Moleküle mit basischen oder sauren Gruppen eingebaut werden. Durch Chlorierung oder Sulfochlorierung von Polyethylen erzeugt man ein wie ein gewöhnlicher Thermoplast durch Spritzguß verarbeitbares Material, CSM, das aber vulkanisierbar ist und als Ausgangsmaterial für wertvolle Elastomere verwendet wird (CPE-Elastomere, Hypalon). Ein ähnliches Ziel wird bei den Ionomeren erreicht. Hier werden durch Copolymerisation von Alkenen mit Acrylsäuren einzelne Carboxylgruppen in die Kette eingebaut. Durch Salzbildung mit mehrwertigen Kationen werden die Ketten vernetzt:
Abbildung 3.6
Vernetzung in Ionomeren.
Dadurch werden diese Materialien bei normalen Temperaturen denen mit vernetzten Molekülen (Elastomeren oder Duroplasten) ähnlich. Durch Erwärmen können diese zwischenmolekularen Kräfte aber überwunden werden: Die Stoffe lassen sich wie Thermoplaste verformen. Ionomere sind meist glasklar und zäh, und sie lösen sich schwer in organischen Lösungsmitteln. Daher verwendet man sie zur Verpackung von Arzneimitteln wie von Kleinmaterialien für Supermärkte, zur Herstellung von Flaschen, Dosen, Windschutzscheiben,
184
Makromolekulare organische Stoffe
durchsichtigen Türen in Werkshallen, ,Gummi'-Hämmern, Kabelmänteln und elastischen Schaumstoffartikeln. Schwer oder nicht brennbare Polymere erschließen ganz neue Anwendungsbereiche von Polymeren. Penton ist ein nicht brennbares und chemikalienfestes thermoplastisches Material z. B. für Pumpen, Ventile und Meßgeräte. CH2CI -|-CH 2 -C-0-F CH 2 CI
{hD^O},
Penton
Polyethersulfon
Polyethersulfon ist ein ebenfalls nicht brennbarer Thermoplast und eignet sich zur Herstellung von chemikalienfesten Gegenständen, die Dauertemperaturen von 150°C ausgesetzt sind. Aus thermodynamischen Betrachtungen geht hervor, daß Polymere mit starren Ketten und starken zwischenmolekularen Wechselwirkungen besonders hohe Glastemperaturen besitzen müssen. Man hat daher versucht, derartige Stoffe zu entwickeln, die zudem noch als flammhemmend bekannte Gruppierungen enthalten. Tabelle 3.2 zeigt die Struktur derartiger Stoffe. Polyimide und Polybenzimidazole eignen sich für den Dauereinsatz über 250 °C, man verwendet sie für Kolbenringe und Ventilsitze, elektronische Bauteile, Kernreaktorteile und zur Drahtisolierung. Tabelle 3.2
Temperaturfeste Polymere
{£00-0-01, lO^OiOt
.H-N. C-N
o
Polyimid
N-C
X
N-H
t
M
N=C
Polybenzimidazol
Polyterephthaloyloxamldrazon P T O
xcxx Pyrolyseprodukt a u s Polymethylvinylketon
N Pyrolyseprodukt a u s 1,2-Polybutadien (Pluton-Faser)
N'
Pyrolyseprodukt a u s Polyacrylnitril (Fiber A F )
PTO, ein Polymeres, dessen Ketten durch Chelatbildung 2.7.1) mit Metallatomen verknüpft sind, ist mit M = Zn, Sr oder Ca bis 1000°C absolut unbrennbar. Das je nach der Natur des Metallatoms verschiedenfarbige Material kann für flammfeste Gewebe verwendet werden.
Neue Entwicklungen
185
Durch vorsichtige Pyrolyse von Teilen aus organischen Polymeren unter Schutzgas kann man schließlich Gegenstände, Fasern, Vließe, Filme und Schaumstoffe herstellen, die aus glasartigem Kohlenstoff bestehen. Diese widerstehen einer Dauerbelastung an der Luft bis 350°C und unter Stickstoff bis 4000 °C. Man verwendet Kohlenstoff-Glas für Schmelztiegel, zur Wärmeisolierung im Ofenbau, für stark belastete Konstruktionselemente in Überschallflugzeugen und Raketen, wegen des geringen Gewichts und der Zähigkeit auch in Verbundwerkstoffen mit organischen Polymeren oder mit Metallen zur Herstellung von Luftschrauben (z. B. für Hubschrauber). Ganz andere Entwicklungsrichtungen nutzen die Möglichkeiten aus, die reaktive Gruppen bieten, die an Polymerketten fixiert sind. Man kann z. B. natürliche Fermente oder synthetische Katalysatoren an Polymerketten fixieren. Sie lassen sich dadurch wiedergewinnen und vielfach verwenden. Eine 1962 von Merrifield eingeführte Methode ermöglicht die definierte Synthese von Proteinmolekülen, wobei das Kettenende an Polymerkügelchen fixiert ist. Während der vielen Synthesestufen mit verschiedenen Reagentien bleiben die Proteinmoleküle an der Unterlage haften und erst nach Beendigung der Synthese werden sie durch eine spezielle Reaktion abgetrennt. Polymere mit Ionenaustauscher-Eigenschaften, die eine Affinität zu bestimmten Elementen besitzen, können zur Gewinnung dieser Elemente aus Ablaugen, Fluß- oder Meerwasser verwendet werden (Recycling). Die Konstruktion von PolymerMembranen, die Eigenschaften biologischer Membranen besitzen, die zu Pump- und Schaltvorgängen befähigt sind (Zellwände, Nervenzellen), befindet sich noch in den Anfängen. Verwendet werden solche Membranen für Meerwasserentsalzung und in künstlichen Nieren. Man verwendet wasserlösliche Polyacrylamide als Flockungsmittel zur Reinigung technischer Waschwässer und von Flüssen (Separan, Prestol), sie bewirken, daß feine Schlämme zu Flocken zusammenballen, die sich schnell absetzen und die einfach filtrierbar sind. Polyethylenoxide werden eingesetzt zur Verminderung von Verlusten durch Turbulenzen in Wasser: Schiffe fahren schneller und Feuerwehren können weiter spritzen — bei gleichem Energieverbrauch. Mehr als die Hälfte der Menge aller organisch-chemischen Industrieprodukte sind makromolekulare Stoffe. Die meisten dieser Produkte zeichnen sich durch hohe Beständigkeit gegen Lösungsmittel, Licht und Mikroorganismen aus, sie können daher auch nicht biologisch abgebaut werden (biologisch abbaubare Polymere werden sich im Gegensatz zu den Waschmitteln nur für wenige Anwendungsbereiche entwickeln und dort einführen lassen), sie können also die Umwelt verschmutzen. Zwar sind sie zunächst weniger gefährlich als niedermolekulare Stoffe, da sie geringeren Dampfdruck und geringere Löslichkeit besitzen. Außerdem sind manche von ihnen so inert, daß sie Jahrtausende überdauern können. Andere Polymere aber — gerade die biologisch abbaubaren — setzen in den Müllhalden niedermolekulare Verbindungen frei, die einmal das Grundwasser verschmutzen können.
186
Makromolekulare organische Stoffe
Einige polymere Stoffe machen Probleme bei der Müllverbrennung: Halogenverbindungen erzeugen giftige und korrosive Verbrennungsprodukte. Schließlich werden die steigenden Rohstoffkosten und die abnehmenden Erdölvorräte zu einer neuartigen Einstellung gegenüber den makromolekularen Stoffen zwingen: man wird sie als wertvollen Rohstoff schätzen lernen und Verfahren der Recyclisierung erarbeiten.
Anwendungen zwischenmolekularer Kräfte
4. Lösungsmittel, Weichmacher, grenzflächenaktive Substanzen Bei allen Substanzen, die im vorliegenden Kapitel beschrieben werden, den Lösungsmitteln, den Weichmachern und den oberflächenaktiven Substanzen, können die erwünschten Eigenschaften auf zwischenmolekulare Wechselwirkungen zurückgeführt werden. Es handelt sich um zwar wenig beachtete, jedoch sehr nützliche und vielseitige ,Dienstmädchen'. Alle Substanzen werden in großer Menge produziert und verbreitet, die meisten Menschen kommen wenigstens mit einigen dieser Substanzen ständig in Berührung. Daher rechtfertigt sich eine Beschreibung in einem speziellen Kapitel. Nicht zuletzt sollte man diesen Substanzen wegen potentieller Gefahren für Mensch und Umwelt Beachtung schenken.
4.1 Allgemeines Eine Lösung ist eine flüssige, homogene Mischung eines gasförmigen, flüssigen oder festen Stoffes mit einer reinen Flüssigkeit. Die Frage, warum ein Stoff in einem anderen löslich oder unlöslich ist, beantwortet am einfachsten die triviale Feststellung, die schon den Alchimisten bekannt war: Similia similibus solvuntur, auf deutsch: Ähnliches löst sich in Ähnlichem. Dieser Satz sei an zwei entgegengesetzten Lösungsmitteln, Wasser und Kohlenwasserstoffen, erläutert. Wasser ist stark polar (Dielektrizitätskonstante* f 7.13 DK = 80), Kohlenwasserstoffe sind unpolar (DK = 2). Wasser ist daher das ideale Lösungsmittel für heteropolare Verbindungen, da die Wassermoleküle Ionen umhüllen und damit voneinander trennen. Die Moleküle der Kohlenwasserstoffe sind dazu überhaupt nicht in der Lage, daher lösen sich heteropolare Verbindungen nicht in Kohlenwasserstoffen. Dagegen lösen Kohlenwasserstoffe unpolare Verbindungen. Wasser löst diese Verbindungen aber nicht, Wassermoleküle werden nämlich nur dann voneinander getrennt, wenn ähnlich große zwischenmolekulare Kräfte, wie sie zwischen Wassermolekülen bestehen, zum gelösten Stoff ausgebildet werden können. Zwischen diesen beiden Extremen steht die Verbindungsklasse der Alkohole, die Hydroxylgruppe ist wasserähnlich, der Alkylrest kohlenwasserstoffähnlich. Bei Alkoholen mit kleinem Alkylrest tritt die Wasserähnlichkeit in den Vordergrund, sie lösen sich gut in Wasser und schwer in Kohlenwasserstoffen. Bei wachsender Größe der Alkylreste kehren sich die Verhältnisse um. •
Zwei Stoffe mischen sich nur dann homogen und stabil, wenn die Kräfte zwischen den verschiedenartigen Molekülen des Gemisches nach Art und Größe ähnlich sind wie die Kräfte zwischen den Molekülen der Komponenten. Das Lösungsverhalten wird durch die zwischenmolekularen Kräfte bestimmt. Die Erscheinungsformen der zwischenmolekularen Kräfte sind in Tabelle 4.1 zusammengestellt. Dazu sind Stoffe aufgeführt, deren Eigenschaften im wesentlichen durch die Kräfte einer Art bestimmt werden (f 1.11 und Abbildung 6.6). Die Größe der zwischenmolekularen Kräfte steigt in der angegebenen Reihenfolge. Die zuerst genannten Wechselwirkungen treten allgemein zusätzlich auf: In einem Stoff, dessen Moleküle durch Wasserstoff-Brückenbindungen verknüpft sind, wirken außer den Kräften der Wasserstoffbrücken auch Dipol-Richtkräfte, Dipol-Induktionskräfte und Dispersionskräfte. Die in Tabelle 4.1 unter 1—3 aufgeführten Wechselwirkungs-Kräfte sind in ihrer Größenordnung gleich. Die Kräfte zwischen Dipolmolekülen können von dipolfreien Molekülen überwunden werden, da zwischen beiden Molekülarten neue Kräfte, die Dipol-Induktionskräfte, auftreten können. * Die Dielektrizitätskonstante ist die makroskopische Kenngröße für die Polarität von Molekülen (17.13). Ihr Zahlenwert ist gleich dem Verhältnis der Kapazität eines Kondensators mit einer Substanz zu der mit Vakuum als Dielektrikum.
190
Lösungsmittel, Weichmacher, grenzflächenaktive Substanzen
Die unter 4 und 5 aufgeführten Wechselwirkungs-Kräfte sind wesentlich stärker als die unter 1—3 genannten. Wasserstoffbrücken werden nur gebrochen, wenn dafür neue Wasserstoffbrücken gebildet werden, das heißt, wenn die Mischungspartner selbst NH- oder OH-Gruppen enthalten oder Wasserstoffbrückenakzeptoren sind, also freie Elektronenpaare anbieten können (Aceton, Pyridin). Moleküle, die durch Coulombsche Kräfte zusammengehalten werden, können nur durch Medien mit hoher Dielektrizitätskonstante f 7.13 (Wasser, DK = 80, N-Methylformamid, DK = 182) getrennt werden. Tabelle 4.1 Zwischenmolekulare Kräfte (f 1.11)
1
Art der Kräfte
Die Kräfte wirken zwischen
Beis iiele niedermolekulare Stoffe makromolekulare Stoffe
Dispersionskräfte
Kohlenwasserstoffen
aliphatische: Octan: CH 3 (CH 2 ) 6 -CH 3
Polyethylen: CH2-CH2
aromatische: Benzol:
Polystyrol: --CH-CH,—•
0
6
2
DipolInduktionsKräfte
Dipolmolekülen und Kohlenwasserstoffen
Gemisch von Molekülen der Klassen 1 und 3
3
DipolRichtkräfte
Dipolmolekülen
Aceton: CH3-CO-CH3
Polyvinylacetat: • • • - C H ( O A c ) - C H 2 - * •••
Acetonitril: CH3-C=N
Polyvinylchlorid: CHC1-CH 2
Trichlorethylen: CHC1=CC12
Polyacrylnitril: CH(CN)-CH2
Molekülen mit OH- und NHGruppen einerseits und Atomen mit freien Elektronenpaaren andererseits
Wasser: H2O
Polyvinylalkohol: CH2-CH(OH)
Methanol: CH3OH
Eiweißstoffe: CHR-CO-NH
Formamid: H-CO-NH2
Polyglucosen: Cellulose, Stärke
Ionen
Tetramethylammoniumchlorid: (CH 3 ) 4 N®Cl e
Polyacrylat: CH2-CH
4
5
WasserstoffbrückenBindungen
Coulombsche Kräfte
Betain: (CH 3 ) 3 N®-CH 2 -COO e
1 cooe
* Ac = C H j - C O -
Organische Moleküle enthalten meist verschiedenartige Gruppen, sie sind deshalb zu verschiedenartigen zwischenmolekularen Wechselwirkungen be-
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Lösungsmittel
fähigt. Die Art, die Anzahl aber auch die räumliche Anordnung der Gruppen bestimmt dann die Eigenschaften der Verbindungen. Ein Beispiel hierfür: Diethylether ist in Wasser schwer löslich, Tetrahydrofuran mischt sich mit Wasser in jedem Verhältnis. Im Tetrahydrofuran sind die Bindungen durch die Festlegung im Ring starr, die einsamen Elektronenpaare des Sauerstoffs sind frei zugänglich und können als Wasserstoffbrückenakzeptoren fungieren, beim Diethylether werden sie teilweise durch die frei drehbaren Ethylgruppen abgeschirmt. H /CH2_ CH2 2p"C,H2 CH3 X) ~CH3 H 2 C^ch 2 Diethylether
Tetrahydrofuran
Makromolekulare Stoffe verhalten sich häufig anscheinend anders als niedermolekulare Stoffe, sie werden oft von gleichartigen niedermolekularen Stoffen bei Raumtemperatur nicht gelöst. Dies liegt nicht an der Unverträglichkeit der Moleküle miteinander, sondern an der zu kleinen Auflösungsgeschwindigkeit der makromolekularen Stoffe: Die Lösungsmittelmoleküle können nur langsam in den ,verfilzten' Verband der Makromoleküle eindringen. Polyterepthalsäureglykolester ist daher in Essigsäureethylester nicht löslich, Polyethylen nicht in Benzin. Dagegen ist Polystyrol in Benzol leicht löslich und Polyvinylacetat in Estern. Zur Auflösung von makromolekularen Stoffen eignen sich kleine Lösungsmittelmoleküle besser als große, cyclische besser als lineare. Tabelle 4.2 zeigt nur wenige Beispiele der sehr vielen gebräuchlichen Lösungsmittel. Einige von ihnen lösen bei höherer Temperatur selbst die sonst schwerlöslichen Polyamide und Polyacrylnitrile, bei denen die Moleküle durch Wasserstoffbrücken bzw. Dipolkräfte wie bei einem Reißverschluß verzahnt sind: Dimethylsulfoxid und Dimethylformamid. Lösungsmittel, deren Moleküle zwei verschiedene funktionelle Gruppen enthalten, zeigen gute Löslichkeitseigenschaften für recht verschiedenartige Stoffe, sie lassen sich aber auch mit vielen anderen (billigeren) Lösungsmitteln mischen (verschneiden), wie z. B. Pyranton A und die Ether und Ester des Ethylenglykols (die sogenannten Cellosolve).
4.2 Lösungsmittel Viele chemische Reaktionen werden mit gelösten Substanzen durchgeführt. Das Lösungsmittel soll die Reaktionspartner gut lösen und soll selbst meist nicht an der Reaktion teilnehmen. Man wählt die physikalischen Eigenschaften so, daß sich die Reaktionsprodukte leicht durch Destillation oder Kristallisation
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Lösungsmittel, Weichmacher, grenzflächenaktive Substanzen
abtrennen lassen. Durch Siedekühlung kann man die Reaktionswärme abführen und dabei die Temperatur konstant halten (z. B. durch Diethylether, Siedepunkt 35°C). Man benötigt Lösungsmittel weiter als Hilfsmittel bei der Reinigung fester Substanzen. Durch Filtration der Lösung eines Stoffes befreit man ihn von mechanischen Verunreinigungen. Molekulare Verunreinigungen werden durch Umkristallisation entfernt: Bei der Abkühlung einer heißen, gesättigten Lösung kristallisiert die reine Verbindung aus, sie wird durch Filtration von der Mutterlauge, die die Verunreinigung enthält, getrennt. Lösungsmittel dienen zur Extraktion eines leicht löslichen Stoffes aus einem Gemisch mit schwer löslichen Substanzen, Stoffgemische werden getrennt durch gleichzeitige Behandlung mit zwei untereinander nicht mischbaren Lösungsmitteln. Lösungsmittel werden in großem Umfang von der Lack- und Klebstoffindustrie zur Lösung makromolekularer Stoffe gebraucht. Man verwendet dazu meist Lösungsmittelgemische, da oft erst die Kombination mehrerer Lösungsmittel die gewünschten Lösungseigenschaften besitzt oder die gewünschten Eigenschaften des Lackfilms ergibt. Billigere Lösungsmittel können als Verschnittmittel in teure Spezial-Lösungsmittel gemischt werden, ohne deren Lösefähigkeit wesentlich zu beeinflussen. Als Lösungsmittel werden die folgenden Verbindungen in der Lackindustrie verwendet: Ester (Ethylacetat, Amylacetat), Ketone (Aceton, Methylethylketon), Alkohole (Ethanol, Butanol), Halogenverbindungen, aliphatische Kohlenwasserstoffe (Testbenzin, Siedebereich 130— 200°C), aromatische Kohlenwasserstoffe (sogenanntes Handelsbenzol enthält neben wenig Benzol vor allem Toluol, Xylol, Ethylbenzol usf.), Hydroaromaten (Tetralin = Tetrahydronaphthalin, Dekalin = Dekahydronaphthalin), Terpenkohlenwasserstoffe (Terpentinöl). Die Lösungsmittel sind mengenmäßig der Hauptbestandteil vieler Anstrichmittel. Da sie nicht billig sind, meist verlorengehen und zusätzlich die Atmosphäre verschmutzen, versucht man, die Beschichtungen ohne Hilfe von Lösungsmitteln durchzuführen: Lösungsmittelfreie Anstriche mit ungesättigten Polyesterharzen (f 3.5.2), Dispersionsanstriche (13.4.7), Flammspritzen und Wirbelsintern ( j 3.4.1 und 3.6.1) sowie die elektrostatische Beschichtung. Große Mengen Lösungsmittel werden bei der Fettgewinnung aus Knochen und Ölsaat sowie bei der chemischen Reinigung und bei der Herstellung von coffeinfreiem Kaffee verwendet. Dabei werden die zu extrahierenden Substanzen durch Kohlenwasserstoffe (Benzinfraktionen von 60—140°), Tetrachlorkohlenstoff, Trichlorethylen oder Tetrachlorethylen gelöst. Die Lösungsmittel werden durch Destillation wiedergewonnen. Zur Reinigung von Bauteilen der Elektronik, Optik und Feinmechanik bewährt sich das unbrennbare Frigen 113 (Freon 113), das 1,1,2-Trichlor-1,2,2trifluorethan, CC1 2 F-CC1F 2 (12.8.1). Methylenchlorid wird in Alkohol-Wasser-Emulsion, die mit Methylcellulose verdickt ist, als Abbeizpaste zum Entfernen alter Anstriche verwendet.
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Lösungsmittel
Dichlordifluormethan ist das wichtigste Kühlmittel für Hauhaltskühlschränke (Frigen 12), es ist chemisch völlig beständig, unbrennbar, geruchlos und ungiftig. Es wird in zunehmendem Maße als Lösungsmittel und Treibgas für die Füllungen von Aerosoldosen (z. B. Haarspray) benutzt, zur Frage der Umweltverschmutzung |Abschnitt 6.17.
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