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German Pages 485 Year 1967
Vorwort zur fünften Auflage Ein Lehrbuch der Differentialgleichungen, das dem Stoff des Studienplans an sowjetischen Universitäten entspricht, enthält notwendigerweise Kapitel aus den verschiedensten Teilen dieses Zweiges der Analysis. Elementare Integrationsmethoden, Existenzsätze, die Theorie der singulären Lösungen und die der linearen Differentialgleichungen, diese Kapitel sind beim heutigen Stand der Wissenschaft mit der LIEschen Theorie, mit Anwendungen der Theorie der reellen und der komplexen Funktionen, mit Methoden der linearen Algebra usw. verknüpft. Die heutigen Anforderungen in bezug auf mathematische Strenge, die allmählich auch in Lehrbüchern der Analysis gestellt werden, gestatten es nicht, ein Lehrbuch der Differentialgleichungen zu schreiben, das die Zusammenhänge der verschiedenen Gebiete, beispielsweise der elementaren Integrationsmethoden und der Existenzsätze, nicht klar herausarbeitet. Ferner erfordern sowohl die Entwicklung der Theorie selbst als auch ihre modernen Anwendungen die Aufnahme neuer Gebiete in die Universitätsvorlesungen, die einerseits mit der Entwicklung der qualitativen Methoden und andererseits mit den Oszillations- und Trennungssätzen für lineare Differentialgleichungen zusammenhängen. Das vorliegende Lehrbuch beschränkt sich auf die reelle Theorie; das ist sowohl durch die Einordnung der Vorlesung über Differentialgleichungen im Studienplan der sowjetischen Universitäten bedingt (sie liegt vor der Vorlesung über Funktionentheorie) als auch durch die oben angedeutete Notwendigkeit, daß das Buch die allgemeinen Grundgedanken enthalten soll. Existenz- und Eindeutigkeitsfragen für die Lösungen werden schon bei der Darlegung der elementaren Integrationsmethoden gestellt. Dem Aufbau des Lehrbuches entsprechend wurde der Existenzsatz (für Differentialgleichungen erster Ordnung) ziemlich an den Anfang gerückt. Die klassischen Begriffe allgemeine und partikuläre Lösung, integrierender Faktor, erstes Integral muß man nach unserer Ansicht hinreichend streng, aber, besonders im
Nachwort zur fünften Auflage Der Verfasser dieses Lehrbuches, W. W. STEPANOW, verschied am 22. Juli 1950 während der Vorbereitung der fünften Auflage. In der fünften Auflage wurde das Kap. VII um den § 6 über die Stabilität im Sinne von LJAPuNOW erweitert; bei der Abfassung dieses Paragraphen hat auf Ersuchen des Verfassers S. A. HALPERN mitgearbeitet. Als letztes Kapitel wurde ein historischer Abriß angefügt, der auf Bitte des Verfassers von A. P. JUSCHKEWITSCH für dieses Buch geschrieben wurde. Für die vorliegende sechste Auflage wurden nur Druckfehler berichtigt und der historische Abriß (Kap. X) von A. P. JUSCHKEWITSCH zum Teil überarbeitet. Verlag für technisch-theoretische Literatur Moskau
Inhaltsverzeichnis Vorwort zur fünften Auflage.
V
Nachwort zur fünften Auflage
VII
Kapitel
I. Allgemeine Begriffe. Inteqrierbare Typen von expliziten Differentialgleichungen erster Ordnung § 1. Einführung . . . . . . . . . . . § 2. Trennung der Variablen . . . . . § 3. Die homogene Differentialgleichung § 4. Die lineare Differentialgleichung. . § 5. Die Jacobische Differentialgleichung . § 6. Die Riccatische Differentialgleichung
1 12 21 28 35 41
Kapitel H. Existenzsätze für die explizite Differentialgleichung erste}" Ordmumq § 1. Existenzsätze (Cauchy und Peano) § 2. Singuläre Punkte . . . . § 3. Der integrierende Faktor. . . . .
51 70 89
Kapitel IH. Die implizite Differentialgleichung erster Ordnung § 1. Gleichungen erster Ordnung und noten Grades . . . . . . . . . • • § 2. Gleichungen, die eine der Veränderlichen nicht explizit enthalten . . . § 3. Das allgemeine Parameterverfahren. Die Lagrangesche und die Clairautsehe Differentialgleichung. § 4. Singuläre Lösungen •• § 5. Trajektorien. . . . . . . . ••••• Kapitel IV. Differentialgleichungen höherer Ordnung § 1. Ein Existenzsatz . . . . . . .. .......• • § 2. Differentialgleichungen n· ter Ordnung, die durch Quadratur gelöst werden können . . . . . . . . . . . ........, § 3. Zwischenintegrale. Gleichungen, deren Ordnung erniedrigt werden kann § 4. Gleichungen, die direkt eine Quadratur gestatten . . . . • • • • • • Kapitel V. Allgemeine Theorie der linearen Differentialgleichungen § 1. Definitionen und allgemeine Eigenschaften. . . . . . § 2. Allgemeine Theorie der homogenen linearen Differentialgleichung § 3. Die inhomogene lineare Differentialgleichung . . § 4. Adjungierte Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99 104 107
115 130
135 147 160 170
173 176
191 • 197
Kapitel VI. Spezielle Formen linearer Differentialgle.ichungen § 1. Lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten und verwandte Typen. . . . . . . . . . . . . . . . 206 § 2. Lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung . • • • • • • • • • 232
IX
Inhaltsverzeichnis Kapitel VII. Systeme gewöhnlicher Differentialgleichungen § 1. Die Normalform eines Systems gewöhnlicher Differentialgleichungen § 2. Systeme linearer Differentialgleichungen § 3. Die Differenzierbarkeit der Lösungen eines Systems nach den Anfangswerten § 4. Die ersten Integrale eines Systems gewöhnlicher Differentialgleichungen § 5. Die symmetrische Form eines Systems von Differentialgleichungen . . . § 6. Die Stabilität im Sinne von Ljapnnow, Aussagen über die Stabilität auf Grund der ersten Näherung . . . . . . . . . . . . . . .
252 262 290 299 304 309
Kapitel VIII. Partielle Differentialgleichungen. Die lineare partielle Differentia.lgleichung erster Ordnung § 1. Die Integration partieller Differentialgleichungen 320 § 2. Die homogene lineare partielle Differentialgleichung erster Ordnung 328 § 3. Die inhomogene lineare partielle Differentialgleichung erster Ordnung 333 Kapitel IX. Nichtlineare partielle Differentialgleichungen erster Ordnung § 1. Jacobische Systeme zweier Gleichungen erster Ordnung . . . • • • • § 2. Die Pfaffsche Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3. Das vollständige, das allgemeine und das singuläre Integral der partiellen Differentialgleichung erster Ordnung. . . . . . . . . . . . . . . . § 4. Die Methode von Lagrange und Charpit zur Bestimmung des vollständigen Integrals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5. Die Cauchysche Methode für zwei Veränderliche . . . . . . . . . . § 6. Die Methode von Cauchy für n unabhängige Veränderliche . . . . . § 7. Geometrische Theorie der partiellen Differentialgleichungen erster Ordnung. . . . . . . Kapitel X. Historischer Abriß. .
344 349 359 370 382 394 407
• • • • 415
Literaturhinweise der Herausgeber
• 450
Lösungen . . . .
• 454
Namenverzeichnis Sachverzeichnis. • •
463 • 466
KAPITEL I
Allgemeine Begriffe Integrierbare Typen von expliziten Differentialgleichungen erster Ordnung § 1. Einführung 1. Formal-mathematisch betrachtet ist die Aufgabe, eine Differentialgleichung zu lösen (zu integrieren), eine Umkehrung der Differentiation. In der Differentialrechnung bestimmt man die Ableitung einer gegebenen Funktion., .Die einfachste umgekehrte Aufgabenstellung begegnet uns bereits in der lntegralrechnung: Gegeben ist eine Funktion j (x), gesucht ist eine Stammfunktion (ein unbestimmtes Integral). Bezeichnet man die gesuchte Stammfunktion mit y, so kann diese Aufgabe durch die Gleichungen
~~
= j(x)
dy
=
(1)
oder j(x) dx
(2)
ausgedrückt werden. Diese Gleichungen sind die einfachsten Differentialgleichungen. Ihre Lösung kennen wir bereits; denn aus der Integralrechnung ist bekannt, daß die allgemeinste Funktion y, die der Gleichung (1) oder, was das gleiche ist, der Gleichung (2) genügt, die Form y
=
j/(X) dx + 0
(3)
hat. In der Lösung (3) bezeichnet das Symbol des unbestimmten Integrals eine Stammfunktion, 0 ist eine willkürliche Konstante. Es zeigt sich somit, daß die gesuchte Funktion y durch die Gleichung (1) bzw. (2) nicht eindeutig bestimmt ist. Unsere Differentialgleichung besitzt unendlich viele Lösungen, und jede dieser Lösungen erhält man dadurch, daß man der Konstanten 0 einen bestimmten Wert erteilt. Eine Lösung (3) der Gleichung (1), die eine willkürliehe Konstante enthält, nennt man allgemeine Lösung; jede Lösung, die man aus der allgemeinen durch Einsetzen eines bestimmten Wertes für 0 erhält, nennt man partikuläre Lösung. Betrachten wir ein Beispiel aus der Mechanik. Wir untersuchen die Bewegung eines Massenpunktes m auf einer vertikalen Geraden unter dem Einfluß der Schwerkraft. Wir legen in die vertikale Gerade, auf der sich der
2
I. Integrierbare Typen von expliziten Differentialgleichungen erster Ordnung
Punkt bewegt, die y-Achse eines kartesischen Koordinatensystems; der Ursprung befinde sich auf der Erdoberfläche, die positive Achsenrichtung weise nach oben. Um den Bewegungsablauf, d. h. die Lage unseres Punktes zu einem beliebigen Zeitpunkt t nach dem Beginn der Bewegung (dem der Wert t = 0 entspreche) zu kennen, muß man die Lagekoordinate y dieses Punktes als Funktion von t bestimmen. Somit ist in diesem Falle t unabhängige Variable und y die gesuchte Funktion. Wir stellen nun eine Differentialgleichung zur Bestimmung von y auf. Die Beschleunigung unseres Massenpunktes ist durch die zweite Ableitung
~2/: gegeben. Weiter wissen wir,
daß die Erdbeschleunigung in jedem Punkt der Erdoberfläche und in ihrer Nähe konstant, und zwar (ungefähr) gleich 981 cm/sec 2 ist; sie wird mit dem Buchstaben g bezeichnet, g ~ 981 cm/sec 2 • Sie ist nach unten gerichtet und muß daher in unserem Koordinatensystem mit negativem Vorzeichen angesetzt werden. Setzen wir die beiden so gefundenen Ausdrücke für die Beschleunigung eines Punktes einander gleich, so erhalten wir die Gleichung d2iJ
dt 2
=
-g,
(4)
in welcher die Unbekannte die Funktion y ist. Hier ist der Wert der zweiten Ableitung von y gegeben, gesucht ist die Funktion selbst. Diese Differentialgleichung ist leicht zu lösen (zu "integrieren")!). Wir integrieren beide Seiten der Gleichung (4) zweimal nach t und erhalten nacheinander dy
----aI" =
- gt
+ Cl'
gt 2
y= - 2
(5)
+ Clt+ C
2•
(6)
°
Der Ausdruck (6) ist die allgemeine Lösung der Gleichung (4), er enthält die beiden willkürlichen Konstanten Cl und 2 • Wir untersuchen nun die physikalische Bedeutung dieser Konstanten. Setzen wir in Gleichung (5) t = 0, so erhalten wir
01 =
(~; )t=o=
Vo
(Anfangsgeschwindigkeit des Punktes);
ebenso folgt aus der Gleichung (6)
02 = (y)t=o = Yo
(Anfangslage des Punktes).
Mit diesen neuen Bezeichnungen der willkürlichen Konstanten schreiben wir unsere allgemeine Lösung (6) der Differentialgleichung (4) in der Form
gt 2
y=-T+vot+yo.
(7)
1) Es ist üblich, die Auflösung einer Differentialgleichung allgemein als "In tegration" zu bezeichnen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, nennt man den Übergang zum unbestimmten Integral" Quadratur".