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German Pages 252 [272] Year 1900
Lehrbuch der höheren Mathematik für Universitäten und Technische Hochschulen Bearbeitet nach den Vorlesungen von
Dr. Gerhard Kowalewski o. Professor an der Technischen Hochschule tu Dresden o. Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften tu Leipzig
Dritter Band
Fortsetzung der Differential- u. Integralrechnung. Differentialgleichungen. Differentialgeometrie. Funktionen einer komplexen Veränderlichen. Probleme der Variationsrechnung Mit 12 Figuren
Walter de Gruyter & Co. • o r m a l s G. J . G ö s c h e n ' s c h e V e r l a g s h a n d l u n g J. G u t t e n t a g , V e r l a g s b u c h h a n d l u n g — G e o r g Reimer — Karl J.Trllbner — Veit & Comp.
Berlin W 1 0 und Leipzig 1933
Alle Rechte, insbesondere
das der Über-
setzung in fremde Sprachen,
vorbehalten
Archir-Nr. >9 06 33 Druck von Walter de Gruytet 4 Co., Berlin W 10
Inhaltsübersicht des dritten Bandes. Fortsetzung der Differential- nnd Integralrechnung. § § § § § § § § § § § § §
1. Höhere Ableitungen und Differentiale 2. Anwendungen der Taylorschen Formel 3. Allgemeines über unendliche Reihen 4. Potenzreihen 5. Integration gewisser Klassen von Funktionen 6. Differentiale von Funktionen mehrerer Veränderlicher 7. Maxima und Minima bei Funktionen mehrerer Veränderlicher 8. Implizite Funktionen 9. Maxima und Minima mit Nebenbedingungen 10. Geometrische Deutung des Differentials 11. Mehrfache Integrale 12. Der Gaußsche Integralsatz 13. Geometrische Anwendungen der Doppelintegrale
Seite
1 11 37 51 65 105 119 124 131 13G 141 151 159
Differentialgleichungen. § § § § §
1. 2. 3. 4. 5.
Differentialgleichungen von Kurvenscharen Einfache Typen von Differentialgleichungen erster Ordnung Das Zweikörperproblem in der Ebene Eulersche Multiplikatoren Lineare Differentialgleichungen höherer Ordnung
164 166 174 177 181
Differentialgeometrie. § § §
1. 2. 3.
Raumkurven Flächen Kurven auf Flächen
186 196 207
Funktionen einer komplexen Teränderlichen. § § § § §
1. 2. 3. 4. 5.
Rückblick auf die komplexen Zahlen Analytische Funktionen Integralsätze von Cauchy Theorem von Liouville Abbildung durch analytische Funktionen
212 216 230 236 240
Einige Probleme der Variationsrechnung. § §
1. 2.
Das älteste Variationsproblem Problem der Brachistochrone
241 246
Fortsetzung der Differential- und Integralrechnung. § 1.
Höhere Ableitungen nnd Differentiale.
Die Ableitung f'(x) einer Funktion f(x) ist selbst eine Funktion von x. Hat f'(x) eine Ableitung, so bezeichnet man sie mit f"(x) und nennt sie die z w e i t e A b l e i t u n g von f(x). Ebenso wird die Ableitung von f"(x) durch f"'(x) dargestellt und heißt die dritte Ableitung von f(x). Die n-te Ableitung definiert man als die Ableitung der ( n — l ) - t e n Ableitung und verwendet für sie, da bei großem n die Anbringung von n Strichen nicht gut möglich ist, das Symbol / .
X
f(Xll xii X3) 41~ - „ \ f(XH 3i Xi)
:
. 1*1, X2> X3l X4> • • •
An der Spitze ihrer Kolonnen stehen die Höchstkoeffizienten f(xl),f(x1, f(x^ x 2 , x3),... der Polynome P(x | xj,
x 2 ),
P(x | xu x2), P(x | x l t x 2 , x3),
P(x | Xj) ist das Polynom nullten Grades, das an der Stelle xx mit /(x) übereinstimmt, also die Konstante f(xl), P(x \ xlt x2) das Polynom ersten Grades, das /(x) an den Stellen x1 und x2 richtig wiedergibt, usw. Bildet man den Ausdruck (11) P(X |X l ,X 2 ,...,X B ) + (X — Xi)(X — x2)... (x - x„) / ( x „ x 2 , . . x n + 1 ) ,
§ 1.
7
Höhere Ableitungen und Differentiale.
so hat man ein Polynom vor sich, das denselben Grad n und denselben Höchstkoeffizienten aufweist wie P(x \ xlt x2,..., xn, x n + 1 ) . Offenbar nimmt das Polynom (11) an den Stellen x„ x2,..., xn die Werte f(x1),f(x2),.. .,/(£„) an, also dieselben Werte wie P(x \ xlt x2,.. ., xn, xn+1). Bildet man also die Differenz aus (11) und aus P(x \ xv x2,..xn, x„+1), so erhält man ein Polynom von höchstens (n — l)-tem Grade, das an den Stellen xu x2,..x„ gleich Null wird. Schreibt man die Gleichungen auf, die dieses Faktum ausdrücken, so sind es n lineare homogene Gleichungen für die Koeffizienten des genannten Polynoms. Die Determinante ist von Null verschieden. Folglich müssen alle Koeffizienten verschwinden, und es ergibt sich also (12)
P(x |
x2,...,
xn, £ n + i ) = P(x | xlt x2,...,
+ (x — x1) (x — x2)..
xn)
. (x — zn) f(xu x2,...,
xn+1).
Setzt man die Kette der Gleichungen (12) P(x | x,) = /(x,) P(X
| XU X2)
=
, P(X
| X j ) + (x — x,)
/ f o , x2)
,
bis zur w-ten Gleichung fort, so gewinnt man durch Addition aller Gleichungen (13)
P(x | xl7 x2,...,
xn) = / ( ^ j ) + (x — x j f(xl7 x2) -j
+ (Z — ^l) — X2)...{X — Xn_j) /(Xj, x 2 , . . . , xn) . Man sieht, daß zur Aufstellung des Polynoms P(x \ x x , x 2 , . . . . , xn) nur die Kenntnis der Kolonnenspitzen /(x x ), f(xv x2),..f(x1, x2,..., x„) in Tabelle (10) erforderlich ist. Darauf beruht die Wichtigkeit dieser Tabelle. Das Polynom P(x \ x1, x2,..., xn) wird zur angenäherten Darstellung der Funktion f(x) benutzt. Es liefert, wenn nur fix^, f(x2),..., f(xn) bekannt sind, die zwischenliegenden Funktionswerte j(x) mit einer gewissen Annäherung. Man nennt dieses Verfahren zur angenäherten Berechnung fler /(x)-Werte I n t e r p o l a t i o n und spricht im vorliegenden Falle von Newtonscher Interpolation. Es ist leicht, eine Aussage über die Abweichung des Näherungspolynoms P von der darzustellenden Funktion j(x) zu machen. Wenn wir in Formel (12) x = x ) l + 1 setzen, so wird die linke Seite gleich f{xn+1), und es entsteht nach Fortlassung des Index n + 1, der zuletzt ganz belanglos ist, die Gleichung
(14)
f(x) = P{x | xlt x2,..., +
—
zB)
(x—x2)...(x
— xn) j(xlt
x2,.
Der F e h l e r , mit welchem das Näherungspolynom P(x | xlt x2,..., Funktion f(x) darstellt, ist also genau gleich (15)
(x — x j (x — x2)...
(x — xn) / ( x „ x2,...,
.., xn,
x).
xn ) die
xn, x).
Der Fehler ist die Korrektion, die man anbringen muß, um das Richtige zu erhalten. Mit dem genauen Fehlerausdruck (15) ist in praktischen Fällen nicht viel anzufangen. Wir können ihm aber leicht eine bequemere Fassung
8
Fortsetzung der Differential- und Integralrechnung.
geben, und zwar auf Grund folgender Überlegung: Die Differenz /(x) — P(x | xlt x2,..., xn) verschwindet an den Stellen x „ x 2 , . . . , xn, wobei wir uns x, < x2 < • • • < xn denken wollen. Daher wird nach dem Rolleschen Satz die Ableitung /' — P' an n — 1 Zwischenstellen gleich Null, die zweite Ableitung / " — P" an n — 2 neuen Zwischenstellen usw., schließlich die (n — l)-te Ableitung an einer gewissen Stelle f , die jedenfalls zwischen x x und xn liegt. Diese (rc — l)-te Ableitung lautet mit Rücksicht auf (13) fn-l){x) _ ( „ _ ! ) 1 /(i,,!, ,,), und unser Ergebnis drückt sich in folgender Form aus: (16)
f(xx,x2,...,xn)
(
=
(w_!1)1/
—"(f).
Konvergieren xv x2,..., xn alle nach x, so wird auch f mitgerissen. also / ( n — l ) stetig ist, so folgt (16')
Wenn
f(x11xv...,xn)=r
lim
Auf Grund von (16), wobei noch n durch n + 1 ersetzt werden muß, können wir nun statt (14) schreiben (14') /(z) = P{x\ xv x2, . .
xn) + [x-xi)[x-x2).
. . (x-xn)
.
f ist ein Zwischenwert zwischen x, xu x2,.. xn, liegt also zwischen dem größten und kleinsten dieser n + 1 Werte. Das Fehlerglied erscheint hier in einer handlicheren Form. Unser eigentliches Ziel war die Verschärfung der Formel (1). Wir hatten den ersten Schritt hierzu bereits gemacht und gelangten zu der Aussage (6). Jetzt können wir sogleich das allgemeine Ergebnis hinschreiben, das die weiteren Schritte liefern. Wir lassen in Formel (14') die Werte x2,..., xn alle nach x t konvergieren, wobei wir uns vorstellen, daß sie alle zwischen x und xx liegen. £ durchläuft bei diesem Grenzübergang eine Folge im Intervall x . . . xlt die durch Streichungen konvergent gemacht werden kann, so daß dann x2
x l t ...,
xn -* xlt £ -*• f *
ist. Nun wird, wenn man den Ausdruck (13) benutzt und sich auf die Feststellung (16') stützt, lim P(x | xu x 2 , . . , xn) = /(x,) + (x — x j + und wir erhalten aus (14') (17)
/(x) = /(x,) + (x - x,) ^
(B
+ •• •
_ i) i
+ • • • + (x -
x,)"-1
§ 1.
9
Höhere Ableitungen und Differentiale.
wobei jedenfalls dem Intervall xt... durch x und x + h und schreiben wir
x angehört. Ersetzen wir x1 und x
/(£*)=/"V)+«, so lautet das obige Ergebnis A f { x )
( 1 7 * )
=
/ ' ( * )
*
+
/
»
(
*
)
£
+
•••
+
f \ x )
+
•
T n "
Hierbei bedeutet a eine Größe, die zusammen mit h nach Null konvergiert. Vorausgesetzt wird bei dieser Formel, daß f(x) nebst seinen n ersten Ableitungen in dem geschlossenen Intervall x ... x + h stetig ist. Wenigstens sind diese Voraussetzungen hinreichend. In (17*) sehen wir die gesuchte Verschärfung der Aussage (1). Formel (17),diesogenannteTaylorsche F o r m e l , enthält eine Feststellung über die Abweichung des Polynoms T
n
( x
| x j
=
/ ( * , )
+
{ x
-
x j
-
¡
y
*
+
•••
+
( * - * i > " "
'
:
von der Funktion f(x). Dieses Polynom heißt das T a y l o r s c h e P o l y n o m (n — l)-ten Grades an der Stelle x v Es wird zur angenäherten Darstellung von f(x) in der Umgebung dieser Stelle benutzt. Wir haben Tn{x \ xj aus P ( x | x x , . . . , x ) durch Zusammenrücken der Werte x x , • • x erhalten. Das Taylorsche Polynom ist also ein Grenzfall des Newtonschen Näherungspolynoms. Wir wollen nun eine von J o h a n n B e r n o u l l i herrührende vollkommenere Darstellung des Fehlergliedes der Taylorschen Formel herleiten. Es handelt sich in (17) um den Ausdruck u
2
n
( 1 8 )
/ ( * )
l t
f (
-
X l
)
-
(
x
-
x
Ä
( x
-
x j " -
2
j
1
n
^
f
>
der als Einzelwert der Funktion
+ •••
+ - ¿ l ^ j r / ' " > » •
Da u ein beliebiger Wert ist, können wir auch u = x setzen. Dann erhalten wir /(*)
= ZL,{x)
{/(x)+ ^
/'(*)+•••
+
'
Da nach dem Taylorschen Lehrsatz der Ausdruck (7) auf die Form (6) gebracht werden kann, ergibt sich also die Aussage (5'). Als zweite Anwendung der Taylorschen Formel behandeln wir die sogenannte Trapezregel, eine der einfachsten Methoden zur angenäherten Berechnung von Integralen. Wir fassen das Integral b (8)
I = Jf(z)dz a
als Einzelwert der Funktion b—x (9)
a +m b—x
2i > • • • übertreffen wird. Man könnte dann p so groß wählen, daß bez
z
liebig viele, z. B. m solche Glieder in der Summe 1 + + ••• + auftreten. Dann wäre diese Summe größer als ms und auch e' > me. Hierin liegt aber ein Widerspruch. Einerseits läßt sich m beliebig vergrößern, andererseits ist es kleiner als e—1e*. Daher muß die Behauptung (19) richtig sein. z ) n strebt der Null zu und nun steht vollkommen fest, daß das Auch l —;— n1
Integral (15') nach Null konvergiert. Daher gilt für f(x) — ez die Taylorsche Reihenentwicklung (16*). Setzt man noch x0 = 0, so lautet das Ergebnis eI = 1
(20)
+ r i + S + ---
Insbesondere ergibt sich für x = 1 (20')
e= l + i + i
+ .-.
Als zweites Beispiel benutzen wir f(x) = sin x. f'{x) = cos x = sin|x + allgemein. fn)(x) = sin
+
Hier ist
, also f"(x = sin [x + 2 y j , . . . , •
Das Restglied der Taylorschen Formel
lautet
Da der Sinus zwischen — 1 und + 1 liegt, so wird das Integral durch die Werte f ( x — u)""1 X,
eingeschlossen, d. h. durch
[ ( x - Uv ^ ^
1
du.
§ 2. Anwendungen der Taylorschen Formel.
25
(*-*„)" (x-x0)n nl n! Beide konvergieren nach Null, so daß auch das Restglied der Null zustrebt. Daher gilt für f(x) = sin x die Taylorsche Reihenentwicklung (16*). Es ist also (21)
sin z = sin * 0 +
sin(z0 +
sin(z0 + 2 j ) , + • • •
+
Für x0 — 0 ergibt sich x
(21)
t? x1 + _ _ _ +
¡r3
smz = _ _ _
... 71
Setzt man in (21) statt x und x0 die Werte x -f-
7t
, x0 +
ein, so ent-
steht folgende Darstellung der Funktion cos x: (22) cos x = cos x0 +
cos (z 0 + f ) +
cos (*„ + 2 j ) + •• •
Für x0 = 0 ergibt sich (22')
c o s z = l - ^ + g
Wenn wir die Funktion j(x) = In x zugrunde legen, so wird f'(x) = =
1
=
allgemein
/ 2xa hat Rn+i — Rn offenbar den Betrag
26
Fortsetzung der Differential- und Integralrechnung.
!(£_,)•„ n \x 0
/
/z lä^
n
\ /
„(»_!). \a;0
•C l% Da nun x > 2x0, also — > 2 ist, so hat In ( x0
/
\
1) einen positiven Wert.
\x0
/
Wir wissen aber, daß bei unendlich zunehmendem z der Quotient ez : z über alle Grenzen wächst. Daher kann im Falle x > 2xa unmöglich lim Rn = 0 sein. Ist x = 2x„ so hat man
x
'
Ersetzt man den Integranden durch
i — ^ — , so tritt eine Vergrößerung x0
des Integrals ein, das dann folgenden Wert annimmt: